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German Pages [265] Year 2020
Neue Studien zur Philosophie
Band 30
Begründet von Rüdiger Bubner †, Konrad Cramer † und Reiner Wiehl † Fortgeführt von Jürgen Stolzenberg, Michael Hampe und Holmer Steinfath
Adriana Pavic´
Demonstrative Bezugnahme und die Semantik/Pragmatik-Unterscheidung
V& R unipress
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber https://dnb.de abrufbar. 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Gçttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage j www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2198-5456 ISBN 978-3-7370-1027-6
Inhalt
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . 1.1 Semantik und Pragmatik . . 1.2 Demonstrative Bezugnahme 1.3 Programm . . . . . . . . . .
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2 Eine minimalistische Antwort auf die kontextualistische Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Präliminarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die kontextualistische Herausforderung und minimalistische Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Das Gesagte – ein schillernder Begriff . . . . . . . . . . . . . 2.4 Semantische Unvollständigkeit oder liberale Wahrheitsbedingungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3 Semantischer Minimalismus und direkte Bezugnahme: Fallbeispiel einfache Demonstrativa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Direkte Bezugnahme und singuläre Propositionen . . . . . . . . . 3.2 Sprachliche Vehikel direkter Bezugnahmen . . . . . . . . . . . . . 3.3 Demonstrativa als paradigmatische Vehikel direkter Bezugnahmen 3.4 Borg: Eine Kaplansche und Davidsonsche Semantik von Demonstrativa? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Der semantische Gehalt von Sätzen mit einfachen Demonstrativa . 3.6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4 Intentionen, Demonstrationen, Salienz – wie werden die Referenten von Demonstrativa bestimmt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Präliminarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
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Schlußwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4.2 Der Begriff der Demonstration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Konkurrierende Kriterien der Referenzbestimmung . . . . . . . 4.4 Beiderseitig anerkannte Salienz als Kriterium für demonstrative Referenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Eine neo-Fregesche Konzeption singulären Gehalts 5.1 Demonstrativa als namenbildende Funktoren . 5.2 De re-Sinne – ein Wiederbelebungsversuch . . 5.3 Frege und Kaplan vereinbar gemacht . . . . . . 5.4 Ausblick: Varianten singulärer Gehalte . . . . .
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Danksagung
Beim Erstellen dieser Arbeit wurde ich in der einen oder anderen Weise von einer Reihe von Personen unterstützt, wofür ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken möchte. Zuallererst möchte ich mich herzlich bei Christian Beyer bedanken, der meine Arbeit betreut hat, – für sein Vertrauen, die vielen hilfreichen Hinweise und die permanente Unterstützung. Weiterhin möchte ich mich beim Zweitgutachter dieser Arbeit, Felix Mühlhölzer, herzlich für seine Unterstützung und für viele anregende Diskussionen und Kommentare im Rahmen seines Oberseminars und der »Ordinary Language Philosophy«-Diskussionsgruppe bedanken. Herzlich bedanken möchte ich mich auch bei Wolfgang Carl, der mich seit meiner Studienzeit immer wieder beeindruckt und zur philosophischen Arbeit motiviert hat – sei es durch Ermunterung und Ansporn oder durch seine vorbildliche Art, Philosophie zu betreiben –, sowie bei Holmer Steinfath, der mir in letzten Phase meiner Promotion mit Rat und Tat zur Seite stand. Ich bin sehr froh und dankbar, so gute Hochschullehrer gehabt zu haben! Mein explizierter Dank für hilfreiche Diskussionen und Hinweise geht zudem an Tobias Klauk, Ren8 Lange, Tammo Lossau, Dolf Rami, FranÅois Recanati, Emanuel Viebahn, Martin Weichold und Hannes Worthmann. In der einen oder anderen Weise haben noch viele weitere Kolleginnen und Kollegen, (Mit-)Studierende und Professoren am Göttinger Philosophischen Seminar durch erhellende Diskussionen und geselliges Beisammensein mein Leben und Forschen in den vergangenen Jahren ungeheuer bereichert und zum erfolgreichen Beenden dieses Projekts beigetragen. Ein Versuch, alle aufzulisten, würde den Rahmen dieser Danksagung sprengen. Vielen Dank an Euch alle! Adriana Pavic´ Göttingen, am 4. Oktober 2018
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Einleitung
Die Semantik/Pragmatik-Unterscheidung bzw. -schnittstelle ist in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung für Philosophie und Linguistik. Diese Herausforderung besteht zum einen darin, die Gegenstandsbereiche der Semantik und der Pragmatik in einer abstrakten Weise voneinander abzugrenzen, und zum anderen darin, einer Reihe von konkreten Phänomenen der Verwendung von Sprache theoretisch Rechnung zu tragen, die die Möglichkeit einer Trennung zwischen den beiden Disziplinen auf die Probe stellen. Der Umgang mit der Kontextsensitivität sprachlicher Ausdrücke spielt bei der Auseinandersetzung mit dieser Aufgabe eine zentrale Rolle. Bevor ich zu Beginn des ersten Kapitels genauer auf den Begriff der Kontextsensitivität und die damit verbundenen Problemfelder zu sprechen komme, führe ich hier in der Einleitung zunächst in einer allgemeinen Weise in den Themenbereich der Debatte um die Möglichkeit einer Trennung zwischen Semantik und Pragmatik ein (1.1). Anschließend erläutere ich, inwiefern das Phänomen der demonstrativen sprachlichen Bezugnahme, mit dem ich mich im Großteil dieser Arbeit beschäftigen werde, uns vor dem Hintergrund der aufgezeigten Problematik vor besondere theoretische Herausforderungen stellt (1.2). Im letzten Teil der Einleitung stelle ich das Programm dieser Arbeit vor (1.3).
1.1
Semantik und Pragmatik
Ein beträchtlicher Teil zwischenmenschlicher Kommunikation verläuft mittels Sprache. Sprache an sich lässt sich in einer abstrakten Betrachtungsweise als komplexes System von Regeln oder Konventionen1 verstehen, welches in den verschiedenen Teildisziplinen der Linguistik – der Phonetik, der Morphologie, 1 Eine ausführliche Studie zum Begriff der Konvention bietet Lewis (1969), zum Begriff der Sprache siehe bspw. Lewis (1975).
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Einleitung
der Syntaxtheorie und der Semantik – untersucht wird. Von den genannten Teildisziplinen der Linguistik ist in dieser Arbeit ausschließlich die Semantik thematisch, die sich allgemein als die Lehre von der konventionellen Bedeutung natürlichsprachlicher Ausdrücke charakterisieren lässt.2 Häufig ist auch von der wörtlichen Bedeutung oder der linguistischen Bedeutung die Rede, woran bereits das Bestreben erkennbar ist, diese Ebene von Bedeutung von anderen abzugrenzen, die darüber hinaus gehen und sich durch die Interpretation sprachlicher Ausdrücke in konkreten Äußerungskontexten ergeben. Da die Phänomene der sprachlichen Bezugnahme auf Gegenstände und der Kommunikation mittels Sprache anthropologisch wesentlich und eine conditio sine qua non für jede Art von Wissenschaft sind, ist dem semantischen Theoretisieren eine philosophische Dimension inhärent, der es wohl geschuldet ist, daß sich zudem der Terminus philosophische Semantik ausgebildet hat, welcher den Fokus auf die philosophischen Fragen lenken soll, die sich beim Theoretisieren über Sprache unweigerlich ergeben. In der semantischen Theoriebildung wird von konkreten Verwendungen von Sprache abstrahiert. Dennoch werden tatsächliche oder hypothetische Verwendungen als Beispiele herangezogen und spielen bei der Gestaltung entsprechender Theorien eine wichtige Rolle. Schließlich ist es ein Desideratum semantischer Theorien, die sich mit einer bestimmten Klasse von Ausdrücken befassen, nach Möglichkeit alle korrekten Verwendungen entsprechender sprachlicher Ausdrücke theoretisch einzufangen. Als kompetente Sprecher einer Sprache sind wir in der Regel in der Lage, zwischen korrekten und inkorrekten Verwendungen sprachlicher Ausdrücke zu unterscheiden. Als Basis für entsprechende Beurteilungen können wir semantische Intuitionen anführen, die ihrerseits als Evidenz dafür angesehen werden können, daß wir über implizites Wissen von den entsprechenden Regeln bzw. Konventionen verfügen.3 In der Pragmatik sind sprachliche Äußerungen dagegen primär qua Handlungen von Interesse, denen eine bestimmte Motivation zugrunde liegt und die einem bestimmten Zweck dienen sollen. Jede sprachliche Handlung, i.e. das Aussprechen oder Niederschreiben eines sprachlichen Ausdrucks, ist notwen2 Der Terminus »Semantik« kann auch weiter verstanden werden, nämlich so, daß es in der Semantik um die Bedeutung von Zeichen allgemein geht – also nicht nur um die Bedeutung sprachlicher Zeichen; Semantik in diesem Sinne ist ein Teilgebiet der Semiotik. Zudem findet der Begriff auch auf formale Sprachen Anwendung: In der Semantik einer formalen Sprache werden die Bedeutungen von Ausdrücken dieser Sprache möglichst präzise angegeben. Weiterhin ist im Rahmen von soziologischen Theorien zuweilen von Semantiken die Rede, womit grob gesagt bedeutungsvolle Muster sozialen Handelns gemeint sind. 3 Der Begriff des impliziten Wissens basiert auf der Idee, daß wir über propositionales Wissen verfügen können, ohne in der Lage zu sein, dieses sprachlich explizit zu machen. Interessante Erläuterungen dazu finden sich in Polanyi (1985).
Semantik und Pragmatik
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digerweise in Raum und Zeit lokalisiert und wird als Äußerung bezeichnet. Durch Äußerungen produzieren Sprecher4 Vorkommnisse (›token‹) von abstrakten Ausdruckstypen (›types‹), wobei ein Vorkommnis auch mehrmals Verwendung finden kann – beispielsweise wenn jemand einen Zettel mit der Aufschrift »Ich bin gleich wieder da« in relevanten Situationen an seine Bürotür klebt. Üblicherweise stimmt die Extension von »token« also mit der von »Verwendung« überein, wenn wir uns jedoch genauer ausdrücken wollen, sollten wir von Verwendungen von ›token‹ sprechen.5 Zudem können wir uns zu Illustrationszwecken auch hypothetische ›token‹ denken, die folglich keine tatsächlichen Verwendungen sprachlicher Ausdrücke sind. Bei solchen Gedankenexperimenten können, aber müssen wir uns nicht eine »pragmatische Einbettung« hinzudenken oder können diese doch zumindest gedanklich ausblenden. Hier beginnen allerdings bereits die Kontroversen, denn tatsächliche Äußerungen sind über die physikalische Lokalisierung hinaus notwendigerweise auch in einen »pragmatischen Kontext« eingebettet. Worin genau diese Einbettung in einem nichtphysikalischen Sinne besteht, i.e. was über diese hinaus mit Kontext gemeint ist, ist eine wichtige und schwierige Frage, die im Rahmen der Debatte um die Semantik/Pragmatik-Unterscheidung selten explizit thematisiert wird. Der entscheidende Unterschied in der theoretischen Herangehensweise an Sprache bzw. sprachliche Äußerungen in der Semantik und in der Pragmatik besteht also darin, daß die Pragmatik nicht vom Zweck der Äußerung abstrahiert, sondern gerade auf diesen abhebt und versucht, allgemeine Prinzipien herauszuarbeiten, die es uns ermöglichen, mit sprachlichen Handlungen bestimmte Ziele zu erreichen. In dieser Hinsicht ist der Begriff des Sprechaktes zentral, der auf Austin (1962) und Searle (1969) zurückgeht: Es handelt sich um einen terminus technicus, der an den Begriff der Äußerung anknüpft und theoretische Möglichkeiten bietet, Äußerungen im Hinblick auf ihren pragmatischen Zweck zu spezifizieren (als Ratschlag, Bitte, Versprechen, Aufforderung etc.).6 4 Dieser Begriff steht im Folgenden immer für »Person, die eine Äußerung produziert«, d. h. er soll so verstanden werden, daß weder das Geschlecht der Person noch die Art der Äußerung (gesprochen oder geschrieben) spezifiziert ist. 5 Für den Hinweis darauf bedanke ich mich bei Christian Beyer. Wenn es nicht darauf ankommt, lasse ich diese Qualifikation im Folgenden aus expositorischen Gründen weg. 6 Man kann die Begriffe auch anders relationieren, nämlich so, daß die Äußerung nichts anderes ist als der lokutionäre Akt, der Teil des Sprechaktes ist, der seinerseits zusätzlich zum lokutionären Teilakt zentral aus dem illokutionären und ggf. noch aus einem perlokutionären Teilakt besteht. Ich betreibe hier allerdings keine Sprechakttheorie und finde es intuitiv einleuchtender, den theoretischen Begriff des Sprechaktes als auf den vortheoretischen Begriff der Äußerung aufbauend zu verstehen. Im schlimmsten Fall handelt es sich dabei um eine Ungenauigkeit oder Vereinfachung zu Darstellungszwecken, an der im Folgenden nichts hängt.
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Einleitung
Ein weiterer theoretischer Begriff, der in Sprachphilosophie und Pragmatik eine wichtige Rolle spielt, ist der von Paul Grice eingeführte Begriff der Implikatur.7 Konversational implikierte Gehalte sind Bedeutungsgehalte, die Sprecher nicht direkt ausdrücken, sondern mittels ihrer Äußerung andeuten, suggerieren oder anderweitig pragmatisch vermitteln – Gehalte, die unkontroverserweise nicht der wörtlichen Bedeutung des geäußerten Satzes entsprechen, sondern vielmehr aus dieser in Kombination mit bestimmten allgemeinen Konversationsmaximen erschlossen werden.8 Hierbei unterscheidet Grice zwischen generalisierten und nichtgeneralisierten konversationalen Implikaturen: Wenn Sprecher mit der Äußerung eines bestimmten Satzes in der Regel/normalerweise eine bestimmte Proposition implikieren, handelt es sich um eine generalisierte Implikatur. Wenn die Implikatur sich hingegen aus den Spezifika der Konversationssituation ergibt und normalerweise nicht durch die Äußerung dieses Satzes generiert wird, handelt es sich um eine nichtgeneralisierte Implikatur. Die Gricesche Unterscheidung zwischen dem Gesagten und dem implikierten Gehalt einer Äußerung kann die Trennung zwischen Semantik und Pragmatik zunächst einfach erscheinen lassen. Dies lässt sich an den folgenden Beispielen für generalisierte konversationale Implikaturen erkennen: Anyone who uses a sentence of the form X is meeting a woman this evening would normally implicate that the person to be met was someone other than X’s wife, mother, sister, or perhaps even close platonic friend. Similarly, if I were to say X went into a house yesterday and found a tortoise inside the front door, my hearer would normally be surprised if some time later I revealed that the house was X’s own. (Grice 1989:37)
Die meisten würden nicht abstreiten, dass der im Zitat zuerst genannte Satz wahr ist, wenn X sich mit seiner Großmutter zum Essen trifft, dennoch wäre er unter diesen Umständen in den allermeisten Fällen pragmatisch deplatziert, da er gegen verschiedene Konversationsmaximen verstößt, etwa »sei so spezifisch wie für den Zweck des Austausches erforderlich« (vgl. Grice 1989:26). Damit die Maxime nicht verletzt wird, schließt der Adressat auf die im Zitat angeführte Implikatur. Dennoch können wir uns auch Beispiele denken, in denen durch die Äußerung des Satzes nicht die relevante Implikatur transportiert wird, beispielsweise in einer Situation, in der X (aus welchen Gründen auch immer) einen pathologischen Hang entwickelt hat, jegliche Kommunikation mit Personen 7 Vgl. Grice 1989:22–40 (zuerst erschienen 1975). 8 Die von Grice sogenannten konventionellen Implikaturen, die zwar in der konventionellen Bedeutung verankert sind, aber über den wahrheitskonditionalen Gehalt hinaus gehen, lasse ich bewußt außen vor. Da ›konventionelle Implikaturen‹, wie beispielsweise die Spannung zwischen den Konjunkten, die das Wort »aber« im Unterschied zu »und« zum Ausdruck bringt, gerade nicht via Konversationsmaximen pragmatisch, sondern rein sprachlich vermittelt sind, halte ich es (wie viele andere Theoretiker) für mißlich, sie unter den Terminus Implikatur zu fassen (vgl. dazu Bach 1999).
Semantik und Pragmatik
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weiblichen Geschlechts zu vermeiden. Analog lässt sich auch das zweite von Grice angeführte Beispiel erklären. Bei nichtgeneralisierten Implikaturen fallen die implikierten und die wörtlich ausgedrückten Gehalte in der Regel noch weiter auseinander und die Implikaturen basieren auf gemeinsamem Wissen bzw. einer Reihe von zwischen den Konversationsteilnehmern geteilten Hintergrundannahmen etc. Die Trennung der semantischen und der pragmatischen Ebene ist hier noch unproblematischer, weswegen ich auf ein Beispiel verzichte.9 Von zentraler Bedeutung in beiden Fällen ist, daß die Implikatur auch wegfallen kann bzw. explizit zurückgenommen werden kann, ohne daß der Sprecher sich widerspricht. Anderenfalls wäre das Implikierte Teil des wörtlich ausgedrückten, wahrheitskonditionalen Gehalts des geäußerten Satzes. Dieses zentrale Merkmal vom konversationalen Implikaturen bezeichnet Grice als Annullierbarkeit (›canellability‹), die sich seiner Auffassung nach folgendermaßen testen läßt: You will remember that a putative conversational implicature that p is explicitly cancelable if, to the form of words the utterance of which putatively implicates that p, it is admissible to add but not p, or I do not mean to imply that p, and it is contextually cancelable if one can find situations in which the utterance of the form of words would simply not carry the implicature. (Grice 1989:44)10
Ich führe nun zunächst noch zwei Beispiele an, in denen die Trennung zwischen semantischem und nichtsemantischem Gehalt unkontrovers erscheint, bei denen es sich jedoch nicht um Implikaturen handelt, um dann mittels eines dritten und letzten Beispiels die Problematik einer strikten Trennung von wörtlich und nicht wörtlich ausgedrücktem Gehalt in ihrer ganzen – auch praktischen – Tragweite zu illustrieren. Bsp. 1 Codesatz-Absprachen Dieses Beispiel entstammt dem Spielfilm Ocean’s Twelve (2004). Danny Ocean (gespielt von George Clooney) und Tess Ocean (gespielt von Julia Roberts) werden verfolgt und vermuten, daß ihr Haustelefon abgehört wird. Um ihn 9 Der Unterschied zwischen generalisierten und nichtgeneralisierten Implikaturen ist ein gradueller und kein kategorialer, denn er basiert auf Häufigkeiten, die sich aus pragmatischen Erfordernissen ergeben. Wenn P sagt »Mir ist kalt« implikiert sie in vielen Situationen Fragen bzw. Aufforderungen wie etwa »Könntest du das Fenster zumachen?« »Wollen wir reingehen?« »Kannst du die Heizung einschalten?« oder Mitteilungen wie »Ich werde mich bald verabschieden« »Mir macht dieser Ausflug keinen Spaß« etc., nichts davon ist jedoch eine generalisierte Implikatur. Daß wir mit der Äußerung dieses Satzes häufig etwas implikieren ergibt sich auf dem lebensweltlichen Faktum/Umstand, daß wir Unannehmlichkeiten wie Kälte, Hunger, Durst etc. in der Regel nicht nur konstatieren, sondern bestrebt sind, etwas dagegen zu unternehmen. 10 Laut Grice gibt es jedoch Ausnahmen von dieser Regel (vgl. ebd.); für eine kurze Diskussion des Prinzips siehe Bloome-Tillmann 2008.
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Einleitung
unbemerkt warnen zu können, wenn sie bemerkt, daß die Vorfolger sich ihrem Haus nähren, sprechen Danny und Tess den Codesatz »There is water in the basement and the pilot light is out« ab. Später tritt dann die entsprechende Situation ein, sie ruft ihn an, sagt den Satz und er macht sich auf den Weg zum Haus. Wohl niemand würde ernsthaft behaupten, daß der von Julia Roberts (alias Tess Ocean) geäußerte Satz wörtlich bedeutet »die Verfolger nähern sich unserem Haus«, obwohl er dies in der gegebenen Situation in einem gewissen Sinne in der Tat bedeutet. Die semantische und die pragmatische Ebene von Bedeutung lassen sich hier klar auseinanderhalten, wenngleich es sich nicht um eine Implikatur im Sinne von Grice handelt. Code-Absprachen konstituieren vielmehr eine eigene Kategorie pragmatisch vermittelter Gehalte, denn bei Code-Absprachen wird nicht implizit (aufgrund einer prima facie-Verletzung von Konversationsmaximen) vom Gesagten auf einen implikierten Gehalt geschlossen, vielmehr ist die pragmatisch kodierte Information das Gesagte. Dieser Gehalt ist aufgrund der vorherigen Absprache direkt im Anschluss an das linguistische Parsing mental präsent, d. h. die durch den Satz wörtlich ausgedrückte Proposition spielt im Verstehensprozess der Äußerung keine Rolle. Implikiert ist in der Situation plausiblerweise die Aufforderung, schnell zu Hilfe zu eilen und diese Implikatur basiert bereits auf der vorherigen Absprache und nicht auf der konventionellen Bedeutung des geäußerten Satzes.11 Bsp. 2 In fiktionalen Werken implizit vermittelte Gehalte Im Klappentext des Romans In einem anderen Land von Ernest Hemingway, steht: »Er [Hemingway] entwickelt seine Psychologie aus dem Unausgesprochenen, er kann seine Krankenschwester vom Wetter sprechen lassen und zwischen den Zeilen steht ›Ich liebe dich!‹« 11 Hierzu zwei Einschränkungen: (i) Das Gesagte ist ein gleichermaßen verbreiteter wie schwieriger terminus technicus auf den ich in Kapitel 2 ausführlich zu sprechen komme. (ii) Es gibt auch Situationen, in denen doch erst von der konventionellen auf die abgesprochene Bedeutung geschlossen werden muß, nämlich wenn der Adressat die Absprache nicht mehr mental präsent hat bzw. sie in Vergessenheit geraten ist. Hier kommt es nur auf ein grobes, allgemeines Verständnis des Beispiels an, welches einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Codesatz-Absprachen und Implikaturen zutage treten läßt. Ich möchte an dieser Stelle hervorheben, daß es mir in dieser Arbeit generell nicht darum geht, kognitivpsychologische Thesen in Bezug auf den Prozess der Interpretation von Äußerungen aufzustellen, die, falls überhaupt, nur empirisch geprüft werden können. Es geht mir vielmehr darum, systematische Unterscheidungen zu motivieren, die im Rahmen der Begründung einer sprachphilosophischen Auffassung des Verhältnisses von Semantik und Pragmatik ein möglichst hohes explanatorisches Potential aufweisen.
Semantik und Pragmatik
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Gehen wir einmal davon aus, daß dies stimmt, so besteht auch hier kein Zweifel darüber, daß die wörtlichen Bedeutungen der fiktiven geäußerten Sätze des von Hemingway geschriebenen Dialogs die implizite Botschaft gerade nicht rein sprachlich über ihre wörtliche Bedeutung vermitteln. Es handelt sich aber auch nicht um Implikaturen: Selbstverständlich können auch fiktive Charaktere mit ihren Äußerungen Gehalte implikieren, hier geht es allerdings eher darum, daß der Autor sozusagen dafür sorgt, daß sich durch die Äußerungen seiner Romanfigur »etwas zeigt«, ohne daß diese das implikieren will. Wie genau er das erreicht, ist eine spannende Frage, die in der Literaturwissenschaft von Interesse ist, mit der ich mich jedoch nicht beschäftigen werde. An dieser Stelle geht es mir darum, herauszustellen, daß es ganz offensichtlich eine Vielzahl von Weisen gibt, sowohl mittels gesprochener als auch mittels geschriebener Sprache Inhalte zu vermitteln und daß diese Bedeutungsgehalte ganz offensichtlich nicht immer mit der Bedeutung der verwendeten Ausdrücke übereinstimmen müssen. Bsp. 2 sticht dadurch heraus, daß es dabei um die Interpretation eines literarischen Textes geht und fällt aus diesem Grund nicht in den Gegenstandsbereich der Pragmatik im engeren Sinne. Im Rahmen dieser Arbeit, wie auch im Rahmen der sprachphilosophischen Debatte um die Semantik/PragmatikUnterscheidung, werden zudem fast ausschließlich Beispiele der gesprochenen Sprache herangezogen, obwohl beide Arten der Verwendung von Sprache unter den Begriff der Äußerung fallen. Ob der Begriff der Äußerung im Rahmen von fiktionalen Texten einschlägig ist, ist theoretisch umstritten und hängt im Wesentlichen an der Frage, ob die entsprechenden Sätze als Sprechakte im Sinne von Searle und die entsprechenden Texte als eine Kommunikationssituation zwischen Autor und Leser schaffend verstanden werden sollten.12 Auf fiktionale Texte komme ich im Rahmen dieser Arbeit nur in Kapitel 5 kurz zu sprechen, in dem ich mich mit der Natur singulärer Gehalte beschäftige und verschiedene Arten singulärer Gehalte unterscheide. Dort plädiere ich für die Auffassung, daß referentielle Ausdrücke wie Eigennamen und Demonstrativa auch im Rahmen von fiktionalen Texten eine (direkt-)referentielle Semantik haben und singuläre Gehalte ausdrücken (Stichworte: ›de re pretense‹, ›quasi de re sense‹). Auf geschriebene sprachliche Äußerungen werde ich ebenfalls nur an einer Stelle dieser Arbeit zu sprechen kommen, nämlich in Kapitel 4. Dort werde ich anhand des Beispiels einer Inskription eines Satzes der Form »Dies ist F« zeigen, daß mein Kriterium zur Bestimmung der Referenten von einfachen Demonstrativa auch mit solchen Fällen umgehen kann. In der Diskussion von Beispielen im Rahmen einer theoretischen Auseinandersetzung mit der Frage, 12 Ich habe die Tendenz, das abzustreiten, werde dazu im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht Stellung beziehen. Einen Ansatz, der das befürwortet, vertritt beispielsweise Christiana Werner (2013).
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Einleitung
ob und wie sich Semantik und Pragmatik voneinander trennen lassen, sind vornehmlich gesprochene sprachliche Äußerungen von Aussagesätzen in nichtfiktionalen Kontexten thematisch. Ich komme nun, wie angekündigt, zum dritten Beispiel, welches nicht einem fiktionalen Kontext entstammt, sondern im Gegenteil auf einer wahren Begebenheit basiert – einem Rechtsstreit in den USA. Bsp. 3 Der Gebrauch von Schußwaffen Eine Aufgabe von Juristen ist es, konkrete Begebenheiten unter in Gesetzestexten abstrakt beschriebene Sachverhalte zu subsumieren. Im Zuge dessen müssen die Gesetzestexte entsprechend ausgelegt werden. Im Fall »Smith gegen die Vereinigten Staaten« war die Interpretation einer Rechtsnorm entscheidend, der zufolge das Strafmaß für Straftaten wie Raub oder Drogenhandel sich um mindestens 5 Jahre Gefängnis erhöht, wenn bei der Ausübung der entsprechenden Straftat von einer Schußwaffe Gebrauch gemacht wird.13 Smith hat seine Schußwaffe gegen illegale Drogen getauscht, wobei er die Waffe in einer Plastiktasche im Austausch gegen die Drogen ausgehändigt hat. Das Gericht befand ihn für schuldig, beim illegalen Handel mit Drogen von einer Schußwaffe Gebrauch gemacht zu haben und verurteilte ihn zu 5 Jahren Gefängnis zusätzlich zum Strafmaß für den Drogenhandel. In seinem Widerspruch kämpft der amerikanische Jurist Antonin Scalia mit der Formulierung »von einer Schußwaffe Gebrauch machen«: To use an instrumentality ordinarily means to use it for its intended purpose. When someone asks »Do you use a cane?« he is not inquiring whether you have your grandfather’s silver-handled walking stick on display in the hall; he wants to know whether you walk with a cane. Similarly, to speak of »using a firearm« is to speak of using it for its distinctive purpose, i. e. as a weapon. To be sure, »one can use a firearm in a number of ways,« ante, at 7, including as an article of exchange, just as one can »use« a cane as a hall decoration… (Smith vs The United States, 508 U.S. at 242 (Scalia, J., dissenting))
und kommt zu dem Schluß: The Court does not appear to grasp the distinction between how a word can be used and how it ordinarily is used. It would, indeed, be »both reasonable and normal to say that petitioner ›used‹ his MAC-10 in his drug trafficking offense by trading it for cocaine.« Ibid. It would also be reasonable and normal to say that he »used« it to scratch his head. When one wishes to describe the action of employing the instrument of a firearm for such unusual purposes, »use« is assuredly a verb one could select. But that says nothing 13 Ich übernehme das Beispiel aus Cappelen & Dever 2016:11f., das entsprechende Gesetz ist dort als 18 U.S.C. § 924(c) (1) angegeben.
Semantik und Pragmatik
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about whether the ordinary meaning of the phrase »uses a firearm« embraces such extraordinary employments. It is unquestionably not reasonable and normal, I think, to say simply »do not use firearms« when one means to prohibit selling and scratching with them. (Smith vs the United States, 508 U.S. at 242 (Scalia, J., dissenting)) (Cappelen & Dever 2016:12)
Scalias Begründung seiner Meinung (die nicht der Auffassung der Mehrheit der Richter am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten entsprach) zeigt, wie intensiv Scalia sich mit der Unterscheidung zwischen wörtlicher Bedeutung und der vom Gesetzgeber ggfs. intendierten Bedeutung – dem Gemeinten – auseinandergesetzt hat und wirft grundlegende philosophische Fragen auf. Auf die aufgeworfene Problematik kann man auf zweierlei Weise theoretisch reagieren: Entweder man behauptet, der Ausdruck »von einer Schußwaffe Gebrauch machen« sei kontextsensitiv, d. h. sein Gehalt kann von Verwendungskontext zu Verwendungskontext variieren (›kontextualistische Reaktion‹), oder aber man streitet das ab und behauptet, der Ausdruck sei nicht kontextsensitiv, sondern seine sprachliche Bedeutung sei lediglich so unspezifisch, daß viele verschiedene Arten des »Gebrauchs« darunter fallen (›minimalistische Reaktion‹). Der zweiten Auffassung entsprechend ist es ggfs. geboten, den Gesetzestext durch eine Ergänzung wie etwa »von einer Schußwaffe Gebrauch machen indem man damit Gewalt ausübt oder androht « angemessen zu spezifizieren. Aber auch dann könnte es erneut zu Uneindeutigkeiten kommen: Wie ist es beispielsweise, wenn die Waffe nicht geladen ist oder jemand sie wie einen Schlagstock benutzt? Kontextsensitive Ausdrücke sollten in Texten, die wie Rechtsnormen für die Anwendung »über Kontexte hinweg« gedacht sind, nach Möglichkeit vermieden werden. Das geht aber nur, wenn die Mehrheit der sprachlichen Ausdrücke nicht kontextsensitiv ist. Kontextualisten streiten dies ab, während Minimalisten daran festhalten. Damit befinden wir uns bereits mitten im Themenfeld der Debatte um die Semantik/Pragmatik-Unterscheidung: Wenn Kontextsensitivität ubiquitär ist, ist eine Trennung der Disziplinen womöglich gefährdet. Andererseits benutzen wir Sprache aber gerade auch, um Inhalte »über Kontexte hinweg« weiterzugeben, was wiederum prima facie dagegen spricht, daß eine große Menge von Worten kontextsensitiv ist. Die Trennung von verschiedenen Ebenen von Bedeutung, die sich in den Beispielen 1–3 ausmachen läßt und die auf eine erste, grobe Unterscheidung zwischen Semantik und Pragmatik verweist, wird in der sogenannten ordinary language philosophy (OLP) nicht in einer systematischen Weise aufgegriffen. So findet sich in Wittgensteins gesamtem Werk kaum einmal eine Verwendung des Begriffs der sprachlichen Konvention. Neuere kontextualistische Positionen, die sich häufig als in der Tradition der OLP stehend verstehen, akzeptieren diese Trennung hingegen in der Regel als Ausgangspunkt ihrer Argumentation, und
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Einleitung
versuchen dann zu zeigen, daß eine klare Trennung der Ebenen theoretisch nicht aufrecht erhalten werden kann – man müsse vielmehr zwischen verschiedenen Ebenen »pragmatisch durchsetzter« Gehalte unterscheiden.14 Vertreter minimalistischer Positionen dagegen verteidigen auf unterschiedliche Weise die Möglichkeit einer Trennung von Semantik und Pragmatik.15 Viele theoretische Konflikte bezüglich der Einordnung mittels Sprache kommunizierter Gehalte lassen sich bei genauerer Betrachtung als begrifflich und nicht substantiell erweisen, da sie auf unterschiedlichen metasemantischen Auffassungen basieren – insbesondere Auffassungen darüber, was die Aufgabe einer semantischen Theorie ist, aber auch Auffassungen darüber, wie die Begriffe »Wahrheitsbedingung«, »Proposition« oder »das Gesagte« zu verstehen sind. Hinter diesen begrifflichen Divergenzen verbergen sich jedoch unterschiedliche Antworten auf wichtige philosophische Fragen wie »Wie sollten wir über sprachliche Kommunikation theoretisieren?«, »Wie können wir sinnvoll zwischen Semantik und Pragmatik unterscheiden?« oder »Welche Auffassung der Relation zwischen Semantik und Pragmatik bietet das größte explanatorische Potential?« Ein Ziel dieser Arbeit ist entsprechend ein metasemantisches: Ich zeige auf, wie wir sinnvoll zwischen Semantik und Pragmatik unterscheiden können, indem ich eine neue minimalistische Konzeption des semantischen Gehalts von Sätzen relativ zu Äußerungskontexten stark mache. Die minimalistische Position von Emma Borg (2004, 2012) dient mir dabei als Ausgangspunkt, ich modifiziere sie jedoch in einer grundlegenden Hinsicht, und gelange in der Folge zu einer im Hinblick auf die Aufgabe einer semantischen Theorie und die Spezifität des semantischen Gehalts geäußerter Sätze noch minimaleren Auffassung von Semantik. Was genau eine Position in der Debatte um die Semantik/Pragmatik-Unterscheidung als minimalistisch auszeichnet – was das Minimale an der Idee einer minimalistischen Semantik ausmacht – wird von Position zu Position unterschiedlich aufgefasst. Laut Cappelen & Lepore (2005) ist der minimale Einfluß des Kontextes auf den semantischen Gehalt geäußerter Sätze das namensgebende und auch das hervorstechendste Merkmal minimalistischer Positionen (vgl. Cappelen & Lepore 2005:2). Meines Erachtens ist es in systematischer Hinsicht jedoch sinnvoller, den geringen Einfluß des Äußerungskontextes auf den semantischen Gehalt als eine Folge theoretischer Grundsätze aufzufassen, die ihrerseits als »minimalistisch« zu charakterisieren sind, statt ihn als definitorisches Merkmal zu postulieren.
14 Vgl. bspw. Recanati (2004, 2010) sowie Carston (2002, 2008). 15 Vgl. bspw. Borg 2004, Cappelen & Lepore 2005 sowie Bach 2004, 2005.
Demonstrative Bezugnahme
19
Die Etablierung bzw. Verteidigung minimalistischer metasemantischer Grundsätze ist das primäre Ziel minimalistischer Positionen. Diese Grundsätze führen dazu, daß der genuin semantische Gehalt geäußerter Sätze sich in einer den jeweiligen Grundsätzen entsprechenden Hinsicht als »minimal« charakterisieren läßt. Emma Borg listet gleich zu Beginn ihres Buchs Minimal Semantics sechs »Aufgaben« auf, deren Erfüllung man als Desiderata verstehen kann, die eine semantische Theorie erfüllen sollte, und gibt dann zu versehen, daß sie selbst nach einer sehr minimalen Theorie sucht, die nur die ersten beiden dieser Aufgaben erfüllt (vgl. Borg 2004:1ff.). Es geht ihr um »some minimal things anything deserving the title of ›theory of meaning‹ must be able to do« (ebd.) und dazu gehört unstrittigerweise die Klärung (1) der Kompositionalität und damit der Systematizität und Produktivität von Sprache und (2) der inferentiellen Relationen zwischen komplexen Ausdrücken. Diese Bedingungen bieten jedoch ausreichend Spielraum für verschiedene Varianten des semantischen Minimalismus. Auf die innerhalb des minimalistischen Lagers strittigen Punkte komme ich in Kapitel 2 ausführlich zu sprechen, aber an dieser Stelle wird bereits deutlich, daß ein beträchtlicher Teil der argumentativen Arbeit, vor der minimalistische Positionen stehen, darin besteht, aufzuzeigen und plausibel zu machen, welche Aufgaben eine semantische Theorie nicht zu erfüllen hat. Die explanatorische Kraft und die Konsequenzen dieser Auffassung müssen dann anhand der Analyse von Beispielen aufgezeigt werden.
1.2
Demonstrative Bezugnahme
Es besteht ein Zusammenhang zwischen der metasemantischen Ebene, auf der wir eine bestimmte Auffassung der Semantik/Pragmatik-Unterscheidung allgemein plausibel machen und der Beschäftigung mit der Semantik bzw. Pragmatik bestimmter Klassen von Ausdrücken: Einerseits muß jede abstrakte Konzeption der Trennung von Semantik und Pragmatik an Beispielen vorgeführt und plausibilisiert werden, andererseits muß jede konkrete Bestimmung des semantischen Gehalts bestimmter sprachlicher Ausdrücke ihrerseits an die jeweilige metasemantische Auffassung zurückgebunden werden können. Was als »Semantik« einer bestimmten Klasse von Ausdrücken präsentiert wird und welche mittels dieser Ausdrücke transportierten Gehalte in die Pragmatik verweisen werden, muß stets unter Rekurs auf die allgemeine Charakterisierung der beiden Disziplinen gerechtfertigt werden können. Läßt sich die Behandlung unterschiedlicher Klassen von Ausdrücken nicht auf dieselben Prinzipien der Unterscheidung zwischen Semantik und Pragmatik zurückführen, ist die Gesamtauffassung in sich nicht kohärent. Das kann sich entweder dadurch ergeben, daß mindestens eine der angebotenen Analysen
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Einleitung
nicht mit der explizit propagierten allgemeinen Konzeption von semantischem Gehalt übereinstimmt, oder aber dadurch, daß die Behandlung unterschiedlicher Klassen von Ausdrücken implizit (und ggfs. unbemerkt) gemäß unterschiedlichen metasemantischen Auffassungen der Unterscheidung zwischen Semantik und Pragmatik erfolgt. Es gibt eine Reihe von Ausdrücken, die eine besondere Herausforderung für die Trennung von Semantik und Pragmatik darstellen, weil die Gehalte, die wir mit ihnen ausdrücken, erst im Kontext der Äußerung bestimmt werden können. Christopher Gauker (2012) spricht in diesem Zusammenhang von »Zwischenphänomenen« (›in-between-phenomena‹) und beschreibt das folgendermaßen: Natural languages contain many expressions that may be thought of both as contributing to literal meaning and as devices by which speakers signal what they mean. […] I will call devices such as these the in-between phenomena. Insofar as the truth values of sentences involving in-between phenomena depend on the contextually determined values of certain parameters, explication of the in-between phenomena seems to belong to semantics. Insofar as the evaluation of utterances of such sentences depends on the context of utterance, explication of the in-between phenomena seems to belong to pragmatics. (Gauker 2012:18f.)
Im Anschluß an das metasemantische Ziel, eine minimalistische Auffassung des semantischen Gehalts geäußerter Sätze plausibel zu machen, die es ermöglicht, klar zwischen Semantik und Pragmatik zu unterscheiden, möchte ich meine Auffassung von genuin semantischem Gehalt daher auch an einem konkreten Beispiel illustrieren. Hierfür habe ich einfache Demonstrativa ausgewählt, i. e. Ausdrücken wie »dies«, »jener« (sowie referentiell verwendeten Pronomen wie »er« etc.), denn die theoretische Handhabung von einfachen Demonstrativa stellt eine besondere Herausforderung für die Trennung zwischen Semantik und Pragmatik dar. So stehen Demonstrativa in Gaukers Liste der »Zwischenphänomene« auch gleich an erster Stelle, gefolgt von quantifizierten Sätzen (wie z. B. »Alle waren anwesend.«), steigerbaren Prädikaten (wie z. B. »groß« oder »schnell«) und unvollständigen Prädikaten (wie z. B. »bereit«) (siehe Gauker 2012:18). Warum sind Demonstrativa ein Stolperstein für den semantischen Minimalismus? Zum einen konfrontieren sie den Minimalismten als paradigmatisch »referentielle Ausdrücke« mit der Problematik des Umgangs mit dem Phänomen der direkten Bezugnahme. (Direkt-referentielle Ausdrücke wie Eigennamen oder Demonstrativa verwenden wir in der Regel, um singuläre Propositionen auszudrücken (i. e. Propositionen, die ohne deskriptive Vermittlung »direkt von einem Gegenstand handeln«), da ihre semantischen Regeln einen Referenzmechanismus vorsehen, der die Objektabhängigkeit der mit entsprechenden Sätzen
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ausgedrückten Wahrheitsbedingung sicherstellt.16 Können singuläre Propositionen semantische Gehalte im Sinne des Minimalismus sein? Zum anderen weisen Demonstrativa innerhalb der Klasse der indexikalischen Ausdrücke einige interessante Besonderheiten auf. Im Falle von einfachen Demonstrativa führen uns die linguistischen Regeln, die die konventionelle Bedeutung beinhaltet, allem Anschein nach nicht ganz zu einem Referenten, was Demonstrativa prima facie von Indexikalia wie »ich«, »gestern« oder »jetzt« unterscheidet und sie innerhalb der Klasse der indexikalischen Ausdrücke besonders problematisch erscheinen läßt. Da sie so gut wie keinen deskriptiven Gehalt haben, können wir – so scheint es – mit Demonstrativa Gehalte nicht rein sprachlich ausdrücken, vielmehr müssen wir dafür den Kontext der Äußerung in einer substantiellen Weise einbeziehen – einer Weise, die Rekurs auf referentielle Intentionen von Sprechern involviert. Vor diesem Hintergrund beschäftige ich mich ausführlich mit demonstrativer sprachlicher Bezugnahme und gehe im Rahmen dieser Beschäftigung über die Bestimmung der Wahrheitsbedingungen entsprechender Sätze im Sinne des Minimalismus (Kapitel 3) hinaus, indem ich anschließend versuche, die impliziten Regeln zur Bestimmung der Referenten von Demonstrativa explizit zu machen (Kapitel 4) und mich mit den Fragen befasse, wie genau sprachliche Bedeutung und außersprachliche Faktoren beim Ausdrücken entsprechender Gehalte zusammenwirken und von welcher Natur die so ausgedrückten Gehalte sind (Kapitel 5). Der Aufbau der Arbeit und der rote Faden ergeben sich nicht direkt aus dem Vorhaben, die Funktionsweise von einfachen Demonstrativa zu untersuchen, wie es z. B. auch einer linguistischen Arbeit zugrundeliegen könnte, sondern entspringen der philosophischen Beschäftigung mit der Frage, ob eine systematische Trennung von Semantik und Pragmatik möglich ist. Die verschiedenen thematischen Aspekte, die sich bei der intensiveren Beschäftigung mit Demonstrativa ergeben, werden vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Frage behandelt.
1.3
Programm
In Kapitel 2 führe ich in die aktuelle sprachphilosophische Debatte um die Semantik/ Pragmatik-Unterscheidung ein, in der kontextualistische Positionen gegen minimalistische antreten, und beziehe zugunsten einer minimalistischen Position Stellung, derzufolge der genuin semantische Gehalt eines geäußerten 16 Vgl. Kripke 1980 und Kaplan 1989b. Auf direkte Bezugnahme und singuläre Gehalte komme ich in den Kapiteln 3 und 5 ausführlich zu sprechen.
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Einleitung
Satzes nicht von Sprecherintentionen abhängt, sondern allein unter Rekurs auf die konventionelle Bedeutung der verwendeten Ausdrücke und die Regeln ihrer Komposition bestimmt werden kann.17 Dabei werfe ich zunächst die Frage auf, worin die sogenannte kontextualistische Herausforderung an die »traditionelle« Unterscheidung zwischen Semantik und Pragmatik genau besteht. In diesem Zusammenhang grenze ich grundlegende Bedenken gegen eine (wahrheitskonditionale) semantische Theorie, wie sie im Kontext von Überlegungen des späten Wittgenstein oder auch von Quines Bedeutungsskeptizismus auftreten, von diesen Herausforderungen ab: Nur auf letztere, nicht aber auf erstere kann und will eine minimalistische Position eine direkte Antwort geben. Nachdem ich anschließend die notorische Unklarheit des Begriffs des Gesagten als inhärentes Problem kontextualistischer Positionen herausgestellt habe, widme ich mich der Darstellung der minimalistischen Position, die mir vorschwebt und die eng an Borg (2004, 2012) orientiert ist. Es ist mein Vorhaben, Borgs Position zu verbessern und konsequenter weiterzuführen als sie selbst es tut. Dabei hinterfrage ich auch die von Borg (2004) anscheinend akzeptierte Unterscheidung zwischen offener und (vermeintlich) verdeckter Kontextsensitivität sprachlicher Ausdrücke. Für die bezogene Position argumentiere ich vornehmlich in einer eher allgemeinen Weise, bei der metasemantische Überlegungen eine zentrale Rolle spielen. Insbesondere wenn es darum geht, die Unterschiede zwischen verschiedenen Versionen des semantischen Minimalismus herauszustellen, komme ich aber auch auf Beispiele zu sprechen. Allgemeines Ziel ist die philosophische Begründung einer minimalistischen Auffassung von genuin semantischem Gehalt, bei der die Begriffe konditionalisierte Wahrheitsbedingungen und liberale Wahrheitsbedingungen eine zentrale Rolle spielen und die zur Folge hat, daß viele Gehalte, die mittels sprachlicher Äußerungen kommuniziert werden, in den Gegenstandsbereich der Pragmatik fallen. In Kapitel 3 untersuche ich die Tragweite dieser minimalistischen Position im Hinblick auf die Phänomene der Indexikalität und der direkten Referenz, und zwar im Speziellen bezüglich der Frage, wie eine solche Position den Spezifika demonstrativer sprachlicher Bezugnahmen gerecht werden kann. Borg (2004) verwendet das Beispiel der einfachen Demonstrativa, um die Kompatibilität ihres minimalistischen Ansatzes mit der sogenannten offenen Kontextsensitivität sprachlicher Ausdrücke unter Beweis zu stellen. Davon inspiriert nehme 17 Vermeintliche »Zwischenpositionen« wie den sogenannten Indexikalismus erwähne ich in Kapitel 2 im Zuge der Erläuterung möglicher Kriterien für die Unterscheidung der relevanten Positionen und meiner Auffassung, derzufolge es in der Debatte keine kohärenten Zwischenpositionen geben kann.
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auch ich mir einfache Demonstrativa als eine der größten Herausforderungen für eine minimalistische Position vor, analysiere Borgs diesbezügliche Position im Detail und modifiziere sie, nachdem ich gezeigt habe, daß sie aufgrund ihrer Festlegung auf den Propositionalismus nicht angemessen mit demonstrativen Ausdrücken umgehen kann. Dabei problematisiere ich insbesondere Borgs Bestimmung des semantischen Gehalts von einfachen Demonstrativa unter Rekurs auf »syntaktisch generierte singuläre Begriffe«. Meine Kritik besteht darin, zu zeigen, daß es Borg nicht gelingt, ihren Davidsonschen wahrheitskonditionalen Ansatz und Kaplans Theorie der Direkten Referenz miteinander in Einklang zu bringen. Anhand der Bestimmung des semantischen Gehalts von einfachen Demonstrativa zeigt sich, daß es notwendig ist, den Propositionalismus aufzugeben, um den Anti-Intentionalismus einer minimalistischen Position beibehalten zu können. Ich komme zu dem Ergebnis, daß eine konsequent minimalistische Position es erfordert, Wahrheitsbedingungen und Propositionen begrifflich zu entkoppeln: Jeder wohlgeformte Satz hat relativ zu einem (potentiellen) Äußerungskontext Wahrheitsbedingungen, aber diese erreichen nicht immer die Ebene eines propositionalen Gehalts. Das Ziel dieses Kapitels ist es also, dem Borgschen Minimalismus meine nicht-propositionalistische minimalistische Alternative gegenüberzustellen. Nachdem ich den semantischen Gehalt von Sätzen mit einfachen Demonstrativa als das nichtpropositionale Konsequenz einer konditionalisierten Wahrheitsbedingung anti-intentionalistsich bestimmt habe, wende ich mich in den folgenden Kapiteln zwei wichtigen verbleibenden Fragen zu, deren systematischer Ort außerhalb des Gegenstandsbereichs der Semantik im Sinne des Minimalismus liegt – der Frage der Referenzbestimmung bei einfachen Demonstrativa und der nach der Natur mittels Demonstrativa ausgedrückter Gehalte. In Kapitel 4 beschäftige ich mich eingehend mit der Referenzbestimmung bei einfachen Demonstrativa. Ich beginne den Abschnitt mit einer Typologie demonstrativer Bezugnahmen, die auch eine Beschäftigung mit der verschobenen demonstrativen Bezugnahme (›deferred reference‹) involviert, und argumentiere dafür, daß es sich auch bei diesen Verwendungen um referentielle Verwendungen von Demonstrativa handelt. Im weiteren Verlauf des Kapitels spielen der Begriff der Demonstration und der von Kaplan (1989a) eingeführte Begriff der lenkenden Intention (›directing intention‹) eine wichtige Rolle: Ich argumentiere dafür, Demonstrationen als für intersubjektive demonstrative Bezugnahme notwendige Externalisierungen von ›directing intentions‹ aufzufassen.
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Einleitung
Im nun folgenden Hauptteil des Kapitels argumentiere für einen salienzbasierten Ansatz im Hinblick auf die Referenzbestimmung, demzufolge beiderseitig anerkannte Salienz (bas) das entscheidende Kriterium für demonstrative sprachliche Referenz ist. Die argumentativen Gegenpositionen sind zum einen Varianten von intentionalen Ansätzen und zum anderen Ansätze, denen zufolge eine intentionsunabhängige »objektive« Bestimmung der Referenten im Äußerungskontext möglich ist. Die Referenzbestimmung bei Demonstrativa weist diesem Ansatz zufolge die Besonderheit auf, daß auch die Adressaten in die Referenzbestimmung involviert sind: Ob der Sprecherreferent auch semantischer Referent ist, läßt sich nicht allgemein, sondern nur relativ zum jeweiligen Adressaten bestimmen. Mithilfe von Beispielen zeige ich auf, daß es gerade diese Eigenschaft ist, die eine intuitive Handhabung von problematischen Beispielen ermöglicht und mein bas-Kriterium allen anderen Ansätzen überlegen macht. Die vorgenommene Relativierung der Referenten demonstrativer Bezugnahmen auf Sprecher/ Adressaten-Tupel ist der wichtigste Unterschied zwischen meinem Ansatz und dem von Allyson Mount (2008), der mir als Ausgangspunkt dient und den ich auch in anderen wichtigen Details präzisiere bzw. entsprechend ausarbeite. Es wird deutlich, daß auch bei Demonstrativa nicht jeder vom Sprecher intendierte Referent ipso facto Referent tout court ist, allerdings ist jeder Referent tout court immer auch Sprecherreferent. Da einfache Demonstrativa außerordentlich wenig deskriptiven Gehalt haben und die Referenten nicht allein unter Rekurs auf linguistische Regeln bestimmt werden können, muß die auf Kripke (1977) zurückgehende Unterscheidung zwischen Sprecherreferenz und semantischer Referenz etwas uminterpretiert werden: Die Bestimmung der »semantischen« Referenten von Demonstrativa erfolgt nicht allein auf Basis ihrer linguistischen Bedeutung, aber doch in Übereinstimmung mit den impliziten Verwendungsregeln, die ich in Form meines oben erwähnten bas-Kriteriums explizit gemacht habe. In Kapitel 5 beschäftige ich mich mit eingehend mit den Gehalten, die wir mithilfe von Demonstrativa ausdrücken, beginne aber zunächst mit der Frage, wie wir es schaffen, demonstrative Bezugnahmen intersubjektiv zu vermitteln. Im bisherigen Verlauf der Arbeit ist bereits deutlich geworden, wie eng sprachliche und nichtsprachliche Elemente beim Ausdrücken von Gehalten mittels Demonstrativa relationiert sind. Diese Besonderheit demonstrativer Bezugnahmen läßt sich besonders gut mit Künnes (1982, 1992) Theorie der hybriden Eigennamen einfangen, die ich für den Fall von Demonstrativa ausbuchstabiere, indem ich Textors (2007, 2015) neuere Version davon modifiziere, die ihrerseits eine Weiterentwicklung und Verbesserung von Künnes ursprünglicher Theorie für Demonstrativa ist. Meine Modifikationen ergeben sich primär aus meiner argumentativen Zurückweisung von Textors Auffassung, daß wir
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Typen von Demonstrationen postulieren müssen, um Freges Rätsel mit einfachen Demonstrativa zu lösen und Identitätskriterien für demonstrative hybride Eigennamen zu bekommen. Anschließend argumentiere ich für eine neo-Fregesche Auffassung von demonstrativen Gehalten in Begriffen von de re-Sinnen und nichtdeskriptiven Gegebenheitsweisen, mit der sich sehr gut an die Theorie der hybriden Eigennamen andocken läßt. Obwohl direkte Bezugnahmen häufig automatisch mit Russellschen Propositionen assoziiert werden, wird deutlich, daß eine neoFregesche Alternative im Vergleich zu Russellschen Auffassungen mit einer Reihe von Vorteilen aufwarten kann. Abschließend zeige ich auf, daß eine neo-Fregesche Auffassung der entsprechenden Gehalte entgegen einigem Anschein zudem nicht mit Kaplans zentralen Einsichten unvereinbar ist und sich deutlich besser in eine minimalistische Gesamtkonzeption einfügt als die Russellsche, um deren Integration sich Borg ohne Erfolg bemüht.
2
Eine minimalistische Antwort auf die kontextualistische Herausforderung
2.1
Präliminarien
Sprecher kommunizieren mit ihren Äußerungen fast immer mehr an Gehalt, als das, was die sprachlichen Mittel, die sie dabei verwenden, an konventioneller Bedeutung liefern. Anderenfalls wäre unsere Kommunikation unvorstellbar einfältig. Sprachliche Bedeutung ist immer in Wechselwirkung mit dem Kontext der Äußerung und kann alleine nicht die Komplexität von kommunizierten Gehalten einfangen. Dies scheint ein unhintergehbares Faktum zu sein, dem jede philosophische Theorie der Bedeutung entsprechend Rechnung tragen muß und das ich in der Einleitung anhand der Beispiele 1–3 illustriert habe. Dennoch kann man schon an dieser Stelle einhaken und philosophische Bedenken gegen die Auffassung anbringen, daß es überhaupt so etwas wie konventionelle sprachliche Bedeutung gibt. Im Folgenden möchte ich solche Bedenken kurz thematisieren, um sie dann ad acta zu legen, da sie nicht dem entsprechen, was im Rahmen dieser Arbeit unter »kontextualistische Herausforderung« zu verstehen ist. In der modernen Debatte um die Semantik/Pragmatik-Unterscheidung sind sich Kontextualisten und Minimalisten darüber einig, daß konventionelle sprachliche Bedeutung ein notwendiges Element jeder Theorie der sprachlichen Kommunikation ist, auch wenn die Auffassungen darüber, welche Rolle dieses Element spielt, stark divergieren. Ein Begriff der konventionellen Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken ist demnach ein Baustein, der je nach Auffassung ggfs. unterschiedlich verstanden wird und dem im Rahmen entsprechender Auffassungen unterschiedlich viel an theoretischem Gewicht beigemessen wird. Dennoch gehen die konkurrierenden Ansätze alle davon aus, daß es so etwas wie eine konventionelle Bedeutung sprachlicher Ausdrücke gibt, deren Kenntnis eine Bedingung für unsere Kommunikation mittels Sprache ist.18 Selbst sogenannte
18 An dieser Stelle ist es irrelevant, ob »Kenntnis« eher als Fähigkeit aufgefaßt wird (»Wissen-
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Eine minimalistische Antwort auf die kontextualistische Herausforderung
radikale Kontextualisten wie Searle oder Travis setzen konventionelle bzw. wörtliche Bedeutung in irgendeiner Form voraus. Travis widmet sich an mehreren Stellen intensiv der kritischen Auseinandersetzung mit den Begriff der wörtlichen Bedeutung, meidet dabei aber bewußt die Termini ›literal meaning‹ oder ›conventional meaning‹ und spricht stattdessen von ›literal sayings‹ oder ›literal uses‹ (vgl. z. B. Travis 1989:Kap.4). Dennoch benötigt er einen – wenn auch sehr schwachen – Begriff von wörtlicher Bedeutung im Sinne eines »semantischen Potentials«, welches es ermöglicht, mit einem bestimmten Ausdruck vielerlei verschiedenes, aber eben doch nicht alles, zu ›sagen‹.19 In diesem Sinne setzt auch Travis wörtliche Bedeutung implizit voraus. Bei Searle hingegen wird der Begriff der wörtlichen Bedeutung zwar verwendet, aber nicht weiter erläutert und bleibt deshalb sehr unklar (vgl. Searle 1978). Der Sache nach könnte bzw. würde wohl auch Searle der Idee eines unspezifischen semantischen Potentials zustimmen, m. E. bleibt ein solcher Begriff jedoch deshalb unklar, weil sowohl Travis als auch Searle sich weigern, ihn unter Rekurs auf den Begriff der Wahrheitsbedingung zu explizieren.20 Daß sie der Auffassung sind, daß sich der Begriff der Wahrheitsbedingung nicht auf geäußerte Sätze per se, sondern erst auf im Äußerungskontext stark spezifiziere Gehalte anwenden läßt (Travis) bzw. daß geäußerten Sätzen nur vor einem lebensweltlich-pragmatischen Hintergrund Wahrheitsbedingungen zugeschrieben werden können (Searle) macht beide Theoretiker – trotz aller wichtigen Unterschiede – zu Vertretern moderner radikal-kontextualistischer Positionen und damit zu Protagonisten der neueren Debatte um die Semantik/ Pragmatik-Unterscheidung. Ein wichtiger Unterschied zwischen Travis’ und Searles Auffassung besteht darin, daß Travis sein Philosophieren über Sprache in einer Wittgensteinschen Tradition sieht, während Searle sich explizit von der OLP und für diese Traditionslinie typischen Versuchen distanziert, Bedeutung über das zu explizieren, was wir mithilfe von sprachlichen Ausdrücken tun. So argumentiert Searle in Meaning and Speech Acts (1962) gegen Hares Versuch, die Bedeutung von »gut« darüber zu explizieren, welche Sprechakte unter Verwendung dieses Prädikats vollzogen werden können. Searles Argumentationsziel ist gewissermaßen ganz im Sinne einer strikten Trennung zwischen Semantik und Pragmatik: Well, what does »good« mean anyhow? Anything like a complete answer to this question is beyond the scope of this paper. As Wittgenstein suggested, it has like »game« a family of meanings. Prominent among them is: meets the criteria or standards of assessment or evaluation. Some other members of the family are: satisfies certain interests; and even: wie«) oder als implizites Wissen, auf das sich die Fähigkeit kompetenter Sprecher gründet, sprachliche Ausdrücke korrekt zu verwenden. 19 Vgl. dazu Recanati 2004:152. 20 Darauf komme ich weiter unten genauer zu sprechen.
Präliminarien
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satisfies certain needs or fulfills certain purposes. (These are not unrelated; that we have the criteria of assessment we do will depend on such things as our interests.) Hare has seen that saying that something meets the criteria or standards of evaluation or assessment is giving an evaluation or assessment of a certain kind, that is, commendatory. But the incorrect inference that the meaning of »good« is therefore somehow explicable in terms of commendation prevents us from seeing what I have been trying to emphasize, that »good« means the same whether I am expressing a doubt as to whether something is good, or asking if it is good, or saying that it is good. For that reason the question »What is it to call something good?« is a different question from »What is the meaning of ›good‹?« – and in that sense there is more to meaning than use. (Searle 1962:432)21
Das Problem dabei ist allerdings, daß Searle im Zuge seiner Argumentation an mehreren Stellen eine sprechaktunabhängige konventionelle Bedeutung von »gut« voraussetzt und sich somit – in Anbetracht seines Beweisziels – einer petitio schuldig macht (vgl. Searle 1962:424–426.). Darauf komme ich gleich noch einmal zurück und wende mich nun potentiellen Einwänden gegen eine minimalistische Konzeption des semantischen Gehalts von geäußerten Sätzen (und einer entsprechenden Trennung von Semantik und Pragmatik) zu, die den genannten radikal-kontextualistischen Ansätzen noch vorgelagert sind, da sie die philosophische Begründetheit der in der Debatte geteilten Grundannahme einer – wie auch immer gearteten – wörtlichen Bedeutung sprachlicher Ausdrücke in Frage stellen. Ohne einen Begriff der konventionellen Bedeutung sprachlicher Ausdrücke in Unabhängigkeit von konkreten Verwendungen bereits vorauszusetzen, ist eine minimalistische Position nämlich nicht formulierbar ; jede Formulierung käme einer petitio gleich, wenn der argumentative Gegner diese Voraussetzung nicht teilt. Im Folgenden unterscheide ich zwei Arten von Sorge im Hinblick auf die theoretische Annahme einer konventionellen Bedeutung sprachlicher Ausdrücke und nehme anschließend dazu Stellung.
21 Searle verweist in der zitierten Passage auf den zweiten Absatz des § 77 von Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen (PU), in dem Wittgenstein davon spricht, daß das Wort »gut« eine »Familie von Bedeutungen« hat: »Frage dich in dieser Schwierigkeit immer : Wie haben wir denn die Bedeutung dieses Wortes (›gut‹ z. B.) gelernt? An was für Beispielen?; in welchen Sprachspielen? Du wirst dann leichter sehen, daß das Wort eine Familie von Bedeutungen haben muß.« (PU, §77) Hier wird m. E. deutlich, daß auch Wittgenstein einen Begriff von sprachlicher Bedeutung bzw. – bei vielen Worten – einer Familie von Bedeutungen hat, der unabhängig von konkreten Verwendungen ist und sich dem Lernenden via Konfrontation mit ihnen erschließt bzw. zeigt.
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Eine minimalistische Antwort auf die kontextualistische Herausforderung
Nebulöse metaphysische Annahme
Die Ausdrücke rein sprachliche Bedeutung oder linguistische Bedeutung alleine könnten bei von Wittgensteins Spätwerk inspirierten Philosophen, die die Wittgensteinsche philosophische Methode ernst nehmen und aus diesem Grunde sprachphilosophischen Ansätzen, die systematische Bestrebungen haben und mit vielen termini technici arbeiten, kritisch gegenüberstehen, bereits als theoretisches Postulat anecken und Reaktionen der Art »Was genau soll sprachliche Bedeutung sein?« oder »Es ist erst zu zeigen, daß es so etwas wie eine Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken unabhängig von ihrem konkreten Gebrauch überhaupt gibt!« evozieren.22 Die Sorge, daß es da nichts gibt, was zu postulieren wäre bzw. daß entsprechende Annahmen bei Lichte besehen unsinnig sind, läßt sich mit Blick aus Quines These von der Unbestimmtheit der Bedeutung noch verstärken und kann unter Umständen sogar in einen allgemeinen Bedeutungsskeptizismus münden: Wenn wir versuchen, allein via Beobachtung Bedeutungen aus sprachlichen Handlungen zu abstrahieren, kommen wir nie zu einem eindeutigen Ergebnis.23 Wer also davon ausgeht, daß es eine konventionelle sprachliche Bedeutung von Ausdrücken an sich gibt, die sich prinzipiell von pragmatisch kommunizierten/ angereicherten Gehalten trennen läßt , der setzt etwas voraus, was erst noch zu zeigen ist – so könnte der Vorwurf lauten – und bei jedem Versuch einer Begründung dieser Annahme verstrickt man sich unwillkürlich in nebulöse metaphysische Annahmen.
(2)
Sprecherbedeutung ist primär
Ein weiterer grundlegender Einwand, der mit dem erstgenannten relationiert ist bzw. sich mit diesem in Verbindung bringen läßt, ist primär methodologischer Natur und betrifft die allgemeine Vorgehensweise beim Theoretisieren über Sprache. »Wer von der Bedeutung von Worten oder Sätzen spricht und diese dann vom im Äußerungskontext damit Gemeinten abgrenzen will, zäumt das Pferd von 22 Ein Beispiel ist Baz (2012), der sich insbesondere in Kap. 1 und 2 seins Buchs mit dem Begriff der sprachlichen Bedeutung auseinandersetzt, den viele Kritiker der OLP seiner Auffassung nach voraussetzen, den die OLP aber ihrerseits in Frage stellt und für viele »traditionelle philosophische Schwierigkeiten« verantwortlich macht. Seine Argumente – insbesondere seine Einwände gegen das sogenannte Frege-Geach-Argument – überzeugen jedoch nicht, ich kann im Rahmen dieser Arbeit allerdings nicht darauf eingehen. 23 Vgl. Quine 1960, Kap. 2. Auf Feinheiten, wie die Unterschiede zwischen verschiedenen Arten von Unbestimmtheit, kommt es hier nicht an.
Präliminarien
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hinten auf: Wie sollten sprachliche Ausdrücke unabhängig von dem, was wir konkret mit ihnen meinen, eine Bedeutung haben?« könnte der Einwand etwa lauten.
Ad (1): Keine »Metaphysik von Bedeutung« Indem ich in dieser Arbeit im Rahmen der Debatte um die Semantik/PragmatikUnterscheidung für eine minimalistische Position Stellung beziehe, betreibe ich nicht implizit auch eine hintergründige Metaphysik von Bedeutung, da ich es mir nicht zur Aufgabe gemacht habe, zu sagen oder indirekt aufzuzeigen, worin genau die konventionelle Bedeutung sprachlicher Ausdrücken besteht bzw. was diese Bedeutung in einem emphatischen Sinne ist. Ich halte diese Frage in einer Weise für ontologisch aufgeladen, die letztlich philosophisch irreführend ist – darin stimme ich mit »dem Wittgensteinianer« überein. Mich interessiert vielmehr die funktionale und explanatorische Rolle, die rein sprachliche, konventionelle Bedeutung von Ausdrücken im Rahmen einer systematischen Theorie der sprachlichen Kommunikation spielt. Ich bin davon überzeugt, daß dieser Begriff etwas Wichtiges trifft und im Rahmen einer solchen Theorie absolut unverzichtbar ist. Kommunikation mittels Sprache ist wiederum etwas, was uns als Menschen auszeichnet und daher von zentralem philosophischem Interesse ist. Daß sprachliche Ausdrücke eine konventionelle Bedeutung haben, ist zudem vortheoretisch evident. Frage ich philosophisch nicht »vorbelastete« Personen danach, ob sie der Meinung sind, daß sprachliche Ausdrücke an sich eine Bedeutung haben, so mache ich nie die Erfahrung, daß jemand das abstreitet. Frage ich aber anschließend danach, was diese konventionelle Bedeutung denn eigentlich für ein »Ding« sei, so sind durchweg alle Befragten äußerst irritiert. Grund für diese Irritation ist meiner Einschätzung nach, daß diese Frage zunächst an konkrete, empirische Gegenstände oder doch wenigstens an in irgendeiner Weise physikalische Phänomene denken läßt. Sprachliche Bedeutung gehört meines Erachtens jedoch nicht zu den Phänomenen, die sich in naturalistischen Begriffen einfangen lassen.24 Wenn wir also gezwungen sind, die ontologische Frage zu beantworten und nicht sagen wollen, sprachliche Bedeutungen seien neuronale Strukturen oder dergleichen, dann bleibt nur eine Antwort, und diese lautet: abstrakte Gegenstände. Mir geht es jedoch nicht um das Postulieren abstrakter Gegenstände, sondern vielmehr darum, deutlich zu 24 Für diese Auffassung kann ich im Rahmen dieser Arbeit nicht argumentieren. Weiter unten beziehe ich oberflächlich gegen eine Chomskysche Auffassung von Semantik und für den semantischen Externalismus im Anschluß an Putnam Stellung.
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Eine minimalistische Antwort auf die kontextualistische Herausforderung
machen, daß wir zu explanatorischen Zwecken Bedeutungen von sprachlichen Ausdrücken annehmen müssen: Spätestens wenn man versucht, verschiedene Ebenen von Bedeutung in der sprachlichen Kommunikation systematisch auseinanderzuhalten und ihre Relationen zueinander zu bestimmen, sollte klar werden, daß sprachliche Ausdrücke eine konventionelle Bedeutung haben und diese Bedeutung Bedingung der Möglichkeit für fast alles ist, was wir mit sprachlichen Ausdrücken in konkreten Situationen tun. Statt eine wörtliche Bedeutung bereits vorauszusetzen, hätte Searle (1962) daher etwas behutsamer vorgehen können, indem er lediglich aufzeigt, daß Hares Ansatz, die Bedeutung von »gut« in Begriffen von Sprechakten zu explizieren, zu kurz greift, da er nicht alle Verwendungen einfangen kann, die uns als kompetenten Sprechern intuitiv korrekt erscheinen. Eine Verwendung kann nur relativ zu bestimmten Regeln oder Standards korrekt oder inkorrekt sein, was wiederum prima facie als starke Evidenz dafür angesehen werden kann, daß diese impliziten Regeln Teil der konventionellen Bedeutung sind und sich die entsprechenden Regularitäten in der Verwendung nur unter Rekurs auf diese Bedeutung erklären lassen. Plausiblerweise ist die Erklärungsrichtung demnach umgekehrt als bei Hare: Die konventionelle Bedeutung von »gut« ist ein unverzichtbarer Baustein der Erklärung, warum wir unter Verwendung dieses Ausdrucks bestimmte Sprechakte, wie z. B. den der Empfehlung, vollziehen können. Aus dieser Problematik läßt sich meines Erachtens lernen, daß es nicht unser philosophisches Ziel sein sollte, zu beweisen, daß es wörtliche Bedeutungen von sprachlichen Ausdrücken gibt. Das wäre in der Tat töricht und würde uns in unnötige metaphysische Verstrickungen bringen. Wir sollten uns vielmehr vornehmen, mithilfe unserer Theorien aufzuzeigen, daß wir den Begriff der wörtlichen Bedeutung beim systematischen Theoretisieren über Sprache brauchen. Wenn wir sagen, daß sprachliche Ausdrücke eine Bedeutung haben, meinen wir, daß es Konventionen gibt, die ihre Verwendung regeln. Wörtliche Verwendungen sind Verwendungen, die in Übereinstimmung mit diesen impliziten Konventionen erfolgen. Es ist ein Gemeinplatz, daß es entsprechende Konventionen gibt – in diesem Sinne schließe ich mich Lewis an, wenn er schreibt: It is a platitude – something only a philosopher would dream of denying – that there are conventions of language, although we do not find it easy to say what those conventions are. (Lewis 1975:7)
Damit ist eine weitere Beschäftigung mit sprachlicher Bedeutung – beispielsweise mit lexikalischen Bedeutungen (i. e. Bedeutungen einzelner sprachlicher Ausdrücke) – keinesfalls obsolet. Im Gegenteil gibt es in diesem Zusammenhang eine Reihe von interessanten philosophischen Fragen. So kann man sich bei-
Präliminarien
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spielsweise Gedanken darüber machen, welche Eigenschaften von Elementen der Extension eines Ausdrucks analytisch sind, i. e. sich allein aus der Bedeutung dieses Ausdrucks ableiten lassen, und welche lediglich de facto ein häufiges Merkmal von Elementen der Extension sind.25
Ad (2): Genese vs. systematische Rolle Beim Theoretisieren von einer konventionellen Bedeutung sprachlicher Ausdrücke auszugehen, heißt nicht, unreflektiert anzunehmen, daß diese »einfach da ist« und daß sie gegenüber der Sprecherbedeutung – dem, was einzelne Sprecher in konkreten Situationen mit sprachlichen Äußerungen meinen – in jeder Hinsicht primär ist. Es besteht im Gegenteil kein Zweifel darüber, daß Sprecherbedeutung gegenüber der konventionalisierten Bedeutung, die wir sprachlichen Ausdrücken direkt zuschreiben, in genetischer Hinsicht primär ist: Wenn es nicht zuerst Akte des Meinens gegeben hätte, die dann zunehmend mit Zeichen assoziiert wurden, um sie leichter intersubjektiv zugänglich zu machen, hätten abstrakte Konventionen und Verwendungsregeln sich nicht herausbilden können. Dabei muß es allerdings ein Mysterium bleiben, wie genau sich aus einzelnen Akten des Meinens ein so komplexes System von sprachlichen Konventionen entwickeln konnte, wie es uns als kompetenten Sprechern einer Sprache zur Verfügung steht. Eine Antwort auf diese Frage zu verlangen, wäre in einem Kantischen Sinne philosophisch anmaßend, da dafür eine Außenper25 Ein einfaches Beispiel zur Veranschaulichung: Wohl niemand würde abstreiten, daß die Eigenschaft des Unverheiratet-Seins sich analytisch aus dem Prädikat »Junggesellin« ergibt, wohingegen Prädikate wie im Durchschnitt besser durchzuschlafen als Verheiratete oder häufiger einsame Abende zu verbringen als Verheiratete sich den Referenten nur mittels empirischer Untersuchungen zu- oder absprechen lassen. Interessant wird es bei notwendigen Eigenschaften, die nicht analytisch sind oder der Frage, ob alle analytischen Prädikate den Referenten notwendigerweise zukommen. So ist die Aussage »Wasser ist H2O« notwendig und aposteriori, aber (vertretbarerweise) nicht analytisch, wohingegen die Aussage »Tiger sind gestreift« (vertretbarerweise) analytisch ist, aber keine notwendige Wahrheit ausdrückt. Das heißt, man kann die Bedeutung des Wortes »Wasser« kennen bzw. kompetenter Verwender dieses Ausdrucks sein, ohne zu wissen, daß Wasser H2O ist; man kann aber nicht kompetenter Verwender des Wortes »Tiger« sein bzw. die Bedeutung von »Tiger« kennen, ohne zu wissen, daß Tiger normalerweise gestreift sind. Mit der Qualifikation »vertretbarerweise« möchte ich deutlich machen, daß es bezüglich der Akzeptanz solcher Aussagen einen argumentativen Spielraum gibt und man je nach Auffassung von Analytizität unterschiedlicher Meinung sein kann. Die Entkoppelung von Analytizität und Notwendigkeit ist Anzeichen einer Non-Standard-Auffassung von Analytizität (für die ich hier nicht argumentieren kann) und passt gut zu einer lexikalischen Semantik, die mit dem Begriff des Stereotypen arbeitet (vgl. dazu Putnam 1975). Die Auseinandersetzung mit solchen Fragen führt zum Themenfeld der Relation von Bedeutung/semantischem Wissen und Weltwissen, auf das ich weiter unten noch zu sprechen komme.
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Eine minimalistische Antwort auf die kontextualistische Herausforderung
spektive auf uns als Menschen erforderlich wäre, die wir nicht einnehmen können. Wittgensteinsch gesprochen würde das verlangen, daß wir »aus der Sprache heraustreten« müßten, um etwas darüber zu erfahren, wie unsere Praxis des intersubjektiven Austausches mittels Sprache möglich ist/entstehen konnte, was eine Forderung darstellt, der wir nicht nachkommen können. Ich halte es für sehr wichtig, sich darüber im Klaren zu sein. Beim Theoretisieren über Sprache von der konventionellen Bedeutung von Ausdrücken auszugehen, heißt folglich nicht, so zu tun, als sei diese ein einfaches Datum, sondern dient einem systematischen Zweck. Was in einem theoretischen Gesamtbild systematisch oder explanatorisch primär ist, muß nicht genetisch primär sein. Der Umstand, daß Sprecherbedeutung genetisch primär ist, verpflichtet uns nicht dazu, konventionelle Bedeutung in Begriffen von Sprecherbedeutung zu erläutern. Diesbezüglich verhält es sich analog zur Unterscheidung zwischen der Genese und der Rechtfertigung einer Meinung in der Erkenntnistheorie, die insbesondere mit Blick auf eine Konzeption von Apriorität unverzichtbar ist.26 Grice versucht, beiden Erklärungsrichtungen theoretisch gerecht zu werden: Zum einen versucht er, u. a. mithilfe des Begriffs der selbstreferentiellen Intention, den Begriff der konventionellen Bedeutung auf eine systematische Weise aus dem der Sprecherbedeutung abzuleiten.27 Zum anderen benutzt er die konventionelle Bedeutung sprachlicher Ausdrücke ihrerseits, um im Ausgang von dem eng mit dieser relationierten »Gesagten« unter Zuhilfenahme einer Reihe von Konversationsmaximen pragmatisch implikierte Gehalte herzuleiten, die Sprecher in konkreten Situationen über das Behauptete hinaus vermitteln.28 Bei Grice finden wir also beide Erklärungsrichtungen (!) vor : 1. Sprecherbedeutung (konkretes mit-dem-Ausdruck(A)-jetzt-dies-und-jenesMeinen) ! konventionelle Bedeutung von A
26 Tyler Burge bringt das folgendermaßen auf den Punkt: »An apriori justification (entitlement) cannot rely on the specifics of sense experiences or perceptual beliefs for its justoficational force. An apriori justification will usually depend on sense experiences or perceptual beliefs in some way. They are typically necessary for the acquisition of understanding or belief. But such dependence is not relevant to apriority unless it is essential to justificational force. Distinguishing the genesis of understanding and belief from the rational or normative force behind beliefs is fundamental to any view that takes apriori justification seriously.« (Burge 1993:460) Diese Auffassung läßt sich nur zurückweisen, wenn man entweder ganz auf einen Begriff von Apriorität verzichtet oder versucht, eine vorkantische Konzeption von Apriorität plausibel zu machen, derzufolge apriorische Meinungen allein durch Verstandestätigkeiten erworben sind – meines Erachtens beides keine attraktiven Optionen. 27 Vgl. dazu die Aufsätze Meaning (1948, 1957) und Meaning Revisited (1976, 1980) in Grice 1989, in denen Grice seine teleologische Auffassung von Bedeutung einführt und elaboriert. 28 Vgl. Grice 1989:24ff. Die ohnehin umstrittenen »konventionellen Implikaturen« lasse ich hier abermals außen vor.
Präliminarien
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2. konventionelle Bedeutung/das Gesagte ! Implikatur (Variante von Sprecherbedeutung) Diese unterschiedlichen theoretischen Ambitionen haben dazu geführt, daß Grice je nach Interesse gleichermaßen von Minimalisten wie von Kontextualisten theoretisch einbezogen und gegebenenfalls vereinnahmt wird: Minimalisten führen in der einen oder anderen Weise seinen Versuch fort, Semantik und Pragmatik strikt voneinander zu trennen,29 während Kontextualisten genau diese Bestrebung kritisieren,30 dafür aber Grices Fokus auf die Sprecherbedeutung – das mit-einem-Ausdruck-etwas-Meinen – als Ausgangspunkt würdigen und intentionale Faktoren ins Zentrum des theoretischen Interesses rücken. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, daß der unter 1. genannte Teil des Griceschen Projekts trotz einiger Präzisierungsversuche in Reaktion auf Kritik allgemein als gescheitert angesehen wird (vgl. bspw. Sperber & Wilson 1986:21). Offenbar läßt sich konventionelle Bedeutung nicht so wie es Grice vorschwebte in einer systematischen Weise aus der Sprecherbedeutung herleiten. Das ist zwar kein Argument im engeren Sinne, kann meines Erachtens aber dennoch als Indikator dafür aufgefaßt werden, daß es theoretisch fruchtbarer ist, eine systematische Theorie mit der Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken zu beginnen – trotz der Tatsache, daß das »Meinen« gegenüber dem »Bedeuten« genetisch primär ist. Das abstrakte Begründet-Sein der konventionellen Bedeutung in einzelnen Akten des mit-einem-Ausdruck-etwas-Meinens ist in einem gewissen Sinne eine empirische Tatsache. Sie ist meines Erachtens nur dann philosophisch relevant, wenn wir uns beim Theoretisieren über Sprache für eine andere als die sogenannte sprachanalytische Methode entscheiden – nämlich die phänomenologische Methode. Im Rahmen der von Edmund Husserl eingeführten phänomenologischen Methode ist es geboten, beim eigenen Meinen anzufangen, um dann über eine Reihe von Unterscheidungen zur konventionellen Bedeutung (und zu intersubjektiv teilbarem Gehalt überhaupt) zu gelangen. Husserl befasst sich insbesondere in der I. und VI. Logischen Untersuchung intensiv mit dem Phänomen der Indexikalität und der Kontextsensitivität von Sprache generell und führt in diesem Zusammenhang eine Reihe von wichtigen Unterscheidungen ein. In dieser Arbeit verfolge ich selbst nicht die phänomenologische Methode, komme aber hin und wieder auf Husserls Phänomenologie der (sprachlichen) Bedeutung zu sprechen oder verstärke die Zugkraft meiner Ar29 Für eine Diskussion der Parallelen zwischen der minimalistischen und der Griceschen Auffassung hinsichtlich der sich anschließenden Frage nach dem Verhältnis von Semantik und Psychologie, siehe Borg (2012:51ff.). 30 Am prominentesten Recanati (2004:27ff.).
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Eine minimalistische Antwort auf die kontextualistische Herausforderung
gumente durch phänomenologische Erwägungen. Unabhängig vom Ausgangspunkt sollten sich beim sorgfältigen Theoretisieren über Sprache schlußendlich die gleichen Unterscheidungen ergeben:31 Der Phänomenologe fängt bei individuellen »bedeutungsverleihenden Akten« des Meinens an, aber damit diese ihre Funktion in der intersubjektiven Kommunikation erfüllen können (die intendierten Gehalte ausgedrückt werden können), müssen die verwendeten Ausdrücke eine konventionelle Bedeutung haben, die sich ihrerseits nicht alleine unter Rekurs auf Bewußtseinszustände einzelner Sprecher explizieren läßt (Stichwort: Externalismus). Es ergibt sich ein holistisches Bild gegenseitiger Abhängigkeit von intentionaler und nicht-intentionaler Bestimmung von Bedeutung. Um bezüglich der Rolle von Intentionen in der Semantik für mehr Klarheit zu sorgen, führt Borg (2006) die Unterscheidung zwischen der allgemeinen (a) und der spezifischen (b) Abhängigkeit des semantischen Gehalts geäußerter Sätze von Intentionen ein: (a) Die allgemeine Abhängigkeit des semantischen Gehalts geäußerter Sätze von Intentionen ist die gerade thematisierte genetische Abhängigkeit. Sie ist im Hinblick auf die Debatte um die Semantik/Pragmatik-Unterscheidung gewissermaßen harmlos. Die genetische Abhängigkeit im Sinne des psychosozialen Prozesses des Herausbildens sprachlicher Konventionen, läßt sich sogar zu einer begrifflichen Abhängigkeit verstärken: Aufgrund des inhärenten Zusammenhangs der Begriffe »Bedeutung« und »Intention« bzw. »Intentionalität« können wir uns keine Welt vorstellen, in der es bedeutungsvolle Zeichen, aber keine intentionalen Akteure gibt bzw. gab. Dieser Zusammenhang zeigt sich auch in Lewis’ intentionalistischer Konzeption einer Konvention (vgl. Lewis 1969). Die sprachlichen Konventionen, die den semantischen Gehalt geäußerter Sätze bestimmen, basieren in diesem genetischen Sinne also notwendigerweise auf Intentionen intentionaler Subjekte, denn diese bestimmen die Sprecherbedeutungen in konkreten Verwendungen, die sich im Laufe der Zeit zu Konventionen verfestigt haben. (b) Eine intentionenbasierte Semantik im zweiten, spezifischeren Sinne hingegen rekurriert bei der Bestimmung des semantischen Gehalts geäußerter Sätze auf die konkreten Intentionen gegenwärtiger Sprecher, sodaß der se31 Daß ich mit dieser Annahme nicht ganz falsch liegen kann, zeigt sich u. a. dadurch, daß Husserl im Rahmen seiner Methode bereits auf einige Unterscheidungen gestoßen ist, die später im Kontext der analytischen Sprachphilosophie große Bekanntheit erlangt haben, nämlich Kaplans character/content-Unterscheidung (Kaplan 1989b [1977]) sowie Donnellans Unterscheidung zwischen der attributiven und der referentiellen Verwendung von Kennzeichnungen (Donnellan 1966). Ich gehe davon aus, daß Leser mit diesen Unterscheidungen im Groben vertraut sind. Auf erstere komme ich in Kapitel 3 genauer zu sprechen (vgl. S. 114ff.)
Präliminarien
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mantische Gehalt geäußerter Sätze von den Intentionen der jeweiligen Sprecher abhängt. Hierbei ist es zunächst irrelevant, als wie stark der Einfluß der Sprecherintentionen auf den semantischen Gehalt aufgefasst wird bzw. ob und in welcher Weise dieser Einfluß im Rahmen der jeweiligen Theorie eingeschränkt wird. Borg lehnt jede Form der spezifischen Abhängigkeit (b) des semantischen Gehalts geäußerter Sätze von Intentionen entschieden ab. Ich übernehme diese Forderung an eine minimalistische Position und komme im Verlauf dieser Arbeit immer wieder darauf zurück. An dieser Stelle geht es mir darum, die erste, allgemeine Form der Abhängigkeit explizit zu machen und von der spezifischen Abhängigkeit abzugrenzen, um sie dann ad acta zu legen. In dem allgemeinen, abstrakten Sinne (a) können auch semantische Minimalisten akzeptieren, daß Semantik auf Intentionen beruht: [I]t may be allowed that what makes a given physical item meaningful, and indeed what determines the precise meaning that it has, is its connection to the conventional, intentional practices of a community of speakers. (Borg 2006:264)
Wenn im Folgenden von Sprecherintentionen die Rede ist, geht es also immer um spezifische Intentionen in konkreten Äußerungskontexten. Jede Einbeziehung von Intentionen in die Bestimmung des semantischen Gehalts geäußerter Sätze bringt einen Fokus auf Äußerungen qua Handlungen mit sich, während das Außerachtlassen von Intentionen uns Sätze relativ zu tatsächlichen oder auch hypothetischen Kontexten betrachten läßt. So läßt sich die Ausrichtung einer Position im Rahmen der Debatte um die Semantik/ Pragmatik-Unterscheidung häufig schon daran erkennen, ob Sätze oder Äußerungen im Zentrum des Theoretisierens stehen, was wiederum Rückschlüsse auf die entsprechende metasemantische Auffassung darüber zuläßt, ob Sätze oder Äußerungen im Zentrum einer semantischen Theorie stehen sollten. Um bezüglich dieser Frage nicht schon im Vorhinein Stellung zu beziehen, habe ich bisher den Terminus geäußerte Sätze verwendet, der im Hinblick auf diese Frage Neutralität wahren soll. Diesen Terminus werde ich weiterhin immer dann verwenden, wenn ich bezüglich der Frage, ob wir nun Sätzen oder Äußerungen Wahrheitsbedingungen zuschreiben sollten, Neutralität wahren möchte. Einschlägige kontextualistische Positionen wie die von FranÅois Recanati (2004, 2010) legen den Fokus auf das mittels der Äußerung von Sätzen in einem Kontext Gesagte. Recanati vertritt zudem die These, das uns dieser Gehalt – das Gesagte – unmittelbar zugänglich ist und aus diesem Grund als der wahrheitskonditionale Gehalt entsprechender Sätze bzw. Äußerungen angesehen werden und sowohl den Ausgangspunkt als auch das Zentrum unseres Theoretisierens über Sprache bilden sollte. Minimalistische Positionen hingegen legen den
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Eine minimalistische Antwort auf die kontextualistische Herausforderung
Fokus auf den Gehalt, den der Satz an sich relativ zu einem bestimmten Kontext ausdrückt. Etwas verquer wird es, wenn Perry & Korta (2006a, 2006b) einerseits eine minimalistische Position vertreten, andererseits aber eine »Äußerungssemantik« betreiben, indem sie die sogenannte reflexive Proposition, die einen Rückbezug auf konkrete Äußerungen involviert, als den semantischen Gehalt eines geäußerten Satzes postulieren.32 Das meines Erachtens größte Problem besteht jedoch darin, daß viele Theoretiker sich der Problematik und folglich auch des theoretischen Gewichts nicht bewußt sind, oder jedenfalls nicht bewußt zu sein scheinen, das mit dem Sprechen von Sätzen bzw. von Äußerungen in diesem Zusammenhang verbunden ist.33 Mein Anliegen ist es, diesbezüglich für mehr methodologische Klarheit zu sorgen. Äußerungen sind Handlungen, mit denen Sprecher etwas intendieren. Diese Intentionen sind sehr divers und können von referentiellen Intentionen, wie z. B. dem Intendieren einer demonstrativen Bezugnahme auf einen Gegenstand a, bis hin zum Intendieren perlokutionärer Effekte wie dem des Umstimmens oder des Einschüchterns reichen. Da es Äußerungen und Intentionen sozusagen immer nur im Doppelpack gibt, sollten wir Äußerungen nur dann als Träger des semantischen Gehalts ansehen, wenn wir eine intentionenbasierte Semantik des Typs (b) vertreten (vgl. S. 36). In den folgenden Abschnitten mache ich im Zuge der Diskussion der gerade genannten Positionen deutlich, daß eine sinnvolle und klare Trennung der Gegenstandsbereiche der Semantik und der Pragmatik nur möglich ist, wenn wir Äußerungen qua Externalisierungen von intentionalen Akten aus der Bestimmung des genuin semantischen Gehalts geäußerter Sätze gänzlich heraushalten. Demzufolge sind alle Positionen, die bei der Bestimmung des genuin semantischen Gehalts in irgendeiner Weise auf konkrete Äußerungen rekurrieren, nicht konsequent minimalistisch. Das gilt auch, wenn die jeweilige Position als eine präsentiert wird, derzufolge es die Aufgabe einer semantischen Theorie ist, die Gehalte von Sätzen relativ zu Kontexten zu bestimmen. Im Ergebnis sind sowohl die vielleicht meistbeachtete minimalistische Position von Cappelen & Lepore (2005), als auch diejenige von Perry & Korta meiner Auffassung nach nicht konsequent minimalistisch, da sie bei der Bestimmung des semantischen Gehalts geäußerter Sätze auf konkrete Äußerungen rekurrieren müssen. Die Auffassungen von Borg (2004, 2012) und Bach (1994, 2005, 2006) qualifizieren sich hingegen auch in meinem starken Sinne als minimalistische Positionen.
32 Auf den Begriff der reflexiven Proposition komme ich in Kapitel 3 zu sprechen, vgl. dazu Perry 2001. 33 So changieren Cappelen & Dever in Context and Communication (2016) offenbar unreflektiert zwischen »sentence« und »utterance«, was in Anbetracht der Tatsache, daß das Buch als Einführung in die Debatte konzipiert ist, meines Erachtens besonders mißlich ist.
Die kontextualistische Herausforderung und minimalistische Grundsätze
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In dem folgenden Abschnitt 2.2 versuche ich zunächst, für mehr Klarheit darüber zu sorgen, worin die »kontextualistische Herausforderung« an eine »traditionelle« Auffassung der Semantik/Pragmatik-Unterscheidung genau besteht. Anschließend präsentiere ich in Abschnitt 2.3 und 2.4 die wichtigsten Argumentationsstrategien von Kontextualisten und zeige minimalistische Alternativen auf, unter denen ich diejenige von Borg als die vielversprechendste herausstelle, gleichzeitig aber auch in einer wichtigen Hinsicht modifiziere. Diese Modifikation, deren Notwendigkeit ich im darauffolgenden Kapitel 3 anhand von Demonstrativa ausführlich begründe, basiert auf der Entkopplung der Begriffe ›Proposition‹ und ›Wahrheitsbedingung‹ und resultiert in meiner Version des semantischen Minimalismus.
2.2
Die kontextualistische Herausforderung und minimalistische Grundsätze
Um eine minimalistische Auffassung von semantischem Gehalt zu entwickeln, die sich Herausforderungen in Form kontextualistischer Thesen problemlos stellen kann, ist zunächst eine genauere Bestimmung dessen nötig, was unter einer kontextualistischen Herausforderung an die Trennung von Semantik und Pragmatik zu verstehen ist. Bei Geoffrey Nunberg (1979) findet sich eine bemerkenswert klare Charakterisierung einer »radikalen Pragmatik«, gefolgt von einer expliziten Abgrenzung des für seine Position relevanten Verständnisses von Unbestimmtheit (›indeterminacy‹) von Quines Unbestimmtheitsthese (die wir weiter oben als in dieser Debatte nicht einschlägig ausgeschlossen haben): I will argue a third version of radical pragmatics here, where it is something more like a doctrine: the semantics/pragmatics distinction cannot be validated even in principle; there is no way to determine which regularities in use are conventional, and which are not. This is not to say that there are no purely linguistic conventions of use, but rather that the content of these (even construed transparently) is necessarily indeterminate. (Nunberg 1979:143)
Da Nunberg sich primär mit Wortbedeutungen beschäftigt, ist seine Arbeit jedoch nicht repräsentativ für die Debatte um die Semantik/Pragmatik-Unterscheidung und ich werde sie daher zunächst zurückstellen. Zudem können Minimalisten die Auffassung, daß der Gehalt linguistischer Konventionen (zu einem gewissen Grad) unbestimmt ist, womöglich akzeptieren, ohne eine progamtische Bestimmung des wahrheitskonditionalen Gehalts geäußerter Sätze in Kauf nehmen zu müssen.
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Eine minimalistische Antwort auf die kontextualistische Herausforderung
Bei Recanati, einem der Hauptvertreter, wenn nicht sogar dem Hauptvertreter einer kontextualistischen Auffassung, finden sich die folgenden Charakterisierungen einer kontextualistischen Position: What is the Literalism/Contextualism debate exactly about? The basic question, I think, is whether we may legitimately ascribe truth-conditional content (the property of ›saying‹ something, of expressing a thought or a proposition) to natural-language sentences, or whether it is only speech acts, utterances in context, that have content in a basic, underived sense. (Recanati 2004:83) According to the dominant position in the philosophy of language, we may legitimately ascribe truth-conditional content to sentences, independently of the speech act which the sentence is used to perform. This position, which I call ›literalism‹, contrasts with another view, reminiscent of that held by ordinary language philosophers half a century ago. That other view, which I call ›contextualism‹, holds that speech acts are the primary bearers of content. Only in the context of a speech act does a sentence express a determinate content. (Recanati 2005:171)34 According to Contextualism, the contrast between what the speaker means and what she literally says is illusory, and the notion of ›what the sentence says‹ incoherent. What is said (the truth-conditional content of the utterance) is nothing but an aspect of speaker’s meaning. (Recanati 2004:4) By ›Contextualism‹ I mean the view according to which it is speech acts, not sentences, which have a determinate content and are truth-evaluable: sentences themselves express a determinate content only in the context of a speech act. (Recanati 2004:154) According to Contextualism – a provocative view which certainly deserves to be explored – there is no level of meaning which is both (i) propositional (truth-evaluable) and (ii) minimalist, that is, unaffected by top-down factors. As I put it in Direct Reference, ›no proposition could be expressed without some unarticulated constituent being contextually provided‹. (Recanati 2004:90)35
Anhand dieser Charakterisierungen lassen sich die folgenden wichtigen Ausgangspunkte festmachen: 1. Gestritten wird um den wahrheitskonditionalen Gehalt geäußerter Sätze; dies ist der Gehalt, der das Zentrum der Theorie bilden soll. 2. Es wird vorausgesetzt, daß der wahrheitskonditionale Gehalt eines geäußerten Satzes ipso facto ein propositionaler Gehalt ist. 3. Der wahrheitskonditionale Gehalt eines geäußerten Satzes wird mit dem Gesagten identifiziert. 34 Es ist fraglich, ob das, was Recanati hier als »literalism« bezeichnet, die dominante Postion ist. Mein Eindruck ist vielmehr, daß Varianten kontextualistischer Positionen die Debatte dominieren, aber das ist hier nicht von Belang. 35 Mit »top down«-Faktoren meint Recanati pragmatisch ausgelöste Anreicherungen des ausgedrückten Gehalts, die sich nicht auf ein syntaktisches Element des Satzes zurückführen lassen, i. e. nicht syntaktisch ausgelöst (›syntactically triggered‹) sind.
Die kontextualistische Herausforderung und minimalistische Grundsätze
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Die These einer konsequenten kontextualistischen Position ist Recanatis Darstellung zufolge also die einer generalisierten Kontextsensitivität von Sprache: Nicht manchmal oder nur wenn indexikalische Ausdrücke in Sätzen vorkommen, ist zur Bestimmung des wahrheitskonditionalen Gehalts Rekurs auf den Äußerungskontext nötig, sondern es ist die Regel, daß der wahrheitskonditionale Gehalt geäußerter Sätze nicht bestimmt werden kann, ohne den Äußerungskontext in einer substantiellen Weise einzubeziehen, die auch Rekurs auf die Intentionen des Sprechers involviert. Recanati drückt das in Literal Meaning an einer Stelle so aus, daß »ewige Sätze« nicht nur de facto, sondern de jure ausgeschlossen sind (vgl. Recanati 2004:96).36 Ohne Einbeziehung des Äußerungskontextes drücke kein Satz eine Proposition aus: ›Contextualism‹ is my name for the doctrine that no proposition could be expressed independent of context. (Recanati 1993:267)
Trotz aller Bestrebungen der Abgrenzung von einer »traditionellen« Auffassung der Semantik/Pragmatik-Unterscheidung im Anschluß an Grice und einer wahrheitskonditionalen Semantik im Anschluß an Davidson, teilen kontextualistische Positionen eine wichtige Gemeinsamkeit mit ihren argumentativen Gegnern im minimalistischen Lager, und zwar den Weg, die Gehalte von geäußerten Sätzen in Begriffen von Wahrheitsbedingungen aufzufassen. In dieser Hinsicht unterscheiden sich moderne kontextualistische Positionen – seien sie noch so radikal in ihrer Annahme einer ubiquitären Kontextsensitivität sprachlicher Ausdrücke – von ihren vermeintlichen Vorbildern in der OLP. Einigkeit besteht weiterhin dahingehend, daß auch Minimalisten nicht Satztypes an sich Wahrheitsbedingungen zuschreiben, sondern eine Relativierung auf den Kontext vornehmen.37 Dies ist eine Lektion, die das unbestreitbare Phänomen der Indexikalität uns lehrt: Jede Auffassung von semantischem Gehalt muß der Tatsache gerecht werden, daß der Satz »Ich habe Hunger« in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Gehalte ausdrücken kann. Wenn die Referenten von »ich« variieren, dann variieren mit Ihnen offenbar auch die Wahrheitsbedingungen entsprechender Satztoken. In Bezug auf Punkt 1 könnte man sich nun die folgende Frage stellen: Warum brauchen wir den einen wahrheitskonditionalen Gehalt, schließlich gibt es relativ zu einer Äußerung/einem Sprechakt häufig mehrere Gehalte, die sich un36 Der Terminus »ewige Sätze« (›eternal sentences‹) geht auf Quine zurück (vgl. Quine 1960, §§ 40, 42); gemeint sind Satztypes, deren token alle den gleichen Gehalt ausdrücken und deren Wahrheitswerte daher nicht variieren. Bei ewigen Sätzen lassen sich Satztypes also direkt Propositionen zuweisen – die Bedeutungen dieser Sätze sind Propositionen (vgl. Quine 2013:184). 37 Für eine Begründung der Auffassung, daß wir auch als Minimalisten keine type-Semantik betreiben sollten, siehe Borg 2004:26ff.
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Eine minimalistische Antwort auf die kontextualistische Herausforderung
terscheiden lassen: (a) den Gehalt, den der Satz in diesem Kontext ausdrückt, (b) das, was der Sprecher mit diesem Satz (intuitiv) behauptet oder behaupten will und (c) das, was der Sprecher durch die Äußerung des Satzes ggfs. implikiert (siehe bspw. Soames 2002:86.). Je nach Erkenntnisinteresse können Theoretiker sich mit diesen unterschiedlichen Ebenen von Gehalt befassen und den Fokus entweder auf Äußerungen als Handlungen und die mittels dieser pragmatisch vermittelten Gehalte richten oder aber auf den rein sprachlich ausgedrückten Gehalt, der sich im Ausgang von den Teilausdrücken und ihrer Komposition via Sprachverstehen ermitteln läßt. Könnten eine wahrheitskonditionale Semantik und eine wahrheitskonditionale Pragmatik dann nicht friedlich koexistieren? In diesem Falle wäre der Streit um den wahrheitskonditionalen Gehalt im Grunde ein terminologischer, da die beiden Gruppierungen mit diesem Begriff jeweils etwas anderes meinen. Dem ist aber nicht so, denn hinter diesem Streit stehen rivalisierende metasemantische Auffassungen, die jeweils normative Ansprüche in Hinblick darauf erheben, wie eine Theorie von Bedeutung auszusehen bzw. wovon sie auszugehen hat – das habe ich in der Einleitung bereits erwähnt. Die These des Kontextualisten ist destruktiv, denn sie besagt, daß Sätze an sich auch relativ zu Kontexten keine Wahrheitsbedingungen haben können (radikaler Kontextualismus) oder daß es theoretisch keinen Sinn macht, Sätzen Wahrheitsbedingungen zuzuschreiben, selbst wenn dies bei einigen Sätzen möglich ist (moderater Kontextualismus). Deshalb müsse wahrheitskonditionale Semantik laut Recanati durch wahrheitskonditionale Pragmatik ersetzt werden.38 Dies bringt für Recanati auch eine Prioritätenfolge/Rangfolge zwischen Semantik und Pragmatik mit sich, derart, daß die Semantik dann sozusagen eine Hilfswissenschaft für die Pragmatik ist, die ihrerseits den für eine umfassende Theorie der Bedeutung zentralen Gehalt ermittelt, den Recanati »das Gesagte« (›what is said‹) nennt und der seiner Auffassung zufolge mit den intuitiven Wahrheitsbedingungen geäußerter Sätze zusammenfällt (vgl. bspw. Recanati 2004:10ff.).39 38 Vgl. Recanati 2010:1–22. Recanati changiert zwischen dem radikalen und dem moderaten Kontextualismus (auch Quasi-Kontextualismus genannt) in einer Weise, die es unmöglich macht, ihm eine konkrete Position zuzuschreiben. Das habe ich in meiner Magisterarbeit (2010) gezeigt. Ich werde mich hier nicht mit der genauen Einordnung von Recanatis Position befassen, sondern ihn im Folgenden vornehmlich als Vertreter der moderateren quasikontextualistischen Position diskutieren. 39 Dennoch wird dieser Gehalt von Kontextualisten häufig als »der semantische Gehalt« (›semantic content‹) bezeichnet (vgl. bspw. Recanati 2004:16). Der Terminus »semantischer Gehalt« wird dann synonym mit dem des wahrheitskonditionalen Gehalts verwendet und soll dem entsprechen, was Kaplan (1989b) als den content eines geäußerten Satzes bezeichnet. (Zu Kaplans Unterscheidung zwischen character und content siehe Kapitel 3, S. 114ff.) Diese Redeweise von dem »semantischen« Gehalt, der teilweise pragmatisch bestimmt ist, ist nicht nur irreführend, sondern zeigt meines Erachtens auch, daß kontextualistische Positionen der »traditionellen« Idee der Teilung der beiden Disziplinen trotz
Die kontextualistische Herausforderung und minimalistische Grundsätze
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Diese Auffassung richtet sich gegen das »traditionelle Bild« einer wahrheitskonditionalen Semantik, die versucht, Wahrheitsbedingungen von Sätzen unabhängig von Sprecherintentionen zu bestimmen und für das sich das folgende Zitat von Donald Davidson exemplarisch anführen läßt: If someone speaking English utters the sentence ›The sun is over the yardarm‹, under what conditions has he made the statement that the sun is over the yardarm? One range of answers might include such provisions as that he intended to convey to his hearers the impression that he believed the sun was over the yardarm, that he was authorized by his status to issue information about the location of the sun, etc. Thinking along these lines, one might maintain that, if the speaker had no thought of the location of the sun, and wanted to announce that it was time for a drink, then he didn’t make the statement that the sun is over the yardarm. But there is also a sense of making a statement in which we would say, even under conditions of the sort just mentioned, that the man had (»literally«) made the statement that the sun was over the yardarm, and that what he said was (»literally«) true provided the sun was over the yardarm at the time he spoke, even though he had no reason to believe it, and didn’t care if it were true. In such cases, we are interested not in what the person meant by uttering the sentence, but what the sentence, as uttered, meant. Both of these notions of meaning are relative to the circumstances of performance, but in the second case we abstract away from the extralinguistic intentions of the speaker. Communication by language is communication by way of literal meaning; so there must be the literal sense of making a statement if there are others. The theory of truth deals with the literal sense. (Of course this point deserves to be discussed at much greater length.) (Davidson 1969:755f.)
In dem derzeitigen Erklärungszusammenhang ist die prominente Rolle des Begriffs der Aussage bzw. des eine Aussage Machens (›making a statement‹) etwas irritierend, da der Fokus des Semantikers ja gerade nicht auf der Äußerungshandlung des Sprechers sein soll. Daß Davidson diesen Begriff so ins Zentrum rückt, ergibt sich jedoch aus den Spezifika seiner Theorie: Davidson möchte Wahrheit als Relation zwischen Sätzen, Sprechern und Zeitpunkten verstehen und auf diese Weise ganz auf den Begriff der Proposition verzichten. Was es heißt, eine wahre Aussage zu machen, möchte Davidson primär in Begriffen von konventionellen Relationen zwischen Worten und Dingen erklären, wobei das erste Relatum Worte so wie sie von einem bestimmten Sprecher in einer bestimmten Situation verwendet werden sind (vgl. Davidson 1969:754). In dem relevanten Zusammenhang sagt Davidson, daß sich seine Auffassung auch in Begriffen von ›statements‹ ausbuchstabieren läßt, wobei ›statements‹ als die Gehalte von Sprechakten des Behauptens zu verstehen sind (vgl. Davidson 1969:754f.). Daher rührt die »nichtpropositionale Natur« seiner wahrheitskonditionalen Semantik, auf die ich im Rahmen der Diskussion des semantiihrer Kritik noch verhaftet sind und in systematischer Hinsicht keine Alternative in Sicht ist, die sie dieser entgegensetzen könnten. Mehr dazu in der kritischen Diskussion des Begriffs des Gesagten in Abschnitt 2.3.
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Eine minimalistische Antwort auf die kontextualistische Herausforderung
schen Gehalts von Sätzen mit Demonstrativa in Kapitel 3 nocheinmal zu sprechen komme. Der entscheidende Faktor, um den es hier geht, ist das Ausklammern intentionaler Faktoren aus der Bestimmung des semantischen Gehalts.40 Minimalistische Positionen – auch die radikal-minimalistische Auffassung von genuin semantischem Gehalt, die ich plausibel machen möchte – wollen vor dem Hintergrund der kontextualistischen Herausforderung einen Beitrag zur der Aufgabe leisten, auf die Davidson am Ende des angeführten Zitats verweist, nämlich zu klären, was wir unter der wörtlichen Bedeutung von Sätzen verstehen und wie wir diese von anderen, pragmatisch durchtränkten Ebenen von Bedeutung trennen können. Kontextualistische Positionen richten sich gegen das hinter dieser theoretischen Ausrichtung stehende Bild einer semantischen Theorie und stellen diesem eine andere Auffassung der Rolle der Semantik entgegen, die Gauker treffend so zusammenfasst: Semantic theory, so conceived, stands in the service of a theory of linguistic communication according to which communication takes place (at some shallow level at least) when the hearer interprets the speaker’s utterance as expressing the proposition that it does in fact express. […] This conception of communication is often bound up with the further idea that our interest in knowing what proposition an utterance expresses lies in our knowing the speaker’s underlying thought. The assumption is that what hearers really want to know is what the speaker is thinking and they can learn this from the speaker’s words inasmuch as the proposition a speaker’s utterance expresses is normally the same as the propositional content of an underlying thought in the speaker. (Gauker 2008:361)
Da pragmatische Faktoren41 bei der Bestimmung des ausgedrückten Gehalts in diesem Sinne eine zentrale Rolle spielen, müsse man »Semantik« im traditionellen Sinne aufgeben: Kontextsensitivität lasse sich nicht als Randphänomen/ Ausnahme behandeln, der Kontext sei vielmehr in einer substantiellen Weise in die Bestimmung des wahrheitskonditionalen Gehalts involviert. In der folgenden Passage führt Gauker einige typische Beispiele für Sätze an, die an sich noch keine Proposition ausdrücken und im Äußerungskontext entsprechend »angereichert« werden müssen: 40 Gemeint sind immer außerlinguistische Intentionen, es geht also nicht um den oben zugestandenen Punkt, daß es eine allgemeine genetische und ggfs. begriffliche Abhängigkeit zwischen linguistischer Bedeutung und Sprecherintentionen gibt. 41 Der Begriff des »pragmatischen Faktors« wird in der Regel nicht näher erläutert. Er läßt sich sehr weit verstehen, so daß all das unter ihn fällt, worauf wir, abgesehen von der linguistischen Bedeutung einzelner Teilausdrücke und den grammatischen Regeln der Komposition, beim Ermitteln der ausgedrückten Proposition rekurrieren. Es können also sowohl intentionale Zustände direkt gemeint sein, als auch »äußere« Merkmale der Konversationssituation, die Aufschluß darüber geben, welche Proposition der Sprecher ausdrücken bzw. ggfs. darüber hinaus mithilfe der Äußerung vermitteln will.
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For example, given a context in which the referent of the demonstrative »that« is a certain computer x, the proposition expressed by the sentence »That is broken« is the proposition that x is broken. Or given a context in which the domain of discourse is the members of a certain committee, and the location is a certain conference room, and the time is 2:00 p.m., Wednesday, the sentence »Everyone is present« expresses the proposition that everyone on the committee is in the conference room at 2:00 p.m. on Wednesday. Or given a context in which the question at hand is whether we can leave the hotel in order to go the convention center, the sentence »Tipper is ready« expresses the proposition that Tipper is ready to go to the convention center. (Gauker 2008:360)
Diese Anreicherung, die notwendig ist, um die ausgedrückte Proposition zu bestimmen, nennt Recanati Sättigung (›saturation‹); sie sei essentiell pragmatisch, da die relevanten Ergänzungen sich nicht ohne Rekurs auf die Absichten von Sprechern bestimmen lassen (vgl. Recanati 2004:6ff.). Solche Beispiele bilden den Ausgangspunkt für die kontextualistische Kritik am »traditionellen Bild«, die Problematik wird von radikalen Kontextualisten jedoch auch auf Sätze ausgeweitet, die prima facie nicht als kontextsensitiv erscheinen, beispielsweise die folgenden: (S1) The leaves are green (Travis 1997:89) (S2) Smith weighs 80 kilos (Travis 1985:196) Dem radikalen Kontextualismus / la Travis und Searle und der moderateren Version, die sich neben Recanati auch Relevanztheoretikern wie Sperber & Wilson (1987) und Carston (2002) zuschreiben läßt, entsprechen im Groben zwei Argumentationsstrategien gegen den semantischen Minimalismus. Während die erste zum Ziel hat, aufzuzeigen, daß ein ggfs. minimalistisch bestimmbarer wahrheitskonditionaler Gehalt geäußerter Sätze weder theoretisch von Nutzen ist, noch im kognitiven Prozess des Verstehens von Äußerungen eine Rolle spielt, hebt die zweite darauf ab, die allgemeine Unterbestimmtheit nach minimalistischen Standards bestimmbaren Gehalts zu demonstrieren. Bevor ich diese Argumentationsstrategien in den folgenden Abschnitten kritisch diskutiere, möchte ich zunächst die zwei wichtigsten minimalistischen Positionen von Cappelen & Lepore (2005) und Borg (2004, 2012) einführen, von denen dann im Folgenden geprüft wird, inwieweit sie gegen die Argumente der Kontextualisten gewappnet sind. In Zuge dessen werde ich den sogenannten Indexikalismus (Stanley 2000, 2002, 2005) als gangbare Position ausschließen. Auf eine dritte, bereits erwähnte minimalistische Position, die mit Perrys Begriff der reflexiven Proposition arbeitet, komme ich im Zusammenhang der Diskussion des semantischen Gehalts von Sätzen mit einfachen Demonstrativa in Kapitel 3 zu sprechen.
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Die minimalistischen Positionen von Cappelen & Lepore (im Folgenden M1) und Borg (im Folgenden M2) zeichnen sich durch bestimmte zentrale Thesen oder Grundsätze aus (vgl. Cappelen & Lepore 2005:2f., Borg 2012:4f.), von denen einige, aber nicht alle, übereinstimmen und die ich im Folgenden systematisch ordne und erläutere. Ich beginne mit den Übereinstimmungen und komme dann zu den Divergenzen.
(T1) Propositionalismus Propositionalismus besagt generell, daß Inhalte einer bestimmten Art propositional sind. Dabei kann es sich um Inhalte von Sätzen, von Äußerungen oder Sprechakten, von mentalen Zuständen (insbesondere: von Einstellungen), von Bildern oder von Wahrnehmungen handeln. So argumentiert bspw. Forbes in Objectual Attitudes (2000) auf überzeugende Weise gegen den Propositionalismus in Bezug auf mentale Einstellungen – eine Auffassung, die auch Meinong in Über Gegenstandstheorie (1907) vertritt, während Zimmermann in Painting and Opacity (2016) gegen den Propositionalismus in Bezug auf Bildinhalte argumentiert. Der Propositionalismus, um den es im Kontext der Debatte und die Semantik/Pragmatik-Unterscheidung geht, ist die These, daß der semantische Gehalt von Sätzen relativ zu Kontexten immer ein propositionaler Gehalt ist. Im Kontext von minimalistischen Positionen, die sich dem Propositionalismus verpflichten, ist daher häufig von einer minimalen semantischen Proposition die Rede, die ein Satz relativ zu einem Kontext ausdrückt. Es ist eine Adäquatheitsbedingung an einen propositionalen Gehalt, daß er prinz zipiell der Inhalt einer mentalen Einstellung wie zum Beispiel glauben, hoffen, befürchten etc. sein kann. Propositionalismus in diesem üblichen Sinne ist von dem sogenannten »weichen Propositionalismus« zu unterscheiden, demzufolge auch relationale Typen als Propositionen in einem weiten Sinne aufgefaßt werden können. Relationale Typen sind nicht per se wahrheitswertfähig, sondern wahr oder falsch von etwas: So kann beispielsweise _ ist rot von einem Gegenstand o1 wahr und von einem anderen Gegenstand o2 falsch sein.42 Propositionalismus in diesem schwachen Sinne ist im Kontext der Debatte um die Semantik/Pragmatik-Unterscheidung uninteressant, da eine so verstandene Anforderung der Propositionalität an den semantischen Gehalt (unstrittigerweise) leicht zu erfüllen wäre. In diesem Sinne wäre der semantische Gehalt von Sätzen relativ zu Kontexten auch ohne Sättigung im Sinne von Recanati propositional. 42 Hierauf bin ich durch den Vortrag Bildinhalt und sprachliche Bedeutung von Thomas Ede Zimmermann am 16. 11. 2016 in Göttingen aufmerksam geworden.
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Sowohl M1 als auch M2 verpflichten sich dem Propositionalismus. Die Gehalte, die jeweils als minimale semantische Propositionen postuliert werden, unterscheiden sich allerdings in einigen Fällen und diese Variation ist eine Folge von Unterschieden in den anderen jeweils implementierten Grundsätzen.
(T2) Kontextsensitivität immer linguistisch gefordert Dieser Grundsatz besagt, daß der semantische Gehalt geäußerter Sätze im Ausgang von den darin vorkommenden Teilausdrücken und entsprechenden syntaktischen Regeln der Verknüpfung kompositional bestimmt wird. Jeder Einfluß des Äußerungskontextes auf den semantischen Gehalt muß demzufolge durch semantische Regeln, die in der konventionellen Bedeutung der im Satz vorkommenden Teilausdrücke verankert sind, linguistisch gefordert bzw. ausgelöst sein (›linguistically triggered‹). Recanati spricht in diesem Zusammenhang von der »bottom-up«-Bestimmung des semantischen Gehalts, die in Sättigung resultiere, häufig aber nicht dem intuitiv mit entsprechenden Äußerungen ausgedrückten Gehalt entspreche (vgl. Recanati 2004:10ff.). Auch diesem Grundsatz verpflichten sich sowohl Borg (M2) als auch Cappelen & Lepore (M1) und verbinden ihn mit der These, daß es nur eine sehr kleine Menge kontextsensitiver Ausdrücke gibt. Cappelen & Lepore bezeichnen diese als die Basale Menge (›the basic set‹), sie entspreche in etwa der Menge von Ausdrücken, die Kaplan zu Beginn von Demonstratives auflistet und beinhaltet vornehmlich Indexikalia wie Personal- und Demonstrativpronomen, Adverbien wie »hier«, »jetzt«, »dort«, Adjektive wie »gegenwärtig«, sowie Verbformen, die eine Zeit indizieren (vgl. Cappelen & Lepore 2005:1f., Kaplan 1989b:489). Aufgrund der eng begrenzten Menge kontextsensitiver Ausdrücke ist auch der Einfluß des Kontextes auf den semantischen Gehalt geäußerter Sätze entsprechend gering. Bevor ich zum dritten Grundsatz komme, in Bezug auf den M1 und M2 voneinander abweichen, möchte ich in diesem Zusammenhang näher auf den Begriff der Kontextsensitivität sprachlicher Ausdrücke zu sprechen kommen. Je nachdem, wie wir diesen Begriff verstehen, lassen sich nämlich verschiedene Arten von Kontextsensitivität unterscheiden und die These, daß Kontextsensitivität immer linguistisch gefordert ist, läßt sich dann entsprechend so auffassen, daß nur eine bestimmte Art von Kontextsensitivität einen Einfluß auf den genuin semantischen Gehalt geäußerter Sätze hat. Anders formuliert lautet die These, daß es nur eine Art von semantisch relevanter Kontextsensitivität gibt – nämlich diejenige, die in den semantischen Regeln einzelner Ausdrücke festgeschrieben und somit »linguistisch vorgesehen« ist.
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Peter Pagin unterscheidet in Compositionality and Context (2005:304f.) zwischen Kontextsensitivität und Kontextabhängigkeit, indem er in Übereinstimmung mit Kaplan (1989b:506) den Begriff der Kontextsensitivität auf den character und den der Kontextabhängigkeit auf den content eines sprachlichen Ausdrucks anwendet.43 Diese Unterscheidung erlaubt eine präzisere Ausdrucksweise: Wir können nun sagen, daß Minimalisten der Auffassung sind, daß der semantische Gehalt geäußerter Sätze nur dann in Abhängigkeit vom Kontext variieren kann, wenn der character von mindestens einem der Teilausdrücke des Satzes kontextsensitiv ist. Diese allgemein anerkannte Auffassung von Kontextsensitivität unterscheidet Pagin anschließend von einer weiteren, die er folgendermaßen charakterisiert: There is a second, related phenomenon of context dependence, namely that contextual semantic variation can occur even though there is no surface part of the expression to which the variation can be traced. Both these phenomena are illustrated by a standard example. The sentence (3) It rains is used to say different things on different occasions of utterance. A speaker S who utters (3) says that it is raining where S is (or at some other contextually salient location) at the time of utterance (or at some other contextually salient time). So there is a variation in communicated content, which exemplifies the first phenomenon. But (3) also exemplifies the second, for there is a double context dependence, only one of which is explicit. First, the speaker says something about the time of utterance (that it is a rainy time), and the relation between the utterance and the time is articulated in the sentence by the present tense of the verb. Second, the speaker also says something about the contextually salient location (that it is a rainy place), but the relation between the utterance and the location is not articulated by anything overtly in the sentence. It can be made explicit as in (4) It rains here where the place of utterance is the referent of the indexical ›here‹, but that element is missing in (3), even though what is said or communicated is the same. (Pagin 2005:305f.)
Die zweite Art der Kontextabhängigkeit des kommunizierten Gehalts bezeichnet Pagin als implizit, da sie von keinem der Teilausdrücke linguistisch gefordert ist. Der ausgedrückte Gehalt wird im Kontext auf eine Weise angereichert, die sich nicht auf einzelne Komponenten des Satzes zurückführen läßt, sondern den pragmatischen Erfordernissen der Kommunikation geschuldet ist. Für solche 43 Ich gehe hier davon aus, daß der Leser mit den Kaplanschen Begriffen im Groben vertraut ist. Die Einführung und Diskussion der character/content-Unterscheidung erfolgt in Kapitel 3 im Rahmen meiner Beschäftigung mit Demonstrativa (vgl. S. 114ff.).
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Komponenten des »Gesagten« führt Perry (1986:138) den Terminus nichtartikulierte Konstituenten (›unarticulated constituents‹) ein: The unarticulated constituent is not designated by any part of the statement, but it is identified by the statement as a whole. […] (Perry 1986:141) In particular, we do not need first to find an expression, hidden in the ›deep structure‹ or somewhere else, and then do the semantics of the statement augmented by the hidden expression. Things are intelligible just as they appear on the surface, and the explanation we might ordinarily give in non-philosophical moments, that we simply understand what the statement is about, is essentially correct. […] The basic idea is that the unarticulated constituents earn their role in the interpretation of statements by their place in the role of the thoughts that statements express and give rise to, rather than by being designated by components of those thoughts. (Perry 1986:143)
Die These des Minimalisten ist, daß solche Ergänzungen zwar Bausteine des kommunizierten Gehalts sein können, aber nicht zum semantischen Gehalt geäußerter Sätze beitragen. Anderenfalls ließe sich der semantische Gehalt – die Wahrheitsbedingungen – von (3) in vielen Kontexten nicht vom semantischen Gehalt von (4) unterscheiden. Recanati (2002) hingegen verteidigt die Idee der nichtartikulierten Konstituenten als Komponenten von wahrheitskonditionalem Gehalt gegen Einwände von Stanley, demzufolge sich vermeintlich nichtartikulierte Konstituenten des wahrheitskonditionalen Gehalts geäußerter Sätze auf die logische Form der Sätze zurückführen lassen, auch wenn dies auf der Ebene der »Oberflächensyntax« nicht sofort ersichtlich ist (vgl. Stanley 2000). Stanleys theoretischer Strategie zufolge, die als Indexikalismus bezeichnet wird, lassen sich vermeintlich nichtartikulierte Konstituenten nach genauerer semantischer Analyse der entsprechenden Sätze in der logischen Form von einem der Teilausdrücke lokalisieren. Er spricht in diesem Zusammenhang von »verdeckter Indexikalität«, die sich in Form von Argumentstellen manifestiert, die bestimmte Ausdrücke mit sich führen, die aber nicht »syntaktisch realisiert« sein müssen, sondern auch implizit ausgefüllt werden können – wie im Falle der Ortsangabe in Satz (3). Demzufolge wäre die Ergänzung der relevanten Ortsangabe in Satz (3) entgegen dem ersten Anschein doch linguistisch gefordert, da das Verb »regnen« zwei Argumentstellen mit sich führt (Zeit und Ort). Der Indexikalismus stimmt zwar dahingehend mit dem Minimalismus überein, daß er die Grundsätze (T1) und (T2) dem Wortlaut nach akzeptiert und folglich ebenso wie M1 und M2 nur linguistisch geforderte Kontextsensitivität bei der Bestimmung des semantischen Gehalts erlaubt. Allerdings weitet der Indexikalismus die Menge der (vermeintlich) kontextsensitiven Ausdrücke in einer Weise aus, die kontraintuitiv ist und sich allein aus der theoretischen Zielsetzung der Position zu ergeben scheint. Die entsprechenden Analysen einzelner Ausdrücke führen dazu, daß der resultierende wahrheitskonditionale
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Gehalt geäußerter Sätze de facto genau dem entspricht, was auch Kontextualisten als die »intuitiven Wahrheitsbedingungen« ansehen. Diese Korrespondenz ist kein Zufall, vielmehr scheint der Indexikalismus regelrecht darauf ausgelegt zu sein, genau das als den semantischen Gehalt einzufangen, was Kontextualisten als das Gesagte bezeichnen, nur in einem anderen begrifflichen Rahmen. Während Kontextualisten die von Pagin genannte zweite Art von Kontextsensitivität als unumgänglich für die Bestimmung des wahrheitskonditionalen Gehalts ansehen, wollen Indexikalisten einen »unkontrollierten« Einfluß des Äußerungskontextes auf den semantischen Gehalt vermeiden und postulieren stattdessen recht eigenwillige semantische Analysen bestimmter Ausdrücke. Bei den beiden unterschiedlichen theoretischen Ansätzen handelt sich um zwei theoretische Strategien, die sich zwar nominal unterscheiden, de facto aber zum gleichen Ergebnis gelangen – einem stark pragmatisch angereicherten wahrheitskonditionalen Gehalt. Entweder man behauptet, es sind viel mehr Ausdrücke kontextsensitiv im ersten Sinne als es zunächst den Anschein hat (Indexikalismus) oder aber man behauptet, daß es neben der linguistisch geforderten noch eine weitere Art von Kontextsensitivität gibt, die ebenfalls einen Einfluß auf den wahrheitskonditionalen Gehalt geäußerter Sätze hat (Kontextualismus). Zur Illustration der beiden Strategien kann das folgende Beispiel dienen: (S3) The apple is green [on the inside] (Stanley 2005:224) Sowohl Kontextualisten als auch Indexikalisten sind der Auffassung, daß die Wahrheitsbedingungen von (S3) in Abhängigkeit davon variieren können, ob es im Äußerungskontext um das Äußere oder das Innere eines Apfels geht. Aber während diese Variation für den Kontextualisten eine Folge der freien Anreicherung des Gehalts von »grün« in »innen/außen grün« ist, ergibt sich die Variation für den Indexikalisten dadurch, daß eine Argumentstelle für die Hinsicht oder Art und Weise postuliert wird, in der ein Gegenstand grün ist (»grün in Hinsicht x »).44 Meines Erachtens wird anhand dieses Beispiels deutlich, daß der Indexikalismus der kontextualistischen Herausforderung in einer substantiellen Hinsicht nichts entgegenzusetzen hat und die Divergenzen zwischen den Positionen fast ausschließlich begrifflicher Natur sind: Der Indexikalist versucht, den begrifflichen Rahmen einer »traditionellen« Semantik aufrecht zu erhalten, indem er – zugespitzt formuliert – mithilfe von vermeintlich obligatorischen Argumentstellen das zum semantischen Gehalt macht, was der Kontextualist als »intuitive 44 Für die Details der indexikalistischen Strategie, auf die ich im Rahmen dieser Arbeit nicht näher eingehen kann, siehe Stanley 2000, 2002, 2005.
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Wahrheitsbedingung« vorgibt. Auch Recanati bemerkt die der indexikalistischen Position inhärente Spannung und charakterisiert sie folgendermaßen: One must not forget that the gist of Literalism is an attempt to minimize contextsensitivity, while Contextualism takes it to be an essential feature of natural language (as opposed to formal languages). From this point of view, the indexicalist position is somewhat ambiguous. On the one hand, by rejecting contextual influences on content that are not linguistically controlled, the indexicalist does his best to preserve the literalist doctrine that linguistic entities are genuine bearers of content, context-sensitivity notwithstanding. On the other hand, by multiplying indexical variables, the indexicalist widens the gap between sentence meaning and propositional content, in the spirit of Contextualism. Indexicalism can thus be seen as a natural ally of Contextualism. (Recanati 2004:96)
Diese Spannung läßt sich als eine Inkohärenz in der theoretischen Ausrichtung der Position verstehen und aus diesem Grund möchte ich den Indexikalismus im Folgenden als gangbare Position ausschließen. Aus der kursorischen Beschäftigung mit dem Indexikalismus können wir dennoch eine wichtige Lektion in Bezug auf den Grundsatz (T2) mit auf den Weg nehmen: Es muß für jeden einzelnen Ausdruck geprüft und begründet werden, ob er kontextsensitiv ist und es gibt dabei Raum für divergierende Auffassungen. Die entsprechenden semantischen Analysen sollten jedoch nach Möglichkeit nicht im Widerstreit mit unseren semantischen Intuitionen stehen (vgl. Einleitung, S. 6). Das Problem für Stanleys Strategie des Postulierens von Variablen in der logischen Form von Ausdrücken ist ein Allgemeines und besteht darin, daß die Strategie zu sehr ausgedehnt und damit gewissermaßen ad absurdum geführt wird. Dennoch sind seine semantischen Analysen für einige Ausdrücke durchaus diskutabel, beispielsweise die Analyse der Quantoren-Domänen-Restriktion für Beispiele wie »Alle Flaschen sind leer« (vgl. Stanley & Szabj 2000). In Bezug auf steigerbare Adjektive wie »groß« oder »schnell« sind die meisten Theoretiker sich darüber einig, daß diese Ausdrücke eine Variable für die jeweilige, im Kontext zu bestimmende Vergleichsklasse mit sich führen, so daß die entsprechenden Komponenten des semantischen Gehalts bspw. »groß für einen Zehnjährigen« oder »schnell für einen Fußballspieler« wären. Wenn wir diesen Analysen zustimmen und viele steigerbare Adjektive sowie ggfs. noch weitere Klassen von Ausdrücken zur Menge der kontextsensitiven Ausdrücke hinzufügen, würde die Menge der kontextsensitiven Ausdrücke weit über die von Cappelen & Lepore akzeptierte »basale Menge« hinausgehen. Anhand entsprechender Kontroversen zeigt sich, daß die Anforderung an semantischen Gehalt, die der minimalistische Grundsatz (T2) zum Ausdruck bringt, per se noch nicht garantiert, daß die Menge kontextsensitiver Ausdrücke sehr klein ist (und der Einfluß des Kontextes auf den semantischen Gehalt entsprechend minimal). Die Strategie des Indexikalisten macht vielmehr auf recht drastische
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Weise deutlich, daß sich darüber streiten läßt, bei welchen Ausdrücken Rekurs auf den Äußerungskontext durch linguistische Regeln gefordert ist und bei welchen nicht. Damit der Einfluß des Kontextes auf den semantischen Gehalt geäußerter Sätze tatsächlich minimal bleibt, muß also für jeden zur Diskussion stehenden Ausdruck plausibel gemacht werden, daß er auch ohne eine kontextuelle Anreicherung zur ausgedrückten Wahrheitsbedingung beitragen kann. Das bringt mich zum dritten und letzten Grundsatz, dem sich nicht alle minimalistischen Positionen verpflichten, der aber als einziger sicherstellen kann, daß der Einfluß des Kontextes auf den semantischen Gehalt geäußerter Sätze tatsächlich sehr überschaubarbleibt.
(T3) Anti-Intentionalismus Diesem Grundsatz zufolge ist bei der Bestimmung des genuin semantischen Gehalts geäußerter Sätze kein Rekurs auf intentionale Faktoren erlaubt. Linguistisch geforderter Rekurs auf den Äußerungskontext muß, damit er zur Bestimmung des semantischen Gehalts herangezogen werden kann, formal handhabbar sein, derart, daß er in nichtintentionalen Begriffen einfangen werden kann. Mit anderen Worten können nur »objektive Kontextfaktoren« – paradigmatischerweise Informationen darüber, wer wann wo spricht – zur Bestimmung des semantischen Gehalts herangezogen werden, während »subjektive Kontextfaktoren« wie Sprecherintentionen dabei keine Rolle spielen. Dieser Grundsatz stellt sicher, daß es sehr wenige Ausdrücke sind, deren semantischer Gehalt in Abhängigkeit vom Äußerungskontext variieren kann, da es nur wenige Ausdrücke zu geben scheint, die gleichzeitig kontextsensitiv sind und deren semantische Regeln eine »objektive« Bestimmung des Gehalts bzw. des Referenten vorsehen bzw. erlauben. Beispiele für solche Ausdrücke sind »ich« oder »gestern«: Die semantische Regel, die im character des Ausdrucks »ich« verankert ist, stellt sicher, daß »ich« sich auf den jeweiligen Sprecher bezieht und zwar unabhängig davon, was der Sprecher mit seiner Äußerung intendiert. So kann jemand aufgrund von Geisteskrankheit davon überzeugt sein, Napoleon zu sein, und intendieren, sich mithilfe des Pronomens »ich« auf Napoleon zu beziehen, diese Intention spielt für die Bestimmung des tatsächlichen Referenten jedoch keine Rolle. Analog referiert der Ausdruck »gestern« auch dann auf den Tag vor der Äußerung, wenn der Sprecher in Bezug auf die Ereignisse der vergangenen zwei Tage durcheinandergekommen ist und das Ereignis, von dem er berichten will, zwei Tage vor dem Tag der Äußerung stattgefunden hat, so daß er, um etwas Wahres zu sagen, den Ausdruck »vorgestern« hätte verwenden müssen, da er eigentlich den Tag vor dem Tag vor der Äußerung meinte.
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Ein Vorteil, den (T3) aus minimalistischer Sicht bietet, ist, daß durch das Implementieren von (T3) sichergestellt ist, daß der Einfluß des Kontextes auf den semantischen Gehalt auf ein Minimum beschränkt ist. (T3) impliziert zudem (T2): Jeder objektiv bestimmbare Einfluß des Kontextes auf den semantischen Gehalt ist immer auch linguistisch gefordert, denn die von Kontextualisten postulierten freien Anreicherungen des wahrheitskonditionalen Gehalts ergeben sich stets aus dem pragmatischen Zweck, den Sprecher mit ihren Äußerungen verfolgen. Weiterhin müssen sich Verfechter von (T3) nicht mit der oben thematisierten Problematik der vielen Einzelfälle von Ausdrücken auseinandersetzen, bei denen strittig ist, ob die kontextuelle Anreicherung des Gehalts von den linguistischen Regeln gefordert und somit ein Fall von »Sättigung« ist, oder ob es sich um eine nichtobligatorische pragmatische Anreicherung handelt. Dies führt jedoch sogleich auch zu einem potentiellen Nachteil der Verpflichtung auf (T3), denn (T2) impliziert keinesfalls (T3), vielmehr scheint sich die Menge der Ausdrücke, deren Verwendungsregeln einen Einfluß kontextueller Faktoren auf den semantischen Gehalt vorsehen, gerade nicht in der Menge derjenigen Ausdrücke zu erschöpfen, deren Gehalt allein unter Rekurs auf »objektive Kontextfaktoren« bestimmt werden kann, so daß prima facie unklar ist, wie die Verfechterin von (T3) mit Ausdrücken umgehen kann, die zwar (in einer linguistisch geforderten Weise) kontextsensitiv sind, deren Gehalte aber nicht »objektiv« bestimmt werden können. Die Verfechterin von (T3) ist folglich in der Pflicht, einen Vorschlag zum angemessenen theoretischen Umgang mit den verbleibenden kontextsensitiven Ausdrücken zu liefern. Borg verpflichtet sich dem Grundsatz (T3), der gewissermaßen das Herzstück ihrer Auffassung von semantischem Gehalt bildet, während Cappelen & Lepore diesen Grundsatz ablehnen. Cappelen & Lepore nehmen den Einfluß intentionaler Faktoren auf den semantischen Gehalt in Kauf, wenn dieser linguistisch gefordert und zum Erreichen eines propositionalen Gehalts unabdingbar ist, so wie es beispielsweise bei demonstrativen Verwendungen von Pronomina wie »sie« und einfachen Demonstrativa wie »dies« der Fall zu sein scheint. Sie greifen damit die Kritik auf, die Recanati gegen die vermeintliche Möglichkeit einer »formalen« Bestimmung der Referenz von Demonstrativa (2004:57) oder der relevanten Relation bei Possessivkonstruktionen wie »Johns Buch« (2004:62) vorbringt. Indem sie akzeptieren, daß Rekurs auf Sprecherintentionen für die Bestimmung des semantischen Gehalts mancher kontextsensitiver Ausdrücke unerläßlich ist, setzen sich Cappelen & Lepore aber gleichzeitig einem neuen Einwand aus, auf den ich weiter unten im Rahmen der Diskussion kontextualistischer Argumentationsstrategien zu sprechen komme. Borgs Auffassung zeichnet sich dadurch aus, daß sie als einzige minimalistische Position allen drei Grundsätzen (T1)-(T3) verpflichtet ist. Cappelen &
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Lepore akzeptieren zwar (T1) und (T2), aber nicht (T3), während Bach (T3) akzeptiert, dafür aber (T1) zurückweist (vgl. Bach 2001, 2004, 2006). Während der Indexikalismus, wie wir gesehen haben, eine inflationäre Verwendung des Begriffs der linguistisch geforderten Kontextsensitivität zur Folge hat, wirft Borgs Grundsatz (T3) in Kombination mit den beiden anderen Grundsätzen die Frage auf, wie ihre Konzeption von semantischem Gehalt mit Ausdrücken umgeht, die einerseits prima facie kontextsensitiv sind, bei denen andererseits aber auch Rekurs auf Sprecherintentionen linguistisch vorgesehen zu sein scheint. Da via (T3) garantiert ist, daß auch (T2) erfüllt ist, läßt sich Borgs M2 durch die Kombination von (T1) und (T3) prägnant charakterisieren. Diese Kombination ist von einer inhärenten Spannung geprägt, die sich daraus ergibt, daß es in vielen Fällen so zu sein scheint, als könne ohne eine Sättigung, bei der auch auf Sprecherintentionen rekurriert werden muß, kein propositionaler Gehalt erreicht werden. Dies läßt sich an Sätzen mit sogenannten unvollständigen Prädikaten gut illustrieren, von denen der folgende in der Literatur besonders häufig diskutiert wird: (S4) Tipper is ready (Bach 1994a:130) Die meisten Theoretiker sind der Auffassung, daß dieser Satz ohne Ergänzung des Prädikats durch das, wofür Tipper bereit ist, semantisch unvollständig ist und keine Proposition ausdrückt. Für diese Ergänzung scheint zudem Rekurs auf pragmatische Faktoren erforderlich zu sein, i. e. darauf, worum es dem Sprecher im Äußerungskontext geht. Sowohl Cappelen & Lepore als auch Borg versuchen auf unterschiedliche Weise, diesem Einwand zu entgehen, aber meines Erachtens können beide Versuche nicht überzeugen. Im Zuge der Entwicklung meiner eigenen minimalistischen Position greife ich dieses Beispiel am Ende dieses Kapitels (S. 97) nocheinmal auf und zeige, inwiefern Cappelen & Lepores sowie Borgs Umgang damit problematisch ist. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels und im darauffolgenden Kapitel 3 komme ich immer wieder auf die Spannung zwischen Propositionalismus und AntiIntentionalismus zurück, da der Grundsatz des Anti-Intentionalismus, den Borg vehement verteidigt, auch das Zentrum meiner minimalistischen Position bildet. Als Folge der Auseinandersetzung mit den damit einhergehenden theoretischen Herausforderungen werde ich zu der Auffassung gelangen, daß eine konsequent minimalistische Position auf den Propositionalismus verzichten kann und sollte. In Kapitel 3 werde ich am Beispiel von einfachen Demonstrativa im Detail aufzeigen, daß das Aufgeben von (T1) nicht zum Aufgeben einer (antiintentionalistischen) wahrheitskonditionalen Semantik führen muß, da sich der Begriff der Wahrheitsbedingung von dem der Proposition entkoppeln läßt.
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Doch bevor ich zum Abschluß des Kapitels meine Auffassung in groben Zügen erläutere und von anderen minimalistischen Positionen abgrenze, widme ich mich in den beiden folgenden Abschnitten zunächst, wie angekündigt, der kritischen Diskussion der beiden Hauptstrategien, die Kontextualisten gegen eine minimalistische Auffassung des wahrheitskonditionalen Gehalts geäußerter Sätze anbringen. Im Zuge der Diskussion dieser Argumentationsstrategien wird deutlich, daß M2 in einer wichtigen Hinsicht besser gegen sie gewappnet ist als M1. Aus diesem Grunde ist Borgs M2 die Position, die ich in den folgenden Abschnitten stark mache und die mir als Ausgangspunkt für die Entwicklung meiner eigenen Position dient. Die beiden auf S. 45 genannten kontextualistischen Strategien bestehen zum einen in der Zurückweisung nach minimalistischen Grundsätzen bestimmbaren Gehalts aufgrund von Unvollständigkeit bzw. Unterbestimmtheit (radikaler Kontextualismus) und zum anderen darin, nach minimalistischen Grundsätzen bestimmbaren Gehalt geäußerter Sätze zu diskreditieren, indem sein theoretischer Nutzen in Abrede gestellt wird (moderater Kontextualismus). Ich bin wie Borg (2012) der Auffassung, daß Varianten des moderaten Kontextualismus und die entsprechenden Argumente weit weniger bedrohlich für den semantischen Minimalismus sind als radikal kontextualistische Auffassungen von wahrheitskonditionalem Gehalt und daß diese moderateren »Zwischenpositionen«, denen sich in einer gewissen Hinsicht auch der bereits als nicht gangbar ausgeschlossene Indexikalismus zurechnen läßt, mit größeren inhärenten Problemen zu kämpfen haben als ihre radikal-kontextualistischen Mitstreiter. Ich widme mich zunächst dem moderateren Kontextualismus und diskutiere ihn anhand des für die entsprechenden Auffassungen zentralen Begriffs des Gesagten (Abschnitt 2.3). Anschließend widme ich mich der Argumentationsstrategie, die eine vermeintliche Unvollständigkeit des rein sprachlich bestimmbaren Gehalts demonstrieren will und kontrastiere sie mit der minimalistischen Idee der liberalen Wahrheitsbedingungen (Abschnitt 2.4). Die nun folgende kritische Diskussion dieser beiden Argumentationsstrategien ist nicht als eine erschöpfende theoretische Auseinandersetzung mit ihnen intendiert,45 sie hebt vielmehr primär auf die entscheidenden ihnen zugrundeliegenden metasemantischen Annahmen ab und geht nur an einigen Stellen auf Detailpunkte ein.
45 Dies wäre nur im Rahmen ausschließlich mit ihnen befasster Arbeiten möglich.
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Eine minimalistische Antwort auf die kontextualistische Herausforderung
Das Gesagte – ein schillernder Begriff
Philosophische Probleme lassen sich nicht starr individuieren, sie sind dynamisch und schwer zu fassen und hängen zum Teil an den Begrifflichkeiten, mit den wir sie einzufangen versuchen. Insbesondere bei der Beschäftigung mit Fragestellungen im Rahmen der Semantik/Pragmatik-Debatte kann man sich den letztgenannten Punkt nicht oft genug klarmachen. Wie viel theoretisches Gewicht an begrifflichen Festlegungen hängt, zeigt sich ganz besonders anhand der Verwendung des Begriffs des Gesagten. Der Begriff des Gesagten wird häufig, mehr oder weniger im Anschluß an Grice, als terminus technicus verwendet (vgl. bspw. Perry 1986, Kaplan 1989b, Recanati 1993). Grice kontrastiert das Gesagte mit dem Implikierten (1989:41), liefert aber wenig explizite Charakterisierung des Begriffs. Das Gesagte hängt Grice zufolge eng mit der konventionellen Bedeutung des geäußerten Satzes zusammen (vgl. Grice 1989:49). Wie genau dieser Zusammenhang zu verstehen ist, erläutert Grice nicht, so daß Raum für verschiedene Auffassung darüber bleibt, wie genau die konventionelle Bedeutung der Teilausdrücke eines Satzes und ihre Komposition bestimmen oder beschränken, was mit diesem Satz ›gesagt‹ werden kann. Klar ist dabei allerdings, daß jede Anreicherung linguistisch gefordert sein muß und daß die im Kontext bestimmten Gehalte von offen kontextsensitiven Ausdrücken, i. e. von Ausdrücken, die eine solche »Sättigung« aufgrund ihres kontextsensitiven characters unstrittigerweise fordern, zum Gesagten gehören. Kontextualisten wie Recanati sowie Relevanztheoretiker wie Sperber & Wilson und Carston weisen eine solche »minimale« Bestimmung des Gesagten mit teilweise überzeugenden Argumenten zurück und sehen Grices Versuch, genuin semantischen Gehalt von pragmatisch vermittelten Gehalten zu unterscheiden, als gescheitert an. Ihrer Auffassung nach ist das Gesagte ein Gehalt, der häufig auch über die linguistisch geforderte Sättigung hinaus pragmatisch angereichert ist. Eine Bestimmung des Gehalts von Sätzen relativ zu Kontexten in Unabhängigkeit von den Intentionen des Sprechers hat ihrer Auffassung zufolge keinen theoretischen Nutzen: Es sind Sprecher, die mit Sätzen etwas sagen – sie drücken mithilfe von Sätzen Propositionen aus und machen Behauptungen. Die von Sprechern als das Gesagte intendierten und von Adressaten als behauptet aufgefassten Gehalte entsprechen häufig nicht dem allein via Sättigung bestimmbaren Gehalt, eine semantische Theorie sollte ihrer Auffassung nach aber gerade diesen Gehalten primär Rechnung tragen. Da eine syntaktische Restriktion des Gesagten abgelehnt wird, ist der resultierende kontextualistische Begriff des Gesagten (bei den Relevanztheoretikern als »Explikatur« bezeichnet) sehr expansiv. Auch Perry scheint sich dieser Tendenz, den Begriff des Gesagten auszuweiten, anzuschließen, indem er nicht
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artikulierte Konstituenten als Bausteine des Gesagten akzeptiert. Im Unterschied zu Recanati hält er diese allerdings für obligatorisch (vgl. Perry 1986). Perry zufolge kann es also Anreicherungen des wörtlich ausgedrückten Gehalts geben, die obligatorisch, aber nicht syntaktisch gefordert sind. Gleichzeitig ist er genau wie Recanati der Auffassung, daß der Begriff des Gesagten in Relation zu dem der konventionellen Bedeutung explanatorisch primär ist: I shall assume that the meaning of a declarative sentence S can be explained in terms of a relation between uses of S and what is said by those uses – the propositional content of the statement made. (Perry 1986:138f.)
Minimalisten stehen vor den Optionen entweder (1) Grices in Übereinstimmung mit (T2) minimal bestimmten Begriff des Gesagten (mit ggfs. nötigen Präzisierungen und Modifikationen) als den semantischen Gehalt zu übernehmen oder (2) das Gesagte nicht mit dem semantischen Gehalt zu identifizieren, d. h. mit Recanati und anderen Kontextualisten zu akzeptieren, daß das Gesagte in einer Weise pragmatisch mitbestimmt ist, die es nicht erlaubt, das Gesagte als den minimalen semantischen Gehalt anzusehen. Cappelen & Lepore akzeptieren der Sache nach das Gricesche Gesagte als den semantischen Gehalt, entscheiden sich also der Sache nach für Option (1). Sie bezeichnen diesen via Sättigung bestimmten Gehalt allerdings nicht als das Gesagte, sondern als den semantischen Gehalt bzw. die minimale semantische Proposition. Ihr Sprechaktpluralismus (vgl. Cappelen & Lepore 2005, Kap. 13) erlaubt neben der minimalen semantischen Proposition weitere Gehalte, die sich der Äußerung eines Satzes zuweisen lassen – das Gesagte und ggfs. das Implikierte, so daß Cappelen & Lepore für eine kontextualistische Bestimmung des Gesagten offen sind. So ergibt sich eine Position, die Recanati in Literal Meaning als »The Syncretic View« bezeichnet, da sie zwei gleichermaßen zentrale propositionale Gehalte postuliert: (a) den semantischen Gehalt: die Proposition, die der Satz relativ zu einem Kontext ausdrückt (das Gricesche Gesagte) (b) das Gesagte: die Proposition, die der Sprecher mit dem Satz im Kontext ausdrückt (das pragmatisch angereicherte Gesagte) Borg wählt unterdessen die Option (2), für die ich prinzipiell ebenfalls offen bin. Da Borg neben (T2) auch den Grundsatz (T3) zur Bestimmung des genuin
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semantischen Gehalts heranzieht, ist der resultierende Gehalt sozusagen noch minimaler als das Gricesche Gesagte. Auf diese Weise bestimmte Gehalte können häufig nicht eine wichtige Rolle spielen, die Grice dem Gesagten zugedacht hat, nämlich die Grundlage für das Ermitteln von Implikaturen zu sein. Dies macht es naheliegend, für eine expansivere Bestimmung des Gesagten offen zu sein. Für eine kontextualistische Bestimmung des Gesagten offen zu sein, sagt jedoch per se noch nichts darüber aus, welche Rolle dieser Gehalt bzw. dieser Begriff in einer systematischen Theorie der sprachlichen Kommunikation spielen kann oder sollte. Zu dieser Frage und entsprechenden metasemantischen Erwägungen komme ich am Ende dieses Abschnitts. Zudem läßt Option (2) offen, wie genau das Gesagte im Kontext zu bestimmen ist. Nachdem ich Recanatis diesbezügliche Auffassung kritisiert habe, skizziere ich abschließend eine eigene Auffassung der Bestimmung des Gesagten, die mir sinnvoller erscheint. Wenn wir in Bezug auf unterschiedliche Verwendungen des Begriffs des Gesagten wachsam sind und den daraus resultierenden terminologischen Dissens ausklammern, bleibt die substantielle Streitfrage nach der Bestimmung des wahrheitskonditionalen Gehalts geäußerter Sätze zurück, den Minimalisten als die minimale semantische Proposition bezeichnen und nach minimalistischen Grundsätzen bestimmen, während er moderaten Kontextualisten zufolge bestimmt wird, indem ein »Grundgerüst« an rein sprachlich kodiertem Gehalt im Äußerungskontext auf eine Weise pragmatisch angereichert wird, die über linguistisch geforderte Sättigung hinausgeht. Im weiteren Verlauf dieses Abschnitts gehe ich zunächst kurz auf Recanatis Kritik einer minimalistischen Bestimmung des wahrheitskonditionalen Gehalts ein, stimme ihr im Groben zu und stelle fest, daß die entsprechenden Argumente gegen eine minimale semantische Proposition zwar M1 treffen, nicht aber M2. Anschließend widme ich mich, ebenfalls kurz, Recanatis Konzeption des Gesagten als pragmatisch bestimmtem wahrheitskonditionalen Gehalt geäußerter Sätze und stelle fest, daß sie in verschiedenen Hinsichten problembehaftet ist. Nachdem ich eine Alternative skizziert habe, komme ich mit Perry zu dem Schluß, daß der Begriff des Gesagten nicht dazu geeignet ist, in einer systematischen semantischen Theorie eine prominente Rolle zu spielen. Aus diesem Grunde ist das Gesagte – contra Perry im obigen Zitat – auch gänzlich ungeeignet, um davon ausgehend die konventionelle Bedeutung sprachlicher Ausdrücke zu bestimmen (vgl. meine Ausführungen zum Thema Genese vs. systematische Rolle auf S. 33f.). Recanati fasst seine Argumentation gegen eine minimale semantische Proposition folgendermaßen zusammen:
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We have seen that the minimal proposition […] is not autonomously determined by the rules of the language independent of speaker’s meaning. At the same time, the minimal proposition does not necessarily correspond to an aspect of what the speaker asserts and cannot be abstracted from it (§4.4). The minimal proposition is a hybrid which goes beyond what is determined by the rules of the language yet has no psychological reality and need not be entertained or represented at any point in the process of understanding the utterance (§4.5). (Recanati 2004:64)
Ich stelle im folgenden Absatz nur eines der Argumente vor, auf die Recanati hier verweist,46 da ich seiner Argumentation insgesamt weitgehend zustimme – mit zwei wichtigen Einschränkungen: Zum einen ist noch nicht geklärt, ob minimale semantische Propositionen bzw. Wahrheitsbedingungen im Sinne des Minimalismus nicht doch ohne Rekurs auf Sprecherbedeutung ermittelt werden können. Zum anderen handelt es sich bei dem im Zitat letztgenannten Punkt um eine kognitionspsychologische Hypothese, die Recanati in Literal Meaning nicht auf eine zufriedenstellende Art und Weise begründet. Ich werde Recanati diesen Punkt aber um des Arguments willen zugestehen, da ich eine Auffassung plausibel mache, derzufolge der psychologische Prozess des Verstehens von (verschiedenen Ebenen von) Gehalt ohnehin keine Evidenz ist, der eine semantische Theorie Rechnung tragen muß. Das beste mir bekannte Argument gegen eine durch Sättigung im Sinne des Grundsatzes (T2) bestimmte minimale semantische Proposition basiert auf Recanatis Beispiel »Das Schwert des Löwen«, das ich inklusive Recanatis Analyse zitiere: Bsp. 4 Das Schwert des Löwen Suppose that there has been a ritual fight between respectively five warriors and five beasts. The beasts are a wolf, a lion, a hyena, a bear, and an alligator ; the warriors are armed with swords, and carry shields with distinctive decorations (the first warrior has the moon on his shield, the second one has the Eiffel Tower, the third one has the MetroGoldwyn-Mayer roaring lion, and so on). Each warrior is assigned a particular beast which he or she must stab to death. After the ritual fight, the five beasts lie on the ground with swords through their bodies. This is the context. Now suppose that in this context I utter Bring me the lion’s sword – I want to have a look at it. In this context I think there are two accessible interpretations for ›the lion‹; ›the lion‹ can be interpreted literally as referring to the lion (one of the beasts), or nonliterally as referring to the warrior who has (a picture of) a lion on his shield. If we choose the first interpretation, the relation which will be contextually assigned to the possessive construction will be one of the salient relations which hold between the lion (the animal) 46 Diese Argumente habe ich in meiner Magisterarbeit (2010) analysiert.
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and the sword which can be seen emerging from its pierced body. If we choose the second interpretation, the relation will be totally different; it will be one of the salient relations between the warrior and the sword which he used in his fight against, say, the bear. Now suppose the correct interpretation is the second one: the speaker actually refers to the warrior with a lion on his shield and wants to see his sword (that is, the sword which emerges from the bear’s body). What is the minimal proposition expressed by the utterance, in this context? I doubt that there is one, but if the minimalist insists, here is the only available procedure for determining it: to get the minimal proposition, we must give the word ›lion‹ its literal interpretation, because the non-literal interpretation results from an optional, non-minimalist process; and we must assign a particular value to the variable ›R‹ carried by the possessive construction. Which value? Well, the value which corresponds to what the speaker actually means. (Remember : there is no other way to determine contextually a value for the genitive, than by appeal to a speaker’s meaning.) But that value is that which goes together with the intended nonliteral interpretation of ›lion‹! The result is a monster : what the phrase ›the lion’s sword‹ contributes to what is said in the minimalist sense is something like THE SWORD WHICH THE LION (THE ANIMAL) USED DURING THE FIGHT. The minimal proposition thus determined is absurd and evidently corresponds to no stage in the actual process of understanding the utterance. (Recanati 2004:63f.)
Cappelen & Lepore könnten auf diese Art von Einwand reagieren, indem sie schlicht abstreiten, daß Possessivkonstruktionen kontextsensitiv sind47 oder indem sie akzeptieren, daß ihre minimale semantische Proposition in diesem Falle – wie in vielen anderen Fällen – nicht den Gehalt einfängt, den Sprecher ausdrücken wollen. Der Hauptpunkt von Recanatis Argumentation bleibt meines Erachtens aber bestehen: Die Merkwürdigkeit oder Absurdität des durch pragmatische Sättigung resultierenden Gehalts ergibt sich aus der theoretischen Inkonsequenz, die der entsprechenden Position zugrunde liegt. Sprecherintentionen werden einerseits für die Bestimmung der Gehalte kontextsensitiver Ausdrücke herangezogen, andererseits sollen sie darüber hinaus aber ausgeklammert werden. Eine solche Position involviert im Grunde ein Zugeständnis an den Kontextualisten, da der genuin semantische Gehalt nicht ohne Rekurs auf pragmatische Faktoren bestimmt werden kann. Warum sollte man dann nicht auch optionale pragmatische Prozesse zulassen und auf diese Weise kontraintuitive Ergebnisse wie die in Bsp. 4 vermeiden?
47 Das hieße entweder, daß die entsprechenden Ausdrücke linguistisch keine genauere Bestimmung der Relation fordern (i. e. die Wahrheitsbedingung entsprechend liberal ist und von jeder Relation erfüllt werden könnte) oder aber, daß Possessivkonstruktionen wörtlich eine Besitz-Relation im engeren Sinne ausdrücken, so daß jede andere Verwendung eine nichtwörtliche ist, bspw. wenn jemand mit dem Ausdruck »Jans Motorrad« auf das Motorrad referiert, auf das Jan spart, das er sich aber noch nicht leisten kann.
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Der Rückzug auf eine sehr kleine, basale Menge kontextsensitiver Ausdrücke hilft in diesem Punkt nicht weiter, denn Recanati illustriert seinen Punkt auch am Beispiel von einfachen Demonstrativa und anderen Indexikalia: One can say that the character of a demonstrative is the rule that it refers to what the speaker intends to refer to. As a result, one will add to the narrow context a sequence of ›speaker’s intended referents‹, in such a way that the nth demonstrative in the sentence will refer to the nth member of the sequence. Formally that is fine, but philosophically it is clear that one is cheating. We pretend that we can manage with a limited, narrow notion of context of the sort we need for handling indexicals, while in fact we can only determine the speaker’s intended referent (hence the semantic referent, which depends upon the speaker’s intended referent) by resorting to pragmatic interpretation and relying on the wide context. We encounter the same sort of problem even with expressions like ›here‹ and ›now‹ which are traditionally considered as pure indexicals (rather than demonstratives). Their semantic value is the time or place of the context respectively. But what counts as the time and place of the context? How inclusive must the time or place in question be? It depends on what the speaker means, hence, again, on the wide context. (Recanati 2004:57f.)
Recanatis Argumente betreffen primär minimalistische Ansätze wie M1, die zur Bestimmung der minimalen semantischen Proposition (die etwa dem Griceschen Gesagten entspricht) Rekurs auf Sprecherintentionen erlauben. Indem sie den Grundsatz (T3) ins Zentrum einer minimalen Semantik rückt und eine konsequent anti-intentionalistische Position vertritt, scheint Borg der Schärfe dieser Argumentationsstrategie daher zunächst zu entgehen. Aber auch Borgs M2 ist gegebenenfalls indirekt durch Recanatis Argumente betroffen: Durch ihren Anti-Intentionalismus vermeidet sie zwar das Postulieren von »absurden« Gehalten (wie dem von Recanati in Bsp. 4 angeführten) als semantische Gehalte von geäußerten Sätzen, ist stattdessen aber dem Einwand der Unvollständigkeit ausgesetzt, den ich bereits erwähnt habe und auf den ich in Abschnitt 2.4 sowie in Kapitel 3 wieder zu sprechen komme, in dem ich Borgs anti-intentionalistische minimalistische Strategie am Beispiel der einfachen Demonstrativa eingehend untersuche und kritisch diskutiere. An dieser Stelle belasse ich es dabei, zu konstatieren, daß Borgs M2 im Lichte der ersten kontextualistischen Argumentationsstrategie prima facie besser dasteht als Cappelen & Lepores M1, den ich aus diesem Grunde als Kandidaten für eine überzeugende minimalistische Position ausschließe und ad acta lege, um mich nun der kritischen Diskussion von Recanatis Auffassung des wahrheitskonditionalen Gehalts geäußerter Sätze zu widmen. Bei der Bestimmung des Gesagten, das für Recanati der wahrheitskonditionale Gehalt eines geäußerten Satzes ist, legt Recanati den Fokus auf das Verstehen einer Äußerung:
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Instead of looking at things from the linguistic side and equating ›what is said‹ with the minimal proposition one arrives at through saturation, we can take a more psychological stance and equate what is said with (the semantic content of) the conscious output of the complex train of processing which underlies comprehension. (Recanati 2004:16)
Im Unterschied zur minimalen Proposition sei das Gesagte Hörern in der Regel direkt zugänglich und müsse weder wie Implikaturen mittels pragmatischer Inferenzen erschlossen werden, noch durch Anreicherung im Ausgang von einem minimalen, rein sprachlich ausgedrückten Gehalt ermittelt werden. Das Gesagte entspreche den »intuitiven Wahrheitsbedingungen« und diese seien »normalen« Sprechern/Hörern kognitiv direkt zugänglich. Recanati postuliert daher ein Zugänglichkeitsprinzip (›availabilty principle‹), demzufolge das Gesagte in Übereinstimmung mit den Intuitionen bezüglich des wahrheitskonditionalen Gehalts bestimmt werden muß, die Hörer teilen, die die entsprechende Äußerung verstehen (vgl. Recanati 1993:248, 2004:14). In Bezug auf das Prüfen entsprechender Intuitionen wendet Recanati sich gegen den Zugang zum Gesagten über indirekte Rede (2004:15). Statt mithilfe von sogenannten »indirekteRede-Tests«48 lassen sich Intuitionen bezüglich des Gesagten laut Recanati folgendermaßen testen: One has simply to provide subjects with scenarios describing situations, or, even better, with – possibly animated – pictures of situations, and to ask them to evaluate the target utterance as true or false with respect to the situations in question. (Recanati 2004:15)
Diese Testprozedur erscheint mir an sich nicht ungeeignet als Test für Intuitionen bezüglich Wahrheitsbedingungen und kann durchaus ein Indikator dafür sein, welcher Gehalt von den Probanden erfasst wurde.49 Da sich mit der Äußerung eines Satzes jedoch mehrere Ebenen von Gehalt relationieren lassen, können die Probanden dementsprechend unterschiedliche Gehalte meinen. Es hängt an der Fragestellung, welchen Gehalt sie identifizieren. Je nach Formulierung der Frage an Probanden kann damit das Verstehen der wörtlichen Bedeutung von Sätzen relativ zu Kontexten, also des semantischen Gehalts im Sinne des Minimalismus, gleichermaßen getestet werden, wie das Verstehen von pragmatisch angereicherten Gehalten. Meines Erachtens ist es kaum möglich, die relevante Frage in einer gänzlich theorieneutralen Weise zu formulieren, 48 Die Grundidee dabei ist, daß uns akzeptable indirekte Rede-Äußerungen (»S sagte, daß p«), indem sie auf das Gesagte verweisen, auch Aufschluß darüber geben, welche Ausdrücke kontextsensitiv sind. Vgl. dazu Bach 1994b, 2001:21ff., Cappelen & Lepore 2005, sowie Viebahn 2013 überzeugend gegen Cappelen & Lepore 2005. 49 So habe ich die Erfahrung gemacht, daß in Einführungskursen zur formalen Semantik häufig mit bildlichen Darstellungen gearbeitet wird, um an die modelltheoretische Darstellung von Wahrheitsbedingungen und die entsprechende extensionalistische Auffassung von Bedeutung heranzuführen.
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weswegen die Befürchtung nicht unbegründet ist, daß kein solcher Test uns veritable Evidenz dafür liefern kann, welcher Gehalt der wahrheitskonditionale Gehalt eines geäußerten Satzes ist. Es ist bezeichnend, daß Recanati in der zitierten Passage einmal mehr von Äußerungen spricht und nicht von Sätzen relativ zu Kontexten. Indem er den Sprechakt als Handlung ins Zentrum der semantischen Theorie rückt, begeht er ohne eine weitere Begründung seines Vorgehens eine petitio gegenüber dem Minimalisten. Eine solche Begründung liefert er in der oben kursorisch dargestellten Argumentation, in der er die minimalistische Alternative kritisiert, derzufolge jeder wohlgeformte Satz relativ zu einem Kontext eine minimale semantische Proposition ausdrückt. Mit den gelieferten Argumenten fordert er das traditionelle Davidsonsche Bild tatsächlich heraus, demzufolge der Bereich der Wahrheitsbedingungen allein an der konventionellen Bedeutung hängt und der Gegenstandsbereich der Semantik ist, während die Pragmatik auf den Ergebnissen der Semantik aufbaut. Tests, mit denen vermeintlich die »intuitiven Wahrheitsbedingungen« von Äußerungen getestet werden, können diese Argumentation aber nicht stützen, denn je nach Fragestellung lassen sich sowohl genuin semantische Intuitionen abfragen, als auch Intuitionen darüber, was Sprecher durch die Äußerung eines Satzes vermitteln oder worauf sie sich in einer pragmatischen Hinsicht festlegen. So ist zu vermuten, daß die in solchen Tests verwendete Fragestellung ungewollt suggestiv ist und eine Ausrichtung auf die kontextualistische Sichtweise involviert, alleine dadurch, daß nicht bspw. danach gefragt wird, ob der durch den Satz rein sprachlich ausgedrückte Gehalt wahr oder falsch ist, sondern danach, ob die Äußerung wahr oder falsch ist.50 Bevor wir uns mit solchen oder ähnlichen Tests ggfs. versichern können, daß unsere theoretischen Analysen der faktischen Verwendung von Sprache nicht zuwiderlaufen, muß geklärt und philosophisch begründet werden, was die Aufgabe einer semantischen Theorie ist. Die Frage, welcher Gehalt das Zentrum einer semantischen Theorie bilden sollte, ist keine empirische, ihre Beantwortung basiert vielmehr auf theoretischen Erwägungen. Diese metasemantische Frage liegt am Grund der Debatte um die Semantik/Pragmatik-Unterscheidung (vgl. dazu bspw. Borg 2004: Kap. 1) und diese Problematik ist der Grund, warum ich zu Beginn meiner Arbeit den Ausdruck »geäußerter Satz« als terminus technicus eingeführt habe, der per Stipulation Neutralität zwischen der Ausrichtung des Minimalisten auf Sätze relativ zu Kontexten und der des Kontextualisten auf Äußerungen in konkreten Kontexten wahren soll (vgl. S. 37). 50 Recanati gibt keinen genauen Wortlaut für die Frage des angedachten Tests an. Die Redeweise von der Wahrheit bzw. Falschheit einer Äußerung in der zitierten Passage ist eine Verkürzung (Äußerungen qua Handlungen können nicht wahr oder falsch sein, sondern allenfalls die durch sie ausgedrückten Gehalte), die bestenfalls offenläßt, welcher der Gehalte, die sich einer Äußerung zuweisen lassen, zur Diskussion steht.
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Für Recanatis Zugänglichkeitsprinzip im Hinblick auf das Gesagte spricht, daß Sprechaktgehalt generell in Fällen von gelungener Kommunikation gewissermaßen direkt vorzuliegen scheint. Cappelen & Lepore formulieren das folgendermaßen: Speech act content isn’t deeply hidden somewhere, where only a theorist can excavate it. That would undermine its purpose. What speakers say, claim, assert, etc. is what we hear when we listen to them. It is what we respond to, question, laugh at, take seriously, ignore, agree or disagree with. It is not concealed; it is not something requiring an investigation to uncover. (Cappelen & Lepore 2005:91)
Dem Sprechaktpluralismus zufolge können verschiedene Gehalte – sowohl direkt ausgedrückte, als auch indirekt vermittelte – im Rahmen eines Sprechaktes eine wichtige Rolle spielen und es scheint so, als seien uns Implikaturen manchmal genauso unmittelbar zugänglich wie das Gesagte. Die erste kontextualistische Strategie basiert allerdings zentral auf der Unterscheidung zwischen dem Gesagten und dem Implikierten, die ihrerseits unter Rekurs auf die Unterscheidung zwischen primären und sekundären pragmatischen Prozessen erläutert wird: Erstere operieren nichtinferentiell und liefern das Gesagte (weswegen dieses kognitiv direkt zugänglich ist), während letztere inferentieller Natur sind und für die Ermittlung von Implikaturen sorgen. Die Unterscheidung zwischen dem Gesagten und dem Implikierten wird von Kontextualisten zudem als erschöpfend angesehen; es gibt also nichts dazwischen (vgl. dazu Bach 1994b). Die Abgrenzung des Gesagten vom Implikierten ist jedoch keineswegs trivial, zumal der kontextualistische Begriff des Gesagten (im Unterschied zum Griceschen) sehr expansiv ist und die kognitionspsychologische These in Bezug auf die zwei unterschiedlichen Arten von pragmatischen Prozessen, über deren Richtigkeit ich nicht spekulieren möchte, uns meines Erachtens bei der Abgrenzung de facto nicht weiterhilft.51 Im Folgenden illustriere ich die Problematik anhand eines Beispiels. Bei den bekannten und vieldiskutierten Griceschen Informativitätsimplikaturen sowie den skalaren Implikaturen handelt es sich Recanati zufolge nicht um Implikaturen, vielmehr seien uns die relevanten Gehalte direkt zugänglich und gehören zum Gesagten. Beispiele für diese beiden Arten von laut Recanati nur vermeintlichen Implikaturen sind:
51 Man beachte, daß Implikaturen sich laut Grice im Rahmen einer rationalen Rekonstruktion als Inferenzen darstellen lassen müssen; Grice stellt im Gegensatz zu Recanati keine Behauptungen darüber auf, wie die okkurrente Ermittlung entsprechender Gehalte einer Äußerung kognitionspsychologisch abläuft.
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(S5) Ich habe zwei Kinder (S5I) Ich habe genau zwei Kinder (S6) Sie heirateten und bekamen zwei Kinder (S6I) Sie heirateten und bekamen dann zwei Kinder Ein Argument dagegen, Gehalte wie (S5I) und (S6I) als Implikaturen anzusehen, ist, daß die Klasse der implikierten Gehalte im Rahmen der traditionellen Griceschen Auffassung zu divers ist. So kann ein Sprecher in einer entsprechenden Konversationssituation via (S6) ebenfalls implikieren: (S6I*) Ich habe gleich gemerkt, daß die beiden zusammenpassen Während (S6I) durch Anreicherung bzw. Spezifizierung im Ausgang von der konventionellen Bedeutung bestimmt ist, gilt dies nicht für (S6I*) – ein wichtiger Unterschied, der die kontextualistische Sichtweise prima facie stützt. Zudem sei das Gricesche minimale Gesagte häufig nicht geeignet, um die ihm im Rahmen seiner Theorie zugedachte Aufgabe zu erfüllen, die Basis zum Ermitteln von Implikaturen zu sein. So kann man beispielsweise nur via Gehalt (S6I), nicht aber via (S6) implikieren: (S6I**) In deren Leben verläuft alles der konventionellen Abfolge entsprechend Kontextualisten sowie Relevanztheoretiker betonen gleichermaßen die Adäquatheitsbedingung an das Gesagte, Ausgangspunkt für sekundäre pragmatische Prozesse sein zu können, mittels derer Implikaturen ermittelt werden. Das Gesagte ist zudem durch die konventionelle Bedeutung der Teilausdrücke des geäußerten Satzes beschränkt, während dies für Implikaturen nicht gilt. Soweit ist die kontextualistische Auffassung nachvollziehbar. Ich habe allerdings keine Behauptung finden können, derzufolge Implikaturen nicht auch im Ausgang von der konventionellen Bedeutung bestimmt werden können. Wie also läßt sich das das Gesagte präzise vom Implikierten abgrenzen, wenn auch das Gesagte auf eine Weise pragmatisch mitbestimmt ist, die über linguistisch geforderte Sättigung hinausgeht? Wo genau liegen die Grenzen zum Implikierten? Eine weitere Adäquatheitsbedingung an den Begriff des Gesagten ist, daß Sprecher sich auf das Gesagte festlegen, während sie das Implikierte zurücknehmen können, ohne sich zu widersprechen. Ob dieses Gricesche Kriterium für das Gesagte im Sinne des Kontextualismus gilt, ist jedoch fraglich. Nehmen wir an, der Hörer von (S6) versteht (S6I) als das Gesagte und (S6I**) als die Impli-
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katur, die der Sprecher intendiert. Der Sprecher hingegen wollte nicht (S6I) behaupten, sondern das »und« (S6) entsprechend als »reine« Konjunktion verstanden wissen und mittels (S6) (S6I*) implikieren. Wenn der Sprecher bemerkt, daß seine Äußerung in ihrer pragmatischen Dimension mißverstanden wurde, erscheint die folgende Erwiderung intuitiv passend: (S6I) Ich habe nicht behauptet, daß sie zuerst heirateten und dann Kinder bekamen! Offenbar gibt es zwei prima facie gleichermaßen einleuchtende Optionen im Hinblick auf die Äußerung des Satzes »Sie heirateten und bekamen zwei Kinder«: (a) (S6) als das Gesagte und (S6I*) als das Implikierte (b) (S6I) als das Gesagte und (S6I**) als das Implikierte Aus diesem Grunde scheint Zweifel daran berechtigt, daß eine »objektive« Bestimmung des Gesagten möglich ist. Das Gesagte im Sinne des Kontextualismus scheint vielmehr von subjektiven Faktoren abzuhängen und gleichermaßen situationsspezifisch zu sein wie das Implikierte. Auf welcher Basis behauptet Recanati, daß (S6I) und nicht (S6) das Gesagte ist? Um ein Minimum an Normativität sicherzustellen, restringiert Recanati das Zugänglichkeitsprinzip auf normale Sprecher/Hörer. Diese Restriktion läßt Raum für die Möglichkeit, daß Sprecher etwas sagen können, das sie nicht sagen wollten (nämlich das, was »normale« Hörer dann als das Gesagte auffassen würden), sowie für die Möglichkeit, daß das Gesagte dem Hörer in manchen Fällen doch nicht direkt zugänglich ist (nämlich dann, wenn er kognitiv nicht »angemessen« auf eine Äußerung reagiert). Auf mein Beispiel eines Mißverständnisses angewendet, bedeutet das, daß entweder der Sprecher oder der Hörer gewissermaßen einen Fehler gemacht haben: Entweder der Sprecher hat es nicht geschafft, daß auszudrücken, was er ausdrücken wollte, oder der Hörer hat die Äußerung nicht angemessen aufgenommen und das Gesagte daher nicht erfasst. Recanati bringt in seinen Beispielen zudem implizit immer Wahrscheinlichkeitsprognosen ins Spiel: Sprecher behaupten mit Äußerungen des Satzes »Sie heirateten und bekamen zwei Kinder« meistens (S6I). In meiner obigen Variation dieses Beispiel wäre die Erwiderung (S6I) dementsprechend laut Recanati sehr wahrscheinlich nicht akzeptabel und der »Fehler« läge somit aufseiten des Sprechers. Unsere gegenteilige Intuition würde er dann zu erklären versuchen, indem er behauptet, daß dieser Erwiderung ein anderer Begriff des
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Gesagten zu Grunde liegt, der ein streng wörtliches Sagen im Sinne der direkten Rede meint. Dies sei aber nicht der terminus technicus, um den es dem Kontextualisten gehe und nur unkooperative Sprecher würden sich mit Äußerungen wie (S6I) auf einen solchen Sinn von »sagen« zurückziehen. Dieser Rekurs auf »normale« Sprecher/Hörer und die damit einhergehenden impliziten normativen Standards erscheinen mir zutiefst problematisch. Zum einen ist es mißlich, theoretisch darauf verpflichtet zu sein, in jedem einzelnen Fall eines Mißverständnisses im Hinblick auf das Gesagte prinzipiell entscheiden können zu müssen, auf wessen Seite der »Fehler« lag. Recanati ist bei der Bestimmung des Gesagten aber gerade auf die Möglichkeit einer solchen »Außenperspektive« verpflichtet, denn ohne die darauf basierende »objektive« Bestimmung des Gesagten hätte er keine Ressourcen, um Sprecherbedeutung und semantischen (i. S.v. wahrheitskonditionalen) Gehalt eines geäußerten Satzes auseinanderzuhalten und seine Auffassung von wahrheitskonditionalem Gehalt wäre somit dem sogenannten »Humpty-Dumpty«-Einwand ausgesetzt: Erfolgte die Bestimmung des Gesagten rein sprecherorientiert, könnten diese sozusagen nach Laune bestimmen, in welcher Hinsicht das rein wörtliche Bedeutungsgerüst gegebenenfalls zu erweitern ist, um zum Gesagten zu gelangen. Ebenfalls problematisch für eine solche Auffassung erscheinen mir Fälle, in denen Sprecher und Hörer sich aufgrund einer großen Menge von geteilten Hintergrundannahmen verstehen, in denen »Außenstehende« die entsprechenden Propositionen aber nicht erfassen würden. So kann es prinzipiell von sehr vielen unterschiedlichen pragmatischen Faktoren abhängen, ob ein Sprecher via »(S6)« (S6) oder (S6I) behauptet. Recanati sagt nichts darüber, ob oder inwieweit die von ihm benötige Außenperspektive so zu verstehen ist, daß die »objektive« Bestimmung des Gesagten die epistemische Gesamtsituation von Sprecher und Hörer einbezieht. Eine »objektive« Bestimmung des Gesagten, die weder der Sprecherbedeutung, noch der von Hörer erfassten Bedeutung entsprechen muß, erscheint jedenfalls kontraintuitiv und unnötig restriktiv. Dieser Punkt läßt sich an dem folgenden Beispiel verdeutlichen: To take an example from Robyn Carston, ›He went to the cliff and jumped‹ is readily interpreted as saying that the person referred to jumped over the cliff, even though this is only contextually suggested. (Recanati 2004:13)
Spezifizieren wir den Kontext nun so, daß es um einen jähzornigen Menschen (Peter) geht, der immer, wenn er wütend wird, zum Felsvorsprung geht und zehnmal hintereinander hochspringt, um sich zu beruhigen. Nun geht es nach einer Auseinandersetzung in der Kneipe darum, wo Peter ist. Mit der Äußerung von »He went to the cliff and jumped« sagt der Sprecher hier plausiblerweise nicht he went to the cliff and jumped over the cliff. Für die Bestimmung des Gesagten scheint es meines Erachtens relevant zu sein, ob der Hörer von Peters
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Gewohnheit weiß oder nicht. Wenn er eingeweiht ist, dann sagt ihm der Sprecher he went to the cliff and jumped (as usual). Einer nicht eingeweihten Person kann er das mit diesem Satz jedoch nicht sagen. Die erste Vermutung, die eine nicht eingeweihte Person in Bezug auf die Behauptung hätte, die der Sprecher machen wollte, ist wahrscheinlich, daß Peter von der Klippe sprang. Das liegt meiner Auffassung zufolge aber nicht an dem wahrheitskonditionalen Gehalt des geäußerten Satzes, sondern an gewöhnlichen lebensweltlich-pragmatischen Einschätzungen, die wir in der alltäglichen Kommunikation permanent vornehmen müssen. Je spezifischer unsere Kenntnis des jeweiligen pragmatischen Hintergrunds, desto wahrscheinlicher ist es, daß wir mit diesen richtig liegen und Kommunikation gelingt. Statt wie Recanati für die Bestimmung des Gesagten auf ein aus philosophischer Sicht problematisches Zugänglichkeitsprinzip52 in Kombination mit dem ebenfalls problematischen Rekurs auf »normale« Sprecher/Hörer zu setzen, plädiere ich für eine Auffassung des Gesagten, die das faktische Erfassen von Gehalt durch den Hörer mit einbezieht.53 Ein Grundpfeiler der von mir intendierten Bestimmung des Gesagten wäre neben der Beschränkung, daß das Gesagte (im Unterschied zu Implikaturen) im Ausgang von der konventionellen Bedeutung der Elemente des geäußerten Satzes bestimmt werden muß, die zusätzliche Bedingung, daß der Hörer die von Sprecher ausgedrückte Proposition de facto erfasst hat. Diesem Vorschlag entsprechend läßt sich das Gesagte nicht »objektiv« in einem allgemeinen Sinne, sondern nur intersubjektiv im Sinne von »relativ zu Sprecher S und Hörer H« bestimmen. Das hat zur Konsequenz, daß in Situationen, in denen mehrere Hörer mit jeweils unterschiedlichen Mengen mit dem Sprecher geteilter Hintergrundannahmen anwesend sind, ggfs. nur ein Gesagtes relativ zu S und H1, nicht aber relativ zu S und H2 bestimmt werden kann.54 In meinem obigen Beispiel der Äußerung des Satzes »He went to the cliff and jumped« haben wir demzufolge ein Gesagtes relativ zu Sprecher und der mit Peters Gewohnheiten vertrauten Person, während die nicht eingeweihte Person infolge der Äußerung entweder eine andere Proposition unterhält oder zunächst nur verwirrt ist und keine Proposition erfasst.
52 Recanatis Prinzip basiert, wie bereits erwähnt, auf einer psychologischen Hypothese in Bezug auf das Erfassen mittels sprachlicher Äußerungen ausgedrückten Gehalts und ist aus diesem Grunde prima facie mit dem Vorwurf des Psychologismus im Hinblick auf die Bestimmung von semantischem (i. S.v. wahrheitskonditionalem) Gehalt konfrontiert. 53 Diesbezüglich sehe ich Parallelen zu Austins Begriff des »uptake« eines illokutionären Aktes (vgl. dazu Austin 1962:116). 54 Eine ähnliche Auffassung präsentiere ich in Kapitel 4 in Bezug auf die Referenzbestimmung bei einfachen Demonstrativa.
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Das Gesagte wird meiner Idee zufolge also relativ zu Sprecher und Hörer bestimmt. Dabei bleiben die gängigen Restriktionen in Kraft, denen zufolge jede pragmatische Anreicherung des Gehalts auf die wörtliche Bedeutung der verwendeten Ausdrücke aufsatteln muß und das Gesagte die Grundlage für das Ermitteln von Implikaturen sein können muß. Was mittels der Äußerung eines Satzes gesagt werden kann, ist insofern von der konventionellen Bedeutung beschränkt, als jedem Teilausdruck des Satzes auch eine Komponente des Gesagten entsprechen muß, wobei diese Komponente nicht in Übereinstimmung mit den semantischen Regeln bestimmt sein muß. So kann der Sprecher beispielsweise mithilfe der definiten Kennzeichnung »Smiths Mörder« etwas über eine Person sagen, die die deskriptive Bedingung nicht erfüllt, sofern der Hörer die intendierte direkte Bezugnahme als solche erkennt (vgl. Donnellan 1966). Das gleiche gilt für Fälle des sogenannten Bedeutungstransfers, bei denen mit Kennzeichnungen wie »der Leistenbruch auf Zimmer 77« oder »Der Hamburger an Tisch 23« auf Personen referiert wird. Neben der Zuordnung von Konstituenten zu den Teilausdrücken im Satz kann das Gesagte darüber hinaus in Form von nichtartikulierten Konstituenten frei pragmatisch angereichert sein. Ein wichtiger Vorteil der skizzierten Auffassung ist, daß das so bestimmte Gesagte automatisch der passende Ausgangspunkt für die Ermittlung von Implikaturen ist, da es sozusagen ein in der Situation zwischen Sprecher und Hörer abgestimmter Gehalt ist. Auf diese Weise erweist sich die gängige Forderung, daß Sprecher das Gesagte (im Gegensatz zum Implikierten) nicht zurücknehmen können, als ganz natürlich und intuitiv, da das Gesagte ohnehin unter Einbeziehung der Perspektive des Sprechers und der des Hörers bestimmt wird. Ein weiterer Vorteil dieser Auffassung des Gesagten ist, daß sie weniger normativen theoretischen Ballast aufweist, da nicht »objektiv« bestimmt werden muß, was relativ zu einem bestimmten Kontext ein normales oder angemessenes Verstehen einer Äußerung ist. Das Gesagte ist meiner Auffassung zufolge die bestimmten Beschränkungen unterworfene Sprecherbedeutung einer Äußerung. Diese Beschränkungen sind, wie oben beschrieben, zum einen die Bestimmung im Ausgang von der konventionellen Bedeutung der Teilausdrücke des Satzes und zum anderen das Erfassen des Gehalts durch den Hörer (das wiederum sicherstellt, daß das Gesagte die Basis für das Ermitteln von Implikaturen sein kann). Daß Sprecher dieser Auffassung zufolge nicht etwas sagen können, was sie nicht sagen wollten, ist meines Erachtens kein Nachteil, sondern die natürliche Folge einer konsequent pragmatischen Auffassung des Gesagten. Diese Konzeption ist insofern im Geiste des Kontextualismus, als das Gesagte sehr von der konkreten Äußerungssituation und den in ihr wirksamen Intentionen und Hintergrundannahmen geprägt ist. In dieser Hinsicht erscheint eine Charakterisierung des Gesagten durch Perry sehr treffend, der in einem etwas anderen Zusammenhang (in dem es um die
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Bestimmung der Referenten von Demonstrativa geht) von einem »forensischen Element« im Begriff des Gesagten spricht: The problem is that there is a forensic element to our ordinary concept of what is said. Saying something is often a social act, which has effects on others in virtue of the words used, their meanings, and other publicly observable indications of the speaker’s intentions (»perlocutionary effects« in Austin’s terminology). (Perry 2009:191)
Meiner hier skizzierten Auffassung des Gesagten entsprechend hängt die Ermittlung des Gesagten potentiell an vielen verschiedenen Spezifika einer Äußerungssituation und enthält somit eindeutig das von Perry als »forensisch« bezeichnete Element. Gleichzeitig erlaubt diese Konzeption des Gesagten aber auch eine klare Abgrenzung von semantischem Gehalt im Sinne des Minimalismus. Auch Recanatis Konzeption des Gesagten unter Rekurs auf »normale« Sprecher/Hörer enthält das, was Perry als forensisches Element bezeichnet, erhebt aber darüber hinaus den Anspruch einer gänzlich objektiven Bestimmbarkeit des Gesagten, so daß das Gesagte seiner Auffassung zufolge nicht notwendigerweise in Übereinstimmung mit der Sprecherbedeutung bestimmt wird. Perry bezeichnet das »forensische Element« im Begriff des Gesagten als ein Problem, da ein Gehalt, dessen Bestimmung potentiell an einer solchen Vielzahl von Faktoren hängt, nicht dazu geeignet ist, die zentrale Rolle in einer semantischen Theorie zu spielen. In diesem Punkt stimme ich Perry zu und identifiziere das Gesagte daher nicht, wie die Kontextualisten, mit dem wahrheitskonditionalen Gehalt eines geäußerten Satzes. Mein Ziel ist es vielmehr, eine minimalistische Auffassung des wahrheitskonditionalen Gehalts geäußerter Sätze zu entwickeln, derzufolge der semantische Gehalt in Übereinstimmung mit dem minimalistischen Grundsatz (T3) anti-intentionalistisch bestimmt wird und aus diesem Grund gegen die im Rahmen dieses Abschnitts vorgestellte erste kontextualistische Argumentationsstrategie immun ist. Meine konsequent minimalistische Alternative, die das Gesagte nicht mit dem semantischen Gehalts identifiziert, hat den Vorteil, die theoretische Bürde einer objektiven Perspektive im Hinblick auf das Gesagte zu umgehen, ohne gleichzeitig die Objektivität des wahrheitskonditionalen Gehalts aufzugeben. Normativität im strikten Sinne einer allgemeinen Grundlage für richtiges Verstehen, die für alle kompetenten Sprecher gilt, gibt es meiner Auffassung zufolge nur, wenn es um rein sprachliches Verstehen geht, in dem pragmatische Faktoren keine Rolle spielen. Auf diese Weise entledigt sich mein Vorschlag zur pragmatischen Bestimmung des Gesagten der Last, bestimmen zu müssen, was ein normales oder richtiges pragmatisches Verstehen einer Äußerung ist. Entscheidend ist, daß der Hörer das erfasst, was der Sprecher ausdrücken wollte.
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Statt Wahrheitsbedingungen den Spezifika von Äußerungssituationen anzupassen und sie von einer situationsspezifischen, aber dennoch vermeintlich »objektiven« Bestimmung abhängig zu machen, scheint es theoretisch geschickter, den wahrheitskonditionalen Gehalt im Sinne des Minimalismus schmal zu halten, und entsprechende Anreicherungen über pragmatische Maximen zu erklären, die ein hohes Maß an Allgemeinheit haben und sich daher auf viele unterschiedliche Fälle anwenden lassen (bspw. etwa Grices Maxime »Sei so spezifisch wie nötig«). Diese allgemeine Strategie, pragmatische Elemente aus dem wahrheitskonditionalen Gehalt geäußerter Sätze heraus zu halten, ist sozusagen das Herzstück der Griceschen theoretischen Bemühungen und wird von Grice als Modified Occam’s Razor bezeichnet. Es ist als eine Instanz des nach Wilhelm von Ockham benannten, unter dem Titel Occam’s Razor geläufigen Sparsamkeitsprinzips in Bezug auf theoretische Erklärungen zu verstehen. Bei Grices in der Literatur häufig unter der verkürzten Bezeichnung Grice’s Razor geläufigen Version dieses Grundsatzes geht es darum, nur so viele Bedeutungsgehalte oder Sinne von Sätzen zu postulieren, wie unbedingt nötig (vgl. Grice 1989:47). Anders ausgedrückt besagt dieser theoretische Grundsatz, daß Kontextsensitivität sprachlicher Ausdrücke und die ihr entsprechende Kontextabhängigkeit des mit ihnen ausgedrückten wahrheitskonditionalen Gehalts, nur dann postuliert werden sollte, wenn keine anderen, pragmatischen Erklärungen für die vermeintlichen Schwankungen der Wahrheitsbedingungen geäußerter Sätze verfügbar sind.55 Grices Theoretisieren über Sprache ist geprägt von Bestrebungen, eine Theorie der Bedeutung mit einer Theorie der Rationalität und der rationalen Kommunikation zu verschränken.56 In diesem Zusammenhang hat Grice einen theoretischen Rahmen geschaffen (bzw. präzisiert), der es uns ermöglichen soll, zwischen genuin semantischen, die konventionelle Bedeutung sprachlicher Ausdrücke betreffenden Tatsachen und Tatsachen, die die Natur menschlicher Interaktion betreffen, zu unterscheiden. Trotz der Schwäche von Grices Theorie, die primär darin besteht, daß der Begriff des Gesagten, der dem semantischen Gehalt eines geäußerten Satzes entsprechen soll, unterspezifiziert bleibt, bietet seine Theorie einen brauchbaren Ausgangspunkt für minimalistische Theorien, die den semantischen Gehalt geäußerter Sätze anhand minimalistischer Grundsätze bestimmen und von pragmatisch vermittelten Gehalten trennen wollen. Aber was spricht dafür, sich der generellen Griceschen Strategie anzuschließen? 55 Ein weiterer bekannter Vertreter dieser allgemeinen Strategie ist Robert Stalnaker (vgl. bspw. Stalnaker 2014). Allan Hazlett (2007) argumentiert unter Rekurs auf »Grices Rasiermesser« gegen eine kontextualistische Auffassung der Semantik von »wissen«. 56 Grices einschlägige Arbeit zum Thema Rationalität und Gründe, das im Rahmen dieser Arbeit kaum eine Rolle spielt, ist das Buch Aspects of Reason (2001).
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Eine minimalistische Antwort auf die kontextualistische Herausforderung
Aus meiner Sicht sprechen wichtige metasemantische Erwägungen für eine minimalistische Antwort auf die Frage, welchen Tatsachen eine semantische Theorie Rechnung tragen muß und welchen nicht. Die Semantik soll das explizit machen, was wir qua kompetente Sprecher einer Sprache implizit wissen (vgl. S. 6 der Einleitung) und baut dabei auf die Idee, daß sich der Gehalt dieses semantischen Wissens primär in Begriffen von Wahrheitsbedingungen auffassen läßt:57 Wenn wir einen Satz in seiner sprachlichen Bedeutung verstehen, dann wissen wir, unter welchem Umständen er (relativ zu einem Kontext) wahr wäre. Diese Charakterisierung ist sehr grob und erläuterungsbedürftig; im Zuge dieser Arbeit fülle ich sie sukzessive mit Inhalt, indem ich meine minimalistische Auffassung des Begriffs der Wahrheitsbedingung ausbuchstabiere. Semantik behandelt meiner Auffassung zufolge also nicht die Interpretation von sprachlichen Äußerungen qua Handlungen und sie behandelt ebenfalls nicht primär unser Sprachverstehen qua kognitives Faktum mit den dazugehörigen mentalen Repräsentationen, sondern die Relation zwischen Sprache und Welt. Der Weg von einfachen und komplexen sprachlichen Ausdrücken zu den von ihnen bezeichneten Gegenständen oder Sachverhalten, d. h. von der Intension zur Extension eines Ausdrucks, ist kompetenten Sprechern allerdings via Sprachverstehen zugänglich, wobei diese allgemeine Redeweise eine Reihe von unumgänglichen Idealisierungen involviert. So ist die Redeweise von der »Bestimmung« der Extension immer unter dem allgemeinen Vorbehalt zu verstehen, daß viele kompetente Sprecher die konventionelle Bedeutung mancher Ausdrücke nur teilweise kennen (vgl. dazu Burge 1986) und zur konkreten Bestimmung der Zugehörigkeit von Gegenständen zur Extension auf »Experten« (im Sinne von Putnam 1975) rekurrieren müssen.58 Zudem ist Vagheit nicht nur im Hinblick auf das Verstehen sprachlicher Bedeutung und den entsprechenden mentalen Zugang zur Extension, sondern als auch im Hinblick auf die faktische Extension vieler Ausdrücke allgegenwärtig und unvermeidbar, so daß jede formal-semantische Theorie notwendigerweise auf diesbezüglichen Idealisierungen basiert. Diese Vagheit ist aber kein Makel der natürlichen Sprache, sondern ergibt sich auf natürliche Weise aus den lebensweltlichen Zusammenhängen und Bedürfnissen, denen Sprache entspringt. Sie hindert uns nicht daran, den Begriff der Wahrheitsbedingungen in einer 57 Es gibt auch nicht-wahrheitskonditionale Aspekte sprachlicher Bedeutung, wie beispielsweise die Spannung zwischen den Konjunkten, die das Wort »aber« im Unterschied zu »und« zum Ausdruck bringt (vgl. Fn. 8 auf S. 8). Diese klammere ich durchgehend aus, da sie für die Argumentation und die Opposition zwischen Minimalismus und Kontextualismus keine Rolle spielen. 58 Dies ist typischerweise bei Ausdrücken für natürliche Arten der Fall (siehe dazu bspw. Putnams »Ulme/Buche-Beispiel« in Putnam 1975). Zur Bestimmung der Extension von Ausdrücken für natürliche Arten siehe auch Pavic´ (2013).
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externalistischen Weise aufzufassen, so daß Wahrheitsbedingungen grob gesprochen nicht an den mentalen Zuständen einzelner Sprecher hängen, sondern semantische Tatsachen vielmehr untrennbar mit Gegebenheiten in der uns umgebenden Welt verbunden sind. In diesem Sinne kombiniere ich im Anschluß an Borg (2009, 2012) eine minimalistische Auffassung von semantischem Gehalt mit einer externalistischen.59 An dieser Stelle ist es wichtig aus dem Vorangegangenen die folgenden Punkte festzuhalten: (i) Wahrheitsbedingungen geben die Relation zwischen Sprache und Welt in einer abstrakten Weise an, die nicht mit Verifikationsbedingungen verwechselt werden darf. (ii) Obwohl wir genetisch betrachtet zur Bestimmung der Wahrheitsbedingungen geäußerter Sätze unser Sprachverstehen und die darauf basierenden semantischen Intuitionen brauchen, die sich ihrerseits im Zuge des Spracherwerbs aus der Interpretation von konkreten Beispielen der Sprachverwendung vor einem pragmatischen Hintergrund speisen, sind weder die psychologischen Prozesse, die dem Verstehen sprachlicher Äußerungen zugrundeliegen, noch die pragmatische Interpretation geäußerter Sätze Gegenstand einer semantischen Theorie. Die Semantik gibt demzufolge einen eigenen Forschungsbereich ab, der interessante Schnittstellen zur Pragmatik aufweist, deren genaue Erforschung gerade dazu dient, die Grenze zwischen genuin semantischem Gehalt und pragmatisch vermitteltem Gehalt im Hinblick auf einzelne Ausdrücke und deren konkrete Verwendungen präzise auszubuchstabieren. Diesbezüglich gibt es häufig konkurrierende Ansätze, die den semantischen Gehalt jeweils anders bestimmen (bspw. im Falle der Domänen-Restriktion bei Quantorenausdrücken), von denen aber in der Regel alle von einer unkontroversen konventionellen »Grundbedeutung« entsprechender Ausdrücke ausgehen, die es zu spezifizieren und von pragmatisch vermittelten Gehalten abzugrenzen gilt. Das theoretische Ziel ist in der Regel eine Abgrenzung des Pragmatischen vom Semantischen, denn in Relation zu einer Zusammenführung der beiden Bereiche bietet die Abgrenzung prima facie genauere Beschreibungsmöglichkeiten für die relevanten Phänomene und entsprechend ein höheres explanatorisches Potential. Der genuin semantische Gehalt geäußerter Sätze ist entsprechend ein Baustein einer umfassenden systematischen Theorie der sprachlichen Kommunikation, allerdings ist die Bestimmung des semantischen Gehalts aus der Perspektive einer umfassenden Gesamttheorie betrachtet der Bestimmung von 59 Borg (2009) erläutert auf überzeugende Weise, warum ein semantischer Minimalist nicht auf eine internalistische Auffassung von sprachlicher Bedeutung festgelegt ist; Gendler Szabj (2006:374f). argumentiert kontra Chomsky, Sperber & Wilson und Carston ebenfalls überzeugend für den semantischen Externalismus. Ich belasse es bei diesen Behauptungen, da die Internalismus/Externalismus-Kontroverse in dieser Arbeit keine zentrale Rolle spielt.
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Eine minimalistische Antwort auf die kontextualistische Herausforderung
pragmatisch vermittelten Gehalten vorgelagert, da die Kenntnis der konventionellen, wörtlichen Bedeutung sprachlicher Ausdrücke Bedingung der Möglichkeit für die pragmatische Vermittlung von Gehalt mittels sprachlicher Äußerungen ist (mit den in Abschnitt 2.1 thematisierten Einschränkungen, siehe S. 33). Gerade weil die wörtliche Bedeutung in der Regel sehr unspezifisch ist, ist sie ein so gutes Werkzeug für komplexe Formen der Kommunikation, denn so bietet sie einen idealen Ausgangspunkt für das Operieren verschiedener pragmatischer Prozesse, namentlich der nach Recanati neben der Sättigung zur Bestimmung des Gesagten häufig heranzuziehenden freien Anreicherung, Lockerung60 oder des semantischen Transfers. Aus diesem theoretischen Bild ergibt sich ein grundlegender Einwand dagegen, das Gesagte als den wahrheitskonditionalen Gehalt aufzufassen und ins Zentrum einer (umfassend verstandenen) semantischen Theorie zu rücken. Versuche, die konventionelle Bedeutung im Ausgang vom Gesagten zu bestimmen, sind m. E. zum Scheitern verurteilt, denn aufgrund der prinzipiell unendlich vielen verschiedenen möglichen Anreicherungen eines geäußerten Satzes, die das Gesagte häufig involviert, ist sozusagen kein Weg verfügbar, um die wörtliche Bedeutung des entsprechenden Satzes ausgehend vom Gesagten eindeutig zu bestimmen. Aus Sicht des Minimalisten wird die Evidenzlage durch den Kontextualisten demnach verdreht: Nicht das Gesagte sollte als ein Indikator für den (minimalen) semantischen Gehalt betrachtet werden (dieser bliebe dann nämlich unterbestimmt), sondern wir sollten aufgrund von explanatorischen Vorteilen beim Theoretisieren vom semantischen Gehalt im Sinne des Minimalismus ausgehen und dann schauen, in welcher Weise die konventionelle Bedeutung beschränkt, was mit einem Satz gesagt werden kann bzw. wie sich das Gesagte in der Äußerungssituation durch ein Wechselspiel zwischen wörtlicher Bedeutung und pragmatischen Prozessen ergibt. Diesen auf eine Trennung von Semantik und Pragmatik ausgerichteten Zugang zum Theoretisieren über Sprache bringt Evans wie folgt auf den Punkt: Once one’s interest is in the phenomenon of language itself, one must be concerned with the way in which it functions as a means of communication among members of a community. One will then regard the utterances of individual speakers of the language as exploitations of a linguistic system which exists independently of anyone’s exploitation of it. One must be able to think in terms of the possession of semantic properties by expressions of the language independently of any particular occasion of use, as well as in terms of the significance of particular utterances. (Evans 1982:67)
Meiner Auffassung zufolge haben das Gesagte und der semantische Gehalt unterschiedliche theoretische Rollen zu erfüllen. Daher ist ihre Bestimmung un60 Ein Beispiel für Lockerung (›loosening‹) ist »Der Automat verschluckte meine Kreditkarte« (vgl. dazu Recanati 2004:26).
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terschiedlichen Bedingungen oder Beschränkungen unterworfen und bringt andere theoretische Herausforderungen mit sich. Ich komme Recanatis kontextualistischer Position insofern entgegen, als ich ebenfalls der Auffassung bin, daß wir auf den Begriff eines vermeintlich »streng wörtlich« Gesagten im Sinne eines Gehalts, der zwar allein durch Sättigung, aber doch auch unter Rekurs auf Sprecherintentionen ermittelt wird, tatsächlich verzichten können. Ich habe mich für eine kontextualistische Auffassung des Gesagten ausgesprochen, derzufolge das Gesagte durch freie pragmatische Anreicherung bestimmt sein kann, ich verzichte dabei allerdings auf die von Recanati postulierte objektive Bestimmung des Gesagten und die damit einhergehenden normativen Standards. Stattdessen beziehe ich die faktische Perspektive des Hörers in die Bestimmung des Gesagten mit ein und erreiche so einen de facto intersubjektiv geteilten Gehalt. Abschließend komme ich noch einmal kurz auf die Abgrenzung des Gesagten von implikierten Gehalten zu sprechen, die für kontextualistische und relevanztheoretische Positionen von zentraler Bedeutung ist und die ihnen zufolge auf der unter dem Stichwort »duale Pragmatik« bekannten kognitionspsychologischen Unterscheidung zwischen primären und sekundären pragmatischen Prozessen basiert. Die angebotene Basis für diese Unterscheidung wird von Borg (2016) zurecht als problematisch kritisiert, da keine präzisen Kriterien verfügbar sind, die in einzelnen Fällen eine eindeutige Bestimmung des Gesagten im Ausgang von der logischen Form des geäußerten Satzes erlauben, weswegen auch keine klare Abgrenzung von Implikaturen möglich ist. Borg möchte den Begriff der Explikatur – die relevanztheoretische terminologische Variante für das pragmatisch bestimmte Gesagte – aus diesem Grunde ganz verwerfen, so daß nur zwei Ebenen von Gehalt übrig bleiben: die minimale semantische Proposition und Implikaturen.61 Auf die in Borgs Aufsatz thematisierte Problematik einer immer weiteren möglichen Anreicherung des Gesagten komme ich im folgenden Abschnitt ausführlich zu sprechen, ich möchte sie allerdings nicht, wie Borg, nutzen, um gegen einen pragmatischen Begriff des Gesagten zu argumentieren, sondern um radikal-kontextualistische Einwände gegen eine minimalistische Auffassung von Wahrheitsbedingungen zu entschärfen. An dieser Stelle reicht es mir, aufzuzeigen, daß mein Vorschlag zum Begriff des Gesagten im Hinblick auf die Abgrenzung des Gesagten von Implikaturen in zweierlei Hinsicht besser dasteht als Recanatis:
61 Auf Borgs diesbezügliche Position bin ich durch ihren Vortrag Eliminating Explicatures am 29. 01. 2014 am Philosophischen Seminar der Universität Göttingen aufmerksam geworden, der dem angegebenen Aufsatz Exploding Explicatures (2016) vorausging.
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(1) Das Gesagte ist meiner Auffassung zufolge ein Gehalt, den sowohl Sprecher als auch Hörer als den Gehalt ansehen, auf den der Sprecher sich in einer pragmatischen Hinsicht festgelegt hat. Diesen Gehalt kann der Sprecher folglich nicht zurücknehmen, ohne für den Kommunikationsfluß zu unterbrechen und für größere Irritationen zu sorgen, wohingegen es in der Regel gute Gründe dafür gibt, warum Sprecher implikierte Gehalte nicht explizit behaupten und sich auf diese Weise die Option des Zurücknehmens offenhalten. Dieser Unterschied ist Sprechern/Hörern bewußt, ohne daß sie über die entsprechenden theoretischen Begrifflichkeiten verfügen und dieses Bewußtsein bildet die Grundlage für die theoretische Unterscheidung, die ohne die Verankerung im Bewußtsein von Sprachverwendern keinen Sinn hätte. Meine Auffassung der Unterscheidung zwischen dem Gesagten und dem Implikierten verzichtet – abgesehen von den oben erläuterten Beschränkungen des Gesagten, die nicht für Implikaturen gelten – bewußt auf weitere theoretische Unterscheidungskriterien. (2) Auch meine Skizze einer neuen pragmatischen Konzeption des Gesagten bietet nicht in jedem einzelnen Fall die Möglichkeit einer klaren Trennung des Gesagten vom Implikierten, die »Rest-Unbestimmtheit« ergibt sich in meiner Konzeption allerdings nicht aus einer Schwäche der Theorie, sondern daraus, daß sowohl Hörer als auch Sprecher selbst in manchen Fällen de facto keine genauen Meinungen oder Intuitionen darüber haben, worauf sich der Sprecher festgelegt und was er nur implizit vermittelt hat. So kann ein allgemeiner Grundsatz wie die Ökonomie des Ausdrucks gleichermaßen die Grundlage für eine Anreicherung der konventionellen Bedeutung bzw. der logischen Form des geäußerten Satzes zu einem der Situation angemessenen Gesagten, wie zur Ermittlung von Implikaturen sein. Ein entscheidender Unterschied zum Theoriegebäude der Kontextualisten ist jedoch, daß eine gewisse »Lockerheit« des Begriffs des Gesagten in meinem Bild weniger problematisch ist, da das Gesagte nicht der wahrheitskonditionale Gehalt entsprechender geäußerter Sätze ist. Die genaue Abgrenzung des Gesagten vom Implikierten ist für den Kontextualisten hingegen von ganz zentraler Bedeutung, da das Gesagte für den Kontextualisten der wahrheitskonditionale Gehalt eines geäußerten Satzes ist und als solcher das Zentrum einer (im weitesten Sinne) semantischen Theorie bilden soll. Die Unklarheit des Begriffs des Gesagten bzw. der Explikatur bringt Kontextualisten und Relevanztheoretiker somit in die ober beschriebene mißliche Lage, auf die Borg (2016) zurecht verweist. Grice war sich – trotz seiner minimalistischen Auffassung des Gesagten – der Problematik einer genauen Abgrenzung des Gesagten vom Implikierten durchaus bewußt und formuliert das Problem folgendermaßen:
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If nonconventional implicature is built on what is said, if what is said is closely related to the conventional force of the words used, and if the presence of the implicature depends on the intentions of the speaker, or at least on his assumptions, with regard to the possibility of the nature of the implicature being worked out, then it would appear that the speaker must (in some sense or other of the word know) know what is the conventional force of the words which he is using. This indeed seems to lead to a sort of paradox: If we, as speakers, have the requisite knowledge of the conventional meaning of sentences we employ to implicate, when uttering them, something the implication of which depends on the conventional meaning in question, how can we, as theorists, have difficulty with respect to just those cases in deciding where conventional meaning ends and implicature begins? (Grice 1989:49)
Das Problem einer exakten, »objektiven« Bestimmung des Gesagten besteht auch unabhängig von der Abgrenzung zu Implikaturen und betrifft sogar eine Gricesche nur auf Sättigung basierende Bestimmung des Gesagten, da auch dort ein Rekurs auf Sprecherintentionen zur Bestimmung des Gesagten vonnöten ist. Es ist der inhärenten Spannung zwischen dem Anspruch auf Objektivität einerseits und der Abhängigkeit von Sprecherintentionen andererseits geschuldet, die sich durch Recanatis Rekurs auf situative Normalitätsstandards nicht angemessen auflösen läßt. Daher liegt es meines Erachtens nahe, sich Perry anzuschließen, der an verschiedener Stelle (insbesondere im Zusammenhang mit der Bestimmung des Gehalts von Indexikalia) die Komplexität des Begriffs des Gesagten hervorhebt, die diesen Gehalt als Basis für eine wahrheitskonditionale Semantik ungeeignet macht: My skepticism on this point is based on skepticism about the whole notion of »the proposition expressed by an utterance«. There are many things we do with utterances. We say things, communicate things, express our belief in things, and so forth. These can be quite different. […] I am inclined to think that our notion of »the proposition expressed« comes to »what is said« and that saying is a rather complex notion that needs to be explained in terms of intentions to communicate. (Perry 1993a:236, Fn. 8)
Zudem ist Perry der Auffassung, daß der Begriff des Gesagten eine gewisse »Lockerheit« aufweist und daß das Gesagte uns nicht direkter zugänglich ist als der rein sprachlich ausgedrückte Gehalt eines geäußerten Satzes: [I]t is the incremental truth conditions of an utterance, given the facts that determine the reference of its indexicals, demonstratives, and names, that are typically the focus of reports about what was said by the utterance. I am suggesting that the reason for this is not that this proposition is any more directly or intimately connected with the utterance than other candidates. It is less directly connected with the utterance than the pure truth conditions. The reason is simply that our notion of »what is said« reflects concern with the paradigm communicative situation.
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Once one abandons the principle of unique content, one comes to expect the notion of »the proposition expressed«, and »what is said« to have a certain looseness. (Perry 1993b:294f.)62
Auf Perrys der kontextualistischen diametral entgegengesetzte Hypothese bezüglich der kognitiven Zugänglichkeit von Gehalten möchte ich mich nicht einlassen, ich stimme Perry aber dahingehend zu, daß das »forensische Element« im Begriff des Gesagten durchaus in Widerstreit mit dem von Recanati postulierten Zugänglichkeitsprinzip steht. Meines Erachtens muß der genuin semantische Gehalt (Perrys »pure truth conditions«) Sprechern jedoch ebenfalls nicht direkt zugänglich sein. Im Ergebnis halte ich fest, daß es in theoretischer Hinsicht keine Rolle spielt, ob der genuin semantische Gehalt Sprechern »direkt zugänglich« bzw. »psychologisch real« ist, denn seine Bestimmung basiert auf implizitem semantischen Wissen, welches im Rahmen theoretischer Analysen (ggfs. mittels formaler Darstellungen von Wahrheitsbedingungen) explizit gemacht werden soll. Entscheidend ist, daß der genuin semantische Gehalt geäußerter Sätze im Rahmen einer umfassenden Theorie von Bedeutung explanatorisch eine zentrale Rolle spielt. Aus diesem Grunde sollte er präzise bestimmbar sein und wir sollten daher versuchen, ihn dem Grundsatz (T3) entsprechend unabhängig von den Intentionen von Sprechern oder Hörern zu bestimmen. Vor dem Hintergrund dieser Zielsetzung wende ich mich nun der zweiten kontextualistischen Argumentationsstrategie zu, die mithilfe von sogenannten »context-shifting«-Argumenten demonstrieren will, daß die Wahrheitsbedingungen sehr vieler (oder gar aller) Sätze kontextabhängig sind und daß der rein sprachlich ausgedrückte Gehalt geäußerter Sätze semantisch unvollständig ist, i. e. an sich keine Proposition oder Wahrheitsbedingung konstituieren kann.
2.4
Semantische Unvollständigkeit oder liberale Wahrheitsbedingungen?
Die zweite kontextualistische Argumentationsstrategie behandele ich im Rahmen dieser Arbeit nur sehr kursorisch, und zwar aus den folgenden Gründen: Sie spielt erstens innerhalb des systematischen Aufbaus dieser Arbeit eine pe62 Als »inkrementelle Wahrheitsbedingungen« bezeichnet Perry den durch Sättigung bestimmten Gehalt eines geäußerten Satzes (bei dem die Gehalte von indexikalischen Ausdrücken bereits bestimmt sind); als »reine Wahrheitsbedingungen« bezeichnet er Gehalte, die ohne Rekurs auf Sprecherintentionen allein via Sprachverstehen bestimmt werden. In Kapitel 3 verwerfe ich Perrys Konzeption des genuin semantischen Gehalts geäußerter Sätze (»pure truth-conditions«) in Begriffen einer »reflexiven Proposition« zugunsten der Borgschen Alternative in Begriffen von konditionalisierten Wahrheitsbedingungen.
Semantische Unvollständigkeit oder liberale Wahrheitsbedingungen?
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riphere Rolle, da ich mich ab Kapitel 3 nur noch mit Demonstrativa beschäftige und mir in Kapitel 3, dem Herzstück dieser Arbeit, die am Ende des vergangenen Abschnitts offen gebliebene Frage vornehme, wie sich der Anspruch auf eine anti-intentionalistische Bestimmung von semantischem Gehalt damit vereinbaren läßt, daß sich der mittels Demonstrativa ausgedrückte Gehalt allem Anschein nach nicht ohne Rekurs auf intentionale Faktoren bestimmen läßt. Ich befasse mich am Beispiel von Demonstrativa also zentral mit »offen« kontextsensitiven Ausdrücken. Zweitens stimme ich im Großen und Ganzen mit Borgs (2004) und Cappelen & Lepores (2005) Erwiderung auf die zweite kontextualistische Strategie überein,63 während ich im Hinblick auf Demonstrativa einen eigenen Ansatz befolge, der meine minimalistische Position von allen anderen bisher vorgeschlagenen unterscheidet. Die Vollständigkeit gebietet es jedoch, auch meine Reaktion auf die zweite kontextualistische Strategie kurz zu thematisieren, um auf diese Weise den Rahmen meiner minimalistischen Position abzustecken, vor deren Hintergrund die Diskussion in den kommenden Kapiteln erfolgt. Im Folgenden führe ich daher einige eigene Überlegungen in Reaktion auf diese einflußreiche zweite kontextualistische Strategie an. Es geht in diesem Abschnitt also primär um Ausdrücke, deren linguistische Bedeutung Kontextualisten zufolge zu unspezifisch ist, um ohne eine durch pragmatische Faktoren bestimmte Spezifizierung eine Konstituente zur ausgedrückten Proposition beisteuern zu können, und nicht um Ausdrücke, die allgemein als kontextsensitiv aufgefaßt werden (Indexikalia, Demonstrativa sowie andere Elemente der »basalen Menge« im Sinne von Cappelen & Lepore). Die sogenannten »context-shifting«-Argumente, in denen es um das vermeintliche Schwanken der Wahrheitsbedingungen von Sätzen geht, die bspw. Prädikate wie »rot« oder »glücklich« enthalten, arbeiten auch mit einem Begriff der »intuitiven Wahrheitsbedingungen«, fassen das Gesagte als den wahrheitskonditionalen Gehalt geäußerter Sätze auf und stellen das Gesagte entsprechend – wie moderate Kontextualisten – ins Zentrum einer semantischen Theorie. Der Hauptunterschied besteht darin, daß das Gesagte radikalen Kontextualisten zufolge immer oder fast immer ein sehr stark pragmatisch angereicherter Gehalt ist. Die
63 In Bezug auf Sätze wie »Steel isn’t strong enough« oder »Tipper is ready« unterscheidet sich meine Auffassung jedoch sowohl von Borgs Analyse unter Rekurs auf die Einführung von existenzquantifizierten Variablen, die meines Erachtens an der Semantik der relevanten Ausdrücke vorbeigeht, als auch von Cappelen & Lepores dogmatischem Festhalten an einer Art »Davidsonscher« Wahrheitsbedingung, die den relevanten Satz einfach ohne weitere Qualifikation auf die rechte Seite der Wahrheitsbedingung überträgt. Solche Sätze werden allerdings nicht nur von radikalen Kontextualisten als kontextsensitiv aufgefaßt, vielmehr bewegen sich solche Fälle sozusagen im Grenzbereich zwischen »offener« und »verdeckter« Kontextsensitivität. Ich klammere sie in diesem Abschnitt daher zunächst aus, stelle meine diesbezügliche Auffassung aber im Fazit dieses Kapitels (Abschnitt 2.5) kurz vor.
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theoretische Stoßrichtung entsprechender Positionen läßt sich gut anhand der folgenden Bemerkung Recanatis veranschaulichen: [S]emantic underdeterminacy is not limited to particular lexical items. One can follow Waismann and argue that the satisfaction conditions of any empirical predicate are semantically underdeterminate and subject to pragmatic interpretation. (Recanati 2004:58)
Im Hinblick auf die vermeintliche Unvollständigkeit des sprachlich ausgedrückten Gehalts verfolge ich im Anschluß an Borg (2004) die Auffassung, daß der rein sprachlich ausgedrückte Gehalt in den zur Diskussion stehenden Fällen zwar (in vielerlei Hinsicht) unbestimmt, aber nicht unter bestimmt ist. Die relative Unspezifität von genuin semantischem Gehalt fängt Borg mit dem Terminus liberale Wahrheitsbedingungen treffend ein (vgl. Borg 2004:230ff.). Solche Wahrheitsbedingungen können häufig auf vielerlei von Sprechern nicht intendierte Arten und Weisen erfüllt sein, weswegen sie von Kontextualisten als kontraintuitiv zurückgewiesen werden. Meine Erwiderung auf diesen Vorwurf besteht in nuce darin, zum einen auf einer strikten Trennung von Wahrheitsbedingungen und Verfikationsbedingungen zu bestehen und zum anderen einen moderaten Relativismus hinsichtlich der Bestimmung der Wahrheitswerte der relevanten Sätze zu akzeptieren.64 Als Semantiker trachten wir nicht danach, die Wahrheitswerte geäußerter Sätze konkret zu bestimmen und können daher akzeptieren, daß die Frage, ob ein bestimmter Satz S in einem Kontext c gerechtfertigterweise als wahr zählt, von Kontext zu Kontext variieren kann. Die Problematik und meine metasemantische Erwiderungsstrategie möchte ich nun im Ausgang von dem Beispiel der Äußerung des Satzes (S7) verdeutlichen: (S7) Martha ist glücklich. Was genau muß der Fall sein, damit Martha glücklich ist und (S7) somit wahr ist? Worin Glücklich-Sein besteht – was es eigentlich heißt, glücklich zu sein – ist eine Frage, über die sich viele Philosophen den Kopf zerbrochen haben. Es ist nicht die Aufgabe einer semantischen Theorie, diese Frage zu beantworten. Es erwartet wohl auch niemand, daß mittels Analyse der lexikalischen Bedeutung von »glücklich« eine allgemeine und erschöpfende Antwort auf diese Frage erreicht werden kann. Aber während der Minimalist akzeptiert, daß die konventionelle Bedeutung diesbezüglich nicht eindeutig ist und Spielraum im Hinblick auf mögliche Erfüllungen des Prädikats offen läßt, fassen radikale Kontextualisten wie Travis die linguistische Bedeutung lediglich als eine Art »semantisches 64 Man beachte, daß in der soeben zitierten Passage nicht von Wahrheitsbedingungen, sondern von Erfüllungsbedingungen die Rede ist – ein Terminus, der üblicherweise in der Sprechakttheorie Anwendung findet.
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Potential« auf, das ohne eine weitere Spezifizierung keinen Beitrag zu einer Wahrheitsbedingung liefern kann. Laut Travis variiert die Wahrheitsbedingung von (S7) in Abhängigkeit davon, was der Sprecher in der jeweiligen Situation mit dem Wort »glücklich« sagt. Ob der Satz »Martha ist glücklich« in einem Kontext angemessenerweise als wahr angesehen werden kann oder nicht, hängt zugegebenermaßen an vielerlei Hintergrundannahmen. Wenn es bspw. gerade darum geht, eine schöne neue Wohnung zu finden, und Martha freudestrahlend erzählt, daß ihr das gerade gelungen ist, wird es angemessen sein, später zu berichten, Martha sei glücklich – glücklich, weil sie eine schöne neue Wohnung gefunden hat. In einem anderen Kontext mag die schöne Wohnung jedoch keine Rolle spielen und es wäre völlig unangemessen, Martha aufgrund ihrer erfolgreichen Wohnungssuche als glücklich zu bezeichnen. Aber läßt sich dies als Evidenz dafür verstehen, daß der semantische Gehalt von (S7) von Kontext zu Kontext variiert, da der Ausdruck »glücklich« per se keinen Beitrag zu einer Wahrheitsbedingung leisten kann? Um dem vermeintlichen Problem der Unterbestimmtheit der Wahrheitsbedingung zu entgehen, müsse der laut Kontextualisten unvollständige, nur über die linguistische Bedeutung zugängliche Gehalt von »glücklich« pragmatisch angereichert werden, etwa in »glücklich in der-und-der Hinsicht«. Diese Strategie führt jedoch in die Irre, da wir immer weiter fragen und Gehalte ad infinitum weiter anreichern können, ohne je zu einem Ende zu kommen, i. e. zu einem Gehalt, der eine Wahrheitsbedingung ausdrückt, die sozusagen keine Fragen mehr offen läßt, da sie so spezifisch ist, daß für jede mögliche Situation bestimmt werden kann, ob die Wahrheitsbedingung erfüllt ist oder nicht. Cappelen & Lepore illustrieren diesen Punkt anhand von Gedanken der folgenden Art: With respect to enoughness, imagine our opponent is a contextualist who denies there is a general property of having had enough. […] We ask her : If a range of people can’t all have had enough, can they at least all have had enough pasta? Is that something a range of people can have in common? We suppose the answer must be ›yes‹. Clearly, a bunch of people can all have had enough pasta. But what is supposed to be problematic and puzzling about enough simpliciter can now be regenerated with respect to having had enough pasta. There are indefinitely many ways of having had enough pasta. Here are some rough examples to get your imagination going: a supermarket has enough pasta; a chef making a complicated meal in a restaurant has enough pasta; a child carrying groceries home has enough pasta; a freight boat has enough pasta […] (Cappelen & Lepore 2005:169, Fn.7)
Die Argumentationsstrategie von Cappelen & Lepore richtet sich primär gegen moderate Kontextualisten, mit dem Ziel, aufzuzeigen, daß ein moderater Kontextualismus, konsequent verfolgt, unweigerlich in einen radikalen mündet. Travis würde die Konsequenz, daß auch der Ausdruck »to have had enough
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pasta« kontextsensitiv ist, jedoch bereitwillig akzeptieren, ohne sich im Hinblick auf die damit vermeintlich einhergehenden metaphysischen Fragen in der Pflicht zu sehen. Laut Travis (1989, 2008) ist die »traditionelle« Auffassung, daß es eine Verbindung zwischen sprachlicher Bedeutung und Wahrheit gibt, grundlegend verfehlt und auf dieser auf Frege zurückgehenden Auffassung basiert die Idee einer wahrheitskonditionalen Semantik. Sehen wir uns daher an, wie Travis seine radikale Auffassung begründet, daß es per se keine Verbindung zwischen linguistischer Bedeutung und Wahrheit gibt. Es gebe zwei Arten, das »traditionelle Bild« zu kritisieren, von denen eine die traditionelle Auffassung nur anpaßt, ihr aber im Grunde im Geiste verhaftet bleibt (moderater Kontextualismus), während sich aus der anderen eine gänzlich neue Auffassung davon ergibt, was die Träger von Wahrheitswerten sind (seine Auffassung). In seinem Ansatz, den Travis unter Berufung auf Austins Sense and Sensibilia ausarbeiten möchte, spielen die Umstände der Äußerung eines Satzes eine so zentrale Rolle, daß (sehr spezifische) Wahrheitsbedingungen in konkreten Äußerungssituationen sozusagen erst geschaffen werden. Vieles am traditionellen Bild scheint Travis jedoch zu akzeptieren. In den folgenden Ausführungen, in denen er beispielsweise von der Anwendung (›application‹) eines Begriffs spricht, wirkt es so, als sei dieses sozusagen die Basis, die erweitert werden muß: When I say the sky to be blue, I speak of the sky, express the concept of being blue, and represent the sky as what that concept is a concept of. For all of which I may have said any of many things, each different from the others in when it would be true. This is one way of saying what I just said otherwise above. It means this: if there are such concepts as that of being blue, that of being a sirloin, that of being a hamster, and so on – if that is the sort of thing a concept is – then concepts admit of many applications, and are satisfied (or not) only on one such or another. There are many understandings of being what the concept is of being; there are, correspondingly, many understandings of satisfying the concept. (One can think of this as anti-Fregean. One can also think of it as suggesting a new way of reading Frege. But this last idea is a story for another place.) (Travis 2008:3)
Auch im Folgenden ist erkenntlich, daß das »traditionelle Bild« Travis als Ausgangspunkt dient: One specifies some things to speak of – being blue, say, the sky – such that in speaking of them in a certain structured way – saying the sky to be blue – one might, if things go well, say something to be so. Then in speaking of those things, in that way, and saying something to be so, one might say any of many distinguishable things. […] The core idea, naturally enough, has a corollary for semantics – by which I mean here a theory of what expressions of a language mean. Expressions of a language identify things to talk about – as ›being blue‹ identifies being blue, ›The North Sea‹ identifies the North Sea, and ›The North Sea is blue‹ identifies the North Sea’s being blue. By the thesis, in talking
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about those things (in a given structured way) one might say any of many things. So what the expressions mean cannot fix some one of these as that which is thus said. So what they mean cannot fix any one condition as the condition for ›their‹ truth. Meaning cannot connect to truth like that. (Travis 2008:4)
Travis beruft sich weiterhin auf Austins How to do things with words, das sich seiner Meinung nach als »an extended study of the concept of truth« charakterisieren läßt und die Einsicht beherbergt »just how similar truth-bearers are to speech acts which do not aim at truth«: Wahr zu sein sei eine Möglichkeit, wie ein Sprechakt erfolgreich sein kann. Nun stellt sich die Frage, wann ein Sprechakt des Behauptens, der »auf Wahrheit zielt«, sein Ziel erreicht. Wenn wir Travis tentativ zugestehen, daß konventionelle Bedeutung und Referenzfestlegung alleine nicht das relevante Verständnis der Äußerung liefern können, muß geklärt werden, wie die Umstände der Äußerung das relevante Verständnis »schaffen«, welches eine spezifische Wahrheitsbedingung für diese und nur diese Äußerung bestimmt. Es gibt laut Travis unendlich viele Weisen, wie Worte in Äußerungsumständen verstanden werden können. Man dürfe nicht den Fehler machen zu glauben, daß in einem Äußerungskontext lediglich eine solche Weise – ein »Sinn« – ausgesucht werden muß. Die Wendung »a certain way« garantiere eben nicht, daß es möglich ist, dieses Verständnis irgendwie auszubuchstabieren, verbal zu vermitteln: One might ask, »Which way?«, expecting, as an answer, »Such-and-such way«. But no such answer need be in the offing. (2008:8)
Es bleibt ein Mysterium, wie wir zum richtigen Verständnis gelangen, was die folgende Passage, wie ich finde, eindrücklich demonstriert: One understands Pia’s words in the right way – as they ought to be understood – if one does not lapse into misunderstanding. What one would have to do to do that, on the present story of a truth-bearer, is fixed by nothing less than the significance of the circumstances in which she spoke: that is, by their having the significance they did. (Travis 2008:8)
Daß es das richtige Verstehen einer Äußerung im Sinne von Travis gibt und Hörer (in der Regel) das »dies-Meinen« des Sprechers verstehen, könnte der »Traditionalist« akzeptieren. Das zeigt aber noch nicht, daß der Begriff der Wahrheitsbedingung nur auf dieser Ebene sinnvoll verwendet werden kann bzw. daß er an dieser Stelle überhaupt gut aufgehoben ist. Daß wir laut Travis in der Explikation der konventionellen Bedeutung geäußerter Sätze nicht mit dem Begriff der Wahrheitsbedingung operieren dürfen, macht den Begriff der wörtlichen Bedeutung, der Travis vorschwebt, sehr schwer zu greifen. Die reichen Gehalte, die seiner Auffassung zufolge die wahrheitskonditionalen Gehalte
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geäußerter Sätze konstituieren, sind ebenso schwer zu greifen, wenn auch aus einem entgegengesetzten Grund: Sie sind so mit pragmatischer Information aufgeladen, daß es den Anschein hat, als würden die Wahrheitsbedingungen in Travis’ Bild alle Informationen, die zum pragmatischen Hintergrund der Äußerung gehören, in sich einschließen, was das Unterhalten solcher Gehalte kognitiv sehr anspruchsvoll machen dürfte. Um aufzuzeigen, inwiefern mir Travis’ Auffassung problematisch erscheint, möchte ich eine Analogieüberlegung mit dem von Wittgenstein in den Philosophischen Untersuchungen diskutierten »Problem« wagen, daß man darin sehen könnte, daß eine Regel nicht alle möglichen mit ihr relationierten Handlungen eindeutig als ein Befolgen oder Nichtbefolgen der Regel determiniert. Sie wird deutlich machen, daß Travis’ Auffassung bei genauerem Hinsehen gerade nicht im Geiste von Wittgensteins Spätphilosophie ist. Die Analogie besteht dabei zwischen der Strategie des radikalen Kontextualisten und einer Reaktion auf das vermeintliche Problem, die Wittgenstein ablehnt. In § 85 der PU lesen wir : Eine Regel steht da, wie ein Wegweiser. – Läßt er keinen Zweifel offen über den Weg, den ich zu gehen habe? Zeigt er, in welche Richtung ich gehen soll, wenn ich an ihm vorbei bin; ob der Straße nach, oder dem Feldweg, oder querfeldein? Aber wo steht, in welchem Sinne ich ihm zu folgen habe[…]? […] – Also kann ich sagen, der Wegweiser läßt doch einen Zweifel offen. Oder vielmehr : er läßt manchmal einen Zweifel offen, manchmal nicht. Und dies ist nun kein philosophischer Satz mehr, sondern ein Erfahrungssatz. (Wittgenstein 2003:69)
Wittgenstein thematisiert hier die Frage, was genau es heißt, dem Wegweiser zu folgen, wie ihm zu folgen ist. Prinzipiell gibt es unendlich viele Weisen, einem Wegweiser konkret zu folgen: Ich könnte beispielsweise (i) direkt vor ihn laufen, mich ganz nah davorstellen und dann versuchen, dem Pfeil ganz exakt zu folgen, ich könnte aber auch (ii) querfeldein abbiegen, sobald ich ihn erblicke und die Pfeilrichtungen ausmachen kann etc. Sowohl als auch (ii) sind in den meisten Situationen unangemessene, der Situation nicht entsprechende Arten, einem Wegweiser zu folgen, aber es sind dennoch Situationen vorstellbar, in denen das nicht so wäre: Ad (i) An einem Pfahl sind zehn Wegweiser, die jeweils auf einen von zehn schmalen Trampelpfaden zeigen, die nah beieinander liegen. In dieser Situation wäre es nicht unangemessen, sich genau vor den Wegweiser zu stellen und zu versuchen, ihm ganz exakt zu folgen, insbesondere, wenn es besonders wichtig ist, der richtigen Weg zu erwischen.
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Ad (ii) Ein Soldat möchte einen bestimmten Ort erreichen, auf seinem Weg dorthin aber nicht gesehen werden und daher nicht auf Wegen gehen. Er kennt die Richtung nicht und braucht daher den Wegweiser. Sobald er ihn »lesen« kann, biegt er entsprechend querfeldein ab. Was hier über den Wegweiser gesagt wird, läßt sich auf geäußerte Sätze, wie beispielsweise Satz (S7), und ihre konventionelle Bedeutung bzw. Verwendungsregel übertragen. Genauso, wie die Bedeutung eines Wegweisers offen lassen kann, wie genau er zu befolgen ist, so läßt der semantische Gehalt eines geäußerten Satzes (in Abstraktion von seiner konkreten Verwendung mit all den pragmatischen Faktoren, die sie bestimmen) offen, was genau als Erfüllt-Sein seiner Wahrheitsbedingung zählt und was nicht. Aufgrund der gerade illustrierten verschiedenen Möglichkeiten, dem Wegweiser zu folgen, würden wir nicht sagen, der Wegweiser hätte an sich keine Bedeutung. Genau wie der Wegweiser, hat auch Satz (S7) aufgrund von etablierten Konventionen und der Praxis, in der diese fundiert sind, bereits eine konventionelle Bedeutung: Er kann, wie der Wegweiser, richtig und falsch verstanden und entsprechend richtig und falsch verwendet werden, so wie dem Wegweiser gefolgt werden kann oder nicht. Wohl niemand würde dem Wegweiser seine konventionelle Bedeutung absprechen, weil wir nicht genau angeben können, was es heißt, dem Wegweiser zu folgen. Das Problem entsteht erst dann, wenn wir jeweils nach einer expliziten Deutung für »die semantische Regel befolgen« bzw. »dem Wegweiser folgen« verlangen – danach fragen, worin genau das Verstehen der semantischen Regeln eines sprachlichen Ausdrucks oder eines Wegweisers besteht, das sich in der richtigen Verwendung des Ausdrucks bzw. dem Befolgen des Wegweisers manifestiert. Analog wird auch das vermeintliche Problem der Unvollständigkeit des rein sprachlich bestimmbaren Gehalts geäußerter Sätze erst dadurch generiert, daß eine weitere, umfassende Spezifizierung des sprachlich ausgedrückten Gehalts verlangt wird. In dem gleichen Sinne, in dem wir den Wegweiser unmittelbar verstehen, verstehen wir auch die linguistische Bedeutung von Sätzen wie (S7) unmittelbar. Das Verstehen der Bedeutung des Wegweisers und des Satzes basiert gleichermaßen auf impliziter Kenntnis der Konvention zur Verwendung des Ausdrucks bzw. des Wegweisers, auf der unsere semantische Kompetenz im Hinblick auf das jeweilige Zeichen basiert. Durch das Erfassen der Wahrheitsbedingung eines geäußerten Satzes sind wir in der Lage, auf eine abstrakte Weise Welten, in denen die Wahrheitsbedingung erfüllt ist, von Welten, in denen sie nicht erfüllt ist, zu unterscheiden. Dieses Verstehen mit der Forderung zu verbinden, Wahrheitswerte relativ zu spezifischen Situationen konkret zu bestimmen, mündet in den Verifikationismus. Aus diesem Grund sind radikale Kontextualisten wie Travis
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m. E. auf der falschen Fährte, wenn sie meinen, daß die linguistisch kodierte Bedeutung erst unter Rekurs auf pragmatische Faktoren spezifiziert werden muß, um zu einer Wahrheitsbedingung zu gelangen. Die entsprechende Opposition zwischen den Auffassungen läßt sich folgendermaßen darstellen: 1. Minimalismus: geäußerter Satz –> Wahrheitsbedingung –> Deutung (fällt in den Bereich der Pragmatik) 2. Kontextualismus: geäußerter Satz –> Deutung (pragmatisch bestimmte »Modulation« bzw. »Anreicherung«) –> Wahrheitsbedingung Travis’ Auffassung von Wahrheitsbedingungen als sehr spezifischen Gehalten legt es nahe, daß er theoretisch danach strebt, die »Anwendung« von Begriffen im Äußerungskontext so sehr zu spezifizieren, daß Bedeutung bzw. semantischer Gehalt im Grunde als situativ aufgefaßt werden muß. Das mag prima facie Wittgensteinsch erscheinen, ist bei genauerem Hinsehen allerdings eher ein Anzeichen dafür, daß Travis eine philosophisch problematische »Vollständigkeitsidee« im Hinblick auf semantischen Gehalt im Hinterkopf hat: Auch wenn wir den Gehalt eines geäußerten Satzes stark spezifizieren, indem wir ihn unter Rekurs auf pragmatische Hintergrundinformationen immer weiter anreichern, werden wir dennoch nie einen Gehalt erreichen, der für alle möglichen Situationen bestimmt, ob die Wahrheitsbedingung jeweils erfüllt ist oder nicht. Eine Vollständigkeitsidee dieser Art scheint aber die Basis zu sein, auf der Travis rein sprachlich ausgedrücktem Gehalt semantische Unvollständigkeit unterstellt. Wittgenstein lehnt wahrheitskonditionale Semantik auf einer fundamentalen Ebene ab, auf der nicht dadurch Abhilfe geschafft werden kann, daß wir wahrheitskonditionale Semantik durch wahrheitskonditionale Pragmatik ersetzen. Der Semantische Minimalismus gibt nicht vor, tiefste philosophische Probleme (oder auch Scheinprobleme, darüber urteile ich nicht) wie den Bedeutungsskeptizismus oder die Frage nach der Spezifität von Gedanken im Sinne von Einstellungsgehalten (im Unterschied zu rein sprachlich ausgedrückten Gehalten von Sätzen)65 zu lösen oder auch nur anzugehen, sondern hat zum Ziel, einen grundlegenden Baustein zu einer systematischen Theorie unserer Kommunikation mittels Sprache zu isolieren. Der radikale Kontextualist hingegen will den an sich schon unklaren Begriff des »mit-einem-Satz-etwas-Sagens« (vgl. Abschnitt 2.3) als den wahrheitskonditionalen Gehalt einfangen und übersieht dabei offensichtlich, daß auch dieses Meinen nie vollkommen spezifisch sein kann und ad infinitum weiter spezifiziert werden könnte. Der Versuch einer immer weiteren Anreicherung von Gehalt führt sich gewissermaßen selbst ad absurdum – überspitzt formuliert könnten wir sagen, ein nicht offensichtlicher Unsinn läßt sich in diese Weise in einen offensichtlichen Unsinn überführen. 65 Vgl. dazu den Exkurs zum »Tipper is ready«-Beispiel im Fazit von Kapitel 2 (S. 97f.).
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Jede Begrenzung der Anreicherung über das hinaus, was die konventionelle Bedeutung uns liefert, ist willkürlich gesetzt und alles, was als Begründung für entsprechende Beschränkungen geliefert wird – z. B. ein Verweis auf Intentionen von »normalen« Sprechern bzw. Hörern (Recanati) oder das richtige Verstehen einer Äußerung (Travis) – ist aus philosophischer Sicht nicht befriedigend. Zudem läßt die genaue Lektüre der oben zitierten Passagen, anhand derer Travis die Grundidee seines »Okkasionalismus« charakterisiert, erkennen, daß auch Travis sich in einer substantiellen Weise des »traditionellen« begrifflichen Repertoires bedient. Daher läuft Travis’ Forderung nach sehr spezifischen pragmatisch bestimmten Wahrheitsbedingungen dem Geiste Wittgensteins meines Erachtens mehr zuwider als der minimalistische Ansatz. Im Rahmen von Searles (1978, 1980) Auffassung ergeben sich ähnliche Probleme. Searle möchte semantischen Gehalt zwar nicht mit dem pragmatischen Hintergrund der Äußerung begrifflich zusammenführen, behauptet aber ebenfalls, daß sich dem rein sprachlich ausgedrückten Gehalt erst vor einem pragmatischen Hintergrund Wahrheitsbedingungen zuweisen lassen. Auch bei Searle bleibt unklar, wie wir den Begriff der wörtlichen Bedeutung geäußerter Sätze verstehen sollen, wenn wir dabei nicht auf den Begriff der Wahrheitsbedingung rekurrieren dürfen. Der Begriff des Hintergrundes (›background‹), unter Rekurs auf den geäußerten Sätzen Wahrheitsbedingungen zugewiesen werden sollen, ist ebenfalls unklar und wurde von Searle mehrfach modifiziert (vgl. Searle 1978, 1983, 1991, 1992, 1995:Kap. 6). In Literal Meaning (1978) führt Searle den Begriff ein, um zu erklären, wie man von der wörtlichen Bedeutung zu deren »Anwendung« gelangt, bei der konkrete Wahrheitsbedingungen bestimmt werden (vgl. Searle 1978:220). Dort ist durchgehend von Hintergrundannahmen (›background assumptions‹) die Rede, während Searle den Anwendungsbereich des Begriffs später auf Bereiche der Philosophie des Geistes ausweitet und ihn dann nichtpropositional und nichtintentional in Begriffen von Fähigkeiten verstanden wissen will, so daß der Hintergrund dann als Bedingung dafür, daß intentionale Zustände Erfüllungsbedingungen haben, fungieren soll. Searle gesteht die Unklarheit seines Begriffs selbst zu und ist mit seinen Ausarbeitungsversuchen nach eigenen Angaben nicht zu einem zufriedenstellenden Ergebnis gelangt (vgl. Searle 1991:289). Ich kann mich im Rahmen dieser Arbeit nicht ausführlich mit Searles diesbezüglichen Überlegungen auseinandersetzen und hebe daher nur einen Aspekt hervor, der im gegebenen Zusammenhang einschlägig ist. Searle hebt zurecht hervor, daß sinnvolle sprachliche Kommunikation immer in einen lebensweltlichen Zusammenhang eingebettet ist. Mein Eindruck ist jedoch, daß der Unterschied zwischen Kontext und Lebenswelt in Searles Begriff des Hintergrunds systematisch verwischt ist. Searle möchte, salopp formuliert, lebensweltliche Strukturen bzw. Weltwissen aus der sprachlichen Bedeutung
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heraushalten, sagt aber wenig dazu, wie wir den Begriff der sprachlichen Bedeutung zu verstehen haben. Er unterscheidet nicht explizit zwischen Kontext und Lebenswelt, diese Unterscheidung ist jedoch im Hinblick auf die Debatte um die Semantik/Pragmatik-Unterscheidung von Relevanz. Meines Erachtens können (und müssen zu einem gewissen Grade) Weltwissen und lebensweltliche Strukturen in die konventionelle Bedeutung sprachlicher Ausdrücke »eingehen«; ein konkreter Kontext kann hingegen nicht in die allgemeine, konventionelle Bedeutung eines Ausdrucks eingehen. Die Frage, ob die Genese sprachlicher Bedeutung lebensweltliche Strukturen reflektiert und die Frage, ob es eine notwendige Korrelation gibt zwischen dem Verstehen sprachlicher Bedeutung und dem Eingebettetsein in die grundlegenden lebensweltlichen Strukturen einer Sprachgemeinschaft, die nicht zuletzt von der physikalischen Umgebung geprägt sind, haben per se nichts mit semantischem Kontextualismus zu tun. Diese beiden Fragen affirmativ zu beantworten, impliziert keinesfalls, daß man semantischer Kontextualist ist. Kontextualisten behaupten, daß die Wahrheitsbedingungen geäußerter Sätze in der Regel nur unter Rekurs auf pragmatische Faktoren zu ermitteln sind. Pragmatische Faktoren sind solche, die die spezifischen Interessen von Sprecher und Hörer betreffen, es geht dabei um die praktischen Erfordernisse einer bestimmten Situation. Die Lebenswelt ist kein Kontext, denn es sind unendlich viele verschiedene Kontexte in einer Lebenswelt zu einem fix gehaltenen Zeitpunkt denkbar. Wie läßt sich der Kontextbegriff intuitiv verstehen? Zunächst kommt einem die Situation, in der eine Äußerung stattfindet – die physikalische Umgebung –, sowie eine Einbettung in einen inhaltlichen Zusammenhang in den Sinn. Auch an der Unterscheidung zwischen dem engen und dem weiten Kontext läßt sich erkennen, daß je nach pragmatischen Erfordernissen der Situation sowohl »objektive« als auch intentionale Faktoren eine Rolle spielen. Der Begriff des Kontextes wird in der Literatur zur Semantik/Pragmatik-Unterscheidung selten explizit thematisiert, an vereinzelten Anmerkungen ist jedoch klar erkennbar, daß in beiden genannten Fällen mit diesem Begriff nicht das gemeint ist, worauf Searle in seinen Ausführungen mit dem Begriff des Hintergrunds abhebt. In Frege on Demonstratives schreibt Perry : I take a context to be a set of features of an actual utterance, certainly including time, place, and speaker, but probably also more. Just what a context must include is a difficult question, to be answered only after detailed study of various demonstratives. (Perry 1977:479)
Strawsons Charakterisierung des Begriffs in On Referring (1950) geht in eine ähnliche Richtung, wobei er bezüglich der Frage, ob Sprecher, Hörer usw. Teil des Kontextes sind oder ob der Kontext als weiterer, zusätzlicher Faktor anzu-
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sehen ist, der für die Bestimmung des Gehalts von geäußerten Sätzen relevant sein kann, nicht eindeutig ist. Für die erstgenannte Auffassung spricht die folgende Passage: [S]he context of utterance is of an importance which it is almost impossible to exaggerate; and by ›context‹ I mean, at least, the time, the place, the situation, the identity of the speaker, the subjects which form the immediate focus of interest, and the personal histories of both the speaker and those he is addressing. (Strawson 1950:336)
In dieser Passage wird hingegen offensichtlich die letztgenannte Auffassung zugrundegelegt: [T]he use of ›the‹ shows, but does not state, that we are, or intend to be, referring to one particular individual of the species ›such-and-such‹. Which particular individual is a matter to be determined from context, time, place and any other features of the situation of utterance. (Strawson 1950:331f.)
In formal-semantischen Darstellungen von Gehalten hat sich die Praxis des Angebens von Indices etabliert, die für Kontextparameter stehen, deren Bestimmung für die Wahrheitswerte geäußerter Sätze relevant sind. Diese Praxis basiert auf solchen und ähnlichen Auffassungen des Kontextbegriffs. Mount beschreibt diese Praxis folgendermaßen: Building on the work of Rudolf Carnap and others, Richard Montague (1974) developed the idea of using an index to represent linguistic context. […] The way context was represented varied from theory to theory, but the essential idea for present purposes is that context could be formally represented as an index that contained places for times, places, people, worlds, and whatever other factors were needed to correspond to aspects of the natural language in question. Since English contains tense operators, the index needs a place for time; since it contains modal operators, the index needs a place for world; since it contains the word ›you‹, the index needs a place for addressee, and so on. (Mount 2012:440)
Der Hintergrund, den Searle als relevant für die Bestimmung der Wahrheitsbedingungen geäußerter Sätze ansieht, läßt sich prinzipiell nicht auf diese Weise repräsentieren. Die einzige Charakterisierung des Kontextbegriffs, die ich gefunden habe, die nicht in einer unmittelbaren Spannung zu Searles Hintergrundbegriff steht, ist die folgende, von Gauker angebrachte funktionale Definition: The assumption will be that what we call the context contains all that we need to know in addition to what sentence was uttered in order to assign a proposition. (Gauker 2008:360)
Der Schein einer Vereinbarkeit trügt allerdings: Was ein Sprecher mittels der Äußerung eines Satzes sagt, hängt am Kontext bzw. kann häufig nur unter Rekurs auf den Kontext der Äußerung bestimmt werden; der lebensweltliche
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Hintergrund beschränkt hingegen in einer allgemeinen Weise, was wir überhaupt meinen können. Wir können nur Propositionen ausdrücken, die wir auch zum Inhalt unserer Einstellungen machen können, und in dieser Hinsicht spielt die lebensweltliche Prägung die Rolle einer de facto-Beschränkung von Sprecherintentionen. Vor diesem allgemeinen Hintergrund bilden Sprecher im Äußerungskontext dem Ziel der Äußerung entsprechend Intentionen aus, die im Falle der gelungenen Kommunikation im Zuge der Äußerung von Interpreten ermittelt werden. In Sonderfällen kann die Lebenswelt in gewisser Weise selbst zum Kontext der Äußerung werden, nämlich wenn sie den pragmatischen Hintergrund darstellt, vor dem eine Äußerung interpretiert werden soll – beispielsweise, wenn wir uns über mögliche Lebensformen auf anderen Planeten unterhalten. Ob die Lebenswelt der Sprachgemeinschaft sozusagen selbst der Kontext einer Äußerung sein kann, hängt also wiederum an pragmatischen Faktoren, am Zweck der Äußerung. Dementsprechend können wir die Lebenswelt gewissermaßen als den Grenzfall eines Kontextes auffassen, als weitestmögliche Auffassung von »Kontext«. Im Allgemeinen ist der Begriff der Lebenswelt für den Streit um den wahrheitskonditionalen Gehalt zwischen Kontextualisten und Minimalisten jedoch nicht relevant, so daß beispielsweise Searles Verweis darauf, daß die Annahme, daß die Schwerkraft wirksam ist, herangezogen werden müsse, um die Wahrheitsbedingungen für den Satz »The cat is on the mat« zu bestimmen, fehl am Platze erscheint (vgl. Searle 1978:211f.). Dies mag im Hinblick auf die Behauptbarkeitsbedingungen für diesen Satz in bestimmten Verwendungskontexten eine Rolle spielen, aber nicht für das Erfassen der durch den Satz ausgedrückten Wahrheitsbedingung, die allein unter Rekurs auf die linguistische Bedeutung der Teilausdrücke des Satzes und ihre syntaktische Komposition bestimmt wird.66 66 Auch Husserl bemerkt, daß linguistische Bedeutung mentalen Gehalt prinzipiell unterdeterminiert und unterscheidet diese grundsätzliche Unbestimmtheit von grammatischer Unterbestimmtheit: »Hervorzuheben ist ferner der Unterschied zwischen v o l l s t ä n d i g e m und u n v o l l s t ä n d i g e m A u s d r u c k . Die Einheit von Ausdrückendem und Ausgedrücktem im Phänomen ist zwar die einer gewissen Deckung, aber es braucht die Oberschicht nicht über die ganze Unterschicht ausdrückend zu reichen. Der Ausdruck ist vollständig, wenn er a l l e s y n t h e t i s c h e n F o r m e n u n d M a t e r i e n d e r U n t e r s c h i c h t b e g r i f f l i c h - b e d e u t u n g s m ä ß i g a u s p r ä g t ; unvollständig, wenn er es nur partiell tut: wie wenn wir im Hinblick auf einen komplexen Vorgang, etwa das Einfahren des Wagens, der die lang erwarteten Gäste bringt, in das Haus rufen: der Wagen! die Gäste!« (Hua III/1: 290f.) Anschließend unterscheidet Husserl diese Unvollständigkeit von einer anderen, universellen, die sich daraus ergibt, daß rein sprachlich ausgedrückter Gehalt den »darunterliegenden« intentionalen Gehalt prinzipiell unterdeterminiert und dies ist das in unserem Zusammenhang einschlägige Phänomen, auf welches radikale Kontextualisten ihre Argumentation stützen: »Eine total andere Unvollständigkeit, als die soeben besprochene, ist diejenige, die zum Wesen des Ausdrucks als solchen [sic] gehört, nämlich zu seiner A l l g e m e i n h e i t . […] Im Sinne der zum Wesen des Aus-
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An dieser Stelle wäre eine intensivere Beschäftigung (als in der aktuellen Debatte um die Semantik/Pragmatik-Unterscheidung üblich und im Rahmen dieser Arbeit möglich) mit dem Begriff der lexikalischen Bedeutung wünschenswert, die eine präzisere Erwiderung auf die These der radikalen Kontextualisten ermöglicht, daß (fast) alle Ausdrücke kontextsensitiv sind und einer Spezifizierung bedürfen, bevor sie einen Beitrag zur ausgedrückten Wahrheitsbedingung leisten können. Da der Hauptfokus dieser Arbeit jedoch auf dem Umgang des Minimalismus mit indexikalischen Ausdrücken liegt, möchte ich es an dieser Stelle bei recht allgemeinen, metasemantischen Überlegungen belassen. Die allgemeine Vorgehensweise, die dieser Abschnitt plausibel macht, besteht darin, eine »liberale« Auffassung von Wahrheitsbedingungen mit der Auffassung zu kombinieren, daß Ausdrücke für empirische Prädikate in der Regel eine Kernbedeutung haben,67 die zwar im Äußerungskontext pragmatisch spezifiziert werden kann, aber entweder an sich oder infolge der Interaktion mit dem linguistischen Kontext innerhalb des geäußerten Satzes zur Bestimmung des semantischen Gehalts entsprechender Sätze ausreicht. Im Ergebnis halte ich fest, daß auch die zweite kontextualistische Strategie nicht plausibel machen konnte, daß nicht linguistisch geforderte Formen der Kontextsensitivität einen Einfluß auf den wahrheitskonditionalen Gehalt geäußerter Sätze haben. Dementsprechend ist die zweite von Pagin angeführte Art von Kontextsensitivität (vgl. S. 48) ausschließlich in pragmatischer Hinsicht relevant, hat aber keinen Einfluß auf den genuin semantischen Gehalt geäußerter Sätze.68 Weder eine »verdeckte« Form von Kontextsensitivität, die zu einer pragmatischen »Modulation« des linguistisch ausgedrückten Gehalts Anlaß gibt, noch die im vergangenen Abschnitt diskutierten »nichtartikulierten Konstituenten« spielen in Bezug auf den wahrheitskonditionalen Gehalt geäußerter Sätze eine Rolle. Die vermeintliche Unvollständigkeit rein sprachlich bestimmbaren Gehalts hat sich als eine unvermeidliche Unbestimmtheit erwiesen, die sich prinzipiell nicht vollkommen eliminieren läßt und daher nicht als eine Art drückens gehörigen Allgemeinheit liegt es, daß nie alle Besonderungen des Ausgedrückten sich im Ausdruck reflektieren können. Die Schicht des Bedeutens ist nicht, und prinzipiell nicht, eine Art Reduplikation der Unterschicht.« (Hua III/1: 291) (vgl. dazu auch §§5ff. der 4.LU) Es ist die Regel, daß sprachlich ausgedrückter Gehalt in Relation zum dem, was Sprecher mit ihren Äußerungen meinen, weniger spezifisch ist, was dagegen spricht, diese Unbestimmtheit als semantische Unterbestimmtheit aufzufassen. 67 Für eine Verteidigung des Begriffs der Kernbedeutung gegen verschiedene Einwände vgl. bspw. Kienpointners Aufsatz The Case for Core Meaning (2008). 68 Die gleichen Überlegungen fänden auch auf eine mögliche alternative These Anwendung, daß alle sprachlichen Ausdrücke einen kontextsensitiven character haben, so daß pragmatische Spezifizierung tout court linguistisch gefordert ist – eine wenig attraktive These, die den Begriff der linguistisch geforderten Kontextsensitivität trivialisieren würde und die meines Wissens auch niemand vertritt.
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von Kontextsensitivität aufgefaßt werden kann, die eine pragmatische Mitbestimmung des wahrheitskonditionalen Gehalts erforderlich macht.
2.5
Fazit
In diesem Kapitel habe ich in Auseinandersetzung mit der kontextualistischen Herausforderung im Hinblick auf die Möglichkeit, Semantik und Pragmatik voneinander zu unterscheiden, die wesentlichen Züge meiner minimalistischen Position entwickelt. Dabei ist deutlich geworden, daß die Verteidigung einer minimalistischen Konzeption von semantischem Gehalt gleichzeitig auch eine Verteidigung einer bestimmten Auffassung von Semantik ist – von ihrem Gegenstandsbereich und ihrer Rolle im Rahmen einer umfassenden theoretischen Beschäftigung mit menschlicher Kommunikation mittels Sprache. Den Rahmen meiner minimalistischen Position habe ich hauptsächlich mithilfe von metasemantischen Überlegungen abgesteckt. In der Diskussion minimalistischer Grundsätze haben sich sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten mit Cappelen & Lepores minimalistischer Position M1 und Borgs semantischem Minimalismus M2 ergeben. Ich stimme mit M1 und M2 darin überein, daß das Gesagte neben rein sprachlichen, auch unter Rekurs auf pragmatische Faktoren bestimmt wird, lehne es aber, genau wie die genannten Auffassungen, ab, das pragmatisch bestimmte Gesagte als den wahrheitskonditionalen Gehalt geäußerter Sätze aufzufassen. Der wahrheitskonditionale Gehalt – der genuin semantische Gehalt geäußerter Sätze –, wird meiner Auffassung zufolge gänzlich ohne Rekurs auf intentionale Faktoren bestimmt. Darin stimme ich mit Borgs M2 überein und entferne mich von der an Grice orientierten Bestimmung des semantischen Gehalts bei Cappelen & Lepore. Ein großer Vorteil des Kombinierens einer kontextualistischen Auffassung des Gesagten, bei dessen Bestimmung auch eine Form von Kontextsensitivität eine Rolle spielen kann, die nicht im character eines der Teilausdrücke des Satzes verankert ist, mit einem minimalen semantischen Gehalt besteht darin, daß viele Spezifika kommunizierter Gehalte unter Rekurs auf allgemeine pragmatische Maximen erklärt werden können und wir die Wahrheitsbedingungen entsprechender geäußerter Sätze schmal halten und konsequent anti-intentionalistisch bestimmen können. Zu diesem Zweck übernehme ich von Borg den Begriff der liberalen Wahrheitsbedingung. Liberale Wahrheitsbedingungen werden allein unter Rekurs auf die lexikalischen Bedeutungen der Teilausdrücke eines Satzes sowie ihre Komposition und Interaktion bestimmt und müssen nicht dem entsprechen, was Sprecher mit Äußerungen dieser Sätze meinen. Liberale Wahrheitsbedingungen
Fazit
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fangen vielmehr die Ebene von Gehalt ein, die uns allein via Sprachkompetenz zugänglich ist und in systematischer Hinsicht eine Bedingung für die Kommunikation reicherer, pragmatisch angereicherter Gehalte bildet. Daß der minimale, genuin semantische Gehalt diese Rolle spielt, impliziert in keiner Weise, daß dieser Gehalt im Verstehensprozess einer Äußerung qua Handlung an irgendeiner Stelle tatsächlich unterhalten wird. Meine Version des Minimalismus beinhaltet keinerlei These oder gar Verpflichtung im Hinblick auf kognitivpsychologische Prozesse in Reaktion auf token sprachlicher Ausdrücke in konkreten Kontexten. Im Vorangegangenen habe ich explanatorische Vorteile dieser anti-psychologistischen Auffassung aufgezeigt und anschließend die These der allgemeinen Unvollständigkeit rein sprachlich ausgedrückten Gehalts als einer »verdeckten« Form von Kontextsensitivität zurückgewiesen. »Offene« Kontextsensitivität, i. e. die Kontextsensitivität von Ausdrücken, deren character zur Bestimmung ihrer Referenz unstrittigerweise Rekurs auf den Äußerungskontext fordert, stellt den anti-intentionalistischen Minimalismus jedoch vor besondere Herausforderungen. Diese habe ich im Rahmen dieses Kapitels größtenteils umschifft, um zunächst aufzuzeigen, warum die Strategie der Akzeptanz, die Cappelen & Lepore im Hinblick auf Rekurs auf intentionale Faktoren bei der Bestimmung des semantischen Gehalts verfolgen, nicht überzeugen kann. Der Anspruch auf eine konsequent anti-intentionalistische Bestimmung des semantischen Gehalts entfernt mich daher von Cappelen & Lepores M1. In Bezug auf die Befolgung des Grundsatzes (T3) werde ich mich zunächst ebenfalls von Borg inspirieren lassen, indem ich im kommenden Kapitel 3 die Idee einer konditionalisierten Wahrheitsbedingung aufgreife, die Borg ihrerseits von Higginbotham übernimmt und im Umgang mit Demonstrativa zur Anwendung bringt. Die Kombination aus liberalen Wahrheitsbedingungen (im Umgang mit vermeintlicher »verdeckter« Kontextsensitivität) und konditionalisierten Wahrheitsbedingungen (im Umgang mit Fällen, bei denen die linguistisch geforderte Referenzbestimmung nicht ohne Rekurs auf intentionale Faktoren möglich ist) bildet zusammen eine Doppelstrategie gegen die von Kontextualisten angebrachte Idee einer vermeintlich intuitiv bzw. direkt zugänglichen bestimmten (›determinate‹) Wahrheitsbedingung, die ich in diesem Kapitel in verschiedenen Hinsichten kritisch diskutiert habe. Ich beende das Kapitel mit einer nun folgenden letzten wichtigen Charakterisierung meiner minimalistischen Position, die den Grundsatz des Propositionalismus (T1) betrifft.
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Eine minimalistische Antwort auf die kontextualistische Herausforderung
Propositionen versus Wahrheitsbedingungen Obwohl ich meine Vorgehensweise im Hinblick auf linguistisch geforderte Kontextsensitivität, mit der ich mich im nächsten Kapitel am Beispiel von Demonstrativa auseinandersetze, zunächst im Form der Strategie, die Wahrheitsbedingungen entsprechender Sätze in eine konditionalisierte Form zu bringen, von Borg übernehme, ist das Ergebnis ihrer Anwendung bei mir ein anderes. Meine minimalistische Position zeichnet sich nämlich dadurch aus, daß Wahrheitsbedingungen und Propositionen begrifflich entkoppelt werden, sodaß nicht jede Wahrheitsbedingung ipso facto ein propositionaler Gehalt sein muß. Im Unterschied zu Borg halte ich den Propositionalismus im Rahmen eines antiintentionalistischen Minimalismus für verzichtbar. Auch Gauker spricht sich dafür aus, eine semantische Theorie nicht in Begriffen von Propositionen zu formulieren, sodaß ich mich, trotz anderer wichtiger, aber an dieser Stelle nicht relevanter Differenzen, seiner im folgenden Zitat zum Ausdruck gebrachten Auffassung der Rolle einer semantischen Theorie voll und ganz anschließe: [A] semantic theory for a language will tell us something about what speakers of a language must in some sense know that enables them to communicate by means of the language. It may be utterances that express propositions, but our semantic theory cannot assign propositions directly to utterances. What speakers need to know about a language is not just how to interpret those utterances that have actually been made; they need to know how to interpret any utterance of any sentence of the language. Besides, the meaning of an utterance may be built up from the meanings of parts that have never themselves been uttered. Someone might utter »Jack and Jill went up the hill« although no one has ever uttered »Jack went up the hill«. For these reasons, the object of semantic interpretation is not utterances but sentences, which exist in the manner of abstract objects. Still, two utterances of the same sentence may express different propositions. So the best our semantic theory can do is assign propositions to pairs consisting of a sentence and a context. (Gauker 2008:360)
Die Zurückweisung des ersten minimalistischen Grundsatzes (T1), die mich sowohl von Borgs M2 als auch von Cappelen & Lepores M1 entfernt, rückt meine Position auch in die Nähe der Bachschen, der ebenfalls akzeptiert, daß der genuin semantische Gehalt nicht immer propositional ist. Bachs Position ist dem Kontextualismus jedoch in vielerlei Hinsicht näher als M1 und M2, was seine Position für den folgenden Kritikpunkt von Borg angreifbar macht: If semantics isn’t in the business of always churning out propositions for sentences, why have the fight about these kinds of sentences at all? Furthermore, if minimalism isn’t committed to propositionalism then, I think, it becomes extremely hard to hold the position apart from opposing views (like contextualism) which specifically hold
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that there is a context-invariant element to sentence meaning (often characterized as a potentially incomplete logical form, e. g. see Sperber and Wilson 1986) though this at least sometimes falls short of propositional content. (Borg 2012:4, Fn. 3)
Diesem Einwand ist meine Position deshalb nicht ausgesetzt, weil sie im Unterschied zu Bach den Bereich des Bestimmens von Wahrheitsbedingungen geäußerter Sätze als zentrale Aufgabe einer semantischen Theorie beibehält, während Bach mit dem Aufgeben des Propositionalismus auch die Idee aufgibt, daß die Semantik den wahrheitskonditionalen Gehalt geäußerter Sätze bestimmt. Er bezeichnet seinen Minimalismus dementsprechend als »radikal«. Um den in manchen Fällen nichtpropositionalen semantischen Gehalt zu charakterisieren, führt Bach den Begriff des propositionalen Radikals (›propositional radical‹) ein (vgl. Bach 1994:127) und geht in dieser Hinsicht mit Robyn Carston konform, die entsprechende Satzgehalte als blueprints von Propositionen bezeichnet. Meines Erachtens bleibt unklar, was mit diesem Begriff genau gemeint sein soll. Es handelt sich offenbar um subpropositionale Gehalte, die sich von anderen subpropositionalen Gehalten, wie z. B. dem durch eine Nominalphrase ausgedrückten Gehalt, dadurch unterscheiden, daß sie gewissermaßen das Grundgerüst einer Proposition bilden.69 Kriterien für die Propositionalität des Gehalts eines geäußerten Satzes liefert Bach jedoch nicht, zudem begründet er nicht, warum die relevanten Begriffsschemata bzw. »Grundgerüste« von Propositionen nicht als eine sehr unspezifische Wahrheitsbedingung aufgefaßt werden können. Recanati schlägt als Test zur Abgrenzung von propositionalen und nichtpropositionalen Gehalten vor, zu prüfen, ob wir uns einen Fall denken können, in dem keine weitere Spezifizierung notwendig ist, um die vom Sprecher mit dem Satz ausgedrückte Proposition zu erfassen. Sobald es mindestens einen Fall einer korrekten wörtlichen Verwendung gibt, in dem keine Spezifizierung notwendig ist, ist die Spezifizierung in linguistischer Hinsicht als nicht obligatorisch anzusehen. So kommt Recanati mit seinem Kriterium meines Erachtens zu Recht contra Perry zum Ergebnis, daß »Wetter-Sätze« wie beispielsweise »Es regnet« an sich eine Proposition ausdrücken (vgl. sein Beispiel mit dem RegenDetektor in Recanati 2002:217f., 2004:9). Metaphysische Überlegungen, wie diejenige, daß es immer, wenn es regnet, notwendigerweise irgendwo regnet, dürfen an dieser Stelle nicht mit der semantischen Frage durcheinandergebracht werden, ob das Zuweisen einer Ortsangabe sprachlich gefordert ist: Wenn wir sagen, daß Anna tanzt, dann tanzt sie (sofern die im relevanten Kontext mit dem Satz »Anna tanzt« ausgedrückte Proposition wahr ist) ebenfalls notwendiger69 Dies entspräche in etwa den relationalen Typen, die ich auf S. 46 unter dem Stichwort »weicher Propositionalismus« thematisiert habe.
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Eine minimalistische Antwort auf die kontextualistische Herausforderung
weise irgendwo, aber das führt nicht dazu, daß die Ortsangabe in die ausgedrückte Proposition eingeht. Die Klärung der Frage, ob bestimmte sprachlich ausgedrückte Gehalte die Ebene einer Proposition erreichen, ist nicht trivial und konfrontiert uns gegebenenfalls mit unvermeidlicher Vagheit im Hinblick auf die Klassifikation unserer mentalen Gehalte. Meines Erachtens sollten wir uns an der Frage orientieren, was intentionale Subjekte prinzipiell, d. h. in Abstraktion von kognitiven Fähigkeiten bestimmter intentionaler Akteure, meinen können, i. e. was sie zum Inhalt ihrer Einstellungen machen könnten und was nicht. Mit Bezug auf den Satz »Tipper is ready« (vgl. (S4) auf S. 49) ist die relevante Frage demnach, ob wir glauben/hoffen/fürchten können, jemand sei bereit tout court, oder ob BereitSein immer als für etwas Bereit-Sein aufgefaßt werden muß und wir somit, wenn wir entsprechende Sätze äußern, immer Propositionen der Form »a is ready to v/ for a« meinen. Wie auch immer die Antworten auf solche Fragen im Rahmen entsprechender Auffassungen ausfallen, sollten wir im Rahmen einer semantischen Theorie um der Klarheit willen auf Begrifflichkeiten wie »propositionale Radikale« verzichten. Hinter der Problematik des Propositionalismus im Hinblick auf den semantischen Gehalt geäußerter Sätze steht bei genauerer Betrachtung eine tiefere Problematik, auf die ich hier nicht gebührend eingehen kann (und die in der Debatte in der Regel allenfalls oberflächlich gestreift wird), nämlich die Frage, wie spezifisch unsere Gedanken sind. Was gehört zum Gehalt einer propositionalen Einstellung und was zum (näher zu explizierenden) Hintergrund, vor dem wir diesen Gehalt unterhalten bzw. diese oder jene Einstellung zu ihm haben? Ein vielversprechender Weg, die Problematik, im Rahmen einer semantischen Theorie bestimmen zu müssen, ob bestimmte, durch geäußerte Sätze ausgedrückte Gehalte propositional sind oder nicht, abzufedern, besteht darin, den Begriff der Wahrheitsbedingung in einer Weise zu explizieren, die ihn von dem der Proposition unabhängig macht. Dieser Auffassung zufolge, die ich im Folgenden plausibel machen möchte, läßt sich der semantische Gehalt eines wohlgeformten geäußerten Satzes immer als Wahrheitsbedingung (in einem abstrakten, »liberalen« Sinne) auffassen, er muß jedoch nicht immer propositional sein. Der Vorteil der von mir anvisierten minimalistischen Position, die den für die Semantik zentralen Begriff der Wahrheitsbedingung von dem der Proposition entkoppelt und sich so weitgehend von der Problematik der Klassifizierung von Gehalten unabhängig macht, ist beachtlich, zieht aber auch einige Fragen nach sich. Wie haben wir uns nichtpropositionale Wahrheitsbedingungen vorzustellen? Kompetente Sprecher erfassen die Wahrheitsbedingungen geäußerter Sätze sozusagen automatisch, allerdings kann dies meiner Auffassung zufolge auch in
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einer konditionalisierten Form erfolgen, die es ihnen nicht möglich macht, den in ein solches Konditional eingebetteten Gehalt an sich zu meinen. Wie genau das funktioniert und warum wir semantischen Gehalt in spezifischen Fällen so konzipieren sollten, wird im Zuge meiner im kommenden Kapitel 3 folgenden intensiven Beschäftigung mit demonstrativen Ausdrücken deutlich. Dort präsentiere ich meinen Vorschlag zur Bestimmung der Wahrheitsbedingungen von Sätzen mit einfachen Demonstrativa, bei dem der Begriff einer konditionalisierten Wahrheitsbedingung, den Borg von Higginbotham übernimmt, um ihn in ihrer Analyse von Sätzen mit einfachen Demonstrativa zu verwenden, eine zentrale Rolle spielt. Doch während Borg vom Begriff der konditionalisierten Wahrheitsbedingung nur in Bezug auf Indexikalia Gebrauch macht, bin ich der Auffassung, daß wir ihn auch im Hinblick auf Beispiele wie (S4) nutzbar machen können und sollten. Der Anwendungsbereich dieser minimalistischen Strategie ist aus meiner Sicht also etwas breiter als von Borg veranschlagt. Dies möchte ich abschließend in Form eines Exkurses am Beispiel des Satzes (S4) illustrieren, um meine diesbezügliche minimalistische Position so von anderen minimalistischen Positionen abzugrenzen. Hierzu ist der folgende Überblick über minimalistische Analysen des Satzes (S4) dienlich: (S4) Tipper ist bereit (S4WB) (S4) ist wahr gdw. Tipper bereit ist (Cappelen & Lepore 2005:155ff.) (S4WB’) (S4) ist wahr gdw. 9x (Tipper ist bereit für x) (Borg 2012:92ff.) (S4WB’’) Wenn x/v-en im Äußerungskontext c von (S4) für Sprecher und Adressat salient ist, dann ist (S4) wahr gdw. Tipper bereit ist, für x/zu v-en (Pavic´) Die Verpflichtung auf den Propositionalismus führt Cappelen & Lepore zu einem dogmatisch anmutenden Festhalten am Propositionalismus, bei dem sie schlicht abstreiten, daß hier eine linguistisch geforderte Sättigung vonnöten ist, und Borg zu einer kontraintuitiven semantischen Analyse: Ad (S4WB’) Es stimmt nicht, daß der Satz »Anna ist bereit«, den wir in einem entsprechenden Kontext beispielsweise als pragmatische Verkürzung für »Anna ist bereit für den Vortrag« verwenden, rein sprachlich die Proposition ausdrückt, daß es etwas gibt, wofür Anna bereit ist, denn wir können (S4), wie Bach (1994a: 130) präzise beobachtet, intuitiv nicht verwenden, um genau diese Proposition wörtlich auszudrücken. Das spricht klar dagegen, (S4WB’) als den genuin semantischen Gehalt von (S4) zu postulieren. Noch deutlicher zeigt sich das Problem im Hinblick auf die Negation von (S4): Die Wahrheitsbedingung
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Eine minimalistische Antwort auf die kontextualistische Herausforderung
der Negation von (S4) ist intuitiv nicht erfüllt, wenn es nichts gibt, wofür Tipper bereit ist. Der Grund dafür scheint direkt in der konventionellen Bedeutung zu liegen (der Satz ist sozusagen de jure nicht dafür geeignet, diese Proposition wörtlich auszudrücken) und nicht (wie Kontextualisten vielleicht behaupten würden) darin, daß wir den Satz de facto nicht verwenden, um solche Propositionen auszudrücken. Ad (S4WB) Auf den von mir und vielen anderen Theoretikern geteilten Einwand des schlichten Postulierens von Propositionalität, den beispielsweise Bach (2006:437ff.) gegen ihren Propositionalismus expliziert, reagieren Cappelen & Lepore mit der Aussage, daß es ihnen nicht auf Propositionalismus an sich ankäme, sondern sie sich vielmehr gegen die Gefahr zu wappnen haben, die eine für irgendeinen Satz akzeptierte semantische Unvollständigkeit mit sich bringe, nämlich unvermeidbare Zugeständnisse an radikale Kontextualisten. Somit weisen sie die Kritik am Propositionalismus im Hinblick auf Sätze wie (S4) im Grunde als terminologischen Punkt zurück: [W]e argue there’s no principled way to determine when a well-formed sentence expresses a propositional radical and when it expresses a complete proposition. This is our central disagreement with Bach. We argue that all the reasons he provides for thinking ›Nina had enough‹ expresses a propositional radical (not a complete proposition) should lead him to say ›Nina had enough pasta‹ expresses a proposition radical (not a complete proposition). Why is this important? Not because of a bizarre preference for the view that ›Nina has had enough‹ expresses a proposition. We couldn’t care less. What we do care about is how to avoid Radical Contextualism – a view that holds all sentences fail to express (complete) propositions, i. e. all sentences are incomplete in Bach’s sense. […] The claim is that the considerations and intuitions Bach invokes in defense of the incompleteness of ›A is ready‹ generalize. We, and the Radical Contextualists, claim Bach’s examples generalize. (Cappelen 2006:470f.)
Obwohl die Abgrenzung, wie bereits diskutiert, in Einzelfällen schwierig ist, kann dieses Dammbruchargument meines Erachtens nicht überzeugen. Einerseits sind Fälle, in denen wohlgeformte Sätze keine Proposition ausdrücken, intuitiv selten. Andererseits besteht im Hinblick auf bestimmte geäußerte Sätze weitgehende intuitive Einigkeit darüber, daß sie rein sprachlich keine Proposition ausdrücken. Ob wir mit diesen intuitiven Urteilen im Einzelfall richtig liegen, muß daher anhand der Analyse tatsächlicher und hypothetischer Fälle geprüft bzw. begründet werden – unter Rekurs auf Überlegungen wie beispielsweise Recanatis im Vorangegangenen erwähntes Kriterium (vgl. S. 95f.).70 70 Als eigenständiges Argument für den Propositionalismus involviert Cappelen & Lepores Überlegung zudem klarerweise eine petitio gegenüber ihren radikal-kontextualistischen
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Bach argumentiert aus meiner Sicht erfolgreich gegen (S4WB’) (vgl. Bach 1994a:130f.) und (S4WB) (vgl. Bach 2006:437ff.), ist aber im Gegensatz zu mir der Auffassung, daß sich für (S4) keine Wahrheitsbedingung im Sinne des Minimalismus bestimmen läßt, da Wahrheitsbedingungen für Bach eo ipso Propositionen sind. Contra Cappelen & Lepore, Borg und Bach lasse ich jedoch zu, daß der semantische Gehalt eines wohlgeformten geäußerten Satzes im Falle von Sätzen wie (S4), nicht propositional ist, aber dennoch als eine (konditionalisierte) Wahrheitsbedingung aufgefasst werden kann. Daß der konsequent minimalistisch bestimmte semantische Gehalt mancher geäußerter Sätze kein propositionaler Gehalt ist, ist kein Nachteil, sondern zeigt vielmehr, daß der Propositionalismus für den semantischen Minimalismus entbehrlich ist. Noch deutlicher wird dies in der nun folgenden Beschäftigung mit dem Phänomen der Indexikalität und der direkten Bezugnahme am Beispiel von Sätzen mit einfachen Demonstrativa, bei denen sich die Probleme der Verpflichtung auf den Propositionalismus am gravierendsten zeigen.
Gegnern, sie kombinieren es in ihrem Buch jedoch mit anderen Argumenten, die zeigen sollen, daß der radikale Kontextualismus eine inkohärente Position ist (vgl. Cappelen & Lepore 2005), so daß ich diese Kritik hier nicht verfolge.
3
Semantischer Minimalismus und direkte Bezugnahme: Fallbeispiel einfache Demonstrativa
Wir haben gesehen, daß Borgs minimale semantische Proposition nicht via Sättigung, sondern gänzlich ohne Rekurs auf pragmatische Faktoren bestimmt werden soll. Eine substantielle, formal nicht handhabbare Einbeziehung des Äußerungskontextes, die Rekurs auf Sprecherintentionen (bzw. Kontextfaktoren, die Rückschluß auf Sprecherintentionen erlauben), involviert, ist laut Borg für die Bestimmung des semantischen Gehalts geäußerter Sätze nicht vonnöten. Damit ist Borg zwar gegen den Einwand der Inkohärenz gewappnet, den Recanati und andere Kontextualisten gegen minimalistische Positionen wie die von Cappelen & Lepore vorbringen, aber gleichzeitig einem anderen Einwand ausgesetzt, den nicht nur Kontextualisten gegen ihre Position vorbringen. Dieser Einwand zielt auf die Kombination der Grundsätze (T1) und (T3) und lautet wie folgt: Was die linguistische Bedeutung uns liefert, reicht im Falle vieler offen kontextsensitiver Ausdrücke allein nicht aus, um einen propositionalen Gehalt bzw. Wahrheitsbedingungen für die entsprechenden Sätze relativ zu einem Kontext zu bestimmen. Das Problem besteht darin, daß sich im Falle mancher kontextsensitiver Ausdrücke ausschließlich mittels der linguistischen Bedeutung prima facie keine propositionale Konstituente bestimmen läßt, die diesen Ausdrücken entspricht, so daß die entsprechenden geäußerten Sätze somit rein sprachlich noch keine Proposition ausdrücken und wir ihnen keine Wahrheitsbedingung zuweisen können. Es geht nun ausschließlich um unkontroverserweise kontextsensitive Ausdrücke, die zur »basalen Menge« in Cappelen & Lepores Terminologie gehören, d. h. nicht um Ausdrücke, deren linguistische Bedeutung nach Meinung vieler Kontextualisten zu unspezifisch ist, um ohne eine durch pragmatische Faktoren ausgelöste Modulation eine propositionale Konstituente beisteuern zu können. Den letztgenannten Fall habe ich in Abschnitt 2.4 kurz behandelt; nun wende ich mich der Frage zu, welchen Gehalt allgemein als kontextsensitiv geltende Ausdrücke ohne substantiellen Rekurs auf den Äußerungskontext zum Gehalt entsprechender Sätze beisteuern können.
102
Semantischer Minimalismus und direkte Bezugnahme
In dieser Hinsicht erscheinen einfache Demonstrativa für einen Borgschen Minimalismus besonders problematisch, da prima facie unklar ist, wie die Bestimmung des semantischen Gehalts von einfachen Demonstrativa relativ zu einem Kontext ohne Rekurs auf Sprecherintentionen bzw. Kontextfaktoren, die Rückschluß auf diese erlauben, funktionieren soll. Gerade bei Demonstrativa scheint die linguistisch geforderte »Sättigung« nur unter Rekurs auf pragmatische Faktoren möglich zu sein. Daher sind einfache Demonstrativa in besonderem Maße als Prüfstein für die Erfolgsaussichten eines Borgschen Minimalismus im Umgang mit dem Phänomen der Indexikalität geeignet. Borg ist sich der prima facie-Problematik bewußt und befasst sich entsprechend ausführlich mit Demonstrativa (vgl. Borg 2000, 2002a, 2002b und insbesondere 2004: Kap. 3). Dennoch drücken einfache Demonstrativa ihrer Auffassung zufolge ohne Einbeziehung von pragmatischen Faktoren relativ zu einem Kontext einen content im Sinne von Kaplan aus und die Sätze, in denen sie vorkommen, entsprechend eine singuläre Proposition. In diesem Kapitel befasse ich mich eingehend mit Borgs minimalistischer Strategie im Hinblick auf Demonstrativa, um sie auf ihren Erfolg hin kritisch zu überprüfen. Die Problematik der Spannung zwischen einer anti-intentionalistischen minimalistischen Auffassung von semantischem Gehalt und der prima facie intentionsabhängigen Referenzbestimmung, die Borg aufzulösen versucht, exerziere ich am Fallbeispiel der Demonstrativa durch und komme bezüglich der Ausgangsfrage, welchen Gehalt unkontrovers kontextsensitive Ausdrücke wie Demonstrativa ohne die substantielle Einbeziehung von kontextuellen Faktoren zum Gehalt entsprechender Sätze beisteuern können, zu einem anderen Ergebnis als Borg. Zunächst führe ich die für die Diskussion in diesem Kapitel zentralen Begriffe der direkten Referenz, des referentiellen Ausdrucks und der singulären Proposition ein (3.1). Nachdem ich diese erläutert habe, fokussiere ich mich auf einfache Demonstrativa, anhand derer ich das vermeintliche Problem für den semantischen Minimalismus eingehend untersuche, wobei mir Borgs Auffassung des semantischen Gehalts von Sätzen mit Demonstrativa dabei als Ausgangspunkt dient (3.2). Nachdem ich diese dargestellt und kritisch diskutiert habe, entferne ich mich durch die Entkoppelung des Begriffs der Wahrheitsbedingung von dem der Proposition in einer wichtigen Hinsicht von Borgs Position. Im Ergebnis modifiziere ich Borgs Position dahingehend, daß der minimale semantische Gehalt von Sätzen mit Demonstrativa eine Wahrheitsbedingung ist, die nicht die Spezifizität eines propositionalen Gehalts erreicht (3.3). Um eine dem Grundsatz (T3) entsprechende anti-intentionalistische Position konsequent vertreten zu können, gebe ich damit den für Borg zentralen minimalistischen Grundsatz (T1) auf – den Propositionalismus.
Direkte Bezugnahme und singuläre Propositionen
3.1
103
Direkte Bezugnahme und singuläre Propositionen
Ich gehe im Folgenden davon aus, daß wir uns direkt auf Gegenstände beziehen können und diese direkten Bezugnahmen sprachlich ausdrücken können. Als direkte Bezugnahmen verstehe ich solche, bei denen eine deskriptive Vermittlung nicht wesentlich ist: Gegenstände, die wir direkt zum Inhalt unserer mentalen Aktivität machen, denken wir nicht wesentlich als Erfüller einer deskriptiven Bedingung. Eine direkte Bezugnahme kann womöglich deskriptiv vermittelt sein, entscheidend dabei ist, daß der Referent nicht wesentlich als der Erfüller dieser Bedingung gedacht wird.71 Bezugnahmen, die nicht wesentlich deskriptiv vermittelt sind, sind ipso facto direkt. Eine Bezugnahme ist indirekt, wenn sie wesentlich deskriptiv vermittelt ist, i. e. der Bezugsgegenstand ausschließlich qua Denotat des verwendeten sprachlichen Ausdrucks (in der Regel einer Kennzeichnung) als Referent intendiert ist. Als deskriptive Bedingungen verstehe ich solche, deren Form derart ist, daß sie nicht einen bestimmten Bezugsgegenstand vorschreibt, sondern dieser weltenrelativ, i. e. relativ zu möglichen Auswertungsumständen variieren könnte.72 Wenn wir uns im Rahmen der Äußerung eines Satzes direkt auf einen Gegenstand beziehen und diesem eine bestimmte Eigenschaft zuschreiben, drücken wir eine singuläre Proposition aus. Singuläre Propositionen sind also Propositionen, die von den Objekten direkter Bezugnahmen »handeln«. Den Begriff des singulären Gehalts möchte ich so verwenden, daß damit sowohl der subpropositionale Gehalt gemeint sein kann, der dem zur direkten Bezugnahme verwendeten Ausdruck an Subjektstelle entspricht, als auch die ausgedrückte singuläre Proposition als ganze.73 Ich gehe hier ohne Argument davon aus, daß wir uns im erläuterten Sinne direkt auf Gegenstände beziehen und diesen Eigenschaften zuschreiben können, weil wichtige Einwände gegen den semantischen Minimalismus darauf basieren 71 Wann dies der Fall ist, ist Gegenstand interessanter und kontroverser Debatten (vgl. dazu beispielsweise die Diskussion des »Newman«-Beispiels in Kaplan 1989b:560, Fn. 76 sowie Kaplan 1989a:606ff.). 72 Mit »Form« meine ich diejenige formal-semantische Struktur (in der formalen Darstellung eine logische Form bzw. auf der mentalen Ebene eine bestimmte begriffliche oder phänomenale Struktur), die der syntaktischen Form von Kennzeichnungen entspricht. Damit möchte ich ausschließen, daß de facto starre Kennzeichnungen nicht als deskriptive Bedingungen angesehen werden, nur weil sie de facto nicht von mehreren Gegenständen erfüllt werden können. Beispiele für solche Kennzeichnungen sind mathematische Ausdrücke wie »die Quadratwurzel von 49« oder Kennzeichnungen, in denen wesentliche Eigenschaften ausgedrückt werden wie z. B. »die Mutter meines Bruders«. 73 Auf die Natur singulärer Propositionen, insbesondere auf die Frage, was die dem zur direkten Bezugnahme verwendeten Ausdruck entsprechende Konstituente einer solchen Proposition ist – ein »singulärer Begriff« oder de re-Sinn (/ la Evans) oder der Bezugsgegenstand selbst (/ la Russell) – komme ich in Kapitel 5 zu sprechen.
104
Semantischer Minimalismus und direkte Bezugnahme
und es mir darum geht, diese Einwände zu entkräften, ohne ihre Voraussetzung zu verwerfen.74 Einen in diesem Zusammenhang wichtigen Punkt möchte ich allerdings noch kurz erwähnen, um eine mögliche Konfusion zu vermeiden: Die These, daß wir uns auf eine nichtdeskriptive Weise auf Gegenstände beziehen können, darf nicht so verstanden werden bzw. mit der These verwechselt werden, daß wir in der Lage sind, Gegenstände ohne bzw. in Abstraktion von Eigenschaften zu denken. Letzteres ist uns nicht möglich (jedenfalls ist dieser Gedanke sehr naheliegend), ersteres bedeutet aber lediglich, daß keine Eigenschaft des Bezugsgegenstandes für die Bezugnahme wesentlich ist. Daß wir Gegenstände nie ohne Eigenschaften gedanklich thematisieren, heißt nicht, daß wir sie immer als Erfüller der entsprechenden Kennzeichnungen meinen. Was sind die Charakteristika direkter Bezugnahmen? Die Spezifika dieser Bezugnahmen ergeben sich aus ihrem nicht-wesentlich-deskriptiven Charakter und lassen sich am besten untersuchen, indem man sich ansieht, wie wir solche Bezugnahmen sprachlich ausdrücken und auf diese Weise intersubjektiv vermitteln. Im Rahmen eines phänomenologischen Ansatzes könnte man auch versuchen, von der phänomenologischen Betrachtung der intentionalen Gerichtetheit auf Einzelgegenstände auszugehen und die unterscheidenden Merkmale dieser mentalen Bezugnahmen auszumachen, im Zusammenhang dieser Arbeit sind jedoch primär die semantischen Aspekte direkter Bezugnahmen von Interesse und weniger diejenigen, die in Problemfelder der Philosophie des Geistes führen. Verschiedene sprachphilosophische Theorien, die sich unter dem Stichwort Direkte Referenz (DR) zusammenfassen lassen, versuchen, die Spezifika singulärer Gehalte sowie die semantischen Eigenschaften 74 Obwohl ich hier also um des Arguments willen davon ausgehe, daß direkte Bezugnahmen in diesem Sinne möglich sind, bin ich auch davon überzeugt und bin auch der Auffassung, daß diese in Relation zu indirekten Bezugnahmen genetisch primär sind. Die These des Primats von direkter Bezugnahme und singulären Gehalten in Relation zu indirekten Bezugnahmen und den entsprechenden Einstellungsgehalten ließe sich z. B. unter Rekurs auf Strawsons Reduplikations-Argument stützen (vgl. Strawson 1959, Kap.1) sowie durch Erwägungen bezüglich Spracherwerb (»Dies da/dieses Tier ist eine Ente!«) und ostensiver Definition/ Referenzfestlegung (vgl. dazu z. B. Kaplans kurzen Kommentar in Kaplan 1978:242 oder Smiths kurze Diskussion von Bekanntschaftserfahrungen als Basis indexikalischer Referenz in Smith 1981:123, wobei Smith die fundamentale Bedeutung von Bekanntschaftserfahrungen im menschlichen Leben als Evidenz für die Omnipräsenz von Indexikalität bzw. Kontextsensitivität in der natürlichen Sprache heranziehen will. Meines Erachtens verweisen die von Smith angeführten Beispiele aber lediglich darauf, daß sprachliche Bedeutung in einem hohen Maße in Bekanntschaftserfahrungen fundiert ist (mehr dazu in Kapitel 4). Interessant in diesem Zusammenhang sind auch Wittgensteins Überlegungen zur Unbestimmtheit der Ostension in den Philosophischen Untersuchungen. Eine ausführliche und grundlegende Argumentation für die These des Primats direkter Bezugnahmen müßte bei der Frage beginnen, wie Gegenstände in unserem Denken überhaupt zustande kommen und ausführlich auf das Verhältnis zwischen Bekanntschaft (im Anschluß an Russell) und direkter Bezugnahme eingehen.
Direkte Bezugnahme und singuläre Propositionen
105
von sprachlichen Ausdrücken, die es uns ermöglichen, solche Gehalte auszudrücken, möglichst genau herauszuarbeiten. Ein wesentliches Merkmal direkter Bezugnahmen ist, daß sie modal konstant sind. Starrheit im Sinne von Kripke (1980) ist eine semantische Eigenschaft von sprachlichen Ausdrücken, die dafür sorgt, daß diese modal konstant referieren. Wichtig dabei ist, woher diese Starrheit rührt. Nicht jede modal konstante Bezugnahme ist ipso facto eine direkte Bezugnahme, was sich an starren Kennzeichnungen wie »die Wurzel des Quadrats von drei« zeigt, die modal konstant referieren, obwohl sie den entsprechenden Propositionen einen deskriptiven Gehalt beisteuern (vgl. hierzu Kaplan 1989b:495,497, an dessen Ausarbeitung einer Theorie der DR ich mich primär orientiere). Starrheit im Sinne von Kripke ist also ein wesentliches, aber nicht das unterscheidende Merkmal direkter sprachlicher Bezugnahmen. In erster Annäherung können wir sagen, daß die Starrheit direkter Bezugnahmen sich daraus ergibt, daß keine deskriptive Bedingung, die – formal betrachtet – von mehreren Gegenständen erfüllt werden könnte, in den ausgedrückten Gehalt eingeht.75 Ich vertrete im Folgenden die These, daß die Starrheit direkter sprachlicher Bezugnahmen eine Folge der semantischen Eigenschaften der verwendeten Ausdrücke ist – idealerweise in Kombination mir einer direktreferentiellen Intention aufseiten des Sprechers, denn die semantischen Eigenschaften der relevanten Ausdrücke zeigen eine direktreferentielle Intention per konventionem an.76 Mit dieser Auffassung befinde ich mich in Gesellschaft vieler, nämlich all derjenigen Theoretiker, die die Argumente ernst nehmen, die im Zuge des sogenannten »referential turn« in der Sprachphilosophie um 1970 insbesondere von Kripke und Kaplan vorgebracht wurden. Auch Recanati (1988:109, 1993) hebt im Anschluß an Kaplan die spezifische Art von Starrheit hervor, die sich als Folge der direktreferentiellen Semantik bestimmter Ausdrücke ergibt und nennt sie im Anschluß an Kripke (1980:21, Fn.21) de jure-Starrheit. De jure-Starrheit ist eine semantische Eigenschaft von Ausdruckstypes, die Recanati als »typereferentiality« bezeichnet und folgendermaßen definiert:
75 Ob diese Charakterisierung ausnahmslos zutrifft, werde ich in Kapitel 5 genauer untersuchen, in dem ich die Frage diskutiere, ob wir in bestimmten Fällen rigidifizierte/aktualisierte Kennzeichnungen als Bausteine singulärer Propositionen zulassen dürfen oder sogar müssen. Ich werde dort zu dem folgenden Schluß kommen: Obwohl die Semantik referentieller Ausdrücke objektabhängige Wahrheitsbedingungen für die entsprechenden Sätze fordert, »sagen« die Regeln nicht, daß die relevanten subpropositionalen Gehalte keine rigidifizierten Kennzeichnungen sein dürfen, was die Option einer Heterogenität singulärer Gehalte offenläßt. 76 Für einen kurzen Überblick über verschiedene Ebenen, auf denen eine Bezugnahme als starr bezeichnet werden kann, siehe Pavic´ 2014:3.
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Semantischer Minimalismus und direkte Bezugnahme
A term is (type-)referential if and only if its linguistic meaning includes a feature, call it »REF«, by virtue of which it indicates that the satisfaction-condition of the utterance where it occurs is singular. (Recanati 1988:114)77
Direkte Referenz läßt sich folglich nicht allein über die Objektabhängigkeit der Wahrheitsbedingungen entsprechender Sätze definieren. Diese ist ein notwendiges, aber kein hinreichendes Kriterium für direkte Referenz. Damit es sich um eine direkte sprachliche Bezugnahme handelt, muß sich die Objektabhängigkeit der Wahrheitsbedingung aufgrund des nichtdeskriptiven Referenzmechanismus der verwendeten Ausdruckstypes ergeben. Diesbezüglich korrigiert Recanati Christopher Peacocke, der direkte Referenz über die Objektabhängigkeit entsprechender Wahrheitsbedingungen definiert und somit Starrheit mit direkter Referenz gleichsetzt (vgl. Recanati 1988:107ff.).78 Mit dem »REF«-Merkmal ausgestattete Ausdrücke sind also Ausdrücke, bei deren (regelkonformer) Verwendung sich die Objektabhängigkeit der mit entsprechenden Sätzen ausgedrückten Wahrheitsbedingung als Folge der semantischen Eigenschaften des verwendeten Ausdruckstypes ergibt. Bezüglich der Frage, welche Ausdrücke nun de jure starr sind, hilft uns Recanatis »Definition« allerdings nicht weiter ; sie ist im Grunde weniger eine Definition als eine terminologische Festlegung, der ich der Kürze halber folge. Der nächste Schritt ist also, die Ausdrücke, die wir de facto für direkte Bezugnahmen verwenden, im Hinblick auf die Frage, ob sie mit dem REF-Merkmal ausgestattet sind, genauer unter die Lupe zu nehmen.
3.2
Sprachliche Vehikel direkter Bezugnahmen
Bevor ich meine Auffassung dazu erläutere, welche Klassen von Ausdrücken aufgrund ihrer in der konventionellen Bedeutung verankerten semantischen Regeln de jure starr sind und somit per Konvention für direkte Bezugnahmen 77 Daß Recanati hier von Erfüllungsbedingungen spricht und nicht von Wahrheitsbedingungen, liegt daran, daß er Satzbedeutung unter Rekurs auf Sprechakte erläutert und der Begriff der Erfüllungsbedingung in dem Zusammenhang passender ist als der der Wahrheitsbedingung, da er weiter ist. Wenn man da nicht mitgeht, kann man »Erfüllungsbedingungen« einfach durch »Wahrheitsbedingungen« ersetzen, denn auf den Unterschied kommt es hier nicht an. 78 Dies tut auch Beyer 2000, macht aber in Relation zu Peacocke den Fortschritt, daß er die Wahrheitsbedingungen von Sätzen, mit denen direkt referiert wird, in eine disjunktive Form bringt, um auch Sätzen mit leeren oder fiktionalen Namen gerecht zu werden (vgl. Beyer 2000:22). Ich bin mit Beyer und gegen Evans (1982) der Auffassung, daß wir auch mit Sätzen, die leere oder fiktionale mit dem REF-Merkmal ausgestattete Ausdrücke enthalten, singuläre Propositionen ausdrücken können. Mehr dazu in Kapitel 5.
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vorgesehen sind, ist es nötig, meine Verwendung einiger Termini und ihr Verhältnis zueinander zu erläutern. Als singuläre Ausdrücke79 bezeichne ich im Anschluß an Frege (1892) diejenigen Ausdrücke, die sich ihrer Form nach auf einzelne Gegenstände beziehen.80 Zu den singulären Ausdrücken gehören definite Kennzeichnungen also gleichermaßen wie Eigennamen, Demonstrativa und andere Indexikalia. Als referentielle Ausdrücke bezeichne ich Ausdrücke, die eine direktreferentielle Semantik haben, d. h. deren character das von Recanati eingeführte REFMerkmal beinhaltet. Die Frage, ob ein Ausdruck (im Gegensatz zu der Verwendung eines Ausdrucks) referentiell ist, betrifft also die semantischen Eigenschaften des Ausdrucks als type. Als referentielle Verwendungen sprachlicher Ausdrücke bezeichne ich Verwendungen zum Zwecke der direkten Bezugnahme. Damit ist begrifflich Raum gelassen für Fälle, in denen nichtreferentielle Ausdrücke zum Zwecke der direkten Bezugnahme verwendet werden.81 Recanati verwendet für solche Fälle entsprechend den Begriff »token-referentiality« (vgl. Recanati 1988:116, Fn.8). Generelle Ausdrücke lassen sich am besten funktional bestimmten, nämlich als diejenigen Ausdrücke, die logisch als Prädikate fungieren. Quantifizierte Ausdrücke sind semantisch komplexe Ausdrücke, deren logische Form in der semantischen Analyse mithilfe von Quantoren dargestellt wird. Sie bilden den semantischen Kontrast zu referentiellen Ausdrücken.82 Meiner Verwendung entsprechend liegt der Begriff des singulären Ausdrucks quer zu denen des referentiellen Ausdrucks und des Quantorenausdrucks: Es 79 Ich vermeide bewußt den im sprachphilosophischen Jargon häufig anzutreffenden Anglizismus »Terme«, da dieser Ausdruck im Deutschen nur für mathematische Ausdrücke gebräuchlich ist und es hier nicht um formale Darstellungen von Gehalt, sondern um die natürlich-sprachlichen Ausdrücke selbst geht. Die naheliegende Alternative »Termini« verwende ich bereits für theoretische Begrifflichkeiten (›termini technici‹), zudem scheint an »Ausdrücke« weder aus theoretischer noch aus sprachlicher Sicht etwas auszusetzen zu sein. 80 Mit »Form« meine ich nicht die Oberflächengrammatik, sondern die logische Form, die im Zuge der semantischen Analyse von Sätzen ermittelt wird. Mit »einzelne Gegenstände« meine ich Einzelgegenstände im Sinne der Logik. Demnach bezeichnet der Ausdruck »die Herde« in einem Satz wie »Die Herde weidet« eindeutig einen Einzelgegenstand. Metaphysischen Fragen, wie derjenigen, ob Ausdrücke wie »diese Herde Schafe«, »die Beatles« oder »die Türme der Johanniskirche« nun in einem metaphysischen Sinne (abstrakte) Einzelgegenstände oder eine Pluralität von (konkreten) Einzelgegenständen bezeichnen, können wir hier aus dem Weg gehen, da sie nicht von Belang sind. 81 Ein Vorteil der englischsprachigen Bezeichnungen für diese Unterscheidung ist, daß anstelle des gleichen zwei verschiedene Ausdrücke verwendet werden: »referring expressions« vs. »referential uses«. Im Deutschen ist »referierende Verwendung« (im Unterschied zu »referentielle Ausdrücke«) jedoch etwas mißlich, da der Ausdruck suggeriert, daß bei einer solchen immer auch tatsächlich referiert wird. 82 Sprachliche Ausdrücke wie »und«, »obwohl« usw., die keine »Terme« im Sinne der Logik sind, lasse ich außen vor.
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gibt genauso singuläre referentielle Ausdrücke wie es singuläre Quantorenausdrücke gibt, aber weder alle quantifizierten Ausdrücke noch alle referentiellen Ausdrücke sind notwendigerweise singulär. Eine andere gängige Verwendungsweise ist diejenige, der zufolge singuläre Ausdrücke mit quantifizierten Ausdrücken kontrastiert werden. Das gleicht einer Nivellierung der Begriffe »singulär« und »referentiell«, die m. E. dem intuitiven Verständnis von »singulär« zuwiderläuft. Einerseits haben wir die starke Intuition, daß mit definiten Kennzeichnungen wie »der Erfinder der Nähmaschine« etwas Einzelnes herausgegriffen werden soll. Andererseits ist es bei Sätzen wie »Diese Jungs sind allesamt hervorragende Spieler« nicht von vornherein klar, daß »diese Jungs« ein singulärer Ausdruck ist, obwohl er (der Mehrheitsauffassung zufolge) qua demonstrativer Ausdruck referentiell ist.83 In gewisser Weise meine ich alle »Jungs« zusammen, aber ich meine auch jeden von ihnen einzeln. Es ist offenbar nicht immer trivial zu bestimmen, ob ein Ausdruck (in logischer Hinsicht) auf einen Einzelgegenstand referiert. Sehen wir uns die folgenden weiteren Beispielsätze an: (1.1) Diese Jungs werden die Meisterschaft gewinnen (1.2) Diese Jungs werden nacheinander das Stadion betreten (2.1) Die Türme der Johanniskirche sind vom Stadtwall aus zu sehen (2.2) Die Türme der Johanniskirche sind unterschiedlich groß (3.1) Die Müllers sind eine nette Familie (3.2) Die Müllers sind 53 und 58 Jahre alt Während man bei (1.1), (2.1) und (3.1) wohl sagen kann, daß die Ausdrücke an Subjektstelle als singuläre Ausdrücke fungieren, i. e. ihre Referenten in der logischen Analyse als Einzelgegenstände repräsentiert werden können, sind die Sätze (1.2), (2.2) und (3.2) semantisch deutlich komplexer und ich möchte mich nicht darauf festlegen, daß die Ausdrücke an Subjektstelle hier auch klarerweise
83 Nehmen wir an, daß »diese Jungs« ein referentieller Ausdruck ist und daß wir mithilfe von referentiellen Ausdrücken sog. Russellsche Propositionen ausdrücken, i. e. Propositionen, die die Referenten der verwendeten referentiellen Ausdrücke als Konstituente enthalten. Hieße das, daß alle Personen, auf die der Sprecher referiert hat, Teil der ausgedrückten Proposition sind? Die Vorstellung, daß eine Pluralität von Gegenständen Teil einer Proposition ist, wirkt noch merkwürdiger als dies ohnehin schon bei Einzelgegenständen er Fall ist. Würde der Russellianer erwidern, in solchen Fällen sei eine Menge die relevante propositionale Konstituente, so müßte kohärenterweise auch bei Bezugnahmen auf Einzelgegenstände die entsprechende Singleton-Menge propositionale Konstituente sein. Aber üblicherweise werden Mengen nur als Mittel zur Veranschaulichung von subpropositionalen Gehalten angesehen und verwendet. Zur Kritik an Russellschen Propositionen komme ich in Kapitel 5.
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singuläre sind – vielleicht müssen sie im Zuge der semantischen Interpretation erst in solche zerlegt werden. Daraus folgt zum einen, daß genaugenommen erst im Satzkontext bestimmt werden kann, ob ein Ausdruck singulär ist, und zum anderen, daß referentielle Ausdrücke nicht notwendigerweise eine Unterklasse singulärer Ausdrücke sind. Meine Verwendung der Termini läßt zu, daß es nichtsinguläre referentielle Ausdrücke wie den Ausdruck »diese Jungs« in Satz (1.2) genauso gibt, wie es klarerweise nichtsinguläre quantifizierte Ausdrücke wie »alle Spieler«, »jeder Deutsche«, »manche Studenten« gibt. Wie es sich im Einzelfall verhält, ist Gegenstand formal-semantischer Analysen, die ich hier nicht betreibe. Paradigmatischerweise sind referentielle Ausdrücke jedoch singuläre Ausdrücke und referentielle Verwendungen von Ausdrücken Verwendungen, mit denen wir uns auf Einzelgegenständen im genannten logischen Sinne beziehen. Es ist weitgehend unkontrovers, daß Eigennamen und Indexikalia referentielle Ausdrücke sind, während definite Kennzeichnungen nur indirekt referieren bzw. bezeichnen, nämlich jeweils diejenigen Gegenstände, die die durch die Kennzeichnung ausgedrückte Bedingung erfüllen. Obwohl die große Mehrheit der Verwendungen in Übereinstimmung mit dieser Unterteilung erfolgt, läßt sich beobachten, daß wir de facto Ausdrücke aller drei Klassen sowohl zum Zwecke der direkten als auch zum Zwecke der indirekten Bezugnahme verwenden. Es ist üblich, die »abweichenden« Verwendungen pragmatisch zu erklären, d. h. unter Rekurs auf die praktischen Zwecke sprachlicher Äußerungen qua Handlungen in bestimmten Situationen. Die gängige Klassifizierung wird aber auch immer wieder kritisch hinterfragt.84 Ich tendiere dazu, die gängige Unterteilung zu befürworten. So bin ich bezüglich der referentiellen Verwendungen von Kennzeichnungen (vgl. Donnellan 1966) mit Kripke (1977) der Auffassung, daß sie als nicht wörtlich, i. e. nicht in Übereinstimmung mit den semantischen Regeln, angesehen werden sollten und damit für die Bestimmung der Wahrheitsbedingungen entsprechender Sätze irrelevant sind. Ich werde hier jedoch nicht für diese These argumentieren können und – insbesondere in Hinblick auf die Besonderheiten von sogenannten unvollständigen Kennzeichnungen (›incomplete descriptions‹) wie »der Tisch« – ist dies sicher eine Herausforderung. Von der Beschäftigung mit Eigennamen muß ich im Rahmen dieser Arbeit ebenfalls ganz absehen. Im Folgenden geht es nur noch um Demonstrativa, bei denen nichtanaphorische, genuin deskriptive Verwendungen sehr selten vorkommen und die meiner Auffassung zufolge paradigmatische referentielle Ausdrücke und somit de jure starr sind. Obwohl dies der Auffassung der großen Mehrheit der Theo84 Eine aktuelle Kritik an der Standardunterteilung incl. ausgearbeitetem Gegenentwurf bieten Hawthorne & Manley (2012).
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retiker entspricht, ist auch das theoretisch umstritten (vgl. King 2001, Hawthorne & Manley 2012). Die im Kontext dieser Arbeit relevante Problematik für einen Borgschen Minimalismus basiert jedoch auf der Auffassung, daß Demonstrativa referentielle Ausdrücke sind, entsprechende genuin referentielle Verwendungen generieren das vermeintliche Problem für Borgs minimalistische Position. Daher gehe ich im Folgenden auch aus argumentationstechnischen Gründen von einer direktreferentiellen Semantik von Demonstrativa aus, die sich im Groben in einem Kaplanschen theoretischen Rahmen verorten läßt. Hierzu vorab noch zwei Klärungen: (i) Eine Frage, zu der ich jetzt noch nicht Position beziehe, ist, ob wir gerechtfertigterweise sagen können, daß Demonstrativa selbst – die Ausdruckstoken – referieren. Bach (1987:5f., 2013:5) ist der Auffassung, daß Demonstrativa keine semantischen Referenten (in etwa im Sinne von Kripke 1977) haben können und wir deshalb korrekterweise nur davon sprechen können, daß Sprecher mithilfe von Demonstrativa referieren. Daraus schließt Bach, daß Minimalisten Demonstrativa prinzipiell keinen genuin semantischen Gehalt zuweisen können, sondern lediglich eine Sprecherreferenz, die unter Rekurs auf die Intentionen des Sprechers bestimmt wird. Dieser Auffassung zuzustimmen wäre in gewisser Weise eine Vorentscheidung zugunsten eines Bachschen anti-intentionalistischen (aber nichtpropositionalistischen) Minimalismus, denn wenn es keine semantischen Referenten gibt, dann werden diese auch nicht unter Rekurs auf Sprecherintentionen bestimmt. Ich gehe daher um des Arguments willen zunächst davon aus, daß sich – in einem näher zu bestimmenden Sinne – auch bei Demonstrativa zwischen semantischer Referenz und Sprecherreferenz unterscheiden läßt und diskutiere diese Problematik in Kapitel 4 im Rahmen der Frage, wie die Referenten von Demonstrativa bestimmt werden. Zudem basiert Bachs Auffassung auf der Annahme, daß die referentiellen Ausdrücken entsprechende Komponente der ausgedrückten Proposition schlicht deren Referent selbst ist, die ich in Kapitel 5 zurückweise. (ii) Abschließend möchte ich noch auf einen allgemeineren Vorbehalt dagegen eingehen, Demonstrativa als referentielle Ausdrücke anzusehen. Genoveva Mart& zeigt in ihrem Aufsatz The Essence of Genuine Reference (1995) auf und kritisiert, daß mit ganz unterschiedlichen Referenzmechanismen ausgestattete Ausdrücke gleichermaßen unter dem Stichwort Direkte Referenz (DR) gehandelt und als referentiell bezeichnet werden. Nur im Fall von Eigennamen stehe der sprachliche Ausdruck jedoch per Konvention für den Bezugsgegenstand, so daß man sagen könne, daß Eigennamen (in einem Millschen Sinne) direkt, i. e. selbst, ohne jegliche Vermittlung referieren. Bei Indexikalia hingegen erfolge die Zuweisung von Referenten im Kontext durch Sprachregeln (i. e. deskriptive Bedingungen) vermittelt.
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Die deskriptive Vermittlung bei Indexikalia ist zwar in der Tat linguistisch gefordert und erfolgt von Kontext zu Kontext von neuem, sie ist jedoch nicht wesentlich, da die entsprechenden deskriptiven Gehalte nicht in den wahrheitskonditionalen Gehalt eingehen. Die semantischen Regeln leiten die Referenzbestimmung bei Indexikalia zugestandenermaßen auf eine ganz andere Weise als bei Eigennamen, bei denen der character keine deskriptive Regel zur Bestimmung der Referenten vorsieht. Dennoch können auch die Referenten von Eigennamen deskriptiv festgelegt werden (»Das erste Kind, das im neuen Jahrtausend geboren wird, soll »Newman« heißen«). Mart&s Auffassung, daß Eigennamen »selbst« referieren, setzt zudem voraus, daß Eigennamen relativ zu ihren Referenten individuiert werden (Tim1, Tim2, Tim3), anderenfalls könnten wir auch dort nur kontextrelativ Referenten zuweisen. Trotz des wichtigen Unterschieds, den Mart& präzise herausarbeitet, rechtfertigt die Gemeinsamkeit, daß im Ergebnis sowohl bei Eigennamen als auch bei Indexikalia nur »ein Wert zugewiesen wird«, meines Erachtens die Zusammenfassung unter dem Stichwort DR. Da sich Kaplans Paradigma der freien Variable auf beide Fälle anwenden läßt (vgl. Kaplan 1989b:484, 1989a:571f.), ist es zur Explikation von DR meines Erachtens deutlich besser geeignet als das Millsche Bild eines »Etiketts« (›tag‹). Obwohl Mart& diesbezüglich zur Vorsicht mahnt, sympathisiere ich daher weiterhin mit der Idee, »dies« als das Paradigma eines referentiellen Ausdrucks anzusehen. Der Grund dafür ist, daß einfache Demonstrativa außerordentlich wenig deskriptiven Gehalt haben und ihre Referenten sich nur mithilfe der linguistischen Regeln, die ihr character beinhaltet, prima facie nicht bestimmen lassen. Das macht einfache Demonstrativa sozusagen besonders frei für viele mögliche Zuweisungen von Referenten.
3.3
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Aus den gerade genannten Gründen sind einfache Demonstrativa wie »dies«, »dieses« oder »jener« sowie demonstrativ verwendete Pronomina wie »er« oder »sie« prädestiniert für direkte Bezugnahmen. Ihre semantischen Eigenschaften machen sie zu idealen Werkzeugen der Kommunikation von Gedanken, die bestimmte Gegenstände im oben erläuterten Sinne direkt, i. e. unabhängig von ihren Eigenschaften betreffen. Bevor wir uns die Grundlagen einer direktreferentiellen Semantik von Demonstrativa genauer ansehen, auch hier vorab noch drei wichtige Klärungen, die jeweils »verschobene Demonstrativa« (i), ana-
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phorisch verwendete Demonstrativa (ii) und komplexe Demonstrativa (iii) betreffen: (i) Neben der hier relevanten Verwendungsweise, bei der wir uns mithilfe von Demonstrativa direkt auf Gegenstände beziehen und mit den entsprechenden Sätzen singuläre Propositionen ausdrücken, gibt es bekanntermaßen auch anaphorische Verwendungen von Demonstrativa. Anaphorische Demonstrativa übernehmen den Referenten eines zuvor im Diskurs verwendeten Ausdrucks. Wir verwenden Demonstrativa anaphorisch, um abzukürzen – um den zuvor verwendeten, meist längeren Ausdruck nicht noch einmal wiederholen zu müssen. So können wir uns beispielsweise auf einen Gegenstand beziehen, der zuvor als Denotat einer Kennzeichnung eingeführt wurde. Beispiele wären Konversationsausschnitte der Art: »Stell dir jemanden vor, der F, G und H ist. Dieser Mann kommt nun auf dich zu und sagt …« oder »Haben Sie schon von dem Affen gehört, der x und y machen kann? Jetzt hat sich herausgestellt, daß dieser Affe auch z kann!«. Prima facie erscheint die Auffassung naheliegend, daß anaphorisch gebundene Demonstrativa in der gleichen Weise referieren, wie die Ausdrücke, an die sie gebunden sind. Nun können anaphorisch verwendete Demonstrativa auch an referentielle Ausdrücke wie Eigennamen oder andere Demonstrativa gebunden sein, so daß sich in solchen Fällen ggfs. sagen ließe, daß die so gebundenen Demonstrativa ebenfalls direkt referieren. Dennoch referieren die Demonstrativa auch in diesen Fällen nicht selbst direkt, sondern übernehmen lediglich die zuvor etablierte direkte Bezugnahme. Die meisten Theoretiker arbeiten daher unter der Annahme einer semantischen Ambiguität von Demonstrativa, obwohl Kaplan in den Afterthoughts bemerkt, daß die Unterschiede in den entsprechenden Verwendungen nicht in Begriffen einer lexikalischen Ambiguität gefasst werden müssen, sondern auch in Begriffen der syntaktischen Unterscheidung zwischen freien und gebundenen Vorkommnissen eingefangen werden können (vgl. Kaplan 1989a:572).85
85 Auch Husserl unterscheidet bereits explizit anaphorische und nichtanaphorische Verwendungen von Demonstrativa. Sein Unterscheidungskriterium ist, daß wir, während wir bei anaphorischen Verwendungen auf zuvor ausgedrückte Gehalte rekurrieren können, bei nichtanaphorischen neue, außerlinguistische Informationen zur Bestimmung des Referenten heranziehen müssen: »Die Vermittlung durch eine anzeigende Bedeutung dient hier nur der Kürze und der leichteren Regierung des Hauptzuges der gedanklichen Intentionen. Offenbar läßt sich dasselbe aber nicht von den gewöhnlichen Fällen sagen, wo das hinweisende dies und ähnliche Formen etwa das dem Sprechenden gegenüberstehende Haus, den vor ihm auffliegenden Vogel u. dgl. meinen. Hier muß die (von Fall zu Fall wechselnde) individuelle Anschauung supponieren, es genügt nicht der Rückblick auf die zuvor geäußerten objektiven Gedanken.« (Hua XIX/1, §26, 90)
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Es gibt aber auch Theoretiker, die eine einheitliche semantische Theorie von Demonstrativa anstreben, die auch anaphorische Verwendungen einfangen kann. So deutet Perry in Directing Intentions (2009) eine Möglichkeit der einheitlichen theoretischen Behandlung aller Demonstrativa an, die darauf basiert, daß wir bei anaphorischen Verwendungen zuvor hergestellte Verbindungen (›connections‹) zum Referenten ausbeuten, derart, daß der anaphorische Ausdruck dieselbe Verbindung mittelbar ausbeutet, die der nichtanaphorische direkt ausbeutet (beispielsweise eine perzeptuelle Verbindung). So sei es möglich, die Lesart des Satzes »If he waits for a bus, he waits for a bus«, in der er logisch valide ist, d. h. in der das zweite Pronomen anaphorisch an das erste gebunden ist, innerhalb einer einheitlichen Semantik von Demonstrativa zu erklären (siehe Perry 2009:200f).86 Perry scheint implizit vorauszusetzen, daß anaphorisch gebundene Ausdrücke letztlich auf die gleiche Weise referieren, wie die Ausdrücke, an die sie gebunden sind, i. e. daß bei der Vermittlung der Referenz die gleiche Verbindung genutzt wird. Diese Annahme erscheint mir nicht trivial, vielmehr erscheint mir das direkte im Gegensatz zum mittelbaren Ausbeuten entsprechender Verbindungen einen wesentlichen Unterschied zu konstituieren. Aber auch wenn wir von Perrys Annahme ausgehen, daß direkte Referenz sich auf die von ihm angedachte Weise übertragen läßt, kann Perry meinem Eindruck nach nicht die Verwendungen einfangen, bei denen anaphorisch verwendete Demonstrativa für Kennzeichnungen stehen. Perrys »connections« sind als Arten und Weisen zu verstehen, wie wir direkte demonstrative Bezugnahmen vermitteln. Man könnte sie auch als nichtdeskriptive Gegebenheitsweisen bezeichnen. Deskriptive Gegebenheitsweisen thematisiert Perry nicht, sie scheinen keine Verbindungen in seinem Sinne konstituieren zu können. Zudem gibt es in meinem erstgenannten Beispiel (»Stell dir jemanden vor, der …«) keinen Referenten, zu dem Sprecher und Hörer eine Verbindung im Sinne von Perry haben könnten. Es ist somit vorerst nicht zu sehen, wie alle Verwendungen von Demonstrativa in Perrys Rahmen behandelt werden könnten. Die spannende Frage, ob sich eine einheitliche Semantik von Demonstrativa entwickeln läßt, kann ich im Rahmen dieser Arbeit nicht angemessen behandeln. In Kapitel 4 präsentiere ich allerdings einen Vorschlag zur Referenzbestimmung von Demonstrativa, der in einer gewissen Weise aufgefaßt auch auf anaphorische Verwendungen von Demonstrativa angewendet werden kann. Im Folgenden geht es jedoch nur um nichtanaphorische, referentielle Verwendungen von Demonstrativa. 86 Diese Verwendung ist gewissermaßen ein Sonderfall, weil hier nicht abgekürzt, sondern der gleiche Ausdruck nocheinmal verwendet wird.
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(ii) Auch die Besonderheiten von komplexen Demonstrativa, die die Frage nach dem theoretischen Umgang mit ihrer deskriptiven Komponente aufwerfen, klammere ich im Rahmen der anstehenden Untersuchungen aus. Die meisten Theoretiker sind der Auffassung, daß komplexe Demonstrativa wie »dieser Tisch« oder »diese Bücher« referentielle Ausdrücke sind. Dennoch ist die Frage, ob komplexe Demonstrativa referentielle oder quantifizierte Ausdrücke sind, Gegenstand kontroverser Diskussionen, auf die ich hier nicht eingehen kann. Meiner Meinung nach sollte man nach Möglichkeit eine einheitliche Analyse einfacher und komplexer demonstrativer Ausdrücke bevorzugen, derzufolge komplexe Demonstrativa referentielle Ausdrücke sind, die mit einer deskriptiven Beschränkung (›constraint‹) bezüglich der Zuweisung von Referenten ausgestattet sind (vgl. dazu Borg 2000). King (2001) dagegen ist der Auffassung, daß alle Demonstrativa quantifizierte Ausdrücke sind. Wenn ich im Folgenden schlicht von Demonstrativa spreche, meine ich immer einfache Demonstrativa. (iii) Eine möglichst vollständige Betrachtung von Demonstrativa, wie sie mir vorschwebt, muß auch die sogenannten verschobenen Demonstrativa (›deferred demonstratives‹) mit einbeziehen – Verwendungen von Demonstrativa, bei denen durch die Demonstration eines Gegenstandes auf einen anderen referiert wird.87 In Kapitel 4, in dem es um die Referenzbestimmung bei Demonstrativa geht, argumentiere ich dafür, daß auch dies – entgegen der Auffassung mancher Theoretiker, derzufolge es sich bei solchen Verwendungen um deskriptive Verwendungen handelt – genuin referentielle Verwendungen von Demonstrativa sind. Als Unterklasse der Indexikalia gehören Demonstrativa unkontroverserweise zu den kontextsensitiven Ausdrücken. Ihr Gehalt kann von Verwendung zu Verwendung variieren und mit dieser Variation variiert auch die durch entsprechende Sätze ausgedrückte Proposition. Wie genau funktioniert nun die direkte Bezugnahme mittels Demonstrativa, was für ein Referenzmechanismus liegt ihr zugrunde? Mit seiner Unterscheidung zwischen dem character und dem content sprachlicher Ausdrücke hat Kaplan den theoretischen Grundstein für die Explikation des Referenzmechanismus von einfachen Demonstrativa gelegt (vgl. Kaplan 1989b[1977], 1979:83ff.).88 87 Vgl. dazu Quines Begriff der verschobenen Ostension (›deferred ostension‹) in Quine 1968:195. 88 Kaplan beansprucht jedoch nicht, die relevante Unterscheidung als erster gesehen zu haben: In On the Logic of Demonstratives hebt er hervor, daß Strawsons Unterscheidung zwischen der Signifikanz (›significance‹) eines Ausdrucks und der Aussage (›statement‹) oder Proposition, die mithilfe dieses Ausdrucks gemacht bzw. ausgedrückt wurde, in eine ähnliche Richtung geht, wobei Strawson die Sinnhaftigkeit (›meaningfulness‹) eines Ausdrucks als
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Kaplan bezeichnet die von der jeweiligen Verwendung bestimmte Ebene von Bedeutung als den content des entsprechenden Ausdruckstoken. Der Begriff des content läßt sich sowohl auf einzelne Ausdrücke als auch auf ganze Sätze anwenden. Der content ist das, was relativ zu Welten ausgewertet Extensionen liefert (je nach Art von Ausdruck Gegenstände, Mengen von Gegenständen oder Wahrheitswerte), formal läßt sich der content als Funktion von Auswertungsumständen zu Extensionen auffassen (vgl. Kaplan 1989b:500f.). Den content von Sätzen relativ zu Kontexten bezeichnet Kaplan auch als das Gesagte. Der content von Sätzen mit singulären Ausdrücken wie Demonstrativa an Subjektstelle ist eine singuläre Proposition. Der character ist dagegen die Ebene von Bedeutung, die über Kontexte hinweg konstant bleibt, da sie durch sprachliche Konventionen bestimmt ist. Der character bestimmt den content relativ zum Kontext bzw. beinhaltet Beschränkungen in Bezug auf mögliche contents und leitet die Bestimmung des content im Kontext an. Daher läßt sich der character formal als Funktion von Kontexten zu contents auffassen. Kaplan führt den Begriff folgendermaßen ein: The character of an expression is set by linguistic conventions and, in turn, determines the content of the expression in every context. Because character is what is set by
das Potential versteht, damit bestimmte Propositionen ausdrücken zu können. Aber, so Kaplan: »Unfortunately Strawson seems to regard the fact that sentences containing demonstratives can be used to express different propositions as immunizing such sentences against treatment by ›the logician‹« (Kaplan 1979:85f.). Seines Wissens habe er – Kaplan – die Unterscheidung als erster in einer Weise ausbuchstabiert, die den herrschenden Standards für logische und semantische Theorien genügt. An dieser Stelle ist es wichtig, zu erwähnen, daß Husserl in den Logischen Untersuchungen (LU) (1901) bereits eine analoge Unterscheidung zwischen zwei Ebenen von Bedeutung von ›wesentlich okkasionellen Ausdrücken‹ (sein Terminus für kontextsensitive Ausdrücke) macht. Er bezeichnet die beiden Ebenen von Bedeutung als allgemeine Bedeutungsfunktion oder anzeigende Bedeutung und angezeigte oder jeweilige Bedeutung. So lesen wir in § 26 der 1. LU: »In eigentümlicher Form sind hier, so werden wir wohl zugestehen müssen, zwei Bedeutungen aufeinander gebaut. Die eine, auf die allgemeine Funktion bezügliche, ist mit dem Worte derart verknüpft, daß sich im aktuellen Vorstellen eine anzeigende Funktion vollziehen kann; diese ihrerseits kommt nun der anderen, singulären Vorstellung zugute und macht deren Gegenstand, zugleich in der Weise der Subsumption, als das hic et nunc Gemeinte kenntlich. Die erstere Bedeutung könnten wir daher als anzeigende, die zweite als die angezeigte Bedeutung bezeichnen. / Was für die Personalpronomina gilt, das gilt natürlich auch für die Demonstrativa. Sagt jemand dies, so erweckt er im Hörenden nicht direkt die Vorstellung dessen, was er meint, sondern zunächst die Vorstellung bzw. Überzeugung, daß er etwas in seinem Anschauungs- oder Denkbereich Liegendes meine, auf das er den Hörenden hinweisen wolle. Unter den konkreten Umständen der Rede wird dieser Gedanke zur ausreichenden Richtschnur für das, was wirklich gemeint ist.« (Hua XIX/1, §26, 89) Husserls Theorie der Demonstrativa findet sich in den §§4–6 der VI. LU. Ob Husserls Explikation der Unterscheidung den von Kaplan erwähnten logischen Standards der 70er Jahre des 20. Jhs. entspricht, ist meines Erachtens mindestens diskutabel.
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linguistic conventions, it is natural to think of it as meaning in the sense of what is known by the competent language user. (Kaplan 1989b:505)89
Am Fall von Demonstrativa zeigt sich, daß die allgemeinere und die formale Weise, den Begriff des character aufzufassen eine gewisse Spannung generieren: Der character als konventionelle Bedeutung aufgefaßt (mit allen impliziten Regeln und Anweisungen) reicht nicht aus, um den content eindeutig zu bestimmen. Kaplan ist nämlich der Auffassung, daß der character nur bei reinen Indexikalia (›pure indexicals‹) wie »ich« oder »jetzt« eine Bestimmung der Referenten ermöglicht, während bei Demonstrativa (›true demonstratives‹) zusätzlich zur linguistisch kodierten Regel noch eine Demonstration zur Bestimmung des Referenten erforderlich ist (siehe Kaplan 1989b:490f.). Demonstration ist dabei als ein theoretischer Begriff und daher nicht zwingend im Sinne einer konkreten Zeigegeste zu verstehen. Wenn wir den character hingegen als Funktion zu contents auffassen, wird stipuliert, daß alles, was wir benötigen, um den content zu bestimmen, bereits in diese Funktion »eingesetzt« ist. Daraus resultiert, daß wir genaugenommen zwei character -Begriffe in Kaplans Demonstratives unterscheiden müssen. In Bezug auf den content gehen bei der Übertragung auf die formale Ebene bestimmte Differenzen verloren. Demonstrativa haben qua referentielle Ausdrücke einen über Auswertungswelten hinweg fixen content, der sich folglich als eine konstante Funktion auf Extensionen verstehen läßt. Wenn wir contents nun als Intensionen und diese wie üblich als Funktionen von möglichen Welten auf Extensionen verstehen, dann scheint sich zu ergeben, daß z. B. ein token von »heute« und ein token von »gestern« an zwei aufeinanderfolgenden Tagen geäußert, dieselbe Intension und folglich denselben fixen content haben. Das läßt erkennen, daß der Begriff der Intension so verstanden nicht alle Aspekte von Bedeutung einfangen kann, denn am Tag der ersten Äußerung ist der Referent sozusagen als »der heutige Tag« gemeint, während er am darauffolgenden Tag als »der gestrige Tag« sprachlich präsentiert bzw. mental thematisiert ist. Ein anderes Standardbeispiel für dieses Problem sind selbst-widersprüchliche Ausdrücke wie »rundes Viereck« oder »dreieckiger Kreis«. Sie haben die gleiche Intension (ihre Extension ist nämlich in allen möglichen Welten die leere Menge), dennoch haben sie klarerweise unterschiedliche Bedeutungen. Mit dem Begriff der Funktion kauft man sich offenbar die Tendenz ein, über solche Unterschiede in den sprachlich ausgedrückten kognitiven Perspektiven auf Referenten »hinwegzubügeln«. Um dieser Tendenz entgegenzuwirken, sollten wir Funktionen nicht allein über ihre Wertverläufe individuieren, d. h. als Mengen von n-Tupeln verstehen, bestehend aus Argument (= Welt) und Wert 89 Vgl. dazu auch Kaplan 1979:84.
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(= Extension, d. h. Individuum, Menge oder Wahrheitswert). Wir sollten Bedeutungsfunktionen (Intensionen) stattdessen als abstrakte Gegenstände verstehen, die diese Mengen von n-Tupeln bestimmen. So bleibt die Möglichkeit erhalten, daß unterschiedliche Funktionen die gleiche Menge von n-Tupeln bestimmen.90 Indem wir demgemäß in dem angeführten Fall zwei verschiedene Funktionen unterscheiden, die dennoch denselben Wertverlauf haben, i. e. über Welten hinweg denselben Wert bestimmen (nämlich einen bestimmten Tag), können wir den Unterschied in der linguistisch vermittelten Gegebenheitsweise des Referenten einfangen, ohne in eine verfehlte deskriptive Auffassung des content abzugleiten, bei der diese Gegebenheitsweise wahrheitskonditional relevant ist. Für meine Idee, Intensionsfunktionen nicht über ihre Argument-Wert-Tupel zu individuieren, spricht zudem, daß wir eine Funktion verstehen können, ohne ihre Wertverläufe komplett bestimmen zu können, d. h. ohne daß wir jedem Argument den entsprechenden Wert zuordnen können. So kann ich beispielsweise verstehen, was f(x)=x3 für eine Funktion ist, ohne in der Lage zu sein, den Funktionswert für die Zahl 23 zu berechnen. Funktionen in der Mathematik sind eindeutige Zuordnungen, ihre Wertverläufe sind durch die Funktion bestimmt, auch wenn die Ermittlung einzelner Funktionswerte für uns ggfs. nicht trivial ist. Aber heißt das ipso facto, daß Funktionen über ihre Wertverläufe individuiert sind?91 Diesbezüglich läßt sich eine Analogie zum Verstehen der Bedeutung von Kennzeichnungen herstellen: Um den Ausdruck »der Erfinder des Reißverschlusses« zu verstehen, muß man nicht wissen, wer den Reißverschluß erfunden hat.92 Erst recht müssen wir nicht wissen, wer den Reißverschluß hätte erfinden können. Es ist aus metaphysischen Gründen unmöglich, für alle möglichen Welten das Denotat zu bestimmen, da prinzipiell unendlich viele Gegenstände die deskriptive Bedingung erfüllen könnten. Auch im Zusammenhang mit Ausdrücken für natürliche Arten läßt sich eine analoge Überlegung anstellen: Zum Verstehen der sprachlichen Bedeutung von Ausdrücken wie »Buche« oder »Tiger« gehört die implizite Annahme, daß es ein 90 Eine ähnliche Idee ist mir im Nachhinein bei Smith & McIntyre (1982:284) begegnet, Smith & McIntyre gehen ihr jedoch aus dialektisch-methodischen Gründen nicht weiter nach, da es für den Carnap-Husserl-Vergleich, um den es ihnen an der relevanten Stelle geht, hinderlich sei, Carnaps Bedeutungsfunktionen nicht extensional aufzufassen, d. h. als Mengen von n-Tupeln der oben beschriebenen Art. 91 In diesem Zusammenhang stellt sich mir die Frage, ob es unterschiedliche mathematische Funktionen gibt, die dennoch exakt die gleichen Wertverläufe haben. Ein »banales« Beispiel wären die Funktionen f(x)=x+3–1 und f(x)=x+4–2, das ist aber nicht befriedigend, weil man die Rechnungen »3–1« und »4–2« vor dem Einsetzen ausführen kann und dann bereits die gleiche Funktion erhält. Gibt es ein nichtbanales Beispiel? 92 An dieser Stelle zeigt sich auch wieder die Relevanz des von Borg zurecht stets hervorgehobenen in Abschnitt 2.4 thematisierten Unterschieds zwischen »die Wahrheitsbedingungen kennen« und »den Wahrheitswert bestimmen können« (Verifikation).
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Kriterium gibt, anhand dessen sich die Zugehörigkeit zur Extension des jeweiligen Ausdrucks prüfen läßt. Dieses Kriterium hängt der gängigen und meines Erachtens plausiblen diesbezüglichen Auffassung zufolge an der unterscheidenden wesentlichen Eigenschaft der jeweiligen Art. Der kompetente Sprecher muß das Kriterium in der Regel nicht kennen, geschweige denn konkret anwenden können, d. h. in der Lage sein, für jedes vermeintliche Exemplar der Art zu bestimmen, ob dieses Exemplar zur Extension des jeweiligen Ausdrucks gehört oder nicht.93 Bei Ausdrücken für natürliche Arten hat die Analogie allerdings ihre Grenzen, denn bei dieser Klasse von Ausdrücken können wir uns gerade nicht vorstellen, daß unterschiedliche Kriterien die gleiche Menge von nTupeln bestimmen, anderenfalls würde es sich bei dem vermeintlichen Kriterium nicht um eine unterscheidende wesentliche Eigenschaft handeln. Ausdrücke für natürliche Arten sind insofern ein Sonderfall, als bei ihnen per Konvention vorgesehen ist, daß das Kriterium für die Zugehörigkeit zu Extension naturwissenschaftlich zu bestimmen ist (vgl. dazu Pavic´ 2013). Genau wie eine mathematische Funktion können wir also auch den content eines generellen Ausdrucks – den durch ihn ausgedrückten sub-propositionalen Gehalt – erfassen, ohne einen konkreten kognitiven Zugriff auf die Extension relativ zu Auswertungswelten, i. e. die entsprechende Menge von n-Tupeln, zu haben. Davon, daß dies alleine aufgrund der Anzahl solcher Tupel kognitiv unmöglich ist, habe ich zunächst abgesehen. Aber auch das ist ein weiterer Faktor, der dagegen spricht, Intensionen als Funktionen im »extensionalen« Sinne zu verstehen: Wenn Intensionen in diesem Sinne contents und somit (Bausteine von) Propositionen wären, dann könnten wir (sub)propositionale Gehalte nie vollständig erfassen. Eine absurde Konsequenz, die deutlich macht, daß die formale Auffassung von contents als Intensionen im Grunde nur zu Zwecken der Darstellung in einer formalen Semantik dienlich ist und nicht substantiell verstanden werden darf. Kaplan ist sich dieser und anderer Probleme, die sich bei der Übertragung seiner Theorie auf die formale Ebene einer mengentheoretischen Semantik ergeben, vollkommen bewußt und reflektiert die philosophischen Nachteile formal-semantischer Darstellungssysteme in Demonstratives ausgiebig. Wir können diese Probleme vorerst ignorieren. In Kapitel 5 befasse ich mich eingehender mit dem content von Demonstrativa und 93 In habe die Qualifikation »in der Regel« eingefügt, weil es nicht ausgeschlossen ist, daß das relevante Kriterium in der Sprachgemeinschaft allgemein bekannt ist, mit der Zeit in den Stereotypen im Sinne von Putnam (1975) eingeht und ggfs. sogar zu denjenigen Eigenschaften des Stereotypen gehört, ohne deren Kenntnis man nicht als ein kompetenter Verwender des relevanten Ausdrucks angesehen werden kann. So sind manche der Auffassung, daß man die linguistische Bedeutung von »Wasser« nicht vollständig versteht, wenn man nicht weiß, daß Wasser H2O ist. Dem würde ich nicht beipflichten, aber die Abgrenzung kann sehr schwierig sein und involviert unumgänglich einen Grad an Vagheit.
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anderen Indexikalia und komme in dem Zusammenhang wieder auf die Frage, ob sich bspw. der content von an aufeinanderfolgenden Tagen geäußerten token von »morgen« und »heute« ggfs. doch unterscheiden läßt. Spezifischer auf die zwei Ebenen von Bedeutung bezogen können wir nun in Übereinstimmung mit Pagin (2005:305) und Kaplan (1989b:506) sagen, daß der character von Demonstrativa kontextsensitiv ist, während ihr content kontextabhängig ist (vgl. die Einführung dieser Unterscheidung auf S. 48). Die linguistische Bedeutung »sagt« gewissermaßen, daß Demonstrativa sich nicht immer auf denselben Gegenstand beziehen müssen, die Variation der Referenten ist also per Konvention vorgesehen, sie ist Bestandteil der Regeln, die die Verwendung von Demonstrativa leiten. Man kann auch sagen, der character zeigt an, daß der content von Äußerungskontext zu Äußerungskontext variiert. Die Bestimmung der Referenten von Demonstrativa scheint für die Bestimmung des content entsprechender Sätze von zentraler Bedeutung zu sein, so daß eine Bestimmung des content in einem Äußerungskontext ohne die Bestimmung des Referenten nicht möglich zu sein scheint. Der content von Demonstrativa wird häufig sogar statt mit einer konstanten Funktion zu einem Gegenstand direkt mit dem entsprechenden Referenten identifiziert. Auf diese Thematik komme ich im Zuge der Diskussion von Russellschen Propositionen in Kapitel 5 zu sprechen, vorerst ist es nicht relevant, wie genau wir den content von Demonstrativa verstehen. Der content von Demonstrativa ist jedenfalls Bestandteil der mit entsprechenden Sätzen ausgedrückten Proposition und ist daher prima facie auch der semantische Gehalt von Demonstrativa. Demnach hinge auch der semantische Gehalt von Demonstrativa in einer substantiellen Weise am Referenten. Gleichzeitig können wir die Referenten von Demonstrativa allem Anschein nach nicht ohne einen substantiellen Rekurs auf den Äußerungskontext bestimmen. Das wiederum gibt Anlaß zur Annahme, daß für das Erfassen von Gehalten, die mithilfe von Demonstrativa ausgedrückt werden, eine besondere epistemische Beziehung zu den Referenten vonnöten ist, die nicht rein sprachlich vermittelt werden kann. Diese für das Erfassen singulärer Gehalte vermeintlich notwendigen epistemischen Voraussetzungen werden an Russell anknüpfend häufig unter dem Stichwort Bekanntschaft (›acquaintance‹) thematisiert. In gewisser Hinsicht sind einfache Demonstrativa auch für Russell das Paradigma eines referentiellen Ausdrucks, da sie dem am nächsten kommen, was er als einen logischen Eigennamen (›logically proper name‹) bezeichnet. Logische Eigennamen bestimmt Russell funktional als Ausdrücke, die direkt für einen Gegenstand stehen und nicht als Ersatz für eine Kennzeichnung fungieren. Logische Eigennamen sind also Ausdrücke, mit denen wir direkte Bezugnahmen ausdrücken. Russell zufolge ist Bekanntschaft mit dem Bezugsgegenstand Bedingung für direkte Bezugnahmen. Da Russell aufgrund seines Skeptizismus der
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Meinung ist, daß wir nur mit den eigenen Sinnes- oder Empfindungsdaten bekannt sein können, fungieren einfache Demonstrativa wie »dies« seiner Auffassung nach nur dann als logische Eigennamen, wenn wir damit auf die eigenen »Empfindungsdaten« referieren.94 Diesen für Russell einzig möglichen Anwendungsfall von logischen Eigennamen kann man auch als »innere Ostension« bezeichnen: Man demonstriert sich gewissermaßen selbst seine Wahrnehmungs- bzw. Empfindungsgehalte.95 Aus Russells skeptischer Konzeption von Bekanntschaft folgt, daß wir die Referenz von »dies« in der relevanten Verwendung nicht intersubjektiv vermitteln können. Russell charakterisiert seine Auffassung folgendermaßen: A name, in the narrow logical sense of a word whose meaning is a particular, can only be applied to a particular with which the speaker is acquainted, because you cannot name anything you are not acquainted with. […] That makes it very difficult to get any instance of a name at all in the proper strict logical sense of the word. The only words one does use as names in the logical sense are words like »this« or »that«. One can use »this« as a name to stand for a particular with which one is acquainted at the moment. We say »This is white«. If you agree that »This is white«, meaning the »this« that you see, you are using »this« as a proper name. But if you try to apprehend the proposition that I am expressing when I say »This is white«, you cannot do it. If you mean this piece of chalk as a physical object, then you are not using a proper name. It is only when you use »this« quite strictly, to stand for an actual object of sense, that it is really a proper name. And in that it has a very odd property for a proper name, namely that it seldom means the same thing two moments running and does not mean the same thing to the speaker and to the hearer. It is an ambiguous proper name, but it is really a proper name all the same, and it is almost the only thing I can think of that is used properly and logically in the sense that I was talking of for a proper name. (Russell 2010[1918]:29f.)96
In Bezug auf die Referenten von »dies« teilt heute wohl niemand mehr die durch Russells Skeptizismus motivierten Einschränkungen. Aber es ist noch immer umstritten, ob Bekanntschaft mit dem Referenten (in einem nichtskeptischen, 94 Gewissermaßen mittelbar, i. e. über Sinnesdaten vermittelt, können wir laut Russell auch mit Universalien bekannt sein, sowie weiterhin ggfs. mit uns selbst (vgl. 2001:27f.), der entsprechende Ausdruck wäre dann »ich«. Diese Fälle können wir hier ignorieren, da es hier um Entitäten geht, mit denen wir bekannt sind und auf die wir uns mit »dies« als einem logischen Eigennamen beziehen könnten. 95 Mit dem Phänomen der inneren Ostension beschäftigt sich auch Wittgenstein, z. B. in §398 der PU, wo er mit den Worten »Nur ich habe doch DIESES« seinem hypothetischen Gesprächspartner hilft, dem Gefühl Ausdruck zu geben, daß Vorstellungen (im Sinne von Frege) privat sind, oder in §412 der PU, wo er mit dem Satz »DIES solle durch einen Gehirnvorgang erzeugt werden!« das Gefühl der Unüberbrückbarkeit der Kluft zwischen Bewußtsein und Gehirnvorgang thematisiert. 96 Für eine prägnante Darstellung von Russells Konzeption eines logischen Eigennamens siehe Sainsbury 2005:19f.
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weiter auszubuchstabierenden Sinne) Bedingung für die intersubjektive Zugänglichkeit des semantischen Gehalts von Demonstrativa ist. Wenn das so wäre, dann könnte der semantische Gehalt nicht minimal im Sinne von Borg sein, da Bekanntschaft (unabhängig von der genauen Konzeption) außerlinguistische Verbindungen zum Referenten involviert.97 Aber auch ohne den umstrittenen Begriff der Bekanntschaft zu mobilisieren ist es naheliegend zu meinen, daß Rückschluß auf die Intentionen des Sprechers oder Rekurs auf einen pragmatischen Begriff der Salienz vonnöten ist, um die Referenten demonstrativer Bezugnahmen zu identifizieren, die wir für die Bestimmung des semantischen Gehalts der entsprechenden Sätze offenbar benötigen. Dies würde ein Problem für Borgs Minimalismus darstellen, denn ein Rekurs auf Faktoren, die über die Kenntnis sprachlicher Bedeutung und »formal handhabbarer Kontextfaktoren« hinausgehen, ist diesem zufolge bei der Bestimmung des semantischen Gehalts nicht erlaubt. Mit formal handhabbaren Kontextfaktoren meint Borg Faktoren wie Sprecher, Hörer, Ort und Zeitpunkt der Äußerung, für deren Bestimmung kein Rekurs auf intentionale Zustände von Sprechern nötig ist und die dem entsprechen, was Bach als den engen Kontext (›narrow context‹) bezeichnet. Die Regeln des character indexikalischer Ausdrücke wie »ich«, »du«, »hier«, »jetzt« oder »gestern« scheinen eine eindeutige Bestimmung des Referenten zu ermöglichen, jedenfalls ist Borg der Meinung, daß die Bestimmung ihres semantischen Gehalts für den anti-intentionalistischen Minimalisten kein Problem ist.98 Aber auf welchen Gegenstand wir uns mit einer Äußerung von »dies« beziehen, kann – so könnte man meinen – nicht auf diese Weise »formal« bestimmt werden. Der character von »dies« scheint vielmehr eine Bedingung zu beinhalten, die Rekurs auf oder Aufschluß über sogenannte intentionale Faktoren fordert, da der Bezugsgegenstand ohne diese prima facie nicht eindeutig bestimmt werden kann. So bestimmt die referentielle Intention des Sprechers nach Meinung der meisten Theoretiker mit, worauf ein demonstrativer Ausdruck in einem Kontext re-
97 Manche sind der Auffassung, daß schon das Hören der Äußerung eines Satzes wie »Dieser Mann ist sehr müde« uns aufgrund der über den Sprecher laufenden Kausalverbindung mit dem Referenten von »dieser Mann« bekannt macht. Diese starke Ausweitung des Bekanntschaftsbegriffs ist m. E. zum einen kontraintuitiv, da sie keine phänomenale Entsprechung zu haben scheint, und macht ihn zum anderen für theoretische Zwecke unbrauchbar. Ich kann sie an dieser Stelle ignorieren, da Borg so eine Auffassung von Bekanntschaft nicht geltend macht. 98 Recanati sieht das interessanterweise ähnlich (wie anhand des Zitats auf S. 164 deutlich wird), während ich Borgs Auffassung weiter unten in Zweifel ziehe. Zunächst konzentrieren wir uns aber auf Demonstrativa, bei denen das Problem am offensichtlichsten ist.
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feriert, auch wenn je nach Auffassung nochandere Faktoren dabei eine Rolle spielen.99 Borg versucht nun, uns davon zu überzeugen, daß diese Annahme, dem ersten Anschein zum Trotz, nicht in jeder möglichen Lesart zutrifft: Der semantische Gehalt von geäußerten Sätzen, in denen Demonstrativa vorkommen, lasse sich durchaus formal bestimmen. Daß die entsprechenden Propositionen in konkreten Sprechsituationen normalerweise auf eine Art und Weise erfasst werden, bei der linguistische Information mit nichtlinguistischer integriert wird, tut laut Borg der Tatsache keinen Abbruch, daß diese Integration keine notwendige Bedingung für das Erfassen des semantischen Gehalts entsprechender Sätze ist. Die Annahme, daß wir den semantischen Gehalt von Sätzen, bei deren Äußerung eine direkte sprachliche Bezugnahme mittels Demonstrativa stattfindet, ohne Rekurs auf nichtsprachliche bzw. nicht formal handhabbare Faktoren nicht erfassen können, basiere zentral auf der These, daß wir dazu mit den Bezugsobjekten in der Relation der Bekanntschaft (in Anlehnung an Russell) stehen müssen. Borg argumentiert gegen diese These und entwickelt eine alternative Konzeption des semantischen Gehalts der betreffenden Sätze, die ich im Folgenden vorstelle und kritisch diskutiere.
3.4
Borg: Eine Kaplansche und Davidsonsche Semantik von Demonstrativa?
Borg möchte ihren Minimalismus, der in der Davidsonschen Tradition wahrheitskonditionaler Semantik steht, mit Kaplans Einsichten vereinbar machen. In dem folgenden Zitat, das in ihrem Text eine programmatische Funktion hat, wirkt ihr Vorhaben stark erklärungsbedürftig: [R]ather than thinking of the content of these expressions directly in terms of the objects they pick out in the world, we should think of such content in terms of the kinds of mental objects entertained in thought when the expressions are understood. I will suggest, we can capture the insight that the proper content of a referential expression is exhausted by the object to which it refers without requiring that there are specifications of truth-conditions which contain these objects themselves as constituents. The argument of ensuing sections then will be that there is nothing in the non-propositional nature of truth-conditional semantics which places the key insights of Kaplan’s account of direct reference out of reach. (Borg 2004:164)
99 In Kapitel 4 werde ich verschiedene Versuche diskutieren, den character von einfachen Demonstrativa möglichst genau zu explizieren und einen an Mount (2008) anknüpfenden Vorschlag plausibel machen, bei dem der Begriff der Salienz eine zentrale Rolle spielt.
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Borg ist einerseits der Meinung, daß die semantischen Gehalte von Sätzen mit einfachen Demonstrativa an Subjektstelle Russellsche Propositionen sind. Sie ist aber gleichzeitig auch der Auffassung, daß Propositionen tout court und somit auch Russellsche Propositionen nicht in einer wahrheitskonditionalen Semantik vorkommen. Wie paßt das zusammen? Nach einer kommentierten Darstellung von Borgs Versuch, diese unterschiedlichen Theoriestränge unter einen Hut zu bringen, zeige ich anhand von drei Argumenten auf, daß ihr dies nicht gelingt und komme am Ende des Abschnitts zu dem Schluß, daß ein semantischer Minimalismus im Geiste Borgs es erfordert, den Begriff der Proposition von dem der Wahrheitsbedingung zu entkoppeln. Meinem Leseeindruck nach läßt sich in Borgs Minimal Semantics (2004) eine gedankliche Bewegung in diese Richtung ausmachen, allerdings ohne daß Borg ihre Gedanken konsequent zu Ende führt. Dies übernehme ich dann im folgenden Abschnitt 3.5, indem ich auf verschiedene Weise aufzeige, warum wir die von Borg propagierten konditionalisierten Wahrheitsbedingungen als semantische Gehalte von Sätzen mit Demonstrativa ansehen können, obwohl ihre Nachsätze nicht die Ebene eines propositionalen Gehalts erreichen. Borg lehnt die Auffassung ab, daß Bekanntschaft mit dem Referenten eine Bedingung für das Erfassen einer Russellschen Proposition ist. Ihrer Auffassung nach gibt es so etwas wie einen rein sprachlich vermittelten Zugang zu einer Russellschen Proposition. Wie funktioniert das und reicht ein solcher Zugang tatsächlich für das Erfassen singulärer Gehalte aus? Ermöglicht das Ablehnen von Beschränkungen durch die Forderung nach Bekanntschaft mit dem Referenten einen rein linguistischen Zugang zu singulären Gehalten? Ich zeige zunächst auf, wie Borg diesen Zugang konzipiert und prüfe dann, ob in den zur Diskussion stehenden Fällen tatsächlich Russellsche Propositionen vom Hörer erfaßt werden. Meine Argumente werden zeigen, daß Borgs Idee eines rein sprachlichen kognitiven Zugangs zu Russellschen Propositionen nicht funktioniert. Dieses Ergebnis wirft von neuem die Frage auf, ob eine Art von Bekanntschaft mit dem Referenten Bedingung für das Erfassen entsprechender singulärer Propositionen ist. Führt die Zurückweisung von Borgs »formalem« Zugang zu Russellschen Propositionen dazu, daß die epistemischen Beschränkungen im Hinblick auf das Erfassen singulärer Gehalte durch die Hintertür wieder hereinkommen? Meine Überlegungen werden zeigen, daß eine Form von Bekanntschaft mit den Referenten der entsprechenden Ausdrücke in der Tat eine notwendige Bedingung für das Erfassen singulärer Gehalte ist, wenn wir diese Gehalte als Russellsche Propositionen verstehen wollen. Im Zuge meiner Motivierung und Verteidigung einer nicht-Russellschen Konzeption singulären Gehalts in Kapitel 5 werden die Karten allerdings neu gemischt. Im Folgenden gehe ich mit Borg um des Arguments willen davon aus, daß die semantischen Gehalte
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von Sätzen mit Demonstrativa (kurz: demonstrativen Sätzen) Russellsche Propositionen sind. Ich behandele die Fragestellung anhand des Beispiels einer Äußerung des Satzes (S1), den auch Borg zur Darstellung ihrer Position verwendet (vgl. Borg 2004:165, 192–1996, 205): (S1) Dies ist rot. In Borgs Beispiel einer Äußerung von (S1) gibt es eine Asymmetrie zwischen Sprecher S und Hörerin H bezüglich ihres epistemischen Zugangs zum Bezugsgegenstand von »dies«: S bezieht sich mit »dies« auf einen Gegenstand, den er sieht und H ist nicht der von S intendierte Adressat. H hört S’ Äußerung von (S1) zufällig aus einer gewissen Entfernung und hat weder über die Wahrnehmung noch über Erinnerung o. ä. einen mentalen Zugang zum Bezugsgegenstand. H weiß in einem unmittelbaren, vortheoretischen Sinne nicht, worauf S sich mit seiner Äußerung von »dies« bezieht. Dennoch hat H laut Borg mittels der gehörten Äußerung von (S1) in gewisser Weise eine Perspektive auf den Referenten, nämlich als den Gegenstand, auf den S sich bezieht. Über diese Perspektive verfügt H in der gegebenen Situation allein aufgrund ihrer semantischen Kompetenz. Es geht Borg nun um den Gehalt, den H ausschließlich aufgrund ihrer Sprachkompetenz erfaßt: Sie bedient sich der Asymmetrie zwischen Sprecher und Hörerin, um zu zeigen, daß für das Erfassen des semantischen Gehalts von (S1) kein Rekurs auf den weiten Kontext (bei dem beispielsweise die Blickrichtung oder die referentiellen Intentionen des Sprechers eine Rolle spielen könnten) notwendig ist. Borg zufolge erfaßt H den semantischen Gehalt von (S1) – eine Russellsche Proposition – mittels der durch (S1) ausgedrückten konditionalisierten Wahrheitsbedingung, die sich folgendermaßen darstellen läßt (vgl. Borg 2004:165):100 (S1WB) Wenn der Sprecher von (S1) sich mit »dies« auf a bezieht, dann ist (S1) wahr gdw. a rot ist. Wie kommt H Borg zufolge nun von dieser Wahrheitsbedingung zu der ausgedrückten Russellschen Proposition? Als kompetente Sprachverwenderin weiß H (implizit), daß die Bedingung, die der Referent erfüllen muß – etwa der Gegenstand zu sein, auf den S sie hinweisen will – nicht Teil der ausgedrückten Proposition ist. Der Wahrheitswert des geäußerten Satzes hängt ausschließlich davon ab, wie es sich mit einem bestimmten Gegenstand – a – verhält. H kann a 100 Die Idee einer konditionalisierten Wahrheitsbedingung übernimmt Borg von Higginbotham (1994).
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aber nur mittels der im Vordersatz des Konditionals genannten deskriptiven Bedingung mental thematisieren. Borgs Lösung der durch das zu Beginn des Abschnitts angeführte Zitat aufgeworfenen Spannung besteht nun darin, zu behaupten, daß der semantische Gehalt von (S1) nicht die ganze konditionalisierte Wahrheitsbedingung ist, sondern nur ein Teil von (S1WB), nämlich der Nachsatz des Konditionals. Wir erfassen den semantischen Gehalt sozusagen mithilfe der Wahrheitsbedingung. Salopp formuliert könnte man sagen, die Wahrheitsbedingung »im engeren Sinne« sei nur der Nachsatz des Konditionals. Demnach müßte der zweite Teil dieses Nachsatzes (»a ist rot«) für eine Russellsche Proposition stehen, die sich – der gängigen Konvention entsprechend – auch folgendermaßen darstellen ließe:101 (S1RP) Borg zufolge kommt im Nachsatz des Konditionals aber nichts vor, was für eine Russellsche Proposition steht. Im zu Beginn dieses Abschnitts angeführten Zitat (vgl. S. 122) behauptet sie explizit, daß Wahrheitsbedingungen ausschließlich aus begrifflichen Komponenten bestehen; es sei merkwürdig, Bezugsgegenstände selbst als Bestandteile der rechten Seite einer Wahrheitsbedingung aufzufassen. Wie kommt die Verbindung zwischen Wahrheitsbedingung (S1WB) und Russellscher Proposition (S1RP) dann zustande? Laut Borg erfasst die Hörerin den semantischen Gehalt von (S1) mittels eines syntaktisch generierten singulären Begriffs, dessen »Inhalt« der Bezugsgegenstand ist. Sie ist nicht mit dem Inhalt seines singulären Begriffs bekannt und kann den Referenten nur mittels der deskriptiven Bedingung denken, die sich durch die »Anwendung« des character von »dies« auf den im Rahmen von (S1) geäußerten token ergibt. Daher müsse man laut Borg auch auf der Ebene von Begriffen zwischen character und content unterscheiden. Sowohl S als auch H verfügen über einen singulären Begriff, dessen Inhalt der Bezugsgegenstand ist, aber diese Begriffe unterscheiden sich. H verfügt »nur« über einen syntaktisch generierten singulären Begriff, während S’ Begriff einen anderen, nichtdeskriptiven Zugang zum Referenten involviert. Borg würde sagen, die Begriffe haben den gleichen content, aber einen unterschiedlichen character. Ungünstigerweise changiert Borg in Bezug darauf, wofür a in (S1WB) steht: Wenn die Wahrheitsbedingung (S1WB) thematisch ist, steht a für den syntaktisch generierten singulären Begriff; wenn es um die Russellsche Proposition geht, ist a dagegen der Referent, d. h. der »Inhalt« dieses Begriffs (vgl. Borg 101 a steht für den Referenten von »dies«, R für die Eigenschaft, rot zu sein.
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2004:197,204).102 In manchen Passagen lesen wir wiederum, daß nicht der Referent selbst, sondern der syntaktisch generierte singuläre Begriff (dessen Inhalt der Referent ist), die propositionale Konstituente ist, die dem demonstrativen Ausdruck entspricht (vgl. Borg 2004:168, Fn. 18). Nähmen wir sie hier beim Wort, wäre Borg also doch keine Verfechterin Russellscher Propositionen. Was Borg offenbar meint, ist jedoch, daß wir die relevante Konstituente der Russellschen Proposition – also den Referenten – mittels dieses Begriffs denken, der daher in (S1WB) benötigt wird. Aber auch das generiert Probleme, denn »Dies ist rot« ist nicht wahr, wenn ein syntaktisch generierter singulärer Begriff rot ist. Was genau steuert ein demonstrativer Ausdruck laut Borg also zur ausgedrückten Proposition bzw. Wahrheitsbedingung bei? Borg hebt hervor, daß die rechte Seite von T-Sätzen in ihrem einer Davidsonschen Tradition verpflichteten Ansatz nicht für Propositionen steht. Die rechte Seite einer Wahrheitsbedingung muß, meinem Verständnis des Davidsonschen Ansatzes entsprechend, als ein begriffliches Schema aufgefaßt werden, welches für eine mögliche Komposition von Extensionen steht. Mögliche Kompositionen von Extensionen sind Sachverhalte; sie werden durch die Ausdrücke der Metasprache bestimmt und fungieren sozusagen als »Wahrmacher« für den jeweiligen geäußerten Satz: Wenn der Sachverhalt realisiert ist (i. e. eine Tatsache ist), dann ist der Satz wahr. Wir haben also nur links den natürlichsprachlichen Satz und rechts die Ausdrücke der Metasprache, die die Wahrheitsbedingung rein extensional bestimmen. Ganz zufrieden ist Davidson zugegebenermaßen nicht damit, die rechte Seite einer Wahrheitsbedingung so zu verstehen, daß die Ausdrücke der Metasprache für einen Sachverhalt stehen, da er der Auffassung kritisch gegenübersteht, derzufolge die Wahrheit von Sätzen darin besteht, daß sie mit Tatsachen übereinstimmen: That experience takes a certain course, that our skin is warmed or punctured, that the universe is finite, these facts, if we like to talk that way, make sentences and theories true. But this point is put better without mention of facts. The sentence »My skin is warm« is true if and only if my skin is warm. Here there is no reference to a fact, a world, an experience, or a piece of evidence. (Davidson 1973:16)
Die Frage, was durch den metasprachlichen Satz bestimmt wird, bleibt dabei allerdings weiterhin offen, so daß wir uns hier trotz der bekannten Probleme mit der Individuierung von Tatsachen (»The chief difficulty is in finding a notion of 102 An dieser Stelle sei angemerkt, daß empirische Gegenstände m. E. nicht die Inhalte, sondern nur die Referenten von singulären Begriffen sein können; die Inhalte solcher Begriffe sind deskriptive oder nichtdeskriptive Charakterisierungen oder Gegebenheitsweisen der Referenten. Dieser Punkt hängt mit der generellen Problematik zusammen, die durch die Annahme von Russellschen Propositionen generiert wird und auf die ich in Kapitel 5 zu sprechen komme.
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fact that explains anything, that does not lapse, when spelled out, into the trivial or the empty.« Davidson 1969:748, vgl. auch Davidson 1969: 752f., 758f.) mit der Auffassung begnügen können, daß die Ausdrücke auf der rechten Seite des Nachsatzes von (S1WB) für einen Sachverhalt stehen für eine mögliche Komposition von Extensionen. Die »nichtpropositionale Natur« der wahrheitskonditionalen Semantik bei Davidson rührt vor allem daher, daß Davidson Wahrheit als Relation zwischen Sätzen, Sprechern und Zeitpunkten verstehen will, ohne auf den Begriff der Proposition zu rekurrieren. Was es heißt, eine wahre Aussage zu machen, möchte Davidson primär in Begriffen von konventionellen Relationen zwischen Worten und Dingen erklären, wobei das erste Relatum Worte so wie sie von einem bestimmten Sprecher in einer bestimmten Situation verwendet werden sind (vgl. Davidson 1969:754). So läßt sich verständlich machen, warum Borg in dem oben angeführten programmatischen Zitat ohne weitere Explikation von der nichtpropositionalen Natur wahrheitskonditionaler Semantik spricht. Die für eine philosophisch reflektierte Semantik und den Begriff der Wahrheitsbedingung relevanten Punkte bleiben unberührt, wenn wir, der gängigen an Frege anknüpfenden Auffassung entsprechend, Propositionen als die primären Träger von Wahrheitswerten ansehen. Wir können mit Davidson davon sprechen, daß Sätze relativ zu bestimmten Parametern (wie Sprecher, Zeitpunkt etc.) Wahrheitsbedingungen bestimmen, und gleichzeitig Propositionen als die Gehalte ansehen, die wir normalerweise mithilfe von Sätzen ausdrücken – die Objekte unserer Einstellungen. Propositionen lassen sich prinzipiell feinkörniger individuieren als Wahrheitsbedingungen. Ein Sachverhalt kann prinzipiell durch viele verschiedene Propositionen bestimmt werden, so daß ein Sachverhalt eine Äquivalenzklasse von Propositionen bestimmt, die alle die gleiche Wahrheitsbedingung haben. Standardbeispiele sind Propositionen, die wir durch Sätze ausdrücken, die unterschiedliche koreferentielle singuläre Ausdrücken enthalten, mithilfe derer wir demselben Gegenstand dieselbe Eigenschaft zuschreiben, die aber jeweils eine andere Gegebenheitsweise des Referenten transportieren (»Hesperus/Phosphorus«, »Superman/Clark Kent«, »dieser Professor/Wolfgang Carl«). Nun sind Russellsche Propositionen allerdings so grobkörnig, daß sie sich nicht von Sachverhalten unterscheiden lassen. Sie sind ebenfalls rein extensional bestimmt. Deshalb könnte Borg im Fall von (S1) durchaus sagen, daß die Ausdrücke der Metasprache auf der rechten Seite des Nachsatzes von (S1WB) für eine Russellsche Proposition stehen. Das a in (S1WB) muß in der Tat für den Referenten von »dies« stehen. Aber auch wenn die rechte Seite des Nachsatzes von (S1WB) für eine Russellsche Proposition steht, heißt das nicht, daß man beim Erfassen von (S1WB) ipso facto auch die mittels (S1) ausgedrückte Russellsche
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Proposition erfaßt. Gerade deshalb war es ja notwendig, die Wahrheitsbedingung in eine konditionalisierte Form zu bringen. Die aufgezeigten expositorischen Probleme bei Borg verweisen auf eine theoretische Unklarheit hinsichtlich der Frage, wie der Hörer von (S1) ohne außerlinguistische Information die Verbindung zwischen der Wahrheitsbedingung (S1WB) und der mittels (S1) ausgedrückten Russellschen Proposition (S1RP) herstellen soll. Es fällt auf, daß Borg und ihre kontextualistischen Gegner sich darüber einig sind, daß durch Sätze wie (S1) Russellsche Propositionen ausgedrückt werden. Der semantische Gehalt / la Borg und das Gesagte fallen hier zusammen. Das ist bemerkenswert, denn in der Debatte um die Semantik/Pragmatik-Unterscheidung ist es üblicherweise so, daß Kontextualisten die »minimale semantische Proposition« ablehnen und ihr einen pragmatisch angereicherten Gehalt entgegensetzen. Hier ist es hingegen so, daß die Kritiker Borg vorhalten, daß sie die entsprechende Russellsche Proposition im Rahmen ihrer Theorie nicht kohärenterweise als den semantischen Gehalt ansehen kann. Offenbar erscheint es vielen Theoretikern intuitiv unmöglich, mittels eines singulären Begriffs, der allein aufgrund des sprachlichen Verstehens des relevanten demonstrativen Ausdrucks gebildet wurde und dessen Inhalt wir nur deskriptiv »identifizieren« können, eine Russellsche Proposition zu erfassen, deren relevante Konstituente eben dieser »Inhalt« ist – der Referent.103 Ich habe in der Literatur allerdings bisher keinen ausgearbeiteten Versuch gefunden, diese These argumentativ zu begründen. Im Folgenden führe ich drei Überlegungen an, die zeigen, daß wir über die durch (S1) ausgedrückte Wahrheitsbedingung nicht gleichzeitig auch eine Russellsche Proposition erfassen.
103 So ist auch Husserl der Auffassung, daß die Ebene des content, den er als die jeweilige Bedeutung bezeichnet erst im Zuge der konkreten Identifizierung des Referenten erreicht wird. In den Logischen Untersuchungen (1901) schreibt er : »Sagt jemand dies, so erweckt er im Hörenden nicht direkt die Vorstellung dessen, was er meint, sondern zunächst die Vorstellung bzw. Überzeugung, daß er etwas in seinem Anschauungs- oder Denkbereich Liegendes meine, auf das er den Hörenden hinweisen wolle. Unter den konkreten Umständen der Rede wird dieser Gedanke zur ausreichenden Richtschnur für das, was wirklich gemeint ist. Das vereinzelt gelesene dies entbehrt wieder seiner eigentlichen Bedeutung, und verstanden wird es nur insofern, als es den Begriff seiner hinweisenden Funktion (das, was wir die anzeigende Bedeutung nennen) erregt. Die volle und wirkliche Bedeutung aber kann sich in jedem Falle seiner normalen Funktion nur auf Grund der sich zudrängenden Vorstellung dessen entfalten, worauf es sich gegenständlich bezieht.« (Hua XIX/1, §26, 89) In Husserls theoretischem Bild gibt es keine Russellschen Propositionen, dennoch vertritt Husserl klarerweise bereits eine Version einer Theorie der direkten Referenz.
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Die Existenz-Bedingung
Das Erfassen einer Russellschen Proposition impliziert die Existenz des relevanten Bezugsgegenstandes. Wenn es keinen Referenten des relevanten referentiellen Ausdrucks gäbe, dann gäbe es keine Russellsche Proposition, die dem geäußerten Satz entspricht, sondern nur eine Art propositionales Schema mit Leerstelle für die dem referentiellen Ausdruck entsprechende Konstituente. Qua zeitlose Entitäten können Russellsche Propositionen sowohl gegenwärtig existierende, als auch in der Vergangenheit und Zukunft existierende Gegenstände enthalten. Die Existenz-Bedingung muß also entsprechend der in der Sprachphilosophie üblichen Weise weit verstanden werden, die Gegenstände mit einschließt, die existiert haben (z. B. Aristoteles) oder existieren werden.104 Nun können wir von der Existenz eines Gegenstandes kein semantisches Wissen haben, i. e. Wissen, über das wir allein aufgrund unserer Sprachkompetenz verfügen oder mittels dieser erlangen können. Bei Lichte besehen weiß die Hörerin H in Borgs Beispiel nicht, ob es einen Referenten von »dies« gibt: Daß es einen Bezugsgegenstand gibt, ist keine Information, die durch (S1) sprachlich ausgedrückt wird. Es handelt sich vielmehr um eine Präsupposition, deren Erfüllt-Sein nicht via Sprachverstehen überprüft werden kann. Dieses simple semantische Argument dagegen, daß H in Borgs Beispiel eine Russellsche Proposition erfasst, korrespondiert mit dem phänomenologischen Befund, daß wir zwar eine objektabhängige Wahrheitsbedingung in einer konditionalisierten Form angeben und erfassen können – sozusagen mit dem Proviso, daß es einen Referenten gibt – während so etwas wie singuläres Denken unter Vorbehalt nicht möglich ist. Wir können nicht von einem Gegenstand etwas glauben, hoffen, fürchten, »vorausgesetzt, es gibt ihn«. Borgs Auffassung zufolge können wir gewissermaßen rein formal singulär denken, meine Überlegung zeigt aber, daß das, was uns die konditionalisierte Wahrheitsbedingung (S1WB) qua begriffliches Schema liefert, in Wahrheit nicht ausreicht, um Russellschen Gehalt mit dem realistischen, externalistischen Anspruch, der dahinter steht, tatsächlich zu erfassen.105 Die Plausibilität dieser These veranschauliche ich im Folgenden anhand von Beispielen. 104 Wenn wir mit Russell davon ausgehen, daß wir nur Propositionen erfassen können, mit deren Konstituenten wir (in einer näher zu bestimmenden Weise) bekannt sind, folgt, daß wir prinzipiell nicht in der Lage sind, Russellsche Propositionen zu erfassen, die zukünftige Gegenstände enthalten. Mehr dazu im Folgenden. 105 Wie bereits angekündigt, argumentiere ich in Kapitel 5 im Rahmen meiner alternativen Konzeption von demonstrativem Gehalt gegen die weit verbreitete Auffassung, daß die Referenten selbst Konstituenten singulärer Propositionen sind und versuche, eine neoFregesche Auffassung plausibel zu machen, derzufolge spezifische objektabhängige Sinne – »de re-Sinne« – die relevanten subpropositionalen Gehalte sind. Des Weiteren argumentiere ich dort dafür, daß wir singuläre Gehalte denken und intersubjektiv teilen können,
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Auch Perry (2009) ist wie Borg der Auffassung, daß die Hörerin in Situationen der beschriebenen Art die ausgedrückte Russellsche Proposition erfasst, nur nicht auf die gleiche Weise wie der Sprecher. Perry spricht von einer Verbindung (›connection‹) zum Referenten, die bereits durch das Hören einer Äußerung zustande kommt: If I say, »He is a fool«, you understand that, if my remark is true, someone is a fool. Who? The person I referred to with »he«. That’s one connection you have to the person about whom I am talking, one way you can think of him. If my remark comes out of the blue, that will be all you can discern about this fellow ; you have only one channel of information about him, what I say. (Perry 2009:196)
Die zitierte Passage läßt in unterschiedlichen Hinsichten sowohl Parallelen zu Borgs Auffassung bezüglich des Erfassens des semantischen Gehalts von Demonstrativa als auch zu Evans’ Begriff der Informationsverbindung (›information-link‹) erkennen. Evans’ starken Bedingungen für singuläres Denken zufolge ist eine Informationsverbindung zu einem Gegenstand nicht hinreichend für singuläres Denken (siehe Evans 1982: 145–150), während eine solche Verbindung für Borg dafür nicht notwendig ist. Borg kommt es nicht auf eine mittels der Äußerung des Sprechers hergestellte (Kausal-)Verbindung zum Referenten an, sondern darauf, daß Sprachverstehen singuläres Denken »auslösen« kann. Perry hingegen scheint (ohne Begründung) anzunehmen, daß die so gewonnene »Verbindung« zum Referenten nichtdeskriptiver Natur ist (vgl. Perry 2009:196). Er erläutert seine diesbezügliche Auffassung nicht weiter, aber allem Anschein nach hat er dabei eine sehr weite Konzeption von Bekanntschaft im Sinn, derzufolge Kausalketten der beschriebenen Art eine Bekanntschaft konstituierende, nichtdeskriptive Verbindung zum Referenten schaffen, die das Unterhalten von de re-Gedanken über den Referenten ermöglicht. Kann das Hören der Äußerung eines referentiellen Ausdrucks tatsächlich eine »Verbindung« zum Referenten herstellen – derart, daß wir die ausgedrückte Russellsche Proposition erfassen können? Auch hier ist zu bedenken, daß wir ohne einen Referenten keine Russellsche Proposition bekommen. Die sprachliche Äußerung alleine garantiert noch keine Verbindung zu einem Referenten. Das kann man sich leicht an einem Beispiel vor Augen führen: Nehmen wir an, der Sprecher will die Hörerin, die in diesem Falle auch die Adressatin der Äußerung ist, aus bestimmten Gründen (z. B. damit sie etwas nicht sieht) dazu bringen, ihre Blickrichtung zu wechseln und sagt: ohne daß es entsprechende real existierende Referenten gibt. In solchen Fällen erfassen beide Konversationspartner idealerweise den gleichen »quasi-de re-Sinn«. Das ist aber etwas ganz anderes, als der unter-Vorbehalt-Fall bezüglich des von Borg postulierten Zugangs zum semantischen Gehalt von (S1). Wir können nicht unter dem Vorbehalt singulär denken, daß es das (via deskriptive Bedingung) intendierte Objekt unseres Denkens gibt!
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(S2) Dieser Mann sieht ja völlig heruntergekommen aus! obwohl dort niemand ist. Ohne weitere Explikation müßte Perry auch hier sagen, daß aufgrund der Äußerung eine Verbindung zu einem Referenten hergestellt bzw. von der Hörerin ausgebeutet wird und die Hörerin auf diese Weise eine singuläre Proposition erfasst. Aber es gibt nichts, zu dem die Hörerin hätte in Verbindung gebracht werden können oder das Konstituente einer (vermeintlich ausgedrückten) Russellschen Proposition hätte sein können. Hier haben wir, wie in den Beispielen von Borg und Perry, implizit vorausgesetzt, daß die Hörerin die Äußerung des Sprechers ernst nimmt, d. h. daß sie davon ausgeht, daß die Aufrichtigkeitsbedingung im Sinne von Searle erfüllt ist. Die Aufrichtigkeitsbedingung für Sprechakte des Behauptens besagt, daß der Sprecher die ausgedrückte Proposition auch glauben muß (vgl. Searle 1969:60– 67 sowie Searle 1983:9f.). Dabei wird wiederum vorausgesetzt, daß der Sprecher auch tatsächlich eine Proposition ausdrückt. Der propositionale Akt des Behauptens nach Searle beinhaltet (bei Äußerungen von Behauptungssätzen mit referentiellen Ausdrücken an Subjektstelle) einen nominalen Akt der Referenz. Folglich impliziert das Erfüllt-Sein der Aufrichtigkeitsbedingung, daß dem relevanten Sprechakt eine mentale Bezugnahme zugrunde liegt, der Sprecher intendiert, diese mentale Bezugnahme auszudrücken und den verwendeten sprachlichen Ausdruck als hierfür geeignet ansieht. Genau genommen geht es hier nur um das Erfüllt-Sein dieses Teils von Searles Aufrichtigkeitsbedingung, i. e. um das Vorhandensein einer referentiellen Intention. Dieser Teil der Aufrichtigkeitsbedingung kann auch dann erfüllt sein, wenn der Sprecher lügt und die Aufrichtigkeitsbedingung als ganze nicht erfüllt ist. Ein Sprecher kann einem Gegenstand ein Prädikat zuschreiben, von dem er weiß oder glaubt, daß es nicht zutrifft, ohne daß die Bezugnahme als solche vorgetäuscht ist. Ohne Gründe, die dagegen sprechen, wäre es irrational, nicht davon auszugehen, daß die Aufrichtigkeitsbedingung für Sprechakte erfüllt ist: Wir sind aufgrund von Wahrscheinlichkeitserwägungen gerechtfertigt, davon auszugehen, daß die Aufrichtigkeitsbedingung erfüllt ist, wenn keine Evidenz für das Gegenteil vorliegt. Anderenfalls müssten wir uns permanent diesbezüglich absichern und könnten nicht schnell und effektiv kommunizieren. Aber daß der Sprecher aufrichtig ist, ist außersprachliche Information und kann nicht für die Bestimmung des semantischen Gehalts im Sinne des Minimalismus herangezogen werden. Es handelt sich dabei nicht um semantisches Wissen aufseiten des Hörers. Als semantisches Wissen kann man allenfalls Wissen um die Tatsache bezeichnen, daß mithilfe von referentiellen Ausdrücken nur im Falle einer gelungenen Referenz eine Russellsche Proposition ausgedrückt werden kann, aber nicht Wissen darüber, ob dies im Rahmen einer bestimmten Äußerung tatsächlich geschehen ist. In den Beispielen von Borg und Perry liegt die Hörerin
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Semantischer Minimalismus und direkte Bezugnahme
richtig, im meinem Beispiel nicht. Ohne die Einbeziehung außerlinguistischer Informationen oder Annahmen wie »der Sprecher referiert auf einen real existierenden Gegenstand«, »der Sprecher tut nicht nur so, als würde er referieren« usw. ist folglich keine Russellsche Proposition in Sicht. Für Borgs Auffassung kommt erschwerend hinzu, daß nicht einmal das Erfüllt-Sein der Aufrichtigkeitsbedingung garantiert, daß erfolgreich referiert wurde. Bezugnahmen, die unintendierterweise ins Leere schießen, sind nicht vorgetäuscht und erfüllen somit den hier relevanten Teil der Aufrichtigkeitsbedingung, stellen aber dennoch keine Verbindung zu einem Gegenstand her. Zum einen kann der Sprecher einen aufrichtigen Referenzversuch unternommen haben und dennoch dabei scheitern, z. B. in bestimmten Fällen von optischen Täuschungen. In diesen Fällen gibt es keinen Sprecherreferenten, i. e. keinen Gegenstand, von dem der Sprecher selbst sagen könnte, er habe ihn gemeint (vgl. dazu Donnellan 1966:295f.). Zum anderen ist die Aufrichtigkeitsbedingung auch erfüllt, wenn der Sprecher halluziniert und demonstrativ auf den halluzinierten Gegenstand referieren will. Auch wenn es hier in gewisser Weise einen Sprecherreferenten gibt (den halluzinierten Gegenstand), scheitert doch das intersubjektive Vermitteln von Referenz und es wird in jedem Fall keine Russellsche Proposition ausgedrückt.106 Es kommt wohlgemerkt selten vor, daß Sprecher sich während der Äußerung von Demonstrativa darüber irren, ob die intendierte Bezugnahme gelingt – normalerweise täuschen wir uns eher über die Eigenschaften von intendierten Referenten. Aber solche Fälle machen deutlich, daß wir selbst dann keine vermeintlich ausgedrückte Russellsche Proposition veranschlagen dürften, wenn wir bei der Bestimmung des semantischen Gehalts davon ausgehen dürften, daß die Aufrichtigkeitsbedingung erfüllt ist.107 106 In der Regel ist dies für den Hörer leicht erkennbar, dennoch lassen sich leicht Fälle konstruieren, in denen durch Zufall im Moment der Äußerung des Sprechers ein Gegenstand auf natürliche Weise für den Hörer salient wird und es so wirkt, als hätte der Sprecher genau diesen Gegenstand demonstrieren wollen. So könnte der Sprecher beispielsweise sagen »Er rast auf mich zu!« und dabei den halluzinierten Käfer meinen, während genau in dem Moment ein unachtsamer Fahrradfahrer auf Sprecher und Hörer zufährt. Eine entsprechende Antwort des Hörers könnte dem Sprecher suggerieren, seine Bezugnahme sei erfolgreich gewesen. Theoretiker wie Wettstein und Gauker würden behaupten, daß der Radfahrer in so einem Fall der semantische Referent des demonstrativ verwendeten Pronomens »er« ist – unabhängig davon, daß der Sprecher dies weder weiß noch will. So eine Auffassung halte ich für verfehlt; die Diskussion der Referenzbestimmung bei Demonstrativa erfolgt in Kapitel 4. 107 Kann ein Sprecher lügen, dessen Bezugnahme unintendierterweise ins Leere schießt? Nehmen wir an, Le Verrier möchte einen anderen Wissenschaftler täuschen, der sich auch für den angenommenen Planeten Vulkan interessiert, damit dieser nicht vor ihm mehr über den vermeintlichen Planeten herausfindet, und gibt diesem Wissenschaftler deshalb Informationen, die er selbst für Fehlinformationen über Vulkan hält. So einen Fall würden wir
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Bereits Strawson (1950) hat darauf hingewiesen, daß Demonstrativa zwar unabhängig von konkreten Verwendungen bedeutungsvolle Ausdrücke sind, aber erst dann mit ihrer Hilfe eine Proposition ausgedrückt wird (nach deren Wahrheitswert sinnvollerweise gefragt werden kann), wenn sie tatsächlich zur Bezugnahme verwendet werden. Der Hörer mag annehmen, daß diese Präsupposition erfüllt ist, aber nur wenn tatsächlich referiert wurde, kann der Hörer eine Proposition erfassen. Strawsons Beispiel und seine Folgerungen daraus lauten wie folgt: Suppose I advance my hands, cautiously cupped, towards someone, saying, as I do so, »This is a fine red one«. He, looking into my hands and seeing nothing there, may say : »What is? What are you talking about?« Or perhaps, »But there’s nothing in your hands«. Of course it would be absurd to say that in saying »But you’ve got nothing in your hands«, he was denying or contradicting what I said. So »this« is not a disguised description in Russell’s sense. Nor is it a logically proper name. For one must know what the sentence means in order to react in that way to the utterance of it. It is precisely because the significance of the word »this« is independent of any particular reference it may be used to make, though not independent of the way it may be used to refer, that I can, as in this example, use it to pretend to be referring to something. […] It is a part of the significance of expressions of the kind I am discussing that they can be used, in an immense variety of contexts, to make unique references. It is no part of their significance to assert that they are being so used or that the conditions of their being so used are fulfilled. […] The actual unique reference made, if any, is a matter of the particular use in the particular context; the significance of the expression used is the set of rules or conventions which permit such references to be made. Hence we can, using significant expressions, pretend to refer, in make-believe or in fiction, or mistakenly think we are referring when we are not referring to anything. (Strawson 1950:333f.)
Wie Kaplan hebt auch Strawson die Notwendigkeit hervor, zwischen zwei verschiedenen Ebenen von Bedeutung von Demonstrativa zu unterscheiden (vgl. Fn. 88 auf S. 114f.). Ganz im Geiste des Minimalismus hebt er die wichtige Rolle der linguistischen Bedeutung von Demonstrativa im Verstehensprozeß entsprechender Äußerungen hervor. Sein Beispiel zeigt aber kontra Borg gerade auch, daß eine Russellsche Proposition nicht allein mittels der Kombination aus Kenntnis der linguistischen Bedeutung (Kaplans character) des Ausdruckstypes und der Verfügbarkeit eines geäußerten token erfaßt werden kann: Wenn wir davon ausgehen, daß Borgs Theorie der Entstehung von singulären Begriffen aufgrund des Hörens entsprechender Äußerungen richtig ist, dann entsteht im intuitiv als Lüge klassifizieren wollen. Lügen kann man aber nur, wenn man eine Proposition ausgedrückt hat (die man für falsch hält). Der Russellianer müßte diesen Fall daher als einen Versuch zu lügen beschreiben, bei dem keine vollständige Proposition ausgedrückt wurde, was m. E. einmal mehr gegen die Annahme Russellscher Propositionen spricht.
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Bewußtsein des auf die Aufrichtigkeit des Sprechers vertrauenden Hörers auch in Strawson Beispiel ein syntaktisch generierter singulärer Begriff. Aber dieser Begriff hat keinen »Inhalt« in Borgs Sinne, i. e. keinen Referenten, da der Sprecher nicht (auf einen real existierenden Gegenstand) referiert. In dem von Strawson beschriebenen Fall wird weder eine Russellsche Proposition ausgedrückt noch erfaßt. Muß der Hörer also sicherstellen oder wissen, daß referiert wurde, um eine Russellsche Proposition zu erfassen? Ein Prüfen ob bzw. Sicherstellen, daß die Präsupposition erfüllt ist, würde in jedem Fall außerlinguistische kognitive Anstrengungen involvieren und folglich über das hinausgehen, was laut Borg zur Bestimmung des semantischen Gehalts eines geäußerten Satzes herangezogen werden darf. Borg müßte die Existenz-Bedingung daher als externe Bedingung konzipieren, derart, daß sowohl das Ausdrücken als auch das Erfassen von Gehalt mittels demonstrativer Sätze daran hängt, ob der Sprecher de facto direkt auf einen Gegenstand referiert hat. Eine solche Auffassung bringt allerdings zwei problematische Konsequenzen mit sich: (a) Daß selbst die Sprecher entsprechender Äußerungen nicht immer wissen, ob sie tatsächlich eine singuläre Proposition gedacht und ausgedrückt haben oder nicht, hat zur Folge, daß das Unterhalten singulärer Gehalte keine interne, phänomenale Entsprechung hat, denn Fälle, in denen wir fälschlicherweise glauben, direkt auf einen Gegenstand referiert und eine Russellsche Proposition ausgedrückt zu haben, lassen sich phänomenal nicht von Fällen unterscheiden, in denen das tatsächlich geklappt hat. Dies ist ein großer Nachteil, mit dem alle Russellianer zu kämpfen haben und zu dem sie Stellung nehmen müssen. Besonders problematisch würde es allerdings, wenn der genuin semantische Gehalt im Sinne des Minimalismus an diesem nichtlinguistischen Faktor hinge, da dies ganz offensichtlich nichts mit rein sprachlichem Verstehen zu tun hat. Wenn Borg also behauptet, die semantischen Gehalte von geäußerten demonstrativen Sätzen seien Russellsche Propositionen, kauft sie sich diese Problematik mit ein und müßte konsequenterweise anfügen »von geäußerten demonstrativen Sätzen, bei denen die direkte Bezugnahme auch tatsächliche erfolgt, d. h. nicht ins Leere läuft oder nur vorgetäuscht ist etc.«. (b) Die zweite Konsequenz ist für Borg noch schwerwiegender : Aufgrund der externen Bedingung für das Ausdrücken und Erfassen von Russellschen Propositionen gibt es keine Korrelation zwischen dem Erfassen Russellscher Propositionen und dem Ausbilden syntaktisch generierter singulärer Begriffe. Letztere werden laut Borg allein aufgrund des Hörens von Sätzen wie (S1) gebildet, das sprachliche Verstehen dieser Sätze garantiert aber, wie wir gesehen haben, nicht, daß gleichzeitig Russellsche Proposition erfasst werden.
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Die vorangegangenen Überlegungen haben deutlich gemacht, daß wir den von Borg veranschlagten syntaktisch ausgelösten singulären Begriff nicht als einen Begriff von einem Gegenstand verstehen können, der uns in die Lage versetzt, eine Russellsche Proposition zu erfassen, die diesen Gegenstand enthält. Genauer besehen handelt es sich bei diesem singulären »Begriff« vielmehr um eine Form – die Form eines mentalen Vehikels der direkten Bezugnahme. Nehmen wir mit Borg an, daß diese »Form« aufgrund des sprachlichen Verstehens geäußerter Sätze wie (S1) im Bewußtsein des Hörers instantiiert wird, und zwar in Kombination mit der deskriptiven Bestimmung »der Gegenstand, auf den der Sprecher mich hinweisen möchte«, die dabei (implizit) als kontingente Eigenschaft des vermeintlichen Referenten aufgefaßt wird. Das so generierte formale Referenzvehikel hat de facto womöglich keinerlei »Verbindung« zu einem Gegenstand, so daß die aufgrund von semantischen Regeln assoziierte Kennzeichnung entsprechend leer ist. Somit ist offensichtlich, daß das Ausbilden von »syntaktisch generierten singulären Begriffen« keine Evidenz für das Erfassen einer Russellschen Proposition sein kann. Borg würde wahrscheinlich versuchen, abzustreiten, daß es sich bei den postulierten mentalen Vehikeln nur um die Form eines singulären Begriffs handelt. Sie behauptet bekanntlich, daß syntaktisch ausgelöste Begriffe singuläre Begriffe von einzelnen Gegenständen sind, die ihren Referenten zum Inhalt haben, obwohl der Hörer nicht mit diesem Referenten bekannt ist und ihn nur als der Erfüller einer deskriptiven Bedingung denken kann. Anhand von Beispielen läßt sich allerdings aufzeigen, daß ein substantielleres Verständnis syntaktisch generierter singulärer Begriffe im Rahmen von Borgs Ansatz gleichermaßen problematisch ist. Wenn wir syntaktisch ausgelöste singuläre Begriffe als mentale Platzhalter für bestimmte Gegenstände auffassen, dann sind sie nicht mehr rein linguistisch ausgelöst, vielmehr hat ihr Ausbilden eine kognitivpsychologische Dimension, die mit den Intentionen von Sprecher und Hörer zusammenhängt und folglich als pragmatisch angesehen werden muß.
(2)
Der drohende Psychologismus
Borg hat keine Einwände gegen die Redeweise, derzufolge das Entstehen eines »syntaktisch ausgelösten singulären Begriffs« im Bewußtsein des Hörers dem Eröffnen einer sogenannten mentalen Datei gleichkommt (vgl. Borg 2004:205), was prima facie in der Tat für eine substantiellere Auffassung eines syntaktisch generierten singulären Begriffs sprechen kann. Die Redeweise von mentalen Dateien (›mental files‹) aufgreifend (vgl. Perry 1980, Recanati 2012) können wir sagen, daß immer dann, wenn aufgrund des Hörens eines demonstrativen Satzes ein »syntaktisch generierter singulärer Begriff« im Bewußtsein des Hörers
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entsteht, auch eine mentale Datei »eröffnet wird«. Die Umkehrung gilt selbstverständlich nicht: Mentale Dateien können auf vielerlei Weisen entstehen und müssen keineswegs allein aufgrund des sprachlichen Verstehens einer Äußerung entstehen – dies ist wohl eher die Ausnahme als der Regelfall. Auf die von Borg beschriebene Weise passiert es nur, wenn Sprecher durch die Äußerung eines referentiellen Ausdrucks einen für den Hörer unbekannten, neuen Referenten einführen, i. e. einen Referenten, von dem der Hörer bisher noch keine Datei hat und den er nur über den sprachlichen Zugang mental thematisieren kann.108 In der Regel liegt beim Eröffnen von mentalen Dateien, die singulären Begriffen entsprechen, eine nichtdeskriptive epistemische Relation zum Referenten dieser Datei bzw. dieses Begriffs vor – eine »epistemically rewarding relation« (ER-Relation) in Recanatis Terminologie (vgl. Recanati 2012:35). Die von Borg herangezogenen Beispiele sind Ausnahmefälle, in denen der Hörer damit rechnet, in Kürze nichtlinguistische Informationen über den Referenten zu erlangen, i. e. eine ER-Relation zum Referenten zu etablieren, beispielsweise über die visuelle Wahrnehmung. Die Datei wird sozusagen in Erwartung eines baldigen nichtdeskriptiven Zugangs zum Referenten eröffnet. Diese kognitive Vorgehensweise kann von einem Sprecher auch bewußt ausgebeutet werden, um eine gewisse Spannung zu erzeugen, z. B. wenn in Ankündigungen demonstrativ auf etwas referiert wird, was der Hörer erst kurz danach zu sehen bekommt. So kann beispielsweise ein Sprecher auf der Bühne verkünden: (S3) Dies wird der verrückteste Zaubertrick, den Sie je gesehen haben! und sich so, bevor der Vorhang aufgeht, mit »dies« auf ein zukünftiges Ereignis beziehen. In Erwartung der Bekanntschaft mit dem Ereignis bilden die Hörer einen singulären Begriff aus. Die Hörer von (S3) erfassen die durch den Satz ausgedrückte konditionalisierte Wahrheitsbedingung (soweit können wir mit Borg mitgehen) und es scheint – ganz im Sinne Borgs – als sei der syntaktisch generierte singuläre Begriff dafür ein notwendiges Vehikel.109 108 Gegebenenfalls stellt der Hörer später, nachdem er den Referenten perzeptuell identifiziert hat, fest, daß er schon eine Datei von diesem Gegenstand hat und »verschiebt« die neuen Informationen in der Folge in die schon vorhandene Datei. Recanati (2012) spricht in solchen Fällen im Anschluß an Perry vom Verschmelzen (›merging‹) von mentalen Dateien. 109 Anhand dieses Beispiels können wir uns auch gut nocheinmal das Existenz-Problem aus (1) vor Augen führen: Nehmen wir an, der Zauberkünstler fällt kurz bevor der Vorhang aufgeht vor Aufregung in Ohnmacht und es gibt folglich kein zukünftiges Ereignis, das Konstituente einer Russellschen Proposition sein könnte. Das ändert nichts an der kognitiven Reaktion der Hörer auf die Äußerung von (S3). In diesem Fall scheint sowohl Sprachverstehen als
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Wenn wir, anders als bei Argument (1), nun aber von einem substantielleren Verständnis eines syntaktisch generierten singulären Begriffs ausgehen, scheinen Fälle möglich, in denen Sprachverstehen und das Ausbilden eines singulären Begriffs kontra Borg auseinanderfallen. Sehen wir uns hierzu die folgende Variation meines obigen Beispiels einer Äußerung von (S2) an, mittels der eine demonstrative Bezugnahme vorgetäuscht wird: Die Hörerin hat aus irgendwelchen Gründen die Täuschungsabsicht des Sprechers erkannt und weiß daher, daß mittels der Äußerung des Sprechers keine »Verbindung« zu einem Gegenstand hergestellt wurde. Bildet sie dennoch einen syntaktisch generierten singulären Begriff ? Wenn dieser, wie Borg behauptet, eine Folge von Sprachverstehen alleine ist, dann müßte die Hörerin auch in diesem Fall so einen Begriff bilden. Aber diese Annahme erscheint nicht plausibel: Wenn H glaubt oder sogar weiß, daß es keinen Referenten des demonstrativen Ausdrucks gibt, warum sollte sie dann einen singulären Begriff bilden, dessen Inhalt der vermeintliche Referent ist? Dennoch erfasst die Hörerin auch in diesem Fall die durch den geäußerten Satz ausgedrückte Wahrheitsbedingung – unwillkürlich und allein infolge ihrer Sprachkompetenz. Das Erfassen der ausgedrückten konditionalisierten Wahrheitsbedingung geht offenbar nicht notwendigerweise mit dem Ausbilden der von Borg veranschlagten singulären Begriffe einher. Wenn der semantische Gehalt von geäußerten Sätzen allein durch Sprachverstehen bestimmt wird, und Sprachverstehen, wie Borg stets hervorhebt, ein komputationaler Prozeß ist, der automatisch abläuft (wir können uns sozusagen nicht dagegen wehren), dann müssen wir akzeptieren, daß dieser Prozeß uns im Fall von Demonstrativa (und anderen Indexikalia) noch nicht bis zur Ebene der Welt bringt, uns alleine noch nicht mit den Referenten der betreffenden Ausdruckstoken in eine Relation bringt und folglich auch nicht in die Lage versetzt, eine Russellsche Proposition zu erfassen. Die rein sprachlich ausgedrückte Wahrheitsbedingung wird hingegen auch dann vom Hörer erfasst, wenn dieser nicht glaubt, daß überhaupt referiert und eine singuläre Proposition ausgedrückt wurde. Für die Bestimmung der Wahrheitsbedingungen von Sätzen relativ zu Kontexten ist es demnach irrelevant, ob und wie Hörer die (vermeintlichen) Referenten de facto mental thematisieren.110 Um dies zu plausibilisieren, bin ich nicht auf »Spezialfälle« wie den der erkannten Täuschung angewiesen. Lassen wir diese außen vor und kommen nocheinmal zu Borgs ursprünglichem Beispielszenario zurück. Auch in Fällen der von Borg beschriebenen Art, in denen stipuliert ist, daß der Sprecher tatauch das Ausbilden eines singulären Begriffs vorzuliegen, es wird aber keine Russellsche Proposition erfasst. 110 Diese Sichtweise wird durch die Modularitätsthese in Bezug auf Sprachverstehen gestützt, die Borg von Fodor (1983) übernimmt, von der ich in meiner Argumentation allerdings keinen Gebrauch machen möchte. Es wäre interessant, Borgs Meinung dazu zu hören.
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sächlich auf einen empirischen Gegenstand referiert, ist es fraglich, ob Hörer unter den beschriebenen Umständen immer einen singulären Begriff – einen Begriff von einem Gegenstand – bilden. Wir können Borgs Beispiel einer Äußerung von (S1) auf (mindestens) dreierlei Weise weiter ausbuchstabieren, die sich in den folgenden Hinsichten unterscheiden: (a) H ist Adressatin der Äußerung (und weiß es), sie ist aber aufgrund der räumlichen Gegebenheiten nicht in der Lage, den Referenten wahrnehmungsmäßig zu identifizieren – vielleicht befindet der Sprecher sich im Nebenraum. (b) H ist nicht die Adressatin der Äußerung (und weiß es), aber sie möchte aus irgendwelchen Gründen dennoch wissen, worauf sich der Sprecher mit »dies« bezieht. (c) H ist nicht Adressatin der Äußerung (und weiß es); sie hört (S1) zufällig, während sie die Weender Straße entlangschlendert, und möchte nicht wissen, worauf sich der Sprecher mit »dies« bezieht. Ich behaupte nun, daß H in Fall (a) und (b) ggfs. eine mentale Datei eröffnet bzw. einen singulären Begriff von einem Gegenstand bildet, nicht aber in Fall (c). Dennoch erfasst H in allen drei Fällen die durch (S1) ausgedrückte Wahrheitsbedingung. Wäre die kognitive Schwelle für das Ausbilden singulärer Begriffe bzw. mentaler Dateien so niedrig, daß Sprachverstehen alleine es auslösen würde, hätte dies eine Inflation von singulären Begriffen bzw. mentalen Dateien zur Folge, die uns kognitiv möglicherweise überfordern würde.111 Es erscheint daher von einem kognitiv-psychologischen Standpunkt aus plausibel anzunehmen, daß wir, wenn wir im Vorübergehen Sätze mit referentiellen Ausdrücken an Subjektstelle hören, normalerweise keine Begriffe von den Referenten dieser Ausdrücke bilden. Vielmehr ist die Annahme naheliegend, daß das Ausbilden entsprechender Begriffe nicht wie Sprachverstehen »automatisch« erfolgt, sondern interessengeleitet ist. So denkt H in (a) vielleicht »Meint er mein rotes Kleid oder das T-Shirt?« und in (b) »Worüber wird hier gesprochen?« o. ä. Wenn diese Überlegungen plausibel sind, legen sie die folgende, für Borg unangenehme Konsequenz nahe: Nicht nur kann ein syntaktisch generierter singulärer Begriff keine Relation zu einer Russellschen Proposition gewährleisten (Argument (1)), ein solcher Begriff scheint vielmehr gleichzeitig auch nicht notwendig für das Erfassen der ausgedrückten Wahrheitsbedingung zu 111 Diese Aussage ist unter der Qualifikation zu verstehen, daß mentale Dateien in dem hier zur Diskussion stehenden Sinne von substantiellen Individualbegriffen verstanden werden und nicht im Sinne von »vorübergehenden Dateien«, die Perry als »buffers« bezeichnet. Daß die Bandbreite an verschiedenen Arten von mentalen Dateien sowohl bei Perry als auch bei Recanati so groß ist, führt m. E. dazu, daß dieser Begriff schwer handhabbar ist, weswegen ich im Folgenden vorzugsweise von singulären Begriffen spreche.
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sein. Ihn dennoch in Anspruch zu nehmen, um einen propositionalen semantischen Gehalt zu erreichen, würde Borgs Grundsätzen zuwiderlaufen. Alles, was über das Erfassen der abstrakt-schematischen Wahrheitsbedingung hinaus kognitiv-psychologisch passiert, wenn wir einen Satz wie (S1) hören, ohne die linguistisch ausgedrückte Information mit relevanten außerlinguistischen Informationen verbinden zu können, ist für die Semantik im Sinne eines Borgschen Minimalismus irrelevant. Die verschiedenen Fälle, in denen eine epistemisch-kognitive Asymmetrie zwischen S’ und Hs Zugang zum Referenten besteht, sind methodologisch von großem Nutzen, da sie uns helfen, den rein sprachlich ausgedrückten Gehalt – die Wahrheitsbedingung – von anderen kognitiven Gegebenheiten beim Erfassen dieser Wahrheitsbedingung zu isolieren. Daß wir in manchen der Situationen, in denen die relevante Asymmetrie vorliegt, sozusagen »aus der pragmatischen Not heraus« kognitiv-psychologisch mit der Bildung eines syntaktisch generierten singulären Begriffs reagieren, ist für die Bestimmung des semantischen Gehalts entsprechender Sätze nicht von Bedeutung. Die (konditionalisierte) Objektabhängigkeit der Wahrheitsbedingung ist eine Folge des REF-Merkmals demonstrativer Ausdrücke (vgl. S. 106). Darüber haben wir als kompetente Sprecher via Sprachverstehen implizites Wissen (vgl. S. 10) und mehr benötigen wir für die Bestimmung der Wahrheitsbedingung nicht. Borgs Überlegungen machen aber sehr schön deutlich, wie wir rein sprachlich ausgedrückte Information in unser Bewußtsein aufnehmen und versuchen, sie epistemisch gewinnbringend mit anderen Informationen zu verbinden. Im Folgenden möchte ich meine These, daß das von Borg ins Feld geführte Ausbilden syntaktisch generierter singulärer Begriffe unter Zugrundelegung der zweiten, kognitiv etwas substantielleren Interpretation dieser Begriffe zwar phänomenologisch und kognitiv-psychologisch von Interesse ist, aber nichts zur Semantik von einfachen Demonstrativa beiträgt, anhand einer Analogie zu der Interpretation von indefiniten Nominalphrasen weiter stützen. Die folgenden Beispiele, die ich zu diesem Zweck unübersetzt von Sainsbury (2005, Kap.4) übernehme, werden aber auch deutlich machen, wie schwierig die Abgrenzung von Begriffsformen bzw. -schemata als reinen Vehikeln des Sprachverstehens einerseits und singulären Begriffen, die sowohl aufgrund von Sprachverstehen als auch aufgrund des Interesses an der Intention des Sprechers gebildet wurden, andererseits ist. (D1) A: »A mosquito is buzzing about our room. It is keeping me awake.« B: »It’s not a mosquito. It’s just a gnat.« (D2) A: »I met a girl last night. She was absolutely gorgeous.« B: »Are you thinking about her?«
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Die Pronomen in diesen Diskursausschnitten sind nicht anaphorisch gebunden, sie können die Referenz der indefiniten Nominalphrase nicht übernehmen, weil es keine gibt – indefinite Nominalphrasen sind ihrer logischen Form nach quantifizierte und nicht referentielle Ausdrücke. Beim Interpretieren der Pronomen greifen wir dennoch unwillkürlich auf die davor geäußerte Nominalphrase zurück. Dies wird u. a. in der Diskursrepräsentationstheorie (DRT) als Evidenz dafür gedeutet, daß die Interpretation von indefiniten Nominalphrasen mit dem Ausbilden eines Individualbegriffs einhergeht. Um klarzumachen, was in diesen Fällen kognitiv vor sich geht, benutzt Sainsbury den Ausdruck ›a witness to the quantifier‹ und macht in dem folgenden Zitat deutlich, daß diese Vorgehensweise im Denken fundiert ist und sich im Denken phänomenologisch ausmachen läßt: Instead of asking about reference we can ask about how interpreters process the constructions we are discussing. I suggest that interpreting indefinite noun phrases, as they occur in the first part of (4) [(D1)] or (8) [(D2)], requires one to introduce an individual concept. This is then available in interpreting the subsequent pronouns. What is needed for interpretation of the second part is already contained in the interpretation of the first part, without backtracking. The cognitive analogue of ›backreference‹ is reuse of an individual concept. […]. As a preliminary guide, an individual concept can be thought of as a proper name in Mentalese. Like a linguistic proper name, it may lack a referent. Unlike a linguistic proper name, it does not have a public sense or meaning: it is an aspect of individual psychology. Why should interpreting a merely indefinite noun phrase require the introduction of a corresponding individual concept, a concept fit to be exercised in thinking about a definite individual object? An individual concept is exercised when a person ›thinks about‹ an object, and cases of such thinking are not confined to those in which there is an object she thinks about. It is a hot day. Imagine that you are drinking a beer. In thinking about the situation by imagining it, there need be no beer to which you are related. What you imagine is in some respects like what you would experience if things were as you imagine them: you are drinking a definite and particular beer, and not some merely existentially quantified beer ; the only drinkable beers are definite and particular. In building a model of an existentially quantified situation, it is natural to think of a witness to the quantification. (Sainsbury 2005:146)
In Anschluß hieran lassen sich zwei Punkte gegen Borgs Konzeption geltend machen. Erstens: Da die Ähnlichkeit der hier postulierten Individualbegriffe mit den von Borg postulierten syntaktisch ausgelösten singulären Begriffen unverkennbar ist, müßte Borg zustimmen, daß auch die Interpretation von indefiniten Nominalphrasen mittels solcher Begriffe vonstatten geht. Wenn sie allerdings akzeptiert, daß die Hörer in den Beispielen (D1) und (D2) für die semantische Interpretation des jeweils ersten vom Sprecher geäußerten Satzes einen syntaktisch ausgelösten singulären Begriff brauchen, dann folgt daraus, daß diese
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Tatsache nichts mit der Semantik von referentiellen Ausdrücken – speziell Demonstrativa – zu tun hat. Die Wahrheitsbedingungen der ersten Sätze in (D1) bzw. (D2) ist nicht objektabhängig. Wenn wir für ihre Interpretation dennoch syntaktisch ausgelöste singuläre Begriffe oder Individualbegriffe benötigen, dann ist dies offenbar nicht der Semantik der beteiligten Ausdrücke geschuldet, sondern unserer kognitiven Architektur. Das macht es gänzlich unplausibel anzunehmen, daß wir mittels solcher begrifflichen Vehikel Russellsche Propositionen erfassen. Mit den erstgeäußerten Sätzen in (D1) und (D2) wurden keine Russellschen Propositionen ausgedrückt; die Hörerin B weiß qua kompetente Sprecherin (implizit), daß jede beliebige Mücke bzw. Frau den entsprechenden Satz »wahr machen« würde. Zweitens ist es m. E. fraglich, ob Sainsbury (und die DRT-Theoretiker), wenn sie von der »Interpretation« der erstgeäußerten Sätze in Beispielen wie (D1) und (D2) sprechen, eine rein semantische Interpretation meinen, d. h. eine Interpretation mittels Sprachverstehen, die sich prinzipiell von pragmatischen Faktoren trennen läßt. Ist das Ausbilden der entsprechenden Individualbegriffe in diesen Fällen nicht vielmehr – wie in meinen oben angeführten Beispielvariationen (a) und (b) – auch interessengeleitet? In (D1) geht es in der Folge der Konversation darum, zu welcher natürlichen Art ein bestimmtes Insekt (dieses Tier) gehört und in (D2) will A B vielleicht eifersüchtig machen – offenbar mit Erfolg, denn B will wissen, ob A an eine bestimmte Frau (diese Frau) denkt.112 Diese Analogie bestärkt meine Befürchtung, daß die Entstehung der von Borg postulierten mentalen Entitäten eine pragmatische Dimension hat und folglich von ihr nicht kohärenterweise zur Bestimmung des semantischen Gehalts von Demonstrativa in Anspruch genommen werden kann. Diese Problematik wirft die metasemantische Frage auf, ob es überhaupt möglich ist, eine Theorie wie die DRT, die über die Satzgrenze hinaus geht, ohne Berücksichtigung der Intentionen von Sprechern und Hörern zu betreiben. Obwohl die Einbeziehung des linguistischen Kontextes im Rahmen einer minimalen Semantik per se kein Problem ist, scheint eine Diskurs-Semantik, wie der Name schon sagt, dazu zu führen, daß sprachliche Ausdrücke unweigerlich vor dem Hintergrund eines (vermeintlichen) Kommunikationszwecks interpretiert werden. Das hätte zur Folge, daß eine Abgrenzung zwischen (a) semantischer Interpretation via Sprachverstehen, (b) pragmatischer Interpretation und (c) der kognitiven Realisierung von (a) und (b) im Rahmen dieser Theorie nicht möglich ist. Daran schließt sich die metasemantische Frage an, ob eine rein semantische Analyse von Diskursen überhaupt ein sinnvolles Projekt ist. Warum sollten wir Semantik über die Satzgrenze hinaus betreiben wollen, wenn wir kognitiv ohnehin kaum in der Lage sind, dabei pragmatische Erwä112 So erläutert auch Sainsbury das Beispiel (siehe Sainsbury 2005:131ff.).
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gungen auszublenden? Je länger die zu analysierenden Diskursausschnitte werden, desto konkreter stellen wir uns mögliche Kontexte ihrer Realisierung unwillkürlich vor. Mein (tentatives) Resultat lautet daher : Es ist nicht sinnvoll, weil es kaum möglich ist. Sehr wahrscheinlich ist die DRT aber auch nicht als eine minimale semantische Theorie in meinem Sinne gedacht, d. h. als eine Theorie, deren primäres Ziel es ist, die logische Form einfacher und komplexer Ausdrücke explizit zu machen. Ist es also der Zweck der DRT, Semantik, Psychologie und Pragmatik zu verbinden? Über den von dem Projekt der DRT zu erwartenden theoretischen Nutzen möchte ich keine Prognosen anstellen.113 An dieser Stelle geht es mir darum, hervorzuheben, daß die theoretischen oder mentalen Entitäten, die in so einer Theorie benötigt werden, nicht automatisch auch in einer semantischen Theorie zulässig oder notwendig sind, die die Standards eines Borgschen Minimalismus erfüllt. Zusammenfassend können wir festhalten, daß die Beschäftigung mit der Frage, wie genau wir die von Borg in Anspruch genommenen syntaktisch generierten singulären Begriffe verstehen können, zwei diesbezügliche Möglichkeiten zutage gefördert hat, die im Rahmen von Borgs Ansatz gleichermaßen problematisch sind: (A) Wenn wir syntaktisch ausgelöste singuläre Begriffe als formale Vehikel des reinen Sprachverstehens auffassen, ohne die wir die durch Sätze wie (S1) ausgedrückten Wahrheitsbedingungen nicht erfassen können, dann handelt es sich dabei nicht um Begriffe von Gegenständen und folglich bieten diese »Begriffe« Hörern keinen mentalen Zugang zu der vom Sprecher ausgedrückten Russellschen Proposition. Unabhängig vom Erfüllt-Sein einer extern hinzugefügten Existenz-Bedingung bezüglich des Referenten, können solche mentalen Vehikel oder Begriffsformen weder selbst Bausteine von Propositionen sein, noch können sie uns in die Lage versetzen, per fiat eine Russellsche Proposition zu erfassen. Folglich müßte Borg ihre Verpflichtung auf den Propositionalismus aufgeben und im Fall von Demonstrativa einen nichtpropositionalen semantischen Gehalt erlauben. (B) Wenn wir syntaktisch ausgelöste singuläre Begriffe dagegen in einer substantielleren Weise auffassen, nämlich als Begriffe von Gegenständen oder mentale Dateien, dann sind sie nicht mehr rein linguistisch ausgelöst, sondern ihr Ausbilden hat eine kognitiv-psychologische Dimension, die mit den Intentionen von Sprecher und Hörer zusammenhängt. Folglich haben solche Begriffe in einer anti-intentionalistischen Semantik keinen Platz. Wenn Borg sie dennoch in Anspruch nimmt, muß sie sich einen Psycho113 Auf ein Problem in Kamps Ansatz, welches gewisse Parallelen zu der Konfusion in Borgs Auffassung aufweist, hat Beyer (2006) hingewiesen.
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logismus-Vorwurf in Bezug auf ihre Konzeption des semantischen Gehalts von einfachen Demonstrativa gefallen lassen. Ein Beharren auf dem Propositionalismus macht einen substantiell verstandenen singulären Begriff nötig, der nicht nur aufgrund von Sprachverstehen gebildet wird und damit pragmatischen Einflüssen bei der Bestimmung des semantischen Gehalts Tür und Tor öffnet. Meine Ausführungen in (1) und (2) haben somit gezeigt, daß Borg hinsichtlich ihres Begriffs eines »syntaktisch ausgelösten singulären Begriffs« vor einem Dilemma steht. Jede der beiden möglichen Interpretationen würde sie zwingen, einen der beiden zentralen Grundsätze ihres Minimalismus aufzugeben. Zum Abschluß dieses Abschnitts füge ich noch eine unabhängige Überlegung an, die plausibel machen soll, daß Hörer in den von Borg beschriebenen Fällen keine Russellsche Proposition erfassen. Es geht dabei um die epistemische Basis für Handlungen.
(3)
Die Relation zu Handlungen
Zu propositionalen Gehalten, die wir unterhalten, können wir verschiedene Einstellungen einnehmen und diese können unsere Handlungen motivieren. Wenn wir einen Blick auf die Handlungsoptionen werfen, die sich einer Hörerin bieten, wenn sie (S1) (v) rein sprachlich versteht (wie in dem von Borg beschriebenen Fall) (x) in einer Weise versteht, die einen zusätzlichen, nichtlinguistischen kognitiven Zugang zum Referenten des token von »dies« involviert, dann zeigt sich, daß die jeweils bereitgestellte epistemische Basis für Handlungen so unterschiedlich ist, daß dies als Evidenz dafür aufgefaßt werden kann, daß in Fall (v) keine Russellsche Proposition erfasst wird. Ein kurzes Hineindenken in entsprechende Kontexte erlaubt es sofort, die sich bietenden Handlungsoptionen in zwei Kategorien zu unterteilen: (V) Handlungen, die auf die Identifikation des Referenten abzielen (X) Handlungen, die darauf abzielen, mehr über den bereits identifizierten Referenten in Erfahrung zu bringen
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Handlungen der Gruppe (X) setzen die Identifikation des Referenten voraus, während der Ausgangspunkt für Handlungen der Gruppe (V) ein deskriptiver Gehalt ist, etwa »der Gegenstand, auf den der Sprecher mich hinweisen wollte«. Mein Wissen darum, daß der Sprecher im Rahmen von (S1) aller Wahrscheinlichkeit nach demonstrativ auf einen bestimmten Gegenstand referiert, kann mich dazu bringen, seinem Blick zu folgen oder ihn zu fragen, auf welchen Gegenstand er mich hinweisen wollte. In diesem Fall ist es jedoch nicht die ausgedrückte Russellsche Proposition, deren Erfassen zu meiner Handlung Anlaß gibt, sondern eine de dicto-Proposition, und zwar eine existenzquantifizierte Proposition, die »sagt«, daß es eine Russellsche Proposition gibt, die der Sprecher ausdrücken wollte: (pV) 9 x (RP(x) 6 S drückt aus (x)) (pV) ist eine Metaproposition, da sie ihrerseits eine Aussage über eine Proposition macht und auf die man aufgrund der Äußerung von (S1) schließen kann, ohne die in ihr thematische Russellsche Proposition selbst denken zu können. Um die zunächst nur auf diese Weise mental thematisierte Russellsche Proposition zu erfassen, sucht die Hörerin (in ihren antizipierbaren Handlungen) danach, wer oder was der Referent ist. Würde sie den Referenten dagegen bereits kennen, können ihre Handlungen die Absicht erkennen lassen, selbst mehr über den Referenten in Erfahrung zu bringen (X).114 Orientieren wir uns zur weiteren Illustration meiner Unterteilung an meiner auf S. 138 angeführten Version (a) von Borgs Beispiel der Äußerung von (S1): Der Sprecher referiert auf einen roten Gegenstand, die Hörerin H ist im Nebenraum, weiß aber, daß sie die Adressatin der Äußerung ist. Wenn sie nun im 114 Eine analoge Unterscheidung macht Russell in Knowledge by Acquaintance and Knowledge by Description (1951) basierend auf seiner skeptischen Konzeption von Bekanntschaft: »It would seem that, when we make a statement about something only known by description, we often intend to make our statement, not in the form involving the description, but about the actual thing described. That is to say, when we say anything about Bismarck, we should like, if we could, to make the judgment which Bismarck alone can make, namely, the judgment of which he himself is a constituent. In this we are necessarily defeated, since the actual Bismarck is unknown to us. But we know that there is an object B called Bismarck, and that B was an astute diplomatist. We can thus describe the proposition we should like to affirm, namely, ›B was an astute diplomatist‹, where B is the object which was Bismarck. What enables us to communicate in spite of the varying descriptions we employ is that we know there is a true proposition concerning the actual Bismarck, and that, however we may vary the description (so long as the description is correct), the proposition described is still the same. This proposition, which is described and is known to be true, is what interests us; but we are not acquainted with the proposition itself, and do not know it, though we know it is true.« (Russell 1951:158) Auch hier wird laut Russell ein de dicto-Zugang zu einer Proposition hergestellt, die selbst nicht gedacht werden kann.
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Anschluß an das Hören von (S1) den Raum betritt, in dem der Sprecher war, als er (S1) geäußert hat, hat sie ohne Weiteres keine Möglichkeit, ihren epistemischen Zugang zum Referenten zu konkretisieren. Sie fragt sich vielleicht »Meinte er das Kleid oder das rote T-Shirt?«, der Zugang zum Referenten bleibt jedoch deskriptiv, sozusagen immer mit dem Vorbehalt »vorausgesetzt, dies ist der Gegenstand, auf den der Sprecher mich hinweisen wollte«. Auf der Suche nach dem Referenten muß H das von diesem ausgesagte Prädikat zuhilfe nehmen und hat keine Möglichkeit, den Wahrheitswert von (S1) zu ermitteln – zu prüfen, ob dieses Prädikat überhaupt zutrifft. Solange sie keine wahrnehmungsmäßige Verbindung zum Referenten hat, scheint immer eine deskriptive Proposition handlungsanleitend zu sein. Das legt nahe, daß H noch keine Russellsche Proposition erfasst hat. Sicherstellen könne dies zudem ohnehin nur nur ein wahrnehmungsmäßiger Zugang zum Referenten. Borg würde an dieser Stelle zurecht einwenden, wir seien jetzt wieder bei Bekanntschaft als Bedingung für das Erfassen singulärer Gehalte gelandet, gegen die sie u. a. unter Rekurs auf verschobene demonstrative Bezugnahme ausführlich argumentiert hat. Borg behauptet, H wisse, wer der Referent des Demonstrativums in (S1) ist, und zwar in einer linguistisch vermittelten Weise. Wissen-Wer erfordere nicht, daß der Referent für H sinnlich wahrnehmbar ist o. ä. Sie macht sich in ihrer Argumentation eine gewisse Uneindeutigkeit oder Vagheit bezüglich des korrekten Anwendens der Ausdrücke »wissen, wer« und »identifizieren können« zunutze, um gegen den Einwand anzugehen, daß ihre syntaktisch ausgelösten singulären Begriffe nicht ausreichen, um einen konkreten Gegenstand gedanklich festzumachen. Tatsächlich akzeptieren wir in vielen Kontexten de dicto-Propositionen als Antwort auf die Frage, wer jemand sei: Auf die Frage »Wer ist Emma Borg?« ist in manchen Fällen die Antwort »Emma Borg ist die Inhaberin des Lehrstuhls für Sprachphilosophie in Reading« vollkommen zufriedenstellend, während in anderen Kontexten eine Äußerung der Art »Emma Borg ist die Frau dort links in der Ecke« gefragt ist. Analog kann die Hörerin von (S1) je nach Situation auf die Frage »Wer ist der Referent von ›dies‹ in (S1)?« sowohl mit »der Gegenstand, auf den der Sprecher mich hinweisen wollte« als auch mit »dieses rote Kleid dort« antworten, und beide Antworten können gleichermaßen akzeptabel sein.115 Bezüglich des Ausdrucks »identifizieren« sieht es meines Erachtens allerdings anders aus. Jemanden identifizieren zu können, ist eine Fähigkeit, für die de dicto-Wissen nicht hinreichend ist. Die Bedingungen für die korrekte Anwendung von »identifizieren« sind andere und stärkere als die für eine korrekte 115 Für einen Überblick über die Vielfalt an möglichen Antworten auf die Frage »Wer ist NN?« und daraus resultierende Konsequenzen in Bezug auf eine Konzeption von Wissen-Wer siehe Kraft 2013:181f.
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Anwendung von »wissen, wer«. Um jemanden oder etwas identifizieren zu können muß man mehr können, als irgendeine Antwort auf die Frage »Wer ist NN?« zu geben. Mit » jemanden oder etwas identifizieren können« meinen wir in der normalen Alltagssprache ein wahrnehmungsmäßiges Ausmachen-Können, für welches Bekanntschaft mit dem relevanten Gegenstand eine notwendige Bedingung ist. Daß es sich nicht um eine begriffliche Fähigkeit handelt, tritt bei der Verwendung in behördlichen Kontexten besonders klar zutage, in denen es um die Identifiziereung von Leichen oder Verbrechern geht. Eine Person zu identifizieren meint, sie mittels Wahrnehmung erkennen können. Borg verwendet die beiden Begriffe austauschbar, während ich behaupte, daß allenfalls »wissen, wer«, aber nicht »identifizieren können« ein ihren Zwecken dienlicher Terminus ist. Borg will den sprachlich vermittelten »Zugang« zum Referenten so stark ausbeuten, daß behauptet werden kann, es handele sich um eine Art von »mentalem Identifizieren«, die hinreichend für das Erfassen der ausgedrückten Russellschen Proposition ist. Aber die oben genannten Unterschiede im Hinblick auf die sich relativ zu (v)und (x) jeweils bietenden Handlungsmöglichkeiten zeigen, daß an dieser Antwort »etwas faul ist«. Borg verwendet den Terminus »identifizieren« nämlich in einer so weiten Weise, daß diese Verwendung m. E. als eine technische angesehen werden muß, aufgrund der man ihr bei nicht wohlwollender Interpretation vorhalten könnte, »question-begging« gegenüber dem argumentativen Gegner zu betreiben, der der Auffassung ist, daß der »linguistische Zugang zum Referenten« nicht zum Erfassen einer Russellschen Proposition ausreicht. Borg kann zugestehen, daß (auf nichtdeskriptiven Gegebenheitsweisen basierendes) de re-Wissen von einem Gegenstand prinzipiell eine andere epistemische Basis für Handlungen bereitstellt als de dicto-Wissen und daß das Verfügen über einen syntaktisch ausgelösten singulären Begriff nicht ipso facto de re-Wissen von diesem Gegenstand verfügbar macht, aber dennoch weiterhin abstreiten, daß dieser Unterschied sich darauf auswirkt, ob jeweils eine Russellsche Proposition erfasst wird. Entscheidend sei, so könnte man Borgs mögliche Verteidigungsstrategie unterstützen, die Intention des Hörers und diesbezüglich läßt sich sagen, daß die Hörerin den Referenten direkt meint, weil sie aufgrund der Verwendung des demonstrativen Ausdrucks durch den Sprecher weiß (oder jedenfalls gerechtfertigterweise glaubt), daß der Sprecher eine singuläre Proposition ausdrücken wollte. Diese Option klingt bezogen auf singulären Gehalt generell interessant, sie steht Borg jedoch nicht zur Verfügung, da sie m. E. nur dann Anwendung findet, wenn wir singulären Gehalt nicht »Russellsch« verstehen. In diesem Fall, den ich in Kapitel 5 unter dem Stichwort »Varianten singulärer Gehalte« als meine eigene Auffassung ausbuchstabiere, können Sprecher und Hörerin nämlich unterschiedliche singuläre Proposition aus der gleichen Äquivalenzklasse erfassen,
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d. h. Propositionen, die feinkörniger individuiert werden als Russellsche Propositionen, die aber ihre (objektabhängige) Wahrheitsbedingung teilen. Die Unterschiede in der entsprechenden Konstituente der von S ausgedrückten und der von H erfassten singulären Proposition ergäben sich dann aus den Unterschieden im epistemischen Zugang zum Referenten, der seinerseits den unterschiedlichen Gegebenheitsweisen des Referenten geschuldet ist. Wenn die relevanten subpropositionalen Gehalte einfach die Bezugsgegenstände selbst sind, können wir allerdings nicht auf einem deskriptiven Zugang zum Referenten basierend singulär denken. Damit komme ich in der Tat wieder auf epistemische Beschränkungen hinsichtlich des Erfassens von Russellschen Propositionen zurück. Meine Überlegungen suggerieren, daß es insgesamt naheliegend ist, das folgende Konditional zu akzeptieren: Wenn singuläre Gehalte als Russellsche Propositionen zu verstehen sind, dann sind epistemische Beschränkungen in Bezug auf das Erfassen solcher Propositionen so gut wie unumgänglich. Wie wir in (1) gesehen haben, impliziert das Ausdrücken einer Russellschen Proposition die Existenz eines Referenten des entsprechenden referentiellen Ausdrucks. Um sich zu versichern, daß man eine Russellsche Proposition erfasst hat, muß man sicherstellen, daß es einen Referenten gibt, und das kann de dicto-Wissen über den (vermeintlichen) Referenten nicht leisten. Hierfür ist eine Form von Bekanntschaft mit dem Referenten erforderlich, die in einer näher auszubuchstabierenden Form auf der Wahrnehmung des Referenten basiert. Demnach gäbe es eine Russellsche Auffassung von singulären Propositionen immer nur im Paket mit epistemischen Beschränkungen auf deren Erfassen. Warum sollte der Russellianer diese Koppelung akzeptieren? Wie wir im Zuge meines Arguments (1) gesehen haben, kann der Russellianer die Bedingung der Existenz als eine externe Bedingung konzipieren, über deren Erfüllt-Sein sich intentionale Subjekte irren können. Eine Russellsche Proposition de facto zu erfassen, muß nicht ipso facto heißen, auch zu wissen, daß man eine Russellsche Proposition erfasst hat, denn für das Erfassen Russellscher Propositionen gelten andere Bedingungen als für das Sicherstellen, daß man tatsächlich eine solche Proposition erfaßt hat. Die Kommunikation eines singulären Gehalts kann demnach auch in Fällen klappen, in denen der Hörer das aus der internen Perspektive nicht sicherstellen kann. Phänomenal ist der Hörer dann in der gleichen Situation, wie in Fällen, in denen er glaubt, einen singulären Gehalt zu erfassen, in denen der intendierte Referent aber nicht existiert und es somit keine entsprechende Russellsche Proposition gibt. So meinte Le Verrier über einen bestimmten Gegenstand nachzudenken; er hat in einer wichtigen Hinsicht ein ganz bestimmtes Objekt intendiert, auch wenn sein Zugang (zunächst, wie er glaubte) nur deskriptiv war.
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Diese ebenfalls im Rahmen von (1) bereits erwähnte mißliche Konsequenz, daß intentionale Subjekte, was das Erfassen singulärer Gehalte angeht, sozusagen epistemisch in der Luft hängen, läuft dem externalistischen Geist, der hinter der Idee Russellscher Propositionen steht, diametral entgegen. Dies betrifft auch das Problem des Umgangs mit der Referenz auf zukünftige Gegenstände, das ich in Fußnote 32 kurz thematisiert habe. Aufgrund all dieser Erwägungen sollte man sich als Russellianer m. E. davor hüten, das Erfassen von Russellschen Propositionen vollständig von der Idee der Bekanntschaft zu entkoppeln. Nur unter Rekurs auf epistemische Bedingungen läßt sich im Hinblick auf das Unterhalten von singulärem Gehalt für eine Entsprechung auf der phänomenalen Ebene sorgen und so mißliche phänomenale Illusionen des Erfassens einer Russellschen Proposition vermeiden. All dies legt kontra Borg die Konklusion nahe, daß es doch eine Bedingung für das Erfassen einer Russellschen Proposition ist, den Gegenstand, der die relevante Konstituente dieser Proposition ist, (in einer substantiellen Weise) identifizieren zu können. Dieses Identifizieren-Können erfordert wiederum eine spezifische epistemische Relation zum Referenten, die sich wahrscheinlich am besten unter Rekurs auf einen Begriff von Bekanntschaft ausbuchstabieren läßt und die ihrerseits die Existenz des relevanten Gegenstandes voraussetzt. Auf diese Weise lassen sich auch Parallelen zwischen verschiedenen Klassen von Handlungsoptionen und den Spezifika der unterhaltenen Propositionen herstellen: Eine Russellsche Proposition zu erfassen bietet automatisch die bessere epistemische Ausgangsposition, um mehr über den Referenten zu erfahren, da sich dann Handlungsmöglichkeiten bieten, die nicht auf die Identifikation des Referenten abzielen, da diese dem Erfassen der Russellschen Proposition bereits vorausging bzw. mit diesem einherging. Nicht nur wegen der Kopplung an schwierig zu präzisierende epistemische Beschränkungen, die eine konsequent Russellsche Auffassung von singulärem Gehalt meines Erachtens nahelegt, plädiere ich in Kapitel 5 dafür, uns von Russellschen Propositionen zu verabschieden und eine andere, neo-Fregesche Auffassung von singulären Propositionen vorzuziehen. An dieser Stelle ließen sich jedoch zwei Nachfragen bzw. Einwände im Anschluß an meine Argumentation anbringen. Diese thematisiere ich im Folgenden und schließe diesen Abschnitt dann mit einer ausblickartig endenden Reaktion darauf. (a) Bezüglich des Problems der Existenz schlage ich hier einen anderen Ton an als in (1), wo ich nicht verlangt habe, daß man für das Erfassen einer Russellschen Proposition die Existenz des Referenten sicherstellen können muß. Meine »Konklusion« in Bezug auf Russellsche Propositionen ist daher nicht zwingend. (b) Liefert die Betrachtung der epistemischen Basis für Handlungen in den zwei verschiedenen Fällen (v) und (x) überhaupt ein unabhängiges Argument
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gegen Borgs Konzeption oder hängt es nicht vielmehr am in (1) diskutierten Problem der Existenz? Meine Erwiderung lautet folgendermaßen: Ad (a) Ich habe in (3) nicht gezeigt, daß die Idee Russellscher Propositionen ohne Beschränkungen bezüglich ihres Erfassens durch Bekanntschaft nicht funktioniert, sondern habe versucht, plausibel zu machen, daß sich durch die Ablehnung jeder Art solcher epistemischen Beschränkungen ein merkwürdiges theoretisches Bild ergibt. Die Argumentation in (1) greift jedoch in keiner Weise auf diese Erwägungen zurück. Ad (b) Aus den folgenden Gründen handelt es sich bei (1) und (3) um unabhängige Argumente: (i) Wie wir in (1) gesehen haben, muß der Russellianer die Existenz-Bedingung als zeitunabhängige externe Bedingung konzipieren, wenn er direkte Referenz auf zukünftige Gegenstände nicht ausschließen will. In diesen Fällen können prinzipiell weder Sprecher noch Hörer sicherstellen, daß der intendierte Referent existiert. Ob der Sprecher eine Russellsche Proposition ausgedrückt hat, hängt daran, ob es einen bestimmten Gegenstand geben wird und dies ist (jedenfalls aus unserer menschlichen Perspektive) eine kontingente Angelegenheit. Unabhängig davon, ob eine Russellsche Proposition ausgedrückt wurde oder nicht, bieten sich dem Hörer in diesen Fällen nicht Handlungsmöglichkeiten der zweiten Art, weil er über die dafür nötige nichtdeskriptive Identifikation des Referenten nicht verfügt. (ii) Darüber hinaus läßt sich das »Handlungsargument« auch unabhängig davon anbringen, ob man die der Russellschen Auffassung inhärenten externalistischen Beschränkungen überhaupt akzeptiert. Der Punkt mit den verschiedenen Arten von Handlungsoptionen läßt sich auch dann gegen Borg geltend machen, wenn man der Auffassung ist, daß Kinder, wenn sie über Santa Klaus nachdenken, oder Le Verrier, wenn er versucht, neue Erkenntnisse über Vulkan zu gewinnen, ebenfalls singuläre Gehalte unterhalten: Wenn ein Kind »nachsieht, ob Santa Klaus schon die Geschenke gebracht hat« oder Le Verrier versucht, mithilfe eines neuen Teleskops einen Blick auf Vulkan zu erhaschen, dann handelt es sich dabei ebenfalls um Handlungen, die Hörer in Fällen wie dem von Borg beschriebenen Fall der Äußerung von (S1) allein aufgrund ihres Sprachverstehens nicht ausführen können.116 116 Das wirkt nun so, als könnte eine Anhäufung an deskriptiven Informationen Handlungsmöglichkeiten der zweiten Art (X)eröffnen. Wenn das tatsächlich so wäre, dann bestünde das Problem in den von Borg beschriebenen Fällen einfach darin, daß der Hörer zu wenig an deskriptiver Information hat (nur »der Gegenstand, auf den der Sprecher demonstrativ
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Um mittels demonstrativer Sätze ausgedrückte singuläre Gehalte zu erfassen, braucht der Hörer einen zweiten epistemischen Zugang zum Referenten – das Hören und (sprachliche) Verstehen des geäußerten Satzes reicht hierfür nicht aus. Daß der Hörer die vom Sprecher ausgedrückte Proposition nicht allein über den sprachlichen Zugang erfassen kann, zeigt sich u. a. daran, daß das Verstehen des geäußerten Satzes ohne Einbeziehung von nichtlinguistischen Faktoren für referieren wollte«), um sich mental direkt auf den Referenten zu beziehen. Behaupte ich also, eine Menge an deskriptiver Information in Form eines »Bündels an Kennzeichnungen« sei (im Unterschied zu nur einer deskriptiven Charakterisierung) hinreichend für singuläres Denken? Was unterscheidet einen Ermittler, der nach dem Mörder von X – wer auch immer das ist – sucht von dem Kind und Le Verrier in den gerade beschriebenen Szenarien? Mit dieser Problematik beschäftige ich mich in Kapitel 5, wo ich zu der Auffassung gelange, daß es an der Intention der Person liegt, ob es sich um einen Fall von singulärem Denken handelt oder nicht (und nicht an der Menge oder Art an verfügbarer Information), so daß wir zulassen müssen, daß deskriptive begriffliche Gehalte aufgrund einer direktreferentiellen Intention aufseiten des intentionalen Subjekts »aktualisiert« werden und so (den semantischen Regeln entsprechender sprachlicher Ausdrücke zum Trotz) zu Vehikeln für singuläres Denken gemacht werden können. Eine Frau, die sich als »Lockvogel« einsetzen läßt, um Jack the Ripper zu überführen, wird sehr wahrscheinlich singuläre Gehalte unterhalten, die von ihm »handeln«, obwohl sie nicht in der Lage ist, ihn auf eine nichtdeskriptive Weise zu identifizieren. Daß ich solche Fälle als Fälle von singulärem Denken akzeptieren möchte liegt daran, daß ich es als eine Adäquatheitsbedingung für eine theoretische Konzeption von singulärem Denken ansehe, daß sie phänomenal angemessen ist. Ich halte also nichts davon, in den angeführten Beispielen mit Santa Klaus, Vulkan (oder z. B. einer Variation des »Jack the Ripper«-Beispiels, bei der es aufgrund von Trittbrettfahrern nicht den für alle relevanten Taten verantwortlichen Mörder gibt) phänomenale Illusionen singulären Denkens zu postulieren und zu behaupten, daß in Wahrheit nur de dicto-Gehalte unterhalten werden. Das heißt nicht, daß die Abgrenzung in allen Fällen unproblematisch ist und es keine Vagheit bzw. keine »borderline«-Fälle gibt. Damit ist auch noch nichts über die intersubjektive Vermittlung entsprechender Gehalte gesagt oder darüber, wie man singuläre Gehalte in Übereinstimmung mit den sprachlichen Regeln ausdrückt (nämlich meiner Auffassung zufolge ausschließlich mittels referentieller Ausdrücke). Wer mein phänomenologisch motiviertes Kriterium der »phänomenalen Entsprechung« ablehnt, muß sich über den explanatorischen Wert seiner Konzeption Gedanken machen. Damit will ich nicht suggerieren, daß man in diesem Fall mit leeren Händen dasteht, wie Evans’ (1982) Konzeption eindrucksvoll demonstriert. Der strikte Externalismus in Bezug auf singulären Gehalt hat den Vorteil, daß die Abgrenzung nicht »schwammig« ist und die logische Handhabung einfacher ist (allerdings können wir auch freie Logik benutzen). Gegen meine phänomenologisch motivierte Adäquatheitsbedingung könnte man zudem einwenden, daß sich zwischen Fällen, wie dem Jack the Ripper -Beispiel einerseits, und typischen Fällen von singulärem Denken, in denen perzeptuelle Bekanntschaft vorliegt, andererseits, auch wichtige phänomenale Unterschiede ausmachen lassen. Warum sind diese Unterschiede weniger relevant? Meine Antwort lautet: Es geht um die Basis für die Objektabhängigkeit der durch die unterhaltenen Propositionen bestimmten Wahrheitsbedingungen, und diese Objektabhängigkeit hängt in meiner Konzeption an der Intention des Subjekts. (So ist auch das REF-Merkmal referentieller Ausdrücke letztlich (i. e. genetisch betrachtet) in direktreferentiellen Intentionen von Subjekten fundiert.) Das heißt aber nicht, daß es innerhalb der Klasse singulärer Gedanken nicht noch viele interessante Unterscheidungen zu machen gibt!
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den Hörer nicht handlungsanleitend sein kann und der Hörer nicht wissen kann, ob es tatsächlich einen Referenten gibt. Erst wenn ein weiterer epistemischer Zugang vorliegt, kann die vom Sprecher ausgedrückte, potentiell handlungsanleitende Proposition erfasst werden. Ich konstatiere, daß es Borg nicht gelungen ist, das im programmatischen Zitat am Anfang dieses Abschnitts angekündigte Vorhaben, eine Davidsonsche wahrheitskonditionale Semantik mit Kaplans Semantik von Demonstrativa zusammenzubringen, zu realisieren. Die zu diesem Zweck eingeführte Konzeption eines syntaktisch ausgelösten singulären Begriffs hat zu Inkohärenzen in ihrem theoretischen Gesamtbild geführt. Im Folgenden möchte ich den von Borg eingeschlagenen minimalistischen Weg weiterführen und konsequent zu Ende gehen. Dafür ist es nötig, den Propositionalismus als Grundsatz des semantischen Minimalismus aufzugeben, um auf diese Weise den Anti-Intentionalismus beibehalten zu können. Im weiteren Verlauf des Kapitels wird hoffentlich deutlich, daß dies kein Nachteil ist, den wir zähneknirschend hinnehmen müssen, sondern im Gegenteil zu mehr Klarheit bezüglich der Frage führt, was zum Aufgabenbereich der Semantik gehört und was nicht.
3.5
Der semantische Gehalt von Sätzen mit einfachen Demonstrativa
Borgs dargestellte Auffassung, derzufolge der semantische Gehalt von (S1) im engeren Sinne nicht die ganze konditionalisierte Wahrheitsbedingung (S1WB) ist, sondern nur die rechte Seite des Nachsatzes, ist nachvollziehbar und berechtigt, denn die im Vordersatz formulierte Bedingung ist zwar in der linguistischen Bedeutung verankert und dem kompetenten Sprecher somit implizit verfügbar, geht aber aufgrund des ebenfalls in den semantischen Regeln verankerten REFMerkmals von Demonstrativa nicht in den ausgedrückten Gehalt ein, sondern dient lediglich seiner Bestimmung. Zudem scheint Borg tendenziell einen relevanten Unterschied zwischen Proposition und Wahrheitsbedingung zu sehen, denn sie spricht in der oben zitierten Passage im Anschluß an Davidson davon, daß wir Propositionen in der wahrheitskonditionalen Semantik nicht brauchen. Wie in der folgenden Passage deutlich wird, ist sie aber dennoch der Meinung, daß das Erfassen der Wahrheitsbedingung mit dem Erfassen der ausgedrückten Proposition einhergeht: [T]o grasp the literal content of an utterance of ›that is mine‹ one need only entertain a thought of the form: a belongs to b. We have already noted that to find out more precisely what belongs to whom, one needs to look beyond the information which is linguistically encoded, yet this does not entail that the language faculty alone is in-
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capable of yielding complete truth-conditions (or ›fully saturated propositions‹, if one prefers proposition-talk). (Borg 2004:206)
Der Zusatz in Klammern klingt, als sei die Rede von Propositionen in diesem Zusammenhang nur eine terminologische Variante. Das würde implizieren, daß das begriffliche Schema auf der rechten Seite des Nachsatzes der Wahrheitsbedingung eine singuläre Proposition erreichbar macht, die qua Proposition das Objekt einer propositionalen Einstellung sein kann. Meine Argumente im vorhergehenden Abschnitt haben jedoch gezeigt, daß es nicht möglich ist, die ausgedrückte singuläre Proposition mittels der rein sprachlich bestimmten Wahrheitsbedingung zu erfassen. Da die contents von demonstrativen Sätzen laut Kaplan singuläre Propositionen sind, haben meine Überlegungen eo ipso deutlich gemacht, daß sich der semantische Gehalt von Demonstrativa nicht als ein content im Sinne von Kaplan auffassen läßt. Der content von Demonstrativa ist in einem substantiellen Sinne objektabhängig, und zwar unabhängig davon, ob wir ihn als Verfechter Russellscher Propositionen mit dem Referenten identifizieren oder feiner individuieren und unter Rekurs auf nichtdeskriptive Gegebenheitsweisen des Referenten bestimmen. Um dem anti-intentionalistischen Credo treu zu bleiben, müssen wir im Falle von demonstrativen Sätzen die durch den geäußerten Satz relativ zum Kontext ausgedrückte Wahrheitsbedingung von der mittels des Satzes durch den Sprecher ausgedrückten Proposition begrifflich trennen. Wenn Hörer nicht über die außersprachlichen Informationen verfügen, die sie benötigen würden, um den vom Sprecher intendierten Referenten zu identifizieren, haben sie mittels Sprachverstehen zwar dennoch einen Zugang zum semantischen Gehalt des geäußerten Satzes, nicht aber zu der vom Sprecher ausgedrückten Proposition. Eine durch den geäußerten Satz selbst relativ zum Kontext rein sprachlich ausgedrückte Proposition gibt es im Falle demonstrativer Sätze nicht. Abstrakte Wahrheitsbedingungen wie (S1WB) liefern lediglich ein begriffliches Schema, das nicht die Ebene eines propositionalen Gehalts erreicht. Kaplans ist sich der Tatsache bewußt, daß wir uns bei der Bestimmung des content von Demonstrativa im Grenzbereich zwischen Semantik und Pragmatik bewegen. Seine metasemantischen Überlegungen in den Afterthoughts lassen erkennen, daß er mit der daraus resultierenden Problematik für die Abgrenzung des Gegenstandsbereichs der Semantik befasst war. Er stellt dort explizit die Frage, ob die Bestimmung des content noch zum Gegenstandsbereich der Semantik gehört oder bereits im Bereich der Pragmatik zu verorten ist: How should we organize our total semantical theory so as to take account of the mechanisms of direct reference? Some have questioned whether these mechanisms even belong to semantics. I think that it is quite important to get clear on this and certain related taxonomic questions if we are to improve our understanding of the
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relation of semantics to thought. And I am quite unclear on the subject. […] (Kaplan 1989a:573) The central role of the notion context of use in determining content might incline one to say that the theory of character is semantics, and the theory of content is pragmatics. But truth is a property of contents, and one wouldn’t want to be caught advocating a pragmatic theory of truth. The problem is that on my analysis, the mechanisms of direct reference operate before the familiar semantical notions of truth and denotation come into play. If I continue to think, as Carnap taught me, that the overall theory of a language should be constructed with syntax at the base, semantics built upon that, and pragmatics built upon semantics, I am faced with a dilemma. The mechanisms of direct reference certainly are not post semantical. But equally surely they are not syntactical. Thus I put them in the bottom layer of semantics. (Kaplan 1989a:575f.)
Wenn Demonstrativa im Spiel sind, sind Kaplans contents geäußerter Sätze propositionale Gehalte, deren Konstituenten nicht gänzlich sprachlich bestimmt sind, denn ihre Bestimmung setzt die (nichtlinguistische) Identifikation des Referenten voraus. Kaplans content demonstrativer Sätze ist damit ein Gehalt, der unter Rekurs auf Sättigung im Sinne von Recanati bestimmt ist und als solcher dem Griceschen Gesagten entspricht. So spricht Kaplan im Zuge eines Vergleichs mit referentiellen Verwendungen von Kennzeichnungen bezeichnenderweise von einer präpropositionalen Semantik der direkten Referenz: The theory of direct reference, with its prepropositional semantics, seems especially open to such off-the-record elements in language. (Kaplan 1989a:484)
Kaplans Reflexion über das Verhältnis zwischen character und content von Demonstrativa fördert ebenso wie meine Diskussion von Borgs Versuch, den semantischen Gehalt demonstrativer Sätze anti-intentionalistisch zu bestimmen, zutage, daß der content nicht sprachlich bestimmbar ist, sondern vielmehr ein »Hybrid« ist, da er sich aus der Integration sprachlich kodierter Information mit außerlinguistischen Informationen ergibt. Wie genau diese Integration funktioniert, ist in den Kapiteln 4 und 5 thematisch, in denen es jeweils um die Bestimmung der Referenten, die Natur des ausgedrückten Gehalts und die Art und Weise des Ausdrückens solcher Gehalte geht. Hier geht es zunächst darum, den semantischen Gehalt im Sinne eines anti-intentionalistischen Minimalismus zu isolieren. Borgs Idee, zu diesem Zwecke ein Beispiel zu betrachten, in dem zwischen Sprecher und Hörerin eine Asymmetrie in Hinblick auf den epistemischen Zugang zum Referenten besteht, ist, obwohl ich ihre Folgerungen nicht teile, sehr instruktiv. Meine vorangegangenen Betrachtungen ergaben das folgende Bild: via Sprachverstehen wissen wir, daß die Wahrheitsbedingung des geäußerten Satzes (S1) objektabhängig ist. Daß eine Wahrheitsbedingung objektabhängig ist, heißt aber nicht, daß wir einen singulären Begriff von dem Refe-
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renten haben müssen, um diese Wahrheitsbedingung zu erfassen. Die Wahrheitsbedingung kann in einer konditionalisierten Form angegeben werden und ergibt sich aus einer formalen Relativierung des Satztypes »Dies ist rot« auf den Kontext, für die wir keinen singulären Begriff – keinen Begriff von einem bestimmten Gegenstand – benötigen. Das Erfassen dieser abstrakten Wahrheitsbedingung versetzt uns per se noch nicht in die Lage, die ausgedrückte singuläre Proposition zu erfassen, obwohl wir (via Sprachverstehen) wissen, daß durch (S1) ceteris paribus eine solche Proposition ausgedrückt wurde. Die formale Relativierung des character demonstrativer Sätze ist prinzipiell eine Relativierung auf hypothetische Kontexte. Sie ist als solche nur von dem theoretischen Interesse, die Relation zwischen Sprache und Welt für solche Sätze darzustellen, und in keiner Weise von pragmatischen Interessen geleitet. In Situationen wie der von Borg beschriebenen, nehmen wir die formale Bestimmung der Wahrheitsbedingungen zwar infolge der Konfrontation mit einem de facto geäußerten token vor, das Einführen des Platzhalters a ist jedoch im Grunde eine rein formale Operation, die sich genausogut unter Rekurs auf hypothetische token durchführen läßt. Das dafür benötigte Denkvehikel ist nicht ein Begriff von einem konkreten Gegenstand, obgleich ein Hörer in einer Situation, in der er den Referenten nicht identifizieren kann, aber ein Interesse an der vom Sprecher ausgedrückten Proposition hat, – sozusagen aus der pragmatischen Not heraus – eine andere Art von mentalem Vehikel ausbilden kann, welches zwar zunächst nur eine deskriptive Information enthält, aber doch in Antizipation eines weiteren epistemischen Zugangs gebildet wird. Wie ich in Argument (2) des vorangegangenen Abschnitts gezeigt habe, erfolgt das eventuelle Ausbilden eines solchen reicheren Individualbegriffs bzw. einer mentalen Datei aber nicht infolge von Sprachverstehen alleine und ist daher im Rahmen einer anti-intentionalistischen Semantik nicht von Interesse. Auch wenn es von einem kognitiv-psychologischen Standpunkt aus plausibel scheint, daß wir in solchen, de facto seltenen Fällen entsprechende Begriffe ausbilden, ist der mentale Zugang zum Referenten weiterhin deskriptiv und wir können, ungeachtet einer »kausalen Verbindung« zum Referenten mittels der Äußerung, die vom Sprecher ausgedrückte singuläre Proposition nicht erfassen. Um den semantischen Gehalt in dem von mir intendierten Sinne von dem unter Rekurs auf pragmatische Faktoren bestimmten content zu unterscheiden, führe ich den Begriff des s-content ein, wobei diese Bezeichnung als Abkürzung für sprachlich bestimmter content zu verstehen ist. Nur wenn keine »Sättigung« von kontextsensitiven Ausdrücken erforderlich ist, fallen content und s-content zusammen. Während der content eines demonstrativen Satzes eine singuläre Proposition ist, ist der s-content nur ein Begriffsschema mit einem formalen Platzhalterbegriff für den unbekannten Referenten. Dieses »Denkvehikel« ermöglicht es uns kognitiv, den s-content im Rahmen der konditionalisierten
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Wahrheitsbedingung zu erfassen, kann aber nicht Konstituente einer Proposition sein, weswegen der s-content kein propositionaler Gehalt ist. Dies können wir daran erkennen, daß ein solcher Gehalt nicht der Inhalt einer Einstellung sein kann. Die abstrakten Wahrheitsbedingungen, die Sätze wie »Dies ist rot« sprachlich ausdrücken, fangen ganz offensichtlich nicht etwas ein, was wir glauben, hoffen, befürchten usw. können. Wir sollten den schematischen s-content dennoch nur als den semantischen Gehalt akzeptieren, wenn wirklich kein propositionaler Gehalt als semantischer Gehalt verfügbar ist. Daß wir nicht konditionalisiert singulär denken können und mittels Sprachverstehen keine Russellsche Proposition erreichbar ist, habe ich gezeigt. Im Folgenden prüfe ich, zu welchen Propositionen wir aufgrund des rein sprachlichen Verstehens von Sätzen wie (S1) gelangen können, um diese Gehalte von dem s-content abzugrenzen und zu erläutern, warum diese Propositionen – obwohl ceteris paribus via Sprachverstehen zugänglich – nicht als der semantische Gehalt von demonstrativen Sätzen aufgefaßt werden können. Ich diskutiere kurz und verwerfe zwei diesbezügliche Kandidaten, nämlich zum einen die Existenzaussage (S19) und zum anderen Perrys reflexive Proposition (S1refl), die Borg (2004:1989ff.) ausführlich diskutiert und ebenfalls als Kandidaten für den semantischen Gehalt demonstrativer Sätze zurückweist: 1. (S19) 9(x) (Ds(x) 6 R(x))117 2. (S1refl) Der Gegenstand, auf den der Sprecher von (S1) sich bezieht, ist rot. Aufgrund des sprachlichen Verstehens von Sätzen wie (S1) können kompetente Sprecher gerechtfertigterweise sowohl auf die Proposition (S19) als auch auf die reflexive Proposition (S1refl) schließen. Valide sind diese Schlüsse nur mit der zusätzlichen Prämisse, daß mit dem demonstrativen Ausdruck erfolgreich referiert wurde, in Bezug auf die ich im vorangegangenen Abschnitt hervorgehoben habe, daß es sich nicht um eine Prämisse handelt, die aufgrund von semantischem Wissen angenommen werden kann. Aber selbst wenn wir die gelungene Bezugnahme voraussetzen, können aus zweierlei Gründen weder (S19) noch (S1refl) der semantische Gehalt von (S1) sein: Erstens weiß die Hörerin von (S1) aufgrund ihrer semantischen Kompetenz mit referentiellen Ausdrücken, daß ein Sprecher, der (S1) behauptet, nicht die Existenzaussage (S19) ausdrückt und auch nicht etwas über die eigene Äußerung sagt. Aufgrund der impliziten Kenntnis des REF-Merkmals von Demonstrativa wissen kompetente Sprecher, daß (S1) objektabhängige Wahrheitsbedingungen hat. Die Hörerin in unserem Beispielfall der Äußerung von (S1) schließt zwar ggfs. auf (S19) und/oder auf (S1refl), aber das tut sie nur, weil ihr der vom Sprecher 117 Ds steht für die Eigenschaft, vom Sprecher S demonstriert zu sein, R für die Eigenschaft, rot zu sein.
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ausgedrückte Gehalt nicht zugänglich ist. Solche Propositionen können in entsprechenden Situationen in pragmatischer Hinsicht gewissermaßen die Rolle einer »Stütze« auf dem Weg zur Identifikation des Referenten spielen. Zweitens basiert das Erfassen dieser Propositionen auf dem Erfassen der konditionalisierten Wahrheitsbedingung (S1WB) und dem in dieser enthaltenen s-content. Es handelt sich also sowohl bei (S19) als auch bei Perrys (S1refl) um aufgrund der konkreten Äußerung von (S1) erschlossene Propositionen und nicht um Propositionen, die direkt via Sprachverstehen erfaßt werden. Sprecher wenden beim Prozessieren sprachlich kodierter Information alle verfügbaren semantischen Regeln an, (S19) und (S1refl) ignorieren aber das REF-Merkmal, das zur konventionellen Ausstattung von Demonstrativa gehört. Auf diese Weise erschlossene Propositionen können daher nicht die Wahrheitsbedingungen entsprechender geäußerter Sätze bestimmen. Sie sind vielmehr nur im Ausgang vom wahrheitskonditionalen Gehalt erreichbar, sodaß deren Unterhalten das Erfassen des rein sprachlich ausgedrückten s-content bereits voraussetzt. Obwohl geäußerte Sätze wie (S1) Hörern ceteris paribus einen Zugang zu propositionalen Gehalten wie (S19) und (S1refl) ermöglichen, können diese also nicht als der genuin semantische Gehalt entsprechender Sätze angesehen werden. Im Rahmen seines sogenannten Zwei-Faktoren-Ansatzes im Hinblick auf propositionale Einstellungen unterscheidet Perry (1979) die Gehalte propositionaler Einstellungen von der Art und Weise, wie wir diese erfassen (›belief content‹ vs. ›belief state‹). Für Perry (2001) ist das mit demonstrativen Sätzen Gesagte eine Russellsche Proposition, die er als ihren referentiellen Gehalt (›referential content‹) bezeichnet. Zu dieser Proposition können Sprecher und Hörer laut Perry allerdings unterschiedliche Zugänge haben – in dieser Hinsicht ist er mit Borg einer Meinung. Die von Perry eingeführte reflexive Proposition ist in Relation zu (S19) der naheliegendere Kandidat für den semantischen Gehalt von (S1), da sie den semantischen Regeln von Demonstrativa weniger offensichtlich widerspricht. Der Rückbezug auf die Äußerung, der auch mittels des komplexen demonstrativen Ausdrucks »diese Äußerung« erfolgen kann, scheint immerhin eine mittelbare bzw. »schwache« Starrheit der Referenz sicherzustellen: »Der Gegenstand, auf den der Sprecher dieser Äußerung sich bezieht, ist rot«. Diese sogenannte schwache Starrheit ist aber der metaphysischen Intuition geschuldet, daß der Sprecher sich mit dieser Äußerung nicht auf etwas anderes hätte beziehen können, als auf das, worauf er sich de facto bezogen hat, sodaß sich die modale Konstanz der ursprünglichen Referenz von »dies« aus dieser metaphysischen Intuition in Kombination mit der Starrheit, bzw. genauer, der direktreferentiellen Semantik von »diese Äußerung« ergibt und nicht aufgrund der semantischen Eigenschaften des vom Sprecher direkt verwendeten Ausdrucks »dies«. Den semantischen Regeln zufolge hängt die Wahrheit von Sätzen wie (S1) aber in
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keiner Weise davon ab, ob irgendjemand einen Satz geäußert hat, sondern ausschließlich davon, ob ein bestimmter Gegenstand rot ist oder nicht. Der rein sprachlich ausgedrückte Gehalt von Sätzen mit referentiellen Ausdrücken an Subjektstelle ergibt sich bei Perry dadurch, daß die deskriptive Bedingung, die im character verankert ist, explizit auf die konkrete Äußerung angewendet wird. Die so gewonnene Proposition wird als »reflexiv« bezeichnet, da sie sich auf die Äußerung zurückbezieht, deren Gehalt sie angeben soll. Somit können wir in (S1refl) für (S1) »Dies ist rot« einsetzen und bekommen so, ohne die Abkürzung »(S1)«, die reflexive Proposition: »Der Gegenstand, auf den sich der Sprecher von ›Dies ist rot‹ mit ›dies‹ bezieht, ist rot«. Perrys vermeintlich minimaler semantischer Gehalt ist in sein theoretisches Gesamtbild einer »Äußerungssemantik« eingebettet und steht aus diesem Grund in einem Spannungsverhältnis zu der Grundidee des semantischen Minimalismus, derzufolge die Semantik gerade von konkreten Äußerungen abstrahiert. Trotz der Nähe zu einem Borgschen Minimalismus läßt sich in der folgenden Passage ein Fehler detektieren: [t]he truth conditions of the utterance are a more direct semantic property than the proposition expressed. The truth conditions of an utterance derive directly from the meaning assigned to the sentence involved, whereas which proposition is expressed depends also on the agent, time, and circumstances of utterance. (Perry 1993a:236)
Dem ersten Satz stimme ich zu und diese Aussage charakterisiert Perry der Intention nach als Minimalisten, der zweite Teil des Zitats zeigt jedoch, daß Perry zu übersehen scheint, daß seine reflexive Proposition sich eben nicht allein aus der Bedeutung des verwendeten Satzes ergibt, sondern aus der Kombination von semantischem Wissen und dem Wissen darüber, daß eine Äußerung stattgefunden hat, mittels der dem Sprecher auch tatsächlich eine Bezugnahme gelungen ist. Zusätzlich zu dem erläuterten Verstoß gegen die semantischen Regeln, die in Form des REF-Merkmals im character von Demonstrativa verankert sind, setzen beide Gehalte (S19) und (S1refl) eine konkrete Äußerung voraus. Daß Sprecher von Demonstrativa Gebrauch machen, um zu referieren, versteht sich in alltäglichen Verwendungen von selbst, daß sie dies tun ist aber nicht Teil des semantischen Gehalts entsprechender Sätze wie (S1). Einmal mehr wird hier deutlich, daß es in einer minimalen Semantik nicht um Äußerungen geht. Dieser Auffassung ist auch Kaplan. Was ich oben als »hypothetische token« bezeichnet habe, bezeichnet Kaplan als »Vorkommnisse« und grenzt diese explizit von konkret realisierten token, i. e. Äußerungen in Raum und Zeit, ab: As I carefully noted in Demonstratives, my notion of an occurrence of an expression in a context – the mere combination of the expression with the context – is not the same as the notion, from the theory of speech acts, of an utterance of an expression by the agent
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of a context. An occurrence requires no utterance. Utterances take time, and are produced one at a time; this will not do for the analysis of validity. By the time an agent finished uttering a very, very long true premise and began uttering the conclusion, the premise may have gone false. Thus even the most trivial of inferences, P therefore P, may appear invalid. Also, there are sentences which express a truth in certain contexts, but not if uttered. For example, »I say nothing«. Logic and semantics are concerned not with the vagaries of actions, but with the verities of meanings. (Kaplan 1989a:484f.)
Dies ist auch in Borgs Sinne, paßt aber nicht zu ihrer Behauptung, syntaktisch generierte singuläre Begriffe seien Begriffe von bestimmten Gegenständen, so daß wir diese erste, vermeintlich zur Bestimmung des semantischen Gehalts dienliche Funktion dieser mentalen Entitäten endgültig ad acta legen können, die auf der Auffassung basiert, daß Russellsche Propositionen die semantischen Gehalte demonstrativer Sätze sind. Mittels des von ihr postulierten syntaktisch generierten singulären Begriffs will Borg aber auch den rein linguistischen Verstehensprozess einfangen, der beim Hören demonstrativer Sätze unwillkürlich stattfindet, und in diesem Sinne auch das Erfassen des s-content ermöglicht. Doch auch in dieser weniger aufgeladenen Rolle ist der Begriff für den Semantiker nur mittelbar von Interesse, denn es geht letztlich darum, den Weg vom character zum content, i.e den Mechanismus der sprachlichen Referenz, in abstracto anzugeben, d. h. auch unabhängig von der Genese seines Erfassens bzw. Realisierens im Bewußtsein intentionaler Subjekte. Wir sollten daher zum einen klar zwischen (a) linguistischer Bedeutung, (b) dem semantischen Gehalt, den diese relativ zu einem Kontext bestimmt, und (c) dem mentalen Prozessieren von linguistischer Bedeutung unterscheiden und uns zum anderen darüber im Klaren sein, daß mentale Vehikel des Sprachverstehens zwar einen Zugang zu Wahrheitsbedingungen, nicht aber zu den ggfs. ausgedrückten singulären Propositionen ermöglichen. In Bezug auf sprachliche Äußerungen kann in vielerlei Hinsichten von »Verstehen« gesprochen werden. Es lassen sich verschiedene Aspekte des Verstehens einer Äußerung unterscheiden, so daß sich ein umfassendes Verstehen einer sprachlichen Äußerung in verschiedene Ebenen oder Stufen unterteilen läßt. Künne (1981, 1983) führt mit Bezug auf sprachliche Äußerungen sechs Stufen des Verstehens ein (vgl. Künne 1983:196–202). Obwohl kognitiv-psychologische Verstehensprozesse im Rahmen eines anti-intentionalistischen Minimalismus für die Bestimmung des wahrheitskonditionalen Gehalts nur einen instrumentellen Wert haben und nicht, wie bei Recanati, argumentativ herangezogen werden, eignen sich Künnes Verstehensstufen gut dazu, den s-content, i. e. den semantischen Gehalt demonstrativer Sätze im Sinne meines Minimalismus, zu verorten und von anderen, darauf aufbauenden Ebenen des Verstehens zu trennen. Ich liste die Stufen daher im Folgenden kurz auf und erläutere anschließend meine Verortung des s-content auf der dritten Stufe:
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1. Verstehen im Sinne des perzeptiven Aufnehmens von Lauten bzw. Inskriptionen, welches sich dadurch zeigt, daß der Verstehende in der Lage ist, die Äußerung wiederzugeben: Für das Verstehen in diesem Sinne ist es nicht erforderlich, daß der Hörer kompetenter Sprecher der vom Sprecher verwendeten Sprache ist. 2. Verstehen des linguistischen Sinns des verwendeten Ausdrucks bzw., bei auftretenden syntaktischen oder semantischen Ambiguitäten, das Verstehen der potentiellen linguistischen Sinne des verwendeten Ausdrucks: Dieses Verstehen basiert auf der Kompetenz in der verwendeten Sprache und zeigt sich darin, daß der Ausdruck als Ausdruck der jeweiligen Sprache identifiziert und seine konventionelle(n) Bedeutung(en) erfasst wurde/wurden. Aufgrund seiner Sprachkompetenz kann der Verstehende auf dieser Stufe grammatisch wohlgeformte von nicht wohlgeformten Ausdrücken unterscheiden und sich im Falle von Ambiguitäten alle verfügbaren linguistischen Bedeutungen vor Augen führen. 3. Verstehen des relativ zu einem gegebenen Kontext linguistisch ausgedrückten Sinns: Auf dieser Stufe kommt der Äußerungskontext zum Tragen, allerdings nur im Sinne der Umgebung der Äußerung, d. h. ohne einen Zugang zu intentionalen Faktoren.118 4. Verstehen der vom Sprecher ausgedrückten Proposition, das Künne folgendermaßen charakterisiert: Man kann den (im Kontext aktualisierten) linguistischen Sinn des vom anderen geäußerten Satzes S in der Sprache L erfassen und sich doch in gewisser Hinsicht im Unklaren darüber befinden, was der Andere gesagt hat. Vielleicht weiß der Interpret am Montag, wenn ihn der Andere auf einem einsamen Waldweg überholt, was dieser mit dem Satz »Sie haben etwas verloren« sagt, – und er weiß es nicht, wenn er denselben Satz am Dienstag in einem überfüllten Bus hört. Daraus folgt gewiß nicht, daß die lexikalisch-grammatische Kompetenz des Interpreten über Nacht Schaden genommen hat, daß ihm der linguistische Sinn dieses Satzes entfallen ist. Man weiß eben nur dann, was der Andere mit diesem Satz sagt, wenn man weiß, worauf er mit dem Indikator »Sie« Bezug nimmt. Ich nenne das Verstehen auf dieser Stufe das Erfassen des mit einem Satz Gesagten, der mit ihm ausgedrückten Proposition. Das, was Frege als den ausgedrückten Sinn, als Gedanken bezeichnet, ist etwas, das auf dieser Ebene des Verstehens erfaßt wird. (Künne 1983:198)
5. Verstehen des Modus der Äußerung: Künne erläutert diese Stufe des Verstehens anhand des Beispiels der Äußerung »Ich werde morgen wieder hier sein«, bei der zwar die Referenz der Indexikalia geklärt ist, der Hörer aber nicht einschätzen kann, ob der Sprecher diese Äußerung als Versprechen, 118 Das entspricht etwa dem engen Kontext im Sinne von Perry 1997:595) und Bach, der Borg zufolge für die Bestimmung des semantischen Gehalts herangezogen werden kann.
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Drohung oder Prognose verstanden wissen will. Mit dieser Stufe des Verstehens befassen sich Sprechakttheorien, mit Hilfe derer bspw. Austin, Searle oder Bach versuchen, illokutionäre Akte zu klassifizieren. 6. Verstehen des mittels der Äußerung implizit vermittelten Gehalts: Auf dieser Stufe werden Implikaturen im Sinne von Grice ermittelt. Wenn die Annahme des Sprechers zutrifft, daß der Hörer erkennt, daß das Gesagte (allein) nicht das ist, was der Sprecher vermitteln will, kann der Hörer die intendierten Implikaturen mithilfe von allgemeinen Kommunikationsmaximen erschließen und auf diese Weise auch die implizite Botschaft des Sprechers empfangen. Künne legt sich im Hinblick auf die heute in der Semantik/Pragmatik-Debatte gängige Unterscheidung zwischen dem Griceschen Begriff des Gesagten (der »minimalen Proposition«, die durch Sättigung gewonnen wird) und dem diesem heute in der Regel vorgezogenen Begriff des Gesagten als einem auch durch freie pragmatische Anreicherung gewonnenen Gehalt, nicht fest.119 Da es hier ausschließlich um den vom Demonstrativum geleisteten Beitrag zur ausgedrückten Proposition geht, ist diese Unterscheidung irrelevant, da beide Begriffe des Gesagten übereinstimmen (wenn wir die anderen Komponenten konstant halten). Zudem verwendet Künne im Rahmen der Erläuterung der Stufen des Verstehens einer Äußerung an keiner Stelle den Begriff der Wahrheitsbedingung, so daß er sich im Hinblick auf die Kontroverse um den wahrheitskonditionalen Gehalt geäußerter Sätze ebenfalls nicht positioniert. Ich behaupte nun, daß der s-content und mit diesem die konditionalisierte Wahrheitsbedingung, in die er eingebettet ist, auf der dritten Ebene zu verorten sind, da diese sich durch eine Relativierung des character oder, wie Künne sich ausdrückt, des linguistischen Sinns auf einen Äußerungskontext ergeben. Auch Künne ist der Auffassung, daß diese Ebene nicht propositional ist und ist in dieser Hinsicht kontra Borg auf meiner Seite. So läßt sich die Grundthese meines nicht-propositionalistischen anti-intentionalistischen Minimalismus unter Rekurs auf Künnes Stufen gut veranschaulichen, indem man den Begriff der Wahrheitsbedingung im Unterschied zur kontextualistischen Auffassung auf der dritten Ebene verortet, ihn aber, im Unterschied zu Borg, nicht an den Propositionalismus koppelt. Der linguistisch vermittelte »Zugang« reicht auch nach Künne nicht aus, um die ausgedrückte Proposition zu erfassen, die – um es möglichst neutral auszudrücken – eine nicht linguistisch bestimmbare Kom-
119 Wie wir in Abschnitt 2.3 gesehen haben, haben beide Auffassungen des Gesagten ihre Nachteile. Bei der kontextualistischen Auffassung des Gesagten steht insbesondere die Abgrenzung zu Implikaturen auf wackeligen Beinen.
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ponente enthält.120 Hierfür müssen wir laut Künne wissen, was das Bezugsobjekt ist, womit er ganz offensichtlich nicht eine deskriptiv vermittelte Bestimmung / la Borg meint (vgl. Künne 1983:198). Ich schließe diesen Abschnitt mit der Diskussion von zwei möglichen Einwänden gegen bzw. Bedenken bezüglich meiner Auffassung, die miteinander relationiert sind und im Lichte derer sich meine Auffassung weiter verdeutlichen läßt. Der erste Einwand basiert auf der potentiellen Unklarheit meiner Konzeption von semantischem Gehalt im Hinblick auf die Frage, ob sich der s-content aufgrund seiner schematischen Natur noch als token-Gehalt verstehen läßt, während es bei dem zweiten darum geht, ob ein so minimaler Gehalt wie der s-content überhaupt noch in Widerstreit mit der von Kontextualisten anvisierten Arbeitsteilung in einer umfassenden Theorie der Bedeutung steht. Behalten wir also die folgenden kritischen Fragen im Hinterkopf: 1. Ist der s-content ein token-Gehalt? 2. Worin besteht die Unvereinbarkeit mit kontextualistischen Positionen?
Semantischer Gehalt zwischen character und content? In der Regel schreiben wir abstrakten Ausdruckstypes einen character zu, während der content auf der Ebene der token angesiedelt ist. Borg ist wie die große Mehrheit der Theoretiker der Auffassung, daß es die Aufgabe einer semantischen Theorie ist, die Wahrheitsbedingungen von Satztoken anzugeben, da sich Wahrheitsbedingungen aufgrund der Kontextsensitivität einiger sprachlicher Ausdrücke nicht immer auf der abstrakten Ebene der Ausdruckstypes bestimmen lassen (vgl. Borg 2004:Kap.1). Nun habe ich weiter oben von konditionalisierten Wahrheitsbedingungen gesprochen, die für hypothetische token formal bestimmt werden, ohne daß tatsächlich eine Äußerung vorliegt. Handelt es sich dabei noch um Gehalte, die sich der Ebene des content zuweisen lassen, wie es die Bezeichnung s-content und meine theoretische Positionierung im Anschluß an Borg nahelegen? Die schematische Natur des s-content, der nicht die Ebene eines propositionalen Gehalts erreicht, wirft die Frage auf, ob der semantische Gehalt von Sätzen, in denen einfache Demonstrativa vorkommen, letztlich nicht doch besser als eine Funktion zu konkreten 120 Im Zusammenhang mit Demonstrativa und anderen Indexikalia ist es wichtig, im Blick zu haben, daß Fregesche Sinne nicht notwendig linguistische Sinne sind und daß die Mißachtung dessen zu Fehldeutungen des Fregeschen Begriffs des Gedankens geführt hat (vgl. dazu z. B. Künne 1983:198f.) Dazu mehr in Kapitel 5, in dem ich eine neo-Fregesche Alternative zu Russellschen Propositionen vorstelle.
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Gehalten verstanden werden sollte und damit als ein character -Gehalt, der sich dennoch als eine Art von Wahrheitsbedingung auffassen läßt. Ein kompetenter Sprecher, der weiß, wie demonstrative Ausdrücke funktionieren, aber nicht weiß, auf welchen Gegenstand ein Sprecher in einer konkreten Situation referiert, erfaßt die sprachlich ausgedrückte konditionalisierte Wahrheitsbedingung und weiß folglich, daß der Wahrheitswert davon abhängt, wie es sich mit einem bestimmten Gegenstand verhält. Sein »angewandtes semantisches Wissen« ließe sich auch folgendermaßen darstellen: (S1WB) Wenn der Sprecher sich auf a bezieht, dann ist (S1) wahr, gdw. a rot ist (S1WB’) Wenn der Sprecher sich auf b bezieht, dann ist (S1) wahr, gdw. b rot ist (S1WB’’) Wenn der Sprecher sich auf c bezieht, dann ist (S1) wahr, gdw. c rot ist (S1WB’’’) … Da a, wie wir gesehen haben, nicht, wie bei Borg intendiert, für den »Inhalt« eines »vollwertigen« Individualbegriffs stehen kann, steht a in (S1WB) in einer gewissen Weise nicht für den tatsächlichen Referenten. Bemerkenswerterweise benutzt Higginbotham, von dem Borg die Idee einer konditionalisierten WB aufgreift, bei seiner Angabe der konditionalisierten Wahrheitsbedingung für Sätze wie (S1) eine Variable (x) und nicht das von Borg als Individuenkonstante (bzw. Individualbegriff) angedachte a (vgl. Higginbotham 1994:92f., zitiert in Borg 2004:165). Eine freie Variable ist, wie in Abschnitt 3.2 erwähnt, Kaplan zufolge das Paradigma für direkte Referenz. Erst wenn wir dieser einen Wert zuweisen, bekommen wir einen content. Die formale Operation, die den s-content liefert, simuliert sozusagen die Zuweisung eines »konkreten« semantischen Werts, um den Weg zum content möglichst genau zu modellieren. Durch formale Relativierung des character gewonnene konditionalisierte Wahrheitsbedingungen wie (S1WB) sind daher im Grenzbereich zwischen character und content zu verorten. Auf der mentalen Ebene arbeitet Burge im Hinblick auf de re-Einstellungen ebenfalls mit dem Konzept der freien Variable und trennt diese in ihrer Rolle eines mentalen Platzhalters von ihrer konkreten Anwendung (vgl. Burge 2007:75f.). Im Postscript zu seinem Aufsatz Belief De Re erläutert er : My idea was that in actual de re beliefs the free variables, the formal counterparts of demonstratives and indexicals, are contextually applied, or ›assigned‹, to an object by the believer. The application or assigning is part of the full representational thought content. The demonstrative or indexical as a type cannot fix a referent. It needs an application. Applications are individuated in terms of token acts or events. Ordinary attributions of de re beliefs do not specifically refer to such applications, but they presume that they are there. (Burge 2007:76)
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Garc&a-Carpintero (2006) vertritt wie ich einen Minimalismus, der sich nicht dem Propositionalismus verpflichtet, er versteht seine Auffassung jedoch als Variante einer character-Semantik und verteidigt diese Auffassung gegen Einwände von Theoretikern, die darauf bestehen, daß semantischer Gehalt unter Rekurs auf Sättigung zu bestimmen ist (und annehmen, daß es keine Alternative gibt, die, wie meine und Borgs Position, dazwischen zu verorten ist). Mit seiner diesbezüglichen Argumentation bin ich im Großen und Ganzen einverstanden, aus meiner Sicht hängt jedoch nicht sehr viel an der terminologischen Frage, ob wir den semantischen Gehalt im Sinne des Minimalismus als einen Gehalt auf der allgemeinen character-Ebene oder auf der spezifischeren content-Ebene verorten. Entscheidend ist vielmehr, daß ohne Rekurs auf intentionale Faktoren eine Wahrheitsbedingung für jeden geäußerten Satz angegeben werden kann. Daß Wahrheitswerte nur contents zugewiesen werden können ist irrelevant, da es in der Semantik ohnehin nicht darum geht, die Wahrheitswerte geäußerter Sätze konkret zu bestimmen. Auch wenn die Wahrheitsbedingung für jeden token eines demonstrativen Satzes aufgrund der Konditionalisierung in einer gewissen Hinsicht gleich ist, rechtfertigt die methodische Zielsetzung, Wahrheitsbedingungen für token anzugeben, die Einordnung des s-content auf der spezifischeren Ebene, die im content sozusagen ihre konkrete Erfüllung findet. Mit Blick auf Künnes Stufen des Verstehens läßt sich die Problematik so formulieren, daß es bei demonstrativen Sätzen schwierig ist, zwischen Stufe 2 (character -Gehalt) und Stufe 3 (bereits auf der token-Ebene, aber noch nicht der content) zu unterscheiden. Da die Referenzbestimmung bei Demonstrativa unter Rekurs auf intentionale Faktoren erfolgt, kann sie auf Stufe 3 noch nicht erfolgen, sodaß es nur bei Ausdrücken wie »ich« oder »gestern«, deren Referenz die Sprachregeln gewissermaßen »automatisch« festlegen, einen ganz deutlichen Unterschied zwischen Stufe 2 und 3 gibt. Bei diesen Ausdrücken verwischt dann allerdings der Unterschied zwischen Stufe 3 und 4.
Automatische vs. intentionale Indexikalia? Sowohl Kaplan als auch Perry unterscheiden jeweils mithilfe der Termini pure indexicals versus true demonstratives (Kaplan 1989b:490f.) bzw. automatic versus intentional indexicals (Perry 1997:595f.) zwischen indexikalischen Ausdrücken, bei deren Referenzbestimmung intentionale Faktoren eine Rolle spielen, und denjenigen, bei denen dies nicht der Fall ist. Auch Borg akzeptiert die Schlüsselrolle dieser Unterscheidung, auf die Recanati (2001:85, 2004:56f.) im Zuge seiner Argumentation gegen die minimale semantische Proposition rekurriert, um aufzuzeigen, daß bei den zu der zweiten Gruppe gehörenden Ausdrücken ohne Rekurs auf pragmatische Faktoren kein propositionaler Ge-
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halt erreicht werden kann (vgl. Abschnitt 2.3). Recanati beschreibt den Kontrast folgendermaßen: When a sentence contains an indexical, like ›I‹ or ›tomorrow‹, the meaning of the indexical (its character) contextually determines its content in a very straightforward manner. There is no reason not to consider that aspect of content-determination as part of semantic interpretation. For the type of context-dependence exhibited by (pure) indexicals has nothing to do with the radical form of context-dependence which affects speaker’s meaning. The hallmark of the more radical form of context-dependence is the fact that any piece of contextual information may be relevant. But the context that comes into play in the semantic interpretation of indexicals is not the total pragmatic context; it is a very limited context which contains only a few aspects of the pragmatic context: who speaks, when, where, and so forth. (Recanati 2001:85) The reference of a demonstrative cannot be determined by a rule, like the rule that ›I‹ refers to the speaker. It is generally assumed that there is such a rule, namely the rule that the demonstrative refers to the object which happens to be demonstrated or which happens to be the most salient, in the context at hand. But the notions of ›demonstration‹ and ›salience‹ are pragmatic notions in disguise. They cannot be cashed out in terms merely of the narrow context. Ultimately, a demonstrative refers to what the speaker who uses it refers to by using it. (Recanati 2001:86)
Auch Borg rekurriert im Rahmen ihrer anti-intentionalistischen Zurückweisung der Notwendigkeit von Sättigung im Sinne von Recanati zentral auf die Unterteilung von Indexikalia in »automatische« und »intentionale«. In Pursuing Meaning (2012) beschäftigt sie sich ausführlich mit der Thematik intentionssensitiver Ausdrücke (›intention-sensitive expressions‹) und untersucht in diesem Zusammenhang verschiedene theoretische Auffassungen der zur Referenzbestimmung notwendigen »mindreading«-Fähigkeiten (vgl. Borg 2012:Kap.4). Meines Erachtens wird der relevante Unterschied, daß wir, um den Referenten von »ich« in einem Kontext zu bestimmen, nicht auf intentionale Zustände von Personen schließen müssen, während wir beispielsweise im Falle von »dies« abduktiv auf die referentielle Intention des Sprechers schließen müssen, in seiner Tragweite im Hinblick auf die Ermittlung des semantischen Gehalts von Borg überbewertet. Für eine konsequent minimalistische Position, wie ich sie vertreten möchte, trägt die Unterscheidung zwischen den sog. reinen Indexikalia und Demonstrativa nichts aus, und zwar deshalb nicht, weil uns das Erfassen des linguistischen Sinnes in einem Äußerungskontext auch im Falle der sog. »automatischen Indexikalia« nicht bis zur Ebene der Welt bringt, i. e. noch keine konkrete Referenzbestimmung ermöglicht. Jede Identifikation des Referenten, die mittels einer im character verankerten, via Sprachkompetenz verfügbaren deskriptiven Bedingung erfolgt, die der Referent erfüllen muß – bspw. im Falle von »ich«, der Sprecher der jeweiligen Äußerung zu sein –, ist nur durch Integration der sprachlich ausgedrückten
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Information mit anderen Informationen erreichbar. Warum also finden sowohl Borg als auch Recanati die Bestimmung des content von Sätzen, in denen das Personalpronomen der ersten Person vorkommt, so viel unproblematischer als im Falle von Demonstrativa? Predelli (2005) teilt meine Irritation hinsichtlich der vermeintlichen Relevanz dieser Unterscheidung: I am perplexed with respect to the relevance of Recanati’s distinction. What exactly is at issue? One difference is undeniable: namely, that in a variety of typical instances involving the use of ›I‹ one may easily determine who the referent is: if it is granted that the contextually salient agent is the speaker, establishment of reference is ›automatic‹, as long as one knows who the speaker is. When it comes to the interpretation of possessive constructions (or demonstratives), the process may well be less straightforward: pragmatic questions of salience, and in particular the discussion of the speaker’s communicative intentions, undoubtedly play a role. Yet, leaving such practical differences aside, it is equally the case that, as long as one knows what the salient relation (or demonstratum) is, semantic interpretation is as ›automatic‹ here as for ›I‹ or ›now‹. (Predelli 2005:36)
Das Bestimmen des Referenten und somit das Erfassen der mit indexikalischen Sätzen ausgedrückten Proposition ist bei keinem indexikalischen Ausdruck aus semantischen Gründen trivial. Wenn jemand in einem überfüllten Bus ruft: »Ich muß hier raus«, weiß die Hörerin, die den Sprecher kennt, anhand der Stimme sofort, wer spricht, eine Person, die weiter weg steht, wird jedoch Probleme mit der Identifikation des Referenten haben.121 Im Hinblick auf konkrete token ist es auch bei den sogenannten automatischen Indexikalia gegebenenfalls äußerst schwierig, die Referenten zu identifizieren, warum also sollten wir die ausgedrückte Wahrheitsbedingung nicht auch im Falle dieser Ausdrücke entsprechend konditionalisieren? Der von Kaplan und Perry hervorgehobene Unterschied betrifft die im character verankerte Art und Weise der Referenzbestimmung, und diese ist bei »automatischen« Indexikalia prima facie unproblematischer als bei »intentionalen« Indexikalia. Aber das ist lebensweltlichen Umständen geschuldet und hat nichts mit dem Referenzmechanismus als solchem zu tun, weswegen dieser Unterschied im Rahmen einer semantischen Theorie nicht überbewertet werden sollte. Kaplan war sich dessen bewußt, daß es auch bei den von ihm als pure indexicals bezeichneten Ausdrücken in manchen Fällen nicht trivial ist, die Re121 Jemand könnte einwenden, daß die Identifikation anhand der Stimme ausreicht, um die ausgedrückte Proposition zu erfassen, für viele pragmatische Zwecke reicht so eine Art von »Identifikation« allerdings nicht aus. Ob diejenige Proposition erfaßt wurde, die der Sprecher ausgedrückt hat, hängt meiner an Textor (2015) anknüpfenden Auffassung zufolge daran, ob der Hörer Zugang zu der vom Sprecher intendierten nichtdeskriptiven Gegebenheitsweise hat, unter der sich der Sprecher präsentieren wollte. Mehr zu nichtRussellschen Alternativen auch im Hinblick auf »ich-Sätze« in Kapitel 5.
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Semantischer Minimalismus und direkte Bezugnahme
ferenten zu bestimmen. In Demonstratives greift er in einer Fußnote Fälle wie aufgesprochene Nachrichten auf, die Predelli später intensiv diskutiert und aufgrund derer er entsprechende Anpassungen in Kaplans Theorie vornimmt (vgl. Predelli 1998, 2011).122 Kaplan sieht solche Fälle jedoch als peripher an und ist offenbar nicht der Auffassung, daß sie seine Unterscheidung unterminieren:123 There are certain uses of pure indexicals that might be called ›messages recorded for later broadcast‹, which exhibit a special uncertainty as to the referent of ›here‹ and ›now‹. If the message: »I am not here now« is recorded on a telephone answering device, it is to be assumed that the time referred to by ›now‹ is the time of playback rather than the time of recording. […] The indexicals ›here‹ and ›now‹ also suffer from vagueness regarding the size of the spatial and temporal neighborhoods to which they refer. These facts do not seem to me to slur the difference between demonstratives and pure indexicals. (Kaplan 1989b:491, Fn. 12)
Entscheidend an dieser Stelle ist, daß auch Sprecher, Zeit und Ort einer Äußerung in einem substantiellen Sinne nicht rein sprachlich bestimmt werden können, so daß der content entsprechender Sätze ebenfalls kein rein sprachlich bestimmter Gehalt ist. Selbst in den wenigen Fällen von Ausdrücken wie »heute«, »gestern« etc., deren Gehalt sich unkontroverserweise objektiv (im Sinne von ohne Rekurs auf Sprecherintentionen) bestimmen läßt, dürfen wir die objektive Bestimmung nicht legitimerweise mit einer rein sprachlichen Bestimmung gleichsetzen. Um die Referenz von »gestern« eindeutig bestimmen zu können, muß man in irgendeinem Sinne wissen, welcher Tag heute ist, und zwar im Sinne einer nichtdeskriptiven Präsentation eines bestimmten Tages als des heutigen, die ihrerseits auf einer bestimmten kognitiven Architektur basiert und nicht durch Sprachkompetenz alleine verfügbar ist. Das Erfassen der relevanten propositionalen Konstituente (sei diese der Referent selbst, wenn man Russellianer ist, oder ein singulärer Begriff bzw. de re-Sinn) unterliegt also auch hier bestimmten epistemischen Bedingungen, die über die Kenntnis sprachlicher Bedeutung hinausgehen. 122 So schlägt Predelli (1998:107) vor, die semantische Regel für den Ausdruck »ich« so zu formulieren, daß der Referent nicht der Sprecher, sondern der »Akteur des Kontextes« ist, da der Referent von »ich« im Falle von aufgenommenen Nachrichten, die zum späteren Abhören intendiert sind, im relevanten Kontext nicht anwesend sein muß und somit nicht im relevanten Kontext spricht, aber dennoch der Akteur dieses Kontextes ist. Meines Erachtens wäre sogar zu bedenken, ob der Ausdruck »ich« notwendigerweise auf die Person referieren muß, die den relevanten token produziert hat, denn jemand könnte bspw. eine andere Person gebeten haben, der Text »Ich bin nicht zuhause« auf seinen Anrufbeantworter zu sprechen oder ein Gerät zum Sprechen benutzen, da er selbst nicht dazu in der Lage ist o. ä. 123 Dabei ist zu bedenken, daß Kaplan gerade dabei war, eine gänzlich neue semantische Theorie für indexikalische Ausdrücke generell zu entwickeln.
Der semantische Gehalt von Sätzen mit einfachen Demonstrativa
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In meinem theoretischen Bild hat die Semantik die Aufgabe, die Wahrheitsbedingungen von geäußerten Sätzen anzugeben und hierzu ist es tout court nicht erforderlich, die Referenten von indexikalischen Ausdrücken konkret zu identifizieren. Der Fall Demonstrativa ist in besonderer Weise zur Exposition des vermeintlichen Problems für den Minimalisten geeignet, jedoch erreicht der genuin semantische Gehalt aller indexikalischen Sätze meiner Auffassung zufolge nicht die Ebene eines propositionalen Gehalts. Die mithilfe dieser Sätze ausgedrückten singulären Propositionen enthalten »am Platze« des referentiellen Ausdrucks eine nichtdeskriptive Komponente, die nicht allein unter Rekurs auf Sprachkompetenz bestimmt werden kann.124 Ich schließe die Diskussion dieser Unterscheidung mit einem Zitat von Predelli, der meine konsequent minimalistische Auffassung teilt und wie folgt auf den Punkt bringt: The notion of ›automatic‹ interpretation assumed as appropriate for pure indexicals strikes me as hardly intelligible. From the interpretive system’s point of view, in the cases of ›I‹ and ›that‹ alike, characters patiently sit and wait for the parameters with respect to which a result may be obtained. From the point of view of an application of the interpretive system to particular utterances, in the cases of ›I‹ and ›that‹ alike, what is at issue are representational questions uncontroversially independent of the expressions’ meaning. […] ›I‹ and ›now‹ are no less ›pragmatically promiscuous‹ than ›this‹ and ›that‹. In other words, the distinction between pure indexicals and demonstratives, which clearly plays no role from the point of view of the system’s inner workings, is also idle with respect to the representational issues involved in its application to particular instances. The direction of my denial of the pure indexical versus demonstrative distinction must surely appear surprising to Recanati-style anti-traditionalists: my staunchly traditionalist essay does not attempt to reduce presumably pragmatics-permeated demonstratives to formally tractable pure indexicals, but pursues the opposite strategy. That this approach is not only compatible with the traditional paradigm, but actually helps to unveil its true commitments with respect to meaning and truth, is one of the main conclusions of the present chapter. (Predelli 2005:74f.)
Statt wie Borg zu versuchen, einen formalen Zugang zu den singulären Propositionen, die wir mit demonstrativen Sätzen ausdrücken, zu plausibilisieren, sollten wir akzeptieren, daß ein solcher Zugang bei allen indexikalischen Aus124 Ich sage bewußt nicht »nichtbegriffliche Komponente« (wie beispielsweise Burge sich häufig ausdrückt), denn ich möchte die Möglichkeit nicht ausschließen, daß spezifische, objektabhängige Sinne, die nichtdeskriptive Gegebenheitsweisen des Referenten enthalten, aber dennoch in irgendeinem Sinne des Wortes »begrifflich« sind, der relevante subpropositionale Gehalt sind. Es handelt sich bei solchen Sinnen jedenfalls nicht um »linguistische Sinne«, i. e. Sinne, die rein sprachlich ausgedrückt werden können, da sie, wie es bei Kennzeichnungen der Fall ist, der konventionellen Bedeutung des entsprechenden Ausdrucks entsprechen.
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Semantischer Minimalismus und direkte Bezugnahme
drücken nicht möglich ist. Die resultierende schematische und gewissermaßen noch minimalere Auffassung des semantischen Gehalts entsprechender Sätze, die ich mithilfe des Begriff des s-content einzufangen versucht habe, bringt mich abschließend zur zweiten oben angeführten Frage nach der Unvereinbarkeit einer so minimalen Auffassung von semantischem Gehalt mit dem kontextualistischen Gesamtbild einer Theorie der sprachlichen Kommunikation. Kontextualisten haben per se nichts gegen eine character-Semantik einzuwenden, die nicht mit dem Anspruch des Propositionalismus verbunden wird, so daß es in einer wichtigen Hinsicht doch eine Rolle spielen könnte, ob der semantische Gehalt im Sinne des Minimalismus als eine Variation des Kaplanschen content aufgefaßt wird oder nicht. Technisch gesprochen läßt sich mein semantischer Gehalt in der Tat sehr gut als character in dem zweiten Sinne von Kaplan verstehen, der auf der Ebene von token ins Spiel kommt und für die Bestimmung des content relativ zum Kontext sorgt, während der character im ersten Sinne die invariable linguistische Bedeutung des Ausdruckstypes ist, die ihrerseits indiziert, daß wir sozusagen im jedem Kontext eine neue Funktion zum content brauchen (vgl. dazu meine Ausführungen in Abschnitt 3.3). Das macht den s-content wiederum in einer wichtigen Hinsicht zu einem tokenGehalt, da der character2 nur relativ zu einem Kontext bestimmt werden kann – schließlich ist er die Funktion zu dem in diesem Kontext ausgedrückten content. Um eine im engeren Sinne formal-semantische Analyse demonstrativer Sätze anzugeben, ist es hilfreich, die semantischen Regeln zur Referenzbestimmung, die im character1 verankert ist, möglichst präzise zu explizieren. Die von mir verwendeten deskriptiven Bedingungen »der Gegenstand, auf den der Sprecher sich bezieht/beziehen will«, »der Gegenstand, auf den der Sprecher den Hörer hinweisen will« oder auch »der Gegenstand, den der Sprecher demonstriert« sind in dieser Hinsicht hilfreiche »Platzhalter« für eine genauere Bestimmung, bei der auch die Rolle von Demonstrationen näher zu bestimmen ist und die ich im nächsten Kapitel vornehme. Eine im engeren Sinne formal-semantische Angabe der character2-Funktion gebe ich dort nicht an, meine Erkenntnisse können jedoch als Beschränkungen bzw. Adäquatheitsbedingungen für entsprechende Analysen von Wert sein. Unabhängig von weiteren, präziseren Bestimmungen des character2, kann ich im Hinblick auf die formulierten Bedenken allerdings eine eindeutige Antwort geben: Die Ebene des semantischen Gehalts ist diejenige Ebene einer umfassenden Theorie der Bedeutung, auf der der Begriff der Wahrheitsbedingung Anwendung findet, indem die logische Form von geäußerten Sätzen formal dargestellt wird. In dieser Hinsicht ist das von Kontextualisten wie Recanati (2010) anvisierte Ziel einer wahrheitskonditionalen Pragmatik klarerweise nicht mit meiner Auffassung vereinbar.
169
Fazit
3.6
Fazit
In diesem Kapitel ging es um die Bestimmung des semantischen Gehalts demonstrativer Sätze nach den Grundsätzen eines anti-intentionalistischen semantischen Minimalismus. Die leitende Frage war dementsprechend, was für einen Gehalt wir bekommen, wenn wir den character demonstrativer Sätze formal auf einen Kontext relativieren, i. e. versuchen, den semantischen Gehalt entsprechender token anzugeben, ohne außerlinguistische Faktoren heranzuziehen. Im Anschluß an Borg habe ich zu diesem Zweck den Begriff der konditionalisierten Wahrheitsbedingung übernommen. Für den in diese eingebetteten schematischen Gehalt – sozusagen die Repräsentation des »wahrmachenden Sachverhalts« habe ich den Begriff des s-content eingeführt und diesen anschließend von anderen ceteris paribus via Sprachverstehen zugänglichen Gehalten abgegrenzt. Die konditionalisierte Wahrheitsbedingung qua semantischer Gehalt habe ich zuvor auch von den eventuellen auf Sprachverstehen basierenden kognitiven Reaktionen auf konkrete Äußerungen demonstrativer Sätze abgegrenzt. Meine Überlegungen haben kontra Borg deutlich gemacht, daß ein vermeintlicher »Zugang« zum Referenten, der allein auf dem sprachlichen Verstehen einer Äußerung basiert, für das Erfassen der durch entsprechende Äußerungen (vermeintlich) ausgedrückten Russellschen Proposition nicht ausreicht. Ob eine entsprechende Proposition erfaßt (und überhaupt ausgedrückt) wird, hängt an der Existenz des intendierten Bezugsgegenstandes und ist somit von externen Faktoren abhängig, zu denen wir via Sprachverstehen keinen epistemischen Zugang haben. Darüber hinaus legt der externalistische Geist, der der Idee Russellscher Propositionen zugrunde liegt, epistemische Beschränkungen im Hinblick auf das Erfassen Russellscher Propositionen nahe, die prima facie unter Rekurs auf den Begriff der Bekanntschaft expliziert werden müssen. Für das Erfassen der durch Sätze wie (S1) ausgedrückten Wahrheitsbedingung (S1WB) ist es hingegen irrelevant, ob und wie Hörer de facto über den Bezugsgegenstand denken, i. e. ob sie einen epistemischen Zugang zu diesem haben und von welcher Art dieser Zugang ist (deskriptiv oder nichtdeskriptiv). Diese unterschiedlichen epistemischen Bedingungen legen es nahe, zwischen dem Erfassen der Wahrheitsbedingung und dem Erfassen der ausgedrückten Proposition zu unterscheiden. Im Zuge meiner Argumentation gegen Borgs These, daß Hörer in problembehafteten Kommunikationssituationen, in denen sie den Bezugsgegenstand des demonstrativen Ausdrucks nicht (in einer substantiellen Weise) identifizieren können, dennoch mithilfe eines syntaktisch generierten singulären Begriffs eine singuläre Proposition erfassen, ist deutlich geworden, daß Borg im Hinblick auf ihren Propositionalismus bezüglich des genuin semantischen Gehalts demonstrativer Sätze vor einem Dilemma steht:
170 (1)
Semantischer Minimalismus und direkte Bezugnahme
»Dünne« syntaktisch generierte singuläre Begriffe
Wenn der von Borg zu diesem Zwecke postulierte »syntaktisch generierte singuläre Begriff« als ein rein formales Vehikel des Sprachverstehens aufgefaßt wird, bilden wir ihn auch dann aus, wenn wir wissen, daß es keinen Referenten gibt (z. B. weil wir die Täuschungsabsicht des Sprechers erkannt haben oder wissen, daß er halluziniert) oder wenn es uns nicht interessiert, worauf sich der Sprecher mit dem demonstrativen Ausdruck bezieht. So verstanden wird der von Borg postulierte syntaktisch generierte »singuläre Begriff« beim Hören demonstrativer Sätze automatisch gebildet, d. h. auch beim zufälligen Hören von geäußerten Sätzen im Bus, im Zug, in der Fußgängerzone, die wir unwillkürlich und ohne jedes pragmatische Interesse sprachlich »dekodieren«. Das Ausbilden eines solchen mentalen Vehikels ist dann allerdings keine Evidenz für singuläres Denken oder gar für das Erfassen einer Russellschen Proposition.
(2)
»Dicke« syntaktisch generierte singuläre Begriffe
Wenn der von Borg zu diesem Zwecke postulierte »syntaktisch generierte singuläre Begriff« mehr ist, als ein rein formales Vehikel des Sprachverstehens, bilden Hörer ihn nicht aus, wenn sie wissen, daß der Sprecher eine Bezugnahme nur vortäuscht oder halluziniert. In solchen Fällen haben Hörer keinen Grund, einen Begriff von einem Gegenstand zu bilden bzw. eine »mentale Datei« zu eröffnen, denn sie wissen, daß nicht mit weiteren Informationen zu rechnen ist. Solche Begriffe bilden sie nur dann in Antizipation eines besseren epistemischen Zugangs zum Referenten aus, den sie noch nicht identifizieren können, wenn sie ein Interesse an der ausgedrückten Proposition haben. So verstanden sind die relevanten singulären Begriffe nicht mehr nur syntaktisch bzw. semantisch generiert und haben daher in einem Minimalismus / la Borg konsequenterweise keinen Platz, sondern gehören vielmehr in den Bereich der Kognitionswissenschaft bzw. der Pragmatik. Formale Vehikel des Sprachverstehens sind nicht Begriffe von Gegenständen, sondern allenfalls syntaktische Platzhalter für ebensolche Begriffe. Nicht nur daß Borg diese unterschiedlichen Arten kognitiver Vehikel nicht auseinanderhält, sie übersieht vor allem, daß beide für die Bestimmung des semantischen Gehalts im Sinne des Minimalismus keine Rolle spielen: Wenn es um die Bestimmung des semantischen Gehalts demonstrativer Sätze geht, sollte für den Minimalisten weder Option (1) noch Option (2) von Interesse sein, da weder die pragmatische Einbettung von Äußerungen (2), noch die kognitive Realisierung von Sprachverstehen (1) für die Bestimmung der Wahrheitsbedingungen geäußerter Sätze im Sinne des Minimalismus unmittelbar relevant sind.
Fazit
171
Borgs Ziel, einen Davidsonschen Ansatz mit der Auffassung zusammenzubringen, daß die semantischen Gehalte demonstrativer Sätze Russellsche Propositionen sind, hat zu Inkohärenzen geführt und ließ mich eine minimalere Auffassung von semantischem Gehalt vorziehen, die auf den Propositionalismus verzichtet, aber dennoch mit dem Begriff der Wahrheitsbedingung arbeitet. Meine Position, die sich aus der vorgeführten Modifikation von Borgs Ansatz bzw. der konsequenten Weiterführung ihres Grundgedankens einer anti-intentionalistischen Semantik ergibt, ist somit eine minimalistische Position, die im logischen Raum zwischen Borg und Bach zu verorten ist. Während Borg auf dem Propositionalismus beharrt, wirft Bach mit dem Propositionalismus auch den Anspruch über Bord, daß der wahrheitskonditionale Gehalt geäußerter Sätze ohne Rekurs auf pragmatische Faktoren bestimmt werden kann. Nach der Klärung der Frage nach dem genuin semantischen Gehalt demonstrativer Sätze bleiben zwei interessante Fragen offen, und zwar erstens die Frage, wie genau die Referenten von Demonstrativa bestimmt werden, und zweitens die nach der Natur der mithilfe von Demonstrativa ausgedrückten Gehalte, bezüglich der nicht-Russellsche Alternativen verfügbar sind, die es m. E. auszuloten gilt. Diesen Fragen, die zwar über die reine Bestimmung des semantischen Gehalts im Sinne meines Minimalismus hinausgehen, sich aber dennoch unmittelbar an diese anschließen, widme ich mich respektive in den folgenden Kapiteln 4 und 5.
4
Intentionen, Demonstrationen, Salienz – wie werden die Referenten von Demonstrativa bestimmt?
Wie wir im Vorangegangen gesehen haben, ist es naheliegend anzunehmen, daß für die Bestimmung der Referenten von Demonstrativa Rekurs auf Sprecherintentionen erforderlich ist, sodaß die Referenzbestimmung im Falle von Demonstrativa über die Bestimmung des semantischen Gehalts entsprechender Sätze im Sinne meines anti-intentionalistischen Minimalismus hinausgeht. Daß die Wahrheitsbedingungen entsprechender Sätze in konditionalisierter Form ohne konkrete Bestimmung der Referenten erfasst werden können, schließt jedoch nicht aus, daß auch die Bestimmung der Referenten in einer spezifischen Weise von semantischen Regeln geleitet ist, die im character von Demonstrativa verankert sind. Es läßt sich zwischen einer linguistisch geforderten Referenzbestimmung (›linguistically triggered‹), einer linguistisch geleiteten Referenzbestimmung (›linguistially controlled‹) und einer linguistisch bestimmten Referenz (›linguistically determined‹) unterscheiden. In Kapitel 2 haben wir gesehen, daß jeder Einfluß des Kontextes auf den vom Sprecher ausgedrückten Gehalt (das Gesagte), der nicht linguistisch gefordert ist, gänzlich aus dem Gegenstandsbereich der Semantik herausfällt. Im letzten Abschnitt des vorangegangenen Kapitels habe ich gezeigt, daß der Begriff der rein sprachlich bestimmten Referenz – entgegen der Annahme, die hinter der Unterscheidung zwischen »automatischen« und »intentionalen« Indexikalia steht – im Hinblick auf alle indexikalischen Ausdrücke problembehaftet ist, so daß wir meines Erachtens nur bezüglich der indirekten Referenz mittels Kennzeichnungen von rein linguistisch bestimmten Gehalten sprechen sollten.125 125 Auch wenn das Erfassen der Wahrheitsbedingungen in diesen Fällen unproblematisch ist, dürfen wir nicht vergessen, dieses auch hier von der konkreten Bestimmung von Denotaten zu unterscheiden. Auch in diesen Fällen, in denen die ausgedrückten Gehalte rein deskriptiver Natur sind, muß semantisches Wissen in konkreten Situationen angewendet werden, um die Denotate zu bestimmen, sodaß wir unweigerlich mit der Vagheit konfrontiert sind, die der linguistischen Bedeutung sehr vieler Ausdrücke inhärent ist und einen moderaten Relativismus unumgänglich macht: Ob die erste blaue Tasse von links in
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Intentionen, Demonstrationen, Salienz
Jede linguistisch geforderte Referenzbestimmung ist meines Erachtens auch linguistisch geleitet, was zur Folge hat, daß auf der Grundlage entsprechender Regeln hinsichtlich aller Klassen von Ausdrücken in einer gewissen Hinsicht im Anschluß an Kripke (1977) zwischen semantischen Referenten und Sprecherreferenten unterschieden werden kann. Auf dieser theoretischen Grundlage läßt sich erklären, daß wir auch im Falle von Demonstrativa intuitiv nicht jeden von einem Sprecher intendierten Referenten einer demonstrativen Bezugnahme eo ipso auch als den »tatsächlichen« Referenten dieser intendierten demonstrativen Bezugnahme akzeptieren. Die konventionelle Bedeutung regelt offenbar auch hier die Art und Weise, wie pragmatische Faktoren in die Referenzbestimmung einbezogen sind. Das primäre Ziel dieses Kapitels ist es, die semantische Regel, nach der die Zuweisung der Referenten von einfachen Demonstrativa erfolgt, explizit zu machen. Hierfür ist es notwendig, zu untersuchen, welche Rolle Demonstrationen, Intentionen von Sprecher/Hörer sowie die Salienz von Gegenständen in Äußerungskontexten für die Bestimmung der Referenten spielen. In Auseinandersetzung mit diesbezüglichen Auffassungen komme ich zu dem Ergebnis, daß der Referent einer demonstrativen Bezugnahme derjenige Gegenstand ist, für den gilt, daß er infolge des Anbringens einer Demonstration durch den Sprecher in der Konversationssituation sowohl für den Sprecher als auch für den Adressaten im Hinblick auf die Äußerung maximal salient ist. Bevor ich zur Frage nach der Referenzbestimmung komme, gebe ich zunächst einen systematischen Überblick über verschiedene Arten demonstrativer Bezugnahme sowie verschiedene Klassen von Gegenständen, auf die wir uns mit einfachen Demonstrativa beziehen können. In diesem Zusammenhang sind verschobene demonstrative Bezugnahmen von besonderem Interesse, denn bei diesen Bezugnahmen ist der demonstrierte Gegenstand nicht der Referent, sondern es wird mittels Demonstration eines »Proxy« auf einen anderen Gegenstand referiert. Ich argumentiere dafür, daß es sich dennoch um genuine, i. e. referentielle Verwendungen von Demonstrativa handelt, die eine Theorie der Referenzbestimmung entsprechend integrieren können muß. dem-und-dem Regal nun die dritte oder die vierte Tasse von links ist, ist u. U. auch für einen kompetenten Verwender des Farbprädikats nicht eindeutig. Wenn Ausdrücke für natürliche Arten im Spiel sind, müssen Sprecher zudem häufig auf Experten rekurrieren, um die Zugehörigkeit zur Extension eines Ausdrucks genau zu prüfen. Da die Bestimmung der tatsächlichen Wahrheitswerte geäußerter Sätze in der Semantik keine Rolle spielt, sind auch die hierfür notwendigen konkreten Bestimmungen der Extensionen von Teilausdrücken geäußerter Sätze, i.e der Denotate von Kennzeichnungen oder der Extensionen von Prädikaten, nicht Gegenstandsbereich der Semantik. Schließlich geht es in der Semantik darum, die konventionelle Bedeutung von geäußerten Sätzen in Begriffen von Wahrheitsbedingungen anzugeben. Diesbezüglich trifft Putnam einen wichtigen Punkt, wenn er schreibt: »[W]e just remark that although the verb ›means‹ sometimes means ›has as extension‹, the nominalization ›meaning‹ never means ›extension‹.« (Putnam 1975:223f.)
Präliminarien
4.1
175
Präliminarien
Verwendungen von einfachen Demonstrativa wie »dies/e/r«, »jene/r/s« sowie demonstrativer Pronomen sind sehr vielfältig und lassen sich in verschiedenen Hinsichten klassifizieren: im Hinblick auf Arten möglicher Referenten, die Art der Bezugnahme und im Hinblick darauf, in welcher kognitiven oder epistemischen Relation die Sprecher oder Hörer zu den Referenten stehen. So können wir mittels Demonstrativa sowohl auf empirische Gegenstände, als auch auf Abstrakta wie Propositionen oder Eigenschaften referieren, sowohl um zu prädizieren als auch um Identitätsaussagen zu machen. Die Bezugnahme kann zudem sowohl unmittelbar, als auch verschoben erfolgen. Verschobene Bezugnahme (›deferred reference‹) erfolgt mittels eines Vermittler-Gegenstandes (»Proxy«), der in einer bestimmten Relation zum intendierten Referenten steht. Einige Beispiele sollen zur Veranschaulichung dienen: (01) Dies ist rot [auf ein Kleidungsstück zeigend] (02) Dies ist Zinnoberrot [einen Stoff hochhaltend] (03) Das ist Rosmarin [betont riechend] (04) Das ist Peter [jemanden vorstellend] (05) Das war Peter [im Gespräch über die Feier am vergangenen Samstag] (06) Dies ist mein Lieblingsphilosoph [auf ein Buch zeigend] (07) Der wird einen Strafzettel bekommen [an einem parkenden Wagen vorbeigehend] (08) Dies ist falsch [auf einen Satz an der Tafel zeigend] (09) Das wird sie freuen [auf einen Blumenstrauß zeigend] (10) Dies rechtfertigt ein Taxi [am Bahnhof stehend während es in Strömen zu regnen beginnt] (11) Dies ist das vierte Vorkommnis von »dies« in diesem Text [Selbstbezüglichkeit, textinterne Deixis] (12) Dies ist der schrecklichste Ort, an dem Sie jemals waren [Inskription an der Wand eines verlassenen Gefängnisses in Argentinien] In (01) wird unmittelbar auf einen visuell wahrgenommenen empirischen Gegenstand referiert und etwas von diesem Gegenstand prädiziert. In (04) wird ebenfalls unmittelbar auf einen visuell wahrgenommenen empirischen Gegenstand referiert und es wird eine Identitätsaussage gemacht (plausiblerweise, vgl. Moltmann 2013 dagegen). Mit (02), (03), und (06) werden ebenfalls Identifizierungen vorgenommen.126 In (05) wird unmittelbar auf einen in der Erinne126 Wenn wir davon ausgehen daß »Farbnamen« wie »Zinnoberrot« starre Bezeichner sind, dann sind Aussagen wie (02) wenn wahr, dann notwendigerweise wahr, während eine
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Intentionen, Demonstrationen, Salienz
rung präsenten empirischen Gegenstand referiert. In (06) und (07) wird verschoben auf Personen referiert, während in (02), (03) und (08) verschoben auf abstrakte Gegenstände referiert wird (in (02) und (03) auf Eigenschaften oder Qualitäten (Farbe bzw. Geruch) und in (08) auf eine Proposition). In (10) wird unmittelbar auf ein gegenwärtiges, in (09) verschoben auf ein zukünftiges Ereignis referiert.127 Bei (11) handelt es sich um einen Fall von textinterner Deixis (vgl. dazu Künne 1996). Bei (12) referiert der Schreibende sowohl beim Schreiben unmittelbar auf einen wahrnehmungsmäßig präsenten Gegenstand als auch in absentia – nämlich immer dann, wenn jemand die Inskription liest.128 Abgesehen von der Art der Bezugnahme (unmittelbar vs. verschoben) und der Art des Bezugsgegenstandes (empirische Gegenstände oder Ereignisse vs. Abstrakta), lassen sich auch Unterschiede im Hinblick darauf ausmachen, in welcher kognitiven Relation Sprecher S und Hörer H zu den Referenten demonstrativer sprachlicher Bezugnahmen stehen.129 Die paradigmatische Verwendung von Demonstrativa ist unbestrittenermaßen diejenige zur unmittelbaren Bezugnahme auf in der visuellen Wahrnehmung präsente konkrete Einzelgegenstände. Neben den sog. Wahrnehmungsdemonstrativa (›perceptual demonstratives‹), bei deren Verwendung die Referenten wahrnehmungsmäßig präsent sind, können die Referenten auch, wie in (05), via Erinnerung mental präsent sein. Auf solche »Erinnerungsdemonstrativa«, sowie auf »testimony«Demonstrativa, bei denen unser mentaler Zugang zum Referenten sozusagen am Zeugnis anderer hängt, hat vor allem Evans hingewiesen (zur Erläuterung des entsprechenden mentalen Zugangs vgl. Evans 1982:122–129). Bei verschobenen Bezugnahmen beuten wir eine Relation aus, in der der Referent zu einem »Proxy« steht, wobei letzterer in der Regel ein wahrnehmungsmäßig präsenter empirischer Gegenstand ist.130 Die entsprechenden Relationen lassen sich durch Kennzeichnungen ausdrücken, die ihrerseits demonstrative Elemente enthalten, beispielsweise »die Farbe dieses Stoffs« in (02) bzw. »der Autor dieses Buchs« in (06). Bei der verschobenen Bezugnahme auf empirische Gegenstände können
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130
Aussage wie (02*) »Dies ist Annas Lieblingsfarbe« [ich zeige auf denselben Stoff wie in (02)] nur kontingenterweise wahr ist. Schließlich hätte Zinnoberrot auch nicht Annas Lieblingsfarbe sein können. Ich gehe davon aus, daß Ereignisse empirisch sind, während Tatsachen qua tatsächlich bestehende Sachverhalte (i. e. mögliche Kompositionen von Extensionen) Abstrakta sind. Das ist jedenfalls die Analyse, die der Ansatz, den ich verteidigen und ausarbeiten möchte, für (12) liefert. Dazu später mehr. »S« steht ab jetzt für »die Person, die spricht«, »H« für »die Person(en), die die Äußerung von S hört/hören«. »A« führe ich für den/die Adressaten ein, d. h. A steht für »die Person(en), an die die Äußerung von S adressiert ist«. S, H und A sind per Stipulation kompetente Verwender der jeweiligen Sprache. Zunächst können wir nur von S und H sprechen; die Unterscheidung zwischen Hörern und Adressaten wird später theoretisch relevant. Eine Ausnahme wäre bwsp. eine Bezugnahme auf eine Rockgruppe mittels einer sowohl für S als auch für H via Erinnerung präsenten Schallplatte.
Präliminarien
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diese Relationen sehr vielfältig sein, während es sich bei der verschobenen Bezugnahme auf abstrakte Gegenstände entweder um die Relation der Instantiierung (Eigenschaften) oder um die des Ausdrückens (Propositionen) handelt.
Verschobene demonstrative Bezugnahme Der Begriff der verschobenen Bezugnahme geht auf Quines Begriff der verschobenen Ostension (›deferred ostension‹) zurück, den Quine folgendermaßen einführt: It [deferred ostension] occurs when we point at the gauge, and not the gasoline, to show that there is gasoline. Also it occurs when we explain the abstract singular term ›green‹ or ›alpha‹ by pointing at grass or a Greek inscription. Such pointing is direct ostension when used to explain the concrete general term ›green‹ or ›alpha‹, but it is deferred ostension when used to explain the abstract singular terms; for the abstract object which is the color green or the letter alpha does not contain the ostended point, nor any point. (Quine 1968:195)
Eine Bezugnahme kann auch doppelt verschoben sein, sodaß mittels eines perzeptiv präsenten Gegenstandes auf einen abstrakten Gegenstand verwiesen wird und dieser seinerseits für den intendierten Referenten steht – einen anderen abstrakten Gegenstand. Quine gibt hierfür das folgende Beispiel: [I]f 7 has been assigned as Gödel number of the letter alpha, a man conscious of the Gödel numbering would not hesitate to say ›Seven‹ on pointing to an inscription of the Greek letter in question. This is, on the face of it, a doubly deferred ostension: one step of deferment carries us from the inscription to the letter as abstract object, and a second step carries us thence to the number. (Quine 1968:195)
Nunberg wandelt Quines ursprüngliches Beispiel zum folgenden Beispiel einer doppelt verschobenen Bezugnahme ab, in dem mittels der Tankanzeige auf den derzeitigen Füllstand verwiesen und dieser wiederum als »Proxy« für die Bezugnahme auf den Benzinpreis bzw. die Tatsache, daß der Benzinpreis so-und-so hoch ist, verwendet wird: Adapting an example of Quine’s, I might point at a gas gauge and say, ›That is why I won’t buy an eight-cylinder car‹, where the referent of the demonstrative is something like ›the price of gas‹. (Nunberg 1979:155f.)
Ob verschobene demonstrative Bezugnahmen genuine Verwendungen von Demonstrativa sind, i. e. Verwendungen, bei denen direkt (im Sinne des vorangegangenen Kapitels) referiert wird, ist diskutabel. Manche Theoretiker sind der Auffassung, es handele sich bei verschobenen Demonstrativa um deskriptive Verwendungen, bei denen die Demonstrativa als Abkürzungen für Kennzeich-
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Intentionen, Demonstrationen, Salienz
nungen fungieren und die pragmatisch zu erklären sind (vgl. Evans 1982:145, Galery 2008). Dieser Auffassung zufolge drückt der demonstrative Ausdruck in den entsprechenden Fällen eine deskriptive Bedingung aus, beispielsweise »der Autor dieses Buches« in (06), so daß der Referent wesentlich als »Erfüller« dieser Bedingung intendiert ist. Bezüglich der wichtigen Unterscheidung zwischen unmittelbaren und verschobenen demonstrativen Bezugnahmen vertrete ich allerdings, wie bspw. auch Borg (2002a, 2002b, 2004:172ff.), einen unifizierenden Ansatz, demzufolge auch verschobene Bezugnahmen korrekte, den impliziten linguistischen Verwendungsregeln entsprechende Verwendungen von Demonstrativa sind. Das heißt, die entsprechenden Ausdruckstoken sind qua »echte« Demonstrativa de jure starr und die mit ihnen ausgedrückten Propositionen haben entsprechend objektabhängige Wahrheitsbedingungen. Das hat den Vorteil, daß sehr viel mehr Verwendungen als in Übereinstimmung mit den sprachlichen Regeln angesehen werden können und folglich nicht pragmatisch erklärt werden müssen. Was die Referenzbestimmung betrifft, die in diesem Kapitel thematisch ist, bedeutet das aber auch, daß ein Ansatz gefordert ist, der gleichermaßen die Referenzbestimmung bei unmittelbarer wie auch bei verschobener Bezugnahme einfangen kann. Bei verschobenen Bezugnahmen können die Referenten häufig nur deskriptiv identifiziert werden, nämlich ausschließlich mittels der Relation, in der sie zum »Proxy« stehen. Um die ausgedrückte Proposition zu erfassen, ist prima facie keine besondere epistemische Beziehung zu den Referenten erforderlich, so daß ein unifizierender Ansatz die Zurückweisung epistemischer Beschränkungen (›acquaintance-constraints‹) im Hinblick das Ausdrücken und Erfassen mittels Demonstrativa ausgedrückter singulärer Gehalte zu implizieren scheint (vgl. dazu Borg 2004:196ff.). Die Alternative für Befürworter entsprechender epistemischer Beschränkungen wäre, den Begriff der Bekanntschaft so stark auszuweiten, daß (fast) jede kausale Verbindung zum Referenten ausreicht, um Bekanntschaft zu konstituieren, so daß verschobene Bezugnahmen auf diese Weise als genuine Verwendungen von Demonstrativa akzeptiert werden können. Durch eine so inklusive Auffassung bzw. inflationäre Verwendung des Begriffs der Bekanntschaft würde die Idee der Bekanntschaftsrelation aber im Grunde trivialisiert, so daß es naheliegender für Vertreter epistemischer Beschränkungen im Hinblick auf das Unterhalten singulärer Gehalte zu sein scheint, verschobene Demonstrativa als deskriptive Verwendungen aufzufassen. So fordert bspw. Evans (1982) für das Unterhalten singulärer Gehalte die Fähigkeit, den Referenten von allen anderen Gegenständen zu unterscheiden – nur wenn so starke epistemische Bedingungen erfüllt sind, geht laut Evans keine deskriptive Komponente an der Stelle des demonstrativen Ausdrucks in den ausgedrückten
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Gehalt ein.131 Vertreter weniger restriktiver Auffassungen von Bekanntschaft haben typischerweise mit Vagheitsproblemen zu kämpfen, da es außerordentlich schwierig ist, den Begriff der Bekanntschaft auf eine Weise präzise zu explizieren, die ihn nicht / la Russell zu eng, aber auch nicht zu weit werden läßt: Bin ich mit dem intendierten Referenten bekannt, wenn ich seinen Schatten, seinen abgehackten Finger, den Zipfel seines Mantels oder seine Fußspuren gesehen habe, seine Stimme im Radio gehört oder an seinem Hut gerochen habe? Obwohl ich selbst die Einschränkung möglicher Referenten demonstrativer Bezug nahmen unter Rekurs auf Bekanntschaft ablehne, bin ich dennoch der Auffassung, daß singuläre Gehalte notwendigerweise in einer Wahrnehmung fundiert sind. Im Falle der verschobenen Bezugnahme besteht diese Fundierung in der Wahrnehmung des »Proxy«, im Falle von Erinnerungsdemonstrativa in der ursprünglichen Wahrnehmung des Referenten usw. Allgemein formuliert bin ich der Auffassung, daß eine Kette von Repräsentationen vorhanden sein muß, die bis zu einer Wahrnehmung reicht (nicht veridisch verstanden, vgl. Carruthers 1987, Salmon 2002), damit von direkter Referenz und singulärem Gehalt die Rede sein kann.132 Dies ist meines Erachtens die Lehre, die wir aus der Idee der Bekanntschaft im Hinblick auf direkte Bezugnahmen und singuläres Denken ziehen sollten. Dieser Thematik wende ich mich im nächsten Kapitel zu, in dem es um die Natur singulärer Gehalte geht und die Bedingungen dafür, solche Gehalte zu unterhalten. Die vorangegangenen Überlegungen zeigen, daß sich mittels der Diskussion von epistemischen Beschränkungen nicht abschließend klären läßt, ob verschobene Bezugnahmen genuine Verwendungen von Demonstrativa sind oder nicht. In Begriffen von Bekanntschaft gefasste epistemische Beschränkungen legen zwar prima facie die Zurückweisung verschobener demonstrativer Bezugnahmen als genuiner Verwendungen nahe, legen ihre Vertreter allerdings nicht darauf fest, während das Ablehnen epistemischer Beschränkungen im Hinblick auf das Erfassen relevanter Gehalte sich zwar gut mit einer einheitlichen Behandlung unmittelbarer und verschobener Bezugnahme kombinieren läßt, jedoch ebenfalls nicht mit dieser kombiniert werden muß. Da sich allein unter Rekurs auf epistemische Beschränkungen noch kein Argument gegen die einheitliche Behandlung unmittelbarer und verschobener Bezugnahmen entwickeln läßt, können wir das Thema »Bekanntschaft« zunächst ignorieren und 131 Dabei kann die Domäne des Allquantors allerdings auf ein bestimmtes räumliches Gebiet eingeschränkt werden. 132 Bei vermeintlich direkten Bezugnahmen auf zukünftige Gegenstände stößt meine Konzeption auf ihre Grenzen: Wenn eine direktreferentielle Intention vorhanden ist, kann die Antizipation eines wahrnehmungsmäßigen Zugangs in solchen Fällen m. E. die Rolle der Fundierung übernehmen.
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davon ausgehen, daß Bekanntschaft mit dem Referenten entweder keine notwendige Bedingung für demonstrative Bezugnahmen und somit für das Ausdrücken und Erfassen entsprechender Propositionen ist oder aber, daß der Begriff entsprechend so weit erstanden wird, daß er auch verschobene Bezugnahmen als Bekanntschaft konstituierend einschließen kann. Was spricht dann dafür, verschobene Demonstrativa als deskriptiv zu klassifizieren und was läßt sich dagegen einwenden? Im Folgenden greife ich Überlegungen auf, die eine deskriptive semantische Analyse nahezulegen scheinen und präsentiere zwei Argumente gegen eine solche Analyse, die es plausibel machen, verschobene Bezugnahmen tout court auf semantischer Ebene nicht als deskriptive, sondern als referentielle und somit regelkonforme Verwendungen von Demonstrativa aufzufassen.
(1)
Modale Erwägungen
Nicht immer sind die Referenten demonstrativer Bezugnahmen in der Wahrnehmung präsent. In Akten der verschobenen Ostension beuten wir Relationen aus, in denen die intendierten Referenten zu Gegenständen stehen, die wir wahrnehmen. Nehmen wir an, jemand findet ein von einer Maus angeknabbertes Stück Käse vor und äußert (S1): (S1) Dies ist die dritte dieses Jahr! Der Sprecher könnte aus linguistischer Sicht problemlos die folgende modale Aussage anhängen: (S1*) Sie hätte dieses Stück auch verschonen können! Daß die modale Aussage problemlos angehängt werden kann, zeigt, daß der Sprecher direkt auf die Maus referiert, zu deren mentalem Herauspicken die deskriptive Bedingung (mangels anderer Optionen) verwendet wird. Die deskriptive Bedingung »die Maus, die dieses Stück Käse angefressen hat« wird zwar zum Fixieren der Referenz verwendet, die Maus ist aber nicht wesentlich qua Erfüllerin dieser Bedingung intendiert. Die Wahrheitsbedingung ist also objektabhängig. Die Maus hätte auch nicht die dritte Maus, die in diesem Jahr ein Stück Käse im Hause des Sprechers angefressen hat, sein können, nämlich dann, wenn sie ihren Appetit woanders befriedigt oder von einer Katze getötet worden wäre, bevor sie zum Zug kommen konnte. Modale Erwägungen dieser Art sind jedoch kein »knock-down«-Argument gegen die deskriptive Analyse verschobener demonstrativer Bezugnahmen,
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denn es gibt auch Fälle, in denen Sprecher eine deskriptive Interpretation bewußt intendieren. So führt Galery (2008) das folgende, von Borg (2002b:500) übernommene Beispiel an, welches zeigen soll, daß indirekte, i. e. deskriptive Bezugnahmen bei verschobenen Ostensionen gang und gäbe sind. Nehmen wir an, jemand zeigt auf das Rednerpult des Präsidenten der USA und äußert (S2): (S2) Every intern wants to have an affair with him Galery ist nun der Meinung, daß eine deskriptive Lesart sich hier direkt anbietet: Der Referent sei wesentlich qua Inhaber seines Amtes intendiert, also indirekt: Here, the pronoun ›him‹ is interpreted as ›the president of the USA‹ in the attributive sense. This can be tested by embedding the sentence in (7) [(S2)] under a conditional. If it were preceded by ›Even if the US loses its political power…‹, the description would pick its referent in the newly shifted circumstance of evaluation (i. e. in worlds where US politics is not so influential). (Galery 2008:174)
Meines Erachtens ist die von Galery veranschlagte Lesart (selbst in der Einbettung in das Konditional) intuitiv nicht plausibel. Ich halte eher eine Erwiderung der folgenden Art für naheliegend, die eindeutig eine nichtdeskriptive Lesart zugrunde legt: (S2*) Well, he looks quite tolerable, at least when he’s dressed up. Um die deskriptive Lesart zu plausibilisieren, bräuchte man eine ausführlichere Beschreibung des Beispiels; meines Erachtens ist viel an pragmatischem Hintergrund erforderlich, damit eine deskriptive Lesart plausibel wirkt. Borg liefert einen entsprechenden möglichen Fortgang der Konversation, der die deskriptive Lesart im Vergleich zu Galerys Erläuterung noch plausibler erscheinen läßt: If the speaker here continues with ›Even if he is deceitful, like Nixon, or boring, like Carter, at least it’s something to tell the grandchildren about!‹, it seems clear that we would take them as having conveyed a proposition not about Clinton directly, but just about whoever it is who has the property of being the President. Yet again this is just to say that (15) [(S2)] has a narrow-scope descriptive reading at odds with the idea that deferred expressions are referring terms. (Borg 2002b:500)
Solche Fälle sind allerdings Ausnahmen, wohingegen Fälle von verschobenen Bezugnahmen, in denen eine referentielle Lesart sich förmlich aufdrängt, der Regelfall sind, so daß eine semantische Theorie die deskriptive Lesart m. E. nicht einfangen können muß. Daher stimme ich im Groben mit Borg überein, wenn sie schreibt: [W]hile the referential reading gives the sole semantic interpretation of the utterance, a further, pragmatically conveyed reading is available in these cases; so, for instance,
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though the speaker who utters (7) [(S2)] in the current context literally says that every intern wants to have an affair with Bill Clinton, he may thereby convey the proposition that ›every intern wants to have an affair with the President of the USA‹ as an instance of speaker meaning. In this case, though we would view the speaker as having made some kind of mistake in his choice of sentence, we can still follow what he is trying to say. (Borg 2002b:502)133
Eine einheitliche semantische Analyse aller demonstrativen Bezugnahmen bietet den Vorteil der Einfachheit und kann zudem auch im Bereich der verschobenen Bezugnahmen mehr Intuitionen bezüglich der intendierten Verwendungen einfangen.
(2)
Abgrenzungsprobleme
Selbst wenn wir um des Arguments willen zugestehen, daß verschobene Bezugnahmen deskriptive Verwendungen von Demonstrativa sind, ergibt sich für die Vertreter dieser Auffassung ein ernsthaftes Problem im Hinblick auf die Abgrenzung verschobener von unmittelbaren demonstrativen Bezugnahmen. Die propagierte unterschiedliche semantische Analyse basiert der Möglichkeit einer klaren Abgrenzung, die de facto allerdings nicht gegeben ist. Das ist jedoch keine Schwäche der Theorie Das klingt, sondern es ist vielmehr so, daß die Phänomene in der Realität der Sprachverwendung keine exakte Trennung erlauben. Dies illustriere ich im Folgenden anhand von einigen Beispielen. Stellen wir uns vor, ein Mädchen äußert Satz (S3) in den folgenden unterschiedlichen Situationen: (S3) Dies ist meine Lieblingsgruppe [auf einem Musikfestival Richtung Bühne zeigend] (S3’) Dies ist meine Lieblingsgruppe [auf ein Poster zeigend] (S3’’) Dies ist meine Lieblingsgruppe [auf eine Schallplatte zeigend]
133 Ich stimme Borg hier nur »im Groben« zu, da meiner Auffassung zufolge kein »semantischer Referent« bestimmt werden kann, wenn der Adressat die vom Sprecher intendierte deskriptive Lesart erkennt und entsprechend kein Gegensand als demonstriert oder im Hinblick auf die Äußerung salient aufgefaßt wird. Dazu in Bälde mehr. Daß es eine Sprecherbedeutung gibt, ist mit einem Scheitern von Referenz auf der semantischen Ebene durchaus kompatibel. Allgemein impliziert Sprecherreferenz nicht, daß dem entsprechenden Ausdruck auch ein »semantischer Referent« zugewiesen werden kann.
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Im ersten Fall (S3) ist der intendierte Referent wahrnehmungsmäßig identifizierbar, während die Bezugnahme in (S3’’) klarerweise verschoben ist und über die Relation zu der demonstrierten Schallplatte vermittelt erfolgt. Ein besonders penibler Hörer könnte auf die Äußerung von (S3’’) mit den Worten »Das ist keine Musikgruppe, sondern eine Schallplatte. Ich sehe den Namen der Gruppe nicht, wie heißt sie denn?« reagieren und die Sprecherin würde ihm ggfs. mit einem Kopfschütteln zugestehen, daß sie sich verkürzt ausgedrückt hat. Im zweiten Fall ist die Situation hingegen weniger eindeutig. Fotos oder andere bildliche Repräsentationen von Gegenständen sind nicht in der gleichen Weise ein »Proxy« wie Bücher, die der intendierte Referent geschrieben hat, oder Fahrzeuge, die der intendierte Referent geparkt hat, so daß eine Reaktion wie »Das ist keine Musikgruppe, sondern ein Poster« nicht mehr unter Rekurs auf den Anspruch auf genaue und korrekte Ausdrucksweise gerechtfertigt werden könnte. Verwendungen dieser Art sind ubiquitär und fallen in keiner Weise als Verkürzungen auf, bei denen der demonstrative Ausdruck eine Kennzeichnung ersetzt. Dennoch zeigt die Sprecherin auf ein Poster – sie demonstriert das Poster und macht den intendierten Referenten auf diese Weise für den Hörer salient, so daß die Referenz auch in diesem Fall verschoben ist. Eine Theorie, die solche Verwendungen durch substantielle Unterschiede in der semantischen Analyse von Verwendungen wie in (S1) abtrennen will, trifft meines Erachtens keine intuitive Unterscheidung. Auch ein so gewöhnlicher Fall der Verwendung von Demonstrativa wie (S4) (S4) Dies ist meine Urgroßmutter [auf ein Foto zeigend] ist genau genommen eine verschobene Bezugnahme, denn man könnte korrekterweise auch sagen »Die Frau, die auf diesem Foto abgebildet ist, ist meine Urgroßmutter«, auch wenn niemand sich de facto so umständlich ausdrückt. Daß auch die umständliche Formulierung gewählt werden könnte, zeigt nicht, daß die Äußerung von (S4) keine genuine Verwendung von Demonstrativa beinhaltet, es handelt sich vielmehr um zwei unterschiedliche Aussagen, in denen jeweils direkt und indirekt referiert wird. Zudem besteht auch bei unkontrovers referentiellen Verwendungen von Demonstrativa die Möglichkeit, alternativ eine Formulierung zu wählen, die anstelle des demonstrativen Ausdrucks eine Kennzeichnung enthält. So könnte jemand statt »Diese Frau trägt einen Overall« sagen »Die Frau, die ich in der letzten Reihe links sehe, trägt einen Overall«. Hier ist zwar eine referentielle Verwendung der Kennzeichnung wahrscheinlich, aber all diese Fälle konstituieren keine Evidenz dafür, daß die allgemeine Trennung der Ausdrucksklassen auf der semantischen Ebene nicht aufrecht erhalten werden kann.
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Bei Fällen, in denen pars pro toto-Relationen ausgebeutet werden, ist das Problem einer genauen Abgrenzung zwischen verschobenen und nicht verschobenen demonstrativen Bezugnahmen m. E. besonders offensichtlich: (S5) Er wurde durch einen Kopfschuß getötet [auf einen Schädel-Knochen zeigend] (S6) Sie ist zwischen 23 und 4h gestorben [auf ein abgetrenntes Bein verweisend] (S7) Er ist ein exzellenter Dribbler [auf den Fuß eines Fußballers zeigend, der in Großaufnahme im Fernsehen zu sehen ist] Mit dem Versuch einer genauen Abgrenzung reiten wir uns in einen »metaphysischen Sumpf« herein, aus dem es kein leichtes Entkommen gibt und der m. E. von genuin semantischen Überlegungen wegführt.134 Der einheitliche Ansatz bietet den Vorteil, daß eine genaue Abgrenzung nicht nötig ist. So müssen wir nicht versuchen, die Vagheit zu eliminieren, die sich aus lebensweltlichen Umständen ergibt und aufgrund der die Unterscheidung zwischen unmittelbarer und verschobener Bezugnahme bei genauerem Hinsehen ein Kontinuum ist. In summa lassen modale Erwägungen, wie die Tatsache, daß es intuitiv unproblematisch erscheint, an Äußerungen wie die von (S3’’) als Fortgang der Konversation bspw. anzuhängen »Aber sie wären auch meine Lieblingsband, wenn sie diese Platte nicht gemacht hätten, die anderen sind noch besser«, in Kombination mit den illustrierten Abgrenzungsproblem eine einheitliche Analyse klar überlegen erscheinen. Einfache Demonstrativa sind aufgrund ihrer semantischen Eigenschaften konventionelle »Anzeiger« einer direktreferentiellen Intention. Sie sind wie Eigennamen konventionell für direkte Bezugnahmen »vorgesehen« und dienen der intersubjektiven Vermittlung singulärer Gehalte. Dies gilt für alle nichtanaphorischen Verwendungen von Demonstrativa, also auch für verschobene Bezugnahmen, da die Parallelen zwischen unmittelbaren und verschobenen Bezugnahmen überwiegen und die Unterscheide nicht eine gänzlich unterschiedliche semantische Analyse rechtfertigen. Demnach ist jede indirekte Referenz mittels Demonstrativa pragmatisch zu erklären und im Folgenden ist ein Ansatz gefragt, der auch die Referenzbestimmung in Falle verschobener demonstrativer Bezugnahmen einfangen kann. Vor diesem Hinter134 Die Problematik weist gewisse Parallelen zur »metaphysischen Uneindeutigkeit von Zeigungen« auf, auf die ich im kommenden Abschnitt zu sprechen komme.
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grund komme ich nun auf die Aufgabe zurück, die semantischen Regeln zur Bestimmung der Referenten demonstrativer Bezugnahmen herauszuarbeiten.
Die Aufgabe In Kapitel 3 ist deutlich geworden, daß die Referenten von Demonstrativa nicht allein auf der Grundlage von sprachlichen Regeln bestimmt werden können. Dennoch ist deren Bestimmung meiner Auffassung zufolge nicht nur linguistisch gefordert (›triggered‹), sondern auch linguistisch geleitet (›controlled‹), derart, daß die Art und Weise, wie nichtsprachliche Elemente in die Referenzbestimmung einzubeziehen sind, durch implizite semantische Regeln bestimmt ist, die wir als kompetente Sprecher unbewußt befolgen und die uns nicht unmittelbar zugänglich sind. Einfache Demonstrativa haben so gut wie keinen deskriptiven Gehalt, der bei der Fixierung der Referenten zu Hilfe genommen werden könnte. Was ihnen prima facie eigen ist, ist ihre hinweisende Funktion. Diese scheint im character von Demonstrativa verankert zu sein, ist aber erläuterungsbedürftig und begründet an sich noch kein Kriterium zur Referenzbestimmung. Ein solches im allgemeinen Kaplanschen Rahmen einer Theorie der indexikalischen Referenz herauszuarbeiten, ist die Hauptaufgabe dieses Kapitels. Ein Vorhaben dieser Art bringt Allyson Mount folgendermaßen auf den Punkt: While meaning and reference are different phenomena, with nonindexical terms meaning generally affects reference in fairly straightforward ways. The relationship between the meaning and reference of indexicals is more complex, but sorting it out is a necessary first step in any theory of indexicality. (Mount 2012:339f.) Character rules capture the aspect of meaning that remains the same from use to use, and Kaplan’s theory explains the relationship between the meaning and referents of indexicals – in general. While Kaplan’s focus is on providing a theoretical framework for indexicals and demonstratives rather than on specifying what the character rules are for each indexical, one could work within his framework to do so. (Mount 2012:441)
Den erstgenannten allgemeinen Teil einer (philosophischen Betrachtung der) Semantik von Demonstrativa hat Kaplan sozusagen erledigt (im Groben – auch da gibt es Einiges einzuwenden bzw. zu diskutieren), nun soll die Referenzbestimmung speziell bei Demonstrativa genauer ins Auge gefasst werden. Ich möchte im Folgenden also für einfache Demonstrativa genau das tun, was Mount am Ende dieses Zitats anspricht, nämlich versuchen, die semantischen Regeln, die die Bestimmung der Referenten von einfachen Demonstrativa implizit leiten, auf eine möglichst präzise Weise explizit zu machen. Diese Regeln können wir als in der linguistischen Bedeutung von Demonstrativa – Kaplans character im
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ersten Sinne (vgl. S. 116) – verankert auffassen. Kompetente Sprecher verfügen meiner Auffassung zufolge über implizites semantisches Wissen von diesen Verwendungsregeln (vgl. S. 10). Mit diesen Voraussetzungen im Gepäck können wir auch bei einfachen Demonstrativa von semantischen Referenten im Unterschied zu Sprecherreferenten sprechen und Kripkes Unterscheidung (vgl. Kripke 1977) auch auf auf diese Klasse von Ausdrücken übertragen – mit der Maßgabe, daß die Referenzbestimmung nicht rein sprachlich erfolgt, aber doch durch linguistische Regeln geleitet ist. Mit anderen Worten ist bei Demonstrativa nicht der Referent selbst, sondern der Weg zum Referenten sprachlich bestimmbar. Daß auch demonstrative sprachliche Bezugnahmen in Übereinstimmung mit bestimmten semantischen Regeln erfolgen bzw. die Referenzbestimmung bestimmten Bedingungen unterliegt, ist Bedingung der Möglichkeit dafür, in einem noch zu spezifizierenden Sinne die Objektivität demonstrativer Referenz zu gewährleisten. Dabei ist zuvorderst zu beachten, daß Sprecher, sobald es Adressaten für ihre Äußerungen gibt – und das ist sicherlich der Standardfall der Verwendung sprachlicher Ausdrücke – mittels Demonstrativa nicht uneingeschränkt auf jedweden Gegenstand referieren können, an den sie gerade denken. Auf diese Weise können sie zwar eine mentale Bezugnahme ausdrücken, bewegen sich dabei allerdings zunächst nur auf der Ebene der Sprecherreferenz. Semantische Regeln kommen ins Spiel, sobald es darum geht, intersubjektive Referenz zu gewährleisten. Es ist daher ein Adäquatheitskriterium an entsprechende Auffassungen, daß die Art und Weise, wir die Referenten ihnen zufolge bestimmt werden, die prinzipielle Intersubjektivität der Referenz sicherstellen kann und die Theorien so der Normativität von Sprachverwendung gerecht werden. Dies tun sie, indem sie das, was unserer Sprachpraxis implizit zugrunde liegt, explizit machen und spezifizieren, so daß wir zu einen möglichst präzise formulierten Kriterium gelangen, welches unserer Praxis am besten gerecht wird und unsere semantischen Intuitionen am besten einfängt. Ob und wenn ja, wie genau Sprecherreferenz eingeschränkt wird, um eine (wie auch immer geartete) »Objektivität« demonstrativer Referenz zu erreichen, ist Gegenstand kontroverser Diskussionen. Methodisch spielt die Betrachtung von Problemen, die sich im Zuge demonstrativer Bezugnahmen ergeben können, auf der Suche nach einem allgemeinen Kriterium zur Referenzbestimmung eine zentrale Rolle. Wie die Referenzbestimmung bei Demonstrativa funktioniert und welche Probleme sich dabei ergeben können, muß anhand von Beispielen herausgearbeitet werden. Für die Beurteilung von Beispielen ist wiederum Rekurs auf semantische Intuitionen vonnöten. Kompetente Sprecher befolgen semantische Regeln implizit, sie sind sich ihrer normalerweise nicht bewußt. Wenn wir diese Regeln
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explizit machen wollen, müssen wir uns an unseren semantischen Intuitionen bezüglich der Referenz von Demonstrativa in tatsächlichen oder hypothetischen Fällen orientieren. Dabei sind die Fälle, in denen etwas »schiefgeht«, besonders instruktiv. Sie helfen uns, die tentative Formulierung, mit der wir beginnen, so zu modifizieren, daß wir auch in »Problemfällen« die intuitiv richtigen Ergebnisse bekommen. Wichtig dabei ist, daß semantische Intuitionen per se nicht darauf abzielen, ob die relevanten Äußerungen in einem pragmatischen Sinne gelungen sind, i. e. den vom Sprecher intendierten Zweck erfüllen, sondern ausschließlich darauf, was den linguistischen Regeln entspricht. Später wird sich allerdings zeigen, daß diese beiden Fragen meiner Auffassung zufolge im Falle von Demonstrativa enger miteinander relationiert sind, als dies bei anderen Klassen von Ausdrücken der Fall ist. Obwohl nicht alle kompetenten Sprecher bezüglich aller Beispiele die gleichen Intuitionen haben, ist Rekurs auf Intuitionen im Umgang mit schwierigen Fällen dennoch unverzichtbar. In der Regel gibt es klare Tendenzen, zudem lassen sich unterschiedliche Beurteilungen manchmal darauf zurückführen, daß die Beispiele in relevanten Hinsichten unterspezifiziert sind. Wenn dies nicht der Fall ist, ist eine Theorie zu bevorzugen, die entweder insgesamt mehr Intuitionen einfangen kann, oder eine Theorie, die die besseren Erklärungen dafür anzubieten hat, warum sie bestimmte Intuitionen nicht einfangen kann (und diese Intuitionen bestenfalls »wegerklären« kann). Ich möchte die allgemeine Vorgehensweise nun an einem Beispiel veranschaulichen, und zwar an Kaplans »Carnap/Agnew-Bild«-Beispiel, dem wohl bekanntesten in der Literatur diskutierten »Problemfall«: (B1) »Carnap/Agnew-Bild« Suppose that without turning and looking I point to the place on my wall which has long been occupied by a picture of Rudolf Carnap and I say : Dthat [I point as above] is a picture of one of the greatest philosophers of the twentieth century. But unbeknownst to me, someone has replaced my picture of Carnap with one of Spiro Agnew. (Kaplan 1978:239)
Als tentative Regel zur Referenzbestimmung bei Demonstrativa wähle ich (TR): (TR) Demonstrativa beziehen sich auf den Gegenstand, auf den der Sprecher (S) den Hörer (H) hinweisen will. Bezüglich (B1) sind die meisten Theoretiker sich darüber einig, daß S auf das Bild von Agnew referiert, obwohl das Bild von Carnap die in (TR) ausgedrückte
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tentative Formulierung einer Bedingung für demonstrative Bezugnahme erfüllt: S wollte auf das Bild von Carnap hinweisen; dieses Bild ist der vom Sprecher ursprünglich intendierte Referent. S hat es aber nicht geschafft, H auf das Bild von Carnap hinzuweisen und folglich scheint (TR) nicht hinreichend für die Referenzbestimmung zu sein. Manche Theoretiker halten (TR) nicht einmal für eine notwendige Bedingung für demonstrative semantische Referenz und sind der Auffassung, daß wir auf sog. intentionale Kriterien der Referenzfestlegung gänzlich verzichten können und sollten (vgl. z. B. Wettstein 1984, 1986, Gauker 2008). In Bälde wird sich zeigen, daß sowohl (TR) als auch die Beschreibung des Beispiels (B1) so, wie sie dastehen, zu unspezifisch sind, um eine systematische Einordnung und Beurteilung zu erlauben: Wollte S in einem gewissen Sinne nicht doch auch auf das Bild von Agnew hinweisen (schließlich hat sie hinter sich gezeigt)? Und macht es einen Unterschied, ob die Hörer wissen, das S das Bild von Carnap, welches dort früher hing, meinte? Bei genauerem Nachdenken über das Beispiel bzw. dessen mögliche Variationen stellen sich solche und ähnliche Fragen, auf die ich weiter unten zu sprechen komme. An dieser Stelle geht es zunächst darum, die allgemeine Problematik darzustellen: Offenbar unterscheiden wir auch bei Demonstrativa (in manchen Fällen) intuitiv zwischen semantischer Referenz und Referenz des Sprechers. Die Basis für diese Unterscheidung muß im character (ch1) von Demonstrativa liegen, den es explizit zu machen gilt. Um diese Aufgabe zu bewältigen und zu einem Kriterium für die Referenzbestimmung von Demonstrativa zu gelangen, ist es zentral, zu klären, welche Rolle Demonstrationen, Sprecherintentionen und die Salienz von Gegenständen jeweils für die Referenzbestimmung spielen. Jedes dieser Elemente kann in der einen oder anderen Weise Beschränkungen auf mögliche Referenten liefern bzw. als Ermöglicher für regelkonforme Referenz fungieren. Die Bestimmung der Rolle dieser drei Elemente für demonstrative Bezugnahmen erfordert wiederum eine genauere Auseinandersetzung mit diesen Begrifflichkeiten. Von den drei genannten nichtsprachlichen Elementen, die bei der Referenzbestimmung eine wichtige Rolle spielen könnten, sind Demonstrationen das erste, das einem in den Sinn kommt. Sie sind prima facie das geeignetste Mittel, um die hinweisende Funktion von Demonstrativa zu erfüllen, i. e. Hörer auf intendierte Referenten aufmerksam zu machen. Daran, wie wir den Begriff der Demonstration verstehen, hängen womöglich die Antworten auf weitere relevante Fragen, so daß die favorisierte Auffassung von Demonstrationen ggfs. eine wichtige theoretische Weichenstellung darstellt. Sehen wir uns diesen Begriff daher im Folgenden genauer an!
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Der Begriff der Demonstration
Laut Kaplan unterscheiden sich Demonstrativa von anderen Indexikalia dadurch, daß sie ohne eine begleitende Demonstration unvollständig sind. Eine Demonstration sei notwendig, um den Referenten eines Demonstrativums in einem Kontext zu bestimmen: Some of the indexicals require, in order to determine their referents, an associated demonstration: typically, though not invariably, a (visual) presentation of a local object discriminated by a pointing. These indexicals are the true demonstratives, and ›that‹ is their paradigm. The demonstrative (an expression) refers to that which the demonstration demonstrates. I call that which is demonstrated the ›demonstratum‹. (Kaplan 1989b:490)
Dieser Passage zufolge sind die Referenten von Demonstrativa mit den Demonstrata entsprechender Demonstrationen identisch. Bei verschobenen Bezugnahmen stimmt das nicht, denn in diesen Fällen ist der Proxy das Demonstratum, aber nicht der Referent. Diese Fälle hat Kaplan allerdings nicht im Blick und ich möchte sie zunächst zurückstellen. Aber auch davon unabhängig läßt sich bezweifeln, ob Demonstrata ipso facto auch die Referenten demonstrativer Bezugnahmen sind. Zudem haben viele Theoretiker – auch Kaplan selbst später in den Afterthoughts – eingewendet, daß Demonstrationen die Äußerungen von Demonstrativa nicht immer begleiten müssen; sie seien verzichtbar, wenn der intendierte Referent ohnehin schon im Fokus der Aufmerksamkeit steht. Wir sollten daher die folgenden Fragen im Hinterkopf behalten: 1. Sind Verwendungen von Demonstrativa ohne Demonstration tatsächlich immer unvollständig? 2. Wann gilt ein Gegenstand als demonstriert? 3. Sind Demonstrata ipso facto die Referenten entsprechender Bezugnahmen, so daß gilt: D(x) ! R(x)? Um diese Fragen beantworten zu können, müssen wir klären, was unter einer Demonstration zu verstehen ist und, im Lichte konkurrierender Auffassungen auch, wie wir den Begriff der Demonstration verstehen sollten. Was heißt es also, etwas zu demonstrieren und wie wird ein Gegenstand zum Demonstrierten? Kaplan bemerkt, daß Demonstrationen paradigmatischerweise mit Zeigungen mittels körperlicher Gesten einhergehen. Er hebt in der zur gerade zitierten Passage gehörigen Fußnote aber auch hervor, daß der Begriff der Demonstration ein theoretischer Begriff ist, der nicht so eng verstanden werden muß: However, a demonstration may also be opportune and require no special action on the speaker’s part, as when someone shouts »Stop that man« while only one man is rushing
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toward the door. My notion of a demonstration is a theoretical concept. I do not, in the present work, undertake a detailed ›operational‹ analysis of this notion although there are scattered remarks relevant to the issue. (Kaplan 1989b:490, Fn. 9)
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, zwischen dem Anbringen oder Starten einer Demonstration (›to mount a demonstration‹ (MD))135 und dem tatsächlichen Demonstrieren eines Gegenstandes (›to demonstrate an object‹ (DO)) zu unterscheiden. S kann eine Demonstration anbringen, ohne dabei auch tatsächlich einen Gegenstand zu demonstrieren. Damit wäre der Akt des Demonstrierens sozusagen fehlgeschlagen, er hätte sein Ziel nicht erreicht. Paradigmatische Fälle sind Äußerungen von Demonstrativa, zu denen Halluzinationen oder optische Täuschungen Anlaß geben.136 MD ist also notwendig, aber nicht hinreichend für DO. Meiner Auffassung zufolge ist MD ein intentionaler Akt, d. h. ohne Rekurs auf Sprecherintentionen läßt sich nicht bestimmen, ob in einem Kontext eine Demonstration angebracht wurde. Nehmen wir an, S zuckt beim Äußern eines demonstrativen Ausdrucks unwillkürlich der Arm und die resultierende Bewegung deutet H fälschlicher- aber nachvollziehbarerweise als eine Zeigung in Richtung eines bestimmten Gegenstandes. Meiner Auffassung zufolge hat S in so einem Fall keine Demonstration angebracht und folglich auch nichts demonstriert. Nehmen wir nun aber an, S wollte auf Gegenstand a zeigen und beim Ausführen der entsprechenden Handbewegung erleidet sie eine ähnliche Zuckung – mit der Folge, daß sie im Moment der Äußerung auf Gegenstand b zeigt. In diesem Fall ist meines Erachtens eine Demonstration angebracht worden, aber S hat nicht den Gegenstand demonstriert, den sie demonstrieren wollte. Ich halte diese Ergebnisse soweit für intuitiv einleuchtend. Im Hinblick auf die von Kaplan veranschlagte Unvollständigkeit von Demonstrativa ist also die MD -Komponente des Begriffs der Demonstration (der seinerseits in MD und DO zerfällt) relevant. Wenn für das Vorliegen von MD ausschließlich intentionale Faktoren ausschlaggebend sind und keine weiteren äußeren oder »physikalischen« Bedingungen hinzukommen, läßt sich MD gewissermaßen trivialisieren und Kaplan behält offenbar recht: Wenn MD ein intentionaler Akt ist, der in der Intention fundiert ist, den Hörer auf einen bestimmten Gegenstand hinzuweisen, geht jede korrekte Verwendung von Demonstrativa notwendig mit dem Anbringen einer Demonstration einher und wir können Frage 1 affirmativ beantworten. Jede korrekte Verwendung eines De-
135 Vgl. Kaplan 1989b:525 und im Anschluß Salmon 2002:499, Predelli 2012:557. 136 Carruthers (1987) diskutiert Fälle der gemeinsamen Halluzination, bei denen (vermeintlich) trotz des Halluzinierens ein »Objekt« demonstriert werden kann.
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monstrativums geht schließlich mit der Intention einher, den Hörer auf etwas hinzuweisen – den intendierten Referenten für ihn salient zu machen.137 Lassen wir dies als vorläufiges Ergebnis stehen und gehen nun davon aus, daß S via MD einen Gegenstand demonstriert. Wie funktioniert das genau: Läßt sich auch DO nur in intentionalen Begriffen angemessen verstehen oder können wir das Ergebnis von MD auch unabhängig, »objektiv« bestimmen? In dem oben angeführten Beispiel der beim Anbringen einer Demonstration entglittenen Handbewegung wirkt es so, als könne man das Demonstratum auch unabhängig von der Intention des Sprechers bestimmen.
Die Unbestimmtheit von Demonstrationen Wenn wir Demonstrationen zunächst wieder relativ eng als sinnlich wahrnehmbare Zeigungen verstehen, die paradigmatischerweise von entsprechenden Gesten begleitet sind, dann fällt auf, daß Gegenstände durch Zeigungen in der Regel nicht eindeutig herausgepickt werden können. Kaplan bemerkt, daß Demonstrationen so verstanden in zweierlei Hinsicht ambig sind: Zum einen zeigen wir, wenn wir auf einen Gegenstand zeigen wollen, oft unwillkürlich auf mehrere Gegenstände, zum anderen gibt es eine Teil-Ganzes-Ambiguität: wenn wir auf einen Gegenstand zeigen, dann zeigen wir damit automatisch auch auf einen seiner Teile. Ein Beispiel für den ersten Fall ist das folgende Szenario:138 Ein Kind steht vor dem Schaufenster eines Geschäfts, +zeigt+ auf ein Kuscheltier im Regal und sagt »Dieses will ich haben!«. Es -zeigt- dabei aber gleichzeitig auf die Schaufensterscheibe und das Regal, in dem das Kuscheltier sich befindet. Ein Beispiel für den zweiten Fall ist: Eine Frau +zeigt+ auf einen Hund und sagt: »Dies ist Fido.« Sie -zeigt- dabei unwillkürlich auch auf sein Fell und seinen Hals. Nun gilt es -Demonstrata- bei der Referenzfestlegung von Demonstrativa auszuschließen und es scheint, als sei hierfür Rekurs auf Intentionales unabdingbar.139 137 Bei Selbstgesprächen können wir sagen, MD sei trivial erfüllt. Solche Verwendungen sind in Relation zu denjenigen zum Zwecke der intersubjektiven Referenz derivativ. 138 Ich habe die Vorkommnisse des Verbs »zeigen«, die den von Sprecher nicht intendierten »Demonstrationen« entsprechen, mit »-« markiert, und die, die den intendierten »Demonstrationen« entsprechen, mit »+«. 139 Ich sage »es scheint«, weil man auch meinen könnte, daß der linguistische Kontext und/ oder andere objektive (i. S.v. nichtintentionale) Kontextfaktoren zur Desambiguierung von Zeigungen ausreichen. Auf unsere Beispiele bezogen könnte man z. B. Folgendes sagen: Ad (1) Kinder wollen normalerweise nicht Schaufensterscheiben oder Regale haben, sondern die Spielsachen, die sie dadurch bzw. in ihnen sehen. Ad (2) Der Ausdruck »Fido« schließt qua Eigenname aller Wahrscheinlichkeit nach aus, daß wir ihn in einer Identitätsaussage verwenden, bei der eines der Relata der Hals oder das Fell eines Hundes ist. Aber : Könnten
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Intentionen, Demonstrationen, Salienz
Diese Einsicht bringt Kaplan in den Afterthoughts dazu, Demonstrationen als theoretisch unerhebliche Externalisierungen der für die Referenzbestimmung ausschlaggebenden ›directing intention‹ anzusehen:140 In Demonstratives I took the demonstration, »typically, a (visual) presentation of a local object discriminated by a pointing«, to be criterial for determining the referent of a demonstrative. While recognizing the teleological character of most pointing – it is typically directed by the speaker’s intention to point at a perceived individual on whom he has focused – I claimed that the demonstration rather than the directing intention determined the referent. I am now inclined to regard the directing intention, at least in the case of perceptual demonstratives, as criterial, and to regard the demonstration as a mere externalization of this inner intention. The externalization is an aid to communication, like speaking more slowly and loudly, but is of no semantic significance. (Kaplan 1989a:582)
Demonstrationen dienen demnach lediglich der Emphase, analog zum Zeigen auf sich selbst, wenn man »ich« sagt (vgl. Kaplan 1989a:582, Fn. 35). Aus diesem Grunde sprechen viele Theoretiker davon, daß Kaplan seine Position in Bezug auf die Referenzfestlegung bei Demonstrativa von Demonstratives (1989b [1977]) zu Afterthoughts (1989a) grundlegend geändert hat, nämlich von einer sogenannten kontextuellen Position hin zu einer intentionalen. Das ist prima facie richtig, aber wir sollten im Blick behalten, daß Kaplan den Begriff der Demonstration in den Afterthoughts sehr eng versteht, nämlich in dem gerade beschriebenen Sinne von »sinnlich wahrnehmbare Zeigung«, während er in Demonstratives hervorhebt, daß der Begriff der Demonstration ein theoretischer Begriff ist, der sehr viel weiter verstanden werden kann (siehe Zitat auf S. 189f.). Dieser Auffassung aus Demonstratives zufolge hat Kaplan bezüglich des Begriffs der Demonstration also auch andere Optionen – Optionen, bei denen die zugestandene »intentionale Desambiguierung« der Demonstration bereits inhärent ist. Solche Optionen lotet Kaplan aber nicht aus.
wir nicht einen Typ von Hundefell »Fido« genannt haben? Der linguistische Kontext und die mit dem Sprachverstehen einhergehende lebensweltliche Einbettung helfen uns bei der Referenzbestimmung unbestrittenermaßen weiter (alleine Genus und Numerus sind häufig schon ein wichtiger Indikator). Aber zum einen rekurrieren wir bei solchen Überlegungen indirekt auch auf intentionale Zustände, nämlich ›Weltwissen‹, nichtokkurente Meinungen bzw. auf Induktion gestützte Hintergrundannahmen, die wir prinzipiell explizit machen könnten. Zum anderen ist es fraglich, ob dies den Rekurs auf intentionale Zustände von S (und ggfs. auch H – dazu später mehr) immer verzichtbar macht. Weiter unten werde ich plausibel machen, daß die Referenzbestimmung bei Demonstrativa ohne Rekurs auf Sprecherintentionen ein hoffnungsloses Unterfangen ist. 140 Ich habe mich entschieden, den Terminus »directing intention« nicht zu übersetzen, da mir keine Option als eine optimale Übersetzung erscheint – Versuche wären »Verweisungsintention« bzw. »verweisende/hinweisende/leitende Intention«. Im Folgenden benutze ich daher – analog zu character und content – Kaplans englischen Terminus in kursiver Schrift.
Der Begriff der Demonstration
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Im Hinblick auf die DO -Komponente des Begriffs der Demonstration ist der Punkt letztlich ein terminologischer : Entweder der Begriff des Demonstrierens eines Gegenstandes ist selbst ein »Hybrid« und beinhaltet sowohl objektive als auch intentionale Komponenten oder wir haben »objektive« Demonstrationen und müssen (pace Wettstein & Gauker) noch etwas Intentionales hinzunehmen, um die Demonstrata zu bestimmen. Die meisten Theoretiker verwenden »Demonstration« im letzteren, engen Sinne und verdrängen dabei offenbar die Unbestimmtheitsprobleme, die Kaplan in den Afterthoughts dazu bringen, Demonstrationen als theoretisch unerhebliche Externalisierungen von directing intentions anzusehen. Demonstrationen demonstrieren demnach unabhängig davon, was S intendiert oder H erkennt und das Problem der Unbestimmtheit haftet ihnen sozusagen aus metaphysischen Gründen an. Borgs diesbezügliche Auffassung ist eher eine Ausnahme: Now it seems that ›demonstration‹ is itself a notion which must be understood in intentional terms: a is the object demonstrated in a given context of utterance if it is the object the speaker intends to bring to her audiences’ attention as the referent of her utterance. (Borg 2004:151)
Demonstrationen sind laut Borg zwar Merkmale des Kontextes, müssen aber bereits in intentionalen Begriffen verstanden werden, was dazu führt, daß man sie nicht mehr dem »formal handhabbaren« engen Kontext im Sinne von Bach zurechnen kann. Aber auch wenn wir Borg darin zustimmen, daß DO eine nicht eliminierbare intentionale Komponente beinhaltet, so müssen wir trotzdem Raum lassen für die Möglichkeit, daß S nicht das demonstriert hat, was sie demonstrieren wollte. Dies ist in gewisser Weise in Bsp. (B1) der Fall, den der S wollte klarerweise das Bild von Carnap demonstrieren. In Fällen wie (B1) gibt es aufgrund von Fehlidentifikationen allerdings mehrere Gegenstände für die gilt, daß sie der – oder in diesen Fällen entsprechend genauer – ein Gegenstand sind, auf den der Sprecher den Hörer als Referenten seiner Äußerung aufmerksam machen will. Hier konfligiert die ursprüngliche referentielle Intention mit der directing intention, die der Sprecher durch das Anbringen der Demonstration externalisiert. Bezüglich der ersten beiden Fragen auf S. 189 können wir festhalten, daß Anbringen einer Demonstration noch kein Demonstratum garantiert und daß Demonstrata allem Anschein nach nicht »objektiv« bestimmt werden können. Ob Demonstrativa ohne MD unvollständig sind, läßt sich an dieser Stelle noch nicht abschließend klären. Ich komme nun zur dritten oben angeführten Frage, nämlich ob gilt: (DR) D(x) ! R(x)
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Intentionen, Demonstrationen, Salienz
Borg scheint mit ihrer intentionalen Auffassung von Demonstrationen (DR) zu akzeptieren, wobei die Option offen bleibt, daß die Referenten ggfs. auch anders als mittels einer Demonstration bestimmt werden. Reimer (1991a, 1991b) akzeptiert (DR) ebenfalls. Demonstrata sind ihrer Auffassung zufolge ipso facto auch die Referenten entsprechender Ausdruckstoken, aber auch für sie gilt nicht das stärkere Bikonditional (DR*) D(x) $ R(x) Bach (1992) lehnt (DR) hingegen ab und gewichtet referentielle Intentionen höher als Demonstrationen; Mount (2008) vertritt einen salienzbasierten Ansatz und lehnt (DR) ebenfalls ab. Ihr zufolge sind Demonstrationen zwar eine relativ verläßliche Möglichkeit für S, den intendierten Referenten auch für H salient zu machen, aber dennoch eben nur eine Möglichkeit, die unter Umständen übertrumpft werden kann. Ein wichtiger Vorteil von Ansätzen, die (DR) ablehnen, ist, daß sie keine Bedingungen dafür angeben müssen, wann ein Gegenstand demonstriert ist (d. h. keine genaue Antwort auf Frage 2 liefern müssen), da das Gesamtkriterium zur Referenzbestimmung nicht in Begriffen von Demonstrationen bzw. Demonstrata ausbuchstabiert wird. Wir könnten (DR) relativ unspektakulär akzeptieren, wenn wir uns den Begriff der Demonstration (als einen theoretischen Begriff) entsprechend hinkonstruierten. So könnte Kaplan seine Ansätze in Demonstratives und in den Afterthoughts miteinander verbinden, indem er behauptet, Demonstrationen seien gelungene Externalisierungen von directing intentions. Das hieße, das Verb »demonstrieren« in dem Sinne als Erfolgsverb zu verstehen, daß ein Gegenstand g erst dann durch S demonstriert ist, wenn H g als demonstriert erkannt hat. Ein Gegenstand g wäre demnach genau dann das Demonstratum einer Demonstration, wenn S es geschafft hat, g für H als Demonstratum kenntlich zu machen – unabhängig davon, wie S das geschafft hat. Zeigungen wären nur eine mögliche Art der Demonstration. In diesem Falle wäre DO notwendige und hinreichende Bedingung zur Referenzbestimmung und der demonstrierte Gegenstand immer auch der Referent – wir könnten dann sogar (DR*) akzeptieren. Mit so einer Konzeption würden wir uns allerdings einigen terminologischen Spielraums berauben. Wir könnten bspw. nicht mehr sagen, H hätte eine Demonstration mißverstanden oder nicht bemerkt, zudem wären Demonstrationen nicht ambig etc. Auch wenn man DO so verstehen und den Begriff der Demonstration so verwenden kann, daß die Demonstrata ipso facto auch die Referenten der entsprechenden demonstrativen sprachlichen Bezugnahmen sind, tun die meisten Theoretiker dies aus gutem Grund nicht, denn sie wollen Fälle zulassen, in denen der demonstrierte Gegenstand nicht der Bezugsgegenstand des entsprechenden Demonstrativums ist. Die Möglichkeit des Aus-
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einanderfallens von Demonstratum und Referent erlaubt es uns, Fälle genauer zu beschreiben und zu analysieren, in denen bei der Verwendung von Demonstrativa »etwas schiefgeht«. Meines Erachtens ist das Demonstratum selbst dann nicht notwendigerweise der Referent der Demonstrativen Ausdrucks, wenn wir den Begriff der Demonstration in dem Sinne auf Erfolgsbegriff verstehen, daß DO analytisch als erkannte Demonstration eines Gegenstandes zu verstehen ist.141 Im Folgenden unterscheide ich daher prinzipiell zwischen Demonstrata und Referenten: Es ist nicht trivial, daß der demonstrierte Gegenstand (wenn es denn einen gibt) auch der Referent des entsprechenden demonstrativen Ausdrucks ist, dessen Äußerung von der Demonstration begleitet wird. Das bedeutet, daß die Frage nach dem Referenten eines token eines einfachen demonstrativen Ausdrucks nicht schon auf der Ebene der Demonstration geklärt wird, sondern die Demonstration ein relevanter Faktor für die Referenzbestimmung ist, dessen Rolle ja nach Ansatz variieren kann: [W]hen the object intended is not the object demonstrated, questions arise about the relative importance of gestures versus intentions in securing the demonstrative’s reference. (Mount 2008:145)
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Konkurrierende Kriterien der Referenzbestimmung
Marga Reimer gibt in ihrem Aufsatz Three Views of Demonstrative Reference (1992) einen Überblick über drei theoretische Ansätze bezüglich der Frage, wie die Referenten von Demonstrativa bestimmt werden: (A) »kontextuell«: durch intersubjektiv zugängliche, »objektive« Merkmale des Kontextes (B) »intentional«: durch intentionale Zustände des Sprechers (C) »quasi-intentional«: sowohl »objektive« Kontextfaktoren als auch Intentionen spielen eine Rolle Reimer (1992) argumentiert für die dritte Option, die Kaplan ursprünglich in Dthat (1978) vorgeschlagen habe, die dann aber in Verruf bzw. in Vergessenheit geraten sei. Zuvor zeigt Reimer (1991a, 1991b) auf, daß eine rein intentionsbasierte Referenzbestimmung in vielen Fällen kontraintuitive Ergebnisse liefert 141 Der Grund dafür ist, daß aufgrund der verstandenen Demonstration dennoch ein anderer Gegenstand salient werden kann, der beispielsweise eine Ähnlichkeit mit dem Demonstratum aufweist, sodaß der Adressat auf dieser Grundlage erkennt, daß das Demonstratum nicht der von Sprecher eigentlich intendierte Referent ist. Auf solche Fälle komme ich weiter unten zu sprechen.
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und argumentiert dafür, daß die Demonstration in den Fällen, in denen sie mit den Intentionen des Sprechers konfligiert, den Ausschlag gibt. Bach (1992) hingegen versucht, ihre Argumente unter Rekurs auf verschiedene Arten von Intentionen auszuhebeln, um eine intentionsbasierte Referenzbestimmung im Sinne von Kaplan (1989a) zu etablieren. In dem salienzbasierten Ansatz, den ich stark machen möchte, spielen sowohl Intentionen als auch Demonstrationen in engeren Sinne für die Referenzbestimmung nur mittelbar eine Rolle, nämlich insoweit, als sie dazu dienen, den intendierten Referenten für den Adressaten salient zu machen. Im Folgenden mache ich zunächst deutlich, warum weder Position (A) noch Position (B) überzeugen können, wobei ich mich im Kontext der Idee einer intentionalistischen, rein sprecherzentrierten Referenzbestimmung etwas ausführlicher mit Perrys (2009) Position beschäftige. Anschließend diskutiere ich die neueste mir bekannte Version eines quasi-intentionalen Ansatzes von Eliot Michaelson (im Erscheinen), um anhand dieser Position die Probleme aufzuzeigen, mit denen »Mischansätze« generell zu kämpfen haben. Ad (A) Es ist prima facie unklar, wie die Bestimmung der Referenten von einfachen Demonstrativa relativ zu einem Kontext ohne Rekurs auf Sprecherintentionen (bzw. Kontextfaktoren, die Rückschluß auf diese erlauben) funktionieren soll. Wettstein und Gauker sind dennoch der Auffassung, daß es »objektive Referenten« von Demonstrativa und anderen kontextsensitiven Ausdrücken gibt, und zwar in dem Sinne, daß der Referent weder von S’ noch von Hs intentionalen Zuständen abhängt. Das hat zur Folge, daß Sprecher auch ungewollt auf einen Gegenstand referieren können bzw. in Unkenntnis darüber sein können, worauf sie referieren. In Bezug auf (B1) klingt das zunächst nicht unplausibel. Laut Gauker (2008) bestimmt die physikalische Umgebung, zu der auch Demonstrationen (im engen Sinne) gehören, den Referenten. Allerdings hat Kaplan darauf hingewiesen, daß Demonstrationen im engen, nichtintentionalen Sinne keinen Gegenstand eindeutig herauspicken können, da sie in zweierlei Hinsicht ambig sind (s. o.) – der »verlängerte Zeigefinger« allein hilft uns also nicht weiter. Wie kann »der Kontext« dann den Referenten bestimmen? Wettstein (1984, 1986:202) arbeitet mit dem Begriff des Hinweises (›cue‹). Hinweise sollen objektive Kontextfaktoren sein, mittels derer (aufmerksame) Hörer den Referenten ausmachen können. Wenn S die Situation nicht angemessen ausnutzt, kann es sein, daß die »cues« auf etwas anderes hinweisen als das Objekt, auf das S referieren wollte. Die »cues« sollen Gegenstände objektiv salient machen. Diese Gegenstände sind dann die semantischen Referenten der entsprechenden Demonstrativa, ob H das nun erkennt oder nicht. Wir brauchen demnach eine Außenperspektive, die S und H nicht haben – wir als Theoretiker
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tragen normative Kriterien an die Situation heran und bestimmen sozusagen von außen, was die relevanten Hinweise sind und worauf sie verweisen. Wir müssen dabei gezwungenermaßen Idealisierungen vornehmen: »Was würde S normalerweise/rationalerweise meinen?« »Was würde H normalerweise/rationalerweise erkennen?« Meiner Meinung nach kann nicht »objektiv« (i. S.v. ohne Rekurs auf Intentionales) bestimmt werden, was ein »cue« ist. Prinzipiell kann alles ein Hinweis auf alles sein, das hängt wesentlich vom Zweck der Konversation ab. Hinweise können Gegenstände in der Tat salient machen, aber Salienz ist ein intrinsisch pragmatischer Begriff, nicht ein Begriff, der auch pragmatisch verwendet werden kann (vgl. Recanati 2001:86, zitiert auf S. 164). Dies ist eine substantielle These, auf die ich weiter unten im Rahmen der Verteidigung eines salienzbasierten Ansatzes zurückkomme. Nehmen wir zunächst um des Arguments willen an, daß sich relativ zu jeder Situation/jedem Kontext c ein objektiv salienter Gegenstand g ausmachen läßt. Damit wir g plausiblerweise als den Referenten des geäußerten token annehmen können, muß es irgendeine Art von Verbindung zwischen der Äußerung des Demonstrativums und g geben, und zwar eine Verbindung intentionaler (und nicht z. B. rein kausaler) Art. Anderenfalls stünde die Bestimmung des Referenten nicht mit S’ Äußerung qua Handlung in Zusammenhang. S muß zumindest (implizit) gewollt haben, daß der in c objektiv saliente Gegenstand g der Referent des geäußerten token ist (wenn das die semantische Regel ist).142 Anderenfalls würde auch ein token von »dies«, den ein Papagei äußert, auf den relativ zum Kontext objektiv salienten Gegenstand referieren. In (B1) besteht so eine Verbindung, denn S glaubt fälschlicherweise, daß sie mittels ihrer Zeigung das Bild von Carnap demonstriert. Aufgrund einer Fehlidentifikation glaubt sie, daß der von ihr intendierte Referent ri (das Bild von Carnap) mit dem salienten Gegenstand g (dem Bild von Agnew) identisch ist.143 Für den kontextuellen Ansatz ergeben sich jedoch Probleme, wenn im Moment der Äußerung etwas »objektiv salient« wird, was nichts mit der Äußerung zu tun hat. Nehmen wir an S sagt »Dies ist F« und im Moment der Äußerung explodiert in der Nähe eine Bombe. Dieses Ereignis wird sofort »objektiv salient«, es wäre aber kontraintuitiv zu sagen, es sei deshalb auch der Referent des 142 Diese Forderung ist gewissermaßen on par mit der von Kripke (1977) postulierten generellen Intention, mit Eigennamen auf ihre semantischen Referenten zu referieren, oder mit der allgemeinen Absicht, Worte entsprechend ihrer konventionellen Bedeutung zu verwenden, die Burge (1986) Sprechern zuschreibt. 143 Aufgrund ihrer falschen Annahme möchte S in gewisser Weise auch auf g referieren, nämlich unter der Beschreibung »das Bild, das hinter mir hängt und auf das ich gerade zeige«. Für solche Intentionen führt Kaplan Begriff der directing intention ein. Zur Diskussion konfligierender Intentionen komme ich in Bälde!
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geäußerten token, insbesondere wenn H versteht, worauf S referieren wollte. Allgemein formuliert lautet der Einwand: Selbst wenn für jeden Äußerungskontext c ein objektiv salienter Gegenstand g bestimmbar ist, ist unklar, warum g der semantische Referent des in c geäußerten Demonstrativums sein sollte, wenn g weder für S noch für H konversational von Interesse ist. Das Spezifische an Demonstrativa – das, was sie von allen anderen Klassen sprachlicher Ausdrücke unterscheidet – ist, daß so eine Konzeption von semantischer Referenz für sie keinen Sinn macht. Die Referenzbestimmung bei Demonstrativa muß soweit sprecherzentriert erfolgen, daß MD und die entsprechenden vorangegangenen Intentionen den notwendigen Ausgangspunkt für die Referenzbestimmung bilden, zu dem dann weitere Bedingungen dazukommen. Ad (B) Der Gegenstand, den S als Referenten intendiert und der Gegenstand, den H als Referenten auffasst müssen nicht identisch sein. Wer der Auffassung ist, daß nur die Sprecherintentionen ausschlaggebend sind, ist sogleich dem sog. »Humpty-Dumpty«-Problem ausgesetzt: Auch wenn die Referenzbestimmung bei Demonstrativa sprecherzentrierter erfolgen soll, als dies bei anderen Ausdrücken der Fall ist, wollen wir intuitiv nicht zulassen, daß S mit »dies« oder anderen demonstrativen Ausdrücken auf alles referieren kann, wonach ihr der Sinn steht. Wenn S und H sich gemeinsam in einem Geschäft Fahrräder ansehen, uns S plötzlich (ohne begleitende Zeigung o. ä.) sagt »Dieses möchte ich haben!«, weil sie gerade an das Fahrrad gedacht hat, daß sie vor zwei Wochen in einem anderen Geschäft gesehen hat (H aber nichts davon weiß, und auch nicht darauf schließen kann), dann wollen wir nicht sagen, daß »dieses« semantisch auf das Rad referiert, das S gerade im Sinn hatte. Perry sieht das offenbar anders, bringt dabei aber mentale Referenz und demonstrative sprachliche Referenz durcheinander : So, my understanding of directing intentions is this. I think you can use a demonstrative to refer to anything you can think of. It may be something you remember, or see, or hear, a sensation you are having, someone you are talking to on the phone, or whatever. However you think of it, if you can think of it you can form an intention to refer to it, and can do so. If, in the middle of a lecture, I stop, look into the distance, and say, ›That man is a fool‹ intending to refer to some government official, I will have referred to that person, and quite possibly said something true. Reference is easy. Communication is not so easy. (Perry 2009:198)
In diesem Zusammenhang weitet Perry den Kaplanschen Begriff der directing intention (DI) in einer unzulässigen Weise aus: Man kann Kaplans Begriff der DI sinnvoll ausweiten, nämlich so, daß DI s nicht, wie bei Kaplan, nur auf wahrnehmungsmäßig präsente Gegenstände gehen können. Dies ist sogar notwendig, um das »Carnap/Agnew-Bild«-Beispiel angemessen zu handhaben, da der
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Sprecher in (B1) das hinter ihm hängende Bild nicht sieht. Entscheidend dabei ist aber, daß DIs inhärent adressatenorientiert sind. Es handelt sich – wie der Name schon sagt – um auf Kommunikation ausgerichtete Intentionen. Daher hat per definitionem keine Person S eine DI, demonstrativ auf den Gegenstand zu referieren, an den sie gerade denkt. Folglich sind in Selbstgesprächen keine DI s involviert, obwohl es auch dort zu konfligierenden Intentionen aufgrund von Fehlidentifikationen kommen kann. Sprachliche Bezugnahme muß nach Regeln erfolgen, die sie prinzipiell intersubjektiv zugänglich machen. Nehmen wir an, eine Person verwendet Demonstrativa immer in der Art und Weise wie der Sprecher in Perrys gerade zitiertem Beispiel, d. h. zum Ausdrücken von okkurrenten mentalen Bezugnahmen unabhängig davon, ob die Hörer eine Chance haben, den gemeinten Gegenstand zu identifizieren. Von so einem Sprecher können wir mit Fug und Recht behaupten, daß er nicht verstanden hat, wie Demonstrativa funktionieren. Da solche Sprecher die im character von Demonstrativa verankerte hinweisende Funktion ignorieren, können wir ihnen gerechtfertigterweise den Status des kompetenten Verwenders dieser Klasse von Ausdrücken absprechen. Die Kompetenz mit Demonstrativa zeigt sich dadurch, daß eine DI via MD externalisiert wird – mit dem Ziel, den intendierten Referenten für den Adressaten salient zu machen. Die einzige Ausnahme sind Selbstgespräche. In diesen ist weder eine DI noch MD notwendig, formal betrachtet können wir demonstrative Sätze im Kontext von Selbstgesprächen als Fälle klassifizieren, in denen diese Anforderungen trivial erfüllt sind. Bei Äußerungen, die in Anwesenheit anderer Personen stattfinden, kann die Abgrenzung u. U. schwierig sein. In jedem Fall sind Verwendungen von Demonstrativa in Selbstgesprächen in Relation zu adressatenorientierten Äußerungen derivativ und können daher nicht als Paradigma für die Referenzbestimmung dienen. Zudem handelt es sich bei der Äußerung in der von Perry beschriebenen Situation plausiblerweise nicht um ein Selbstgespräch, denn es entspricht nicht den gängigen Konventionen, diese am Pult eines gefüllten Vorlesungssaals zu führen. Meiner Auffassung zufolge gibt es in diesem Fall keinen semantischen Referenten des demonstrativen Ausdrucks, sondern nur einen Sprecherreferenten. Auf der mentalen Ebene liegt nur eine »gewöhnliche« intentionale Bezugnahme vor, aber nicht die für demonstrative Bezugnahmen charakteristische adressatenorientierte directing intention. DI s sind eine spezifische Variante referentieller Intentionen, die durch Demonstrationen externalisiert werden und somit mit der hinweisenden Funktion von Demonstrativa in einer engen begrifflichen Relation stehen. Interessanterweise passen Perrys Ausführungen insgesamt nicht dazu, daß die Referenten von Demonstrativa ausschließlich unter Rekurs auf die Intentionen von Sprechern festzumachen sind – ohne weitere Beschränkungen. Sie legen vielmehr nahe, daß sprach liche Bezugnahme mittels Demonstrativa das
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impliziert, was Perry einen Referenzplan nennt (vgl. Perry 2009:192): S muß intendieren, den ursprünglich in einer bestimmten Weise intendierten Referenten (sagen wir unter der Gegebenheitsweise G1) auf eine bestimmte Weise (sagen wir unter der Gegebenheitsweise G2) salient zu machen, die nicht mit dieser ursprünglichen Gegebenheitsweise übereinstimmen muß. Welche Gegebenheitsweise G2 S wählt, kann etwas mit den weiteren Zielen in der Kommunikation zu tun haben und hängt vor allem daran, wie S meint, den Gegenstand in der gegebenen Situation am einfachsten für H salient machen zu können. Wahrnehmungsmäßige Präsenz ist, wenn gegeben, diesbezüglich prima facie das Mittel der Wahl. Dadurch, daß G1 und G2 sich unterscheiden können, ergeben sich »Schlupflöcher« für Fehlidentifikationen, die ein Scheitern des »Referenzplans« zur Folge haben können. Perry bemerkt diesen wichtigen Punkt und illustriert ihn anhand von zahlreichen hilfreichen von (B1) inspirierten Beispielvariationen (vgl. Perry 2009:189ff.), bringt die ursprüngliche Gegebenheitsweise der Referenten aber an einer Stelle fälschlicherweise mit der DI in Verbindung. Wir sollten daher nicht mit Perry behaupten, die ausgedrückte Proposition hinge an dem Gegenstand, den S ursprünglich, i. e. vor jedem Demonstrationsplan, in einer bestimmten Art und Weise intendiert hat. Perry behauptet das zwar nicht uneingeschränkt, sondern für Fälle, in denen nur die eine, ursprüngliche Gegebenheitsweise im Spiel ist, der Sprecher sich aber nicht bemüht, den Gegenstand für den Hörer salient zu machen, i. e. keinen Referenzplan entwickelt (siehe Zitat). In solchen Fällen kann nicht vom Ausbilden einer DI die Rede sein (s. o.) und im Hinblick auf diese Fälle ist Perrys Ansatz in der Tat eine Humpty-DumptyTheorie. Passagen wie »It is really very easy to refer to things. Just think about them, and say ›he‹ or ›she‹ or ›it.‹« (Perry 2009:192) machen deutlich, daß Referenz und Kommunikation für Perry zwei ganz verschiedene Dinge sind – eine Auffassung, die zwar in einer gewissen Hinsicht dem Geiste des Minimalismus entspricht, die jedoch die Nivellierung der Unterscheidung zwischen Sprecherreferenz und den semantischen Regeln entsprechender Referenz im Falle von Demonstrativa zur Folge hat. Diese Betrachtungsweise ist fehl am Platze, da sie die hinweisende Funktion von Demonstrativa übergeht, aufgrund von der diese Ausdrücke das Anbringen einer Demonstration (im weiten Sinne) linguistisch fordern, und stattdessen den in Relation dazu parasitären Fall des Selbstgesprächs zum Paradigma demonstrativer Referenz macht. Wenn Perry Recht hätte, wäre jegliche Diskussion über die Rolle von Demonstrationen für die Referenzbestimmung bei Demonstrativa auf semantischer Ebene überflüssig und Demonstrationen wären lediglich im Hinblick auf den pragmatischen Zweck von Äußerungen von Interesse.
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Referenzpläne und konfligierende Intentionen Gehen wir also von dem Regelfall aus, daß Sprecher die Adressaten im Zuge der Äußerung demonstrativer Sätze auf etwas hinweisen wollen und zu diesem Zweck einen »Referenzplan« entwickeln. Bevor ich zur Diskussion von »quasiintentionalen Mischpositionen« komme, expliziere ich im Folgenden meine Auffassung des Begriffs eines Referenzplans, indem ich ausgehend von Perrys Grundidee die einzelnen möglichen Stufen eines solchen Plans systematisch darstelle. Der Sprecher entwickelt seinen Referenzplan auf der Grundlage: (a) seiner Sprachkompetenz, i. e. seines impliziten Wissens von den Regeln, die in der konventionellen Bedeutung sprachlicher Ausdrücke verankert sind (b) seiner Meinungen über den intendierten Referenten, insbesondere mentalen Identifikationen, i. e. Meinungen, die Propositionen der Form a = b, der F = der G oder der F = a zum Inhalt haben. (c) seiner Meinungen über die intentionalen Zustände des Adressaten sowie über die Konversationssituation und die physikalische Umgebung, in der die beabsichtigte Äußerung stattfinden soll. Auf dieser Grundlage entsteht ein »Plan«, der folgende Stufen beinhaltet bzw. beinhalten kann: 1. »having in mind« S denkt unter der Gegebenheitsweise G1 an Gegenstand a und schreibt ihm in Gedanken eine bestimmte Eigenschaft F zu. 2. Kommunikationsabsicht S möchte die unterhaltene singuläre Proposition sprachlich ausdrücken, i. e. zum Adressaten A sagen, daß a F ist. 3. »perceptual focus/attending to« + DI S glaubt, daß a sich im gemeinsamen Wahrnehmungsfeld von S und A befindet (Gegebenheitsweise G2) und faßt daher den Entschluß, demonstrativ auf a zu referieren. S bildet eine directing intention aus, die auf den wahrnehmungsmäßig präsenten Gegenstand a* gerichtet ist, vom dem S glaubt, daß er mit a identisch ist. 4. »mounting a demonstration« (MD) S bringt im Zuge seiner Äußerung des Satzes »Dies ist F« eine Demonstration an, die darauf abzielt, A auf a* hinzuweisen, i. e. a* für A salient zu machen. 5. »demonstrating an object« (DO) S demonstriert mittels der angebrachten Demonstration d den Gegenstand a*. 6. Referenz S bezieht sich mit dem demonstrativen Ausdruck »dies« auf a.
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Intentionen, Demonstrationen, Salienz
»Problemfälle« im Hinblick auf demonstrative Referenz sind meines Erachtens Fälle, in denen Stufe 6. nicht erreicht wird. Sie lassen sich systematisch klassifizieren, indem festgestellt wird, auf welcher der vorangegangenen Stufen das Scheitern bzw. der Irrtum angesiedelt ist. So tritt das Problem in Kaplans bekanntem »Carnap-Agnew-Bild«-Bsp. (B1) im Übergang von Stufe 1. und 2. zu Stufe 3. auf: Aufgrund einer Fehlidentifikation (a f= a*) referiert der Sprecher im Ergebnis allem Anschein nach nicht auf a, sondern auf a*. Die Lokalisierung von Problemen bewegt sich allerdings auf einer deskriptiven Ebene, so daß sich anhand einer solchen Analyse alleine noch nicht das gesuchte normative Kriterium für semantische Referenz extrahieren läßt. Reimer (1991a, 1991b) versucht mithilfe einer Reihe von Beispielvariationen kontra Kaplan (1989a) aufzuzeigen, daß Demonstrationen nicht immer entbehrliche Externalisierungen von DI s sind, sondern daß im Gegenteil im Falle eines Konflikts zwischen demonstriertem und intendierten Gegenstand die Demonstration die Intention im Hinblick auf die Referenzbestimmung übertrumpfen können: (B2) »Fido und Spot« Nehmen wir an, es befinden sich einige spielende Hunde im Wahrnehmungshorizont von Sprecher und Hörer, unter anderem Fido und Spot. Der Sprecher möchte sich demonstrativ auf Fido beziehen, zeigt in seine Richtung und sagt »Dies ist Fido!«, jedoch bewegt sich Spot genau im Moment seiner Äußerung so, daß er sich in der von der Zeigegeste vorgegebenen Richtung befindet. Eine andere Variation des Beispiels besteht darin, daß Spot genau im Moment der Äußerung des Sprechers in seine Arme rennt. In diesen Fällen tritt im Übergang zwischen Stufe 5 und 6. ein Problem auf – mit der Folge, daß der Hund Fido, den den Sprecher demonstrieren wollte, nicht auch tatsächlich das Demonstratum ist. Daß Spot intuitiv Demonstratum und Referent ist, zeigt laut Reimer, daß Demonstrationen (in einem engeren Sinne) im Falle des Konflikts die Intentionen des Sprechers übertrumpfen. Ich stimme Reimer dahingehend zu, daß die Demonstration die Intention des Sprechers in manchen Fällen in der von Reimer beschriebenen Weise tatsächlich übertrumpfen kann – soweit liefert ihre Analyse tatsächlich das intuitiv plausible Ergebnis. Nehmen wir nun aber an, der Adressat weiß, welcher Hund der Hund des Sprechers (Fido) ist und ist in der Lage, auszumachen, daß bei der Demonstration etwas schiefgelaufen ist. Obwohl Spot qua Demonstratum zunächst salient wird, führt das Erkennen der DI des Sprechers dazu, daß im Ergebnis doch Fido im Hinblick auf die Äußerung des Sprechers maximal salient ist. Der Adressat kann bspw. antworten »Ja, ich kenne Fido, es ist gerade weggerannt, aber du hast ihn mir früher schon einmal gezeigt«. Da A den Referenzplan als
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ganzen durchschaut, können wir in so einem Fall m. E. kontra Reimer sagen, daß Fido der Referent des demonstrativen Ausdrucks ist, denn das Ziel der DI ist sozusagen über Umwege doch zur Erfüllung gekommen. Die Tatsache, daß demonstrative Bezugnahmen in solchen Intentionen fundiert sind, unterscheidet sie von allen anderen Formen der sprachlichen Bezugnahme und legt es meines Erachtens nahe, die Referenzbestimmung davon abhängig zu machen, ob ein Gegenstand infolge der Bemühungen des Sprechers auch tatsächlich für den Adressaten salient geworden ist. Mischansätze wie Reimers wollen den Fokus auf Salienz vermeiden und versuchen auf Basis der Kombination der Faktoren Demonstration und Intention(en) ein brauchbares Kriterium zur Referenzbestimmung zu entwickeln. Wie ich im Folgenden weiter illustriere, haben aber auch Mischpositionen, unabhängig von der jeweiligen Gewichtung der beiden Faktoren und der Konzeption ihrer Interaktion mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Ad (C) Allgemein gesagt müssen Vertreter quasi-intentionaler Mischansätze entweder Beschränkungen (›constraints‹) liefern, die innerhalb der intendierten Referenten restringieren (und die Kriterien, die als Beschränkungen verwendet werden, haben allesamt ihre Nachteile, z. B. Rekurs auf »normale« Hörer, »normale« Bedingungen etc.) oder aber sie müssen sagen, daß Intentionen »objektive« Demonstrationen disambiguieren (wobei die Frage unbeantwortet bleibt, wie genau dieses Disambiguieren eigentlich funktioniert; zudem wird die im vorangegangenen Abschnitt thematisierte Problematik der Unbestimmtheit von Demonstrationen unweigerlich wieder auf ’s Tapet gebracht). Die Probleme quasi-intentionaler Ansätze möchte ich beispielhaft an Michaelsons Ansatz in Speaker’s Reference, Semantic Reference, Sneaky Reference (im Erscheinen) illustrieren. Michaelsons Grundidee besteht darin, die referentielle Intention des Sprechers dadurch zu beschränken, daß der Referent ein Element aus der Menge der demonstrierten Gegenstände sein muß. Demonstrierte Gegenstände sind für Michaelson alle, für die gilt, daß sie sich im Bereich der Zeigung befinden. Sein Ansatz fordert keine eindeutige Bestimmung eines Demonstratums und weist Demonstrationen dennoch eine wichtige Rolle im Hinblick auf die Referenzbestimmung zu: Wenn eine Demonstration angebracht wurde, ist der Referent immer ein demonstrierter Gegenstand. Die »metaphysische« Uneindeutigkeit von Zeigungen ist für Michaelsons Ansatz insofern jedenfalls prima facie kein Problem, als die Sprecherintention aus theoretischer Sicht sozusagen nach der Demonstration ins Bild kommt: Alles, was in den Bereich der Zeigegeste fällt, kann vom Sprecher korrekterweise als Referent veranschlagt werden. Dies läßt dem Sprecher die Möglichkeit, diesen Spielraum bewußt zu Konversationszwecken auszubeuten. Michaelson sieht dies als einen großen Vorteil seiner Auffassung an, den er an einem Beispiel ausführlich illustriert. Meines Erachtens
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Intentionen, Demonstrationen, Salienz
sind die Ergebnisse seiner Theorie jedoch kontraintuitiv, weswegen ich Michaelsons Beispiel im Folgenden diskutiere und eine andere Beurteilung nahelege.
Hinterhältige Referenzpläne Die Referenzpläne, die Perry anhand von Beispielen illustriert, sind alle von der Intention geleitet, H in einer möglichst transparenten Weise auf den intendierten Referenten aufmerksam zu machen. Aber nicht alle Verwendungen von Demonstrativa sind von diesem Ziel geleitet. Michaelson diskutiert Fälle, in denen Sprecher sich absichtlich in einer Weise ausdrücken, die dazu führt, daß sie in Bezug auf die Proposition, die sie ausdrücken (und die dafür relevante referentielle Intention) mißverstanden werden. Michaelson benutzt für dieses Phänomen den Ausdruck »speaking so as to be misunderstood«. Er versucht, derartige Verwendungen von Eigennamen und von Demonstrativa zu parallelisieren und die aufgezeigten Analogien theoretisch nutzbar zu machen. Zu diesem Zweck verwendet er die folgenden Beispiele: (Sam) Suppose that you and I regularly eat lunch together. Today though, I ate lunch early. So when you stop by my office to invite me to lunch, I say : (1) I’ve already eaten. But Sam is having lunch at LuValle. Suppose further that there are actually two Sams in our department – one whom you quite like (call her ›Sam the Good‹, or ›SamG‹ for short) and one whom you find rather annoying (call her ›Sam the Mildly Annoying‹, or ›SamM‹ for short). As it happens, it is SamM, not SamG, who is eating lunch at LuValle. While I know this, I also know that you are overwhelmingly likely to take me to be talking about SamG. I am your friend, after all, so why would I tell you something about the location of SamM, with whom I must know you have no desire to eat lunch? As it happens, I have a plan. I expect that, on seeing SamM eating by herself, you, being a kind person, will decide to eat lunch with her in spite of your preference to the contrary. What’s more, I suspect that eating lunch with SamM should suffice to help you realize that, really, she’s not so bad. To my mind, this would be an excellent outcome; then I can start inviting both of you to my weekly Dungeons & Dragons game. […] So I have my reasons for misleading you, and there is no doubt that I am misleading you here. The question on which I want to focus is whether I have spoken falsely. It seems clear enough that I have not – that my utterance of (1) is true in these circumstances. It is true, but highly misleading. (B3) Now consider a related sort of case. You and I work at a large investment bank and have each just been paid an obscenely large bonus. We happen to run into each other at work early one day, near a window overlooking the parking lot. You ask me what I did
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with my bonus, and I point out the window towards a small cluster of cars parked in the lot and say : (2) I bought that. The cluster at which I have pointed contains several nondescript automobiles and, in addition, a McLaren F1. As it happens, I used a small part of my bonus to purchase the lightly-used Toyota Camry parked next to the McLaren. I understand full well that you are likely to take me to be referring to the McLaren, but I am aiming to have a bit of fun with you. Perhaps I have long been known around the office for being a cheapskate.144 Once more, the question arises: was my utterance of (2) true or false in these circumstances? Again, there is no question that this utterance was meant to be, and in fact was, highly misleading. Clearly it was. In spite of that, this utterance of (2) was plausibly true in the circumstances described. (Michaelson draft 7/2015:1ff.)
Michaelsons Analyse zufolge hat S sowohl mittels (1) als auch mittels (2) eine wahre Proposition ausgedrückt – trotz seiner Absicht, H irrezuführen.145 Dies erklärt er über die Beschränkungen auf mögliche Referenten, die im character von Eigennamen bzw. Demonstrativa verankert sind: Analogous to Kaplan’s original character rules, these modified characters can be modeled as functions from contexts to sets of objects – namely, those objects to which such terms can be used, conventionally, to refer. Schematically, these rules will look will look as follows: (8) Char(›Sam‹) = f: f(C) ! {o: o bears the name ›Sam‹}C (9) Char(›that‹ þ d) = f : f(C) ! {o: o is indicated by d}C The character of a name like ›Sam‹ is a function from contexts to the set of objects named ›Sam‹ in those contexts. In contrast, the character of ›that‹ when combined with an ostensive gesture (›d‹) is a function from contexts to the set of objects indicated by that gesture, in context. Recall that, in the limit case where there is no ostensive gesture, demonstratives can be used to refer to anything at all. On this schema, we can model of this situation by stipulating that demonstratives unaccompanied by any explicit ges-
144 Michaelson führt in einer Fußnote an: »We might imagine that the conversation continuing roughly along the lines of: (A) Wow, that must have cost a pretty penny! (B) Sure did. I even sprung for air conditioning and power windows. (A) McLaren’s don’t come with air conditioning!? (B) What are you talking about? I bought that sweet Camry over there, not the F1. The joke here, I take it, hinges on my having managed to refer to the Camry despite your having (understandably) taken me to have referred to the McLaren.« (Michaelson draft 7/ 2015:3, Fn. 2) 145 Bemerkenswert ist, daß er seine Formulierung von »true« (1) zu »plausibly true« (2) abschwächt, als würde er die mögliche Kritik im Beispiel mit Demonstrativa bereits erahnen.
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Intentionen, Demonstrationen, Salienz
ture are to be paired with a null gesture (›1‹) that trivially indicates everything. (Michaelson draft 7/2015:2015:24f.)146
Die Plausibilität der propagierten sprecherzentrierten Referenzfestlegung im Eigennamen-Fall möchte ich dahingestellt lassen. Michaelsons Analyse von (2), die unter einem salienzbasierten Kriterium nicht erreichbar ist, lehne ich allerdings ab. Michaelsons Vorschlag einer character-Regel zur Beschränkung von möglichen Referenten von einfachen Demonstrativa ist m. E. (a) dem HumptyDumpty-Problem ausgesetzt und generiert (b) Unbestimmtheitsprobleme, die salienzbasierte Ansätze nicht haben. Ad (a): Bei vielen Verwendungen von Demonstrativa liegt keine Zeigung (i. e. Demonstration im engen Sinne) vor und in all diesen Fällen liefert Michaelsons Regel, wie er selbst im letzten Teil des Zitats schreibt, de facto keine Beschränkung auf mögliche Referenten. Es ist mir ein Rätsel, warum Michaelson in so vielen Fällen eine rein sprecherzentrierte Referenzfestlegung in Kauf nimmt, wo er sich doch generell der Humpty-Dumpty-Gefahr bewußt ist. Salienzbasierte Ansätze können hier restringieren und unsere Intuitionen so besser einfangen (vgl. die Diskussion von Perrys Beispiel). Ad (b): Michaelson versteht MD offenbar nichtintentional, d. h. als physikalische Zeigegeste und lädt sich damit metaphysischen Ballast auf, den ein salienzbasierter Ansatz sich nicht aufladen muß. An (B2) illustriert: Wenn S bei ihrer Äußerung von (2) vage auf den Parkplatz zeigt, ist dann auch der Wagen, der ein klein wenig abseits abgestellt wurde, mit in der Menge der zulässigen Referenten? Hinzu kommen die oben dargestellten Probleme aufgrund der Ambiguität von Zeigungen, die Michaelsons Behauptung, Sprecherintentionen kämen erst nach der character -basierten Bestimmung der Menge möglicher Referenten ins Spiel, fragwürdig erscheinen läßt. Zudem ist auch der Sprecher in einer gewissen Weise bewußtseinsmäßig primär auf den auffälligeren McLaren fokussiert: Auch wenn er sozusagen betont nicht auf diesen Wagen referieren möchte, ist der McLaren klarerweise auch für den Sprecher salient. Wenn wir Michaelson zugestehen, daß der Camry qua tatsächlich intendierter Referent für den Sprecher salienter ist als der McLaren, dann wäre die Diagnose dieses Beispiels der Äußerung von (2) im Rahmen eines salienzbasierten Ansatzes ein Scheitern von Referenz auf der semantischen Ebene. Diese laut Michaelson mißliche Prognose nehme ich nicht nur in Kauf, sondern halte sie auch für intuitiv plausibel. Natürlich kann S hinterher so tun, als hätte sie auf den Camry referiert, aber das gleicht eher einem rhetorischen Trick zu prag-
146 Später muß er, um bspw. mit Reimers Fido/Spot-Bsp. umgehen zu können, eine umständliche Qualifikation seiner Char-Regel vornehmen, die er als »minor addendum« bezeichnet (vgl. S. 26f.).
Beiderseitig anerkannte Salienz als Kriterium für demonstrative Referenz
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matischen Zwecken als einer gelungenen demonstrativen semantischen Referenz.
4.4
Beiderseitig anerkannte Salienz als Kriterium für demonstrative Referenz
Im Folgenden möchte ich das von Allyson Mount (2008) stammende Kriterium der gegenseitig anerkannten Salienz (›mutually recognized salience‹ (mrs)) für demonstrative sprachliche Bezugnahme, darstellen, um es weiter ausarbeiten und so zu modifizieren, daß es alle Vorteile anderer vorgeschlagener Kriterien vereint, ohne sich deren Nachteile einzukaufen. Mount definiert mrs folgendermaßen: By saying that something is salient, I mean that it is the focus of perceptual or cognitive attention. Salience, on this view, is not some objective feature that can be determined independently of the mental states of conversational participants; it is essentially a mind-dependent matter. An object is mutually recognized as maximally salient by conversational participants when all interlocutors have focused their attention on it, and are aware that they have all focused their attention on it. Thus my claim is that a demonstrative refers to the object mutually recognized as maximally salient. When there is no such object, the demonstrative does not refer. (Mount 2008:154f.)
Wenn es ein (wie auch immer) demonstriertes Objekt gibt, dann ist dieses fast immer auch das im Kontext maximal saliente Objekt. Mount zufolge muß das aber nicht so sein. Sie veranschaulicht das an den folgenden Variationen des Kaplanschen Beispiels (B1): (B1’) To elaborate on Kaplan’s case, we can suppose that neither the speaker nor the hearer is aware of the switch, that neither turns to look at the spot where the speaker is pointing, and that both know that a picture of Carnap normally hangs in that spot. […] Both speaker and hearer believe, and believe each other to believe, that the speaker is pointing at Carnap’s picture. In these circumstances, the picture recognized by both conversational participants as maximally salient is that of Carnap, not Agnew. The gesture itself plays a very limited role in the utterance: it leads the hearer to think about a particular place on the wall (where she believes a certain picture hangs), but in some sense the demonstration itself is incidental to the reference, since neither interlocutor turns to follow the gesture. Of course, if they later turn around and jointly discover the switch, the speaker will no longer be able to demonstrate as he did and refer to Carnap’s picture. But this does not change the fact that Carnap’s picture was the referent earlier. (Mount 2008:152f.) (B1’’) If the speaker is mistaken about which picture hangs behind him, it is still possible for him to refer to the picture of Carnap by pointing at that spot, even if the hearer knows that Agnew’s picture now hangs there. Suppose that the hearer is the one
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who performed the switch, that she knows the speaker is unaware of it, and that both know that a picture of Carnap normally hangs in that spot. The speaker believes that Carnap’s picture is maximally salient after his gesture, and he believes that the hearer accepts Carnap’s picture as maximally salient too. The hearer is aware that the speaker thinks Carnap’s picture is mutually recognized as the salient one, and this can be enough to make it the most salient one for her, too. In other words, the fact that it is clear to the hearer that Carnap’s picture is the object of the speaker’s thought-based intention can make Carnap’s picture more salient for her than Agnew’s, even though the object pointed at would have been the most salient for her in ordinary circumstances, in virtue of the fact that it was pointed at. (Mount 2008:153) (B1’’’) If the speaker has noticed the switch but is aware that the hearer believes Carnap’s picture still hangs there, the speaker can still refer to Carnap’s picture by pointing at that spot as he utters ›that picture‹. He might do this for ease of communication or to avoid digression. Of course, this would be bad conversational practice unless the speaker were confident that the hearer wouldn’t turn around and see that he is in fact pointing at Agnew’s picture. For if the hearer did turn around, the picture of Agnew would most likely become maximally salient. It may seem strange that a simple movement like the hearer’s turning her head could change the referent from Carnap’s picture to Agnew’s, but this is no stranger than saying that demonstrations are semantically significant and that one dog can run away and another take his place while the speaker is in the process of extending his arm to point. Rational speakers act in ways they expect will achieve their communicative goals, but their expectations are not always met. (Mount 2008:154)
Anhand dieser Beispiele tritt deutlich zutage, daß es beim mrs-Ansatz keine Humpty-Dumpty-Probleme gibt, wir mit maximal wenig Metaphysik auskommen und daß trotz der Relevanz intentionaler Faktoren dennoch eine gewisse »Objektivität« von semantischer Referenz gewährleistet ist – Objektivität, die in Begriffen von Intersubjektivität zu verstehen ist und nicht in Begriffen von »objektiver Salienz«. Spezifisch an diesem Ansatz ist, daß mrs häufiger Scheitern der Referenz diagnostiziert als andere Ansätze (bspw. in Michaelsons Beispiel (B3) auf S. 204f.). Was zunächst wie ein Nachteil wirken kann, ist m. E. klar ein Vorteil, denn die Diagnosen anderer Ansätze bei Beispielen, in denen evidentermaßen »etwas schiefgeht«, wirken häufig sehr stipulativ. Dafür möchte ich beispielhaft Reimers »Fido in der Ferne«-Bsp. anführen: (B4) »Fido in der Ferne« Suppose that Spot has been making himself especially salient by barking raucously, and racing about. But the speaker, suppose, hasn’t noticed any of this as his attention has been caught by another dog – a dog way off in the distance – who seems to resemble remarkably his own dog Fido. The speaker, only vaguely aware of Spot’s presence, though keenly aware of Fido’s, comes out with an utterance (unaccompanied by os-
Beiderseitig anerkannte Salienz als Kriterium für demonstrative Referenz
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tension) of ›That dog looks just like Fido‹, using the demonstrative description to ›pick out‹ the less salient Fido. […] Now although the most salient dog appears to have been Spot, it certainly looks as though the speaker has just referred to, and said something of, Fido. (Reimer 1991b:180)
Wenn keine Demonstration angebracht wurde und unterschiedliche Objekte für S und H salient sind, stipuliert Reimer eine rein sprecherzentrierte Referenzbestimmung. Ihre Beurteilung muß sich m. E. allerdings den Humpty-DumptyVorwurf gefallen lassen; Scheitern der Referenz auf semantischer Ebene ist hier intuitiv die bessere Beurteilung. In solchen Fällen, in denen keine Demonstration (im engen Sinne) angebracht wird, treten die Vorteile des mrs-Ansatzes besonders deutlich zutage. Dennoch scheitert Referenz auf der linguistisch kontrollierten Ebene auch dem mrs-Kriterium zufolge nicht in allen Fällen, bei denen evidentermaßen etwas schiefgeht, was dem Ansatz – wenn es denn so wäre – den Vorwurf einer zu starken Ausrichtung auf das Gelingen des Sprachaktes qua Handlung einbringen könnte. So ist bspw. in (B3) auch für den Sprecher im Moment der Äußerung ein Hund maximal salient (Spot), auf den weder die DI noch die ursprüngliche Intention des Sprechers gerichtet ist. Trotz des mißglückten Versuchs, den gemeinten Hund salient zu machen, haben wir hier einen semantischen Referenten. Ich komme jetzt auf mögliche Einwände gegen Mounts mrs-Ansatz zu sprechen und stelle anschließend einige Präzisierungen bzw. Modifikationen ihres Ansatzes vor, die mir sinnvoll erscheinen und in meiner Variante eines salienzbasierten Ansatzes resultieren, den ich als den beiderseitig-anerkannte-Salienz-Ansatz (bas) bezeichne.
Präzisierungen und Modifikationen Man könnte einwenden, daß mrs den wichtigen Unterschied zwischen der »metaphysischen« Frage, wie die Referenten von Demonstrativa bestimmt werden und der epistemischen Frage, wie Hörer diese Referenz erkennen, systematisch verwischt. In der folgenden Charakterisierung legt Evans den Fokus klarerweise auf die epistemische Komponente: A common way in which audiences are enabled to know which object is the referent of an expression in a particular context is by virtue of the speaker’s exploitation of the object’s salience. The salience can be brought about by the speaker himself, as when he accompanies the utterance of a demonstrative expression by a pointing gesture, or by rendering an object salient in some other way, for example, by shaking it, wobbling it, or causing a searchlight beam to fall upon it. Alternatively, a speaker can exploit some extreme or heightened salience which an object has anyway (without his bringing it
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about); for instance, a speaker might say ›He’s had enough‹, as one in a line of soldiers renders himself salient by collapsing. In either sort of case, if an object is salient, it will be so only to those who have a certain sort of information from the object (perceptual information, in the examples we have considered), and hence only to those who are in a position to think of the object in a certain information-invoking way (demonstratively, in our examples). For an audience to know, of an object, that it is the referent of an expression, when this is the communicative mechanism exploited by the speaker, it must be in virtue of the effect of the object’s salience on the audience’s informational system that the audience thinks of the object in understanding the remark. (Evans 1982:312f.)
In der Tat gibt es dem mrs-Ansatz zufolge Interdependenzen zwischen »the metaphysical question concerning what constitutes or decides reference and the epistemic question of the evidence used by audiences in a given case« (Stokke 2010: 397). Es ist gerade die Besonderheit des mrs-Ansatzes, daß die Antworten auf diese beiden Fragen bei Demonstrativa nicht in der Weise voneinander getrennt werden können, wie das bei anderen Klassen von Ausdrücken der Fall ist. Meines Erachtens forciert die in der linguistischen Bedeutung von Demonstrativa verankerte, ihnen per Konvention zugedachte hinweisende Funktion, daß auch die kognitive Situation des Adressaten für die Referenzbestimmung eine Rolle spielt, was Demonstrativa in dieser Hinsicht von allen anderen Klassen von Ausdrücken unterscheidet. Deshalb funktioniert auch die vermeintliche Analogie zu Eigennamen nicht, die Michaelson auszubeuten versucht. Das heißt aber nicht, daß wir auf der begrifflichen Ebene nicht zwischen epistemischen und metaphysischen Faktoren unterscheiden können147 oder daß bei der Referenzbestimmung keine normativen Kriterien im Spiel sind. In dieser Hinsicht sehe ich entsprechend nicht ein Problem, sondern vielmehr einen Vorteil des salienzbasierten Ansatzes: Er zielt auf den Erfolg des Sprechers im Hinblick auf die hinweisende Funktion von Demonstrativa ab, ohne, wie ich oben gezeigt habe, gleichzeitig zu sehr in pragmatische Gefilde abzudriften, indem er zu sehr auf die Erfüllung des Zweckes der Äußerung des Sprechers abhebt. Um dieses Ergebnis auf ein sicheres Fundament zu stellen, müssen allerdings noch die nun folgenden Qualifikationen von Mounts Ansatz in Reaktion auf mögliche Einwände vorgenommen werden. (1) Damit Mounts Ansatz nicht aus dem Ruder läuft, ist es unabdingbar, zwischen Hörern und Adressaten zu unterscheiden. Ich präzisiere ihren Vorschlag daher dahingehend, daß mrs nicht im Hinblick auf Sprecher und Hörer allgemein, sondern nur im Hinblick auf Sprecher und Adressaten erfüllt sein muß. 147 Dabei ist allerdings zu beachten, daß der Begriff der Demonstration ebenso wie der der Salienz ohne Rekurs auf Intentionales nicht erschöpfend expliziert werden kann.
Beiderseitig anerkannte Salienz als Kriterium für demonstrative Referenz
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Anderenfalls würde der Ansatz zu oft Scheitern der Referenz vorhersagen – auch in Fällen, in denen wir das kontraintuitiv fänden. Bauen wir die Beispielvariationen (B1’) – (B1’’’) weiter aus, indem wir annehmen, daß eine dritte, nicht »eingeweihte« Person H im Moment der Äußerung hereinkommt und S’ Äußerung hört. H würde sehr wahrscheinlich, der Zeigegeste folgend, daß Bild von Agnew in den Blick nehmen, so daß dieses infolge der angebrachten Demonstration für H maximal salient würde. Es gäbe dann kein Objekt mehr, das sowohl für S und den ursprünglich anwesenden Adressaten A, als auch für H gleichermaßen salient wäre. Ob S es schafft, den intendierten Referenten auch für H salient zu machen, spielt aber meines Erachtens für die Referenzbestimmung keine Rolle, da S’ Äußerung nicht an H adressiert war. Ähnliche Probleme können allerdings auch in Situationen entstehen, in denen es mehrere Adressaten gibt. Bei mehreren Adressaten A1, A2, A3, …, An ist es möglich, daß der intendierte Referent R relativ zu S und A1 das mrs-Kriterium erfüllt, nicht aber relativ zu S und A2 und/oder A3 etc. Ist R in so einer Situation der semantische Referent des entsprechenden Demonstrativums? Wie ist laut Mount in solchen Fällen eine eindeutige Referenzbestimmung möglich? Mount greift auf normative Erwägungen zurück, um »unaufmerksame« Adressaten auszuschließen, gesteht aber im Grunde zu, daß die eindeutige Bestimmung eines Referenten ggfs. nicht immer möglich ist. Ich sehe die folgenden zwei Möglichkeiten, auf diesen Einwand zu reagieren und Mounts Ansatz zu präzisieren: 1. Sprechakt zentrierte Referenzbestimmung: Semantische Referenz hängt am Gelingen des Sprechaktes als ganzem. Das heißt, sobald mrs bei n Adressaten nur für n – x erfüllt ist, haben wir auf der semantischen Ebene ein Scheitern der Referenz, weil der kommunikative Zweck der Äußerung nicht (ganz) erfüllt wurde. 2. Relativierte Referenzbestimmung: Semantische Referenz kann nur relativ zu S/A-Tupeln bestimmt werden und nicht tout court. In der oben beschriebenen Situation ist R demnach relativ zu S /A1 der Referent, während wir relativ zu S /A2 ein Scheitern von Referenz zu diagnostizieren haben. Ein Tupel kann auch aus S und einer Menge von Adressaten {A1-An} bestehen. R wäre relativ zu so einem Tupel der Referent gdw. mrs für alle Elemente der Menge erfüllt ist. Ich favorisiere Option 2, da ich der Meinung bin, daß wir uns auf der semantischen Ebene in gewisser Weise vom Gesamtgelingen des Sprechaktes distanzieren und die Sache theoretisch betrachten sollten. Wichtig ist, daß wir in einem entsprechenden Szenario der Tatsache gerecht werden können, daß S eine singuläre Proposition ausgedrückt, A1 diese Proposition erfasst hat und diese intersubjektive Übermittlung von Gehalt linguistisch kontrolliert war – unabhängig davon, daß es z. B. in Bezug auf A2 nicht geklappt hat. Wenn es um
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Intentionen, Demonstrationen, Salienz
semantische Referenz geht, müssen wir uns nicht Gedanken darüber machen, ob S sich hätte mehr bemühen können bzw. müssen oder ob A2 hätte aufmerksamer sein sollen. Folglich sollten wir das »all interlocutors« aus Mounts oben zitierter Definition von mrs entfernen und akzeptieren, daß demonstrative semantische Referenz nur relativ zu S/A-Tupeln zu bestimmen ist. Im Gegenzug schleppt der Ansatz maximal wenig metaphysischen oder normativen Ballast mit sich herum. (2) Hieran möchte ich noch eine weitere nötige Qualifikation von Mounts Ansatz anschließen: Ein Objekt o kann im Äußerungskontext c in einer gewissen Weise sowohl für S als auch für A maximal salient sein, ohne der Referent des verwendeten Demonstrativums zu sein. Der Referent ist nämlich der im Hinblick auf S’ Äußerung (und das mit dieser einhergehende Anbringen einer Demonstration) für S und A maximal saliente Gegenstand g. Daß o und g nicht immer übereinstimmen müssen, läßt sich leicht an einem Beispiel illustrieren. S kann z. B. sagen »Das ist laut« und erfolgreich auf die Baugeräusche im Hinterhof referieren, auch wenn ein plötzliches Donnern im Moment der Äußerung stattfindet und gewissermaßen automatisch zum maximal salienten Ereignis für S und A in c wird. Schließlich weiß A, daß S diese unwillkürliche Salienz nicht ausbeuten wollte, und somit erfüllen die Baugeräusche immernoch das Kriterium, das Ereignis zu sein, das im Hinblick auf S’ Äußerung für S und A maximal salient ist. Die mrs-Bedingung gilt also nicht für c generell, es geht vielmehr um Salienz infolge der Produktion des relevanten Ausdruckstoken und der ihn begleitenden Demonstration (d + d). (3) Weiterhin frage ich mich, ob die Bedingung so stark formuliert und verstanden werden sollte, daß sie gemeinsames Wissen über die jeweils anerkannte Salienz aufseiten von S und A verlangt. Muß A wissen, daß S weiß, daß g für A salient ist? Meines Erachtens ergeben sich durch die iterative Struktur von gemeinsamem Wissen zu hohe Anforderungen an demonstrative Referenz.148 Meiner Auffassung zufolge reicht es aus, wenn der von S intendierte Referent g de facto sowohl für S als auch für A im Hinblick auf die Äußerung maximal salient ist. Wir können »gegenseitig anerkannt« also in »beiderseitig anerkannt« abschwächen und im oben angeführten Zitat vom Mount die Teilformulierung 148 Dies gilt auch, wenn wir den Begriff des gemeinsamen Wissens nicht im Anschluß an Lewis so verstehen, daß S’ und As Wissen um die Salienz von g für den jeweils anderen unendlich miteinander verschachtelt ist, weil uns diese iterative Explizierung von gemeinsamem Wissen kognitiv zu aufgeladen erscheint. (Für einen Hinweis auf diese Problematik bedanke ich mich bei Holmer Steinfath.) Durch die Aufgabe von gemeinsamem Wissen um die Salienz, wird die Bedingung für demonstrative Referenz dennoch nicht zu schwach. Sie kann deshalb nicht zufällig erfüllt sein, weil die Salienz in einem Zusammenhang mit der Äußerung des Sprechers stehen muß.
Beiderseitig anerkannte Salienz als Kriterium für demonstrative Referenz
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»and are aware that they have all focused their attention on it« streichen. Daß heißt, daß S bzw. A nicht wissen müssen, ob der für sie jeweils als Referent saliente Gegenstand g auch der semantische Referent des Demonstrativums ist. Dies ist kein Nachteil der so modifizierten Bedingung, denn semantische Referenz ist ein theoretischer Begriff, entsprechend müssen Sprecher und Hörer nicht immer wissen, ob und worauf semantisch referiert wurde. S’ Versicherung darüber, ob ihre Bemühung g salient zu machen, erfolgreich war, gehört bereits in den Bereich der Pragmatik (vgl. dazu Austins »securing the uptake« (1962:116)). Den bisherigen Modifikationen entsprechend nenne ich das Kriterium zur Referenzbestimmung bei Demonstrativa im Folgenden, wie oben angekündigt bas für »beiderseitig anerkannte Salienz«. So modifiziert können wir im Rahmen dieses Ansatzes auch Inskriptionen wie Satz (12) auf S. 175 berücksichtigen. Unter der Annahme, daß jeder Leser von S’ Inskription von S als Adressat intendiert ist, können wir sagen, daß das entsprechende Gebäude relativ zu einem S/A-Tupel immer dann der semantische Referent der Äußerung ist, wenn A die Inskription liest und das entsprechende Gebäude infolgedessen für A als intendierter Referent salient wird (vgl. Fn. 128 auf S. 176). Damit bas erreicht werden kann, muß S ihre Intention, g für A salient zu machen, kenntlich gemacht haben. Da bas im character von Demonstrativa verankert ist, wird diese Intention bereits durch das Verwenden eines demonstrativen Ausdrucks implizit zum Ausdruck gebracht. Beiderseitig anerkannte Salienz infolge der Produktion von d + d durch S ist eine Form von Salienz, die einer Kommunikationsabsicht entspringt. Sie ist in einer DI fundiert, die S durch MD externalisiert. Die resultierende Salienz eines Gegenstandes kann die direkte Folge seiner Demonstration sein, eine bereits vorhandene Salienz kann aber auch zum Zwecke der Demonstration ausgenutzt und so in eine Salienz im Hinblick auf S’ Äußerung umgemünzt bzw. ausgeweitet werden. Auch in Fällen, in denen S ohne eine begleitende Zeigung objektive Gegebenheiten ausbeutet, ist die daraus resultierende Salienz eine Folge des Anbringens einer Demonstration (MD), die ihrerseits in einer DI intentional fundiert ist. Die Auffassung, daß auch in solchen Fällen eine Demonstration angebracht wurde und somit eine DI externalisiert wurde ist mit Kaplans Auffassung in der auf S. 189f. zitierten Fußnote aus Demonstratives kompatibel. Wenn Kaplan Demonstrationen in den Afterthoughts als verzichtbare Begleitgesten beim Verwenden von Demonstrativa auffasst (analog zum auf sich Zeigen beim äußern des Pronomens »ich«), versteht er den Begriff der Demonstration allerdings deutlich enger. Fälle, in denen Sprecher eine im Kontext vorhandene Salienz zum Zwecke der demonstrativen Bezugnahme ausbeuten, ohne sich weiterer Hilfsmittel wie Gesten etc. zu bedienen, bezeichnet Textor (2007:957, 2015:831, Fn.9) treffend als Grenzfälle
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Intentionen, Demonstrationen, Salienz
(›limiting cases‹) einer Demonstration, in denen die Äußerung des demonstrativen Ausdrucks mit der Demonstration zusammenfällt, so daß gilt d = d. Wenn wir nur zwei Klassen von Ansätzen unterscheiden würden (kontextuell und intentional), macht die Fundierung der Referenz in den intentionalen Zuständen des Sprechers den bas-Ansatz zu einem intentionalen. Um (intersubjektive) demonstrative Referenz sicherzustellen, muß bas infolge von d + d erfüllt sein – wir können das Kriterium daher präziser mittels der Notation basd+d festhalten. Das in S’ directing intention fundierte Anbringen einer Demonstration ist meinem Ansatz zufolge zwar eine notwendige Bedingung für demonstrative Referenz; im Hinblick auf gelungene Referenz nützt ihr ErfülltSein jedoch nichts, wenn beiderseitig anerkannte Salienz des intendierten Referenten (aus welchen Gründen auch immer) nicht erreicht wird. Die Fundierung der Referenz in DI und MD impliziert zudem nicht, daß der Referent des entsprechenden Ausdrucks entweder der Gegenstand ist, auf den die DI des Sprechers gerichtet ist, oder der Gegenstand, der via MD demonstriert ist. Unter Umständen kann auch ein anderer Gegenstand basd+d erfüllen, der weder Demonstratum ist, noch der Gegenstand, auf den der Sprecher via DI gerichtet ist. Wenn A eine Fehlidentifikation aufseiten des Sprechers erkennt, weil ihr die Ähnlichkeit des Demonstratums a* zu einem sowohl A als auch S bekannten Gegenstand a auffällt, kann sie den Referenzplan des Sprechers korrigieren, so daß MD und DO zwar hilfreich sind, aber nicht zu einer maximalen Salienz des Demonstratums führen. Auch in solchen Fällen führt MD dazu, daß der ursprünglich von S intendierte Referent (»having in mind«-Stufe des referentiellen Plans) für A als intendierter Referent erkannt und dadurch im Hinblick auf die Äußerung salient wird. Auf dem Weg dorthin wird für allerdings zunächst doch das Demonstratum bzw. der Gegenstand der DI des Sprechers für A salient, die resultierende Salienz des ursprünglich von S intendierten Referenten übertrifft jedoch diese für die Einsicht in den referentiellen Plan des Sprechers nötige »Zwischensalienz« eines anderen Gegenstandes. Aus diesem Grund benötigen wir die auch von Mount gebrauchte Qualifikation der maximalen Salienz, also basmax infolge von d + d. Mein bas-Ansatz integriert die hinweisende Funktion von Demonstrativa, ohne daß man ihm vorgehalten könnte, daß er zu sehr auf Kommunikation ausgerichtet ist, indem er gelungene Referenz auf der linguistische kontrollierten Ebene mehr oder weniger mit in einem pragmatischen Sinne gelungener Kommunikation auf eine Stufe stellt. Das läßt sich sehr gut an Reimers »Schlüssel«-Bsp. illustrieren. Sie führt dieses Beispiel ein, um gegen eine Referenzbestimmung zu argumentieren, die sich ausschließlich nach der DI des Sprechers richtet – eine Position, die Kaplans Bemerkungen in den Afterthoughts nahezulegen scheinen.
Beiderseitig anerkannte Salienz als Kriterium für demonstrative Referenz
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(B5) »Schlüsselbund« Suppose, for instance, that I suddenly realize that I have left my keys on the desk in my (shared) office. I return to my office, where I find the desk occupied by my officemate. I then spot my keys, sitting there on the desk, alongside my officemate’s keys. I then make a grab for my keys, saying just as I mistakenly grab my officemate’s keys, »These are mine«. Now in such a case, Kaplan would presumably want to say that I had a »directing intention« with regard to my keys. For it was my set of keys that I focused on, and it was my set of keys that »directed« my grabbing. I intended to grab my keys, not my officemate’s. Thus on Kaplan’s view, the demonstratum of »these«, as that expression occurred in my utterance, was my set of keys. And yet the keys that I’ve demonstrated by way of grabbing are my officemate’s keys. And so surely in such a case my officemate would speak truly were he to say to me, »No, you’re wrong. Those are not your keys; they’re mine«. The appropriateness (not to mention truth) of such a reply would suggest that my officemate’s keys – and not my own – were the demonstratum of the demonstrative expression occurring in my utterance. For if my keys were that demonstratum, then my officemate’s allegation that what I had uttered was untrue, would have been false – which surely it is not. If Kaplan’s view were correct, then my officemate’s reply would indicate that he simply hadn’t understood what I had in fact said (which was actually true), and his failure to understand what I had said, would be due, on Kaplan’s view, to the fact that I demonstrated an object which was not the actual (i. e., intended) demonstratum. (Contrast the appropriateness of my officemate’s reply with the inappropriateness of my rejoinder, uttered while handing him back his keys, »Yes, these keys are yours, but I never said they were mine«. If Kaplan’s view were correct, my rejoinder ought to be both appropriate and true.) (Reimer 1991a:190f.)
Der Schlüssel der Kollegin ist meiner Analyse zufolge hier ebenfalls der semantische Referent; er erfüllt das basmax-Kriterium, obwohl weder die DI noch eine ursprüngliche referentielle Intention des Sprechers auf diesen Gegenstand gerichtet ist. Dennoch läßt sich auch in diesem Beispiel sagen, daß der semantische Referent in irgendeinem Sinne auch der Sprecherreferent ist, denn im Moment der Äußerung, als er sich seines Irrtums noch nicht bewußt war, hat der Sprecher den Gegenstand, der er in der Hand hält, klarerweise qua Demonstratum gemeint. Aus diesem Grunde würde er auch nicht in der von Reimer beschriebenen Form reagieren und dem Verweis auf seinen Irrtum widersprechen. Dieses Meinen ist aber nicht Teil, sondern Ergebnis des Referenz-Plans. In diesem Fall führte MD nicht zu einer gelungenen Externalisierung der DI des Sprechers. Dennoch ist die Referenz auf den demonstrierten Schlüsselbund, der im Moment der Äußerung das bas-Kriterium erfüllt, in der DI des Sprechers intentional fundiert. Weiterhin verwendet Reimer »Demonstratum« im Sinne von »Referent«, da DO ihrer Auffassung zufolge in Problemfällen die ausschlaggebende Bedingung für demonstrative Referenz ist. Ihre intentionalistischen Gegner stürzen sich entsprechend auf Fälle, in denen DO intuitiv nicht den Ausschlag gibt (vgl. Bach
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Intentionen, Demonstrationen, Salienz
1992). Mein auf Mounts Grundidee basierender Ansatz vereint hingegen alle Bemühungen des Sprechers, statt sie sozusagen gegeneinander auszuspielen, denn sie sind alle durch die Gemeinsamkeit verbunden, Teil eines Referenzplans zu sein, der von dem allgemeinen Vorhaben getragen ist, einen Gegenstand salient zu machen und so der hinweisenden Funktion gerecht zu werden, die im character von Demonstrativa verankert ist. Wie ich soeben aufgezeigt habe, impliziert das Erreichen dieses Ziel nicht, daß die Äußerung im Hinblick auf den vom Sprecher intendierten pragmatischen Zweck erfolgreich war. Obwohl mein Ansatz also die Adressaten in die Referenzbestimmung mit einbezieht, ist er aus diesem Grunde nicht dem Einwand ausgesetzt, zu sehr auf gelungene Kommunikation abzuheben. Zu guter Letzt kann der bas-Ansatz auf eine sehr intuitive Weise mit verschobenen demonstrativen Bezugnahmen umgehen, während bspw. Reimers Ansatz aufgrund seines Fokus auf Demonstrata diesbezüglich in theoretische Bedrängnis gerät. Die Demonstration eines Proxy dient gerade dazu, einen anderen Gegenstand in den Fokus zu rücken. Da der Referent nicht wahrnehmungsmäßig präsent ist, dient seine Relation zum Proxy dem Sprecher als geeignetes Mittel, um die angestrebte beiderseitige Salienz zu erreichen.
4.5
Fazit
In diesem Kapitel habe ich für ein salienzbasiertes Kriterium zur Referenzbestimmung bei Demonstrativa argumentiert und in Form der bas-Bedingung eine Weiterentwicklung und Präzisierung des von Mount (2008) vorgeschlagenen Kriteriums der gegenseitig anerkannten Salienz erarbeitet. Die in Kapitel 3 erläuterte konditionalisierte Wahrheitsbedingung für demonstrative Sätze läßt sich nun tiefer verstehen, da wir genauer explizieren können, was der Fall sein muß, damit ein Sprecher demonstrativ auf einen Gegenstand referiert. Entsprechend könnten wir die Formulierung (S1WB) Wenn der Sprecher von (S1) sich mit »dies« auf a bezieht, dann ist (S1) wahr gdw. a rot ist. durch die äquivalente Formulierung ersetzen: (S1WB*) Wenn a infolge des Anbringens einer Demonstration d durch den Sprecher von (S1) sowohl für den Sprecher als auch für den Adressaten im Hinblick auf die Äußerung maximal salient ist, dann ist (S1) wahr gdw. a rot ist.
5
Eine neo-Fregesche Konzeption singulären Gehalts
Nach der Bestimmung des semantischen Gehalts von demonstrativen Sätzen in Kapitel 2 sind zwei interessante Fragen offen geblieben, nämlich erstens die Frage nach der Bestimmung der Referenten demonstrativer sprachlicher Bezugnahmen und zweitens die nach der Natur der mithilfe von einfachen Demonstrativa ausgedrückten Gehalte. Die erste Frage habe ich im vorangegangenen Kapitel behandelt und wende mich nun der zweiten zu. Sowohl bei der Bestimmung des semantischen Gehalts demonstrativer Sätze im Sinne der von mir vertretenen minimalistischen Auffassung des wahrheitskonditionalen Gehalts geäußerter Sätze (Kapitel 3), als auch bei der Beschäftigung mit der Frage, wie die Referenten von Demonstrativa bestimmt werden (Kapitel 4) konnten wir die Frage ausklammern, von welcher Art genau die Propositionen sind, die wir mit demonstrativen Sätzen ausdrücken. Da die relevanten Propositionen, wie wir gesehen haben, nicht rein sprachlich ausgedrückt werden können, liegt der systematische Ort dieser Frage außerhalb des Bereichs der Semantik im Sinne des Minimalismus. Dennoch erfordert eine vollständige Behandlung von Demonstrativa, wie sie mir hier vorschwebt, es m. E., auch die Natur der entsprechenden Gehalte zu thematisieren und so eine Brücke zur Philosophie des Geistes zu schlagen. Frege hat den Terminus »Semantik« weiter verstanden als er im Rahmen meines anti-intentionalistischen Minimalismus aufgefaßt wird. Freges Auffassung nach sind die semantischen Gehalte geäußerter Sätze die mit ihnen ausgedrückten Gedanken (Freges Terminus für Propositionen). Frege ist sich dessen bewußt, daß linguistisch ausgedrückte Sinne nicht immer ausreichen, um zu dem durch einen geäußerten Satz ausgedrückten Gedanken zu gelangen. In dem Aufsatz Logik in der Mathematik (1914) schreibt er : Freilich kann ich mit den Worten »dieser Mensch« in einem Falle diesen, in einem anderen Falle jenen bezeichnen. Aber in jedem einzelnen Falle will ich doch nur einen einzigen damit bezeichnen. Die Sätze unserer Sprache des Lebens überlassen manches dem Erraten. Und das richtige Erraten wird durch die begleitenden Umstände möglich. Der Satz, den ich ausspreche, enthält nicht immer alles erforderliche, manches muß aus
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Eine neo-Fregesche Konzeption singulären Gehalts
der Umgebung, aus meinen Handbewegungen oder Blicken ergänzt werden. […] Ein Begriffswort, mit dem Demonstrativpronomen oder dem bestimmten Artikel verbunden, hat in dieser Weise oft den logischen Wert eines Eigennamens, indem es zur Bezeichnung eines einzelnen bestimmten Gegenstandes dient. Als Eigenname ist dann aber nicht das Begriffswort allein, sondern das Ganze aufzufassen, das aus dem Begriffsworte, dem Demonstrativpronomen und den begleitenden Umständen besteht. (Frege 2001:108)
Die Wahrheitsbedingungen demonstrativer Sätze lassen sich bestimmen, ohne den kognitiven Wert einzufangen, der mithilfe des demonstrativen Ausdrucks jeweils ausgedrückt und intersubjektiv vermittelt werden kann. Das Erfassen des kognitiven Werts erfordert die Integration von sprachlich ausgedrücktem mit nichtsprachlichem Gehalt, paradigmatischerweise Wahrnehmungsgehalt. Wie genau geht das und wie ist die Intersubjektivität der resultierenden Gehalte zu gewährleisten? In seinem Aufsatz Philosophy of Language and Mind: 1950–1990 (1998) untersucht Tyler Burge, warum das Interesse an »reiner Sprachphilosophie« seit den späten 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts graduell immer weiter nachgelassen hat. Zu den der Sprachphilosophie inhärenten Gründen gehöre die Tatsache, daß die schwierigsten und persistentesten Probleme innerhalb der Sprachphilosophie auf die Philosophie des Geistes verweisen: [S]ome of the most difficult and persistent specific problems within the philosophy of language – accounting for Frege’s puzzle about Hesperus and Phosphorus in the light of the new theory of reference, accounting for the cognitive value of demonstratives, giving an account of the truth conditions and logical form of sentences about propositional attitudes, explicating de re belief – all pointed toward the philosophy of mind. (Burge 1992:28, meine Hervorhebung)
Meines Erachtens trifft Burge hier einen wichtigen Punkt und es ist bemerkenswert, daß alle in der zitierten Passage genannten Probleme in der einen oder anderen Weise mit dem Phänomen des singulären Denkens im Zusammenhang stehen. In diesem Kapitel beschäftige ich mich mit der Frage nach dem kognitiven Wert von Demonstrativa, die meines Erachtens nicht sinnvollerweise von der Frage nach dem mit ihnen ausgedrückten Gehalt getrennt werden kann. In kniffligen Fällen wie mehrfachen Verwendungen von einfachen Demonstrativa im Rahmen eines Satzes, die – ohne daß Sprecher/Hörer sich im Vorhinein darüber im Klaren sind – denselben Referenten haben, tritt die Problematik, den kognitiven Wert solcher Sätze theoretisch einzufangen, besonders deutlich hervor. Mount faßt diese Problematik unter dem Stichwort »the problem of multiple utterances for demonstratives« zusammen (vgl. Mount 2012:439). Bei solchen und ähnlichen »Problemfällen« handelt es sich im Grunde jedoch um gewöhnliche Verwendungen von Demonstrativa. Auffällig ist lediglich, daß sie
Eine neo-Fregesche Konzeption singulären Gehalts
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insbesondere unter der Annahme, daß wir mit entsprechenden Sätzen Russellsche Propositionen ausdrücken, theoretisch schwer zu handhaben sind. Auf eine entsprechende Variante von »Freges Rätsel« für Sätze der Form »Dies ist (das gleiche wie) dies« komme ich im ersten Abschnitt zu sprechen, in dem es zunächst um das Ausdrücken singulärer Gehalte mittels Demonstrativa geht. Ziel des Kapitels insgesamt ist es, eine neo-Fregesche Konzeption demonstrativen Gehalts, i. e. mittels Demonstrativa ausgedrückten singulären Gehalts, plausibel zu machen.
Programm Mit der Frage beginnend, wie wir mithilfe von Demonstrativa singuläre Gehalte ausdrücken, knüpfe ich direkt an das vorangegangene Kapitel an, indem ich vorschlage, Kombinationen aus token demonstrativer Ausdrücke und den sie begleitenden Demonstrationen (d + d) im Anschluß an Künne (1982, 1992) und insbesondere Textor (2007, 2015) als hybride Eigennamen aufzufassen (5.1). Demonstrativa sind demnach »namenbildende Funktoren« (vgl. Künne 1982:67ff.), da ihr linguistischer Sinn, i. e. ihre sprachliche Bedeutung, einer nichtsprachlichen Ergänzung bedarf. Erst durch die in einem Äußerungskontext entstehenden Paarungen zwischen Ausdruckstoken und nichtsprachlichem Element können die entsprechenden subpropositionalen Gehalte ausgedrückt werden. Ich zeige zunächst auf, warum ich Textors Version der Theorie der hybriden Eigennamen als eine Verbesserung der ursprünglichen, von Künne vorgelegten Version ansehe: Textor erläutert, warum es sinnvoller ist, die ein Demonstrativum begleitende Demonstration statt wie Künne das Demonstratum selbst als den den Ausdruckstoken ergänzenden Teil eines hybriden Ausdrucks anzusehen. Zudem arbeitet Textor präzise heraus, warum diese Auffassung denjenigen theoretisch überlegen ist, denen zufolge Demonstrationen zu den sogenannten Kontextparametern zählen (vgl. bspw. Garc&a-Carpintero 1998). Die Vorteile seiner Theorie der hybriden Eigennamen zeigen sich insbesondere anhand des Umgangs mit Freges Rätsel mit einfachen Demonstrativa. Dennoch kritisiere ich Textors Konzeption in einem wichtigen Punkt, der die Rolle von Demonstrationen in der Theorie der hybriden Eigennamen betrifft. Textor ist der Auffassung, daß wir Demonstrationen, mittels derer derselbe Gegenstand in einer sehr ähnlichen Weise präsentiert wird, zu Demonstrationstypen zusammenfassen können. Ich erläutere, warum ich das Postulieren von types von Demonstrationen zum einen für problematisch halte (a), und warum ich es zum anderen darüber hinaus auch für unnötig halte (b). In diesem Zusammenhang kommt der Begriff des de re-Sinns ins Spiel, um den es im nächsten Abschnitt dieses Kapitels geht. In diesem motiviere ich,
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Eine neo-Fregesche Konzeption singulären Gehalts
ausgehend von meiner Version der Theorie der hybriden Eigennamen, in Anlehnung an Evans (1982) und McDowell (1984) die Idee von nichtdeskriptiven, objektabhängigen Fregeschen Sinnen – den sogenannten de re-Sinnen (5.2). Der Begriff des de re-Sinns hat – wie ich aufzeige – ein großes explanatorisches Potential und ist der Alternative Russellsche Propositionen daher vorzuziehen. Gleichzeitig ist er aber auch besonders erläuterungsbedürftig, weswegen ich diesbezüglich Klärungsarbeit leiste, indem ich Identitätsbedingungen für nichtdeskriptive Gegebenheitsweisen angeben. Anschließend zeige ich auf, daß eine nicht-Russellsche Auffassung von singulärem Gehalt (der verbreiteten Auffassung entgegen) mit einer Kaplanschen Semantik von Demonstrativa vereinbar ist (5.3). Schlußendlich prüfe ich, wie weit wir mit der zunächst für Wahrnehmungsdemonstrativa vorgeschlagenen neo-Fregeschen Konzeption kommen, wenn es keine tatsächlich existierenden Referenten gibt oder wenn die Referenten nicht wahrnehmungsmäßig präsent sind. In einem ausblickartigen Schluß komme ich zu dem Ergebnis, daß es verschiedene Varianten singulärer Gehalte gibt, die nicht alle in nichtdeskriptiven Gegebenheitsweisen fundiert sind (5.4). In diesem Abschnitt komme ich ein letztes Mal auf den Begriff der Bekanntschaft zu sprechen. Propositionen, die objektabhängige Wahrheitsbedingungen haben, bezeichne ich (in Übereinstimmung mit der gängigen Literatur) als singuläre Propositionen, wobei dieser Begriff – hier weiche ich von der gängigen Verwendung ab – nicht synonym mit dem der Russellschen Proposition verwendet wird, sondern vielmehr offenläßt, ob singuläre Propositionen als Russellsche Propositionen aufgefaßt werden sollten.
5.1
Demonstrativa als namenbildende Funktoren
Wie schaffen es Sprecher, durch Äußerungen demonstrativer Sätze singuläre Propositionen auszudrücken? Wenn Demonstrativa im Spiel sind, reichen, wie wir gesehen haben, sprachliche Mittel alleine dafür nicht aus, vielmehr müssen Intentionen von Sprechern und die daraus resultierenden Demonstrationen in den Akt des Ausdrückens relevanter Propositionen mit einbezogen werden. Aber nicht nur bei Demonstrativa, sondern auch bei anderen indexikalischen Ausdrücken ist der content ganz offensichtlich nicht ohne die Einbeziehung nichtsprachlicher Elemente bestimmbar. Dieser recht unkontroversen Tatsache trägt die Theorie der hybriden Eigennamen in einer auffallend geradlinigen Weise Rechnung, indem sie hybride Ausdrücke postuliert, die via Kombination von token indexikalischer Ausdrücke und denjenigen nichtlinguistischen Elementen entstehen, die jeweils das Aus-
Demonstrativa als namenbildende Funktoren
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drücken einer singulären Proposition ermöglichen. Von Künne (1892, 1992) zunächst primär als Rekonstruktion von Freges Auffassung vorgebracht, entwickelt Textor (2007, 2015) die Theorie später speziell für den Fall der Demonstrativa weiter. Im Folgenden kommentiere ich den aktuellen Stand und bringe eigene Verbesserungsvorschläge an. In seinem bekannten Aufsatz Der Gedanke (1918) bemerkt Frege, daß der sprachliche Ausdruck im Falle der indexikalischen Rede einer Ergänzung durch die Umstände der Äußerung bedarf, damit ein vollständiger Gedanke ausgedrückt werden kann. In allen solchen Fällen ist der bloße Wortlaut, wie er schriftlich festgehalten werden kann, nicht der vollständige Ausdruck des Gedankens, sondern man bedarf zu dessen richtiger Auffassung noch der Kenntnis gewisser das Sprechen begleitender Umstände, die dabei als Mittel des Gedankenausdrucks benutzt werden. Dazu können auch Fingerzeige, Handbewegungen, Blicke gehören. (Frege 1976:38, meine Hervorhebung)
In der weiter oben zitierten Passage auf dem posthum veröffentlichen Aufsatz Logik in der Mathematik macht Frege denselben Punkt mit Bezug auf komplexe Demonstrativa – man beachte insbesondere die Passage: »Als Eigenname ist dann aber nicht das Begriffswort allein, sondern das Ganze aufzufassen, das aus dem Begriffsworte, dem Demonstrativpronomen und den begleitenden Umständen besteht.« (Frege 2001:108). Künne nimmt diese Bemerkungen Freges beim Wort: Geleitet von Freges Idee, token indexikalischer Ausdrücke mit den relevanten nichtlinguistischen Elementen der Umstände der Äußerung zu Kombinieren, führt er in seinem Aufsatz Indexikalität, Sinn und propositionaler Gehalt (1982) den Begriff des hybriden Eigennamens ein. In dem späteren Aufsatz Hybrid Proper Names gelangt er dann zu der folgenden, einfachen Definition hybrider Eigennamen: Let us call a proper name hybrid if and only if it consists of more than just a verbal expression. (Künne 1992:724)
Dies ergibt klarerweise eine unübliche Konzeption der Aufmachung eines referentiellen Ausdrucks, die meines Erachtens jedoch die richtigen Weichen für den Umgang mit indexikalischen Ausdrücken stellt. Im Folgenden übernehme ich diese Grundidee und entwickle eine neue Version der Theorie der hybriden Eigennamen für einfache Demonstrativa. Obwohl Künnes »Definition« eines hybriden Eigennamens (HE) zunächst angenehm einfach erscheint, gibt sie doch umgehend Anlaß zu den folgenden wichtigen Fragen: (1) Welche nichtlinguistischen Elemente oder Aspekte der Äußerungsumständen müssen mit token demonstrativer Ausdrücke kombiniert werden, um die benötigten hybriden referentiellen Ausdrücke zu formen?
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Eine neo-Fregesche Konzeption singulären Gehalts
(2) Was sind die Identitätsbedingungen für demonstrative HE und wie hilft uns diese Theorie beim Erklären einschlägiger Varianten von Freges Rätsel? Im Folgenden wende ich mich diesen Fragen nacheinander zu, indem ich Künnes und Textors Sichtweisen kurz diskutiere und meine Auffassung präsentiere.
Demonstrata oder Demonstrationen als Teile demonstrativer HE? Künne zufolge suggerieren mehrere Passagen in Frege (2018), daß wir die relevanten Aspekte der Umstände der Äußerung als aus »all and only those nonlinguistic entities which have to be identified if an evaluation of the utterance in terms of truth and falsity is to be possible« (Künne 1992, 724) bestehend auffassen sollten. Soweit, so gut. Aber während die oben zitierten Passagen, insbesondere Freges Erwähnen von Zeigegesten, es nahelegen, die Demonstration als den nichtsprachlichen Teil demonstrativer HE anzusehen, wählt Künne nicht diese Option. Stattdessen schreibt er : I propose that we assimilate the demonstrative case to that of »I«-utterances and take the object demonstrated to be the essential nonlinguistic part of a hybrid proper name containing a demonstrative. (Künne 1992:725f.)
Ich stimme mit Textor (2007) in der Zurückweisung dieses Vorschlags, die Demonstrata selbst als die »Vervollständiger«149 demonstrativer HE anzusehen, überein und sehe, wie Textor, stattdessen die entsprechende Äußerungen begleitenden Demonstrationen als die nichtlinguistischen Teile demonstrativer HE an. Obwohl Künnes Vorschlag bezüglich der Vervollständigung demonstrativer HE prima facie nicht so gut mit den zitierten Passagen Freges zusammenpaßt, bestehen meine Hauptgründe für seine Zurückweisung in systematischen Erwägungen, da ich mich im Rahmen dieser Arbeit nicht mit der Exegese von Freges Werk beschäftige. Im Folgenden führe ich einige Überlegungen an, die dafür sprechen, Demonstrationen als die nichtlinguistischen Teile demonstrativer HE anzusehen. (A1) Nicht nur die Hörer brauchen die Demonstration Künne erwägt es explizit, Demonstrationen als die Vervollständiger demonstrativer HE anzusehen, verwirft diese Idee jedoch mit der Begründung, daß nur die Hörer die Demonstration benötigen, um die Propositionen zu erfassen, die 149 Den Ausdruck »Vervollständiger« (›completer‹) verwende ich, wie Textor, als Verkürzung für »nichtlinguistischer Teil« eines HE.
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Sprecher mithilfe demonstrativer HE ausdrücken (vgl. Künne 1992:725). In der Tat besteht eine Asymmetrie zwischen Sprecher und Adressat, da nur letzterer den Referenten im Zuge des Verstehens der Äußerung des Sprechers identifizieren muß, während der Sprecher den Referenten sozusagen schon mental präsent hat, und hierfür benötigt der Adressat die vom Sprecher angebrachte Demonstration. Dennoch machen sowohl der Sprecher als auch der Adressat von der Demonstration Gebrauch: Damit der Adressat in der Lage ist, den Referenten zu identifizieren, muß der Sprecher zunächst eine Demonstration anbringen. Das heißt also, im Zuge der Äußerung des demonstrativen Satzes bedient sich der Sprecher absichtsvoll der Demonstration als Mittel, um die unterhalte singuläre Proposition auszudrücken. Während der Adressat die Demonstration verstehen muß, um den Referenten zu identifizieren (und so in der Lage zu sein, die ausgedrückte singuläre Proposition zu erfassen), macht der Sprecher ebenfalls von ihr Gebrauch, nämlich um einen spezifischen, objektabhängigen Sinn auszudrücken und auf diese Weise intersubjektiv zugänglich zu machen. Da ihm dies ohne eine in einer directing intention fundierten Demonstration nicht gelingen kann, betrifft die von Künne hervorgehobene Asymmetrie nur die Art und Weise, wie Sprecher und Adressat von der Demonstration Gebrauch machen und konstituiert daher keinen Grund, Demonstrationen als Teile hybrider Eigennamen zurückzuweisen. (A2) Demonstrationen qua intentionale Akte besser als Teile von Ausdrücken geeignet Demonstrationen sind nichtlinguistische Ausdrücke. Sie sind in Intentionen fundiert und haben als solche eine nichtnatürliche Bedeutung im Sinne von Grice (vgl. Grice 1989:213ff.): Sie können verstanden und mißverstanden werden, während das für Demonstrata nicht gilt, was starke Gründe dafür liefert, Demonstrationen als Teile hybrider Ausdrücke zu bevorzugen. Dieses Argument buchstabiert Textor (2007:952–959) auf überzeugende Weise aus, weswegen ich es an dieser Stelle ohne eine detaillierte Ausführung übernehme. (A3) Die Unvollständigkeit von Demonstrationen besteht nicht im Fehlen von Demonstrata Kaplan behauptet in Demonstratives bekanntermaßen, daß Demonstrativa der Ergänzung durch eine Demonstration bedürfen: A demonstrative without an associated demonstration is incomplete. The linguistic rules which govern the use of the true demonstratives ›that‹, ›he‹, etc., are not sufficient to determine their referent in all contexts of use. Something else – an associated demonstration – must be provided. The linguistic rules assume that such a demonstration accompanies each (demonstrative) use of a demonstrative. (Kaplan 1989b:490)
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Trotz signifikanter Unterschiede zu dem Frege verpflichteten Ansatz der Theorie der hybriden Eigennamen ist ersichtlich, daß Kaplan in gewisser Weise denselben Punkt hervorhebt, den bereits Frege bemerkt und in den zitierten Passagen zum Ausdruck bringt. Die Analogie läßt sich folgendermaßen ausführen: Obwohl Kaplan primär mit der Referenzbestimmung bzw. mit der formalen Bestimmung des content befaßt ist und nicht damit, wie eine Art nichtdeskriptiver Fregescher Sinn ausgedrückt werden könnte, bleibt sein Hauptpunkt unberührt, wenn wir ihn so weit verstehen, daß er auch in einem neo-Fregeschen Rahmen Anwendung findet. Demnach betrifft die Unvollständigkeit sowohl die Möglichkeit der Referenzbestimmung, als auch das Ausdrücken eines entsprechenden Sinns: Da die mittels demonstrativer HE ausgedrückten Sinne nichtdeskriptive, objektabhängige Sinne sind, ist das Identifizieren des Referenten Bedingung für deren Erfassen. In dieser Hinsicht paßt Kaplans These der Unvollständigkeit gut zu Textors Vorschlag, Demonstrationen statt der Demonstrata als nichtlinguistische Teile demonstrativer HE aufzufassen. Zudem können Demonstrativa leer sein, d. h. keinen Referenten haben, ohne unvollständig zu sein. Im Hinblick auf die Vollständigkeit des Ausdrucks zählt offensichtlich die Kombination aus token des sprachlichen Ausdrucks und Demonstration (d + d). Diese Kombination bildet, wie wir in Kapitel 4 gesehen haben, die notwendige Voraussetzung für demonstrative Referenz, auch wenn das Ziel der Bezugnahme nicht immer erreicht wird. Diese Tatsache legt es abermals nahe, Demonstrationen als die nichtlinguistischen Vervollständiger von einfachen Demonstrativa aufzufassen: In Kaplans Sinne durch Demonstrationen vervollständigte tokenDemonstrativa sind demonstrative hybride Eigennamen. (A4) Ausdrücke, die auf Teile von sich selbst referieren? In A2 klang bereits an, daß es theoretisch ungünstig wirkt, Ausdrücke zu postulieren, die auf Teile ihrer selbst referieren, insbesondere, wenn diese Teile empirische Gegenstände sind.150 Künne und auch Kripke (2008) akzeptieren diese Konsequenz bereitwillig. Kripke bezeichnet die Referenten mancher indexikalischer Ausdrücke entsprechend sogar als »unrecognized pieces of language« und wendet den Terminus »autonymous signs« (i. e. Zeichen, das als Name für sich selbst verwendet wird) auf sie an. Kripke beginnt seine FregeRekonstruktion wie Künne mit Indexikalia wie »ich«, »du«, »hier«, »jetzt« und faßt Personen, Zeitpunkte und Orte als autonyme Vervollständiger entsprechender indexikalischer Ausdrücke auf. Bemerkenswerterweise ist Kripke je150 Meiner Auffassung konstituiert das einen wichtigen Unterschied zu Anführungen, bei denen die Teilselbstbezüglichkeit (nämlich die Referenz auf den Ausdruck zwischen den Anführungszeichen) unproblematisch erscheint und die Künne zu Analogiezwecken auszubeuten versucht (vgl. Künne 1992:729f.).
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doch, anders als Künne, bereit, im Falle der Demonstrativa eine Ausnahme zu machen: I should add, where demonstration is involved, as in pointing, to me it is clearly that act of demonstration, not the object designated (as in Künne), which is part of the expression of the Gedanke. (Kripke 2007:202f, Fn. 60)
Im Unterschied zu Künne und Kripke startet Textor seine Ausarbeitung der Theorie der HE mit dem Fall der Demonstrativa und zeigt zunächst auf, daß der nichtlinguistische Teil demonstrativer HE eine Entität sein sollte, die in den Intentionen des Sprechers fundiert ist, statt wie bei Künne der Bezugsgegenstand selbst. Später weitet Textor (2015) diese Auffassung auf andere Indexikalia aus und macht deutlich, daß es selbst im Falle von anderen Indexikalia nicht nur merkwürdig, sondern hochgradig problematisch ist, die Referenten selbst, d. h. Personen (»ich«, »du« usw.), Zeitpunkte (»jetzt«) oder Orte (»hier«) als Teile hybrider Ausdrücke aufzufassen. Stattdessen schlägt Textor vor, Verwendungsweisen (›uses‹) von Personen, Zeitpunkten, Orten usw. durch den Sprecher als die nichtlinguistischen Teile entsprechender HE anzusehen. Textors Argumentation ist insgesamt überzeugend; da der Fokus hier auf Demonstrativa liegt, stelle ich sie nicht im Detail vor. Der an dieser Stelle relevante Punkt ist, daß nicht Demonstrativa an andere Indexikalia angepaßt werden, sondern umgekehrt: Indem wir den Fall der Demonstrativa als das Paradebeispiel ansehen, wenn es darum geht, wie token indexikalischer Ausdrücke zu hybriden referentiellen Ausdrücken vervollständigt werden, können wir die mißliche Konsequenz, daß HE auf Teile von sich selbst referieren, insgesamt vermeiden. Ich sehe Textors neue Version einer Theorie der HE als eine Verbesserung von Künnes ursprünglicher Version an, weil er die Auffassung vertritt, für die ich gerade argumentiert habe, nämlich, daß Demonstrationen und nicht Demonstrata als Vervollständiger demonstrativer HE anzusehen sind. Ein weiterer großer Vorteil davon, Demonstrationen und nicht Demonstrata als die nichtlinguistischen Teile demonstrativer HE aufzufassen, ist, daß diese Auffassung einen besseren Umgang mit Freges Rätsel ermöglicht. Dies wird im Folgenden anhand der Diskussion eines von Frege inspirierten Rätsels deutlich, in der, neben weiteren Konvergenzen, auch eine wichtige Divergenz zwischen Textors und meiner Auffassung demonstrativer HE zum Vorschein kommt. Die erste eingangs gestellte Frage (vgl. S. 221) betrachte ich daher als geklärt, sodaß der Fokus in der nun folgenden Diskussion auf der zweiten Frage liegt – der nach den Identitätsbedingungen demonstrativer HE.
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Freges Rätsel mit einfachen Demonstrativa Perry (1977) hat mit einem bekannt gewordenen Beispiel darauf aufmerksam gemacht, daß Sätze der Form »Dies ist F« einen unterschiedlichen kognitiven Wert haben können, auch wenn der Referent von »dies« jeweils derselbe Gegenstand ist: Suppose I am viewing the harbor from downtown Oakland; the bow and stern of the aircraft carrier Enterprise are visible, though its middle is obscured by a large building. The name »Enterprise« is clearly visible on the bow, so when I tell a visitor, »This is the Enterprise« pointing towards the bow, this is readily accepted. When I say, pointing to the stern clearly several city blocks from the bow, »That is the Enterprise« however, she refuses to believe me. By the criterion of difference, a different sense was expressed the first time than the second. (Perry 1977:483)
Perrys Beispiel läßt sich sehr leicht so abwandeln, daß wir in entsprechenden Situationen mithilfe von Sätzen wie »This is (the same as) that« oder auch »Dies ist (dasselbe wie) dies« informative Identitätsaussagen machen. Wenn typegleiche Ausdrücke das »ist« der Identität flankieren, ergibt sich eine besonders verzwickte Variante von Freges Rätsel: (FRD) Dies ist (dasselbe wie) dies. Die sprachlich vermittelten Gegebenheitsweisen der Referenten (etwa »der Gegenstand, auf den der Sprecher mit dieser Äußerung von ›dies‹ hinweisen will ist identisch mit dem Gegenstand, auf den der Sprecher mit jener Äußerung von ›dies‹ hinweisen will«) reichen nicht aus, um den kognitiven Wert – den Erkenntnisgewinn, der infolge des Verstehens solcher Äußerungen möglich ist, zu erklären. Daher fängt Perrys reflexive Proposition nur einen Teil des kognitiven Zugangs zum Referenten ein, der für sich genommen nicht ausreicht, um die Informativität der Aussage verständlich zu machen. Hierfür ist offenbar Rekurs auf die Demonstrationen nötig, die der Sprecher anbringt, um die Aufmerksamkeit des Hörers auf den intendierten Referenten zu lenken. Der Fokus liegt nun also weder auf dem genuin semantischen Gehalt entsprechender Sätze im Sinne des Minimalismus (wie in Kapitel 3), noch auf der Referenzbestimmung per se (wie in Kapitel 4), sondern darauf, wie wir es schaffen, mit entsprechenden demonstrativen HE Fregesche Sinne auszudrücken, die Gegebenheitsweisen des Referenten beinhalten, die die Informativität von Aussagen wie (FRD) verständlich machen. Da die Information, die im character von »dies« enthalten ist (und die ich im vergangenen Kapitel explizit gemacht habe), nicht ausreicht, um den kognitiven Wert von Aussagen wie (FRD) einzufangen, fragen wir also, wie wir demon-
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strative HE verstehen müssen, damit sie die relevanten nichtdeskriptiven Gegebenheitsweisen transportieren können. Da es offensichtlich nicht dem linguistischen Teil der HE geschuldet ist, daß Aussagen der entsprechenden Form informativ sein können, müssen die nichtlinguistischen Teile demonstrativer HE dafür verantwortlich sein. Die Demonstrationen, die in (FRD) die beiden token von »dies« begleiten, müssen den Referenten auf verschiedene Weise präsentieren, damit die Aussage informativ sein kann. Demonstrationen spielen also sowohl bei der Referenzbestimmung als auch im Hinblick auf die Informativität von Aussagen wie (FRD) eine wichtige Rolle. Sehen wir uns nun Textors folgende Variation von Perrys Beispiel an: You and I are looking at what is in fact one big ship, the Enterprise, but the middle of it is obscured by a building. Hence, one might think that the stern and the bow belong to two ships. I point to the bow, expecting you to perceive the bow of the ship, and say »This ship is an aircraft carrier«. However, unbeknown to me, you have changed your location and, while hearing my utterance, you perceive the stern of the Enterprise. You perceive the right object, but you do not perceive it in the way I intended you to perceive it. If you come to believe that that ship – you point to the stern – is an aircraft carrier, on the basis of my utterance, are you grasping what I said by my utterance? No, you are not. (Textor 2007:960f.)
Ich schließe mich Textors Interpretation des Beispiels an: Die Adressatin hat die ausgedrückte Proposition nicht erfaßt, da das Schiff für sie nicht auf die vom Sprecher intendierte Weise salient geworden ist. Um das Gesagte zu erfassen, reicht es nicht aus, das Demonstratum bzw. den Referenten irgendwie zu identifizieren, vielmehr muß dafür auch die in der Demonstration bestehende Komponente des vom Sprecher produzierten demonstrativen HE verstanden werden. Im Hinblick auf dieses Verstehen ist die Art und Weise relevant, wie der Referent salient ist. Aus diesem Grunde bietet sich die Auffassung regelrecht an, daß der HE den Fregeschen Sinn ausdrückt, dessen Erfassen eine notwendige Bedingung für das vollständige Verstehen des vom Sprecher produzierten HE und somit für das Erfassen der ausgedrückten singulären Proposition ist.151 In Künnes Ansatz, in dem das Demonstratum den geäußerten Ausdruckstoken zu einem hybriden Eigennamen ergänzt, ergibt sich keine offensichtliche Lösung des Rätsels von (FRD): Da die beiden hybriden Eigennamen in (FRD) sich nicht unterscheiden, kann der ausgedrückte Sinn im Rahmen dieser Konzeption nicht auf eine unkomplizierte Weise als Funktion der Konstituenten des hybriden Eigennamens aufgefaßt werden. Meiner diesbezüglich mit Textors 151 Textor schwächt diese Bedingung dahingehend ab, daß der Hörer nicht genau die Proposition erfassen muß, die der Sprecher ausdrückt, sondern lediglich eine »hinreichend ähnliche« Proposition (vgl. Textor 2007:950). Diese Behauptung paßt jedoch nicht mit seinen Ausführungen im letzten Drittel des Aufsatzes zusammen, in dem es um Bedingungen für Sinngleichheit geht. Mehr dazu in Kürze.
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übereinstimmenden Auffassung zufolge werden Demonstrativa durch Demonstrationen ergänzt. Wenn wir davon ausgehen, daß die jeweils angebrachten Demonstrationen sich unterscheiden, ergibt sich durch die entsprechend unterschiedlichen HE eine naheliegende Erklärung für die Unterschiede im jeweils ausgedrückten Sinn. Welcher Sinn ausgedrückt wird, hängt demnach in einer unmittelbaren Weise an dem vom Sprecher produzierten HE. Im Gegensatz dazu ist neo-Russellschen Varianten des Umgangs mit Freges Rätsel bekanntlich gemeinsam, daß sie die Informativität von Aussagen wie (FRD) ausschließlich über den Weg zum Gehalt und nicht (auch) über den Gehalt selbst erklären wollen.152 Salmons Ansatz zufolge fängt eine demonstrationsspezifische Beschreibung des Gesagten die relevanten Unterschiede im kognitiven Wert ein: [T]he proposition is taken by the attentive speakee as an identification between objects differently demonstrated – the singular proposition about both the demonstratum of d1 and the demonstratum of d2 that they are one and the very same. (Salmon 2002:520)
Wir können die ausgedrückte singuläre Proposition auf diese Weise via Beschreibung allerdings auch in Situationen »kennen«, in denen wir die Demonstrata nicht wahrnehmungsmäßig identifizieren können. In solchen Situationen haben wir – wie Textor herausarbeitet – die Demonstrationen nicht verstanden und die vom Sprecher ausgedrückte singuläre Proposition nicht erfaßt. Folglich kann auch ein deskriptiver Zugang dieser Art die Informativität von FRD nicht erklären (vgl. Textor 2007:966f.). Garc&a-Carpintero zählt Demonstrationen, wie Salmon, ebenfalls zu den Kontextparametern und sieht sie nicht, wie Textor, als nonverbale Ergänzung des verwendeten demonstrativen Ausdrucks an. Garc&a-Carpinteros »context-shifting«-Theorie zufolge löst jedes neue Vorkommnis eines Demonstrativums in einem geäußerten Satz einen Kontextwechsel aus, und zwar derart, daß das Demonstratum, das dem gerade geäußerten token entspricht, in dem aktuellen Kontext das fokale Demonstratum ist. Auf unser Beispiel der informativen Äußerung von (FRD) bezogen, bedeutet das, daß die Sequenz der Demonstrata in beiden »Kontexten« die gleiche ist und zweimal dasselbe Objekt enthält, aber die Fokalisierung eine andere ist. Das läßt sich folgendermaßen darstellen:
152 Hierunter fällt bekanntermaßen auch Perry : Statt dem im letzten Satz der oben zitierten Passage zum Ausdruck gebrachten Impetus theoretisch konsequent zu folgen, verfremdet Perry (1977) den Fregeschen Sinnbegriff, indem er ihn vollständig von dem der Proposition (i. e. des Fregeschen Gedankens) entkoppelt. Die zur Diskussion stehende Version von Freges Rätsel kann er, wie ich oben bereits angemerkt habe, unter Rekurs auf die reflexive Proposition nicht klären.
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(FRD) K1: a = a (FRD) K2 : a = a Um gegen Garc&a-Carpinteros Auffassung anzugehen, gibt Textor als Beispiel ein Argument an, für dessen Validität »trading on identity« bezüglich des ersten Demonstratums in (P1) und des Demonstratums in (P2) erforderlich ist, d. h. das Argument ist unter der Annahme valide, daß die relevanten Demonstrata identisch sind: If I argue: (P1) That ship [pointing to the stern of the Enterprise] is the same as that ship [pointing to the bow of the Enterprise]. (P2) That ship [pointing again to the stern of the Enterprise] is an aircraft carrier. (C) Hence, that ship [pointing again to the bow of the Enterprise] is an aircraft carrier, and I keep track of the ship during my course of reasoning, and I am neither aware of nor are there any defeating circumstances, I have produced a valid and complete argument. (Textor 2007:969)
Aufgrund der immer neuen Kontexte, die durch jede neue Verwendung von »that ship« entstehen, kann Garc&a-Carpintero die (vermeintliche) Validität des Arguments nicht einfangen. Bei dem Versuch, dies zu tun, käme er in einen unendlichen Regreß von Zusatzbedingungen (vgl. Textor 2007:970). Textor ist der Meinung, daß wir die epistemische Berechtigung (›entitlement‹) für die Konklusion nur bekommen, wenn wir contra Garc&a-Carpintero annehmen, daß Demonstrationen zu types zusammengefaßt werden können. Demnach müßten die Zeigungen Richtung Heck der Enterprise in (P1) und (P2) als token desselben Demonstrationstype aufgefaßt werden, die in Kombination mit den in (P1) und (P2) verwendeten token desselben demonstrativen Ausdrucks typegleiche hybride Eigennamen ergeben. Type-Identität von hybriden Eigennamen ist demzufolge ihrerseits hinreichend für die Identität des mit ihnen ausgedrückten Sinns. Textor kommt zu dem Schluß: Hence, if one is under certain circumstances entitled to take identity of demonstratum for granted, the context-shifting theory is no longer motivated: some demonstrative utterances accompanied by a demonstration do not shift the context. Moreover, if one is sometimes entitled to take identity of demonstratum for granted, one should introduce types of demonstrations to reflect this fact. (Textor 2007:971, meine Hervorhebung)
Darüber hinaus will Textor via Typeidentität von Demonstrationen auch erklären, warum manchmal mit aufeinanderfolgenden Demonstrationen in Kombination mit token desselben Demonstrativums dieselbe Proposition ausgedrückt, i. e. eine uninformative Aussage gemacht werden kann. Ein Beispiel dafür wäre das folgende:
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(B1) A und B stehen an Hafen und A sagt zu B: (U1) Dies [Zeigung auf das Heck der Enterprise] ist ein Flugzeugträger. Nun kommt C dazu und A möchte C dasselbe mitteilen wie B und äußert daher nocheinmal den Satz (U2) Dies [Zeigung auf das Heck der Enterprise] ist ein Flugzeugträger. Die zweite Äußerung ist für C, nicht aber für B informativ. Solche Beispiele lassen es zunächst sehr plausibel aussehen, Typen von Demonstrationen anzunehmen. Demonstrationen sind laut Textor token desselben type, wenn gilt: [T]two different actions performed in the same way with the same intention are tokens of the same demonstration type. (Textor 2007:961)
Das klingt abgesehen von der drohenden Vagheit in Bezug darauf, wann zwei Handlungen in der gleichen Weise ausgeführt werden, zunächst einfach. Aber Textor fügt noch weitere nötige Erläuterungen an: If I point twice to the same ship in the same manner, say by pointing to its bow, and the ship looks the same and there is no reason to change one’s background beliefs about the situation in which the act of pointing takes place, the utterance will be uninformative. (Textor 2007:961f., meine Hervorhebung)
Das klingt deutlich komplizierter : Auch wenn wir die Idee von Demonstrationstypes tentativ akzeptieren, sind – wie Textor selbst schreibt – noch weitere Hintergrundannahmen erforderlich, um die Identität des ersten Demonstratums in (P1) und des Demonstratums in (P2) berechtigterweise annehmen zu können. Zudem handelt es sich um epistemische Bedingungen, die die faktische Identität der relevanten Demonstrata nicht sicherstellen können. Auch wenn die so erläuterte Bedingung nicht prinzipiell unanwendbar ist, wirft sie doch die Frage nach unserem epistemischen Zugang dazu auf, ob die postulierte type-Identität von Demonstrationen in bestimmten konkreten Fällen nun vorliegt oder nicht. Insbesondere in Fällen, in denen der Sprecher sich über die Identität des Referenten irrt, beispielsweise in sogenannten »switching«-Fällen, ergeben sich Probleme, die eine weitergehende Explikation erforderlich machen. Sehen wir uns daher einmal ein solches »switching«Szenario an. (B2) Nehmen wir an, ein Sprecher S bezieht sich mittels der Äußerung (U1) demonstrativ auf den vor ihm liegenden Apfel: (U1) Dies ist ein schöner, reifer Apfel.
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und wendet sich dabei dem Adressaten A zu. Dann kommt B herein, S sieht kurz zu B und sagt, den gleichen Satz wieder, diesmal zu B: (U2) Dies ist ein schöner, reifer Apfel. Ohne das Wissen von S wurde der Apfel in dem Augenblick, als S wegsah, durch einen Plastikapfel ausgetauscht, der für S optisch von dem während ihrer ersten Äußerung wahrgenommenen echten Apfel ununterscheidbar ist. In diesem Beispiel hat S in (U1) und (U2) zwei numerisch verschiedene HE produziert, mit der Intention, zweimal denselben Sinn auszudrücken, i. e. den vermeintlich selben Referenten zweimal auf die gleiche Weise zu präsentieren. S glaubt, zweimal denselben Gehalt ausgedrückt zu haben, tut dies aber de facto nicht. Aufgrund der externen Bedingung für Sinngleichheit, die eine notwendige Folge der Objektabhängigkeit von mittels demonstrativer HE ausgedrückter Sinne ist, drücken die HE in (U1) und (U2) unterschiedliche Sinne aus, obwohl sie für S den gleichen kognitiven Wert haben. Dieses Beispiel illustriert, daß wir im Hinblick auf die Frage, wann zwei numerisch verschiedene HE den gleichen Sinn ausdrücken, aufgrund unserer begrenzten kognitiven Unterscheidungsfähigkeit keine Gewißheit erreichen können. Unter gewissen Umständen können wir in Beispielen wie dem von Textor angeführten Argument epistemisch berechtigt sein, die Konklusion (C) für wahr zu halten; ob wir (C) wissen, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Deshalb bin ich wie Garc&a-Carpintero der Meinung, daß solche Argumente mit demonstrativ verwendeten Demonstrativpronomen – auch wenn sie uns intuitiv unproblematisch erscheinen – niemals im strengen Sinne deduktiv gültig sind. Das liegt daran, daß selbst die für das Erfassen der ausgedrückten Sinne erforderliche Bekanntschaft mit den Referenten uns nicht mit der kognitiven Fähigkeit ausstattet, diese Referenten unfehlbar von allen anderen Gegenständen zu unterscheiden. Textor behauptet einerseits, daß das Erfassen der durch verschiedene token des gleichen hybriden Eigennamens ausgedrückten Sinne das Wissen um die Identität der Referenten impliziert (vgl. Textor 2007:272). Andererseits schwächt er diese Behauptung der epistemischen Transparenz entsprechender Sinne in einer Fußnote wieder so stark ab, daß sie genau auf meine Sichtweise hinausläuft: The original Fregean transparency claim may be too strong. Particularly in the case of arguments with demonstratives, it seems implausible to hold that merely grasping the same sense yields immediate knowledge of co-reference. The fact that two tokens of a hybrid proper name have the same sense cannot exclude the possibility of an unnoticed exchange of objects. This suggests the weaker transparency claim that, if the singular terms ›a‹ and ›b‹ have the same sense, and someone grasps the sense of ›a‹ and grasps the sense of ›b‹, that person has the defeasible right to take for granted that a is b (see
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Campbell 1994, p. 88.). Possessing this defeasible right allows us to trade on identity in the arguments under discussion. (Textor 2007:272, Fn. 22)
Somit gesteht Textor – wenn auch »beiläufig« – zu, daß seine Theorie die faktische Validität des angeführten Arguments nicht erklären kann. Das ist meines Erachtens aber keine Schwäche seiner Version der Theorie der hybriden Eigennamen, denn keine semantische Theorie (im weitesten Sinne) kann sicherstellen, daß die dafür notwendige externe Bedingung (i. e. die faktische Identität der Referenten) tatsächlich erfüllt ist – das hebt auch Garc&a-Carpintero zurecht hervor. Die Geltung der von Textor angedeuteten ceteris paribus-Bedingungen machen die Wahrheit von (C) in der beschriebenen Situation aber immerhin sehr wahrscheinlich und liefern gute Gründe, (C) zu glauben. Dafür ist es allerdings nicht erforderlich, Typen von Demonstrationen zu postulieren. Zudem motivieren Textors Überlegungen auch ohne diese Annahme eine Zurückweisung von Garc&a-Carpinteros »context shifting«-Theorie. Dies möchte ich im Folgenden plausibel machen. Demonstrationen beruhen, wie wir im vorangegangenen Kapitel 4 gesehen haben, auf einer directing intention des Sprechers; eine Demonstration kann allein aufgrund ihrer »physikalischen Merkmale« keinen Referenten eindeutig herauspicken. Auch Textor hebt die intentionale Komponente einer Demonstration hervor: Er sieht Demonstrationen als Zeichen (›signs‹) an, deren Bedeutung auf einer Intention des Sprechers beruht und die somit eine nichtnatürliche Bedeutung im Sinne von Grice haben (vgl. S. 223). Daß Demonstrationen verstanden werden müssen spreche dagegen, sie analog zu Sprecher, Zeit und Ort der Äußerung als Kontextparameter anzusehen und dafür, sie als Teil eines hybriden Eigennamens aufzufassen. Ich stimme zu, sehe darin aber auch zwei gewichtige Gründe dagegen, Typen von Demonstrationen zu postulieren: 1. In Bezug auf die »physikalische Komponente« einer Demonstration: extreme Vagheitsprobleme und Abhängigkeit von zu vielen, nicht systematisch handhabbaren Hintergrundbedingungen 2. In Bezug auf die intentionale Komponente einer Demonstration: Die Identität der Referenten vermeintlich typegleicher Demonstrationen scheint Textors Ausführungen zufolge an der internen Bestimmung des Referenten (Sprecherreferenz) zu hängen. Aber Sprecher können sich, wie beispielsweise die sogenannten »switching«-Fälle illustrieren, bezüglich der Identität von intendierten Demonstrata irren. Wenn wir annehmen, (i) daß Sinngleichheit Identität der Referenten impliziert (wie Textor es im Haupttext tut und wie es in den Grundpfeilern der Fregeschen Theorie angelegt ist), (ii) daß typegleiche hybride Eigennamen hinreichend für Sinngleichheit sind, und
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(iii) daß typegleiche Demonstration + typegleicher sprachlicher Ausdruck wiederum notwendig und hinreichend für die Typegleichheit hybrider Eigennamen sind, dann haben wir keine Handhabe mehr gegen Verwechslungen (»switching« etc.) und können der Objektabhängigkeit der mittels demonstrativer hybriden Eigennamen ausgedrückten Sinne nicht gerecht werden, die wir ihrerseits brauchen, um die Objektabhängigkeit der Wahrheitsbedingung sicherzustellen. Ich komme auf meine in der Einleitung dieses Kapitels angekündigten Kritikpunkte (a) und (b) zurück (vgl. S. 219) und fasse zusammen: Ad (a) Die von Textor zurecht hervorgehobene intentionale Komponente einer Demonstration führt dazu, daß es mißlich ist, types von Demonstration zu postulieren. Zeichen, die eine konkrete, an einzelnen Sprechsituationen hängende intentionale Komponente haben, lassen sich nicht zu Typen zusammenfassen (ungeachtet dessen, daß sie gegebenenfalls auch konventionelle Elemente enthalten). Sprecher können sich über die Identität von Demonstrata irren, gleichzeitig soll diese aber eine Bedingung für Typeidentität von Demonstrationen sein – mit der Folge, daß die Spannung zwischen interner und externer Bedingung nicht aufgelöst werden kann (denn für die angestrebte Typeidentität sind »intentionale Identität« und de facto-Identität gleichermaßen erforderlich). Einen hinreichenden Grund, um Typen von Demonstrationen zu postulieren, hätten wir daher nur, wenn wir die kognitive Signifikanz von Aussagen wie (FRD) oder die Berechtigung, in dem auf S. 229 angeführten Argument auf (C) zu schließen, nicht anders erklären könnten. Ich komme damit zum angekündigten Kritikpunkt (b) aus der Einleitung, i. e. dazu, wie Textors intuitiv plausible Interpretationen der Beispiele in meinem Bild ohne das Postulieren von Typen von Demonstrationen zu erreichen sind. Ad (b) Meiner Meinung nach spricht nichts dagegen, daß wir mittels verschiedener Demonstrationen (in Kombination mit token desselben Ausdruckstype) unter bestimmten Bedingungen denselben de re-Sinn und entsprechend dieselbe singuläre Proposition ausdrücken können. Das wird aus empirischen Gründen dann am wahrscheinlichsten sein, wenn die Demonstrationen direkt hintereinander erfolgen und einander in ihren »physikalischen« Merkmalen sehr ähnlich sind. Wenn die Umgebung sich kaum verändert hat, kann das aber auch zu einem späteren Zeitpunkt möglich sein. Textor liefert das folgende Kriterium dafür, unter welchen Bedingungen zwei numerisch verschiedene HE den gleichen Sinn ausdrücken:
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(HPS2) If the verbal constituents of two hybrid proper names are synonymous words and the non-verbal constituents are either the same demonstration or tokens of the same demonstration, the hybrid proper names express the same sense. (Textor 2007:956) Da darin auf Typen von Demonstrationen rekurriert wird, lehne ich Textors Kriterium aufgrund der angeführten Überlegungen ab, und setze diesem das folgende »kognitive« Kriterium entgegen, welches allerdings zunächst eine notwendige Bedingung dafür ist, daß zwei HE unterschiedliche Sinne ausdrücken: (HEAPn) Wenn ein geäußerter Satz der Form d + d1 = d + d2 informativ sein kann, dann drücken die beiden hybriden Eigennamen unterschiedliche Sinne aus
Das Erfassen der durch hybride Eigennamen ausgedrückten objektabhängigen Sinne erfordert Bekanntschaft mit den Referenten: Der Sinn hängt am Referenten und präsentiert diesen gleichzeitig auf eine bestimmte Weise. Die Gegebenheitsweisen müssen aber nicht so aufgefaßt werden, daß sie es uns kognitiv erlauben, den Referenten von allen anderen Gegenständen zu unterscheiden (so wie Evans es fordert). Die Objektabhängigkeit der ausgedrückten Sinne, die die Starrheit demonstrativer HE sicherstellt, bringt es aber auch mit sich, daß Sprecher sich im Hinblick auf die Identität mittels HE ausgedrückter Sinne (und der entsprechenden Referenten) irren können. Aus diesem Grunde ist (HPSAP(n)) nur eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung dafür, daß zwei numerisch verschiedene HE den gleichen Sinn ausdrücken. In seltenen Fällen wie dem »switching«-Szenario, in denen wir uns aufgrund unserer begrenzten kognitiven Unterscheidungsfähigkeit in Bezug auf die Identität von Demonstrata irren, kann die externe Bedingung dazu führen, daß trotz desselben kognitiven Werts der relevanten HE unterschiedliche Sinne ausgedrückt werden. Diese Spannung zwischen Objektabhängigkeit und kognitivem Wert ergibt sich aus den Spezifika nichtdeskriptiver Gegebenheitsweisen, die diese Sinne beherbergen. Sie verhindert trotz der Feinkörnigkeit der durch HE ausgedrückten Sinne eine vollkommene epistemische Transparenz im Hinblick auf die Referenten. All diesen Überlegungen liegt die Annahme zugrunde, daß demonstrative HE dann und nur dann »identisch« sind, wenn sie den gleichen Sinn ausdrücken. Diese Annahme liegt auch Textors Ausführungen implizit zugrunde, allerdings mit dem Unterschied, daß Textor der Auffassung ist, daß dies nur unter Rekurs auf Typen von Demonstrationen erreicht werden kann. In meinem Bild reicht es hingegen aus, daß mit zwei numerisch verschiedenen HE de facto der gleiche
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Sinn ausgedrückt wird. Das Wort »identisch« habe ich allerdings bewußt in Anführungszeichen gesetzt, da in meinem Bild in einer gewissen Hinsicht nicht von der Identität numerisch verschiedener HE gesprochen werden kann, da dies Typen von HE impliziert, deren Annahme in meinem Bild problematisch ist, da diese ja zum Teil aus Demonstrationen bestehen, die ihrerseits nicht sinnvollerweise als token von Demonstrationstypes aufgefaßt werden können. Es macht gerade die Besonderheit von hybriden Eigennamen aus, daß sie sich nicht »typen« lassen. Hybride Eigennamen entstehen erst im Zuge der Äußerung eines demonstrativen Ausdrucks und des Anbringens der sie begleitenden Demonstration. Das unterscheidet sie von rein sprachlichen Ausdrücken. Wenn ein demonstrativer Ausdruck verwendet wird, wird der entsprechende Ausdruckstype instantiiert – es wird ein token produziert. Gleichzeitig kommt aber auch eine nichtsprachliche Komponente ins Spiel und infolge dieser Kombination entsteht ein neuer hybrider Ausdruck. Es ist aufgrund von Disanalogien kontraintuitiv anzunehmen, daß die nichtsprachliche Ergänzung ihrerseits auch in einer Instantiierung eines (bereits existierenden) types besteht. So wie es sprachliche Ausdrücke gibt, die eine konventionelle Bedeutung haben und verwendet werden können, um eine Proposition auszudrücken, scheint es nicht auch ein Repertoire von Demonstrationen zu geben, die dann zu Kommunikationszwecken instantiiert werden können. Wir können daher von in einem funktionalen Sinne »gleichen« HE sprechen, damit ist allerdings nicht type-Identität gemeint, sondern das (de facto selten vorkommende) Ausdrücken des gleichen Sinns durch numerisch verschiedene HE. Nach dieser intensiveren Beschäftigung mit dem Ausdrücken singulärer Gehalte durch token-Demonstrativa und die sie begleitenden Demonstrationen, wende ich mich nun den ausgedrückten Sinnen selbst zu. Sowohl Künnes als auch Textors Theorie der hybriden Eigennamen beschränken sich darauf, genauer zu klären, wie bei der Verwendung von Indexikalia Sinne ausgedrückt werden, sagen aber nichts zur Natur der ausgedrückten Sinne selbst. Ihren wie meinen bisherigen Ausführungen scheint jedoch die Annahme zugrunde zu liegen, daß sich eine neo-Fregesche Konzeption solcher Gehalte etablieren läßt, da die Idee von objektabhängigen Sinnen, die nichtdeskriptive Gegebenheitsweisen beinhalten, nicht – wie von manchen Theoretikern angenommen – mit Freges theoretischem Rahmen unvereinbar ist. Ich sehe es daher als eine Erweiterung der Theorie der hybriden Eigennamen an, einen Sinnbegriff zu explizieren, der mit der These, daß Demonstrativa qua referentielle Ausdrücke de jure starr sind und entsprechende Bezugnahmen aus diesem Grunde modal konstant sind, kompatibel ist.
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5.2
Eine neo-Fregesche Konzeption singulären Gehalts
De re-Sinne – ein Wiederbelebungsversuch
Zu Beginn der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts haben Evans und McDowell die vorherrschende, insbesondere durch Perry und Kaplan vorgebrachte Auffassung des Fregeschen Sinnbegriffs zurecht als eine unbegründete deskriptivistische Engführung des Fregeschen Begriffs kritisiert.153 Um mit den singulären Gehalten umzugehen, die mithilfe von Indexikalia ausgedrückt werden, haben sie jeweils die Begriffe des nichtdeskriptiven Sinns (Evans 1981, 1982) und des de re-Sinns (McDowell 1984) eingeführt. Heute gilt die Idee nichtdeskriptiver, objektabhängiger Sinne – jedenfalls laut Bach – als überholt. Er erwähnt sie in seiner Diskussion singulären Denkens lediglich in einer Fußnote: Gareth Evans (1982) and John McDowell (1984) developed a notion of object-dependent senses. Thoughts containing de re senses, as McDowell called them, being neoFregean counterparts of Russellian singular propositions, are themselves object-dependent. However, these notions of de re senses and object-dependent thoughts have been forcefully challenged by Simon Blackburn (1984:ch.9), Peter Carruthers (1987), Gabriel Segal (1989), and Harold Noonan (1991), and the suggestion that they are Fregean in character has been debunked by David Bell (1990). (Bach 2010:49, Fn.12)
Ich bin nicht davon überzeugt, daß Evans’ bzw. McDowells Begrifflichkeiten nicht in einer sinnvollen Weise spezifiziert werden können, sondern bin vielmehr der Auffassung, daß diese Ideen es aufgrund ihres explanatorischen Potentials wert sind, weiterentwickelt zu werden. Auf die Kritik der Autoren, auf die Bach in diesem Zitat verweist, kann ich hier nicht eingehen, was zum Glück aber auch nicht notwendig ist, denn die Einwände, die beispielsweise Carruthers in seinem Aufsatz Russellian Thought (1987) vorbringt, richten sich dagegen, daß wir bei der Charakterisierung singulärer Gehalte mit strikt objektabhängigen Sinnen auskommen, nicht gegen den Begriff des de re-Sinns an sich. Der Großteil der in den von Bach angeführten Texten gegebenen Argumente richtet sich gegen die These, daß kein singuläres Denken ohne existierende Referenten möglich ist (vgl. bspw. Noonans (1991) Kritik von Evans’ strikt externalistischem Ansatz). Solche Argumente haben jedoch per se keine Auswirkung auf die These, daß der Begriff des de re-Sinns mit Bezug auf die Referenz auf existierende Gegenstände eine sinnvolle Verwendung findet. Um diese These soll es in diesem Abschnitt gehen, auf die Grenzen der entsprechenden Auffassung von singulärem Gehalt komme ich später noch zu sprechen. 153 Auf die entsprechenden Argumente kann ich im Rahmen dieser Arbeit nicht eingehen. Da es mir hier nicht um die Frege-Exegese als solche geht, übernehme die Argumente implizit und konzentriere mich auf die eigene Erarbeitung eines Sinnbegriffs, der diesen Restriktionen nicht unterliegt.
De re-Sinne – ein Wiederbelebungsversuch
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Warum sollten wir einen neo-Fregeschen Ansatz in Begriffen von objektabhängigen Sinnen verfolgen, worin liegen seine Potentiale? Im Folgenden begründe ich meine Auffassung, daß de re-Sinne, i. e. Sinne, die nichtdeskriptive Gegebenheitsweisen von Gegenständen enthalten, sehr gut dazu geeignet sind, als die subpropositionalen Gehalte aufgefaßt zu werden, die demonstrativen hybriden Eigennamen entsprechen, anhand der Auseinandersetzung mit den folgenden Fragen: (1) Welche Vorteile bietet ein neo-Fregescher Ansatz in Relation zu neo-Russellschen Alternativen? (2) Was genau sollen de re-Sinne sein und wie lassen sie sich individuieren?
Ad (1) Gegen Russellsche Propositionen Vieles spricht gegen die Annahme, daß Russellsche Propositionen die Objekte derjeniger unserer propositionalen Einstellungen sind, die bestimmte Gegenstände direkt (im Sinne von Kapitel 3) betreffen, d. h. in denen wir beispielsweise von einem bestimmten Gegenstand a glauben, daß er F ist und unser Zugang zu a typischerweise nichtdeskriptiv, d. h. nicht über allgemeine Begriffe vermittelt ist. Die Theorie der hybriden Eigennamen ist auch in dem Sinne eine neo-Fregesche Theorie, daß ihr die Annahme zugrundeliegt, daß Fregesche Sinne die Gehalte sind, die HE auf propositionaler Ebene entsprechen. Neo-Russellsche zwei-Faktoren-Ansätze wie derjenige von Perry (1977) oder Salmon (2002) entkoppeln die ausgedrückte Proposition hingegen von der Art und Weise, wie sie von Sprechern/Hörern unterhalten wird. Die Vorteile der neo-Fregeschen Auffassung bestehen darin, daß sie (A) eine intuitivere und phänomenal angemessenere Konzeptualisierung singulären Denkens erlaubt und (B) mit Vorteilen im Umgang mit theoretischen Problemen wie dem Fregeschen Rätsel aufwarten kann. Im Folgenden wende ich mich den Schwierigkeiten zu, mit denen die neo-Russellsche Auffassung zu kämpfen hat, derzufolge die Referenten referentieller Ausdrücke selbst Bestandteile entsprechender Propositionen sind. (A) Die Perspektivität unseres Zugangs zu Gegenständen Philosophen wie Edmund Husserl, Gottlob Frege und Tyler Burge haben gleichermaßen betont, daß auch die sogenannten de re-Einstellungen immer eine bestimmte Perspektive auf den betreffenden Gegenstand voraussetzen. Die phänomenologische Betrachtung zeigt, daß wir keinen Gegenstand »bereinigt«,
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im Sinne von bar jeder Art von qualitativer Bestimmung, denken können. So schreibt Burge im Postskript zu seinem einflußreichen Aufsatz Belief De Re: Individuals cannot think (or perceive) objects neat. They must think of them from a perspective – ›intentionally‹ or representationally. (Burge 2007:77)
Auch wenn wir die Gegebenheitsweise, in der uns ein Gegenstand mental präsent ist, nicht immer rein sprachlich ausdrücken können, so können wir Gegenstände dennoch immer nur aus einer bestimmten Perspektive gedanklich thematisieren; sie liegen uns sozusagen auch dann als so-und-so vor, wenn diese Qualifikation keine deskriptiv-begriffliche ist. Das läßt die Auffassung, daß Russellsche Propositionen die Objekte unserer Einstellungen sein können, gänzlich unplausibel erscheinen. Gleichzeitig scheinen theoretische Bemühungen geboten, die den kognitiven Wert von Sätzen, die singuläre Propositionen ausdrücken, mittels der ausgedrückten Propositionen selbst einzufangen versuchen. Wenn wir uns hingegen für einen zwei-Faktoren-Ansatz entscheiden, müssen wir es in Kauf nehmen, daß der Gemeinplatz, daß Propositionen die Objekte unserer Einstellungen sind, im Falle von de re-Einstellungen genau genommen nicht zutrifft und die theoretischen Manöver der Trennung von »belief content« und »belief state« darüber lediglich hinwegtäuschen. George Bealer gibt in der folgenden Passage einen guten Eindruck davon, warum Russellsche Propositionen gänzlich ungeeignete Kandidaten für die Objekte unserer de re-Einstellungen sind: When I am aware that I am in pain, is an ordered set the object of my awareness? When I see that you are running, do I see an ordered set? How implausible. Moreover, there is in principle no way to determine which ordered set I allegedly see. Is it ? Or is it ? The choice is utterly arbitrary. And this is only the tip of the iceberg. What could justify admitting such wholesale arbitrariness into a theory when a good alternative exists? (Bealer 1993:22)
Die Idee Russellscher Propositionen krankt, wie hier deutlich wird, auch an inhärenten Problemen in Bezug auf die Individuierung dieser Gehalte. Laut Bealer sollten wir alle Versuche aufgeben, intensionale Entitäten auf extensionale zu reduzieren, wenn wir zu befriedigenden Lösungen verschiedener Versionen von Freges Rätsel gelangen wollen. Darin stimme ich mit Bealer überein. Da ich dem Russellianer mit einer neo-Fregeschen Alternative entgegnen will, werde ich Bealers eigene algebraische Theorie von Propositionen und die resultierende Lösung von Freges Rätsel im Folgenden nicht kommentieren, sondern mit der Ausarbeitung meiner neo-Fregeschen Alternative fortfahren. (B) Nocheinmal Freges Rätsel Neo-Russellsche Ansätze haben immerhin der Vorteil, daß sie der Objektabhängigkeit der Wahrheitsbedingungen demonstrativer Sätze unumwunden
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Rechnung tragen. Selbst wenn wir Gegenstände aufgrund unserer kognitiven Architektur nur unter »Gegebenheitsweisen« denken können, so ist doch klar, daß die Perspektiven, unter denen wir die Objekte der relevanten Einstellungen mental thematisieren, für die Wahrheitswerte der entsprechenden Propositionen irrelevant sind. Sollte uns das nicht dazu anhalten, Russellsche Propositionen trotz der gerade angeführten kontraintuitiven Gesichtspunkte zu akzeptieren? Abgesehen davon, daß sie sehr kontraintuitiv sind, bringen neo-Russellsche Auffassungen demonstrativen Gehalts uns auch in noch ernsthaftere theoretische Schwierigkeiten. Im Zuge der Diskussion der Theorie der hybriden Eigennamen für Demonstrativa im vorangegangenen Abschnitt klang bereits an, warum eine neo-Fregesche Theorie den kognitiven Wert von Sätzen wie (FRD) besser handhaben kann als neo-Russellsche zwei-Faktoren-Ansätze. Das Problem, das sich durch die Abspaltung der unterhaltenen Proposition von der »Art und Weise ihres Unterhaltens« ergibt, besteht in nuce darin, daß keine deskriptive Ergänzung funktioniert – keine Beschreibung des Zugangs zu der vermeintlich unterhaltenen Russellschen Proposition kann den kognitiven Wert entsprechender Äußerungen in allen Fällen einfangen. Wir haben im vorangegangenen Abschnitt gesehen, daß linguistische Gegebenheitsweisen (Kaplans character bzw. Perrys »Rolle«) nicht dazu geeignet sind, den kognitiven Wert von Aussagen wie (FRD) zu erklären, da in solchen Sätzen zwei token desselben Ausdruckstype verwendet werden. Auch Salmons Versuch mit Beschreibungen, in denen auf Demonstrationen verwiesen wird (vgl. Zitat auf S. 228), hilft nicht weiter, da wir die von Salmon postulierten Propositionen unterhalten können, ohne den Referenten wahrnehmungsmäßig identifizieren zu können, was in den beschriebenen Fällen jedoch eine notwendige Bedingung für das Erfassen der ausgedrückten singulären Proposition zu sein scheint. Die veranschlagten deskriptiven Gehalte können daher nicht die Art und Weise charakterisieren, wie die singuläre Proposition gedacht wird; vielmehr handelt es sich bei dem von Salmon postulierten Gehalt um eine Metaproposition, die von der ausgedrückten singulären Proposition »handelt«, ohne sie tatsächlich kognitiv verfügbar zu machen. Diese deskriptive Proposition kann nicht garantieren, daß der vom Sprecher produzierte HE verstanden und die ausgedrückte Proposition erfaßt wird. Ein solcher deskriptiver Zugang kann folglich auch die Informativität von Sätzen wie (FRD) nicht erklären. Im Folgenden zeige ich auf, daß die Objektabhängigkeit der Wahrheitsbedingungen, die singuläre Propositionen beherbergen, auch mittels nichtdeskriptiver, objektabhängiger Sinne sichergestellt werden kann, sodaß wir diesbezüglich nicht auf Russellsche Propositionen angewiesen sind.
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Ad (2) Nichtdeskriptive Gegebenheitsweisen konstitutiv für de re-Sinne Obwohl Wahrnehmungsgehalt in einem wichtigen Sinne privat ist, da jedes kognitive Subjekt einen je eigenen sensorischen Apparatus und eigene Perzeptionen hat, ist es ebenso offensichtlich, daß wir wahrnehmungsmäßige Perspektiven auf empirische Gegenstände intersubjektiv teilen können. Meine These ist nun, daß de re-Sinne aus solchen intersubjektiv teilbaren wahrnehmungsmäßigen Perspektiven auf Gegenstände bestehen. Damit ist nicht gemeint, daß die wahrnehmungsmäßigen Gegebenheitsweisen, die diese Fregeschen Sinne konstituieren, in Begriffen von Typen von Wahrnehmungen zu individuieren sind. Dieser Auffassung zufolge, die ich zurückweise, wären de reSinne folgendermaßen aufzufassen (wobei X für den Referenten steht): X als gesehen, X als gehört usw., gegebenenfalls mit der Qualifikation jetzt von hier.154 Diese Vorgehensweise liefert uns lediglich Typen von Gegebenheitsweisen, bringt uns aber im Hinblick auf die Lösung von Freges Rätsel nicht weiter, da das Schiff, von dem im Beispielsatz (FRD) die Rede ist, zweimal von der gleichen Stelle aus gesehen wird. Was ich behaupte, ist, daß innerhalb jedes dieser Modi prinzipiell unendlich viele abstrakte Perspektiven verfügbar sind, die mittels HE ausgedrückt und im Zuge des Verstehens solcher hybrider Ausdrücke von Hörern kognitiv eingenommen werden können. Um das zu illustrieren, reicht es, sich vor Augen zu führen, wie unterschiedlich Gegenstände sich aus verschiedenen Blickrichtungen betrachtet darbieten können. Meine Idee gibt dennoch unmittelbar zu mehreren Fragen Anlaß und unter der Oberfläche scheinen einige Schwierigkeiten zu lauern. Um die These weiter zu präzisieren, müssen daher die folgenden Fragen beantwortet werden: Wie können wir wahrnehmungsmäßige Gegebenheitsweisen individuieren? Ist es nicht ein Problem im Hinblick auf das intersubjektive Teilen solcher Perspektiven, daß es für Sprecher und Hörer aus metaphysischen Gründen unmöglich ist, genau die gleiche visuelle Perspektive auf einen empirischen Gegenstand zu haben, da sie notwendigerweise unterschiedliche Positionen im Raum einnehmen? Was sind die Identitätsbedingungen für nichtdeskriptive Gegebenheitsweisen? Solche und ähnliche legitime Fragen machen deutlich, daß Spezifikationen des angedachten Sinnbegriffs erforderlich sind. Nichtdeskriptive Gegebenheitsweisen müssen als Abstraktionen von konkreten menschlichen Wahrnehmungsgehalten aufgefaßt werden, da letztere subjektive Elemente enthalten, die nicht geeignet sind, in einer Variante eines 154 Eine ähnliche Idee bringt Perry (2009) dazu, entsprechend den »Zugängen« (›connections‹) zu Referenten demonstrativer Bezugnahmen verschiedene vermeintlich Kaplansche character zu postulieren – eine Auffassung, die zu vielerlei theoretischen Schwierigkeiten führt, auf die ich hier nicht eingehen kann.
De re-Sinne – ein Wiederbelebungsversuch
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Fregeschen Sinns eine Rolle zu spielen. Das heißt, wir müssen den »subjektiven Ballast« sozusagen begrifflich abstreifen, den jede konkrete Wahrnehmung mit sich bringt und der beispielsweise den Einfluß von Hintergrundwissen über den wahrgenommenen Gegenstand oder gegebenenfalls hinzukommende assoziative Elemente involviert. Diese begrifflich abtrennbaren Aspekte von Wahrnehmungsgehalt fallen in die Kategorie dessen, was Frege in Über Sinn und Bedeutung (1892) als »Färbung des Sinns« bezeichnet. Obwohl es nicht prinzipiell unmöglich ist, auch solche Aspekte von Gehalt zu teilen, spielen sie für das Erfassen der singulären Propositionen, die Sprecher mittels demonstrativer HE ausdrücken, keinerlei Rolle. Ich möchte meine Lösung der aufgeworfenen Fragen in Form der folgenden Identitätsbedingung für nichtdeskriptive Gegebenheitsweisen präsentieren:155 (IBG) Zwei nichtdeskriptive Gegebenheitsweisen G1 und G2 sind identisch gdw. (a) keine Person G1 und G2 rationalerweise für Gegebenheitsweisen unterschiedlicher Gegenstände halten kann (kognitives Kriterium) (b) G1 und G2 de facto denselben Gegenstand präsentieren (externe Bedingung, die auf einer kausalen Relation basiert) Diese Bedingung erlaubt eine sehr feinkörnige Individuierung von de re-Sinnen, die zugleich aber nicht so fein ist, daß die relevanten Gegebenheitsweisen nicht mehr intersubjektiv teilbar sind. Obwohl diese Gegebenheitsweisen nicht subjektiv in dem Sinne sind, daß sie notwendigerweise privat sind und in ihrer Existenz am Unterhaltenwerden durch konkrete Subjekte hängen, so sind sie doch: (i) nur in Abhängigkeit von der menschlichen Lebensform denkbar, da die Individuierung der wahrnehmungsmäßigen Perspektiven, von denen die Rede ist, an menschlichen Wahrnehmungsfähigkeiten hängt (ii) in ihrer Existenz von der Existenz empirischer Gegenstände abhängig, sodaß die entsprechenden Sinne nur von intentionalen Subjekten erfaßt werden können, die in angemessenen perzeptuellen Relationen zu diesen Gegenständen stehen. Teil (b) der Identitätsbedingung (IBG) und seine Konsequenz (ii) garantieren, daß die Sinne, die durch demonstrative HE ausgedrückt werden, modal konstant an den Gegenständen hängen, deren Gegebenheitsweisen sie beinhalten. Die Objektabhängigkeit von de re-Sinnen paßt somit sehr gut mit der semantischen Eigenschaft von Demonstrativa zusammen, de jure starr zu sein. Durch die 155 Die Abkürzungen stehen für »Identitätsbedingungen« (IB) und »Gegebenheitsweise« (G).
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Eine neo-Fregesche Konzeption singulären Gehalts
Anbindung an menschliche kognitive Fähigkeiten ist der resultierende Sinnbegriff zudem in Relation zum Ruf des Fregeschen theoretischen Rahmens weniger »abgehoben« und nicht in einem problematischen Sinne objektiv, der ihn vollkommen von lebensweltlichen Strukturen abkoppelt. Aus diesen Gründen akzeptiere ich bereitwillig die Konsequenzen, die sich aus meiner Bedingung (IBG) ergeben. Im nun folgenden Abschnitt zeige ich, daß eine Kaplansche Semantik von Demonstrativa nicht in Opposition zu meiner neo-Fregeschen Auffassung durch Demonstrativa ausgedrückten singulären Gehalts steht, sondern vielmehr mit einer nicht-Russellschen Auffassung von singulären Propositionen vereinbar ist.
5.3
Frege und Kaplan vereinbar gemacht
Den Bezugsgegenstand selbst als Teil der Proposition aufzufassen ist eine gängige Weise, die propositionale Konstituente zu bestimmen, die Demonstrativa und anderen referentiellen Ausdrücken entspricht. Solche Propositionen, die Objekte als Konstituenten »enthalten«, werden als Russellsche Propositionen bezeichnet, und lassen sich formal als geordnete Paare von Objekten und Eigenschaften repräsentieren. Sie stehen im Kontrast zu Propositionen, die begriffliche Komponenten bzw. Fregesche Sinne in Subjektposition enthalten. Russell selbst hat eine komplizierte, schwer verständliche Theorie von Propositionen entwickelt, die mit metaphysischen Verpflichtungen verschiedener Art einhergeht.156 Theoretiker der direkten Referenz, die an Russells Idee anknüpfen, versuchen in der Regel, seine Konzeption zu vereinfachen und von »metaphysischem Ballast« zu befreien, damit aber gleichwohl die Spezifika singulärer Gehalte einzufangen. Wenn man sich explizit auf Russellsche Propositionen festlegt, kann man bestimmten metaphysischen Fragen dennoch nicht entgehen; sie drängen sich aufgrund der Kombination von sogenannten abstrakten Entitäten wie Propositionen mit konkreten Individuen sofort auf. So ergeben sich beispielsweise Probleme mit negativen Existenzaussagen: Wie kann ich verneinen, daß a existiert, wenn a Bestandteil der entsprechenden Proposition ist? Eine weitere Frage, die sich ganz unabhängig von verschiedenen Auswertungswelten ergibt, 156 Für einen kurzen Überblick dazu, siehe Mormann 2007: Kap. 5.2. Ein Punkt, den man als problematisch ansehen könnte, ist beispielsweise, daß in Russells hier relevanter Konzeption eventuell keine begriffliche Trennung zwischen Tatsachen und singulären Propositionen möglich ist und es folglich keine falschen singulären Propositionen geben kann. Russell hat seine Auffassung von Propositionen im Laufe der Zeit allerdings geändert und die Auffassung verworfen, die wir heute mit dem Schlagwort »Russellsche Proposition« bezeichnen.
Frege und Kaplan vereinbar gemacht
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ist, welche temporalen oder nichtwesentlichen Eigenschaften a als Bestandteil einer singulären Proposition hat: Nehmen wir an, eine bestimmte singuläre Proposition handelt von George Bush und George Bush ist Bestandteil dieser Proposition. Da jedes menschliche Wesen ein bestimmtes Alter hat, kommt auch Bush zu jedem Zeitpunkt seiner Existenz ein bestimmtes Alter zu. Die Frage nach dem Alter einer propositionalen Konstituente wirkt jedoch absurd.157 Obwohl Kaplan als einer der einflußreichsten Theoretiker der direkten Referenz auch gleichzeitig als einer der prominentesten Verfechter von Russellschen Propositionen gehandelt wird, scheint er die Metaphysik hinter diesen nicht einkaufen zu wollen. Er möchte sich nicht auf Propositionen als Entitäten mit bestimmten ontologischen Verpflichtungen festlegen und versteht Russellsche Propositionen primär als »ein Bild«: If I may wax metaphysical in order to fix an image, let us think of the vehicles of evaluation – the what-is-said in a given context – as propositions. Don’t think of propositions as sets of possible worlds, but rather as structured entities looking something like the sentences which express them. (Kaplan 1989b:494, meine Hervorhebung) Two paragraphs ago, I sketched a metaphysical picture of the structure of a proposition. The picture is taken from the semantical parts of Russell’s »Principles of Mathematics«. Two years later, in »On Denoting«, even Russell rejected that picture. But I still like it. It is not part of my theory, but it well conveys my conception of a directly referring expression and of the semantics of direct reference. (Kaplan 1989b:496, meine Hervorhebung)
Kaplan benutzt dieses Bild wegen seiner explanatorischen Kraft; es ist ein Mittel, mit dessen Hilfe sich die Unterschiede zwischen direkter und indirekter Referenz besonders gut anschaulich machen lassen. Im Falle einer direkten Bezugnahme gilt: Wenn der Bezugsgegenstand in einem Äußerungskontext einmal festgelegt ist, nehmen wir ihn sozusagen in jede mögliche Auswertungswelt mit – wir müssen nicht erneut prüfen, worauf sich der betreffende Ausdruck in einer gegebenen Auswertungswelt bezieht. Die einmal festgelegte Referenz gilt gleichermaßen für alle Auswertungswelten. Wir sagen, der Gegenstand sei selbst Teil der Proposition, um deutlich zu machen, daß der im Äußerungskontext festgelegte Referent untrennbar mit der ausgedrückten Proposition verbunden ist. Der sprachliche Ausdruck (bzw. im Falle von Demonstrativa der demonstrative HE, der auch die Demonstration einschließt) ist das Werkzeug, mit dessen Hilfe der Bezugsgegenstand bestimmt wird und die propositionale Konstituente hängt von diesem Bezugsgegenstand ab. Kaplan geht es ganz of157 Vgl. dazu Fitch & Nelson: Kap.6, die in ihrem SEP-Artikel Singular Propositions einen Überblick über verschiedene metaphysische Lösungsversuche modaler und temporaler Probleme Russellscher Propositionen geben.
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Eine neo-Fregesche Konzeption singulären Gehalts
fensichtlich nicht primär darum, daß der Bezugsgegenstand selbst Teil der Proposition ist, sondern darum, daß der Bezugsgegenstand die propositionale Konstituente bestimmt und nicht umgekehrt. Dies belegt das folgende Zitat, das in dieselbe Kerbe schlägt wie die gerade angeführten Passagen: What is characteristic of directly referential terms is that the designatum (referent) determines the propositional constituent rather than the propositional component, along with a circumstance, determining the designatum. (Kaplan 1989b:497, meine Hervorhebung)
Wären Russellsche Propositionen Teil seiner Theorie, müßte hier »is« statt des weniger spezifischen »determines« stehen. In Bezug auf singuläre Propositionen gilt laut Kaplan also, daß ihre Identitätskriterien an der Identität der Referenten hängen, eine singuläre Proposition duldet sozusagen keinen Wechsel des Referenten. Ändert sich der Referent, kann es sich nicht mehr um dieselbe Proposition handeln. Diese Bedingung ist trivialerweise erfüllt, wenn der Gegenstand selbst Teil der Proposition ist. Aber sie kann auch auf andere, weniger anschauliche Weise erfüllt werden. So können sich die Spezifika von Propositionen, zu deren Erfassen bzw. Unterhalten direkte Bezugnahmen Anlaß geben, auch durch die Postulierung von de re-Sinnen einfangen lassen. Russellsche Propositionen stellen somit nur eine Möglichkeit dar, den allgemeineren Begriff der singulären Proposition näher auszubuchstabieren. Bei genauerer Lektüre von Kaplans Demonstratives zeigt sich also, daß die Grundpfeiler seiner Konzeption nicht implizieren, daß die Propositionen, die Sprecher mit demonstrativen Sätzen ausdrücken, notwendigerweise als Russellsche Propositionen aufgefaßt werden müssen, sondern daß eine im Groben Fregesche Auffassung von Propositionen mit Kaplans Einsichten im Hinblick auf Demonstrativa kompatibel ist. Es sind allerdings auch Passagen bei Kaplan zu finden, die eindeutig gegen meine durch die vorgebrachten Zitate belegte Kompatibilitätslesart sprechen, so wie beispielsweise die folgende: The idea of Content – the what-is-said on a particular occasion – is central to my account. It is this notion that I saw, and continue to see, as the primary idea behind Frege’s Sinn. For what I call directly referential expressions, among which are indexicals and demonstratives, I argue that the Fregean picture of the relation between Sinn (content) and Bedeutung (referent) is entirely wrong. Directly referential expressions are said to refer directly without the mediation of a Fregean Sinn. (Kaplan 1989a:568)
Diese Ausführungen veranschaulichen das, was ich als das »einfache Bild« der Fregeschen Theorie bezeichnen möchte und das Kaplan in Demonstratives anhand einer Zeichnung veranschaulicht (vgl. Kaplan 1989b:485). Diesem Bild zufolge bestimmt der Ausdruck den Sinn und der Sinn bestimmt seinerseits den Referenten. Ohne weitere Qualifikation steht diese Auffassung für die im vor-
Frege und Kaplan vereinbar gemacht
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angegangenen Abschnitt 5.2 thematisierte Engführung des Fregeschen Sinnbegriffs, die für objektabhängige Sinne keinen Raum läßt. Dieses »einfache Bild« kann allerdings so erweitert werden, daß auch die Spezifika direkter Bezugnahmen in ihm Platz finden und die Grundpfeiler der Fregeschen Theorie allesamt dennoch in Geltung bleiben. Diese allgemein als Grundgerüst der Fregeschen Theorie anerkannten Dicta lauten wie folgt:158 (FD1) keine Bedeutung ohne Sinn (›no reference without sense‹) (FD2) der Sinn bestimmt die Bedeutung (›sense determines reference‹) (FD3) es gibt keinen Weg zurück von der Bedeutung zum Sinn (›there’s no route back from reference to sense‹)159 Im Rahmen der in Abschnitt 5.2 vorgestellten neo-Fregeschen Konzeption bleiben alle Fregeschen Dicta in Geltung, aber wir ergänzen (FD2) durch den folgenden Zusatz: (FD2*) die Bedeutung bestimmt den Sinn Da de re-Sinne objektabhängig sind, gelten sowohl (FD2) als auch (FD2*). Dadurch, daß die mittels HE ausgedrückten Sinne vom Referenten bestimmt sind, ist (FD2) folglich trivial erfüllt: Die entsprechenden Sinne können aus metaphysischen Gründen keinen anderen Referenten bestimmen, als denjenigen, dessen nichtdeskriptive Gegebenheitsweise sie beinhalten, auch wenn dies für uns aufgrund unserer begrenzten kognitiven Unterscheidungsfähigkeiten nicht immer erkennbar ist. Die soeben zitierte Passage steht zudem im Kontrast mit der folgenden, in der Kaplan am Beispiel des indexikalischen Ausdrucks »ich« deutlich macht, daß die contents dieser Ausdrücke seiner Auffassung zufolge nicht einfach die Referenten der jeweiligen token des Personalpronomens sind: The character of ›I‹ would then be represented by the function (or rule, if you prefer) which assigns to each context that content which is represented by the constant function from possible worlds to the agent of the context. The latter function has been called an ›individual concept‹. Note that the character of ›I‹ is represented by a function from contexts to individual concepts, not from contexts to individuals. It was the idea that a function from contexts to individuals could represent the intension of ›I‹ which lead to the difficulties discussed earlier. (Kaplan 1979:84) 158 »FD« steht für »Frege-Diktum«. 159 Diese Formulierung geht auf Russell zurück (vgl. Miller 1998:48, siehe auch Perry 1977:480).
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Eine neo-Fregesche Konzeption singulären Gehalts
Das spricht klar gegen die These, daß Kaplan auf die Annahme Russellscher Propositionen festgelegt ist; schließlich sind die contents von Indexikalia, i. e. die diesen Ausdrücken entsprechenden subpropositionalen Gehalte, diesem Zitat zufolge nicht die Referenten selbst, sondern »Individualbegriffe«.160 Warum gehen so viele Theoretiker davon aus, daß die Referenten selbst die contents demonstrativer Ausdrücke sind? Demonstrativa sind referentielle Ausdrücke (in dem in Kapitel 3 explizierten Sinne) und der Mechanismus der direkten Referenz schreibt vor, daß der content modal konstant an dem einmal im Äußerungskontext bestimmten Referenten hängt. Dies ist meines Erachtens der Grund dafür, daß viele Theoretiker den content in vereinfachenden Darstellungen mit dem Referenten identifizieren. Das entspricht, wie wir gesehen haben, genaugenommen aber nicht dem, was Kaplan selbst sagt: Obwohl Kaplan diese Vereinfachung zu Darstellungszwecken in Anspruch nimmt, ist der content von Demonstrativa in der technischen, der modelltheoretischen Semantik entsprechenden Version von Kaplans theoretischem Bild eine konstante Funktion zu Extensionen, die im Kontext durch den character bestimmt wird. Analog muß der content in einer weniger technischen Auffassung ebenfalls nicht mit der Extension identifiziert werden. Entsprechend läßt Kaplans theoretischer Rahmen Raum für nicht-Russellsche Auffassungen von singulärem Gehalt, denen zufolge Referent und content wechselseitig voneinander abhängen. Meine Ausführungen haben somit zutage gefördert, daß wir der wichtigen Einsicht, daß der Zugang zu Gegenständen, den wir qua menschliche Wesen haben, notwendigerweise perspektivisch ist, im Rahmen meiner neo-Fregeschen Konzeption Rechnung tragen können, ohne daß die fundamentalen Einsichten der Theorie der direkten Referenz dabei außer Reichweite kommen.
5.4
Ausblick: Varianten singulärer Gehalte
Freges Gegenentwurf zu einer rein referentialistischen Auffassung von Semantik in Über Sinn und Bedeutung lehrt uns, daß wir im Zuge sprachlicher Bezugnahmen auf Gegenstände gleichzeitig Perspektiven auf diese bzw. Gegebenheitsweisen dieser Gegenstände intersubjektiv vermitteln. Dies kann auf unterschiedliche Weise geschehen und hängt unter anderem an der Art des verwendeten sprachlichen Ausdrucks. Theorien der direkten Referenz zeigen auf, daß diese Perspektiven oder Gegebenheitsweisen nicht immer wahrheitskonditional relevant sind. Der semantische Mechanismus der direkten Referenz in Kombination mit der de jureStarrheit der per Konvention für direkte Bezugnahmen vorgesehenen Klassen 160 Diesen Terminus übernimmt Kaplan von seinem philosophischen Lehrer Carnap.
Ausblick: Varianten singulärer Gehalte
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von sprachlichen Ausdrücken erfüllen offenbar eine wichtige Funktion, die in unserer zwischenmenschlichen Kommunikation unverzichtbar ist. So schreibt Perry in der Einleitung von Reference and Reflexivity: Simple statements about people, things, places and times are the bedrock of language. (Perry 2001:3)
Einfache Demonstrativa sind, wie ich in den ersten Abschnitten von Kapitel 3 erläutert habe, konventionelle »Anzeiger« des Ausdrückens von singulärem Gehalt. Sie dienen dem Ausdrücken von singulären Propositionen, i. e. Propositionen, deren Wahrheitswert modal konstant von den Eigenschaften eines bestimmten Gegenstandes abhängt. Dies läßt den Gedanken naheliegend erscheinen, daß das semantische Phänomen der de jure-Starrheit bzw. der direkten sprachlichen Bezugnahme sich allgemein als Evidenz für eine Kategorie des Denkens auffassen läßt. Evans bringt diesen Gedanken wie folgt zum Ausdruck: Many philosophers today look at the theory of reference through essentially Russellian eyes. They have the idea that fundamental differences in the ways in which referring expressions of ordinary language function ultimately rest upon fundamental differences in the ways in which it is open to us to think about particular objects. (Evans 1982:64)
Ich halte diese Annahme für hochgradig plausibel, kann aber im Rahmen dieser Arbeit nicht dafür argumentieren.161 Nehmen wir einmal an, das ist richtig. Was zeichnet singuläre Gehalte im Unterschied zu Gehalten aus, in denen deskriptivbegriffliche Charakterisierungen eine wesentliche Rolle spielen? Borg liefert die folgende allgemeine Charakterisierung singulären Gehalts: So demonstrative content (or referential content in general) is special because it, unlike descriptive linguistic items, requires the entertaining of a singular concept or singular thought to understand, and entertaining a singular thought on this model is entertaining a genuinely referential thought in which one recognizes a specific role for an object, and thus a commitment to stay with that object over time, space, and counterfactual situations, regardless of the properties that object comes to possess. (Borg 2004:194)
Besteht das Unterhalten singulären Gehalts also im mentalen Operieren mit »Individualbegriffen«? Läßt sie dieser Begriff unter Rekurs auf den des de reSinnes explizieren? Und kann der Begriff des de re-Sinns die Charakteristika aller singulären Gehalte einfangen, die wir mittels Demonstrativa ausdrücken? 161 Hawthorne & Manley (2012) lehnen, wie ich in Kapitel 3 bereits erwähnt habe, entsprechende Einteilungen sprachlicher Ausdrücke ab, obgleich sie der These, daß sich einschlägige Unterschiede auf der mentalen Ebene ausmachen lassen, offen gegenüberstehen.
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Eine neo-Fregesche Konzeption singulären Gehalts
Direkte mentale Bezugnahmen auf wahrgenommene empirische Gegenstände sind paradigmatische Fälle singulären Denkens. Ebenso sind demonstrative sprachliche Bezugnahmen auf wahrgenommene empirische Gegenstände der Standardfall der Verwendung demonstrativer Ausdrücke. In diesen Fällen liegt typischerweise eine besondere epistemische Relation zu den Referenten vor, die Theoretiker mit dem Begriff der Bekanntschaft einzufangen versucht haben. Der Begriff des de re-Sinnes, den ich in diesem Kapitel starkgemacht habe, basiert entsprechend auf wahrnehmungsmäßigen Gegebenheitsweisen. Wir haben aber auch andere Verwendungen von Demonstrativa kennengelernt, beispielsweise Erinnerungsdemonstrativa, verschobene demonstrative Bezugnahmen und sogar demonstrative Bezugnahmen auf zukünftige Ereignisse. Der content dieser Demonstrativa kann prima facie nicht in Begriffen von wahrnehmungsmäßigen Gegebenheitsweisen aufgefaßt werden. Wie lassen diese Verwendungen sich in die bisher präsentierte Auffassung des mittels demonstrativer HE ausgedrückten Gehalts integrieren? Unabhängig von Methodologie und theoretischem Ausgangspunkt führt jede Beschäftigung mit der Natur singulären Gehalts unweigerlich zu einer »Weggabelung«, an der es sich für einen von zwei Wegen zu entscheiden gilt, nämlich für oder gegen die strikte Objektabhängigkeit singulären Gehalts. Die Beschäftigung mit dieser Frage eröffnet ein neues, weites Themenfeld, das ich im Folgenden nur ausblickartig anreißen kann. Wie wir gesehen haben, verpflichtet uns die radikal externalistische Auffassung singulären Gehalts, die die Existenz des intendierten Referenten zur Bedingung für singuläres Denken macht, nicht auf Russellsche Propositionen, sondern kann auch unter Rekurs auf objektabhängige Sinne erreicht werden. Dennoch hat sie einen gewichtigen, in Kapitel 3 bereits erwähnten Nachteil, der darin besteht, daß das Unterhalten singulärer Gehalte aufgrund der externen Bedingung keine phänomenale Entsprechung hat. Meiner Auffassung zufolge ist die Kategorie des singulären Denkens intentional fundiert und sollte daher nicht an die Bedingung der strikten Objektabhängigkeit gekoppelt werden. Das direkte Bezogensein auf Gegenstände, die veridisch wahrgenommen werden, ist zwar das Paradigma, kann meines Erachtens aber nicht erfolgreich dafür herangezogen werden, singuläres Denken schlechthin einzufangen. Singuläre Gedanken sind Gedanken, die (i) ihrer Form nach dazu geeignet sind, eine direkte Verbindung zu einem real existierenden Referenten herzustellen und (ii) entweder in einer näher zu explizierenden Weise in einer wahrnehmungsmäßigen Bekanntschaft (ggfs. auch eines anderen Subjekts) fundiert sind oder auf eine solche intentional abheben. Den zweiten Teil meiner These möchte ich an dieser Stelle in seiner Vagheit stehenlassen – seine Ausarbeitung würde über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehen. Zum ersten Teil findet sich bei Taylor (2010) eine Ausarbeitung, der
Ausblick: Varianten singulärer Gehalte
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ich in einer wichtigen Hinsicht zustimme und die auf der Unterscheidung zwischen Singularität des Gehalts und Singularität der Form basiert: [S]ome representations are merely referentially fit, without being referentially successful. The class of merely fit representations is the class of empty or non-referring singular terms. On the view that I shall outline here, it is crucial that merely fit singular representations are still, in one sense, fully singular. They are fully singular in the sense that they still enjoy, in virtue of their form, singular referential purport. It is just that they purport to refer without succeeding in so doing. […] [S]he factors that render a representation referentially fit are fundamentally different in kind from the factors that render a representation referentially successful. Objectuality is constituted by factors lying entirely on the side of the cognizing subject. These factors, I claim, are syntactic, role-oriented and internal. […] Success requires that already fit expressions be, as it were, bound down to outer objects. This happens, I claim, via the interaction of already referentially fit expressions with certain extrarepresentational causal and informational factors lying by and large outside of the thinking subject. […] Both the internal, fitness-making factors and the extra-representational causal and informational factors are necessary for successful singular reference. But neither suffices, on its own, for full-blown singularity of content. In the absence of extra-representational, causal/informational connections to objects and events in the world, the fitness-making factors would still yield the form of thought as of objects, but our thoughts would be devoid of semantic contact with any real existents and therefore devoid of singular propositional content. On the other hand, absent the internal fitness, making factors, causal connections to objects and events in the world would be nothing but semantically inert to’ing and fro’ing. (Taylor 2010:79f.)
Ich bekräftige Taylors theoretische Stoßrichtung in ihrer Betonung der Tatsache, daß die externe Komponente in Form von kausalen Relationen in der Welt für singuläres Denken nicht wesentlich ist – bei gleichzeitigem Befürworten von Theorien der direkten Referenz, beispielsweise einer kausal-historischen Theorie der Referenz von Eigennahmen. Taylors im letzten Abschnitt des Zitats zum Ausdruck gebrachte Auffassung, daß singulärer Gehalt per se strikt objektabhängig ist, rührt sicherlich primär daher, daß er, wie die meisten Theoretiker, singulären Gehalt mit Russellschen Propositionen identifiziert, die ich meinerseits zurückgewiesen habe. Sie wirft die Frage auf, wie sich Fälle, in denen die intendierten Referenten nicht real existierende Gegenstände sind, als »nur« ihrer Form nach singuläre Gedanken auffassen lassen. Handelt es sich dabei um ihrem Gehalt nach deskriptive Gedanken? Mein angedachter, neuer Ansatz ist mit Taylors zentraler Unterscheidung sehr gut vereinbar, basiert aber auf der Idee, daß es verschiedene Varianten singulärer Gehalte gibt, von denen nur manche strikt und andere nur in ihrer Wahrheitsbedingung konditional objektabhängig sind bzw. wie Taylor sich ausdrückt, nur
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Eine neo-Fregesche Konzeption singulären Gehalts
»dazu geeignet« sind, de facto-Relationen zu Referenten zu konstituieren, ohne dieses Ziel tatsächlich zu erreichen. In Kapitel 3 habe ich aufgezeigt, daß die (minimalistisch bestimmten) Wahrheitsbedingungen demonstrativer Sätze ohnehin in einer konditionalen Form angegeben werden müssen, die die Existenz des Referenten nicht impliziert. Es gibt meiner Auffassung nach aber auch singuläre Propositionen, die die Existenz des Referenten nicht implizieren.162 Um die Idee singulärer Gehalte zu explizieren, die nicht dem Kriterium der strikten Objektabhängigkeit unterworfen sind, sind die Begrifflichkeiten des intentional »rigidifizierten« bzw. »aktualisierten« deskriptiven Gehalts sowie des quasi de re-Sinns hilfreich. Bevor ich zu deren Anwendung komme, möchte ich die Zurückweisung der strikten Objektabhängigkeit zunächst mithilfe von Beispielen motivieren, in denen es de facto keinen einschlägigen kausalen Kontakt zwischen Sprecher und Referent gibt, die wir intuitiv jedoch als Fälle von direkter Referenz bzw. singulärem Denken klassifizieren würden. Das folgende Beispiel, in dem nicht mithilfe von Demonstrativa, sondern mittels eines Eigennamens referiert wird, stammt von Hawthorne & Manley (2012) und veranschaulicht das Problemfeld, wie ich finde, sehr gut: Reverse causal chains. Those who take there to be a causal acquaintance constraint on singular thought typically suppose that the object of thought must in some way causally impact the subject. But as Ernest Sosa and Robin Jeshion have pointed out, sometimes the causal chain runs in the opposite direction. For example, in 1512, Henry VIII ordered the construction of a great warship to be called Henry Grace / Dieu. Suppose he knows that his order will be carried out on time, but is given no reports of the progress of the ship on the principle that no news is considered to be good news. After the expected date of completion, he makes plans to visit the harbor. Surely he succeeds in referring to the ship if he says ›I plan to see Henry Grace / Dieu‹. Moreover, we would not withhold an exported ascription: there is a warship such that King Henry believes he will see it. But his causal link to the ship leads in the wrong direction for him to satisfy a standard causal acquaintance constraint. Neither is any of his information about the ship ›derived‹ from it. (Hawthorne 2012:27f.)
Ich stimme zu und stelle nun ein durch diese Passage inspiriertes eigenes Beispiel vor, in dem Demonstrativa verwendet werden und der intendierte Referent nicht existiert.
162 Warum das »Erreichen« von real existierenden Gegenständen dennoch der Standardfall von direkter Referenz sein muß, ist in einer weiteren Untersuchung zu zeigen, die sich mit skeptischen Thesen in der Erkenntnistheorie befaßt, die auf der evidentiellen Neutralität zwischen der Situation einer veridischen Wahrnehmung und einer, in der ein Gegenstand lediglich halluziniert wird o. ä., basieren. In dieser Hinsicht hat Evans’ Idee der demonstrativen Identifikation von Gegenständen hat ein interessantes anti-skeptisches Potenzial.
Ausblick: Varianten singulärer Gehalte
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(B3) Bismarcks Kriegsschiff Bismarck ist erblindet und wird in dem Glauben gelassen, »das prachtvollste Kriegsschiff Europas« sei noch im Bau und werde bald fertig; in Wahrheit wurde der einst geplante Bau abgebrochen. Er wird zum vermeintlichen »prachtvollsten Kriegsschiff Europas« geführt, berührt aber ein anderes, gewöhnliches Schiff in einer Werkstatt. Bismarck sagt: (S1) Dies wird bald das prachtvollste Kriegsschiff Europas sein! Intuitiv ist das, was Bismarck mit der Äußerung von (S1) behauptet, falsch, denn er berührt ein gewöhnliches Holzschiff, das sich gerade in der Reparatur befindet und nie das prachtvollste Kriegsschiff Europas sein wird. Bismarcks directing intention ist auf das Schiff gerichtet, das er zum Zeitpunkt der Äußerung berührt. Mittels des Berührens und der Äußerung von (S1) demonstriert er das gewöhnliche Schiff, sodaß dieses auch für den Adressaten im Hinblick auf die Äußerung salient ist und das bas-Kriterium für demonstrative Referenz somit erfüllt ist. Der Adressat weiß allerdings nur zu gut, daß (S1) falsch ist, möchte aber dennoch, daß Bismarck (S1) für wahr hält. Bismarck hält die via (S1) ausgedrückte Proposition für wahr, weil er eine falsche Hintergrundmeinung hat, nämlich (HM): (HM) Dies ist das im Bau befindliche Kriegsschiff, von dem mir seit Monaten berichtet wird. Daß Bismarck die Identitätsaussage (HM) für wahr hält, ist meines Erachtens Evidenz dafür, daß er zuvor bereits de re-Gedanken über einen vermeintlichen zukünftigen Gegenstand entwickelt hat, den er jetzt fälschlicherweise mit dem berührten Schiff identifiziert. Im Moment der Äußerung ist das Schiff, das Bismarck berührt, im Zentrum seiner Aufmerksamkeit. Die Proposition, die er mittels (S1) ausdrückt, hat einen de re-Sinn »an Subjektstelle«, der eine haptische nichtdeskriptive Gegebenheitsweise beinhaltet. Die zuvor unterhaltenen singulären Gehalte lassen sich prima facie jedoch nicht mittels nicht-deskriptiver Gegebenheitsweisen einfangen.163 Der primäre »Zugang« ist hier klarer163 Im Falle von bildlichen Vorstellungen ließe sich gegebenenfalls von quasi de re-Sinnen sprechen, im Sinne von gedanklichen Simulationen nichtdeskriptiver Gegebenheitsweisen. Der Begriff des quasi de re-Sinns ist meines Erachtens insbesondere zur Explikation von de re-Gedanken über fiktionale Charaktere wie z. B. Sherlock Holmes geeignet. In manchen Fällen der Bezugnahme auf solche Entitäten können wir die relevanten subpropositionalen Gehalte als quasi de re-Sinne auffassen, i. e. als mentale Simulationen von wahrnehmungsmäßigen Gegebenheitsweisen, die prinzipiell intersubjektiv geteilt werden können.
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weise deskriptiv und läßt sich meines Erachtens am besten in Begriffen von deskriptivem Gehalt einfangen, der sozusagen eine intentionale Rigidifizierung bzw. Aktualisierung erfährt.164 Diese Gehalte können wir darstellen, indem wir entsprechende Kennzeichnungen mit dem Aktualisierungsoperator »@« versehen, der anzeigt, daß es jeweils um den Gegenstand geht, der die deskriptive Bedingung tatsächlich, i. e. in der Äußerungswelt, erfüllt: (HM1) @[das Schiff, von dem General X mir unermüdlich berichtet] wird uns gute strategische Dienste erweisen. (HM3) @[das prachtvollste Kriegsschiff Europas] wird nächstes Jahr fertig sein. (HM3) @[das Schiff, für das ich noch einen passenden Namen finden muß] wird der Stolz der Nation sein. In unserem Beispiel sind alle rigidifizierten Kennzeichnungen in (HM1) bis (HM3) leer : Alle Evidenz für die Existenz des vermeintlich im Bau befindlichen Kriegsschiffes hatte Bismarck via Zeugnis anderer (›testimony‹). Er war zwar intern gerechtfertigt, dieser Evidenz zu vertrauen, nach externen Gesichtspunkten war diese Evidenz de facto jedoch nicht wahrheitsförderlich (›truthconducive‹), i. e. nicht dazu geeignet, Meinungen zu erwerben, die wahrscheinlich wahr sind. Aus einem psychologischen Blickwinkel betrachtet können wir sagen, Bismarck wurde in dem Beispielszenario systematisch dazu gebracht, singuläre Propositionen über einen nichtexistenten Gegenstand zu unterhalten. Damit haben wir eine andere Art von singulärem Gehalt ausgemacht, die meiner Auffassung zufolge auch in Bezug auf verschobene demonstrative Bezugnahmen einschlägig ist. In manchen Fällen verschobener demonstrativer Bezugnahme haben und hatten Sprecher keinen wahrnehmungsmäßigen Zugang zum Referenten, sondern lediglich zum »Proxy« – dem Gegenstand, über den die Bezugnahme vermittelt ist. In solchen Fällen kann eine rigidifizierte Kennzeichnung, die die Relation des Referenten zum Proxy bestimmt, in den ausgedrückten Gehalt eingehen.165 Auch solche Gehalte lassen sich als »IndiviWie ich in der Einleitung dieser Arbeit deutlich gemacht habe, klammere ich die Beschäftigung mit fiktionalen Kontexten hier allerdings aus. 164 In der englischsprachigen Fachliteratur sind dafür die Ausdrücke »rigidified« oder »actualised« geläufig. 165 Ein Beispiel wäre: Jemand zeigt beim Verlassen des Kinos auf einen Sessel, auf dem viel Müll liegt und sagt: »Der hat seinen ganzen Müll liegengelassen«. Der Gehalt der vom Sprecher zum Ausdruck gebrachten Einstellung ist eine singuläre Proposition, die sich mithilfe der rigidifizierten Kennzeichnung »@[derjenige, der auf diesem Sessel gesessen hat]« darstellen läßt. An der ausgedrückten Proposition ändert sich nichts, wenn sich später herausstellt,
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dualbegriffe« oder Komponenten solcher Begriffe auffassen. Die Unterscheidung verschiedener Arten von singulärem Gehalt ermöglicht es uns, epistemische Beschränkungen in Form von »Bekanntschaft« abzulehnen und erlaubt es uns dadurch auch, der schwierigen Aufgabe, diesen Begriff zu explizieren, aus dem Weg zu gehen. Auch Kaplan wendet sich mit seiner klaren Trennung zwischen Wissen über den Referenten und der Form der Referenz gegen epistemische Beschränkungen im Hinblick auf das Unterhalten von singulärem Gehalt: There is nothing inaccessible to the mind about the semantics of direct reference, even when the reference is to that which we know only by description. What allows us to take various propositional attitudes towards singular propositions is not the form of our acquaintance with the objects but is rather our ability to manipulate the conceptual apparatus of direct reference. (Kaplan 1989b)[563]
In seinem Aufsatz Dthat (1978) führt Kaplan den »dthat«-Operator ein, der Ähnlichkeiten, aber auch entscheidende Unterschiede zum gerade verwendeten Rigidifizierungsoperator »@« aufweist. Kaplan führt den Operator ein, um die referentiellen Verwendungen von Kennzeichnungen einzufangen, auf die Donnellen (1966) hingewiesen hat. Die logische Form der relevanten Ausdrücke ist dann so zu verstehen, daß der deskriptive Gehalt in keiner Form in die Proposition eingeht und wird von Kaplan folgendermaßen dargestellt (vgl. Kaplan 1989b:521f.): dthat [the F] Aufgrund dieses Unterschieds zum @-Operator scheint es, als wären wir Kaplan zufolge in solchen Fällen – wenn kein perzeptueller Zugang verfügbar ist – doch auf Russellsche Propositionen angewiesen. Interessanterweise bemerkt Kaplan in den Afterthoughts aber, daß auch ein anderer Umgang mit seinem dthatOperator möglich ist: Can an expression such as the description in a dthat-term appear in logical syntax but make no contribution to semantical form? It would seem strange if it did. But there is, I suppose, no strict contradiction in such a language form. (Kaplan 1989a:582)
Dies paßt gut zu der von mir postulierten Variante singulären Gehalts, die ich in Begriffen von rigidifizierten deskriptiven Gehalten einzufangen versucht habe: Kaplan (1989a) hat offenbar ähnliche Optionen angedacht, in denen die Objektabhängigkeit der Wahrheitsbedingung sichergestellt ist und dennoch de-
daß auf dem demonstrierten Sessel niemand saß und die Anhäufung von Müll dadurch entstanden ist, daß verschiedene Gäste beim Hinausgehen etwas dort hinterließen.
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Eine neo-Fregesche Konzeption singulären Gehalts
skriptiver Gehalt an relevanter Stelle in der »logischen Form« entsprechender Sätze vorkommt. Ich schließe mit einer kurzen Zusammenfassung dieser ausblickartigen Darstellung meines theoretischen Bilds verschiedener Varianten singulärer Gehalte: Nichtdeskriptive, objektabhängige Sinne sind zwar die zentrale, aber nicht die einzige Variante singulären Gehalts. Entscheidend für das Unterhalten singulärer Gehalte ist das Vorliegen einer entsprechenden (direkt-)referentiellen Intention, die sich auch in Begriffen von rigidizifierten Kennzeichnungen theoretisch einfangen läßt. Damit solche Gehalte unterhalten werden, muß das »Manipulieren des begrifflichen Apparatus der direkten Referenz«, von dem Kaplan in dem oben angeführten Zitat spricht, jedoch motiviert sein – das Übergehen von deskriptivem zu nicht-wesentlich-deskriptivem Denken über einen Gegenstand ist immer pragmatisch motiviert und kann nicht per fiat erfolgen (vgl. dazu auch mein Jack the Ripper-Beispiel in Fn. 116 auf S. 149f.). In dieser Hinsicht bedarf Kaplans Auffassung einer gewissen Einschränkung, die auch sein Newman-Beispiel als Fall von singulärem Denken fragwürdig erscheinen läßt.166 Auch wenn der Referent nicht wahrnehmungsmäßig präsent ist, ist (wahrnehmungsmäßige) Bekanntschaft häufig das kognitiv anvisierte Ziel, welches singuläres Denken motiviert oder, im Falle von Erinnerungsdemonstrativa, der kognitive Anker, auf den der Sprecher zurückgreift.
166 Vgl. Kaplan 1989a:560, Fn. 76; auf das Ausdrücken singulärer Gehalte mittels Eigennamen kann ich im Rahmen dieser Arbeit nicht eingehen.
Schlußwort
Im Lichte von Argumenten, die die Trennung von Semantik und Pragmatik problematisieren, war eine philosophische Neupositionierung von Semantik als der Lehre von der Bedeutung einfacher und komplexer sprachlicher Ausdrücke vonnöten. Zu einer solchen habe durch die Entwicklung einer anti-intentionalistischen minimalistischen Position anhand der Beschäftigung mit demonstrativer sprachlicher Bezugnahme einen Beitrag geleistet. Die Spannung zwischen einer anti-intentionalistischen Semantik und der intentionsabhängigen Referenzbestimmung tritt bei einfachen Demonstrativa besonders deutlich zutage. Die sprachliche Bedeutung von einfachen Demonstrativa, ihr character im Sinne von Kaplan bzw. ihr linguistischer Sinn, ist in einer besonderen Weise kontextsensitiv : Sie fordert das Anbringen einer Demonstration, so daß die relevanten singulären Gehalte nicht rein sprachlich ausgedrückt werden, sondern mittels durch Kombination aus Ausdruckstoken und Demonstration entstandener demonstrativer Hybrider Eigennamen der intersubjektiven Vermittlung zugänglich gemacht werden. Weiterhin ist deutlich geworden, daß die Problematik des theoretischen Einfangens der kognitiven Signifikanz bzw. des Erkenntniswerts demonstrativer Sätze über den Gegenstandsbereich der wahrheitskonditionalen Semantik hinausgeht und dem weiteren Themenfeld der Spezifika singulärer Gehalte allgemein entspringt. In dieser Arbeit habe ich ein kohärentes theoretisches Bild entworfen, welches die Berührungspunkte von Semantik und Pragmatik sowie von Sprachphilosophie und Philosophie des Geistes aufzeigt, die sich uns bei der detaillierten Beschäftigung mit Demonstrativa zeigen, ohne die systematische Trennung der entsprechenden Disziplinen über Bord zu werfen.
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