Denken in Zwecken: Bedeutung und Status der Teleologie in der theoretischen Philosophie Kants und Hegels 9783787344116, 9783787344109

Ist in der Natur eine Form von Zweckmäßigkeit realisiert? Wirkt in ihr eine besondere teleologische Kausalität? Welche m

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German Pages 310 [311] Year 2023

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Denken in Zwecken: Bedeutung und Status der Teleologie in der theoretischen Philosophie Kants und Hegels
 9783787344116, 9783787344109

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HEGEL-STUDIEN BEIHEFT 75

Karen Koch

Denken in Zwecken Bedeutung und Status der Teleologie in der theoretischen Philosophie Kants und Hegels

HEGEL-STUDIEN BEIHEFTE

HEGEL-STUDIEN



Beiheft 75

In Verbindung mit Walter Jaeschke (†) und Ludwig Siep herausgegeben von Michael Quante und Birgit Sandkaulen

FELIX MEINER VERL AG HAMBURG

Karen Koch

Denken in Zwecken Bedeutung und Status der Teleologie in der theoretischen Philosophie Kants und Hegels

FELIX MEINER VERL AG HAMBURG

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹https://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-4410-9 ISBN eBook 978-3-7873-4411-6

Umschlagabbildung: © Ruth Tesmar / VG Bild-Kunst 2020 © Felix Meiner Verlag Hamburg 2023. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspei­cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, ­soweit es nicht §§  53, 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Satz: Jens-Sören Mann. Druck: Stückle, Ettenheim. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werk­druck­­papier, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.

Für Benjamin-Matthias Hart 1986 – 2014

Inhalt

Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

Natürliche Zwecke ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Zur Relevanz der Teleologie bei Kant und Hegel . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Einbettung in die Forschungslandschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Zum Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2. Die Möglichkeit des empirischen Chaos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2.1 Die Analogien der Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2.1.1 Das Prinzip der Analogien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2.1.2 Das Kausalprinzip als konstitutiv-regulatives Prinzip der ­Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2.1.3 Zum Begriff der Analogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2.2 Die Etablierung des Kausalprinzips – die zweite Analogie der ­ Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2.2.1 Die Gültigkeit des Kausalprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2.2.2 Die Implikationen des Kausalprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.2.2.1 Die schwache Version des Kausalprinzips . . . . . . . . . 45 2.2.2.2 Die starke Version des Kausalprinzips . . . . . . . . . . . . 48 2.2.3 Umfang und Grenzen des durch das Kausalprinzip etablierten Bilds der Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 3. Die Voraussetzung der Erkennbarkeit der Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3.1 Die Frage nach der Erkennbarkeit der Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3.1.1 Systematizität und rein regulative Prinzipien . . . . . . . . . . . . . 61 3.1.2 Die verschiedenen Reflexionsebenen von Vernunft und reflektierender Urteilskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

8 Inhalt

3.2 Das Vernunftprinzip der systematischen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3.2.1 Die Idee der systematischen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3.2.1.1 Kants Ideenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3.2.2 Der erkenntnistheoretische Status des Prinzips der Systematizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3.2.3 Die Denkfigur der transzendentalen Voraussetzung . . . . . . . 86 3.3 Das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 3.3.1 Die Herleitung des Prinzips der Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . 92 3.3.2 Der Gegenstandsbezug des Prinzips der formalen ­Zweckmäßigkeit der Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3.3.3 Empirische Begriffsbildung und Systematizität . . . . . . . . . . . 108 3.4 Zwischenfazit – Das Zweckmäßigkeitsprinzip als Ausdruck unserer Endlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 4. Kants Agnostizismus – Zur Konzeption des Naturzweckbegriffs . . . . . 115 4.1 Kontextualisierung des Prinzips der inneren Zweckmäßigkeit . . . . . 119 4.1.1 Das Verhältnis des transzendentalen Prinzips der ­Zweckmäßigkeit der Natur zu dem Prinzip der inneren ­Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 4.1.2 Naturkausalität und Mechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 4.2 Die Herleitung des Naturzweckbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4

Die Veranlassung zur teleologischen Beurteilung der Natur . 139 Der eigentümliche Charakter bestimmter Naturgegenstände 142 Die Gewinnung des Naturzweckbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Die mechanische Unerklärbarkeit bestimmter Naturgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

4.3 Die Unabdingbarkeit der Teleologie in der kantischen Naturkonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 4.3.1 Die Analogie zu der Vernunftidee der systematischen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 4.3.2 Die Gewinnung des Begriffs des Organismus aus dem ­Naturzweckbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165



Inhalt

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5. Die Grenzen des Mechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 5.1 Zum Verhältnis von Mechanismus und Teleologie – eine Kontextualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 5.1.1 Hegels Darstellung des philosophischen Dilemmas in der ­Bestimmung des Verhältnisses zwischen Teleologie und ­Mechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 5.1.2 Der kantische Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 5.2 Das mechanische Objekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 5.2.1 Das Verhältnis von Ursache und Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . 184 5.2.2 Der Mechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 5.2.3 Zur Möglichkeitsbedingung der Individuierung von Objekten 192 5.3 Das teleologische Objekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 5.3.1 Hegels Begriff äußerer Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 5.3.2 Erhalt des äußeren Zwecks durch die List der Vernunft . . . . 201 5.3.3 Die Teleologie als die Wahrheit des Mechanismus . . . . . . . . . 203 6. Die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 6.1 Zweckkausalität in der Idee des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 6.1.1 Das Objekt innerer Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 6.1.2 Innere Zweckmäßigkeit als eigene Form der Kausalität . . . . . 212 6.1.3 Der Begriff als Substanz des Organismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 6.2 Das Verhältnis von äußerer und innerer Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . 224 6.2.1 Die Rolle des Mittels in der äußeren Zweckmäßigkeit . . . . . 224 6.2.2 Die Möglichkeitsbedingung äußerer Zweckmäßigkeit . . . . . 228 6.2.3 Die Abhängigkeitsbeziehungen zwischen äußerer und innerer Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 6.3 Hegel zur Bedeutung von Zweckkausalität – eine Bilanz . . . . . . . . . . 233 7. Endliches und absolutes Erkennen in der ­Wissenschaft der Logik . . . . . 237 7.1 Die Konzeption endlichen Erkennens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 7.1.1 Die Idee des Erkennens als Kritik an epistemischen Positionen ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 7.1.2 Der Ausgangspunkt in der Idee des Erkennens – die Idee des ­Lebens als Voraussetzung der Idee des Erkennens . . . . . 248 7.1.3 Hegels endliches Erkennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

10 Inhalt

7.2 Die Konzeption absoluten Erkennens : die absolute Idee . . . . . . . . . . . 255 7.2.1 Hegels Kritik an der Konzeption des Denkens als Instrument oder Mittel zur Erlangung von Erkenntnis des ­Ganzen der Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 7.2.2 Die absolute Idee als Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 7.2.3 Die absolute Idee als Form der Selbstthematisierung . . . . . . 263 8. Die Zweckmäßigkeitskonzeptionen Kants und Hegels im Vergleich . . . 267 8.1 Hegels Programm der Fundierung der kantischen Zweckkonzeption . 269 8.1.1 Hegel und die Transzendentalphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . 270 8.1.2 Das fundierungsbedürftige Moment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 8.2 Das Verhältnis von Mechanismus und Zweckmäßigkeit im Rahmen der Zweckmäßigkeitskonzeptionen Kants und Hegels . . . . . . . . . . . . 275 8.2.1 Der backward-causation-Einwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 8.2.2 Der mereologische Einwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 8.3 Die Konzeptionen der äußeren und der inneren Zweckmäßigkeit . . 285 8.3.1 Die Konzeption innerer Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 285 8.3.2 Die Konzeptionen äußerer Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . 288 9. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303

Siglenverzeichnis GW

Hegel, G. W. F., Gesammelte Werke, in Verbindung mit der ­Deutschen Forschungsgemeinschaft hrsg. v. der RheinischWest­f älischen Akademie der Wissenschaften, später Nord­­rhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und Künste, Hamburg : Meiner, 1968 ff.

TWA

Hegel, G. W. F., Werke in 20 Bänden, hrsg. v. Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt am Main : Suhrkamp, 1970 ff.

Logik

Hegel, G. W. F., Wissenschaft der Logik

AA

Kant, I., Kants Gesammelte Schriften, hrsg. v. der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin : de Gruyter, 1900 ff.

KrV

Kant, I., Kritik der reinen Vernunft

KpV

Kant, I., Kritik der praktischen Vernunft

KdU

Kant, I., Kritik der Urteilskraft

EEKdU

Kant, I., Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft

BDG

Kant, I., Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer ­Demonstration des Dasein Gottes

Log

Kant, I., Logik

MAN

Kant, I., Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft

Prol

Kant, I., Prolegomena

ÜGTP

Kant, I., Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der ­Philosophie

V-Lo/Busolt Kant, I., Logik Busolt Werktitel werden immer kursiv gesetzt. Titel der Kapitel oder Abschnitte der jeweiligen Werke werden bei der ersten Nennung in einem Kapitel kursiv gesetzt. Lateinische Ausdrücke im Fließtext werden kursiv gesetzt.

1. Einleitung »Denn wir führen einen teleologischen Grund an, wo wir einem Begriffe vom Objekte, als ob er in der Natur (nicht in uns) befindlich wäre, Kausalität in Ansehung eines Objekts zueignen, oder vielmehr nach der Analogie einer solchen Kausalität (dergleichen wir in uns antreffen) uns die Möglichkeit des Gegenstandes vorstellen […].« (KdU, AA V 360)

Natürliche Zwecke ? Um die Frage nach Zwecken in der Natur entspannt sich eine Kontroverse, die die Philosophie seit ihren Anfängen begleitet. Gibt es in der Natur zielgerichtete Prozesse ? Oder ist die Natur einem ›blinden‹ Mechanismus unterworfen ? Bezögen diese Fragen uns selbst als subjektiv-intentionale Wesen mit ein, so ließe sich schnell eine Antwort geben, an der ich festhalten will : Wir sind in Zwecken handelnde und denkende Subjekte. Wir denken und handeln zielgerichtet und verstehen uns auch in erster Linie als zweckverfolgend. Wir erklären uns unser mitmenschliches Verhalten zumeist anhand von Zwecksetzungen, die angestrebt werden sollen, die erreicht oder auch verfehlt werden können. Wir könnten menschlichem Handeln keinen Sinn abgewinnen, wenn wir uns nicht zweckgerichtete Handlungen zuschrieben. Insofern wir nun auch natürliche Wesen sind, ist zumindest dieser Teil der Natur einer, in dem es zielgerichtete Prozesse in Form von Handlungen gibt. Die Frage nach Zwecken in der Natur bezieht sich jedoch auf die Möglichkeit von zielgerichteten oder zweckgeleiteten Prozessen, die nicht von intentional handelnden Subjekten initiiert wurden. Sie zielt auf Strukturen des Lebendigen im Allgemeinen ab. Sprechen wir Lebendigem nicht Zielgerichtetheit zu ? Beurteilen wir Organismen nicht als in sich zweckmäßig aufeinander abgestimmte Entitäten ? Ist diese Beurteilung aber ontologisch adäquat ? Hier scheinen wir mit einem Dilemma konfrontiert zu werden. Denn zum einen scheint der Gedanke zielgerichteter Strukturen in der Natur, wie wir sie zumindest dem Lebendigen zuschreiben, dem Bild einer durchgängig kausal determinierten und damit blind ablaufenden Natur zu widersprechen. Solche Zuschreibungen scheinen im strengen Sinne ontologisch nicht adäquat zu sein. Zum anderen aber ist die Frage nach der Bedeutung und Wirklichkeit von

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Einleitung

Zweckstrukturen in der Natur nicht von der Frage nach dem Sein unserer Selbst in der Natur zu trennen. Da wir selbst in Zwecken denkende und handelnde Wesen sind, scheint eine Absage an Zweckstrukturen in der Natur auch zu bedeuten, dass wir uns selbst, als das, was wir wesentlich sind, d. i. in Zwecken denkende und handelnde Subjekte, aus dem so entstandenen Naturbild aus­ radie­ren.1 Entweder scheinen wir also auf ein ontologisch fragwürdiges Naturbild zu setzen oder wir können uns selbst nicht in diesem Naturbild verstehen. Ob und in welchem Rahmen wir Zweckerklärungen der Natur zulassen, beeinflusst so (mittelbar oder unmittelbar) die Art und Weise, wie wir uns selbst in dieser verstehen. Ich setze mich in dieser Arbeit mit zwei Konzeptionen von Zweckkausalität auseinander, die diesen Aspekten der Kontroverse um Zweckkausalität besondere Rechnung tragen : mit den Zweckkonzeptionen Kants und Hegels. Zur Relevanz der Teleologie bei Kant und Hegel Kants und Hegels jeweilige Diskussion über das Verhältnis von Zweckkausalität und kausalmechanischer Kausalität zeichnet aus, dass sie vor dem Hintergrund der Frage nach unserem eigenen Selbstverständnis stattfindet. Sie teilen die Ansicht, dass eine vollkommene Absage von Zweckstrukturen in der Natur in eine fundamentale Spannung gerät mit der Grundtatsache, dass wir selbst als wesentlich in Zwecken denkende und handelnde Wesen Teil derselben sind. Das Nachdenken über Zweckkausalität bei Kant hat zwar seinen Ausgangspunkt in einem Bild der Natur, gemäß welchem die Natur vollständig und durchgängig kausalmechanisch strukturiert ist. Für Kant muss die Natur aber zumindest so gedacht werden können, dass wir selbst als in Zwecken handelnde und denkende Wesen in dieser auch vorkommen können. Zweckmäßigkeitsprinzipien drücken diesen Gedanken Kant zufolge aus. In ihrer Anwendung setzen wir voraus, dass die Natur so ist, dass sie zu uns passt. Dies behandele ich in zwei Hinsichten : Zum einen dient das subjektiv-formale Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur zum Vereinheitlichen bereits gemachter empirischer Erkenntnisse. Es ist subjektiver Ausdruck der Adäquatheit der durch unsere Vernunft vorgestellten Idee der systematischen Einheit aller empirischen Erkenntnisse mit der Einheit der Natur. Zum anderen unterscheidet Kant zwischen dem Prinzip äußerer und innerer Zweckmäßigkeit, anhand welcher wir die Natur selbst als zweck1

So auch Spaemann und Löw in ihrer Verteidigung der Teleologie ; vgl. Spaemann/Löw (1981). Spaemann fasst diese Argumentation in einem anderen Aufsatz zur Unabdinglichkeit der Teleologie sehr pointiert : Eine vollständige Absage an Zweckerklärungen der Wirklichkeit führe dazu, dass wir uns selbst aus dieser Wirklichkeit ausradieren ; dass wir uns selbst »zu einem Anthropomorphismus« werden ; vgl. Spaemann (1978), 493.

Hegel-Studien



Zur Relevanz der Teleologie bei Kant und Hegel

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mäßig beurteilen. Durch die Anwendung des Prinzips der inneren Zweckmäßigkeit gewinnen wir eine Deutung für uns kausalmechanisch unerklärbarer Naturgegenstände. Zwar scheint die Erfahrung bestimmter Naturgegenstände für Kants Einheitsverständnis der Natur als kausalmechanisch verstandene Gesetzmäßigkeit zunächst problematisch zu sein. Denn wir müssen sie als Produkte einer Zweckursache deuten und bringen so eine weitere Art der Kausalität – wenn auch nur auf regulativ-subjektiver Ebene – in die Natur hinein. Doch entpuppt sie sich als Erfahrung, aufgrund der wir der Natur in einigen ihrer Gegenstände – wenn auch nur auf Basis einer Analogie – eine Vernunftidee unterlegen und sie so als auf vernünftigen Strukturen gegründet verstehen können. Bei Hegel wird der Gedanke, dass wir selbst in der Natur nur dann vorkommen können, wenn es sich realisierende Zweckstrukturen in dieser gibt, zum Ausgangspunkt seiner Untersuchung. So ist Natur ohne Lebendiges gar nicht zu denken und das Lebendige wiederum ist wesentlich zweckkausal bestimmt. Für Hegel muss die Natur also nicht allein so gedacht werden können, dass in Zwecken denkende und tätige Subjekte in dieser vorkommen können, sondern sie ist tatsächlich so. Zweckstrukturen sind nicht nur subjektiv notwendig, sondern sie strukturieren die Natur respektive unsere Wirklichkeit2. Dabei argumentiert er erstens, dass durch Zweckkausalität festgelegt wird, was überhaupt individuelle mechanische Objekte sind. Zweitens ist für Hegel eindeutig, dass Grundlage aller Zweckkausalität und Voraussetzung des Mechanismus der in Kant angelegte basale Begriff der Zweckmäßigkeit, d. i. der der inneren Zweckmäßigkeit, sein muss. Bereits diese kurzen Ausführungen lassen erkennen, dass Kant und Hegel dabei einen Disput austragen, der immer wieder als Hauptdisput beider Denker bezeichnet worden ist : Kommen wir auf das eingangs benannte Zitat Kants zurück, so behaupten wir, dass ein Begriff kausal wirksam ist, wenn wir einen teleologischen Grund für einen Gegenstand in der Natur angeben. Zweckkausale Prozesse sind begriffsgeleitete Prozesse. Diese Annahme teilen Kant und Hegel. Kant zufolge sind aber Begriffe wesentlich Vorstellungen eines Subjekts. Aussagen, in welchen wir natürlichen Prozessen selbst eine Zielgerichtetheit zuschreiben, sind damit Projektionen unserer eigenen Art der Kausalität auf die entsprechenden natürlichen Prozesse. Sie haben einen nur subjektiv-regulativen Status. Ob es tatsächlich zielgerichtete Prozesse in der Natur gibt, wissen wir Kant zufolge nicht. Auch für Hegel sind zweckkausale Prozesse begriffsgeleitete Prozesse. Nicht alle Begriffe sind aber Vorstellungen eines Subjekts. Es gibt Hegel zufolge begriffsgeleitete Prozesse in der Natur, die nicht von ihrer subjektiven Repräsentation durch ein Subjekt abhängig sind ; dies ist beim Lebendigen der Fall. Lebendiges ist Ausdruck von Zweckkausalität. 2

Zu den Begriffen ›Natur‹ und ›Wirklichkeit‹ siehe Abschnitt 1.4.

Beiheft 75

16

Einleitung

In anderen Worten lässt sich der angebliche Hauptdisput so zusammenfassen : Kant zufolge ist Zweckkausalität an einen Verstand gebunden, der Zwecke repräsentiert und dann intentional umsetzt. Hegel dagegen argumentiert für eine nicht-intentionale und in diesem Sinne nicht-subjektive Form von Zweckkausalität. Diese Form von Zweckkausalität kommt Lebendigem zu. Das Hauptziel dieser Arbeit ist es zu zeigen, dass diese Darstellung zwischen Kant und Hegel zu kurz greift. Denn erstens ist sie nur vor dem Hintergrund der soeben explizierten gemeinsamen Annahme der Bedeutsamkeit von Teleologie als Differenz zu fassen. Und zweitens läuft sie Gefahr, Alternativen zu postulieren, die in einer schlichten Insistenz auf dem jeweiligen Standpunkt bestehen : Entweder man hält daran fest, dass Zwecke durch einen Verstand repräsentiert werden müssen oder eben nicht. Diese Insistenz bleibt jedoch letztlich unbefriedigend. Ich werde dagegen folgende These verteidigen : i) Hegels Zweckkonzeption ist nicht rein als Kritik, sondern auch als Fundierung der kantischen Zweckkonzeption zu verstehen. Hegel ist bestrebt, grundlegende Einsichten Kants aufzugreifen, und argumentiert, dass wir uns selbst als in Zwecken denkende und handelnde Subjekte erst auf Grundlage der Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit verstehen können. Die These der Fundierung der kantischen Zweckkonzeption durch die hegelsche wird durch zwei weitere Thesen, die ich in dieser Arbeit begründen werde, gestützt : i.i) Eine Diskussion beider Zweckkonzeptionen sowie deren Kontextualisierung in der jeweiligen Philosophie zeigt, dass die Aussage, dass Zwecke an ihre Repräsentation durch einen Verstand gebunden sind, keine semantisch-analytische Aussage ist. Ob man die These der Gebundenheit von Zwecken an einen Verstand vertritt oder nicht, entscheidet sich vielmehr anhand weiterer metaphysischer Vorannahmen. Die Frage nach natürlicher Zweckkausalität lässt sich nicht unabhängig von diesen weiteren metaphysischen Vorannahmen beantworten. i.ii) Hegel greift die kantische Unterscheidung von innerer und äußerer Zweckmäßigkeit auf. Hegels Übernahme dieser täuscht jedoch darüber hinweg, dass Hegel diese Unterscheidung anders besetzt : Anders als Kant fasst Hegel Kants primäre Zweckkonzeption unter den Begriff äußerer Zweckmäßigkeit. Auf dieser Basis kann er dafür argumentieren, dass die kantische subjektiv-intentionale Zweckkonzeption die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit zur Voraussetzung hat. Dieses Ergebnis unterläuft jedoch nicht den vorherigen Punkt, gemäß dem Hegel eine Fundierung des kantischen Ansatzes anstrebt. Ich argumentiere vielmehr, dass Hegel die kantischen Kriterien zur Bestimmung äußerer Zweckmäßigkeit aufgreift und diese insofern gegen Kants eigenen Ansatz wendet, als er argumentiert, dass diese auch Kants primäre Zweckkonzeption einschließt.

Hegel-Studien



Einbettung in die Forschungslandschaft

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Insofern ich Hegels Zweckkonzeption als Fundierung der kantischen Konzeption ausbuchstabiere, stellt sich die hegelsche Zweckkonzeption als die überzeugendere dar. Dafür argumentiere ich in dieser Arbeit jedoch nicht eigens. Eine solche Diskussion würde es zum einen erfordern, die metaphysischen Annahmen selbst zu bewerten, die zu den jeweiligen Zweckkonzeptionen führen. Zum anderen stelle ich nur einen Ausschnitt der jeweiligen philosophischen Theorien dar. Eine Diskussion der Überzeugungskraft gerade der hegelschen Wirklichkeitskonzeption würde jedoch eine Diskussion der Thesen erfordern, die man aufgrund seines Holismus mitträgt. Beides findet in dieser Arbeit nicht mehr statt. Einbettung in die Forschungslandschaft Hegels Auseinandersetzung mit der Teleologiekonzeption Kants gilt als das ­Movens, aufgrund dessen sich Hegel von seiner in seinen frühen Jahren vertretenen Kantianischen Position distanzierte.3 Nun begreife ich Hegels Auseinandersetzung mit der Teleologiekonzeption Kants aber nicht als eine reine Distanzierung vom kantischen Gedankengut. Im Gegenteil, Kant und Hegel sind nicht rein als Antipoden, die gegeneinander ausgespielt werden müssen, zu lesen, sondern Hegel führt wesentliche Punkte aus Kants Zweckkonzeption fort, indem er diese fundiert.4 Damit schließe ich an eine aktuelle Debatte an, innerhalb derer Kants und Hegels Zweckmäßigkeitskonzeptionen thematisiert und diskutiert werden. In verschiedenen Hinsichten knüpfe ich positiv an diese Debatte bzw. deren Protagonist*innen an, in anderen wende ich mich von ihnen ab. Vor allem in einer Hinsicht greift die gesamte bisherige Debatte jedoch zu kurz. Diese Punkte möchte ich kurz erläutern : Einer von denjenigen, die vor allem die Zweckkonzeptionen Kants und Hegels in den Blick nehmen ist Khurana. Auch Khurana zufolge ist Hegels Zweckmäßigkeitskonzeption als eine kritische Fortführung der kantischen Zweckmäßigkeitskonzeption und insbesondere seiner Konzeption innerer Zweckmäßigkeit

3 4

Siehe etwa Horstmann (1991), 191–219. Zwei andere Zugänge, die einen Vergleich zwischen Kant und Hegel eröffnen, ergeben sich über Kants Konzeption der transzendentalen Apperzeption sowie über diejenige des intuitiven Verstandes. Prominenter Vertreter des ersten Zugangs ist Pippin. Pippin versteht Hegels Ansatz als kritische Fortführung eben der kantischen Konzeption einer transzendentalen Apperzeption ; Pippin (2019). Sedgwick und Förster dagegen entwickeln einen Zugang zu Hegel über eine Diskussion von Hegels Rezeption der kantischen Konzeption eines intuitiven Verstandes ; Sedgwick (2012). Förster (2012).

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Einleitung

zu verstehen. Khurana untersucht dies mit Blick auf Kants und Hegels Theorie der Freiheit und des moralischen Handelns. Er argumentiert, dass die Form und Wirklichkeit von Freiheit aus der Form der Struktur des Lebendigen verstanden werden muss.5 Die Bedeutung der Teleologie erschöpft sich nicht allein in einer Diskussion über die Struktur der Natur im Bereich des Theoretischen. Im Gegenteil, erst in Hinblick auf den Bereich des Praktischen zeigt sich die volle Relevanz teleologischer Überlegungen ; ob und in welchem Maße wir für ein teleologisches Wirklichkeits- bzw. Naturverständnis argumentieren, wirkt sich unmittelbar auf unser Freiheitsverständnis und letztlich auf unser Verständnis als moralisch-praktische Akteur*innen aus. Khuranas Studie zum Freiheitsverständnis von Kant und Hegel hat die moralisch-praktische Relevanz teleologischer Überlegungen überzeugend unterstrichen. In meiner auf den Bereich der theoretischen Philosophie beschränkten Untersuchung nehme ich im Hegel-Teil dieser Arbeit vor allem Khuranas Ausbuchstabierung der Beziehung zwischen Geist und Leben auf und suche diese Beziehung im Gegensatz zu Khurana für die Logik auszubuchstabieren. Dabei dient mir die kürzlich erschienene Monografie von Ng als ein weiterer Ansatzpunkt. Ng diskutiert das Verhältnis, das Hegel zwischen Selbstbewusstsein oder Geist6 und Leben etabliert, in der Logik selbst und im Ausgang der Konzeption innerer Zweckmäßigkeit, wie sie bereits bei Kant zu finden ist. Ng zeichnet diesen Gedanken vom frühen bis zum späten Hegel nach.7 Im Mittelpunkt steht bei ihr der Gedanke, dass uns erst die Idee des Lebens die Möglichkeit der Intelligibilität der Welt erschließt.8 In dieser Hinsicht macht sie die Beziehung zwischen dem Prinzip innerer Zweckmäßigkeit bzw. Leben und der Möglichkeit von Erkenntnis bei Hegel in theoretischer Hinsicht fruchtbar. Ich teile mit ihr den Gedanken, dass Hegels Konzeption zufolge Leben als konstitutive Bedingung von Selbstbewusstsein verstanden werden muss und uns eine Einsicht in die Strukturen der Wirklichkeit nur dann gegeben ist, wenn wir Leben auch als diese konstitutive Struktur begreifen. Ein Verstehen der primären Struktur der Wirklichkeit schließt ein, dass wir uns selbst als geistige Wesen so Khurana (2017). In der Logik, auf die Ng in ihrer Untersuchung den Schwerpunkt gelegt hat, verwendet Hegel beide Begriffe synonym, GW 12, 192. Ng verwendet den Begriff ›Selbstbewusstsein‹, wenn sie sich auf Strukturen des Denkens, wie sie z. B. in der Idee des Erkennens dargelegt werden, bezieht. Ich dagegen verwende den Begriff ›Geist‹. Dieser scheint mir in dem Sinne geeigneter, als er den Eindruck eines solipsistischen Zugangs zu erkenntnistheoretischen Fragestellungen nicht erweckt. 7 Ng (2020). 8 Vgl. Ng (2020), 7. Ngs Lesart zufolge knüpft Hegel dabei vor allem an Kants These an, dass das Prinzip der Zweckmäßigkeit eine Bedingung der Möglichkeit für die Anwendung von Logik auf die Natur sei ; Ng (2020), 25. 5 6

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Einbettung in die Forschungslandschaft



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begreifen, dass diese Struktur uns selbst auch hervorgebracht hat.9 Ng behandelt jedoch das Verhältnis zwischen Mechanismus und Teleologie bzw. Zweckmäßigkeit nicht ausführlich. Dies ist aber notwendig, um ein Argument gegen Kants Skeptizismus, der sich auf die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit bezieht, zu entwickeln. Vor allem in der Analyse von Hegels Argument gegen den kantischen Skeptizismus und damit gegen den Status, den Kant der Konzeption innerer Zweckmäßigkeit zugesprochen hat, verdanke ich viel dem von Kreines vorgelegten Ansatz.10 Ich teile mit ihm die These, dass Zweckkausalität sich wesentlich durch ein bestimmtes Type-token-Verhältnis auszeichnet, das Hegel wiederum in eine Position versetzt, mit Kant gegen Kant für die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit zu argumentieren. Jedoch bleibt das Verhältnis, das Kreines zwischen Kant und Hegel ausbuchstabiert, insofern unbefriedigend, als er beide Ansätze als Alternativen zueinander darstellt : Entweder folgen wir Kant in seinem intentionalistischen Zweckverständnis oder Hegel in seinem nicht-intentionalistischen Zweckverständnis.11 Ich suche in dieser Arbeit dagegen zu begründen, dass Hegels Ansatz nicht als Alternative zu der Zweckkonzeption Kants verstanden werden kann, sondern als deren Fortführung im Sinne einer Fundierung des kantischen Ansatzes verstanden werden muss. Allen drei genannten Ansätzen verdanke ich wertvolle Einsichten. Sie alle gehen aber davon aus, dass der wesentliche Unterschied von Kants zu Hegels Zweckkonzeption der des verschiedenen Status ist, der ihr jeweils zugesprochen wird. Durch diesen Fokus auf den Status bleibt jedoch die jeweils vertretene Zweckkonzeption selbst unterbestimmt. Denn es wird dabei vorausgesetzt, dass es sich bei dem, was Hegel als äußere bzw. innere Zweckmäßigkeit bezeichnet, inhaltlich um dasselbe handelt wie das, was Kant äußere bzw. innere Zweckmäßigkeit nennt. Dadurch wird die Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Zweckmäßigkeit bei Kant und bei Hegel selbst theoretisch unzureichend erfasst. Dies führt nicht nur dazu, dass der Vergleich zwischen Kants und H ­ egels Zweckmäßigkeitskonzeptionen zu undifferenziert bleibt, sondern die Bedeutung von Hegels Zweckkonzeption kann auch nicht richtig in den Blick genommen werden. Diese können wir erst dann richtig in den Blick nehmen, wenn wir die Differenz beider Zweckkonzeptionen nicht nur in Bezug auf den jeweiligen Status, den Kant und Hegel ihnen zuschreiben, sondern auch hinsichtlich der Bedeutungsebene einholen. Diesem Desiderat werde ich in dieser Arbeit begegnen.

Im Gegensatz zu Ng verstehe ich Hegels Argumentation jedoch nicht als eine transzendentalphilosophische. Siehe zu meiner Lesart Abschnitt 1.4. 10 Siehe : Kreines (2008), (2015), 77–109. 11 Vgl. Kreines (2008), 347 sowie (2015), 30. 9

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Methodisches Vorgehen Ich möchte dieser Arbeit einige methodologische Vorbemerkungen voranschicken. Ich nehme mir im ersten Teil dieser Arbeit vor, den spezifischen Ort und die spezifische Rolle von Zweckmäßigkeitsprinzipien in Kants kritischer Philosophie zu analysieren. Dabei wähle ich als Ausgangspunkt einer Diskussion der kantischen Zweckkonzeption die Kritik der reinen Vernunft. Erst nach einer Sondierung dieses Ausgangspunktes bildet der Schwerpunkt des ersten Teils der Arbeit eine Diskussion der Zweckkonzeption, wie sie in der Kritik der Urteilskraft zu finden ist. Nun stellen sich hier unmittelbar Fragen, die selbst als eigene Forschungsfragen behandelt werden ; wie etwa Fragen nach dem Verhältnis der ersten zur dritten Kritik oder aber Fragen zur Einheit der dritten Kritik. Fragen über das Verhältnis der ersten zur dritten Kritik beinhalten Fragen danach, ob die Überlegungen in der dritten Kritik in einer Spannung zum Gedankengang der ersten Kritik stehen, oder aber, ob die dritte Kritik in einem kontinuierlichen Zusammenhang zu der ersten Kritik zu lesen ist und vielleicht sogar in der ersten Kritik liegende Implikationen ausarbeitet. In Bezug auf den regulativen Gebrauch der Vernunftideen argumentiere ich dafür, dass Letzteres der Fall ist. Die Einleitungen zur Kritik der Urteilskraft arbeiten Implikationen heraus, die im regulativen Gebrauch der Vernunftideen liegen. Allerdings vertrete ich diese These nur in Bezug auf diesen Teil der Kritik der reinen Vernunft. Sie schließt nicht aus, dass es weitere Anknüpfungspunkte zwischen der ersten und dritten Kritik gibt.12 Dasselbe gilt für die wichtige Frage nach der Einheit der dritten Kritik. Eine Diskussion dieser Frage wäre angesichts meiner Fragestellung in dieser Arbeit eine Fokusverschiebung und würde bedeuten, deutlich mehr Material der dritten Kritik, wie die Ästhetik und die Methodenlehre, mit einzubringen. Meine Arbeit lässt die Frage nach der Einheit der dritten Kritik offen. Dementsprechend verhalte ich mich auch in Bezug auf diese Fragestellung nicht zu den Vorschlägen einer einheitlichen Lesart der gesamten dritten Kritik von Ginsborg und Zuckert, wiewohl ich ihre Werke für andere Fragen konsultiere.13 Hauptgegenstand meiner Analyse von Hegels Zweckkonzeption sind der Objektivitätsabschnitt und der Abschnitt über die Ideen in der Wissenschaft der Logik. Es ist eine gängige Beschreibung, die Wissenschaft der Logik als Abhandlung der logischen Strukturen zu verstehen, die wiederum den – im weiten Sinne verstandenen – lebensweltlichen Zusammenhängen, um die es in der Realphi Die Frage etwa, ob Kant mit der Einführung der reflektierenden Urteilskraft in der Kritik der Urteilskraft nicht bereits in der transzendentalen Analytik der Kritik der reinen Vernunft liegende Implikationen freilegt, lasse ich in dieser Arbeit unbeantwortet. Zu dieser Frage siehe etwa : Longuenesse (1998), 163–167 u. 195–210. 13 Siehe : Zuckert (2007). Ginsborg (2015). Goy (2017). 12

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Methodisches Vorgehen

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losophie gehen soll, zugrunde liegen. Auch ich verstehe den Unterschied der jeweiligen philosophischen Ansätze in der Wissenschaft der Logik und in der Realphilosophie auf diese Weise. Es sprechen jedoch Gründe dafür, beides nicht zu stark voneinander zu trennen. Denn die in der Wissenschaft der Logik abgehandelten Strukturen sollen zugleich auch sachliche Unterschiede benennen und als diese werde ich sie auch diskutieren. In diesem Sinne verstehe ich es als Leitlinie der hegelschen Überlegungen, keine starke Form-Inhalt-Differenz zwischen der Wissenschaft der Logik und der Realphilosophie aufzubauen. So ist die Wissenschaft der Logik auch nicht als Ausführung der Strukturen der Wirklichkeit, wie sie a priori gegeben sind, zu verstehen, da dies zum einen Hegels Begriffsrealismus14 und zum anderen seinen eigenen Thesen der historischen Gewordenheit seiner Logik widerspräche. Dies ist eine Voraussetzung, die ich in meinen Analysen von Hegels Wissenschaft der Logik explizit mache, jedoch in dieser Arbeit nicht zur Genüge diskutieren kann. Sie bleibt als solche eine Voraussetzung, auf die ich in meinen Analysen eingehe.15 Auch in Hinblick auf einen direkten Vergleich von Kants und Hegels Zweckkonzeption gilt es, zwei methodologische Vorbemerkungen zu machen. Die erste Vorbemerkung bezieht sich auf das Verhältnis der Wissenschaft der Logik zu Kants Kritik der Urteilskraft. Hegels Ausführungen zu den Themen Mechanismus, äußere Zweckmäßigkeit und innere Zweckmäßigkeit bzw. lebendige Organismen sind viel breiter zu fassen, als Kant sie behandelt. So versteht Hegel weder unter Mechanismus noch unter lebendigen Organismen einfach natürliche Prozesse und natürliche Organismen, vielmehr können auch geistige Aktivitäten mechanisch ablaufen sowie Strukturen des sozialen Miteinanders organische Strukturen ausdrücken. Mein Zugriff auf Hegel ist also eng gefasst. Dieser Zugriff ist jedoch durch den Kant-Bezug und die Konzentration auf die Debatte um die Naturteleologie gerechtfertigt. Nur wenn ich im Hegel-Teil dieser Arbeit explizit den Begriff ›Wirklichkeit‹ verwende, beziehe ich mich auf die Sphäre der Natur und auf die des Geistes. Die zweite methodologische Vorbemerkung bezieht sich auf meine Lesart von Hegels Wissenschaft der Logik und auf meine These, gemäß welcher Hegels Zweckkonzeption in einem Fundierungsverhältnis zur kantischen Zweckkonzeption steht. Es liegt die Frage nahe, inwiefern ich überhaupt diese These vertreten kann, wenn ich Hegel doch gerade nicht als Transzendentalphilosophen lese, sondern ihm einen fundamental anderen Ansatz zuschreibe. Die Frage nach Hegels eigenem Programm wird auch Gegen Unter dem Ausdruck ›Begriffsrealismus‹ verstehe ich die These, dass die Wirklichkeit eine wesentlich Begriffe realisierende ist. Begriffe sind in diesem Sinne keine rein ideellen, d. i. an einen Verstand gebundenen Entitäten. 15 In den kürzlich erschienenen Werken von Pippin und Ng wird die Logik als Darlegung konstitutiver begrifflicher Strukturen verstanden ; vgl. Pippin (2019) und Ng (2020). Gegen eine solche These : Rand (2017), 387 f. 14

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stand einzelner Abschnitte des Hegel-Teils dieser Arbeit sein, dennoch möchte ich an dieser Stelle bereits explizit machen, worin ich das Fundierungsverhältnis gegründet sehe. Kant hat den Blick auf die die Wirklichkeit strukturierenden Begriffe gewendet. Hierin folgt ihm Hegel. Hegel kommt jedoch die Analyse dieser Begriffe selbst zu kurz. Nach Freilegung dieser Begriffe, der Kategorien, geht es Kant vielmehr um eine Diskussion des erkenntnistheoretischen Status dieser Begriffe statt um eine Analyse des Gehalts dieser Begriffe selbst. Letzteres macht sich Hegel zur Aufgabe. Aus einer solchen Untersuchung des begrifflichen Gehalts folgt für Hegel die Fundierungsbedürftigkeit der kantischen Zweckkonzeption. Wie aus dem bereits Erläuterten ersichtlich wird, beschränke ich mich in meiner Arbeit auf eine immanente Diskussion von Kants und Hegels Zweckkonzeptionen. Ich argumentiere dafür, dass Hegel eine überzeugendere Konzeption vorlegt. Da Hegel für die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit und damit für die Wirklichkeit natürlicher Zwecke argumentiert, ist es eine naheliegende Frage, wie sich Hegels Konzeption zu modernen Debatten in der Philosophie der Biologie und insbesondere zur Evolutionstheorie verhält. Hierbei handelt es sich um eine über die Ziele der Arbeit hinausgehende Frage, zu der ich jedoch Folgendes sagen möchte : Ich denke, dass der Schluss von der Evolutionstheorie auf die Zurückweisung der These von Zweckkausalität in Natur ad hoc wäre. Ob die Evolutionstheorie in einem Widerspruchsverhältnis zur Konzeption natürlicher Zweckkausalität steht, bedürfte einer eingehenden Analyse. So wären auch Fragen nach der Reichweite und dem tatsächlichen Erklärungsziel der Evolutionstheorie zu stellen sowie Fragen nach der Reichweite und dem tatsächlichen Erklärungsziel der Konzeption natürlicher Zweckkausalität zu untersuchen, die in dieser Arbeit nicht mehr behandelt werden sollen. Im Ausblick zu dieser Arbeit werde ich doch zumindest Anknüpfungspunkte zu modernen Debatten in der Philosophie der Biologie aufzeigen. Zum Aufbau der Arbeit Die vorliegende Arbeit ist in zwei größere Teile zu je drei Kapiteln und einem kleineren Teil in Form eines Kapitels geteilt. Im ersten Teil der Arbeit werde ich Kants Zweckkonzeption diskutieren, im zweiten Teil diejenige Hegels, wobei ich bereits hier herausstelle, welche Momente Hegel von Kant übernimmt. Das anschließende Kapitel des dritten Teils nimmt die wichtigsten Begrifflichkeiten beider Teile auf und unterzieht sie einer vergleichenden Meta-Analyse. Hier diskutiere und bewerte ich die aus den vorherigen beiden Teilen hervorgegangenen Ergebnisse und begründe die These des fundierenden Verhältnisses, in welchem Hegels Ausführungen zur Zweckkausalität zu denjenigen Kants stehen.

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Ich beginne meine Untersuchung von Kants Zweck- und Teleologiekonzeption mit einem Kapitel, in welchem ich Kants Etablierung des Kausalprinzips und dessen Implikationen diskutiere. Diese Diskussion richte ich an der zweiten Analogie der Erfahrung aus. Hier werde ich dafür argumentieren, dass mit der Etablierung des Kausalprinzips auch die Gesetzmäßigkeit der Natur etabliert ist. Die Natur ist demnach so strukturiert, dass das sogenannte Uniformitätsprinzip gilt : Aus gleichen Ursachen folgen gleiche Wirkungen. Diese Diskussion dient mir als Hintergrund, vor dem ich die Zweck-Problematik in Kants kritischer Philosophie entfalte. Denn zwar ist mit dem Nachweis der objektiven Gültigkeit des Kausalprinzips die Gesetzmäßigkeit der Natur etabliert, doch garantiert dieser Nachweis nicht zugleich die Erkennbarkeit dieser Gesetzmäßigkeit. Es sind die Zweckmäßigkeitsprinzipien, die für diese Erkennbarkeit einstehen. Die Zweckmäßigkeitsprinzipien sind dabei orientiert an Vernunftideen und an auf diesen Vernunftideen gründenden Prinzipien. Innerhalb dieser Thematik ist also der Ort, an dem die positive erkenntnistheoretische Funktion von Vernunftideen diskutiert wird. Dies gilt es im dritten Kapitel dieser Arbeit aufzuzeigen. Dafür ziehe ich den Anhang zur transzendentalen Dialektik und die Einführungen in die Kritik der Urteilskraft heran. Im Anhang zur transzendentalen Dialektik werden anhand des regulativen Gebrauchs der Vernunftideen Systematizitätsprinzipien eingeführt, mittels derer wir bereits gemachte empirische Erkenntnisse in eine systematische Einheit bringen sollen. Diese Prinzipien sind zum einen normative Prinzipien, die in einem Vernunftbedürfnis, dem nach der systematischen Einheit aller empirischen Erkenntnisse, gründen. Wir sind anhand dieser Prinzipien dazu angehalten, eine maximal dichte systematische Einheit aller unserer empirischen Erkenntnisse zu erzielen. Zum anderen bezeichnet Kant diese Prinzipien jedoch nicht als rein logische, sondern als transzendentale Prinzipien. Denn erst durch die Anwendung dieser Prinzipien gelangen wir erstens zu einem hinreichenden Merkmal empirischer Wahrheit. Zweitens ist die Anwendung dieser Prinzipien notwendig für unsere empirische Begriffsbildung, insofern sie letztere anleitet. Da unsere Vernunft sich jedoch niemals direkt auf Gegenstände der Erfahrung bezieht, geht diesem von Kant so bezeichneten ›empirischen‹ Gebrauch der Vernunft der Gegenstandsbezug gerade ab. Hierdurch motiviere ich den Übergang zu den Einleitungen der Kritik der Urteilskraft. Mit Hilfe des dort vorgestellten subjektiven Prinzips der Zweckmäßigkeit der Natur holen wir diesen Gegenstandsbezug ein, der der Vernunft abgeht. Das Zweckmäßigkeitsprinzip der Natur ist orientiert an der Vernunftidee der systematischen Einheit. Unsere reflektierende Urteilskraft, der das Zweckmäßigkeitsprinzip zukommt, sucht diese Einheit anhand des Zweckmäßigkeitsprinzips auf empirischer Ebene zu bilden. Es kann aus diesem Grund ebenfalls als ein transzendentales Prinzip ausgewiesen werden. Dennoch hat dieses Prin-

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zip – gleich dem Systematizitätsprinzip der Vernunft – die Besonderheit, dass es zwar transzendental, aber regulativ ist. Denn nur mit vernunftbegabten Wesen ist es möglich, Zwecke zu antizipieren, zu setzen und zu realisieren. Das hier etablierte Zweckmäßigkeitsprinzip ist jedoch eines, das sich auf die Natur selbst bezieht, die die Fähigkeit zur subjektiven Antizipation von Zwecken nicht besitzt. Es kann so nur durch eine Analogie zu einem anderen höheren Verstand, der die Natur für unser Vernunftvermögen zweckmäßig eingerichtet hat, hergeleitet werden. Dieses Prinzip ist also keines, das wir der Natur objektiv zuschreiben. Anhand dieses Prinzips setzen wir vielmehr voraus, dass die Natur so eingerichtet ist, dass sie selbst eine unserem Vernunftvermögen entsprechende systematische Einheit bildet. Ich schließe diese Überlegungen im zweiten Kapitel mit dem Resultat, dass das Zweckmäßigkeitsprinzip Ausdruck der Angemessenheit unserer empirischen Begriffsbildung und unserer bereits erstellten Einheit in den empirischen Erkenntnissen zu der Ordnung der Natur ist. Aufgrund des regulativen Charakters des Zweckmäßigkeitsprinzips werden wir jedoch niemals wissen, ob diese unsere Systematisierungen der Ordnung der Natur tatsächlich entsprechen. Vor diesem Hintergrund schlage ich im vierten Kapitel folgende Lesart von Kants Naturzwecklehre vor : Die Natur selbst gibt uns in der Erfahrung bestimmter Naturgegenstände einen Hinweis auf eine unseren Vernunftvermögen entsprechende Ordnung. Denn in der Beurteilung dieser bestimmten Naturgegenstände fallen Systematizitätsprinzip und Zweckmäßigkeitsprinzip in einem Gegenstand zusammen. Dazu ist es wichtig zu beachten, dass die Bildung des Begriffs des Naturzwecks erst durch die Erfahrung gewisser Naturgegenstände veranlasst wird. Denn es sind bestimmte Gegenstände der Natur, die Merkmale aufzeigen, die auf Grundlage kausalmechanischer Gesetze nicht erklärbar sind und die uns dazu bringen, diese Gegenstände in Analogie zu Zweckprodukten, zu Artefakten, zu verstehen. Insofern diese Gegenstände jedoch Gegenstände der Natur sind, greift diese Analogie zu kurz. Denn der jeweilige Naturgegenstand muss so gedacht werden, dass er sich selbst als Zweckprodukt realisiert und nicht von einem Subjekt zu diesem Zweck gemacht wird. Letztlich argumentiert Kant zwar nun dafür, dass es uns nicht gelingt, den Naturzweckbegriff in angemessener Weise herzuleiten. Er ist uns insofern unbegreiflich, als er mit anderen für die Erfahrung konstitutiven Prinzipien nicht kompatibel ist. Wir können daher schlicht nicht sagen, ob die entsprechenden Naturgegenstände tatsächlich Naturzwecke sind. Doch erlauben die Merkmale der entsprechenden Naturgegenstände eine – wenn auch sehr entfernte Analogie – zu unserem eigenen Vernunftvermögen, insofern wir diesen Naturgegenständen aufgrund ihrer Merkmale selbst Systemcharakter zuschreiben. Der Naturzweckbegriff stellt sich also zwar als ein für uns unverständlicher Begriff heraus. Dennoch verändert die Einführung dieses Begriffs unser Naturverständnis grundlegend. Denn

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erst diese erlaubt es uns erstens, bestimmte Naturgegenstände als organisierte und sich organisierende Wesen, d. i. als Organismen, zu beurteilen. Und zweitens fallen in diesen Naturgegenständen Zweckmäßigkeits- und Systematizitätsprinzip zusammen. Wir erhalten so den zumindest subjektiven Nachweis, dass die Natur unserem Vernunftvermögen entsprechend eingerichtet ist. Im zweiten Teil meiner Dissertation wende ich mich Hegels Zweck- und Teleologiekonzeption zu. Im fünften Kapitel diskutiere ich dafür zunächst das Verhältnis von Zweckkonzeption und Kausalität bzw. Mechanismus, wie Hegel es vorstellt. Hegels zentraler These, d. i. diejenige, dass sich die Teleologie als Wahrheit des Mechanismus erweist, gebe ich dabei folgende Deutung : Mechanische Verhältnisse sind Verhältnisse, die sich an Objekten vollziehen. Sie setzen zu ihrem Ablauf Objekte voraus, liefern jedoch selbst nicht die Bedingungen zur Individuierung derselben. Zweckkausalität stellt sich als Individuierungsbedingung für Objekte heraus. Paradigmatisches Beispiel für diese These ist das Individuieren mechanischer Objekte durch in Zwecken denkende und in Zwecken agierende Subjekte. Diese in Zwecken denkenden und agierenden Subjekte sind nun selbst wiederum Teil der Wirklichkeit, die sie zu erklären versuchen. Daher gehe ich im sechsten Kapitel auf Hegels Theorie lebendiger Individuen, d. i. auf seine Theorie von Organismen, ein. Hier argumentiert Hegel gegen Kant für die These, dass die Natur, in Form der lebendigen Natur, selbst Zwecke verfolgt bzw. rea­ lisiert. Ich verstehe Hegels Argument gegen Kants Zweckkonzeption als ein zweifaches : Im ersten Schritt zeigt Hegel auf, dass Kants These, dass das Sein von Zwecken an subjektive Repräsentationen derselben durch einen Verstand gebunden ist, eine These ist, die Kants eigener Analyse des Naturzwecks, d. i. der inneren Zweckmäßigkeit von bestimmten Naturgegenständen äußerlich ist. Dass Zwecke subjektiv repräsentiert werden müssen, ist demnach eine Voraussetzung, die in Kants Zweckanalysen Eingang findet und die ein angemessenes Verständnis von Kants eigenen Bedingungen, die zum Vorliegen innerer Zweckmäßigkeit erfüllt sein müssen, blockieren. Im zweiten Schritt zeigt Hegel, dass die Zweckkonzeption, gemäß derer Subjekte subjektiv antizipierte Zwecke rea­ lisieren  – eine Zweckkonzeption, die Hegel die der äußeren Zweckmäßigkeit nennt – von der Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit abhängig ist. Sie ist also davon abhängig, dass es tatsächlich natürliche Zweckprodukte gibt. Das siebte Kapitel dient vor allem einem systematischen Ausblick auf Thesen und Fragen, die sich an die bisherigen Ergebnisse meiner Überlegungen zu Hegels Zweckkonzeption anschließen. Dies geschieht vor dem Hintergrund der beiden in der Wissenschaft der Logik verbleibenden Ideenkapitel : die Idee des Erkennens und die absolute Idee. Dabei schlage ich eine Lesart der Idee des Erkennens vor, gemäß der Hegel in dieser seine eigene Konzeption endlichen Erkennens vorstellt, wobei die Pointe ist, dass dieses Erkennen nur auf Basis der

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Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit möglich ist. Diese Interpretation ist vor allem gegen Lesarten der Idee des Erkennens gerichtet, die diese vornehmlich als Rückfall auf eine kantische Position interpretieren. Die absolute Idee stellt dagegen Hegels Konzeption absoluten Erkennens vor. Das absolute Erkennen zielt auf eine Erkenntnis des strukturellen Ganzen der Wirklichkeit ab. ›Absolut‹ ist dieses Erkennen in der von mir vorgeschlagenen Lesart deswegen, weil es die Strukturen der Wirklichkeit als Ganze auf eine Art und Weise zu denken vermag, gemäß der das denkende Subjekt sich selbst in dieser Erkenntnis dieses strukturellen Ganzen als Teil derselben begreift und erkennt. Das abschließende vergleichende Kapitel begreife ich als eine Meta-Reflexion, in der die wichtigsten Begrifflichkeiten der beiden diskutierten Positionen zum Gegenstand der Untersuchung gemacht werden. Auf Grundlage der in den beiden Teilen der Dissertation vorangegangenen Diskussion gilt es, die Hauptthese dieser Arbeit, die sich auf das Verhältnis von Kants und Hegels Teleologiekonzeption bezieht, herauszustellen : Hegel übernimmt zwar die Unterscheidung Kants zwischen der Konzeption äußerer und der innerer Zweckmäßigkeit, doch sollte dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass Hegel sie anders besetzt. Er fasst unter die Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit die gesamte kantische Zweckkonzeption und nicht einen speziellen Sonderfall teleologischer Beschreibungen der Natur, wie sie bei Kant vorliegt. Insofern Hegel dafür argumentiert, dass die Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit (im hegelschen Sinne) die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit zur Voraussetzung hat, lässt sich Hegels Zweckkonzeption nicht nur als Kritik an Kant verstehen, sondern auch als ihre Fundierung.

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2. Die Möglichkeit des empirischen Chaos

D  

ie Etablierung des Kausalprinzips als eines für die Natur universal gültigen Prinzips a priori ist eines der Hauptanliegen, wenn nicht sogar das Hauptanliegen Kants in dem Kapitel transzendentale Analytik der Kritik der reinen Vernunft. In den Analogien der Erfahrung, dem Kernstück der transzendentalen Analytik, allen voran in dem Abschnitt Zweite Analogie, sucht Kant das Kausalprinzip als ein transzendentales Prinzip a priori und damit als ein für die Natur geltendes Prinzip auszuweisen : Das Kausalprinzip soll notwendigerweise allen Erscheinungen in der Natur zukommen und die uns gegebene Natur soll sich damit als eine durchgehend kausal determinierte erweisen. Beweisziel in der zweiten Analogie ist – wie Kant das Kausalprinzip in der B-Auflage der Kritik der reinen Vernunft formuliert – der Nachweis der Gültigkeit des das Kausalprinzip ausdrückenden Grundsatzes »Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetze der Verknüpfung der Ursache und Wirkung« (KrV, A 189 / B 233). Wie der Nachweis von Kant jedoch tatsächlich geführt wird und worin die Implikationen dieses Nachweises bestehen, ist umstritten. Zum einen wird der Beweisgang als solcher als nicht gültig diskreditiert. Aus den Prämissen folge schlicht nicht die Konklusion. So bezeichnet etwa Peter Strawson den Beweisgang der zweiten Analogie als ein »non-sequitur of numbing grossness«.1 Zum anderen ist  – unabhängig davon, welches Urteil man über die Stichhaltigkeit des Beweisgangs in der zweiten Analogie fällt – weder klar, welche Art von Beweisführung überhaupt vorliegt, noch wie das Beweisziel der zweiten Analogie eigentlich lautet. So werden in der Forschungsliteratur neben metaphysischen Lesarten des Beweisgangs der zweiten Analogie epistemologische Lesarten desselben verteidigt, wie auch hybride Versionen beider Lesarten.2 In der Diskussion um die Implikationen des Nachweises des Kausalprinzips in der zweiten Analogie, d. i. in der Diskussion um das genaue Beweisziel in der zweiten Analogie, haben sich in der Forschungsliteratur mindestens zwei Versionen des Kausalprinzips, das etabliert werden soll, herausgebildet : 1 2

Strawson (1966), 137. Als Vertreter*innen metaphysischer Lesarten lassen sich beispielsweise Buchdahl, Friedman und Breitenbach anführen. Vgl. Buchdahl (1969), 341–374. Friedman (1991), 73–102. Friedman (1992), 161–199. Breitenbach (2009), 28–33. Eine epistemologische Lesart dagegen vertritt etwa Guyer. Vgl. Guyer (1987), 237–266. Watkins dagegen vertritt eine hybride Version beider Lesarten. Vgl. Watkins (2005), 201.

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eine schwächere und eine stärkere Version.3 Vertreter*innen der schwächeren Version bestreiten, dass mit der Etablierung des Kausalprinzips bereits die Gesetzmäßigkeit der Natur nachgewiesen ist. Vertreter*innen der stärkeren Version dagegen behaupten, dass das der Fall ist ; die Etablierung des Kausalprinzips ist demnach der Nachweis der Gesetzmäßigkeit der Natur. Nun werde ich – mit Blick auf all diese Forschungsdesiderate – keine befriedigende Rekonstruktion des Beweisgangs der zweiten Analogie liefern können.4 Darum geht es mir im Folgenden aber auch nicht. Worum es mir vielmehr geht, ist, die Rolle des Kausalprinzips freizulegen mit Blick auf den Ort, den Vernunftsowie Zweckmäßigkeitsprinzipien in Kants theoretischer Philosophie einnehmen. Denn über die Bestimmung der Bedeutung und des Status des Kausalprinzips lässt sich die Bedeutung und der Status dieser Prinzipien entscheidend eingrenzen. Ich werde dabei die These vertreten, dass der Nachweis der Geltung des Kausalprinzips die starke Version des Kausalprinzips implizieren muss. Und wie ich darlegen werde, denke ich, dass in der zweiten Analogie sowohl metaphysische als auch epistemologische Gründe für die Geltung des Kausalprinzips in der starken Version sprechen. Unabhängig davon, welche Lesart der zweiten Analogie man vertritt, halte ich also die starke Version des Kausalprinzips für plausibler.5 Da ich Kant so lese, dass wir sowohl die Vernunft- als auch die Zweckmäßigkeitsprinzipien wiederum aus epistemologischen Gründen anwenden müssen, ziehe ich jedoch vor allem die epistemologische Lesart der zweiten Analogie als Ausgangspunkt zur weiteren Diskussion der Rolle und Funktion dieser Prinzipien in Kants erster und dritter Kritik heran. Dieser Ausgangpunkt wird sich dann wie folgt darstellen : Gemäß der epistemologischen Lesart der zweiten Analogie muss der Beweisgang derselben implizieren, dass wir Kausalgesetze als Kausalgesetze erkennen können müssen. Mit der zweiten Analogie ist dennoch nichts über die Erkennbarkeit empirischer Kausalgesetze ausgesagt. Wie ich im dritten Kapitel dieser Arbeit zeigen werde, ist hier der Ort, an dem sowohl die Vernunft- als auch die Zweckmäßigkeitsprinzipien zum Tragen kommen werden. Zu den Vertreter*innen der schwachen Version des Kausalprinzips zählen etwa Buchdahl (1969), 341–374 und Buchdahl (1992), 193–242. Beck (1981), 43–56. Allison (2001), 35–42. Breitenbach (2009), 28–33. Die starke Version des Kausalprinzips verteidigen dagegen Friedman (1992). Guyer (1987), 237–666 und Guyer (2017). Zu einer Diskussion dieser Versionen des Kausalprinzips siehe Abschnitt 2.2.2. dieses Kapitels. 4 Dies würde an vielen Stellen eine viel detaillierte Diskussion voraussetzen, die den Rahmen sprengen würde, den ich dieser Arbeit gesetzt habe. 5 In der Darstellung werde ich auch zwischen der metaphysischen und der epistemologischen Lesart unterscheiden, die leitende Unterscheidung dieses Kapitels wird jedoch die zwischen der schwachen und der starken Version des Kausalprinzips sein. Daher werden die beiden Lesarten nur auf diese Unterscheidung hin befragt. 3

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Die Analogien der Erfahrung

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Im ersten Abschnitt dieses Kapitels gilt nun es eine Kontextualisierung der zweiten Analogie der Erfahrung innerhalb des von Kant vorgegebenen Rahmens vorzunehmen. Dazu werde ich zunächst die Problematik sowie das Ziel der den Analogien generell zugrunde liegenden Argumentation freilegen, welches meiner Lesart zufolge in dem Herleiten eines Unterscheidungskriteriums der subjektiven Zeitfolge unserer Wahrnehmungen zu den objektiven Zeitverhältnissen, die den Gegenständen der Erfahrung zukommen, liegt. Kant formuliert demnach im Wesentlichen ein epistemologisches Unterfangen (2.1.1). Sodann werde ich auf den Status, den Kant den in den Analogien vorgestellten Grundsätzen zuspricht, eingehen. Diesen werde ich als einen konstitutiv-regulativen Status bezeichnen (2.1.2). Anhand einer Analyse des in den Analogien gebrauchten Analogiebegriffs werde ich diesen Status daraufhin präzisieren (2.1.3). Im zweiten Abschnitt werde ich zunächst Kants Hauptargument in der zweiten Analogie rekonstruieren. In der zweiten Analogie wird die Frage behandelt, wie empirische Erkenntnis objektiver Veränderungen möglich ist. Ich verstehe Kant so, dass eine solche Erkenntnis nur möglich ist, wenn wir ein Unterscheidungskriterium subjektiver von objektiven Zeitreihen besitzen, und Letzteres ist wiederum nur durch die Geltung des Kausalprinzips zu gewinnen (2.2.1). Sodann werde ich die These vertreten, dass die Begründung des Kausalprinzips aus begrifflichen wie aus epistemologischen Gründen bereits die Begründung der Notwendigkeit gesetzmäßiger Abfolgen in der Natur implizieren muss. Der Nachweis der Geltung des Kausalprinzips in der zweiten Analogie muss demnach die starke Version des Kausalprinzips implizieren (2.2.2). Zuletzt werde ich das sich so ergebende Bild der Natur skizzieren und es auf dessen Umfang und Grenzen befragen : Durch den Nachweis der Geltung des Kausalprinzips wird gezeigt, dass der empirischen Natur Gesetze unterliegen müssen. Damit ist aber weder ausgesagt, dass wir diese bereits deduktiv herleiten können, noch dass wir dazu in der Lage sind, diese auch zu entdecken (2.2.3). 2.1 Die Analogien der Erfahrung Die Analogien der Erfahrung gelten dem Nachweis, dass die dort abgehandelten Verstandesgrundsätze, worunter auch das Kausalprinzip fällt, als Kriterien für die Unterscheidung subjektiver von objektiven Zeitverhältnissen fungieren. Kant zufolge ermöglichen sie empirische Erkenntnis von Objekten damit erst, da dazu die Möglichkeit der Unterscheidung subjektiver von objektiven Zeitverhältnissen notwendig ist. Im Folgenden werde ich die Thematik um die zweite Analogie kontextualisieren, indem ich zunächst die generelle Problematik darstelle, unter welcher Kant die Analogien der Erfahrung abhandelt, und angebe, inwiefern er die Ana-

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logien als Bedingung der Möglichkeit für empirische Erkenntnis und damit als konstitutive Grundsätze der Erfahrung ausweist. Kant bezeichnet die Analogien jedoch nicht als rein konstitutive Grundsätze, sondern schreibt ihnen einen regulativen Charakter zu, den es ferner zu erläutern gilt. Über den von Kant eingeführten Analogiebegriff erschließe ich daraufhin diesen konstitutiv-regulativen Charakter dieser Grundsätze am Beispiel des Grundsatzes um das Kausalprinzip. 2.1.1 Das Prinzip der Analogien Das Prinzip der Analogien lautet wie folgt : »Erfahrung ist nur durch die Vorstellung einer notwendigen Verknüpfung der Wahrnehmungen möglich« (KrV, A 176 / B 218). Ausgangspunkt zum Verständnis dieses Prinzips ist die in der trans­zendentalen Deduktion vertretene These Kants, dass wir durch unsere Verstandestätigkeit jeweils einzelne Wahrnehmungsinhalte zu Objekten der Erfahrung verknüpfen. Zur Wahrnehmung von Einzeldingen müssen wir Kant zufolge verschiedene Wahrnehmungsinhalte miteinander verknüpfen und diese sukzessive Verknüpfung verschiedener Wahrnehmungsinhalte geschieht in der Zeit. Kants Ausgangsbehauptung lautet, dass die subjektiven zeitlichen Verhältnisse, in denen wir verschiedene Wahrnehmungen zu einem Objekt verbinden, nicht dieselben zeitlichen Verhältnisse sind, in denen der entsprechende Gegenstand der Erfahrung tatsächlich steht. Vielmehr sind subjektive Zeitverhältnisse gegenüber den objektiven Zeitverhältnissen, die den Gegenständen der Erfahrung zukommen, zufällig. So hängen sie zum einen von unserem subjektiven Zustand ab. Die zeitlichen Verhältnisse der Wahrnehmungsakte für einen unter bewusstseinsverändernden Substanzen gesetzten Menschen beispielsweise sind andere als diejenigen für einen nüchternen Menschen. Die zeitlichen Verhältnisse unserer Wahrnehmungsakte hängen zum anderen von unserer jeweiligen Beobachter*innenperspektive, d. i. von unserem jeweiligen räumlich-zeitlichen Standpunkt, ab. Nicht nur die subjektiv wahrgenommene zeitliche Dauer kann also von der objektiven zeitlichen Dauer abweichen, auch die zeitliche Reihenfolge unserer Wahrnehmungen eines Objektes kann von der objektiv gegebenen Zeit, in der sich das Objekt tatsächlich befindet, variieren. In der zweiten Analogie der Erfahrung illustriert uns Kant diese These am Beispiel der Wahrnehmung eines Hauses sehr augenfällig : »So ist z. E. die Apprehension des Mannigfaltigen in der Erscheinung des Hauses, das vor mir steht, sukzessiv. Nun ist die Frage : ob das Mannigfaltige dieses Hauses selbst auch in sich sukzessiv sei, welches freilich niemand zugeben wird.« (KrV, A 190 / B 235) Wir können ein Haus auf verschiedene Weise wahrnehmen, unter unterschiedlichen Bedingungen und Perspektiven – bei Tag, bei Nacht, bei Regen, bei Sonne. Wir können

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zuerst die Tür wahrnehmen oder zuerst das Dach und dann unseren Blick von oben nach unten streifen lassen oder vice versa. Wir können zudem zunächst die Vorderfront oder die Hinterfront des Hauses wahrnehmen. Das Haus selbst existiert aber nicht gemäß den subjektiv-zeitlichen Bedingungen unserer Wahrnehmung der Teile des Hauses. Es existiert nicht sukzessiv. Es existiert also nicht zunächst das Dach und dann beispielsweise das Erdgeschoss, sondern Dach und Erdgeschoss existieren ungeachtet unserer sukzessiven Wahrnehmungsakte zugleich. Eine objektive Erkenntnis des Hauses kann deswegen keine sein, die sich auf die subjektive-zeitliche Reihenfolge unserer Wahrnehmungen bezieht, sondern muss eine sein, die auf den objektiven zeitlichen Verhältnissen beruht, in denen das Objekt tatsächlich existiert. Um aber einen Gegenstand der Erfahrung als einen solchen Gegenstand der Erfahrung bestimmen zu können, muss ich zwischen den zeitlichen Verhältnissen meiner Wahrnehmungsakte und dem tatsächlich objektiven Zeitverhältnis, das dem Gegenstand zukommt, unterscheiden können.6 Für die Erkenntnis von Gegenständen muss die Zeitfolge, in der die Gegenstände mir erscheinen, festgelegt sein, unabhängig von meinem eigenen subjektiven Zeitempfinden. So ist etwa das Gefühl der Dauer, in der ich in einer Schlange an der Supermarktkasse warte – was sich mitunter ziemlich lange anfühlen kann – , keiner empirischen Erkenntnis zugehörig, das Messen der Dauer anhand entsprechender Messgeräte wie z. B. einer Uhr dagegen verschafft mir eine empirische Erkenntnis darüber, wie lange ich tatsächlich an der Supermarktkasse gewartet habe. Das Messen von Zeitverhältnissen z. B. durch eine Uhr setzt nun aber bereits voraus, dass es objektive Zeitverhältnisse gibt, die den Gegenständen selbst zukommen und die dann dementsprechend definiert und gemessen werden können. Woher aber kommen die objektiv festgelegten, d. i. die den Gegenständen selbst zukommenden zeitlichen Verhältnisse, wenn nicht durch die subjektivzeitlichen Verhältnisse unserer Wahrnehmungsakte, die Gegenstände der Erfahrung zu ihrem Inhalt haben ? Kant zufolge kann uns unsere Fähigkeit wahrzunehmen den Weg nicht bereiten. Nicht nur subjektiv-zeitliche Verhältnisse unserer Wahrnehmungsvorgänge scheiden also zur Bestimmung objektiver Zeitverhältnisse aus, sondern auch die jeweiligen möglichen Wahrnehmungsinhalte, da Zeit selbst, d. i. eine unabhängig von unseren subjektiven Wahrnehmungsvorgängen verlaufende Zeit, laut Kant kein Wahrnehmungsgegenstand ist. Wie Watkins illustriert, können wir den Zeitpunkt, zu dem ein Objekt existiert, weder am Objekt selbst noch durch eine wie auch immer geartete Wahrnehmung der Zeit selbst ausmachen. Der vor mir liegende Tisch liegt in keiner Zeit-Raum-Einheit, durch welche mir allein qua Wahrnehmung des Tisches die zeitlichen Koordinaten desselben gegeben 6

Vgl. dazu bspw. Tetens (2006), 153 f.

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werden, noch ist die Zeit eine Eigenschaft, die dem Objekt so zukommt, dass ich sie an ihm wahrnehmen könnte.7 Eine objektiv ablaufende, den Erfahrungsgegenständen zukommende Zeit ist also nicht selbst wieder Wahrnehmungsinhalt.8 Kant zeigt dagegen in den Analogien der Erfahrung auf, dass die den Gegenständen der Erfahrung zukommenden zeitlichen Verhältnisse durch die Ausübung unserer eigenen Verstandesaktivität, durch die Anwendung von Verstandesregeln, festgelegt sind (vgl. KrV, A 177 f. / B 218 f.).9 Den Objekten der Erfahrung liegen damit Regeln a priori darüber zugrunde, welche zeitlichen Zustände dem jeweiligen Objekt zukommen. Es sollen diese Regeln sein, die als Unterscheidungskriterium der subjektiven zeitlichen Verhältnisse unserer Wahrnehmungsakte von den objektiv zeitlichen Verhältnissen, die dem Objekt tatsächlich zukommen, dienen (vgl. KrV, A 191 / B 236) und damit Erfahrung von Gegenständen10 allererst ermöglichen. Und insofern diese Verstandesregeln Erfahrung von Gegenständen allererst ermöglichen, handelt es sich bei ihnen um konstitutive Begriffe. 2.1.2 Das Kausalprinzip als konstitutiv-regulatives Prinzip der Erfahrung Kant unterscheidet zwischen konstitutiven und regulativen Prinzipien a priori. Die rein regulativen Prinzipien a priori werden uns im dritten Kapitel beschäftigen, denn diesen Status schreibt Kant den Vernunft- und Zweckmäßigkeitsprinzipien zu. In diesem Abschnitt interessieren uns die konstitutiven Prinzipien a priori. Ein wenig verwirrend ist dabei zunächst, dass Kant diese konstitutiven Prinzipien noch einmal einteilt, in rein konstitutive Prinzipien a priori und in Vgl. Watkins (2005), 189. Generell wird Zeit in dem Kapitel transzendentale Ästhetik als eine Bedingung der Möglichkeit unserer empirischen Wahrnehmungen ausgewiesen und kann so nicht selbst eine empirische Wahrnehmung sein. Kant kennt zwar auch eine formale Anschauung der Zeit. Und durch diese soll uns zwar Kant zufolge eine reine Anschauung der Zeit bzw. der Zeitverhältnisse möglich sein, doch ist der Terminus einer reinen Anschauung der Zeit erstens nicht ohne weiteres verständlich und zweitens würde, selbst wenn verständlich wäre, was mit reiner Anschauung gemeint ist, aus der reinen Anschauung der Zeit noch nicht folgen, dass wir damit eine objektiv für die Gegenstände der Erfahrung bestimmte Zeit erfasst hätten, denn dafür bräuchte es Begriffe, durch die zeitliche Abstände definiert werden könnten. 9 Im Folgenden wird nur die zweite Analogie Gegenstand meines Interesses sein. Zu den Abschnitten Erste Analogie und Dritte Analogie siehe zum Beispiel Guyer (1987), 215–236 u. 267–276. Thöle (1998), 267–296. Und besonders zur dritten Analogie : Watkins (2005), 217–229. 10 ›Erfahrung‹ fasse ich mit Kant als einen engen Begriff ; er bezieht sich hier auf die empirische Erkenntnis von Gegenständen. 7 8

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konstitutive Prinzipien a priori, denen Kant dennoch eine regulative Funktion zuschreibt. Letztere werde ich der Einfachheit halber als konstitutiv-regulative Prinzipien bezeichnen. Schauen wir uns diese Unterscheidung genauer an. Der Prinzipienbegriff, um den es uns hier geht, bezieht sich auf aus Begriffen und entweder aus Anschauung oder aus notwendigen Bedingungen für Erfahrung hergeleitete Grundsätze, die wir zur Forschung, in dem hier vorliegenden Fall zur Erforschung der Natur, heranziehen.11 Diesen Grundsätzen ist gemein, dass sie aus konstitutiven Begriffen hergeleitet sind. Konstitutive Begriffe wiederum zeichnen sich dadurch aus, dass sie Erfahrung allererst möglich machen, und zwar in dem Sinne, dass durch diese Begriffe die Bedingungen festgelegt werden, »die von einem Objekt erfüllt sein müssen, damit es überhaupt ein Erfahrungsgegenstand für uns sein soll«.12 Konstitutive Begriffe a priori sind also nicht solche, die einfach mit den Gegenständen der Erfahrung korrespondieren, sondern es sind solche, die die Gegenstände der Erfahrung erst zu solchen Gegenständen der Erfahrung machen (vgl. z. B. KrV, A 664 / B 692). Dies geschieht durch die einheitsstiftende Funktion, die Kant solchen Begriffen a priori zuspricht. Sie sind – wie Horstmann es formuliert – »in der Lage [...], dem jeweils via Anschauung gegebenen Mannigfaltigen Einheit in dem Sinne zu geben, daß dieses Mannigfaltige überhaupt als Objekt gedacht werden kann«.13 Während uns Kant zufolge durch unsere Sinnlichkeit Wahrnehmungen bzw. Anschauun Kant nennt sowohl Begriffe als auch Grundsätze ›Prinzip‹. Den Prinzipienbegriff klärt Kant in der transzendentalen Analytik der KrV jedoch nicht. In der Einleitung zum Kapitel Trans­zendentale Dialektik bestimmt Kant die Vernunft als das »Vermögen der Prinzipien« (KrV, A 299 / B 356) und erläutert in diesem Zusammenhang den Prinzipienbegriff, wenn er sich auf Grundsätze bezieht. Dabei unterscheidet Kant zwei Bedeutungen von ›Prinzip‹ (vgl. KrV, A 300 / B 356). In der ersten Bedeutung wird Kant zufolge jeder Satz, der als Obersatz in einem Vernunftschluss dienen kann, als Prinzip gehandelt. Er unterscheidet zwischen empirischen und A-priori-Sätzen, die in dieser ersten Bedeutung als Prinzip dienen können. Als Beispiel für den letzteren Prinzipiengebrauch gibt er das mathematische Axiom, dass es zwischen zwei Punkten nur eine gerade Linie geben kann. Dieses nutzen wir als Prinzip, das bestimmte Schlussfolgerungen in geometrischen Sätzen zu ziehen erlaubt (vgl. KrV, A 300 / B 356). Der Gebrauch des Prinzipienbegriffs in der ersten Bedeutung ist laut Kant jedoch nur ein uneigentlicher Gebrauch des Begriffs ›Prinzip‹. Im eigentlichen Gebrauch verschaffen uns Prinzipien »synthetische Erkenntnisse aus Begriffen« (KrV, A 301 / B 357). Diesen eigentlichen Gebrauch ordnet er jedoch allein unserer Vernunft zu. Unser Verstand könne eine solche Erkenntnis »gar nicht verschaffen« (KrV, A 301 / B 357 f.), da sich die Grundsätze des reinen Verstandes zu ihrer Möglichkeit als synthetische Sätze a priori auch auf »reine Anschauung, (in der Mathematik), oder Bedingungen einer möglichen Erfahrung überhaupt« (KrV, A 301 / B 357) beziehen müssen. Dies legt den Schluss nahe, dass Kant den Prinzipienbegriff in der uneigentlichen, ersten Bedeutung verwendet, wenn er in der transzendentalen Analytik genutzt wird und ihn auf Grundsätze bezieht. 12 Horstmann (1998), 530. Horstmann bestimmt diesen Sachverhalt als transzendentalen Sachverhalt und scheint damit ›transzendental‹ und ›konstitutiv‹ zu identifizieren. 13 Horstmann (1997), 71. 11

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gen14 sinnlich gegebenen Materials geliefert werden, vereinheitlichen konstitutive Begriffe a priori dieses Material auf eine Weise, durch die wir das uns gegebene Material überhaupt erst als Objekt denken können. Die aus konstitutiven Begriffen hergeleiteten Prinzipien, wie die in den Grundsätzen der Erfahrung vorgestellten Prinzipien a priori, repräsentieren damit keinen konkreten empirischen Inhalt, sondern drücken aus, in welcher Weise uns konkreter empirischer Inhalt gegeben sein muss, um ein Erfahrungsobjekt für uns bilden zu können. Und hierin unterscheidet Kant zwischen Grundsätzen, die Regeln darüber formulieren, wie Wahrnehmungsinhalte selbst für uns gegeben sein müssen, um solche Erfahrungsobjekte zu werden, und Grundsätzen, die Regeln darüber formulieren, in welchen Verhältnissen die jeweiligen Wahrnehmungsinhalte zueinander stehen müssen, wenn sie denn Objekte der Erfahrung für uns sein sollen. Grundsätze, die erstere Regeln formulieren, beziehen sich auf die Konstitution der Anschauung eines Objektes. Sie sind konstitutiv in Bezug auf die Anschauung von Objekten und in Bezug auf die Erfahrung von Objekten. Prinzipien, die sich auf solche Grundsätze beziehen, sind demzufolge rein konstitutive Prinzipien. Grundsätze, die letztere Regeln formulieren, beziehen sich auf notwendige Bedingungen von Erfahrung, ohne konstitutiv für die Anschauung von Objekten zu sein. Prinzipien, die sich auf die letzteren Grundsätze beziehen, sind konstitutiv-regulative Prinzipien. Sie sind regulativ in Bezug auf Anschauung von Objekten und konstitutiv in Bezug auf Erfahrung von Objekten.15 Konstitutiv ist es für Objekte der Erfahrung etwa, dass sie extensive Größen sein müssen ; sie müssen aus Teilen zusammengesetzt sein, die das Ganze der Vorstellung des Objekts allererst ermöglichen. Eine extensive Größe nennt Kant dementsprechend eine Größe, »in welcher die Vorstellung der Teile die Vorstellung des Ganzen möglich macht (und also notwendig vor dieser vorhergeht)« (KrV, A 162 / B 203). Grund für diese Definition einer extensiven Größe ist Kant zufolge unsere sinnliche Bedingtheit. Uns sind Anschauungen nur räumlich und zeitlich gegeben. Dies bedeutet für Kant, dass wir sukzessiv in der Zeit die räumlich gegebenen Anschauungen zu einer Vorstellung des Objektes zusammensetzen müssen.16 So können wir Kant zufolge »keine Linie, so klein sie auch sei, vorstellen, ohne sie in Gedanken zu ziehen, d. i. von einem Punkte alle Teile nach und nach zu erzeugen, und dadurch allererst diese Anschauung zu verzeichnen« (KrV, A 163 f. / B 203). In diesem Sinne kommt das Zusammenge Ich verwende die Begriffe ›Anschauung‹, ›Wahrnehmung‹ oder auch ›sinnliche Eindrücke‹ im Folgenden synonym. 15 Vgl. Friedman (1991), 78 f. Vgl. diese Bestimmung auch mit der in Abschnitt 3.1.1 gegebenen, in dem ich auf rein regulative Prinzipien eingehe. 16 Zur Kritik daran, dass die Synthesis verschiedener Wahrnehmungsinhalte immer sukzessiv vonstattengeht, siehe Broad (1925–26), 192. 14

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setzt-Sein der Objekte den Objekten der Erfahrung wesentlich zu.17 Rein konstitutive Prinzipien a priori beziehen sich auf Grundsätze, die ausdrücken, wie Erfahrungsobjekte als Erfahrungsobjekte in Raum und Zeit für uns gegeben sein müssen. Die zweite Art von Grundsätzen bezieht sich auf Grundsätze, die im Gegensatz zu den ersteren nicht rein konstitutive, sondern konstitutiv-regulative Grundsätze der Erfahrung sind. Unter diese fällt auch der Grundsatz, der das Kausalprinzip ausdrückt ; der Grundsatz, dass »alle Veränderungen […] nach dem Gesetze der Ursache und Wirkung [geschehen]« (KrV, A 189 / B 232). Auch dieser Grundsatz ist also konstitutiv für Erfahrung, insofern er Erfahrung von Objekten allererst ermöglichen soll. Die in den Analogien formulierten Grundsätze und damit auch der Grundsatz, der das Kausalprinzip ausdrückt, haben aber »das Besondere an sich, daß sie nicht die Erscheinungen, und die Synthesis ihrer empirischen Anschauung, sondern bloß das Dasein, und ihr Verhältnis unter einander in Ansehung dieses ihres Daseins, erwägen« (KrV, A 178 / B 220). Sie sagen uns im Gegensatz zu rein konstitutiven Grundsätzen der Erfahrung nichts darüber aus, wie die Wahrnehmungsinhalte selbst z. B. zusammengesetzt sein müssen, um Objekte der Erfahrung zu sein. Stattdessen sagen sie uns vielmehr etwas darüber aus, welche Zeitverhältnisse den jeweiligen Wahrnehmungsinhalten im Gegensatz zu den zeitlichen Verhältnissen unserer Wahrnehmungsakte dieses Inhalts zukommen müssen, damit Zeitverhältnisse notwendigerweise festgelegt sind und so objektiv erfahrbar werden. Insofern sie uns nun nichts über die Zusammensetzung des Wahrnehmungsinhaltes selbst aussagen, sondern über die zeitlichen Verhältnisse, unter denen unsere Wahrnehmungen stehen müssen, um objektive Erfahrungsurteile über dieselben fällen zu können, bezeichnet Kant die in den Analogien aufgestellten Grundsätze auch als regulativ (vgl. KrV, A 179 / B 222) : Wir lernen nichts über die Beschaffenheit des Gegenstandes selbst, wir erfahren jedoch stattdessen, in welchen Verhältnissen er uns gegeben sein muss, um ein Erfahrungsgegenstand sein zu können.

17

Diese Thesen wären eigens zu diskutieren. Ich setze ihre Plausibilität an dieser Stelle um des Arguments willen jedoch voraus.

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2.1.3 Zum Begriff der Analogie Kant verwendet zwei Arten von Analogien : Proportionsanalogien und Attributionsanalogien.18 Diese sind auch heute noch gebräuchlich. Während wir in den ersteren anhand von Proportionszuschreibungen das Verhältnis dreier Elemente zu einem vierten uns noch unbekannten bestimmen, schließen wir bei der letzteren von qualitativ-übereinstimmenden Eigenschaften der Elemente einer Art darauf, dass sie auch in uns noch unbekannten qualitativen Eigenschaften übereinstimmen.19 So stellen wir beispielsweise in der Mathematik Analogien der ersten Art, d. i. Proportionsanalogien, auf und suchen anhand der Übertragung eines bestimmten Proportionsverhältnisses zweier Zahlen auf eine weitere bekannte Zahl und eine unbekannte vierte, diese vierte Zahl zu errechnen. In der Analogie 3 :6 und 6 :X etwa errechnen wir die unbekannte vierte Zahl X, indem wir das Verhältnis von drei zu sechs auf sechs zu der Zahl X übertragen. Die uns unbekannte Zahl errechnen wir also unter der Setzung eines analogen Größenverhältnisses der Zahlen drei und sechs und sechs und der gesuchten Zahl X. Attributionsanalogien dagegen verwenden wir zum Beispiel in der Medizin. In Tierversuchen, in denen z. B. die Hautverträglichkeit von Medikamenten getestet wird, arbeiten Mediziner*innen mit Attributionsanalogien. Sie ziehen von einem bekannten Quellphänomen Schlüsse auf das zu erforschende Zielphänomen. Mäuse beispielsweise haben bestimmte Eigenschaften mit uns gemein, etwa zu der Klasse der Säugetiere zu gehören. Testen wir ein Medikament auf seine Hautverträglichkeit, so setzen wir voraus, dass das in Frage stehende Medikament seine Wirkung aufgrund der Eigenschaften entfaltet, die Menschen und Mäusen (etwa qua Säugetier) gemeinsam sind.20 Ebenso hat ›Analogie‹ bei Kant einerseits die Bedeutung, von der angenommenen Proportionalität zweier Verhältnisse zwischen vier Elementen auf das gesuchte vierte Element zu schließen (vgl. KrV, A 179 f. / B 222). Kant nennt andererseits einen Schluss dann eine Analogie, wenn »von vielen Bestimmungen und Eigenschaften, worin Dinge von einerlei Art übereinstimmen, auf die übrigen, sofern sie zu demselben Princip gehören« (Log, IX 132)21 geschlossen wird. Vgl. auch Breitenbach (2009), 70. Kant verwendet diese Analogienbezeichnung nicht expressis verbis, doch der Sache nach vollzieht er diese Unterscheidung. Zudem weist Capozzi darauf hin, dass sich eben diese terminologische Unterscheidung der Analogiearten, der Attributions- und Proportionsanalogie, bei Darjes und Reusch finden lässt. Kant kannte die Schriften beider ; Cappozi (2011), 15. 19 Hilfreiche Überblicke zu dem Analogie-Begriff finden sich in : Pieper (1996), 92–112. Breitenbach (2009), 70–75. Suhm (2015), 57–59. 20 Beispiel aus dem Kant-Lexikon übernommen ; vgl. Suhm (2015), 58. 21 Vgl. auch KdU, AA V, 464, Anmerkung. 18

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Von zwei Dingen, die in bestimmten Eigenschaften übereinstimmen, zum Beispiel in ihrer Klassifizierung als Säugetiere, wird also auf die Übereinstimmung anderer Eigenschaften dieser Dinge, wie z. B. auf die Reaktionsgleichheit des Organismus oder bestimmter Organe bei der Verabreichung bestimmter Medikamente, geschlossen. Wie Breitenbach darauf aufmerksam macht, nennt Kant letztere Form des Analogieschlusses lediglich »eine Krücke der Menschlichen Ratiocination« (V-Lo/Busolt, XXIV 680), denn sie garantiert keine sichere Erkenntnis über die Gegenstände, über die geschlossen wird, sondern ist lediglich ein Erkenntnisversuch.22 Den Grund für diese Bewertung dieser Analogie kann man sich in dem angegebenen Beispiel schnell verständlich machen : Die Überzeugungskraft des Analogieschlusses hängt davon ab, ob die Eigenschaften, die in der Analogie verglichen werden, Eigenschaften sind, die der Art generell zugeschrieben werden können. In Tierversuchen wissen wir nicht, ob die Eigenschaften auch tatsächlich welche sind, die qua Säugetiersein auf den Menschen übertragbar sind. Mit den Attributionsanalogien werden wir uns vor allem im Abschnitt 3.3.1 weiter beschäftigen. An dieser Stelle genügt es, wenn wir uns nur der Proportionsanalogie zuwenden. Denn in den Analogien der Erfahrung ist es die Analogie in dieser Bedeutung, von der Kant Gebrauch macht. Kant vergleicht die Proportionsanalogie mit der Art der philosophischen Analogie, die er in den Analogien der Erfahrung verwendet. Beide kommen darin überein, dass sie Proportionsverhältnisse ausdrücken. Von dem bereits vorgestellten mathematischen Analogieverfahren unterscheidet sich allerdings der Analogiegebrauch in der Philosophie Kant zufolge in zwei Hinsichten : In der Mathematik wird die gesuchte vierte Zahl über eine Bestimmung des Verhältnisses der Proportionen der entsprechenden Gleichungen zueinander vollständig – in Kants Terminologie – konstitutiv bestimmt. Rechnen wir richtig, setzen wir für X die Zahl 12 ein und können diese Erkenntnis dem Inhalt nach als sicher qualifizieren. Über die Analogien in der Philosophie können wir dagegen das gesuchte vierte Element nicht dem Inhalt nach und damit nicht konstitutiv bestimmen : »In der Philosophie aber ist die Analogie nicht die Gleichheit zweener quantitativen, sondern qualitativen Verhältnisse, wo ich aus drei gegebenen Gliedern nur das Verhältnis zu einem vierten, nicht aber dieses vierte Glied selbst erkennen, und a priori geben kann, wohl aber eine Regel habe, es in der Erfahrung zu suchen, und ein Merkmal, es in derselben aufzufinden. Eine Analogie der Erfahrung wird also nur eine Regel sein, nach welcher aus Wahrnehmungen Einheit der Erfahrung […] entspringen soll, und als Grundsatz von den Gegenständen (der Erscheinungen) nicht konstitutiv, sondern bloß regulativ gelten.« (KrV, A 179 f/B 222 f.) 22

Vgl. auch Breitenbach (2009), 71.

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Im Gegensatz zu Analogien der Mathematik geben uns die Analogien der Erfahrung vielmehr Regeln, die es uns ermöglichen, die zeitlichen Verhältnisse, in denen die Gegenstände der Erfahrung stehen müssen, zu bestimmen, mit ihnen ist aber der Gegenstand, der unter diese Regel fällt, selbst noch nicht konstitutiv bestimmt. Am Beispiel der zweiten Analogie wissen wir demnach zwar sicher, dass zwei Gegenstände nach dem Prinzip Ursache-Wirkung verknüpft sein müssen in dem Sinne, dass die Zustandsänderung eines Gegenstandes kausalen Einfluss auf den Zustand eines weiteren haben wird und dass dies das zeitliche Verhältnis dieser Änderungen festlegt. Wir erkennen aber allein durch die Anwendung dieses Prinzips nicht, wie der Gegenstand konstitutiv beschaffen sein muss. Die in den Analogien der Erfahrung verwendeten Analogien geben vielmehr an, wie wir nach einer Zustandsänderung suchen müssen, indem sie das Verhältnis, d. i. die Regel bestimmen, nach der wir sie suchen müssen (vgl. KrV, A 179 / B 222). In der Mathematik geht es zudem um die Bestimmung von quantitativen Verhältnissen. In der Philosophie dagegen ist eine Analogie eine Bestimmung qualitativer Verhältnisse. Und im Besonderen geht es Kant in den Analogien der Erfahrung um die Bestimmung von qualitativ-zeitlichen Verhältnissen, wie zum Beispiel im Falle der zweiten Analogie um die Festlegung dessen, was ein zeitlich objektiv bestimmtes Nacheinander ermöglicht. Gezeigt werden soll, dass ein solches zeitlich objektiv bestimmtes Nacheinander durch Anwendung des Kausalprinzips ermöglich wird. Für die zweite Analogie besteht diese Festlegung demnach im Folgenden : Die Wirkung verhält sich zur Ursache (W :U) wie sich die Zustandsänderung des Gegenstandes zwei zu der Zustandsveränderung des Gegenstandes eins verhält (Z1 :Z2). Diese objektiv festgelegten Zeitverhältnisse wiederum bestimmen unsere subjektiven Wahrnehmungsakte. Mit der Bezeichnung ›Analogie‹ bringt Kant damit erstens zum Ausdruck, dass es um die Bestimmung des Verhältnisses eines vierten noch unbekannten Elements zu bereits bekannten Elementen geht, nicht aber um eine Bestimmung der Beschaffenheit des vierten Elements selbst. Insofern wir also nach diesem vierten Element suchen müssen und diese Verhältnisbestimmung nichts über die Beschaffenheit des Gegenstandes selbst aussagt, bezeichnet Kant die Analogien der Erfahrung auch als regulative Grundsätze. Zweitens bringt er zum Ausdruck, dass in den Analogien der Erfahrung eine Verhältnisbestimmung der objektiv-zeitlichen Verhältnisse der Erfahrungsobjekte zu den subjektiv-zeitlichen Verhältnissen der Wahrnehmungsvorgänge vorgenommen werden soll. Schauen wir uns nun den Beweisgang der zweiten Analogie an.

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2.2 Die Etablierung des Kausalprinzips – die zweite Analogie der Erfahrung In der zweiten Analogie der Erfahrung behandelt Kant die Frage, wie empirische Erkenntnis objektiver Veränderung möglich ist, und sucht zu begründen, dass eine solche Erkenntnis nur unter der Geltung des Kausalprinzips möglich ist. Der in der zweiten Analogie der Erfahrung etablierte Grundsatz gilt als der wichtigste Grundsatz der Analogien der Erfahrung. Denn in diesem sucht Kant das Kausalprinzip als notwendigerweise gültiges Prinzip unserer Erfahrungswelt zu etablieren. Und auch wenn Kant Hume in der zweiten Analogie kein einziges Mal erwähnt, wird Kants zweite Analogie zumeist als Antwort auf Humes These gelesen, gemäß der wir die Notwendigkeit und damit auch die Gesetzesmäßigkeit von Ursache-Wirkungs-Prozessen nicht rational begründen können. Kant selbst gibt zu dieser Lesart Anlass. So gibt er uns in den Prolegomena zu verstehen, dass die zweite Analogie die »vollständige, obzwar wider die Vermutung des Urhebers ausfallende Auflösung des Humischen Problems« (Prol., AA IV 313, § 30) enthalten soll. In diesem Abschnitt werde ich nun zunächst Kants Nachweis der Gültigkeit des Kausalprinzips rekonstruieren. Daraufhin werde ich die Implikationen des Kausalprinzips diskutieren und für die starke Version des Kausalprinzips argumentieren, wobei ich in 2.2.2 aufzeige, dass nur die starke Version eine befriedigende Antwort auf das Hume’sche Problem bereitstellen kann. 2.2.1 Die Gültigkeit des Kausalprinzips Der dem Kausalprinzip entsprechende Grundsatz besagt, dass es zu jeder Veränderung B in der uns erfahrbaren Natur eine Veränderung A gibt, welche der Veränderung B zeitlich vorherging und welche Veränderung B nach einer Regel verursacht hat. Kants Argument für die Gültigkeit dieses Grundsatzes für die Gegenstände der Erfahrung lässt sich wie folgt zusammenfassen : 1. Die Wahrnehmungen des Mannigfaltigen der uns gegeben Gegenstände ist jederzeit sukzessiv. 2. Wir sind nicht berechtigt von der sukzessiven Reihenfolge unserer Wahrnehmungen darauf zu schließen, dass diese sukzessiven Zeitverhältnisse auch objektiv, d. i. am Gegenstand vorliegen. So nehmen wir auch gleichzeitig existierende Zustände an einem Gegenstand nur sukzessiv wahr. 3. Die Reihenfolge unserer Wahrnehmungen gleichzeitig existierender Zustände an einem Gegenstand ist nicht festgelegt. 4. Die Reihenfolge unserer Wahrnehmungen objektiver Veränderungen ist fest-

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gelegt. Wir können objektive Veränderungen nicht in einer anderen Reihenfolge wahrnehmen als in der Reihenfolge, in der wir sie wahrnehmen. 5. Die Bestimmtheit unserer Wahrnehmungsfolge ist nur möglich, weil die wahrgenommenen Veränderungen kausal bestimmt sind. Schauen wir uns diese Argumentation im Folgenden näher an. Auf die Thesen 1–3 bin ich bereits im Abschnitt 2.1.1 eingegangen. Zur Erkenntnis von Objekten gelangen wir durch die Synthesis verschiedener Wahrnehmungsinhalte, die Kant zufolge immer sukzessiv geschieht. Im Falle der Wahrnehmung eines Hauses sind uns also jeweils verschiedene Wahrnehmungen der Teile des Hauses gegeben, vom Dach, vom Erdgeschoss, von der Tür etc. Diese verschiedenen Wahrnehmungen müssen wir erst zu einer Wahrnehmung des Hauses als Erfahrungsobjekt verknüpfen. Und wie im letzten Abschnitt argumentiert, zeigt sich bereits an dieser Stelle, dass sich die subjektiv-zeitlichen Verhältnisse unserer Wahrnehmungsvorgänge von den objektiv-zeitlichen Verhältnissen des Wahrnehmungsobjekts unterscheiden : Ich setze Wahrnehmungsinhalte sukzessiv zu der Erfahrung des Hauses als Objekt zusammen. Die Teile des Hauses selbst existieren aber nicht sukzessiv, sondern zugleich. Es zeigt sich, wie in These drei formuliert, dass die Art und Weise, wie wir die jeweiligen Wahrnehmungen zu einer objektiven Erfahrung des Objekts verknüpfen müssen, nicht durch unsere einzelnen Wahrnehmungsakte vorgegeben ist. So bemerkt Kant : »Ob sie [die jeweiligen Wahrnehmungsinhalte, K.K.] sich auch im Gegenstande folgen, ist ein zweiter Punkt der Reflexion, der in dem ersteren nicht enthalten ist.« (KrV, A 189 / B 234)23 Gegenüber den objektiv-zeitlichen Verhältnissen, in denen sich der Gegenstand der Erfahrung befindet, ist es zufällig, welchen Teil des Hauses ich als erstes wahrnehme. Abhängig von unserem räumlich-zeitlichen Standpunkt können wir zunächst die Dachwahrnehmung oder zunächst die Wahrnehmung des Erdgeschosses mit der jeweils anderen verknüpfen.24 Ob ich nun aber zuerst die Wahrnehmung der Vorderfront oder die der Rückfront, zuerst die des Daches des Hauses oder die des Erdgeschosses verknüpfe, spielt für die objektive Erkenntnis des Hauses als Haus keine Rolle. In Kants Worten war »[i]n der Reihe dieser Wahrnehmungen […] also keine bestimmte Ordnung [durch das Objekt vorgegeben, K.K.], welche es notwendig machte, wenn ich in der Apprehension anfangen müßte, um das Man Wäre diese Folge in den jeweiligen Wahrnehmungsinhalten bereits enthalten, so bräuchten wir gerade nicht nach einem Unterscheidungskriterium des subjektiv-zeitlichen Verhältnisses unserer Wahrnehmungsvorgänge von den objektiv-zeitlichen Verhältnissen der Zustände von Erfahrungsobjekten zu suchen. 24 Auf die Rolle der Einbildungskraft bei den Verknüpfungen der jeweiligen Wahrnehmungsinhalte werde ich im Folgenden nicht eingehen können. Siehe dazu aber z. B. Thöle (1998), 282 f. 23

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nigfaltige empirisch zu verbinden« (KrV, A 193 / B 238). Für die Erkenntnis des Hauses als Objekt ist es gleich, ob ich zunächst etwa das Dach oder die Haustür wahrnehme, solange ich die jeweiligen Wahrnehmungsinhalte zu derjenigen des gesamten Hauses verknüpfe. Im Falle des Hausbeispiels ist also keine bestimmte Ordnung der jeweiligen Verknüpfung der Wahrnehmungsinhalte durch die zeitlichen Verhältnisse, die dem Erfahrungsobjekt zukommen, vorgegeben. Die Regel, die bestimmt, wann die einzelnen Wahrnehmungsinhalte eines Objektes zugleich existieren, lässt in diesem Fall eine unbestimmte Reihenfolge der jeweiligen einzelnen Verknüpfung der Wahrnehmungsinhalte zu. Kant zufolge liegt nun aber nicht immer ein solcher Fall vor und damit sind wir bei dem eigentlichen Beweisziel der zweiten Analogie. Denn im Gegenteil, es gibt sehr viele Fälle, in denen unsere Wahrnehmungsfolge von Erfahrungs­ inhalten notwendigerweise bestimmt ist, und zwar bei objektiven Veränderungen in der Erfahrungswelt wie zum Beispiel bei dem Zustandswechsel eines Objekts. Die obige These vier illustriert Kant wie folgt : »Jede Apprehension einer Begebenheit ist also eine Wahrnehmung, welche auf eine andere folgt. Weil dieses aber bei aller Synthesis der Apprehension so beschaffen ist, wie ich oben an der Erscheinung eines Hauses gezeigt habe, so unterscheidet sie sich dadurch nicht von andern. Allein ich bemerke auch : daß, wenn ich an einer Erscheinung, welche ein Geschehen enthält, den vorhergehenden Zustand der Wahrnehmung A aber auf B nicht folgen, sondern nur vorhergehen kann. Ich sehe z. B. ein Schiff den Strom hinab treiben. Meine Wahrnehmung, seiner Stelle unterhalb, folgt auf die Wahrnehmung der Stelle desselben oberhalb dem Laufe des Flusses, und es ist unmöglich, daß in der Apphrehension dieser Erscheinung das Schiff zuerst unterhalb, nachher aber oberhalb des Stromes wahrgenommen werden sollte. Die Ordnung in der Folge der Wahrnehmungen in der Apprehension ist hier also bestimmt, und an dieselbe ist letztere gebunden.« (KrV, A 192 / B 237)

Die Wahrnehmungsfolge objektiver Veränderungen in der Erfahrungswelt ist also nicht beliebig, sondern festgelegt. Wenn ich wahrnehme, dass das Schiff den Fluss hinabfährt, muss es sich notwendigerweise so verhalten, dass ich das Schiff zuerst oberhalb des Flusses und sodann unterhalb des Flusses wahrnehme und nicht vice versa. Im Gegensatz zu den verschiedenen möglichen Verknüpfungen der jeweiligen Wahrnehmungsinhalte des Hauses ist die Ordnung der zeitlichen Reihenfolge der Wahrnehmungsinhalte in diesem Fall notwendigerweise bestimmt.25 25

Breitenbachs Behauptung, dass die Analogien erst ein Erkennen eines zeitlichen Nacheinanders ermöglichen würden (vgl. Breitenbach (2009), 13.), halte ich damit für nicht präzise genug oder zumindest für missverständlich. Denn durch die Struktur der Zeit als Anschauungsform a priori ist uns sehr wohl bereits ein zeitliches Nacheinander gegeben. Kants

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Kommen wir zur These fünf : Da die subjektiv-zeitlichen Verhältnisse unserer Wahrnehmungsakte und ihrer entsprechenden Inhalte keine notwendige Bestimmung der Reihenfolge derselben hervorbringen können, ist es – so schlossen wir mit Kant in 2.1.1 – unser Verstand bzw. unsere Verstandesaktivität, durch die notwendig bestimmte zeitliche Verhältnisse generiert werden. Das Kausalprinzip nun ist eines aus den Verstandesbegriffen Ursache und Wirkung hergeleitetes Prinzip und es ist Kant zufolge dieses Prinzip, das die zeitliche Reihenfolge unserer Wahrnehmungsakte notwendig festlegt und damit als Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung gelten muss. Es ist die unhintergehbare Festlegung der zeitlichen Reihenfolge von Zustandsänderungen durch das Kausalprinzip, die Kant als Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung ausweist. Erst diese Festlegung gibt uns das gesuchte Unterscheidungskriterium der subjektiv-zeitlichen Abfolgen unserer Wahrnehmungsakte und der notwendig bestimmten zeitlichen Abfolgen unserer Wahrnehmungsakte an die Hand.26 Das Kausalprinzip drückt aus, dass alle Veränderungen in der Natur »nach dem Gesetze der Verknüpfung der Ursache und Wirkung« (KrV, A 189 / B 232) geschehen. Dies bedeutet erstens, dass jede einzelne Veränderung Wirkung einer Ursache ist, und zweitens, dass diese Veränderung gesetzmäßig geschieht. Während mit dem Prinzip allein noch nicht gesagt ist, was als Ursache der Wirkung, einer Zustandsveränderung, gelten kann, können wir die Gesetzmäßigkeit von kausal bedingten Zustandsveränderungen weiter bestimmen. Denn Ursache-Wirkungs-Beziehungen implizieren Kant zufolge eine zeitliche Asymmetrie : Die Ursache muss zeitlich vor der Wirkung liegen, um als Ursache gelten zu können (vgl. KrV, A 199 f. / B 245). Würde die Ursache nach der entsprechenden als Wirkung ausgezeichneten Zustandsveränderung liegen, so wäre die Ursache keine Ursache eben dieser Zustandsänderung.27 Wenn A B verursacht, dann muss A B zeitlich vorgehen. Der Fall, dass B, als Wirkung von A, A vorhergeht, ist damit ausgeschlossen.28 These in der zweiten Analogie lautet vielmehr, dass dieses zeitliche Nacheinander in keiner Weise bestimmt ist und dass erst durch unsere Verstandesaktivität bzw. durch die Anwendung der schematisierten Kategorie Ursache-Wirkung zeitlich bestimmte Abfolgen in der Erfahrungswelt hergestellt werden. 26 Ob dieser Unterschied tatsächlich als eine hinreichende Bedingung für ein solches Unterscheidungskriterium gelten kann, ist umstritten u. a. von Broad (1925–26), 200. 27 Was genau als Ursache fungiert, ist damit noch nicht ausgemacht. Damit ist nicht z. B. nicht gesagt, dass der vorherige Zustand an einem Objekt die Ursache für den neuen Zustand an demselben Objekt ist. Was den Zustandswechsel kausal hervorbringt, steht also noch nicht a priori fest. 28 Dass die Ursache der Wirkung zeitlich vorhergehen muss, scheint Kant also für eine begriffliche Wahrheit zu halten. Gegen die Annahme, dass Ursache und Wirkung doch auch empirisch zugleich stattfinden könnten und dass wir Ursache und Wirkung auf empirischer Ebene doch auch oft als zugleich stattfindend vorfinden, spricht sich Kant in der zwei-

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Das Schiff, das sich zunächst oberhalb des Flusses befindet und später unterhalb des Flusses, ist eine solche im Grundsatz angesprochene Veränderung. Es verändert seinen räumlichen Zustand und dieser Zustandswechsel muss unter Voraussetzung der Geltung des Kausalprinzips verursacht worden sein. Wir werden Kant zufolge dadurch dazu genötigt, die Wahrnehmungen eines kausal bestimmten Erfahrungsinhalts in einer bestimmten Reihenfolge zu apprehendieren (vgl. KrV, A 196 / B 242). Denn wir müssen in diesem Fall »die subjektive Folge der Apprehension von der objektiven Folge der Erscheinungen ableiten« (KrV, A 193 / B 238). Dies bedeutet aber wiederum nichts anderes, als dass wir die subjektive Wahrnehmungsfolge als in der objektiven Folge der Veränderung der Zustände gegründet ansehen müssen. Dementsprechend ist Kant zufolge unsere Wahrnehmungsfolge im Falle objektiver Veränderungen festgelegt. Nun reicht diese grobe Rekonstruktion sicherlich nicht hin, um das Argument wirklich verständlich zu machen. Vor allem die Rekonstruktion von These fünf ist noch lückenhaft. Sie macht Voraussetzungen, die ich an dieser Stelle nicht weiter explizieren kann, aber doch kurz benennen möchte. Sie lassen sich gut über einen gängigen Einwand gegen Kants Argument in der zweiten Analogie erschließen. So wirft etwa Strawson Kant vor, dass Kant aus der Festgelegtheit der Reihenfolge unserer Wahrnehmungsakte, die objektive Veränderungen zum Inhalt haben, einfach auf die Geltung des Kausalprinzips für die Gegenstände der Natur schließt.29 Es sei aber nicht ersichtlich, wieso Letzteres aus Ersterem folgen soll, bzw. folgt dies laut Strawson schlicht nicht. Strawson kritisiert also diesen unmittelbar scheinenden Schluss von der Bestimmtheit der Wahrnehmungsfolge auf die kausale, d. i. gesetzmäßige Ordnung der Veränderungen der Erfahrungswelt. So schreibt Strawson, Kant glaube fälschlicherweise, dass »to conceive this order of perceptions as necessary is equivalent to conceiving the transition or change from A to B as itself, as falling, that is to say, under a rule or law of causal determination«.30 Es ist Strawson zufolge also unklar, wieso der Schluss von der durch das Kausalprinzip festgesetzten Reihenfolge unserer Wahrnehmungsabfolgen auf die ten Analogie der Erfahrung aus (vgl. KrV, A 201–203/B 247–249). Dabei unterscheidet Kant in seiner Erwiderung zwischen Ordnung und Ablauf der Zeit : So widerspricht er nicht der Behauptung, dass wir Ursache und Wirkung auch oft als zugleich stattfindend erfahren ; dass also der zeitliche Ablauf des ursächlichen Ereignisses mit dem zeitlichen Ablauf des als Wirkung fungierenden Ereignisses überschneiden und also beide zugleich stattfinden könnten. Dies widerspricht Kant zufolge nicht der Aussage, dass Ursache und Wirkung in einem zeitlichen Verhältnis des notwendigen Vorhergehens der Ursache vor der Wirkung stünden ; dass die Ursache – wenn auch in einem noch so verschwindend geringen Zeitraum – vor der Wirkung eingesetzt habe müsse. Beide Annahmen sind also kompatibel. 29 Vgl. Strawson (1966), 138. 30 Strawson (1966), 138. Zu Strawsons Kritik an Kants Begründung des Kausalprinzips siehe auch Thöle (1991), 140–176, bes. 165–176.

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kausale Determiniertheit der objektiven Veränderungen selbst gültig sein soll. Ich denke, dass es für die Diskussion dieser Problematik hilfreich ist, sich zu fragen, was mit dem Objekt, dem zugesprochen wird, dass es unter Kausalitätsbedingungen steht, eigentlich gemeint sein kann. Denn sicherlich kann das in Frage stehende Objekt nicht unabhängig von transzendentalphilosophischen Voraussetzungen verstanden werden. Es ist also kein von unserer eigenen Verstandesaktivität vollkommen unabhängiges Objekt. In diesem Falle wäre Kant tatsächlich ein non-sequitur vorzuwerfen. Wenn die Anwendung des Kausalprinzips aber  – wie hervorgehoben  – als Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung verstanden werden muss, dann ist es unter Voraussetzung der Geltung transzendentaler Argumente ein konstitutives Prinzip a priori. Gemäß unserer Deutung in Abschnitt 2.1.1 macht es als dieses konstitutive Prinzip a priori die Erfahrungsgegenstände erst zu dem, was sie sind. Im Falle des Kausalprinzips heißt dies, dass ein Gegenstand nur dann ein Erfahrungsgegenstand für uns sein kann, wenn Veränderungen an diesem zeitlich kausal bestimmt sind. Damit ist der Schluss auf die Erfahrungsgegenstände jedoch kein non-sequitur, sondern beruht auf transzendentalphilosophischen Voraussetzungen, die zur Darstellung der Plausibilität des Arguments eigens zu diskutieren wären. Eine Diskussion dieser Problematik würde jedoch an dieser Stelle zu weit führen, deswegen belasse ich es bei dieser kurzen Benennung eines Interpretationsvorschlages.31 Im Folgenden wird es mir um die Problematik der Implikationen des Kausalprinzips gehen, da wir über eine Darstellung dessen, welche Form von Kausalität in der zweiten Analogie angesprochen ist, den Ort von Vernunft- und Zweckmäßigkeitsprinzipien im darauffolgenden Kapitel diskutieren können. 2.2.2 Die Implikationen des Kausalprinzips In der Debatte um die Implikationen von Kants Deutung des Kausalprinzips werden vor allem zwei Versionen desselben prominent vertreten, die in der Forschungsliteratur durch die Klassifikation von schwacher und starker Version voneinander unterschieden werden. Wie wir sehen werden, impliziert gemäß der schwachen Version der Nachweis der Geltung des Kausalprinzips nicht, dass die Natur selbst gesetzmäßig verfasst ist. Gemäß der starken Version soll die zweite Analogie dagegen zeigen, dass die gesetzmäßige Verfassung der Natur der Fall ist. Wie bereits in der Einleitung hervorgehoben, haben sich zwei verschiedene Lesarten der zweiten Analogie etabliert : die metaphysische Lesart und die epistemologische Lesart. Vertreter*innen der metaphysischen Lesart begreifen den 31

Zu dieser Diskussion siehe Allison (1983), 226–234. Thöle (1991), 165–176.

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Gedankengang in der zweiten Analogie als den Nachweis eines begrifflichen Zusammenhangs zwischen einer objektiven Folge und dem Kausalprinzip ; mit der epistemologischen Lesart wird dagegen der Gedanke verfolgt, dass wir die Geltung des Kausalprinzips benötigen, um objektive Zeitverhältnisse überhaupt erkennen zu können. Ich möchte nun an dieser Stelle nicht explizit für eine Lesart des Arguments in der zweiten Analogie argumentieren. Ich denke vielmehr, dass die Lesarten nicht gegeneinander ausgespielt werden können, sondern wir im Sinne von Watkins eine hybride Version beider Lesarten benötigen, da Kant mit seinem trans­ zendentalphilosophischen Projekt klar metaphysische und erkenntnistheoretische Ziele verfolgt. Denn gefragt ist in der Kritik der reinen Vernunft nach der ontologischen Struktur, die Erkenntnis über Erfahrungsgegenstände ermöglicht. Kants These ist, dass bestimmte Begriffe, die Erfahrungsgegenstände erst zu dem machen, was sie sind, und dass diese Begriffe diejenigen sind, die Bedingungen der Erkenntnis von Erfahrungsgegenständen sind. In der zweiten Analogie geht es im Besonderen um ein Herausarbeiten der Bedingungen der Möglichkeit unseres Wissens objektiver zeitlicher Bestimmungen. Diese haben im transzendentalphilosophischen Rahmen ontologisches Gewicht, insofern diese die Gegenstände der Erfahrung erst zu dem machen, was sie sind. Diese Diskussion werde ich an dieser Stelle jedoch nicht vertiefen, da es mir im Folgenden vielmehr darum geht zu zeigen, dass beide Lesarten für die starke Version des Kausalprinzips sprechen.32 Denn wie ich argumentieren werde, legt die metaphysische Lesart der zweiten Analogie die starke Lesart aus exegetischen Gründen sehr nahe, auch wenn auf Grundlage der metaphysischen Lesart tatsächlich Raum für eine Diskussion der schwachen Lesart ist. Vertreter*innen der epistemischen Lesart dagegen müssen sich auf die starke Version der zweiten Analogie festlegen. 2.2.2.1 Die schwache Version des Kausalprinzips Ausgehend von Buchdahls Überlegungen ist die schwache Version des Kausalprinzips in der metaphysischen Lesart der zweiten Analogie in Abwandlungen immer wieder vertreten worden – so zum Beispiel von Beck und Breitenbach.33 Was aber besagt nun die schwache Lesart des Kausalprinzips eigentlich ? Vgl. dazu auch die Überlegungen von Watkins zur Rechtfertigung einer hybriden Version beider Lesarten der zweiten Analogie ; Watkins (2005), 196–202. 33 Siehe Buchdahl (1969), 341–374. Beck (1981), 43–56. Buchdahl (1992), 193–242. Breitenbach sieht beide Lesarten durch Kants Argumentation in der zweiten Analogie gut gestützt, doch sympathisiert sie mit der schwächeren Lesart, da sie den Anhang zur Transzendentalen Dialektik und die Einleitungen in die Kritik der Urteilskraft derart liest, dass durch den 32

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Buchdahl zufolge impliziert das Kausalprinzip weder die Gesetzmäßigkeit der Natur noch impliziert es, dass jede objektive Veränderung ein Fall einer kausalen Veränderung sein muss. Denn Buchdahl zufolge geht es Kant in der zweiten Analogie lediglich darum, zunächst einmal allein den Begriff zu bestimmen, der zufällig angeordnete Wahrnehmungsfolgen notwendig festlegt, und diesen als den Begriff der Kausalität freizulegen. Damit sei Kant aber noch keine Verpflichtungen eingegangen über objektive Veränderungen in der Natur selbst. Mit der Einführung des Kausalprinzips in der zweiten Analogie habe uns Kant demnach allein »with the necessary language in terms of which we can claim that some given state of affairs is objective«34 ausgestattet. Dass also das Begriffspaar Ursache-Wirkung den Gegenständen der Natur bei Zustandswechseln tatsächlich zukommt, ist an dieser Stelle Buchdahl zufolge noch gar nicht gezeigt, noch ist bewiesen, dass die Natur gesetzmäßig verfasst ist. Vielmehr sei es erst Aufgabe der Vernunftprinzipien und des in der dritten Kritik eingeführten Zweckmäßigkeitsprinzips, hypothetische Annahmen zur Gesetzmäßigkeit der Natur zu erstellen. Dass die Natur aber überhaupt gesetzmäßig verfasst ist, wird durch keines dieser Prinzipien garantiert.35 Dies ist eine Lesart, die zwar z. B. Strawsons Vorwurf nicht trifft, da es in der zweiten Analogie gemäß Buchdahls Lesart gar nicht Kants Beweisziel ist, die Geltung des Kausalprinzips für die Gegenstände der Natur nachzuweisen, meines Erachtens widerspricht sie jedoch dem systematischen Gedankengang in der transzendentalen Analytik. Denn Buchdahls Lesart zufolge gibt es keine Garantie weder durch Kants Argumentation in der zweiten Analogie noch durch die im Anhang zur Transzendentalen Dialektik freigelegten Vernunft- und Zweckmäßigkeitsprinzipien, dass die Natur tatsächlich kausal verfasst ist. Kant vertritt aber bereits mit dem Ende der transzendentalen Analytik und damit mit der Darlegung der Grundsätze der Erfahrung die These der Einheit der Erfahrung (vgl. KrV, A 158 / B 197, A 177 / B 218, A 181 / B 223 f., A 216 / B 263). Und diese besteht in dem Nachweis einer durchgängigen Ordnung der Gegenstände der Natur, die u. a. durch den Nachweis der Geltung des Kausalprinzips für die Gegenstände der Natur etabliert wird. Kants Beweisziel in der transzendentalen Analytik im Allgemeinen liegt also darin, die durchgängige kausale Bestimmtheit der Gegenstände der Erfahrung aufzuzeigen. Im Gegensatz zu Buchdahl denke ich also auch nicht, dass Kant die These der Existenz von Kausalgesetzen durch Vernunft- und Zweckmäßigkeitsprinzipien nur regulativ begründet wissen will. Die Aufgabe von Vernunftprinzipen und des Zweckmäßigkeitsprinzips liegt nicht darin, die Kausalität der Natur zur regulativen Gebrauch der Ideen bzw. der reflektierenden Urteilskraft die Gesetzmäßigkeit empirischer Gesetze hergestellt wird. Vgl. Breitenbach (2009), 28–33. 34 Vgl. Buchdahl (1992), 201. 35 Vgl. Buchdahl (1969), 343. Buchdahl (1992), 193–242.

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Etablierung von Kausalgesetzen vorauszusetzen. Vielmehr liegt sie – wie ich im nächsten Kapitel zeigen werde – in der Etablierung der Voraussetzung der Erkennbarkeit der empirischen Kausalgesetze. Buchdahls sehr schwache Lesart der zweiten Analogie kann deswegen nicht überzeugen. Beck dagegen vertritt eine stärkere Lesart der schwächeren Version, indem er zwischen zwei Bedeutungen der Geltung des Kausalprinzips unterscheidet. Er unterscheidet mit Hume zwischen dem allgemeinen Kausalprinzip, dem Prinzip, welches besagt, dass jedes Ereignis eine Ursache hat, und dem »Regelmässigkeitsprinzip« (im Folgenden : Uniformitätsprinzip), dem Prinzip, welches besagt, dass die gleiche Ursache die gleiche Wirkung hat.36 Die schwache Lesart ist demnach diejenige, gemäß der Kant in der zweiten Analogie die Gültigkeit allein des allgemeinen Kausalprinzips »Jedes Ereignis hat eine Ursache« beweisen wollte, während die starke Lesart besagt, dass Kants Nachweis in der zweiten Analogie auch das Uniformitätsprinzip impliziert, gemäß demselben gleiche Ursachen die gleichen Wirkungen haben. Es ist Beck zufolge das erste Prinzip, das in der zweiten Analogie nachgewiesen werden soll, und nicht das zweite.37 Da Vertreter*innen der starken Version des Kausalprinzips das zweite Prinzip zu etablieren suchen, lässt sich Beck als Vertreter der schwachen Lesart lesen, der sich aber in einem wesentlichen Punkt von Buchdahl unterscheidet : Es gibt eine durchgehende kausale Determiniertheit der Natur oder zumindest ist diese das Beweisziel der zweiten Analogie. Dieser Lesart zufolge ist also durch den Nachweis der Geltung des Kausalprinzips in der zweiten Analogie nicht garantiert, dass gleichartige Ursachen auch gleichartige Wirkungen hervorbringen, sodass die einzelnen kausalen Ereignisse38 letztlich kausalen Ereignistypen untergeordnet werden können. Damit ist durch die zweite Analogie dementsprechend auch nicht garantiert, dass die empirische Natur eine gesetzmäßig verfasste Ordnung aufweist, denn eine Gesetzmäßigkeit der Natur würde voraussetzen, dass wir einzelnen UrsacheWirkungsabfolgen Ursachen- bzw. Wirkungstypen zuordnen können. Wollen wir beispielsweise den Fall eines Apfels erklären, so referieren wir darauf, dass dieser aufgrund des Gravitationsgesetzes zu Boden fällt. Wir deuten dabei den Fall des Apfels als ein einzelnes Ereignis, das Ausdruck der Gravitationskräfte ist, und subsumieren dieses Ereignis als unter dem Gesetz der Gravitation stehend, welches nicht nur für den Fall des Apfels gelten soll. Da diese Form der Gesetzmäßigkeit allein durch die Etablierung des Kausalprinzips Beck zufolge nicht gewährleistet ist, charakterisiert Allison, selbst ein Vertreter der schwachen Lesart, diesen Fall als den einer durch die Analytik der Vgl. Beck (1981), 43. Vgl. Beck (1981), 47. 38 Ereignisse fasse ich hier als Zustandsänderungen von Objekten. 36 37

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Grundsätze garantierten transzendentalen Ordnung bei der dennoch bestehenden Möglichkeit eines empirischen Chaos.39 So wäre es trotz der Geltung des Kausalprinzips möglich, dass es keine regelmäßigen Ursache-Wirkungsabläufe in der Natur gäbe. Und Breitenbach, die sich selbst dieser schwachen Lesart zurechnet, schließt daraus konsequenterweise, dass wir uns gemäß dieser Lesart allein durch den Nachweis der Gültigkeit des Kausalprinzips nicht sicher sein können, welche Folgen das Verspeisen eines Brötchens, das Einsteigen in die ­U-Bahn oder das Einschlafen am Abend hätte.40 Vertreter*innen dieser schwachen Lesart zufolge ist es Aufgabe der Vernunft, in ihrem regulativen Gebrauch sowie der reflektierenden Urteilskraft nicht nur nach bestimmten empirischen Gesetzen in der Natur, sondern nach einer Gesetzmäßigkeit überhaupt zu suchen, indem wir durch den Gebrauch beider Vermögen auf gesetzmäßige Abfolgen in der Natur schließen.41 Doch wie bereits benannt, denke ich nicht, dass Kant die Gesetzmäßigkeit der Natur regulativ begründet wissen will. 2.2.2.2 Die starke Version des Kausalprinzips Ob das allgemeine Kausalprinzip das Uniformitätsprinzip und damit die Gesetzmäßigkeit der Natur tatsächlich bereits begrifflich impliziert oder nicht, ist eine offene Frage, der ich hier nicht weiter nachgehen möchte. Zumindest Kant jedoch – so möchte ich nun zeigen – scheint eine solche begriffliche Implikation herzustellen. Der Nachweis der Geltung des Kausalprinzips soll also implizieren, dass gleichen Ursachentypen gleiche Wirkungstypen folgen. Der Nachweis der Geltung des Kausalgesetzes sichert demgemäß, dass jedes Ereignis in der Natur ein spezieller Fall einer bestimmten Ursache-Wirkungs-Verknüpfung ist. Mit diesem ist also a priori gezeigt, dass der Natur eine Gesetzmäßigkeit, eine gleichartige Abfolge von Ursache- und Wirkungsereignissen, unterliegt. Und genau hierauf scheint nicht nur Kants Beschreibung des Kausalprinzips in der A-Auflage zu verweisen, welche sich explizit auf die Regelhaftigkeit des Kausalprinzips beruft,42 sondern auch folgende Passagen in der zweiten Analogie lassen sich zum Beleg der starken Version des Kausalprinzips heranziehen :

Vgl. Allison (2001), 38. Vgl. Breitenbach (2009), 28. 41 Im nächsten Kapitel werde ich spezifischer auf die regulativen Vernunftprinzipien sowie auf das in den Einleitungen zur Kritik der Urteilskraft eingeführte Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur eingehen. 42 Vgl. KrV, A 189 : »Alles, was geschieht (anhebt zu sein), setzt etwas voraus, worauf es nach einer Regel folgt«. 39

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»Nach einer solchen Regel [die für das Bestimmen objektiver Zeitfolgen gesucht wird, KK.] also muß in dem, was überhaupt vor einer Begebenheit vorhergeht, die Bedingung zu einer Regel liegen, nach welcher jederzeit und notwendiger Weise diese Begebenheit folgt ; umgekehrt aber kann ich nicht von der Begebenheit zurückgehen, und dasjenige bestimmen (durch Apprehension), was vorhergeht.« (KrV, A 193 f. / B 238 f.) »Wenn ich also wahrnehme, dass etwas geschieht, so ist in dieser Vorstellung erstlich enthalten : daß etwas vorhergehe, weil eben in Beziehung auf dieses die Erscheinung ihr Zeitverhältnis bekommt, nämlich, nach einer vorhergehenden Zeit, in der sie nicht war, zu existieren. Aber ihre bestimmte Zeitstelle in diesem Verhältnisse kann sie nur dadurch bekommen, daß im vorhergehenden Zustande etwas vorausgesetzt wird, woraus es jederzeit d. i. nach einer Regel folgt ; woraus sich denn ergibt, daß ich erstlich nicht die Reihe umkehren, und das, was geschieht, demjenigen voransetzen kann, woraus es folgt ; zweitens daß, wenn der Zustand vorhergeht, gesetzt wird, diese bestimmte Begebenheit unausbleiblich und notwendig folge.« (KrV, A 198 / B 243 f.)

Aus diesen Passagen geht deutlich hervor, dass Kant selbst eine begriffliche Verknüpfung zwischen dem Begriff der Gesetzmäßigkeit und dem der Kausalität zieht. Kant muss hier klarerweise Ursachentypen und Wirkungstypen im Auge haben, denn wie soll die Wirkung B jederzeit aus der Ursache A folgen können, wenn die Etablierung des Kausalprinzips allein die Gleichartigkeit von Ursacheund Wirkungsverhältnissen nicht garantiert ? Ferner wird deutlich, dass Kant zufolge eine kausale Abfolge eines Ereignisses A aus einem Ereignis B genau dann vorliegt, wenn beide Ereignisse durch ein Kausalgesetz verbunden sind und sie also einzelne Vorkommnisse (token) eines allgemeineren Vorkommnistyps sind. Denn nur dann kann die Wirkung aus der Ursache jederzeit und nach einer Regel folgen. Das Zünden einer Bombe etwa ist dann insofern ein kausales Ereignis, als es ein einzelnes Ereignis ist, welches unter der Gesetzmäßigkeit eines allgemeineren Ereignistyps steht. Bomben werden gerade unter der Ausnutzung bestimmter Gesetzmäßigkeiten, die wiederum in der Wiederholbarkeit von Ereignissen bestehen, hergestellt. Wie Friedman herausstellt, denke auch ich, dass die begriffliche Beziehung des allgemeinen Kausalprinzips mit dem Uniformitätsprinzip bei Kant über den Begriff der Notwendigkeit hergestellt wird und dass Kant unter anderem in der Postulatenlehre darauf verweist.43 Dort schreibt Kant, dass die

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Vgl. Friedman (1992), 171.

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»Notwendigkeit […] die Verhältnisse der Erscheinungen nach dem dynamischen Gesetze der Kausalität [betrifft], und die darauf sich gründende Möglichkeit, aus irgend einem gegebenen Dasein (einer Ursache) a priori auf ein anderes Dasein (der Wirkung) zu schließen. Alles, was geschieht, ist hypothetisch notwendig : das ist ein Grundsatz, welcher die Veränderungen in der Welt einem Gesetze unterwirft, d. i. einer Regel des notwendigen Daseins« (KrV, A 228 / B 280).

Die zweite und die dritte Analogie, welche Kant als dynamische Grundsätze bezeichnet, etablieren, wie Kant schreibt, Gesetze der Kausalität. Und es scheint mir eine Sinnbedingung von ›Gesetzen‹ zu sein, dass zumindest prinzipiell Ereignistoken unter Ereignistypen subsumiert werden können.44 Die kausale Verknüpfung ist für Kant demnach dann eine notwendige, wenn sie die Wiederholbarkeit des Ereignisses in dem Sinne impliziert, dass bei einer Ursache des Typs K immer eine Wirkung des Typs L eintritt. Es ist also zumindest nicht klar, was ›notwendig‹ eigentlich heißen soll, wenn nicht auf die Allgemeinheit und Regelmäßigkeit des Prozesses in der Natur verwiesen wird. Und bezeichnenderweise gehen Vertreter*innen der schwachen Lesart à la Beck wie beispielsweise Breitenbach auch gar nicht darauf ein, was die notwendige Verknüpfung zweier Ereignisse ihrer Lesart gemäß bedeuten soll. So meint Breitenbach, dass der Begriff der Kausalverknüpfung lediglich die Notwendigkeit und Bestimmtheit der Folge, aber nicht die Wiederholbarkeit erfordere, ohne präziser zu erläutern, was unter einer solchen Notwendigkeit eigentlich zu verstehen ist.45 Verfolgt man eine metaphysische Lesart, ist also die starke Version des Kausalprinzips besser gerechtfertigt als die schwache Version desselben. Verfolgt man die epistemologische Lesart, so kommt man meines Erachtens gar nicht umhin, Advokat*in der starken Version des Kausalprinzips zu sein. Wenden wir uns dieser Lesart im Folgenden zu. Gemäß der epistemologischen Lesart muss das Kausalprinzip für die Gegenstände der Natur gelten, weil wir sonst nicht in der Lage wären, Kausalgesetze als Kausalgesetze zu erkennen. Wie ich argumentieren werde, lässt sich eine solche epistemologische Lesart nur verfolgen, wenn man zugleich für die starke Version des Kausalprinzips eintritt. Denn gelte die schwächere Version des Kausalprinzips, so ist aus epistemischer Sicht unklar, inwiefern wir bei nicht-regelmäßiger Instanziierung von Dies schließt nicht aus, dass wir einen Ereignistyp unter ein Gesetz bringen können, selbst wenn es der einzige Fall ist, den wir kennen, der unter dieses Gesetz fällt. Denn selbst wenn ein Gesetz bisher nur einmal instanziiert ist, handelt es sich doch gerade deswegen um ein Gesetz, weil wir annehmen, dass unter den gleichen Bedingungen sich das gleiche Ereignis wiederholt. 45 Breitenbach (2009), 20. 44

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Ursache-Wirkungs-Verhältnissen bestimmte Kausalverhältnisse überhaupt als Kausalverhältnisse erkennen könnten. Angenommen, ich zünde eine Bombe und sie explodiert. Woher sollten andere wissen – ja woher sollte ich selbst wissen – , dass das Zünden der Bombe schuld an der Explosion war und nicht die rote Farbe meines Pullis die Explosion verursacht hat ? Es gäbe – unter der Voraussetzung der Geltung der schwächeren Version des Kausalprinzips – schließlich keine Möglichkeit zu überprüfen, ob das Zünden der Bombe die Explosion verursacht hat. Denn dies setzt die Gesetzmäßigkeit, d. i. den gleichartigen Ablauf von Ursache-Wirkungs-Beziehungen, voraus. Ich muss voraussetzen können, dass das Zünden der Bombe auch in anderen Fällen die Explosion derselben zur Folge hat, um zu überprüfen, ob das Zünden der Bombe die Explosion tatsächlich verursacht hat, und zu dieser Überprüfung bin ich nur in der Lage, wenn das Uniformitätsprinzip gilt. Akzeptieren wir, dass die zweite Analogie der Erfahrung ein Unterscheidungskriterium der subjektiv zeitlichen Verhältnisse unserer Wahrnehmungen zu den dem Objekt tatsächlich zukommenden zeitlichen Verhältnissen bereitstellen soll, so kann die schwächere Version aus epistemischer Sicht ein solches Kriterium also nicht liefern. Die stärkere Version bietet ein solches Unterscheidungskriterium an, nämlich – wie auch Guyer ausführt – durch den Verweis auf empirische Kausalgesetze.46 Wie wir sagten, sind die subjektiv-zeitlichen Verhältnisse unserer Wahrnehmungsakte zufällig. Die Reihenfolge der Verknüpfung der Wahrnehmungsinhalte ein- und desselben Gegenstandes der Erfahrung, kann sich also je nach meinem räumlich-zeitlichen Standpunkt etc. unterscheiden. Und nicht nur meine Reihenfolge der Verknüpfung kann variieren, sondern auch die Reihenfolge der Verknüpfungen der Wahrnehmungsinhalte meiner Mitmenschen kann dementsprechend variieren. Sie könnten Wahrnehmungsinhalte also in anderen Reihenfolgen verknüpfen, als ich selbst sie verknüpfe. Erfahrung, d. i. empirische Erkenntnis eines Gegenstandes, ist nun aber wesentlich daran gebunden, dass Objekte bzw. deren Zustandsänderungen in objektiven zeitlichen Ordnungen stehen, da nur auf diese Weise von jeweils einzelnen Subjekten wahrgenommene Ereignisse für andere nachvollziehbar werden. Denn meine Mitmenschen haben keinen Zugang zu den zeitlichen Verhältnissen meiner eigenen Wahrnehmungsakte, sondern erfahren nur aus Erzählung erster oder dritter Hand von diesen. Für eine Erkenntnis objektiver Veränderung muss aber eine intersubjektive Zugänglichkeit dieser Veränderung gewährleistet sein. Wenn ich etwa an einem Ort Überreste eines Flugzeuges, Koffer und Leichname sichte und darauf schließe, dass ein Flugzeug abgestürzt ist, und dies anderen mitteile, so können andere prinzipiell überprüfen, ob der Eintritt des ursächlichen Ereignis46

Vgl. Guyer (1987), 248.

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ses tatsächlich plausibel ist, und daraufhin diesem Eintritt empirisch nachgehen. Diese Überprüfung und überhaupt das Schließen von den Überresten eines Flugzeugs auf einen Flugzeugabsturz sind jedoch nur unter Voraussetzung der Geltung bestimmter empirischer Kausalgesetze möglich.47 Unterscheiden kann ich die zeitliche Reihenfolge meiner subjektiven Wahrnehmungen dieses Unfalls von den tatsächlich objektiven zeitlichen Verhältnissen, in denen der Unfall passiert ist, nur dann, wenn ich die entsprechenden Kausalgesetze kenne oder – wenn ich sie noch nicht kenne – zumindest voraussetzen kann, dass es welche gibt. Würde ich durch eine optische Täuschung wahrgenommen haben, dass dasselbe Flugzeug, dessen Überreste ich gesichtet habe, unmittelbar nach der Sichtung der Überreste wieder in die Luft gestartet wäre, so lieferte mir die Kenntnis der zugrundeliegenden Kausalgesetze den Nachweis, dass dies nicht möglich ist. Denn aufgrund von Kausalgesetzen weiß ich, dass das Flugzeug vielmehr zwar im noch intakten Zustand abgestürzt sein muss, aber nach dem Absturz nicht mehr intakt abgehoben – geschweige denn überhaupt abgehoben – sein kann. Aufgrund der geltenden Kausalgesetze weiß ich demnach in diesem Fall, dass die Reihenfolge meiner Wahrnehmungen nicht der zeitlichen Reihenfolge der Tatsachen entspricht.48 Nun könnten Vertreter*innen der schwächeren Lesart erwidern, dass sie nicht behaupten, dass es gar keine gleichartig ablaufenden Ursache-Wirkungs-Verhältnisse gibt. Sie behaupten lediglich, dass dies nicht über die zweite Analogie garantiert wird und dementsprechend die Gesetzmäßigkeit der Natur nicht aus der zweiten Analogie abgeleitet werden kann. In dem Gebrauch unserer regulativen Vernunftprinzipien und der reflektierenden Urteilskraft würden wir Kant zufolge aber voraussetzen, dass es solche Gleichartigkeit der Ursache-Wirkungsabläufe gibt, und sie dementsprechend induktiv in der empirischen Natur aufsuchen. Wofür ich jedoch argumentiert habe, ist, dass es ein Unterscheidungskriterium von subjektiven und objektiven Zeitfolgen nur unter Voraussetzung der Geltung kausaler Gesetze geben kann und dass es Ziel der zweiten Analogie ist, dieses Unterscheidungskriterium zu liefern. Ich sehe nicht, wie durch die schwache Lesart ein solches Unterscheidungskriterium geliefert werden könnte. Darauf könnten Vertreter*innen der schwachen Lesart wiederum erwidern, dass die obige Argumentation eine starke These beinhaltet, d. i. die des Verweises auf empirische Kausalgesetze, die selbst angezweifelt werden kann. Diese These besagt aber erstens nicht, dass ich a priori alle empirischen Kausalgesetze kennen muss, um subjektive von objektiven Zeitfolgen unterscheiden zu können. Sie besagt lediglich, dass ich die Existenz empirischer Kausalgesetze voraussetzen muss, um ein Unterscheidungskriterium zu erhalten, und diese Vor47

Zur intersubjektiven Mitteilbarkeit siehe auch Tetens (2006), 154. Dieselbe Argumentationslinie verfolgt auch Guyer (2017), 51.

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aussetzung ist nur unter der Annahme der Geltung der stärkeren Version des Kausalprinzips plausibel. Unter Voraussetzung der schwächeren Version des Kausalprinzips ist es schwierig zu sehen, inwiefern Naturgesetze überhaupt als solche erkannt werden können. Um dies zu verdeutlichen, ist es sinnvoll, das zu Beginn dieses Abschnittes angesprochene Verhältnis von Kants Argumentation für die Geltung des Kausalprinzips zu Humes Kausalitäts- und Induktionsskeptizismus zu betrachten.49 Denn gemäß der schwachen Lesart ist überhaupt nicht klar, inwiefern Kant eigentlich auf Humes Kausalitäts- und Induktionsskeptizismus antwortet. Humes Kritik lautet, dass wir allein auf Grundlage der Wahrnehmung, durch passives Aufnehmen von Gegenständen und Ereignissen in der Welt, die Notwendigkeit der Kausalverknüpfung, von der wir nicht nur in den Naturwissenschaften ausgehen, nicht nachweisen können. Denn wir nehmen schlicht keine solchen kausalen Verbindungen wahr. Hume schließt daraus, dass uns Gewohnheit dazu führt, auf kausale Verknüpfungen in der Natur zu schließen. Aus der Tatsache, dass wir immer wieder gleiche Abläufe in der Natur erfahren, schließen wir, dass es sich um kausale Prozesse handeln müsse. Dies sei jedoch nicht mehr als eine Assoziation aufgrund von Gewohnheit ; bisher war es schlicht immer so, dass diese Abläufe gleich abgelaufen sind, aber dies zeige nicht, dass es sich notwendigerweise so verhalten muss.50 Dieser Kritik Humes folgt eine weitere Kritik an induktiven Schlüssen auf Gesetzmäßigkeiten in der Natur.51 In diesen wird aus der Beobachtung einzelner Abläufe in der Natur und durch das Beobachten eines regelmäßigen gleichartigen Ablaufs verschiedener Ereignisse auf einen gemeinsamen Ereignistyp und damit induktiv auf Naturgesetze geschlossen. Humes Argumentation lautet an dieser Stelle, dass wir die beobachteten regelmäßigen Abläufe in der Natur nicht nur nicht kausal begründen können, sondern dass wir auch nicht auf die Gesetzesmäßigkeit dieser Abläufe schließen können.52 Denn wir müssen die möglichen Gesetzen zugrunde liegende Gleichartigkeit der Ursache-Wirkungsabfolge, auf die wir induktiv schließen, immer schon zu ihrer Begründung voraussetzen.53 Damit gehen wir jedoch schon von der Regelmäßigkeit der natürlichen Abläufe aus, die wir doch gerade durch das Finden von Naturgesetzen begründen wollen. Dies bedeutet nicht,

Vgl. 37. Vgl. Hume (2015), 37–41. 51 Vgl. Hume (2015), 42–49. Insofern Francis Bacon die induktive Vorgehensweise zu der Vorgehensweise der Naturwissenschaften überhaupt erklärt hat, impliziert Humes Kritik eine Kritik an der Rationalität der aus der Forschung der Naturwissenschaften hervorgehenden Ergebnisse überhaupt. 52 Vgl. Hume (2015), 42. 53 Vgl. Hume (2015), 47 f. 49

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dass wir Hume zufolge nur auf die wahrscheinliche Geltung der durch Induktion gewonnenen Gesetze schließen können, sondern die These Humes ist viel stärker, sie bedeutet, dass ein solcher Schluss jeglicher rationaler Grundlage entbehrt, da wir uns mit diesem in einen Begründungszirkel verfangen.54 Gemäß der schwachen Lesart hätte Kant zwar gegen Hume aufgezeigt, dass die Verknüpfung zwischen Ursache und Wirkung in natürlichen Prozessen eine notwendige sein muss, aber der so verstandene Nachweis der notwendigen Geltung des Kausalprinzips löst das von Hume exponierte Begründungsproblem induktiver Schlüsse auf Gesetzmäßigkeiten in der Natur nicht. Im Gegenteil, Kant geriete in denselben Begründungszirkel, da die Notwendigkeit gleichartiger Ursache-Wirkungsabfolgen a priori nicht gewährleistet ist und so auf die Gleichartigkeit von Ursache-Wirkungsabfolgen nur empirisch und damit durch Induktionsschlüsse geschlossen werden könnte. Eine Begegnung der Hume’schen Kritik aus diesen epistemischen Gesichtspunkten scheint mir deswegen nur dann möglich zu sein, wenn man davon ausgeht, dass durch den Nachweis der Geltung des Kausalprinzips für die empirische Natur auch der Nachweis der Gesetzesmäßigkeit der empirischen Natur a priori geliefert wird. Die epistemologische Lesart der zweiten Analogie liefert so ein schlüssiges Argument für die starke Version des Kausalprinzips. 2.2.3 Umfang und Grenzen des durch das Kausalprinzip etablierten Bilds der Natur Ziel des Beweisganges in den Analogien der Erfahrung ist meiner Argumentation zufolge der Nachweis, dass der Natur eine prinzipiell einheitliche gesetzliche Ordnung unterliegt und dass wir die Geltung dieser prinzipiellen Ordnung a priori begründen können. Dies bedeutet nun aber erstens nicht, dass der Gehalt dieser Gesetzmäßigkeit einer ist, den wir a priori herleiten können, sowie zweitens durch den Nachweis in der zweiten Analogie nicht gewährleistet ist, dass wir durch Forschung empirische Gesetzmäßigkeiten zu erkennen vermögen. Wir wissen zwar, dass jede objektive Veränderung verursacht wurde, dennoch ist dies kein Wissen de re, sondern nur ein Wissen de dicto. Wir wissen, dass es ein X gibt, das die Ursache für die uns gegebene objektive Veränderung ist, wir wissen aber nicht a priori, was dieses X ist. Entweder haben wir Glück und nehmen ein X wahr, das wir zugleich als Ursache identifizieren können ; oder wir machen die auf apriorisches Wissen gestützte Annahme eines Elements X, das aber bereits noch nicht wahrgenommen ist und insofern als (noch) un54

Siehe auch Streminger (1994), 118–125.

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Die Etablierung des Kausalprinzips

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bekannte Ursache gelten muss. Es ist Aufgabe der empirischen Forschung, die jeweiligen Ursachen zu finden. Auch wenn wir a priori wissen, dass die Natur eine durchgehend kausal determinierte ist, so bedeutet das also nicht, dass wir die in der Kausalkette stehenden Elemente bereits kennen. Wir erkennen über die rein konstitutiven Grundsätze der Erfahrung keine bestimmten empirischen Objekte ; sie sagen uns nur etwas darüber aus, wie diese Objekte beschaffen sein müssen. Wir können über die regulativen Grundsätze bzw. in diesem Fall das Kausalprinzip keine empirischen Gesetze inhaltlich bestimmen, doch sagt es uns etwas darüber aus, welche Form empirische Gesetze haben müssen, anhand derer wir mit Objekten geschehende Veränderungen in der Natur erklären und anhand derer wir nach diesen Objekten suchen müssen. Allein durch den Nachweis, dass die Natur durch das Kausalprinzip strukturiert ist und ein einzelnes Ereignis demnach eine Ursache haben muss, kenne ich also noch nicht den empirischen Inhalt der Ursache, ebenso wenig wie ich allein aufgrund des Nachweises der Geltung des Kausalprinzips die empirischen Kausalgesetze kenne, anhand derer ich nach einem solchen Inhalt suchen muss. Ich weiß aber, dass es empirische Kausalgesetze geben muss. Gemäß der hier vertretenen starken Lesart bedeutet der Nachweis, dass es empirische Kausalgesetze geben muss, also weder, dass wir zugleich wissen, welche empirischen Kausalgesetze es gibt, noch welche bestimmten Objekte diesen Kausalgesetzen gehorchen. Wenn wir aber ein Brötchen verspeisen, in die ­U-Bahn einsteigen, oder am Abend einschlafen, so wissen wir, dass dies bestimmten Kausalgesetzen gemäß geschieht. Wir können uns also sicher sein, dass das Verspeisen eines Brötchens am 19.02.2019 ebenso wie das Verspeisen eines Brötchens am 20.02.2019 einen bestimmten Sättigungsfaktor hat. Dies heißt aber nicht, dass wir die diesen Ereignissen unterliegenden Gesetze kennen, noch ist dadurch gesichert, dass wir überhaupt zu einer adäquaten Erkenntnis derselben gelangen können.55 Dies ist und bleibt ein Desiderat der empirischen Forschung. Und hier ist der Ort, an dem Vernunft- und Zweckmäßigkeitsprinzipien ins Spiel kommen.

55

So auch Guyer (2017), 65 f.

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3. Die Voraussetzung der Erkennbarkeit der Natur

D  

as Kausalprinzip ist ein für Erfahrung empirischer Gegenstände notwendiges Prinzip. Der Nachweis der Geltung des Kausalprinzips ist jedoch nicht hinreichend für die Erfahrung empirischer Gegenstände. Denn – so ein Ergebnis des letzten Kapitels  – dieser Nachweis lässt die Natur unterbestimmt : De dicto wissen wir zwar, dass alle empirischen Gegenstände empirischen Kausalgesetzen unterliegen, de re wissen wir aber nicht, wie diese empirischen Kausalgesetze beschaffen sind. Im Anhang zur transzendentalen Dialektik der Kritik der reinen Vernunft sowie in den Einleitungen zur Kritik der Urteilskraft führt Kant nun zwei Prinzipien ein, die wir zur empirischen Nachforschung und damit zum Auffinden von nicht a priori deduzierbaren Kausalgesetzen, d. i. zum Auffinden von empirischen Kausalgesetzen, anwenden : das Prinzip der Systematizität1 und das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur.2 Gemäß diesen Prinzipien sind wir dazu angehalten, nach Kausalgesetzen de re zu suchen und durch deren Auffinden wiederum eine durchgängige Einheit unter unseren empirischen Erkenntnissen zu erstellen. Im Gegensatz zu dem Status des Kausalprinzips als ein objektiv gültiges Prinzip für Erfahrung bezeichnet Kant aber sowohl das Prinzip der Systematizität als auch das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur als nur subjektive, regulative Prinzipien unserer Erkenntniskräfte. Dies hat zur Folge, dass Das Prinzip der Systematizität besteht aus drei Systematizitätsprinzipien, deren Zusammenspiel unseren Erkenntnissen allererst eine systematische Ordnung gibt. Ich verwende im Fließtext den Singular und das Prinzip der Systematiztität dementsprechend als Gattungsbegriff. In Abschnitt 3.2.1 werde ich die einzelnen Prinzipien jeweils vorstellen. 2 In den Einleitungen der Kritik der Urteilskraft umreißt Kant mehrere Anliegen, die er in dieser verfolgt. So leitet er in die Thematik der Einheit von praktischer und theoretischer Philosophie ein, indem er das Vermögen der Urteilskraft als das Prinzip vorstellt, das eine Brücke zwischen beiden Bereichen der Philosophie bauen soll. Zugleich benennt und diskutiert er das Vermögen der Lust und Unlust, zu dem das Erkenntnisvermögen der Urteilskraft zugeordnet sein soll, so wie er die genauere Rolle der Urteilskraft in zwei philosophischen Disziplinen vorstellt, in der Ästhetik und in der Teleologie. Er sucht zudem den Zusammenhang der letzteren beiden Disziplinen zueinander sowie zu dem in der Einleitung eingeführten transzendentalen Zweckmäßigkeitsprinzip der reflektierenden Urteilskraft zu erläutern. Wenn ich im Folgenden die Einleitungen zur Kritik der Urteilskraft heranziehe, wird jedoch nur die Schaffung einer systematischen Einheit durch das transzendentale Prinzip der Zweckmäßigkeit Gegenstand meines Interesses sein. 1

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wir nicht wissen, ob die mit Hilfe dieser Prinzipien von uns geschaffene durchgängige Einheit unserer empirischen Erkenntnisse der Gesetzmäßigkeit der Natur tatsächlich entspricht. Nun ist die Unterbestimmtheit der Natur durch die transzendentalen Verstandesgesetze per se nicht problematisch, sondern schlicht der Tatsache geschuldet, dass wir endliche Wesen sind. Ginge es Kant aber nun in der Einführung dieser Prinzipien nur um die Erkennbarkeit der empirischen Natur und um die Darlegung der Prinzipien, die wir für die empirische Nachforschung anwenden, so wäre unklar, warum diese Darlegung überhaupt innerhalb der Transzendentalphilosophie einen Platz finden sollte. Beide Prinzipien werden aber innerhalb der Transzendentalphilosophie abgehandelt. Kant weist sie dementsprechend als für Erfahrung notwendige Prinzipien aus. Das heißt, sie stellen nicht nur für unseren kognitiven Erkenntnisapparat notwendige Prinzipien dar in dem Sinne, dass sie nun einmal die Prinzipien sind, die uns zur empirischen Nachforschung zur Verfügung stehen, sondern sie sollen jeweils eine erfahrungsermöglichende Funktion innehaben. Dennoch ruft die Einführung beider Prinzipien auf den ersten Blick mehr Verwirrung als Verständnis hervor. Denn erstens ist nicht unmittelbar klar, inwiefern diesen Prinzipien überhaupt ein transzendentaler, d. i. erfahrungsermöglichender Charakter verliehen werden kann, da sie im Gegensatz zu den Kategorien zumindest nicht als für die Erfahrung konstitutive Prinzipien ausgezeichnet werden können. Horstmann etwa bezweifelt, dass diesen Prinzipien problemlos eine transzendentale Funktion zugeschrieben werden könne, da ihm zufolge der transzendentale Status von Begriffen oder Prinzipien von ihrem konstitutiven, d. i. objektiven Charakter abhinge.3 Die Charakterisierung dieser Prinzipien als subjektive und dennoch aber notwendige Prinzipien für Erfahrung, d. i. erfahrungsermöglichende Prinzipien, hält er dementsprechend für nicht überzeugend und letztlich für eine sehr unkantische Begriffskonzeption.4 An dieser Stelle herrscht also zumindest Klärungsbedarf. Zweitens lässt uns Kant bei der Bestimmung des Verhältnisses des Prinzips der Systematiztität und des Prinzips der Zweckmäßigkeit im Dunkeln. Beide Vgl. Horstmann (1997), 127 u. 152. Horstmanns These in Bezug auf die Diskussion des Prinzips der Zweckmäßigkeit, wie es in den Einleitungen zur dritten Kritik eingeführt wird, lautet, dass der Begriff ›transzendental‹ eine Bedeutungsverschiebung von der ersten zur dritten Kritik erfährt, die es Kant erlaubt habe, auch subjektiv-notwendige Prinzipien als transzendental zu bezeichnen. Diese Bedeutungsverschiebung ist Horstmann zufolge jedoch selbst wiederum problematisch ; Horstmann (1997), 154 f. 4 Vgl. Horstmanns Diskussion des Systematizitätsprinzips im Anhang ; Horstmann (1997), 125–130. Siehe auch Horstmann (1998), 540–544. Für die Diskussion des Zweckmäßigkeitsprinzips, wie es in den Einleitungen zur Kritik der Urteilskraft eingeführt wird, siehe Horstmann (1997), 151–159. Auch Thöle sieht einen solchen engen Zusammenhang zwischen der Bedeutung von ›transzendental‹ und ›konstitutiv‹ ; vgl. Thöle (2000), 132–134. 3

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Prinzipien dienen dem Erstellen einer systematischen Einheit der empirischen Erkenntnisse, sodass man den Eindruck erhält, dass es sich um zwei verschiedene Prinzipien mit genau derselben Aufgabe handelt. Dadurch ist eine Spannung zwischen diesen beiden Prinzipien artikuliert, die sich in der Frage nach der Redundanz eines der beiden Prinzipien ausdrückt. Ob das von Kant in der dritten Kritik eingeführte Prinzip der Zweckmäßigkeit das in der ersten Kritik vorgestellte Prinzip der Systematiztität in seiner Tätigkeit ersetzt oder sie aber doch entgegen dem ersten Eindruck eine sich jeweils ergänzende Funktion innehaben, führt Kant nicht aus. Die Beantwortung dieser Frage ist dementsprechend in der Forschungsliteratur umstritten. So sieht etwa Guyer das Prinzip der Systematizität durch das Prinzip der Zweckmäßigkeit ersetzt, während Friedman ein ergänzendes Verhältnis beider Vermögen und damit ein ergänzendes Verhältnis der durch das jeweilige Prinzip hervorgebrachten Tätigkeit behauptet, jedoch – soweit ich sehe – nicht näher ausführt, worin dieses Verhältnis genau bestehen soll.5 Nun ist es richtig, dass beide Prinzipien an der Stelle zur Anwendung kommen, an der wir a priori nichts weiter über die Gesetzmäßigkeit der Natur ausmachen können. Und beide Prinzipien haben die Funktion, eine systematische Einheit unserer empirischen Verstandeserkenntnisse zu erstellen. Dennoch werde ich im Folgenden dafür argumentieren, dass das Prinzip der Systematizität und das Prinzip der Zweckmäßigkeit unterschiedliche Aufgaben im Erkenntnisprozess erfüllen. Ich werde also gegen eine These argumentieren, aufgrund derer man denken könnte, dass das eine Prinzip durch das andere ersetzt wird, und für eine These, in der sich beide Prinzipien in einem ergänzenden Verhältnis zueinander befinden. Denn ich denke erstens, dass die Rolle des Prinzips der Systematizität erst richtig verständlich wird, wenn wir das Prinzip der Zweckmäßigkeit in Ergänzung zu diesem betrachten. So wie zweitens die Relevanz des Prinzips der Zweckmäßigkeit erst dann richtig verstanden ist, wenn wir es im Verhältnis zu dem Prinzip der Systematizität betrachten. Das sich ergänzende Verhältnis beider Prinzipien gestaltet sich dabei wie folgt : 5

Vgl. Friedman (1991), 74. Guyer (2005), 63. Differenzierter sieht Makreel das Verhältnis zwischen regulativem Vernunftgebrauch und reflektierender Urteilskraft. Auch Makreel betont die Differenz beider Vermögen, jedoch zum einen vor allem mit Blick auf den Gebrauch der reflektierenden Urteilskraft in ästhetischen und teleologischen Urteilen und weniger mit Blick auf die Rolle der Urteilskraft in den Einleitungen zur Kritik der Urteilskraft, um die es mir hier geht. Und zum anderen sieht er eine wesentliche Differenz in der Gegenüberstellung der Prinzipien. Während das Vernunftprinzip einen nicht-transzendentalen Status besitzen soll, soll dem Prinzip der reflektierenden Urteilskraft ein transzendentaler Status zugesprochen werden ; vgl. Makreel (1991), 55 f. Wie ich darlegen werde, teile ich die so charakterisierte Differenz nicht, sondern denke, dass beide Prinzipien insofern transzendentale Prinzipien sind, als sie notwendige Bedingungen für Erfahrung darstellen.

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Erst durch die Anwendung des Vernunftprinzips der Systematizität kann ein inferentieller Zusammenhang bereits gemachter Verstandeserkenntnisse hergestellt werden. Dieser ist wiederum regulativ, aber notwendig und daher transzendental, weil erst der inferentielle Zusammenhang von Verstandeserkenntnissen uns ein hinreichendes Merkmal empirischer Wahrheit liefert. Dieser inferentielle Zusammenhang bleibt jedoch allein durch Anwendung des Vernunftprinzips ohne direkten Gegenstandsbezug und damit unbestimmt. Das Prinzip der Zweckmäßigkeit ist generell das Prinzip, das einen durch Induktion hergestellten empirischen Gegenstandsbezug ermöglicht. Die reflektierende Urteilskraft stellt den notwendigen empirischen Gegenstandsbezug her, der bereits im Gebrauch des Systematizitätsprinzips der Vernunft liegt, der diesem aber abgehen muss. Die Herstellung eines empirischen Gegenstandsbezugs wiederum ist eine notwendige Bedingung für Erfahrung, deswegen handelt es sich auch bei dem Prinzip der Zweckmäßigkeit um ein transzendentales Prinzip. Da jedoch auch das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft kein konstitutives, sondern nur ein regulatives Prinzip ist, bleibt der Status der durch beide Prinzipien geschaffenen Einheit epistemisch ungewiss, d. i. hypothetisch.6 Zur Begründung dieser Thesen werde ich zunächst den regulativen Charakter dieser beiden Prinzipien herausarbeiten (3.1.1). Sodann werde ich den ersten Unterschied beider Vermögen skizzieren, der in der jeweils verschiedenen Reflexionsebene derselben liegt (3.1.2). Im zweiten Abschnitt dieses Kapitels gilt es zunächst, die Idee der systematischen Einheit aller Verstandeserkenntnisse und deren regulativen Gebrauch als Prinzip vorzustellen (3.2.1). In der Diskussion des Status dieses Prinzips werde ich nachweisen, dass diesem Prinzipiengebrauch kein Gegenstandsbezug zukommt, dieses Prinzip aber dennoch ein notwendiges Prinzip für Erfahrung ist (3.2.2). Sodann gilt es zu zeigen, dass wir keine Kriterien besitzen, um beurteilen zu können, inwiefern dieses Prinzip und damit die durch dieses Prinzip hergestellte systematische Einheit tatsächlich der Ordnung der Natur zukommt (3.2.3). Im dritten Abschnitt dieses Kapitels werde ich zunächst das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur vorstellen (3.3.1). Sodann gilt es zu erläutern, inwiefern dieses Prinzip einen durch Induktion gewonnenen empirischen Gegenstandsbezug ermöglicht, ohne ein kon­sti­ tutives Prinzip für Erfahrung zu sein (3.3.2). Im letzten Schritt werde ich das sich ergänzende Verhältnis zwischen reflektierender Urteilskraft, Vernunft und Verstand in der Gewinnung einer systematischen Einheit unserer Erfahrungserkenntnisse freilegen (3.3.3).

6

Der Begriff »hypothetisch« soll also auf den Status der Vorstellung der Idee der systematischen Einheit hinweisen ; so auch Horstmann (1997), 146.

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3.1 Die Frage nach der Erkennbarkeit der Natur Auf die Frage der Erkennbarkeit empirischer Kausalgesetze antwortet Kant sowohl mit der Einführung des Prinzips der Systematizität als auch mit der Einführung des Prinzips der Zweckmäßigkeit.7 Beide Prinzipien haben gemein, dass Kant sie als regulative Prinzipien der Erfahrung auszeichnet. So handelt es sich zwar um Prinzipien, die notwendige Bedingungen für Erfahrung darstellen, dennoch wissen wir anhand der Anwendung dieser Prinzipien nicht, ob die Art der Systematisierung der Erfahrungsinhalte tatsächlich der Einheit der Natur entspricht. Die Prinzipien unterscheiden sich jedoch durch ihr Agieren auf unterschiedlicher Reflexionsebene. Die Vernunft verknüpft die Verstandeserkenntnisse inferentiell. Sie ist ein Vermögen, das die Verstandeserkenntnisse auf einer Metaoder Second-Order-Ebene reflektiert. Die reflektierende Urteilskraft hingegen schließt induktiv von dem sinnlich Gegebenen auf die diesem Gegebenen zukommenden Gesetzmäßigkeiten. Sie hat die Herstellung eines empirischen Gegenstandsbezugs zur Aufgabe. Diesen beiden Aspekten gilt es im Folgenden nachzugehen. 3.1.1 Systematizität und rein regulative Prinzipien Kant führt beide Prinzipien vor dem Hintergrund der Möglichkeit ein, dass die Natur kein für uns fassliches, d. i. erkennbares System bilde. So schreibt er im Anhang zur transzendentalen Dialektik der Kritik der reinen Vernunft : »In der Tat ist auch nicht abzusehen, wie ein logisches Prinzip der Vernunfteinheit der Regeln stattfinden könne, wenn nicht ein transzendentales vorausgesetzt würde, durch welches eine solche systematische Einheit, als den Objekten selbst anhängend, a priori als notwendig angenommen wird. Denn mit welcher Befugnis kann die Vernunft im logischen Gebrauche verlangen, die Mannigfaltigkeit der Kräfte, welche uns die Natur zu erkennen gibt, als eine bloß versteckte Einheit zu behandeln, und sie aus irgend einer Grundkraft, so viel an ihr ist, abzuleiten, wenn es ihr freistände zuzugeben, daß es eben so wohl möglich sei, alle Kräfte wären ungleichartig, und die systematische Einheit ihrer Ableitung nicht gemäß ? denn alsdenn würde sie gerade wider ihre Bestimmung verfahren, indem sie sich 7

Erst der Nachweis des transzendentalen Charakters dieser Prinzipien rechtfertigt allerdings ihre Abhandlung in der ersten bzw. dritten Kritik. Zum Nachweis des transzendentalen Charakters siehe vor allem 3.2.2 für das Systematizitätsprinzip der Vernunft und 3.3.2 für das Zweckmäßigkeitsprinzip der reflektierenden Urteilskraft.

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eine Idee zum Ziele setzte, die der Natureinrichtung ganz widerspräche.« (KrV, A 650 f. / B 678 f.)8

Und in der ersten Einleitung zur Kritik der Urteilskraft : »So weit ist nun Erfahrung überhaupt nach transcendentalen Gesetzen des Verstandes als System und nicht als bloßes Aggregat anzusehen. Daraus folgt aber nicht, daß die Natur auch nach empirischen Gesetzen, ein für das menschliche Erkenntnisvermögen faßliches System sey, und der durchgängige systematische Zusammenhang ihrer Erscheinungen in einer Erfahrung, mithin diese selbst als System, den Menschen möglich sey. Denn es könnte die Mannigfaltigkeit und Ungleichartigkeit der empirischen Gesetze so groß seyn, daß es uns zwar theilweise möglich wäre, Wahrnehmungen nach gelegentlich entdeckten besondern Gesetzen zu einer Erfahrung zu verknüpfen, niemals aber diese empirische [sic] Gesetze selbst zur Einheit der Verwandtschaft unter einem gemeinschaftlichen Prinzip zu bringen, wenn nämlich, wie es doch an sich möglich ist (wenigstens so viel der Verstand a priori ausmachen kann) die Mannigfaltigkeit und Ungleichartigkeit dieser Gesetze, imgleichen der ihnen gemäßen Naturformen, unendlich groß, uns an diesen ein rohes chaotisches Aggregat und nicht die mindeste Spur eines Systems darlegte, ob wir gleich ein solches nach transcendentalen Gesetzen voraussetzen müssen.« (EEKdU, AA XX 209 f.)

Kant greift in diesen Zitaten die in Abschnitt 2.2.3 dieser Arbeit erörterte Thematik auf : Selbst wenn die Natur nach transzendentalen Gesetzen des Verstandes als systematische Einheit kausaler Gesetze aufzufassen ist, sagt dies noch nichts über die tatsächliche Erkennbarkeit dieser Einheit aus. Die Erkennbarkeit der Natur als systematische Einheit folgt nicht aus dem Nachweis, dass die Natur nach transzendentalen Gesetzen ein System bildet. Denn wir sind weder dazu in der Lage, empirische Kausalgesetze a priori zu deduzieren, noch können wir a priori wissen, ob die Natur überhaupt einen für uns empirisch erkennbaren kausalen Gesetzeszusammenhang bildet. Wir sind als endliche sinnliche Wesen zur Gewinnung von Erkenntnis auf gegebenes empirisches Material angewiesen, welches uns zufällig gegeben ist ; wir können es nicht a priori, rein im Denken deduzieren. Kurzum : Wie sich dieses Material im Besonderen darbietet, können wir a priori nicht erkennen, noch können wir a priori wissen, dass die Natur in ihren empirischen Kausalgesetzen für uns erkennbar ist.

8

An dieser Stelle geht es mir zunächst nur um den Nachweis des Ortes der Vernunftprinzipien. Den Status der Vernunftprinzipien werde ich im zweiten Abschnitt dieses Kapitels (3.2) diskutieren.

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Hier haben die im Anhang zur transzendentalen Dialektik und in den Einleitungen zur Kritik der Urteilskraft angeführten Prinzipien, das Systematizitätsprinzip und das Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit der Natur, ihren Ausgangspunkt. In Anwendung dieser Prinzipien setzen wir voraus, was wir a priori nicht wissen können : Durch die Anwendung beider Prinzipien setzen wir voraus, dass die Natur eine für uns erkennbare systematische Einheit bildet. Bevor ich im nächsten Abschnitt auf das erste unterscheidende Merkmal beider Prinzipien eingehe, gilt es zunächst den Begriff des Systems zu spezifizieren, der Kants Überlegungen zugrunde liegt. In dem Architektonikkapitel der Kritik der reinen Vernunft ist ein System Kant zufolge »die Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter eine Idee« (KrV, A 832 / B 860). Es ist diese Definition von System, die für uns im Folgenden relevant wird.9 Goy arbeitet fünf Kriterien heraus, die Kant zufolge ein solches System erfüllen und die diese Definition demgemäß implizieren muss. Im Folgenden greife ich diese Kriterien auf : Demnach soll ein System i) eine Einheit bilden, ii) wissenschaftlich sein, iii) vollständig sein, iv) aus der Idee des Systems, aus seinem Zweck, resultieren und v) sich schematisch anwenden lassen.10 Ich werde diese Kriterien in anderer Reihenfolge als Goy vorstellen, da das vierte Kriterium das Kants Überlegungen zum Systembegriff leitende ist und aus diesem mindestens Kriterium i) und iii) hervorgehen. Ich gehe also zunächst auf das vierte Kriterium ein. Ein System gründet Kant zufolge in einer Idee. Diese schreibt das ›Wozu‹ der systematischen Ordnung vor. Sie ist der Zweck der Ordnung. Und dieser Zweck besteht auf dem theoretischen Gebiet in dem Streben nach Einheit von Erkenntnissen und damit von Wissen. Wir streben danach, Erkenntnisse miteinander zu verknüpfen, um zu einem zusammenhängenden Wissen über die Natur zu gelangen. Diese Vernunftidee ist jedoch Kant zufolge nicht nur der Zweck der Ordnung, sondern sie drückt zugleich die Form aus, in die Erkenntnisse zu bringen sind : Allgemein bezeichnet Kant Elemente dann als systematisch geordnet bzw. als in einem System stehend, wenn sie ihre Ordnung aus einem gemeinschaftlichen Prinzip der Einteilung erhalten haben. In diesem Sinne soll bereits die Kategorientafel ein System darstellen (vgl. KrV, A 80 f. / B 106). Als das gemeinschaftliche Prinzip bezeichnet Kant hier das Vermögen zu urteilen (vgl. KrV, A 81 / B 106). Im Folgenden werde ich mich nur auf den Systembegriff Kants konzentrieren, welcher für die regulativen Prinzipien einschlägig ist. Kant kennt noch mindestens drei weitere Systembegriffe : das System der reinen Vernunft, wozu die Kritik als Propädeutik dienen soll, die Kritik der reinen Vernunft selbst als System und das System der transzendentalen Ideen (Seele, Welt und Gott). Eine Diskussion dieser verschiedenen Systeme und des begrifflichen Verhältnisses dieser Systembegriffe werde ich an dieser Stelle nicht durchführen können. Zu den letzteren Systembegriffen siehe auch Dahlström (2015), 2238–2242. Zu Kants Systemverständnis im Verhältnis zu der Verwendung dieses Begriffes in der deutschen Scholastik siehe Zöller (2001). 10 Vgl. Goy (2007), 13 und 19 ff. 9

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»Der szientifische Vernunftbegriff enthält also den Zweck und die Form des Ganzen, das mit demselben kongruiert. Die Einheit des Zwecks, worauf sich alle Teile und in der Idee derselben auch unter einander beziehen, macht, daß ein jeder Teil bei der Kenntnis der übrigen vermißt werden kann, und keine zufällige Hinzusetzung, oder unbestimmte Größe der Vollkommenheit, die nicht ihre a priori bestimmte Grenze habe, stattfindet. Das Ganze ist also gegliedert (articulatio) und nicht gehäuft (coacervatio) ; es kann zwar innerlich (per intus suceptionem), aber nicht äußerlich (per appositionem) wachsen, wie ein tierischer Körper, dessen Wachstum kein Glied hinzusetzt, sondern, ohne Veränderung der Proportion, ein jedes zu seinen Zwecken stärker und tüchtiger macht.« (KrV, A 832 f. / B 860 f.)

Diese Form-Zweck-Kongruenz können wir dem Zitat gemäß so verstehen, dass das Ganze eine begründende Funktion für die Ordnung der Teile innehat. Die Idee gibt also nicht nur an, wozu, sondern auch wie gewonnene Erkenntnisse zu ordnen sind, da allen Teilen a priori ein Platz zugeordnet ist ; die Ordnung der Teile liegt in der Struktur des Ganzen begründet. Eine solche Zweck-Form-Kongruenz ist nicht allem Zweck verfolgenden Denken oder Handeln eigen. So gibt es viele Fälle, in denen wir Zwecke realisieren, bei denen Form und Zweck auseinanderfallen. Besteht unser Zweck beispielsweise im Uns-Gesundhalten so kann dieser auf viele verschiedene Weisen angestrebt werden, etwa durch Schwimmen, Joggen oder Boxen. Der Zweck gibt die Form nicht vor. Die hier vorgestellte Zweck-Form-Kongruenz ist unserem theoretischen Vernunftdenken eigentümlich, und wie wir in 3.2.1 sehen werden, ist diese Systemeinheit der Vernunft nicht nur zufällig eigentümlich, sondern sie ist das, was unser Vernunftdenken auf theoretischer Ebene wesentlich ausmacht. Sie ist aber auch bestimmten Naturgegenständen eigen, und zwar denen, die wir Kant zufolge in der Kritik der teleologischen Urteilskraft gemäß dem Konzept innerer Zweckmäßigkeit beschreiben ; den Naturgegenständen, die wir als Organismen bezeichnen. So besteht das Vergleichsmoment von Kants Organismus- und Systemkonzept, welches er oben im Zitat selbst heranzieht, in der Bestimmtheit bzw. dem Festgelegt-Sein der Struktur des jeweiligen Gegenstandes vor dem eigentlichen Ausbilden desselben. Die Vorstellung der Vorgängigkeit eines Zwecks legt die Struktur des Systems fest, so wie diese Vorstellung auch bei Naturgegenständen, die wir als Organismen bezeichnen, die Struktur derselben festlegt.11 11

Nuzzo zufolge stellt die Kritik der Urteilskraft in der Entwicklung des Systembegriffs einen »bahnbrechenden Fortschritt dar« (Nuzzo (2003), 17), da hier die charakterisierende Eigenschaft eines Systems das Konzept der inneren Zweckmäßigkeit sein soll und Kant so den Systembegriff mit dem eines Organismus vergleiche. Letzteres Gleichnis sieht sie in Platos Timaios bereits angelegt. Vgl. Nuzzo (2003), 13 u. 16 f. Aufgrund dieser hier vorliegenden Betrachtung gilt es jedoch diese Behauptung zu korrigieren. Dieser Systembegriff ist bereits in der Kritik der reinen Vernunft angelegt.

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So wie wir also diesen Naturgegenständen einen Zweck vorgängig denken, der – modern gesprochen – den Bauplan derselben repräsentiert, so geht auch Systemen ein Zweck vorher, der die Struktur vor dem Ausbilden derselben festlegt. Und wie die Teile eines solchen Naturgegenstandes vielmehr als Glieder zu beschreiben sind, die in einem wechselseitigen Bezug zueinander stehen und sich nicht einfach zufällig an dem Platz befinden, an dem sie sich befinden, so stehen auch in einem System die einzelnen Erkenntnisse in einem einheitlichen Zusammenhang zueinander dadurch, dass sie sich inferentiell aufeinander beziehen. Wie bei einem Organismus so besteht auch in einem System eine TeilGanze-Beziehung derart, dass das Ganze die Begründung der Teile ist.12 Auch wenn Kant die Analogie von System und tierischem Körper an dieser Stelle nur zum Zwecke der Illustration seines Systemkonzeptes verwendet, so ist sie in Bezug auf die in dieser Arbeit zu verhandelnde Frage nach der Bedeutung und Wirklichkeit von Zweckmäßigkeitsstrukturen äußerst wichtig. Denn wie ich im nächsten Kapitel argumentieren werde, erkennen wir in der Beurteilung von Naturgegenständen als Organismen uns selbst wieder in dem Sinne, dass wir ihnen eine Einheit zuschreiben, die derjenigen unseres eigenen Vernunftdenkens entspricht. Die Analogie, gemäß der wir diese Naturgegenstände beurteilen, ist so ein Beurteilen dieser Gegenstände als auf vernünftigen Strukturen gründend. Dieses Beurteilen solcher Gegenstände ist aber nicht nur unabdinglich für unser eigenes Selbstverständnis als vernünftige und natürliche Wesen, sondern auch für ein angemessenes Verständnis von Kants Moralphilosophie.13 Doch kommen wir zurück zu Kants System-Konzeption und damit auf die weiteren Kriterien zu sprechen, die diese wesentlich ausmachen. Das erste Kriterium, das Kriterium der Einheit, lässt sich aus dem einem System vorhergehenden Zweck ableiten. Denn es besagt, dass die Erkenntnisse, die unter dieses System fallen, in einem kontinuierlichen Zusammenhang stehen. Kant drückt dies an der soeben zitierten Stelle auch so aus, dass die Einheit der Erkenntnisse nicht gehäuft, sondern gegliedert sein muss. Die Erkenntnisse sollen kein Aggregat (vgl. KrV, A 833 / B 861), sondern eine in sich zusammenhängende inferentielle Einheit bilden. Wie wir oben sahen, ist durch den – einem System unterliegenden – Vernunftbegriff eine solche Einheit erzeugt. Und auch das dritte Kriterium, das der der Vollständigkeit, ist dadurch erfüllt. Denn ›Vollständigkeit‹ bezieht sich hier nicht auf den Inhalt – also nicht darauf, dass wir alle empirischen Zuckert schließt daher folgerichtig : »Systematic, rational, properly scientific knowledge is understood to be, likewise, knowledge that has determined itself, and therefore is complete, to which nothing external could be added, and in which (the knowledge of) every element, object, property, event, or law has its proper roles in the self-determining organisms.« Zuckert (2007), 92. 13 Ich komme auf die Relevanz der Beurteilung bestimmter Naturgegenstände als Naturzwecke im dritten Kapitel dieser Arbeit zurück. 12

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Erkenntnisse bereits gewonnen und zugeordnet haben müssen – , sondern darauf, dass die Form – der Bauplan – des Systems vollständig sein muss. Da die dem System unterliegende Idee nicht nur den Zweck des Systematisierens stellt, sondern auch die Form, gemäß der sich das System erweitern soll, ist auch das Kriterium der Vollständigkeit erfüllt. Nur die beiden Kriterien der Wissenschaftlichkeit und der Schematisierung lassen sich nicht unmittelbar aus dieser Analogie herleiten, sondern beruhen auf Voraussetzungen der kantischen Transzendentalphilosophie. Denn wissenschaftlich ist ein System dann, wenn die Grundsätze, aus denen es besteht, notwendige und keine zufälligen Grundsätze sind. Die Wissenschaftlichkeit ist dementsprechend dann erfüllt, wenn ein System Grundsätze a priori und keine empirischen Grundsätze zu seiner Grundlage hat. Denn nur von Grundsätzen a priori können wir sicher sagen, dass sie für alle empirischen Gegenstände und empirischen Veränderungen gelten. Schematisch anwenden lassen sich die in der Idee eines Systems gründenden Systematizitätsprinzipien dann, wenn sie allgemein genug sind in dem Sinne, dass alles Erkenntnismaterial, das gemäß dieser geordnet werden soll, sich unter diese Prinzipien bringen lässt.14 Die in diesem System aller Erkenntnisse ausgedrückte Einheit ist Kant zufolge eine projektierte Einheit und damit ist die schematische Anwendung – in kantischer Terminologie ausgedrückt  – problematisch : Wir wissen nicht, ob eine solche Einheit tatsächlich der Natur entspricht, vielmehr projizieren wir diese Einheit auf die Natur. Denn eine solche Einheit ist eine nur im Denken bestehende ; eine Idee unserer Vernunft. Ein System ist damit kein Begriff eines empirischen Gegenstandes, sondern ein Begriff a priori für die Auffassung von Erkenntnissen und damit implizit auch für die Auffassung des Gegenstandes der jeweiligen Erkenntnisse auf eine zielgerichtete Weise, d. i. zur Schaffung eines einheitlichen Zusammenhanges unserer Erkenntnisse. Ob sich die Natur oder auch unsere Erfahrungswelt tatsächlich als eine solche Einheit zeigt, bleibt eine offene Frage. Im Gegensatz zu konstitutiven Begriffen und Prinzipien sowie im Gegensatz zu konstitutiv-regulativen Begriffen und Prinzipien ist diese epistemische Ungewissheit Folge von rein regulativen Prinzipien. Im Gegensatz zu konstitutiven und konstitutiv-regulativen Prinzipien wissen wir nicht, ob sie den Gegenständen der Erfahrung zukommen. Mit den konstitutiv-regulativen Prinzipien, wie etwa dem Kausalprinzip, haben sie jedoch gemein, dass sie nichts über die Beschaffenheit von Naturgegenständen selbst aussagen, sondern Verhältnisbestimmungen ausdrücken. Anhand ihrer Anwendung ordnen wir Erkenntnisse gemäß der in der Idee der systematischen Einheit vorgegebenen Weise. Und wie die in den Analogien diskutierten konstitutiv-regulativen Prinzipien drücken 14

Vgl. Goy (2007), 21 ff.

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das Systematizitäts- und das Zweckmäßigkeitsprinzip qualitative Verhältnisse aus. Denn sie fordern nicht einfach irgendeine Erweiterung unserer Erkenntnisse.15 Sie geben vielmehr an, in welchen Beziehungen Gegenstände der Natur zueinander stehen müssen, um eine systematische Einheit zu bilden. Die begrifflichen Verhältnisbestimmungen der konstitutiv-regulativen Prinzipien sind, – wie wir am Beispiel des Kausalprinzips im letzten Kapitel sahen – notwendige Bedingungen für die Möglichkeit von Erfahrung. Und notwendige Bedingung für die Möglichkeit von Erfahrung heißt in diesem Kontext, dass sie Verhältnisse ausdrücken, die den Gegenständen zukommen müssen, um überhaupt Erfahrungsobjekte für uns zu sein. So schreibt Kant : »Wir haben in der transzendentalen Analytik unter den Grundsätzen des Verstandes die dynamischen, als bloß regulative Prinzipien der Anschauung, von den mathematischen, die in Ansehung der letzteren konstitutiv sind, unterschieden. Diesem ungeachtet sind gedachte dynamische Gesetze allerdings konstitutiv in Ansehung der Erfahrung, indem sie die Begriffe, ohne welche keine Erfahrung stattfindet, a priori möglich machen.« (KrV, A 664 / B 692)

Im Gegensatz zu den konstitutiv-regulativen Prinzipien jedoch sind das Systematizitäts- und Zweckmäßigkeitsprinzip, um die es in diesem Kapitel geht, in keiner Weise konstitutiv für Erfahrung, d. h. sie liefern uns keine Begriffe, die den Gegenständen der Natur oder den Verhältnissen, in denen diese Gegenstände stehen, korrespondieren müssen, um überhaupt Erfahrungsobjekte für uns zu sein. Diese Prinzipien sind rein regulative Prinzipien. Sie sind subjektive Prinzipien unseres Erkenntnisapparats, die uns eine Methode für die Bildung 15

Kant kennt noch ein weiteres regulatives Prinzip der Vernunft, welches die rein quantitative Erweiterung unserer Erkenntnisse fordert. Dieses benennt Kant nicht im Anhang, sondern in seiner Diskussion um die kosmologische Idee (vgl. KrV, A 508–517/B 536–545). Die kosmologische Idee, die Idee der Welt, entsteht – grob gesagt – dadurch, dass unsere Vernunft die Reihe der Bedingungen, d. i. die Ursache-Wirkungskette in der Sinnenwelt, als vollständig gegeben betrachtet. In dem regulativen Gebrauch dieser Idee gilt es die Reihe der Bedingungen in der Sinnenwelt nicht als vollständig gegeben, sondern auch sie als aufgegeben anzusehen (vgl. KrV, A 508 / B 536 f.). Wir sollen sie als einen unbestimmten, ins Unendliche gehenden Regressus empirischer Synthesis betrachten. Unsere Vernunft gebietet uns in dieser Hinsicht, nach immer weiteren sinnlichen Bedingungen eines gegebenen Bedingten zu suchen und niemals »bei einem [vermeintlich] Schlechthinunbedingten stehen zu bleiben« (KrV, A 509 / B 537), denn dieses existiert in der bedingten Sinnenwelt nicht. Dieses regulative Prinzip unterscheidet sich insofern von denjenigen, die im Anhang zur transzendentalen Dialektik vorgestellt werden, als es sich bei jenem allein um ein quantitatives Ideal der ständigen Erweiterung unserer empirischen Erkenntnisse handelt. Der Gesichtspunkt der Systematizität, um den es mir geht, ist mit diesem Prinzip also nicht angesprochen. Guyer nennt es deswegen auch ein »purely quantitative ideal of maximizing the extension of knowledge«. Guyer (1990), 21.

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eines empirischen Gegenstandsbezugs und damit für die empirische Nachforschung an die Hand geben. Wir wissen nicht, ob die durch die Prinzipien ausgedrückten Verhältnisse in unserer Erfahrung gegeben sind, deren Schaffung ist uns aber – wie Kant sagt – aufgegeben (vgl. KrV, A 508 / B 536). Diese Prinzipien legen uns die Aufgabe vor, die Natur, so weit wie es geht, zum Zweck der Einheit unseres Wissens zu systematisieren. Ob sich die Natur tatsächlich aber gemäß diesen regulativen Prinzipen systematisch ordnen lässt, bleibt epistemisch ungewiss. Wie ich in den Abschnitten 3.2 und 3.3 zeigen werde, sind diese Prinzipien dennoch notwendige Bedingungen für Erfahrung. Sie sind nur nicht »konstitutiv in Ansehung der Erfahrung«, sondern regulativ in Ansehung derselben. 3.1.2 Die verschiedenen Reflexionsebenen von Vernunft und reflektierender Urteilskraft Sowohl das Systematizitätsprinzip der Vernunft als auch das Zweckmäßigkeitsprinzip der reflektierenden Urteilskraft bezeichnet Kant als regulative Prinzipien der Vernunft. Nun ist es eine gängige These, dass die beiden Prinzipien auch hinsichtlich ihres Tätigkeitsbereiches identisch sind und das später eingeführte Prinzip der Zweckmäßigkeit das Prinzip der Systematizität in der ersten Kritik ersetzt. Entgegen solchen Thesen von der Übernahme der Aufgabe des regulativen Vernunftgebrauchs durch die reflektierende Urteilskraft oder von einem analogen Gebrauch beider Prinzipien16 denke ich jedoch, dass es sich um zwei zum Erstellen einer systematischen Einheit von empirischen Kausalgesetzen notwendig ergänzende Prinzipien handelt ; und es sich in dieser Hinsicht dann auch um zwei zum Erstellen der systematischen Einheit von empirischen Kausalgesetzen notwendig ergänzende Vermögen handelt.17 Eine grundlegende Unterscheidung werden wir uns erst mit dem Ende dieses gesamten Kapitels erarbeitet haben. Dennoch ist es zur Vorbereitung der Diskussion um die Bedeu Die These der Ersetzung der Aufgabe des regulativen Vernunftgebrauchs durch die reflektierende Urteilskraft vertreten etwa Horstmann (1989), 165–171. Thöle (2000), 130 f. Guyer (2005), 63 f. Einen differenzierteren Blick auf beide Vermögen wirft Rajiva, wiewohl auch sie letztlich von einer Übertragung der Aufgabe der Schaffung einer systematischen Einheit von dem Vernunftprinzip auf das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft ausgeht ; vgl. Rajiva (2006). 17 Diese Annahme teile ich mit Friedman ; vgl. Friedman (1991), 74. Dennoch denke ich, dass diese Charakterisierung des Ortes der reflektierenden Urteilskraft nicht hinreicht. Sie muss vielmehr als ein die Vernunft als auch als ein den Verstand ergänzendes Vermögen betrachtet werden. Zum Verhältnis der reflektierenden Urteilskraft zu der Vernunft in ihrem regulativen Gebrauch sowie zu dem Verstand in seiner gesetzgebenden Funktion siehe Abschnitt 3.3.3. 16

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tung und den Status beider Prinzipien sinnvoll, eine erste Unterscheidung als Orientierung einzuführen. Und diese Unterscheidung liegt auf der Reflexionsebene des jeweiligen Prinzips. Die Reflexionsebene wird wiederum aus der Stellung ersichtlich, die Kant dem jeweiligen Vermögen im Gesamten seiner Vermögenslehre gibt. Die Vernunft ist das Vermögen, das in ihrer Tätigkeit das Bedürfnis nach einer höchsten Einheit des Wissens ausdrückt. Das Vermögen der Vernunft wird von Kant generell als das höchste Erkenntnisvermögen ausgezeichnet (vgl. KrV, A 299 / B 355). Sie bringt Erfahrungsdaten in eine Einheit, über die hinaus keine höhere Einheit gedacht werden kann ; bei der also – wie Kant es formuliert – unser Erkenntnisprozess »endigt« (KrV, A 298 / B 355). Sie bezieht sich dabei jedoch niemals direkt auf die sinnlich gegebene Wahrnehmung von Gegenständen ; sie reflektiert Verstandesbegriffe und erkenntnisse auf einer rein begrifflichen Meta­ebene (vgl. KrV, A 643 f. / B 671 f.). Die Vernunft ist in diesem Sinne ein topdown verfahrendes Vermögen. Sie bezieht sich niemals direkt auf die Erfahrungsgegenstände, sondern sie stellt begriffliche Verknüpfungen her, von denen sie voraussetzt, dass sie auf die Gegenstände der Erfahrung zutreffen. Und diese inferentiellen Verknüpfungen von Verstandeserkenntnissen gewinnt sie wiederum im Schließen (vgl. KrV, A 300 / B 357). In dem uns interessierenden Abschnitt, dem Anhang zur transzendentalen Dialektik, schließt die Vernunft dabei aus bereits empirisch gewonnenen Verstandeserkenntnissen auf den diese vereinheitlichenden Allgemeinbegriff oder auch – in kantischer Terminologie – auf die Gattung und ordnet die betreffenden Erkenntnisse dementsprechend in ein Gattung-Art-Schema. Kant bezeichnet diesen Vernunftgebrauch daher auch als den empirischen Vernunftgebrauch (vgl. KrV, A 643 / B 671, A 663 / B 691, A 685/ B 713). Diese Bezeichnung mag verwirren, denn Kant wählt sie nicht, weil die Vernunft selbst auf einmal empirischen Gegenstandsbezug herstellt, sondern er wählt sie, weil die Vernunft es im Anhang nicht mit der inferentiellen Verknüpfung von reinen, sondern von empirischen Verstandesbegriffen und -erkenntnissen zu tun hat. Das Systematizitätsprinzip und die in diesem gründenden Systematizitätsprinzipien leiten die Herstellung einer systematischen Einheit empirischer Erkenntnisse an, durch sie vereinheitlichen wir verschiedene empirische Erkenntnisse, aber so, dass wir dennoch unter diesen hinreichend differenzieren können. Dabei greift Kant ein Beispiel aus der Physik heraus, um diesen Gebrauch zu illustrieren : Fällen wir aufgrund von Beobachtungen ein (noch nicht berichtigtes) Verstandesurteil, dessen Inhalt besagt, dass die Planetenbahn in einer Kreisform verläuft, und entdecken wir durch weitere Beobachtungen jedoch größere Abweichungen, so berichtigen wir das vorherige Verstandesurteil, indem wir von einer ellipsenartigen Planetenlaufbahn ausgehen. Kometen wiederum »zeigen eine noch größere Verschiedenheit ihrer Bahnen, da sie (so weit Beobach-

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tung reicht) nicht einmal im Kreise zurückkehren ; allein wir raten auf einen parabolischen Lauf, der doch mit der Ellipse verwandt ist« (KrV, A 662 / B 690). Ordnung bringen wir dadurch in diese Beobachtungen hinein, dass wir sie alle unter eine Gattung bringen, die wir als Kegelschnitte klassifizieren, ohne deswegen die Unterschiede in den einzelnen Laufbahnen leugnen zu müssen (vgl. KrV, A 663 / B 691.).18 Ich komme auf das Systematizitätsprinzip und die in diesem gründenden Prinzipien in Abschnitt 3.2.1 zurück, wichtig ist mir an dieser Stelle, dass diese Art der Klassifizierung in Schlüssen stattfindet ; wir schließen aus Urteilen über die unterschiedlichen Laufbahnen von Himmelskörpern auf eine mathematische Gattung dieser Verläufe. Auch die Urteilskraft gehört zu den oberen Erkenntnisvermögen. Urteilskraft überhaupt bezeichnet Kant als »das Vermögen, das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken« (KdU, AA V 179). Dabei unterscheidet Kant in der Kritik der Urteilskraft zwischen der bestimmenden und der reflektierenden Urteilskraft.19 Beide zeichnen sich durch einen empirischen Gegenstandsbezug aus. Auf Basis dieses Bezugs bestimmt Kant die Differenz der Vermögen in der Kritik der Urteilskraft wie folgt : »Die Urtheilskraft kann entweder als bloßes Vermögen über eine gegebene Vorstellung, zum Behuf eines dadurch möglichen Begrifs, nach einem gewissen Prinzip zu reflektieren, oder als ein Vermögen einen zum Grunde liegenden Begrif durch eine gegebene empirische Vorstellung zu bestimmen angesehen werden. Im ersten Falle ist sie die reflectierende Urteilskraft.« (EEKdU, AA XX 211)

Die bestimmende Urteilskraft ist also das Vermögen, Begriffe bzw. Regeln auf sinnliche Eindrücke anzuwenden. Dabei subsumiert sie das Besondere, die gegebene empirische Anschauung20, unter ein bereits gegebenes Allgemeines, den Vgl. auch Tetens (2006), 289 f. Kant zeichnet in der Kritik der reinen Vernunft die Urteilskraft überhaupt als ein Vermögen aus, »unter Regeln zu subsumieren, d. i. zu unterscheiden, ob etwas unter einer gegebenen Regel (casus datae legis) stehe, oder nicht.« (KrV, B 132) Den Unterschied zwischen bestimmender und reflektierender Urteilskraft führt Kant erst in der Kritik der Urteilskraft ein, wiewohl wir wissen, dass Kant sich bereits während der Bearbeitung der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft bewusst war, dass es zwei weitere Kritiken, die Kritik der praktischen Vernunft und auch die Kritik der Urteilskraft, geben müsse (vgl. Förster (1998), 38.). Zumindest in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft hätte der*die Leser*in also einen differenzierteren Umgang bezüglich des Vermögens der Urteilskraft erwarten können. Generell ist man sich aber in der Sekundärliteratur einig, dass die Kritik der reinen Vernunft explizit zumindest nur die bestimmende Urteilskraft abhandelt. Longuenesse beispielsweise macht jedoch auch die reflektierende Urteilskraft für Kants Urteilslehre in der ersten Kritik fruchtbar ; vgl. Longuenesse (1998), 163–167 und 195–210. 20 Die Termini ›Sinnlicher Eindruck‹ und ›Anschauung‹ verwende ich hier synonym. 18 19

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Begriff oder das Gesetz. Während der Verstand also Regeln der Objektpräsentation, Kategorien, erstellt, wendet die Urteilskraft diese Regeln auf Erscheinungen an. Es ist diese Art von Urteilskraft, welcher Kant in der Kritik der reinen Vernunft eine Doktrin gibt. Die Doktrin lehrt die richtige Verwendung der Kategorien, indem sie »a priori den Fall anzeigen kann, worauf sie angewandt werden sollen« (KrV, A 135 / B 174 f.). So gilt etwa für die Kategorie der Ursache und Wirkung, aus der Kant in den Grundsätzen der Erfahrung den Grundsatz des Kausalprinzips herleitet, als Regel der Anwendung, dass diese Kategorie auf sinnlich gegebene Zustandsänderungen von Objekten anzuwenden ist. Die Kate­gorie der Ursache und Wirkung bezieht sich auf die zeitliche Reihenfolge von Zustandsänderungen, indem sie diese notwendig festlegt. Eine Doktrin der Urteilskraft, wie Kant sie im zweiten Teil der transzendentalen Analytik vorlegt, lässt sich so als die Lehre von der Vermittlung zwischen Erscheinungen und Verstandes­ regeln bestimmen. Während die bestimmende Urteilskraft Kriterien der Anwendung von Verstandesregeln auf Wahrnehmungsinhalte besitzt, zeichnet sich die reflektierende Urteilskraft nun dadurch aus, dass dies bei ihr nicht der Fall ist. Ihr stehen keine Kriterien zur Verfügung, anhand derer sie entscheiden kann, ob eine Regel einem sinnlichen Eindruck zukommt oder nicht, da es diese Gesetze (noch) nicht gibt. Die reflektierende Urteilskraft beschreibt Kant daher auch als das Vermögen, zu dem Besonderen die allgemeine Regel, den Begriff oder das Gesetz, allererst zu finden (vgl. KdU, AA V 179).21 Die reflektierende Urteilskraft setzt also bei dem an, was von den transzendentalen Verstandesgesetzen unbestimmt gelassen worden ist ; bei der Herstellung empirischer Begriffe und Gesetzmäßigkeiten. Empirische Begriffe und Gesetzmäßigkeiten wiederum sind insofern allgemein, als unter sie Wahrnehmungen mehrerer sinnlich gegebener Gegenstände gefasst werden. Der Begriff ›Hund‹ etwa fasst nicht nur eine einzige sinnliche Wahrnehmung unter sich, sondern sehr viele und mithin höchst unterschiedliche Wahrnehmungen sinnlich gegebener Gegenstände. Er drückt damit etwas aus, was diese sinnlich gegebenen Gegenstände gemeinsam haben. Wenn die reflektierende Urteilskraft also zu etwas Besonderem das Allgemeine finden soll, dann ist damit gemeint, dass sie gemeinsame Eigenschaften sinnlich

21

Ich verstehe unter dem ›Besonderen‹ also dezidiert eine empirisch gegebene Anschauung und nicht bereits einen empirischen Begriff oder ein empirisches Gesetz. Das im Fließtext gegebene Zitat sowie dieser gesamte Abschnitt dienen mir als Plausibilisierung dieser Lesart. Denn wenn die bestimmende Urteilskraft sich auf Anschauungen bezieht, ist nicht einzusehen, wieso sich die reflektierende nicht auch auf diese beziehen soll bzw. warum sie in Kants Hierarchie der Erkenntnisvermögen auf einer anderen Stufe als die bestimmende Urteilskraft stehen soll. Dennoch ist es umstritten, ob das Besondere sich auf eine Anschauung bezieht oder auf bereits begrifflich bestimmte Objekte.

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gegebener Eindrücke finden und auf einen Begriff bringen soll.22 Die reflektierende Urteilskraft ist damit ein wesentlich induktiv vorgehendes Vermögen, indem sie empirisch gegebene Anschauungen allererst unter empirische Begriffe und Gesetzmäßigkeiten bringt. Das Verfahren der Urteilskraft besteht im Gegensatz zum Vernunftverfahren also nicht in dem inferentiellen Verknüpfen bereits gemachter Verstandeserkenntnisse, sondern in dem Vermitteln zwischen empirischen Anschauungen und empirischen Begriffen bzw. Gesetzen. Und während dieses Vermitteln im Fall der bestimmenden Urteilskraft durch die Anwendung gegebener Begriffe bzw. Gesetze auf die Gegenstände der Erfahrung geschieht, vollzieht sich das Vermitteln im uns interessierenden Fall erst durch die Auffindung von empirischen Begriffen bzw. Gesetzen zu den Gegenständen der Erfahrung. Gehen wir nun jeweils zur Diskussion der spezifischen Aufgabe und des Status beider Prinzipien über. 3.2 Das Vernunftprinzip der systematischen Einheit Im Anhang zur transzendentalen Dialektik stellt Kant das Prinzip der Systematizität vor. Dieses ist ein Vernunftprinzip, insofern es in einer Vernunftidee gründet, der Idee der systematischen Einheit aller Verstandeserkenntnisse. Dabei stellt Kant jedoch den*die Leser*in bereits zu Beginn seiner Ausführungen vor ein Rätsel.23

In diesem Sinne zieht Ginsborg die reflektierende Urteilskraft als Vermögen, das zur empirischen Begriffsbildung benötigt wird, heran ; vgl. Ginsborg (2015), 148–169. 23 Ein weiteres Rätsel, vor das Kant uns stellt, ist dasjenige nach dem Verhältnis der Idee der systematischen Einheit und der transzendentalen Ideen. Kant führt in den Anhang rhetorisch so ein, dass er den transzendentalen Vernunftideen generell auch einen »guten und folglich immanenten« Gebrauch zuspricht, da »alles, was in der Natur unserer Kräfte gegründet ist, zweckmäßig sein muß« (KrV, A 642 f. / B 670 f.). Bei genauerem Blick handelt der erste Teil des Anhangs aber gar nicht von den transzendentalen Vernunftideen Seele, Welt und Gott. Deren spezifische Rolle im Schaffen einer systematischen Einheit aller Verstandeserkenntnisse erörtert Kant erst im zweiten Teil des Anhangs. Gegenstand des ersten Teils des Anhangs ist die Idee der systematischen Einheit bzw. die in ihr gründenden Prinzipien und Ideen. Im Folgenden werde ich mich allein auf die Vernunftidee der systematischen Einheit und ihrem regulativen Gebrauch befassen und mich damit auf den ersten Teil des Anhangs zur transzendentalen Dialektik konzentrieren. Den in Kants Metaphysikkritik im Fokus stehenden transzendentalen Ideen Seele, Welt und Gott schreibt Kant im zweiten Teil des Anhangs eine jeweils spezifische Rolle im Systematisierungsprozess zu, auf die ich jedoch an dieser Stelle nicht eingehen kann. Zur spezifischen Funktion der jeweiligen transzendentalen Ideen siehe etwa Horstmann (1998), 534–540. Zuckert (2017a), 89–107. 22

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So spricht Kant dem Systematizitätsprinzip einerseits einen nur logischen und subjektiven Status zu. Denn das Prinzip der Systematizität beruht auf einer Vernunftidee. Vernunftideen sind generell jedoch keine Vorstellungen von Gegenständen, die wir in der Natur tatsächlich vorfinden. Dennoch nutzen wir sie in ihrem regulativen Gebrauch zur Nachforschung in der Natur. Sie leiten unseren Verstand in seinen empirischen Forschungen an. Andererseits behauptet Kant jedoch immer wieder, dass wir die objektive Gültigkeit dieses Prinzips voraussetzen müssen. Das Prinzip der Systematizität soll Kant zufolge insofern keine bloße heuristische Handlungsmaxime darstellen, als wir erst in seiner Anwendung zu einem zusammenhängenden Verstandesgebrauch gelangen, der – wie wir wiederum sehen werden  – notwendig für Erfahrung ist. Grier führt hierzu aus, dass es letztlich unklar bleibt, ob das Vernunftprinzip notwendig für einen zusammenhängenden Verstandesgebrauch und damit selbst transzendental ist oder ob die systematische Einheit der Verstandeserkenntnisse ein lediglich logisches Ideal darstellt, nach welchem wir streben. Letzteres würde das Prinzip zu einem rein heuristischen machen.24 Und tatsächlich hat sie damit die Diskussionen um den Anhang in der Forschungsliteratur gut zusammengefasst. ­Diskutiert wird, ob das Vernunftprinzip rein heuristisch oder transzendental ist.25 Ich werde mich im Folgenden diesem Problemfeld zuwenden. Dabei werde ich dafür argumentieren, dass das Vernunftprinzip der Systematizität ein trans­ zendentales Prinzip ist. Der transzendentale Charakter besteht jedoch nicht in der Voraussetzung, dass das Prinzip selbst konstitutiv für die Gegenstände der Erfahrung ist. Da unsere Vernunft keinen direkten Gegenstandsbezug herstellt, muss sie vielmehr voraussetzen, dass die bereits konstituierten Gegenstände so sind, dass sie sich gemäß ihren Prinzipen vereinheitlichen lassen. Die im Anhang gebrauchte Bedeutung von ›transzendental‹ ist dementsprechend schwächer als diejenige, die wir aus der transzendentalen Analytik kennen : Wir behaupten nicht, dass das auf der Idee der systematischen Einheit gründende Vernunftprinzip konstitutiv für die Gegenstände der Erfahrung ist, sondern wir unterstellen, dass bereits konstituierte Gegenstände dem Vernunftprinzip entsprechen müssen. Die transzendentale Implikation besteht nun darin, dass wir erst aufgrund dieser Unterstellung einen zusammenhängenden Verstandesgebrauch und damit ein hinreichendes Merkmal empirischer Wahrheit gewinnen. Ein hinreichendes Merkmal empirischer Wahrheit ist aber wiederum ein notwendiges Moment für Erfahrung.

24 25

Vgl. Grier (1997), 2. So zum Beispiel in : Wartenberg (1979). Caimi (1995). Horstmann (1998). Thöle (2000), 113– 134, bes. 131 ff. Pissis (2012), 87. McLaughlin (2014a).

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3.2.1 Die Idee der systematischen Einheit Das Prinzip der Systematizität, um das es uns im Folgenden geht, gewinnen wir durch den regulativen Gebrauch der Idee der systematischen Einheit. Diese Idee stellt Kant wie folgt vor : »Die Vernunfteinheit [die inferentielle Einheit von Verstandeserkenntnissen, K.K.] setzt jederzeit eine Idee voraus, nämlich die von der Form eines Ganzen der Erkenntnis, welches vor der bestimmten Erkenntnis der Teile vorhergeht und die Bedingungen enthält, jedem Teile seine Stellung und Verhältnis zu den übrigen a  priori zu bestimmen. Diese Idee postuliert demnach vollständige Einheit der Verstandeserkenntnis, wodurch diese nicht bloß ein zufälliges Aggregat, sondern ein nach notwendigen Gesetzen zusammenhangendes System wird.« (KrV, A 645/ B 673)

Die Hintergrundüberlegungen sind hier diejenigen, die bereits unter 3.1.1 angesprochen wurden : Die in der Idee vorgestellte Teil-Ganzes-Beziehung gestaltet sich derart, dass das Ganze die Teile begründet. Denn das Systematisieren von Verstandeserkenntnissen und damit das Schaffen einer Vernunfteinheit setzt ein Wissen darüber voraus, wie diese Erkenntnisse zu ordnen sind. Besitzen wir kein solches Wissen, systematisieren wir Erkenntnisse nicht, sondern wir stellen sie bestenfalls einfach beziehungslos nebeneinander, da in diesem Fall völlig unklar ist, wie wir Erkenntnisse ordnen sollen. Wie Erkenntnisse zu ordnen sind, muss also vor Beginn der Systematisierung derselben angegeben sein, soll ein solches Systematisieren möglich sein. Die Natur gibt uns aber nicht vor, wie wir systematisieren sollen. Sie gibt niemals ein Beispiel systematischer Einheit (vgl. KrV, A 681 / B 709). Und auch der Verstand kann ein Herstellen einer solchen systematischen Einheit nicht leisten, denn die Schaffung einer solchen Einheit setzt voraus, dass es bereits Erkenntnisse gibt, die systematisiert werden. Der Verstand erzeugt aber allererst Erkenntnisse, d. i. Urteile über Wahrnehmungen, und ist sich nicht selbst ein Meta-Vermögen, das über diese Erkenntnisse reflektiert. Es ist unsere Vernunft, die Kant als das Vermögen ausgezeichnet hat, in seinem Bezug auf die Verstandeserkenntnisse durch Schlüsse inferentielle Beziehungen unter diesen zu schaffen. Sie ist das Vermögen, das nach dem Ganzen der Erfahrung fragt mit dem Bedürfnis, eine vollkommene Einheit unserer Erkenntnisse zu schaffen, um so die Fragen, die sie sich selbst stellt, beantworten zu können. An dieser Stelle können wir die Zweck-und-Form-Kongruenz der Idee der systematischen Einheit präzisieren. Sie ist eine Projektion des Ziels, auf das sich unser Vernunftbedürfnis nach einem Ende aller Warum-Fragen richtet, und in dieser Projektion ist sie zugleich Möglichkeitsbedingung dieses Sys-

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tematisierens. Denn sie stellt das ›Wie‹ oder die Methode des Verknüpfens vor. Die Vernunftidee kommt der Vernunft damit wesentlich zu, denn ohne dieselbe könnte sie der ihrem Bedürfnis entsprechenden Tätigkeit nicht nachgehen. Im Sinne der Erläuterungen in 3.1.1 dient sie aufgrund der Zweck-Form-Kongruenz zugleich als »focus imaginarius« (KrV, A 644 / B 672), als Fluchtpunkt, in Bezug auf welchen wir die Ordnung unserer bereits gemachten Erkenntnisse vor­ nehmen.26 In dieser Idee des Ganzen gründet das Prinzip der Systematizität. Dieses beschreibt Kant im Anhang als aus drei Prinzipien bestehend, deren Zusammenspiel erst eine systematische Ordnung unter den Verstandeserkenntnissen ermöglicht. Die Idee des Ganzen, die mit der Idee der systematischen Einheit vorgestellt wird, besteht in einer taxonomischen Ordnung der Erkenntnisse in Arten und Gattungen. Gemäß dieser Ordnung werden die Verstandeserkenntnisse nach bestimmten Systematizitätsprinzipien klassifiziert. Die Systematizitätsprinzipien, gemäß denen wir solche hierarchisch verknüpften Einheiten empirischer Verstandeserkenntnisse bilden, lauten : das Prinzip der Homogenität, das Prinzip der Spezifikation und das Prinzip der Kontinuität. Das Prinzip der Homogenität besagt, dass wir zur Herstellung der systematischen Einheit alle Erkenntnisse so ordnen müssen, dass sie unter Gattungen fallen. Wir müssen Einheiten finden, unter denen bereits gemachte Erkenntnisse stehen. Dennoch soll die Differenz der einzelnen Erkenntnisse erhalten bleiben. Dies geschieht, indem wir in der Subsumtion von Erkenntnissen unter Gattungen gemäß dem Prinzip der Spezifikation angehalten sind, Erkenntnisse in Arten zu klassifizieren. Letztlich suchen wir die aufgefundenen Arten wiederum miteinander in inferentielle Beziehungen zu setzen. Dies geschieht, indem wir gemäß dem Prinzip der Kontinuität von kontinuierlichen Übergängen der einzelnen Arten ausgehen (vgl. KrV, A 657 / B 685 f.).27 Das im letzten Abschnitt gegebene Beispiel aus der Physik verdeutlicht, inwiefern wir in den Naturwissenschaften nach solchen Prinzipien vorgehen. Wir bringen die verschiedenen Erkenntnisse über kreisförmige oder elliptische Laufbahnen gemäß den Vernunftprinzipien unter eine in sich differenzierte Einheit. Die Einordnung der verschiedenen Planetenlaufbahnen in dieselbe mathematische Gattung, den Kegelschnitt, geschieht gemäß dem Prinzip der Homogenität. Durch die Unterordnung aller Bahnen unter ei Wie ich in 3.1.1 argumentiert habe, fällt Form und Zweck in der Idee eines Systems zusammen. Die Idee gibt nicht nur das »Wie« des Einordnens, sondern auch den Zweck des Ordnens. 27 Da die Prinzipien der Homogenität, Spezifikation und Kontinuität von Kant aus dem Prinzip der systematischen Einheit gewonnen werden und dementsprechend im Prinzip der Systematizität gründen, behandele ich den Status dieser Prinzipien in 3.2.2 und 3.2.3 nicht gesondert. In diesem Teil werde ich der Einfachheit halber einfach von dem Prinzip der systematischen Einheit sprechen. 26

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nen Kegelschnitt und damit durch die Anwendung des Prinzips der Homogenität werden einheitliche Erklärungen der Planetenlaufbahnen möglich. Dennoch erlaubt diese mathematische Zuordnung eine interne Differenzierung in mathematische Arten gemäß dem Prinzip der Spezifikation. Planeten- sowie Kometenbahnen sind durch Kreis, Ellipse und Parabel hinreichend differenziert. Zudem gibt es Planetenbahnen, bei denen sich zwischen etwa der Kreis- und Ellipsenform im Rahmen der Messgenauigkeit nicht präzise unterscheiden lässt.28 Hier kommt das Prinzip der Kontinuität zur Geltung. In der Idee der systematischen Einheit gründen nicht nur diese Prinzipen zur Systematisierung, sondern auch weitere bereits angesprochene Vernunftideen, die wir ebenfalls als ›foci imaginarii‹ nutzen. Mit Blick auf die Disziplin der Chemie führt Kant im Anhang Vernunftideen wie reines Wasser, reine Erde und reiner Luft an, anhand welcher wir Erkenntnisse über den Zustand etwa von verschiedenen Gewässern ordnen, den Vermischungsgrad des zu untersuchenden Stoffes bestimmen und so chemische Wirkungen untereinander zu erklären suchen (vgl. KrV, A 646 / B 674). Diese Ideen dienen Kant als Orientierungspunkte zur Systematisierung. Das verstehe ich so, dass sie das Erstellen von Skalen ermöglichen, anhand derer wir unterschiedliche Messwerte einordnen können. Fassen wir zusammen : Die Prinzipien der Homogenität, der Spezifikation und der Kontinuität sowie die eben genannten Vernunftideen, gemäß denen wir Erkenntnisse klassifizieren, basieren auf dem Prinzip der Systematizität. Dieses wiederum gründet in der Idee der systematischen Einheit. Das in der Idee der systematischen Einheit vorgestellte hierarchisch geordnete Ganze dient jedoch nur als Fluchtpunkt der Systematisierung. Denn in dieser Idee stellen wir nur die Form der Ordnung a priori vor. Wir kennen nicht schon allein aufgrund des in Gattungen und Arten vorgestellten Systems durch die Idee die bestimmten empirischen Begriffe und Kausalgesetze, die sich in Gattungen und Arten einteilen lassen sollen. Auch unter Anwendung unserer Vernunftprinzipien können diese empirischen Begriffe und Kausalgesetze nicht a priori deduziert, sondern müssen empirisch aufgefunden werden. Durch die in der Idee der systematischen Einheit gründenden Vernunftprinzipien und Vernunftideen haben wir zwar eine Methode der Erfassung empirischer Erkenntnisse. Wir wissen aber nicht, ob diese so hergestellte Ordnung der Natur entspricht. In Kants Worten : Die so hergestellte Einheit bleibt objektiv unbestimmt (vgl. KrV, A 665 / B 693). Warum in der Anwendung der Vernunftprinzipien diese epistemische Ungewissheit bleibt, schauen wir uns im nächsten Schritt an.

28

Vgl. Tetens (2006), 289 f.

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3.2.1.1 Kants Ideenbegriff Kommen wir dazu zurück auf die Möglichkeitsbedingung des Systematisierens : auf die Idee der systematischen Einheit. Wir argumentierten, dass die Möglichkeit des Systematisierens eine von der Erfahrung unabhängige Idee voraussetzt, die sowohl als Fluchtpunkt des Systematisierens dient als auch die Methode des Systematisierens vorgibt. Kant zufolge ist aber nun eine Idee eine Vorstellung dessen, was jenseits des Bereichs der Erfahrung liegt. In seiner Stufenleiter epistemischer Zustände stellt er die Idee wie folgt vor : »Die Gattung ist Vorstellung überhaupt (repraesentatio). Unter ihr steht die Vorstellung mit Bewußtsein (perceptio). Eine Perzeption, die sich lediglich auf das Subjekt, als die Modifikation seines Zustandes bezieht, ist Empfindung (sensatio), eine objektive Perzeption ist Erkenntnis (cognitio). Diese ist entweder Anschauung oder Begriff (intuitus vel conceptus). Jene bezieht sich unmittelbar auf den Gegenstand und ist einzeln ; dieser mittelbar, vermittelst eines Merkmals, was mehreren Dingen gemein sein kann. Der Begriff ist entweder ein empirischer oder reiner Begriff, und der reine Begriff, so fern er lediglich im Verstande seinen Ursprung hat (nicht im reinen Bilde der Sinnlichkeit), heißt Notio. Ein Begriff aus Notionen, der die Möglichkeit der Erfahrung übersteigt, ist die Idee, oder der Vernunftbegriff.« (KrV, A 320 / B 376 f.)

Wir können nun präzisieren : Die der Idee entsprechende Vorstellung liegt jenseits des Bereichs der Erfahrung, weil sie den Erfahrungsbereich »übersteigt«. So handelt es sich bereits bei den im letzten Abschnitt benannten Ideen wie reines Wasser, reine Erde oder reine Luft, aber auch bei der Idee der systematischen Einheit um keine Vorstellungen, die wir jemals direkt auf die Erfahrung beziehen können. Sie stellen vielmehr Orientierungspunkte zur Bemessung der gegebenen empirischen Gegenstände dar. Dass nun Ideen für unsere theoretische Vernunft Orientierungspunkte für unsere Erkenntnisgewinnung darstellen, scheint mir eine recht unkontroverse Aussage zu sein, die für alle von Kant eingeführten Ideen im Bereich seiner theoretischen Philosophie gilt. Aus dem Zitat geht nun aber hervor, dass eine Idee die Vorstellung einer höchsten Einheit von Erkenntnissen sein soll. Der Prozess der Gewinnung von Erkenntnissen ist Kant zufolge ein hierarchisch geordneter und auch die epistemischen Zustände sind hierarchisch geordnete. Sie bauen aufeinander auf. Auf unterster Stufe stehen die durch die Sinne gegebenen epistemischen Zustände wie Empfindungen und Wahrnehmungen. Unser Verstand verarbeitet diese, indem er ihnen durch Kategorienanwendung Einheit gibt und sie in Urteilen bestimmt. Unsere Vernunft wiederum bezieht sich auf den Verstand und stellt eine Einheit unter Verstandeserkenntnissen her.

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Es ist nun schwierig zu sehen, wie Ideen wie ›reines Wasser‹ oder ›reine Erde‹ eben diese Definition erfüllen, doch zumindest für die transzendentalen Ideen deute ich den Grund der »Übersteigung« so29 : Eine Idee ist Kant zufolge ein Begriff, der sich auf das Ganze der Wirklichkeit bezieht. Dieses Ganze verbleibt aber rein im Denken ; es ist niemals selbst sinnlich, d. i. es ist nicht qua Anschauungen erfahrbar und in diesem Sinne unter den Rahmenbedingungen, die Kant mit seinem transzendentalen Idealismus vorgibt, auch nicht erkennbar. Es macht unsere Vernunft nun wesentlich aus, nach einer Einheit alles Wissens zu fragen. Unsere Vernunft bezieht sich auf Verstandeserkenntnisse, die Erkenntnisse von bedingten, zum Beispiel kausal bedingten Gegenständen sind. Dabei fragt sie nach den Bedingungen, nach dem ›Warum‹ des Gegebenen. Ihr Bedürfnis ist es, das Unbedingte zu finden, welches die Vorstellung einer vollständigen Erklärung des Gegebenen symbolisiert und damit ihr ›Warum‹-Fragen letztlich vollständig beantworten soll. Eine Vernunftidee ist die Vorstellung eines solchen Unbedingten (vgl. KrV, A 307 / B 364). Sie impliziert damit einen Bezug auf das Ganze der Wirklichkeit. Ein solches Ganzes der Wirklichkeit, von dem wir selbst Teil sind, erkennen zu wollen, ist Kant zufolge aber widersprüchlich. Denn erstens kann die Totalität der Erfahrung, auf die wir uns mit der Vorstellung der Idee beziehen, selbst nicht in der Reihe der Bedingungen, also in der Reihe der jeweils bedingten erfahrbaren Gegenstände, wieder vorkommen, weil sie dann selbst ein Bedingtes und nicht mehr das Ganze unserer Erfahrung wäre.30 Wenn es uns zweitens möglich wäre, dieses Ganze der Erfahrung zu erkennen, dann müssten wir eine Stellung außerhalb dieses erfahrbaren Bedingungsgefüges einnehmen. Da der Mensch ein sinnlich bedingtes Wesen ist, gelänge dies nur unter der Bedingung, dass ein Standpunkt in einem übergeordneten Raum und einer übergeordneten Zeit eingenommen wird, der es erlaubt, dieses Ganze zu erfassen. Wenn wir jedoch versuchen, das Ganze der Erfahrung zu erkennen, und meinen, dass uns dies gelingt, dann kann es sich so nicht mehr um das Ganze der Erfahrung handeln, weil dieselben räumlichen und zeitlichen Bedingungen und damit ein übergeordneter Erfahrungsbereich vorausgesetzt werden muss, um überhaupt etwas erfahren zu können. Zur Diskussion des Zusammenhangs transzendentaler Ideen und Vernunftideen wie ›reines Wasser‹ etc. siehe etwa Massimi (2017). 30 Siehe auch KrV, A 311 / B 367 f. Dort formuliert Kant dieses Argument wie folgt : »Wenn sie [die Vernunftbegriffe, d. i. die Ideen, K.K.] das Unbedingte enthalten, so betreffen sie etwas, worunter alle Erfahrung gehört, welches selbst aber niemals ein Gegenstand der Erfahrung ist : etwas, worauf die Vernunft in ihren Schlüssen aus der Erfahrung führt, […], [welches, K.K.] niemals aber ein Glied der empirischen Synthesis ausmacht.« Mit diesem Argument kritisiert Kant die traditionelle Metaphysik, deren Begriffe Kant zufolge der Erfahrung transzendente Ideen sind, die sie jedoch wie Erfahrungsobjekte behandelte. Siehe zu dieser Kritik Kants an der traditionellen Metaphysik auch Tetens (2006), 210–215. 29

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Eine Idee »übersteigt« also per definitionem diesen Bereich der Erfahrung. Die in der Idee repräsentierte Vorstellung eines Unbedingten ist damit kein Erkenntnisgegenstand. Auch die Idee der systematischen Einheit stellt in dieser Weise ein Unbedingtes dar. Denn sie ist Ausdruck aller jemals möglichen Erkenntnisse, die wir uns durch die Idee in maximaler Dichte untereinander verknüpft vorstellen (vgl. KrV, A 665 / B 693). Die Charakterisierung der Idee als notwendiger Fluchtpunkt der Systematisierung verweist darauf, dass unsere Vernunft durch diesen Bezug auf das Unbedingte in der Vorstellung der Idee die Verstandeserkenntnisse reflektiert und sie dadurch in einen systematischen Zusammenhang bringt, der auf ihre vollständige Einheit abzielt. Diese Vorstellung ist so auch die Vorstellung eines Unbedingten, aber – wie ich im nächsten Abschnitt zeigen möchte – keines Unbedingten, das wir bereits als gegeben bzw. existent setzen, sondern eines Unbedingten, das wir als uns aufgegeben be­trachten. 3.2.2 Der erkenntnistheoretische Status des Prinzips der Systematizität Kant betont immer wieder, dass das Prinzip der Systematiztität ein logisches Prinzip sei. Dieses Prinzip und die aus diesem hergeleiteten Prinzipien, die der Homogenität, Spezifikation und Kontinuität, dienen uns als Handlungsmaximen. Sie fordern uns dazu auf, »die empirischen Gesetze untereinander in einen maximal systematischen Zusammenhang zu bringen«31 ; wir sollen »soweit als es möglich ist, Einheit in die besonderen Erkenntnisse bringen« (KrV, A 647 / B 675). Der vorgestellten Einheit in der Idee können wir uns Kant zufolge jedoch nur annähern. Wir müssen sie als eine niemals abzuschließende Aufgabe betrachten, da diese Vorstellung eine ist, die niemals Gegenstand der Erfahrung werden kann. Sie ist damit eine »projektierte Einheit, die man an sich nicht als gegeben, sondern nur als Problem ansehen muß« (KrV, A 647 / B 675). Diskussionen um den erkenntnistheoretischen Status dieses Prinzips entzünden sich nun an Kants eigenen Ausführungen über den Status desselben. So bezeichnet Kant das Prinzip der Systematizität einerseits als ein logisches Prinzip, als eine Vernunftmaxime, andererseits behauptet er aber, dass wir in seiner Anwendung notwendigerweise voraussetzen müssen, dass es objektivgültig ist (vgl. KrV, A 650 f. / B 678 f.). Wir unterstellen mit dieser Voraussetzung, dass es ein notwendiges Prinzip zur Möglichkeit von Erfahrung ist. In welchem Sinne aber müssen wir den transzendentalen Status des Vernunftprinzips voraussetzen ? Für eine Diskussion des transzendentalen Status müssen wir uns den Gründen zuwenden, die Kant für die These der Vorausset31

Thöle (2000), 117.

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zung des transzendentalen Status des Vernunftprinzips anführt. Dabei werde ich dafür argumentieren, dass keiner dieser Gründe einer ist, nach welchem wir vorauszusetzen haben, dass das Systematizitätsprinzip selbst konstitutiv für die Gegenstände der Erfahrung ist, sondern dass die Voraussetzung die folgende ist : Wir müssen voraussetzen, dass die durch den Verstand bereits konstituierten Gegenstände so sind, dass sie sich systematisch ordnen lassen. Folgende Gründe lassen sich im Anhang für die Einführung der transzendentalen Voraussetzung finden32 : 1. Es wäre irrational zu systematisieren, um weitere Erkenntnisse empirischer Gegenstände zu gewinnen, wenn wir nicht voraussetzen würden, dass die Gegenstände der Natur selbst systematisch verfasst sind. Wir würden also gar nicht anfangen zu systematisieren. Wissenschaftliche Forschung würde dann nicht stattfinden können.33 2. Ohne die transzendentale Voraussetzung, dass die Natur systematisch verfasst sei, wären keine empirischen Begriffe möglich. Denn wenn sich die Naturgegenstände nicht ähnelten, dann würden wir keine empirischen Begriffe bilden und dann wäre folglich kein empirischer Verstandesgebrauch und damit auch keine zusammenhängende Einheit dieses Verstandesgebrauchs möglich.34 3. Die transzendentale Voraussetzung ist die Bedingung der Möglichkeit empirischer Wahrheit, da erst durch diese Prinzipien ein durchgängiger Zusammenhang der empirischen Verstandeserkenntnisse geschaffen werden kann, der wiederum allein das zureichende Kriterium empirischer Wahrheit ist.35 4. Die transzendentale Voraussetzung ist die Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis empirischer Naturgesetze, da die Wahrheit empirischer Kausalhypothesen an die Idee der systematischen Einheit aller Verstandeserkenntnisse gebunden ist.36 Ich formuliere diese Gründe hier in Anlehnung an Thöles eigene Auflistung ; vgl. Thöle (2000). 33 Wartenberg hebt dieses Argument hervor. In der Version von Wartenberg zeigt das Argument jedoch nur, dass ohne diese Voraussetzung wissenschaftliche Forschung nicht möglich wäre, aber nicht, dass sie notwendig ist, um eine Einheit der Erfahrung überhaupt zu konstituieren. Sie kann so nicht als transzendentales Prinzip begründet werden. Siehe Wartenberg (1992). 34 Dieses Argument stützt sich auf die Passagen von A 651 / B 679 bis A 654 / B 682. Horstmann zum Beispiel greift diese Überlegungen auf (vgl. Horstmann (1998), 532), auch wenn er die Figur der transzendentalen Voraussetzung letztlich zurückweist. 35 Dieses Argument stützt sich auf die Passagen von A 650 / B 678 bis A 651 / B 679 der Kritik der reinen Vernunft und wird von Caimi und auch von Thöle vertreten. Vgl. Caimi (1995), 315. Thöle (2000), 130. 36 Siehe Thöle (2000), 127 f. 32

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Der erste Grund besagt, dass wissenschaftliche Forschung ohne die Systematisierungsprinzipien der Vernunft nicht stattfinden kann. In der Tat betont Kant in den Passagen von A 651 / B 679 bis A 667 / B 695 des Anhangs explizit die wichtige Rolle, die das Prinzip der systematischen Einheit und die auf ihr beruhenden Forschungsprinzipien für die naturwissenschaftliche Forschung besitzen. Wissenschaftliche Forschung setzt einheitliche Zusammenhänge in der Natur voraus. Sie findet dadurch statt, dass empirische Erkenntnisse, die bereits gemachten Verstandeserkenntnisse, reflektiert werden und daraufhin aufgrund bestimmter Gesetze systematisch verbunden werden.37 Naturwissenschaftler*innen forschen dementsprechend dort weiter, wo zuvor behauptete empirische Zusammenhänge noch nicht in der Natur aufgefunden wurden. Sie unterstellen dabei, dass die Natur selbst eine systematische Einheit bildet, ohne dass sie um die Systematizität der Natur jemals sicher wüssten. Mit diesem Grund ist eine notwendige Bedingung der Möglichkeit wissenschaftlicher Forschung im Sinne eines normativen Rationalitätsgebots formuliert : Es ist rational geboten, Erkenntnisse über Gegenstände der Natur nur dann zu systematisieren, wenn wir davon ausgehen können, dass wir durch dieses Systematisieren auch zu weiteren Erkenntnissen über die Natur gelangen. Es wäre also irrational, zu Erkenntniszwecken zu systematisieren, wenn von vorneherein feststeht, dass es durch dieses Systematisieren zu keiner Erkenntnis kommen kann. Diese Begründung scheint jedoch keine Begründung zu sein, die einen transzendentalen Status dieses Prinzips rechtfertigen würde. Denn die Vernunftprinzipien sollen hier als objektiv gültig vorausgesetzt werden, nicht um die Möglichkeit der Erfahrung von Gegenständen überhaupt zu gewährleisten, sondern um mit den normativen Standards unserer Vernunft übereinzustimmen.38 Es ist jedoch nicht klar, inwiefern dieser Grund allein überhaupt ein Argument für die Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung sein soll. Der zweite Grund besagt, dass ohne Systematisierungsprinzipien keine empirische Begriffsbildung möglich wäre, empirische Begriffsbildung aber wiederum eine notwendige Bedingung für Erfahrung darstellt. Im Hintergrund dieses Arguments steht, dass wir empirische Begriffe nach Kant als generelle Termini verstehen müssen, die wiederum in eine Taxonomie von Gattungen und Arten eingeteilt sein sollen. Die Bildung des Begriffs ›Mensch‹ impliziert demnach die Unterordnung des Begriffes ›Mensch‹ unter den Begriff ›Lebewesen‹ ; und impliziert, dass ›Mensch‹ ein Artbegriff eines höheren Gattungsbegriffs ist.39 Um Vgl. Tetens (2006), 285. Meines Erachtens ist es dieser Grund, der McLaughlin dazu führt, Kant Überlegungen zum Systematisierungsprinzip der Vernunft im gesamten ersten Abschnitt des Anhangs so zu lesen, dass es sich bei diesen rein um epistemisch normative Forderungen der Vernunft an die Vernunft handelt ; vgl. McLaughlin (2014a), 563. 39 Ob Kant diese These tatsächlich aufstellt, ist in der Forschungsliteratur eine große Kontro37

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empirische Begriffe bilden zu können, müssen wir dann dementsprechend voraussetzen, dass sich auch die Gegenstände der Erfahrung in Gattungen und Arten einteilen lassen können. Es muss demnach zur Möglichkeit empirischer Begriffsbildung zum einen genügend sinnliche Exemplare geben, die sich hinreichend ähnlich sind, um solche Einteilungen vorzunehmen, so wie es zum anderen genügend sinnliche Exemplare geben muss, die Spezifikationen derart aufweisen, dass wir ihnen Artbegriffe zuschreiben können. Anders formuliert : Die Gegenstände der Natur müssen dem Prinzip der Systematizität entsprechen. Unabhängig davon, ob man der These der Notwendigkeit des Systematizitätsprinzips zur empirischen Begriffsbildung zustimmt, gilt es zunächst Folgendes festzuhalten : Es gibt gute Gründe, die Bildung von empirischen Begriffen für eine notwendige Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung zu halten, doch betrifft diese Notwendigkeit nicht die Möglichkeit des Denkens der Gegenständlichkeit eines Gegenstandes selbst.40 Sie ist somit nicht konstitutiv für die Gegenstände der Erfahrung, sondern setzt empirische Gegenstände voraus, die dann begrifflich bestimmt werden können. Sie bezieht sich so auf die Möglichkeit unseres Bezugs auf die für uns a priori nicht zugängliche Besonderheit empirischer Gegenstände. Dass empirische Begriffsbildung möglich ist, stellt nur in diesem Sinne eine notwendige Bedingung für Erfahrung dar – ohne empirische Begriffe keine empirische Erkenntnis. An dieser Stelle ist auch noch nicht klar, welchen Beitrag die Vernunft genau zur empirischen Begriffsbildung leistet. Denn allein durch die Bereitstellung der Systematizitätsprinzipien und durch die Voraussetzung, dass dieselben der Natur zukommen, entstehen noch keine empirischen Begriffe ; und direkt auf empirische Gegenstände kann sich unsere Vernunft nicht beziehen. Da Letzteres Aufgabe der reflektierenden Urteilskraft ist und wir auf dieselbe im nächsten Abschnitt eingehen, möchte ich diesen Grund an dieser Stelle zurückstellen und das Verhältnis von Vernunft und reflektierender Urteilskraft und damit den Beitrag der Vernunft zur empirischen Begriffsbildung erst im nächsten Abschnitt diskutieren. verse. Ich selbst schließe mich aufgrund der Ausführungen im Anhang und in der Kritik der Urteilskraft dieser These an. Auf diese Problematik komme ich in Abschnitt 3.3.2 zurück. 40 Thöle führt zudem an, dass Kant selbst bereits in der transzendentalen Deduktion der A-Auflage angibt, eine für empirische Begriffsbildung hinreichende Regelmäßigkeit unter den Wahrnehmungen der Gegenstände begründet zu haben (vgl. Thöle (2000), 123). Es lässt sich also fragen, ob empirische Begriffsbildung nicht allein schon auf Basis der Verstandestätigkeiten der Apprehension, Reproduktion und Rekognition, die in der A-Auflage der ersten Kritik vorgestellt werden, möglich ist. Ich denke jedoch, dass es sich hierbei um notwendige Bedingungen, aber nicht um hinreichende Bedingungen handelt. Man sollte die Verstandestätigkeiten schon deshalb als nur notwendige Bedingung verstehen, weil Kant in der dritten Kritik auch das Vermögen der reflektierenden Urteilskraft zur Bildung empirischer Begriffe heranzieht.

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Der dritte Grund besagt nun, dass wir kein zureichendes Merkmal empirischer Wahrheit hätten, wenn wir die Idee der systematischen Einheit der Natur nicht voraussetzen würden (vgl. KrV, A 651 / B 679). Das zureichende Merkmal empirischer Wahrheit einer Aussage oder eines Gesetzes sei dann gegeben, wenn sie mit anderen empirischen Aussagen in einem kohärenten und durchgängigen Zusammenhang stehen können. Denn um die Wahrheit einer empirischen Aussage zu bestimmen, muss nicht nur eine Übereinstimmung von Anschauung und Begriff vorliegen, sondern die empirischen Begriffe, die ich dabei verwende, und die empirischen Gesetzmäßigkeiten, die ich dem Sachverhalt zugrunde lege, müssen in Zusammenhang mit anderen empirischen Begriffen und Gesetzmäßigkeiten gebracht werden können. Diese Argumentation gründet in Kants These, dass sich unser Verstand allein auf die Vereinheitlichung von Wahrnehmungen bezieht. Ihm ist es daher nicht möglich, seine Erkenntnisse zu reflektieren und dadurch zu systematisieren. Zwar ist die Anwendung der Kategorien auch die Erzeugung einer Einheit, doch laut Kant handelt es sich hierbei lediglich um eine »distributive [...] Einheit« (KrV, A 644 / B 672). Der Verstand vereinheitlicht Wahrnehmungen, wie die des Schiffes, das sich zunächst oberhalb und dann unterhalb des Flusses befindet, zu Urteilen, in diesem Fall zu einem Urteil über die entsprechende Kausalbeziehung. Insofern unser Verstand aber Kant zufolge nicht wieder die einzelnen gefällten Urteile miteinander verbindet, bleibt die vom Verstand hergestellte Einheit distributiv. Unser Verstand ist nicht das Vermögen, das Zusammenhänge zwischen einzelnen Erfahrungsinhalten herstellt. Es ist unsere Vernunft, die einen »zusammenhangenden Verstandesgebrauch« (KrV, A 651 / B 679) erst ermöglicht, indem sie die gemachten Erkenntnisse bzw. empirischen Urteile durch Schlüsse inferentiell verknüpft. Sie bringt dadurch auf rein begrifflicher Ebene die »kollektive Einheit« (KrV, A 644 / B 672) dieser Erkenntnisse zustande. In diesem Sinne stellt unsere Vernunft erst eine »durchgängige […] Einheit« (KrV, A 645 / B 673) unserer empirischen Verstandeserkenntnisse her. Sie vollzieht eine Metareflexion der Verstandeserkenntnisse und sie kann sie dadurch erst in einen Zusammenhang bringen. Dieser dritte Punkt liefert kein transzendentales Argument im Sinne eines Nachweises der Konstitution der Gegenständlichkeit der Gegenstände der Erfahrung, dennoch handelt es sich um eine Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung. So ist ein notwendiges Kriterium der Wahrheit von Aussagen, ob sie im Einklang mit anderen bereits für wahr gehaltenen Urteilen über empirische Gesetzmäßigkeiten stehen. Wir halten beispielsweise die Aussage »Der Stein flog von selbst in die Luft« für falsch, da er nicht in Einklang mit unserer Theorie über die Gravitation steht. Wollen wir dieser Aussage nachgehen, so suchen wir nach Ursachen für das Hochfliegen des Steines und suchen diese Aussage in Übereinstimmung zu bringen mit dem, was wir über die Natur wissen. Dass einzelne Urteile aber überhaupt miteinander in Einklang oder

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auch nicht in Einklang stehen können, setzt voraus, dass wir einen durchgängigen Zusammenhang besonderer empirischer Urteile geschaffen haben. Wenn Zusammenhänge einzelner Urteile nicht gezogen werden würden, wäre nicht klar, ob sich die einzelnen Erkenntnisse auf ein und dieselbe Natur beziehen. In dem Fall hätten wir keine Möglichkeit, Aussagen auf ihren Wahrheitswert zu überprüfen. Ein Wahrheitskriterium empirischer Aussagen würde uns dann vollkommen abhandenkommen. Selbst wenn unsere einzelnen Aussagen einzelnen Abläufen in der Natur korrespondieren, ist ein hinreichendes Merkmal empirischer Wahrheit also erst dann erfüllt, wenn wir einen durchgängigen Zusammenhang unserer Aussagen hergestellt haben. Ohne die Herstellung eines solchen Zusammenhangs könnten wir nicht darüber urteilen, was eigentlich objektiv der Fall ist oder nicht. Diese Bedingung muss also erfüllt sein, wollen wir uns adäquat auf empirische Objekte beziehen. Sie stellt damit eine notwendige Bedingung für Erfahrung dar. Der vierte Grund nun bezieht sich auf Kants Behauptung, dass die »systematische Einheit der Verstandeserkenntnisse […] Probierstein der Wahrheit der Regeln« (KrV, A 647 / B 675) sei. Diese Behauptung lässt sich so verstehen, dass wir nur dann in der Lage sind, empirische Kausalgesetze als empirische Kausalgesetze zu erkennen, wenn wir das Prinzip der Systematizität voraussetzen. Hierzu beziehe ich mich im Folgenden auf Thöles Interpretationsvorschlag, der die erkenntnistheoretische Funktion des Systematizitätsprinzips darin begründet sieht, dass wir nur zwischen zufälligen Regelmäßigkeiten und tatsächlichen empirischen Gesetzmäßigkeiten unterscheiden können, wenn wir die Idee der systematischen Einheit aller Verstandeserkenntnisse voraussetzen.41 Empirische Kausalgesetze können wir demgemäß nur dann als diese Gesetze erkennen, wenn wir empirische Kausalhypothesen gegenüber zufälligen empirischen Regelmäßigkeiten als notwendig ausweisen können. Und dies wiederum setze die systematische Einheit aller Verstandeserkenntnisse voraus, da wir dafür eine Theorie über die Gesamtheit aller möglichen empirischen Daten benötigen würden, in der alle Daten, d. h. Erscheinungen, in einen durchgängigen Zusammenhang gebracht werden. Die Annahmen, die diesen durchgängigen Zusammenhang der Daten ermöglichen, gelten dann wiederum als empirische Kausalgesetze. Nun besitzen wir aber nicht die Gesamtheit aller möglichen empirischen Daten. Daher brauchen wir das Prinzip der Systematizität, das als Extrapolations- und Korrekturprinzip dienen soll. Denn durch dieses seien wir in der Lage, Gesetzeshypothesen, die wir auf Grundlage der bereits vorliegenden Daten erstellt haben, auf auch noch nicht gegebene Gegenstände oder Sachverhalte der Natur auszudehnen und so einerseits überhaupt erst zu Annahmen zu gelangen, die sich auf einen durchgängigen Zusammenhang aller möglichen 41

Vgl. Thöle (2000), 126 f.

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Daten beziehen, sowie daraufhin noch ungenaue Daten zu korrigieren und zu präzisieren.42 Auch hier handelt es sich um keinen Grund, den wir als konstitutiv für die Gegenstände der Erfahrung ausweisen können, da es um die Möglichkeit der Erkennbarkeit bereits bestehender empirischer Kausalgesetze geht. Dass diese mit der zweiten Analogie der Erfahrung noch nicht gewährleistet ist, haben wir im letzten Kapitel gesehen. So scheint die Möglichkeit der Bildung solcher Prinzipien tatsächlich notwendig zu sein, um empirische Kausalgesetze als solche überhaupt erst erkennen zu können. Doch ist auch hier vorerst das Verhältnis zur reflektierenden Urteilskraft ungeklärt, da Kant in den Einleitungen zur Kritik der Urteilskraft betont, dass wir erst durch die Rolle der reflektierenden Urteilskraft im Erkenntnisprozess empirischen Kausalgesetzen die Notwendigkeit zuschreiben können, die sie haben müssen, um als Gesetze gelten zu können. Auch auf diesen Punkt werde ich in der Diskussion des Prinzips der reflektierenden Urteilskraft zurückkommen. Fassen wir zusammen : Es hat sich gezeigt, dass sich die Systematizitätsprinzipien auf bereits gegebene Gegenstände beziehen, die Inhalt der jeweiligen Verstandeserkenntnis sind. Die Konstitution von Gegenständen wird damit in Anwendung der Idee der systematischen Einheit bereits vorausgesetzt. Die Voraussetzung besteht also nicht darin, dass durch die Idee selbst Gegenstände konstituiert werden, sondern darin, dass diese durch den Verstand bereits konstituierten Gegenstände so sind, dass sie sich gemäß dieser Idee systematisieren lassen. Es hat sich also gezeigt, dass alle vier Punkte nicht konstitutiv für die Gegenstände von Erfahrung sind und dass wir auch nicht voraussetzen müssen, dass sie konstitutiv für die Gegenstände der Erfahrung sind.43 Die letzten drei Punkte stellen dennoch notwendige Bedingungen für Erfahrung dar, wobei bei zwei der drei Punkte noch unklar ist, welchen Beitrag die Vernunft tatsächlich leistet und ob es hier also weiterer Untersuchung bedarf. Punkt 2 und 4 werde ich dementsprechend in Abschnitt 3.3. wieder aufgreifen. Überzeugend ist jedoch bereits an dieser Stelle, dass wir erst durch inferentielle Verknüpfungen ein hinreichendes Merkmal empirischer Wahrheit gewinnen. Denn wir können nur unter Voraussetzung eines durchgängigen Zusammenhanges der Verstan42

Vgl. Thöle (2000), 128 f. Auf eine Diskussion des Unterschiedes zwischen der Idee der systematischen Einheit und den Ideen Seele, Welt und Gott kann ich hier leider nicht mehr eingehen. Ich möchte nur andeuten, dass ich denke, dass sich das Nicht-Bezogen-Sein der Idee der systematischen Einheit auf die Konstitution von Gegenständen auch als ein Unterscheidungsmerkmal dieser Ideen von der Idee der systematischen Einheit nutzen lässt : Denn im Gegensatz zu den transzendentalen Ideen Seele, Welt und Gott, mit denen der trügerische Schein einhergeht, konstitutiv für die Gegenstände der Erfahrung zu sein, ist dies – wie ich argumentiert habe – bei genauerem Blick auf die Idee der systematischen Einheit nicht der Fall.

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deserkenntnisse zeigen, dass sich einzelne Aussagen auf ein und dieselbe Natur beziehen, und so überhaupt erst unter dieser Bedingung von der Wahrheit empirischer Aussagen reden. Unsere Vernunft ist das Vermögen, das Verstandeserkenntnisse inferentiell verknüpft, und ermöglicht in ihrem regulativen Gebrauch ein solches hinreichendes Merkmal empirischer Wahrheit allererst. Es hat sich auch gezeigt, dass die Diskussion darüber, ob die Vernunftprinzipien transzendental oder nur rein logisch sind, insofern irreführend ist, als im Anhang ein anderer Begriff von transzendental gemeint ist, als in den Diskussionen um den transzendentalen Status der Vernunftprinzipien in der Forschungsliteratur vorausgesetzt wird.44 Dieser Begriff bezieht sich nicht auf die Bedingungen, die konstitutiv für die Gegenständlichkeit der Gegenstände der Erfahrung ist, sondern auf begriffliche Meta-Bedingungen, die zur Möglichkeit von Erfahrung erfüllt sein müssen. 3.2.3 Die Denkfigur der transzendentalen Voraussetzung Mit der Voraussetzung des transzendentalen Status des Vernunftprinzips kommt also eine weitere Bedeutung von ›transzendental‹ ins Spiel als diejenige, nach welcher Begriffe transzendental sind, wenn sie konstitutiv für die Gegenstände der Erfahrung sind. Vorausgesetzt wird im Anhang nicht, dass das Vernunftprinzip konstitutiv für die Gegenstände der Erfahrung sein muss, sondern vorausgesetzt wird, dass es den bereits konstituierten Gegenständen zukommen muss. Wir dürfen dieses Prinzip anwenden, weil wir nur so zu einem hinreichenden Merkmal empirischer Wahrheit gelangen, welches wiederum eine Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung ist. Wenn uns nun aber eine A-prioriBegründung des Zutreffens dieser A-priori-Prinzipien auf die Natur verwehrt bleibt, dann könnte man sich die Frage stellen, woher wir denn dann jemals wissen können, ob unsere Art der Systematisierung der Ordnung der Natur tatsächlich entspricht. Denn wir besitzen keine Kriterien des Nachweises des Zutreffens dieser Prinzipien auf die Gesetzmäßigkeit der Natur. Da die Vorstellung der Idee der systematischen Einheit den Bereich der Erfahrung übersteigt, könnte es sich bei dieser auch um eine pure Fiktion handeln, die nichts mit der Ordnung der Natur gemein hat.45 So auch McLaughlin (2014a), 557. Grier antwortet auf diese Fragen, indem sie die Annahme der gegenständlichen Gegebenheit der Idee der systematischen Einheit als transzendentalen Schein entlarvt ; vgl. Grier (1997). Auf diese Weise schafft sie es, Sinn aus Kants widersprüchlich anmutenden Überlegungen im Anhang zur transzendentalen Dialektik der Kritik der reinen Vernunft zu gewinnen. Doch inwiefern sie damit die Frage nach der Berechtigung der Anwendung der

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Dieser Abschnitt hat zwei Ziele : Zum einen möchte ich die Annahme ausräumen, dass wir auf irgendeine Art und Weise tatsächlich nachweisen können, dass das Prinzip zutrifft. Daraus wird zum anderen ersichtlich, dass es im Anhang überhaupt nicht darum gehen kann, solche Kriterien des Zutreffens zu liefern. Ich halte eine Diskussion der Frage nach den möglichen Kriterien, anhand derer wir wissen könnten, ob das Systematizitätsprinzip den Gegenständen der Natur zukommt oder nicht, dementsprechend für verfehlt. Ich greife für die Diskussion exemplarisch Horstmanns Lesart auf. Horstmann ist einer der Interpret*innen, die der Ansicht sind, dass Kant Gründe für das Zutreffen des Systematizitätsprinzips liefern muss, weil wir es nur dann anzuwenden berechtigt sind. Ich habe bereits im letzten Abschnitt gezeigt, dass wir gute Gründe zur Anwendung des Systematizitätsprinzips haben, die jenseits des Nachweises des Konstitutivseins dieses Prinzips liegen. Fragen wir trotzdem noch nach einem Nachweis des Zutreffens dieses Prinzips auf die Gegenstände der Erfahrung, so geraten wir meines Erachtens in eine Sackgasse. Denn dieser Grund wäre a priori nur durch den Nachweis einzuholen, dass sich dieses Prinzip als konstitutiv für die Gegenstände der Erfahrung erweist. Diesen Grund haben wir bereits ausgeschlossen. Vernunftideen sind niemals konstitutiv für die Gegenstände der Erfahrung.46 Auf der Suche nach einem Grund für die Berechtigung der Annahme der Systematizität in der Natur schlägt Horstmann nun vor, den Begriff systematischer Einheit als einen Begriff anzusehen, der zwar nicht a priori, aber dennoch durch entsprechenden Erfolg der Naturwissenschaften »empirisch gesichert« werden könne. So könnten wir die Vernunftprinzipien einfach mit Verweis darauf als begründet ansehen, dass wir doch Erfolge in den empirischen Wissenschaften erzielen, gesicherte systematische Erkenntnis besäßen und somit das Vernunftprinzip empirisch gesichert sei, weil die Natur sich zumindest bis zu dem bisher erforschten Grad systematisieren lasse.47 Durch eine Diskussion dieses Vorschlags lässt sich jedoch aufzeigen, dass uns keine Kriterien für das (Nicht-)Zutreffen des Systematizitätsprinzips verfügbar sind und der Vorschlag dementsprechend von einer irreführenden Intention geVernunftprinzipien auf die Verstandeserkenntnisse, die wiederum Erkenntnisse über die Gegenstände der Natur sind, beantworten kann, ist nicht klar. 46 Die Figur der transzendentalen Voraussetzung hält Horstmann für misslich, da Kants Vorgehensweise Vernunftideen zunächst jeglichen konstitutiven und damit direkten Gegenstandsbezug abspricht, um den konstitutiven Charakter daraufhin jedoch wiederum für das Vernunftgeschäft mit der Figur der transzendentalen Voraussetzung vorauszusetzen ; vgl. Horstmann (1998), bes. 529–534. Tatsächlich wäre die Figur der transzendentalen Voraussetzung so verstanden mehr als misslich. Dass die Figur der transzendentalen Voraussetzung in diesem Sinne aber nicht verstanden werden kann, habe ich im letzten Abschnitt zu zeigen versucht. 47 Vgl. Horstmann (1998), 543.

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leitet wird. Denn gemäß den kantischen Vorgaben können wir die Adäquatheit des Vernunftprinzips für die – oder auch nur für vorerst einige – Gegenstände der Natur niemals empirisch bestätigen. Und dafür gibt es mindestens drei Gründe : Erstens wäre es in Anbetracht der unendlich vielen möglichen besonderen Erkenntnisse und Erkenntniszusammenhänge, die wir noch gewinnen können, durchaus möglich, dass unsere jetzigen Erkenntniszusammenhänge über empirische Gegenstände einfach nicht stimmen und wir nur zufällige Erfolge erzielen. Es ist in Anbetracht dieser Möglichkeit nicht klar, was ›gesichert‹ eigentlich heißen soll. Zweitens würden wir auf diese Weise eine empirische Begründung, nämlich den vermeintlichen Erfolg in den Naturwissenschaften, für ein A-priori-Prinzip geben – eine Form der Begründung, die für Kant ausgeschlossen ist. Besitzen wir bzw. unsere Vernunft ein Prinzip a priori, so bedeutet dies Kant zufolge schließlich, dieses unabhängig von Erfahrung begründen zu können. Ein Prinzip, das wir unabhängig von Erfahrung besitzen, kann sich also per definitionem nicht durch Erfahrung begründen lassen, denn dann würden wir es aufgrund von Erfahrung besitzen. Eine solche Begründung wäre drittens zirkulär, insofern wir die Gültigkeit des Prinzips zu seiner Begründung bereits voraussetzen würden. Denn die Berechtigung seiner Anwendung auf empirische Gegenstände soll ja die Gültigkeit desselben für empirische Gegenstände sein. Wenn wir das Systematisierungsprinzip also auf die Verstandeserkenntnisse und damit auf die empirischen Gegenstände anwenden, dann müssen wir die empirische Gültigkeit bereits voraussetzen, die wir doch durch die Anwendung desselben erst empirisch einzuholen gedachten. Ein solcher Vorschlag übersieht zudem die Notwendigkeit, die Kant dem regulativen Vernunftprinzip für die Möglichkeit von Erfahrung tatsächlich zuschreibt. Trotz seines regulativen subjektiven Status soll das Systematizitätsprinzip ein notwendiges Prinzip für die Möglichkeit von Erfahrung sein. Wenn erst dieses Prinzip, wie ich oben argumentiert habe, ein hinreichendes Merkmal empirischer Wahrheit liefert und der Besitz eines hinreichenden Merkmals empirischer Wahrheit wiederum eine notwendige Bedingung für Erfahrung ist, dann wäre es äußerst misslich, das Prinzip der Systematizität empirisch zu begründen. Denn eine empirische Begründung dieses Prinzips wäre eine bloß kontingente Begründung desselben. Es hat sich dann einfach zufälligerweise herausgestellt, dass dieses Prinzip zutrifft. Der Vorschlag kann also nicht deutlich machen, worin die Notwendigkeit dieses regulativen Prinzips eigentlich liegen soll, die Kant diesem Prinzip aber klarerweise zuspricht. Dies ist ein weiterer Grund dafür, dass es im Anhang nicht um den Nachweis gehen kann, Kriterien für das Zutreffen des Systematizitätsprinzips zu finden. Es ist gerade Kants Punkt, dass wir keine Kriterien für einen solchen Nachweis besitzen. Dies zeigt aber nicht, dass die Anwendung des Vernunftprinzips nicht berechtigt ist, sondern es zeigt, dass dem Inhalt der so konstituierten Erkennt-

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nisse nicht derselbe Notwendigkeitsgrad zukommt wie Erkenntnissen, die durch transzendentale Verstandesprinzipien gewonnen werden. Dass wir keine Kriterien haben, darüber zu urteilen, ob das Systematizitätsprinzip der Natur tatsächlich zukommt, bedeutet dann einfach, dass die über das Vernunftprinzip gewonnenen Erkenntnisse nicht in demselben Sinne wahr sein können, wie die durch Verstandesbegriffe hergeleiteten Grundsätze des Verstandes es sind. Die durch das Prinzip gewonnenen Erkenntnisse sind hypothetisch und nicht apodiktisch geltende Erkenntnisse. Daher bezeichnet Kant den Gebrauch der Vernunft unter Anleitung des Systematizitätsprinzips auch als den hypothetischen Gebrauch der Vernunft (vgl. KrV, A 647 / B 675). Der Ausdruck ›empirische Wahrheit‹ ist damit auch nicht gleichzusetzen mit der Art und Weise, gemäß der wir die Verstandesgrundsätze als wahr bezeichnen, d. i. als notwendigerweise immer oder metaphysisch wahr. Empirische Wahrheit bleibt bedingte Wahrheit. Ich habe in diesem Abschnitt erstens dafür argumentiert, dass es in der Einführung der Figur der transzendentalen Voraussetzung nicht darum geht, dass wir voraussetzen müssen, dass das Vernunftprinzip konstitutiv für die Gegenstände der Natur ist. Wir müssen lediglich voraussetzen, dass es auf die schon konstituierten Gegenstände der Natur zutrifft. Die Voraussetzung, dass die Gegenstände der Natur unserem Systematisierungsprinzip entsprechen, müssen wir aufstellen, weil wir keine Kriterien (weder a priori noch empirische) haben, anhand derer wir zeigen könnten, dass diese Prinzipien zutreffen. Dieser fehlende Nachweis der Kriterien für das Zutreffen des Systematizitätsprinzips ist nun aber kein Mangel der kantischen Argumentation. Die Unmöglichkeit des Nachweises von Kriterien des (Nicht)-Zutreffens dieses Prinzips spiegelt meines Erachtens schlicht die Grundkonstitution vernünftiger, aber sinnlicher und endlicher Wesen wider. Weder können wir empirische Gesetzmäßigkeiten a priori deduzieren, noch wissen wir, ob die Vorstellung von Ideen auf die erfahrbare Welt zutreffen. Es muss für sinnliche Wesen epistemisch ungewiss bleiben, ob das Systematizitätsprinzip zutrifft, da es in einer Idee ­gründet. Dennoch ist das bisherige Resultat unbefriedigend. Denn zum einen argumentierte ich, dass qua Anwendung des Vernunftprinzips ein hinreichendes Merkmal empirischer Wahrheit geschaffen wird, das Vernunftprinzip sich selbst aber gar nicht direkt auf empirische Gegenstände bezieht. Nicht nur die aus dem Systematizitätsprinzip folgenden Prinzipien, auch die aus ihm erzeugten Ideen haben so gar keinen empirischen Bezug. Unklar ist, inwiefern dann dieses Vernunftprinzip überhaupt notwendig für die empirische Begriffsbildung sein soll – wie ich in Punkt zwei des letzten Abschnittes aber mit Kant behauptet habe. Unklar ist fernerhin, wie empirische Erkenntnisse anhand solcher Prinzipien und unter solche Ideen geordnet werden können, wenn sie qua Vernunft gar keinen direkten empirischen Bezug haben. Zum anderen erweist sich die Anwendung dieses Prinzips so betrachtet als Lotteriespiel. Unsere Vernunft

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muss in ihrem regulativen Gebrauch voraussetzen, dass die Ordnung der Natur tatsächlich in der Weise systematisch ist, wie das Vernunftprinzip dies vorgibt. Sie hat aber keine Anhaltspunkte, um wirklich zu überprüfen, ob das der Fall ist. Diese Argumentation lässt so sehr viel Platz für skeptische Positionen. Ich denke, dass Kant auf beide Desiderate mit der Einführung der reflektierenden Urteilskraft und des ihr eigenen Prinzips der Zweckmäßigkeit der Natur antwortet. 3.3 Das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur Das Prinzip der Zweckmäßigkeit stellt Kant in der Kritik der Urteilskraft vor. Die Einführung dieses Prinzips führt zu zwei interpretatorischen Herausforderungen, die für die vorliegende Untersuchung relevant sind. So gilt es zum einen den Status des Prinzips der Zweckmäßigkeit zu klären, mithin zu klären, in welchem Sinne es als transzendentales Prinzip gelten kann. Denn das Prinzip der Zweckmäßigkeit wird von Kant als ein transzendentales Prinzip eingeführt. Und gleich dem Prinzip der Systematizität besteht die transzendentale Funktion dieses Prinzips aber nicht darin, dass es gegenstandskonstitutiv ist. Zum anderen soll das Prinzip der Zweckmäßigkeit gleich dem Prinzip der Systematizität zur empirischen Nachforschung dienen und hat insofern auch eine heuristische Funktion inne. Hier stellt sich die Frage nach der sachlichen Differenz beider Prinzipien. Und da beide Prinzipien vor dem Ausgangspunkt der Unterbestimmtheit der Natur durch die transzendentalen Verstandesgesetze eingeführt werden, stellt sich nicht nur die Frage nach dem Verhältnis von Vernunfttätigkeit und der Tätigkeit der reflektierenden Urteilskraft, sondern auch die Frage nach dem Verhältnis von der Verstandestätigkeit zu der Tätigkeit der reflektierenden Urteilskraft.48 In der Forschungsliteratur sind auf beide Fragen Antworten gegeben worden, die jedoch ihrerseits unbefriedigend bleiben. Gemäß der in dieser Arbeit vorgeschlagenen Lesart der zweiten Analogie scheiden Vorschläge der Vertreter*innen der schwachen Version des Kausalprinzips, wie der von Allison, unmittelbar aus. Denn dieser sieht die Funktion des Prinzips der Zweckmäßigkeit darin, dass erst mit diesem die Gültigkeit des Uniformitätsprinzips von Ursache und Wirkung etabliert ist, welches wir zur empirischen Nachforschung voraussetzen müssen.49 Wie ich im letzten Kapitel jedoch argumentiert habe, muss dieses schon mit der Etablierung des Kausalgesetzes in der zweiten Analogie etabliert Eine Frage, die, soweit ich sehe, in der Forschungsliteratur nicht genügend berücksichtigt wird. 49 Zu Allisons Vorschlag siehe Allison (2001), 38. 48

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sein, wenn Kant Humes Argumenten tatsächlich etwas entgegensetzen können möchte.50 Ginsborg wiederum schlägt vor, das Zweckmäßigkeitsprinzip als notwendig für empirische Begriffsbildung zu verstehen. Das Prinzip der Zweckmäßigkeit soll dabei Ausdruck einer natürlichen Disposition unsererseits sein, Anschauungen auf eine bestimmte, den Gegenständen der Natur angemessene Weise auf Begriffe zu bringen. Ginsborgs Interpretation werde ich in 3.3.2 aufgreifen, denn die These, dass das Prinzip der Zweckmäßigkeit notwendige Bedingung zur empirischen Begriffsbildung ist, halte ich für überzeugend. Ginsborg kann jedoch nicht verständlich machen, inwiefern das Prinzip der Zweckmäßigkeit an die regulative Idee eines uns ungleichartigen Verstandes gebunden ist – wie Kant es aber behauptet. Im Gegenteil, ihr Ansatz zur Deutung des Prinzips der Zweckmäßigkeit kommt ohne die These Kants aus, dass wir die gesamte Natur als für den Zweck ihrer Erkennbarkeit geschaffen verstehen müssen. Wie ich argumentieren werde, ist dies jedoch eine These, die die Anwendung des Prinzips der Zweckmäßigkeit erst ermöglicht. Guyer zufolge soll das Prinzip der Zweckmäßigkeit insofern ein transzendentales Prinzip sein, als nur die Anwendung dieses Prinzips uns ermöglichen soll, empirischen Kausalgesetzen überhaupt erst Notwendigkeit zuschreiben zu können. Empirische Kausalgesetze könnten  – so Guyer  – zwar nicht aus den transzendentalen Verstandesgesetzen hergeleitet werden, dennoch müssen wir sie als notwendig betrachten können, sollen sie Gesetzescharakter haben. Diesen Gesetzescharakter können sie jedoch erst besitzen, wenn sie untereinander in einer systematischen Einheit stehen, die sich auf die Gesamtheit aller möglichen empirischen Daten bezieht.51 Dieser Gedanke findet sich ohne Zweifel in den Einleitungen der Kritik der Urteilskraft. Dennoch – und hiermit gehe ich zur zweiten oben benannten interpretatorischen Herausforderung über – setzt Guyer das Prinzip der Zweckmäßigkeit nicht in Bezug zu den Überlegungen im Anhang zur transzendentalen Dialektik. Eine solche Bezugnahme nimmt er nicht vor, da er das Prinzip der Systematizität durch das Prinzip der Zweckmäßigkeit ersetzt denkt. Wie ich in diesem gesamten Kapitel argumentiere, halte ich die These der Ersetzung des Prinzips der Systematizität durch das Prinzip der Zweckmäßigkeit jedoch für unplausibel. Die These der simplen Ersetzung des Prinzips der Systematizität durch das Prinzip der Zweckmäßigkeit ist bereits insofern unbefriedigend, als die Reflexionsebenen beider Vermögen und damit die Anwendungsbereiche beider Prinzipien – wie ich in 3.1.2 gezeigt habe – divergieren. Es ist also gar nicht unmittelbar klar, wie das eine Prinzip das andere ersetzen soll. Jedoch steht es noch aus, der These eines ergänzenden Verhältnis Siehe dazu Abschnitt 2.2.2. Vgl. Guyer (2005), 56 u. 66–68.

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ses beider Vermögen einen konkreteren Inhalt zu geben. Dies nehme ich mir im Folgenden vor. Ich denke nun, dass ein differenzierter Umgang mit der ersten Herausforderung auch der zweiten begegnen kann, und werde in diesem Abschnitt wie folgt argumentieren : Das Prinzip der Zweckmäßigkeit ist insofern transzendental, als es empirischen Gegenstandsbezug allererst ermöglicht. Die Anwendung dieses Prinzips impliziert die Voraussetzung eines Verstandes, der die Gegenstände der Natur unseren Erkenntnisvermögen gemäß eingerichtet hat. Es ist aber regulativ, weil wir keine Kriterien der Richtigkeit der Anwendung dieses Prinzips besitzen. Dieses Prinzip ermöglicht es uns also, empirische Gegenstands­bezüge sowie empirische Gesetzmäßigkeiten52 herzustellen, ohne dass wir sichere Kriterien – seien sie a priori oder empirisch – dafür hätten, dass diese Gesetzmäßig­ keiten den Gegenständen tatsächlich zukommen. In dieser Funktion ist die Tätigkeit der reflektierenden Urteilskraft eine der Verstandes- und der Vernunfttätigkeit korrespondierende. Denn mithilfe des Prinzips der Zweckmäßigkeit stellen wir den empirischen Gegenstandsbezug her, der durch die transzendentalen Verstandesgesetze unbestimmt gelassen worden ist und der dem Vernunftprinzip der Systematizität abgehen muss. 3.3.1 Die Herleitung des Prinzips der Zweckmäßigkeit Ausgangspunkt der Herleitung dieses Prinzips in den Einleitungen53 der Kritik der Urteilskraft ist die These, dass das Prinzip der Zweckmäßigkeit – ebenso wie das Prinzip der Systematizität – dort zur Geltung kommt, wo uns die transzendentalen Verstandesgesetze über die Beschaffenheit der Natur keine weitere Auskunft geben können. Die reflektierende Urteilskraft haben wir nun in Abschnitt 3.1.2 bereits als das Vermögen bestimmt, welches zu gegebenen Besonderen in der Natur allgemeine Regeln findet. Es ermöglicht dadurch induktive empirische Nachforschung. Was aber besagt die regulative Idee, anhand derer Kant das Prinzip der Zweckmäßigkeit herleitet ? Eine begriffliche Herleitung des Prinzips der Zweckmäßigkeit fehlt – soweit ich sehe – in der Forschungsliteratur. Es wird schlicht konstatiert, dass dieses Prinzip in dem Denken eines anderen Verstandes besteht. Diese simple Konstatierung kann jedoch nicht die spezifische Funktion dieses Prinzips deutlich machen. Die Funktion dieses Prinzips Zum Verhältnis von empirischem Gegenstandsbezug und empirischer Gesetzmäßigkeit siehe Abschnitt 3.3.2 dieses Kapitels. 53 Die Kritik der Urteilskraft hat zwei Einleitungen, eine veröffentlichte und eine unveröffentlichte. Es ist nicht Aufgabe des folgenden Abschnitts, beide Einleitungen zu vergleichen und auf Unterschiede hin zu untersuchen. Einen expliziten Vergleich beider Einleitungen nimmt beispielsweise Peter vor, siehe Peter (1992), 52–74. 52

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wird uns – wie ich denke – nur verständlich, wenn wir freilegen, wie dieses Prinzip begrifflich aus Verstandes- und Vernunftprinzipien hergeleitet wird. Und diese Herleitung geschieht in zwei Schritten. Der erste Schritt ist die Bildung einer Analogie, die Kants Lehre von der Verstandestätigkeit als synthetisierende und gesetzgebende Tätigkeit zum Quellphänomen hat. Denn das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft kann Kant zufolge »[…] kein anderes sein als : daß, da allgemeine Naturgesetze ihren Grund in unserem Verstande haben, der sie der Natur (obzwar nur nach dem allgemeinen Begriffe von ihr als Natur) vorschreibt, die besonderen empirischen Gesetze in Ansehung dessen, was in ihnen durch jene unbestimmt gelassen ist, nach einer solchen Einheit betrachtet werden müssen, als ob gleichfalls ein Verstand (wenn gleich nicht der unsrige) sie zum Behuf unserer Erkenntnißvermögen, um ein System der Erfahrung nach besonderen Naturgesetzen möglich zu machen, gegeben hätte.« (KdU, AA V 180)

In der Kritik der reinen Vernunft lehrt uns Kant, dass es unser Verstand ist, der die transzendentalen Verstandesgesetze erzeugt und diese in die Natur hineinlegt. In Anwendung des Prinzips der reflektierenden Urteilskraft bedienen wir uns einer Analogie, anhand derer wir dieses in der Kritik der reinen Vernunft etablierte Bild vom gesetzgebenden Verstand dort bemühen, wo unser eigener Verstand die Gegenstände der Natur unbestimmt lässt : So wie unser Verstand die Quelle der transzendentalen Verstandesgesetze ist, so denken wir uns einen Verstand, der das, was durch unseren Verstand unbestimmt bleibt, auf eine Art und Weise gesetzmäßig bestimmt, dass wir diese durch unseren Verstand noch unbestimmte Gesetzmäßigkeit auch zu erkennen vermögen. Gemäß unserer Einteilung der beiden Arten von Analogien in Abschnitt 2.1.3 können wir diese Analogie als eine attributive bestimmen. Denn wir übertragen von einem Ding eine Eigenschaft auf ein anderes Ding derselben Gattung. In diesem Fall schließen wir von einer Eigenschaft unseres Verstandes auf die Eigenschaft eines weiteren Verstandes. Die drei Elemente der Analogie, von denen wir auf die Eigenschaften des weiteren Verstandes schließen, lauten also i) unser synthetisierender und gesetzgebender Verstand, ii) die allgemeinen transzendentalen Gesetze zur Konstitution der Natur, iii) ein (nicht uns gleichartiger, aber gesetzgebender) Verstand. Von diesen drei Elementen schließen wir auf eine gemäß unserem Erkenntnisvermögen eingerichtete Natur ; auf eine Natur also, deren empirische Gesetze wir zu erkennen vermögen. Im Gegensatz zu der Explikation des Begriffs ›Analogie‹, wie ich sie im letzten Kapitel vorgenommen habe, können wir in Bezug auf diese Analogie jedoch nicht in demselben Sinne von drei gegebenen Elementen auf ein viertes nicht-gegebenes schließen.

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Das dritte Element, der höhere Verstand, ist weder im Sinne einer empirischen Tatsache gegeben, noch ist er im Sinne eines a priori objektiv gültigen Begriffs gegeben. Wir leiten das Prinzip der Zweckmäßigkeit vielmehr mithilfe der Annahme her, dass es einen solchen Verstand gäbe. Doch diese Analogie hat ihre Grenzen. Denn in ihr bedienen wir uns nur einer Eigenschaft unseres Verstandes, die wir auf die Eigenschaft des anderen Verstandes übertragen : Wir bedienen uns der Eigenschaft der gesetzgebenden Fähigkeit unseres Verstandes, wir übertragen aber nicht die weitere Eigenschaft, dass die gesetzgebende Fähigkeit zugleich auch gegenstandserzeugend ist. Denn der so gedachte Verstand soll nur das weiter bestimmen, »was in ihnen [den empirischen Gesetzen, K.K.] durch jene [der Natur54, K.K.] unbestimmt gelassen ist« (KdU, AA V 180). Anders ausgedrückt : Wir bilden die Analogie zur weiteren Bestimmung der Natur, nicht aber zur Bestimmung der Natur überhaupt. Diese Bestimmung haben wir selbst durch die transzendentalen Verstandesgesetze bereits vorgenommen. Unsere Diskussion der Analogien der Erfahrung hat bereits gezeigt, dass die Natur eine gesetzmäßig bestimmte ist.55 Sie hat nur nicht gezeigt, dass diese Gesetzmäßigkeit der Natur auch erkennbar ist. In Anwendung des Prinzips der reflektierenden Urteilskraft denken wir uns die Natur also so, als sei sie von einem Verstand derart eingerichtet worden, dass ihre empirische Gesetzmäßigkeit eine ist, die unseren Prinzipien zur Schaffung und Etablierung von empirischen Begriffen und Kausalgesetzen entspricht, und die Natur damit eine erkennbare ist. Und in diesem Gedanken besteht der zweite Schritt zur Herleitung des Prinzips der Zweckmäßigkeit : die Einbeziehung einer weiteren Analogie, die unsere eigene praktische Zwecktätigkeit zum Quellphänomen hat. Denn wir selbst richten die Dinge der Natur unseren Absichten entsprechend in Zweckhandlungen ein. So bauen wir beispielsweise ein Haus, um vor Nässe und Kälte geschützt zu sein. Ein Hausbau wiederum ist aber nichts anderes als die gegebenen empi­ rischen Dinge, wie Holz, Metall etc. auf eine bestimmte Art und Weise einzurichten, nämlich so, dass ein Haus aus ihnen entsteht. Und das durch unsere Tätigkeit realisierte Haus betrachten wir insofern als Zweck, als eine zeitlich vorher bestehende Repräsentation desselben in unserem Intellekt Grund der Verwirklichung dieses Objekts war. Wir verfolgen Zwecke dabei nicht mit unse Ich lese den Begriff ›Natur‹ hier gemäß der in der transzendentalen Deduktion gegebenen Definition von Natur in der Kritik der reinen Vernunft. Bereits im § 26 der transzendentalen Deduktion macht Kant auf die Problematik der Unterbestimmtheit der Gesetzmäßigkeit der Natur durch die transzendentalen Verstandesgesetze aufmerksam. Dort deutet er ›Natur‹ als Inbegriff der gesetzmäßigen Erscheinungen in Raum und Zeit (vgl. KrV, B 165) ; ›Natur‹ besteht also in der Gesetzmäßigkeit der empirischen Gegenstände und Zustände, die durch unseren Verstand konstituiert werden. 55 Vgl. Abschnitt 2, vor allem Abschnitt 2.2.2. 54

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rem Verstand, sondern es ist unsere Vernunft, die Zwecke hat, und unsere durch Vernunft bestimmte Tätigkeit, durch die wir diese umsetzen. Denn zur Repräsentation von Zwecken braucht es ein Vermögen, das von der uns gegebenen Natur zu abstrahieren vermag, da ein Gegenstand repräsentiert werden soll, der nicht unmittelbar aus der Natur zu entnehmen ist. Wie in Abschnitt 3.2.1 erläutert, ist unser Verstand direkt auf Wahrnehmungen bezogen und sucht diese in Urteilen zu vereinheitlichen. Unsere Vernunft dagegen wurde als das Vermögen vorgestellt, von diesen Wahrnehmungen zu abstrahieren und unabhängig von einzelnen Wahrnehmungen Gegenstände zu repräsentieren, die sie zu realisieren anstrebt.56 Mit dem Denken eines Zweckes gehen also mindestens zwei Charakteristika einher : i) die Gebundenheit an das Vermögen der Vernunft, die diesen Zweck denkt und dementsprechend repräsentiert, und ii) die substantielle Bezogenheit des Inhalts des nur repräsentierten Zwecks auf etwas, was er selbst noch nicht ist, d. h. auf seine objektive Realisierung. Dementsprechend führt Kant den Zweckbegriff in der Kritik der Urteilskraft auch wie folgt ein : Der Zweck ist »der Begriff von einem Objekt, sofern er zugleich den Grund der Wirklichkeit dieses Objekts enthält« (KdU, AA V 180). Gemäß dieser Zweckkonzeption müssen Zwecke also durch die Vernunft bewusst repräsentiert werden und diese Antizipation der Vorstellung eines Zwecks ist substanziell für das, was realisiert werden soll, für seinen Inhalt.57 In Analogie zu dieser unserer eigenen Tätigkeit denken wir uns einen anderen Intellekt, der die natürlichen Dinge seinem Zweck gemäß eingerichtet hat. Diesen anderen Intellekt denken wir also nicht nur in Analogie zu unserem eigenen Verstand als gesetzgebend, sondern zugleich in Analogie zu unserer Vernunft als zweckmäßig gesetzgebend.58 Doch auch diese Analogie gilt es differenzierter zu betrachten : Denn zum einen sind die gemäß unserer Zwecktätigkeit produzierten Dinge selbst Zweck Das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft ist also eines, welches Elemente aus den beiden höheren Erkenntnisvermögen, Verstand und Vernunft, entlehnt. Hierin spiegelt sich Kants These wider, dass die reflektierende Urteilskraft eine Brückenfunktion innehat. Sie soll zwischen Verstand und Vernunft, d. i. zwischen den Anwendungsbereichen des Verstandes und der Vernunft, der Natur und der Freiheit, vermitteln. 57 Makreel bringt es treffend auf den Punkt : »It is this representation of the whole that lies at the heart of Kant’s conception of human purposiveness, i. e., making something according to a plan.« Makreel (1991), 57. 58 Die im teleologischen Gottesbeweis liegende Gottesvorstellung von Gott als Grund der zweckmäßigen Einheit der Dinge der Natur findet demnach in dem Prinzip der reflektierenden Urteilskraft ihre Anwendung. In seiner Kritik an dem teleologischen Gottesbeweis führt Kant aus, dass dieser Gottesbeweis nur zu der Vorstellung eines Gottes als Baumeisters, jedoch nicht zur Vorstellung eines Gottes als Schöpfer der Dinge kommt (vgl. KrV, A 627 / B 655). Es ist diese Vorstellung eines Gottes als Baumeister, jedoch nicht als Schöpfer der Dinge, die durch die reflektierende Urteilskraft bemüht wird. 56

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produkte. Dies ist hier nicht der Fall : Die natürlichen Dinge werden durch dieses Prinzip der Zweckmäßigkeit nicht selbst als Zweck beurteilt. Die Analogie kann also nicht darin bestehen, dass wir gemäß dieser die Gegenstände der Natur selbst als Zweckprodukte betrachten müssen, sondern sie ist viel spezifischer : So wie die einzelnen Bestandteile eines Tisches wie etwa das Holz nicht selbst zu Zweckprodukten werden, dadurch dass wir sie in eine Ordnung bringen, aus der letztlich ein Zweckprodukt resultiert, so sind auch die empirischen Gegenstände, die wir als von einem Intellekt für uns zweckmäßig eingerichtet denken, nicht deswegen schon selbst Zweckprodukte. So wie aber das für den Tisch verwendete Holz in eine Ordnung gebracht wird, die für uns zweckmäßig ist, z. B. nutzen wir den Tisch, um an ihm zu essen, so denken wir die Gegenstände der Natur als in eine Form gebracht, die für unser Erkenntnisvermögen zweckmäßig ist. Sie werden so gedacht, als ob sie unter einer Gesetzmäßigkeit stehen, die für unsere Erkenntnisvermögen zweckmäßig ist, ohne dass wir sie dadurch gleich zu Zweckprodukten machen. Und hierfür müssen wir uns einen Intellekt denken, der Garant dieser Zweckmäßigkeit der empirischen Gesetzmäßigkeit ist ; diese also in eine solche zweckmäßige Form gebracht hat. Eben dies drückt das Zweckmäßigkeitsprinzip aus : »[D]ie Übereinstimmung eines Dinges mit derjenigen Beschaffenheit der Dinge, die nur nach Zwecken möglich ist, [heißt] die Zweckmäßigkeit der Form derselben […] : so ist das Princip der Urtheilskraft, in Ansehung der Form der Dinge der Natur unter empirischen Gesetzen überhaupt, die Zweckmäßigkeit der Natur in ihrer Mannigfaltigkeit. D.i. die Natur wird durch diesen Begriff so vorgestellt, als ob ein Verstand den Grund der Einheit des Mannigfaltigen ihrer empirischen Gesetze enthalte.« (KdU, AA V 180 f.)

Wir denken uns durch diese Analogie die Dinge also so, dass sie eine Form haben, die einem Zweck entspricht, nämlich dem Zweck, für uns erkennbar zu sein. Wie ich im nächsten Abschnitt zeigen werde, macht das Unterlegen dieser zweckmäßigen Struktur unter die gesamte Natur das Entsprechen der Struktur der Natur mit unseren Erkenntnisvermögen erst möglich. Und da es Kant zufolge eine notwendige Bedingung für das Bestehen von Zwecken oder zweckmäßigen Einrichtungen ist, dass der Zweck in einem Verstand vor seiner Realisierung repräsentiert ist, können wir eine solche Zweckmäßigkeit nicht anders denken, als dass wir einen Verstand voraussetzen, der die Dinge so eingerichtet hat, dass sie sich auch in ihren Spezifikationen unseren Erkenntnisprinzipien gemäß verhalten. Das Prinzip der Zweckmäßigkeit besteht dabei – wie erläutert – nicht in der Voraussetzung, dass alle Dinge in der Natur selbst Zweckprodukte sind, sondern vielmehr in der Voraussetzung der These, dass die Natur

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sich gemäß unseren Erkenntnisprinzipien spezifiziert.59 In der ersten Einleitung zur Kritik der Urteilskraft fasst Kant dies pointiert zusammen : »Hier entspringt nun der Begrif einer Zweckmäßigkeit der Natur und zwar als ein eigenthümlicher Begrif der reflectierenden Urtheilskraft, nicht der Vernunft ; indem der Zweck gar nicht im Object, sondern lediglich im Subject und zwar dessen bloßem Vermögen zu reflectieren gesetzt wird. – Denn zweckmäßig nennen wir dasjenige, dessen Daseyn eine Vorstellung desselben Dings vorauszusetzen scheint ; Naturgesetze aber, die so beschaffen und auf einander bezogen sind, als ob sie die Urtheilskraft zu ihrem eigenen Bedarf entworfen hätte, haben Aehnlichkeit mit der Möglichkeit der Dinge, die eine Vorstellung dieser Dinge, als Grund derselben voraussetzt. Also denkt sich die Urtheilskraft durch ihr Princip eine Zweckmäßigkeit der Natur, in der Specification ihrer Formen durch empirische Gesetze.« (EEKdU, AA XX 216)

Gehen wir im Folgenden zum Gegenstandsbezug über, der durch dieses Prinzip hergestellt werden soll. 3.3.2 Der Gegenstandsbezug des Prinzips der formalen Zweckmäßigkeit der Natur Der Analogieschluss auf einen anderen Intellekt und damit auf die Eigenschaft, die Dinge zweckmäßig für uns einzurichten, ist keine objektive Aussage über die Dinge der Welt, sondern rein subjektiv. Qua dieser Analogie soll Kant zufolge aber die Möglichkeit einer für uns erkennbaren »Einheit aller empirischen Prin59

Förster und – sich Förster anschließend – Haag leiten die Spezifikationsthese und damit das Prinzip der Zweckmäßigkeit, wie es in der Einleitung vorgestellt wird, von dem subjektiv formalen Prinzip ab, wie es in der Kritik der ästhetischen Urteilskraft vorgestellt wird. In der Erfahrung des Schönen sähen wir, dass sich die Natur gemäß unserem Erkenntnisvermögen spezifiziere. Diese Erfahrung veranlasse die reflektierende Urteilskraft dazu, die Spezifikationsthese als ihr eigenes Prinzip zur Reflexion anzunehmen. Förster und Haag deuten das Prinzip der Zweckmäßigkeit in den Einleitungen als Anwendungsfall des subjektiv formalen Prinzips der Zweckmäßigkeit, wie es in der Kritik der ästhetischen Urteilskraft vorgestellt wird, und sehen es insofern in dem subjektiv formalen Prinzip der Zweckmäßigkeit fundiert ; vgl. Förster (2012), 145–147. Haag (2019), 181–183. Die These, dass erst die Erfahrung des Schönen Anlass zur Bildung des Prinzips der Zweckmäßigkeit in den Einleitungen gibt, halte ich für überzeugend. Dennoch denke ich, dass wir an dieser Stelle Genesis und Geltung trennen können. Die Erfahrung des Schönen mag so der Anlass für die Bildung des Prinzips der Zweckmäßigkeit sein, ohne dass wir letzteres Prinzip von dem subjektiv formalen Prinzip der Zweckmäßigkeit ableiten müssten. Aus der ersteren These folgt so nicht unbedingt die begriffliche Abhängigkeit des Prinzips der Zweckmäßigkeit von dem subjektiv formalen Prinzip der Zweckmäßigkeit.

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cipien unter gleichfalls empirischen, aber höheren Principien und also [für uns, K.K.] die Möglichkeit der systematischen Unterordnung derselben […]« (KdU, AA V 180) gedacht werden. Sie dient uns so zunächst einmal als eine selbst gesetzte, heuristische Maxime, der wir beim Forschen folgen, und ist keine objektive Tatsache (KdU, AA V 180). Wir benutzen dieses Prinzip, »um über sie [die Natur, K.K.] in Ansehung der Verknüpfung der Erscheinungen in ihr, die nach empirischen Gesetzen gegeben ist, zu reflectieren« (KdU, AA V 181). Das Prinzip der Zweckmäßigkeit ist demnach ein Prinzip, das uns ein Mittel zur Reflexion über empirische Gegenstände und deren Zusammenhang mit anderen empirischen Gegenständen an die Hand gibt. Es ist also keines, welches wir aus der Natur entlehnen, noch ist es eines, welches wir der Natur im Sinne der transzendentalen Verstandesgesetze vorschreiben. Vielmehr schreibt sich unsere reflektierende Urteilskraft dieses Prinzip selbst zur empirischen Nachforschung vor, ohne dass es für die Natur bestimmend ist. Unsere Urteilskraft ist damit nicht gesetzgebend auf diesem Gebiet, d. h. sie ist nicht autonom, sondern sie ist – wie Kant es ausdrückt – heautonom (vgl. KdU, AA V 186). Die Heautonomie der reflektierenden Urteilskraft scheint nun im ersten Moment in Spannung zu stehen mit der in der Einleitung zu diesem Abschnitt (3.3) genannten These, gemäß welcher wir erst durch Anwendung des Prinzips der Zweckmäßigkeit einen empirischen Gegenstandsbezug erstellen, indem wir mit Hilfe dieses Prinzips empirische Begriffe und Gesetze bilden. Denn setzt die Möglichkeit empirischer Begriffsbildung nicht voraus, dass sie anhand von Kriterien vorgenommen wird, die den Gegenständen korrespondieren ? Unter Anwendung des Prinzips der Zweckmäßigkeit haben wir jedoch solche Kriterien nicht, da das Prinzip nicht aus der Natur entlehnt ist. Wir systematisieren vielmehr gemäß einem Prinzip, das unserem Erkenntnisapparat eigentümlich ist. Ob es tatsächlich auch der Natur zukommt, wissen wir nicht. Die Tatsache, dass die reflektierende Urteilskraft kein Gebiet der Gesetzgebung hat, ist der Anlass, dieselbe als heautonom zu bezeichnen.60 60

Peter erklärt in seinen Untersuchungen zur ersten und zur zweiten Einleitung der Kritik der Urteilskraft, dass die reflektierende Urteilskraft erst in Kants Ausführungen der zweiten Einleitung tatsächlich als heautonom bezeichnet werden könne, da die »Erkenntnismöglichkeit eines systematischen Zusammenhangs der empirischen Naturgesetze [in der ersten Einleitung] […] durch einen Vernunftbegriff [begründet]« sei (Peter (1992), 52). Dieser Aussage widerspreche ich an dieser Stelle, insofern ich erstens denke, dass die Bezeichnung ›heauto­ nom‹ vielmehr darauf referiert, dass die reflektierende Urteilskraft im Gegensatz zum Verstand und zur Vernunft kein Gebiet der Gesetzgebung besitzt. Und zweitens denke ich, dass die reflektierende Urteilskraft das regulative Vernunftvermögen ergänzt und insofern klarerweise auf das Vernunftvermögen und die dort vorgestellte Idee der systematischen Einheit bezogen ist. Dies widerspricht wiederum nicht der induktiven Vorgehensweise der reflektierenden Urteilskraft, da das von der Vernunft vorgegebene Allgemeine in dem Sinne leer ist, als es keinen direkten Gegenstandsbezug erzeugen kann.

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Dringlich wird nun also folgende Frage : Wie ermöglicht uns dieses Prinzip den empirischen Gegenstandsbezug ? Es gilt im Folgenden eine Antwort auf diese Frage zu finden, denn wie ich bereits angedeutet habe, sehe ich in der Erzeugung dieses empirischen Gegenstandsbezuges erst den transzendentalen Charakter des Prinzips der reflektierenden Urteilskraft begründet. Und in Anschluss an Ginsborg denke ich, dass es die Tatsache ist, dass wir keine Kriterien für die Richtigkeit dieser Prinzipien benennen können, die die empirische Begriffsbildung und damit den empirischen Gegenstandsbezug durch die reflektierende Urteilskraft erst ermöglicht.61 Kommen wir zum Verständnis dieser These auf die These der Unterbestimmtheit der Natur zurück. Die Unterbestimmtheit der Natur durch die trans­ zendentalen Verstandesgesetze bedeutet in den Worten der dritten Kritik, dass empirische Begriffe oder empirische Gesetzmäßigkeiten für uns zufällig sind. Empirische Gesetzmäßigkeiten sind dabei für uns in zwei Hinsichten zufällig : Zum einen sind sie zufällig, insofern empirische Gesetzmäßigkeiten durch die transzendentalen Verstandesgesetze unbestimmt gelassen worden sind. Die notwendige Geltung der transzendentalen Verstandesgesetze konnten wir a priori aufzeigen, da sie die Gegenstände der Erfahrung überhaupt erst konstituieren. Ein solcher Nachweis ist uns im Falle empirischer Gesetzmäßigkeiten versagt. Ein Wissen über empirische Gesetzmäßigkeiten eignen wir uns erst durch Erfahrung an. Empirische Begriffe oder empirische Gesetzmäßigkeiten sind weder Begriffe oder Gesetzmäßigkeiten, die wir a priori kennen, noch Begriffe oder Gesetzmäßigkeiten, deren notwendige Geltung wir a priori aufzeigen können, sondern solche Begriffe und Gesetzmäßigkeiten, die wir erst durch Erfahrung gewinnen. Sie sind in dieser Hinsicht für uns zufällig. Zum anderen aber – und dies ist nun die für uns relevante Bedeutung von ›zufällig‹ – ist die Erzeugung empirischer Begriffe und Gesetzmäßigkeiten in Hinblick auf die empirischen Gegenstände, die begrifflich bestimmt werden, zufällig : Zu Vorstellungen von empirischen Gegenständen gelangen wir immer auf Basis von sinnlichen Eindrücken. Sinnliche Eindrücke sind aber immer Eindrücke von einzelnen sinnlichen Gegenständen. Begriffe, auch empirische Begriffe, sind niemals Individualbegriffe, sie beziehen sich niemals auf nur einen Gegenstand. Es handelt sich bei diesen vielmehr um Allgemein- bzw. Gattungsbegriffe, unter die mehrere sinnliche Gegenstände fallen. So bezieht sich der Begriff ›Hund‹ nicht auf einen einzelnen Hund und auch nicht nur auf bestimmte Hunde einer Art, sondern umfasst verschiedene Hundearten wie Pudel, Dackel, Golden Retriever oder Bernhardiner, die wiederum Artbegriffe sind, unter die wir unsere sinnlichen Eindrücke von Hunden einordnen. Unsere Sinne liefern uns niemals Eindrücke empirischer Universalien, aus denen wir die Prinzipien 61

Vgl. etwa Ginsborg (2015), 148–169, bes. 63 ff. Ginsborg (2017), 71–88, bes. 81–84.

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zur empirischen Begriffsbildung und Herstellung von empirischen Gesetz­ mäßig­keiten gewinnen könnten. Wir erhalten immer nur Eindrücke eines einzelnen Hundes, den wir als dieser oder jener Art angehörig betrachten. Der Inhalt unserer sinnlichen Eindrücke gibt also nicht an, wie wir diesen einzelnen Hund zu generalisieren, d. h. begrifflich zu bestimmen haben. In Anbetracht der sinnlichen Eindrücke allein ist es vielmehr zufällig, welche Eigenschaften wir herausgreifen, um den Begriff ›Hund‹ zu bilden, und in diesem Sinne ist es auch zufällig, welche sinnlichen Gegenstände wir wie unter einen Gattungs­ begriff bringen.62 Dennoch bedeutet dies nicht, dass empirische Begriffe und darauf aufbauend empirische Gesetzmäßigkeiten einfach vollkommen zufällig, d. h. ohne jegliche Anwendung von Regeln, entstehen. Auch ihre Erzeugung unterliegt einer Gesetzmäßigkeit : So sind empirische Begriffe zwar nicht gesetzgebend, da die »auf sie gegründeten Regeln empirisch« und also aus der Natur abstrahiert sind, dies bedeutet aber nicht, dass sie nicht »gesetzlich erzeugt« werden (vgl. KdU, AA V 174). Eine solche begriffliche Erzeugung kann uns nur ein heautonomes Vermögen besorgen, denn wir benötigen zur empirischen Begriffsbildung ein Vermögen, das gesetzlich, d. i. nach einem Prinzip erzeugend, ist, aber selbst nicht gesetzgebend und in diesem Sinne gegenstandskonstitutiv ist. Es ist also unsere reflektierende Urteilskraft, die diese gesetzliche Erzeugung vornimmt. Die reflektierende Urteilskraft haben wir als das Vermögen bestimmt, welches aus dem gegebenen Besonderen, d. i. sinnlichen Eindrücken auf ein nicht durch den Verstand oder durch die Vernunft gegebenes Allgemeines, schließt.63 Sie ist das Vermögen, das Allgemeine zu einem Besonderen allererst zu finden (vgl. KdU, AA V 179). Wie aber findet sie dieses Allgemeine, wenn sie keine sinnlich gegebenen Kriterien für die Richtigkeit ihrer empirischen Begriffsbildung hat und auch in Anbetracht der Gegenstände der Natur nicht a priori gesetzgebend ist ? Greifen wir dazu den für unseren Gedankengang wichtigsten Aspekt von Kants Theorie der Bildung empirischer Begriffe auf. Im § 6 der Logik, welcher auch in der Forschungsliteratur zur Erläuterung empirischer Begriffsbildung immer wieder prominent herangezogen wird, erläutert Kant, dass wir empirische Begriffe anhand dreier logischer Akte, der Comparation, Reflection und Abstraction bilden : Wir vergleichen Vorstellungen miteinander, wir reflektieren über deren Gemeinsamkeiten bzw. gemeinsame Eigenschaften und wir abstrahieren von den anderen Eigenschaften, die sie nicht gemeinsam haben. Kant gibt dort folgendes Beispiel : Ginsborg bezeichnet dies als das »problem of empirical universality or empirical generality« ; Ginsborg (2015), 150. Siehe zu dieser Debatte auch Longuenesse (1998), 115–122 bes. 119 f. und Allison (2001), 20–30. 63 Vgl. Abschnitt 3.1.2. 62

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»Ich sehe z. B. eine Fichte, eine Weide und eine Linde. Indem ich diese Gegenstände zuvörderst unter einander vergleiche, bemerke ich, daß sie von einander verschieden sind in Ansehung des Stammes, der Äste, der Blätter u. dgl. m. ; nun reflectiere ich aber hiernächst nur auf das, was sie unter sich gemein haben, den Stamm, die Äste, die Blätter selbst und abstrahire von der Größe, der Figur derselben u. s. w. ; so bekomme ich einen Begriff vom Baume.« (Log, AA IX 94–95, A.)

Sind mir also die Anschauungen einer Fichte, einer Weide und einer Linde gegeben, so bilde ich den Begriff Baum, indem ich diese Anschauungen miteinander vergleiche, Gemeinsamkeiten (bspw. Stamm, Äste) hervorhebe und von den Unterschieden (wie etwa unterschiedliche Größe, unterschiedliche Form der Blätter bzw. Nadeln) abstrahiere. In der ersten Einleitung zur Kritik der Urteilskraft spricht Kant der reflektierenden Urteilskraft die Leistung der Reflexion zu und beschreibt Reflektieren als die Tätigkeit, »gegebene Vorstellungen entweder mit andern, oder mit seinem Erkenntnißvermögen, in Beziehung auf einen dadurch möglichen Begriff, zu vergleichen und zusammen zu halten« (EEKdU, AA XX 211). Die Vermutung liegt hier nahe, dass die reflektierende Urteilskraft alle drei in dem Zitat genannten Akte leitet64 und daher ihre Tätigkeit notwendig für die Möglichkeit empirischer Begriffsbildung ist.65 Ob aber nun die Aufgabe der reflektierenden Urteilskraft so einzuordnen ist, dass sie allein empirische Begriffsbildung ermöglicht oder auch noch andere Vermögen an der empirischen Begriffsbildung beteiligt sind, lasse ich an dieser Stelle dahingestellt. Im Folgenden geht es mir also nicht darum zu analysieren, wie genau empirische Begriffe zustande kommen und welche Vermögen daran beteiligt sind.66 Vielmehr möchte ich vor folgendem Problemhorizont nach den Bedingungen fragen, unter denen der Prozess der Begriffsbildung steht : Unter welcher Bedingung steht dieser Prozess, wenn ich nicht schon Regeln besitze, an derer ich ihn vornehmen kann ?67 Der Begriff ›Reflexion‹ wäre an der besagten Stelle dementsprechend als ein Oberbegriff zu verstehen, der alle drei logischen Akte zur Begriffsbildung umfasst. 65 Diese These hat vor allem Longuenesse herausgearbeitet ; vgl. Longuenesse (1998), 164 f. 66 So ist in Bezug auf die drei Akte unklar, wie sie sich genau zueinander verhalten, ob Kant etwa eine chronologische Abfolge der Akte im Sinne hatte oder ob sie simultan ablaufend verstanden werden müssen. Für die Zwecke meiner Überlegungen brauchen wir auf diese Thematik jedoch nicht weiter einzugehen. Zu dieser Thematik siehe zum Beispiel Longuenesse (1998), 115 f. Allison (2001), 20–22. 67 So schlicht dargestellt, setzt das Beispiel zur empirischen Begriffsbildung nämlich voraus, dass wir bereits Begriffe wie ›Stamm‹ etc. vor der Bildung des Begriffs ›Baum‹ besitzen. Dann könnten wir jedoch wiederum fragen, wie wir zu dem Begriff ›Stamm‹ etc. gelangen. Hier droht ein Regress. So auch Allison (2001), 22. Ginsborg (2015), 151. 64

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Ich muss von Strukturen oder Regeln ausgehen, die es mir überhaupt erst ermöglichen, solche Begriffe zu bilden, und diese können nicht selbst empirisch gegebene Begriffe oder objektiv gültige Begriffe sein :68 »Aber zu solchen Begriffen, die zu gegebenen empirischen Anschauungen allererst sollen gefunden werden, und welche ein besonderes Naturgesetz voraussetzen, darnach allein besondere Erfahrung möglich ist, bedarf die Urtheilskraft eines eigenthümlichen gleichfalls transcendentalen Princips ihrer Reflexion und man kann sie nicht wiederum auf schon bekannte empirische Gesetze hinweisen und die Reflexion in eine bloße Vergleichung empirischer Formen, für die man schon Begriffe hat, verwandeln.« (EEKdU, AA XX 213)

Meine Stoßrichtung ist also diese : Haben wir im Blick, dass Anschauungen uns nicht sagen, welche der wahrgenommenen Eigenschaften wir als begriffliche Merkmale einer Gattung betrachten müssen, so ergibt die Frage nach der richtigen oder falschen Bestimmung von empirischen Gegenständen hinsichtlich der empirischen Begriffsbildung keinen Sinn.69 Denn die begriffliche Bestimmung von Gegenständen vollzieht sich weder anhand der Bestimmung selbst äußerlicher empirischer Kriterien, die angeben würden, ob unsere begriffliche Bestimmung eines Gegenstandes richtig oder falsch ist, noch vollzieht sie sich anhand a priori gegebener Gesetze, die angeben würden, ob unsere begriffliche Bestimmung eines Gegenstandes richtig oder falsch ist. Sie kann sich auch anhand solcher vorgegebener Regeln gar nicht vollziehen. Denn begründeten wir die Erzeugung empirischer Begriffe damit, dass wir solche Kriterien besitzen, anhand derer wir empirische Begriffe allererst bilden, so würde dies auf eine Zirkel­begründung der empirischen Begriffsbildung hinauslaufen. Wüssten wir anhand welcher inhaltlichen Kriterien wir einen bestimmten empirischen Begriff erzeugen, so müssten wir bereits einen Begriff von diesem empirischen ­Begriff haben, den wir erst erzeugen möchten.70 Es kann also keine vorgegebene Regel geben, an die wir uns zur empirischen Begriffsbildung halten könnten ; wie wir etwa den Begriff ›Hund‹ erzeugen und welche sinnlichen Eindrücke wir als diejenigen von Hunden klassifizieren, ist uns nicht vorgegeben. Oder wie Ginsborg es ausdrückt : »That the features that come to mind are of previously perceived dogs, as opposed to previously per In der Vorrede zur Kritik der Urteilskraft schreibt Kant demgemäß, dass die reflektierende Urteilskraft »selbst einen Begriff angeben [soll], durch den eigentlich kein Ding erkannt wird, sondern der ihr selbst zu Regel, dient, aber nicht zu einer objektiven, der sie ihr Urteil anpassen kann, weil dazu wiederum eine andere Urteilskraft erforderlich sein würde, um unterschieden zu können, ob es der Fall der Regel sei oder nicht« (KdU, AA V 169). 69 Vgl. hierzu auch Ginsborg (2017), 82. 70 Zu dieser Problematik siehe Ginsborg (2015), 148–169. 68

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ceived cows, is a result not of our already having grasped a concept that guides our reproduction of past representations […].«71 Wenn wir jedoch keine vor­ herige Regel besitzen, die besagt, wie wir den empirischen Begriff ›Hund‹ zu erzeugen haben, so ist nicht klar, wie wir dazu kommen, uns bei der empirischen Begriffsbildung ›Hund‹ überhaupt auf Vorstellungen von Hunden zu beziehen und nicht zum Beispiel auf verschiedene Vorstellungen von Hunden, Kühen und Katzen. Wir haben schließlich kein Kriterium, das uns angeben würde, welche Vorstellungen wir unter den Begriff ›Hund‹ bringen sollen. Wie kommt es also dazu, dass wir die sinnlichen Eindrücke von Pudeln, Dackeln und Schäferhunden überhaupt unter den Begriff ›Hund‹ klassifizieren ? In welchem Sinne soll der Prozess der empirischen Begriffsbildung gesetzmäßig ablaufen ? Offensichtlich muss er in einem viel schwächeren Sinne gesetzmäßig sein, als dies bei den transzendentalen Verstandesgesetzen der Fall ist. Und für diese Gesetzmäßigkeit steht das im letzten Abschnitt vorgestellte Prinzip der reflektierenden Urteilskraft, das Prinzip der Zweckmäßigkeit, ein. Der Begriff der Zweckmäßigkeit ist Ausdruck dieser schwächeren Gesetzmäßigkeit, die die empirische Begriffsbildung anleitet. Ich greife zur Erläuterung dieser schwächeren gesetzlichen Erzeugung die Überlegungen von Ginsborg auf, die diese Art der Gesetzmäßigkeit mit dem Begriff ›primitive normativity‹ oder auch ›thin normativity‹ besetzt.72 Ginsborg leitet diesen Begriff am Beispiel unserer eigenen Zwecktätigkeit her. Diese Herleitung verstehe ich wie folgt : Stellen wir ein Artefakt her, so haben wir zunächst, d. i. vor der Realisierung des Artefakts, eine Vorstellung dessen, wie es sein soll. Gemäß dieser Repräsentation des Artefakts können wir dieses nach seiner Realisierung danach beurteilen, ob es so ist, wie es sein soll. In diesem Sinne beurteilen wir das Objekt normativ. Es unterliegt normativen Strukturen, die sich aus der der Realisierung des Artefaktes vorhergehenden Repräsentation desselben herleiten. Im Vergleich mit Strukturen, die durch das Kausalprinzip festgelegt werden, drücken diese normativen Strukturen bereits eine schwächere Art der Gesetzmäßigkeit aus : Das Kausalprinzip drückt aus, dass alle Gegenstände der Natur kausalen Gesetzen unterliegen müssen. Sie müssen dem Kausalprinzip unterliegen, um überhaupt für uns erfahrbar zu sein. Dagegen sind die durch Zwecktätigkeit entstandenen normativen Strukturen nicht derart, dass das Objekt diese erfüllen muss, um überhaupt ein Objekt zu sein. Es soll diese vielmehr erfüllen. Während die Aussage »Die Natur sollte kausal verfasst sein« den strengen Geltungscharakter des Kausalprinzips unterminiert, drückt die Aussage »Ein Tisch sollte vier Beine haben« die normativen Strukturen aus, unter denen Artefakte stehen. Anders gesagt : Wir beurteilen Zustandsveränderungen in der 71

Ginsborg (2017), 82. Vgl. Ginsborg (2015), 339 sowie Ginsborg (2017), 78.

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Natur nicht danach, ob sie kausal geschehen, sondern wir haben a priori nachgewiesen, dass dies der Fall sein muss. Wir beurteilen aber Artefakte danach, ob normative Standards erfüllt sind. Hier sind Fragen danach, ob das Arte­fakt so ist, wie es sein sollte, sinnvoll. Dementsprechend handelt es sich bei der normativen Beurteilung von Artefakten um eine schwächere Art der Gesetz­mäßigkeit als bei der Feststellung, dass Objekte der Erfahrung unter das Kausalprinzip fallen. Diese Art der Gesetzmäßigkeit ist zwar im Gegensatz zu derjenigen, die das Kausalprinzip ausdrückt, eine viel schwächere, jedoch noch nicht diejenige, die wir suchen. Denn in dem Artefakte-Beispiel wie im (nicht künstlerischen) Herstellen eines Tisches verfolgen wir einen festen vorgelegten Plan zur Realisierung des Objekts. Diesen Plan haben wir hinsichtlich empirischer Begriffsbildung jedoch nicht. Nun gibt es aber viele Arten der Zweckrealisation, in denen dieser Plan im Vorhinein gar nicht festgelegt ist und in denen wir dennoch davon reden, dass die Realisierung des Inhalts des Zwecks so sein soll oder anders sein sollte. Ich verstehe Ginsborg nun so, dass es diese Art der Normativität ist, die sie mit dem Begriff ›thin normativity‹ besetzt, da er sich insofern nochmals von dem soeben vorgestellten Normativitätsbegriff unterscheidet, als wir Objekte nicht nach den im repräsentierten Zweck vorgegebenen Kriterien beurteilen, sondern die Kriterien, nach denen wir etwas normativ beurteilen, vielmehr im Prozess der Realisierung des Inhalts des Zwecks selbst liegen. Ginsborg sucht diese Art der Zweckmäßigkeit an der Art des Spielens eines Streichinstruments zu erläutern. Ein Streichinstrument soll zwischen Steg und Griffbrett gespielt werden. Dennoch kann es durchaus im Sinne eines Komponisten oder einer Komponistin sein, das Instrument unterhalb des Stegs zu spielen.73 In diesem Fall bezeichnen wir diese Art des Spielens nicht als richtig oder falsch. Es fällt außerhalb einer solchen Beurteilung. Dennoch ist das so aufgeführte Stück einer normativen Beurteilung zugänglich. Wir können es dennoch als gelungen oder nicht gelungen klassifizieren. Noch augenscheinlicher scheint mir diese Art der Gesetzmäßigkeit bei der Jazz-Musik zu sein. Jazz ist eine Musikrichtung, in welcher es kein fertig komponiertes Stück zu spielen gilt, sondern welches improvisatorische Elemente enthält. Es gibt also kein vorgegebenes Stück, das die Regeln angeben würde, gemäß denen gespielt werden soll und gemäß denen wir sagen könnten, dass richtig oder falsch gespielt werde. Dies bedeutet aber weder, dass Jazz-Künstler*innen einfach beliebig Töne aneinanderreihen, noch dass Jazz-Musik völlig außerhalb einer normativen Beurteilung derselben liegt. Offensichtlich können wir gute Jazz-Musiker*innen von nicht so 73

Ginsborg verweist hierbei auf Helmut Lachenmanns Pression ; ein Stück (für das Cello), in welchem beabsichtigt ist, dass der*die Musiker*in unterhalb des Stegs spielt. Vgl. Ginsborg (2017), 79.

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guten Jazz-Musiker*innen unterscheiden und offensichtlich gibt es Jazz-Stücke, die wir als besonders gelungen beurteilen. Dass es also keine vorgegebenen festen Regeln gibt, wie zu spielen sei, bedeutet nicht, dass Jazz-Musiker*innen keiner normativen Struktur folgen. Diese besteht nur nicht darin, dass feste Vorgaben über bestimmte Tonabfolgen einzuhalten wären. Sie besteht vielmehr in der Angemessenheit der aufeinander abfolgenden Töne im Moment des Spielens. Es ist diese Abfolge, die wir normativ beurteilen. Wie helfen uns diese Überlegungen nun zu verstehen, inwiefern das Prinzip der Zweckmäßigkeit als Ausdruck dieser schwächeren Gesetzmäßigkeit die empirische Begriffsbildung anleiten soll ? Ich denke in folgender Weise : Wie uns bei einem Jazzstück nicht vorgegeben ist, wie wir zu spielen haben, ist uns auch bei der empirischen Begriffsbildung nicht vorgegeben, welche Eigenschaften wir als die eine Gattung oder Art kennzeichnenden Eigenschaften herausgreifen. Woran entscheidet sich dann, welche Eigenschaften wir als kennzeichnend für die Gattung oder Art herausgreifen ? Bei dem Spielen eines Jazz-Stückes entscheidet sich im Spielen, welche Tonabfolge angemessen ist. Ebenso entscheidet sich im Prozess der empirischen Begriffsbildung, welche Eigenschaften empirischer Gegenstände wir wie zu begrifflichen Merkmalen einer Gattung machen. Wie der*die Musiker*in im Spielen die Tonabfolge für angemessen hält, so halten wir auch unsere gebildeten empirischen Begriffe im Prozess der Begriffsbildung für angemessen. Die Beurteilung der Natur als zweckmäßig bedeutet demgemäß, dass wir ihr eine solche normative Struktur unterlegen, die auch dem Spielen eines Jazz-Stückes zukommt. So wie der*die Jazzmusiker*in im Moment des Spielens Töne, die auf eine bestimmte Weise folgen, als angemessen beurteilt, so beurteilen wir bei der Bildung des empirischen Begriffs ›Hund‹ bestimmte Vorstellungen von Naturgegenständen, die wir als Merkmale des Begriffs des Hundes herausgreifen (nasse Nase, Fell etc.), als den Naturgegenständen ›Hund‹ angemessen.74 Das Prinzip der Zweckmäßigkeit können wir dabei als Ausdruck der Angemessenheit unserer Art der empirischen Begriffsbildung zu den entsprechenden Gegenständen verstehen, so wie wir es als Ausdruck unserer eigenen endlichen epistemischen Stellung innerhalb der Erfahrung verstehen können : Wir haben keinen privilegierten Standpunkt außerhalb der Reihe unserer Versuche empirischer Begriffsbildung, durch den wir die Richtigkeit oder Falschheit unserer empirischen Begriffsbildungen beurteilen könnten. Nun mag man sich fragen, woher eine solche normative Struktur stammt, die wir der Natur unterlegen. Ginsborg begreift die Fähigkeit, nur bestimmte Eigenschaften in der empirischen Begriffsbestimmung zu begrifflichen Merkmalen 74

Das schließt natürlich nicht aus, dass sich empirisch gebildete Begriffe nicht doch als unangemessen herausstellen können. So wie der*die Jazz-Musiker*in auch unangemessene Tonabfolgen produzieren kann, kann sich auch herausstellen, dass wir diesen oder jenen empirischen Begriff doch noch einmal zum Beispiel erweitern oder verengen müssen.

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zu machen, als eine natürliche Disposition unsererseits. Die Zuordnungen bestimmter Begriffsmerkmale sind ihr zufolge »natural tendencies to associate representations in certain patterns rather than others, tendencies that are by and large shared with animals«.75 Zwar teile ich mit Ginsborg die Annahme, dass in den Einleitungen zur Kritik der Urteilskraft das Problem empirischer Begriffsbildung adressiert wird und dass das Prinzip der Zweckmäßigkeit Ausdruck einer schwächeren Art der Gesetzmäßigkeit ist ; einer solchen Art der Gesetzmäßigkeit, die empirische Begriffserzeugungen ermöglicht, weil sie ohne Kriterien der Richtigkeit oder Falschheit auskommt und aber dennoch normativ ist. Von der These, dass es sich dabei um rein natürliche Dispositionen handelt, bin ich dennoch aus drei Gründen nicht überzeugt. Ich denke erstens, dass uns die Frage nach der Herkunft der normativen Struktur vielmehr zum Ausgangspunkt dieses Abschnittes zurückführt und damit zu der regulativen Idee eines höheren Intellekts, der die Natur auf eine zweckmäßige Weise eingerichtet habe. Kant hält im Verlauf der dritten Kritik an seiner fundamentalen These »Ohne Zwecke denkenden Intellekt kein Zweck« fest. Auch das Konzept der Zweckmäßigkeit von empirischen Gegenständen ergibt dementsprechend nur Sinn, wenn wir unterstellen, dass es einen Intellekt gibt, der diese auf zweckmäßige Art und Weise eingerichtet hat. Wir erfahren eine solche Art der Zweckmäßigkeit in der empirischen Begriffsbildung also auch nur, weil wir unter Anwendung des Prinzips der Zweckmäßigkeit der Natur der Natur selbst eine solche Art der Zweckmäßigkeit zuschreiben, nach der wir uns einen Intellekt denken, der sie zweckmäßig eingerichtet hat. Fehlt eine solche Beurteilung, würden wir die Erfahrung nicht als Erfahrung von Zweckmäßigkeit deuten. So beurteilen wir ein Jazzstück als den beschriebenen schwachen normativen Strukturen unterliegend, weil es sich bei dem Spielen des Jazzstückes um eine zweckmäßige Tätigkeit handelt, die in einem zweckverfolgenden Intellekt gründet, der sich den Zweck gesetzt hat, Jazz zu spielen. Unter dieser Bedingung beurteilen wir das Jazz-Spielen normativen Strukturen gemäß.76 So wie sich der von einem Intellekt gesetzte Zweck, ein Jazzstück zu spielen, zu dem Spielen des Jazzstücks selbst verhält, so verhält sich nun auch der Ginsborg (2017), 82. Damit möchte ich nicht behaupten, dass Jazz selbst nicht durch konstitutive der Disziplin eigene Normen zustande kommt. Gerade die Abgrenzung zu etablierten anderen Stilen macht den Jazz zu dem, was er ist. So gibt es auch sehr strenge  – an Jazz-Standards geknüpfte  – Regeln der »freien« Improvisation. Die Punkte, auf die ich an dieser Stelle hinausmöchte, sind vielmehr, i) dass sich die spezifischeren Regeln für das Spielen eines einzelnen Stückes im Akt des Spielens selbst ergeben und in diesem Sinne nicht vorgegeben werden ; und ii) dass diese Art der Normativität einen Zwecke setzenden Intellekt voraussetzt. Analog verhält es sich zur empirischen Begriffsbildung. Es gibt allgemeinere Prinzipien der Begriffsbildung wie etwa das Prinzip der Homogenität. Die Regeln für die Bildung eines einzelnen empirischen Begriffs wiederum können aber i) nur im Akt der Bildung des

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einem höheren Intellekt zugesprochene Zweck der Einrichtung einer für uns erkennbaren Natur, den wir in Anwendung des Zweckmäßigkeitsprinzips denken, zu unserer Art der empirischen Begriffsbildung. Dementsprechend setzt auch die in der empirischen Begriffsbildung liegende normative Struktur das Denken eines höheren Verstandes voraus. Es handelt sich hierbei um eine Vorstellung, die es uns überhaupt erst möglich macht, die Natur normativ zu beurteilen. Erfahren wir also die Natur als zweckmäßig eingerichtet, so geschieht dies nur aufgrund der a priori gesetzten Unterstellung eines in Zwecken denkenden und handelnden Intellekts. Die Herleitung des Prinzips der Zweckmäßigkeit, die in der Analogie besteht, analog zu unserem Verstand einen höheren Verstand zu denken, spielt in Ginsborgs Interpretation jedoch keine Rolle. Abgesehen davon, dass ich denke, dass eine solche Interpretation dem kantischen Text in diesem Punkt auf exegetischer Ebene nicht gerecht wird, setzen aber auch Ginsborgs Beispiele zur Erläuterung einer ›thin normativity‹ – wie etwa das Beispiel des*der Streichinstrumentspieler*in – allesamt einen in Zwecken denkenden Intellekt voraus. Der Begriff ›thin normativity‹ scheint mir ohne eine solche Voraussetzung – zumindest im Rahmen der kantischen Philosophie – kein gut verständlicher Begriff zu sein. Zweitens erlaubt uns erst die Unterstellung eines in Zwecke denkenden Intellekts im Sinne einer regulativen Idee ausgehend von einer einzelnen Erfahrung, die wir als zweckmäßig beurteilen, die gesamte Natur als für unser Erkenntnisvermögen zweckmäßig zu beurteilen. Eine einzelne Erfahrung, die wir als zweckmäßig beurteilen, führt zu der Unterstellung der gesamten für unser Erkenntnisvermögen zweckmäßig eingerichteten Natur. Erst aufgrund dieser Unterstellung der Zweckmäßigkeit der gesamten Natur suchen wir nach weiteren Gesetzmäßigkeiten in der derselben, da wir sie erst so als für uns erkennbar unterstellen. Drittens besitzen wir natürliche Dispositionen nicht notwendigerweise, sondern zufälligerweise. So wie ich Ginsborg verstehe, ist das Prinzip der Zweckmäßigkeit Ausdruck einer natürlichen Disposition. Das Prinzip der Zweck­ mäßig­keit soll vernünftigen Wesen aber ebenso wesentlich zukommen, wie die Kategorien uns zukommen. Und so wie die Kategorien keine willkürlichen Begriffe unseres Verstandes sind oder Ausdruck natürlicher Dispositionen, so ist auch das Prinzip der Zweckmäßigkeit kein willkürlich gewähltes Prinzip oder Ausdruck einer natürlichen Disposition, sondern es ist a priori in unserem Erkenntnisapparat eingeschrieben. Andere Begriffe oder Prinzipien zur Schaffung eines Gegenstandsbezugs stehen uns nicht zur Verfügung.77 Wenn wir das PrinBegriffs selbst festgelegt werden und setzen ii) die Unterstellung eines Intellekts als Grund dieser Art der Normativität voraus. 77 Warum es sich um genau dieses Prinzip handelt, scheint mir genauso wenig herleitbar zu sein wie der Besitz genau der Kategorien, die wir nun einmal besitzen. Und zu Letzterem

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zip der Zweckmäßigkeit jedoch als Ausdruck einer natürlichen Disposition deuten, dann wäre es auch möglich, dass wir dieses Prinzip nicht besäßen, weil es möglich wäre, dass wir als empirische Wesen andere natürliche Dispositionen besäßen. Infolgedessen scheint mir Ginsborgs Interpretation gemäß unklar zu sein, inwiefern das Prinzip der Zweckmäßigkeit überhaupt noch ein transzendental notwendiges Prinzip sein kann und nicht einfach ein empirisch notwendiges. Fassen wir zusammen : Die Beurteilung der Natur in ihren empirischen Gesetzen als zweckmäßig ermöglicht es uns in einem schwächeren Sinne  – jenseits der tatsächlichen Klassifizierung unserer Begriffs- und Gesetzesbildungen als richtig oder falsch – , unsere Begriffsbildungen als den empirischen Gegenständen angemessen zu beurteilen. Nun habe ich im letzten Abschnitt betont, dass uns das Denken eines höheren Verstandes erlauben soll, die Natur unter für uns erkennbaren systematischen Gesichtspunkten zu betrachten. Der durch das Prinzip der Zweckmäßigkeit gedachte Verstand soll eine »Zweckmäßigkeit der Natur in ihrer Mannigfaltigkeit« (KdU, AA V 180) begründen. Es bleibt also noch Folgendes zu klären : Wie hängen empirische Begriffsbildung und Systematizität zusammen ? 3.3.3 Empirische Begriffsbildung und Systematizität Ich habe bereits in 3.2.1 dafür argumentiert, dass es Kant zufolge wesenhaft zu unserer Vernunft gehört, nach einer in Gattungen und Arten eingeteilten systematischen Struktur Einheit in der Natur zu suchen. Inwiefern können wir diese Struktur nun aber auch als notwendig für Erfahrung und dementsprechend als transzendental herausstellen ? Wir sahen, dass Kant zufolge empirische Forschung intrinsisch systematisch ist. Wir gehen in dieser so vor, dass wir Erkenntnisse in ein System zu bringen suchen. Wie in 3.2.1 erläutert, bringen wir in empirischer Forschung verschiedene Arten (von Erkenntnis) unter Gattungen und suchen nach weiteren Unterarten der bereits gefundenen Arten. Zugleich suchen wir nach kontinuierlichen Übergängen zwischen Arten und Unterarten, sodass Unterschiede zwischen Arten bzw. Unterarten graduelle Unterschiede, aber keine Sprünge darstellen. Durch die Befolgung aus diesen Prinzipien entspringender Maximen wie »In der Natur gibt es keine leeren Stellen (non datur vaccuum formarum)«, »Sie tut schreibt Kant : »Von der Eigentümlichkeit unsers Verstandes aber, nur vermittelst der Kategorien und nur gerade durch diese Art und Zahl derselben Einheit der Apperzeption zu Stande zu bringen, läßt sich eben so wenig ferner ein Grund angeben, als warum wir gerade diese und keine andere Funktionen zu Urteilen haben, oder warum Zeit und Raum die einzigen Formen unserer möglichen Anschauung sind.« (KrV, B 145 f.).

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nichts umsonst« oder »Die Natur nimmt den kürzesten Weg (lex parsimoniae)« (KrV, A 659 / B 687, EEKdU, AA XX 210, KdU, AA V 182) suchen wir nach solchen Verhältnissen in der Natur. Sehr augenfällig ist diese These Kants zum Vorgehen in der Biologie. Anhand ausgewählter Kriterien bringen wir dort Erkenntnisse über Lebewesen in eine Taxonomie von Arten und Gattungen oder ordnen neu entdeckte Lebewesen in ein solches System ein. Aber auch in Bezug auf die Physik haben wir bereits illustriert, inwiefern wir diese Erkenntnisse Kant zufolge nach einem Art-Gattung-Schema kategorisieren.78 Im Anhang zur transzendentalen Dialektik wie in den Einleitungen zur Kritik der Urteilskraft argumentiert Kant nun dafür, dass diese Art und Weise der Systematisierung nicht unabhängig von unserer empirischen Begriffsbildung ist.79 Denn dieselben Prinzipien, die die Systematisierung von bereits gemachten Erkenntnissen leiten, leiten auch die Bildung empirischer Begriffe80 : »… allein die Urtheilskraft, die auch zu empirischen Vorstellungen, als solchen, Begriffe sucht, (die reflectierende) muß noch überdem zu diesem Behuf annehmen, daß die Natur in ihrer grenzenlosen Mannigfaltigkeit eine solche Eintheilung desselben in Gattungen und Arten getroffen habe, die es unserer Urtheilskraft möglich macht, in der Vergleichung der Naturformen Einhelligkeit anzutreffen und zu empirischen Begriffen, und dem Zusammenhange derselben untereinander, durch Aufsteigen zu allgemeinern gleichfalls empirischen Begriffen zu gelangen : d. i. die Urtheilskraft setzt ein System der Natur nach empirischen Gesetzen voraus, und dieses a priori, folglich durch ein transcendentales Princip.« (EEKdU, AA XX 211 f., Anmerkung)

Kant behauptet in diesem Zitat, dass wir zur empirischen Begriffsbildung voraussetzen müssen, dass die Natur eine systematische Einheit bildet. In diesem Sinne soll unsere empirische Begriffsbildung selbst einem Gattung-Art-Schema folgen und empirische Begriffe sollen dementsprechend in Gattungen und Arten eingeteilt sein. Allison veranschaulicht diesen Gedanken Kants wie folgt :81 Unter ›Gold‹ verstehen wir ein gelbes Metall, das in Königswasser auflösbar ist. Allison führt nun aus, dass diese Begriffe, aus denen der Begriff ›Gold‹ zusammengesetzt ist, selbst in einer Art-Gattung-Beziehung zueinander stehen. ›Me Siehe Abschnitt 3.2.1 dieser Arbeit. Für Allison und Ginsborg scheint das Prinzip der Zweckmäßigkeit das der Systematizität zu implizieren ; vgl. Allison (2012), 94 f. Ginsborg (2017), S. 86 f. 80 Dies folgt meiner Lesart zufolge auch bereits daraus, dass das Prinzip der Zweckmäßigkeit durch die Analogie zu einem Zwecke setzenden Verstand hergestellt wird, der wiederum so gedacht wird, dass er die Natur so eingerichtet hat, dass wir sie auch erkennen können und sie damit unseren Systematizitätsprinzipien entspricht. 81 Vgl. Allison (2001), 33. 78

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tall‹ ist der Gattungsbegriff, unter welchem der Begriff ›Gold‹ steht. Der Art ›Gold‹ kommt es zu, gelbes Metall und in Königswasser auflösbar zu sein. Der Begriff ›Gold‹ selbst steht wiederum in einem Verhältnis zu weiteren begrifflichen Unterarten, spezifischen Goldvariationen etc. Nicht nur dem Begriff ›Gold‹ kommen solche Art-Gattungs-Verhältnisse zu, sondern jeder empirische Begriff steht in einem solchen Art-Gattungs-System. Allison behauptet nun, »[…] that the very possibility of concepts as general representations presupposes a system of concepts subordinate to one another in terms of the relation of genera and species.«82 Aus der Tatsache, dass einige unserer empirischen Begriffe auf diese Weise in Gattungen und Arten eingeteilt sind, folgt aber noch nicht, dass wir diese Einteilung bei einer jeden empirischen Begriffsbildung voraussetzen müssen, wie Allison dies in dem obigen Zitat behauptet. Warum also sollte dies der Fall sein ? Greifen wir hierzu Geigers Interpretation des Zusammenhangs von der Möglichkeit empirischer Begriffsbildung und dem Systematizitätsprinzip auf. Dieser argumentiert dafür, dass wir empirische Begriffe nicht nur dem Gattungund-Art-Schema entsprechend inferentiell verknüpfen, sondern dass empirische Begriffe auch erst unter Voraussetzung des Gattung-und-Art-Schemas ihre spezielle Bedeutung bzw. Anwendungsregel erhalten, die sie haben.83 Denn um empi­rischen Begriffen ihre Anwendungsregel zu geben, seien wiederum niedere Begriffe nötig, die die Bedeutung des jeweilig oberen Gattungsbegriffs bestimmen. Die Regeln, nach denen wir beispielsweise den Begriff ›Gold‹ auf Objekte anwenden, finden wir heraus, indem wir dem begrifflichen Gehalt von ›Gold‹ nachgehen. Dieser besteht u. a. darin, es als ein Metall zu klassifizieren. Die Regeln, die die Anwendung des Begriffs von ›Gold‹ festlegen, wie etwa ein Metall zu sein, sind aber selbst wieder begriffliche Regeln und nicht welche, die wir einfach aus Anschauungen oder sinnlichen Eindrücken gewinnen.84 Wie wir bereits im letzten Abschnitt argumentierten, können uns sinnliche Eindrücke niemals Regeln an die Hand geben, anhand derer wir die Anwendung von empirischen Begriffen bestimmen könnten. Solche Anwendungsregeln können wir nur dadurch gewinnen, dass wir Begriffe zueinander in Beziehung setzen bzw. deren Beziehungen zueinander bestimmen. Dies wiederum setzt ein systematisch geordnetes Begriffssystem voraus. Und zur Gewinnung solcher begrifflichen Regeln – so habe ich argumentiert – wenden wir das der reflektierenden Urteilskraft angehörende Prinzip der Zweckmäßigkeit an.85 84 85 82

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Allison (2001), 34. Vgl. Geiger (2003), 273–298. Vgl. Geiger (2003), 288. Dies bedeutet nicht, dass wir zur Bildung eines empirischen Begriffs bereits alle anderen begrifflichen Regeln seiner Bildung kennen müssen. Wir müssen aber zumindest die für diesen Begriff wesentlichen Regeln kennen, die wiederum in einem holistischen System be-

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An dieser Stelle können wir nun die Rolle und die Stellung des Prinzips der Zweckmäßigkeit der reflektierenden Urteilskraft in Hinblick auf die Systematisierungsprinzipien der Vernunft spezifizieren und herausstellen, in welchem Verhältnis sich diese Vermögen gemäß meinem Vorschlag befinden. Wie also verhält sich der Gebrauch des Zweckmäßigkeitsprinzips durch die reflektierende Urteilskraft zu dem regulativen Gebrauch der Vernunft ? Gemäß der vorliegenden Untersuchung ist das Systematizitätsprinzip ein Prinzip, dem kein Gegenstandsbezug gegeben ist, sondern der ihm abgeht. Bei dem Systematizitätsprinzip handelt es sich also insofern in keiner Weise um ein objektiv gültiges Prinzip, als sein Zutreffen auf die Gegenstände der Natur nicht nachgewiesen und für uns auch nicht nachweisbar ist. Die Vernunft haben wir als das Vermögen bestimmt, das bereits gemachte Erfahrungen in eine durchgängige systematische Einheit zu bringen sucht. Diese Einheit erstellt sie durch inferentielles Verknüpfen der bereits gemachten Urteile anhand ihres Prinzips der Systematizität und in Orientierung an der Idee der systematischen Einheit bzw. die in diesem Prinzip fundierenden Ideen wie reine Luft, reines Wasser etc. Dabei bleibt aber dieses Systematisieren eines, welches bloß durch das Ziehen inferentieller Verknüpfungen geschieht. Einen empirischen Gegenstandsbezug kann unsere Vernunft dadurch nicht herstellen. Nicht nur das Prinzip der Systematizität, sondern auch ihre durch das Systematisieren erzeugten Ideen, wie reines Wasser, reine Luft etc., bleiben leer. Dennoch befragen wir unter der Voraussetzung dieser Idee die Gegenstände der Natur nach derselben. Wie aber gehen wir hier vor, wenn diese Idee gar nicht direkt auf die Gegenstände der Natur angewendet werden kann ? Dem hier vorliegenden Vorschlag entsprechend wird der empirische Gegenstandsbezug durch die reflektierende Urteilskraft, d. i. in Anwendung des Prinzips der Zweckmäßigkeit, hergestellt. Mit ihrer Hilfe finden wir anhand der Systematizitätsprinzipien empirische Begriffe und Gesetzmäßigkeiten, die die aus den Systematizitätsprinzipien geschlossenen Ideen definieren ; die also zum Beispiel definieren, was reines Wasser ist. Wir geben diesen Vernunftideen also empirischen Gehalt, indem wir induktive Forschung betreiben und sie dadurch erst definieren. Eine Definition reinen Wassers erlaubt es uns überhaupt erst, Messwerte für unterschiedlich gemischte Gewässer aufzustellen und mit dieser Skala zu arbeiten. In diesem Sinne ergänzt die reflektierende Urteilskraft den Vernunftgebrauch. Haben wir mit dieser so erklärten Skala in unseren naturwissenschaftlichen Forschungen Erfolg, so nehmen wir die Adäquatheit des Definitionswerts auch für alle weiteren Erfahrungen an. Haben wir jedoch keinen Erfolg, so ändern wir den Definitionswert und dementsprechend die Messwerte der Skala, die wir dann für weitere Forschungen nutzen. grifflicher Regeln stehen. Je mehr solcher Regeln wir kennen, desto spezifischer wird aber der Begriff und desto bestimmter wird seine Anwendung.

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Das Prinzip der Systematizität bzw. die in diesem Prinzip gründenden Ideen stellen wir dabei nicht in Frage. Es verhält sich vielmehr so, dass »wir die Natur nach diesen Ideen [befragen], und […] unsere Erkenntnis für mangelhaft [halten], so lange sie denselben nicht ädaquat ist.« (KrV, A 645 f. / B 673 f.) Während wir also voraussetzen müssen, dass wir anhand dieser Idee die natürlichen Phänomene gut erklären können, setzen wir Definitionswerte nicht einfach voraus. Diese erstellen wir induktiv durch Erfahrung und prüfen sie anhand von Erfahrung. Nicht die Idee selbst, nur die empirische Definition derselben wird durch diesen Gebrauch immer wieder auf den Prüfstand gestellt. Da dem Systematizitätsprinzip unserer Vernunft der Gegenstandsbezug abgeht, ist es Aufgabe der reflektierenden Urteilskraft, diesen durch ihren induktiven Gebrauch herzustellen. Damit können aber erst in Ergänzung der Tätigkeit des Vermögens der reflektierenden Urteilskraft empirische Kausalgesetze überhaupt gefunden und dementsprechend empirisch notwendige Gesetze überhaupt erst aufgestellt werden. Meines Erachtens gibt uns dies den Schlüssel zum Verständnis dafür, warum auch der im Abschnitt 3.2.2 benannte vierte Grund für den transzendentalen Charakter des Systematizitätsprinzips der Vernunft nur in Ergänzung des durch Anwendung des Prinzips der Zweckmäßigkeit hergestellten Gegenstandsbezugs plausibel ist. Denn dieser vierte Grund besagt, dass die Wahrheit und überhaupt erst das Erkennen empirischer Kausalgesetze an die Idee der systematischen Einheit aller Verstandeserkenntnisse gebunden ist, da wir erst durch die Voraussetzung dieser Idee empirische Gesetzmäßigkeiten von zufälligen empirischen Regelmäßigkeiten unterscheiden können. Und es ist auch dieser Punkt, den auch Guyer in den Einleitungen zur Kritik der Urteilskraft aufgreift : In der empirischen Forschung gewinnen wir zunächst einfach empirische Verallgemeinerungen, von denen wir noch nicht sagen können, ob es sich tatsächlich um empirische Kausalgesetze handelt, wenn wir sie isoliert betrachten. Die Notwendigkeit isolierter Verallgemeinerungen können wir so nicht einsehen. Um die Notwendigkeit empirischer Verallgemeinerungen einzusehen, d. i. um wirklich erkennen zu können, ob es sich bei diesen um ein empirisches Kausalgesetz handelt, müssen wir diese in ein System bringen, in welchem empirische Verallgemeinerungen hierarchisch untereinander geordnet werden können.86 Entsprechend äußert sich Kant auch in den Einleitungen zur Kritik der Urteilskraft : Erst in der Anwendung des Prinzips der Zweckmäßigkeit können wir die »gesetzliche Einheit in der Verbindung ihres Mannigfaltigen [der Natur, K.K.]« (KdU, AA V 184) denken, die uns ansonsten vollkommen zufällig erscheint.

86

Guyer greift diesen Punkt auf, um für den transzendentalen Charakter des Prinzips reflektierender Urteilskraft zu argumentieren. Vgl. Guyer (2005).

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Zwischenfazit

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Ich denke, dass es anhand der hier vorliegenden Überlegungen guten Sinn ergibt, warum dieser Punkt in beiden Abschnitten abgehandelt werden muss : Während die Vernunft gemäß dem Systematizitätsprinzip Verstandeserkenntnisse inferentiell verknüpft, erzeugt die reflektierende Urteilskraft erst den Gegenstandsbezug der für die Erstellung empirischer Gesetze notwendigen Prinzipien. Wir haben nun alle Komponenten beieinander, um das Zweckmäßigkeitsprinzip als ein transzendentales Prinzip auszuweisen : Das Zweckmäßigkeitsprinzip ist nicht mit dem Systematizitätsprinzip identisch, sondern steht in einem ergänzenden Verhältnis zu diesem, indem es den Gegenstandsbezug herstellt, der letzterem abgeht. Dies ist wiederum eine notwendige Bedingung für das Auffinden empirischer Kausalgesetze. Insofern das Zweckmäßigkeitsprinzip durch seinen Bezug auf das Systematizitätsprinzip empirische Begriffsbildung allererst ermöglicht, kann es als transzendentales Prinzip ausgewiesen werden. Es stellt eine Bedingung a priori für die Möglichkeit von Erfahrung dar, denn ohne empirische Begriffe lassen sich keine empirischen Urteile fällen und dementsprechend auch keine empirischen Gesetzmäßigkeiten auffinden. Zugleich kann die Weise, in der es als transzendental auszuzeichnen ist, spezifiziert werden : Es stellt eine notwendige Bedingung dar, gemäß der Dinge überhaupt Objekte der Erfahrung werden können ; jedoch nicht in dem Sinne, dass durch die Erfüllung dieser Bedingung uns Objekte überhaupt erst gegeben werden, sondern vielmehr in dem Sinne, dass sie den Bezug auf empirische Objekte allererst ermöglichen.87 3.4 Zwischenfazit – Das Zweckmäßigkeitsprinzip als Ausdruck unserer Endlichkeit Ich habe in diesem Kapitel gezeigt, inwiefern es sich sowohl bei dem Prinzip der Systematizität als auch bei dem Prinzip der Zweckmäßigkeit um subjektiv regulative, aber dennoch transzendentale Prinzipien handelt. Das Vernunftprinzip der Systematizität liefert a priori kein Wissen über die Natur, es stellt aber die formalen Prinzipien bereit, gemäß denen wir zu empirischem Wissen gelangen. 87

Diese Charakterisierung von ›transzendental‹ entspricht auch der von Kant in der dritten Kritik gegebenen Definition dieses Begriffs : »Ein transzendentales Prinzip ist dasjenige, durch welches die allgemeine Bedingung a priori vorgestellt wird, unter der allein Dinge Objekte unserer Erkenntnis überhaupt werden können« (KdU, AA V 181). Hier handelt es sich insofern um einen weiteren Begriff von transzendental, als hier nicht allein gegenstandskonstitutive Begriffe als transzendental bezeichnet werden können. Wie im zweiten Abschnitt dieses Kapitels gezeigt, scheint mir diese Charakterisierung von ›transzendental‹ auch schon hinsichtlich der Systematizitätsprinzipien vorzuliegen.

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Die Voraussetzung der Erkennbarkeit der Natur

Durch die Anwendung des Zweckmäßigkeitsprinzips der reflektierenden Urteilskraft suchen wir empirische Gesetze dem Vernunftprinzips der Systematizität gemäß zu erstellen. Beide Prinzipien sind transzendentale Prinzipien, insofern sie i) den Besitz eines hinreichenden Merkmals empirischer Wahrheit und ii) empirische Begriffsbildung erst ermöglichen. Doch die Prinzipien liefern uns aufgrund ihres regulativen Status weder A-priori-Kriterien für die Richtigkeit des durch diese Prinzipien aufgefundenen Wissens noch unverrückbares Wissen über die Natur. Es bleibt hypothetisches Wissen über die Gesetzmäßigkeit der Natur. Ob die Natur tatsächlich erkennbar ist, bleibt damit auch mit Anwendung dieser Prinzipien epistemisch ungewiss. Ich habe aber dafür argumentiert, dass dieser fehlende Nachweis von A-priori-Kriterien für das Zutreffen der Systematizitätsprinzipien und die daraus entspringende epistemische Ungewissheit bezüglich der Wahrheit unserer Forschungsergebnisse kein Mangel an der kantischen Argumentation ist. Die Unmöglichkeit des Nachweises von A-priori-Kriterien des (Nicht)-Zutreffens dieser Prinzipien spiegelt schlicht die Grundkonstitution vernünftiger, aber sinnlicher und endlicher Wesen wider. Wir können keine empirischen Gesetzmäßigkeiten a priori deduzieren. Und auch durch empirische Forschung gefundene ­Gesetzmäßigkeiten bleiben fallibel. Sie werden niemals den Status transzendentaler Prinzipien a priori erhalten. Ob die Natur also tatsächlich eine uns zugängliche, d. i. eine für uns erkennbare systematische Einheit bildet, bleibt auch unter Anwendung beider Prinzipien epistemisch ungewiss. Die Erkennbarkeit der Natur bleibt eine Voraussetzung, die wir mit der Anwendung dieser Prinzipien eingehen.

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4. Kants Agnostizismus – Zur Konzeption des Naturzweckbegriffs

D  

as in den Einleitungen zur Kritik der Urteilskraft eingeführte Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur gibt eine – wenn auch nur subjektive – Antwort auf die Frage, ob die Natur so ist, dass sie sich durch unseren Erkenntnisapparat tatsächlich erkennen lässt. Wir können zwar niemals wissen, ob die Einrichtung der Natur tatsächlich unseren Erkenntnisvermögen, im Besonderen den Systematizitätsprinzipien unserer Vernunft entspricht. Das heißt, wir können weder ein Argument anführen, anhand dessen wir wissen könnten, dass die Idee der systematischen Einheit bzw. die in ihr gründenden Vernunftprinzipien den Gegenständen der Natur zukommen, noch können wir dies auf empirischem Weg herausfinden. Diese Grenzen unseres Wissens liegen in unserer eigenen Konstitution als vernünftige, aber sinnliche und endliche Wesen begründet. Dennoch können wir unter Anwendung der sich jeweils ergänzenden Prinzipien der Systematizität und der Zweckmäßigkeit der Natur zumindest die Möglichkeit der Erkenntnis empirischer Kausalgesetze einsehen, indem qua Prinzip der Systematizität der dazu erforderliche inferentielle Zusammenhang geschaffen wird und qua Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur ein empirischer Gegenstandsbezug der Systematizitätsprinzipien hergestellt wird.1 Ich habe im letzten Kapitel dafür argumentiert, dass das Prinzip der Zweckmäßigkeit der notwendige, aber subjektive Ausdruck der Angemessenheit der durch die Systematizitätsprinzipien unserer Vernunft erstellten Ordnung mit der Ordnung der Natur ist. Die Anwendung dieses Zweckmäßigkeitsprinzips bezieht sich aber nicht auf die Konstitution der Erfahrungsgegenstände selbst. Durch die Anwendung des Zweckmäßigkeitsprinzips unterstellen wir der Natur nur insofern Zweckmäßigkeit, als wir unterstellen, dass die Natur selbst den empirischen Regeln, die wir auffinden, sowie der aus diesen Regeln hergestellten systematischen Einheit entspricht. Dies ist jedoch zu unterscheiden von der Unterstellung, gemäß der die einzelnen Naturgegenstände, auf die sich die jeweiligen empirischen Gesetze beziehen, selbst Zweckprodukte sind. 1

Letztlich ist das Prinzip der Systematizität meiner Lesart zufolge also auf zwei Ebenen relevant. Zum einen leitet es die empirische Begriffsbildung an, die Vernunft stellt hier die Idee der systematischen Einheit, die für die reflektierende Urteilskraft zur Begriffsbildung notwendig ist. Und zum anderen wendet die Vernunft selbst ihre Systematizitätsprinzipien bei der inferentiellen Verknüpfung empirisch gewonnener Erkenntnisse an.

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Kants Agnostizismus

Auf Grundlage der ersten Kritik hat sich vielmehr gezeigt, dass alle Konstitution von Gegenständen auf kausalmechanischen Prinzipien beruht, insofern diese als konstitutiv für die Gegenstände der Natur aufgezeigt werden konnten. Dementsprechend gilt es für uns, die Konstitution einzelner Naturgegenstände auf Grundlage empirisch-mechanischer Kausalgesetze zu erklären. Nun gibt es Kant zufolge jedoch eine Art empirischer Gegenstände, bei denen wir nicht umhinkommen, diese selbst als Zweckprodukte zu beurteilen – bei den Naturgegenständen, die wir als Organismen2 bezeichnen. Diese Naturgegenstände bestehen zwar aus Materie, die kausalmechanischen Gesetzen unterworfen ist, doch ruft die Existenz und die spezifische Form3 solcher Naturgegenstände bei uns Irritationen hervor ; allein auf Basis kausalmechanischer Gesetze – so Kant – ist sie nicht erklärbar. Wir müssen in unseren Beurteilungen der Existenz und der bestimmten Form dieser Naturgegenstände vielmehr auf eine bestimmte Art der Zweckkausalität zurückgreifen, dessen Einführung nicht unproblematisch ist. Im Abschnitt Kritik der teleologischen Urteilskraft diskutiert Kant die (Nicht-) Integrierbarkeit von diesen Naturgegenständen in das bisher gezeichnete kausalmechanische Bild der Natur und eine von Kants klar vertretenen Thesen lautet, dass wir eine bestimmte Art von Naturgegenständen als Naturzwecke beurteilen müssen. Weniger klar ist jedoch, was diese These eigentlich bedeutet. Denn bereits auf den ersten Blick mutet dieser Begriff im Rahmen der kantischen Philosophie recht paradox an. So kennen wir Zwecke bisher nur aus dem Bereich der praktischen Philosophie, insofern unsere Vernunft Zwecke setzt und realisiert, für den Bereich der theoretischen Philosophie, die Natur, ist hingegen das Kausalprinzip konstitutiv und der Verstand bestimmend. In der Kritik der Urteilskraft bezeichnet Kant nun aber unsere reflektierende Urteilskraft als technisch4 , insofern wir Naturgegenstände als Produkte der Kunst5 und da Kant verwendet den Organismusbegriff zwar nicht explizit ; er verwendet vielmehr die Ausdrücke »organisierte und sich selbst organisierende Wesen«, doch der textlichen Substanz nach entwickelt er in dem zweiten Teil der dritten Kritik den Organismusbegriff. Siehe dazu auch Abschnitt 4.3.2. 3 Kant ist in der Bezeichnung dessen, was mechanisch nicht erklärt werden kann, nicht einheitlich. Er verwendet sowohl den Ausdruck, dass die Form mechanisch nicht erklärt werden könne (vgl. KdU, AA V 371), als auch den Ausdruck, dass das Dasein und die Form mechanisch nicht erklärt werden könne (vgl. KdU, AA V 373). Wie ich in 4.1.2 argumentieren werde, ist bei den in Frage stehenden Naturgegenständen die Form zugleich Ausdruck der spezifischen Existenz solcher Naturgegenstände, sodass ich denke, dass das es tatsächlich um die mechanische Unerklärbarkeit beider gehen muss. Meiner Lesart zufolge implizieren also die Fälle, in denen Kant die Form als mechanisch unerklärbar bezeichnet, auch die mechanische Unerklärbarkeit der Existenz dieser Naturgegenstände. 4 Auf eine Bestimmung dieses Begriffs komme ich in 4.2.3 zurück. 5 Gemeint sind hier Produkte von Kunstfertigkeiten, d. i. Artefakte. 2

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Zur Konzeption des Naturzweckbegriffs

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mit als Zwecke beurteilen. Der Begriff des Naturzwecks impliziert so gesehen eine eigentümliche Verzahnung beider Arten der Kausalität, die nicht einfach verständlich ist und gar auf einem Widerspruch zu beruhen scheint ; Naturgegenstände sind geradezu darüber definiert, keine Kunstprodukte zu sein. Meiner Lesart zufolge argumentiert Kant tatsächlich auch dafür, dass der Naturzweckbegriff uns nicht verständlich wird. Er bleibt ein für uns unverständlicher Begriff : Wir können diesen Begriff zwar denken, aber nicht begreifen, insofern er nicht in Einklang mit anderen objektiven Prinzipien zur Erkenntnis der Natur zu bringen ist. Teleologische Aussagen sind daher für Kant keine objektiven Aussagen über bestimmte Naturgegenstände. Sie kommen diesen nicht zu. Sie sind subjektiv, d. h. Projektionen unsererseits. Vor allem Ginsborg hat den Widerspruch in der Beurteilung eines Gegenstandes als Natur- und Kunstprodukt bzw. Zweck in ihren Auslegungen zu Kants Naturzwecklehre hervorgehoben und durch die Einführung ihrer Konzeption einer ›thin normativity‹6, die auch auf diese Naturgegenstände zutreffen soll, eine Lesart fruchtbar gemacht, die diesem Widerspruch zu entgehen vermag.7 Wie ich zeigen werde, trägt sie damit aber der These der Unverständlichkeit des Naturzweckbegriffs selbst nicht genügend Rechnung, da diese Unverständlichkeit darauf gründet, dass mit diesem Begriff eine Aussage über die Konstitution der entsprechenden Naturgegenstände vorgenommen wird. Ginsborg geht aber in ihrer Konzeption an diesem Punkt vorbei. Trotz dieser proklamierten Unverständlichkeit des Naturzweckbegriffs ist jedoch auch meiner Lesart zufolge die Einführung des Naturzweckbegriffs epistemisch relevant. So erlaubt uns seine Anwendung, Gegenstände der Natur selbst als auf Vernunftstrukturen gegründet zu verstehen, insofern wir bei der Bildung dieses Begriffs dem Naturgegenstand eine Vernunftidee unterlegen. Mit der Darstellung dieser objektiven Zweckmäßigkeit (vgl. KdU, AA V 193) in der Natur ist ein, wenn auch nur subjektiver Nachweis erbracht, dass die Natur unseren Vernunftprinzipien entsprechend eingerichtet ist. Während dieser Punkt in der Forschungsliteratur debattiert wird, wird einem weiteren Punkt, der aus diesem ersten folgt, kaum Beachtung geschenkt : Erst die Einführung des Naturzweckbegriffs in die Natur und damit das Unterlegen einer Vernunftidee unter diesen Naturgegenstand ermöglicht es uns, zwischen organischen und anorganischen Gegenständen derselben zu unterscheiden, insofern der Organismusbegriff als vom Naturzweckbegriff hergeleitet verstanden werden muss. Es ist also nicht so, dass wir Organismen als solche identifizieren und dann nach deren spezifischer Beschaffenheit fragen. Im Ge-

6 7

Zur Erläuterung dieser Konzeption siehe Abschnitt 3.2.2. Vgl. Ginsborg (2015), 255–280.

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Kants Agnostizismus

genteil, ich werde dafür argumentieren, dass wir den Organismusbegriff ohne teleologische Prinzipien noch nicht einmal denken können.8 Die These, die ich in diesem Kapitel zu begründen suche, hat also zwei Seiten : Zum einen gilt es negativ herauszustellen, inwiefern genau der Naturzweck­ begriff ein für uns unverständlicher Begriff ist. Zum anderen gilt es positiv herauszuarbeiten, in welcher Weise der Organismusbegriff aus dem Naturzweck­ begriff hergeleitet wird und letzterer damit erst die Unterscheidung von organischem und anorganischem Material ermöglicht. Zur Begründung dieser These werde ich im ersten Abschnitt dieses Kapitels das Prinzip der inneren Zweckmäßigkeit, anhand dessen wir die Beurteilung dieser bestimmten Naturgegenstände vornehmen, kontextuell einbetten, indem ich es in Beziehung zu dem subjektiv formalen bzw. transzendentalen Zweck ­mäßigkeitsprinzip9 in den Einleitungen zur Kritik der Urteilskraft setze. Ich werde dafür argumentieren, dass die Anwendung des Prinzips der inneren Zweck­mäßigkeit von der Anwendung des transzendentalen Zweckmäßigkeitsprinzips insofern abhängig ist, als letzteres ersteres vorbereitet (4.1.1). Daraufhin gilt es den Begriff des Mechanismus zu klären. Vor welchem Hintergrund beurteilen wir bestimmte Naturgegenstände als Naturzwecke ? Hierzu werde ich Bezug auf die Debatten rund um den Status des Mechanismusbegriffs nehmen und also den Zusammenhang zwischen dem in der zweiten Analogie der Erfahrung etablierten Kausalprinzip und dem in der dritten Kritik verwendeten Mechanismusbegriff diskutieren (4.1.2). Der Herleitung des Naturzweckbegriffs werde ich im zweiten Abschnitt dieses Kapitels nachgehen. Dazu werde ich – in zunächst vorläufiger Form – herausarbeiten, in welcher Weise die Existenz bestimmter Naturgegenstände durch rein mechanische Gesetze nicht erklärbar ist und inwiefern diese Nicht-Erklärbarkeit die Beurteilung dieser Naturgegenstände als Naturzwecke veranlasst (4.2.1). Allein aus der mechanischen Unerklärbarkeit bestimmter Naturgegenstände folgt nun jedoch nicht, dass dieselben als Naturzwecke zu beurteilen sind. Daher werde ich im folgenden Abschnitt den eigentümlichen Charakter dieser Während ich mich in dieser Arbeit der theoretischen Relevanz einer solchen Beurteilung von Naturgegenständen als Naturzwecken widme, wird in der Forschungsliteratur vor allem die Relevanz der Beurteilung bestimmter Naturgegenstände als Naturzwecke für Kants praktische Philosophie hervorgehoben. Für die Realisierung von aus moralischen Beweggründen angeleiteten Handlungen ist die Beurteilung bestimmter Naturgegenstände als Naturzwecke insofern entscheidend, als wir an diesen sehen, dass die Natur eine zweckmäßige Organisation zulässt, die für die Realisierung unseres moralischen Handelns unerlässlich ist. Siehe dazu zum Beispiel : Khurana (2017), 137–274, insb. 198 ff. 9 Da ich im letzten Kapitel das subjektiv formale Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur als transzendentales Prinzip herausgestellt habe, nenne ich dieses Prinzip im Folgenden das transzendentale Zweckmäßigkeitsprinzip. 8

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Kontextualisierung des Prinzips der inneren Zweckmäßigkeit

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Naturgegenstände freilegen und erläutern, inwiefern uns dieser Charakter selbst zu Zweckbeurteilungen veranlasst (4.2.2). Daraufhin gilt es, die Herleitung dieser Form von Kausalität, die sich in dem Naturzweckbegriff ausdrückt, selbst freizulegen. Den Naturzweckbegriff leiten wir in Analogien her. Es stellt sich jedoch heraus, dass diese Analogien zur Herleitung des Begriffs fehlgehen. Der Naturzweckbegriff bleibt uns daher unverständlich (4.2.3). Als tieferen Grund dieser Unverständlichkeit werde ich die Inkompatibilität des Prinzips innerer Zweckmäßigkeit zu mechanischen Prinzipien bestimmen. In Rückgriff auf die in Abschnitt 4.2.1 gegebene vorläufige Bestimmung mechanischer Unerklärbarkeit dieser Naturgegenstände werde ich diskutieren, inwiefern Kant tatsächlich von einer prinzipiellen mechanischen Unerklärbarkeit dieser Naturgegenstände ausgehen muss (4.2.4). Die Bildung des Naturzweckbegriffs hat jedoch ein nicht nur negatives Resultat. Eine »entfernte[…]« (vgl. KdU, AA V 375) Analogie erlaubt es uns den entsprechenden Naturgegenstand so zu deuten, als ob er dem systematischen Charakter unserer Vernunftidee entspricht. Wir beurteilen diesen Naturgegenstand dementsprechend als selbst einen Systemcharakter besitzend. Diese Analogie erlaubt es uns also, die Natur so zu beurteilen, dass sie in bestimmten ihrer Gegenstände von sich aus eine unserem Vernunftvermögen entsprechende systematische Einheit bildet (4.3.1). Im darauffolgenden Abschnitt werde ich dafür argumentieren, dass uns erst diese Analogie ein Unterscheidungsmerkmal zwischen Organischem und Anorganischem erschließt und den Organismusbegriff aus dem Naturzweckbegriff herleiten (4.3.2). 4.1 Kontextualisierung des Prinzips der inneren Zweckmäßigkeit Vor dem Hintergrund einer kausalmechanisch strukturierten Natur führt Kant in der Kritik der Urteilskraft insgesamt fünf Zweckmäßigkeitsprinzipien ein : das transzendentale Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur, wie es in der Einleitung zur Kritik der Urteilskraft thematisiert wird ; das subjektiv formale Prinzip der Zweckmäßigkeit, welches in unseren ästhetischen Urteilen seine Anwendung findet ; das objektiv formale Prinzip der Zweckmäßigkeit, welches sich in mathematischen Überlegungen und Beweisen ausdrückt ; und das objektiv materiale Prinzip der Zweckmäßigkeit, welches Kant wiederum in das der äußeren und der inneren Zweckmäßigkeit einteilt und deren Anwendung Kant als Teleologie im engeren Sinne bezeichnet. Nun ist es keineswegs eindeutig, wie genau alle diese Prinzipien begrifflich zusammenhängen. Kant wendet Zweckmäßigkeitsprinzipien nicht nur in sehr unterschiedlichen Bereichen an, wie in der Ästhetik oder der Biologie, sondern auch die Klassifizierung all dieser Prinzipien als Zweckmäßigkeitsprinzipien be-

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Kants Agnostizismus

reitet interpretatorische Probleme.10 So ist auch der Zusammenhang der beiden in diesem Abschnitt relevanten Prinzipien, der Zusammenhang des transzendentalen Prinzips der Zweckmäßigkeit der Natur und des Prinzips der inneren Zweckmäßigkeit, anhand dessen wir den Naturzweckbegriff bilden, auf den ersten Blick nicht leicht einzusehen. Denn zum einen scheinen die Thesen über die zweckmäßige Einrichtung der Natur als Ganze dafür von den Überlegungen im zweiten Teil der dritten Kritik, die von der Existenz und der Form bestimmter Naturgegenstände handeln, zu weit entfernt zu sein. Zum anderen bezieht sich das transzendentale Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur auf die spezifisch empirisch-systematischen Verhältnisse unter den Naturgegenständen, während das Prinzip der inneren Zweckmäßigkeit als eines bestimmt werden muss, welches die Konstitution eines Naturgegenstandes selbst zum Gegenstand hat. Dennoch denke ich, dass Kant das Prinzip innerer Zweckmäßigkeit aus dem transzendentalen Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur herleitet und auch die Anwendung des Prinzips der inneren Zweckmäßigkeit von der Anwendung des transzendentalen Prinzips der Zweckmäßigkeit der Natur abhängig macht. Im ersten Teil dieses Abschnitts werde ich aufzeigen, dass allein ihr Bezugspunkt jeweils ein anderer ist.11 Wie erwähnt, geschieht die Anwendung des Prinzips innerer Zweckmäßigkeit vor dem Hintergrund einer kausalmechanisch strukturierten Natur, d. i. vor dem Hintergrund eines »Mechanism« (KdU, AA V 360) Die Frage nach dem Zusammenhang dieser Prinzipien ist jedoch insofern wichtig, als sie auch Ausdruck der Frage nach der Einheit der Kritik der Urteilskraft ist – eine Frage, die bis heute sehr kontrovers debattiert wird. So wird und wurde Kant oft dafür kritisiert, dass die Kritik der Urteilskraft keine oder eine nur sehr oberflächliche Einheit bilde. Zur Frage nach der Einheit der dritten Kritik siehe zum Beispiel : Peter (1992), Zuckert (2007). Ginsborg (2015), 227–254. Kritisch dazu verhält sich Beck ; vgl. Beck (1969), 497 ff. 11 Auch Zuckert und Ginsborg argumentieren dafür, dass das Prinzip der inneren Zweckmäßigkeit eine speziellere Anwendung des bereits eingeführten transzendentalen Prinzips der Zweckmäßigkeit ist. Für Zuckert ist es eine speziellere Anwendung der Schaffung einer Einheit des »sensible manifold as diverse, recognizing difference as well as unity in a manifold« (Zucker (2007), 70). Dabei scheint Zuckert das Prinzip der Zweckmäßigkeit als einen Sonderfall des Prinzips der Systematizität zu denken (vgl. Zuckert (2007), 90–95). Im letzten Kapitel habe ich jedoch aufgezeigt, dass eine Trennung beider Prinzipien systematisch relevant ist. Ginsborg dagegen sieht in dem Prinzip der inneren Zweckmäßigkeit eine speziellere Anwendung des Begriffs der »thin normativity«, welcher Ginsborg zufolge mit dem transzendentalen Prinzip der Zweckmäßigkeit eingeführt wurde (vgl. Ginsborg (2015), 227–254). Wie ich jedoch bereits ausführte, scheint mir dieser Begriff insofern ein unkantianischer zu sein, als mit ihm eine Art der Zweckmäßigkeit postuliert wird, die ohne die Idee eines Verstandes, der Zwecke setzt, auskommen soll (siehe Kapitel 3.3.2 dieser Arbeit). Wie wir sehen werden, werde ich dagegen sowohl das transzendentale Prinzip der Zweckmäßigkeit als auch das innere Prinzip der Zweckmäßigkeit als Formen der Beurteilungen ansehen, in denen das Ganze für die Teile eine begründende Funktion einnimmt und wir daher einen anderen Verstand als den unseren als Urheber dieses Ganzen setzen müssen. 10

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Kontextualisierung des Prinzips der inneren Zweckmäßigkeit

der Natur. Diesen Begriff des Mechanism der Natur gilt es im zweiten Teil dieses Abschnitts zu erläutern. 4.1.1 Das Verhältnis des transzendentalen Prinzips der Zweckmäßigkeit der Natur zu dem Prinzip der inneren Zweckmäßigkeit Greifen wir zunächst noch einmal die Bestimmung des transzendentalen Prinzips der Zweckmäßigkeit im Ausgang von der Definition der reflektierenden Urteilskraft auf. Die reflektierende Urteilskraft hat Kant als das Vermögen definiert, welches zu dem Besonderen das Allgemeine findet. Das Besondere habe ich als das gegebene Besondere in der Anschauung, als das gegebene Objekt bestimmt ; unter dem Allgemeinen wiederum habe ich im letzten Kapitel die aufzufindenden empirischen Regeln, d. i. Begriffe, verstanden. Wenn Kant die reflektierende Urteilskraft also als das Vermögen bestimmt, zu dem Besonderen das Allgemeine zu finden, so bestimmt er sie als das Vermögen, zu in der Sinnlichkeit gegebenen Objekten empirische Begriffe zu finden. Dabei habe ich aufgezeigt, inwiefern das Prinzip der transzendentalen Zweckmäßigkeit in dieser empirischen Begriffsfindung an dem Prinzip der Systematizität orientiert ist : Es ist Ausdruck der für uns notwendigen Unterstellung, dass die Natur bzw. die Gegenstände in ihr in den gesetzmäßigen Verhältnissen gegeben sind, die der Art und Weise der Systematisierung, wie sie unserer Vernunft eigen ist, entsprechen. Wie im letzten Kapitel ersichtlich wurde, knüpft meine Deutung der Aufgabe des Prinzips der transzendentalen Zweckmäßigkeit zwar an Ginsborgs Interpretation an, jedoch nicht, ohne sich von dieser Interpretation abzugrenzen. So denke ich nicht, dass der in den Einleitungen der dritten Kritik entwickelte Zweckbegriff ohne die Vorstellung eines Verstandes auskommt, an den diese Form der Zweckmäßigkeit gebunden ist. Es gilt an dieser Stelle einen weiteren Punkt geltend zu machen, an dem sich meine Lesart von der Ginsborgs unterscheidet : Ich vertrete nicht die These, dass das Systematizitätsprinzip das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft, d. i. das transzendentale Prinzip der Zweckmäßigkeit, selbst ist.12 Denn die Voraussetzung der Systematizität der Natur hat Kant im Anhang zur transzendentalen Dialektik als eine Voraussetzung der Vernunft bestimmt und wie ich im letzten Kapitel argumentiert habe, ersetzt das Prinzip der Zweckmäßigkeit das Prinzip der Systematizität nicht, sondern es ergänzt es und macht dadurch – so die These, die ich im letzten Kapitel zu be12

Ginsborg dagegen scheint beide Prinzipien gleichzusetzen oder zumindest geht aus ihrer Interpretation nicht hervor, wie sich beide Prinzipien unterscheiden sollen. Siehe zum Beispiel : Ginsborg (2015), 136. Ginsborg (2017).

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gründen suchte – den regulativen Gebrauch der Vernunftideen allererst richtig verständlich. Ein differenzierterer Blick auf beide Prinzipien ist also notwendig, um den regulativen Gebrauch der Ideen überhaupt erst angemessen zu verstehen. Ich habe dabei dafür argumentiert, dass i) unsere Vernunft die Systematizität der Natur notwendigerweise voraussetzen muss, aber diese Voraussetzung selbst nicht einholen kann, sowie, dass ii) das Prinzip der Zweckmäßigkeit Ausdruck der Entsprechung dieser Voraussetzung der Vernunft mit der Natur ist – wenn auch nur auf subjektiver, regulativer Basis. Das Prinzip der inneren Zweckmäßigkeit bezieht sich nun nicht auf das systematische Ganze der Natur, sondern auf einen bestimmten Naturgegenstand, den wir unter Anwendung dieses Prinzips als Zweck und zwar als Naturzweck beurteilen.13 Auch hier ist – wie ich zeigen werde – die Trennung zwischen dem Zweckmäßigkeitsprinzip und dem Systematizitätsprinzip von systematischer Relevanz, insofern wir in der Beurteilung von Naturgegenständen als Naturzwecken den – wenn auch nur subjektiven – Nachweis erlangen, dass die Natur unserer Vernunfteinrichtung entspricht. Ebenso ist das Prinzip innerer Zweckmäßigkeit ein regulatives Prinzip. Gemäß der im Abschnitt 3.1.1 festgelegten Bestimmung regulativer Prinzipien lässt sich das Prinzip innerer Zweckmäßigkeit als ein Sonderfall regulativer Prinzipien klassifizieren. Regulative Prinzipien – so habe ich sie bestimmt – beziehen sich auf qualitative Verhältnisbestimmungen unter den Objekten der Natur. Im Falle konstitutiv-regulativer Prinzipien kommen diese Verhältnisbestimmungen den Objekten selbst zu, im Falle von regulativen Prinzipien, wie dem transzendentalen Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur, bezieht sich dieses auf das Zusammenstimmen empirisch gefundener Kausalgesetze und damit nicht direkt auf die Objekte. Auch das Prinzip der inneren Zweckmäßigkeit bezieht sich auf qualitative Verhältnisse, insofern wir durch die Anwendung dieses Prinzips kausalursächliche Verhältnisse in der Natur als Zweck-Mittel-Verhältnisse beurteilen (vgl. KdU, AA V 366). Solche Aussagen über Zweck-Mittel-Verhältnisse sind aber Aussagen qualitativer Art ; wir drücken in ihnen etwas über die Nützlichkeit oder Zuträglichkeit bestimmter Verhältnisse für Naturgegenstände aus. Allein bezieht es sich nicht auf qualitative Verhältnisse zwischen Naturgegenständen, sondern zwischen den Teilen eines Naturgegenstandes.14 Insofern lässt Eine erste den Hauptteil dieses Kapitels vorbereitende Explikation dieser Anwendung werde ich im nächsten Abschnitt liefern. 14 Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich das Prinzip innerer Zweckmäßigkeit allein auf die Beurteilung bestimmter Naturgegenstände beziehen muss, die wir sodann als Naturzwecke bezeichnen. Im Gegenteil, Kant führt in einer Fußnote zu § 65 (vgl. KdU, AA V 375) selbst an, dass man den Naturzweckbegriff auch in Analogie zu der Organisation eines Staates verstehen könne. Auch im letzteren Fall betrachten wir die Teile des Gegenstandes ›Staat‹ als zweckmäßig füreinander und als den Gegenstand ›Staat‹ konstituierend. Dies 13

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sich das Prinzip innerer Zweckmäßigkeit als ein Sonderfall regulativer Prinzipien bestimmen. Während also durch die Anwendung des transzendentalen Prinzips der Zweckmäßigkeit das qualitative Verhältnis des Ganzen zu den Teilen zwischen Objekten bzw. in Bezug auf die Einheit der empirischen Natur betrachtet wird, beurteilen wir durch die Anwendung des Prinzips der inneren Zweckmäßigkeit das qualitative Verhältnis der Teile zum Ganzen als einen bestimmten Naturgegenstand konstituierend. Es ändert sich zwar der Gegenstand, auf den Bezug genommen wird, denn in dem einen Fall nehmen wir auf die Natur als Ganze Bezug und beurteilen sie in Orientierung an der Idee der systematischen Einheit systematisch und in dem anderen Fall nehmen wir auf einzelne Naturgegenstände Bezug und beurteilen die Teile dieses Naturgegenstandes – wie es in diesem Kapitel auszuführen gilt – als wie in einem System zusammenwirkend. Aus den bisherigen Erläuterungen zum Verhältnis beider Gebräuche der Urteilskraft lässt sich also Folgendes festhalten : Die Anwendung beider Prinzipien ermöglicht die Bildung von Begriffen, zum einen die Bildung empirischer Begriffe überhaupt und zum anderen die Bildung des Naturzweckbegriffs. Die Anwendung beider Prinzipien ist an der Idee der systematischen Einheit orientiert. Und durch die Anwendung beider Prinzipien beurteilen wir qualitative Verhältnisse zwischen Gegenständen in der Natur. So nimmt es nicht wunder, dass Kant Folgendes festhalten kann : »Die teleologische [Urteilskraft, K.K.] ist kein besonderes Vermögen, sondern nur die reflectirende Urtheilskraft überhaupt« (KdU, AA V 194). Teleologisch wird unsere reflektierende Urteilskraft durch den von dem transzendentalen Prinzip der Zweckmäßigkeit unterschiedenen Bezugspunkt. Sie wird also teleologisch, wenn sie nicht die empirische Gesetzmäßigkeit der Natur als der systematischen Auffassungsweise unseres Vernunftvermögens angemessen beurteilt, sondern dann, wenn sie in der Natur ablaufende Verhältnisse der Ursache zur Wirkung als ein zweckmäßiges Verhältnis beurteilt (vgl. KdU, AA V 366). Nun ist es für das Verständnis des Zusammenhangs des transzendentalen Prinzips der Zweckmäßigkeit der Natur und des Prinzips der inneren Zweckmäßigkeit wichtig, zwischen der Vorbereitung der Anwendung des Prinzips innerer Zweckmäßigkeit und der Veranlassung der Anwendung desselben zu unterscheiden. Die Anwendung des Prinzips innerer Zweckmäßigkeit ist durch die Anwendung des transzendentalen Prinzips der Zweckmäßigkeit der Natur vorbereitet, letzteres Prinzip veranlasst aber nicht die Anwendung des ersteren. Im Gegenteil, die reflektierende Urteilskraft wird nicht a priori dazu veranlasst, undeutet meiner Lesart zufolge darauf hin, dass wir auch die Struktur eines Staats als innerlich zweckmäßig verstehen müssen. Da es mir im Folgenden jedoch um Kants Konzeption der Naturteleologie geht, betrachte ich dieses Prinzip nur seiner Anwendung auf Naturgegenstände.

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ter Anwendung des Prinzips innerer Zweckmäßigkeit den Naturzweckbegriff zu bilden und daraufhin in seiner Anwendung einen Naturgegenstand als Naturzweck zu beurteilen, sondern die reflektierende Urteilskraft wird durch Erfahrung bestimmter Naturgegenstände dazu veranlasst. Auf die Veranlassung der Anwendung des Prinzips der inneren Zweckmäßigkeit auf Naturgegenstände werden wir in Abschnitt 4.2. eingehen. In diesem Abschnitt gilt es zu klären, inwiefern die Anwendung des Prinzips innerer Zweckmäßigkeit durch das transzendentale Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur vorbereitet wird. Die Anwendung des transzendentalen Prinzips der Zweckmäßigkeit hat sich dadurch als berechtigt erwiesen, dass es eine notwendige Bedingung für Erfahrung ist, insofern seine Anwendung die Bedingung der Möglichkeit empirischer Begriffsbildung ist. Anders ausgedrückt : Wir sind dazu berechtigt, die gesetzmäßigen Verhältnisse unter den Gegenständen der Natur als der Systematisierungsweise unserer Vernunft angemessen zu beurteilen, da nur so überhaupt empirische Begriffsbildung ermöglicht wird. Dies allein berechtigt uns jedoch nicht in analoger Weise dazu, a priori empirische Gegenstände selbst als dem Zweckbegriff angemessen zu beurteilen : »Daß die Natur in ihren empirischen Gesetzen sich selbst so specificire, als es zu einer möglichen Erfahrung, als einem System empirischer Erkenntniß, erforderlich ist, diese Form der Natur enthält eine logische Zweckmäßigkeit, nämlich ihrer Übereinstimmung zu den subjectiven Bedingungen der Urtheilskraft in Ansehung des möglichen Zusammenhangs empirischer Begriffe in dem Ganzen einer Erfahrung. Nun giebt dieses aber keine Folgerung auf ihre Tauglichkeit zu einer realen Zweckmäßigkeit in ihren Producten, d. i. einzelne Dinge in der Form von Systemen hervorzubringen : denn diese könnten immer, der Anschauung nach, bloße Aggregate und dennoch nach empirischen Gesetzen, welche mit andern in einem System logischer Eintheilung zusammenhängen, möglich seyn, ohne daß zu ihrer besondern Möglichkeit ein eigentlich darauf angestellter Begrif, als Bedingung derselben, mithin eine ihr zum Grunde liegende Zweckmäßigkeit der Natur, angenommen werden dürfte. Auf solche Weise sehen wir Erden, Steine, Mineralien u.d.g. ohne alle zweckmäßige Form, als bloße Aggregate, dennoch den innern Charactern und Erkenntnißgründen ihrer Möglichkeit nach so verwandt, daß sie unter empirischen Gesetzen zur Classification der Dinge in einem System der Natur tauglich sind, ohne doch eine Form des Systems an ihnen selbst zu zeigen.« (EEKdU, AA XX 217)

Aus der Tatsache, dass wir das transzendentale Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur berechtigterweise auf die Verhältnisse in der Natur anwenden und also unterstellen dürfen, dass die Natur selbst ein System bildet, folgt nicht, dass es auch Naturgegenstände gibt, die wir als nur durch einen Zweck möglich beurtei-

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len müssen. Wir können die Möglichkeit der Beurteilung bestimmter Naturgegenstände als Naturzwecke nicht a priori aus dem transzendentalen Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur herleiten. Im Gegenteil, die Anwendung des Prinzips der inneren Zweckmäßigkeit auf bestimmte Naturgegenstände sowie die Herleitung des Naturzweckbegriffs geschehen durch empirische Veranlassung, nämlich durch das Erfahren und Beobachten ganz bestimmter Naturgegenstände. Dies bedeutet zum einen, dass das Prinzip innerer Zweckmäßigkeit im Gegensatz zum transzendentalen Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur selbst kein transzendentales Prinzip sein kann. Denn das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur hat Kant als transzendentales bestimmt, insofern erst dieses Prinzip empirische Begriffsbildung ermöglicht, was wiederum eine Bedingung der Möglichkeit für Erfahrung ist. Das Prinzip der inneren Zweckmäßigkeit ermöglicht aber nicht die Bildung empirischer Begriffe überhaupt, sondern nur eines einzelnen Begriffs, den wir auf bestimmte Naturgegenstände anwenden müssen (vgl. KdU, AA V 193). Das Prinzip der inneren Zweckmäßigkeit bezieht sich zudem auch nicht auf alle Erfahrungsgegenstände und kann daher ebenso wenig als eine notwendige Bedingung von Erfahrung überhaupt gelten (vgl. KdU, AA V 194). Zum anderen bedeutet dies, dass der Naturzweckbegriff, den wir durch Anwendung dieses Prinzips bilden, kein einfach a priori gegebener Begriff ist, wie etwa die Kategorien. Es ist nicht so, dass wir den Naturzweckbegriff a priori besitzen und dann untersuchen, welchen Naturgegenständen dieser Begriff zukommt. Der Naturzweckbegriff wird vielmehr erst in der empirischen und durch die empirische Veranlassung gebildet.15 Dennoch – so Kant – enthält unsere reflektierende Urteilskraft 15

Der Status dieses Begriffs ist daher gar nicht einfach einzusehen. Deutlich ist, dass der Naturzweckbegriff kein empirischer Begriff ist, da zum einen bereits das transzendentale Prinzip der Zweckmäßigkeit in »ihren Formen nach empirischen Gesetzen gar kein Begriff vom Object« (KdU, AA V 193) ist und das Prinzip der inneren Zweckmäßigkeit von dem transzendentalen Prinzip der Zweckmäßigkeit abgeleitet wird. Zum anderen handelt es sich aufgrund des regulativen Charakters des Prinzips innerer Zweckmäßigkeit, anhand dessen wir den Naturzweckbegriff bilden, um einen Begriff, den wir uns selbst vorschreiben, aber nicht der Natur. Der Naturzweckbegriff ist ein Begriff, den die reflektierende Urteilskraft, in diesem Fall die telelogische Urteilskraft, sich selbst zur Beurteilung dieser Gegenstände vorschreibt. Sie bestimmt damit den entsprechenden Gegenstand aber nicht objektiv. Bei der Verwendung empirischer Begriffe bestimmen wir aber die entsprechenden Gegenstände objektiv. Deutlich ist nun aber auch, dass es sich bei dem Naturzweckbegriff nicht um einen A-priori-Begriff im Sinne der Kategorien handeln kann. Dieser Begriff ist nicht a priori gegeben. Wir bilden ihn erst aufgrund einer empirischen Veranlassung. Er ähnelt vielmehr den Vernunftideen, insofern auch diese nicht einfach a priori gegeben, sondern geschlossene Begriffe a priori sind (vgl. KrV, A 333 / B 390) ; Begriffe also, auf die wir a priori geschlossen haben. Dennoch unterscheidet sich dieser Begriff auch von den Vernunftideen, insofern zu seiner Bildung empirische Veranlassung notwendig ist. Die Bildung der Ideen muss dagegen nicht veranlasst werden, sondern gründet in unseren Vernunftstrukturen

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»ohne ein Princip dazu a priori in sich zu enthalten, in vorkommenden Fällen (gewisser Producte), um zum Behuf der Vernunft von dem Begriffe der Zwecke Gebrauch zu machen die Regel [...], nachdem jenes transscendentale Princip schon, den Begriff eines Zwecks (wenigstens der Form nach) auf die Natur anzuwenden, den Verstand vorbereitet hat.« (KdU, AA V 193 f.)

Diesem grammatikalisch eher unzugänglichen Satz entnehme ich folgenden Punkt : Wie bereits argumentiert, kann die Urteilskraft die Möglichkeit der Beurteilung bestimmter Naturgegenstände als Naturzwecke nicht a priori herleiten. Sie enthält dementsprechend kein Prinzip a priori, das uns über die Möglichkeit objektiver Zwecke in der Natur Aufschluss geben würde. Doch enthält sie die generelle Regel, nach der wir den Zweckbegriff auf die Natur anwenden, da wir mit dem transzendentalen Prinzip der Zweckmäßigkeit den Zweckbegriff bereits anhand einer Regel auf die Natur angewendet haben. Das transzendentale Zweckmäßigkeitsprinzip der Natur kam an der Stelle zum Einsatz, an der es um die Anwendung der Vernunftidee der systematischen Einheit auf die Natur ging. Es ist subjektiver Ausdruck der Entsprechung der Natur mit dieser Vernunftidee. Vernunftideen lassen sich auf die Natur nicht anwenden, da sie Begriffe von dem Ganzen der Wirklichkeit sind, deren objektive Realität sich uns durch keinen Beweis darbieten lässt.16 Im regulativen Gebrauch sollen nun empirische Erkenntnisse in Orientierung an Vernunftideen geordnet werden. Die Vernunftidee, die diesen die Vernunft selbst wesentlich ausmachenden Prozess leitet, ist die Idee der systematischen Einheit. Diese hat Kant derart bestimmt, dass das Ganze eine begründende Funktion für die Ordnung der einzelnen Teile hat, insoweit diese Idee nicht nur angibt, wozu, sondern auch wie gewonnene Erkenntnisse zu ordnen sind. Das Ganze geht in diesem begründungslogischen Sinne den Teilen vorher.17 Dieses Ganze kann nun nur dann eine begründende Funktion für die Teile haben, wenn wir uns einen anderen Verstand vorstellen, der diese systematische Ordnung zum Zwecke der Möglichkeit unserer Erkenntnis der Natur in den Bereich der Erfahrung hineingelegt hat. Denn die Natur ist kausalmechanisch strukturiert ; d. i. Teile begründen in dieser das Ganze.18 Allein in der Zweckkausalität haben wir eine Form der Begründung gefunden, in der das Ganze begründend für die Teile ist. Zweckkausalität ist Kant zufolge jedoch an die Repräsentation von Zwecken durch einen Verstand gebunden ; d. i. wir müssen einen selbst. Wie ich in 4.2.4 diskutieren werde, ist es ein empirisch veranlasster Analogieschluss, durch den wir den Begriff des Naturzwecks bilden. 16 Vgl. Abschnitt 3.2.1.1. 17 Siehe dazu auch Abschnitt 3.1.1 dieser Arbeit. 18 Zu einer Diskussion des Begriffs Mechanismus siehe Abschnitt 4.1.2 dieser Arbeit.

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anderen Verstand unterstellen, der diese Ordnung in die Natur hineingebracht hat. Das transzendentale Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur habe ich dementsprechend als subjektiven Ausdruck der Entsprechung der Ordnung der Natur mit der Idee der systematischen Einheit gedeutet. Und von diesem Prinzip konnte insofern eine transzendentale Deduktion gegeben werden, als die Notwendigkeit der Anwendung dieses Prinzips dargelegt wurde. Die Regel a priori, gemäß der der Zweckbegriff in die Natur berechtigterweise eingeführt wird, lässt sich dann als die folgende bestimmen : Immer wenn Erklärungen derart gesucht werden, in welchem das Ganze als begründend für die Teile fungieren muss, sind wir auf die Anwendung des Zweckbegriffs angewiesen. Und wie wir sehen werden, werden wir bei den in Frage stehenden Naturgegenständen zu einer solchen Art der Erklärung veranlasst. Die Urteilskraft bereitet also die Anwendung des Zweckbegriffs auf die Gegenstände der Natur insofern vor, als das transzendentale Prinzip der Zweckmäßigkeit bereits nach einer Regel eine Zweckmäßigkeit in die Natur hineingebracht hat, die allein durch den Naturbegriff, wie er sich aus den Analogien der Erfahrung bzw. den Grundsätzen der Erfahrung insgesamt ergeben hat, nicht herleitbar gewesen wäre. Selbst wenn unsere Urteilskraft a priori keine Gegenstände als Naturzwecke bestimmen kann, so eröffnet sich hier dennoch eine andere als rein kausalmechanische Sichtweise auf die Natur, die prinzipiell die Möglichkeit der Bestimmung der Natur nach dem Zweckbegriff ebnet und die Regel an die Hand gibt, nach der diese Beurteilung geschehen muss. Bevor ich nun auf die Herleitung des Naturzweckbegriffs eingehe, gilt es, den Begriff des Mechanismus und dessen Bezug zu dem bereits etablierten kausalen Bild der Natur zu klären : Vor welchem Hintergrund nehmen wir also Zweckbeurteilungen der Naturgegenstände selbst vor ? 4.1.2 Naturkausalität und Mechanismus Wie wir im zweiten Kapitel dieser Arbeit gesehen haben, etabliert Kant mit der zweiten Analogie der Erfahrung das Kausalprinzip : Alles in der Natur ist durchgängig und gesetzmäßig kausal bestimmt. Alle Gegenstände der Natur stehen in Kausalketten, die wiederum dem Uniformitätsprinzip unterliegen ; aus gleichen Ursachen folgen die gleichen Wirkungen. In dem in diesem Kapitel abgehandelten zweiten Teil der dritten Kritik steht nun zur Debatte, inwiefern wir teleologische Prinzipien auf Naturgegenstände anwenden und diese als Zwecke beurteilen müssen. Die Notwendigkeit der Anwendung teleologischer Prinzipien wird Kant zufolge durch die Erfahrung von bestimmten Naturgegenständen begründet. Sie geschieht aber vor dem Hintergrund eines Naturbildes, dessen Kau-

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salität Kant als »bloßer Mechanism« oder auch »blinder Mechanism« (KdU, AA V 360) bezeichnet. Demnach sind wir dazu angehalten, nur dort teleologische Prinzipien in die Natur einzuführen, wo die »Gesetze der Causalität nach dem bloßen Mechanism derselben nicht zulangen« (KdU, AA V 360). Wir sollen die Natur so weit, wie es geht, mechanisch zu erklären suchen (vgl. KdU, AA V 315). Der Frage, wie sich dieser Hintergrund, d. i. die kausalmechanische Strukturiertheit von Naturgegenständen, zu der Zweckbeurteilung derselben verhält, gehe ich in Abschnitt 4.2.4 nach. In diesem Abschnitt werde ich eine Frage diskutieren, die derjenigen nach dem Verhältnis von mechanischen Prinzipien und Zweckprinzipien vorgelagert ist : Wie verhält sich das in der zweiten Analogie etablierte Kausalprinzip zu dem Prinzip des Mechanismus, welches in der dritten Kritik im Vordergrund steht ? Auf den ersten Blick könnte man meinen, es handelt sich um dieselben Prinzipien. Schließlich ist das mit der ersten Kritik etablierte Bild der kausalen Gesetzmäßigkeit der Natur auch dasjenige, das den Hintergrund für Kants Ausführungen in der dritten Kritik bildet. Grund zur Verwirrung gibt jedoch der Status, den Kant diesen Prinzipien zuweist : Während Kant in der ersten Kritik das Kausalprinzip als konstitutives Prinzip der Natur etabliert, bestimmt er das Prinzip des Mechanismus in der dritten Kritik als ein regulatives, subjektives Prinzip.19 Wenn beide Prinzipien nun aber tatsächlich identisch sind, so scheint Kant die in der ersten Kritik etablierte Gültigkeit des Kausalprinzips zu unterlaufen. Offensichtlich handelt es sich also bei der Zuschreibung des Prinzips des Mechanismus als ein subjektives Prinzip um eine erklärungsbedürftige Behauptung, die die Plausibilität der synonymen Verwendung von Mechanismus und Kausalität in Frage stellt. Anlass zu der Deutung, nach der die mechanische Strukturiertheit der Natur nichts anderes meint als die kausale Strukturiertheit derselben, die Kant in den Analogien der Erfahrung begründet hat, und der Ausdruck ›Mechanism der Natur‹ sich demnach auf die kausale Verfasstheit der Natur bezieht, gibt Kant selbst.20 Viele Stellen sprechen für die These der Identifizierung der durch das Kausalprinzip etablierten Kausalstruktur der Natur mit der des Mechanismus. So deuten etwa nicht nur Kants Bezeichnung der Natur als »Naturmechanism« in der neuen Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft (KrV, B XXVII–XXX) auf eine solche Lesart hin, sondern auch Kants Verwendung des Begriffs des Mechanismus in der Kritik der praktischen Vernunft verweist auf eine solche Lesart. Denn dort grenzt Kant den Freiheitsbegriff von einem Begriff des Mechanismus der Natur ab, mit dem klarerweise generell die durch die So bestimmt Kant in der Antinomie der teleologischen Urteilskraft das Prinzip des Mechanismus als notwendige Maxime (vgl. KdU AA V 386 f.). Vor allem McLaughlin hebt diesen Unterschied hervor ; vgl. McLaughlin (1989), 128–132. 20 Vgl. dabei meine Diskussion von Kants Etablierung des Kausalprinzips in der zweiten Analogie ; im zweiten Kapitel dieser Arbeit, v.a. Abschnitt 2.2. 19

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Grundsätze der Erfahrung etablierte Naturkausalität gemeint ist (vgl. z. B. KpV, AA V 97).21 Diese Interpretation setzt aber voraus, dass Kant den Begriff des Mechanismus jeweils gleichbedeutend verwendet. Gegen diese Deutung spricht jedoch, dass er in den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaften den Begriff des Mechanismus in speziellerer Bedeutung verwendet, als er durch den Begriff der Kausalität begründet wäre. In den Metaphysischen Anfangsgründen geht es Kant um eine Untersuchung der der körperlichen Natur zugrundliegenden Gesetzmäßigkeiten und Prinzipien. Diese Untersuchung der Natur ist insofern spezieller als die in der Kritik der reinen Vernunft vorgegebene, als sie ihren Ausgang an dem durch Erfahrung gewonnenen Begriff der Materie nimmt und diesen inhaltlich zu bestimmen sucht.22 Auf Grundlage der in der Kritik der reinen Vernunft entwickelten Gesetzmäßigkeit der Natur analysiert Kant, was wir a priori über den empirisch gewonnenen Begriff der Materie aussagen können (vgl. MAN, AA IV 469/470).23 Welche spezielleren Gesetze lassen sich unter Bezugnahme der in der KrV vorgestellten Grundsätze der Erfahrung über den Begriff der Materie gewinnen ? Der Begriff »Mechanik« bezieht sich in den Metaphysischen Anfangsgründen auf die räumliche Veränderung von Materie durch externe Ursachen. In der Mechanik sollen dementsprechend Bewegungsgesetze der Materie gefunden werden, die so in der Kritik der reinen Vernunft noch nicht artikuliert worden sind. Die in den metaphysischen Anfangsgründen aufgestellten Gesetze der Mechanik werden dabei als Konkretisierung der Analogien der Erfahrung diskutiert24 ; es werden die Gesetze aufgestellt, die bereits aus der Newton’schen Physik bekannt sind25 : das Gesetz der Erhaltung der Masse, das Trägheitsgesetz, welchem zufolge materielle Körper immer durch äußerliche Kräfte bewegt werden, sowie das Bewegungsgesetz über den Satz von der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung. Vgl. hierzu auch McLaughlin (1989), 140. Breitenbach (2009), 39–41. Siehe dazu auch : Pollok (1997). Breitenbach (2009), 42. 23 Dies ist von Kant insofern von Belang, als die Wissenschaftlichkeit einer Wissenschaft sich dadurch auszeichnet, dass sie A-priori-Prinzipien zu ihrer Grundlage hat und es Kant in den Metaphysischen Anfangsgründen um die Wissenschaftlichkeit der angewandten Physik geht ; vgl. MAN, AA IV 469/470 u. 472 f. 24 Auf den Zusammenhang von der Kritik der reinen Vernunft und den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaften kann ich an dieser Stelle nicht eingehen. Siehe dazu Friedman, der die in den Metaphysischen Anfangsgründen dargelegten Gesetze der Mechanik als Instanziierungen der Analogien der Erfahrung begreift : Pollok (1997), LIIf. Friedman (2013), 563–608. 25 Kants in der Kritik der reinen Vernunft und auch in den MAN vorgelegtes Programm wird so auch als Fundierung der Newton’schen Physik gelesen. Siehe etwa : Friedman (2014), 544 f. u. 550. 21

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McLaughlin und Ginsborg lehnen nun eine Identifizierung von Mechanismus und Kausalität sowie jede Art der begrifflichen Rückführung des Begriffs des Mechanismus auf den der Kausalität ab. Denn McLaughlin und Ginsborg zufolge ist i) die Diskrepanz im Status des Kausalprinzips und des Prinzips des Mechanismus sowie ii) der verschiedene Bezug der jeweiligen Prinzipien auf räumliche bzw. zeitliche Verhältnisse Anzeige für die tatsächliche begriffliche Verschiedenheit derselben. Während McLaughlin aber die These vertritt, dass mechanische Erklärungsarten dennoch zu einem gewissen Typ von Kausal­ erklärungen erklärt werden müssen, möchte Ginsborg den Begriff des Mechanismus als vollkommen von dem der Kausalität unterschieden wissen. McLaughlin bestimmt den Mechanismus als einen Typ von Kausalität, der sich begrifflich nicht auf das Kausalprinzip zurückführen lässt. Dies begründet er mit dem verschiedenen Gegenstand beider Prinzipien : Das Kausalprinzip bezieht sich auf zeitliche Verhältnisse. Und in der Tat wird das Kausalprinzip von Kant insofern als konstitutiv für die Gegenstände der Erfahrung ausgewiesen, als durch dasselbe zeitliche Reihenfolgen von Zustandsänderungen von Objekten notwendig festgelegt werden. Der Mechanismus dagegen hat räumliche, mereologische Verhältnisse zum Gegenstand und bezieht sich somit auf die materielle Zusammensetzung von Gegenständen. So schreibt McLaughlin : »Im Begriff der Kausalität selbst ist ein Nacheinander in der Zeit impliziert, jedoch nicht ein Ineinander im Raume.«26 Dem Prinzip des Mechanismus gemäß wird nur das materielle Ganze samt seiner Eigenschaften durch seine Teile und deren Eigenschaften bestimmt, die Teile und deren Eigenschaften aber nicht durch das materielle Ganze. Und dementsprechend ist auch eine mechanische Erklärungsart McLaughlin zufolge eine solche, die räumlich bedingte Ganze, d. i. die Bildung von Körpern, durch deren Teile und deren Eigenschaften begründet.27 Der in der Kritik der Urteilskraft verwendete Mechanismusbegriff zeichnet sich also dadurch aus, dass in mechanischen Verhältnissen die Teile das Ganze bedingen, das Ganze umgekehrt aber nicht die Teile bedingen kann. Und so schreibt auch Kant : »Wenn wir nun ein Ganzes der Materie seiner Form nach als ein Product der Theile und ihrer Kräfte und Vermögen, sich von selbst zu verbinden (andere Materien, die diese einander zuführen, hinzugedacht) betrachten, so stellen wir uns eine mechanische Erklärungsart desselben vor.« (KdU, AA V 408)

Die mechanische Erklärungsart ist also eine, gemäß der das Zustandekommen eines materiellen Ganzen durch seine Teile begründet wird. Die Eigenschaften der Teile, die sie bereits unabhängig von dem Ganzen haben, ändern sich nicht 26

McLaughlin, (1989), 138. Vgl. McLaughlin (1989), 138 f.

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durch das Zusammenstehen derselben zu einem Ganzen. Noch ändern sich ihre Eigenschaften, wenn dieses Ganze wieder in die Teile zerfällt. Die mechanische Erklärungsart ist demzufolge reduktionistisch. Sie besteht in der Reduktion des Ganzen auf die Teile.28 Diese Erklärungsart der Kausalität ist also nicht bedeutungsgleich mit dem Kausalprinzip. Daher kann Kant McLaughlin zufolge behaupten, dass das Prinzip des Mechanismus subjektiv, d. i. eine regulative Maxime, ist, ohne die in der ersten Kritik etablierte Gültigkeit des Kausalprinzips in Frage zu stellen. Wenn es nun aber so ist, dass der Mechanismus eine regulative Maxime beschreibt und kein für die Gegenstände der Natur konstitutives Prinzip, so tut sich eine Erklärungslücke auf : Es ist nun unklar, inwiefern wir nach der Maxime des Mechanismus vorgehen und die Natur, soweit es geht, mechanisch zu erklären suchen sollen. Mit anderen Worten : Es ist unklar, inwiefern das Prinzip des Mechanismus von Kant als eine notwendige Maxime dargestellt wird, der zufolge »[a]lle Erzeugung materieller Dinge und ihrer Formen […] als nach bloß mechanischen Gesetzen möglich beurtheilt werden [muß]« (KdU, AA V 387). Denn eine subjektive Maxime ist zunächst einmal eine rein in unserem Denken angelegte Struktur. Doch allein aus dem Denken bestimmter Maximen folgt noch nicht, dass wir diese auch notwendigerweise auf Gegenstände der Erfahrung beziehen müssen. Die Notwendigkeit einer solchen Vorgehensweise zur Erklärung natürlicher Gegenstände sucht McLaughlin jedoch zu begründen, indem er die mechanische Erklärungsart als eine Eigentümlichkeit unseres Verstandes bestimmt. Aufgrund dieser Eigentümlichkeit sollen wir nicht anders können, als das mechanische Prinzip anzuwenden.29 Sie folge aus der Diskursivität unseres Verstandes. Dies verdeutliche Kant in den §§ 76 und 77, in denen er die Diskursivität unseres Verstandes von der logischen Möglichkeit eines anders gearteten, eines intuitiven Verstandes abgrenzt.30 Denn in Abgrenzung von einem anderen, einem intuitiven Verstand erläutert Kant an den entsprechenden Stellen, dass unser Verstand von dem »Analytisch-Allgemeinen (von Begriffen) zum Besonderen (der gegebenen empirischen Anschauung) gehen muß« (KdU, AA V 407) und dass aus der Diskursivität unseres Verstandes folge, dass wir »ein reales Ganze der Natur nur als Wirkung der concurrirenden bewegenden Kräfte der Theile« (KdU, AA V 407) ansehen können. Ein intuitiver Verstand hingegen gehe »vom Synthetisch-Allgemeinen (der Anschauung eines Ganzen als eines solchen) zum Vgl. McLaughlin (1989), 139. Nach McLaughlin spricht für diese Bedeutung von Mechanismus zudem, dass dies weitestgehend auch die Bedeutung von Mechanismus sei, die die in den Wissenschaften im 18. Jahrhundert gängige Bedeutung gewesen wäre ; vgl. McLaughlin (2014b), 153. 29 Vgl. McLaughlin (1989), 147–162. McLaughlin zufolge macht uns diese Eigentümlichkeit zu »unverbesserlichen Reduktionisten« (McLaughlin (1989), 142). 30 Vgl. McLaughlin (1989), 147–159. Und : McLaughlin (2014b). 28

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Besonderen […], d. i. vom Ganzen zu den Theilen« (KdU, AA V 407) und könne dementsprechend die Teile holistisch, d. i. vom Ganzen her, erklären. McLaughlin setzt zur Erläuterung dieser Textstellen bei einer These an, die bereits Thema des zweiten Kapitels dieser Arbeit war : die Unterbestimmtheit empirischer Gegenstände durch bereits bekannte empirische Gesetze und das Ziel, unsererseits weitere empirische Gesetze zu finden, die dieser Unterbestimmtheit abhelfen.31 Diese Unterbestimmtheit gründet in der Eigenart unseres diskursiven Erkenntnisvermögens, aber nicht – wie McLaughlin meint – speziell darin, dass wir vom Allgemeinen zum Besonderen gehen müssen, sondern »in unserer Gleichsetzung dieses Verhältnisses [Allgemeines/Besonderes, K.K.] mit dem von Teil/Ganzen«.32 Das Eigentümliche unseres Verstandes bestehe demnach darin, dass dieser das Verhältnis des zufällig anschaulich gegebenen Besonderen zu dem Allgemeinen mit dem Verhältnis des Ganzen zu den Teilen gleichsetze. Wenn wir nach Ursachen einer Anschauung, d. i. eines gegebenen Gegenstandes, suchen, suchen wir nach den Teilen dieses Gegenstandes, die wir dann begrifflich benennen und »gedanklich« zusammensetzen.33 Eine Zurückführung des Besonderen auf das Allgemeine bedeutet für uns in diesem Sinne eine Zurückführung des Ganzen auf seine Teile. McLaughlin zufolge ist dieses »Allgemeine« analytisch, da es durch Zerlegung des Naturgegenstandes gefunden wird. Das explanans sind bei dieser Art der Erkenntnis die Teile, das explanandum das Ganze. Der intuitive Verstand dagegen »sucht nicht nach den Teilen des Dinges, die er dann gedanklich zusammensetzt ; er zerlegt das Ganze nicht, sondern er sucht nach dem (größeren) Ganzen, dessen Teil das zu untersuchende Ding ist«.34 Hier wiederum bedeute eine Zurückführung des Besonderen auf das Allgemeine eine Zurückführung des Teils auf sein Ganzes.35 Aus der Anschauung des Ganzen schließt der intuitive Verstand auf die Teile, die in dem Ganzen gründen. Das explanans ist in diesem im Gegensatz zu unserem Verstand das Ganze und nicht die Teile, während das explanandum die Teile sind und nicht, wie bei unserem Verstand, das Ganze. Der intuitive Verstand soll also die logische Möglichkeit und Nicht-Widersprüchlichkeit eines genau umgekehrten Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Teilen und Ganzen explizieren und allein zur Erläuterung der Eigentümlichkeit unseres eigenen Verstandes dienen.36 Vgl. McLaughlin (1989), 148. McLaughlin, (1989), 148. 33 McLaughlin (1989), 148. Im Hintergrund steht hier für McLaughlin das Herstellungsmodell : Wir haben einen Gegenstand erst dann erkannt, wenn wir ihn selbst im Prinzip herstellen könnten ; vgl. dazu McLaughlin (1989), 139. 34 McLauglin (1989), 148. 35 Vgl. McLaughlin (1989), 148. 36 Vgl. auch McLaughlin (2014b), 161 f. 31

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Zwar denke auch ich, dass diese reduktionistische Vorgehensweise aus der Diskursivität unseres Verstandes folgt, doch denke ich weder, dass diese Charakteristik die reduktionistische Vorgehensweise zu einer für den Bereich der Erfahrung nur subjektiven macht, noch denke ich, dass es McLaughlin gelingt, die Notwendigkeit der Anwendung des mechanischen Prinzips zu begründen. Denn zum einen führt Kant bereits in der ersten Kritik, in dem ersten Axiom der Anschauung, den Begriff einer extensiven Größe ein. In diesem Axiom soll vor allem die Mathematisierbarkeit der Natur aufgezeigt werden, und diese wird dadurch begründet, dass alle Anschauungen extensive Größen sind (vgl. KrV, A 162 / B 202). Bei dem Begriff ›extensive Größe‹ handelt es sich um einen Begriff, der sich auf in Zeit und Raum gegebene Anschauungen bezieht (vgl. KrV, A 162 f. / B 202 f.). Er wird als konstitutiv für Gegenstände der Natur ausgewiesen und muss dementsprechend auch für materielle Körper gelten ; wie auch immer die spezifischeren Gesetze der Materie in den MAN dann hergeleitet werden müssten, sie müssten dieser Vorgabe genügen. Kant definiert den Begriff der extensiven Größe wiederum so, dass in dieser »die Vorstellung der Teile die Vorstellung des Ganzen möglich macht (und also notwendig vor dieser vorhergeht)« (KrV, A 162 / B 203). Wenn jedoch die räumliche und zeitliche Vorstellung der Teile die Vorstellung des Ganzen allererst möglich macht und diese wiederum erst eine Anschauung konstituieren, so ist bereits hier eine Begründung der Teile durch das Ganze für uns ausgeschlossen. Die die mechanische Erklärungsart begründende Charakteristik von Teil und Ganzem scheint also bereits in den Grundsätzen der Erfahrung etabliert zu werden und muss mithin kon­ stitutiv für die Gegenstände der Erfahrung sein. Ob allerdings die logische Begründungsrichtung von den Teilen zum Ganzen mit dem Begriff der extensiven Größe begründet wird oder als Voraussetzung in diesen Begriff miteingeht, gelte es eigens zu diskutieren.37 Zum anderen zeigt die Entgegensetzung unseres Verstandes mit einem intuitiven Verstand zwar auf, inwiefern die reduktionistische Vorgehensweise uns eigentümlich ist – d. i. durch die Tatsache, dass es die logische Denkmöglichkeit eines anders gearteten Verstandes gibt. Dennoch gilt es hier zwischen zwei 37

McLaughlins These zur Verbindung der ersten und dritten Kritik lautet, dass Kant in der ersten Kritik eine reduktionistische Auffassung von Kausalität vertreten hatte (was McLaughlin vor allem in Auseinandersetzung mit der zweiten Antinomie der Kritik der reinen Vernunft zeigt), die er erst in der dritten Kritik noch einmal angemessen in zwei unterschiedliche Typen, dem Prinzip der Kausalität und dem Prinzip des Mechanismus unterscheidet ; vgl. McLaughlin (1989), 140. Auf die Axiome der Anschauung geht McLaughlin allerdings nicht ein. Er behauptet lediglich, dass »Kant […] es anscheinend für evident [halte], daß ein materielles Ganzes von seinen Teilen bedingt wird und nicht umgekehrt […]« (McLaughlin (1989), 97) und also kein Argument für diese These liefert. Wie im Fließtext dargestellt, würde es zu dieser Diskussion einer Analyse des ersten Axioms der Anschauung und des Zusammenhangs zwischen Raum und Materie bedürfen.

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Arten von Notwendigkeit zu unterscheiden. Denn selbst wenn wir McLaughlin zugestehen, dass die reduktionistische Vorgehensweise aus der Diskursivität unseres Verstandes notwendigerweise folgt und dass Kant uns eben diese Folge durch die Entgegensetzung mit dem intuitiven Verstand als eine Eigentümlichkeit unseres Verstandes verständlich machen wollte, erklärt dies noch nicht, warum wir diese Erklärungsart notwendigerweise in der Nachforschung der Natur vornehmen müssen.38 Es erklärt nicht, warum diese Erklärungsart gegenüber der teleologischen, die als eine ebenso notwendige Maxime bezeichnet wird, zu privilegieren ist, wie Kant es aber klarerweise tut. Einzig eine transzendentale Begründung könnte die Notwendigkeit der Anwendung des Prinzips des Mechanismus in dieser Form plausibilisieren, die Kant aber im Rahmen der dritten Kritik nicht vorbringt und die McLaughlin für das Prinzip des Mechanismus auch ausschließt. Auch Ginsborg trennt den Begriff des Mechanismus von dem Begriff der Kausalität mit der Begründung, dass durch das Kausalprinzip vor allem zeitliche Verhältnisse determiniert werden, durch den Mechanismus räumliche, mereologische Verhältnisse angesprochen werden.39 Sie bestimmt den Begriff des Mechanismus jedoch nicht als Unterart oder besonderen Typ von Kausalverhältnissen, sondern will diese als vollkommen unterschiedene Kräfte verstanden wissen. Der Mechanismus-Begriff bezieht sich Ginsborg zufolge allein auf die Erklärung der körperlichen Produkte der Natur durch die Kräfte der Materie : »[W] e explain something mechanically when we explain its production as a result of the unaided powers of matter as such«.40 Als diese Kräfte identifiziert Ginsborg die Repulsions- und die Attraktionskraft ; also die Kräfte, durch die Materie voneinander anzogen und abgestoßen wird. Ihr Verständnis des Begriffs des Mechanismus entwickelt sie dabei aus der Lektüre vorkritischer Schriften Kants. Kant erkläre demnach zum Beispiel bereits in Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Dasein Gottes, dass es ungereimt wäre, »die erste Erzeugung einer Pflanze oder Thiers als eine mechanische Nebenfolge aus allgemeinen Naturgesetzen zu betrachten« (BDG, AA II, 114). Kant halte aber auch in den frühen Schriften die Herleitung aller anorganischen Produkte der Natur aus den fundamentalen Bewegungskräften der Materie prinzipiell für möglich und bezeichne eben diese Herleitung als mechanisch.41 Eine ebensolche These nehme Kant in der Kritik der Urteilskraft wieder auf. So etwa im § 61, in welchem er Siehe zu diesem Einwand auch Breitenbach (2009), 50 u. 54. McLaughlin selbst sieht an dieser Stelle einen Begründungsmangel ; vgl. McLaughlin (2014b), 163. 39 Vgl. Ginsborg (2004), 40. 40 Ginsborg (2004), 42. 41 Ginsborg verweist als Beleg auf die Allgemeine Naturgeschichte und eine Theorie des Himmels ; vgl. Ginsborg (2004), 40. 38

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behauptet, dass wir die spezielle Form, den Körperbau von Vögeln, wie hohle Knochen etc., niemals, durch den nexus effectivus allein erläutern können (vgl. KdU, VV AA 360), oder in der Methodenlehre, in welcher er betont, dass wir zur Deutung von Organismen immer schon organisierte Materie voraussetzen müssen (vgl. KdU, AA V 419/420). Der Ausgangspunkt Kants im zweiten Teil der dritten Kritik besteht Ginsborg zufolge damit in der Frage, wie überhaupt aus unorganisierter Materie organisierte Materie allein durch die der Materie zugesprochenen Kräfte entstehen kann. Denn die Existenz von Organismen – »their composite character«42 – sei allein den Kräften unorganisierter Materie gemäß unerklärlich. Damit stünden allein materielle Verhältnisse im Fokus der Untersuchung des zweiten Teils der dritten Kritik. Eine mechanische Erklärung ist dann gegeben, wenn wir materielle Dinge der Natur auf die bewegenden Kräfte der Materie zurückgeführt haben. Zwar stimme ich Ginsborg darin zu, dass es Kant im zweiten Teil der dritten Kritik um die Erklärung der Form von natürlichen, d. i. materiellen Körpern geht, die auf die Bewegungsgesetze einer an sich trägen Materie zurückgeführt werden müssen, was uns aber aus Gründen, die es im Abschnitt 4.2. zu erläutern gilt, nicht gelingt. Dennoch denke ich, dass Breitenbach in ihrer Kritik an Ginsborg recht behält : Breitenbach wendet ein, dass die scharfe Trennung, die Ginsborg zwischen dem Kausalprinzip und dem Mechanismus vornimmt, exegetisch und sachlich nicht gerechtfertigt ist.43 Ginsborgs Lesart zufolge dürfen mechanische Gesetze keine Kausalgesetze sein. Sowohl die bereits in diesem Abschnitt zitierte Stelle als auch andere Stellen in der Kritik der Urteilskraft zeigen dagegen, dass Kant den Mechanismus als einen Typ von Kausalität begreift. So spricht Kant von dem »Gesetze der Causalität nach dem bloßen Mechanism« (KdU, AA V 360), von »dem Mechanism ihrer Causalität [der Naturdinge, derer, die wir Organismen nennen, KK.]« (KdU, AA V 379) oder von dem »Mechanism der blind wirkenden Ursachen« (KdU, AA V 380).44 Diese Stellen sprechen dafür, dass es Kant – wie Breitenbach vorschlägt – in den mechanischen Erklärungen der uns umgebenden Natur »nicht ganz allein um die fundamentalsten Kräfte der Materie an sich [geht], sondern im Speziellen um die externen Kausalbeziehungen, die durch die Relationen der Kräfte verschiedener Materieteile zueinander die Veränderungen innerhalb der materiellen Natur bestimmen«.45 Es geht Kant um die mechanische Erklärung konkreter bereits erfahrener Gegenstände in Raum und Zeit. Ginsborg (2004), 44. Vgl. Breitenbach (2009), 53. 44 Ginsborg selbst benennt dieses Problem, votiert jedoch dafür, dass hier eine andere Art der Kausalität gemeint ist ; vgl. Ginsborg (2004), 40. 45 Breitenbach (2009), 53. 42

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Auch aus sachlicher Sicht ist es schwierig, zwischen der puren Zusammensetzung eines Naturgegenstandes und der Erzeugung desselben zu unterscheiden – eine Unterscheidung, die Ginsborg aber vornimmt. So soll es bei der Erklärung bestimmter Naturgegenstände wie Pflanzen und Tiere allein um deren »composite character« gehen. Wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden, besteht Kant zufolge die Existenz solcher Naturgegenstände jedoch in deren sich selbst erzeugendem und sich selbst erhaltendem Charakter.46 Begriffe wie Erzeugung und Selbsterhaltung wiederum tragen nun aber – wie auch Breitenbach betont47 – wiederum klar zeitliche Konnotationen und sprechen damit gegen eine solche Lesart des Mechanismus in der dritten Kritik. Diese Diskussion deutet darauf hin, dass es schwierig ist, den von Kant begründeten konstitutiven Charakter des Kausalprinzips und den von Kant dagegen postulierten regulativen Charakter mechanischer Prinzipien dadurch zu begründen, dass man beide Prinzipien als vollkommen unabhängig voneinander auffasst. Breitenbach schlägt nun eine einheitliche Auffassung des Prinzips des Mechanismus vor.48 Demnach umfassen mechanische Erklärungen i) die Rückführung der Konstitution körperlicher Dinge auf die Bewegungskräfte der Materie, d. i. Repulsions- und Attraktionskraft49, die jedoch in der Kritik der Urteilskraft auch als Kausalbeziehungen verstanden werden müssen, und ii) die Rückführung des Ganzen auf seine Teile, die jedoch nicht nur subjektiv notwendig ist, sondern Breitenbach zufolge ihren objektiven Grund darin haben, dass Kausalbeziehungen in der materiellen Natur als »externe Kausalverhältnisse«50 interpretiert werden müssen. Dieser Auffassung schließe ich mich weitestgehend an – wie bereits angedeutet, denke ich aber im Gegensatz zu Breitenbach, dass es keinen Grund gibt, dieses mechanische Bild der Natur nicht auch bereits in der Kritik der reinen Vernunft angelegt zu sehen. Motiv dieser strikten Trennung von Mechanismus und Kausalität, wie McLaughlin und Ginsborg sie vorgenommen haben, war nun aber, dass das Kausalprinzip ein objektiv gültiges Prinzip für die Natur ist, das Prinzip des Mechanismus hingegen in der dritten Kritik als ein subjektives und regulatives ausgewiesen wird. Wir sind damit also wieder bei dem Ausgangsproblem. Man kann jedoch eine Erklärung dieses zunächst tatsächlich dubios erscheinenden 48 49

Siehe dazu Abschnitt 4.2.3 dieser Arbeit. Vgl. Breitenbach (2009), 53. Vgl. Breitenbach (2009), 51–56. Breitenbach zufolge behandelt Kant allein in den Metaphysischen Anfangsgründen die Kräfte, die sich allein auf die materielle Natur beziehen, und damit nur einen Aspekt dessen, was Kant unter Mechanismus versteht. In der Kritik der Urteilskraft ist dagegen ein breiterer Mechanismusbegriff angelegt, insofern dort nicht nur materielle, sondern auch zeitliche Aspekte der Konstitution materieller Körper mitberücksichtigt werden ; vgl. Breitenbach (2009), 53 f. 50 Vgl. Breitenbach (2009), 54. 46 47

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Befundes anführen, auf die auch Breitenbach aufmerksam macht51 und die einer solchen von McLaughlin und Ginsborg vorgenommenen strikten Trennung beider Prinzipien nicht bedarf. Zur Erklärung dessen, warum das Prinzip des Mechanismus in der Kritik der Urteilskraft dennoch nur ein regulatives sein soll, gilt es, die Ausführungen in dem zweiten Teil der dritten Kritik zum Prinzip des Mechanismus nicht isoliert von den Einleitungen in die dritte Kritik zu lesen. Das Prinzip des Mechanismus besagt, dass wir Naturerscheinungen jederzeit mechanisch zu erklären suchen sollen. Das Prinzip des Mechanismus bezieht sich auf die konkret erfahrene Natur, d. i. auf bereits erfahrene natürliche Gegenstände und Prozesse. Anhand desselben gilt es, empirische Gesetzmäßigkeiten festzustellen und in ein System von empirischen Gesetzen einzuordnen. Dabei ist aber nur vorausgesetzt, dass die Natur auch für uns in ihren empirischen Kausalgesetzen erkennbar ist. Denn ich habe mit Kant vor allem im Teil 3.1 dafür argumentiert, dass die Erkennbarkeit empirischer Kausalgesetze für uns noch gar nicht ausgemacht ist. Wie die Einleitungen zeigen, sind es in der dritten Kritik die besonderen empirischen Kausalgesetze, die Gegenstand der Untersuchung sind. Es ist deren Status, der diskutiert wird. Unsere empirische Forschung ist intrinsisch systematisch. Denn zum Erkennen empirischer Kausalgesetze benötigen wir immer schon die Hintergrundannahme eines Systems empirischer Kausalgesetze, da wir erst unter Bezugnahme auf ein solches System empirische Verallgemeinerungen von empirischen Kausalgesetzen unterscheiden können.52 Der Inhalt dieser Hintergrundannahmen ist uns jedoch niemals objektiv gegeben, sondern sie sind selbst hypothetische Annahmen. Wenn diese Hintergrundannahmen selbst hypothetische Annahmen sind, die wir jedoch brauchen, um Kausalgesetze als Kausalgesetze zu erkennen, dann zeichnen sich alle bisherigen gefundenen empirischen Kausalgesetze darin aus, dass sie fallibel sind. Empirische Gesetzeshypothesen können potenziell falsifiziert werden, sollte sich bei der Entdeckung weiterer Gesetze ergeben, dass diese mit den Inhalten angenommener empirischer Kausalgesetze nicht zusammenstimmen. Das Prinzip des Mechanismus ist also dahingehend ein subjektives, dass es keineswegs sichergestellt ist, dass die Natur in ihren empirischen Kausalgesetzen auch für uns erkennbar ist, da wir niemals eine vollständige mechanische Erklärung der Natur erlangen werden und aber die bereits gefundenen Gesetze von der Annahme einer systematisch geordneten Natur abhängen. Dies nimmt jedoch zum einen dem allgemeinen Kausalprinzip sowie den Grundsätzen der Ich verfolge hier also dieselbe Strategie wie Breitenbach – einzig verfolgt Breitenbach diese auf Grundlage der schwachen Lesart der Etablierung des Kausalprinzips, die ich im zweiten Kapitel dieser Arbeit jedoch zurückgewiesen habe. Meine Erklärung des Kausalprinzips als regulatives Prinzip fällt dementsprechend anders aus. 52 Vgl. Abschnitt 3.2.2 und Abschnitt 3.3.3 dieser Arbeit. 51

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Erfahrung insgesamt nicht ihre Gültigkeit. Diese Interpretation liefert zum anderen eine Begründung dafür, warum das Auffinden mechanischer Erklärungen oberste Maxime unseres Vernunfthandelns sein muss. Denn auch wenn unser Wissen über die mechanische Verfasstheit der Natur ein hypothetisches Wissen ist, so ist es doch zumindest möglich, dass dieses Wissen tatsächlich ein objektives Wissen über die Natur ist. Für teleologische Aussagen wird dies – wie wir im Folgenden sehen werden – nicht gelten. 4.2 Die Herleitung des Naturzweckbegriffs Mit dem zweiten Teil der Kritik der Urteilskraft, der Kritik der teleologischen Urteilskraft, befinden wir uns nun auf der Ebene, auf der wir bestimmte empirische Ursache-und-Wirkungs-Verhältnisse als zweckmäßige Verhältnisse beurteilen. Erst hier befinden wir uns also in dem von Kant ausgewiesenen Bereich der Teleologie.53 Dabei argumentiert Kant einerseits für die Unverständlichkeit des Naturzweckbegriffs und andererseits für die Notwendigkeit seiner Anwendung. Beiden Punkten gilt es in diesem Abschnitt nachzugehen.54 Hierfür werde ich mich zunächst der Frage widmen, was es heißt, bestimmte Naturgegenstände als Naturzwecke zu beurteilen. Hervorzuheben ist, dass Kants Analyse der Teleologie keine Rechtfertigung der Teleologie als konstitutives Prinzip ist, sondern eine Analyse dessen, was teleologische Aussagen implizieren. Unter dieser Perspektive werde ich dafür argumentieren, dass uns der Naturzweckbegriff unverständlich bleibt. Wir besitzen zwar den Begriff des Naturzwecks, er ist jedoch mit kausalen Prinzipien, die Kant zufolge der Natur zukommen, nicht kompatibel. Es ist diese Inkompatibilität, die ihn unverständlich macht. Wie ich zeigen werde, hat diese Unverständlichkeit seine tiefere Begründung in dem widersprüchlichen Verhältnis, in welchem die Konzeption innerer Zweckmäßigkeit zur Konzeption des Mechanismus steht. Dass jedoch Zweckerläuterungen von Naturgegenständen im Widerspruch zu kausalmechanischen Erklärungen derselben stehen, sagt noch nichts darüber aus, ob diese Naturgegenstände selbst tatsächlich kausalmechanisch unerklärbar sind, da ihnen das Prinzip innerer Zweckmäßigkeit nur subjektiv zukommt. Ich werde im letzten Teil dieses Abschnittes, in 4.2.4., dafür argumentieren, dass Kant prinzipiell die These der kausalmechanischen Unerklärbarkeit dieser Naturgegenstände ver53

Vgl. mit Abschnitt 4.1.1 dieses Kapitels. In diesem Abschnitt werde ich mich mit den beiden Thesen der Unverständlichkeit des Naturzweckbegriffs und der Notwendigkeit seiner Anwendung befassen. Die epistemische Relevanz des Naturzweckbegriffs in positiver Hinsicht diskutiere ich im Abschnitt 4.3.

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treten muss, jedoch keinen positiven Grund für ihre kausalmechanische Unerklärbarkeit liefern kann. 4.2.1 Die Veranlassung zur teleologischen Beurteilung der Natur In Abschnitt 4.1.1 haben wir gesehen, dass unsere reflektierende Urteilskraft dann teleologisch wird, wenn sie Ursache-Wirkungs-Beziehungen in der Natur als Zweck-Mittel-Verhältnisse beurteilt.55 Wie sich nun aus unserer Diskussion der zweiten Analogie der Erfahrung ergeben hat, ist alles in der Natur durchgängig durch Ursache-Wirkungs-Beziehungen bestimmt. Naheliegend ist nun folgende Frage : Lässt sich hieraus auch schließen, dass prinzipiell alle UrsacheWirkungs-Verhältnisse in der Natur als zweckmäßig beurteilt werden können ? Kant zufolge ist dies nicht der Fall. So gelte es einen Unterschied zu ziehen zwischen Aussagen wie »Wasser und Erde sind Mittel für das Entstehen von Gebirgen« und Aussagen wie »Der Rückgang ist Meeres ist zweckmäßig für das Wachsen von Fichtenwäldern, da dieser Rückgang fruchtbaren Sandboden zurücklässt«. Während »Wasser, Luft und Erden nicht als Mittel zur Anhäufung von Gebirgen angesehen werden [können]« (KdU, AA V 425), obwohl diese Elemente zum Dasein von Gebirgen beigetragen haben, beurteilen wir Kant zufolge den Rückgang des Meeres zu Recht als ein Mittel zum Wachsen von Fichtenwäldern (vgl. KdU, AA V367). Die Aufgabe ist nun, herauszufinden, was die eine Aussage von der anderen genau unterscheidet : Warum sind wir laut Kant in dem einen Fall in unserer Zweckbeurteilung gerechtfertigt und in dem anderen aber nicht ? Wovon also hängt die zweckmäßige Beurteilung kausaler Verhältnisse ab ? Kant zufolge treffen wir die obenstehenden Zweckbeurteilungen gemäß dem Prinzip der äußeren Zweckmäßigkeit. Wir beurteilen kausale Relationen zwischen Naturgegenständen, die sich dem Naturgegenstand, der als Zweck beurteilt wird, als zuträglich oder dienlich erweisen (vgl. KdU AA V 367). Die zugesprochene Zweckmäßigkeit bleibt den Naturgegenständen jedoch äußerlich. Der erste Grund, den Kant für diese Äußerlichkeit anführt, lautet, dass Urteile äußerer Zweckmäßigkeit nicht die Konstitution dieses Naturgegenstandes betreffen. So erfahren wir nichts über den Aufbau und die Funktionsweise von Fichten selbst. Auch ist die Zweckmäßigkeit, die wir dem Naturgegenstand zuschreiben, der als Mittel dient, selbst kein notwendiges Element für die Entstehung des Mittels. Die Zweckmäßigkeit, die wir etwa dem Entstehen des Sandbodens 55

Meiner Lesart zufolge beziehen sich also Zweckbeurteilungen auf Prozesse und im strengen Sinne nicht auf Gegenstände. Dies widerspricht jedoch nicht der Tatsache, dass wir Kant zufolge gewisse Naturgegenstände als Naturzwecke beurteilen. Denn wir beurteilen die in diesen Gegenständen ablaufenden Prozesse als zweckmäßig.

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für das Wachsen von Fichtenwäldern zuschreiben, ist selbst kein notwendiges Element in der Erklärung der Entstehung des Sandbodens. In einer Erklärung der Entstehung des Sandbodens brauchen wir nicht auf dessen Nützlichkeit für Fichtenwälder zu referieren.56 Daher schließt Kant, dass »wir nichts an der Zulänglichkeit der Naturursachen zu dieser Beschaffenheit vermissen« würden, »wenn alle diese Naturnützlichkeit auch nicht wäre« (KdU AA V 369). Urteile äußerer Zweckmäßigkeit sind demnach keine Urteile über die Kon­ sti­tution gewisser Naturgegenstände. Ganz im Gegenteil, ein Urteil, in welchem auf Grundlage einer solchen Zweckmäßigkeitskonzeption eine Aussage über die Existenz eines Gegenstandes getroffen wird, hält Kant für ein kühnes Urteil, das wissenschaftlicher Betrachtung entbehrt : »Also zu sagen : daß darum Dünste aus der Luft in der Form des Schnees herun­ter­ fallen, das Meer seine Ströme habe, welche das in wärmern Ländern gewachsene Hölz dahin schwemmen, und große mit öl angefüllte Seethiere da sind, weil der Ursache, die alle die Naturproducte herbeischafft, die Idee eines Vortheils für gewisse armselige Geschöpfe [Völker in der Eiszone, K.K.] zum Grunde liege, wäre ein sehr gewagtes und willkürliches Urtheil« (KdU, AA V 369, m. Herv.).

Es wäre demnach vermessen zu urteilen, dass die Dünste aus der Luft existieren und in Form von Schnee herunterfallen, weil sie bestimmten Menschen in der Eiszone von Nutzen sind. Die einzig zulässige Form von Urteilen äußerer Zweckmäßigkeit ist Kant zufolge also die, gemäß der wir allein die Nützlichkeit von Naturprozessen für bestimmte Naturgegenstände beschreiben, aber mit solchen Aussagen keine Existenzaussagen verbinden. Im Gegensatz zu Illetterati denke ich daher auch nicht, dass Kants äußere Zweckmäßigkeitskonzeption »the model of purposiveness at the basis of artifacts«57 beschreibt und diese Charakterisierung die äußere von der inneren Zweckmäßigkeitskonzeption unterscheidet. Denn – wie wir in 4.2.3 sehen werden – beurteilen wir nach dem Artefakte-Modell der Zweckmäßigkeit die Existenz von Gegenständen selbst als in einem Zweck gegründet. Urteile, die auf dem Artefakte-Modell basieren, sind also Urteile über die Konstitution gewisser Gegenstände.58 Vgl. McLaughlin (1989), 41. Illetterati (2014), 87. 58 Vgl. dazu auch die Stelle KdU, AA V 367, an welcher Kant die Beurteilung der Wirkung, d. i. der Existenz und Form eines Naturgegenstandes als Kunstprodukt, als Form innerer Zweckmäßigkeit beschreibt : »Dieses [die Zweckbeurteilung, K.K.] kann auf zwiefache Weise geschehen : entweder indem wir die Wirkung unmittelbar als Kunstproduct, oder nur als Material für die Kunst anderer möglicher Naturwesen, also entweder als Zweck oder als Mittel zum zweckmäßigen Gebrauche anderer Ursachen, ansehen. Die letztere Zweckmäßigkeit heißt die Nutzbarkeit (für Menschen), oder auch Zuträglichkeit (für jedes andere 56 57

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Der zweite Grund der Urteilen äußerer Zweckmäßigkeit zugesprochenen Äußerlichkeit liegt darin, dass wir in solchen Urteilen bereits voraussetzen, dass ein Naturgegenstand als Zweck zu beurteilen ist, ohne diese Voraussetzung in dem Urteil selbst einzuholen. So beurteilen wir den Rückgang des Meeres und das Entstehen des Sandbodens nur insofern als dienlich, als wir bereits unterstellen, dass Fichten als Zwecke zu beurteilen sind. Und diese Unterstellung unterscheidet die Aussage über die Zweckmäßigkeit des Sandbodens von der Aussage, in der die Zweckmäßigkeit von Wasser, Erde und Luft für das Entstehen von Gebirgen behauptet wird. Wasser, Luft und Erde beurteilen wir nicht als Mittel zur Anhäufung von Gebirgen, weil »diese [Gebirge, K.K.] an sich gar nichts enthalten, was einen Grund ihrer Möglichkeit nach Zwecken erforderte, worauf in Beziehung also ihre Ursache niemals unter dem Prädicate eines Mittels (das dazu nützte) vorgestellt werden kann« (KdU, AA V 425). Anhand der äußeren Zweckmäßigkeit eines Naturgegenstandes ist nun jedoch nicht auszumachen, wann ein Naturgegenstand zum Grund seiner Möglichkeit einen Zweck erfordert, da diese uns nichts über die innere Konstitution von Naturgegenständen sagt. Urteile äußerer Zweckmäßigkeit setzen dementsprechend die Konstitution bestimmter Naturgegenstände als Zwecke bereits voraus. Sie bleiben hypothetisch : Unter der Annahme, dass bestimmte Naturgegenstände Naturzwecke sind, können wir andere Gegenstände oder Prozesse in der Natur wiederum als Mittel für diese Naturzwecke deuten. Für Kant folgt daraus »daß die relative59 Zweckmäßigkeit, ob sie gleich hypothetisch auf Naturzwecke Anzeige gibt, dennoch zu keinem absoluten teleologischen Urtheile berechtige« (KdU, AA V 368). Ein absolutes teleologisches Urteil ist demgemäß ein solches, welches über die Konstitution gewisser Naturgegenstände aussagt, dass diese nur als Zweck möglich sind. Es muss also ein Urteil über die innere Zweckmäßigkeit solcher Naturgegenstände sein ; ein Urteil, gemäß welchem wir die innere Beschaffenheit bestimmter Naturgegenstände als zweckmäßig für die Existenz derselben deuten.60 Aus den bisherigen Überlegungen folgt zum einen, dass erst durch die Anwendung des Prinzips innerer Zweckmäßigkeit teleologische Beurteilungen in die Natur hineingebracht werden, da die Diskussion der Konzeption der äußeren Zweckmäßigkeit gezeigt hat, dass die Anwendung dieser davon abhängig ist, dass wir Naturgegenstände bereits gemäß der inneren Zweckmäßigkeit beurteilt haben. geschöpf), und ist bloß relativ, indeß die erstere eine innere Zweckmäßigkeit des Naturwesens ist.« 59 Kant verwendet die Ausdrücke ›äußere Zweckmäßigkeit‹ und ›relative Zweckmäßigkeit‹ synonym. 60 Kant verwendet den Ausdruck »absolutes teleologisches Urteil« an dieser Stelle synonym zu dem Ausdruck »Urteil innerer Zweckmäßigkeit«.

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Es folgt zum anderen, dass wir in Urteilen innerer Zweckmäßigkeit ausdrücken, dass etwas existiert, weil es zweckmäßig ist. Denn – wie Kant behauptet – beurteilen wir Gegenstände nur dann als innerlich zweckmäßig, wenn mechanische Erklärungen zur Erklärung der Konstitution dieser Naturgegenstände nicht hinreichen. Dementsprechend gleichen wir diese Unzulänglichkeit durch Zweckurteile aus. Auf diese Unzulänglichkeit der Naturursachen und damit kausalmechanischer Erklärungen dieser Naturgegenstände werde ich gesondert in Abschnitt 4.2.4 eingehen. Im folgenden Abschnitt wird sie nur insoweit eine Rolle spielen, wie ich sie zur Erläuterung der These, dass uns bestimmte Naturgegenstände zu ihrer Zweckbeurteilung veranlassen, benötige. Uns wird hier also zunächst interessieren, was uns eigentlich genau zu einer Zweckbeurteilung der Natur veranlasst. 4.2.2 Der eigentümliche Charakter bestimmter Naturgegenstände Wie bereits betont, vertritt Kant die These, dass wir in unseren empirischen Beobachtungen dazu veranlasst werden, teleologische Urteile über bestimmte Naturgegenstände zu fällen. Doch was beobachten wir genau ? Wir beobachten, dass bestimmte Naturgegenstände im Gegensatz zu anderen eine Art der Zweckmäßigkeit ihrer Teile aufweisen, von der uns unerklärlich ist, warum Materie sich auf Grundlage rein kausalmechanischer Gesetze zu genau solchen zweckmäßigen Einheiten geformt haben sollte : »Denn wenn man z. B. den Bau eines Vogels, die Höhlung in seinen Knochen, die Lage seiner Flügel zur Bewegung und des Schwanzes zum Steuern u. s. w. anführt : so sagt man, daß dieses alles nach dem bloßen nexus effectivus in der Natur, ohne noch eine besondere Art der Causalität, nämlich die der Zwecke (nexus finalis), zu Hülfe zu nehmen, im höchsten Grade zufällig sei ; d. i. daß sich die Natur, als bloßer Mechanism betrachtet, auf tausendfache Art habe anders bilden können, ohne gerade auf die Einheit nach einem solchen Princip [dem der inneren Zweckmäßigkeit, K.K.] zu stoßen, und man also außer dem Begriffe der Natur, nicht in demselben den mindesten Grund dazu a priori allein anzutreffen hoffen dürfe.« (KdU, AA V 360)

Wie bereits in 4.1.1 ausgeführt, haben wir keinen Grund, a priori anzunehmen, dass es so etwas wie Zwecke in der Natur gibt. Das transzendentale Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur, ein Prinzip also, dessen berechtigte Anwendung wir a priori auf die Natur nachgewiesen haben, berechtigt uns zwar dazu, die Natur a priori so zu betrachten, als ob sie von einem Verstand so eingerichtet worden ist, dass sie für uns in ihrer Gesetzmäßigkeit erkennbar ist. Dies bedeutet jedoch

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nicht, dass diese Gesetzmäßigkeit selbst eine zweckkausale ist und dementsprechend entsprechende Naturgegenstände als Zweckprodukte ausgewiesen werden können. Dass uns also Gegenstände in der Natur begegnen, deren Aufbau wir als in sich zweckmäßig beurteilen, ist in Anbetracht der auf transzendentaler Ebene etablierten Gesetzmäßigkeit zufällig. Diese Zufälligkeit solcher Gegenstände und ihrer »Form« (KdU, AA V 360), der wir in der Erfahrung begegnen, erstreckt sich jedoch noch weiter. Es ist nicht nur der Körperbau eines einzelnen Vogels, der auf Grundlage kausalmechanischer Gesetze unterbestimmt bleibt, sondern wir beobachten, dass dieser zweckmäßig anmutende Körperbau selbst Produkt einer Art von Regelmäßigkeit ist, die auf Basis kausalmechanischer Gesetzmäßigkeit Kant zufolge nicht herleitbar ist.61 Diese Art der Regelmäßigkeit drückt sich darin aus, dass diese Naturgegenstände sich wechselseitig als Ursache und Wirkung ihrer selbst verhalten. Unter Bezugnahme eines Baum-Beispiels illustriert Kant, dass sich diese bestimmten Naturgegenstände in drei verschiedenen Hinsichten als wechselseitig Ursache und Wirkung ihrer selbst zeigen, d. i. in der Reproduktion, im Wachstum und in der Regeneration dieser Naturgegenstände. Im Gegensatz zu beispielsweise Gebirgen drückt sich in solchen Naturgegenständen, in diesem Fall in einem Baum, eine Regelmäßigkeit aus, die zur Hervorbringung von Naturgegenständen mit dem gleichen Körperbau führt. Im Gegensatz zu Gebirgen erzeugt ein Baum sich selbst der Gattung nach, »in der er einerseits als Wirkung, andrerseits als Ursache, von sich selbst unaufhörlich hervorgebracht« (KdU, AA V 371) wird. Aus dem Samen eines Ahornbaumes beispielsweise entsteht ein weiterer Ahornbaum und nicht etwa ein Schwein. Sodann finden wir diese Art der Regelmäßigkeit in dem Wachstum eines solchen Naturgegenstandes. So verarbeitet ein Ahornbaum das Material, das er zu seinem Wachstum braucht, nicht derart, wie es aufgenommen wurde, sondern auf eine Art und Weise, die diesem Naturgegenstand eigentümlich ist : »Die Materie, die er zu sich hinzusetzt, verarbeitet dieses Gewächs vorher zu specifisch=eigenthümlicher Qualität, welche der Naturmechanism außer ihm nicht liefern kann, und bildet sich weiter aus, vermittelst eines Stoffes, der seiner Mischung nach sein eignes Product [seine Wirkung, K.K.] ist« (KdU, AA V 371). In der Photosynthese beispielsweise nimmt der Baum Wasser und Kohlenstoff auf und verwandelt sie dann durch seine eigene Aktivität in die Kohlenhydrate, die er für sein Wachstum braucht. Ein Gebirge dagegen reproduziert sich nicht als dieses Gebirge durch äußere Einflüsse, sondern verändert durch äußere Einflüsse vielmehr seine Gestalt. Und drittens beobachten wir eine andere Art der Regelmäßigkeit in der wechselseitigen Erhaltung der Teile eines solchen Naturgegenstands durch den Erhalt der anderen Teile. Ein Teil sorgt für den Erhalt 61

Siehe dazu auch Ginsborg (2015), 269.

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der anderen Teile, die wiederum für den Erhalt dieses Teils sorgen. Die Blätter eines Baumes beispielsweise sind »zwar Producte des Baums, erhalten aber diesen doch auch gegenseitig ; denn die wiederholte Entblätterung würde ihn tödten, und sein Wachsthum hängt von ihrer Wirkung auf den Stamm ab« (KdU, AA V 372). Die Teile eines Gebirges dagegen sorgen nicht wechselseitig für ihren Erhalt, sondern werden im Laufe der Zeit durch kausalmechanische Kräfte verändert oder gar abgetragen. Wie ich in 4.1.2 ausgeführt habe, sind Erklärungen gemäß dem Mechanism der Natur solche, die die Existenz und Form eines Gegenstandes rein aus den spezifischen Bewegungskräften der Materie herleiten. Zur Erklärung der Entstehung eines materiellen Ganzen verweisen wir unter Bezugnahme auf kausalmechanische Gesetze auf die Bewegungskräfte, die die einfacheren materiellen Teile dieses Ganzen zu diesem Ganzen zusammensetzen. Das Ganze ist allein durch den externen kausalen Einfluss bestimmt, den die Teile aufgrund ihrer Bewegungskräfte aufeinander ausüben. Eine diesem Prinzip der Naturkausalität folgende Erklärung solcher Naturgegenstände wäre demnach eine, die das Entstehen der Teile, bspw. der Organe eines Vogels, sukzessiv und unabhängig voneinander erläutert, ohne dass sie die Organisation dieses Körpers, seine spezifische Form, zur Erklärung der Teile bereits voraussetzt. Gemäß einer solchen Erklärung ist es dann aber vollkommen zufällig, dass ein Baum gerade diese Form hat, die er hat, in der seine Teile derart zweckmäßig aufeinander abgestimmt zu sein scheinen, dass sie sich in den drei beschriebenen Hinsichten regelmäßig wieder hervorbringen. Auf Basis des Kausalmechanismus bleibt uns also nichts anderes übrig, als diese beobachtbare Regelmäßigkeit als kontingentes Resultat eines ›blinden Mechanismus‹ zu bezeichnen. Dies ist aber nun keine Erklärung dieser Regelmäßigkeit, da sie schlicht wegerklärt wird.62 In diesem Sinne ist auch Kants Kritik an Epikur im § 73 der Kritik der teleologischen Urteilskraft zu verstehen. Epikur nimmt Kant zufolge den »blinde[n] Zufall zum Erklärungsgrunde« (KdU, AA V 393) dieser Naturgegenstände, indem er für alle Naturgegenstände allein »eine Causalität nach [kausalmechanischen, K.K.] Bewegungsgesetzen [zulässt]« (KdU, AA V 392). Damit könne Epikur jedoch noch nicht einmal den »Schein in unserm teleologischen Urtheile« (KdU, AA V 393) erklären. Denn Kants Lesart zufolge legt sich Epikur auf zwei Annahmen fest : Er leugnet, dass es Zweckkausalität in der Natur gibt. Er behauptet, dass alles in der Natur nach kausalmechanischen Bewegungsgesetzen63 abläuft. Vor dem Hintergrund beider Annahmen – so verstehe Ich danke Anton Kabeshkin, der mich auf diesen Punkt besonders aufmerksam gemacht hat. 63 Den Ausdruck »kausalmechanische Bewegungsgesetze« verstehe ich hier sehr weit gefasst ; es handelt sich um Gesetze, die auf Grundlage eines Mechanismus im Sinne von Ginsborgs Lesart des Mechanismus gebildet werden : Etwas wird kausalmechanisch erklärt, wenn es 62

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ich Kant hier – ist noch nicht einmal der Raum dafür gelassen, dass uns etwas zweck­mäßig in der Natur erscheinen könnte. Auf diesen Punkt Kants werde ich in 4.2.4 noch einmal zurückkommen, da er für die Frage, ob die bestimmten Naturgegenstände, die wir als Zwecke beurteilen, prinzipiell kausalmechanisch ­erklärbar sind oder nicht, relevant wird. An dieser Stelle ist es nun zunächst von Belang, zwischen dem, was wir beobachten, und dem, was wir daraus schließen, zu unterscheiden : Wir beobachten, dass bestimmte Naturgegenstände in den oben beschriebenen Hinsichten Ursache und Wirkung ihrer selbst sind. Diese Art der Regelmäßigkeit können wir Kant zufolge nicht so erläutern, wie es mechanische Erklärungen vorgeben, da wir für ein Verständnis dieser Art der Regelmäßigkeit die Form, das Ganze, voraussetzen müssen. Nun ist die einzige Art der Kausalität, die wir kennen, in welcher dem Ganzen eine Begründungspriorität gegenüber den Teilen zukommt, die der Zweckkausalität.64 Daher lautet Kants vorläufige Definition eines Naturgegenstandes als Naturzweck : »Ich würde vorläufig sagen : ein Ding existiert als Naturzweck, wenn es von sich selbst (obgleich in zwiefachem Sinne) Ursache und Wirkung ist« (KdU, AA V 370 f.). 4.2.3 Die Gewinnung des Naturzweckbegriffs Urteile innerer Zweckmäßigkeit sind also Urteile über die Konstitution des entsprechenden Naturgegenstandes. Wir betrachten den Naturgegenstand in diesen Urteilen so, als ob er selbst ein Zweckprodukt und damit ein Kunstprodukt ist. Entsprechend behauptet Kant in der ersten Einleitung zur Kritik der Urteilskraft, dass wir die Naturgegenstände, die wir als Zwecke beurteilen, »nach der Analogie mit einer Kunst« (EEKdU, AA XX 201) beurteilen. Unsere Urteilskraft bezeichnet Kant in Bezug hierauf auch als »technisch« (EEKdU, AA XX 201), d. i. wir betrachten diese Gegenstände so, als ob die Natur hier selbst Artefakte hervorgebracht hat. Nun führt Kant aus, dass : »[…] hierin [in dem Begriff des Naturzwecks, K.K.] […] eine Causalität [liegt], dergleichen mit dem bloßen Begriffe einer Natur, ohne ihr einen Zweck unterzulegen, nicht verbunden, aber auch alsdann zwar ohne Widerspruch gedacht aber nicht begriffen werden kann« (KdU, AA V 371). In der Einleitung habe ich bereits betont, dass in der Beurteilung von Naturgegenständen als Kunstprodukte ein Widerspruch liegt, denn Naturprodukte aus den Bewegungskräften materieller Teilchen bzw. entsprechender Gesetze allein erklärt wird (vgl. auch Abschnitt 4.1.2 dieses Kapitels). Welche Bewegungskräfte das dann genau sind, ist damit noch nicht ausgemacht und spielt für Kants Kritik an Epikur an dieser Stelle aber auch keine Rolle. 64 Zu diesem Punkt siehe Abschnitt 4.2.3.

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sind geradezu darüber definiert, keine Kunstprodukte bzw. Artefakte zu sein. Ohne diesen Widerspruch zu Artefakten können wir die in dem Naturzweck enthaltene Kausalität nur denken, wenn wir sie gerade nicht als durch einen subjektiven Zweck geleitet verstehen, wenn wir ihr also keinen durch eine Intention geleiteten Zweck unterlegen. Der in dem Zitat verwendete Zweckbegriff ist dementsprechend einer, der gerade nicht über die Gebundenheit an einen Verstand definiert ist. Der Begriff ›Naturzweck‹ verweist also auf eine Art der Zweckkausalität, die wir bestimmten Gegenständen der Natur zuschreiben, die zwar wie Artefakte wirken, die aber nicht von der subjektiven Repräsentation von Zwecken durch einen Verstand abhängig sind. In diesem Sinne darf der im Zitat verwendete Zweckbegriff nicht intentional verstanden werden. Nur dann ist der Widerspruch zu Artefakten, den Kant in diesen Passagen des § 64 anspricht, verschwunden. Nun zeigt die Tatsache, dass wir den Begriff des Naturzwecks, den Begriff einer nicht-intentionalen Zweckkausalität, haben, dass wir diese Art der Kausalität offensichtlich denken können, doch – so Kants These – können wir sie nicht begreifen. Wir können sie nicht begreifen, weil eine Ausbuchstabierung dessen, was der Naturzweckbegriff impliziert, wiederum zu Widersprüchen führt – was es im Folgenden zu zeigen gilt.65 Im § 65 diskutiert Kant die bestimmtere Herleitung des Naturzweckbegriffs. Dazu hält er zunächst fest, dass seine vorläufige Bestimmung des Naturzweckbegriffs noch zu vage ist : »Nach dem im vorigen § angeführten Charakter muß ein Ding, welches als Naturproduct, doch zugleich nur als Naturzweck möglich erkannt werden soll, sich zu sich selbst wechselseitig als Ursache und Wirkung verhalten, welches ein etwas uneigentlicher und unbestimmter Ausdruck ist, der einer Ableitung von einem bestimmten Begriffe bedarf.« (KdU, AA V 372)

Wie ich in 4.2.2 argumentiert habe, ist die Art der Kausalität, gemäß welcher bestimmte Naturgegenstände eine Art Regelmäßigkeit in ihrer Form aufweisen, eine, in welcher wir den jeweiligen Naturgegenstand als Ursache und Wirkung seiner selbst beobachten. Um diese für uns verständlich zu machen, müssen wir das Ganze begründungslogisch vor den Teilen denken. Nun ist aber die einzige uns bekannte Art der Kausalität, die sowohl eine »abwärts als aufwärts Abhängigkeit bei sich führen würde, in der das Ding, welches einmal als Wirkung bezeichnet ist, dennoch aufwärts den Namen einer Ursache desjenigen 65

Ich lese das oben angegebene Zitat aus dem § 64 also so, dass der Widerspruch, um den es Kant geht, derjenige zu Kunstprodukten ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass nicht-intentionale Zweckkausalität nicht noch in Widerspruch zur Naturkausalität stehen kann. Wie ich zeigen werde, führt letzterer Widerspruch wiederum dazu, dass der Naturzweckbegriff nicht begriffen werden kann.

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Dinges verdient, wovon es Wirkung ist« (KdU, AA V 372), die der Zweckkausalität. Der bestimmte Begriff, von dem wir den noch unbestimmten Ausdruck ableiten müssen, ist also unsere subjektiv-intentionale Art der Zweckkausalität. In dieser ist der Zweck die Ursache desselben Dinges, von dem er die Wirkung ist. Kant illustriert diese Art der Abhängigkeit anhand eines Beispiels : Wir bauen ein Haus zur Einnahme von Miete. Es ist das Haus, welches Ursache der Wirkung, der Mieteinnahmen, ist, aber ebenso ist die subjektive Vorstellung dieser Mieteinnahmen Ursache für das Erbauen des Hauses (vgl. KdU, AA V 372). Die Natur selbst repräsentiert jedoch keine subjektiven Zwecke, noch handelt sie intentional nach Zwecken, daher können wir diese Art der Zweckkausalität nur via Analogie auf die Natur übertragen. Wie bereits in der Anwendung des transzendentalen Prinzips der Zweck­ mäßigkeit handelt es sich also auch bei dieser Analogie, die unsere eigene Zwecktätigkeit zum Ausgangspunkt hat, um eine qualitative, attributive Analogie.66 Auch hier übertragen wir von einem Ding eine Eigenschaft auf ein anderes Ding derselben Gattung. Wir übertragen die Eigenschaft unserer zwecktätigen Vernunft auf eine anders geartete, aber dennoch zwecktätige Vernunft und beurteilen durch diese Übertragung den uns vorliegenden Naturgegenstand. Die drei Elemente der Analogie, im Ausgang derer wir den entsprechenden Naturgegenstand beurteilen, sind also : i) unsere zweckgerichtete Vernunfttätigkeit, ii) ein durch uns geschaffenes Zweckprodukt, d. i. ein Artefakt, iii) eine uns nicht gleichartige, aber in Zwecken tätige Vernunft. Anhand dieser drei Elemente bilden wir die Analogie zu dem uns vorliegenden Naturgegenstand, jedoch mit der Ausnahme, dass auch die Analogie in Bezug auf diesen Gegenstand fehlgeht. Denn der uns vorliegende Gegenstand ist dadurch gekennzeichnet, dass er ein Naturgegenstand ist und kein durch Vernunfttätigkeit realisiertes Artefakt. Er muss dadurch eine Artefakten entgegengesetzte Eigenschaft besitzen – nämlich von selbst entstanden zu sein.67 In dieser Übertragung müssen wir also – im Gegensatz zu unserer Art der Zwecktätigkeit – in einem zweiten Schritt das natürliche Zweckprodukt als Ursache und Wirkung seiner selbst deuten. Dieser zweite Schritt entzieht sich der ursprünglichen Analogie und muss – wie wir sehen werden – durch eine zweite Analogie gebildet werden. Diese Deutung eines Naturprodukts als Ursache und Wirkung seiner selbst, die aus den beiden Analogien hergeleitet wird, ist Kant zufolge die Deutung desselben als Naturzweck (vgl. KdU, AA V 370 f.). Betrachten wir die beiden Schritte, die zur Bildung des Naturzwecks führen, im Folgenden genauer. Vgl. Abschnitt 2.1.3 dieser Arbeit. Ginsborg macht in ihrer Diskussion von Kants Naturzwecklehre diesen Widerspruch zwischen Artefakten und Naturgegenständen zum Verständnis von Organismen produktiv ; vgl. Ginsborg (2015), 256.

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In unserer eigenen Zwecktätigkeit wird ein Zweck dadurch ermöglicht, dass die Teile eines Dinges im Ganzen desselben begründet sind. Das Ganze ist dabei eine subjektive Repräsentation unsererseits. Am Beispiel unserer eigenen Zwecktätigkeit, etwa in der Realisation eines Hauses, können wir uns diese Behauptung schnell verständlich machen. Setzen wir uns den Zweck, ein Haus zu bauen, so ist es diese Vorstellung des Hauses, die die Teile als Teile des Hauses ermöglicht. Denn ein Dach etwa ist nur dann ein Dach, wenn es eine bestimmte Funktion innerhalb dieses Ganzen erfüllt, und dafür muss das Dach bereits in einer Beziehung zu diesem Ganzen, zum Haus, stehen. Auch ist diese Beziehung der Teile auf das Ganze der tatsächlichen Realisation des Ganzen durch die Realisation der Teile vorgängig. So bauen wir nicht erst einfach so ein Dach und denken im nächsten Moment darüber nach, was wir mit diesem Bau eigentlich bezwecken ; vielmehr verhält es sich so, dass wir gar kein Dach bauen würden, stellten wir Steine oder Platten einfach in einer bestimmten Form zueinander, ohne die Vorstellung eines Hauses zu besitzen. In diesem für Kant paradigmatischen Beispiel von Zwecktätigkeit ist das Ganze vor seiner Realisation bereits repräsentativ, nämlich in der Vorstellung eines Subjekts, gegeben und kann daher auch die Existenz der Teile als Teile dieses Ganzen begründen. Dieses Charakteristikum übertragen wir nun in einem ersten Schritt der Zweckdeutung des sich reproduzierenden Naturgegenstands auf denselben : »Zu einem Dinge als Naturzwecke wird nun erstlich erfordert, daß die Theile (ihrem Dasein und der Form nach) nur durch ihre Beziehung auf das Ganze möglich sind. Denn das Ding selbst ist ein Zweck, folglich unter einem Begriffe oder einer Idee befaßt, die alles, was in ihm enthalten sein soll, a priori bestimmen muß.« (KdU, AA V 373)

Ein Naturgegenstand ist jedoch kein Artefakt, das aufgrund der Zwecktätigkeit eines Subjektes geschaffen wurde, sondern er muss gerade im Gegensatz zum Artefakt nur als aus der Bewegung der Materie selbst geschaffen verstanden werden (vgl. KdU, AA V 378). Zum Ende des § 65, der den Schwerpunkt der vorliegenden Analyse bildet, formuliert es Kant noch einmal explizit : Ein Analogieschluss von Naturzweckprodukten zu Artefakten geht fehl, da diese Art der Zweckkausalität die ideelle Repräsentation derselben in einer Vernunft voraussetzt. Naturzwecke müssen aber per se Zwecke sein, die nicht vor ihrer Realisierung ideell repräsentiert werden. Die Zweckkausalität, die wir bestimmten Naturgegenständen unterlegen, kann nicht in der Vorgängigkeit der ideellen Repräsentation vor der Realisierung des Zweckprodukts liegen, da wir den Naturgegenstand als einen Naturgegenstand zu deuten haben. Naturgegenstände als Zweckprodukte können dementsprechend nicht in Analogie zu Artefakten verstanden werden (vgl. KdU, AA V 374). Die Art der Vorgängigkeit des Ganzen

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kann nicht in der Vorstellung eines Subjekts gegeben sein. Deswegen muss ein Naturgegenstand, der als aus Zweckkausalität geschaffen gedacht werden soll, ein weiteres Kriterium erfüllen : »Soll aber ein Ding als Naturproduct in sich selbst und seiner innern Möglichkeit doch eine Beziehung auf Zwecke enthalten, d. i. nur als Naturzweck und ohne die Causalität der Begriffe von vernünftigen Wesen außer ihm möglich sein : so wird zweitens dazu erfordert : daß die Theile desselben sich dadurch zur Einheit eines Ganzen verbinden, daß sie von einander wechselseitig Ursache und Wirkung ihrer Form sind. Denn auf solche Weise ist es allein möglich, daß umgekehrt (wechselseitig) die Idee des Ganzen wiederum die Form und Verbindung aller Theile bestimme […].« (KdU, AA V 373)

Dieser zweite Schritt der Beurteilung des entsprechenden Naturgegenstandes ist nun jedoch nicht mehr aus der ursprünglich angewendeten Analogie zu gewinnen, denn in dieser ist – wie bereits argumentiert – das Zweckprodukt keine Ursache seiner selbst. Im Gegenteil, ein Subjekt stellt dieses Zweckprodukt her. Einen Naturgegenstand, der als Naturzweck gelten soll, müssen wir aber so deuten, dass das Ganze nicht unabhängig von den Teilen bestehen darf, aber auch die Teile weder unabhängig voneinander noch unabhängig vom Ganzen bestehen dürfen. Während unsere Vernunft die Vorstellung des Hauses zunächst unabhängig von dem zu ergreifenden Material zur Realisierung desselben repräsentiert, darf dies bei einem Naturgegenstand, der als Zweckprodukt gelten soll, nicht der Fall sein. Das Ganze muss über das zweckmäßige Verhalten der Teile selbst zustande kommen. Die Teile müssen demnach so gedacht werden, dass sie sich gegenseitig und von sich aus das Ganze reproduzieren, und das Ganze so gedacht werden, dass es erst die Existenz und Stellung der Teile begründet. Welches Element ist hier nun das die Analogiebildung tragende Moment ? Kant diskutiert zum Ende des § 65 außer der Analogie zu Artefakten noch die Analogie zum Leben und er versteht unter »Leben« an dieser Stelle eine Art Beseeltheit.68 Khurana verweist zur Erläuterung dieser Stelle auf Kants Definition von Leben in der Kritik der praktischen Vernunft. Leben bezeichnet Kant dort als die Fähigkeit, sich nach Vorstellungen des Begehrungsvermögens zu bewegen (vgl. KpV, AA V 9 f.). So wie also wir uns gemäß unseren Vorstellungen verhalten können, d. h. diese zu realisieren streben, weil wir denken, dass deren Reali­ sierung uns dienlich ist, so sollen diese natürlichen Objekte sich selbst gemäß einer solchen Fähigkeit organisieren. Schrieben wir Naturzweckprodukten diese Eigenschaft zu und benennten diese Eigenschaft als Grund der Organisiertheit derselben, so schrieben wir der Materie aber eine selbstorganisierende Kraft zu. 68

So auch : Khurana (2017), 95.

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In dem Fall müssten wir jedoch, so Kant, »entweder die Materie als bloße Materie mit einer Eigenschaft (Hylozoism) begaben, die ihrem Wesen widerstreitet ; oder ihr ein fremdartiges mit ihr in Gemeinschaft stehendes Princip (eine Seele) beigesellen« (KdU, AA V 374 f.). Schreiben wir Materie selbst die Eigenschaft der Selbstorganisation zu, dann – so Kant – widerspricht diese Zuschreibung dem, was Materie wesentlich ausmachen soll, nämlich Trägheit.69 Es bleibt noch die Möglichkeit der Annahme, dass der Materie ein weiteres Prinzip hinzukommt, welches im Gegensatz zum Charakter der Materie selbst-organisierende Kraft besitzt. Doch auch in diesem Falle – so Kant – können wir uns diese Möglichkeit nicht erklären. Denn entweder müssten wir in der Beilegung eines solchen Prinzips voraussetzen, dass die Materie bereits organisiert ist, oder dieses Prinzip wiederum als dasjenige verstehen, das die Materie allererst organisiert. Setzten wir die organisierte Materie bereits mit dem Beigesellen dieses Prinzips voraus, so haben wir nichts erklärt. Wir begingen vielmehr eine Petitio Principii. Wenn wir behaupten würden, dass dieses Prinzip die Materie organisiert, so würden wir das Naturprodukt wieder zu einem Artefakt machen (vgl. KdU AA V 375). Dementsprechend geht Kant zufolge auch die Analogie zum Leben im oben verstandenen Sinne fehl.70 Kant schließt daraus, dass wir die spezifische Form dieser Naturgegenstände keiner Analogie zu irgendeinem physischen Vermögen gemäß denken können : »Aber innere Naturvollkommenheit, wie sie diejenigen Dinge besitzen, welche nur als Naturzwecke möglich sind und darum organisirte Wesen heißen, ist nach keiner Analogie irgend eines uns bekannten physischen, d. i. Naturvermögens, ja, da wir selbst zur Natur im weitesten Verstande gehören, selbst nicht einmal durch eine genau angemessene Analogie mit menschlicher Kunst denkbar und erklärlich. Der Begriff eines Dinges, als an sich Naturzwecks, ist also kein constitutiver Begriff des Verstandes oder der Vernunft, kann aber doch ein regulativer Begriff für die reflectirende Urteilskraft sein […], nach einer entfernten Analogie mit unserer Causalität nach Zwecken überhaupt die Nachforschung über Gegenstände dieser Art zu leiten und über ihren obersten Grund nachzudenken […]« (KdU, AA V 375).

Vgl. Abschnitt 4.1.2. Diese Analogie ist zudem problematisch, da die Charakterisierung von Leben als Fähigkeit, sich nach den Gesetzen seines Begehrungsvermögens zu bewegen, impliziert, dass nur Naturgegenstände, die ein Begehrungsvermögen besitzen, lebendige Naturgegenstände sind. Pflanzen, die Kant durch sein Baum-Beispiel paradigmatisch als Gegenstände, die als Naturzwecke beurteilt werden müssen, heranzieht, sind aus dieser Charakterisierung ausgeschlossen. Sie sind Kant zufolge dann gerade nicht lebendig. Gegen diese Sicht argumentiert Nunez (2021).

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Auf die »entfernte Analogie«, die Kant hier im Zitat anspricht, komme ich im Abschnitt 4.3 zu sprechen. Wichtig ist hier jedoch festzuhalten, dass es sich bei dieser entfernten Analogie um keine Analogie zu einem »Naturvermögen« handelt, gemäß der uns der Naturzweckbegriff »erklärlich« wird. Der Naturzweckbegriff bleibt uns unverständlich. 4.2.4 Die mechanische Unerklärbarkeit bestimmter Naturgegenstände Um die von mir gewählte Charakterisierung des Naturzweckbegriffs als ›unverständlich‹ zu plausibilieren, gilt es weitere Differenzierungen vorzunehmen. Zum einen bestreite ich nicht, dass wir ein praktisches Verständnis dieses Begriffs besitzen. Wir verwenden ihn schließlich. Auf dieses praktische Verständnis komme ich im Abschnitt 4.3 zurück. Zum anderen möchte ich festhalten, dass der Begriff nicht unverständlich ist, weil er regulativ ist. Wir kennen viele regulative Begriffe, denen nicht zukommt, dass wir sie nicht begreifen könnten. Ich habe im letzten Abschnitt vielmehr dafür argumentiert, dass wir auf theoretischer Ebene keine Ressourcen haben, den Naturzweckbegriff hinreichend bestimmen zu können. Wir sind in seiner begrifflichen Bestimmung entweder auf die Analogie nach Artefakten zurückgeworfen, deren Fehlgehen ich bereits diskutiert habe, oder wir sprechen der Materie ein ihr widersprechendes Prinzip zu, d. i. selbstorganisierend zu sein, oder wir setzen dieses selbstorganisierende Prinzip bereits voraus und begehen eine Petitio Principii. Dieses Fehlgehen ist Ausdruck dessen, dass Kant zufolge die Konzeption einer objektiven Zweckmäßigkeit der Natur, wie sie im Naturzweckbegriff ausgedrückt wird, im Widerspruch zu der mechanistischen Konzeption der Natur steht. Diese Widersprüchlichkeit ist die tiefere Begründung für den nur regulativen Status des Naturzweckbegriffs. Um zu verstehen, warum genau diese Widersprüchlichkeit zwischen einer objektiven Zweckkonzeption und der mechanistischen Naturkonzeption besteht, gilt es nun, auf die Konzeption des Mechanismus, wie ich sie in 4.1.2 dargelegt habe, zurückzukommen. Materie unterliegt kausalmechanischen Kräften wie etwa der Repulsionsund Attraktionskraft. Aufgrund solcher eine an sich träge Materie bewegenden Kräfte setzen sich Teile zu Ganzen zusammen. Vor dem Hintergrund der in 4.1.2 erläuterten Konzeption eines »Mechanism der Natur« stehen Erklärungen desselben Sachverhalts gemäß kausalmechanischen Prinzipen in zweierlei Hinsicht, in mereologischer und in temporaler, in einem Ausschlussverhältnis zu Erklärungen desselben Sachverhalts gemäß Zweckmäßigkeitsprinzipien.71 71

In der Forschungsliteratur besteht eine Debatte darüber, ob Zweckerklärungen in der drit-

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Der mereologische Einwand richtet sich gegen die Vorstellung, dass reale Ganze eine begründende Funktion für die Existenz der Teile haben können. Denn auf Grundlage kausalmechanischer Strukturen der Wirklichkeit entsteht das Ganze aus der Zusammensetzung der Teile. Die Eigenschaften des Ganzen gründen dabei in den Eigenschaften der Materieteile, die dieses Ganze formen. Durch bestimmte Kräfte, wie bei Kant vor allem durch die Repulsions- und Attraktionskraft, werden Materieteile so bewegt, dass sich materielle Körper (Ganze) formieren.72 Mechanische Erklärungen sind dementsprechend reduktionistisch ; das Ganze wird durch die Reduktion auf die Teile und deren Eigenschaften erklärt. In der Zweckkausalität verläuft die logische Beziehung – wie ich herausgearbeitet habe – in die entgegengesetzte Richtung. Das Ganze ist begründend für die Teile. In der Zweckdeutung der spezifischen Regelmäßigkeit von bestimmten Naturgegenständen beurteilen wir etwa die Existenz des Herzens als in dem Ganzen begründet. Das Herz existiert, weil es Blut pumpt. Das Blut Pumpen wiederum sorgt für den Erhalt des Ganzen. Wir ziehen zur Deutung der Existenz und Funktion des Herzens das Ganze heran. Es handelt sich bei Zweck­ erklärungen in diesem Sinne um holistische Erklärungen. Unter der Annahme der Existenz objektiver Zweckmäßigkeit – so der Einwand – müssen wir dann aber davon ausgehen, dass reale Ganze die Teile kon­ sti­tuieren. Dies widerspricht jedoch der kausalmechanischen Grundlage materieller Objekte, denn in dieser ist die Fundierungsrichtung entgegengesetzt. Da auch Naturgegenstände, die wir als Naturzwecke beurteilen, materielle Objekte sind, kann ihre Konstitution nicht zugleich kausalmechanischen und zweckkausalen Strukturen unterliegen. Dementsprechend schließen sich Zweckerklärungen, die von bestimmten Naturgegenständen als realen Zwecken ausgehen, und mechanische Erklärungen aus. ten Kritik deswegen problematisch sind, weil sie die mereologische Begründungsfolge umdrehen oder weil sie die Zeitfolge verkehren. Wie wir bereits gesehen haben, argumentieren etwa McLaughlin und Ginsborg dafür, dass kausalmechanische Prinzipien die räumlichen Verhältnisse der Materie betreffen. Dementsprechend handelt es sich ihrer Lesart zufolge bei dem Widerspruch zwischen dem kausalmechanischen Prinzip und der Annahme einer objektiven Zweckmäßigkeit um ein mereologisches Problem. Vgl. McLaughlin (1989), 137 ff. Oder auch : McLaughlin (2014b). Ginsborg (2004), 47. Kreines, Illetterati und Brandt dagegen sehen die Problematik um Zweckerklärungen in der zeitlichen Verkehrung liegen. Siehe : Kreines (2005), 284 ff. Brandt (2018), 43. Illetterati (2014), 85. Wie ich jedoch in Abschnitt 4.1.2 herausgearbeitet habe, denke ich, dass objektive Zweckerklärungen der Natur sowohl in mereologischer als auch in temporaler Hinsicht problematisch sind, insofern es Kant in der dritten Kritik um die Kausalbeziehungen geht, die materielle Veränderungen in der Natur räumlich und zeitlich bestimmen. In ihrer Monographie argumentiert auch Zuckert dafür, dass objektive Zweckerklärungen Kant zufolge beide Problematiken hervorrufen müssen ; vgl. Zuckert (2017b), 275 f. 72 Vgl. Abschnitt 4.1.2 dieser Arbeit.

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Der temporale Einwand, der auch als der backward-causation-Einwand bekannt ist, funktioniert wie folgt : Die durch das mechanische Kausalprinzip etablierte Kausalverbindung ist eine »Verknüpfung, die eine Reihe (von Ursachen und Wirkungen) ausmacht, welche immer abwärts geht« (KdU, AA V 372). Es handelt sich also um eine lineare Abfolge von Ursache-Wirkungs-Ketten. Objektive Zweckerklärungen in der Natur verkehren nun diese bereits etablierten Ursache-Wirkungs-Ketten. Denn eine objektive Zweckkausalität würde »sowohl abwärts als aufwärts Abhängigkeit bei sich führen« (KdU, AA V 372). Die Wirkung wird dadurch in Zweckerklärungen zur Ursache erklärt, denn das »wozu« des In-Bewegung-Setzens von etwas stellt die Ursache des In-Bewegung-Setzens und gleichzeitig das Ziel dar, d. i. die Wirkung, die erreicht werden soll. Das im Bereich der Natur geltende Kausalprinzip ist also eines, welches in einer einseitigen Abhängigkeit der Wirkung von der Ursache besteht in dem Sinne, dass es ohne Ursache keine Wirkung gäbe und die Wirkung aber nicht wiederum Einfluss auf die Ursache nehmen kann. So gibt es zum Beispiel Gebirge (das Ganze) nicht, wenn nicht zuvor Überschiebungen der Erdplatten zum Auffalten des Gesteins (die Teile) beigetragen hätten. Im Gegensatz dazu besteht die Abhängigkeit in der Zweckkausalität in beide Richtungen, sodass es ohne Wirkung auch keine Ursache gäbe. Wir schreiben in Zweckbeurteilungen den Teilen, wie etwa den Blättern eines Baumes, eine Existenz zu, weil sie zweckmäßig, d. i. zum Erhalt des Baumes notwendig sind. Die eigentliche Wirkung, das Wachsen der Blätter, müssen wir in diesem Fall so deuten, dass es bereits eine kausale Rolle spielt, bevor die Blätter tatsächlich existieren. Dementsprechend müssen wir sie so deuten, dass ein zukünftiges Ereignis die Gegenwart kausal beeinflussen würde ; d. i. die Wirkung würde das Wachsen der Blätter veranlassen. Das Kausalprinzip wäre auf diese Weise ausgehebelt. Erklärungen der Existenz von Gegenständen anhand der Konzeption objektiver Zweckmäßigkeit stehen also in einem Widerspruch zu kausalmechanischen Erklärungen der Existenz von Gegenständen. Der Begriff des Naturzwecks bzw. das sich in ihm ausdrückende Prinzip innerer Zweckmäßigkeit kann demnach ein nur subjektives, regulatives Prinzip zur Deutung bestimmter Naturgegenstände sein. Im Gegensatz zu anderen regulativen Begriffen erweist sich der Naturzweckbegriff jedoch als unverständlich, weil er mit anderen Kausalprinzipien, die der Natur zukommen, nicht kompatibel ist. Der Begriff Gott etwa ist dagegen ein regulativer Begriff, aber nicht unverständlich. Er kann prinzipiell so ausbuchstabiert werden, dass er mit kausalmechanischen Prinzipien, die die Natur kon­ stituieren, kompatibel ist. Der Begriff ›Gott‹ unterscheidet sich vom Naturzweckbegriff darin, dass er grundsätzlich kein Begriff ist, der sich auf den Bereich der Erfahrung bezieht. Denn der Begriff ›Gott‹ ist ein der Erfahrung transzendenter Begriff. Zum anderen leiten wir diesen Begriff auch nicht aufgrund empirischer

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Veranlassung her. Wir haben klar formulierte Regeln der Anwendung dieses Begriffs, die ausschließen, dass sich der Begriff Gott auf Naturgegenstände anwenden lässt. Wendet man den Begriff ›Gott‹ doch auf empirische Gegenstände an, so ist dies ein Mangel an unserer kognitiven Fähigkeit, d. i. an Urteilskraft. Im Gegensatz dazu ist die Herleitung des Naturzweckbegriffs empirisch veranlasst : Es gibt ganz spezifische Naturgegenstände, bei denen wir nicht umhinkommen, sie mit diesem Begriff zu charakterisieren. Wir wenden diesen Begriff also auf bestimmte Naturgegenstände an. Wir können aber nicht ausbuchstabieren, in welchem Sinne wir diesen Begriff verwenden, weil wir ihn nicht widerspruchsfrei analog zu einem Naturvermögen begreifen können, da sich die der Natur zukommenden Kausalprinzipien mit dem Naturzweckbegriff als nicht kompatibel erweisen. Hierbei handelt es sich also nicht um einen Mangel an Urteilskraft. Es gibt vielmehr keine mit anderen Naturprinzipien konsistent formulierbare Regel der Anwendbarkeit dieses Begriffs auf die Natur und hierin liegt die Unverständlichkeit. Wir besitzen also keine Ressourcen, uns den Naturzweckbegriff zur Genüge verständlich zu machen. Wir wissen nicht, welche Form eine theoretische Beschreibung der Konstitution dieser Naturgegenstände annehmen müsste. Aus diesem Grund kann auch Ginsborgs Lesart, die diesen Naturgegenständen eine ›thin normativity‹ zuschreibt, nicht überzeugen. Denn wie ich im Folgenden darlegen möchte, geht ihre Lesart an dem eigentlichen Problem, das Kant im § 65 aufmacht, vorbei. Ihrer Lesart zufolge betrachten wir die als Naturzweck beurteilten Naturgegenstände als unter bestimmten normativen Regeln stehend, die sie in ihrer Konzeption der ›thin normativity‹ fasst. Im letzten Kapitel habe ich ihren Begriff der ›thin normativity‹ übernommen, aber bereits dort aufgezeigt, dass er an die regulative Idee eines Verstandes gebunden werden muss. Wenn wir diesen Begriff – gemäß meinem Vorschlag – aber als von dieser regulativen Idee abgeleitet verstehen müssen, dann hilft er uns an dieser Stelle nicht weiter, da wir die den Naturgegenständen zugeschriebene Zweckmäßigkeit als eine verstehen müssen, die nicht von einem Verstand abgeleitet wird. Um des Arguments von Ginsborg willen möchte ich hier dennoch ihre Konzeption einer ›thin normativity‹ aufgreifen. Ihrer Konzeption der ›thin normativity‹ gemäß betrachten wir die als Naturzweck beurteilten Naturgegenstände als »subject to normative standards or constraints«.73 Und dies leitet Ginsborg von der Art und Weise her, in welcher Artefakte als Zweckprodukte unter normativen Bedingungen stehen. So wie wir also etwa von einem Stuhl sagen können, dass es ein guter oder schlechter Stuhl ist, dass der Stuhl also so ist, wie er sein soll, oder auch nicht ist, wie er sein soll, so betrachten wir in der Zweckbeurtei73

Ginsborg (2015), 276.

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lung auch die entsprechenden Naturgegenstände unter gewissen, ihrer jeweiligen Art entsprechenden Normen stehend : »We regard an eye as a purpose because we take it that it ought to be constituted in such a way as to make sight possible : more specifically, that it ought to have a lens which refracts light in such-an-such a way, that it ought to adjust to different levels of illumination, and so on«.74

Ich möchte nun nicht in Abrede stellen, dass es diese Art der normativen Rede in der Biologie und im Alltag gibt und dass sich diese auch aus Kants Zweckmäßigkeitskonzeption herleiten lässt. Ich denke aber, dass Ginsborg mit ihrer Konzeption an dem vorbeigeht, was teleologische Aussagen Kant zufolge beinhalten. Denn wenn die Überlegungen der Abschnitte 4.2.1 und 4.2.2 korrekt sind, dann sind teleologische Aussagen (wenn auch nur subjektiv-regulative) Aussagen über die Existenz von Gegenständen. Dies stellt Ginsborg aber mit ihrer Konzeption der ›thin normativity‹ in Abrede. Ihr zufolge betrachten wir diese normativen Bedingungen nicht »as playing a causal role in the organism’s coming to be«.75 Aussagen gemäß einer solchen ›thin normativity‹ »do not imply any commitment to the view that organisms are the product of design, or, for that matter, to any other view about how organisms came into existence«.76 Dies verträgt sich jedoch nicht mit der textuellen Evidenz. So hält Kant Beurteilungen innerer Zweckmäßigkeit offensichtlich für Beurteilungen, die die Existenz eines Gegenstandes betreffen ; ein Herz etwa existiert, weil es die Funktion hat, Blut zu pumpen. Dass Beurteilungen innerer Zweckmäßigkeit Beurteilungen über die Erzeugung bestimmter Naturgegenstände sind, rechtfertigt auch erst die Antinomie der teleologischen Urteilskraft. So leitet Kant diese mit folgenden Worten ein : »Aber daß respektiv auf unser Erkenntnißvermögen der bloße Mechanism der Natur für die Erzeugung organisirter Wesen auch keinen Erklärungsgrund abgeben könne, ist ebenso unzweifelhaft gewiß. Für die reflectirende Urtheilskraft ist also das ein ganz richtiger Grundsatz : daß für die so offenbare Verknüpfung der Dinge nach Endursachen eine vom Mechanism unterschiedene Causalität, nämlich einer nach Zwecken handelnden (verständigen) Weltursache gedacht werden müsse ; so übereilt und unerweislich er auch für die bestimmende sein würde.« (KdU, AA V 389)

Ginsborg (2015), 276. Ginsborg (2015), 277. 76 Ginsborg (2015), 278. 74

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Und er schreibt an späterer Stelle : »Mit dem Begriffe eines Naturzwecks verhält es sich zwar eben so, was die Ursache der Möglichkeit eines solchen Prädicats betrifft, die nur in der Idee liegen kann ; aber die ihr gemäße Folge (das Product selbst) ist doch in der Natur gegeben, und der Begriff einer Causalität der letzteren [der Natur, K.K.], als eines nach Zwecken handelnden Wesens, scheint die Idee des Naturzwecks zu einem konstitutiven Prinzip desselben [des Produkts K.K.] zu machen : und darin hat sie etwas von allen andern Ideen Unterscheidendes.« (KdU, AA V 405)

Ich sehe nicht, wie Ginsborg mit der so verstandenen Konzeption der ›thin normativity‹ begründen kann, warum überhaupt der Schein des Naturzwecks als konstitutives Prinzip Kant zufolge besteht. Sowohl diese Textstellen als auch die Darlegung der Herleitung des Begriffs des Naturzwecks haben ergeben, dass wir anhand der Beurteilung von Naturgegenständen als Naturzwecke Aussagen über die Existenz dieser Gegenstände vornehmen. Die Unerklärlichkeit des Naturzwecks, die Kant ebenfalls postuliert, folgt daraus, dass Beurteilungen innerer Zweckmäßigkeit den Anspruch auf eine Erklärung der Existenz des entsprechenden Naturgegenstandes erheben. Dass Ginsborgs Begriff der ›thin normativity‹ keine Implikationen darüber tragen soll, woher diese Normativität stammt, lässt den Status dieser normativen Zuschreibungen, die wir ihr zufolge an als Naturzweck beurteilten Naturgegenständen vornehmen, im Unklaren. So bleibt es auch in ihren Überlegungen unklar, ob diese Art der damit angesprochenen Normativität tatsächlich den Naturgegenständen selbst zukommt oder nur die Art und Weise ist, wie wir diese Gegenstände beurteilen.77 Kommen wir nun auf meine Lesart der kantischen Naturzwecklehre zurück. Vor dem Hintergrund meiner Erläuterungen ist noch nicht klar, ob diese Naturgegenstände selbst prinzipiell kausalmechanisch unerklärbar sind oder sie dies nur insofern sind, als wir sie als Naturzwecke beurteilen müssen, weil uns noch keine gute kausalmechanische Erklärung zur Verfügung steht.78 Schließlich beziehen sich die beiden genannten Einwände auf objektive Zweckerklärungen in der Natur und nicht auf die Naturgegenstände per se ; wir wissen vielmehr nicht, wie sie objektiv zu beurteilen sind. Könnte es also nicht doch auch der Fall sein, dass wir irgendwann kausalmechanische Erklärungen dieser Naturgegenstände Diesen Einwand der Unklarheit des Status der ›thin normativity‹ formuliert auch Goy ; vgl. Goy (2017), 217. 78 Kreines etwa scheint Kant so zu lesen, dass es Kant zufolge nicht ausgeschlossen ist, dass diese Naturgegenstände doch eines Tages für uns erklärbar sein könnten. Denn das Ziel, sie doch irgendwann vollständig kausalmechanisch erklären zu können, ist Kreines zufolge nur »perhaps unreachable« ; Kreines (2005), 290. 77

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liefern können und die kausalmechanische Unerklärbarkeit nur eine punktuelle ist ? Während man zu Beginn der Analytik der teleologischen Urteilskraft noch denken könnte, dass Kant es offenlässt, ob diese Naturgegenstände jemals vollständig kausalmechanisch erklärbar sind oder nicht, bezieht Kant jedoch im weiteren Verlauf der Analytik sowie in der Dialektik der teleologischen Urteilskraft hierzu eindeutig Stellung. So schreibt er bereits kurz nach seiner Herleitung des Naturzwecks : »Es mag immer sein, daß z. B. in einem thierischen Körper manche Theile als Concretionen nach bloß mechanischen Gesetzen begriffen werden könnten (als Häute, Knochen, Haare). Doch muß die Ursache, welche die dazu schickliche Materie herbeischafft, diese so modificirt, formt, und an ihren gehörigen Stellen absetzt, immer teleologisch beurtheilt werden, so daß alles in ihm als organisirt betrachtet werden muß, und alles auch in gewisser Beziehung auf das Ding selbst wiederum Organ ist.« (KdU, AA V 377, m. Herv.)

Kant schließt hier nicht aus, dass wir zu weiteren kausalmechanischen Erklärungen dieser entsprechenden Naturgegenstände, tierischer Körper, gelangen können. Doch – so deute ich Kant hier – geschieht die kausalmechanische Beurteilung dieser Naturgegenstände immer unter Voraussetzung der teleologischen Beurteilung derselben. Insofern diese Naturgegenstände Naturgegenstände sind und also aus Materie bestehen, können wir in ihnen ablaufende Prozesse auch kausalmechanisch erforschen und erklären. Die spezifische Form dieser Naturgegenstände müssen wir dabei jedoch immer voraussetzen. Wir können diese Naturgegenstände als die Naturgegenstände, die sie sind, nicht kausalmechanisch erklären. So drückt sich Kant in der Dialektik der teleologischen Urteilskraft expliziter aus : »Es ist nämlich ganz gewiß, daß wir die organisirten Wesen und deren innere Möglichkeit nach bloß mechanischen Principien der Natur nicht einmal zureichend kennen lernen, viel weniger uns erklären können ; und zwar so gewiß, daß man dreist sagen kann : es ist für Menschen ungereimt, auch nur einen solchen Anschlag zu fassen, oder zu hoffen, daß noch etwa dereinst ein Newton aufstehen könne, der auch nur die Erzeugung eines Grashalms nach Naturgesetzen, die keine Absicht geordnet hat, begreiflich machen werde ; sondern man muß diese Einsicht den Menschen schlechterdings absprechen. Daß dann aber auch in der Natur, wenn wir bis zum Princip derselben in der Specification ihrer allgemeinen uns bekannten Gesetze durchdringen könnten, ein hinreichender Grund der Möglichkeit organisirter Wesen, ohne ihrer Erzeugung eine Absicht unterzulegen (also im bloßen Mechanism derselben), gar nicht verborgen liegen könne, das wäre

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wiederum von uns zu vermessen geurtheilt ; denn woher wollen wir das wissen ? Wahrscheinlichkeiten fallen hier ganz weg, wo es auf die Urtheile der reinen Vernunft ankommt.« (KdU, AA V 400)

Kants These lautet also hier : Auch wenn wir alle in diesen Naturgegenständen ablaufenden Prozesse kausalmechanisch erklärt hätten, so würden wir doch niemals die spezifische Form79 derselben erklären können. Doch ist Kant zu dieser These eigentlich berechtigt ? Gibt es gewichtige Gründe für die These der prinzipiellen Unerklärbarkeit dieser Naturgegenstände ? Nun, ein wichtiger Grund für die These, dass diese Naturgegenstände kausalmechanisch unerklärbar sein müssen, ist ein moralischer ; er betrifft die Verwirklichung moralischer und damit freier Handlungen in dieser Natur. Denn erst die Zweckbeurteilung bestimmter Naturgegenstände bringt Zweckprinzipien in die Natur hinein. Die in der Kritik der reinen Vernunft bestimmte Natur ist eine nach kausalmechanischen Gesetzen ablaufende. Alles Geschehen in ihr ist kausalursächlich determiniert. Die Kritik der reinen Vernunft hat zwar die Möglichkeit von Freiheit aufgezeigt, aber nicht deren Wirklichkeit. Soll aber eine Verwirklichung von freien Handlungen in der Natur möglich sein, dann muss die Natur zumindest auch so gedacht werden können, dass wir selbst, als Naturwesen, Zweckkausalität in dieser verwirklichen können. Dafür muss die Natur aber selbst Zweckprinzipien zugänglich sein. Erst die Einführung von Zweckprinzipien in die Natur erlaubt es uns also, die Natur so zu denken, dass die Verwirklichung von Freiheit in ihr prinzipiell möglich ist : »[D]ie Natur muß folglich auch so gedacht werden können, daß die Gesetzmäßigkeit ihrer Form wenigstens zur Möglichkeit der in ihr zu bewirkenden Zwecke nach Freiheitsgesetzen zusammenstimme« (KdU, AA V 176).80 Eine rein subjektiv-heuristische Lesart der Notwendigkeit der Anwendung des Naturzweckbegriffs, gemäß der wir auf diesen Begriff bei genügend wissenschaftlichem Fortschritt irgendwann verzichten können, wäre also verheerend für das hier kurz skizzierte moralische Argument. Dieses moralische Argument unterstreicht die Notwendigkeit der Annahme der prinzipiellen kausalmechanischen Unerklärbarkeit dieser Naturgegenstände Wie erläutert, ist es die Form, die diese Naturgegenstände hervorbringt. ›Erzeugung‹ und ›Form‹ dieser Naturgegenstände sind dementsprechend nicht unabhängig voneinander zu denken. 80 Vgl. auch die §§ 83 u. 84, in welchen Kant darlegt, dass wir auf Grundlage der Einführung der Teleologie in die Natur die Natur so zu denken vermögen, dass die Schaffung einer menschlichen Kultur ihr letzter Zweck ist, der dem Endzweck der moralischen Entwicklung des Menschen dient. Zu einer tieferen Untersuchung des problematischen Zusammenhangs von Naturkausalität und Kausalität aus Freiheit bei Kant, siehe : Khurana (2017), 137– 274. 79

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sowie ihrer Zweckbetrachtung, doch aus dieser Annahme folgt nicht, dass diese Naturgegenstände tatsächlich kausalmechanisch unerklärbar sind.81 Können wir dieses praktische Argument also noch mit einem theoretischen unterfüttern ? Zunächst gilt es festzuhalten, dass aus der mechanischen Unerklärbarkeit bestimmter Naturgegenstände allein nicht folgt, dass diese Naturgegenstände gemäß dem Prinzip der inneren Zweckmäßigkeit als Naturzwecke zu beurteilen sind. Die Zweckkausalität ist zwar die einzig andere Art der Kausalität, die wir kennen, doch allein dieser Grund berechtigt uns nicht dazu, diese andere Art der Kausalität auf die in Frage stehenden Naturgegenstände anzuwenden. Denn es kann viele Dinge geben, die für uns mechanisch unerklärbar sein können, weil wir nicht alle empirischen Kausalgesetze kennen. Dennoch beurteilen wir Kant zufolge andere Naturgegenstände, zum Beispiel Gebirge etc., nicht selbst als Zweckprodukte. Sind uns bestimmte Naturgegenstände insofern zufällig gegeben, als sie kausalmechanisch nicht erklärt werden können, bedeutet dies deswegen noch nicht, dass sie zweckkausal beschrieben werden müssen. Wir bilden zwar zum Zweck der empirischen Forschung teleologische Hilfsannahmen. Diese sind jedoch auf die Art und Weise der Einrichtung der Natur, d. i. auf die Art und Weise des Zusammenstimmens empirischer Kausalgesetze, bezogen und nicht auf die Konstitution der Naturgegenstände selbst. Durch Hilfsannahmen wie »Die Natur macht keine Sprünge« stellen wir Hypothesen auf, die sich auf weitere empirische Kausalgesetze beziehen, die als Erklärung für das in Frage stehende Naturphänomen herangezogen werden könnten. Teleologische Prinzipien sind in diesem Sinne Hilfsannahmen für das weitere Auffinden empirischer Kausalgesetze, deren Gesetzmäßigkeit sich selbst jedoch nicht auf eine zweckkausale bezieht. Die unter Zuhilfenahme teleologischer Prinzipien neu aufgefundenen empirischen Kausalgesetze geben dann mechanische Erklärungen des Ausgangsphänomens. Teleologische Prinzipien helfen uns in solchen Fällen, neue kausalmechanische Gesetze aufzufinden oder bereits bestehende zu verknüpfen. Bei bestimmten Naturgegenständen werden wir dagegen zu einer teleologischen Erklärung ihrer Konstitution veranlasst. Kants These ist, dass wir diese Naturgegenstände selbst als Zwecke deuten. Hier wenden wir das Zweckmäßig81

McLaughlin zufolge ist es theoretisch nicht unmöglich, eine mechanistische Erklärung eines Naturzwecks zu liefern, sollte sich herausstellen, dass es diese tatsächlich gibt. Praktisch jedoch sei es »so gut wie ausgeschlossen« (McLaughlin (1989), 143). Er verweist auf das soeben angegebene Zitat, dem zufolge es laut Kant niemals einen »Newton des Grashalms« geben würde. Ich denke dagegen, dass es bereits unmöglich ist, die Gegenstände, auf die sich unsere Naturzweckbeurteilung bezieht, kausalmechanisch zu erklären ; sie bleiben allein durch kausalmechanische Erklärungen unterbestimmt. Die praktisch-moralischen Implikationen der Naturzwecklehre zieht McLaughlin gar nicht in Betracht.

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keitsprinzip auf das Objekt selbst an und dies unterscheidet diese Anwendung von Zweckmäßigkeitsprinzipien von der Anwendung des transzendentalen Prinzips der Zweckmäßigkeit der Natur. Ich möchte darauf hinaus, dass dieser Unterschied zeigt, dass sich der unmittelbare Schluss von der mechanischen Unerklärbarkeit bestimmter Naturgegenstände auf die Möglichkeit einer zweckmäßigen Beurteilung derselben als ein non sequitur erweist.82 Es ist nicht so, dass wir alle Naturgegenstände, die wir kausalmechanisch nicht oder noch nicht erklären können, als zweckkausal konstituiert deuten. Die Naturgegenstände, die wir als zweckkausal konstituiert ansehen, müssen folglich selbst Charakteristika aufweisen, die uns zu einer Zweckbeurteilung derselben veranlassen. In Rückgriff auf Kants Kritik an Epikur müssen wir hier konstatieren, dass wir Kant zufolge sonst noch nicht einmal den Schein in unseren teleologischen Urteilen erklären können, wenn diese Naturgegenstände für uns im Prinzip tatsächlich kausalmechanisch erklärbar wären. Wir hätten dann keine Erklärung dafür, warum wir überhaupt zu teleologischen Urteilen veranlasst werden. Nun kann aber – wie wir sahen – der Zweckbegriff diesen Naturgegenständen nicht objektiv zukommen. Schließlich sind diese Naturgegenstände als Naturgegenstände Gegenstände in Raum und Zeit ; eine objektive Zweckbeurteilung derselben würde ihnen dies unter den von Kant gegebenen Voraussetzungen aber absprechen. Das, was uns zur Zweckkausalität veranlasst, kann daher von uns gar nicht positiv bestimmt werden : »Denn wenn die teleologische Verknüpfung der Ursachen und Wirkungen zur Möglichkeit eines solchen Gegenstandes für die Urtheilskraft ganz unentbehrlich ist, selbst um diese nur am Leitfaden der Erfahrung zu studieren ; wenn für äußere Gegenstände als Erscheinungen ein sich auf Zwecke beziehender hinreichender Grund gar nicht angetroffen werden kann, sondern dieser, der auch in der Natur liegt, doch nur im übersinnlichen Substrat derselben gesucht werden muß, von welchem uns aber alle mögliche Einsicht abgeschnitten ist : so ist es uns schlechterdings unmöglich, aus der Natur selbst hergenommene Erklärungsgründe für Zweckverbindungen zu schöpfen […]« (KdU, AA V 409 f.)

Uns ist es nicht möglich herauszufinden, welche positiven Charakteristika der Struktur, die Grund dieser Naturgegenstände und unserer Zweckbeurteilung derselben ist, zugeschrieben werden müssen. Sie liegen in einem für uns nicht erkennbaren »übersinnlichen Substrat«. Eine positive Unterfütterung der These der kausalmechanischen Unerklärbarkeit dieser Naturgegenstände kann es Kant zufolge daher nicht geben. Das, 82

Siehe auch Ginsborg (2015), 255.

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was uns zu Zweckbeurteilungen veranlasst, ist damit vielmehr eine Art Irritation unsererseits, die daraus entsteht, dass wir mit unseren kausalmechanischen Prinzipien nicht zu befriedigenden Erklärungen der Existenz und Form dieser Naturgegenstände gelangen. Eine Einsicht in die tatsächliche kausale Struktur dieser Naturgegenstände bleibt uns aber verwehrt. Kant kann uns also kein positives ausformuliertes Argument für die kausalmechanische Unerklärbarkeit der Struktur, die diese Naturgegenstände ausdrücken, liefern. Er bleibt in dieser Hinsicht agnostisch. Dies mag unbefriedigend bleiben ; im Rahmen seines Programms ist es aber plausibel, an dieser Stelle auf die Grenzen unserer epistemischen Fähigkeiten zu insistieren. 4.3 Die Unabdingbarkeit der Teleologie in der kantischen Naturkonzeption Der letzte Abschnitt bleibt in seinen Resultaten durchweg negativ. In diesem Abschnitt gilt es daher nach den positiven Resultaten der Herleitung und Anwendung des Naturzweckbegriffs zu fragen. Dabei werde ich von der – im letzten Abschnitt bereits erwähnten – moralisch-praktischen Relevanz der Herleitung und Anwendung dieses Begriffs absehen und allein die Relevanz für die von mir diskutierte Problemlage behandeln, die die Bedeutung der Einführung des Naturzweckbegriffs für unser Bild der Natur und die Erkennbarkeit der systematischen Ordnung der Natur betrifft. Ich werde zum einen dafür argumentieren, dass wir in der Beurteilung bestimmter Naturgegenstände als Naturzwecke die Natur in bestimmten ihrer Gegenstände als selbst auf vernünftigen Strukturen gegründet beurteilen. Wir verstehen die Natur in diesem Sinne so, als gebe sie selbst uns einen Hinweis auf das Zusammenstimmen der durch unseren Erkenntnisapparat vorgeschriebenen Ordnung mit der Ordnung der Natur. Zum anderen werde ich – entgegen etwa Lesarten von McLaughlin und Kreines – dafür argumentieren, dass es erst die Zweckbeurteilung dieser Gegenstände ist, die zu der Beurteilung derselben als organisierte und sich organisierende Wesen, d. i. zur Beurteilung derselben als Organismen, führt. Dies bedeutet erstens, dass wir diese Naturgegenstände erst aufgrund der Beurteilung derselben als Zwecke als Organismen bezeichnen, und zweitens bedeutet dies, dass wir erst mit der Einführung von Zweckbeurteilungen in die Natur zwischen organischen und anorganischen Gegenständen zu unterscheiden vermögen.

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4.3.1 Die Analogie zu der Vernunftidee der systematischen Einheit Kommen wir auf das analogietragende Element der zweiten Analogie in der Herleitung des Naturzweckbegriffs zurück, nach dem ich im letzten Abschnitt gefragt habe. Ich habe noch nicht alle Aspekte von Kants Argumentation behandelt. Denn Kant behauptet zwar, dass diese an bestimmten Naturgegenständen beobachtbare Kausalität nichts »Analogisches mit irgend einer Causalität [hat], die wir kennen«, dennoch greifen wir aber Kant zufolge in der Bildung des Naturzweckbegriffs auf eine »entfernte[…] Analogie mit unserer Causalität nach Zwecken überhaupt« (KdU, AA V 375) zurück.83 Auf den ersten Blick ist dies eine irritierende Wendung, denn wenn die beobachtbare Kausalität nichts Analogisches mit irgendeiner anderen uns bekannten Kausalität hat, ist vollkommen unklar, inwiefern wir überhaupt eine Analogie mit unserer Kausalität nach Zwecken zu ziehen imstande sind. Ich denke, dass wir hier für Entwirrung sorgen können, wenn wir »Kausalität« im ersteren Zitat allein auf die Naturkausalität und auf unsere eigene technische Kausalität in der Herstellung von Artefakten oder in der Realisierung bestimmter Zwecke beziehen. Denn diese waren in der Beurteilung von Naturgegenständen die zunächst naheliegendsten, da es um die Beurteilung von Gegenständen geht, die einerseits natürlich sind, andererseits aber Zweckprodukte zu sein scheinen, und die Zweckprodukte, die wir als aus Naturprodukten hergestellt kennen, Artefakte sind. Da stellt sich nun die Frage, welche Art der »Kausalität nach Zwecken überhaupt« in dem letzteren Zitat gemeint ist. Ich denke, dass Kant in dem Vorlegen des zweiten Kriteriums, welches zur Beurteilung von Naturgegenständen als Naturzwecke erfüllt sein muss, nicht ohne Zufall den Terminus »Idee« und nicht den Terminus »Begriff« verwendet.84 Denn ein solches wechselseitiges Bestimmen des Ganzen und der Teile, wie beim Naturzweckbegriff gefordert, liegt in der Realisierung von Begriffen nicht vor. Vielmehr bestimmen wir Anschauungen entweder a priori begrifflich und diese entsprechen demgemäß dem, was wir zuvor begrifflich in dieselben hineingelegt haben, oder wir bestimmen Anschauungen, indem wir empirische Begriffe anhand der uns gegebenen Eigenschaften eines Gegenstandes bilden. Diese beiden Charakteristika der Verwendung von Begriffen treffen nun aber nicht auf die »Ideen« zu. Eine Idee zeichnet sich dadurch aus, dass sie alle Erfahrung übersteigt und sich doch zumindest in dem Sinne auf die Erfahrungs Die in diesem Teil ausgeführte Analogie führt jedoch keineswegs dazu, dass uns der Naturzweckbegriff verständlicher wird. Denn die in dem Begriff liegende Inkonsistenz bleibt dennoch bestehen ; zu einem Naturvermögen gibt es keine konsistente Herleitung dieses Begriffs. Ich denke jedoch, dass dies uns nicht daran hindern muss, diesem Begriff eine praktische Funktion zu geben. 84 Vgl. das zweite Kriterium, wie es in Abschnitt 4.2.3 vorgestellt wurde. 83

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gegenstände bezieht, als eine Idee eine Vorstellung der höchsten Einheit von Verstandeserkenntnissen ist.85 Weder ist also ein konstitutiver Bezug a priori auf Erfahrungsgegenstände möglich noch eine Herleitung von Ideen aus der empirisch gegebenen Anschauung. Doch hat eine Idee als höchste Einheit aller Verstandeserkenntnisse einen indirekten Bezug auf die Gegenstände der Erfahrung und diesen haben wir bereits im letzten Kapitel diskutiert. Im regulativen Gebrauch unserer Vernunftideen erweisen diese sich als notwendig zur inferentiellen, systematischen Verknüpfung unserer Verstandeserkenntnisse. Und hier ist es eine Idee, die die Form und den Zweck des Ganzen vorstellt, auf den sich alle Teile des Ganzen beziehen : die Idee der systematischen Einheit selbst. Ich habe im letzten Kapitel dafür argumentiert, dass sich diese Idee dadurch auszeichnet, dass sie ein Ganzes vorstellt, in welchem die Form aller Teile unter sich systematisch festgelegt ist ; in welchem die Teile auf dieses Ganze hin organisiert sind. Da diese Idee jedoch aufgrund ihrer Transzendenz nur ein Fluchtpunkt bleibt und wir niemals die systematische Einheit aller Verstandeserkenntnisse selbst zu erkennen vermögen, können wir uns dieser Idee nur Schritt für Schritt durch wissenschaftliches Forschen annähern und ihr – das war das Ergebnis des zweiten Teils des letzten Kapitels  – mit Hilfe unserer reflektierenden Urteilskraft empirischen Inhalt geben. Dies bedeutet, dass diese Idee durch jede neue Verstandeserkenntnis, die in Orientierung an dieser Idee in die bereits vorhandenen Verstandeserkenntnisse durch unsere Vernunft eingeordnet wird, konkreter bestimmt wird. Hier haben wir die Vorstellung eines Ganzen gewonnen, welches seine Teile a priori bestimmt und in der die Teile jedoch auch die Vorstellung des Ganzen bestimmen. Es ist unsere Vernunft, die die Idee der systematischen Einheit erzeugt, und es ist unsere Vernunft, die diese Einheit durch das inferentielle Verknüpfen unserer Verstandeserkenntnisse konkreter zu bestimmen versucht. Da auch der zu beurteilende Naturgegenstand so verstanden werden muss, dass das Ganze und die Teile sich wechselseitig bestimmen, zeigt er damit Charakteristika, die unsere Vernunft wesentlich ausmacht. Aus dem letzten Kapitel ergab sich nun mit Blick auf die systematischen­ Gesichtspunkte folgendes Verhältnis zwischen Systematizitäts- und Zweck­ mäßig­keitsprinzip : Durch Anwendung des transzendentalen Prinzips der Zweck­ mäßigkeit der Natur stellen wir eine Einheit in der Natur her, die an den Sys­te­ matizitätsprinzipien und damit in letzter Konsequenz an der unsere Vernunft wesentlich ausmachenden Idee der systematischen Einheit orientiert ist. Die zu erstrebende Vernunfteinheit in der Natur bleibt jedoch eine regulative Idee und ist niemals in der Natur realisiert. Und im Anschluss an diese Überlegungen können wir nun folgenden Schluss ziehen : In der Beurteilung bestimmter Naturgegenstände als Naturzwecke fallen das Systematizitäts- und das Zweck85

Vgl. dazu auch die Ausführungen in Abschnitt 3.2.1.1 dieser Arbeit.

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mäßigkeitsprinzip in diesem Naturgegenstand zusammen. Denn in der Beurteilung bestimmter Naturgegenstände als Naturzwecke unterlegen wir diesen Naturgegenständen eine Vernunftidee. Der entsprechende Naturgegenstand erhält damit selbst den Charakter eines Systems. Die Beurteilung eines solchen Naturgegenstandes als Naturzweck ist so nicht nur die Darstellung einer objektiven Zweckmäßigkeit in der Natur (vgl. KdU, AA V 192 f.), sondern auch Ausdruck der die Vernunft wesentlich ausmachenden Idee in der Natur. Ebenso wie also das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur unserer reflektierenden Urteilskraft an der Idee der systematischen Einheit orientiert ist, so ist auch das Prinzip innerer Zweckmäßigkeit unserer teleologischen Urteilskraft an dieser Vernunftidee orientiert, nur dass es in diesem Fall der Gegenstand selbst ist, der Charakteristika zeigt, die mit unserer eigenen Vernunfttätigkeit übereinstimmen. So schreibt Kant denn auch : »[…] [W]enn bereits empirische Begriffe und eben solche Gesetze, gemäß dem Mechanism der Natur gegeben sind und die Urtheilskraft vergleicht einen solchen Verstandesbegrif mit der Vernunft und ihrem Princip der Möglichkeit eines Systems, so ist, wenn diese Form [eines Systems, K.K.] an dem Gegenstande angetroffen wird, die Zweckmäßigkeit objectiv beurtheilt und das Ding heißt ein Naturzweck […].« (EEKdU, AA XX 221)

Es ist also die unsere Vernunft selbst wesentlich ausmachende Idee der systematischen Einheit, die wir dem Naturgegenstand unterlegen, der als Naturzweck beurteilt werden muss.86 Bevor ich im nächsten Abschnitt auf die Herleitung des Organismusbegriffs aus dem Naturzweckbegriff eingehe, gilt es an dieser Stelle auf zwei Ansätze in der Forschungsliteratur zu antworten, die auch den Analogieaspekt zu unserer Vernunft zum Fokus ihrer Auseinandersetzungen mit Kants Naturzwecklehre machen. Breitenbach und Khurana fokussieren beide auf die Analogie, die wir in Anbetracht entsprechender Naturgegenstände ziehen, und deuten sie als eine Analogie, die zu unserem praktischen Vernunftvermögen gezogen wird. So schreibt Breitenbach, dass die Analogie »zwischen Organismus und unserer Kausalität nach Zwecken […] als Illustration des Organismus durch die zwecktätig handelnde Vernunft selbst verstanden werden [könnte]«87, womit sie die praktische Vernunft meint. Sie sucht diese These zunächst zu plausibilisieren, indem sie Zuckert formuliert in diesem Sinne : »Our teleological judgment of them [organisms, K.K.] is a microsocm of what full systematic knowledge would accomplish, namely, the fully articulated knowledge of all aspects of objects, down to all their most particular characteristics (even if this fully systematic knowledge would not, itself, necessarily take teleological form).« (Zuckert (2017b), 274.) 87 Breitenbach (2009), 81. 86

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aufzeigt, inwiefern diese Analogie in Kants Darstellung des gesamten Vernunftvermögens gegründet ist. Khurana stimmt mit Breitenbach in diesem Punkt überein.88 Tatsächlich gibt der Text eine solche Deutung der Analogie zwischen praktischer Vernunft und entsprechendem Naturgegenstand her. So referiert Kant auf unser praktisches Vernunftvermögen, »mit welchem wir die Ursache jener Zweckmäßigkeit [der entsprechenden Naturgegenstände, K.K.] in Analogie« (KdU, AA V 375) betrachten. Dennoch verweist Kant zu Beginn der entsprechenden Textstelle auf eine Analogie »mit unserer Causalität nach Zwecken überhaupt« (KdU, AA V 375, m. Herv.). Dass nun aber auch unsere theoretische Vernunft in einem gewissen Sinne als zweckgeleitet und mit der Idee der systematischen Einheit auch als zwecksetzend verstanden werden muss, habe ich im letzten Kapitel ausführlich dargelegt. Und für die Analogie zu unserem theoretischen Vernunftvermögen spricht, dass wir diese Naturgegenstände als Systeme beurteilen. Die hierzu erforderliche Vorstellung eines Systems ist – wie wir sahen – in der Idee der systematischen Einheit begründet. Lässt sich nun aber die Analogie als eine mit unserer Kausalität nach Zwecken überhaupt verstehen, so schließen sich beide Deutungen nicht aus. Einerseits muss sie als eine Analogie zu unserem theoretischen Vernunftvermögen gedeutet werden, um die Vorstellung des Systemcharakters zu gewinnen und diese auf die entsprechenden Naturgegenstände zu übertragen. Andererseits liegt in diesem Systemcharakter jedoch bereits die Vorstellung der Selbstbestimmung, die auch für unsere praktische Vernunft wesentlich ist. Denn es ist unsere Vernunft, die die Idee der systematischen Einheit erzeugt und somit ein organisiertes Ganzes vorstellt. Diesem Ganzen gibt sie selbst Gehalt, indem sie sich selbst organisiert, durch das Verknüpfen bereits gemachter Verstandeserkenntnisse. Auch die Analogie zu unserem praktischen Vernunftvermögen liegt so nahe. 4.3.2 Die Gewinnung des Begriffs des Organismus aus dem Naturzweckbegriff Fassen wir die bisherigen Ergebnisse zusammen : In der Erfahrung bestimmter Naturgegenstände sehen wir uns veranlasst, dieselben als Ursache und Wirkung ihrer selbst zu beurteilen. Einen Naturgegenstand als Ursache und Wirkung seiner selbst zu deuten, bedeutet, ihm die die Vernunft wesentlich ausmachende Idee der systematischen Einheit zu unterlegen. Wie ich nun im Folgenden zeigen werde, bedeutet einen Naturgegenstand als System zu verstehen nichts anderes, 88

Vgl. Khurana (2017), 96 f. Khurana behauptet jedoch, dass Kant dann auf die ArtefakteAnalogie zurückfällt. Diesen Punkt greife ich im Abschnitt 8.3.1 wieder auf.

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als ihn als organisiertes und sich organisierendes Wesen zu verstehen. Einen Naturgegenstand als sich organisierendes und organisiertes Wesen zu verstehen bedeutet wiederum, es als Organismus zu verstehen.89 Denn nur über den Naturzweckbegriff – so die nun folgende Argumentation – erfassen wir solche Naturgegenstände als organisierte und sich organisierende Wesen und damit die spezifischen Charakteristika, die den Organismusbegriff als solchen ausmachen. Die These, dass wir die spezifischen Charakteristika des Organismusbegriffs, seine Organisiertheit und seine Selbstorganisation, erst über den Naturzweckbegriff erfassen und wir diese Vorstellung also nicht irgendwo anders hernehmen können, lässt sich aus dem in diesem Kapitel Dargelegten in drei Schritten herausarbeiten. In einem ersten Schritt gilt es festzuhalten, dass Kant zufolge die Verhaltensweise von bestimmten Naturgegenständen – Ursache und Wirkung ihrer selbst zu sein – unter kausalmechanischen Gesetzen allein kontingente Zusammenstellungen sind. Denn Ausgangspunkt von Kants Überlegungen zur teleologischen Beurteilung bestimmter Gegenstände der Natur war, dass wir die Gesetzmäßigkeit, die wir an bestimmten Gegenständen beobachten, auf Grundlage rein kausalmechanischer Gesetze nicht erklären können. Nun könnte es sein, dass sich Teile aufgrund bestimmter Druck- und Stoßverhältnisse zufällig so zu einem Ganzen formen, dass diese eine Einheit ergeben, die zufällig zweckmäßig wäre, doch wäre sie – wie wir sahen – niemals innerlich zweckmäßig und damit niemals als systematisch oder organisiert zu begreifen. Unter rein kausalmechanischen Gesetzmäßigkeiten bleibt diese Einheit ein durch externe Bewegungskräfte der Materie zusammengehaltenes Aggregat. Der zweite Schritt besteht in der Heranziehung des Zweckbegriffs zur Erklärung der Verhaltensweise bestimmter Naturgegenstände. Denn die einzige uns mögliche Deutung dieser Gegenstände bzw. des von ihnen beobachteten Kausalverhaltens besteht darin, dass wir dem Ganzen begründungslogische Priorität über die Teile geben. Und Zweckkausalität ist die einzige Kausalität, die wir denken können, gemäß welcher das Ganze Priorität über die Teile hat. Einen Naturgegenstand aber als Zweck zu beurteilen, bedeutet – wie wir im letzten Abschnitt sahen – , ihn als organisiert zu beurteilen. Die Vorstellung der Vorgängigkeit des Ganzen erlaubt die Vorstellung der Organisiertheit der Teile, denn 89

Der Organismusbegriff wurde im 18. Jahrhundert verwendet, um eine spezifische Ordnungsform zu bezeichnen, die auf Pflanzen, Tiere oder gar das Weltganze angewendet wurde. Zwar wurde der Organismusbegriff Ende des 18. Jahrhunderts eine generische Bezeichnung für lebendige Wesen, jedoch erst um 1830 hat er Bezeichnungen wie ›organisierte Wesen‹ in der Biologie ersetzt. Vgl. Cheung (2006). Kant spricht demgemäß noch von organisierten und sich organisierenden Wesen. Der Sache nach entwickelt er hier jedoch den Organismusbegriff.

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sie begründet diese Organisiertheit. So ist – wie wir im Hausbeispiel sahen – ein Dach nur aufgrund seines Bezugs zum Ganzen, zum Haus, ein Dach. Es hat diese schützende Funktion, die es hat, aufgrund seines logischen Bezugs zum Ganzen, dem Haus. Auch die Existenz von Häusern ist dementsprechend nicht allein kausalmechanisch erklärbar. Ihnen geht eine Zweckvorstellung, ein Ganzes, zur Realisation derselben voraus, welches die Organisiertheit von Artefakten erklärt.90 Diese übertragen wir auf die in Frage stehenden Naturgegenstände mit dem Unterschied, dass wir im Falle von Artefakten wissen, dass die Organisiertheit in einem Zweck gründet, während wir im Falle der Naturgegenstände diese nur so beurteilen, als ob sie zweckmäßig und dementsprechend organisiert seien. Die Vorstellung dieses organisierenden Moments der Teile kommt also in die Beurteilung dieser Gegenstände als Zweck erst hinein. Der dritte Schritt besteht in der Einsicht, dass wir auf vorherige Weise allein diese bestimmten Naturgegenstände nicht kohärent deuten können, denn Naturgegenstände sind keine Artefakte. Wir müssen sie daher so deuten, dass sie organisiert sind aufgrund einer Fähigkeit, die wir ihnen zuschreiben, d. i. aufgrund der Fähigkeit, sich selbst zu organisieren. Maschinen bzw. Artefakte verfehlen gerade den Charakter der Selbstorganisation, den wir in der Deutung dieser Naturgegenstände als Naturgegenstände brauchen. Die bestimmten Naturgegenständen zukommende Ursache-Wirkungs-Kausalität muss also so gedacht werden, dass diese sich von selbst zu einem Ganzen organisieren, damit diese Gegenstände noch als Naturgegenstände gedacht werden können. Dies kann begrifflich nicht allein über das Charakteristikum der Vorgängigkeit des Ganzen zu den Teilen eingefangen werden, sondern die Teile müssen im Gegensatz zu Artefakten so gedacht werden, dass sie sich zu dem Ganzen von selbst formen. Wir deuten daher das Kausalverhalten dieser Naturgegenstände im Gegensatz zu unorganisierter Materie sowie auch im Gegensatz zu organisierter Materie durch die Anwendung des Naturzweckbegriffs als einen organisierten und sich selbstorganisierenden Gegenstand (vgl. KdU AA V 375 f.). An dieser Stelle kommt die Analogie zu unserer »Kausalität nach Zwecken überhaupt« ins Spiel. In der Beurteilung dieser Gegenstände als organisierte und selbstorganisierende Wesen bilden wir eine Analogie zu unserer eigenen Kausalität nach 90

In diesem Sinne argumentiert Ginsborg dafür, dass wir in der dritten Kritik zwei Arten mechanischer Unerklärbarkeit finden. Wir können weder Artefakte noch Organismen allein auf Grundlage kausalmechanischer Gesetze erläutern, weil wir mit Hilfe dieser nicht den »composite character« von Artefakten und Organismen erklären können ; vgl. Ginsborg (2004), 44. Der oft bemühte Gegensatz zwischen Organismus oder Artefakt (Maschine), gemäß welchem Organismen deswegen nicht mechanisch erklärt werden können, weil ihnen andere Merkmale zukommen als Maschinen, basiert auf der falschen Voraussetzung, dass Maschinen selbst vollständig mechanisch erklärt werden können. Der Gegensatz zwischen Organismus und Maschine stellt sich aber als ein Gegensatz heraus, der in die Teleologie selbst fällt. Vgl. Ginsborg (2004), 46.

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Zwecken, indem wir dem Naturgegenstand eine Idee unterlegen. Einen Naturgegenstand anhand dieser Analogie als organisiert und selbstorganisierend zu begreifen, heißt nun aber nichts anderes, als ihn als Organismus zu begreifen.91 Mit dieser Lesart widerspreche ich Positionen wie der von McLaughlin, die ich kurz aufgreifen möchte, um die Konsequenzen meiner Lesart explizit herauszustellen. McLaughlin zufolge hat der Organismusbegriff objektive Realität. Organismen sind demgemäß »Gegenstände der Erfahrung«92. Der Begriff ›Organismus‹ ist also dieser Lesart gemäß ein empirischer Begriff, der sich auf einen anschaulich erfahrbaren Gegenstand bezieht. Kants Ausführungen über den Naturzweck, der dagegen ein subjektiv und kein objektiv gültiger Begriff ist, beziehen sich daher nur insoweit auf Organismen, als diese als Naturzweck gedacht werden müssen. Laut McLaughlin hat der Begriff des Naturzwecks »objektive Realität nur dann, wenn es Gegenstände der Erfahrung gibt, die Naturprodukte sind und nur gedacht werden können, als ob sie von einem Verstand mit Absicht gemacht worden sein«.93 Ob Organismen aber dem Naturzweckbegriff entsprechen, werden wir McLaughlin zufolge nie wissen können.94 Ich habe dagegen in diesem Kapitel verständlich zu machen versucht, dass der Organismusbegriff ein A-priori-Begriff ist ; ein Begriff, der durch A-prioriPrinzipien per Analogien erschlossen wird. Wir würden diese bestimmten Naturgegenstände, um die es uns geht, demnach gar nicht als Organismen bezeichnen, wenn wir den Begriff des Naturzwecks nicht hätten. Das bedeutet auch, dass wir erst aufgrund der Naturzweck-Beurteilung von Naturgegenständen einen Unterschied zwischen anorganischen und organischen materiellen Körpern ziehen können. Ich schreibe so der Teleologie gemäß dieser Lesart eine erkenntnistheoretische Relevanz und Bedeutung zu, die weit über eine nur heuristi Weitere Plausibilität für die hier vorgeschlagene Lesart liefert das opus postumum. Dort beschäftigt sich Kant explizit mit der in der Kritik der Urteilskraft vernachlässigten Einführung des Organismusbegriffs. Emundts hebt in diesem Sinne hervor, dass Kant dort den Organismusbegriff über die »Analogie zum Menschen unter dem Aspekt der Erfahrung der Zweckmäßigkeit des eigenen Körpers entwickelt« (Emundts (2001), 512). 92 McLaughlin (1989), 43. 93 McLaughlin (1989), 44. 94 Diese Lesart verfolgt auch Kreines. Auch Kreines argumentiert dafür, dass wir niemals wissen können, ob Organismen Naturzwecke sind und dass die Schwierigkeiten, die mit der Einführung der Teleologie in die Natur einhergehen, wie zum Beispiel das Problem der backward-causation, nur den Naturzweckbegriff betreffen und nicht lebendige Individuen als solche ; vgl. Kreines (2005), 284 u. 288. Ich dagegen argumentiere dafür, dass wir vor dem Hintergrund des von Kant in der ersten Kritik und auch in den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft etablierten Bildes der Natur ohne die Anwendung des Naturzweckbegriffs diese Naturgegenstände nicht als Organismen beurteilen würden. Die Problematik, die mit Zweckbeurteilungen in die Natur einhergeht, erstreckt sich so zwar weiter, aber dennoch auch nur so weit, wie wir bestimmte Naturgegenstände als Naturzwecke und damit als Organismen beurteilen müssen. 91

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sche Funktion derselben hinausgeht. Die teleologische Beurteilung der Natur ist mit unserem Verständnis der Natur und damit, insofern wir selbst Naturgegenstände sind, auch mit unserem eigenen Selbstverständnis verbunden. Im Folgenden werde ich noch auf zwei mögliche Einwände eingehen, die zu diskutieren ich an dieser Stelle für sinnvoll halte, da ihre Diskussion die hier eingenommene Position zu verdeutlichen vermag. Ein Einwand gegen diese Interpretation könnte darin bestehen, die exegetische Plausibilität dieser Interpretation zu hinterfragen ; schließlich äußert sich Kant so deutlich zu diesen Begriffsverhältnissen in §§ 64 und 65 nicht. Und tatsächlich gibt die diskutierte Textgrundlage die hier vertretene These nicht eindeutig her, insofern Kant sie nicht explizit ausgearbeitet hat. Die Textgrundlage der dritten Kritik widerspricht der hier vertretenen These jedoch auch nicht. Stellen wie »[e]in organisirtes Product der Natur ist das, in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist« (KdU, AA V 376), oder »[o]rganisirte Wesen sind also die einzigen in der Natur, welche […] doch nur als Zwecke derselben möglich gedacht werden müssen« (KdU, AA V 375), drücken zumindest nicht explizit etwas über die begrifflichen Abhängigkeitsverhältnisse aus. In der Dia­lektik der teleologischen Urteilskraft jedoch ist Kant deutlicher über das begriffliche Abhängigkeitsverhältnis : So sei »selbst der Gedanke von ihnen [den entsprechenden Naturgegenständen, K.K.] als organisirten Dingen, ohne den Gedanken einer Erzeugung mit Absicht damit zu verbinden, unmöglich« (KdU, AA V 398). Und in der zwei Jahre vor der Kritik der Urteilskraft erschienenen Schrift Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie formuliert Kant in demselben Sinne : »[D]er Begriff eines organisierten Wesens [führe] es schon bei sich […], daß es eine Materie sei, in der alles wechselseitig als Zweck und Mittel auf einander in Beziehung steht« (ÜGTP, AA VIII 179). Der Begriff eines organisierten Wesens ist, »daß es ein materielles Wesen sei, welches nur durch die Beziehung alles dessen, was in ihm enthalten ist, auf einander als Zweck und Mittel möglich ist […]. Eine Grundkraft, durch die eine Organisation gewirkt würde, muß also als eine nach Zwecken wirkende Ursache gedacht werden und zwar so, daß diese Zwecke der Möglichkeit der Wirkung zum Grunde gelegt werden müssen.« (ÜGTP, AA VIII 181)

Aus diesen Textstellen geht hervor, dass wir Kant zufolge erst den Begriff eines Zweckes in der Natur benötigen, um daraufhin etwas in der Natur als organisiert und sich organisierend denken zu können. Es ist also nicht so, dass uns zunächst organisierte und sich selbst organisierende Naturgegenstände begegnen, sondern wir beurteilen bestimmte Naturgegenstände aufgrund ihres kausalen Verhaltens als organisiert und sich organisierend, nachdem wir sie als Natur-

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zweck beurteilt haben. Wir gewinnen also den Begriff der Selbstorganisation nicht aus der Natur, sondern es handelt sich vielmehr um einen Begriff, den wir gewissen Naturgegenständen in Analogie zu unserem Vernunftvermögen unterlegen – wenn auch nur in regulativer Weise. Dennoch bleibt es dabei, dass er diese begrifflichen Zusammenhänge in der Kritik der Urteilskraft selbst nicht ausgearbeitet hat. Eine andere Sorge könnte sich auf die hier vertretene Argumentation selbst beziehen : Setzt meine Lesart nicht die Selbstorganisation gewisser Naturgegenstände, die ich in einem teleologischen Prinzip, dem des Naturzwecks, gegründet sehe, voraus ? Schließlich muss uns doch erst etwas zu teleologischen Beurteilungen gewisser Naturgegenstände veranlassen und was sollte dies anderes sein als die Selbstorganisation, die wir an ihnen beobachten ? Diese Frage lässt jedoch außer Acht, dass wir den eigentlichen Grund der Veranlassung der teleologischen Beurteilung bestimmter Naturgegenstände nicht positiv erfassen können. Er bleibt für uns unbestimmbar. Auf Grundlage des kantischen Naturbildes können wir Naturgegenstände nur dann selbstorganisiert denken, wenn wir sie zweckkausal denken. Der Standpunkt, den wir zur Deutung dieser Gegenstände einnehmen und aufgrund dessen wir sie als auf eine bestimmte Weise beschaffen ausweisen, ist demnach einer, gemäß welchem wir per Analogie von unserer eigenen Besonderheit auf die Besonderheit dieser Naturgegenstände schließen. Eine jede positive Zuschreibung, die wir in Bezug auf diese Gegenstände vornehmen, ist dann bereits eine Interpretation derselben. Die Selbstorganisation dieser Gegenstände entpuppt sich damit bereits als eine Zuschreibung unsererseits. Ich denke also, dass es gute Gründe dafür gibt, Kant folgende Position zuzuschreiben : Wir werden durch bestimmte Naturgegenstände dazu veranlasst, den Naturzweckbegriff zu bilden. In der Anwendung des Naturzweckbegriffs beurteilen wir diese Naturgegenstände als organisierte und sich selbst organisierende Wesen und damit erst als Organismen. Den Unterschied von anorganischer und organischer Materie können wir erst nach dieser Zweckanwendung ziehen. Wir deuten diesen Naturgegenstand dabei in Analogie zur Tätigkeit unseres eigenen Vernunftvermögens, zu unserer eigenen Kausalität nach Zwecken überhaupt. Wir beurteilen damit in dieser Analogie die Kausalität, die wir an uns erfahren, als diejenige, die in diesen Naturgegenständen wirken soll. Da der Naturzweckbegriff jedoch selbst ein »Hilfsbegriff« unsererseits ist, aber letztlich keine Form von Kausalität darstellt, die wir als objektiv gegeben kennen, können wir diese Art der Kausalität nicht weiter einsehen und keine Erklärung der Existenz und Funktionsweise dieser Naturgegenstände liefern. Wie diese Naturgegenstände als diese Naturgegenstände letztlich zu erklären sind – hierin bleibt Kant agnostisch. Dass aber in einer kausalmechanisch strukturierten Natur diese – wenn auch sehr entfernte – Analogie überhaupt möglich

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ist und dass wir berechtigt darin sind, diese Analogie zu bilden, können wir als – wenn auch nur subjektiven – Nachweis werten, dass wir in die Natur passen, insofern wir die Natur so deuten dürfen, dass sie selbst Vernunftstrukturen hervorbringt, die den unseren entsprechen.

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5. Die Grenzen des Mechanismus

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egels Auseinandersetzung mit Zweckmäßigkeitsstrukturen beginnt in der Wissenschaft der Logik mit dem Abschnitt zur Objektivität. Zunächst steht dabei insbesondere das Verhältnis von Mechanismus und Zweckmäßigkeit zur Debatte. Diese Debatte ist eingebettet in die Thematik rund um die Fragestellung nach der Rolle dieser Arten von Kausalität1 bei der Konstitution von Objekten. Durch mechanische Verhältnisse konstituierte Objekte bilden dabei den Ausgangspunkt von Hegels Überlegungen ; durch zweckmäßige Verhältnisse konstituierte Objekte bilden ihren Endpunkt. Bemerkenswert ist nun, dass Hegel sowohl dem Mechanismus Realität zuspricht als auch der Teleologie. Den Begriff der ›Teleologie‹ reserviert Hegel dabei für die Art von Zweckkausalität, gemäß der dieselbe an denkende, intentional agierende Subjekte gebunden ist2 ; Zwecke werden zunächst subjektiv repräsentiert, um dann von diesen Subjekten objektiv realisiert werden zu können.3 Unter dem Begriff ›Mechanismus‹ hingegen fasst Hegel blinde Abläufe von Ursacheund Wirkungsprozessen. Nun ist weder auf den ersten Blick deutlich, inwiefern beiden Arten von Kausalität Realität zugeschrieben werden kann, noch ist deutlich, in welchem Verhältnis Mechanismus und Teleologie eigentlich stehen. In der Philosophiegeschichte hat sich um das Verhältnis von Mechanismus und Teleologie eine Diskussion entfacht, auf die Hegel im Objektivitätskapitel zumindest indirekt Bezug nimmt.4 Die These einer blinden, kausalmechanisch strukturierten Wirklichkeit schließt nämlich zum einen diejenige aus, gemäß Ich fasse »Kausalität« hier im weiten Sinne und verstehe unter diesem Begriff sowohl das, was Hegel im engeren Sinne als Kausalität fasst, seine Analyse einer einfachen UrsacheWirkungs-Beziehung, wie es in der Wesenslogik geschieht, als auch den Mechanismus, den Chemismus und Zweckkausalität. Die Begriffe »Kausalität«/»kausal« verwende ich im Folgenden immer in diesem weiten Sinne, wenn nicht anders gekennzeichnet. 2 Dieser Teleologiebegriff führt zu der Vorstellung eines intentional handelnden Schöpfergottes. Diese steht jedoch insofern nicht im Vordergrund von Hegels Teleologieanalyse, als seine Analyse dieser Teleologiekonzeption für ein jedes Subjekt, welches subjektive Zwecke zu realisieren anstrebt, gelten muss. Allein in seiner Rezeption der vormaligen Metaphysik steht die Vorstellung eines Schöpfergottes zunächst im Vordergrund. Siehe dazu auch Abschnitt 5.1.1. 3 Philosophiehistorisch ergibt diese Zuordnung Sinn. So stammt der Begriff »Teleologie« von Wolff, der genau diese Form der Zweckmäßigkeit unter diesem Begriff verstanden wissen wollte. Die Zwecke, die die Teleologie Wolff zufolge untersucht, sind von einem Subjekt, in diesem Fall von Gott, gesetzte. Siehe dazu auch Schmid (2011), 6. 4 Ich komme auf Hegels Bezugnahme zu dieser Debatte in 5.1.1 zurück. 1

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der in dieser Wirklichkeit auch teleologische Verhältnisse im Sinne Zwecke setzender Subjekte5 existieren. Denn mit ersterer These geht der Anspruch auf kausale Geschlossenheit einher : Es gibt keine kausalen Lücken. Oder – wie es Hegel selbst formuliert – Mechanismus und Teleologie stehen sich gegenüber (vgl. GW 12, 154). Dennoch behauptet Hegel auch, dass beide Arten von Kausalität Strukturen einer Wirklichkeit darstellen ; beide Arten von Kausalität sind für die Konstitution von Objekten unabdingbar. Die These der Existenz beider Formen von Kausalität als Strukturen einer Wirklichkeit ist damit erklärungsbedürftig. Als Lösung dieser Schwierigkeit präsentiert Hegel nun die These, gemäß der der Teleologie gegenüber dem Mechanismus Priorität bei der Objektkonstitution einzuräumen ist. Hegel zufolge soll sich die Teleologie als die Wahrheit des Mechanismus erweisen (vgl. GW 12, 154). Nun ist diese These jedoch keineswegs in sich verständlich und damit auch selbst erklärungsbedürftig. Denn die Thesen Hegels von der Kulmination des Mechanismus in der Teleologie und von der Vorrangstellung der Teleologie gegenüber dem Mechanismus verleiten dazu, diese als Ausgangspunkt einer Lesart zu wählen, gemäß der Hegel ein teleologisches Weltbild zuzuschreiben und ihm die These einer sich zweckmäßig entwickelnden Wirklichkeit beizulegen ist.6 Doch gilt es, die These der Wahrheit der Teleologie gegenüber dem Mechanismus mit Vorsicht zu genießen. Denn versteht man sie so, dass mechanische Verhältnisse sich immer schon – aus welchen Gründen auch immer – zu teleologischen Verhältnissen entwickeln, so ist es um die These, die Hegel klarerweise auch vertritt, d. i. diejenige, dass es den Mechanismus gibt, schlecht bestellt. Denn mit der Konzeption des Mechanismus, die Hegel im Objektivitätskapitel anführt, geht der Gedanke eines durchgängig blinden Naturmechanismus einher. Mechanische Verhältnisse finden dieser Konzeption entsprechend nicht zugunsten irgendwelcher zu realisierenden Zwecke statt. In diesem Sinne konfligieren denn auch mit der Lesart, gemäß der Hegel eine sich in Zwecken entwickelnde Wirklichkeit zugeschrieben wird, weite Teile von Hegels Naturphilosophie. In dieser spricht vieles dafür, die Natur als eine durch Kausalgesetze rein mathematisch zu erklärende zu deuten, in der natürliche Prozesse gerade nicht auf ein Ziel hin ausgerichtet sind, sondern ›blind‹ und insofern kausal geschlossen ablaufen.7 Die These einer blinden, kausalmechanisch strukturierten Wirklichkeit steht auch in Konflikt zu einer natürlichen Zweckmäßigkeit, die unter dem Titel des Prinzips innerer Zweckmäßigkeit ausbuchstabiert wird. Der Konzeption innerer Zweckmäßigkeit wende ich mich jedoch erst im nächsten, im sechsten Kapitel, zu. Zum Verhältnis von Mechanismus und innerer Zweckmäßigkeit siehe insbesondere das achte Kapitel, Abschnitt 8.2. 6 In diesem Sinne scheint Moyar zu behaupten, dass der Mechanismus »prototeleologisch« verstanden werden müsse ; vgl. Moyar (2018), 648. 7 Siehe dazu etwa Untersuchungen von Rand und Pinkard, die Hegel auf Grundlage seiner Naturphilosophie eine teleologische Wirklichkeitssicht absprechen ; Rand (2017), 383. Pinkard (2012), 17–23, bes. 22 f. 5

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Es ist vor diesem Hintergrund, dass sich die bereits angeführte Frage stellt, inwiefern Hegel einerseits die These der Existenz eines blinden, in sich kausal geschlossenen Naturmechanismus vertreten kann und andererseits nicht nur daran festhalten kann, dass es Teleologie gebe, sondern zugleich die Behauptung aufstellen kann, dass dieser eine Vorrangstellung gegenüber dem Mechanismus zukommt. Unterläuft also die These der Priorität der Teleologie gegenüber dem Mechanismus nicht diejenige der Wirklichkeit8 des Mechanismus ? Ich werde in diesem Kapitel dafür argumentieren, dass Hegel den Mechanismus und die Teleologie insofern für kompatibel hält, als sie sich jeweils auf verschiedene Aspekte der Objektbestimmung beziehen. So ist es mechanischen Verhältnissen eigentümlich, sich an Objekten zu vollziehen. Sie bestimmen diese Objekte nur äußerlich und setzen sie zu ihrem eigenen Ablauf voraus. Dementsprechend können wir in kausalmechanischen Erklärungen weder die spezifische Form noch die Natur einzelner Objekte verstehen. Zweckverhältnisse dagegen bestimmen das, was einzelne Objekte sind. Sie sind Bedingung für die Individuierung von Objekten. Bei teleologischen Objekten, d. i. Artefakten, ist dies insofern offensichtlich, als diese Objekte aus mechanischen Objekten allererst zu zweckmäßigen Objekten zusammengesetzt werden, und zwar von Subjekten. Mechanische Objekte sind nun gerade keine zweckmäßigen Objekte, dennoch hängt – wie zu zeigen ist – auch die Individuierung mechanischer Objekte vom teleologischen Zugriff auf dieselben ab. Meiner Lesart zufolge liegt hierin die Vorrangstellung begründet, die Hegel der Teleologie gegenüber dem Mechanismus zuspricht. Der Gewinn dieser hier vorgeschlagenen Lesart liegt darin, dass sie einerseits die Kompatibilität von Mechanismus und Teleologie aufzeigen kann, indem sie beide Kausalitätsformen als unterschiedliche Aspekte der Wirklichkeit bestimmend ausweist, und dass sie andererseits die Vorrangstellung der Teleologie begründen kann, ohne den Mechanismus ontologisch zu unterminieren. Zur Begründung dieser Thesen werde ich wie folgt vorgehen : Im ersten Teil dieses Kapitels werde ich zur ersten Kontextualisierung zunächst Hegels Bezugnahme auf die in der Philosophiegeschichte geführte Debatte zum Thema von Mechanismus und Teleologie skizzieren (5.1.1). Zur weiteren Kontextualisierung werde ich daraufhin auf Kants Teleologiekonzeption, die auch im Hintergrund der hegelschen Überlegungen steht, Bezug nehmen (5.1.2). Sodann werde ich im nächsten Teil dieses Kapitels die für mein Begründungsziel einschlägigen Punkte der Struktur des Mechanismus herausarbeiten. Mechanische Strukturen 8

Den Ausdruck ›x ist wirklich‹ verwende ich synonym mit dem Ausdruck »x ist der Fall«. Wenn ich also im Fließtext Ausdrücke wie ›die Wirklichkeit des Mechanismus‹ verwende oder auch im nächsten Kapitel von der ›Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit‹ spreche, meine ich damit dementsprechend, dass der Mechanismus respektive innere Zweckmäßigkeit der Fall ist bzw. dass es den Mechanismus respektive innere Zweckmäßigkeit gibt.

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sind wesentlich nach dem Ursache-Wirkungs-Prinzip funktionierende Strukturen, daher gilt es, auf Hegels Analyse der Ursache-Wirkungs-Beziehung einzugehen (5.2.1). Daraufhin werde ich das begriffliche Verhältnis der UrsacheWirkungs-Beziehung zum Mechanismus freilegen und die Eigentümlichkeit des Mechanismus herausarbeiten (5.2.2). Schließlich gilt es herauszustellen, inwiefern zur Individuierung einzelner mechanischer Objekte ein teleologischer Zugriff auf dieselben vorausgesetzt werden muss (5.2.3). Gegenstand im dritten Teil dieses Kapitels ist das durch teleologische Strukturen zustande gekommene Objekt. Hierzu werde ich zunächst Hegels Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit freilegen (5.3.1). Sodann gilt es, das Verhältnis von Mechanismus und Teleologie in der teleologischen Objekterzeugung herauszuarbeiten und so den Unterschied teleologischer Objekte von mechanischen Objekten zu explizieren (5.3.2). Letztlich diskutiere ich, inwiefern die hier vorgelegte Interpretation der Vorrangstellung der Teleologie gegenüber dem Mechanismus einem blinden Naturmechanismus zwar seinen Platz einräumt und dennoch eine starke These in Bezug auf die Unverzichtbarkeit des teleologischen Standpunkts ist (5.3.3). 5.1 Zum Verhältnis von Mechanismus und Teleologie – eine Kontextualisierung Die These der Existenz beider Formen der Kausalität, des Mechanismus und der Teleologie, in einer Wirklichkeit ist per se erklärungsbedürftig. Denn erklärt werden muss, inwiefern beide Strukturen auf eine Wirklichkeit tatsächlich zutreffen können, da sie insofern in einem Gegensatz zueinander stehen, als die Behauptung, die Wirklichkeit sei eine blinde und kausalmechanisch geschlossene, mit der Behauptung, dass diese auch eine zweckmäßige ist, nicht verträglich scheint. Im Folgenden werde ich zunächst auf Hegels eigene Kontextualisierung dieses Problems eingehen. Dies werde ich vornehmen, indem ich Bezug nehme zum einen auf Hegels Kritik an einer vorangegangenen philosophischen Strömung, die er die vormalige Metaphysik nennt, und zum anderen auf einen seiner direkten Vorgänger, Kant. Aus einer Freilegung von Hegels Kritik bezüglich dieser Positionen wird ersichtlich werden, in welcher Weise für Hegel das Problem um die Kompatibilität beider Formen der Kausalität angegangen werden muss.

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5.1.1 Hegels Darstellung des philosophischen Dilemmas in der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Teleologie und Mechanismus Die Art der Zweckmäßigkeit, die den Gegenstand des Kapitels Teleologie bildet, ist diejenige, die uns zunächst beim Nachdenken über Zweckmäßigkeit in den Sinn kommt, denn diese ist es, die wir selbst bewusst ausüben (vgl. GW 20, 361, § 360). Uns selbst macht es aus, in Zwecken denkende und handelnde Wesen zu sein. Wir unterscheiden dabei diese Art der Kausalität von rein kausalmechanischen Vorgängen, in denen Objekte über blinde Kausalprozesse determiniert werden, so wie wir auch die Objekte, die in rein kausalmechanischen Vorgängen stehen, von Zweckobjekten unterscheiden. Denn Zweckobjekte, Artefakte, sind Ausdruck unserer eigenen Zwecksetzung ; sie sind Objekte, die wir durch unsere Zielsetzungen erzeugt haben und die insofern auch in weiteren Zweckverhältnissen stehen, als sie zum weiteren zweckmäßigen Gebrauch dienen. Wenn wir also Zweckmäßigkeit in der Welt wahrzunehmen meinen, führen wir diese demgemäß natürlicherweise auf das Agieren eines Verstandes zurück : »Wo Zweckmässigkeit wahrgenommen wird, wird ein Verstand als Urheber derselben angenommen, für den Zweck also die eigene, freye Existenz des Begriffes gefodert. Die Teleologie wird vornehmlich dem Mechanismus entgegengestellt, in welchem die an dem Object gesetzte Bestimmtheit wesentlich als äusserliche, eine solche ist, an der sich keine Selbstbestimmung manifestirt.« (GW 12, 154)

Aufgrund unserer eigenen Zweckkausalität schließen wir in dem vermeintlichen Wahrnehmen von uns unabhängiger zweckmäßiger Prozesse in der Wirklichkeit per Analogie auf einen intentional agierenden Verstand, der diese Wirklichkeit zweckmäßig eingerichtet hat. Hegel zufolge hat sich also im Ausgang dieser beiden Arten von Kausalität in der Philosophiegeschichte eine Diskussion darum entzündet, »ob das absolute Wesen der Welt als blinder Naturmechanismus, oder als ein nach Zwecken sich bestimmender Verstand zu fassen sey« (GW 12, 154). Denn gesteht man zu, dass die Welt eine kausalmechanisch geschlossene ist, in der Ursache-Wirkungs-­ Beziehungen blind ablaufen, so ist ad hoc nicht einzusehen, wie diese entweder selbst ein Zweckprodukt sein kann oder wie Zweckprodukte in ihr möglich sein können. Die Realität von Zweckkausalität würde die These der kausalen Geschlossenheit der Welt unterlaufen. Gesteht man dagegen zu, dass es Zweckkausalität in dieser Welt gibt, so scheint dies der These des blinden Naturmechanismus zu widersprechen. Denn im letzteren Fall müssten die mechanisch ablaufenden Prozesse in der Natur so sein, dass sie Zwecksetzungen dienlich sind. Damit scheinen sie aber bereits keine blind ablaufenden Prozesse mehr sein zu können, sondern immer schon zweckkausal gesteuert zu sein.

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Auch wenn sich Hegels kurze Bemerkungen zu den Philosophen, die er unter dem Titel ›vormalige Metaphysik‹ fasst, nun auf die Diskussion, ob die Wirklichkeit kausalmechanisch strukturiert oder Produkt eines in Zwecken denkenden und handelnden Schöpfergottes ist, bezieht, so gilt die im Teleologiekapitel folgende Analyse der Teleologie allen in Zwecken handelnden und denkenden Subjekten, insofern uns Hegel darlegt, wie eine solche Zweckkausalität strukturell beschaffen ist – die Vorstellung eines Schöpfergottes bildet in diesem Sinne nur einen Sonderfall, der ebenso unter die im Teleologiekapitel ausgeführte Struktur fällt.9 Hegel denkt nun, dass nur eine Untersuchung des begrifflichen Gehalts beider Begriffe Aufschluss über die Struktur der jeweiligen Kausalität geben kann. Und er bemängelt, dass diejenigen Philosophen, welche er unter dem Titel ›vormalige Metaphysik‹ zusammenfasst, dies zu tun nicht imstande waren. Sie hätten stattdessen zu großen Teilen bereits eine Weltvorstellung vorausgesetzt, für die sie den einen Begriff als passend und den anderen dementsprechend als unpassend erklärt hätten (vgl. GW 12, 154). Hegel selbst stellt an dieser Stelle in dem Teleologiekapitel keinen sehr direkten Bezug zu bestimmten Philosophen her. Den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie können wir jedoch entnehmen, dass Philosophen wie etwa Descartes, Spinoza, Locke, Newton, Leibniz und Wolff unter den Begriff der vormaligen Metaphysik fallen sollen.10 Die dortige Kritik an Descartes, mit dem ich obigen Gedanken illustrieren möchte, lautet wie folgt : »Bei dieser Philosophie [der cartesischen Philosophie, K.K.] ist die denkende Behandlung des Empirischen vorherrschend ; auf eben diese Weise zeigen sich die Philosophien dieser Zeit an. Die Philosophie hatte bei Descartes und anderen noch die unbestimmtere Bedeutung, durchs Denken, Nachdenken, Räsonieren zu erkennen. […] Es ist somit das, was jetzt philosophisches Erkennen und was sonst wissenschaftliches Erkennen heißt, nicht geschieden. Es rechnete sich also damals alle menschliche Wissenschaft zum Philosophieren ; und bei Descartes’ Metaphysik sahen wir das ganz empirische Räsonieren aus Gründen, aus Erfahrungen, Tatsachen, Erscheinungen auf naivste Weise eintreten.« (TWA 20, 153)

Oder auch : Wie ich in der Einleitung betont habe, verstehe ich die Wissenschaft der Logik als eine Untersuchung der der Wirklichkeit zugrunde liegenden primären Strukturen, die Hegel zufolge begriffliche Strukturen sind. 10 Im Vorbegriff zur Wissenschaft der Logik in der Enzyklopädie scheint er sich unter dem Titel ›vormalige Metaphysik‹ in der in der Ersten Stellung des Gedankens zur Objektivität vornehmlich auf Descartes und Wolff zu beziehen ; vgl. GW 20, 69–74, §§ 26–36. 9

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»Bei Cartesius war ferner zwar das Prinzip Denken, aber dieses Denken ist noch abstrakt und einfach ; das Konkrete steht noch drüben auf der andern Seite, und konkreteren Inhalt erhielt dieses Denken erst aus der Erfahrung. Das Bedürfnis, das Bestimmte aus dem Denken zu entwickeln, war noch nicht vorhanden.« (TWA 20, 154)

Ich möchte nun nicht darüber diskutieren, ob diese Kritik an Descartes berechtigt ist. Vielmehr möchte ich über diese Kritik an Descartes Hegels eigenen Programmansatz verdeutlichen. Descartes habe es unterlassen, die Begriffe, die er benutzte, selbst auf ihren begrifflichen Gehalt hin zu untersuchen und aus diesen Gehaltsbestimmungen das Verhältnis von Begriffen zueinander zu bestimmen. Stattdessen habe er – wie im Zitat ausgedrückt – empirisch räsoniert, d. i. er habe bestimmte aus den damals aufkommenden empirischen Wissenschaften gewonnene Erkenntnisse derart verallgemeinert, dass sie ein in sich geschlossenes mechanistisches System bilden. Dieser Wirklichkeit habe Descartes dann eine andere durch Zwecke bestimmte Wirklichkeit, die der res cogitans, gegenübergestellt. Ich deute diese Stelle nun so, dass die Unabhängigkeit dieser zwei Sphären, der res cogitans und res extensa, aufgrund der begrifflich-strukturellen Verhältnisse, die den jeweiligen Sphären unterliegen, gar nicht angemessen begründet werden kann. Denn untersucht man den begrifflichen Gehalt des Mechanismus und der Zweckkausalität – wie Hegel es sich im Objektivitätskapitel zur Aufgabe macht – , so stellt sich heraus, dass sich beide Strukturen auf eine Art und Weise zueinander verhalten, die durch ein bestimmtes Abhängigkeitsverhältnis gekennzeichnet ist. Descartes habe es demnach unterlassen, die Begriffe Mechanismus und Teleologie auf ihr begrifflich-strukturelles Verhältnis zueinander zu untersuchen, da er sonst die These der strukturellen Unabhängigkeit beider Sphären gar nicht hätte vertreten können. Für Hegel ist also eine Untersuchung der begrifflichen Strukturen für die Bestimmung des Verhältnisses beider Arten von Kausalität unerlässlich. Eine Untersuchung des Gehaltes der Begriffe des Mechanismus und der Teleologie zeigt Hegel zufolge nicht nur, dass es beide Strukturen in einer Wirklichkeit geben kann, ohne die eine auf die andere zu reduzieren, sondern sie zeigt auch, dass es beide Verhältnisse in einer solchen Weise geben muss, dass dem einen Begriff dabei eine Vorrangstellung gebühre : »Wenn Mechanismus und Zweckmässigkeit sich gegenüber stehen, so können sie eben deßwegen nicht als gleichgültige genommen [werden], deren jedes für sich ein richtiger Begriff sey und so viele Gültigkeit habe als der andere, wobey es nur darauf ankomme, wo der eine oder der andere angewendet werden könne. […] Aber die nothwendig erste Frage ist, weil sie entgegengesetzt sind, welcher von beyden

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der Wahre sey ; […]. Die Zweckbeziehung hat sich aber als die Wahrheit des Mechanismus erwiesen.« (GW 12, 154 f.)

Beiden Punkten muss Hegel dementsprechend Rechnung tragen. Und Hegel gedenkt dies im Objektivitätsabschnitt der Wissenschaft der Logik durchzuführen. 5.1.2 Der kantische Hintergrund Auch Kant wird diesem Anspruch Hegels nicht gerecht. Zwar führt Hegel die kantische Unterscheidung zwischen äußerer und innerer Zweckmäßigkeit  – wenn auch auf seine Weise – fort und rühmt Kant des Lobes nicht genug für das Auffinden – oder nach dem hegelschen Verständnis eher für das Wiederfinden – dieser Unterscheidung (vgl. GW 12, 157).11 So steht im Hintergrund der gesamten Zweckkonzeption Hegels Kants Unterscheidung zwischen der äußeren und der inneren Zweckmäßigkeit, auf die ich aber explizit erst im nächsten Kapitel dieser Arbeit eingehen werde.12 Das Verhältnis von Mechanismus und Teleologie in Kants Philosophie hält Hegel jedoch schon im Ansatz für zu mangelhaft bestimmt ; auf Grundlage der kantischen Philosophie lässt sich Hegel zufolge das Problem von Mechanismus und Teleologie nicht zureichend lösen. Zwar diskutiert Kant den jeweiligen Status von Mechanismus und Teleologie und die Anwendung beider Kausalitäten auf ein und denselben Bereich, auf die Natur13, doch bleibt laut Hegel auch diese Diskussion nur sehr unzureichend, weil Kant den begrifflichen Gehalt von Mechanismus und Teleologie nicht erörtert habe. So argumentiert Kant in der Kritik der reinen Vernunft, genauer im Abschnitt Transzendentale Logik, dass Gegenstände der Natur nur insofern Gegenstände der Natur sein können, als sie unter die Gesetze der Natur fallen, die wiederum aus den Kategorien hergeleitet werden. Diese Gesetze sind im weitesten Sinne die Gesetze der Newton’schen Physik und folgen dem Ideal einer kausalmecha Hegel zufolge hat Kant mit der Unterteilung von Zweckmäßigkeit in innere und äußere eine aristotelische Unterscheidung wiederbelebt (vgl. beispielsweise GW 20, 210, § 204). 12 Das Aufgreifen dieser terminologischen Unterscheidung Kants durch Hegel sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Hegels Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit exten­sio­ nal mehr umfasst als von Kant ursprünglich intendiert und bei Hegel so ein anderes Verständnis beider Konzeptionen zugrunde liegt. Siehe dazu Abschnitt 8.3.2 dieser Arbeit. 13 Kants Diskussion um den Status von Mechanismus und Teleologie bezieht sich auf die Natur. Hegel dagegen weitet diese Diskussion auf das Ganze der Wirklichkeit aus. So können Hegel zufolge zum Beispiel auch geistige Vorgänge mechanische Vorgänge sein. Trotz des verschiedenen Umfangs handelt es sich doch um dieselbe Diskussion, nämlich um die­ jenige, inwiefern Mechanismus und Teleologie in ihrer Anwendung auf ein- und denselben Bereich kompatibel sind. 11

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nisch geschlossenen Welt. Zweckmäßigkeitsprinzipien weist Kant dagegen generell einen subjektiven Status zu ; Zweckaussagen sind notwendige Reflexionsmaximen unsererseits. Kant zufolge entzündet sich jedoch an bestimmten Naturgegenständen die Diskussion um deren kausalmechanische oder zweckkausale Entstehung – und hier sind wir erst im eigentlichen Bereich der Teleologie.14 Einerseits sollen alle Naturgegenstände nur kausalmechanischen Gesetzen unterliegen und die Kon­ stitution derselben prinzipiell durch kausalmechanische Gesetze erklärt werden können. Andererseits zeigt sich aber an bestimmten Naturgegenständen, die wir mit Kant als Organismen bezeichnen, dass eine solche Erklärung bei diesen Naturgegenständen nicht möglich ist. Nun kann aber ein Gegenstand nicht aus einem blinden Kausalmechanismus und zugleich aufgrund von Zweckkausalität entstanden sein. Anders gesagt : Ein Naturprodukt zeichnet sich dadurch aus, kein Artefakt zu sein. In der Erfahrung dieser Naturgegenstände müssen wir aber beides zugleich behaupten, da diese Naturgegenstände einerseits kausalmechanisch nicht erklärbar sind, dennoch aber Naturgegenstände sind, und andererseits zugleich Charakteristika aufweisen, die uns dazu veranlassen, Zweckbeurteilungen derselben vorzunehmen, was dieselben jedoch Artefakten gleichmacht. Dieser Widerspruch bleibt nun aber – auch Kant zufolge – selbst dann bestehen, wenn wir die Prinzipien, anhand derer wir diese Gegenstände bestimmen, als subjektive Beurteilungsmaximen und nicht als konstitutive Prinzipien verstehen.15 Im Folgenden interessiert mich nun nicht, wie Kant diese Antinomie auflöst, sondern wie sich im Sinne Hegels Kants Diskussion dieser Prinzipien generell als Argument dafür nutzen lässt, dass wir uns den Gehalt der Begriffe selbst anschauen müssen. Dafür ist es wichtig, Folgendes zu verdeutlichen : Das begriffliche Verhältnis von Mechanismus und Teleologie ändert sich mit der jeweiligen Bestimmung der Prinzipien als entweder objektiven oder subjektiven Status innehabend nicht. Mechanische und teleologische Aussagen verhalten sich dementsprechend unabhängig vom Status, den wir den jeweiligen Prinzipien zusprechen, inkonsistent zueinander, wenn sie auf einen Gegenstand mit dem Ziel der Erklärung 14 15

Vgl. Abschnitt 4.1.2 dieser Arbeit. Ich deute Kant so, dass er in dem Abschnitt über die Antinomie der teleologischen Urteilskraft diesen Widerspruch zu lösen sucht. Die Antinomie der teleologischen Urteilskraft wurde jedoch lange Zeit so gelesen, als bestünde sie in dem Widerspruch der für konstitutiv gehaltenen Aussagen über Mechanismus und Teleologie. Forscher*innen wie beispielsweise Watkins haben meines Erachtens jedoch überzeugend dafür argumentiert, dass sie in den regulativen Maximen bestehen muss. Letztere Lesart der Antinomie ist gegenwärtig auch die gängigere geworden. Zur Interpretation der Antinomie der teleologischen Urteilskraft siehe zum Beispiel Watkins (2009).

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desselben Aspekts, nämlich seiner Konstitution, angewendet werden. Hegel zufolge ruft der Gegensatz von Teleologie und Mechanismus also geradezu nach einer Erörterung ihres begrifflichen Gehalts, denn wie man es auch dreht und wendet, die Anwendung beider Prinzipien bleibt ungeachtet des Status, der ihnen zukommen soll, inkompatibel ohne eine solche Erörterung. Versuchen wir uns im Folgenden zu verdeutlichen, warum das der Fall ist. Handelt es sich um objektive Prinzipien, so ist unmittelbar klar, warum sich diese Prinzipien widersprechen, wenn wir sie zur Erklärung der Existenz eines Gegenstandes verwenden. Einem auf Basis des Mechanismus zustande gekommenen Gegenstand ist es wesentlich, nicht aufgrund einer zu realisierenden Zweckvorstellung entstanden zu sein. Handelt es sich dagegen jeweils um subjektive Prinzipien, so sagen wir in der Beurteilung nichts über das tatsächliche Zustandekommen des Gegenstandes aus. Wir machen also keine sich widersprechenden Aussagen über diesen Gegenstand selbst, dennoch ist unsere subjektive Beurteilung dieser Gegenstände nicht kohärent. Ginsborg drückt dies wie folgt aus : »The conflict here, cannot be resolved simply by pointing out that the concept of purpose is regulative rather than constitutive, or belongs to reflective judgment rather than determining judgement : in other words, it does not help to be reminded that we are not required actually to assert that the organism is caused by a concept. For the question remains of how we can even coherently regard something both as a purpose and as natural. If it is inconsistent to assert that something is both natural and purpose, how is there any less inconsistency in merely thinking of it as both natural and a purpose ? It is true that we are not required to make contradictory claims about the object ; but we seem nonetheless to be required to take up contradictory attitudes towards it.«16

Wir haben den Widerspruch zwischen Mechanismus und Teleologie nur auf eine andere, nämlich subjektive Ebene verlegt. Nun gilt es noch hinzuzufügen, dass auch mit der Annahme, dass das eine Prinzip objektiv und das andere subjektiv ist, die Inkonsistenz der durch diese Prinzipien getroffenen Aussagen bestehen bleibt. Selbst wenn wir also behaupten würden, dass der Gegenstand qua Naturgegenstand auf mechanische Weise entstanden ist, und die teleologische Beurteilung der Entstehung desselben daher nur subjektiv sein kann, kommen wir nicht aus dem Umstand heraus, dass wir – in Ginsborgs Worten formuliert – eine inkonsistente Haltung gegenüber diesem Gegenstand einnehmen müssen. Denn einerseits behaupten wir, er sei auf kausalmechanische Weise entstanden, und andererseits beurteilen wir ihn 16

Vgl. Ginsborg (2014), 261.

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aber als aus Zweckkausalität entstanden. Die Haltung, die wir bezüglich dieses Gegenstandes einnehmen, ist inkompatibel mit unserer objektiven Aussage über denselben. Hegel zufolge rufen diese Überlegungen nach einer Untersuchung des begrifflichen Gehalts der beiden Prinzipien, um den Widerspruch aufzulösen. Und da Kant eine solche Untersuchung nicht vorgenommen hat, begeht er laut Hegel denselben Fehler wie die vormalige Metaphysik. Auch Kant habe also nicht untersucht »[…] was allein das philosophische Interesse fodert, nemlich welches von beyden Principien an und für sich Wahrheit habe ; für diesen Gesichtspunkt aber macht es keinen Unterschied, ob die Principien als objective, das heißt hier, äusserlich existirende Bestimmungen der Natur oder als blosse Maximen eines subjectiven Erkennens betrachtet werden sollen ; – es ist vielmehr diß ein subjectives, d. h. zufälliges Erkennen, welches auf gelegentliche Veranlassung die eine oder andere Maxime anwendet, je nachdem es sie für gegebene Objecte für passend hält, übrigens nach der Wahrheit dieser Bestimmungen selbst, sie seyen beyde Bestimmungen der Objecte oder des Erkennens, nicht fragt.« (GW 12, 158)

Versuchen wir im Folgenden dieses philosophische Interesse zu befriedigen und gehen auf Hegels Analysen des Mechanismus bzw. des mechanischen Objekts und der Teleologie bzw. des teleologischen Objekts ein. 5.2 Das mechanische Objekt Im Objektivitätsabschnitt behandelt Hegel drei verschiedene Arten von Kausalität, den Mechanismus, den Chemismus und die Teleologie. Die den Objektivitätsabschnitt leitende Frage ist die nach der Objektkonstitution ; die nach dem, was ein Objekt erst zu einem Objekt macht. Dabei ist es wichtig anzumerken, dass Objekte Hegel zufolge nicht mit Atomen bzw. kleinsten Elementarteilchen zu verwechseln sind (vgl. GW 12, 134), sondern sie sind jeweils aus bestimmten Komponenten zusammengesetzte Gebilde, die wiederum in kausalen Verhältnissen zueinander stehen. Und die Komponenten, die Objekte zu Objekten machen, können gemäß den drei Formen der Kausalität durch bestimmte Druck- und Stoßverhältnisse oder Anziehungskräfte, beispielsweise durch Magnetismus oder Elektrizität, zusammengehalten werden, wie im Mechanismus. Sie können sich durch ihre eigene Beschaffenheit als zum Beispiel basisch oder säurehaltig aufeinander beziehen, wie im Chemismus. Oder sie können durch Zweck-Mittel-Verhältnisse aufeinander bezogen sein, wie in der Teleologie. Da Hegel den Mechanismus und Chemismus

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im Allgemeinen als Mechanismus oder mechanische Kausalität bezeichnet (vgl. GW 12, 155), werde ich nicht gesondert auf den Chemismus eingehen und mich im Folgenden allein auf die Diskussion des Verhältnisses von Mechanismus und Teleologie konzentrieren.17 Im Folgenden wende ich mich zunächst Hegels Beschreibung des Mechanismus im entsprechenden Kapitel zu. Dabei geht es mir um die Herausarbeitung der wesentlichen Charakteristika des mechanischen Objekts. Wie wir sehen werden, zeichnen sich mechanische Objekte Hegel zufolge dadurch aus, nicht Ursprung ihrer selbst zu sein. Dies macht mechanische Objekte zum einen zu losen Gebilden, zu Aggregaten, die wiederum mechanische Objekte zu ihrer eigenen Konstitution voraussetzen. Zum anderen stellt sich das, was ein einzelnes mechanisches Objekt ist, nur über einen teleologischen Zugriff auf den Mechanismus heraus. 5.2.1 Das Verhältnis von Ursache und Wirkung Dem Mechanismus ist es wesentlich, aus ablaufenden Ursache-Wirkungs-Verhältnissen zu bestehen. Daher gilt es zunächst, die Charakteristika des UrsacheWirkungs-Verhältnisses herauszuarbeiten. Dieses ist erstens dadurch gekennzeichnet, den Objekten gegenüber, an denen es sich vollzieht, äußerlich zu sein. Das Ursache-Wirkungs-Verhältnis besteht in der Mitteilung eines sich gleichbleibenden Inhalts an einem diesem Inhalt äußerlichen Objekt und diese in der Ursache-Wirkungs-Beziehung beschriebene Äußerlichkeit wird auch dem Mechanismus zukommen. Zweitens argumentiert Hegel, dass durch das Kausalitätsverhältnis nur einzelne, isolierte Ursache-Wirkungs-Beziehungen zum eigentlichen Gegenstand der begrifflichen Analyse werden, diese begriffliche Analyse aber in einen größeren inferentiellen Zusammenhang18 eingebettet ist, der erst im Mechanismus explizit wird.19 Diese Voraussetzung eines größeren Damit möchte ich nicht implizieren, dass der Chemismus keine eigene Art der Kausalität darstellt. Hegel zufolge sind chemische Verhältnisse nicht auf mechanische reduzierbar und insofern verschieden von mechanischen Kausalverhältnissen. Dennoch fasst er beide unter den Begriff des Mechanismus, da sie im Gegensatz zur Teleologie und der inneren Zweckmäßigkeit noch keine Form von Selbstbestimmung in der Natur kennzeichnen. Hegel fasst den Mechanismus und den Chemismus daher auch unter den Titel der Naturnotwendigkeit. Zur Rolle des Chemismus in der Wissenschaft der Logik und der Naturphilosophie siehe etwa Burbidge (2002a). Houlgate (2002), insb. 117–123. Sans (2014). 18 Unter dem Ausdruck »inferentieller Zusammenhang« verstehe ich den Zusammenhang begrifflich-semantischer Beziehungen. 19 Zwar ist im Kausalitätskapitel auch bereits der infinite Regress von Ursache-Wirkungs-­ Beziehungen Thema und damit sind die begrifflichen Beziehungen zwischen einzelnen Ursache-Wirkungs-Beziehung freigelegt. Diese werden im Mechanismus allerdings erst inso17

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inferentiellen Zusammenhangs wird also erst durch den Mechanismus eingeholt oder – in hegelscher Terminologie ausgedrückt – durch den Mechanismus aufgehoben. Im Folgenden gilt es beide so noch sehr abstrakten Punkte näher zu erläutern.20 Das die Ursache-Wirkungs-Beziehung charakterisierende Verhältnis bezeichnet Hegel als ein Übergehen, in welchem eine Ursache aufhört, eine Ursache zu sein, sobald die Wirkung derselben eingetreten ist (vgl. GW 12, 167). Es ist gekennzeichnet durch ein lineares Verhältnis der Ursache zur Wirkung. Eine Ursache ist wesentlich dazu bestimmt, in die Wirkung überzugehen und in dieser zu verschwinden.21 Und das Verschwinden der Ursache in die Wirkung ist Hegel zufolge Konsequenz dessen, dass die Ursache-Wirkungs-Beziehung nur eine formelle Beziehung ist, die aus einem sich gleichbleibenden Inhalt besteht. Das, was Ursache ist, ist auch Wirkung.22 An folgendem Beispiel illustriert Hegel seine These : Der Regen, der die Straße nass macht, ist deswegen Ursache der Nässe, weil sich die Nässe des Regens, die Inhalt der Ursache ist, zugleich als Wirkung auf der Straße befindet. Die Wirkung ist hier als Ausdruck der Ursache zu verstehen, aber so, dass in der Wirkung die Ursache als verschwunden gilt. Denn der Regen, der sich als Nässe auf der Straße niederschlägt, hört auf, Ursache zu sein, sobald er in die Wirkung übergeht, und das heißt, zur Nässe auf der Straße wird (vgl. GW 11, 399). Der Inhalt, an dem sich die Ursache-Wirkungs-Beziehung vollzieht, die Nässe, wird durch diese Beziehung nicht in seiner Natur verändert. Doch handelt es sich hierbei – so könnte man an dieser Stelle einwenden – um ein sehr einfaches Beispiel einer Ursache-Wirkungs-Beziehung ; ob diese These aber tatsächlich für alle Ursache-Wirkungs-Beziehungen wahr ist, lässt fern auf den Begriff gebraucht, als der Mechanismus Ausdruck des eigentlich vermittelten Verhältnisses von Ursache-Wirkungs-Beziehungen ist. Ich komme hierauf im Abschnitt 5.2.2 zurück. 20 Das Kausalitätskapitel der Wissenschaft der Logik, in welchem Hegel die Ursache-Wirkungs-Beziehung diskutiert, steht in dem größeren Kontext einer Analyse des Wirklichkeitsbegriffs, die sich mit metatheoretischen Überlegungen zum Gang der Logik als eines einheitlichen Gangs verbinden. Im Mittelpunkt steht hier Hegels Kritik an einer Substanzauffassung der Wirklichkeit, gemäß welcher die Wirklichkeit aus einer Substanz besteht, die bestimmte Attribute und Modi hat. Im Kausalitätskapitel wird Kausalität als ein Kandidat angesprochen, gemäß dem diese verschiedenen Momente des Wirklichkeitsbegriffs zusammengehalten werden. Im Folgenden werde ich diesen größeren Kontext außer Acht lassen und allein eine spezifischere Analyse der Merkmale des hier vorkommenden Kausalitätsbegriffs vornehmen, die ich als für die Charakterisierung des Mechanismus einschlägig halte. Für eine eingehende Analyse des Wirklichkeitskapitels und die Rolle der Kausalität in diesem siehe zum Beispiel Emundts (2018), insb. 438–450. 21 Vgl. auch GW 12, 160. GW 11, 398. GW 20, 170 f., § 153 und 209 f., § 204. 22 Meyer deutet Hegels Kausalitätstheorie daher als eine Identitätstheorie der Kausalität ; vgl. Meyer (2018).

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sich bezweifeln. Denn in vielen anderen Beispielen scheint es doch offensichtlich, dass sich der Inhalt der Ursache-Wirkungs-Beziehung ändert. Wenn etwa der Wurf eines Steines eine Fensterscheibe zerstört, so scheint doch der Wurf des Steines die Ursache für die Wirkung, das Zerstören der Fensterscheibe, zu sein. Der Inhalt der so beschriebenen Ursache und der Inhalt der so beschriebenen Wirkung sind hier offensichtlich verschieden. Es ist jedoch darauf zu achten, was tatsächlich als Ursache und was als Wirkung gilt, so wie dies wiederum von den Objekten zu unterscheiden ist, an denen sich die entsprechende Ursache-Wirkungs-Beziehung vollzieht. Denn Hegel zufolge ist nicht das Werfen des Steines die Ursache für das Zerstören der Fensterscheibe, sondern die stoßende Kraft, die den Stein bewegt und die sich dementsprechend an die Fensterscheibe mitteilt : »Wenn die Bewegung eines Körpers als Wirkung betrachtet wird, so ist die Ursache derselben eine stossende Kraft ; aber es ist dasselbe Quantum der Bewegung, das vor und nach dem Stoß vorhanden ist, dieselbe Existenz, welche der stossende Körper erhielt, und dem gestossenen mittheilte ; und so viel er mittheilt, so viel verliert er selbst.« (GW 11, 399)

Wenn also wie in unserem Beispiel das Zerbrechen der Fensterscheibe als Wirkung betrachtet wird, so ist die Ursache die stoßende Kraft des Steines. Die Fensterscheiben zerbrechen aufgrund der stoßenden Kraft, die als Wirkung vom stoßenden Körper übertragen wurde. Die Objekte dagegen, an denen sich die Ursache-Wirkungs-Beziehung vollzieht, wie in unserem Beispiel der Stein und die Fensterscheibe, sind der Ursache-Wirkungs-Beziehung selbst äußerlich und damit zufällig. Damit meine ich Folgendes : Dem Stein kommt zwar zu, dass sich an ihm in bestimmten Hinsichten Ursache- und Wirkungs-Beziehungen vollziehen, doch sagen uns diese Verhältnisse nichts darüber aus, was ein Stein ist. Es macht einen Stein nicht wesentlich aus, eine Fensterscheibe zu zerbrechen. Der Fensterscheibe kommt zwar die Disposition zu, zerbrechlich zu sein, doch ist diese Disposition nicht als Wirkung einer stoßenden Kraft zu fassen. Die in unserem Beispiel ablaufende Ursache-Wirkungs-Beziehung erklärt nicht, warum Fensterscheiben überhaupt zerbrechlich sind. Wie Hegel ausführt, sind diese Objekte dementsprechend »[…] verhältnißlos ; – eine unmittelbare Existenz« (GW 11, 401) und der Ursache-Wirkungs-Beziehung damit äußerlich. Ursache-Wirkungs-Beziehungen ist es eigen, an einem ihnen äußerlichen Objekt – bezogen auf das gerade herangezogene Beispiel an dem Stein – »ihr Substrat, das heißt ihr wesentliches Bestehen« (GW 11, 401) zu haben. Die soeben vorgenommene Analyse bezieht sich auf einzelne und in diesem Sinne isolierte Ursache-Wirkungs-Beziehungen. Bereits im Kausalitätskapitel

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steht diese Art der Erklärung eines Ereignisses insofern unter Kritik, als es keine angemessene Erklärung desselben liefern kann. Denn ein Ereignis ist zum einen niemals monokausal verursacht. So können wir – wie bereits deutlich wurde – das Zerbrechen des Fensters nicht allein durch die Mitteilung der stoßenden Kraft von einem Objekt an ein anderes Objekt erklären. Wir müssen vielmehr weitere Faktoren miteinbeziehen, wie in diesem Fall zum Beispiel die Intention eines Subjekts, die Fensterscheibe durch den Wurf des Steines zu zerbrechen, die Beschaffenheit der Fensterscheibe etc.23 Zum anderen ist eine bestimmte Ursache-Wirkungs-Beziehung selbst wiederum das Produkt einer zuvor abgelaufenen Ursache-Wirkungs-Beziehung. Denn das Verschwinden der Ursache in der Wirkung bedeutet auch, dass eine jede Ursache wiederum die Wirkung einer anderen Ursache war. Tatsächlich steht eine Ursache-Wirkungs-Beziehung also selbst in einer Kette von Ursache-Wirkungs-Beziehungen (vgl. GW 11, 402 f.). Die im Kausalitätsverhältnis betrachtete jeweils einzelne Ursache hat zu ihrer eigenen Voraussetzung, dass sie selbst Wirkung einer weiteren Ursache ist. Das wirkende Objekt, dasjenige, welches zum Beispiel eine Stoßkraft einem anderen Objekt mitteilt, kann selbst im strengen Sinne nicht als Ursache ausgewiesen werden. Dies nicht nur bereits deswegen nicht, weil die Stoßkraft die eigentliche Ursache ist und nicht der Stein, sondern auch, weil die Stoßkraft nicht in dem Objekt gründet, das diese weiterträgt. Die Stoßkraft ist diesem Objekt vielmehr selbst mitgeteilt worden. Das stoßende Objekt muss daher auch als Wirkung betrachtet werden. Hegels These ist hier also nicht – wie man zunächst meinen könnte – , dass eine wie im Beispiel ausgewiesene Ursache selbst nicht Ursache eines bestimmten Ereignisses sein kann, weil es die gesamte Kette von Ursache-Wirkungs-Beziehungen mit einzubeziehen gilt. Die Stoßkraft kann im obigen Beispiel als Ursache ausgewiesen werden, auch wenn – wie gezeigt – das Ereignis selbst dadurch unterbestimmt bleibt. Hegels Argument ist vielmehr, dass aufgrund des inferentiellen Verhältnisses der Ursache-und-Wirkungs-Beziehung sowie aufgrund des äußerlichen Verhältnisses der Ursache-WirkungsBeziehung zu den Objekten, an denen sie sich vollzieht, kein stoßendes Objekt selbst ursprüngliche Ursache sein kann, wie es aber in isoliert betrachteten Ursache-Wirkungs-Beziehungen den Anschein hat. Ursache-Sein ist – wie Hegel es ausdrückt – vielmehr eine »Ursprünglichkeit, welche eben so sehr an ihr selbst Gesetztseyn« (GW 11, 402) ist.

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Zu dieser Kritik Hegels an der Erklärungskraft einzelner Ursache-Wirkungs-Aussagen siehe auch Emundts (2018), 443 f.

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5.2.2 Der Mechanismus Im Kapitel über den Mechanismus24 wird diese Nicht-Ursprünglichkeit des wirkenden Objekts explizit. Sie macht mechanische Verhältnisse geradezu aus. Denn der Mechanismus ist wesentlich dadurch ausgezeichnet, dass die im Mechanismus befindlichen Objekte jeweils als Trägerobjekte dienen. Der Mechanismus besteht in der Weitergabe und »Mittheilung« (GW 12, 137) von zum Beispiel Druckund Stoßkräften ; ohne diese Weitergabe und Mitteilung von Kräften und ohne das Fungieren von Objekten als Trägerobjekte gäbe es auch keinen Mechanismus. Die Ausbreitung von Wärme in der Atmosphäre beispielsweise stellt Hegel zufolge einen solchen mechanischen Prozess dar (vgl. GW 12, 138). Hegel führt in seiner Naturphilosophie aus, dass Wärme prinzipiell einen sich ausdehnenden Charakter hat. Sie besteht demnach wesentlich in der Mitteilung von Kräften unter Teilchen bzw. Trägerobjekten und verändert dadurch den Zustand der Teilchen, an denen sie sich mitgeteilt hat (vgl. GW 20, 300 f., § 303 f.). Im entsprechenden Zusatz heißt es, dass die Mitteilung die entsprechenden Teilchen nicht »zersprengt«, sondern sie stattdessen in einen »bleibenden Zusammenhang« bringt und sie dadurch »verflüssigt« (GW 24,3, 1301, § 303). Wie diese Deutung der Wärme im Spezifischen zu verstehen ist und inwiefern sie in Einklang mit der modernen Sicht zur Wärmeausbreitung gebracht werden kann, kann an dieser Stelle vernachlässigt werden. Denn Gegenstand meines Interesses ist vielmehr, dass durch dieses Beispiel deutlich wird, dass Wärme das Bestehen von Teilchen, oder besser : Träger-Objekten25, zu ihrer eigenen Existenz voraussetzt, Wie bereits in Fußnote 264 erwähnt, beziehen sich mechanische Strukturen bei Hegel nicht allein auf die Natur, sondern auch geistige Fähigkeiten können kausalmechanisch strukturiert sein : »Eine mechanische Vorstellungsweise, ein mechanisches Gedächtnis, die Gewohnheit, eine mechanische Handlungsweise bedeuten, daß die eigentümliche Durchdringung und Gegenwart des Geistes bei demjenigen fehlt, was er auffaßt oder tut.« (GW 12, 133) ›Auswendiglernen‹ ist ein Beispiel für eine solche mechanische Weise des geistigen Lernens. Es ist keine notwendige Bedingung, begriffen zu haben, was man gelernt hat, um etwas auswendig gelernt zu haben. So kann ich beispielsweise lernen, dass ein bestimmtes chinesisches Zeichen auf Französisch dem Wort ›pomme‹ zugeordnet wird, ohne die Bedeutung dieses Wortes zu verstehen. Aufgrund der hier in Anschluss an Kant zu behandelnden Thematik über das Strukturiert-Sein der Natur werde ich diese Breite des Bezugs mechanischer Strukturen bzw. der Begriffe bei Hegel insgesamt ausklammern. 25 Diese Begrifflichkeit formuliere ich in Anlehnung an Meyer, der in seiner Interpretation des Kausalitätskapitels der Wissenschaft der Logik die jeweiligen Substanzen als Träger beschreibt ; vgl. Meyer (2018), 110. Es ist genauer in der Analyse des Kausalitätskapitels von Substanzen und nicht von Objekten zu sprechen, da der Begriff des Objekts erst mit dem Mechanismus-Kapitel eingeführt wird. Da ich das Kausalitätskapitel jedoch zum Zwecke der Herausstellung der im Mechanismus relevanten Charakteristika der Ursache-Wirkungs-Beziehungen lese, spielt der Unterschied von Substanz und Objekt für meinen selektiven Zugriff auf das Kausalitätskapitel keine Rolle. Ich benutze daher der Einheitlichkeit 24

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da Wärme Hegel zufolge wesentlich in einer Kräfteübertragung besteht. In diesem Sinne wendet sich Hegel auch gegen die zu seiner Zeit gängige Vorstellung der Existenz eines Wärmestoffs, mit dessen Einführung eine »materielle[..] Selbständigkeit der Wärme« (GW 20, 303, § 305) vorausgesetzt wird. Es gibt keinen solchen Wärmestoff, da es für Wärme nach Hegels Konzeption substantiell ist, sich an bereits vorhandenen Träger-Objekten auszubreiten. Für Wärme ist es kennzeichnend, dass sie in einer Kräfteübertragung besteht, die sich an Objekten vollzieht. Sie setzt somit das Bestehen dieser Träger-Objekte zu ihrer eigenen Existenz voraus. Das Beispiel verdeutlicht, dass im Mechanismus insofern die beiden für die Ursache-Wirkungs-Beziehung wesentlichen Charakteristika explizit werden, als es genau diese Charakteristika sind, die den Mechanismus hervorbringen. Denn mechanische Objekte sind aus Träger-Objekten zusammengesetzte Einheiten, die durch die kausale Bedingtheit dieser Träger-Objekte zusammengehalten werden. Die Nicht-Ursprünglichkeit, das Gesetzt- bzw. Bedingtsein eines Objekts durch ein anderes Objekt, die Tatsache also, dass jedes Objekt wiederum nur Wirkung einer vorherigen Kausalbeziehung war und nicht anfängliche Ursache einer neuen Kausalbeziehung ist, macht mechanische Objekte dabei erst möglich. Den Mechanismus bezeichnet Hegel aufgrund dieses Explizierens der bereits in der Ursache-Wirkungs-Beziehungen liegenden Charakteristika auch als die Wahrheit des Kausalitätsverhältnisses : »Insofern daher das Object in der Form der subjectiven Einheit als wirkende Ursache gesetzt ist, so gilt diß nicht mehr für eine ursprüngliche Bestimmung, sondern als etwas vermitteltes ; das wirkende Object hat diese seine Bestimmung, nur vermittels eines andern Objects.  – Der Mechanismus, da er der Sphäre des Begriffs angehört, hat an ihm dasjenige gesetzt, was sich als die Wahrheit des Causalitätsverhältnisses erwies ; daß die Ursache, die das an und für sich seyende seyn soll, wesentlich ebensowohl Wirkung, Gesetzseyn ist. Im Mechanismus ist daher unmittelbar die Ursachlichkeit des Objects eine Nicht-Ursprünglichkeit […].« (GW 12, 137)

Der Mechanismus ist in diesem Sinne Ausdruck eines solchen vermittelten Verhältnisses von Ursache-Wirkungs-Beziehungen und stellt damit die in UrsacheWirkungs-Beziehungen relevanten inferentiellen Verhältnisse erst in expliziter Form dar.26 halber den Objektbegriff. Als Träger-Objekte bezeichne ich dabei die Teile eines Objekts. Diese bezeichne ich deswegen als Träger-Objekte, weil diese Hegel zufolge im Mechanismus selbst wieder aus Teilen zusammengesetzte Objekte sind. 26 Ich betrachte das Verhältnis zwischen Kausalität und Mechanismus hier unter dem Gesichtspunkt der gemeinsamen Charakteristika. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es nicht

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Als diesem Ausdruck eines solchen vermittelten Verhältnisses kommt dem Mechanismus auch die in Ursache-Wirkungs-Beziehungen beschriebene Äußerlichkeit zu. Denn die Träger-Objekte bleiben auch im Mechanismus Voraussetzungen desselben. Weder wird die wesentliche Beschaffenheit derselben durch ihre kausalmechanische Bedingtheit erklärt, noch verändert sich diese durch dieselbe. Diese Unveränderlichkeit der Natur der Träger-Objekte durch mechanische Kräfte drückt Hegel auch so aus, dass diese »selbst gegeneinander gleichgültig« (GW 11, 135) sind. Mechanische Verhältnisse vollziehen sich an allen räumlich-zeitlichen Träger-Objekten, sie verändern dabei aber nicht die Natur dieser jeweiligen Objekte. Auch wenn Kants Mechanismus-Konzeption im Mechanismuskapitel nicht explizit benannt wird, ist unschwer zu erkennen, dass Hegel zentrale Aspekte der kantischen Konzeption aufgreift.27 Denn Kant zufolge ist ein mechanisches Ganzes ein solches, in welchem die Teile das Ganze begründen und die Teile durch bestimmte Kräfte zu einem Ganzen zusammengehalten werden. Gemäß Kants Konzeption des Mechanismus werden die Eigenschaften der Teile durch ihr Zusammenstehen in einem mechanischen Ganzem nicht verändert und sie verändern sich auch nicht durch das Zerfallen des Ganzen in seine Teile.28 Vor diesem Hintergrund wird der hegelsche Begriff der »Gleichgültigkeit«, der Objekten in kausalmechanischen Verhältnissen in seiner Konzeption zukommt, verständlich. Dass die in einem Mechanismus stehenden Träger-­Objekte gleichgültig sind, bedeutet nichts anderes, als dass die Teile eines mechanischen Ganzen jeweils unabhängig von diesem Ganzen gegeben sind und nur durch äußere Kräfte, durch Kräfteübertragung, in einem Zusammenhang zueinander stehen. Für Hegel hat diese dem Mechanismus eingeschriebene Äußerlichkeit zur Konsequenz, dass durch mechanische Kräfte zusammengehaltene Objekte »Zusammensetzung, Vermischung, Hauffen« (GW 12, 133) bzw. Aggregate (vgl. GW 12, 137) sind :

auch wesentliche inhaltliche Unterschiede zwischen den beiden Kapiteln ›Kausalität‹ und ›Mechanismus‹ gibt. Im Besonderen ist für den Mechanismus im Gegensatz zum einfachen Kausalverhältnis (Ursache-Wirkungs-Verhältnis) die Einführung des Gesetzesbegriffs kennzeichnend. Es ist nicht nur so, dass der Mechanismus selbst in dem Vermitteltsein mechanischer Objekte durch mechanische Kräfte besteht, sondern das Mechanismuskapitel bezieht sich im Gegensatz zum Kausalitätskapitel auf die Gesamtheit mechanischer Beziehungen. Dieser Kontext, der Bezug auf die Gesamtheit mechanischer Beziehungen, stellt sich als Bedingung für die Ableitung mechanischer Gesetze heraus. Der Unterschied des Kausalitätskapitels zum Mechanismuskapitel ist jedoch für meinen Zugriff auf beide Kapitel nicht relevant. 27 Vgl. Kreines (2015), 37 f. 28 Siehe Abschnitt 3.4.1. dieser Arbeit.

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»Diß macht den Character des Mechanismus aus, daß, welche Beziehung zwischen den Verbundenen Statt findet, diese Beziehung ihnen [den Objekten, K.K.] eine fremde ist, welche ihre Natur nichts angeht, und wenn sie auch mit dem Schein eines Eins verknüpft ist, nichts weiter als Zusammensetzung, Vermischung, Haufen usf. bleibt.« (GW 12, 133)

Überhaupt Teil eines mechanischen Ganzen zu sein, ist damit für die TrägerObjekte zufällig. Dieselbe Zufälligkeit, die den Träger-Objekten in einzelnen isolierten Ursache-Wirkungs-Beziehungen zukommt, bleibt also auch im Mechanismus erhalten. So wie es gemessen an der Beschaffenheit eines Steines zufällig ist, als Übermittler der Stoßkraft zu fungieren, denn genauso gut hätte eine Metallkugel oder ein Ast als ein solcher Übermittler dienen können, so ist es im Mechanismus den Träger-Objekten gegenüber zufällig, bestimmte mechanische Kräfte zu übermitteln. Das Ablaufen mechanischer Kräfte wiederum ist nicht von bestimmten mechanischen Objekten abhängig (vgl. GW 12, 137). Oder – wie Winfield es ausdrückt – : »the law-governed motion of matter29 […] applies whether the matter is a book or a rock.«30 Haufen bzw. Aggregate zeichnen sich nach Hegel dadurch aus, dass die jeweiligen Träger-Objekte in ihrer Natur nicht substantiell verändert werden, wenn sie durch mechanische Kräfte eine solche Einheit bilden, die wir Haufen oder Aggregat nennen. Löst sich das Aggregat auf, ist die Einheit, d. i. das so beschriebene mechanische Objekt, zwar verschwunden, aber die Natur der TrägerObjekte, die diese Einheiten ausmachten, ändert sich dadurch nicht. Sie hören nicht auf, die Träger-Objekte mit der substantiellen Beschaffenheit zu sein, die sie auch in dem entsprechenden mechanischen Aggregat hatten. Es ändert sich in diesem Sinne nichts an ihrer Substanz. Durch diese Äußerlichkeit des Zusammenschlusses von Träger-Objekten zu einem mechanischen Objekt ist »[…] das mechanische Object […] überhaupt nur Object als Product, weil das, was es ist, erst durch Vermittlung eines Andern an ihm ist. So als Produkt ist es, was es an und für [sich] seyn sollte, ein zusammengesetztes, vermischtes, eine gewisse Ordnung und Arrangement der Theile, überhaupt ein solches, dessen Bestimmtheit nicht Selbstbestimmung, sondern ein gesetztes ist.« (GW 12, 139)

Es ist ein aus Trägerobjekten, die durch mechanische Kräfte zusammengehalten werden, bestehendes Objekt und löst sich als solches wieder auf, wenn andere mechanische Kräfte auf die Trägerobjekte einwirken. 29

Die Bewegungsgesetze der Materie gründen Hegel zufolge in mechanischen Verhältnissen. Winfield (2012), 280.

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5.2.3 Zur Möglichkeitsbedingung der Individuierung von Objekten Aus den Überlegungen der letzten beiden Abschnitte ergibt sich, dass die für mechanische Verhältnisse wesentlichen Ursache-Wirkungs-Beziehungen für ihr eigenes Ablaufen Träger-Objekte voraussetzen. Die Natur dieser Trägerobjekte wird durch die jeweiligen mechanischen Prozesse weder konstituiert noch beeinflusst. Die Trägerobjekte werden – in Hegels Terminologie – nur äußerlich bestimmt. Dementsprechend lässt der Mechanismus Aspekte der Wirklichkeit unterbestimmt und setzt diese zu seinem eigenen Ablaufen voraus. Diese Trägerobjekte sind zudem selbst wieder mechanische Objekte – Objekte also, die auch auf Basis mechanischer Kräfte zusammengehalten werden. Dabei setzt man jedoch in der mechanischen Erklärung dieser Trägerobjekte wiederum Trägerobjekte voraus. Versteht man diese wiederum als mechanische Objekte, so setzten wir auf einer weiteren Ebene Trägerobjekte voraus. Aufgrund der dem Mechanismus innewohnenden Struktur werden wir hier an keinen Endpunkt gelangen, sondern in einen infiniten Regress, der auf der vorhergehenden Analyse des Mechanismus gründet : Ursache-Sein ist keine ursprüngliche Bestimmung eines mechanischen Objektes ; ein mechanisches Objekt ist immer nur Produkt mechanischer Verhältnisse. Dies bedeutet auch, dass sich eine jede vermeintlich erreichte vollständige Erklärung auf Basis des Mechanismus nur als ein willkürlicher Abbruch der Erklärungskette erweist : »Der Determinismus ist darum selbst auch so unbestimmt, ins unendliche fortzugehen ; er kann beliebig allenthalben stehen bleiben und befriedigt seyn, weil das Object, zu welchem er übergegangen, als eine formale Totalität in sich beschlossen und gleichgültig gegen das Bestimmtseyn durch ein anderes ist. Darum ist das Erklären der Bestimmung eines Objects und das zu diesem Behuffe gemachte Fortgehen dieser Vorstellung nur ein leeres Wort, weil in dem andern Object, zu dem sie fortgeht, keine Selbstbestimmung liegt.« (GW 12, 135)

In Ursache-Wirkungs-Beziehungen ist das Objekt niemals Ursprung, sondern lediglich Träger derselben. Sobald wir also eine Erklärung auf Grundlage des Kausalmechanismus für die grundlegendste halten, auf welcher alle anderen Ursache-Wirkungs-Beziehungen aufbauen, erklären wir in dieser nicht, inwiefern das entsprechende grundlegendste Objekt tatsächlich Ursprung der UrsacheWirkungs-Beziehung ist, sondern wir postulieren – oder in Hegels Terminologie ›setzen‹ – dies lediglich. Dieses Postulieren – so Hegel – bietet sich an, da die Träger-Objekte auf ontologischer Ebene gleichgültig gegenüber ihren kausalmechanischen Bestimmungen sind und insofern zu ihrer eigenen Bestimmung nicht von selbst auf weitere kausalmechanische Bestimmungen verweisen. Es

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bleibt aber auf Grundlage eines puren Mechanismus letztlich nichts als ein »leeres Wort«, da wir auf Basis des Mechanismus eine Erklärung zu geben suchen, die sich uns aufgrund der strukturellen Beschaffenheit des Mechanismus verschließt. Wie bereits in der Erläuterung der Struktur von Ursache-Wirkungs-­ Beziehungen betont, bedeutet dies auch für mechanische Verhältnisse nicht, dass auf kausalmechanischen Strukturen basierende Erklärungen aufgrund ihrer Unvollständigkeit inadäquat sind, wie dies beispielsweise deVries behauptet.31 Mechanische, d. i. auf Ursache-Wirkungs-Verhältnissen gründende Erklärungen sind adäquate Erklärungen der entsprechenden Ereignisse. Sie lassen sich also als solche prinzipiell auf das Ganze der Wirklichkeit beziehen. Sie bestimmen das Ereignis nur nicht vollständig : Mechanische Erklärungen bestimmen nicht alle Aspekte eines solchen Ereignisses, nämlich nicht die in das Ereignis verwickelten Gegenstände. Diese Überlegungen leiten zum zweiten Punkt über. Sie verdeutlichen, dass allein auf Basis kausalmechanischer Strukturen unklar ist, was überhaupt ein einzelnes mechanisches Objekt ist. Oder wie Stern es ausdrückt : »[N]ot only is the structure of the object itself a merely external unity ; mechanics also views the relation between objects as equally external, so that they form an unqualified plurality.«32 Ein mechanisches Objekt soll ein solches sein, das durch ihm äußerliche mechanische Kräfte, wie Druck und Stoß, zusammengehalten wird. Die Teile, die sich zu einem solchen Objekt zusammensetzen, sind aber auf Basis des Mechanismus selbst wieder durch weitere Teile zusammengesetzte Objekte. Und tatsächlich nennt Hegel daher auch die in mechanischen Objekten durch mechanische Kräfte zusammengehaltenen Teile selbst wieder Objekte (vgl. GW 12, 134). Vor diesem Hintergrund ist unklar, was eigentlich als ein einzelnes Objekt zu gelten hat ; d. i. die Individuationsbedingungen mechanischer Objekte sind allein auf Basis des Mechanismus unklar. In einem sich auf die Idee des Lebens beziehenden Essay hebt Lindquist einen Punkt Hegels hervor, der zur Klärung der gerade geschilderten Schwierigkeit beitragen kann : Hegel versteht Materie zugleich als diskret und kontinuierlich.33 Vgl. deVries (1991), 66. Siehe zu der Kritik an deVries auch Emundts (2012), 375, Fn 163 sowie Kreines (2015), 40. 32 Stern (1990), 80. 33 Lindquist verwendet diese Bestimmung der Materie als diskret und kontinuierlich, um anhand der Logik der Idee des Lebens aufzuzeigen, inwiefern Hegel eine Antwort auf das mereologische Problem hat, in welches Kant bei dem Verständnis der Struktur von Organismen gerät. Das ist jenes Problem, dass Materie wesentlich mechanisch bestimmt ist und damit die Teile für das Ganze begründend sind, zur Erklärung von Organismen aber angenommen werden muss, dass das Ganze begründend für die Teile ist. Vgl. Lindquist (2018), 385 f. Zwar halte ich zum einen Lindquists Interpretation der Wirklichkeit von Organismen für problematisch, da er auf einer sehr pragmatisch-epistemischen Ebene zu verbleiben scheint. Zum anderen bleibt auch der gewählte Ansatz zu subjektiv. Lindquist führt 31

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Lindquist bezieht sich dazu auf eine einschlägige Stelle im § 298 von Hegels enzyklopädischer Naturphilosophie. Dort schreibt Hegel : »Wenn hier und sonst von materiellen Theilen die Rede ist, so sind nicht Atome, noch Molecules, d. h. nicht abgesondert für sich bestehende zu verstehen, sondern nur quantitativ oder zufällig unterschiedene, so daß ihre Continuität wesentlich von ihrer Unterschiedenheit nicht zu trennen ist[…][.]« (GW 20, 295 f., § 298)

Das, was also ein materielles Objekt ist, und das, was Teil eines materiellen Objekts ist, ist – so Lindquist – durch die Grundstruktur der Materie nicht vorgegeben, sondern hängt »on our choosing way of counting them« ab.34 Denkende Subjekte sind diejenigen, die festlegen, was Teil eines materiellen Objekts und was ein materielles Objekt ist, und die damit einzelne materielle Objekte als solche allererst herausstellen. Lindquist führt nicht viel mehr hierzu aus, doch denke ich, dass ein Vergleich zu der Stelle in der Logik, in der Hegel die Begriffe ›kontinuierlich‹ und ›diskret‹ einführt, hilfreich sein kann. Dies ist im Quantitätsabschnitt, in welchem es um extensionale Größen geht, der Fall. In diesem erläutert Hegel dieses Begriffspaar unter anderem an einem Beispiel der Mathematik bzw. der Geometrie (vgl. GW 21, 178). Kontinuierlich nennt Hegel eine Quantität, insofern sie aus teilbaren Gegenständen (in einem sehr weiten Sinne des Wortes) besteht, dadurch aber nicht unterbrochen wird : »Es ist darin [in der Einheit, die ein Kontinuum bildet, K.K.] das Aussereinander der Vielheit noch enthalten, aber zugleich als ein nicht unterschiedenes, ununterbrochenes.« (GW 21, 176). Eine Linie dient ihm dabei als Beispiel (vgl. GW 21, 178A1), welches ich wie folgt verstehe : Eine Linie ist zwar einerseits aus Raumpunkten zusammengesetzt, aber andererseits zugleich nur dann eine Linie, wenn diese Raumpunkte in einem kontinuierlichen Zusammenhang stehen und nicht für sich einzeln. Die einzelnen Punkte, die diskreten Gegenstände, unterbrechen die Linie nicht in dem Sinne, dass die Linie aufhört, sondern sie teilen sie ein. Eine Linie ist in diesem Sinne nie einfach nur eine Menge von einzelnen Punkten, auch wenn sie durch diese teilbar ist.35 Auch der Materie kommen diese Momente der Diskretion und der Kontinuität zu :

nicht aus, inwiefern die Objektindividuierung durch Subjekte in der Struktur des Mechanismus selbst begründet liegt, und beachtet damit die ontologisch-logische Ebene nicht, die Hegel aber klarerweise verfolgt. Dennoch ist der von Lindquist gewählte Zugriff für eine Erläuterung von Hegels Verwendung des Objektsbegriffs im Mechanismus sehr hilfreich. 34 Vgl. Lindquist (2018), 386. 35 Vgl. Stekeler-Weithofer (2019), 708 f.

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»Nach der bloßen Discretion genommen sind die Substanz, Materie, Raum, Zeit u. s. f. schlechthin getheilt, das Eins ist ihr Princip. Nach der Continuität ist dieses Eins nur ein aufgehobenes ; das Theilen bleibt Theilbarkeit, es bleibt die Möglichkeit zu theilen, als Möglichkeit, ohne wirklich auf das Atome zu kommen. Bleiben wir nun auch bey der Bestimmung stehen, die in dem Gesagten von diesen Gegensätzen gegeben ist, so liegt in der Continuität selbst das Moment des Atomen, da sie schlechthin als die Möglichkeit des Theilens ist, so wie jenes Getheiltseyn, die Discretion auch allen Unterschied der Eins aufhebt, – denn die einfachen Eins ist eines was das andere ist, – somit eben so ihre Gleichheit und damit ihre Continuität enthält. Indem jede der beyden entgegengesetzten Seiten an ihr selbst ihre andere enthält, und keine ohne die andere gedacht werden kann, so folgt daraus, daß keine dieser Bestimmungen, allein genommen, Wahrheit hat, sondern nur ihre Einheit.« (GW 21, 187)

Materie ist Hegel zufolge also ebenso beliebig teilbar, sie besteht aber nicht einfach aus einer Menge geteilter materieller Gegenstände. Denn diese stehen in einem kontinuierlichen Zusammenhang zueinander. Materie wird sozusagen nicht Nicht-Materie dadurch, dass sie in einzelne materielle Teile teilbar ist. Dieser Gedanke ist nun für meine Ausführungen insofern hilfreich, als die Grundstruktur der Materie Hegel zufolge in der Grundstruktur des Mechanismus bzw. mechanischer Kräfte begründet liegt. Für das Entstehen von Materie sind die mechanischen Kräfte der Repulsion und Attraktion konstitutiv (vgl. GW 20, 254, § 262).36 Die wesentlichen Bestimmungen der Materie sind auf den Mechanismus zurückzuführen. Und so ist auch das mechanische Objekt – wie zu Beginn erläutert – kein Atom, sondern ein aus anderen Objekten bestehendes Ganzes. Aus der Diskussion des Mechanismuskapitels ging nun hervor, dass das, was als das einzelne mechanische Objekt gilt, gegenüber den Träger-Objekten, die selbst wieder mechanische Objekte sind, zufällig ist. Sie können in der einen bestimmten mechanischen Einheit stehen wie in einer anderen. Es ist ihnen äußerlich, Teil eines mechanischen Objekts zu sein, so wie es ihnen äußerlich ist, selbst ein mechanisches Objekt zu sein. Es ist dann jedoch allein auf Basis des Mechanismus nicht klar, was jeweils ein einzelnes mechanisches Objekt ist.37 Im Quantitätsabschnitt führt Hegel aus, dass die Momente der Diskretion und der Kontinuität in diesen mechanischen Kräften begründet liegen. Die Attraktion soll das Moment der Kontinuität sein, während die Repulsion das Moment der Diskretion bezeichnet (vgl. GW 21, 176.). Für die Zwecke meiner Argumentation reicht es jedoch, die Momente der Diskretion und Kontinuität an Beispielen verständlich gemacht zu haben. Zur weiteren Untersuchung dieses Quantitätsabschnittes siehe etwa Stekeler-Weithofer (2002). Houlgate (2018), 146–159. Stekeler-Weithofer (2019), 706–753, bes. 707–717. 37 An dieser Stelle gilt es anzumerken, dass Hegel zwischen der terrestrischen Mechanik und 36

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Was jeweils ein bestimmtes, d. i. einzelnes mechanisches Objekt ist, hängt Hegel zufolge von teleologischen Strukturen ab. Es sind teleologische Strukturen, die die Individuationsbedingungen mechanischer Objekte zu liefern vermögen. Und der paradigmatische Fall solcher Objektindividuierung liegt in der subjektiv-intentionalen Zweckkonzeption, die Hegel unter dem Titel ›Teleologie‹ abhandelt. Hier ist das ein mechanisches Objekt, was denkende Subjekte als mechanisches Objekt zum Beispiel in Experimenten individuieren. Durch diesen teleologischen Zugriff werden also nicht nur eine bestimmte Sorte von Objekten, nämlich Artefakte, individuiert – diesem Fall wenden wir uns im nächsten Abschnitt dieses Kapitels zu – , sondern auch mechanische Objekte als mechanische Objekte. Nicht nur die »konkrete Identität einer bestimmten Darstellung der objektiven Welt ist […] immer schon erkenntnisinteressiert, auf Zwecke ausgerichtet«38, wie Stekeler-Weithofer argumentiert, sondern auch das, was überhaupt jeweils als mechanisches Objekt individuiert wird, hängt von unseren Interessen und damit von unseren Zwecksetzungen ab. Auch wenn der paradigmatische Fall der Objektindividuierung in der Individuierung von mechanischen Objekten durch subjektiv-intentionale Zweckstrukturen besteht, so ist diese Individuierung also nicht per se pragmatistisch-arbiträr. Sie hängt nicht allein von einzelnen subjektiven Zwecksetzungen ab. Es wäre also ein Fehler, diesen Zusammenhang als allein von den arbiträren Interessen jeweils einzelner Subjekte bestimmt zu deuten. Denn bereits einzelne subjektiv-intentionale Zwecksetzungen sind zum einen eingebettet in einen größeren sozialen-lebensweltlichen Kontext39 und zum anderen in Strukturen des Lebendigen, wie Hegel sie in der Idee des Lebens ausführt. Es sind generell Organismen, die mechanider astronomischen Mechanik unterscheidet. Dieser Unterscheidung bin ich im Fließtext nicht gerecht geworden. Sie ist aber dahingehend relevant, als Hegel zufolge letztere Mechanik »die wahrhafte Einzelnheit des Objects« (GW 12, 142) zum Gegenstand hat. Eine Diskussion dieser Thematik führt hier jedoch zu weit. Dennoch gilt es zwei Punkte hervorzuheben : Erstens unterlaufen die der astronomischen oder auch der sogenannten absoluten Mechanik zugeschriebenen Strukturverhältnisse nicht die bisherigen Ausführungen, denn der Geltungsbereich der terrestrischen Mechanik wird durch die absolute Mechanik nicht aufgehoben. Zweitens entspricht die Struktur des Sonnensystems im Mechanismus am ehesten dem, was Hegel unter einer teleologischen Struktur versteht, ohne aber selbst eine teleologische Struktur zu sein. Den tieferen Grund für Hegels These, dass es in der absoluten Mechanik zu ›einzelnen Objekten‹ kommt, sehe ich also in dieser Entsprechung liegen. 38 Stekeler-Weithofer (1992), 399. 39 Vgl. dazu auch Stekeler-Weithofer (1992), 400. Stekeler-Weithofer begreift diesen größeren sozial-lebensweltlichen Kontext als mit der Idee aufgegriffen ; vgl. Stekeler-Weithofer (1992), 407–411. Damit übersieht er jedoch, dass es in der Idee des Lebens um eine Diskussion nicht-intentionaler Zweckkausalität, um eine Diskussion der Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit in Auseinandersetzung mit Kant geht. Auf eine solche Diskussion geht Stekeler-Weithofer nicht ein.

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sche Objekte individuieren in der Herstellung von Werkzeugen, in dem Erfassen bestimmter Objekte oder aber in der Nahrungsaufnahme.40 Wenn wir beispielsweise Nahrung zu uns nehmen, wird diese auf unterschiedlichen Ebenen individuiert. Essen wir etwa einen Apfel, so ist dieses eine Objekt zunächst als Apfel individuiert, unser Verdauungssystem hingegen individuiert nicht den Apfel als Apfel, sondern die verschiedenen in dem Apfel befindlichen Nährstoffe. Das Sein einzelner mechanischer Objekte ist also von Zweckstrukturen ontologisch abhängig. Und da das Sein einzelner mechanischer Objekte von Zwecksetzungen abhängig ist, kann Hegel die Teleologie auch als die Wahrheit des Mechanismus bezeichnen (vgl. GW 12, 155). Wohlgemerkt bedeutet dies nicht, dass es eigentlich keine mechanischen Objekte gibt, genauso wenig wie dies bedeutet, dass mechanische Objekte teleologische Objekte, d. i. Artefakte, sind.41 Es bedeutet jedoch, dass das, was ein einzelnes mechanisches Objekt jeweils ist, durch die jeweilige Zwecksetzung bestimmt wird. Diskretion und Kontinuität, die die jeweilige Individuierung erst erlauben, sind Momente des Mechanismus selbst, so wie sie Momente der Quantität im abstrakteren Sinne sind.42 Die Struktur des Mechanismus selbst ist also so beschaffen, dass sie beide Momente in sich vereint und damit das Herausgreifen einzelner mechanischer Objekte allererst ermöglicht, ohne dass diese mechanischen Objekte aufhören, mechanisch zu sein. Die hier mit Hegel vertretene These lautet also, dass es die Struktur des Mechanismus selbst ist, die die Herausstellung einzelner mechanischer Objekte durch solche Zwecksetzung zulässt : »Die mechanische […] Technik bietet sich also durch ihren Charakter, äusserlich bestimmt zu sein, von selbst der Zweckbeziehung dar […].« (GW 12, 160)

Gehen wir im Folgenden zu Hegels Charakterisierung dieser Zweckbeziehung über.

Dies setzt voraus, dass Organismen selbst Zweckprodukte sind. Dafür argumentiert Hegel jedoch erst in der Idee des Lebens. Sein Argument hierfür werde ich im sechsten Kapitel aufgreifen. 41 Siehe zu diesem Unterschied auch Abschnitt 5.3.3. 42 Ich stimme in diesem Sinne mit Houlgate überein, dass Diskretion und Kontinuität logischontologische Momente sind und keine Aspekte einer Unterscheidungspraxis unserer­seits, wie sie Stekeler-Weithofer versteht. Vgl. Stekeler-Weithofer (2002), 63. Houlgate (2018), 157, insb. Fußnote 16. 40

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5.3 Das teleologische Objekt Die Individuierung mechanischer Objekte hängt von Zweckstrukturen ab. Als paradigmatischen Fall eines solchen Individuierungsgeschehens habe ich die Individuierung mechanischer Objekte in Experimenten durch intentional-subjektive Zwecksetzung benannt. Ein zielgerichtet agierendes Subjekt ordnet die kausalmechanischen Objekte zur Realisierung seiner (Erkenntnis-)Zwecke. In diesem Abschnitt gilt es nun zum einen, Hegels Begriff der Teleologie und das, was ein teleologisches Objekt sein soll, freizulegen, und zum anderen die These der Vorrangstellung der Teleologie gegenüber dem Mechanismus weiter auszubauen. 5.3.1 Hegels Begriff äußerer Zweckmäßigkeit Generell unterscheidet Hegel Zweckkausalität von mechanischer Kausalität durch die Art der Relation, die sich in der jeweiligen Kausalität gegenüber Objekten ausdrückt. Anders formuliert : Während es dem Mechanismus wesentlich ist, Aggregate oder Haufen zu produzieren (vgl. GW 12, 139)43, sind Zweckverhältnisse wesentlich reproduzierende Verhältnisse, insofern der Zweck – wie Hegel schreibt – sich selbst erhält (vgl. GW 20, 209, § 204).44 Im Gegensatz zur Ursache-Wirkungs-Beziehung, in der die Ursache durch die Wirkung aufgehoben wird, wird der Zweck im Mittel nicht aufgehoben, sondern durch das Mittel wird die Zweckeinheit gerade erst hergestellt. Der Zweck ist damit – so Hegel – im Gegensatz zu Ursache-Wirkungs-Beziehungen und folglich auch im Gegensatz zu mechanischen Kausalverhältnissen »dem Übergehen entnommen« (GW 12, 160), d. i. der Zweck verschwindet nicht in den Mitteln. Diesem Übergehen ist der Zweck insofern entnommen, als er sich in etwas als Zweck verwirklicht, was er selbst nicht ist ; dem Zweck ist es wesentlich, »sich [selbst, K.K.] äusserlich zu setzen« (GW 12, 160). So ist es Zweckprodukten Hegel zufolge eigentümlich, eine begrifflich begründete Einheit zu formieren, die aber in der Realisation von einer kausalmechanisch bestimmten Wirklichkeit abhängig ist ; Zweckkausalität ist also dadurch bestimmt, dass der Begriff 45 Wie Hegel an dieser Stelle festhält und wie ich im letzten Abschnitt erläutert habe, zeichnet es mechanische Objekte aus, dass sie wesentlich Produkte sind. Die mechanischen Kausalbeziehungen lassen sich dementsprechend als produzierende charakterisieren. 44 So auch deVries (1991), 58. 45 Wie in der Einleitung zu dieser Arbeit angeführt, verstehe ich Hegels Wirklichkeitskonzeption als wesentlich idealistische. Die primäre Struktur der Wirklichkeit bilden Begriffe. Die Identifizierung des Begriffs mit dem Zweck verstehe ich so, dass diese der Wirklichkeit zugrundeliegende Begriffsstruktur an dieser Stelle explizit wird. 43

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Grund der Wirklichkeit – oder in Hegels Terminologie – Substanz des Objekts in einer kausalmechanisch bestimmten Wirklichkeit ist (vgl. GW 12, 155/160).46 Das, was das Objekt ist, ist durch den Begriff bestimmt ; der Begriff ist in diesem Sinne wesentlich für das Sein des Objekts. Der Begriff ist also Substanz, insofern er die bestimmte Einheit, die ein Objekt erst zu einem Objekt macht, begründet. In Anbetracht von Zweckprodukten gilt es dementsprechend, eine begründungslogische von einer genetischen Ebene zu unterscheiden. Die soeben vorgenommene Charakterisierung kommt Zweckkausalität ungeachtet der Unterscheidung von innerer und äußerer Zweckmäßigkeit zu ; ich werde sie dementsprechend im nächsten Kapitel wieder aufgreifen. Beziehen wir sie aber nun zunächst auf das, was Hegel äußere Zweckmäßigkeit nennt, so ergibt sie auch unmittelbar Sinn. Hegels Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit drückt sich paradigmatisch in dem aus, was man das subjektiv-funktionale oder auch das Artefakte-Modell von Zweckkausalität nennen kann. Im Hintergrund dieser Konzeption steht die Tätigkeit von Subjekten zur Realisierung subjektiver Zwecke als Entitäten in der objektiven, d. i. kausalmechanischen Welt. Ein Zweck ist demnach zunächst eine von einem Subjekt antizipierte, rein subjektiv-begriffliche Repräsentation, die das Subjekt nach der Antizipation durch seine Tätigkeit zu realisieren sucht. Der sogenannte subjektive Zweck eines Subjekts ist also nicht in der Welt der kausalmechanischen Objekte gegeben, sondern derselben zunächst extern und insofern diesen Objekten äußerlich. Dennoch ist er auf diese Welt bezogen, insofern es gilt, diesen subjektiven Zweck in ihr zu realisieren (vgl. GW 12, 161). Die subjektiv-intentionale Tätigkeit bei der Herstellung von Artefakten stellt Hegel im Teleologiekapitel als paradigmatischen Fall einer solchen Zweckkonzeption heraus.47 So kann ein Hausbau ein solcher von einem Subjekt gesetzter Zweck sein. Die begrifflich-subjektive Repräsentation des Hauses begründet dabei die Form und die Stellung der Teile des Hauses, die das Haus zu dem machen, was es ist. Durch die begrifflich-subjektive Repräsentation wird die Funktion angegeben, die die einzelnen Teile im Ganzen besitzen sollen. So stellen wir Ziegel in Form eines Daches zusammen nur aufgrund der Funktion, die dem Dach als Teil des Haus-Seins zukommen soll.48 Es macht Zweckkausalität Dieses Wesensmerkmal von Zweckkausalität geht auf Kant zurück (vgl. KdU, AA V 180). Hegel macht es für seine Konzeption fruchtbar. 47 So greift Hegel im Teleologiekapitel als Beispiele von Zweckprodukten immer wieder von Menschen geschaffene Artefakte heraus, so etwa Werkzeuge zur Nahrungsherstellung, zum Schutz oder zum Messen der Zeit, wie zum Beispiel einen Pflug (vgl. GW 12, 166), ein Haus oder eine Uhr (vgl. GW 12, 169). Arndt liest das Teleologiekapitel daher auch als Auseinandersetzung Hegels mit dem Verhältnis von menschlicher Arbeit und Leben ; Arndt (2006). 48 Insofern greift deVries’ terminologische Unterscheidung von äußerer Zweckmäßigkeit als intentionaler und innerer Zweckmäßigkeit als funktionaler zu kurz ; vgl. deVries (1991), 55. Auch in der äußeren Zweckmäßigkeit werden die Teile eines Ganzen funktional begründet. 46

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wesentlich aus, dass diese Beziehung der Teile auf das Ganze der tatsächlichen Realisation des Ganzen durch die Realisation der Teile begründungslogisch vorgängig ist. So bauen wir nicht erst aus Ziegeln ein Dach und denken im nächsten Moment darüber nach, was wir mit diesem Bau eigentlich bezwecken ; vielmehr verhält es sich so, dass wir ein Teil des Hauses wie das Dach ohne Besitz der subjektiv-begrifflichen Repräsentation des Ganzen, d. i. des Hauses, gar nicht bauen würden. Das realisierte Objekt, das Haus, kann insofern als durch den Begriff bestimmt verstanden werden. Inwiefern ist der Zweck gemäß der äußeren Zweckmäßigkeit nun »dem Übergehen entnommen« ? Einerseits besteht das Ergreifen der Mittel in vielen voneinander verschiedenen Aktivitäten, die letztlich ihre Begründung in der vorgängigen Repräsentation des Zwecks finden. So muss das entsprechende Subjekt beispielsweise eine*n Architekten*in finden, Maßnahmen zum Bau des Hauses ergreifen etc. Dieses Ergreifen der Mittel würde keinen Sinn ergeben, verschwände mit ihnen der subjektive Zweck, da dieser das Movens zum Ergreifen und Verarbeiten der Mittel ist. Andererseits mag es zu Beginn des Teleologiekapitels so scheinen, als würde der subjektive Zweck durch seine Realisierung auf kausalmechanischer Ebene doch in dieselbe übergehen. So ist der subjektive Zweck gerade dadurch charakterisiert, dass er sich insofern negativ zu sich selbst verhält, als die objektive Realisierung desselben »ein Aufheben der Subjectivität des Zwecks« (GW 12, 161) ist. Denn das fertige Produkt kann als Abschluss der vorhergegangenen äußerlichen Zweck-Mittel-Relation gelten, insofern der subjektive Zweck in dem Produkt realisiert ist. Doch ist es ein Ergebnis der Analyse des Zweck-Mittel-Verhältnisses in der äußeren Zweckmäßigkeit, dass das fertige Produkt nur mit Hilfe einer »List der Vernunft« (GW 12, 166) verwirklicht wird und daher selbst wiederum nur als Mittel gelten kann (vgl. GW 12, 166/168/169). Ein Haus beispielsweise ist zwar ein in einem durch intentionale Tätigkeit initiierten Prozess entstandenes Produkt. Das fertige Produkt schließt den Prozess der Zwecktätigkeit ab und ist etwas anderes als der Prozess selbst, der nur ein Mittel zur Herstellung des Zwecks als realisiertes Produkt war. Doch zeichnet sich in dem Zweckprodukt eine Form der Äußerlichkeit ab, und zwar die zwischen dem Prozess der Herstellung eines Zweckproduktes und dem resultierenden Produkt, die das Produkt selbst wiederum nur zum Mittel macht.49 Denn das fertige Haus ist nicht nur Abschluss zweckgerichteter Tätigkeit, sondern will seinerseits zweckmäßig Diese Funktionen selbst gründen gemäß Hegels Konzeption der äußeren Zweckmäßigkeit jedoch in der subjektiv-begrifflichen Repräsentation dieses Ganzen. 49 Auf diese Weise lese ich auch Fuldas Überlegungen zu der im Teleologiekapitel thematisierten Äußerlichkeit von Zweck und Zweckprodukt. Siehe Fulda (2003), 143 ff.

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benutzt werden, d. h. als Wohnung dienen. Jeden Tag, in dem das Haus bewohnt wird, erfüllt es seinen Zweck. Die Figur der List der Vernunft hat jedoch zugleich zur Konsequenz, dass die Komponenten des Produktes selbst zwar in einer durch den Zweck gegründeten funktionalen Beziehung zueinander stehen, die diese Komponenten erst zu dem macht, was sie sind, doch ist die Natur dieser Komponenten nicht diejenige, selbst Zwecke zu sein. Auf genetischer Ebene sind sie keine Zwecke bzw. zweckmäßigen Einheiten. Sie werden vielmehr durch kausalmechanische Prozesse in dieser zweckmäßigen Einheit gehalten, was sie wiederum nur zu Mitteln der Realisation des Zwecks macht. Der Zweck ist damit nicht in das fertige Produkt »übergegangen« und so dem »Übergehen« entnommen. Diese Stellung des Zwecks gilt es sich im nächsten Abschnitt zur Bestimmung des teleologischen Objekts noch etwas genauer anzuschauen. 5.3.2 Erhalt des äußeren Zwecks durch die List der Vernunft Das Übergehen des Zwecks wird – wie Hegel ausführt – aufgrund einer List der Vernunft verhindert. Die List der Vernunft besteht nun darin, dass mechanische Prozesse genutzt werden, um gegen die Natur der mechanischen Objekte, also entgegen dem, was mechanische Objekte eigentlich ausmacht, etwas herzustellen, was die mechanischen Prozesse nicht sind, nämlich eine zweckmäßige Einheit. Durch ihre zweckmäßige Manipulation schaffen sie das zweckmäßige Objekt. Die ablaufenden Prozesse zur Schaffung des Artefakts sind dabei die diesen mechanischen Objekten eigentümlichen : »[D]as negative Verhalten der zweckmässigen Thätigkeit gegen das Object ist insofern nicht ein äusserliches, sondern die Veränderung und der Uebergang der Objectivität an ihr selbst in ihn.« (GW 12, 165). Setzt sich ein Subjekt also zum Beispiel den Zweck, ein Haus zu bauen, so nutzt es kausalmechanische Prozesse, um die zweckmäßige Einheit, das Haus, herzustellen. Die Realisierung dieses Zwecks steckt nun zwar in der Einheit der Komponenten, aus denen das Haus gebaut wurde, aber nur so, dass diese Komponenten dabei selbst abgenutzt werden aufgrund der mechanischen Prozesse wie zum Beispiel aufgrund von Druckverhältnissen, denen sie in der zweck­ mäßigen Einheit ausgeliefert sind. Sie sind damit nichts weiter als selbst Mittel zur Zweckrealisation : »Ein Haus, eine Uhr können als die Zwecke erscheinen, gegen die zu ihrer Hervorbringung gebrauchten Werkzeuge ; aber die Steine, Balken oder Räder, Axen u. s. f., welche die Wirklichkeit des Zweckes ausmachen, erfüllen ihn nur, durch den Druck, den sie erleiden, durch die chemischen Processe, denen sie mit Luft,

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Licht, Wasser preis gegeben sind und die sie dem Menschen abnehmen durch ihre Reibung u.s.f. Sie erfüllen ihre Bestimmung nur durch ihren Gebrauch und Abnutzung, und entsprechen nur durch ihre Negation dem, was sie seyn sollen. Sie sind nicht positiv mit dem Zwecke vereinigt, weil sie die Selbstbestimmung nur äusserlich an ihnen haben, und sind nur relative Zwecke, oder wesentlich auch nur Mittel.« (GW 12, 169).

Die Objekte entsprechen dem subjektiven Zweck also nicht in dem Sinne, dass sie ihn selbständig realisieren und erhalten, sondern nur in dem Sinne, dass sie sich durch die Einheit, in die sie durch ein intentional handelndes Subjekt gebracht worden sind, durch kausalmechanische Prozesse abreiben und verbrauchen lassen. Die Komponenten eines solchen Objekts stehen in dieser Einheit demnach nur durch die listige subjektive Zwecktätigkeit, die die mechanischen Prozesse zur Realisierung ihrer eigenen Zwecke nutzt.50 Die zweckmäßige Einheit wird diesen mechanischen Objekten daher übergestülpt. Sie ist nur eine Zweckmäßigkeit de dicto, nicht de re. Diese Art der Manipulation der mechanischen Objekte durch die List der Vernunft ist Hegel zufolge konstitutiv für den subjektiven, intentional gedachten Zweck. Denn wie Hegel in der Analyse des Mittels herausstellt, wäre der subjektive Zweck unmittelbar eins mit den mechanischen Prozessen, wenn er sich nicht über die Abnutzung mechanischer Mittel realisieren würde. Er würde sich in diesen Prozessen verlieren und als das, was er ist, zugrunde gehen : »In der unmittelbaren Beziehung auf dasselbe [das äußerliche kausalmechanische Objekt, K.K.] träte er [der Zweck, K.K.] selbst in den Mechanismus oder Chemismus und wäre damit der Zufälligkeit und dem Untergange seiner Bestimmung, an und für sich seyender Begriff zu seyn, unterworfen. So aber stellt er ein Object als Mittel hinaus, läßt dasselbe statt seiner sich äusserlich abarbeiten, gibt es der Aufreibung Preis und erhält sich hinter ihm gegen die mechanische Gewalt.« (GW 12, 166)

In einer solchen Realisierung würde der subjektive Zweck nicht nur selbst ein Glied des infiniten Regresses an Ursache-Wirkungs-Relationen, sondern auch zu etwas äußerlich Bestimmtem werden. Er verlöre so seine begriffliche Begründungsfunktion, durch die er allererst als Substanz der bestimmten Einheit des Objekts gilt. Er könnte damit nicht das sein, was zweckmäßige Kausalität gemäß äußerer Zweckmäßigkeit wesentlich sein soll : eine Einheit von Ursache- und Wirkungs-Verhältnissen. Der Zweck

50

So auch : Burbidge (2002b), 239.

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kann in diesem Sinne nicht reduziert werden auf mechanische Prozesse, er bleibt, selbst wenn die mechanischen Komponenten sich abnutzen. Durch die List der Vernunft realisiert sich der subjektive Zweck also zwar als etwas, was er nicht ist, d. i. er realisiert sich in einem ihm äußerlichen Objekt. Im Gegensatz zum Mechanismus ist die Realisation des Zwecks in einem äußerlichen Objekt aber zugleich auch Grund seines Erhalts. 5.3.3 Die Teleologie als die Wahrheit des Mechanismus Fassen wir die Resultate dieses Kapitels kurz zusammen : Zum einen räumt Hegel der Teleologie insofern einen Vorrang gegenüber dem Mechanismus ein, als erst durch einen teleologischen Zugriff auf den Mechanismus die Wirklichkeit einzelner mechanischer Objekte begründet ist. Denn auf kausalmechanischer Grundlage ist der Unterschied zwischen Teilen und Objekten nicht begründet. Dies ist insofern der Fall, als die Teile selbst wieder mechanische Objekte darstellen und sich nur äußerlich zu anderen mechanischen Objekten verhalten. Wie betont, hat die These der Priorität der Teleologie nicht zur Folge, dass unsere Aussagen über kausalmechanische Objekte konstruiert sind in dem Sinne, dass sie schlicht keine Aussagen über mechanische Verhältnisse mehr wären ; im Gegenteil, ich habe dafür argumentiert, dass eine jede Individuierung eines kausalmechanischen Objekts eine ist, die der Struktur des Mechanismus entspricht. Diese Lesart vermag also die Vorrangstellung der Teleologie gegenüber dem Mechanismus zu begründen, ohne das zu unterlaufen, was den Mechanismus ontologisch ausmacht. Die Teleologie hat aber einen logischen Vorrang gegenüber dem Mechanismus : Es kommt nicht zu einem Mechanismus, wenn wir nicht schon teleologische Verhältnisse voraussetzen, da Letztere mechanische Objekte, d. i. Objekte, an denen mechanische Prozesse ablaufen, individuieren. Zum anderen lautet ein weiteres Resultat der Untersuchungen des Verhältnisses von Mechanismus und Teleologie, dass beide Arten der Kausalität nicht in einem Widerspruch zueinander stehen, da sie sich auf verschiedene Aspekte der Wirklichkeit beziehen. Mechanische Prozesse laufen an Objekten, d. i. an Träger-Objekten, ab. Sie bestimmen jedoch die Natur der Objekte nicht, genauso wenig wie die Form der Objekte durch den Mechanismus bestimmt ist. Die Teleologie dagegen ist Individuationsbedingung von Objekten, und zwar indem sie entweder einzelne mechanische Objekte als diese einzelnen mechanischen Objekte bestimmt oder ein einzelnes Zweckobjekt, ein Artefakt, herstellt, welches in seiner Beschaffenheit wiederum von diesem subjektiven Zweck eines Subjekts abhängig bleibt. Mechanische Objekte sind erst durch ihre Individuierung durch in Zwecken tätige Subjekte mechanische Objekte. Mechanische Objekte

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unterscheiden sich von Zweckobjekten bzw. Artefakten dadurch, dass letztere erst durch eine List der Vernunft zu Artefakten werden. Es müssen also zwei Ebenen bei der Darlegung des Verhältnisses zwischen Mechanismus und Teleologie unterschieden werden, nämlich die der durch den teleologischen Zugriff individuierten mechanischen Objekte und die durch zweckmäßige Manipulation mechanischer Objekte zustande gekommenen teleo­ logischen Objekte, d. i. Artefakte. An dieser Stelle wird ersichtlich, inwiefern diese Argumentation antireduktionistisch geprägt ist, obwohl sie die Realität eines blinden Naturmechanismus nicht leugnet. Denn jede Behauptung über die primäre Struktur der Wirklichkeit muss verträglich sein mit der Tatsache, dass es in Zwecken denkende und in Zwecken tätige Subjekte gibt, die sich auf vielfältige Weise auf die Welt beziehen, da dies zur Möglichkeit solcher Behauptungen erfordert wird. Eine Behauptung wie »Die primäre Struktur der Wirklichkeit ist mechanisch«, mit der einhergeht, dass solche kausalmechanischen Erklärungen der Wirklichkeit gegeben werden können, anhand derer wir Teleologie auf diese reduzieren können, ist daher ein performativer Selbstwiderspruch. Sie radiert den Standpunkt in Zwecken denkender und tätiger Subjekte aus, der aber zum Aufstellen einer solchen Behauptung bereits vorausgesetzt ist.

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6. Die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit

T 

eleologische Objekte sind Ausdruck der Zwecktätigkeit denkender und intentional agierender Subjekte. Die Struktur einer solchen Zweckmäßigkeit ist diejenige, die Hegel mit dem Titel ›äußere Zweckmäßigkeit‹ besetzt hat und die Gegenstand des zweiten Teils des letzten Kapitels war. Mit der Konstitution dieser Subjekte haben wir uns jedoch noch nicht beschäftigt ; genauso wenig wie wir uns damit beschäftigt haben, wie sich diese Subjekte, die selbst auch Objekte in einer mechanisch-teleologisch aufgebauten Welt sind, zu mechanischen Strukturen verhalten. Dies gilt es in diesem Kapitel zu diskutieren. Dabei argumentiert Hegel für die Wirklichkeit in Zwecken denkender und in Zwecken handelnder, d. i. intentional agierender Subjekte, die zu ihrer Bedürfnisbefriedigung mechanische1 Objekte in zweckmäßige Form bringen, die also Artefakte schaffen. Artefakte sind – wenn auch nur ihrer Form nach – Zweckprodukte. Nun behauptet Hegel jedoch auch, dass es Zweckprodukte gibt, die keine Artefakte sind. Diese Zweckprodukte sind Hegel zufolge die in Zwecken denkenden und handelnden Subjekte selbst, d. i. Organismen. Organismen sind demnach zweckmäßige Objekte, ihre Glieder haben sich ergänzende Funktionen, die einem Zweck, dem ihrer Selbsterhaltung, dienen. Organismen handeln zum Zwecke ihrer eigenen Selbsterhaltung zielgerichtet. Diese Art der Zielgerichtetheit ist nicht als Ausdruck eines nach Zwecken handelnden und Zwecke setzenden Intellekts zu verstehen, der lebendige Wesen derart eingerichtet hätte. Vielmehr ist diese Zielgerichtetheit Produkt der Natur selbst ; es soll sich um eine Struktur der Zweckmäßigkeit handeln, die nicht auf das absichtsvolle Agieren eines Verstandes zurückzuführen ist. In der Idee des Lebens legt Hegel die logischen Strukturen dieser Art der Zweckmäßigkeit frei, die sich ihm zufolge in lebendigen Individuen, in Organismen, ausdrücken. Dabei greift Hegel selbst die Frage auf, mit der man sich zu Beginn des Abschnittes um die Idee des Lebens konfrontiert sieht, nämlich ob denn ein so »konkreter Gegenstand« wie das lebendige Individuum überhaupt in eine Logik gehöre (vgl. GW 12, 179). So könnte man meinen, dass eine Untersuchung des Lebendigen vielmehr rein empirischer Natur ist.2 Klar ist Wie im letzten Kapitel verwende ich den Begriff ›mechanisch‹ in einem weiten Sinne und will unter diesem also auch chemische Verhältnisse verstanden wissen. 2 Unter der Voraussetzung, dass die Logik als Darlegung der Grundstruktur der Wirklichkeit verstanden werden kann, bedeutet die Inklusion des Lebens in die Logik, dass auch Strukturen des Lebendigen zu einer solchen Grundstruktur zu zählen haben. Die Frage nach der 1

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Die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit

jedoch, dass es Hegel nicht um die Untersuchung empirischer Individuen geht (vgl. GW 12, 180), sondern um die sich in ihnen ausdrückenden Strukturen innerer Zweckmäßigkeit.3 Und ebenso wie Hegel für die Wirklichkeit von Mechanismus und Teleologie argumentiert hat, so argumentiert er nun auch für die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit. Bei seinen Ausführungen in der Idee des Lebens handelt es sich um eine logische Untersuchung erstens der Struktur und zweitens der Relevanz der Konzeption innerer Zweckmäßigkeit. Hegel sucht dieselbe dabei sowohl als eigenständige Form der Kausalität gegenüber dem Mechanismus und der Teleologie auszuweisen, als er auch das logische Verhältnis dieser Formen zueinander darstellt. So möchte er zeigen, dass die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit Voraussetzung der Wirklichkeit äußerer Zweckmäßigkeit ist. Eine Untersuchung der Konzeption innerer Zweckmäßigkeit gehört dann schon allein deswegen in die Logik, weil sie uns die strukturellen Bedingungen aufzeigt, die gegeben sein müssen, um die Voraussetzungsbedingungen äußerer Zweckmäßigkeit freizulegen und einzuholen.4 Im ersten Teil dieses Kapitels gilt es nun, Hegels Konzeption innerer Zweckmäßigkeit nachzugehen und zu begründen, inwiefern diese als eine eigenständige Form der Kausalität ausbuchstabiert werden kann. Mit dem Freilegen der Struktur innerer Zweckmäßigkeit reagiert Hegel auf eine in den kantischen Überlegungen liegende Herausforderung in Bezug auf die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit : Er begegnet der These, gemäß der diese Form der Zweck­ mäßigkeit eine für uns unbestimmte Konzeption und damit auf die Natur nur regulativ anwendbar ist.5 Dazu greift Hegel Kants eigene Herleitung und Diskussion der Konzeption innerer Zweckmäßigkeit auf und buchstabiert sie auf eine Art und Weise aus, gemäß der ersichtlich wird, dass Kant allein aus einer Analyse der Strukturen intentionaler Zweckkausalität und innerer Zweck­ mäßigkeit nicht zu dem Schluss gelangen kann, dass in Bezug auf die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit Skepsis geboten ist. Zugehörigkeit der Idee des Lebens in die Logik wurde und wird auch immer wieder explizit in der Forschungsliteratur aufgegriffen und diskutiert. Siehe dazu beispielweise StekelerWeithofer (2004). Oder auch : Sell (2004). 3 Hegel schreibt die Struktur innerer Zweckmäßigkeit dementsprechend auch nicht nur lebendigen Individuen zu ; Staaten beispielsweise können Hegel zufolge organologisch, d. i. gemäß der Konzeption innerer Zweckmäßigkeit, verstanden werden. Zum organologischen Modell des Staates siehe Sedgwick (2001). James (2020). 4 Hierbei handelt es sich auch um ein transitives Argument, da erst mit dem Nachweis der Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit die Individuationsbedingungen mechanischer Objekte vollständig expliziert sind. Denn für individuierte mechanische Objekte ist – so argumentiere ich im letzten Kapitel – das Gegebensein äußerer Zweckmäßigkeit unabdinglich. 5 Vgl. hierzu auch Abschnitt 4.2.3 dieser Arbeit.

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Die Argumentation für die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit bedeutet nun, eine Begründung für eine Form von Begriffskausalität zu liefern, die nicht davon abhängig ist, dass Begriffe zuvor durch Subjekte repräsentiert werden müssen. Im Gegenteil, Hegel argumentiert, wie ich im zweiten Teil dieses Kapitels zeigen werde, vielmehr dafür, dass die Möglichkeit von in Zwecken denkenden und handelnden Subjekten von der Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit abhängig ist. Die Voraussetzung für die Wirklichkeit äußerer Zweckmäßigkeit ist die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit.6 Dem Argument für die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit gilt es also im ersten Teil dieses Kapitels nachzugehen und dabei vor allem einem Teil der kantischen Argumentation gegen die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit zu begegnen.7 Dazu gilt es zunächst, das Objekt innerer Zweckmäßigkeit, den Organismus, wie er in der Idee des Lebens vorgestellt wird, vorzustellen (6.1.1). Sodann werde ich darstellen, inwiefern die innere Zweckmäßigkeit in Abgrenzung zu der äußeren Zweckmäßigkeit als eine eigene Form der Kausalität betrachtet werden muss (6.1.2). Nach diesem Nachweis gilt es dann, diese eigene Form von Kausalität verständlich zu machen und also der durch Kant gestellten Herausforderung zu begegnen (6.1.3). Im zweiten Teil dieses Kapitels werde ich aufzeigen, inwiefern für Hegel die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit Voraussetzungsbedingung der äußeren Zweckmäßigkeit ist. Dafür gilt es sich zunächst zu verdeutlichen, dass eine jede Interpretation von Zweckkausalität zu kurz greift, wenn sie als Ausgangspunkt den subjektiven zu realisierenden Zweck eines Subjekts wählt und von dort Zweckkausalität erläutert. Es gilt vielmehr die Rolle des Mittels in den Vordergrund zu stellen (6.2.1). Sodann werde ich die Untersuchung des Mittels vertiefen und darlegen, dass eine Untersuchung des Mittels in der Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit ergibt, dass diese selbst auf die Wirklichkeit der inneren Zweckmäßigkeit angewiesen ist. Die Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit unterliegt Voraussetzungen, die selbst über diese Konzeption nicht einzuholen sind (6.2.2). Zuletzt werde ich den Charakter der zwischen der Konzeption äußerer und innerer Zweckmäßigkeit etablierten Abhängigkeitsbeziehungen herausstellen (6.2.3). Mit einem Abschnitt resümierenden Charakters schließe ich dieses Kapitel ab (6.3). Diese Argumentationsstruktur wird  – soweit ich sehe  – in der Forschungsliteratur nicht pointiert genug diskutiert. Entweder widmen sich Studien dem Teleologiekapitel oder dem Kapitel der Idee des Lebens allein, ohne sich mit dem Zusammenhang beider ausführlicher auseinanderzusetzen. Aus handlungstheoretischer Perspektive wird der Zusammenhang zwischen äußerer und innerer Zweckmäßigkeit von Yeomans diskutiert ; vgl. Yeomans (2012), 237–257, insb. 246 f. 7 Weitere Einwände gegen die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit sind der mereologische und backward-causation-Einwand. Diese beziehen sich jedoch nicht auf die Zweckanalyse per se, sondern resultieren aus weiteren Annahmen über die Struktur der Wirklichkeit, weswegen ich sie an dieser Stelle nicht behandele. Auf diese Einwände werde ich in 8.2 eingehen. 6

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6.1 Zweckkausalität in der Idee des Lebens Wie im letzten Kapitel erwähnt, unterscheidet Hegel mit Kant zwischen zwei Zweckmäßigkeitskonzeptionen : zwischen der äußeren Zweckmäßigkeit und der inneren Zweckmäßigkeit. Hegels Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit war bereits Gegenstand des letzten Kapitels. Gemäß dieser Konzeption ist Zweckkausalität an die Repräsentation von Zwecken durch einen Verstand gebunden. Dies soll nun für Hegels Konzeption innerer Zweckmäßigkeit nicht der Fall sein ; sie ist rein funktional-begrifflich und nicht intentional bestimmt. Sie soll insofern eine eigene Form der Kausalität bilden. Die durch Kant etablierte Herausforderung für Hegel liegt nun darin, diese Art der Zweckmäßigkeit als eine genuine Art der Zweckkausalität verständlich zu machen.8 Dazu muss Hegel zeigen, dass im Leben ein genuines Zweckverhältnis vorliegt ; dass ein Zweckverhältnis etabliert ist, welches nicht von der Repräsentation von Zwecken durch einen Verstand abhängig ist, wie es Kant behauptet. Und Hegel argumentiert dafür, dass es bereits die drei von Kant benannten charakteristischen Momente von Organismen9 sind, die den Leitfaden zur Begründung der Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit bilden. Diese Momente sind das lebendige Individuum in seiner Selbstgestaltung, die sich durch die wechselseitige zweckmäßige Bedingtheit der Glieder zueinander vollzieht, das Verhältnis desselben zu seiner Umwelt10, d. i. der Lebensprozess, und das Verhältnis desselben zu seiner Gattung, d. i. der Gattungsprozess.11 Anders als zum Beispiel Lindquist denke ich nicht, dass der Kant umtreibende mereologische Einwand gegen die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit in Hegels Analysen in der Idee des Lebens eine große Rolle spielt, noch denke ich – wie etwa Kreines – , dass Hegel primär dem backward-causation-Einwand in seinen Analysen innerer Zweckmäßigkeit zu begegnen sucht. Vgl. Kreines (2015), 85 f. und 93–97. Lindquist (2018), 385 f. Meiner Lesart zufolge ist Hegel diesen Einwänden bereits begegnet, indem er Mechanismus und Zweckmäßigkeit verschiedenen Aspekten der Wirklichkeit zuweist. Ich komme auf diesen Punkt im Abschnitt 8.2 dieser Arbeit noch einmal zurück. 9 Meine Interpretation Kants hatte zum Ergebnis, dass wir Kant zufolge bestimmte Naturgegenstände nur über die Anwendung des Naturzweckbegriffs auch als Organismen bezeichnen dürfen. Da nicht klar ist, ob diese bestimmten Naturgegenstände Naturzwecke sind, hat auch die Bezeichnung derselben als Organismen einen nur subjektiven Status. Wie ich in diesem Kapitel zeigen werde, ist dies für Hegel insofern klarerweise nicht der Fall, als Hegel zufolge bestimmte Naturgegenstände tatsächlich Naturzwecke und damit Organismen sind. Auf einen expliziten Vergleich der kantischen und hegelschen Zweck- und damit auch Organismuskonzeption komme ich im siebten Kapitel dieser Arbeit zurück. 10 Hegel selbst verwendet den Begriff ›Umwelt‹ nicht. Die Verwendung dieses Begriffs ist vielmehr eine anachronistische Anwendung meinerseits, von der ich jedoch denke, dass sie trifft, was Hegel unter dem Begriff ›objektive Welt‹ (vgl. GW 12, 187) an dieser Stelle verstanden wissen will. Es geht ihm nämlich um die objektive Welt, mit der der Organismus immer schon in Interaktion ist. 11 Vgl. die Ausführungen zu Kants Konzeption innerer Zweckmäßigkeit, Abschnitt 5.2.2 dieser Arbeit. 8

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Im Folgenden werde ich in den ersten beiden Abschnitten zunächst Hegels Analyse des lebendigen Individuums, des Organismus, vorstellen, indem ich den Unterschied zu Objekten äußerer Zweckmäßigkeit, Artefakten, diskutiere und innere Zweckmäßigkeit als eigene Form der Kausalität herausstelle. Im letzten Abschnitt gilt es dann, Hegels Argument gegen Kant darzulegen, welches ich anhand einer Interpretation vor allem der anderen beiden Momente von Organismen, dem Lebensprozess und dem Gattungsprozess, vornehmen werde. 6.1.1 Das Objekt innerer Zweckmäßigkeit Auch gemäß der Konzeption innerer Zweckmäßigkeit ist dasjenige Zweck, was in dem Begriff des Zwecks gegründet ist und sich dadurch erhält. Es ist nun üblich, den Unterschied zwischen äußerer und innerer Zweckmäßigkeit wie folgt zu fassen : Anders als bei der äußeren Zweckmäßigkeit soll der Begriff gemäß der inneren Zweckmäßigkeit keine subjektive Repräsentation des Zwecks sein. Der Begriff des Ganzen darf nicht wie bei dem im letzten Kapitel herangezogenen Hausbeispiel unabhängig von dem tatsächlich realisierten Objekt bestehen. Denn die ihn begründende Einheit wäre dann nicht mehr Produkt der Natur selbst, sondern sie gliche insofern einem Artefakt, als sie von einem Zwecke setzenden Verstand abhängig ist. Gemäß der Konzeption innerer Zweckmäßigkeit muss der Begriff also vielmehr inneres Prinzip und Grund der Selbstorganisation und Selbsterhaltung des Zweckprodukts sein. Organismen stehen paradigmatisch für eine solche Zweckkonzeption. Der Organismus ist Hegel zufolge erster unmittelbarer Ausdruck innerer Zweckmäßigkeit. Um den spezifischen Unterschied dieser Form von Zweckkausalität zu der äußeren Zweckkausalität darzulegen, müssen wir uns einer Unterscheidung bedienen, die bereits in der Explikation der äußeren Zweckmäßigkeit eine entscheidende Rolle gespielt hat : die zwischen der genetischen und der begründungslogischen Ebene. Auf genetischer Ebene ist der Organismus auf der einen Seite ein mechanische Kräfte nutzendes und aber auch ein auf mechanische Verhältnisse angewiesenes Objekt. Die Art und Weise etwa, in der sich der Organismus auf die ihm äußeren Objekte bezieht, zum Beispiel im Ergreifen von Objekten zum Selbsterhalt des Organismus, ist eine mechanische Kräfte nutzende. Und auch zum Beispiel die Aufnahme dieses Objekts im Organismus, etwa die Zersetzung eines assimilierten Objekts etc., ist wesentlich von den Abläufen mechanischer Prozesse abhängig (vgl. GW 12, 189). Insofern der Organismus selbst auch mechanische Kräfte zu seiner eigenen Reproduktion12 nutzt und Reproduktion das ist, 12

Diesen Begriff verwendet Hegel im ersten Abschnitt zur Idee des Lebens, in dem es um das einzelne lebendige Individuum geht, im Sinne von Selbsterhaltung. Mit ›reproduzieren‹ meine ich an dieser Stelle also ›sich selbst erhalten‹.

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was ihn wesentlich ausmacht, ist er auf mechanisch ablaufende Verhältnisse angewiesen (vgl. GW 12, 187).13 Auf der anderen Seite ist der Organismus nicht nur Nutznießer mechanischer Verhältnisse, sondern diese sind es, die ihn letztlich auch zerstören. Der Organismus ist aufgrund der in ihm ablaufenden mechanischen Prozesse, von denen er zu seiner eigenen Realisation abhängig ist, endlich. Sie sind »der lebendigen Individualität entgegen« (GW 12, 184). Denn diese mechanisch ablaufenden Prozesse sind nicht durch Reproduktion gekennzeichnet, sondern durch Produktion und laufen damit der Zweckkausalität zuwider.14 Die reproduzierende Art der Kausalität des Zwecks im Organismus ist eine immer wieder neu zu beanspruchende und damit eine nur sich begrenzt erhaltende. Und insofern die kausalmechanischen Verhältnisse innerhalb des Organismus nicht aufhören, auch produzierende statt reproduzierende Verhältnisse zu sein, gilt : »Als Objectivität hat sie [die Idee, K.K.] das Moment der Aeusserlichkeit des Begriffs an ihr und ist daher überhaupt die Seite der Endlichkeit, Veränderlichkeit und Erscheinung« (GW 12, 176). Auf begründungslogischer Ebene argumentiert Hegel wie folgt : Der Organismus ist kein aus rein mechanischen Kräften zusammengesetztes Ganzes. Das, was ein Organismus ist, lässt sich nicht mit Hilfe mechanischer Erklärungen fassen. Der grundlegende Punkt, den Hegel in der Idee des Lebens mit der Einführung innerer Zweckmäßigkeit vielmehr fruchtbar macht, ist derjenige, dass der Organismus eine Struktur hat, die in seinem notwendigen Bezogensein auf andere Objekte sowie in seinem notwendigen Bezogensein auf die sich im Organismus abspielenden mechanischen Prozesse identisch bleibt.15 Hegel argumentiert also dafür, dass der Organismus eine Struktur hat, die sich reproduziert – auch wenn diese Reproduktion des Zwecks in seinem Anderen sich nur zu dem Preis des eigentlichen Abnutzens der organischen Glieder durch mechanische Prozesse vollzieht. Der Organismus ist damit weder ein Haufen an Materie noch ein aus materiellen Teilen mechanisch zusammengesetztes Aggregat. Er ist vielmehr »[n]ach […] [seiner] Aeusserlichkeit […] ein vielfaches nicht von Theilen, sondern von Gliedern, welche als solche […] nur in der Individualität bestehen ; sie sind trennbar, insofern sie äusserliche sind und an dieser Aeusserlichkeit gefaßt werden können ; aber insofern sie getrennt werden, kehren sie unter die mechanischen und chemischen Verhältnisse der gemeinen Objectivität zurück.« (GW 12, 184)

Zur Abhängigkeit dieser Form von Zweckkausalität von kausalmechanischen Prozessen siehe auch Kreines (2015), 100–103. 14 Siehe zu dieser Charakterisierung auch die Abschnitt 5.2 und 5.3.1 dieser Arbeit. 15 Vgl. Emundts (2012), 353. 13

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Der Zweck drückt sich also in einem dem Organismus eigentümlichen Prinzip der Selbstorganisation und Selbsterhaltung aus.16 Im Gegensatz zum Artefakt sind sich die Glieder des Organismus durch seine Selbstorganisation einander Zweck und Mittel. Und diese wechselseitige Zweck-Mittel-Relation ist zugleich nichts anderes als der Zweck der Selbsterhaltung. An einem natürlichen Organismus können wir uns dies schnell verständlich machen : Das Pumpen des Herzens etwa ist Grund für die Versorgung der anderen Organe mit sauerstoffhaltigem Blut und ist insofern ein Mittel zur Erhaltung der anderen Glieder des Organismus, die dementsprechend Zwecke sind. Die Lungen wiederum sorgen für den Sauerstoffaustausch und ermöglichen dadurch erst sauerstoffhaltiges Blut, welches für den Erhalt der anderen Glieder notwendig ist. Insofern sind die Lungen Mittel zur Erhaltung der anderen Glieder, wie zum Beispiel des Herzens, das in dieser Hinsicht Zweck ist. Die jeweiligen Glieder in einem Organismus verhalten sich in diesem Sinne jeweils als Zweck und Mittel zueinander und tragen zu ihrer gegenseitigen Regeneration, d. i. zu ihrem Erhalt, und dadurch zu dem Erhalt des gesamten Organismus, d. i. der Realisierung des Zweckes, bei. Zugleich sind die einzelnen Glieder eines Organismus auch nur das, was sie sind, durch ihre Funktion, die sie innerhalb dieses organischen Ganzen innehaben. So ist Hegel zufolge ein abgeschlagener Finger kein Finger mehr, da er die ihm eigentümliche Funktion im vom Organismus abgeschlagenen Zustand nicht mehr erfüllen kann (vgl. GW 24,3, 1515, § 350). Dies bedeutet nicht, dass wir einen Finger nicht mechanisch untersuchen können. Natürlich können wir die mechanisch ablaufenden Prozesse in einem Finger untersuchen, doch erklären wir damit nicht, was ein Finger ist.17 Insofern also nun die Mittel, die Organe, unmittelbarer Ausdruck der Selbsterhaltung und damit des Zweckes des Organismus sind und die jeweilige Funktion eines Gliedes des Organismus nur innerhalb des Organismus besteht, handelt es sich hier um Zweckkausalität : Auch in der inneren Zweckmäßigkeit bleibt der Zweck im Mittel erhalten und verschwindet nicht in diesem. Auch in Dieser Gedanke geht letztlich auf Kants Analysen des Naturzweckbegriffs im § 65 der Kritik der Urteilskraft zurück ; vgl. KdU, AA V 373 f. Hegel selbst verweist in seinen Analysen innerer Zweckmäßigkeit nicht nur auf Kant, sondern auch auf Aristoteles (vgl. GW 20, 209 f., § 204). 17 So führt Hegel auf dieselbe Weise an, dass wir Blut auf seine mechanisch-chemische Zusammengesetztheit hin untersuchen können, doch allein unter dieser Perspektive betrachten wir Blut als mechanische-chemische Substanz und eben nicht Blut als solches. Wir erklären dadurch nicht die Existenz von Blut (vgl. GW 24,3, 1560, § 365). Wie auch Lindquist hervorhebt, folgt Hegel hier dem aristotelischen Gedanken, dass der abgeschlagene Finger oder aus dem Organismus entnommenes Blut nur im Sinne einer Homonymie der Finger oder das Blut bleiben. Der abgeschlagene Finger kann die Funktion eines Fingers nicht mehr erfüllen, auch wenn wir ihn noch als Finger bezeichnen, ist er kein Finger mehr. Vgl. Lindquist (2018), 388. 16

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der inneren Zweckmäßigkeit sind die Glieder wesentlich über ihre Funktion bestimmt.18 Wie bei Artefakten ist in Organismen der Begriff – Hegels Terminologie folgend – also »Substanz« derselben (GW 12, 184). Nun habe ich herausgestellt, inwiefern Organismen selbst als Zweckprodukte gelten können. Die so gewonnene Charakterisierung innerer Zweckmäßigkeit bleibt aber zu oberflächlich und zu unterbestimmt, um die Differenz zwischen äußerer und innerer Zweckmäßigkeit hinreichend zu erläutern. Denn auch die Teile eines Artefaktes nutzen sich ab. Und – wie gerade erwähnt – bestimmen sich auch die Teile eines Artefakts über ihre Funktion. Auch das Dach eines Hauses existiert nur als Mittel zum Erhalt des Hauses und insofern das Dach selbst Teil des Hauses ist, lässt es sich auch als Zweck bestimmen, denn der Erhalt des Daches trägt zum Erhalt des Hauses bei. Wie also lässt sich die spezifische Differenz beider Formen der Zweckkausalität angemessen erläutern ? 6.1.2 Innere Zweckmäßigkeit als eigene Form der Kausalität Auf begründungslogischer Ebene muss sich die Abhängigkeit des Zwecks vom Objekt in einem Spannungsfeld bewegen, in welchem der Zweck nicht einfach identisch mit dem Objekt ist, in welchem er aber auch nicht qua Manipulation mechanischer Verhältnisse die Zweckeinheit herstellt, wie es bei Artefakten der Fall ist. Der Zweck muss demnach in einer begründungslogischen Beziehung zu dem äußeren Objekt stehen, in welchem er nicht bereits bestehende Objekte zum Schaffen einer Zweckeinheit manipuliert, sondern die Existenz des Organismus samt seiner Glieder begründet. Über die Abgrenzung zur Zweck-Mittel-Einheit, die in der äußeren Zweckmäßigkeit gebildet wird, lässt sich dieser Punkt gut verständlich machen : Zwar sind auch über die äußere Zweckmäßigkeit die Teile eines Ganzen funktional bestimmt. Das Dach eines Hauses ist ein Dach, weil es eine bestimmte Funktion innerhalb dieses Ganzen einnimmt. Ebenso wie eine Hand aufhört, eine Hand zu sein, sobald sie abgetrennt wird, hört das Dach auf, Dach zu sein, wenn es nicht mehr in dieser das Haus konstituierenden zweckmäßigen Einheit steht. Dass jedoch das Haus nur aufgrund der Manipulation kausalmechanischer Objekte realisiert wird, bedeutet, dass auch seine Teile aufgrund kausalmechanischer Manipulation entstehen. Die Zweck-Mittel-Dialektik äußerer Zweck­mäßigkeit bezieht sich also auch auf jeden entsprechenden Teil des Hauses. Das Dach kann selbst als Zweck angesehen werden, insofern ein entsprechendes Subjekt bestimmte Mittel, wie Material und Werkzeuge, heranschaffen muss, um es herzustellen. Das Dach entsteht aufgrund der Manipulation kausal­ 18

Vgl. Abschnitt 5.3.1.

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mecha­nischer Objekte, d. i. es entsteht, indem ich Steine auf eine gewisse Art und Weise zueinander in Beziehung setze und ihnen durch Ausnutzung kausalmechanischer Prozesse Halt gebe. Dies macht die real existierenden Objekte, die Steine, aus denen das Dach besteht, wiederum nur zu Mitteln der Realisierung des Zwecks, in diesem Fall des Daches. Zur Herstellung des Daches beziehen wir uns also auf bereits kausalmechanisch gegebene Objekte, die als Objekte existieren, ohne in dieser bestimmten zweckmäßigen Einheit zu stehen, die das Haus zu einem Haus macht. Die Einheit, die ein Artefakt zu einem Artefakt und nicht zu einem Haufen oder Aggregat macht, wird also zwar durch den Zweckbegriff begründet. Dennoch ist das Artefakt auf genetischer Ebene im Ganzen und in seinen Teilen nichts anderes als ein aus mechanischen Objekten zusammengesetztes Ganzes, in welchem allein mechanische Kräfte zum Erhalt dieses Ganzen wirken. Der Begriff ist – so Hegel – »hierdurch als ein formelles gesetzt [...], [und] so ist ihr [der äußeren Zweckmäßigkeit, K.K.] der Inhalt auch ein ihm [dem Begriff, K.K.] äusserlich in der Mannichfaltigkeit der objectiven Welt gegebenes – in eben jenen Bestimmtheiten, welche auch Inhalt des Mechanismus, aber ein äusserliches, zufälliges sind.« (GW 12, 156)

Sowie der Zweck, das Haus, in der Realisierung des Hauses nur ein formelles Dasein hat, so hat er also auch in der Realisierung des Daches ein nur formelles Dasein. Gemäß der äußeren Zweckmäßigkeit ist der Begriff zwar Substanz des zweckmäßigen Objekts, mechanische Objekte fungieren aber als Ursprung derselben, insofern die Mittel zum Hausbau auch unabhängig von ihrem Sein in einem Haus zu existieren vermögen. Im Gegensatz zur äußeren Zweckmäßigkeit, in der die Teile eines in einer zweckmäßigen Einheit stehenden Objekts also auch für sich existieren können, ist dies bei den Gliedern des Organismus nicht der Fall. Die Glieder des Organismus haben zwar, wie die Steine als Teile des Hauses, eine funktionale Rolle inne, sie sind Mittel zum Erhalt der Zweckeinheit. Doch existieren die Glieder im Organismus im Unterschied zu den Steinen erst aufgrund ihrer funktionalen Rolle. Nicht nur die Form ist durch die Funktion das, was sie ist, sondern auch die Existenz dieser Glieder ist in ihrer Funktion begründet. Wenn wir etwa bestimmen wollen, was Steine wesentlich sind, wäre es abwegig darauf zu verweisen, dass Steine Mittel zum Hausbau sind. Diese Funktion kommt Steinen nur zufällig zu. Wenn wir aber bestimmen wollen, was ein Herz ist, können wir nicht nur, sondern wir müssen auf die Funktion des Herzens im Organismus verweisen. Zur Erklärung der Natur des Herzens müssen wir also – im Gegensatz zu der Erklärung eines Steines – auf die Funktion verweisen, die es im Organismus einnimmt. Wir können diese Natur damit nur innerhalb der Zweck-Mittel-Ein-

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heit, die der Organismus ist, explizieren. Wir müssen also so etwas sagen wie : »Das Herz schlägt, um Blut zu pumpen, das Blut zirkuliert, um die Zellen mit Sauerstoff zu versorgen. Die Zellen werden mit Sauerstoff versorgt, um den Organismus sowie auch das Herz selbst am Leben zu erhalten.« Zur Begründung dessen, was ein Herz ausmacht, müssen wir also auf das Ganze des Organismus selbst verweisen, d. h. auf die ganze Zweck-Mittel-Einheit, die er bildet, weil das Herz nur aufgrund dieser seiner Funktion im Ganzen ein Herz ist.19 Für den Stein, der zum Hausbau benutzt wird, gilt nicht, dass seine Natur nur über die Zweckeinheit erklärbar ist, in der er sich befindet, wenn er Teil eines Hauses ist. Gegenüber der mechanischen Welt stellt der Organismus – wie auch bereits das Artefakt – etwas dar, dessen reproduktive Einheit kausalmechanisch nicht begründet werden kann, weil es sich bei der Zweckmäßigkeit um eine gegenüber dem Mechanismus eigene Form der Kausalität handelt. Insofern nun aber der Begriff der Zweckeinheit in der inneren Zweckmäßigkeit kein formeller ist, der sich erst über eine Ausnutzung kausalmechanischer Prozesse in die kausalmechanische Natur übersetzen muss, drückt er sich – im Gegensatz zum Artefakt – unmittelbar in dem Organismus aus (vgl. GW 12, 182).20 Und insofern die Existenz der Glieder des Organismus nur über die Zweckeinheit, die der Organismus selbst bildet, begründet werden kann, ist der Begriff im Gegensatz zu Artefakten nicht nur Substanz, sondern auch Ursprung der Glieder des Organismus. Die auf Zweckkausalität bezogene hegelsche Rede des Begriffs als Substanz habe ich bereits in Abschnitt 5.3.1 derart bestimmt, dass der Zweck (Begriff) die bestimmte Einheit, die ein Objekt erst zu dem Objekt macht, das es ist, begründet. Als ›Ursprung‹ deute ich den Begriff insofern zugleich, als die Glieder nicht etwas anderes waren, bevor sie in der Zweckeinheit standen, sondern gerade durch diese zustande gekommen sind. Innere Zweckmäßigkeit ist damit also auch gegenüber der äußeren Zweckmäßigkeit als eigene Form der Kausalität zu bestimmen. Diese Bestimmung reicht bereits aus, um die beiden Arten von Objekten, die jeweils in der äußeren und inneren Zweckmäßigkeit gründen, voneinander abzugrenzen.21 Denn klar wird nun Folgendes : Mechanische Prozesse dienen zwar – bis zu einem gewissen Grade – zum eigenen Erhalt und damit auch zum Erhalt der Glieder des Organismus, doch ist der Organismus auch auf genetischer Ebene nicht ein allein aus mechanischen Prozessen bestehendes Objekt. Denn bei Produkten innerer Zweckmäßigkeit kann von einer List der Vernunft Vgl. deVries (1991), 64. Diese sich im Organismus ausdrückende Unmittelbarkeit der Einheit von Subjekt und Objekt dient Hegel ferner zur Abgrenzung der anderen Ideen von der Idee des Lebens ; vgl. GW 12, 177. 21 Eine positive Bestimmung der Art des Gegebenseins des Zwecks im Objekt gemäß der inneren Zweckmäßigkeit verfolge ich in Abschnitt 6.1.3. 19

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keine Rede mehr sein. Anders als in der äußeren Zweckmäßigkeit werden die mechanisch-chemischen Objekte nicht ausgenutzt, um etwas herzustellen, was sie selbst nicht sind, sondern vielmehr sind die im Organismus befindlichen Glieder überhaupt nicht existent, wenn sie sich nicht im Organismus befinden würden. Das bedeutet nicht, dass sich die Glieder nach Abtrennung vom Organismus in Luft auflösen ; natürlich existiert die abgeschlagene Hand noch. Dies bedeutet auch nicht, dass Organismen nicht auch aus mechanischen Prozessen bestehen, die in denselben ablaufen. Worauf Hegel vielmehr hinaus möchte, ist, dass wir Organismen zwar als mechanische Produkte betrachten und untersuchen können, aber insofern wir sie nur als mechanische Produkte betrachten, gelangen sie nur als tote, nämlich mechanische Objekte in unser Blickfeld ; das, was Organismen als Organismen ausmacht, ist dann gerade nicht Gegenstand unserer Betrachtung : »Als Aeusserlichkeit ist sie [die sich im lebendigen Individuum ausdrückende Objektivität, K.K.] solcher Verhältnisse zwar fähig, aber insofern ist sie nicht lebendiges Daseyn ; wenn das Lebendige als ein Ganzes, das aus Theilen besteht, als ein solches, auf welches mechanische oder chemische Ursachen einwirken, als mechanisches oder chemisches Produkt, es sey bloß als solches oder auch durch einen äusserlichen Zweck bestimmtes genommen wird, so wird der Begriff ihm als äusserlich, es wird als ein Todtes genommen.« (GW 12, 183 f.)

Wie bereits betont, bedeutet dies, dass die Begründung der Existenz eines Gliedes des Organismus wie beispielsweise der Hand, immer nur über die Funktion, die sie im Organismus hat, eingeholt werden kann, weil die Existenz eines Gliedes, in diesem Fall der Hand, darin gründet, Glied eines Organismus zu sein. Die Existenz eines Gliedes ist damit über das begründet, was den Organismus als Lebendigen ausmacht, über seine eigene Selbstreproduktion, d. i. über seine Zweckkausalität. Für eine Begründung der Existenz eines toten Objekts wie etwa eines Steines führen wir dagegen nicht die Funktion an, die er im Hausbau innehat, weil die Existenz eines Steines nicht von seiner Funktion, die er in einem Haus einnimmt, abhängig ist. So ist es Hegel zufolge denn auch »unstatthaft«, Ursache-Wirkungs-Beziehungen auf Verhältnisse, die sich auf die eigentümliche, reproduktive Struktur des Organischen beziehen, also auf das, was das Lebendige als Lebendiges ausmacht, anzuwenden. Denn »[h]ier zeigt sich das, was Ursache genannt wird, freylich von anderem Inhalte als die Wirkung, darum aber, weil das, was auf das Lebendige wirkt, von diesem selbständig bestimmt, verändert und verwandelt wird, weil das Lebendige die Ursache nicht zu ihrer Wirkung kommen läßt, das heißt, sie als Ursache aufhebt. So ist es

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unstatthaft gesprochen, dass die Nahrung die Ursache des Bluts, oder diese Speisen oder Kälte, Nässe, Ursachen des Fiebers u.s. fort seyen ; […].« (GW 11, 400)

Wie im Abschnitt 5.2.1 ausgeführt, argumentiert Hegel dafür, dass UrsacheWirkung-Beziehungen denselben Inhalt haben. Das, was die Ursache ist, ist auch die Wirkung. Am Beispiel des Regens buchstabiert er diese These aus. In diesem Fall ist die Ursache die Nässe des Regens, so wie die Wirkung die Nässe ist, die sich in Form von Pfützen auf der Straße findet (vgl. GW 11, 399). Bei kausalen Prozessen des Lebendigen wird der aufgenommene Inhalt zum Zwecke der Selbsterhaltung des Lebendigen jedoch transformiert : In der Nahrungsaufnahme wird diese auf eine dem jeweiligen Lebendigen eigentümliche Weise zersetzt, bestimmte Nährstoffe werden entzogen und in Energie umgewandelt. Die Identität des so mitgeteilten Inhalts bleibt nicht erhalten zum Zwecke der Selbsterhaltung des Organismus. Diese Identität zeichnete jedoch Ursache-Wirkungs-Beziehungen und damit auch mechanische Beziehungen Hegel zufolge wesentlich aus. Im Gegensatz dazu ist es nicht »unstatthaft«, Ursache-Wirkungs-Beziehungen auf Artefakte anzuwenden. Denn  – wie wir sahen  – funktionieren diese selbst gemäß solcher Kausalverhältnisse. So kann die Witterung, z. B. dauerhaft regnerisches Wetter, die Ursache für das Modrig-Werden des Holzes eines Hauses sein. Wir haben nun ein gutes Bild davon erhalten, was es bedeutet, dass die Glieder des Organismus  – wie Hegel es formuliert  – »nur in der Individualität« (GW 12, 184) desselben bestehen. Und wie wir sahen, kommt dem Organismus als nur in dieser Individualität existierend eine eigenständige Form der Kausalität zu.22 Diese Kausalität bleibt bis hierher aber insofern noch obskur, als ich sie weitestgehend nur negativ bestimmt habe, daher gilt es, dieselbe im Folgenden positiv zu explizieren. 6.1.3 Der Begriff als Substanz des Organismus Gemäß der inneren Zweckmäßigkeit muss im Organismus auf begründungslogischer Ebene eine bestimmte Art der Abhängigkeit von Begriff und Objekt bestehen, die eine teleologische Beurteilung des Objektes rechtfertigt. Gemäß 22

deVries stimme ich darin zu, dass uns solche Zweckerklärungen etwas über das wesentlich Sein des Objektes selbst enthüllen sollen. Im Gegensatz zu deVries denke ich jedoch nicht, dass Zweckkausalität eine besondere Form der Ursache-Wirkungs-Beziehung ist ; Vgl. ­deVries (1991), 58. Hegel wendet sich vielmehr mehrfach gegen die Vorstellung, dass mit Hilfe des Ursache-Wirkungs-Vokabulars Zweckkausalität angemessen erklärt werden könnte (so zum Beispiel GW 12, 160 f). Siehe dazu auch Abschnitt 8.2.

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der Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit ist der Begriff eine subjektive Repräsentation in einem Verstand, die im Objekt verwirklicht wird. Wir haben gesehen, dass dies gemäß der Konzeption innerer Zweckmäßigkeit nicht der Fall sein darf, da das Zweckprodukt so nur durch Manipulation äußerer Objekte zu diesem Zweckprodukt werden würde. Gemäß der inneren Zweckmäßigkeit wird die Existenz des Zweckprodukts samt seiner Glieder jedoch allererst durch den Begriff gerechtfertigt. Das Zweckprodukt muss also in diesem Sinne einerseits direkter Ausdruck des Begriffs sein. Andererseits darf die Abhängigkeit des Objekts von seinem Begriff aber auch nicht in einer einfachen Identität zwischen Begriff und Objekt bestehen. Denn eine im letzten Kapitel gewonnene Einsicht lautet, dass der Zweck sich zu seiner Reproduktion in etwas anderem als seiner selbst verwirklichen muss und so einer Form der Äußerlichkeit bedarf.23 Diese These würde nicht mehr gelten, wenn die Abhängigkeit von Begriff und Objekt in einer einfachen Identifikation bestehen würde. In welchem Verhältnis also stehen der Begriff und das Objekt, d. i. der einzelne Organismus ? Zu einer Klärung dieser Frage ist es sinnvoll, auf die einzelnen Stufen zurückzukommen, in denen Hegel die Struktur des Organismus expliziert, und sie mit Kants Herleitung des Naturzweckbegriffs in Verbindung zu setzen : die individuelle Selbstgestaltung, der Lebensprozess und der Gattungsprozess. Bereits diese Stufenfolge deutet darauf hin, dass die begrifflichen Strukturen des Lebendigen eine über den einzelnen Organismus hinausgehende Bedeutung haben. Bisher haben wir nur die erste Stufe ausbuchstabiert. Kant zufolge müssen nun zum Vorliegen innerer Zweckmäßigkeit zwei Bedingungen erfüllt sein : erstens die Bedingung, gemäß der die Existenz und die Form der Teile nur durch das Ganze möglich sind (KdU, AA V 373). Und zweitens muss die Bedingung erfüllt sein, dass die Teile eines Ganzen sich gegenseitig Zweck und Mittel sein müssen und so das Ganze wechselseitig hervorbringen (KdU, AA V 373). Aus den letzten beiden Abschnitten wurde ersichtlich, dass Hegel diese beiden von Kant gegebenen Bedingungen, die zum Vorliegen innerer Zweckmäßigkeit erfüllt sein müssen, teilt : Das Ganze muss eine begründende Funktion für Existenz und Form der Teile einnehmen ; am Dach- und am Hand-Beispiel ist dies jeweils deutlich geworden. Zudem muss sich das Ganze durch die wechselseitige Funktion der Glieder erhalten. Hegels These, dass die Teile eines Organismus als Glieder derselben zu verstehen sind, die nur in der Individualität des Organismus existieren und sich nur in dieser Individualität erhalten, ist eine Ausbuchstabierung dieser Bedingung. Nachdem Hegel beide Bedingungen auf der ersten Stufe, der der Selbstgestaltung des Individuums, aufgegriffen und expliziert hat, geht er zur Ausbuchstabierung des Lebensprozesses und des Gattungsprozesses über. Diese 23

Siehe Abschnitt 5.3.1.

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verstehe ich nun als ein Argument gegen Kants These der Unverständlichkeit des Naturzweckbegriffs.24 Hegel argumentiert dabei, wie vor allem Kreines geltend macht, »from commitments internal to Kant’s own challenge«.25 Dabei – auch hier folge ich Kreines – argumentiert Hegel, dass für das Erfülltsein der ersten Bedingung, der Bedingung, dass die Existenz und die Form der Teile nur durch die Beziehung auf das Ganze möglich sind, die Repräsentation des Ganzen in einem Verstand – wie Kant es behauptet – nicht notwendig ist. Hegel setzt vielmehr dagegen, dass die These, gemäß der Organismen selbst begrifflich verfasst sind, auf eine Art und Weise ausbuchstabiert werden kann, gemäß der verständlich wird, inwiefern die Bedingungen zum Vorliegen einer Abhängigkeit der Teile von dem Ganzen erfüllt sind. Um dies einzusehen, müssen wir ›nur‹ – so Hegel – die bereits von Kant gegebenen charakteristischen Momente des Organismus ausbuchstabieren und auf diese Weise also das oben angesprochene Verhältnis zwischen Begriff und Objekt klären. Durch die Analyse des ersten Moments, der Konstitution oder Selbstgestaltung des lebendigen Individuums, ergab sich zwar, dass wir die innere Zweckmäßigkeit als eine eigenständige Form der Zweckmäßigkeit betrachten müssen, doch wurden dadurch die dem Organismus unterliegenden Strukturen noch nicht vollständig freigelegt. Um Hegels Argument für die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit darzustellen, gilt es nun, die weiteren Momente, die den Organismus Hegel zufolge wesentlich ausmachen, d. i. sein Verhältnis zur Umwelt sowie sein Verhältnis zur Gattung zu explizieren. Dabei wird sich der letzte als der wichtigste Schritt für das Argument der Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit erweisen.26 Wie bereits im letzten Abschnitt betont, realisiert sich der Organismus qua seines Zweckseins in und durch das ihm Äußerliche. Die Gestaltung des Organismus in sich selbst ist insofern nicht aus sich heraus erklärbar, sondern eine Erklärung muss seinen Bezug zur äußeren Umwelt mit einbeziehen. Dementsprechend sind auch Hegels Ausführungen zur Stellung des Organismus zu den Objekten der ihm äußeren Umwelt, zur Notwendigkeit der Einverleibung dieser Objekte durch den Organismus, nicht als einfache Feststellungen empirischer Tatsachen zu betrachten, sondern als die Ausbuchstabierung der Konzeption innerer Zweckmäßigkeit. Hegel zufolge stellen die bisherigen Überlegungen zur inneren Zweckmäßigkeit des Organismus also aus begrifflichen Gründen lediglich die erste Stufe der Betrachtungen dieser Zweckkonzeption dar. Wie bereits betont, gehen mit dieser These mehr Annahmen einher, als ich in diesem Kapitel behandeln werde. So gehe ich auf den mereologischen und den backward-causation-Einwand erst im achten Kapitel ein. Hier geht es mir allein darum aufzuzeigen, was für Hegel Kants Analyse subjektiv-intentionaler Zweckmäßigkeit zufolge inhärent ist und was daraus für seine Konzeption innerer Zweckmäßigkeit folgt. 25 Kreines (2015), 91. 26 So auch Kreines (2015), 95. 24

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Da der Organismus Hegel zufolge nun selbst Zweckprodukt ist, ist er zu seiner Selbsterhaltung auf das, was er nicht ist, angewiesen. Denn wie in 6.1.1 ausgeführt, ist die reproduzierende Art dieser Kausalität eine sich nur begrenzt erhaltende, die es immer wieder herzustellen gilt. Sein Verhältnis zu anderen mechanisch-chemischen oder organischen Objekten ist also eines, in welchem der Organismus als sich selbst reproduzierend tätig ist. Dieses Verhältnis zu der dem Organismus äußerlichen Umwelt äußert sich Hegel zufolge im Trieb des Organismus, die anderen Objekte, auf die der Organismus bezogen ist, »für sich gleich zu setzen, sie aufzuheben und sich zu objektivieren« (GW 12, 188). Dies bedeutet, dass die Art und Weise, in der der Organismus auf die ihm äußeren Objekte bezogen ist, eine ist, in der er die Objekte zu seinem eigenen Selbsterhalt assimiliert, d. i. einverleibt, und sich so selbst reproduziert, d. i. sich selbst erhält : »Diese ihre Verwandlung [der Objekte, K.K.] in die lebendige Individualität macht die Rückkehr dieser letztern [der lebendigen Individualität, K.K.] in sich selbst aus, so daß die Production, welche als solche das Uebergehen in ein Anderes seyn würde, zur Reproduction wird, in der das Lebendige sich für sich identisch mit sich setzt.« (GW 12, 189)

Dass die sich im Organismus ausdrückende Zweckkausalität innerhalb des Organismus auf etwas anderes bezogen ist, bedeutet nicht nur, dass der Organismus eben deswegen der ihm äußerlichen Umwelt bedarf, sondern dass diese ihn auch konstituiert. So bezieht sich der Organismus auf etwas ihm Äußerliches, indem sich die Funktionen seiner Glieder auf etwas dem Organismus Äußerliches beziehen ; die Funktion von Händen beispielsweise ist die des Ergreifens und Festhaltens äußerer Objekte, die der Lungen Sauerstoff aus der Umgebung aufzunehmen. Dagegen bedarf es in einer Umgebung ohne Luft – sondern zum Beispiel aus Wasser – keiner Lungen.27 Die den Organismus umgebende Umwelt ist in diesem Sinne nichts, was etwas dem Organismus bzw. seiner Konstitution äußerlich ist, sondern er ist nur durch diese Umwelt genau der Organismus, der er ist.28 In Hegels Worten tritt »[d]iese Assimilation [des Objekts an den Organismus durch die Einverleibung, K.K.] […] in eins zusammen mit dem oben betrachteten [d. i. im Abschnitt ›Das lebendige Individuum‹ betrachteten, K.K.] Reproductionsproceß des Individuums« (GW 12, 189). Der Organismus ist als Zweckprodukt nur in Bezug auf seine Umwelt. Die Pointe innerer Zweckkausalität ist nun, dass diese durch die Umwelt ermöglichte Konstitution und Selbstreproduktion wiederum in dem Begriff des Organismus gründet, nämlich in seiner Gattung. Und es ist letztlich diese Lindquist hebt dies sehr pointiert hervor. Vgl. Lindquist (2018), 390–395. Vgl. auch : Rand (2013), 72. Lindquist (2018), 394.

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Pointe, die im Besonderen gegen Kants These gerichtet ist, dass Zwecke immer repräsentiert werden müssen, um Zwecke zu sein. Denn Kant zufolge ist die Bedingung dafür, dass das Ganze die Form und Existenz seiner Teile begründet, die vorherige Repräsentation des Ganzen in einem Verstand. Hegel dagegen argumentiert dafür, dass dies nicht die einzige Art und Weise ist, gemäß der diese Bedingung erfüllt werden kann, und dass sie vor allem nicht aus Kants eigener Zweckkonzeption folgt, sondern eine in diese Zwecküberlegungen eingebrachte Voraussetzung ist. In dem Verhältnis des Individuums zu seiner Gattung finden wir Hegel zufolge eine Begründung des Erfülltseins dieser Bedingung, die ohne die vorherige Repräsentation des Ganzen durch einen Verstand auskommt und dadurch – entgegen Kants agnostischer Argumentation – den Organismus als Naturprodukt verständlich machen kann. Dazu gilt es den Sinn dessen zu begreifen, was es heißt, »daß seine Entstehung [des individuellen Organismus, K.K.], die ein Voraussetzen war, nun seine Production wird« (GW 12, 189,) und was es heißt, dass der Organismus »als ein Vermitteltes und Erzeugtes« (GW 20, 221, § 221) Produkt seiner selbst ist. Diesen Gedanken findet Hegel bereits bei Aristoteles und bringt ihn in seinen Ausführungen zur Idee des Lebens gegen Kant in Stellung.29 Hegel zufolge vertrat bereits Aristoteles die These, dass Zweckkausalität nicht von der Repräsentation des Zwecks durch einen Verstand abhängig ist. Diese Form der Zweckkausalität sieht Hegel dabei in Aristoteles’ Deutungen der lebendigen Natur angelegt ; in der Natur, die sich selbst erhält, entwickelt und reproduziert (vgl. GW 20, 210). Den Clou sieht Hegel in Aristoteles’ Betonung dessen, dass sich diese Natur als das reproduziert, was sie vorher schon war. Der Gattungsbezug einzelner Organismen ist deren Konstitution wesentlich. Aus den Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie können wir so auch entnehmen : »Der Mensch erzeugt den Menschen ; das, was das Erzeugte ist, ist auch das Erzeugende, – Produkt, das produziert.« (TWA 20, 176)30 Und es heißt dort weiter : »Die Wahrheit ist die Identität seiner Realität mit dem Begriffe in der Äußerung, und sein Begriff ist das Erzeugende der Realität. Das Natürliche muß als Selbstzweck in sich selbst betrachtet werden ; die Idee, vorausgesetzt als ideell bestimmte Einheit, bewirkt sich.« (TWA 20, 176)

Offensichtlich sieht Hegel beim Lebendigen eine Begriffskausalität am Werk ; der Begriff soll das bestimmen, was das einzelne Lebendige ist. Dies ist aber nichts anderes, als das Lebendige als etwas zu betrachten, dass eine Zweckkau Im Folgenden werde ich von einer Diskussion darüber, ob Hegel Aristoteles richtig verstanden hat, absehen. 30 Vgl. die entsprechende Stelle in Aristoteles’ Physik : Aristoteles (1987), II. 7, 198a14 f. Siehe dazu auch Kreines (2015), 95. 29

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salität ausdrückt. Denn wie wir sahen, handelt es sich sowohl Kant als auch Hegel zufolge dann um Zweckkausalität, wenn das, was etwas ist, durch seinen Begriff bestimmt ist. Kreines liefert nun den Schlüssel zum Verständnis dieser Argumentation Hegels gegen die kantische Bedingung, gemäß der Zweckkausalität an die subjektive Repräsentation von Zwecken durch einen Verstand gebunden ist. Dieser besteht in dem Type-token-Verhältnis, welches Kants Verständnis von Teleologie zugrunde liegt und von dem Hegel unter Bezug auf Aristoteles anhand des Verhältnisses des Individuums zur Gattung zeigt, dass es ebenso in Organismen vorliegt.31 Ziehen wir für eine Erläuterung von Hegels Argument Kants erste Bedingung für das Vorliegen von Zweckmäßigkeit in Artefakten heran. Diese besagt, dass der Zweck in einem Verstand repräsentiert sein muss, weil nur auf diese Weise die Teile durch ihre Beziehung auf das Ganze als möglich gedacht werden können. Kant zufolge existiert das Dach nur als Dach insofern seine Existenz zuvor in der Vorstellung des Ganzen, des Hauses, begründet worden ist. Kreines hebt Folgendes hervor : Die Repräsentation des Ganzen ist eine Allgemeinvorstellung (type), die durch verschiedene besondere Gegebenheiten (token) realisiert werden kann. Für das Bestehen von Zweckkausalität ist es nun (auch Kant zufolge) wesentlich, dass die jeweiligen im Ganzen realisierten Teile (token) aufgrund der Rolle existieren, die die Teile in der Vorstellung (type) für die Existenz des Ganzen in der Vorstellung (type) spielen. Bezogen auf das bereits angewandte Beispiel bedeutet dies, dass die Repräsentation des Hauses (type) eine Allgemeinvorstellung ist, die durch verschiedene Häuser (token) realisiert werden kann, sowie dass auch die jeweiligen realisierten Teile, zum Beispiel die jeweiligen realisierten Dächer (token) als diese Dächer an Häusern existieren aufgrund der Rolle, die das Dach (type) für die Konstitution des Hauses (type) spielt. Das Verhältnis zwischen type und token ist in Artefakten also derart bestimmt, dass auf begründungslogischer Ebene im type die Existenz der jeweiligen Teile (token) begründet wird.32 Das, was Hegel nun zeigen muss, ist, dass dieses Type-token-Verhältnis auch bei Lebendigem vorliegt, denn wie deutlich wurde, ist es dieses Type-token-Verhältnis, das Zweckbeziehungen zu Zweckbeziehungen macht ; d. i. erst im Vorliegen eines solchen Verhältnisses handelt es sich um ein Vorliegen von Zweckkausalität. Hegel argumentiert erstens, dass dieses Verhältnis in der Beziehung des einzelnen Individuums zu seiner Gattung tatsächlich erfüllt ist, dass zweitens Kreines’ Überlegungen dienen mir im Folgenden als Leitfaden der weiteren Analyse ; vgl. Kreines (2015), 93–97. 32 Damit meine ich nicht, dass bereits durch den Begriff das Haus als Objekt in der realen Welt realisiert ist. Ich meine aber, dass die einzelnen Komponenten des Hauses nur diese Komponenten des Hauses sind, insofern sie eine für das Haus nützliche Funktion innehaben und dass dies im Begriff des Hauses (type) festgelegt ist. 31

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dieses Verhältnis erst dann zur Genüge bestimmt ist, wenn wir den Gattungsprozess, in welchem der jeweils einzelne Organismus steht, zur Genüge mitbedenken. Denn die Funktion des Gliedes eines einzelnen Organismus gründet in der selbsterhaltenden Funktion dieses Gliedes ; in der Funktion, die das Glied in der Gattung des Organismus für den Organismus einnimmt. Die Lungen (token) existieren, weil die Lungen (type) den Organismus (type) in seinem Lebenskontext erhalten. Die Lungen eines einzelnen Organismus haben die Funktion, Sauerstoff aus der Luft aufzunehmen, weil die Lungen diese Funktion generell zur Selbsterhaltung einer bestimmten Klasse von Organismen haben. Die Existenz eines Organs in einem Organismus (token) erklärt sich also über die Funktion, die es generell im Organismus (type) einnimmt. Eine solche Type-token-Relation ist demnach genau dann etabliert, wenn es sich selbst erhaltende Organismen gibt ; wenn es also Organismen gibt, die wachsen, sich entwickeln und sich reproduzieren. Es ist wichtig festzuhalten, dass teleologische Aussagen über einen Organismus ohne die Existenz dieser Type-token-Relation tatsächlich unverständlich werden würden. Denn wir könnten dann die Existenz von Lungen nicht über ihre Funktion zur Selbsterhaltung des einzelnen Organismus erklären, da die Lungen erst nach ihrer Konstitution in diesem einzelnen Organismus für diese Selbsterhaltung sorgen. Auch an der Möglichkeit von Fehlfunktionen der Glieder eines Organismus (token) wird – wie Kreines und auch Lindquist hervorheben – dieses enge Verhältnis zur Gattung deutlich. Denn Fehlfunktionen sind nur dann Fehlfunktionen, wenn es einen dem Organ entsprechenden Zweck gibt, den dieses Organ eigentlich erfüllen soll. Dieser ist aber ohne den Bezug auf den type gar nicht vorhanden. Was soll es noch heißen, dass die Lungen nicht funktionieren, wenn es nur ein einziges Lebendiges gibt, das überhaupt Lungen hat ? Wenn die Lungen in einem Organismus nicht genügend Sauerstoff zum Selbsterhalt des Organismus aufnehmen, dann hätten sie ohne den Bezug auf den type auch schlicht nicht den Zweck, genügend Sauerstoff zum Selbsterhalt des Organismus aufzunehmen : »Thus, in the case of life, the possibility of defect or malfunction is relative to the rule, the characteristic of the species or class.«33 Eine solche unabhängig von der subjektiven Repräsentation des Ganzen durch einen Verstand gegebene enge Type-token-Beziehung ist also Hegel zufolge dann etabliert, wenn es sich reproduzierende Organismen gibt, die sich auf eine sich selbst erhaltende Weise auf ihre Umwelt beziehen und die sich insofern selbst erzeugen, als sie ein weiteres Individuum derselben Gattung erzeugen. Der Begriff drückt sich in den entsprechenden Objekten – im Gegensatz zu 33

Kreines (2015), 98. Zur Möglichkeit und Erklärung von Fehlfunktionen siehe auch Lindquist (2018), 395.

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Zweckkausalität in der Idee des Lebens

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Arte­fakten – nicht als rein formeller aus34, sondern das lebendige Individuum ist »an sich Gattung, substantielle Allgemeinheit« (GW 20, 220, § 220). Artefakte dagegen sind zwar organisiert, aber nicht selbstorganisierend. Deswegen gründet der type in der jeweiligen über einen Verstand vermittelten subjektiven Repräsentation und macht bestimmte mechanische Objekte erst zu Zweckprodukten, d. i. zu Artefakten. Hier ist es die subjektive Repräsentation in einem Verstand, die eine solche enge Type-token-Beziehung, die als Bedingung für Zweckverhältnisse gilt, herstellt, und nicht die Selbstorganisation qua Gattungsprozess. Die hegelsche Analyse des lebendigen Individuums ist so ein Argument dafür, dass es Begriffe (types) gibt, die sich in lebendigen Individuen ausdrücken. Die Annahme, dass etwas dann selbstorganisierend ist, wenn es Ausdruck eines Begriffs und damit eines type ist, ist nicht extern zu Kants Überlegungen, sondern sie folgt aus seiner eigenen Zweckkonzeption. Artefakte sind orga­ nisiert, weil sie Ausdruck eines Begriffes im Sinne eines type sind. Ein Haus (­token) ist Ausdruck der Repräsentation eines Hauses (type). Um bestimmte Naturprodukte als organisierte und sich selbstorganisierende zu denken, folgt auch für Kant, dass wir diesen Naturgegenständen einen Begriff oder vielmehr eine Idee im Sinne eines type unterlegen müssen.35 Dass es dagegen zur Wirklichkeit von Zweckkausalität einer Repräsentation des Ganzen durch einen Verstand bedarf, folgt nicht logisch aus Kants Zweckkonzeption. Für Kant ist die Zweckmäßigkeit der Natur zwar letztlich an den Gedanken eines göttlichen Verstandes gebunden und diese Annahme besitzt Kant zufolge subjektiv-regulativen Status, da wir weder wissen, ob es Zweck­mäßigkeit in der Natur tatsächlich gibt, noch wissen, ob es einen solchen Verstand gibt. Hegel argumentiert gegen dieses Gebundensein von Zweckkausalität an einen Verstand und erwidert, dass sie selbst der von Kant eingeführten Zweckkonzeption nicht inhärent ist.36 Hegel macht also diese Kopplung von natürlicher Zweckmäßigkeit und göttlichen Verstand nicht mit. Diese These erweist sich in Hegels Augen vielmehr als eine Setzung, die sich allein aus Kants Zweckanalysen nicht rechtfertigen lässt – im Gegenteil rechtfertigen diese es, vielmehr auch bzw. gerade beim Lebendigen von nicht-intentionaler Zweckkausalität auszugehen.

Vgl. dazu Abschnitt 6.1.2. Vgl. dazu Abschnitt 4.2.3. 36 Wie bereits angemerkt bedeutet das nicht, dass es nicht noch andere Gründe gegen die Annahme der Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit geben könnte. Der Punkt, den ich hier mit Hegel nur machen möchte, lautet, dass das Gebundensein von Zwecken an einen Verstand nicht aus der Zweckanalyse selbst folgt. 34 35

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6.2 Das Verhältnis von äußerer und innerer Zweckmäßigkeit Wie der letzte Abschnitt verdeutlicht, verabschiedet sich Hegel von der (kantischen) These, gemäß der Zwecke per se die Repräsentation derselben durch einen Intellekt voraussetzen. Der Einwand, dass Begriffe aber doch formale Repräsentationen durch einen Verstand sind, erweist sich für Hegel als Ausdruck eines Beharrens auf das Bestehen allein einer bestimmten Form von Zweckkausalität, die aber aus einer Analyse von Kants eigener Zweckkonzeption nicht per se folgt. Sie liegt nicht analytisch in dieser Zweckkonzeption begründet. Für Hegel folgt nun zum einen aus der Zweckanalyse – wie wir sahen – , dass für das Bestehen von Zweckkausalität das Erfülltsein der engen Type-token-Beziehung hinreicht. Zum anderen argumentiert Hegel in dem Übergang von der äußeren zur inneren Zweckmäßigkeit aber auch dafür, dass die Zweckkonzeption, gemäß der Zwecke per se repräsentiert werden müssen, die Konzeption innerer Zweckmäßigkeit voraussetzt : Die Möglichkeit der ersteren Zweckkonzeption hängt von der Wirklichkeit der letzteren Zweckkonzeption ab. Und diesem Argument wollen wir uns nun zuwenden. Die Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit ist Hegel zufolge nicht der Ausgangspunkt zur Bestimmung dessen, was Zwecke sind, sondern vielmehr ihr Endpunkt. Sie ist Resultat der ihr zugrundeliegenden Zweckkonzeption, d. i. der inneren Zweckmäßigkeit. Dies bedeutet nicht, dass Hegel die Realität äußerer Zweckmäßigkeit bestreitet. Intentional denkende Subjekte agieren tatsächlich äußerlich zweckmäßig, so wie Artefakte tatsächlich Produkte äußerer Zweckmäßigkeit sind. Hegel argumentiert vielmehr dafür, dass die äußere Zweck­ mäßigkeit ihr ontologisches Fundament in einer anderen Form der Zweckmäßig­ keit, der der inneren, hat. Um diese These einzusehen, müssen wir uns ein weiteres Mal der Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit zuwenden und darin die Rolle des Mittels genauer betrachten. 6.2.1 Die Rolle des Mittels in der äußeren Zweckmäßigkeit Wie in 5.3.1 aufgezeigt, besteht die Konzeption der äußeren Zweckmäßigkeit aus drei Komponenten, die für die Ausführung dieser Art von Kausalität notwendig sind : aus dem subjektiven Zweck, dem Mittel und dem ausgeführten Zweck. Während der subjektive Zweck in der Repräsentation des Zwecks durch ein Subjekt besteht, stellt der ausgeführte Zweck den realisierten Inhalt dieser Repräsentation dar. Das Mittel wiederum wird als die Komponente eingeführt, durch die die Realisierung des subjektiven Zwecks in der objektiven Welt gelingen soll. Das Mittel hat so die Funktion, zwischen dem in einem Subjekt repräsentierten Zweck und der mechanischen Prozessen unterworfenen Welt zu vermitteln.

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Das Verhältnis von äußerer und innerer Zweckmäßigkeit

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Die Mittelanalyse ist nun die wichtigste Untersuchung, die im Teleologiekapitel vorgenommen werden muss, um den Übergang von äußerer Zweckmäßigkeit zu innerer Zweckmäßigkeit verständlich zu machen.37 Denn durch eine Untersuchung des Mittels zeigt sich erstens, dass sich die Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit, gemäß der ein Subjekt seinen subjektiven Zweck in der objektiven Welt zu realisieren gedenkt, als ein abstraktes Modell erweist, welches in grundlegendere Zweckstrukturen eingebettet werden muss, und zweitens wird – unter der Voraussetzung der Wirklichkeit allein dieser Zweckkonzeption – die Zweckrealisierung letztlich unmöglich. Auf den ersten Punkt werde ich in diesem Abschnitt eingehen, dem zweiten werde ich mich in 6.2.2 widmen. Yeomans fasst die in der Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit liegende Ab­ straktheit sehr pointiert : »If the plan is perfect, then this just means that the agent completely put the end into relation with such conditions in the planning process, thus transforming the end internally in anticipation of the resources and contingencies that would be encountered in the external world. But such a perfectly planned and realized end is a limit case – not the paradigm. The paradigm cases are those in which we modify our ends both beforehand in anticipation of the context of externaliziation, and then subsequently as our knowledge or control of that context turns out to be imperfect. I plan for example an itinerary for a family trip taking into account the usual weather for this time of year and my children’s current nap schedules, but then this must be adjusted on the fly if the weather changes drastically or my toddler sleeps poorly the night before. This reciprocal interaction between goal and context can go either way, of course.«38

Yeomans weist darauf hin, dass die Abstraktheit des Ausgangspunktes der Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit in der Abstraktion von den eigentlich gegebenen Bedingungsverhältnissen liegt. Die Konzeption, gemäß der ein Subjekt seinen zu realisierenden Zweck mitsamt den objektiven Bedingungen, die zu seiner Realisation erfüllt sein müssen, so antizipiert, dass dieser genau auf diese Weise umgesetzt werden kann, ist vielmehr eine Idealvorstellung, nicht der tatsächliche Ablauf von Zweckrealisierungen. Denn in den meisten Fällen ändert das Subjekt die zunächst gefassten Zweckvorstellungen ; es passt sie den gegebenen Verhältnissen der objektiven Welt an, so wie das Subjekt in den meisten Fällen auch die Mittel zur Realisierung seiner Zwecke dementsprechend anpasst. Die Realisierung subjektiver Zwecke hängt also von der Anpassungsfähigkeit dersel Vgl. hierzu auch die Stellung, die Yeomans dem Mittel in Hegels Teleologiekonzeption zuschreibt ; Yeomans (2012), 237. Und im Anschluss an Yeomans : Moyar (2018), 639–648. 38 Yeomans (2012), 252. 37

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ben an die objektive Welt ab ; oder, wie Yeomans hervorhebt, »internal determination must be compatible with and articulated by external determination«.39 Doch nicht nur geschieht eine solche Modifizierung der subjektiven Zwecke sowie der entsprechenden Mittel zur Realisierung derselben gemäß den äußeren, objektiven Bedingungen, sondern auch der Inhalt subjektiver Zwecke überhaupt hängt von dem Gegebensein einer objektiven Welt ab und ist also über diese bereits bedingt. In welcher Weise ist dies der Fall ? Hegel stellt an mehreren Stellen im Teleologiekapitel heraus, dass der subjektive Zweck zum einen subjektiv, d. i. als Repräsentation in einem Verstand, gegeben ist und sich doch zum anderen zugleich insofern auf die objektive Welt bezieht, als er in dieser verwirklicht werden soll (vgl. GW 12, 160). Dies bedeutet aber auch, dass der subjektive Zweck nicht unabhängig von der objektiven Welt entstehen kann. Den subjektiven Zweck hat Hegel als Repräsentation eines Zwecks durch ein Subjekt bestimmt, das eben diese Repräsentation objektiv zu realisieren anstrebt. Es mag nun zunächst so scheinen, als verfolge das Subjekt Absichten, d. i. die Realisierung bestimmter Zwecke, vollkommen unabhängig von der objektiven Welt, in der es sich befindet, da jene ja in dieser erst noch realisiert werden sollen. Es mag also so scheinen, als sei der subjektive Zweck ein unabhängig von der objektiven Welt zustande gekommener. Dass dies jedoch nicht der Fall ist, zeigt sich bereits in der ersten Bestimmung des subjektiven Zwecks ; er ist auf die objektive Welt bezogen. Das bedeutet aber auch, dass Inhalte subjektiver Zwecke durch die objektive Welt vorgegeben sind. So setzen wir uns zum einen nur dann beispielsweise den Zweck, ein Haus zu bauen, wenn das objektive Material derart ist, dass es eine solche Gestaltung zulässt. Gäbe es keine Steine, kein Holz und keine entsprechenden mechanischen Gesetze, wäre der Hausbau nicht möglich. Zum anderen ist das repräsentierte Haus nur insofern Zweck, als es auch wieder Mittel ist und Anstoß für subjektive Zwecke, also selbst wiederum die objektive Welt ist. So baut ein Subjekt ein Haus, um weitere Zwecke zu verwirklichen, beispielsweise um Schutz vor Wind, Kälte etc. zu schaffen. Schutz vor Wind und Kälte wiederum sucht es nur insofern, als es selbst ein natürliches Zweckprodukt ist, d. i. zum Zweck seiner eigenen Selbsterhaltung. Das Haus stellt sich als ein Mittel zur Realisierung grundlegenderer Zwecke, d. i. die zu seiner Selbsterhaltung notwendigen Zwecke, heraus. Subjektive Zwecke sind eingebettet in eine Bedürfnisbefriedigung, die Subjekte qua natürliche Wesen anstreben. Und insofern Subjekte selbst als Organismen Produkte der Natur sind, sind diese Zwecke durch die objektive Welt vorgegebene. Hegel betont zwar, dass es uns in dem Herstellen von Mitteln, wie etwa dem Haus, gelingt, durch die List der Vernunft, d. i. durch das Nutzen mechanischer 39

Yeomans (2012), 4.

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Das Verhältnis von äußerer und innerer Zweckmäßigkeit

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Prozesse zum Herstellen von Zweckprodukten, ein Mittel zu schaffen, welches unsere Bedürfnisse schneller und vor allem beständiger befriedigt. Wir sind so unseren natürlichen Zwecken nicht unmittelbar ergeben. Dennoch führt dies nicht zu einer Unabhängigkeit unserer subjektiven Zwecke von der objektiven Welt. Im Gegenteil, Hegel zufolge bleiben die jeweiligen Inhalte subjektiver Zwecke von unserem natürlichen Dasein abhängig : »Das Werkzeug erhält sich, während die unmittelbaren Genüsse vergehen und vergessen werden. An seinen Werkzeugen besitzt der Mensch die Macht über die äusserliche Natur, wenn er auch nach seinen Zwecken ihr vielmehr unterworfen ist« (GW 12, 166). Eine jede Erläuterung der äußeren Zweckmäßigkeit greift somit zu kurz, wenn sie allein auf den subjektiven Zweck und dessen Realisierung fokussiert.40 Denn subjektive Zwecksetzungen werden unabhängig von einer objektiv gegeben Welt, die selbst wiederum Zwecke, d. i. Organismen hervorbringt, überhaupt nicht verständlich. Sie sind vielmehr immer von dieser bedingt und insofern auch immer bereits als Mittel zur Erreichung bestimmter Bedürfnis­ befriedigungen zu verstehen.41 Im Folgenden gilt es nun zu zeigen, dass ein Mittel nur Mittel zur Realisierung subjektiver Zwecke sein kann, wenn wir die Wirklichkeit der Konzeption innerer Zweckmäßigkeit voraussetzen. Zwar habe ich bereits dafür argumentiert, dass die subjektiven Zwecke äußerer Zweckmäßigkeit ihre Möglichkeitsbedingung in bedürftigen Organismen haben. Es gilt nun zu zeigen, dass diese Organismen Ausdruck einer unmittelbaren Zweck-Objekt-Einheit sein müssen, damit es überhaupt zu Zweckrealisierungen kommen kann. Sie müssen selbst Objekte sein, denen der Zweck immanent ist. Sie müssen Zweckprodukte sein.42 Insofern folge ich hier auch nicht Moyars Analyse, gemäß der ein Ziel des Teleologiekapitels darin besteht, aufzuzeigen, dass »die Objektivität in all ihren Formen als dem Zweck untergeordnet zu verstehen« ist. Vgl. Moyar, (2018), 643. 41 Anders verhält es sich bei der Zweckrealisierung, die Hegel in der Idee des Guten im Blick hat : die Realisierung moralischer Zwecke. Diese sind nicht Mittel zur Realisierung weiterer Zwecke, sondern Selbstzwecke. Dennoch gilt auch für die Idee des Guten, dass die Realisierung moralischer Zwecke inhaltlich nicht unabhängig von der objektiven Welt verstanden werden kann. Für eine ausführlichere Diskussion der Zweckbildung in der Idee des Guten siehe zum Beispiel Siep (2018), 720–734. 42 Auch Stekeler-Weithofer argumentiert gegen ein solches abstraktes Modell der Zweckrealisierung, in welcher die individuelle Zweckverwirklichung überbewertet wird ; StekelerWeithofer (1992), 400. Dies jedoch in Verweis auf die »gemeinsame[…] humane[…] Lebenswelt« (Stekeler-Weithofer (1992), ebd.), in die das individuelle Subjekt immer schon eingebettet ist. Diese Lebenswelt kommt in der Wissenschaft der Logik so jedoch auf diese Weise noch gar nicht in den Blick, sondern ist einer Diskussion in Hegels Philosophie des Geistes vorbehalten. Die Frage, um die es Hegel im Teleologieabschnitt klarerweise geht, nämlich die nach der Möglichkeit von Zweckrealisierungen in der objektiven Welt, stellt sich Stekeler-Weithofer so nicht. 40

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6.2.2 Die Möglichkeitsbedingung äußerer Zweckmäßigkeit Inwiefern zeigt sich nun also an dem Mittel, dass die äußere Zweckmäßigkeit die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit voraussetzt ? Hegel zufolge geht das Modell äußerer Zweckmäßigkeit von einem Subjekt aus, das seinen subjektiven Zweck in einer objektiven Welt zu realisieren sucht, welche selbst keine zweckmäßigen Strukturen aufweist.43 Selbst das Mittel gemäß der äußeren Zweckmäßigkeit ist zwar ein durch das Subjekt intentional bestimmtes, aber dennoch ein mechanisches und gegenüber dem subjektiven Zweck selbständiges Objekt ; als dieses hat es »noch Selbständigkeit gegen den Zweck« (GW 12, 164), insofern es selbst ein mechanisches Objekt ist. Ich deute Hegels Argument nun so, dass es gemäß der Logik äußerer Zweckmäßigkeit vor der Ergreifung des eigentlichen Mittels eines weiteren Mittels zur Realisierung des subjektiven Zwecks bedarf. Hierdurch wird aber die Unabhängigkeit der äußeren Zweckmäßigkeit von der objektiven Welt unterlaufen. Zur Möglichkeit der Realisierung von Strukturen äußerer Zweckmäßigkeit muss die Wirklichkeit einer Subjekt-Objekt-Einheit und damit die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit vorausgesetzt werden, da unter der Voraussetzung allein der Wirklichkeit der äußeren Zweckmäßigkeit die Realisierung des subjektiven Zwecks niemals stattfinden würde. Dies gilt es nun aufzuzeigen. Hegel argumentiert im Teleologiekapitel, dass auf Grundlage der Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit zur Realisierung des antizipierten subjektiven Zweckes ein immer weiteres Mittel eingeschoben werden müsste : »Insofern sie [der subjektive Zweck und das Objekt, K.K.] so als verschiedene gesetzt sind, muß zwischen diese Objectivität und den subjectiven Zweck ein Mittel ihrer Beziehung eingeschoben werden ; aber dieses Mittel ist eben so ein schon durch den Zweck bestimmtes Object ; zwischen dessen Objectivität und teleologische Bestimmung ist ein neues Mittel und so fort ins unendliche einzuschieben. Damit ist der unendliche Progreß der Vermittlung gesetzt.« (GW 12, 168)

deVries veranschaulicht diesen unendlichen Progress in der Mittelergreifung sehr gut. Denken wir uns unter der Voraussetzung der Wirklichkeit allein des Modells äußerer Zweckmäßigkeit ein Subjekt, welches mit einem Stein ein Fenster einschlagen möchte. Der Stein dient als das Mittel zum Einschlagen des Fensters. Doch gemäß der Logik dieses Modells müssten wir nicht nur den Stein, sondern auch unseren Arm als noch zu ergreifendes Mittel ansehen, um unseren Zweck zu verwirklichen. Daher fragt deVries : »Do I see my arm as a means, a tool to use in carrying out my intention ? I certainly could regard my arm that 43

Zur Analyse der Struktur äußerer Zweckmäßigkeit siehe Abschnitt 5.3.1 und 5.3.2.

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way, but then, would I regard my muscles as tools to use in raising my arm ?«44 Ich denke, es ist klar, worauf deVries hier hinaus möchte : Die Mittelergreifung führt unter diesem Modell in einen unendlichen Progress. Wir müssten ein immer weiteres Mittel zwischen dem zwecktätigen Subjekt und dem kausalmechanischen Objekt einschieben. Das Subjekt könnte seine Zweckhandlung nie realisieren ; »der Zweck [des Subjekts, K.K.] kann man sagen, kommt insofern nicht zum Mittel, weil es der Ausführung des Zwecks schon vorher bedarf, ehe sie durch ein Mittel zu Stande kommen könnte« (GW 12, 169). Zur Möglichkeit einer Zweckhandlung müssen wir voraussetzen, dass es eine Subjekt-Objekt-Einheit gibt, die sich in der Struktur innerer Zweckmäßigkeit ausdrückt.45 Der Körper muss einem Subjekt unmittelbar als Mittel dienen können. In Zusätzen zur Logik ist es wie folgt formuliert : »Die Ausführung des Zwecks ist die vermittelte Weise den Zweck zu realisieren ; eben so nötig ist aber auch die unmittelbare Realisirung. Der Zweck ergreift das Objekt unmittelbar, weil er die Macht über das Objekt ist, weil in ihm die Besonderheit und in dieser auch die Objektivität enthalten ist. – Das Lebendige hat einen Körper, die Seele bemächtigt sich desselben und hat sich darin unmittelbar objektiviert.« (GW 23,3, 950, § 208 )

Zur Möglichkeit von Handlungen äußerer Zweckmäßigkeit, d. i. der mittelbaren Ergreifung eines Mittels, müssen wir eine unmittelbare Ergreifung eines Objektes als Mittel, und dies bedeutet einen dem Objekt, hier dem Organismus, immanenten Zweck, voraussetzen. Wie ich im Abschnitt 6.1 dieses Kapitels diskutiert habe, liegt eine solche Einheit im Lebendigen vor. Zweckkausalität habe ich so ausgewiesen, dass in ihr Prozesse begrifflich geleitet werden : Ein Begriff ist Grund der Wirklichkeit des jeweiligen Objekts.46 Insofern nun auch Organismen Ausdruck ihres Begriffs sind, fungieren alle Glieder in demselben zugleich als Mittel und Zweck. Eine Hand (type) hat ihre Funktion als Mittel zum Beispiel zur Ergreifung von anderen Objekten durch ihr Gegründetsein in dem Begriff des Organismus (type). Die Hand (token) hat damit diese Funktion qua des Daseins des Organismus (token) durch seinen Gattungsbegriff (type) und ist so bereits durch ihre pure Existenz als Hand Mittel. Zur Realisierung subjektiver Zwecke müssen wir also eine sich in der Wirklichkeit realisierende Einheit von Begriff und Objekt voraussetzen ; und dies be Vgl. deVries (1991), 60 f. Dies ist auch ein wichtiger Punkt mit Blick auf die Konzeption des Subjekts bzw. das LeibSeele-Problem. Das Subjekt oder die Seele sitzt nicht als Homunculus im Körper und steuert diesen als äußerliches Mittel, sondern das Subjekt muss selbst als ein Organismus verstanden werden. Zum Leib-Seele-Problem siehe etwa Wolff (1992). 46 Vgl. Abschnitt 5.3.1. 44 45

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deutet nichts anderes, als die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit für die Möglichkeit von Handlungen gemäß äußerer Zweckmäßigkeit vorauszusetzen.47 6.2.3 Die Abhängigkeitsbeziehungen zwischen äußerer und innerer Zweckmäßigkeit Aus den Abschnitten 6.2.2 und 6.2.3 geht hervor, dass die Möglichkeit äußerer Zweckmäßigkeit aus zwei Gründen die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit voraussetzt. Zum einen ist überhaupt nicht klar, wie Zwecksetzungen gemäß der Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit überhaupt möglich sind, wenn diese Zwecke dabei nicht immer schon auf eine objektive Welt bezogen sind und in natürlichen Zweckprodukten, d. i. sich selbst erhaltenden Organismen gründen. Zum anderen ist unklar, wie Realisierungen der Zweckvorstellungen gemäß der Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit überhaupt möglich wären, wenn es keine Formen innerer Zweckmäßigkeit in der Wirklichkeit gäbe.48 In diesem Sinne können wir auch – in Hegels Terminologie formuliert – sagen, dass die Idee des Lebens die Wahrheit der äußeren Zweckmäßigkeit ist. Nun gehen die von Hegel ausbuchstabierten Abhängigkeitsbeziehungen in der Wissenschaft der Logik aber nicht nur in eine Richtung, sondern auch die Idee des Lebens ist von den in der Logik zuvor abgehandelten Formen und somit auch von den in dem Objektivitätskapitel abgehandelten Formen abhängig. Für den Mechanismus habe ich bereits ausgeführt, inwiefern das der Fall ist. Organismen kann es ohne mechanische Verhältnisse, aus denen sie zum einen auch selbst bestehen und auf die sie zum anderen für ihre Reproduktion angewiesen sind, nicht geben. Sie können ohne mechanische Verhältnisse nicht existieren. Das, was ein Organismus aber ist, d. i. das, was einen Organismus zu einem Organismus macht, kann nicht durch den Mechanismus eingeholt werden. Organismen sind dementsprechend abhängig von mechanischen Verhältnissen, aber nicht auf diese reduzierbar. In diesem Sinne verabschiedet sich Hegel auch von der Vorstellung eines von der gegebenen objektiven Welt unabhängigen Schöpfergottes, der nach dem Modell äußerer Zweckmäßigkeit handelnd vorgestellt wird. Denn dieser unterstünde derselben Logik, d. i. auch ein solcher Gott würde nie zur Realisierung seiner Zwecke gelangen. Siehe dazu auch deVries (1991), 60. 48 Zwar ist mir Pinkards Zugang zur Hegel’schen Naturphilosophie generell sympathisch, doch meines Erachtens übersieht er eben diese in der Logik begründeten Zusammenhänge zwischen äußerer und innerer Zweckmäßigkeit, wenn er in Bezug auf Hegels Naturphilosophie behauptet, dass Hegels Annahme, dass »the only rational position to take in biology is a form of holism«, als eine »rather strong position« bezeichnet, die Hegels eigenen Standards zufolge nicht gut begründet ist ; vgl. Pinkard (2012), 21. 47

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Während nun aber die Abhängigkeit von Organismen von objektiven Verhältnissen im Sinne des Mechanismus auch in der Forschungsliteratur anerkannt und diskutiert wird, gerät die Form äußerer Zweckmäßigkeit zumeist nur negativ für die begriffslogische Entwicklung in der Logik in den Blick. Sie wird im Objektivitätskapitel aufgegriffen und diskutiert, aber anders als beim Mechanismus nicht noch einmal in dem Abschnitt um die Ideen als notwendige Bedingung zum Beispiel für das Dasein von Organismen thematisiert. Dies wird jedoch den Stellen in der Idee des Lebens nicht gerecht, an denen Hegel auf die Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit zurückgreift, so wie es auch der Idee des Erkennens nicht gerecht wird, in welcher zumindest auf die Form äußerer Zweckmäßigkeit zurückgegriffen wird. Ich habe die Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit nun wesentlich nach dem Artefakte-Modell rekonstruiert. Ein Subjekt sucht einen antizipierten subjektiven Zweck zu realisieren ; als paradigmatischer Fall galt dabei das intentionale Realisieren eines Zwecks beispielsweise im Hausbau. Betont habe ich, dass der Übergang von der Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit zur Konzeption innerer Zweckmäßigkeit nicht bedeutet, dass Hegel die äußere Zweckmäßigkeit zugunsten der inneren Zweckmäßigkeit verabschiedet. Er verneint nicht, dass Subjekte gemäß der Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit ihre Zwecke verwirklichen. Diese Konzeption ist Hegel zufolge tatsächlich in einem Bereich des zweck­ tätigen Seins von Subjekten verwirklicht. Hegels Argument besteht vielmehr darin, dass die Anwendung dieser Konzeption sich auf diesen bestimmten Bereich der Wirklichkeit zu beschränken hat und nicht auf das Ganze der Wirklichkeit übertragen werden kann. So hat Hegel mit dem Übergang zur inneren Zweckmäßigkeit gezeigt, dass jener Bereich zu seiner eigenen Möglichkeitsbedingung die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit hat. Inwiefern kann nun aber auch für das Verhältnis der äußeren Zweckmäßigkeit zur inneren Zweckmäßigkeit eine Art von Abhängigkeitsbeziehung gelten ? Inwiefern ist die innere Zweckmäßigkeit auch von der äußeren Zweckmäßigkeit abhängig ? Aus der bisherigen Argumentation geht hervor, dass die Zweckmäßigkeitskonzeption gemäß des Artefakte-Modells zumindest insofern einen positiven Ertrag für die logische Entwicklung in der Logik liefert, als das Artefakte-Modell zeigt, dass es Objekte innerer Zweckmäßigkeit geben muss, die gerade nicht von dem Artefakte-Modell abhängig sind. In der Idee des Lebens wird ausbuchstabiert, in welcher Weise das der Fall ist. In diesem Sinne ist die Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit für das Verständnis der Relevanz der Konzeption der inneren Zweckmäßigkeit notwendig. Wenn man akzeptiert, dass es äußere Zweckmäßigkeit gibt, so muss man auch akzeptieren, dass es innere Zweck­mäßigkeit gibt. Die Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit spielt dann jedoch nur eine positive Rolle für den Übergang zur Idee des Lebens und nicht in der Idee des Lebens selbst.

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Ich denke hingegen, dass die äußere Zweckmäßigkeit auch  – ebenso wie es beim Mechanismus der Fall ist – in der Idee des Lebens selbst ein notwendiges Element für dieselbe darstellt. Und dieses Element sehe ich in dem äußerlichen Tätigsein von Subjekten, durch welches die äußere Zweckmäßigkeit grundsätzlich charakterisiert ist. Auch wenn im Teleologiekapitel das absichtlich-intentionale Zwecktätigsein klarerweise im Vordergrund steht, so schließt dieses nicht aus, dass es nicht-absichtliches zweckmäßiges äußerliches Tätigsein gibt, welches auch nach dem Artefakte-Modell verstanden werden muss. Die erste Form äußerer Zweckmäßigkeit erweist sich so nur als eine Form äußerer Zweck­mäßigkeit, die in einer primitiveren Form derselben gründet. So ist Hegel zufolge eine instinktgeleitete49 Tätigkeit eine, in der ein Subjekt äußerlich zwecktätig ist, insofern es in seiner Umgebung befindliche Objekte äußerlich zweckmäßig gestaltet und damit Objekte aus seiner Umwelt zu Artefakten macht. Und eine solche Form des äußerlichen Zwecktätigseins schreibt Hegel dem Lebendigen zu : »Insofern er [der Instinkt, K.K.] auf formelle Assimilation geht, bildet er seine Bestimmung in die Aeußerlichkeiten ein, gibt ihnen als dem Material eine äußere dem Zwecke gemäße Form und läßt die Objectivität dieser Dinge bestehen (wie im Bauen von Nestern und andern Lagerstätten).« (GW 20, 362, § 362)

Von dieser Art der äußerlichen Zweckmäßigkeit, in dem zweckmäßigen Bearbeiten äußerer Objekte zu Artefakten, wie etwa in der Form von Nestern, unterscheidet Hegel eine weitere Art der äußerlichen Zweckmäßigkeit, die er bereits in der Logik, d. i. in der Idee des Lebens auf der Stufe des Lebensprozesses anspricht. Diese Art der äußeren Zweckmäßigkeit besteht in dem Ergreifen und Verzehren eines Objektes zur Nahrungsaufnahme : »Das Subject übt nun, insofern es in seinem Bedürfniß bestimmt sich auf das ­Aeusserliche bezieht und damit selbst äusserliches oder Werkzeug ist, Gewalt über das Object aus. Sein besonderer Charakter, seine Endlichkeit überhaupt fällt in die bestimmtere Erscheinung dieses Verhältnisses. – Das Aeusserliche daran ist der Proceß der Objectivität überhaupt, Mechanismus und Chemismus. Derselbe wird aber unmittelbar abgebrochen und die Aeusserlichkeit in Innerlichkeit verwandelt. Die äusserliche Zweckmässigkeit, welche durch die Thätigkeit des Subjects in dem gleichgültigen Object zunächst hervorgebracht wird, wird dadurch aufgehoben, daß das Object gegen den Begriff keine Substanz ist, der Begriff daher nicht nur dessen äussere Form werden kann, sondern sich als dessen Wesen und imma49

›Instinkt‹ bezeichnet Hegel als sich im Lebendigen äußernde Form der Zweckkausalität ; vgl. GW 20, 361, § 360.

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nente, durchdringende Bestimmung seiner ursprünglichen Identität gemäß setzen muß.« (GW 12, 188)

Ich verstehe Hegel in diesem Zitat so : Das Subjekt individuiert ein äußerliches Objekt, indem es dasselbe als potenzielle Nahrungsquelle wahrnimmt. Erst dann wird dieses äußere Objekt für das Subjekt zweckmäßig. Der Prozess des Ergreifens dieses Objektes ist selbst ein zweckmäßiger Akt, der von der Benutzung der eigenen Glieder, in dem Fall der Hände als Mittel zur Ergreifung des Objekts abhängig ist. In dem Verzehren dieses Objekts geht der äußerlich zweckmäßige Prozess der Ergreifung dieses Objekts qua Mittel in den inneren über, insofern das Objekt auf eine Weise durch das Subjekt bzw. den Organismus angeeignet wird, dass es für den Erhalt des Organismus bzw. seiner Organe sorgen kann. Das Objekt wird zersetzt und in weitere Objekte individuiert ; ihm werden die Nährstoffe entzogen, die für den Erhalt des Organismus wichtig sind und so für die Reproduktion des Organismus sorgen.50 Organismen sind so nicht nur von mechanisch ablaufenden Prozessen abhängig, sondern – und dies wird vor allem auf der Stufe des Lebensprozesses deutlich – sie sind auch davon abhängig, dass sie selbst äußerlich tätig werden. Sie sind davon abhängig, dass sie sich Objekte zweckmäßig gestalten, zum Beispiel im Bau von Unterschlüpfen, so wie sie davon abhängig sind, dass sie zum Zwecke der Nahrungsaufnahme äußerlich zwecktätig werden. Zwar ist auch diese Form äußerer Zweckmäßigkeit von der Konzeption innerer Zweckmäßigkeit abhängig, denn sie ist davon abhängig, dass es Organismen gibt. Dennoch – und das ist es, was Hegel vor allem in dem letzten Zitat zum Ausdruck bringt  – ist das äußerliche Tätigsein gemäß der Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit ein notwendiges Element für die Reproduktion von Orga­ nismen. 6.3 Hegel zur Bedeutung von Zweckkausalität – eine Bilanz Ich habe bereits im fünften Kapitel mit Hegel dafür argumentiert, dass die These, dass der Zweck sich in etwas anderem als seiner selbst erhält, Grund für die Nicht-Reduzierbarkeit von Zweckkausalität auf kausalmechanische Verhältnisse darstellt. Auch bei natürlichen Zweckprodukten, d. i. Organismen, ist 50

Bezeichnet Hegel den Nestbau als formelle Assimilation (vgl. GW 20, 362, § 362), so benennt er die Form der Assimilation, die sich in der Nahrungsaufnahme vollzieht, als eine reelle Assimilation (vgl. GW 20, 361 f., § 361). In beiden Formen der Assimilation ist der Organismus äußerlich zwecktätig, in der reellen Assimilation jedoch geht diese äußerliche Zwecktätigkeit in eine innere über ; das sich angeeignete Objekt bleibt nicht bestehen, sondern wird durch den Organismus zu seiner Selbsterhaltung zersetzt.

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dies der Fall. Sie sind von kausalmechanischen Verhältnissen zwar abhängig, aber nicht auf diese reduzierbar. Im Gegensatz zu Artefakten ist das Objekt aber nicht durch Manipulation bereits vorhandener äußerer Objekte Zweckprodukt. Vielmehr macht die immanente Zweckbeziehung das Objekt, den Organismus, erst zu einem Objekt, anstatt andere Objekte zum Zwecke der Herstellung eines Zweckproduktes zu manipulieren. So hat sich gezeigt, dass Organismen nur aufgrund ihres Begriffs, ihrer Gattung, das sind, was sie sind. Zweckkausalität überhaupt habe ich in diesem Sinne als eine eigene Form der Kausalität herausgestellt, die andere Aspekte der Wirklichkeit betrifft als kausalmechanische Verhältnisse. Bereits aus der Diskussion des Verhältnisses von Mechanismus und Zweckmäßigkeit im fünften Kapitel wurde deutlich, dass sich mechanische Verhältnisse auf andere Aspekte der Wirklichkeit beziehen als Zweckverhältnisse. Mechanische Verhältnisse konstituieren keine individuellen Objekte ; für die Individuation von Objekten ist bereits ein teleologischer Rahmen investiert. Auch in der Analyse innerer Zweckmäßigkeit zeigte sich, dass sich der Organismus über den Bezug zur äußeren Umwelt konstituiert und auf kausalmechanisch ablaufende Prozesse angewiesen ist. Die Zweckkausalität ist aber auch hier Grund der Individuation von Objekten, d. i. Organismen.51 Organismen werden durch die funktionalen Beziehungen, die die Organe derselben untereinander und in Bezug auf die Umwelt haben, individuiert. In ihnen sind die Glieder nicht nur funktional aufeinander, sondern auch funktional auf ihre Umwelt abgestimmt. Die Existenz von Organismen und damit auch überhaupt die Existenz von funktional aufeinander abgestimmten Gliedern liegt wiederum in ihrem Begriff, in ihrer Gattung begründet. Organismen sind Ausdruck ihres Begriffs. Wie ich in Abschnitt 5.3 ausgeführt und im Abschnitt 6.2.1 noch einmal aufgegriffen habe, versteht Hegel unter seiner Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit die Struktur, gemäß der subjektive Zwecke in einer objektiven Welt anhand der Ergreifung von Mitteln realisiert werden. Unsere eigene Art der Zweckverfolgung und Zweckverwirklichung ist das paradigmatische Beispiel solcher Zweckstrukturen. Hegel hat nun in der Idee des Lebens nicht nur gezeigt – und dies vor allem gegen Kant – , dass sich die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit konsistent denken lässt, sondern er hat auch gezeigt, dass wir die Wirklichkeit äußerer Zweckmäßigkeit nur dann konsistent denken können, wenn wir die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit begründen können, da erstere in letzterer 51

Zieht man nun zu diesen Ausführungen Hegels Argumentation zum Verhältnis von Mechanismus und Zweckmäßigkeit heran, so wird deutlich, inwiefern Hegel den zwei Einwänden, denen Kant sich ausgesetzt sehen muss, spräche Kant dem Prinzip innerer Zweckmäßigkeit objektive Gültigkeit zu, zu begegnen vermag ; gemeint sind der backward-causation-Einwand und der mereologische Einwand gegen die Objektivität von Zweckkausalität in der Natur. Ich komme hierauf in Abschnitt 8.2 zurück.

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gründet. Dies bedeutet, dass unsere eigenen Zwecksetzungen und Zweckrealisierungen nur dann möglich sind, wenn die Wirklichkeit selbst Zweckprodukte aufweist. Und wir selbst sind diese Zweckprodukte. Hegels Argument für die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit dient damit auch der Fundierung eines Wirklichkeitsentwurfes, dem entsprechend wir nicht nur als in Zwecken denkende und tätige Subjekte, sondern auch als zweck­mäßige Objekte in dieser Wirklichkeit vorkommen. Andernfalls ist nicht nur nicht klar, wie wir überhaupt Zwecke zu realisieren vermögen, sondern es ist noch nicht einmal klar, wie wir überhaupt zu Zweckvorstellungen gelangen würden. Dies hat zur Folge, dass in einem jeden Wirklichkeitsentwurf, in dem die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit, die Wirklichkeit natürlicher Zweckprodukte, verneint wird, wir selbst als zwecktätige Wesen in dieser gar nicht vorkommen können. Und hierin liefert Hegel ein gewichtiges Argument gegen einen reduktiven Naturalismus und für die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit.

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7. Endliches und absolutes Erkennen in der ­Wissenschaft der Logik

I 

n einem jeden Wirklichkeitsentwurf, in dem die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit, die Wirklichkeit natürlicher Zweckprodukte, verneint wird, können Subjekte als denkende, zwecktätige Wesen in dieser Wirklichkeit nicht vorkommen.1 So lautet das Ergebnis der letzten beiden Kapitel. In diesem Zuge ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass Hegel im Übergang von der Idee des Lebens zur Idee des Erkennens, um die es im ersten Teil dieses Kapitels gehen wird, die Idee des Lebens als Voraussetzung der Idee des Erkennens bezeichnet (GW 12, 179). Denn die Idee des Erkennens expliziert die Struktur des Geistes, die jenen Subjekten wesentlich ist.2 Demgemäß zeichnet sich auch die Idee des Erkennens durch ihre Zweckstruktur aus.3 Die folgenden Überlegungen stellen nun insofern eine neue Problematik dar, als sie bereits die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit zum Ausgangspunkt haben. So fragt sich Hegel meiner Lesart zufolge in den der Idee des Lebens folgenden Ideen-Kapiteln, d. i. im Kapitel zur Idee des Erkennens und im Kapitel zur absoluten Idee, wie eine Konzeption von Erkenntnis, d. i. vom Begreifen der Wirklichkeit aussehen muss, die die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit zu Die Überlegungen im Abschnitt 6.2 ergaben, dass in Zwecken denkende und tätige Subjekte in dieser Wirklichkeit niemals tätig werden könnten, gesteht man die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit nicht zu. Es wäre nicht der Fall, dass in einer rein mechanisch-strukturierten Wirklichkeit Subjekte zwecktätig handeln, ihre Ziele realisieren etc. Die These Hegels ist aber noch stärker : Entgegen einer dualistischen Sicht, gemäß welcher man argumentieren könnte, dass es zwei voneinander unabhängige Bereiche, die mechanisch strukturierte Wirklichkeit und die Wirklichkeit in Zwecken denkender und tätiger Subjekte, gibt, hat das letzte Kapitel gezeigt, dass Subjekte, die in Zwecken denken und handeln, wesentlich Organismen sein müssen. Damit wird eine solche dualistische Sicht unterlaufen. 2 ›Geist‹ verwendet Hegel synonym zu den Begriffen ›Denken‹ und ›Selbstbewusstsein‹. Insofern unter Geist auch Denken verstanden werden kann, versteht Hegel dieses Merkmal als das den Menschen vom Tier wesentlich unterscheidende Merkmal ; vgl. GW 20, 40 f, § 2. Dies bedeutet aber nicht, dass es nicht auch andere denkende oder Geist entwickelnde Wesen geben könnte, deswegen findet im Fließtext der allgemeinere Begriff ›Subjekt‹, insofern es sich um ein denkendes Subjekt handelt, Verwendung und nicht der Begriff ›Mensch‹. 3 Auf den Unterschied zwischen dem im Teleologiekapitel thematisierten subjektiven Zweck und dem Zweck, der in der Idee des Erkennens angesprochen wird, komme ich im Abschnitt 7.1.3 dieser Arbeit zu sprechen. 1

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ihrem Ausgangspunkt hat. Hegels Überlegungen verlassen die Zweckthematik trotz des nun anders gelagerten Fokus also nicht, sondern stellen sie vielmehr in einen weiteren Kontext. Mein Ziel in diesem Kapitel ist es, die systematischen Anknüpfungspunkte und Fragen aufzuzeigen, die vor dem Hintergrund meiner Analysen in einer ausgearbeiteten Theorie der hegelschen Konzeption des (endlichen und absoluten) Erkennens behandelt werden müssten.4 Mit dem Übergang von der Idee des Lebens zu der Idee des Erkennens und der absoluten Idee adressiert Hegel also das Thema der Erkenntnis der Strukturen der Wirklichkeit. Doch – so könnte man sogleich an dieser Stelle einwerfen – haben wir mit diesem Thema die Logik nicht verlassen, insofern nun keine ontologischen Strukturen der Wirklichkeit behandelt werden, sondern auf Fragen epistemischer Natur geantwortet wird ? Ganz im Gegenteil, dieses Thema gehört Hegel zufolge insofern in die Logik, als es zum einen selbst zur Grundstruktur der Wirklichkeit gehört, dass es erkennende Wesen in ihr gibt. Dieser Umstand muss also in einer Wirklichkeitskonzeption reflektiert werden. Zum anderen ist Hegel der Ansicht, dass die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, um die Struktur der Wirklichkeit erkennen zu können und in diesem Sinne auch um die Logik als solche denken zu können, selbst wieder reflektiert werden müssen. Sie müssen also Gegenstand der Logik werden.5 Es ist eine übliche Lesart, Hegels Ausführungen in der Idee des Erkennens als Kritik am endlichen Erkennen und damit als Kritik an einer bestimmten, v. a. kantischen Konzeption6 des Subjekt-Objekt-Verhältnisses und des daraus resultierenden epistemischen Zugangs zum Objekt zu lesen.7 Aus solchen Konzeptio Eine ausgearbeitete Theorie von Hegels Konzeption des Erkennens würde auch eine Untersuchung von Hegels Konzeption des Begriffs und des Status desselben erfordern. Beides sind sich aus meinem Gedankengang ergebende Untersuchungsgegenstände, die aber nicht mehr Gegenstand dieser Arbeit sind. 5 Diesen Anspruch formuliert Hegel in der Enzyklopädie wie folgt : »Dieses Denken der philosophischen Erkenntnißweise bedarf es selbst, sowohl seiner Notwendigkeit nach gefaßt, wie auch seiner Fähigkeit nach, die absoluten Gegenstände zu erkennen, gerechtfertigt zu werden.« (GW 20, 50 § 10) Und im selben Zuge kritisiert er Kant, der zwar eine Untersuchung der Erkenntnisvermögen und des Erkennens betreibe, jedoch diesem Umstand nicht Rechnung getragen habe. Hegel zufolge müssen in einem philosophischen Unterfangen die Voraussetzungen, die wir in diesem Unterfangen eingehen, freigelegt werden und sie müssen durch dieses Unterfangen selbst wieder eingeholt werden. 6 Nicht nur Kant, sondern auch Fichte wird in Hegels Ausführungen zur Idee des Erkennens vor allem angesprochen. Dennoch steht die Auseinandersetzung mit Kant klar im Vordergrund und es ist auch diese, die in der Forschungsliteratur prominenter aufgegriffen und diskutiert wird. 7 Siehe dazu etwa Düsing (1995), 295 ff. Schäfer (2002), 248. Zambrana (2015), 117. Siep (2018), 692 f. Ng (2020), 282. Siep betont zwar, dass wir es bei der Idee des Erkennens nicht primär 4

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nen resultiere für Hegel eine unwahre Theorie des Erkennens, die er dieser üblichen Lesart zufolge in der Idee des Erkennens ausbreitet. Hegels Ausführungen in der absoluten Idee werden dementsprechend als Überwindung dieses Standpunktes endlichen Erkennens gelesen, in der er seine eigene Konzeption des Erkennens der zuvor kritisierten Konzeption endlichen Erkennens entgegensetze.8 Mit dem hier gewählten Zugang zur Idee des Erkennens und zur absoluten Idee wird sich jedoch zeigen, dass diese Lesart nicht überzeugen kann. Denn zum einen wird durch diese rein kritische Lesart der Idee des Erkennens der mit dem Ideenkapitel erreichte Standpunkt unterlaufen. So ist generell mit dem Ideenkapitel für Hegel bereits eine Subjekt-Objekt-Einheit in der Form innerer Zweckmäßigkeit erreicht. Nähme Hegel also tatsächlich eine genuin kantische Position zum Ausgangspunkt der Idee des Erkennens, so würde er den mit der Ideenlehre erreichten Standpunkt der Subjekt-Objekt-Einheit unterminieren. Zum anderen wird eine solche Lesart dem Verhältnis nicht gerecht, das Hegel zwischen der Idee des Erkennens und der Idee des Lebens etabliert. Denn Hegel bezeichnet die Idee des Erkennens als die Wahrheit der Idee des Lebens. Doch inwiefern kann unter Voraussetzung der Zurückweisung der Konzeption endlichen Erkennens die Idee des Erkennens selbst überhaupt noch – wie Hegel sich ausdrückt – als Wahrheit der Idee des Lebens verstanden werden (vgl. GW 12, 196 f.) ? Es ist also nicht klar, inwiefern die Idee des Erkennens die Wahrheit der Idee des Lebens sein kann, wenn die Konzeption von Erkennen, die sich in der Idee des Erkennens ausdrückt, als falsch zurückgewiesen wird. Der Ausgangspunkt des Nachdenkens über die Erkenntnis ermöglichenden Strukturen scheint mir also ein anderer zu sein als der, der mit einer solchen Lesart investiert ist. Dementsprechend denke ich auch, dass Hegels Konzeption des Erkennens in der absoluten Idee unter einer anderen Perspektive als der der Überwindung des endlichen Standpunktes gelesen werden muss.

mit einer Kritik unwahren Wissens zu tun haben. Er hält dennoch daran fest, dass es sich zu Beginn der Idee des Erkennens zunächst um einen Rückfall handelt, so wie er die Unwahrheit der in der Idee des Erkennens abgehandelten Erkenntnis betont. Ng wiederum referiert nicht explizit auf den kantischen Kontext und im Verlauf ihrer Interpretation der Idee des Erkennens gelangt sie zu dem Schluss, dass »[d]espite its limitations, theoretical cognition nonetheless makes a positive contribution to the production of truth, constituting an essential part of cognition’s activity« (Ng, (2020), 282). Dennoch ist es dem Selbstbewusstsein (Ng benutzt den Begriff ›Selbstbewusstsein‹ statt ›Geist‹) ihrer Lesart zufolge wesentlich im Erkenntnisprozess falsche Selbstkonzeptionen zu erzeugen. Grund dieser falschen Selbstkonzeptionen wiederum ist die Annahme eines Dings an sich, welches das Subjekt niemals erkennen kann (Ng (2020), 282). Dieser kantische Hintergrund ist also zumindest implizit gegeben. 8 Vgl. Zambrana (2015), 117.

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Ich werde dafür argumentieren, dass Hegel in der Idee des Erkennens keinen kantischen Standpunkt als Ausgangspunkt derselben aufgreift.9 Hegel entwickelt vielmehr seine eigene Konzeption endlichen Erkennens in der Idee des Erkennens sowie im Anschluss seine Konzeption absoluten Erkennens, welches Hegel als genuin philosophisches Erkennen kennzeichnet (vgl. GW 12, 236). Endlich ist das endliche Erkennen jedoch nicht – wie es Kant nahelegt – aufgrund epistemischer Grenzen. Hegels Konzeption zufolge bleibt das endliche Erkennen endlich aufgrund des Gegenstandes, mit dem es sich beschäftigt. Dementsprechend ist auch das Erkennen in der absoluten Idee absolut nicht aufgrund einer Überwindung oder Negierung vermeintlicher epistemischer Grenzen, sondern aufgrund des Gegenstandes dieses Erkennens.10 Und Gegenstand dieses Erkennens sind die in der Logik selbst abgehandelten begrifflichen Strukturen. Indem diese in der absoluten Idee selbst zum Gegenstand gemacht werden, ist mit der absoluten Idee meiner Lesart zufolge eine Methode gegeben, mit der wir, als Subjekte, die selbst Teil der Struktur der Wirklichkeit sind, dazu imstande sind, die Grundstrukturen dieser Wirklichkeit und unseren eigenen Standpunkt in dieser zu erkennen und zu thematisieren. Diese Lesart, die die Art des jeweiligen Erkennens von ihrem Gegenstand abhängig macht, ist meines Erachtens auch in systematischer Sicht interessant, weil sie gegen eine weitere übliche Lesart, die sich auf Hegels Logik insgesamt bezieht, spricht. Sie spricht gegen die Lesart der hegelschen Logik als ein A-priori-Projekt.11 Im Folgenden werde ich nun zunächst freilegen, inwiefern ich denke, dass Hegel in der Idee des Erkennens seine eigene Konzeption endlichen Erkennens expliziert. Dafür gehe ich zunächst auf die Lesart des Abschnittes der Idee des Erkennens ein, die diesen Abschnitt als Kritik an kantischen Positionen liest. Dabei werde ich beispielhaft Zambranas Lesart der theoretischen Idee des Erkennens als Kritik an Kant heranziehen (7.1.1). Sodann werde ich dafür den Ausgangspunkt der Idee des Erkennens, die bereits erreichte Subjekt-Objekt-Einheit, skizzieren (7.1.2). Und letztlich gilt es, Hegels eigentliche Konzeption endlichen Erkennens als Wahrheit der Idee des Lebens zumindest in ihren Ansätzen herauszuarbeiten (7.1.3). Im zweiten Abschnitt dieses Kapitels werde ich auf Hegels Konzeption der absoluten Idee eingehen, in welcher Hegel seine Konzeption Dies bedeutet jedoch nicht, dass die kantische Konzeption des Erkennens in der Idee des Erkennens nicht aufgenommen und kritisiert wird. Ich behaupte allein, dass sie bereits vor dem Hintergrund der in der Wissenschaft der Logik entwickelten Ebene der Subjekt-ObjektEinheit aufgegriffen wird. Die Erkenntniskonzeptionen in der Idee des Erkennens ist damit bereits keine kantische Erkenntniskonzeption. 10 Hierauf komme ich vor allem in Abschnitt 7.2.3 zurück. 11 Lesarten, gemäß denen Hegels Wissenschaft der Logik ein A-priori-Projekt ist, sind etwa : Pippin (2019). Ng (2020). Es ist hinzuzufügen, dass vor allem Ng, ihre Lesart des Hegelschen Projektes von dem kantischen Projekt abgrenzt. Dies nimmt sie jedoch vor allem mit Blick auf die Phänomenologie vor ; vgl. Ng (2020), 104, Fn 71/ 111–116. 9

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philosophischen Erkennens vorlegt. Auch an dieser Stelle wird keine ausführliche Diskussion der absoluten Idee stattfinden können, vielmehr gilt es die systematischen Anknüpfungspunkte und Fragen aufzuzeigen, die sich aus dem in dieser Arbeit erschlossenen Zugang zur absoluten Idee ergeben. Dafür werde ich zur Kontextualisierung zunächst auf Hegels Kritik an einer Vorstellung von Denken als Instrument und Mittel zur Erkenntnis eingehen (7.2.1). Nach dieser Rahmung werde ich explizieren, in welchem Sinne die absolute Idee als Methode des philosophischen Erkennens zu gelten hat, gemäß welcher Subjekte als Teil der Wirklichkeit im Erkennen des Ganzen der Wirklichkeit als dieser Teil der Wirklichkeit mitgedacht werden (7.2.2). Schließlich werde ich darlegen, in welchem Sinne die absolute Idee vor dem Hintergrund meiner Überlegungen als höchste Form der Selbstthematisierung auszubuchstabieren ist (7.2.3). 7.1 Die Konzeption endlichen Erkennens In der Idee des Erkennens behandelt Hegel eine Konzeption, die er das endliche Erkennen nennt. Endlich ist dieses Erkennen, insofern das erkennende Subjekt einer objektiven Welt gegenübersteht, die Hegel explizit als Schranke dieses Erkennens bezeichnet (vgl. GW 12, 199). Ungleich einem göttlichen, allwissenden Verstand muss das endliche Erkennen zur Erkenntnis der objektiven Welt diese erst begrifflich erfassen oder – wie Hegel es ausdrückt – in Begriffsbestimmungen verwandeln (vgl. GW 12, 199). Die Struktur endlichen Erkennens ist damit wesentlich durch seine Diskursivität gekennzeichnet. Diese erste Charakterisierung des endlichen Erkennens mag nun zu der Annahme verleiten, dass Hegel in der Idee des Erkennens v.a. die kantische Erkenntniskonzeption vor Augen hat, und zwar in dem Sinne, dass der kantische Standpunkt in der Idee des Erkennens selbst eingenommen, reflektiert und dann dementsprechend kritisiert wird. Ich werde im Folgenden jedoch dafür argumentieren, dass diese rein kritische Lesart des Inhalts, den Hegel in der Idee des Erkennens präsentiert, fehlgeleitet ist, da sie das Ziel der hegelschen Argumentation missversteht. Über die Darlegung des Verhältnisses der Idee des Lebens zur Idee des Erkennens werde ich aufzeigen, dass es Hegel in der Idee des Erkennens nicht um eine Kritik epistemisch begründeter Positionen geht, sondern vielmehr darum, die fundamentale Struktur freizulegen, die endliches Erkennen ausmacht.12 Wie ich argumentieren werde, geht es in der Idee des Erkennens nicht einfach um die Kritik einer anderen, sondern um Hegels eigene 12

Ich werde mich dafür auf die Grundstruktur des theoretischen Erkennens beziehen und sowohl die besonderen Formen theoretischen Erkennens als auch die Form praktischen Erkennens außer Acht lassen.

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Konzeption endlichen Erkennens. Ich möchte also nicht nur mit einem gängigen Missverständnis über das Ziel von Hegels Argumentation in der Idee des Erkennens aufräumen, sondern auch eine plausible Lesart dieses Abschnittes innerhalb der Argumentationsstruktur der Logik zumindest andeuten, gemäß der Hegel eine positive Konzeption endlichen Erkennens entwickelt. 7.1.1 Die Idee des Erkennens als Kritik an epistemischen Positionen ? Hegel charakterisiert die Idee des Erkennens grundsätzlich als subjektiv, als »Zweck«, der sich realisieren soll : »Sie [die subjektive Idee, K.K.] ist der Zweck, der sich realisiren soll, oder es ist die absolute Idee selbst noch in ihrer Erscheinung. Was sie sucht, ist das Wahre, diese Identität des Begriffs selbst und der Realität, aber sie sucht es nur erst ; denn sie ist hier, wie sie zuerst ist, noch ein subjectives.« (GW 12, 198 f.)

Dies deute ich wie folgt : Ein tätiges bzw. erkennendes Subjekt verfolgt den Zweck, sich die Wirklichkeit begrifflich anzueignen. Die objektive Welt13 ist das, was diesem Subjekt gegenübersteht, sie ist das, was das Subjekt nicht ist, ein vorgefundenes Gegebensein (vgl. GW 12, 199). Zweck dieses Subjekts ist nun das theoretische und praktische Sich-Aneignen dieser objektiven Welt.14 Und im Erkennen15 soll zwischen dem Subjekt und der objektiven Welt auf theoretischer sowie auf praktischer Ebene vermittelt werden (vgl. GW 12, 199). Im Erkennen – so drückt Hegel es aus – ›verwandelt‹ das Subjekt den in der objektiven Welt gegebenen Gegenstand in eine Begriffsbestimmung und generiert so Erkenntnis über diesen Gegenstand. Dieses sogenannte ›Verwandeln‹ vollzieht sich strukturell in zwei entgegengesetzte Richtungen : Zum einen verwandelt das Subjekt den Gegenstand in eine Begriffsbestimmung, indem das Subjekt die objektive Welt betrachtend untersucht und den Inhalt der zu gewinnenden Erkenntnis aus dieser Welt »herausnimmt«. Die objektive Welt liefert den Inhalt der jeweiligen zu gewinnenden Erkenntnis. Das Unter dem Ausdruck ›objektive Welt‹ ist an dieser Stelle alles das zu verstehen, was in der Idee des Lebens Gegenstand geworden ist, das heißt, Lebendiges und Mechanismus (im weiten Sinne). 14 Einen Vergleich zu der im Teleologiekapitel vorgelegten Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit werde ich in Abschnitt 7.1.3 vornehmen. 15 ›Erkennen‹ verwendet Hegel an dieser Stelle also in einem weiten Sinne ; dieser Begriff bezieht sich sowohl auf den Bereich des Theoretischen als auch auf den Bereich des Praktischen. Diese Verwendung lese ich auch als eine implizite Kritik an Kants scharfer Trennung von Theorie und Praxis. 13

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Subjekt beschreibt Hegel zwar als ausgestattet mit Begriffen, mit denen es an die objektive Welt herangeht und anhand derer es die objektive Welt einordnet, doch stellen diese Begriffe nur die Form einer Erkenntnis, nicht aber den Inhalt derselben (vgl. GW 12, 199). Der Inhalt der Erkenntnis wird aus der objektiven Welt gewonnen durch Betrachtung und denkenden Nachvollzug. Dies ist die theoretische Idee des Erkennens oder die Idee des Wahren. Das theoretische Verhalten zur objektiven Welt teilt Hegel zu Beginn seiner Naturphilosophie in dasjenige der Naturwissenschaft und dasjenige der Naturphilosophie ein (vgl. GW 20, 236 f., § 246 f.). Auf den ersten Blick lassen sich beide wie folgt vergleichen : Beide sind Betrachtungen der Natur, die durch Denken Erkenntnis derselben anstreben. Da Denken bedeutet, das Allgemeine in den Dingen zu erfassen, suchen beide Disziplinen das Allgemeine in der Natur zu erkennen. Die Naturphilosophie nimmt dabei Hegel zufolge die Ergebnisse der empirischen Wissenschaften auf ; sie hat sie zur Voraussetzung (vgl. GW 20, 236, § 246). Diejenigen Begriffe, mit denen in den Naturwissenschaften allgemeine Gedanken über die Natur ausgedrückt werden, sind Gegenstand der Naturphilosophie und diese Begriffe sucht die Naturphilosophie wiederum in ihrem Zusammenhang zu explizieren.16 Die Konzeption theoretischen Erkennens der objektiven Welt ist nun aber von vornherein nicht so zu verstehen, als nähme das Subjekt Inhalte der objektiven Welt – gleich einem puren sinnlichen Eindruck – einfach passiv auf ; bereits die von Hegel genutzte Terminologie »verwandeln« weist auf eine andere Erkenntniskonzeption hin. Die einfache Aufnahme von Inhalten ist Hegel zufolge bereits in den empirischen Naturwissenschaften nicht der Fall. Das Subjekt nimmt dort diese Inhalte vielmehr nur insofern auf, als es das an den Inhalten erkennt, was an diesen allgemein ist. Und das, was an diesen Inhalten allgemein ist, bringt es in Begriffsbestimmungen.17 Hintergrund ist hier Hegels These, dass das, was die Dinge wesentlich ausmacht, Begriffe sind. Sinnliche Eindrücke bilden zwar den Ausgangspunkt des Erkenntnisprozesses, aber um zu erkennen, wie der Inhalt unserer Eindrücke wirklich beschaffen ist, muss das Subjekt über den Inhalt der bereits erhaltenen Eindrücke nachdenken. Die Sinneseindrücke, die wir etwa von dem Erscheinen von Blitzen am Himmel haben, sagen uns noch nicht viel darüber, was ein Blitz eigentlich ist. Wollen wir wissen, was die Erscheinungen wirklich ausmacht, in denen sich uns ein Blitz zeigt, müssen wir über diese Erscheinung nachdenken und nach Ursachen für dieselbe forschen. Das Resultat unseres Nachdenkens ist selbst kein Sinneseindruck mehr, sondern – um mit Hegel zu sprechen – ein Inhalt, den wir auf den 16 17

Zum Verhältnis von Naturphilosophie und Naturwissenschaft siehe Khurana (2017), 304. Vor allem in den ersten Paragraphen zum Vorbegriff der Logik in der Enzyklopädie hebt Hegel diesen transformierenden Charakter des Denkens hervor ; vgl. GW 20, 39–44, §§ 2–5.

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Begriff gebracht haben ; eine Denkbestimmung, die diese anfänglichen Eindrücke Hegel zufolge im Wesentlichen ausmacht. Inhalte der objektiven Welt in Begriffsbestimmungen zu verwandeln, heißt in diesem Sinne, das Allgemeine an diesen zu erkennen (vgl. GW 20, 46, § 7). Das Schaffen begrifflicher Zusammenhänge unter diesen Begriffsbestimmungen ist wiederum Aufgabe der Naturphilosophie.18 In der theoretischen Idee des Erkennens geht es also um die Untersuchung von Begriffsbestimmungen zueinander, die im betrachtenden Nachvollzug der Natur eine strukturelle Rolle spielen. Im theoretischen Erkennen geht es Hegel dabei um die Untersuchung von Begriffsbestimmungen zueinander, die im betrachtenden Nachvollzug der objektiven Welt methodisch eingesetzt werden und insofern eine strukturelle Rolle im Erkennen spielen.19 So geht es ihm um eine Untersuchung der analytischen und synthetischen Methode zur Gewinnung von Erkenntnissen. Zum anderen verwandelt das Subjekt die objektive Welt in Begriffsbestimmungen, indem es in diese eingreift und einen Inhalt in diese Welt hineinträgt. In der praktischen Idee oder in der Idee des Guten hat der subjektive Zweck des Subjekts selbst einen Inhalt, der in der objektiven Welt realisiert werden soll. Im praktischen Handeln gilt die objektive Welt als Mittel zur Realisation dessen, was in der objektiven Welt noch nicht vorhanden ist – die objektive Welt wird zur Realisation moralischer Inhalte verändert. Der praktische Umgang mit der objektiven Welt besteht also in der Realisierung moralisch-praktischer Inhalte, die nicht bereits in der objektiven Welt verwirklicht sind, sondern in dieser verwirklicht werden sollen. Das Subjekt strebt an, dem Zweck »vermittels des Aufhebens der Bestimmungen der äußerlichen Welt die Realität in Form äußerlicher Wirklichkeit zu geben« (GW 12, 231). Es wird also kein Inhalt aus der objektiven Welt extrahiert, sondern die objektive Welt soll entsprechend der moralisch-praktischen Vorstellungen des Subjekts verändert werden. Das, was in dieser Idee daher als wirklich bezeichnet wird, ist der Inhalt des subjektiven Zwecks selbst und nicht wie in der theoretischen Idee die objektive Welt (vgl. GW 12, 231). Schäfer bringt diesen Unterschied gut auf den Punkt : Während es in der Idee des Wahren, der theoretischen Idee, darum geht, die objektive Welt begrifflich nachzuvollziehen, gilt es in der Idee des Guten, der praktischen Idee, sie gemäß des bereits im Subjekt erzeugten begrifflichen Inhaltes zu verändern.20 In der Idee des Wahren wird die objektive Welt so gelassen, wie sie ist. Zwar verwandelt Zum Unterschied zwischen der theoretischen Naturbetrachtung in der Naturwissenschaft und in der Naturphilosophie siehe auch Khurana (2017), 302–308. 19 In diesem Sinne kann man die Ausführungen in der Idee des Wahren auch als Ausführungen über die strukturelle Beschaffenheit theoretischen Erkennens verstehen. 20 Vgl. Schäfer (2002), 254. 18

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das Subjekt in der Idee des Wahren die Inhalte der objektiven Welt in Begriffsbestimmungen, doch dieses Verwandeln bringt keine neue natürliche Ordnung hervor. Denn es ist schließlich diese vom Subjekt unabhängige natürliche Ordnung, die das Subjekt zu verstehen versucht. In der Idee des Guten dagegen wird die objektive Welt nicht so gelassen, wie sie ist. In die natürliche Ordnung wird eingegriffen, um etwas hervorzubringen, was in ihr noch nicht ist  – sittliche Strukturen. Nun liegt es auf den ersten Blick nahe, diese Ausführungen als Aufnahme vorangegangener epistemisch begründeter Positionen, vor allem der kantischen Position, und als Kritik daran zu lesen. So identifiziert etwa Zambrana den in der theoretischen Idee eingenommenen Standpunkt mit dem der kantischen Philosophie.21 Dabei verstehe ich Zambrana so, dass sie die beiden Extreme der Idee des theoretischen Erkennens einerseits als das Subjekt bestimmt, das mit leeren, von der objektiven Welt unabhängigen Begriffsbestimmungen an dieselbe herangeht, und andererseits das andere Extrem als das gegebene Objekt bestimmt, welches niemals Inhalt einer Erkenntnis werden kann. Kant zufolge erkennen wir nur Erscheinungen, aber niemals Dinge an sich. Das, was Kant als Objekt bezeichnet, ist immer Resultat des Gegebenseins des Gegenstandes durch unser sinnliches Auffassungsvermögen und unseres eigenen begrifflichen Setzens. Dadurch schauen wir jedoch in modifizierter Form oder – metaphorisch gesprochen – durch unsere eigene Brille auf den Gegenstand. Das, was Grund des uns gegebenen Gegenstandes (der Erscheinung) ist, können wir dadurch nicht erfassen. Erkenntnis über die Beschaffenheit dieses Grundes, des Dings an sich, bleibt in dieser Konzeption endlichen Erkennens uneinholbar. Diese Entgegensetzung von Subjekt und Objekt bezeichnet dementsprechend eine epistemische Grenze. Zambrana zufolge erhebe Hegel in der Idee des Erkennens den Vorwurf, den er bereits in Glauben und Wissen gegen Kant vorbrachte : Kants Theorie des Erkennens entpuppt sich in letzter Konsequenz als widersprüchlich, da etwas als wahres Wissen postuliert wird, das kein wahres Wissen sein kann. Denn das Ding an sich können wir dieser Theorie zufolge nicht erkennen, sondern nur die durch unsere Brille gewonnenen Erscheinungen. Kants Erkenntniskonzeption postuliert aber ein Wissen dessen, was wirklich ist. Hegels Kant-Interpretation zufolge muss aber das Ding an sich als das identifiziert werden, was wirklich ist.22 Wenn aber das, was wirklich ist, letztlich das Ding an sich ist, so ist das über die Erscheinungen gewonnene Wissen – so Hegel – letztlich falsches Wis21

Vgl. Zambrana (2015), 118. Eine Diskussion der Berechtigung dieser Behauptung kann ich an dieser Stelle nicht anschließen. Sie würde den Rahmen dieses Kapitels sprengen. Um des Hegel’schen Arguments willen lasse ich diese Annahme hier unangetastet.

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sen. Ein Wissen über das, was wirklich ist, wird uns geradezu verwehrt.23 Tatsächlich schreibt Hegel in der Einführung zur Idee des Erkennens auch : »Aus dieser Bestimmung des endlichen Erkennens [der kantischen, K.K.] erhellt unmittelbar, daß es ein Widerspruch ist, der sich selbst aufhebt ; – der Widerspruch einer Wahrheit, die zugleich nicht Wahrheit seyn soll ; – eines Erkennens dessen, was ist, welches zugleich das Ding-an-sich nicht erkennt. In dem Zusammenfallen dieses Widerspruchs fällt sein Inhalt, das subjective Erkennen und das Ding-ansich, zusammen, d. h. erweißt sich als ein Unwahres.« (GW 12, 201)

Da Zambrana die in der Idee des Erkennens ausformulierte Konzeption des Erkennens mit der kantischen Konzeption des Erkennens identifiziert, interpretiert sie dementsprechend die gesamte Konzeption des endlichen Erkennens in der Idee des Erkennens als mit diesem Vorwurf belastet.24 Dieser Lesart der Idee des Erkennens lässt sich einige Plausibilität abgewinnen und Kant ist in den Abschnitten zur Idee des Wahren und der Idee des Guten klarerweise eine Zielfläche von Hegels polemischer Kritik.25 Doch bezweifele ich, dass die Idee des Erkennens der Ort ist, an dem er die kantische Konzeption endlichen Erkennens zum Ausgangspunkt der Idee des Erkennens wählt, um sie dann noch einmal im vollen Zuge zu kritisieren. Denn erstens sollte Zambranas epistemische Lesart der Idee des Erkennens stutzig machen. Geht es in der Wissenschaft der Logik nicht generell vielmehr um die Freilegung logischer Strukturen der Wirklichkeit als um die Auseinandersetzung mit und Kritik an epistemischen Positionen ? Eine systematische Kritik an bestimmten Wissenskonzeptionen scheint doch eher der Phänomenologie des Geistes vorbehalten. Und dort finden wir auch Hegels Kritik an kantischen oder dualistischen Wissenskonzeptionen.26 Zweitens spricht gegen diese Lesart aus systematischer Sicht, dass unter Voraussetzung dieser Lesart Hegels Ausführungen in der Idee des Erkennens die In Glauben und Wissen bezeichnet Hegel die kantische Philosophie als Erkenntnis des nur Subjektiven, Endlichen, die sich einer Erkenntnis dessen, was wirklich ist, verschließt : »[…] und die ganze Aufgabe und Inhalt dieser Philosophie ist nicht das Erkennen des Absoluten, sondern das Erkennen dieser Subjectivität […].« (GW 4, 325 f.). Diese Kritik findet sich auch im Vorbegriff der Wissenschaft der Logik, in der zweiten Stellung des Gedankens zur Objektivität, wieder (vgl. GW 20, 81, § 45). 24 Vgl. Zambrana (2015), 118. 25 Nicht nur Kant ist in der Idee des Erkennens Zielscheibe der Kritik ; auch auf beispielsweise Pythagoras, Locke, Spinoza und Fichte bezieht sich die Hegel’sche Kritik. 26 Hegel erwähnt die Kritik an der kantischen Erscheinung-Ding-an-sich-Differenz nur in der Einleitung zur Idee des Erkennens und meiner Lesart zufolge tut er dies, um seine eigene Konzeption endlichen Erkennens von der kantischen abzugrenzen. 23

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in der Logik bereits erreichte Subjekt-Objekt-Einheit unterminieren würden. Denn mit der Idee soll bereits eine Subjekt-Objekt-Einheit erreicht sein. Diese erfährt ihre erste Konkretisierung in der Ausarbeitung des Konzepts innerer Zweckmäßigkeit in der Idee des Lebens. Die in der Idee des Lebens erreichte Konzeption innerer Zweckmäßigkeit und mit ihr die so erreichte Subjekt-­ Objekt-Einheit würden zugunsten einer erneuten Subjekt-Objekt-Trennung unterlaufen. So widerspricht diese Lesart des endlichen Erkennens drittens denn auch dem hegelschen Wortlaut. Denn Hegel legt offensichtlich eine Subjekt-ObjektEinheit auch in der Idee des Erkennens zugrunde. So schreibt er : »Die beyden Extreme [Subjekt und objektive Welt ; K.K.] sind darin identisch, daß sie die Idee sind ; erstlich ist ihre Einheit die des Begriffs, welcher in dem einen nur für sich, in dem anderen nur an sich ist ; zweytens ist die Realität in dem einen abstract, in dem anderen in ihrer concreten Aeusserlichkeit.« (GW 12, 199)

In diesem Sinne ist es schwierig zu sehen, inwiefern es sich bei der Idee des Erkennens tatsächlich allein um die Auslegung einer dualistischen, kantischen Posi­tion handeln könnte. Dennoch stimmte ich Zambrana darin zu, dass in der Idee des Erkennens die Struktur endlichen Erkennens abgehandelt wird. Zwei Gründe für die Endlichkeit dieses Erkennens können wir nun aber ausschließen : Das endliche Erkennen ist nicht endlich aufgrund von Grenzen epistemischer Art. Nach solchen wird in der Wissenschaft der Logik nicht gefragt. Auch eine dualistische Konzeption von Subjekt und Objekt kann nicht Grund für die Endlichkeit des Erkennens sein. Denn die Einheit von Subjekt und Objekt ist mit dem Ideen­ kapitel expliziert. Dies bringt mich zur folgenden These, die es in den nächsten beiden Teilen dieses Abschnittes auszubuchstabieren gilt : Endlich ist das Erkennen nicht aufgrund seiner epistemischen Grenzen oder einer dualistischen Grundkonzeption von Subjekt und Objekt, sondern Hegel zufolge ist es endlich aufgrund des Gegenstandes, mit dem es das endliche Erkennen zu tun hat. Für eine Begründung dieser These ist es sinnvoll, sich dem Ausgangspunkt der Idee des Erkennens innerhalb der Logik zuzuwenden.

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7.1.2 Der Ausgangspunkt in der Idee des Erkennens – die Idee des Lebens als Voraussetzung der Idee des Erkennens Ausgangspunkt der Idee des Erkennens ist die Idee des Lebens. Sie bildet die ­Voraussetzung der Idee des Erkennens. So schreibt Hegel : »Diese Voraussetzung [der Idee des Erkennens, K.K.] nun ist die unmittelbare Idee ; denn indem das Erkennen der Begriff ist, insofern er für sich selbst, aber als Subjectives in Beziehung auf Objectives ist, so bezieht er sich auf die Idee als vorausgesetzte oder unmittelbare. Die unmittelbare Idee aber ist das Leben.« (GW 12, 179)

Hegel formuliert in dieser Eingangspassage zu der Idee des Lebens, dass die Idee des Erkennens die Idee des Lebens27 voraussetze. Erkennen sei ein relationaler Begriff. Das Erkennen muss sich als subjektive Tätigkeit auf etwas Objektives beziehen. Dieses Objektive sei mit der Idee des Lebens bezeichnet (GW 12, 179). Diese Behauptung kann nun nicht so verstanden werden, als dass Hegel mit ihr die kantische Annahme übernimmt, der zufolge Begriffe ohne Bezug auf Erscheinungen leer seien und die Idee des Lebens sich deswegen als Voraussetzung der Idee des Erkennens entpuppe. Denn einem solchen Verständnis zufolge stünde in der Idee des Erkennens zur Debatte, ob den in der Idee des Erkennens exponierten logischen Prinzipien überhaupt etwas entspreche. Ein solches Vorgehen ist jedoch Hegel zufolge fehlgeleitet. So beginnt die Logik bereits mit der Annahme, dass die Denkbestimmungen auch Seinsbestimmungen sind. Sie lässt eine Debatte in diesem Sinne gar nicht mehr zu.28 Ich halte folgendes Verständnis daher für plausibler : Die Idee des Erkennens ist zwar das Urteil, d. h. die Idee, die die Teilung von Subjekt und Objekt – wie im letzten Abschnitt erläutert – expliziert, aber nur auf Basis einer bereits in der Idee des Lebens nachgewiesenen bestehenden Einheit zwischen Subjekt und Objekt. So hat die Diskussion des Abhängigkeitsverhältnisses von äußerer und innerer Zweckmäßigkeit im Abschnitt 6.2 gezeigt, dass Hegel der Auffassung ist, dass die Möglichkeit äußerer Zweckmäßigkeit nur auf Grundlage einer Subjekt-Objekt-Einheit möglich ist, die wiederum in der Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit gründen muss. Das denkende, tätige Subjekt kann aus logischen Gründen nicht so gedacht werden, dass es in Form eines Homunculus dem Organismus innewohnt und diesen sozusagen ›von außen‹ bewegt. Unter dem Ausdruck ›Idee des Lebens‹ verstehe ich hier nicht nur die in der Idee des Lebens exponierten Verhältnisse zwischen einzelnem Individuum, Umwelt und Gattung, sondern auch die Strukturen, von denen Organismen abhängig sind und die auch in der Idee des Lebens thematisiert wurden, d. i. mechanische Strukturen. 28 Vgl. dazu auch Emundts (2012), 361. 27

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Akzeptiert man also die im Teleologiekapitel gegebenen Argumente für die Priorität der inneren Zweckmäßigkeit über die äußere, dann ist an dieser Stelle der Logik klar, dass sich subjektive Zwecke, so wie Hegel sie in der Idee des Erkennens benennt, nur auf Basis des Lebens generieren. So schreibt Hegel zum Ende der Idee des Lebens denn auch : »Die Idee, die als Gattung an sich ist, ist für sich, indem sie ihre Besonderheit, welche die lebendigen Geschlechter ausmachte, aufgehoben und damit sich eine Realität gegeben hat, welche selbst einfache Allgemeinheit ist ; so ist sie die Idee, welche sich zu sich als Idee verhält, das Allgemeine, das die Allgemeinheit zu seiner Bestimmtheit und Dasein hat – die Idee des Erkennens.« (GW 12, 192)

Die im Erkennen ausgedrückten subjektiven Strukturen sind diesem Zitat gemäß nicht unabhängig vom Leben. Vielmehr – so verstehe ich das Zitat – steht das erkennende Subjekt in einer solchen Einheit mit dem Organismus, dass es dieselbe logische Form aufweist wie der Organismus und sich zu dieser logischen Form »verhalten« kann, d. h. sich auf diese logische Form reflektierend beziehen kann.29 Im Erkennen wird diese Form also selbst reflektiert und sozusagen auf den Begriff gebracht. Die Idee des Lebens bildet dann die Voraussetzung der Idee des Erkennens, weil die mit der Idee des Erkennens erreichte Struktur der Subjektivität ohne die Idee des Lebens gar nicht zustande käme.30 Zum Verständnis dieser These ist es zunächst hilfreich, einen Gedanken hervorzuheben, den Khurana für die Geistphilosophie bzw. für die Konstitution von Geist fruchtbar macht. Die Konstitution von Geist per se ist zwar nicht Ausgangspunkt der Idee des Erkennens. Das heißt, dass es Hegel in der Idee des Erkennens nicht um eine Theorie der Genese des Geistes aus der Natur geht. In welcher Weise Geist aus der Natur – wie Hegel sagt – hervorgeht, ist Thema der Ng deutet den Zusammenhang von Leben und Selbstbewusstsein als Form einer spekulativen Einheit derselben. Damit ist gemeint, dass Leben und Selbstbewusstsein eine Einheit bilden, die einerseits in einer Formidentität besteht und die andererseits jedoch auch in sich differenziert ist. Die Einheit bzw. Differenz von Leben und Selbstbewusstsein bestimmt sich bei Ng wesentlich durch den Gattungsbegriff. Das, was Leben und Selbstbewusstsein wesentlich sind, bestimmt sich insofern durch den Gattungsbegriff, als in ihm – als in sich differenzierter – verschiedene Lebensformen gründen und dieser durch die Begründung verschiedener Lebensformen auch Grund der Ausbildung verschiedener kognitiver Kapazitäten ist ; vgl. Ng (2020), 274–278. 30 In diesem Sinne denke ich, dass Hegels Kritik an Kants Konzeption des Erkennens subtiler ist, als es bisher in Diskussionen expliziert wurde. Es ist nicht so, dass Hegel in der Idee des Erkennens schlicht den kantischen Standpunkt endlichen Erkennens aufgreift, kritisiert und dann überwindet. Vielmehr sucht Hegel deutlich zu machen, dass die kantische Konzeption endlichen Erkennens eine Fundierung benötigt. Denn nur aufgrund einer logisch vorhergehenden Subjekt-Objekt-Einheit kann eine Teilung von Subjekt und Objekt möglich sein, durch die das Subjekt sich epistemisch auf das Objekt zu beziehen vermag. 29

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Anthropologie in Hegels Geistphilosophie (vgl. GW 12, 198). Sie beschreibt die Entwicklung des Geistes aus der Natur. Dennoch bezeichnet Hegel die Idee des Erkennens, also die Idee, die »sich selbst zum Gegenstand hat« (GW 12, 192), auch als »Denken, Geist, Selbstbewusstsein« (vgl. GW 12, 192). Die Idee des Erkennens antizipiert dementsprechend Strukturen der Geistphilosophie. Wir müssen einen Blick darauf werfen, wie sich Geist konstituiert, um einen angemessenen Zugang zu der Idee des Erkennens zu gewinnen. Genau an dieser Stelle wird nämlich Hegels These von der Idee des Lebens als Voraussetzung der Idee des Erkennens wichtig.31 Mit Khurana gesprochen, besteht Geist konstitutiv darin, sich von der in der Idee des Lebens abgehandelten Unmittelbarkeit der objektiven Welt zu unterscheiden.32 Oder – wie man es auch formulieren kann : Geist ist das Unterscheiden seiner selbst von der objektiven Welt. Geist besteht wesentlich darin, das Verhältnis zwischen Objektivität, der Idee des Lebens, und Subjektivität, sich selbst, zu bestimmen. Diese Struktur zeichnet es aus, einen begrifflichen Bezug zu sich selbst zu besitzen.33 Im Denken machen Subjekte Begriffe oder begriffliche Strukturen als das, was sie sind, zum Gegenstand. So nehmen Subjekte im Denken ständig Metapositionen zu sich selbst ein, denken über bestimmte Begriffe, Handlungen oder – wie gerade im vorliegenden Fall – über bestimmte verschriftlichte Gedanken ihrer selbst nach. Geist ist Hegel zufolge daher eine Bestimmung der Idee, »insofern sie sich selbst zum Gegenstand hat und ihr Daseyn d. i. die Bestimmtheit ihres Seyns ihr eigener Unterschied von sich selbst ist« (GW 12, 192). Dies bedeutet auch, dass der Unterschied zwischen objektiver Welt und Geist selbst einer ist, der vom Geist vorgenommen – oder in Hegels Terminologie  – gesetzt werden muss. Den Unterschied zwischen einem Stein und mir kann nicht der Stein bestimmen, sondern nur ein begrifflich setzender tätiger Geist. Khurana behauptet diese Abhängigkeitsbeziehung für die Realphilosophie, und das heißt insbesondere für den Natur- und den Geistbegriff. Vgl. Khurana (2017), 322. Dass die Idee des Lebens jedoch ihr Pendant in der Naturphilosophie und die Idee des Erkennens ihr Pendant in der Geistphilosophie hat, scheint mir eine recht unkontroverse These zu sein. Es ist nun nicht einfach, das Verhältnis zwischen Logik und Realphilosophie zu bestimmen, doch muss ich dies im Einzelnen an dieser Stelle auch nicht vornehmen. Es genügt, die – wiederum recht unkontroversen, weil sehr allgemeinen – Thesen zu vertreten, dass die Logik die für die Wirklichkeit wesentlichen Begriffsbestimmungen darstellt und die in der Logik exponierten Abhängigkeitsbeziehungen unter Begriffen in der Realphilosophie wieder auftauchen. 32 Vgl. Khurana (2017), 294 f. 33 So stellt Hegel als konkretere Gestalten des Geistes diejenige des Selbstbewusstseins und der Seele dar (vgl. GW 12, 192). Diese sind Gegenstand der Realphilosophie, wobei es aber sowohl diese Gestalten als auch den Geist überhaupt auszeichnet, Begriffe als Begriffe zu thematisieren ; es macht solche Strukturen aus, dass das Subjekt sich selbst zum Gegenstand wird. 31

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Mehr noch : Für das Dasein des Geistes ist seine Unterscheidung vom Leben konstitutiv. Geist kann nur in seiner Unterscheidung vom Leben Geist werden. So besteht Geist wesentlich darin, sich auf seine Inhalte, die selbst nicht Geist sind, zu beziehen, wie etwa auf die Inhalte von Empfindungen oder Wahrnehmungen und Gedanken, und sich so seiner selbst als dieses oder jenes fühlende oder auch denkende Subjekt gewiss zu werden. Das Denken dieser Inhalte als seine eigenen Inhalte macht Geist erst zum Geist. Im Gegensatz zu einem Verständnis von Geist und damit auch von Erkennen, gemäß dem dieselben als etwas wesentlich anderes als Leben verstanden werden, müssen wir Geist und damit auch die subjektiven Strukturen in der Idee des Erkennens bereits so verstehen, dass sie sich nicht in Unabhängigkeit vom Leben und respektive der objektiven Welt realisieren. Im Gegenteil, es sind dieselben logischen Strukturen, die auch dem Geist zukommen – nur auf eine Art und Weise, dass Geist zu diesen einen reflexiven Bezug gewinnt. So verwendet Hegel in dem erkennenden Bezug des Subjekts zu seiner Umwelt Begriffe und Ausdrücke, die bereits den Assimilationsprozess des Organismus zu seiner Umwelt charakterisiert haben ; nämlich Begriffe und Ausdrücke wie »verwandeln« (GW 12, 199), Aufheben des Andersseins der objektiven Welt (vgl. GW 12, 238), »das Objekt als das seinige setz[en]« (GW 12, 239), und bezeichnet den subjektiven Zweck des Erkennens dezidiert als »Trieb« (GW 12, 237). Das erkennende Subjekt macht die objektive Welt zu der seinigen, indem es diese erkennt, so wie das lebendige Individuum die objektive Welt zu der seinigen macht, indem es äußerlich zwecktätig in dieser wirkt.34 Die Antizipation dieser Geiststrukturen, um die es in der Idee des Erkennens geht, sind also nicht unabhängig von den Strukturen der objektiven Welt zu verstehen, denn diese objektive Welt ist diejenige, die neben mechanischen und chemischen Strukturen, Strukturen des Lebendigen selbst hervorgebracht hat.35 Die Strukturen des Erkennens haben sich aber wiederum erst durch diese Strukturen des Lebendigen konstituiert.

Khurana diskutiert auf Grundlage der strukturellen Gemeinsamkeit der Assimilation die Unterschiede zwischen dem lebendigen und dem geistigen Assimilationsprozess ; vgl. (2017), 372–375. Er spricht jedoch den lebendigen Individuen im Assimilationsprozess lediglich eine negative Funktion zu : Sie assimilieren, insofern sie verzehren (vgl. Khurana (2017), 374). Ich denke jedoch, dass gerade eine Fokussierung auf die äußerliche Zwecktätigkeit von lebendigen Individuen noch ein anderes Ergebnis zulässt : auch lebendige Individuen assimilieren bereits, indem sie die äußerliche Welt transformieren (wie etwa im Nestbau) und in diesem Sinne eine Welt für sich schaffen ; vgl. dazu Abschnitt 6.2.3 35 Wie genau das Verhältnis zwischen Leben und Geist auf dieser Grundlage auszubuchstabieren ist, ob es sich dabei um ein additives oder transformatives Modell handelt, ist damit noch nicht ausgemacht. Siehe zu dieser Diskussion Khurana (2017), 380. Ng (2020), 275. 34

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7.1.3 Hegels endliches Erkennen Ersichtlich wurde, dass der subjektive Zweck, der als Ausgangspunkt der Idee des Erkennens und gemäß meiner Lesart als Ausgangspunkt von Hegels Konzeption endlichen Erkennens fungiert, bereits in seiner Abhängigkeit von der Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit, d. i. derjenigen von Organismen, konzipiert ist. Das unterscheidet diese Konzeption von der Konzeption des subjektiven Zwecks gemäß der im Teleologiekapitel, die ich daher als abstrakt bestimmt habe.36 Der subjektive Zweck ist im Teleologiekapitel nicht in Abhängigkeit von der Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit konzipiert ; im Gegenteil, dort sollte über das Modell äußerer Zweckmäßigkeit die Zweckmäßigkeit der objektiven Welt erst erklärt werden. Im Gegensatz zur Zweckkonzeption im Teleologiekapitel sind die zu realisierenden Zwecke in der Idee des Erkennens zudem Endzwecke. Die durch die Teleologie geschaffenen Artefakte erscheinen zunächst als Zwecke. Sie sind aber eigentlich wiederum nur Mittel zu neuen Zwecken. Die in der Idee des Wahren thematisierte Erkenntnis oder das in der Idee des Guten thematisierte Gute sind dagegen Zwecke, die um ihrer selbst willen angestrebt werden. So werden in der Idee des Guten nicht einfach irgendwelche Zwecke verwirklicht, sondern Zweck ist die Freiheit des Subjekts, deren Ausdruck die Zweckverwirklichung selbst ist.37 In der Idee des Wahren ist die Erlangung von Erkenntnis Zweck, deren Ausdruck die einzelnen Zweckverwirklichungen, d. i. die Schaffung von Erkenntnissen, sind. Erkenntnis der objektiven Welt wird um der Erkenntnis bzw. um der Wahrheit selbst willen betrieben und ist in diesem Sinne Endzweck. Nur wenn wir die Konzeption des endlichen Erkennens in der Idee des Erkennens nicht als falsche Konzeption zurückweisen, kann auch deutlich werden, in welcher Weise die Idee des Erkennens überhaupt – wie Hegel es formuliert – als Wahrheit der Idee des Lebens verstanden werden kann. Das Unterscheiden des Geistes ist wesentlich ein Bestimmen des vom Geist Unterschiedenen, wodurch sich Geist wiederum konstitutiv als dieses oder jenes bestimmt. Auf dem Standpunkt der Idee des Erkennens sind wir auf einer Entwicklungsstufe des Geistes, auf welcher der Geist im Erkennen zwischen sich selbst und der gegebenen objektiven Welt vermittelt, indem er diese begrifflich bestimmt. Wahrheit ist Hegel zufolge nun nicht etwas, was Begriffe einfach so an sich haben, sondern das begriffliche Erfassen ist notwendiger Bestandteil der Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand. In einer wahren Konzeption der Wirklichkeit muss deswegen das begriffliche Erfassen der objektiven Welt selbst thematisiert wer Vgl. Abschnitt 6.2.1. Vgl. Siep (2018), 721 und v.a. 725.

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den. Wahrheit kann sich dann nur auf einer Ebene herstellen, auf der es aktive, denkende Subjekte gibt, die die objektive Welt bestimmen, indem sie diese objektive Welt im wahrsten Sinne des Wortes auf den Begriff bringen.38 Geist habe ich mit Hegel als dasjenige definiert, was Begriffe als Begriffe zum Gegenstand macht. Der Geist bringt sinnliche Eindrücke auf den Begriff, d. h. er macht dadurch im Erkennen die bereits an sich oder implizit vorhandene Subjekt-Objekt-Einheit explizit : »Diese Einheit [von Begriff und objektiver Welt, K.K.] wird nun durch das Erkennen gesetzt« (GW 12, 199). Durch das Erkennen, das heißt, durch das begriffliche Erfassen der Gegenstände, wird auf den Punkt gebracht, dass das, was die Gegenstände wesentlich ausmacht, Begriffsbestimmungen sind. In diesem Sinne, denke ich, bezeichnet Hegel die Idee des Erkennens als Wahrheit der Idee des Lebens. Das, was Leben ist, wird erst durch den Geist erkannt und auf den Begriff gebracht.39 Warum und in welchem Sinne ist die Idee des Erkennens nun dennoch endlich ? Wie ich im ersten Abschnitt ausgeführt habe, geht es in der Idee des Erkennens um die geistigen Methoden zur Gewinnung von Erkenntnissen. Insofern diese Erkenntnisse Erkenntnisse über die objektive Welt sind, geht es aber immer auch um das Bestimmen des Verhältnisses des geistigen Subjekts zum Anderen seiner selbst, zur objektiven Welt respektive zur Idee des Lebens. Es ist Vgl. Emundts (2012), 158 f. Dem Ausdruck ›Wahrheit von‹ habe ich in den letzten Kapiteln eine ontologische Bedeutung gegeben. Teleologie ist die Wahrheit des Mechanismus, weil durch den teleologischen Zugriff mechanische Objekte allererst individuiert werden, an denen kausalursächliche Prozesse ablaufen. Sie ermöglichen so den Mechanismus überhaupt erst. Innere Zweck­ mäßigkeit ist die Wahrheit äußerer Zweckmäßigkeit, insofern eine Zweck-Objekt-Einheit vorausgesetzt werden muss, damit äußere Zwecksetzungen überhaupt erst möglich sind. Nun stellt sich die Frage, wie sich die hier entwickelte Lesart der Idee des Erkennens als Wahrheit der Idee des Lebens zu diesen ontologischen Lesarten verhält. Drückt die von mir hier erschlossene Lesart nicht ein rein epistemisches Verhältnis aus ? Nun, zum einen denke ich, dass das insofern nicht der Fall ist, als Begriffe, die Wirklichkeit auch ontologisch fundieren, und die Erkenntnis der Strukturen der Wirklichkeit durch Subjekte einen die Wirklichkeit selbst transformierenden Charakter haben (vgl. Abschnitt 7.1.1). Zum anderen teile ich mit Ng die Lesart, gemäß derer der gesamte Abschnitt Idee einen anderen Status und eine andere Funktion hat als die zuvor abgehandelten Begriffsbestimmungen. Wie Ng schreibt, ist die Idee »the ground of the thought-determinations [wie bspw. Mechanismus, äußere Zweckmäßigkeit, K.K.] insofar as it secures their mode of realization« (Ng  (2020), 257). Wie ich denke, führt diese Statusänderung auch zu einer veränderten Ausformulierung der jeweiligen Bedingungsverhältnisse. Die Idee des Erkennens ist nicht in demselben Sinne Möglichkeitsbedingung der Idee des Lebens, wie innere Zweckmäßigkeit Möglichkeitsbedingung äußerer Zweckmäßigkeit ist. Ich denke, dass Hegel vielmehr von einer Art logischer Gleichursprünglichkeit dieser Ideen ausgehen muss. In dieser Weise verstehe ich auch Ngs These der Formidentität der Idee des Lebens und der Idee des Erkennens ; vgl. Ng (2020), 276. Ngs Monographie ist eine systematische Darstellung dieses Gedankens in Hegels Früh- wie Spätwerk.

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diese prinzipielle Bezogenheit des Subjekts auf die objektive Welt, die Hegel zufolge die Endlichkeit dieser Konzeption des Erkennens ausmacht : »Die Beziehung dieser beiden Ideen [der Idee des Lebens und der Idee des Erkennens K.K.], die an sich oder als Leben identisch sind, ist so die relative, was die Bestimmung der Endlichkeit in dieser Sphäre ausmacht. Sie ist das Reflexionsverhältnis, indem die Unterscheidung der Idee in ihr selber nur das erste Urtheil, das Voraussetzen noch nicht als ein Setzen, für die subjective Idee daher die objective, die vorgefundene unmittelbare Welt, oder die Idee als Leben in der Erscheinung der einzelnen Existenz ist.« (GW 20, 222, § 224).

Die objektive Welt selbst ist von solcher Struktur, dass in ihr Begrenztes, Einzelnes und insofern Endliches ist. Kommen wir etwa auf die im vierten Kapitel erläuterte Struktur des Mechanismus zurück, so hat sich diese Struktur als eine gezeigt, die selbst zwar kontinuierlich, aber auch diskret ist. Kein einzelnes mechanisches Objekt ist Ursache seiner selbst, sondern immer nur Produkt mechanischer Kräfte, aus denen es sich zusammensetzt. Und das, woraus das mechanische Objekt zusammengesetzt ist, sind wiederum Produkte mechanischer Kräfte und so weiter und so fort.40 Es ist die Struktur des Mechanismus selbst, die Grund dafür ist, dass wir nur einzelne, begrenzte Erkenntnisse erlangen, die zu weiteren einzelnen, begrenzten Erkenntnissen führen.41 Selbst im Leben, in welchem holistischere Erklärungsmodelle ins Spiel kommen, sind doch die Objekte der Untersuchung, insofern sie sich in mechanischen Strukturen verwirklichen, immer Einzelne und daher auch die Erkenntnisse über dieselben immer bis zu einem gewissen Grade begrenzt bzw. derart beschaffen, dass sie zu weiteren und nie vollständigen Forschungen über diese Objekte führen.42 Ich möchte dies kurz anhand eines Beispiels explizieren : Neben der Definition und dem Lehrsatz fasst Hegel in der Idee des Erkennens die Einteilung als eine Methode zum Erkennen der objektiven Welt. So teilen wir zur Erkenntnis der physischen Natur die Natur in Arten und Gattungen ein. Es kann sich nun zutragen, dass neue Arten entdeckt werden, die in bisherige Einteilungen nicht passen. Hier müssten wir entweder die Gattungsbezeichnung ändern und begründen, inwiefern die erwei Vgl. auch Abschnitt 5.2.3. Endlich bleibt dieses Erkennen insofern, als Hegel zufolge die Erkenntnis der Natur als Ganzer, d. i. in ihren begrifflichen Zusammenhängen aufgrund dessen, was die Natur selbst ist, immer partiell bleiben muss. Vgl. hierzu auch Pinkard (2012), 23. Bowman (2013), 142– 150. 42 Kreines vertritt die These, dass wir im Leben aufgrund der holistischen Struktur des Lebendigen zu vollständigeren Erklärungen des Lebendigen gelangen (vgl. Kreines (2015), 205–210). Dies widerspricht jedoch nicht der These, dass Erkenntnisse über einzeln existierendes Lebendiges auch immer begrenzt sind. 40 41

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terte Anzahl von Arten als Arten einer Gattung bezeichnet werden können, oder wir müssten erläutern, inwiefern die neuen Arten nicht zu eben dieser Gattung gehören, zu der wir sie ursprünglich zuordnen wollten. »Dieses Treiben ohne Begriff« (GW 12, 218) ist Hegel zufolge jedoch nicht Ausdruck der Grenzen unserer epistemischen Leistungsfähigkeit. Vielmehr verhält es sich so, dass »[d]ie physische Natur […] von selbst eine solche Zufälligkeit in den Principien der Eintheilung dar[bietet] ; vermöge ihrer abhängigen äusserlichen Wirklichkeit steht sie in dem mannichfaltigen, für sie gleichfalls gegebenen Zusammenhange ; daher sich eine Menge Principien vorfinden, nach denen sie sich zu bequemen hat, in einer Reihe ihrer Formen also dem einen, in anderen Reihen aber andern nachfolgt, und ebensowohl auch vermischte Zwitterwesen, die nach den verschiedenen Seiten zugleich hingehen, hervorbringt.« (GW 12, 219)

Einteilungen der Natur werden dementsprechend immer ungenau und daher fallibel bleiben, doch dies liegt nicht an epistemischen Leistungsgrenzen, sondern an dem Gegenstand, mit dem sich das Subjekt in seinen Verhältnisbestimmungen auseinandersetzt. So führt Hegel zwar weiter aus, dass wir mit Recht etwa bei Pflanzen die Befruchtungsteile als den höchsten Punkt des vegetabilischen Lebens als Einteilungsgrund bestimmen, doch ist dieser Einteilungsgrund nicht aus-, sondern nur weitreichend (vgl. GW 12, 219 f.). Dass das endliche Erkennen also objektive, vorfindliche Voraussetzungen hat, ist in diesem Sinne nicht vorrangig als Kritik am endlichen Erkennen zu verstehen, sondern als das, was das endliche Erkennen überhaupt ausmacht. Anstatt den Standpunkt endlichen Erkennens zurückzuweisen – wie es übliche Lesarten vorschlagen – , ist Hegel also vielmehr der Auffassung, dass wir ihn überhaupt erst einmal angemessen denken müssen. 7.2 Die Konzeption absoluten Erkennens : die absolute Idee Ergebnis des letzten Abschnittes war, dass der Gegenstand der Grund der Endlichkeit des endlichen Erkennens ist. Dementsprechend ist es auch der Gegenstand, der das absolute Erkennen absolut macht.43 Gegenstand der absoluten Idee sind die in der Logik abgehandelten Begriffsbestimmungen selbst. Die ab43

Wie auch Siep hervorhebt, gründen endliches und absolutes Erkennen nicht auf zwei unterschiedlichen Arten von Verstand – einem diskursiven und einem intuitiven Verstand – , sondern es geht Hegel vielmehr darum, diese Differenz aufzuheben ; vgl. Siep (2018), 696. Während Siep jedoch betont, dass Hegel diese Differenz aufhebt, indem die Einseitigkeit des endlichen Erkennens erkannt und überwunden wird, hebt Hegel meiner Lesart zufolge diese Differenz auf, indem der Unterschied endlichen und absoluten Erkennens nicht an

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solute Idee soll als Methode dienen, die Einsicht in das strukturelle Ganze der Wirklichkeit gibt, und zwar auf eine Weise, in der Subjekte, die selbst Teil dieser Strukturen der Wirklichkeit sind, sich im Ganzen auch als Teil dieser Strukturen begreifen können. Und insofern nun das Begreifen der Stellung des lebendigen Subjekts in diesem Ganzen expliziter Bestandteil des Begreifens des strukturellen Ganzen der Wirklichkeit ist, kann Hegel die absolute Idee auch als »Rückkehr zum Leben« (GW 12, 236) bezeichnen. Im Folgenden gilt es nun zunächst zu explizieren, inwiefern die absolute Idee als Methode nicht rein als Instrument oder Mittel zur Erkenntnis konzipiert sein kann. Nach einer solchen Konzeption versteht sich das Subjekt als sich zur Wirklichkeit äußerlich verhaltend und begreift sich so nicht als Teil der Wirklichkeit, insofern die Methode selbst subjektiven Status hat und vom Subjekt auf die zu erkennende Wirklichkeit angewendet wird. Dies werde ich anhand von Hegels Kritik an der kantischen Konzeption der Idee in ihrer regulativen Funktion darlegen.44 Sodann werde ich explizieren, dass die absolute Idee positiv als Methode verstanden werden muss, durch die es gelingt, Subjekte als Teil des Ganzen der Wirklichkeit im Erkenntnisprozess des Ganzen der Wirklichkeit selbst zu artikulieren. In diesem Sinne ist das Verhältnis von Subjekt, Methode und Wirklichkeit durch ein innerliches Verhältnis zueinander gekennzeichnet. Und insofern das Denken der absoluten Idee die sie erkennenden Subjekte selbst als Teil des Ganzen der Wirklichkeit beinhalten muss, werde ich im letzten Teil dieses Abschnittes diskutieren, inwiefern die absolute Idee als Form der Selbstthematisierung erkennender Subjekte verstanden werden muss.45 7.2.1 Hegels Kritik an der Konzeption des Denkens als Instrument oder Mittel zur Erlangung von Erkenntnis des Ganzen der Wirklichkeit In der Konzeption endlichen Erkennens, ein Ausdruck, den Hegel in dem Kapi­ tel zur absoluten Idee auch synonym mit demjenigen des »suchenden Erkennens« (GW 12, 238 f.) verwendet, dienen Begriffsbestimmungen als Mittel zur Erlangung von Erkenntnissen über die objektive Welt ; mittels Begriffsbestimder Form des Erkennens festgemacht wird, sondern am Gegenstand, der zu erkennen angestrebt wird. 44 Die kantische Erkenntniskonzeption steht für Hegel paradigmatisch für eine Konzeption von Erkenntnis, in der Begriffe als Mittel oder Instrument zur Wirklichkeit der Erkenntnis fungieren. Ich konzentriere mich an dieser Stelle aber allein auf Hegels Kritik an Kants regulativem Ideengebrauch vor dem Hintergrund dieser eigentlich breiter angelegten Kritik. 45 Auch die nun folgenden Analysen werden keine hinreichende Interpretation des Haupttextes liefern, sondern wie im letzten Abschnitt liegt das Ziel dieses Abschnittes in dem Aufweis der Fruchtbarkeit des in dieser Arbeit entwickelten Ansatzes für eine Interpretation von Hegels Konzeption des Erkennens.

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mungen eignet sich das Subjekt die objektive Welt an. Es ist Aufgabe der Logik, diese Art und Weise des endlichen Erkennens explizit zu machen. Insofern nun diese Begriffsbestimmungen aber als pures Mittel zur Erlangung einer Erkenntnis46 gelten, werden sie selbst nicht als Gegenstand von Erkenntnis begriffen, sondern erst in ihrer Verbindung mit der objektiven Welt als Gegenstand der Erkenntnis geltend gemacht. Zwar werden also die Begriffsbestimmungen untersucht ; jedoch allein auf ihre Eignung zur Erkenntnis der objektiven Welt hin. Hegel charakterisiert die Denkbestimmungen in der Konzeption des endlichen Erkennens daher als unmittelbar gegeben : »In dem suchenden Erkennen ist die Methode gleichfalls als Werkzeug gestellt, als ein auf der subjectiven Seite stehendes Mittel, wodurch sie sich auf das Object bezieht. Das Subject ist in diesem Schlusse das eine und das Object das andere Ex­ trem, und jenes schließt sich durch seine Methode mit diesem, aber darin für sich nicht mit sich selbst zusammen. Die Extreme bleiben verschiedene, weil Subject, Methode und Object nicht als der eine identische Begriff gesetzt sind, der Schluß ist daher immer der formelle ; die Prämisse, in welcher das Subject die Form als seine Methode auf seine Seite setzt, ist eine unmittelbare Bestimmung und enthält deswegen die Bestimmungen der Form […] als im Subjecte vorgefundene That­sachen.« (GW 12, 238)

Nun ist es aber Hegel zufolge problematisch, Begriffsbestimmungen nur als Mittel zur Erkenntnis zu betrachten, wenn das Ziel die Erkenntnis des Ganzen der Wirklichkeit ist. Denn mit der Idee des Lebens hat sich gezeigt, dass Begriffe nicht rein als subjektive Mittel zur Erkenntnis verstanden werden können, sondern auch als die Wirklichkeit selbst konstituierend gelten müssen. Und schon im letzten Abschnitt hat sich gezeigt, dass Hegel die Annahme ablehnt, der zufolge die subjektiven Strukturen des Erkennens völlig unabhängig von der objektiven Welt zu verstehen sind und in diesem Sinne »auf der anderen Seite des Inhalts stehen soll[en]«.47 Hegel bestreitet jedoch keineswegs, dass die denkende Tätigkeit ein Mittel zur Erkenntnis der Wirklichkeit ist. Auch die im letzten Abschnitt explizierte Konzeption des Erkennens, in welcher Hegel – wie wir gesehen haben – dem Erkennen im Besonderen diese Mittel-Funktion zuschreibt, kommt zu wahren Urteilen über die Welt. Anders als in der Konzeption endlichen Erkennens sollen nun aber in der absoluten Idee die die Wirklichkeit strukturierenden Begriffsbestimmungen selbst betrachtet werden, und zwar auf eine Art und Weise, in der diese Begriffsbe Die Begriffe ›Erkennen‹ und ›Erkenntnis‹ verwende ich terminologisch. ›Erkennen‹ bedeutet Hegel zufolge, sich die objektive Welt anzueignen ; eine ›Erkenntnis‹ artikuliert dementsprechend die sich vollzogene Aneignung ; vgl. Abschnitt 7.1.1 dieses Kapitels. 47 Sedgwick (2008), 102. Vgl. dazu auch Abschnitt 8.1.1. 46

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stimmungen als das dargestellt werden, was sie Hegel zufolge sind : ein Teil der zu erkennenden Wirklichkeit selbst. In der absoluten Idee wird in diesem Sinne noch einmal eine Meta-Position eingenommen, indem mit der absoluten Idee erkannt werden soll, wie sich die in der Logik explizierten begrifflichen Strukturen zueinander verhalten.48 Kant ist Hegel zufolge einer der paradigmatischen Fälle, der diesen Gedanken nicht ernst genommen bzw. nicht hinreichend beachtet hat. Denn für Kant bleiben laut Hegel Denkbestimmungen ein reines Mittel zur Erkenntnis dessen, was der Fall ist. Sie stellen in diesem Sinne nicht schon einen Teil der Wirklichkeit selbst dar. Kommen wir kurz auf Kants Bestimmung der Idee als Begriff, der sich auf das Ganze der Wirklichkeit bezieht, zurück, um Hegels Auseinandersetzung mit Kants Ideenbegriff nachvollziehen zu können. Kant zufolge ist die Idee ein Begriff, der sich auf das Ganze der Wirklichkeit bezieht, insofern alle unsere Erfahrungen in der Idee in eine »höchste Einheit« gebracht werden (KrV, A 299 / B 355).49 Dieses Ganze verbleibt aber rein im Denken. Eine solche Einheit ist uns weder sinnlich gegeben, d. i. sie ist nicht wahrnehmbar, noch kann auf die Existenz eines solchen Ganzen aufgrund bereits gemachter Erfahrungen berechtigterweise geschlossen werden. In diesem Sinne ist sie unter den Rahmenbedingungen, die Kant mit seinem transzendentalen Idealismus vorgibt, auch nicht erkennbar. Wir können keine objektiven Aus­ sagen über das Ganze der Wirklichkeit tätigen. Grund dafür ist, i) dass der Ideenbegriff nach Kant eine Totalität bezeichnet, die als Inbegriff alles Bedingten selbst nicht mehr bedingt sein kann, sondern unbedingt sein muss und damit den Bereich der Erfahrung transzendiert (vgl. KrV, A 310 f. / B 367). Grund dafür ist, ii) unsere sinnliche Konstitution. Zur Möglichkeit von Erfahrung müssen uns Gegenstände anschaulich gegeben sein oder wir müssen von anschaulich gegebenen Erfahrungsgegenständen berechtigterweise auf weitere mögliche Erfahrungsgegenstände schließen können.50 Dies ist jedoch nur bei bedingten Gegenständen der Fall. Zum Verständnis von Hegels Kritik an Kants Ideenbegriff möchte ich diese Gründe kurz ein wenig weiter erläutern. Wie in 3.2.1.1 dieser Arbeit ausgeführt, ist eine Erkenntnis des Ganzen der Wirklichkeit, von dem wir selbst Teil sind, nach Kant widersprüchlich. Denn das Ganze der Erfahrung, das wir zu erkennen anstreben, kann nicht selbst wieder Teil der Reihe der Bedingungen sein, die wir zu erkennen vermögen. Die Idee wäre so selbst ein Bedingtes und nicht mehr das Ganze unserer Erfahrung. Zweitens habe ich in Abschnitt 3.2.1.1 ausgeführt, dass wir eine Stellung Und nicht, wie sich die endlichen Dinge zu unseren Erkenntnisstrukturen verhalten, wie es im endlichen Erkennen der Fall war. 49 Vgl. auch meine Ausführungen in Abschnitt 3.2.1.1 dieser Arbeit. 50 Wie es etwa bei den Analogien der Fall ist. 48

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außerhalb des erfahrbaren Bedingungsgefüges einnehmen müssten, wenn eine Erkenntnis des Ganzen der Erfahrung möglich sein soll. Da Kant aber lehrt, dass der Mensch ein sinnlich bedingtes Wesen ist, gelänge eine Erkenntnis des Ganzen der Erfahrung nur unter der Bedingung, dass ein Standpunkt in einem übergeordneten Raum und einer übergeordneten Zeit eingenommen werden muss, der es erlaubt, dieses Ganze zu erfassen. Gäbe es aber einen der Idee übergeordneten Rahmen der Erfahrung, der denselben räumlichen und zeitlichen Bedingungen unterliegt, dann wäre dieses Ganze, das die Idee, die wir erkennen wollen, ausdrücken soll, nicht mehr das Ganze der Erfahrung. Denn wir müssten aufgrund unserer sinnlichen Konstitution von einem übergeordneten Rahmen der Erfahrung ausgehen, in dem das Erkennen der Idee stattfinden soll. Eine jede vermeintliche Erkenntnis des Ganzen der Erfahrung kann also keine Erkenntnis des Ganzen der Erfahrung sein, weil zur Erkenntnis dieselben räumlichen und zeitlichen Bedingungen und damit ein Erfahrungsfeld vorausgesetzt werden muss, um überhaupt etwas erfahren zu können. Die Erkenntnis des Ganzen der Erfahrung ist uns deswegen unmöglich. Wie ich vor allem im dritten Kapitel dieser Arbeit dargelegt habe, stellt Kant diesem negativen Resultat mit seinen Ausführungen zum regulativen Gebrauch der Idee ein positives gegenüber. Der regulative Gebrauch liegt in dem Fungieren der Idee als Prinzip zur Erstellung einer systematischen Einheit aller empi­ rischen Erkenntnisse, zu denen wir bisher gelangt sind. Anstatt die Vorstellung der Idee für etwas zu halten, das objektiv gegeben ist, sollen wir die ihr entsprechende Vorstellung als Ziel benutzen, anhand dessen wir unsere Verstandeserkenntnisse in Vernunftschlüssen inferentiell verknüpfen und so systematisieren. Während also unser Verstand Wahrnehmungen in Urteilen vereinheitlicht, stellt unsere Vernunft inferentielle Beziehungen dieser Urteile durch Schlüsse her. Um auf das im zweiten Abschnitt behandelte Beispiel zurückzugreifen : Haben wir ein Verstandesurteil, dessen Inhalt besagt, dass die Laufbahnen der Himmelskörper Ellipsen bilden, und beobachten aber abweichende Verläufe der Kometenbahnen, so sind wir durch das Prinzip der systematischen Einheit aller Verstandeserkenntnisse dazu angehalten, die Einheit beider Urteile zu suchen (welche in diesem Fall darin liegt zu erkennen, dass es sich bei beiden Bahnen um Kegelschnitte handelt). Wie im dritten Kapitel festgehalten51, kann der Prinzipiengebrauch der Idee aus dieser Perspektive auch als ein Meta-Denken beschrieben werden, das die vom Verstandesdenken gewonnenen, bereits gemachten und also gegebenen Erkenntnisse mit Hilfe der Prinzipien reflektiert und ordnet. Dem vorgestellten Objekt der Vernunftidee kommt aufgrund seiner Nicht-Erkennbarkeit und Nicht-Erfahrbarkeit aber lediglich ein heuristischer Status zu. Es ist eine heuristische Annahme, anhand derer wir eine Methode 51

Vgl. Abschnitt 3.2.1 dieser Arbeit.

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zur Vereinheitlichung unserer Erkenntnisse gewinnen, deren Inhalt aber niemals Realität werden wird. Kant zufolge können und sollen wir uns der systematischen Einheit aller Verstandeserkenntnisse aber dennoch annähern.52 Nun hat Kant Hegel zufolge einen nur unzureichenden Ideenbegriff entwickelt, weil Kant die Idee aus den falschen Gründen selbst nicht als Teil der Wirklichkeit begriffen hat (vgl. GW 12, 173). Daraus folgt für Hegel jedoch ein falsches Verständnis dessen, was eigentlich eine Totalität ist. Hegel stimmt Kant zwar darin zu, dass wir keine äußere Perspektive auf eine Totalität einnehmen können, um sie daraufhin als Objekt zu bestimmen und zu erkennen. Doch tut er dies aus anderen Gründen als Kant. Der Grund unserer Unfähigkeit, eine Totalität als Gegenstand zu erkennen, liegt Hegel zufolge nicht in der von Kant angenommenen Transzendenz der Idee oder in unserer sinnlichen Konstitution bzw. in den Grenzen unserer Erkenntnisfähigkeit, sondern darin, dass eine Totalität bereits aus begrifflichen Gründen gar kein gegebener Gegenstand ist. Die Vorstellung, eine Totalität sei eine Art gegebener Container, in dem alles enthalten ist, was es gibt, und den wir dementsprechend in Urteilen wie »Die Wirklichkeit konstituiert sich aus Substanzen«, »Die Wirklichkeit hat einen Anfang in Raum und Zeit«, »Die Wirklichkeit besteht aus unterschiedlichen Kräften« prädikativ bestimmen können, ist für Hegel fehlgeleitet.53 Könnten wir uns zu einer Totalität wie zu einem gegebenen Gegenstand verhalten, so schlössen wir unsere eigene Bezugnahme auf diesen Gegenstand von demselben aus. Eine Totalität soll ja bereits alles enthalten, was es gibt. Unsere Bezugnahme auf einen Gegenstand, der aber eine Totalität darstellen soll, muss in dieser selbst mitbedacht sein, wenn eine Totalität ein Begriff sein soll, der sich auf das Ganze der Wirklichkeit bezieht. Dieser Bestimmungsversuch der Totalität läuft so auf einen infiniten Regress hinaus, weil sie immer insofern einseitig bleibt, als sie die vermittelnde Bezugnahme unsererseits auf die Totalität ausschließt, solange wir uns auf die Totalität als gegebenen Gegenstand beziehen wollen. Wir geraten in diesen Regress, wenn wir die Totalität überhaupt als etwas bestimmtes Gegebenes, als Gegenstand auffassen, zu dem wir uns dementsprechend äußerlich verhalten können. Wie ich in Abschnitt 3.3.3 argumentiert habe, müssen wir diese These Kants jedoch bereits so lesen, dass in dieser Annäherung unsere Urteilskraft eine ausschlaggebende Rolle spielt, indem sie die Ideen definiert und damit überhaupt erst empirisch zugänglich macht. 53 In der ersten Stellung des Gedankens zur Objektivität kritisiert Hegel in diesem Sinne auch die vormalige Metaphysik (vgl. GW 20, 70–72, §§ 28–31). Dieser wirft Hegel vor, Totalitäten auf eine wie soeben angedeutete Art und Weise zu behandeln, d. i. als Substanzen, die in einem Urteil als grammatikalische Subjekte fungieren und dementsprechend prädikativ bestimmt werden können. Hegel kritisiert dabei Prädikatbegriffe zur Bestimmung von Totalitäten wie auch Subjektbegriffe zur Bestimmung derselben. Zu dieser Kritik siehe Horstmann (1990), 26–40. 52

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Auch die im regulativen Gebrauch veranschlagte Annahme Kants, nämlich die, dass die Idee einen reinen Zielpunkt darstelle, der niemals zu erreichen sei, ist Hegel zufolge aus begrifflichen Gründen fehlgeleitet. Die Idee sei nicht »nur als ein Ziel zu betrachten, dem sich anzunähern sey, das aber selbst immer eine Art von Jenseits bleibe« (GW 12, 174). Fungierte die Idee als Zielpunkt, der jenseits der erfahrbaren Wirklichkeit liege, uns aber dennoch zum schrittweisen Erkennen der Wirklichkeit anleiten solle, gingen wir mit einem der Wirklichkeit selbst äußerlichen Maßstab an dieselbe heran. In diesem Sinne ist auch Kants Idee der systematischen Einheit, in welcher der regulative Gebrauch der Ideen gründet, Hegel zufolge eine uneinholbare Voraussetzung. Sie stellt keinen Teil der Erfahrungsinhalte dar, auf die sich die durch sie systematisierten empirischen Verstandeserkenntnisse beziehen.54 Im regulativen Gebrauch der Idee betrachten wir so zwar nicht die Idee, aber die uns gegebene Wirklichkeit als einen der Idee selbst äußerlichen Gegenstand, den wir zu bestimmen anstreben. Wird die Idee im oben genannten ersten Fall als gegebenes Objekt angesehen, so ist es im Falle des regulativen Gebrauchs der Idee die Wirklichkeit, die zu einem solchen Objekt gemacht wird. Solange wir jedoch Wirklichkeit und Idee äußerlich gegenüberstellen, können wir uns selbst in Form unserer jeweiligen Bezugnahmen auf die Wirklichkeit, die selbst Teil der Wirklichkeit sind, in dieser Wirklichkeit nicht mitdenken. Es ist dieses äußerliche Sich-zu-sich-Verhalten des Bestimmenden und des Bestimmbaren, das uns Hegel zufolge ein angemessenes Verständnis dessen, was die Totalität bzw. eine Idee ist, verschließt. 7.2.2 Die absolute Idee als Methode Nun liegt die Schlussfolgerung nahe, dass der Ausgangspunkt zur Erschließung der Strukturen der Wirklichkeit, in der die erkennenden Subjekte als solche selbst auch vorkommen, stattdessen ein innerliches Verhältnis zwischen Begriff und Objekt sein muss. Dass ein solches innerliches Verhältnis zwischen Begriff und Objekt in der Wirklichkeit besteht, hat sich Hegel zufolge in der Idee des Lebens gezeigt. Das Verhältnis zwischen type und token, zwischen Begriff und Objekt, ist als ein solches bestimmt, in welchem der type die Substanz des tokens ausmacht : Der type bestimmt das, was der token ist, und zwar in dem Sinne, dass die jeweilige Funktion der Glieder (token) eines Organismus in der jeweiligen Funktion gründet, die das entsprechende Glied im Organismus (type) einnimmt.55 Das Herz (token) existiert, weil das Herz eine selbsterhal­ Siehe auch Hegels Kritik an Kant im Vorbegriff zur Logik ; vgl. GW 20, 92, § 52. Vgl. Abschnitt 6.1.3 dieser Arbeit.

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tende Funktion für den Organismus (type) hat. Die Existenz eines Organs in einem Organismus (token) erklärt sich also über die Funktion, die es generell im Organismus (type) einnimmt. Die Bestimmung des Ganzen der Wirklichkeit muss in diesem Sinne also ihren Ausgangspunkt vom Leben, von der Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit nehmen, denn durch diesen Ausgangspunkt erschließt sich uns ein anderes Verständnis von Begriff und Objekt als dasjenige, welches den Begriff lediglich als Mittel zur Erkenntnis gelten lässt. Dementsprechend haben sich das Lebendige und Hegel zufolge auch der in der Idee des Erkennens präsentierte subjektive Zweck als solche Ausgangspunkte erwiesen : »[D]er Keim des Lebendigen, und der subjective Zweck überhaupt, haben sich als solche Anfänge [einer konkreten Totalität56, K.K.] gezeigt« (GW 12, 241). Auf den ersten Blick ist es verwunderlich, dass sich auch der subjektive Zweck als Ausgangspunkt des Denkens des Ganzen der Wirklichkeit erwiesen haben soll, denn schließlich wurde dieser Ausdruck als Thematisierung des endlichen Erkennens verwendet. Das endliche Erkennen ist derart konzipiert, dass Begriffsbestimmungen als Mittel begriffen werden ; eine Konzeption, gegen die sich Hegel wendet, wenn es um das Erkennen des Ganzen der Wirklichkeit geht. Anders als die rein kritische Lesart der Erkenntniskonzeption in der Idee des Erkennens habe ich jedoch deutlich zu machen gesucht, dass diese Erkenntniskonzeption die Einheit von Begriff und Objekt bereits voraussetzt. Endliches Erkennen ist Hegel zufolge nur vor dem Hintergrund einer bestehenden Einheit von Begriff und Objekt möglich. Wie insbesondere in 7.1.2 argumentiert, ist die im Leben artikulierte Einheit von Begriff und Objekt wesentlich für die Konstitution des subjektiven Zweckes bzw. des geistigen Subjektes.57 Auch in einer weiteren Hinsicht leuchtet die Einheit von Begriff und Objekt als Konstituens des endlichen Erkennens ein : Eine Untersuchung der verschiedenen Weisen, in denen sich das Subjekt zur objektiven Welt verhält, und die Positionsbestimmung des jeweiligen Subjekts und Objekts in dieser ist überhaupt nur möglich aufgrund einer Methode, die es erlaubt, Subjekte in ihrem Weltbezug selbst als Teil der Wirklichkeit in derselben zu bestimmen. Sie ist also überhaupt nur möglich von einem diesen jeweiligen Positionsbestimmungen gegenüber übergeordneten Standpunkt. Diese von mir vorgeschlagene Lesart der Erkenntniskonzeption in der Idee des Erkennens geht also bereits von der in der Unter dem Ausdruck ›konkrete Totalität‹ verstehe ich an dieser Stelle eine Wirklichkeitsbestimmung, die nicht vom Subjekt selbst abstrahiert, sondern dieses integriert und in der Wirklichkeitsbestimmung mitdenkt. 57 Die rein kritische Lesart der in der Idee des Erkennens repräsentierten Erkenntniskonzeption kann nicht gut erklären, warum sich der subjektive Zweck als Anfang einer ›konkreten Totalität‹ erweist. 56

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Idee des Lebens entwickelten Einheit aus, die dann aber erst in der absoluten Idee wieder explizit thematisiert wird. So schreibt Hegel : »Im wahrhaften Erkennen […] ist die Methode nicht nur eine Menge gewisser Bestimmungen, sondern das An- und für-sich bestimmtseyn des Begriffs, der die Mitte nur darum ist, weil er ebensosehr die Bedeutung des Objectiven hat, das im Schlußsatz daher nicht nur eine äussere Bestimmtheit durch die Methode erlangt, sondern in seiner Identität mit dem subjectiven Begriff gesetzt ist.« (GW 12, 239)

Im Leben ist der Begriff in seiner Identität mit dem subjektiven Begriff gesetzt ; dort wird dieses Gesetztsein selbst jedoch noch nicht reflektiert. In der Idee des Erkennens ist das Bestehen dieser Einheit zwar vorausgesetzt ; sie wird aber selbst nicht reflektiert, sondern Ziel des Erkennens ist die Erkenntnis der objektiven Welt in ihrer Unterschiedenheit vom erkennenden Subjekt. In der absoluten Idee dagegen wird die Einheit von Subjekt und Objekt explizit reflektiert und als Voraussetzung ausbuchstabiert – eine Erkenntnis dieser Voraussetzung ist die Erkenntnis des Ganzen der Wirklichkeit. Ich denke, dass Hegels Vorschlag wie folgt aussieht : Wenn die erkennenden Subjekte selbst als Teil der Wirklichkeit begriffen werden müssen, die sie im Ganzen zu erkennen suchen, dann muss ernst genommen werden, dass diese Subjekte die Wirklichkeit nicht nur nachvollziehen, sondern diese auch mit konstituieren und dementsprechend verändern.58 Die Wirklichkeit im Ganzen kann dementsprechend nicht als Objekt konzipiert sein, das diesen Subjekten gegenübersteht, sondern sie muss wesentlich prozessual sein. Statt die Wirklichkeit also als gegebenes Objekt zu begreifen, ist ihr Hegel zufolge vielmehr ihr Prozesscharakter wesentlich. Deutlich wird hierdurch, dass ein populärer Vorwurf, der Hegel immer wieder gemacht wurde, zurückgewiesen werden kann. Die Logik kommt mit der absoluten Idee nicht in dem Sinne zum Abschluss, dass wir mit ihr alles gedacht hätten, was es zu denken gibt.59 Denn das Denken der absoluten Idee ist nicht bedeutungsgleich mit dem Gedanken, dass durch das Denken derselben die Wirklichkeit als vollständige erfasst ist. Die Wirklichkeit qua absoluter Idee zu erkennen heißt nicht, dass wir zu einer vollständigen Einsicht aller möglichen empirischen Tatsachen und logischen Strukturen gelangen und wir in diesem Sinne nach dem Denken der absoluten Idee unser philosophisches Geschäft beenden können. Denn dies würde bedeuten, dass wir die Wirklichkeit als gegebenes Objekt, in welcher sich alle möglichen Tatsachen vorfinden lassen, begreifen Zu diesem Gedanken siehe auch Emundts (2012), 159. Bereits zu Hegels Lebzeiten wurde ihm vorgeworfen, dass er beanspruche, die Wirklichkeit vollkommen denkend zu deduzieren. Siehe Hegels Kontroverse mit Herrn Krug (vgl. GW 4, 174 ff, v.a. 178/ GW 20, 240, § 250).

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und erkennen könnten (vgl. GW 12, 239). Dies ist jedoch – wie ich mit Hegel gezeigt habe – nicht möglich. Dieser Versuch beruht auf einem falschen Verständnis dessen, was es heißt, Totalitäten zu erkennen.60 7.2.3 Die absolute Idee als Form der Selbstthematisierung Mit der absoluten Idee argumentiert Hegel also dafür, dass die Wirklichkeit eine prozessuale Verfasstheit aufweist, und zwar eine solche, in der die Form der Subjektivität erkennender Subjekte selbst eingeschrieben ist. In diesem Sinne ist die absolute Idee bzw. das Erkennen der absoluten Idee immer auch eine Form der Selbstthematisierung : Thematisiert wird die Stellung dieser Subjekte im Ganzen der Wirklichkeit – und in dieser Form stellt das Denken der absoluten Idee sogar die höchste Form der Selbstthematisierung dar.61 Denn thematisiert wird das Subjekt weder allein für sich noch in einem bestimmten Bereich der Wirklichkeit, sondern im Ganzen der Wirklichkeit. Dafür gilt es nicht nur bestimmte Begriffsstrukturen, wie zum Beispiel diejenigen des objektiven Geistes, zu untersuchen, sondern die primären Strukturen der Wirklichkeit überhaupt und damit den Zusammenhang verschiedener Bereiche der Wirklichkeit zu explizieren. Die absolute Idee begreife ich daher als Reflexion62 über diese Begriffsbestimmungen im Ganzen der Wirklichkeit, und zwar als eine Reflexion über den Zusammenhang und die Stellung der gesamten in der Logik abgehandelten Begriffsbestimmungen. Sie stellt also ein Meta-Denken über die in der Logik insgesamt thematisierten Begriffsbestimmungen dar. Hegel artikuliert dies als ein Sich-selbst-Anschauen des Begriffs : Deutlich wird auch, dass ich einer anderen, aktuelleren Lesart nicht zustimme. Die absolute Idee ist kein Ausdruck der Rationalitätsform sozialer Praxis ; vgl. etwa Zambrana (2015), 120. Eine solche Deutung greift gegenüber dem dargestellten Inhalt der Logik viel zu kurz, denn diese impliziert offensichtlich auch naturphilosophische und metaphysische Thesen – die wir mit dem Objektivitätskapitel und der Idee des Lebens nachverfolgt haben ; so auch Siep (2018), 733. Auch deute ich das Ziel der Wissenschaft der Logik im Denken der absoluten Idee in einer anderen Weise : Zwar interpretiere ich das Denken der absoluten Idee ebenso wie die sozial-pragmatische Lesart der absoluten Idee als eine Art der Selbstthematisierung, jedoch nicht innerhalb der Rationalitätsformen sozialer Praxis ; ich denke vielmehr, dass vor allem der Vergleich zu Kants Unterfangen aufzeigt, dass sie als eine Art der Selbstthematisierung innerhalb der Strukturen der Wirklichkeit selbst verstanden werden muss und damit als ein viel metaphysischeres Unterfangen, als es die Lesart derselben als rein sozialer Praxis hergibt. 61 Andere Formen der Selbstthematisierung, die sich auch auf das Ganze der Wirklichkeit beziehen, sind Hegel zufolge die Kunst und die Religion. Philosophie ist jedoch laut Hegel die einzige Form der Selbstthematisierung, die diese Art der Selbstthematisierung begrifflich zu explizieren vermag ; vgl. GW 12, 236 f. 62 Diesen Begriff verwende ich hier nicht im Sinne der Hegel’schen Terminologie. 60

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»Für sich ist die absolute Idee, weil kein Uebergehen noch Voraussetzen und überhaupt keine Bestimmtheit, welche nicht flüssig und durchsichtig wäre, in ihr ist, die reine Form des Begriffs, die ihren Inhalt als sich selbst anschaut. Sie ist sich Inhalt, in sofern sie das ideelle Unterscheiden ihrer selbst von sich, und das eine der Unterschiednen die Identität mit sich ist, in der aber die Totalität der Form als das System der Inhaltsbestimmungen enthalten ist. Dieser Inhalt ist das System des Logischen. Als Form bleibt hier der Idee nichts als die Methode dieses Inhalts, – das bestimmte Wissen von der Währung ihrer Momente.« (GW 20, 228 f., § 237)

Die absolute Idee soll ein Denken sein, welches alle in der Logik vorgebrachten Denkbestimmungen wie Kausalität, Mechanismus und Teleologie artikuliert (vgl. GW 12, 251) und diese in philosophisch angemessener Weise ausdrückt. Damit meine ich Folgendes : Wir haben im Denken der absoluten Idee verstanden, welche Rolle beispielsweise Teleologie im Sinne der äußeren Zweckmäßigkeit spielt, und können diese in einem größeren Ganzen verorten, insofern wir die Voraussetzungen explizit machen können, die einer solchen Form der Kausalität zukommen. Wir sehen in diesem Fall, dass die äußere Zweckmäßigkeit die innere zur Voraussetzung hat. Die absolute Idee denken hieße demnach Einsicht in die »Währung […] [der] Momente« der absoluten Idee zu erhalten (vgl. GW 20, 229, § 237) und zwar auf eine solche Weise, in der denkende und erkennende und handelnde Subjekte in diesen Strukturen selbst thematisiert werden. Der absoluten Idee kommt dann insofern das Prädikat ›absolut‹ zu, als wir durch das Denken der absoluten Idee Einsicht in das Ganze der Wirklichkeit erlangen, und zwar so, dass wir in dieser Einsicht des Ganzen unseren eigenen Akt des Einsehens des Ganzen, der selbst wirklichkeitsstrukturierend ist, strukturell mitreflektieren.63 Hegel legt den Finger also – auch gegen Kant – auf folgenden Punkt : Jede Konzeption des Erkennens muss Hegel zufolge ihren Ausgangspunkt vom Leben, vom lebendigen Subjekt nehmen. Die Tatsache, dass es lebendige und denkende Subjekte gibt, muss in einem jeden Explikationsversuch dessen, was es heißt, die primären Strukturen der Wirklichkeit einzusehen, mitgedacht und insofern ernst genommen werden. Eine Konzeption absoluten Erkennens muss 63

Im Gegensatz zu Kreines lese ich die absolute Idee nicht als ein rein epistemologisches Unterfangen, welches die absolute Idee als Methode theoretischen Forschens vorstellt, die die Form vollständiger Erklärungen angibt, der wir uns in verschiedenen Bereichen der Wirklichkeit nur annähern können ; vgl. Kreines (2015), 254 f. Kreines berücksichtigt den Selbstthematisierungscharakter, den ich in der absoluten Idee angelegt sehe, nicht. Seine Lesart der absoluten Idee liegt durch die These, dass wir uns der Form der absoluten Idee in den verschiedenen Bereichen der Wirklichkeit nur annähern können, zudem auch zu nah an Kants Konzeption regulativer Ideen.

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kompatibel damit sein, dass es lebendige Subjekte gibt, weil die Strukturen der Wirklichkeit selbst so sind, dass sie lebendige und erkennende Subjekt hervorgebracht haben.

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8. Die Zweckmäßigkeitskonzeptionen Kants und Hegels im Vergleich

I 

n den zurückliegenden beiden Teilen dieser Arbeit habe ich Kants und Hegels Zweckkonzeptionen in den Fokus gesetzt. Dabei habe ich mich in meinen Analysen weitestgehend auf den Bereich der theoretischen Philosophie beschränkt. Die Zwecklehre beider im moralisch-praktischen Bereich habe ich zwar antizipiert, aber nicht dezidiert in den Blick genommen. Zudem habe ich meine Untersuchung auf ausgewählte Textabschnitte vor allem aus Kants kritischer Zeit und aus Hegels Wissenschaft der Logik begrenzt. Vor dem Hintergrund dieser Analysen lässt sich folgendes Ergebnis festhalten : Für Kant gründet die Relevanz und Unabdingbarkeit der Anwendung von Zweckmäßigkeitsprinzipien in unseren epistemischen Bedingungen. Aus episte­ mischen Gründen sind wir auf Zweckmäßigkeitsprinzipien angewiesen. Dabei sind Zweckmäßigkeitsprinzipien an dem Systematizitätsprinzip der Vernunft orientiert, d. h. wir deuten anhand der Anwendung von Zweckmäßigkeitsprinzipien die Natur so, als sei sie selbst auf Vernunftstrukturen gegründet. Zweckmäßigkeitsprinzipien sind in diesem Sinne Ausdruck dessen, dass die Natur unserer Vernunft strukturell zu entsprechen vermag. Kants Naturzwecklehre stellt nun insofern einen Sonderfall dar, als uns hier die Natur selbst in der Erfahrung bestimmter ihrer Gegenstände zeigt, dass diese – zumindest auf subjektiver Ebene – als unseren Vernunftstrukturen entsprechend gedacht werden müssen. Erst unter Anwendung des Naturzweckbegriffs deuten wir diese Gegenstände als organisierte und sich selbst organisierende Wesen und sprechen ihnen damit Charakteristika zu, die unserer eigenen Vernunft wesentlich zukommen. Die Erfahrung bestimmter Naturgegenstände, die ihre Zweckbeurteilung forcieren, ist damit nicht so sehr als Bedrohung der Einheit eines kausalmechanischen Naturbildes zu verstehen, sondern vielmehr als Ausgangspunkt der Schaffung des Bildes einer Natur, in welcher wir uns als in Zwecken denkende und in Zwecken tätige Wesen in dieser Natur verstehen können. Ob es jedoch Naturzwecke und damit meiner Lesart zufolge sich selbst organisierende Wesen gibt, bleibt dahingestellt. Hegels Überlegungen dagegen gehen in Auseinandersetzung mit Kant von der Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit respektive sich selbstorganisierender Wesen aus. Sich selbst organisierende Wesen sind in Hegels Theorie nicht einfach Bestandteil einer Theorie der Strukturen der Wirklichkeit, sondern sie

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müssen der unhintergehbare Ausgangspunkt einer solchen Theorie sein. Äußere Zweckmäßigkeit und Mechanismus sind Hegel zufolge ohne diesen Ausgangspunkt gar nicht möglich. So sind die Individuierung mechanischer Objekte und damit mechanische Strukturen selbst von der Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit abhängig. Äußere Zweckmäßigkeit wiederum ist nur denkbar auf Grundlage der Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit. Dies bedeutet auch, dass wir selbst als intentionale, in Zwecken denkende und in Zwecken tätige Wesen nur auf Grundlage der Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit in ein einheitliches Bild der Wirklichkeit integriert werden können. Eine Erkenntniskonzeption, in welcher erkennende Subjekte selbst als Teil der Wirklichkeit konzipiert sind, muss dementsprechend im Ausgang von der Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit entwickelt werden. Sie kann diese nicht nur zu ihrem subjektiven Resultat haben. Nun habe ich in der Einleitung betont, dass Hegels Kritik dabei nicht im Sinne einer Zurückweisung der kantischen Überlegungen zur Zweckkausalität zu verstehen ist, sondern dass Hegel diese vielmehr zu fundieren strebt, und zwar indem er die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit zum Ausgangspunkt einer Theorie der Strukturen der Wirklichkeit erhebt. Wie wir sahen, glaubt Hegel dadurch nicht nur allererst das Fundament der Strukturen äußerer Zweckmäßigkeit sowie mechanischer Strukturen liefern zu können, sondern auch das Fundament einer Erkenntnistheorie legen zu können. Letzteres habe ich im letzten Kapitel in Form eines systematischen Ausblicks skizziert. In diesem Kapitel bleibt, dieses Moment der Fundierung kantischer Überlegungen zur Zweckkausalität durch die hegelsche Theorie herauszustellen. Diesem Ziel gilt es im ersten Abschnitt dieses Kapitels den Boden zu bereiten und die These der Fundierung kantischer Überlegungen durch Hegel angemessen zu kontextualisieren. Dafür werde ich zunächst einen Grundgedanken, der Hegel zufolge für das transzendentalphilosophische Programm kennzeichnend ist, sowie Hegels Kritik an diesem Grundgedanken vorstellen (8.1.1). Dies liefert mir den Hintergrund für eine Analyse dessen, was genau Hegel zufolge in der kantischen Transzendentalphilosophie einer Fundierung bedarf und welche Art der Analyse Hegel vornehmen muss, um eine solche Fundierung zu liefern (8.1.2). Sodann werde ich auf zwei offen gebliebene Fragen eingehen, die das Verhältnis zwischen zweckmäßigen und mechanischen Strukturen in Hegels Konzeption betreffen und die auszuräumen sind, bevor ich das Verhältnis beider Zweckkonzeptionen zueinander betrachte. Wie wir gesehen haben, entgeht Kant zwei Einwänden, die gegen eine nicht-intentionale Zweckmäßigkeit der Natur vorgebracht werden, dem backward-causation-Einwand und dem mereologischen Einwand, dadurch, dass seine primäre Zweckkonzeption eine an einen Verstand gebundene und damit subjektive ist. Nun habe ich bisher freigelegt,

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Hegels Programm der Fundierung der kantischen Zweckkonzeption

dass Hegel in der Idee des Lebens in erster Linie gegen Kants Agnostizismus argu­mentiert. Auf die beiden Einwände bin ich dabei jedoch nicht eingegangen. Dies gilt es hier nachzuholen und Hegels Antwort auf den backward-causationEinwand (8.2.1) sowie auf den mereologischen Einwand (8.2.2) auf Grundlage der Ergebnisse der letzten Kapitel herauszustellen. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels werde ich dann die These der Fundierung anhand der von beiden Philosophen vorgelegten Zweckkonzeptionen diskutieren. Dazu gilt es zunächst jedoch herauszustellen, dass es meiner Lesart zufolge Hegels Strategie ist, auf Grundlage der kantischen Konzeption innerer Zweckmäßigkeit gegen Kants Agnostizismus zu argumentieren. In dieser Hinsicht ist Hegels Bezug zu Kant also zunächst einmal ein kritischer Bezug (8.3.1). Die Auseinandersetzung mit der jeweils von Kant und von Hegel vorgeschlagenen Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit wird sodann zeigen, dass die Verwendung derselben Terminologie in diesem Fall irreführend ist. Denn diese Konzeption erfährt von Kant zu Hegel eine Bedeutungsverschiebung. So werde ich aufzeigen, dass Hegel Kants primäre Zweckkonzeption unter den Titel äußerer Zweckmäßigkeit fasst, während Kants Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit nur einen spezifischen Fall zweckmäßiger Urteile beschreibt ; sie ist auf die Beschreibung bestimmter Ereignisse in der Natur beschränkt. Dies unterläuft jedoch nicht die These der Fundierung des hegelschen Ansatzes durch Kant, da Hegel Kants eigenes Kriterium zur Bestimmung äußerlicher Zweckmäßigkeit aufgreift. Nach der Begründung von Kants primärer Zweckkonzeption als einer der äußeren Zweckmäßigkeit argumentiert Hegel mit Kant gegen Kant für die Fundierung derselben in der Konzeption innerer Zweckmäßigkeit (8.3.2). 8.1 Hegels Programm der Fundierung der kantischen Zweckkonzeption Die These, dass Hegels Zweckkonzeption als eine Fortführung des kantischen Gedankenguts im Sinne einer Fundierung derselben zu verstehen ist, bedarf der Kontextualisierung und damit Spezifizierung. Denn sie lässt noch im Unklaren, in welchem Sinne Hegel eigentlich eine solche Fundierung anstrebt. Klar ist jedoch, dass Hegel sich nicht als Transzendentalphilosoph versteht ; im Gegenteil, er steht dem Programm der Transzendentalphilosophie generell skeptisch gegenüber. Wie ich im Folgenden verständlich machen möchte, geht es Hegel so auch nicht um eine Fortsetzung der Transzendentalphilosophie, sondern um eine Fundierung des begrifflichen Gehalts der von Kant dargelegten Zweckstrukturen.

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8.1.1 Hegel und die Transzendentalphilosophie Im Vorbegriff der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften finden wir die wohl expliziteste Auseinandersetzung Hegels mit der Transzendentalphilosophie. In den Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie finden wir wohl die expliziteste Auseinandersetzung mit der Transzendentalphilosophie, die Hegel zumindest zugeschrieben wird. Beide Auseinandersetzungen zeigen, dass Hegel zwar voll des Lobes gegenüber Kant ist, zum Beispiel für das Freilegen der Konzeption innerer Zweckmäßigkeit, für die Konzeption eines intuitiven Verstandes, für Kants Akzentuierung des Ideenbegriffs sowie für das Aufdecken der Antinomien, jedoch Grundpfeiler der kantischen Transzendentalphilosophie entschieden ablehnt. Entgegen etwa Pippins oder Ngs Lesart der Wissenschaft der Logik als einer Untersuchung der konstitutiven Denkbestimmungen a priori denke ich also, dass Hegel nicht als Transzendentalphilosoph zu verstehen ist.1 Im Folgenden werde ich mich auf Hegels Gründe für die Ablehnung eines Grundgedankens der Transzendentalphilosophie konzentrieren, da diese aufschlussreich für das hier zu explizierende Verhältnis von Hegel zu Kant sind. In den Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie finden wir diesen Grundgedanken sehr explizit ausgedrückt : »Vor dem Erkennen muß man das Erkenntnisvermögen untersuchen. […] Das Erkennen wird vorgestellt als ein Instrument, die Art und Weise, wie wir uns der Wahrheit bemächtigen wollen ; ehe man also an die Wahrheit selbst gehen könne, müsse man zuerst die Natur, die Art seines Instruments erkennen. […] Es ist, als ob man mit Spießen und Stangen auf die Wahrheit losgehen könnte. […] Das Erkenntnisvermögen untersuchen heißt, es erkennen. Die Forderung ist also diese : man soll das Erkenntnisvermögen erkennen, ehe man erkennt ; es ist dasselbe wie mit dem Schwimmenwollen, ehe man ins Wasser geht. Die Untersuchung des Erkenntnisvermögens ist selbst erkennend, kann nicht zu dem kommen, zu was es kommen will, weil es selbst dies ist, – nicht zu sich kommen, weil es bei sich ist.« (TWA 20, 333 f.)2

Dem kantischen Projekt ist dieser Gedanke einer Untersuchung der Erkenntnismittel, d. i. der Erkenntnisvermögen, anhand der Frage, was ihr Beitrag zur Zur These Hegels als Verfolger eines transzendentalphilosophischen Programms : Pippin (2019), 5. Ng (2020), 111–115. Ng diskutiert Hegels Vorgehensweise an dieser Stelle zwar für die Phänomenologie des Geistes, überträgt dennoch den dort erreichten transzendentalen Standpunkt auf den, der in der Wissenschaft der Logik eingenommen wird. So handelt es sich Ng zufolge in der Logik um konstitutive Denkbestimmungen a priori (Ng (2020), 120). Siehe dazu auch Fußnote 363. 2 Der Grundgedanke findet sich auch im Vorbegriff der Enzyklopädie wieder ; vgl. GW 20, 50, § 10. 1

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Möglichkeit von Erkenntnis ist, inhärent. Die B-Vorrede zur Kritik der reinen Vernunft verdeutlicht diesen Grundgedanken auf programmatische und illu­ strative Weise. Ausgehend von dem sicheren Gang der Naturwissenschaften, d. i. der Mathematik und der Physik, möchte Kant auch der Metaphysik zu einem solchen sicheren Gang verhelfen. In Analogie zu dem Vorgehen in diesen Wissenschaften beschreibt Kant sein Programm in der Kritik der reinen Vernunft. So wie Physiker*innen im Erkenntnisprozess aktiv sind, sich Experimente überlegen, um die Natur in Gestalt »eines bestallten Richters« (KrV, B XIII) nach Antworten zu befragen, so sollen wir es auch in der Metaphysik damit versuchen, den Prozess des Erkennens nicht nur als passive Aufnahme bestimmter Wahrnehmungsinhalte zu verstehen, sondern auch als aktive Leistung des Erkenntnissubjektes selbst. Der aktiven Leistung des Erkenntnissubjektes soll dabei eine Schlüsselrolle in der Erkenntnis von Gegenständen zukommen : Denn so wie in Experimenten Objekte bestimmten von uns gesetzten Bedingungen unterworfen werden, so unterliegen die Objekte der Erfahrung den Bedingungen, unter denen sie von uns erkannt werden können. Diese Bedingungen sollen also der Analogie entsprechend auf die Ausübung unserer Erkenntnisfähigkeiten zurückgehen.3 Kants Ziel in der Kritik der reinen Vernunft ist es nun, uns über eben diese Bedingungen aufzuklären, denen Gegenstände unterworfen sein müssen. Das Feld, dessen, was wir erkennen können, soll auf diese Weise abgesteckt werden. Denn wenn diese Bedingungen durch die Ausübung unserer eigenen Erkenntnisfähigkeiten zustande kommen, dann kann eine Untersuchung unserer verschiedenen Erkenntnisvermögen und ihrer jeweiligen Erkenntnisleistung klären, was wir zu erkennen imstande sind und was nicht. Es ist diese Vorstellung einer Untersuchung unserer Erkenntnisvermögen zur Klärung dessen, was wir zu erkennen imstande sind, die Hegel zurückweist. Denn diese Vorstellung evoziert den Gedanken, wir könnten vor dem eigentlichen Erkennen unsere Erkenntnismittel auf ihre Leistung hin untersuchen, so wie wir vor dem Hausbau die Werkzeuge, die wir dazu benutzen, auf ihre Funktionalität hin untersuchen können. Diese Analogie hält Hegel jedoch in einer Hinsicht für verfehlt. Wie auch Kreines betont, liegt ihr nämlich die Vorstellung zugrunde, dass wir uns erst dann auf einem bestimmten Feld der Philosophie bewegen dürfen, wenn wir in einer vorhergehenden Analyse die Anwendungsbedingungen, d. i. die Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis auf diesem Gebiet, geklärt haben. In Anbetracht dieses Vorbehalts ist jedoch nicht einzusehen, warum er nicht auch gegen eine solche vorhergehende Untersuchung unserer Erkenntnisvermögen selbst angeführt werden sollte.4 Denn – wie Hegel im obigen Zitat hervorhebt –auch eine Untersuchung der Erkenntnisvermögen ist 3 4

Vgl. dazu auch Tetens (2006), 29–39. Vgl. Kreines (2015), 13 und 141.

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bereits erkennend. Im Gegensatz zu den Werkzeugen, deren Funktionalität wir vor dem Hausbau untersuchen können, können wir nicht vor dem Erkennen das Erkennen untersuchen, weil wir dieses immer schon für die Untersuchung in Anspruch nehmen müssen. So stellt sich berechtigterweise ebenso die Frage, was die Bedingungen der Erkenntnis dieses Erkennens sind. Sedgwick forciert in ihrer Interpretation dieser Kritik Hegels an Kant diesen Punkt noch stärker in die hier in dieser Arbeit eingenommene Richtung der Kritik. Demnach hält Hegel die Analogie des Erkennens als Mittel oder Instrument nicht per se für falsch – und dies war auch bereits Ergebnis der Untersuchung des endlichen Erkennens. Natürlich hält Hegel die Annahme für richtig, dass wir mit Hilfe unserer Erkenntnisvermögen erkennen. Doch evoziert diese Analogie, dass wir einen Standpunkt außerhalb einer philosophischen Disziplin bzw. einer bestimmten Wissenschaft einnehmen können, um diese zu begründen.5 Sie evoziert die Vorstellung, dass der Inhalt, den wir erkennen wollen, insofern unabhängig von unseren Erkenntnisleistungen ist, als er diese Erkenntnisleistungen nicht selbst in hohem Maße hervorbringt. Eben dies zieht Hegel in Zweifel. Wie in Kapitel sieben ausgeführt, ist unsere jeweilige eigene Erkenntnisleistung selbst vom Gegenstand abhängig und insofern standort- und situationsgebunden. Kant kann Hegel zufolge keinen neutralen Standpunkt einnehmen, von dem aus er die Leistung unserer Erkenntnisvermögen untersuchen kann, weil die Einnahme eines solchen Standpunktes voraussetzen würde, dass die Leistung, die unser Erkenntnisapparat vollbringt, unabhängig vom historischen Geschehen bzw. vom eigenen Standpunkt ist. Sie ist aber – so hält Hegel Kant entgegen – durch dieses Geschehen und diesen Standpunkt informiert. Die von Kant dargelegten Kategorien sind in diesem Sinne für Hegel nichts a priori in unserem Verstand Gegebenes, sondern selbst historisches Produkt. Für Hegel gilt es diese Bedingungen der Erkenntnis selbst wieder zu reflektieren. Dementsprechend habe ich die absolute Idee als ein Denken der Strukturen der Wirklichkeit gedeutet, das dazu fähig ist, diesen seinen Standpunkt selbst wiederum als Teil im Ganzen der Wirklichkeit zu denken. Und dementsprechend habe ich im letzten Kapitel hervorgehoben, dass der von Hegel verwendete Begriff ›absolut‹ in dem Ausdruck ›absolute Idee‹ nicht im Sinne von ›unabhängig sein‹ zu verstehen ist. ›Absolut‹ ist ein Denken dann, wenn es die Bedingungen, die dieses Denken hervorgebracht hat, mitreflektieren kann. Die These Hegels, dass eine Erkenntnistheorie ihren Ausgangspunkt am Leben nehmen muss, ist in diesem Sinne als Grundbaustein einer solchen Kritik Hegels an Kant zu werten. Nun könnte man jedoch einwenden, dass ich dafür argumentiert habe, dass die jeweils späteren Strukturen der Logik Bedingung für die Möglichkeit vor­ 5

Vgl. Sedgwick (2008), 102–108.

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heriger Strukturen sind. So habe ich zum Beispiel innere Zweckmäßigkeit als Bedingung für die Möglichkeit äußerer Zweckmäßigkeit bestimmt. Könnte man dies nicht im Sinne eines transzendentalen Arguments verstehen ? Ich denke nicht. Es geht Hegel nicht um eine Analyse der Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung sinnlicher und vernünftiger Subjekte, in welcher gezeigt werden muss, inwiefern begriffliche Bedingungen für Erfahrung a priori konstitutiv oder regulativ für die Gegenstände der Erfahrung sind.6 Seine Vorgehensweise besteht weder in der Darlegung etwa des Organismusbegriffs als eines Begriffs a priori und in dem darauffolgenden Nachweis, dass er den Gegenständen der Erfahrung auch zukommen muss, weil nur so Erfahrungsgegenstände möglich sind. Noch besteht seine Vorgehensweise in der Darlegung des Organismusbegriffs als eines Begriffs a priori und in dem darauffolgenden Nachweis, dass er unseren Gegenstandsbezug allererst ermöglicht und insofern eine regulative Funktion innehat. Beide Verfahren setzen nämlich den Gedanken voraus, dass wir erst einmal nachweisen müssen, ob unseren Begriffen und Prinzipien überhaupt etwas in der sinnlich erfahrbaren Welt entspricht. Wie ich jedoch im Abschnitt 7.1.2 betont habe, liegt Hegel ein solcher Gedanke fern.7 So kommen auch die Begriffspaare a priori/a posteriori und konstitutiv/regulativ in der Wissenschaft der Logik nicht prominent vor. 8.1.2 Das fundierungsbedürftige Moment Hegel wendet sich zwar von der Art des transzendentalphilosophischen Vorgehens ab, doch geht es ihm nicht darum, kantische Überlegungen zur Naturteleologie zur Gänze zurückzuweisen, sondern vielmehr sie zu fundieren. Wie kann jedoch eine Fundierung aussehen, die vor dem Hintergrund ganz anderer Grundvoraussetzungen stattfindet ? Was genau wird fundiert ? Bereits in Abschnitt 5.1.2 habe ich die Richtung aufgewiesen, die Hegel einschlägt. Die Diskussion um den Widerstreit zwischen Mechanismus und Teleologie ergab, dass es Hegels Anliegen ist, jeweils den begrifflichen Gehalt der der Wirklichkeit zugrundeliegenden Strukturen zu untersuchen : Wir klären den Widerstreit von Mechanismus und Teleologie nicht durch das Bestimmen des erkenntnistheoretischen Status dieser jeweiligen Prinzipien, sondern nur durch eine Klärung des jeweiligen begrifflichen Gehalts. Wie im dritten Kapitel ausgeführt, gibt Kant eine engere transzendentale Begründung, die den konstitutiven Status bestimmter Begriffe rechtfertigen soll, und eine weitere transzendentale Begründung, die die notwendige regulative Funktion einiger Begriffe rechtfertigt. 7 Emundts weist die These, dass es sich bei Hegels Argumenten um transzendentale Argumente handelt, bereits für die Phänomenologie zurück ; vgl. Emundts (2012), 356. 6

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Hegel folgt Kant zwar in der Untersuchung der die Wirklichkeit strukturierenden Begriffe8, doch mit einem anderen Schwerpunkt : »Sie [die Kritik der Formen des Verstandes durch Kant, K.K.] hat dabey nemlich diese Formen nicht an und für sich selbst, nach ihrem eigenthümlichen Inhalt betrachtet, sondern sie lemmatisch aus der subjectiven Logik gerade aufgenommen ; so daß von einer Ableitung ihrer an ihnen selbst, oder auch einer Ableitung derselben als subjectiv-logischer Formen, noch weniger aber von der dialectischen Betrachtung derselben die Rede war.« (GW 21, 31)9

Das hier von Hegel angesprochene kritische Moment im Vorgehen Kants hat mit dem im letzten Abschnitt vorgebrachten Punkt gemein, dass Hegel Kant vorwirft, sein eigenes Verfahren nicht genügend reflektiert zu haben. Zwar verschiebt Kant den philosophischen Blick von der Erfahrungswelt auf eine Betrachtung von Begriffen, doch falle Kant insofern hinter dieses Anliegen zurück, als er die Begriffe selbst als im Verstand gegebene postuliert und sie nicht systematisch auseinander herleitet. Zu Letzterem hätte es einer Reflexion der eigenen situations- und kontextgebundenen Stellung im Ganzen der Wirklichkeit bedurft. Wenn nun aber erstens eine Reflexion der eigenen Stellung im Ganzen der Wirklichkeit den Bezug auf Leben notwendig macht und wenn aber zweitens eine begriffliche Herleitung ergibt, dass lebendige Strukturen, d. h. Strukturen innerer Zweckmäßigkeit, in dieser etabliert sein müssen, damit es überhaupt zu Strukturen äußerer Zweckmäßigkeit und des Mechanismus kommt, dann können wir Hegels Projekt in diesem Sinne als ein Fundierungsprojekt der kantischen Philosophie verstehen. Es gilt also, den Begriff innerer Zweckmäßigkeit auf seinen begrifflichen Gehalt hin zu untersuchen und im Ausgang von dieser Begrifflichkeit weitere die Wirklichkeit strukturierende Begriffsbestimmungen herzuleiten. Und dies ist es, was sich Hegel in Abgrenzung von dem Programm der Transzendentalphilosophie vornimmt. Ein naheliegender Einwand gegen einen Fundierungsgedanken der kantischen Zweckkonzeption durch die hegelsche könnte nun lauten, dass nicht klar ist, inwiefern Hegel meiner Lesart zufolge Kants Überlegungen zur Naturteleologie wirklich fundiert, da er doch das, was man als den von mir diagnostizierten Clue der kantischen Überlegungen zur Naturteleologie bezeichnen könnte, d. i. Kants Agnostizismus, entschieden ablehnt. So wirft Hegel der vormaligen Metaphysik dagegen vor, sich der Denkbestimmungen nicht reflektiert genug bedient zu haben ; vgl. GW 20, 70, § 28. 9 Vgl. auch GW 20, 78 f., § 41. 8

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Das Verhältnis von Mechanismus und Zweckmäßigkeit

Meine These lautet jedoch nicht, dass Hegel den Status von Kants Naturteleologie fundiert. Er liefert vielmehr eine begriffliche Fundierung von Kants primärer Zweckkonzeption. Das Fundierungsmoment bezieht sich allein auf einen bestimmten, d. i. auf den begrifflichen Aspekt der kantischen Zweckkonzeption. Durch das gründlichere Durchdenken dieses Aspekts von Kants Zweckkonzeption gelingt es Hegel offen zu legen, an welcher Stelle die kantische Zweckkonzeption inhaltlich-begrifflich noch begründungsbedürftig ist, und so eine bessere begriffliche Untermauerung dieser Konzeption zu liefern – die aber zugleich mit einer Kritik an einem anderen Aspekt an Kants Zweckkonzeption einhergeht. Ich werde hierauf in 8.3.2. zurückkommen. 8.2 Das Verhältnis von Mechanismus und Zweckmäßigkeit im Rahmen der Zweckmäßigkeitskonzeptionen Kants und Hegels Bevor ich dazu übergehe, das Verhältnis von Hegels zu Kants Zweckkonzeption als eines, welches Fundierungscharakter besitzt, zu begründen, gilt es auf zwei Einwände gegen die Wirklichkeit objektiver, nicht-intentionaler Zweckmäßigkeit zu reagieren, die im Zusammenhang von Kants und Hegels Zweckkonzeption immer wieder diskutiert werden : der backward-causation-Einwand und der mereologische Einwand. In Auseinandersetzung mit Hegels Entwicklung der Konzeption innerer Zweckmäßigkeit in der Idee des Lebens habe ich dafür argumentiert, dass Hegel gegen Kants Agnostizismus argumentiert. Kant zufolge wissen wir nicht, ob es so etwas wie objektive Zweckmäßigkeit gibt, weil die Anwendungsbedingungen des Naturzweckbegriffs ungeklärt sind. Diese Unklarheit gibt Kant als Grund für den nur regulativen Status des Naturzweckbegriffs an. Hegel verfolgt nun dagegen die Strategie nachzuweisen, dass die zum Vorliegen innerer Zweckmäßigkeit zu erfüllenden Bedingungen tatsächlich erfüllt sind und wir sie ausbuchstabieren können, ohne auf die Konzeption subjektiv-intentionaler Zweckmäßigkeit zurückgreifen zu müssen. Kant verbaut sich demnach Hegel zufolge ein angemessenes Verständnis innerer Zweckmäßigkeit, weil er meint, den Naturzweckbegriff von der subjektiv-intentionalen Zweckmäßigkeit herleiten zu­ müssen.10 Damit bleibt aber die Frage offen, wie Hegel eigentlich auf Einwände wie den backward-causation-Einwand und den mereologischen Einwand zu reagieren vermag. Denn beide Einwände sind gegen eine objektive Zweckmäßigkeit gerichtet, die Zwecke gerade nicht als gebunden an einen Verstand versteht. ­Hegels Zweckkonzeption scheint damit ein Einfallstor für solche Einwände zu sein. 10

Vgl. mit Abschnitt 6.1.3.

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Bemerkenswerterweise diskutiert Hegel in der Idee des Lebens beide Einwände jedoch nicht.11 Dies rechtfertigte es auch, sie in meiner Auseinandersetzung mit der Idee des Lebens nicht zu diskutieren, sondern zunächst darauf zu fokussieren, in welcher Weise Hegel denkt, dass beide von Kant für die Wirklichkeit von innerer Zweckmäßigkeit genannten Bedingungen tatsächlich erfüllt sind. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich mit Hegel keine Antwort auf diese Einwände finden lässt. Im Gegenteil, ich denke, dass Hegel diese Einwände bereits zuvor ausgeräumt hat und sie sich deswegen so in der positiven Ausformulierung der Konzeption innerer Zweckmäßigkeit in der Idee des Lebens nicht mehr stellen. Dies gilt es im Folgenden auf Grundlage der Ergebnisse der letzten Kapitel herauszuarbeiten. 8.2.1 Der backward-causation-Einwand Vergegenwärtigen wir uns zunächst noch einmal den backward-causation-Einwand selbst12 : Der u. a. von Spinoza vorgebrachte Vorwurf gegen eine Übertragung von Zweckbeziehungen auf natürliche Prozesse besagt, dass Zweckverhältnisse das in der Realität stattfindende Ursache-Wirkungs-Verhältnis verkehren würden.13 So bedinge in Kausalerklärungen von Prozessen die Ursache die Wirkung, wobei die Ursache vor oder zumindest mit der Wirkung zusammen stattfindet. In einem Satz wie »Der Regen macht die Straße nass« kann der Regen als die Ursache des Nassseins der Straße gelten, das Nasssein der Straße ist dementsprechend die Wirkung des Regens. Der als Ursache für das Nasssein der Straße fungierende Regen kann nicht nach dem Nasssein der Straße stattfinden, sonst wäre die Straße nicht nass. Zweckerklärungen natürlicher Prozesse jedoch würden dieses Verhältnis umdrehen. Die Wirkung werde zur Ursache. Denn das »Wozu« des In-Bewegung-Setzens von etwas stelle die Ursache des In-Bewegung-Setzens und gleichzeitig das Ziel dar, d. i. die Wirkung, die erreicht werden soll. Die Referenz auf einen zukünftigen, auf einen noch zu erreichenden Zustand, der einen zweckmäßigen Prozess allererst in Gang setzen soll, ist es, was in Zweckerklärungen natürlicher Prozesse Probleme bereitet.14

Im Gegensatz zu Kreines denke ich also, dass Hegel dem backward-causation-Einwand schon zuvor begegnen kann ; vgl. Kreines (2015), 90 f. Und im Gegensatz zu Lindquist denke ich auch nicht, dass Hegel in der Idee des Lebens mit einer Entgegnung des mereologischen Einwandes beschäftigt ist ; vgl. Linquist (2018), 385 f. 12 Siehe dazu auch Abschnitt 4.2.4 dieser Arbeit. 13 Vgl. Spinoza (2007), Buch I, Anhang, 87. 14 Vgl. Abschnitt 4.2.4. 11

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Diese Problematik möchte ich anhand eines Beispiels veranschaulichen. Dieses nehme ich aus dem Bereich des Lebendigen, in dem Hegel das Konzept der inneren Zweckmäßigkeit ja auch erst verwirklicht sieht : Der Satz »Das Herz pumpt Blut durch den Kreislauf, um den Organismus ausreichend mit sauerstoffreichem Blut zu versorgen« drückt dem Einwand entsprechend Folgendes aus : Das Pumpen des Herzens ist die Ursache dafür, dass das sauerstoffreiche Blut den gesamten Organismus durchströmt. Die Wirkung des Pumpens besteht dementsprechend in der Versorgung des Organismus mit sauerstoffreichem Blut. Doch wird in dem obigen Satz noch mehr behauptet : Das Herz existiert nur aufgrund seiner Funktion, Blut zu pumpen. Die Wirkung, die Versorgung des Organismus mit sauerstoffreichem Blut, spielt dem Einwand gemäß also bereits vor der tatsächlichen Versorgung eine kausale Rolle, weil das Herz nur deswegen überhaupt da ist.15 Die Gegenwart wäre damit durch die Zukunft determiniert, wie Braithwaite es ausdrückt.16 Da wir aber die universale Gültigkeit des Ursache-Wirkungs-Prinzips diesem Einwand zufolge nicht in Frage stellen sollten und dementsprechend auch nicht in Frage stellen sollten, dass das Ursache-Wirkungs-Prinzip ohne Lücken oder Ausnahmen für alle natürlichen Objekte gilt, stehen Zweckerklärungen im Widerspruch zu UrsacheWirkungs-Erklärungen, wenn sie auf natürliche Prozesse angewendet werden. Es ist hier zunächst wichtig daran zu erinnern, dass Kant diesem Einwand insofern entgeht, als er innere Zweckmäßigkeit als ein nur regulatives Prinzip bestimmt hat. Für Kant stellt sich dieser Einwand also nicht, da seine primäre Zweckkonzeption eine an einen Verstand gebundene und damit in Anwendung auf natürliche Prozesse eine nur subjektive ist. Auf theoretischer Ebene wird die kausale Struktur der Wirklichkeit durch den Zweckbegriff nicht verändert.17 Auch auf praktischer Ebene stellt sich dieser Einwand nicht. Hier gibt es zwar reale Zwecksetzungen, aber durch handelnde Subjekte, die Zwecke vor ihrer Realisierung repräsentieren. Der Zweck ist somit nicht objektiv vor seiner Realisation gegeben, dies würde zum backward-causation-Einwand führen, sondern der Zweck ist nur durch ein Subjekt subjektiv repräsentiert. So beschrieben liegt nun aber der Verdacht nahe, dass sich Hegel des backward-causation-Einwandes mit seinem Argument für die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit schuldig macht. Denn wie ich in Abschnitt 5.2.2 ausgeführt habe, übernimmt Hegel zentrale Aspekte von Kants Mechanismus-Konzeption und dazu gehört auch der Aspekt der linearen Durchgängigkeit und kausalen Geschlossenheit kausal-mechanischer Strukturen. So sind auch Hegel zufolge mechanische Strukturen linear und durchgängig ablaufende Kausalketten, in welchen Ursache-Wirkungs Vgl. auch die Ausführungen von Kreines (2015), 91. Vgl. Braithwaite (1959), 327 ff. 17 Vgl. Illetterati (2014), 85. 15 16

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Verhältnisse externe Kräfte zur Bewegung von Teilen bzw. von Träger-Objekten sind und in welchen die Ursache logisch vor der Wirkung stattfindet. Hegel bestreitet also nicht die logische Geltung des so vorgestellten Ursache-WirkungsPrinzips. Mit Blick auf die Ergebnisse dieser Arbeit wird jedoch ersichtlich, dass Hegel i) bereits vor der Idee des Lebens die Ressourcen hat, diesem Einwand zu begegnen, und dass er sich ii) in der positiven Ausgestaltung der Strukturen innerer Zweckmäßigkeit keineswegs wiederum des backward-causation-Einwandes schuldig macht. i) Aus dem fünften Kapitel dieser Arbeit, dem Kapitel zu den Grenzen des Mechanismus, geht bereits implizit hervor, dass Hegel zufolge der backwardcausation-Einwand einer Art Kategorienverwechslung unterliegen muss.18 Auf diese Antwort gehe ich im Folgenden unter Rückgriff der Ergebnisse des fünften Kapitels noch etwas genauer ein. Hegel zufolge ist es eine generelle Kennzeichnung des Zweckbegriffs, dass der Zweck Streben und Trieb ist ; danach, sich selbst äußerlich, d. h. sich selbst in der objektiven Welt zu setzen und so »dem Übergehen entnommen« (GW 12, 160) zu sein. Dieses Zitat habe ich im fünften Kapitel wie folgt gedeutet : Bei der Vorstellung der äußeren Zweckmäßigkeit ist es vom Subjekt intendiert, seinen subjektiven Zweck selbst äußerlich und also objektiv zu setzen. So ist beispielsweise der subjektive Zweck, ein Haus zu bauen, gemäß der Vorstellung äußerer Zweckmäßigkeit genau dann tatsächlich verwirklicht, wenn das Haus, also der Zweck, qua Ergreifung entsprechender Mittel gebaut wird und so Objekt ist. Während des gesamten Prozesses, in welchem unterschiedliche Mittel ergriffen werden sowie verschiedene Akte zum Hausbau vollzogen werden, handelt es sich aber um dieselben Aspekte eines begrifflichen Ganzen, nämlich um die Verwirklichung des Zwecks. Und auch gemäß der inneren Zweckmäßigkeit bleibt der begriffliche Gehalt während der im Organismus ablaufenden mechanisch-chemischen Prozesse immer derselbe, denn alle sich vollziehenden Zweck-MittelBeziehungen drücken denselben Zweck der Selbsterhaltung aus ; der Erhalt der Glieder ist der Erhalt des Organismus und vice versa. Der Zweckprozess ist also generell das : den Zweck zu setzen, und zwar als das, was er nicht ist, ohne jedoch begrifflich zu etwas anderem geworden zu sein ; ohne dass er also in einen anderen Begriff übergeht. Die Prozesse der Zweckverwirklichung bilden »Teilaspekte eines [und desselben] begrifflichen Ganzen«.19 Eine Ursache dagegen geht Hegel zufolge vollständig in die Wirkung über und besteht letztlich auch nur in diesem Verhältnis des Übergehens in die Wir Diese These führt Hegel tatsächlich nie an einer Stelle der Wissenschaft der Logik vollkommen aus ; es finden sich dagegen eher verstreut Passagen, in denen Hegel sich zum begrifflichen Unterschied von Ursache-Wirkung und Zweck äußert. Im Folgenden rekonstruiere ich deswegen Hegels Position anhand einer Interpretation verschiedener Stellen. 19 Vgl. Burbidge (2002b), 239. 18

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kung (vgl. GW 12, 155 f. u. 160).20 Die Wirkung sei als Ausdruck der Ursache zu verstehen, aber so, dass in der Wirkung die Ursache als verschwunden oder in hegelschen Termini als aufgehoben gilt. So ist etwa der Regen, der die Straße nass macht, nur deswegen Ursache, weil sich die Nässe, die die Ursache ist, zugleich als Wirkung auf der Straße befindet. Die Ursache besteht nur in der Wirkung. Der Zweck jedoch gilt im Mittel nicht als aufgehoben, sondern durch das Mittel soll die Zweckeinheit gerade erst hergestellt werden. Er erhält sich also gegenüber den Mitteln, während die Ursache in die Wirkung über- oder eingeht. Hegel greift demnach den backward-causation-Einwand indirekt auf : Ein Objekt, das wesentlich durch seine Zweckmäßigkeitsbeziehungen bestimmt ist, kann nicht angemessen als ein rein kausalursächlich konstituiertes Ganzes erläutert werden, denn eine solche Erläuterung unterläuft das, was die Begriffsbeziehung der Ursache und Wirkung ausmacht, nämlich das Übergehen in den jeweils anderen Begriff. Daraus folgt jedoch für Hegel nicht, dass es keine Zweckbeziehungen in der Wirklichkeit gebe oder dass sich beide Verhältnisbeziehungen widersprechen. Im Gegenteil, das zweckmäßige Verhältnis erklärt Hegel zufolge vielmehr einen anderen Aspekt der Wirklichkeit als die Zweckbeziehung. Auch dies ist aus den Analysen des fünften Kapitels ersichtlich geworden. Mechanische Verhältnisse bestimmen Objekte nur äußerlich. Ursache-Wirkungs-Verhältnisse realisieren keinen Inhalt, sondern vollziehen sich äußerlich an Objekten und setzen diesen daher zu ihrem eigenen Ablauf voraus. Sie sind Hegel zufolge formelle Verhältnisse, die das Objekt, an dem sie ablaufen, nicht tangieren. Um auf das bereits verwendete Beispiel zurückzukommen : Der Regen, der die Straße nass macht, ist die Ursache für das Nasssein der Straße. Das Nasssein ist dementsprechend Ausdruck der Nässe des Regens und damit Wirkung. Regen selbst besteht aber auch in nichts anderem als Nässe. Der Inhalt sowohl der Ursache als auch der Wirkung ist jeweils ein und derselbe, nämlich die Nässe (vgl. GW 11, 399). Das Ursache-Wirkungs-Verhältnis kommt also nicht wesentlich dem Inhalt zu, an dem es sich vollzieht. Ursache-Wirkungs-Verhältnisse lassen in diesem Sinne bestimmte Aspekte der Wirklichkeit unbestimmt, nämlich die, die sie für ihren eigenen Vollzug zur Voraussetzung haben. Zweckbeziehungen dagegen individualisieren Objekte. Es besteht also auch nach Hegel ein wesentlicher Unterschied zwischen den Weisen der begrifflichen Beziehungen, die in den jeweiligen Kausalitätsprozessen vorherrschen, doch nutzt Hegel diese Analyse der begrifflichen Beziehungen nicht um zu zeigen, dass der backward-causation-Einwand zutrifft, sondern vielmehr geben diese begrifflichen Analysen Hegel zufolge bei genauerer Be20

Vgl. auch GW, 11, 397 f. u. 400 f. sowie GW 20, 170–172, § 153 u. 209–211, § 204.

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trachtung zu erkennen, dass Ursache-Wirkungs-Verhältnisse und Zweckkausalität jeweils andere Aspekte der Wirklichkeit ausdrücken. ii) Dieser Unterschied wird auch in der Idee des Lebens selbst sichtbar. Hegel benutzt die Ursache-Wirkungs-Terminologie nicht, um lebendige Prozesse als lebendige Prozesse auszuweisen. Vielmehr stellt er dazu die Type-token-Beziehung in den Vordergrund. Diese Beziehung ist aber keine Beziehung im Sinne der causa efficiens. Der type verursacht nicht den token, d. i. das lebendige Individuum. Zur Entstehung eines lebendigen Individuums aus einem anderen sind vielmehr Abläufe kausalursächlicher Prozesse notwendig. Die Type-token-Beziehung zeichnet aber das aus, was Lebendiges erst zu Lebendigen macht : Selbstorganisation und Selbsterhaltung. Dies erlaubt es Hegel, folgende Unterscheidung zu treffen : Das Herz existiert Hegel zufolge tatsächlich aus dem Grund, dass es eine lebenserhaltende Funktion für den gesamten Organismus ausübt. Wir müssen aber deswegen nicht behaupten, dass die Wirkung des Herzens, eines tokens, schon vor der eigentlichen Realisierung dieses tokens eine kausale Rolle gespielt hat und damit die kausalursächlichen Abläufe pervertiert. Das Herz war vielmehr bereits in Organismen derselben Gattung realisiert und hat sich im Lebensprozess der Organismen als nützlich für deren Selbsterhaltung erwiesen.21 8.2.2 Der mereologische Einwand Der zweite Einwand, der bereits in der Diskussion von Kants Zweckkonzeption eine Rolle gespielt hat, ist der mereologische Einwand. Rufen wir uns auch diesen Einwand kurz in Erinnerung : Dieser Einwand richtet sich gegen die Vorstellung, dass reale Ganze eine begründende Funktion für die Existenz der Teile haben können. Diesem Einwand zufolge ist die Wirklichkeit kausalmechanisch 21

Hier ist nun die Frage naheliegend, wie eine solche Erklärung für die Entstehung von Leben selbst aussehen würde. Schließlich kann Hegel dem backward-causation-Einwand entgehen, indem er auf die jeweiligen Vorfahren einzelner lebendiger Individuen verweist. Doch was ist, wenn es keine solche Vorfahren gibt ? Mir scheint die Frage in Bezug auf Hegels Projekt falsch gestellt. Denn erstens nimmt Hegel Leben zum unhintergehbaren Ausgangspunkt seiner Untersuchung. Er geht von der Tatsache aus, dass es Leben und damit Selbstorganisation in der Natur gibt. Ihm geht es in diesem Sinne nicht um eine empirische Erklärung der Entstehung von Leben (vgl. dazu auch Kreines (2015), 105 f.). Zweitens hat sich gezeigt, dass es Hegel zufolge ohne Leben auch keine Strukturen äußerer Zweckmäßigkeit und damit auch keine Strukturen des Mechanismus geben würde. Die Frage scheint aber zu implizieren, dass es eine Wirklichkeit geben kann, die genauso strukturiert wäre, wie Hegel es vorgibt, mit der Ausnahme, dass es in dieser kein Leben geben würde. Diese Annahme teilt Hegel nicht. Die Wirklichkeitsstrukturen wären vollkommen andere, wenn es kein Leben gäbe.

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strukturiert, das Ganze wird demnach aus der Zusammensetzung der Teile begründet. Durch bestimmte Bewegungskräfte der Materie, wie etwa durch die Repulsions- und Attraktionskraft, werden Materieteile so bewegt, dass sich materielle Körper (Ganze) formieren.22 Die Eigenschaften des Ganzen gründen dabei in den Eigenschaften der Materieteile, die dieses Ganze formen. Die Teile und deren Eigenschaften begründen also das Ganze und dessen Eigenschaften. Mechanische Erklärungen sind dementsprechend reduktionistisch. Wie wir in den letzten Kapiteln sahen, verläuft die begründungslogische Beziehung zwischen Teil und Ganzem gemäß der Zweckkausalität in die entgegengesetzte Richtung. Das Ganze ist begründend für die Teile. Ein Dach etwa existiert nur als Dach, weil es Teil eines Zweckproduktes (eines Ganzen), in diesem Fall eines Hauses, ist. Ein Herz existiert nur als Herz, weil es Teil eines Zweckproduktes, in diesem Fall eines Organismus ist. In Zweckerklärungen werden dementsprechend die Teile durch das Ganze begründet. Zweckerklärungen sind im Gegensatz zu kausalmechanischen Erklärungen  – wie in 4.2.4 erläutert  – holis­tische Erklärungen. Unter der Annahme der Existenz objektiver Zweckmäßigkeit behaupten wir dann dem Einwand zufolge, dass reale Ganze die Teile konstituieren. Die Begründungsrichtung verläuft vom Ganzen zu den Teilen und verhält sich dementsprechend entgegengesetzt zu der Begründungsrichtung mechanischer Abläufe. Die Konstitution von Organismen kann dementsprechend nicht zugleich kausalmechanischen und zweckkausalen Strukturen unterliegen. Zweckerklärungen, die von Organismen als realen Zwecken ausgehen, und mechanische Erklärungen schließen sich aus. Ebenso wie bei der Diskussion des letzten Einwandes wird auch hier vor dem Hintergrund der Ausführungen in 5.2.2 ersichtlich, dass Hegel die wesentlichen Aspekte von Kants Mechanismuskonzeption übernimmt, die diesen Einwand hervorrufen. Auch Hegel zufolge kommt die Zusammensetzung eines mechanischen Objekts zu einem mechanischen Objekt durch die jeweils von Träger-Objekten mitgeteilten Kräfte zustande. Mechanische Objekte bilden sich aufgrund der Zusammensetzung der Teile, d. i. der Träger-Objekte. Diese Zusammensetzung erreicht durch ihre externe Verursachung jedoch nur den Status eines Aggre­gats, da das so bestimmte Ganze ein aus den Träger-Objekten gebildetes ist, die durch äußerliche Kräfte zusammengehalten werden. ›Äußerlich‹ bedeutet in diesem Fall, dass die Kräfte, die die Träger-Objekte zu einem Objekt zusammenhalten, die Eigenschaften dieser Träger-Objekte nicht ändern. Ebenso wie beim backward-causation-Einwand trifft auch der mereologische Einwand nicht auf die kantische Position zu, da Zwecke gemäß dieser Position an das Repräsentiert-Sein derselben durch einen Verstand gebunden sind. Auch 22

Vgl. Abschnitt 4.1.2 dieser Arbeit.

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Kant zufolge geht also zwar in der Zweckkausalität das Ganze den Teilen logisch vorher und begründet die Existenz dieser Teile. Das Ganze wird gemäß dieser Position jedoch nicht als reales Ganzes, sondern als ein ideelles Ganzes, welches an sein Repräsentiert-Sein durch einen Verstand gebunden ist, verstanden. Eben dies ist die Definition von Zweck bei Kant : Zweck heißt »das Produkt […] einer Ursache deren Bestimmungsgrund bloß die Vorstellung ihrer Wirkung ist« (KdU, AA V 408).23 Es ist die Vorstellung der Wirkung eines bestimmten vor­gestellten Gegenstandes, die mit Verstand begabte Subjekte motiviert, dieses Ganze auch real herzustellen. Da aber Zwecke generell an ihr Repräsentiert-Sein durch einen Verstand gebunden sind, haben Zweckerklärungen in der Natur nur einen subjektiv-regulativen Status. Kant muss also nicht behaupten, dass es reale Ganze gibt, die die Existenz ihrer Teile allererst begründen. Hegels primäre Zweckkonzeption dagegen ist diejenige realer Zwecke in der Wirklichkeit und da er auch hier Aspekte von Kants Mechanismuskonzeption übernimmt, die für das Vorbringen dieses Einwandes wesentlich sind, stellt sich die Frage, was Hegel diesem Einwand eigentlich entgegenzusetzen hat. Vor dem Hintergrund des in dieser Arbeit Ausgeführten wird ersichtlich, dass sich dieser Einwand für Hegel nicht stellt, da er eine Voraussetzung ablehnt, die die implizite Grundlage dieses Einwandes bildet : Kausalmechanische Strukturen bestimmen alle Aspekte der Wirklichkeit. Kausalmechanische Strukturen kommen nach Hegel nur einem Aspekt der Wirklichkeit zu und dort gelten sie lückenlos. Zu ihrem eigenen Ablauf sind kausalmechanische Strukturen jedoch sogar von teleologischen Strukturen abhängig, die wiederum andere Aspekte der Wirklichkeit bestimmen.24 Auch der mereologische Einwand muss also für Hegel i) auf einer Art Katego­ rienverwechslung beruhen. Er macht sich ihm dementsprechend ii) auf der Ebene der positiven Darlegung der Strukturen des Lebendigen nicht schuldig.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass das mereologische Problem für Kant gar keine Rolle mehr spielt. Es wird in den Antinomien und deren Auflösung abgehandelt  – jedoch nicht auf konstitutiver, sondern auf regulativer Ebene. Denn wie ich bereits mit Hegel (Abschnitt 5.1.2) betont habe, sind wir in der kantischen Zweckkonzeption dennoch dazu aufgefordert, eine zwar regulative, aber doch widersprüchliche Haltung gegenüber bestimmten Naturgegenständen einzunehmen. Wir werden dazu veranlasst, ihre Konstitution einerseits mechanisch zu beurteilen und andererseits zweckkausal. Kant sucht meiner Lesart zufolge diesem Problem in der Auflösung der Antinomie der teleologischen Urteilskraft zu begegnen. Hegel hat also recht darin, dass das Problem des Widerspruchs zwischen kausalmechanischen und zweckkausalen Erklärungen nicht gelöst ist, wenn wir beide als regulative Maximen ansehen (vgl. GW 12, 158). Ich denke nur nicht, dass dies eine berechtigte Kritik an Kant ist, da Kant selbst die regulativen Maximen als nicht konsistent zueinander fasst und diesen Widerspruch in der Antinomie der teleologischen Urteilskraft aufzulösen sucht. 24 Vgl. Kapitel fünf dieser Arbeit, insbesondere 5.2.3. 23

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i) Zwar kann man Lebendiges Hegel zufolge auch gemäß den Verhältnissen von Teilen und Ganzen beschreiben, doch kommt diese Beschreibung nicht dem Lebendigen als Lebendigem zu, sondern es kommt ihm nur insofern zu, als Lebendiges auch mechanisches Produkt ist : »Weil nun diese Objectivität [die mechanische, K.K.] Prädicat des Individuums und in die subjective Einheit aufgenommen ist, so kommen ihr nicht die frühern Bestimmungen des Objects, das mechanische oder chemische Verhältniß, noch weniger die abstracten Reflexionsverhältnisse von Ganzem und Theilen u.dgl. zu. Als Aeusserlichkeit ist sie solcher Verhältnisse zwar fähig, aber insofern ist sie nicht lebendiges Daseyn ; wenn das Lebendige, als ein Ganzes, das aus Theilen besteht, als ein solches, auf welches mechanische oder chemische Ursachen einwirken, als mechanisches oder chemisches Product, es sey bloß als solches oder auch durch einen äusserlichen Zweck bestimmtes genommen wird, so wird der Begriff ihm als äusserlich, es wird als ein Todtes genommen.« (GW 12, 183 f.)

Dieses Zitat lässt sich wie folgt erläutern : Wie in der von Kant übernommenen hegelschen Konzeption des Mechanismus impliziert diese Konzeption die Selbstständigkeit der Teile – ein Teil kann auch außerhalb des Zusammenstehens in einem Ganzen existieren. Diese Mechanismus-Konzeption besteht darin, dass Ganze und die Eigenschaften von Ganzen letztlich reduktionistisch auf die Teile und ihre Eigenschaften zurückgeführt werden können.25 Im Lebendigen ist jedoch diese Art von Selbständigkeit nicht gegeben. So haben wir im sechsten Kapitel gesehen, dass eine abgeschlagene Hand Hegels Argumentation zufolge im strengen Sinne keine Hand mehr ist, sondern zu einem reinen mechanischen Produkt wird. Die Hand verhält sich also nicht wie ein Teil zum Ganzen, sondern sie ist ein Glied des Organismus (vgl. GW 12, 184). Die Existenz der Hand ist im Gegensatz zur Existenz von mechanischen Teilen 25

Genau genommen besteht das mechanische Verhältnis Hegel zufolge nur in seiner »oberflächlichen Form […] darin, daß die Theile als selbstständige gegen einander und gegen das Ganze sind« (GW 20, 160, § 136). Denn wie im fünften Kapitel gezeigt, ist ein Teil selbst wieder ein Objekt, das aus weiteren Teilen besteht. Hegel verwendet daher im Mechanismus­ kapitel zum Beschreiben mechanischer Objekte nicht die Termini ›Teil‹ und ›Ganze‹, sondern er spricht von Objekten, die wiederum aus Objekten bestehen (ich hatte um der Klarheit willen die Termini ›Objekte‹ und ›Trägerobjekte‹ verwendet). Diese Dialektik ist jedoch für Hegel bereits in dem Teil-Ganzes-Verhältnis angelegt. So beschreibt er das Verhältnis von Teil und Ganzem in dem entsprechenden Kapitel der Logik als eines, in welchem »Ganzes und Theile […] nemlich eben so wesentlich auf einander bezogen [sind] und […] nur Eine Identität aus[machen], als sie gleichgültig gegen einander sind und selbstständiges Bestehen haben« (GW 11, 358). Ob etwas Ganzes oder Teil ist, hängt von der jeweiligen Betrachtung ab ; »[d]er Theil […] so für sich, ist […] nicht Theil, sondern das Ganze« (GW 11, 359). Zu Hegels Darstellung des Teil-Ganzes-Verhältnisses siehe Heidemann (2018), 373–377.

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im Ganzen, im Organismus (seinem type), begründet. Eine Hand hört dementsprechend auf, eine Hand zu sein, wenn sie vom Organismus abgeschlagen wird, weil die Eigenschaften, die die Hand wesentlich ausmachen, sich durch das Abschlagen derselben ändern. Die Haut der Hand reproduziert bzw. erneuert sich beispielsweise nicht mehr, sondern sie wird durch mechanische Prozesse zersetzt, sie verwest. Die im fünften Kapitel eingeführte ›Gleichgültigkeit‹26, die Hegel den mechanischen Teilen zuschreibt, kommt den Gliedern eines Organismus also nicht zu.27 Ebenso ist das Verhältnis des Organismus zu seiner Umwelt keines der Gleichgültigkeit wie im Falle mechanischer Teile. Vielmehr assimiliert der Organismus seine Umwelt, er macht sie sich zu eigen, indem er sie einerseits äußerlich zweckmäßig formt und sich ihr andererseits aber auch aktiv anpasst. Als Beispiel dieses Formens galt im sechsten Kapitel der Nestbau von Vögeln. Als Beispiel des Sich-Anpassens habe ich hervorgehoben, dass es von der spezifischen Umwelt abhängig ist, in welcher der Organismus sich bewegt, welche Glieder ein Organismus hat.28 Ein Fisch hat beispielsweise keine Lungen, sondern Kiemen, da Lungen der Aufnahme von Luft dienen und nicht von Wasser. Die Glieder eines Organismus beziehen sich in diesem Sinne nicht nur wechselseitig auf sich selbst, sondern stehen auch in einem konstitutiven Bezug zu seiner Umwelt.29 ii) Zwar geht Hegel von einer realen Zweckkausalität in der Wirklichkeit aus, die nicht an einen Verstand gebunden ist. Der den individuellen Organismus begründende type ist jedoch nicht so zu verstehen, als stünde er in einer TeilGanzes-Beziehung zu seinem token. Der type existiert nicht unabhängig vom token, noch existiert der token unabhängig vom type. Der type kann sich so zum Beispiel über die auf die token wirkenden Umwelteinflüsse ändern. Hegel muss dementsprechend von einer dynamischen Abhängigkeitsbeziehung zwischen type und token ausgehen.

Vgl. Abschnitt 5.2.2. Für eine solche These argumentiert auch Lindquist. Lindquist vertritt jedoch die These, dass es bei der Idee des Lebens, um einen bestimmten »account of a form of thinking« (Linquist (2018), 402) handelt, den wir in Erfahrung mit Lebendigen entwickeln. Hier ist einerseits nicht klar, welcher Status dieser »form of thinking« dann wirklich zukommt, und andererseits geht es Hegel doch auch um den reflexiven Selbstbezug, gemäß dem wir uns selbst als Lebendige begreifen müssen können. Dieser Gedanke bleibt bei Lindquist vollkommen außen vor. 28 Vgl. Abschnitt 6.1.3. 29 Diese Darstellung ist insofern keineswegs question begging, als Hegel auch ein immanentes Argument gegen das Bestehen allein mechanischer Strukturen in der Wirklichkeit angeführt hat ; vgl. Abschnitt 5.2. 26

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8.3 Die Konzeptionen der äußeren und der inneren Zweckmäßigkeit Hegel übernimmt von Kant die Bezeichnungen »äußere« und »innere Zweckmäßigkeit« und lobt Kant dafür, auf diesen Unterschied aufmerksam gemacht zu haben (vgl. GW 12, 157). Hegels Lesart zufolge kommt Kant das Verdienst zu, die Zweckkonzeption von Aristoteles »wieder erweckt« (GW 20, 210, § 204) zu haben.30 Dieses Lob Hegels wird vor dem in dieser Arbeit explizierten Hintergrund verständlich, denn es ist die Konzeption innerer Zweckmäßigkeit, die Hegel zum Ausgangspunkt seines eigenen philosophischen Programms nimmt und auf Grundlage derer sich Hegels Ausführungen als Fundierung der gesamten kantischen Zweckkonzeption verstehen lassen. Hegels Aufgreifen der von Kant vorgenommenen Unterscheidung zwischen äußerer und innerer Zweckmäßigkeit sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei Hegel die Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit eine Bedeutungsverschiebung erfährt. Sie wird insofern erweitert, als Hegel Kants primäre Zweckkonzeption unter diese Form der Zweckmäßigkeit fasst. Über diese Erweiterung wird die These von Hegels Ausführungen als Fundierung der gesamten kantischen Zweckkonzeption allererst verständlich. 8.3.1 Die Konzeption innerer Zweckmäßigkeit Im Abschnitt 6.1.3 habe ich dafür argumentiert, dass Hegels Konzeption innerer Zweckmäßigkeit an die kantische Konzeption produktiv anschließt. Hegel übernimmt demnach die beiden von Kant freigelegten Bedingungen, die erfüllt sein müssen, wenn einem Naturgegenstand die Struktur innerer Zweckmäßigkeit zukommen soll : Zum einen muss das Ganze eine begründende Funktion für die Teile innehaben (erste Bedingung) und zum anderen muss das Ganze auf 30

Zum einen setzt diese Lesart voraus, dass Kant mit dem Begriff der inneren Zweckmäßigkeit dieselbe Zweckkonzeption wie Aristoteles entwickelt hat. Dass Kant nun einen zumindest impliziten Bezug zu Aristoteles herstellt, scheint gut begründet. Wie nah sich beide Zweckkonzeptionen jedoch tatsächlich sind, wäre Aufgabe einer eigenen Untersuchung. Zum anderen setzt diese Lesart voraus, dass diese Zweckkonzeption in der Philosophiegeschichte nach Aristoteles nicht weiter berücksichtigt worden ist und dass vor allem diejenigen Philosophen, die Hegel als Vertreter allein der Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit im Blick hat, die Zweckkonzeption Aristoteles’ nicht aufgenommen und verarbeitet haben. Kurzum : Sie verfolgten Hegel zufolge nur eine Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit, d. i. eine Konzeption von Zweckmäßigkeit, der zufolge Zwecke der cognitio-Bedingung, der Bedingung, dass Zwecke subjektiv repräsentiert, d. i. von einem Verstand gedacht werden müssen, genügen müssen. Gegen die These, dass vor allem die Philosophen der frühen Neuzeit nur eine an der äußeren Zweckmäßigkeit orientierte Zweckkonzeption vertraten, wendet sich überzeugend Schmid ; vgl. Schmid (2011).

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eine solche Weise eine begründende Funktion für die Teile innehaben, dass die Teile eine Einheit formen aufgrund der Kausalverhältnisse, denen sie unterliegen (zweite Bedingung). Ein solcher Naturgegenstand muss demnach so gedacht werden, dass er in sich selbst zweckmäßig ist und zum Grund seiner Wirklichkeit gerade keiner subjektiv-intentionalen Zweckkausalität bedarf.31 Hegel akzeptiert nun die bereits in Kant liegende These, dass Aktivität und Selbsterhaltung begrifflich Zweckkausalität implizieren, er akzeptiert jedoch nicht, dass die innere Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes nur in derivativer Form gedacht werden kann. Kant entwickelt zwar den Gedanken einer basaleren Art der Zweckkausalität, verschließt sich ihr Hegel zufolge jedoch, da die weitere Herleitung des noch »etwas uneigentliche[n] und unbestimmte[n] Ausdruck[s]« (KdU, AA V 372) des Naturzwecks auf Vorannahmen aufbaut, die Hegel zufolge als Voraussetzung in Kants Zweckanalyse eingehen, aber ihr nicht inhärent sind. Zu diesen Vorannahmen gehört der im letzten Abschnitt explizierte Rahmen einer Transzendentalphilosophie sowie die Vorannahme des Mechanismus als alleinige alle Aspekte der Natur bestimmende Struktur. Wie wir zum einen jedoch im letzten Abschnitt sahen, zieht Hegel die Möglichkeit der Durchführung der Transzendentalphilosophie in Zweifel. Zum anderen habe ich im Abschnitt 6.1.3 mit Hegel dafür argumentiert, dass die These der Gebundenheit von Zwecken an einen Verstand nicht selbst Bestandteil der Bedingungen ist, die zum Vorliegen von Zweckkausalität erfüllt sein müssen. Das sich in den Bedingungen zum Vorliegen von Zweckkausalität ausdrückende Type-token-Verhältnis kann auch erfüllt sein, ohne auf die Konzeption intentionaler, subjektiver Zweckkausalität zurückgreifen zu müssen. Auch wenn es nun zunächst nahezuliegen scheint, denke ich also nicht, dass Kant hier vorgeworfen werden kann, nach der Exposition des Naturzweckbegriffs auf seine vermeintlich alte Position, d. i. auf diejenige, gemäß derselben Zwecke repräsentiert werden müssen, zurückzufallen, wie es beispielsweise Khurana behauptet.32 Kant unterläuft mit seiner Naturzweckkonzeption nicht seine eigentliche Zweckkonzeption, da er die Position niemals verlassen hat, gemäß derer Zwecke subjektiv repräsentiert werden müssen. Denn die zunächst hergeleitete Definition eines Naturzwecks als Ursache und Wirkung seiner selbst ist für Kant vielmehr ein viel zu unbestimmter Ausdruck, als dass wir diesen tatsächlich verstehen könnten. Das Artefakte-Modell bleibt daher dasjenige Modell, anhand dessen der Begriff des Naturzwecks hergeleitet wird.33 Wie im Abschnitt 8.2.2 dieser Arbeit angedeutet, bedeutet dies aber auch insofern eine Transformation dieser Beziehung, als die Teile nicht als Teile, sondern als Glieder verstanden werden müssen. 32 Vgl. Khurana (2017), 96 f. 33 Diese These vertritt auch Illetterati : »[…] even if technical-practical purposiveness is con31

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Letzterer These Kants würde Hegel insofern selbst zustimmen, als er das Ursache-Wirkungs-Vokabular für eine Beschreibung von Zweckkausalität für unangemessen hält. So kann der Zweck zwar »wohl auch als Kraft und Ursache bestimmt werden, aber diese Ausdrucke erfüllen nur eine unvollkommene Seite seiner Bedeutung« (GW 12, 160). Aus den in dieser Arbeit vorgenommenen Begriffsanalysen zur Ursache-Wirkungs-Beziehung und zur Zweckkausalität geht hervor, dass das reproduzierende Moment, welches Hegel der Zweckkausalität zuschreibt, in Ursache-Wirkungs-Beziehungen gar nicht enthalten ist. Es ist die weitere Herleitung des Naturzweckbegriffs, in der Hegel zufolge die Vorannahmen Kants zum Tragen kommen, da diese Herleitung bei Kant nicht anders geschehen kann als dadurch, dass der so unbestimmte Ausdruck von einem bestimmteren Begriff des Zwecks, d. i. von Kants primärer Zweckkonzeption, hergeleitet wird. Der Naturzweckbegriff ist gegenüber Kants eigentlicher Zweckkonzeption in diesem Sinne als ein derivativer Begriff bestimmt. Und in der Ableitung sehen wir Kant zufolge, dass die bestimmte Anwendung des Naturzweckbegriffs auf Naturgegenstände fehlgehen muss, was wiederum die Unverständlichkeit dieses Begriffs begründen soll. Hegels Bemühen um den Nachweis der Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit ist gegen Kants Agnostizismus gewendet. Sie greift Kants gegebene Bedingungen für das Vorliegen realer Zweckkausalität in der Natur auf und weist deren Erfülltsein nach. Dadurch wird die kantische Konzeption des Naturzweck­ begriffs jedoch auch transformiert. Denn zum einen kann man Hegel zufolge – wie bereits gezeigt – das Type-token-Verhältnis nicht als Teil-Ganzes-Verhältnis begreifen. Und zum anderen evoziert der Begriff des Naturzwecks das Bild des Zusammenkommens zweier Arten der Kausalität – der Naturkausalität, d. i. des Mechanismus, und der Kausalität aus Freiheit, d. i. der subjektiv-intentionalen Zweckkausalität. Beide Arten von Kausalität machen aber Hegel zufolge die sich in der inneren Zweckmäßigkeit ausdrückende Kausalität nicht aus, sondern sie sind selbst nur möglich, aufgrund der Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit. sidered by Kant only as analogous with purposiveness in nature, it is still the model he uses to analyze the internal purposiveness of self-organized structures« (Illetterati (2014), 92 f.). Illetterati diagnostiziert jedoch eine Spannung in dieser Unterscheidung Kants, da Kant durch sie einerseits hervorhebe, dass Lebendiges nicht auf Artefakte reduziert werden könne und andererseits aber allein unserer technisch-praktischen Zweckmäßigkeit explanatorische Relevanz zuschreibe (Illetterati (2014, 93 f.). Mir ist allerdings nicht ganz klar, worin hier die Spannung Illetterati zufolge genau liegt. Aus Kants Thesen zum Verhältnis von technisch-praktischer und innerer Zweckmäßigkeit mag eine – heutzutage vielleicht eher unplausible – These folgen, nämlich die, dass der Untersuchungsgegenstand der Biologie letztlich nicht zureichend bestimmt werden kann und sie daher Kant zufolge keine wirkliche Wissenschaft sein kann. Eine Spannung im Argumentationsgang Kants sehe ich hier allerdings nicht.

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Der Begriff ›Naturzweck‹ bildet demgemäß keinen Bestandteil von Hegels eigener Terminologie. Hegel macht es sich dagegen zur Aufgabe, eine Antwort auf Kants Agnosti­ zismus zu geben, die innerhalb des kantischen Rahmens nicht gegeben werden kann, die aber Kants Analyse der Bedingungen, die erfüllt sein müssen, um einen Gegenstand als innerlich zweckmäßig zu beurteilen, aufgreift und ausbuchstabiert, ohne auf die kantischen Vorannahmen zurückzugreifen, die in die Deutung dieser Bedingungen bei Kant miteingehen. Hegel macht sich dafür das Type-token-Bedingungsverhältnis zunutze, dass Kants Analysen innerer Zweckmäßigkeit, d. i. den beiden dargelegten Bedingungen, inhärent ist und zeigt, dass diese Bedingungen genau dann erfüllt sind, wenn es sich erhaltende Organismen in der Natur gibt.34 Hegel entwickelt das Prinzip innerer Zweckmäßigkeit also zwar unter anderen Rahmenbedingungen als Kant, dennoch nimmt er Kants Bedingungen, die zur Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit erfüllt sein müssen, zur Entwicklung seiner Konzeption innerer Zweckmäßigkeit auf. Wie im sechsten Kapitel gezeigt, avanciert die Zweckkonzeption innerer Zweckmäßigkeit zu Hegels primärer Zweckmäßigkeitskonzeption, von der das, was Hegel unter äußerer Zweckmäßigkeit versteht, abgeleitet wird. 8.3.2 Die Konzeptionen äußerer Zweckmäßigkeit Anhand der jeweiligen Konzeptionen äußerer Zweckmäßigkeit in Kant und Hegel lässt sich nun die These der hegelschen Zweckkonzeption als Fundierung der kantischen explizieren. Für eine kurze Zusammenfassung von Kants Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit greife ich im Folgenden auf die Ergebnisse des Abschnittes 4.2.1 zurück. Das Hauptcharakteristikum der kantischen Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit besteht darin, dass sie sich nicht auf die Konstitution von Gegenständen bezieht. Die Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit bezieht sich allein auf die Nützlichkeit bzw. Zuträglichkeit bestimmter Ereignisse für das Gedeihen bestimmter Naturgegenstände. Sie erklärt nicht deren Existenz, sondern setzt diese voraus. Im Gegensatz zu Urteilen innerer Zweckmäßigkeit drücken Urteile äußerer Zweckmäßigkeit zum einen also nicht aus, dass die Dinge, die wir in diesen 34

Die Existenz sich selbst erhaltender Organismen ist meiner Lesart zufolge bei Kant gerade nicht gewährleistet, sondern selbst Teil der subjektiven Beurteilung bestimmter Naturgegenstände. Dies ist jedoch eine Konsequenz des Status, den Kant dem Naturzweckbegriff aufgrund seiner Unverständlichkeit zugesprochen hat, und keine Konsequenz des Type-­ token-Verhältnisses, das der Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit zugrunde liegt.

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Urteilen als Mittel bezeichnen, nur möglich sind, weil sie eine Mittel-Funktion besitzen : »Mithin ist die objektive Zweckmäßigkeit, die sich auf Zuträglichkeit gründet [d. i, die äußere Zweckmäßigkeit, K.K.], nicht eine objektive Zweckmäßigkeit der Dinge an sich selbst, als ob der Sand für sich, als Wirkung aus seiner Ursache, dem Meere, nicht könnte begriffen werden, ohne dem letzteren ein Zweck unterzulegen und ohne die Wirkung, nämlich den Sand, als Kunstwerk zu betrachten.« (KdU, AA V 368)

Die Beurteilung von Dingen als äußerlich zweckmäßig – wie die Beurteilung des Sandbodens als Mittel zur Entstehung von Fichtenwäldern – trägt nichts zur Erklärung der Existenz dieser Dinge, wie etwa des Sandbodens, bei. In Anbetracht einer Erklärung der Existenz des Sandbodens verhält es sich Kant zufolge vielmehr zufälligerweise so, dass dieser Sandboden dem Gedeihen von Fichtenwäldern zuträglich ist. Die in der Natur ablaufenden Ursache-Wirkungs-Ketten haben sich zufälligerweise als zweckmäßig für das Entstehen von Fichtenwäldern gezeigt. Urteile äußerer Zweckmäßigkeit setzen Kant zufolge Urteile innerer Zweckmäßigkeit voraus. Wir beurteilen bestimmte in der Natur ablaufende UrsacheWirkungs-Verhältnisse nur dann als zweckmäßig, wenn wir sie in Bezug auf einen Gegenstand beurteilen, den wir bereits als Naturzweck bestimmt haben. So beurteilen wir Steine, aus denen sich Gebirge anhäufen, nicht als Mittel zum Zweck, da wir Gebirge selbst nicht als Naturzwecke beurteilen. Anders verhält es sich bei dem Entstehen des Sandbodens durch den Rückgang des Meeres, der sich auf das Wachstum von Fichtenwäldern auswirkt. Denn Fichten beurteilen wir als Naturzwecke. Mit Kant gesprochen sieht »man […] leicht ein, daß die äußere Zweckmäßigkeit (Zuträglichkeit eines Dinges für andere) nur unter der Bedingung, daß die Existenz desjenigen, dem es zunächst oder auf entfernte Weise zuträglich ist, für sich selbst Zweck der Natur sei […]« (KdU, AA V 368 f.). Urteile äußerer Zweckmäßigkeit sind demnach bedingt durch Urteile innerer Zweckmäßigkeit, in welchen wir Zweckkausalität als Grund für die Existenz eines Naturgegenstandes anführen. Vor diesem Hintergrund ist es offensichtlich, dass Hegels Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit zwar terminologisch an diejenige Kants anschließt, aber nicht in dieser aufgeht. Die kantische Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit als zufällige Zuträglichkeit bestimmter Ursache-Wirkungs-Verhältnisse für bestimmte Naturgegenstände zieht Hegel so nicht in Betracht. Es sind mir keine Stellen bekannt, an denen er äußere Zweckmäßigkeit auf diese Weise bestimmt. Das liegt meiner Lesart zufolge daran, dass Hegel – wie bereits erwähnt – nicht danach fragt, wie sich auf Grundlage eines kausalmechanischen Weltbildes

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Zweckkausalität zu diesem verhält. Er dreht die Perspektive vielmehr um und fragt danach, in welchem Zusammenhang mechanische Strukturen zu Zweckstrukturen stehen, die ihren Ausgang an der Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit nehmen. Die Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit erhält dadurch einen anderen Fokus : Äußere Zweckmäßigkeit von natürlichen Prozessen zueinander ist nicht eine sich zufällig ergebene Zweckmäßigkeit, sondern sie nimmt ihren Ausgang von der Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit und ist damit auch vielmehr ein aktives Geschehen, das von dem Organismus selbst ausgeht. So beschreibt Hegel zum Beispiel Nester als Produkte äußerer Zweckmäßigkeit ; der Organismus ist tätig geworden und hat seine Umwelt assimiliert, indem er sie äußerlich zweckmäßig für sich macht. Die äußerliche Zweckmäßigkeit wird durch »die Thätigkeit des Subjects in dem gleichgültigen Object […] hervorgebracht« (GW 12, 188). Zweckkausalität bezeichnet Hegel in diesem Sinne als eine »Thätigkeit nach außen« (GW 24,1, 738). Dementsprechend erweist sich für Hegel die Entstehung des Sandbodens nicht als zufällig zweckmäßig für das Wachsen von Fichten, sondern Fichten haben sich an bestimmte Witterungsverhältnisse derart angepasst, dass fruchtbarer Sandboden ihrem Wachstum besonders zuträglich ist. Organismen eignen sich ihre Umwelt also derart an, dass sie zweckmäßig für diese wird. Besonders deutlich wird dies in dem Fall äußerer Zweckmäßigkeit, den ich als den paradigmatischen Fall der hegelschen Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit beschrieben habe : an der subjektiven, intentionalen Zweckmäßigkeit von Menschen bzw. vernünftiger Subjekte. Menschen bauen zum Beispiel Getreide an, damit es wächst, und nutzen dabei bestimmte Jahreszeiten aus. Der Verlauf der Jahreszeiten wird dabei zweckmäßig für das Anbauen von Getreide. Die Umwelt, wie der Regen, der zu einer bestimmten Jahreszeit vermehrt fällt, ist zweckmäßig, weil Menschen sich den Jahreszeiten im Anbau von Getreide bewusst angepasst haben. Dieser andere Zugang Hegels droht unter den Teppich gekehrt zu werden, wenn der Ausdruck ›äußere Zweckmäßigkeit‹ bei Kant und Hegel synonym verwendet wird.35 Der für Hegel paradigmatische Fall äußerer Zweckmäßigkeit ist so auch kein Fall äußerer Zweckmäßigkeit bei Kant. Die Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit ist in Kants Überlegungen ein bestimmter Sonderfall zweckmäßiger Be35

Zuletzt zum Beispiel bei Ng ; vgl. Ng (2020), 52 f. Ng begründet die Zugehörigkeit des Artefakte-Modells zu äußerer Zweckmäßigkeit dadurch, dass wir zum Beispiel Häuser auch als Mittel nutzen und dass äußere Zweckmäßigkeit eben diese Nutzbarkeit des Materials für unsere Zwecke ausmacht. Dies ist meiner Lesart zufolge bereits Hegels Deutung der Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit bei Kant. Kants Herleitung des Naturzweckbegriffs aus dem Artefakte-Modell, die gegen diese Gleichsetzung von äußerer Zweckmäßigkeit und Artefakte-Modell spricht, findet bei Ng jedoch keine Erwähnung.

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schreibungen der Natur, der vor dem Hintergrund seiner primären, d. i. seiner intentionalen Zweckkonzeption entwickelt wird. Gemäß Letzterer setzen Zweckobjekte die subjektive Repräsentation derselben in einem Verstand voraus. So werden auch die Zweckmäßigkeitsprinzipien der reflektierenden Urteilskraft stets in Analogie zu dieser unserer praktisch-technischen Zweckmäßigkeit gedacht. Wie wir im dritten Kapitel dieser Arbeit gesehen haben, leitet Kant den Zweckmäßigkeitsbegriff in Analogie zur intentionalen Zwecktätigkeit eines Verstandes und damit in Analogie zum Artefakte-Modell her (vgl. KdU, AA V 181).36 Und in Bezug auf die Konzeption innerer Zweckmäßigkeit dient die Analogie zum Artefakte-Modell bei Kant dazu, sich Beschreibungsmodelle der Existenz eines zweckmäßigen Naturgegenstandes herzuleiten (auch wenn sie darin in Bezug auf Naturgegenstände letztlich fehlgeht). Dies bedeutet jedoch nicht, dass Hegel Kants gesamte am Artefakte-Modell orientierte Zweckkonzeption willkürlicherweise unter den Begriff äußerer Zweckmäßigkeit fasst. Vielmehr gilt für Hegel Kants primäre Zweckkonzeption, die subjektiv-intentionale, als Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit, insofern sie eine bloß formelle Veränderung der Dinge hervorbringt und sich im strengen Sinne gerade nicht auf die Existenz von Gegenständen bezieht. Zwar begründen wir anhand dieser Zweckmäßigkeit die Existenz von Artefakten wie beispielsweise Häusern, doch gerade in diesem Beispiel hat sich gezeigt, dass Lebewesen in ihrer äußerlichen Zwecktätigkeit die Form der Dinge verändern, aber nicht im substantiellen Sinne neue Gegenstände schaffen.37 Das Haus bleibt ein mechanisch Zusammengesetztes, und zwar aus mechanischen Objekten. Ein Dach existiert zwar nur als Dach, weil es Mittel zur Existenz des Hauses ist. Wie ich im sechsten Kapitel dieser Arbeit festgehalten habe, bedeutet dies aber nicht, dass die Steine, die das Dach ausmachen, existieren, weil sie Teil des Hauses sind. Dies habe ich gerade als wesentlichen Unterschied zur Kausalität der inneren Zweckmäßigkeit festgehalten ; ein Herz existiert als Herz, weil es Mittel zur Existenz des Organismus ist. Das Herz existiert in einem Organismus, weil es eine bestimmte Funktion für den Organismus einnimmt, der selbst kein mechanisch zusammengesetztes Objekt ist, dem Zweckmäßigkeit auf irgendeine Weise übergestülpt wird. Organische Materie ist dem Organismus nicht nur besonders zuträglich, sondern sie existiert auch nur im und zum Zwecke des Organismus. In der Nachschrift von Griesheim zu Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Natur steht dieses Merkmal äußerer Zweckmäßigkeit sehr pointiert wie folgt : Vgl. Abschnitt 3.3.1 dieser Arbeit. Dies impliziert nicht, dass alles von subjektiv-intentional agierenden Subjekten Geschaffenes so zu verstehen ist. Wesentlich anders verhält es sich Hegel zufolge zum Beispiel bei intersubjektiv geschaffenen Institutionen wie etwa Staaten.

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»Im Lebendigen ist dieß so vorhanden, daß es thätig ist, äusserliche Dinge formt, sie jedoch in ihrer Äußerlichkeit läßt, und sie aber an sich ihre Beziehung auf den Begriff haben, wodurch sie dann als zweckmässiges Mittel für das Lebendige erscheinen. Hierher gehört, daß die Thiere sich Nester bauen, Lager zubereiten, Vorrath sammeln.« (GW 24,1, 738, m.Herv.)

In diesem Sinne ist es aus Hegels Perspektive durchaus gerechtfertigt, Kants primäre Zweckkonzeption als Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit zu bezeichnen. Denn Kant zufolge bezieht sich die äußere Zweckmäßigkeit nicht auf die Existenz von Gegenständen, sondern auf die Zuträglichkeit bestimmter Dinge für andere Dinge. Gesteht man Hegel jedoch einmal diesen Punkt zu, so kann Hegel mit Kant gegen Kant argumentieren, dass die äußere Zweckmäßigkeit die innere Zweckmäßigkeit voraussetzt. So wie Kant dafür argumentiert, dass Urteile äußerer Zweckmäßigkeit nur möglich sind aufgrund von Urteilen innerer Zweckmäßigkeit, so kann Hegel nun – nur auf einer nicht-epistemologischen Ebene – für sich beanspruchen, dass äußere Zweckmäßigkeit innere Zweckmäßigkeit voraussetzt. Da er Kants primäre Zweckkonzeption als eine der äußeren Zweck­ mäßigkeit versteht, muss diese ihre Fundierung in der Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit finden.38 Man kann hier vielleicht immer noch fragen, ob die Bezeichnung ›Fundierung‹ wirklich angemessen ist für das, was ich bisher beschrieben habe. Handelt es sich bei meiner Lesart von Hegels Position nicht vielmehr um eine Aufnahme und Korrektur der kantischen Zweckkonzeption ? Eine Fundierung einer Zweckkonzeption würde doch bedeuten, dass die kantische Zweckkonzeption besser begründet und in diesem Sinne begrifflich abgesichert und gerade nicht korrigiert wird. Hier scheint also doch eine grundsätzliche Spannung zu bestehen. Das, was ich hier mit ›Fundierung‹ meine, gilt es also zu präzisieren. Ich habe dafür argumentiert, dass Hegel keine Revision der Kriterien selbst vornimmt, die Kant zufolge zur äußeren Zweckmäßigkeit vorliegen müssen, und dass er insofern in einer begrifflichen Kontinuität zu dieser Konzeption Kants steht, als er diese Kriterien übernimmt. Mit der Aufnahme dieser Kri38

Kreines liest Kants und Hegels Überlegungen zur Rolle und zum Status von Teleologie dagegen als jeweils alternative Vorschläge. Er bleibt daher in der Frage, welcher der beiden Ansätze der tatsächlich überzeugendere ist, neutral ; vgl. Kreines (2008), 347 u. Kreines (2015), 30 u. 109. Zu dieser Kritik an Kreines siehe auch Lindquist (2018), 381 f. Unter Voraussetzung der Richtigkeit meiner Argumentation jedoch hat Hegel zwar insofern einen zu Kants Ansatz alternativen Ansatz, als Hegel selbst keine Transzendentalphilosophie betreibt. Dennoch sind die Zweckkonzeptionen insofern keine Alternativen, als Hegel aufzeigt, inwiefern die kantische Zweckkonzeption zu voraussetzungsreich bleibt und eines Fundaments bedarf.

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terien geht zwar eine Korrektur der Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit einher. Diese Korrektur erlaubt es Hegel aber zugleich, Voraussetzungen der kantischen primären Zweckkonzeption freizulegen, die ihrerseits noch – auch bei Kant – eingeholt werden müssen und die Hegel mit seiner Argumentation für die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit einholt. Er sucht dabei einen wesentlichen Aspekt der kantischen Zweckkonzeption zu fundieren, während er sich von anderen wesentlichen Aspekten wie etwa dem, was Kant unter äußerer Zweckmäßigkeit fasst, sowie von dem erkenntnistheoretischen Status, den Kant dieser Konzeption gegeben hat, abgrenzt. Dabei nimmt Hegel eine begriffliche Stabilisierung der kantischen primären Zweckkonzeption vor, dessen Notwendigkeit erst durch seine Korrektur der Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit sichtbar wird. Wenn jemand aber einen bestimmten Gegenstand, und sei es auch nur einen bestimmten, aber wesentlichen Aspekt dieses Gegenstandes, auf eine solche Art und Weise durchdenkt, dass in der Korrektur begriffliche Voraussetzungen der Ausgangsposition sichtbar werden, die dann durch das gründlichere Durchdenken zugleich untermauert werden, ist die Rede von einer Fundierung gerechtfertigt.

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9. Schluss

Z 

iel dieser Arbeit war es, Kants und Hegels Zweckmäßigkeitskonzeption in ein Verhältnis zu setzen, sie zu diskutieren und dabei die These zu begründen, dass Hegels Ansatz als Fundierung der kantischen Zweckmäßigkeitskonzeption verstanden werden kann. Dafür galt es zunächst, die Zweckmäßigkeitskonzeptionen beider Ansätze freizulegen und deren Status im jeweiligen Ansatz zu diskutieren. Im kantischen Ansatz habe ich zunächst den nur regulativ-subjektiven Status der Zweckmäßigkeitsprinzipien hervorgehoben. Sie sind Prinzipien, anhand derer wir ein Bild der Natur gewinnen, das wir der Natur selbst nicht objektiv zuschreiben können. Dem Prinzip der subjektiv-formalen Zweckmäßigkeit der Natur kommt dabei jedoch auch ein transzendentaler Status zu, und zwar insofern, als es als Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung ausgewiesen werden muss. Im Gegensatz dazu ist das Prinzip der inneren Zweckmäßigkeit kein transzendentales Prinzip, dennoch nicht minder bedeutsam : Dass die Natur selbst uns zur Anwendung des Prinzips innerer Zweckmäßigkeit veranlasst, ist nicht so sehr als Bedrohung der Einheit der Natur zu lesen, sondern vielmehr als Ausgangspunkt der Schaffung einer Einheit der Natur, in welcher wir uns selbst in dieser als in Zwecken denkende und tätige Wesen verstehen können. Das Prinzip innerer Zweckmäßigkeit erhält dann nicht in dem Sinne Bedeutsamkeit, als es eine Bedingung der Möglichkeit für Erfahrung darstellt, sondern es ist bedeutsam in Bezug auf unser eigenes Selbstverständnis als vernünftige und natürliche Wesen. Erst durch die Beurteilung natürlicher Gegenstände als Naturzwecke beurteilen wir diese bestimmten Gegenstände analog zu unserer eigenen Vernunftstruktur als organisierte und sich selbst organisierende Wesen : Durch diese Beurteilung können wir die Natur – wenn auch nur auf subjektiver Ebene – so denken, dass wir in diese hineinpassen. Der hegelsche Ansatz dagegen geht von lebendigen Individuen aus. Die Frage, wie sich selbst organisierende Strukturen in eine kausalmechanisch strukturierte Wirklichkeit passen, stellt sich so nicht. Hegel fragt vielmehr in umgekehrter Richtung : Wie passen kausalmechanische Strukturen zu der Wirklichkeit lebendiger, in Zwecken denkender und tätiger Subjekte ? Resultat der hegelschen Argumentation ist, dass Strukturen des Mechanismus sowie äußerer Zweckmäßigkeit, d. i. sich subjektive Zwecke setzender Subjekte, nur möglich sind auf Grundlage der Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit. Es gäbe weder mechanische Strukturen noch Strukturen äußerer Zweckmäßigkeit ohne Struk-

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turen lebendiger Selbstorganisation. Das Objektivitätskapitel wie die Abschnitte über die Ideen sind aber nicht als genetische Exposition der Entwicklung von Leben oder Geist zu verstehen. Hegel diskutiert vielmehr die logisch-begrifflichen Abhängigkeitsverhältnisse dieser Strukturen zueinander. Beide Philosophien zeigen, dass die Frage nach der Bedeutung von Zweckstrukturen in der Natur nicht von der Frage nach dem Sein unserer Selbst in derselben zu trennen ist, sondern beide Fragen einander implizieren. Wir verhandeln in der Diskussion über die Bedeutung von Zweckstrukturen immer auch die Frage, ob die Natur auch derart ist, dass sie uns selbst als in Zwecken denkende und handelnde Subjekte hervorgebracht hat. Ihnen ist außerdem gemein, dass die Aktivität, die wir Organismen und uns selbst als lebendigen Wesen zuschreiben, konzeptuell nur über das Prinzip innerer Zweckmäßigkeit zu denken ist. Der Fundierungsgedanke lässt sich nun nur verstehen, wenn wir zunächst Hegels Argument für die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit aufgreifen. Ich habe gezeigt, dass Hegels Argument auf den kantischen Analysen von Zweckstrukturen aufbaut und Hegel sie dann gegen Kant wendet. Die kantischen Analysen implizieren begrifflich, dass Zweckstrukturen wesentlich Type-­tokenStrukturen explizieren. Diese Type-token-Struktur macht Hegel sich zunutze, um für die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit zu argumentieren. Es ist dagegen aber keine analytisch-semantische Wahrheit, dass Zweckkausalität an einen Verstand gebunden ist. Ergebnis der Diskussion von Kants und Hegels Ansatz war vielmehr, dass es weitere metaphysische Vorannahmen sind, die darüber entscheiden, ob man die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit zulässt oder ob man diesen Gedanken zurückweist. Eine Diskussion des Verhältnisses von Hegels zu Kants Zweckkonzeption fordert daher auch immer das In-den-BlickNehmen weiterer metaphysischer Vorannahmen. Auf Basis dieses Ergebnisses habe ich dargelegt, dass Hegel zufolge die von Kant subjektiv gedachte Einheit von Begriff und Objekt, d. i. eines Zwecks, zu voraussetzungsreich bleiben muss. Von Hegels Perspektive aus leitet Kant die Voraussetzung seiner eigenen Zweckkonzeption zwar her. Die im Naturzweck ausgedrückte Zweckkonzeption innerer Zweckmäßigkeit ist jedoch letztlich eine von der subjektiv-intentionalen Zweckkonzeption abgeleitete. Hegel begreift nun insofern seine eigene Zweckkonzeption, die der inneren Zweck­mäßigkeit das Primat gibt, als eine konsequente Fortführung und Fundierung des kantischen Gedankengutes. Dieser Fundierungsgedanke stützt sich dabei nicht nur auf die These, dass Kant mit seiner Konzeption innerer Zweckmäßigkeit bereits die zur Fundierung seiner Zweckkonzeption relevanten Bedingungen gedacht hat. Er stützt sich auch auf die These, dass auf Grundlage von Kants eigener Argumentation Kants gesamte Zweckkonzeption als eine der äußeren Zweck­ mäßigkeit zu verstehen ist. So kann Hegel mit Kant gegen Kant behaupten, dass die äußere Zweckmäßigkeit die innere voraussetzt.

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Schluss

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Die hier vorlegte Arbeit verbleibt zwar innerhalb der Grenzen einer immanenten Diskussion der Zweckkonzeptionen Kants und Hegels. Innerhalb dieser Grenzen habe ich dafür argumentiert, dass Hegels Ansatz in Bezug auf die Debatte über die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit so zu verstehen ist, dass sie in einem Fundierungsverhältnis zur kantischen Zweckkonzeption steht. Sie zeigt die Fundierungsbedürftigkeit des kantischen Ansatzes auf und liefert eine solche Fundierung. Die naheliegende Frage jedoch, ob der hegelsche Ansatz auch anschlussfähig an gegenwärtige Debatten ist, kann an dieser Stelle nicht entschieden werden. Dennoch denke ich, dass der hegelsche Ansatz gute Anknüpfungspunkte an gegenwärtige Debatten zu liefern vermag und nicht per se hinter gegenwärtige Debatten in der Philosophie der Biologie zurückfällt. Diese gilt es kurz aufzuzeigen. In den Wissenschaften herrscht zwar ein sogenanntes Teleologie-Verbot, doch bezieht sich dieses Verbot auf die Konzeption von Teleologie, gemäß derer Zweckkausalität an einen Verstand gebunden ist. Eine Aktualisierung von Hegels Zweckkonzeption verstieße gegen dieses Verbot nicht. Im Gegenteil, Hegel zufolge gibt es logische Gründe, die dieses Verbot sogar untermauern würden : Denn die Struktur äußerer Zweckmäßigkeit, d. i. die Zweckkonzeption, die an die Repräsentation von Zwecken durch einen Verstand gebunden ist, lässt sich nicht auf das Ganze der Wirklichkeit beziehen, sondern sie hat ihren Ort allein im Bereich lebendiger und vernünftig handelnder Subjekte – nur hier können Hegel zufolge solche Strukturen Erklärungskraft besitzen. Nun ist es jedoch eine gängige und allgemeinübliche Sicht, dass durch die Evolutionstheorie philosophische Theorien, die die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit postulieren – wie es die hegelsche tut – , obsolet geworden sind. Der Organismus sei dieser Sicht zufolge als ein Objekt zu verstehen, welches genetischen und umweltbedingten Veränderungen rein passiv ausgeliefert ist. Die Existenz und spezifische Form einzelner Merkmale1 eines Organismus sind demnach reines Produkt selektiver Zwänge. Dieser Sicht wird jedoch in Debatten der Philosophie der Biologie zunehmend widersprochen. Bereits 1979 übten Gould und Lewontin Kritik an einem adaptionistischen Programm, gemäß dessen alle Merkmale eines Organismus allein als passives Produkt adaptiver Vorgänge aufgrund von selektiven Zwängen verstanden werden sollen.2 Dass der Organismus ein rein passives, ein nur durch äußere (Umwelt) und innere (Gene) Bedingungen determiniertes Objekt ist, ist Gould und Lewontin zufolge selbst kein Ergebnis wissenschaftlicher Forschung, sondern entpuppt sich als einfache Setzung. Und es steht gegenwärtig zunehmend zur Debatte, inwiefern wir Ich verwende hier einen weiten Begriff von ›Merkmal‹. Dieser umfasst genotypische und phänotypische Entitäten. 2 Vgl. Gould/Lewontin (1979). 1

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den Organismus als rein passives Objekt oder nicht doch auch als aktives Subjekt, welches Ausdruck einer Art von Zweckmäßigkeit ist, verstehen müssen.3 Durch seinen pluralistischen Ansatz zur Erklärung der primären Struktur der Wirklichkeit gelingt es Hegel, die Organismen zukommende Aktivität durch Darlegung der ihnen zukommenden Zweckmäßigkeitsstrukturen einzufangen, ohne leugnen zu müssen, dass Organismen zugleich auch kausalmechanisch determinierte Objekte sind. Der Organismus ist Hegel zufolge beides : Er ist abhängig von kausalmechanischen Prozessen und insofern ein determiniertes Objekt. Das, was ein Organismus ist, erschöpft sich aber nicht darin ; die spezifische Seinsweise eines Organismus lässt sich vielmehr allein über Zweckstrukturen fassen. Dieser ›dialektische‹ Ansatz Hegels kann sich in Bezug auf diese Debatte als besonders fruchtbar erweisen.4 Mit seiner Ausbuchstabierung des Verhältnisses von Leben und Geist steht Hegel hier in besonderer Nähe zu enaktiven Theorien des Körper-Geist-Verhältnisses. Vertreter*innen dieser Theorien wenden sich gegen ein cartesianisches Modell von (lebendigem) Körper und Geist. Sie lehnen sowohl die These zweier grundverschiedener Bereiche, lebendiger Körper und Geist, ab wie auch die These, dass lebendige Körper, d. i. Organismen, nur passives Produkt äußerer Selektionszwänge sind. Thompson etwa argumentiert ausgehend von der These, dass lebendige Wesen autonom sind, sich also aktiv selbst erhalten und reproduzieren, für ein Verständnis von Geist analog zu diesem Verständnis des Lebendigen. Geist ist demzufolge als »embodied action« eines bereits autonom agierenden Organismus zu verstehen ; Geist ist aus den Strukturen des Lebendigen selbst zu verstehen und nicht als etwas dem Leben selbst Externes, was zu einigen Lebewesen irgendwie ›hinzukommt‹.5 Thompson selbst arbeitet hierzu keine Theorie aus, sein Ziel ist bescheidener, es gilt für ihn die Fruchtbarkeit einer solchen Theorie aufzuzeigen.6 In der Weiterentwicklung dieser Thesen und Ausarbeitung einer solchen Theorie kann sich der Anschluss an und die Ausein­ andersetzung mit Hegels Thesen zu Leben und Geist (sowohl in der Logik als auch in der Naturphilosophie) als sehr gewinnbringend erweisen. Nicht zuletzt lässt sich Hegels Philosophie in Diskussion bringen mit Debatten über den Gehalt und Status des Funktionsbegriffs und den dort diskutierten funktional-analytischen und ätiologischen Ansätzen zur Identifikation von Funktionen gegenüber anderen Wirkungen eines Merkmals eines Organismus.7 Es wird hier insbesondere diskutiert, inwiefern wir zum Verständnis des Funk Vgl. Lewontin (1985), 89. Walsh (2012, 2015). Siehe dazu auch den programmatischen Ansatz im kürzlich erschienenen Special Issue im Hegel Bulletin : Illetterati/Gambarotto (2020), 349–370. 5 Thompson (2010), 13 und 221–242. 6 Thompson (2010), 14. 7 Diese Debatte hat zum Ausgangspunkt den funktional-analytischen Ansatz Cummins 3 4

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tionsbegriffs und insbesondere von Dysfunktionen nicht auch gewisse Normen in der Natur selbst annehmen müssen, so wie diskutiert wird, wie diese Normen begründet werden können. Ätiologische Theorien gehen – im Gegensatz zum funktional-analytischen Ansatz – vom Gegebensein natürlicher Funktionen aus, die Produkt einer evolutionsgeschichtlichen Entwicklung sind. Ätiologische Theorien begründen das Dasein und die spezifische Funktion eines token in seinem type.8 Durch die Type-token-Beziehung wird dabei zugleich eine Art von Norm etabliert, anhand derer Fehlfunktionen eines Merkmals als Fehlfunktionen gefasst werden können. Dabei wird in ätiologischen Theorien weder der type auf das token reduziert noch werden über diese Struktur eta­ blierte biologische Normen auf nicht-normative Strukturen reduziert.9 Ein ätiologischen Theorien entgegengebrachter Vorwurf lautet jedoch, dass sie entgegen ihrem eigentlich naturalistischen Programm evolutionär-historisch Dargelegtes einfach zur Norm erheben und also keine geeignete Basis für diese Normativität selbst liefern.10 Auch Hegel verfolgt einen Type-token-Ansatz, über den zum einen das Dasein eines Merkmals erklärt wird und über den zum anderen normative Strukturen in die Natur gebracht werden. Die hegelsche Perspektive bzw. gerade sein idealistischer Ansatz kann auch hier zur Debatte beitragen. Die mit Hegel in dieser Arbeit herausgearbeitete Perspektive könnte uns in diesem Sinne dazu verhelfen, eigene metaphysische Vorurteile aufzudecken und zumindest zu überdenken.

(1975) und den ätiologischen Ansatz Millikans (1984, 1989) und in Anschluss an Millikan Neander (1991). 8 Vgl. Millikan (1989). 9 Siehe dazu auch Kreines (2015), 107 f. 10 Vgl. Krohs (2007), 299.

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Danksagung Die vorliegende Arbeit ist die geringfügig überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Sommersemester 2021 von der philosophischen Fakultät der Freien Universität Berlin angenommen wurde. Mein ganz besonderer Dank gilt Dina Emundts. Als Hauptbetreuerin hat sie diese Arbeit von Anfang an begleitet und maßgeblich gefördert. Die wertvollen Gespräche mit ihr haben diese Arbeit in vielen Hinsichten sehr entscheidend beeinflusst und geprägt. Ich verdanke ihr viele gedankliche Klärungen und philosophische Einsichten. Ihre Offenheit für neue Fragestellungen und Thesen sowie ihre Maßstäbe philosophischer Gründlichkeit waren mir dabei stets Anstoß und Motivation für meine eigene Arbeit. Besonderer Dank gilt auch Holm Tetens, der diese Arbeit als Zweitbetreuer wohlwollend und kritisch begleitet hat. Von seinen Seminaren und Vorlesungen habe ich bereits in meinem Bachelor- und Masterstudium enorm profitiert. Seine philosophische Genauigkeit und argumentative Gründlichkeit haben mein philosophisches Denken von Beginn an beeinflusst und sind mir zu einem Anspruch für meine eigene Arbeit geworden. Besonders danken möchte ich auch James Kreines für seine tatkräftige Unterstützung. Die vielen produktiven und wohlwollenden Gespräche haben zu der gedanklichen Klärung wichtiger Aspekte der Arbeit entscheidend beigetragen. Mein Dank gilt auch Eric Watkins, der mich für einen lehrreichen Gastaufenthalt 2019 an der UC San Diego willkommen geheißen hat. Von der Diskussion meiner Arbeit im Rahmen des dortigen Kolloquiums sowie von darüberhinausgehenden Gesprächen mit Eric Watkins und Clinton Tolley habe ich sehr profitiert. Für wertvolle Gespräche und Diskussion danke ich den Mitgliedern des Kolloquiums von Dina Emundts, in denen ich regelmäßig Inhalte dieser Arbeit zur Diskussion stellen durfte, sowie den Mitgliedern des Kolloquiums von Tobias Rosefeldt. Für über die Kolloquien hinausgehende Diskussionen, Hinweise, Kritik und Zuspruch bin ich viel mehr Menschen dankbar als ich hier benennen kann. Namentlich erwähnen möchte ich Camilla Angeli, Giacomo Croci, ­Daniel Erlewein, Tal Giladi, Tal Glezer, Johannes Haag, Daniel James, Anton Kabeshkin, Mathis Koschel, Thomas Meyer, Maximillian Scholz, Luz Christopher ­Seibert, Jana Thesing, Bernhard Thöle, Lilja Walliser, Achim Wamssler und Reed Winegar. Darüber hinaus danke ich Natalia Albizou und Thomas Hanke sehr für ihre gründliche philosophische Durchsicht und ihre sehr hilfreichen Kommentare zum gesamten Kant-Teil bzw. Hegel-Teil dieser Arbeit. Zu Dank verpflichtet bin

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ich auch Friederike Allner, die die erste Fassung dieser Arbeit gründlich Korrekturgelesen hat, sowie Hagen Bischoff für die Hilfe bei der Formatierung der ersten Fassung der Arbeit. Der DRS-NaFöG danke ich für die finanziellen Mittel in dem ersten halben Jahr meiner Promotionsphase. Birgit Sandkaulen und Michael Quante danke ich für die Aufnahme dieser Arbeit in die Hegel-Studien Beihefte. Nennen möchte ich auch meinen Freundeskreis und meine Familie, insbesondere Hans-Joachim Koch, Ursula Koch, Inga Koch und Torben Koch, denen ich für das stetige offene Ohr und den Zuspruch danke, den ich in der Zeit des Schreibens der Arbeit und vor allem in der Endphase der Fertigstellung derselben erfahren habe. Auch Helene Koch (†) bin ich dankbar, die auf ihre Weise zu einem prägenden Vorbild für mich wurde. Gleichsam bin ich auch BenjaminMatthias Hart (†) dankbar, der mich jahrelang liebevoll und unterstützend begleitet hat und dem diese Arbeit gewidmet sei. Berlin, im Frühling 2023

Literaturverzeichnis Werke Kants und Hegels Kants Schriften werden nach der Ausgabe der Preußischen, später Deutschen Akademie der Wissenschaften unter Angabe der Band- und Seitenzahl zitiert. Eine Ausnahme bildet die Kritik der reinen Vernunft, die ich nach der Edition des Textes von Jens Timmermann unter Angabe der Paginierung der Originalausgaben von 1781 (A) und 1787 (B) zitiere. Kant, Immanuel, Gesammelte Schriften, hrsg. v. der Preußischen, später Deutschen Akademie der Wissenschaften, Berlin : de Gruyter, 1900 ff. AA II : Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes AA IV : Kritik der reinen Vernunft (1. Aufl. 1781) ; Prolegomena ; Grundlegung zur Metaphysik der Sitten ; Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaften AA V : Kritik der praktischen Vernunft ; Kritik der Urteilskraft AA VIII : Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie AA IX : Logik AA XX : Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft AA XXIV : Logik Busolt Kant, Immanuel, Kritik der reinen Vernunft, hrsg. v. Jens Timmermann, Hamburg : Meiner, 1998. Hegels Schriften werden nach der Ausgabe der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, später Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und Künste unter Angabe des Bandes und der Seitenzahl zitiert. Bei Verweisen auf die Enzy­ klopädie wird außerdem der Paragraph angegeben. Eine Ausnahme bilden die Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, die ich nach der Edition von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel zitiere. Generell geschehen Verweise auf Zusätze oder Vorlesungen nur zu Illustrationszwecken, nicht zum Aufbau eines Arguments. Hegel, G. W. F., Gesammelte Werke, in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hrsg. v. der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, später Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und Künste, Hamburg : Meiner, 1968 ff. GW 4 : Jenaer kritische Schriften GW 11 : Wissenschaft der Logik. Erster Band : Die objektive Logik (1812/13) GW 12 : Wissenschaft der Logik. Zweiter Band : Die subjektive Logik (1816)

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