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German Pages 485 Year 2009
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 276
Die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf den Tarifvertrag bei Tarifwechsel Von
Eva Maria Willemsen
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
EVA MARIA WILLEMSEN
Die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf den Tarifvertrag bei Tarifwechsel
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 276
Die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf den Tarifvertrag bei Tarifwechsel
Von
Eva Maria Willemsen
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft Hamburg hat diese Arbeit im Jahre 2008 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-12958-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Universität zu Köln und hat der Bucerius Law School, Hochschule für Rechtswissenschaften (Hamburg) im Sommersemester 2008 als Dissertation vorgelegen. Das Rigorosum fand am 24. September 2008 statt. Für die Veröffentlichung konnten Rechtsprechung und Schrifttum bis Ende 2008 Berücksichtigung finden. Für das Zustandekommen der Arbeit möchte ich vielfachen Dank aussprechen: Meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Matthias Jacobs, für die Anregung des Themas und die intensive fachliche Betreuung; Herrn Prof. Dr. Martin Henssler für die äußerst zügige Erstellung des Zweitgutachtens und für die stets wohlwollende Unterstützung. Der Studienstiftung des deutschen Volkes danke ich für die jahrelange Förderung seit Beginn meines Studiums. Dem Verlag möchte ich schließlich für die Aufnahme der Arbeit in die „Schriften“ zum Sozial- und Arbeitsrecht danken. Ich widme die Arbeit meinen Eltern, Regine und Prof. Dr. Heinz Josef Willemsen, die meine Ausbildung und Promotion sehr großzügig gefördert haben, immer für mich da sind und mich vorbehaltlos unterstützen. Der Dank, der ihnen gebührt, lässt sich nicht in Worte fassen. Köln, im Januar 2009
Eva Maria Willemsen
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Bezugnahmeklauseln und Tarifbindung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Funktionen von Bezugnahmeklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Rechtsprechungsänderung zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln. . . . . . . .
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E. Gang der Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil 1 Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis A. Erfordernis der Verwendung von Bezugnahmeklauseln – keine Tarifbindung kraft Gleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Rechtliche Rahmenbedingungen und tatsächliche Erscheinungsformen der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtliche Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bezugnahme kraft gesetzlicher oder richterrechtlicher Zulassung . . a) Gesetzliche Bezugnahmeermächtigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Richterrechtliche Bezugnahmeermächtigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Voraussetzungen der Bezugnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bezugnahme ohne gesetzliche oder richterrechtliche Zulassung . . . a) Bedenken gegen die rechtliche Zulässigkeit von Bezugnahmeklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zulässigkeit der Bezugnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bezugnahmeklauseln als Ausfluss der Privatautonomie. . . . . . . . II. Abschluss von Bezugnahmeklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zustandekommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausdrückliche Verweisung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konkludente Verweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verweisung durch Gesamtzusage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verweisung kraft betrieblicher Übung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Umfang der Bezugnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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38 40 40 41 41 42 43 45 45 46 46 48 48 49 49 50 51 51 53 54
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III.
IV.
V.
2. Formerfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliche Formfreiheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anforderungen des Nachweisgesetzes (NachwG). . . . . . . . . . . . . . d) Pflicht zur Auslegung des Tarifvertrags nach § 8 TVG? . . . . . . . Rechtsnatur und Rechtswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Historischer Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Heutige Rechtslage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Normative Tarifbindung kraft Bezugnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bedenken in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rein schuldrechtliche Bindung an den Tarifvertrag kraft Bezugnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Typologie der Bezugnahmeklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konstitutive oder deklaratorische Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konstitutive Wirkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Deklaratorische Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtswirkung bei beiderseitiger Tarifgebundenheit . . . . . . . . . . . 2. Sachlicher Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Global-, Teil-, Einzelverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Globalverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Teilverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Bedenken gegen die Teilverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Gegenargumente aus Rechtsprechung und Literatur . . . (3) Zulässigkeit der Teilverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Einzelverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einschlägiger oder fremder Tarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einschlägiger Tarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Fremder Tarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Meinungen in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . (2) Kein Verstoß gegen die Tarifautonomie . . . . . . . . . . . . . . (3) Sonderfall: Verweisung auf unpassende oder nicht durchführbare Tarifnormen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unwirksamer Tarifvertrag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Nachwirkender oder abgelöster Tarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grad der Dynamik: Statische oder (kleine o. große) dynamische Verweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Statische Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kleine dynamische Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Große dynamische Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bezugnahmeklauseln und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. . . 1. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57 57 57 59 60 62 62 62 64 66 66 67 67 69 69 69 70 70 73 73 73 74 74 75 75 77 78 78 78 78 80 81 82 83 84 84 85 85 86 86
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2. § 15 Abs. 3 AGG und Bezugnahmeklauseln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bezugnahmeklauseln als „kollektivrechtliche Vereinbarung“? . . b) Erfordernis der Globalverweisung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Grenzen der Bezugnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zwingendes Gesetzesrecht (§ 134 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. AGB-Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorliegen von AGB im Sinne des § 305 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kontrollfreiheit der Bezugnahmeklausel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kontrolle der Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine Einbeziehungskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorrang der Individualabrede (§ 305b BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Überraschende Klausel (§ 305c Abs. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Voraussetzungen des § 305c Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bezugnahmeklauseln allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bezugnahme auf fremde Tarifverträge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Meinungsstand zum Überraschungseffekt . . . . . . . . . . . . (2) Bezugnahme als Teil des Arbeitsvertrages grundsätzlich nicht überraschend. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Dynamische Bezugnahmeklauseln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Schutz der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Schutz der Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Inhaltskontrolle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schranke der Inhaltskontrolle (§ 310 Abs. 4 S. 3 BGB) . . . (1) Keine Inhaltskontrolle bei Globalverweisung . . . . . . . . . (2) Inhaltskontrolle bei Teilverweisung umstritten. . . . . . . . (a) Inhaltskontrolle nur bei Globalverweisung verzichtbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Bezugnahme auf Regelungskomplexe genügt . . . . . (c) Inhaltskontrolle auch bei Bezugnahme auf Regelungskomplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Einzelverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Bezugnahme auf einen fremden Tarifvertrag . . . . . . . . . (5) Bezugnahme und tarifdispositives Gesetzesrecht . . . . . . (6) Bezugnahme bei abgelaufenem Tarifvertrag . . . . . . . . . . (7) Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB). . . . . . . . . . . . . . (1) Transparenzkontrolle des Tarifvertrages bei Privilegierung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Bezugnahmeklauseln allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Dynamische Bezugnahmeklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VI.
98 99 100 102 103 103 104 105 106 107 107 109 110 111 113 113 113 114 115 116
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III.
cc) Berücksichtigung der „im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten“ (§ 310 Abs. 4 S. 2 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) „Im Arbeitsrecht geltende Besonderheiten“ . . . . . . . . . . . (2) Berücksichtigung bei der Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Unklarheitenregel (§ 305c Abs. 2 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Voraussetzungen des § 305c Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . (2) Unklarheitenregel und Bezugnahmeklauseln . . . . . . . . . . ee) Benachteiligungsverbot (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB) . . . . . . . . . (1) Begriff der Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Benachteiligung durch Bezugnahmeklauseln . . . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen bei Unwirksamkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verbot der geltungserhaltenden Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Blue-Pencil-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Geltung der gesetzlichen Vorschriften und ergänzende Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Unzumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
D. Auslegung von Bezugnahmeklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anwendbare Auslegungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätze der Auslegung von Tarifverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundsätze der Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ergänzende Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Besonderheiten bei AGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auslegung des Bezugnahmeobjekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsprechungsänderung zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln . . . 1. Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritik an der Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede . . . . . . . . . . 3. Ankündigung der Rechtsprechungsänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Umsetzung der angekündigten neuen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . III. Bewertung der Rechtsprechungsänderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bezugnahmeklauseln und der Streit um ihre Auslegung. . . . . . . . . . . 2. Mängel des Konzepts der Gleichstellungsabrede . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Deklaratorischer Charakter der Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . b) Unzutreffende Prämissen der Gleichstellungsabrede . . . . . . . . . . . c) Widerspruch zu den Grundsätzen der Auslegung von Verträgen d) Widerspruch zur Unklarheitenregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Rechtsfolgen der Gleichstellungsabrede nicht überzeugend . . . . . 3. Geänderte Rechtsprechung überzeugt nur teilweise . . . . . . . . . . . . . . . a) Unerwarteter Paradigmenwechsel des BAG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geänderte Auslegungsgrundsätze schaffen Rechtsunsicherheit . . aa) Wortlautauslegung der Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . .
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IV.
V.
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bb) „Anhaltspunkte“ für die Auslegung als Gleichstellungsabrede erforderlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Unbestimmtheit des Begriffs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Grundsätzliche Kriterien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ergänzende Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Unklarheitenregel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anrufung des Großen Senats?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Auswirkungen in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliches Erfordernis eines Vertrauensschutzes . . . . . . . . . . . . a) Vertrauensschutz bei Änderung der Rechtsprechung. . . . . . . . . . . b) Vertrauensschutz hinsichtlich der BAG-Rechtsprechungsänderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) BAG gewährt Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kritische Stimmen im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Schutzwürdiges Vertrauen der Arbeitgeber in bisherige Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zulässige zeitliche Begrenzung des Vertrauensschutzes? . . . . . . . . . . a) Stichtagsregelung des BAG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ablehnung der Stichtagsregelung im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . c) 14.12.2005 als zutreffender Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Rechtsprechungsänderung 1. Regelungsgehalt der Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 3 GG . . a) Positive Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Negative Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit bei ewiger dynamischer Bindung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kein Zwang zum Beitritt zur Koalition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kein Schutz vor Fernwirkungen kollektiver Regelungen. . . . . . . c) Privatautonomie trotz Rechtsprechungsänderung gewährleistet d) Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswirkungen des Werhof-Urteils des Europäischen Gerichtshofs . . . . 1. Entscheidung des EuGH. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Meinungsstand über die Auswirkungen der EuGH-Entscheidung . . a) Europarechtskonformität der BAG-Rechtsprechungsänderung . . b) Europarechtswidrigkeit der BAG-Rechtsprechungsänderung . . . 3. Keine europarechtlichen Bedenken gegen die Rechtsprechungsänderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bindungswirkung der Vorlageentscheidung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Begrenzter Aussagegehalt der Werhof-Entscheidung . . . . . . . . . . c) Keine Auslegung privater Willenserklärungen durch den EuGH d) Drittwirkung der negativen Vereinigungsfreiheit? . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis aa) Unmittelbare Drittwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mittelbare Drittwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Zwischenergebnis zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln . . . . . . . . . .
189 191 193 194
E. Ergebnis zu Teil 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
Teil 2 Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse) A. Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesetzliche Auswirkungen des Betriebsübergangs auf die Geltung von Tarifverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfolgen des Betriebsübergangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Arbeitgeberwechsel (§ 613a Abs. 1 S. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . b) Tarifrechtliche Folgen eines Betriebsübergangs . . . . . . . . . . . . . . . aa) § 613a Abs. 1 S. 2 und 4 BGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 613a Abs. 1 S. 3 BGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Erfordernis der kongruenten Tarifbindung? . . . . . . . . . . . (2) Konsequenzen für den Tarifwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers (§ 613a Abs. 5 BGB) . . II. Auswirkungen von Bezugnahmeklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Tarifbindung bei Veräußerer und Erwerber . . . . . . . . . . . . . . . . a) Statische oder dynamische Klausel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kleine oder große dynamische Klausel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsfolgen der Bezugnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Besonderheiten bei Branchenwechsel: „Große Dynamik“ auch ohne ausdrückliche Vereinbarung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB . . . . . . . . . . . . . . bb) Wegfall der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB . . . . . . . e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tarifbindung nur des Veräußerers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nicht tarifgebundener Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verträge mit Vertragsschluss bis zum 31.12.2001 . . . . . . . . . bb) Verträge mit Vertragsschluss ab dem 1.1.2002 . . . . . . . . . . . . b) Tarifgebundener Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kollision von § 613a Abs. 1 S. 2 BGB mit der Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rangverhältnis § 613a Abs. 1 S. 1 und 2 BGB . . . . . . . . . . . (1) Beurteilung der rechtlichen Wirkung des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
198 198 199 199 200 200 201 202 204 205 207 208 208 210 211 212 212 213 214 215 217 217 218 219 221 222 222 224 224
Inhaltsverzeichnis
3.
4.
5.
6.
7.
(2) Günstigkeitsvergleich zwischen Tarifvertrag und Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Sonderfall der großen dynamischen Klausel. . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tarifbindung bei Veräußerer und Erwerber an denselben Tarifvertrag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nicht tarifgebundener Arbeitnehmer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verträge mit Vertragsschluss bis zum 31.12.2001 . . . . . . . . . bb) Verträge mit Vertragsschluss ab dem 1.1.2002. . . . . . . . . . . . b) Tarifgebundener Arbeitnehmer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kollision von Tarifvertrag und Bezugnahmeklausel . . . . . . . bb) Rangverhältnis von Tarifvertrag und Bezugnahmeklausel . c) Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bindung des Erwerbers an einen anderen, mit derselben Gewerkschaft geschlossenen Tarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nicht tarifgebundener Arbeitnehmer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verträge mit Vertragsschluss bis zum 31.12.2001 . . . . . . . . . bb) Verträge mit Vertragsschluss ab dem 1.1.2002. . . . . . . . . . . . b) Tarifgebundener Arbeitnehmer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kollision von Tarifvertrag und Bezugnahmeklausel . . . . . . . bb) Rangverhältnis von § 613a Abs. 1 S. 1 und 3 BGB. . . . . . . c) Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bindung des Erwerbers an einen anderen, mit einer anderen Gewerkschaft geschlossenen Tarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nicht tarifgebundener Arbeitnehmer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verträge mit Vertragsschluss bis zum 31.12.2001 . . . . . . . . . bb) Verträge mit Vertragsschluss ab dem 1.1.2002. . . . . . . . . . . . b) Tarifgebundener Arbeitnehmer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sonderfall: Allgemeinverbindlicher Tarifvertrag beim Erwerber d) Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nur Erwerber ist tarifgebunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nicht tarifgebundener Arbeitnehmer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tarifgebundener Arbeitnehmer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bindung des Erwerbers an einen mit derselben Gewerkschaft geschlossenen Tarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bindung des Erwerbers an einen mit einer anderen Gewerkschaft geschlossenen Tarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
B. Bezugnahmeklauseln und Verbandsaustritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verbandsaustritt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Tarifrechtliche Folgen eines Verbandsaustritts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nachbindung gemäß § 3 Abs. 3 TVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
225 227 230 231 231 231 232 232 233 233 235 236 236 236 241 243 243 244 246 247 247 247 249 250 251 253 254 254 255 255 256 256 257 258 259 261 261
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Inhaltsverzeichnis 2. Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswirkungen von Bezugnahmeklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verbandsaustritt des tarifgebundenen Arbeitgebers. . . . . . . . . . . . . . . . a) Nicht tarifgebundener Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Statische Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kleine oder große dynamische Klausel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verträge mit Vertragsschluss bis zum 31.12.2001. . . . . . (2) Verträge mit Vertragsschluss ab dem 1.1.2002 . . . . . . . . b) Tarifgebundener Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Statische Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kleine oder große dynamische Bezugnahmeklausel . . . . . . . (1) Verträge mit Vertragsschluss bis zum 31.12.2001. . . . . . (2) Verträge mit Vertragsschluss ab dem 1.1.2002 . . . . . . . . (a) Kollision von Bezugnahmeklausel und weitergeltendem oder nachwirkendem Tarifvertrag . . . . . . (aa) „Wiederaufleben“ der Bezugnahmeklausel? . . (bb) Bisherige Bezugnahmeklauseln als „andere Abmachung“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vergleich mit der Situation der nicht tarifgebundenen Arbeitgeber a) Konstitutive Wirkung der Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede: Erfordernis eines „Quasi-Verbandsaustritts“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Neue Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
264 267 267 268 268 268 269 269 271 273 273 274 274 274
C. Bezugnahmeklauseln und Verbandswechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verbandswechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Tarifrechtliche Folgen eines Verbandswechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Neuer Tarifvertrag mit derselben Gewerkschaft: Tarifkonkurrenz . . a) Vorrang des „alten“ Tarifvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorrang des „neuen“ Tarifvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Günstigkeitsprinzip. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Spezialitätsprinzip. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Neuer Tarifvertrag mit anderer Gewerkschaft: Tarifpluralität . . . . . . a) Auflösung der Tarifpluralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsatz der Tarifeinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Dauerhafte Tarifpluralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Tarifeinheit nur bei DGB-Gewerkschaften. . . . . . . . . . . . . . . . dd) Keine Tarifeinheit bei Tarifpluralität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
287 288 289 290 291 292 293 293 295 296 297 297 299 302 302 306 307
III.
275 276 278 282 282 283 283 285 286
Inhaltsverzeichnis III.
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Auswirkungen von Bezugnahmeklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Neuer Tarifvertrag mit derselben Gewerkschaft: Tarifkonkurrenz a) Nicht tarifgebundener Arbeitnehmer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Statische Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kleine dynamische Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verträge mit Vertragsschluss bis zum 31.12.2001 . . . . . (2) Verträge mit Vertragsschluss ab dem 1.1.2002 . . . . . . . . cc) Große dynamische Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verträge mit Vertragsschluss bis zum 31.12.2001 . . . . . (2) Verträge mit Vertragsschluss ab dem 1.1.2002 . . . . . . . . b) Tarifgebundener Arbeitnehmer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Statische Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kleine dynamische Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Große dynamische Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Neuer Tarifvertrag mit anderer Gewerkschaft: Tarifpluralität . . . . . a) Nicht tarifgebundener Arbeitnehmer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Statische Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kleine dynamische Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Große dynamische Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tarifgebundener Arbeitnehmer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verträge mit Vertragsschluss bis zum 31.12.2001 . . . . . . . . . bb) Verträge mit Vertragsschluss ab dem 1.1.2002. . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
307 308 308 308 309 309 312 313 313 314 316 316 316 317 317 319 319 319 320 321 322 323 324 325 326
D. Bezugnahmeklauseln und Branchenwechsel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Branchenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Tarifrechtliche Folgen eines Branchenwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nachbindung gemäß § 3 Abs. 3 TVG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG analog?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Auswirkungen von Bezugnahmeklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Arbeitgeber ist tarifgebunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nicht tarifgebundener Arbeitnehmer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Statische Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kleine dynamische Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verträge mit Vertragsschluss bis zum 31.12.2001 . . . . . (2) Verträge mit Vertragsschluss ab dem 1.1.2002 . . . . . . . . cc) Große dynamische Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verträge mit Vertragsschluss bis zum 31.12.2001 . . . . . (2) Verträge mit Vertragsschluss ab dem 1.1.2002 . . . . . . . . b) Tarifgebundener Arbeitnehmer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Statische Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
329 329 330 331 332 334 334 334 335 335 335 337 338 338 339 340 340
IV.
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Inhaltsverzeichnis bb) Kleine dynamische Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verträge mit Vertragsschluss bis zum 31.12.2001. . . . . . (2) Verträge mit Vertragsschluss ab dem 1.1.2002 . . . . . . . . cc) Große dynamische Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verträge mit Vertragsschluss bis zum 31.12.2001. . . . . . (2) Verträge mit Vertragsschluss ab dem 1.1.2002 . . . . . . . . 2. Arbeitgeber ist nicht tarifgebunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nicht tarifgebundener Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Statische Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kleine dynamische Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Große dynamische Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tarifgebundener Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
340 340 341 342 342 342 343 343 344 344 346 346 346
E. Bewertung der Fallanalyse und ihrer Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bewertung der Fallanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlegender Systemwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterschiedliche Betroffenheit tarifgebundener und nicht tarifgebundener Arbeitgeber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nicht tarifgebundener Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tarifgebundener Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Klauseltyp entscheidet über die Folgen eines Tarifwechsels . . . . . . . 4. Bezugnahmeklausel kann den Tarifwechsel torpedieren . . . . . . . . . . . 5. Entstehen einer „Quasi-Tarifbindung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Bezugnahmeklausel vereitelt Rechtsfolgen der Tarifbindung . . . . . . 7. Handlungsbedarf bei bestehenden und neuen Arbeitsverhältnissen . II. Recht der Arbeitnehmer zum „Rosinenpicken“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „Rosinenpicken“ bei Bezugnahmeklauseln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Günstigkeitsvergleich verhindert Rosinenpicken. . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Ende des Sanierungstarifvertrags? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff des Sanierungstarifvertrags. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auswirkung der Rechtsprechungsänderung auf Sanierungstarifverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lösungswege nach der Rechtsprechungsänderung . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Auswirkungen auf die Lehre der Tarifeinheit im Betrieb . . . . . . . . . . . . . 1. Anzeichen in der Rechtsprechung für eine Abkehr vom Grundsatz der Tarifeinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auswirkungen einer Rechtsprechungsänderung auf Bezugnahmeklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Arbeitskampfrechtliche Folgen der Rechtsprechungsänderung . . . . . . . . 1. Verdoppelung des Arbeitskampfrisikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutz des Arbeitgebers durch die Friedenspflicht?. . . . . . . . . . . . . . . 3. Klauselgestaltung als wirksamstes Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
347 347 348 349 349 349 350 351 352 353 353 354 354 355 357 357 358 360 364 365 371 372 372 374 376 377
Inhaltsverzeichnis
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Teil 3 Anpassung von Alt- und Gestaltung von Neuverträgen A. Möglichkeiten der Anpassung von Altverträgen an die geänderte Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Recht der Arbeitgeber zur Entdynamisierung durch Widerruf . . . . . . . . 1. Widerruf der Dynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedenken gegen ein Widerrufsrecht kraft ergänzender Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Möglichkeit der Vereinbarung eines Widerrufsrechts . . . . . . . . . . . . . II. Anfechtung gemäß § 119 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Irrtum der Arbeitgeber? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfristung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anfechtung gemäß § 318 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Änderungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gestaltungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Probleme eines Änderungsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Negative betriebliche Übung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendbarkeit nur bei Bestehen einer betrieblichen Übung . . . . . . 2. Voraussetzungen der negativen betrieblichen Übung . . . . . . . . . . . . . VI. Entdynamisierung durch Betriebsvereinbarungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tarifvorrang (§ 77 Abs. 3 BetrVG). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Betriebsverfassungsrechtliches Günstigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . VII. Berufung auf Störung der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Institut der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendbarkeit im Falle der Rechtsprechungsänderung . . . . . . . . . . . VIII. Änderungskündigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff der Änderungskündigung und grundsätzliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Änderungskündigung zur Entgeltreduzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen der Änderungskündigung zur Entgeltreduzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entgeltreduzierung bei der Anpassung von Bezugnahmeklauseln? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Entgeltreduzierung bei Beseitigung der Klauseldynamik (Gleichstellungsabrede)? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Entgeltreduzierung bei Einführung einer Tarifwechselklausel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Änderungskündigung zur Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen nach der Rechtsprechungsänderung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Änderungskündigung nach einem Tarifwechsel? . . . . . . . . . . . . . . aa) Betriebsübergang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Gleichbehandlungsgrundsatz nicht anwendbar . . . . . . . .
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381 381 381 382 383 384 384 386 387 388 388 389 390 391 392 393 393 394 395 395 397 399 400 402 402 403 404 408 409 411 411 412
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Inhaltsverzeichnis (2) Schutzwürdiges Vereinheitlichungsinteresse des Erwerbers? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Einfluss der Rechtsprechungsänderung . . . . . . . . . . . . . . . (4) Interessenabwägung: „Rucksacklösung“ . . . . . . . . . . . . . . bb) Verbandsaustritt und Verbandswechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verbandsaustritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Koalitionsfreiheit des Arbeitgebers ist nicht betroffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Fehlendes schutzwürdiges Vereinheitlichungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verbandswechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Branchenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Schutzwürdiges Vereinheitlichungsinteresse des Arbeitgebers? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Gesetzliche Verankerung des Vereinheitlichungsinteresses? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Branchenwechsel als Wegfall der Geschäftsgrundlage? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Interessenabwägung: „Rucksacklösung“ . . . . . . . . . . . . . . b) Änderungskündigung ohne konkreten Anlass . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Keine Schutzbedürftigkeit von „Vorratsmaßnahmen“ . . (2) Grundwertungen der AGB-Kontrolle und des KSchG. . Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
421 422 423 423 424 425
B. Vorschläge zur Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Tarifgebundener Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gleichstellungsabrede. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Formulierungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unwirksamkeit bei Betriebsübergang? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tarifwechselklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Nicht tarifgebundener Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
426 430 430 430 432 434 436
IX.
412 414 415 416 416 417 417 418 419 419 420 420
Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476
Abkürzungsverzeichnis A. A. Abl. abl. Abs. AcP a. E. a. F. AGB AGBG AGG AiB allg. allg. M. Alt. Anm. AP APS AR-Blattei ArbG ArbGG ArbR/ArbeitsR ArbRB ArbR-Hdb. ArbuR ArbZG ARGE Art. Artt. AT AuA AÜG ausf. Az. BAG BAGE
andere Ansicht Amtsblatt ablehnend Absatz Archiv für die civilistische Praxis am Ende alte Fassung Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Arbeitsrecht im Betrieb (Zeitschrift) allgemein(er/es) allgemeine Meinung Alternative Anmerkung Arbeitsrechtliche Praxis (Sammlung der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts, der Landesarbeitsgerichte und Arbeitsgerichte) Ascheid/Preis/Schmidt, Großkommentar zum Kündigungsrecht Arbeitsrechts-Blattei Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitsrecht Der Arbeits-Rechts-Berater (Zeitschrift) Schaub/Koch/Link, Arbeitsrechts-Handbuch Arbeit und Recht (Zeitschrift) Arbeitszeitgesetz Arbeitsgemeinschaft Artikel Artikel (Plural) Allgemeiner Teil Arbeit und Arbeitsrecht (Zeitschrift) Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung ausführlich Aktenzeichen Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts
22 BAT BAT-O BB BBiG Bd. BDSG BeckOK Begr. Beil. BeschFG BetrAVG BetrVG BGB BGBl. BGH BGHZ Bl. BLJ BR-Drs. BT-Drs. BUrlG BVerfG BVerfGE bzgl. bzw. ca. CGM DAG DAV DB dens. ders. DGB d.h. diff. Diss. DKK DPG DR EFZG EG EGBGB EGMR EGV
Abkürzungsverzeichnis Bundes-Angestelltentarifvertrag Bundes-Angestelltentarifvertrag – Ost Betriebsberater (Zeitschrift) Berufsbildungsgesetz Band Bundesdatenschutzgesetz Beck’scher Online-Kommentar Arbeitsrecht Begründer Beilage Beschäftigungsförderungsgesetz Gesetz über die betriebliche Altersversorgung Betriebsverfassungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Blatt Bucerius Law Journal Bundesratsdrucksache Bundestagsdrucksache Bundesurlaubsgesetz Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bezüglich beziehungsweise circa Christliche Gewerkschaft Metall Deutsche Angestellten-Gewerkschaft Deutscher Anwaltverein Der Betrieb (Zeitschrift) denselben derselbe Deutscher Gewerkschaftsbund das heißt differenzierend Dissertation Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG-Kommentar Deutsche Postgewerkschaft Deutsches Recht (Zeitschrift) Entgeltfortzahlungsgesetz Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
Abkürzungsverzeichnis Einf EMRK entspr. Entw. ErfK etc. EuGH EUV e. V. EWiR EWS EzA f., ff. FA F.A.Z. Fn. FS GDBA GdF GDL gem. GG ggf. ggü. GK GmbH GRCh grdl. grds. Grundl. GRUR GS HBV h. L. h. M. Hrsg. Hs. i. d. F. i. d. R. i. Erg. i. e. S. IG Medien IG Metall
23
Einführung Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten entsprechend Entwurf Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht et cetera Europäischer Gerichtshof Vertrag über die Europäische Union eingetragener Verein Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift) Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht folgend(e) Fachanwalt Arbeitsrecht (Zeitschrift) Frankfurter Allgemeine Zeitung Fußnote Festschrift Verkehrsgewerkschaft GDBA Gewerkschaft der Flugsicherung Gewerkschaft Deutscher Lokführer gemäß Grundgesetz gegebenenfalls gegenüber Gemeinschaftskommentar Gesellschaft mit beschränkter Haftung Charta der Grundrechte der Europäischen Union grundlegend grundsätzlich Grundlage(n) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeitschrift) Großer Senat/Gedächtnisschrift Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen herrschende Lehre herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz in der Fassung in der Regel im Ergebnis im engeren Sinne Industriegewerkschaft Medien Industriegewerkschaft Metall
24 insbes. insg. i. S. d. i. S. v. i. V. m. i. w. S. JArbSchG JbArbR JZ KOM KR krit. KSchG LAG LAGE Ls. MDR MTV MüHdbArbR MüKo m. w. N. NachwG n. F. NJW NJW-RR Nr. n. v. NZA NZA-RR o. g. Os. ÖTV RAG RArbBl. RdA RG RGBl. RGRK RGZ RL
Abkürzungsverzeichnis insbesondere insgesamt im Sinne des/der im Sinne von in Verbindung mit im weiteren Sinne Jugendarbeitsschutzgesetz Jahrbuch des Arbeitsrechts Juristenzeitung Kommission der Europäischen Gemeinschaften Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften kritisch Kündigungsschutzgesetz Landesarbeitsgericht Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte Leitsatz Monatsschrift für deutsches Recht (Zeitschrift) Manteltarifvertrag Richardi/Wlotzke, Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht Rebmann/Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit weiteren Nachweisen Gesetz über den Nachweis der für ein Arbeitsverhältnis geltenden wesentlichen Bedingungen neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) NJW-Rechtsprechungs-Report Nummer nicht veröffentlicht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZA-Rechtsprechungs-Report Arbeitsrecht oben genannt Obersatz/Obersätze Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr Reichsarbeitsgericht Reichsarbeitsblatt Recht der Arbeit (Zeitschrift) Reichsgericht Reichsgesetzblatt Das Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Richtlinie
Abkürzungsverzeichnis Rn. Rs. Rspr. S. s. (o./u.) SAE Slg. sog. Sonderbeil. Std. st. Rspr. str. TarifvertragsR TVG TVöD TVVO u. a. UFO umstr. UmwG UrhG Urt. usw. u. U. v. ver.di VerwaltungsR vgl. VOB/B Voraufl. Vorb. WHSS WiGBl z. B. ZfA ZIP zit. zugl. zust. z. T. ZTR
Randnummer Rechtssache Rechtsprechung Seite; Satz siehe (oben/unten) Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen (Zeitschrift) Sammlung sogenannte(r, s, n) Sonderbeilage Stand ständige Rechtsprechung streitig Tarifvertragsrecht Tarifvertragsgesetz Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst Tarifvertragsordnung unter anderem/und andere Unabhängige Flugbegleiter Organisation umstritten Umwandlungsgesetz Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte Urteil und so weiter unter Umständen von/vom Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Verwaltungsrecht vergleiche Verdingungsordnung für Bauleistungen Teil B Vorauflage Vorbemerkung Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes zum Beispiel Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis zitiert zugleich zustimmend zum Teil Zeitschrift für Tarif-, Arbeits- und Sozialrecht des öffentlichen Dienstes
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Einleitung Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln und ihre Auslegung sind ein „Dauerbrenner“ und zugleich eine der strittigsten Fragen des Arbeitsrechts an der Schnittstelle zwischen Arbeitsvertrags- und Tarifrecht. Die arbeitsvertragliche Verweisung auf tarifliche Regelungen ist schon seit langem weit verbreitet und gehört mittlerweile zum Standard der Musterarbeitsverträge, wie sie von Arbeitgebern typischerweise gestellt werden.
A. Bezugnahmeklauseln und Tarifbindung Die große praktische Bedeutung von Bezugnahmeklauseln ist nicht zuletzt durch die Entwicklung des Organisationsgrades bedingt: Obwohl der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder unter den Arbeitnehmern insgesamt bei nur noch etwa 17,5% liegt,1 werden etwa 80% aller Beschäftigten direkt oder indirekt durch Tarifverträge erfasst.2 Nach einer Untersuchung von Preis3 beinhalten sogar etwa 90% aller Arbeitsverträge Bezugnahmen auf Tarifverträge. Der für eine normative Geltung des Tarifvertrags nach §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG erforderliche Fall der beiderseitigen Tarifgebundenheit ist in der Praxis eher zur Ausnahme geworden. Die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer, die sog. Außenseiter, sind im Betrieb regelmäßig in der Mehrzahl. Auf sie finden die Tarifverträge keine unmittelbare und zwingende Anwendung im Sinne des § 4 Abs. 1 TVG. Damit gibt es in tarifgebundenen Unternehmen unter Umständen zweierlei Recht in der gleichen Frage: Für die Gewerkschaftsmitglieder können andere Arbeitsbedingungen gelten als für die Außenseiter. Eine Differenzierung zwischen diesen Arbeitnehmergruppen ist für den Arbeitgeber jedoch wenig praktikabel und kann zu erheblichen Unstimmigkeiten in der Belegschaft führen, da sich die einzelnen Arbeitnehmer „ungleich“ behandelt fühlen.4 1 Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW), IWD Nr. 24/2008, abrufbar unter www.iwkoeln.de; ebenso Schliemann, ZTR 2004, 502 (502); Kania, RdA 2000, 173 (176). 2 Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit (BMAS), Tarifvertragliche Arbeitsbedingungen im Jahr 2004: 84%, abrufbar unter www.bmas.de. 3 Preis, Arbeitsvertrag, I B Rn. 25; Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, S. 730: „§ 3 Abs. 1 TVG ist durch die Rechtswirklichkeit ‚überrollt‘ worden.“
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Einleitung
Gleichzeitig orientiert sich die Wirtschaft weiterhin an den durch die jeweiligen Verbandstarifverträge gesetzten Niveaus.5 Die tariflichen Regelungen lassen sich bei fehlender beiderseitiger Tarifbindung6 aber nur auf zwei Wegen auf sämtliche Arbeitnehmer erstrecken: Der Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrags nach § 5 TVG oder der Verwendung arbeitsvertraglicher Bezugnahme- oder Verweisungsklauseln. Während es für die Allgemeinverbindlicherklärung jedoch einer behördlichen Anordnung (vgl. § 5 Abs. 1 TVG) bedarf, erfordert eine Bezugnahmeklausel nur eine arbeitsvertragliche Regelung. Sie ist damit viel leichter zu verwirklichen. Vor diesem Hintergrund steigt die praktische Bedeutung von Bezugnahmeklauseln weiterhin.7 Unter Bezugnahme- oder Verweisungsklauseln sind Regelungen zu verstehen, nach denen neben den ausdrücklichen arbeitsvertraglichen Bestimmungen „im Übrigen“ oder „ergänzend“ die Regelungen eines Tarifvertrags Anwendung finden.8 Die Begriffe der „Bezugnahme“ und „Verweisung“ sollen im Folgenden – wie auch in Rechtsprechung und Schrifttum üblich – synonym behandelt werden.9
B. Funktionen von Bezugnahmeklauseln Diese arbeitsvertraglichen Bezugnahme- bzw. Verweisungsklauseln haben zwei Hauptfunktionen: Bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber dienen sie dazu, die Arbeitsbedingungen zu vereinheitlichen. Der tarifgebundene Arbeitgeber will damit regelmäßig erreichen, dass der Außenseiter so behandelt wird, als wäre er Gewerkschaftsmitglied.10 Gleiche Arbeit soll mit gleichem Lohn vergolten werden.11 Die Bezugnahme gewährleistet, dass die 4 v. Hoyningen-Huene, RdA 1974, 138 (139); Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, S. 731; Stein, AuR 2003, 361 (361). 5 Wiedemann, RdA 2007, 65 (65). 6 Abgesehen vom Anwendungsbereich des § 3 Abs. 2 TVG (sog. Betriebsnormen). 7 Vgl. Wiedemann, RdA 2007, 65 (65). 8 Gaul, EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 7, S. 25 (30). 9 Vgl. BAG v. 10.11.1982 – 4 AZR 1203/79, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Däubler, TarifvertragsR, Rn. 333; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 262; v. HoyningenHuene, RdA 1974, 138 (139, Fn. 2); Ebeling, Bezugnahme, S. 3 f. 10 BAG v. 4.9.1996 – 4 AZR 135/95, NZA 1997, 271 (272); BAG v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99, NZA 2001, 510 (511); BAG v. 25.10.2000 – 4 AZR 506/99, AP Nr. 13 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; HWK-Henssler, § 3 TVG Rn. 16; Hergenröder, FS 50 Jahre BAG, 713 (720); Bauer/Haußmann, DB 2003, 610 (611). 11 Wiedemann, RdA 2007, 65 (66).
Einleitung
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Arbeitsleistung des Außenseiters als gleichwertig anerkannt und dass er sozial geschützt wird, ohne einem Berufsverband beitreten zu müssen.12 Der Arbeitgeber kennt im Zweifel die Gewerkschaftszugehörigkeit des einzelnen Arbeitnehmers nicht; eine Frage hiernach bei der Einstellung ist nach überwiegender Auffassung13 unzulässig (s. auch § 28 Abs. 6 BDSG).14 Deshalb muss er die Klausel in alle Arbeitsverträge aufnehmen – also auch in die der tarifgebundenen Arbeitnehmer. Die Bezugnahmeklauseln führen daher faktisch zu einer Tarifeinheit im Betrieb.15 Der Arbeitgeber schafft auf diese Weise sozialen Frieden zwischen seinen Arbeitnehmern – und erspart sich sog. „social costs“, die durch etwaige Störungen des Betriebsablaufs oder (innerbetriebliche oder gar gerichtliche) Auseinandersetzungen entstehen würden.16 Auch nicht tarifgebundene Arbeitgeber machen sich Bezugnahmeklauseln zunutze. Beim tarifungebundenen Arbeitgeber können mangels eigener Tarifbindung keine unterschiedlichen Arbeitsbedingungen für Gewerkschaftsmitglieder und Außenseiter gelten. Der Tarifvertrag gilt bei ihm nicht normativ, sondern ausschließlich – und damit einheitlich für alle Arbeitnehmer – auf arbeitsvertraglicher (Verweisungs-)Grundlage. Dem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber kommt es somit nicht auf die Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen, sondern vielmehr darauf an, zwar tarifliche Arbeitsbedingungen zu gewähren, hierbei aber nicht der normativen und damit zwingenden Bindung gemäß §§ 3, 4 TVG zu unterliegen. Er nutzt die Klauseln daher primär, um seine Verträge einfacher zu gestalten und um Transaktionskosten zu sparen.17 Auf diesem Wege entfällt das Aushandeln der Arbeitsvertragsbedingungen, aber auch das „Abschreiben“ jeder einzelnen Tarifnorm,18 und der Arbeitgeber gewinnt Rechtssicherheit, da den Tarifverträgen Richtigkeitsgewähr19 zukommt und sie insofern keiner Inhaltskontrolle unterliegen.20 12
Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 265. BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 (635); BAG v. 28.3.2000 – 1 ABR 16/99, AP Nr. 27 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung; ErfK-Dieterich, Art. 2 GG Rn. 97; HWK-Thüsing, § 123 BGB Rn. 14; Hromadka/Maschmann/ Wallner, Tarifwechsel, Rn. 72; Reichold, RdA 2007, 321 (327). 14 ErfK-Franzen, § 3 TVG Rn. 29. 15 Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 178. 16 Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 144. 17 ErfK-Franzen, § 3 TVG Rn. 29. Zum Kostenargument Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1719 ff. 18 Reichel, Bezugnahme, S. 3. 19 BVerfG v. 27.2.1973 – 2 BvL 27/69, AP Nr. 7 zu § 19 HAG; BAG v. 3.10.1969 – 3 AZR 400/68, AP Nr. 12 zu § 15 AZO; MüHdbArbR-Löwisch/Rieble, Bd. 3, § 253 Rn. 2, 17; Preis, AuR 1994, 139 (141); Gamillscheg, Kollektives Ar13
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Einleitung
Zugleich hat jeder Arbeitgeber ein Interesse daran, den Arbeitnehmern nicht durch untertarifliche Arbeitsbedingungen einen Anreiz zum Gewerkschaftsbeitritt zu geben.21 Durch die Bezugnahme wird ein Gewerkschaftsbeitritt entbehrlich. Außerdem ist es oftmals notwendig, tarifliche Arbeitsbedingungen im Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte zu gewährleisten.22 Schließlich kann die Bezugnahme den Abschluss eines Firmen- oder Anerkennungstarifvertrags (bzw. einen Streik mit diesem Ziel) oder eine Allgemeinverbindlicherklärung vorwegnehmen bzw. vermeiden.23 Dem Arbeitgeber kommen daher die Ergebnisse der Tarifpolitik zugute, ohne dass er die Nachteile eines Arbeitskampfes auf sich nehmen muss. Weiterhin können auf diese Weise auch vom Gesetz abweichende Regelungen eines Tarifvertrages in den Arbeitsvertrag übernommen werden. So erlaubt beispielsweise § 13 Abs. 1 S. 2 BUrlG als sog. gesetzliche Zulassungsnorm eine abweichende einzelvertragliche Vereinbarung von bestimmten zwingenden gesetzlichen Urlaubsvorschriften zu Lasten des Arbeitnehmers, wenn dies durch Bezugnahme auf den einschlägigen Tarifvertrag geschieht (sog. tarifdispositives Gesetzesrecht).24 Ähnliche Regelungen finden sich in § 4 Abs. 4 EFZG, § 17 Abs. 3 BetrAVG, § 622 Abs. 4 S. 2 BGB, § 6 Abs. 2 BeschFG, § 21a Abs. 2 JArbSchG. Aufgrund dieser zahlreichen wichtigen Funktionen in der betrieblichen Praxis sind Bezugnahmeklauseln mittlerweile zu einem beliebten Instrument der arbeitsrechtlichen Vertragsgestaltung geworden. Es gibt zwar, anders als zu Zeiten der Weimarer Republik in § 1 Abs. 2 der Tarifvertragsordnung (TVVO), keine allgemeine gesetzliche Regelung der Bezugnahmeklauseln.25 Der Gesetzgeber hat jedoch diese Art der Vertragsgestaltung anerkannt, wie sich aus § 2 Abs. 3 NachwG ergibt.
beitsR I, S. 285. Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrages bedeutet, dass aufgrund der Gleichgewichtigkeit der Verhandlungspartner derart ausgehandelte Tarifverträge die Vermutung für sich beanspruchen können, dass sie den Interessen beider Seiten gerecht werden und keiner Seite ein unzumutbares Übergewicht vermittelt wird, vgl. BAG v. 6.11.1996 – 5 AZR 334/95, AP Nr. 1 zu § 10a AVR Caritasverband. 20 Dies aber nur, wenn der Tarifvertrag „als Ganzes“ in Bezug genommen wird und wenn er für die Branche des Arbeitgebers einschlägig ist, vgl. Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 264; Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 237. Vgl. dazu unten C.II.3.d) aa), ab S. 103. 21 Annuß, BB 1999, 2558 (2558); Reichel, Bezugnahme, S. 3; Däubler, ZTR 1994, 448 (451); ders., TarifvertragsR, Rn. 332; Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1257); Stein, AuR 2003, 361 (361). 22 ErfK-Franzen, § 3 TVG Rn. 29; Wiedemann, RdA 2007, 65 (66). 23 Wiedemann, RdA 2007, 65 (66). 24 Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 333; Däubler, TarifvertragsR, Rn. 372 f. 25 s. u. Teil 1, B.III.1.a), ab S. 62.
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C. Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel Trotz dieser erheblichen praktischen Bedeutung werden die rechtlichen Auswirkungen solcher Klauseln nicht immer hinreichend bedacht.26 Dies liegt nicht an der Nachlässigkeit der Vertragschließenden, sondern vielmehr an dem Umstand, dass aufgrund der starren Tarifstrukturen bis in die achtziger Jahre hinein die Verwendung von Bezugnahmeklauseln kaum Schwierigkeiten verursachte und deshalb das Problembewusstsein fehlte.27 Bezugnahmeklauseln galten lange Zeit als „die langweiligsten Klauseln des (Muster)arbeitsvertrags“.28 Mittlerweile ist Bewegung in die Tariflandschaft gekommen. Die Führungsstäbe der Unternehmen haben die vielfältigen Möglichkeiten der Umstrukturierung ihres Rechtsträgers entdeckt;29 Topoi wie Outsourcing, Verbandsaustritt und Tarifwechsel stellen heute einen Schwerpunkt der arbeitsrechtlichen Beratung von Unternehmen dar.30 Der Tarifwechsel – und auch die Tarifflucht – beschäftigen die Praxis seit nunmehr über zehn Jahren.31 Der Begriff des Tarifwechsels ist in der arbeitsrechtlichen Literatur32 seit langem geläufig und beschreibt jede Veränderung des tariflichen Regelungssystems. Die Tatbestände des Tarifwechsels sind vielgestaltig: Die Arbeitgeber können Einfluss auf die Tarifbindung nehmen, indem sie aus ihrem bisherigen Arbeitgeberverband austreten, zu einem anderen Verband wechseln, den Zweck ihres Betriebes ändern und damit einen Branchenwechsel herbeiführen oder einen Betrieb bzw. Betriebsteil ausgliedern. Die möglichen Folgen sind sehr unterschiedlich: Ein Tarifvertrag kann gemäß § 3 Abs. 3 TVG fortwirken, gemäß § 4 Abs. 5 TVG nachwirken oder die Tarifnormen können gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB „einfrieren“. Der Tarifvertrag kann aber auch durch ein anderes Tarifwerk gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG (ggf. i. V. m. § 613a Abs. 1 S. 3 BGB) abgelöst werden.
26 So nun auch BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 (2573); Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (240); Bayreuther, RdA 2003, 306 (309); Reichel, Bezugnahme, S. 3. 27 Kania, NZA, Sonderbeilage zu Heft 3/2000, 45 (45). 28 Kania, RdA 2000, 173 (176). 29 Henssler, FS Schaub, S. 311 (311); Reinecke, BB 2006, 2637 (2637). 30 Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1260). 31 Vgl. z. B. Bauer/Diller, DB 1993, 1085–1090; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel (1996); Däubler, ZTR 1994, 448–455. 32 s. nur Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rnr. 170 ff.; Schumacher-Mohr, GS Heinze, S. 843 ff.; Bauer/Haußmann, DB 2003, 610 ff.; Schliemann, ZTR 2004, 502 (509 ff.); Rieble/Klebeck, BB 2006, 885 ff.; Haußmann, FS Schwerdtner 2003, 89 ff.
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Das Schicksal von Bezugnahmeklauseln ist eng mit der Tarifentwicklung verknüpft. Verändern sich die tariflichen Strukturen, wird die Frage virulent, welche Rechtsfolgen dies für die Bezugnahmeklausel hat. In zahlreichen Konstellationen können die Rechtsfolgen der Bezugnahme aufgrund eines Tarifwechsels fraglich werden.33 So sind die Auswirkungen arbeitsvertraglicher Verweisungen z. B. bei Betriebs- und Betriebsteilübergängen nach § 613a BGB sehr praxisrelevant, was durch die Vielzahl jüngerer Gerichtsentscheidungen zu dem Thema belegt wird.34 Es stellt sich in diesem Zusammenhang die für den Erwerber praktisch höchst bedeutsame Frage, ob, in welcher Form und mit welchem Inhalt arbeitsvertraglich in Bezug genommene Tarifnormen nach Betriebsübergang weiter zur Anwendung gelangen. Der Betriebserwerber, der bereits über eine eigene Belegschaft verfügt, hat nämlich ein großes Interesse daran, die Arbeitsbedingungen zu vereinheitlichen.35 Eine dauerhafte Ungleichheit der Arbeitsbedingungen der „alten“ und „neuen“ Arbeitnehmer wäre für den Erwerber äußerst nachteilig und würde das Zusammenwachsen der Belegschaft verhindern. Das Schicksal der Kollektivvereinbarungen infolge einer Unternehmensumstrukturierung stellt deshalb eine für die Entscheidungsträger wesentliche Frage dar, von deren Beantwortung Erfolg oder Misserfolg, Sinn oder Unsinn des Betriebsübergangs maßgeblich abhängen können.36 Das Gleiche gilt für weitere Fälle des Tarifwechsels. Mittels eines Verbandsaustritts oder Verbandswechsels bezweckt der Arbeitgeber oftmals, sich von ungünstigen Tarifverträgen zu lösen. Dies ist ihm auf normativer Ebene (in den Grenzen der §§ 3 Abs. 3, 4 Abs. 5 TVG) zumeist möglich. Eine arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel wird von diesen Geschehnissen jedoch grundsätzlich nicht modifiziert und könnte somit auf arbeitsvertraglicher Ebene weiterhin zur (dynamischen) Anwendbarkeit desjenigen Tarifvertrages führen, dessen sich der Arbeitgeber gerade entledigen wollte. In Fällen der Änderung des Betriebszwecks (meist durch Verlagerung des Produktionsschwerpunktes) wächst der Betrieb aus dem Geltungsbereich des bisherigen Tarifvertrages heraus. Es kommt zu einem Branchenwechsel, so dass ein anderer Tarifvertrag anwendbar werden kann. Bezugnahmeklauseln, die hierbei keinen Wechsel des Bezugnahmeobjekts auf der Arbeits33
Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 19. BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634; BAG v. 29.8.2001 – 4 AZR 332/00, NZA 2002, 513; BAG v. 21.2.2001 – 4 AZR 18/00, NZA 2001, 1318; BAG v. 25.10.2000 – 4 AZR 506/99, AP Nr. 13 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99, NZA 2001, 510; LAG Rostock v. 02.08.2001 – 1 Sa 451/00, n. v.; LAG Düsseldorf v. 25.7.2001 – 12 Sa 636/01, n. v.; LAG Köln v. 20.2.2001 – 13 (2) Sa 1284/00 n. v. 35 Zöllner, DB 1995, 1401 (1401). 36 Lambrich, FS Ehmann, S. 169 (170). 34
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vertragsebene zulassen, könnten damit auf Dauer die individualvertragliche Anwendbarkeit eines nicht mehr einschlägigen Tarifvertrages bewirken. Die (dauerhafte) Bindung an auf die Besonderheiten der neuen Branche nicht abgestimmte Tarifnormen wäre die Folge. Eine Produktionsverlagerung wird zum unternehmerischen Risiko, wenn danach trotzdem dauerhaft die „alten“, auf die bisherige Branche gemünzten Arbeitsbedingungen anzuwenden sind. Die Arbeitgeber müssen daher schon bei der Vereinbarung von Bezugnahmeklauseln bedenken, welche Rechtsfolgen diese zeitigen, und zwar auch und gerade für den Fall, dass es tarifrechtlich zu einer Veränderung kommt. Ansonsten kann sich ein angestrebter Tarifausstieg oder -wechsel als wirtschaftlich wirkungslos – oder gar riskant – erweisen.37 Das Arbeitgeberinteresse geht in diesen Konstellationen daher dahin, tarifliche Veränderungen auf die vertragliche Ebene der Bezugnahmeklausel „durchschlagen“ zu lassen.
D. Rechtsprechungsänderung zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln Besondere Aktualität erlangte das Thema der Bezugnahmeklauseln mit der Entscheidung des für Tarifrecht zuständigen Vierten Senats des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 14.12.200538, die eine Wende in der Rechtsprechung ankündigte. Bisher nämlich wurden Bezugnahmeklauseln bei tarifgebundenen Arbeitgebern als „Gleichstellungsabreden“ ausgelegt, die nur den Zweck hätten, die Außenseiter den Gewerkschaftsmitgliedern gleichzustellen. Ihnen sollte vertraglich das gewährt werden, was die Gewerkschaftsmitglieder kraft normativer Tarifbindung erhielten. Unabhängig vom Wortlaut der Klausel bewirkte sie immer (nur) das, was tarifrechtlich galt. Wurden z. B. die Tarifnormen nach einem Betriebsübergang gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB „eingefroren“, konnte auch die Bezugnahmeklausel keine Teilnahme an der weiteren Tarifdynamik bewirken und verwies nur auf die im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Tarifnormen. Gleiches galt z. B. auch bei einem Verbandsaustritt oder Branchenwechsel. Aus der dynamischen Verweisung wurde eine statische. Am 14.12.2005 entschied das BAG, die Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede nur noch auf vor dem 1.1.2002 geschlossene Arbeitsverträge anzuwenden. Für Verträge nach diesem Zeitpunkt nehme es von dieser Aus37 Gaul, EzA Nr. 7 zu § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag, S. 25; Reichel, Bezugnahme, S. 4. 38 BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 ff.
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legungsregel Abstand. Es käme dann allein auf den Wortlaut der Klausel an, wobei die Klausel im Zweifelsfall nach der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB (Unklarheiten gehen zu Lasten des Verwenders) auszulegen sei. Die dynamische Bezugnahme auf Tarifverträge bleibt dann also (auch) für ursprünglich tarifgebundene Arbeitgeber dynamisch, selbst wenn deren Tarifgebundenheit endet. Diese neue Rechtsprechung hat das BAG mittlerweile in einem Urteil vom 18.4.200739 erstmals umgesetzt sowie in einem Urteil vom 22.10.200840 bestätigt und sich hierbei auf sein Urteil vom 14.12.2005 berufen. Es bestehen somit keine Zweifel mehr, dass die Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede in der bisherigen Form beendet ist. Die Auswirkungen und (verbleibenden) Gestaltungsmöglichkeiten in der Praxis sind bisher noch unklar, doch ändert sich durch den Paradigmenwechsel der Rechtsprechung die Auslegung von Bezugnahmeklauseln grundlegend. Insbesondere variieren die Konsequenzen je nach Fallkonstellation, d.h. sie sind in hohem Maße abhängig von der Art der Bezugnahmeklausel sowie der Tarifbindung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Zusätzliche Brisanz erhielt das Thema im März 2006, als der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine Vorlagefrage des LAG Düsseldorf41 zu beantworten hatte. In der Rechtssache Werhof entschied der EuGH, dass die Gleichstellungsrechtsprechung europarechtskonform sei und eine (ewige) dynamische Bindung eines Erwerbers an Tarifverträge des Veräußerers durch die Bezugnahmeklausel nach einem Betriebsübergang dessen Vereinigungsfreiheit als europäisches Grundrecht beeinträchtigen könnte. Diese Entscheidung wirft die Frage auf, ob die vom BAG angekündigte Rechtsprechungsänderung überhaupt europarechtskonform ist oder ob das Europarecht nicht vielmehr die (alte) Gleichstellungsrechtsprechung gebietet.
E. Gang der Untersuchung Die vorliegende Arbeit geht vor diesem Hintergrund der Frage nach, wie sich arbeitsvertragliche Bezugnahmen auf Tarifverträge bei einem Tarifwechsel auswirken, d.h., inwiefern sie eine Veränderung auf kollektiver Ebene mit vollziehen oder von ihr unberührt bleiben und den Tarifwechsel auf diese Weise in der Praxis de facto verhindern können. Der Tarifwechsel wird hierbei für die in der Praxis am häufigsten auftretenden Fälle des Be39
BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 ff. BAG v. 22.10.2008 – 4 AZR 793/07, bisher nur als Pressemitteilung Nr. 79/08, abrufbar unter www.bundesarbeitsgericht.de. 41 LAG Düsseldorf v. 8.10.2004 – 9 Sa 817/04, DB 2005, 455. 40
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triebsübergangs, Verbandsaustritts, Verbandswechsels und Branchenwechsels untersucht. Einerseits geht es darum, den aktuellen Stand der dogmatischen Einordnung und Interpretation der Vorschriften und ihre Auswirkungen auf unterschiedliche Tarifwechselszenarien darzustellen und zu bewerten. Andererseits gibt die Rechtsprechungsänderung Anlass, die für die Praxis bedeutenden Änderungen aufzuzeigen und einer kritischen Würdigung zu unterziehen. Der durch die Rechtsprechung vorgenommene Paradigmenwechsel führt nun zu einer unterschiedlichen Auslegungspraxis für die Bezugnahmeklauseln je nach dem Datum des Vertragsschlusses. Ziel dieser Arbeit ist es, die Hintergründe dieser fundamentalen Rechtsprechungsänderung darzustellen und ihre praktischen Auswirkungen zu beleuchten, um im Anschluss zu untersuchen, wie auf die geänderte Auslegung von Bezugnahmeklauseln zu reagieren ist, um sie auch in Zukunft für die betriebliche Wirklichkeit handhabbar zu machen. Um die Funktionsweise von Bezugnahmeklauseln bei einer Tarifänderung zu verstehen, sollen zunächst ihre Erscheinungsformen, die Bedingungen für ihre Wirksamkeit und die Grenzen ihrer Gültigkeit dargestellt werden. Im Anschluss wird die Auslegung von Bezugnahmeklauseln im Wandel der Rechtsprechung dargestellt. Die Ergebnisse dieses ersten Teils werden die Grundlage der Fallanalyse in Teil 2 bilden. Zu diesem Zweck ist im ersten Teil zunächst herauszuarbeiten, warum es Bezugnahmeklauseln überhaupt bedarf – ein Anspruch der Außenseiter auf (vertragliche) Anwendung der Tarifnormen könnte sich bereits aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz ergeben (A.). Danach sind die rechtlichen Rahmenbedingungen und Erscheinungsformen der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln zu erörtern, d.h. ihre Zulässigkeit (B.I.), die Voraussetzungen für ihre Vereinbarung (B.II.), ihre Rechtsnatur und rechtliche Wirkung (B.III.) und ihre verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten (B.IV.). Bezugnahmeklauseln haben zudem eine Verbindung zum neuen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) (B.V.). Im Anschluss sind die rechtlichen Grenzen der Verwendung von Bezugnahmeklauseln aufzuzeigen (C.), die sich insbesondere aus der AGB-Kontrolle (C.II.) ergeben. Im folgenden Abschnitt (D.) wird die Auslegung von Bezugnahmeklauseln behandelt, die sich durch die Rechtsprechungsänderung des BAG grundlegend gewandelt hat. Die Rechtsprechungsänderung soll hierbei dargestellt und einer kritischen Würdigung unterzogen werden (D.II., D.III.). Insbesondere ist zu untersuchen, nach welchen Grundsätzen sich die geänderte Auslegung von Bezugnahmeklauseln richtet [D.III.3.b)]. Im Zusammenhang mit der Rechtsprechungsänderung ergeben sich mehrere Fragen, insbesondere solche des Vertrauensschutzes (D.IV.), der Verfassungsmäßig-
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keit der geänderten Auslegungsgrundsätze (D.V.) sowie der Auswirkungen des Werhof-Urteils des EuGH auf die geänderte Rechtsprechung (D.VI.). Der auf diesen Ergebnissen über die Erscheinungsformen und die Auslegung von Bezugnahmeklauseln aufbauende zweite Teil widmet sich der Fallanalyse zu den Auswirkungen der Verwendung von Bezugnahmeklauseln in den verschiedenen Situationen des Tarifwechsels. Hierbei sollen die Situationen des Betriebsübergangs (A.), des Verbandsaustritts (B.), des Verbandswechsels (C.) und des Branchenwechsels (D.) erörtert werden. Die Fallanalyse „spielt“ die verschiedensten Szenarien der Tarifbindung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern (tarifgebunden/nicht tarifgebunden) sowie der unterschiedlichen Arten der Bezugnahmeklauseln (statische, kleine dynamische und große dynamische Klausel) und andere relevante Faktoren (Tarifbindung des Erwerbers bei einem Betriebsübergang, Identität/fehlende Identität der tarifschließenden Gewerkschaften nach einem Verbandswechsel des Arbeitgebers etc.) in ihren praktischen Auswirkungen „durch“. Schwerpunkt der Untersuchung ist hierbei zum einen die Frage, inwiefern Bezugnahmeklauseln das tarifrechtliche Ergebnis des jeweiligen Tarifwechsels widerspiegeln oder dieses modifizieren können. Zum anderen soll gezeigt werden, wie sich die neue Rechtsprechung des BAG in der Praxis in den jeweiligen Konstellationen auswirkt. Auf diese Weise nimmt die vorliegende Arbeit einen Systemvergleich zwischen „alter“ und „neuer“ Rechtsprechung vor. Hierbei geht es jedoch nicht um eine „rechtshistorische“ Gegenüberstellung. Das BAG wendet seine neue Rechtsprechung erst für ab dem 1.1.2002 geschlossene Arbeitsverträge an. Für bis zum 31.12.2001 vereinbarte Bezugnahmeklauseln bleibt es daher bei der Auslegung als Gleichstellungsabrede, so dass diese Rechtsprechung nichts an Aktualität eingebüßt hat. Innerhalb der Betriebe kommen somit in aller Regel je nach dem Datum des Vertragsschlusses die unterschiedlichen Auslegungsgrundsätze nebeneinander zur Anwendung. Die Erkenntnisse der Fallanalyse werden im Anschluss bewertet (E.I.). Die Rechtsprechungsänderung führt zu zahlreichen Folgefragen, für die es bisher größtenteils an eindeutigen Lösungen fehlt. So stellt sich die Frage, ob den Arbeitnehmern aufgrund der neuen Rechtsprechung nunmehr ein Wahlrecht erwächst, auf welchen Tarifvertrag sie sich berufen wollen, und ob es damit zu einem „Rosinenpicken“ der Arbeitnehmer kommen wird (E.II.). Unklar ist bislang auch, ob die Änderung der Auslegung von Bezugnahmeklauseln das Ende des Sanierungshaustarifvertrags einläutet, wenn in Zukunft die Bezugnahmeklausel unter Umständen dauerhaft auf den Verbandstarifvertrag verweist und sich gegen den Haustarifvertrag als günstigere Regelung durchsetzt (E.III.). Zugleich wird im Schrifttum die Ansicht vertreten, dass sich die Abkehr von der Gleichstellungsabrede und die daraus folgende Divergenz der normativ und vertraglich geltenden Tarifver-
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träge auf die Lehre der Tarifeinheit im Betrieb auswirken (E.IV.) und arbeitskampfrechtliche Folgen haben könne (E.V.). Die wichtigste Frage für die Praxis ist nun, wie sie auf den Paradigmenwechsel in der Rechtsprechung reagieren kann. Ziel der Arbeitgeber wird es sein, trotz Abkehr von der Gleichstellungsabrede als grundsätzliche Auslegungsregel deren Wirkungen dennoch in den nach dem 31.12.2001 geschlossenen Arbeitsverhältnissen herbeizuführen. In den bestehenden Arbeitsverhältnissen sind daher Anpassungen nötig. Der Schwerpunkt des dritten Teils soll deshalb auf die Analyse der Möglichkeiten der Arbeitgeber zur Harmonisierung der Arbeitsbedingungen gelegt werden, d.h. unter anderem auf Änderungsvertrag, Störung der Geschäftsgrundlage, Anfechtung oder Änderungskündigung (A.). Die Arbeit schließt mit Klauselvorschlägen für die zukünftige Vertragsgestaltung, die den Anforderungen der geänderten BAG-Rechtsprechung Rechnung tragen und eine „Ewigkeitsbindung“ der Arbeitgeber verhindern sollen (B.).
Teil 1
Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis Im Folgenden sollen nun zunächst die dogmatischen Grundstrukturen der Bezugnahmeklauseln und ihrer Verwendung in der betrieblichen Praxis dargestellt werden. Das Verständnis dieser Grundstrukturen ist Voraussetzung dafür, die Auswirkungen von Bezugnahmeklauseln bei einem Tarifwechsel zutreffend bewerten zu können.
A. Erfordernis der Verwendung von Bezugnahmeklauseln – keine Tarifbindung kraft Gleichbehandlung Es stellt sich zunächst die Frage, ob es überhaupt der Verwendung von Bezugnahmeklauseln bedarf. Schließlich gelten für Gewerkschaftsmitglieder die tariflichen Regelungen bereits kraft Tarifbindung gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG. Thüsing1 vertritt die Auffassung, dass der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz2 dem Außenseiter in bestimmten Fällen einen Anspruch auf tarifliche Leistungen, insbesondere Tariflohn, gebe. Thüsing führt an, dass der Bruch zwischen dem die ganze Belegschaft erfassenden Arbeitskampfrecht und einem streng mitgliedschaftlich orientierten Tarifvertragsrecht unbillig sei.3 Zum einen bildeten nicht organisierte Arbeitnehmer, die sich an einem gewerkschaftlich organisierten Streik beteiligten oder von ihrem Arbeitgeber ausgesperrt würden, zusammen mit den gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern eine „tarifliche Kampfgemeinschaft“.4 Im Gegensatz zu Gewerkschaftsmitgliedern erhielten sie 1 Thüsing, ZTR 1997, 433 ff.; ebenso ders./Lambrich, RdA 2002, 193 (195 f.). Ähnlich auch schon Wiedemann, RdA 1969, 321 (323 ff.). 2 s. hierzu BAG v. 11.9.1985 – 7 AZR 371/83, NZA 1987, 156; BAG v. 6.10.1993, NZA 1994, 257; BAG v. 19.4.1995 – 10 AZR 136/94, NZA 1996, 133; BAG v. 20.11.1996 – 5 AZR 401/95, NZA 1997, 724; Gamillscheg, AcP 164, 385 (408 ff.). 3 Thüsing, ZTR 1997, 433 (433). 4 Thüsing, ZTR 1997, 433 (438); ähnlich ders./Lambrich, RdA 2002, 193 (196).
A. Erfordernis der Verwendung von Bezugnahmeklauseln
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kein Streikgeld, so dass ihre Streikbeteiligung eine noch gewichtigere Unterstützung der jeweiligen Gewerkschaft darstelle als die der Gewerkschaftsmitglieder. Zum anderen würden ausgesperrte Außenseiter sogar unfreiwillig in den Arbeitskampf einbezogen, weswegen sie ein Opfer erbrächten, das im Interesse des Arbeitgebers und dessen Position im Arbeitskampf erfolge. Thüsing wendet hier den allgemeinen Aufopferungsgedanken an.5 In diesen beiden Fällen ergäbe sich daher eine Rechtfertigung, dem Außenseiter einen Anspruch auf Tariflohn zu gewähren. Der Verwendung von arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln bedürfte es daher nicht mehr. Der Ansicht Thüsings kann nicht gefolgt werden. Das TVG knüpft die Anwendbarkeit der Tarifnormen an ein sachliches Kriterium, die Tarifbindung kraft Mitgliedschaft nach § 3 Abs. 1 TVG (die nicht zuletzt auch mit der Zahlung von Beiträgen verbunden ist)6. Die schlechtere Behandlung nicht organisierter Arbeitnehmer ist daher nicht willkürlich: Sie beruht auf der gesetzgeberischen Entscheidung über die Gestaltung des Tarifrechts. Anders als in dem von Hugo Sinzheimer für das Reichsarbeitsministerium im Jahre 1921 erarbeiteten Entwurf eines Arbeitstarifgesetzes7 ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, tarifgebundene Arbeitnehmer und Außenseiter materiell gleichzubehandeln.8 Eine Gleichbehandlungspflicht für Organisierte und Nichtorganisierte würde die Tarifautonomie praktisch leerlaufen lassen. Sie böte den Außenseitern die Vorteile des Tarifvertrages, ohne dass diese sie durch die nachteiligeren Normen des Tarifvertrages „erkaufen“ müssten. Zudem würde eine Gleichbehandlungspflicht die Arbeitskampfparität stören, wenn den Außenseitern auf diese Weise ein Anreiz zur Streikteilnahme gegeben würde, die Gewerkschaften aber keine höhere Streikunterstützung zahlen müssten.9 Sie verstieße deshalb gegen die durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Koalitionsfreiheit. Der Bestandsschutz der Koalition wäre gefährdet, wenn die Wirkungen des § 5 TVG ohne das Vorliegen seiner Voraussetzungen einträten; es würde der Anreiz zu einem Gewerkschaftsbeitritt fehlen. Eine Ausnahme ist auch nicht in den Fällen angebracht, in denen die Außenseiter einen Beitrag zum Zustandekommen des Tarifvertrags geleistet 5
Thüsing, ZTR 1997, 433 (437). Nömeier, Bezugnahme auf Tarifinhalte, S. 85 ff.; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 92. 7 RArbBl. 1921, S. 491, vgl. insb. § 16 (abgedruckt bei Annuß, ZfA 2005, 405 (410)). 8 Annuß, ZfA 2005, 405 (409 f.). 9 Reichel, Bezugnahme, S. 20. 6
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
haben, wie Thüsing es vorschlägt. Hiergegen spricht, dass diese Auffassung erhebliche Differenzierungs- und Umsetzungsschwierigkeiten mit sich brächte und nicht ausreichend berücksichtigen würde, dass die Gleichbehandlung sich dann ebenfalls auf für die Außenseiter ungünstige Regelungen beziehen müsste.10 Zudem kann der Umstand der aktiven Arbeitskampfbeteiligung nicht darüber hinweghelfen, dass die auch über die Fälle des Arbeitskampfes hinaus relevante Tatsache der Mitgliedschaft in der Gewerkschaft ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung ist.11 Die Außenseiter haben jederzeit die Möglichkeit, in die Gewerkschaft einzutreten. Aus diesem Grund ergibt sich eine Einbeziehung der Außenseiter in tarifliche Leistungen nicht schon aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Sollen die Außenseiter an den tariflichen Arbeitsbedingungen teilhaben, ist hierfür eine vertragliche Vereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien erforderlich. Sofern sie nicht den gesamten Tarifvertrag bzw. die für sie relevanten Teile „abschreiben“ wollen, sind arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln die einfachste Methode, um dieses Ziel zu erreichen.
B. Rechtliche Rahmenbedingungen und tatsächliche Erscheinungsformen der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln Nachdem das rechtliche Erfordernis der Verwendung von arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln festgestellt wurde, schließt sich die Frage nach ihren Rahmenbedingungen und Erscheinungsformen an: Ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen Bezugnahmeklauseln zulässig und wirksam sind, welche Rechtsfolgen sie haben und in welcher Form sie in der Praxis auftreten. Sodann sind die Grenzen der Bezugnahme zu bestimmen, die sich aus dem zwingenden Recht und der – nunmehr auch im Arbeitsrecht anwendbaren – AGB-Kontrolle ergeben.
I. Rechtliche Zulässigkeit Bei der Frage der rechtlichen Zulässigkeit von Bezugnahmeklauseln ist zunächst danach zu unterscheiden, ob die Bezugnahme gesetzlich bzw. richterrechtlich zugelassen ist oder nicht.
10 11
Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 91 f. So auch Reichel, Bezugnahme, S. 21. Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 92.
B. Rechtliche Rahmenbedingungen
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1. Bezugnahme kraft gesetzlicher oder richterrechtlicher Zulassung In den Fällen gesetzlicher oder richterrechtlicher Zulassung kann den Parteien des Einzelarbeitsvertrages gestattet werden, von einer gesetzlichen Regel oder von Richterrecht abzuweichen, wenn sie stattdessen die Anwendung des einschlägigen Tarifvertrages vereinbaren.12 a) Gesetzliche Bezugnahmeermächtigung Gesetzliche Ermächtigungen zur Bezugnahme finden sich unter anderem in den tarifdispositiven Vorschriften, z. B. § 13 Abs. 1 S. 2 BUrlG, § 4 Abs. 4 S. 2 EFZG, § 622 Abs. 4 S. 2 BGB, § 17 Abs. 3 S. 2 BetrAVG, § 7 Abs. 3 S. 1 und 3 ArbZG, § 89a Abs. 2 SeemG, § 21a Abs. 2 JArbSchG, §§ 12 Abs. 3 S. 2, 13 Abs. 4 S. 2, 14 Abs. 2 S. 4, 22 Abs. 2 TzBfG sowie §§ 48 Abs. 2, 101 Abs. 2 S. 3 ArbGG. Tarifdispositive Vorschriften sind solche, die es den Tarifvertragsparteien erlauben, mittels Tarifvertrag vom Gesetz abweichende Regelungen zu treffen.13 Eine besonders weitreichende Bezugnahmeermächtigung enthält § 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG, der es ermöglicht, durch Tarifvertrag oder einzelvertragliche Bezugnahme auf einen Tarifvertrag vom „Equal Pay“-Gebot für Leiharbeitnehmer im Entleiherbetrieb abzuweichen.14 Hintergrund der gesetzlichen Bezugnahmeermächtigungen ist die Vorstellung, dass grundsätzlich von einem Gleichgewicht zwischen den Tarifparteien ausgegangen werden kann und sich ein Tarifvertrag insofern als das ausgewogene und angemessene Ergebnis der Verhandlung und Interessenabwägung darstellt (sog. Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrages)15. Entscheidend für ihre Zulässigkeit ist daher das Zustandekommen der in Bezug genommenen tariflichen Regelungen unter den Funktionsvoraussetzungen des Tarifvertragssystems.16 Die gesetzlichen Ermächtigungen gestatten es den Arbeitsvertragsparteien außerdem häufig, durch Inbezugnahme eines Tarifvertrages von den gesetzlichen Vorschriften abzuweichen. Sie sollen es den tarifgebundenen Arbeitgebern ermöglichen, im Unternehmen einheitliche Arbeitsbedingungen zu schaffen, und eine Schlechterbehandlung der Gewerkschaftsmitglieder ge12 13 14 15 16
Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 374. Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 378. Vgl. o. S. 30, Fn. 24. Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 267. s. o. S. 29, Fn. 19. MüHdbArbR-Richardi, Bd. 1, § 12 Rn. 17; Ebeling, Bezugnahme, S. 39.
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
genüber den Außenseitern verhindern.17 Die „schlechteren“ Arbeitsbedingungen gelten durch die Bezugnahme auch für Nichttarifgebundene. Hinsichtlich der nicht tarifgebundenen Arbeitgeber, die ebenfalls von der Bezugnahmeermächtigung Gebrauch machen können, soll vermieden werden, dass für ihre tarifgebundenen Konkurrenten ein Wettbewerbsvorteil entsteht. b) Richterrechtliche Bezugnahmeermächtigung Eine Bezugnahme ist ferner zulässig, sofern die Rechtsprechung tarifdispositives Richterrecht geschaffen und den Parteien des Einzelarbeitsvertrages die Verweisung auf entsprechende Tarifverträge gestattet hat.18 Das Richterrecht spielt im Arbeitsrecht – gerade vor dem Hintergrund zahlreicher unbestimmter Rechtsbegriffe und einer teilweise lückenhaften gesetzlichen Regelung – eine gewichtige Rolle. Gesetzesvertretendes Richterrecht steht in der Normenhierarchie auf der Stufe des ersetzten oder ergänzten Gesetzesrechts.19 Das BAG hat die Tarifdisposivität seines Richterrechts erstmals im Zusammenhang mit Rückzahlungsklauseln bei Gratifikationen anerkannt.20 Weitere Beispiele sind die Rechtsprechung zu befristeten Arbeitsverträgen, Wettbewerbsverboten und Arbeitskampfregeln sowie die Grundsätze über das Betriebsrisiko.21 Die insoweit als „Ersatzgesetzgeber“ legitimierte Rechtsprechung ist hierbei in ihrer Entscheidung frei, ob sie ihre Regelungen tariffest ausgestaltet oder nicht.22 Dem liegt, wie auch im Rahmen der gesetzlichen Bezugnahmeermächtigungen,23 die Auffassung zugrunde, die Tarifvertragsparteien seien kraft Sachnähe, Verantwortungsbewusstsein und beiderseitiger Mächtigkeit in der Lage, andere, ebenfalls angemessene Regelungen zu finden.24 Im Bereich des tarifdispositiven Richterrechts ist eine Bezugnahme auf Tarifverträge im Arbeitsvertrag daher unter Umständen zulässig.25 Das tarifdispositive Richterrecht erlaubt dann, in Individualverträ17
ErfK-Franzen, § 3 TVG Rn. 35; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 376. BAG v. 31.3.1966 – 5 AZR 516/65, NJW 1966, 1625 (1626); BAG v. 23.2.1967 – 5 AZR 234/66, SAE 1967, 261 (262); Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 374; Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 147; Jacobs/Krause/Oetker-Oetker, TarifvertragsR, § 6 Rn. 217; Däubler, TarifvertragsR, Rn. 334. 19 BAG v. 10.6.1980 – 1 AZR 822/79, AP Nr. 64 zu Art. 9 Abs. 3 GG Arbeitskampf, Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 404. 20 BAG v. 31.3.1966 – 5 AZR 516/65, NJW 1966, 1625 (1626); WiedemannWiedemann, TVG, Einl. Rn. 401; Ebeling, Bezugnahme, S. 43. 21 HWK-Henssler, Einl. TVG Rn. 32 m. w. N. 22 Ebeling, Bezugnahme, S. 43. 23 s. o. B.I.1.a), ab S. 41. 24 Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 400. 18
B. Rechtliche Rahmenbedingungen
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gen, in denen auf eine einschlägige Tarifnorm verwiesen wird, auf den ansonsten gewährten richterrechtlichen Schutz zu verzichten. Den Parteien des Einzelarbeitsvertrages kann also gestattet werden, von der gesetzlichen Regel abzuweichen.26 Die Voraussetzungen werden im Anschluss dargestellt. c) Voraussetzungen der Bezugnahme Zunächst setzt die gesetzlich oder richterrechtlich zugelassene Bezugnahme voraus, dass das Arbeitsverhältnis bei Tarifgeltung unter den räumlichen, sachlichen und betrieblichen Anwendungsbereich des Tarifvertrages fiele.27 Der Ausnahmecharakter der Erstreckung tarifvertraglicher Bestimmungen auf Außenseiter bedarf der Legitimation der Normsetzer im Anwendungsbereich der Bezugnahme.28 Es kann deshalb nur auf Tarifregelungen Bezug genommen werden, die nach § 4 Abs. 1 TVG für beiderseits Tarifgebundene anwendbar wären, d.h. der in Bezug genommene Tarifvertrag muss einschlägig sein.29 Eine Bezugnahme auf einen fremden Tarifvertrag ist damit nicht zulässig.30 Nach herrschender Meinung31 können sowohl nicht tarifgebundene als auch tarifgebundene Arbeitgeber von der Bezugnahmeermächtigung Gebrauch machen. Etwas anderes gilt jedoch, sofern das Gesetz ausdrücklich auf den Betrieb eines nicht tarifgebundenen Arbeitgebers abstellt (z. B. bei § 7 Abs. 3 S. 1 ArbZG, § 2 Abs. 2 S. 2 AltersteilzeitG, § 21a Abs. 2 JArbSchG, § 89a Abs. 2 SeemG).32 Hinsichtlich des Umfangs der Bezugnahme ergibt sich aus § 7 Abs. 3 S. 3 ArbZG, § 89a Abs. 2 SeemG, § 22 Abs. 2 TzBfG und § 48 Abs. 2 ArbGG e contrario, dass dieser sich nicht auf den gesamten Tarifvertrag erstrecken 25 BAG v. 23.2.1967 – 5 AZR 234/66, SAE 1967, 261 (262); HWK-Henssler, Einl. TVG Rn. 32; Däubler-Schiek, TVG, Einl. Rn. 333. 26 Vgl. Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 374. 27 Reichel, Bezugnahme, S. 13; Ebeling, Bezugnahme, S. 40; MüHdbArbR-Richardi, Bd. 1, § 12 Rn. 18; KR-Spilger, § 622 BGB Rn. 180; Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 267. 28 Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 267. 29 Ebeling, Bezugnahme, S. 40; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 388. Vgl. auch den Wortlaut von § 17 Abs. 3 S. 2 BetrAVG, § 13 Abs. 1 S. 2 BUrlG, § 7 Abs. 3 S. 1 ArbZG, § 4 Abs. 4 S. 2 EFZG, § 21a Abs. 2 JArbSchG, § 2 Abs. 2 S.1 AltersteilzeitG, § 622 Abs. 4 S. 2 BGB. 30 Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 167; KR-Spilger, § 622 BGB Rn. 181 f.; Jacobs/Krause/Oetker-Oetker, TarifvertragsR, § 6 Rn. 224; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 40. 31 Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 380; KR-Spilger, § 622 Rn. 179. 32 Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 381 m. w. N.
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muss.33 Auf der anderen Seite muss die Bezugnahme kraft gesetzlicher oder richterrechtlicher Zulassung die gesamte Teilregelung umfassen, um zu verhindern, dass Außenseiter einer unausgewogenen Regelung unterworfen werden.34 Bei einer Bezugnahme nach § 13 Abs. 1 S. 2 BUrlG muss daher die Gesamtregelung des Tarifvertrages über den Urlaub mit allen Vor- und Nachteilen übernommen werden.35 Ebenso ist im Rahmen des § 622 Abs. 4 S. 2 BGB die Übernahme der gesamten tariflichen Regelung zu den Kündigungsfristen einschließlich der Kündigungstermine zu vereinbaren.36 Gleiches gilt für § 7 Abs. 3 ArbZG, § 4 Abs. 4 EFZG, § 21a Abs. 2 JArbSchG und die Zulassungsnormen im TzBfG.37 Eine Globalbezugnahme ist hingegen grundsätzlich nicht zu verlangen.38 Etwas anderes hat für die Fälle zu gelten, in denen die Zulassungsnorm sie ausdrücklich fordert (wie z. B. § 7 Abs. 3 S. 3 ArbZG, § 89a Abs. 2 SeemG, § 22 Abs. 2 TzBfG sowie § 48 Abs. 2 ArbGG)39 oder wenn nur eine Globalverweisung ausgeglichene Arbeitsbedingungen gewährleisten kann.40 Im Falle tarifdispositiven Richterrechts bleibt zu beachten, dass in jedem Fall ein „tariffester“ Kern desjenigen Rechtsprinzips erhalten bleiben muss, auf das sich das Richterrecht gründet.41 In Rechtsnatur und Rechtsfolge unterscheiden sich Bezugnahmeklauseln kraft gesetzlicher oder richterrechtlicher Zulassung nicht von sonstigen Bezugnahmeklauseln.42 33
LAG Hamburg v. 9.7.1970 – 2 Sa 48/70, BB 1970, 1178 (1178 f.); Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 391 m. w. N. 34 Ebenso Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 392; Reichel, Bezugnahme, S. 17; Ebeling, Bezugnahme, S. 41; Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 267; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 44; Jacobs/Krause/Oetker-Oetker, TarifvertragsR, § 6 Rn. 226. 35 BAG v. 17.11.1998 – 9 AZR 584/97, AP Nr. 10 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; HWK-Schinz, § 13 BUrlG Rn. 18; Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 44 f.; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 392; Reichel, Bezugnahme, S. 14. 36 ErfK-Müller-Glöge, § 622 BGB Rn. 35; HWK-Bittner, § 622 BGB Rn. 120; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 392; Reichel, Bezugnahme, S. 16. A. A. LAG Hamburg v. 9.7.1970 – 2 Sa 48/70, BB 1970, 1178 (1179); Herschel, BB 1970, 5 (6). 37 Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 392 m. w. N. 38 LAG Düsseldorf v. 12.11.1974 – 8 Sa 454/74, EzA Nr. 10 zu § 622 BGB n. F.; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 394; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 44. A. A. Stein, TarifvertragsR, Rn. 249; Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 175. 39 Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 394; Bock, Tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht, S. 186 ff. 40 Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 394 (mit dem Beispiel, dass ungünstige Arbeitszeitbedingungen durch besonders vorteilhafte Urlaubsregelungen ausgeglichen werden). A. A. Bock, Tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht, S. 188 ff. 41 Ebeling, Bezugnahme, S. 43 m. w. N. A. A. Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 402.
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2. Bezugnahme ohne gesetzliche oder richterrechtliche Zulassung Die rechtliche Zulässigkeit von allgemeinen Bezugnahmeklauseln, die nicht gesetzlich oder richterrechtlich zugelassen sind, ist nicht unumstritten. Zwar gibt es keine gesetzliche Vorschrift, die die arbeitsvertragliche Übernahme tariflicher Normen verbietet (wie z. B. § 77 Abs. 3 BetrVG im Verhältnis der Tarif- zu den Betriebspartnern).43 Dennoch wird teilweise die Zulässigkeit einer arbeitsvertraglichen Bezugnahme ohne gesetzliche oder richterrechtliche Ermächtigung bezweifelt. a) Bedenken gegen die rechtliche Zulässigkeit von Bezugnahmeklauseln Problematisch im Hinblick auf Bezugnahmeklauseln ist der Umstand, dass die Erfolge der Tarifpolitik nicht nur den Gewerkschaftsmitgliedern, sondern quasi allen Arbeitnehmern zugute kommen. Eine Ansicht argumentiert deshalb, dass die Bezugnahme den Anreiz deutlich herabsetze, einer Gewerkschaft beizutreten, weil sie die Ergebnisse der Tarifpolitik auf praktisch alle branchenangehörigen Arbeitnehmer erstrecke und ihnen so ein „Trittbrettfahren“ ermögliche.44 Dies schwäche die Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften aus Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG45 erheblich und greife in das Kräftegleichgewicht der Koalitionen ein. Die Grundstruktur der verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie bestehe darin, zwischen Tarifgebundenen und Außenseitern zu unterscheiden,46 so dass die Bezugnahmeklausel die Gefahr schaffe, dass von diesem Grundprinzip des Tarifrechts faktisch wenig übrig bleibe.47 Des Weiteren wird angeführt, dass eine sich auf nachteilige Tarifnormen erstreckende Bezugnahme die durch Art. 9 Abs. 3 GG ebenfalls geschützte negative Koalitionsfreiheit der Tarifaußen42
Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 378, 398. Vgl. u. B.III., ab S. 62. Nömeier, Bezugnahme auf Tarifinhalte, S. 66; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 260; Thüsing/Lambrich, Tarifautonomie im Wandel, S. 123 (125). 44 Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 145 f., 157 (mit einer Relativierung der Auffassung der Vorauflage, vgl. Rn. 158 f.); Stein, AuR 2003, 361 (361 f.); Däubler, RdA 2002, 303 (306); Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 217; Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, S. 730. 45 Die Koalitionsfreiheit umfasst sowohl das Recht der spezifisch koalitionsmäßigen Betätigung, insbesondere die Tarifautonomie und das Streikrecht, sowie in ihrer negativen Form ein „Recht zum Fernbleiben“, d.h. einer Koalition nicht beizutreten oder aus ihr auszutreten, vgl. Jarass/Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 6 ff. m. w. N. und unten D.V.1., ab S. 171. 46 BAG v. 20.7.1960 – 4 AZR 199/59, AP Nr. 7 zu § 4 TVG. 47 Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 157. 43
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seiter verletzen könne.48 Schließlich führen andere urheberrechtliche Zweifel an.49 b) Zulässigkeit der Bezugnahme Die ganz überwiegende Auffassung50 hält die vertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge hingegen für mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar. Dies folge schon aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG, §§ 241, 311 BGB. Aus der grundsätzlichen Beschränkung der Tarifwirkung auf die Mitglieder der Tarifparteien könne nicht geschlossen werden, dass der Tarifvertrag gewissermaßen zum „Privateigentum“ werde, dessen Inhalt sich andere nicht zu eigen machen dürften.51 c) Bezugnahmeklauseln als Ausfluss der Privatautonomie Die Bedenken der Mindermeinung gegen die Zulässigkeit der Bezugnahme überzeugen nicht. Die Parteien üben durch die Vereinbarung der Bezugnahmeklausel ihre durch Art. 2 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützte Privatautonomie aus. Ein auf kollektiver Ebene geschlossener Vertrag, der nur gegenüber den Tarifparteien wirkt, hat keine derart weite Ausstrahlung, dass die Außenseiter in ihren individualrechtlichen Verträgen mit dem Arbeitgeber beschränkt werden. Die Tarifvertragsparteien sind nach allgemeiner Ansicht52 nicht zu einer Normsetzung für die Arbeitsverhältnisse der Außenseiter befugt. Einfachgesetzliche Bestimmungen, die vergleichbar § 77 Abs. 3 BetrVG eine Bezugnahme auf den Tarifvertrag untersagen würden, fehlen für das Arbeitsrecht.53 Die Stellung der Gewerkschaften wird nicht geschwächt, denn die Herbeiführung der unmittelbaren und zwingenden Tarifwirkung im Sinne der §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG setzt die Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers 48
Schüren, RdA 1988, 138 (148). Herschel, DB 1969, 659 (659). 50 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 73; Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, S. 731; Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (240 f.); Jacobs/Krause/ Oetker-Oetker, TarifvertragsR, § 6 Rn. 146; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 34 f.; Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 35; Thüsing/Lambrich, Tarifautonomie im Wandel, S. 123 (124); Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 217; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 178; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 287; Klagges, Bezugnahmeklausel und Betriebsübergang, S. 18. 51 Däubler, TarifvertragsR, Rn. 332. 52 BAG v. 29.11.1967 – GS 1/67, AP Nr. 13 zu Art. 9 GG (GS); WiedemannOetker, TVG, § 3 Rn. 289. 53 s. o. S. 45. 49
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voraus und schafft damit weiterhin einen Anreiz zum Gewerkschaftsbeitritt. Bezugnahmeklauseln hingegen können als Teil des Arbeitsvertrages jederzeit wieder geändert werden.54 Zudem bleibt den Arbeitnehmern ohne Mitgliedschaft verwehrt, die Tarifvertragsgestaltung durch die Verbände zu beeinflussen.55 Auch die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter wird nicht verletzt. Zum einen wäre eine Bezugnahme, die sich auf lediglich vorteilhafte Tarifnormen beschränkte, nicht mit der positiven Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften und ihrer Mitglieder zu vereinbaren, würde sie doch zum Gewerkschaftsaustritt motivieren.56 Außerdem handelt es sich bei der Bezugnahmeklausel um eine Abrede, die der Arbeitnehmer freiwillig trifft.57 Aus diesen Gründen verstößt die vertragliche Inbezugnahme von Tarifverträgen nicht gegen Art. 9 Abs. 3 GG. Urheberrechtliche Bedenken greifen ebenfalls nicht durch. Musterverträge genießen Urheberschutz, nicht aber Tarifverträge. Herrschender Meinung nach sind Tarifverträge als Rechtsnormen nicht von § 5 UrhG geschützt.58 Das BAG hat dies überzeugend aus dem Gesamtzusammenhang des Urhebergesetzes heraus begründet: § 5 Abs. 1 UrhG unterscheide nicht zwischen formellen und materiellen Gesetzen, und es bestehe die Möglichkeit einer Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG, so dass den Normen des Tarifvertrags potenziell allgemeine Bedeutung zukomme.59 Insgesamt gesehen sprechen damit die besseren Gründe für die rechtliche Zulässigkeit von Bezugnahmeklauseln. Diesen Eindruck bestätigen auch 54 BAG v. 29.1.1975 – 4 AZR 218/74, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 244; Däubler, TarifvertragsR, Rn. 339; Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, S. 734 f.; WHSS-Hohenstatt, E Rn. 175. 55 Ebeling, Bezugnahme, S. 44; v. Hoyningen-Huene, RdA 1974, 138 (152). 56 Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 33, unter Bezugnahme auf Reichel, Bezugnahme, S. 34 f., sowie Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (242). 57 Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 33. 58 BAG v. 11.11.1968 – 1 AZR 16/68, NJW 1969, 861 (861 f.); ErfK-Franzen, § 3 TVG Rn. 29; HWK-Henssler, § 3 TVG Rn. 18; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 33; Thüsing/Lambrich, Tarifautonomie im Wandel, S. 123 (124); dies., NZA 2002, 1361 (1362); Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 229, § 3 Rn. 277; Jacobs/ Krause/Oetker-Oetker, § 6 Rn. 147; Gaul, ZTR 1993, 355 (356); Nömeier, Bezugnahme auf Tarifinhalte, S. 65; Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 34. Anders ist die gesetzliche Wertung in der Schweiz: Dort dürfen die Tarifparteien als Preis für den Anschluss an den Tarifvertrag einen Solidaritätsbeitrag verlangen, der nach Art. 356b II OR einer richterlichen Angemessenheitskontrolle unterliegt, Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1724 m. w. N. A. A. auch Leydecker, GRUR 2007, 1030 (1031 ff.). 59 BAG v. 11.11.1968 – 1 AZR 16/68, NJW 1969, 861 (861 f.). Ebenso Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 33.
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mehrere arbeitsrechtliche Normen, z. B. § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 NachwG60 oder die tarifdispositiven Vorschriften,61 die auch die Ermächtigung zu einer arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf den jeweils einschlägigen Tarifvertrag zum Inhalt haben.62 § 613a Abs. 1 S. 2 BGB ordnet ausdrücklich eine Transformation von Tarifnormen in das Einzelarbeitsverhältnis an, so dass die Übernahme tariflicher Regelungen in das Einzelarbeitsverhältnis nach dem Willen des Gesetzgebers zulässig sein muss.63 Besonders deutlich wird dies in § 613a Abs. 1 S. 4 BGB, der ausdrücklich die „Vereinbarung“ der Anwendung eines Tarifvertrages zwischen dem Betriebserwerber und dem Arbeitnehmer – die lediglich auf vertraglicher, nicht aber kollektivrechtlicher Ebene erfolgen kann – vorsieht. Zu erwägen ist allerdings, ob die Tarifvertragsparteien verbandsrechtlich den Gebrauch von Bezugnahmeklauseln untersagen können.64 Hiergegen lässt sich jedoch einwenden, dass dies auf eine unzulässige Differenzierungsklausel hinausliefe, da der Arbeitgeber den Außenseitern unter Zwang schlechtere Arbeitsbedingungen zumuten müsste, als sie der Tarifvertrag vorsieht.65 Selbst wenn man aufgrund der allgemeinen Handlungsfreiheit und Privatautonomie der Tarifvertragsparteien von der Zulässigkeit einer derartigen (schuldrechtlichen) Tarifabrede ausginge, hätte sie nur Innenwirkung gegenüber dem hiergegen verstoßenden Arbeitgeber (sofern Tarifvertragspartei) oder dem Arbeitgeberverband; sie ließe die Wirksamkeit der individualvertraglichen Bezugnahme jedoch unberührt.66
II. Abschluss von Bezugnahmeklauseln Bezugnahmeklauseln lassen sich in verschiedener Weise gestalten. In jedem Fall ergeben sich aber gewisse Formerfordernisse. 1. Zustandekommen Tarifverträge können ausdrücklich oder konkludent, durch Gesamtzusage oder kraft betrieblicher Übung in Bezug genommen werden.67 60
s. u. B.II.2., ab S. 59. s. o. B.I.1.a), ab S. 41. 62 Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 34; Ebeling, Bezugnahme, S. 39; WiedemannOetker, TVG, § 3 Rn. 286; Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1362). 63 Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 286. 64 Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 217. 65 Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 278; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 289. Zu Differenzierungsklauseln vgl. Hanau, FS Hromadka, S. 115 ff. 66 Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 289; Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 217. 61
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a) Ausdrückliche Verweisung In der Regel erfolgt die Bezugnahme aufgrund einer ausdrücklichen Vereinbarung. Da es insofern eine explizit formulierte Absprache der Parteien gibt, ist dies die unproblematischste Form der Verweisung.68 b) Konkludente Verweisung Auch wenn eine explizite Vereinbarung fehlt, werden gleichwohl häufig tarifliche Leistungen erbracht, wenn z. B. der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer „nach Tarif“ bezahlt und dies von den Arbeitnehmern akzeptiert wird.69 Ebenso ist es möglich, dass die Arbeitnehmer sich auf Regelungen des Tarifvertrags berufen und der Arbeitgeber nicht widerspricht.70 Die herrschende Meinung71 in Rechtsprechung und Literatur bejaht die Möglichkeit einer stillschweigenden Bezugnahme. Da dem Schweigen des Arbeitgebers durch das Gesetz jedoch keine (fingierte) Erklärung beigemessen werde, müsse zumindest ein bestimmtes Verhalten des Arbeitgebers vorliegen, um von einer stillschweigend begründeten Vertragsgestaltung sprechen zu können.72 Vereinzelt wendet man im Schrifttum gegen die Möglichkeit einer konkludenten Bezugnahme ein, dass sie faktisch das Schriftformgebot des § 1 Abs. 2 TVG unterlaufe.73 Zudem wird in Zweifel gezogen, ob die Entgegennahme begünstigender tariflicher Leistungen bereits einen rechts67 BAG v. 19.1.1999 – 1 AZR 606/98, NZA 1999, 879 (881); BAG v. 11.8.1988 – 2 AZR 53/88, NZA 1989, 595 (596); LAG Hamburg v. 7.6.1995 – 4 Sa 115/94, AuR 1996, 75 (76); Kania, NZA, Sonderbeilage zu Heft 3/2000, 45 (45); Annuß, BB 1999, 2558 (2562); ErfK-Franzen, § 3 TVG Rn. 30; Gaul, ZfA 2003, 75 (78). 68 Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, S. 733; Gaul, ZTR 1993, 355 (356); Schaub, Arbeitsrechts-HB, § 208 Rn. 10. 69 Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (258). 70 Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (258); Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht II, § 13 Rn. 260. 71 BAG v. 19.1.1999 – 1 AZR 606/98, NZA 1999, 879 (881); BAG v. 11.8.1988 – 2 AZR 95/88, AP Nr. 70 zu § 1 TVG Tarifverträge Metallindustrie; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 180; Schaub, ZTR 2000, 259 (262); Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht II, § 13 Rn. 260; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 295; Jacobs/ Krause/Oetker-Oetker, TarifvertragsR, § 6 Rn. 152; Däubler, TarifvertragsR, Rn. 335. A. A. Kempen/Zachert, TVG, 3. Aufl., § 3 Rn. 73. 72 Gaul, ZTR 1991, 188 (191); Mayer, Betriebsübergang, S. 189. Problematisch ist in diesen Fällen meist die Bestimmung des Bezugsobjekts, d.h. ob der gesamte Tarifvertrag oder nur Teile daraus Inhalt der stillschweigend zustande gekommenen Bezugnahme werden, vgl. BAG v. 19.1.1999 – 1 AZR 606/98, NZA 1999, 879 (881); Annuß, BB 1999, 2558 (2562); Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1258). 73 So noch Kempen/Zachert, TVG, 3. Aufl., § 3 Rn. 73 – aufgegeben von Kempen/Zachert-Stein, TVG, 4. Aufl. 2006, § 3 Rn. 161.
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geschäftlichen Willen erkennen lasse, die in demselben Tarifvertrag bestehenden nachteiligen Bestimmungen ebenfalls anerkennen zu wollen.74 Dem ist entgegenzuhalten, dass das tarifliche Schriftformgebot des § 1 Abs. 2 TVG bei einer arbeitsvertraglichen Verweisung keine Rolle spielt.75 Die Norm bezieht sich ausschließlich auf § 4 Abs. 1 TVG und soll wegen des Normcharakters des Tarifvertrags sicherstellen, dass die Normunterworfenen, die an der Entstehung des Tarifvertrags nicht unmittelbar beteiligt sind, Zugang zu dem für sie maßgeblichen Tarifrecht erlangen.76 Die Bezugnahme hingegen ist ein individualvertraglicher Akt,77 für den eine stillschweigende Regelung möglich und ausreichend ist. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob in der Entgegennahme begünstigender tariflicher Leistungen bereits der rechtsgeschäftliche Wille zum Ausdruck kommt, auch die in demselben Tarifvertrag bestehenden nachteiligen Bestimmungen anerkennen zu wollen. Dies kann nicht ohne Weiteres angenommen werden. Vielmehr ist in jedem Einzelfall durch genaue Analyse zu ermitteln, ob ein entsprechender Wille der Arbeitnehmer vorhanden ist. Dies kann jedoch wegen der fehlenden vertraglichen Fixierung zu erheblichen Schwierigkeiten führen.78 c) Verweisung durch Gesamtzusage Die Bezugnahme auf tarifliche Normen ist auch durch eine Gesamtzusage möglich.79 Eine Gesamtzusage stellt eine Willenserklärung des Arbeitgebers (z. B. am „Schwarzen Brett“ oder im Intranet) gegenüber der Gesamtbelegschaft oder Teilen der Belegschaft dar, wobei die Annahme konkludent erklärt wird und ein Zugang beim Arbeitgeber nicht erforderlich ist (vgl. § 151 BGB).80 So kann der Arbeitgeber etwa erklären, dass „alle Ar74
Preis, Vertragsgestaltung, S. 393. BAG v. 19.1.1999 – 1 AZR 606/98, NZA 1999, 879 (881); ebenso Henssler, FS 50 Jahre BAG, S. 683 (694 f.); Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, S. 733; Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 239; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 50; WiedemannOetker, TVG, § 3 Rn. 295. A. A. Kempen/Zachert, TVG, 3. Aufl., § 3 Rn. 73. 76 BAG v. 19.10.1976 – 1 AZR 611/75, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form.; BAG v. 19.1.1999 – 1 AZR 606/98, NZA 1999, 879 (881); Ebeling, Bezugnahme, S. 18; Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1367). 77 s. u. B.III., ab S. 62. 78 Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (258 ff.); Ebeling, Bezugnahme, S. 19. 79 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 81; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 187; Ebeling, Bezugnahme, S. 27. 80 BAG (GS) v. 16.9.1986 – GS 1/82, AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972; DäublerZwanziger, TVG, § 4 Rn. 1044; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 81; Ebeling, Bezugnahme, S. 28. 75
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beitnehmer des Betriebs ohne Rücksicht auf die Gewerkschaftszugehörigkeit nach den Maßstäben des einschlägigen Tarifvertrags mit dem jeweils geltenden Inhalt“ behandelt werden sollen.81 Die gesamte Regelung wird vom Willen des Arbeitgebers und des einzelnen Arbeitnehmers getragen und bewirkt daher allein auf individualrechtlicher Grundlage eine Rechtsbindung.82 d) Verweisung kraft betrieblicher Übung Eine Inbezugnahme des Tarifvertrags aufgrund betrieblicher Übung ist ebenfalls denkbar.83 aa) Begriff Eine betriebliche Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers (z. B. Zahlung von Urlaubs- oder Weihnachtsgeld), aus der die Arbeitnehmer schließen dürfen, dass ihnen eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden soll.84 Gewährt der Arbeitgeber wiederholt, i. d. R. mindestens dreimal (bei jährlichen Leistungen mindestens drei Jahre lang), eine gleichförmige Leistung, entsteht nach herrschender Ansicht der Rechtsprechung auch ohne eine ausdrückliche vertragliche Regelung aus diesem als Willenserklärung zu wertenden Verhalten, das von den Arbeitnehmern stillschweigend (§ 151 BGB) angenommen wird, ein Anspruch in den Folgejahren (sog. Vertragstheorie).85 Die Gegen81 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 81; Gaul, ZTR 1991, 188 (190); Ebeling, Bezugnahme, S. 27. 82 Ebeling, Bezugnahme, S. 28; Däubler-Zwanziger, TVG, § 4 Rn. 1047. 83 BAG v. 8.12.1960 – 5 AZR 304/58, AP Nr. 1 zu § 611 BGB Wegezeit; BAG v. 11.6.1975 – 5 AZR 206/74, EzA Nr. 1 zu § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; Annuß, BB 1999, 2558 (2562); Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 296 ff.; Preis, Vertragsgestaltung, S. 393; Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1367); Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 80, 299 f.; Däubler, TarifvertragsR, Rn. 345; Gaul, ZTR 1991, 188 (191). Kritisch Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 220 ff. 84 BAG v. 26.3.1997 – 10 AZR 612/96, AP Nr. 50 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG v. 4.5.1999 – 10 AZR 290/98, AP Nr. 55 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG v. 20.1.2004 – 9 AZR 43/03, AP Nr. 65 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; ErfK-Preis, § 611 BGB Rn. 220; Lieb/Jacobs, ArbeitsR, Rn. 53 ff. 85 Vgl. BAG v. 1.3.1972 – 4 AZR 200/71, AP Nr. 11 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG v. 14.8.1996 – 10 AZR 69/96, AP Nr. 47 zu § 242 Betriebliche Übung; BAG v. 21.1.1997 – 1 AZR 572/96, NZA 1997, 1009 (1011); BAG v. 28.7.2004 – 10 AZR 19/04, NZA 2004, 1152 (1153). BAG v. 9.12.1981 – 4 AZR 312/79, AP Nr. 8 zu § 4 BAT; BAG v. 24.3.1993 – 5 AZR 16/92, AP Nr. 38 zu § 242 BGB Betriebliche Übung.
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
ansicht im Schrifttum, die sog. Vertrauenstheorie, begründet die Rechtsbindung des Arbeitgebers damit, dass er durch sein Verhalten ein schutzwürdiges Vertrauen der Arbeitnehmer auf die Fortsetzung des bisherigen Verhaltens erwecke.86 Ein Freiwilligkeitsvorbehalt, mit dem der Arbeitgeber zum Ausdruck bringt, dass ihm der Verpflichtungswille fehlt, kann das Entstehen einer betrieblichen Übung jedoch verhindern.87 Behält sich der Arbeitgeber den Widerruf der Leistung vor, steht dies der Entstehung einer betrieblichen Übung nicht entgegen; der Arbeitgeber kann sich dann allerdings durch einen einseitigen Widerruf für die Zukunft von ihr lösen.88 Grundsätzlich ist eine Bezugnahme auf einen Tarifvertrag kraft betrieblicher Übung denkbar: Werden die Außenseiter wiederholt in gleicher Weise wie die Organisierten behandelt, z. B. durch Anwendung tariflicher Urlaubsregelungen, so ist zu klären, ob und in welchem Umfang durch eine derartige Praxis eine Bindung an aktuelle oder auch zukünftige Tarifverträge entsteht. Eine Bezugnahme kraft betrieblicher Übung scheidet in jedem Fall aus, wenn im Arbeitsvertrag ein „doppeltes“ Schriftformerfordernis vereinbart wurde,89 d.h. dass die Abbedingung des Schriftformerfordernisses ihrerseits der Schriftform bedarf.90 Anders verhält es sich hingegen mit einer einfachen Schriftformklausel, gemäß derer Vertragsänderungen der Schriftform bedürfen. Sie kann jederzeit formlos und stillschweigend aufgehoben werden.91 Eine betriebliche Übung scheidet ferner aus, wenn der Arbeitgeber die Leistungen für den Arbeitnehmer erkennbar aufgrund einer anderen, und sei es auch tatsächlich nicht bestehenden Rechtspflicht erbringen wollte, so z. B., wenn er glaubte, (nur) eine tarifliche Verpflichtung umzusetzen.92 86 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 386 ff.; ErfKPreis, § 611 BGB Rn. 221; Lieb/Jacobs, ArbeitsR, Rn. 55. 87 Vgl. BAG v. 6.9.1994 – 9 AZR 672/92, AP Nr. 45 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; Bepler, RdA 2005, 323 (325); ErfK-Preis, § 611 BGB Rn. 222; HWK-Thüsing, § 611 BGB Rn. 230. 88 BAG v. 11.4.2000 – 9 AZR 255/99, NZA 2001, 24 (25); BAG v. 14.6.1995 – 5 AZR 126/94, NZA 1995, 1194 (1097 ff.). 89 s. hierzu Palandt-Heinrichs/Ellenberger, BGB, § 125 Rn. 14 m. w. N. 90 BAG v. 24.6.2003 – 9 AZR 302/02, NJW 2003, 3725 (3727); BAG v. 27.3.1987 – 7 AZR 527/85, AP Nr. 29 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; HWKThüsing, § 611 BGB Rn. 232. A. A. ErfK-Preis, §§ 125–127 BGB Rn. 41; ErmanPalm, BGB, § 125 Rn. 9; Soergel-Hefermehl, BGB, § 125 Rn. 33. 91 BAG v. 7.9.1982 – 3 AZR 5/80, AP Nr. 1 zu § 3 TV Arb Bundespost; BAG v. 28.10.1987 – 5 AZR 518/85, NZA 1998, 425 (426); BAG v. 24.6.2003 – 9 AZR 302/02, NJW 2003, 3725 (3727); BAG v. 18.9.2002 – 1 AZR 477/01, AP Nr. 59 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; HWK-Thüsing, § 611 BGB Rn. 232; ErfKPreis, §§ 125–127 BGB Rn. 41.
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bb) Zulässigkeit Die Möglichkeit einer Bezugnahme kraft betrieblicher Übung wird von der ganz herrschenden Meinung anerkannt.93 Die Gegenansicht lehnt sie jedoch unter dem Hinweis ab, die Anerkennung einer Bezugnahme durch betriebliche Übung führe zu widersprüchlichen Ergebnissen: Während Betriebsvereinbarungen mit derartigen Klauseln unzulässig seien, erhielte man über eine betriebsweit praktizierte stillschweigende Bezugnahme dennoch eine gültige Anwendung der Tarifvorschriften.94 Für diese Ansicht spricht zunächst § 77 Abs. 3 BetrVG, der eine Sperrwirkung für Betriebsvereinbarungen und damit auch für Verweisungen in Betriebsvereinbarungen begründet.95 Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, können nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. § 77 Abs. 3 BetrVG begründet also einen grundsätzlichen Vorrang des Tarifvertrags vor der Betriebsvereinbarung.96 § 77 Abs. 3 BetrVG soll die Tarifautonomie vor der Betriebsautonomie schützen, konkret Tarifparteien vor einer Konkurrenz durch die Betriebsparteien.97 Er bezweckt, eine Ausdehnung der Geltung des Tarifvertrages auf sämtliche betriebsangehörige Arbeitnehmer außerhalb des hierfür vorgesehenen Weges der Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG zu verhindern.98 Zugleich spielt in dieses 92 BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 653/05, DB 2007, 2598 (2600); BAG v. 26.9.2007 – 5 AZR 808/06, NZA 2008, 179 (181); s. auch Gaul/Naumann, DB 2007, 2594 (2596); Jacobs/Willemsen, JbArbR, Bd. 45, S. 47 (51). 93 BAG v. 3.11.2004 – 5 AZR 622/03, NZA 2005, 1208 Os.; BAG v. 20.6.2001 – 4 AZR 290/00, NZA 2002, 352 Os.; BAG v. 9.2.2005 – 5 AZR 284/04, n. v.; BAG v. 28.9.2005 – 5 AZR 565/04, NZA 2006, 107; Jacobs/Krause/Oetker-Oetker, TarifvertragsR, § 6 Rn. 222; Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 272; Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (258 ff.); Annuß, ZfA 2005, 405 (439); Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1367); Gaul, ZTR 1991, 188 (190); Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 79; Sutschet, NZA 2008, 679 (682). 94 Kempen/Zachert, TVG, 3. Aufl., § 3 Rn. 106. 95 BAG v. 9.4.1991 – 1 AZR 406/90, AP Nr. 1 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt; BAG v. 29.1.2002 – 1 AZR 267/01, EzA Nr. 71 zu § 77 BetrVG 1972; ErfK-Franzen, § 3 TVG Rn. 30. 96 BAG v. 26.2.1986 – 4 AZR 535/84, AP Nr. 12 zu § 4 TVG Ordnungsprinzip; ErfK-Kania, § 77 BetrVG Rn. 40; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 77 Rn. 97. 97 BAG v. 24.2.1987 – 1 ABR 18/85, AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972; BAG v. 29.10.2002 – 1 AZR 573/01, AP Nr. 18 zu § 77 BetrVG Tarifvorbehalt; BAG v. 21.1.2003 – 1 ABR 9/02, AP Nr. 1 zu § 21a BetrVG 1972; ErfK-Kania, § 77 BetrVG Rn. 41. 98 BT-Drs. 6/1786, S. 47; BAG v. 3.12.1991 – GS 2/90, AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; Ebeling, Bezugnahme, S. 24.
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Verhältnis mit hinein, dass der Betriebsrat sich seiner Regelungsaufgabe nicht dadurch entziehen darf, dass er die Gestaltung der betrieblichen Rechtsverhältnisse anderen (nämlich den Tarifparteien) überlässt.99 Es ist jedoch zu bezweifeln, ob diese Aspekte eine Bezugnahme kraft betrieblicher Übung unzulässig machen. Die Betriebsübung bewirkt zwar einheitliche Regelungen auf der gesamten Betriebsebene, so dass sie zur kollektiven Ordnung des Arbeitsverhältnisses zu zählen ist und sich damit von der Individualübung unterscheidet.100 Dies ändert jedoch nichts an dem Umstand, dass die Betriebsübung ein rein individualvertragliches Instrument ist. In ihrer Rechtsnatur und -wirkung ist sie nicht mit einer Betriebsvereinbarung vergleichbar. Die Unzulässigkeit der Bezugnahme in Betriebsvereinbarungen sagt nichts über die Wirksamkeit der Bezugnahme kraft betrieblicher Übung aus. Sowohl die Parteien als auch die Wirkung der betrieblichen Übung und der Betriebsvereinbarung unterscheiden sich. Insofern kann es auch nicht zu einer Umgehung eines Verbots der Bezugnahme durch Betriebsvereinbarung kommen. Ein Widerspruch zum Recht der Betriebsvereinbarung besteht daher nicht, so dass eine Unzulässigkeit der Bezugnahme kraft betrieblicher Übung hieraus nicht abzuleiten ist.101 Die Bezugnahme kraft betrieblicher Übung ist daher zulässig. Zu beachten ist, dass eine im Betrieb praktizierte Übung auch den Rechtscharakter einer ausdrücklich vereinbarten Bezugnahmeklausel verändern kann: War z. B. ursprünglich eine statische Bezugnahmeklausel vereinbart, gibt der Arbeitgeber jedoch in der Folge wiederholt und vorbehaltlos Tariflohnerhöhungen an seine Arbeitnehmer weiter, wandelt sich die statische Bezugnahmeklausel in eine dynamische.102 cc) Umfang der Bezugnahme Bejaht man die Möglichkeit der Bezugnahme durch betriebliche Übung, schließen sich zahlreiche Folgeprobleme an; denn je weniger vertraglich fixiert ist, desto größer werden die Auslegungsschwierigkeiten.103 Die Unsicherheiten, die eine Bezugnahme durch betriebliche Übung nach sich zieht, sind daher groß. Mangels Rechtssicherheit ist den Arbeitgebern von einer Bezugnahme kraft betrieblicher Übung abzuraten. 99 BAG v. 22.3.1994 – 1 ABR 47/93, EzA Nr. 10 zu § 4 TVG Geltungsbereich; BAG v. 23.6.1992 – 1 ABR 9/92, AP Nr. 55 zu § 77 BetrVG 1972; Ebeling, Bezugnahme, S. 23. 100 MüHdbArbR-Richardi, Bd. 1, § 13 Rn. 3; Ebeling, Bezugnahme, S. 20. 101 So nun auch Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 222 in Korrektur der Voraufl. 102 Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (260). 103 Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (259).
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Besondere Probleme bereitet in der betrieblichen Praxis die Frage, in welchem Umfang eine Bezugnahme kraft betrieblicher Übung besteht. Zu diesem Zweck ist stets zu prüfen, wie weit der Rechtsbindungswille des Arbeitgebers geht104 bzw. worauf die Arbeitnehmer (im Sinne der Vertrauenstheorie) vertrauen können.105 Bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber tendiert die Rechtsprechung im Sinne eines pars pro toto dazu, aus der Anwendung „wesentlicher“ Tarifbedingungen zu schließen, dass das Arbeitsverhältnis insgesamt dem einschlägigen Tarifvertrag unterliegen soll – es sei denn, besondere Umstände sprächen dagegen, beispielsweise die Nichtgewährung bestimmter tariflicher Leistungen an Außenseiter.106 Bei einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber geht sie hingegen eher von einer eingeschränkten Bezugnahme auf den Tarifvertrag aus, da der Arbeitgeber sich bewusst gegen einen Verbandsbeitritt entschieden habe.107 Neben der Frage des sachlichen Umfangs lässt sich in der Praxis oftmals nur schwer feststellen, ob die wiederholte Zahlung nach Tarif einer statischen oder einer dynamischen Bezugnahmeklausel entsprechen soll. Das BAG legt dies anhand der langjährigen – über drei Jahre hinausgehenden – Praxis des betreffenden Arbeitgebers aus und prüft, ob er in dieser Zeit Tarifänderungen stets uneingeschränkt nachvollzogen hat.108 Hierbei nimmt das BAG bei einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber eine betriebliche Übung, Löhne und Gehälter entsprechend der Tarifentwicklung in einem bestimmten Tarifgebiet zu erhöhen, nur an, wenn es deutliche Anhaltspunkte im Verhalten des Arbeitgebers dafür gibt, dass er auf Dauer die von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Tariflohnerhöhungen übernehmen will.109 Ansonsten entsteht mit einer in Anlehnung an 104
Bauer/Diller, DB 1993, 1085 (1087); Schwab, BB 1994, 781 (785). Däubler, NZA 1996, 225 (228). 106 BAG v. 3.11.2004 – 4 AZR 541/03, n. v.; BAG v. 19.1.1999 – 1 AZR 606/98, NZA 1999, 879 (882). So auch Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1258); Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 297; Jacobs/Krause/Oetker-Oetker, TarifvertragsR, § 6 Rn. 154; Henssler, FS 50 Jahre BAG, S. 683 (697, 699). 107 BAG v. 19.1.1999 – 1 AZR 606/98, NZA 1999, 879 (882); ebenso Wiedemann/Oetker, TVG, § 3 Rn. 297; Henssler, FS 50 Jahre BAG, S. 683 (699 f.); Jacobs/Krause/Oetker-Oetker, TarifvertragsR, § 6 Rn. 154; Jacobs/Willemsen, JbArbR, Bd. 45, S. 47 (50). 108 BAG v. 3.11.2004 – 5 AZR 622/03, NZA 2005, 1208 Os.; BAG v. 20.6.2001 – 4 AZR 290/00, NZA 2002, 352 Os.; BAG v. 9.2.2005 – 5 AZR 284/04, n. v.; BAG v. 28.9.2005 – 5 AZR 565/04, NZA 2006, 107; Henssler, FS 50 Jahre BAG, S. 683 (696 f.); Schliemann, ZTR 2004, 502 (507); Giesen, NZA 2006, 625 (628). 109 BAG v. 16.1.2002 – 5 AZR 715/00, NZA 2002, 632 (633); BAG v. 3.11.2004 – 5 AZR 622/03, AP Nr. 28 zu § 611 BGB Lohnanspruch; Schliemann, NZA, Sonderbeilage zu Heft 16/2003, 3 (4); Giesen, NZA 2006, 625 (628); Jacobs/Krause/ 105
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eine Tariflohnerhöhung erfolgten freiwilligen Lohnsteigerung lediglich ein Anspruch des Arbeitnehmers auf (statische) Fortzahlung dieses erhöhten Lohnes, nicht aber zugleich eine Verpflichtung des Arbeitgebers, auch künftige Tariflohnerhöhungen weiterzugeben.110 Bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber ist hingegen davon auszugehen, dass die Bezugnahme kraft betrieblicher Übung im Regelfall dynamisch ist, d.h. dass Änderungen des Tarifvertrags von vornherein nachvollzogen werden oder ein entsprechender Anspruch der einzelnen Beschäftigten hierauf entsteht.111 Im Rahmen der Bezugnahme kraft betrieblicher Übung stellt sich auch die praktisch höchst bedeutsame Frage, ob tarifvertragliche Ausschlussfristen vom Umfang der Inbezugnahme mit erfasst sind. Bei einem Gewerkschaftsmitglied würde die Unanwendbarkeit der Ausschlussfrist auf vertraglicher Ebene ansonsten einen Anspruch auf die tarifliche Leistung gewähren, obwohl ein solcher auf normativer Ebene gar nicht mehr besteht. Nach Ansicht der Rechtsprechung wird wegen des unmittelbaren Sachzusammenhangs zwischen einer tariflichen Regelung und der für sie bestehenden Ausschlussfrist daher auch letztere von der Bezugnahme erfasst.112 Die Ausschlussklausel werde ipso iure Teil der in Bezug genommenen tariflichen Lohnabrede.113 Vor dem Hintergrund der Unsicherheiten, die sich bei der Bestimmung des Umfangs einer Bezugnahme kraft betrieblicher Übung ergeben, kann der Praxis nur die ausdrückliche vertragliche Vereinbarung der Bezugnahme empfohlen werden. In jedem Fall ist von Seiten der Arbeitgeber zu bedenken, dass die Bezugnahme kraft betrieblicher Übung die Arbeitsvertragsbedingungen verOetker-Oetker, TarifvertragsR, § 6 Rn. 153; Hanau, NZA 2005, 489 (489); Henssler, FS 50 Jahre BAG, S. 683 (695 f.). 110 BAG v. 20.6.2001 – 4 AZR 290/00, EzA Nr. 45 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG v. 16.1.2002 – 5 AZR 715/00, NZA 2002, 632 (633); BAG v. 3.11.2004 – 5 AZR 622/03, AP Nr. 28 zu § 611 BGB Lohnanspruch; Schliemann, NZA, Sonderbeilage zu Heft 16/2003, 3 (4); HWK-Thüsing, § 611 BGB Rn. 237. 111 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 120; Hanau, NZA 2005, 489 (489); Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 216; Gaul, ZfA 2005, 75 (78); Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 296; Jacobs/Krause/Oetker-Oetker, TarifvertragsR, § 6 Rn. 153; Henssler, FS 50 Jahre BAG, 683 (697) (dynamische Bindung jedoch nur im Rahmen eines postulierten Gleichstellungszwecks). A. A. Sutschet, NZA 2008, 679 (686) (zeitlich statische Wirkung). 112 Vgl. BAG v. 19.1.1999 – 1 AZR 606/98, NZA 1999, 879 (881 f.); BAG v. 17.4.2002 – 5 AZR 89/01, AP Nr. 6 zu § 2 NachwG. Vgl. auch Annuß, ZfA 2005, 405 (443); Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 224; Gaul, ZfA 2003, 79 f.; Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (259); Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1367). 113 Ebenso Thüsing, AGB-Kontrolle im ArbR, Rn. 200; Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (259); Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1367).
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ändert. Die Arbeitgeber müssen insofern ihrer Pflicht nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 NachwG nachkommen.114 2. Formerfordernis Hinsichtlich der Formbedürftigkeit der arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf den Tarifvertrag kommen verschiedene Formvorschriften in Betracht. a) Grundsätzliche Formfreiheit Die Verweisung auf einen Tarifvertrag ist grundsätzlich formfrei möglich.115 Praktisch relevant ist dies insbesondere für eine konkludente Bezugnahme oder eine Bezugnahme kraft betrieblicher Übung, die ansonsten stets wegen Formnichtigkeit scheitern würden.116 Das tarifliche Schriftformerfordernis in § 1 Abs. 2 TVG spielt für die Wirksamkeit der Bezugnahmeklausel keine Rolle.117 Der in Bezug genommene Tarifvertrag muss aber eindeutig bestimmbar sein.118 b) Ausnahmen Etwas anderes gilt jedoch für die Fälle eines gesetzlichen Formerfordernisses, wie es § 101 Abs. 2 S. 3 ArbGG und die gesetzlichen Bezugnahmeermächtigungen der § 2 Abs. 2 S. 1 AltersteilzeitG, § 7 Abs. 3 S. 1 ArbZG, § 21a Abs. 2 JArbSchG und § 89a Abs. 2 SeemG vorsehen.119 Hierbei ist die Regelung, für deren Inbezugnahme die Schriftform jeweils angeordnet ist, schriftlich aufzunehmen.120 114
s. u. B.II.2.c), ab S. 59. BAG v. 19.1.1999 – 1 AZR 606/98, NZA 1999, 879 (881); ErfK-Franzen, § 3 TVG Rn. 31; Schaub, ArbR-Hdb., § 208 Rn. 14; Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, S. 733; HWK-Henssler, § 3 TVG Rn. 19; Reichel, Bezugnahme, S. 8; Gaul, ZfA 2003, 75 (77); Ebeling, Bezugnahme, S. 4. 116 s. o. B.II.1.b), B.II.1.d), ab S. 49 und 51. 117 s. bereits o. S. 50. Ebenso Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, S. 733; Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 239; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 50; Klagges, Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang, S. 18. A. A. Kempen/Zachert, TVG, 3. Aufl., § 3 Rn. 73. 118 BAG v. 8.3.1995 – 10 AZR 27/95, AP Nr. 5 zu § 1 TVG-Verweisungstarifvertrag; HWK-Henssler, § 3 TVG Rn. 19; Fink, Arbeitgeberwechsel, S. 149; Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 160. 119 Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 50. Vgl. o. B.I.1.a), ab S. 41. 120 Ebeling, Bezugnahme, S. 15; diff. Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 50. 115
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Besonderheiten gelten auch für die Inbezugnahme tarifvertraglicher Befristungsregelungen gemäß § 14 Abs. 4 TzBfG, wobei strittig ist, ob die bloße (schriftliche) Bezugnahme auf den die Befristung enthaltenden Tarifvertrag ausreicht oder ob vor dem Hintergrund der Warnfunktion des § 14 Abs. 4 TVG die Befristungsregel in den schriftlichen Arbeitsvertrag aufzunehmen ist.121 Eine weitere Ausnahme von der grundsätzlichen Formfreiheit soll gelten, wenn der in Bezug genommene Tarifvertrag die Schriftform für die Begründung des Arbeitsverhältnisses zur Bedingung macht.122 Diese Annahme ist jedoch fragwürdig. Die Bezugnahme kann nur dann dem tariflichen Formerfordernis unterliegen, wenn der Tarifvertrag bereits unabhängig von der individualvertraglichen Bezugnahme Geltung für das Arbeitsverhältnis beansprucht – z. B. bei beiderseitiger Tarifbindung der Arbeitsvertragsparteien oder der Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrags nach § 5 TVG.123 Die Anwendbarkeit der in Bezug genommenen tariflichen Formvorschrift setzt nämlich gerade die Wirksamkeit der Bezugnahme voraus; sie kann nicht zugleich zur Unwirksamkeit der Bezugnahme führen.124 Dies wäre ein unzulässiger Zirkelschluss. Zudem kann in einer formlosen Bezugnahme durchaus zugleich eine stillschweigende Abbedingung bzw. Einschränkung der im Tarifvertrag enthaltenen, jedoch nur als Vertragsbestandteil wirkenden, Formvorschrift gesehen werden.125 Gleiches gilt, wenn die Arbeitsvertragsparteien ein (einfaches) Schriftformgebot vereinbart hatten; auch dieses kann jederzeit konkludent zurückgenommen werden.126
121 Für die schriftliche Aufnahme in den Arbeitsvertrag HWK-Schmalenberg, § 14 TzBfG Rn. 135; Kliemt, Formerfordernisse, S. 331 f.; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 50 f.; Preis/Gotthardt, NZA 2000, 348 (358); Ebeling, Bezugnahme, S. 11 ff.; Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 92 ff. A. A. ErfK-MüllerGlöge, § 14 TzBfG Rn. 117. Für den insoweit ähnlichen Fall des § 623 BGB vgl. Ebeling, Bezugnahme, S. 10 ff.; Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1257). 122 Reichel, Bezugnahme, S. 8; Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 239; Gussen, FA 2001, 201 (205); Schaub, ArbR-Hdb., § 208 Rn. 14. 123 Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 51, unter Hinweis auf Ebeling, Bezugnahme, S. 5, Stein, TarifvertragsR, Rn. 230 m. Fn. 77. 124 Ebenso Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 51; Ebeling, Bezugnahme, S. 5. I. Erg. ebenso Klagges, Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang, S. 19. 125 Kliemt, Formerfordernisse, S. 328; Ebeling, Bezugnahme, S. 5. 126 Erman-Palm, BGB, § 125 Rn. 9; Palandt-Heinrichs/Ellenberger, BGB, § 125 Rn. 14; Klagges, Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang, S. 19. Kritisch Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 161. Vgl. auch bereits o. S. 52.
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c) Anforderungen des Nachweisgesetzes (NachwG) Gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 NachwG hat der Arbeitgeber in der von ihm gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 NachwG anzufertigenden Niederschrift der wesentlichen Vertragsbedingungen auch einen „in allgemeiner Form gehaltenen Hinweis“ auf die anzuwendenden Tarifverträge zu geben. Der Begriff der „anzuwendenden Tarifverträge“ umfasst die kraft Bezugnahme anwendbaren Tarifverträge.127 Nach der Gegenansicht stellen die arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifnormen zumindest „wesentliche Vertragsbedingungen“ dar und bedürfen als solche ebenfalls des Nachweises.128 Bei der Begründung von Berufsausbildungsverhältnissen tritt die Hinweispflicht gemäß § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 BBiG hinzu.129 Die Verpflichtung, die Tarifverträge nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 NachwG zu benennen, hat erhebliche Bedeutung für die Differenzierung zwischen kleinen und großen dynamischen Klauseln.130 Kleine dynamische Klauseln genügen stets den Anforderungen des NachwG, da sie die anzuwendenden Tarifverträge namentlich bezeichnen.131 Als schwieriger erweist sich dies im Falle großer dynamischer Bezugnahmeklauseln. Der Vierte Senat lässt die Auslegung einer Klausel als Tarifwechselklausel nur zu, wenn der Wortlaut der Klausel dies mit den Worten „die jeweils geltenden Tarifverträge“ zweifellos vorgibt. Hingegen soll eine solche Klausel den Anforderungen des § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 NachwG nur genügen, wenn zugleich klarstellend der aktuell maßgebliche Tarifvertrag genannt ist.132 Außerdem sind Veränderungen des Tarifwerks insgesamt oder in Teilen, wie sie bei jeder dynamischen Verweisung erfolgen, nach § 3 NachwG mitzuteilen.133 Die große dynamische Klausel sollte daher den 127
BAG v. 23.1.2002 – 4 AZR 56/01, AP Nr. 5 zu § 2 NachwG, mit Hinweis auf BT-Drs. 13/1753, S. 14; BAG v. 17.4.2002 – 5 AZR 89/01, AP Nr. 6 zu § 2 NachwG; BAG v. 5.11.2003 – 5 AZR 469/02, AP Nr. 1 zu § 3 NachwG; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 52; Gaul, ZfA 2003, 75 (79). A. A. ErfK-Preis, § 2 NachwG Rn. 24; Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1367). 128 ErfK-Preis, § 2 NachwG Rn. 24; Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1369); Preis, Arbeitsvertrag II V 40 Rn. 39. 129 BAG v. 24.10.2002 – 6 AZR 743/00 – AP Nr. 2 zu § 4 BBiG; Däubler-Lorenz, § 3 TVG Rn. 234. 130 Haußmann, FS Schwerdtner, S. 89 (93 f.). Vgl. hierzu u. B.IV.3., ab S. 84. 131 Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 299; Jacobs/Krause/Oetker-Oetker, TarifvertragsR, § 6 Rn. 156. 132 BAG v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99, NZA 2001, 510 (511); HWK-Kliemt, § 2 NachwG Rn. 40; Preis, FS Wiedemann, S. 425 (435 ff.); MüKo/Müller-Glöge, BGB, Bd. 4, § 611 Rn. 656. 133 Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 164; Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 234.
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(bei Vertragsschluss) anwendbaren Tarifvertrag bezeichnen;134 spätere Veränderungen sind den Arbeitnehmern mitzuteilen. Die Nachweismitteilung ist aber keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Bezugnahme.135 Der Nachweis hat nur deklaratorische Funktion und leitet allein keine entsprechenden Rechtsansprüche her.136 Das BAG hat Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB abgelehnt; § 2 NachwG sei kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB.137 Die Nachweislegung ist aber eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht des Arbeitgebers,138 so dass deren Verletzung Schadensersatzansprüche gemäß § 280 Abs. 1 BGB begründet.139 Das BAG hat zudem bei nicht rechtzeitiger Aushändigung einer ordnungsgemäßen Niederschrift unter dem Gesichtspunkt des Verzugs einen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 280, 286 BGB anerkannt, falls aus dem Fehlen der Niederschrift dem Arbeitnehmer Nachteile entstehen.140 Nach der Rechtsprechung des EuGH bewirkt der Nachweis nach dem NachwG eine widerlegbare Vermutung für die Geltung der in ihm genannten Tarifverträge, was in einem Gerichtsprozess von Bedeutung wäre.141 Das Fehlen eines ordnungsgemäßen Nachweises kann dann im Rahmen der richterlichen Beweisführung (vgl. § 286 ZPO) als Indiz für die vom Arbeitnehmer glaubhaft gemachte Vertragsregelung gewertet werden.142 d) Pflicht zur Auslegung des Tarifvertrags nach § 8 TVG? Bei der Prüfung der formellen Voraussetzungen einer Bezugnahme stellt sich auch die Frage, ob § 8 TVG den Arbeitgeber verpflichtet, den in Bezug genommenen Tarifvertrag auszulegen. 134
s. u. Teil 3, B.I.2., ab S. 434. LAG Hamm v. 9.7.1996 – 4 Sa 668/94, NZA 1997, 31 (33); Preis, NZA 1997, 10; Ebeling, Bezugnahme, S. 6; Schwarze, ZfA 1997, 43 (44); MüHdbArbRRichardi, Bd. 1, § 43 Rn. 31; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 52. 136 Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 234. 137 BAG v. 17.4.2002 – 5 AZR 89/01, AP Nr. 8 zu § 2 NachwG. 138 ErfK-Preis, Einf. NachwG Rn. 13; Klagges, Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang, S. 21; Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 111. 139 ErfK-Preis, Einf. NachwG Rn. 13; HWK-Kliemt, Vorb. NachwG Rn. 32. 140 BAG v. 17.4.2002 – 5 AZR 89/01, AP Nr. 6 zu § 2 NachwG; ebenso Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 239; Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 4 Rn. 487. 141 EuGH v. 4.12.1997 – Rs. C-253 /96, Slg. 1997, S. I-6907 (Kampelmann u.a.). 142 Schwarze, ZfA 1997, 43 (64 f.); Richardi, NZA 2001, 57 (60); Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 121. Für eine vollständige Beweislastumkehr zu Lasten des Arbeitgebers hingegen u. a. Birk, NZA 1996, 281 (289); Gaul, NZA, Sonderbeilage zu Heft 3/2000, 51 (53); Kliemt, Formerfordernisse, S. 579. 135
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Gemäß § 8 TVG haben die Arbeitgeber die für ihren Betrieb „maßgebenden“ Tarifverträge an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen. Die Norm bezweckt, den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Publizität von Rechtsnormen ausreichend Rechnung zu tragen und den einzelnen Arbeitnehmern zu ermöglichen, die für sie maßgebenden Tarifverträge zur Kenntnis zu nehmen.143 Indem § 8 TVG auf die „für den Betrieb maßgebenden“, nicht aber die „geltenden“ Tarifverträge abstellt, ist er auch dann anwendbar, wenn im Betrieb lediglich der Arbeitgeber, jedoch kein Arbeitnehmer tarifgebunden ist.144 § 8 TVG ist aber nicht einschlägig, wenn auch der Arbeitgeber nicht tarifgebunden ist, der Tarifvertrag also lediglich über die Bezugnahme individualvertraglich wirkt.145 Das TVG regelt nur das gesetzlich geltende Tarifrecht.146 § 8 TVG kann nicht zugleich ein generelles Formerfordernis für arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln beinhalten, denn die Vereinbarung solcher Klauseln ist unabhängig von einer unmittelbaren Tarifbindung des Arbeitgebers oder des Arbeitnehmers möglich.147 § 8 TVG ist somit auf einen in Bezug genommenen Tarifvertrag nur dann anwendbar, wenn zumindest der Arbeitgeber normativ an ihn gebunden ist. Eine Verletzung der Ordnungsvorschrift des § 8 TVG hat keinen Schadensersatzanspruch zur Folge,148 da § 8 TVG kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB darstellt.149 Etwas anderes gilt dann, wenn der Ta143 Wiedemann-Oetker, TVG, § 8 Rn. 3; Ebeling, Bezugnahme, S. 13; DäublerReinecke, TVG, § 8 Rn. 3; Kempen/Zachert-Zachert, TVG, § 8 Rn. 1. 144 Str., ebenso Ebeling, Bezugnahme, S. 13 f.; Wiedemann-Oetker, TVG, § 8 Rn. 14; Kempen/Zachert-Zachert, TVG, § 8 Rn. 3; Däubler-Reinecke, TVG, § 8 Rn. 8. A. A. ErfK-Franzen, § 8 TVG Rn. 2; Däubler, TarifvertragsR, Rn. 1295; Löwisch/Rieble, TVG, § 8 Rn. 2. Offen gelassen von BAG v. 5.11.1963 – 5 AZR 136/63, SAE 1964, 81 (83); BAG v. 23.1.2002 – 4 AZR 56/01, AP Nr. 5 zu § 2 NachwG. 145 Löwisch/Rieble, TVG, § 8 Rn. 3; Wiedemann-Oetker, TVG, § 8 Rn. 16; Ebeling, Bezugnahme, S. 14, 164; Kempen/Zachert-Zachert, TVG, § 8 Rn. 4; DäublerReinecke, TVG, § 8 Rn. 10. 146 Däubler-Reinecke, TVG, § 8 Rn. 10. 147 Ebeling, Bezugnahme, S. 14. Vgl. o. S. 28. 148 BAG v. 8.1.1970 – 5 AZR 124/69, BAGE 22, 241 (Ls. 1); BAG v. 23.1.2002 – 4 AZR 56/01, AP Nr. 5 zu § 2 NachwG; Wiedemann-Oetker, TVG, § 8 Rn. 22; Löwisch/Rieble, TVG, § 8 Rn. 14; Gaul, ZfA 2003, 75 (84). A. A. Löwisch/Rieble, TVG, 1. Aufl. 1992, § 8 Rn. 9 f.; Kempen/Zachert-Zachert, TVG, § 8 Rn. 8 ff.; Däubler-Reinecke, TVG, § 8 Rn. 18 ff. 149 BAG v. 8.1.1970 – 5 AZR 124/69, BAGE 22, 241 (Ls. 1); BAG v. 30.9.1970 – 1 AZR 535/69, AP Nr. 2 zu § 70 BAT; BAG v. 23.1.2002 – 4 AZR 56/01, AP Nr. 5 zu § 2 NachwG; zuletzt jedoch offen gelassen v. BAG v. 21.2.2007 – 4 AZR 258/06, n. v.; Wiedemann-Oetker, TVG, § 8 Rn. 22 f. A. A. Kempen/Zachert-Zachert, TVG, § 8 Rn. 8 ff. unter Hinweis auf den Individualschutzzweck der Norm; Däubler-Reinecke, TVG, § 8 Rn. 18.
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
rifvertrag selbst besondere Pflichten in Bezug auf das Auslegen eines Tarifvertrags begründet.150
III. Rechtsnatur und Rechtswirkung Um die Auswirkungen von Bezugnahmeklauseln bei tariflichen Veränderungen zu verdeutlichen, sind ihre Rechtsnatur und Rechtswirkung zu klären. Bei der Auslegung in der Fallanalyse wird sich die Frage stellen, ob auch Bezugnahmeklauseln von einer geänderten Tarifgeltung betroffen werden oder hiervon unberührt bleiben.151 Dies entscheidet sich danach, ob die Bezugnahme eine Tarifbindung bewirkt. Hierfür ist zunächst zu klären, ob die Bezugnahmeabrede der kollektivrechtlichen oder der individualrechtlichen Ebene zuzurechnen ist. In einem zweiten Schritt stellt sich dann die Frage, ob die in Bezug genommenen Tarifregelungen normativ oder lediglich individualrechtlich im Arbeitsverhältnis gelten. Obwohl Bezugnahmeklauseln sehr weit verbreitet sind, gibt es hierzu verschiedene Ansichten, die vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung des Tarifvertragsrechts zu betrachten sind: Die Tarifvertragsordnung (TVVO) vom 23.12.1918152 sah eine explizite Regelung über die Bezugnahme vor, auf die das Tarifvertragsgesetz von 1949 verzichtete. 1. Rechtsnatur Die unterschiedlichen Ansichten, welche Rechtsnatur der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel zuzumessen sein soll, sind in dem Kontext der Entwicklung des Tarifvertragsrechts zu betrachten. a) Historischer Rückblick Früher fand sich eine explizite gesetzliche Regelung über die Bezugnahme in § 1 Abs. 2 der TVVO. Nach dieser Norm waren am Tarifvertrag beteiligte Personen im Sinne des § 1 Abs. 1 TVVO auch solche „Arbeitgeber und Arbeitnehmer, (. . .) die den Arbeitsvertrag unter Berufung auf den Tarifvertrag abgeschlossen haben.“
Die damals herrschende Meinung maß der Berufung auf den Tarifvertrag gemäß § 1 Abs. 2 TVVO 1918 damit die gleiche Wirkung zu wie der Mit150 BAG v. 11.11.1998 – 5 AZR 63/98, NZA 1999, 605 (606); Gaul, ZfA 2003, 75 (84); Däubler-Reinecke, TVG, § 8 Rn. 24. 151 s. u. Teil 2, ab S. 198. 152 RGBl. 1918, S. 1456; abgedruckt bei Wiedemann-Oetker, TVG, Geschichte Rn. 8. Vgl. bereits o. S. 30.
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gliedschaft in einem Verband, nämlich echte Tarifgebundenheit.153 Die Berufung auf einen Tarifvertrag war hiernach ein eigenes tarifrechtliches Institut.154 Die damalige Mindermeinung betrachtete die Berufung auf den Tarifvertrag hingegen als obligatorische Vertragsabrede, weshalb sie eine unmittelbare und zwingende Wirkung der tariflichen Normen für das Einzelarbeitsverhältnis ablehnte.155 Die TVVO wurde von Beginn an nur als Provisorium verstanden; schon unmittelbar nach ihrem Inkrafttreten wurde der Ruf nach einer gesetzlichen Neuregelung laut.156 Die Vorschläge für ein Tarifvertragsgesetz in der Weimarer Zeit orientierten sich an dem normativen Verständnis der Bezugnahme. In mehreren Entwürfen fand sich die eigenständige Gruppe derjenigen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die sich mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien dem Tarifvertrag unterworfen hatten.157 Der Entwurf des Reichsarbeitsministeriums von 1931 hingegen sah keine Normunterwerfung vor, sondern sollte eine Möglichkeit schaffen, einen Tarifvertrag im Betrieb allgemein anzuwenden.158 Die Machtergreifung der Nationalsozialisten führte zur Zerschlagung des etablierten Tarifvertragswesens, der Aufhebung der TVVO und der Ersetzung der Gewerkschaften durch die Deutsche Arbeitsfront.159 Die kollektive Selbstbestimmung war beseitigt.160 Die Festlegung von Mindestarbeitsbedingungen erfolgte durch die vom Reichsarbeitsminister ernannten sog. Treuhänder der Arbeit, die für bestimmte Bereiche Tarifordnungen erließen.161 Während der Zeit des Nationalsozialismus lag die bis 1933 geführte Reformdiskussion brach. 153
Vgl. Dietz, Berufung auf den Tarifvertrag, S. 2 ff. m. w. N. Vgl. Dietz, Berufung auf den Tarifvertrag, S. 5 ff.; Ebeling, Bezugnahme, S. 29; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 24. 155 Vgl. die Nachweise bei Dietz, Berufung auf den Tarifvertrag, S. 2. 156 Wiedemann-Oetker, TVG, Geschichte Rn. 12; Ebeling, Bezugnahme, S. 30. 157 s. Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 275; § 11 Nr. 3 des Entwurfs des Arbeitsrechtsausschusses (ArbR 1921, 106 ff.; RArbBl. 1921, AT, 491 ff.); § 8 Nr. 3 des Gegenentwurfs von Nipperdey (Beiträge zum Tarifrecht, 1924, S. 107 ff.). 158 § 12 des Entwurfs, abgedruckt bei Wiedemann-Oetker, TVG, Geschichte Rn. 13 ff.; s. auch Ebeling, Bezugnahme, S. 31 zu dem insofern ähnlichen Entwurf von Sinzheimer von 1921, der in einem Entwurf des Reichsarbeitsministeriums von 1921, abgedruckt in RArbBl. 1921, AT, S. 491 ff., mündete. 159 Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 61; Wiedemann-Oetker, TVG, Geschichte Rn. 15 f.; HWK-Henssler, TVG, Einl. Rn. 1; Däubler-Däubler, TVG, Einl. Rn. 29. Vgl. das „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ vom 20.1.1934, RGBl. I, 45. 160 Ebeling, Bezugnahme, S. 31. 161 Däubler-Däubler, TVG, Einl. Rn. 29; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 61 f.; Wiedemann-Oetker, TVG, Geschichte Rn. 16. 154
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Nach dem Krieg verstanden die Besatzungsmächte die Tarifautonomie jedoch als integralen Bestandteil der Demokratie.162 Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände wurden wieder zugelassen, um das „free collective bargaining“ in Deutschland einzuführen.163 In den einzelnen Besatzungszonen entstanden unterschiedliche Diskussionen und Entwürfe über das künftige Tarifvertragsrecht. Noch der Vorentwurf von 1947164 für den Entwurf des Arbeitsrechtsausschusses des Länderrates (sog. Stuttgarter Entwurf von 1948165) enthielt eine Regelung, die an die aus § 1 Abs. 2 TVVO bekannte Berufung anknüpfte und die Reformüberlegungen der Weimarer Zeit fortführte.166 Später wurde die Möglichkeit eines Beitritts zum Tarifvertrag diskutiert.167 Diese Diskussion endete jedoch, als sich abzeichnete, dass die Regelung der Allgemeinverbindlichkeit wiedereingeführt werden würde.168 Der Wirtschaftsrat, das „Wirtschaftsparlament“ des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, erließ am 9.4.1949 das Tarifvertragsgesetz.169 Die gesetzliche Regelung über die Berufung auf den Tarifvertrag wurde nicht in das Tarifvertragsgesetz von 1949 übernommen. Gegenüber der ursprünglichen Fassung von 1949 erfuhr das Tarifvertragsgesetz bis heute nur marginale Änderungen.170 Die heute gültige Fassung beruht auf einer Neubekanntmachung von 1969.171 b) Heutige Rechtslage Im heutigen Tarifvertragsgesetz findet sich somit keine dem § 1 Abs. 2 TVVO entsprechende Regelung mehr.172 Der Gesetzgeber sah sowohl von der Möglichkeit eines „Beitritts“ als auch einer „Berufung auf den Tarifvertrag“ ab und entsprach damit einem Wunsch der Gewerkschaften.173 Sie hatten kritisiert, dass die Teilnahme der Außenseiter an der „Wohltat“ der 162
Wiedemann-Oetker, TVG, Geschichte Rn. 19. Wiedemann-Oetker, TVG, Geschichte Rn. 19. 164 Abgedruckt bei Wiedemann-Oetker, TVG, Geschichte Rn. 26. 165 Abgedruckt bei Wiedemann-Oetker, TVG, Geschichte Rn. 27. 166 Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 276. 167 Vgl. Herschel, ZfA 1973, 183 (191); Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 276; Ebeling, Bezugnahme, S. 31. 168 Ebeling, Bezugnahme, S. 31 f.; Herschel, ZfA 1973, 183 (191). 169 WiGBl 1949, S. 55 (68); Däubler-Däubler, TVG, Einl. Rn. 38. 170 HWK-Henssler, TVG, Einl. Rn. 2. 171 Neubekanntmachung vom 25.8.1969, BGBl. I, S. 1323; HWK-Henssler, TVG, Einl. Rn. 2. 172 s. bereits o. S. 30. 173 Herschel, DB 1969, 659 (662); Ebeling, Bezugnahme, S. 32. 163
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Unabdingbarkeit ungerecht wäre.174 In § 3 Abs. 1 TVG ist somit lediglich festgelegt, dass „die Mitglieder der Tarifvertragsparteien und der Arbeitgeber, der selbst Partei des Tarifvertrages ist,“ tarifgebunden sind. Seitdem kommen Rechtsprechung und Literatur hinsichtlich der Frage der Rechtsnatur der Bezugnahme zu weitgehend gleichen Ergebnissen. Sie nehmen zu Recht an, dass Bezugnahmeklauseln eine verkürzte Absprache über den Vertragsinhalt darstellen.175 Hierfür spricht, dass die Klauseln die Arbeitsbedingungen regeln und als solche ein Bestandteil des Individualarbeitsvertrages sind, der der vereinfachten Vertragsgestaltung dient. Es kann keinen Unterschied machen, ob die Parteien die Tarifvorschriften als Vertragsbestimmung in den Arbeitsvertrag aufnehmen, diese also „abschreiben“, oder ob sie auf sie verweisen. Die vereinzelten Gegenansichten überzeugen nicht. So wird vertreten, die Bezugnahmeklausel sei mit einer Unterwerfung unter Allgemeine Geschäftsbedingungen vergleichbar.176 Diese Auffassung hat sich mit Erlass des AGBG sowie der späteren §§ 305 ff. BGB (n. F.) weitgehend erledigt, ging sie doch davon aus, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen im weiteren Sinne als Normen und ihre Einbeziehung als Akt der „Unterwerfung“ unter bereits in Geltung befindliche Normen zu verstehen seien. Inzwischen geht das allgemeine Verständnis davon aus, dass AGB von einem Vertragspartner gestellte „abstrakt-generelle Vertragsbestandteile“ sind.177 Eine andere Ansicht vertritt den Standpunkt, dass die Klauseln einer Verweisung und Auswahl eines Normenkreises im internationalen Privatrecht (IPR) ähnlich seien.178 Bezugnahmeklauseln werden insofern als „Geltungsübereinkunft“ zwischen den Arbeitsvertragsparteien qualifiziert.179 Hiergegen spricht, dass die Vorschriften des IPR vom Wesen her Kollisionsnormen für Sachverhalte mit Auslandsberührung sind.180 Insofern regeln die IPR-Vorschriften eine Normenkollision auf gleicher Ebene, wohingegen die arbeitsvertragliche Inbezugnahme von Tarifverträgen eine Bezugnahme auf 174
Ebeling, Bezugnahme, S. 32. Gaul, ZTR 1993, 355 (357); Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 182; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 30; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 243 f.; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 285; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 74; Bauschke, ZTR 1993, 416 (418). 176 Urspr. Herschel, DR 1942, 753 (754 f.); Gaul, ZTR 1991, 188 (191 f.). 177 Ulmer/Brandner/Hensen-Ulmer, AGB-Recht, Einl. Rn. 44; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 26 m. w. N. 178 Herschel, DB 1969, 659 (660); Dietz, Berufung auf den Tarifvertrag, S. 5 ff.; Däubler, TarifvertragsR, Rn. 338; Schaub, ArbR-Hdb., § 208 Rn. 8; Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 223; Kohte, AuA 1997, 171 (172). 179 Herschel, DB 1967, 245 (247 f.); ders., DB 1969, 659 ff. 180 Palandt-Heldrich, BGB, Einl. vor Art. 3 EGBGB Rn. 1; vgl. Art. 3 I EGBGB. 175
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höherrangiges Recht im Rahmen der arbeitsrechtlichen Normenhierarchie darstellt.181 Während bei internationalen Sachverhalten eine Bestimmung des maßgeblichen Rechts notwendig ist, weil mehrere Rechtsordnungen unterschiedliche, potentiell anwendbare und gleichrangige Regelungen vorsehen, möchten die Arbeitsvertragsparteien eine vorhandene tarifrechtliche Regelung überhaupt erst anwendbar machen.182 Bezugnahmeklauseln sind somit als verkürzte individualrechtliche Absprachen über den Vertragsinhalt zu verstehen. 2. Rechtswirkung Nimmt man somit die einzelvertragliche Rechtsnatur der Bezugnahmeklausel als Ausgangspunkt der Überlegungen, stellt sich die Frage, ob eine Tarifbindung im Sinne der §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG durch Bezugnahme möglich ist. Eine derartige, sog. normative Bindung hätte zur Folge, dass der in Bezug genommene Tarifvertrag unmittelbar und zwingend wie ein Gesetz, gewissermaßen „von außen“, auf die Arbeitsverhältnisse einwirken würde.183 Änderungen auf der tariflichen Ebene (z. B. bei einem Betriebsübergang, Verbandsaustritt, Verbands- oder Branchenwechsel) würden „automatisch“ durch die Bezugnahme im Arbeitsverhältnis umgesetzt. Es käme damit weder auf die Billigung noch auf die Kenntnis der Vertragsparteien an; die Tarifnormen wären nichtdispositives Recht und könnten nur im Rahmen des Günstigkeitsprinzips (§ 4 Abs. 3 TVG) abbedungen werden.184 a) Normative Tarifbindung kraft Bezugnahme v. Hoyningen-Huene185 vertritt die Ansicht, dass in gewissen Fällen eine normative Tarifbindung durch Bezugnahme möglich sei. Dies sei zum einen der Fall, wenn die Parteien bei der Bezugnahme eine gesetzliche Zulassungsnorm (z. B. § 622 Abs. 4 S. 2 BGB, 13 Abs. 1 S. 2 BUrlG, 4 Abs. 4 S. 2 EFZG)186 ausnutzten und den Tarifvertrag in seiner Gesamtheit bzw. mindestens die jeweiligen Komplexe wie Urlaub, Lohnfortzahlung etc. übernähmen, und zum anderen bei Verweisen auf den gesamten einschlägigen Tarifvertrag. Die Bezugnahmeklausel bestimme nur das „Ob“ der Geltung, die in Bezug genommenen tariflichen Regelungen hingegen das 181 182 183 184 185 186
Hamacher, Klauseln in Tarifverträgen, S. 123; Ebeling, Bezugnahme, S. 80. Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 28. Preis, Arbeitsrecht, § 98 I. BAG v. 21.9.1989 – 1 AZR 454/88, AP Nr. 43 zu § 77 BetrVG 1972. v. Hoyningen-Huene, RdA 1974, 138 (140 ff.). s. o. B.I.1.a), ab S. 41.
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„Wie“.187 Der Gesetzeswortlaut der „Geltung“ des Tarifvertrages in den Zulassungsnormen beinhalte folglich eine normative Tarifbindung.188 b) Bedenken in Rechtsprechung und Literatur Die Rechtsprechung189 und das überwiegende Schrifttum190 messen arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln lediglich individualvertragliche Wirkung zu. Aus §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG gehe eindeutig hervor, dass eine normative Wirkung des Tarifvertrages nur dann vorliegen könne, wenn die Voraussetzungen nach dem Tarifvertragsgesetz erfüllt seien.191 Dies habe der Gesetzgeber in § 101 Abs. 2 ArbGG bestätigt, indem er zwischen Tarifgebundenheit (Satz 2) und dem Fall unterscheide, dass sich das Arbeitsverhältnis aus anderen Gründen nach dem Tarifvertrag richte (Satz 3).192 c) Rein schuldrechtliche Bindung an den Tarifvertrag kraft Bezugnahme Die Entstehungsgeschichte des TVG spricht zunächst gegen eine normative Rechtswirkung von Bezugnahmeklauseln. Der Gesetzgeber hat im TVG 1949 gerade anders als im früheren § 1 Abs. 2 TVVO 1918193 keine echte unmittelbare Tarifgebundenheit durch vertragliche Vereinbarung normiert. Des Weiteren ist § 3 Abs. 1 TVG eine erkennbar abschließende Regelung. § 4 Abs. 1 TVG verdeutlicht, dass die Normwirkung der Tarifbestimmungen nur bei beiderseitiger Mitgliedschaft der Arbeitsvertragsparteien in 187
v. Hoyningen-Huene, RdA 1974, 138 (143). v. Hoyningen-Huene, RdA 1974, 138 (142 ff.). 189 BAG v. 22.9.1993 – 10 AZR 207/92, EzA Nr. 8 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; BAG v. 29.1.1975 – 4 AZR 218/74, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG v. 7.12.1977 – 4 AZR 474/74, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung, BAG v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, NZA 1991, 736 (740). 190 ErfK-Franzen, § 3 TVG Rn. 32; Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (241); WHSS-Hohenstatt, E Rn. 175; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 182; Thüsing/Mengel, Flexibilisierung, S. 117; Jacobs/Krause/Oetker-Oetker, TarifvertragsR, § 6 Rn. 145; Annuß, BB 1999, 2558 (2558); Schaub, ZTR 2000, 259 (260); Waas, ZTR 1999, 540 (541); Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 285; Hromadka/ Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 74; Heinze, NZA Sonderheft 2001, 75 (76); Mayer, Betriebsübergang, S. 201 f.; Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1257); Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 32 f. Däubler, NZA Beil. 3/2006, 133 (133) spricht von „Inkorporierung“ in den Vertrag. 191 Gaul, ZTR 1991, 188 (191). 192 Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 182; Schleusener, SAE 1998, 11 (14). 193 s. o. B.III.1., S. 62 und 64. 188
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den Tarifvertragsparteien eintreten soll. Die normative Geltung des Tarifvertrags ist zudem ein gesetzlicher Sonderfall, da eine unmittelbare und zwingende Rechtswirkung grundsätzlich nur Gesetzen im materiellen Sinne zukommt.194 Die normative Geltung gründet sich hierbei auf Art. 9 Abs. 3 GG, der die Tarifautonomie gewährleistet, und auf der hieraus resultierenden Richtigkeitsgewähr195 des Tarifvertrags. Das TVG selbst beschreibt in §§ 3 Abs. 2 und 3, 4 Abs. 2, 5 TVG Ausnahmen, in denen die Tarifbindung über den in § 3 Abs. 1 TVG enthaltenen Fall ausgedehnt werden kann. Diese sind als Ausnahmeregelungen eng auszulegen.196 Eine rein individualvertragliche Abrede kann aber nicht den Beitritt zu einer Gewerkschaft oder die Wirkung einer Allgemeinverbindlicherklärung ersetzen.197 Hierfür spricht auch die Regelungssystematik des § 101 Abs. 2 S. 2, 3 ArbGG. Einzelvertragliche Absprachen vermögen nur einen individualrechtlichen Geltungsgrund zu erzeugen;198 eine normative Geltung kann nicht auf schuldrechtlicher Ebene bewirkt werden. Hieran ändert sich auch nichts, wenn der gesamte einschlägige Tarifvertrag in Bezug genommen wird.199 Die Vereinbarungsmacht der Arbeitsvertragsparteien kann nur soweit reichen, als sie sich selbst im Rahmen der Vertragsfreiheit schuldrechtlich binden.200 Dem Verweis auf den gesamten Tarifvertrag kann lediglich eine quantitative Bedeutung zukommen,201 nicht jedoch eine qualitative Auswirkung dergestalt, dass sie eine individualvertragliche Abrede auf ein normatives Niveau anhebt. Die Tarifregelungen, auf die Bezug genommen wird, teilen damit die rechtliche Qualität der Bezugnahmeklausel, die bereits als schuldrechtliche Vereinbarung qualifiziert wurde.202 Rechtsgrundlage für tariflich geregelte Ansprüche ist somit auch nur der einzelne Arbeitsvertrag selbst.203 Der in Bezug genommene Tarifvertrag entfaltet keine Normwirkung, sondern ist abdingbar, und zwar grundsätzlich auch zu Lasten des Arbeitnehmers.204 194
Vgl. Maurer, Allg. VerwaltungsR, §§ 3 Rn. 4, 4 Rn. 4, 13. s. o. S. 29, Fn. 19. 196 Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 174 ff. 197 Merten, BB 1993, 572 (578); Ebeling, Bezugnahme, S. 83. 198 LAG Frankfurt a. M. v. 9.12.1991 – 16/15 Sa 40/91, LAGE Nr. 1 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; Gaul, ZTR 1993, 355 (357); Ebeling, Bezugnahme, S. 91. 199 So aber v. Hoyningen-Huene, RdA 1974, 138 (147 ff.). 200 Hamacher, Klauseln in Tarifverträgen, S. 125; Ebeling, Bezugnahme, S. 90. 201 Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 156. 202 s. o. B.III.1., ab S. 62. 203 Skuderis, Betriebsübergang, S. 352; Gaul, ZTR 1993, 355 (356); Gussen/ Dauck, Weitergeltung, Rn. 258. 204 s. o. S. 47, Fn. 54. Irrt sich eine Partei über den Inhalt der Tarifnormen, so ist ihr Irrtum unerheblich, denn Inhalt der Willenserklärung war nur die Inbezugnahme 195
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Damit führt die Vereinbarung der Inbezugnahme des einschlägigen Tarifvertrags zur Gleichbehandlung von Gewerkschaftsmitgliedern und Außenseitern, dies allerdings nur in inhaltlicher Sicht, d.h. die jeweiligen Arbeitsbedingungen betreffend. Die vollständige Gleichbehandlung in rechtlicher Hinsicht kann hingegen nicht erreicht werden.205
IV. Typologie der Bezugnahmeklauseln Bei den Bezugnahmeklauseln herrscht in der Praxis „Artenvielfalt“. Die unterschiedlichen Klauselarten lassen sich nach ihrer rechtlichen Funktion, ihrem sachlichen Umfang und dem Grad ihrer Dynamik unterscheiden. Vom jeweiligen Klauseltyp hängt – wie sich noch zeigen wird – entscheidend ab, welche Rechtsfolgen im Falle eines Tarifwechsels eintreten. 1. Konstitutive oder deklaratorische Wirkung Eine Bezugnahmeklausel kann in ihrer Wirkung konstitutiv oder deklaratorisch sein. a) Konstitutive Wirkung Eine konstitutive Bezugnahme bewirkt die vertragliche Vereinbarung der einschlägigen tariflichen Bestimmungen. Sie erzeugt einen eigenen vertraglichen Anspruch und hat damit rechtsbegründende Bedeutung.206 Für Außenseiter wirkt eine Bezugnahmeklausel immer konstitutiv, da ohne sie die tariflichen Regelungen nicht gälten.207 Konstitutiv wirkt außerdem stets die Inbezugnahme eines branchenfremden oder räumlich nicht einschlägigen Tarifvertrags, und zwar auch bei Gewerkschaftsmitgliedern, da sie ebenfalls ohne Bezugnahmeklausel nicht an den fremden tariflichen Regelungen partizipieren würden.208 des Tarifvertrages, vgl. LAG Hamm v. 12.1.1993 – 2 Sa 1099/92, BB 1993, 1217 (1217). 205 Skuderis, Betriebsübergang, S. 353. 206 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 103; Reichel, Bezugnahme, S. 25. 207 Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (201); Jacobs/Willemsen, JbArbR, Bd. 45, S. 47 (49). A. A. Reichel, Bezugnahme, S. 87, der insofern von einer nur teil-konstitutiven Wirkung ausgeht, indem er ihnen einen „Quasi-Verbandsaustritt“ zugesteht. Vgl. näher dazu Teil 2, B.III.2.a) ff., ab S. 283. 208 WHSS-Hohenstatt, E Rn. 178; Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 227.
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b) Deklaratorische Wirkung Eine deklaratorische Bezugnahme ist hingegen lediglich ein Hinweis auf die geltende Rechtslage. Sie hat nur rechtsklarstellende Bedeutung und erzeugt keine weitere rechtliche Bindung.209 Ihr Verwender setzt deshalb voraus, dass die Tarifbedingungen schon aus einem anderen Grund gelten. Sie hat lediglich die Funktion, den Arbeitnehmer über eine ohnehin bestehende Rechtslage aufzuklären. c) Rechtswirkung bei beiderseitiger Tarifgebundenheit Fraglich ist, ob in den Fällen beiderseitiger Tarifbindung die Bezugnahme lediglich deklaratorisch ist. Dies ist nach einer weit verbreiteten Ansicht der Fall.210 Auch das BAG ging lange Zeit hiervon aus.211 Die Unterscheidung ist bei einem Tarifwechsel von großer Relevanz. Hier kann eine konstitutive Bezugnahme, die einen eigenständigen vertraglichen Anspruch bewirkt, dazu führen, dass arbeitsvertraglich andere Tarifbestimmungen Anwendung finden, als sie nach der tariflichen Veränderung auf kollektivem Niveau gelten.212 Gegen eine konstitutive Bindung im Falle der beiderseitigen Tarifgebundenheit spricht, dass der Tarifvertrag bereits normativ wirkt. Die Verweisungsklausel könnte insofern als bloßer Hinweis auf dasjenige verstanden werden, was qua beiderseitiger Tarifbindung ohnehin zwingend gilt.213 209 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 103; Reichel, Bezugnahme, S. 25. 210 Schiefer, DB 2005, 2134 (2136); Etzel, NZA Beil. 1/1987, 19 (25); Frieges, DB 1996, 1281 (1282); Heinze, NZA Sonderheft 2001, 75 (76); Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 182. 211 BAG v. 19.3.2003 – 4 AZR 331/02, NZA 2003, 1207 (1207); BAG v. 15.3.1991 – 2 AZR 582/90, AP Nr. 28 zu § 2 KSchG 1969; so auch Annuß, ZfA 2005, 405 (430); Schliemann, ZTR 2004, 502 (507); Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (248 f.); Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (201); Mayer, Betriebsübergang, S. 199. Missverständlich BAG v. 12.3.2008 – 10 AZR 256/07, n. v.: „Verweisungen im Arbeitsvertrag auf ohnehin anwendbare gesetzliche, tarifliche oder betriebsverfassungsrechtliche Vorschriften sind im Zweifel deklaratorisch gemeint.“, wobei sich der Zehnte Senat jedoch vorrangig auf Betriebsvereinbarungen bezieht. 212 s. unten die Fallbeispiele in Teil 2, A.II., ab S. 208. Vgl. auch Bauer, Doppelwirkungen im Recht, 1969. 213 Dieser Ansicht ist zugute zu halten, dass auch eine Vertragsklausel, die auf eine gesetzliche Regelung verweist oder diese inhaltsgleich wiedergibt, nur deklaratorisch ist, so z. B. im Falle des Verweises auf § 622 Abs. 1, 2 BGB, vgl. BAG v. 4.7.2001 – 2 AZR 469/00, EzA Nr. 63 zu § 622 BGB. Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (201 f.) wenden hiergegen aber zutreffend ein, dass Verweisungen auf ge-
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Auch lässt sich anhand von § 4 Abs. 3 TVG argumentieren, dass die normative Wirkung gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 TVG stärker als die individualrechtliche ist.214 Andererseits kennt der Arbeitgeber in der Praxis die Gewerkschaftsangehörigkeit des jeweils betroffenen Arbeitnehmers nicht und darf (zumindest bei Vertragsschluss) nicht danach fragen,215 so dass er gar nicht weiß, ob der Tarifvertrag für den jeweiligen Arbeitnehmer normativ gilt oder nicht. Daher kann er sich auf eine (nur) deklaratorische Klausel nicht verlassen; eine solche ist deshalb regelmäßig nicht gewollt.216 Auch die vor diesem Hintergrund vorgeschlagene „Mittellösung“ einer quasi-deklaratorischen bzw. teil-konstitutiven Klausel, die sich bei einem Tarifwechsel von einer deklaratorischen in eine konstitutive Klausel verwandelt,217 kann nicht überzeugen. Sie entbehrt einer rechtlichen Grundlage.218 Denkbar wäre allenfalls, die konstitutive Wirkung unter die Rechtsbedingung der fehlenden Tarifbindung zu stellen. Dies bedürfte jedoch einer entsprechenden Vereinbarung der Parteien. Die einheitlich verwendete Bezugnahmeklausel kann in den Arbeitsverhältnissen der Außenseiter nicht etwas anderes bewirken als in den Arbeitsverhältnissen der Gewerkschaftsmitglieder (sofern diese keine Bezugnahmeklausel vereinbart haben).219 Die Bezugnahmevereinbarung dient in der Praxis vor allem dem Zweck, die Belegschaft gleich zu behandeln und die Arbeitsbedingungen zu vereinheitlichen. Dieser Zwecksetzung widerspräche es aber, der Klausel bei beiderseitiger Tarifgebundenheit nur deklaratorische Wirkung beizumessen. Dann entfiele nämlich insbesondere bei einem Gewerkschaftsaustritt der Arbeitnehmer jegliche Grundlage für eine Anwendung des Tarifvertrages, und die ehemals Organisierten stünden schlechter als die Außenseiter. Letztere hätten nämlich einen schuldrechtlichen Anspruch auf (weitere) Partizipation an der Tarifentwicklung.220 Somit kann nur eine konstitutive Bezugnahmeklausel umfassende Vorsorge für etwaige setzliche Vorschriften und solche auf Tarifnormen nicht vergleichbar sind: An das Gesetz sind alle Arbeitnehmer gebunden, an den Tarifvertrag gem. §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG hingegen nur die Gewerkschaftsmitglieder. 214 Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 183. I. Erg. ebenfalls gegen eine konstitutive Wirkung Etzel, NZA Beil. 1/1987, 19 (25); Frieges, DB 1996, 1281 (1282); Löwisch/Rieble, FS Schaub, S. 457 (467 f.); Schwab, BB 1994, 781 (783). 215 s. dazu o. S. 29. 216 Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (202); Schliemann, NZA, Sonderbeilage zu Heft 16/2003, 3 (6); Heinlein, NJW 2008, 321 (322 f.). 217 Reichel, Bezugnahme, S. 81 ff. 218 Jacobs/Willemsen, JbArbR, Bd. 45, S. 47 (49). 219 Haußmann, FS Schwerdtner, S. 89 (94). 220 Kania, NZA, Sonderbeilage zu Heft 3/2000, 45 (46).
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Veränderungen der rechtlichen oder tatsächlichen Umstände treffen, so dass sie am ehesten dem beiderseitigen Parteiwillen entspricht.221 Der Arbeitnehmer wird die Bezugnahmeklausel im Übrigen nach seinem Empfängerhorizont – auf den es bei der Auslegung der Bezugnahmeklausel wesentlich ankommt, vgl. §§ 133, 157 BGB – in der Regel als konstitutive Absprache verstehen. Er weiß, dass der Arbeitgeber (jedenfalls bei Vertragsschluss) keine Kenntnis über seine Gewerkschaftszugehörigkeit hat, dennoch aber in jedem Fall den Verweis in den Vertrag aufnehmen will.222 Zugleich kann bzw. muss er nicht wissen, wie es um die aktuelle und zukünftige Tarifbindung des Arbeitgebers bestellt ist, und darf daher die Verweisung als konstitutive Gestaltung auffassen.223 Auch das BAG hat seine Meinung mittlerweile geändert und wiederholt der arbeitsvertraglichen Bezugnahme auch dann konstitutive Wirkung beigemessen, wenn eine beiderseitige Tarifgebundenheit bestand.224 Daher haben die Organisierten, die eine konstitutive Bezugnahmeklausel mit ihrem Arbeitgeber vereinbart haben, zusätzlich zu ihrem tarifrechtlichen einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf die tariflichen Bedingungen.225 Solange unverändert eine beiderseitige Tarifbindung gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG besteht, wirkt sich dieser praktisch nicht aus. Er kann aber erhebliche Relevanz erlangen, wenn – z. B. nach einem Betriebsübergang, Verbandsaustritt, -wechsel oder Branchenwechsel – die Tarifgebundenheit auf Seiten des (neuen) Arbeitgebers entfällt oder sich ändert.226 Insoweit kann der Regelungsgehalt der Bezugnahmeklausel mit der tarifrechtlichen Situation kollidieren.227 221 Annuß, BB 1999, 2558 (2558); Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 106; Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (248 f.); Däubler, NZA 1996, 225 (228); HWK-Henssler, § 3 TVG Rn. 28. 222 Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1260); Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (202). 223 HWK-Henssler, § 3 TVG Rn. 28. 224 BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 (637); BAG v. 27.11.2002 – 4 AZR 661/01, AP Nr. 28 zu § 1 TVG – Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG v. 19.3.2003 – 4 AZR 331/02, NZA 2003, 1207 (1207); BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364 (365). 225 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 104; Haußmann, FS Schwerdtner, S. 89 (94). Hiergegen bestehen auch keine dogmatischen Bedenken, da das Vorliegen verschiedener Anspruchsgrundlagen, die auf dieselbe Rechtsfolge gerichtet sind, durchaus möglich ist (sog. Doppelwirkungen im Recht), vgl. Annuß, BB 1999, 2558 (2558); ders., ZfA 2005, 405 (411), sowie die Dissertation von Bauer, Doppelwirkungen im Recht (s. o. Fn. 212). A. A. Lambrich/Thüsing, Tarifautonomie, S. 123 (186), nach deren Auffassung die normative Geltung den individualrechtlichen Anspruch verdrängt, solange letzterer nicht günstiger ist. 226 s. dazu unten Teil 2, A.II.2.b), A.II.5.b), ab S. 222.
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2. Sachlicher Umfang Der sachliche Umfang von Bezugnahmeklauseln kann in vielerlei Hinsicht differenziert werden. Bezugnahmeklauseln werden von den Arbeitsvertragsparteien – dem Grundsatz der Vertragsfreiheit folgend – in den unterschiedlichsten Formulierungen verwendet, um je nach Bedarf ganze Tarifverträge zur (individualrechtlichen) Anwendung zu bringen oder nur ganz gezielt einzelne Bestimmungen „herauszupicken“. Vorrangig wird auf den jeweils einschlägigen Tarifvertrag Bezug genommen, mitunter aber ebenso auf fremde, unwirksame oder nachwirkende Tarifwerke. a) Global-, Teil-, Einzelverweisung Der Tarifvertrag als Bezugnahmeobjekt kann mit unterschiedlichem sachlichem Umfang Bestandteil des Arbeitsvertrages werden. Es ist möglich, je nach den Interessen der Arbeitsvertragsparteien den Tarifvertrag gänzlich (Globalverweisung) oder nur in einzelnen Teilen (Teilverweisung) bzw. einzelnen Bestimmungen (Einzelverweisung) in Bezug zu nehmen.228 aa) Globalverweisung Die Zulässigkeit der Globalverweisung ist heute insgesamt unbestritten.229 Von einer Globalverweisung wird der gesamte Tarifvertrag umfassend, einschließlich der für den Arbeitnehmer nachteiligen Normen,230 in Bezug genommen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass eine Globalverweisung nur die Regelungen eines Tarifvertrages in Bezug nehmen kann, die grundsätzlich in einem Individualarbeitsvertrag geregelt werden können.231 Hingegen kann sie nicht Tarifnormen über Gemeinsame Einrichtungen, für die sich die Bezugnahmeklausel wie ein Vertrag zu Lasten Dritter aus227
s. hierzu näher die Fallanalyse in Teil 2, A.–D., ab S. 198. BAG v. 13.11.1959 – 1 AZR 517/57, AP Nr. 44 zu § 611 BGB Urlaubsrecht; BAG v. 23.2.1988 – 3 AZR 300/86, NZA 1988, 614 (615); Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 263; Gaul, ZTR 1993, 355 (356 f.); Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1363). 229 BAG v. 19.1.1999 – 1 AZR 606/98, NZA 1999, 879 (881); Ebeling, Bezugnahme, S. 96; Annuß, BB 1999, 2558 (2558); Bauschke, ZTR 1993, 416 (417); Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, S. 736; Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (245); Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 263; Preis, Vertragsgestaltung, S. 397; Kempen/ Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 171. 230 Reichel, Bezugnahme, S. 33; Gaul, ZTR 1991, 188 (192 f.). 231 Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 42; Annuß, BB 1999, 2558 (2558); Schaub, ZTR 2000, 259 (259 f.); Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1257). 228
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wirkte,232 sowie Normen über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen erfassen, die nur zwischen dem Arbeitgeber und der gesamten Belegschaft gelten können.233 bb) Teilverweisung Eine Teilverweisung beschränkt sich auf einen oder mehrere Regelungskomplexe des Tarifvertrages. Die Arbeitsvertragsparteien übernehmen den Tarifvertrag somit nicht „komplett“, sondern wählen einige Themenkomplexe aus, die sie gemäß den tarifrechtlichen Bestimmungen regeln möchten. Die Zulässigkeit von Teilverweisungen ist umstritten. (1) Bedenken gegen die Teilverweisung Eine Mindermeinung lehnt sie unter Hinweis auf Art. 9 Abs. 3 GG ab, da die Gewerkschaften geschwächt und in ihrer Tarifautonomie verletzt würden.234 Nicht tarifgebundene Arbeitnehmer könnten von für sie günstigen Regelungen profitieren, ohne von den nachteiligen Vorschriften betroffen zu sein, mit denen die Gewerkschaftsmitglieder die Vorteile „erkaufen“ mussten.235 Teilverweisungen seien zudem nicht in der Lage, die betrieblichen Arbeitsbedingungen zu vereinheitlichen, und seien daher unzulässig. Auch die Vertragsfreiheit erfordere die Möglichkeit einer Teilverweisung nicht, da es den Parteien freistehe, alle gewünschten Regelungen einzeln auszuhandeln und ausdrücklich zu vereinbaren, so dass eine Bezugnahme auf den Tarifvertrag entbehrlich sei.236 Einige Autoren halten an dieser Meinung mittlerweile selbst weitgehend nicht mehr fest.237 Jedoch fordern sie weiterhin zumindest die Übernahme von in sich geschlossenen Regelungskomplexen.238
232 Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 179; MüHdbArbR-Löwisch/ Rieble, Bd. 3, § 269 Rn. 24; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 42; Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1257); Annuß, BB 1999, 2558 (2558); Schaub, ZTR 2000, 259 (260). 233 Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 253 f.; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 42. 234 Kempen/Zachert, TVG, 3. Aufl., § 3 Rn. 85; Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (242). 235 Kempen/Zachert, TVG, 3. Aufl., § 3 Rn. 85. 236 Kempen/Zachert, TVG, 3. Aufl., § 3 Rn. 85. 237 Vgl. Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 173. 238 Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 237. Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 173 fordern, dass ausschließlich die die Arbeitnehmer begünstigenden Bestimmungen in Bezug genommen werden und dies eine kollektive Besserstellung der Außenseiter herbeiführt.
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(2) Gegenargumente aus Rechtsprechung und Literatur Die herrschende Meinung in Rechtsprechung239 und Literatur240 hält Teilverweisungen hingegen für zulässig. Sie begründet ihre Auffassung mit der Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien. Zumindest nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer seien nicht an einen tariflichen Mindeststandard gebunden, so dass sie Inhalt und Umfang der Verweisung auf den Tarifvertrag frei festlegen könnten.241 Art. 9 Abs. 3 GG enthalte kein „Nachbildungsverbot“; ein solches sei ohnehin nicht praktikabel.242 Eine Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen lasse sich auch insofern erreichen, als Arbeitgeber meist vorformulierte Arbeitsverträge verwendeten, so dass eine weitgehend einheitliche Vertragsgestaltung erfolge.243 Darüber hinaus habe der Gesetzgeber durch die Einführung gesetzlicher Bezugnahmeermächtigungen wie § 13 Abs. 1 S. 2 BUrlG oder § 622 Abs. 4 S. 2 BGB gezeigt, dass er Teilverweisungen für zulässig erachte.244 Schließlich widerspräche es den Erfordernissen der arbeitsvertraglichen Praxis, wären die Parteien gezwungen, alle Arbeitsbedingungen auszuhandeln und vollständig in die Arbeitsverträge aufzunehmen. Die Übersichtlichkeit und Verständlichkeit der Arbeitsverträge würden hierunter leiden.245 (3) Zulässigkeit der Teilverweisung Die Arbeitsvertragsparteien können sich bei der Teilverweisung auf einen Tarifvertrag grundsätzlich auf ihre Vertragsfreiheit gemäß §§ 241, 311 BGB berufen. Es kann keinen Unterschied machen, ob die Parteien die Teilregelungen abschreiben oder auf diese verweisen. Dem Tarifvertrag kommt insofern keine beschränkende Wirkung für das Arbeitsverhältnis zu. Wie bereits festgestellt, begründet § 4 Abs. 1 TVG kein Sonderrecht für die ta239
BAG v. 23.2.1988 – 3 AZR 300/86, NZA 1988, 614 (615); BAG v. 19.1.1999 – 1 AZR 606/98, NZA 1999, 879 (881); LAG Düsseldorf v. 13.4.1962 – 3 Sa 94/62, BB 1962, 922; LAG Hamm v. 9.4.1975 – 2 Sa 92/75, DB 1975, 1515. 240 Bauschke, ZTR 1993, 416 (417); Däubler, TarifvertragsR, Rn. 334; Gaul, ZTR 1991, 188 (193); Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 263; Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 38 f.; Annuß, BB 1999, 2558 (2558 f.); Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 43; Reichel, Bezugnahme, S. 38 f.; Ebeling, Bezugnahme, S. 103. 241 Bauschke, ZTR 1993, 416 (417). 242 Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 173. 243 Reichel, Bezugnahme, S. 38. 244 Reichel, Bezugnahme, S. 38; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 43; ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 18. 245 Reichel, Bezugnahme, S. 39.
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rifgebundenen Parteien des Arbeitsvertrages,246 sondern will lediglich Mindestarbeitsbedingungen gewähren.247 Ein auf kollektiver Ebene geschlossener Vertrag, der nur gegenüber den Tarifparteien wirkt, beschränkt die Außenseiter in ihren individualrechtlichen Verträgen mit dem Arbeitgeber nicht. Die Tarifvertragsparteien sind nach allgemeiner Ansicht nicht befugt, die Arbeitsverhältnisse der Außenseiter zu normieren.248 Eine Teilverweisung wirkt sich im Vergleich zu einer Globalverweisung auf die Stellung und Tarifautonomie der Gewerkschaften nicht derart nachteilig aus, dass sie generell als unzulässig anzusehen ist. Zum einen partizipieren die Außenseiter nicht in identischer Weise an den Tarifnormen wie die Gewerkschaftsmitglieder, die die für sie vorteilhaften Tarifregelungen mit nachteiligen Normen sowie ihrer Gewerkschaftsmitgliedschaft erkauft haben. Wie bereits oben dargestellt,249 gelten die Tarifnormen für die Außenseiter aufgrund der Bezugnahme nur schuldrechtlich, nicht normativ. Sie sind also – anders als die normativ geltenden Tarifnormen – im Rahmen der einzelvertraglichen Möglichkeiten abänderbar. Problematisch kann die Zulassung von Teilverweisungen in Fällen sein, in denen lediglich auf für die Arbeitnehmer nachteilige Tarifnormen verwiesen wird, die insofern kompensierenden Teile des Tarifvertrages aber nicht erfasst werden. Hier besteht eine Missbrauchsgefahr, da Arbeitgeber womöglich selektiv lediglich auf für Arbeitnehmer nachteilige Aspekte verweisen könnten (sog. „Rosinenpicken“). Dieser Missbrauchsgefahr ist aber nicht auf dem Wege eines generellen Verbots von Teilverweisungen zu begegnen. Die Arbeitsvertragsparteien vereinbaren Teilverweisungen grundsätzlich im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit. Die Grenze bildet erst die Inhaltskontrolle durch die zivilrechtlichen Generalklauseln § 242 BGB, § 138 BGB, § 315 BGB und § 106 GewO. Bei Allgemeinen Arbeitsbedingungen kommt die AGB-Kontrolle als zusätzlicher Schutz für die Arbeitnehmer hinzu.250 Gesetzliche Zulassungsnormen wie § 622 Abs. 4 S. 2 BGB, § 13 Abs. 1 S. 2 BUrlG, die eine Teilbezugnahme zulassen, sagen nämlich noch nichts über die Angemessenheit der Tarifregelung und die Erforderlichkeit einer Inhaltskontrolle aus.251 246 Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 289; Däubler, TarifvertragsR, Rn. 332. Vgl. o. S. 46. 247 Gaul, ZTR 1991, 188 (190); Reichel, Bezugnahme, S. 8. 248 BAG v. 29.11.1967 – GS 1/67, AP Nr. 13 zu Art. 9 GG (GS); WiedemannOetker, TVG, § 3 Rn. 289. 249 B.III.2.c), ab S. 67. 250 Zur AGB-Kontrolle s. u. C.II., ab S. 92. Zum Verhältnis der AGB-Kontrolle zu den zivilrechtlichen Generalklauseln vgl. BeckOK-Jacobs, § 305 BGB Rn. 6. 251 ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 18. A. A. Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 39; Reichel, Bezugnahme, S. 38; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 43.
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Bei einer (nur) teilweisen Inbezugnahme von Tarifnormen kommt in vorformulierten Arbeitsverträgen eine Inhaltskontrolle nach § 307 BGB in Betracht, weil dann von Rechtsvorschriften im Sinne von § 307 Abs. 3 BGB abgewichen wird, wozu nach § 310 Abs. 4 S. 3 BGB auch Tarifverträge zählen.252 Somit besteht ein wirksamer Mechanismus zum Schutz vor Missbräuchen. cc) Einzelverweisung Schließlich ist die bloße Bezugnahme auf einzelne Vorschriften eines Tarifvertrages denkbar.253 Eine Einzelverweisung hat für den Arbeitgeber den Vorteil, dass er alle für ihn günstigen Tarifnormen in Bezug nehmen und somit einen für seine Bedürfnisse „maßgeschneiderten Arbeitsvertrag“ entwerfen kann.254 Einzelverweisungen bergen jedoch noch mehr als Teilbezugnahmen die Gefahr einer einseitigen Benachteiligung des Arbeitnehmers.255 Sie nehmen kein von gleich starken Parteien ausgehandeltes Vertragswerk in Bezug, sondern nur einzelne Passagen desselben, was den Eindruck des „Rosinenpickens“ erwecken kann.256 Gegen ihre Zulässigkeit werden die gleichen Bedenken erhoben wie gegen eine Teilverweisung.257 Insofern kann auf die vorigen Ausführungen verwiesen werden. Auch eine Einzelverweisung ist von der Privatautonomie der Arbeitsvertragsparteien gedeckt. Eine Benachteiligung der Arbeitnehmer kann auch hier durch § 138 BGB bzw. eine AGB-Kontrolle der Klausel verhindert werden.258
252
ErfK-Franzen, § 3 TVG Rn. 34. Vgl. u. C.II.3.d)aa), ab S. 103. Für die Zulässigkeit: BAG v. 19.1.1999 – 1 AZR 606/98, NZA 1999, 879 (881); BAG v. 23.2.1988 – 3 AZR 300/86, NZA 1988, 614 (615); LAG Hamm v. 9.4.1975 – 2 Sa 92/75, DB 1975, 1515; Ebeling, Bezugnahme, S. 103; Gaul, ZTR 1993, 355 (356); Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 263; Reichel, Bezugnahme, S. 40; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 42 f.; Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, S. 739; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 248; Preis, Vertragsgestaltung, S. 397. 254 Reichel, Bezugnahme, S. 40. 255 Reichel, Bezugnahme, S. 40. 256 ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 16; Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 236. 257 Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (245); Kempen/Zachert, TVG, 3. Aufl., § 3 Rn. 85 – s. aber nun Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 173; Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 236 f. 258 Reichel, Bezugnahme, S. 40; ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 16; DäublerLorenz, TVG, § 3 Rn. 237. Vgl. auch u. C.II.3.d)aa)(3), ab S. 109. 253
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b) Einschlägiger oder fremder Tarifvertrag Des Weiteren kann danach unterschieden werden, ob die Arbeitsvertragsparteien auf den räumlich, betrieblich und fachlich einschlägigen oder auf einen anderen, fremden Tarifvertrag Bezug nehmen. aa) Einschlägiger Tarifvertrag Die Inbezugnahme des einschlägigen Tarifvertrages ist – auch durch tarifgebundene Arbeitsvertragsparteien – grundsätzlich unproblematisch zulässig.259 bb) Fremder Tarifvertrag Zweifelhaft ist jedoch, ob die Vertragsparteien die Geltung eines fremden, d.h. eines für den Betrieb fachlich nicht einschlägigen Tarifvertrages vereinbaren können. Für die Bezugnahme auf einen fremden Tarifvertrag können räumliche (das Unternehmen befindet sich in unmittelbarer Nähe zu einem Großkonzern) oder sachliche Gründe (Wechsel der Branchenzugehörigkeit im Laufe der Zeit) sprechen.260 (1) Meinungen in Rechtsprechung und Literatur Eine Ansicht im Schrifttum führt gegen die Inbezugnahme eines fremden Tarifvertrages an, dass es bei gleichzeitiger Tarifbindung an einen einschlägigen Tarifvertrag zu einer Aufweichung und Gefährdung der normativen Tarifbindung kommen könne.261 Auf diesem Wege änderten die Parteien des Arbeitsvertrages die gesetzlichen Vorschriften über die Tarifgebundenheit, was ihnen nicht zustehe.262 Die Tarifvertragsparteien würden gegeneinander ausgespielt. Zudem sprächen die gesetzlichen Bezugnahmeermächtigungen gegen die Zulässigkeit der Verweisung auf einen fremden Tarif259 BGH v. 20.10.1977 – II ZR 25/77, AP Nr. 5 zu § 242 BGB Ruhegehalt Beamtenversorgung; Ebeling, Bezugnahme, S. 104; Reichel, Bezugnahme, S. 28; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 35; Bauschke, ZTR 1993, 416 (416); Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 314. 260 Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 292. 261 Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 166; ähnl. Nikisch, Anm. zu BAG v. 10.6.1965 – 5 AZR 432/64, AP Nr. 13 zu § 9 TVG (a. F.). 262 Nikisch, Anm. zu BAG v. 10.6.1965 – 5 AZR 432/64, AP Nr. 13 zu § 9 TVG.
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vertrag, da sie ausdrücklich nur die „einschlägigen“ Tarifbestimmungen erwähnen würden.263 Die Mehrheit der Stimmen in Schrifttum264 und Rechtsprechung265 sieht die Bezugnahme auf einen fremden Tarifvertrag hingegen als zulässig an, selbst wenn bereits eine Tarifbindung an einen anderen (einschlägigen) Tarifvertrag besteht. Die einzige Grenze bilde das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG.266 Die rein individualrechtliche Verweisung ändere nichts daran, dass der einschlägige Tarifvertrag nach §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG verbindlich bleibe.267 Die Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien werde durch die Tarifbindung nicht beseitigt.268 Ein legitimes, durch Art. 9 Abs. 3 GG geschütztes Recht der Parteien des ungünstigeren Tarifvertrages, die Geltung des günstigeren, in Bezug genommenen Tarifvertrages zu verhindern, sei nicht zu erkennen.269 Das Günstigkeitsprinzip sei insofern eine mit Art. 9 Abs. 3 GG in Einklang stehende Begrenzung der Tarifautonomie.270 Bei den gesetzlichen Bezugnahmeermächtigungen handele es sich um Ausnahmevorschriften, die einer engen Auslegung bedürften, so dass sich aus ihnen nicht schließen lasse, dass die vertragliche Inbezugnahme eines fachfremden Tarifvertrages generell unzulässig sei.271 Aus § 22 Abs. 2 TzBfG ergebe sich, dass der Gesetzgeber sich des Phänomens arbeitsvertraglicher Verweisungen auf fremde Tarifverträge bewusst gewesen sei und dieses gebilligt habe.272 Dieser Norm zufolge gel263
Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 166. Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 179; ErfK-Franzen, § 3 TVG Rn. 34; Däubler/Dorndorf/Bonin/Deinert-Däubler, AGB-Kontrolle, § 310 BGB Rn. 49; Ebeling, Bezugnahme, S. 107; Giesen, NZA 2006, 625 (625); HWK-Henssler, § 3 TVG Rn. 18; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 291 f.; Reichel, Bezugnahme, S. 30 f.; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 36; Skuderis, Betriebsübergang, S. 367; Schaub, ZTR 2000, 259 (261); Schliemann, NZA, Sonderbeilage zu Heft 16/2003, 3 (4). 265 BAG v. 10.6.1965 – 5 AZR 432/64, AP Nr. 13 zu § 9 TVG; BAG v. 6.12.1990 – 6 AZR 268/89, NZA 1991, 394 (395); BAG v. 22.1.2002 – 9 AZR 601/00, AP Nr. 55 zu § 11 BUrlG. 266 Däubler, TarifvertragsR, Rn. 336; Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (241 f.); Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 202; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 291. 267 Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (241); Ebeling, Bezugnahme, S. 108. 268 Ebeling, Bezugnahme, S. 107 f.; Reichel, Bezugnahme, S. 30 f.; WiedemannOetker, TVG, § 3 Rn. 291. 269 Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (241). 270 BAG v. 15.12.1960 – 5 AZR 374/58 und 5 AZR 417/58, AP Nr. 2, 3 zu § 4 TVG Angleichungsrecht; BAG v. 26.2.1986 – 4 AZR 535/84, AP Nr. 12 zu § 4 TVG Ordnungsprinzip; Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (241); Reichel, Bezugnahme, S. 30. 271 Reichel, Bezugnahme, S. 30; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 37. 272 Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1362 f.); Thüsing, AGB-Kontrolle im ArbR, Rn. 185. 264
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ten bei Abweichungen von bestimmten Vorgaben des TzBfG durch einen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst dessen Bestimmungen auch zwischen nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern außerhalb des öffentlichen Dienstes, wenn ihre Anwendung einzelvertraglich vereinbart wurde und die Arbeitgeber die Betriebskosten überwiegend mit Zuwendungen im Sinne des Haushaltsrechts decken. Hieraus werde ersichtlich, dass der Gesetzgeber durchaus die Vereinbarung der Anwendung von Tarifnormen auch außerhalb ihres Geltungsbereichs für angemessen halte.273 (2) Kein Verstoß gegen die Tarifautonomie Indem die Arbeitsvertragsparteien auf einen fachfremden Tarifvertrag verweisen, üben sie ihre durch §§ 241, 311 BGB garantierte Vertragsfreiheit aus. Ob der in Bezug genommene Tarifvertrag einschlägig ist oder nicht, spielt zunächst keine Rolle, handelt es sich doch um den Inhalt der Klausel als solcher, der nichts über ihre Rechtswirkung aussagt. Wenn die Arbeitsvertragsparteien der Auffassung sind, dass ein fremder Tarifvertrag ihren Bedürfnissen eher gerecht wird als der einschlägige (z. B. im Falle eines Maurers, der in einem Chemiebetrieb arbeitet)274, sollten sie dies auch vereinbaren können. Bei der Bezugnahme handelt es sich, wie oben dargestellt,275 um eine rein schuldrechtliche Vereinbarung, die eine normative Tarifbindung nicht herbeiführen kann. Sie kann die normative Geltung des (einschlägigen) Tarifvertrags nach §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG nicht beseitigen und schon gar nicht die gesetzlichen Vorschriften über die Tarifgebundenheit ändern. Als eine individualrechtliche Vereinbarung führt sie keine Tarifkonkurrenz, also eine Konkurrenz auf tariflicher Ebene, herbei, sondern steht in der Rechtshierarchie unter dem Tarifvertrag.276 Diese Konstellation wird von § 4 Abs. 3 TVG geregelt, der deutlich macht, dass kein Verstoß gegen die Tarifautonomie vorliegt, sondern eine Verdrängung des Tarifvertrages durch den Arbeitsvertrag bei einer für den Arbeitnehmer günstigeren Regelung gerade möglich sein soll. Der Tarifvertrag soll Mindestarbeitsbedingungen sichern, nicht aber für die Arbeitnehmer günstigere vertragliche Vereinbarungen verhindern. Eine Schwächung der Tarifautonomie kommt nicht in Betracht, da das Tarifniveau gar nicht unterlaufen werden kann. Die Ar273
Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1362 f.). Beispiel nach Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, S. 738; Ebeling, Bezugnahme, S. 46. 275 B.III.2.c), ab S. 67. 276 s. u. Teil 2, A.II.3.b)bb), ab S. 233. 274
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beitsvertragsparteien treten nicht in Konkurrenz zu den Tarifvertragsparteien, sondern schaffen einen vom Tarifvertrag unabhängigen und diesem untergeordneten Geltungsgrund. Arbeitsvertrags- und Tarifvertragsparteien agieren somit auf unterschiedlichen Ebenen. Aus den gesetzlichen Bezugnahmeermächtigungen ergibt sich nichts anderes. Sie stellen Spezialvorschriften dar, denen kein universaler Aussageund Regelungsgehalt für Fälle jenseits ihres eigenen Anwendungsbereichs zukommen kann. Auf der anderen Seite kann aber auch § 22 Abs. 2 TzBfG insofern nur ein sehr beschränkter genereller Aussagegehalt entnommen werden. Ob die Inbezugnahme eines nicht einschlägigen Tarifvertrags für die Arbeitnehmer hingegen überraschend im Sinne des § 305c Abs. 1 BGB ist, ist an späterer Stelle zu erörtern.277 (3) Sonderfall: Verweisung auf unpassende oder nicht durchführbare Tarifnormen Eine Sonderkonstellation ergibt sich für den Fall, dass der Arbeitsvertrag auf einen branchenfremden Tarifvertrag verweist, dessen Vorschriften sich nicht ohne Weiteres auf das Arbeitsverhältnis übertragen lassen. Besonders häufig wird in der Privatwirtschaft auf den Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT – jetzt TVöD) verwiesen, um den Beschäftigten die im öffentlichen Dienst üblichen Arbeitsbedingungen zu gewähren und damit ein Abwandern dieser Arbeitnehmer zur öffentlichen Hand zu verhindern.278 Hierbei kommt insbesondere die praktisch höchst bedeutsame Frage auf, ob damit auch die in § 46 BAT (jetzt § 25 TVöD) enthaltene zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung in Bezug genommen ist und der Arbeitnehmer somit Anspruch auf eine solche Zusatzversorgung hat.279 Dies ist jedoch abzulehnen, da der privatwirtschaftliche Arbeitgeber mangels öffentlich-rechtlicher Arbeitgebereigenschaft nicht Mitglied des Zusatzversorgungswerkes werden und eine für ihn nicht erfüllbare Verpflichtung durch die Bezugnahme nicht begründet werden kann.280 Grundsätzlich ist in jedem Fall, in dem eine Tarifnorm nicht „passt“, durch Auslegung zu ermitteln, ob und inwieweit ihre entsprechende Anwen277
C.II.3.c)cc), ab S. 97. Reichel, Bezugnahme, S. 35; Gaul, ZTR 1991, 188 (195). 279 Reichel, Bezugnahme, S. 36; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 41. 280 BAG v. 29.7.1986 – 3 AZR 71/85, AP Nr. 16 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen; Däubler, TarifvertragsR, Rn. 341; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 41; Reichel, Bezugnahme, S. 36; Schaub, ZTR 2000, 259 (261 f.). 278
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dung in Betracht kommt.281 In diesen Fällen ist es jedoch zumeist naheliegend, die Verweisung auf den fremden Tarifvertrag als für den Arbeitnehmer überraschend und damit als nicht wirksam erfolgt anzusehen (§ 310 Abs. 4 S. 3 BGB i. V. m. § 305c Abs. 1 BGB).282 Die jeweilige Tarifnorm ist dann auf das Arbeitsverhältnis nicht anwendbar, eine Analogie kommt nicht in Betracht. Hierdurch eventuell entstehende Vertragslücken sind durch (ergänzende) Vertragsauslegung und das Gesetzesrecht (z. B. § 612 Abs. 2 BGB) zu schließen. c) Unwirksamer Tarifvertrag Noch umstrittener als die Bezugnahme auf einen fremden Tarifvertrag ist die Verweisung auf einen unwirksamen Tarifvertrag. Die Bezugnahme auf einen unwirksamen Tarifvertrag kann zwar vor dem Hintergrund der Vertragsfreiheit nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden.283 Auch sagt die tarifrechtliche Wirksamkeit noch nichts über die einzelvertragliche Zulässigkeit aus; grundsätzlich ist auch die Inbezugnahme eines unwirksamen Tarifvertrages einzelvertraglich wirksam.284 Eine Bezugnahme ist aber nicht möglich, wenn der Tarifvertrag wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht oder allgemeine Rechtsprinzipien unwirksam ist, denn der Inhalt des Tarifvertrages hätte dann auch ohne Bezugnahme nicht wirksam vereinbart werden können.285 Im Zweifel ist nämlich davon auszugehen, dass der Tarifvertrag nur im Rahmen seiner tarifrechtlichen Wirksamkeit Eingang in das Arbeitsverhältnis finden soll. Grundsätzlich wollen die Parteien tarifrechtlich wirksame Regelungen in ihrem Arbeitsverhältnis zur Anwendung bringen. Von einer bewussten Bezugnahme ist in diesem Fall daher nur auszugehen, wenn erkennbar ist, dass es den Parteien gerade auf die Übernahme einer tarifrechtlich unwirksamen, inhaltlich aber als passend erachteten Regelung an281
LAG Köln, ZTR 2001, 88 (Ls.); Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 242; Däubler, TarifvertragsR, Rn. 341; Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 166. 282 Preis, Arbeitsvertrag, I C Rn. 81; Diehn, NZA 2004, 129 (132 f.) (für eine Überprüfung der einzelnen Klauseln); Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 166. Vgl. u. C.II.3.c)cc), ab S. 97. 283 BAG v. 7.12.1977 – 4 AZR 474/76, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG v. 22.1.2002 – 9 AZR 601/00, AP Nr. 55 zu § 11 BUrlG; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 38; Ebeling, Bezugnahme, S. 75; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 324; Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 243; HWK-Henssler, § 3 TVG Rn. 20. 284 Ebeling, Bezugnahme, S. 75 f.; Gumpert, BB 1961, 1276 (1277). 285 Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 38; HWK-Henssler, § 3 TVG Rn. 20; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 320; Gaul, ZTR 1993, 355 (357); Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 243.
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kam.286 Dies ist z. B. der Fall, wenn die Aufstockung übertariflicher Löhne auf das verbesserte Tarifniveau zwar nicht im Tarifvertrag, wohl aber im Arbeitsvertrag erreicht werden kann.287 d) Nachwirkender oder abgelöster Tarifvertrag Aufgrund der Vertragsfreiheit ist die Verweisung auf einen nach § 4 Abs. 5 TVG nachwirkenden oder abgelösten Tarifvertrag grundsätzlich möglich.288 Die Bezugnahme kann außerdem dann in Kraft bleiben, wenn der in Bezug genommene Tarifvertrag erst später in das Nachwirkungsstadium eintritt.289 Dies ist schließlich eine „klassische“ Folge der Möglichkeit einer statischen Verweisung.290 Im Rahmen der Auslegung muss sich jedoch eindeutig ergeben, dass die Parteien die Inbezugnahme eines nicht mehr unmittelbar und zwingend geltenden oder gar eines bereits von einem neuen Tarifwerk abgelösten Tarifvertrages vereinbaren wollten. Darüber hinaus verlangt das BAG, dass auf einen nachwirkenden Tarifvertrag bei einem im Nachwirkungszeitraum neu eingestellten Arbeitnehmer nur durch eine klare und ausdrückliche Vereinbarung der Bezugnahme wirksam verwiesen werden könne.291 Die bloße Verweisung auf einen „den Arbeitgeber bindenden“ Tarifvertrag reiche nicht aus.292 Bei einem bereits 286 Gumpert, BB 1961, 1276 (1278 i. V. m. 1277); Ebeling, Bezugnahme, S. 76; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 38; Reichel, Bezugnahme, S. 35; Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 243. Ähnlich Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 320; Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, S. 737. 287 Däubler, TarifvertragsR, Rn. 337. 288 BAG v. 20.9.2006 – 10 AZR 715/05, AP Nr. 44 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG v. 22.7.1998 – 4 AZR 403/97, AP Nr. 32 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG v. 5.6.2007 – 9 AZR 241/06, NZA 2007, 1369; BAG v. 9.5.2007 – 4 AZR 319/06, AP Nr. 8 zu § 305c BGB; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 179; Däubler, TarifvertragsR, Rn. 333; Ebeling, Bezugnahme, S. 52; HWKHenssler, § 3 TVG Rn. 20; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 324; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 39; Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 243a; Gaul, AktuellAR 2008, S. 241 f. A. A. Lieb, ZfA 1970, 197 (205). 289 BAG v. 29.1.1975 – 4 AZR 218/74, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG v. 27.1.1987 – 1 ABR 66/85, AP Nr. 42 zu § 99 BetrVG 1972; BAG v. 11.8.1988 – 2 AZR 95/88, AP Nr. 70 zu § 1 TVG Tarifverträge Metallindustrie; Däubler, TarifvertragsR, Rn. 343; Ebeling, Bezugnahme, S. 64; Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, S. 734; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 395 ff. Zu den folgenden Auslegungsproblemen vgl. Ebeling, Bezugnahme, S. 64 ff. 290 s. u. B.IV.3.a), ab S. 84. 291 BAG v. 6.6.1958 – 1 AZR 515/57, NZA 1958, 1843 (1845).
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abgelösten Tarifvertrag wird ein ausdrücklicher Hinweis auf den Ablauf des Tarifvertrages verlangt.293 Diese Einschränkungen der Rechtsprechung sind jedoch abzulehnen.294 Die Vertragsfreiheit umfasst das Recht, einen lediglich nachwirkenden oder abgelösten Tarifvertrag in Bezug zu nehmen.295 Besondere Gründe, diese Bezugnahme bei einem entsprechenden Parteiwillen schärferen Voraussetzungen zu unterwerfen als die Bezugnahme auf einen unmittelbar und zwingend geltenden Tarifvertrag, sind nicht ersichtlich.296 3. Grad der Dynamik: Statische oder (kleine o. große) dynamische Verweisung Unter dem zeitlichen Aspekt lassen sich Bezugnahmeklauseln in zwei Kategorien aufteilen, die statischen und die dynamischen. Die Zuordnung hängt davon ab, ob nur ein bei Vertragsschluss bereits bestehender Tarifvertrag einbezogen oder eine Flexibilisierung des Arbeitsverhältnisses erzielt werden soll. Insgesamt ist zwischen statischen, kleinen dynamischen und großen dynamischen Klauseln zu unterscheiden.297 a) Statische Bezugnahmeklausel Eine statische Bezugnahmeklausel liegt vor, wenn auf einen bestimmten, an einem näher definierten Stichtag gültigen Tarifvertrag verwiesen wird, z. B.: „Es gilt der Tarifvertrag X in seiner Fassung vom (. . .).“ 292 BAG v. 18.8.1982 – 5 AZR 281/80, n. v.; BAG v. 6.6.1958 – 1 AZR 515/57, NZA 1958, 1843 (1845); Kempen/Zachert, TVG, 3. Aufl., § 3 Rn. 78; anders jetzt aber Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 168. 293 BAG v. 6.6.1958 – 1 AZR 515/57, NZA 1958, 1843 (1845). 294 Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 324; Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 243a; Ebeling, Bezugnahme, S. 64; Stein, TarifvertragsR, Rn. 241; Jacobs/Krause/OetkerOetker, TarifvertragsR, § 6 Rn. 177. 295 Ebenso Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 324; Ebeling, Bezugnahme, S. 64. 296 s. auch Stein, TarifvertragsR, Rn. 241; Ebeling, Bezugnahme, S. 64; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 39 f.; Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 243a; WiedemannOetker, TVG, § 3 Rn. 324; Jacobs/Krause/Oetker-Oetker, TarifvertragsR, § 6 Rn. 177. 297 Terminologie zurückgehend auf Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 74 ff.; s. auch BAG v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99, NZA 2001, 510 (511); BAG v. 25.10.2000 – 4 AZR 506/99, AP Nr. 13 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; Heinze, NZA 2001, Sonderheft, S. 73 (74); Annuß, BB 1999, 2558 (2558 f.); Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1259). Hanau, NZA 2005, 489 (489), differenziert zudem zwischen halb- und volldynamischen Verweisungen.
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Hierdurch wollen sich die Parteien von künftigen tariflichen Änderungen abkoppeln und etwas vereinbaren, das ihrem Arbeitsverhältnis dauerhaft zugrunde liegen kann.298 Spätere Änderungen des in Bezug genommenen Tarifvertrags sollen für das Arbeitsverhältnis ohne Bedeutung bleiben; maßgeblich ist und bleibt der Stand des Tarifvertrags zu dem benannten Stichtag.299 Diese Form der Verweisung ist eher selten.300 Das liegt vor allem daran, dass die Übernahme neuer tariflicher Regelungen nur durch Änderung der Individualarbeitsverträge möglich und damit sehr umständlich ist. b) Kleine dynamische Bezugnahmeklausel Die Bezugnahme kann auch zeitlich-dynamisch erfolgen. Eine sog. kleine dynamische Bezugnahmeklausel liegt vor, wenn zeitlich abfolgende Tarifverträge einer bestimmten Branche in der jeweils gültigen Fassung zum Inhalt der Vereinbarung gemacht werden sollen, z. B.: „Es gilt der Tarifvertrag der X-Branche in seiner jeweils gültigen Fassung.“
Diese Gruppe von Bezugnahmeklauseln kommt in der Praxis am häufigsten vor.301 c) Große dynamische Bezugnahmeklausel Die weitestgehende Form der Bezugnahme ist die große dynamische Verweisungsklausel. Im Gegensatz zu einer kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel grenzen die Parteien hierbei die Branche nicht ein.302 Neben der zeitlichen entfaltet diese Klausel somit auch eine sachliche Dynamik. Die Parteien verweisen auf den jeweils für den Betrieb einschlägigen Tarifvertrag in seiner jeweiligen Fassung, ohne einen Tarifbereich oder eine bestimmte Branche näher zu bezeichnen (sog. Jeweiligkeitsklausel303), z. B.: „Es gilt der jeweils einschlägige Tarifvertrag in seiner jeweils gültigen Fassung.“ 298
Wahlig, AuA 2001, 346 (347). Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 45. 300 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 86 und 121; Preis, Vertragsgestaltung, S. 400; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 45; Ebeling, Bezugnahme, S. 139; Zerres, NJW 2006, 3533 (3533); Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 229; Däubler, NZA Beil. 3/2006, 133 (134). 301 Lambrich, FS Ehmann, S. 169 (220). 302 Ebeling, Bezugnahme, S. 141. 303 Bauschke, ZTR 1993, 416 (416); Reinecke, BB 2006, 2637 (2637); Hanau/ Kania, FS Schaub, S. 239 (246); Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 179; Stein, AuR 2003, 361 (361). 299
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
Alternativ finden sich Formulierungen, dass die jeweils „im Betrieb geltenden“ Tarifverträge in Bezug genommen werden. In diesen Fällen wird unter Umständen die Tarifgebundenheit (zumindest) auf Arbeitgeberseite gefordert. Die zweifache Dynamik der großen dynamischen Bezugnahme ermöglicht es bei einem Tarifwechsel – etwa nach einer Umstrukturierung oder einer unternehmerischen Neuausrichtung des Betriebes –, dass sich dieser Wechsel auch bei den Außenseitern vollzieht. Das BAG nennt solche Klauseln deshalb „Tarifwechselklauseln“.304 Aufgrund ihrer Weite laufen die Parteien bei Anwendung dieser Klauseln jedoch Gefahr, dass spätere Tarifvertragsbestimmungen in den Arbeitsvertrag eingehen, die sie nicht vorhergesehen haben oder die der einen oder der anderen Seite unerwünscht erscheinen.305
V. Bezugnahmeklauseln und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz Die Verwendung von Bezugnahmeklauseln weist Verbindungen zu dem am 14.8.2006 in Kraft getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG)306 auf. Es stellt sich die Frage, ob dem Arbeitgeber, der im Arbeitsvertrag auf einen Tarifvertrag Bezug nimmt, eine durch das AGG vorgesehene Haftungsprivilegierung für Kollektivvereinbarungen zugute kommen kann. 1. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Das AGG setzt vier EU-Richtlinien307 in innerstaatliches Recht um, die den Mitgliedstaaten auferlegen, den Schutz vor Benachteiligungen im Bereich Beschäftigung und Beruf hinsichtlich der Merkmale Rasse, ethnische Herkunft, Religion und Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Identität und Geschlecht zu gewährleisten.308 304
BAG v. 21.8.2002 – 4 AZR 263/01, NZA 2003, 442 (443); BAG v. 21.2.2001 – 4 AZR 18/00, NZA 2001, 1318 (1324); BAG v. 16.10.2002 – 4 AZR 467/01, NZA 2003, 390 (391 f.). 305 Ebeling, Bezugnahme, S. 141. In diesem Fall bedarf es einer Änderungskündigung oder einer erneuten besonderen Vereinbarung. Vgl. dazu Teil 3, A. und B., ab S. 381. 306 BGBl. I, 2006, Nr. 39, S. 1897 ff. 307 RL 2000/43/EG v. 29.6.2000, ABlEG Nr. L 180, S. 22; RL 2000/78/EG v. 27.11.2000, ABlEG Nr. L 303, S. 16; RL 2002/73/EG v. 23.9.2002, ABlEG Nr. L 269, S. 15; RL 2004/113/EG v. 13.12.2004, ABlEG Nr. L 373, S. 37. 308 ErfK-Schlachter, Vorb. AGG Rn. 1.
B. Rechtliche Rahmenbedingungen
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Gemäß § 1 AGG bezweckt das Gesetz den Schutz vor Benachteiligungen wegen der in ihm aufgezählten Merkmale – sowohl bei Beschäftigung und Beruf als auch bei zivilrechtlichen Massengeschäften (vgl. § 2 Abs. 1 AGG). Das Gesetz verbietet Benachteiligungen, vgl. § 7 Abs. 1 AGG. Als Benachteiligung gelten alle Verhaltensweisen gemäß § 3 AGG. Das AGG verlangt keine allgemeine Gleichbehandlung, sondern verbietet es, nachteilige Maßnahmen an bestimmte Merkmale – die „Benachteiligungsgründe“ des § 1 AGG – zu knüpfen.309 Es erlaubt jedoch unter bestimmten Umständen eine unterschiedliche Behandlung (§§ 8–10, 20 AGG). Hinzu tritt die Regelung des § 5 AGG für positive Maßnahmen. Nach § 7 Abs. 2 AGG sind Vereinbarungen unwirksam, die gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG verstoßen. § 7 Abs. 3 AGG erklärt Benachteiligungen zugleich zu vertraglichen Pflichtverletzungen. Für die Beschäftigten ergeben sich Beschwerde- und Leistungsverweigerungsrechte aus §§ 13, 14 AGG. § 15 Abs. 1 AGG gewährt einen verschuldensabhängigen Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens, während sich aus § 15 Abs. 2 AGG ein verschuldensunabhängiger Anspruch auf Entschädigung ergibt. 2. § 15 Abs. 3 AGG und Bezugnahmeklauseln Besondere Relevanz für die Problematik der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln hat § 15 Abs. 3 AGG. Er beschränkt die sich aus § 15 Abs. 2 AGG ergebende (verschuldensunabhängige) Entschädigungspflicht des Arbeitgebers bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot aus § 7 AGG:310 „Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.“
Es geht insofern um die Situation, dass der Arbeitgeber durch die Anwendung bestehender kollektivrechtlicher Vorschriften einen Beschäftigten benachteiligt, obwohl ihm ihre benachteiligende Wirkung bekannt (Vorsatz) oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt ist.311
309
ErfK-Schlachter, § 1 AGG Rn. 2. Die Privilegierung erfasst hingegen nicht die Schadensersatzpflicht aus § 15 Abs. 1 AGG, vgl. ErfK-Schlachter, § 15 AGG Rn. 10. 311 Kamanabrou, RdA 2006, 321 (337). 310
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
a) Bezugnahmeklauseln als „kollektivrechtliche Vereinbarung“? Die Anwendbarkeit eines Tarifvertrages kraft Bezugnahmeklausel könnte als „kollektivrechtliche Vereinbarung“ anzusehen sein, so dass die Haftungsprivilegierung bei ihrer Verwendung eingreifen könnte. Der Begriff „kollektivrechtliche Vereinbarung“ deutet zunächst nur auf Regelwerke des kollektiven Arbeitsrechts, in Abgrenzung zum Individualarbeitsrecht, hin. Dies sind Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen. Ihnen ist gemeinsam, dass sie von Tarifvertragsparteien bzw. Betriebspartnern, nicht jedoch Arbeitsvertragspartnern, geschlossen werden, Rechtsnormcharakter haben und sich deshalb auf das individuelle Arbeitsverhältnis ebenso normativ auswirken wie Gesetze.312 Sie unterfallen daher unproblematisch dem Begriff „kollektivrechtlicher Vereinbarungen“ des § 15 Abs. 3 AGG.313 Bezugnahmeklauseln sind im Gegensatz zu Tarifverträgen, Betriebs- und Dienstvereinbarungen lediglich verkürzte individualrechtliche Absprachen über den Vertragsinhalt.314 Eine normative Wirkung, wie sie den anderen Regelungswerken gemein ist,315 kommt ihnen gerade nicht zu.316 Anders als bei den meisten kollektivrechtlichen Regelungen hat der Arbeitgeber bei der individualvertraglichen Bezugnahme außerdem Einfluss auf die Ausgestaltung der Vereinbarung. Zudem würde die Erfassung von Bezugnahmeklauseln den Schutzbereich des AGG für die Arbeitnehmer zumindest teilweise begrenzen, wenn auch bei Bezugnahmeklauseln eine Begrenzung der Entschädigungspflicht gälte. Das AGG ist jedoch gerade auf einen möglichst umfassenden Schutz der Arbeitnehmer gerichtet. Gemäß der Entwurfsbegründung317 gilt § 15 Abs. 3 AGG aber explizit auch dann, „. . . wenn – mangels Tarifbindung – die Geltung von Tarifverträgen im Arbeitsvertrag vereinbart ist . . .“318
Hierfür spricht auch der Wortlaut der Norm, die nur von der „Anwendung“, nicht aber der (normativen) „Geltung“ kollektivrechtlicher Regelungen spricht.319 312
Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 16/1780, S. 38. Vgl. ErfK-Schlachter, § 15 AGG Rn. 10. 314 s. o. B.III.1.b), ab S. 64. 315 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 16/1780, S. 38. 316 s. o. B.III.2.c), ab S. 67. 317 BT-Drucks. 16/1780, S. 38. 318 BT-Drucks. 16/1780, S. 38. Zustimmend Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 15 Rn. 42; Annuß, BB 2006, 1629 (1635); Richardi, NZA 2006, 881 (885); Bauschke, AGG, § 15 Rn. 8. 319 Ebenso Schleusener/Suckow/Voigt-Voigt, AGG, § 15 Rn. 61. 313
B. Rechtliche Rahmenbedingungen
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Zudem sind – wie bereits gezeigt –320 Bezugnahmeklauseln typischerweise auch in den Arbeitsverträgen der Gewerkschaftsmitglieder zu finden. Wollte man nur normativ geltende Tarifverträge unter § 15 Abs. 3 AGG fassen, würde dies in den allermeisten Fällen die Privilegierung bedeutungslos machen – der von der Norm bezweckte Schutz liefe ins Leere.321 Dies widerspräche dem Schutzzweck der Vorschrift. Nach der Entwurfsbegründung322 rechtfertigt es gerade die vermutete „höhere Richtigkeitsgewähr“323, Rechtsfolgen benachteiligender Kollektivvereinbarungen anders als Folgen von Maßnahmen zu gestalten, für die der Arbeitgeber alleine verantwortlich ist. Maßgeblich ist also, dass der Arbeitgeber bei der Bezugnahme nicht selbst eine benachteiligende Regelung trifft, sondern ein von Dritten aufgestelltes Regelungswerk übernimmt, dem eine besondere Richtigkeitsgewähr zukommt, und auf dessen Richtigkeit er oftmals auch vertrauen wird.324 Keine kollektivrechtlichen Vereinbarungen in diesem Sinne sind hingegen Gesamtzusagen oder betriebliche Übungen, für die der Arbeitgeber allein verantwortlich ist und denen deshalb keine „höhere Richtigkeitsgewähr“ zukommt, die eine Haftungserleichterung rechtfertigen könnte.325 Die besseren Gründe sprechen somit für eine Anwendbarkeit der Haftungsprivilegierung des § 15 Abs. 3 AGG auf Bezugnahmeklauseln. b) Erfordernis der Globalverweisung? Schwierigkeiten bereitet jedoch die Frage, ob hierbei die zusätzliche Einschränkung gemacht werden muss, dass eine Bezugnahme von § 15 Abs. 3 AGG nur bei einer Globalverweisung erfasst ist, oder ob eine Teilverweisung genügt.326 Bei einer nur teilweisen Inbezugnahme des Tarifvertrages kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass das ausgewogene Gesamtkonzept der Kollektivvereinbarung auf arbeitsvertraglicher Ebene übernommen wird. Ein „Rosinenpicken“ des Arbeitgebers zu Lasten der Arbeitnehmer droht. 320
s. o. S. 29. ErfK-Schlachter, § 15 AGG Rn. 10. 322 BT-Drucks. 16/1780, S. 38. 323 s. hierzu bereits S. 29. 324 Schleusener/Suckow/Voigt-Voigt, AGG, § 15 Rn. 61. 325 Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 15 Rn. 42. 326 Für das Erfordernis der Globalverweisung Däubler/Bertzbach-Deinert, AGG, § 15 Rn. 94; Schleusener/Suckow/Voigt-Voigt, AGG, § 15 Rn. 62; Thüsing, Diskriminierungsschutz, Rn. 549. 321
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
Die der Gesamtregelung zukommende Richtigkeitsgewähr kann bei einer Teilverweisung nicht mehr angenommen werden, da der von den Tarifvertragsparteien hergestellte ausgewogene Sachzusammenhang zerstört wurde. Nimmt der Arbeitgeber nur einzelne Teile des Tarifvertrages in Bezug, liegt gerade in der Auswahl ein Verhalten des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer, für das der Arbeitgeber selbst verantwortlich ist.327 Eine Haftungsprivilegierung ist dann nicht mehr gerechtfertigt. Für eine Haftungsprivilegierung gemäß § 15 Abs. 3 AGG ist daher bei der Bezugnahme auf Tarifverträge zu fordern, dass es sich um eine Globalverweisung handelt.328 Liegen diese Voraussetzungen vor, hat der Arbeitgeber die Arbeitnehmer für alle aufgrund der Benachteiligung entstandenen Schäden, die nicht Vermögensschäden sind (vgl. §§ 15 Abs. 1, 2 AGG), nur noch bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit zu entschädigen. Dem Arbeitgeber kommt daher eine wichtige Haftungserleichterung im Rahmen des AGG zugute. Die Pflicht zum Ersatz des materiellen Schadens bleibt von § 15 Abs. 3 AGG jedoch unberührt.329 Im Übrigen haftet der Arbeitgeber gemäß § 15 Abs. 5 AGG auch weiterhin für Verstöße gegen höherrangiges Recht. Zudem sind die Kollektivvertragsparteien an das Gleichbehandlungsgesetz gebunden (vgl. §§ 2 Abs. 1 Nr. 2, 17 Abs. 1 AGG). Sofern ihre Vereinbarungen den Normen des AGG zuwiderliefen, wären sie bereits nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam.
VI. Zwischenergebnis Arbeitsvertragliche Bezugnahmen auf Tarifverträge sind rechtlich auch ohne gesetzliche oder richterrechtliche Ermächtigung zulässig und als verkürzte vertragliche Absprachen über den Vertragsinhalt anzusehen. Sie können durch ausdrückliche oder konkludente Einigung sowie durch Gesamtzusage oder eine betriebliche Übung vereinbart werden. Ein generelles Formerfordernis besteht nicht. Die in Bezug genommenen tariflichen Normen werden Inhalt des Arbeitsvertrages und entfalten als solche keine normative, sondern eine rein schuldrechtliche Wirkung. Die Bezugnahmeklausel kann konstitutiv oder deklaratorisch sein, wobei grundsätzlich selbst bei beiderseitiger Tarifgebundenheit von einer konstitutiven Wirkung der Klausel auszugehen ist. 327
Schleusener/Suckow/Voigt-Voigt, AGG, § 15 Rn. 62. Däubler-Deinert, AGG, § 15 Rn. 94 fordert zudem, dass es sich um die Inbezugnahme des für das Arbeitsverhältnis einschlägigen Tarifvertrages handeln muss. 329 s. o. S. 87, Fn. 310. 328
C. Grenzen der Bezugnahme
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Vom sachlichen Umfang her lassen sich Klauseln mit Global-, Teil- und Einzelverweisung unterscheiden, in zeitlich dynamischer Hinsicht kommen eine statische oder eine dynamische Bezugnahme in Betracht. Beschränkt sich die zeitlich dynamische Bezugnahme auf den bestehenden Tarifvertrag „in seiner jeweiligen Fassung“, handelt es sich um eine kleine dynamische Klausel. Ausnahmsweise kann eine Bezugnahmeklausel sowohl zeitlich als auch sachlich dynamisch sein, indem auf den jeweils einschlägigen Tarifvertrag – gleich welcher Branche – verwiesen wird. Auch die Inbezugnahme fremder, abgelaufener oder unwirksamer Tarifverträge ist grundsätzlich möglich. Globalbezugnahmen sind als „kollektive Vereinbarungen“ anzusehen, die unter das Haftungsprivileg des § 15 Abs. 3 AGG fallen.
C. Grenzen der Bezugnahme Die Arbeitsvertragsparteien können zwar grundsätzlich privatautonom entscheiden, auf welchen Tarifvertrag bzw. welche Teile eines Tarifvertrags sie in welcher Art und Weise Bezug nehmen wollen.330 Dennoch unterliegen sie gewissen Grenzen.
I. Zwingendes Gesetzesrecht (§ 134 BGB) Das zwingende Gesetzesrecht kann durch die Inbezugnahme eines Tarifvertrages nicht umgangen werden.331 Sofern eine Tarifvertragsnorm daher z. B. wegen Verstoßes gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) unwirksam ist, ist eine einzelvertragliche Bezugnahme auf eine solche Bestimmung ebenfalls unwirksam. Abgesehen von dem Fall der gesetzeswidrigen Tarifnorm ist die Wirksamkeit des Tarifvertrags jedoch keine Voraussetzung für die Bezugnahme, so dass sowohl nachwirkende oder abgelöste als auch unwirksam gewordene oder von Anfang an unwirksame Tarifverträge in Bezug genommen werden können.332
330
Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 179. Gaul, ZTR 1993, 355 (357); Schaub, ArbR-Hdb., § 208 Rn. 15; Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 243. 332 BAG v. 27.6.1978 – 4 AZR 89/77 – AP Nr. 12 zu § 13 BUrlG; BAG v. 7.12.1977 – 4 AZR 474/76 – AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung; Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 243; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 395 ff.; HWK-Henssler, § 3 TVG Rn. 20; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 179. Vgl. o. B.IV.2.c), B.IV.2.d), ab S. 82. 331
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
II. AGB-Kontrolle Nachdem der Gesetzgeber die Bereichsausnahme des § 23 Abs. 1 AGBG für das Arbeitsrecht durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts333 teilweise aufgehoben hat, unterliegen Allgemeine Geschäftsbedingungen in Arbeitsverträgen (sog. Allgemeine Arbeitsbedingungen) der AGB-Kontrolle.334 Für Klauseln in Arbeitsverträgen kommt als Verwender nur der Arbeitgeber in Betracht. Die Kontrolle von AGB im Bereich des Arbeitsrechts ist folglich Bestandteil des Arbeitnehmerschutzrechts.335 Seit der Einbeziehung allgemeiner Arbeitsbedingungen in die AGB-Kontrolle hat die Behandlung AGB-förmiger Bezugnahmen auf Tarifverträge für erhebliche Diskussionen gesorgt.336 Bei der Auslegung von AGB ist – anders als bei im Einzelnen ausgehandelten Klauseln – ein objektiver Maßstab anzulegen, da sie für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert wurden.337 1. Vorliegen von AGB im Sinne des § 305 BGB Eine Kontrolle von Bezugnahmeklauseln nach den §§ 305 ff. BGB setzt voraus, dass sie Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 BGB darstellen. Unter Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind gemäß der Legaldefinition des § 305 Abs. 1 S. 1 BGB alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen zu verstehen, die eine Partei der anderen Partei bei Abschluss eines Vertrages stellt. Da Arbeitnehmer zutreffender338 – jedoch umstrittener339 – Auffassung zufolge als Verbraucher im Sinne des § 310 Abs. 3 BGB anzusehen sind, 333 Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts v. 26.11.2001, BGBl. I S. 3138. Vgl. zur historischen Entwicklung BeckOK-Jacobs, § 305 BGB Rn. 2 f. Zur Begründung des Wegfalls der Bereichsausnahme s. BT-Drs. 14/6857, S. 17, 54. Kritisch hierzu Ebeling, Bezugnahme, S. 180 ff. 334 Witt, NZA 2004, 135 (135); Diehn, NZA 2004, 129 (129). 335 BeckOK-Jacobs, § 305 BGB Rn. 1. 336 s. z. B. Däubler, NZA Beil. 3/2006, 133 ff.; Diehn, NZA 2004, 129 ff.; Ebeling, Bezugnahme, S. 150 ff.; Haußmann, FS Schwerdtner, S. 89 (95 ff.); Thüsing/ Lambrich, NZA 2002, 1361 ff.; Annuß, ZfA 2005, 405 (431 ff.); Bayreuther, RdA 2003, 81 ff. 337 BGH v. 25.10.1952 – I ZR 48/52, NJW 1953, 21 (21 f.); BGH v. 29.10.1956 – II ZR 64/56, NJW 1956, 1915 (1915); BGH v. 2.3.1994 – IV ZR 109/93, NJW 1994, 1534 (1534). 338 BAG v. 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, AP Nr. 1 zu § 310 BGB; BAG v. 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, NZA 2006, 324 (328); Singer, RdA 2003, 194 (194 ff.); Diehn, NZA 2004, 129 (130); Annuß, BB 2006, 1333 (1335); Zundel, NJW 2006, 1237 (1237); ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 23; Preis/Roloff, ZfA 2007, 43 (50); Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 163.
C. Grenzen der Bezugnahme
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finden gemäß § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB die §§ 306, 307 und 309 BGB bereits bei einer nur einmalig beabsichtigten Verwendung der Arbeitsvertragsbestimmung Anwendung, sofern der Arbeitnehmer keinen inhaltlichen Einfluss nehmen konnte.340 Besonderheiten des Arbeitsrechts stehen einer solchen Ausweitung der Klauselkontrolle nach Ansicht des BAG nicht entgegen.341 Es wird also vermutet, dass die Allgemeinen Arbeitsbedingungen vom Arbeitgeber gestellt wurden (Nr. 1), und für eine AGB-Kontrolle genügt bereits die erstmalige Verwendung (Nr. 2). Vor diesem Hintergrund sind Bezugnahmeklauseln als solche zwar nicht notwendig, aber regelmäßig Allgemeine Geschäftsbedingungen.342 2. Kontrollfreiheit der Bezugnahmeklausel? Bei einer AGB-Kontrolle ist zwischen der Überprüfung der Bezugnahmeklausel und der Kontrolle der in Bezug genommenen Tarifinhalte zu differenzieren:343 Nach § 310 Abs. 4 S. 1 BGB gilt die Bereichsausnahme nach wie vor für Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen. Im Falle der Tarifverträge wird dies mit der ihnen zukommenden Richtigkeitsvermutung und der Tarifautonomie der Koalitionen begründet.344 Die Regelungen der Tarifverträge stellen Rechtsnormen dar, die unmittelbar und zwingend für die Arbeitsverhältnisse der Gewerkschaftsmitglieder gelten. In diesem „normsetzenden“ Bereich darf daher keine AGB-Kontrolle stattfinden, da ansonsten die Tarifautonomie konterkariert würde.345 Der gesetzliche Gesamtzusammenhang spricht auch dann gegen eine Kontrolle, wenn der Tarifvertrag im Arbeitsvertrag (lediglich) in Bezug genommen wurde. Dies gilt ebenso, wenn der Arbeitnehmer, in dessen Arbeitsvertrag der Tarifvertrag 339 A. A. Lingemann, NZA 2002, 181 (184); Henssler, RdA 2002, 129 (133 ff.); BeckOK-Jacobs, § 305c BGB Rn. 24, § 310 BGB Rn. 10 ff.; ders./Naber, RdA 2006, 181 (183 f.); Annuß, NJW 2002, 2844 (2844 f.); Richardi, NZA 2002, 1004 (1008 f.). 340 Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 163; Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 54 f. 341 BAG v. 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, AP Nr. 1 zu § 310 BGB. 342 Diehn, NZA 2004, 129 (130). 343 Annuß, ZfA 2005, 405 (431 f.); Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (242); Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 53. 344 BT-Drs. 14/6857, S. 54; Gaul, ZfA 2003, 75 (85). Zu der Frage ihrer AGBNatur bei Bezugnahme vgl. aber Diehn, NZA 2004, 129 (130); Richardi, NZA 2002, 1057 (1058); Preis, FS Wiedemann, S. 425 (428); Ernst, NZA 2008, 1405 (1406 f.). 345 BT-Drs. 14/6857, S. 54; Gaul, ZfA 2003, 75 (85).
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
in Bezug genommen wird, nicht Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft ist.346 Die Kontrolle von Arbeitsverträgen erfolgt hingegen, soweit es sich um AGB handelt, grundsätzlich nach den Regeln der §§ 305 ff. BGB.347 Für Bezugnahmeklauseln wurde in Urteilen des Neunten348 sowie des Siebten Senats349 jedoch angenommen, dass diese keiner AGB-Kontrolle unterliegen. Auf diese Weise werde sichergestellt, dass die kontrollfreien Tarifverträge auch bei einer einzelvertraglichen Verweisung keiner AGB-Kontrolle unterlägen.350 Der Vierte Senat hat mittlerweile klargestellt, dass die vorherigen Urteile missverständlich und zu weit formuliert waren und Bezugnahmeklauseln doch der AGB-Kontrolle unterfallen.351 Auch der Neunte Senat hat seine Rechtsprechung nunmehr korrigiert.352 Hierfür spricht, dass es bei der Kontrolle der Bezugnahmeklausel um eine Angemessenheitsprüfung auf arbeitsvertraglicher Ebene geht. Die Tarifnormen sind nicht Gegenstand der Kontrolle. Die Überprüfung der zwischen den Arbeitsvertragsparteien getroffenen vorformulierten Vereinbarung auf ihre Angemessenheit darf nicht von vornherein ausgeschlossen werden; ansonsten entstünden Schutzlücken im Arbeitsvertragsrecht. Die Ausgewogenheit der vertraglichen Absprache ist von einer Richtigkeitsgewähr auf kollektiver Ebene unabhängig und daher gerichtlich zu überprüfen. Im Gegensatz zu Tarifverträgen sind Verweisungsklauseln daher an den §§ 305 ff. BGB zu messen.353 Bei ihrer Kontrolle ist jedoch die Schranke des § 310 Abs. 4 S. 3 BGB zu beachten.354 3. Kontrolle der Bezugnahmeklausel Die §§ 305 ff. BGB sind daher auf Bezugnahmeklauseln anwendbar. Bei der Kontrolle der Bezugnahmeklausel können zahlreiche Vorschriften des AGB-Rechts relevant werden. 346
BAG v. 28.6.2007 – 6 AZR 750/06, NZA 2007, 1049 (1051). Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 56; Preis, FS Wiedemann, S. 425 (428). 348 BAG v. 12.9.2006 – 9 AZR 675/05, NZA 2007, 218 (220 f.). 349 BAG v. 27.7.2005 – 7 AZR 486/04, NZA 2006, 40 (46). 350 BAG v. 27.7.2005 – 7 AZR 486/04, NZA 2006, 40 (46); BAG v. 12.9.2006 – 9 AZR 675/05, NZA 2007, 218 (221). 351 BAG v. 9.5.2007 – 4 AZR 319/06, AP Nr. 8 zu § 305c BGB; ebenso bereits BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 (2573); sowie der 5. Senat BAG v. 9.11.2005 – 5 AZR 128/05, NZA 2006, 202 (203). 352 BAG v. 3.4.2007 – 9 AZR 283/06, AP Nr. 21 zu § 2 BAT SR 2l; BAG v. 15.4.2008 – 9 AZR 160/07, n. v. 353 Ebenso Gaul, ZfA 2003, 75 (86); Ebeling, Bezugnahme, S. 187; Thüsing/ Lambrich, NZA 2002, 1361 (1362 ff.); Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 338. 354 Hierzu s. u. C.II.3.d)aa), ab S. 103. 347
C. Grenzen der Bezugnahme
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a) Keine Einbeziehungskontrolle Eine Einbeziehungskontrolle im Sinne der §§ 305 Abs. 2, 3 BGB scheidet aufgrund der Regelung des § 310 Abs. 4 S. 2 Hs. 2 BGB aus.355 Dem Arbeitnehmer muss daher der Inhalt einzubeziehender AGB nicht durch ausdrücklichen Hinweis oder Aushang bekannt gemacht werden; die Einbeziehung richtet sich nach den allgemeinen Regeln der §§ 145 ff. BGB und kann daher auch konkludent erfolgen.356 Grund für die Herausnahme aus der Einbeziehungskontrolle ist die spezialgesetzliche Hinweispflicht in § 2 Abs. 1, 3 NachwG, nach der der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Vertragsbestimmungen entweder auszuhändigen oder auf sie hinzuweisen hat.357 b) Vorrang der Individualabrede (§ 305b BGB) § 305b BGB regelt das Prinzip des Vorrangs der individuellen Vertragsabrede vor AGB. Sofern neben der vorformulierten Bezugnahmeklausel einzelne davon abweichende Abreden getroffen werden, gehen diese den in Bezug genommenen Vorschriften des Tarifvertrags bei nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern vor, selbst wenn sie für die Arbeitnehmer ungünstiger sind.358 Sofern die Arbeitnehmer jedoch tarifgebunden sind, ist im Verhältnis zum Tarifvertrag weiterhin das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG zu beachten.359 Eine Individualabrede nach § 305b BGB bedarf keiner besonderen Form, so dass sie auch mündlich oder sogar konkludent erfolgen kann.360 Keine Individualabrede wird durch betriebliche Übung begründet.361 355
BAG v. 14.3.2007 – 5 AZR 630/06, AP Nr. 45 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG v. 15.4.2008 – 9 AZR 160/07, n. v.; ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 26. 356 Vgl. BeckOK-Jacobs, § 305 BGB Rn. 14 f. 357 BT-Drs. 14/7052, S. 188; BT-Drs. 14/6857, S. 54; Erman-Roloff, BGB, § 310 Rn. 34; Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1361); Gaul, ZfA 2003, 75 (85); Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 61 f.; Jacobs/Krause/Oetker-Oetker, TarifvertragsR, § 6 Rn. 159; Annuß, ZfA 2005, 405 (432); kritisch BeckOK-Jacobs, § 305 BGB Rn. 14; Preis/Roloff, ZfA 2007, 43 (47); Diehn, NZA 2004, 129 (132); Ebeling, Bezugnahme, S. 160 f. 358 BAG v. 21.2.2001 – 5 AZR 96/99, EzA Nr. 14 zu § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; Ebeling, Bezugnahme, S. 97; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 63; Reichel, Bezugnahme, S. 23; Schliemann, NZA, Sonderbeilage zu Heft 16/2003, 3 (6); Annuß, BB 2006, 1333 (1335). 359 Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 64. Das Günstigkeitsprinzip ist auf Fälle der unmittelbaren Geltung der kollektiven Norm beschränkt, kann also bei den Außenseitern § 305b BGB nicht entgegenstehen, vgl. Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 63. 360 BeckOK-Jacobs, § 305b BGB Rn. 4; Diehn, NZA 2004, 129 (132). 361 BAG v. 24.6.2003 – 9 AZR 302/02, NZA 2003, 1145 (1148); Annuß, BB 2006, 1333 (1335); BeckOK-Jacobs, § 305b BGB Rn. 4.
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
c) Überraschende Klausel (§ 305c Abs. 1 BGB) Überraschende Klauseln, d.h. solche, die derart ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders nicht mit ihnen zu rechnen braucht, werden gemäß § 305c Abs. 1 BGB nicht Vertragsbestandteil. aa) Voraussetzungen des § 305c Abs. 1 BGB Der Sinn des § 305c Abs. 1 BGB besteht darin, den Arbeitnehmer vor Klauseln zu schützen, denen ein „Überrumpelungs- oder Übertölpelungseffekt“ innewohnt.362 Ob eine Klausel ungewöhnlich ist, bestimmt sich objektiv nach den Umständen des Vertragsschlusses.363 Es kommt hierbei nicht auf den Kenntnisstand des einzelnen Vertragspartners an, sondern auf die Erkenntnismöglichkeiten des für derartige Verträge in Betracht kommenden Personenkreises.364 Entscheidend ist daher die Sicht eines verständigen Arbeitnehmers. Der Überraschungseffekt kann sich zum einen aus dem Inhalt der Klausel, zum anderen aus der konkreten Ausgestaltung des Arbeitsvertrages sowie den den Vertragsabschluss begleitenden Umständen ergeben.365 bb) Bezugnahmeklauseln allgemein Generell ist die Verwendung von Bezugnahmeklauseln heute so weit verbreitet und gesetzlich anerkannt (vgl. z. B. § 13 Abs. 1 S. 2 BUrlG), dass hierin – zumindest bei Verweisung auf fachlich und räumlich einschlägige Tarifwerke – keine Überraschung im Sinne des § 305c Abs. 1 BGB gesehen werden kann.366 Zwei Sonderfälle von Bezugnahmen können aber im Hinblick auf das Verbot überraschender Klauseln problematisch werden: Die Bezugnahme auf fremde Tarifverträge sowie dynamische Verweisungen.
362 BGH v. 30.6.1995 – V ZR 184/94, NJW 1995, 2637 (2638); BGH v. 22.11.2005 – XI ZR 226/04, NJW-RR 2006, 490 (491) m. w. N. 363 BAG v. 27.4.2000 – 8 AZR 286/99, NJW 2000, 3299 (3300); BeckOKJacobs, § 305c BGB Rn. 7. 364 BGH v. 10.9.2002 – XI ZR 305/01, NJW 2002, 3627 (3627); BAG v. 28.6.2007 – 6 AZR 750/06, NZA 2007, 1049 (1050). 365 BAG v. 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, NZA 2006, 324 (326); Annuß, BB 2006, 1333 (1336); Däubler-Dorndorf, AGB-Kontrolle, § 305c BGB Rn. 12; ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 29. 366 BeckOK-Jacobs, § 305c BGB Rn. 15; Korinth, ArbRB 2007, 21 (21); Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 61 ff.; Diehn, NZA 2004, 129 (132); Klagges, Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang, S. 44.
C. Grenzen der Bezugnahme
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cc) Bezugnahme auf fremde Tarifverträge Eine Bezugnahme auf fremde Tarifverträge ist grundsätzlich zulässig.367 Fraglich ist jedoch, ob sie eventuell als überraschend im Sinne des § 305c Abs. 1 BGB und damit unwirksam angesehen werden muss. Dies wird unterschiedlich beurteilt. (1) Meinungsstand zum Überraschungseffekt Eine verbreitete Ansicht im Schrifttum ist der Auffassung, dass die Verweisung auf einen branchen- oder ortsfremden Tarifvertrag stets überraschend sei.368 Da der Arbeitnehmer regelmäßig davon ausgehe, dass es sich bei dem in Bezug genommenen Tarifvertrag um den für den Betrieb einschlägigen Tarifvertrag handele, sei es angemessen, für eine abweichende Inbezugnahme eine ausdrückliche Individualabrede zu verlangen und eine standardisierte Verweisung auf den fremden Tarifvertrag als überraschend im Sinne des § 305c Abs. 1 BGB anzusehen.369 Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn dieser fremde Tarifvertrag einen besonderen Bezug zum Arbeitsverhältnis habe, wenn er etwa der einschlägige Tarifvertrag für den überwiegenden Teil der Arbeitnehmer des Unternehmens oder Konzerns sei, wenn es der ehemals einschlägige Tarifvertrag sei, der in den Verweisungen beibehalten wurde, oder wenn es zumindest ein zwar nicht einschlägiger, jedoch sachnaher Tarifvertrag sei. Die Gegenmeinung geht davon aus, dass Verweisungen auf einen fremden Tarifvertrag niemals überraschend, sondern in der Praxis weitgehend üblich sind.370 In zahlreichen Branchen stelle die Verweisung auf fremde Tarifverträge eine gängige Praxis dar.371 So übernähmen z. B. kirchliche Arbeitgeber weitgehend die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes, um an den von den öffentlichen Gewerkschaften erzielten tariflichen Verbesserungen teilzuhaben.372 Gleiches gelte für den privatwirtschaftlichen Bereich, so 367
s. o. B.IV.2.b)bb), ab S. 78. Thüsing, AGB-Kontrolle im ArbR, Rn. 194; ErfK-Preis, § 305–310 BGB Rn. 30; Gotthardt, ZIP 2002, 277 (280); Seibert, NZA 1985, 730 (732); Thüsing/ Lambrich, NZA 2002, 1361 (1364 f.); Korinth, ArbRB 2007, 21 (21); Lakies, ARBlattei SD 35, Rn. 95; ähnlich BeckOK-Jacobs, § 305c BGB Rn. 16 (Ausnahme für den Fall, dass die Bezugnahme den Arbeitnehmer tatsächlich nicht überrascht). 369 Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1364). 370 Reichel, Bezugnahme, S. 43 f.; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 67 f.; wohl auch Gaul, ZfA 2003, 75 (86). 371 Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 68; Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (243); Reichel, Bezugnahme, S. 44; diff. Preis, FS Wiedemann, S. 425 (433 f.). 372 Reichel, Bezugnahme, S. 44. 368
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
dass insoweit nicht von einer überraschenden Vertragsbedingung gesprochen werden könne.373 (2) Bezugnahme als Teil des Arbeitsvertrages grundsätzlich nicht überraschend Gegen die Ansicht, eine Bezugnahme auf fremde Tarifverträge grundsätzlich als überraschend im Sinne des § 305c Abs. 1 BGB anzusehen, sprechen unter anderem § 7 Abs. 3 S. 3 ArbZG und § 22 Abs. 2 TzBfG, die gerade eine Bezugnahme auf die für den öffentlichen Dienst geltenden (fremden) Tarifverträge vorsehen.374 Selbst wenn man diesen Vorschriften nur einen Ausnahmecharakter zumessen wollte, ist auch nach den Wertungen des Nachweisgesetzes eher von einer Zulässigkeit der Verweisung auf fremde Tarifverträge auszugehen: Im Arbeitsvertrag muss auf den fremden Tarifvertrag explizit hingewiesen werden, vgl. § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 NachwG.375 Insofern wird sich in den Arbeitsverträgen in der Regel ein dementsprechender eindeutiger Hinweis finden, der den überraschenden Charakter ausschließt. Es ist zwar richtig, dass die Arbeitnehmer teilweise nicht mit der Inbezugnahme fremder, sachferner Tarifverträge rechnen. Dennoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Bezugnahme eine Klausel des Arbeitsvertrages ist und als solche vom Arbeitnehmer ohne Weiteres zur Kenntnis genommen werden kann. Auch wenn der in Bezug genommene Tarifvertrag fremd sein sollte, ist seine Anwendbarkeit damit unmittelbar aus dem Arbeitsvertragstext ersichtlich. Ansonsten müsste auch jede Arbeitsvertragsklausel, die Regelungen eines fremden Tarifvertrages „abschreibt“, anstatt auf sie zu verweisen, als überraschend und damit unwirksam gelten.376 Ginge man davon aus, dass jede Verweisung auf einen fachfremden Tarifvertrag überraschend und damit unwirksam wäre, würde man die Vertragsfreiheit über Gebühr beschränken. Einem nicht organisierten Arbeitgeber, der seine Mitarbeiter „nach Tarif“ bezahlen will, für dessen Betrieb aber kein Tarifvertrag einschlägig ist, bleibt keine andere Möglichkeit, als auf einen orts- oder branchenfremden Tarifvertrag zu verweisen.377 373 Reichel, Bezugnahme, S. 44; Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (243); Gaul, ZTR 1991, 188 (195). 374 Vgl. Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 305; Jacobs/Krause/Oetker-Oetker, TarifvertragsR, § 6 Rn. 160. 375 Gaul, ZfA 2003, 75 (86). 376 Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 68. 377 Vgl. Reichel, Bezugnahme, S. 44.
C. Grenzen der Bezugnahme
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Eine Ausnahme ist jedoch für den Fall anzunehmen, dass der in Bezug genommene fremde Tarifvertrag inhaltlich unpassend ist, so z. B. die Verweisung auf die Alters- und Hinterbliebenenversorgung gemäß § 46 BAT bzw. § 25 TVöD.378 Sind die Tarifnormen auf das Arbeitsverhältnis unanwendbar, liegt darin in aller Regel ein Überraschungseffekt im Sinne des § 305c Abs. 1 BGB. Im Normalfall sprechen insgesamt aber die besseren Gründe dafür, einen Überraschungseffekt bei der Inbezugnahme fremder Tarifverträge abzulehnen. dd) Dynamische Bezugnahmeklauseln Haben die Arbeitsvertragsparteien eine dynamische Bezugnahme vereinbart, kann sich im Laufe der Zeit – und somit erst nach Vertragsschluss – das Objekt der Bezugnahme (mehrmals) ändern. Dies hat im Schrifttum bereits vor der Schuldrechtsreform die Frage aufgeworfen, ob dynamische Klauseln zugleich überraschende Klauseln sind – und ob damit eventuell die tariflichen Änderungen nicht zum Inhalt des Arbeitsvertrages werden.379 Mit einem Wandel der Arbeitsvertragsbedingungen muss der Arbeitnehmer bei einer dynamischen Verweisung jedoch billigerweise rechnen, und zwar auch dann, wenn sich dieser für ihn negativ auswirkt.380 Somit führt nicht jede Entgeltkürzung oder nachteilige Veränderung der Arbeitszeit außerhalb der zu erwartenden Klauselwirkungen zu einer überraschenden Klausel im Sinne des § 305c Abs. 1 BGB.381 Vielmehr entspricht die Veränderung des Bezugnahmeobjektes gerade dem für den Arbeitnehmer ersichtlichen Charakter und Sinn der Bezugnahmeklausel, die zukünftige Tarifvertragsentwicklungen im betreffenden Arbeitsverhältnis anwendbar machen will.382 Tarifänderungen sind heutzutage zumeist das Ergebnis einer längeren öffentlichen und damit transparenten Diskussion in den Medien.383 Ein tarifgebundener Arbeitgeber ist außerdem gemäß § 8 TVG 378
s. o. B.IV.2.b)bb)(3), ab S. 81. Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 91; Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (243 f.). 380 Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 67; Reichel, Bezugnahme, S. 64 f.; ders., AuR 2003, 366 (367 ff.); Korinth, ArbRB 2007, 21 (22). 381 Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 67. 382 BAG v. 28.6.2001 – 6 AZR 114/00, AP Nr. 24 zu § 611 BGB Arbeitszeit; BAG v. 24.9.2008 – 6 AZR 76/07, n. v.; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 67; Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (243 f.); Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 93. 383 Reichel, AuR 2003, 366 (368); Klagges, Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang, S. 90. 379
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
zur Auslegung der geltenden Tarifverträge verpflichtet, so dass die Arbeitnehmer jederzeit die für sie geltenden Tarifbedingungen einsehen können.384 Es stellt sich jedoch die Frage, ob sich aufgrund der Bezugnahme der Tarifinhalt und damit der Inhalt des Arbeitsverhältnisses dermaßen ändern kann, dass dies überraschend ist. In diesem Fall kommt einerseits in Betracht, dass die Arbeitnehmer zu schützen sind; jedoch wird andererseits auch ein Schutzbedürfnis der Arbeitgeber vor derartigen Entwicklungen diskutiert. (1) Schutz der Arbeitnehmer Es bedarf somit der Entscheidung, ob es ein Maß an dynamischer Veränderung gibt, das jenseits des „Erwartungshorizonts“ des Arbeitnehmers liegt, so dass eine Tarifänderung trotz einer vorgesehenen Tarifdynamik als überraschend im Sinne des § 305c Abs. 1 BGB angesehen werden muss. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich der Arbeitnehmer bei Bezugnahmeklauseln einer Tarifänderung nicht durch Gewerkschaftsaustritt entziehen kann.385 Nach herrschender Meinung ist die Lösung deshalb vorrangig in der Auslegung der Bezugnahmevereinbarung zu suchen.386 Tarifänderungen, welche bei Vereinbarung der Bezugnahme „schlechterdings nicht vorhersehbar“ waren, sollten keine Wirkung für die Arbeitsvertragsparteien entfalten.387 Es sei daher für jede Änderung des Tarifvertrages, auf den verwiesen wird, zu fragen, ob der neue Inhalt – hätte er bei Abschluss des Arbeitsvertrages bereits Gültigkeit gehabt – das Arbeitsverhältnis in einer Weise gestalte, mit welcher der Arbeitnehmer gemeinhin nicht rechnen musste, oder ob eine Modifizierung der Arbeitsbedingungen eintrete, die eine im Vergleich zum vorigen Zustand nicht hinnehmbare Verschlechterung bedeute.388 Angesichts der Schwierigkeit, im Einzelfall die Grenze des „Hinnehmbaren“ zu bestimmen, plädieren einige Autoren für feste Grenzwerte in Bezug auf 384
Klagges, Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang, S. 90. Korinth, ArbRB 2007, 21 (22). 386 Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 219; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 256, 268; Reichel, Bezugnahme, S. 61 ff.; Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1365 f.). 387 BAG v. 14.3.1961 – 3 AZR 83/60, BB 1961, 719 (719); Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (243 f.); Gaul, ZTR 1993, 355 (357); Reichel, Bezugnahme, S. 62 ff.; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 256; Preis, Vertragsgestaltung, S. 401 ff.; Thüsing, AGB-Kontrolle im ArbR, Rn. 196. 388 Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1365); ders., AGB-Kontrolle im ArbR, Rn. 196. Kritisch zum Kriterium der Vorhersehbarkeit Ebeling, Bezugnahme, S. 175; Annuß, BB 1999, 2558 (2559); Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (249); Kania, NZA 2000, Beil. 3, 45 (46). 385
C. Grenzen der Bezugnahme
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tarifliche Leistungen. Thüsing/Lambrich389 setzen in Anlehnung an die BAG-Rechtsprechung zum Widerrufsvorbehalt390 einen allgemeinen Richtwert für eine Vergütungsverkürzung oder eine Verkürzung der Arbeitszeit mit einer entsprechenden Gehaltskürzung um mehr als 25% als Grenze an. Ähnlich geht Rieble391 von einer Verringerung um ein Fünftel aus. Diesem Ansatz ist entgegenzuhalten, dass er die Gefahr einer kaschierten Inhaltskontrolle des Tarifvertrages mit sich brächte und so gegen das Verbot der mittelbaren Tarifzensur verstoßen würde.392 Diese Vorgehensweise liefe zudem auf eine reine Billigkeitskontrolle hinaus.393 Vor allem aber versagt dieser Ansatz immer dann, wenn sich im Wege der Auslegung ergibt, dass die Parteien den Inhalt ihres Arbeitsverhältnisses vollständig mit den tariflichen Arbeitsbedingungen synchronisieren wollen.394 Insofern würde eine Abkopplung von der Tarifentwicklung mittels einer ergänzenden Auslegung den Parteiwillen missachten. Indem sie eine dynamische Bezugnahme vereinbarten, gründeten die Parteien ihren Vertrag bewusst auf einer bloßen Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung. Würde man dennoch eine „automatische“ Begrenzung auf vorhersehbare Entwicklungen in die Klauseln hineinlesen, wäre eine vom rechtsgeschäftlichen Willen abstrahierende Fiktion die Folge.395 Den Arbeitnehmern würde ein von ihnen unerwünschter Schutz gewährt. Die Frage, ob eine dynamische Tarifänderung zu einem Überraschungseffekt im Sinne des § 305c Abs. 1 BGB führt, sollte sich vielmehr nach folgender Auslegungsregel beantworten: Wenn die Arbeitsvertragsparteien einen vollständigen Gleichlauf des Arbeitsvertrages mit der tariflichen Entwicklung anstrebten, sind ohne Einschränkung auch überraschende Klauseln anzuwenden; wenn sich der Klausel hingegen der Wille entnehmen lässt, dass bestimmte zukünftige (nachteilige) Entwicklungen ausgeklammert werden, kommt eine Nichteinbeziehung in Betracht.396 Ist somit eine vollständige Synchronisierung mit der tariflichen Situation gewollt, kann eine Be389 Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1365); ebenso Thüsing, AGB-Kontrolle im ArbR, Rn. 196. 390 BAG v. 13.5.1987 – 5 AZR 125/86, AP Nr. 4 zu § 305 BGB Billigkeitskontrolle; BAG v. 12.1.2005 – 5 AZR 364/04, NZA 2005, 465 ff.; BAG v. 11.10.2006 – 5 AZR 721/05, NZA 2007, 87 ff. 391 Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1732; ebenso Lakies, AGB im ArbR, Rn. 181. 392 Korinth, ArbRB 2007, 21 (22); Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 67. 393 Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 64; Korinth, ArbRB 2007, 21 (23). 394 Annuß, BB 1999, 2558 (2559); Ebeling, Bezugnahme, S. 175. 395 Ebeling, Bezugnahme, S. 175; Annuß, BB 1999, 2558 (2559). 396 Ebenso Ebeling, Bezugnahme, S. 175 f. Ähnlich Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 307; Annuß, BB 1999, 2558 (2559).
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
zugnahmeklausel nicht überraschend sein, denn schließlich könnten sich die tarifgebundenen Parteien einer Tarifänderung ebenfalls nicht entziehen.397 Die Gefahr einer kaschierten Inhaltskontrolle besteht bei dieser Vorgehensweise nicht, da lediglich der Wille der Arbeitsvertragsparteien ermittelt wird. Grundsätzlich ist daher davon auszugehen, dass Änderungen aufgrund der Tarifdynamik keinen Überraschungseffekt für die Arbeitnehmer haben. Nur sofern sich bei der Auslegung nicht der Wille der Parteien ergibt, die Arbeitsbedingungen vollständig mit der Tarifsituation zu synchronisieren, werden außergewöhnliche, bei Vertragsschluss schlechterdings unvorhersehbare spätere Tarifänderungen aufgrund ihres Überraschungseffekts nicht mehr von der Bezugnahmeklausel erfasst. (2) Schutz der Arbeitgeber Fraglich ist, ob der Arbeitgeber ebenfalls vor unvorhersehbaren Entwicklungen geschützt werden muss. Hiergegen spricht zunächst, dass er in den allermeisten Fällen für die Formulierung der Bezugnahmeklausel verantwortlich ist. Er kann klar und eindeutig formulieren, wenn er sich vor gewissen Tarifentwicklungen schützen möchte. Der Schutz des § 305c Abs. 1 BGB vor überraschenden Klauseln kommt ihm insofern als Klauselsteller nicht zugute. Das Gesetz schützt allein den Verwendungsgegner, der Verwender ist hingegen von sich aus das Risiko einer Verweisung auf ein Regelwerk eingegangen, auf dessen weitere Entwicklung er keinen Einfluss hat.398 Es bedarf insofern einer anderen rechtsdogmatischen Grundlage, deren Voraussetzungen bedeutend strenger sein müssen als diejenigen des Überraschungsschutzes der Arbeitnehmer. Die Interessenlage ist eine völlig andere, hätte doch der Arbeitgeber als Klauselsteller entsprechende Vorbehalte explizit vereinbaren und sich damit vor für ihn unerwünschten Tarifänderungen schützen können. Insofern liegt die Veränderung der Umstände in seinem Risikobereich. Die spätere Verwirklichung dieses typischen Risikos ist dann grundsätzlich keine schwerwiegende Veränderung der Umstände.399 Dennoch entspricht es einem allgemeinen Rechtsprinzip, dass Unzumutbares von niemandem verlangt werden kann.400 Deshalb wird unter den Voraussetzungen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB ein 397 Jacobs/Krause/Oetker-Oetker, § 6 Rn. 162; Gamillscheg, Kollektives ArbR I, S. 736; Ebeling, Bezugnahme, S. 176. 398 Korinth, ArbRB 2007, 21 (22). 399 Erman-Hohloch, BGB, § 313 Rn. 23. 400 BAG v. 25.10.1962 – 2 AZR 549/61, NJW 1963, 317 (318); Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1366), unter Hinweis auf §§ 313, 314 BGB; Thüsing, AGB-Kontrolle im ArbR, Rn. 197.
C. Grenzen der Bezugnahme
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Anspruch auf Vertragsanpassung gewährt. Eine vertragliche Verpflichtung, auch wenn sie durch Inbezugnahme eines Tarifvertrages begründet wurde, muss dort ihre Grenze finden, wo ihre Erfüllung eine unzumutbare Härte bedeuten würde. Dies ist auch das Kriterium, auf das § 313 BGB für einen Wegfall der Geschäftsgrundlage abstellt. Die Anforderungen sind jedoch sehr hoch, da es um die Überwälzung des eigentlich vom Arbeitgeber übernommenen Risikos auf den Arbeitnehmer geht. Dies kann erst bei einer Existenzbedrohung des Unternehmens oder einem (drohenden) Arbeitsplatzabbau in nicht unerheblichem Maße angenommen werden.401 Ist diese Grenze überschritten, muss eine Vertragsanpassung möglich sein.402 d) Inhaltskontrolle Im Rahmen der Inhaltskontrolle von Bezugnahmeklauseln gemäß §§ 307 ff. BGB geht es um die Frage, ob die Vereinbarung den Billigkeitsmaßstäben Dritter stand hält. aa) Schranke der Inhaltskontrolle (§ 310 Abs. 4 S. 3 BGB) Eine grundsätzliche Schranke der Inhaltskontrolle ergibt sich aus § 310 Abs. 4 S. 3 BGB. Die arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifverträge unterliegen wegen § 310 Abs. 4 S. 1 BGB nicht der Inhaltskontrolle.403 Ansonsten käme es zu einer inhaltlichen Überprüfung des Tarifvertrages durch die Gerichte; dies widerspräche der dem Tarifvertrag zukommenden Richtigkeitsgewähr.404 Daher überprüft das BAG Tarifverträge lediglich darauf, ob sie gegen höherrangiges Recht, also die Verfassung, gegen zwingendes Gesetzesrecht, die guten Sitten oder tragende Grundsätze des Arbeitsrechts verstoßen.405 Der Ausschluss der AGB-Kontrolle von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen nach § 310 Abs. 4 S. 1 BGB gilt aber nicht für die Bezugnahme als individualvertraglichen Akt.406 401 Ähnlich Erman-Hohloch, BGB, § 313 Rn. 21; Löwisch, NJW 1997, 905 (906); Thüsing, AGB-Kontrolle im ArbR, Rn. 197; ders./Lambrich, NZA 2002, 1361 (1366); Belling/Hartmann, ZfA 1997, 87 (135 f.). 402 Zu dem Verhältnis von § 313 BGB zur Vertragsanpassung mittels Änderungskündigung s. u. Teil 3, A.VII.2., ab S. 397. 403 s. o. C.II.2., ab S. 93. 404 s. hierzu bereits o. S. 29, Fn. 19. 405 BAG v. 18.8.1999 – 10 AZR 424/98, AP Nr. 22 zu § 22 BAT ZuwendungsTarifvertrag; BAG v. 10.3.1992 – 3 AZR 153/91, AP Nr. 17 zu § 1 BetrAVG Lebensversicherung. 406 Diehn, NZA 2004, 129 (130); Witt, NZA 2004, 135 (136). Vgl. o. C.II.3., ab S. 94.
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
Jedoch folgt aus §§ 310 Abs. 4 S. 3 i. V. m. 307 Abs. 3 BGB, dass Bezugnahmeklauseln, die tarifliche Bedingungen inhaltsgleich übernehmen, ebenfalls nicht der gerichtlichen Inhaltskontrolle unterfallen.407 Anderenfalls hätten die Arbeitsgerichte mittelbar durch die Kontrolle der arbeitsvertraglichen Klausel über die Angemessenheit tariflicher Regelungen zu befinden (mittelbare Tarifzensur).408 Dies widerspräche wiederum der Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrages.409 Umstritten ist bislang jedoch, in welchem Umfang der Tarifvertrag in Bezug genommen werden muss bzw. welches Ausmaß an Ergänzung oder Abänderung nicht nur die Modifikation selbst, sondern auch die Bezugnahme in die Inhaltskontrolle fallen lässt. (1) Keine Inhaltskontrolle bei Globalverweisung Bei Globalbezugnahmen410 auf einen sachlich einschlägigen Tarifvertrag soll nach dem Willen des Gesetzgebers keine Inhaltskontrolle erfolgen.411 Hierbei ist die dem Tarifvertrag zukommende Richtigkeitsgewähr und damit Unzulässigkeit einer mittelbaren Tarifzensur das ausschlaggebende Kriterium.412 Gesetzliche Interessenbewertungen sollten nicht durch die AGBKontrolle überprüft werden, da selbst die Erkenntnis der Unangemessenheit rechtlich unbeachtlich bliebe: Die unwirksame Vertragsklausel würde durch die unmittelbar geltende Rechtsvorschrift ersetzt.413 407 BT-Drucks. 14/6857, S. 54; Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1362). Zu der Frage, wann eine Abweichung von der tariflichen Regelung vorliegt, vgl. Gotthardt, ZIP 2002, 277 (281). 408 Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1362); Henssler, RdA 2002, 129 (136); Ebeling, Bezugnahme, S. 187. 409 BAG v. 6.2.1985 – 4 AZR 275/83, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Süßwarenindustrie. Vgl. dazu auch o. S. 29. 410 Zur Typologie s. o. B.IV.2.a)aa), ab S. 73. 411 BT-Drs. 14/6857, S. 54: Danach unterliegen „Einzelarbeitsverträge, die Bezug auf einen Tarifvertrag nehmen, ohne dass eine beiderseitige Tarifbindung besteht oder die mit Kollektivverträgen übereinstimmen und lediglich deren gesamten Inhalt wiedergeben . . ., ebenfalls nicht der Inhaltskontrolle“. 412 Vgl. BAG v. 28.6.2007 – 6 AZR 750/06, NZA 2007, 1049 (1051); BAG v. 23.9.2004 – 6 AZR 442/03, AP Nr. 1 zu § 27 BMT-G II; BAG v. 1.12.2004 – 7 AZR 135/04, AP Nr. 13 zu § 59 BAT; BAG v. 27.7.2005 – 7 AZR 486/04, NZA 2006, 40 (46); BAG v. 18.8.1999 – 10 AZR 424/98, AP Nr. 22 zu § 22 BAT Zuwendungs-Tarifvertrag; BAG v. 6.9.1995 – 5 AZR 174/94, NZA 1996, 437 (439); BAG v. 12.8.1959 – 2 AZR 75/59, DB 1959, 1257. So auch Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 70; Klagges, Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang, S. 111; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 340; Bayreuther, RdA 2003, 81 (90 f.); HWKHenssler, § 3 TVG Rn. 18; Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 212; Witt, NZA 2004, 135 (136 f.).
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Eine Mindermeinung414 will hingegen grundsätzlich auch bei Globalverweisungen eine Inhaltskontrolle vornehmen. Werde der Inhalt von Rechtsvorschriften außerhalb ihres unmittelbaren Anwendungsbereichs zum Gegenstand von AGB, sei er nicht von vornherein aus der Inhaltskontrolle ausgenommen.415 Nur solche Bestandteile der AGB seien von der Inhaltskontrolle ausgenommen, die mit den im jeweiligen Arbeitsverhältnis (ohnehin) normativ geltenden Tarifregelungen inhaltsgleich seien. Gegen diese Ansicht spricht jedoch, dass die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrages grundsätzlich die Tarifautonomie schützen und es daher den Gerichten verwehrt sein soll, die zwischen den Tarifparteien ausgehandelten Verträge zu überprüfen. Wird der Tarifvertrag global in Bezug genommen, macht es keinen Unterschied, ob die Arbeitsvertragsparteien zugleich tarifgebunden sind oder nicht. Sie übernehmen das Tarifwerk in seiner Gesamtheit so, wie es zwischen den Tarifpartnern vereinbart wurde, und in einem Umfang, dass seine Richtigkeitsgewähr gilt. Ob sie zugleich normativ an diesen Tarifvertrag gebunden sind, ändert hieran nichts. Die Richtigkeitsgewähr verbietet eine Inhaltskontrolle bei Globalbezugnahme daher auch dann, wenn die Arbeitsvertragsparteien nicht zugleich normativ tarifgebunden sind. Anderenfalls würde der Wille des Gesetzgebers missachtet, dass eine Inhaltskontrolle auch dort ausgeschlossen werden soll, wo es den Tarifbestimmungen an normativer Anwendbarkeit fehlt.416 Zudem käme es zu einer systemwidrigen Besserstellung nichttarifgebundener Arbeitsverhältnisse.417 Ob eine Inhaltskontrolle jedoch trotz der Globalbezugnahme aus anderen Gründen erforderlich ist (z. B. bei fremden oder abgelaufenen Tarifverträgen), ist sogleich zu erörtern.418 (2) Inhaltskontrolle bei Teilverweisung umstritten Auch bei einer Teilverweisung könnte eine Inhaltskontrolle der Bezugnahmeklausel ausscheiden. Eine Teilbezugnahme erfasst den Tarifvertrag nicht in seiner Gesamtheit, sondern nur gewisse Abschnitte oder Regelungskomplexe.419 Es ist umstritten, ob hier eine Inhaltskontrolle in Betracht kommt. 413 414 415 416 417 418 419
Bayreuther, RdA 2003, 81 (90). Annuß, BB 2006, 1333 (1333 f.); ders., ZfA 2005, 405 (436 ff.). Annuß, BB 2006, 1333 (1333 f.). Vgl. die amtliche Begründung, BT-Drs. 14/6857, S. 54. Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 154. s. u. C.II.3.d)aa)(4) ff., ab S. 110. s. o. B.IV.2.a)bb), ab S. 74.
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(a) Inhaltskontrolle nur bei Globalverweisung verzichtbar Die herrschende Meinung ist der Auffassung, dass eine Inhaltskontrolle nur dann verzichtbar sei, wenn die Arbeitsvertragsparteien den Tarifvertrag im Ganzen in Bezug genommen haben.420 Hierfür spreche zunächst der Wortlaut der §§ 310 Abs. 4 S. 3, 307 Abs. 3 BGB. Die §§ 307 Abs. 1, 308 und 309 BGB sollten nur für solche vertraglichen Bestimmungen gelten, die von Tarifverträgen „abweichen“. Abgewichen werde von einem Tarifvertrag aber bereits dann, wenn er nicht in seiner Gesamtheit in Bezug genommen werde.421 Ferner widerspräche ein Verzicht auf eine Inhaltskontrolle bei einer Teilverweisung dem Telos der §§ 310 Abs. 4 S. 3, 307 Abs. 3 BGB: Die Richtigkeitsgewähr bestehe nur, wenn der Tarifvertrag oder eine sonstige Kollektivvereinbarung insgesamt übernommen wurde.422 Insbesondere bei einer Bezugnahme nur auf die für den Arbeitnehmer nachteiligen tariflichen Bestimmungen und im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen des Arbeitsvertrags könne sich eine unbillige Gesamtregelung ergeben, für die die Richtigkeitsvermutung des Tarifvertrags nicht gelte.423 Die Vor- und Nachteile eines Tarifwerkes könnten auf seinen gesamten Inhalt verteilt sein, so dass der Inhalt eines Abschnitts die Arbeitnehmer erheblich belasten könne und nur deshalb nicht unangemessen sei, weil er in anderen Regelungsbereichen kompensiert würde.424 Bänden die Arbeitsvertragsparteien nur einzelne Tarifregelungen in ihren Vertrag ein, so könne infolgedessen diesen Regelungen ein anderer Sinn verliehen werden.425 420 Vgl. BAG v. 25.4.2007 – 10 AZR 634/06, NZA 2007, 875 (877); ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 17 ff.; ders./Roloff, ZfA 2007, 43 (56); Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1363); Däubler/Dorndorf/Bonin/Deinert-Däubler, AGB-Kontrolle, § 310 BGB Rn. 51 ff.; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 264; Henssler, RdA 2002, 129 (136); Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 213; Klagges, Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang, S. 48; Bayreuther, RdA 2003, 81 (90 f.); Thüsing, AGB-Kontrolle im ArbR, Rn. 190; Lakies, AGB im ArbR, Rn. 205 ff. 421 Thüsing, AGB-Kontrolle im ArbR, Rn. 189; Diehn, NZA 2004, 129 (130); Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 213. 422 ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 19; ders./Roloff, ZfA 2007, 43 (56); Däubler/Dorndorf/Bonin/Deinert-Däubler, AGB-Kontrolle, § 310 BGB Rn. 52; Löwisch/ Rieble, TVG, § 3 Rn. 264. 423 Däubler, NZA 2001, 1329 (1335 f.); Gamillscheg, Kollektives ArbR I, S. 739; Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (245); Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 264; Reichel, Bezugnahme, S. 37, 40; Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1363); Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 73. 424 Korinth, ArbRB 2007, 21 (23). Eine Ausnahme vom Erfordernis der Globalverweisung gilt nach seiner Ansicht nur für den Fall, dass der Gesetzgeber die Teilverweisung selbst zulässt, vgl. § 622 Abs. 4 S. 2 BGB. 425 Ebeling, Bezugnahme, S. 189.
C. Grenzen der Bezugnahme
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(b) Bezugnahme auf Regelungskomplexe genügt Die Gegenansicht schlägt vor, eine Inhaltskontrolle bei gesetzlichen Bezugnahmeermächtigungen sowie bei Teilbezugnahmen auf in sich geschlossene Regelungskomplexe zu unterlassen.426 In diesen Fällen sei gewährleistet, dass bei den einbezogenen Regelungen die Vor- und Nachteile für den Arbeitnehmer in einem ausgewogenen Verhältnis stünden.427 Die gesetzlichen Zulassungsnormen bestätigten die Vorstellung des Gesetzgebers, dass die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrages auch bei Teilbezugnahmen anzuerkennen sei und einen Ausschluss der Inhaltskontrolle rechtfertige.428 (c) Inhaltskontrolle auch bei Bezugnahme auf Regelungskomplexe Zur Klärung der Frage, ob eine Teilverweisung der Inhaltskontrolle unterliegt, ist zunächst der Wortlaut der Norm zu betrachten. § 310 Abs. 4 S. 3 BGB bezieht sich nur auf „Tarifverträge“, nicht auf einzelne Klauseln eines Tarifvertrages. Ferner setzen §§ 310 Abs. 4 S. 3, 307 Abs. 3 BGB voraus, dass die Vertragsbestimmung von den Vorschriften des Tarifvertrages „abweicht“ oder diese „ergänzt“. Eine Abweichung liegt vor, wenn der Regelungsgehalt der AGB mit dem Inhalt des einschlägigen Tarifvertrages nicht übereinstimmt.429 Insofern ist ein Ausschluss der Inhaltskontrolle nur bei völliger Identität vorgesehen. Bereits wenn eine einzige Tarifnorm nicht in Bezug genommen wird, führt dies zu einer Divergenz zwischen Tarifvertrag und Arbeitsvertrag. Vor diesem Hintergrund ist schon jede Auslassung einer tariflichen Regelung – ebenso wie deren Ergänzung – eine Abweichung im Sinne der Norm. In den gesetzlichen Zulassungsnormen (z. B. § 13 Abs. 1 S. 2 BUrlG, § 4 Abs. 4 S. 2 EFZG, § 622 Abs. 4 S. 2 BGB)430 kommt zwar zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber bei (einigen) Teilregelungen von einer Richtigkeitsgewähr ausgeht, die es rechtfertigt, die tarifvertragliche Norm an die Stelle 426
BAG v. 6.11.1996 – 5 AZR 334/95, NZA 1997, 778 (779); Witt, NZA 2004, 135 (138); Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 343; Bayreuther, RdA 2003, 81 (91); Gaul, ZfA 2003, 75 (88 ff.); Diehn, NZA 2004, 129 (131); Preis, FS Wiedemann, S. 425 (446); Klagges, Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang, S. 124; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 73; Jacobs/Krause/Oetker-Oetker, TarifvertragsR, § 6 Rn. 192. 427 Gotthardt, ZIP 2002, 277 (281 f.); Diehn, NZA 2001, 129 (131); Ebeling, Bezugnahme, S. 190. 428 Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 343; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 73; Jacobs/Krause/Oetker-Oetker, TarifvertragsR, § 6 Rn. 192. 429 Vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, § 307 Rn. 65. 430 s. o. B.I.1.a), ab S. 41.
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des gesetzlichen Schutzes treten zu lassen.431 Jedoch handelt es sich hierbei um Spezialregelungen, denen schon in anderem Zusammenhang kein genereller Aussagegehalt entnommen werden konnte.432 Des Weiteren ist der Sinn und Zweck des § 310 Abs. 4 S. 3 BGB, der Schutz der Tarifautonomie, zu bedenken. Das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen soll keiner Kontrolle durch Dritte unterliegen. § 310 Abs. 4 S. 3 BGB trifft insofern eine Abwägung zwischen dem Schutz der Tarifautonomie und dem Schutz der Privatautonomie der Arbeitnehmer. Bei dieser Abwägung ist der Privatautonomie der Vorrang einzuräumen, wenn die in Frage stehende Norm nicht als das Ergebnis ausgewogener Verhandlung und der Betätigung der Koalitionsfreiheit durch zwei gleich starke Partner angesehen werden kann. Für Tarifverträge ist ihr Kompromisscharakter433 kennzeichnend, da Vorteile meist durch Nachteile erkauft werden, so dass innerhalb des gesamten Tarifvertrages ein Synallagma (do ut des) besteht. Aus diesem Grund ergibt sich die Richtigkeitsgewähr erst aus der Gesamtheit der tariflichen Regelungen, nicht aber aus einzelnen Ausschnitten desselben. Greift man nur einzelne Teilbereiche eines Tarifvertrages heraus, kann diesen mitunter ein völlig anderer Sinn gegeben werden. Diese Auffassung kommt auch in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck. Hiernach unterliegen „Einzelarbeitsverträge, die Bezug auf einen Tarifvertrag nehmen (. . .) oder die mit Kollektivverträgen übereinstimmen und lediglich deren gesamten Inhalt wiedergeben (. . .), nicht der Inhaltskontrolle“.434
Im Umkehrschluss soll eine Teilverweisung nach dem Willen des Gesetzgebers also nicht ohne Weiteres von der Inhaltskontrolle ausgeschlossen werden. Eine generelle Richtigkeitsvermutung bei Teilverweisungen scheidet daher aus.435 Eine Inhaltskontrolle schafft dann einen Ausgleich für die einseitige Inanspruchnahme der Vertragsfreiheit durch den Klauselverwender.436 Die Privatautonomie des Arbeitnehmers geht in diesen Fällen der Kollektivautonomie vor. Ließe man gemäß der zweiten Ansicht einen Ausschluss der Inhaltskontrolle bei der Bezugnahme auf abgeschlossene Regelungskomplexe zu, würde dies zu zahlreichen Abgrenzungsschwierigkeiten im Einzelfall füh431
Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 343. s. o. S. 81. 433 Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 342. 434 s. o. S. 104, Fn. 411. 435 ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 19; Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1363); Ebeling, Bezugnahme, S. 190; Däubler/Dorndorf/Bonin/Deinert-Däubler, AGB-Kontrolle, § 310 BGB Rn. 52. 436 BAG v. 25.4.2007 – 10 AZR 634/06, NZA 2007, 875 (877) m. w. N. 432
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ren. Denn: Was ist ein „Regelungskomplex“? Verweist ein Arbeitsvertrag auf die „Kündigungsbestimmungen“ eines bestimmten Tarifvertrages, ist nicht eindeutig, ob hiermit auch z. B. Ausschlussfristen oder Ähnliches gemeint sind. Das Kriterium ist sehr vage und schafft Rechtsunsicherheit; es ist nahezu ausgeschlossen, dass ein Teilbereich eines Tarifvertrages in keinerlei Wechselwirkung mit nicht übernommenen Bestimmungen steht. Somit sprechen die besseren Gründe dafür, eine Inhaltskontrolle bei einer Teilverweisung zuzulassen. Dies entspricht der Linie des Bundesgerichtshofs zu einer vergleichbaren Fragestellung hinsichtlich der Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen (VOB/B).437 Hiernach ist eine Inhaltskontrolle nur dann nicht durchzuführen, wenn die VOB/B insgesamt einbezogen sind, da bereits durch nur partielle Verweisung oder geringfügige Abweichungen der prinzipiell gewährleistete Interessenausgleich wesentlich beeinträchtigt sein könnte. (3) Einzelverweisung Einzelverweisungen438 partizipieren an der Vermutung inhaltlicher Ausgewogenheit von Tarifverträgen gar nicht mehr.439 In diesem Fall ist eine Inhaltskontrolle vorzunehmen.440 Insbesondere wird man eine Anwendbarkeit der §§ 305 ff. BGB bejahen müssen, wenn einzelne Regelungen eines Tarifvertrags, ggf. sogar verschiedener Tarifverträge, im Sinne eines „Best of“ ausgewählt und durch Bezugnahme oder wörtliche Übernahme zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses gemacht werden.441 Bei diesen Einzelregelungen kann es sich gerade um die „Rosinen“ für den Arbeitgeber handeln, für die die Tarifparteien eine Kompensation durch andere Tarifnormen vorgese437 BGH v. 22.1.2004 – VII ZR 419/02, NZA 2004, 267 (267); BGH v. 10.5.2007 – VII ZR 226/05, WM 2007, 1714 (1714, Ls. 1); ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 19; ders./Roloff, ZfA 2007, 43 (56). A. A. BeckOK-Jacobs, § 307 BGB Rn. 27. 438 Zum Begriff der Einzelverweisung s. o. B.IV.2.a)cc), ab S. 77. 439 Ebenso HWK-Gotthardt, § 307 BGB Rn. 14; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 342; ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 16; Diehn, NZA 2004, 129 (130 f.); Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 213. 440 H.M., vgl. ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 16; HWK-Gotthardt, § 307 BGB Rn. 14; Däubler/Dorndorf/Bonin/Deinert-Däubler, AGB-Kontrolle, § 310 BGB Rn. 51; Annuß, BB 2002, 458 (460); Ebeling, Bezugnahme, S. 190; Kempen/ Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 213; Diehn, NZA 2004, 129 (130); Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (245); Preis, Vertragsgestaltung, S. 398 f.; Jacobs/Krause/OetkerOetker, TarifvertragsR, § 6 Rn. 192. 441 So auch Korinth, ArbRB 2007, 21 (23); Gaul, ZfA 2003, 75 (89); Diehn, NZA 2004, 129 (130); Bayreuther, RdA 2003, 81 (91); Preis, FS Wiedemann, S. 425 (443). Vgl. auch BT-Drs. 14/6857, S. 54.
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hen haben, die bei einer Einzelverweisung jedoch gerade nicht zur Anwendung gelangen.442 Gleiches gilt, sofern die Klausel vom Tarifvertrag abweichende oder ergänzende Regelungen trifft; dann unterliegt die Bezugnahmevereinbarung in jedem Fall der AGB-Kontrolle.443 (4) Bezugnahme auf einen fremden Tarifvertrag Es stellt sich die Frage, ob ungeachtet des Umfangs der Bezugnahme eine Inhaltskontrolle schon immer dann vorzunehmen ist, wenn ein örtlich oder sachlich nicht einschlägiger Tarifvertrag in Bezug genommen wird. Jedenfalls der Wortlaut des § 310 Abs. 4 S. 3 BGB erfasst sowohl einschlägige als auch nicht einschlägige Regelwerke.444 Der Zweck der Norm deutet jedoch in eine andere Richtung.445 Der Grund liegt darin, dass die Richtigkeitsgewähr in diesen Fällen nicht ohne Weiteres gilt. Verweisen die Arbeitsvertragsparteien auf tarifliche Regelungen, die in einem branchenfremden Tarifvertrag enthalten sind, so ist zu bezweifeln, dass diese Tarifregelungen für außerhalb dieser Branche abgeschlossene Arbeitsverhältnisse eine angemessene Regelung darstellen.446 Es fehlt mitunter an der Sachnähe und es werden häufig ganz andere ökonomische und betriebliche Bedingungen zugrunde gelegt, als sie in der Branche gelten, in der die Verweisung vorgenommen wird: Eine Regelung der Baubranche kann für das Bankengewerbe völlig untypisch sein.447 Daher kann die Vermutung der Angemessenheit einer Tarifregelung stets nur im näheren Umfeld einer Branche gelten.448 Auch der Begriff der „von 442 Korinth, ArbRB 2007, 21 (23); Klagges, Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang, S. 121 f.; Däubler/Dorndorf/Bonin/Deinert-Däubler, AGB-Kontrolle, § 310 BGB Rn. 51. 443 Schrader, BB 2005, 714 (716); Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (194). 444 Diehn, NZA 2004, 129 (131). 445 s. auch S. 29, Fn. 20; Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1362 f.); Annuß, BB 2002, 458 (460); Richardi, NZA 2002, 1057 (1062); Schliemann, NZA, Sonderbeilage zu Heft 16/2003, 3 (4); Witt, NZA 2004, 135 (137); Gotthardt, ZIP 2002, 277 (281). 446 BeckOK-Jacobs, § 307 BGB Rn. 23; Ebeling, Bezugnahme, S. 192; Lakies, AR-Blattei SD 35, Rn. 39; Preis, FS Wiedemann, S. 425 (442). 447 Preis, Arbeitsvertrag, I C Rn. 63; Gaul, ZfA 2003, 75 (89); Diehn, NZA 2004, 129 (131); Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1363); HWK-Gotthardt, § 307 BGB Rn. 14; ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 14; Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 213. 448 Däubler/Dorndorf/Bonin/Deinert-Däubler, AGB-Kontrolle, § 310 BGB Rn. 50; Annuß, BB 2002, 458 (460); Ebeling, Bezugnahme, S. 191 f.; Gotthardt, ZIP 2002,
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Rechtsvorschriften abweichenden Regelung“ des § 307 Abs. 3 BGB spricht gegen eine Privilegierung: Rechtsvorschriften ist ihr Geltungsbereich immanent.449 Ein Verweis auf Normen eines anderen Geltungsbereichs ist daher eine von einschlägigen Rechtsvorschriften abweichende Regelung im Sinne von § 307 Abs. 3 BGB.450 Bei der Inhaltskontrolle der Bezugnahme auf einen fremden Tarifvertrag kann es nicht zu einem Verstoß gegen das Verbot der Tarifzensur kommen: Die Gefahr einer mittelbaren Tarifzensur scheidet aus, wenn die Tarifvertragsparteien mangels sachlicher, fachlicher oder örtlicher Kompetenz überhaupt keinen entsprechenden Regelungswille hatten.451 Hieraus ergibt sich zugleich, dass eine große dynamische (Global-)Bezugnahmeklausel stets nach §§ 310 Abs. 4 S. 3, 307 Abs. 3 BGB von der Prüfung nach §§ 307 Abs. 1 und 2, 308, 309 BGB ausgenommen sein muss. Ihr Wortlaut und ihr Regelungszweck zielen darauf, ausschließlich solche Tarifverträge zur Anwendung zu bringen, in deren Geltungsbereich der Betrieb bzw. die Arbeitsverhältnisse der dort beschäftigten Mitarbeiter liegen.452 Ansonsten ist eine Inhaltskontrolle selbst bei einer globalen Inbezugnahme des gesamten Tarifvertrages nur im Rahmen des Geltungsbereichs des in Bezug genommenen Tarifvertrags ausgeschlossen, d.h. bei einem Verweis auf den fachlich, örtlich und zeitlich einschlägigen Tarifvertrag.453 (5) Bezugnahme und tarifdispositives Gesetzesrecht Bezugnahmeklauseln können auf Tarifverträge verweisen, welche von tarifdispositivem Gesetzesrecht abweichen.454 Der Gesetzgeber lässt dies regelmäßig zu, um eine Schlechterstellung der tarifgebundenen gegenüber nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern zu vermeiden.455 Die „schlechteren“ tariflichen Arbeitsbedingungen sollen für alle Arbeitnehmer gelten. Grundsätzlich können bei tarifdispositivem Recht nur Tarifverträge desselben 277 (281); Henssler, RdA 2002, 129 (136); Richardi, NZA 2002, 1057 (1062); HWK-Gotthardt, § 307 BGB Rn. 14; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 72. 449 Diehn, NZA 2004, 129 (131); Thüsing, AGB-Kontrolle im ArbR, Rn. 186. 450 Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1363); Diehn, NZA 2004, 129 (131). 451 Witt, NZA 2004, 135 (137). 452 Haußmann, FS Schwerdtner, S. 89 (95). 453 A. A. für die Frage der örtlichen Einschlägigkeit Singer, RdA 2003, 194 (198); Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 154 f.; Annuß, BB 2002, 458 (460); ders., ZfA 2005, 405 (436 ff.); ders., BB 2006, 1333 (1334). 454 s. o. B.I.1.a), ab S. 41. 455 ErfK-Franzen, § 1 TVG Rn. 14. Vgl. o. S. 42, Fn. 17.
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fachlichen, betrieblichen und zeitlichen Geltungsbereiches in Bezug genommen werden.456 In diesen Fällen hält der Gesetzgeber selbst Teilverweisungen in Arbeitsverträgen auf die entsprechenden tariflichen Regelungskomplexe für grundsätzlich angemessen. Aus diesem Grund erscheint eine Inhaltskontrolle solcher teilweise in Bezug genommener Tarifverträge bei Abweichungen vom tarifdispositiven Recht nicht erforderlich.457 Thüsing vertritt hier eine abweichende Meinung.458 Er will eine Ausnahme von dem Verzicht auf die Inhaltskontrolle zulassen, wenn der Verweis sich auf einen zu Ungunsten der Arbeitnehmer von tarifdispositivem Gesetzes- oder Richterrecht abweichenden Tarifvertrag bezieht. Ansonsten würde es der „Umweg“ über die Bezugnahmeklausel erlauben, Arbeitnehmerschutz in einer Weise zu unterschreiten, die individualrechtlich an sich unzulässig wäre.459 Hätten die Arbeitsvertragsparteien nämlich eigenständig eine inhaltlich identische Regelung vereinbart, wäre diese durch das Gericht auf ihre Billigkeit zu überprüfen und im Ergebnis als unangemessen zu erachten.460 Gegen diese Ansicht spricht jedoch, dass die Zulassungsnormen eine vom gesetzlichen Niveau abweichende bzw. dieses Niveau unterschreitende Regelung gerade ermöglichen sollen. Einzelvertraglich wäre eine derartige Vereinbarung somit gerade nicht möglich gewesen.461 Es soll vermieden werden, dass für die tarifgebundenen Arbeitgeber ein Wettbewerbsvorteil entsteht.462 Entscheidend für ihre Zulässigkeit ist das Zustandekommen der in Bezug genommenen tariflichen Regelungen unter den Funktionsvoraussetzungen des Tarifvertragssystems.463 Tarifverträgen kommt eine Ordnungsfunktion zu, bei der eine Regelung auch dann als angemessen angesehen wird, wenn sie von zwingendem Gesetzesrecht (nach „unten“) abweicht.464 Ließe man eine Ausnahme zu, wenn sich die Abweichung zu Ungunsten der Arbeitnehmer auswirkt, widerspräche dies dem Grundgedanken der gesetzlichen Zulassungsnormen, dass es insofern gerade keines 456
ErfK-Franzen, § 3 TVG Rn. 35. Vgl. o. B.I.1.c), ab S. 43. Vgl. BAG v. 29.1.1987 – 2 AZR 109/86, NZA 1987, 627 m. w. N.; ErfKPreis, §§ 305–310 BGB Rn. 18; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 74. 458 Thüsing, AGB-Kontrolle im ArbR, Rn. 192; s. bereits ders./Lambrich, NZA 2002, 1361 (1363 f.). 459 Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1364). 460 Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1364). 461 Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 74. 462 s. o. S. 41; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1721; Ebeling, Bezugnahme, S. 39; Jacobs/Krause/Oetker-Oetker, TarifvertragsR, § 6 Rn. 224; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 376 f. 463 MüHdbArbR-Richardi, Bd. 1, § 12 Rn. 17; Ebeling, Bezugnahme, S. 39. 464 Richardi, NZA 2002, 1057 (1062); Ebeling, Bezugnahme, S. 192. 457
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staatlich „überwachten“ Arbeitnehmerschutzes bedarf. Sofern daher bei einer Globalbezugnahme auf den einschlägigen Tarifvertrag die materielle Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrages auch das individuelle Arbeitsverhältnis erfasst,465 ist kein Raum mehr für eine Unterscheidung danach, ob identische Regelungen ansonsten wirksam hätten vereinbart werden können.466 (6) Bezugnahme bei abgelaufenem Tarifvertrag Mit Ablauf der Geltungsdauer eines Tarifvertrags endet der Regelungswille der Tarifvertragsparteien in zeitlicher Hinsicht, so dass die AGB-Kontrolle eines in Bezug genommenen abgelaufenen Tarifvertrags keine mittelbare Tarifzensur darstellt.467 Maßgeblicher Zeitpunkt für den Ablauf ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses des Arbeitsvertrages,468 so dass es keine Auswirkungen hat, wenn der Tarifvertrag bei Vertragsschluss noch galt, später aber abläuft. (7) Zwischenergebnis Insgesamt erfasst die Privilegierung des § 310 Abs. 4 S. 3 BGB nicht sämtliche Fälle der Verweisung. Vielmehr privilegiert die Norm nur Globalbezugnahmen auf einschlägige Tarifverträge, sowie Bezugnahmen auf Tarifverträge, die von tarifdispositivem Gesetzesrecht abweichen. Andere Arten der Bezugnahme sind nicht privilegiert und unterliegen somit der Inhaltskontrolle. bb) Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB) Bei der Verwendung von AGB ist das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB zu beachten, dem zufolge eine Bestimmung klar und verständlich sein muss.469 Die Klausel muss die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschreiben, dass für den Verwender keine unge465
So auch Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1363). Ebenso Annuß, ZfA 2003, 405 (435). 467 Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1363); Witt, NZA 2004, 135 (137); Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 213. A. A. Däubler/Dorndorf/Bonin/DeinertDäubler, AGB-Kontrolle, § 310 BGB Rn. 47; Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 155 ff. 468 Ulmer/Brandner/Hensen-Ulmer, AGB-Recht, § 307 BGB Rn. 433; Witt, NZA 2004, 135 (137). 469 BGH v. 19.10.1999 – XI ZR 8/99, NJW 2000, 651; Palandt-Grüneberg, BGB, § 307 BGB Rn. 16 f.; ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 44; HWK-Gotthardt, § 307 BGB Rn. 19; Thüsing, AGB-Kontrolle im ArbR, Rn. 193. 466
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
rechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen.470 Die Anforderungen an die Einhaltung des Transparenzgebots dürfen aber nicht überspannt werden, Auslegungsbedürftigkeit bedeutet noch nicht automatisch Intransparenz.471 Zu berücksichtigen ist außerdem, dass eine Intransparenz an sich noch keine Rechtswirkungen herbeiführt, sondern dass stets eine wie auch immer geartete Benachteiligung des Verwendungsgegners, also des Arbeitnehmers, hinzukommen muss.472 (1) Transparenzkontrolle des Tarifvertrages bei Privilegierung? Im Schrifttum473 findet sich die Ansicht, dass gemäß §§ 310 Abs. 4 S. 3, 307 Abs. 3 S. 2 BGB auch bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 310 Abs. 4 S. 3, 307 Abs. 3 S. 1 BGB (d.h. wenn keine AGB-Kontrolle der Klausel erfolgt) in jedem Fall eine Transparenzkontrolle der Tarifbestimmungen gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB durchzuführen sei.474 Diese Ansicht beruft sich auf die Gesetzesbegründung475 und § 307 Abs. 3 S. 2 BGB, wonach „andere Bestimmungen“, d.h. solche, die nicht nach S. 1 von Rechtsvorschriften abweichen, einer Transparenzkontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unterliegen. Dem hat das BAG in seinem Urteil vom 28.6.2007476 jedoch widersprochen. Gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB seien Gegenstand der Inhaltskontrolle Allgemeine Geschäftsbedingungen, die von den in Bezug genommenen, zwischen den Tarifparteien ausgehandelten Tarifnormen zu unterscheiden seien. Jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber tarifgebunden sei und er im Arbeitsvertrag global auf den für ihn normativ geltenden Tarifvertrag verweise, unterliege der Tarifvertrag in den Arbeitsverhältnissen der Gewerkschaftsmitglieder gemäß § 310 Abs. 4 S. 1 BGB keiner Kontrolle nach den §§ 305 bis 310 BGB und damit auch keiner Transparenzkontrolle.477 In den 470 BAG v. 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, NZA 2006, 324 (326); ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 44; HWK-Gotthardt, § 307 BGB Rn. 20. 471 BGH v. 17.12.1998 – VII ZR 243/97, NJW 1999, 942 (944); BGH v. 5.11.2003 – VIII ZR 10/03, NJW 2004, 1598 (1600); HWK-Gotthardt, § 307 BGB Rn. 20; Preis/Roloff, ZfA 2007, 43 (74). 472 Korinth, ArbRB 2007, 21 (24) m. w. N. 473 U.a. Lakies, AGB im ArbR, Rn. 165 ff.; ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 15; ders., FS Wiedemann, S. 425 (447); Ulmer/Brandner/Hensen-Ulmer, AGB-Recht, § 310 Rn. 150; Witt, NZA 2004, 135 (138); Diehn, NZA 2004, 129 (134). 474 s. auch die Gesetzesbegründung BT-Drs. 14/6857, S. 54. Ebenso ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 15; Witt, NZA 2004, 135 (138); Lakies, AGB im ArbR, Rn. 165 ff.; Ulmer/Brandner/Hensen-Ulmer, AGB-Recht, § 310 BGB Rn. 150. 475 Vgl. BT-Drs. 14/6857, S. 54. 476 BAG v. 28.6.2007 – 6 AZR 750/06, NZA 2007, 1049 (1051). 477 BAG v. 28.6.2007 – 6 AZR 750/06, NZA 2007, 1049 (1051).
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Arbeitsverhältnissen der Außenseiter dürfe nach dem Sinn und Zweck des § 310 Abs. 4 S. 1 BGB, der eine mittelbare Tarifzensur verhindern wolle, nichts anderes gelten. Jedenfalls bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber müsse daher eine Transparenzkontrolle der Tarifbestimmungen ausscheiden. Hier verbleibe nur die Überprüfung, ob die Regelung mit zwingendem Gesetzes- und Richterrecht sowie Wertentscheidungen des Grundgesetzes vereinbar ist.478 Zwar widerspricht dieses Urteil der Gesetzesbegründung, es überzeugt aber in seinen rechtlichen Konsequenzen. Ließe man eine Transparenzkontrolle der Tarifnormen bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber zu, käme es auf individualvertraglicher Ebene zu einer mittelbaren Tarifzensur, obwohl der bereits normativ geltende Tarifvertrag gemäß § 310 Abs. 4 S. 1 BGB keiner Inhaltkontrolle unterliegt.479 Ob dies auch für den Fall eines nicht tarifgebundenen Arbeitgebers oder bei nur teilweiser Verweisung auf den Tarifvertrag gilt, hat das BAG ausdrücklich offen gelassen. Dies ist zu bezweifeln. Im ersten Fall gilt der Tarifvertrag nicht normativ für die Arbeitsverhältnisse im Betrieb, so dass § 310 Abs. 4 S. 1 BGB nicht anwendbar ist. Das Gleiche gilt für den Fall, dass der in Bezug genommene Tarifvertrag nicht einschlägig ist.480 Auch hier fehlt es an einer Richtigkeitsgewähr,481 so dass eine Transparenzkontrolle möglich ist. Aus denselben Gründen ist auch bei nur teilweiser Bezugnahme von der Zulässigkeit einer Transparenzkontrolle auszugehen.482 (2) Bezugnahmeklauseln allgemein Von einer Transparenzkontrolle des in Bezug genommenen Tarifvertrages ist die Bezugnahmeklausel selbst zu trennen. Die Bezugnahme auf einen Tarifvertrag kann bereits generelle Bedenken hervorrufen, denn ihre Verwendung bewirkt aufgrund der Verweisungstechnik eine erhebliche Einbuße an Transparenz.483 Sie scheitert jedoch nicht am Transparenzgebot.484 Die Sonderregel des § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 NachwG lässt einen allgemeinen 478 BAG v. 28.6.2007 – 6 AZR 750/06, NZA 2007, 1049 (1051); BAG v. 21.11.2006 – 9 AZR 138/06, AP Nr. 18 zu § 8 TzBfG. 479 I. Erg. ebenso Ernst, NZA 2007, 1405 (1406). 480 Ebenso Ernst, NZA 2007, 1405 (1406). 481 s. o. C.II.3.c)cc), ab S. 97. 482 Vgl. zur Richtigkeitsgewähr bei Teilverweisungen BAG v. 25.4.2007 – 10 AZR 634/06, NZA 2007, 875 (877). 483 Oetker, FS Wiedemann, S. 383 (384). 484 s. zuletzt BAG v. 14.3.2007 – 5 AZR 630/06, AP Nr. 45 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag, zu einer Verweisung auf beamtenrechtliche Regelungen.
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
Hinweis auf die geltenden Tarifverträge ohne Nennung der einzelnen Bestimmungen oder ihrer Inhalte genügen.485 Angesichts der Unanwendbarkeit von § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB auf Arbeitsverträge (§ 310 Abs. 4 S. 2, 2. Hs. BGB) braucht der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer vor Vertragsschluss gerade keine zumutbare Kenntnisnahmemöglichkeit vom Inhalt der Vertragsbedingungen zu verschaffen.486 (3) Dynamische Bezugnahmeklauseln Bei statischen Bezugnahmeklauseln sind Veränderungen des Bezugnahmeobjekts nicht denkbar, so dass gegen ihre Zulässigkeit im Hinblick auf das Transparenzgebot keine Bedenken bestehen.487 Im Falle dynamischer Bezugnahmeklauseln bestehen hingegen Zweifel, da die zukünftig für die Arbeitnehmer geltenden Vertragsbedingungen nicht konkret vorhersehbar sind.488 Dass sich jedoch der Inhalt der Regelung nicht unmittelbar aus dem Vertragstext ergibt, gehört zur Natur einer Bezugnahmeklausel.489 Das Verbot einer dynamischen Vertragsgestaltung widerspräche der Zukunftsgerichtetheit des Arbeitsverhältnisses als Dauerschuldverhältnis, das im Laufe der Zeit zahlreichen lohn- und sozialpolitischen Entwicklungen unterliegen kann.490 Es muss den Arbeitsvertragsparteien möglich sein, ihren Vertrag hinsichtlich derartiger Veränderungen flexibel zu gestalten, um sich die Umstände sukzessiver Vertragsanpassung zu ersparen.491 Dies ist als „Besonderheit des Arbeitsrechts“ gemäß § 310 Abs. 4 S. 2 BGB492 zu 485 BAG v. 14.3.2007 – 5 AZR 630/06, AP Nr. 45 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 219; Annuß, ZfA 2005, 405 (432); Däubler, NZA 2001, 1329 (1336). 486 Annuß, BB 2006, 1333 (1337). 487 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 86; Preis, Vertragsgestaltung, S. 400; Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 219. 488 ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 44; Lakies, AR-Blattei SD 35 Rn. 92 ff. 489 BAG v. 14.3.2007 – 5 AZR 630/06, AP Nr. 45 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG v. 3.4.2007 – 9 AZR 283/06, AP Nr. 21 zu § 2 BAT SR 2l; Thüsing, AGB-Kontrolle im ArbR, Rn. 193; ders./Lambrich, NZA 2002, 1361 (1364); Diehn, NZA 2004, 129 (134); Klagges, Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang, S. 94 f. 490 BAG v. 10.8.1982 – 3 AZR 90/81, AP Nr. 7 zu § 5 BetrAVG; BAG v. 14.3.2007 – 5 AZR 630/06, AP Nr. 45 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG v. 3.4.2007 – 9 AZR 283/06, AP Nr. 21 zu § 2 BAT SR 2l; BAG v. 15.4.2008 – 9 AZR 160/07, n. v.; Klagges, Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang, S. 94 f.; Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1364). 491 Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1364). 492 s. im Anschluss C.II.3.d)cc), ab S. 118.
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berücksichtigen und kann somit eine Unangemessenheit der Klausel verhindern.493 Mit Blick auf eine dynamische Bezugnahme lässt sich zudem § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 NachwG entnehmen, dass ein in allgemeinen Vertragsbedingungen enthaltener Verweis auf die einschlägigen Tarifverträge genügt, um den Nachweiszweck zu erfüllen. Der Gesetzgeber bringt darin zum Ausdruck, den Arbeitnehmer bei nachträglichen Änderungen kollektiver Regelwerke nicht für schutzwürdig zu halten.494 Änderungen des in Bezug genommenen Tarifvertrages (Fall der kleinen dynamischen Klausel) bedürfen keiner erneuten Dokumentation (vgl. § 3 S. 2 NachwG). Auch dies ist eine arbeitsrechtliche Besonderheit.495 Es genügt, wenn die im Zeitpunkt der jeweiligen Anwendung in Bezug genommenen Regelungen bestimmbar sind.496 Es würde daher einen Wertungswiderspruch bedeuten, wenn man solche Bestimmungen an der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB scheitern ließe.497 Anders als § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB fordert § 307 Abs. 1 S. 2 BGB keine Abschlusstransparenz, sondern Klarheit bei der Vertragsabwicklung.498 Ein Tarifwechsel (Fall der großen dynamischen Klausel) lässt hingegen sowohl Hinweispflichten nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 NachwG als auch, da er als sachliche Dynamik nicht von der Privilegierung des § 3 S. 2 NachwG erfasst wird, eine Dokumentationspflicht nach § 3 NachwG entstehen.499 Auch hier wird der Arbeitnehmer daher hinreichend geschützt. Die Jeweiligkeitsklausel ist transparent gestaltet, wenn zu jedem Zeitpunkt der Vertragsdurchführung eindeutig ermittelt werden kann, welchen Tarifbestimmungen das verweisende Arbeitsverhältnis jeweils unterliegt.500 Schutz vor unerwarteten Änderungen der Vertrags493
Diehn, NZA 2004, 129 (134); Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 293. Vgl. BAG v. 3.4.2007 – 9 AZR 283/06, AP Nr. 21 zu § 2 BAT SR 2l; Däubler, NZA Beil. 3/2006, 133 (134); Diehn, NZA 2004, 129 (134). 495 BAG v. 3.4.2007 – 9 AZR 283/06, AP Nr. 21 zu § 2 BAT SR 2l; Däubler/ Dorndorf/Bonin/Deinert-Däubler, AGB-Kontrolle, § 307 BGB Rn. 292; Oetker, FS Wiedemann, S. 383 (396). 496 BAG v. 14.3.2007 – 5 AZR 630/06, AP Nr. 45 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag. 497 Annuß, ZfA 2005, 405 (432); Diehn, NZA 2004, 129 (134); Gaul, ZfA 2003, 75 (81 f.); Däubler/Dorndorf/Bonin/Deinert-Däubler, AGB-Kontrolle, § 307 BGB Rn. 292. 498 BAG v. 9.7.1980 – 4 AZR 564/78, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG v. 14.3.2007 – 5 AZR 630/06, AP Nr. 45 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG v. 3.4.2007 – 9 AZR 283/06, AP Nr. 21 zu § 2 BAT SR 2l; Diehn, NZA 2004, 129 (134); Annuß, BB 2006, 1333 (1337); ders., ZfA 2005, 405 (433); Klagges, Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang, S. 94 f. Ebenso für die Zulässigkeit der dynamischen Klausel Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 294; Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1364). 499 Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 142 f. 494
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
bedingungen bietet zudem das Verbot überraschender Klauseln des § 305c Abs. 1 BGB.501 Die Verwendung dynamischer Bezugnahmeklauseln verletzt also generell nicht das Transparenzgebot. cc) Berücksichtigung der „im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten“ (§ 310 Abs. 4 S. 2 BGB) Bei einer Inhaltskontrolle sind die „im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten“502 gemäß § 310 Abs. 4 S. 2 BGB angemessen zu berücksichtigen. Die Regelung ist bei der Frage der Auslegung von Bezugnahmeklauseln relevant, da sich dort u. a. die Frage stellt, ob sich die soziotypische Situation des Vertragsschlusses (d.h. insbesondere das grundsätzliche Verbot der Frage des Arbeitgebers nach der Gewerkschaftsangehörigkeit des Arbeitnehmers) auf die Auslegung der Klausel auswirkt.503 (1) „Im Arbeitsrecht geltende Besonderheiten“ Es ist weder dem Wortlaut der Norm noch den Gesetzesmaterialien zu entnehmen, was im Einzelnen die „im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten“ sind. Laut Gesetzesbegründung bezweckt die Regelung, „dass das Schutzniveau der Vertragsinhaltskontrolle im Arbeitsrecht nicht hinter demjenigen des Zivilrechts zurückbleibt“.504 Umstritten ist in Rechtsprechung und Lehre, ob es sich um rechtliche Besonderheiten handeln muss505 oder ob auch rein tatsächliche Besonderheiten ausreichen.506 Das BAG geht mittlerweile davon aus, dass tatsächliche Besonderheiten genügen.507 500 Annuß, ZfA 2005, 405 (433); Diehn, NZA 2004, 129 (134); Hanau, NZA 2005, 489 (492). 501 s. o. C.II.3.c)dd), ab S. 99. 502 Zu diesem Begriff Thüsing, NZA 2002, 591 ff.; Lingemann, NZA 2002, 181 (183). 503 Zum Wandel der Rechtsprechung s. u. D., ab S. 127. 504 BT-Drs. 14/6857, S. 54. 505 So ArbG Bochum v. 8.7.2002 – 3 Ca 1278/02, DB 2002, 1659 (1660); Thüsing, NZA 2002, 591 (592 f.); Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 123 f. 506 So Lingemann, NZA 2002, 181 (183); Joost, FS Ulmer, 1199 (1203); Annuß, BB 2002, 458 (461); BeckOK-Jacobs, § 310 BGB Rn. 23 f. 507 BAG v. 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, AP Nr. 1 zu § 310 BGB. A. A. LAG Hamm v. 24.1.2003 – 10 Sa 1158/02, NZA 2003, 499 (501); HWK-Gotthardt, § 310 BGB Rn. 22; ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 11; Thüsing, NZA 2002, 591 (593); Annuß, BB 2006, 1333 (1334); Preis/Roloff, ZfA 2007, 43 (57).
C. Grenzen der Bezugnahme
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Des Weiteren ist strittig, ob die beachtlichen Besonderheiten ausschließlich dem Bereich des Arbeitsrechts zuzuordnen sein müssen,508 oder ob es ausreicht, wenn sie auch in anderen Rechtsgebieten anzutreffen sind, im Arbeitsrecht jedoch besondere Bedeutung haben.509 Ein Beispiel ist § 888 Abs. 3 ZPO, aus dem sich die fehlende Vollstreckbarkeit von Arbeitsleistungen ergibt, obwohl der Vollstreckungsausschluss für jegliche Dienstverträge gilt. Nach Ansicht des BAG genügt diese besondere Bedeutung im Arbeitsrecht, da § 888 Abs. 3 ZPO „im Wesentlichen . . . nur im Arbeitsrecht die Schutzlosigkeit des Dienstberechtigten [begründe]“.510 Für diese Ansicht spricht ferner das Argument, dass eine Begrenzung auf spezifisch arbeitsrechtliche Besonderheiten § 310 Abs. 4 S. 2 BGB in seinem Anwendungsbereich leer laufen lassen würde.511 (2) Berücksichtigung bei der Auslegung Bestehen arbeitsrechtliche Besonderheiten, schließen sie eine Inhaltskontrolle nicht von vornherein aus.512 Vielmehr sind sie „angemessen zu berücksichtigen“.513 Es liegt also eine zweistufige Prüfung vor:514 Zunächst sind die Interessenlagen der Vertragspartner im allgemeinen Zivilrecht und im Arbeitsrecht zu vergleichen, um zu prüfen, ob eine Abweichung im Arbeitsrecht gerechtfertigt ist.515 Sofern ein wesentlicher Unterschied zwischen den Interessenlagen besteht, ist eine eingeschränkte Anwendung der §§ 305 ff. BGB vorzunehmen; besteht kein Unterschied, sind die AGB-Regeln uneingeschränkt anzuwenden.516 dd) Unklarheitenregel (§ 305c Abs. 2 BGB) Von immanenter Bedeutung für die Auslegung der Bezugnahmeklauseln, insbesondere in Fällen des Tarifwechsels, ist § 305c Abs. 2 BGB. Die Vorschrift bestand bereits im römischen Recht (ambiguitas contra proferentem)517 508
So z. B. Annuß, BB 2006, 1333 (1334). So z. B. BeckOK-Jacobs, § 310 BGB Rn. 23. 510 BAG v. 4.3.2004 – 8 AZR 196/03, AP Nr. 3 zu § 309 BGB. 511 Vgl. BAG v. 4.3.2004 – 8 AZR 196/03, AP Nr. 3 zu § 309 BGB. 512 HWK-Gotthardt, § 310 BGB Rn. 22. 513 ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 11. 514 HWK-Gotthardt, § 310 BGB Rn. 22. 515 BeckOK-Jacobs, § 310 BGB Rn. 24; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 125; ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 11. 516 ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 11 m. w. N. 517 Dieser Rechtssatz entstammt den Justinianischen Digesten (Dig 34.5.26). 509
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und besaß schon vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes im Arbeitsrecht Geltung.518 (1) Voraussetzungen des § 305c Abs. 2 BGB Normzweck des § 305c Abs. 2 BGB ist die Schaffung einer Auslegungsregel für Zweifelsfälle bei objektiv mehrdeutigen Klauseln.519 Die Unklarheitenregel ergänzt damit §§ 133, 157 BGB.520 Sie ist anzuwenden, wenn nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden Auslegungsmethoden eine objektive Mehrdeutigkeit verbleibt.521 Es müssen mindestens zwei Auslegungsvarianten rechtlich vertretbar sein und keine davon darf den klaren Vorzug verdienen.522 Die Unklarheitenregel besagt dann, dass Zweifel bei der Auslegung der vorformulierten Arbeitsbedingungen zu Lasten des Verwenders, d.h. des Arbeitgebers, gehen. Bestehen mehrere Auslegungsmöglichkeiten, ist zunächst die arbeitnehmerfeindlichste Variante auf ihre inhaltliche Vereinbarkeit mit den §§ 307 ff. BGB zu untersuchen. Verstößt die Klausel in dieser Auslegungsvariante gegen ein Klauselverbot, ist die arbeitnehmerfeindlichste Auslegung maßgeblich.523 Nur falls die Klausel selbst in dieser arbeitnehmerfeindlichsten Auslegung der Inhaltskontrolle standhält, ist gemäß § 305c Abs. 2 BGB sodann die arbeitnehmerfreundlichste Auslegungsoption als maßgeblicher Vertragsinhalt zugrunde zu legen.524 Die Günstigkeit der Auslegungsvarianten ist wie bei § 4 Abs. 3 TVG nach objektiven Maßstäben zu bestimmen.525 (2) Unklarheitenregel und Bezugnahmeklauseln Unklare Bezugnahmeklauseln sind somit im arbeitnehmergünstigsten Sinne auszulegen.526 Nach herrschender Meinung müssen sowohl die Art 518
Vgl. BAG v. 18.8.1998 – 1 AZR 589/97, NZA 1999, 659 (661). BeckOK-Jacobs, § 305c BGB Rn. 23; ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 32. 520 Vgl. BeckOK-Jacobs, § 305c BGB Rn. 23; Palandt-Heinrichs, § 305c BGB Rn. 18. 521 BGH v. 22.3.2002 – V ZR 405/00, NJW 2002, 2102 (2103); BGH v. 11.2.1992 – XI ZR 151/91, NJW 1992, 1098; BAG v. 15.4.2008 – 9 AZR 160/07, n. v.; Palandt-Heinrichs, BGB, § 305c Rn. 18; Annuß, BB 2006, 1333 (1336). 522 BAG v. 9.11.2005 – 5 AZR 128/05, NZA 2006, 202 (204); BGH v. 3.7.2002 – XII ZR 327/00, NJW 2002, 3232 (3233); BeckOK-Jacobs, § 305c BGB Rn. 25. 523 BeckOK-Jacobs, § 305c BGB Rn. 28. 524 Ausführlich Ulmer/Brandner/Hensen-Ulmer, § 305c BGB Rn. 90 ff. m. w. N. 525 BeckOK-Jacobs, § 305c BGB Rn. 28. 526 Palandt-Heinrichs, BGB, § 305c Rn. 20 („kundenfreundlichste Auslegung“); Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1366). Vgl. auch u. D.I.2.c), ab S. 130. 519
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der Verweisung (Global-, Teil- oder Einzelverweisung; dynamische oder statische Verweisung) als auch das Bezugnahmeobjekt (d.h. der konkrete Tarifvertrag) unzweifelhaft erkennbar sein.527 Die Tragweite einer Verweisung unterliegt ebenfalls der Unklarheitenregel.528 Nicht von der Unklarheitenregel erfasst werden hingegen die Begleitumstände, die aus Sicht eines redlichen und verständigen Erklärungsempfängers zu würdigen sind.529 Im Laufe der Jahre haben sich einige Auslegungsgrundsätze des BAG etabliert. So ist das Gericht in der Vergangenheit davon ausgegangen, dass auch ohne ausdrückliche Klarstellung im Wortlaut der Bezugnahmeklausel der Tarifvertrag nach dem Willen der Arbeitsvertragsparteien im Zweifel in seiner jeweiligen Fassung gelte, wenn diese nicht konkret mit einem Datum festgelegt ist, so dass im Zweifel eine dynamische Bezugnahme anzunehmen sei.530 In der Regel werden die tariflichen Leistungen im Laufe der Jahre erhöht, so dass grundsätzlich eine dynamische Verweisung für die Arbeitnehmer günstiger ist. Hieran wird auch in Zukunft im Regelfall festzuhalten sein.531 Es bedarf jedoch stets einer Untersuchung der Umstände des Einzelfalles, da es einzelne Bereiche wie die betriebliche Altersversorgung gibt, in denen neue Tarifverträge typischerweise schlechter als die bisher geltenden sind.532 Nach Auffassung des BAG beinhaltet daher die formulararbeitsvertragliche Formulierung „Der Arbeitnehmer erhält folgende Vergütung“ i. V. m. der Bezeichnung der tariflichen Vergütungsgruppe im Zweifel eine dynamische Verweisung auf die tarifliche Vergütung, da Entgelttarifverträge die Vergütung in der Regel für die Arbeitnehmer verbessern und nicht verschlechtern.533
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Korinth, ArbRB 2007, 21 (21); Thüsing, AGB-Kontrolle im ArbR, Rn. 198. BAG v. 9.11.2005 – 5 AZR 128/05, NZA 2006, 202 (204); BeckOK-Jacobs, § 305c BGB Rn. 32. 529 BAG v. 26.9.2007 – 5 AZR 808/06, NZA 2008, 179 (180). 530 BAG v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, NZA 1991, 736 (738); BAG v. 29.1.1991 – 3 AZR 44/90, NZA 1991, 563 (564 f.); BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 (635); BAG v. 27.2.2002 – 9 AZR 562/00, NZA 2002, 1099 (1101); BAG v. 9.11.2005 – 5 AZR 128/05, NZA 2006, 202 (204); BAG v. 18.6.2008 – 7 AZR 116/07, NZA 2008, 1302 (1304). 531 Thüsing, AGB-Kontrolle im ArbR, Rn. 198. 532 Däubler/Dorndorf/Bonin/Deinert-Däubler, AGB-Kontrolle, § 305c Rn. 43. Zu Recht kritisch daher auch BeckOK-Jacobs, § 305c BGB Rn. 32. 533 BAG v. 9.11.2005 – 5 AZR 128/05, NZA 2006, 202 (204); s. auch BAG v. 18.8.1998 – 1 AZR 589/97, NZA 1999, 659 (661); BAG v. 20.4.2005 – 4 AZR 292/04, NZA 2006, 281 (282 f.). In dem vorliegenden Fall war nach Ansicht des BAG eine Auslegung als Gleichstellungsabrede nicht möglich, vielmehr war die Auslegung nach Ausschöpfung aller Auslegungsmethoden zweifelhaft. 528
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
Die Formulierung „Der Urlaub richtet sich nach den einschlägigen tariflichen Bestimmungen“ umfasst nach Ansicht des BAG sogar regelmäßig auch das Urlaubsgeld, ohne dass dazu auf § 305c Abs. 2 BGB zurückgegriffen werden muss; die Regelung sei hinreichend klar.534 Eine Unsicherheit besteht bei der Frage, ob bisherige, auf den BundesAngestelltentarifvertrag (BAT) verweisende Klauseln nach dem Inkrafttreten des den BAT ersetzenden Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD)535 am 1.1.2005 nunmehr als Verweisungen auf den TVöD ausgelegt werden können oder ob eventuell die Unklarheitenregel anwendbar ist.536 Einige Stimmen in der Literatur537 fordern für die Inbezugnahme des TVöD eine explizit vereinbarte Tarifwechselklausel. Jedoch soll es sich bei dem TVöD nach dem Willen der Tarifvertragsparteien um einen den BAT ersetzenden Tarifvertrag handeln.538 Ferner sind die Tarifvertragsparteien identisch, und für den öffentlichen Dienst bleibt der Betriebszweck erhalten.539 Die tarifliche Veränderung wird zudem nicht wie sonst üblich durch eine Änderung auf Arbeitgeberseite, sondern durch eine Vereinbarung der Tarifvertragsparteien herbeigeführt.540 Anstelle eines Tarifwechsels ist daher von einer „Tarifsukzession“ auszugehen.541 Der TVöD ersetzt damit den BAT als geltenden Tarifvertrag und Bezugnahmeobjekt, ohne dass es einer Tarifwechselklausel oder der ergänzenden Auslegung einer kleinen dynamischen Klausel bedürfte. § 305c Abs. 2 BGB kommt nicht zur Anwendung. Die Unklarheitenregel ist durch die Rechtsprechungsänderung des BAG zu Bezugnahmeklauseln in den Mittelpunkt der Auslegung gerückt worden.542 Wie sich in der Fallanalyse zeigen wird,543 hat diese Änderung der Auslegungsgrundsätze erhebliche Auswirkungen auf die Rechtsfolgen eines Tarifwechsels.
534
BAG v. 17.1.2006 – 9 AZR 41/05, NZA 2006, 923 (926 f.). s. o. B.IV.2.b)bb)(3), ab S. 81. 536 s. hierzu Däubler/Dorndorf/Bonin/Deinert-Däubler, AGB-Kontrolle, § 305c BGB Rn. 45a. 537 Hümmerich/Mäßen, NZA 2005, 961 (965 f.); v. Steinau-Steinrück, NJW-Spezial 2005, 561 (562); ders./Schmidt, NZA 2006, 518 (519). 538 Möller/Welkoborsky, NZA 2006, 1382 (1384 f.). 539 Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 137. 540 Möller/Welkoborsky, NZA 2006, 1382 (1384). 541 Fieberg, NZA 2005, 1226 (1227 f.); Möller/Welkoborsky, NZA 2006, 1382 (1385); Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 137. 542 s. u. D., ab S. 127. 543 s. unten Teil 2, A.–D., ab S. 198. 535
C. Grenzen der Bezugnahme
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ee) Benachteiligungsverbot (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB) (1) Begriff der Benachteiligung Des Weiteren stellt sich die Frage, ob Bezugnahmeklauseln gegen das Benachteiligungsverbot des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB verstoßen. § 307 BGB erklärt solche Klauseln für unwirksam, die den Vertragspartner des Verwenders, d.h. den Arbeitnehmer, entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine Benachteiligung liegt vor, wenn die Klausel den Arbeitnehmer wegen ihrer Unangemessenheit rechtlich oder tatsächlich schlechter stellt, als er ohne die vertragliche Regelung stünde.544 Das BAG geht von einer unangemessenen Benachteiligung aus, wenn der Verwender missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten des Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne dessen Interessen zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zu gewähren.545 (2) Benachteiligung durch Bezugnahmeklauseln Dynamische Änderungen der anwendbaren Tarifbedingungen können sich auf die Pflichten der Vertragsparteien auswirken. Außerhalb des Arbeitsrechts wird vertreten, dass eine dynamische Verweisung eine unangemessene Benachteiligung darstellen kann, wenn sie dazu führe, dass dem Verwender oder einem Dritten ein voraussetzungslos ausübbares Änderungsrecht eingeräumt werde.546 Im Falle der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln ist jedoch eine abweichende Beurteilung geboten.547 Aufgrund der dynamischen arbeitsvertraglichen Bezugnahme können sich zwar durch einen Tarifwechsel Änderungen des Bezugnahmeobjekts und der Rechte und Pflichten der Parteien ergeben. Diese Änderungen führt der Arbeitgeber jedoch nicht einseitig herbei. Die Parteien haben sich vielmehr einem separaten dynamischen Regelwerk, und damit der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien, d.h. in der Regel Dritter, unterworfen.548 Auch wenn u. U. eine beiderseitige Tarifgebundenheit besteht, fehlt es dem Arbeitgeber regelmäßig an der (recht544
BeckOK-Jacobs, § 307 BGB Rn. 30. BAG v. 24.10.2002 – 6 AZR 632/00, NZA 2003, 668 (669 f.); BAG v. 4.3.2004 – 8 AZR 196/03, AP Nr. 3 zu § 309 BGB; BAG v. 27.7.2005 – 7 AZR 486/04, NJW 2006, 40 (46); HWK-Gotthardt, § 307 BGB Rn. 22. 546 Oetker, FS Wiedemann, S. 383 (395); ders., JZ 2002, 337 (340 ff.) für Verweisungsklauseln außerhalb des Arbeitsrechts. Bei arbeitsvertraglichen Klauseln s. nun Reinecke, BB 2006, 2640 (2645). 547 Oetker, FS Wiedemann, S. 383 (397). 548 Reinecke, BB 2006, 2637 (2645). 545
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
lichen wie faktischen) Möglichkeit, das Bezugnahmeobjekt, d.h. den Tarifvertrag, einseitig zu ändern. Aus diesem Grund ist eine große dynamische Bezugnahmeklausel auch nicht als Änderungsvorbehalt im Sinne des § 308 Nr. 4 BGB anzusehen.549 Etwas anderes kann sich höchstens im Falle eines von ihm selbst abgeschlossenen Haustarifvertrages ergeben, doch auch dort bedarf es zur Änderung des Tarifvertrages grundsätzlich der Einigung mit der tarifschließenden Gewerkschaft. Ein voraussetzungslos ausübbares Änderungsrecht besteht somit in aller Regel nicht. Die arbeitsvertragliche dynamische Bezugnahme stellt daher grundsätzlich keine unangemessene Benachteiligung der Arbeitnehmer dar. Für dieses Ergebnis spricht, dass gemäß §§ 3 S. 2, 2 Abs. 3 NachwG die Änderungen des Tarifvertrages auch dann kraft Bezugnahme gelten, wenn sie dem Arbeitnehmer nicht zuvor schriftlich mitgeteilt wurden. Die Vorschriften postulieren somit, dass die tariflichen Regelungen bereits kraft Bezugnahme Vertragsbestandteil werden.550 Allein in der dynamischen Bezugnahme kann somit keine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners im Sinne des § 307 Abs. 1 BGB liegen. 4. Rechtsfolgen bei Unwirksamkeit Die an der Inhaltskontrolle scheiternde Klausel ist nach § 306 Abs. 1 BGB unwirksam, soweit sie nicht teilbar ist.551 a) Verbot der geltungserhaltenden Reduktion Nach § 306 Abs. 1 BGB werden nicht einbezogene oder unwirksame AGB nicht Vertragsbestandteil, der Vertrag bleibt jedoch – im Gegensatz zur Auslegungsregel des § 139 BGB –552 im Übrigen wirksam. Die etwaige Unwirksamkeit der Bezugnahmeklausel führt damit nicht automatisch zur Gesamtnichtigkeit des Arbeitsvertrages. Das Verbot geltungserhaltender Reduktion553 gilt auch für das Arbeitsrecht.554 Dem Arbeitgeber als Verwender des vorformulierten Arbeitsvertra549 Vgl. Annuß, ZfA 2005, 405 (433); Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 144 f. 550 Oetker, FS Wiedemann, S. 383 (397). 551 Preis/Roloff, ZfA 2007, 43 (77). 552 HWK-Gotthardt, § 306 BGB Rn. 1; ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 103; BeckOK-Jacobs, § 306 BGB Rn. 5. 553 Grdl. BGH v. 17.5.1982 – VII ZR 316/81, NJW 1982, 2309 (2310). 554 BAG v. 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, AP Nr. 1 zu § 310 BGB; BAG v. 4.3.2004 – 8 AZR 196/03, AP Nr. 3 zu § 309 BGB; HWK-Gotthardt, § 306 BGB
C. Grenzen der Bezugnahme
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ges, der die Gestaltungsmacht hat, darf durch eine richterliche Reduktion für die unangemessene Klausel weder die Verantwortung noch das Risiko abgenommen werden.555 Ihm kann im Arbeitsvertrag nicht wirksam durch Vereinbarung einer salvatorischen Klausel vorgebeugt werden, da diese selbst wegen eines Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam wäre.556 b) Blue-Pencil-Test Eine geltungserhaltende – und damit verbotene – Reduktion liegt jedoch nicht vor, wenn nur einzelne Klauseln oder Klauselteile unwirksam sind und sie von den restlichen Vertragsteilen getrennt werden können.557 Dann bleiben die nicht erfassten Vertragsteile in Kraft. Ob eine derartige Trennbarkeit gegeben ist, bemisst sich nach Ansicht des BAG danach, ob der unwirksame Teil durch schlichte Streichung eliminiert werden kann und der verbleibende Teil dennoch seinen Sinn behält (sog. „Blue-Pencil-Test“)558. Zweistufige Ausschlussfristen können z. B. geteilt werden,559 nicht aber einstufige, denn es gibt keine Ausschlussklausel ohne Frist.560
Rn. 4; ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 104; Junker, BB 2007, 1274 (1280); Diehn, NZA 2004, 129 (135); Klagges, Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang, S. 48 f. Vgl. hingegen früher BAG v. 16.3.1994 – 5 AZR 339/92, NZA 1994, 937 (943); BAG v. 6.9.1995 – 5 AZR 241/94, NJW 1996, 1916 (1918): „Haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzelvertraglich eine zu lange Bindungsfrist für die Rückzahlung von Fortbildungskosten vereinbart, so ist sie nach ständiger Rechtsprechung des Senats auf das zulässige Maß zurückzuführen“. 555 HWK-Gotthardt, § 306 BGB Rn. 4; Preis, Vertragsgestaltung, S. 367. 556 BAG v. 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, AP Nr. 1 zu § 310 BGB; Junker, BB 2007, 1274 (1281); Däubler, NZA Beil. 3/2006, 133 (136 f.). Zur Möglichkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung s. aber u. C.II.4.c), S. 126. 557 BeckOK-Jacobs, § 306 BGB Rn. 7 f.; Annuß, BB 2006, 1333 (1338). 558 BAG v. 21.4.2005 – 8 AZR 425/04, AP Nr. 3 zu § 307 BGB; v. 12.3.2008 – 10 AZR 152/07, NZA 2008, 699 (700); HWK-Gotthardt, § 306 BGB Rn. 3; Annuß, BB 2006, 1333 (1338); Preis/Roloff, ZfA 2007, 43 (77); Junker, BB 2007, 1274 (1280). Kritisch hierzu Thüsing, BB 2006, 661 ff. 559 ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 103; ders./Roloff, ZfA 2007, 43 (77). HWK-Gotthardt, § 306 BGB Rn. 3: Wirksamkeit der Ausschlussfrist nur, sofern die Unwirksamkeit auf der zweiten, nicht aber der ersten Stufe besteht. 560 BAG v. 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, AP Nr. 1 zu § 310 BGB; ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 103.
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
c) Geltung der gesetzlichen Vorschriften und ergänzende Vertragsauslegung Soweit einzelne Bestimmungen nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam sind, richtet sich der Inhalt des Vertrages gemäß § 306 Abs. 2 BGB nach den gesetzlichen Vorschriften. Fehlt es an einer gesetzlichen Regelung, kommt unter Umständen eine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht.561 Die durch den ersatzlosen Wegfall der unwirksamen oder nicht wirksam einbezogenen Klausel entstehende Vertragslücke kann durch ergänzende Vertragsauslegung geschlossen werden, wenn dispositives Recht zur Lückenfüllung nicht herangezogen werden kann und die ersatzlose Streichung der Klausel nicht zu einer angemessenen Lösung führt.562 d) Unzumutbarkeit Ist das Festhalten am Vertrag auch unter Berücksichtigung der aus § 306 Abs. 2 BGB folgenden Änderung des Vertragsinhalts für eine Partei eine unzumutbare Härte, ist der Vertrag gemäß § 306 Abs. 3 BGB insgesamt unwirksam. Die Norm kehrt daher für diesen Sonderfall zu der Grundregel des § 139 BGB zurück.563 Sie findet im Arbeitsrecht jedoch nur selten Anwendung.564
III. Zwischenergebnis Die Arbeitsvertragsparteien müssen bei der Bezugnahme das zwingende Recht beachten. Zudem kommt bei vorformulierten Bezugnahmeklauseln eine Kontrolle Allgemeiner Arbeitsbedingungen gemäß §§ 305 ff. BGB in Betracht. Der Tarifvertrag unterliegt gemäß § 310 Abs. 4 S. 1 BGB nicht der AGB-Kontrolle, anders hingegen die Bezugnahmeklausel als rein individualrechtlicher Akt. Eine Einbeziehungskontrolle der Bezugnahmeklausel scheidet jedoch aus. Von besonderer Bedeutung bei der AGB-Kontrolle arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln sind das Verbot überraschender Klauseln gemäß 561 BAG v. 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, AP Nr. 1 zu § 310 BGB; HWK-Gotthardt, § 306 BGB Rn. 5; Annuß, BB 2006, 1333 (1338); ErfK-Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 104; Junker, BB 2007, 1274 (1281). 562 BGH v. 1.2.1984 – VIII ZR 54/83, BGHZ 90, 69; BGH v. 24.9.1985 – VI ZR 4/84, BGHZ 96, 18; BGH v. 4.7.2002 – VII ZR 502/99, NJW 2002, 3098; Erman-Roloff, BGB, § 306 Rn. 6, 13. Zur ergänzenden Vertragsauslegung s. u. D.I.2.b), ab S. 130. 563 BeckOK-Jacobs, § 306 BGB Rn. 17. 564 HWK-Gotthardt, § 306 BGB Rn. 6; BeckOK-Jacobs, § 306 BGB Rn. 17.
D. Auslegung von Bezugnahmeklauseln
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§ 305c Abs. 1 BGB, das Transparenzgebot gemäß § 307 Abs. 1 BGB sowie die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB. Die Bezugnahmeklausel ist nur dann von der Inhaltskontrolle gemäß § 310 Abs. 4 S. 3 BGB ausgenommen, wenn sie global auf den einschlägigen Tarifvertrag oder auf von tarifdispositivem Gesetzesrecht abweichende Tarifverträge verweist. Eine Transparenzkontrolle des Tarifvertrages scheidet aus, wenn der Arbeitgeber tarifgebunden ist und global auf den einschlägigen Tarifvertrag verwiesen wird. Die Rechtsfolgen bei Unwirksamkeit einer Bezugnahmeklausel bestimmen sich nach § 306 BGB.
D. Auslegung von Bezugnahmeklauseln Die Frage, nach welchen Grundsätzen Bezugnahmeklauseln auszulegen sind, ist von überragend wichtiger Bedeutung für die spätere Untersuchung der Funktionsweise von Bezugnahmeklauseln nach einem Tarifwechsel. Die Auslegung von Bezugnahmeklauseln stand schon immer im Zentrum der arbeitsrechtlichen Diskussion, sie hat sich in den letzten Jahren jedoch grundlegend gewandelt. Es ist zunächst zu bestimmen, nach welchen Grundsätzen sich die Auslegung bemisst, um sodann den Wandel der Rechtsprechung darzustellen.
I. Anwendbare Auslegungsgrundsätze Für die Auslegung von Bezugnahmeklauseln kommen zwei verschiedene Ansatzpunkte in Betracht: Zum einen die Grundsätze der Auslegung von Tarifverträgen, zum anderen diejenigen der Auslegung von Individualverträgen. 1. Grundsätze der Auslegung von Tarifverträgen Durch die Bezugnahme werden die Normen des jeweiligen Tarifvertrages zur Anwendung gebracht. Insofern könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass eine Auslegung wie im Falle eines Tarifvertrages vorzunehmen sei. Tarifverträge sind in ihrem normativen Teil nach Ansicht der Rechtsprechung nach objektiven Maßstäben wie Gesetze auszulegen.565 Das BAG ergänzt die Regeln zur Gesetzesauslegung jedoch durch Kriterien der 565 Grundlegend BAG v. 2.6.1961 – 1 AZR 573/59, NJW 1961, 1837 (1837); BAG v. 30.1.2002 – 10 AZR 441/01, ZTR 2002, 389; BAG v. 14.11.2007 – 4 AZR 861/06, NZA-RR 2008, 362 (365). A. A. (Auslegung wie ein Vertrag) Kempen/Zachert-Stein, TVG, Grundl. Rn. 374; § 3 Rn. 209; Däubler-Däubler, TVG, Einl. Rn. 499 ff.; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 547 ff. Zur Methode der Gesetzesauslegung vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 133 ff. Auf den schuldrechtlichen
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
Vertragsauslegung und trägt dem Tarifwortlaut, dem wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien, dem tariflichen Gesamtzusammenhang, dem Sinn und Zweck der Tarifnorm, der Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, seiner Fortentwicklung sowie der Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse Rechnung.566 Der wahre Wille der Tarifvertragsparteien darf dabei nur berücksichtigt werden, soweit er seinen Niederschlag im Text oder in der Systematik des Tarifvertrages gefunden hat (sog. Andeutungstheorie).567 Die Verweisungsklausel ist im Gegensatz zu den Tarifnormen jedoch eine schuldrechtliche Vereinbarung.568 Die Klausel als individualvertragliche Vereinbarung und ihr Objekt der Bezugnahme, die Tarifnorm, sind insofern zu trennen.569 2. Grundsätze der Vertragsauslegung Auf die Bezugnahmeklausel finden daher die Grundsätze der Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB Anwendung, einschließlich derjenigen zur ergänzenden Auslegung.570 a) Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB Gemäß § 133 BGB ist bei der Auslegung einer Willenserklärung über den Wortlaut hinaus der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen. Bei der Auslegung dürfen jedoch nur solche Umstände berücksichtigt werden, die bei Zugang der Erklärung für den Empfänger erkennbar waren (sog. objektiver Empfängerhorizont).571 Der wirkliche Wille des Erklärenden ist daher nur inTeil sind hingegen nach h. M. die Grundsätze der Vertragsauslegung anzuwenden, vgl. HWK-Henssler, § 1 TVG Rn. 75 m. w. N. 566 BAG v. 4.4.2001 – 4 AZR 180/00, AP Nr. 172 zu § 1 TVG Auslegung; BAG v. 21.7.1993 – 4 AZR 468/92, NZA 1994, 181; BAG v. 12.9.1984 – 4 AZR 336/82, AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung; BAG v. 14.11.2007 – 4 AZR 861/06, NZA-RR 2008, 362 (365). 567 BAG v. 30.1.2002 – 10 AZR 441/01, ZTR 2002, 389; BAG v. 13.6.1985 – 2 AZR 410/84, AP Nr. 19 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; BAG v. 14.11.2007 – 4 AZR 861/06, NZA-RR 2008, 362 (365). Zustimmend Jacobs/Krause/OetkerKrause, TarifvertragsR, § 4 Rn. 175; Wiedemann-Wank, TVG, § 1 Rn. 993. 568 s. o. B.III.1.b), ab S. 64. 569 Klagges, Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang, S. 36. 570 BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 (635); BAG v. 13.11.2002 – 4 AZR 393/01, NZA 2003, 1039 (1041); Schliemann, ZTR 2004, 502 (506); Jacobs/Krause/Oetker-Oetker, TarifvertragsR, § 6 Rn. 163; Reichel, Bezugnahme, S. 22 ff.; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 308; Ebeling, Bezugnahme, S. 142. 571 BGH v. 3.2.1967 – VI ZR 114/65, BGHZ 47, 75 (78); BGH v. 17.11.1969 – VII ZR 83/67, NJW 1970, 321 (321); BGH v. 18.5.1999 – X ZR 100/98, n. v.;
D. Auslegung von Bezugnahmeklauseln
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soweit relevant, als er auch erklärt wurde. Gemäß § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben es mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erfordern. Dies bedeutet, dass im Zweifel ein Auslegungsergebnis anzustreben ist, das die berechtigten Belange beider Parteien angemessen berücksichtigt und mit den Anforderungen des redlichen Geschäftsverkehrs im Einklang steht.572 Das durch Willensermittlung und Erforschung des Empfängerhorizonts gewonnene Interpretationsergebnis wird also dahingehend überprüft, ob es mit Treu und Glauben vereinbar ist.573 §§ 133, 157 BGB sind nicht getrennt zu sehen, sondern sie ergänzen sich bei der Vertragsauslegung.574 Die Auslegung der Bezugnahmeklausel als Willenserklärung hat zunächst vom Wortlaut auszugehen.575 Nach der Ermittlung des Wortsinns sind in einem zweiten Schritt die außerhalb der Erklärung liegenden Begleitumstände in die Auslegung einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen.576 Neben dem Wortlaut der Bezugnahmevereinbarung und dem erkennbar gewordenen Willen der Vertragsparteien sind – gerade im Hinblick auf die Frage einer intendierten Dynamik oder Statik – der mit der Bezugnahme verfolgte Zweck und die Interessen der Beteiligten zu würdigen. Inhalt und Reichweite der Bezugnahme sind anhand der auf beiden Seiten bestehenden Interessenlagen zu bestimmen. Dabei ist die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses ein wichtiges Indiz.577 Bedeutung für die Auslegung hat ferner der Hinweis auf die für das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Tarifverträge, den § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 NachwG vorschreibt.578 Die Niederschrift dokumentiert die bereits vereinbarten Vertragsbedingungen, die Benennung eines Tarifvertrages begründet hierbei aber eine widerlegbare Vermutung dafür, dass die Parteien dessen Anwendung für das Arbeitsverhältnis vereinbart haben.579 MüKo-Busche, BGB, Bd. 1/1, § 133 Rn. 12; Palandt-Heinrichs/Ellenberger, BGB, § 133 Rn. 9; Faust, BGB AT, § 2 Rn. 10. 572 Palandt-Heinrichs/Ellenberger, BGB, § 133 Rn. 20. 573 MüKo-Busche, BGB, Bd. 1/1, § 157 Rn. 3. 574 Erman-Palm, BGB, § 133 Rn. 5. 575 BGH v. 20.6.1991 – I ZR 277/89, MDR 1991, 953; BGH v. 11.9.2000 – II ZR 34/99, NJW 2001, 144; BGH v. 27.3.2001 – VI ZR 12/00, NJW 2001, 2535; Palandt-Heinrichs/Ellenberger, § 133 BGB Rn. 14; Erman-Palm, BGB, § 133 Rn. 30. 576 BGH v. 19.2.2000 – VIII ZR 275/98, NJW-RR 2000, 1002; BAG v. 27.9.1970 – 2 AZR 519/69, NJW 1971, 639; Erman-Armbrüster, BGB, § 157 Rn. 5. 577 BAG v. 19.1.1999 – 1 AZR 606/98, NZA 1999, 879 (881 f.); BAG v. 17.11.1998 – 9 AZR 584/97, AP Nr. 10 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; Jacobs/Krause/Oetker-Oetker, TarifvertragsR, § 6 Rn. 163. 578 s. o. B.II.2.c), ab S. 59. 579 Vgl. EuGH v. 4.12.1997 – Rs. C-253/96, Slg. 1997, S. I-6907 (Kampelmann u. a.); Jacobs/Krause/Oetker-Oetker, TarifvertragsR, § 6 Rn. 163. Vgl. o. S. 60.
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
b) Ergänzende Vertragsauslegung §§ 133, 157 BGB beschränken sich nicht auf die Auslegung, welchen Inhalt die Vertragserklärungen haben. Sie bilden auch die Grundlage für eine Ergänzung des Vertragsinhalts, soweit dieser in einem regelungsbedürftigen Punkt Lücken enthält.580 Als Dauerschuldverhältnis besteht bei Arbeitsverträgen die Gefahr, dass der Vertragstext nachträglich Lücken aufweist.581 Während die Vertragsauslegung festzustellen hat, ob ein bestimmtes Verhalten als Willenserklärung aufzufassen ist und welchen Inhalt die Erklärung hat, hat die ergänzende Vertragsauslegung den Zweck, Lücken der rechtsgeschäftlichen Regelung zu schließen.582 So ist es z. B. denkbar, dass der kraft Verbandsmitgliedschaft tarifgebundene Arbeitgeber einen Sanierungs(haus)tarifvertrag abschließt, die Bezugnahmeklausel aber lediglich auf den „alten“ Verbandstarifvertrag verweist.583 Voraussetzung der ergänzenden Vertragsauslegung ist, dass der Vertrag eine Regelungslücke, eine „planwidrige Unvollständigkeit“, enthält.584 Diese Lücke wird auf Grundlage des hypothetischen Parteiwillens geschlossen. Es ist darauf abzustellen, was die Parteien bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten.585 Eine ergänzende Vertragsauslegung scheidet jedoch aus, wenn die Vertragslücke durch Heranziehung des dispositiven Rechts sachgerecht geschlossen werden kann.586 c) Besonderheiten bei AGB Sind Bezugnahmeklauseln Bestandteil eines Formulararbeitsvertrages, sind besondere Auslegungsgrundsätze zu beachten. Allgemeine Geschäfts580
BGH v. 22.4.1953 – II ZR 143/52, BGHZ 9, 273; Erman-Armbrüster, BGB, § 157 Rn. 15. 581 Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 62. 582 BGH v. 22.4.1953 – II ZR 143/52, BGHZ 9, 273; BGH v. 25.6.1980 – VIII ZR 260/79, BGHZ 77, 301; Palandt-Heinrichs, BGB, § 157 Rn. 2. 583 s. u. Teil 2, E.III., ab S. 357. 584 BGH v. 10.10.1990 – VIII ZR 370/89, NJW-RR 1991, 176 (177); BGH v. 21.9.1994 – XII ZR 77/93, BGHZ 127, 138; BAG v. 28.9.2006 – 8 AZR 568/05, NJW 2007, 2348 (2350). 585 BGH v. 29.4.1982 – III ZR 154/80, BGHZ 84, 1; BGH v. 17.5.2004 – II ZR 261/01, NJW 2004, 2449 (2449); BGH v. 11.10.2005 – XI ZR 395/05, NJW 2006, 54 (55); Erman-Palm, BGB, § 133 Rn. 22. 586 BGH v. 10.7.1963 – VIII ZR 204/61, BGHZ 40, 91; BGH v. 13.11.1997 – IX ZR 289/96, BGHZ 137, 153; Palandt-Heinrichs, BGB, § 157 Rn. 4.
D. Auslegung von Bezugnahmeklauseln
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bzw. Arbeitsbedingungen sind nach einem objektiven Maßstab auszulegen, so dass es nicht auf den objektiven Empfängerhorizont des einzelnen Arbeitnehmers, sondern lediglich denjenigen eines Durchschnittskundens aus dem betroffenen Verkehrskreis ankommt.587 Bei AGB wird sich häufig ein individuell gebildeter Wille nicht ermitteln lassen, so dass in der Praxis eine objektive Auslegung die Regel ist.588 Die individuellen Besonderheiten des Vertragsschlusses und die Vorstellungen und Meinungen der jeweiligen Vertragsparteien haben dann außer Acht zu bleiben. Nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB kann eine AGB, die nicht klar und verständlich ist, wegen unangemessener Benachteiligung unwirksam sein. Inhalt und Reichweite arbeitsvertraglicher Bezugnahmevereinbarungen sind daher deutlich im Vertragstext zu kennzeichnen.589 Insbesondere muss deutlich zum Ausdruck kommen, ob die Arbeitsvertragsparteien eine statische oder dynamische Bezugnahme intendierten und in welchem Umfang der Tarifvertrag in Bezug genommen werden soll. Dynamische Bezugnahmeklauseln, die im Laufe der Zeit zu einer Änderung der Arbeitsbedingungen führen können, sind jedoch grundsätzlich zulässig.590 Bei der Auslegung vorformulierter Bezugnahmeklauseln ist zudem die besondere Auslegungsregel des § 305c Abs. 2 BGB zu beachten, demgemäß Unklarheiten zu Lasten des Verwenders, d.h. des Arbeitgebers, gehen.591 Eine Interpretation vorformulierter Bezugnahmeklauseln zu Lasten des Arbeitgebers kommt gemäß § 305c Abs. 2 BGB jedoch nur in Betracht, wenn alle anderen Auslegungsmethoden ausgeschöpft sind. Ihre Anwendung setzt also voraus, dass die einfache Auslegung nach §§ 133, 157 BGB zu einem Zweifel führt.592 Die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB ist somit eine die §§ 133, 157 BGB ergänzende Auslegungsregel für AGB. Sie ist erst anzuwenden, wenn die Auslegung nach §§ 133, 157 BGB kein eindeutiges Ergebnis bringt.593 Insbesondere ist zunächst zu versuchen, über die ergänzende Vertragsauslegung zu einer Lösung zu gelangen.594
587 s. o. S. 92; Palandt-Heinrichs/Ellenberger, BGB, § 133 Rn. 26; Erman-Armbrüster, BGB, § 157 Rn. 5; Henssler/Heiden, RdA 2004, 241 (245). 588 Erman-Armbrüster, BGB, § 157 Rn. 5. 589 s. o. C.II.3.d)bb), ab S. 113; Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 60. 590 s. o. C.II.3.d)bb)(3), ab S. 116. 591 s. o. C.II.3.d)dd), ab S. 119. 592 Erman-Armbrüster, BGB, § 157 Rn. 14. 593 BGH v. 29.1.2003 – VIII ZR 300/02, NJW-RR 2003, 926 (927); Henssler/ Heiden, RdA 2004, 241 (244). 594 s. hierzu ausführlich Henssler/Heiden, RdA 2004, 241 (244).
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
3. Auslegung des Bezugnahmeobjekts Für die in Bezug genommenen Tarifbestimmungen sind die allgemeinen Grundsätze zur Tarifvertragsauslegung heranzuziehen,595 wonach für die Auslegung tariflicher Normen grundsätzlich die für die Auslegung von Gesetzen geltenden objektiven Regeln anzuwenden sind.596 Hierfür sprechen die Erfordernisse der Rechtssicherheit und Rechtseinheit sowie einer einheitlichen Auslegung.597 Ansonsten käme es zu widersprüchlichen Ergebnissen, wenn bei den Gewerkschaftsmitgliedern die objektive, bei den Außenseitern hingegen die subjektive Auslegungsvariante zu wählen wäre,598 und bei den Gewerkschaftsmitgliedern aufgrund der Kumulation von Arbeits- und Tarifvertrag sogar beide Auslegungsvarianten anzuwenden wären. Angesichts der Tatsache, dass es auch im Rahmen der vom BAG vertretenen objektiven Auslegung von Tarifnormen maßgeblich auf den Willen des Normgebers ankommt, verwischen in der Praxis die Unterschiede zwischen der Auslegung der Bezugnahmeklausel und der Auslegung des Bezugnahmeobjekts, so dass wenig mehr als eine unterschiedliche Akzentsetzung übrig bleibt.599
II. Rechtsprechungsänderung zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln Die Auslegung von Bezugnahmeklauseln folgte in der Vergangenheit nicht immer den obigen Grundsätzen. Sie wurde entscheidend durch die Rechtsprechung des BAG ausgeformt und konkretisiert. Die Rechtsprechung des BAG zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln hat sich in den vergangenen Jahren jedoch grundlegend geändert. 1. Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede Die Auslegung von Verweisungsklauseln wurde jahrzehntelang von einem Schlagwort geprägt: In einer Vielzahl von Entscheidungen der letzten Jahre 595
BAG v. 12.8.1959 – 2 AZR 75/59, DB 1959, 1257 f.; BAG v. 31.3.1966 – 5 AZR 516/65, NJW 1966, 1625 (1625 f.); BAG v. 6.12.1990 – 6 AZR 268/89, NZA 1991, 394 (395); Jacobs/Krause/Oetker-Oetker, TarifvertragsR, § 6 Rn. 198; Etzel, NZA Beil. 1/1987, 19 (28); Reichel, Bezugnahme, S. 23 f. A. A. (subjektive Auslegung) Fenski, AuR 1989, 168 (170). 596 s. o. Fn. 565, S. 127. 597 BAG v. 12.8.1959 – 2 AZR 75/59, DB 1959, 1257 f.; BAG v. 31.3.1966 – 5 AZR 516/65, NJW 1966, 1625 (1626). 598 Reichel, Bezugnahme, S. 24. Kritisch Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 208. 599 Jacobs/Kraubse/Oetker-Krause, TarifvertragsR, § 4 Rn. 175; Kempen/Zachert-Zachert, TVG, Grundl. Rn. 375; Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, S. 645.
D. Auslegung von Bezugnahmeklauseln
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hat das BAG den allgemeinen Rechtssatz aufgestellt, dass arbeitsvertragliche Bezugnahmen auf Tarifverträge bei Tarifbindung des Arbeitgebers in der Regel als sog. „Gleichstellungsabreden“ zu verstehen seien.600 Das Konzept der Gleichstellungsabrede stellt in der Rechtsprechung des BAG eine eigenständige Auslegungsregel für Arbeitsverträge dar: Zwar seien nach §§ 133, 157 BGB Verträge so auszulegen, wie sie die Parteien nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Dabei sei vom Wortlaut auszugehen, aber zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien seien die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände mit einzubeziehen.601 Dem Konzept der Gleichstellungsabrede liegt insofern eine soziotypische Analyse der Ausgangslage zwischen den Parteien bei Vertragsschluss zugrunde:602 Dem Arbeitgeber sei es verwehrt, im Rahmen des Einstellungsverfahrens nach der Gewerkschaftszugehörigkeit des Arbeitnehmers zu fragen.603 Wenn er nun von sich aus eine Bezugnahme auf die einschlägigen Tarifverträge anbiete, erfolge dies für den Arbeitnehmer erkennbar, weil der Arbeitgeber selbst an die in Bezug genommenen Tarifverträge gebunden sei und mit der Bezugnahme die Gleichstellung nicht tarifgebundener und tarifgebundener Arbeitnehmer erreichen wolle – und dies nur, solange und soweit er selbst tarifgebunden sei.604 Wenn keine entgegenstehenden Anhaltspunkte vorlägen, müsse der Arbeitnehmer deshalb davon ausgehen, dass eine vom Arbeitgeber angebotene Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede gemeint sei.605 Anderenfalls würde eine arbeitsvertragliche Bezugnahme mehr bewirken als die Gewerkschaftsmitgliedschaft; die bei der Einstellung verwendete Klausel bekäme eine nie gewollte Eigendynamik.606 Der Arbeitnehmer könne sich – anders als der Arbeitgeber – durch Nachfrage Kenntnis über die Tarifbindung des Arbeitgebers verschaffen und hierdurch selbst Zweifel bei der Auslegung der Klausel ausräu600 So grundl. BAG v. 14.2.1973 – 4 AZR 176/72, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG v. 4.9.1996 – 4 AZR 135/95, NZA 1997, 271 (272); BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 (635). 601 BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 (635). 602 Diese hat das BAG in mehreren Entscheidungen als Begründung angeführt, vgl. grundl. BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 (635), auf welche sich der Senat in späteren Entscheidungen immer wieder stützt; BAG v. 20.2.2002 – 4 AZR 524/00, n. v.; BAG v. 21.8.2002 – 4 AZR 263/01, NZA 2003, 442 (443); BAG v. 19.3.2003 – 4 AZR 331/02, NZA 2003, 1207 (1208). 603 s. hierzu schon S. 29. 604 BAG v. 19.3.2003 – 4 AZR 331/02, NZA 2003, 1207 (1208). 605 BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 (635). 606 BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 (636).
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
men.607 Dieses Recht müsse er nutzen. Dass die Klausel eindeutiger formuliert werden könnte, begründe keine Zweifel im Sinne von § 305c Abs. 2 BGB.608 Es obliege vielmehr dem Arbeitnehmer, auf einer von der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers unabhängigen (im Wortlaut des BAG auf einer „arbeitgeberverbandsaustrittsfesten“609) Formulierung der Verweisung auf Tarifnormen zu bestehen.610 Eine Bezugnahme im Sinne einer Gleichstellungsabrede habe vor diesem Hintergrund regelmäßig den Zweck, die Gleichstellung der nicht oder anders organisierten Arbeitnehmer mit denjenigen Arbeitnehmern herbeizuführen, für die die in Bezug genommenen Tarifbindungen kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit gelten.611 Damit ersetze sie die Gewerkschaftsmitgliedschaft des Arbeitnehmers. Sie solle auf einzelvertraglicher Ebene nur das widerspiegeln, was für (rein) tarifgebundene Arbeitnehmer ohnehin kraft allgemeiner tarifrechtlicher Grundsätze gelte. Deshalb gebe sie dem Arbeitnehmer keine schwächere, aber auch keine stärkere Position, als er sie bei beiderseitiger Tarifgebundenheit an den in Bezug genommenen Tarifvertrag hätte.612 Die Gleichstellungsabrede ersetze nur die fehlende Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers, decke also weder den Tarifwechsel automatisch ab noch habe sie die Anwendung der Tarifbestimmungen in den Fassungen zum Inhalt, die erst nach Beendigung der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers zu607
BAG v. 19.3.2003 – 4 AZR 331/02, NZA 2003, 1207 (1208); BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 (636). 608 BAG v. 19.3.2003 – 4 AZR 331/02, NZA 2003, 1207 (1208 f.). In zwei Entscheidungen aus dem Jahre 2005 stellte das BAG heraus, dass die Unklarheitenregel auch auf Bezugnahmeklauseln Anwendung findet, und Zweifel bei der Auslegung zu Lasten des Arbeitgebers gewertet. Das Urteil vom 19.3.2003 stehe dem jedoch nicht entgegen, da in dem dortigen Fall Zweifel als nicht berechtigt anzusehen gewesen seien, vgl. BAG v. 9.11.2005 – 5 AZR 142/05, n. v.; BAG v. 9.11.2005 – 5 AZR 128/05, NZA 2006, 202 (204). 609 BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 (636). 610 BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 (636); so auch Schliemann, ZTR 2004, 502 (509). 611 BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 (635); BAG v. 29.8.2001 – 4 AZR 332/00, NZA 2002, 513 (516 f.); BAG v. 21.2.2001 – 4 AZR 18/00, NZA 2001, 1318 (1324); BAG v. 25.10.2000 – 4 AZR 506/99, AP Nr. 13 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99, NZA 2001, 510 (511); BAG v. 4.8.1999 – 5 AZR 642/98, NZA 2000, 154 (155); BAG v. 19.1.1999 – 1 AZR 606/98, NZA 1999, 879 (882); BAG v. 4.9.1996 – 4 AZR 135/95, NZA 1997, 271 (272). 612 BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 (635); BAG v. 29.8.2001 – 4 AZR 332/00, NZA 2002, 513 (516 f.); BAG v. 14.11.2007 – 4 AZR 861/06, NZA-RR 2008, 362 (366). Henssler, FS Wißmann, S. 133 (137) sowie FS 25 Jahre ARGE ArbR im DAV, S. 37 (51) spricht insofern vom „Widerspiegelungszweck“.
D. Auslegung von Bezugnahmeklauseln
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stande kommen.613 Die Außenseiter sollten vielmehr zu jedem Zeitpunkt den Organisierten gleichgestellt werden. Nach der Konzeption der Rechtsprechung richtet sich der Inhalt der Bezugnahmeklausel beim tarifgebundenen Arbeitgeber unter Gleichstellungsaspekten damit danach, was für das Schicksal der Tarifnormen in Bezug auf die Gewerkschaftsmitglieder gilt. Wirkt daher nach einem Verbandsaustritt des Arbeitgebers der Tarifvertrag gemäß §§ 3 Abs. 3, 4 Abs. 5 TVG nur noch statisch weiter, endet grundsätzlich auch die Dynamik der Bezugnahmeklausel.614 Die dynamische Bezugnahme wird zur statischen. Aus unternehmerischer Sicht ist dies als überaus positiv zu bewerten, da die Auslegung als Gleichstellungsabrede „ewige Tariffesseln“615 vermeidet. Eine Gleichstellungsabrede liegt nach Ansicht der Rechtsprechung nicht vor, wenn der Arbeitgeber nicht tarifgebunden ist,616 ebenfalls nicht, wenn er auf einen anderen Tarifvertrag verweist als den, an den er gebunden ist.617 In diesen Fällen könne es dem Arbeitgeber mangels Tarifgebundenheit nie um eine Gleichstellung innerhalb der Belegschaft gehen.618 Damit hängt die Auslegung als Gleichstellungsabrede entscheidend davon ab, ob der Arbeitgeber (einschlägig) tarifgebunden ist. Auf der anderen Seite ist die Auslegungsregel der Gleichstellungsabrede auf statische Bezugnahmeklauseln nicht anwendbar.619 In diesen kommt der Wille zum Ausdruck, spätere Tarifänderungen nicht auf das Arbeitsverhältnis anwendbar zu machen. Auch komme eine Auslegung als Gleichstellungsabrede dann nicht in Betracht, wenn sich aus dem Arbeitsvertrag oder den Umständen ergebe, dass von den Parteien die dynamische Weitergeltung gewollt war.620 Dann bleibe der Arbeitgeber dynamisch gebunden.
613
Schliemann, NZA, Sonderbeilage zu Heft 16/2003, 3 (8); ders., ZTR 2004, 502 (507 f.). 614 s. hierzu näher u. Teil 2, B., ab S. 258. 615 Thüsing, NZA 2003, 1184 (1185). 616 BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 (636); BAG v. 25.9.2002 – 4 AZR 294/01, AP Nr. 26 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG v. 1.12.2004 – 4 AZR 50/04, NZA 2005, 478 (478); BAG v. 5.6.2007 – 9 AZR 241/06, NZA 2007, 1369; Schliemann, ZTR 2004, 502 (507 f.). 617 BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 (636); BAG v. 1.12.2004 – 4 AZR 50/04, NZA 2005, 478 (478). A. A. Klagges, Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang, S. 105 ff. 618 Schliemann, ZTR 2004, 502 (507 f.). Henssler, FS Wißmann, S. 133 (137 f.), bezeichnet eine solche Klausel als „konstitutive Ewigkeitsklausel“. 619 Vgl. BAG v. 19.9.2007 – 4 AZR 710/06, AP Nr. 54 zu § 133 BGB; BAG v. 25.9.2002 – 4 AZR 294/01, AP Nr. 26 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; Henssler, FS Wißmann, S. 133 (136 ff.).
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
2. Kritik an der Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede Gegen diese gefestigte Rechtsprechung zum Verständnis und zur Auslegung der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede wurde im Laufe der Jahre in der Literatur621 und auch von Seiten einiger Fachgerichte622 erheblicher Widerstand laut. Die Kritiker beriefen sich zum einen auf den klaren Wortlaut der Bezugnahmeklauseln, der bei der Auslegung als Gleichstellungsabrede missachtet werde.623 Den Erklärungen der Parteien werde von vornherein ein bestimmter Inhalt unterstellt.624 Zum anderen spreche gegen eine Gleichstellungsabrede der Umstand, dass der Arbeitnehmer nicht erkennen könne, ob der Arbeitgeber tarifgebunden sei oder nicht, d.h. ob er eine Gleichstellung von Gewerkschaftsmitgliedern und Außenseitern beabsichtigt haben könnte.625 Möge das Streben nach Gleichstellung von organisierten und nicht organisierten Arbeitnehmern regelmäßig ein Beweggrund des Arbeitgebers sein, könne hieraus jedoch nicht das primäre rechtsgeschäftliche Ziel solcher Verweisungen abgeleitet werden.626 Die Arbeitnehmersicht müsse mit der Arbeitgeberintention keineswegs übereinstimmen.627 Das Verständnis als Gleichstellungsabrede sei eine reine Fiktion des Kenntnisstandes des Arbeitnehmers und bewege sich außerhalb des rechtsgeschäftlichen Rahmens der Auslegung.628 620
Vgl. z. B. BAG v. 13.9.2006 – 4 AZR 803/05, ZTR 2007, 151 (152); BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 (635); BAG v. 27.11.2002 – 4 AZR 661/01, AP Nr. 28 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag. 621 Hanau, NZA 2005, 489 (490 f.); Annuß, ZfA 2005, 405 (421 ff.); ders., BB 1999, 2558 (2559 ff.); Stein, AuR 2003, 361 (362 ff.); Däubler, NZA 1996, 225 (228); Lambrich, FS Ehmann, S. 169 (225). Mitunter schienen sich die Autoren mit zunehmender Festigung der Rechtsprechung hiermit aber abzufinden, s. z. B. Thüsing, NZA 2003, 1184 (1185) [(anders aber Annuß, AuR 2002, 361 (364); Thüsing, NZA 2005, 1280 (1283); Bauer/Haußmann, DB 2003, 610 (612)]. Zustimmung erhielt die Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede hingegen u. a. von Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 232; Gaul, ZfA 2003, 75 (91 f.); Reichel, Bezugnahme, S. 120 ff. 622 LAG Hessen v. 23.3.1999 – 4 Sa 1300/98, NZA-RR 2000, 93 (94 ff.); LAG Hamburg v. 15.11.2000 – 4 Sa 32/00, NZA 2001, 562 (564 ff.); LAG Hamm v. 1.2.2001 – 8 Sa 1439/00, n. v.; LAG Düsseldorf v. 25.7.2001 – 12 Sa 636/01, n. v.; ArbG Ulm v. 12.2.2004 – 1 Ca 201/03, NZA-RR 2004, 420 (422). 623 Schumacher-Mohr, GS Heinze, 843 (843); Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (198); Annuß, AuR 2002, 361 (362 f.). 624 Ebeling, Bezugnahme, S. 210. 625 Lambrich, FS Ehmann, S. 169 (227); Annuß, RdA 2000, 179 (180); Stein, AuR 2003, 361 (363); Wiedemann, RdA 2007, 65 (66). 626 Ebeling, Bezugnahme, S. 202; Annuß, BB 1999, 2558 (2560). 627 Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (199); Ebeling, Bezugnahme, S. 208. 628 Ebeling, Bezugnahme, S. 205.
D. Auslegung von Bezugnahmeklauseln
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Die Auslegung als Gleichstellungsabrede habe ihren Ursprung in der Sondersituation des öffentlichen Dienstes, weil die öffentliche Hand als Arbeitgeber – anders als privatrechtliche Unternehmen – zumindest faktisch zur Gleichbehandlung ihrer Arbeitnehmer verpflichtet sei.629 Im Hinblick auf das Erfordernis, im Individualarbeitsrecht Einzelfallgerechtigkeit zu erzielen, stehe die generelle Auslegung als Gleichstellungsabrede der nötigen Flexibilität entgegen.630 Schließlich spreche gegen die Gleichstellungsabrede die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB, die schon im römischen Recht (ambiguitas contra proferentem)631 galt und bisher als allgemeiner Rechtsgedanke in der Rechtsprechung der Gerichte für Arbeitssachen bekannt war,632 nach der eine objektive Mehrdeutigkeit im Zweifel zu Lasten des Klauselverfassers gehen muss.633 Eine Bestimmung, die sich in das Gegenteil ihres Wortlauts verkehre, sei eine unklare Klausel, deren Verwendung gemäß § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Arbeitgebers gehen müsse.634 Die Inbezugnahme bezwecke nicht primär, alle Arbeitnehmer gleichzustellen, sondern – ausgehend von der arbeitsvertraglichen Ebene und dem Empfängerhorizont der Arbeitnehmer –, die für jede Vertragsseite geltenden Arbeitsbedingungen individuell festzulegen.635 3. Ankündigung der Rechtsprechungsänderung Die Rechtsprechung des BAG zur Gleichstellungsabrede hat im Jahre 2005 eine entscheidende Wendung erfahren. In einem Urteil vom 14.12.2005636 kündigte das BAG in völliger Abkehr von seiner bisherigen 629 Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (197); Lambrich, FS Ehmann, S. 169 (225 f.); Ebeling, Bezugnahme, S. 203 unter Hinweis auf BAG v. 6.4.1955 – 1 AZR 365/54, AP Nr. 7 zu Art. 3 GG; BAG v. 29.1.1975 – 4 AZR 218/74, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG v. 7.12.1977 – 4 AZR 474/76, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG v. 22.8.1979 – 5 AZR 1066/77, AP Nr. 3 zu § 611 BGB Deputat sowie das erste Urteil für den privatrechtlichen Bereich: BAG v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, NZA 1991, 736 ff. 630 Ebeling, Bezugnahme, S. 202 f.; LAG Hamburg v. 12.7.2000 – 8 Sa 32/00, n. v. 631 s. o. S. 119. 632 So auch BAG v. 19.3.2003 – 4 AZR 331/02, NZA 2003, 1207 (1208); Klebeck, NZA 2006, 15 (16). 633 Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1368); Annuß, BB 1999, 2558 (2559 f.); Däubler, NZA 2001, 1329 (1334); Gotthardt, ZIP 2002, 277 (281); Lingemann, NZA 2002, 181 (186); Stein, AuR 2003, 361 (363). Vgl. o. C.II.3.d)dd), ab S. 119. 634 Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 246. 635 Ebeling, Bezungahme, S. 210; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 150; Thüsing/ Lambrich, RdA 2002, 193 (200). 636 BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 ff.; s. o. S. 33.
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
Rechtsprechung an, zukünftig für ab dem 1.1.2002 geschlossene Arbeitsverträge nicht mehr an der Auslegung von Bezugnahmeklauseln als Gleichstellungsabreden festhalten zu wollen. Eine Auslegung als Gleichstellungsabrede komme nicht mehr in Betracht, wenn nicht innerhalb oder außerhalb der Vertragsurkunde liegende Anhaltspunkte für eine Gleichstellung erkennbar seien. In dem zugrunde liegenden Fall enthielt der Arbeitsvertrag vom 1.8.1988, den die tarifgebundene Rechtsvorgängerin der Beklagten mit der nicht tarifgebundenen Klägerin abgeschlossen hatte, eine dynamische Verweisung auf den BAT. Zum 1.6.2001 ging der Betrieb auf die nicht tarifgebundene Beklagte über. Die Klägerin begehrte eine Einmalzahlung sowie die Tariferhöhungen aus dem am 31.1.2003, d.h. nach dem Betriebsübergang, abgeschlossenen Vergütungstarifvertrag. Die Klage wurde abgewiesen; insbesondere ergab sich der Anspruch der Klägerin nicht aus der Verweisungsklausel des Arbeitsvertrages. Das BAG legte die vor dem 1.1.2002 abgeschlossene Bezugnahmeklausel gemäß seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung und unter Beibehaltung der bisherigen Argumentation als Gleichstellungsabrede aus.637 (Nur) aus diesem Grund war die Klägerin nach Betriebsübergang so zu stellen wie ein tarifgebundener Arbeitnehmer, bei dem gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB die Rechtsnormen des beim Betriebsübergang tarifvertraglich geltenden BATTarifwerkes statischer Inhalt des Arbeitsverhältnisses mit der neuen Inhaberin wurden. Zugleich äußerte das BAG jedoch seine Absicht, nach dem 1.1.2002 vereinbarte Klauseln nicht mehr als Gleichstellungsabrede auszulegen. Die für die Rechtfertigung der Auslegungsregel angenommenen Rahmenbedingungen seien mittlerweile teilweise weggefallen:638 „Es ist (. . .) zunehmend zweifelhaft geworden, ob ohne konkrete Anhaltspunkte davon ausgegangen werden kann, dass dynamische Verweisungen auf einschlägige Tarifverträge typischerweise nur die Gleichstellung der nicht tarifgebundenen mit den tarifgebundenen Arbeitnehmern bezwecken.“639
Es könne nicht mehr typisierend davon ausgegangen werden, dass den Arbeitgebern bei Verwendung einer dynamischen Klausel deren mögliche Bedeutung nicht bewusst war. Die seit Jahren geführte kontroverse Diskussion um die Gleichstellungsabrede rechtfertige es zunehmend weniger, bei der Auslegung unabhängig vom Wortlaut und den dem Arbeitnehmer erkennbaren Umständen von typischen Interessen und Motiven des Arbeit637 638 639
BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 (2574). Vgl. o. S. 33. BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 (2572 f.). BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 (2573).
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gebers auszugehen.640 Bezugnahmeklauseln würden zunehmend auch von nicht tarifgebundenen Arbeitgebern verwendet, bei denen die Gleichstellungsrechtsprechung gerade nicht anwendbar sei. Schließlich widerspräche die Auslegung als Gleichstellungsabrede ohne Berücksichtigung des Vertragswortlauts und der den Vertragsschluss begleitenden Umständen auch den Wertungen der Unklarheitenregel in § 305c Abs. 2 BGB, dem Transparenzgebot aus § 307 Abs. 1 S. 2 BGB sowie dem Verbot der geltungserhaltenden Reduktion gemäß § 306 BGB.641 Zugleich hob das BAG hervor, dass es keine Rechtsgründe gebe, welche gegen die Vereinbarung einer Gleichstellungsabrede im Arbeitsvertrag sprächen. Eine solche müsste nur mit hinreichender Deutlichkeit im Vertragstext zum Ausdruck kommen.642 4. Umsetzung der angekündigten neuen Rechtsprechung Mit Urteil vom 18.4.2007643 hat das BAG die angekündigte Rechtsprechungsänderung erstmals umgesetzt. In dem bereits seit 1995 andauernden Arbeitsverhältnis mit der Klägerin war im Mai 2002 – also nach dem Stichtag des Vertrauensschutzes des Urteils vom 14.12.2005 – ein neuer schriftlicher Arbeitsvertrag geschlossen worden, der auf den einschlägigen Tarifvertrag in seiner jeweils gültigen Fassung verwies. Im Jahre 2003 trat die beklagte Arbeitgeberin aus dem Arbeitgeberverband aus. Das BAG hielt sie dennoch für verpflichtet, nach ihrem Austritt abgeschlossene Änderungstarifverträge gegenüber der Klägerin arbeitsvertraglich anzuwenden. In ausdrücklicher Bestätigung der angekündigten Rechtsprechungsänderung vom 14.12.2005 begründete das Gericht seine Entscheidung damit, weder aus dem Vertragswortlaut noch aus den Umständen bei Vertragsschluss hätten sich Anhaltspunkte ergeben, dass es den Vertragsparteien lediglich um eine Gleichstellung nicht organisierter mit organisierten Arbeitnehmern ging. Die Bezugnahme sei konstitutiv und nicht von der Tarifgebundenheit der Arbeitgeberin abhängig.644 Die ausführlich begründete Entscheidung hebt hervor, dass der Bedeutungsinhalt von Bezugnahmeklauseln in Zukunft in erster Linie anhand des Wortlauts zu ermitteln sei. Komme der Wille des Erklärenden nicht klar 640 BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 (2573). Kritisch hierzu Weller, Anm. zu BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, EWiR 2006, 389 (390). 641 BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 (2573). 642 BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 (2573). 643 BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 ff. 644 BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (967 ff.).
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
zum Ausdruck, gehöre dies zu dessen Risikobereich. Seine Motive hätten grundsätzlich außer Betracht zu bleiben; den Arbeitnehmer treffe keine Pflicht zur Nachfrage. Die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers sei insofern auch kein auslegungsrelevanter Umstand. Dies könne nur angenommen werden, wenn sie von den Arbeitsvertragsparteien zur auflösenden Bedingung gemacht wurde.645 Mit Urteil vom 22.10.2008 hat das BAG diese neue Rechtsprechung, erneut für den Fall des Verbandsaustritts, bestätigt.646 In diesem Fall schloss der gewerkschaftlich organisierte Kläger im Mai 2002 mit dem Rechtsvorgänger der beklagten Arbeitgeberin einen Arbeitsvertrag, der auf die jeweils geltenden tariflichen Bestimmungen der betreffenden Branche verwies. Zum Ende des Jahres 2005 trat die Beklagte aus dem Arbeitgeberverband aus. Das BAG hielt die Arbeitgeberin auch nach dem Austritt aus dem tarifschließenden Verband für verpflichtet, die nach dem Ende der Verbandsmitgliedschaft abgeschlossenen Tarifverträge anzuwenden. Dies gelte jedenfalls dann, wenn sich aus dem Vertragswortlaut und den Umständen des Vertragsschlusses keine Anhaltspunkte für den Willen der Parteien ergäben, es solle nur eine Gleichstellung der Arbeitnehmer erfolgen. Die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers genüge für die Annahme einer Gleichstellungsabrede nicht. Das BAG hat somit seine Ankündigung aus dem Jahre 2005 umgesetzt und sich von der jahrzehntelangen Auslegung der Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede verabschiedet. Die angekündigte Rechtsprechungsänderung ist umgesetzt worden, wenn auch bisher nur für den Fall des Verbandsaustritts. Dennoch: Der Paradigmenwechsel ist vollzogen. Das BAG kehrt von nun an das Regel-Ausnahme-Verhältnis um: War die Auslegung als Gleichstellungsabrede früher die Regel, ist sie nun die Ausnahme, die nur bei einem entsprechenden Wortlaut und besonderen Umständen des Vertragsschlusses angenommen werden kann. Der Arbeitnehmer darf damit ohne eine eindeutig vereinbarte Gleichstellungsabrede den dynamischen Verweis auf bestimmte Branchentarifverträge auch dann beim Wort nehmen, wenn der Grund für diese Vereinbarung – z. B. nach einem Betriebsübergang auf einen nicht tarifgebundenen Erwerber – weggefallen ist. Seit dem 1.1.2002 eingestellte Arbeitnehmer könnten sich dann künftig auf jede Änderung des ursprünglichen Tarifvertrags berufen. Es erfolgt nunmehr eine Auslegung der Willenserklärung der Parteien nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB. Eine dynamisch 645
BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (967). BAG v. 22.10.2008 – 4 AZR 793/07, bisher nur als Pressemitteilung Nr. 79/08, abrufbar unter www.bundesarbeitsgericht.de. 646
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formulierte Klausel bleibt dynamisch, selbst wenn es zu einem Tarifwechsel kommt. Ergeben sich bei der Auslegung Unklarheiten, welcher Klauseltyp gewollt ist, kommt die Anwendung des § 305c Abs. 2 BGB in Betracht: Die Tatsache, dass es jahrelangen Streit über die Auslegung von Bezugnahmeklauseln gab, zeigt, dass oftmals mehr als zwei Auslegungen einer Bezugnahmeklausel vertretbar sind.647 Dies ist genau der Fall, den § 305c Abs. 2 BGB erfasst. Unklarheiten gehen dann zu Lasten des Arbeitgebers als Klauselverwender. In der Folge bleibt es anstelle einer nur statischen Fortgeltung des Tarifvertrages bei einer dynamischen Fortentwicklung, sofern diese wie im vorliegenden Fall für den Arbeitnehmer günstiger ist. Prinzipiell und traditionell folgt die Tarifentwicklung dem Grundsatz stetig steigender Löhne und kürzerer Arbeitszeiten.648 Zwingend ist die Annahme einer Dynamik jedoch nicht. Sie entbehrt immer dann einer tragfähigen Grundlage, wenn spätere Tarifverträge den bisherigen tarifrechtlichen status quo zu Ungunsten der Arbeitnehmer verändern.649
III. Bewertung der Rechtsprechungsänderung 1. Bezugnahmeklauseln und der Streit um ihre Auslegung Der Streit um die Bedeutung der Bezugnahmeklauseln und ihre Wirkung bei Tarifänderungen ist der Sache nach ein Auslegungsstreit. Mit der Verwendung von Bezugnahmeklauseln können verschiedene Zwecke verfolgt werden – eine Gleichstellung von Gewerkschaftsmitgliedern und Außenseitern, die Gewährung „branchenüblicher“ Arbeitsbedingungen oder eine von jeglicher Tarifentwicklung abgekoppelte, „tarifwechselfeste“ Regelung der Arbeitsbedingungen. Allerdings wird der Zweck in der Vereinbarung nicht immer deutlich zum Ausdruck gebracht, so dass die Bezugnahmeklausel ausgelegt werden muss. Hier setzte bisher die Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede an. Im Kern geht es bei dem Auslegungsstreit um die Frage: Zu welchen Lasten sollen Ungenauigkeiten bei der Klauselformulierung gehen? Nach der alten 647
Jacobs, FS Birk, S. 243 (249). Däubler, NZA Beil. 3/2006, 133 (134); ders., RdA 2002, 303 (306); Thüsing/ Lambrich, NZA 2002, 1361 (1366); Diehn, NZA 2004, 129 (134); Klagges, Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang, S. 94; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 310. Vgl. o. S. 121. 649 Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 310; i. Erg. ebenso Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1366); Klagges, Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang, S. 94; Wisskirchen/Lützeler, AuA 2006, 528 (530). 648
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede hieß die Antwort bisher: Im Zweifel ist von einem tarifgebundenen Arbeitgeber eine reine Gleichstellungsabrede gewollt, mit anderen Worten: Ungenauigkeiten gehen zu Lasten des Arbeitnehmers. Für ihn ist erkennbar, dass der Arbeitgeber nur eine Gleichstellung mit Gewerkschaftsmitgliedern erreichen will. Eine solche Auslegung unterstützte das Bestreben der Arbeitgeber, sich ihnen unerwünschter bzw. unerwünscht gewordener Tarifbedingungen zu entledigen. Auf arbeitsvertraglicher Ebene wurde weitgehend das nachvollzogen, was sich tariflich veränderte. Wirkte ein Tarifvertrag z. B. nur noch statisch gemäß § 4 Abs. 5 TVG nach, wurde auch eine dynamische Klausel mit diesem Moment statisch. Der Arbeitsvertrag war nicht mehr als das Spiegelbild der tarifrechtlichen Situation.650 Ungeachtet ihres jeweiligen Wortlauts kam es daher zu einer Angleichung der Rechtsfolgen der Bezugnahme an die jeweilige Tariflage. Durch die Auslegung als Gleichstellungsabrede bestand somit eine Möglichkeit, die Dynamik der Anwendung des jeweiligen Tarifvertrages zu beenden und zukünftige Tarifänderungen für das Arbeitsverhältnis unanwendbar zu machen. Die tarifliche Veränderung schlug gewissermaßen auf den Arbeitsvertrag durch. 2. Mängel des Konzepts der Gleichstellungsabrede a) Deklaratorischer Charakter der Bezugnahmeklausel Rechtsdogmatisch betrachtet ist die Konstruktion der Gleichstellungsabrede ein richterrechtliches Instrument, das die konstitutive Wirkung der Bezugnahmeklausel beschränkt. Dies wird durch Auslegung der Parteivereinbarung erreicht. Obwohl das BAG sowohl bei Organisierten als auch bei Außenseitern von einer konstitutiven Rechtswirkung der Bezugnahmeklausel ausgeht,651 schränkt es diese jeweils dadurch ein, dass ihre Bedeutung im Falle der Tarifbindung des Arbeitgebers nie über die ohnehin sich aus dem TVG ergebende Lage hinausgehen kann. Kommt es z. B. nach einem Verbandsaustritt zur statischen Nachwirkung der Tarifnormen, wandelt sich auch eine bisher dynamische Bezugnahmeklausel zu einer statischen. Ein selbständiger Anspruch erwächst aus der Bezugnahmeklausel damit nicht; sie gewährt kumulativ lediglich das, was auf tariflicher Ebene gewährt wird. Wiedemann652 spricht insofern von einer „endogenen Blockadewirkung“, die die Auslegung als Gleichstellungsabrede den Klauseln beimisst. 650 651 652
Röller/Wißmann, FS Küttner, S. 465 (466). Vgl. o. B.IV.1.c), ab S. 70. Wiedemann, RdA 2007, 65 (66).
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Auf dieser Grundlage machte das BAG bisher nicht nur kleine dynamische zu großen dynamischen653, sondern auch dynamische zu statischen Bezugnahmeklauseln654, selbst wenn es sich um große dynamische Klauseln handelte655. Indem es den Inhalt der Klausel ungeachtet ihres Wortlauts danach ausrichtet, was tarifrechtlich gilt, misst das BAG den Bezugnahmeklauseln für die Organisierten faktisch eine rein deklaratorische Wirkung zu und schränkt die konstitutive Wirkung für die Außenseiter stark ein. Die Bezugnahmeklausel ist ein bloß technisches Mittel, um eine gleichmäßige Tarifanwendung im Betrieb herbeizuführen, und wird nicht wie eine echte individualrechtliche Vereinbarung behandelt.656 Dies widerspricht sogar der Ansicht des BAG selbst, derzufolge Bezugnahmeklauseln (auch bei Gewerkschaftsmitgliedern) eine konstitutive Wirkung zukommt. Die arbeitsvertragliche Bezugnahme mutiert gewissermaßen zum „gewerkschaftlichen Mitgliedsausweis“.657 b) Unzutreffende Prämissen der Gleichstellungsabrede Die bisherige Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede kann nicht überzeugen; es war daher richtig, von ihr Abstand zu nehmen. Schon die tatsächlichen Prämissen der BAG-Rechtsprechung erweisen sich als unzutreffend. Bezugnahmeklauseln werden nicht nur von Arbeitgebern vereinbart, die zugleich tarifgebunden sind. Auch nicht tarifgebundene Arbeitgeber haben häufig ein Interesse daran, ihre Arbeitnehmer an der Tarifentwicklung teilhaben zu lassen.658 In diesen Fällen kann eine Gleichstellung aber schon gar nicht bezweckt worden sein. Es muss vielmehr andere Motive unabhängig von einer Gleichstellung aller Arbeitnehmer geben. Damit fußt die Gleichstellungsrechtsprechung schon auf einer nicht allgemeingültigen Prämisse. c) Widerspruch zu den Grundsätzen der Auslegung von Verträgen Selbst wenn man von einem Gleichstellungszweck ausginge, hätte es hierfür genügt, die Gleichstellung tarifgebundener und nicht tarifgebundener Arbeitnehmer ausdrücklich in den Arbeitsverträgen zu verankern. Die Inbe653
Z. B. BAG v. 4.9.1996 – 4 AZR 135/95, NZA 1997, 271 (272 f.). Z. B. BAG v. 19.3.2003 – 4 AZR 331/02, NZA 2003, 1207. 655 BAG v. 22.3.2005 – 1 ABR 64/03, NZA 2006, 383 (385); BAG v. 16.10.2002 – 4 AZR 467/01, NZA 2003, 390 (391 f.). 656 Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1074). 657 Röller/Wißmann, FS Küttner, S. 465 (467). 658 Annuß, ZfA 2005, 405 (424); Wiedemann, RdA 2007, 65 (66). Zu den Gründen s. o. die Einleitung. 654
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
zugnahme bestimmter Tarifverträge geht aber darüber hinaus und kann bei den Arbeitnehmern durchaus den Eindruck erwecken, ihnen sollten ohne weitere Bedingungen und Einschränkungen die jeweiligen tariflichen Arbeitsbedingungen gewährt werden.659 Aus der Sicht des Arbeitnehmers ist die Bezugnahme eine Zusage des Arbeitgebers: Hinsichtlich der von ihr erfassten Regelungsmaterie im Rahmen ihrer Reichweite (statisch, zeitlich dynamisch, sachlich dynamisch) sollen die in Bezug genommenen Tarifbedingungen das Arbeitsverhältnis bestimmen.660 Aus seiner Sicht soll daher die beiderseitige Tarifbindung als Tatbestandsmerkmal der Anwendbarkeit tariflicher Normen ersetzt werden. Nur auf diese Sicht kommt es nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen des Empfängerhorizonts (§§ 133, 157 BGB)661 an. Ein bloßes Motiv ist deshalb gemäß §§ 116, 119 BGB vom Willen zu unterscheiden, der in einer Erklärung zum Ausdruck kommt. Mit diesen Grundsätzen ist es nicht vereinbar, wenn das BAG die Auslegung der statischen, der kleinen dynamischen und der großen dynamischen Klauseln bei Tarifgebundenheit des Arbeitgebers im Sinne einer Gleichstellungsabrede modifiziert.662 Der Eindruck einer petitio principii liegt nahe. Die gleiche Bezugnahmeklausel erhält einen unterschiedlichen Inhalt, je nachdem, ob der Arbeitgeber bei ihrem Abschluss tarifgebunden ist oder nicht. Ob der Arbeitgeber tarifgebunden ist, wird der Arbeitnehmer jedoch in aller Regel gar nicht wissen. Sofern das BAG ihn hier auf ein etwaiges Auskunftsrecht verweist, entfernt es sich von der Realität der typischen arbeitsvertraglichen Vertragsverhandlungen: Zumeist ist es nicht der Arbeitnehmer, der bei der Vertragsanbahnung Fragen oder gar Forderungen stellen kann, und er ist typischerweise juristischer Laie. Sein Fragerecht ist eben gerade ein Recht und keine Pflicht,663 so dass an seine Nichtausübung keine negativen Folgen für den Arbeitnehmer geknüpft werden dürfen. Auch ist nicht einzusehen, aus welchem Grund er den Arbeitgeber nach seiner Tarifgebundenheit fragen sollte, wenn dieser ihm im Arbeitsvertrag – offensichtlich unabhängig von der eigenen Tarifgebundenheit – durch Ver659
Hanau, NZA 2005, 489 (490). Lambrich, FS Ehmann, S. 169 (227). 661 s. o. S. 128; vgl. RG v. 17.9.1919 – V 131/19, RGZ 96, 273 (276); RG v. 21.11.1927 – VI 71/27, RGZ 119, 21 (25); BGH v. 3.2.1967 – VI ZR 114/65, NJW 1967, 673; Heck, AcP 112, 1 (43); Palandt-Heinrichs/Ellenberger, BGB, § 133 Rn. 9 ff.; Ebeling, Bezugnahme, S. 209; Brecht-Heitzmann/Lewek, ZTR 2007, 127 (128 f.). 662 Zerres, NJW 2006, 3533 (3534); Brecht-Heitzmann/Lewek, ZTR 2007, 127 (129). 663 BAG v. 19.3.2003 – 4 AZR 331/02, NZA 2003, 1207 (1208); Klagges, Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang, S. 64. 660
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weisungsklausel die Geltung tariflicher Lohn- und Arbeitsbedingungen anbietet.664 Schließlich stünde eine „Fragepflicht“ des Arbeitnehmers im Widerspruch zu § 2 Abs. 1 NachwG, wonach der Arbeitgeber zur Auskunft verpflichtet ist.665 Nicht gefolgt werden kann insbesondere der Ansicht des BAG, der Arbeitnehmer müsse – wenn nötig – auf einer eindeutigen Formulierung der Klausel bestehen. Nach allgemeiner Rechtsgeschäftslehre ist die bloße Aufklärungsmöglichkeit des Erklärungsempfängers für die Auslegung einer Willenserklärung grundsätzlich ohne Bedeutung.666 Den Empfänger trifft daher prinzipiell keine Aufklärungspflicht.667 Das BAG verlagert damit die Verantwortung für die Vertragsgestaltung auf den Arbeitnehmer. Typischerweise ist es aber der Arbeitgeber, der die „Formulierungsgewalt“668 hat. Er hat es daher in der Hand, durch eine klare Formulierung das von ihm Gewollte zum Inhalt der Vereinbarung werden zu lassen. Macht er die tariflichen Umstände nicht zum Inhalt seiner rechtsgeschäftlichen Erklärung, kann er sich später nicht auf diese berufen. Dies muss in besonderer Weise für vorformulierte Arbeitsverträge gelten. Hier ist bei der Auslegung dem Wortlaut besondere Bedeutung beizumessen, was sich insbesondere aus dem Transparenzgebot ergibt.669 d) Widerspruch zur Unklarheitenregel Nähme man die Arbeitnehmer für die Abfassung eindeutiger Verweisungsklauseln in die Pflicht, stellte man sich außerdem gegen die bei vorformulierten Arbeitsbedingungen geltende Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB. Die Unklarheitenregel besagt, dass es Sache des Verwenders ist, sich klar und unmissverständlich auszudrücken; unklare Regelungen müssen daher im Zweifelsfalle zu Lasten des Verwenders gehen.670 „Verwender“ der Bezugnahmeklausel ist der Arbeitgeber. Es gilt daher im Falle einer unklaren Klausel die „kundenfreundlichste“ Regelung671, mithin die für den Arbeitnehmer günstigste Auslegungsvariante. Sofern das BAG aber 664
Annuß, ZfA 2005, 405 (423); Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (199). Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 233. Vgl. o. B.II.2.c), ab S. 59. 666 Annuß, ZfA 2005, 405 (424). 667 Vgl. Henssler/Heiden, RdA 2004, 241 (243). Den Empfänger trifft nur die Pflicht zur sorgfältigen Auslegung der ihm gegenüber geäußerten Willenserklärung, vgl. Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 16. 668 Lambrich, FS Ehmann, S. 169 (228). 669 Ebeling, Bezugnahme, S. 209. Vgl. o. C.II.3.d)bb), ab S. 113. 670 s. o. C.II.3.d)dd), ab S. 119; Palandt-Heinrichs, BGB, § 305c Rn. 19. 671 Palandt-Heinrichs, BGB, § 305c Rn. 20 f. Vgl. o. S. 120, Fn. 524. 665
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
die Klausel als Gleichstellungsabrede interpretiert mit der Folge einer bloß statischen Fortgeltung der Tarifnormen, trägt dies – sogar nach Ansicht des ehemaligen Senatsvorsitzenden Schliemann – Züge einer interpretatio benevolentiae672, einer wohlwollenden Auslegung – und zwar zugunsten der tarifgebundenen Arbeitgeber. Die nachlässige Formulierung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln darf aber nicht zugunsten des Arbeitgebers gehen. Dies wäre das genaue Gegenteil von dem, was die Unklarheitenregel fordert. e) Rechtsfolgen der Gleichstellungsabrede nicht überzeugend Schließlich kann die Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen nicht überzeugen: Wollte man ihr folgen, wären nicht tarifgebundene Arbeitgeber durch die Bezugnahme stärker an den Tarifvertrag gebunden als tarifgebundene Arbeitgeber.673 Letztere können den Firmentarifvertrag kündigen oder aus dem tarifschließenden Verband ausscheiden. Bei nicht tarifgebundenen Erwerbern, die nur über die Bezugnahmeklausel zur Anwendung tariflicher Regelungen verpflichtet werden, sind die §§ 3 Abs. 3, 4 Abs. 5 TVG, die die Tarifbindung nach einem Tarifwechsel beenden, nicht anwendbar. Nicht tarifgebundenen Arbeitgebern, die sich von der Bindung an den Tarifvertrag kraft Bezugnahme befreien wollen, bleibt nur die (meist lediglich theoretische) Möglichkeit einer (Massen-)Änderungskündigung oder eines Änderungsvertrages mit allen betroffenen Arbeitnehmern.674 3. Geänderte Rechtsprechung überzeugt nur teilweise Die Rechtsprechungswende des BAG stellt einen tiefgreifenden Systemwechsel dar. Das Arbeitsvertragsrecht beugt sich nicht länger dem Tarifrecht, sondern ist hiervon unabhängig und kann sogar Vorrang vor dem Tarifrecht haben. Die Abkehr von der Auslegung als Gleichstellungsabrede ist zu begrüßen, auch wenn dies im Schrifttum teilweise anders gesehen wird675 und die Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede für die vor dem 1.1.2002 geschlossenen Arbeitsverhältnisse weiter anwendbar bleibt. 672
Schliemann, ZTR 2004, 502 (510). Wiedemann, RdA 2007, 65 (66). 674 Zu den Einzelheiten und weiteren Harmonisierungsinstrumenten s. u. Teil 3, ab S. 381. 675 Spielberger, NZA 2007, 1086 (1088 f.); Giesen, NZA 2006, 625 (627); Simon/Kock/Halbsguth, ZIP 2006, 726 (727); Schiefer, SAE 2008, 22 (23 ff.); Feudner, RdA 2008, 301 (302 f.). 673
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a) Unerwarteter Paradigmenwechsel des BAG Aus den Urteilsgründen vom 14.12.2005 und vom 18.4.2007 wird ersichtlich, dass sich der Vierte Senat des BAG nun doch den Bedenken, die gegen die Auslegung als Gleichstellungsabrede geäußert wurden, angeschlossen hat. Die Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede war aber nicht erst mit Eingreifen der Schuldrechtsreform abzulehnen. Das BAG hat in seinem Urteil vom 18.4.2007 gegenüber den Entscheidungsgründen vom 14.12.2005 klargestellt, dass die Rechtsprechungsänderung nicht unmittelbar auf die Schuldrechtsreform, sondern primär auf die allgemeinen Grundsätze der Vertragsauslegung und die Kritik der Literatur zurückzuführen sei.676 Die Auslegungsregel der Gleichstellungsabrede widersprach bereits vor der Schuldrechtsreform wesentlichen Grundregeln der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre zur Auslegung von Willenserklärungen und war schon aus diesem Grund abzulehnen. Die Aussage in der Urteilsbegründung vom 14.12.2005, dass sich mittlerweile die „wesentlichen Rahmenbedingungen“ in der arbeitsvertraglichen Praxis geändert hätten677, vermag vor dem Hintergrund der bereits jahrzehntelang geübten Kritik an der Gleichstellungsabrede nicht zu überzeugen. Die Rechtsprechungsänderung stellt trotz – oder gerade wegen – der jahrzehntelangen Kritik der Literatur nun einen unerwarteten Bruch mit der bisherigen Rechtsprechung dar. Noch 2003 hatte das Gericht – bereits nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes – ausdrücklich hervorgehoben, dass eine Auslegung als Gleichstellungsabrede nicht der Unklarheitenregelung widerspreche.678 Nun geht das Gericht offenbar vom Gegenteil aus, indem es aufgrund der bisher gebräuchlichen Formulierungen keinen generellen Wechsel von der dynamischen zur statischen Verweisung durch Auslegung mehr vornehmen will. Die Änderung der Rechtsprechung lässt sich vielleicht mit dem zwischenzeitlichen Wechsel im Vorsitz des Vierten Senats erklären.679 Eine alternative Begründung ist die „Möglichkeit der formlosen Kassation kraft besserer Einsicht“.680
676
BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (970). BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 (2572 f.). Vgl. o. S. 138. 678 BAG v. 19.3.2003 – 4 AZR 331/02, NZA 2003, 1207 (1208 f.). Vgl. o. S. 98. 679 Im Jahre 2004 löste Bepler den Vorsitzenden Schliemann ab. Zum Zusammenhang zwischen Vorsitzwechsel und Vertrauensschutz vgl. Höpfner, NZA 2008, 91 (93). 680 Klebeck, NZA 2006, 15 (16), unter Verweis auf Picker, JZ 1984, 153 (158). 677
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b) Geänderte Auslegungsgrundsätze schaffen Rechtsunsicherheit Die Auslegung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln, die nach dem 31.12.2001 geschlossen wurden, folgt nun nicht mehr dem Primat der Gleichstellungsabrede. Vielmehr kommt nun den allgemeinen Grundsätzen zur Vertragsauslegung, die bereits dargestellt wurden,681 besondere Bedeutung zu. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen; jedoch führen die Vorgaben der geänderten Rechtsprechung zu Rechtsunsicherheit, wie die Klausel in Zukunft auszulegen ist. aa) Wortlautauslegung der Bezugnahmeklausel Die Auslegung der Bezugnahmeklausel richtet sich in Zukunft primär nach dem Wortlaut. Grundsätzlich ist eine einzelvertraglich vereinbarte dynamische Bezugnahme auf einen bestimmten Tarifvertrag daher eine konstitutive Verweisungsklausel auf diesen Tarifvertrag in seiner jeweiligen Fassung, die durch einen Wegfall der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers nicht berührt wird.682 Für eine Gleichstellungsabrede muss aus dem Wortlaut der Parteien ein entsprechender Wille der Parteien erkennbar sein.683 Die Auslegung der Klausel hängt nicht von Faktoren ab, die im Vertrag nicht genannt und nicht für beide Parteien ersichtlich zur Voraussetzung gemacht worden sind.684 Bloße Motive des Arbeitgebers als Erklärendem haben, soweit sie in der Erklärung keinen Niederschlag finden, außer Betracht zu bleiben. Entscheidend für die Auslegung ist der objektive Empfängerhorizont des Arbeitnehmers. Die vormals vermutete soziotypische Situation des Vertragsschlusses kann die Auslegung nicht mehr beeinflussen. Die Tarifbindung des Arbeitgebers ist grundsätzlich dessen Sphäre zuzuordnen, über die der Arbeitnehmer sich keine Kenntnis verschaffen muss.685 Dieselbe Klausel kann daher keinen unterschiedlichen Regelungsgehalt bei tarifgebundenen und bei nicht tarifgebundenen Arbeitgebern mehr haben. Hierfür müsste die Tarifbindung des Arbeitgebers in einer für den Arbeitnehmer erkennbaren Weise zur auflösenden Bedingung (§ 158 Abs. 2 BGB) der Vereinbarung gemacht worden sein. Soweit der Arbeitgeber vom Wortlaut abweichende Regelungsziele verfolgt, können sie nur in die Aus681
s. o. D.I.2., ab S. 128. BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 683 BAG v. 22.10.2008 – 4 AZR 793/07, bisher 79/08, abrufbar unter www.bundesarbeitsgericht.de. 684 BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 685 BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 682
965 (965, LS. 1, 968). nur als Pressemitteilung Nr. 965 (967). 965 (968).
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legung eingehen, wenn sie für den Arbeitnehmer mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck kommen. Die Auslegung der Bezugnahmeklausel in jedem Einzelfall gemäß §§ 133, 157 BGB steht mit den Grundsätzen der Vertragsauslegung im Einklang und ist der dogmatisch richtige Weg. Nur auf diese Weise wird dem Umstand Rechnung getragen, dass einer Bezugnahmeklausel sowohl bei Außenseitern wie auch bei Gewerkschaftsmitgliedern eine eigenständige, konstitutive Wirkung zukommt. bb) „Anhaltspunkte“ für die Auslegung als Gleichstellungsabrede erforderlich Durch die geänderte Rechtsprechung werden die Möglichkeiten, eine Bezugnahmeklausel ohne eindeutige Formulierung als Gleichstellungsabrede auszulegen, ganz erheblich begrenzt. (1) Unbestimmtheit des Begriffs Das BAG fordert für die Auslegung einer Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede ohne deren explizite Vereinbarung nunmehr das „Hinzutreten weiterer Anhaltspunkte“. Grundsätzlich gelte die Wortlautauslegung der Bezugnahmeklausel. Lediglich, wenn von den Arbeitsvertragsparteien weitere Tatsachen vorgetragen würden oder sonst ersichtlich seien, die Zweifel an der wortlautgetreuen Auslegung der Bezugnahmeklausel begründen könnten, bestehe Anlass, die Wortlautauslegung in Frage zu stellen und eventuell weitere Auslegungsfaktoren heranzuziehen.686 Es müssten sich innerhalb oder außerhalb der Vertragsurkunde liegende Anhaltspunkte finden, die für die Annahme einer bloßen Gleichstellungsklausel sprechen.687 Bei Hinzutreten „weiterer Anhaltspunkte“ komme also eine unterschiedliche Auslegung desselben Wortlauts je nachdem, ob der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Vereinbarung tarifgebunden war oder nicht, in Betracht.688 Was sich genau hinter diesem unbestimmten Rechtsbegriff der „Anhaltspunkte“ oder „Tatsachen“ verbergen soll, wird in den bisher veröffentlichten Urteilen zur geänderten Rechtsprechung nicht erörtert. Lediglich im Rahmen einer „Negativaussage“ stellt das BAG fest, dass die Tarifgebun686 BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (968); BAG v. 22.10. 2008 – 4 AZR 793/07, bisher nur als Pressemitteilung Nr. 79/08, abrufbar unter www.bundesarbeitsgericht.de. 687 BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 (2573). 688 BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (968) (e contrario).
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denheit des Arbeitgebers an sich kein solcher auslegungsrelevanter Umstand (mehr) ist.689 Die Forderung besonderer Umstände für die Annahme einer Gleichstellungsabrede ist insofern sachgerecht, als sich deren bisherige Interpretation sehr weit vom typischen Wortlaut der Bezugnahmeklauseln entfernte. Grundsätzlich verfügt der Arbeitgeber über die „Formulierungsgewalt“ und hätte daher bei Vertragsschluss auf einer hinreichend präzisen Formulierung des Gleichstellungszwecks bestehen können. Seit der Ankündigung der Rechtsprechungsänderung vom 14.12.2005 sind die Arbeitgeber „gewarnt“; seitdem kann von ihnen erwartet werden, einen intendierten Gleichstellungszweck explizit in der Klausel zu verankern. Fehlt eine derartige einschränkende Formulierung, ist die Klausel grundsätzlich ihrem Wortlaut entsprechend anzuwenden. Der Arbeitgeber muss den von ihm gewählten Wortlaut gegen sich gelten lassen. Jedoch fehlt bisher eine Präzisierung der „besonderen Umstände“, die weiterhin für die Auslegung der Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede sprechen könnten. Dies ist insofern nachteilig, als nun keine Rechtssicherheit darüber besteht, wie die Bezugnahmeklausel im Einzelfall auszulegen ist. Es ist unklar, nach welchen Grundsätzen künftig eine Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede zu qualifizieren sein wird und welche Aspekte für eine solche Auslegung herangezogen werden können.690 Ersichtlich wird lediglich, dass die begleitenden Umstände „erkennbar in den Erklärungsinhalt“ eingegangen sein müssen.691 Vom Wortlaut abweichende Regelungsziele können bei der Auslegung nur Berücksichtigung finden, wenn sie für den Arbeitnehmer mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck kommen. Den Arbeitgeber trifft die Verantwortung, den von ihm verfolgten Gleichstellungszweck in der Klausel zum Ausdruck zu bringen. Die Anforderungen, die an die „besonderen Umstände“ zu stellen sind, sind daher sehr hoch. (2) Grundsätzliche Kriterien Eine Präzisierung des unbestimmten Begriffs der „Anhaltspunkte“ steht noch aus und ist dringend erforderlich. Insofern kann nur eine Annäherung an diesen Begriff versucht werden. Es ist davon auszugehen, dass es innerhalb oder außerhalb des Arbeitsvertrages Begleitumstände geben muss, die 689 BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (968); BAG v. 22.10. 2008 – 4 AZR 793/07, bisher nur als Pressemitteilung Nr. 79/08, abrufbar unter www.bundesarbeitsgericht.de. 690 Nicolai/Krois, SAE 2007, 158 (160). 691 BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (970 f.).
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es für den Arbeitnehmer erkennbar machen, dass bei Änderung der Tarifbindung des Arbeitgebers (z. B. nach einem Wechsel der Branchenzugehörigkeit des Betriebes, einem Verbandsaustritt oder -wechsel des Arbeitgebers) der bisher in Bezug genommene Tarifvertrag nur noch statisch oder ein anderer Tarifvertrag in Bezug genommen werden soll. Es müssen somit Indizien dafür vorliegen, dass der Arbeitgeber die (eventuell) fehlende Tarifbindung des Arbeitnehmers durch die Bezugnahme ersetzen, nicht jedoch einen von der Tarifentwicklung vollkommen abgekoppelten Anspruch gewähren will. Insofern wird es sich um Fallkonstellationen handeln müssen, in denen die Tarifbindung des Arbeitgebers für den Arbeitnehmer zum einen transparent ist, zum anderen ersichtlich der Grund für die Vereinbarung der Bezugnahmeklausel ist. Somit muss für den Arbeitnehmer erkennbar sein, dass die Tarifbindung des Arbeitgebers, auch wenn dies nicht explizit vereinbart wurde, im Sinne einer auflösenden Bedingung die Klauselwirkung beeinflussen sollte. Umstände, die dem Arbeitnehmer nicht erkennbar sind, können für die Auslegung nicht herangezogen werden. Hieraus ergibt sich, dass die bloße Tarifgebundenheit des Arbeitgebers kein auslegungsrelevanter Umstand mehr ist. Vielmehr muss es dem Arbeitnehmer erkennbar sein, dass der Arbeitgeber die Bezugnahmeklausel aufgrund seiner eigenen Tarifbindung vereinbarte und lediglich sicherstellen wollte, dass einheitliche Arbeitsbedingungen für alle Arbeitnehmer gelten. Auch der Umstand, dass der Arbeitgeber bei der Einstellung nicht nach der Gewerkschaftszugehörigkeit fragen darf, beeinflusst die Auslegung grundsätzlich nicht, auch nicht als im Arbeitsrecht geltende Besonderheit im Sinne des § 310 Abs. 4 S. 2 BGB.692 Es ist für den Arbeitnehmer nach seinem objektiven Empfängerhorizont, der für die Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB maßgeblich ist, nicht erkennbar, ob der Arbeitgeber die Klausel mangels eines Fragerechts nach der Gewerkschaftszugehörigkeit vereinbart oder andere Motive hat. Es ist schwer abzusehen, in welchen Konstellationen das BAG in Zukunft von hinreichenden „Anhaltspunkten“ für eine Gleichstellungsabrede ausgehen wird. Eine Richtschnur für die Frage, welche „Anhaltspunkte“ insofern in Betracht kommen, könnten die Grundsätze sein, welche außerhalb der Willenserklärung liegenden Begleitumstände in ihre Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB einzubeziehen sind. Dies sind u. a. das sonstige Gesamtverhalten des Erklärenden, der Sprachgebrauch des Erklärenden, Äußerungen gegenüber anderen Personen, der Inhalt der Vertragsverhandlungen, die bestehende Interessenlage, Verkehrssitten, Geschäftsbräuche und das Ge692
Ebenso Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 126. A. A. Rieble/Klebeck, BB 2006, 885 (890); Schiefer, SAE 2008, 22 (25 f.); Meinel/Herms, DB 2006, 1429 (1433). Offen gelassen bei Clemenz, NZA 2007, 769 (771 f.).
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samtbild des Vertrages.693 Die außerhalb der Erklärung liegenden Begleitumstände sind nur dann für die Auslegung zu berücksichtigen, wenn sie dem Erklärungsempfänger bekannt oder erkennbar waren.694 §§ 116, 119 BGB zeigen insofern die Grenze dieser einzubeziehenden Umstände auf: Reine Motive des Erklärenden fließen nicht in die Auslegung ein.695 Insofern könnte es schon genügen, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Rahmen der Vertragsverhandlungen oder anlässlich des Vertragsschlusses (mündlich oder schriftlich) mitteilt, dass es ihm um die Vereinbarung einer Gleichstellungsabrede gehe. Auch ohne entsprechenden Wortlaut wäre für den Arbeitnehmer in dieser Situation erkennbar, dass die Klauseldynamik von der Tarifbindung des Arbeitgebers abhängig sein soll. Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob schon die Kenntnis des Arbeitnehmers von der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers ausreicht, um die Bezugnahmeklausel von seinem objektiven Empfängerhorizont aus als Gleichstellungsabrede zu verstehen.696 Hierfür spricht einiges, ein Automatismus verbietet sich unter den geänderten Rechtsprechungsgrundsätzen jedoch. Im Einzelfall müsste sich aus der Kenntnis der Tarifbindung des Arbeitgebers zugleich der Schluss ergeben, dass er die Bezugnahme von seiner Tarifbindung abhängig machen will. Der Wille des Arbeitgebers, eine unbedingt dynamische Klausel zu vereinbaren, müsste daher als zweifelsfrei ausgeschlossen angesehen werden können. Ein ähnlicher Umstand wäre eventuell die Änderung einer Bezugnahmeklausel anlässlich eines Tarifwechsels, z. B. eines Branchenwechsels des Betriebes. Verwies der Arbeitsvertrag auf die Tarifverträge der Metallindustrie und vereinbart der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer nach einer Umstellung der Produktion die nunmehrige Bezugnahme auf die Tarifverträge der Chemieindustrie, ist für den Arbeitnehmer erkennbar, dass der Arbeitgeber mit der Bezugnahme die Anwendbarkeit des jeweils fachlich einschlägigen Tarifvertrages bezweckt. Hierin könnte man einen Anhaltspunkt dafür sehen, dass der Arbeitgeber keine ewige Bezugnahme, sondern die Anwendung der jeweils fachlich für ihn einschlägigen und geltenden Tarifverträge intendiert. Zwingend ist indes auch dieser Schluss nicht, ist es doch denkbar, dass der Arbeitgeber nicht tarifgebunden ist und sich lediglich auf arbeitsvertraglicher Ebene an den fachlich jeweils einschlägigen Tarifverträgen orientiert. In allen oben genannten Fällen wäre es daher 693 Vgl. hierzu Palandt-Heinrichs, BGB, § 133 Rn. 15 ff. sowie Erman-Palm, BGB, § 133 Rn. 23 mit zahlreichen Nachweisen zur Rechtsprechung. 694 Palandt-Heinrichs, BGB, § 133 Rn. 15. 695 Vgl. Brecht-Heitzmann/Lewek, ZTR 2007, 127 (129). 696 In diese Richtung Nicolai/Krois, SAE 2007, 158 (161).
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rechtssicherer, wenn der Arbeitgeber die Klausel eindeutig formulieren würde. Insgesamt gesehen sind die Anforderungen der geänderten Rechtsprechung daher sehr streng. Grundsätzlich muss der Wille, die Bezugnahme im Rahmen eines Gleichstellungszwecks von der Tarifbindung des Arbeitgebers abhängig zu machen, im Wortlaut der Klausel zum Ausdruck kommen. Eine Gleichstellungsabrede wird ohne eine explizite und eindeutige Vereinbarung in Zukunft nur unter exzeptionellen Umständen angenommen werden können.697 Jedenfalls verbieten sich in Zukunft pauschale Auslegungsgrundsätze, vielmehr wird es der Auslegung der Bezugnahmeklausel in jedem Einzelfall bedürfen. In der Fallanalyse ist daher zu untersuchen, in welchen Konstellationen eine Anpassung einer (eigentlich) eindeutig formulierten Bezugnahmeklausel an nach einem Tarifwechsel geänderte tarifliche Arbeitsbedingungen sach- und interessengerecht sein könnte.698 Insbesondere die Frage, ob die Kenntnis von der Tarifbindung des Arbeitgebers eine Auslegung als Gleichstellungsabrede trägt, wird dort erörtert werden.699 Eine Konkretisierung weiterer Anhaltspunkte durch das BAG, die für eine derartige Interpretation der Klausel sprechen, ist dringend erforderlich. (3) Ergänzende Vertragsauslegung Im Schrifttum wird teilweise versucht,700 den Bezugnahmeklauseln bei tarifgebundenen Arbeitgebern im Wege einer „ergänzenden Auslegung“ auch ohne explizite Vereinbarung oder besondere Umstände einen Gleichstellungszweck zuzumessen: Tarifwechsel würden von den Parteien bei Vertragsschluss in der Regel nicht bedacht. Eine einzelvertragliche Verweisung enthalte daher keine Aussage über ihren Regelungsgehalt nach Entfall der tarifrechtlichen Geltung des Bezugnahmeobjekts. Der Arbeitsvertrag enthalte eine Lücke, die durch ergänzende Vertragsauslegung geschlossen werden müsse.701 Hierbei sei zu berücksichtigen, dass ein verbandsgebundener Arbeitgeber im Unterschied zum nichtorganisierten Arbeitgeber zur Umsetzung des Tarifvertrags innerhalb der tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse im Betrieb verpflichtet sei. Die Bezugnahmeklausel diene daher der Vereinheitlichung der Arbeits697 698 699 700 701
So auch Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458 (462). s. hierzu u. Teil 2, ab S. 198. s. S. 242 f. Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 84 ff. Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 87 f.
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bedingungen; eine über die Normativwirkung des Tarifvertrages hinausgehende schuldrechtliche Tarifbindung könne hingegen nicht als gewollt angesehen werden. Von einem derartigen „Fremdbestimmungswillen“ könne bzw. dürfe auch ein verständiger Arbeitnehmer nicht ausgehen. Daher beinhalte eine Bezugnahmeabrede auf den einschlägigen Tarifvertrag in einem vom tarifgebundenen Arbeitgeber vorformulierten Arbeitsvertrag dieselben und keine weitergehenden Rechtsfolgen als diejenigen, die sich im Verhältnis zu den Gewerkschaftsmitgliedern ergäben.702 Wurde von den Arbeitsvertragsparteien eine tatsächliche Entwicklung (z. B. ein Tarifwechsel) nicht bedacht, kommt in der Tat eine Vertragslücke in Betracht, die durch ergänzende Vertragsauslegung geschlossen werden kann.703 Hieran sind jedoch angesichts der Rechtsprechungsänderung hohe Anforderungen zu stellen, da es nun primär auf den Wortlaut der Bezugnahmeklausel ankommt. Die Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung greifen erst, wenn sich nach der Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB ergibt, dass der Vertrag eine Lücke aufweist. Es muss eine „planwidrige Unvollständigkeit“ des Vertrages bestehen. Dies ist nicht der Fall, sofern die Auslegung ergibt, dass die Bezugnahmeklausel auch für diesen Fall gelten sollte, die Parteien somit willentlich von einer Regelung abgesehen haben. Selbst wenn man in einem Tarifwechsel, z. B. einem Verbandsaustritt des Arbeitgebers, angesichts dessen dem Arbeitgeber eine weitere Dynamik der Bezugnahmeklausel ungünstig erscheint, eine planwidrige Regelungslücke annehmen wollte, setzt eine ergänzende Vertragsauslegung einen übereinstimmenden hypothetischen Parteiwillen voraus,704 der Klausel eine dermaßen begrenzte Dynamik beizulegen. Es geht somit darum, zu ermitteln, was beide Parteien gewollt hätten, wenn sie den nicht bedachten Umstand berücksichtigt und die Gebote von Treu und Glauben sowie die Verkehrssitte beachtet hätten (vgl. § 157 BGB). Somit ist zu fragen, was die Parteien bei Kenntnis der Lücke vernünftigerweise vereinbart hätten.705 Zwar mag ein Motiv der Begrenzung der Klauseldynamik im Sinne einer Gleichstellungsabrede auf Arbeitgeberseite vorliegen, auf Arbeitnehmerseite wird dies jedoch typischerweise zu verneinen sein.706 Die Motive der Arbeitsvertragsparteien sind hier in der Regel heterogen.707 Selbst wenn der Arbeitnehmer 702
Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 88 f. Vgl. hierzu o. D.I.2.b), ab S. 130. 704 Vgl. hierzu o. D.I.2.b), ab S. 130. 705 Vgl. BGH v. 22.4.1953 – II ZR 143/52, BGHZ 9, 273 (278); BGH v. 1.2.1984 – VIII ZR 54/83, BGHZ 90, 69 (77); Erman-Palm, BGB, § 133 Rn. 22. 706 Abzulehnen ist daher die einseitige Begründung des hypothetischen Parteiwillens bei Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 88 f.: „Hätte der Arbeitgeber aber bei Vertragsschluss die Möglichkeit eines Verbandsaustritts, -wechsels u. ä. be703
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Kenntnis von der Interessenlage seines Arbeitgebers haben sollte, führt dies nicht ohne Weiteres dazu, dass er einen entsprechenden hypothetischen Willen hat. Motive des Arbeitgebers, die im Klauselwortlaut nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck kommen, können die korrigierende Auslegung eines eindeutigen Wortlauts nicht tragen.708 Doch auch schon das Vorliegen einer Vertragslücke ist zweifelhaft. Im Bereich vorformulierter Arbeitsbedingungen ist auch das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB zu wahren, demgemäß die sich aus der Bezugnahmeklausel ergebenden Konsequenzen für den Arbeitnehmer deutlich und verständlich sein müssen.709 Die Dynamik der Bezugnahme war zwischen den Parteien vereinbart und bildet damit die grundsätzlich anzuwendende Regelung auch für den Fall eines Tarifwechsels. Der Tarifwechsel ist daher „mitgeregelt“ worden. Für eine andere Bewertung bedürfte es gerade der nun auch vom BAG geforderten „besonderen Umstände“. Ohne eindeutige Anhaltspunkte im Sinne der vom BAG geforderten „besonderen Umstände“ ist angesichts der neuen Rechtsprechung eine generelle ergänzende Auslegung, die zu einer Gleichstellungsabrede führt, nicht mehr möglich. Die bloße Tatsache, dass der Arbeitgeber im Zeitpunkt des Vertragsschlusses tarifgebunden ist, genügt nicht als ein derartiger besonderer (und dem Arbeitnehmer erkennbarer) Umstand. Auch das BAG äußert sich in seinem Urteil vom 14.12.2005 kritisch zu der Möglichkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung. Die als allgemeine Rechtsgrundsätze zu berücksichtigenden Wertungen des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen sprächen gegen die Annahme einer Vertragslücke.710 Hierfür spricht insbesondere, dass angesichts der nun seit Jahren anhaltenden Diskussion um die Auslegung von Bezugnahmeklauseln grundsätzlich nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass die Parteien die mögliche Bedeutung der Klausel bei einem Tarifwechsel nicht bedacht haben. Die Situation der ergänzenden Vertragsauslegung dient der Vervollständigung unvollkommener Verträge, die einen bestimmten Punkt nicht regeln. Ist die Bezugnahmeklausel allgemein als dynamische Verweisung ohne nähere Einschränkungen formuliert, gilt sie mit diesem Inhalt, sofern weder dacht, wäre eine entsprechende Einschränkung der Klausel auch Bestandteil des Arbeitsvertrages.“ 707 Vgl. BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (968). 708 BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (968); Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1076). 709 s. o. C.II.3.d)bb), ab S. 113. 710 BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 (2573). Zustimmend Houben, SAE 2007, 109 (112).
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der Wortlaut noch die näheren Umstände des Vertragsschlusses einen gegenteiligen Schluss zulassen.711 Ist ein entgegenstehender Parteiwille daher nicht aus dem Wortlaut oder anderen „Anhaltspunkten“ ersichtlich, gilt die allgemeine Formulierung der Klausel und auch ein Tarifwechsel wird durch sie nicht automatisch nachvollzogen. Die ergänzende Auslegung von Bezugnahmeklauseln zur Postulierung eines Gleichstellungszwecks überzeugt daher grundsätzlich ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht. cc) Unklarheitenregel Sofern die Bezugnahmeklausel nicht einzelfallbezogen, sondern im Rahmen eines vorformulierten Arbeitsvertrages vereinbart wurde, gelten weitere, besondere Auslegungsgrundsätze. Die verobjektivierte Auslegung der Klauseln712 verringert die Auswirkungen der individuellen Umstände des Vertragsschlusses und gibt dem Wortlaut besonderes Gewicht. Klauseln, die nicht transparent genug sind, sind gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam. Als zusätzliche, §§ 133, 157 BGB ergänzende Auslegungsregel gilt die Unklarheitenregel gemäß § 305c Abs. 2 BGB, die bereits näher erörtert wurde.713 Insbesondere der Unklarheitenregel kommt nach der geänderten Rechtsprechung bei der Auslegung von Bezugnahmeklauseln in Zukunft eine große praktische Bedeutung zu.714 Sofern nach Ausschöpfung aller Auslegungsmethoden einschließlich der ergänzenden Vertragsauslegung daher Zweifel bestehen, welche Art oder welcher Umfang der Bezugnahme von den Arbeitsvertragsparteien intendiert war, gilt die für die Arbeitnehmer günstigere Auslegungsvariante. Gerade in Fällen, in denen der mit einer Bezugnahmeklausel intendierte Zweck nicht eindeutig in der Klausel zum Ausdruck kommt und sich auch kein übereinstimmender hypothetischer Parteiwille ermitteln lässt, führt die Unklarheitenregel damit zur Anwendung der für den Arbeitnehmer günstigsten Auslegungsvariante. Der jahrelange Streit und der Sinneswandel des Vierten Senats belegen, dass in der Regel mehr als zwei Auslegungen rechtlich gut vertretbar sind und keine von beiden eindeutig vorzugswürdig ist.715 Zugleich sind die Voraussetzungen, die an eine ergänzende Vertragsauslegung zu stellen sind, sehr hoch.716 Die Unklarheitenregel wird daher in der künftigen Auslegung von 711 712 713 714 715
Ebenso Houben, SAE 2007, 109 (112). Vgl. o. S. 92. Vgl. o. C.II.3.d)dd), ab S. 119. Jacobs, FS Birk, S. 243 (249). Jacobs, FS Birk, S. 243 (249); s. o. S. 141.
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Bezugnahmeklauseln eine große Rolle spielen.717 Ist der Wortlaut der Bezugnahmeklausel nicht eindeutig und kommt eine ergänzende Auslegung nicht in Betracht, gehen Unklarheiten von nun an zu Lasten des Arbeitgebers. c) Zwischenergebnis Es ist ein bedeutender Sinneswandel in der Auslegung von Bezugnahmeklauseln zu beobachten, da nunmehr ein grundsätzlich anderes Verständnis der Auslegung von Verweisungsklauseln unabhängig von den tariflichen Umständen und mit besonderem Fokus auf dem Wortlaut des Arbeitsvertrages zugrunde gelegt wird.718 Es ist für die Fortgeltung der Dynamik nicht mehr entscheidend, ob der Arbeitgeber nur seine Verpflichtung aus der unmittelbaren Tarifbindung gemäß § 3 Abs. 1 TVG auf Nichtgewerkschaftsmitglieder erstrecken oder aber eine eigenständige, von der Tarifbindung unabhängige Regelung treffen wollte.719 Ein Gleichstellungszweck muss in der Klausel Erwähnung gefunden haben, um bei der Auslegung berücksichtigt werden zu können. Dem Wortlaut der Bezugnahmeklausel kommt von nun an eine überragende Bedeutung zu. Die Gleichstellungsabrede an sich wurde damit nicht verworfen. Es steht dem Arbeitgeber frei, diese weiterhin – hinreichend klar – zu vereinbaren.720 Dies hat das BAG ausdrücklich betont.721 Aufgegeben wurde jedoch die bisherige Auslegungspraxis. Ein Gleichstellungswille kann den Klauseln ohne entsprechende Formulierung oder besondere Anhaltspunkte nicht mehr – auch nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung – zugemessen werden. Ist die Bezugnahmeklausel unklar formuliert, gilt die Unklarheitenregel. Es bleibt zu hoffen, dass die Schwierigkeiten bei der Feststellung, ob die Bezugnahmeklauseln einen Gleichstellungszweck beinhalten oder nicht, lediglich ein Übergangsphänomen sind.722 Die Arbeitgeber sind durch die geänderte Rechtsprechung aufgefordert, ihre bisherigen Musterformulierungen zu überprüfen und ggf. anzupassen. Eine sorgfältige und eindeutige Klauselgestaltung kann in Zukunft die dargestellten Auslegungsprobleme verhindern.723 716 717 718 719 720 721 722
s. o. D.III.3.b)bb)(3), ab S. 153. So auch Nicolai/Krois, SAE 2007, 158 (160). Röller/Wißmann, FS Küttner, S. 465 (469). Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 233. Zerres, NJW 2006, 3533 (3535); Wiedemann, RdA 2007, 65 (66). BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (968). So auch Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1075).
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
4. Anrufung des Großen Senats? In der Literatur wurde angesichts der Bedeutung der Rechtsprechungsänderung bereits die Anrufung des Großen Senats gefordert.724 Der Große Senat entscheidet, wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen will, vgl. § 45 Abs. 2 ArbGG. Angesichts der Tatsache, dass die Gleichstellungsrechtsprechung von allen Senaten des BAG angewandt wurde,725 wäre eine Anfrage an den Großen Senat erforderlich gewesen. Eine Anfrage ist gemäß § 45 Abs. 3 S. 1 ArbGG aber nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, dass er an seiner Rechtsauffassung festhält. Eine Anfrage an andere Senate des BAG oder eine Einberufung des Großen Senats erfolgten vor dem ersten Urteil zur neuen Rechtsprechung vom 18.4.2007 jedoch nicht. Der Vierte Senat begrenzte die Rechtsprechungsänderung auf Verträge, die nach dem 31.12.2001 geschlossen wurden. Die anderen Senate hätten (bisher) für keinen nach diesem Stichtag getroffenen Arbeitsvertrag mit Bezugnahmeklauseln eine Auslegung als Gleichstellungsabrede vorgenommen.726 Diese Argumentation ist insofern fragwürdig, als es bei § 45 ArbGG um Divergenzen in derselben Rechtsfrage geht, d.h. um die bewusste inhaltliche Änderung eines abstrakten Rechtssatzes,727 wobei die Urteile der verschiedenen Senate ohne Weiteres in der Vergangenheit liegen können.728 Die abweichende Entscheidung des anderen Senats betrifft stets einen Sachverhalt aus der Vergangenheit. Da die Gleichstellungsabrede als Auslegungsregel keiner zeitlichen Grenze unterlag, hätte es für die Rechtsprechungsänderung unter Gewährung von Vertrauensschutz einer Anfrage an die übrigen Senate bedurft. In jedem Fall war eine Vorlage aufgrund der weitreichenden Folgen der Rechtsprechungsänderung bereits nach § 45 Abs. 4 ArbGG wegen „grundsätzlicher Bedeutung“ geboten.729 Da eine solche Anfrage ausgeblieben ist, hat der Vierte Senat dem im Urteil vom 18.4.2007 unterlegenen Arbeitgeber den gesetzlichen Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG entzogen.730 Angesichts der bisherigen Reaktionen der Mitglieder der übrigen Senate des BAG ist jedoch davon 723 724 725 726 727 728 729
Vgl. hierzu u. Teil 3, B., ab S. 426. Meinel/Herms, DB 2006, 1429 (1432 f.); Höpfner, NZA 2008, 91 (94). Vgl. die eingehenden Nachweise bei Meinel/Herms, DB 2006, 1429 (1432). BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (969). HWK-Bepler, § 45 ArbGG Rn. 4. Ablehnend daher Höpfner, NZA 2008, 91 (94). Ebenso Meinel/Herms, DB 2006, 1429 (1433), Höpfner, NZA 2008, 91 (94).
D. Auslegung von Bezugnahmeklauseln
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auszugehen, dass der Große Senat in einer späteren, evtl. (verfassungs)gerichtlich erzwungenen Entscheidung die geänderte Rechtsprechung des Vierten Senats ohnehin bestätigen würde.731 5. Auswirkungen in der Praxis Die Rechtsprechungsänderung zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln hat gravierende Folgen für die Praxis: Eine Bezugnahmeklausel lässt sich nicht mehr generell und „gewohnheitsmäßig“ als Gleichstellungsabrede auslegen. Vielmehr muss eine solche eindeutig und klar vereinbart oder dem Arbeitnehmer zumindest erkennbar geworden sein. Die Voraussetzungen, unter denen eine ergänzende Auslegung einer dynamisch formulierten Klausel in Betracht kommt, sind bisher noch ungeklärt, jedoch in jedem Fall als streng anzusehen. Ist eine Klausel unklar formuliert, gilt gemäß § 305c Abs. 2 BGB die für den Arbeitnehmer günstigste Auslegung. Die Rechtsprechungsänderung bezieht sich aber nicht nur auf Allgemeine Geschäftsbedingungen.732 Der Arbeitnehmer ist als Verbraucher im Sinne des § 310 Abs. 3 BGB anzusehen.733 Daher gelten die Arbeitsvertragsbedingungen als vom Arbeitgeber gestellt, sofern sie nicht vom Arbeitnehmer in den Vertrag eingeführt wurden. Letzeres wird nur äußerst selten der Fall sein.734 Auch der Vierte Senat hat sich bei der Begründung der Rechtsprechungsänderung in seinem Urteil vom 18.4.2007 im Gegensatz zu den Entscheidungsgründen vom 14.12.2005 nicht auf die §§ 305 ff. BGB, sondern alleine auf die allgemeinen Auslegungsgrundsätze gem. §§ 133, 157 BGB berufen, so dass die Rechtsprechungsänderung nunmehr jeden Individualarbeitsvertrag erfasst.735 In jedem Fall gilt die Unklarheitenregel außerdem als allgemeiner Auslegungsgesichtspunkt.736 Hieraus kann unter Umständen eine „ewige“ dynamische Bindung an den in Bezug genommenen Tarifvertrag resultieren.737 Verfassungs- und europarechtliche Bedenken von Seiten des Schrift730 Vgl. hierzu BVerfG v. 11.5.1965 – 2 BvR 259/63, BVerfGE 19, 38 (43); HWK-Bepler, § 45 ArbGG Rn. 8. Ebenso Höpfner, NZA 2008, 91 (94). 731 Vgl. die wohlwollende Stellungnahme des Vorsitzenden des 3. Senats Reinecke, BB 2006, 2637 ff.; s. auch Höpfner, NZA 2008, 91 (94). 732 Giesen, NZA 2006, 625 (627); Stein, AuR 2006, 365 (367). 733 s. o. S. 92. 734 Stein, AuR 2006, 365 (368). 735 BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (970 f.); Feudner, RdA 2008, 301 (302). 736 Zerres, NJW 2006, 3533 (3535). 737 Kania, NZA, Sonderbeil. zu Heft 3/2000, 45 (47); Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1261).
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
tums sind die Folge.738 Die Auswirkungen der Rechtsprechungsänderung machen sich insbesondere in den unterschiedlichen Fällen des Tarifwechsels (Betriebsübergang, Verbandsaustritt, Verbandswechsel und Branchenwechsel) bemerkbar. Sie werden in Teil 2 im Rahmen eines Systemvergleichs dargestellt und im Anschluss einer detaillierten Bewertung unterzogen.739 Die Arbeitgeber müssen nun ihre Arbeitsverträge neu gestalten und präzisieren. Der vom Arbeitgeber verfolgte Zweck der Gleichstellung kann allein kein Ergebnis rechtfertigen, welches sich bei bloßer Auslegung des Wortlauts und der Umstände des Vertragsschlusses so nicht ergibt.740 Es muss deshalb erkennbar werden, dass der Arbeitnehmer nur so lange an der dynamischen Tarifentwicklung teilnehmen soll, wie der Arbeitgeber selbst tarifgebunden ist. Der Gleichstellungszweck muss also explizit in der Klausel zum Ausdruck kommen. Die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers ist zu diesem Zweck als auflösende Bedingung für die Klauseldynamik zu formulieren. Es wird den Unternehmen außerdem vermehrt geraten, sogar einen Schritt weiter zu gehen und für den etwaigen Fall eines Tarifwechsels eine Jeweiligkeitsklausel (Tarifwechselklausel) zu vereinbaren.741 Die Klauselgestaltung ist schwierig, muss sie doch die Balance zwischen Rechtssicherheit und Transparenz finden. Sofern die Arbeitgeber ihre Klauseln entsprechend eindeutig formulieren, käme selbst eine wortlautgetreue Auslegung zu einer Interpretation als Gleichstellungsabrede und die Rechtsunsicherheiten einer ergänzenden Vertragsauslegung würden vermieden. „Amerikanische“ Verhältnisse im Sinne von seitenlangen Klauseln sollten weitestmöglich vermieden werden. Vorschläge zur zukünftigen Vertragsgestaltung finden sich in Teil 3, Abschnitt B.742 Besonders schwierig wird die Situation hinsichtlich der bereits bestehenden Arbeitsverhältnisse, die ab dem 1.1.2002 geschlossen wurden. Hier muss es dem Arbeitgeber gelingen, nachträglich eine Änderung der Vertragsbedingungen und der Formulierung der Bezugnahmeklausel bei allen Arbeitnehmern durchzusetzen. Die insofern in Betracht kommenden Harmonisierungsinstrumente werden in Teil 3, Abschnitt A. näher dargestellt und auf ihre praktische Tauglichkeit überprüft.743
738
s. hierzu sogleich D.V., D.VI., ab S. 170. s. u. Teil 2, A.–E., ab S. 198. 740 Röller/Wißmann, FS Küttner, S. 465 (470). 741 Betz-Rehm, F.A.Z. vom 4.1.2006, S. 19; so auch Bauer/Haußmann, DB 2005, 2815 (2815); vgl. auch Henssler, FS Wißmann, S. 133 (155). 742 s. u. ab S. 426. 743 s. u. ab S. 381. 739
D. Auslegung von Bezugnahmeklauseln
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IV. Vertrauensschutz Bei der (für die arbeitsrechtliche Praxis unerwarteten) Abwendung des BAG von seiner bisherigen Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede ist umstritten, ob und wenn ja inwieweit der Rechtsprechungsänderung ein Vertrauensschutz der Arbeitgeber entgegensteht.744 Immerhin datiert die erste Entscheidung, in der sich das Gericht näher mit dem Phänomen vertraglicher Bezugnahmeklauseln auseinandersetzte, aus dem Jahre 1955745 und wird als erster Rechtsprechungsbeleg für das bisher vorherrschende Verständnis als Gleichstellungsabrede angeführt, auch wenn die Gleichstellungsabrede im Urteil keine Erwähnung findet.746 Die Entwicklung der Interpretation als Gleichstellungsabrede ist – soweit ersichtlich – aber zumindest in der Entscheidung des BAG vom 14.2.1973747 zu sehen, der zahlreiche Entscheidungen748 folgten, so dass in jedem Fall eine jahrzehntelange gefestigte Rechtsprechung vorliegt. 744 Grds. bejahend u. a. Hanau, NZA 2005, 489 (494); ders., RdA 2007, 180 (182); Spielberger, NZA 2007, 1086 (1087 f.); Zerres, NJW 2006, 3533 (3535); Simon/Kock/Halbsguth, BB 2006, 2354 (2355); Löwisch/Feldmann, EzA Nr. 32 zu § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; Weller, Anm. zu BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, EWiR 2006, 389 (390); Clemenz, NZA 2007, 769 (773); Simon/Weninger, BB 2007, 2127 (2128); Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 82 f.; Gaul/Naumann, DB 2007, 2594 (2596); Höpfner, NZA 2008, 91 (93 ff.); Meinel/ Herms, DB 2006, 1429 (1431). A. A. Klebeck, NZA 2006, 15 (15); Annuß, ZfA 2005, 405 (429); Röller/Wißmann, FS Küttner, S. 465 (475); Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 233. 745 BAG v. 6.4.1955 – 1 AZR 365/54, AP Nr. 7 zu Art. 3 GG. 746 Vgl. die Hinweise in BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 (636); Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (196). 747 BAG v. 14.2.1973 – 4 AZR 176/72, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung. Es handelte sich um die Klage eines Angestellten des öffentlichen Dienstes, dessen Arbeitsvertrag auf den BAT verwies. Das BAG kam zu dem Schluss, dass der BAT jeweils so anzuwenden sei, wie er tarifrechtlich wirksam sei. Die Klausel solle „lediglich einzelvertraglich widerspiegeln, was ansonsten tarifrechtlich jeweils gilt“. Die Interpretation als Gleichstellungsabrede findet ihren Ursprung somit in der Sondersituation des öffentlichen Dienstes. Ausgangspunkt ihrer Ausweitung auf den privaten Bereich war das Urteil des BAG v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz. 748 U.a. BAG v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; BAG 4.6.1996 – 4 AZR 135/95, NZA 1997, 271 ff.; BAG v. 4.8.1999 – 5 AZR 642/98, DB 1999, 2474 ff.; BAG v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99, NZA 2001, 510 ff.; BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 ff.; BAG v. 27.11.2002 – 4 AZR 661/01, AP Nr. 28 zu § 1 TVG – Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 ff.; BAG v. 19.3.2003 – 4 AZR 331/02, NZA 2003, 1207 ff.; BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 ff.; BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 765/06, AuR 2008, 181 ff. und 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364 ff.
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
1. Grundsätzliches Erfordernis eines Vertrauensschutzes Zunächst stellt sich die grundsätzliche Frage, ob es im Falle der Änderung der Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede eines Vertrauensschutzes für die Arbeitgeber bedarf. Dies wirft generelle Bedenken dahingehend auf, ob es überhaupt ein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand einer Rechtsprechung geben kann. a) Vertrauensschutz bei Änderung der Rechtsprechung Gerichtsentscheidungen sind kein Gesetzesrecht und führen auch im Falle eines Richtungswechsels nicht zu einer Änderung der Rechtslage, sondern stellen sie „lediglich aufgrund eines – prinzipiell irrtumsanfälligen – Erkenntnisprozesses für den konkreten Fall fest“749. Der Richter verstößt somit durch ein Abweichen von einer früher vertretenen Rechtsansicht grundsätzlich nicht gegen das Rechtsstaatsgebot in Art. 20 Abs. 3 GG, da gerichtliche Entscheidungen, die sich auf die Auslegung des Vertragsinhalts beziehen, als Akt wertender Erkenntnis schon ihrer Natur nach auf einen in der Vergangenheit liegenden, noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt einwirken.750 Anders als Gesetzesrecht tritt Richterrecht daher grundsätzlich rückwirkend in Kraft.751 Diese sog. unechte Rückwirkung ist – ebenso wie bei Gesetzen – grundsätzlich rechtlich unbedenklich.752 Die Rechtsprechung hat keine kontinuierliche Entscheidungspraxis, also Rechtsprechungseinheit in der Zeit, zu gewährleisten.753 Eine starre Selbstbindung der Gerichte widerspräche dem öffentlichen Interesse an der Rechtsentwicklung ebenso wie der notwendigen Offenheit für neue Argumente und bessere Erkenntnis.754
749 BVerfG v. 28.9.1992 – 1 BvR 496/87, NZA 1993, 213 (214); nun auch BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (969); BAG v. 13.7.2006 – 6 AZR 198/06, NZA 2007, 25 (29); Meinel/Herms, DB 2006, 1429 (1431); Zerres, NJW 2006, 3533 (3535); Kissel, FS Hromadka, S. 189 (195). 750 BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (969); Zerres, NJW 2006, 3533 (3535); Jacobs/Willemsen, JbArbR, Bd. 45, S. 47 (59). 751 Höpfner, RdA 2006, 156 (157). 752 Vgl. BVerfGE 74, 129 (155); Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 73 ff. m. w. N. I. Erg. ebenso Brecht-Heitzmann/Lewek, ZTR 2007, 127 (132 f.). 753 ErfK-Dieterich, Art. 3 GG Rn. 19. 754 BVerfG v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, NZA 1991, 809 (810 f.); BGH v. 29.2. 1996 – IX ZR 153/95, NJW 1996, 1467 (1469 f.); ErfK-Dieterich, Art. 3 GG Rn. 19.
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Das Bundesverfassungsgericht erkennt jedoch an, dass sich – im Einzelfall – Schranken der Rückwirkung und damit ein Vertrauensschutz aus dem Rechtsstaatsprinzip ergeben können.755 Dies gelte namentlich dann, wenn die Rechtsprechung rechtsfortbildend wirke, also die Aufgabe eines Ersatzgesetzgebers wahrnehme, oder zu irreversiblen Rechtshandlungen und wirtschaftlichen Dispositionen geführt habe.756 Hierbei seien Gesichtspunkte der Zumutbarkeit und des Gemeinwohls, wie z. B. eine übermäßige Kostenbelastung oder die faktische Undurchführbarkeit einer Rückabwicklung, zu berücksichtigen.757 In rechtlich geschützte Positionen werde zumindest dann eingegriffen, wenn die betroffene Partei mit der Fortgeltung der bisherigen Rechtslage rechnen durfte und dieses Vertrauen bei einer Abwägung der gegenläufigen Interessen der Beteiligten sowie der Belange der Allgemeinheit den Vorzug verdient.758 Somit ist bei der Änderung einer gefestigten Rechtsprechung unter gewissen Umständen eine Rücksichtnahme seitens der Gerichte auf entstandenes Vertrauen geboten. b) Vertrauensschutz hinsichtlich der BAG-Rechtsprechungsänderung Es ist jedoch umstritten, ob es im Falle der Abkehr von der Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede eines Vertrauensschutzes der Arbeitgeber bedarf.
755 BVerfG v. 28.9.1992 – 1 BvR 496/87, NZA 1993, 213 (214); BVerfG v. 26.9.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, S. 212 (227); BVerfG v. 19.2.1975 – 1 BvR 418/71, BVerfGE 38, S. 386 (397); BGH v. 18.1.1996 – IX ZR 69/95, DB 1996, 1032 (1033); BAG v. 7.3.1995 – 3 AZR 282/94, NZA 1996, 48 (53); Annuß, ZfA 2005, 405 (429); Höpfner, NZA 2008, 91 (92). Vgl. auch Henssler, FS Wißmann, S. 133 (143) unter Hinweis darauf, dass das BAG in seiner Entscheidung vom 4.9.1996 (4 AZR 135/95, NZA 1997, 271 ff.) die Arbeitsrechtspraxis ausdrücklich ermutigte, weiterhin kleine dynamische Klauseln zu verwenden; Meinel/ Herms, DB 2006, 1429 (1431); Spielberger, NZA 2007, 1086 (1087). 756 BAG v. 20.11.1990 – 3 AZR 573/89, AP Nr. 14 zu § 1 BetrAVG Ablösung; BVerfG v. 14.1.1987 – 1 BvR 1052/79, AP Nr. 11 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen; ErfK-Dieterich, Art. 3 GG Rn. 19. 757 BAG v. 28.7.1992 – 3 AZR 173/92, AP Nr. 18 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung; ErfK-Dieterich, Art. 3 GG Rn. 19. 758 BVerfG v. 16.12.1981 – 1 BvR 898/79, NJW 1983, 103 (107); BGH v. 29.2.1996 – IX ZR 153/95, NJW 1996, 1467 (1470); BAG v. 20.11.1990 – 3 AZR 573/89, NZA 1991, 477 (479); Meinel/Herms, DB 2006, 1429 (1431), unter Hinweis auf BGH v. 18.1.1996 – IX ZR 69/95, DB 1996, 1032 (1033).
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aa) BAG gewährt Vertrauensschutz Das BAG hat einen Vertrauensschutz in seinem Urteil vom 14.12.2005 angekündigt759 und in seinem Urteil vom 18.4.2007 auch gewährt. Als Begründung wird angeführt, dass die Auslegung von Bezugnahmeklauseln als Gleichstellungsabrede für die Praxis Rechtssatzcharakter hatte. In seinem Urteil vom 14.12.2005 hob das BAG selbst hervor, dass es die Auslegungsregel zur Gleichstellungsabrede in jahrelanger Rechtsprechung entwickelt und durch in der Amtlichen Sammlung des Gerichts veröffentlichte Urteile immer wieder bestätigt habe.760 Der Vorsitzende des Vierten Senats Bepler761 hatte zuvor schon betont, der Senat habe seine Rechtsprechung „mehrfach deutlich und durch in der Amtlichen Sammlung veröffentlichte Entscheidungen, also gewissermaßen mit Ausrufezeichen versehen, wiederholt“.
Die Instanzgerichte hätten diese Rechtsprechung ebenso wie die beratende und forensische Praxis von Anwälten und Verbänden verbreitet als gefestigt angesehen.762 Aufgrund dessen hätten die Arbeitgeber in der Regel keine Versuche unternommen, einen angestrebten Gleichstellungszweck klar im Vertrag zu verankern.763 Art. 229 § 5 S. 2 EGBGB stehe dem nicht entgegen: Hiernach war die Unklarheitenregel zwar ab dem 1.1.2003 auch für vor dem 1.1.2002 abgeschlossene Arbeitsverhältnisse anwendbar.764 Die Unklarheitenregel habe jedoch bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung gegolten und die Anerkennung der Gleichstellungsabrede nicht verhindert.765 Eine Anwendung des Art. 229 § 5 S. 2 EGBGB im Sinne einer zeitlich begrenzten Klarstellungsmöglichkeit der Arbeitgeber durch einzelvertragliche Abänderungsangebote habe das Gericht u. a. wegen der dadurch bewirkten Verunsicherung in den Betrieben verworfen.766
759
Zur sog. Annuntiationsrechtsprechung vgl. Kissel, FS Hromadka, S. 189 (196,
200). 760
BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 (2573). Bepler, FS 25 Jahre ARGE ArbR im DAV, S. 791 (805). 762 BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 (2573). 763 BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 (2573); ähnlich BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (971). 764 Vgl. näher BeckOK-Jacobs, § 305 BGB Rn. 8 ff. 765 BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 (2573); BAG v. 19.3.2003 – 4 AZR 331/02, NZA 2003, 1207 (1208 f.). 766 BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 (2573 f.). 761
D. Auslegung von Bezugnahmeklauseln
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bb) Kritische Stimmen im Schrifttum Hiergegen wird im Schrifttum vereinzelt argumentiert, dass die Rechtsprechung des Vierten Senats keinen rechtsfortbildenden und daher vertrauensbegründenden Charakter gehabt, sondern lediglich die Auslegung von Willenserklärungen betroffen habe.767 Des Weiteren wird angeführt, dass die Diskrepanz zwischen Wortlaut und Interpretationsergebnis bei der Gleichstellungsabrede schon immer klar zutage getreten sei, so dass ein schützenswertes Vertrauen in den Fortbestand einer Rechtsprechung, die unklare Vertragsformulierungen ihrem Wortlaut zuwider interpretierte, kaum habe entstehen können.768 Die Unklarheitenregel habe schon immer bestanden.769 Auch sei die Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede umfassender Kritik ausgesetzt gewesen, so dass sich kein anzuerkennendes Vertrauen habe bilden können.770 Zudem handele es sich bei den betroffenen Arbeitgebern um verbandsangehörige und damit fachkundig beratene Arbeitgeber.771 Art. 229 § 5 S. 1 EGBGB treffe eine klare Regelung der Vertrauensschutzproblematik im Hinblick auf die AGB-Kontrolle von Arbeitsverträgen und sei als solche abschließend.772 Der vom Vierten Senat nun praktizierte Vertrauensschutz entspricht nach Ansicht einzelner Stimmen im Schrifttum damit schwerlich den Vorstellungen des Gesetzgebers.773 cc) Schutzwürdiges Vertrauen der Arbeitgeber in bisherige Rechtsprechung Soweit angenommen wird, die bisherige Rechtsprechung des BAG habe lediglich die Auslegung von Willenserklärungen betroffen, werden die Beständigkeit und die Auswirkungen dieser Rechtsprechung auf die Praxis verkannt. De facto kam der Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede der Charakter eines Rechtssatzes zu, sie dominierte über Jahrzehnte die arbeitsrechtliche Vertragspraxis. Die eindeutig auch an die Kautelarjurisprudenz 767 Annuß, ZfA 2005, 405 (429); zustimmend Brecht-Heitzmann/Lewek, ZTR 2007, 127 (132). 768 Röller/Wißmann, FS Küttner, S. 465 (475); Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 233. 769 Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 213. 770 Däubler, NZA Beil. 3/2006, 133 (136) unter Hinweis auf BAG v. 26.4.2006 – 7 AZR 500/04, NZA 2006, 1162, wonach in der Literatur erhobene europarechtliche Bedenken auch nach nationalem Recht keinen Vertrauensschutz in Bezug auf ein förmliches Gesetz, nämlich § 14 Abs. 3 TzBfG, haben hervorrufen können. 771 Röller/Wißmann, FS Küttner, S. 465 (475). 772 Ziemann, jurisPR-ArbR 29/2006 Anm. 1; ebenso Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 213; Brecht-Heitzmann/Lewek, ZTR 2007, 127 (132). 773 Ziemann, jurisPR-ArbR 29/2006 Anm. 1.
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gerichtete Gleichstellungsdogmatik hatte direkten Einfluss auf die Vertragsgestaltung. Von der bloßen „Aufgabe einer Auslegungsregel“, wie das BAG es nun formuliert774, kann daher keine Rede sein. Im Vertrauen auf diesen jahrzehntelang gefestigten Rechtssatz der Auslegung als Gleichstellungsabrede trafen die Arbeitgeber Dispositionen, die nun nach der Rechtsprechungswende nicht mehr rückgängig gemacht werden können.775 Besonders schwer wiegt hierbei, dass nunmehr in der Vergangenheit liegende Sachverhalte an neuen Maßstäben gemessen werden, die im Zeitpunkt des Geschehens noch nicht erkennbar waren.776 Gerade hieraus resultiert das Bedürfnis für Vertrauensschutz. Gegen die Auffassung, ein Vertrauensschutz sei nicht erforderlich, ist ferner einzuwenden, dass die erhebliche Kritik im Schrifttum das zulässigerweise entstandene Vertrauen nicht erschüttern konnte. Es ist ausschließlich Aufgabe der Rechtsprechung, das Gesetzesrecht zu konkretisieren, auszuformen und dem Bürger einen klaren Orientierungsrahmen zu geben.777 Außerdem ist nahezu jede Rechtsprechung Kritik ausgesetzt, so dass man ein schutzwürdiges Vertrauen im Hinblick auf dieses Kriterium kaum jemals zweifelsfrei bejahen könnte.778 Das Kriterium für das ausreichende Maß an Kritik ist unscharf und ein Einfluss nichtstaatlicher, allein auf dem Grundrecht der Meinungsfreiheit beruhender Kritik auf den Bestand eines durch staatliche Stellen geschaffenen Vertrauenstatbestands ist nicht selbstverständlich.779 Es lassen sich zahlreiche Beispiele anführen, in denen der BGH oder das BAG trotz heftigster Kritik über Jahre hinweg an ihrer Rechtsprechung festgehalten haben und dies bis heute tun.780 Trotz einer kontinuierlichen Kritik durch die Literatur ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Auslegung als Gleichstellungsabrede eine gefestigte Rechtsprechung darstellte, die die Vertragsgestaltung der letzten Jahrzehnte maßgeblich beeinflusste. Gerade der Umstand, dass diese Rechtsprechung auch angesichts der umfassenden Kritik aus dem Schrifttum beibehalten wurde, musste die Arbeitgeber in ihrem Vertrauen bestärken. Das Argument, dass die bisherige Rechtsprechung im Widerspruch zum Wortlaut der Klauseln stand und daher keinerlei Vertrauen begründen 774
BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (970). So auch BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (971). 776 Höpfner, RdA 2006, 156 (157), spricht in diesen Konstellationen von einem „Schicksalsschlag“ für die Beteiligten. 777 Meinel/Herms, DB 2006, 1429 (1431). 778 Spielberger, NZA 2007, 1086 (1087); Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 211. Ähnlich Schiefer, SAE 2008, 22 (24). 779 Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 211; Höpfner, RdA 2006, 156 (160). 780 Höpfner, NZA 2008, 91 (92). 775
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konnte, überzeugt nicht. Die dogmatische Stichhaltigkeit der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist keine Voraussetzung für das Vertrauen der Bürger in ihren Bestand. Erschwerend im Vergleich zu Vertrauenstatbeständen in Bezug auf Gesetze kommt hinzu, dass die Gleichstellungsabrede die Auslegung einer Vertragsklausel darstellt, deren Formulierung und Inhalt durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geprägt ist.781 Insgesamt besteht deshalb dem Grunde nach ein schutzwürdiges Vertrauen der Arbeitgeber in die Beibehaltung der bisherigen Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede. 2. Zulässige zeitliche Begrenzung des Vertrauensschutzes? Bejaht man somit das grundsätzliche Erfordernis eines Vertrauensschutzes, ergibt sich im Anschluss die Diskussion, ob das BAG den nunmehr gewährten Vertrauensschutz zulässigerweise auf den Stichtag des 1.1.2002 beschränken durfte. a) Stichtagsregelung des BAG Das BAG begründet seine Stichtagsregelung damit, dass die Schuldrechtsmodernisierung die AGB-Kontrolle für Arbeitsverträge mit Wirkung zum 1.1.2002 ausdrücklich gesetzlich angeordnet habe. Dies sei ein Einschnitt gewesen, der die Auslegung Allgemeiner (Arbeits-)Vertragsbedingungen auf ein neues Fundament gestellt und die Gewichtung der beiderseitigen Interessen der Arbeitsvertragsparteien verändert habe.782 Seit dieser Zeit könne von Arbeitgebern verlangt werden, dass sie in Bezugnahmeklauseln das von ihnen Gewollte hinreichend klar formulierten.783 b) Ablehnung der Stichtagsregelung im Schrifttum Diese zeitliche Begrenzung des Vertrauensschutzes auf den 1.1.2002 wird im Schrifttum überwiegend abgelehnt; richtiger Stichtag solle vielmehr der Tag der Veröffentlichung des Urteils vom 14.12.2005 sein.784 Hierbei wird 781
Ziemann, jurisPR-ArbR 29/2006, Anm. 1. BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (971). 783 BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 (2573); BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (971 f.). 784 Hanau, RdA 2007, 180 (182); Spielberger, NZA 2007, 1086 (1087 f.); Zerres, NJW 2006, 3533 (3535); Simon/Kock/Halbsguth, BB 2006, 2354 (2355); Löwisch/ Feldmann, EzA Nr. 32 zu § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; Weller, Anm. zu BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, EWiR 2006, 389 (390); Clemenz, NZA 2007, 782
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angeführt, dass nahezu identische Grundsätze, wie sie jetzt im Rahmen der AGB-Kontrolle nach der Schuldrechtsmodernisierung gelten, aufgrund Richterrechts schon vor dem 1.1.2002 zur Kontrolle von Formulararbeitsverträgen herangezogen wurden.785 Das BAG habe sich schon früher intensiv mit der Unklarheitenregel auseinandergesetzt und darin kein Hindernis gesehen, entsprechende Bezugnahmeklauseln als Gleichstellungsabrede auszulegen. Es habe diese Auslegungsregel auch nach der Schulrechtsmodernisierung mehrfach bekräftigt.786 Wenn der Vierte Senat am 19.3.2003787 noch formuliert habe, die Unklarheitenregel stehe einer Auslegung als Bezugnahmeklausel auch dann nicht entgegen, wenn dem Arbeitnehmer die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers unbekannt war, sei es erklärungsbedürftig, warum Arbeitgeber und Berater schon 15 Monate zuvor hätten erkennen müssen, dass diese Ansicht keinen Bestand haben würde.788 Die Unterscheidung zwischen Alt- und Neuverträgen widerspricht nach der Ansicht im Schrifttum auch dem bisherigen Gleichstellungszweck.789 Wenn zwar neu eingestellte Arbeitnehmer von der Tarifdynamik profitierten, nicht aber Personen, die schon seit Jahren im Betrieb beschäftigt seien, gerate dies mit dem Prinzip innerbetrieblicher Gerechtigkeit in Konflikt. Die als Gleichstellungsabrede ausgelegte Verweisungsklausel würde zu einer „Ungleichstellungsabrede“.790 Schließlich treffe die Ankündigung vier Jahre nach Inkrafttreten der Schuldrechtsreform die Arbeitsvertragsparteien nun unvorbereitet. Da es für die Arbeitgeber praktisch nicht mehr möglich sei, nachträglich einvernehmliche Änderungen mit den Arbeitnehmern herbeizuführen, habe das BAG hier faktisch einen nicht revisiblen Vertrauenstatbestand geschaffen, 769 (773); Simon/Weninger, BB 2007, 2127 (2128); Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 82 f.; Gaul/Naumann, DB 2007, 2594 (2596); Höpfner, NZA 2008, 91 (93 ff.); Bayreuther, Anm. zu BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, AP Nr. 53 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; Hunold, NZA-RR 2008, 449 (451). 785 Meinel/Herms, DB 2006, 1429 (1431); Höpfner, NZA 2008, 91 (93). 786 Meinel/Herms, DB 2006, 1429 (1431); Löwisch/Feldmann, EzA Nr. 32 zu § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; Clemenz, NZA 2007, 769 (773); Spielberger, NZA 2007, 1086 (1087); Zerres, NJW 2006, 3533 (3535 f.) unter Hinweis auf BAG v. 4.8.1999 – 5 AZR 642/98, DB 1999, 2474 (2475); BAG v. 19.3.2003 – 4 AZR 331/02, NZA 2003, 1207 ff.; BAG v. 24.11.2004 – 10 AZR 202/04, AP Nr. 70 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG v. 26.1.2005 – 10 AZR 331/04, NZA-RR 2005, 389. 787 BAG v. 19.3.2003 – 4 AZR 331/02, NZA 2003, 1207 (1208 f.). Vgl. bereits o. S. 147. 788 WHSS-Hohenstatt, E Rn. 195; ähnlich Giesen, NZA 2006, 625 (628 f.); Meinel/Herms, DB 2006, 1429 (1430 f.); Schiefer, SAE 2008, 22 (26). 789 Brecht-Heitzmann/Lewek, ZTR 2007, 127 (131 f.). 790 Brecht-Heitzmann/Lewek, ZTR 2007, 127 (132). Vgl. u. S. 353.
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der dazu führe, dass eine Rückwirkung auf ab dem 1.1.2002 abgeschlossene Arbeitsverträge unzulässig sei; Stichtag müsse vielmehr der 14.12. 2005 sein.791 c) 14.12.2005 als zutreffender Zeitpunkt Das BAG geht davon aus, dass mit Inkrafttreten der Schuldrechtsreform die Arbeitgeber darauf hätten vorbereitet gewesen sein müssen, dass § 305c Abs. 2 BGB nunmehr auch im Arbeitsverhältnis gilt, so dass sie ab dem 1.1.2002 kein schutzwürdiges Vertrauen in die Auslegungsregel der Gleichstellungsabrede mehr hatten. Wenn die Gegenansicht im Schrifttum hingegen argumentiert, das BAG habe seine bisherige Rechtsprechung noch 2003 auch vor dem Hintergrund der Geltung der Unklarheitenregel fortgeführt, geht sie davon aus, dass das Vertrauen der Arbeitgeber über den 1.1.2002 hinaus – auch in Kenntnis des Gesetzes – schutzbedürftig war. Zwar spricht für die Ansicht des BAG, dass die Unklarheitenregel zum 1.1.2002 Bestandteil des BGB wurde. Jedoch wandte das BAG selbst die Norm des § 305c Abs. 2 BGB bis zu seinem Urteil vom 14.12.2005 nicht bei der Auslegung von Bezugnahmeklausel an bzw. postulierte, dass sie der fortdauernden Auslegung als Gleichstellungsabrede gerade nicht entgegenstehe.792 Das BAG begründet seine Wahl des Stichtages mit dem Eintritt der Schuldrechtsreform, obwohl diese gerade nicht der (direkte) Auslöser für die Änderung der Auslegung von Bezugnahmeklauseln gewesen sein kann. Dies hat das BAG auch selbst in seinem Urteil vom 18.4.2007 festgestellt.793 Den Arbeitgebern wurden damit widersprüchliche Signale gesendet und der Eindruck vermittelt, dass die bisherige Rechtsprechung auch nach der Schuldrechtsmodernisierung Bestand habe; ihr ohnehin bestehendes Vertrauen wurde sogar noch bestärkt. Sie mussten gerade nicht davon ausgehen, dass ab dem Inkrafttreten der Reform eine klarere Formulierung ihrer Bezugnahmeklauseln erforderlich war, sondern konnten darauf vertrauen, dass die bisherigen Formulierungen für eine Auslegung als Gleichstellungsabrede weiterhin ausreichend waren. Erst in seinem Urteil vom 14.12.2005 hat das BAG die „Unverträglichkeit“ der generellen Auslegung von Bezugnahmeklauseln als Gleichstellungsabrede mit der Unklarheitenregel anerkannt; erst mit dieser „vertrauenszerstörenden Ankündigung“794 war das Vertrauen der 791
Zerres, NJW 2006, 3533 (3536); Spielberger, NZA 2007, 1086 (1088). BAG v. 19.3.2003 – 4 AZR 331/02, NZA 2003, 1207 (1208 f.). Vgl. o. S. 147. 793 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (970 f.) – „Rückbesinnung“ auf allgemeine Grundsätze der Vertragsauslegung. 794 Höpfner, NZA 2008, 91 (93). 792
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Arbeitgeber in die bisherige Rechtsprechung erschüttert. Die „Ankündigung“ einer Rechtsprechungsänderung, die den Stichtag vier Jahre in die Vergangenheit zurückverlegt, macht keinen Sinn, da sie keinerlei Zeit zur Vertragsanpassung lässt.795 Der 14.12.2005 wäre somit der zutreffende und gebotene Zeitpunkt für die Gewährung des Vertrauensschutzes gewesen. Der vom BAG gewählte Stichtag des 1.1.2002 ist daher abzulehnen. Nach dem insofern eindeutigen Urteil vom 18.4.2007 wird die Praxis jedoch mit dem Stichtag des 1.1.2002 leben müssen – vorbehaltlich einer etwaigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, sofern es dort zu einem Urteil in dieser Frage kommen sollte. Zur Zeit ist jedoch, soweit ersichtlich, kein Verfahren anhängig.
V. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Rechtsprechungsänderung Der Arbeitgeber wird aufgrund der neuen, für nach dem 31.12.2001 geschlossene Arbeitsverträge geltenden Rechtsprechung kraft der Bezugnahmeklausel mitunter „ewig“ an einen Tarifvertrag gebunden, den er selbst nicht (mehr) mitgliedschaftlich legitimiert. Auch nach Beendigung der normativen Tarifbindung bleibt er de facto aufgrund der nunmehr erfolgenden Wortlautauslegung im Zweifel eventuell dauerhaft und dynamisch an den Tarifvertrag kraft Bezugnahme gebunden. Der Arbeitgeber wird also nach Beendigung der Tarifbindung, in aller Regel gegen seinen Willen, weiterhin – und dies dynamisch – (zumindest mittelbar) der Regelungshoheit der Tarifvertragsparteien unterworfen.796 Die Bezugnahmeklausel wird zur „konstitutiven Ewigkeitsklausel“.797 Aus diesem Grund wird teilweise vertreten, der Arbeitgeber könne seine durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierte negative Koalitionsfreiheit, d.h. das Recht, einer Vereinigung fern zu bleiben, faktisch nicht mehr ausüben.798 Die Arbeitgeber seien nun mitunter – jedenfalls bezogen auf Außenseiter – mit einer zeitlich unbegrenzten Tarifdynamik konfrontiert. Eine unterschiedliche Behandlung des vor dem Jahr 2002 eingestellten Teils der Belegschaft lasse sich in einem Unternehmen nicht durchhalten, so dass sie 795
Ebenso Clemenz, NZA 2007, 769 (773). Möller, NZA 2006, 579 (583). 797 s. die Formulierung bei Henssler, FS Wißmann, S. 133 (137); ähnlich Klebeck, NZA 2006, 15 (18 f.); Simon/Kock/Halbsguth, BB 2006, 2354 (2355); Möller, NZA 2006, 579 (583); Clemenz, NZA 2007, 769 (772). 798 Möller, NZA 2006, 579 (583); Nicolai/Krois, SAE 2007, 158 (161 f.); s. auch Bayreuther, DB 2007, 166 (167), der daraus die Zulässigkeit einer Änderungskündigung herleitet. 796
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faktisch insgesamt zur dynamischen Anwendung der Tarifverträge auf die gesamte Belegschaft gezwungen seien. Dies stelle einen unverhältnismäßigen Eingriff in die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte negative Koalitionsfreiheit dar.799 1. Regelungsgehalt der Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 3 GG Die Koalitionsfreiheit ist sowohl Individual- als auch Gruppengrundrecht und schützt das einzelne Mitglied ebenso wie die Koalition an sich.800 Art. 9 Abs. 3 GG beinhaltet sowohl positive als auch negative Rechte. a) Positive Koalitionsfreiheit Die Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG umfasst zunächst das Recht, eine Koalition zu gründen, einer bestehenden Koalition beizutreten und Mitglied der Koalition zu bleiben.801 Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG enthält als Betätigungsfreiheit auch das Recht, an der spezifischen Tätigkeit der Koalition in dem Bereich teilzunehmen, der für die Koalition verfassungsrechtlich geschützt ist.802 Erfasst werden also nicht nur die Gründung und der Bestand, sondern auch das anschließende interne Verhalten der Mitglieder, die eine Koalition bilden, nämlich die innere Organisation, die interne Willensbildung und die Geschäftsführung als deren Umsetzung.803 Koalitionsmäßige Betätigung darf nicht zu Nachteilen oder Sanktionen führen.804
799
Meinel/Herms, DB 2006, 1429 (1431). BVerfG v. 18.11.1954 – 1 BvR 629/52, AP Nr. 1 zu Art. 9 GG; BAG v. 2.8.1963 – 1 AZR 9/63, NJW 1963, 2289; v. Münch/Kunig-Löwer, GG, Bd. 1, Art. 9 Rn. 57; v. Mangoldt/Klein/Starck-Kemper, GG, Bd. 1, Art. 9 Abs. 3 Rn. 135 ff.; ErfK-Dieterich, Art. 9 GG Rn. 39; Wiedemann-Wiedemann, Einleitung Rn. 71 ff. mit zahlreichen w. N. 801 BVerfG v. 30.11.1965 – 2 BvR 54/62, NJW 1966, 491 (491); BVerfG v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549 (2549 f.); BVerfG v. 24.2.1999 – 1 BvR 123/93, NZA 1999, 713 (713 f.); Jarass/Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 36; Hromadka/Maschmann, ArbeitsR II, § 12 Rn. 35 ff. 802 BVerfG v. 30.11.1965 – 2 BvR 54/62, NJW 1966, 491; BVerfG v. 23.4.1986 – 2 BvR 487/80, AP Nr. 28 zu Art. 2 GG; BVerf v. 18.11.1954 – 1 BvR 629/52, AP Nr. 1 zu Art. 9 GG; BVerfG v. 26.5.1970 – 2 BvR 664/65, NJW 1970, 1635 (1635); BVerfG v. 17.2.1981 – 2 BvR 384/78, NJW 1981, 1829 (1830). 803 Vgl. v. Mangoldt/Klein/Starck-Kemper, GG, Bd. 1, Art. 9 Abs. 3 Rn. 111. 804 Vgl. ErfK-Dieterich, Art. 9 GG Rn. 30; Beispiele bei Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, S. 193 ff. 800
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b) Negative Koalitionsfreiheit Nach der Rechtsprechung enthält Art. 9 Abs. 3 GG auch einen negativen Schutzgehalt,805 der als notwendige Kehrseite der positiven Koalitionsfreiheit anzusehen ist.806 Art. 9 Abs. 3 GG schützt in seiner negativen Ausgestaltung das Recht, aus einer Koalition auszutreten oder ihr generell fernzubleiben.807 Erfasst sind zum einen der rechtliche Zwang („sozial inadäquater Druck“) zum Verbandseintritt,808 des Weiteren Sachverhalte, in denen ein Arbeitgeber oder Arbeitnehmer zwar einer Koalition fern bleiben oder aus einer Koalition austreten kann, dann aber Nachteile hinzunehmen hat.809 Jedoch ist nicht jede Beeinflussung in der negativen Koalitionsfreiheit bereits ein Verletzungstatbestand. Verlangt wird vielmehr eine bestimmte Intensität des Drucks; ein „gewisser Druck“ ist hinzunehmen.810 Eine unterschiedliche Behandlung von Mitgliedern und Nichtmitgliedern ist daher unschädlich, solange sie nicht mehr als geringfügigen Druck zum Beitritt oder Austritt ausübt.811 Sofern hingegen das Gerechtigkeitsempfinden gröblich verletzt ist, geht das BAG von einem „sozialinadäquaten“ Druck aus, der rechtswidrig und zu missbilligen ist.812 805 BVerfG v. 29.7.1959 – 1 BvR 394/58, NJW 1959, 1675 (1676); BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, NJW 1979, 699 (706); BAG (GS) v. 29.11.1967 – GS 1/67, NJW 1968, 1903; BAG v. 21.1.1987 – 4 AZR 486/87, AP Nr. 46 zu Art. 9 GG. Ebenso Wiedemann-Wiedemann, Einleitung, Rn. 278; Löwisch/Rieble, Einleitung Rn. 16; v. Mangoldt/Klein/Starck-Kemper, GG, Bd. 1, Art. 9 Abs. 3 Rn. 133. A. A. Gamillscheg, Kollektives ArbR I, S. 385 f., der die negative Koalitionsfreiheit in Art. 2 I GG verortet. 806 v. Münch/Kunig-Löwer, GG, Bd. 1, Art. 9 Rn. 79; Wiedemann-Wiedemann, Einleitung, Rn. 278; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 226. 807 BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG; BVerfG v. 14.6.1983 – 2 BvR 488/80, AP Nr. 21 zu § 9 BergmVersSchG NRW; BAG v. 19.9.2007 – 4 AZR 711/06, ZIP 2008, 378 (381); ErfK-Dieterich, Art. 9 GG Rn. 32; Jarass/Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 7; Sachs-Höfling, GG, Art. 9 Rn. 65; Dreier-Bauer, GG, Art. 9 Rn. 81. 808 BVerfG v. 10.9.1991 – 1 BvR 561/89, NZA 1992, 125 (125); BVerfG v. 11.7.2006 – 1 BvL 4/00, NZA 2007, 42; Dreier-Bauer, GG, Art. 9 Rn. 89; Schubert, RdA 2001, 199 (200). 809 HWK-Hergenröder, Art. 9 GG Rn. 66; Sachs-Höfling, GG, Art. 9 Rn. 65. 810 BVerfG v. 19.10.1966 – 1 BvL 24/65, NJW 1966, 2305 (2307); BVerfG v. 11.7.2006 – 1 BvL 4/00, NZA 2007, 42; BAG v. 21.1.1987 – 4 AZR 547/86, AP Nr. 47 zu Art. 9 GG; HWK-Hergenröder, Art. 9 GG Rn. 67; Jarass/Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 45. 811 BVerfG v. 19.10.1966 – 1 BvL 24/65, NJW 1966, 2305 (2307); BVerfG v. 15.7.1980 – 1 BvR 24/74, 439/79, NJW 1981, 215 (215); Sachs-Höfling, GG, Art. 9 Rn. 65; v. Münch/Kunig-Löwer, GG, Bd. 1, Art. 9 Rn. 79. 812 BAG (GS) v. 29.11.1967 – GS 1/67, AP Nr. 13 zu Art. 9 GG; BAG v. 21.1.1987 – 4 AZR 486/86, AP Nr. 46 zu Art. 9 GG.
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2. Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit bei ewiger dynamischer Bindung? Es stellt sich die Frage, ob die Abkehr der Auslegung von Bezugnahmeklauseln als Gleichstellungsabrede und eine hieraus für den Arbeitgeber eventuell resultierende faktische „Ewigkeitsbindung“ an den Tarifvertrag eine Verletzung seiner negativen Koalitionsfreiheit bewirken kann. a) Kein Zwang zum Beitritt zur Koalition Grundsätzlich wird der Arbeitgeber bei einer arbeitsvertraglichen dynamischen Bezugnahme auf einen Tarifvertrag nicht gezwungen, einem Verband (wieder) beizutreten. Auch erleidet er keine unmittelbaren Nachteile daraus, keinem Verband anzugehören. Zum einen wäre er auch als Verbandsmitglied dynamisch gebunden, zum anderen sieht sich aufgrund der typischerweise vorliegenden Bezugnahme auch bei tarifgebundenen Parteien selbst der verbandsangehörige Arbeitgeber kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme „ewig“ gebunden. Ein Koalitionsbeitritt wird also eher entbehrlich, so dass ein Beitrittszwang nicht in Betracht kommt.813 Selbst der Eintritt in den Verband kann die Wirkung der Bezugnahmeklausel nicht modifizieren. Sie stellt vielmehr einen selbständigen Rechtsgrund für die (individualrechtliche) Anwendbarkeit des Tarifvertrages im Arbeitsverhältnis dar. Zwar könnte für die Arbeitgeber ein Anreiz zum Verbandsbeitritt darin bestehen, Einfluss auf die Tarifpolitik nehmen zu können, jedoch ist dieser regelmäßig nicht von solchem Gewicht, dass ein Grundrechtseingriff vorliegt.814 Ein Beitrittsdruck wird sich auch nicht aus dem Inhalt der arbeitsvertraglichen Regelung ergeben, sondern allein aus der Dynamik. Ansonsten müsste man auch bei einer statischen Verweisung eine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit in Betracht ziehen, obwohl der EuGH sie hier „umfassend gewährleistet“ sieht.815 b) Kein Schutz vor Fernwirkungen kollektiver Regelungen Zwar wird der Arbeitgeber nach der geänderten Rechtsprechung, die eine dauerhafte dynamische Inbezugnahme des Tarifvertrages bewirken kann, in813 Vgl. BVerfG v. 24.5.1977 – 2 BvL 11/74, NJW 1977, 2255 (2259); Wiedemann-Wank, TVG, § 5 Rn. 23; Schubert, RdA 2001, 199 (200); Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 221. 814 Ebenso für den Fall der Bezugnahme auf gesetzesdisponierende Tarifverträge Schubert, RdA 2001, 199 (207). 815 EuGH v. 9.3.2006 – Rs. C-499/04, DB 2006, 673 (675); Houben, SAE 2007, 109 (113).
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direkt sowohl in Intensität als auch Dauer mindestens gleichwertig, teilweise sogar stärker als ein Verbandsmitglied (ohne zusätzliche Bezugnahmeklausel) an den Tarifvertrag gebunden. Es muss jedoch bezweifelt werden, ob die Rechtsprechungsänderung mit diesen rechtlichen Folgen für die Arbeitgeber einen Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit darstellt. Die negative Koalitionsfreiheit schützt den Arbeitgeber nämlich nur davor, normativ an Tarifverträge gebunden zu werden,816 also nicht vor jeder Fernwirkung der kollektiven Interessenwahrung durch die Koalitionen,817 soweit davon kein starker Druck zur Koalitionsmitgliedschaft ausgeht.818 In seinem Tariftreuebeschluss vom 11.7.2006819 hat das Bundesverfassungsgericht erneut festgestellt, die negative Koalitionsfreiheit sei nicht allein dadurch betroffen, dass jemand den Vereinbarungen fremder Tarifpartner unterworfen werde. Art. 9 Abs. 3 GG ist damit nicht einschlägig für den Schutz vor fremdbestimmter Normierung, wie er bei der Erstreckung der normativen Wirkung auf Außenseiter durch Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG820 oder durch Rechtsverordnung nach § 1 Abs. 3a AEntG auf einem Rechtsetzungsakt des Staates beruht.821 Gleiches gilt für die Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG,822 die Nachbindung gemäß § 3 Abs. 3 TVG823 sowie die Erstreckung der Tarifwirkungen auf die Außenseiter bei Betriebsund Betriebsverfassungsnormen eines Tarifvertrags (§§ 1, 3 Abs. 2 TVG).824 Auch ist es zulässig, den Außenseiter-Arbeitgeber, der in einem 816 BVerfG v. 14.6.1983 – 2 BvR 488/80, BVerfGE 64, 208; BVerfG v. 11.7.2006 – 1 BvL 4/00, NZA 2007, 42; BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (969); Heinlein, NJW 2008, 321 (326). 817 Hierzu Schubert, RdA 2001, 199 ff. 818 ErfK-Dieterich, Art. 9 GG Rn. 34; Houben, SAE 2007, 109 (113). 819 1 BvL 4/00, NZA 2007, 42 (44) unter Hinweis auf BVerfG v. 14.6.1983 – 2 BvR 488/80, NJW 1984, 1225 (1225). 820 BVerfG v. 15.7.1980 – 1 BvR 24/74, 439/79, NJW 1981, 215 (215); BVerfG v. 3.7.2000 – 1 BvR 945/00, NZA 2000, 947 (948); ErfK-Dieterich, Art. 9 GG Rn. 36. 821 BVerfG v. 24.5.1977 – 2 BvL 11/74, NJW 1977, 2255 (2256); BVerfG v. 15.7.1980 – 1 BvR 24/74, 439/79, NJW 1981, 215 (215); BVerfG v. 18.7.2000 – 1 BvR 948/00, AP Nr. 4 zu § 1 AEntG; ErfK-Dieterich, Art. 9 GG Rn. 36; HWKHergenröder, Art. 9 GG Rn. 70; Schubert, RdA 2001, 199 (199). 822 BVerfG v. 3.7.2000 – 1 BvR 945/00, NZA 2000, 947 (948); BAG v. 13.7.1994 – 4 AZR 555/93, AP Nr. 14 zu § 3 TVG; BAG v. 13.12.1995 – 4 AZR 1062/94, AP Nr. 3 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; Däubler, ZTR 1994, 448 (451); HWK-Hergenröder, Art. 9 GG Rn. 70; ErfK-Dieterich, Art. 9 GG Rn. 35. 823 HWK-Hergenröder, Art. 9 GG Rn. 70. 824 BAG v. 18.8.1987 – 1 ABR 30/86, AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972; BAG v. 26.4.1990 – 1 ABR 84/87, AP Nr. 57 zu Art. 9 GG; HWK-Hergenröder, Art. 9 GG Rn. 70.
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Firmentarifvertrag auf einen Verbandstarifvertrag verweist, in einen Arbeitskampf um einen neuen Verbandstarifvertrag einzubeziehen.825 Ferner ist die Bindung eines Betriebserwerbers an eine gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB statisch in das Arbeitsverhältnis transformierte Tarifnorm, in der im Sinne einer Stufenregelung eine Dynamik angelegt ist, verfassungsgemäß.826 Selbst den Eintritt in die Stellung als Firmentarifvertragspartei aufgrund einer Verschmelzung wird nicht als Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit angesehen, weil die Geltung eines Firmentarifvertrages eine Verbandsmitgliedschaft und damit einen spezifischen koalitionsrechtlichen Status gerade nicht voraussetze.827 In allen diesen Fällen ist Art. 9 Abs. 3 GG nicht verletzt. Diese Wertungen sind bei der Untersuchung der Verfassungsmäßigkeit der geänderten Rechtsprechung und ihrer Rechtsfolgen zu berücksichtigen. Die durch eine dynamische Klausel herbeigeführte „Bindung“ an den Tarifvertrag unterwirft den Arbeitgeber sogar den Entscheidungen der Tarifparteien, auf die er keinen Einfluss hat. Auch dies kann also als Fall der fremdbestimmten Normierung angesehen werden. Im Falle der Bezugnahmeklauseln sind jedoch zwei Einschränkungen hinsichtlich der „Fremdbestimmung“ zu machen: Zum einen führt eine Bezugnahme keine unmittelbare Tarifbindung wie §§ 3 Abs. 3, 4 Abs. 5 oder 5 TVG herbei, sondern bewirkt eine rein individualvertragliche Wirkung des Tarifvertrages.828 Somit ist die „Fernwirkung“ hier schwächer als in den meisten anderen Fällen. Sie besteht nicht auf der – koalitionsfreiheitlich relevanten – tariflichen, sondern lediglich der arbeitsvertraglichen Ebene, und kann daher jederzeit mit individualrechtlichen Mitteln wieder beseitigt werden. Zum anderen beruht in den Fällen der Allgemeinverbindlichkeit, Fortund Nachwirkung die Erstreckung der Tarifgeltung auf Außenseiter auf einer Entscheidung des Gesetzgebers. Im Falle der Bezugnahmeklausel hat sie ebenfalls einen Geltungsgrund: Die privatautonome Willenserklärung des Arbeitgebers (Artt. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG, § 105 S. 1 GewO), der sich zu einer dynamischen Bezugnahme verpflichtete. Insofern liegt bei der Bezugnahme, anders als bei den §§ 3 Abs. 3, 4 Abs. 5, 5 TVG, § 1 Abs. 3a AEntG, keine staatliche Geltungserweiterung des Tarifvertrages vor,829 sondern sogar eine privatautonom vereinbarte. 825 Str., vgl. BAG 18.2.2003 – 1 AZR 142/02, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf sowie u. Teil 2, E.V., ab S. 372. 826 Vgl. BAG v. 19.9.2007 – 4 AZR 711/06, ZIP 2008, 378 (381). 827 BAG v. 4.7.2007 – 4 AZR 491/06, NZA 2008, 307 (311); Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 190 f.; Henssler, ZfA 1998, 517 (532). 828 s. o. B.III.2., ab S. 66. 829 s. hierzu Schubert, RdA 2001, 199 (200).
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So sah es auch das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahre 1986:830 Dort hatte es über eine auf einen Tarifvertrag verweisende Klausel eines Sozialplans zu bestimmen, die das BAG831 als dynamische Klausel ausgelegt hatte. Hiergegen wandte sich der Arbeitgeber mit dem Argument, nach seinem Austritt aus dem Arbeitgeberverband würde die fortwährende Geltung der Tarifnormen gegen seine negative Koalitionsfreiheit verstoßen. Das Bundesverfassungsgericht wies die Klage ab: „Die angegriffene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts führt die Bindung der Beschwerdeführerin an den Tarifvertrag auf den unter ihrer Beteiligung geschlossenen Sozialplan, also nicht auf einen fremden Willen – den der Parteien des Tarifvertrages – zurück. Die negative Koalitionsfreiheit der Beschwerdeführerin wird dadurch nicht betroffen.“832
Auch das BAG hatte im Jahr 2006833 über einen ähnlich gelagerten Fall zu entscheiden. Die Parteien stritten darüber, ob der Arbeitgeber von der Nettovergütung seines Arbeitnehmers einen „Zusatzbeitrag“ für die Zusatzversorgungskasse der bayerischen Gemeinden zurückbehalten durfte. Im Arbeitsvertrag fand sich eine dynamische Bezugnahme auf den BAT vom 23.2.1961. Während § 46 BAT für den Anspruch der Arbeitnehmer auf Versicherung zur zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung unter Eigenbeteiligung ursprünglich auf den VersTV-G verwies, dessen § 7 Abs. 1 die Berechtigung des Arbeitgebers zum Einbehalt des Beitrags des Arbeitnehmers zur Altersversorgung vorsah, soweit der Umlagesatz 5,2% überschritt, wurde der VersTV-G von einem neuen Tarifvertrag (ATV-K) abgelöst, der keinerlei Berechtigung des Arbeitgebers zum Einbehalt vorsah. Das BAG gab der Klage des Arbeitnehmers, der den Arbeitgeber auf Zahlung des einbehaltenen Vergütungsanteils in Anspruch nahm, statt. Es stellte fest, dass keine Rechtsgrundlage für den Einbehalt gegeben sei. Aufgrund der Jeweiligkeitsklausel sei der neue Tarifvertrag anwendbar. Es spiele hierbei keine Rolle, dass der Arbeitgeber nicht tarifgebunden sei. Seine negative Koalitionsfreiheit sei durch eine dynamische Bindung nicht verletzt, weil er „. . . durch die dynamische Verweisung im Arbeitsvertrag privatautonom die tarifvertraglichen Regelungen übernommen [hat].834 830 BVerfG v. 23.4.1986 – 2 BvR 487/80, AP Nr. 28 zu Art. 2 GG. Vgl. hierzu Reinecke, BB 2006, 2637 (2641). 831 BAG v. 22.8.1979 – 5 AZR 1066/77, AP Nr. 3 zu § 611 BGB Deputat. 832 BVerfG v. 23.4.1986 – 2 BvR 487/80, AP Nr. 28 zu Art. 2 GG. 833 BAG v. 30.5.2006 – 3 AZR 273/05, AP Nr. 65 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen. Vgl. hierzu Reinecke, BB 2006, 2637 (2641, Fn. 76). 834 BAG v. 30.5.2006 – 3 AZR 273/05, AP Nr. 65 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen.
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Auch in seinem Urteil vom 18.4.2007835, das die im Urteil vom 14.12.2005 angekündigte Rechtsprechungsänderung umsetzt,836 behandelt das BAG in seinen Urteilsgründen explizit den Einwand der verfassungswidrigen „Ewigkeitsbindung“ und lehnt diesen ab: „. . . die negative Koalitionsfreiheit schützt den Arbeitgeber (. . .) allenfalls davor, normativ an Tarifverträge gebunden zu werden, die von einem Verband geschlossen werden, in dem er nicht Mitglied ist. Die Wirksamkeit der individualvertraglichen Inbezugnahme von Tarifverträgen als Ausdruck privatautonomer Gestaltungsmacht ist dadurch nicht berührt.“837
Die negative Koalitionsfreiheit schützt daher nicht vor einer bloßen Fernwirkung einer kollektiven Regelung, auch wenn diese eventuell „ewig“ andauern kann. Die Bezugnahme eines Tarifvertrages ist privatautonom vereinbart und zudem – anders als die normative Tarifbindung – dispositiv. Ansonsten ließe sich auch nicht erklären, warum nicht tarifgebundene Arbeitgeber bereits seit Jahrzehnten einer „Ewigkeitsbindung“ unterliegen können, da ihnen die Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede nicht zugute kam. c) Privatautonomie trotz Rechtsprechungsänderung gewährleistet Es gibt jedoch Stimmen im Schrifttum, die eine Rechtfertigung durch die Vertragsfreiheit des Arbeitgebers angesichts der Rechtsprechungsänderung ablehnen.838 Sie wenden ein, dass der Arbeitgeber sich zu einer „Ewigkeitsbindung“ an den Tarifvertrag gerade nicht verpflichten wollte. Er habe mit Blick auf die langjährige Rechtsprechung des BAG davon ausgehen dürfen, dass die Bezugnahmedynamik gleichzeitig mit seiner eigenen Tarifbindung ende und ihm daher die vollständige Lösung vom Verband ohne Weiteres möglich sei.839 Außerdem sei nicht von einer vollkommen „freiwilligen“ Entscheidung des Arbeitgebers auszugehen:840 Da ihm die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit bei Vertragsschluss verwehrt sei,841 müsse er die Bezugnahmeklausel zwangsläufig in alle Arbeitsverträge aufnehmen – und zudem nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 NachwG schriftlich niederlegen.842 Somit könne man nicht von einer privatautono835
BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (968 f.). s. bereits o. D.II.4., ab S. 139. 837 BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (969). 838 Möller, NZA 2006, 579 (583); Bayreuther, DB 2007, 166 (167 f.); Meinel/ Herms, DB 2006, 1429 (1430). 839 Bayreuther, DB 2007, 166 (167 f.). 840 Möller, NZA 2006, 579 (583). 841 s. hierzu o. S. 29. 842 s. o. B.II.2.c), ab S. 59. 836
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men Entscheidung als Rechtfertigung des Eingriffs in Art. 9 Abs. 3 GG ausgehen.843 Man muss jedoch bezweifeln, ob die Umstände des Vertragsschlusses einer privatautonomen Entscheidung des Arbeitgebers entgegenstehen. Es ist ein Vergleich mit Fällen vorzunehmen, in denen nach Ansicht des Gesetzgebers eine privatautonome Entscheidung nicht mehr vorliegt. Dies sind z. B. die Situationen der arglistigen Täuschung oder widerrechtlichen Drohung gemäß § 123 BGB, des sittenwidrigen Rechtsgeschäfts oder des Wuchers nach § 138 BGB.844 Der Druck des Arbeitgebers, eine Bezugnahmeklausel zu vereinbaren, müsste in seiner Beeinträchtigung der privatautonomen Entscheidung also demjenigen einer Täuschung, Drohung oder eines sittenwidrigen Rechtsgeschäfts ungefähr gleichkommen. Dafür fehlt es jedoch an einer vergleichbar starken Einwirkung auf die Willensbildung des Arbeitgebers. Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vereinbarte der Arbeitgeber freiverantwortlich und ohne äußeren Druck eine dynamische Bezugnahmeklausel. Die Anforderungen des Nachweisgesetzes als bloße formelle Erfordernisse, deren Missachtung nicht einmal die Wirksamkeit der Vereinbarung beeinflusst, zwingen den Arbeitgeber nicht zum Abschluss der entsprechenden Klausel. Der Nachweis ist erst erforderlich, wenn eine Bezugnahme auf einen Tarifvertrag vereinbart wurde, so dass es schon an der erforderlichen Kausalität für die Entscheidung des Arbeitgebers fehlt. Dass der Arbeitgeber davon ausging, diese Bezugnahmeklausel werde auch in Zukunft aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung als Gleichstellungsabrede ausgelegt und erzeuge somit keine „Ewigkeitsbindung“, begründet eventuell ein schutzwürdiges Vertrauen hinsichtlich der Behandlung von „Altverträgen“ und könnte z. B. als ein Irrtum zur Anfechtung berechtigen oder als Störung der Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 BGB für eine Vertragsanpassung relevant werden, was an späterer Stelle zu diskutieren ist.845 Die subjektive Vorstellung des Arbeitgebers ändert jedoch nichts daran, dass er eine privatautonome Entscheidung fällte. Entscheidend für die Privatautonomie der Entscheidung spricht des Weiteren, dass der Arbeitgeber mehrere Alternativen zur Vereinbarung der Bezugnahmeklausel mit allen Arbeitnehmern hatte. Er hätte in Kauf nehmen können, dass einige seiner Arbeitnehmer mit hoher Wahrscheinlichkeit Gewerkschaftsmitglieder sind, somit für sie andere Arbeitsbedingungen gelten könnten, und dann nach Vertragsschluss – zulässigerweise846 – nach der 843
Möller, NZA 2006, 579 (583). Vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, § 138 Rn. 1; Palandt-Heinrichs/Ellenberger, BGB, § 123 Rn. 1. 845 s. u. Teil 3, A., ab S. 381. 844
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Gewerkschaftsangehörigkeit fragen können. Stattdessen hätte er auch abwarten können, bis sich die Gewerkschaftsmitglieder ihm gegenüber auf den Tarifvertrag berufen. Insofern hatte der Arbeitgeber verschiedene Handlungsoptionen zur Verfügung. Dass er sich für eine dynamische Bezugnahmeklausel in den Arbeitsverträgen entschied, stellt gerade eine freiwillige und privatautonome Entscheidung dar, so dass eine Verletzung seiner negativen Koalitionsfreiheit verneint werden muss. d) Zwischenergebnis Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Rechtsprechungsänderung greifen nicht durch. Zwar kann nach der neuen Rechtsprechung eine dynamische „Ewigkeitsbindung“ des Arbeitgebers eintreten. Ein Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit des Arbeitgebers liegt jedoch nicht vor, da es sich um eine bloße Fernwirkung einer kollektivrechtlichen Regelung handelt, die der Arbeitgeber aufgrund seiner privatautonomen Entscheidung selbst herbeigeführt hat. Dass sich seine subjektive Vorstellung, es bleibe bei der Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede, nunmehr als falsch erweist, wirft Fragen des Vertrauensschutzes und nach Instrumenten der Harmonisierung der Arbeitsbedingungen auf, führt aber nicht zu einer Grundrechtsverletzung des Arbeitgebers. Die Rechtsprechungsänderung ist daher verfassungsgemäß.
VI. Auswirkungen des Werhof-Urteils des Europäischen Gerichtshofs Das Thema arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln hat in der letzten Zeit nicht nur deutsche Gerichte beschäftigt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied Anfang 2006 die Rechtssache Hans Werhof gegen Freeway Traffic Systems GmbH & Co. KG (Rs. C-499/04)847, bei der es um die europarechtlichen Vorgaben bei der Auslegung einer Bezugnahmeklausel angesichts eines Betriebsübergangs ging. 1. Entscheidung des EuGH Kläger war der deutsche Arbeitnehmer Hans Werhof. Er war zunächst bei der tarifgebundenen D. AG beschäftigt. Die D. AG hatte mit dem nicht tarifgebundenen Kläger im Jahre 1985 vereinbart, dass auf sein Arbeitsver846 H.M., vgl. HWK-Thüsing, § 123 BGB Rn. 14; Staudinger-Richardi, § 611 BGB Rn. 150; Reichold, RdA 2006, 321 (327). 847 EuGH v. 9.3.2006 – Rs C-499/04, DB 2006, 673 ff.
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hältnis die einschlägigen Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung Anwendung finden sollten. 1999 ging der Betriebsteil, in dem der Kläger beschäftigt war, auf die nicht tarifgebundene Freeway Traffic Systems GmbH & Co. KG über. Im Mai 2002 beschlossen die Tarifvertragsparteien, dass der Tariflohn um 2,6% erhöht werden und die Arbeitnehmer ab dem 1.6.2003 weitere Zusatzzahlungen erhalten sollten. Die Erwerberin weigerte sich, diese Tariflohnerhöhung an den Kläger weiterzugeben. Die hiergegen gerichtete Klage hatte vor dem ArbG Wuppertal keinen Erfolg. Das ArbG begründete seine Entscheidung damit, dass in einem Tarifvertrag geregelte Rechte nach einem Betriebsübergang auf einen nicht tarifgebundenen Erwerber gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB lediglich statisch Inhalt des Arbeitsverhältnisses würden. Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers setzte das LAG Düsseldorf das Verfahren aus und legte dem EuGH die Frage vor, ob § 613a Abs. 1 S. 1 BGB in dieser Auslegung mit dem EURecht, in diesem Falle Art. 3 Abs. 1 RL 77/187/EWG, vereinbar sei.848 Die Bezugnahmeklausel war als kleine dynamische Klausel ausgestaltet. Grundsätzlich fände somit nach neuer Rechtsprechung eine dynamische Verweisung auf den in Bezug genommenen Tarifvertrag in seiner jeweiligen Fassung statt. Aufgrund des Datums des Arbeitsvertragsschlusses wurde die Klausel jedoch als Gleichstellungsabrede ausgelegt. Der EuGH hat festgestellt, dass Art. 3 Abs. 1 der Betriebsübergangsrichtlinie 77/187/EWG einer Auslegung der dynamischen Verweisungsklausel als Gleichstellungsabrede nicht entgegenstehe, die bisherige Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede also richtlinienkonform sei.849 Hinsichtlich einer dynamischen Auslegung seien – mit Rücksicht auf die negative Vereinigungsfreiheit des Erwerbers – hingegen Zweifel angebracht. Der EuGH argumentierte, dass eine Klausel, die auf einen Kollektivvertrag verweist, keine weitergehende Bedeutung haben könne als dieser Kollektivvertrag. Zudem ergebe sich aus der Richtlinie nicht, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber den Erwerber durch andere Kollektivverträge als die zum Zeitpunkt des Übergangs geltenden binden und ihn demnach verpflichten wollte, die Arbeitsbedingungen später durch die Anwendung eines neuen, nach dem Übergang geschlossenen Kollektivvertrags zu ändern. Dies entspreche dem Ziel der Richtlinie, die am Tag des Übergangs bestehenden Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer zu wahren. Hingegen bezwecke die Richtlinie nicht, bloße Erwartungen und somit „hypothetische Vergünstigungen“ zu schützen, die sich aus zukünftigen Entwicklungen der Kollektivverträge ergeben könnten. 848 849
LAG Düsseldorf v. 8.10.2004 – 9 Sa 817/04, NZA-RR 2005, 148. EuGH v. 9.3.2006 – Rs. C-499/04, DB 2006, 673 (674).
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Würde eine dynamische Auslegung der in Frage stehenden Verweisung vorgenommen, gälten künftige Kollektivverträge für den Erwerber, der an den Kollektivvertrag nicht gebunden sei. Dies könnte sein Grundrecht der negativen Vereinigungsfreiheit beeinträchtigen.850 Diese Freiheit gehöre zu den Grundrechten, die nach ständiger Rechtsprechung des EuGH in der Gemeinschaftsrechtsordnung geschützt würden, worauf Art. 6 Abs. 2 EUV hinweise. Die statische Auslegung hingegen gewährleiste dieses Grundrecht umfassend. 2. Meinungsstand über die Auswirkungen der EuGH-Entscheidung Aufgrund dieser Urteilsbegründung ist über die Auswirkungen der Werhof-Entscheidung im Schrifttum eine lebhafte Diskussion entstanden, ob das EuGH-Urteil der Änderung der BAG-Rechtsprechung entgegensteht. a) Europarechtskonformität der BAG-Rechtsprechungsänderung Die überwiegende Meinung im Schrifttum851 ist der Ansicht, dass eine Auslegung entsprechend dem Wortlaut, d.h. unter Umständen auch dauerhaft dynamisch, vor dem Hintergrund dieses EuGH-Urteils europarechtlich weiterhin zulässig sei. Dem Tenor des Urteils könne eine Unzulässigkeit einer dynamischen Tarifbindung aufgrund einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel nicht entnommen werden.852 Die Bindung an den Tarifvertrag sei nicht Frucht der Vereinigungsfreiheit, sondern der Vertragsfreiheit. Deswegen könne sie die negative Vereinigungsfreiheit auch nicht in Frage stellen.853 Der Erwerber werde über § 613a Abs. 1 S. 1 BGB gezwungen, den Arbeitnehmer an der künftigen Tarifentwicklung teilhaben zu lassen, weil man die Weitergeltung der Dynamik nach Fortfall der Tarifbindung des Arbeitgebers als Teil des zwischen dem Veräußerer und dem Arbeitnehmer geschlossenen Vertrages ansehe. Zwar sei der Erwerber an diesem Vertrag nicht beteiligt. Der Gesetzgeber habe aber mit § 613a Abs. 1 S. 1 BGB in 850
EuGH v. 9.3.2006 – Rs. C-499/04, DB 2006, 673 (674). Thüsing, NZA 2006, 473 (474 f.); Reinecke, BB 2006, 2637 (2641); Buschmann, AuR 2006, 204 (204 f.); Brecht-Heitzmann/Lewek, ZTR 2007, 127 (131); Houben, SAE 2007, 109 (110 ff.); Hanau, RdA 2007, 180 (181 f.); Bayreuther, Anm. zu BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, AP Nr. 53 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag. 852 Hanau, RdA 2007, 180 (181); Heinlein, NJW 2008, 321 (323). 853 Thüsing, NZA 2006, 473 (474); Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458 (461). 851
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europarechts- und verfassungskonformer Weise die Fortgeltung von zwischen Veräußerer und Arbeitnehmer vereinbarten Abreden auch gegenüber dem Erwerber angeordnet. Wenn nun eine dieser Abreden eine Unterwerfung unter die zukünftigen Vereinbarungen der Tarifvertragsparteien enthalte, bestehe kein Grund, dies anders zu beurteilen als den Übergang der sonstigen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis.854 Die Abrede über die Dynamik müsse vielmehr genau wie jede andere Klausel im Arbeitsvertrag dem Erwerber gegenüber wirksam sein. Der Erwerber werde keiner direkten Tarifbindung unterworfen. Vielmehr handele es sich bei der Geltung tariflicher Bestimmungen um eine Situation, die der potenzielle Käufer eines Unternehmens vorfinde und im Rahmen seiner Prüfung des Kaufobjekts entsprechend evaluiere, und das Ergebnis dieser Prüfung in den Vertragsverhandlungen berücksichtige.855 Die negative Vereinigungsfreiheit könne, selbst wenn man sie weit verstehe, die privatautonome Entscheidung zur Bindung nicht negieren.856 Zumindest sei eine Beeinträchtigung der Vereinigungsfreiheit unter den gleichen Gesichtspunkten zu rechtfertigen wie die übrigen Grundrechtsbeschränkungen, die § 613a Abs. 1 S. 1 BGB für den Erwerber mit sich bringe.857 Des Weiteren gebe es keine europarechtskonforme Auslegung von Willenserklärungen. Deswegen könne der EuGH die nationalen Gerichte hinsichtlich der besagten Auslegungsfrage ohnehin nicht binden.858 Auch das BAG selbst hat seinem Urteil vom 18.4.2007 eine Europarechtswidrigkeit abgelehnt: „Die Auslegung der Verweisungsklausel allein hat keine europarechtlichen Bezüge.“859
Eine ähnliche Aussage lässt sich auch einem neueren BAG-Urteil vom 19.9.2007 entnehmen.860 In seinen Urteilen vom 29.8.2007 heißt es, der EuGH habe in der Werhof-Entscheidung nur deutlich gemacht, dass es um die Freiheit des Erwerbers von 854 Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458 (461); Houben, SAE 2007, 109 (110); Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 198. 855 Melot de Beauregard, NJW 2006, 2522 (2524). 856 Thüsing, NZA 2006, 473 (474); Houben, SAE 2007, 109 (113). 857 Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458 (461). 858 Thüsing, NZA 2006, 473 (475). 859 BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (969). 860 4 AZR 711/06, ZIP 2008, 378 (381): „Anders als bei der Implementierung einer kollektiv-rechtlichen Norm in das Arbeitsverhältnis auf dem Wege über eine einzelvertragliche Verweisungsklausel weist die hier vorliegende Konstellation (. . .) europarechtliche Bezüge auf, weil es um eine kollektiv-rechtlich begründete Geltung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen im Arbeitsverhältnis (. . .) geht.“
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„Bindungen an künftige Kollektivverträge (. . .) bzw. an nach dem Zeitpunkt des Unternehmensübergangs geschlossene Kollektivverträge (. . .) bzw. an Kollektivverträge, die dem zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs nachfolgen (. . .)“
gehe.861 Die Klägerin des streitgegenständlichen Falls nehme die Beklagte indessen aus einem Tarifvertrag in Anspruch, der bereits vor dem Betriebsübergang vereinbart worden sei. Aus diesem Grunde sei keine Vorlage an den EuGH erforderlich. Das BAG geht somit wohl ebenfalls von einer Europarechtskonformität der bisherigen Rechtsprechung aus.862 b) Europarechtswidrigkeit der BAG-Rechtsprechungsänderung Die Gegenansicht geht hingegen davon aus, dass die Werhof-Entscheidung mit der geänderten BAG-Rechtsprechung kollidiert. Sie entnimmt dem Urteil nicht lediglich die Billigung der Gleichstellungsabreden-Rechtsprechung, sondern legt es so aus, dass es diese sogar verlange.863 Diese Ansicht versteht die Ausführungen des EuGH dahingehend, dass eine dynamische Weitergeltung von Tarifverträgen bei einem nicht oder anderweitig tarifgebundenen Erwerber bzw. eine entsprechende Auslegung des Art. 3 Abs. 1 der RL 77/187 gemeinschaftsrechtliche Grenzen überschreiten würde. Dass es sich um die Auslegung rein vertraglicher Vereinbarungen handele, überzeugt die Vertreter dieser Auffassung nicht. Vielmehr gehe es um die Frage der Auslegung des § 613a BGB, der die Betriebsübergangsrichtlinie umgesetzt habe.864 Spätestens seit der Mangold-Entscheidung865 des EuGH sei bekannt, dass die Grundrechte des europäischen Primärrechts und damit auch die negative Vereinigungsfreiheit unmittelbar im Rechtsstreit zwischen 861 BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 765/06, AuR 2008, 181 (183) und 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364 (368). Vgl. auch die ähnlichen Äußerungen des Vierten Senats in der Parallelentscheidung vom 4.6.2008 – 4 AZR 308/07, n. v.: „Es ist mit Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23/EG vereinbar, dass der zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs auf Grund einer einzelvertraglichen Vereinbarung geltende Lohntarifvertrag auch dann beim Betriebsübernehmer Anwendung findet, wenn beim Betriebsübernehmer ein anderer Tarifvertrag auf Grund Allgemeinverbindlichkeit gilt.“ 862 Der Erste Senat hat diese Frage jedoch in seinem Urteil vom 6.11.2007 – 1 AZR 862/06, NZA 2008, 542 (543 f.) explizit offengelassen. 863 Nicolai, DB 2006, 670 (671 f.); Simon/Kock/Halbsguth, Anm. zu EuGH v. 9.3.2006 – Rs. C-499/04, ZIP 2006, 723 (726); Simon/Weninger, BB 2007, 2127 (2128); Meinel/Herms, DB 2006, 1429 (1430); ähnlich Nicolai/Krois, SAE 2007, 158 (161 f.); Spielberger, NZA 2007, 1086 (1089); Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 223 ff.; ähnlich Schiefer, SAE 2008, 22 (25). 864 Meinel/Herms, DB 2006, 1429 (1430); Löwisch/Feldmann, EzA Nr. 32 zu § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 224. 865 EuGH v. 22.11.2005 – Rs. C-144/04, DB 2005, 2638 ff. (Mangold).
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Privaten Geltung beanspruchten.866 Die Anerkennung der negativen Vereinigungsfreiheit als ein von der Gemeinschaftsrechtsordnung geschütztes Grundrecht habe nämlich zur Folge, dass dieses Grundrecht nunmehr als sog. Primärrecht nicht nur unmittelbar im nationalen Recht anzuwenden sei, sondern dass es – ebenso wie andere Grundrechte – zugleich horizontale Wirkung habe und somit auch auf die Rechtsbeziehungen zweier Privater Einfluss nehmen könne.867 Damit sei die Auslegung von Bezugnahmeklauseln, soweit es um ihre Wirkungen im Rahmen eines Betriebsübergangs gehe, daran zu messen, ob sie dem dem Erwerber zustehenden Grundrecht der negativen Vereinigungsfreiheit hinreichend Rechnung trage.868 Diesem Grundrecht werde einzig die bisherige Auslegung der dynamischen Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede gerecht.869 Einer dauerhaften Bindung des Erwerbers an fremde Kollektivverträge fehle es an einer Rechtfertigung. Dies gelte umso mehr, wenn die Bindung an den Tarifvertrag nicht durch Rechtsgeschäft, sondern aufgrund der gesetzlichen Wirkungen des § 613a BGB eintrete.870 Eine Bezugnahme auf einen Tarifvertrag könne keine weitergehende Bedeutung haben als der Tarifvertrag selbst. Des Weiteren gehe der Hinweis auf die Privatautonomie fehl. Der Erwerber habe eine solche privatautonome Gestaltung nicht vorgenommen.871 Gäbe es keinen § 613a BGB, so wäre der Erwerber nicht verpflichtet, Arbeitsverhältnisse fortzusetzen und schon gar nicht zu den bisherigen Bedingungen. Die Frage, ob und zu welchen Bedingungen das Arbeitsverhältnis fortzusetzen sei, beurteile sich daher allein nach dem in Umsetzung europäischen Sekundärrechts geschaffenen § 613a BGB. Dieser sei europarechtskonform auszulegen; dazu enthalte die Werhof-Entscheidung klare Vorgaben.872 Die dynamische Auslegung einer Bezugnahmeklausel nach einem Betriebsübergang verstößt nach dieser Ansicht daher gegen die negative Vereinigungsfreiheit als Bestandteil des europäischen Primärrechts, so dass es bei der bisherigen Rechtsprechung des Vierten Senats zur Gleichstellungsabrede bleiben müsste. 866
Meinel/Herms, DB 2006, 1429 (1430); Nicolai/Krois, SAE 2007, 158 (161). Nicolai, DB 2006, 670 (672); Meinel/Herms, DB 2006, 1429 (1430), unter Hinweis auf EuGH v. 22.11.2005 – Rs. C-144/04, DB 2005, 2638 ff. (Mangold). 868 Nicolai, DB 2006, 670 (672); Meinel/Herms, DB 2006, 1429 (1430). 869 Simon/Kock/Halbsguth, Anm. zu EuGH v. 9.3.2006 – Rs. C-499/04, ZIP 2006, 723 (727). 870 Simon/Kock/Halbsguth, Anm. zu EuGH v. 9.3.2006 – Rs. C-499/04, ZIP 2006, 723 (727). 871 Meinel/Herms, DB 2006, 1429 (1430). 872 Meinel/Herms, DB 2006, 1429 (1430). 867
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3. Keine europarechtlichen Bedenken gegen die Rechtsprechungsänderung Der Europarechtswidrigkeit der geänderten Auslegungsgrundsätze des BAG sind jedoch erhebliche Bedenken entgegenzusetzen. Schon der Aussagegehalt des Werhof-Urteils lässt an einer derartigen Schlussfolgerung zweifeln. a) Bindungswirkung der Vorlageentscheidung Das Werhof-Urteil hat an sich nur eine begrenzte Bindungswirkung: Ein Urteil des EuGH in einem Vorlageverfahren nach Art. 234 EGV erwächst gemäß § 65 VerfO EuGH in Rechtskraft und ist somit für die mit dem Ausgangsverfahren befassten Gerichte, zu denen auch die Instanzengerichte gehören, eine bindende Entscheidung.873 Insofern besteht nach allgemeiner Meinung eine Bindungswirkung inter partes.874 Außerhalb des Ausgangsverfahrens kommt dem Urteil Bindungswirkung (erga omnes) dann zu, wenn der Gerichtshof die Ungültigkeit von Gemeinschaftsrecht oder einer sonstigen Organhandlung festgestellt hat.875 Hingegen kommt den positiven Entscheidungen des Gerichtshofs zur Gültigkeit von Gemeinschaftsrecht, wie sie auch das Werhof-Urteil darstellt, schon nach ihrem Tenor eine nur eingeschränkte Bindungswirkung zu.876 Hier formuliert der EuGH durchgängig, dass die Prüfung der vorgelegten Fragen nichts ergeben habe, was die Gültigkeit der betreffenden Gemeinschaftsregelung in Frage stellen könne.877 Neue, bislang nicht überprüfte Gesichtspunkte können hier eine neue Beurteilung sowie eine erneute Vorlage rechtfertigen.878 Über die inter partes-Wirkung hinaus entfalten die Urteile eine tatsächlich rechtsbildende Kraft. Dabei handelt es sich nicht um eine Bindungs873 EuGH v. 24.6.1969 – Rs. 29/68, Slg. 1969, 165, Rn. 3 (Deutsche Milchkontor); EuGH, Gutachten 1/91, Slg. 1991, I-6079, Rn. 54 ff.; Streinz-Ehricke, EUV/ EGV, Art. 234 EGV Rn. 63. 874 Calliess/Ruffert-Wegener, EUV/EGV, Art. 234 EGV Rn. 36; Streinz-Ehricke, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 63. 875 EuGH v. 13.5.1981 – Rs. 66/80, Slg. 1981, 1191, Rn. 13 (International Chemical); Calliess/Ruffert-Wegener, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 37. 876 Calliess/Ruffert-Wegener, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 37. 877 Vgl. nur EuGH v. 25.6.1997 – Rs. C-114/96, Slg. 1997, I-3629, Rn. 39 (Kieffer); EuGH v. 29.5.1997 – Rs. C-26/96, Slg. 1997, I-2817, Rn. 25 (Rotexchemie); Calliess/Ruffert-Wegener, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 37. 878 Calliess/Ruffert-Wegener, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 37.
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wirkung erga omnes, sondern um eine Präjudizwirkung, die den Urteilen des EuGH kraft seines Rangs und Ansehens in besonderem Maße zukommt.879 b) Begrenzter Aussagegehalt der Werhof-Entscheidung Vor dem Hintergrund dieser (beschränkten) Bindungswirkung ist nunmehr zu klären, ob das Werhof-Urteil der neuen Rechtsprechung des BAG zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln entgegensteht. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Frage der Europarechtskonformität der Gleichstellungsabrede nur im Hinblick auf einen Betriebsübergang gestellt wurde, so dass die Fälle des Verbandsaustritts oder -wechsels, Branchenwechsels etc. nicht erfasst sind. Ferner hat das EuGH-Urteil nur die Europarechtskonformität der bisherigen Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede festgestellt. Ein weitergehender Aussagegehalt kann der Entscheidung nicht entnommen werden. Der EuGH hatte lediglich zu entscheiden, ob die gesetzliche Anordnung der statischen Bindung an Tarifverträge europarechtskonform ist. Über eine einzelvertragliche Abmachung wurde nichts ausgesagt, und schon gar nicht eine nach einem Tarifwechsel nur noch statische Auslegung dynamischer Klauseln gefordert.880 Der EuGH verwendete den Hinweis auf die negative Vereinigungsfreiheit des Erwerbers nämlich in erster Linie, um die eigentliche Vorlagefrage – Zulässigkeit einer nur statischen Fortgeltung der Tarifnormen bei Betriebsübergang auf einen nicht tarifgebundenen Erwerber – positiv zu beantworten. Das LAG Düsseldorf hatte bezweifelt,881 ob die Auslegung der Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede durch das BAG mit der Richtlinie vereinbar war. Die europarechtliche Zulässigkeit einer auch den Erwerber gemäß § 613a Abs. 1 S. 1 BGB bindenden dynamischen Verweisung nach den nunmehr geänderten Auslegungsgrundsätzen war dagegen nicht Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens. 879
Vgl. Art. 10 EGV und den hierin niedergelegten effet-utile-Gedanken. Hiernach ist bei der Anwendung nationalen Rechts darauf zu achten, dass die Anwendung des Gemeinschaftsrechts nicht unmöglich gemacht oder erschwert wird, s. hierzu EuGH v. 8.4.1976 – Rs. C-48/75, Slg. 1976, S. 497, (Royer). Zur Präjudizwirkung s. EuGH v. 6.10.1982 – Rs. C-283/81, Slg. 1982, S. 3415, Rn. 14 (CILFIT/ Ministero della sanità); EuGH v. 5.3.1986 – Rs. C-69/85, Slg. 1986, S. 947, Rn. 13 (Wünsche Handelsgesellschaft/Deutschland). 880 So auch Thüsing, NZA 2006, 473 (474 f.); WHSS-Hohenstatt, E Rn. 197; Houben, SAE 2007, 109 (114); APS-Steffan, § 613a BGB Rn. 142b. 881 LAG Düsseldorf v. 8.10.2004 – 9 Sa 817/04, NZA-RR 2005, 148.
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c) Keine Auslegung privater Willenserklärungen durch den EuGH Auch aus weiteren Gründen ist fraglich, ob die geänderte Rechtsprechung des BAG gegen die negative Vereinigungsfreiheit des Betriebserwerbers verstößt. Die Vereinigungsfreiheit wird mittlerweile in mehreren europarechtlichen Regelwerken geschützt. Die nicht verbindliche Gemeinschaftscharta der Sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer vom 9.12.1989882 garantiert in Nr. 11 die positive und die negative Vereinigungsfreiheit. Ebenfalls keine Geltung in den Mitgliedstaaten beansprucht die Charta der Grundrechte der EU vom 7.12.2000,883 welche die Vereinigungsfreiheit in Art. 12, 28 gewährleistet. Gleiches gilt für Art. 5 der Europäischen Sozialcharta vom 18.10.1961.884 Art. 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4.11.1950885 (EMRK, Art. 6 Abs. 2 EUV) schützt sie hingegen sogar als unmittelbar innerstaatlich anwendbares Recht.886 Art. 11 Abs. 1 der EMRK lautet: „Alle Menschen haben das Recht, sich friedlich zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen, einschließlich des Rechts, zum Schutze ihrer Interessen Gewerkschaften zu bilden und diesen beizutreten.“ Auch der EuGH hat die Vereinigungsfreiheit in mehreren Urteilen anerkannt.887 Als Doppelgrundrecht schützt die Vereinigungsfreiheit sowohl die individuelle Freiheit, sich in Koalitionen zusammenzuschließen, als auch die Grundrechtsposition der Koalition.888 Hierbei sieht der EuGH den Schutzumfang – anders als das BVerfG, das ihn enger zieht als bei der posi882
KOM (89) 248 endg. ABl. EG Nr. C 364 v. 18.12.2000, S. 1. 884 BGBl. II 1964, S. 1262. 885 BGBl. II 1952, S. 686. 886 EGMR v. 6.2.1976 (Schwedischer Lokomotivführerverband), EuGRZ 1976, 62; EGMR v. 27.10.1975 (Nationale Belgische Polizeigewerkschaft), EuGRZ 1975, 562 ff.; Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, S. 57; HWK-Hergenröder, Art. 9 GG Rn. 15. 887 EuGH v. 18.1.1990 – Rs. C-193/87, Slg. 1990, I-95 (Maurissen und Gewerkschaftsbund/Rechnungshof); EuGH v. 8.10.1974 – Rs. 175/73, Slg. 1974, 917 (Gewerkschaftsbund, Massa und Kortner/Rat); EuGH v. 8.10.1974 – Rs. 18/74, Slg. 1974, 933 (Allgemeine Gewerkschaft/Kommission); EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 ff. (Viking Line); EuGH v. 18.12.2007 – Rs. C-341/05, NZA 2008, 159 ff. (Laval). 888 Däubler, FS Hanau, S. 489 (495); Calliess/Ruffert-Ruffert, EUV/EGV, Art. 12 GRCh Rn. 14; Ehlers-Marauhn, Europäische Grundrechte, § 4 Rz. 83 f. 883
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tiven Koalitionsfreiheit – spiegelbildlich zu dem der positiven Vereinigungsfreiheit.889 Auch wenn die negative Vereinigungsfreiheit nicht explizit in Art. 11 der EMRK genannt ist, wird sie von der ganz überwiegenden Meinung ebenfalls als geschützt angesehen.890 Insbesondere der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in mehreren Urteilen die negative Vereinigungsfreiheit anerkannt. In der Spruchpraxis des EGMR ist die individuelle Vereinigungsfreiheit vor allem als die Freiheit verstanden worden, Gewerkschaften fernzubleiben, wenn dies durch staatliche Sanktionierung von „closed-shop“-Regelungen notwendig geworden war.891 Auch der EuGH hat anerkannt, dass die negative Vereinigungsfreiheit ebenfalls geschützt ist.892 Aus der negativen Vereinigungsfreiheit leitet sich das Recht ab, einer Vereinigung weder beizutreten, noch die ohne seine Mitgliedschaft vereinbarten Vertragsabschlüsse gegen sich gelten lassen zu müssen.893 Es ist jedoch sehr fraglich, weshalb die Bezugnahme als individualrechtliche Vereinbarung,894 an die der Erwerber über § 613a Abs. 1 S. 1 BGB gebunden ist, ihrerseits an Grundrechten des Erwerbers zu messen sein soll. Die negative Vereinigungsfreiheit wirkt nämlich nur da, wo der Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts betroffen ist, d.h. bei der Umsetzung einer Richtlinie oder Einbettung einer Verordnung in das nationale Recht.895 Durch die Auslegung einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel wird die koalitionsfreiheitlich relevante normative Tarifebene nicht betroffen, 889 Vgl. zum Verhältnis von EuGH- und BVerfG-Rechtsprechung Krois, BLJ 2007, 17 (21). 890 Ehlers-Marauhn, Europäische Grundrechte, § 4 Rn. 85; Calliess/Ruffert-Ruffert, EUV/EGV, Art. 12 GRCh. Rn. 15; Jarass, EU-Grundrechte, § 4 Rn. 25 (zur Grundrechtscharta). Der EGMR geht jedoch davon aus, dass ihr Schutzumfang demjenigen der positiven Koalitionsfreiheit nicht vollkommen entspricht, vgl. EGMR v. 13.8.1981 (Young, James, Webster/Vereinigtes Königreich), EuGRZ 1981, 599 (561). 891 EGMR v. 13.8.1981 und 18.10.1982 (Young, James, Webster/Vereinigtes Königreich), EuGRZ 1981, 599 ff. und EuGRZ 1984, 158 ff.; Calliess/Ruffert, Art. 12 GRCh. Rn. 15. Closed-shop-Regelungen sind Absperrungsklauseln, die es als Abschlussnormen dem Arbeitgeber untersagen, anders oder nicht organisierte Arbeitnehmer einzustellen, vgl. näher Däubler-Schiek, TVG, Einl. Rn. 282, 658. 892 EuGH v. 15.12.1995 – Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921 (Bosman), NZA 1996, 191; EuGH v. 9.3.2006 – Rs. C-499/04, DB 2006, 673 (674). 893 EGMR v. 13.8.1981 (Young, James, Webster/Vereinigtes Königreich), EuGRZ 1981, 599 ff.; EGMR v. 30.6.1993 Serie A, Bd. 264, S. 15–16 Nr. 35 (Sigurjónsson/Island); EuGH v. 9.3.2006 – Rs C-499/04, DB 2006, 673 (674); Schlussanträge des Generalanwalts Colomer in der Rs. Werhof v. 15.11.2005, Rn. 49. 894 s. o. B.III., ab S. 62. 895 Vgl. EuGH v. 22.11.2005 – Rs. C-144/04, NZA 2005, 1345 (1347) (Mangold); Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 223, Jacobs/Willemsen, JbArbR, Bd. 45, S. 47 (64).
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sondern lediglich diejenige des Individualvertrags.896 Die Auslegung von einzelvertraglichen Willenserklärungen hängt von der Formulierung der Klausel im Einzelfall ab und ist europarechtsneutral.897 Der EuGH hatte über die angemessenen Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs zu befinden, nicht über die Methode der Vertragsauslegung.898 Dass eine Bezugnahmeklausel als Teil des Arbeitsvertrages im Rahmen eines Betriebsübergangs für den Erwerber bindend werden kann, ändert hieran nichts. Die Bezugnahmeklausel geht wie alle anderen arbeitsvertraglichen Pflichten kraft der gesetzlichen Anordnung des § 613a Abs. 1 S. 1 BGB auf den Erwerber über. Die Entscheidung, ob die Bezugnahmeklausel nach einem Betriebsübergang als Gleichstellungsabrede oder weiterhin als dynamische „Ewigkeitsklausel“ auszulegen ist, ist keine Frage der Reichweite des § 613a BGB, der sich nicht mit dem Inhalt des auf den Erwerber übergehenden Arbeitsvertrages befasst, sondern ausschließlich eine solche der Auslegung der einzelnen Willenserklärung. Alles andere hieße, die dem EuGH obliegende Auslegung der Richtlinie und die der Vertragsklausel zu verwechseln.899 Ob die Bezugnahmeklausel als Willenserklärung zu einer Beeinträchtigung der negativen Vereinigungsfreiheit führt, kann der EuGH daher nicht bestimmen. Die Vertragsauslegung bestimmt sich nach nationalen Grundsätzen, d.h. §§ 133, 157 sowie bei Unklarheiten nach § 305c Abs. 2 BGB.900 d) Drittwirkung der negativen Vereinigungsfreiheit? Ein anderes Ergebnis käme nur in Betracht, wenn sich der Erwerber gegenüber dem Arbeitnehmer im Sinne einer Drittwirkung auf seine negative Vereinigungsfreiheit berufen könnte. aa) Unmittelbare Drittwirkung In dieser Hinsicht käme zunächst eine unmittelbare (horizontale) Drittwirkung der negativen Vereinigungsfreiheit in Betracht. Eine solche ist jedoch umstritten.901 Der EuGH hat unter bestimmten Voraussetzungen eine 896
s. o. S. 175. Stein, AuR 2006, 365 (368); Reinecke, BB 2006, 2637 (2641); Buschmann, AuR 2006, 204 (205). 898 Reichold, JZ 2006, 723 (727). 899 Vgl. Buschmann, AuR 2006, 204 (205). 900 Vgl. Jacobs/Willemsen, JbArbR, Bd. 45, S. 47 (65). 901 Dafür Nicolai, DB 2006, 670 (672); Kort, Anm. zu BAG 4 AZR 536/04, AP Nr. 39 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; Meinel/Herms, DB 2006, 1429 (1430). Dagegen Thüsing, NZA 2006, 473 (475). 897
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Bindung von Privatpersonen an die Grundfreiheiten angenommen.902 Für die Gemeinschaftsgrundrechte fehlt jedoch eine ähnliche Wertentscheidung. Lediglich für den Grundsatz gleichen Entgelts für Männer und Frauen gemäß Art. 141 EG wird weitgehend eine Drittwirkung bejaht.903 Gegen eine grundsätzliche Drittwirkung von europäischen Grundrechten spricht jedoch, dass die EMRK als eine der grundlegenden Kodifikationen der europäischen Grundrechte zwar innerstaatlich, aber nicht gegenüber Privaten wirkt.904 Die EMRK entfaltet keine unmittelbare Wirkung zwischen Privaten.905 Vielmehr knüpft der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bei privatrechtlichen Relationen an staatliches Verhalten an oder rechnet privates Verhalten dem Staat zu.906 Auch die Grundrechte der Charta binden nach Art. 51 Abs. 1 nur die Union und die Mitgliedstaaten.907 Private Beeinträchtigungen der Grundrechte können über die hoheitliche Schutzpflicht gegenüber Übergriffen nichtstaatlicher Dritter verarbeitet werden.908 Eine unmittelbare Drittwirkung würde außerdem die Rechte des Einzelnen gegenüber der öffentlichen Gewalt zu Pflichten gegenüber allen Mitbürgern verkehren und damit zu einer weitgehenden Beschränkung der Privatautonomie führen.909 Im Unterschied zum Staat sind Private nicht unmittelbar an Grundrechte gebunden. Im deutschen Recht ist deshalb lediglich eine mittelbare Grundrechtswirkung durch eine grundrechtskonforme Konkretisierung zivilrechtlicher Generalklauseln anerkannt, die auf europäischer Ebene der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts entspricht.910 Eine generelle unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte kann daher nicht angenommen werden.911 902 Vgl. EuGH v. 6.6.2000 – Rs. C-281/98, Slg. 2000 I, 4139 (Angonese). Vgl. hierzu Parpart, Die unmittelbare Bindung Privater an die Personenverkehrsfreiheiten im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003. 903 EuGH v. 8.4.1976, Rs. C-43/75, Slg. 1976, 455 (Defrenne II); Calliess/RuffertKrebber, EUV/EGV, Art. 141 EGV Rn. 5; Konzen, SAE 2007, 194 (199) m. w. N. 904 Calliess/Ruffert-Kingreen, Art. 51 GRCh Rn. 18 m. w. N.; Konzen, SAE 2007, 194 (200); Ehlers-Marauhn, Europäische Grundrechte, § 4 Rn. 83, Jarass, EUGrundrechte, § 4 Rn. 17. 905 Calliess/Ruffert-Kingreen, EUV/EGV, Art. 51 GRCh Rn. 18. 906 Vgl. EGMR v. 13.8.1981 (Young, James, Webster/Vereinigtes Königreich), EuGRZ 1981, 599 (560); EGMR v. 25.3.1993 – Nr. 13134/87, Serie A, Bd. 247-C, Rn. 27 f. (Costello-Roberts/Vereinigtes Königreich). 907 Calliess/Ruffert-Kingreen, Art. 51 GRCh Rn. 18 m. w. N. 908 Jarass, EU-Grundrechte, § 4 Rn. 19. 909 Ehlers, Jura 2002, 468 (474). 910 Konzen, SAE 2007, 194 (199). Einzige Ausnahme ist Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG, der die unmittelbare Geltung der Koalitionsfreiheit auch gegenüber privatrechtlichen Maßnahmen und Abreden normiert.
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bb) Mittelbare Drittwirkung Mitunter wird jedoch eine sog. mittelbare Drittwirkung der Grundrechte angenommen. Es wird vertreten, dass es über die „Einfallstore“ der Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB zumindest zu einer mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte komme.912 Aufgrund der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte seien diese bei der Auslegung von Willenserklärungen zu beachten, da es sich bei den einfachgesetzlichen Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB und dem in § 157 BGB formulierten Standard von „Treu und Glauben“ um „Einfallstore“ grundrechtlicher Wertungen ins Privatrecht handele.913 Die Auslegung der Bezugnahmeklausel sei daran zu messen, ob sie dem dem Erwerber zustehenden Grundrecht der negativen Vereinigungsfreiheit hinreichend Rechnung trage. Insofern sei auch fraglich, ob Unklarheiten gemäß § 305c Abs. 2 BGB immer zulasten des Arbeitgebers gehen könnten oder ob die Bezugnahmeklausel nicht gemeinschaftsrechtskonform ausgelegt werden müsse.914 Diese Ansicht beruht auf der Prämisse, dass eine dynamische „ewige“ Bezugnahme die negative Vereinigungsfreiheit des Arbeitgebers verletzen würde. Dies ist jedoch aus mehreren Gründen abzulehnen. Ebenso wie hinsichtlich des deutschen Verfassungsrechts915 ist es auch hinsichtlich des Europarechts streitig, ob die negative Vereinigungsfreiheit den Arbeitgeber vor einer „Ewigkeitsbindung“ kraft Bezugnahme schützt.916 Grundsätzlich bedürfte es hierfür einer gemeinsamen Rechtsüberzeugung der Mitgliedstaaten. Zumindest im deutschen Recht kann dies nicht angenommen werden: Nach obiger Darstellung ist das Bundesverfassungsgericht vielmehr der Auffassung, dass eine dynamische (auch ewige) Bindung an einen Tarifvertrag keine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit darstellt, da es sich um die Ebene des Vertragsrechts, nicht des Koalitionsrechts handele.917 Ferner würde sich eine derartig enge Auslegung der negativen Vereinigungsfreiheit in Widerspruch zu der Gesetzgebungspraxis der meisten Mitgliedstaaten setzen: Die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträ911 A. A. Kort, Anm. zu BAG 4 AZR 536/04, AP Nr. 39 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag. 912 Nicolai/Krois, SAE 2007, 158 (161). 913 Nicolai/Krois, SAE 2007, 158 (161). 914 Nicolai, DB 2006, 670 (672); ähnlich Simon/Kock/Halbsguth, EWS 2006, 400 (402). 915 s. o. D.V., ab S. 170. 916 s. zu dieser Frage Thüsing, NZA 2006, 473 (475); Meinel/Herms, DB 2006, 1429 (1430); Kokott, RdA 2006, Sonderbeil. Heft 6, 30 (35 f.); Buschmann, JZ 2006, 202 (205). 917 Vgl. D.V.2.b), ab S. 173.
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gen wäre ebenso europarechtswidrig wie die Dritterstreckung von Tarifverträgen durch das Entsenderecht.918 Wenn der bisherige Arbeitgeber sich außerdem in dynamischer Weise binden kann, sollte dies auch für den Betriebserwerber gelten. Zudem lässt sich ansonsten nicht erklären, weshalb ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber, bei dem die Bezugnahmeklausel ohnehin nicht als Gleichstellungsabrede ausgelegt werden kann, eine (echte) dynamische Klausel vereinbaren und in der Folge eine dynamische Bindung auch des Betriebserwerbers bewirken kann. Die EG-Richtlinie gebietet zwar keine (dauerhafte) dynamische Auslegung einer Bezugnahmeklausel bei Betriebsübergang, da ihr Art. 3 Abs. 1 einen Abbruch der Dynamik zulässt.919 Andererseits enthält die Richtlinie keine Vorgaben für vertragliche Gestaltungen und auch kein Verbot einer Dynamik.920 Die Norm verlangt „neutral“ den Übergang der Rechte und Pflichten, wie sie im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehen; auf deren Inhalt kommt es dann erst im Einzelnen an.921 Zweck der Richtlinie ist es vor allem, den Arbeitnehmern den status quo im Zeitpunkt des Betriebsübergangs zu bewahren.922 In Art. 8 der Richtlinie werden auch gerade für die Arbeitnehmer günstigere Regelungen zugelassen, die nicht generell an der negativen Vereinigungsfreiheit scheitern können: Die Konkretisierung und Einschränkung der Richtlinie ist Sache des Richtliniengebers auf EU-Ebene. Dies veranschaulichen etwa die Diskriminierungsverbote, die seit der Mangold-Entscheidung923 ebenfalls im primären Gemeinschaftsrecht angesiedelt werden.924 Außerdem ist die Geltung von Tarifverträgen ohne Verbandsmitgliedschaft in Europa weit verbreitet.925 Das Argument der Gegenansicht, dass die Klausel keine weitergehende Bedeutung haben könne als der Kollektivvertrag, trifft zwar zu, passt aber immer dann nicht, wenn die Klausel nicht auf einen bestimmten, sondern auch auf zukünftige Tarifverträge verweist.926 Aus demselben Grund ist das 918 Bayreuther, Anm. zu BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, AP Nr. 53 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag. 919 EuGH v. 9.3.2006 – Rs. C-499/04, DB 2006, 673 (Ls.); Däubler, NZA Beil. 3/2006, 133 (135). 920 Däubler, NZA Beil. 3/2006, 133 (135); Buschmann, AuR 2006, 204 (205); Thüsing, NZA 2006, 473 (474); Houben, SAE 2007, 109 (110). 921 Houben, SAE 2007, 109 (110). 922 Vgl. u. S. 199. 923 EuGH v. 22.11.2005 – Rs. C-144/04, DB 2005, 2638 ff. (Mangold). 924 Däubler, NZA Beil. 3/2006, 133 (135). 925 Hanau, RdA 2007, 180 (182), unter Hinweis auf Rebhahn, RdA 2002, 214 ff. 926 Zu Recht Hanau, RdA 2007, 180 (181); ähnlich Heinlein, NJW 2008, 321 (323), die daraus folgert, dass der EuGH eine statische Bezugnahmeklausel zum Gegenstand seiner Entscheidung gemacht habe.
D. Auslegung von Bezugnahmeklauseln
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Argument abzulehnen, aus der Richtlinie ergebe sich nicht, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber den Erwerber durch andere Tarifverträge als den zum Zeitpunkt des Abschlusses geltenden binden wollte. Die negative Vereinigungsfreiheit des Erwerbers wird nicht verletzt. Eine derartige Aussage findet sich auch im EuGH-Urteil selbst nicht, ist dort doch lediglich von einer „Beeinträchtigung“927 der negativen Vereinigungsfreiheit (die gerechtfertigt sein kann), nicht aber von einer (nicht zu rechtfertigenden) „Verletzung“ die Rede. Der Betriebserwerber wird nicht normativ an einen fremden Tarifvertrag gebunden, sondern lediglich schuldrechtlich an einen von seinem Rechtsvorgänger geschlossenen Arbeitsvertrag, dessen Weitergeltung für ihn § 613a Abs. 1 S. 1 BGB in Übereinstimmung mit Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie anordnet.928 Die dynamische Bezugnahme führt zu keiner unmittelbaren Tarifbindung des Betriebserwerbers, sondern lediglich seiner vertraglichen Verpflichtung. Die Beibehaltung der Dynamik ist eine der Pflichten des Erwerbers aus dem Arbeitsvertrag. Außerdem ist auch die Privatautonomie ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, der bei der Auslegung des europäischen Sekundärrechts berücksichtigt werden muss (vgl. Art. 16 GR-Charta).929 Indem sie eine derartige Vereinbarung treffen, üben die Parteien ihre Grundrechte aus – nämlich ihre Privatautonomie. Selbst wenn man also einen Eingriff (bzw. eine „Beeinträchtigung“) in den Schutzbereich der negativen Vereinigungsfreiheit bejahen wollte, wäre dieser jedenfalls durch die Privatautonomie der Parteien gerechtfertigt.930 Der Erwerber eines Betriebes trifft ebenfalls eine privatautonome Entscheidung, diesen Betrieb zu übernehmen.931 e) Zwischenergebnis Eine Auslegung als Gleichstellungsabrede ist daher nicht europarechtlich vorgeschrieben und lässt sich auch nicht vorschreiben.932 Dass Europarecht der bisherigen Interpretation als Gleichstellungsabrede nicht entgegensteht, bedeutet nicht, dass damit ausschließlich die statische Gleichstellungsfunktion der Bezugnahmeklausel als Ergebnis richterlicher Auslegung maßgeb927
EuGH v. 9.3.2006 – Rs. C-499/04, DB 2006, 673 (674, Begründungssatz 34). Houben, SAE 2007, 109 (113). 929 Reinecke, BB 2006, 2637 (2641); Houben, SAE 2007, 109 (114); BrechtHeitzmann/Lewek, ZTR 2007, 127 (131); Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, S. 183. 930 Ebenso Brecht-Heitzmann/Lewek, ZTR 2007, 127 (131). 931 Vgl. auch den zutreffenden Vergleich zum Eintritt des Erwerbers in bestehende Mietverhältnisse: Brecht-Heitzmann/Lewek, ZTR 2007, 127 (131). 932 Buschmann, AuR 2006, 204 (206). 928
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
lich wäre.933 Es ist daher jedenfalls zur Zeit wohl eher nicht damit zu rechnen, dass das BAG aus europarechtlichen Gründen von seiner Rechtsprechungswende wieder abrücken müsste oder würde.934
VII. Zwischenergebnis zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln Die Auslegung von Bezugnahmeklauseln ist von der Auslegung der Tarifnormen als Objekte der Bezugnahme zu trennen. Sie bemisst sich nach den Grundsätzen zur Auslegung von Verträgen gemäß §§ 133, 157 BGB. Tarifverträge sind hingegen grundsätzlich wie Gesetze auszulegen, wobei diese Regel durch verschiedene ergänzende Kriterien durchbrochen wird. Die Auslegung von Bezugnahmeklauseln hat in den vergangenen Jahren eine grundlegende Änderung erfahren. Die in jahrzehntelanger Rechtsprechung entwickelte und etablierte Auslegung dynamischer Bezugnahmeklauseln als Gleichstellungsabrede ist ohne ausdrückliche Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien von nun an nicht mehr möglich. Das BAG hat sich der Kritik aus dem Schrifttum angeschlossen; es geht davon aus, dass die Rahmenbedingungen für die Auslegung als Gleichstellungsabrede mittlerweile nicht mehr ohne Weiteres anzunehmen sind. Entscheidend für die Auslegung ist von nun an in erster Linie der Wortlaut der Klausel; eine Gleichstellungsabrede muss klar und eindeutig vereinbart werden. Eine ergänzende Vertragsauslegung als Gleichstellungsabrede bedarf besonderer Umstände. Angesichts der dogmatischen Mängel der Konzeption der Gleichstellungsabrede ist es zu begrüßen, dass das BAG von dieser Rechtsprechungslinie Abstand genommen hat, auch wenn dies angesichts der bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung geltenden Unklarheitenregel schon deutlich früher hätte erfolgen sollen. Die geänderte Rechtsprechung führt jedoch zu Rechtsunsicherheit, da bisher unklar ist, welche außerhalb der Erklärung liegenden Anhaltspunkte weiterhin eine Auslegung als Gleichstellungsabrede auch ohne einen entsprechenden Klauselwortlaut erlauben. Es ist sachgerecht, dass das BAG Vertrauensschutz hinsichtlich der Rechtsprechungsänderung gewährt. Der gewählte Stichtag des 1.1.2002 überzeugt jedoch nicht. Zutreffender Stichtag wäre der 14.12.2005 als Datum der Ankündigung der Rechtsprechungsänderung gewesen. Ferner wäre 933
Ebenso Reichold, JZ 2006, 723 (727). Die Aussage in dem Urteil vom 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (969), dass der in Rede stehende Sachverhalt „keinen europarechtlichen Bezug“ hätte, war jedoch wohl eher der Tatsache geschuldet, dass es sich gerade nicht um einen Fall des Betriebsübergangs, sondern des Verbandsaustritts handelte. 934
E. Ergebnis zu Teil 1
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angesichts der einheitlichen Rechtsprechung der BAG-Senate zur Gleichstellungsabrede und der besonderen Bedeutung des Rechtsprechungswechsels vor der Änderung der Rechtsprechung eine Anrufung des Großen Senats erforderlich gewesen. Die Rechtsprechungsänderung hat bedeutende Auswirkungen in der betrieblichen Praxis. Bei wortlautgetreuer Anwendung dynamischer Bezugnahmeklauseln droht eine „dynamische Ewigkeitsbindung“ der Arbeitgeber an Tarifverträge, die sie nicht bzw. nicht mehr durch ihre Mitgliedschaft legitimieren. Der Arbeitsvertrag entfernt sich dann zunehmend von der für den Arbeitgeber geltenden tariflichen Realität, wenn sein Verbandsaustritt ohne Folgen für die Auslegung der Bezugnahmeklausel bleibt. Die Bezugnahmeklausel wird zur „voll“konstitutiven Anspruchsgrundlage. Dennoch bestehen weder verfassungs- noch europarechtliche Bedenken gegen die geänderte Rechtsprechung. Die Bezugnahme beruht auf der privatautonomen Entscheidung des Arbeitgebers und führt lediglich zu einer schuldrechtlichen, nicht jedoch koalitionsrechtlich relevanten normativen, Tarifbindung. Die Rechtsprechungsänderung ist daher wirksam.
E. Ergebnis zu Teil 1 Bezugnahmeklauseln erfüllen in der arbeitsrechtlichen Praxis zahlreiche verschiedene Zwecke, je nachdem, ob der Arbeitgeber tarifgebunden ist oder nicht. Diese hohe praktische Bedeutung erklärt auch den nahezu umfassenden Verbreitungsgrad der Bezugnahmeklauseln in den Arbeitsverträgen. Bezugnahmeklauseln sind erforderlich, um (mangels Einschlägigkeit des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Außenseitern) tarifliche Regelungen auch auf nicht tarifgebundene Arbeitnehmer anwendbar zu machen. Die Vereinbarung arbeitsvertraglicher Bezugnahmen auf Tarifverträge ist rechtlich zulässig. Die Klauseln sind als verkürzte vertragliche Absprachen über den Vertragsinhalt anzusehen. Sie können durch ausdrückliche oder konkludente Einigung sowie durch Gesamtzusage oder betriebliche Übung zustande kommen. Ihre Vereinbarung ist grundsätzlich formfrei. Die in Bezug genommenen tariflichen Normen werden Inhalt des Arbeitsvertrages und entfalten als solche keine normative, sondern eine rein schuldrechtliche Wirkung. Die Bezugnahmeklausel kann konstitutiv oder deklaratorisch sein, wobei grundsätzlich selbst bei beiderseitiger Tarifgebundenheit von einer konstitutiven Wirkung der Klausel auszugehen ist. Vom sachlichen Umfang her lassen sich Klauseln mit Global-, Teil- und Einzelverweisung unterscheiden, in zeitlich dynamischer Hinsicht kommen
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Teil 1: Bezugnahmeklauseln in der arbeitsvertraglichen Praxis
eine statische oder eine dynamische Bezugnahme in Betracht. Beschränkt sich die zeitlich dynamische Bezugnahme auf den bestehenden Tarifvertrag „in seiner jeweiligen Fassung“, handelt es sich um eine kleine dynamische Klausel. Ausnahmsweise kann eine Bezugnahmeklausel sowohl zeitlich als auch sachlich dynamisch sein, indem auf den jeweils einschlägigen Tarifvertrag – gleich welcher Branche – verwiesen wird. Die Arbeitsvertragsparteien können den einschlägigen oder einen fremden Tarifvertrag in Bezug nehmen, unabhängig davon, ob sie anderweitig tarifgebunden sind. Grundsätzlich möglich ist auch die Verweisung auf einen unwirksamen, nachwirkenden oder abgelösten Tarifvertrag. Globalbezugnahmen sind als „kollektive Vereinbarungen“ anzusehen, die unter das Haftungsprivileg des § 15 Abs. 3 AGG fallen. Teilverweisungen fallen hingegen nicht in den Anwendungsbereich der Norm. Die Grenzen der Bezugnahme bilden das zwingende Recht sowie die Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen gemäß §§ 305 ff. BGB. Der Tarifvertrag unterliegt gemäß § 310 Abs. 4 S. 1 BGB nicht der AGB-Kontrolle, anders hingegen die Bezugnahmeklausel als rein individualrechtlicher Akt. Eine Einbeziehungskontrolle scheidet jedoch aus. Von besonderer Bedeutung bei der AGB-Kontrolle arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln sind das Verbot überraschender Klauseln gemäß § 305c Abs. 1 BGB, das Transparenzgebot gemäß § 307 Abs. 1 BGB sowie die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB. Die Bezugnahmeklausel ist nur dann von der Inhaltskontrolle gemäß § 310 Abs. 4 S. 3 BGB ausgenommen, wenn sie global auf den einschlägigen Tarifvertrag oder auf von tarifdispositivem Gesetzesrecht abweichende Tarifverträge verweist. Eine trotz Kontrollfreiheit des Tarifvertrages grundsätzlich zulässige Transparenzkontrolle des Tarifvertrages scheidet aus, wenn der Arbeitgeber tarifgebunden ist und global auf den einschlägigen Tarifvertrag verwiesen wird. Die Rechtsfolgen bei Unwirksamkeit einer Bezugnahmeklausel bestimmen sich nach § 306 BGB. Die Auslegung von Bezugnahmeklauseln richtet sich nach den Grundsätzen über die Auslegung von Verträgen. Sie hat in den vergangenen Jahren eine fundamentale Änderung erfahren. Das BAG hat in jahrzehntelanger Rechtsprechung den Rechtssatz geprägt, dass von einem tarifgebundenen Arbeitgeber vereinbarte dynamische Bezugnahmeklauseln in der Regel als Gleichstellungsabrede auszulegen seien. Als solche sollten sie eine Gleichstellung der nicht tarifgebundenen mit den tarifgebundenen Arbeitnehmern bewirken und richteten sich in ihrer rechtlichen Wirkung grundsätzlich danach, was tarifrechtlich galt. Diese Rechtsprechung hat das BAG aufgegeben und orientiert sich bei der Auslegung nunmehr an den allgemeinen Grundsätzen (§§ 133, 157 BGB). Entscheidend ist nun in erster Linie der Wortlaut der Bezugnahmeklausel. Eine Auslegung als Gleichstellungsabrede
E. Ergebnis zu Teil 1
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ist ohne ausdrückliche Vereinbarung oder besondere Anhaltspunkte im Rahmen des Vertragsschlusses von nun an nicht mehr möglich. Mangels dogmatischer Überzeugungskraft der Gleichstellungsabrede ist die Rechtsprechungsänderung des BAG zu begrüßen. Die Auslegungsregel der Gleichstellungsabrede widersprach seit je her den allgemeinen Grundsätzen, so dass sie schon früher hätte verabschiedet werden sollen. Die geänderten Rechtsprechungsgrundsätze schaffen nun jedoch eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit. Insbesondere der Begriff der „Anhaltspunkte“, die auf eine Gleichstellungsabrede auch ohne expliziten Wortlaut der Klausel hindeuten, ist bisher unbestimmt und bedarf der Präzisierung durch die Rechtsprechung. Angesichts des schutzwürdigen Vertrauens der Arbeitgeber in die bisherige Rechtsprechung ist es sachgerecht, dass das BAG Vertrauensschutz hinsichtlich der Rechtsprechungsänderung gewährt. Der vom BAG gewählte Stichtag des 1.1.2002 überzeugt jedoch nicht. Zutreffender Stichtag wäre der 14.12.2005 als Datum der Ankündigung der Rechtsprechungsänderung gewesen. Zudem wäre vor der Änderung der Rechtsprechung eine Anrufung des Großen Senats erforderlich gewesen. Die Rechtsprechungsänderung hat bedeutende Folgen für die betriebliche Praxis. Bei wortlautgetreuer Anwendung dynamischer Bezugnahmeklauseln droht eine „dynamische Ewigkeitsbindung“ der Arbeitgeber an Tarifverträge, die sie nicht bzw. nicht mehr durch ihre Mitgliedschaft legitimieren. Dennoch bestehen weder verfassungs- noch europarechtliche Bedenken gegen die geänderte Rechtsprechung. Es ist daher nicht zu erwarten, dass das BAG von seiner neuen Rechtsprechung wieder Abstand nehmen müsste. Die Rechtsprechungsänderung ist daher wirksam und für die Auslegung von nach dem 31.12.2001 geschlossenen Verweisungsklauseln maßgeblich.
Teil 2
Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse) Der nun folgende Teil untersucht die häufigsten Fälle eines Tarifwechsels – Betriebsübergang, Verbandsaustritt, Verbandswechsel und Branchenwechsel. In all diesen Fällen ändert sich die tarifrechtliche Situation des Betriebes. Es soll aufgezeigt werden, welcher Zusammenhang mit arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln besteht, inwiefern diese Klauseln nach Veränderungen auf der Tarifebene auf der Arbeitsvertragsebene zu Modifizierungen führen, einen Tarifwechsel also auf vertraglicher Ebene „nachvollziehen“, oder ob sie diesen im Gegenteil eventuell sogar torpedieren. In einer Differenzierung zwischen den verschiedenen Möglichkeiten des Tarifwechsels, der Tarifbindung bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern und den Arten der Bezugnahme sollen hierbei zugleich die Konsequenzen der Rechtsprechungsänderung des BAG1 veranschaulicht und im Wege eines „Systemvergleichs“ herausgearbeitet werden. Die wesentlichen Ergebnisse dieser Fallanalyse werden in den Schemata im Anhang dargestellt.
A. Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang Als erstes „Szenario“ für die Auswirkungen von Bezugnahmeklauseln bei einem Tarifwechsel ist nun der Betriebsübergang gemäß § 613a BGB zu untersuchen. Ein Betriebsübergang kann aus einer Vielzahl von Motiven erfolgen, wobei das Hauptmotiv in der Regel wirtschaftliche Interessen sind. Die Übertragung eines Betriebs auf eine rechtlich selbständige Gesellschaft, die nicht Mitglied eines Arbeitgeberverbandes ist, stellt einen in der Praxis häufig verbreiteten Weg dar, auf dem tarifgebundene Unternehmen versuchen, sich von ihrer Tarifbindung zu befreien.2 Hierbei stellt sich die Frage, inwieweit von dem bisherigen Betriebsinhaber verwendete arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln diesem Ziel entgegenstehen können.
1 2
s. o. S. 33; Teil 1, D.II. ff., ab S. 132. Lambrich/Thüsing, Tarifautonomie, S. 123 (177); Bauer, FS Schaub, S. 19 (33).
A. Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang
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I. Gesetzliche Auswirkungen des Betriebsübergangs auf die Geltung von Tarifverträgen Für das Verständnis der Rechtswirkung von Bezugnahmeklauseln bei einem Betriebsübergang ist es notwendig, zunächst die allgemeinen Mechanismen der tariflichen Fortgeltung bzw. Ablösung bei Betriebsübergang kurz darzustellen. 1. Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB § 613a BGB stellt eine Schutzvorschrift zugunsten der Arbeitnehmer dar,3 die dann eingreift, wenn ein Betrieb oder Betriebsteil auf einen neuen Inhaber übergeht.4 Der Betriebsbegriff im Sinne des § 613a BGB ist nicht autonom nach deutschem Recht zu bestimmen, sondern hat sich maßgeblich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Auslegung der EGRichtlinie5 zu orientieren.6 Gemäß der Richtlinie ist ein Betriebsübergang der „Übergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit“7.
Ein Betriebs(teil)übergang8 setzt die Fortführung der wirtschaftlichen Einheit unter Wahrung ihrer Identität durch einen neuen Rechtsträger voraus; dies ist im Wege einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung des „Sieben-Punkte-Katalogs“ des EuGH zu beantworten.9 Der Gerichtshof be3
ErfK-Preis, § 613a BGB Rn. 2; Staudinger-Annuß, § 613a BGB Rn. 9; MüKoMüller-Glöge, BGB, Bd. 4, § 613a Rn. 6 m. w. N. 4 Gemäß § 324 UmwG erfasst § 613a BGB auch die Fälle der Ausgliederung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge nach dem UmwG, also die Spaltung, Verschmelzung oder Vermögensübertragung; vgl. auch BAG v. 24.6.1998 – 4 AZR 208/97, NJW 1999, 812 (813 f.); MüKo-Müller-Glöge, BGB, Bd. 4, § 613a Rn. 217; Wellenhofer-Klein, ZfA 1999, 239 (253); Henssler, FS Schaub, S. 311 (312, 317); Reichel, Bezugnahme, S. 185. 5 RL 2001/23/EG. 6 ErfK-Preis, § 613a BGB Rn. 6; HWK-Willemsen, § 613a BGB Rn. 2. 7 RL 2001/23/EG (Art. 1b). 8 Soweit im Folgenden der Begriff „Betriebsübergang“ verwendet wird, ist gleichermaßen auch der Betriebsteilübergang gemeint. 9 EuGH v. 18.3.1986 – Rs. C-24/85, Slg. 1986, 1119 (Spijkers); EuGH v. 11.3.1997 – Rs. C-13/95, AP Nr. 14 zu RL Nr. 77/187/EWG (Ayse Süzen); EuGH v. 15.12.2005 – Rs. C-232/04, ZIP 2006, 95 (Güney Görres); BAG v. 25.5.2000 – 8 AZR 416/99, ZIP 2000, 1630; BAG v. 2.12.1999 – 8 AZR 796/98, AP Nr. 188 zu § 613a BGB.
200
Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
rücksichtigt hierbei insbesondere die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebes, den Übergang oder Nichtübergang der materiellen Aktiva, den Wert der immateriellen Aktiva zum Zeitpunkt des Übergangs, die Übernahme oder Nichtübernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber, den Übergang oder Nichtübergang der Kundschaft sowie den Grad der Ähnlichkeit zwischen der vor und der nach dem Übergang verrichteten Tätigkeit und die Dauer einer entsprechenden Unterbrechung dieser Tätigkeit.10 Den Kriterien kann dabei je nach der ausgeübten Tätigkeit und den Produktions- oder Betriebsmethoden unterschiedliches Gewicht zukommen.11 Der Begriff der wirtschaftlichen Einheit wird somit in jedem Einzelfall im Wege einer typologischen Gesamtbetrachtung konkretisiert.12 2. Rechtsfolgen des Betriebsübergangs § 613a BGB regelt die Rechtsfolgen des Betriebsübergangs. a) Arbeitgeberwechsel (§ 613a Abs. 1 S. 1 BGB) Liegt ein Betriebsübergang vor, so bestimmt § 613a Abs. 1 S. 1 BGB, dass der neue Inhaber in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen eintritt, und führt so einen Vertragspartnerwechsel auf Arbeitgeberseite herbei.13 Der Einwilligung des Arbeitnehmers bedarf es insoweit nicht.14 Das Arbeitsverhältnis zum bisherigen Betriebsinhaber erlischt.15 Der neue Betriebsinhaber wird Schuldner 10 St. Rspr. seit EuGH v. 18.3.1986 – Rs. C-24/85, Slg. 1986, 1119 (Spijkers); EuGH v. 24.1.2002 – Rs. C-51/00, Slg. 2002, S. I-969 (Rn. 24) (Temco); EuGH v. 20.11.2003 – Rs. C-340/01, Slg. 2003, S. I-14023 (Rn. 33) (Abler). 11 EuGH v. 20.11.2003 – Rs. C-340/01, Slg. 2003, S. I-14023 (Rn. 35) (Abler) m. w. N. Zu den Einzelheiten vgl. Staudinger-Annuß, § 613a BGB Rn. 41 ff. m. w. N. Jüngste Entscheidungen des BAG waren u. a. BAG v. 2.3.2006 – 8 AZR 147/05, NZA 2006, 1105 ff. (Forschungsschiff), v. 6.4.2006 – 8 AZR 249/04 und 8 AZR 222/04, NZA 2006, 1039 ff. und 723 ff. (Bahnbistro, Druckserviceunternehmen), v. 13.6.2006 – 8 AZR 271/05, NZA 2006, 1101 (Flughafen Köln), v. 15.2.2007 – 8 AZR 431/06, NZA 2007, 793 (Schlachthof) in Reaktion auf die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Güney Görres (s. o. S. 199, Fn. 9), in der der EuGH das Kriterium der eigenwirtschaftlichen Nutzung der Betriebsmittel ablehnte. 12 Moll, RdA 1999, 233 (236). 13 BAG v. 22.2.1978 – 5 AZR 800/76, AP Nr. 11 zu § 613a BGB; StaudingerAnnuß, § 613a BGB Rn. 3; „Vertragsübergang kraft Gesetzes“, vgl. ErfK-Preis, § 613a BGB Rn. 3, 66; HWK-Willemsen/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rn. 221. 14 BAG v. 30.10.1986 – 2 AZR 101/85, AP Nr. 55 zu § 613a BGB; HWK-Willemsen/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rn. 221. 15 ErfK-Preis, § 613a BGB Rn. 66. Dieser bleibt aber im Umfang des § 613a Abs. 2 BGB Haftungsschuldner.
A. Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang
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aller Verbindlichkeiten aus dem Arbeitsverhältnis, auch soweit sie vor dem Übergang entstanden sind.16 Die Legitimation dieser umfassenden Verpflichtung des Erwerbers wird darin gesehen, dass dieser die von seinem Vorgänger geschaffene Betriebsorganisation für eigene geschäftliche Zwecke weiternutzt, sich also die von dem bisherigen Inhaber geschaffene spezifische Kombination der materiellen, immateriellen und personellen Ressourcen gezielt zu eigen macht und ihre „Widmung“ für den bisherigen Betriebszweck aufrechterhält.17 Zudem wird der neue Inhaber Gläubiger des Anspruchs auf Arbeitsleistung sowie sämtlicher Nebenansprüche aus dem Arbeitsverhältnis.18 Werden die übernommenen Arbeitnehmer durch die Übernahme ihrer bisherigen Ansprüche günstiger gestellt als die bereits beim Erwerber vorhandene Belegschaft, bleibt die Besserstellung grundsätzlich erhalten.19 Auf der anderen Seite kann eine Anpassung an im Erwerberbetrieb geltende bessere Arbeitsbedingungen nicht zwingend verlangt werden.20 § 613a Abs. 1 S. 1 BGB erfasst nur individualrechtliche Vereinbarungen, nicht aber Kollektivnormen. Deren Schicksal regelt § 613a Abs. 1 S. 2–4 BGB. b) Tarifrechtliche Folgen eines Betriebsübergangs Sind Veräußerer, Erwerber und Arbeitnehmer an denselben Tarifvertrag gebunden oder wurde dieser für allgemeinverbindlich erklärt, gilt er nach einem Betriebsübergang normativ im Sinne der §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG weiter. § 613a Abs. 1 S. 2–4 BGB sind in diesem Fall nicht anwendbar und können insofern als Auffangregelung für den Fall der fehlenden Tarifgeltung angesehen werden.21 Im Falle eines Verbandstarifvertrags kommt ein Übergang der höchstpersönlichen Verbandsmitgliedschaft vom Veräußerer auf den Erwerber im Hinblick auf § 38 S. 1 BGB sowie die negative Koalitionsfreiheit des Er16 ErfK-Preis, § 613a BGB Rn. 73; HWK-Willemsen/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rn. 229. 17 HWK-Willemsen, § 613a BGB Rn. 9. 18 HWK-Willemsen/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rn. 239. 19 ErfK-Preis, § 613a BGB Rn. 75; HWK-Willemsen/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rn. 244. 20 BAG v. 29.8.2001 – 4 AZR 352/00, AP Nr. 291 zu Art. 3 GG; BAG v. 31.8.2005 – 5 AZR 517/04, AP Nr. 288 zu § 613a BGB; BAG v. 25.8.1976 – 5 AZR 788/75, AP Nr. 41 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; ErfK-Preis, § 613a BGB Rn. 75. 21 MüKo-Müller-Glöge, BGB, Bd. 4, § 613a Rn. 129, 149; HWK-Willemsen/ Müller-Bonanni, § 613a BGB Rn. 251.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
werbers nicht in Betracht.22 Der Tarifvertrag müsste also kraft Mitgliedschaft des Erwerbers oder Allgemeinverbindlicherklärung23 gelten.24 Ein Firmentarifvertrag besteht nach einem Betriebsübergang nur fort, wenn der Erwerber ihn durch eine Vereinbarung mit der zuständigen Gewerkschaft vertraglich übernimmt oder mit ihr einen neuen, inhaltsgleichen Tarifvertrag vereinbart.25 Anders verhält es sich bei einer Verschmelzung, bei der der Firmentarifvertrag als Verbindlichkeit gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den übernehmenden Rechtsträger übergeht.26 aa) § 613a Abs. 1 S. 2 und 4 BGB Nur wenn es an einer kollektivrechtlichen Bindung des Erwerbers fehlt, kommt § 613a Abs. 1 S. 2 BGB zur Anwendung. Es handelt sich hierbei also nur um einen Auffangtatbestand für den Fall fehlender normativer Weitergeltung.27 Gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB gelten die Bestimmungen eines beim ehemaligen Betriebsinhaber geltenden Tarifvertrags nicht in ihrer bisherigen kollektivrechtlichen Form fort. Die vormals kollektiven Regelungen28 werden gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB mit dem Stand des Zeitpunktes des Betriebsübergangs in das Arbeitsverhältnis transformiert und gelten mit diesem Status weiter, werden sozusagen „eingefroren“.29 Die Nachbindung 22 BAG v. 5.10.1993 – 3 AZR 586/92, NZA 1994, 848 (849); BAG v. 13.7.1994 – 4 AZR 555/93, AP Nr. 14 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; BAG v. 24.6.1998 – 4 AZR 208/97, NJW 1999, 812 (813 f.); HWK-Henssler, § 3 TVG Rn. 48; Reichel, Bezugnahme, S. 188; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 180; Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (209). 23 Vorausgesetzt, das Arbeitsverhältnis fällt auch nach dem Betriebsübergang unter den örtlichen und fachlichen Anwendungsbereich des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags, vgl. WHSS-Hohenstatt, E Rn. 117. 24 Staudinger-Annuß, BGB, § 613a Rn. 253; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 225. 25 BAG v. 20.6.2001 – 4 AZR 295/00, NZA 2002, 517 (518 f.); BAG v. 29.8.2001 – 4 AZR 332/00, NZA 2002, 513 (514 f.); Erman-Edenfeld, BGB, § 613a Rn. 74; HWK-Henssler, § 3 TVG Rn. 47. 26 BAG v. 24.6.1998 – 4 AZR 208/97, NJW 1999, 812 (813 f.); BAG v. 29.8.2001 – 4 AZR 332/00, NZA 2002, 513 (514); BAG v. 4.7.2007 – 4 AZR 491/06, NZA 2008, 307 (310); Gaul, NZA 1995, 717 (722 f.); HWK-Willemsen, § 324 UmwG Rn. 20; Henssler, FS Schaub, S. 311 (326 f.). 27 s. o. S. 201. 28 Dies sind in erster Linie die sog. Inhaltsnormen, nicht aber betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Normen und Regeln über gemeinsame Einrichtungen, vgl. die Einzelheiten bei HWK-Willemsen/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rn. 264; ErfK-Preis, § 613a BGB Rn. 118; Henssler, FS Schaub, S. 311 (316).
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oder Nachwirkung der Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 3 TVG und § 4 Abs. 5 TVG entfallen, weil § 613a Abs. 1 S. 2–4 BGB insofern lex specialis ist.30 Spätere Änderungen des Tarifvertrages bleiben deshalb grundsätzlich unberücksichtigt;31 etwas anderes gilt jedoch für eine in der statisch fortgeltenden Norm angelegte Dynamik, wie z. B. im Falle eines Stufentarifvertrages.32 Die transformierten Normen dürfen gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB innerhalb eines Jahres nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers abgeändert werden. Jede für den Arbeitnehmer ungünstige Vereinbarung oder einseitige Maßnahme des Erwerbers ist daher in dieser Zeit gemäß § 134 BGB unwirksam.33 § 613a Abs. 1 S. 2 BGB ist auch auf nachwirkende Tarifnormen anwendbar.34 Dann greift jedoch die Veränderungssperre nicht ein, da § 613a Abs. 1 S. 2 BGB nur dem Schutz des status quo dient, aber keine Verbesserung der Situation der Arbeitnehmer bezweckt.35 Auch kommt jederzeit eine Ablösung durch einen beim Erwerber geltenden Tarifvertrag oder eine dort bestehende Betriebsvereinbarung gemäß § 613a Abs. 1 S. 3 BGB in Betracht.36 Die Veränderungssperre des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB greift ferner in den Fällen des Satzes 4 nicht ein. Dieser ist einschlägig, wenn entweder der Tarifvertrag bereits im Zeitpunkt des Betriebsübergangs oder während der Jahresfrist endet und nur noch kraft Nachwirkung gilt oder wenn der Erwerber und der Arbeitnehmer arbeitsvertraglich die Anwendung eines anderen als des bisherigen Tarifvertrages vereinbaren, ohne bereits beiderseitig tarif29 BAG v. 13.11.1985 – 4 AZR 309/84, BAGE 50, 158 (163); BAG v. 21.2.2001 – 4 AZR 18/00, NZA 2001, 1318 (1320); BAG v. 29.8.2001 – 4 AZR 332/00, NZA 2002, 513 (516); BAG v. 20.6.2001 – 4 AZR 295/00, NZA 2002, 517 (519 f.); Erman-Edenfeld, BGB, § 613a Rn. 72; Soergel-Raab, BGB, § 613a Rn. 104. 30 Bauer, FS Schaub, S. 19 (34); Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 89; Hromadka/ Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 263, 238. A. A. Kempen/Zachert, TVG, 3. Aufl., § 3 Rn. 28. 31 BAG v. 13.11.1985 – 4 AZR 309/84, BAGE 50, 158 (163); BAG v. 1.4.1987 – 4 AZR 77/86, AP Nr. 64 zu § 613a BGB; BAG v. 4.8.1999 – 5 AZR 642/98, NZA 2000, 154 (155). 32 s. hierzu BAG v. 19.9.2007 – 4 AZR 711/06, ZIP 2008, 378 ff. 33 ErfK-Preis, § 613a BGB Rn. 119; MüKo-Müller-Glöge, BGB, Bd. 4, § 613a Rn. 136; WHSS-Hohenstatt, E Rn. 132. 34 BAG v. 27.11.1991 – 4 AZR 211/91, AP Nr. 22 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG v. 1.8.2001 – 4 AZR 82/00, AP Nr. 225 zu § 613a BGB; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 182; Reichel, Bezugnahme, S. 190; HWK-Willemsen/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rn. 260. 35 BAG v. 1.8.2001 – 4 AZR 82/00, AP Nr. 225 zu § 613a BGB; Gussen/Dauck, Weitergeltung, Rn. 143; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 244. A. A. Kempen/Zachert-Kempen, TVG, § 3 Rn. 105. 36 s. im Anschluss A.I.2.b)bb).
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
gebunden zu sein. Die erste Fallkonstellation betrifft die Situation, dass der Tarifvertrag wegen Fristablauf oder Kündigung endet und deshalb nur noch gemäß § 4 Abs. 5 TVG nachwirkt.37 Auch bei erst nachträglichem Eintritt des Tarifvertrages in das Nachwirkungsstadium soll der Arbeitnehmer vor nachteiligen Veränderungen nur insoweit geschützt werden, wie es ohne den Betriebsübergang auch beim Veräußerer der Fall gewesen wäre.38 Die zweite Fallgruppe erfasst die Vereinbarung einer Bezugnahmeklausel.39 Auf diesem Wege soll der Erwerber die Arbeitsbedingungen in seinem Betrieb vereinheitlichen können. Umstritten ist jedoch, zu welchem Zeitpunkt und zwischen welchen Personen diese Vereinbarung geschlossen werden muss.40 bb) § 613a Abs. 1 S. 3 BGB § 613a Abs. 1 S. 3 BGB stellt eine Ausnahme zur Transformationsregelung des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB dar. Sofern beim Erwerber ein anderer Tarifvertrag gilt, findet keine Transformation des alten Tarifvertrags in das Arbeitsverhältnis statt. Für die entsprechend tarifgebundenen Arbeitnehmer gilt gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG der beim Erwerber geltende Firmenoder Verbandstarifvertrag qua beiderseitiger Tarifbindung. Das Spezialitätsund Günstigkeitsprinzip finden im Rahmen von § 613a Abs. 1 S. 3 BGB keine Anwendung.41 Die Norm soll es dem Erwerber ermöglichen, die Arbeitsbedingungen in seinem Betrieb auf eine einheitliche kollektivrechtliche Grundlage zu stellen.42 Dabei spielt es keine Rolle, ob die beim Erwerber geltenden Tarifregelungen für die Arbeitnehmer ungünstiger sind.43 Man 37
Palandt-Weidenkaff, BGB, § 613a Rn. 32. Erman-Edenfeld, BGB, § 613a Rn. 93; Prange, NZA 2002, 817 (822); Klagges, Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang, S. 146. 39 Palandt-Weidenkaff, BGB, § 613a Rn. 32. Zu den näheren Voraussetzungen vgl. RGRK-Ascheid, BGB, § 613a Rn. 232; Erman-Edenfeld, BGB, § 613a Rn. 93; Soergel-Raab, BGB, § 613a Rn. 136 m. w. N. 40 s. dazu näher u. A.II.2.b)cc), ab S. 227. 41 BAG v. 16.5.1995 – 3 AZR 535/94, AP Nr. 15 zu § 4 TVG Ordnungsprinzip; BAG v. 19.3.1986 – 4 AZR 640/84, AP Nr. 49 zu § 613a BGB; HWK-Willemsen/ Müller-Bonanni, § 613a BGB Rn. 247, 266; MüKo-Müller-Glöge, BGB, Bd. 4, § 613a Rn. 140; Seiter, Betriebsinhaberwechsel, S. 94; WHSS-Hohenstatt, E Rn. 144; Moll, RdA 1996, 275 (279). Aus diesem Grunde folgert Henssler, FS Wißmann, S. 133 (148), § 613a Abs. 1 S. 3 BGB werde zur „Waffe gegen die Arbeitnehmer“. 42 BAG v. 20.4.1993 – 4 AZR 342/93, AP Nr. 108 zu § 613a BGB; BAG v. 16.5.1995 – 3 AZR 535/94, AP Nr. 15 zu § 4 TVG Ordnungsprinzip; HWK-Willemsen/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rn. 248; Preis/Steffan, FS Kraft, S. 477 (485); Reichel, Bezugnahme, S. 211; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 184. 43 ErfK-Preis, § 613a BGB Rn. 125; Reichel, Bezugnahme, S. 211; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 184; WHSS-Hohenstatt, E Rn. 144. 38
A. Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang
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geht davon aus, dass die Arbeitnehmer keines Schutzes durch die bisherige Regelung mehr bedürfen, wenn beim Erwerber ein anderer, durch Verhandlungen der Tarifparteien ausgehandelter Tarifvertrag gilt.44 Eine Verdrängung nach Satz 3 kann unabhängig davon erfolgen, ob der neue Tarifvertrag beim Erwerber schon zum Zeitpunkt des Übergangs galt oder erst nach dem Übergang in Kraft tritt.45 Die einjährige Veränderungssperre des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB greift in diesem Fall nicht ein. Eine Ablösung findet allerdings nur statt, wenn und soweit der Tarifvertrag des Erwerbers denselben Regelungsgegenstand betrifft.46 Wirkt der Tarifvertrag beim Erwerber lediglich nach, kommt § 613a Abs. 1 S. 3 BGB ebenfalls nicht zur Anwendung, weil der Tarifvertrag die übergehenden Arbeitsverhältnisse dann nicht erfasst.47 (1) Erfordernis der kongruenten Tarifbindung? Problematisch ist eine Ablösung aber in Fällen des Branchenwechsels, wenn der Arbeitnehmer in einer anderen Gewerkschaft organisiert ist als in derjenigen, die den Tarifvertrag des Erwerbers abgeschlossen hat. Die Anwendbarkeit von § 613a Abs. 1 S. 3 BGB hängt hierbei davon ab, ob die Norm eine beiderseitige, sog. kongruente, Tarifgebundenheit voraussetzt. Dies ist umstritten. Gegen das Erfordernis der kongruenten Tarifgebundenheit wird angeführt, der Wortlaut lasse eine einseitige Tarifbindung ausreichen: Die Rechte und Pflichten seien bei dem Erwerber unabhängig davon „geregelt“, ob der Arbeitnehmer tarifgebunden sei oder nicht.48 Das Erfordernis der kongruenten Bindung widerspreche außerdem dem Interesse des Erwerbers, seine Arbeitsbedingungen zu vereinheitlichen.49 44 BAG v. 19.3.1986 – 4 AZR 640/84, AP Nr. 49 zu § 613a BGB; Hergenröder, FS 50 Jahre BAG, S. 713 (715); Reichel, Bezugnahme, S. 211; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 184. 45 BAG v. 19.3.1986 – 4 AZR 640/84, AP Nr. 49 zu § 613a BGB; BAG v. 11.5.2005 – 4 AZR 315/04, NZA 2005, 1362 (1365); Erman-Edenfeld, BGB, § 613a Rn. 87; Moll, RdA 2007, 47 (48); Gussen/Dauck, Weitergeltung, Rn. 159; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 185. 46 BAG v. 20.4.1994 – 4 AZR 342/93, AP Nr. 108 zu § 613a BGB; HWK-Willemsen/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rn. 267; Erman-Edenfeld, BGB, § 613a Rn. 91; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 255; Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, S. 782; Moll, RdA 1996, 275 (284); ders., RdA 2007, 47 (48 f.). 47 HWK-Willemsen/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rn. 268 m. w. N. 48 LAG Schleswig-Holstein v. 4.3.1998 – 2 Sa 456/97, NZA-RR 1999, 251 (253); Moll, RdA 1996, 275 (280); Zöllner, DB 1995, 1401 (1404). 49 Zöllner, DB 1995, 1401 (1404); Moll, RdA 1996, 275 (280 f.); Henssler, FS Schaub, S. 311 (319 ff.); Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1266 ff.); LAG Schles-
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
Die herrschende Meinung50 verlangt jedoch zu Recht eine kongruente Tarifbindung. Auch das BAG hat dies jetzt in mehreren Entscheidungen51 unmissverständlich klargestellt. Schon der Wortlaut des Gesetzes spricht hierfür: Wenn sowohl Satz 2 als auch Satz 3 des § 613a Abs. 1 BGB voraussetzen, dass die Arbeitsbedingungen durch Tarifvertrag „geregelt sind“ bzw. „geregelt werden“, und bei Satz 2 nach einhelliger Meinung52 eine kongruente Tarifbindung gemeint ist, muss dies auch für Satz 3 gelten. Auch in § 613a Abs. 1 S. 4 BGB wird für die Geltung des Satzes 3 eine beiderseitige Tarifbindung im Sinne des TVG vorausgesetzt, wenn „bei fehlender beiderseitiger Tarifgebundenheit“ (d.h. keiner automatischen Ablösung nach Satz 3) die Anwendbarkeit eines einschlägigen Tarifvertrages vereinbart werden kann.53 Ansonsten verlören die übernommenen Arbeitnehmer den durch § 613a Abs. 1 S. 2 BGB angeordneten Inhaltsschutz „ihres“ bisherigen Tarifvertrags, obwohl sie mangels Gewerkschaftszugehörigkeit keinem anderen Kollektivsystem unterfallen, so dass ihre Arbeitsverhältnisse inhaltslos würden.54 Dies widerspräche dem Regelungsziel des § 613a BGB, Bestandsschutz zu gewähren. wig-Holstein v. 4.3.1998 – 2 Sa 456/97, NZA-RR 1999, 251 (252 ff.); LAG Köln v. 30.9.1999 – 6 (9) Sa 740/99, NZA-RR 2000, 179 (180). Selbst diese Ansicht kommt jedoch nicht zu einer normativen Geltung des Tarifvertrages, sondern postuliert entweder eine Anwendbarkeit des § 612 Abs. 2 BGB oder ein aus § 613a Abs. 1 S. 3 BGB hergeleitetes Recht des Arbeitgebers auf Anpassung der Arbeitsvertragsbedingungen über eine Änderungskündigung, vgl. Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 187, m. w. N. 50 Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 324; Erman-Edenfeld, BGB, § 613a Rn. 89; MüKo-Müller-Glöge, BGB, Bd. 4, § 613a Rn. 140; Gussen/Dauck, Weitergeltung, Rn. 233 ff.; Kempen/Zachert-Kempen, TVG, § 3 Rn. 114; Däubler, TarifvertragsR, Rn. 1557; Preis/Steffan, FS Kraft, S. 477 (485 ff.); ErfK-Preis, § 613a BGB Rn. 123; Staudinger-Annuß, § 613a BGB Rn. 281 f.; Moll, RdA 2007, 47 (48). 51 BAG v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99, NZA 2001, 510 (512); BAG v. 21.2.2001 – 4 AZR 18/00, NZA 2001, 1318 (1319 ff.); BAG v. 1.8.2001 – 4 AZR 82/00, EzA Nr. 199 zu § 613a BGB; BAG v. 11.5.2005 – 4 AZR 315/04, NZA 2005, 1362 (1364). Lambrich, FS Ehmann, 169 (204), spricht insofern davon, dass das BAG das „Tor zur Tarifflucht . . . weitgehend verriegelt“ hat. 52 BAG v. 20.4.1994 – 4 AZR 342/93, EzA Nr. 118 zu § 613a BGB; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 240; Soergel-Raab, BGB, § 613a Rn. 107; MüHdbArbR-Wank, Bd. 2, § 124 Rn. 183; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 187; ErfK-Preis, § 613a BGB Rn. 119; MüKo-Müller-Glöge, BGB, Bd. 4, § 613a Rn. 133 m. w. N. 53 Kania, DB 1994, 529 (530); Erman-Edenfeld, BGB, § 613a Rn. 89. A. A. Heinze, FS Schaub, S. 275 (290); Moll, RdA 1996, 275 (280 ff.); Wellenhofer-Klein, ZfA 1999, 239 (258 f.); Zöllner, DB 1995, 1401 (1404). 54 Soergel-Raab, BGB, § 613a Rn. 125; Preis/Steffan, FS Kraft, S. 477 (486); Staudinger-Annuß, § 613a BGB Rn. 282; Gussen/Dauck, Weitergeltung, Rn. 233 ff.;
A. Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang
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Des Weiteren sind § 613a Abs. 1 S. 2 und 3 BGB als Einheit im Sinne eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses zu betrachten. § 613a Abs. 1 S. 3 BGB soll Satz 2 lediglich dann verdrängen, wenn letzterer zu einer Kollision der transformierten Tarifnormen und der beim Erwerber nunmehr unmittelbar und zwingend geltenden tariflichen Regelungen führen würde.55 Eine Transformation nach Satz 2 kommt aber wie gerade erläutert56 nach ganz herrschender Auffassung nur in Betracht, sofern zuvor eine normativ geltende Kollektivvereinbarung vorlag. Insgesamt kann daraus geschlossen werden, dass § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB eine beiderseitige Tarifgebundenheit voraussetzt. (2) Konsequenzen für den Tarifwechsel Damit kann eine Ablösung der nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB transformierten Tarifverträge des Veräußerers durch die beim Erwerber geltenden Tarifverträge nach Satz 3 insbesondere dann misslingen, wenn ein Betriebsübergang mit einem Branchenwechsel verbunden ist oder aus einem anderen Grund beim Erwerber Tarifverträge einer anderen Gewerkschaft gelten. Es bleibt dann bei der statischen Fortgeltung gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB.57 Sofern die Tarifvertragsnormen nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB in das Arbeitsverhältnis transformiert und „eingefroren“ werden, besteht trotz der einjährigen Veränderungssperre immer noch die Möglichkeit, eine Änderung über § 613a Abs. 1 S. 4 BGB herbeizuführen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Tarifvertrag wegen Fristablauf oder Kündigung endet und deshalb nur noch nachwirkt oder dass der Erwerber und der Arbeitnehmer die Bezugnahme eines anderen einschlägigen Tarifvertrags vereinbaren.58
Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 188; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 326; Erman-Edenfeld, BGB, § 613a Rn. 89. 55 BAG v. 21.2.2001 – 4 AZR 18/00, NZA 2001, 1318 (1323); Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 188; Soergel-Raab, BGB, § 613a Rn. 125. 56 s. o. S. 206, Fn. 52. 57 Neue Gestaltungsmöglichkeiten ergeben sich aber durch die Gründung der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di (2001) durch den Zusammenschluss von DAG, DPG, HBV, IG Medien und ÖTV. Bis zu ihrer Gründung liefen die Ablösungsmöglichkeiten des § 613a Abs. 1 S. 3 BGB faktisch leer. Durch den Zusammenschluss wird eine gebündelte Zuständigkeit bewirkt. Damit ist die Möglichkeit einer Ablösung nach Satz 3 signifikant gestiegen. Vgl. auch BAG v. 11.5.2005 – 4 AZR 315/04, NZA 2005, 1362 ff. 58 Palandt-Weidenkaff, BGB, § 613a Rn. 32.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
c) Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers (§ 613a Abs. 5 BGB) Im Falle eines Betriebsübergangs hat der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber die betroffenen Arbeitnehmer gemäß § 613a Abs. 5 BGB vor dem Übergang in Textform über Zeitpunkt, Grund, rechtliche Folgen und geplante Maßnahmen zu unterrichten. Zu den rechtlichen Folgen gemäß § 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB gehören nach den Gesetzesmaterialien unter Bezugnahme auf § 613a Abs. 1 bis 4 BGB die Weitergeltung oder Änderung der bisherigen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis, die Haftung des bisherigen Arbeitgebers und des neuen Inhabers sowie der Kündigungsschutz.59 Hierzu sind auch die Auswirkungen auf die Fortgeltung von tariflichen oder betrieblichen Regelungen auf normativer oder individualrechtlicher Grundlage zu zählen.60 Ein Hinweis auf die Rechtsprechungsänderung des BAG zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln wird als entbehrlich angesehen, sofern aufgrund des Datums des Vertragsschlusses die Vertrauensschutzregelung des BAG und damit weiterhin die Auslegung als Gleichstellungsabrede Anwendung findet.61 Auch bei Anwendbarkeit einer derart komplexen Rechtslage wie der neuen Rechtsprechung ist § 613a Abs. 5 BGB Genüge getan, wenn der Arbeitgeber bei angemessener Prüfung der Rechtslage rechtlich vertretbare Positionen gegenüber seinen Arbeitnehmern kundtut.62
II. Auswirkungen von Bezugnahmeklauseln Nach Klärung der rechtlichen Grundlagen für das „Schicksal“ der normativen Tarifbindung bei Betriebsübergang ist nunmehr auf die spezifischen Rechtswirkungen arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln einzugehen. Im Grundsatz gilt nach obiger Darstellung, dass im Falle eines rechtsgeschäftlichen Übergangs eines Betriebs oder Betriebsteils auf einen anderen Inhaber dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen gemäß § 613a Abs. 1 S. 1 BGB eintritt.63 Aus der oben getroffenen Feststellung zur rechtlichen Wirkung von Bezugnahmeklauseln als rein individualrechtliche Absprachen64 59 BT-Drs. 14/7760, S. 19; BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, NZA 2006, 1268 (1272). 60 Vgl. BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 303/05, NZA 2006, 1273 (1275); ErfK-Preis, § 613a BGB Rn. 88. 61 BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 303/05, NZA 2006, 1273 (1275). 62 BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 303/05, NZA 2006, 1273 (1275). 63 s. o. A.I.1., ab S. 200, Fn. 13. 64 Vgl. o. Teil 1, B.III., ab S. 62.
A. Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang
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folgt, dass einzelvertragliche Verweisungen auf einen Tarifvertrag im Falle eines Betriebsübergangs gemäß § 613a Abs. 1 S. 1 BGB fortgelten.65 Die Rechte und auch die Pflichten aus dem in Bezug genommenen Tarifvertrag sind und bleiben also Inhalt des einzelnen Arbeitsverhältnisses. Die in Satz 2 vorgesehene Transformation von Tarifnormen in Individualansprüche bzw. -pflichten ist nicht anzuwenden, wenn und soweit die in Bezug genommenen Tarifnormen auch beim bisherigen Arbeitgeber nur einzelvertraglich galten.66 Daher gilt auch die einjährige Veränderungssperre des Satzes 2 nicht, so dass mit den Arbeitnehmern unmittelbar nach Betriebsübergang anderweitige Vereinbarungen auch zu ihren Lasten getroffen werden können.67 Satz 3 als Ausnahme zu Satz 2 ist deshalb ebenfalls nicht anwendbar.68 Dass Außenseiter insofern schlechter stehen können als Gewerkschaftsmitglieder, für die § 613a Abs. 1 S. 2 BGB gilt, ist durch die positive Koalitionsfreiheit gerechtfertigt, die den Bestand der Koalitionen schützt.69 Damit gelten Verweisungsklauseln zunächst individualrechtlich fort. Das Regelungskonzept des § 613a Abs. 1 S. 2–4 BGB und die Wirkungsweise der Bezugnahmeklausel nach § 613a Abs. 1 S. 1 BGB können dann eventuell in Widerstreit treten, wenn tarifrechtlich eine Transformation nach Satz 2 oder gar eine Ablösung nach Satz 3 durch einen neuen Tarifvertrag erfolgt, arbeitsvertraglich aber die Bezugnahme auf den alten Tarifvertrag des Veräußerers (dynamisch) erhalten bleibt. Die Thematik ist komplex und kann in jedem Einzelfall zu unterschiedlichen Rechtsfolgen führen. Anhand ausgewählter Einzelfälle aus dem Bereich des Betriebsübergangs sollen deshalb nachfolgend die Wirkungsweise der Bezugnahmeklauseln bei einem Betriebsübergang sowie die hieraus resultierenden rechtspraktischen Probleme untersucht werden. Es wird unterstellt, dass keine Allgemeinverbindlichkeit eines Tarifvertrags im Sinne von § 5 TVG vorliegt.70 Hierbei sind insbesondere die Folgen der 65 BAG v. 28.5.1997 – 4 AZR 663/95, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG v. 14.11.2007 – 4 AZR 861/06, NZA-RR 2008, 362 (363); Fischer, FA 2001, 2 (3); Hanau/Voss, FS Hilger/Stumpf, S. 271 (294); Kania, DB 1994, 529 (532); Henssler, FS Schaub, S. 311 (322); Gaul, BB 2000, 1086 (1086); Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 327 u. 599; ErfK-Preis, § 613a BGB Rn. 127; Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 252; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 367. 66 BAG v. 4.3.1993 – 2 AZR 507/92, AP Nr. 101 zu § 613a BGB; Prange, NZA 2002, 817 (821). 67 s. o. Teil 1, B.I., ab S. 47, Fn. 54. 68 Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 3 Rn. 204. 69 Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 252. 70 Zu diesem Sonderfall s. u. A.II.5.c), ab S. 251.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
geänderten Rechtsprechung des BAG71 für die betriebliche Praxis in den Blick zu nehmen. 1. Keine Tarifbindung bei Veräußerer und Erwerber Bevor auf die möglichen Konfliktlagen zwischen der Bezugnahmeklausel und den Regelungen des § 613a Abs. 1 S. 2–4 BGB eingegangen wird, ist zunächst der Fall zu untersuchen, dass weder Veräußerer noch Erwerber tarifgebunden sind. Beispiel: A ist Arbeitnehmer eines metallverarbeitenden Unternehmens, in dem nur aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Tarifvertrag der Metallindustrie gilt. Der Betriebsteil, in dem A tätig ist, wird auf ein eigenständiges, ebenfalls nicht tarifgebundenes Unternehmen übertragen. A fordert von seinem neuen Arbeitgeber unter Berufung auf die Bezugnahmeklausel eine nach Betriebsübergang erfolgte Tariflohnerhöhung.
Selbst wenn der Arbeitnehmer Gewerkschaftsmitglied ist, bestand in diesem Fall mangels Tarifgebundenheit des Veräußerers bereits ursprünglich keine normative Bindung an einen Tarifvertrag im Veräußererbetrieb. Der Tarifvertrag wirkte vielmehr bei sämtlichen Arbeitnehmern, ob Gewerkschaftsmitglied oder Außenseiter, nur über die individualvertragliche Bezugnahmeklausel. Auf diese Fallgruppe fand die bisherige Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede keine Anwendung.72 Mangels Tarifgebundenheit konnte es dem Veräußerer nicht um eine Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen von Organisierten und Außenseitern gegangen sein.73 Es erfolgte daher schon unter der „alten“ Rechtsprechung eine Auslegung der Bezugnahmeklausel gemäß § 133, 157 BGB. Nach dem Betriebsübergang wirkt die Bezugnahmeklausel weiterhin unverändert gemäß § 613a Abs. 1 S. 1 BGB.74 Ob eine automatische Anpassung an künftige Änderungen des in Bezug genommenen Tarifvertrags er71 BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 ff.; BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 ff. Vgl. o. die Einleitung, ab S. 33; Teil 1, D.II., ab S. 132. 72 BAG v. 25.9.2002 – 4 AZR 294/01, NZA 2003, 807 (809); WHSS-Hohenstatt, E Rn. 191; Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1265); Gaul, ZfA 2003, 75 (94 f.); Schliemann, NZA, Sonderbeilage zu Heft 16/2003, 3 (13). Unzutreffend daher Reichel, Bezugnahme, S. 207 f., der auch bei nichtorganisierten Arbeitgebern von der Anwendbarkeit der Auslegungsregel der Gleichstellungsabrede ausgeht. Vgl. o. Teil 1, D.II.1., ab S. 132. 73 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 617, 116; Henssler, FS Wißmann, S. 133 (152). 74 Vgl. WHSS-Hohenstatt, E Rn. 191.
A. Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang
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möglicht wird, hängt von der weiteren Ausgestaltung der Bezugnahmeklausel ab.75 Dies ist durch Auslegung zu ermitteln.76 a) Statische oder dynamische Klausel? Ob eine Verweisung auf einen Tarifvertrag statisch oder dynamisch gelten soll, bedarf der Auslegung der Klausel, die nach §§ 133, 157 BGB unter Berücksichtigung der §§ 305 ff. BGB zu erfolgen hat.77 Das BAG ist in mehreren Entscheidungen zu Recht davon ausgegangen, dass zwischen den Arbeitsvertragsparteien im Zweifel keine statische Verweisung gewollt ist.78 Das Arbeitsverhältnis ist als Dauerschuldverhältnis auf die Zukunft gerichtet. Die Arbeitsvertragsparteien wollen durch ihre Bezugnahme regelmäßig die tarifrechtliche Lage nachbilden. Tarifverträge sind ihrer Natur nach nicht statisch, sondern der Anpassung an wirtschaftliche Entwicklungen durch Abänderung ausgesetzt.79 Eine statische Bezugnahme würde aber den Tarifvertrag „einfrieren“ und könnte die tarifliche Entwicklung nicht berücksichtigen.80 Jede Tarifänderung zöge eine umständliche Vertragsänderung nach sich. Verweist der Arbeitsvertrag daher auf die für die Branche jeweils geltenden Tarifverträge bestimmter Tarifvertragsparteien, liegt eine statische Bezugnahme grundsätzlich nicht vor, und zwar selbst dann nicht, wenn dem Angebot auf Abschluss des Arbeitsvertrages ein bereits abgelaufener Tarifvertrag beigefügt war.81 In jedem Fall ist aber die tatsächliche praktische Handhabung der Klausel in der Auslegung mit zu berücksichtigen. Als Indiz für eine statische Inbezugnahme kann aber z. B. die Verweisung auf einen fachfremden Tarifvertrag anzusehen sein.82 In einem neueren Urteil gelangte das BAG zudem aufgrund des Wortlauts der Klausel (datums75
Gaul, ZfA 2003, 75 (94). BAG v. 6.12.1990 – 6 AZR 268/89, NZA 1991, 394 (395); BAG v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, NZA 1991, 736 (738). 77 BAG v. 19.9.2007 – 4 AZR 710/06, AP Nr. 54 zu § 133 BGB; Gaul, AktuellAR 2008, S. 244. 78 BAG v. 16.8.1988 – 3 AZR 61/87, NZA 1989, 102 (103); BAG v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, NZA 1991, 736 (737f.); BAG v. 13.11.2002 – 4 AZR 64/02, AP Nr. 23 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG v. 18.6.2008 – 7 AZR 116/07, NZA 2008, 1302 (1304). So auch Hanau, NZA 2005, 489 (489); Däubler, NZA Beil. 3/2006, 133 (134). Vgl. auch bereits o. Teil 1, C.II.3.d) dd), ab S. 119. 79 Gaul, NZA 1998, 9 (11); Seibert, NZA 1985, 730 (731); Skuderis, Betriebsübergang, S. 366. 80 Vgl. o. Teil 1, B.IV.3.a), ab S. 84. 81 BAG v. 26.9.2007 – 5 AZR 808/06, NZA 2008, 179 (180). 82 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 121 ff.; Winzer, Tarifgeltung, S. 26. 76
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
mäßige Benennung des Tarifvertrages, kein Verweis auf ergänzende, ändernde oder ersetzende Tarifverträge) und der Umstände zu einer Auslegung der Bezugnahme als statische Klausel und betonte, dass „im Zweifel“ für die Auslegung arbeitsvertraglicher Klauseln, die vom Arbeitgeber gestellt wurde, die gesetzliche Auslegungsregel des § 305c Abs. 2 BGB heranzuziehen sei.83 b) Kleine oder große dynamische Klausel? Den Regelfall stellt somit die dynamische Bezugnahmeklausel dar. Allerdings kommt eine große dynamische Klausel84 nur bei einer entsprechend formulierten Tarifwechselklausel oder bei Vorliegen besonderer Umstände in Betracht.85 Zudem müssen die in Bezug genommenen Tarifverträge zumindest bestimmbar sein.86 Gegen die Annahme einer großen dynamischen Bezugnahmeklausel spricht es außerdem, wenn der Veräußerer nicht tarifgebunden war oder auf einen branchenfremden Tarifvertrag verwiesen wurde.87 Im Regelfall wird es sich daher um eine kleine dynamische Bezugnahmeklausel handeln, aufgrund derer der Erwerber an den „alten“ Tarifvertrag in seiner jeweiligen Form gebunden wird. c) Rechtsfolgen der Bezugnahme Im Falle einer statischen Klausel wird der Erwerber an den alten Tarifvertrag in seiner näher bestimmten Fassung gebunden, bei einer kleinen dynamischen Klausel auch nach dem Betriebsübergang an jede weitere Entwicklung des in Bezug genommenen Tarifvertrags. Eine große dynamische Klausel hätte, sofern wie hier unterstellt beim Erwerber kein anderer Tarifvertrag einschlägig ist, kein hiervon abweichendes Ergebnis. Damit hätte im Fallbeispiel Arbeitnehmer A Anspruch auf eine Tariflohnerhöhung, da im Zweifel von einer dynamischen, nicht statischen Verweisung auszugehen ist. 83
BAG v. 19.9.2007 – 4 AZR 710/06, AP Nr. 54 zu § 133 BGB. Zum Begriff s. o. Teil 1, B.IV.3.c), ab S. 85. 85 BAG v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99, NZA 2001, 510 (511); BAG v. 16.10.2002 – 4 AZR 467/01, NZA 2003, 390 (391 f.); BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 765/06, AuR 2008, 181 (182), und 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364 (365 f.). Vgl. hierzu u. S. 238 f. 86 BAG v. 15.5.1986 – 2 AZR 497/85, n. v.; Preis, Vertragsgestaltung, S. 392; Fink, Arbeitgeberwechsel, S. 149; Skuderis, Betriebsübergang, S. 363; Etzel, NZA Beil. 1/1987, 19 (25 f.). Vgl. o. S. 117. 87 BAG v. 25.9.2002 – 4 AZR 294/01, NZA 2003, 807 (809); BAG v. 25.10.2000 – 4 AZR 506/99, AP Nr. 13 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; Skuderis, Betriebsübergang, S. 370; Hergenröder, FS 50 Jahre BAG, S. 713 (722). 84
A. Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang
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d) Besonderheiten bei Branchenwechsel: „Große Dynamik“ auch ohne ausdrückliche Vereinbarung? Fraglich ist, wie es sich auswirkt, wenn es im Zuge des Betriebsübergangs zu einem Branchenwechsel kommt,88 d.h. wenn der Erwerber einer anderen Branche angehört als der Veräußerer. In der Praxis ist dies besonders häufig bei Betriebsteilübergängen der Fall. Beispiel: Die Kantine eines metallverarbeitenden Unternehmens wird auf ein eigenständiges Gastronomieunternehmen übertragen. Der Inhaber dieses Gastronomieunternehmens ist nicht tarifgebunden. In dem Unternehmen der Metallindustrie galt der Tarifvertrag der IG Metall ausschließlich aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme; die Kantine fällt nunmehr fachlich in den Kompetenzbereich der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Später verlangt Arbeitnehmer A vom Erwerber die nach Betriebsübergang durch den Tarifvertrag der IG Metall gewährte Tariflohnerhöhung.
Es stellt sich die Frage, ob nach einem Betriebsübergang mit Branchenwechsel weiterhin der Tarifvertrag der „alten“ Branche Gegenstand der Bezugnahme bleibt oder ob die Bezugnahme nunmehr den neuen Tarifvertrag erfasst. Hierbei ist wiederum nach Klauseltypen zu unterscheiden: Eine statische Bezugnahme verweist nur auf den konkreten Tarifvertrag, ohne dass der Arbeitnehmer an der Tarifentwicklung teilnimmt, so dass der Parteiwille jedweder Änderung entgegensteht. Liegt eine große dynamische Klausel vor, kommt ein Tarifwechsel auf den einschlägigen Tarifvertrag für den Betrieb des Erwerbers in Betracht. Hierbei kommt es auf die Formulierung der Klausel an. Falls sie auf die „jeweils normativ geltenden“ Tarifverträge verweist und somit eine Tarifgebundenheit des Erwerbers voraussetzt, bewirkt sie keinen Wechsel des Bezugnahmeobjekts. Ein nicht tarifgebundener Veräußerer wird jedoch typischerweise keine derartige Formulierung wählen, sondern auf die „für den Betrieb einschlägigen“ Tarifverträge verweisen. Bei einer solchen Formulierung finden im Beispielsfall auf das Arbeitsverhältnis des A künftig ausschließlich die Tarifverträge für das Gaststättengewerbe Anwendung, auch soweit sie für ihn ungünstiger sind. Bei einer kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel bliebe es hingegen bei einer Anwendung des alten Tarifvertrags in seiner dynamischen Entwicklung. A hätte daher Anspruch auf die Tariflohnerhöhung. Dies kann dem Erwerber unerwünscht sein, muss er doch die Arbeitsbedingungen der übernommenen Arbeitnehmer nun nach einem fachlich 88 Zum Branchenwechsel ohne gleichzeitigen Betriebsübergang s. die Fallanalyse unten, Teil D., ab S. 329.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
nicht mehr einschlägigen Tarifvertrag ausrichten. Die Arbeitsbedingungen der Stammbelegschaft und der neu übernommenen Arbeitnehmer sind daher unterschiedlich, was zu Spannungen im Betrieb führen kann. Die Lösung dieses Problems ist umstritten. aa) Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB Hromadka/Maschmann/Wallner89 gehen davon aus, dass nach einem Betriebsübergang von einem nichtorganisierten Veräußerer auf einen nicht tarifgebundenen Erwerber automatisch der Tarifvertrag der neuen Branche bestimmend sei. Es sei davon auszugehen, dass die Arbeitsvertragsparteien den Tarifvertrag zugrunde gelegt hätten, weil dieser die für die Branche marktüblichen Bedingungen enthalte. Der Zweck der Vereinbarung lasse sich bei einem Branchenwechsel nur durch Inbezugnahme des einschlägigen Tarifvertrages erreichen. In Wahrheit sei daher eine große dynamische Verweisung ohne Beschränkung auf eine bestimmte Branche gewollt gewesen. Da der gemeinsame Wille der Parteien gemäß §§ 133, 157 BGB Vorrang habe vor dem Wortlaut, führe die Auslegung zur Anwendung des neuen Tarifvertrages, und zwar vom Zeitpunkt des Betriebsübergangs an.90 Damit wäre die Bezugnahmeklausel nunmehr auf den Tarifvertrag der NGG bezogen und A könnte keine Tariflohnerhöhung verlangen. Durch eine derartige Auslegung wird eine kleine dynamische Klausel im Ergebnis in eine große dynamische Klausel „uminterpretiert“. Hiergegen spricht jedoch schon der Wortlaut der kleinen Bezugnahmeklausel, die gerade keine „Jeweiligkeitsformel“91 enthält. Die Vertragspartner haben über einen Branchenwechsel im Regelfall nicht nachgedacht.92 Sollten sie sich hierüber allerdings Vorstellungen gemacht haben, so ist den Arbeitnehmern regelmäßig sehr wohl bewusst, dass das Tarifniveau bei gleicher Tätigkeit oftmals je nach Branche verschieden ist. Folglich kann die Zusage der Anwendung eines bestimmten Tarifvertrags eine entscheidende Rolle bei der Arbeitsplatzwahl spielen.93 Dann ist aber auch kein Raum für die durch Auslegung begründete Annahme eines auf eine Änderung gerichteten gemeinsamen Parteiwillens. 89
Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 619. Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 619 und 402. So auch Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (247), sofern kein Verweis auf einen örtlich oder fachlich nicht einschlägigen Tarifvertrag vorliegt. 91 Dazu o. Teil 1, B.IV.3.c), ab S. 85. 92 Gaul, ZTR 1993, 355 (361). 93 Annuß, BB 1999, 2558 (2561); ähnlich BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 765/06, AuR 2008, 181 (182), und 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364 (366). 90
A. Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang
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Ist der Erwerber an einen anderen Tarifvertrag gebunden als der Veräußerer, knüpft das BAG die Annahme einer Tarifwechselklausel selbst unter Gleichstellungsgesichtspunkten an besondere Umstände.94 Eine Auslegung einer kleinen dynamischen Klausel über ihren Wortlaut hinaus als Tarifwechselklausel kommt nur in Betracht, wenn sich belegen lässt, dass in der Klausel auch die Vereinbarung enthalten ist, dass die jeweils für den Betrieb einschlägigen Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung anwendbar sein sollten.95 Sind weder Veräußerer noch Erwerber tarifgebunden und fehlt es daher in aller Regel an einem Gleichstellungszweck, kann ohne eine ausdrückliche Regelung im Rahmen der Bezugnahmeklausel nicht davon ausgegangen werden, dass eine Änderung des in Bezug genommenen Tarifvertrages im Falle eines Branchenwechsels gewollt war. Seine Auffassung hat das BAG in einem Urteil erst kürzlich für den Fall des Betriebsübergangs auf einen Erwerber, der an einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag gebunden war, nochmals deutlich gemacht.96 Es lehnte eine korrigierende Auslegung der kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel mit der Begründung ab, dass die Parteien eine Tarifwechselklausel ausdrücklich hätten vereinbaren können. Die Auslegung führt deshalb ohne das Vorliegen besonderer Umstände nicht zu einem Wechsel des Bezugnahmeobjekts. Etwas anderes kann nur gelten, wenn die Bedeutung der Klausel unklar im Sinne des § 305c Abs. 2 BGB ist und die arbeitnehmergünstigste Auslegung eine Interpretation als große dynamische Klausel ergibt. bb) Wegfall der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB Eine Änderung des in Bezug genommenen Tarifvertrags könnte sich aufgrund einer Vertragsanpassung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB ergeben.97 Geschäftsgrundlage sind gemäß § 313 Abs. 1 BGB die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt gewordenen, bei Vertragsschluss aber zutage getretenen gemeinsamen Vorstellungen beider Vertragsparteien oder die einer Partei erkennbaren und von ihr nicht beanstandeten Vorstellungen der anderen Partei von dem Vorhandensein oder dem Eintritt bestimmter Umstände, auf denen der Geschäftswille der Parteien 94 BAG v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99, NZA 2001, 510 (511); BAG v. 25.9.2002 – 4 AZR 294/01, AP Nr. 26 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; s. unten S. 239, Fn. 195. 95 BAG v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99, NZA 2001, 510 (511). 96 BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 765/06, AuR 2008, 181 ff., und 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364 ff. Vgl. u. A.II.5.c), ab S. 251. 97 Vgl. zur Anwendbarkeit von § 313 BGB bei dynamischen Bezugnahmeklauseln bereits oben Teil 1, C.II.3.c)dd), ab S. 99.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
aufbaut.98 Sie müssen sich nach Abschluss des Vertrages „schwerwiegend“ verändert haben. § 313 BGB ist hingegen nicht anwendbar, wenn sich durch die Störung ein Risiko verwirklicht, das eine Partei zu tragen hat.99 Liegt eine Störung der Geschäftsgrundlage vor, kann gemäß § 313 Abs. 1 BGB eine Vertragsanpassung nur verlangt werden, wenn der von der Störung betroffenen Partei die unveränderte Vertragserfüllung nicht mehr zugemutet werden kann. Das Festhalten am Vertrag müsste zu untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit nicht zu vereinbarenden Ergebnissen führen.100 Erforderlich ist eine umfassende Interessenabwägung. Wenn die Arbeitsvertragsparteien oder zumindest eine der Parteien bei Vertragsschluss davon ausging(en), der Erwerberbetrieb werde der vereinbarten Branche auch nach einem Betriebsübergang weiterhin angehören, so könnten diese Vorstellungen im Falle eines Branchenwechsels über § 313 BGB Berücksichtigung finden.101 Das setzt aber voraus, dass die Arbeitsbedingungen für den Erwerber unzumutbar wären.102 In der Regel wird es für den Erwerber aber nicht unzumutbar sein, „fremde“ Tarifnormen anzuwenden. § 613a Abs. 1 S. 1 BGB weist dieses Risiko dem Erwerber insofern zu, als ihm die Berufung darauf abgeschnitten wird, die Bezugnahme führe zu unangemessen günstigen Vertragsbedingungen für den Arbeitnehmer.103 § 613a Abs. 1 S. 1 BGB bezweckt gerade den Schutz des Arbeitnehmers vor betriebsübergangsbedingten Schlechterstellungen; er entfaltet seine Schutzwirkung insbesondere in Fällen eines beim Erwerber zuungunsten der Arbeitnehmer veränderten Arbeitsumfeldes.104 Etwas anderes kann nur in besonders extremen Fällen gelten, in denen dem Erwerber das Festhalten am Vertrag unzumutbar wäre. 98
RG v. 15.12.1941 – V 77/41, RGZ 168, 121 (126 f.); BGH v. 23.10.1957 – V ZR 219/55, NJW 1958, 297 (297 f.); BGH v. 15.6.1951 – V ZR 86/50, NJW 1951, 836 (836 f.); BGH v. 25.7.1990 – 5 AZR 394/89, NJW 1991, 1562 (1563); BAG v. 15.9.2004 – 4 AZR 9/04, NZA 2005, 691 (693). Zur Unterscheidung zwischen subjektiver und objektiver Geschäftsgrundlage vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, § 313 Rn. 3 f.; MüKo-Roth, Bd. 2, § 313 Rn. 47 ff. 99 BGH v. 1.6.1979 – V ZR 80/77, NJW 1979, 1818 (1819); BGH v. 12.6.1987 – V ZR 91/86, NJW 1987, 2674 (2676); BGH v. 16.2.2000 – XII ZR 279/97, NJW 2000, 1714 (1716); Palandt-Grüneberg, BGB, § 313 Rn. 19. 100 BGH v. 11.7.1958 – VIII ZR 96/57, NJW 1958, 1772 (1772 f.); BGH v. 29.4.1982 – III ZR 154/80, NJW 1982, 2184 (2186); BGH v. 26.9.1996 – I ZR 265/95, NJW 1997, 1702 (1704). 101 So BAG v. 1.4.1987 – 4 AZR 77/86, AP Nr. 64 zu § 613a BGB. 102 Erman-Hohloch, BGB, § 313 Rn. 27; Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (206). 103 Annuß, ZfA 2005, 405 (452); Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (201 f.); anders aber BAG v. 1.4.1987 – 4 AZR 77/86, AP Nr. 64 zu § 613a BGB. 104 Annuß, ZfA 2005, 405 (452).
A. Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang
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Eine sachlich-dynamische Verweisung kann somit nur dann angenommen werden, wenn die Klausel als Tarifwechselklausel formuliert wurde oder sich eindeutig feststellen lässt, dass die Arbeitsvertragsparteien bei Kenntnis des späteren Branchenwechsels eine entsprechende offene Abrede getroffen hätten. Ein Branchenwechsel führt deshalb im Grundsatz nicht dazu, dass der Erwerber sich einer fortdauernden dynamischen Anwendung des ursprünglich in Bezug genommenen Tarifvertrages verweigern kann.105 Arbeitnehmer A könnte im vorliegenden Fallbeispiel deshalb bei einer kleinen dynamischen Klausel die Tariflohnerhöhung verlangen. e) Zwischenergebnis Sofern weder Veräußerer noch Erwerber tarifgebunden sind, führt ein Betriebsübergang dazu, dass die in Bezug genommenen Tarifnormen gemäß § 613a Abs. 1 S. 1 BGB einzelvertraglich für die vom Erwerber übernommenen Arbeitsverhältnisse gelten. Die Auslegung der Klausel wird durch den Betriebsübergang nicht berührt, eine etwaige Dynamik der Verweisung bleibt erhalten. Die Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede war auf diese Fallgruppe schon in der Vergangenheit nicht anwendbar. Die einzelnen Klauselarten können zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Im Falle eines Betriebsübergangs mit Branchenwechsel kommt, sofern keine Tarifwechselklausel vorliegt, eine Änderung des Bezugnahmeobjekts mittels Vertragsauslegung oder unter Berufung auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage nur bei Vorliegen besonderer Umstände in Betracht, d.h. bei einer entsprechenden in der Klausel enthaltenen Vereinbarung oder bei einer Unzumutbarkeit der Anwendung der „fremden“ Tarifnormen für den neuen Arbeitgeber.106 Eine Unzumutbarkeit wird aber nur sehr selten gegeben sein. 2. Tarifbindung nur des Veräußerers Andere Rechtsfolgen ergeben sich jedoch, wenn nur der Veräußerer, nicht jedoch der Erwerber, tariflich gebunden ist. Beispiel: Der Arbeitgeber des A gehört dem Verband der Metallindustrie an, der einen Entgelttarifvertrag mit der IG Metall geschlossen hat. Im Arbeitsvertrag des A verweist eine Bezugnahmeklausel auf diesen Tarifvertrag. Der Betriebsteil Stahlproduktion, in dem A tätig ist, wird auf ein eigenständiges, nicht tarifgebundenes Unternehmen übertragen. A begehrt vom Erwerber eine erst nach dem Betriebsübergang vereinbarte tarifliche Lohnerhöhung. 105
So auch Gaul, ZfA 2003, 75 (94 f.); WHSS-Hohenstatt, E Rn. 186. A. A. Spielberger, NZA 2007, 1086 (1089); Nicolai, DB 2006, 670 (672) (nur noch statische Bezugnahme nach Betriebsübergang). 106
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
In diesem Fall bestand im Veräußererbetrieb eine normative Geltung des Tarifvertrags, der zugleich kraft Bezugnahme auch arbeitsvertraglich Anwendung fand. Für die Lösung ist deshalb danach zu unterscheiden, ob der Arbeitnehmer A Gewerkschaftsmitglied oder Außenseiter ist. Außenseiter nehmen an der Tarifentwicklung lediglich aufgrund der Bezugnahmeklausel teil. Mit ihnen soll daher bei der Prüfung begonnen werden. Sonderprobleme ergeben sich bei Gewerkschaftsmitgliedern, die sich zusätzlich auf eine Bezugnahmeklausel berufen können. In der Praxis enthalten sämtliche Arbeitsverträge der Belegschaft eine Bezugnahmeklausel.107 In einem zweiten Schritt soll deshalb untersucht werden, wie sich das Zusammenspiel von Tarifbindung und Bezugnahmeklausel bei den Organisierten darstellt. a) Nicht tarifgebundener Arbeitnehmer Bei den Außenseitern gilt die sachliche Verweisung gemäß § 613a Abs. 1 S. 1 BGB nach dem Betriebsübergang unverändert weiter. Die § 613a Abs. 1 S. 2–4 BGB kommen nicht zur Anwendung,108 so dass jederzeit Änderungen auch zu Lasten der Arbeitnehmer vorgenommen werden können.109 Die Rechtsprechung forderte bisher für derartige Vereinbarungen, die für die Arbeitnehmer nachteilig sind, das Vorliegen sachlicher Gründe.110 Diese Rechtsprechung hat das BAG kürzlich zumindest für die Absenkung der vereinbarten Vergütung revidiert und eine solche Vereinbarung auch ohne sachlichen Grund für zulässig erklärt.111 Fraglich ist jedoch, welchen Inhalt die Bezugnahmeklausel in diesem Zusammenhang hat. Eine statische Klausel nimmt ausschließlich auf einen bestimmten Tarifvertrag Bezug, sie lässt daher keine Anpassung an sich verändernde Wirtschaftsbedingungen zu. Liegt aber eine kleine oder große dynamische Klausel vor, kann der Arbeitnehmer weiterhin an der dynamischen Tarifentwicklung teilnehmen. Ist kein anderer Tarifvertrag beim Erwerber einschlägig, verweist die große dynamische Klausel ebenso wie die kleine weiterhin auf den bisher anwendbaren Tarifvertrag in seiner jeweiligen Fassung. A könnte sich dann auf die nach Betriebsübergang erfolgte Tariflohnerhöhung berufen. 107
Zu den Gründen s. o. die Einleitung, S. 27 ff. s. o. vor A.II.1., S. 209, Fn. 66. 109 s. o. S. 209, Fn. 67, und S. 47, Fn. 54. 110 BAG v. 18.8.1976 – 5 AZR 95/75, AP Nr. 4 zu § 613a BGB; BAG v. 26.1.1977 – 5 AZR 302/75, AP Nr. 5 zu § 613a BGB; BAG v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, AP Nr. 18 zu § 613a BGB. 111 BAG v. 7.11.2007 – 5 AZR 1007/06, ZIP 2008, 286 (286 f.). Vgl. hierzu Teil 3, B.I.1.b), S. 432. 108
A. Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang
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aa) Verträge mit Vertragsschluss bis zum 31.12.2001 Diese dem Wortlaut der Bezugnahmeklausel und des § 613a Abs. 1 BGB zufolge nahe liegende Schlussfolgerung zog das BAG in einer Vielzahl von Entscheidungen der letzten Jahre nicht. Wie bereits im Rahmen der Auslegung von Bezugnahmeklauseln dargestellt, hat es vielmehr den allgemeinen Rechtssatz geprägt, dass arbeitsvertragliche Bezugnahmen auf Tarifverträge bei Tarifbindung des Arbeitgebers in der Regel (nur) als sog. „Gleichstellungsabreden“ zu verstehen seien.112 Der Arbeitgeber verfolge mit ihnen den Zweck, Gewerkschaftsmitglieder und Außenseiter gleichzustellen, d.h. ihnen gleiche Arbeitsbedingungen zu gewähren. Nach der Konzeption der Rechtsprechung richtet sich der Inhalt der Bezugnahmeklausel beim tarifgebundenen Arbeitgeber unter Gleichstellungsaspekten damit danach, was für das Schicksal der Tarifnormen in Bezug auf die Gewerkschaftsmitglieder gilt. Diese waren in der vorliegenden Fallkonstellation ursprünglich im Sinne der §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG an den Veräußerertarifvertrag gebunden. Bei einem Betriebsübergang auf einen nicht tarifgebundenen Erwerber werden die Tarifnormen aber gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB in das Arbeitsverhältnis transformiert und „eingefroren“.113 Angesichts der fehlenden Tarifbindung des Erwerbers ging das BAG früher davon aus, dass die Gleichstellungsabrede bei einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber „ohne materiellrechtliche Bedeutung bleibe, da der Zweck der Gleichstellung nicht mehr erreicht werden“ könne.114 Danach gälten nur die gesetzlichen Mindeststandards. Gegen diese Ansicht wurde zu Recht geltend gemacht, dass die Bezugnahmeklausel auch bei einem Betriebsübergang auf einen nicht tarifgebundenen Erwerber durchaus weiterhin materiellrechtlichen Gehalt habe, indem sie auf den beim Veräußerer geltenden Tarifvertrag verweise.115 Angesichts dieser Kritik hat das BAG diese Rechtsprechung nicht fortgesetzt.116 Es ging im Folgenden von einer entsprechenden Anwendung des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB aus. 112
s. o. Teil 1, D.II.1., ab S. 132; grundl. BAG v. 14.2.1973 – 4 AZR 176/72, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG v. 4.9.1996 – 4 AZR 135/95, NZA 1997, 271 (272); BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 (635). 113 s. o. A.I.2., ab S. 200. 114 BAG v. 4.8.1999 – 5 AZR 642/98, NZA 2000, 154 (155). 115 Vgl. Lambrich/Thüsing, Tarifautonomie, S. 123 (180); Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1266); Gaul, ZfA 2003, 75 (93 f.). 116 Vgl. BAG v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99, NZA 2001, 510 (510 f.); BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 (637); BAG v. 21.8.2002 – 4 AZR 263/01, NZA 2003, 442 (443); BAG v. 16.10.2002 – 4 AZR 467/01, AP Nr. 22 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
Gelten daher die vorherigen Tarifbestimmungen für die tarifgebundenen Arbeitnehmer nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB nur noch statisch fort und wird im Erwerberbetrieb auch kein anderer Tarifvertrag normativ im Sinne von § 613a Abs. 1 S. 3 BGB angewandt, stellen nach der „Theorie der Gleichstellungsabrede“ die aus der Anwendung des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB resultierenden Arbeitsbedingungen das einzig mögliche Bezugnahmeobjekt für eine Gleichstellung dar.117 Damit findet nach Auffassung der Rechtsprechung der in Bezug genommene Tarifvertrag mit Betriebsübergang auch für Außenseiter nur noch statische Anwendung.118 Insbesondere kann nach Ansicht des BAG119 eine als Gleichstellungsabrede auszulegende große dynamische Bezugnahmeklausel keinen Wechsel des Bezugnahmeobjekts herbeiführen, selbst wenn im Erwerberbetrieb ein anderer Tarifvertrag einschlägig ist. Etwas anderes kann nur in Fällen gelten, in denen der Erwerber – anders als im vorliegenden Fall – selbst (anderweitig) tarifgebunden ist. Ansonsten stelle der alte Tarifvertrag die einzige praktizierte tarifliche Ordnung dar. Es bleibe dann bei einer Weitergeltung des ehemals beim Veräußerer in Bezug genommenen Tarifvertrags.120 Im vorliegenden Fall wäre eine große dynamische Klausel daher unter Gleichstellungsgesichtspunkten wie eine kleine zu behandeln. Den nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern wäre deshalb ab diesem Zeitpunkt trotz des Vorliegens einer dynamischen Bezugnahmeklausel eine Teilhabe an zukünftigen Tarifentwicklungen verwehrt. Die Synchronisation der Arbeitsbedingungen von Gewerkschaftsmitgliedern und Außenseitern beim alten Arbeitgeber würde sich daher beim neuen fortsetzen.121 Aus unternehmerischer Sicht ist dies als überaus positiv zu bewerten, da die Auslegung als Gleichstellungsabrede „ewige Tariffesseln“122 vermeidet.
117 BAG v. 29.8.2001 – 4 AZR 332/00, NZA 2002, 513 (516 f.); BAG v. 21.8.2002 – 4 AZR 263/01, EzA Nr. 21 zu § 3 TVG; Schumacher-Mohr, GS Heinze, S. 843 (853); Fink, Arbeitgeberwechsel, S. 155; Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1265). 118 BAG v. 14.11.2007 – 4 AZR 861/06, NZA-RR 2008, 362 (366). 119 BAG v. 21.8.2002 – 4 AZR 263/01, NZA 2003, 442 (443); BAG v. 25.9.2002 – 4 AZR 294/01, NZA 2003, 807 (809); BAG v. 29.8.2001 – 4 AZR 332/00, NZA 2002, 513 (516 f.); BAG v. 20.2.2002 – 4 AZR 524/00, n. v. 120 BAG v. 29.8.2001 – 4 AZR 332/00, NZA 2002, 513 (516 f.); BAG v. 21.8.2002 – 4 AZR 263/01, NZA 2003, 442 (443); BAG v. 20.2.2002 – 4 AZR 524/00, n. v.; Schliemann, NZA, Sonderbeilage zu Heft 16/2003, 3 (13); Gaul, ZfA 2003, 75 (93 f.); Henssler, FS Wißmann, S. 133 (153); Fink, Arbeitgeberwechsel, S. 155. 121 Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1265); ähnlich Bauer/Günther, NZA 2008, 6 (10). 122 Thüsing, NZA 2003, 1184 (1185).
A. Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang
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bb) Verträge mit Vertragsschluss ab dem 1.1.2002 Die Rechtsprechung des BAG zur Gleichstellungsabrede hat nunmehr eine entscheidende Wendung erfahren. In seinem Urteil vom 14.12.2005123 kündigte das BAG in völliger Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung an, zukünftig für ab dem 1.1.2002 geschlossene Arbeitsverträge nicht mehr an der Auslegung von Bezugnahmeklauseln als Gleichstellungsabreden festhalten zu wollen.124 Diese Rechtsprechung hat das BAG auch mittlerweile umgesetzt, so dass an der Abkehr von der Gleichstellungsabrede keine Zweifel mehr bestehen.125 Eine Auslegung als Gleichstellungsabrede kommt in Zukunft nicht mehr in Betracht, wenn nicht innerhalb oder außerhalb der Vertragsurkunde liegende Anhaltspunkte für eine Gleichstellung erkennbar sind. Der Arbeitnehmer darf damit ohne eine eindeutig vereinbarte Gleichstellungsabrede den dynamischen Verweis auf bestimmte Branchentarifverträge auch dann beim Wort nehmen, wenn der Grund für diese Vereinbarung – z. B. nach einem Betriebsübergang auf einen nicht tarifgebundenen Erwerber – weggefallen ist. Seit dem 1.1.2002 eingestellte Arbeitnehmer können sich dann künftig auf jede Änderung des ursprünglichen Tarifvertrags berufen. Auf den vorliegenden Fall bezogen bedeutet dies, dass nunmehr eine Auslegung der Willenserklärung der Parteien nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB erfolgt. Ein Gleichstellungszweck müsste durch die innerhalb oder außerhalb der Vertragsurkunde liegenden Umstände erkennbar sein und kann ansonsten auch nicht im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung in die insofern eindeutig formulierte Klausel „hineingelesen“ werden. Eine dynamisch formulierte Klausel bleibt dynamisch, selbst wenn die normative Tarifbindung des Arbeitgebers wegfällt. Ergeben sich bei der Auslegung ausnahmsweise auch nach Ausschöpfung aller Auslegungsmöglichkeiten Unklarheiten, welcher Klauseltyp gewollt ist, kommt die Anwendung des § 305c Abs. 2 BGB in Betracht: Die Tatsache, dass es jahrelangen Streit über die Auslegung von Bezugnahmeklauseln gab, zeigt, dass oftmals mehr als zwei Auslegungen einer Bezugnahmeklausel vertretbar sind.126 Dies ist genau der Fall, den § 305c Abs. 2 BGB erfasst. Unklarheiten gehen dann zu Lasten des Arbeitgebers als Klauselverwender. 123
BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 ff. s. o. Teil 1, D.II.3., ab S. 137. 125 BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 207, 965 ff.; BAG v. 22.10.2008 – 4 AZR 793/07, bisher nur als Pressemitteilung Nr. 79/08, abrufbar unter www. bundesarbeitsgericht.de, s. o. Teil 1, D.II.4., ab S. 139. 126 Jacobs, FS Birk, S. 243 (249). Vgl. o. S. 141 sowie Teil 1, D.III.3.b)cc), ab S. 156. 124
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
Es bleibt dann anstelle einer nur noch statischen Fortgeltung des Tarifvertrages bei einer dynamischen Fortentwicklung, sofern diese wie im vorliegenden Fall für den Arbeitnehmer günstiger ist. Prinzipiell und traditionell folgt die Tarifentwicklung dem Grundsatz stetig steigender Löhne und kürzerer Arbeitszeiten.127 Zwingend ist die Annahme einer Dynamik jedoch nicht. Sie entbehrt immer dann einer tragfähigen Grundlage, wenn spätere Tarifverträge den bisherigen tarifrechtlichen status quo zu Ungunsten der Arbeitnehmer verändern.128 Folglich ist die Klausel ihrem Wortlaut getreu anzuwenden. Ein Gleichstellungszweck muss für den Arbeitnehmer erkennbar zur auflösenden Bedingung für die Dynamik der Bezugnahme gemacht worden sein. Bei Unklarheiten darüber, welche Klauselart von den Parteien gewollt war, gilt jeweils das für die Arbeitnehmer Günstigste.129 Im vorliegenden Beispielsfall wäre dies eine dynamische Bezugnahme. b) Tarifgebundener Arbeitnehmer Wenn der Arbeitgeber Bezugnahmeklauseln verwendet, enthalten in der Praxis auch die Arbeitsverträge der Organisierten in aller Regel (kumulativ) eine Bezugnahme auf den einschlägigen Tarifvertrag.130 Insofern können sich Fragen hinsichtlich des Verhältnisses zwischen § 613a Abs. 1 S. 1 und S. 2–4 BGB ergeben. aa) Kollision von § 613a Abs. 1 S. 2 BGB mit der Bezugnahmeklausel Für die Gewerkschaftsmitglieder gilt bei einem Betriebsübergang von einem tarifgebundenen Veräußerer auf einen nicht tarifgebundenen Erwerber zunächst die kollektive Regelung über § 613a Abs. 1 S. 2 BGB statisch fort.131 127
Däubler, NZA Beil. 3/2006, 133 (134); ders., RdA 2002, 303 (306); Thüsing/ Lambrich, NZA 2002, 1361 (1366); Diehn, NZA 2004, 129 (134); Klagges, Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang, S. 94; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 310. Vgl. o. S. 121. 128 Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 310; i. Erg. ebenso Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1366); Klagges, Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang, S. 94; Wisskirchen/Lützeler, AuA 2006, 528 (530). 129 A. A. offenbar Spielberger, NZA 2007, 1086 (1089); Meinel/Herms, DB 2006, 1429 (1430); Zerres, NJW 2006, 3533 (3537). 130 Zu den Gründen s. S. 29. 131 Vgl. A.I.2., S. 202, Fn. 29.
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Gibt es zusätzlich in ihrem Arbeitsvertrag eine Bezugnahmeklausel, ist fraglich, wie sich diese auswirkt. Wäre man oben der Ansicht gefolgt, dass sie bei beiderseitiger Tarifbindung nur deklaratorische Wirkung hat,132 käme ihr in diesem Falle keine eigenständige Bedeutung zu. Sie würde nur auf die kollektivrechtliche Rechtslage verweisen, die sich auch ohne Bezugnahmeklausel ergäbe, d.h. sie würde auf § 613a Abs. 1 S. 2 BGB Bezug nehmen. Misst man ihr nach der hier vertretenen Ansicht hingegen eine konstitutive Rechtswirkung zu, besteht sie neben der kollektivrechtlichen Regelung als eigenständige schuldrechtliche Abrede, die auch im Falle der unmittelbaren Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers grundsätzlich nach § 613a Abs. 1 S. 1 BGB auf den Erwerber übergeht. Ihr Inhalt ist erneut durch Auslegung nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Hierbei ist ebenso wie bei den Außenseitern zu klären, ob die Bezugnahmeklausel trotz einer nur statischen Fortwirkung der Kollektivnormen nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB weiterhin über § 613a Abs. 1 S. 1 BGB eine Teilnahme an der weiteren Tarifentwicklung eröffnet. Nach der bisherigen Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede war dies zu verneinen: Die Bezugnahmeklausel verwies hier nur auf die Rechtslage, wie sie bei Tarifgebundenheit der Arbeitnehmer bestünde, d.h. § 613a Abs. 1 S. 2 BGB. Damit stand zugleich fest, dass sie auch bei tarifgebundenen Arbeitnehmern keine weitergehenden Rechtsfolgen zeitigte, als sie sich ohnehin schon aus § 613a Abs. 1 S. 2 BGB ergaben. § 613a Abs. 1 S. 2 BGB bestimmte den Inhalt der über § 613a Abs. 1 S. 1 BGB weiter wirkenden Bezugnahmeklausel. Die – auch vom BAG angenommene133 – konstitutive Bezugnahmeklausel wurde durch die Gleichstellungsrechtsprechung daher faktisch zu einer deklaratorischen Klausel reduziert.134 Im vorliegenden Fall nähme der Arbeitnehmer daher an einer Tariflohnerhöhung nicht mehr teil. Die geänderte Rechtsprechung führt dazu, dass eine Auslegung nach allgemeinen Grundsätzen, primär nach dem Wortlaut und in Fällen von Unklarheiten nach Ausschöpfung aller Auslegungsmethoden unter Berücksichtigung der Wertungen des § 305c Abs. 2 BGB vorzunehmen ist. Fraglich ist, wie sich dies bei den Gewerkschaftsmitgliedern auswirkt. Zwar treffen die bisher zur neuen Rechtsprechung ergangenen BAG-Urteile hierzu keine Aussage. Soweit das BAG aber von seiner Gleichstellungsdogmatik Abstand nimmt, geht es nicht mehr davon aus, dass die Klausel nur das wi132 133 134
s. o. Teil 1, B.IV.1.c), ab S. 70. s. o. Teil 1, B.IV.1.c), ab S. 70. s. o. S. 143.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
derspiegeln solle, was tarifrechtlich gilt. Daher misst es ihr von nun an eine „echte“ konstitutive und von der tarifrechtlich gegebenen Lage unabhängige Bedeutung zu. Dieser Paradigmenwechsel muss sich dann denklogisch auf die Auslegung der Bezugnahmeklauseln der Gewerkschaftsmitglieder erstrecken. bb) Rangverhältnis § 613a Abs. 1 S. 1 und 2 BGB So kann sich nun aber eine Divergenz ergeben: Der bisherige Tarifvertrag wirkt über § 613a Abs. 1 S. 2 BGB nur noch statisch fort. Je nachdem, welchen Charakter die Bezugnahmeklausel hat, kommt über § 613a Abs. 1 S. 1 BGB bei wortlautgetreuer Anwendung (eventuell bei Unklarheiten in Verbindung mit § 305c Abs. 2 BGB) hingegen eine dynamische Fortgeltung in Betracht. Bei Organisierten, deren Arbeitsvertrag eine Bezugnahmeklausel enthält, können somit – anders als bei den Außenseitern – die gesetzliche Transformationswirkung nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB und die rein individualrechtliche Fortgeltung des § 613a Abs. 1 S. 1 BGB mit unterschiedlichen Rechtsfolgenanordnungen aufeinander treffen. Fraglich ist daher, in welchem Rangverhältnis § 613a Abs. 1 S. 1 und 2 BGB zueinander stehen. (1) Beurteilung der rechtlichen Wirkung des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB Dies hängt möglicherweise davon ab, wie man die rechtliche Wirkung des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB einordnet. Zum einen ließe sich die Ansicht vertreten, dass die Kollektivverträge nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB kollektivrechtlich weitergelten (sog. kollektivrechtliche Lösung). Vertreter135 dieser Ansicht legen den Wortlaut („werden . . . Inhalt des Arbeitsverhältnisses“) so aus, dass unter dem Arbeitsverhältnis nicht nur der Arbeitsvertrag, sondern das gesamte Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer verstanden werden kann, einschließlich der von außen auf den Arbeitsvertrag einwirkenden Kollektivnormen.136 Nach dieser Auffassung ist § 613a Abs. 1 S. 2 BGB eine „normative Fortgeltungsanordnung“ hinsichtlich der zuvor unmittelbar geltenden Kollektivbestimmungen, die – abgesehen von den Ausnahmen nach den Sätzen 2 und 3 – für die Dauer eines Jahres zugunsten der betroffenen Arbeitnehmer bezüglich verschlechtern135 Seiter, Betriebsinhaberwechsel, S. 90; Hromadka, DB 1996, 1872 (1876); Staudinger-Annuß, § 613a BGB Rn. 249 f.; ders., ZfA 2005, 405 (453 f.); Zöllner, DB 1995, 1401 (1401 f.); Lambrich, FS Ehmann, S. 169 (178). 136 Die Nähe zu § 4 Abs. 5 TVG betont BAG v. 29.8.2001 – 4 AZR 332/00, NZA 2002, 513 (516).
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der Individualvereinbarungen zwingende Wirkung entfaltet.137 Sofern die Bezugnahmeklausel günstiger ist, kann sie also schon während dieses Jahres vorgehen, vgl. § 613a Abs. 1 S. 2 BGB a. E. Mit Ablauf der Veränderungssperre würde eine ungünstigere Bezugnahmeklausel wieder aufleben.138 Nichts anderes ergibt sich aber unter der seitens des BAG139 favorisierten Prämisse, § 613a Abs. 1 S. 2 BGB bedinge eine Transformation der vormals normativen Tarifbestimmungen auf die individualvertragliche Ebene (sog. individualrechtliche Lösung). Dieser Ansicht nach enthält Satz 2 – ebenso wie Satz 1 – nur eine individualrechtliche Regelung. Hierfür spricht die EG-Betriebsübergangsrichtlinie 2001/23/EG vom 12.3.2001, die in Art. 3 Abs. 3 nur eine Aufrechterhaltung der Kollektivverträge fordert, nicht aber ausdrücklich ihre kollektive Fortgeltung. Diese Ansicht stützen ferner der Wortlaut des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB sowie der den Gesetzesmaterialien zu entnehmende Wille des Gesetzgebers, rechtstechnisch eine Transformation in Individualarbeitsrecht vorzunehmen.140 Zwischen beiden individualvertraglichen Regelungen gilt dann ebenfalls das Günstigkeitsprinzip.141 (2) Günstigkeitsvergleich zwischen Tarifvertrag und Bezugnahmeklausel Da beide Ansichten zu einer Anwendung der jeweils günstigeren Regelung führen, ist eine Streitentscheidung entbehrlich. Es handelt sich nicht um das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG, das mangels eines unmittelbar und zwingend geltenden Tarifvertrages schon nicht einschlägig ist. Das Günstigkeitsprinzip gilt hier vielmehr als ein allgemeiner Rechtssatz, demgemäß die rangniedrigere Regelung, gleich ob kollektiv- oder indivi137 Annuß, ZfA 2005, 405 (454), unter Verweis auf Heinze, DB 1998, 1861 (1862); Zöllner, DB 1995, 1401 f. 138 Annuß, ZfA 2005, 405 (455). 139 BAG v. 29.8.2001 – 4 AZR 332/00, NZA 2002, 513 (515 f.); ebenso BAG v. 22.1.2003 – 10 AZR 227/02, AP Nr. 242 zu § 613a BGB; so auch ErfK-Preis, § 613a BGB Rn. 112; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 196 f.; MüHdbArbR-Wank, Bd. 2, § 124 Rn. 183 f.; Soergel-Raab, BGB, § 613a Rn. 104; ErmanEdenfeld, BGB, § 613a Rn. 72; Kania, DB 1994, 529 (529); Schiefer, DB 2003, 390 (390); Prange, NZA 2002, 817 (818). Lambrich, FS Ehmann, S. 169 (177 ff.) kritisiert dies als einen gesetzgeberischen „Kunstgriff“. 140 Vgl. Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 197; Moll, RdA 1996, 275 (276); s. auch die Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drs. 8/3317, S.11; BRDrs. 353/79, S. 18. 141 Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (211).
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
dualrechtlicher Natur, grundsätzlich zugunsten des Arbeitnehmers von einer ranghöheren abweichen darf.142 Es erfolgt damit ein (objektiv-individueller) Sachgruppenvergleich der sachlich zusammenhängenden Regelungskomplexe aus Tarifvertrag und Arbeitsvertrag.143 Dies wird für den Fall einer Globalbezugnahme bei einem (im vorliegenden Fall nicht gegebenen) normativ geltenden Tarifvertrag anders gesehen, da insofern zwei tarifliche Regelwerke kollidierten. In diesem Falle sei ein Gesamtvergleich vorzunehmen.144 Mangels Feststellbarkeit der günstigeren Regelung setze sich hierbei der normativ wirkende Tarifvertrag durch.145 Gegen diese Ansicht spricht jedoch, dass ein Gesamtvergleich zwischen zwei Tarifverträgen kaum durchführbar ist und das Günstigkeitsprinzip eine individuelle, auf das einzelne Arbeitsverhältnis zugeschnittene Besserstellung des Arbeitnehmers ermöglichen soll.146 Die Lösung über das Günstigkeitsprinzip führt zu sachgerechten Ergebnissen: Die Betriebsübergangsrichtlinie verlangt einen Mindestschutz, verhindert gleichzeitig aber nicht eine Teilhabe an der dynamischen Entwicklung der Kollektivverträge aufgrund vertraglichen Verweises. Zudem lässt Art. 8 der Richtlinie für die Arbeitnehmer günstigere Regelungen ausdrücklich zu. Der deutsche Gesetzgeber konnte deshalb über diesen „Mindeststandard“ hinausgehen und zugunsten des Arbeitnehmers den Bestandsschutz des alten Tarifvertrages noch ausbauen. § 613a Abs. 1 S. 2 BGB enthält vor diesem Hintergrund vor allem ein Verschlechterungsverbot.147 Sein Sinn ist es, für ein Jahr die tariflichen Rechte überhaupt zu erhalten, nicht aber, günstigere vertragliche Ansprüche nach Satz 1 zu sperren. Ansonsten würde § 613a BGB seinem Zweck nicht hinreichend gerecht, sicherzustellen, dass die Arbeitnehmer durch einen Betriebsteil142 Jacobs, FS Birk, S. 243 (254); Jacobs/Krause/Oetker-Jacobs, TarifvertragsR, § 7 Rn. 20; Annuß, ZfA 2005, 405 (454 f.); Lambrich, FS Ehmann, S. 169 (232) m. w. N. 143 Vgl. BAG v. 20.4.1999 – 1 ABR 72/98, AP Nr. 89 zu Art. 9 GG; BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364 (367): „Nach alledem richten sich die Einzelansprüche der Kl. (. . .) gem. § 4 III TVG nach den im Vergleich zu den entsprechenden tariflichen Regelungen des Gebäudereinigerhandwerks günstigeren Normen des BMT-G II.“ Vgl. auch Wiedemann-Wank, TVG, § 4 Rn. 470 ff.; HWK-Henssler, § 4 TVG Rn. 25 ff. m. w. N. 144 ErfK-Franzen, § 4 TVG Rz. 37; ders., RdA 2008, 193 (197); Löwisch/Rieble, § 4 TVG Rn. 264 f. 145 Hiergegen jedoch BAG v. 17.4.2002 – 5 AZR 644/00, AP Nr. 40 zu § 611 BGB – Mehrarbeitsvergütung. 146 Vgl. Jacobs/Krause/Oetker-Jacobs, TarifvertragsR, § 7 Rn. 36; WiedemannOetker, TVG, § 3 Rn. 291. 147 BAG v. 21.2.2001 – 4 AZR 18/00, NZA 2001, 1318 (1323); Palandt-Weidenkaff, BGB, § 613a Rn. 28.
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übergang nicht benachteiligt werden dürfen.148 Die Wirkung des vor dem Betriebsübergang geltenden Günstigkeitsprinzips bleibt daher nach Wegfall der normativen Geltung des Tarifvertrags zugunsten des Arbeitnehmers erhalten.149 Hiergegen ließe sich zwar einwenden, dass auf diese Weise wiederum eine Gleichstellung – nunmehr in „umgekehrter“ Richtung – stattfindet: Es kommt das jeweils Günstigste zur Anwendung; die Gewerkschaftsmitglieder werden vor den Folgen ihrer Tarifbindung geschützt. Es gilt jedoch zu bedenken, dass auch für sie die Bezugnahmeklausel konstitutive Wirkung entfaltet und damit einen separaten, eigenständigen Geltungsgrund des Tarifvertrages (auf individualrechtlicher Ebene) schafft. Ließe man hier einen Günstigkeitsvergleich nicht zu, würden die Gewerkschaftsmitglieder aufgrund ihrer Tarifbindung schlechter gestellt als die Außenseiter. Dies würde sie in ihrer Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) verletzen. Damit können auch Gewerkschaftsmitglieder aufgrund der Bezugnahmeklausel weiterhin an der dynamischen Geltung des alten Tarifvertrages teilhaben. Im vorliegenden Fall wäre die dynamische Teilnahme an der Tariflohnerhöhung kraft vertraglicher Bezugnahme günstiger als die statische Fortgeltung kraft Gesetzes und ginge deshalb der rein statischen Wirkung des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB vor. cc) Sonderfall der großen dynamischen Klausel Uneinigkeit besteht in der Frage, ob die Kollisionslage zwischen § 613a Abs. 1 S. 1 und 2 BGB auch bei einer großen dynamischen Bezugnahmeklausel nach dem Günstigkeitsprinzip aufzulösen ist. Einige Stimmen in der Literatur vertreten in diesem Fall die Ansicht, dass die Regelung des § 613a Abs. 1 S. 4 Var. 2 BGB zur Anwendung komme.150 Die große dynamische Klausel sei als „Vereinbarung“ anzusehen, den neuen Tarifvertrag anzuwenden, und verdränge die über § 613a Abs. 1 S. 2 BGB fortgeltenden Bestimmungen. Die Bezugnahmeklausel 148 MüKo-Müller-Glöge, BGB, Bd. 4, § 613a Rn. 6; Palandt-Weidenkaff, BGB, § 613a Rn. 2; Soergel-Raab, BGB, § 613a Rn. 6; Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (211). Vgl. o. S. 199. 149 Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 183, 198. 150 Annuß, ZfA 2005, 405 (455 f.); ders., RdA 2000, 179 (182); ders., BB 1999, 2558 (2561); HWK-Willemsen/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rn. 279; Bayreuther, NZA 2007, 187 (190); Henssler, FS Wißmann, S. 133 (153 f.); Hanau, NZA 2005, 489 (492); Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 227 ff.; Bauer/Günther, NZA 2008, 6 (10).
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
verweise dann auf die beim Erwerber einschlägigen Tarifverträge – und zwar unabhängig von ihrer Günstigkeit.151 Der Vorschrift sei die allgemeine Aussage zu entnehmen, dass die normative Fortgeltungsanordnung des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB zurücktreten solle, wenn die Arbeitsvertragsparteien in privatautonomer Gestaltung eine abweichende Regelung getroffen hätten, die infolge der Verweisung auf die einschlägigen Tarifbedingungen einen angemessenen Mindeststandard rechtfertigte. Auch wenn der beim Erwerber einschlägige Tarifvertrag ungünstiger wäre als die statische Fortgeltung des „alten“ Tarifvertrags, käme es nach dieser Auffassung zu einer Verdrängung des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB und einer (dynamischen) Geltung allein des ungünstigeren neuen Tarifvertrags. Sofern also im vorliegenden Fallbeispiel beim Erwerber ein Tarifvertrag mit gegenüber dem „alten“ Tarifvertrag niedrigerem Tariflohn einschlägig wäre, könnte Arbeitnehmer A sich nicht mehr auf den (statisch) fortgeltenden „alten“ Tarifvertrag nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB berufen und hätte nur Anspruch auf den niedrigeren neuen Tariflohn. Ein Günstigkeitsvergleich schiede aus. Ob § 613a Abs. 1 S. 4 BGB jedoch tatsächlich in der hier interessierenden Fallkonstellation greift, ist höchstrichterlich ungeklärt und umstritten. Für die insofern parallele152 Vorschrift des § 4 Abs. 5 TVG hat das BAG eine schon vor Beginn der Nachwirkung abgeschlossene Vereinbarung zugelassen.153 Gegen die Anwendbarkeit des § 613a Abs. 1 S. 4 Var. 2 BGB auf vorherige Absprachen spricht, dass die „Vereinbarung“ gemäß dem Wortlaut der Norm zeitlich nach dem Betriebsübergang und zwischen dem „neuen Inhaber“ – nicht dem Veräußerer – und dem Arbeitnehmer erfolgen muss.154 Auch könnte eine Anwendung im Gegensatz zum Schutzzweck des § 613a BGB stehen, den Arbeitnehmer durch den Betriebsübergang nicht schlechter zu stellen.155 Man könnte § 613a Abs. 1 S. 2 BGB daher als „Mindest-Bestandsschutz“ interpretieren, der nur unter den Voraussetzungen der eng auszulegenden Sätze 3 und 4 überwunden werden kann. 151 Hanau, NZA 2005, 489 (492); Henssler, FS Wißmann, S. 133 (154); Ebeling, Bezugnahme, S. 239; Zöllner, DB 1995, 1401 (1405). A. A. Reichel, Bezugnahme, S. 203; Lambrich, FS Ehmann, S. 169 (234). 152 Jacobs, Anm. zu BAG AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 136 f.; WHSS-Hohenstatt, E Rn. 206. 153 BAG v. 23.2.2005 – 4 AZR 186/04, DB 2005, 2305 (2307); WHSS-Hohenstatt, E Rn. 206. Vgl. hierzu auch unten B.III.1.b)bb)(2)(a)(bb), ab S. 278. 154 Jacobs, Anm. zu BAG AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung; Lambrich, FS Ehmann, S. 169 (234); Reichel, Bezugnahme, S. 204. 155 s. o. S. 199.
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Indes kann dem Wortlaut keine ausschlaggebende Bedeutung zukommen, da die Problematik der großen dynamischen Verweisungsklauseln im Gesetzgebungsverfahren nicht bedacht wurde.156 Die Entwurfsbegründung weist vielmehr darauf hin, dass für § 613a Abs. 1 S. 4 Var. 2 BGB nicht der Zeitpunkt der Bezugnahmevereinbarung entscheidend sein sollte, sondern dass jede materielle Kollision zwischen den nach Satz 2 fortgeltenden und den über Satz 1 anwendbaren, beim Erwerber einschlägigen Tarifbedingungen zugunsten letzterer aufzulösen ist.157 § 613a Abs. 1 S. 4 Var. 2 BGB betrifft unmittelbar Bezugnahmeklauseln, so dass nicht nachvollziehbar ist, weshalb eine nachträgliche Bezugnahmeklausel eine andere – weitergehende – Wirkung entfalten soll als eine Klausel, die bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses den Fall des Betriebsübergangs erfasst.158 Eine große dynamische Klausel ist gerade eine Tarifwechselklausel, die immer dann eine Änderung des Bezugsobjekts bezweckt, wenn das ursprüngliche Objekt nicht mehr einschlägig ist. Die Charakterisierung des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB als Verschlechterungsverbot159 steht hier nicht entgegen: § 613a Abs. 1 S. 4 Var. 2 BGB liegt die Wertung zugrunde, dass es keines Bestandsschutzes im Sinne des Satzes 2 bedarf, wenn der Arbeitnehmer einverständlich mit dem Arbeitgeber eine abweichende Individualvereinbarung trifft. Insofern verzichtet er im Wege der Privatautonomie auf den Schutz, den Satz 2 zunächst in seinem Interesse vorsieht. Der Gesetzgeber ist offenbar davon ausgegangen, dass der über die Bezugnahmeklausel anwendbare Tarifvertrag im Zweifel eine ebenso ausgewogene Regelung der Arbeitsbedingungen enthält wie der beim bisherigen Arbeitgeber geltende.160 § 613a Abs. 1 S. 4 Var. 2 BGB bezweckt, die vorzeitige Ablösung transformierter tariflicher Arbeitsbedingungen zu ermöglichen, sofern an ihre Stelle die mit der tariflichen Richtigkeitsgewähr ausgestatteten Bedingungen eines anderen Tarifvertragswerks treten.161 Vor diesem Hintergrund kann es aber keinen Unterschied machen, ob die Vereinbarung mit dem Veräußerer oder dem Erwerber getroffen wird. Interessen des Erwerbers stehen hier nicht entgegen. Vielmehr wird seinem Vereinheitlichungsinteresse Rechnung getragen. Es ist auch kein Gestaltungsmissbrauch zu befürchten:162 Der Erwerber kann sich nicht auf irgendeinen für ihn günstigen Tarifvertrag berufen; vielmehr gilt nur ein einziger, nämlich der (örtlich und fachlich) einschlägige. 156 157 158 159 160 161 162
Annuß, ZfA 2005, 405 (456). BT-Drs. 8/3317, S. 11; Annuß, ZfA 2005, 405 (456). Henssler, FS Wißmann, S. 133 (154). s. o. S. 226, Fn. 147. Ebeling, Bezugnahme, S. 240; WHSS-Hohenstatt, E Rn. 135. Bauer/Haußmann, DB 2003, 610 (613). Henssler, FS Wißmann, S. 133 (154); Bauer/Günther, NZA 2008, 6 (10).
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Damit ist § 613a Abs. 1 S. 4 Var. 2 BGB auf den Fall einer großen dynamischen Bezugnahmeklausel anwendbar. Sofern also beim Erwerber nach einem Betriebsübergang ein anderer Tarifvertrag einschlägig ist, kommt es bei einer großen dynamischen Bezugnahmeklausel nicht zu einer statischen Fortgeltung des „alten“ Tarifvertrags nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB, sondern zu einer Verweisung auf den neuen, eventuell ungünstigeren Tarifvertrag. Damit gilt für Gewerkschaftsmitglieder das gleiche Ergebnis wie für die Außenseiter, die ebenfalls über eine große dynamische Bezugnahmeklausel einen Tarifwechsel auch hin zu einem ungünstigeren in Bezug genommenen Tarifvertrag hinnehmen müssen. Sofern also beim Erwerber ein anderer Tarifvertrag einschlägig ist und eine große dynamische Klausel vorliegt, könnte A im Beispielsfall keine Tariflohnerhöhung auf Grundlage des „alten“ Tarifvertrags verlangen. c) Zwischenergebnis Nach der Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede, die weiterhin für alle vor dem 1.1.2002 geschlossenen Arbeitsverträge gilt, findet bei Tarifbindung des bisherigen Arbeitgebers auf Außenseiter der „alte“ Tarifvertrag nach einem Betriebsübergang auf einen nicht tarifgebundenen Erwerber selbst im Falle einer zeitlich und fachlich dynamischen Bezugnahme nur noch statische Anwendung. In der Konstellation des Fallbeispiels kann der Arbeitnehmer daher keine Tariflohnerhöhung geltend machen. Die Rechtsprechungsänderung für alle ab dem 1.1.2002 geschlossenen Verträge lässt die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer hingegen dauerhaft dynamisch am alten Tarifvertrag teilhaben, sofern die Auslegung nach allgemeinen Grundsätzen zu einem dynamischen Charakter der Klausel führt oder, sofern nach der Auslegung nicht behebbare Zweifel bestehen und die Unklarheitenregel anwendbar ist, die dynamische Anwendung günstiger für die Arbeitnehmer ist als die statische. Letzteres ist in der Regel der Fall; der Arbeitnehmer kann sich dann auch auf eine dynamische Tarifentwicklung berufen, also im vorliegenden Fall auf eine Tariflohnerhöhung. Für Gewerkschaftsmitglieder mit zusätzlicher Bezugnahmeklausel stellt sich die Rechtslage nach bisheriger Rechtsprechung so dar, dass § 613a Abs. 1 S. 2 BGB den Tarifvertrag statisch in das Arbeitsverhältnis transformiert und eine darüber hinausgehende Dynamik durch die Bezugnahmeklausel aufgrund ihres postulierten Gleichstellungszwecks nicht erzielt werden kann. Die Klausel gibt nur das wieder, was ohnehin kollektivrechtlich für das Gewerkschaftsmitglied gilt, und hat daher faktisch einen rein deklaratorischen Charakter.
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Dies ändert sich durch die neue Rechtsprechung; die Klausel kann selbst bei einer statischen kollektivrechtlichen Lage weiterhin dynamisch wirken. Es stellt sich dann bei den Organisierten die Frage, wie sich die statische Fortgeltung des Tarifvertrags nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB und die nach § 613a Abs. 1 S. 1 BGB übergehende dynamische Bezugnahmeklausel zueinander verhalten. Die Bezugnahmeklausel geht der nur statischen Fortgeltung des Satzes 2 vor, sofern sie für den Arbeitnehmer günstiger ist. Liegt jedoch eine große dynamische Bezugnahmeklausel vor, ist sie als Vereinbarung im Sinne des § 613a Abs. 1 S. 4 Var. 2 BGB auszulegen, so dass es ohne Rücksicht auf das Günstigkeitsprinzip jeweils zu einer Inbezugnahme des nunmehr beim Erwerber einschlägigen Tarifvertrags kommt. 3. Tarifbindung bei Veräußerer und Erwerber an denselben Tarifvertrag Die Beurteilung ändert sich erneut, wenn sowohl Veräußerer als auch Erwerber an denselben Tarifvertrag gebunden sind. Beispiel: Der Arbeitgeber des A gehört dem Verband der Metallindustrie an, der einen Tarifvertrag mit der IG Metall geschlossen hat. Im Arbeitsvertrag des A verweist eine Bezugnahmeklausel auf diesen Tarifvertrag. Der Betriebsteil, in dem A tätig ist, wird auf ein eigenständiges, genau so tarifgebundenes Unternehmen übertragen. A begehrt von seinem neuen Arbeitgeber eine tarifvertraglich vereinbarte Lohnerhöhung.
a) Nicht tarifgebundener Arbeitnehmer Auch in diesem Fall stellt sich die Frage nach Inhalt und Rechtswirkung der Bezugnahmeklausel. aa) Verträge mit Vertragsschluss bis zum 31.12.2001 Dynamische Bezugnahmeklauseln, die bis zum 31.12.2001 vereinbart wurden, sind nach bisheriger Rechtsprechung bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber als Gleichstellungsabrede auszulegen. Damit ist der Arbeitnehmer so zu stellen, wie auch die Gewerkschaftsmitglieder (ohne Bezugnahmeklausel) stehen. Bei diesen gilt der Tarifvertrag einschließlich seiner künftigen Entwicklung aufgrund beiderseitiger Tarifbindung gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG kollektivrechtlich fort. Eine Transformation gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB erfolgt nicht; hierbei handelt es sich nach einhelliger Auffassung nur um einen Auffangtatbestand für den Fall fehlender
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normativer Weitergeltung.163 Damit hat der Außenseiter schon unter Gleichstellungsgesichtspunkten Teil an der dynamischen Entwicklung des Tarifvertrages. Arbeitnehmer A kann sich daher bereits nach bisheriger Rechtsprechung auf die Tariflohnerhöhung berufen. bb) Verträge mit Vertragsschluss ab dem 1.1.2002 Die neue Rechtsprechung, die für ab dem 1.1.2002 geschlossene Verträge gilt, führt hier zu keinen abweichenden Rechtsfolgen. Zwar greift der Gleichstellungsgedanke nicht mehr, es ist vielmehr eine Auslegung nach allgemeinen Grundsätzen vorzunehmen, so dass der jeweilige Klauseltyp die Reichweite der Bezugnahme unabhängig vom Betriebsübergang bestimmt. Bestehen trotz Ausschöpfung aller Auslegungsmöglichkeiten Zweifel, gilt aufgrund der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB die für den Arbeitnehmer günstigste Regelung. Dies ist im Falle einer Tariflohnerhöhung eine Auslegung als dynamische Bezugnahme. Somit ist für diese Fallgruppe die Rechtsprechungsänderung unerheblich. Die Interpretation als Gleichstellungsabrede ist hier für die Arbeitnehmer gleichermaßen günstig, so dass sie zum selben Ergebnis führt wie die Auslegung der Bezugnahmeklausel als eigenständige, konstitutive Verweisung. b) Tarifgebundener Arbeitnehmer Erneut ist die Rechtsfolge für Gewerkschaftsmitglieder zu beleuchten, die sich „kumulativ“ auf eine individualvertragliche Bezugnahmeklausel berufen können. Neben §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG kommt bei ihnen § 613a Abs. 1 S. 1 BGB zur Anwendung.164 Der Inhalt der Bezugnahmeklausel richtet sich bei ihrer Auslegung als Gleichstellungsabrede allein nach der tarifrechtlichen Situation und führt daher ebenfalls zu einer dynamischen Geltung des Tarifvertrages. Nach neuer Rechtsprechung ist nun eine Auslegung gemäß der §§ 133, 157 BGB vorzunehmen. Ein Gleichstellungszweck kann nicht berücksichtigt werden, sofern er reines Motiv des Arbeitgebers war und nicht in seiner Erklärung oder sonstigen Anhaltspunkten zum Ausdruck gekommen ist. Fehlt es an derartigen besonderen Umständen, ist bei der Auslegung nach dem Klauseltyp zu unterscheiden. Eine statische Klausel würde nur auf den zeitlich genau festgelegten Tarifvertrag verweisen, eine kleine dynamische sowie eine 163 164
s. o. S. 201. s. o. Teil 1, B.IV.1.c), ab S. 70.
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große dynamische hingegen auf den Tarifvertrag, der ohnehin kollektivrechtlich gilt. aa) Kollision von Tarifvertrag und Bezugnahmeklausel Eine Kollision kann hierbei deshalb nur mit einer statischen Bezugnahmeklausel entstehen. Die Vereinbarung einer solchen wäre aber bei beiderseitiger Tarifgebundenheit der Arbeitsvertragsparteien sehr ungewöhnlich. Die Auslegung der Klausel wird in dieser Konstellation deshalb in aller Regel dahin gehen, dass eine dynamische Bezugnahme gewollt ist. Ergibt die Auslegung ausnahmsweise, dass lediglich eine statische Klausel vereinbart wurde, kommt es zu einer Kollision zwischen der gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG geltenden Kollektivnorm und § 613a Abs. 1 S. 1 BGB, der die Weitergeltung der (nur) statischen Bezugnahmeklausel anordnet. bb) Rangverhältnis von Tarifvertrag und Bezugnahmeklausel Bei der Klärung des Verhältnisses von normativ geltendem Tarifvertrag und Bezugnahmeklausel ergibt sich scheinbar unproblematisch, dass es zwischen tarifvertraglicher und arbeitsvertraglicher Anspruchsnorm schon begrifflich nicht zu einer Tarifkonkurrenz kommen kann.165 Das BAG war früher166 hingegen einmal von einer Tarifkonkurrenz ausgegangen, hatte diese Entscheidung jedoch später167 revidiert. In seinem Urteil vom 23.3.2005168 kehrte es dann jedoch zu seiner früheren Ansicht zurück. Es nahm für den Fall der Kollision eines für allgemeinverbindlich erklärten Flächentarifvertrags und eines aufgrund arbeitsvertraglicher Verweisung anwendbaren Firmentarifvertrags eine Tarifkonkurrenz an, die nach dem Grundsatz der Spezialität aufzulösen sei. Aus diesem Grund konnte ein (nur) aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme geltender Firmentarifvertrag einen allgemeinverbindlichen Verbandstarifvertrag verdrängen. Nach dieser Auffassung ergäbe sich die Konsequenz, dass eine auf den speziel165 So auch LAG Düsseldorf v. 21.5.1999 – 14 (11) Sa 1015/98, LAGE Nr. 7 zu § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 104; Reichold, RdA 2007, 321 (323); Hohenstatt, DB 1992, 1678 (1683); Gaul, NZA 1998, 9 (15); Reichel, Bezugnahme, S. 175 ff.; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 170. Zum Begriff der Tarifkonkurrenz s. u. C.II.1., ab S. 290. 166 BAG v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, NZA 1991, 736 (740); BAG v. 28.5.1997 – 4 AZR 546/95, NZA 1998, 40 (45). 167 BAG v. 22.9.1993 – 10 AZR 207/92, AP Nr. 21 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; BAG v. 28.5.1997 – 4 AZR 663/95, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag. 168 BAG v. 23.3.2005 – 4 AZR 203/04, NZA 2005, 1003 (1004 ff.).
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leren Tarifvertrag verweisende Bezugnahmeklausel einen normativ und zwingend geltenden Tarifvertrag ungeachtet ihrer (Un)günstigkeit verdrängen könnte. Dieser Auffassung kann vor dem Hintergrund des zur Rechtsnatur und Rechtswirkung der Bezugnahmeklausel Gesagten nicht gefolgt werden.169 Es handelt sich um eine rein individualvertragliche Vereinbarung, die in der Normenhierarchie unter dem Tarifvertrag anzusiedeln ist. Auf diese Konstellation findet das Günstigkeitsprinzip gemäß § 4 Abs. 3 TVG Anwendung.170 Die Regeln zur Auflösung von Tarifkonkurrenz sind Regeln zur Auflösung von Normenkollisionen, nicht zur Bestimmung des Verhältnisses von Arbeits- und Tarifvertrag.171 Der Grundsatz der Tarifeinheit ist hier nicht anwendbar; seine Ausdehnung auf die vorliegende Situation würde einen unzulässigen Eingriff in die Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien darstellen.172 Weder der Tarifvertrag noch der Arbeitsvertrag können eine „Außenwirkung“ jenseits ihrer Parteien dergestalt entfalten, dass sie das Regelwerk der anderen Hierarchieeebene verdrängen könnten. Sofern die Bezugnahmeklausel (anders als im vorliegenden Fallbeispiel) günstiger, aber allgemeiner wäre als der normativ geltende Tarifvertrag, stünden die Gewerkschaftsmitglieder schlechter als die Außenseiter, bei denen allein die Bezugnahmeklausel gilt, so dass es gar nicht zur Tarifkonkurrenz kommen kann.173 Es ist daher davon auszugehen, dass eine Kollision der Bezugnahmeklausel mit dem Tarifvertrag nicht nach dem Grundsatz der Spezialität aufzulösen ist, sondern dass beide Geltungsgründe unabhängig nebeneinander bestehen und nach dem Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG die für die Arbeitnehmer günstigste Regelung gilt.174 Hierbei ist ein Sachgruppen-, kein Gesamtvergleich vorzunehmen.175 Kann eine günstigere Regelung 169
s. o. Teil 1, B.III., ab S. 62. Ebenso Jacobs, NZA 2008, 325 (325). Ebenso Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 503; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 314 f.; ders./Willemsen, JbArbR, Bd. 45, S. 47 (49 f.); Kort, SAE 2006, 247 (249 f.); Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (241); Schleusener, SAE 1998, 11 (13 f.); Gaul, EzA Nr. 7 zu § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag, S. 41; WHSS-Hohenstatt, E Rn. 202; Lehmann, BB 2008, 1618 (1626). 171 Kort, SAE 2006, 247 (248); Thüsing, NZA 2005, 1280 (1281). 172 Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 171; Annuß, ZfA 2005, 405 (444 f.); Reichel, Bezugnahme, S. 177; Kraft, RdA 1992, 161 (167). 173 Bayreuther, NZA 2007, 187 (190). 174 Ebenso Jacobs/Krause/Oetker-Jacobs, TarifvertragsR, § 7 Rn. 228; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 171; Annuß, ZfA 2005, 405 (444 f.); Kraft, RdA 1992, 161 (167); Bayreuther, Anm. zu BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, AP Nr. 53 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag. 175 s. o. A.II.2.b)bb)(2), ab S. 225. 170
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nicht ermittelt werden, bleibt es beim Vorrang der normativen Regelung.176 In einer neueren Entscheidung teilt das BAG diese Auffassung und nimmt von seiner bisherigen Ansicht Abstand. In seinen Urteilen vom 29.8.2007177 stellte es in expliziter Abkehr von seinem Urteil vom 23.3.2005178 für die Kollision eines für allgemeinverbindlich erklärten Erwerbertarifvertrages und der Bezugnahmeklausel fest, dass letztere eine günstigere Abmachung im Sinne von § 4 Abs. 3 TVG sei. Zugleich formulierte das Gericht, die Geltung eines Tarifvertrages kraft Allgemeinverbindlicherklärung und eines anderen Tarifvertrages kraft Bezugnahme beruhe auf „unterschiedlichen Geltungsgründen“ und sei in § 613a BGB auch so angelegt. Es liege keine Konkurrenz zweier Tarifverträge, sondern eines Tarifvertrages und eines Arbeitsvertrages vor. Dies sei kein Fall einer Tarifkonkurrenz zweier Normenverträge. Das Verhältnis der arbeitsvertraglichen Regelung zu der normativ wirkenden tariflichen werde durch § 4 Abs. 3 TVG bestimmt. Somit schließt sich das BAG nunmehr der herrschenden Ansicht im Schrifttum an, dass die Kollision zwischen Tarifvertrag und Bezugnahmeklausel über § 4 Abs. 3 TVG zu lösen ist.179 c) Zwischenergebnis Sowohl für Außenseiter wie für Organisierte kommt es unabhängig vom dogmatischen Streit über die Gleichstellungsabrede bei identischer Tarifgebundenheit nach bisheriger wie neuer Rechtsprechung (im Falle einer dynamischen Klausel) zu einer dynamischen Anwendung des Tarifvertrags. Der Arbeitnehmer könnte also eine Tariflohnerhöhung geltend machen. Eine etwaige Kollision von Kollektivnorm und (statischer) Bezugnahmeklausel bei Gewerkschaftsmitgliedern ist nicht nach den Regeln der Tarifkonkurrenz, sondern über das Günstigkeitsprinzip zu lösen. In diesem Fall stünden die Außenseiter, die sich ausschließlich auf eine statische Bezugnahmeklausel berufen können, schlechter als die Gewerkschaftsmitglieder.
176 BAG v. 12.4.1972 – 4 AZR 211/71, AP Nr. 13 zu § 4 TVG Günstigkeitsprinzip; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 315. 177 BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 765/06, AuR 2008, 181 ff. und 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364 ff.; ebenso im Anschluss BAG v. 12.12.2007 – 4 AZR 998/06, NZA 2008, 649 (649). Vgl. hierzu auch unten A.II.5.c), ab S. 251. 178 s. o. Fn. 168, S. 233. 179 Zustimmend daher Insam/Plümpe, DB 2008, 1265 ff.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
4. Bindung des Erwerbers an einen anderen, mit derselben Gewerkschaft geschlossenen Tarifvertrag Des Weiteren kommt die Situation in Betracht, dass zwar die auf Arbeitnehmerseite zuständige Gewerkschaft nicht wechselt, sie jedoch mit dem Erwerber einen anderen Tarifvertrag geschlossen hat als mit dem Veräußerer. Beispiel: Der Arbeitgeber des A gehört dem Verband der Metallindustrie an, der einen Entgelttarifvertrag mit der IG Metall geschlossen hat. Im Arbeitsvertrag des A verweist eine Bezugnahmeklausel auf diesen Tarifvertrag. Der Betriebsteil, in dem A tätig ist, wird auf ein eigenständiges Unternehmen übertragen, bei dem ein Firmentarifvertrag mit der IG Metall besteht. A macht gegenüber dem Erwerber eine Tariflohnerhöhung auf der Grundlage des Verbandstarifvertrags geltend.
a) Nicht tarifgebundener Arbeitnehmer Für die Außenseiter gilt die Bezugnahmeklausel nach § 613a Abs. 1 S. 1 BGB individualrechtlich auch beim Erwerber. Fraglich ist, welchen Tarifvertrag sie im konkreten Fall zur Anwendung gelangen lässt. aa) Verträge mit Vertragsschluss bis zum 31.12.2001 Nach der weiterhin für bis zum 31.12.2001 vereinbarte Bezugnahmeklauseln geltenden Gleichstellungsrechtsprechung soll die Bezugnahme nur dazu dienen, nicht organisierte Arbeitnehmer so zu stellen wie die Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb, die an den Tarifvertrag tarifrechtlich gebunden sind. Für die tarifgebundenen Arbeitnehmer gilt in dieser Konstellation – bei Außerachtlassung der Bezugnahmeklausel – der beim Erwerber geltende Firmentarifvertrag qua beiderseitiger Tarifbindung gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG. Eine individualrechtliche Fortgeltung der beim Veräußerer geltenden Tarifverträge gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB ist wegen § 613a Abs. 1 S. 3 BGB ausgeschlossen.180 Damit kommt es zum Wechsel des Tarifvertrages für die Organisierten – gegebenenfalls auch zu deren Lasten. Das Spezialitäts- und Günstigkeitsprinzip sind im Rahmen von § 613a Abs. 1 S. 3 BGB nicht anwendbar.181 Es stellt sich im vorliegenden Fall die Frage, ob es auch für die Außenseiter aus Gleichstellungszwecken zu einem Tarifwechsel kommt. Eine große dynamische Klausel macht einen Tarifwechsel möglich; anders je180 181
s. o. A.I.2., S. 200. Vgl. o. A.I.2., S. 200.
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doch eine kleine dynamische Klausel. Kommt es nicht zu einem Wechsel des Bezugnahmeobjekts und findet weiterhin der „alte“ Tarifvertrag dynamisch auf die Außenseiter Anwendung, würde dies unter Umständen – und im vorliegenden Beispielsfall aufgrund der Tariflohnerhöhung des Verbandstarifvertrages – zu einer Besserstellung der Außenseiter im Vergleich zu den unmittelbar Tarifgebundenen (ohne Berücksichtigung der Bezugnahmeklausel) führen, obwohl für die Außenseiter der Tarifvertrag bislang nur schuldrechtlich, also in einer „schwächeren“ Form galt. Unter der bisherigen Rechtsprechung kamen verschiedene Lösungswege in Betracht, um diese Ungleichbehandlung aufzulösen: Eine Vertragsanpassung unter Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB)182 musste aus den bereits genannten Gründen erneut ausscheiden.183 § 613a BGB bezweckt, die Arbeitnehmer vor einer Schlechterstellung aufgrund des Betriebsübergangs zu schützen, und weist das Risiko wirtschaftlicher Nachteile dem Erwerber zu.184 Teilweise wurde vorgeschlagen, § 613a Abs. 1 S. 3 BGB auf die Außenseiter analog anzuwenden.185 Weil die Außenseiter in die beim Veräußerer bestehenden Kollektivregelungen einbezogen seien, müsse nach der Wertung des § 613a Abs. 1 S. 3 BGB das neue Kollektivsystem seine ablösende Wirkung entfalten. Da die Bezugnahmeklausel die Gleichstellung der Außenseiter mit den tarifgebundenen Arbeitnehmern bezwecke, sei vor diesem Hintergrund dogmatisch eine entsprechende Anwendung des § 613a Abs. 1 S. 3 BGB der (wortlautgetreuen) Auslegung vorzuziehen. Es ist jedoch zu bezweifeln, ob § 613a Abs. 1 BGB insoweit eine für eine Analogie erforderliche Lücke enthält.186 Dem Gesetzgeber war die Möglichkeit einer Vereinbarung von Tarifbedingungen durch Einzelvertrag bekannt (argumentum e § 613a Abs. 1 S. 4 Var. 2 BGB). Wenn er in § 613a Abs. 1 S. 1 BGB bestimmt, dass die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag auf den Erwerber übergehen, hat er damit auch die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf (bestimmte) Tarifnormen erfasst.187 Sedes materiae ist also ausschließlich § 613a Abs. 1 S. 1 BGB. Damit fehlt es schon 182 Vgl. BAG v. 1.4.1987 – 4 AZR 77/86, AP Nr. 64 zu § 613a BGB – jedoch explizit nur für den Fall des Branchenwechsels. 183 s. o. A.II.1.d)bb), ab S. 215. 184 s. o. S. 199, 216. 185 Henssler, FS Schaub, S. 311 (322 f.); Ebeling, Bezugnahme, S. 242. 186 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 202 ff. 187 BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 765/06, AuR 2008, 181 (183), und 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364 (365); LAG Düsseldorf v. 4.2.1993 – 12 Sa 1533/92, LAGE Nr. 29 zu § 613a BGB; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 415.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
an einer Gesetzeslücke. Tarifliche und arbeitsvertragliche Ansprüche sollten unterschiedlich geregelt werden. Auch die weitere Analogievoraussetzung der Vergleichbarkeit der Sachverhalte wäre fraglich.188 § 613a Abs. 1 S. 2–4 BGB regeln allein das Schicksal ursprünglich unmittelbarer tariflicher Ansprüche, die infolge des Betriebsübergangs in arbeitsvertragliche Ansprüche übergeleitet werden. Den Verlust arbeitsvertraglicher Rechte rechtfertigt § 613a Abs. 1 S. 3 BGB nicht. Auch die Rechtsfolge des Satzes 3 (Nichtgeltung des Satzes 2) wäre bei Bezugnahmeklauseln nicht angemessen, da die Tarifnormen bereits aufgrund der Bezugnahme Inhalt des Arbeitsvertrages waren, nicht erst durch Transformation nach Satz 2.189 Eine Analogie zu § 613a Abs. 1 S. 3 BGB ist daher als systemfremd abzulehnen.190 Die herrschende Meinung191, bestätigt durch die spätere Rechtsprechung192, verfolgte daher den Ansatz der Auslegung der Klausel (§§ 133, 157 BGB). Nach bisheriger Rechtsprechung war vor allem auf den Gleichstellungszweck der Bezugnahme abzustellen. Ursprünglich ging die Rechtsprechung hierbei so weit, dass ein Verweis auf einen bestimmten Tarifvertrag im Interesse des Gleichstellungszwecks korrigierend als Verweis auf den bei dem jeweiligen Arbeitgeber geltenden neuen Tarifvertrag ausgelegt wurde.193 Solle die Bezugnahmeklausel ihren Zweck erfüllen, müsse sie dahingehend ausgelegt werden, dass die jeweils für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträge Anwendung fänden. Da die Gewerkschaftsmitglieder den Veränderungen des Tarifvertrages unterlägen, könnten einheitliche Arbeitsbedingungen auf Dauer nur auf diese Weise gesichert werden.194 Die kleine dynamische Klausel wurde daher unter Berufung auf den Gleichstellungszweck zur großen gemacht. Das BAG ging aber in der Folgezeit von einer derart weiten Interpretation der Gleichstellungsabrede wieder ab. Eine kleine dynamische Klausel konnte von nun an nur ausnahmsweise als Tarifwechselklausel verstanden werden, wenn „besondere Umstände“ vorlagen, die belegten, dass die Be188
Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 202. Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 415. 190 So auch das BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 765/06, AuR 2008, 181 (183), und 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364 (366). 191 Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 321; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 372; ErfK-Preis, § 613a BGB Rn. 127; Staudinger-Annuß, § 613a BGB Rn. 289; Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1266). 192 BAG v. 4.9.1996 – 4 AZR 135/95, NZA 1997, 271 (272 f.). 193 BAG v. 4.9.1996 – 4 AZR 135/95, NZA 1997, 271 (272 f.). (Einzige Ausnahme war hierbei eine statische Bezugnahmeklausel.) So auch LAG SchleswigHolstein v. 4.3.1998 – 2 Sa 571/97, NZA-RR 1999, 249 (250). Vgl. dazu auch A.II.1.d)aa), ab S. 214. 194 Zöllner, DB 1995, 1401 (1407); Skuderis, Betriebsübergang, S. 371. 189
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zugnahmeklauseln nicht auf den explizit genannten Tarifvertrag beschränkt und die für den Betrieb bzw. den Betriebsteil jeweils fachlich/betrieblich einschlägigen Tarifverträge nach einem Branchenwechsel anzuwenden seien.195 Erst ein Hinweis darauf, dass die „jeweils einschlägigen Tarifverträge“ gelten sollen, macht danach aus einer Gleichstellungsklausel eine große dynamische Verweisungsklausel, die auch als „Tarifwechselklausel“196 bezeichnet werden kann.197 Diese Rechtsprechungslinie hat das BAG in neuerer Zeit bestätigt.198 In einem Urteil vom 15.4.2008 deutete es an, dass ausnahmsweise „besondere Umstände“ vorliegen könnten, wenn die Bezugnahmeklausel auf einen Tarifvertrag verweist, der keine eigenständige Regelung trifft, sondern wiederum auf einen Tarifvertrag Bezug nimmt, der befristet und dessen Nachwirkung ausgeschlossen ist.199 Damit kehrte sich das Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten der kleinen dynamischen Klausel um. Im Regelfall hatten die Außenseiter daher weiterhin – allerdings nur statisch – an den alten, ausdrücklich in der Klausel genannten Tarifverträgen teil.200 Sofern es also für die Organisierten zu einem Tarifwechsel nach § 613a Abs. 1 S. 3 BGB kam, die Bezugnahmeklausel aber nur als kleine dynamische, nicht große dynamische Klausel ausgelegt werden konnte, blieben die Außenseiter im Gegensatz zu den Organisierten weiterhin an den „alten“ Tarifvertrag gebunden. Nach Ansicht des BAG wurde die Verweisung im Zeitpunkt des Betriebsübergangs statisch.201 Ein 195 BAG v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99, NZA 2001, 510 (511); BAG v. 21.2.2001 – 4 AZR 18/00, NZA 2001, 1318 (1324); BAG v. 25.10.2000 – 4 AZR 506/99, AP Nr. 13 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG v. 25.9.2002 – 4 AZR 294/01, AP Nr. 26 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag. In seinem Urteil vom 4.7.2007 – 4 AZR 439/06, ZTR 2008, 278 (279) ging das BAG aufgrund des besonders weiten Wortlauts der Klausel und weiterer Umstände davon aus, dass die Verweisung auf den „Lohntarifvertrag für die Omnibusfahrer und Schaffner“ nicht nur einen Haustarifvertrag, sondern den jeweils für die Omnibusfahrer geltenden (Hausoder Verbands-)Lohntarifvertrag erfasse, s. auch u. S. 311. Für das Vorliegen „besonderer Umstände“ bei Zuständigkeit der identischen DGB-Gewerkschaft Henssler, FS Wißmann, S. 133 (142). Vgl. auch bereits o. S. 212, 215. 196 s. o. Teil 1, B.IV.3.c), ab S. 85. 197 BAG v. 16.10.2002 – 4 AZR 467/01, NZA 2003, 390 (391 f.). A. A. Klagges, Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang, S. 176 f. 198 Vgl. BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 765/06, AuR 2008, 181 (182 f.), und 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364 (365 f.). Vgl. o. A.II.3.b)bb), ab S. 233, und u. A.II.5.c), ab S. 251. Das BAG hat dort insbesondere betont, dass aus der Entscheidung vom 4.9.1996 kein Vertrauensschutz hergeleitet werden kann. 199 BAG v. 15.4.2008 – 9 AZR 159/07, n. v. 200 BAG v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99, NZA 2001, 510 (511 f.). I. Erg. ähnlich Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (254 f.), sofern keine zwei DGB-Gewerkschaften vorliegen. 201 BAG v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99, NZA 2001, 510 (511 f.).
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
Tarifwechsel fand nicht statt. Das BAG nahm daher ohne besondere Umstände keine Auslegung der kleinen Klausel als große mehr vor.202 Dieser Wechsel in der Rechtsprechung verwundert, denn die Systemstimmigkeit sprach für eine Beibehaltung älterer Entscheidungslinien: Entweder die Klausel soll nach dem Verständnis der Parteien nur das widerspiegeln, was tarifrechtlich gilt, oder sie soll es nicht. Das BAG ließ in seinen Entscheidungen nicht einmal eindeutig erkennen, ob es für den Fall der Identität der tarifschließenden Gewerkschaften von „besonderen Umständen“ ausging oder nicht. Lehnte man eine Auslegung als Tarifwechselklausel ab, sprächen die Umstände zumindest für eine weiterhin dynamische Bezugnahme des bisherigen Tarifvertrages: Eine Gleichstellung mit den Gewerkschaftsmitgliedern, bei denen es auf normativer Ebene zu einer Ablösung des alten Tarifvertrages kommt, lässt sich mangels Tarifwechselklausel ohnehin nicht erzielen. Der Gleichstellungszweck kann nicht erreicht werden, die Klausel bleibt aber bestehen. Dann spricht der Wortlaut der Klausel für eine weiterhin dynamische anstelle einer statischen Bezugnahme. Die frühere Rechtsprechung war insofern in sich widersprüchlich und nicht folgerichtig. Die Kritik muss jedoch bereits an einem früheren Punkt ansetzen: Sofern man den Auslegungsgrundsatz der Gleichstellung zur Grundlage der Bezugnahmerechtsprechung macht, sollte man auch in der vorliegenden Fallgruppe konsequent sein.203 Dies gilt zumindest in der hier behandelten Konstellation, soweit der Wortlaut der Bezugnahmeklausel nicht ausdrücklich entgegensteht:204 Die Vereinbarung von Firmentarifverträgen des Erwerbers mit derselben Gewerkschaft liegt im Rahmen dessen, womit beim Abschluss von Bezugnahmeklauseln gerechnet werden kann. Soweit die Firmentarifverträge von derselben Gewerkschaft abgeschlossen sind, bedeutet dies eine nur eingeschränkte sachliche Dynamik.205 Die Identität der tarifschließenden Gewerkschaften ist als ein „besonderer Umstand“ zu werten, der den Parteiwillen zu einer Gleichstellung auch nach dem Betriebsübergang hinreichend zum Ausdruck bringt. Es kann vor dem Hintergrund des Gleichstellungszwecks nicht ernsthaft bezweifelt werden, dass nach dem Parteiwillen die Außenseiter von dem normativ geltenden „neuen“ Tarifver202 Vgl. aber zu „besonderen Umständen“ BAG v. 4.7.2007 – 4 AZR 439/06, ZTR 2008, 278 (279), BAG v. 15.4.2008 – 9 AZR 159/07, n. v.; vgl. o. Fn. 195 sowie S. 311. 203 So Thüsing frei nach Goethes Faust („Das erste steht uns frei, beim zweiten sind wir Knechte.“), vgl. NZA 2003, 1184 (1186). 204 WHSS-Hohenstatt, E Rn. 186. 205 WHSS-Hohenstatt, E Rn. 186; ähnlich Henssler, FS Wißmann, S. 133 (151); Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 336; Klagges, Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang, S. 177.
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trag erfasst sein sollen. Anders ist dies in Fällen, in denen eine andere Gewerkschaft beteiligt ist.206 Dann kommt es auch bei den Gewerkschaftsmitgliedern auf normativer Ebene nicht zu einem Tarifwechsel. Eine stimmige Gleichstellungsdogmatik sollte daher zumindest für den Fall, dass ein Firmentarifvertrag mit derselben Gewerkschaft beim Erwerber gilt, zu einer Bezugnahme des neuen Tarifvertrags kommen. bb) Verträge mit Vertragsschluss ab dem 1.1.2002 Nach der für nach dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform geschlossene Arbeitsverhältnisse anwendbaren neuen Rechtsprechung erfolgt schon keine Auslegung der Klausel als Gleichstellungsabrede mehr. Ausgangspunkt muss die „unverfälschte“ Auslegung der Bezugnahmeklausel sein.207 Die Frage, ob der Gleichstellungszweck einen Tarifwechsel gebietet, entfällt daher. Eine Tarifwechselklausel müsste von ihrem Wortlaut her eindeutig vereinbart worden sein.208 Die Identität der tarifschließenden Gewerkschaften genügt für die Annahme einer Tarifwechselklausel allein nicht. Zwar wird der Parteiwille in der Regel dahin gehen, auch andere, von derselben Gewerkschaft geschlossene Tarifverträge von der Bezugnahmeklausel zu erfassen. Angesichts der strengen Anforderungen der neuen Rechtsprechung kann ohne entsprechende Vereinbarung im Arbeitsvertrag ein derartiger Wille jedoch nicht mehr postuliert werden. Ohne aus der Parteivereinbarung erkennbaren Gleichstellungszweck spielt die tarifrechtliche Lage für die Auslegung der Bezugnahmeklausel keine Rolle mehr. Selbst die Gleichstellungsdogmatik forderte bei Vorliegen einer Gleichstellungsabrede besondere Umstände für die korrigierende Auslegung kleiner dynamischer Klauseln. Insbesondere dann, wenn – wie im vorliegenden Beispielsfall – auf der Seite des Tarifvertragspartners nicht derselbe Verband, sondern ein anderer oder der Erwerber agieren, spricht dies vor dem Hintergrund der neuen Rechtsprechung gegen die Möglichkeit einer entsprechend weiten Vertragsauslegung. Etwas anderes kann in dem Sonderfall gelten, dass beim Erwerber ein firmenbezogener Verbandstarifvertrag gilt, der von demselben Verband und derselben Gewerkschaft wie der Veräußerer(verbands)tarifvertrag geschlossen wurde.209 Dann besteht erneut ein Verbandstarifvertrag, der von dersel206
Henssler, FS Wißmann, S. 133 (152). Vgl. u. A.II.5., ab S. 247. WHSS-Hohenstatt, E Rn. 194. 208 Ebenso Bayreuther, Anm. zu BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, AP Nr. 53 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag. 209 s. hierzu sowie den Auswirkungen der Rechtsprechungsänderung auf Sanierungstarifverträge näher unten, E.III., ab S. 357. 207
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ben Gewerkschaft und demselben Verband geschlossen wurde, und fachlich nunmehr sogar besonders auf den Betrieb bezogen ist. In diesem Fall sprechen die Identität der Tarifvertragsparteien sowie die besondere Spezialität der Regelung für den hypothetischen Parteiwillen, dass die Bezugnahme auf den Verbandstarifvertrag auch diesen firmenbezogenen Verbandstarifvertrag mit erfassen sollte.210 Die Situation wäre hingegen eine andere, wenn statt des Verbandstarifvertrages nunmehr ein Firmentarifvertrag bestehen würde und die vertragschließenden Parteien daher nicht identisch wären.211 Es gibt einen weiteren, wenn auch nicht auf die Inbezugnahme eines Verbandstarifvertrages bezogenen Sonderfall, in dem die Umstände auch nach der Rechtsprechungsänderung für eine Auslegung als Tarifwechselklausel sprechen könnten: Bestand beim Veräußerer (anders als im vorliegenden Beispielsfall) ein Firmentarifvertrag und verweist der Arbeitsvertrag auf diesen, haben die Parteien ersichtlich die sachnächste und speziell auf ihren Betrieb zugeschnittene tarifliche Regelung in Bezug genommen. Geht der Betrieb(steil) dann auf einen Erwerber über, der mit derselben Gewerkschaft einen eigenen Firmentarifvertrag geschlossen hat, besteht nunmehr eine andere, speziell für den neuen Betrieb vereinbarte Regelung. Zugleich verliert der alte Firmentarifvertrag seine Einschlägigkeit. In diesem Fall ist die Nennung des Normenvertrages in der Bezugnahmeklausel zugleich Ausdruck der eigenen Tarifbindung des Arbeitgebers.212 Ferner ist es für die Arbeitnehmer erkennbar, dass der in Bezug genommene Tarifvertrag jeweils eine nur für seinen speziellen Betrieb vorgesehene Regelung trifft, die nur den Veräußerer, nicht aber den Erwerber tariflich bindet – und die damit nach dem Betriebsübergang ihre tarifliche Geltung verliert. Der Arbeitnehmer weiß in diesem besonderen Fall daher ausnahmsweise, dass der Erwerber nicht an den in Bezug genommenen Tarifvertrag gebunden sein kann. Die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers ist daher für ihn transparent. Zugleich ist für ihn erkennbar, dass der Arbeitgeber durch die Bezugnahmeklausel die für ihn geltenden Tarifbedingungen einheitlich auf alle Arbeitnehmer angewandt wissen will. Dies spricht dafür, dass für den Arbeitnehmer der vom Arbeitgeber verfolgte Gleichstellungszweck in dieser Sonderkonstellation erkennbar ist. In diesem besonderen Fall kommt es in Betracht, dass diese Konstellation einen „besonderen Umstand“213 im Sinne der neuen BAG-Rechtsprechung darstellt, der für eine Gleichstellungsabrede spricht. Im Rahmen der Vertragsauslegung ist dann ohne entgegenstehende Anhaltspunkte zumindest bei identischer Gewerk210 211 212 213
s. ausf. u. S. 362. s. hierzu näher unten, E.III., ab S. 357. So auch Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 80. s. o. Teil 1, D.III.3.b)bb), ab S. 149.
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schaft davon auszugehen, dass die Bezugnahmeklausel auch den nunmehr einschlägigen neuen Firmentarifvertrag erfassen könnte. Es bliebe dann bei der Inbezugnahme des sachnächsten, auf den Betrieb zugeschnittenen Firmentarifvertrages, der von der identischen Gewerkschaft abgeschlossen wurde. Dies ist daher ein Sonderfall, in dem die Auslegung der kleinen dynamischen Klausel als Tarifwechselklausel in ihrem Ausmaß nur eine sehr eingeschränkte Dynamik darstellt.214 Ob das BAG dies nach der geänderten Rechtsprechung ebenfalls so sehen wird, ist unklar. Bestehen hingegen Zweifel, was von den Parteien gewollt ist, gehen Unklarheiten bei der Auslegung zu Lasten des Verwenders. Ist somit unklar, ob die Bezugnahmeklausel einen Tarifwechsel vorsieht oder nicht, wird ein solcher im Falle eines ungünstigeren neuen Tarifvertrags verneint und der „alte“ Tarifvertrag wirkt weiter, und zwar dynamisch. Dies wäre das Ergebnis in der vorliegenden Fallkonstellation. Im Falle eines günstigeren „neuen“ Tarifvertrages wäre eine Bezugnahmeklausel folglich als Tarifwechselklausel auszulegen. b) Tarifgebundener Arbeitnehmer Es kann zu zusätzlichen Problemen kommen, wenn der Arbeitnehmer Gewerkschaftsmitglied ist. aa) Kollision von Tarifvertrag und Bezugnahmeklausel Tarifrechtlich kommt es für die Gewerkschaftsmitglieder in der vorliegenden Konstellation aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG zur Ablösung des alten Verbandstarifvertrags durch den Firmentarifvertrag nach § 613a Abs. 1 S. 3 BGB. Eine individualrechtliche Fortgeltung des bisher beim Veräußerer geltenden Tarifvertrages nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB muss deshalb ausscheiden.215 Weil die Arbeitnehmer normativ an den Tarifvertrag des Erwerbers gebunden sind und das Günstigkeitsprinzip insoweit nicht gilt, kann es zu Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen kommen. Vor diesem Hintergrund ist der Inhalt der nach § 613a Abs. 1 S. 1 BGB übergehenden Bezugnahmeklausel zu bestimmen. Nach der Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede richtet sich der Inhalt der Bezugnahmeklausel 214 Sie unterscheidet sich daher auch von dem Normalfall der Bezugnahme auf einen Verbandstarifvertrag, der tariflich durch einen Firmentarifvertrag abgelöst wird, s. hierzu unten E.III., ab S. 357. 215 Ebeling, Bezugnahme, S. 241; WHSS-Hohenstatt, E Rn. 200. Vgl. o. S. 201.
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nach der tarifrechtlichen Lage. Tarifrechtlich gilt für die Organisierten der Erwerbertarifvertrag kraft Ablösung. Eine Inbezugnahme des „neuen“ Tarifvertrages kommt aber unter der bisherigen Rechtsprechung nur bei Vereinbarung einer Tarifwechselklausel in Betracht. Ansonsten kommt es zu einer nach Ansicht der Rechtsprechung statischen Bezugnahme auf den alten Tarifvertrag. Eine Kollision zwischen tarifrechtlicher und individualrechtlicher Situation wäre die Folge. Nach hier vertretener Ansicht ist die Identität der tarifschließenden Gewerkschaften jedoch ein „besonderer Umstand“ im Sinne der früheren BAG-Rechtsprechung, der zu einer (ergänzenden) Auslegung der kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel als Tarifwechselklausel berechtigt. Es kommt zu einer Synchronisierung von vertraglicher und tariflicher Ebene, ebenso wie bei einer großen dynamischen Klausel. Nach neuer Rechtsprechung entscheidet grundsätzlich der Wortlaut der Vereinbarung. Ein Gleichstellungszweck muss für den Arbeitnehmer erkennbar geworden sein und kann nicht schon im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung postuliert werden. Bei Unklarheiten gilt die jeweils für den Arbeitnehmer günstigste Auslegung. Sofern hiernach die Bezugnahmeklausel als große dynamische Klausel auszulegen ist, entstehen keine Probleme, vielmehr kommt es auch aufgrund der Klausel zum Tarifwechsel.216 Im Falle einer Auslegung als kleine dynamische Bezugnahme auf den (für den Arbeitnehmer günstigeren) „alten“ Tarifvertrag beim Veräußerer gelangt hingegen dieser „alte“ Tarifvertrag zu einer dynamischen Anwendung, sofern nicht einer der oben genannte Sonderfälle vorliegt.217 Deshalb entsteht bei den Organisierten, die sich auf eine individualvertragliche Bezugnahmeklausel berufen können, in der Regel wiederum eine Kollisionslage, nunmehr zwischen § 613a Abs. 1 S. 1 und 3 BGB: Satz 3 ordnet einen Tarifwechsel zum „neuen“ (und im vorliegenden Fall ungünstigeren) Tarifvertrag des Erwerbers an, Satz 1 hingegen je nach Ausgestaltung der Klausel bzw. im Falle von Unklarheiten je nach Günstigkeit eine statische oder dynamische Fortwirkung des „alten“ Tarifvertrags des Veräußerers. bb) Rangverhältnis von § 613a Abs. 1 S. 1 und 3 BGB Es bedarf einer Entscheidung, wie diese Kollisionslage aufzulösen ist. Zum einen ließe sich argumentieren, dass Satz 3 dem Satz 1 vorgeht. Satz 3 soll dem Vereinheitlichungsinteresse des neuen Arbeitgebers Rechnung tra216 Fink, Arbeitgeberwechsel, S. 156 f.; Zöllner, DB 1995, 1401 (1407); Hromadka, DB 1996, 1872 (1876). 217 s. o. S. 242 f.
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gen.218 Sein Regelungsziel ist, das Prinzip der Tarifeinheit im Betrieb zu gewährleisten.219 Das Günstigkeitsprinzip gilt in diesen Fällen gerade nicht.220 Indem Satz 1 nur individualrechtliche Vereinbarungen betrifft, Satz 3 hingegen kollektivrechtliche, könnte man im Hinblick auf die arbeitsrechtliche Normenhierarchie Satz 3 als vorrangig ansehen. § 613a Abs. 1 S. 3 BGB liegt zudem die Wertung zugrunde, dass die Arbeitnehmer keines Schutzes durch die bisherige Regelung mehr bedürfen, wenn beim Erwerber ein anderer, durch die Tarifparteien ausgehandelter Tarifvertrag gilt.221 Arbeitnehmer, die Gewerkschaftsmitglieder sind, werden durch die Gewerkschaft vertreten, berechtigt und verpflichtet. Hat ihre Gewerkschaft mit dem Erwerber einen Tarifvertrag geschlossen, lässt sich also argumentieren, dass dieser im Verhältnis zum in Bezug genommenen alten Tarifvertrag die sachnähere Regelung (lex specialis) darstellt. Hiergegen spricht aber, dass § 613a Abs. 1 S. 1 BGB eine individualrechtliche Fortgeltung sichert und der Inhalt der Bezugnahme gerade nicht unter § 613a Abs. 1 S. 2 BGB fällt, der von § 613a Abs. 1 S. 3 BGB eingeschränkt wird. Bereits dem Wortlaut der Norm ist zu entnehmen, dass zwischen § 613a Abs. 1 S. 2 und 3 BGB ein Regel-Ausnahme-Verhältnis vorliegt. Innerhalb des § 613a Abs. 1 BGB sind die Regelungen der individualrechtlichen und der kollektivrechtlichen Vereinbarungen im Falle des Betriebsübergangs klar getrennt. Ließe man § 613a Abs. 1 S. 1 BGB hinter § 613a Abs. 1 S. 3 BGB zurücktreten, würde diese gesetzgeberische Wertung unterlaufen. Satz 3 bezweckt, eine transformierte individualrechtliche Fortgeltung ehemaliger Tarifnormen auszuschließen, sofern beim Erwerber ein anderer Kollektivvertrag gilt, und normiert damit primär das Vorrangverhältnis kongruenter kollektiver Tarifgeltung vor in das Individualrecht transformierter Tarifgeltung.222 Bezüglich einer individualrechtlichen Bezugnahme sagt er hingegen nichts aus.223 Würde man Satz 3 als Einschränkung des Satzes 1 verstehen, würden individualrechtliche und kollektive Ebene vermengt. 218 BAG v. 25.10.2000 – 4 AZR 506/99, AP Nr. 13 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; so auch Erman-Edenfeld, BGB, § 613a Rn. 87; Staudinger-Annuß, § 613a BGB Rn. 274 m. w. N. 219 Schaub-Koch, ArbR-Hdb., § 119 Rn. 12. Zum Prinzip der Tarifeinheit s. u. E.IV., ab S. 364. 220 s. o. S. 204. 221 s. o. A.I.2.b)bb), ab S. 204; Hergenröder, FS 50 Jahre BAG, S. 713 (715); Reichel, Bezugnahme, S. 211; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 184. 222 So i. Erg. auch BAG v. 19.3.1986 – 4 AZR 640/84, AP Nr. 49 zu § 613a BGB; Soergel-Raab, BGB, § 613a Rn. 124. 223 I. Erg. ebenso LAG Hamm v. 27.7.1999 – 6 Sa 1602/98, DB 2000, 95; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 198; WHSS-Hohenstatt, E Rn. 202.
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Aus diesem Grund ist § 613a Abs. 1 S. 3 BGB kein Vorrang vor Satz 1 einzuräumen. Damit verdrängt keine Regelung die andere. Die Bezugnahme kann jedoch keine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen herbeiführen; vielmehr ist das in dieser Konstellation unmittelbar aus § 4 Abs. 3 TVG folgende Günstigkeitsprinzip anzuwenden, dem zufolge die jeweils für den Arbeitnehmer vorteilhaftere Regelung vorgeht.224 c) Zwischenergebnis Gemäß der Gleichstellungsdogmatik nehmen Außenseiter nach Ansicht der Rechtsprechung, sofern nicht eine Tarifwechselklausel vorliegt, trotz Gleichstellungszwecks einer mit ihnen vereinbarten Bezugnahmeklausel nur unter besonderen Umständen an dem Tarifwechsel nach § 613a Abs. 1 S. 3 BGB teil, der sich bei den Organisierten vollzieht. Ansonsten gilt für sie nach Ansicht der Rechtsprechung der „alte“ Tarifvertrag statisch fort. Die Identität der Gewerkschaften sollte man jedoch als besonderen Umstand ansehen, so dass im Rahmen der Auslegung als Gleichstellungsabrede in dieser Konstellation eine kleine dynamische Klausel ergänzend als Tarifwechselklausel auszulegen ist. Nach der neuen Rechtsprechung ist die vereinbarte Klausel nach allgemeinen Regeln auszulegen; ein Gleichstellungszweck spielt nur bei eindeutiger Vereinbarung oder besonderen Anhaltspunkten eine Rolle. Im Zweifelsfalle gilt das für die Arbeitnehmer jeweils Günstigere. In zwei Sonderfällen ist jedoch davon auszugehen, dass im Wege der Auslegung eine kleine dynamische Bezugnahmeklausel auch zu einem Wechsel des Bezugnahmeobjekts führen kann. Dies sind die Fälle des Bestehens eines zwischen derselben Gewerkschaft und demselben Verband geschlossenen firmenbezogenen Verbandstarifvertrages und der Bezugnahme auf einen Firmentarifvertrag, wenn der Erwerber einen eigenen Firmentarifvertrag mit derselben Gewerkschaft geschlossen hat. Bei den Organisierten kollidieren nach der neuen Rechtsprechung die Regelungen gemäß § 613a Abs. 1 S. 1 und S. 3 BGB, die als Kollision eines Tarifvertrags und eines Arbeitsvertrags nach § 4 Abs. 3 TVG aufzulösen ist.225 Wurde eine kleine dynamische Klausel vereinbart oder ist wie im vorliegenden Falle bei Unklarheiten eine dynamische Fortgeltung des „alten“ Tarifvertrages günstiger, bezieht sich die Klausel dynamisch auf diesen und würde sich gegenüber dem neuen Tarifvertrag des Erwerbers durchset224 So auch Henssler, FS Wißmann, S. 133 (149); Gussen, FA 2001, 201 (204); Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 198 f.; ErfK-Franzen, § 3 TVG Rn. 41; Thüsing/ Lambrich, RdA 2002, 193 (211); MüHdbArbR-Löwisch/Rieble, Bd. 3, § 276 Rn. 9. 225 A. A. BAG v. 23.3.2005 – 4 AZR 203/04, NZA 2005, 1003 (1004 ff.).
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zen. Das tarifliche Ablösungsprinzip nach § 613a Abs. 1 S. 3 BGB wird im Ergebnis verdrängt und der damit verbundene Zweck vereitelt, die Arbeitsbedingungen beim Erwerber zu vereinheitlichen. 5. Bindung des Erwerbers an einen anderen, mit einer anderen Gewerkschaft geschlossenen Tarifvertrag Eine wiederum andere Situation ergibt sich, wenn der Erwerber an einen Tarifvertrag gebunden ist, den er mit einer anderen Gewerkschaft abgeschlossen hat. Beispiel: A ist Arbeitnehmer eines metallverarbeitenden Unternehmens, das an die Tarifverträge der Metallindustrie gebunden ist. Sein Arbeitsvertrag verweist auf den Tarifvertrag für Arbeitnehmer der metallverarbeitenden Industrie. Das Unternehmen gliedert seine Kantine, in der A tätig ist, auf einen Erwerber aus, der Mitglied des Arbeitgeberverbands für das Hotel- und Gaststättengewerbe ist. Bisher war die IG Metall tarifzuständig, nunmehr ist es die NGG. A macht gegenüber dem Erwerber eine Tariflohnerhöhung aus dem nach Betriebsübergang geänderten Tarifvertrag mit der IG Metall geltend.
a) Nicht tarifgebundener Arbeitnehmer Für den Außenseiter gilt wiederum § 613a Abs. 1 S. 1 BGB. Der Inhalt der Bezugnahmeklausel ist durch Auslegung zu bestimmen. aa) Verträge mit Vertragsschluss bis zum 31.12.2001 Die auf die bis zum 31.12.2001 vereinbarten Bezugnahmeklauseln anzuwendende Gleichstellungsdogmatik richtet den Inhalt der Klausel erneut nach der tarifrechtlichen Situation aus. Bei der vorliegenden Sachlage ist aber fraglich, mit welchen Arbeitnehmern die Außenseiter gleichzustellen wären. Dies könnten die ehemals beim Veräußerer beschäftigten Gewerkschaftsmitglieder oder die beim Erwerber unmittelbar an den „neuen“ Tarifvertrag gebundenen Arbeitnehmer sein. Dafür, dass die Klausel weiterhin auf die „alten“ Tarifbedingungen verweist, spricht jedoch, dass die Parteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses einen Betriebsübergang regelmäßig nicht vorhergesehen haben und ihr Wille deshalb nicht darauf gerichtet sein konnte, die Tarifbestimmungen des Übernehmers für anwendbar zu erklären.226 Für einen Willen, die Er226 Annuß, RdA 2000, 179 (182); Schumacher-Mohr, GS Heinze, 843 (853). A. A. Skuderis, Betriebsübergang, S. 378; Zöllner, DB 1995, 1401 (1407).
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werbertarifverträge anwendbar zu machen, müssten eine Tarifwechselklausel oder besondere Umstände vorliegen.227 Bei identischer Gewerkschaftszugehörigkeit sind diese besonderen Umstände aus Gleichstellungsgründen anzunehmen, da aufgrund der Identität der tarifschließenden Partei auf Arbeitnehmerseite lediglich eine eingeschränkte sachliche Dynamik vorliegt,228 bei verschiedenen Gewerkschaften hingegen nicht. Es fehlt dann auf tariflicher Ebene an einer Ablösung des bisherigen Tarifvertrages gemäß § 613a Abs. 1 S. 3 BGB, so dass selbst die Gewerkschaftsmitglieder weiterhin (statisch, vgl. § 613a Abs. 1 S. 2 BGB) an den bisherigen Tarifvertrag gebunden bleiben. Der Wechsel der zuständigen Gewerkschaft ist ein Umstand, der sich nicht mehr im Rahmen des von den Arbeitsvertragsparteien der Bezugnahme zugrunde Gelegten und Vorhersehbaren bewegt. Der Wille der Parteien, dass in dieser Situation keine Gleichstellung mehr mit der Belegschaft des Veräußerers, sondern nunmehr mit derjenigen des Erwerbers erfolgen soll, muss klar zum Ausdruck kommen, was zwar bei einer großen dynamischen, bei einer kleinen dynamischen Klausel aber typischerweise nicht der Fall ist. Etwas anderes kann auch nicht bei zwei DGB-Gewerkschaften gelten.229 Die Organisationsstruktur des Industrieverbandsprinzips regelt zwar, welcher Tarifvertrag in dieser Situation zur Anwendung gelangt. Die Tarifzuständigkeit einer Gewerkschaft kann durch die Schiedsstelle auch für den tariflichen Gegenspieler bindend erklärt werden.230 Dies hilft jedoch nicht darüber hinweg, dass für die Arbeitnehmer nicht ohne Weiteres erkennbar ist, welche Tarifverträge Anwendung finden. Damit kommt, sofern keine große dynamische Klausel vorliegt, grundsätzlich nur eine Gleichstellung mit den ehemals beim Veräußerer beschäftigten Gewerkschaftsmitgliedern (ohne Bezugnahmeklausel) in Betracht. Diese waren ursprünglich gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG an den Tarifvertrag des Veräußerers gebunden. Dessen Normen werden deshalb gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB in das Arbeitsverhältnis transformiert, sofern nicht § 613a Abs. 1 S. 3 BGB als Ausnahme eingreift. Dies richtet sich danach, 227 BAG v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99, NZA 2001, 510 (511); BAG v. 21.2.2001 – 4 AZR 18/00, NZA 2001, 1318 (1324); BAG v. 25.10.2000 – 4 AZR 506/99, AP Nr. 13 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG v. 25.9.2002 – 4 AZR 294/01, AP Nr. 26 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 765/06, AuR 2008, 181 (182) und 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364 (365 f.). Vgl. o. S. 212, 215, 238. 228 s. o. S. 240. 229 So aber Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (254); Reichel, Bezugnahme, S. 159 f.; Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1263); Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 193 f.; Henssler, FS Wißmann, S. 133 (142). 230 BAG v. 22.11.1988 – 1 ABR 6/87, AP Nr. 5 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; BAG v. 25.9.1996 – 1 ABR 4/96, AP Nr. 10 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit.
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ob Satz 3 eine kongruente Tarifbindung erfordert. Diese Frage ist aus den oben genannten Gründen zu bejahen,231 so dass im vorliegenden Fall mangels beiderseitiger Tarifgebundenheit die Ausnahme des § 613a Abs. 1 S. 3 BGB nicht anwendbar ist und nur § 613a Abs. 1 S. 2 BGB gilt. Die Gleichstellungsdogmatik kommt im Falle der Transformation nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB bei den Organisierten daher auch für die Außenseiter zu einer (nur) statischen Verweisung auf den alten Tarifvertrag. Arbeitnehmer A hätte daher im Beispielsfall auch bei einer dynamischen Bezugnahmeklausel keinen Anspruch auf die nach Betriebsübergang beschlossene Tariflohnerhöhung aus dem geänderten Metall-Tarifvertrag. bb) Verträge mit Vertragsschluss ab dem 1.1.2002 Nach neuer Rechtsprechung ist eine Auslegung nach den allgemeinen Regeln der §§ 133, 157 BGB vorzunehmen, ohne dass die Tarifbindung des Arbeitgebers hierauf Einfluss hätte, sofern sie nicht für den Arbeitnehmer erkennbar zur auflösenden Bedingung der Klauseldynamik gemacht wurde. Kleine dynamische Bezugnahmeklauseln lassen sich ohne besondere Anhaltspunkte nicht als Gleichstellungsabrede und somit erst recht nicht als Tarifwechselklauseln „uminterpretieren“, insbesondere nicht angesichts der Tatsache, dass im vorliegenden Fall unterschiedliche Gewerkschaften tarifzuständig sind. Insofern würde sich anders als in der vorigen Fallgruppe auch nichts ändern, wenn die Bezugnahmeklausel auf einen Firmentarifvertrag verweist und beim Erwerber ein anderer Firmentarifvertrag besteht.232 Um den nunmehr einschlägigen Tarifvertrag in Bezug nehmen zu können, müsste eine Tarifwechselklausel mit entsprechendem Inhalt eindeutig vereinbart worden sein. Eine große dynamische Bezugnahmeklausel führt dann eine Änderung des Bezugnahmeobjekts herbei und verweist auf die Tarifverträge des Erwerbers.233 Sofern bei der Auslegung Unklarheiten entstehen und sich diese nicht beseitigen lassen, gilt die für den Arbeitnehmer günstigste Auslegungsvariante. Im vorliegenden Fall einer Tariflohnerhöhung auf Grundlage des alten Tarifvertrags wäre für den Arbeitnehmer eine dynamische Weitergeltung dieses alten Tarifvertrages günstiger, so dass die Klausel im Zweifel in diesem Sinne auszulegen wäre. Hiernach hätte A Anspruch auf die Tariflohnerhöhung.
231 232 233
s. o. A.I.2.b)bb)(1), ab S. 205. s. o. S. 242. WHSS-Hohenstatt, E Rn. 204; Annuß, ZfA 2005, 405 (455).
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b) Tarifgebundener Arbeitnehmer Die unmittelbare Tarifbindung der Gewerkschaftsmitglieder führt mit dem Betriebsübergang nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB erneut zu einer Transformation der Kollektivnormen in den Arbeitsvertrag. Kumulativ kann es weiterhin zur Geltung der Bezugnahmeklausel im übergegangenen Arbeitsverhältnis nach § 613a Abs. 1 S. 1 BGB kommen. Nach der Gleichstellungsrechtsprechung führt die vertragliche Bezugnahme aufgrund der tariflichen Lage ebenfalls zu einer statischen Fortgeltung des alten Tarifvertrages. Die auf ab dem 1.1.2002 abgeschlossene Verträge anwendbare neue Rechtsprechung nimmt hingegen eine Auslegung nach den allgemeinen Grundsätzen vor. Eine kleine dynamische Klausel verweist dann auch nach dem Betriebsübergang weiterhin dauerhaft dynamisch auf den „alten“ Tarifvertrag. Auch bei Unklarheiten würde der Arbeitnehmer dynamisch an diesem teilhaben, sofern die dynamische Entwicklung des „alten“ Tarifvertrags wie im Beispielsfall günstiger ist. Bei diesem Ergebnis entstünden dann dieselben Kollisionsfragen zwischen § 613a Abs. 1 S. 1 und 2 BGB wie bereits oben besprochen.234 Im Ergebnis fände daher erneut ein Günstigkeitsvergleich statt, bei dem im vorliegenden Fall die Regelung des § 613a Abs. 1 S. 1 BGB, die eine Tariflohnerhöhung ermöglicht, derjenigen des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB vorginge. Gelangt man hingegen zum Vorliegen einer großen dynamischen Bezugnahmeklausel, würde über § 613a Abs. 1 S. 1 BGB der neue Tarifvertrag anwendbar.235 Es entstünde dann erneut eine Konfliktlage zwischen § 613a Abs. 1 S. 2 BGB und der Bezugnahmeklausel, die einen Tarifwechsel bewirkt.236 Hierbei ist nach obiger237 Argumentation jedoch kein Günstigkeitsvergleich durchzuführen, sondern es ist die Bezugnahmeklausel als Vereinbarung im Sinne des § 613a Abs. 1 S. 4 Var. 2 BGB anzusehen, so dass es bereits vor Ende der Sperrfrist des Satzes 2 zu einem (für den Arbeitnehmer eventuell ungünstigen) Tarifwechsel kommt. Damit zeigt sich, dass Bezugnahmeklauseln die Folgen der restriktiven Auslegung des § 613a Abs. 1 S. 3 BGB (Erfordernis der kongruenten Tarifbindung) überwinden können. Tariflich scheiterte eine Ablösung des gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB „eingefrorenen“ alten Tarifvertrages an der fehlenden einschlägigen Gewerkschaftsmitgliedschaft der Arbeitnehmer. Eine große dynamische Be234
A.II.2.b)bb), ab S. 224. Zu den Auswirkungen der unterschiedlichen Formulierungsvarianten der großen dynamischen Bezugnahmeklausel vgl. o. Teil 1, B.IV.3.c), ab S. 85. 236 s. dazu A.II.2.b)bb), ab S. 224. 237 A.II.2.b)cc), ab S. 227. 235
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zugnahmeklausel führt jedoch dazu, dass sich ungeachtet der Günstigkeit der neue Tarifvertrag gemäß § 613a Abs. 1 S. 4 Var. 2 BGB durchsetzt. Dies zeigt die enorme Bedeutung, die Tarifwechselklauseln in Zukunft unter der neuen Rechtsprechung zukommen wird. Den Arbeitgebern kann daher ihre Verwendung nur empfohlen werden. Ein entsprechender Klauselvorschlag findet sich unter Teil 3, Abschnitt B.I.2.238 c) Sonderfall: Allgemeinverbindlicher Tarifvertrag beim Erwerber Über einen Sonderfall hatte das BAG am 29.8.2007239 zu entscheiden. Der nicht tarifgebundene Kläger war seit 1994 als Hausarbeiter bei einem an die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst gebundenen Krankenhaus beschäftigt. Im Arbeitsvertrag fand sich eine Bezugnahme auf die einschlägigen Tarifverträge für den öffentlichen Dienst. Der Hauswirtschaftsbereich wurde im Jahre 2005 auf ein Unternehmen übertragen, das der Gebäudereinigerinnung angehörte und bei dem kraft Allgemeinverbindlicherklärung die Tarifverträge des Gebäudereinigerhandwerks galten. Der neue Arbeitgeber behandelte den Kläger seitdem nach den für den Kläger ungünstigeren Bedingungen der Tarifverträge des Gebäudereinigerhandwerks. Mit seiner Klage machte der Kläger Ansprüche aus den – nach seiner Ansicht statisch weiter in Bezug genommenen – „alten“ Tarifverträgen des Krankenhauses geltend. Das BAG hat die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin240 bestätigt und der Klage stattgegeben. Der Kläger habe nach dem Betriebsübergang – zumindest statisch – weiterhin Anspruch auf die Arbeitsbedingungen der vertraglich in Bezug genommenen Tarifverträge für den öffentlichen Dienst.241 Aufgrund des Vertragsschlusses im Jahre 1994 wurde dieser „Altfall“ von der Rechtsprechungsänderung nicht erfasst und war somit nach „altem“ Recht zu lösen. Die Fallkonstellation wirft die interessante Frage auf, wie weit die Gleichstellungsabrede bei einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag gehen kann. Tarifrechtlich löst der neue, beim Erwerber infolge der Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG normativ geltende Tarifvertrag den nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB fortgeltenden alten Tarifvertrag ab, vgl. § 613a Abs. 1 S. 3 BGB. 238 239 240 241
Ab S. 434. BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 765/06, AuR 2008, 181 ff. Vgl. bereits o. S. 235. LAG Berlin v. 16.5.2006 – 7 Sa 2263/05, n. v. BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 765/06, AuR 2008, 181 (182 f.).
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
Bei den Außenseitern, die keine Tarifwechselklausel in ihren Verträgen vereinbart haben, ist es jedoch fraglich, ob eine kleine dynamische Bezugnahmeklausel zu einem Wechsel des Bezugnahmeobjekts führen kann. Diese Uminterpretierung der kleinen in eine große dynamische Klausel kann, wie die obige Darstellung ergeben hat,242 selbst unter der Gleichstellungsdogmatik ohne entsprechende Vereinbarung nur bei besonderen Umständen angenommen werden. Zwar fehlt es in der vorliegenden Konstellation an einer Identität der tarifschließenden Gewerkschaften, die als ein solcher besonderer Umstand hätte gewertet werden können.243 Es ließe sich aber daran denken, dass die Allgemeinverbindlichkeit des Erwerbertarifvertrages einen solchen „besonderen Umstand“ impliziert. Denn schließlich erfasst der Tarifvertrag aufgrund seiner Allgemeinverbindlichkeit nicht nur die Gewerkschaftsmitglieder, sondern ausnahmsweise sogar die Außenseiter bereits normativ. Bei Auslegung der Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede sprechen in dieser besonderen Situation die Umstände dafür, dass der Parteiwille regelmäßig auf die Synchronisierung der tariflichen und der arbeitsvertraglichen Situation gerichtet ist, die ansonsten in allen (!) Arbeitsverhältnissen, also ausnahmsweise auch in denen der hier ebenfalls von nun an aufgrund der Allgemeinverbindlicherklärung „tarifgebundenen“ Außenseiter, miteinander kollidieren würden. Das LAG Berlin244 hatte es hingegen in der Vorinstanz abgelehnt, eine Gleichstellungsabrede automatisch als eine Tarifwechselklausel zu verstehen.245 Die Gleichstellungsabrede führe nach dem Betriebsübergang lediglich zu einer statischen Bezugnahme auf den „alten“ Tarifvertrag. Das BAG schließt sich in seiner Urteilsbegründung der Ansicht des LAG Berlin an und stellt fest, dass die vertraglich vereinbarte Gleichstellung sich entsprechend dem Wortlaut der Bezugnahmeklausel auf die darin genannten Tarifverträge beschränke.246 Die Vereinbarung einer kleinen dynamischen Klausel könne keinen Wechsel des Bezugnahmeobjekts bewirken; zu diesem Zweck hätten die Parteien eine Tarifwechselklausel vereinbaren können, dies im vorliegenden Fall jedoch unterlassen. Eine analoge Anwendung des § 613a Abs. 1 S. 3 BGB auf die rein schuldrechtliche Bezugnahmeklausel komme ebenfalls nicht in Betracht, um einen Wechsel des in Bezug genommenen Tarifvertrages herbeizuführen. Das BAG hat die Bezugnahmeklausel somit ebenfalls nicht zu einer Tarifwechselklausel „uminterpretiert“. Die Bezugnahmevereinbarung sei au242 243 244 245 246
s. o. A.II.1.d), ab S. 213. Vgl. S. 240. LAG Berlin v. 16.5.2006 – 7 Sa 2263/05, n. v. LAG Berlin v. 16.5.2006 – 7 Sa 2263/05, n. v. BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 765/06, AuR 2008, 181 (182).
A. Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang
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ßerdem eine „günstigere Abmachung iSv. § 4 Abs. 3 TVG“. In expliziter Abkehr von seiner früheren Auffassung, zwischen Tarifvertrag und Bezugnahmeklausel komme es zur Tarifkonkurrenz,247 wendet das BAG nun also bei Kollisionen zwischen Bezugnahmeklausel und Tarifvertrag das Günstigkeitsprinzip an.248 In einem ähnlich gelagerten Rechtsstreit, bei dem die Klägerin vor dem Betriebsübergang Gewerkschaftsmitglied war, hob das BAG249 das Urteil zweiter Instanz des LAG Düsseldorf250 auf und gab der Klage auf Weitergewährung der Vergütung nach den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes ebenfalls statt. Das LAG Düsseldorf hatte die Gleichstellungsabrede als Tarifwechselklausel ausgelegt. Auch in diesem Fall lehnte das BAG die korrigierende Auslegung der kleinen dynamischen als große dynamische Bezugnahmeklausel ab. Nach Ansicht des BAG begründet die konstitutive Bezugnahme auf die „alten“ Tarifverträge auch in diesem Fall deren vertragliche Weitergeltung für das übergegangene Arbeitsverhältnis als im Vergleich zu den Tarifbedingungen der Gebäudereinigung günstigeren Regelungen.251 Nach neuer Rechtsprechung käme eine „Uminterpretation“ ohnehin nicht mehr in Betracht. Eine kleine dynamische Klausel ist nach ihrem Wortlaut auszulegen, so dass eine ergänzende Auslegung als Tarifwechselklausel in aller Regel ausscheiden muss – insbesondere, wenn zwei verschiedene Gewerkschaften jeweils tarifzuständig sind. Die Tatsache, dass der „Erwerbertarifvertrag“ für allgemeinverbindlich erklärt wurde, ist hierbei kein für die Auslegung relevanter Umstand, sofern die Tarifbindung des Arbeitgebers nicht zur auflösenden Bedingung der Bezugnahmeklausel gemacht wurde. d) Zwischenergebnis In den bis zum 31.12.2001 geschlossenen Arbeitsverhältnissen kommt es nach einem Betriebsübergang auf einen Erwerber, der mit einer anderen Gewerkschaft einen Tarifvertrag geschlossen hat, bei den Außenseitern zu einer statischen Inbezugnahme des „alten“ Veräußerer-Tarifvertrags. Die neue, auf die nach diesem Stichtag geschlossenen Arbeitsverhältnisse anwendbare Rechtsprechung lässt hingegen bei entsprechendem Wortlaut oder bei Unklarheiten und günstigerem Veräußerer-Tarifvertrag eine Auslegung der Klausel als dynamische Bezugnahme des „alten“ Tarifvertrages zu. 247 248 249 250 251
s. o. A.II.3.b)bb), ab S. 233. Ebenso nun BAG v. 12.12.2007 – 4 AZR 998/06, NZA 2008, 649 (649). BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364 ff. LAG Düsseldorf v. 20.7.2006 – 15 (4) Sa 62/06, FA 2007, 59 f. BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364 (366).
254
Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
Die Gewerkschaftsmitglieder sind nach bisheriger Rechtsprechung gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB sowie der aus Gleichstellungsgründen gebotenen Auslegung der Klausel als statische Bezugnahme an den „alten“ Tarifvertrag gebunden. Aufgrund der neuen Rechtsprechung bleibt eine etwaige Klauseldynamik erhalten und es würde bei Zweifeln in der Auslegung jeweils die Klauselvariante gelten, die für den Arbeitnehmer am günstigsten wäre. Etwaige Kollisionen mit der tariflichen Lage sind nach dem Günstigkeitsprinzip zu lösen. Die Ausnahme bildet aber der Fall, dass eine große dynamische Bezugnahmeklausel vereinbart wurde. Diese ist als Vereinbarung im Sinne des § 613a Abs. 1 S. 4 Var. 2 BGB anzusehen, so dass unabhängig von der Günstigkeit für den Arbeitnehmer die Veränderungssperre gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB nicht greift, sondern der neue Tarifvertrag in Bezug genommen wird. Einen Sonderfall stellt der Betriebsübergang auf einen Erwerber dar, der an einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag gebunden ist. In diesem Fall sprechen im Rahmen der Gleichstellungsdogmatik die nach Auffassung des BAG zu berücksichtigenden Umstände eher dafür, eine kleine dynamische Klausel als Tarifwechselklausel ergänzend auslegen. Das BAG lehnt dies jedoch ab, so dass der für allgemeinverbindlich erklärte neue Tarifvertrag und die Bezugnahmeklausel in einen nach § 4 Abs. 3 TVG aufzulösenden Widerstreit treten. 6. Nur Erwerber ist tarifgebunden Schließlich sind die Fälle zu analysieren, in denen nur der Erwerber tarifgebunden ist. Beispiel: A ist Arbeitnehmer eines Unternehmens der Metallbranche, in dem nur aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme die Tarifverträge der Metallindustrie gelten. Der Betriebsteil, in dem A tätig ist, wird auf ein eigenständiges, kraft Verbandsmitgliedschaft an die Tarifverträge des Gerüstbauergewerbes gebundenes Unternehmen übertragen. A begehrt von seinem neuen Arbeitgeber eine Tariflohnerhöhung auf Grundlage des Tarifvertrages der Metallindustrie.
a) Nicht tarifgebundener Arbeitnehmer Ist der Arbeitnehmer Außenseiter, nimmt er nur über § 613a Abs. 1 S. 1 BGB an den tariflichen Regelungen teil. Der Fall liegt insofern parallel zur ersten Fallgruppe,252 als der Veräußerer wiederum nicht tarifgebunden ist. In diesen Fällen kommt schon nach der bisherigen Rechtsprechung mangels Tarifbindung des alten Arbeitgebers eine Auslegung im Sinne der Gleich252
s. o. A.II.1., ab S. 210.
A. Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang
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stellungsabrede nicht in Betracht.253 Insofern ist die Bezugnahmeklausel nach den allgemeinen Regeln der §§ 133, 157 BGB, insbesondere unter Beachtung des Wortlauts, auszulegen. Eine dynamische Verweisung führt dann zu einer weiterhin dynamischen Bezugnahme auf den „alten“ Tarifvertrag, der eventuell für den Erwerber gar nicht einschlägig ist. Von einem Wechsel des Bezugnahmeobjekts zum Erwerbertarifvertrag kann nur bei einer eindeutigen Vereinbarung oder besonderen Umständen ausgegangen werden. Dies gilt grundsätzlich auch nach einem Branchenwechsel.254 b) Tarifgebundener Arbeitnehmer Auch in dieser Fallkonstellation kann es zu zusätzlichen Problemen kommen, wenn die Bezugnahmeklausel mit Gewerkschaftsmitgliedern vereinbart wurde. aa) Bindung des Erwerbers an einen mit derselben Gewerkschaft geschlossenen Tarifvertrag Sofern der Erwerber einen Tarifvertrag mit der Gewerkschaft des Arbeitnehmers geschlossen hat, wird der Arbeitnehmer nach Betriebsübergang kollektivrechtlich hieran nach §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG gebunden. Daneben wäre für das Arbeitsverhältnis des Gewerkschaftsmitglieds zugleich die schuldrechtliche Bezugnahmeklausel zu beachten, die nach § 613a Abs. 1 S. 1 BGB übergeht. Auch hier war die Gleichstellungsrechtsprechung bereits vor der Rechtsprechungsänderung nicht anwendbar, und die Bezugnahmeklausel war nach den allgemeinen Grundsätzen auszulegen. Die Auslegung der vor und nach dem 31.12.2001 geschlossenen Arbeitsverträge ist daher gleich. Entscheidend ist in erster Linie jeweils der Wortlaut, die Tarifbindung des Arbeitgebers hingegen nicht, sofern sie nicht zur auflösenden Bedingung für die Klauseldynamik gemacht wurde. Zu einer Kollision zwischen der kollektivrechtlichen Regelungsanordnung der §§ 3, 4 TVG und der individualrechtlichen Anordnung des § 613a Abs. 1 S. 1 BGB kann es hierbei kommen, wenn der in Bezug genommene und der normativ geltende Tarifvertrag nicht identisch sind,255 aber keine Tarifwechselklausel vereinbart wurde, oder wenn die Klausel rein statisch ist.256 Die Kollision wäre erneut durch Günstigkeitsvergleich gemäß § 4 Abs. 3 TVG zu lösen.257 253
Vgl. o. S. 135. s. o. A.II.1.d), ab S. 213. 255 Z. B. dann, wenn die Gewerkschaft sowohl einen Verbands- als auch einen Firmentarifvertrag geschlossen hat. 256 s. schon o. A.II.3.b), ab S. 232. 254
256
Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
bb) Bindung des Erwerbers an einen mit einer anderen Gewerkschaft geschlossenen Tarifvertrag Hat der Erwerber einen anderen Tarifvertrag mit einer anderen Gewerkschaft geschlossen, kommt es zu keiner Tarifbindung des Gewerkschaftsmitglieds. § 613a Abs. 1 S. 2 BGB findet mangels vormaliger kollektiver Geltung beim nicht tarifgebundenen Veräußerer keine Anwendung.258 Es gilt lediglich § 613a Abs. 1 S. 1 BGB. Da der Veräußerer nicht tarifgebunden war, kam es ihm bei der Vereinbarung der Bezugnahmeklausel auch nicht auf eine Gleichstellungsabrede an. Die Rechtsprechungsänderung wirkt sich daher erneut nicht aus, sondern die Auslegung der Klausel ist nach alter wie neuer Rechtsprechung nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB vorzunehmen. Eine dynamische Verweisung auf den „alten“ Tarifvertrag wirkt daher auch nach dem Betriebsübergang dauerhaft dynamisch, selbst wenn dieser Tarifvertrag für den Erwerberbetrieb nicht einschlägig ist. c) Zwischenergebnis In der vorliegenden Fallgruppe spielen Gleichstellungsaspekte keine Rolle.259 Schon die bisherige Auslegung folgte allein allgemeinen Grundsätzen. Die Rechtsprechungsänderung wirkt sich daher nicht aus. Für die Außenseiter bleibt eine Dynamik der Bezugnahmeklausel nach einem Betriebsübergang auf einen anderweitig tarifgebundenen Erwerber erhalten. Hat beim Erwerber die Gewerkschaft der organisierten Arbeitnehmer den Tarifvertrag abgeschlossen, entsteht für die Gewerkschaftsmitglieder eine kongruente Tarifbindung. Eine etwaige Kollisionslage mit der Bezugnahmeklausel wäre über einen Günstigkeitsvergleich zu lösen. Bei einem Tarifvertrag mit einer anderen Gewerkschaft kommt es mangels kongruenter Tarifbindung zu keiner normativen Geltung des Erwerbertarifvertrages. Für die Arbeitsverhältnisse der mit dem Betriebsübergang übernommenen Gewerkschaftsmitglieder greift allein die Bezugnahmeklausel; sie führt nur bei Vorliegen einer Tarifwechselklausel über § 613a Abs. 1 S. 1 BGB zur Anwendung des Erwerbertarifvertrags.
257
A. A. Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 368, der eine ergänzende Vertragsauslegung vornehmen will, aufgrund derer die Bezugnahme auf die einheitliche Anwendung eines Tarifvertrages gerichtet sei (anders nur im Falle der Verweisung auf einen fremden Tarifvertrag). 258 s. o. A.I.2.b)aa), ab S. 202. 259 Dies entspricht auch den Auswirkungen in Fallgruppe A.II.1., ab S. 210.
A. Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang
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7. Ergebnis Es zeigt sich, dass arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln nach einem Betriebsübergang weitreichende und vom gesetzlichen Leitbild des § 613a Abs. 1 S. 2–4 BGB abweichende Auswirkungen auf die Weitergeltung und Ablösung tariflicher Regelungen haben können: Abhängig von der Auslegung der Klausel kann es gemäß § 613a Abs. 1 S. 1 BGB einerseits zu einer weiterhin dynamischen Bezugnahme des „alten“ Tarifvertrages oder im Falle einer sog. Tarifwechselklausel andererseits sogar zu einer Inbezugnahme des neuen, beim Erwerber geltenden Tarifvertrags kommen, obwohl § 613a Abs. 1 S. 2 BGB tarifrechtlich das „Einfrieren“ der bisher geltenden Kollektivnormen anordnet. Andererseits kann die Bezugnahme trotz eines Tarifwechsels beim Erwerber gemäß § 613a Abs. 1 S. 3 BGB (in Verbindung mit §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG) eine dauerhafte Bindung an den ursprünglichen Tarifvertrag herbeiführen. Die Bezugnahmeklausel hat daher je nach ihrer Ausgestaltung das Potenzial, die von § 613a Abs. 1 S. 2–4 BGB für den Fall des Betriebsübergangs vorgesehenen Rechtsfolgen zu „torpedieren“. Diese Auswirkungen der Bezugnahmeklausel verhinderte das BAG bisher mit dem Instrument der Gleichstellungsabrede. Die Auslegung der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede führte dazu, dass sich die Rechtsfolgen der Bezugnahme an der tarifrechtlichen Situation der Gewerkschaftsmitglieder (ohne Bezugnahmeklausel) orientierten. Der Arbeitsvertrag war nicht mehr als ein Spiegelbild der tarifrechtlichen Situation.260 Ungeachtet des jeweiligen Klauselwortlauts glich die Bezugnahmeklausel daher die Rechtsfolgen der Bezugnahme an die jeweilige Tariflage an. Doch gab es hiervon auch Ausnahmen; insbesondere nahm die bisherige Rechtsprechung nur unter „besonderen Umständen“ eine „Uminterpretation“ einer kleinen dynamischen in eine große dynamische Klausel vor, um einen synchronen Tarifwechsel bei Organisierten und Außenseitern herbeizuführen. Diese Inkonsequenz war nur einer von vielen Gründen, weshalb die Gleichstellungsrechtsprechung auf erheblichen Widerstand stieß und ihre Ergebnisse nicht zu überzeugen vermochten. Der Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede kann aus den bereits in Teil 1 dargestellten Gründen nicht gefolgt werden.261 Es war deshalb richtig, sie auf den Prüfstand zu stellen und von ihr Abstand zu nehmen. Der dogmatisch richtige Weg liegt darin, die Bezugnahmeklausel in jedem Einzelfall gemäß §§ 133, 157 BGB primär nach ihrem Wortlaut auszulegen. Diese Grundsätze werden durch die Rechtsprechungsänderung (wieder) in 260 261
Röller/Wißmann, FS Küttner, S. 465 (466). Vgl. o. Teil 1, D.III.2., ab S. 142.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
den Mittelpunkt gerückt. Nur auf diese Weise wird dem Umstand Rechnung getragen, dass einer Bezugnahmeklausel sowohl bei Außenseitern als auch bei Gewerkschaftsmitgliedern eine eigenständige, konstitutive Wirkung zukommt. Die Vereinbarung einer Gleichstellungsabrede unterliegt nun hohen Anforderungen. Der vom Arbeitgeber mit der Bezugnahmeklausel verfolgte Gleichstellungszweck muss für den Arbeitnehmer erkennbar geworden sein. Sofern sich trotz Ausschöpfung aller Auslegungsmethoden Zweifel ergeben, welchen Umfang die Bezugnahmeklausel haben soll, ist sie gemäß § 305c Abs. 2 BGB im für den Arbeitnehmer günstigsten Sinne auszulegen. Unklarheiten gehen damit nunmehr zu Lasten des Verwenders, d.h. des Arbeitgebers. In der Fallanalyse zum Betriebsübergang ist deutlich geworden, dass sich mit der neuen Rechtsprechung die Rechtsfolgen einer Bezugnahmeklausel in vielen Konstellationen wesentlich ändern werden. Die Differenzierung zwischen statischen, kleinen oder großen dynamischen Klauseln ist nun nicht mehr unter Berufung auf den Zweck der Gleichstellung zu relativieren, sondern sie ist beachtlich und hat entscheidenden Einfluss auf die Rechtsfolgen. Die Bezugnahmeklauseln haben nun auch in der praktischen Anwendung eine konstitutive Bedeutung für beide Arbeitnehmergruppen. Bestehen Zweifel bei der Auslegung, welcher Klauseltyp von den Parteien gewollt war, gilt die jeweils für den Arbeitnehmer günstigste Auslegung. Dies wird, wie im Einzelnen dargelegt wurde, in der Regel zu gleichen Ergebnissen für beide Gruppen führen. Es kann allerdings unter Umständen zu einer Schlechterstellung der Außenseiter gegenüber den Gewerkschaftsmitgliedern kommen: Dies ist der Fall, wenn Erwerber und Gewerkschaftsmitglieder kongruent tarifgebunden sind, so dass es gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG (ggf. in Verbindung mit § 613a Abs. 1 S. 3 BGB) zu einer Ablösung des alten Tarifvertrags kommt. Ist dieser neue Tarifvertrag nun günstiger, während individualvertraglich aber nur eine statische oder eine kleine dynamische Klausel vorliegt, stehen die Außenseiter schlechter als die Gewerkschaftsmitglieder. Dies lässt sich jedoch dadurch rechtfertigen, dass die Organisierten anders als die Außenseiter aus ihrer Gewerkschaftsmitgliedschaft Vorteile ziehen können.
B. Bezugnahmeklauseln und Verbandsaustritt Durch einen Verbandsaustritt versuchen Arbeitgeber häufig, sich von ihrer Tarifbindung zu befreien: Sie wollen sich in der Regel von künftigen Entwicklungen auf Tarifebene abkoppeln und Änderungen der bestehenden Regelungen – insbesondere Lohn- und Gehaltserhöhungen, aber auch Fra-
B. Bezugnahmeklauseln und Verbandsaustritt
259
gen der betrieblichen Arbeitszeit – wieder selbst bestimmen.262 Ob dieses Vorgehen gelingt, hängt wesentlich von der Ausgestaltung und Auslegung der Bezugnahmeklauseln ab.
I. Verbandsaustritt Die rechtlichen Voraussetzungen für einen Verbandsaustritt bestimmen sich nach dem für die Organisation der jeweiligen Koalition anwendbaren Recht. Grundsätzlich wählen die Arbeitgeberverbände die Rechtsform des rechtsfähigen Idealvereins nach § 21 BGB.263 Sie betreiben selbst keinen „wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb“ im Sinne des § 22 BGB, sondern verfolgen den ideellen Zweck, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und die Mitglieder in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber zu fördern.264 Die meisten von ihnen sind als eingetragener Verein organisiert.265 Da die derzeit aktiven Koalitionen somit als rechtsfähige oder nichtrechtsfähige Vereine konstituiert sind, ist das Vereinsrecht des BGB maßgebend für einen Austritt des Arbeitgebers aus seinem Verband.266 Wird der Verband in der Rechtsform des eingetragenen Vereins geführt,267 sind die Mitglieder gemäß § 39 Abs. 1 BGB zum Austritt berechtigt.268 Für den nicht eingetragenen Verein wird § 39 BGB entgegen dem mittlerweile fast rechtshistorischen Wortlaut des § 54 BGB entsprechend angewandt.269 Der Unterschied ist in der Praxis daher nicht erheblich. § 39 BGB ermöglicht es dem Mitglied, seine Mitgliedschaft im Verein kurzfristig zu beenden und sich dadurch der Einwirkung der Vereinsmehr262
Wahlig, AuA 2001, 346 (348). Söllner/Waltermann, ArbR, Rn. 199 ff.; Melot de Beauregard, Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden, S. 45; Soergel-Hadding, BGB, §§ 21, 22 Rn. 45. 264 MüHdbArbR-Löwisch/Rieble, Bd. 3, § 249 Rn. 3. 265 Melot de Beauregard, Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden, S. 45; Schaub, ArbR-Hdb., § 187 Rn. 8; MüHdbArbR-Löwisch/Rieble, Bd. 3, § 249 Rn. 3. Es bestehen auch einige Verbände als nicht rechtsfähige Vereine. 266 BAG v. 16.2.1962 – 1 AZR 167/61, AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 16. 267 Wiedemann-Oetker, TVG, § 2 Rn. 253; Däubler-Peter, TVG, § 2 Rn. 105; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 180. 268 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 180; Söllner/Waltermann, ArbR, Rn. 200. 269 BGH v. 11.7.1968 – VII ZR 63/66; BGHZ 50, 325 (328 f.); OLG Frankfurt v. 19.12.1984 – 9 U 107/83, ZIP 1985, 213 (215); Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 180; Palandt-Heinrichs/Ellenberger, BGB, § 54 Rn. 1; Melot de Beauregard, Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden, S. 45; Söllner/Waltermann, ArbR, Rn. 199. 263
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
heit zu entziehen.270 Das Austrittsrecht kann durch die Satzung des Verbandes nicht entzogen werden, da dies dem Prinzip der Freiwilligkeit271 widerspräche, auf dem der privatrechtliche Zusammenschluss der Arbeitgeber beruht.272 Der Verbandsaustritt erfolgt durch einseitige und grundsätzlich formlose empfangsbedürftige Willenserklärung des Mitglieds, die mit dem Zugang an ein Vorstandsmitglied oder an das in der Satzung bestimmte sonstige Vereinsorgan gemäß §§ 130, 28 Abs. 2 BGB wirksam wird.273 Er ist nicht widerruflich.274 Die Verbandssatzung kann die Schriftform vorsehen, nicht aber die Einhaltung einer strengeren Form oder die Abgabe einer Begründung.275 Kündigungsfristen sind im Rahmen des § 39 Abs. 2 BGB zulässig. Der Bundesgerichtshof276 hat jedoch für den Gewerkschaftsaustritt entschieden, dass die negative Koalitionsfreiheit gebiete, das Austrittsrecht nicht länger als ein halbes Jahr zu befristen. Dieselben Grundsätze dürften für den Verbandsaustritt gelten. Falls die Satzung der jeweiligen Koalition eine übermäßig lange Frist vorsieht, fällt diese nicht ersatzlos weg, sondern sie wird auf das erlaubte Maß reduziert.277 Die Verbandsmitgliedschaft als Dauerschuldverhältnis kann zudem außerordentlich aus wichtigem Grund und fristlos gekündigt werden.278 Hierfür müssen Umstände vorliegen, die es dem Verbandsmitglied unzumutbar machen, seine Mitgliedschaft bis zum Ablauf der satzungsmäßigen Austrittsfrist aufrechtzuerhalten.279 Sobald die 270
BGH v. 13.7.1967 – II ZR 215/65, BGHZ 48, 207 (209 f.); Palandt-Heinrichs/Ellenberger, BGB, § 39 Rn. 1. 271 Dies unterscheidet Arbeitgeberverbände von öffentlich-rechtlichen Körperschaften, für die eine Zwangsmitgliedschaft angeordnet ist, z. B. Berufsgenossenschaften, Industrie- und Handwerkskammern und Innungen; vgl. Däubler-Peter, TVG, § 2 Rn. 106; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 180; Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 2 Rn. 101. 272 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 180; Larenz/Wolf, BGB AT, § 10 Rn. 111. 273 Palandt-Heinrichs/Ellenberger, BGB, § 39 Rn. 2; Hromadka/Maschmann/ Wallner, Tarifwechsel, Rn. 181. 274 OLG Hamm v. 14.7.1999 – 8 U 22/89, NJW 2000, 523 (524); Palandt-Heinrichs/Ellenberger, BGB, § 39 Rn. 2. 275 Palandt-Heinrichs/Ellenberger, BGB, § 39 Rn. 2; Hromadka/Maschmann/ Wallner, Tarifwechsel, Rn. 181. 276 BGH v. 4.7.1977 – II ZR 30/76, AP Nr. 25 zu Art. 9 GG; BGH v. 22.9.1980 – II ZR 34/80, AP Nr. 33 zu Art. 9 GG; s. hierzu auch Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 45; Däubler, NZA 1996, 225 (226); Reichel, Bezugnahme, S. 69; Hromadka/ Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 182. 277 RG v. 26.5.1937 – K 76/37, JW 1937, 3236 (3236 f.); Palandt-Heinrichs/ Ellenberger, BGB, § 39 Rn. 3; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 49. 278 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 183; Soergel-Hadding, BGB, § 39 Rn. 5; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 53.
B. Bezugnahmeklauseln und Verbandsaustritt
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Austrittserklärung durch Zugang oder mit Fristablauf wirksam wird, endet die Mitgliedschaft.280 Durch den Austritt erlöschen grundsätzlich alle Mitgliedschaftsrechte und -pflichten.281
II. Tarifrechtliche Folgen eines Verbandsaustritts Der Verbandsaustritt hat weitreichende tarifrechtliche Folgen. Die Individualnormen des Tarifvertrags gelten gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 TVG nur zwischen den beiderseits Tarifgebundenen. Die Tarifgebundenheit ist hierbei gemäß § 3 Abs. 1 TVG an die Mitgliedschaft geknüpft. Somit müsste mit dem Ende der Mitgliedschaft eigentlich auch die Tarifbindung enden. 1. Nachbindung gemäß § 3 Abs. 3 TVG Etwas anderes sieht aber § 3 Abs. 3 TVG vor: Die Tarifbindung bleibt bestehen, bis der Tarifvertrag endet, um die „Tarifflucht“ eines Tarifgebundenen zu verhindern.282 Ohne § 3 Abs. 3 TVG könnten sich die Arbeitsvertragsparteien nach Ablauf der verbandsrechtlich verlangten Austrittsfrist der Tarifbindung entziehen, wenn ihnen ein neu abgeschlossener Tarifvertrag nicht gefällt.283 Tarifverträge sollen aber für die Dauer ihres Abschlusses wirken und nur einvernehmlich, nicht aber einseitig aufgehoben werden können.284 § 3 Abs. 3 TVG dient somit der Sicherung der Tarifvertragstreue und ist Ausdruck des Grundsatzes pacta sunt servanda.285 Er schützt zudem das Interesse des Arbeitgeberverbands, das austrittswillige Mitglied nicht – ggf. an einen anderen Verband – zu verlieren.286 279 RG v. 23.10.1930 – IV 721/29, RGZ 130, 375 (378); BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 (162); Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 53 ff.; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 183; Soergel-Hadding, BGB, § 39 Rn. 5; Reichel, Bezugnahme, S. 69. 280 Soergel-Hadding, BGB, § 39 Rn. 8. Zum „Blitzaustritt“ vgl. jüngst BAG v. 20.2.2008 – 4 AZR 64/07, NZA 2008, 946 ff.; BAG v. 4.6.2008 – 4 AZR 419/07, DB 2008, 2712 ff. 281 Palandt-Heinrichs/Ellenberger, BGB, § 39 Rn. 4; Soergel-Hadding, BGB, § 39 Rn. 8. 282 BAG v. 4.8.1993 – 4 AZR 499/92, NZA 1994, 34 (35); HWK-Henssler, § 3 TVG Rn. 41; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 226; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 84; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 60; Reichel, Bezugnahme, S. 70; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 157 ff. 283 ErfK-Franzen, § 3 TVG Rn. 22. 284 Büdenbender, NZA 2000, 509 (512); Reichel, Bezugnahme, S. 71. 285 Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 84; Büdenbender, NZA 2000, 509 (513 f.); ErfK-Franzen, § 3 TVG Rn. 22. 286 Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 58; Bohle, KK 2006, 565 (565).
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
§ 3 Abs. 3 TVG setzt voraus, dass die vormals nach § 3 Abs. 1 TVG bestehende Tarifgebundenheit durch Austritt (mindestens) einer der Arbeitsvertragsparteien aus dem jeweiligen Berufsverband endet. Die Vorschrift fingiert dann die für die Tarifgebundenheit erforderliche Mitgliedschaft – sei es die des Arbeitgebers oder die des Arbeitnehmers –287 bis zum Ablauf des Tarifvertrags und stellt auf diese Weise eine atypische Tarifgebundenheit her.288 Die Tarifnormen wirken weiter unmittelbar und zwingend nach § 4 Abs. 1 TVG in ihrer zur Zeit des Austritts geltenden Fassung.289 Der fortwirkende Tarifvertrag kommt auch gegenüber nach Verbandsaustritt des Arbeitgebers neu begründeten Arbeitsverhältnissen zur Anwendung.290 Die Nachbindung des § 3 Abs. 3 TVG erstreckt sich bis zum „Ende“ des Tarifvertrags, das etwa durch Zeitablauf oder Kündigung eintreten kann.291 Die Weitergeltung nach § 3 Abs. 3 TVG ist mit der Koalitionsfreiheit des Arbeitgebers aber nur vereinbar, solange es sich um den Tarifvertrag handelt, dessen Geltung er noch durch seine Verbandsmitgliedschaft legitimiert hat.292 Daher ist schon jede inhaltliche Änderung des Tarifvertrags eine Beendigung im Sinne des § 3 Abs. 3 TVG.293 287 BAG v. 4.4.2001 – 4 AZR 237/00, AP Nr. 26 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; ErfK-Franzen, § 3 TVG Rn. 23. § 3 Abs. 3 TVG fingiert ausschließlich die fehlende Mitgliedschaft und ist damit nicht anwendbar, wenn der Arbeitgeber den Geltungsbereich verlässt (s. u. D., ab S. 329) oder der tarifliche Geltungsbereich infolge eines Betriebsübergangs wechselt, der Tarifvertrag beendet oder unwirksam wird oder eine Tarifvertragspartei aufgelöst wird, vgl. BAG v. 10.12.1997 – 4 AZR 247/96, AP Nr. 20 zu § 3 TVG; HWK-Henssler, § 3 TVG Rn. 43 m. w. N. 288 BAG v. 15.10.1986 – 4 AZR 289/85, NZA 1987, 246 (247); BAG v. 1.12.2004 – 4 AZR 55/04, NZA 2005, 645 (646); BAG v. 4.8.1993 – 4 AZR 499/92, NZA 1994, 34 (35); Reichel, Bezugnahme, S. 70; Hromadka/Maschmann/ Wallner, Tarifwechsel, Rn. 225. 289 ErfK-Franzen, § 3 TVG Rn. 28; Hanau/Kania, DB 1995, 1229 (1231); Seitz/ Werner, NZA 2000, 1257 (1260); Bauer, FS Schaub, S. 19 (21). 290 BAG v. 10.12.1997 – 4 AZR 247/96, AP Nr. 20 zu § 3 TVG; BAG v. 7.11. 2001 – 4 AZR 703/00, AP Nr. 11 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 67; Reichel, Bezugnahme, S. 70; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 145. 291 Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 145; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 240; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 85 ff.; Däubler, ZTR 1994, 448 (449); Reichel, Bezugnahme, S. 71. 292 Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht II, § 13 Rn. 244; diff. Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, S. 728. 293 So auch das BAG v. 18.3.1992 – 4 AZR 339/91, NZA 1992, 700 (701); BAG v. 17.5.2000 – 4 AZR 363/99, NZA 2001, 453 (456); BAG v. 7.11.2001 – 4 AZR 703/00, AP Nr. 11 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; ebenso Hanau/Kania, DB 1995, 1229 (1232); Stein, TarifvertragsR, Rn. 174; Reichel, Bezugnahme, S. 71; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 145. A. A. Kempen/Zachert-Kempen, TVG, § 3 Rn. 60 ff.; Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, S. 728; Däubler, TarifvertragsR, Rn. 300, 1513 (Fortgeltung der unveränderten Teile des Tarifvertrages).
B. Bezugnahmeklauseln und Verbandsaustritt
263
Des Weiteren wird vorgeschlagen, dass der Tarifvertrag ende, sobald der Arbeitgeberverband (bzw. bei Arbeitnehmern die Gewerkschaft) die erste Kündigungsmöglichkeit des Tarifvertrages verstreichen lasse.294 Hiergegen spricht zunächst, dass dies den Wortlaut des § 3 Abs. 3 TVG, der das „Ende“ des Tarifvertrages voraussetzt, sehr strapaziert. Das bloße Verstreichenlassen einer Kündigungsmöglichkeit wirkt nämlich anders als eine inhaltliche Änderung nicht auf den Tarifvertrag ein, sondern lässt diesen vielmehr in seiner ursprünglichen Form bestehen. Im Schrifttum wird zudem eingewandt, dass der Zweck des § 3 Abs. 3 TVG sonst missachtet werde: Die Norm diene dazu, die Tarifgebundenheit bis zum Ende des Tarifvertrags aufrechtzuerhalten.295 Dem liefe es zuwider, wenn man die fingierte Tarifgebundenheit bereits zu einem sehr viel früheren Zeitpunkt als bei fortbestehender Verbandsmitgliedschaft beenden würde.296 Andererseits ergeben sich Parallelen zu dem Fall der inhaltlichen Änderung: Das BAG stellt für den Fall der Änderung eines fortgeltenden Tarifvertrages entscheidend darauf ab, dass der ausgeschiedene Arbeitgeber keine Einwirkungsmöglichkeit auf die Änderung mehr hat.297 Dann muss für die Entscheidung über eine Kündigung oder Aufrechterhaltung des Tarifvertrages das Gleiche gelten,298 denn ein bereits ausgeschiedenes Mitglied verliert mit dem Austritt die Möglichkeit, die Entscheidung des Verbandes zu beeinflussen, ob der Tarifvertrag gekündigt werden soll oder nicht.299 Indem er die erste Kündigungsmöglichkeit verstreichen lässt, vollzieht der Verband einen neuen Willensakt, der durch das ausgetretene Mitglied nicht mehr legitimiert ist.300 Die Tarifvertragsparteien können einen Tarifvertrag schließlich noch sehr lange gelten lassen. Zugleich können die 294 LAG Düsseldorf v. 25.11.1952 – 1 Sa 56/52, DB 1953, 108; ErfK-Franzen, § 3 TVG Rn. 27; Bauer/Diller, DB 1993, 1085 (1086); Frieges, DB 1996, 1281 (1281); Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 91; Reichel, Bezugnahme, S. 71 f.; Hanau, RdA 1998, 65 (69); Bauer, FS Schaub, S. 19 (24); Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 145 f. A. A. (tatsächliche Beendigung des Tarifvertrages erforderlich) Hromadka/ Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 240; Kempen/Zachert-Kempen, TVG, § 3 Rn. 59; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 89; Däubler, NZA 1996, 225 (227); ders.-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 113; HWK-Henssler, § 3 TVG Rn. 44. 295 Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 89; Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 113. 296 Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 89, mit weiteren rechtshistorischen Argumenten. Ähnlich Däubler, ZTR 1994, 448 (450); Feger, AiB 1995, 490 (493). 297 BAG v. 17.5.2000 – 4 AZR 363/99, NZA 2001, 453 (456); BAG v. 7.11.2001 – 4 AZR 703/00, AP Nr. 11 zu § 3 TVG Verbandsaustritt. Vgl. o. S. 262, Fn. 293. 298 ErfK-Franzen, § 3 TVG Rn. 27; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 91. 299 Bauer/Diller, DB 1993, 1085 (1086); Frieges, DB 1996, 1281 (1281); Reichel, Bezugnahme, S. 72. 300 Schwab, BB 1994, 781 (781); Gorissen, Arbeitgeberverbandswechsel, S. 33. Dagegen Hanau/Kania, DB 1995, 1229 (1232); Däubler, ZTR 1994, 448 (449 f.); Feger, AiB 1995, 490 (493).
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
Arbeitnehmer ab dem Zeitpunkt der ersten Kündigungsmöglichkeit nicht mehr darauf vertrauen, dass der Tarifvertrag unmittelbar und zwingend gilt.301 Da § 3 Abs. 3 TVG das Vertrauen der Arbeitnehmer in die Kontinuität der tariflichen Ordnung schützen soll, besteht mit der ersten Kündigungsmöglichkeit kein Anlass für die Bindung an den alten Tarifvertrag gemäß § 3 Abs. 3 TVG mehr. Das Tatbestandsmerkmal „Ende des Tarifvertrags“ im Sinne von § 3 Abs. 3 TVG ist also bereits dann als erfüllt anzusehen, wenn der Arbeitgeberverband die erste auf den Verbandsaustritt folgende Beendigungsmöglichkeit verstreichen lässt.302 2. Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG Liegt gemäß § 3 Abs. 3 TVG ein Ende des Tarifvertrags vor, ist hiermit noch nicht endgültig entschieden, ob die Bindung des Arbeitgebers an den Tarifvertrag endet. In Betracht kommt vielmehr, dass sich an die Phase der Nachbindung gemäß § 3 Abs. 3 TVG noch eine Phase der Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG anschließt. Gemäß § 4 Abs. 5 TVG gelten nach Ablauf des Tarifvertrags seine Normen statisch weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Sie werden somit „eingefroren“; es entfällt lediglich die zwingende, nicht aber die unmittelbare Wirkung des Tarifvertrags.303 Die Rechtsnormen gelten daher304 mit normativer Wirkung weiter.305 Sie können jedoch individualvertraglich abbedungen werden.306 Die Nachwirkung erstreckt sich nach der Rechtsprechung nur auf bestehende Arbeitsverhältnisse, nicht aber auf solche, die erst nach dem Ablauf des Tarifvertrags begründet werden.307 301
Gorissen, Arbeitgeberverbandswechsel, S. 30 f. ErfK-Franzen, § 3 TVG Rn. 27; Hanau, RdA 1998, 65 (69); Walker, ZfA 1996, 353 (380 f.); Bauer, FS Schaub, S. 19 (24). 303 Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (250); Kempen/Zachert-Kempen, TVG, § 4 Rn. 531; Wiedemann-Wank, TVG, § 4 Rn. 322 f.; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 146; Reichel, Bezugnahme, S. 72. 304 Anders als bei der Transformation nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB (s. o. A.I.2., ab S. 200). 305 HWK-Henssler, § 4 TVG Rn. 7. 306 BAG v. 18.3.1992 – 4 AZR 339/91, NZA 1992, 700 (701); Däubler, ZTR 1994, 448 (451); Wiedemann-Wank, TVG, § 4 Rn. 354. 307 BAG v. 11.6.2002 – 1 AZR 390/01, AP Nr. 113 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; BAG v. 22.7.1998 – 4 AZR 403/97, AP Nr. 32 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG v. 7.11.2001 – 4 AZR 703/00, AP Nr. 11 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; Löwisch/Rieble, TVG § 4 Rn. 380. A. A. Kempen/Zachert-Kempen, TVG, § 4 Rn. 535; Wiedemann-Wank, TVG, § 4 Rn. 330 ff. (für eine Einbeziehung auch erst später begründeter Arbeitsverhältnisse). 302
B. Bezugnahmeklauseln und Verbandsaustritt
265
Es ist jedoch fraglich, ob sich an die Phase der Nachbindung gemäß § 3 Abs. 3 TVG noch eine Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG anschließen kann. Zunächst deutet der Wortlaut des § 4 Abs. 5 TVG („Ablauf“) den Fall an, dass der Tarifvertrag durch Zeitablauf, nicht jedoch durch Verbandsaustritt endet.308 Zudem wird gegen die Anwendbarkeit des § 4 Abs. 5 TVG angeführt, dass § 3 Abs. 3 TVG keine hinreichende Legitimation für eine weitere (dauerhafte) Anwendbarkeit des Tarifvertrages beinhalte, so dass eine Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG im Anschluss an § 3 Abs. 3 TVG gegen die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG verstoße.309 Die verfassungsrechtlich geschützte Austrittsfreiheit sei verletzt, wenn trotz eines Verbandsaustritts die Normen des Tarifvertrages uneingeschränkt weitergälten.310 Faktisch würden ansonsten die einst kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit geltenden Tarifbedingungen dauerhaft perpetuiert.311 Es ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des § 3 Abs. 3 TVG, dass das Ende des Tarifvertrags nach Verbandsaustritt die äußerste Grenze für die unmittelbare Geltung tariflicher Normen darstelle.312 Für eine Nachwirkung im Anschluss an die erweiterte Tarifbindung nach § 3 Abs. 3 TVG fehle es an einer demokratischen Legitimation, welche § 3 Abs. 3 TVG nicht gewährleisten könne.313 Für eine Anwendbarkeit des § 4 Abs. 5 TVG spricht jedoch, dass dieser nach seinem Sinn und Zweck lediglich als Ordnungsvorschrift verhindern soll, dass die Arbeitsverhältnisse nach der Beendigung des Tarifvertrags inhaltsleer werden.314 Eine solche Gefahr droht gleichermaßen im eigentlichen Anwendungsbereich des § 4 Abs. 5 TVG, dem zeitlichen Ablauf des Tarifvertrages, wie im Falle der Beendigung der Nachbindung des Tarifvertrages nach § 3 Abs. 3 TVG.315 308 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 250; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 146. 309 Löwisch/Rieble, TVG, 1. Aufl. 1992, § 4 Rn. 242; Schwab, BB 1994, 781 (782). 310 Oetker, Anm. zu BAG, EzA Nr. 15 zu § 4 TVG Nachwirkung, S. 20; Schwab, BB 1994, 781 (782). 311 Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (203). 312 Löwisch/Rieble, 1. Aufl. 1992, TVG, § 4 Rn. 242 (anders hingegen 2. Aufl. 2004, §§ 3 Rn. 101, 4 Rn. 409); Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (203). 313 Löwisch/Rieble, TVG, 1. Aufl. 1992, § 4 Rn. 242; Schwab, BB 1994, 781 (782). 314 BAG v. 18.3.1992 – 4 AZR 339/91, NZA 1992, 700 (701); BAG v. 13.7.1994 – 4 AZR 555/93, AP Nr. 14 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; HWK-Henssler, § 4 TVG Rn. 11; Bohle, KK 2006, 565 (566); Reichel, Bezugnahme, S. 72. 315 BAG v. 13.7.1994 – 4 AZR 555/93, AP Nr. 14 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; BAG v. 13.12.1995 – 4 AZR 1062/94, AP Nr. 3 zu § 3 TVG Verbands-
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
Zudem schafft § 4 Abs. 5 TVG einen neuen und selbständigen gesetzlichen Rechtsgrund für den Fortbestand des bisherigen Tarifinhalts zwischen den Arbeitsvertragsparteien bis zu einer anderen Abmachung.316 Die Nachwirkung beruht auf staatlichem Recht, nicht auf dem bisher geltenden Tarifvertrag.317 Auch die Austrittsfreiheit des Arbeitgebers wird nicht unangemessen beeinträchtigt; vor allem im – für den Arbeitgeber meist zentralen – Lohnbereich wird seine Position sogar verbessert, weil die ansonsten entstehende Regelungslücke über § 612 Abs. 2 BGB geschlossen werden müsste und auf diesem Wege der aktuelle Tarifvertrag zum Zuge käme.318 Die nachwirkenden Tarifnormen gelten außerdem nicht mehr zwingend, so dass sich der Arbeitgeber unter den gleichen Voraussetzungen wieder von ihnen lösen kann wie von einer einzelvertraglichen Vereinbarung.319 Aus diesem Grund nahm das BVerfG320 eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des LAG Hamm,321 welches maßgeblich auf die Nachwirkung im Anschluss an eine Fortwirkung abstellte, nicht zur Entscheidung an. § 4 Abs. 5 TVG ist deshalb auch dann anwendbar, wenn die Tarifgebundenheit gemäß § 3 Abs. 3 TVG wegen eines Verbandsaustritts und späterer Änderung des Tarifvertrags endet.322 Der nachwirkende Tarifvertrag gilt so lange, bis eine andere Abmachung getroffen wird. Eine zeitliche Begrenzung der Nachwirkung gibt es nicht; sie kann daher theoretisch „unendlich“ fortdauern.323 Die fehlende Dynamik der Nachwirkung, die Lohnaustritt; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 166 f.; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 251; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 147. 316 BAG v. 13.7.1994 – 4 AZR 555/93, AP Nr. 14 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; BAG v. 13.12.1995 – 4 AZR 1062/94, AP Nr. 3 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 254; Reichel, Bezugnahme, S. 73; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 148; Bohle, KK 2006, 565 (566). 317 BAG v. 14.2.1973 – 4 AZR 176/72, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG v. 29.1.1975 – 4 AZR 218/74, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG v. 16.8.1990 – 8 AZR 439/89, AP Nr. 19 zu § 4 TVG Nachwirkung. 318 So auch BAG v. 13.12.1995 – 4 AZR 1062/94, AP Nr. 3 zu § 3 TVG Verbandsaustritt. Ebenso Bauer, FS Schaub, S. 19 (25); Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 148; Reichel, Bezugnahme, S. 74. 319 BAG v. 13.12.1995 – 4 AZR 1062/94, AP Nr. 3 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 148. 320 BVerfG v. 3.7.2001 – 1 BvR 945/00, NZA 2000, 947. 321 LAG Hamm v. 9.3.2000 – 8 Sa 1906/99, n. v. 322 Sog. Nachwirkungslehre, vgl. BAG v. 18.3.1992 – 4 AZR 339/91, NZA 1992, 700 (701); BAG v. 17.5.2000 – 4 AZR 363/99, NZA 2001, 453 (456); BAG v. 13.12.1995 – 4 AZR 1062/94, AP Nr. 3 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG v. 14.2.1991 – 8 AZR 166/90, AP Nr. 10 zu § 3 TVG; zustimmend HWK-Henssler, § 4 TVG Rn. 6; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 254 f.; Reichel, Bezugnahme, S. 73 f.
B. Bezugnahmeklauseln und Verbandsaustritt
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anpassungen nicht zulässt, mindert jedoch die Gefahr einer unendlichen Bindung.324 Die „Abmachung“, die zu einem Ende der Nachwirkung führt, kann ein Tarifvertrag, eine Betriebsvereinbarung (in den Grenzen der §§ 77, 87 BetrVG) oder ein Arbeitsvertrag sein;325 sie muss nur unmittelbar für das konkrete Arbeitsverhältnis gelten.326 Auch ein allgemeinerer Tarifvertrag, der nach Eintritt der Nachwirkung eines spezielleren Tarifvertrages für allgemeinverbindlich erklärt wird, tritt grundsätzlich als „andere Abmachung“ an dessen Stelle.327 Das Günstigkeitsprinzip gilt im Rahmen des § 4 Abs. 5 TVG nicht.328 Die ersetzende Regelung kann in den Grenzen des Kündigungsschutzgesetzes (§§ 1, 2 KSchG) auch auf einer Änderungskündigung beruhen.329 3. Zwischenergebnis Insgesamt führt ein Verbandsaustritt auf tariflicher Ebene dazu, dass der Arbeitgeber gemäß § 3 Abs. 3 TVG bis zur Beendigung des Tarifvertrags weiter an diesen gebunden bleibt. Im Anschluss daran wirkt der Tarifvertrag gemäß § 4 Abs. 5 TVG nach, wobei er nun nicht mehr zwingend gilt. Die rechtlichen Folgen einer „Tarifflucht“ mittels Verbandsaustritts werden mithin tarifrechtlich durch §§ 3 Abs. 3, 4 Abs. 5 TVG erheblich begrenzt.
III. Auswirkungen von Bezugnahmeklauseln Vor diesem Hintergrund ist zu untersuchen, wie sich arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln bei einem Verbandsaustritt des Arbeitgebers auswirken. Es stellt sich hierbei insbesondere die Frage, ob Gegenstand der Bezugnahme der weitergeltende bzw. nachwirkende Tarifvertrag oder aber die 323
BAG v. 15.10.2003 – 4 AZR 573/02, NZA 2004, 387 (389); Schliemann, ZTR 2004, 502 (505); Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 149; Bohle, KK 2006, 565 (566). 324 BAG v. 13.12.1995 – 4 AZR 1062/94, AP Nr. 3 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 167. 325 BAG v. 18.3.1992 – 4 AZR 339/91, NZA 1992, 700 (701); BAG v. 23.2.2005 – 4 AZR 186/04, AP Nr. 42 zu § 4 TVG Nachwirkung. 326 BAG v. 28.3.1997 – 4 AZR 546/95, NZA 1998, 40 (42). 327 BAG v. 15.11.2006 – 10 AZR 665/05, AP Nr. 34 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz. 328 Bauer, FS Schaub, S. 19 (25). 329 BAG v. 25.10.2000 – 4 AZR 212/00, AP Nr. 38 zu § 4 TVG-Nachwirkung; BAG v. 27.9.2001 – 2 AZR 236/00, AP Nr. 40 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG v. 14.2.1991 – 8 AZR 166/90, AP Nr. 10 zu § 3 TVG; Wiedemann-Wank, TVG, § 4 Rn. 356; HWK-Henssler, § 4 TVG Rn. 11. A. A. Kempen/Zachert-Kempen, TVG, § 4 Rn. 570.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
tarifrechtlich nicht mehr maßgebliche, sich dynamisch entwickelnde jeweilige Fassung ist. Hierbei ist erneut nach der Tarifbindung der Arbeitnehmer zu unterscheiden. Die Ergebnisse sollen dann in einem zweiten Schritt mit der Situation nicht tarifgebundener Arbeitgeber verglichen werden. Diesen steht die Möglichkeit eines Verbandsaustritts nicht zur Verfügung. Wie zu zeigen sein wird, kam es unter der bisherigen Gleichstellungsrechtsprechung in der Differenzierung zwischen beiden Arbeitgebergruppen zu erheblichen Wertungswidersprüchen. 1. Verbandsaustritt des tarifgebundenen Arbeitgebers Zunächst ist die Situation der tarifgebundenen Arbeitgeber zu untersuchen, wobei wiederum danach unterschieden werden kann, ob der jeweils betroffene Arbeitnehmer Außenseiter oder Gewerkschaftsmitglied ist. Beispiel: Der Arbeitgeber des A gehört dem Verband der Metallindustrie an, der einen Tarifvertrag mit der IG Metall geschlossen hat. Zudem findet sich im Arbeitsvertrag des A eine Bezugnahme auf diesen Tarifvertrag. Der Arbeitgeber entschließt sich nun, aus dem Verband der Metallindustrie auszuscheiden.
a) Nicht tarifgebundener Arbeitnehmer Außenseiter-Arbeitnehmer nehmen unabhängig von der Tarifgebundenheit ihres Arbeitgebers nur individualvertraglich über die Bezugnahmeklausel an der Tarifentwicklung teil.330 aa) Statische Bezugnahmeklausel Eine statische Verweisungsklausel ist hierbei zunächst unproblematisch, denn für sie bleibt der nach Verbandsaustritt weitergeltende oder nachwirkende Tarifvertrag maßgeblich.331 Handelt es sich um eine statische Bezugnahmeklausel, kommt es den Parteien auf die Geltung ganz bestimmter Tarifregelungen an, so dass Tarifentwicklungen keinen Einfluss auf das Arbeitsverhältnis des Außenseiters haben.332 Ein Verbandsaustritt wirkt sich deshalb nicht auf die Auslegung der Bezugnahmeklausel aus. 330
s. o. A.II.2.a), ab S. 218. Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (249); Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1260); Ebeling, Bezugnahme, S. 211; Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (203). 332 Ebenso Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (203); Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1260); Kania, NZA, Sonderbeilage zu Heft 3/2000, 45 (47); Ebeling, Bezugnahme, S. 211. Vgl. o. Teil 1, B.IV.3.a), ab S. 84, und D.II.1., ab S. 132. 331
B. Bezugnahmeklauseln und Verbandsaustritt
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bb) Kleine oder große dynamische Klausel Problematischer sind jedoch die Fälle, in denen der Klausel eine Dynamik beigemessen wird. Nur selten berücksichtigen die Arbeitsvertragsparteien bei der Formulierung der Bezugnahmeklausel bereits den Fall, dass der Arbeitgeber aus dem bisherigen Verband austritt. In der Konsequenz muss im Wege der Auslegung der Klausel ermittelt werden, inwieweit das Arbeitsverhältnis mit der tariflichen Entwicklung synchronisiert werden sollte.333 Hierbei wird wiederum die bereits erläuterte Änderung in der Auslegung der Klausel durch das BAG relevant.334 (1) Verträge mit Vertragsschluss bis zum 31.12.2001 Aus Sicht der bisherigen, weiterhin auf vor dem 1.1.2002 geschlossene Arbeitsverträge anwendbaren Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede soll durch die Bezugnahmeklausel arbeitsvertraglich lediglich das herbeigeführt werden, was bereits tarifrechtlich gilt.335 Die Einheitlichkeit der Arbeitsbedingungen werde vor diesem Hintergrund nicht nur für die Dauer der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers, sondern auch für die Zeit nach deren Beendigung gewährleistet.336 Das BAG337 geht davon aus, es sei „fern liegend“ anzunehmen, dass ein Arbeitgeber, der die Bezugnahme mit dem Ziel der Gleichstellung vereinbare, damit gegenüber den Nichttarifgebundenen eine Anwendung von Tarifverträgen begründen wolle, die über deren normative Geltung aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit hinausreiche. Die Außenseiter sollten nicht besser gestellt werden als die Gewerkschaftsmitglieder. Vereinbare der Arbeitgeber eine Bezugnahmeklausel, erfolge dies für den Arbeitnehmer erkennbar lediglich zu Gleichstellungszwecken.338 Insbesondere wies das Gericht in einer Entscheidung aus dem Jahre 2001 darauf hin, dass es dem Arbeitnehmer – anders als dem Arbeitgeber – freistehe, durch die zulässige und vom Arbeitgeber wahrheitsgemäß zu beantwortende Frage nach dessen Verbandsmitgliedschaft die Bedeutung der Bezugnahmeklausel zu klären 333
Ebeling, Bezugnahme, S. 212. s. o. Teil 1, D.II. f., ab S. 132. 335 s. o. Teil 1, D.II.1., ab S. 132. 336 BAG v. 24.11.2004 – 10 AZR 202/04, AP Nr. 70 zu § 242 BGB Betriebliche Übung. 337 BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 (635 ff.). A. A. bereits zur alten Rechtslage LAG Hamm v. 5.6.1998 – 10 Sa 1564/97, NZA-RR 1999, 315 (316 f.); Däubler, NZA 1996, 225 (228); Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (251 f.). 338 s. o. Teil 1, D.II.1., ab S. 132. 334
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
und auf einer „arbeitgeberverbandsaustrittsfesten“ Klausel zu bestehen.339 In seinem Urteil vom 19.3.2003340 stellte das BAG für den Fall eines Verbandsaustrittes noch fest, dass das Motiv des Arbeitgebers für die Auslegung der Bezugnahmeklausel entscheidend sei und die Unklarheitenregel insofern nicht in Betracht komme. Letztere stehe der Auslegung als Gleichstellungsabrede selbst dann nicht entgegen, wenn dem Arbeitnehmer die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers unbekannt war, da die soziotypische Situation zu berücksichtigen sei, in der die Bezugnahmeklausel vereinbart wurde.341 Die Unklarheitenregel gelange erst bei Zweifeln zur Anwendung, die bei der bloßen Möglichkeit einer klareren Formulierung der Gleichstellungsabrede noch nicht bestünden. Der Inhalt der Klausel ist nach der Gleichstellungsrechtsprechung daher unter Berücksichtigung der tarifrechtlichen Lage zu bestimmen: Mit dem Verbandsaustritt gilt der Tarifvertrag gemäß § 3 Abs. 3 TVG weiter und wirkt im Anschluss daran gemäß § 4 Abs. 5 TVG nach.342 Veränderungen des Tarifvertrages führen während der Nachbindung des Arbeitgebers zum „Ende“ des Tarifvertrages gemäß § 3 Abs. 3 TVG, so dass sich eine Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG anschließt; die Tarifnormen wirken lediglich statisch nach. Dynamische Verweisungsklauseln beziehen daher nach dem Verbandsaustritt des Arbeitgebers den einschlägigen Tarifvertrag in seiner bisherigen Form (statisch) ein. Spätere Tarifentwicklungen können dann nicht mehr berücksichtigt werden. Nach Ansicht des BAG widerspricht der (dynamische) Wortlaut der Klausel einer Abkopplung der Auslegung von der Tarifsituation nicht: Der Arbeitnehmer habe mit der einschlägigen Tarifgebundenheit des Arbeitgebers rechnen müssen. Es sei für ihn bereits bei Vertragsschluss erkennbar gewesen, dass der Arbeitgeber im Falle des Verbandsaustritts nicht an die dynamische Klausel gebunden bleiben wollte.343 Das BAG ging ursprünglich sogar noch einen Schritt weiter und stellte für den Fall eines Betriebsübergangs fest, die arbeitsvertragliche Gleichstellung des Außenseiters mit tarifgebundenen Arbeitnehmern könne inhaltlich nicht ausgefüllt werden, wenn der Arbeitgeber an keinen Tarifvertrag (mehr) gebunden sei, weshalb die Bezugnahmeklausel solange „ohne materiell-rechtliche Bedeutung“ sei.344 Es gälten insofern nur die gesetzlichen 339
BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 (636). Vgl. o. S. 134. 4 AZR 331/02, NZA 2003, 1207 (1208 f.). 341 Zur soziotypischen Situation vgl. o. Teil 1, D.II.1., ab S. 132. 342 s. o. B.II., ab S. 261. 343 BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, S. 634 ff. 344 BAG v. 4.8.1999 – 5 AZR 642/98, AP Nr. 14 zu § 1 TVG Tarifverträge: Papierindustrie; s. o. S. 219. 340
B. Bezugnahmeklauseln und Verbandsaustritt
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Mindeststandards. Gegen diese Rechtsprechung wurde zu Recht vorgebracht, dass sie zu Vertragslücken führe, die dem Ziel der Parteien, ein vollzugsfähiges Regelwerk zu schaffen, zuwiderliefen.345 In der weiteren Folge ging das BAG von dieser Rechtsprechung daher wieder ab. Zwei Jahre später entschied es für den Fall des Verbandsaustritts des Arbeitgebers, dass die Bezugnahmeklausel ab diesem Zeitpunkt statisch auf den zuvor in Bezug genommenen Tarifvertrag verweise.346 Eine abweichende, die Dynamik erhaltende Auslegung der Bezugnahmeklausel ist indessen unter der Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede nicht ausgeschlossen, bedarf aber entsprechender Anhaltspunkte in der Vereinbarung selbst oder muss sich aus „besonderen Umständen“ ergeben.347 Es müsste sich aus den näheren Umständen des Vertragsschlusses ergeben, dass die Arbeitsvertragsparteien auch für den Fall eines Verbandsaustritts eine weiterhin dynamische Bezugnahme gewollt haben. Zumindest aus Sicht des Arbeitgebers wäre dies jedoch eine sehr ungewöhnliche Vereinbarung, die in aller Regel nicht seinem Interesse entsprechen wird. (2) Verträge mit Vertragsschluss ab dem 1.1.2002 Geht man hingegen davon aus, dass Bezugnahmeklauseln konstitutive, eigenständige Vertragsregelungen sind, unterscheiden sich die Ergebnisse deutlich. Die Diskussion um die gefestigte Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede sowie die Rechtsprechungsänderung sind bereits oben dargestellt worden, so dass hierauf verwiesen werden kann.348 Das LAG Hessen349 ging bereits unter der alten Gleichstellungsrechtsprechung davon aus, der Arbeitnehmer könne bei Abschluss des Arbeitsvertrags annehmen, der Arbeitsvertrag bestimme sich „dauerhaft und vorbehaltlos nach den dort ausdrücklich genannten Tarifverträgen“. In seinem Urteil vom 18.4.2007350 hat das BAG die angekündigte Rechtsprechungsänderung gerade für den Fall des Verbandsaustritts des Arbeitgebers umgesetzt. In dem – nach dem 1.1.2002 geschlossenen – Arbeitsvertrag der Klägerin war eine kleine dynamische Bezugnahmeklausel vereinbart worden. Der Senat hielt die beklagte Arbeitgeberin, die später aus ihrem Arbeitgeberverband austrat, nach dem Austritt weiterhin für ver345
Ebeling, Bezugnahme, S. 213; Annuß, RdA 2000, 179 (181). BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 (635). 347 BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 (635). Vgl. o. A.II.4.a) aa), ab S. 236. 348 s. o. Teil 1, D.II. ff., ab S. 132. 349 LAG Hessen v. 23.3.1999 – 4 Sa 1300/98, NZA-RR 2000, 93 (94 ff.). 350 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 ff.; vgl. o. Teil 1, D.II.4., ab S. 139. 346
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
pflichtet, aufgrund der Bezugnahmeklausel auch später abgeschlossene Änderungstarifverträge individualrechtlich gegenüber der Klägerin anzuwenden. Der Vertragswortlaut und die Umstände des Vertragsschlusses böten keine Anhaltspunkte für einen Willen der Vertragsparteien, dass es ihnen nur um eine Gleichstellung der organisierten und der nicht organisierten Arbeitnehmer gegangen sei.351 Es handele sich vielmehr um eine konstitutive Bezugnahme, die von der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers unabhängig sei. Diese neue Rechtsprechung hat das BAG gerade für den Verbandsaustritt mit Urteil vom 22.10.2008 ausdrücklich bestätigt,352 und die Arbeitgeberin auch in diesem Fall mangels anderer Anhaltspunkte für dauerhaft verpflichtet gehalten, die in Bezug genommenen Tarifverträge dynamisch anzuwenden. Nach der geänderten Rechtsprechung ist die Klausel somit gemäß §§ 133, 157 BGB primär ihrem Wortlaut entsprechend auszulegen. Ein Gleichstellungszweck muss im Wortlaut der Klausel oder den Umständen ihres Zustandekommens für den Arbeitnehmer erkennbar geworden sein. Die Bezugnahmeklausel richtet sich daher ohne besondere Anhaltspunkte nicht nach der tariflichen Situation, sondern gewährt einen eigenständigen, vertraglichen Anspruch. Die Klausel tritt gewissermaßen an die Stelle des wirksamen und vom Geltungsbereich her einschlägigen Tarifvertrags unabhängig von jedweder mitgliedschaftlicher Legitimation.353 Der Verbandsaustritt und die damit einhergehenden tariflichen Veränderungen führen daher zu keiner grundlegenden Änderung der Auslegung der Bezugnahmeklausel mehr; diese wird durch die Tarifbindung des Arbeitgebers nicht beeinflusst.354 Auf vertraglicher Ebene bleibt also nach einem Verbandsaustritt des Arbeitgebers eine etwaige Dynamik der Bezugnahme erhalten. Bei dynamischen Klauseln kommt es zu einer dauerhaften Synchronisierung des Arbeitsverhältnisses mit der dynamischen tariflichen Entwicklung, unabhängig davon, ob der Arbeitgeber normativ an diese Tarifregelungen gebunden ist.355 Spätere Tariferhöhungen wären an die Arbeitnehmer weiterzugeben.356 Wurde eine Tarifwechselklausel vereinbart, kann 351
4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (967). BAG v. 22.10.2008 – 4 AZR 793/07, bisher nur als Pressemitteilung Nr. 79/08, abrufbar unter www.bundesarbeitsgericht.de, s. o. S. 140. 353 Klebeck, NZA 2006, 15 (17). 354 BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (967); BAG v. 22.10.2008 – 4 AZR 793/07, bisher nur als Pressemitteilung Nr. 79/08, abrufbar unter www.bundesarbeitsgericht.de. 355 Ebeling, Bezugnahme, S. 217; Kania, NZA, Sonderbeilage zu Heft 3/2000, 45 (47); Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 151; Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (203 f.). 356 Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (204); Ebeling, Bezugnahme, S. 217. 352
B. Bezugnahmeklauseln und Verbandsaustritt
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später eventuell sogar das Bezugnahmeobjekt wechseln, sofern die Klausel nicht auf die (kraft Tarifbindung) „geltenden“, sondern die „einschlägigen“ Tarifverträge verweist. Problematisch daran ist, dass ein Verbandsaustritt des Arbeitgebers quasi ohne Folgen bleibt, sofern die Arbeitsvertragsparteien eine dynamische Bezugnahmeklausel vereinbart haben. Auf normativer Ebene wird er zwar von seiner Tarifbindung befreit, auf vertraglicher Ebene bleibt er jedoch dauerhaft an den Tarifvertrag gebunden. Will der Arbeitgeber daher in Zukunft eine „ewige“ dynamische Tarifbindung vermeiden und insofern eine Synchronisation von tariflicher und arbeitsvertraglicher Lage erreichen, muss er ausdrücklich klarstellen, dass bei einem Verbandsaustritt die Dynamik enden soll.357 Eine solche Klarstellung ist ihm als Verwender des vorformulierten Arbeitsvertragstextes in aller Regel auch zumutbar. b) Tarifgebundener Arbeitnehmer Zusätzliche Probleme können sich ergeben, wenn der Arbeitnehmer Gewerkschaftsmitglied ist und sich somit sowohl auf den Tarifvertrag selbst als auch auf die Bezugnahmeklausel in seinem Arbeitsvertrag berufen kann. Für die kongruent zum Arbeitgeber tarifgebundenen Arbeitnehmer bleibt der Tarifvertrag anwendbar, bis er endet; die fehlende Mitgliedschaft des Arbeitgebers wird gemäß § 3 Abs. 3 TVG fingiert. Der Verbandsaustritt des Arbeitgebers ist für diese Arbeitnehmer daher zunächst ohne Wirkung.358 Nach dem Ende des Tarifvertrages kommt es dann zur Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG. Die Tarifnormen wirken dann statisch nach, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. aa) Statische Bezugnahmeklausel Im Falle einer statischen Verweisungsklausel kommt es individualrechtlich zum selben Ergebnis wie bei den Außenseitern: Die Klausel wird durch den Verbandsaustritt nicht berührt, sie verweist weiterhin auf den genau festgelegten Tarifvertrag in seiner bestimmten Fassung. Insofern entsprechen sich die tarifliche Situation der §§ 3 Abs. 3, 4 Abs. 5 TVG und der Inhalt der Bezugnahmeklausel. 357 Annuß, RdA 2000, 179 (181); Ebeling, Bezugnahme, S. 218. Vgl. unten den Klauselvorschlag, Teil 3, B.I.1., ab S. 430. 358 Ebeling, Bezugnahme, S. 197; Däubler, NZA 1996, 225 (226); Gaul, NZA 1998, 9 (11); Kania, NZA, Sonderbeilage zu Heft 3/2000, 45 (47).
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
bb) Kleine oder große dynamische Bezugnahmeklausel Die Verwendung einer dynamischen Bezugnahmeklausel kann dieses Ergebnis wiederum modifizieren. (1) Verträge mit Vertragsschluss bis zum 31.12.2001 Sobald für den Arbeitgeber infolge seines Verbandsaustritts die Tarifnormen nur noch statisch gemäß §§ 3 Abs. 3, 4 Abs. 5 TVG gelten, ist die Bezugnahmeklausel in bis zum 31.12.2001 geschlossenen Verträgen nach der bisherigen Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede derart auszulegen, dass sie nur die Gleichstellung mit dieser geänderten tariflichen Situation gewährleisten soll. Die Klausel hat daher mit dem Zeitpunkt des Verbandsaustritts nur noch statischen Charakter. Dies gilt selbst dann, wenn eine große dynamische Bezugnahmeklausel vereinbart wurde, die auf die „jeweils einschlägigen“ Tarifverträge verweist. (2) Verträge mit Vertragsschluss ab dem 1.1.2002 Nach der Änderung der Rechtsprechung stellt die Bezugnahmeklausel in nach dem 1.1.2002 geschlossenen Verträgen hingegen eine eigenständige vertragliche Vereinbarung dar. Ihre Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB richtet sich primär nach dem Wortlaut und erfährt durch einen Verbandsaustritt des Arbeitgebers keine Änderung, sofern die Tarifbindung des Arbeitgebers nicht zur auflösenden Bedingung für die Klauseldynamik gemacht wurde. Eine dynamische Klausel bleibt also dynamisch, auch wenn es auf tariflicher Ebene zu einer (statischen) Nachbindung gemäß § 3 Abs. 3 TVG bzw. Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG kommt. Sollten sich Zweifel bei der Auslegung der Bezugnahmeklausel ergeben, gilt die für die Arbeitnehmer günstigste Auslegungsvariante. Nach obigen Ausführungen wird dies in aller Regel, wenn auch nicht zwangsläufig, die Auslegung als dynamische Verweisung sein.359 Die Arbeitnehmer behalten daher bei Unklarheiten über den mit der Klausel verfolgten Zweck – und sofern eine Auslegung der Klausel als dynamische Bezugnahme günstiger ist – ihre Teilhabe an der dynamischen Tarifentwicklung. Durch den tarifrechtlich relevanten Austritt wird die vertragliche Geltung des Tarifvertrags damit nicht beeinflusst.360 Auf diese Weise kann es zu unterschiedlichen Regelungsaussagen der §§ 3 Abs. 3, 4 Abs. 5 TVG und der vertraglichen Verweisungsklausel kom359 360
(401).
s. o. S. 121, 211. Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 151; Simon/Kock/Halbsguth, EWS 2006, 400
B. Bezugnahmeklauseln und Verbandsaustritt
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men. Während erstere bei jeder tariflichen Änderung die Nachbindung gemäß § 3 Abs. 3 TVG „enden“ und die Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG beginnen lassen, gibt die Klausel weiterhin Anspruch auf dynamisch sich verändernde Tarifregelungen. (a) Kollision von Bezugnahmeklausel und weitergeltendem oder nachwirkendem Tarifvertrag Somit entsteht wiederum eine Kollisionslage, wie bereits oben behandelt,361 nunmehr zwischen dem Arbeitsvertrag und dem nach § 3 Abs. 3 TVG weitergeltenden oder (später) gemäß § 4 Abs. 5 TVG nachwirkenden Tarifvertrag. Es stellt sich insofern die Frage, wie diese Kollision aufzulösen ist. Sofern der Tarifvertrag gemäß § 3 Abs. 3 TVG unmittelbar und zwingend weitergilt und somit die Tarifgebundenheit fingiert wird,362 kommt eine Abweichung vom Tarifniveau nur unter den Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 TVG in Betracht, d.h. nur zugunsten der Arbeitnehmer. Eine ungünstigere Bezugnahmeklausel tritt daher hinter dem Tarifvertrag zurück. Anders stellt sich die Situation in der Nachwirkungsphase gemäß § 4 Abs. 5 TVG dar. In diesem Fall ergibt sich die Besonderheit, dass der nachwirkende Tarifvertrag durch eine „andere Abmachung“ abgelöst werden kann. In Betracht kommen kollektive Regelungen in Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen in den Grenzen der §§ 77, 87 BetrVG und arbeitsvertragliche Vereinbarungen.363 § 4 Abs. 5 TVG lässt mit dem Eintritt der Nachwirkung die zwingende Geltung der Tarifnormen und die hierdurch gewährleistete „Mindestniveaugarantie“364 entfallen. Das Günstigkeitsprinzip gilt im Hinblick auf die ablösenden Abmachungen also gerade nicht mehr.365 361
s. o. A.II.2.b)aa) (ab S. 222), A.II.3.b)aa) (ab S. 233), A.II.4.b)aa) (ab S. 243). s. o. B.II.1., S. 261. 363 BAG v. 18.3.1992 – 4 AZR 339/91, NZA 1992, 700 (701); BAG v. 23.2.2005 – 4 AZR 186/04, AP Nr. 42 zu § 4 TVG Nachwirkung; HWK-Henssler, § 4 TVG Rn. 11; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 135 f. 364 Däubler, TarifvertragsR, Rn. 1449. 365 Vgl. BAG v. 28.1.1987 – 5 AZR 323/86, AP Nr. 16 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG v. 23.2.2005 – 4 AZR 186/04, AP Nr. 42 zu § 4 TVG Nachwirkung; Kempen/Zachert-Kempen, TVG, § 4 Rn. 531; Bauer, FS Schaub, S. 19 (25); Wendt, Günstigkeitsvergleich, S. 41; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 135; Däubler, TarifvertragsR, Rn. 1449; ders.-Bepler, TVG, § 4 Rn. 913; Hromadka/ Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 282 ff.; Bauer/Diller, DB 1993, 1085 (1086); Frölich, NZA 1992, 1105 (1109 f.); Gorissen, Arbeitgeberverbandswechsel, S. 70 f. 362
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
Ob die bereits vor Verbandsaustritt vereinbarte Bezugnahmeklausel als „andere Abmachung“ in Betracht kommt, hängt von zwei Voraussetzungen ab: Sie muss (noch) wirksam sein und trotz ihrer vorherigen Verabredung als „andere Abmachung“ angesehen werden können. (aa) „Wiederaufleben“ der Bezugnahmeklausel? Die Bezugnahmeklausel müsste weiterhin wirksam sein, auch wenn sie bereits vor dem Eintritt in das Nachwirkungsstadium eine andere Regelungsaussage traf als der Tarifvertrag und daher mit diesem kollidierte. Eine bisher günstigere Bezugnahmeklausel, die z. B. statisch auf den Tarifvertrag verweist, während tarifrechtlich die Wochenarbeitszeit erhöht wird, setzte sich gegenüber dem Tarifvertrag gemäß § 4 Abs. 3 TVG durch und blieb daher trotz Kollision mit diesem wirksam.366 Anders könnte dies hingegen bei für die Arbeitnehmer ungünstigeren Bezugnahmeklauseln sein, die z. B. statisch auf den Tarifvertrag verweisen, während tarifrechtlich die Vergütung angehoben wird: Diese Klauseln wurden gemäß § 4 Abs. 3 TVG durch den Tarifvertrag verdrängt. Um als „andere Abmachung“ überhaupt in Betracht zu kommen, müssten sie mit dem Eintritt des Tarifvertrages in das Nachwirkungsstadium wieder „aufleben“. Dies richtet sich danach, wie man die Auswirkung des Tarifvertrages auf diesem widersprechende arbeitsvertragliche Regelungen einordnet. Denkbar wäre einerseits ein Anwendungsvorrang oder andererseits eine vernichtende Konkurrenz.367 Legt man dem Tarifvertrag rechtsvernichtende Wirkung bei,368 ist die widersprechende Regelung gemäß § 134 BGB unwirksam und ein Wiederaufleben der Bezugnahmeklausel kommt nicht in Betracht. Geht man hingegen davon aus, dass der Tarifvertrag die Bezugnahmeklausel lediglich suspendiert,369 bleibt diese grundsätzlich wirksam und kann wieder aufleben, sobald die Sperrwirkung des günstigeren Tarifvertrags entfällt. 366 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 296; Kempen/ZachertStein, TVG, § 4 Rn. 15. 367 Vgl. Wiedemann-Wank, TVG, § 4 Rn. 370. 368 Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 22 (anders noch in der Vorauflage, Rn. 52); Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, S. 792; Däubler-Bepler, TVG, § 4 Rn. 908; Frölich, NZA 1992, 1105 (1110); Ebeling, Bezugnahme, S. 72. 369 H.M., vgl. BAG v. 21.9.1989 – 1 AZR 454/88, AP Nr. 43 zu § 77 BetrVG 1972; ähnlich BAG v. 14.2.1991 – 8 AZR 166/90, AP Nr. 10 zu § 3 TVG; BAG v. 14.2.1991 – 8 AZR 166/90, AP Nr. 10 zu § 3 TVG; ErfK-Franzen, § 4 TVG Rn. 3; Däubler, TarifvertragsR, Rn. 183; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht II, § 13 Rn. 276; Däubler-Deinert, TVG, § 4 Rn. 484; Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 4 Rn. 15; Wiedemann-Wank, TVG, § 4 Rn. 370 ff.; ähnlich Däubler-Bepler, TVG, § 4 Rn. 832.
B. Bezugnahmeklauseln und Verbandsaustritt
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Ob dem Tarifvertrag gegenüber vertraglichen Regelungen rechtsvernichtende oder bloß verdrängende Wirkung zukommt, ist in Rechtsprechung und Literatur nicht abschließend geklärt.370 Eine vernichtende Wirkung des Tarifvertrages wird damit begründet, dass keine gesetzliche Vorschrift bestehe, nach der zwingende Tarifnormen lediglich verdrängende Wirkung hätten.371 Zudem sei die Tarifautonomie kollektive Privatautonomie, die gerade die Schwäche des Arbeitsvertrages auffangen solle.372 Der arbeitsvertragsersetzenden Funktion des Tarifvertrages entspreche es daher, dass er arbeitsvertragsgestaltende Wirkung habe.373 Hiergegen ist jedoch einzuwenden, dass die Tarifnormen gerade nicht Bestandteil des Arbeitsvertrages werden, sondern von außen wie ein Gesetz auf diesen einwirken.374 Für eine bloße Verdrängung der Arbeitsvertragsregelungen spricht außerdem der Schutzzweck des Tarifvertrages, der dem Arbeitnehmer einen Mindeststandard garantieren soll, nicht aber nach Wegfall seiner zwingenden Wirkung den Verlust von vertraglich vereinbarten (wenn auch unter Tarifniveau liegenden) Rechten herbeiführen soll.375 Werden durch die arbeitsvertragliche Vereinbarung dem Arbeitnehmer Ansprüche eingeräumt, so sollen ihm diese grundsätzlich zustehen. Wenn diese Ansprüche später unabhängig vom Willen der Arbeitsvertragsparteien von außen – normativ – durch eine zwingende tarifliche Regelung erhöht werden, so spricht nichts dafür, daß der einmal vereinbarte Mindeststandard nicht mehr gelten soll, wenn die zwingende Wirkung der Tarifnorm wegfällt.376 Der Tarifvertrag ist zwar Gesetz im Sinne des BGB (vgl. Art. 2 EGBGB), aber kein Verbotsgesetz, dessen Verletzung nach § 134 BGB zur Nichtigkeit führen würde.377 370 Vgl. BAG v. 14.2.1991 – 8 AZR 166/90, AP Nr. 10 zu § 3 TVG (verdrängend, aber kein Wiederaufleben in der Nachwirkungsphase); BAG v. 21.9.1989 – 1 AZR 454/88, AP Nr. 43 zu § 77 BetrVG 1972 (verdrängend); BAG v. 10.4.1996 – 10 AZR 722/95, AP Nr. 4 zu § 101 ArbGG 1979; BAG v. 23.2.2005 – 4 AZR 186/04, AP Nr. 42 zu § 4 TVG Nachwirkung (jeweils offen gelassen). 371 Frölich, NZA 1992, 1105 (1110); Ebeling, Bezugnahme, S. 73. 372 Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 22. 373 Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1224 ff.; Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 22; Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, S. 792. 374 Däubler-Deinert, TVG, § 4 Rn. 484. Zur unmittelbaren Wirkung der Tarifnormen vgl. ErfK-Franzen, § 4 TVG Rn. 1; Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, S. 791. 375 Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 4 Rn. 15; Wiedemann, Anm. zu BAG AP Nr. 4 zu § 4 BAT; ähnlich Jacobs/Krause/Oetker-Jacobs, TarifvertragsR, § 7 Rn. 6. 376 BAG v. 21.9.1989 – 1 AZR 454/88, AP Nr. 43 zu § 77 BetrVG 1972. 377 Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 4 Rn. 15; Däubler-Deinert, TVG, § 4 Rn. 487. Einschränkend ErfK-Franzen, § 4 TVG Rn. 3 unter Verweis auf Wiedemann-Wank,
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
Bezugnahmeklauseln sind also nicht grundsätzlich nichtig, sofern sie zuvor vom Tarifvertrag verdrängt wurden. Sie kommen somit für das Stadium der Nachwirkung als „andere Abmachung“ im Sinne von § 4 Abs. 5 TVG in Betracht. Es könnte dann für die Arbeitnehmer zu einer Anwendung nachteiliger Tarifänderungen qua Arbeitsvertrag kommen; der von § 4 Abs. 5 TVG gewährte status quo bliebe dann nicht erhalten. (bb) Bisherige Bezugnahmeklauseln als „andere Abmachung“? Problematisch ist jedoch, dass die Bezugnahmeklausel bereits vor Ablauf des Tarifvertrages im Arbeitsvertrag vereinbart wurde. Insofern ist zweifelhaft, ob sie als „andere Abmachung“ im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG angesehen werden kann, oder ob eine solche nach Eintritt der Nachwirkung abgeschlossen werden muss. Die Rechtsprechung zu dieser Frage ist uneinheitlich. Das BAG geht teilweise davon aus, dass die verdrängende Wirkung des Tarifvertrages gegenüber dem Arbeitsvertrag auch noch im Nachwirkungszeitraum besteht, lässt aber offen, ob die Parteien eine anderweitige Vereinbarung treffen können.378 An anderer Stelle nimmt es tendenziell ein Wiederaufleben der vertraglichen Vereinbarung an, die sodann die Nachwirkung beendet.379 Der Wortlaut der Norm scheint zunächst dagegen zu sprechen: § 4 Abs. 5 TVG normiert die Nachwirkung, „bis“ die Tarifnormen durch die andere Abmachung „ersetzt“ werden. Dies legt nahe, dass die Abmachung nach Ablauf des Tarifvertrages getroffen werden muss.380 Andererseits ist dieser Schluss nicht zwingend.381 Der Wortlaut spiegelt lediglich wider, dass rein tatsächlich in den allermeisten Fällen eine erst nachträgliche Ablösung eintritt und die Tarifnormen bis zu diesem Zeitpunkt weitergelten sollen.382 TVG, § 4 Rn. 371, wenn der Tarifvertrag sittenwidrige Vertragsbestimmungen untersagen will. 378 BAG v. 14.2.1991 – 8 AZR 166/90, AP Nr. 10 zu § 3 TVG; ebenso Löwisch, Anm. zu BAG AP Nr. 43 zu § 77 BetrVG 1972. 379 BAG v. 21.9.1989 – 1 AZR 454/88, AP Nr. 43 zu § 77 BetrVG 1972; unentschieden BAG v. 10.4.1996 – 10 AZR 722/95, AP Nr. 4 zu § 101 ArbGG 1979; BAG v. 28.3.1997 – 4 AZR 546/95, NZA 1998, 40 (42 ff.). 380 So Däubler-Bepler, TVG, § 4 Rn. 908; Kempen/Zachert-Kempen, TVG, § 4 Rn. 565; Frölich, NZA 1992, 1105 (1111); Ebeling, Bezugnahme, S. 74; Möller, NZA 2006, 579 (582). 381 So auch das BAG v. 23.2.2005 – 4 AZR 186/04, AP Nr. 42 zu § 4 TVG Nachwirkung. Ebenso Annuß, ZfA 2005, 405 (446) mit weiteren Hinweisen zur Entstehungsgeschichte; Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (204 f.); Bauer/Günther, NZA 2008, 6 (9). 382 Thüsing, AGB-Kontrolle im ArbR, Rn. 204.
B. Bezugnahmeklauseln und Verbandsaustritt
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Eine klare Entscheidung lässt sich daher nach dem Gesetzeswortlaut nicht treffen. Es ist vielmehr maßgeblich auf den Sinn und Zweck des § 4 Abs. 5 TVG abzustellen. Der Gesetzgeber beabsichtigte, den Zeitraum bis zum Abschluss einer anderen Abmachung zu überbrücken und auf diese Weise der Gefahr eines inhaltsleeren Arbeitsverhältnisses vorzubeugen (horror vacui).383 Dementsprechend beruht die Regelungswirkung der nachwirkenden Tarifbestimmungen nicht auf privatautonomer Grundlage, sondern auf einer heteronomen Gestaltungsentscheidung des Gesetzgebers.384 Diese gesetzliche Regelungsanordnung ist jedoch mangels Regelungslücke nicht erforderlich, wenn eine für den Zeitraum nach dem Ende der normativen Wirkung des Tarifvertrags Geltung beanspruchende Vereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien besteht und der durch § 4 Abs. 5 TVG verfolgte Zweck somit bereits auf andere Weise erreicht wird.385 Die Gegenansicht wendet ein, dass dem Tarifvertrag nach seinem Ablauf eine bestandssichernde Überbrückungsfunktion zukommen solle. Eine die Nachwirkung vorweg abbedingende Vereinbarung sei unwirksam, denn § 4 Abs. 5 TVG selbst sei nicht dispositiv.386 Eine Abweichung vom erreichten tarifvertraglichen Niveau soll deshalb nur aufgrund einer neuen übereinstimmenden Willensentschließung möglich sein.387 Zwar ist der Gegenansicht zuzugeben, dass ein Missbrauch zum Nachteil der Arbeitnehmer durch die Vereinbarung von Bezugnahmeklauseln quasi „auf Vorrat“ für den Fall des Verbandsaustritts drohen kann. Andererseits verweist die Bezugnahmeklausel nach dem Verbandsaustritt zunächst auf den bisher geltenden Tarifvertrag; ob spätere Tarifabschlüsse Vor- oder Nachteile für die Arbeitnehmer bringen, lässt sich im Vorhinein ohnehin nicht bestimmen. Auch die verfassungsrechtlich geschützte Privatautonomie der Arbeitsvertragsparteien spricht dafür, dass die Nachwirkung bereits vor Beendigung 383 BAG v. 18.3.1992 – 4 AZR 339/91, NZA 1992, 700 (701); WiedemannWank, TVG, § 4 Rn. 327; Oetker, FS Schaub, S. 535 (539 f.); Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (205); Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 372 ff.; Däubler, TarifvertragsR, Rn. 1450; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 130 f. 384 BAG v. 14.2.1973 – 4 AZR 176/72, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG v. 7.12.1977 – 4 AZR 474/76, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung; Annuß, ZfA 2005, 405 (447 f.); Däubler, ZTR 1994, 448 (451). Vgl. o. S. 266. 385 Annuß, ZfA 2005, 405 (448); ähnlich Bauer/Günther, NZA 2008, 6 (9). 386 Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 4 Rn. 16 unter Hinweis auf Däubler-Deinert, TVG, § 4 Rn. 488. 387 Däubler-Bepler, TVG, § 4 Rn. 908 (jedoch mit der Ausnahme einer günstigeren Regelung, vgl. Rn. 909); Kempen/Zachert-Kempen, TVG, § 4 Rn. 565; Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, S. 879; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 298; Stein, TarifvertragsR, Rn. 138.
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des Tarifvertrages durch eine einzelvertragliche Vereinbarung ausgeschlossen werden kann.388 Es kommt insofern lediglich darauf an, ob die Regelung für die Zeit nach Beendigung der unmittelbaren Tarifwirkung Geltung beanspruchen soll.389 Nach allgemeiner Meinung bestehen keine grundsätzlichen Bedenken dagegen, die Nachwirkung im Arbeitsvertrag auszuschließen.390 Der Bezugnahmeklausel kommt zudem nicht lediglich eine deklaratorische, sondern eine konstitutive Wirkung zu.391 Die Parteien wollen mit ihr einen selbständigen Geltungsgrund für die (individualvertragliche) Teilnahme am Tarifgeschehen schaffen. Dieser Regelungsgehalt wird durch eine Veränderung der tariflichen Situation, hier den Eintritt des Tarifvertrages in das Nachwirkungsstadium, nicht verändert. Belange des Arbeitnehmerschutzes werden in aller Regel nicht entgegenstehen, da die Arbeitnehmer aufgrund der Geltung der Bezugnahmeklausel im Gegensatz zur statischen Nachwirkung an zukünftigen Tariferhöhungen partizipieren können.392 In der Praxis ist für sie die Bezugnahmeklausel regelmäßig günstiger.393 Im Einzelfall kann es aus den oben genannten Gründen dennoch vorkommen, dass eine statische Nachwirkung für sie günstiger wäre. Indem der Gesetzgeber den Tarifvertrag gemäß § 4 Abs. 5 TVG der Disposition der Arbeitsvertragsparteien überlässt, hat er jedoch deutlich gemacht, dass ein Bestandsschutz insofern nicht geleistet wird. Die Parteien haben auf ihn im Voraus verzichtet, indem sie eine dynamische Bezugnahmeklausel vereinbart haben. Zutreffenderweise hat daher auch das BAG in einer neueren Entscheidung die „vorherige“ Vereinbarung einer „anderen Abmachung“ mittels einer Bezugnahmeklausel zugelassen. Dafür soll genügen, wenn die Abmachung im Hinblick auf die (spätere) Nachwirkung vereinbart wurde, also bereits während der normativen und zwingenden Wirkung des Tarifvertrages getroffen wurde, sofern sich aus den Umständen ergibt, dass sie nach dem Willen der Vertragsparteien die Nachwirkung des beendeten Tarifvertrages beseitigen 388 BAG v. 23.2.2005 – 4 AZR 186/04, AP Nr. 42 zu § 4 TVG Nachwirkung; Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1261); Wiedemann-Wank, TVG, § 4 Rn. 359; Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 170 f. 389 Ebenso Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 298; Annuß, ZfA 2005, 405 (448); Wiedemann-Wank, TVG, § 4 Rn. 359. 390 Wiedemann-Wank, TVG, § 4 Rn. 359; Jacobs/Krause/Oetker-Oetker, TarifvertragsR, § 8 Rn. 49 m. w. N. 391 s. o. Teil 1, B.IV.1., ab S. 69. 392 Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (205); i. Erg. ebenso Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1261). 393 s. o. S. 121.
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soll.394 Hierfür spricht, dass der Parteiwille unter diesen Voraussetzungen darauf gerichtet ist, unabhängig von dem durch die nachwirkende tarifliche Regelung erreichten Standard eine Rückkehr auf das frühere Niveau zu ermöglichen.395 Dann wirkt die Bezugnahmeklausel als „andere Abmachung“ vom Ende der zwingenden Wirkung des Tarifvertrages an.396 Für dieses Ergebnis sprechen auch die bereits hinsichtlich der „Vereinbarung“ gemäß § 613a Abs. 1 S. 4 Var. 2 BGB angestellten Überlegungen.397 Diese betrafen die ähnlich gelagerte Frage, ob diese Vereinbarung mit dem Erwerber geschlossen sein musste oder ob eine (vorherige) Vereinbarung mit dem Veräußerer in Form der Bezugnahmeklausel aus dem Arbeitsvertrag genügte. Dort war festgestellt worden, dass es nicht nachvollziehbar wäre, einer nachträglichen Bezugnahmeklausel eine andere – weitergehende – Wirkung zuzumessen als einer Klausel, die bereits vor dem Betriebsübergang mit dem Veräußerer vereinbart wurde.398 § 613a Abs. 1 S. 4 Var. 2 BGB liegt die Wertung zugrunde, dass es keines Bestandsschutzes nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB bedarf, wenn der Arbeitnehmer einverständlich mit dem Arbeitgeber eine abweichende Individualvereinbarung trifft. Im Wege der Privatautonomie verzichtet er dann auf den Schutz, den § 613a Abs. 1 S. 2 BGB vorsieht. Vor diesem Hintergrund macht es keinen Unterschied, ob die Vereinbarung mit dem Veräußerer oder dem Erwerber getroffen wurde. Diese Argumente treffen auch auf die vorliegende Konstellation zu. Eine Differenzierung zwischen „vorherigen“ und „nachträglichen“ Bezugnahmeklauseln würde keinen Sinn ergeben. Indem die Vertragsparteien in Aus394 BAG v. 23.2.2005 – 4 AZR 186/04, AP Nr. 42 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG v. 17.1.2006 – 9 AZR 41/05, NZA 2006, 923 (925); BAG v. 28.5.1997 – 4 AZR 546/95, NZA 1998, 40 (43); BAG v. 28.5.1997 – 4 AZR 545/95, AP Nr. 27 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG v. 3.4.2007 – 9 AZR 867/06, NZA 2007, 1045 (1047 f.); LAG Niedersachsen v. 1.4.2004 – 14 Sa 1513/03, LAGE § 4 TVG Nachwirkung Nr. 11; ebenso Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 401; Gamillscheg, Kollektives ArbR I, S. 878; ErfK-Franzen, § 4 TVG Rn. 64; Wiedemann-Wank, TVG, § 4 Rn. 359; HWK-Henssler, § 4 TVG Rn. 11; Frieges, DB 1996, 1281 (1281); Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 137; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 298. A. A. Däubler-Deinert, TVG, § 4 Rn. 488; Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 4 Rn. 16, die § 4 Abs. 5 TVG für nicht dispositiv halten, auch wenn die nachwirkenden Tarifnormen dispositiv sind. 395 BAG v. 28.5.1997 – 4 AZR 546/95, NZA 1998, 40 (43); BAG v. 28.5.1997 – 4 AZR 545/97, AP Nr. 27 zu § 4 TVG Nachwirkung; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 137; ähnlich Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 298. 396 BAG v. 23.2.2005 – 4 AZR 186/04, AP Nr. 42 zu § 4 TVG Nachwirkung. 397 s. o. A.II.2.b)cc), ab S. 227. 398 s. o. S. 229.
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übung der Privatautonomie die Bezugnahme vereinbarten, schufen sie eine eigenständige „zukunftsfähige“399 Regelung, angesichts derer ein Mindestschutz, wie § 4 Abs. 5 TVG ihn bietet, nicht mehr gewährleistet werden muss. Die Bezugnahmeklausel kann daher als „andere Abmachung“ angesehen werden, die die Nachwirkung des Tarifvertrages gemäß § 4 Abs. 5 TVG unabhängig von ihrer Günstigkeit beseitigen kann. Auf diese Weise können die Arbeitsverhältnisse der Außenseiter und Gewerkschaftsmitglieder trotz Abkehr von der Gleichstellungsabrede vereinheitlicht werden. Indem sich die Bezugnahmeklausel nach der neuen Rechtsprechung nunmehr unabhängig von ihrer Günstigkeit gegenüber dem nur noch nachwirkenden Tarifvertrag durchsetzt, wirkt sich die Rechtsprechungsänderung eventuell sogar einmal zugunsten der Arbeitgeber aus. Eine einseitige Begünstigung der Arbeitnehmer durch die Abkehr von der Gleichstellungsabrede kann also nicht festgestellt werden. (b) Zwischenergebnis In ab dem 1.1.2002 geschlossenen Arbeitsverträgen kann eine dynamische Bezugnahmeklausel mit einem nur noch gemäß §§ 3 Abs. 3, 4 Abs. 5 TVG (statisch) wirkenden Tarifvertrag kollidieren. Im Falle der Nachbindung gemäß § 3 Abs. 3 TVG gilt weiterhin das Günstigkeitsprinzip, so dass eine ungünstigere Bezugnahmeklausel verdrängt wird. Im Nachwirkungsstadium ist die Bezugnahmeklausel hingegen, selbst wenn sie bereits vor Verbandsaustritt vereinbart wurde, ungeachtet ihrer (Un)günstigkeit als „andere Abmachung“ im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG anzusehen, so dass sie sich ab dem Eintritt des Tarifvertrages in die Nachwirkungsphase gegen diesen durchsetzt. 2. Vergleich mit der Situation der nicht tarifgebundenen Arbeitgeber Die obigen Ergebnisse sollen nun mit der Situation der nicht tarifgebundenen Arbeitgeber verglichen werden. Bei diesen kommt ein Verbandsaustritt denklogisch nicht in Betracht. Unter der bisherigen Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede konnte es zu Wertungswidersprüchen zwischen der Situation tarifgebundener und nicht tarifgebundener Arbeitgeber kommen.
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Annuß, ZfA 2005, 405 (448).
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a) Konstitutive Wirkung der Bezugnahmeklausel Bei einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber ergibt sich die Besonderheit, dass die Rechtsprechung hier bereits im Rahmen der Gleichstellungsdogmatik nicht davon ausging, dem Arbeitgeber komme es bei der Verwendung von Bezugnahmeklauseln auf die Gleichstellung von Gewerkschaftsmitgliedern und Außenseitern an.400 Der von einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber verwendeten Bezugnahmeklausel wurde somit bereits früher allgemein konstitutive Wirkung zugesprochen.401 b) Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede: Erfordernis eines „Quasi-Verbandsaustritts“? Dies führte jedoch bisher zu dem merkwürdigen, wenn nicht gar widersprüchlichen Ergebnis, dass arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln einen nicht tarifgebundenen Arbeitgeber stärker an die Tarifentwicklung banden als einen tarifgebundenen Arbeitgeber.402 Die Auslegung als Gleichstellungsabrede kam ihm nicht zugute, so dass er bei einer (kleinen oder großen) dynamischen Bezugnahmeklausel dynamisch an den Tarifvertrag gebunden blieb, während ein tarifgebundener Arbeitgeber aus dem Verband austreten konnte mit der Folge, dass der (bisher) dynamischen Klausel nur noch ein statischer Charakter beigemessen wurde. Dem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber drohte daher anders als einem Verbandsmitglied eine ewige Tarifbindung, ohne dass er aus dem Verband austreten konnte. Um diesen Widerspruch zu beseitigen, bot das Schrifttum verschiedene Lösungsansätze an. Reichel403 sprach sich dafür aus, dem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber die Möglichkeit eines „Quasi-Verbandsaustritts“ zu eröffnen. Den Bezugnahmeklauseln sei bei fehlender Tarifbindung des Arbeitgebers nur eine „teil-konstitutive“ Wirkung beizumessen; sie sollten primär der Gleichstellung dienen. Durch den „Quasi-Verbandsaustritt“ sollte der Arbeitgeber die Möglichkeit haben, die Wirkung der Klausel auf eine statische Bezugnahme zu begrenzen. Ab dann wäre für den tarifungebundenen Arbeitgeber nur noch der ursprüngliche Tarifvertrag in seiner zum Zeitpunkt des „QuasiVerbandsaustritts“ geltenden Fassung maßgeblich. Da den tarifgebundenen Arbeitgeber die gleiche Rechtsfolge treffe, könne auf diesem Wege eine 400
s. o. S. 135. s. dazu o. Teil 1, B.IV.1.a), ab S. 69. 402 Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 154; Bayreuther, RdA 2003, 306 (308); Klebeck, NZA 2006, 15 (16); Reichel, Bezugnahme, S. 87 f. 403 Reichel, Bezugnahme, S. 88. Vgl. hierzu bereits o. S. 71. 401
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sonst bestehende Ungerechtigkeit zwischen organisierten und nicht organisierten Arbeitgebern verhindert werden.404 Indem Reichel ein Recht der Arbeitgeber zum Quasi-Verbandsaustritt postuliert, nähert er sich in seiner Argumentation sehr stark der Gleichstellungsrechtsprechung an: Bei einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber, der eine Bezugnahmeklausel verwende, liege es nahe, dass er auf diese Weise nicht marktübliche Arbeitsbedingungen schaffen wolle, sondern eine Gleichstellung mit den organisierten Arbeitnehmern derselben Branche bezwecke.405 Es sei für die Arbeitnehmer erkennbar gewesen, dass durch die Inbezugnahme auch bei den Organisierten notfalls die fehlende Tarifbindung im Betrieb ersetzt werden sollte. Dass sich der Arbeitgeber dynamisch und für alle Zeiten binden wolle, sei für die Arbeitnehmer eher fernliegend, weil sie seine Verbandsmitgliedschaft nicht kennen würden. Diese Auffassung entspricht von ihrer Grundidee her der Gleichstellungsdogmatik des BAG, auch wenn hier die Gleichstellung nicht betriebs- oder unternehmensweit, sondern innerhalb derselben Branche erfolgen soll. Reichel scheint insofern auch eine Gleichstellung der organisierten und nicht organisierten Arbeitgeber zu bezwecken.406 Die Ansicht hat dieselben Schwächen wie die Gleichstellungsrechtsprechung,407 denn sie bürdet wiederum den Arbeitnehmern die Verantwortung für die Klärung der Reichweite der Bezugnahme auf und widerspricht insofern den allgemeinen vertragsrechtlichen Auslegungsgrundsätzen der §§ 133, 157 BGB. Von einer „Erkennbarkeit“ des Zwecks der „branchenweiten“ Gleichstellung kann man hier noch weniger ausgehen als bei einer Tarifbindung des Arbeitgebers. Zu bedenken ist insbesondere, dass selbst die bisherige Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede ihre Grundsätze im Falle eines nicht tarifgebundenen Arbeitgebers gerade für nicht anwendbar erklärte, weil ein Gleichstellungszweck mangels eigener Tarifgebundenheit grundsätzlich nicht bestehen könne.408 Zudem verkennt diese Ansicht, dass Bezugnahmeklauseln bei tarifungebundenen Arbeitgebern seit jeher eine (voll-)konstitutive Wirkung zukommt.409 Mangels Tarifbindung findet der Tarifvertrag ausschließlich aufgrund der arbeitsvertraglichen Verweisung Anwendung. Aus den Umständen 404
Reichel, Bezugnahme, S. 87 f. Reichel, Bezugnahme, S. 88. 406 Vgl. Reichel, Bezugnahme, S. 88. Ebenso Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 155 f. 407 s. hierzu o. Teil 1, D.III.2., ab S. 142. 408 BAG v. 1.12.2004 – 4 AZR 50/04, AP Nr. 34 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG v. 5.12.2001 – 10 AZR 197/01, EzA Nr. 18 zu § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifverträge; BAG v. 25.9.2002 – 4 AZR 294/01, NZA 2003, 807 (809). 409 s. o. Teil 1, B.IV.1., ab S. 69. 405
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des Vertragsschlusses und der stärkeren Position des Arbeitgebers als (typischer) Verwender ergibt sich nicht, dass diese konstitutive Wirkung ein „Austrittsrecht“ des Arbeitgebers beinhalten müsste. Dies liefe auf ein ungeschriebenes Teilwiderrufsrecht hinaus.410 Ein derartiges Institut hat auch keinerlei Grundlage im positiven Recht. Es begünstigt einseitig die Arbeitgeber, indem es ihnen eine „Hintertür“ offenhält, falls sie bei der Vertragsgestaltung eine für sie nachteilige Tarifentwicklung nicht berücksichtigt haben. Das Vereinbarte kann man aber nicht ohne Weiteres durch das ersetzen, was man zugunsten der Arbeitgeberseite hätte vereinbaren können, aber bei Vertragsschluss nicht angesprochen hat.411 Zudem gibt es Instrumente, die einer derartigen „Neuschöpfung“ vorgehen, nämlich z. B. eine einverständliche Regelung mit den Arbeitnehmern oder eine Änderungskündigung. Ließe man einen Quasi-Verbandsaustritt zu, würde das für die Arbeitnehmer durch diese vertraglichen Mechanismen bestehende Schutzniveau deutlich herabgesetzt. Ein Quasi-Verbandsaustritt ist vor diesem Hintergrund als systemwidrig abzulehnen.412 Überzeugender ist daher die Ansicht im Schrifttum, die den Widerspruch zwischen den Situationen von tarif- und nicht tarifgebundenen Arbeitgebern als Folge der „fragwürdigen Übertragung tariflicher Rechtsfolgen auf die arbeitsvertragliche Ebene“ durch die Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede hinnimmt:413 In diesem Widerspruch offenbart sich gerade die Schwäche dieser (bisherigen) Rechtsprechung. c) Neue Rechtsprechung Für nicht tarifgebundene Arbeitgeber hat die Abkehr von der Gleichstellungsabrede unmittelbar keine Wirkung, da die Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede auf sie nie Anwendung fand, so dass die Auslegung schon bisher nach allgemeinen Grundsätzen erfolgte. Eine Unterscheidung der Arbeitsverhältnisse nach ihrem Abschlussdatum unterbleibt daher bei dieser Konstellation. Nach der Rechtsprechungsänderung werden die Bezugnahmeklauseln nun aber für alle Arbeitgeber, d.h. sowohl die nicht tarifgebundenen als auch die tarifgebundenen, in erster Linie nach ihrem Wortlaut ausgelegt. Eine dynamische Klausel behält folglich selbst bei einer bloßen Weitergeltung oder Nachwirkung auf tariflicher Ebene ihren dynamischen Charakter. Eine Ver410 Bepler, AuR 2003, 463 (464). Vgl. hierzu Teil 3, A.I. ( ab S. 381) und B.II. (ab S. 436). 411 Bepler, AuR 2003, 463 (464). 412 Ebenso Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 155; Thüsing, NZA 2003, 1184 (1186). 413 Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 155.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
bandsmitgliedschaft oder ein Verbandsaustritt ändern hieran nichts. Unabhängig von ihrer Verbandsmitgliedschaft bleiben die Arbeitgeber damit eventuell dauerhaft dynamisch qua Bezugnahme an einen Tarifvertrag gebunden. Auch wenn ein tarifgebundener Arbeitgeber aus seinem Verband austritt, sorgt die Bezugnahmeklausel, sofern sie dynamisch formuliert ist, für eine weiterhin dynamische Anwendung des Tarifvertrages. Bei den tarifgebundenen Arbeitgebern setzt sie sich im Falle der Kollision mit dem statisch nachwirkenden Tarifvertrag unabhängig von ihrer (Un-)Günstigkeit als „andere Abmachung“ gemäß § 4 Abs. 5 TVG genauso durch wie bei den nicht organisierten Arbeitgebern, bei denen von Anfang an mangels Tarifbindung nur die Bezugnahmeklausel wirkt. Die Situation nicht organisierter Arbeitgeber und solcher, die ursprünglich organisiert waren und dann aus dem Verband austreten, ist somit identisch. Es entfällt der bisherige Wertungswiderspruch der Gleichstellungsrechtsprechung. Diese Analyse zeigt, dass die Abkehr von der Gleichstellungsabrede für den Fall des Verbandsaustritts ein bisher bestehendes Wertungsproblem beseitigt, das in der Literatur zu der Suche nach systematisch widerspruchsfreien Lösungen führte. Nun ist die nicht nachzuvollziehende Unterscheidung nach der Tarifbindung des Arbeitgebers aufgehoben, so dass sich für alle Arbeitgeber, die dieselbe Klauselformulierung gewählt haben, auch (dauerhaft) dieselben Rechtsfolgen ergeben. 3. Ergebnis Nach der bisherigen Rechtsprechung unterstützte die Auslegung dynamischer Klauseln als Gleichstellungsabrede die Aussichten der Arbeitgeber, sich mittels eines Verbandsaustritts ihrer Tarifbindung entziehen zu können. Wenn die Tarifnormen nur noch nach § 3 Abs. 3 TVG weitergalten und anschließend nach § 4 Abs. 5 TVG nachwirkten, ergab sich auf der Ebene des Arbeitsvertrages nichts anderes. Eine dynamische Klausel „mutierte“ mit dem Zeitpunkt des Verbandsaustritts zu einer statischen. Tarifliche und individualvertragliche Ebene wurden synchronisiert. Auf diese Weise wurde den Arbeitgeberinteressen Rechnung getragen und angesichts der weiten Verbreitung von (dynamischen) Bezugnahmeklauseln eine „Tarifflucht“ de facto erst möglich gemacht. Widersprüchlich war jedoch, dass die nicht organisierten Arbeitgeber, die lediglich kraft Bezugnahme an der Tarifentwicklung teilnahmen, dieser Dynamik mangels Anwendbarkeit der Gleichstellungsdogmatik nicht mehr „entgehen“ konnten und somit stärker an den Tarifvertrag gebunden wurden als die Verbandsmitglieder. Dies war ein der Gleichstellungsrechtsprechung immanenter Wertungswiderspruch, der ihre grundsätzlichen Schwächen offenbarte.
C. Bezugnahmeklauseln und Verbandswechsel
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Die mit dem Rechtsprechungswechsel verbundene Abwendung von der Auslegung als Gleichstellungsabrede ändert die Rechtsfolgen bei Verbandsaustritt fundamental. Die Bezugnahmeklausel wird gemäß §§ 133, 157 BGB und hierbei in erster Linie nach ihrem Wortlaut ausgelegt, ein Gleichstellungszweck müsste für den Arbeitnehmer erkennbar zur auflösenden Bedingung der Klauseldynamik gemacht worden sein. Bei Vorliegen einer dynamischen Bezugnahmeklausel, die nicht eindeutig eine bloße Gleichstellungsabrede darstellt, hilft dem Arbeitgeber mit Bezug auf nach dem 31.12.2001 geschlossene Arbeitsverträge ein Verbandsaustritt nicht, um sich der dynamischen Teilnahme an der Tarifentwicklung zu entledigen. Mag er auf normativer Ebene zwar nur noch gemäß §§ 3 Abs. 3, 4 Abs. 5 TVG gebunden sein, bleibt eine dynamische Bezugnahmeklausel nach dem Verbandsaustritt dennoch unverändert bestehen. Auch im Fall des Verbandsaustritts „torpediert“ die Verweisungsklausel dann die mit dem Austritt auf tariflicher Ebene erstrebten Rechtsfolgen. Die grundsätzlichen Auswirkungen der Rechtsprechungsänderung auf den Fall des Verbandsaustritts ähneln somit denen bei Betriebsübergang. Mangels Synchronisation mit der tariflichen Lage kann es nun zu Kollisionen bei den Anspruchsgrundlagen der Gewerkschaftsmitglieder kommen, insbesondere zwischen nach §§ 3 Abs. 3, 4 Abs. 5 TVG nur noch statisch wirkenden Tarifnormen und einer dynamisch geltenden arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel. Eine im Ergebnis für den Arbeitnehmer günstigere Bezugnahmeklausel setzt sich stets durch. Im Zeitpunkt der Nachwirkung kann aber auch eine für ihn ungünstigere dynamische Bezugnahmeklausel als „andere Abmachung“ im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG wieder aufleben und die statische Nachwirkung des Tarifvertrages zugunsten eines neuen Tarifvertrags mit schlechteren Arbeitsbedingungen beenden. Insofern ist eine Abweichung vom „alten“ Tarifvertrag zuungunsten der Arbeitnehmer möglich, so dass sich die Rechtsprechungsänderung nicht einseitig zu Lasten der Arbeitgeber auswirkt.
C. Bezugnahmeklauseln und Verbandswechsel Änderungen der Tarifgeltung resultieren ferner aus einem Verbandswechsel des Arbeitgebers. Hierbei tritt der Arbeitgeber nicht lediglich aus seinem bisherigen Verband aus,414 sondern tritt danach einem neuen Verband bei. Die Rechtsfolgen unterscheiden sich daher vom bloßen Verbandsaustritt. Beispiel: Der Arbeitgeber des A ist Zulieferer von Automobilteilen und Reifen und Mitglied im Verband der Metallindustrie, der einen Tarifvertrag mit der IG 414
s. hierzu o. B., ab S. 258.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
Metall geschlossen hat. Zudem findet sich im Arbeitsvertrag des A eine Bezugnahme auf diesen Tarifvertrag. Nun tritt der Arbeitgeber aus dem Metallverband aus und tritt dem Chemieverband bei.
I. Verbandswechsel Arbeitgeber wechseln den Verband, um einem anderen Verband beizutreten, beispielsweise weil dieser mit derselben oder einer anderen Gewerkschaft einen Tarifvertrag abgeschlossen hat, der aus Sicht des Arbeitgebers günstiger erscheint. Ein derart motivierter Verbandswechsel kommt für einen Arbeitgeber in Betracht, wenn zwei verschiedene Arbeitgeberverbände für ihn nacheinander oder gleichzeitig tarifzuständig sind und seine Betriebstätigkeit nacheinander oder gleichzeitig im Geltungsbereich zweier Tarifverträge liegt.415 Dies kommt z. B. dann in Betracht, wenn ein Produkt zu gleichen Anteilen durch Zusammenfügen von Metall- und Gummiteilen entsteht, so dass gleichzeitig der Arbeitgeberverband der Metallindustrie und der Chemieverband zuständig sind, oder sich die Zusammensetzung eines Produktes eines metallverarbeitenden Betriebes zugunsten der chemischen Anteile verändert und damit der Chemieverband der „sachnähere“ Verband für das Unternehmen wird.416 Eine Überschneidung der tarifvertraglichen Geltungsbereiche ist möglich, sofern nicht die Verbandssatzungen auf den überwiegenden Betriebszweck abstellen oder einer der Betriebszwecke eindeutig überwiegt.417 Der Arbeitgeber kann bei einer derartigen Überschneidung oder einem Wechsel der Tarifzuständigkeiten vom einen in den anderen Verband übertreten. Für einen Verbandswechsel gibt es damit im Wesentlichen vier Anlässe: (1) Die Änderung des betrieblichen Tätigkeitsbereichs, in deren Folge ein anderer Verband fachlich zuständig wird, (2) die Änderung des Verhältnisses der unterschiedlichen Betriebszwecke innerhalb eines Mischbetriebes, (3) die Ausgliederung eines Betriebsteils, der einen anderen Zweck verfolgt als der Restbetrieb und bei dem für die Anwendung von Tarifverträgen bisher die Ausrichtung des Gesamtbetriebs maßgeblich war, sowie schließlich (4) die gleichzeitige Zuständigkeit mehrerer Verbände für den Tätigkeitsbereich verbunden mit einem nunmehr besseren Leistungsangebot oder günstigeren Tarifbedingungen des anderen Verbandes.418 Der sog. Bran415
Bauer, FS Schaub, S. 19 (32). Vgl. Reichel, Bezugnahme, S. 130; Bauer/Haußmann, DB 1999, 1114 (1114). 417 Bauer/Haußmann, DB 1999, 1114 (1114). 418 s. Bieback, DB 1989, 477 (477); Feger, AiB 1995, 490 (499); Hromadka/ Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 184. 416
C. Bezugnahmeklauseln und Verbandswechsel
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chenwechsel, der die Fälle (1) bis (3) betrifft, wird im Anschluss behandelt.419 Im vorliegenden Beispielsfall geht es um den Verbandswechsel bei gleichzeitiger Zuständigkeit zweier Verbände (4).
II. Tarifrechtliche Folgen eines Verbandswechsels Zunächst sind die tarifrechtlichen Folgen eines Verbandswechsels darzustellen, um vor diesem Hintergrund später die Auswirkungen von Bezugnahmeklauseln bewerten zu können. Der Verbandswechsel verlangt neben dem Austritt aus dem bisherigen Verband den Eintritt in einen anderen Verband.420 Der Austritt hat für den bisherigen Tarifvertrag zunächst die oben geschilderten tarifrechtlichen Folgen gemäß §§ 3 Abs. 3, 4 Abs. 5 TVG.421 Tritt der Arbeitgeber dann in den neuen Verband ein, für den ein anderer Tarifvertrag gilt, wird er bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen (insbes. Tarifzuständigkeit) an diesen gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG gebunden. Eine Nachwirkung des alten Tarifvertrages gemäß § 4 Abs. 5 TVG kommt dann nicht in Betracht, sofern eine beiderseitige Tarifbindung an den neuen Tarifvertrag vorliegt, also die Arbeitnehmer Mitglieder der vertragschließenden Gewerkschaft sind.422 Die Nachwirkung des alten Tarifvertrags wird nämlich gemäß § 4 Abs. 5 Hs. 2 TVG durch das neue Regelungswerk als „andere Abmachung“ verdrängt.423 Zuvor ist jedoch eine Nachbindung des Arbeitgebers an den bisher maßgeblichen Tarifvertrag gemäß § 3 Abs. 3 TVG möglich. Es hängt dann von der beteiligten Gewerkschaft sowie der Tarifbindung der Arbeitnehmer ab, wie sich die tarifrechtliche Lage im Betrieb gestaltet: 419 s. unten D., ab S. 329. Zum Branchenwechsel nach Betriebsübergang vgl. bereits o. A.II.1.d), ab S. 213. 420 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 185. Zum Fall der Doppelmitgliedschaft s. dies., Rn. 485 ff. 421 Die Fortwirkung des bisherigen Tarifvertrags gemäß § 3 Abs. 3 TVG nach einem Verbandswechsel wird ganz überwiegend bejaht, vgl. BAG v. 26.10.1983 – 4 AZR 219/81, AP Nr. 3 zu § 3 TVG; Reichel, Bezugnahme, S. 111 f.; Kempen/ Zachert-Kempen, TVG, § 3 Rn. 68; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 160; Gorissen, Arbeitgeberverbandswechsel, S. 8. Diff. Lieb/Jacobs, ArbR, Rn. 530. 422 BAG v. 4.9.1996 – 4 AZR 135/95, NZA 1997, 271 (272); Ebeling, Bezugnahme, S. 198; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 478; Gorissen, Arbeitgeberverbandswechsel, S. 28. 423 BAG v. 4.12.1974 – 5 AZR 75/74, AP Nr. 2 zu § 3 TVG; Henssler, FS Wißmann, S. 133 (140); Gorissen, Arbeitgeberverbandswechsel, S. 28; WHSS-Hohenstatt, E Rn. 212. A. A. Löwisch/Rieble, FS Schaub, S. 457 (462) (Spezialfall der Tarifkonkurrenz).
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
1. Neuer Tarifvertrag mit derselben Gewerkschaft: Tarifkonkurrenz Hat der „neue“ Verband mit derselben Gewerkschaft wie der „alte“ Verband einen Tarifvertrag geschlossen und verbleiben die Arbeitnehmer in dieser Gewerkschaft, sind sie weiterhin gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG, der Arbeitgeber hingegen gemäß § 3 Abs. 3 TVG an den bisherigen Tarifvertrag gebunden. Gleichzeitig sind beide gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG an den neuen Tarifvertrag gebunden.424 Es liegt also bis zum Ende des alten Tarifvertrags gemäß § 3 Abs. 3 TVG eine gleichzeitige doppelte Tarifbindung auf beiden Seiten vor.425 Eine anschließende Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG scheidet hingegen aus, da, wie bereits erwähnt, aufgrund der Identität der zuständigen Gewerkschaft der neue Tarifvertrag als „andere Abmachung“ anzusehen ist.426 Eine Ablösung nach der lex-posterior-Regel kommt mangels Identität der Tarifvertragsparteien auf Arbeitgeberverbandsseite nicht in Betracht,427 vielmehr entsteht eine Tarifkonkurrenz: Diese liegt vor, wenn dasselbe Arbeitsverhältnis von mehreren Tarifverträgen erfasst wird, d.h. im Falle einer Normenkollision.428 Es wirken mehrere Tarifverträge, die sich weder ergänzen noch einander ablösen, normativ auf ein Arbeitsverhältnis ein.429 Eine Tarifkonkurrenz kann tarifautonom (z. B. bei Doppelmitgliedschaften) oder staatlich veranlasst sein (z. B. bei Allgemeinverbindlicherklärung gemäß § 5 Abs. 4 TVG).430 Nach der Rechtsprechung des Vierten Senats kam es für das Vorliegen einer Tarifkonkurrenz bisher nicht darauf an, warum mehrere Tarifverträge Geltung beanspruchen: Es führten nicht nur Allgemeinverbindlichkeit und Gewerkschaftszugehörigkeit zur Tarifkonkurrenz, sondern auch die arbeitsvertragliche Bezugnahme.431 Hinsichtlich der arbeitsvertraglichen Bezugnahme hat der Vierte Senat seine Auffassung jedoch mittlerweile geändert und löst die Kollision eines Tarifvertrages mit einer arbeits424
Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 474. Däubler, NZA 1996, 225 (230); Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 115 ff. m. w. N. 426 Henssler, FS Wißmann, S. 133 (140); Ebeling, Bezugnahme, S. 197 f. 427 Vgl. hierzu BAG v. 16.5.1995 – 3 AZR 535/94, AP Nr. 15 zu § 4 TVG Ordnungsprinzip; BAG v. 23.11.1994 – 4 AZR 879/93, AP Nr. 12 zu § 1 TVG Rückwirkung; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 263; Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, S. 760. 428 BAG v. 16.5.2001 – 10 AZR 357/00, EzA Nr. 23 zu § 3 TVG; BAG v. 5.9.1990 – 4 AZR 59/90, AP Nr. 19 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; BAG v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, NZA 1991, 736 (738); HWK-Henssler, § 4 TVG Rn. 39; Kempen/Zachert-Wendeling-Schröder, TVG, § 4 Rn. 150; WiedemannWank, TVG, § 4 Rn. 268 ff.; Lindemann/Simon, BB 2006, 1852 (1852). 429 Jacobs, NZA 2008, 325 (325). 430 Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 97 ff., 273 ff. 425
C. Bezugnahmeklauseln und Verbandswechsel
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vertraglichen Bezugnahmeklausel über das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG.432 Hingegen ist nicht abschließend geklärt, wie die vorliegende besondere Tarifkonkurrenz aufgrund der Kollision eines gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG unmittelbar und zwingend geltenden und eines nur nach § 3 Abs. 3 TVG weitergeltenden Tarifvertrages aufzulösen ist.433 a) Vorrang des „alten“ Tarifvertrages Teile des Schrifttums gehen davon aus, dass der nach § 3 Abs. 3 TVG weitergeltende Tarifvertrag vorgehen müsse.434 Nur so könne die Norm ihren Zweck wirksam erfüllen, zum Schutz der Arbeitnehmer die eigenmächtige Befreiung von bestehenden tariflichen Bindungen durch den Arbeitgeber zu verhindern.435 Ansonsten könnte sich der Arbeitgeber einseitig der bestehenden Tarifbindung durch den Austritt aus dem Verband entziehen, wenn er nur alsbald in einen neuen Verband einträte.436 Gegen diese Ansicht spricht, dass ein Vorrang des § 3 Abs. 3 TVG einem lediglich weitergeltenden Tarifvertrag eine höhere Bedeutung beimisst als einem Tarifvertrag, der mitgliedschaftlich legitimiert ist. § 3 Abs. 3 TVG soll jedoch nach einem Austritt aus dem Arbeitgeberverband allein die für die Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 1 TVG erforderliche Mitgliedschaft ersetzen. Der Norm ist hingegen nicht zu entnehmen, dass sie einen kongruent mitgliedschaftlich legitimierten Tarifvertrag verdrängen soll. Zudem soll § 3 Abs. 3 TVG zwar vor den nachteiligen Folgen eines Verbandsaustritts des Arbeitgebers, nicht aber vor der Konkurrenz ungünstigerer Tarifverträge schützen.437 Anders als bei einem bloßen Verbandsaustritt gilt bei einem 431 s. o. A.II.3.b)bb), ab S. 233; BAG v. 23.3.2005 – 4 AZR 203/04, NZA 2005, 1003 (1004 ff.); kritisch Thüsing, NZA 2005, 1280 (1281); anders auch 10. Senat des BAG v. 26.1.1994 – 10 AZR 611/92, NZA 1994, 1038 (1040). 432 s. o. A.II.3.b)bb), ab S. 233; BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 765/06, AuR 2008, 181 (183), und 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364 (366). 433 Reichel, Bezugnahme, S. 112. 434 Däubler, NZA 1996, 225 (230); Kempen/Zachert-Kempen, TVG, § 3 Rn. 68; Stein, TarifvertragsR, Rn. 171; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 109; Gorissen, Arbeitgeberverbandswechsel, S. 18; ähnlich Bieback, DB 1989, 477 (480 f.). 435 Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 80; Kempen/Zachert-Kempen, TVG, § 3 Rn. 68; Däubler, NZA 1996, 225 (230). 436 Kempen/Zachert-Kempen, TVG, § 3 Rn. 68 (einschränkend, soweit der neue Tarifvertrag die Arbeitnehmer ähnlich wie bisher stellt); Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 80. I. Erg. ebenso Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 282 ff., der jedoch darauf abstellt, ob das Eingreifen des § 3 Abs. 3 TVG dem Arbeitgeber oder den Tarifvertragsparteien zuzurechnen ist.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
Verbandswechsel wegen § 3 Abs. 1 TVG sofort der neue Tarifvertrag für den Arbeitgeber, so dass die Arbeitnehmer im Falle ihrer kongruenten Bindung nicht schutzlos gestellt werden.438 Zudem würde diese Ansicht verhindern, dass der jeweils sachnächste Tarifvertrag zur Anwendung kommt, wenn der neue Tarifvertrag spezieller ist. b) Vorrang des „neuen“ Tarifvertrages Die Gegenmeinung ist der Ansicht, dass der neue, gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG geltende Tarifvertrag einem bloß gemäß § 3 Abs. 3 TVG weitergeltenden Tarifvertrag vorgehen müsse.439 Hierfür spreche, dass die Geltung des neuen Tarifvertrags unmittelbar mitgliedschaftlich legitimiert sei, während die Geltung des alten nur (noch) auf einer gesetzlichen Fiktion beruhe.440 Seien die Vertragsparteien tatsächlich tarifgebunden, sei eine Fiktion überflüssig. § 3 Abs. 3 TVG solle nur die Flucht aus einem Tarifvertrag verhindern, nicht die Flucht in einen anderen.441 Der Normzweck des § 3 Abs. 3 TVG müsse daher für den Fall des Verbandswechsels teleologisch reduziert werden.442 Dem postulierten Vorrang des neuen Tarifvertrags ist entgegenzuhalten, dass das TVG nur Tarifverträge mit gleichen Rechtswirkungen und gleicher rechtlicher Stärke kennt, und dies unabhängig davon, worauf die Tarifwirkung beruht.443 § 3 Abs. 3 TVG schafft eine gesetzlich verlängerte Tarifgebundenheit; es liegt eine tarifautonome Tarifkonkurrenz vor.444 Gingen stets die „neuen“ Tarifverträge vor, würde dies dem Schutzzweck des § 3 Abs. 3 TVG widersprechen, der die jeweils andere Seite vor den Nachteilen eines Verbandsaustritts schützen soll. Zugleich würde unter Umständen die Anwendbarkeit des Tarifvertrags verhindert, der die für das Arbeitsverhältnis sachnächste Lösung bietet, wenn der neue Tarifvertrag allgemeiner ist als der alte.445 437
Hanau, ZfA 1984, 453 (460); Reichel, Bezugnahme, S. 113. Lieb/Jacobs, ArbeitsR, Rn. 533; Feger, AiB 1995, 490 (500 f.). 439 Löwisch/Rieble, TVG, 1. Aufl. 1992, § 4 Rn. 301; Henssler, FS Schaub, S. 311 (325); Bauer/Haußmann, DB 1999, 1114 (1115); Hromadka/Maschmann/ Wallner, Tarifwechsel, Rn. 518. 440 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 481. 441 Löwisch/Rieble, TVG, 1. Aufl. 1992, § 4 Rn. 301. 442 Bauer/Haußmann, DB 1999, 1114 (1115); Lieb/Jacobs, ArbeitsR, Rn. 530; ähnl. Löwisch/Rieble, TVG, 1. Aufl. 1992, § 4 Rn. 301. 443 BAG v. 26.10.1983 – 4 AZR 219/81, AP Nr. 3 zu § 3 TVG; Reichel, Bezugnahme, S. 114; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 137, 481. 444 Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 282. 445 Gaul, NZA 1998, 9 (12); Reichel, Bezugnahme, S. 114. 438
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c) Günstigkeitsprinzip Eine weitere Ansicht will das Günstigkeitsprinzip anwenden.446 Begründet wird dieser Lösungsweg damit, die Anwendung des § 3 Abs. 3 TVG solle dem Schutz der Arbeitnehmer dienen. Die Fortgeltung des alten Tarifvertrages sei daher nur insofern gerechtfertigt, als die Arbeitnehmer tatsächlich vor Benachteiligungen geschützt werden müssten. Sie bedürften keines Schutzes, wenn der neue Tarifvertrag für sie günstiger sei.447 Die neuen Tarifregelungen sollen deshalb nur dann Vorrang haben, wenn sie für den Arbeitnehmer günstiger sind als die alten. Gegen die Auflösung nach Günstigkeit spricht, dass das Günstigkeitsprinzip nur die Kollision hierarchisch unterschiedlicher Rechtsgrundlagen auflösen soll.448 Es gilt nicht zwischen gleichrangigen Rechtsquellen, wie sie im Falle zweier normativ geltender Tarifverträge gegeben sind.449 Zudem wäre ein „universaler“ Günstigkeitsvergleich zwischen den zwei in Betracht kommenden Tarifverträgen realistischerweise nicht zu leisten. Welcher Tarifvertrag mit der Gesamtheit seiner Regelungen der günstigere ist, ist oftmals nicht festzustellen.450 d) Spezialitätsprinzip Das BAG und ein Teil der Literatur hingegen lösen diese Kollision, ebenso wie auch sonst bei Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, nach dem Prinzip der Tarifeinheit und damit nach dem Spezialitätsprinzip.451 Es gelte der Grundsatz lex specialis derogat legi generali. Der Grundsatz der Tarifeinheit besagt zweierlei: Zum einen kann innerhalb des Betriebes stets nur ein Tarifvertrag gelten.452 Zum anderen 446
Konzen, ZfA 1975, 401 (427 ff.). Konzen, ZfA 1975, 401 (429). 448 s. z. B. S. 234. 449 BAG v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, NZA 1991, 736 (740); BAG v. 22.2.1957 – 1 AZR 536/55, NJW 1957, 845 (845); BAG v. 28.5.1997 – 4 AZR 546/95, NZA 1998, 40 (42); Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 135, 482; Reichel, Bezugnahme, S. 113; Gorissen, Arbeitgeberverbandswechsel, S. 13 f. 450 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 135; Gorissen, Arbeitgeberverbandswechsel, S. 22; Wiedemann/Arnold, ZTR 1994, 399 (407). 451 BAG v. 26.10.1983 – 4 AZR 219/81, AP Nr. 3 zu § 3 TVG; BAG v. 28.5.1997 – 4 AZR 546/95, NZA 1998, 40 (44); Gamillscheg, Kollektives ArbR I, S. 727; Gaul, NZA 1998, 9 (12); Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 474 ff., 484; Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 157; Bauer/Diller, DB 1993, 1085 (1085). Kritisch zum Spezialitätsprinzip Jacobs/Krause/Oetker-Jacobs, TarifvertragsR, § 7 Rn. 217; ders., NZA 2008, 325 (326). 447
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
schließt der Grundsatz der Tarifeinheit aus, dass ein Arbeitsverhältnis von mehreren konkurrierenden Tarifverträgen geordnet wird.453 Zur Begründung verweist das BAG darauf, dass der Grundsatz der Tarifeinheit zwar im TVG keinen Niederschlag gefunden habe, aber aus den übergeordneten Prinzipien der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit folge.454 Die Anwendung mehrerer Tarifverträge im Betrieb, die von verschiedenen Tarifvertragsparteien abgeschlossen wurden, würde zu praktischen, kaum lösbaren Schwierigkeiten führen. Auch auf ein Arbeitsverhältnis solle nur ein Tarifvertrag anwendbar sein, da jedem Tarifvertrag eine ausgewogene Gesamtkonzeption zugrunde liege, so dass der Arbeitnehmer bei der Anwendbarkeit mehrerer Tarifverträge eine Rechtsposition erlangte, die von keiner Tarifpartei so beabsichtigt war.455 In den betroffenen Arbeitsverhältnissen könne hiernach nur ein Tarifvertrag zur Anwendung gelangen. Welcher Tarifvertrag dies sei, bestimme sich nach dem sog. Spezialitätsprinzip456. Hiernach sei derjenige Tarifvertrag maßgebend, der dem Betrieb räumlich, fachlich und persönlich am nächsten stehe und deshalb den Erfordernissen und Eigenarten des Betriebes und der darin tätigen Arbeitnehmer am Besten gerecht werde.457 Der Firmentarifvertrag verdränge den Verbandstarifvertrag, der regionale Tarifvertrag den überregionalen Tarifvertrag und der fachspezifische Tarifvertrag den fachübergreifenden Branchentarifvertrag.458 Dies gelte selbst dann, wenn der speziellere Tarifvertrag für den Arbeitnehmer ungünstigere Regelungen enthalte.459 Das Günstigkeitsprinzip scheide als Kollisionsregel für das Verhältnis von schwächeren (Arbeitsvertrag) zu stärkeren Rechtsnormen (Tarifvertrag) als Abgrenzungskriterium aus, da bei der Tarifkonkurrenz gleichrangige Regelungen zusammenträfen.460 452 BAG v. 29.3.1957 – 1 AZR 208/55, DB 1957, 482 f.; BAG v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, NZA 1991, 736 (738). 453 BAG v. 29.3.1957 – 1 AZR 208/55, DB 1957, 482 f.; BAG v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, NZA 1991, 736 (738). 454 BAG v. 5.9.1990 – 4 AZR 59/90, AP Nr. 19 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz. 455 BAG v. 14.6.1989 – 4 AZR 200/89, AP Nr. 16 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; BAG v. 5.9.1990 – 4 AZR 59/90, AP Nr. 19 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 162; Kraft, RdA 1992, 161 (165); Reichel, Bezugnahme, S. 104. 456 s. hierzu BAG v. 4.4.2001 – 4 AZR 237/00, AP Nr. 26 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz m. w. N. 457 BAG v. 14.6.1989 – 4 AZR 200/98, AP Nr. 16 zu § 4 TVG – Tarifkonkurrenz; BAG v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, NZA 1991, 736 (740); BAG v. 23.3.2005 – 4 AZR 203/04, NZA 2005, 1003 (1004). 458 BAG v. 24.9.1975 – 4 AZR 471/74, AP Nr. 11 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; BAG v. 24.1.2001 – 4 AZR 655/99, AP Nr. 173 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie; BAG v. 4.4.2001 – 4 AZR 237/00, AP Nr. 26 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz. 459 HWK-Henssler, § 4 TVG Rn. 40.
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Sollte sich mittels des Spezialitätsprinzips kein Vorrang feststellen lassen, wird nach Auffassung des BAG nach dem Mehrheitsprinzip der Tarifvertrag angewendet, der die meisten Arbeitsverhältnisse im Betrieb erfasst.461 Auf diese Weise soll verhindert werden, dass mehrere sich widersprechende Regelungen gleichzeitig Anwendung finden.462 Dass im vorliegenden Fall ein Tarifvertrag nur gemäß § 3 Abs. 3 TVG weitergilt, der andere hingegen gemäß § 3 Abs. 1 TVG, schließt nach Ansicht des BAG die Annahme einer Tarifkonkurrenz und ihre Auflösung mittels des Grundsatzes der Tarifeinheit nicht aus: In seiner Entscheidung vom 28.5.1997 stellte es fest, Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität setzten voraus, dass der Arbeitgeber nach § 3 Abs. 1 TVG oder § 3 Abs. 3 TVG an zwei Tarifverträge gebunden sei.463 Damit stellt es die Tarifbindung kraft mitgliedschaftlicher Legitimation gemäß § 3 Abs. 1 TVG und qua gesetzlicher Fiktion gemäß § 3 Abs. 3 TVG im Ergebnis gleich.464 Die auf das Spezialitätsprinzip abstellende Ansicht des BAG überzeugt, und zwar unabhängig davon, ob man dem Prinzip der Tarifeinheit zustimmt oder nicht. Auch bei der Kollision von fortwirkendem und gemäß § 3 Abs. 1 TVG geltendem Tarifvertrag kollidieren zwei Tarifverträge miteinander, ebenso wie in den sonstigen Fällen der Tarifkonkurrenz. Hinsichtlich ihrer Geltungsgründe kann keinem von ihnen automatisch der Vorzug gegeben werden. Das Spezialitätsprinzip stellt sicher, dass der sachnächste Tarifvertrag zur Anwendung gelangt. Dies wird in den meisten Fällen den Interessen der Parteien am ehesten gerecht, insbesondere wird ihr Bestandsschutzinteresse berücksichtigt: Der neue Tarifvertrag ist, sofern er allgemeiner als der alte Tarifvertrag sein sollte, erst nach Beendigung des alten Tarifvertrages anwendbar.465 e) Zwischenergebnis Bei einem Wechsel des Arbeitgebers in einen anderen tarifzuständigen Verband, der ebenfalls einen Tarifvertrag mit derselben Gewerkschaft geschlossen hat, kommt es zur Tarifkonkurrenz, da sowohl der alte Tarifvertrag gemäß § 3 Abs. 3 TVG als auch der neue Tarifvertrag gemäß §§ 3 460 BAG v. 22.2.1957 – 1 AZR 536/55, NJW 1957, 845 (845); BAG v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, NZA 1991, 736 (740); BAG v. 28.5.1997 – 4 AZR 546/95, NZA 1998, 40 (42); Bohle, KK 2006, 565 (568). 461 BAG v. 22.2.1957 – 1 AZR 536/65, NJW 1957, 845 (845 f.). 462 HWK-Henssler, § 4 TVG Rn. 40a. 463 BAG v. 28.5.1997 – 4 AZR 546/95, NZA 1998, 40 (44). 464 Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (206). 465 Gaul, NZA 1998, 9 (12); Reichel, Bezugnahme, S. 114.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG Geltung für die einzelnen Arbeitsverhältnisse beanspruchen. Diese Tarifkonkurrenz ist nach dem Spezialitätsprinzip aufzulösen. Sollte sich auf diesem Wege keine Lösung finden, ist auf das Mehrheitsprinzip zurückzugreifen.466 Somit setzt sich derjenige Tarifvertrag durch, der die größte Zahl an Arbeitsverhältnissen im Betrieb erfasst. Nach dem Ende des „alten“ Tarifvertrages wirkt dieser nicht gemäß § 4 Abs. 5 TVG nach, sondern wird durch den neuen Tarifvertrag als „andere Abmachung“ abgelöst. 2. Neuer Tarifvertrag mit anderer Gewerkschaft: Tarifpluralität Es ergeben sich andere tarifrechtliche Konsequenzen, wenn der neue Arbeitgeberverband einen Tarifvertrag nicht mit derselben, sondern einer anderen Gewerkschaft abgeschlossen hat. Wechselt der Arbeitgeber in einen ebenfalls tarifzuständigen Verband, der mit einer anderen Gewerkschaft einen Tarifvertrag geschlossen hat, ist nur er an zwei von unterschiedlichen Gewerkschaften geschlossene Tarifverträge gebunden: An den „neuen“ aufgrund der Mitgliedschaft beim neuen Verband nach §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG, an den „alten“ aufgrund verlängerter Tarifbindung gemäß § 3 Abs. 3 TVG. Der Arbeitnehmer, der in der bisher zuständigen Gewerkschaft bleibt, ist (nur) an den alten Tarifvertrag gebunden.467 Sobald zumindest ein Arbeitnehmer der Gewerkschaft angehört, die mit dem nunmehr für den Arbeitgeber zuständigen Verband einen Tarifvertrag abgeschlossen hat, und er damit gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG an diesen Tarifvertrag gebunden ist, gelten im Betrieb mehrere Tarifverträge für jeweils verschiedene Arbeitsverhältnisse nebeneinander. Eine Tarifpluralität ist die Folge,468 da innerhalb des Betriebes mehrere Tarifverträge nebeneinander gelten, ohne dass sie auf einzelne Arbeitsverhältnisse gleichzeitig 466
s. o. S. 295, Fn. 461. Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 476. 468 Konzen, ZfA 1975, 401 (431); Däubler, NZA 1996, 225 (230); Bauer/Haußmann, DB 1999, 1114 (1116). Das BAG geht inzwischen sogar davon aus, dass eine Tarifpluralität bereits dann gegeben ist, wenn durch die Bindung des Arbeitgebers an mindestens zwei Tarifverträge die bloße Möglichkeit besteht, dass innerhalb des Betriebes durch die Zugehörigkeit der Arbeitnehmer zu verschiedenen Gewerkschaften mehrere Tarifverträge anzuwenden sind (sog. potenzielle Tarifpluralität), vgl. BAG v. 4.12.2002 – 10 AZR 113/02, AP Nr. 28 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; BAG v. 26.1.1994 – 10 AZR 611/92, NZA 1994, 1038 (1040); BAG v. 24.1.1990 – 4 AZR 561/89, AP Nr. 126 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG v. 24.9.1975 – 4 AZR 471/74, AP Nr. 11 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz. Kritisch 467
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anwendbar sind.469 In dem Betrieb gelten dann mehrere Tarifverträge, wobei die Arbeitnehmer aber jeweils nur an einen dieser Tarifverträge gebunden sind. Anders als im Falle der Tarifkonkurrenz sind also Arbeitgeber und Arbeitnehmer, bezogen auf das einzelne Arbeitsverhältnis, gemeinsam nur an einen Tarifvertrag gebunden.470 Nur der Arbeitgeber ist, bezogen auf den Betrieb, an beide Tarifverträge gebunden. a) Auflösung der Tarifpluralität Die Frage, wie eine Tarifpluralität aufgelöst werden kann, ist wesentlich umstrittener als die der Auflösung einer Tarifkonkurrenz. aa) Grundsatz der Tarifeinheit Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG gilt auch für die Auflösung der Tarifpluralität der Grundsatz der Tarifeinheit.471 Er erfasst nach Auffassung des Gerichts daher nicht nur das einzelne Arbeitsverhältnis, sondern auch den Betrieb insgesamt. Demnach wird die Tarifpluralität wie die Tarifkonkurrenz gemäß dem Spezialitätsprinzip aufgelöst. Es gilt (ausschließlich) der Tarifvertrag, der dem Betrieb räumlich, fachlich und persönlich am nächsten steht und deshalb den Erfordernissen und Eigenarten des Betriebes und der darin tätigen Arbeitnehmer am Besten gerecht wird. Zur Begründung führt das BAG im Wesentlichen die Praktikabilität und Rechtsklarheit an.472 Diese erforderten ein einheitliches tarifliches Regime Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 100; Reichel, Bezugnahme, S. 131; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 161 m. w. N. 469 BAG v. 28.5.1997 – 4 AZR 546/95, NZA 1998, 40 (44); BAG v. 14.6.1989 – 4 AZR 200/89, AP Nr. 16 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; BAG v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, NZA 1991, 736 (738); BAG v. 5.9.1990 – 4 AZR 59/90, NZA 1991, 202 (203); BAG v. 4.12.2002 – 10 AZR 113/02, AP Nr. 28 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; Wiedemann-Wank, TVG, § 4 Rn. 280; HWK-Henssler, § 4 TVG Rn. 39; Lindemann/Simon, BB 2006, 1852 (1852); Jacobs/Krause/Oetker-Jacobs, § 7 Rn. 227. 470 BAG v. 5.9.1990 – 4 AZR 59/90, NZA 1991, 202 (203); Däubler-Zwanziger, TVG, § 4 Rn. 940 ff.; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 132. 471 BAG v. 4.12.2002 – 10 AZR 113/02, AP Nr. 28 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; BAG v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, NZA 1991, 736 (738 f.); BAG v. 14.12.2004 – 1 ABR 51/03, AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tariffähigkeit; BAG v. 25.7.2001 – 10 AZR 599/00, AP Nr. 242 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau. 472 BAG v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, NZA 1991, 736 (738); BAG v. 5.9.1990 – 4 AZR 59/90, AP Nr. 19 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
im Betrieb. Im Bereich der Betriebsnormen sei nach § 3 Abs. 2 TVG schon aus der Natur der Sache stets nur ein Tarifvertrag anwendbar; die Abgrenzung der Individualnormen nach § 4 Abs. 1 S. 1 TVG von Betriebsnormen nach § 3 Abs. 2 TVG sei aber nur mit großen Schwierigkeiten durchführbar.473 Aus diesem Grund sei die Entscheidung für nur einen einzigen Tarifvertrag erforderlich, der allein für den Betrieb maßgebend sei. Zudem enthalte das TVG keine Regelung, wie das Aufeinandertreffen verschiedener Tarifverträge in einem Betrieb aufzulösen sei; dies sei eine schließungsbedürftige Regelungslücke.474 Auch wenn der Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb also nicht direkt aus dem TVG ablesbar sei, handele es sich bei seiner Anerkennung um eine zulässige Rechtsfortbildung.475 Die Verdrängung des sachferneren Tarifvertrags durch den sachnäheren führt im Fall der Tarifpluralität – anders als im Fall der Tarifkonkurrenz – dazu, dass die Arbeitnehmer, für die eigentlich der zurücktretende Tarifvertrag gilt, ihren tarifvertraglichen Schutz gänzlich verlieren. Der verdrängende Tarifvertrag ist mangels Mitgliedschaft nicht auf sie anwendbar.476 Nur diejenigen Arbeitnehmer genießen tariflichen Schutz, die der „spezielleren“ Gewerkschaft angehören.477 Ein Beispielsfall für diese Problematik ist die durch Entscheidung des BAG als tariffähig anerkannte Christliche Gewerkschaft Metall (CGM).478 Der Arbeitgeber, der mit der CGM einen Firmentarifvertrag abschließt, bringt damit einen bisher geltenden Verbandstarifvertrag zu Fall, selbst wenn nur wenige Mitarbeiter seines Betriebes der CGM angehören.479 Das BAG geht davon aus, dass ein tariffreier Zustand im Interesse von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit gegebenenfalls hinzunehmen sei. Auch die individuelle Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmer sei nicht verletzt. Die Koalitionsfreiheit sei durch Art. 9 Abs. 3 GG nicht schrankenlos gewährleistet, sondern unterliege der Schranke des Schutzes anderer Rechtsgüter.480 Der Kernbereich des Grundrechts bleibe unangetas473
BAG v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, NZA 1991, 736 (738). BAG v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, NZA 1991, 736 (738 f.). 475 BAG v. 29.3.1957 – 1 AZR 208/55, BAGE 4, 37 (39 f.); BAG v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, NZA 1991, 736 (738 f.); BAG v. 4.12.2002 – 10 AZR 113/02, AP Nr. 28 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz. 476 HWK-Henssler, § 4 TVG Rn. 46. 477 BAG v. 14.6.1989 – 4 AZR 200/89, AP Nr. 16 zu § 1 TVG Tarifkonkurrenz; BAG v. 5.9.1990 – 4 AZR 59/90, AP Nr. 19 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; BAG v. 26.1.1994 – 10 AZR 611/92, NZA 1994, 1038 (1040). 478 BAG v. 28.3.2006 – 1 ABR 58/04, AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit. 479 Lindemann/Simon, BB 2006, 1852 (1852). 480 BVerfG v. 17.2.1981 – 2 BvR 384/78, NJW 1981, 1829 (1830); BVerfG v. 14.11.1995 – 1 BvR 601/92, NZA 1996, 381 (382). 474
C. Bezugnahmeklauseln und Verbandswechsel
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tet. Der Arbeitnehmer könne der Gewerkschaft beitreten, die den spezielleren Tarifvertrag geschlossen hat.481 Die Auflösung einer Tarifpluralität durch den Grundsatz der betrieblichen Tarifeinheit verletze auch nicht die kollektive Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften. Insbesondere bleibe es der Gewerkschaft, deren Tarifvertrag durch einen spezielleren Tarifvertrag verdrängt wurde, unbenommen, einen noch spezielleren Tarifvertrag abzuschließen.482 Für die Gewerkschaft, deren Tarifvertrag verdrängt wurde, gelte keine Friedenspflicht. Eine Einschränkung nimmt das Bundesarbeitgericht für den Fall eines nachwirkenden Tarifvertrages vor. In diesem Fall liege mangels zwingender Tarifbindung des Arbeitgebers zwischen dem nachwirkenden Tarifwerk und dem normativ bindenden Tarifvertrag keine Tarifpluralität vor.483 Insofern könnten ab dem Zeitpunkt der Nachwirkung dann mehrere Tarifverträge im Betrieb anwendbar sein. bb) Dauerhafte Tarifpluralität Die Auffassung der Rechtsprechung stößt in der Literatur484 überwiegend auf Ablehnung. Kern der Kritik ist, dass die Verdrängung des Tarifvertrags einen tariflosen Zustand für die Arbeitnehmer bewirke und diese in ihrer Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 3 GG verletze.485 Diese Arbeitnehmer fielen faktisch auf den Status von Nichtorganisierten zurück.486 Es gebe hierfür keine Kompensation, sondern die Arbeitnehmer müssten sich trotz eines an sich gültigen und einschlägigen Tarifvertrages wie Außenseiter be481 BAG v. 5.9.1990 – 4 AZR 59/90, AP Nr. 19 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; BAG v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, NZA 1991, 736 (739); BAG v. 24.1.1990 – 4 AZR 561/89, AP Nr. 126 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau. 482 BAG v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, NZA 1991, 736 (739). 483 BAG v. 28.5.1997 – 4 AZR 546/95, NZA 1998, 40 (44). Ebenso Bauer/ Haußmann, DB 1999, 1114 (1116); Wellenhofer-Klein, ZfA 1999, 239 (248). Kritisch Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 161; Reichel, Bezugnahme, S. 152; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 100 f. 484 s. u. a. Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 351 ff.; ders., NZA 2008, 325 ff.; HWK-Henssler, § 4 TVG Rn. 48; Däubler, TarifvertragsR, Rn. 1502 ff.; ders., TVG, § 4 Rn. 943 ff.; Hohenstatt, DB 1992, 1678 ff.; Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 132 ff.; Wiedemann-Wank, TVG, § 4 Rn. 287; Jacobs/Krause/Oetker-Jacobs, § 7 Rn. 231 ff.; Reichold, RdA 2007, 321 (324 f.); Franzen, RdA 2008, 193 ff. 485 Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 411 ff.; ders., NZA 2008, 325 (328 f.); Däubler-Zwanziger, TVG § 4 Rn. 947; Wiedemann-Wank, TVG, § 4 Rn. 287. 486 ErfK-Franzen, § 4 TVG Rn. 71; Kempen/Zachert-Wendeling-Schröder, TVG, § 4 Rn. 167.
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handeln lassen.487 Diesen Arbeitnehmern werde folglich das durch die individuelle Koalitionsfreiheit geschützte Recht verwehrt, die Früchte der Aktivitäten der Koalition, in erster Linie also den Schutz der Tarifverträge, in Anspruch nehmen zu können.488 Ferner sei die positive Koalitionsfreiheit der Arbeitgeber betroffen, denen trotz bestehender Tarifbindung nach § 3 Abs. 1 TVG die normative Wirkung des Tarifvertrages genommen werde.489 Darüber hinaus sei die kollektive Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft verletzt, deren Tarifvertrag verdrängt wird.490 Besonders deutlich werde der unzulässige Eingriff in tarifliche Rechte bei der Verdrängung eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages; hierbei werde der durch § 5 Abs. 4 TVG gewährte Mindestschutz unterlaufen.491 Wenn für die Gewerkschaften, deren Tarifvertrag verdrängt wird, nach Auffassung des BAG keine Friedenspflicht gelte, werde letztlich ein „Bäumchen-wechsel-dich-Spiel“492 der konkurrierenden Gewerkschaften und der von ihnen initiierten Streiks hingenommen. Die Literatur hält der Ansicht des BAG, das TVG enthalte eine schließungsbedürftige Regelungslücke, systematische, teleologische und historische Argumente entgegen:493 Aus den §§ 4 Abs. 1, 3 Abs. 1 TVG ergebe sich eindeutig eine unmittelbare und zwingende Wirkung der jeweiligen Tarifverträge, woraus folge, dass bei Vorhandensein mehrerer Tarifverträge jeder Arbeitnehmer an den für ihn einschlägigen Tarifvertrag gebunden sei.494 Des Weiteren wird bezweifelt, dass der Grundsatz der Tarifeinheit ein übergeordnetes Rechtsprinzip darstellt.495 Selbst wenn dies der Fall wäre, dürfe man diesen Grundsatz nicht anwenden, weil das Tarifvertragsrecht nicht lückenhaft sei.496 Dass der Fall der Tarifpluralität gesetzlich nicht ge487
Däubler, TarifvertragsR, Rn. 1505. Jacobs, NZA 2008, 325 (328); Lindemann/Simon, BB 2006, 1852 (1856). 489 Jacobs/Krause/Oetker-Jacobs, § 7 Rn. 232. 490 ErfK-Franzen, § 4 TVG Rn. 71. 491 MüHdbArbR-Löwisch/Rieble, Bd. 3, § 276 Rn. 18; Wiedemann-Wank, TVG, § 4 Rn. 287; Hohenstatt, DB 1992, 1678 (1682). 492 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 154. 493 Jacobs, NZA 2008, 325 (328 ff.); Däubler, TarifvertragsR, Rn. 1503; Hohenstatt, DB 1992, 1678 (1679); Kraft, RdA 1992, 161 (166). 494 Däubler, TarifvertragsR, Rn. 1503; Kraft, RdA 1992, 161 (166); WiedemannWank, TVG, § 4 Rn. 287. 495 Jacobs/Krause/Oetker-Jacobs, § 7 Rn. 231; Däubler-Zwanziger, TVG, § 4 Rn. 946; Kempen/Zachert-Wendeling-Schröder, TVG, § 4 Rn. 158; Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 132 ff.; Wiedemann-Wank, TVG, § 4 Rn. 287; Lindemann/Simon, BB 2006, 1852 (1855 f.); Wiedemann/Arnold, ZTR 1994, 399 (402). 496 Kraft, RdA 1992, 161 (166); Kempen/Zachert-Wendeling-Schröder, TVG, § 4 Rn. 158. 488
C. Bezugnahmeklauseln und Verbandswechsel
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regelt sei, deute darauf hin, dass er bewusst hingenommen werden sollte. Auch ergebe sich keinerlei Hinweis darauf, dass der historische Gesetzgeber die Tarifpluralität für ein Problem gehalten habe, das besonderer rechtlicher Beteiligung unterliegen sollte.497 Der Nachteil, der bei der daraus sich ergebenden Anwendung mehrerer Tarifverträge im Betrieb entstehen könnte, sei hinzunehmen.498 Des Weiteren halten diese Stimmen das Argument der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für nicht stichhaltig: Zum einen hätten moderne Datenverarbeitungssysteme diese Bedenken obsolet gemacht.499 Ferner bestehe Rechtssicherheit auch dann, wenn bei Geltung mehrerer Tarifverträge klar sei, welcher Tarifvertrag für das jeweilige Arbeitsverhältnis gelte.500 Die Sicherheit sei sogar größer als bei Geltung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb, weil die Arbeitnehmer nicht befürchten müssten, dass ihr Tarifvertrag verdrängt werde.501 Ohnehin sei die Bestimmung des spezielleren Tarifvertrages nicht unproblematisch.502 Zwar möge die Unterscheidung von Individual- und Kollektivnormen mitunter schwierig sein. Dies entbinde die Gerichte jedoch nicht von ihrer verfassungsrechtlichen Aufgabe, die bestehenden Gesetze in geeigneter Weise anzuwenden.503 Letztlich überzeuge die vom BAG angenommene Ausnahme für den Fall eines lediglich nachwirkenden Tarifvertrages gemäß § 4 Abs. 5 TVG nicht, weil die Arbeitnehmer insofern einen stärkeren Schutz genießen würden, als wenn der Tarifvertrag normativ und zwingend gemäß § 4 Abs. 1 TVG wirken würde.504 Die Folge dieser Auffassung des Schrifttums ist, dass eine Tarifpluralität nicht aufgelöst wird, sondern auf Dauer bestehen bleibt. Langfristig wären daher im Betrieb auf die verschiedenen Arbeitsverhältnisse verschiedene Tarifverträge anwendbar.
497
Däubler-Zwanziger, TVG, § 4 Rn. 946. Wiedemann-Wank, TVG, § 4 Rn. 287. 499 Däubler-Zwanziger, TVG, § 4 Rn. 944; Jacobs/Krause/Oetker-Jacobs, § 7 Rn. 233; Kempen/Zachert-Wendeling-Schröder, TVG, § 4 Rn. 161. 500 Kempen/Zachert-Wendeling-Schröder, TVG, § 4 Rn. 164; Lindemann/Simon, BB 2006, 1852 (1856). 501 Kempen/Zachert-Wendeling-Schröder, TVG, § 4 Rn. 164. 502 Hanau/Kania, Anm. zu BAG AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz. 503 Jacobs/Krause/Oetker-Jacobs, § 7 Rn. 233; Lindemann/Simon, BB 2006, 1852 (1856); Löwisch/Rieble, FS Schaub, S. 457 (461); Kempen/Zachert-WendelingSchröder, TVG, § 4 Rn. 160. 504 MüHdbArbR-Löwisch/Rieble, Bd. 3, § 276 Rn. 17; Reichel, Bezugnahme, S. 153 f. 498
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
cc) Tarifeinheit nur bei DGB-Gewerkschaften Eine vermittelnde Ansicht505 schlägt vor, ausnahmsweise dem Grundsatz der Tarifeinheit zu folgen, sofern infolge des Verbandswechsels im Betrieb die Tarifverträge von zwei Gewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) aufeinandertreffen. Zwischen diesen Gewerkschaften sei mit dem Industrieverbandsprinzip ein entsprechender Organisationsgrundsatz historisch gewachsen und satzungsmäßig verankert.506 Die im DGB verbundenen Gewerkschaften betrachteten Überschneidungen im eigenen Interesse als unerwünscht.507 Nach dem Industrieverbandsprinzip sei die Tarifzuständigkeit der Gewerkschaften daher von vornherein nur auf ihren jeweils in der Satzung definierten betrieblichen Sektor begrenzt.508 Werde dieser kompetenzielle Wirkungskreis überschritten, sei der Tarifvertrag zumindest teilweise unwirksam.509 In jedem Betrieb solle nur ein Tarifvertrag gelten. Für diese Fallgruppe könne daher dem vom BAG vertretenen Grundsatz der Tarifeinheit gefolgt werden. dd) Keine Tarifeinheit bei Tarifpluralität Die bereits seit Jahren umstrittene Problematik, ob Tarifpluralitäten nach dem Grundsatz der Tarifeinheit aufzulösen sind, hat in letzter Zeit tagespolitische Bedeutung erlangt. Der Streik der Gewerkschaft der Lokführer (GDL) beschäftigte kürzlich sowohl die Gerichte510 als auch die arbeitsrechtliche Literatur.511 Er warf insbesondere die Frage auf, ob eine Spartengewerkschaft um den Abschluss eines eigenen Tarifvertrages für eine Min505
Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (252 f.); Schaub, BB 1996, 2298 (2300); Reichel, Bezugnahme, S. 139 ff. Kritisch Löwisch/Rieble, FS Schaub, S. 457 (461 f., Fn. 14). 506 Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (252 f.); Schaub, BB 1996, 2298 (2300); Reichel, Bezugnahme, S. 139 ff.; HWK-Henssler, § 4 TVG Rn. 48. 507 BAG v. 25.9.1996 – 1 ABR 4/96, AP Nr. 10 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; Reichel, Bezugnahme, S. 139. 508 Jacobs/Krause/Oetker-Jacobs, § 7 Rn. 198. 509 Jacobs/Krause/Oetker-Jacobs, § 7 Rn. 198; Däubler-Zwanziger, TVG, § 4 Rn. 918; Kempen/Zachert-Wendeling-Schröder, TVG, § 4 Rn. 175; Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn.143. 510 ArbG Mainz v. 31.7.2007 – 4 Ga 24/07, n. v.; ArbG Düsseldorf v. 1.8.2007 – 11 Ga 74/07, n. v.; ArbG Nürnberg v. 8.8.2007 – 13 Ga 65/07, AuR 2007, 320 f.; ArbG Chemnitz v. 5.10.2007 – 7 Ga 26/07, AuR 2007, 393 f.; Sächsisches LAG v. 2.11.2007 – 7 SaGa 19/07, NZA 2008, 59 ff.; ArbG Düsseldorf v. 23.11.2007 – 11 Ca 6392/07, n. v. 511 Vgl. z. B. Greiner, NZA 2007, 1023 ff.; Feudner, BB 2007, 2459 ff.; SchmittRolfes, AuA 2007, 583.
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derheit von Arbeitnehmern streiken darf, obwohl ein genereller, auch diese Berufsgruppe erfassender Tarifvertrag besteht. Am 9. März 2008 haben die Tarifpartner einen eigenständigen Tarifvertrag für die Lokführer (LfTV) geschlossen, aber zugleich verpflichteten sich GDL, Transnet und GDBA, die Tarifverträge der jeweils anderen Seite anzuerkennen. Ein diesbezügliches höchstinstanzliches Urteil, das eventuell eine Abkehr vom Grundsatz der Tarifeinheit einläuten könnte, steht noch aus.512 Bisher ist daher weiterhin die Ansicht des BAG maßgeblich, dass eine Tarifpluralität über den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb zu lösen sei. Die Ansicht des BAG überzeugt nicht. Insoweit ist der vom Schrifttum geäußerten Kritik zu folgen. Der Grundsatz der Tarifeinheit ist mit dem TVG nicht zu vereinbaren. §§ 3 und 4 TVG regeln die Tarifgebundenheit abschließend. Falls sich bei ihrer Anwendung eine Tarifpluralität ergibt, ist diese hinzunehmen. Insofern unterscheidet sich die Situation von derjenigen der Tarifkonkurrenz: Sind auf ein Arbeitsverhältnis mehrere Tarifverträge anwendbar, kommt es zwangsläufig zu widersprüchlichen Regelungsaussagen. Hier muss eine Entscheidung für eines der Tarifwerke erfolgen; ansonsten wäre das Arbeitsverhältnis in der Praxis nicht durchführbar. Im Falle einer Tarifpluralität gilt hingegen lediglich ein Tarifvertrag für das jeweilige Arbeitsverhältnis. Es herrscht eine klare und praktikable Regelung. Nur der Arbeitgeber ist auf Betriebsebene an mehrere Tarifverträge gebunden, jedoch nie in Bezug auf ein einzelnes Arbeitsverhältnis. Aufgrund dieser Wesensverschiedenheit von Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität ist es nicht sachgerecht, das Prinzip der Tarifeinheit auf beide Kollisionsfälle anzuwenden. Die für die Tarifeinheit angeführten Gründe der Praktikabilität und Rechtsklarheit können nicht überzeugen. Zunächst stellen sie schon keine zwingenden Bedürfnisse des Rechtsverkehrs dar, die eine derartige Rechtsfortbildung rechtfertigen würden.513 Zudem hat das BAG bisher ohne Weiteres zwischen Individual- und Betriebsnormen unterschieden.514 Die Unterscheidung kann zwar einige Schwierigkeiten bereiten.515 Diese sind aber nicht dermaßen unüberwindlich, dass eine Unterscheidung unmöglich wäre 512
s. dazu u. E.IV., ab S. 364. Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 390 ff. 514 BAG v. 21.1.1987 – 4 AZR 547/86, NZA 1987, 233 (234 f.).; BAG v. 27.4.1988 – 7 AZR 593/87, NZA 1988, 771 (722); BAG v. 26.4.1990 – 1 ABR 84/87, NZA 1990, 850 (853 f.); BAG v. 1.8.2001 – 4 AZR 388/99, AP Nr. 5 zu § 3 TVG Betriebsnormen; BAG v. 17.6.1997 – 1 ABR 3/97, AP Nr. 2 zu § 3 TVG Betriebsnormen. 515 Kempen/Zachert-Wendeling-Schröder, TVG, § 4 Rn. 160; Gorissen, Arbeitgeberverbandswechsel, S. 50 f. 513
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
und es auch im Falle der Tarifpluralität erfordern würde, den Grundsatz der Tarifeinheit anzuwenden. Zuzugestehen ist jedoch, dass es bei Anerkennung einer Tarifpluralität hinsichtlich der Betriebsnormen zu Schwierigkeiten kommen kann. Für Betriebsnormen kann nur ein Tarifvertrag Geltung beanspruchen; die Kollektivnormen müssen betriebseinheitlich für alle Arbeitsverhältnisse gelten, so dass bei der Kollision verschiedener Betriebsnormen (im einzelnen Arbeitsverhältnis!) eine sog. „betriebsweite Tarifkonkurrenz“516 vorliegt. Insofern gilt die Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis betriebsweit, jedoch gerade nicht als Folge des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb.517 Die Anwendung der für den Betrieb spezielleren Betriebsnormen führt hier in der Regel zu angemessenen Ergebnissen.518 Lässt sich keine Spezialität feststellen, ist nach dem Mehrheitsprinzip519 zu entscheiden, d.h. nach der Geltung der Betriebsnormen für die meisten Arbeitsverhältnisse im Betrieb. Gründe der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit stehen also nicht entgegen. Auch das Argument der mangelnden Praktikabilität kann nicht überzeugen: Zwar muss bei einer „erlaubten“ Tarifpluralität im Betrieb der Arbeitgeber die Gewerkschaftszugehörigkeit seiner Arbeitnehmer erfragen, z. B. um sie entsprechend vergüten zu können. Diese Frage ist aber – anders als beim Einstellungsgespräch520 – zulässig.521 Fragen müsste der Arbeitgeber selbst dann, wenn man den Grundsatz der Tarifeinheit anwenden würde: Auch hier müsste er feststellen, welche Arbeitnehmer der tarifschließenden Gewerkschaft angehören, denn nur sie haben einen Anspruch auf tarifliche Leistungen.522 Rechtsklarheit und Praktikabilität erfordern daher nicht, den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb anzuwenden. Wenn das BAG die Arbeitnehmer darauf verweist, dass sie in die „speziellere“ Gewerkschaft eintreten könnten, so kann dem nicht gefolgt werden. Art. 9 Abs. 3 GG soll die Entscheidungsfreiheit schützen, einer bestimmten – und nicht irgendeiner – Gewerkschaft beizutreten.523 Die Ge516
Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 248, 347; ders., NZA 2008, 325
(327). 517
Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 248, 347. Ebenso Bruhn, Tarifeinheit im Betrieb, S. 208, 221; Franzen, RdA 2008, 193 (195). A. A. Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 307 sowie NZA 2008, 325 (327): Mehrheitsprinzip. 519 Für dessen generelle Anwendung Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 308 ff. m. w. N. 520 s. o. S. 29. 521 Jacobs, NZA 2008, 325 (328); Franzen, RdA 2008, 193 (196). Vgl. o. Fn. 846, S. 178. 522 Gorissen, Arbeitgeberverbandswechsel, S. 51; Hanau/Kania, Anm. zu BAG AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz. 518
C. Bezugnahmeklauseln und Verbandswechsel
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werkschaften unterscheiden sich teilweise erheblich hinsichtlich ihrer fachlichen und inhaltlichen Ausrichtung, ihrer Größe und ihrem Aktivitätsgrad. Zudem kann ein Wechsel in die andere Gewerkschaft für viele Arbeitnehmer – z. B. im Falle der CGM – aus persönlichen Gründen ausscheiden.524 Eine Tarifpluralität ist die Folge der §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG, die die normative Tarifbindung nur für die Tarifparteien vorsehen.525 Die Anordnung des § 3 Abs. 1 TVG darf nicht einfach ignoriert werden – die Repräsentanz der Belegschaft eines Betriebes durch verschiedene Gewerkschaften kann nicht dazu führen, dass letztlich lediglich eine einzige Gewerkschaft den von ihr abgeschlossenen Tarifvertrag zur Anwendung bringen kann. Dies würde die individuelle Koalitionsfreiheit der Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie die kollektive Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften verletzen. Ferner würde so die Entstehung neuer Gewerkschaften behindert. Auch die Ansicht, die nur im Falle zweier DGB-Gewerkschaften ausnahmsweise den Grundsatz der Tarifeinheit anwenden will, überzeugt nicht. Das Industrieverbandsprinzip ist kein vom Gesetzgeber aufgestellter oder gewohnheitsrechtlich anerkannter Rechtssatz, sondern lediglich ein Organisationsgrundsatz des DGB.526 Gewerkschaftsintern mag er Geltung haben, er kann aber die Arbeitgeberverbände nicht binden. Zudem haben die DGBGewerkschaften ein Schiedsverfahren527 entwickelt, das bei Streitfällen die Tarifzuständigkeit klärt und Überschneidungen der Zuständigkeit und damit Tarifkollisionen bereits auf diese Weise löst.528 Einer Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit (nur) bei DGB-Gewerkschaften bedarf es daher nicht. Eine Tarifpluralität ist deshalb selbst dann hinzunehmen, wenn es sich um zwei DGB-Tarifverträge handelt. Eine Auflösung der Tarifpluralität kommt unter keinen Umständen in Betracht. Vielmehr bleibt es entgegen der Rechtsprechung des BAG bei der Anwendung verschiedener Tarifverträge auf die verschiedenen Arbeitsverhältnisse im Betrieb. 523 So auch LAG Brandenburg v. 17.3.1995 – 5 Sa 671/94, LAGE Nr. 3 zu § 4 TVG Nachwirkung; Kempen/Zachert-Wendeling-Schröder, TVG, § 4 Rn. 168. 524 Kempen/Zachert-Wendeling-Schröder, TVG, § 4 Rn. 169. 525 Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 163; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 375 f. 526 BAG v. 19.11.1985 – 1 ABR 37/83, AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; BAG v. 12.11.1996 – 1 ABR 33/96 NZA 1997, 609 (612); BAG v. 27.9.2005 – 1 ABR 41/04, NZA 2006, 273 (277); Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 26; ErfK-Franzen, § 4 TVG Rn. 71; Gorissen, Arbeitgeberverbandswechsel, S. 57. 527 s. hierzu Kempen/Zachert-Wendeling-Schröder, TVG, § 2 Rn. 159 ff.; HWKHenssler, § 2 TVG Rn. 38. 528 Kempen/Zachert-Wendeling-Schröder, TVG, § 4 Rn. 175.
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ee) Konsequenzen Grundsätzlich resultiert der Wechsel des Arbeitgebers zu einem Verband, der mit einer anderen Gewerkschaft einen Tarifvertrag geschlossen hat, in einer Tarifpluralität im Betrieb zwischen dem für ihn gemäß § 3 Abs. 3 TVG weitergeltenden „alten“ und dem gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG kraft mitgliedschaftlicher Legitimation wirkenden „neuen“ Tarifvertrag. Diese Tarifpluralität könnte mit dem Ende der Nachbindung gemäß § 3 Abs. 3 TVG beendet sein, sofern sich nicht noch eine Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG anschließt. Im Falle eines neuen Tarifvertrags mit derselben Gewerkschaft war dies zu verneinen, da der neue Tarifvertrag eine „andere Abmachung“ im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG darstellt.529 Dies könnte auch im Falle des Abschlusses eines Tarifvertrages mit einer anderen Gewerkschaft gelten. § 4 Abs. 5 TVG setzt für eine „andere Abmachung“ jedoch voraus, dass die Vereinbarung für das Arbeitsverhältnis kraft beiderseitiger Bindung gilt.530 Solange die Arbeitnehmer nicht in die neue Gewerkschaft eintreten, ist dies jedoch gerade nicht der Fall. Die Tarifpluralität bleibt dann auch für den Zeitpunkt der Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG bestehen, bis es zum Abschluss einer „anderen Abmachung“ kommt, die für die an den bislang nachwirkenden Tarifvertrag gebundenen Arbeitnehmer Geltung beansprucht. Dies entspricht auch der Ansicht des BAG, das im Falle eines nachwirkenden Tarifvertrages mangels Tarifbindung des Arbeitgebers von keiner Tarifpluralität ausgeht und daher den Grundsatz der Tarifeinheit auf diesen Fall nicht anwendet.531 Ab diesem Zeitpunkt kann daher im Betrieb mehr als ein Tarifvertrag zur Anwendung gelangen. Sofern sich Arbeitnehmer nach einem Verbandswechsel ihres Arbeitgebers entschließen sollten, die Gewerkschaft zu wechseln, ist eine erneute Tarifkonkurrenz die Folge: Für sie gilt dann ebenso wie für den Arbeitgeber der weitergeltende alte Tarifvertrag nach § 3 Abs. 3 TVG und außerdem der neue Tarifvertrag gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG.532 Diese Tarifkonkurrenz wäre nach der obigen Diskussion erneut nach dem Spezialitätsprinzip aufzulösen.533 Eine Nachwirkung des bisherigen Tarifvertrages 529
s. o. S. 289. BAG v. 25.10.2000 – 4 AZR 212/00, AP Nr. 38 zu § 4 TVG Nachwirkung; Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 394; Däubler-Bepler, TVG, § 4 Rn. 898; Gorissen, Arbeitgeberverbandswechsel, S. 71; Bepler, FS 25 Jahre ARGE ArbR im DAV, S. 791 (799 f.). 531 Vgl. BAG v. 28.5.1997 – 4 AZR 546/95, NZA 1998, 40 (44). 532 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 477. 533 s. o. C.II.1.d), ab S. 293. 530
C. Bezugnahmeklauseln und Verbandswechsel
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kommt hingegen in diesem Fall nicht in Betracht, da der neue Tarifvertrag eine „andere Abmachung“ gemäß § 4 Abs. 5 TVG ist.534 3. Zwischenergebnis Bei einem Verbandswechsel des Arbeitgebers sind die tarifrechtlichen Folgen danach zu unterscheiden, ob bei dem neuen Verband ein Tarifvertrag mit derselben Gewerkschaft besteht oder ob eine andere Gewerkschaft Tarifvertragspartei ist. Im Falle der identischen Gewerkschaft finden im Wege der sog. Tarifkonkurrenz auf die Arbeitsverhältnisse der Gewerkschaftsmitglieder zwei Tarifverträge Anwendung. Die Tarifkonkurrenz ist nach dem Prinzip der Tarifeinheit aufzulösen, so dass der jeweils speziellere den allgemeineren Tarifvertrag verdrängt. Im Nachwirkungsstadium löst der neue Tarifvertrag den alten als „andere Abmachung“ gemäß § 4 Abs. 5 TVG ab. Wurde der neue Tarifvertrag mit einer anderen Gewerkschaft geschlossen, ist nur der Arbeitgeber „doppelt“ tarifgebunden, die Arbeitnehmer je nach ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit hingegen jeweils nur an einen der beiden einschlägigen Tarifverträge. Auf jedes Arbeitsverhältnis findet nur ein Tarifvertrag Anwendung. Diese sog. Tarifpluralität ist entgegen der Ansicht des BAG nicht (wie die Tarifkonkurrenz) nach dem Grundsatz der Tarifeinheit aufzulösen, sondern hinzunehmen. Folglich kann es zu einer dauerhaften Anwendung mehrerer Tarifverträge in einem Betrieb kommen, die auch im Nachwirkungsstadium des alten Tarifvertrages bestehen bleibt, bis eine andere Abmachung getroffen wird. Sollten die Arbeitnehmer in die nunmehr tarifschließende Gewerkschaft eintreten, ist eine erneute Tarifkonkurrenz die Folge, die wiederum nach dem Spezialitätsprinzip aufgelöst wird.
III. Auswirkungen von Bezugnahmeklauseln Im Vergleich zu der vorigen Fallgruppe des Verbandsaustritts stellen sich bei der Auslegung von Bezugnahmeklauseln nach einem Verbandswechsel zusätzliche Probleme. Es geht nicht nur darum, ob die in Bezug genommenen Tarifnormen weiterhin dynamisch oder statisch gelten sollen; die Frage ist vielmehr auch, ob durch eine Bezugnahmeklausel der bereits zuvor geltende Tarifvertrag oder aber eventuell der „neue“ Tarifvertrag anzuwenden ist, den der „neue“ Verband abgeschlossen hat.
534
s. o. S. 289.
308
Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
1. Neuer Tarifvertrag mit derselben Gewerkschaft: Tarifkonkurrenz Wechselt der Arbeitgeber in einen für ihn zuständigen Verband, der mit derselben Gewerkschaft einen eigenen Tarifvertrag abgeschlossen hat, sind sowohl Arbeitgeber als auch die (organisierten) Arbeitnehmer doppelt tarifgebunden, nämlich an beide durch die Gewerkschaft abgeschlossenen Tarifverträge. Die Arbeitnehmer sind an beide Tarifverträge gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG gebunden, der Arbeitgeber hingegen an den alten Tarifvertrag gemäß § 3 Abs. 3 TVG, an den neuen gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG. Die resultierende Tarifkonkurrenz ist nach dem Prinzip der Tarifeinheit und dem Spezialitätsprinzip dahingehend aufzulösen, dass der sachnähere den allgemeineren Tarifvertrag verdrängt.535 Es kommt damit tarifrechtlich nur der speziellere Tarifvertrag zur Anwendung. Dies wird in der Regel, wenn auch nicht zwangsläufig, der Tarifvertrag des neuen Arbeitgeberverbands sein. Sobald der „alte“ Tarifvertrag endet und in das Nachwirkungsstadium eintritt, löst der „neue“ Tarifvertrag ihn als „andere Abmachung“ ab. Vor diesem Hintergrund sind nunmehr die Auswirkungen von individualrechtlich wirkenden Bezugnahmeklauseln zu erörtern. a) Nicht tarifgebundener Arbeitnehmer Zunächst ist die Situation des nicht organisierten Arbeitnehmers zu untersuchen. Bei diesem wirkt der Tarifvertrag ausschließlich aufgrund arbeitsvertraglicher Grundlage. aa) Statische Bezugnahmeklausel Liegt eine statische Verweisung auf einen Tarifvertrag vor, wird nach bisheriger wie nach neuer Rechtsprechung nur dieser genau bestimmte Tarifvertrag in Bezug genommen. Die Auslegung der Klausel ist „verbandswechselfest“536, bleibt von einem Verbandswechsel also unberührt.537
535
s. o. C.II.1.d), ab S. 293. Henssler, FS Wißmann, S. 133 (141). 537 Ebenso Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (208); Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1262); Henssler, FS Wißmann, S. 133 (141); Ebeling, Bezugnahme, S. 219. 536
C. Bezugnahmeklauseln und Verbandswechsel
309
bb) Kleine dynamische Bezugnahmeklausel Anders stellt sich die Situation bei einer kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel dar. (1) Verträge mit Vertragsschluss bis zum 31.12.2001 Eine kleine dynamische Bezugnahmeklausel bereitet im Falle eines Verbandswechsels mit anschließendem Tarifwechsel insofern Schwierigkeiten, als sie weiterhin auf den näher bestimmten bisherigen Tarifvertrag verweist. Tarifrechtlich tritt hingegen eine Tarifkonkurrenz ein, die nach dem Spezialitätsprinzip zu lösen ist, so dass sich der sachnächste Tarifvertrag durchsetzt. Auf tariflicher Ebene kann es daher zu einem Wechsel zum neuen Tarifvertrag kommen, sofern dieser spezieller ist. Im Nachwirkungszeitraum löst der neue Tarifvertrag den alten sogar als „andere Abmachung“ ab. Die kleine dynamische Bezugnahmeklausel würde hingegen weiterhin auf den alten Tarifvertrag verweisen. Dies wurde unter der Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede zunächst als unerwünscht angesehen: Nichtorganisierte würden kraft der Bezugnahme unter Umständen eine günstigere Rechtsposition erlangen als Gewerkschaftsmitglieder.538 Es müsse dem Sinn der vertraglichen Verweisung als Gleichstellungsabrede Rechnung getragen werden. Hätten die Parteien einen Verbandswechsel des Arbeitgebers bei Vertragsschluss vorhergesehen, so hätten sie die Klausel dermaßen ausgestaltet, dass die jeweils für den Arbeitgeber einschlägigen tariflichen Bestimmungen gälten.539 Dies sei zumindest in den Fällen anzunehmen, in denen ein und dieselbe Gewerkschaft die Tarifverträge abgeschlossen habe.540 In einem Urteil vom 4.9.1996 legte das BAG die Bezugnahmeklausel aus diesem Grund im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung541 korrigierend dahin aus, dass die Bezugnahme auf den jeweils für den Betrieb geltenden Tarifvertrag erfolge.542 Es machte die kleine dynamische damit zur großen dynamischen Bezugnahmeklausel.543 538
BAG v. 4.9.1996 – 4 AZR 135/95, NZA 1997, 271 (272 f.). BAG v. 4.9.1996 – 4 AZR 135/95, NZA 1997, 271 (272 f.). 540 BAG v. 4.9.1996 – 4 AZR 135/95, NZA 1997, 271 (273). Einige Stimmen im Schrifttum wollten dies auf Tarifverträge beschränken, die unter Beteiligung im DGB organisierter Gewerkschaften geschlossen wurden, vgl. Gaul, NZA 1998, 9 (14); Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (254); Reichel, Bezugnahme, S. 159 f. Kritisch hierzu Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 173 m. w. N. 541 s. o. Teil 1, D.I.2.b), ab S. 130. 542 BAG v. 4.9.1996 – 4 AZR 135/95, NZA 1997, 271 (272); zustimmend Seitz/ Werner, NZA 2000, 1257 (1263 f.); Gaul, NZA 1998, 9 (13). 543 s. bereits oben A.II.4.a)aa), ab S. 236. 539
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
Hiergegen wurde im Schrifttum massive Kritik laut. Zum einen wurde das Vorliegen einer Regelungslücke im Arbeitsvertrag in Zweifel gezogen.544 Es reiche nicht aus, dass die Parteien bei Vertragsschluss einen späteren Verbandswechsel des Arbeitgebers nicht in Betracht gezogen hätten. Dass die Parteien in Kenntnis dieser Situation eine große dynamische Verweisungsklausel vereinbart hätten, sei eine bloße Behauptung.545 Eine Auslegung als große Bezugnahmeklausel widerspreche eklatant dem Wortlaut und dem in der Klausel grundsätzlich zum Ausdruck kommenden Willen der Parteien, dass auch im Falle eines Verbandswechsels der genannte Tarifvertrag gelten solle. Insofern treffe die kleine dynamische Bezugnahmeklausel für den Fall des Verbandswechsels eine klare Regelung. Eine ergänzende Vertragsauslegung müsse immer dann ausscheiden, wenn nicht ausgeschlossen werden könne, dass es das Ziel der Parteien gewesen sei, gerade und ausschließlich die Tarifnormen einer bestimmten Branche für maßgeblich zu erklären.546 Ansonsten werde die Grenze zu einer unzulässigen Vertragsgestaltung durch das Gericht überschritten,547 denn eine Korrektur von Willenserklärungen sei über die Auslegung gerade nicht zu erreichen.548 Die Kritik an der Methode der ergänzenden Vertragsauslegung im vorliegenden Fall bewog das BAG dazu, von seiner Auffassung in einer Folgeentscheidung549 wieder abzurücken: Eine Verweisungsklausel lasse sich nur unter besonderen Umständen über ihren eigentlichen Wortlaut hinaus als große dynamische Bezugnahmeklausel auslegen. Das bloße Vorliegen einer Gleichstellungsabrede reiche dafür nicht aus.550 Es müsse sich vielmehr aus den Umständen ergeben, dass die Parteien vorausschauend eine Regelung für den Fall des Tarifwechsels getroffen hätten. Das sei etwa zu bejahen, wenn sie entgegen dem Wortlaut im Arbeitsvertrag vereinbart hätten, anstelle des dort bezeichneten Tarifvertrages solle gegebenenfalls ein Tarifvertrag mit einem anderen fachlich/betrieblichen Geltungsbereich anwendbar sein, falls die Bindung des Arbeitgebers an den im Arbeitsvertrag be544
Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (207); Reichel, Bezugnahme, S. 125 f.; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 174. 545 Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (207); Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 174; Annuß, BB 1999, 2558 (2561). 546 Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 174. 547 Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (207); Ebeling, Bezugnahme, S. 222. 548 Außer den bereits Genannten Henssler, FS Wißmann, S. 133 (141). 549 BAG v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99, NZA 2001, 510 (511 f.). So später ebenfalls BAG v. 25.9.2002 – 4 AZR 294/01, AP Nr. 26 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 765/06, AuR 2008, 181 (182 f.) und 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364 (365 f.). Vgl. o. S. 212 ff., 238. 550 BAG v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99, NZA 2001, 510 (511). Zustimmend Henssler, FS Wißmann, S. 133 (142); Hergenröder, FS 50 Jahre BAG, S. 713 (722). Vgl. o. S. 212, 215, 122.
C. Bezugnahmeklauseln und Verbandswechsel
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zeichneten Tarifvertrag ende.551 Mit einer Gleichstellungsabrede als solcher soll nach nunmehriger Auffassung des BAG daher nicht mehr notwendigerweise die Rechtsfolge eines Tarifwechsels verbunden sein, wenn der Arbeitgeber die zwingende und unmittelbare Geltung des bisherigen Tarifvertrags beendet, der kraft Verweisung ebenfalls auf die Arbeitsverhältnisse anwendbar ist, und einem fachlich zuständigen anderen Verband beitritt, der seinerseits einen neuen, einschlägigen Tarifvertrag abgeschlossen hat. Ob die Identität der jeweils tarifschließenden Gewerkschaft einen „besonderen Umstand“ darstellt, stellte das BAG in seiner Entscheidung nicht eindeutig fest.552 In seinem Urteil vom 30.8.2000553 für den Fall eines Betriebsübergangs, infolge dessen beim Erwerber ein neuer Tarifvertrag mit einer anderen Gewerkschaft bestand, nahm das BAG für die Außenseiter lediglich eine entsprechend § 3 Abs. 3 TVG statische Weitergeltung des alten Tarifvertrages an.554 In einem Urteil vom 4.7.2007555 interpretierte das BAG eine Klausel, die auf den „Lohntarifvertrag für die Omnibusfahrer und Schaffner“ verwies, dahingehend, dass diese Verweisung nicht allein den im Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Haustarifvertrag in seiner jeweiligen Fassung, sondern auch den jeweils für die Omnibusfahrer des Arbeitgebers geltenden (Haus- oder Verbands-)Lohntarifvertrag erfasse. Ausschlaggebend waren hierbei jedoch der besonders offene Wortlaut der Klausel sowie der Umstand, dass auch auf eine tarifvertragliche Zusatzvereinbarung für die Omnibusfahrer verwiesen wurde, bei der es sich nicht um einen Haustarifvertrag handelte. In zwei Urteilen vom 29.8.2007 bestätigte das BAG hingegen seine bisherige Rechtsprechungslinie, dass eine korrigierende Auslegung einer kleinen dynamischen Klausel grundsätzlich nicht in Betracht kommt.556 Lediglich unter den außergewöhnlichen Umständen, dass der in Bezug genommene Tarifvertrag befristet und seine Nachwirkung ausgeschlossen war, hat das BAG „besondere Umstände“ für eine korrigierende Auslegung der Klausel angenommen.557 Die vorliegende Fallkonstellation des Wechsels des Arbeitgebers zu einem Verband, bei dem ein neuer Tarifvertrag mit derselben Gewerkschaft 551
BAG v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99, NZA 2001, 510 (511). Für das Vorliegen „besonderer Umstände“ bei Zuständigkeit der identischen DGB-Gewerkschaft Henssler, FS Wißmann, S. 133 (142); sogar bei einer anderen DGB-Gewerkschaft Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1263). Vgl. auch o. Fn. 540, S. 309. 553 4 AZR 581/99, NZA 2001, 510 (512). 554 Vgl. ErfK-Franzen, § 3 TVG Rn. 40. 555 4 AZR 439/06, ZTR 2008, 278 (279). Vgl. o. S. 239, Fn. 195. 556 BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 765/06, AuR 2008, 181 ff. und 767/06, NZA 2008, 364 ff. 557 BAG v. 15.4.2008 – 9 AZR 159/06, n. v. Vgl. o. S. 239. 552
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
besteht, entspricht grundsätzlich dem Fall des Betriebsübergangs auf einen Erwerber, der mit derselben Gewerkschaft einen anderen Tarifvertrag geschlossen hat.558 Unter Gleichstellungsgesichtspunkten ist es bei Identität der jeweils vertragschließenden Gewerkschaften konsequent, „besondere Umstände“ und damit eine ergänzende Auslegung der kleinen dynamischen Klausel als Tarifwechselklausel zu bejahen. Jedes andere Verständnis ließe die normativen und die individualvertraglichen Arbeitsbedingungen auseinanderfallen.559 Dies widerspräche dem erklärten Ziel der Gleichstellungsabrede. Die Systemstimmigkeit spricht für die Beibehaltung des Gleichstellungsgedankens in diesem Fall: Entweder die Bezugnahmeklausel soll nach dem Willen der Arbeitsvertragsparteien lediglich widerspiegeln, was tarifrechtlich gilt, oder sie soll es nicht. Es ist nicht verständlich, warum im Rahmen der für „Altverträge“ maßgeblichen Auslegung als Gleichstellungsabrede die „Gleichstellungsautomatik“ bei einem Verbandsaustritt erhalten bleibt, bei einem Verbandswechsel hingegen nicht. Die Identität der tarifschließenden Gewerkschaften führt zu einer nur eingeschränkten sachlichen Dynamik.560 Somit ist eine Interpretation der kleinen dynamischen als große dynamische Bezugnahmeklausel im Falle des Verbandswechsels mit anschließendem Tarifwechsel bei identischer Gewerkschaft konsequent und überzeugend. Sofern man die Gleichstellungsdogmatik anwendet, sollte sie auch in der vorliegenden Konstellation stringent und ohne Ausnahmen gelten. (2) Verträge mit Vertragsschluss ab dem 1.1.2002 Auf ab dem 1.1.2002 geschlossene Arbeitsverträge findet die geänderte Rechtsprechung des BAG Anwendung. Demnach ist die kleine dynamische Bezugnahmeklausel streng nach ihrem Wortlaut auszulegen, so dass ein Gleichstellungszweck nicht mehr ohne eindeutige Formulierung oder besondere Anhaltspunkte postuliert werden kann. Nach Ausschöpfung aller Auslegungsmöglichkeiten gehen Unklarheiten zu Lasten des Arbeitgebers. Eine korrigierende Auslegung der kleinen dynamischen Klausel als Tarifwechselklausel kommt grundsätzlich nicht mehr in Betracht. Der Verbandswechsel wirkt sich nicht auf ihre dynamische Auslegung aus.561 Damit verweist die kleine dynamische Klausel grundsätzlich weiterhin dynamisch auf den bisherigen Tarifvertrag, während es für die Gewerkschaftsmitglieder je nach 558
s. o. A.II.4., ab S. 236. Henssler, FS Wißmann, S. 133 (142). 560 s. o. S. 240. 561 Ebenso Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (208); Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 176. 559
C. Bezugnahmeklauseln und Verbandswechsel
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der tariflichen Situation zu einer Verdrängung bzw. Ablösung des bisherigen Tarifvertrags durch den nunmehr kraft mitgliedschaftlicher Legitimation geltenden neuen Tarifvertrag und damit zu einem Tarifwechsel kommen kann. Etwas anderes gilt nur, wenn die Gewerkschaftsmitglieder ihrerseits im Arbeitsvertrag eine Bezugnahmeklausel vereinbart haben.562 cc) Große dynamische Bezugnahmeklausel Haben die Arbeitsvertragsparteien eine große dynamische Verweisungsklausel vereinbart, können sich bei einem Verbandswechsel wiederum andere Rechtsfolgen ergeben. (1) Verträge mit Vertragsschluss bis zum 31.12.2001 Eine große dynamische Bezugnahmeklausel verweist auf die „jeweils einschlägigen“ oder die „jeweils normativ geltenden“ Tarifverträge und hat insofern das Potential, nach der Änderung der tarifrechtlichen Situation auch auf der Arbeitsvertragsebene einen „neuen“ Tarifvertrag zum Gegenstand der Bezugnahme zu machen. Nach der bisherigen Rechtsprechung, die weiterhin für bis zum 31.12.2001 geschlossene Arbeitsverträge gilt, ist bei der Auslegung der Gleichstellungszweck der Klausel zu berücksichtigen, so dass es maßgeblich auf die Situation der Gewerkschaftsmitglieder ankommt. Bei diesen setzt sich zunächst aufgrund der entstehenden Tarifkonkurrenz der jeweils sachnächste Tarifvertrag durch. Dies wird häufig der „neue“ Tarifvertrag sein. Sobald der „alte“ Tarifvertrag endet und nur noch nachwirkt, wird er jedenfalls durch den „neuen“ Tarifvertrag als „andere Abmachung“ abgelöst. In der Regel bezieht sich daher eine große dynamische Bezugnahmeklausel nach den Grundsätzen zur Gleichstellungsabrede automatisch auf den „neuen“ Tarifvertrag. Durch den Verbandswechsel kann es also zu einer Änderung des Bezugnahmeobjekts kommen.563 Die große dynamische Bezugnahmeklausel vollzieht den Tarifwechsel auf arbeitsvertraglicher Ebene nach. Damit wird nach der bisherigen Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede ein Gleichklang von tariflicher und arbeitsvertraglicher Situation erzielt.
562
Dazu sogleich u. C.III.1.b), ab S. 316. BAG v. 25.10.2000 – 4 AZR 506/99, AP Nr. 13 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; ErfK-Franzen, § 3 TVG Rn. 40; Reichel, Bezugnahme, S. 128; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 171; Ebeling, Bezugnahme, S. 229. 563
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
(2) Verträge mit Vertragsschluss ab dem 1.1.2002 Die neue Rechtsprechung legt die Klausel gemäß §§ 133, 157 BGB aus und wendet die Bezugnahmeklausel grundsätzlich wortlautgetreu an. Ein Gleichstellungszweck, d.h. die Orientierung der Auslegung an der tarifrechtlichen Situation, kann nur bei einer ausdrücklichen Vereinbarung oder besonderen, dem Arbeitnehmer erkennbaren Anhaltspunkten bei ihrem Zustandekommen angenommen werden. Ansonsten ist allein der Wortlaut der Klausel entscheidend, so dass eine automatische Anpassung der arbeitsvertraglichen Ebene an die tarifliche Situation ausscheiden muss. Sofern trotz Anwendung der allgemeinen Grundsätze nicht behebbare Zweifel bestehen, was von den Arbeitsvertragsparteien gewollt war, gehen Unklarheiten gemäß § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Arbeitgebers. Bei einer großen dynamischen Bezugnahmeklausel kann es insofern zu Auslegungsproblemen kommen.564 Tritt nämlich neben den bisher einschlägigen und nunmehr fortwirkenden Tarifvertrag, auf den die Klausel zunächst verwies, ein weiterer neuer Tarifvertrag, kann sie sich bei entsprechendem Wortlaut („der jeweils einschlägige Tarifvertrag“) theoretisch auf beide dieser Tarifverträge beziehen.565 Die automatische Inbezugnahme desjenigen Tarifvertrages, der sich auf tariflicher Ebene durchsetzt, scheidet aus, weil jetzt kein Gleichstellungszweck mehr in die Bezugnahmeklausel „hineininterpretiert“ werden kann. Bezugnahmeobjekt könnte insofern also der fortwirkende „alte“ Tarifvertrag oder aber der nun kraft Mitgliedschaft des Arbeitgebers geltende „neue“ Verbandstarifvertrag sein. Es ist zu klären, auf welchen Tarifvertrag die Klausel in dieser Situation verweist. Hierbei ist an eine ergänzende Vertragsauslegung zu denken.566 Für eine Vertragslücke spricht, dass nach der bisherigen, hier abgelehnten Rechtsprechung eine Tarifpluralität nicht möglich war und damit außerhalb des Vorstellungsvermögens der Vertragspartner lag.567 Einige Stimmen im Schrifttum vertreten hierbei die Auffassung, dass nach dem Willen der Arbeitsvertragsparteien stets derjenige Tarifvertrag gelten solle, an den der Arbeitgeber kraft Mitgliedschaft gebunden sei.568 Dies erinnert jedoch an die Gleichstellungsdogmatik, hinsichtlich derer es insbesondere problematisch ist, dass der Arbeitnehmer regelmäßig keine Kenntnis von der Verbandsmitgliedschaft seines Arbeitgebers hat. Es ist für 564 s. z. B. Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 303 ff., die bei Zweifeln bei der Auslegung aufgrund Perplexität eine statische Bezugnahme annehmen. 565 Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (208). 566 Vgl. Jacobs, NZA 2008, 325 (332). 567 Jacobs, NZA 2008, 325 (332); Lindemann/Simon, BB 2006, 1852 (1856); ErfK-Franzen, § 4 TVG Rn. 73. 568 Bauer/Haußmann, DB 1999, 1114 (1116).
C. Bezugnahmeklauseln und Verbandswechsel
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ihn mithin nicht erkennbar, welcher Tarifvertrag kraft Mitgliedschaft gilt.569 Jegliche Koppelung der Klauseldynamik an die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers verbietet sich unter der neuen Rechtsprechung, sofern sie nicht zur auflösenden Bedingung gemacht wurde. Dies spricht im Lichte der neuen Rechtsprechung dagegen, den Arbeitsvertragsparteien einen diesbezüglichen Regelungswillen zu unterstellen. Aus Sicht des Arbeitnehmers – und damit des „Empfängers“ im Sinne der §§ 133, 157 BGB – spricht mehr dafür, dass bei einer großen dynamischen Bezugnahmeklausel der räumlich und fachlich für das Unternehmen speziellere Tarifvertrag in Bezug genommen werden soll, der die passendste Lösung für das Arbeitsverhältnis bietet.570 Sofern sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass bewusst der jeweils normativ geltende Tarifvertrag in Bezug genommen werden sollte, wird das Parteiinteresse regelmäßig dahin gehen, dass der sachnächste Tarifvertrag anwendbar ist, so dass die Klausel – ähnlich dem Prinzip der Tarifeinheit – auf den räumlich und fachlich spezielleren Tarifvertrag verweisen soll.571 Der als Bezugnahmeobjekt genannte „jeweils einschlägige“ Tarifvertrag ist somit in der Regel der nach dem Spezialitätsprinzip vorrangige sachnächste Tarifvertrag.572 Sollte es im Einzelfall zu Schwierigkeiten bei der Bestimmung des sachnächsten Tarifvertrages kommen,573 kann als zusätzliches Kriterium gelten, welcher Tarifvertrag für die relative Mehrheit der im Betrieb tätigen Arbeitnehmer gilt.574 Falls die Auslegung zu keinem Ergebnis führt, ist die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB heranzuziehen, die den für die Arbeitnehmer günstigsten Tarifvertrag zur Anwendung bringt.575 Sofern der „neue“ Tarifvertrag günstiger ist, kommt es auch auf diesem Wege zu einer Inbezugnahme dieses neuen Tarifvertrages. Eine große dynamische Bezugnahmeklausel führt unter den genannten Voraussetzungen zu einem Wechsel des Bezugnahmeobjekts, so dass sich tarif569
Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (208). LAG Hamm v. 5.6.1998 – 10 Sa 1564/97, NZA-RR 1999, 315 (316); Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (208); v. Hoyningen-Huene, NZA 1996, 617 (620). 571 Ähnlich bereits BAG v. 23.1.2008 – 4 AZR 602/06, n. v.; BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 296/05, NZA 2006, 744 (744); Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (208); Thüsing, AGB-Kontrolle im ArbR, Rn. 205; Annuß, BB 1999, 2558 (2560); i. Erg. ebenso Lindemann/Simon, BB 2006, 1852 (1856 f.); Lehmann, BB 2008, 1618 (1626). 572 Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 177. 573 Kritisch insofern Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 260 ff. sowie NZA 2008, 325 (326). 574 Für die generelle Anwendung des Mehrheitsprinzips zur Bestimmung des in Bezug genommenen Tarifvertrages bei Geltung mehrerer Tarifverträge vgl. Henssler, FS 25 Jahre ARGE ArbR im DAV, S. 37 (56); Jacobs, NZA 2008, 325 (333). 575 Vgl. ErfK-Franzen, § 4 TVG Rn. 73. 570
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liche und individualvertragliche Ebene wiederum entsprechen. Auf diese Weise wird die Auflösung der tarifrechtlich entstehenden Tarifkonkurrenz durch das Spezialitätsprinzip auf arbeitsvertraglicher Ebene nachvollzogen. b) Tarifgebundener Arbeitnehmer Zusätzliche Probleme ergeben sich, wenn der Arbeitnehmer Gewerkschaftsmitglied ist. In diesem Fall ist er, da seine Gewerkschaft Tarifverträge sowohl mit dem alten als auch dem neuen Verband seines Arbeitgebers geschlossen hat, an beide Tarifverträge kraft seiner Koalitionsmitgliedschaft unmittelbar und zwingend gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG gebunden. Dieses Verhältnis der Tarifkonkurrenz wird tarifrechtlich nach dem Spezialitätsprinzip aufgelöst.576 Zu untersuchen ist nun, wie sich die Verwendung von Bezugnahmeklauseln hierauf auswirkt. aa) Statische Bezugnahmeklausel Eine statische Verweisung lässt sowohl nach alter wie neuer Rechtsprechung weiterhin nur den genau bezeichneten Tarifvertrag in seiner bestimmten Fassung zur Geltung gelangen. In diesem Fall kann es zu einer Divergenz zwischen der tariflichen und der arbeitsvertraglichen Lage kommen. Tarifrechtlich gilt der sachnächste Tarifvertrag (dynamisch); der aufgrund der statischen Bezugnahme anzuwendende Tarifvertrag kann hiervon abweichen. Hierbei handelt es sich wiederum um die „Konkurrenz“ einer tarifrechtlichen und einer arbeitsvertraglichen Anspruchsgrundlage, wofür § 4 Abs. 3 TVG die einschlägige „Kollisionsnorm“ ist. bb) Kleine dynamische Bezugnahmeklausel Im Falle einer kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel nimmt das BAG schon unter seiner bisherigen Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede einen Wechsel des Bezugnahmeobjekts in der Regel nur bei einer ausdrücklich vereinbarten Tarifwechselklausel oder bei besonderen Umständen an.577 Liegen diese nicht vor, bleibt es auf der arbeitsvertraglichen Ebene bei der statischen Wirkung des alten Tarifvertrages.578 Eine Gleichstellung wäre in diesem Fall nicht zu erreichen, so dass der Wortlaut eher für eine weiterhin dynamische Inbezugnahme des „alten“ Tarifvertrages 576
s. o. C.II.1.d), ab S. 293. s. o. A.II.4.a)aa), ab S. 236. 578 Vgl. BAG v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99, NZA 2001, 510 (511 f.), für den Fall des Betriebsübergangs; ErfK-Franzen, § 3 TVG Rn. 40. 577
C. Bezugnahmeklauseln und Verbandswechsel
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spräche.579 In jedem Fall kollidieren bei den Gewerkschaftsmitgliedern arbeitsvertragliche und tarifliche Anspruchsgrundlage. Dieses Konglomerat an Tarif- und Arbeitsvertragsbestimmungen wird vermieden, wenn man nach der hier vertretenen Ansicht aus den bereits genannten Gründen die Identität der tarifschließenden Gewerkschaften als „besonderen Umstand“ ansieht und die kleine dynamische Klausel als Tarifwechselklausel auslegt.580 Nach der neuen Rechtsprechung bleibt es bei der Auslegung der Klausel nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB, so dass ein Gleichstellungszweck nicht ohne Weiteres angenommen werden kann. Eine ergänzende Auslegung der kleinen dynamischen als große dynamische Bezugnahmeklausel verbietet sich grundsätzlich. Während tarifrechtlich also das Spezialitätsprinzip zur Anwendung des fachlich einschlägigen Tarifvertrags führt, kann es auf arbeitsvertraglicher Ebene bei der fortdauernden und dynamischen Bindung an den bisherigen Tarifvertrag bleiben. Diese Kollision zwischen Tarif- und Arbeitsvertrag ist erneut über das Günstigkeitsprinzip gemäß § 4 Abs. 3 TVG zu lösen.581 cc) Große dynamische Bezugnahmeklausel Eine große dynamische Klausel kann bereits nach der Gleichstellungsrechtsprechung einen Tarifwechsel herbeiführen. Nach der neuen Rechtsprechung wird über eine große dynamische Bezugnahmeklausel zwar nicht automatisch der für die Gewerkschaftsmitglieder gemäß dem Spezialitätsprinzip geltende Tarifvertrag zwecks Gleichstellung in Bezug genommen. Kommen aber mehrere Tarifverträge als Bezugnahmeobjekt in Betracht, so muss im Wege der Auslegung ermittelt werden, welcher von ihnen von den Parteien in Bezug genommen werden sollte. In der Regel ist davon auszugehen, dass der jeweils sachnächste Tarifvertrag arbeitsvertraglich zur Anwendung kommen soll.582 Die Rechtsfolgen der Auflösung der Tarifkonkurrenz werden somit auch auf arbeitsvertraglicher Ebene nachvollzogen, so dass sich tarifliche und arbeitsvertragliche Lage entsprechen. c) Zwischenergebnis Wechselt der Arbeitgeber in einen Verband, der mit derselben Gewerkschaft einen anderen Tarifvertrag geschlossen hat, entsteht auf tariflicher Ebene zunächst eine nach dem Spezialitätsprinzip aufzulösende Tarifkon579 580 581 582
s. o. S. 240. s. o. S. 240. Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 176; Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (208). s. o. S. 314 f.
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kurrenz. Der speziellere Tarifvertrag verdrängt den allgemeineren. Sobald der „alte“ Tarifvertrag in das Nachwirkungsstadium eintritt, wird er durch den „neuen“ Tarifvertrag als „andere Abmachung“ abgelöst. Bezugnahmeklauseln können diese tarifrechtliche Situation verändern, wobei die Ergebnisse wiederum zwischen bisheriger Gleichstellungsrechtsprechung und neuer Rechtsprechung variieren. Bei einem Außenseiter findet nach bisheriger, weiterhin für die bis zum 31.12.2001 geschlossenen Verträge geltender Rechtsprechung bei einer großen dynamischen Klausel ein Tarifwechsel statt. Von einer zwischenzeitlich angenommenen ergänzenden Auslegung einer kleinen dynamischen als große dynamische Bezugnahmeklausel hat das BAG wieder Abstand genommen und fordert hierfür bereits im Rahmen der Gleichstellungsdogmatik das Vorliegen „besonderer Umstände“.583 Sind die bisher zuständige und die nunmehr zuständige Gewerkschaft identisch, ist dies jedoch unter Gleichstellungsaspekten als „besonderer Umstand“ anzusehen, der es rechtfertigt, die kleine dynamische Bezugnahmeklausel als Tarifwechselklausel auszulegen. So wird eine Gleichstellung der Arbeitnehmer erreicht und ein widersprüchliches Konglomerat aus vertraglichen und tariflichen Anspruchsgrundlagen der Gewerkschaftsmitglieder mit zusätzlicher Bezugnahmeklausel verhindert. Die neue Rechtsprechung orientiert sich bei der Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB grundsätzlich primär am Wortlaut der Vereinbarung. Ein Wechsel des Bezugnahmeobjekts kommt hier prinzipiell nur bei einer großen dynamischen Bezugnahmeklausel in Betracht. Sofern fraglich ist, auf welchen Tarifvertrag sich eine große dynamische Bezugnahmeklausel bezieht, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Parteien den sachnächsten Tarifvertrag in Bezug nehmen wollten. Bestehen nach Ausschöpfung aller Auslegungsmöglichkeiten Unklarheiten, gilt § 305c Abs. 2 BGB. Bei den Gewerkschaftsmitgliedern gilt neben der Bezugnahmeklausel tarifrechtlich der Tarifvertrag, der sich nach dem Spezialitätsprinzip durchgesetzt hat. Dies wird häufig der „neue“ Tarifvertrag als der sachnähere sein, der im Anschluss auch als „andere Abmachung“ die Nachwirkung des bisherigen Tarifvertrages beendet. Auch nach der bisherigen Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede kommt eine Synchronisierung mit diesem tarifrechtlichen Ergebnis nur bei einer großen dynamischen Bezugnahmeklausel oder unter besonderen Umständen in Betracht. Nach hier vertretener Ansicht liegen besondere Umstände bei Identität der jeweils vertragschließenden Gewerkschaft vor. Nach der neuen Rechtsprechung bleibt eine Verweisung auf den „alten“ Tarifvertrag grundsätzlich erhalten. Etwaige Kolli583
s. o. S. 212, 215, 238.
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sionen des „neuen“ Tarifvertrages mit statischen oder dynamischen Verweisungen auf den alten Tarifvertrag sind jeweils nach dem Günstigkeitsprinzip gemäß § 4 Abs. 3 TVG aufzulösen. 2. Neuer Tarifvertrag mit anderer Gewerkschaft: Tarifpluralität Sofern der „neue“ Verband des Arbeitgebers einen Tarifvertrag mit einer anderen Gewerkschaft geschlossen hat, die vertragschließenden Verbände tarifzuständig sind und sich der Geltungsbereich der Tarifverträge auf den Betrieb des Arbeitgebers erstreckt, wird der Arbeitgeber an zwei Tarifverträge normativ gebunden: An den bisherigen gemäß §§ 3 Abs. 3 TVG, an den „neuen“ gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG. Die Mitglieder der bisher tarifschließenden Gewerkschaft sind hingegen weiterhin gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG an den „alten“ Tarifvertrag gebunden. Ist mindestens ein Arbeitnehmer ebenfalls normativ an den „neuen“ Tarifvertrag gebunden,584 kommt es zu einer Tarifpluralität, die entgegen der Auffassung des BAG hinzunehmen ist,585 so dass in jedem Arbeitsverhältnis jeweils nur ein Tarifvertrag gilt, innerhalb des Betriebes jedoch mehrere Tarifverträge zur Anwendung gelangen. Für das einzelne Gewerkschaftsmitglied gilt jeweils nur das Tarifwerk, das seine Gewerkschaft vereinbart hat. Diese Tarifpluralität setzt sich im Nachwirkungsstadium des „alten“ Tarifvertrages fort, da der „neue“ Tarifvertrag für die bisher tarifgebundenen Arbeitnehmer keine „andere Abmachung“ im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG darstellt. Vor dem Hintergrund dieser tarifrechtlichen Situation sind wiederum die Auswirkungen der Bezugnahmeklauseln zu untersuchen. a) Nicht tarifgebundener Arbeitnehmer Außenseiter nehmen nur mittels der Bezugnahmeklausel an der Tarifgeltung teil. aa) Statische Bezugnahmeklausel Eine statische Bezugnahmeklausel verweist nur auf den bestimmten, namentlich genannten Tarifvertrag in seiner bestimmten zeitlichen Fassung. Ein Verbandswechsel des Arbeitgebers hat hierauf keinen Einfluss. 584 A. A. das BAG, das eine potenzielle Tarifgebundenheit eines Arbeitnehmers im Betrieb genügen lässt, d.h. die Möglichkeit, dass ein Arbeitnehmer Mitglied der Gewerkschaft sein könnte, die den „neuen“ Tarifvertrag abgeschlossen hat. Vgl. hierzu oben S. 296, Fn. 468 m. w. N. 585 s. o. C.II.2.a)dd), ab S. 302.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
bb) Kleine dynamische Bezugnahmeklausel Eine kleine dynamische Klausel verweist auf einen bestimmten Tarifvertrag in seiner zeitlich dynamischen Fassung. Nimmt man entgegen der BAG-Rechtsprechung die Tarifpluralität hin, bestehen mehrere Tarifverträge im Betrieb nebeneinander. Eine „vollständige“ Gleichstellung aller Arbeitnehmer ist daher nicht möglich. Für die Gewerkschaftsmitglieder gilt je nach Tarifbindung der „alte“ oder der „neue“ Tarifvertrag dynamisch. Jede inhaltliche Veränderung des „alten“ Tarifvertrages führt jedoch für den Arbeitgeber zum „Ende“ des „alten“ Tarifvertrages gemäß § 3 Abs. 3 TVG und dem Beginn der Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG.586 Insofern bewirkt eine Auslegung einer bisher auf diesen Tarifvertrag verweisenden kleinen dynamischen Klausel als Gleichstellungsabrede wiederum nur noch die statische Anwendbarkeit der Bezugnahmeklausel. Bezüglich des „alten“ Tarifvertrages werden die Außenseiter somit entsprechend dem Zweck der Gleichstellungsabrede mit solchen Gewerkschaftsmitgliedern gleichgestellt, für die „nur“ die tarifrechtliche Lage maßgeblich ist. Ein Wechsel des Bezugnahmeobjektes hin zu dem nunmehr normativ kraft neuer Verbandsmitgliedschaft des Arbeitgebers geltenden Tarifvertrag kommt hingegen auch hier nur unter besonderen Umständen in Frage.587 Sind die tarifschließenden Gewerkschaften nicht identisch, wird man hiervon anders als in der vorigen Fallkonstellation der identischen Gewerkschaften jedoch unter Gleichstellungsgesichtspunkten nicht ausgehen können, sofern es keine ausdrückliche Vereinbarung der Parteien gibt.588 Nach der neuen, für die ab dem 1.1.2002 geschlossenen Arbeitsverhältnisse geltenden Rechtsprechung bleibt eine dynamische Verweisung auf den bisherigen Tarifvertrag grundsätzlich erhalten, selbst wenn es auf Tarifebene zu einer Veränderung kommt. Der Verbandswechsel hat keinen Einfluss auf die arbeitsvertragliche Lage, sofern nicht eindeutig eine Gleichstellungsabrede vereinbart wurde. Die tariflichen und arbeitsvertraglichen Arbeitsbedingungen können sich somit anlässlich eines Verbandswechsels auseinanderentwickeln.
586
s. o. C.II.2., ab S. 296. Löste man die Tarifpluralität hingegen nach der vom BAG vertretenen Ansicht mit dem Spezialitätsprinzip auf, gälte nur ein Tarifvertrag normativ. Sofern dies nicht der von der Bezugnahmeklausel benannte Tarifvertrag ist, wäre eine Auslegung als Tarifwechselklausel erneut nur unter besonderen Umständen möglich. 588 s. o. S. 248. 587
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cc) Große dynamische Bezugnahmeklausel Haben die Parteien eine Tarifwechselklausel vereinbart, kann diese bereits unter der Gleichstellungsrechtsprechung einen Tarifwechsel herbeiführen. Nach der hier vertretenen Ansicht, dass eine Tarifpluralität hinzunehmen ist, löst der vom „neuen“ Verband abgeschlossene Tarifvertrag den bisherigen Tarifvertrag normativ nicht ab. Im Betrieb herrscht Tarifpluralität. Nach den beschriebenen Regeln gilt aber für jedes einzelne Arbeitsverhältnis nur ein Tarifvertrag. Es ergibt sich dann unter Gleichstellungsgesichtspunkten die schwierige Frage, mit welchen Gewerkschaftsmitgliedern die Außenseiter nun gleichzustellen sind: Mit den an den „alten“ Tarifvertrag Gebundenen oder den an den nunmehr „neuen“ Tarifvertrag Gebundenen.589 Die Problematik ergab sich in ähnlicher Form bereits in der Konstellation der Tarifkonkurrenz unter Anwendung der neuen Rechtsprechungslinie, wobei hierzu im Schrifttum verschiedene, bereits oben beschriebene Auffassungen bestehen.590 Im Falle der Tarifpluralität bestehen anders als bei einer Tarifkonkurrenz dauerhaft mehrere Tarifverträge im Betrieb nebeneinander. Eine vollständige Gleichstellung aller Arbeitnehmer lässt sich daher nicht erreichen. Nach hier vertretener Auffassung ist bei der (ergänzenden) Auslegung im Zweifel davon auszugehen, dass die Parteien nicht den kraft Mitgliedschaft des Arbeitgebers geltenden, sondern den jeweils sachnächsten Tarifvertrag in Bezug nehmen wollten.591 Insofern bleibt es auf tariflicher Ebene im Gegensatz zur Ansicht des BAG zwar bei einer Tarifpluralität, auf vertraglicher Ebene orientiert sich die Auslegung aber am Spezialitätsprinzip. Dies ist von der vom BAG vertretenen Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb zu unterscheiden. Dort wird der Spezialitätsgrundsatz auf tariflicher Ebene angewandt, so dass normativ nur ein einziger Tarifvertrag gilt. Hierdurch ergibt sich sogleich der dann zwecks Gleichstellung anwendbare Tarifvertrag, weil er der einzige im Betrieb normativ anwendbare Tarifvertrag ist. Lässt sich im Einzelfall nicht feststellen, welcher der in Betracht kommenden Tarifverträge der speziellere ist, ist auf das zusätzliche Kriterium 589
Sofern man auch hier dem Grundsatz der Tarifeinheit folgte, gälte im Betrieb wiederum nur ein Tarifvertrag, auf den sich unter der Gleichstellungsrechtsprechung dann auch die Tarifwechselklausel bezöge. 590 C.III.1.a)cc)(2), ab S. 314. 591 Ähnlich bereits BAG v. 14.12.2005 – 10 AZR 296/05, NZA 2006, 744 (744); BAG v. 23.1.2008 – 4 AZR 602/06, n. v. Ebenso Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1264); Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 171 f.; i. Erg. ebenso Lindemann/Simon, BB 2006, 1852 (1856 f.). Vgl. o. S. 315.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
abzustellen, welcher Tarifvertrag für die relative Mehrheit der im Betrieb tätigen Arbeitnehmer gilt.592 Sofern die Auslegung der großen dynamischen Klausel im Einzelfall ergibt, dass die Parteien den jeweils sachnächsten Tarifvertrag in Bezug nehmen wollten, bewirkt die große dynamische Klausel eine Gleichstellung mit den an den „neuen“ Tarifvertrag gebundenen Gewerkschaftsmitgliedern, sofern dies der sachnächste ist. Nach dem Rechtsprechungswechsel scheidet eine generelle Auslegung unter Gleichstellungsgesichtspunkten aus. Nimmt man mit der neuen Rechtsprechung eine Auslegung nach §§ 133, 157 BGB vor, kann bei einer (nicht aufzulösenden) Tarifpluralität nach einem Verbandswechsel wiederum unklar sein, welcher Tarifvertrag das Bezugnahmeobjekt sein soll. Dies ist durch (evtl. auch ergänzende) Auslegung zu ermitteln. In der Regel werden die Parteien auch hier die Anwendung des sachnächsten Tarifvertrages bezweckt haben. Führt die Anwendung dieses Kriteriums zu keiner eindeutigen Feststellung des Bezugnahmeobjekts, ist auch hier grundsätzlich das Mehrheitsprinzip anzuwenden.593 Bleiben trotz Ausschöpfung aller Auslegungsmethoden nicht behebbare Zweifel, kommt jedoch § 305c Abs. 2 BGB zur Anwendung, so dass Unklarheiten zu Lasten des Arbeitgebers gehen und die für die Arbeitnehmer jeweils günstigste Regelung gilt.594 b) Tarifgebundener Arbeitnehmer Bei einem Gewerkschaftsmitglied ergibt sich die zusätzliche Schwierigkeit, dass der Regelungsinhalt der Bezugnahmeklausel und die tarifrechtliche Situation auseinanderfallen können. Die Mitglieder der bisher zuständigen Gewerkschaft bleiben gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG an den „alten“ Tarifvertrag gebunden, sofern sie nicht in die neue Gewerkschaft wechseln. Der Arbeitgeber hingegen ist gemäß § 3 Abs. 3 TVG an den bisherigen und gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG an den „neuen“ Tarifvertrag gebunden. Für Arbeitnehmer, die Mitglieder der neuen Gewerkschaft sind oder werden, gilt der „neue“ Tarifvertrag gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG. Eine Tarifpluralität ist die Folge.595 592 Für die generelle Lösung über das Mehrheitsprinzip Jacobs, NZA 2008, 325 (333). Vgl. bereits o. S. 315. 593 Vgl. auch Henssler, FS 25 ARGE ArbR im DAV, S. 37 (56); s. o. S. 315. 594 Vgl. ErfK-Franzen, § 4 TVG Rn. 73. 595 Zu einer Tarifkonkurrenz käme es hingegen, falls die Mitglieder der „alten“ Gewerkschaft in die „neue“ Gewerkschaft wechseln, so dass in ihren Arbeitsverhältnissen der gemäß § 3 Abs. 3 TVG weitergeltende „alte“ und der nun gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG „neue“ Tarifvertrag kollidieren würden. Gleiches gilt für den
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Tarifrechtlich bleiben nach hier vertretener Ansicht die einzelnen verschiedenen Tarifverträge in den unterschiedlichen Arbeitsverhältnissen anwendbar. Auf das einzelne Arbeitsverhältnis findet jeweils nur ein Tarifvertrag Anwendung, auf die Arbeitsverhältnisse der Mitglieder der bisher zuständigen Gewerkschaft daher weiterhin dieser Tarifvertrag – auch wenn innerhalb des Betriebes aufgrund dieser Tarifpluralität mehrere Tarifverträge gelten. aa) Verträge mit Vertragsschluss bis zum 31.12.2001 Für bis zum 31.12.2001 vereinbarte Klauseln richtet sich deren Auslegung nach der bisherigen Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede, d.h. danach, was tarifrechtlich gilt. Tarifrechtlich gilt nach der hier vertretenen Ansicht für jedes Gewerkschaftsmitglied der jeweilige normativ wirkende Tarifvertrag.596 Dies kann, je nach Gewerkschaftszugehörigkeit, der „alte“ oder der „neue“ Tarifvertrag sein. Bereits unter der bisherigen Gleichstellungsdogmatik ist fraglich, wie eine Gleichstellung in dieser Konstellation zu erfolgen hat. Lässt man die Tarifpluralität bestehen, gilt im Betrieb der bisherige Tarifvertrag neben dem „neuen“ Tarifvertrag normativ weiter. Eine Gleichstellung aller Arbeitnehmer kann vor diesem Hintergrund nicht erzielt werden. Eine kleine dynamische Klausel, die auf den „alten“ Tarifvertrag verweist, wird grundsätzlich statisch, wenn dieser nach § 3 Abs. 3 TVG endet.597 Die Auslegung einer kleinen dynamischen Klausel als Tarifwechselklausel kommt – insbesondere, da der neue Tarifvertrag von einer anderen Gewerkschaft abgeschlossen wurde – in der Regel nicht in Betracht. Bei einer großen dynamischen Bezugnahmeklausel ist ein Tarifwechsel auf den nunmehr einschlägigen Tarifvertrag möglich. Nach hier vertretener Auffassung ist eine Tarifpluralität hinzunehmen und sowohl der „neue“ als Fall, dass die Arbeitnehmer zusätzlich zu ihrer bisherigen Gewerkschaftszugehörigkeit in die „neue“ Gewerkschaft eintreten (Doppelmitgliedschaft). Dann kollidieren beide, in diesem Fall jeweils gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG geltenden Tarifverträge. Die Rechtsfolgen entsprechen den unter dem vorigen Abschnitt („Neuer Tarifvertrag mit derselben Gewerkschaft“, C.III.1., ab S. 308) dargestellten, so dass auf diesen Teil verwiesen werden kann. 596 Das BAG käme hingegen zu einer Verdrängung dieses Tarifvertrages, wenn im Betrieb ein sachnäherer Tarifvertrag bestünde, ohne dass notwendigerweise der Arbeitnehmer normativ hieran gebunden wäre. 597 Die Ansicht des BAG zur Tarifpluralität käme hierbei zu dem Ergebnis, dass der Tarifvertrag verdrängt würde, der sachnächste Tarifvertrag normativ gälte und die Bezugnahmeklausel nur noch statisch wirken würde. Eine Gleichstellung würde insofern nicht erzielt.
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auch der bisher in Bezug genommene und geltende Tarifvertrag könnten nebeneinander gelten. Sofern sich hierbei Schwierigkeiten ergeben, wie der Gleichstellungszweck der Klausel vor diesem Hintergrund zu verwirklichen ist, d.h. ob die Klausel sich weiterhin auf den „alten“ oder den „neuen“ Tarifvertrag bezieht, ist dies durch Auslegung zu ermitteln, wobei die Parteien im Zweifel die Anwendung des sachnächsten Tarifvertrages intendieren.598 Sofern die Gewerkschaftsmitglieder aber an den „neuen“ Tarifvertrag gebunden sind, spricht mehr für die Inbezugnahme dieses Tarifvertrages, um Kollisionen zwischen Arbeits- und Tarifvertrag zu vermeiden.599 bb) Verträge mit Vertragsschluss ab dem 1.1.2002 Nach der neuen Rechtsprechung kommt eine Auslegung als Gleichstellungsabrede nur noch in Betracht, wenn die Bezugnahmeklausel entsprechend formuliert ist. Sagt somit die Bezugnahmeklausel etwas anderes aus als die tarifrechtliche Lage, wird sie nicht angepasst, sondern bleibt grundsätzlich neben dem Tarifvertrag bestehen. Liegt eine große dynamische Bezugnahmeklausel vor, ist der jeweils einschlägige Tarifvertrag anwendbar. Bei Auslegungsschwierigkeiten, auf welchen Tarifvertrag sich die Klausel bei einer (hinzunehmenden) Tarifpluralität nun bezieht, ist der sachnächste Tarifvertrag das Bezugnahmeobjekt.600 Dies wird häufig der „neue“ Tarifvertrag sein. Lässt sich der speziellere Tarifvertrag nicht feststellen, ist hilfsweise der für den Betrieb repräsentativste Tarifvertrag in Bezug zu nehmen.601 Sollte der Arbeitnehmer Mitglied der „neuen“ Gewerkschaft sein oder werden, sprechen die Umstände für die Inbezugnahme des „neuen“ Tarifvertrages. Die Kollision der Klausel mit dem weiterhin normativ geltenden „alten“ Tarifvertrag löst sich über das Günstigkeitsprinzip gemäß § 4 Abs. 3 TVG. Eine kleine dynamische Bezugnahmeklausel lässt den „alten“ Tarifvertrag weiterhin dynamisch zur Anwendung gelangen und kann daher je nach Gewerkschaftszugehörigkeit in Widerspruch zur Tarifbindung der Arbeitnehmer treten. Diese Kollision löst sich ebenfalls über § 4 Abs. 3 TVG. 598
s. o. C.III.1.a)cc)(2), ab S. 314. Nähme man mit dem BAG an, dass auf tarifrechtlicher Ebene die Tarifpluralität nach dem Spezialitätsprinzip aufzulösen ist, würde der sich durchsetzende sachnächste Tarifvertrag das Bezugnahmeobjekt. Problematisch ist hieran wiederum, dass dieser Tarifvertrag für die Mitglieder der bisher zuständigen Gewerkschaft auf tarifrechtlicher Ebene nicht gilt. 600 s. o. C.III.1.a)cc)(2), ab S. 314. 601 s. o. S. 315. 599
C. Bezugnahmeklauseln und Verbandswechsel
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Sobald der „alte“ Tarifvertrag jedoch in das Nachwirkungsstadium eintritt, könnte sich etwas anderes ergeben. Insofern könnte man davon ausgehen, dass die Bezugnahmeklausel eine „andere Abmachung“ im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG darstellt und sie sich somit in jedem Fall durchsetzt, ohne dass ein Günstigkeitsvergleich gemäß § 4 Abs. 3 TVG in Betracht käme. Die Situation entspricht derjenigen des Verbandsaustritts, wo bereits die Frage relevant wurde, ob die Bezugnahmeklausel unabhängig von ihrer Günstigkeit als „andere Abmachung“ gemäß § 4 Abs. 5 TVG angesehen werden kann.602 Dies ist umstritten, da eine ungünstigere Bezugnahmeklausel bis zum Zeitpunkt des Verbandswechsels hinter einem günstigeren Tarifvertrag zurücktritt.603 Nach überzeugender Ansicht wird die Bezugnahmeklausel von dem (günstigeren) Tarifvertrag aber lediglich verdrängt, nicht dauerhaft vernichtet,604 so dass sie mit dem Ende der normativen Tarifwirkung wieder „aufleben“ kann. Zugleich ist streitig, ob eine Bezugnahmeklausel, die bereits bei Arbeitsvertragsschluss vereinbart wurde, eine „andere Abmachung“ im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG ist, oder ob dieser eine neue, nach Beginn der Nachwirkung geschlossene Vereinbarung erfordert. Nach vorzugswürdiger Ansicht ist davon auszugehen, dass auch die bereits vor dem Verbandswechsel vereinbarte Verweisungsklausel eine „andere Abmachung“ im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG sein kann.605 Die Kollision zwischen dynamisch wirkender Bezugnahmeklausel und statisch nachwirkendem Tarifvertrag gemäß § 4 Abs. 5 TVG ist damit zugunsten der Bezugnahmeklausel als „anderer Abmachung“ aufzulösen. Unabhängig von ihrer Günstigkeit setzt sich daher die dynamische Bezugnahmeklausel, die dynamisch auf den Tarifvertrag verweist, gegenüber dem statisch nachwirkenden Tarifvertrag durch. Im Zeitpunkt der Nachwirkung des „alten“ Tarifvertrages ist die Bezugnahmeklausel somit als „andere Abmachung“ im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG anzusehen, so dass sie die Nachwirkung des Tarifvertrages ungeachtet ihrer (Un)Günstigkeit beendet.606 c) Zwischenergebnis Hat der Verband, in den der Arbeitgeber wechselt, mit einer anderen Gewerkschaft einen Tarifvertrag geschlossen, kommt es auf tarifrechtlicher Ebene unter Umständen zu einer Tarifpluralität. Diese ist nach der Auf602 603 604 605 606
s. o. B.III.1.b)bb)(2)(a), ab S. 275. Vgl. § 4 Abs. 3 TVG. s. o. B.III.1.b)bb)(2)(a)(aa), ab S. 276. s. o. B.III.1.b)bb)(2)(a)(bb), ab S. 278. s. o. B.III.1.b)bb)(2)(a), ab S. 275.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
fassung des BAG nach dem Spezialitätsprinzip aufzulösen, so dass der sachnächste Tarifvertrag die anderen bisher geltenden Tarifverträge verdrängt. Nach hier vertretener Ansicht ist die Tarifpluralität hingegen hinzunehmen. Innerhalb des Betriebes können daher mehrere Tarifverträge gelten, selbst wenn auf jedes einzelne Arbeitsverhältnis nur ein Tarifvertrag anwendbar ist. Nach einem derartigen Verbandswechsel führt die Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede nur begrenzt zu einer Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen. Wird der neue Tarifvertrag mit einer für den Arbeitnehmer fremden Gewerkschaft geschlossen, bedürfte es einer Auslegung der (kleinen) dynamischen Klausel als Tarifwechselklausel, um einen eventuell nunmehr normativ geltenden „neuen“ Tarifvertrag zur Anwendung zu bringen. Dies kann mangels Identität der tarifschließenden Gewerkschaften jedoch ohne eine entsprechende Parteivereinbarung nicht angenommen werden. Nur eine große dynamische Klausel kann unter der Gleichstellungsdogmatik eine tatsächliche Harmonisierung der tariflichen und der vertraglichen Lage herbeiführen. Vor dem Hintergrund der Tarifpluralität kann eine Tarifwechselklausel es jedoch fraglich werden lassen, mit welchen Gewerkschaftsmitgliedern nach dem Verbandswechsel eine Gleichstellung zu erfolgen hat. Die Rechtsprechungsänderung bewirkt bei allen Arbeitnehmern eine Auslegung der Bezugnahmeklausel, die von einem Verbandswechsel des Arbeitgebers nicht beeinflusst wird. Eine vereinbarte Dynamik des bisherigen Tarifvertrags bleibt den Arbeitnehmern erhalten. Etwaige Kollisionen zwischen tariflicher und vertraglicher Anspruchsgrundlage bei den organisierten Arbeitnehmern sind über das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG zu beseitigen. In der Phase der Nachwirkung setzt sich die Bezugnahmeklausel jedoch ungeachtet ihrer (Un)Günstigkeit gemäß § 4 Abs. 5 TVG gegen den nachwirkenden Tarifvertrag durch. Sollte aufgrund der Tarifpluralität zweifelhaft sein, auf welchen Tarifvertrag sich eine große dynamische Bezugnahmeklausel bezieht, ist dies durch Auslegung zu ermitteln. Im Zweifel wird der Parteiwille dahin gehen, den jeweils sachnächsten Tarifvertrag zur Anwendung gelangen zu lassen. Ist oder wird der Arbeitnehmer Mitglied der „neuen“ Gewerkschaft, sprechen die Umstände für die Inbezugnahme dieses neuen Tarifvertrages.
IV. Ergebnis Die Auswirkungen von Bezugnahmeklauseln nach einem Verbandswechsel unterscheiden sich ganz erheblich danach, ob der neue Verband einen Tarifvertrag mit derselben oder einer fremden Gewerkschaft geschlossen
C. Bezugnahmeklauseln und Verbandswechsel
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hat, an den der Arbeitgeber nunmehr kraft Mitgliedschaft gebunden wird, während seine Bindung an den bisherigen Tarifvertrag lediglich gemäß § 3 Abs. 3 TVG fortwirkt. Hat dieselbe Gewerkschaft den Tarifvertrag geschlossen, kommt es zu einer Tarifkonkurrenz, die tariflich über den Grundsatz der Tarifeinheit und das Spezialitätsprinzip zu lösen ist. Es gilt nur ein Tarifvertrag in den einzelnen Arbeitsverhältnissen. Nach der bisherigen Rechtsprechung ist somit klar, dass mit diesem sich durchsetzenden Tarifvertrag grundsätzlich eine Gleichstellung erfolgen soll, wobei dies jedoch nur bei einer Tarifwechselklausel auch tatsächlich erfolgt. Eine kleine dynamische Klausel kann hingegen nicht ohne Weiteres in eine Tarifwechselklausel „uminterpretiert“ werden, falls auf tarifrechtlicher Ebene der neue den alten Tarifvertrag verdrängen sollte. Die kleine dynamische Klausel verweist dann statisch auf den bisherigen Tarifvertrag. Die Identität der tarifschließenden Gewerkschaften ist unter Anwendung der Gleichstellungsdogmatik jedoch als „besonderer Umstand“ anzusehen, der eine (ergänzende) Auslegung der kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel als Tarifwechselklausel rechtfertigt. Dies bewirkt eine Gleichstellung aller Arbeitnehmer. Die neue Rechtsprechung rückt die Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB und insbesondere den Wortlaut der Klausel in den Vordergrund; eine Gleichstellungsabrede muss eindeutig und klar vereinbart werden. Ist dies nicht der Fall, wirkt sich ein Verbandswechsel nicht mehr auf die Auslegung von Verweisungsklauseln aus. Nur eine große dynamische Bezugnahmeklausel kann einen Wechsel des Bezugnahmeobjekts herbeiführen. Scheitert mangels einer Tarifwechselklausel ein Wechsel des Bezugnahmeobjekts, kann es bei den Gewerkschaftsmitgliedern zu Kollisionen zwischen der tariflichen Lage und dem Inhalt der Bezugnahmeklausel kommen. Diese lösen sich über das Günstigkeitsprinzip, § 4 Abs. 3 TVG. Hat der neue Arbeitgeberverband einen Tarifvertrag mit einer anderen Gewerkschaft geschlossen, ist, sofern mindestens ein Arbeitnehmer der Gewerkschaft angehört, eine Tarifpluralität die Folge. Das BAG löst sie wie auch die Tarifkonkurrenz über das Spezialitätsprinzip auf. Nach hier vertretener Ansicht ist eine Tarifpluralität hingegen hinzunehmen. Nach der weiterhin auf bis zum 31.12.2001 geschlossene Verträge anwendbaren Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede orientiert sich die Bezugnahmeklausel an der tariflichen Lage. Selbst nach der Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede kommt ein Wechsel des Bezugnahmeobjekts aber nur bei einer großen Bezugnahmeklausel in Betracht, so dass auch in dieser Fallgruppe der Gleichstellungszweck nur sehr unvollkommen verwirklicht wird. Widersprüchliche Regelungsaussagen der Vertragsklausel und des geltenden Tarifvertrages sind die Folge.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
Die neue Rechtsprechung führt hingegen zu einer Vereinheitlichung; Bezugnahmeklauseln werden sowohl bei tarifgebundenen als auch nicht tarifgebundenen Arbeitgebern nach ihrem Wortlaut ausgelegt und von einem Verbandswechsel nicht beeinflusst. Etwaige Kollisionen zwischen tariflicher und vertraglicher Anspruchsgrundlage bei den organisierten Arbeitnehmern sind über das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG zu beseitigen. In der Phase der Nachwirkung ist die Bezugnahmeklausel als eine „andere Abmachung“ im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG anzusehen, die die Nachwirkung des „alten“ Tarifvertrages unabhängig von ihrer Günstigkeit beseitigt. Sollte aufgrund der Tarifpluralität zweifelhaft sein, auf welchen Tarifvertrag sich eine große dynamische Bezugnahmeklausel bezieht, ist dies durch Auslegung zu ermitteln. Im Zweifel wird der Parteiwille dahin gehen, den jeweils sachnächsten Tarifvertrag zur Anwendung gelangen zu lassen. Sofern der Arbeitnehmer Mitglied der „neuen“ Gewerkschaft ist, sprechen die Umstände in der Regel für die Inbezugnahme des von dieser Gewerkschaft abgeschlossenen „neuen“ Tarifvertrages. Der Verbandswechsel erweist sich damit schon unter der bisherigen Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede nicht unbedingt als ein erfolgreiches Instrument zur Tarifflucht. Bei Identität der tarifschließenden Gewerkschaften kann der Arbeitgeber zwar in den meisten Fällen tarifrechtlich eine Ablösung des alten Tarifvertrages erreichen, wenn der neue Tarifvertrag spezieller ist. Auf arbeitsvertraglicher Ebene bleibt es jedoch bei der statischen oder dynamischen Bezugnahme auf den „alten“ Tarifvertrag, wenn keine Tarifwechselklausel vereinbart worden ist und keine „besonderen Umstände“ vorliegen, die eine ergänzende Auslegung in diesem Sinne rechtfertigen. Unter der neuen Rechtsprechung sind die Anforderungen noch höher. Die Auslegung richtet sich primär nach dem Wortlaut, so dass sich eine ergänzende Vertragsauslegung grundsätzlich verbietet. Selbst die Identität der tarifschließenden Gewerkschaften ist hierbei kein auslegungsrelevantes Kriterium. Wenn eine andere Gewerkschaft den neuen Tarifvertrag geschlossen hat, sind bei verschiedenen Gewerkschaftszugehörigkeiten im Betrieb einige Arbeitnehmer an den neuen Tarifvertrag, die übrigen an den bisherigen Tarifvertrag gebunden. Die resultierende Tarifpluralität ist hinzunehmen, eine Verdrängung des allgemeineren durch den sachnäheren Tarifvertrag muss hier (anders als bei der Tarifkonkurrenz) ausscheiden. Auch in diesem Fall wäre eine große dynamische Bezugnahmeklausel erforderlich, um einen Wechsel des Bezugnahmeobjekts herbeizuführen. Mangels Identität der Gewerkschaften kann (insbesondere unter der neuen Rechtsprechung) nicht von „besonderen Umständen“ ausgegangen werden, die es rechtfertigen
D. Bezugnahmeklauseln und Branchenwechsel
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würden, eine kleine dynamische Klausel ergänzend als Tarifwechselklausel auszulegen. Ein Verbandswechsel, der häufig mit dem Ziel erfolgt, die tariflichen Bedingungen zugunsten des Arbeitgebers zu verändern, führt somit bei Vorhandensein dynamischer Bezugnahmen auf die bisher maßgeblichen Tarifverträge nur in seltenen Fällen tatsächlich einen Tarifwechsel herbei. Insofern offenbart sich die Schwäche der Gleichstellungsrechtsprechung, die auch in dieser Fallgruppe des Verbandswechsels konsequenterweise eine (ergänzende) Auslegung kleiner dynamischer Bezugnahmeklauseln als Tarifwechselklauseln (unabhängig von der Identität der tarifschließenden Gewerkschaften) annehmen müsste, um zu überzeugenden Ergebnissen zu gelangen. Die neue Rechtsprechung ändert die Rechtsfolgen des Verbandswechsels für die Auslegung von Bezugnahmeklauseln deshalb auch nicht grundlegend, sondern verstärkt sie lediglich in ihrer Tendenz. Folglich fallen die Auswirkungen der neuen Rechtsprechung in dieser Fallgruppe deutlich geringer aus als in den vorigen Fallgruppen des Betriebsübergangs und des Verbandsaustritts.
D. Bezugnahmeklauseln und Branchenwechsel Eine weitere Fallgruppe, in der Bezugnahmeklauseln problematisch werden können, ist der Branchenwechsel, wie er z. B. im Zuge einer Verlagerung des Produktionsschwerpunkts eines Unternehmens eintreten kann.607 Beispiel: A arbeitet für ein metallverarbeitendes Unternehmen. Der Arbeitgeber des A ist Mitglied im Verband der Metallindustrie, der einen Tarifvertrag mit der IG Metall geschlossen hat. Zudem findet sich im Arbeitsvertrag des A eine Bezugnahme auf diesen Tarifvertrag. Nunmehr stellt der Arbeitgeber des A die Produktion von Metall auf Kunststoff um, so dass nicht mehr die IG Metall, sondern die IG Chemie zuständige Gewerkschaft ist. Der Arbeitgeber wechselt den Arbeitgeberverband nicht.
I. Branchenwechsel Der Branchenwechsel ist ein mittlerweile häufig auftretendes Phänomen, das durch die Änderung des Betriebszwecks bedingt ist. Unter dem Betriebszweck ist die in und mit einem Betrieb verfolgte arbeitstechnische und wirtschaftliche Tätigkeit zu verstehen, die die Zugehörigkeit des Betrie607 Zum Sonderfall des Branchenwechsels nach einem Betriebsübergang s. bereits o. A.II.1.d), ab S. 213.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
bes zu einem Wirtschaftszweig bestimmt; sie ergibt sich aus der fachlichen Ausrichtung der im Betrieb geleisteten Arbeit.608 Die Entscheidung des Unternehmers, ob, was, wann und wo produziert wird, kann in einer Marktwirtschaft ebenso wenig vorgegeben werden wie die Entscheidung darüber, wie viel produziert wird und mit welchen Mitteln.609 Sie stellt eine unternehmerische Entscheidung dar, die nicht auf ihre Zweckmäßigkeit überprüft werden darf.610
II. Tarifrechtliche Folgen eines Branchenwechsels Grundsätzlich führt die Verlagerung des Produktionsschwerpunktes auf tarifvertraglicher Ebene dazu, dass der Betrieb aus dem fachlichen Geltungsbereich des „alten“ Tarifvertrages herausfällt – unabhängig davon, ob der Arbeitgeber gleichzeitig aus dem Verband austritt.611 Mit dem Branchenwechsel entfällt also die unmittelbare Bindung an den Tarifvertrag gemäß § 3 Abs. 1 TVG.612 Etwas anderes gilt für den Fall, dass der bisherige Tarifvertrag eine sog. Erstreckungsklausel enthält: Diese regelt, dass der Tarifvertrag auch dann gelten soll, wenn sich der Betriebszweck ändert.613 Im Regelfall fehlt es jedoch an einer solchen Erstreckung.614 Zu einem „automatischen“ Tarifwechsel kann es nur kommen, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowohl an den bisherigen als auch an den jetzt einschlägigen Tarifvertrag kongruent gebunden sind oder der nunmehr einschlägige Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt worden ist oder erklärt wird.615 608 HWK-Willemsen, § 613a BGB Rn. 18; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 192. 609 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 190. 610 BAG v. 30.4.1987 – 2 AZR 184/86, AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 190. 611 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 231; Reichel, Bezugnahme, S. 93; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 156; Däubler-Deinert, TVG, § 4 Rn. 288. 612 BAG v. 10.12.1997 – 4 AZR 247/96, AP Nr. 20 zu § 3 TVG; ErfK-Franzen, § 3 TVG Rn. 21; HWK-Henssler, § 3 TVG Rn. 40. 613 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 231; Reichel, Bezugnahme, S. 92 f.; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 156. 614 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 231. 615 Schliemann, ZTR 2004, 502 (509); Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 508. Die dann entstehende Tarifpluralität wäre nach Auffassung des BAG nach dem Prinzip der Tarifeinheit aufzulösen, vgl. Kania, NZA, Sonderbeilage zu Heft 3/2000, 45 (47) (s. auch o. C.II.2.a)aa), ab S. 297).
D. Bezugnahmeklauseln und Branchenwechsel
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1. Nachbindung gemäß § 3 Abs. 3 TVG? Liegen jedoch weder eine Erstreckungsklausel noch eine erneute kongruente Tarifbindung vor, entfällt nach einem Branchenwechsel zunächst die unmittelbare Tarifbindung gemäß § 3 Abs. 1 TVG. In Betracht kommt eine Weitergeltung des bisherigen Tarifvertrages kraft Nachbindung gemäß § 3 Abs. 3 TVG. Dessen Anwendbarkeit wird jedoch von der Rechtsprechung616 und dem herrschenden Schrifttum617 abgelehnt: § 3 Abs. 3 TVG setze voraus, dass die Parteien dem fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages unterfielen. Für eine Analogie fehle es bereits an der Regelungslücke.618 Eine Mindermeinung619 nimmt jedoch eine analoge Anwendbarkeit des § 3 Abs. 3 TVG an. Veränderungen aus der Sphäre des Arbeitgebers dürften den Arbeitnehmern nicht zum Nachteil gereichen. Hiergegen ist jedoch einzuwenden, dass es zwar Sinn und Zweck des § 3 Abs. 3 TVG ist, die Arbeitnehmer vor einer Flucht des Arbeitgebers aus dem Verband zu schützen.620 Die Norm bezweckt jedoch nicht, einen Tarifvertrag zur Anwendung zu bringen, an den der Arbeitgeber selbst bei (eventuell auch nach dem Branchenwechsel weiter bestehender) Verbandsmitgliedschaft gar nicht gebunden wäre.621 § 3 Abs. 3 TVG fingiert somit nur die fehlende Mitgliedschaft des Arbeitgebers im Verband, nicht jedoch den fachlichen Geltungsbereich.622 Fällt der Betrieb aufgrund der Änderung des Betriebszwecks aus dem tariflichen Geltungsbereich heraus, trifft der 616
BAG v. 26.9.1979 – 4 AZR 819/77, AP Nr. 17 zu § 613a BGB; BAG v. 14.6.1994 – 9 AZR 89/93, AP Nr. 2 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG v. 10.12.1997 – 4 AZR 247/96, AP Nr. 20 zu § 3 TVG. 617 HWK-Henssler, § 3 TVG Rn. 43; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 231 ff.; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 68; Konzen, ZfA 1975, 401 (413); Reichel, Bezugnahme, S. 93; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 156; Kania, DB 1995, 625 (629); ErfK-Franzen, § 3 TVG Rn. 24; Henssler, FS Wißmann, S. 133 (139). 618 BAG v. 26.9.1979 – 4 AZR 819/77, AP Nr. 17 zu § 613a BGB; BAG v. 14.6.1994 – 9 AZR 89/93, AP Nr. 2 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; Hromadka/ Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 233; Reichel, Bezugnahme, S. 93. 619 Däubler, TarifvertragsR, Rn. 93b, 271; ders.-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 87 f. 620 Reichel, Bezugnahme, S. 93; Konzen, ZfA 1975, 401 (413 ff.); Kempen/Zachert-Kempen, TVG, § 3 TVG Rn. 37 f.; Bieback, DB 1989, 477 (478). 621 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 232; Reichel, Bezugnahme, S. 93; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 156; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 68; ähnlich Kempen/Zachert-Kempen, TVG, § 3 Rn. 44. 622 ErfK-Franzen, § 3 TVG Rn. 24; HWK-Henssler, § 3 TVG Rn. 43; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 68; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 232; Reichel, Bezugnahme, S. 93.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
Tarifvertrag insofern keine Regelung mehr, die über § 3 Abs. 3 TVG bis zum Ende des Tarifvertrages weitergelten könnte. Etwaige Nachteile für die Arbeitnehmer reichen nicht aus, um ein anderes Ergebnis zu rechtfertigen. Ihre Interessen sind nicht vorrangig zu schützen, sofern sie selbst bei unmittelbarer Tarifbindung des Arbeitgebers gar nicht bestünden. In diesem Fall ist der Schutzbereich des § 3 Abs. 3 TVG nicht betroffen. § 3 Abs. 3 TVG stellt eine atypische Tarifgebundenheit her, mit der Folge, dass der Tarifvertrag zunächst weitergilt, bis er endet.623 Jedem Tarifvertrag ist jedoch sein Geltungsbereich immanent. Fehlt es an dieser Voraussetzung, würde die Tarifbindung selbst bei fortdauernder Mitgliedschaft des Arbeitgebers im Verband gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG entfallen. Aus diesem Grund ist § 3 Abs. 3 TVG auf die Situation des Branchenwechsels nicht (analog) anzuwenden. 2. Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG analog? Es kommt jedoch eine Nachwirkung des bisherigen Tarifvertrages gemäß § 4 Abs. 5 TVG in Betracht. Nach seinem Wortlaut greift § 4 Abs. 5 TVG nicht ein, da der alte Tarifvertrag nicht „abgelaufen“ ist, sondern lediglich seine fachliche Einschlägigkeit verloren hat. Somit wäre in jedem Fall eine Analogie erforderlich.624 Ob § 4 Abs. 5 TVG analog auf den Fall des Branchenwechsels angewendet werden kann, ist jedoch umstritten. Die überwiegende Meinung625 bejaht dies, da nur so das Entstehen „inhaltsleerer“ Arbeitsverhältnisse verhindert werden könne. Aus welchen Gründen die Arbeitsverhältnisse in die Gefahr der Inhaltsleere kämen, könne zumindest dann nicht erheblich sein, wenn ursprünglich ein Tarifvertrag unmittelbar anwendbar gewesen sei und die Arbeitsvertragsparteien es deswegen unterließen, Vorsorge durch eigene Regelungen zu treffen.626 Nach dem Sinn und Zweck des § 4 Abs. 5 TVG sei dieser auch dann anzu623
s. o. B.II.1., ab S. 261. Vgl. BAG v. 18.3.1992 – 4 AZR 339/91, NZA 1992, 700 (701); BAG v. 13.7.1994 – 4 AZR 555/93, AP Nr. 14 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 256; Reichel, Bezugnahme, S. 94. 625 BAG v. 10.12.1997 – 4 AZR 247/96, AP Nr. 20 zu § 3 TVG; HWK-Henssler, § 4 TVG Rn. 6; ErfK-Franzen, § 4 TVG Rn. 60; Hanau, ZfA 1990, 115 (125); Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 258; Kempen/Zachert-Kempen, TVG, § 3 Rn. 44; Wiedemann-Wank, TVG, § 4 Rn. 337; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 156; Reichel, Bezugnahme, S. 94 f. 626 Vgl. BAG v. 18.3.1992 – 4 AZR 339/91, NZA 1992, 700 (701); BAG v. 2.12.1992 – 4 AZR 277/92, AP Nr. 14 zu § 3 TVG; BAG v. 13.7.1994 – 4 AZR 555/93, AP Nr. 14 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Hromadka/Maschmann/ Wallner, Tarifwechsel, Rn. 258. 624
D. Bezugnahmeklauseln und Branchenwechsel
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wenden, wenn der Tarifvertrag infolge eines Herauswachsens aus dem fachlichen Geltungsbereich, also eines Wegfalls einer anderen Voraussetzung der Tarifbindung, nicht mehr anwendbar sei.627 Die Gegenmeinung628 argumentiert, dass sich aufgrund der mit dem Brachenwechsel weggefallenen Tarifbindung die analoge Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG verbiete. Ändere der Arbeitgeber den Betriebszweck, könne der Tarifvertrag keinen Geltungsanspruch mehr erheben. Gegen die letzte Ansicht spricht jedoch, dass die analoge Anwendung von § 4 Abs. 5 TVG gerade die Lückenfüllung bezweckt, wenn der Geltungsanspruch eines Tarifvertrages entfällt.629 Auf den Fortbestand des tariflichen Geltungsanspruchs kann es daher gerade nicht ankommen. Ansonsten fiele der Tarifvertrag im Zeitpunkt des Branchenwechsels ersatzlos weg; die folgenden Regelungslücken müssten durch Rückgriff auf das dispositive Recht geschlossen werden;630 eine erhebliche Rechtsunsicherheit wäre die Folge.631 Es bestehen nicht für alle tarifvertraglich geregelten Bereiche dispositive Gesetzesbestimmungen und in der Praxis kann es schwierig sein, z. B. die „übliche Vergütung“ im Sinne des § 612 Abs. 2 BGB zu bestimmen.632 Eine analoge Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG führt hingegen zu Rechtssicherheit und verhindert Auslegungsprobleme; sie ist deshalb auch für den Fall des Branchenwechsels zu bejahen. Somit ist nach einem Branchenwechsel von einer Nachwirkung des bisher geltenden Tarifvertrags gemäß § 4 Abs. 5 TVG analog auszugehen. Der Tarifvertrag bleibt (statisch) anwendbar, verliert jedoch seine zwingende Wirkung. Die nunmehr nachwirkenden Tarifnormen können kollektivrechtlich oder individualrechtlich ohne Bindung an das Günstigkeitsprinzip durch eine andere Abmachung abgelöst werden.633 627
Ähnlich BAG v. 18.3.1992 – 4 AZR 339/91, NZA 1992, 700 (701); BAG v. 13.7.1994 – 4 AZR 555/93, AP Nr. 14 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 258 ff.; Wiedemann-Wank, TVG, § 4 Rn. 337; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 156; Konzen, ZfA 1975, 401 (412); Schaub, ArbR-Hdb., § 204 Rn. 12. 628 Buchner, Anm. zu BAG 4 AZR 135/95, EzA Nr. 7 zu § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag, 11 (15); Rieble, SAE 1995, 77 (79); Löwisch/Rieble, TVG, 1. Aufl. 1992, § 4 Rn. 240 (anders jetzt aber 2. Aufl. 2004, § 4 Rn. 409). 629 BAG v. 13.7.1994 – 4 AZR 555/93, AP Nr. 14 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 259; Reichel, Bezugnahme, S. 95. 630 Vgl. BAG v. 18.3.1992 – 4 AZR 339/91, NZA 1992, 700 (701); Reichel, Bezugnahme, S. 95; Kania, DB 1995, 625 (630). 631 Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 156; Reichel, Bezugnahme, S. 95. 632 s. o. S. 82, 266. 633 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 511.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
III. Auswirkungen von Bezugnahmeklauseln Es sind nunmehr die Auswirkungen der Bezugnahmeklauseln bei einem Branchenwechsel im Rahmen der bisherigen sowie der neuen Rechtsprechung zu untersuchen. Der Sonderfall des Branchenwechsels infolge eines Betriebsübergangs wurde bereits oben näher erörtert.634 1. Arbeitgeber ist tarifgebunden Zunächst ist die Situation des tarifgebundenen Arbeitgebers nach einem Branchenwechsel zu erläutern. Dabei wird unterstellt, dass dieser nach dem Branchenwechsel nicht dem nunmehr tarifzuständigen Arbeitgeberverband beitritt.635 a) Nicht tarifgebundener Arbeitnehmer Ist der Arbeitnehmer Außenseiter, galt für ihn der bisher fachlich einschlägige Tarifvertrag mangels kongruenter Tarifgebundenheit nicht unmittelbar und zwingend im Sinne von §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG. Es bestand lediglich eine individualrechtliche Bindung aufgrund der arbeitsvertraglichen Bezugnahme. Aus diesem Grund kommt eine Nachwirkung analog § 4 Abs. 5 TVG nicht in Betracht.636 Nur sofern beide Arbeitsvertragsparteien in die zuständigen Koalitionen eintreten, käme es zu einer normativen Geltung des nunmehr einschlägigen Tarifvertrags. Auf Seiten des Arbeitnehmers wäre das Verhältnis zwischen Tarifnorm und Bezugnahmeklausel über das Günstigkeitsprinzip (§ 4 Abs. 3 TVG) zu lösen.637 Bleibt hingegen, wie hier unterstellt wird, zumindest eine Partei der entsprechenden Koalition fern und besteht keine Allgemeinverbindlicherklärung gemäß § 5 TVG, gilt der neue, fachlich nunmehr einschlägige Tarifvertrag nicht normativ. Er kann dann höchstens über die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel individualrechtlich anwendbar sein. Dies hängt wiederum vom Klauseltyp ab.
634 635 636 637
A.II.1.d), ab S. 213. Zum Verbandswechsel s. bereits o. C., ab S. 287. Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 534. Vgl. Hromadka/Maschmannn/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 534.
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aa) Statische Bezugnahmeklausel Eine statische Bezugnahmeklausel ist sowohl unter der bisherigen wie auch der neuen Rechtsprechung eindeutig: Die Parteien beabsichtigen nur die Verweisung auf einen ganz bestimmten Tarifvertrag in einer genau festgelegten Fassung. Nur dieser Tarifvertrag wird in Bezug genommen.638 Welcher Branche der Betrieb gerade angehört, spielt für die Auslegung der Klausel keine Rolle. Die Klausel ist „branchenfest“.639 bb) Kleine dynamische Bezugnahmeklausel Unterschiedliche Ergebnisse zwischen bisheriger und neuer Rechtsprechung können sich hingegen bei einer kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel ergeben. (1) Verträge mit Vertragsschluss bis zum 31.12.2001 Für die bis zum 31.12.2001 vereinbarten Bezugnahmeklauseln ist nach der bisherigen Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede die Wirkung der Bezugnahmeklausel der tarifrechtlichen Situation anzupassen.640 Bei einem Branchenwechsel gilt zwar der bisher normativ geltende Tarifvertrag nicht gemäß § 3 Abs. 3 TVG weiter, er wirkt aber analog § 4 Abs. 5 TVG (statisch) nach.641 Infolge eines Branchenwechsels kann nach dieser Auffassung deshalb auch eine dynamische Verweisungsklausel nur noch statisch auf den für die tarifgebundenen Arbeitnehmer nachwirkenden Tarifvertrag verweisen.642 Der Zweck der Gleichstellung lasse sich nach wie vor erreichen, da der alte Tarifvertrag analog § 4 Abs. 5 TVG nachwirke.643 638
Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1262). Henssler, FS Wißmann, S. 133 (141). 640 s. o. Teil 1, D.II.1., ab S. 132. 641 s. o. D.II., ab S. 330. 642 Vgl. hierzu auch BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 (2571) (zur alten Rechtsprechung); Henssler, FS Wißmann, S. 133 (140); Clemenz, NZA 2007, 769 (769 f.); Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 542; i. Erg. ebenso Reichel, Bezugnahme, S. 96, unter Hinweis auf die quasi-deklaratorische bzw. teil-konstitutive Wirkung der Bezugnahmeklausel. 643 Vgl. BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 ff.; BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 ff. (zum ähnlich gelagerten Fall des Verbandsaustritts); Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 542; Reichel, Bezugnahme, S. 96; Henssler, FS Wißmann, S. 133 (140); Reichel, Bezugnahme, S. 96 f. 639
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
Eine andere Ansicht im Schrifttum644 geht hingegen davon aus, dass sich die Parteien bei Vertragsschluss typischerweise keine hinreichenden Gedanken über einen eventuellen Tarifwechsel gemacht hätten, so dass der Arbeitsvertrag eine Lücke aufweise, die durch ergänzende Vertragsauslegung geschlossen werden müsse. Nach dem Parteiwillen solle in diesem Fall der nunmehr einschlägige Tarifvertrag zur Anwendung kommen. Auch der Vierte Senat hatte zunächst in seinem Urteil vom 4.9.1996645 für den Fall des Verbandswechsels entschieden, dass die Verweisung auf einen konkreten Tarifvertrag der Erstreckung der Bezugnahme auf einen anderen Tarifvertrag dann nicht entgegenstehe, wenn dieser Tarifvertrag mit derselben Gewerkschaft abgeschlossen wurde. Diese Ansichten treffen jedoch auf erhebliche Bedenken: Anders als bei der zeitlichen Dynamik ist bei einer fachlichen Dynamik, d.h. bei einem Wechsel des Bezugnahmeobjekts, nicht ohne Weiteres davon auszugehen, dass diese fachliche Dynamik bei Vertragsschluss gemeinsamer Vertragsbestandteil war. Es kann nicht unterstellt werden, dass die Parteien bei einer Veränderung des branchenmäßig einschlägigen Tarifvertrages automatisch den „neuen“ Tarifvertrag angewandt wissen wollten.646 Auch der Vierte Senat hat in seinem korrigierenden Urteil vom 30.8.2000 verlangt, dass die Arbeitsvertragsparteien eine Tarifwechselklausel vereinbarten – eine solche könne ohne explizite Vereinbarung nur unter „besonderen Umständen“ vorliegen.647 Diese Rechtsprechung hat das BAG in jüngerer Zeit bestätigt.648 Im Falle des Betriebsübergangs mit Branchenwechsel auf einen Erwerber, der an einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag gebunden war, nahm der Vierte Senat keine Auslegung der kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel als Tarifwechselklausel an. Das BAG geht davon aus, dass die Bezugnahme auf das Tarifwerk einer bestimmten Branche über ihren Wortlaut hinaus nur dann als große dynamische Verweisung ausgelegt werden könne, wenn sich dies aus besonderen Umständen ergebe. Die Parteien hätten eine Tarifwechselklausel schließlich ausdrücklich vereinbaren können. Ein Branchenwechsel geht in aller Regel mit dem Wechsel der tarifzuständigen Gewerkschaft einher. Bei unterschiedlicher Gewerkschaftszuständigkeit kann aber selbst unter Gleichstellungsaspekten nicht von „besonderen Umständen“ ausgegangen werden, die eine ergänzende Auslegung der kleinen dynamischen 644 Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1262); Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (254) für den Fall zweier DGB-Gewerkschaften. 645 4 AZR 135/95, NZA 1997, 271 (272 f.). Vgl. o. S. 238, 309. 646 Däubler-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 232. 647 BAG v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99, NZA 2001, 510 (511). Vgl. o. S. 212, 215, 238. 648 BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 765/06, AuR 2008, 181 (182) und 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364 (365 f.), s. hierzu o. A.II.5.c), ab S. 251.
D. Bezugnahmeklauseln und Branchenwechsel
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Klausel als Tarifwechselklausel rechtfertigen würden.649 Selbst die Gewerkschaftsmitglieder werden nicht an den neuen Tarifvertrag gebunden. Tritt der Arbeitgeber nach einem Branchenwechsel nicht dem nunmehr zuständigen Verband bei, kann somit nicht angenommen werden, dass dennoch zumindest auf vertraglicher Ebene der jeweils einschlägige Tarifvertrag für das Arbeitsverhältnis gelten soll. Selbst wenn er dem Verband beiträte, bedürfte es „besonderer Umstände“, um eine korrigierende Auslegung der kleinen dynamischen Klausel als Tarifwechselklausel zu legitimieren. Daher bleibt es unter der bisherigen Rechtsprechung in der Regel bei einer nur noch statischen Verweisung auf den bisher einschlägigen Tarifvertrag. (2) Verträge mit Vertragsschluss ab dem 1.1.2002 Nach der neuen Rechtsprechung verändert ein Branchenwechsel die Auslegung einer dynamischen Bezugnahmeklausel grundsätzlich nicht. Sie ist ihrem Wortlaut entsprechend auszulegen. Die Auslegung als Gleichstellungsabrede ist nur noch möglich, sofern die Klausel in dieser Hinsicht eindeutig formuliert wurde oder für den Arbeitnehmer erkennbare besondere Anhaltspunkte für einen derartigen Arbeitgeberwillen bestanden. Dies wird nur in seltenen Fällen anzunehmen sein. Nur sofern nicht behebbare Zweifel bei der Auslegung bestehen, kommt die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB zur Anwendung. Bei einer kleinen dynamischen Klausel bleibt daher der bisherige – nunmehr fachlich nicht mehr einschlägige – Tarifvertrag grundsätzlich auch nach einem Branchenwechsel in seiner jeweils gültigen Fassung anwendbar.650 Tarifliche und arbeitsvertragliche Situation können sich daher auseinanderentwickeln. Aus diesem Grund schlagen Stimmen im Schrifttum651 vor, dass die Bezugnahmeklauseln jeweils ihre Dynamik verlieren sollten, sofern der Betrieb oder Betriebsteil den fachlichen Geltungsbereich des in Bezug genommenen Tarifvertrages verlässt. In diesem Fall solle eine ergänzende Vertragsauslegung dergestalt in Betracht kommen, dass die Bezugnahme dann lediglich statisch weitergelten solle. Dieser Ansicht ist zuzubilligen, dass die Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede in der Tat vor allem darauf abzielte, die fehlende Tarifgebundenheit der Außenseiter – nicht aber eine fehlende fachliche Einschlägigkeit 649
s. hierzu o. S. 248. Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 157. 651 Bepler, FS 25 Jahre ARGE ArbR im DAV, S. 791 (805 f.). Ähnlich Clemenz, NZA 2007, 769 (772); Rieble/Klebeck, BB 2006, 885 (890); Reichel, Bezugnahme, S. 99. 650
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
des Tarifvertrages – zu kompensieren.652 Legt man nach der neuen Rechtsprechung die Klauseln jedoch ihrem Wortlaut getreu aus, führt eine fehlende fachliche Einschlägigkeit ohne nähere Hinweise zu keiner entsprechenden abweichenden Auslegung der Klausel.653 Auch die Branchenzugehörigkeit des Betriebes ist – wie die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers – kein Umstand, den der Arbeitnehmer ständig in seine Überlegungen über den Umfang der in seinem Arbeitsvertrag vorhandenen Bezugnahmeklausel einbezieht. Sie ist für ihn nicht ohne Weiteres erkennbar.654 Ein Branchenwechsel stellt daher keinen „besonderen Umstand“ dar, der eine korrigierende Auslegung der dynamischen Bezugnahme rechtfertigen würde. Eine allgemein formulierte Klausel trifft auch für diesen Fall eine Regelung, nämlich die weiterhin dynamische Bezugnahme. Insofern scheidet angesichts der neuen Rechtsprechungsgrundsätze in der Regel auch die Annahme einer Vertragslücke aus.655 Es bedürfte folglich der (expliziten) Vereinbarung einer Tarifwechselklausel. Liegt eine solche nicht vor, ändert sich die Auslegung der Bezugnahmeklausel durch den Branchenwechsel nicht; sie ist nunmehr genau so „branchenfest“ wie bisher schon die statische Bezugnahmeklausel. cc) Große dynamische Bezugnahmeklausel Die Verwendung großer dynamischer Bezugnahmeklauseln führt wiederum zu anderen Konsequenzen. (1) Verträge mit Vertragsschluss bis zum 31.12.2001 Nach der bisherigen Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede kommt es selbst bei einer großen dynamischen Bezugnahmeklausel zu einer nur statischen Weitergeltung des für die Gewerkschaftsmitglieder (ohne Bezugnahmeklausel) lediglich nachwirkenden Tarifvertrages.656 Begründet wird dies 652 Vgl. hierzu BAG v. 13.11.2002 – 4 AZR 393/01, AP Nr. 27 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; Müller-Bonanni/Seeger, ArbRB 2006, 249 (250). 653 Ebenso Müller-Bonanni/Seeger, ArbRB 2006, 249 (250); Däubler/Dorndorf/ Bonin/Deinert-Däubler, AGB-Kontrolle, § 305c BGB Rn. 46. 654 Anders ist die Situation aber eventuell, wenn der Arbeitgeber anlässlich eines Branchenwechsels eine bestehende Bezugnahmeklausel abändert, um die nunmehr für den Betrieb geltenden Tarifverträge in Bezug zu nehmen. Insofern könnte man im Einzelfall davon ausgehen, dass dem Arbeitnehmer hierdurch der Gleichstellungszweck der Klausel erkennbar wurde, vgl. Teil 1, D.III.3.b)bb)(2), ab S. 150. 655 s. o. Teil 1, D.III.3.b)bb)(3), ab S. 153. 656 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 543; Henssler, FS Wißmann, S. 133 (140); Reichel, Bezugnahme, S. 97; Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239
D. Bezugnahmeklauseln und Branchenwechsel
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damit, dass eine dynamische Tarifgeltung zu einer Ungleichbehandlung tarifgebundener und nicht tarifgebundener Arbeitnehmer führen würde.657 Auf tariflicher Ebene käme es entsprechend § 4 Abs. 5 TVG zur Nachwirkung des „alten“ Tarifvertrages, für die Außenseiter würde hingegen bei wortlautgetreuer Anwendung der großen dynamischen Klausel ein Wechsel des Bezugnahmeobjekts herbeigeführt, so dass der nunmehr einschlägige Tarifvertrag dynamisch anwendbar würde. Mit Rücksicht auf den Hauptzweck der Klausel, eine Gleichstellung der Arbeitnehmer zu bewirken, müsste es daher trotz des Branchenwechsels bei einer statischen Verweisung auf den bisherigen Tarifvertrag bleiben.658 Denn schließlich kommt es mangels Tarifbindung des Arbeitgebers selbst für einschlägig organisierte Arbeitnehmer zu keiner normativen Geltung des Tarifvertrages. Etwas anderes kann unter der Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede nur gelten, wenn der Tarifvertrag der neuen Branche tarifrechtliche Geltung erlangt, so z. B. bei einem Beitritt des Arbeitgebers zu dem nunmehr zuständigen Verband und kongruenter Tarifbindung der Arbeitnehmer oder einer Allgemeinverbindlicherklärung des neuen Tarifvertrags gemäß § 5 TVG.659 (2) Verträge mit Vertragsschluss ab dem 1.1.2002 Nach dem Rechtsprechungswechsel führt eine große dynamische Bezugnahmeklausel jeweils zur Anwendung desjenigen Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich der Betrieb nach dem Branchenwechsel unterfällt.660 Sie vollzieht daher einen Tarifwechsel auf arbeitsvertraglicher Ebene nach und behält die dynamische Wirkung des nunmehr neuen Tarifvertrages bei. Etwas anderes ergibt sich höchstens für den Fall, dass die Bezugnahmeklausel explizit nur die „jeweils geltenden“ Tarifverträge in Bezug nimmt und somit die Tarifbindung des Arbeitgebers voraussetzt.
(255) (zumindest für den Fall des Wechsels von einem DGB- zu einem Nicht-DGBTarifvertrag). 657 Vgl. BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 ff.; BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 ff.; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 543; Reichel, Bezugnahme, S. 97. 658 Vgl. BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 ff.; BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634 ff.; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 543; Reichel, Bezugnahme, S. 97. 659 Reichel, Bezugnahme, S. 97. 660 Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 157; Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1262).
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
b) Tarifgebundener Arbeitnehmer In der Konstellation, dass der Arbeitnehmer Mitglied der Gewerkschaft ist, bestand vor dem Branchenwechsel eine kongruente Tarifbindung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer an den bisher einschlägigen Tarifvertrag. Diese endet mit dem Herausfallen aus dem fachlichen Geltungsbereich;661 es kommt zur Nachwirkung entsprechend § 4 Abs. 5 TVG.662 Eine normative Geltung des nunmehr einschlägigen Tarifvertrages ist nur möglich, sofern beide Parteien in die jetzt tarifzuständigen und -schließenden Verbände eintreten. Der unmittelbar kraft mitgliedschaftlicher Legitimation geltende Tarifvertrag löst dann den nur noch nachwirkenden Tarifvertrag als „andere Abmachung“ im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG (analog) ab. Treten die Parteien hingegen, wie hier angenommen werden soll, nicht in die einschlägigen Verbände ein, kommt es lediglich zur Nachwirkung des bisher geltenden Tarifvertrags gemäß § 4 Abs. 5 TVG. Die Bezugnahmeklausel kann hierbei indes zu einem anderen Ergebnis führen. aa) Statische Bezugnahmeklausel Bei einer statischen Klausel werden tarifliche (§ 4 Abs. 5 TVG analog) und vertragliche Lage nach einem Branchenwechsel synchronisiert. bb) Kleine dynamische Bezugnahmeklausel Bei einer kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel kann es nach der Rechtsprechungsänderung wiederum zu modifizierten Ergebnissen kommen. (1) Verträge mit Vertragsschluss bis zum 31.12.2001 Ebenso wie bei den Außenseitern ist bei den tarifgebundenen Arbeitnehmern eine kleine dynamische Bezugnahmeklausel in den bis zum 31.12.2001 geschlossenen Arbeitsverhältnissen so auszulegen, dass sie ab dem Zeitpunkt der tarifrechtlichen Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG nur noch statisch auf den bisherigen Tarifvertrag verweist.663 Auf diese Weise wird ein Gleichlauf von tariflicher und arbeitsvertraglicher Situation erreicht. 661
Vgl. § 4 Abs. 1 TVG. s. o. D.II.2., ab S. 332. 663 A. A. Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1262); Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (254), s. o. D.III.1.a)bb)(1), ab S. 335. 662
D. Bezugnahmeklauseln und Branchenwechsel
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(2) Verträge mit Vertragsschluss ab dem 1.1.2002 Anders stellt sich die Situation in den ab dem 1.1.2002 geschlossenen Verträgen dar, in denen die Klausel gemäß §§ 133, 157 BGB und hierbei in erster Linie nach ihrem Wortlaut ausgelegt wird. Einer kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel bleibt somit grundsätzlich der dynamische Charakter auch nach einem Branchenwechsel erhalten.664 Bei den Gewerkschaftsmitgliedern kommt es nun wiederum zu einer Kollision der tarifrechtlichen und der arbeitsvertraglichen Regelungsanordnungen: § 4 Abs. 5 TVG sieht die statische Nachwirkung des bisherigen Tarifvertrages vor, die kleine dynamische Bezugnahmeklausel hingegen dessen dynamische Weitergeltung, d.h. einschließlich künftiger Entwicklungen. Insofern kommt wieder eine Lösung über das Günstigkeitsprinzip gemäß § 4 Abs. 3 TVG in Betracht. Dies wirft jedoch Zweifel auf, da der Tarifvertrag in der vorliegenden Konstellation nur noch analog § 4 Abs. 5 TVG nachwirkt. Insofern könnte man davon ausgehen, dass die Bezugnahmeklausel eine „andere Abmachung“ im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG darstellt und sie sich somit in jedem Fall durchsetzt, ohne dass ein Günstigkeitsvergleich gemäß § 4 Abs. 3 TVG in Betracht käme. Die Situation entspricht derjenigen des Verbandsaustritts, wo bereits die Frage relevant wurde, ob die Bezugnahmeklausel unabhängig von ihrer Günstigkeit als „andere Abmachung“ gemäß § 4 Abs. 5 TVG angesehen werden kann.665 Dies ist umstritten, da eine ungünstigere Bezugnahmeklausel bis zum Zeitpunkt des Branchenwechsels hinter einem günstigeren Tarifvertrag zurücktritt.666 Nach überzeugender Ansicht wird die Bezugnahmeklausel von dem (günstigeren) Tarifvertrag aber lediglich verdrängt, nicht dauerhaft vernichtet,667 so dass sie mit dem Ende der normativen Tarifwirkung wieder „aufleben“ kann. Zugleich ist streitig, ob eine Bezugnahmeklausel, die bereits bei Arbeitsvertragsschluss vereinbart wurde, eine „andere Abmachung“ im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG ist, oder ob dieser eine neue, nach Beginn der Nachwirkung geschlossene Vereinbarung erfordert. Nach vorzugswürdiger Ansicht ist davon auszugehen, dass auch die bereits vor dem Branchenwechsel vereinbarte Verweisungsklausel eine „andere Abmachung“ im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG sein kann.668 664 A. A. Bepler, FS 25 Jahre ARGE ArbR im DAV, S. 791 (805 f.); s. o. D.III.1.a)bb)(2), ab S. 337. 665 s. o. B.III.1.b)bb)(2)(a), ab S. 275. 666 Vgl. § 4 Abs. 3 TVG. 667 s. o. B.III.1.b)bb)(2)(a)(aa), ab S. 276. 668 s. o. B.III.1.b)bb)(2)(a)(bb), ab S. 278.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
Die Kollision zwischen dynamisch wirkender Bezugnahmeklausel und statisch nachwirkendem Tarifvertrag gemäß § 4 Abs. 5 TVG (analog) ist damit zugunsten der Bezugnahmeklausel als „anderer Abmachung“ aufzulösen. Unabhängig von ihrer Günstigkeit setzt sich daher die kleine dynamische Bezugnahmeklausel, die dynamisch auf den Tarifvertrag verweist, gegenüber dem statisch nachwirkenden Tarifvertrag durch. cc) Große dynamische Bezugnahmeklausel Auch bei der Verwendung einer großen dynamischen Bezugnahmeklausel ergeben sich infolge eines Branchenwechsels erhebliche Unterschiede zwischen der bisherigen und der neuen Rechtsprechung. (1) Verträge mit Vertragsschluss bis zum 31.12.2001 Nach ihrem Wortlaut wären bei einer großen Bezugnahmeklausel infolge eines Branchenwechsels nunmehr die Bedingungen des jetzt fachlich einschlägigen Tarifvertrages anwendbar. Unter Gleichstellungsgesichtspunkten wird dies jedoch unter Hinweis darauf abgelehnt, dass es sonst zur Ungleichbehandlung zwischen den Gewerkschaftsmitgliedern (ohne Bezugnahmeklausel), für die der alte Tarifvertrag analog § 4 Abs. 5 TVG nachwirkt, und den Außenseitern käme.669 Die Klausel hat mit dem Zeitpunkt der Nachwirkung auf tariflicher Ebene daher ebenfalls nur noch statischen Charakter. (2) Verträge mit Vertragsschluss ab dem 1.1.2002 Nach der neuen Rechtsprechung bleibt die genaue Formulierung der Klausel relevant und ein Gleichstellungszweck kann nicht ohne entsprechende Vereinbarung oder besondere Anhaltspunkte postuliert werden. Eine Jeweiligkeitsklausel kann daher im Falle des Branchenwechsels einen Wechsel des Bezugnahmeobjekts herbeiführen (sofern ihre Formulierung nicht die Tarifbindung voraussetzt, sondern auf die jeweils „einschlägigen“ Tarifverträge verweist).670 Bei den Gewerkschaftsmitgliedern kollidieren in der Folge die Regelungsanordnungen der dynamisch auf den nunmehr einschlägigen Tarifvertrag verweisenden Bezugnahmeklausel und des gemäß § 4 Abs. 5 TVG (analog) statisch nachwirkenden bisherigen Tarifvertrags. Diese Kollision ist wie die 669 670
Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 543. s. o. Teil 1, B.IV.3.c), ab S. 85.
D. Bezugnahmeklauseln und Branchenwechsel
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vorherige im Falle der kleinen dynamischen Klausel aus den Gründen, die bereits beim Verbandsaustritt erläutert wurden,671 zugunsten der Bezugnahmeklausel als „anderer Abmachung“ im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG (analog) aufzulösen. Die statische Nachwirkung des Tarifvertrages wird beendet und der jetzt einschlägige Tarifvertrag gilt kraft Bezugnahme dynamisch. 2. Arbeitgeber ist nicht tarifgebunden Bei einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber galt der Tarifvertrag vor dem Branchenwechsel ausschließlich auf arbeitsvertraglicher Grundlage. Nach dem Branchenwechsel wirken die Normen des bisher einschlägigen Tarifvertrages nicht nach, da sie mangels bisheriger Tarifbindung zu keiner Zeit normativ für das Arbeitsverhältnis galten.672 Nur wenn – wovon hier nicht ausgegangen wird – beide Arbeitsvertragsparteien in die zuständigen Koalitionen eintreten würden, gälte der neue Tarifvertrag unmittelbar und zwingend gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG. Dem Arbeitgeber kann es bereits unter der bisherigen Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede mangels eigener unmittelbarer und zwingender Tarifbindung bei der Verwendung von Bezugnahmeklauseln nicht auf eine Gleichstellung seiner Arbeitnehmer angekommen sein.673 Vielmehr will er die Arbeitsbedingungen durch die Verweisung auf die Tarifbedingungen des einschlägigen Branchenrechts umfassend und abschließend regeln.674 Aus diesem Grund ist die Klausel unabhängig von der Rechtsprechungsänderung nicht im Hinblick auf einen Gleichstellungszweck, sondern nach allgemeinen Grundsätzen auszulegen. Hierbei drohten jedoch wie bereits im Falle des Verbandsaustritts Widersprüche zu der Situation der tarifgebundenen Arbeitgeber:675 a) Nicht tarifgebundener Arbeitnehmer War keine der Arbeitsvertragsparteien vor der Änderung des Betriebszwecks tarifgebunden und der bisherige Tarifvertrag nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden, bestand bereits ursprünglich beiderseits keine Tarifbindung. Hieran ändert sich nach dem Branchenwechsel nichts, sofern nicht beide Seiten in die zuständigen Koalitionen eintreten. 671 672 673 674 675
s. o. B.III.1.b)bb)(2)(a), ab S. 275. Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 534. s. o. S. 135. Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 563, 116. s. o. B.III.2.b), ab S. 283.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
aa) Statische Bezugnahmeklausel Ein Branchenwechsel hat auf eine statische Bezugnahmeklausel keinerlei Einfluss. Sie legt das Bezugnahmeobjekt fachlich sowie zeitlich eindeutig fest. bb) Kleine dynamische Bezugnahmeklausel Da die Auslegungsregel als Gleichstellungsabrede selbst unter der bisherigen Rechtsprechung in dieser Konstellation nicht anwendbar ist, führt eine kleine dynamische Klausel in der vorliegenden Konstellation zu einer weiterhin dynamischen Bindung an den alten Tarifvertrag. Dies wird jedoch nicht durchweg so gesehen. Hromadka/Maschmann/ Wallner676 sprechen sich in dieser Situation für einen Wechsel des Bezugnahmeobjekts aus. Nach einem Branchenwechsel des Außenseiter-Arbeitgebers sei automatisch der nunmehr einschlägige Tarifvertrag bestimmend. Mangels Tarifbindung sei es den Parteien bei Vereinbarung der Bezugnahme nicht auf eine Gleichstellung angekommen, sondern darauf, die Arbeitsbedingungen durch Verweisung auf die einschlägigen Tarifnormen umfassend und abschließend zu regeln. Es sei ihnen allein darauf angekommen, marktübliche Bedingungen zu gewähren.677 Eine kleine dynamische Klausel unter Nennung des Tarifvertrages sei im Zweifel nur deshalb vereinbart worden, weil dieser Tarifvertrag für die Branche einschlägig gewesen sei. Der Zweck, marktübliche Bedingungen zu gewähren, lasse sich auf Dauer nur durch Inbezugnahme des einschlägigen Tarifvertrages erreichen. Der gemeinsame Parteiwille habe Vorrang vor dem Wortlaut. Vor diesem Hintergrund führe die Auslegung der Klausel zur Anwendbarkeit des nunmehr einschlägigen Tarifvertrages. Gegen diese Ansicht spricht jedoch, dass sie den klaren Wortlaut der Klausel missachtet678 und ähnlich der Gleichstellungsrechtsprechung einen Zweck postuliert, der jegliche Auslegung vorherbestimmt. Dies ist eine petitio principii: Dass es den Parteien nur auf die Gewährung marktüblicher Arbeitsbedingungen und nicht auf die bewusste Vereinbarung der Geltung eines ganz bestimmten Tarifvertrages unabhängig von seiner fachlichen Einschlägigkeit angekommen sein soll, ist eine bloße Unterstellung. Zu diesem Zweck hätten die Parteien eine Jeweiligkeitsklausel vereinbaren können, dies haben sie jedoch gerade unterlassen. Es wurde daher bereits unter der „alten“ Rechtslage zu Recht eingewandt, es sei grundsätzlich davon 676 677 678
Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 563 f. Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 564. Daher kritisch Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 158.
D. Bezugnahmeklauseln und Branchenwechsel
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auszugehen, dass die Wahl eines bestimmten Tarifvertrages ernst gemeint war und durch eine Auswechslung des betrieblich-fachlich einschlägigen Tarifvertrages nicht tangiert werden soll.679 In der Konstellation einer dynamischen Bezugnahmeklausel bei einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber ergab sich unter der bisherigen Gleichstellungsdogmatik dann ebenso wie in der Fallgruppe des Verbandsaustritts ein Widerspruch mit der Situation der tarifgebundenen Arbeitgeber, bei denen die Klausel mit Eintritt des Branchenwechsels nur noch statische Wirkung haben sollte. Der Außenseiter-Arbeitgeber wurde somit durch die dynamische Klausel stärker (vertraglich) an den Tarifvertrag gebunden als ein tarifgebundener Arbeitgeber, bei dem die Klausel mit dem Eintritt des Branchenwechsels nur noch statisch ausgelegt wurde. Reichel680 schlug für die bisherige Rechtsprechung einen dogmatischen Ausweg vor: Ausgehend von seiner Prämisse, dass Bezugnahmeklauseln bei Außenseiter-Arbeitgebern nur teil-konstitutive Wirkung haben und nur das fehlende Tarifrecht im Betrieb ersetzen sollen,681 müsse nach einem Herauswachsen aus dem Geltungsbereich des Tarifvertrages auch bei dem tariffreien Arbeitgeber die Klausel zu einer statischen werden. Nur so könne eine Ungleichbehandlung zwischen organisierten und nicht organisierten Arbeitnehmern verhindert werden. Auf diese Weise bringt er wiederum die Dogmatik der Gleichstellungsrechtsprechung zur Anwendung, wenn auch terminologisch nicht deckungsgleich. Die Einwände gegen diese Ansicht wurden bereits oben dargelegt,682 so dass die Ansicht in Bezug auf den vorliegenden Fall des Branchenwechsels ebenfalls abzulehnen ist. Nach der neuen Rechtsprechung ändert sich an der bisherigen Auslegung der kleinen dynamischen Klausel im Falle eines nicht tarifgebundenen Arbeitgebers nichts. Im Hinblick auf tarifgebundene Arbeitgeber nimmt das BAG hingegen von der (generellen) Auslegung als Gleichstellungsabrede Abstand,683 so dass die bisherigen Widersprüche zwischen der Situation tarifgebundener und nicht tarifgebundener Arbeitgeber in Zukunft nicht mehr bestehen werden.
679 Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (247) bei fehlender Tarifbindung des Arbeitgebers; ansonsten komme eine ergänzende Auslegung (unter Gleichstellungsgesichtspunkten) in Betracht. 680 Reichel, Bezugnahme, S. 99. 681 Reichel, Bezugnahme S. 87 ff.; s. o. S. 283. 682 s. o. S. 283 ff. 683 s. o. D.III.1., ab S. 334.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
cc) Große dynamische Bezugnahmeklausel Eine große dynamische Klausel kann bereits unter der bisherigen Rechtsprechung bei einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber nach einem Branchenwechsel einen Wechsel des anwendbaren Tarifvertrags bewirken.684 Die Auslegung als Gleichstellungsabrede kommt hier nicht zur Anwendung. Die neue Rechtsprechung führt zu keinen anderen Rechtsfolgen. Jedoch beseitigt sie auch für den Fall der großen dynamischen Klausel wiederum den bisher bestehenden Widerspruch, dass die Klausel bei nicht tarifgebundenen Arbeitgebern nach einem Branchenwechsel weiterhin dynamisch wirkte, während sie bei Verbandsmitgliedern mit diesem Ereignis nur noch statisch gelten sollte. Auch Verbandsmitglieder, die große dynamische Bezugnahmeklauseln vereinbart haben, werden nach der neuen Rechtsprechung nun ebenso wie ihre nicht organisierten Wettbewerber über diese Klauseln nach einem Branchenwechsel eventuell dynamisch an den nunmehr einschlägigen Tarifvertrag gebunden. b) Tarifgebundener Arbeitnehmer Bei einem Gewerkschaftsmitglied lag mangels Tarifbindung des Arbeitgebers vor dem Brachenwechsel bereits keine unmittelbare Tarifgeltung gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG vor. Ungeachtet seiner Gewerkschaftsmitgliedschaft nahm er an dem Tarifvertrag somit genau wie die Außenseiter nur kraft der Bezugnahmeklausel teil. Der Branchenwechsel führte zu keinen tarifrechtlichen Konsequenzen und die Bezugnahmeklausel war mangels Tarifbindung des Arbeitgebers bereits unter der bisherigen Rechtsprechung nicht als Gleichstellungsabrede auszulegen. Insofern entsprechen die Ergebnisse denen im Falle eines nicht tarifgebundenen Arbeitnehmers.685 3. Ergebnis Bezugnahmeklauseln führen auch im Falle des Branchenwechsels zu einer Modifizierung der tarifrechtlichen Situation. Im Gegensatz zur vorigen Fallgruppe des Verbandswechsels führt der Rechtsprechungswechsel zu deutlich weitreichenderen Veränderungen.686 Ist der Arbeitgeber tarifgebunden, betrifft ihn die Änderung der BAGRechtsprechung. Bei der Auslegung als Gleichstellungsabrede, die weiterhin 684 685 686
Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 565, 386. s. o. D.III.2.a), ab S. 343. s. o. C., ab S. 287.
E. Bewertung der Fallanalyse und ihrer Folgen
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für bis zum 31.12.2001 geschlossene Arbeitsverträge gilt, werden dynamische Klauseln ab dem Zeitpunkt des Branchenwechsels statisch, um der Nachwirkung des „alten“ Tarifvertrages analog § 4 Abs. 5 TVG bei den Gewerkschaftsmitgliedern Rechnung zu tragen. Nach der neuen Rechtsprechung bleibt es nach einem Branchenwechsel bei einer dynamischen Verweisung auf den bisherigen Tarifvertrag, wenn eine kleine dynamische Klausel vereinbart wurde. Bei einer Tarifwechselklausel tritt sogar ein Austausch des Bezugnahmeobjektes ein, da nach dem Branchenwechsel ein anderer Tarifvertrag einschlägig ist. Dies kann bei den Gewerkschaftsmitgliedern jeweils zu Kollisionen führen, wenn der alte Tarifvertrag rein statisch nachwirkt und es entweder eine dynamische Verweisung auf diesen bisherigen Tarifvertrag oder eine dynamischen Verweisung auf den jetzt einschlägigen Tarifvertrag gibt. Hierbei gilt nicht das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG, sondern die Bezugnahmeklausel ist als „andere Abmachung“ im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG (analog) anzusehen, die ungeachtet ihrer Günstigkeit für die Arbeitnehmer den statisch nachwirkenden Tarifvertrag ablöst. War der Arbeitgeber nicht tarifgebunden, berührt ihn die Rechtsprechungsänderung selbst nicht. Jedoch beseitigt sie die bisher bestehenden Wertungswidersprüche zwischen der Situation der organisierten und der nicht organisierten Arbeitgeber, da die Auslegung nun nicht mehr von der Tarifbindung des Arbeitgebers abhängt, sondern für alle Arbeitgeber gleich erfolgt. Eine der Gleichstellungsrechtsprechung immanente Schwäche wird so durch die neue Rechtsprechung beseitigt.
E. Bewertung der Fallanalyse und ihrer Folgen Im folgenden Teil sollen nun die Erkenntnisse der Fallanalysen bewertet und die sich aus dem grundsätzlichen „Systemwechsel“, wie er durch die Rechtsprechungsänderung stattgefunden hat, ergebenden Folgefragen behandelt werden.
I. Bewertung der Fallanalyse Betriebsübergang, Verbandsaustritt, Verbandswechsel und Branchenwechsel sind gängige Methoden, mittels derer Arbeitgeber eine Veränderung oder gar Beendigung der tariflichen Strukturen in ihrem Betrieb oder Unternehmen erreichen wollen bzw. als „Begleiterscheinung“ bei der Verfolgung anderer (wirtschaftlicher) Ziele tatsächlich erreichen. Auf tariflicher Ebene lässt sich dies – in den Grenzen der Übergangsvorschriften wie § 613a
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
Abs. 1 S. 2 BGB, §§ 3 Abs. 3 und 4 Abs. 5 TVG – auch weitgehend verwirklichen. Die Vereinbarung von Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen kann dieses Ziel jedoch vereiteln, wenn durch sie dauerhaft der Tarifvertrag, dessen man sich „entledigen“ wollte, oder gar ein anderer als der tariflich maßgebliche Tarifvertrag zur Anwendung gelangt. Bei der Vereinbarung von Bezugnahmeklauseln stehen den Arbeitgebern drei verschiedene Klauseltypen zur Verfügung – die statische sowie die kleine und die große dynamische Klausel –, so dass ihnen die Möglichkeit gegeben wird, je nach ihren Bedürfnissen die Statik bzw. Dynamik der individualvertraglichen Teilnahme an der Tarifentwicklung zu bestimmen. Sie können also grundsätzlich Vorkehrungen für Fälle des Tarifwechsels treffen. In der Praxis fehlt es aber häufig an einer klaren und eindeutigen Parteivereinbarung. Es ist dann eine Auslegung der Klausel erforderlich, um zu klären, ob sie auch für diese veränderte Situation Geltung beansprucht oder ob die tarifliche Veränderung nicht bedacht wurde. Bei der Auslegung der Verweisungsklauseln geht es daher um die Frage, ob eine Veränderung auf tariflicher Ebene auf die arbeitsvertragliche Ebene „durchschlagen“ soll, ob z. B. eine ursprünglich dynamische Klausel ab dem Zeitpunkt des Tarifwechsels ihre Dynamik verliert oder trotzdem, und unter Umständen auch „ewig“, dynamisch weitergilt. 1. Grundlegender Systemwechsel Wie sich im systematischen Vergleich der Fallanalysen gezeigt hat, führt die Rechtsprechungsänderung der Urteile vom 14.12.2005, 18.4.2007 und 22.10.2008 einen grundlegenden Paradigmenwechsel herbei, der gravierende Auswirkungen auf die Rechtsfolgen in den einzelnen Fällen des Tarifwechsels hat. Die tarifliche Situation und ihre Veränderung im Laufe der Zeit sind für die Auslegung der Klausel von nun an grundsätzlich ohne Belang. Diese Kehrtwende hat für die Praxis enorme Bedeutung. Sofern die Parteien keine beschränkende Vereinbarung getroffen haben oder ein derartiger Wille zumindest erkennbar zum Ausdruck gebracht wurde, führt eine dynamische Bezugnahmeklausel bei Tarifveränderungen auch auf arbeitsvertraglicher Ebene zu einer entsprechenden Anpassung der Arbeitsbedingungen. Folglich gilt individualvertraglich immer das, was ansonsten bei beiderseitiger Tarifgebundenheit normativ gilt – oder gälte: Denn falls der Arbeitgeber gar nicht (mehr) tarifgebunden ist, hat dies für die Auslegung keine Bedeutung. Die Rechtsprechungsänderung ist ein fundamentaler Systemwechsel, der auf einem gewandelten „Glaubensbekenntnis“687 hinsichtlich der Auslegung 687
Vgl. Henssler/Heiden, RdA 2004, 241 (246).
E. Bewertung der Fallanalyse und ihrer Folgen
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von Bezugnahmeklauseln beruht: Diese Auslegung erfordert stets einen Interessenausgleich zwischen dem Flexibilitätsinteresse des Arbeitgebers und dem Bestandsschutzinteresse der Arbeitnehmer. Die tendenziell arbeitgeberfreundliche Auslegungsregel der Gleichstellungsabrede ist einer eher arbeitnehmerfreundlichen Wortlautauslegung gewichen. 2. Unterschiedliche Betroffenheit tarifgebundener und nicht tarifgebundener Arbeitgeber Die Wirkungskraft der Rechtsprechungsänderung für tarifgebundene und nicht tarifgebundene Arbeitgeber könnte unterschiedlicher nicht sein: a) Nicht tarifgebundener Arbeitgeber Für nicht tarifgebundene Arbeitgeber ändert sich durch den Rechtsprechungswechsel grundsätzlich nichts. Die Auslegung als Gleichstellungsabrede war bei ihnen nicht anwendbar. b) Tarifgebundener Arbeitgeber Bei tarifgebundenen Arbeitgebern sind die Auswirkungen hingegen mitunter dramatisch: Maßnahmen des Arbeitgebers zur Beendigung seiner Tarifbindung können de facto wirkungslos werden. Im Falle eines Betriebsübergangs wurde eine vorher dynamische Klausel bisher nur noch als statische ausgelegt, wenn der Tarifvertrag gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB statisch in den Arbeitsvertrag „transformiert“ wurde. Jetzt kann es nach der neuen Rechtsprechung abhängig von der Formulierung der Klausel zu einer weiterhin dynamischen Bezugnahme oder sogar zu einer Inbezugnahme des neuen, beim Erwerber geltenden Tarifvertrags kommen, obwohl § 613a Abs. 1 S. 2 BGB auf normativer Ebene das „Einfrieren“ der Kollektivnormen anordnet. Andererseits kann die Bezugnahme im Falle einer Ablösung des alten Tarifvertrags durch einen Tarifvertrag des Erwerbers gemäß § 613a Abs. 1 S. 3 BGB (in Verbindung mit §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG) trotzdem weiterhin eine dauerhafte und dynamische Bindung an den alten Tarifvertrag herbeiführen. Der Erwerber wird also mitunter gezwungen, fremde Tarifverträge dauerhaft anzuwenden. Ein Verbandsaustritt führt tarifrechtlich eine statische Fort- bzw. Nachwirkung des Tarifwerkes herbei. Im Rahmen der Interpretation als Gleichstellungsabrede wurde eine Bezugnahmeklausel diesem Ergebnis in der Auslegung angepasst. Nach der neuen Rechtsprechung bleibt ihr hingegen ein etwaiger dynamischer Charakter erhalten. Obwohl der Arbeitgeber aus
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
dem Verband ausgetreten ist, gilt der Tarifvertrag dann eventuell dauerhaft dynamisch weiter. Der Verbandsaustritt bleibt de facto ohne Wirkung. Bei einem Branchenwechsel, der die Tarifbindung entfallen und den Tarifvertrag nur noch gemäß § 4 Abs. 5 TVG (analog) statisch nachwirken lässt, wurde eine als Gleichstellungsabrede auszulegende Verweisungsklausel zu einer statischen. Die neue Rechtsprechung lässt sie wiederum weiter dynamisch wirken. Auch wenn der Tarifvertrag daher längst nicht mehr einschlägig ist, kann er die Arbeitsbedingungen weiterhin dauerhaft dynamisch regeln. In einigen Konstellationen blieb eine Synchronisierung der tariflichen und individualrechtlichen Lage aber bereits unter der Gleichstellungsrechtsprechung aus. Bei einem Verbandwechsel konnte sie häufig keine wirkliche Harmonisierung der tariflichen und der vertraglichen Situation erzielen, wenn beim neuen Arbeitgeberverband ein anderer Tarifvertrag bestand. Hierzu hätte die Bezugnahmeklausel grundsätzlich als Tarifwechselklausel ausgelegt werden müssen, was das BAG bei allen Fällen des Tarifwechsels bereits unter der alten Rechtsprechung688 nur bei ausdrücklicher Vereinbarung oder besonderen Umständen annahm. Ansonsten entfiel lediglich die Dynamik der Verweisung. Ähnliche Situationen ergaben sich, wenn in Folge eines Betriebsübergangs beim Erwerber ein anderer Tarifvertrag bestand. Somit kam es schon früher in einigen Fällen zu einem Auseinanderfallen der tariflichen und der individualvertraglichen Arbeitsbedingungen. Die Gleichstellungsabrede führte daher nicht immer zu einer tatsächlichen Gleichstellung der Gewerkschaftsmitglieder und der Außenseiter und hatte in mehreren Konstellationen des Tarifwechsels nicht die ihr zugemessene tatsächliche Wirkung. Dies offenbarte eine grundlegende Inkonsequenz und Widersprüchlichkeit dieser Rechtsprechung, die den von ihr postulierten Arbeitgeberwillen zur vollständigen Gleichstellung nicht in jedem Fall gewährleisten konnte. 3. Klauseltyp entscheidet über die Folgen eines Tarifwechsels Die geänderte Rechtsprechung gewährleistet nun eine dogmatisch überzeugende Behandlung der Bezugnahmeklauseln nach den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB und trägt den Arbeitnehmerschutzinteressen Rechnung. Die Arbeitnehmer müssen die Bezugnahmeklausel meist als vorformulierten Vertragsbestandteil hinnehmen, ohne sie in ihrer Gestaltung beeinflussen zu können. Ihnen kann dann nicht das Risiko sich ändernder tatsächlicher Umstände angelastet werden, denn dies 688
Nach einer diesbezüglichen Rechtsprechungsänderung, s. o. S. 212, 215, 238.
E. Bewertung der Fallanalyse und ihrer Folgen
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fällt in die Verantwortung der Arbeitgeber als Verwender. In der Fallanalyse hat sich gezeigt, dass die von den Parteien getroffene Vereinbarung einer statischen, kleinen oder großen dynamischen Klausel bei Anwendung der neuen Grundsätze nicht angesichts eines Tarifwechsels übergangen oder als obsolet angesehen wird, sondern entscheidend für die eintretenden Rechtsfolgen ist. Der Bezugnahmeklausel kommt somit unter der neuen Rechtsprechung eine tatsächlich konstitutive Wirkung zu. Sie hat stets dieselbe Wirkung, unabhängig von der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers. Auf diese Weise werden außerdem die bisher bestehenden Widersprüche zwischen der Auslegung der Bezugnahmeklausel bei tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und die Inkonsequenzen in einzelnen Konstellationen beseitigt. Neu vereinbarte dynamische Bezugnahmeklauseln werden nun – unabhängig von einem Tarifwechsel – nach einheitlichen Grundsätzen ausgelegt. Die „interpretatio benevolentiae“689 zugunsten der Arbeitgeber gehört der Vergangenheit an. Für bis zum 31.12.2001 geschlossene Verträge bleibt es hingegen aus Vertrauensschutzgründen bei der Anwendung der bisherigen Rechtsprechung.690 4. Bezugnahmeklausel kann den Tarifwechsel torpedieren So begrüßenswert die Abkehr von der Gleichstellungsabrede unter dogmatischen Gesichtspunkten auch ist, so nachteilig können die Konsequenzen in der betrieblichen Praxis sein. Grundsätzlich erhält die Bezugnahmeklausel durch die neue Rechtsprechung das Potenzial, die gesetzlichen Rechtsfolgen eines Tarifwechsel zu torpedieren und tatsächlich wirkungslos zu machen. So sehr die Gleichstellungsrechtsprechung den Arbeitgebern entgegenkam, so sehr behindert die neue Rechtsprechung jetzt einen gewünschten Tarifwechsel. Die Gleichstellungsrechtsprechung machte den Verbandsaustritt, -wechsel, Betriebsübergang oder Branchenwechsel erst operabel. Die Fallanalyse zeigt, dass der von den Arbeitgebern erstrebte Tarifwechsel vereitelt werden kann, wenn man die individualrechtliche Bezugnahme nicht mehr nach der tarifrechtlichen Situation auslegt, sondern ihr einen eigenständigen, „voll“konstitutiven Charakter beimisst. Hat der Arbeitgeber eine dynamische Klausel vereinbart, ohne den Gleichstellungszweck explizit zu nennen, kann er aus seinem Verband austreten, den Verband wechseln oder den Produktionsschwerpunkt seines Betriebes verlagern. Im Zweifel bleibt er mitunter dennoch dauerhaft und dynamisch an den bisherigen Tarifvertrag gebunden. Nach einem Betriebsübergang sieht 689 690
Schliemann, ZTR 2004, 502 (510); s. Fn. 671, S. 145. s. o. Teil 1, D.IV., ab S. 161.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
sich ein Erwerber mit der Pflicht zur dauerhaften Anwendung für ihn fremder Tarifverträge konfrontiert. Eine „Tarifflucht“ wird wirkungslos, wenn sie sich nur auf normativer, nicht zugleich auf individualrechtlicher Ebene durchführen lässt. 5. Entstehen einer „Quasi-Tarifbindung“ Die bisherige Rechtsprechung gab immerhin (einigermaßen) Rechtssicherheit: Es galt für die Nichtorganisierten in der Mehrzahl der Fälle das, was für die Gewerkschaftsmitglieder kraft Gesetzes, unabhängig von der Bezugnahme, galt. Eine Auslegung nach den allgemeinen Regeln führt nun zu schwierigen Einzelfallproblemen: Was ist von den Parteien gewollt, und was ist im Zweifelsfalle jeweils günstiger? Die bisherige Rechtsprechung war vorteilhaft für tarifgebundene Arbeitgeber, indem sie bei ihnen die Vereinbarung der Gleichstellungsabrede vermutete, und nachteilig für nicht tarifgebundene Arbeitgeber, denen diese Auslegungsregel vorenthalten wurde. Die Folge war eine stärkere „faktische“ Tarifbindung des Außenseiter-Arbeitgebers als des Verbandsmitglieds. Dies war eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung, die insbesondere bei identischem Klauseltext nicht nachzuvollziehen war. Von nun an wird auch für die tarifgebundenen Arbeitgeber, die sich ihrer Tarifbindung entledigen wollen, eine volldynamische Bindung bewirkt. Es tritt damit eine „Quasi-Tarifbindung“691 ein, die für tarifgebundene wie nicht tarifgebundene Arbeitgeber gleichermaßen nachteilig sein kann. Ohne dass sie die tarifliche Willensbildung beeinflussen können, sind sie an den Tarifvertrag gebunden. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Situationen ist aber eine Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen dringend notwendig. Die neue Rechtsprechung kann im äußersten Fall zu einer jahrzehntelangen Weitergeltung führen; Tarifwechsel werden erschwert. Dementsprechend negativ fiel daher die Stellungnahme der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) zu dem Thema aus.692 Auch im Schrifttum wurde der Vorwurf laut, die Arbeitgeber, die Bezugnahmeklauseln mit der Intention einer Gleichstellungsabrede vereinbart hätten, seien nun „Gefangene eines Vertrages, den sie so nicht abschließen wollten.“693
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Zu diesem Begriff s. Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1730 ff. Pressemitteilung II/213/05 vom 15.12.2005, abrufbar unter www.bda-online.de: „Die Entscheidung des BAG ist entschieden abzulehnen.“ 693 Weller, Anm. zu BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, EWiR 2006, 389 (390). 692
E. Bewertung der Fallanalyse und ihrer Folgen
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6. Bezugnahmeklausel vereitelt Rechtsfolgen der Tarifbindung Verweisungsklauseln können die mit einer Tarifbindung verbundenen Rechtsfolgen jetzt vereiteln: Aufgrund der neuen Rechtsprechung wird es bei Gewerkschaftsmitgliedern, die (in der Praxis typischerweise) in ihren Arbeitsverträgen zugleich eine Bezugnahmeklausel vereinbart haben, zu Kollisionen der Klausel mit der Tarifsituation kommen. In den meisten Fällen bietet hierbei das Günstigkeitsprinzip die Lösung. Ist die Bezugnahmeklausel günstiger, verdrängt sie die Tarifnorm. Die Gewerkschaftsmitglieder werden dann durch die Vertragsklausel vor ihrer eigenen Tarifbindung geschützt; der Arbeitsvertrag verhindert die effektive Bindung an den von ihrer Koalition geschlossenen Tarifvertrag. In bestimmten Konstellationen, die in der Fallanalyse aufgezeigt wurden, ist sogar davon auszugehen, dass die Bezugnahmeklausel unabhängig von ihrer Günstigkeit den Tarifvertrag verdrängen soll. Sie gilt dann als „Vereinbarung“ gemäß § 613a Abs. 1 S. 4 Var. 2 BGB oder „andere Abmachung“ im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG und beendet die statische Weitergeltung des Tarifvertrags. Früher beeinflusste der Tarifvertrag den Inhalt der Bezugnahmeklausel, heute beeinflusst die Bezugnahmeklausel die Geltung des Tarifvertrages. 7. Handlungsbedarf bei bestehenden und neuen Arbeitsverhältnissen Es kann sich außerdem negativ auswirken, dass in den Betrieben nun eine Gemengelage verschiedener Tarifverträge entsteht. Je nachdem, wann die Arbeitnehmer eingestellt wurden, sind die Bezugnahmeklauseln unterschiedlich auszulegen. Für die bis zum 31.12.2001 eingestellten Arbeitnehmer bleibt es bei der Auslegung als Gleichstellungsabrede; für die ab dem 1.1.2002 eingestellten Arbeitnehmer muss eine Gleichstellungsabrede hingegen ausdrücklich und eindeutig vereinbart werden. Grundsätzlich entscheidet der Wortlaut und ein Tarifwechsel hat keine Auswirkungen auf die Auslegung. Dass ihre eventuell nur einen Tag später eingestellten Kollegen in den Genuss tariflicher Verbesserungen kommen, sie selbst jedoch nicht, wird vielen Arbeitnehmern nur schwer zu vermitteln sein. Vor diesem Hintergrund sprechen Brecht-Heitzmann/Lewek694 von Bezugnahmeklauseln als zukünftigen „Ungleichstellungsabreden“, da nun zwar nicht mehr nach der Tarifgebundenheit der Arbeitgeber, dafür aber nach dem Abschlussdatum des Arbeitsvertrages unterschieden werde. Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass die Arbeitgeber schon aufgrund des administrativen Aufwands einer 694
Brecht-Heitzmann/Lewek, ZTR 2007, 127 (131 f.). Vgl. o. S. 168.
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
Differenzierung innerhalb der Belegschaft versuchen werden, eine Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen zu erreichen.695 Hierzu müssen bestehende Verträge angepasst und in neuen Verträgen andere Klauseln als bisher verwendet werden. Die möglichen Instrumente hierzu werden an späterer Stelle näher dargestellt und auf ihre Wirksamkeit überprüft.696 Bei aller Kritik an den für die Arbeitgeber nunmehr nachteiligen Auswirkungen der Rechtsprechungsänderung ist außerdem zu bedenken, dass die Vereinbarung einer Gleichstellungsabrede grundsätzlich möglich bleibt. Es bedarf lediglich größerer Sorgfalt und Klarheit bei der Formulierung der Klauseln. Dies ist keine unzumutbare Hürde, zumal die Arbeitgeber typischerweise die Verwender vorformulierter Vertragsbedingungen sind. Soll der „vollständige“ Tarifwechsel (auf tariflicher und vertraglicher Ebene) trotz des Rechtsprechungswechsels gelingen, müssen die Arbeitgeber sicherstellen, dass die vertragliche Lage für diesen Fall mit der tariflichen Situation synchronisiert werden kann. Je weniger Sorgfalt nämlich auf die Abfassung der Bezugnahmeklausel verwandt wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit unerwünschter Ergebnisse. Sollen künftige Tarifabschlüsse nicht mehr übernommen werden, wenn Tarifbindung oder Branchenzugehörigkeit des Arbeitgebers wegfallen, muss dies ausdrücklich im Vertrag vereinbart werden. Die Formulierung muss so eindeutig sein, dass sie eine hinreichende Grundlage für den Rückschluss auf einen entsprechenden Willen der Parteien bietet. Will der Arbeitgeber die Tarifbindung so flexibel wie möglich handhaben, muss er eine Tarifwechselklausel vereinbaren.697
II. Recht der Arbeitnehmer zum „Rosinenpicken“? Als eine Konsequenz der geänderten Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede wird befürchtet, dass es von Seiten der Arbeitnehmer zu einem „Rosinenpicken“ kommen könnte. 1. „Rosinenpicken“ bei Bezugnahmeklauseln Die Arbeitnehmer könnten sich aufgrund ihrer Bezugnahmeklausel nach Beendigung der Tarifbindung ihres Arbeitgebers bei neuen Tarifabschlüssen je nach Günstigkeit das eine Mal auf die neue Regelung berufen, wenn sie zu mehr Entgelt führt, das andere Mal ihre Geltung in Abrede stellen, wenn 695 696 697
Relativierend daher auch Brecht-Heitzmann/Lewek, ZTR 2007, 127 (133 f.). s. u. Teil 3, A., ab S. 381. Vgl. den Formulierungsvorschlag in Teil 3, B.
E. Bewertung der Fallanalyse und ihrer Folgen
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sie die Wochenarbeitszeit verlängert.698 Diese Problematik verdeutlicht das folgende Beispiel: Beispiel: Der Arbeitgeber des A ist Mitglied im Arbeitgeberverband der Metallindustrie. Im Arbeitsvertrag des A verweist eine Bezugnahmeklausel auf die Metalltarifverträge. Es ist jedoch unklar, ob diese Klausel eine Gleichstellungsabrede oder eine volldynamische Bezugnahme darstellen soll. Der Arbeitgeber tritt aus dem Verband aus. Kurz danach wird ein neuer Metalltarifvertrag abgeschlossen, der 3% mehr Lohn gewährt. Ein Jahr später wird dieser Tarifvertrag erneut geändert, so dass er nun eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit um eine Stunde vorsieht.
In diesen Konstellationen stellt sich die Frage, ob die Unklarheitenregel und der mit ihr gekoppelte Günstigkeitsvergleich je nach Änderung der tariflichen Lage durchzuführen ist, die Arbeitnehmer sich also jeweils das „herauspicken“ können, was für sie günstiger ist: Dann könnte sich Arbeitnehmer A nach der ersten Tarifänderung auf eine volldynamische Bezugnahme berufen, da diese ihm 3% mehr Lohn gewährt, ein Jahr später dann auf die Gleichstellungsabrede, die ihm den status quo sichert und die Erhöhung der Wochenarbeitszeit verhindert. Für die Arbeitgeber ergäbe sich dann unter Umständen ein vollkommen unkalkulierbares Risiko, wenn sie aufgrund der Unklarheitenregel stets eine „Meistbegünstigung“ leisten müssten. 2. Günstigkeitsvergleich verhindert Rosinenpicken Bei der Klärung dieser Frage ist zunächst zu bedenken, dass im Regelfall die Bezugnahmeklauseln so angewendet werden, wie sie formuliert wurden. Die Unklarheitenregel ist nur bei einer objektiven Mehrdeutigkeit nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden Auslegungsmethoden anwendbar.699 Nur wenn es bei der Auslegung zu einem mehrdeutigen Ergebnis kommt, findet § 305c Abs. 2 BGB Anwendung. Ermöglicht die Auslegung hingegen, den Vertragsgegenstand auf einen eindeutigen Zweck festzulegen, ist § 305c Abs. 2 BGB selbst dann unanwendbar, wenn die Klausel in dieser Auslegung für den Verwendungsgegner nachteilig ist.700 Auch bei objektiver Mehrdeutigkeit gemäß § 305c Abs. 2 BGB besteht kein Wahlrecht der Arbeitnehmer, denn es ist Vorsicht bei dem „Gegenstand“ des Günstigkeitsvergleichs geboten: Gegenstand des Günstigkeitsver698
Klebeck, NZA 2006, 15 (17). BGH v. 22.3.2002 – V ZR 405/00, NJW 2002, 2102 (2103); BGH v. 11.2.1992 – XI ZR 151/91, NJW 1992, 1098; Palandt-Heinrichs, BGB, § 305c Rn. 18. Vgl. o. Teil 1, C.II.3.d)dd), ab S. 119. 700 BGH v. 29.1.2003 – VIII ZR 300/02, NJW-RR 2003, 926 (927); PalandtHeinrichs, BGB, § 305c Rn. 18; Erman-Roloff, BGB, § 305c Rn. 22. 699
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
gleichs ist allein die Bezugnahmeklausel, nicht der Tarifvertrag.701 Letzterer kann aufgrund der §§ 310 Abs. 4, 307 Abs. 3 S. 1 BGB gar nicht kontrolliert werden.702 Wäre der Tarifvertrag das Objekt des Günstigkeitsvergleichs, würde in der Tat jede tarifliche Veränderung die Günstigkeitsfrage neu aufwerfen. Die Auslegungsvarianten der Bezugnahmeklausel, die insofern in Betracht kommen, sind die einer statischen, kleinen oder großen dynamischen Verweisung. Zwischen diesen ist – objektiv – zu bestimmen, welche die günstigste für den Arbeitnehmer ist. Zudem handelt es sich bei der Bezugnahmeklausel typischerweise um AGB,703 deren Auslegung anhand eines objektiven, nicht auf die Umstände des Einzelfalles bezogenen Maßstabes erfolgen muss.704 Die Unklarheitenregel erlaubt bei unklaren Auslegungsvarianten nur die Auswahl einer der in Betracht kommenden Varianten zu Lasten des Verwenders.705 Auch wenn eine dynamische Bezugnahmeklausel ständig ihren Regelungsinhalt ändert, führt dies nicht zu einem kontinuierlichen Vergleichsprozess. Vielmehr muss es – dem AGB-Charakter der Bezugnahmeklausel entsprechend – bei einer einmaligen, abstrakten Prüfung bleiben, so dass spätere Änderungen der in Bezug genommenen tariflichen Regelungen keinen Einfluss auf das Ergebnis der Anwendung der Unklarheitenregel mehr haben können.706 Im Rahmen einer typisierenden Auslegung der Bezugnahmeklausel ist daher darüber zu entscheiden, ob grundsätzlich eine statische oder eine dynamische Verweisung günstiger für die Arbeitnehmer ist. Insofern muss ein objektiver Vergleich vorgenommen werden, welche Auslegungsvariante insgesamt gesehen für die Arbeitnehmer günstiger ist. Bezugnahmeklauseln sind prinzipiell, wie auch das Arbeitsverhältnis insgesamt als Dauerschuldverhältnis, auf die Zukunft gerichtete Vereinbarungen. Die Parteien wollen durch ihre Vereinbarung eine Teilnahme an der Tarifentwicklung ermöglichen. Die starre Festschreibung tariflicher Arbeitsbedingungen in Form einer statischen Bezugnahme ist daher eher eine Ausnahme.707 Zudem führt die Tarifentwicklung meistens (wenn auch nicht im701 Zutreffend Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458 (464); s. auch Thüsing, NZA 2006, 473 (473); Giesen, NZA 2006, 625 (627); Röller/Wißmann, FS Küttner, S. 465 (471f.). Missverständlich Seel, MDR 2006, 491 (493). 702 s. o. Teil 1, C.II.2., ab S. 93. 703 s. o. Teil 1, C.II.1., ab S. 92. 704 Röller/Wißmann, FS Küttner, S. 465 (472); Giesen, NZA 2006, 625 (627) unter Hinweis auf Palandt-Heinrichs, BGB, § 305c Rn. 15 f. 705 Vgl. jüngst BAG v. 24.9.2008 – 6 AZR 76/07, n. v.; Giesen, NZA 2006, 625 (627). 706 Vgl. auch die Beispiele bei Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458 (465). 707 s. o. Teil 1, B.IV.3.a), ab S. 84.
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mer) zu einer Verbesserung der tariflichen Leistungen für die Arbeitnehmer.708 Aufgrund einer typisierenden Betrachtung der Bezugnahmeklausel und des Hintergrundes ihrer Verwendung in der arbeitsvertraglichen Praxis ist daher im Zweifel davon auszugehen, dass eine dynamische Bezugnahme günstiger für die Arbeitnehmer ist, jedoch ist dies keine starre Regel und bedarf der Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles, so dass eventuell auch eine Auslegung als statische Klausel möglich ist.709 Zugleich wird man aus Sicht des Arbeitnehmers typischerweise davon ausgehen können, dass eine Ewigkeitsbindung in der Regel günstiger ist als eine Gleichstellungsabrede.710 Kommt man im obigen Beispiel bei der Auslegung somit zu dem Ergebnis, dass eine dynamische Bezugnahme für den Arbeitnehmer günstiger ist, nimmt er zunächst an der Tariflohnerhöhung teil. Später muss er dann aber auch die tarifliche Erhöhung der Wochenarbeitszeit gegen sich gelten lassen, ohne sich nochmals auf die Unklarheitenregel berufen zu können. Ein Wahlrecht der Arbeitnehmer wird durch die neue Rechtsprechung daher nicht begründet.711 Der Vergleich nach objektiven Kriterien ist unabhängig von der Vertragsanwendung im Einzelfall. Eine „Meistbegünstigung“ der Arbeitnehmer ist damit unwahrscheinlich, sie haben kein Recht zum „Rosinenpicken“.
III. Das Ende des Sanierungstarifvertrags? Die Änderung der Rechtsprechung zur Auslegung von arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln kann auch dauerhafte Veränderungen auf kollektivrechtlicher Ebene nach sich ziehen. Es stellt sich unter anderem die Frage, ob mit der Abkehr von der Gleichstellungsabrede auch das Ende des Sanierungstarifvertrags eingeläutet wird. 1. Begriff des Sanierungstarifvertrags Der Arbeitgeber kann nach der ständigen Rechtsprechung des BAG auch während der Laufzeit eines für ihn unmittelbar und zwingend geltenden 708 Vgl. o. S. 121. Vgl. auch die Rechtsprechung zu Entgelttarifverträgen: BAG v. 9.11.2005 – 5 AZR 128/05, NZA 2006, 202 (204): Im Zweifel sei eine dynamische Bezugnahme anzunehmen, „denn in der Regel wird die Vergütung in Entgelttarifverträgen verbessert und nicht verschlechtert.“ 709 s. o. Teil 1, C.II.3.d)dd), S. 119 f. 710 So auch Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458 (464). 711 Ebenso Wisskirchen/Lützeler, AuA 2006, 528 (530); Giesen, NZA 2006, 625 (627).
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
Verbandstarifs einen Firmentarifvertrag abschließen.712 Dieser verdrängt dann als sachnähere Regelung den Verbandstarifvertrag.713 Es findet somit ein echter Tarifwechsel kraft Ablösung ohne jede Weitergeltung oder Nachwirkung und ohne Bindung an das Günstigkeitsprinzip statt.714 Besondere Bedeutung hat diese Konstellation bei den sog. „Bündnissen für Arbeit“, d.h. Firmentarifverträgen, die Regelungen des Flächentarifvertrages wie z. B. einen Lohnverzicht im Gegenzug zu einer Beschäftigungsgarantie regeln.715 Ziel solcher Sanierungstarifverträge ist zumeist die Sicherung des (etwa durch Auslandswettbewerb gefährdeten) Betriebsstandorts, indem das bisherige (Verbands-)Tarifniveau unterschritten wird. Auf diese Weise wird den besonderen Interessen des Unternehmens, aber auch der Arbeitnehmer, Rechnung getragen. 2. Auswirkung der Rechtsprechungsänderung auf Sanierungstarifverträge Im Rahmen der bisherigen Auslegung als Gleichstellungsabrede ging das BAG davon aus, dass die Bezugnahme auf den Verbandstarif auch den Firmentarif einschließen müsse, da sie im Zweifel der Gleichstellung der Außenseiter mit den Gewerkschaftsmitgliedern (ohne Berücksichtigung einer Bezugnahmeklausel) diene.716 Bei den Gewerkschaftsmitgliedern kommt es 712 BAG v. 24.1.2001 – 4 AZR 655/99, AP Nr. 173 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie; BAG v. 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Je nach Inhalt der Satzung oder vorangegangener Verbandsbeschlüsse verstößt der Arbeitgeber damit aber gegen seine mitgliedschaftlichen Pflichten und setzt sich u. U. Verbandsstrafen aus, vgl. Wiedemann-Oetker, TVG, § 2 Rn. 171; Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 2 Rn. 129. 713 Vgl. BAG v. 24.1.2001 – 4 AZR 655/99, AP Nr. 173 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie; BAG v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, NZA 1991, 736 (739 f.); BAG v. 23.3.2005 – 4 AZR 203/04, NZA 2005, 1003 (1003); Lingemann, FS 25 Jahre ARGE ArbR im DAV, S. 71 (83); Simon/Kock/Halbsguth, EWS 2006, 400 (401); Röller/Wißmann, FS Küttner, S. 465 (474). Vgl. o. C.II.1.d), ab S. 293. Anders ist es, wenn der Verbandstarifvertrag im Zeitpunkt des Abschlusses des Firmentarifvertrages nur noch nachwirkt (§ 4 Abs. 5 TVG): Dann kommt eine Auflösung nach den Grundsätzen der Tarifkonkurrenz bzw. -pluralität nicht mehr in Betracht, vgl. BAG v. 28.5.1997 – 4 AZR 546/95, NZA 1998, 40 (44); Gaul/Naumann, DB 2006, 1054 (1055). Möglicherweise findet dann eine Ablösung gemäß § 4 Abs. 5 TVG statt, sofern der neue Tarifvertrag im konkreten Arbeitsverhältnis anwendbar ist. 714 Gaul/Naumann, DB 2006, 1054 (1054). 715 Lingemann, FS 25 Jahre ARGE ArbR im DAV, S. 71 (83); Kempen/ZachertZachert, TVG, § 1 Rn. 384. 716 BAG v. 14.12.2005 – 10 AZR 296/05, NZA 2006, 744 (745); BAG v. 11.10.2006 – 4 AZR 486/05, NZA 2007, 634 (635); ähnlich BAG v. 17.10.2007 – 4 AZR 812/06, NZA-RR 2008, 329 (329); BAG v. 23.1.2008 – 4 AZR 602/06, n. v.; vgl. auch WHSS-Hohenstatt, E Rn. 186.
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zu einem Tarifwechsel, der zum Zwecke der Gleichstellung dann auch auf die arbeitsvertragliche Ebene „durchschlägt“. Die Bezugnahmeklausel kann dieses Ziel vereiteln, sofern sie nach der geänderten Rechtsprechung nicht mehr als Gleichstellungsabrede ausgelegt werden kann. Nach der neuen Rechtsprechung findet jetzt ohne eine eindeutige Vereinbarung oder hinreichende Anhaltspunkte für eine Gleichstellungsabrede keine Synchronisation mit der tarifrechtlichen Situation mehr statt, sondern es bleibt bei der Auslegung der Bezugnahmeklausel unter Berücksichtigung ihres Wortlauts, d.h. in der Regel bei der Inbezugnahme des Verbandstarifvertrags.717 Gleiches gilt, wenn bei Zweifeln über Inhalt und Reichweite der Bezugnahmeklausel gemäß § 305c Abs. 2 BGB die arbeitnehmergünstigste Auslegung gilt und diese Auslegungsvariante zur Anwendbarkeit des Verbandstarifvertrags führt. Für die Außenseiter bleibt es dann bei der Inbezugnahme des Verbandstarifvertrages. Für die Gewerkschaftsmitglieder gilt der neue Firmentarifvertrag zwar qua Tarifbindung, kumulativ haben sie aber in aller Regel arbeitsvertraglich auch eine Bezugnahmeklausel vereinbart, die weiterhin auf den Verbandstarifvertrag verweist. Diese Kollision ist über das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG aufzulösen, so dass der normativ geltende Firmentarifvertrag dann durch die Bezugnahmeklausel verdrängt werden könnte, falls diese für die Arbeitnehmer günstiger ist.718 Auch auf diesem Wege kommt es dann zur Anwendung des Verbandstarifvertrages. Somit ergibt sich der Eindruck, dass die angekündigte Rechtsprechungsänderung das Ende des Sanierungshaustarifvertrags einläuten könnte.719 Letztere können zwar vereinbart werden, haben jedoch keine praktische Wirkung, wenn zugleich eine Bezugnahmeklausel auf den Verbandstarifvertrag verweist und damit für die Arbeitnehmer günstiger ist. Die Arbeitgeber wären darauf angewiesen, dass sich jeder einzelne Arbeitnehmer mit der Geltung des Sanierungstarifvertrags einverstanden erklärt, was bei einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen kaum anzunehmen wäre und die Sanierung gefährden würde.720 Aus wirtschaftlicher Sicht wäre dies ein sehr nachteiliges Ergebnis. Die Unternehmen könnten nicht mehr auf für sie spezifische Veränderungen der dem Verbandstarifvertrag zugrunde gelegten wirtschaftlichen Situation reagieren. Eine vom Verbandstarifvertrag abweichende Vereinbarung mit der 717
Röller/Wißmann, FS Küttner, S. 465 (474); Bayreuther, ZIP 2008, 573 (573 f.). Ebenso Bayreuther, ZIP 2008, 573 (573). 719 Vgl. Röller/Wißmann, FS Küttner, S. 465 (474); Klebeck, NZA 2006, 15 (18); Thüsing, AGB-Kontrolle im ArbR, Rn. 207; Rieble/Klebeck, BB 2006, 885 (890); Clemenz, NZA 2007, 769 (773); Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 84 f. 720 Bayreuther, ZIP 2008, 573 (573). 718
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
zuständigen Gewerkschaft, durch die den Besonderheiten des Unternehmens bisher Rechnung getragen werden konnte, wäre praktisch nicht mehr möglich. Ultima ratio wäre dann die Stilllegung oder Verlagerung der Produktion ins Ausland, die sicherlich von niemandem gewünscht wären.721 3. Lösungswege nach der Rechtsprechungsänderung Es bedarf daher einer Lösung dieses für die Praxis bedeutenden Problems, da ansonsten ein effektives Mittel zur Bewältigung spezifischer Probleme eines Unternehmens verloren ginge. Sofern man in Anlehnung an das BAG in seiner Entscheidung vom 23.3.2005722 davon ausgeht, dass eine Tarifkonkurrenz auch im Verhältnis zwischen normativ und kraft Bezugnahme geltendem Tarifvertrag vorliegt, löst sich die Kollision wiederum über das Spezialitätsprinzip, und der normativ geltende Firmentarifvertrag verdrängt den kraft Bezugnahme anwendbaren Verbandstarifvertrag; das Günstigkeitsprinzip kommt nicht zur Anwendung. Dass die Annahme einer Tarifkonkurrenz bei der Kollision von Tarifvertrag und Arbeitsvertrag jedoch abzulehnen ist, wurde bereits erörtert.723 Auch das BAG hat von dieser Auffassung mittlerweile Abstand genommen.724 Als Ausweg wird mitunter vorgeschlagen, danach zu unterscheiden, ob der Firmentarifvertrag von derselben Gewerkschaft geschlossen wurde wie der Verbandstarifvertrag. Bei Abschluss des Firmentarifvertrages durch die identische Gewerkschaft solle eine vertragliche Anwendbarkeit des Sanierungstarifvertrages möglich sein.725 In diesem Fall sei die für die Arbeitnehmer günstigere Auslegung als zweifelsfrei ausgeschlossen zu werten. Andere Stimmen in der Literatur wollen die Bezugnahmeklausel grundsätzlich so auslegen, dass der Verweis auf den Verbandstarif auch Modifikationen durch Firmentarifvertrag mit umfasst.726 Hierfür spreche der Zweck 721
Clemenz, NZA 2007, 769 (773). BAG v. 23.3.2005 – 4 AZR 203/04, NZA 2005, 1003 (1005 f.); s. bereits o. A.II.3.b)bb), ab S. 233. 723 s. o. A.II.3.b)bb), ab S. 233. 724 BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 765/06, AuR 2008, 181 (183) und 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364 (366). Vgl. o. A.II.3.b)bb), ab S. 233. 725 Reinecke, BB 2006, 2637 (2642); Thüsing, NZA 2006, 473 (473); ders., AGB-Kontrolle im ArbR, Rn. 207; Bayreuther, Anm. zu BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, AP Nr. 53 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag. 726 Röller/Wißmann, FS Küttner, S. 465 (474) unter Hinweis auf BAG v. 23.3.2005 – 4 AZR 203/04, NZA 2005, 1003 (1005); BAG v. 27.2.2002, 9 AZR 562/00, NZA 2002, 1099 (1101 f.); BAG v. 14.12.2005 – 10 AZR 296/05, NZA 2006, 744 (745); Simon/Kock/Halbsguth, EWS 2006, 400 (401); Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 319. Ebenso Hanau, NZA 2005, 489 (492); Lingemann, FS 25 722
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der Bezugnahmeklausel, da es einem Unternehmen bei der Bezugnahme auf einen Verbandstarif ersichtlich um seine für das Unternehmen maßgebliche Fassung gehe.727 Zum Teil wird sogar nach der Rechtsprechungsänderung weiterhin ein Gleichstellungszweck postuliert, den es – ggf. im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung – umzusetzen gelte:728 Zusammen mit dem Firmentarifvertrag stelle der Verbandstarifvertrag ein Sinnganzes dar, das wegen des Gleichstellungszwecks der Bezugnahmeabrede bei nicht tarifgebundenen wie tarifgebundenen Arbeitnehmern zur Anwendung gelangen solle.729 Unter der neuen Rechtsprechung ist die generelle Erfassung eines erst später abgeschlossenen Firmentarifvertrages bei einer Verweisung auf den Verbandstarifvertrag jedoch im Hinblick auf den Wortlaut der Bezugnahmeklausel, den gemäß §§ 133, 157 BGB für die Auslegung entscheidenden objektiven Empfängerhorizont sowie das Transparenzgebot nach § 307 BGB und die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB problematisch.730 Ein Gleichstellungszweck muss sich unzweifelhaft aus dem Wortlaut der Klausel ergeben. Ein genereller Rückgriff auf die Gleichstellungsabrede muss nach der geänderten Rechtsprechung ausscheiden; hierfür bedarf es einer eindeutigen Vereinbarung durch die Arbeitsvertragsparteien. Liegt eine solche nicht vor und ist eine (ergänzende) Vertragsauslegung erforderlich, sind hohe Anforderungen zu stellen.731 Eine Bezugnahmeklausel erfasst grundsätzlich nur noch dann sanierende Firmentarifverträge, wenn der Klauseltext zumindest auch auf solche verweist, wenn auch nur in allgemeiner Form einer großen dynamischen Klausel.732 Angesichts der neuen Rechtsprechung verbietet sich grundsätzlich eine Auslegung, die sich vom Wortlaut der Klausel und den sonstigen für den Arbeitnehmer erkennbaren Umständen ihres Zustandekommens löst. Schließlich wird der Wortlaut der Klausel hier, wenn überhaupt, nur begrenzt berücksichtigt und auf diesem Wege das grundsätzlich zwischen Arbeitsvertrag und Tarifvertrag geltende Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG außer Kraft gesetzt. Das den Arbeitnehmern gewährte „MindestJahre ARGE ArbR im DAV, S. 71 (83 ff.); Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 309 f., Gaul, ZfA 2003, 75 (97) jeweils zur alten Rechtsprechung. 727 Hanau, NZA 2005, 489 (492). 728 BAG 14.12.2005 – 10 AZR 296/05, NZA 2006, 744 (745); Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 319. Vor der Rechtsprechungsänderung Hanau, NZA 2005, 489 (492). 729 Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 319. 730 So auch Röller/Wißmann, FS Küttner, S. 465 (474); Simon/Kock/Halbsguth, EWS 2006, 400 (401) (i. Erg. positiv). Vgl. o. für den Fall des Betriebsübergangs A.II.4.a)bb), ab S. 241. 731 s. o. Teil 1, D.III.3.b)bb), ab S. 149. 732 Ebenso Bayreuther, ZIP 2008, 573 (574).
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
niveau“ des in Bezug genommenen Verbandstarifvertrages kann also unterschritten werden. Dies ist nur gerechtfertigt, wenn tatsächlich eine Vertragslücke für diesen Fall vorliegt und es dem „hypothetischen Parteiwillen“733 entspricht, dass die Verweisung auch den (späteren) Firmentarifvertrag mit umfassen soll. Schließlich hätten die Parteien durch eine Tarifwechselklausel auch den Wechsel des Bezugnahmeobjekts vorsehen können. Eine unvorhersehbar weite Auslegung würde die schutzwürdigen Interessen der Arbeitnehmer verletzen. Es kann daher keine generelle Auslegungsregel des Inhalts aufgestellt werden, dass die Inbezugnahme des Verbandstarifvertrages auch jeweils den Firmentarifvertrag mit umfasse. Bestärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass die erstmalige (schuldrechtliche) Anwendung von Firmentarifverträgen stets eine eigenständige nachweispflichtige Tatsache im Sinne des § 3 S. 1 NachwG ist.734 Erforderlich ist vielmehr eine Auslegung der Klausel im Einzelfall. Die bloße Identität der tarifschließenden Gewerkschaften reicht hierfür allein nicht aus, sie ist höchstens ein Indiz; denn schließlich ist auf Seiten des „Gegenspielers“ keine Identität gegeben – der Verbandtarifvertrag wird mit dem Arbeitgeberverband geschlossen, der Firmentarifvertrag mit dem einzelnen Arbeitgeber.735 Es muss vielmehr der (ggf. hypothetische) Parteiwille erkennbar zum Ausdruck kommen, dass der Abschluss eines Haustarifvertrages unabhängig von dessen Günstigkeit neben der Ablösung des Verbandstarifvertrages auf normativer Ebene auch zu einem Wechsel des Bezugnahmeobjekts auf individualrechtlicher Ebene führen soll. In einem besonderen Fall sprechen jedoch sogar schon die Umstände für eine von den Parteien gewollte Inbezugnahme des „neuen“ Tarifvertrags: Im Hinblick auf einen firmenbezogenen Verbandstarifvertrag736 kann man aufgrund seiner nahen Verwandtschaft zum bereits bestehenden Verbandstarifvertrag davon ausgehen, dass die Verweisungsklausel ihn ebenfalls umfasst.737 Bei einem firmenbezogenen Verbandstarifvertrag handelt es sich um eine auf ein Einzelunternehmen zugeschnittene Tarifregelung zwischen Arbeitgeberverband und Gewerkschaft, die meist den Zweck verfolgen, 733
Einzelheiten MüKo-Busche, BGB, Bd. 1/1, § 157 Rn. 47. BAG v. 5.11.2003 – 5 AZR 469/02, AP Nr. 1 zu § 3 NachwG; Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 185. 735 s. o. A.II.4.a)bb), ab S. 241. Für den Sonderfall der Verweisung auf einen Firmentarifvertrag und Betriebsübergang auf einen Erwerber, der mit derselben Gewerkschaft einen anderen Firmentarifvertrag geschlossen hat, vgl. S. 242. 736 s. hierzu BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, DB 2007, 1924 ff.; Henssler, ZfA 1998, 517 (537 ff.). 737 Vgl. bereits im Rahmen der Fallanalyse o. A.II.4.a)bb), ab S. 241; Simon/ Kock/Halbsguth, EWS 2006, 400 (401); Meyer, SAE 2008, 55 (56) (zur Gleichstellungsabrede). 734
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eine unternehmensspezifische Ergänzung des Verbandstarifs vorzunehmen.738 Wenn die Parteien sich durch die Inbezugnahme des Verbandstarifvertrages der Verbandstarifentwicklung unterwerfen, ist ein derartiger Wille erst recht anzunehmen, wenn es sich um einen speziell auf ihren Betrieb, ihr Unternehmen etc. zugeschnittenen Verbandstarifvertrag handelt, der den ökonomischen Besonderheiten des einzelnen Arbeitgebers Rechnung trägt und der zudem nicht nur von der identischen Gewerkschaft, sondern zugleich sogar dem identischen Arbeitgeberverband abgeschlossen wurde.739 Eine ähnliche Ausnahme wird auch im Falle eines Überleitungstarifvertrages angenommen, d.h. eines Firmentarifvertrages, der ausdrücklich regelt, welche tariflichen Regelungen nach einem Tarifwechsel anwendbar sind.740 Der Zweck eines solchen Überleitungstarifvertrages ist es, die Arbeitsbedingungen nach der Veränderung auf tariflicher Ebene (weiterhin) zu vereinheitlichen, oder offene Rechtsfragen (z. B. tarifliche Umgruppierungen, Anpassung von Versorgungsregelungen, besonderen Kündigungschutz etc.) nach einer Umstrukturierung zu klären. Besondere Aktualität erlangten Überleitungstarifverträge hinsichtlich des Inkrafttretens des TVöD am 1.1.2005, indem durch sie geregelt wurde, dass nunmehr der TVöD den BAT von 1961 sowie den BAT-Ost, MTArb und MTArb-O, den BMT-G II sowie den BMT-G Ost ersetzt.741 Damit wurde die Anwendbarkeit des neuen Tarifvertrages festgeschrieben.742 Wird in einem Überleitungstarifvertrag vereinbart, dass z. B. nach einem Betriebsübergang die Tarifverträge des Erwerbers gelten sollen, so wird teilweise vertreten, dass somit die kollektive Geltung der Tarifverträge des Erwerbers über den speziellen Firmentarifvertrag festgeschrieben und damit auch von der Bezugnahmeklausel erfasst werde.743 Dies ist allerdings nur unter einer weiteren Prämisse der Fall: Diese Auffassung setzt voraus, dass die kleine dynamische Verweisung auf den Verbandstarifvertrag zugleich auch den Überleitungstarifvertrag als Firmentarifvertrag mit umfasst und somit „automatisch“ mit dessen Abschluss auf diesen verweist.744 Dies kann aus den o. g. Gründen jedoch nach der neuen Rechtsprechung gerade nicht mehr angenommen werden. Ein Überleitungstarifvertrag wird daher ohne 738 Vgl. BAG v. 11.10.2006 – 4 AZR 486/05, NZA 2007, 634 (635) für einen Altfall; Jacobs, ZTR 2001, 249 (256). 739 Zur Frage der Legitimation des Arbeitgeberverbands vgl. Jacobs, ZTR 2001, 249 (256). 740 Lingemann, FS 25 Jahre ARGE ArbR im DAV, S. 71 (85). 741 Hümmerich/Mäßen, NZA 2005, 961 (962); Möller/Welkoborsky, NZA 2006, 1382 (1383); v. Steinau-Steinrück/Schmidt, NZA 2006, 518 (522). 742 s. o. bereits S. 81, 122. 743 Lingemann, FS 25 Jahre ARGE ArbR im DAV, S. 71 (85). 744 So Lingemann, FS 25 Jahre ARGE ArbR im DAV, S. 71 (83 ff.).
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Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
ausdrückliche Vereinbarung nicht von einer Bezugnahme auf den Verbandstarif erfasst und kann daher zu keiner Veränderung des Bezugnahmeobjekts führen. Etwas anderes kann jedoch aufgrund der erneuten Nähe zum bestehenden und in Bezug genommenen Verbandstarifvertrag im besonderen Falle des firmenbezogenen Verbands-Überleitungstarifvertrages gelten. Insgesamt wird die Tür für einen Sanierungstarifvertrag daher durch die Rechtsprechungsänderung nicht vollkommen zugestoßen. Eine ergänzende Auslegung der Bezugnahmeklausel, aufgrund derer man die Verweisung auf den Verbandstarifvertrag zugleich als Verweisung auf den sich auf tariflicher Ebene als spezieller durchsetzenden Firmentarifvertrag verstehen kann, wird nach der geänderten Rechtsprechung des BAG zwar nur noch bei klarer und eindeutiger Vereinbarung der Parteien oder besonderen Umständen möglich sein. Grundsätzlich ist eine Auslegung der Klausel im jeweiligen Einzelfall erforderlich. Wird kein Firmentarifvertrag, sondern ein firmenbezogener Verbandstarifvertrag abgeschlossen, ist aber aufgrund des Parteiwillens in der Regel davon auszugehen, dass dieser auch nach der neuen Rechtsprechung von der bisherigen Inbezugnahme des Verbandstarifvertrages mit erfasst wird. Bereits jetzt werden firmenbezogene Verbandstarifverträge in der Praxis sehr häufig benutzt.745 Für die Zukunft ist jedem Arbeitgeber zu raten, in die Bezugnahmeklausel auch den Verweis auf etwaige (zukünftige) Firmentarifverträge und firmenbezogene Verbandstarifverträge aufzunehmen.746 Dies ist der einfachste Weg, sich die Möglichkeit eines Sanierungstarifvertrages zu erhalten und die sich ansonsten bei der Auslegung einer nicht eindeutigen Bezugnahmeklausel ergebenden Schwierigkeiten zu vermeiden. Eine Alternative stellt der Verweis auf den „jeweils speziellsten“ Tarifvertrag dar, da auch in diesem Fall anstelle des bisher in Bezug genommenen Verbandstarifvertrages nunmehr der Firmentarifvertrag das Bezugnahmeobjekt wäre. Ein derartiger Verweis wäre ohnehin im Falle einer Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit bei Tarifpluralität durch das BAG anzuraten.747
IV. Auswirkungen auf die Lehre der Tarifeinheit im Betrieb Die Konzeption der Gleichstellungsabrede ist eng mit der Lehre der Tarifeinheit verknüpft: Diese Verknüpfung unterstellt, dass es nur einen Tarif745 Vgl. Wiedemann-Wank, TVG, § 2 Rn. 184 f. m. w. N. Sie beschäftigen auch zunehmend die Gerichte, vgl. BAG v. 11.10.2006 – 4 AZR 486/05, NZA 2007, 634 ff.; BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, DB 2007, 1924 ff. 746 s. u. Teil 3, B., ab S. 426; ebenso Bayreuther, ZIP 2008, 573 (574). 747 s. u. E.IV.2., ab S. 371.
E. Bewertung der Fallanalyse und ihrer Folgen
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vertrag gibt, mit dem eine Gleichstellung erreicht werden soll.748 Die Gleichstellungsabrede ist nämlich nur sinnvoll, wenn im Betrieb einheitlich ein Tarifvertrag gilt.749 Zugleich wird erst durch die Gleichstellungsabrede die (einheitliche) Geltung des Tarifvertrages auch in den Arbeitsverhältnissen der Außenseiter erreicht und somit eine tarifrechtliche und arbeitsvertragliche Tarifeinheit herbeigeführt.750 Diesen Zusammenhang hat auch das BAG ausdrücklich festgestellt.751 Bei Tarifeinheit gilt nur ein Tarifvertrag, und es ist klar, worauf die Gleichstellung hinausläuft. Gelten hingegen – wie z. B. im Falle einer (hinzunehmenden) Tarifpluralität nach einem Verbandswechsel752 – mehrere Tarifverträge normativ im Betrieb, ist unklar, mit welchen Arbeitnehmern gleichgestellt werden soll. Wenn in einem Betrieb mehrere Tarifverträge gelten, greift der Gleichstellungszweck zumindest teilweise ins Leere.753 Nach Ansicht einiger Autoren macht die geänderte Rechtsprechung zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln deshalb den Weg frei für den Abschied von der These der Tarifeinheit.754 Gleichstellungsabrede und Tarifeinheit bedingten einander, so dass die Abkehr vom ersten Grundsatz auch das Ende des zweiten einläute. 1. Anzeichen in der Rechtsprechung für eine Abkehr vom Grundsatz der Tarifeinheit In der Tat deutet die Rechtsprechungsänderung auf eine derartige Entwicklung hin. Wenn das BAG nunmehr von einer („voll“)konstitutiven Wirkung der Bezugnahmeklausel ohne Rückgriff auf die Gleichstellungsdogmatik auch für Gewerkschaftsmitglieder ausgeht, entsteht ungeachtet der Tarifbindung des Arbeitgebers und der Arbeitnehmer eine weitere (individualrechtliche) Teilnahme an eventuell anderen Tarifverträgen. Trotz eines nur noch gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB „eingefrorenen“, gemäß § 3 Abs. 3 748 Röller/Wißmann, FS Küttner, S. 465 (476); Thüsing, NZA 2006, 473 (474); ders., NZA 2005, 1280 (1283). 749 Jacobs, NZA 2008, 325 (327); Lindemann/Simon, BB 2006, 1852 (1854); Thüsing, NZA 2005, 1280 (1283); Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 181. 750 Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1073); Feudner, RdA 2008, 301 (301). 751 BAG v. 4.9.1996 – 4 AZR 135/95, NZA 1997, 271 (272). 752 s. o. C.III.2., ab S. 319. 753 Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1074). 754 Jacobs, NZA 2008, 325 (327); Thüsing, NZA 2006, 473 (474); Lindemann/Simon, BB 2006, 1852 (1854, 1857); WHSS-Hohenstatt, E Rn. 202; Hümmerich/Holthausen, NZA 2006, 1070 (1077 f.); Laskawy/Malek, AuR 2008, 183 (184); Franzen, RdA 2008, 193 (196).
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TVG weitergeltenden oder nach § 4 Abs. 5 TVG nachwirkenden Tarifvertrages kann es je nach Sachlage aufgrund der Bezugnahmeklausel zur dynamischen (individualvertraglichen) Anwendung eines anderen Tarifvertrages kommen. Eine Gleichstellung ist dann nicht mehr möglich, denn es ist nicht klar, mit wem gleichgestellt werden soll.755 Indem es diese „Gemengelage“ der Anwendbarkeit verschiedener kraft Tarifbindung und/oder kraft Bezugnahme anwendbarer Tarifverträge im Betrieb und sogar im einzelnen Arbeitsverhältnis nun nach der geänderten Rechtsprechung nicht mehr beseitigt sondern akzeptiert, zeichnet sich tatsächlich auf Seiten des BAG eine Abkehr vom Grundsatz der Tarifeinheit ab. Das Axiom „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag“ wird aufgegeben. Dieser Eindruck wird durch einige BAG-Urteile aus jüngerer Zeit verstärkt. In seinem Urteil vom 13.5.2004756 hat der Zehnte Senat die Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit für den Fall der Geltung eines für allgemeinverbindlich erklärten Verbandstarifvertrages zum Urlaubskassenverfahren des Baugewerbes und eines (eigentlich spezielleren) Manteltarifvertrages mit Rücksicht auf § 1 Abs. 3 AEntG aufgegeben. Das BAG führte wörtlich aus: „Im Geltungsbereich des AEntG können sowohl Vorschriften der allgemeinverbindlichen Bautarifverträge als auch baufremde tarifliche Regelungen nicht nur im selben Betrieb, sondern auch auf das einzelne Arbeitsverhältnis Anwendung finden.“757
Nach Ansicht des Zehnten Senats sollen bloße Praktikabilitätserwägungen nicht mehr ausreichen, um zwingende gesetzliche Vorgaben zu beseitigen.758 Somit können sowohl inländische als auch ausländische Bauarbeitgeber die Anwendung der nach § 1 AEntG zwingenden tariflichen Bestimmungen nicht mehr durch Bindung an einen für den Betrieb geltenden, spezielleren Tarifvertrag vermeiden.759 § 1 AEntG zeigt insofern, dass der Gesetzgeber die bisher von der Rechtsprechung reklamierten Unsicherheiten und praktischen Schwierigkeiten einer Tarifpluralität für überwindbar hält. Jedoch handelt es sich um eine Sonderkonstellation, die den sozialpolitischen Besonderheiten im Bereich der Entsendung im Baugewerbe geschuldet ist. Das LAG Baden-Württemberg hält Praktikabilitätsüberlegungen aber grundsätzlich für nicht mehr ausreichend, um den Grundsatz der Tarifein755
Lindemann/Simon, BB 2006, 1852 (1857). BAG v. 13.5.2004 – 10 AS 6/04, n. v. 757 BAG v. 13.5.2004 – 10 AS 6/04, n. v. (unter II.5.c) ff. a. E.). 758 BAG v. 13.5.2004 – 10 AS 6/04, n. v.; BAG v. 25.1.2005 – 9 AZR 146/04, NZA 2006, 171 (172 f.). 759 Jacobs/Krause/Oetker-Jacobs, TarifvertragsR, § 7 Rn. 224. 756
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heit zu rechtfertigen; vielmehr müsse der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse an einer Vereinheitlichung der Tarifstrukturen im Betrieb vorweisen.760 Die mündliche Verhandlung über die gegen den Beschluss des LAG Baden-Württemberg eingelegte Rechtsbeschwerde761 war auf den 21.03. 2007 terminiert und die Entscheidung des Vierten Senats des BAG zu der aufgeworfenen Frage mit Spannung erwartet worden. Die Ankündigung der Grundsatzentscheidung zur Frage der Tarifeinheit bei Tarifpluralität wurde jedoch am 16.3.2007 zurückgenommen, da die Klägerin ihre Anträge auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Umgruppierung von Arbeitnehmern von einem tariflichen Vergütungssystem in ein durch eine andere Gewerkschaft geschlossenes tarifliches Vergütungssystem zurückgezogen und das Verfahren für erledigt erklärt hatte.762 Auch ohne bisherige Grundsatzentscheidung mehren sich die Anzeichen, dass das BAG im Falle der Tarifpluralität vom Grundsatz der Tarifeinheit Abstand nehmen wird. Der ganz überwiegende Teil der Literatur hat diesen Grundsatz bisher auch stets unter Hinweis auf verfassungsrechtliche Bedenken kritisiert.763 Die Gründe, die gegen eine Auflösung von Tarifpluralitäten mittels des Grundsatzes der Tarifeinheit sprechen, wurden bereits erläutert.764 In einigen Konstellationen, die mitunter auch in der vorstehenden Fallanalyse dargestellt wurden, kommt es bereits jetzt de facto zu einer dauerhaften Tarifpluralität: Z. B. dann, wenn der Betrieb auf einen Erwerber übergeht, der einen anderen Tarifvertrag mit einer anderen Gewerkschaft geschlossen hat.765 Dann wird der „alte“ Tarifvertrag gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB eingefroren, eine Ablösung gemäß § 613a Abs. 1 S. 3 BGB kommt mangels kongruenter Tarifbindung aber nicht in Betracht. Hier können mehrere Tarifwerke nebeneinander zur Anwendung kommen, das eine auf den übernommenen Belegschaftsteil, das andere auf die Stammbelegschaft des Erwerbers.766 Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber im Nachwirkungsstadium gemäß § 4 Abs. 5 TVG einen neuen Tarifvertrag mit einer 760 LAG Baden-Württemberg v. 23.02.2005 – 4 TaBV 2/04, n. v.; zustimmend Bayreuther, NZA 2006, 642 (645). 761 Az. 4 ABR 19/05. 762 Vgl. die Pressemitteilung des BAG Nr. 22/07, abrufbar unter www.bundes arbeitsgericht.de. 763 s. o. C.II.2.a)bb), ab S. 299. Vgl. aus jüngster Zeit die umfassende Kritik bei Jacobs, NZA 2008, 325 ff. 764 s. o. C.II.2.a)dd), ab S. 302. 765 s. o. A.II.5., ab S. 247. 766 Bepler, FS 25 Jahre ARGE ArbR im DAV, S. 791 (799); ähnlich auch Jacobs, NZA 2008, 325 (327).
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anderen Gewerkschaft abschließt, der mangels Tarifbindung der Arbeitnehmer keine Ablösung als „andere Abmachung“ bewirkt.767 Auch die Entscheidungen des BAG zur Tariffähigkeit der CGM768 und UFO769 deuten in diese Richtung.770 Sie wurden bereits als wichtiger Schritt auf dem Weg zum Gewerkschaftspluralismus beurteilt.771 Die bisher eher restriktive Rechtsprechung zur Tariffähigkeit von Minderheitsgewerkschaften und der Grundsatz der Tarifeinheit beruhten beide auf dem Gedanken, dass innerhalb eines Betriebes klare und einheitliche tarifliche Regelungen gelten sollen.772 Indem es nun auch kleinere Gewerkschaften für tariffähig erklärt, macht das BAG deutlich, dass die Tariflandschaft durchaus eine Verbandskonkurrenz verträgt und ein Nebeneinander von verschiedenen Tarifverträgen unterschiedlicher Gewerkschaften im Betrieb die Tarifautonomie nicht funktionsunfähig macht.773 Ansonsten wäre die Zuerkennung der Tariffähigkeit an Spartengewerkschaften ohne praktischen Nutzen. Dass der Abschluss von Tarifverträgen durch diese Gewerkschaften als bloße „Trockenübung“774 zugelassen werden sollte, da sie umgehend nach dem Grundsatz der Tarifeinheit durch andere Tarifverträge verdrängt würden, kann nicht angenommen werden. In der heutigen Tariflandschaft herrscht zudem bereits ein Koalitionspluralismus. Bei der Lufthansa konkurrieren ver.di und UFO, auf den Flughäfen GdF und ver.di, bei der Deutschen Bahn Transnet, GDL und GDBA und in den meisten Krankenhäusern ver.di und der Marburger Bund.775 Es treten somit zunehmend kleine, durchsetzungsstarke Spartengewerkschaften auf, die eigene Tarifforderungen für Berufsgruppen erheben, die sich von den „klassischen“ großen DGB-Gewerkschaften nicht mehr hinreichend vertreten fühlen.776 In seinem CGM-Urteil spricht der Erste Senat zudem von der „vom Bundesarbeitsgericht bislang vertretenen – verfassungsrechtlich umstrittenen – Lehre von der Tarifeinheit“.777 767
Bepler, FS 25 Jahre ARGE ArbR im DAV, S. 791 (799). BAG v. 28.3.2006 – 1 ABR 58/04, AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit. 769 BAG v. 14.12.2004 – 1 ABR 51/03, AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tariffähigkeit. 770 Jacobs, NZA 2008, 325 (327). 771 Greiner, Anm. zu BAG v. 28.3.2006 – 1 ABR 58/04, EzA Nr. 28 zu § 2 TVG, S. 51. 772 Bayreuther, NZA 2007, 187 (188). 773 Bayreuther, NZA 2007, 187 (188). 774 Bayreuther, NZA 2007, 187 (188), s. dens. auch zum Arbeitskampf des Marburger Bundes, NZA 2006, 642 (645) m. w. N. 775 Vgl. Jacobs, NZA 2008, 325 (325) m. w. N. 776 Greiner, NZA 2007, 1023 (1024). 777 BAG v. 28.3.2006 – 1 ABR 58/04, AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit. 768
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Insofern setzt er die Distanzierung, die bereits in dem UFO-Beschluss778 anklang, fort.779 Auch jüngere Äußerungen des Vorsitzenden des Vierten Senats Bepler780 deuten in diese Richtung. Auch der Arbeitskampf des Marburger Bundes nach Aufkündigung der Tarifgemeinschaft mit der Gewerkschaft ver.di im Jahr 2006 sowie der Lokführer-Gewerkschaft GDL gegen die Deutschen Bahn im Jahr 2007/ 2008 haben die Frage aufgeworfen, ob derartige Streiks zulässig sind.781 Insbesondere wurden Bedenken erhoben, dass ein Streik um einen Spartentarifvertrag, der im Betrieb aufgrund der Anwendung des Prinzips der Tarifeinheit als Nischenregelung verdrängt werde und damit gar nicht zur Anwendung komme, unverhältnismäßig sei.782 Der Lokführerstreik hat die deutschen Arbeitsgerichte beschäftigt,783 jedoch bisher zu keiner höchstinstanzlichen Entscheidung geführt. Am 12. Januar 2008 einigten sich die GDL und die Deutsche Bahn AG jedoch auf die Eckpunkte eines neuen, eigenständigen Tarifvertrages für die Lokführer. Trotz zwischenzeitlicher neuer Streikdrohungen Anfang März 2008 wurde am 9. März ein Lokomo778 BAG v. 14.12.2004 – 1 ABR 51/03, AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tariffähigkeit: Hinweis auf die Urteile des BAG zur „im TVG nicht ausdrücklich normierten“ Tarifeinheit, „. . . noch unter Berufung auf die vom BVerfG mittlerweile nicht mehr vertretene Kernbereichstheorie“. 779 Kritisch zu der „Ambivalenz“ dieser Äußerungen aber Weller, Anm. zu BAG v. 28.3.2006 – 1 ABR 58/04, EWiR 2006, 605 (606): „Das BAG lädt damit zum Kaffeesatzlesen über die Zukunft des Grundsatzes der Tarifeinheit ein.“ 780 Bepler, FS 25 Jahre ARGE ArbR im DAV, S. 791 (797): „Der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts muss in absehbarer Zeit das Problem angehen, ob für den Bereich der Tarifpluralität an dem von der älteren Rechtsprechung ohne positivrechtliche Grundlage entwickelten Postulat der Tarifeinheit [. . .] trotz zum Teil heftiger Kritik aus der Literatur festzuhalten ist.“ 781 s. hierzu u. a. Bayreuther, NZA 2006, 642 ff.; Höfling/Engels, NJW 2007, 3102 ff.; Buchner, BB 2008, 106 ff.; Franzen, RdA 2008, 193 ff.; Greiner, NZA 2007, 1023 ff.; Bayreuther, FS Hromadka, S. 1 ff.; s. o. S. 302. 782 s. die Entscheidung des LAG Rheinland-Pfalz v. 22.6.2004 – 11 Sa 2096/03, AP Nr. 169 zu Art. 9 GG Arbeitskampf zu dem Fall des Fluglotsen-Streiks von 2004; anders hingegen LAG Rheinland-Pfalz v. 8.8.2007 – 13 Ga 65/07, BeckRS 2007, 45850 zum Bahnstreik der GDL, das maßgeblich auf volkswirtschaftliche Schäden abstellt; ArbG Mainz v. 31.7.2007 – 4 Ga 24/07, n. v.; ArbG Düsseldorf v. 1.8.2007 – 11 Ga 74/07, n. v.; ArbG Nürnberg v. 8.8.2007 – 13 Ga 65/07, AuR 2007, 320 f.; ArbG Chemnitz v. 5.10.2007 – 7 Ga 26/07, AuR 2007, 393 f.; Sächsisches LAG v. 2.11.2007 – 7 SaGa 19/07, NZA 2008, 59; Rolfs/Clemens, NZA 2004, 410 (414); Buchner, BB 2003, 2121 (2125 f.); ders., BB 2008, 106 ff.; Greiner, NZA 2007, 1023 (1026) m. w. N. 783 s. bisher u. a. ArbG Mainz v. 31.7.2007 – 4 Ga 24/07, n. v.; ArbG Düsseldorf v. 1.8.2007 – 11 Ga 74/07, n. v.; ArbG Nürnberg v. 8.8.2007 – 13 Ga 65/07, AuR 2007, 320 f.; ArbG Chemnitz v. 5.10.2007 – 7 Ga 26/07, AuR 2007, 393 f.; Sächsisches LAG v. 2.11.2007 – 7 SaGa 19/07, NZA 2008, 59; ArbG Düsseldorf v. 23.11.2007 – 11 Ca 6392/07, n. v.
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tivführertarifvertrag (LfTV) unterzeichnet.784 Der erste Schritt für eine Tarifpluralität in einem der größten Unternehmen Deutschlands ist somit gemacht. Die GDL schloss jedoch eine sog. „Kooperationsabrede“ mit der Tarifgemeinschaft aus Transnet und GDBA, in der sie die Tarifverträge der jeweils anderen Seite anerkennt, um ein „Aufschaukeln“ der einzelnen Gewerkschaften zu vermeiden. Zudem soll sich der neue Tarifvertrag konfliktund widerspruchsfrei in das Tarifwerk der Deutsche Bahn AG einfügen. Sollte es in dieser Beziehung zu einer höchstrichterlichen Entscheidung kommen, wäre diese sicherlich maßgebend für die Zukunft des Grundsatzes der Tarifeinheit. Das Bundesverfassungsgericht entschied zudem im Jahre 2004, dass auch kleinere Gewerkschaften bei Delegiertenwahlen nach dem MitbestG für den Aufsichtsrat eine reelle Chance auf Beteiligung erhalten müssen.785 Das Gericht wies darauf hin, dass auch Minderheitsgewerkschaften die Möglichkeit zur Gestaltung der Arbeitsbedingungen im Unternehmen gegeben werden müsse. Dies spricht dafür, dass auch ihnen die Möglichkeit zu einem – wirksamen – Tarifabschluss zustehen muss. Schließlich deutet auch die Abkehr des BAG von der Annahme einer Tarifeinheit im Falle der Kollision von normativ und kraft Bezugnahme geltenden Tarifverträgen auf einen entsprechenden Sinneswandel hin.786 Somit mehren sich die Anzeichen dafür, dass der Grundsatz der Tarifeinheit in Zukunft keinen uneingeschränkten Bestand mehr haben wird. Dass er keine überzeugende Lösung für den Fall der Tarifpluralität bietet, wurde bereits an früherer Stelle erörtert.787 Eine Grundsatzentscheidung des BAG zur Tarifeinheit steht noch aus und wird sicherlich in der näheren Zukunft erfolgen. Eine Abkehr vom Grundsatz der Tarifeinheit wäre aufgrund der vorliegenden Indizien nicht überraschend. Bis dahin wird im Schrifttum bereits darauf hingewiesen, dass man auf das Prinzip der Tarifeinheit als Lösungsmuster für die Fälle der Tarifpluralität nicht mehr vertrauen sollte.788 Zugleich wird dringend ein klares Wort pro oder contra Tarifeinheit angemahnt.789
784
Zum Bahnstreik s. auch bereits o. S. 302. BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98, NZA 2004, 1395; vgl. auch Jacobs, NZA 2008, 325 (327). 786 Ebenso Insam/Plümpe, DB 2008, 1265 (1268). Vgl. hierzu bereits o. A.II.3. b)bb), ab S. 233. 787 s. o. C.II.2.a), ab S. 297. 788 Greiner, Anm. zu BAG v. 28.3.2006 – 1 ABR 58/04, EzA Nr. 28 zu § 2 TVG, S. 51. 789 Weller, Anm. zu BAG v. 28.3.2006 – 1 ABR 58/04, EWiR 2006, 605 (606). 785
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2. Auswirkungen einer Rechtsprechungsänderung auf Bezugnahmeklauseln Sollte der Grundsatz der Tarifeinheit fallen, sind Tarifpluralitäten im Betrieb die Folge. Der Arbeitgeber müsste gegenüber den Mitgliedern der einen Gewerkschaft einen Tarifvertrag anwenden, gegenüber den Mitgliedern einer anderen Gewerkschaft einen anderen.790 In diesem Fall wird sich neben zahlreichen anderen Problemen (Gefahr der „Dauerbestreikung“ des Betriebes; „Gewerkschafts-Hopping“, um den jeweils günstigsten Tarifvertrag anwendbar zu machen; Frage, welcher Tarifvertrag im Sinne der §§ 87 Abs. 1, 77 Abs. 3 BetrVG der maßgebliche ist etc.)791 auch die Frage stellen, auf welchen der in einem Betrieb geltenden Tarifverträge die Klauseln dann jeweils verweisen.792 Nimmt die Klausel keinen genau bezeichneten Tarifvertrag (kleine dynamische Klausel), sondern den jeweils einschlägigen Tarifvertrag in Bezug, ist unklar, welcher der im Betrieb geltenden Tarifverträge gemeint ist. Hier würde es eines für die betriebliche Praxis überzeugenden Lösungsweges bedürfen, wie diese Klauseln auszulegen sind. Ein einseitiges Bestimmungsrecht des Arbeitgebers (§ 315 BGB), welcher der Tarifverträge anzuwenden ist, kann hierbei nicht angenommen werden.793 Ein solches käme einem Widerrufsvorbehalt gleich, der nur unter strengen Voraussetzungen zulässig ist (vgl. § 308 Nr. 4 BGB).794 Der Arbeitgeber erhielte das Recht, einseitig in das arbeitsvertragliche Synallagma einzugreifen.795 Ein derartiges Bestimmungsrecht kann dem Arbeitsvertrag daher nicht ohne Weiteres entnommen werden. In Betracht käme nach den Erkenntnissen in der obigen Fallanalyse aber insbesondere eine Bestimmung des Bezugnahmeobjektes mittels des Spezialitätsprinzips. In den Fällen des Verbandsaustritts und des Branchenwechsels stellte sich bereits die Frage, welcher Tarifvertrag bei mehreren einschlägigen das Bezugnahmeobjekt ist.796 Die obige Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass der hypothetische Parteiwille regelmäßig auf die Anwendung 790 Zu den praktischen Schwierigkeiten und möglichen Lösungen s. Bepler, FS 25 Jahre ARGE ArbR im DAV, S. 791 (801). 791 Vgl. hierzu Franzen, RdA 2008, 193 ff.; Jacobs, NZA 2008, 325 ff.; Meyer, NZA 2006, 1387 ff. 792 Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 180; ders., NZA 2008, 325 (332); Reichold, RdA 2007, 321 (327); Heinlein, NJW 2008, 321 (322). 793 So aber Klebeck, NZA 2006, 15 (20); ähnlich Bepler FS ARGE ArbR im DAV, S. 791 (800). 794 s. u. S. 382. 795 Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1076). 796 s. o. C.III.2.a)cc), D.III.1.a)cc)(2), ab S. 321 und 339.
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des sachnächsten Tarifvertrages gerichtet ist.797 Ein einseitiger Beurteilungsspielraum des Arbeitgebers wird so verhindert. Sollte sich der speziellere Tarifvertrag nicht feststellen lassen, ist auf das Mehrheitsprinzip zu rekurrieren.798 Auf diesem Wege könnte der Arbeitgeber wiederum in den meisten Fällen eine Gleichstellung seiner Arbeitnehmer erreichen. Um Unklarheiten zu vermeiden, ist in jedem Fall eine explizite Vereinbarung der Parteien zu empfehlen, z. B.: „1Bestehen im Betrieb mehrere normativ geltende Tarifverträge, ist derjenige Tarifvertrag in Bezug zu nehmen, der nach seinem sachlichen Anwendungsbereich dem Betrieb am nächsten steht. 2Lässt sich nach Satz 1 keine Entscheidung treffen, ist derjenige Tarifvertrag anzuwenden, der auf die relative Mehrzahl der Arbeitsverhältnisse im Betrieb Anwendung findet.“
Die Parteien wären natürlich frei in der Gestaltung der Bezugnahmeklausel und könnten ebensogut explizit die Anwendbarkeit des normativ für den Arbeitgeber geltenden, des die größere Anzahl von Arbeitnehmern normativ erfassenden oder des jeweils für die Arbeitnehmer (oder gar den Arbeitgeber) günstigsten Tarifvertrags vereinbaren.799 Zu bedenken ist jedoch, dass eine umfassende Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen im Sinne einer „echten Tarifeinheit“ nicht mehr möglich sein wird, sondern nur eine partielle Tarifeinheit erreicht werden kann.800 Bleibt die Bezugnahmeklausel hingegen unklar, wird nach § 305c Abs. 2 BGB der für die Arbeitnehmer günstigere Tarifvertrag anzuwenden sein.801
V. Arbeitskampfrechtliche Folgen der Rechtsprechungsänderung Die Änderung der Rechtsprechung des BAG zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln kann auch arbeitskampfrechtliche Auswirkungen haben. 1. Verdoppelung des Arbeitskampfrisikos Die „Ewigkeitsbindung“, die sich eventuell durch die geänderte Rechtsprechung ergeben kann, ist im Kontext mit der neueren Rechtsprechung 797 Vgl. auch BAG v. 14.12.2005 – 10 AZR 296/05, NZA 2006, 744 (744); BAG v. 23.1.2008 – 4 AZR 602/06, n. v. 798 Für eine generelle Anwendung des Mehrheitsprinzips Jacobs, NZA 2008, 325 (332 f.). 799 Vgl. hierzu den Klauselvorschlag von Thüsing, AGB-Kontrolle im ArbR, Rn. 182. 800 Vgl. Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1076). 801 ErfK-Franzen, § 4 TVG Rn. 73.
E. Bewertung der Fallanalyse und ihrer Folgen
373
des BAG zum Partizipationsarbeitskampf zu sehen.802 Hiernach ist die Einbeziehung eines Außenseiter-Arbeitgebers in den Verbandsarbeitskampf insbesondere dann gerechtfertigt, wenn „arbeitsvertraglich oder in einem Verweisungs- oder Anerkennungstarifvertrag dynamisch auf die Normen des jeweiligen Verbandstarifvertrags verwiesen wird. Durch derartige Bezugnahmen wird bewirkt, dass sich die Arbeitsbedingungen der bei dem Außenseiter-Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer nach den jeweils einschlägigen Verbandstarifverträgen richten. Die Arbeitnehmer partizipieren im Falle einer dynamischen Verweisung ohne weiteres an dem zwischen den organisierten Arbeitnehmern und Arbeitgebern erzielten Tarifergebnis.(. . .) [Insoweit] geht es in dem Verbandsarbeitskampf auch um die Arbeitsbedingungen im Betrieb des Außenseiters.“803
Der Arbeitgeber mache sich, indem er die Arbeitsverhältnisse den Verbandstarifverträgen unterstelle, die Betätigung der Verbände zunutze und profitiere von der Stärke des am Kampf um den Verbandstarifvertrag beteiligten Arbeitgeberverbands.804 Die Arbeitnehmer kämpften für ihre eigenen Arbeitsbedingungen. Aufgrund der Inbezugnahme handele es sich auch nicht lediglich um eine nur wahrscheinliche und rein faktische, sondern eine bereits rechtlich gesicherte Teilhabe.805 Wird der Arbeitgeber vor diesem Hintergrund z. B. durch einen Verbandsaustritt zum Außenseiter, verdoppelt sich sein Arbeitskampfrisiko: Neben einem Arbeitskampf um einen Haustarifvertrag muss er auch damit rechnen, (weiterhin) in einen Arbeitskampf um einen Verbandstarifvertrag hineingezogen zu werden, wenn die Arbeitnehmer an dessen Erfolg kraft der – nunmehr ewigen – Bezugnahme weiter unmittelbar teilnehmen.806 Früher, unter der bisherigen Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede, hatte die Klausel mit dem Zeitpunkt des Verbandsaustritts nur noch statischen Charakter, so dass sich eine Streikteilnahme unter diesem Gesichtspunkt nicht rechtfertigen ließ. In Betracht kam lediglich der Streik um einen Haustarif802 BAG v. 18.2.2003 – 1 AZR 142/02, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Vgl. auch BVerfG v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, NZA 1991, 809 (810). A. A. Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 140 f.; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 38 Rn. 19 ff. 803 BAG v. 18.2.2003 – 1 AZR 142/02, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf mit abl. Anm. Thüsing. 804 BAG v. 18.2.2003 – 1 AZR 142/02, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. A. A. Hohenstatt/Schramm, DB 2005, 774 (774 ff.); Rolfs/Clemens, NZA 2004, 410 (416 f.); Rieble, EzA Nr. 135 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, 15 (15 ff.); Löwisch, ARBlattei ES 10.1 Nr. 49, S. 14 ff. m. w. N. 805 BAG v. 18.2.2003 – 1 AZR 142/02, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 806 Klebeck, NZA 2006, 15 (19); Seel, MDR 2006, 491 (493); Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 83 f. Zur Frage der Erstreikbarkeit von Firmentarifen mit verbandsangehörigen Arbeitgebern vgl. Jacobs, ZTR 2001, 249 (251 ff.).
374
Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
vertrag. Aus diesem Grund verdoppelt sich das Arbeitskampfrisiko für den Arbeitgeber aufgrund der neuen Rechtsprechung. Ähnliche Situationen können sich auch in den anderen Fällen des Tarifwechsels ergeben, wenn der ursprünglich normativ geltende Tarifvertrag nach einem Verbandswechsel, Branchenwechsel oder Betriebsübergang nicht mehr zwingend wirkt, die Arbeitnehmer kraft der Bezugnahmeklausel aber statt früher rein statisch nun weiterhin dynamisch am Erfolg eines umkämpften Tarifvertrages teilhaben. Eine derartige Verdoppelung des Arbeitskampfrisikos ist für den Arbeitgeber äußerst nachteilig. Mit Blick auf die unterschiedlichen Inhalte und Laufzeiten von Tarifverträgen kann es im schlimmsten Fall zu einer nahezu permanenten Arbeitskampfsituation oder zumindest der dauerhaften Konfrontation mit Streikdrohungen und Tarifverhandlungen im Betrieb kommen. Dies kann im Einzelfall zu einer Verschiebung der Kampfparität führen. Wenn Arbeitnehmer um den Abschluss eines Tarifvertrags streiken, der im Arbeitsvertrag lediglich in Bezug genommen wurde und nicht qua Tarifbindung gilt, ist der Arbeitgeber als Nicht-Mitglied Außenseiter und nicht der soziale Gegenspieler.807 Streikgegner und Tarifvertragspartner sind nicht identisch, obwohl dies eigentlich eine Grundvoraussetzung eines rechtmäßigen Arbeitskampfes ist.808 Als Außenseiter ist der Arbeitgeber nicht in der Lage, maßgeblich auf das Verhandlungs- und Kampfverhalten des Arbeitgeberverbands einzuwirken.809 Dies ist verfassungsrechtlich sehr bedenklich.810 2. Schutz des Arbeitgebers durch die Friedenspflicht? Ein gewisser „Schutz“ vor diesem doppelten Arbeitskampfrisiko wird unter Hinweis auf die Friedenspflicht angenommen.811 Die Friedenspflicht ist das an die Tarifparteien gerichtete Verbot, während der Laufzeit des Tarifvertrags eine Änderung der kollektiven Regelung mit den Mitteln des Arbeitskampfes (Streik, Aussperrung, Boykott) anzudrohen oder durchzusetzen.812 Sie schützt den Arbeitgeber also davor, im Wege eines Streiks auf 807
Hohenstatt/Schramm, DB 2005, 774 (775). Hohenstatt/Schramm, DB 2005, 774 (776); Kissel, Arbeitskampfrecht, § 38 Rn. 19 ff.; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 140, 158 m. w. N. Anders jetzt das BAG zum Sympathiearbeitskampf: BAG v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055 ff. Abl. Hohenstatt/Schramm, NZA 2007, 1034 ff.; s. u. S. 375. 809 Rolfs/Clemens, NZA 2004, 410 (416). 810 Rolfs/Clemens, NZA 2004, 410 (417). 811 Rieble/Klebeck, BB 2006, 885 (890 f.). 812 BAG v. 8.2.1957 – 1 AZR 169/55, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Friedenspflicht; BAG v. 21.12.1981 – 1 AZR 411/80, AP Nr. 76 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; HWK-Henssler, § 1 TVG Rn. 63. 808
E. Bewertung der Fallanalyse und ihrer Folgen
375
den Abschluss eines Tarifvertrags über dieselbe Regelungsmaterie in Anspruch genommen zu werden.813 Wird die Friedenspflicht verletzt, ist der Arbeitskampf rechtswidrig.814 Insofern ließe sich daran denken, dass die Friedenspflicht aus dem bestehenden Verbandstarifvertrag den Abschluss des Haustarifvertrages verhindert. Ohne besondere Vereinbarung wirkt die Friedenspflicht aber nicht absolut, sondern nur relativ und bezieht sich nur auf die tarifvertraglich geregelten Gegenstände bzw. auf Tarifforderungen, die mit der geregelten Materie in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, so dass ihre Erfüllung das wirtschaftliche Gewicht der in dem Tarifvertrag festgelegten Arbeitsbedingungen verändern würde.815 Zugleich ist aber nicht alles zulässig, was nicht unmittelbar auf eine Veränderung der konkret bestehenden tariflichen Regelung abzielt. Das bloße Schweigen des Verbandstarifs über einen regelungsbedürftigen Punkt begründet nicht automatisch eine Kampferlaubnis. Der Ausschlusswille muss deutlich zum Ausdruck kommen.816 Die Friedenspflicht bindet zudem nur die tarifvertragsschließenden Parteien.817 Die streikführende Gewerkschaft muss also mit derjenigen des Verbandstarifs identisch sein.818 Gegenüber den Mitgliedern des Vertragspartners ist der Tarifvertrag hinsichtlich der Friedenspflicht ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (§ 328 BGB).819 Dies hat das BAG erst kürzlich in seinem Urteil zum Sympathiestreik erneut festgestellt.820 Ist der Arbeitgeber nicht zugleich Mitglied des tarifschließenden Verbandes oder ist die streikende Gewerkschaft nicht an den Tarifvertrag gebunden, kann der Arbeitgeber sich somit nicht auf die Friedenspflicht berufen. 813
BAG v. 18.2.2003 – 1 AZR 142/02, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Vgl. Jacobs, ZTR 2001, 249 (253). 815 BAG v. 18.2.2003 – 1 AZR 142/02, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG v. 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG v. 21.12.1982 – 1 AZR 411/80, AP Nr. 76 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; s. aktuell ArbG Chemnitz v. 5.10.2007 – 7 Ga 26 (28)/07, AuR 2007, 393 f.; HWK-Henssler, § 1 TVG Rn. 66; Jacobs/Krause/Oetker-Krause, TarifvertragsR, § 4 Rn. 149 f. 816 BAG v. 27.6.1989 – 1 AZR 404/88, AP Nr. 113 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Jacobs, ZTR 2001, 249 (254). 817 ErfK-Franzen, § 1 TVG Rn. 81 f.; Jacobs/Krause/Oetker-Jacobs, TarifvertragsR, § 7 Rn. 235; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 873. 818 Jacobs, ZTR 2001, 249 (253). 819 BAG v. 31.10.1958 – 1 AZR 632/57, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Friedenspflicht; Jacobs/Krause/Oetker-Krause, TarifvertragsR, § 4 Rn. 153; HWK-Henssler, § 1 TVG Rn. 65; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 873; Jacobs, ZTR 2001, 249 (253). 820 BAG v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055 (1057). Kritisch zu diesem Urteil Hohenstatt/Schramm, NZA 2007, 1034 ff.; Buchner, BB 2008, 106 (106); extrem ablehnend Rieble, BB 2008, 1506 (1506). 814
376
Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
Außerdem muss der Tarifvertrag, den es insofern zu „schützen“ gilt, auch (noch) aktuell gelten. In jedem Fall endet die Friedenspflicht mit dem Ablauf des Tarifvertrages.821 Im Nachwirkungsstadium gemäß § 4 Abs. 5 TVG, das vor allem der Überbrückung bis zu einer Anschlussregelung dient und dispositiv ist, besteht ebenfalls keine Friedenspflicht mehr.822 Auch im Nachbindungszeitraum des § 3 Abs. 3 TVG wird nach überwiegender Ansicht eine Friedenspflicht abgelehnt.823 Die Nachbindung gemäß § 3 Abs. 3 TVG verlängert nur die normative Geltung der Arbeitsbedingungen der Gewerkschaftsmitglieder, nicht aber die zum schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrages zu zählende Schutzwirkung zugunsten des einzelnen Arbeitgebers.824 Sie korrespondiert außerdem mit den Einwirkungsmöglichkeiten des Arbeitgeberverbands auf seine Mitglieder, die bei einem ausgetretenen Mitglied gerade nicht mehr bestehen.825 Die Friedenspflicht ist insgesamt gesehen daher ein nur unter bestimmten Voraussetzungen wirksamer Schutz gegen die Verdoppelung des Arbeitskampfrisikos. 3. Klauselgestaltung als wirksamstes Mittel Nach einem Verbandsaustritt des Arbeitgebers ebenso wie in den meisten Fällen des Tarifwechsels, in denen die unmittelbare und/oder zwingende Wirkung des Tarifvertrages entfällt, sowie immer dann, wenn der aktuell für den Arbeitgeber geltende Tarifvertrag keine Regelung enthält oder eine andere Gewerkschaft den Abschluss des Haustarifvertrages anstrebt, ist damit der Streik für einen entsprechenden anderen Tarifvertrag (bzw. die Teilhabe an demselben kraft Bezugnahme) möglich. Das Arbeitskampfrisiko für den betroffenen Arbeitgeber ist dann sehr groß, ohne dass er in jedem Fall 821 BAG v. 18.2.2003 – 1 AZR 142/02, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (993); Jacobs/Krause/OetkerKrause, TarifvertragsR, § 4 Rn. 157. 822 BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (993); Jacobs, ZTR 2001, 249 (254); Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 881; Jacobs/Krause/OetkerKrause, TarifvertragsR, § 4 Rn. 157; Däubler-Reim, TVG, § 1 Rn. 1031; Kempen/ Zachert-Zachert, TVG, § 1 Rn. 691; Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, S. 1082. 823 LAG Hamm v. 31.3.1991 – 16 Sa 119/91, DB 1991, 1126 (1127); Jacobs, ZTR 2001, 249 (255); diff. Konzen, ZfA 1975, 401 (417 ff.); Däubler-Reim, TVG, § 1 Rn. 1032; ders.-Lorenz, TVG, § 3 Rn. 117; Kempen/Zachert-Zachert, TVG, § 1 Rn. 688; Jacobs/Krause/Oetker-Krause, TarifvertragsR, § 4 Rn. 157. A. A. Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, S. 1083; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 79; Schleusener, BB 1999, 684 (686). 824 Zutreffend Jacobs/Krause/Oetker-Krause, TarifvertragsR, § 4 Rn. 157; Jacobs, ZTR 2001, 249 (255). 825 Jacobs, ZTR 2001, 249 (255).
E. Bewertung der Fallanalyse und ihrer Folgen
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auf die Tarifverhandlungen und die Gestaltung der Tarifverträge Einfluss nehmen kann. Hierdurch wird deutlich, dass die Partizipations-Arbeitskampfrechtsprechung des BAG abzulehnen ist. Sie führt zu einer verfassungsrechtlich bedenklichen Belastung für den Arbeitgeber, der mit einem Arbeitskampf konfrontiert wird, ohne das Ergebnis dieses Arbeitskampfes in irgendeiner Weise beeinflussen zu können. Solange diese Rechtsprechung jedoch Bestand hat, ist es an den Arbeitgebern, sich ausreichend abzusichern. Der vom BAG gewährte Vertrauensschutz beschränkt die Auslegung als Gleichstellungsabrede und damit auch eine mögliche „Ewigkeitsbindung“ auf die ab dem 1.1.2002 geschlossenen Arbeitsverhältnisse.826 In den Arbeitsverhältnissen, auf die die neue Rechtsprechung anwendbar ist und in denen es zu den o. g. Problemen der Verdoppelung des Arbeitskampfrisikos kommt, wird das Ziel der Arbeitgeber in der Regel eine Beseitigung der dynamischen „Ewigkeitsbindung“ sein. Deren Aussichten werden unter Teil 3, A. näher dargestellt.827 Gelingt die Vereinbarung der auflösenden Bedingung der Tarifbindung des Arbeitgebers, wird die Bezugnahme im Moment des Verbandswechsels, -austritts etc. statisch. Ein Streik um die Teilhabe an weiteren Tarifentwicklungen aufgrund der Bezugnahmeklausel ist dann unzulässig. Die Rechtsprechung zum Partizipationsarbeitskampf greift in diesem Fall nicht mehr.
VI. Ergebnis Wie sich im systematischen Vergleich der Fallanalysen gezeigt hat, führt die Rechtsprechungsänderung zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln einen grundlegenden Paradigmenwechsel herbei, der gravierende Auswirkungen auf die Rechtsfolgen in den einzelnen Fällen des Tarifwechsels hat. Von nun an wird die von den Parteien getroffene Vereinbarung einer statischen, kleinen oder großen dynamischen Klausel nicht angesichts eines Tarifwechsels übergangen oder als obsolet angesehen, sondern sie ist entscheidend für die eintretenden Rechtsfolgen. Der Bezugnahmeklausel kommt somit unter der neuen Rechtsprechung eine tatsächlich konstitutive Wirkung zu. Auf diese Weise werden die bisher bestehenden Widersprüche zwischen der Auslegung der Bezugnahmeklausel bei tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und die Inkonsequenzen in einzelnen Fallkonstellationen beseitigt. 826 827
s. o. Teil 1, D.IV., ab S. 161. s. u. ab S. 381.
378
Teil 2: Bezugnahmeklauseln und Tarifwechsel (Fallanalyse)
Grundsätzlich erhält die Bezugnahmeklausel durch die neue Rechtsprechung das Potenzial, die gesetzlichen Rechtsfolgen eines Tarifwechsels zu torpedieren und tatsächlich wirkungslos zu machen. Verweisungsklauseln können die mit einer Tarifbindung verbundenen Rechtsfolgen jetzt (sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite) vereiteln. So sehr die Gleichstellungsrechtsprechung den Arbeitgebern entgegenkam, so sehr behindert die neue Rechtsprechung jetzt einen gewünschten Tarifwechsel. Es tritt eine „Quasi-Tarifbindung“ ein, die für tarifgebundene wie nicht tarifgebundene Arbeitgeber gleichermaßen nachteilig sein kann. In den Betrieben entsteht nun eine Gemengelage verschiedener auf die Arbeitsverhältnisse anwendbarer Tarifverträge, abhängig von dem Datum des Arbeitsvertragsschlusses. Die Arbeitgeber werden hierauf reagieren müssen. In neu abzuschließenden Verträgen bedarf es einer sorgfältigen und vorausschauenden Formulierung, in den bestehenden Verträgen ist eine Anpassung der Bezugnahmeklauseln erforderlich. Die geänderte Rechtsprechung zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln begründet kein Recht der Arbeitnehmer zum „Rosinenpicken“. Zwar kommt es bei unklarer Klauselformulierung gemäß § 305c Abs. 2 BGB zur Anwendung der für die Arbeitnehmer günstigsten Auslegungsvariante. Hierbei findet jedoch ein einmaliger und objektiver Günstigkeitsvergleich zwischen den Auslegungen als statische, kleine oder große dynamische Klausel statt. Ein kontinuierlicher Günstigkeitsvergleich erfolgt nicht. Die durch die Rechtsprechungsänderung bewirkte Auslegung nach dem Wortlaut der Klausel lässt es in Zukunft zweifelhaft werden, ob die Bezugnahme auf einen Verbandstarifvertrag nach Abschluss eines Sanierungshaustarifvertrages korrigierend als Verweisung auf letzteren ausgelegt werden kann. Kommt dies nicht in Betracht, kann der Abschluss von Sanierungshaustarifverträgen aufgrund bestehender Bezugnahmeklauseln im Betrieb faktisch wirkungslos bleiben. Als Sonderfall kommt höchstens der Abschluss eines firmenbezogenen Verbandstarifvertrages in Betracht. In Zukunft müssen die Arbeitgeber daher auf entsprechende Klauselformulierungen achten, die auch den etwaigen späteren Abschluss von Firmentarifverträgen mit berücksichtigen. Die Konzeption der Gleichstellungsabrede ist eng mit der Lehre der Tarifeinheit verknüpft. Neben bereits mehrfachen Anzeichen in der Rechtsprechung ist die Abkehr von der Gleichstellungsabrede daher ein weiteres Indiz, dass das BAG in Zukunft von dem Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität Abstand nehmen könnte. Für diesen Fall sollten die Arbeitgeber ebenfalls bereits jetzt Vorsorge treffen, um im Falle einer Tarifpluralität Auslegungsschwierigkeiten und der Anwendung der Unklarheitenregel vorzubeugen.
E. Bewertung der Fallanalyse und ihrer Folgen
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Die Rechtsprechungsänderung kann im Zusammenhang mit der Rechtsprechung des BAG zum Partizipationsarbeitskampf zu einer Verdoppelung des Arbeitskampfrisikos für die Arbeitgeber führen. Dies ist verfassungsrechtlich sehr bedenklich. Die Friedenspflicht schützt den Arbeitgeber nur in sehr begrenztem Maße. Auch hier ist eine sorgfältige Klauselgestaltung, die nach einem Tarifwechsel eine ewige dynamische Bindung an nicht mehr gültige Tarifverträge verhindert, das wirksamste Mittel der Arbeitgeber, um sich vor ungewollten Bindungen zu schützen.
Teil 3
Anpassung von Alt- und Gestaltung von Neuverträgen Der vom BAG gewährte Vertrauensschutz erfasst nur Altverträge, die vor dem 1.1.2002 geschlossen wurden. Verträge, die in die Zeit nach diesem Datum fallen, unterliegen damit uneingeschränkt der neuen Rechtsprechung, so dass eine Auslegung als Gleichstellungsabrede nur noch bei eindeutigem Wortlaut der Klausel in Betracht kommt. Die obigen Fallanalysen haben gezeigt, dass nach einem Betriebsübergang, Verbandsaustritt, -wechsel oder Branchenwechsel innerhalb eines Betriebs oder innerhalb eines Unternehmens unterschiedliche Arbeitsbedingungen, z. B. hinsichtlich Vergütung, Arbeitszeit, Urlaubsregelungen und Sonderleistungen, gelten können. Dies kann zu vielfältigen Problemen und Verunsicherungen im Betrieb führen und insbesondere das Zusammenwachsen unterschiedlicher Belegschaften erschweren. Dennoch bleibt die Bindung an die Klausel nach der geänderten BAGRechtsprechung grundsätzlich erhalten, auch wenn die Tarifveränderungen eventuell drastisch und nicht vorhersehbar sind. In der Folge kann es zu einer Dreiteilung der Belegschaft kommen. Je nachdem, wann die Arbeitnehmer eingestellt wurden, sind die Bezugnahmeklauseln unterschiedlich auszulegen. Für die bis zum 31.12.2001 eingestellten Arbeitnehmer bleibt es bei der Auslegung als Gleichstellungsabrede, für die ab dem 1.1.2002 eingestellten Arbeitnehmer muss eine Gleichstellungsabrede hingegen ausdrücklich und eindeutig vereinbart werden; grundsätzlich entscheidet der Wortlaut und ein Tarifwechsel hat keine Auswirkungen auf die Auslegung. Während der Arbeitgeber in neu abzuschließenden Verträgen in der Vertragsgestaltung frei ist, eine Gleichstellungsabrede bei eindeutiger und klarer Vereinbarung also möglich ist, ist in den bestehenden, aber ab dem 1.1.2002 geschlossenen Verträgen eine Vertragsanpassung erforderlich. Letztere Gruppe ist das momentane „Sorgenkind“ jedes Arbeitgebers, der Bezugnahmeklauseln vereinbart hat. Er muss versuchen, die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer, bei denen die Auslegung der Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede erfolgt und derjenigen Arbeitnehmer, bei denen sie „voll“konstitutive Wirkung hat, zu harmonisieren. Ziel dieser Harmonisierung ist es jeweils, eine „allgemeine“ Geltung der Auslegung als Gleich-
A. Möglichkeiten der Anpassung von Altverträgen
381
stellungsabrede durchzusetzen und damit eine „Ewigkeitsbindung“ des Arbeitgebers zu vermeiden. In „Neuverträgen“, die er jetzt abschließt, ist der Arbeitgeber in seiner Vertragsgestaltung frei.1 Schwieriger ist die Situation in den bereits bestehenden, aber nach dem Stichtag des Vertrauensschutzes geschlossenen Arbeitsverhältnissen. Hier muss der Arbeitgeber versuchen, die Arbeitsbedingungen nachträglich zu vereinheitlichen.
A. Möglichkeiten der Anpassung von Altverträgen an die geänderte Rechtsprechung Zu diesem Zweck kommen verschiedene Instrumente in Betracht, mittels derer die Arbeitgeber sich der durch die neue Rechtsprechung nunmehr drohenden „Ewigkeitsbindung“ entziehen könnten. Das Interesse, sich von der (vertraglichen) Dynamik zu befreien, ist in allen hier dargestellten Fällen des Tarifwechsels (Betriebsübergang, Verbandsaustritt, -wechsel, Branchenwechsel) das gleiche. Daher erfolgt eine gemeinsame Darstellung; sofern sich jedoch in einzelnen Fällen des Tarifwechsels Besonderheiten ergeben, wird hierauf gesondert eingegangen.
I. Recht der Arbeitgeber zur Entdynamisierung durch Widerruf 1. Widerruf der Dynamik Löwisch/Rieble2 haben bereits unter der bisherigen Rechtsprechung für die nicht tarifgebundenen Arbeitgeber (denen kein Recht zum Verbandsaustritt zusteht, um sich von der Dynamik zu lösen,) vorgeschlagen, jeder Bezugnahmeklausel durch Auslegung ein vertragsrechtliches Entdynamisierungsrecht beizumessen. Mit diesem (Teil-)Widerruf entfalle nicht die Bezugnahme als Ganzes, sondern ausschließlich ihre Dynamik. Die in Bezug genommenen Arbeitsbedingungen würden auf dem aktuellen Tarifstand eingefroren – nicht anders als im Falle des Austritts nach §§ 3 Abs. 3 und 4 Abs. 5 TVG.3 Die dynamische würde somit zur statischen Klausel.
1
s. u. B., ab S. 426. Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 315 ff.; ähnlich Schmitt-Rolfes, AuA 2007, 455 (455); ebenso schon Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1738. Zustimmend Klebeck, NZA 2006, 15 (19). 3 Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 316. 2
382
Teil 3: Anpassung von Alt- und Gestaltung von Neuverträgen
2. Bedenken gegen ein Widerrufsrecht kraft ergänzender Vertragsauslegung In den bereits bestehenden Arbeitsverträgen fehlen für ein der Bezugnahmeklausel im Wege der Auslegung zu entnehmendes „Entdynamisierungsrecht“ des Arbeitgebers jedoch regelmäßig die notwendigen tatsächlichen Anhaltspunkte.4 Eine ergänzende Vertragsauslegung muss in der Regel zu dem Ergebnis kommen, dass die Annahme eines Entdynamisierungsrechts einseitig den Arbeitgeberinteressen Rechnung tragen würde, den Arbeitnehmerinteressen jedoch eindeutig widerspräche. Ein entsprechender Parteiwille kann daher nicht unterstellt werden. Zudem würde die Konzeption eines Entdynamisierungsrechts unter der bisherigen Rechtsprechung de facto die Gleichstellungsabredenauslegung auf die nicht organisierten Arbeitgeber erstrecken.5 Nach Änderung der Rechtsprechung entstünde bei einer derartigen Auslegung der Arbeitsverträge der Eindruck, dass die Gleichstellungsabrede für sämtliche Arbeitgebergruppen neu aufgelegt würde. Die Auslegung einer Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede erfordert jedoch eine klare und eindeutige Parteivereinbarung oder besondere „Anhaltspunkte“ – anders als unter der bisherigen Rechtsprechung kann die Gleichstellungsabrede in die Klausel nicht ohne Weiteres „hineininterpretiert“ werden. Die Maßnahme der „Entdynamisierung“ würde außerdem völlig in das Belieben des Arbeitgebers gestellt, der bei jeder Tarifänderung entscheiden könnte, ob er diese (vertraglich) gegen sich gelten lassen will oder nicht.6 Insofern ähnelt das Entdynamisierungsrecht stark dem Widerrufsvorbehalt. AGB-rechtlich ist ein solcher in § 308 Nr. 4 BGB zu verorten. Hiernach ist die Vereinbarung eines Rechts des Verwenders, die versprochene Leistung zu ändern oder von ihr abzuweichen, unwirksam, wenn sie nicht dem anderen Vertragsteil unter Berücksichtigung der Interessen des Verwenders zumutbar ist. Indem die Arbeitgeber die Dynamik der Bezugnahme widerrufen, beenden sie eine vertraglich zugesagte Partizipation an der Tarifentwicklung. Betroffen ist somit eine vertraglich „versprochene“ Leistung, nämlich die Partizipation an der künftigen Tarifentwicklung.7 4 Jacobs/Krause/Oetker-Oetker, TarifvertragsR, § 6 Rn. 168; Däubler/Dorndorf/ Bonin/Deinert-Däubler, AGB-Kontrolle, § 305c BGB Rn. 47. 5 Vgl. o. den Vorschlag von Reichel, S. 283 ff. 6 Vgl. Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458 (464, Fn. 71) (i. Erg. jedoch für ein Entdynamisierungsrecht). 7 So auch Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1078). Hiervon zu trennen ist jedoch die Frage, ob es durch die Beseitigung der Dynamik auch zu einer Entgeltkürzung kommt, vgl. u. A.VIII.2., ab S. 402.
A. Möglichkeiten der Anpassung von Altverträgen
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Nach Ansicht des BAG müssen sich neben weiteren Voraussetzungen die konkreten Bedingungen und die widerrufliche Leistung nach Art und Höhe eindeutig aus dem Vertragstext eines formularmäßigen Widerrufsvorbehalts ergeben, um den Anforderungen des Transparenzgebots nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB gerecht zu werden.8 Dies wird hinsichtlich der bisherigen Formulierungen von Bezugnahmeklauseln in den seltensten Fällen erfüllt sein.9 Insbesondere müsste die Widerrufsmöglichkeit der Bezugnahme im Vertrag benannt sein und mögliche Widerrufsgründe (z. B. das Ende der normativen Bindung an den Tarifvertrag oder wirtschaftliche Gründe) vorsehen.10 Ein Entdynamisierungsrecht „auf Abruf“ kann daher nicht in bestehende Klauseln „hineininterpretiert“ werden, insbesondere nicht nach Änderung der Rechtsprechung, die sich bei der Auslegung der Bezugnahmeklauseln am Wortlaut und der Unklarheitenregel orientiert. 3. Möglichkeit der Vereinbarung eines Widerrufsrechts Andererseits ist eine explizite Regelung in der Bezugnahmeklausel möglich.11 Sie muss jedoch ebenfalls den o. g. Anforderungen der Rechtsprechung und des Transparenzgebots Rechnung tragen. Außerdem muss sich im Rahmen einer Interessenabwägung die Zumutbarkeit des Widerrufs ergeben. Die Frage der Zumutbarkeit richtet sich nach der Art und Höhe der Leistung, die widerrufen werden soll, nach der Höhe des verbleibenden Verdienstes und der Stellung des Arbeitnehmers im Unternehmen.12 Unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte muss der Widerrufsgrund den Widerruf typischerweise rechtfertigen. Das Wirtschaftsrisiko des Unternehmers darf nicht auf den Arbeitnehmer übertragen werden; der Kernbereich des Arbeitsverhältnisses muss unangetastet bleiben. Das Gericht hat einen Widerrufsvorbehalt für zulässig angesehen, soweit der widerrufliche Anteil am Gesamtverdienst unter 25 bis 30% liegt und der Tariflohn nicht unterschritten wird.13 Insgesamt kann ein Recht der Arbeitnehmer zur Entdynamisierung bei bestehenden Verträgen somit nur anerkannt werden, wenn die Voraussetzun8 BAG v. 12.1.2005 – 5 AZR 364/04, NZA 2005, 465 (467); BAG v. 11.10.2006 – 5 AZR 721/05, NZA 2007, 87 (89 f.). 9 Müller-Bonanni/Seeger, ArbRB 2006, 249 (251). 10 Vgl. Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 206. 11 s. u. den Formulierungsvorschlag in Abschnitt B.II., ab S. 436. Für die Zulässigkeit auch Seel, MDR 2006, 491 (494); Müller-Bonanni/Seeger, ArbRB 2006, 249 (251). 12 BAG v. 12.1.2005 – 5 AZR 364/04, NZA 2005, 465 (467); BAG v. 11.10.2006 – 5 AZR 721/05, NZA 2007, 87 (89). 13 BAG v. 12.1.2005 – 5 AZR 364/04, NZA 2005, 465 (467); BAG v. 11.10.2006 – 5 AZR 721/05, NZA 2007, 87 (89).
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gen für einen entsprechenden Widerrufsvorbehalt im Vertragstext vorliegen. Eine derartige Vereinbarung in neuen oder auch bereits bestehenden Arbeitsverträgen ist jedoch möglich.14
II. Anfechtung gemäß § 119 BGB Des Weiteren kommt eine Anfechtung der Bezugnahmeklausel gemäß § 119 BGB wegen Inhaltsirrtums in Betracht. Allerdings wirkt die Anfechtung eines in Vollzug gesetzten Arbeitsvertrages als Dauerschuldverhältnis nach ständiger Rechtsprechung des BAG wegen des Verkehrsschutzes und der Rückabwicklungsprobleme grundsätzlich nur ab dem Zeitpunkt ihrer Erklärung (ex nunc), und daher nicht wie sonst üblich rückwirkend zum Zeitpunkt des Vertragssschlusses (ex tunc, vgl. § 142 Abs. 1 BGB).15 Für die Vergangenheit ist das Arbeitsverhältnis wie ein fehlerfrei zustande gekommenes zu behandeln (sog. fehlerhaftes Arbeitsverhältnis).16 Eine Beseitigung der dynamischen Bindung einer Bezugnahmeklausel kommt also nicht rückwirkend, sondern allenfalls für die Zukunft in Frage. 1. Irrtum der Arbeitgeber? Eine Anfechtung nach § 119 BGB könnte unter dem Gesichtspunkt in Betracht kommen, dass der Arbeitgeber einem Irrtum unterlag, indem er davon ausging, eine Gleichstellung zu vereinbaren, keine „Ewigkeitsbindung“. Problematisch ist hieran bereits, dass zum Zeitpunkt der Äußerung der Willenserklärung das BAG dieser noch den Bedeutungsgehalt einer Gleichstellungsabrede zumaß. Insofern könnte man argumentieren, dass sich die Vorstellung des Arbeitgebers und die rechtliche Wirklichkeit deckten und daher ein Irrtum schon denknotwendig nicht in Betracht kommt. Die Rechtsprechungsänderung erfolgte jedoch rückwirkend für alle ab dem 1.1.2002 geschlossenen Arbeitsverhältnisse. Dessen ungeachtet schafft die Rechtsprechung kein neues Recht, wenn sie bei unveränderter Gesetzeslage gleichliegende Sachverhalte in geänderter Weise beurteilt. Auch nach Ansicht des BGH erkennt die Rechtsprechung, wenn sie sich ändert, die Rechtslage lediglich klarer als bisher.17 Wie bereits im Zusammenhang mit dem Vertrauensschutz erwähnt,18 sind Gerichtsentscheidungen kein Gesetzesrecht und 14
Vgl. u. B., ab S. 426. BAG v. 16.9.1982 – 2 AZR 228/80, NJW 1984, 446 (447); BAG v. 29.8.1984 – 7 AZR 34/83, AP Nr. 27 zu § 123 BGB; ErfK-Preis, § 611 BGB Rn. 366 f. 16 ErfK-Preis, § 611 BGB Rn. 367. 17 Vgl. BGH v. 8.10.1969 – I ZR 7/68, NJW 1970, 141 (142). 18 s. o. S. 162. 15
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führen auch im Falle eines Richtungswechsels nicht zu einer Änderung der Rechtslage, sondern stellen sie „lediglich aufgrund eines – prinzipiell irrtumsanfälligen – Erkenntnisprozesses für den konkreten Fall fest“19. Canaris spricht ebenfalls davon, „dass das normativ geltende Recht durch den Spruch des Gerichts anders als bei einer Gesetzesänderung nicht mit konstitutiver Wirkung ex nunc umgestaltet wird, sondern dass nur deklaratorisch festgestellt wird, was an sich schon rechtens war.“20 Die Arbeitgeber-Vorstellung war daher schon in der Vergangenheit falsch, auch wenn sie damals der Auffassung der Rechtsprechung entsprach – die sich jedoch ebenfalls rückwirkend geändert hat. Ein Irrtum kommt daher grundsätzlich in Betracht. Insofern könnte es sich um eine Anfechtung wegen Rechtsirrtums als Sonderfall des Inhaltsirrtums gemäß § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB handeln. Nach herrschender Meinung ist hierbei zu unterscheiden, ob die Rechtsfolge, über die der Erklärende irrt, Bestandteil der Erklärung selbst ist (unmittelbar erklärte Rechtsfolge) oder nur vom Gesetz als Folge der unmittelbar erklärten Rechtsfolge angesehen wird (mittelbare Rechtsfolge), und damit lediglich eine nicht erkannte Nebenfolge ist.21 Im ersten Fall ist nach herrschender Meinung ein zur Anfechtung berechtigender Inhaltsirrtum zu bejahen, im zweiten Fall liegt lediglich ein unbeachtlicher Motivirrtum vor.22 Im Schrifttum wird angesichts der Rechtsprechungsänderung mitunter das Vorliegen eines beachtlichen Rechtsfolgenirrtums auf Seiten der Arbeitgeber bejaht.23 Im Falle der Gleichstellungsabrede liege eine unmittelbar durch den Arbeitgeber erklärte Rechtsfolge vor: Der Arbeitgeber habe die Gleichstellung seiner Arbeitnehmer erklären wollen, objektiv aber eine Ewigkeitsbindung vereinbart und somit eine „Erklärung dieses Inhalts“ überhaupt nicht abgeben wollen.24 Strebte er nur die Gleichstellung von or19 BVerfG v. 28.9.1992 – 1 BvR 496/87, NZA 1993, 213 (214); nun auch BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (969); BAG v. 13.7.2006 – 6 AZR 198/06, NZA 2007, 25 (29); Meinel/Herms, DB 2006, 1429 (1431); Zerres, NJW 2006, 3533 (3535). 20 SAE 1972, 22 (23). 21 MüKo-Kramer, BGB, Bd. 1/1, § 119 Rn. 86; Soergel-Hefermehl, BGB, § 119 Rn. 24; Staudinger-Singer, BGB § 119 Rn. 67 ff. 22 Larenz/Wolf, BGB AT, § 36 Rn. 73 ff.; Soergel-Hefermehl, BGB, § 119 Rn. 24. A. A. Faust, BGB AT, § 21 Rn. 17, der danach unterscheidet, ob die Rechtsfolge auf dem Willen des Erklärenden beruht (dann Inhaltsirrtum) oder nicht (dann Motivirrtum). 23 Für den Fall des Verbandsaustritts Bayreuther, DB 2007, 166 (167); tendenziell zustimmend Hanau, RdA 2007, 180 (182), der insofern das EuGH-Urteil in der Rs. Werhof unterstützend ins Feld führt. 24 Vgl. Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458 (463), die dies jedoch als Erklärungsirrtum nach § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB betrachten.
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ganisierten und nicht organisierten Arbeitnehmern an, sollte die Bezugnahme nur so lange wirken, wie er selbst tarifgebunden sei.25 Eine „ewige“ dynamische Bindung würde also eine andere Rechtsfolge darstellen, als sie der Arbeitgeber zum Inhalt seiner Erklärung machen wollte. Die Gegenmeinung verneint einen zur Anfechtung berechtigenden Irrtum. Die etwaige „Ewigkeitsbindung“ erlaube als nicht erkannte und nicht gewollte rechtliche Nebenwirkung keine Anfechtung wegen Inhaltsirrtums.26 Eine Entscheidung zwischen diesen Ansichten fällt insofern nicht leicht, als die Abgrenzung zwischen unmittelbar erklärter und nur mittelbarer Rechtsfolge in der Praxis schwer zu ziehen ist. Hinsichtlich der (bisherigen) Formulierung von Bezugnahmeklauseln spricht mehr dafür, einen Gleichstellungszweck nicht als Teil der Erklärung, sondern nur als deren Motiv anzusehen. Die Arbeitgeber gingen nämlich davon aus, dass ihrer Klausel von der Rechtsprechung ein Gleichstellungszweck beigelegt werde. Sie erklärten diesen Gleichstellungszweck vom objektiven Empfängerhorizont der Arbeitnehmer nach §§ 133, 157 BGB aus gesehen typischerweise aber gerade nicht.27 Der Gleichstellungszweck war somit in aller Regel nicht Teil der Erklärung selbst, sondern wurde ihr lediglich durch die Rechtsprechung beigemessen. Nach seiner bisherigen Verwendung war er daher keine unmittelbar erklärte, sondern lediglich eine mittelbare Rechtsfolge, so dass ein Irrtum hierüber nicht zur Anfechtung berechtigt. Es liegt lediglich ein unbeachtlicher Motivirrtum vor. 2. Verfristung Mag man über das Vorliegen eines zur Anfechtung berechtigenden Irrtums noch streiten können, sprechen gegen ein Anfechtungsrecht weitere, grundsätzliche Bedenken. Ein etwaiges Anfechtungsrecht könnte nämlich mittlerweile schon längst verfristet sein.28 Nach § 121 Abs. 1 S. 1 BGB muss die Anfechtung in den Fällen der §§ 119, 120 BGB unverzüglich nach Kenntniserlangung des Anfechtungsberechtigten vom Anfechtungsgrund erfolgen. Ein bloßes Kennenmüssen setzt die Frist des § 121 Abs. 1 S. 1 BGB nicht in Gang, ebenso wenig das Vorliegen von Verdachtsgründen.29 25
Bayreuther, DB 2007, 166 (167). Giesen, NZA 2006, 625 (631) m. w. N. 27 s. o. Teil 1, D.III.2., ab S. 142. 28 Befürwortend Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458 (463). 29 BGH v. 26.4.1973 – III ZR 116/71, WM 1973, 750 (751); BAG v. 16.9.1982 – 2 AZR 228/80, NJW 1984, 446 (447); Palandt-Heinrichs/Ellenberger, BGB, § 121 Rn. 2; Erman-Palm, BGB, § 121 Rn. 2. 26
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Hieran anknüpfend wird in Bezug auf Verweisungsklauseln argumentiert, es bestehe derzeit eine allgemeine Unsicherheit über eine mögliche Anfechtbarkeit von Bezugnahmeklauseln, so dass die Frist noch nicht versäumt sein dürfte.30 Jedoch muss die Kenntnis des Anfechtungsgrundes nicht den Grad voller Wahrheitsüberzeugung erreicht haben, sondern es muss nur mehr als eine Vermutung vorliegen.31 Dies ist hinsichtlich der Rechtsprechungsänderung der Fall. Seit der Ankündigung der Rechtsprechungsänderung vom 14.12.2005 ist für die Arbeitgeber ersichtlich, dass die Auslegung der Gleichstellungsabrede in Zukunft für ab dem 1.1.2002 geschlossene Verträge keine Anwendung mehr findet. Bereits ab diesem Zeitpunkt hatten sie Kenntnis von der Rechtsprechungsänderung. Am 18.4.2007 hat das BAG seine neue Rechtsprechung erstmals angewandt. Seit der Ankündigung der Rechtsprechungsänderung durch das BAG vom 14.12.2005 ist bereits geraume Zeit vergangen, so dass das Erfordernis der „Unverzüglichkeit“ (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB) nicht mehr erfüllt ist. Somit wäre ein Anfechtungsrecht in jedem Fall auch bereits verfristet. Insgesamt spricht damit neben dem fehlenden Irrtum auf Seiten des Arbeitgebers auch die Verfristung gemäß § 121 Abs. 1 S. 1 BGB gegen ein Recht zur Anfechtung der Bezugnahmeklausel.
III. Anfechtung gemäß § 318 BGB Ferner käme eine Lösung über die §§ 317 ff. BGB in Betracht, insbesondere mittels einer Anfechtung gemäß § 318 BGB. Gemäß § 317 Abs. 1 BGB ist, sofern die Bestimmung der vertraglich geschuldeten Leistung einem Dritten überlassen wurde, im Zweifel anzunehmen, dass sie nach billigem Ermessen zu treffen ist. Die Möglichkeit, die Leistungsbestimmung einem Dritten zu überlassen, folgt schon aus der Vertragsfreiheit.32 § 317 Abs. 1 BGB enthält dann Auslegungsregeln für den Maßstab, den der Dritte anzulegen hat, und § 317 Abs. 2 BGB regelt für den Fall der Bestellung mehrerer das Verfahren für die Entscheidungsfindung.33 § 318 Abs. 2 BGB sieht eine Anfechtung wegen Irrtums, Drohung oder arglistiger Täuschung für den Fall vor, dass die Bestimmung der Leistung durch Dritte gemäß §§ 317, 318 Abs. 1 BGB erfolgt. Anfechtungsberechtigt sind ausschließlich die Parteien, nicht der Dritte, dessen Rechtskreis nicht betroffen ist.34 30
Bayreuther, DB 2007, 166 (167). BGH v. 26.4.1973 – III ZR 116/71, WM 1973, 750 (751); Erman-Palm, BGB, § 120 Rn. 2; Soergel-Hefermehl, BGB, § 121 Rn. 3; MüKo-Kramer, BGB, Bd. 1/1, § 121 Rn. 6. 32 Erman-Hager, BGB, § 317 Rn. 1; Palandt-Grüneberg, BGB, § 317 Rn. 1. 33 Erman-Hager, BGB, § 317 Rn. 1. 31
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Teil 3: Anpassung von Alt- und Gestaltung von Neuverträgen
Ungeachtet der erneuten Bedenken gegen die Annahme eines Irrtums35 kann die arbeitsvertragliche Inbezugnahme eines Tarifvertrages schon nicht als Überlassung der Bestimmung der Leistung an einen Dritten angesehen werden. Die Leistungsbestimmung nach § 317 BGB beinhaltet eine echte privatrechtliche Delegation, die eine Regelungskompetenz des Delegatars begründet.36 Dem Dritten, der die Leistung bestimmen kann, erwächst somit ein „Recht zu regelnder Gestaltung“.37 Aufgrund der Inbezugnahme eines Tarifvertrages wird den Tarifparteien hingegen kein Recht zur Leistungsbestimmung im Arbeitsverhältnis übertragen. Die Arbeitsvertragsparteien nehmen auf eine bestehende, fremde Regelung Bezug, die von den Regelsetzern in eigener Zuständigkeit für eigene Angelegenheiten getroffen wurde.38 Sie schreiben insofern lediglich „ab“, ohne ihre eigene Regelungskompetenz an Dritte abzugeben. Die §§ 317 ff. BGB sind auf Bezugnahmeklauseln daher nicht anwendbar.39
IV. Änderungsvertrag Um die „ewige Klauseldynamik“ zu beseitigen, kann der Arbeitgeber einen Änderungsvertrag mit den Arbeitnehmern abschließen. 1. Gestaltungsformen Rechtlich betrachtet lässt sich ein Änderungsvertrag einfach erzielen: Es bedarf lediglich einer Einigung der Arbeitsvertragsparteien. Mittels des Änderungsvertrages kann auch bei „Altverträgen“ der Wortlaut der Bezugnahmeklausel derart modifiziert werden, dass weiterhin eine Auslegung als Gleichstellungsabrede möglich ist. Um eine „dynamische Ewigkeitsbindung“ des Arbeitgebers zu vermeiden, können die Parteien z. B. vereinbaren, dass die dynamische Bezugnahme unter die auflösende Bedingung der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers gestellt wird. Alternativ kann eine 34
Erman-Hager, BGB, § 318 Rn. 3. Vgl. hierzu o. A.II.1., ab S. 384. 36 Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 242; Staudinger-Rieble, BGB, § 315 Rn. 90. 37 Staudinger-Rieble, BGB, § 315 Rn. 90; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 242. 38 Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 242; Staudinger-Rieble, BGB, § 315 Rn. 89 ff. Vgl. o. S. 123. 39 I. Erg. ebenso Giesen, NZA 2006, 625 (631), der eine (entsprechende) Anwendbarkeit jedenfalls an der in den meisten Fällen nicht gegebenen Unbilligkeit der Regelung scheitern lässt; Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 105. A. A. Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1734 ff.; Seibert, NZA 1985, 730 (732 f.). 35
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Tarifwechselklausel vereinbart werden, die anders als eine bloße Gleichstellungsabrede eine Änderung des in Bezug genommenen Tarifvertrages ermöglicht.40 Eine Änderung der Bezugnahmeklausel und ihrer etwaigen „Ewigkeitsbindung“ ist aufgrund der Vertragsfreiheit selbst dann möglich, wenn der Arbeitgeber wegen seiner Tarifgebundenheit kraft zwingenden Tarifrechts gegenüber den Gewerkschaftsmitgliedern gleichermaßen dauerhaft und dynamisch gebunden ist.41 2. Probleme eines Änderungsvertrages Die Vereinbarung eines Änderungsvertrages unterliegt allerdings einigen Beschränkungen. Solange die Arbeitsbedingungen weiterhin auf zwingend anwendbarem Tarifvertrag beruhen, gilt das Günstigkeitsprinzip (§ 4 Abs. 3 TVG). Besteht daher ein normativ geltender Tarifvertrag, können die kollektivrechtlich wirkenden Rechte und Pflichten entweder nur „nach oben“, d.h. für die Arbeitnehmer günstiger, oder mit kollektivrechtlichen Gestaltungsmitteln korrigiert werden. Die Beseitigung der Dynamik einer Bezugnahmeklausel ist im Zweifel für die Arbeitnehmer ungünstig. Gilt für das Arbeitsverhältnis ein Tarifvertrag normativ, kann der Arbeitsvertrag daher nicht wirksam zukünftige Tarifentwicklungen vorenthalten. Ferner muss der Arbeitgeber die Arbeitnehmer über die Konsequenzen einer Vertragsänderung umfassend informieren. Dies betrifft insbesondere den Verlust der dynamischen Teilhabe an der Tarifentwicklung bei Vereinbarung einer Gleichstellungsabrede oder die Auswirkungen des Wechsels des in Bezug genommenen Tarifvertrages und der dann anwendbaren tariflichen Regelungen im Falle einer Tarifwechselklausel. Klärt der Arbeitgeber nicht über die rechtlichen Konsequenzen der Vertragsänderung auf, kann er sich je nach den Umständen des Einzelfalles dem Vorwurf einer arglistigen Täuschung aussetzen, der eine Anfechtung der Arbeitnehmer gemäß § 123 BGB nach sich ziehen könnte.42 Ferner sollte der Arbeitgeber die Arbeitnehmer trotz der von ihm gewünschten schnellstmöglichen Vertragsanpassung bei dem Abschluss eines Änderungsvertrages nicht unter Zeitdruck setzen, um sich nicht dem Vorwurf der „Überrumpelung“ auszusetzen.43 40
Die Formulierung solcher Klauseln findet sich unter Teil 3, B.I.1., ab S. 430. BAG v. 24.11.2004 – 10 AZR 202/04, AP Nr. 70 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 311. 42 Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458 (463). 43 Vgl. BAG v. 27.11.2003 – 2 AZR 135/03, AP Nr. 1 zu § 312 BGB; Klebeck, NZA 2006, 15 (20); Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458 (463). 41
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Teil 3: Anpassung von Alt- und Gestaltung von Neuverträgen
Wird der Änderungsvertrag im Anschluss an einen Betriebsübergang geschlossen, sind weitere Besonderheiten zu beachten. Sofern nach einem Betriebsübergang die Kollektivnormen über § 613a Abs. 1 S. 2 BGB nur noch individualrechtlich fortgelten, greift grundsätzlich die einjährige Veränderungssperre des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB. Nach § 613a Abs. 1 S. 4 BGB kann aber eine Ablösung der gemäß Satz 2 fortgeltenden tariflichen Rechte und Pflichten unabhängig von der Veränderungssperre jederzeit dann erfolgen, wenn entweder der neue Inhaber und der Arbeitnehmer vereinbaren, dass ein anderer, nunmehr einschlägiger Tarifvertrag gelten soll, oder wenn der (alte) Tarifvertrag nicht mehr gilt. Die Rechtsprechung verlangte für derartige Änderungsvereinbarungen von Arbeitsbedingungen anlässlich eines Betriebsübergangs bisher einen sachlichen Grund, hat diese Rechtsprechung jedoch kürzlich zumindest teilweise revidiert.44 In jedem Fall ist die Vereinbarung von Änderungsverträgen mit allen Arbeitnehmern eine aufwendige Art, die Arbeitsbedingungen zu harmonisieren, da es einer individuellen Einigung mit jedem einzelnen Arbeitnehmer bedarf. Es ergibt sich hierbei zudem das grundlegende Problem, dass die Arbeitnehmer typischerweise nicht zu einer einvernehmlichen Regelung unter Verzicht auf „wohlerworbene“ Rechte bereit sein werden.45 Ohne einen Anreiz in Form anderweitiger Vergünstigungen („Paketlösung“) wird eine Durchsetzung in allen Arbeitsverhältnissen daher kaum realisierbar sein. Ein Änderungsvertrag mag daher zwar dogmatisch einfach zu erreichen sein, in der Praxis ist er jedoch mit zahlreichen Problemen verbunden, so dass er als Harmonisierungsinstrument nach der Rechtsprechungsänderung nur bedingt taugt.
V. Negative betriebliche Übung In Betracht käme ferner eine negative betriebliche Übung, aufgrund derer statt der bisher dynamischen nunmehr eine rein statische Bezugnahme erfolgen könnte. Unter einer negativen betrieblichen Übung versteht man eine der bisherigen betrieblichen Übung entgegenstehende oder diese abändernde neue betriebliche Übung.46 Durch eine negative betriebliche Übung kann eine bisher bestehende betriebliche Übung geändert werden, wenn der Arbeitnehmer der geänderten Handhabung über einen längeren Zeitraum nicht widerspricht.47 44
s. o. S. 218, Fn. 111, sowie unten S. 433. Meinel/Herms, DB 2006, 1429 (1430); Giesen, NZA 2006, 625 (631). 46 s. hierzu BAG v. 26.3.1997 – 10 AZR 612/96, AP Nr. 50 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG v. 4.5.1999 – 10 AZR 290/98, AP Nr. 55 zu § 242 BGB Betriebliche Übung. 45
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Eine Beseitigung der Klauseldynamik durch negative betriebliche Übung wäre z. B. denkbar, wenn der Arbeitgeber mehrmals eine Tarifänderung trotz dynamischer Bezugnahme nicht mehr an die Arbeitnehmer weitergibt. Die rechtliche Anerkennung einer negativen betrieblichen Übung, die zum Vertragsbestandteil erwachsene Ansprüche durch bloßes Schweigen auf eine einseitig geänderte Handhabung verändern kann, ist jedoch nicht unumstritten.48 1. Anwendbarkeit nur bei Bestehen einer betrieblichen Übung Eine betriebliche Übung, die für die Arbeitnehmer nachteilig ist, soll nach überwiegender Ansicht nur bei Sachverhalten in Betracht kommen, in denen der Anspruch des Arbeitnehmers bereits auf einer betrieblichen Übung beruhte.49 Beruht der Anspruch hingegen auf einer vertraglichen Regelung, kann diese nicht durch eine negative betriebliche Übung geändert werden. Nur sofern daher bisher eine Bezugnahme kraft betrieblicher Übung vorlag,50 kommt eine gegenläufige betriebliche Übung überhaupt in Betracht.51 Gleiches gilt, wenn nur einzelne Elemente der Bezugnahme, z. B. die Dynamik, auf einer betrieblichen Übung beruhen. Insofern kann eine Entdynamisierung der Bezugnahme aufgrund einer gegenläufigen betrieblichen Übung in Betracht kommen.52 Besteht hingegen eine ausdrückliche vertragliche Abrede, muss eine Harmonisierung der Arbeitsbedingungen kraft negativer betrieblicher Übung von vornherein ausscheiden.53 Im Falle einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel kommt dieses Harmonisierungsinstrument daher nicht in Betracht.54 47 BAG v. 26.3.1997 – 10 AZR 612/96, AP nr. 50 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG v. 4.5.1999 – 10 AZR 290/98, AP Nr. 55 zu § 242 BGB Betriebliche Übung. 48 Krit. Henssler, FS 50 Jahre BAG, S. 683 (704 ff.); HWK-Thüsing, § 611 BGB Rn. 234 f.; ErfK-Preis, § 611 BGB Rn. 225; Franzen, SAE 1997, 344 ff. 49 BAG v. 24.11.2004 – 10 AZR 202/04, AP Nr. 70 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 312; Jacobs/Krause/Oetker-Oetker, TarifvertragsR, § 6 Rn. 167. 50 s. hierzu Teil 1, B.II.1.d), ab S. 51. 51 BAG v. 24.11.2004 – 10 AZR 202/04, AP Nr. 70 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; Henssler, FS 50 Jahre BAG, S. 683 (704 ff.); Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 312; ErfK-Preis, § 611 BGB Rn. 225. 52 Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 312; Henssler, FS 50 Jahre BAG, S. 683 (704 ff.). 53 BAG v. 24.11.2004 – 10 AZR 202/04, AP Nr. 70 zu § 242 BGB Betriebliche Übung. 54 BAG v. 24.11.2004 – 10 AZR 202/04, AP Nr. 70 zu § 242 BGB Betriebliche Übung.
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2. Voraussetzungen der negativen betrieblichen Übung Lag bisher eine Bezugnahme kraft betrieblicher Übung vor, ist eine negative Betriebsübung möglich. Damit sie entsteht, kann der Arbeitgeber entweder die Weitergabe tariflicher Leistungen kraft Bezugnahme einstellen oder einen Freiwilligkeitsvorbehalt erklären, z. B. durch die Klarstellung, dass die Zahlung einer tariflich vorgesehenen Gratifikation eine „freiwillige, jederzeit widerrufliche Leistung ist, auf die auch zukünftig kein Rechtsanspruch besteht“.55 Weitere Voraussetzung für das Entstehen einer derartigen „negativen“ Betriebsübung ist jedoch, dass diese neue betriebliche Übung zumindest stillschweigend Inhalt des Arbeitsvertrages geworden ist, d.h. dass der Arbeitgeber das Schweigen des Arbeitnehmers auf die geänderte betriebliche Übung nach Treu und Glauben und nach der Verkehrssitte als Akzeptanz der geänderten betrieblichen Übung ansehen durfte, weil er annehmen konnte, dass der Arbeitnehmer der Änderung widersprechen würde, wenn er mit dieser nicht einverstanden sein sollte.56 Die neue betriebliche Übung wird also nur dann zum Inhalt des Arbeitsvertrages, wenn die Arbeitnehmer der geänderten Handhabung über einen längeren Zeitraum nicht widersprechen.57 Dies kann bei einer für die Arbeitnehmer nachteiligen gegenläufigen Betriebsübung in aller Regel kaum erwartet werden. Aufgrund ihres engen Anwendungsbereiches und der hohen Anforderungen an ihre Entstehung ist eine negative betriebliche Übung daher ein nur sehr bedingt geeignetes Anpassungsinstrument.
55 Beispiel nach Henssler, FS 50 Jahre BAG, S. 683 (704). Vgl. auch BAG v. 26.3.1997 – 10 AZR 612/96, AP Nr. 50 zu § 242 BGB Betriebliche Übung. 56 BAG v. 26.3.1997 – 10 AZR 612/96, AP Nr. 50 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG v. 4.5.1999 – 10 AZR 290/98, AP Nr. 55 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG v. 24.11.2004 – 10 AZR 202/04, AP Nr. 70 zu § 242 BGB Betriebliche Übung. 57 BAG v. 26.3.1997 – 10 AZR 612/96, AP Nr. 50 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG v. 4.5.1999 – 10 AZR 290/98, AP Nr. 55 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG v. 24.11.2004 – 10 AZR 202/04, AP Nr. 70 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG v. 13.7.1968 – 5 AZR 400/67, AP Nr. 8 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; ErfK-Preis, § 611 BGB Rn. 225; HWK-Thüsing, § 611 BGB Rn. 234. Offen gelassen hat das BAG jedoch, wie viele Arbeitnehmer widersprechen müssen, d.h. ob ein einziger Arbeitnehmer das Entstehen der negativen betrieblichen Übung für alle verhindern kann, vgl. hierzu Goertz, AuR 1999, 463 ff.; HWK-Thüsing, § 611 BGB Rn. 234. Kritisch auch ErfK-Preis, § 611 BGB Rn. 225; Henssler, FS 50 Jahre BAG, S. 683 (705 ff.); Kempen/Zachert-Stein, TVG, § 4 Rn. 354.
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VI. Entdynamisierung durch Betriebsvereinbarungen Um die nach der Rechtsprechungsänderung drohende ewige dynamische Bezugnahme zu beseitigen, kommt auch der Abschluss von Betriebsvereinbarungen in Betracht. Betriebsvereinbarungen sind privatrechtliche Normenverträge zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben des Betriebsrats für die von ihm repräsentierte Belegschaft zur Regelung von Rechten und Pflichten in Bezug auf Inhalt, Abschluss oder Beendigung von Arbeitsverhältnissen oder zur Klärung betrieblicher und betriebsverfassungsrechtlicher Fragen.58 Die Vereinbarung von Betriebsvereinbarungen zur Harmonisierung der Arbeitsbedingungen begegnet jedoch erheblichen Bedenken. 1. Tarifvorrang (§ 77 Abs. 3 BetrVG) Zunächst ist die Regelung des § 77 Abs. 3 BetrVG zu beachten. § 77 Abs. 3 BetrVG begründet einen grundsätzlichen Vorrang des Tarifvertrags vor der Betriebsvereinbarung im Falle einer Tarifregelung oder Tarifüblichkeit.59 § 77 Abs. 3 TVG soll die Tarifautonomie im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG vor der Betriebsautonomie schützen, d.h. die Tarifparteien vor einer Konkurrenz durch die Betriebsparteien.60 Die Regelung – und insbesondere die Aushöhlung – tariflicher Arbeitsbedingungen durch Betriebsvereinbarung soll verhindert werden.61 Die Schranke des § 77 Abs. 3 TVG will Konflikten zwischen Tarif- und Betriebspartnern sowie zwischen Arbeitgebern und Belegschaft über Fragen der Arbeitsentgelte und der sonstigen Arbeitsbedingungen vorbeugen.62 58 BAG v. 1.8.2001 – 4 AZR 82/00, NZA 2002, 41 (43); HWK-Gaul, § 77 BetrVG Rn. 1; ErfK-Kania, § 77 BetrVG Rn. 2; Wlotzke/Preis-Preis, BetrVG, § 77 Rn. 7, 16. 59 ErfK-Kania, § 77 BetrVG Rn. 40. 60 BAG v. 24.2.1987 – 1 ABR 18/85, AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972; BAG v. 29.10.2002 – 1 AZR 573/01, AP Nr. 18 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt; BAG v. 21.1.2003 – 1 ABR 9/02, AP Nr. 1 zu § 21a BetrVG 1972; BAG v. 22.3.2005 – 1 ABR 64/03, AP Nr. 26 zu § 4 TVG – Geltungsbereich; DKK-Berg, BetrVG, § 77 Rn. 62; ErfK-Kania, § 77 BetrVG Rn. 41; HWK-Gaul, § 77 BetrVG Rn. 48; Wlotzke/Preis-Preis, BetrVG, § 77 Rn. 58. Vgl. o. S. 53. 61 BAG v. 3.12.1991 – GS 2/90, AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; BAG v. 22.6.1993 – 1 ABR 62/92, NZA 1994, 184 (185); DKK-Berg, BetrVG, § 77 Rn. 62; ErfK-Kania, § 77 BetrVG Rn. 41. 62 BAG v. 24.1.1996 – 1 AZR 597/95, AP Nr. 8 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt; BAG v. 21.1.2003 – 1 ABR 9/02, AP Nr. 1 zu § 21 a BetrVG 1972; Wlotzke/Preis-Preis, BetrVG, § 77 Rn. 59.
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Teil 3: Anpassung von Alt- und Gestaltung von Neuverträgen
Besteht somit ein einschlägiger Tarifvertrag oder ist ein Tarifvertrag zumindest üblich, verhindert § 77 Abs. 3 TVG eine entsprechende Regelung durch Betriebsvereinbarung. § 77 Abs. 3 TVG erfasst hierbei sowohl formelle als auch materielle Arbeitsbedingungen.63 Erforderlich ist nicht die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers, sondern nur, dass der Betrieb im betrieblichen und fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags liegt, der bloß nachwirkend oder sogar nur üblich (§ 77 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 BetrVG) sein kann (sog. Tarifüblichkeit).64 Im Falle eines Branchenwechsels tritt die Sperrwirkung daher nicht ein.65 Ist § 77 Abs. 3 BetrVG einschlägig, findet das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG keine Anwendung, sondern § 77 Abs. 3 BetrVG verdrängt § 4 Abs. 3 TVG – ein Tarifvertrag setzt sich daher selbst dann gegen die Betriebsvereinbarung durch, wenn letztere für die Arbeitnehmer günstiger wäre.66 Aufgrund des durch § 77 Abs. 3 BetrVG postulierten Vorrangs des Tarifvertrags sind entgegenstehende frühere oder spätere Betriebsvereinbarungen nichtig.67 In der Regel wird eine Änderung der Arbeitsbedingungen und damit der Bezugnahmeklausel durch Betriebsvereinbarungen daher an der Tarifsperre des § 77 Abs. 3 TVG scheitern. 2. Betriebsverfassungsrechtliches Günstigkeitsprinzip Außerdem gilt selbst bei Unanwendbarkeit des § 77 Abs. 3 TVG das betriebsverfassungsrechtliche Günstigkeitsprinzip, das eine Anpassung der Arbeitsbedingungen unter Verschlechterung einzelvertraglich eingeräumter 63 BAG v. 9.4.1991 – 1 AZR 406/90, AP Nr. 1 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 77 Rn. 71; ErfKKania, § 77 BetrVG Rn. 43; DKK-Berg, BetrVG, § 77 Rn. 63. 64 BAG v. 24.1.1996 – 1 AZR 597/95, AP Nr. 8 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt; BAG v. 9.12.1997 – 1 AZR 319/97, AP Nr. 11 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt; BAG v. 20.11.2001 – 1 AZR 12/01, NZA 2002, 872 (Ls. 2); BAG v. 22.3.2005 – 1 ABR 64/03, AP Nr. 26 zu § 4 TVG – Geltungsbereich; HWK-Gaul, § 77 BetrVG Rn. 49 f.; ErfK-Kania, § 77 BetrVG Rn. 40. 65 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 365. 66 ErfK-Kania, § 77 BetrVG Rn. 40; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 77 Rn. 97; HWK-Gaul, § 77 BetrVG Rn. 48; DKK-Berg, BetrVG, § 77 Rn. 11, 62; Wlotzke/Preis-Preis, BetrVG, § 77 Rn. 58. 67 BAG v. 22.3.2005 – 1 ABR 64/03, AP Nr. 26 zu § 4 TVG – Geltungsbereich; BAG v. 21.1.2003 – 1 ABR 9/02, AP Nr. 1 zu § 21a BetrVG 1972; BAG v. 20.4.1999 – 1 AZR 631/98, AP Nr. 12 zu § 77 BetrVG 1972; ErfK-Kania, § 77 BetrVG Rn. 40; Wlotzke/Preis-Preis, BetrVG, § 77 Rn. 76. Eine Genehmigung ist jedoch möglich, vgl. BAG v. 20.4.1999 – 1 AZR 631/98, AP Nr. 12 zu § 77 BetrVG 1972 – Tarifvorbehalt; BAG v. 29.10.2002 – 1 AZR 573/01, AP Nr. 18 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt.
A. Möglichkeiten der Anpassung von Altverträgen
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Positionen verhindert.68 Das betriebsverfassungsrechtliche Günstigkeitsprinzip stellt eine Kollisionsregel für die Fälle dar, in denen eine Betriebsvereinbarung und individualrechtliche Absprachen unterschiedliche Regelungen über denselben Gegenstand enthalten.69 Die ungünstigere Regelung ist nicht unwirksam, der Arbeitnehmer kann sich aber auf die ihm günstigere Regelung berufen.70 Will der Arbeitgeber die Dynamik einer Bezugnahmeklausel beseitigen, verschlechtert dies in aller Regel die bisherigen arbeitsvertraglich eingeräumten Rechtspositionen der Arbeitnehmer. Dies ist nicht durch Betriebsvereinbarung, sondern grundsätzlich nur durch Änderungskündigung, Änderungsvereinbarung oder Widerruf möglich.71 Die Klauseldynamik wird folglich in den meisten Fällen nicht mittels Betriebsvereinbarung zu beseitigen sein. Das Günstigkeitsprinzip verbietet es, die arbeitsvertraglichen Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. § 77 Abs. 3 BetrVG normiert zudem einen Tarifvorrang, der schon bei bloßer Tarifüblichkeit keine Betriebsvereinbarung mehr zulässt.
VII. Berufung auf Störung der Geschäftsgrundlage Teile des Schrifttums erwägen einen Anspruch des Arbeitgebers auf Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB).72 Läge eine solche Störung der Geschäftsgrundlage vor, könnte der Arbeitgeber möglicherweise verlangen, dass die dynamische Bezugnahmevereinbarung in eine statische umformuliert wird. 1. Institut der Geschäftsgrundlage Das Institut der Geschäftsgrundlage ist seit der Schuldrechtsreform in § 313 BGB gesetzlich geregelt; es bestand jedoch bereits vorher als aus § 242 BGB entwickelter ungeschriebener Rechtsgrundsatz.73 68 WHSS-Hohenstatt, E Rn. 246. Zum betriebsverfassungsrechtlichen Günstigkeitsprinzip vgl. BAG (GS) v. 16.9.1986 – GS 1/82, AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG; BAG (GS) v. 7.11.1989 – GS 3/85, NZA 1990, 816 (819); BAG v. 28.3.2000 – 1 AZR 366/99, NZA 2001, 49 (51); ErfK-Kania, § 77 BetrVG Rn. 68; HWK-Gaul, § 77 BetrVG Rn. 59; Wlotzke/Preis-Preis, BetrVG, § 77 Rn. 82 m. w. N. 69 Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 77 Rn. 196. 70 BAG v. 28.6.2005 – 1 AZR 213/04, AP Nr. 25 zu § 77 BetrVG 1972 BV. 71 HWK-Gaul, § 77 BetrVG Rn. 61; ähnl. ErfK-Kania, § 77 BetrVG Rn. 70. 72 Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (205 f.); Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 214 ff.; Klebeck, NZA 2006, 15 (21). Zur Störung der Geschäftsgrundlage s. bereits o. S. 102, 215. 73 Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (206); Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 214.
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Teil 3: Anpassung von Alt- und Gestaltung von Neuverträgen
§ 313 Abs. 1 BGB als gesetzliche Ausformung des Gedankens von Treu und Glauben ermöglicht es nunmehr unter bestimmten Umständen, bei Störungen der Geschäftsgrundlage den Vertragsinhalt an die veränderten Verhältnisse anzupassen. Die Norm schränkt den Grundsatz der Vertragstreue (pacta sunt servanda) ein und bezweckt einen Ausgleich zwischen dem Bestands- und Erfüllungsinteresse des einen und dem Anpassungs- und Beendigungsinteresse des anderen Vertragsteils.74 Geschäftsgrundlage sind gemäß § 313 Abs. 1 BGB die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt gewordenen, bei Vertragsschluss aber zutage getretenen gemeinsamen Vorstellungen beider Vertragsparteien oder die einer Partei erkennbaren und von ihr nicht beanstandeten Vorstellungen der anderen Partei von dem Vorhandensein oder dem Eintritt bestimmter Umstände, auf denen der Geschäftswille der Parteien aufbaut.75 Sie müssen sich nach Abschluss des Vertrages „schwerwiegend“ verändert haben. Eine Störung ist grundsätzlich nur dann schwerwiegend, wenn nicht ernstlich zweifelhaft ist, dass eine der Parteien oder beide den Vertrag bei Kenntnis der Änderung nicht oder nur mit einem anderen Inhalt abgeschlossen hätten.76 § 313 BGB ist hingegen nicht anwendbar, wenn sich durch die Störung ein Risiko verwirklicht, das eine Partei zu tragen hat.77 Liegt eine Störung der Geschäftsgrundlage vor, kann gemäß § 313 Abs. 1 BGB eine Vertragsanpassung nur verlangt werden, wenn der von der Störung betroffenen Partei die unveränderte Vertragserfüllung nicht mehr zugemutet werden kann. Das Festhalten am Vertrag müsste zu untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit nicht zu vereinbarenden Ergebnissen führen.78 Erforderlich ist eine umfassende Interessenabwägung. Ist eine Vertragsanpassung bei Störung der Geschäftsgrundlage nicht möglich oder einem Teil unzumutbar, kann dieser Teil gemäß § 313 Abs. 3 BGB vom Vertrag zurücktreten bzw. bei Dauerschuldverhältnissen den Vertrag kündigen. 74
Palandt-Grüneberg, BGB, § 313 Rn. 1. RG v. 15.12.1941 – V 77/41, RGZ 168, 121 (126 f.); BGH v. 23.10.1957 – V ZR 219/55, NJW 1958, 297 (297 f.); BGH v. 15.6.1951 – V ZR 86/50, NJW 1951, 836 (836 f.); BGH v. 25.7.1990 – 5 AZR 394/89, NJW 1991, 1562 (1563); BAG v. 15.9.2004 – 4 AZR 9/04, NZA 2005, 691 (693). Zur Unterscheidung zwischen subjektiver und objektiver Geschäftsgrundlage vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, § 313 Rn. 3 f.; MüKo-Roth, Bd. 2, § 313 Rn. 47 ff. Vgl. o. S. 215 ff. 76 Palandt-Grüneberg, BGB, § 313 Rn. 18. 77 BGH v. 1.6.1979 – V ZR 80/77, NJW 1979, 1818 (1819); BGH v. 12.6.1987 – V ZR 91/86, NJW 1987, 2674 (2676); BGH v. 16.2.2000 – XII ZR 279/97, NJW 2000, 1714 (1716); Palandt-Grüneberg, BGB, § 313 Rn. 19. 78 BGH v. 11.7.1958 – VIII ZR 96/57, NJW 1958, 1772 (1772 f.); BGH v. 29.4.1982 – III ZR 154/80, NJW 1982, 2184 (2186); BGH v. 26.9.1996 – I ZR 265/95, NJW 1997, 1702 (1704). Vgl. o. S. 215 ff. 75
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2. Anwendbarkeit im Falle der Rechtsprechungsänderung Es ist jedoch zweifelhaft, ob eine Entdynamisierung von Bezugnahmeklauseln über das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage erreicht werden kann. Für die Anwendbarkeit des § 313 BGB spricht zunächst, dass auch eine Änderung der Rechtsprechung eine Störung der Geschäftsgrundlage darstellen kann.79 Das gilt jedoch nur, wenn auf Seiten des Arbeitgebers eine schwerwiegende Veränderung der dem Vertragsschluss zugrunde liegenden Umstände vorliegt, die nicht vorhergesehene Belastungen nach sich zieht und dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nicht zugemutet werden kann.80 Es ist hingegen schon fraglich, ob mit der Rechtsprechungsänderung und dem mit ihr einhergehenden Wechsel von der Auslegung als Gleichstellungsabrede zur „vollkonstitutiven“ Verweisung auch die Geschäftsgrundlage für die Auslegung der Bezugnahmeklausel entfallen ist. Hierfür müsste die Auslegung als Gleichstellungsabrede vom gemeinsamen Willen der Parteien erfasst oder zumindest die einer Partei erkennbare und von ihr nicht beanstandete Vorstellung der anderen Partei gewesen sein und nicht ausschließlich der einseitigen Erwartung einer der beiden Parteien entsprochen haben.81 Das BAG vertritt in seinem Urteil vom 18.4.2007 die Auffassung, dass die Auslegung der Klausel als Gleichstellungsabrede nicht zugleich Geschäftsgrundlage der bisherigen Formulierung in den Arbeitsverträgen war.82 Hierfür spricht, dass die Auslegung als Gleichstellungsabrede die Geltung des Tarifvertrages von Faktoren abhängig machte, die nicht im Vertrag genannt oder sonst für beide Parteien ersichtlich zur Voraussetzung gemacht worden wären. Der Wille des Arbeitgebers, die Dynamik der Bezugnahme mit dem Ende seiner eigenen Tarifbindung zu beenden, war nicht der erklärte Wille, sondern reines Motiv, das für die Gegenseite nicht 79 BGH v. 2.5.1972 – VI ZR 47/71, NJW 1972, 1577 (1579). Vgl. zur Rechtsprechung des BAG zu betrieblichen Versorgungsleistungen: BAG v. 17.9.1991 – 3 AZR 413/90, AP Nr. 16 zu § 7 BetrAVG Widerruf; BAG v. 16.3.1993 – 3 AZR 299/92, AP Nr. 18 zu § 7 BetrAVG Widerruf; Palandt-Grüneberg, BGB, § 313 Rn. 34; Klebeck, NZA 2006, 15 (21); Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458 (463). 80 BGH v. 23.5.1951 – II ZR 71/50, BGHZ 2, 177 (188 f.); BGH v. 25.2.1993 – VII ZR 24/92, NJW 1993, 1856 (1860); BGH v. 11.10.1994 – XI ZR 189/93, NJW 1995, 47 (48); Giesen, NZA 2006, 625 (631); Palandt-Grüneberg, BGB, § 313 BGB Rn. 18, 24; Erman-Hohloch, BGB, § 313 Rn. 26 f. Vgl. auch bereits oben S. 102, 215. 81 BGH v. 17.2.1993 – XII ZR 232/91, NJW-RR 1993, 773 (774). 82 BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (970).
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Teil 3: Anpassung von Alt- und Gestaltung von Neuverträgen
(oder nicht hinreichend) zum Ausdruck kam.83 Vom objektiven Empfängerhorizont aus war der vom Arbeitgeber verfolgte Gleichstellungszweck nicht erkennbar. Auch wenn die Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede jahrzehntelang die Auslegung von Bezugnahmeklauseln dominierte, kannte der Arbeitnehmer in der typischen Situation die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers nicht und machte sich daher keine Vorstellung davon, ob dieser nur eine Gleichstellung bezweckte. Der Gleichstellungszweck kann daher nicht als Geschäftsgrundlage der Bezugnahmeklauseln angesehen werden. Eine Beseitigung der Klauseldynamik unter Berufung auf § 313 BGB muss in den allermeisten Fällen zudem schon aus allgemeinen zivilrechtlichen Gründen ausscheiden. In zahlreichen Sonderregelungen werden Fälle der Geschäftsgrundlage geregelt oder teilweise in die Regelungen mit einbezogen (z. B. §§ 311a, 321, 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 489, 490, 519, 527, 528, 530, 593, 594e, 650, 651j, 723, 775, 779, 1301, 1612a, 2077, 2079 BGB).84 Sie alle gehen § 313 BGB vor.85 Das Institut der Geschäftsgrundlage ist deshalb grundsätzlich subsidiär gegenüber den bürgerlich-rechtlichen Kündigungsregeln.86 Ansonsten würde insbesondere im Arbeitsrecht das vom Gesetzgeber zur Anpassung des Arbeitsvertrages vorgesehene spezielle Instrument der Kündigung mit seinen (strengen) Voraussetzungen regelmäßig über die generelle Regelung des § 313 BGB umgangen.87 Der Arbeitgeber muss sich zur Vertragsanpassung an geänderte Umstände im Arbeitsverhältnis deshalb grundsätzlich der Änderungskündigung bedienen.88 Eine Vertragsanpassung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage kommt nur in Betracht, wenn eine Kündigung überhaupt nicht möglich ist, z. B. bei der Anpassung betrieblicher Ruhegelder an geänderte Verhältnisse.89 83
s. o. S. 144. Palandt-Grüneberg, BGB, § 313 Rn. 16. 85 BGH v. 6.3.2002 – XII ZR 133/00, NJW 2002, 2098 (2099); Erman-Hohloch, BGB, § 313 Rn. 32. 86 BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 126/05, NZA 2006, 587 (590); BAG v. 9.2.1995 – 2 AZR 389/94, NZA 1996, 249 (251); BAG v. 16.5.2002 – 2 AZR 292/01, AP Nr. 69 zu § 2 KSchG 1969; BAG v. 25.3.2004 – 2 AZR 153/03, AP Nr. 60 zu § 138 BGB; Palandt-Grüneberg, BGB, § 313 Rn. 14; Erman-Hohloch, BGB, § 313 Rn. 32; Giesen, NZA 2006, 625 (631); Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 217; Möller, NZA 2006, 579 (583); Bayreuther, DB 2007, 166 (167). 87 BAG v. 6.3.1986 – 2 ABR 15/85, AP Nr. 19 zu § 15 KSchG 1969; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 218; Eckert, AR-Blattei SD 1513, Rn. 45 f. 88 BAG v. 29.1.1981 – 2 AZR 778/78, AP Nr. 10 zu § 15 KSchG 1969; BAG v. 6.3.1986 – 2 ABR 15/85, AP Nr. 19 zu § 15 KSchG 1969; ErfK-Preis, § 611 BGB Rn. 379; HWK-Sandmann, § 626 BGB Rn. 22. 89 Beispiel nach ErfK-Preis, § 611 BGB Rn. 379. Vgl. BAG v. 24.2.2004 – 3 AZR 10/02, n. v. 84
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Im Falle der Anpassung von Bezugnahmeklauseln ist daher das Kündigungsrecht vorrangig, wobei es hier nicht um eine Kündigung des gesamten Arbeitsverhältnisses, sondern lediglich um eine Änderungskündigung ginge.90 In aller Regel wird eine Harmonisierung der Arbeitsbedingungen unter Berufung auf § 313 BGB daher ausscheiden.
VIII. Änderungskündigung Vorrangiges Mittel zur Beseitigung einer ungewollten „ewigen“ dynamischen Bezugnahme auf einen Tarifvertrag ist somit die Änderungskündigung – im Zweifel als sog. Massenänderungskündigung, d.h. als Kündigung gegenüber allen oder jedenfalls einem Teil der Arbeitnehmer.91 Bei einer Änderungskündigung wird das bestehende Arbeitsverhältnis im Wege einer Beendigungskündigung gekündigt, verbunden mit dem Angebot an den Arbeitnehmer, das Arbeitsverhältnis zu veränderten Bedingungen fortzusetzen.92 Die Kündigung ist insofern Druckmittel zum Abschluss eines Änderungsvertrages. Im Falle der Bezugnahmeklauseln würde der Arbeitgeber auf diesem Wege anbieten können, das Arbeitsverhältnis unter nunmehr lediglich statischer Bezugnahme des bisherigen Tarifvertrages oder (statischer oder dynamischer) Bezugnahme des fachlich einschlägigen „neuen“ Tarifvertrages fortzusetzen. Eine Änderungskündigung scheidet jedoch von vornherein aus, wenn mildere Mittel in Betracht kommen. Hierzu zählen insbesondere die Ausübung des Direktionsrechts sowie der Widerruf bislang erbrachter Leistungen.93 Die Anpassung von Bezugnahmeklauseln kann jedoch als materielle Vertragsänderung nicht mehr als vom Direktionsrecht erfasst angesehen werden. Auch ein Widerruf kommt nur bei einem zuvor vereinbarten entsprechenden Vorbehalt in Betracht.94
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s. im Anschluss A.VIII.1. Die Massenentlassung ist in §§ 17–22 KSchG geregelt. Bei der Massenänderungskündigung ist die beabsichtigte Kündigung anzeigepflichtig, vgl. KR-Weigand, § 17 KSchG Rn. 41, § 25 KSchG Rn. 32 m. w. N. Zugleich handelt es sich um eine nach kündigungsrechtlichen Maßstäben (§ 2 KSchG, § 626 BGB) zu beurteilende individualrechtliche Maßnahme, vgl. HWK-Hergenröder, Art. 9 GG Rn. 248. 92 KR-Rost, § 2 KSchG Rn. 9 ff., 12 ff. 93 BAG v. 28.4.1982 – 7 AZR 1139/79, AP Nr. 3 zu § 2 KSchG 1969. Vgl. WHSS-Hohenstatt, E Rn. 235; KR-Rost, § 2 KSchG Rn. 36 ff., 47 ff. m. w. N. 94 Vgl. hierzu Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 204 ff. Zum Widerrufsvorbehalt vgl. o. S. 382. 91
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Teil 3: Anpassung von Alt- und Gestaltung von Neuverträgen
1. Begriff der Änderungskündigung und grundsätzliche Voraussetzungen Die Änderungskündigung ist in § 2 KSchG geregelt. Der Arbeitgeber kündigt das Arbeitsverhältnis und bietet dem Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der Kündigung an, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Bedingungen fortzusetzen. Die Änderungskündigung setzt sich daher aus zwei Willenserklärungen zusammen: Der Kündigung und dem Änderungsangebot.95 Ziel des Arbeitgebers ist es nicht, das Arbeitsverhältnis insgesamt zu beenden, sondern es zu geänderten Bedingungen fortzusetzen. Der Arbeitnehmer kann dieses Angebot zur Vertragsänderung annehmen, so dass ein Änderungsvertrag zustande kommt und das Arbeitsverhältnis mit den neuen Bedingungen fortgesetzt und die Kündigung gegenstandslos wird. Er kann es ablehnen, so dass die vom Arbeitgeber ausgesprochene Beendigungskündigung (sofern sie sozial gerechtfertigt ist) wirksam und das Arbeitsverhältnis beendet wird. Der Arbeitnehmer kann dann zur Überprüfung der sozialen Rechtfertigung Kündigungsschutzklage gemäß § 4 S. 1 KSchG erheben. Als dritte, explizit in § 2 S. 1 KSchG genannte Alternative ist eine Annahme des Angebots unter dem Vorbehalt möglich, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt ist. Letzteres kann im Rahmen einer Änderungsschutzklage nach § 4 S. 2 KSchG überprüft werden. In dieser Variante behält der Arbeitnehmer, auch wenn seine Klage erfolglos sein sollte, zumindest sein bisheriges Arbeitsverhältnis, wenn auch zu geänderten Bedingungen; eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses kommt dann nicht mehr in Betracht. Bei erfolgreicher Änderungsschutzklage entfällt rückwirkend der unter Vorbehalt geschlossene Änderungsvertrag (§ 8 KSchG) und das Arbeitsverhältnis besteht zu den bisherigen Bedingungen fort.96 Die Änderungskündigung ist jedoch mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden: Da es sich um eine „echte“ Beendigungskündigung handelt, muss der Arbeitgeber den besonderen Kündigungsschutz beachten, so dass keineswegs immer gewährleistet ist, dass im Wege der Massenänderungskündigung tatsächlich eine einheitliche Anpassung der Arbeitsbedingungen gelingt.97 Die Vereinheitlichung wird auch durch die unterschiedlichen Kündigungsfristen 95 HWK-Molkenbur, § 2 KSchG Rn. 33 f.; ErfK-Oetker, § 2 KSchG Rn. 10 f.; Wallner, Ordentliche Änderungskündigung, S. 29 ff. m. w. N. 96 Zu den Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitnehmers auf die Änderungskündigung vgl. Wallner, Änderungskündigung, Rn. 284 ff.; ErfK-Oetker, § 2 KSchG Rn. 28 ff.; HWK-Molkenbur, § 2 KSchG Rn. 47 ff.; Otto, Änderungskündigung, S. 13 f. m. w. N. 97 KR-Rost, § 2 KSchG Rn. 179 ff.; WHSS-Hohenstatt, E Rn. 236.
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je nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit der Arbeitnehmer erschwert. Zudem wird es bei gerichtlichen Auseinandersetzungen aufgrund der Änderungskündigung im Hinblick auf die jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles nicht zu vollkommen einheitlichen Gerichtsentscheidungen kommen. Ferner ist wie bei jeder Beendigungskündigung gemäß § 102 BetrVG eine Betriebsratsanhörung erforderlich.98 Zudem muss sich die Änderungskündigung an den kündigungsschutzrechtlichen Erfordernissen des § 2 KSchG messen lassen, d.h. sie bedarf insbesondere der sozialen Rechtfertigung.99 Eine Änderungskündigung ist aber anders als die Beendigungskündigung nicht erst dann wirksam, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses sozial gerechtfertigt wäre, sondern bereits dann, wenn die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial gerechtfertigt ist.100 Das Änderungsangebot des Arbeitgebers ist daher maßgebend zu berücksichtigen.101 Die soziale Rechtfertigung der Änderungskündigung wird in einem zweistufigen Verfahren untersucht: In einem ersten Schritt wird geprüft, ob „an sich“ ein Kündigungsgrund im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG besteht.102 Es wird sich hierbei in aller Regel und insbesondere bei der Anpassung einer Bezugnahmeklausel um einen betriebsbedingten Grund handeln. In diesem Fall müssen dringende betriebliche Erfordernisse der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter den bisherigen Arbeitsbedingungen entgegenstehen. Dies können sowohl außerbetriebliche als auch innerbetriebliche Gründe sein.103 Die der betriebsbedingten Änderungskündigung zugrunde liegende Unternehmerentscheidung unterfällt jedoch nur einer Rechts- und Missbrauchskontrolle.104 In einem zweiten Schritt ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, bei der zu prüfen ist, ob sich der Arbeitgeber darauf beschränkt hat, nur solche Änderungen vorzuschlagen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen 98
ErfK-Oetker, § 2 KSchG Rn. 17 ff.; HWK-Molkenbur, § 2 KSchG Rn. 92; Wallner, Änderungskündigung, Rn. 14. 99 Skuderis, Betriebsübergang, S. 397; Gussen/Dauck, Weitergeltung, Rn. 281, S. 196; Klebeck, NZA 2006, 15 (21). 100 MüKo-Hergenröder, BGB, Bd. 4, § 2 KSchG Rn. 75 f.; HWK-Molkenbur, § 2 KSchG Rn. 57 m. w. N. 101 BAG v. 3.11.1977 – 2 AZR 277/76, AP Nr. 1 zu § 75 BPersVG; BAG v. 23.6.2005 – 2 AZR 642/04, AP Nr. 81 zu § 2 KSchG 1969. 102 s. hierzu ErfK-Oetker, § 2 KSchG Rn. 42 m. w. N. 103 Zu dem Unterschied der Darlegungslast im Kündigungsschutzprozess vgl. BAG v. 24.10.1979 – 2 AZR 940/77, AP Nr. 8 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 104 BAG v. 26.1.1995 – 2 AZR 371/94, NZA 1995, 626 (628); BAG v. 23.6.2005 – 2 AZR 642/04, AP Nr. 81 zu § 2 KSchG 1969.
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muss.105 Es handelt sich um eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, nach der die geänderten Arbeitsbedingungen im Hinblick auf den Kündigungsgrund geeignet und erforderlich sein müssen.106 Dem Arbeitgeber dürfen keine milderen Mittel der Vertragsanpassung zur Verfügung stehen. Dies sind hohe Anforderungen, die für den Fall der Anpassung der gegebenen Bezugnahmeklauseln im jeweiligen Einzelfall vorliegen müssen. 2. Änderungskündigung zur Entgeltreduzierung Die Hürden sind in einem besonderen Fall der Änderungskündigung nach der Rechtsprechung sogar noch höher. Bezugnahmen auf Tarifverträge enthalten oftmals auch Verweisungen hinsichtlich des Entgelts oder zumindest einzelner Entgeltbestandteile. Sofern der Arbeitgeber eine Beseitigung der bisherigen Klauseldynamik mittels einer Änderungskündigung durchsetzt, können dann auch bisher dynamisch in Bezug genommene Tarifbestimmungen zum Entgelt „eingefroren“ werden. Will er mittels Änderungskündigung eine Tarifwechselklausel in den Arbeitsvertrag einführen, kann dies zum Austausch des in Bezug genommenen Tarifvertrages führen. Insofern stellt sich die Frage, ob eine Anpassung der Bezugnahmeklausel mittels Änderungskündigung den gesteigerten Voraussetzungen einer Änderungskündigung zur Entgeltreduzierung unterliegt. a) Voraussetzungen der Änderungskündigung zur Entgeltreduzierung Eine Änderungskündigung zur Entgeltsenkung wird vom BAG als Sonderfall einer betriebsbedingten Kündigung107 nur unter sehr strengen Voraussetzungen zugelassen, die zusätzlich zu den allgemeinen Anforderungen an eine Änderungskündigung gegeben sein müssen: Es müssten bei unverändertem Fortbestand des Vertrages auf der Ebene des gesamten Betriebes108 fortgesetzt Verluste entstehen, die in absehbarer Zeit Entlassungen oder sogar 105 BAG v. 3.7.2003 – 2 AZR 617/02, AP Nr. 73 zu § 2 KSchG 1969; BAG v. 15.3.1991 – 2 AZR 582/90, AP Nr. 28 zu § 2 KSchG 1969; BAG v. 19.5.1993 – 2 AZR 584/92, AP Nr. 31 zu § 2 KSchG 1969; BAG v. 1.7.1999 – 2 AZR 826/98, AP Nr. 53 zu § 2 KSchG 1969; BAG v. 27.9.2001 – 2 AZR 236/00, AP Nr. 40 zu § 4 TVG Nachwirkung. 106 BAG v. 23.6.2005 – 2 AZR 642/04, AP Nr. 81 zu § 2 KSchG 1969. 107 BAG v. 20.3.1986 – 2 AZR 294/85, AP Nr. 14 zu § 2 KSchG 1969; Precklein, Änderungskündigung, S. 89 ff.; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 229. 108 BAG v. 11.10.1989 – 2 AZR 61/89, AP Nr. 47 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG v. 20.8.1998 – 2 AZR 84/98, AP Nr. 50 zu § 2 KSchG 1969.
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die Schließung des Betriebes notwendig machen würden.109 Grundsätzlich gelte der Grundsatz pacta sunt servanda, so dass der Arbeitgeber nicht einseitig in das Äquivalenzverhältnis zwischen den Parteien eingreifen dürfe.110 Der Arbeitnehmer habe nicht das Wirtschaftsrisiko des Arbeitgebers zu tragen; bloßer Geldmangel könne den Schuldner nicht entlasten.111 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz lasse sich nur durch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit rechtfertigen. Es sei zu fragen, ob der Arbeitsplatz mit der Folge einer Beendigungskündigung wegfalle, wenn die Arbeitsentgelte nicht gemindert werden.112 In der Regel müsse der Arbeitgeber zunächst einen umfassenden Sanierungsplan erstellen, der alle gegenüber der beabsichtigten Änderungskündigung milderen Mittel ausschöpfe, die Finanzlage des Betriebes, den Anteil der Personalkosten, die Auswirkungen der erstrebten Kostensenkungen für den Betrieb und für die Arbeitnehmer darstelle und darlege, warum andere Maßnahmen nicht in Betracht kommen.113 b) Entgeltreduzierung bei der Anpassung von Bezugnahmeklauseln? Dies sind nahezu unüberwindbare Hürden.114 Vor dem Hintergrund derartig strenger Anforderungen hat das BAG die Zulässigkeit einer Änderungskündigung für die Konstellation einer „Hineinkündigung“115 einer Bezugnahme, d.h. einer Änderungskündigung zur Einführung einer Bezugnahmeklausel in den Arbeitsvertrag, kürzlich verneint.116 Es ging um den Fall 109 BAG v. 11.10.1989 – 2 AZR 61/89, AP Nr. 47 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG v. 20.8.1998 – 2 AZR 84/98, AP Nr. 50 zu § 2 KSchG 1969; BAG v. 27.9.2001 – 2 AZR 236/00, AP Nr. 40 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG v. 16.5.2002 – 2 AZR 292/01, AP Nr. 69 zu § 2 KSchG 1969; BAG v. 23.6.2005 – 2 AZR 642/04, NZA 2006, 92 (96); BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 126/05, NZA 2006, 587 (588). Zustimmend Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458 (463); WHSS-Hohenstatt, E Rn. 239 ff. 110 BAG v. 16.5.2002 – 2 AZR 292/01, AP Nr. 69 zu § 2 KSchG 1969; BAG v. 23.6.2005 – 2 AZR 642/04, NZA 2006, 92 (96); BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 126/05, NZA 2006, 587 (588). 111 BAG v. 16.5.2002 – 2 AZR 292/01, AP Nr. 69 zu § 2 KSchG 1969. 112 BAG v. 23.6.2005 – 2 AZR 642/04, AP Nr. 81 zu § 2 KSchG 1969; BAG v. 12.11.1998 – 2 AZR 91/98, AP Nr. 51 zu § 2 KSchG 1969. 113 BAG v. 1.7.1999 – 2 AZR 826/98, AP Nr. 53 zu § 2 KSchG 1969; BAG v. 27.9.2001 – 2 AZR 236/00, AP Nr. 40 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG v. 16.5.2002 – 2 AZR 292/01, AP Nr. 69 zu § 2 KSchG 1969; BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 126/05, NZA 2006, 587 (588). Kritisch Otto, Bezugnahmeklausel, S. 231 ff. m. w. N. zu den ablehnenden Literaturansichten. 114 Worzalla, SAE 2003, 300 (303); Stoffels, FS Hromadka, S. 463 (473 ff.). 115 Zu diesem Begriff s. Bayreuther, DB 2007, 166 (167). 116 BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 126/05, NZA 2006, 587 (588 ff.).
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eines Leiharbeitgebers, der einem Zeitarbeitgeberverband beitrat, der einen vom Equal Pay-Gebot der §§ 3 Abs. 1 Nr. 3, 9 Nr. 2, 10 Abs. 4 AÜG befreienden Tarifvertrag geschlossen hatte. Der Außenseiter-Arbeitnehmer lehnte die Vereinbarung einer Klausel zur Bezugnahme auf diesen – eine niedrigere als die bisherige Vergütung gewährenden – Tarifvertrag ab. Das BAG erklärte die vom Arbeitgeber daraufhin auf die Aufnahme der Bezugnahmeklausel gerichtete Änderungskündigung für unzulässig, da sie den grundsätzlichen Voraussetzungen einer Änderungskündigung widerspreche. Allein die gesetzliche Neuregelung des § 9 Nr. 2 AÜG n. F., die die Abweichung vom Equal Pay-Gebot durch vertragliche Bezugnahme erlaube,117 könne ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Situation des Arbeitgebers nicht als dringendes betriebliches Erfordernis zur Entgeltkürzung angesehen werden.118 Fraglich ist, ob auch eine „Hinauskündigung“119 einer Bezugnahmeklausel zur Beendigung der bisherigen dynamischen Verweisung an einen bestimmten Tarifvertrag als Entgeltabsenkung anzusehen ist. Hierbei ist danach zu unterscheiden, ob sich die Änderungskündigung auf die Beseitigung der Klauseldynamik im Sinne einer Gleichstellungsabrede beschränkt oder ob sie eine Tarifwechselklausel in das Arbeitsverhältnis einführen soll. aa) Entgeltreduzierung bei Beseitigung der Klauseldynamik (Gleichstellungsabrede)? Strebt der Arbeitgeber mit der Änderungskündigung eine bloße Beseitigung der Klauseldynamik im Sinne einer Gleichstellungsabrede an, wird teilweise angenommen, dass es sich hierbei bereits um eine Änderungskündigung zur Entgeltreduzierung handele.120 Begründet wird diese Ansicht damit, dass Maßstab der Änderungskündigung nicht das tatsächliche Gehalt am Tage des Zugangs der Änderungskündigung sei, sondern der vertragsrechtliche status quo des Arbeitnehmers.121 Dieser umfasse auch die Teilnahme an künftigen Verbesserungen der tariflichen Arbeitsbedingungen. Zudem bestehe auch bei der („bloßen“) Beseitigung der Dynamik eine Situation, in der der Arbeitgeber die von ihm geschuldete Gegenleistung im Verhältnis zu der vom Arbeitnehmer erbrachten Leistung fortan abweichend 117
BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 126/05, NZA 2006, 587 (589). BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 126/05, NZA 2006, 587 (589). 119 Begriff nach Bayreuther, DB 2007, 166 ff. 120 Bayreuther, DB 2007, 166 (167); Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 227 f.; Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458 (463); ähnlich Däubler/Dorndorf/Bonin/Deinert-Däubler, AGB-Kontrolle, § 305c BGB Rn. 47. 121 Bayreuther, DB 2007, 166 (167). 118
A. Möglichkeiten der Anpassung von Altverträgen
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bewerten wolle.122 Er greife insofern in das Synallagma der vertraglich geschuldeten Leistungen ein, wenn er anstelle der bisherigen, an die Tarifvereinbarungen angekoppelten Vergütung einen nur noch festen Betrag leisten wolle. Ziel sei auch in diesem Fall die langfristige Senkung des Entgelts. Auch der Entzug der dynamischen Bezugnahme stelle deshalb eine Maßnahme der Entgeltabsenkung dar.123 Die Gegenansicht wendet ein, dass die Beseitigung der Klauseldynamik stets nur zur Aufrechterhaltung des vertraglich festgelegten status quo führe.124 Insofern habe sie die gleiche Zielsetzung wie das „Einfrieren“ von Tarifnormen gemäß § 3 Abs. 3 TVG.125 Zugleich bewirke sie die Gleichbehandlung der Außenseiter und Gewerkschaftsmitglieder, so dass sie nicht als sozialwidrig im Sinne des § 1 KSchG angesehen werden könne.126 Der Streit kreist um die Frage, wann im Sinne der Rechtsprechung zur Änderungskündigung eine „Entgeltreduzierung“ gegeben ist. Wird den Arbeitnehmern das aktuelle Gehalt gekürzt, liegt eindeutig eine Entgeltreduzierung vor. Verzichtet der Arbeitgeber lediglich darauf, eine von ihm in Betracht gezogene Gehaltserhöhung durchzuführen, erfolgt keine Entgeltreduzierung. Wie aber sieht es im Fall der Bezugnahme aus? Hierbei ergibt sich die Besonderheit, dass die Parteien bereits zu einem zurückliegenden Zeitpunkt vertraglich vereinbart haben, die Arbeitnehmer sollten an zukünftigen tariflichen Gehaltsentwicklungen teilhaben. Es wird zwar nicht das „aktuelle“ Gehalt gekürzt, aber die nächste (tarifliche) Gehaltserhöhung sollte nach dem bisherigen Vertrag automatisch auch für das Arbeitsverhältnis gelten. Die Beseitigung der Dynamik stellt also nicht lediglich einen Verzicht des Arbeitgebers auf eine (unverbindlich) in Betracht gezogene Gehaltserhöhung dar. Vielmehr greift der Arbeitgeber in das vertragliche Synallagma ein und beendet mit einer Änderungskündigung die vertraglich zugesagte Partizipation an der Tarifentwicklung. Dies wurde bereits bei der Frage nach einem Widerrufsvorbehalt gemäß § 308 Nr. 4 BGB festgestellt.127 Ob es gleichzeitig zu einer Entgeltreduzierung kommt, ist hiervon jedoch getrennt zu bewerten, denn es ist denkbar, dass der Arbeitgeber eine vertraglich zugesagte Leistung ändert, das gegenwärtige Entgelt jedoch nicht reduziert. Entscheidend für die Anwendbarkeit der Grundsätze einer Änderungskündigung zur Entgeltreduzierung ist deshalb, ob auch zukünftige Ta122
Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 227 f. Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458 (463); Bayreuther, DB 2007, 166 (167). 124 Jacobs, FS Birk, S. 243 (258); Hohenstatt/Schramm, NZA 2006, 251 (253); Giesen, NZA 2006, 625 (632); Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 187. 125 Giesen, NZA 2006, 625 (632). 126 Giesen, NZA 2006, 625 (628). 127 s. o. A.I., ab S. 381. 123
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riflohnerhöhungen Bestandteil des vom Arbeitgeber geschuldeten „Entgelts“ sind, so dass die Beseitigung der Dynamik das geschuldete Entgelt reduzieren würde. Hiergegen spricht, dass der Arbeitgeber bei der Beseitigung der Klauseldynamik lediglich die zukünftige Teilhabe an Tarifentwicklungen „kappt“, aber das aktuelle Entgelt unberührt lässt, so dass der status quo erhalten bleibt. Der Eingriff ist deutlich geringer als bei einer Reduzierung des momentanen Entgelts. Die tarifliche Vergütung ist in ihrer Entwicklung schwer vorhersehbar und kann mitunter auch einmal für die Arbeitnehmer nachteilig sein. Eine „sichere“ Rechtsposition im Sinne eines Anspruchs auf eine Lohnerhöhung entsteht aus der Vereinbarung einer dynamischen Bezugnahmeklausel daher noch nicht. Die Teilhabe an der tariflichen Dynamik ist von ihrem rechtlichen Gehalt her geringer zu bewerten als die aktuell gewährte Vergütungshöhe. Diese Wertung findet sich auch in anderen Bereichen des Arbeitsrechts wieder. Neben der in der Literatur bereits festgestellten Parallele zum „Einfrieren“ von Tarifnormen im Sinne von § 3 Abs. 3 TVG besteht eine strukturelle Ähnlichkeit zur Anrechnung einer übertariflichen Zulage auf eine Tariflohnerhöhung aufgrund einer arbeitsvertraglichen Anrechnungsklausel. Übertarifliche Zulagen werden häufig gewährt, wenn den Arbeitsvertragsparteien der Tariflohn nicht ausreichend erscheint. Dies kann sich bei einer späteren Tariflohnerhöhung ändern. Aufgrund der Vereinbarung einer Anrechnungsklausel kann eine Tariflohnerhöhung individualrechtlich auf eine übertarifliche Zulage angerechnet werden.128 Das BAG geht mittlerweile auch ohne explizite Erklärung der Arbeitsvertragsparteien grundsätzlich von einer beabsichtigten automatischen Anrechnung übertariflicher Zulagen auf die Tariflohnerhöhung aus (sog. „Aufsaugung“).129 Dieser Ansicht liegt die Wertung zugrunde, dass die Arbeitnehmer bei der Anrechnung der Tariflohnerhöhung keinen Nachteil erleiden. Der Effektivlohn des einzelnen Arbeitnehmers bleibt nämlich trotz der Tariflohnerhöhung im Ergebnis unverändert.130 Zwar kommt es hier schon von vornherein nicht zu einem Eingriff in das vertragliche Synallagma. Wie bei einer Beseitigung der Klauseldynamik bleibt bei einer „Aufsaugung“ aber die momentane Entgelthöhe bestehen und nur die Möglichkeit einer weiteren Lohnerhöhung 128
BAG v. 17.9.2003 – 4 AZR 533/02, NZA 2004, 437 ff. BAG v. 18.8.1971 – 4 AZR 342/70, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Effektivklausel; BAG v. 25.6.2002 – 3 AZR 167/01, NZA 2002, 1216 (1217). Eine tarifliche Anrechnungsklausel wird von der herrschenden Meinung hingegen wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 3 TVG als unwirksam angesehen, vgl. BAG v. 18.8.1971 – 4 AZR 342/70, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Effektivklausel; BAG v. 16.9.1987 – 4 AZR 265/89, NZA 1988, 29 (31); Jacobs/Krause/Oetker-Jacobs, § 7 Rn. 82 m. w. N. 130 Jedoch ist der Lohnanteil höher, der sich aufgrund der normativen Wirkung des Tarifvertrages ergibt, s. Jacobs/Krause/Oetker-Jacobs, § 7 Rn. 75. 129
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wird verhindert. Auch hier scheidet eine Entgeltreduzierung aus, es liegt lediglich das Unterlassen einer Entgelterhöhung vor.131 Eine weitere Parallele findet sich im Recht der betrieblichen Altersversorgung. Dort bestehen unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besondere Maßstäbe für die Änderung von Versorgungsanwartschaften. Da die betriebliche Altersversorgung (auch) Gegenleistung für in der Vergangenheit geleistete Dienste des Arbeitnehmers ist, werden Versorgungsanwartschaften für umso schutzwürdiger erachtet, je mehr der Arbeitnehmer dafür bereits vorgeleistet hat.132 Bei Eingriffen unterscheidet das BAG daher zwischen solchen Anwartschaften, die bereits durch die bisher erbrachte Betriebstreue „erdient“ sind und solchen, die durch künftig zu erbringende Betriebstreue noch zu erdienen sind. „Erdient“ ist der Teil der Versorgungsanwartschaft, den der Arbeitnehmer als Versorgungsanwartschaft behalten würde, schiede er im Zeitpunkt der Abänderung der Versorgungsregelung bei seinem Arbeitgeber aus (sog. „erdienter Teilbetrag“).133 Erdiente Besitzstände sind wie bereits erworbene Ansprüche der Entziehung gegen den Willen des Arbeitnehmers grundsätzlich entzogen; die Rechtsprechung lässt sie deshalb aus zwingenden Gründen nur zu, wenn der Arbeitgeber sich zu Recht auf einen Wegfall oder die Störung der Geschäftsgrundlage berufen kann.134 Für weniger schutzwürdig erachtet das BAG hingegen die sog. „erdiente Dynamik“: Soll die Anwartschaft der Gehaltsentwicklung folgen, so erdient der Arbeitnehmer mit seiner Betriebstreue nicht nur den zeitanteilig errechneten Festbetrag, sondern auch die darauf entfallende Dynamik.135 In eine erdiente Dynamik kann aus sog. triftigen Gründen eingegriffen werden.136 In noch nicht erdiente Versorgungsbestandteile lässt das BAG Eingriffe schon dann zu, wenn „sachlich proportionale Gründe“ vorliegen.137 Hierin kommt die Wertung zum Ausdruck, dass die aktuell erreichte Entgelthöhe einen deutlich höheren rechtlichen Stellenwert genießt und daher schutz131
Vgl. BAG v. 1.3.2006 – 5 AZR 363/05, NZA 2006, 746 ff. BAG v. 17.3.1987 – 3 AZR 64/84, NZA 1987, 855 ff.; BAG v. 10.9.2002 – 3 AZR 635/01, BB 2003, 2749 (2751). 133 BAG v. 22.9.1987 – 3 AZR 662/85, NZA 1988, 732 (733); BAG v. 26.8.1997 – 3 AZR 235/96, BB 1998, 1114 (1115); HWK-Schipp, Vorb. BetrAVG Rn. 151. 134 Grdl. BAG v. 8.12.1981 – 3 ABR 53/80, AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Ablösung; BAG v. 17.3.1987 – 3 AZR 64/84, NZA 1987, 855 (857); BAG v. 10.9.2002 – 3 AZR 635/01, BB 2003, 2749 (2751); BAG v. 12.10.2004 – 3 AZR 557/03, AP Nr. 23 zu § 1 BetrAVG Hinterbliebenenversorgung; ErfK-Steinmeyer, Vorb. BetrAVG Rn. 7. 135 ErfK-Steinmeyer, Vorb. BetrAVG Rn. 24b. 136 BAG v. 17.4.1985 – 3 AZR 72/83, NZA 1986, 57 (59); BAG 17.3.1987 – 3 AZR 64/84, NZA 1987, 855 (857); BAG v. 10.9.2002 – 3 AZR 635/01, BB 2003, 2749 (2751). 137 BAG v. 17.3.1987 – 3 AZR 64/84, NZA 1987, 855 (857); BAG v. 10.9.2002 – 3 AZR 635/01, BB 2003, 2749 (2751). 132
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würdiger ist als die im Vertrag vorgesehene Dynamik, die (eventuell) Anspruch auf spätere Lohnerhöhungen geben kann. Ähnlich liegt es auch bei Beseitigung der Dynamik einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel. Die Beseitigung der Klauseldynamik durch Einführung einer Gleichstellungsabrede greift nicht in das aktuelle Entgelt, sondern lediglich in die weitere dynamische Teilhabe am Tarifvertrag ein – die für die Arbeitnehmer nicht unbedingt immer mit Vorteilen verbunden sein muss. Die Beseitigung der Klauseldynamik ist daher keine Reduzierung des aktuellen Entgelts. Der Wegfall der Dynamik bezieht sich ausschließlich auf die Zukunft, in den bereits erworbenen Bestand an Arbeitsbedingungen wird daher nicht eingegriffen.138 Eine Änderungskündigung zur Beseitigung der Klauseldynamik fällt aus diesem Grunde nicht unter die strengen Anforderungen der Rechtsprechung für Änderungskündigungen zur Entgeltreduzierung. Es gelten die für jede Änderungskündigung nötigen Voraussetzungen.139 bb) Entgeltreduzierung bei Einführung einer Tarifwechselklausel? Weniger Schwierigkeiten bereitet die Frage, ob eine Entgeltreduzierung vorliegt, wenn es nicht lediglich um die Beseitigung der Klauseldynamik, sondern um einen Wechsel des Bezugnahmeobjekts geht, so dass zukünftig ein ganz anderer Tarifvertrag in Bezug genommen wird. In diesem Fall wird oftmals auch ein völlig anderes Entgeltsystem auf das Arbeitsverhältnis zur Anwendung gelangen, wobei es dann zu einer Reduzierung auch des aktuell gewährten Entgelts kommen kann und damit sogar der gegenwärtige status quo angegriffen wird.140 Die Änderungskündigung betrifft dann nicht lediglich eine hypothetische Möglichkeit, an einer späteren Tariflohnerhöhung auf vertraglicher Ebene teilzuhaben, sondern der Eingriff erfolgt in die gesicherte konkrete Rechtsposition des gegenwärtig gewährten Entgelts. Die Grundsätze der Änderungskündigung zur Entgeltreduzierung sind dann unzweifelhaft einschlägig. Aufgrund der entgeltreduzierenden Wirkung eines Wechsels des Bezugnahmeobjekts sind die Anforderungen an eine Änderungskündigung zu diesem Zweck deutlich höher als bei einer „normalen“ Änderungskündigung: Es müssten bei unverändertem Fortbestand des Vertrages auf der Ebene des gesamten Betriebes fortgesetzt Verluste entstehen, die in absehbarer Zeit Entlassungen oder sogar die Schließung des Betriebs notwendig machen würden.141 Dies wird nur selten der Fall sein. 138 139 140 141
Ebenso Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1078). s. o. A.VIII.1., ab S. 400. Ebenso Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 227. s. o. A.VIII.2., ab S. 402.
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3. Änderungskündigung zur Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen nach der Rechtsprechungsänderung? Insgesamt gesehen sind die Anforderungen an eine Anpassung der vorhandenen Bezugnahmeklauseln mittels einer Änderungskündigung sehr hoch. Wollen die Arbeitgeber eine dynamische „Ewigkeitsklausel“ in eine Gleichstellungsabrede abändern, müssen sie die generellen Anforderungen an eine Änderungskündigung befolgen. Sofern sie anstelle einer Gleichstellungsabrede eine Tarifwechselklausel anstreben, sind sogar oftmals die Grundsätze für eine Änderungskündigung zur Entgeltreduzierung anzuwenden. Diese Voraussetzungen werden die Arbeitgeber nur in sehr seltenen Fällen erfüllen können. Dies ist im Hinblick auf die Situation, in der sich die Arbeitgeber momentan infolge der Rechtsprechungsänderung befinden, sehr misslich: In aller Regel werden die tarifgebundenen Arbeitgeber nach der Rechtsprechungsänderung mit unterschiedlichen „Auslegungsregimes“ hinsichtlich der in ihrem Betrieb bestehenden Arbeitsverhältnisse konfrontiert sein. Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen, die vor dem 1.1.2002 geschlossen wurden, sind weiterhin als Gleichstellungsabreden zu behandeln. Klauseln in bestehenden Verträgen, die erst nach diesem Stichtag geschlossen wurden, werden ebenso wie neu abzuschließende Verträge von nun an nach dem Wortlaut und der Unklarheitenregel ausgelegt. Während die Arbeitgeber bei Neuverträgen entsprechende Klauselformulierungen in den Arbeitsverträgen vorsehen können, bedarf es in den ab dem 1.1.2002 geschlossenen, bereits bestehenden Arbeitsverhältnissen hierfür einer Vertragsänderung. Die Arbeitsbedingungen innerhalb des Betriebes sind daher uneinheitlich. Zugleich hat die bisherige Untersuchung gezeigt, dass dem Arbeitgeber wenige bis gar keine effektiven Möglichkeiten der Vertragsanpassung zur Verfügung stehen. Der Abschluss von Änderungsverträgen ist zwar möglich, in der Praxis aber sehr schwierig und aufwendig. Ein (einseitiges) Entdynamisierungsrecht bedarf der vorherigen Vereinbarung der Parteien. Eine Anfechtung scheidet in aller Regel ebenso aus wie eine Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage. Eine (negative) betriebliche Übung ist nur in einem sehr begrenzten Bereich möglich und in der Praxis schwer zu verwirklichen. Betriebsvereinbarungen steht der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG entgegen. Sie könnten zudem nur für die Arbeitnehmer günstigere Regelungen vorsehen. Der Vertrauensschutz, der den Arbeitgebern vom Vierten Senat gewährt wird, ist auch nur bedingt hilfreich: Zwar können die Arbeitgeber die bis zum 31.12.2001 geschlossenen „Altfälle“ weiterhin so behandeln wie bis-
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her. Eine hieraus resultierende Differenzierung der Arbeitsbedingungen wird den Arbeitgebern aber in aller Regel unerwünscht sein, führt sie doch zu uneinheitlichen Arbeitsbedingungen und bewirkt möglicherweise Spannungen zwischen den Arbeitnehmern. De facto werden die Arbeitgeber kaum eine Alternative zur Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer – und damit der dynamischen Bezugnahme in allen Arbeitsverhältnissen – haben.142 Im Hinblick auf die konstitutive Wirkung der Bezugnahmeklauseln gilt es zu fragen, wie der zentrale Zweck des Verbandsaustritts, Verbandswechsels, Branchenwechsels und häufig auch des Betriebsübergangs, künftig nicht mehr an ein bestimmtes Tarifvertragssystem gebunden zu sein, in Zukunft dann noch durchsetzbar ist.143 Dem Arbeitgeberinteresse an einer Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen in Reaktion auf die Rechtsprechungsänderung steht jedoch das Interesse der Arbeitnehmer an einem umfassenden Bestandsschutz entgegen. Diese beiden Interessen müssen – auch angesichts der durch den Rechtsprechungswechsel veränderten Situation – gegeneinander abgewogen werden. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Wertungen des AGB-Rechts bei vom Arbeitgeber vorformulierten Bezugnahmeklauseln grundsätzlich diesem das Verwendungsrisiko zuweisen und eine Abweichung von der vertraglichen Regelung nur in Extremfällen (vgl. § 306 Abs. 3 BGB) zulassen.144 Das BAG hat in seinem Urteil vom 18.4.2007145 ausdrücklich die Möglichkeit einer Änderungskündigung zur Beseitigung der unbedingt zeitdynamischen Bindung genannt, ohne jedoch auf die Voraussetzungen einer solchen Änderungskündigung näher einzugehen.146 Selbst wenn der Arbeitgeber lediglich die Beseitigung der Klauseldynamik anstrebt, die nicht als Maßnahme der Entgeltreduzierung anzusehen ist, muss er die Voraussetzungen der Änderungskündigung gemäß § 2 KSchG, d.h. insbesondere das Vorliegen eines dringenden betrieblichen Erfordernisses und die Verhältnismäßigkeit der Änderungskündigung, darlegen. Angesichts der Rechtsprechungsänderung kann es, wie sich in der Fallanalyse gezeigt hat, in zahlreichen Fällen des Tarifwechsels zu erheblichen Schwierigkeiten kommen, sofern die Arbeitgeber keine Möglichkeit haben, die „dynamische Ewigkeitsbindung“ aufgrund der Bezugnahmeklausel zu beseitigen. Ein Tarifwechsel stellt, wie in der Analyse der einzelnen Fallkonstellationen sichtbar geworden ist, eine grundlegende Veränderung der der Bezugnahme bei Ver142 143
s. o. S. 354. Ebenso Reichel, Bezugnahme, S. 81; Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge,
S. 86. 144 145 146
s. o. Teil 1, C.II.4.d), ab S. 126. BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (968). Kritisch insofern Gaul/Naumann, DB 2007, 2594 (2596).
A. Möglichkeiten der Anpassung von Altverträgen
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tragsschluss zugrunde gelegten tariflichen Situation dar. Dies ähnelt einem Wegfall der Geschäftsgrundlage. Aufgrund der Rechtsprechungsänderung kommt nun die Veränderung eines weiteren wesentlichen Faktors bei der Verwendung von Bezugnahmeklauseln hinzu: Die unerwartete Abkehr des BAG von der Auslegung als Gleichstellungsabrede. In der Fallanalyse ist deutlich geworden, dass in Fällen des Tarifwechsels nun die jetzt geforderte wortlautgetreue Auslegung der vereinbarten Bezugnahmeklauseln das tarifliche Ergebnis mitunter vollkommen modifizieren kann. Es ist daher für die verschiedenen hier behandelten Fälle des Tarifwechsels zu untersuchen, inwiefern die Arbeitgeber hinsichtlich der zwischen dem 1.1.2002 und dem 14.12.2005 geschlossenen Arbeitsverhältnisse eines besonderen Schutzes bedürfen, so dass die Anforderungen an eine Änderungskündigung eventuell abweichend zu bewerten sind. Des Weiteren ist zu fragen, ob das Vereinheitlichungsinteresse der Arbeitgeber angesichts der Rechtsprechungsänderung auch losgelöst von einem konkreten Tarifwechsel eine Änderungskündigung rechtfertigen kann, sie also auch „abstrakt“ zur Änderung der Bezugnahmeklausel befugt sind. a) Änderungskündigung nach einem Tarifwechsel? Zunächst ist die Zulässigkeit einer Änderungskündigung anlässlich eines konkreten Tarifwechsels zu untersuchen. aa) Betriebsübergang Der Betriebsübergang war die erste im Rahmen der Fallanalyse untersuchte Konstellation des Tarifwechsels.147 In Folge eines Betriebsübergangs wird der Erwerber, sofern er bereits zuvor über einen eigenen Betrieb verfügte, mit dem Problem konfrontiert, dass er das Zusammenwachsen zweier Belegschaften erreichen muss. Ansonsten käme es zu schwierigen Differenzierungen in den Arbeitsbedingungen, die den Betriebsablauf beeinträchtigen und zu Unstimmigkeiten zwischen den Arbeitnehmern führen können. Dies ist ein grundsätzliches Problem, das nun jedoch durch die Rechtsprechungsänderung zusätzliche Brisanz erhält. Früher kam dem Betriebserwerber die Auslegung der in den Arbeitsverträgen der übernommenen Arbeitnehmer vorhandenen Bezugnahmeklauseln als Gleichstellungsabrede zugute. Diese Auslegung beendete die Dynamik, sofern der Erwerber nicht seinerseits an den in Bezug genommenen Tarifvertrag gebunden war. Die neue Rechtsprechung kann nun eine dynamische „Ewigkeitsbindung“ an 147
s. o. Teil 2, A., ab S. 198.
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Teil 3: Anpassung von Alt- und Gestaltung von Neuverträgen
den „Veräußerer“-Tarifvertrag zur Folge haben, selbst wenn dieser für den Erwerber fachfremd ist. Der Erwerber wäre mit dauerhaften unterschiedlichen Arbeitsbedingungen innerhalb seiner Belegschaft konfrontiert. (1) Gleichbehandlungsgrundsatz nicht anwendbar Der Erwerber hat wenige Möglichkeiten, sein Interesse an einheitlichen Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Er kann sich zur Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen nicht auf den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz berufen. Es entspricht der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur, dass ein Arbeitgeber die Änderung materieller Arbeitsbedingungen nicht lediglich auf der Grundlage des Gleichbehandlungsgrundsatzes herbeiführen und darauf eine Änderungskündigung stützen kann.148 Der arbeitsvertragliche Gleichbehandlungsgrundsatz dient dem Schutz der Arbeitnehmer und wendet sich gegen den Arbeitgeber. Er lässt sich daher nicht umkehren, so dass auf ihn auch die Verschlechterung der Rechtspositionen von Arbeitnehmern gestützt werden könnte.149 (2) Schutzwürdiges Vereinheitlichungsinteresse des Erwerbers? Einige Stimmen im Schrifttum vertreten jedoch die Ansicht, dass eine Änderungskündigung im besonderen Fall des Betriebsübergangs zur Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen durch den Erwerber zulässig sein soll.150 Hierfür spricht, dass § 613a Abs. 1 S. 2–4 BGB es dem Erwerber gerade ermöglichen soll, die in seinem Betrieb nach dem Betriebsübergang divergierenden Arbeitsbedingungen seiner Arbeitnehmer zu vereinheitlichen.151 Der Erwerber hat ein großes Interesse daran, nach einem Betriebs148 BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 126/05, BB 2006, 1115 (1118); BAG v. 1.7.1999 – 2 AZR 826/98, AP Nr. 53 zu § 2 KSchG 1969; BAG v. 20.1.2000 – 2 ABR 40/99, AP Nr. 40 zu § 103 BetrVG 1972; BAG v. 16.5.2002 – 2 AZR 292/01, AP Nr. 69 zu § 2 KSchG 1969; BAG v. 28.4.1982 – 7 AZR 1139/79, AP Nr. 3 zu § 2 KSchG 1969; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 421; ErfK-Preis, § 613a BGB Rn. 75; HWK-Thüsing, § 611 BGB Rn. 214; WHSS-Hohenstatt, E Rn. 239; Otto, Änderungskündigung, S. 103; Schiefer, DB 2003, 390 (392). 149 v. Hoyningen-Huene, Anm. zu BAG v. 28.4.1982 – 7 AZR 1139/79, AP Nr. 3 zu § 2 KSchG 1969; Skuderis, Betriebsübergang, S. 398; WHSS-Hohenstatt, E Rn. 239. 150 So Gussen/Dauck, Weitergeltung, Rn. 253; ErfK-Oetker, § 2 KSchG Rn. 65; Giesen, NZA 2006, 625 (632); Hergenröder, FS 50 Jahre BAG, S. 713 (716 f.); Schiefer, DB 2003, 390 (392f.); Lambrich, FS Ehmann, S. 169 (197 ff.). 151 Vgl. auch BAG v. 14.3.2007 – 5 AZR 420/06, DB 2007, 1817 ff. Ebenso Meyer, NZA 2002, 246 (247 f.); Lambrich, FS Ehmann, S. 169 (197 ff.); ErfK-Oetker, § 2 KSchG Rn. 65; APS-Künzl, § 2 KSchG Rn. 256; Wallner, Änderungskündi-
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übergang eine homogene Entgeltstruktur herbeizuführen, um sein unternehmerisches Konzept weiter durchsetzen zu können. Die heterogene Vergütungsstruktur in seinem Betrieb ist vom Erwerber nicht selbst herbeigeführt worden, sondern Ausfluss der gesetzlichen Regelungsanordnung des § 613a BGB. Die Heterogenität der Arbeitsbedingungen wird durch die neue Rechtsprechung zusätzlich gefördert, da nun eine Anpassung der Bezugnahmeklauseln an die veränderte tarifliche Situation grundsätzlich ausscheiden muss. In § 613a Abs. 1 S. 3 BGB kommt zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber das Vereinheitlichungsinteresse des Arbeitgebers für schützenswert erachtet. Sofern hiergegen eingewandt wird, dass § 613a Abs. 1 S. 3 BGB nur für kollektive Regelungen gelte, § 613a Abs. 1 S. 4 BGB für individualvertragliche Regelungen hingegen eine einvernehmliche Lösung der Parteien fordere,152 ist dieses Argument nicht stichhaltig. Eine einvernehmliche Lösung im Sinne des § 613a Abs. 1 S. 4 BGB kann auch eine Änderungskündigung sein; denn auch in diesem Fall kommt zwischen den Parteien ein (Änderungs-)Vertrag zustande.153 Das Kündigungsverbot des § 613a Abs. 4 BGB steht dem nicht entgegen, da entscheidender Grund für die Änderungskündigung das Vereinheitlichungsinteresse des Arbeitgebers ist.154 Dieses ist nur mittelbare Folge des Betriebsübergangs und kann auch unabhängig von einem Betriebsübergang gegeben sein; es ist daher ein „anderer Grund“ im Sinne des § 613a Abs. 4 BGB. Die Veränderungssperre des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB steht dem ebenfalls nicht entgegen, denn sie erfasst nur Rechte und Pflichten, die vor dem Betriebsübergang durch Rechtsnormen eines Tarifvertrages oder eine Betriebsvereinbarung geregelt waren, nicht aber individualvertragliche Rechte und Pflichten.155 Es widerspräche der unternehmerischen Freiheit des Arbeitgebers, käme eine Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen nur durch Anhebung aller Entgelte auf den Höchstsatz im Sinne einer „Meistbegünstigung“ zustande.156 Die Erarbeitung der betrieblichen Lohnstruktur stellt eine untergung, Rn. 164, 455 ff.; Henssler, FS Wißmann, S. 133 (147 f.). Dagegen Stoffels, ZfA 2002, 401 (420); Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 235 f. 152 So Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 236. 153 So auch LAG Hamm v. 27.7.1999 – 6 Sa 1602/98, DB 2000, 95 (96); Jacobs/ Krause/Oetker-Jacobs, TarifvertragsR, § 5 Rn. 63; Lambrich, FS Ehmann, S. 169 (197 f.); Meyer, NZA 2002, 246 (253); Däubler, NZA 1996, 225 (233); ErfK-Preis, § 613a BGB Rn. 122 m. w. N. 154 Jacobs/Krause/Oetker-Jacobs, TarifvertragsR, § 5 Rn. 63. 155 BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, NZA 2006, 1268 (1272); HWK-Willemsen/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rn. 263; Lambrich, FS Ehmann, S. 169 (195). 156 Ähnlich ErfK-Oetker, § 2 KSchG Rn. 65; Berkowsky, Änderungskündigung, § 9 Rn. 8; Schiefer, DB 2003, 390 (392).
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nehmerische Entscheidung dar. Eine Anpassung der Entgelte der übernommenen Arbeitnehmer an das beim Erwerber herrschende Vergütungssystem ist auch nicht willkürlich, unsachlich oder unvernünftig.157 Die heterogenen Arbeitsbedingungen im Betrieb schaffen ein dringendes betriebliches Erfordernis für eine Änderungskündigung. Dies muss erst recht gelten, wenn die im Betrieb auftretende Ungleichbehandlung zu einer erheblichen Störung des Betriebsfriedens führt.158 Hinzu kommt, dass die Heterogenität der Arbeitsbedingungen typischerweise nicht durch die Entscheidung des Arbeitgebers bewusst und willentlich herbeigeführt wurde, sondern Folge der Regelungsanordnung des § 613a BGB ist. Etwas anderes kann nur in Sonderfällen gelten, in denen der Betriebsübergang als Mittel der Tarifpolitik genutzt wird, so z. B. bei Betriebsübergängen im Konzern. (3) Einfluss der Rechtsprechungsänderung Die unterschiedlichen Arbeitsbedingungen im Betrieb werden auch ganz entscheidend durch die Rechtsprechungsänderung zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln mit verursacht, die zu einer Dreiteilung jeder, und damit nicht nur der kraft Betriebsübergang übernommenen, Belegschaft in vor dem 31.12.2001 geschlossene „Altverträge“, nach dem 31.12.2001 geschlossene „Altverträge“ und nun neu abzuschließende Arbeitsverträge führt.159 Diese Änderung erfolgte plötzlich und war in der Praxis nicht (mehr) erwartet worden, hatte das Gericht sich doch selbst nach Inkrafttreten der Schuldrechtsreform zunächst Forderungen, nun von der Gleichstellungsabrede Abstand zu nehmen, erwehrt.160 Zugleich verlagert die Rechtsprechungsänderung den Zeitpunkt für die Anwendbarkeit des „neuen“ Rechts vier Jahre in die Vergangenheit zurück, so dass es auf Arbeitgeberseite mit einer umsichtigen Vertragsgestaltung bei „Neuverträgen“ nicht getan ist, sondern es für eine Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen einer Anpassung aller seit dem 1.1.2002 bereits bestehender Verträge bedarf. Insofern sind die Betriebserwerber nicht die „Verursacher“ der ungleichen Arbeitsbedingungen in ihrem Betrieb. Das unterschiedliche Lohnniveau ist nicht Folge der bewussten Entscheidung des Arbeitgebers, sondern Konsequenz sowohl der Regelungsbefehle des § 613a BGB als auch der vom 157
Ebenso Berkowsky, Änderungskündigung, § 9 Rn. 8; Schiefer, DB 2003, 390
(393). 158
So BAG v. 28.4.1982 – 7 AZR 1139/79, AP Nr. 3 zu § 2 KSchG; Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 236; Schiefer, FS 50 Jahre BAG, 859 (865); Berkowsky, Änderungskündigung, § 9 Rn. 7. 159 s. o. S. 380. 160 Vgl. BAG v. 19.3.2003 – 4 AZR 331/02, NZA 2003, 1207 (1208 f.). Vgl. o. Fn. 787, S. 168.
A. Möglichkeiten der Anpassung von Altverträgen
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BAG überraschend entschiedenen, vom Stichtag des 1.1.2002 abhängigen unterschiedlichen Auslegung der Bezugnahmeklausel. Aufgrund der dauerhaften dynamischen Teilhabe entwickeln sich die Arbeitsbedingungen innerhalb des Betriebes zwischen Stammbelegschaft und übernommenen Arbeitnehmern im Laufe der Zeit „scherenartig“ immer weiter auseinander. Dies schafft ein dringendes betriebliches Erfordernis, das dem Arbeitgeber insofern grundsätzlich das Recht zur Änderungskündigung gibt. (4) Interessenabwägung: „Rucksacklösung“ Als weitere Voraussetzung für eine Änderungskündigung ist jedoch auch eine Interessenabwägung vorzunehmen.161 Es gilt zu fragen, ob die Arbeitnehmer die Änderung ihrer Arbeitsbedingungen, d.h. die Vereinbarung einer Gleichstellungsabrede oder einer Tarifwechselklausel, billigerweise hinnehmen müssen. Hierbei ist dem Rechtsgedanken des § 613a BGB, der den Arbeitnehmern Bestandsschutz gewähren soll,162 Rechnung zu tragen. Die Arbeitnehmer dürfen durch den Betriebsübergang keinen Nachteil erleiden, so dass ein Eingriff in bestehende Besitzstände ausscheiden muss. Hierbei ist auch maßgeblich die Auffassung des BAG zu berücksichtigen, dass eine Änderungskündigung zur Herstellung von Entgeltgleichheit, die zur Kürzung der Vergütung führt, unzulässig ist.163 Insofern kann der Arbeitgeber mittels Änderungkündigung eine Gleichstellungsabrede oder eine Tarifwechselklausel in den Arbeitsvertrag einführen, jedoch ist zu fordern, dass den Arbeitnehmern das im Zeitpunkt des Betriebsübergangs gewährte Entgelt erhalten bleibt. Die Einführung einer Gleichstellungsabrede führt nach obiger Untersuchung schon nicht zu einer Reduzierung des gegenwärtigen Entgelts.164 Wenn die Vereinbarung einer Tarifwechselklausel zu einer Reduzierung des gegenwärtigen Entgelts führt, ist dieser Nachteil durch den Arbeitgeber auszugleichen. Unter diesen Umständen führt die Änderungskündigung nicht zur Vereinheitlichung der Entgelthöhe mittels einer Entgeltreduzierung, sondern nur zur Verhinderung eines weiteren „Auseinanderdriftens“ der Arbeitsbedingungen. Die Arbeitsbedingungen werden nicht vollkommen angepasst, sondern der Arbeitgeber verhindert lediglich, dass die sich durch die Dynamik der Bezugnahme ständig vergrößernde „Schere“ zwischen Stammbelegschaft und übernommenen Arbeitnehmern noch größer wird. Insofern ähnelt dieser Kompromiss dann auch der Anrechnung übertariflicher Leistungen 161 162 163 164
s. o. s. o. s. o. s. o.
A.VIII.1., ab S. 400. S. 199. S. 412. A.VIII.2.b)aa), ab S. 404.
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Teil 3: Anpassung von Alt- und Gestaltung von Neuverträgen
oder den Überleitungstarifverträgen bei dem Übergang vom BAT zum TVöD.165 Den Arbeitnehmern ist daher im Sinne einer „Rucksacklösung“ in dem Änderungsangebot des Arbeitgebers zum einen der Bestand des bisher erreichten Gehalts als „übertarifliche Zulage“ zuzusichern und zugleich die zukünftige Geltung des neuen Tarifvertrages vorzuschlagen, sobald der neue Tarifvertrag ein höheres Tariflohnniveau bietet als der alte Tarifvertrag. Bot der bisherige in Bezug genommene Tarifvertrag daher einen Tariflohn von 3000 e, der neue hingegen nur 2500 e, bleibt die bisher erreichte Tariflohnhöhe maßgeblich, bis der Tariflohn des neuen Tarifvertrages die 3000 e-Grenze überschreitet. Auf diesem Wege wird die Rechtsprechungsänderung zwar in Arbeitsverhältnissen, die zwischen dem 1.1.2002 und dem 14.12.2005 geschlossen wurden, zumindest teilweise wieder rückgängig gemacht. Dies stellt jedoch keinen Verstoß gegen die Grundwertungen der §§ 305c Abs. 2, 306 BGB dar.166 Das Vereinheitlichungsinteresse des Arbeitgebers ist in diesem Fall in § 613a BGB selbst verankert. Zugleich mussten die Arbeitnehmer bis zur Ankündigung der Rechtsprechungsänderung am 14.12.2005 damit rechnen, dass ihre Bezugnahmeklauseln als Gleichstellungsabreden mit dem Betriebsübergang ihre Dynamik verlieren würden. Auf ihrer Seite fehlte es daher gerade an einem schutzwürdigen Vertrauen in die uneingeschränkte Klauseldynamik. Schließlich bleibt es durch die Beibehaltung gegenwärtigen Entgelts im Sinne einer „Rucksacklösung“ bei der Sicherung des status quo, so dass die Änderungskündigung auch zu keiner Lösung führt, die zulasten der Arbeitnehmer geht und in den aktuellen Bestand eingreift. Grundsätzlich bleibt der Arbeitgeber im Nachteil, da er die Arbeitsbedingungen zwischen übernommenen Arbeitnehmern und seiner Stammbelegschaft nicht vollkommen vereinheitlichen kann. Er muss mit unterschiedlichen Arbeitsbedingungen im Betrieb „leben“ und kann nur deren Auseinanderentwicklung aufhalten, so dass die Grundwertung der Unklarheitenregel erhalten bleibt. bb) Verbandsaustritt und Verbandswechsel (1) Verbandsaustritt Auch nach einem Verbandsaustritt kann sich, wie in der Fallanalyse gezeigt wurde,167 die Rechtsprechungsänderung als überaus nachteilig für den 165 166 167
s. o. S. 81, 122. Anders Jacobs, FS Birk, S. 243 (259). s. o. Teil 2, B.III., ab S. 267.
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Arbeitgeber erweisen. Obwohl er sich von der normativen Bindung an den Tarifvertrag befreit hat, bleibt er individualvertraglich dauerhaft und dynamisch an ihn gebunden. (a) Koalitionsfreiheit des Arbeitgebers ist nicht betroffen Einige Stimmen in der Literatur vertreten daher die Ansicht, dass es mit der Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 3 GG unvereinbar wäre, würde der Austritt des Arbeitgebers aus dem Arbeitgeberverband nur vereinsrechtlich wirken, könnte er aber nicht mehr die parallele Bindung an das vom Verband gesetzte Tarifrecht abstreifen.168 Aus diesem Grund müsse dem Arbeitgeber das Recht zur Änderungskündigung gewährt werden. Dass entgegen dieser Ansicht ein Verstoß gegen die Koalitionsfreiheit des Arbeitgebers aber nicht vorliegt, wurde bereits gezeigt.169 Aus einer Grundrechtsverletzung der Arbeitgeber lässt sich ein Recht zur Änderungskündigung daher nicht herleiten. (b) Fehlendes schutzwürdiges Vereinheitlichungsinteresse Ein Recht zur Änderungskündigung kann dem Arbeitgeber, der aus dem Verband austritt, aber bereits aus anderen Gründen nicht gewährt werden. Es bestehen wesentliche Unterschiede zu der Situation des Erwerbers nach einem Betriebsübergang.170 Der Arbeitgeber hat sich bewusst für den Verbandsaustritt entschieden; er hat insofern – anders als der Betriebserwerber, bei dem § 613a BGB eine gesetzliche Anordnung trifft – die tarifliche Veränderung selbst herbeigeführt.171 Außerdem fehlt es nach einem Verbandsaustritt, anders als bei einem Betriebsübergang, schon an einer Heterogenität der Arbeitsbedingungen innerhalb der Belegschaft. Aufgrund des Verbandsaustritts bleibt der Tarifvertrag zunächst gemäß §§ 3 Abs. 3, 4 Abs. 5 TVG anwendbar. Der Arbeitgeber kann die statische Nachwirkung durch eine „andere Abmachung“ beenden. Auch die Rechtsprechungsänderung wirkt sich in dieser Fallkonstellation schwächer aus als bei einem Betriebsübergang. Die Gewerkschaftsmitglieder sind (statisch) an den Verbandstarifvertrag gebunden und haben ebenso wie die Außenseiter in aller Regel zugleich eine (nunmehr eventuell dauerhaft dynamische) Bezugnahmeklausel in ihren Arbeitsverträgen vereinbart, die sich dann im Zeitraum der Nach168 Bayreuther, DB 2007, 166 (167); zustimmend Hanau, RdA 2007, 180 (182); i. Erg. ebenso Giesen, NZA 2006, 625 (631). 169 s. o. Teil 1, D.V.2., ab S. 173. 170 s. o. A.VIII.3.a), ab S. 411. 171 s. hierzu APS-Künzl, § 2 KSchG Rn. 255 m. w. N.
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wirkung gegenüber dem nachwirkenden Tarifvertrag als „andere Abmachung“ durchsetzt.172 Die Arbeitsbedingungen bleiben daher auch nach einem Verbandswechsel einheitlich. Würde man dem Arbeitgeber in dieser Situation ein Recht zur Änderungskündigung geben, um die Klauseldynamik zu beseitigen oder einen für ihn günstigeren Tarifvertrag in Bezug zu nehmen, würde die Tarifbindung in sein Belieben gestellt. Er könnte sowohl seine kollektivrechtliche als auch seine individualrechtliche Bindung an den Tarifvertrag jederzeit durch Verbandsaustritt und gleichzeitige Änderungskündigung beseitigen. Der durch § 2 KSchG gewährte Bestandsschutz und die Grundwertungen, die das BAG mit der zeitlichen Begrenzung des Vertrauensschutzes und der Anwendbarkeit der §§ 305c Abs. 2, 306 BGB verfolgt, würden umgangen.173 Im Falle des Betriebsübergangs besteht diese Gefahr nicht – der dort erfolgende Tarifwechsel ist in aller Regel nicht „willkürlich“ durch den Arbeitgeber herbeigeführt wie bei einer Entscheidung zum Verbandsaustritt, und das Vereinheitlichungsinteresse des Arbeitgebers wird schon im Gesetz berücksichtigt. (2) Verbandswechsel Ähnliche Überlegungen sind auch hinsichtlich eines Tarifwechsels durch Wechsel des Arbeitgeberverbandes anzustellen. Ein Verbandswechsel ist einem Verbandsaustritt insofern ähnlich, als dass er letzteren zunächst voraussetzt und sodann einen Eintritt in einen neuen Verband erfordert. Grundsätzlich handelt es sich also auch hier um eine bewusste und gewollte Entscheidung des Arbeitgebers. Ebenso wie ein Verbandsaustritt ist auch ein Verbandswechsel häufig Mittel zur „Tarifflucht“. Die tariflichen Folgen beruhen auf einer freiwilligen Entscheidung des Arbeitgebers. Eine Modifizierung der Voraussetzungen einer Änderungskündigung kommt angesichts der bewussten Entscheidung des Arbeitgebers in aller Regel nicht in Frage. Die Anwendbarkeit der Voraussetzungen des § 2 KSchG ist auch hier notwendig, um Missbräuchen vorzubeugen und die Arbeitnehmerinteressen zu schützen. An eine Ausnahme ist lediglich für den Fall zu denken, dass der Verbandswechsel mit einem Branchenwechsel einhergeht; dies wird im folgenden Abschnitt untersucht.174
172 173 174
s. o. Teil 2, B.III.1.b)bb)(2)(a)(bb), ab S. 278. Vgl. Jacobs, FS Birk, S. 243 (259). s. u. A.VIII.3.a)cc), im Anschluss.
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(3) Konsequenzen Insgesamt gesehen sprechen die Umstände eines Verbandsaustritts und eines Verbandswechsels daher im Gegensatz zu denen eines Betriebsübergangs dafür, die Anforderungen an eine Änderungskündigung auch (und gerade) angesichts der Wertungen der neuen Rechtsprechung nicht zu modifizieren. Allein die Rechtsprechungsänderung zur Gleichstellungsabrede genügt nicht, um eine Änderungskündigung zu rechtfertigen.175 Angesichts der vom Arbeitgeber bewusst herbeigeführten Tarifänderung überwiegt die Schutzwürdigkeit der Bestandsschutzinteressen der Arbeitnehmer, die durch § 2 KSchG abgesichert werden. Es bleibt daher bei den unter A.VIII.2. dargestellten abgestuften Anforderungen,176 je nachdem, ob der Arbeitgeber lediglich die Klauseldynamik beseitigen oder eine Tarifwechselklausel einführen möchte. Bei der Vereinbarung einer Gleichstellungabrede sind dies die „normalen“ Voraussetzungen jeder Änderungskündigung, bei einer Tarifwechselklausel in der Regel hingegen die gesteigerten Voraussetzungen an eine Änderungskündigung zur Entgeltreduzierung.177 Ein Recht des Arbeitgebers zur Änderungskündigung unterliegt daher den allgemeinen Voraussetzungen und bedarf daher jedenfalls weiterer inner- oder außerbetrieblicher Umstände, z. B. einer wirtschaftlichen Notlage, die einen dringenden betrieblichen Grund zur Änderungskündigung darstellen.178 cc) Branchenwechsel Im Falle eines Branchenwechsels ändert sich der Betriebszweck, d.h. die in und mit einem Betrieb verfolgte arbeitstechnische und wirtschaftliche Tätigkeit, die die Zugehörigkeit des Betriebes zu einem Wirtschaftszweig bestimmt. Ausschlaggebend ist die fachliche Ausrichtung der im Betrieb geleisteten Arbeit.179 Nach einem Branchenwechsel, der tarifrechtlich zu einem Wegfall der Tarifbindung und einer Nachwirkung entsprechend § 4 Abs. 5 TVG führt, kann die Bezugnahmeklausel gemäß der neuen Rechtsprechung weiterhin dynamisch auf den nun nicht mehr fachlich einschlägigen Tarifvertrag verweisen. Als „andere Abmachung“ kann sie dabei die statische Nachwirkung des Tarifvertrages beenden und ungeachtet ihrer Günstigkeit jede Änderung des nunmehr branchenfremden Tarifvertrages für das Arbeitsverhältnis maß175 176 177 178 179
Ebenso KR-Rost, § 2 KSchG Rn. 107e. s. o. ab S. 402. s. o. A.VIII.1., A.VIII.2., ab S. 400. Vgl. APS-Künzl, § 2 KSchG Rn. 255. s. o. S. 330.
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geblich machen. Der Arbeitgeber ist damit zur Anwendung eines Tarifvertrages einer (jetzt) fremden Branche verpflichtet. (1) Schutzwürdiges Vereinheitlichungsinteresse des Arbeitgebers? Ein Branchenwechsel ist im Gegensatz zu einem Verbandsaustritt oder -wechsel ein (langsamer) Prozess, der auf tatsächliche Entwicklungen und daher nur mittelbar auf eine Entscheidung des Arbeitgebers zurückzuführen ist, nämlich die unternehmerische Entscheidung, wie er seinen Betriebszweck ausrichtet. Im Gegensatz zum Verbandsaustritt oder -wechsel, die stets vom Arbeitgeber bewusst herbeigeführt werden und die Gefahr einer „Tarifflucht“ bergen, haben die Tarifparteien den Geltungsbereich des jeweiligen Tarifvertrages vereinbart und damit eine Grenze ihrer Kollektivmacht errichtet. Unternehmen können die Anknüpfungspunkte für den fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages nicht ohne Weiteres ändern.180 Nicht das Belieben des einzelnen Arbeitgebers, sondern der Inhalt der Kollektivabrede bestimmt daher primär das Resultat nach einem Wechsel des Betriebszwecks.181 Die Tarifgebundenheit wird daher nicht durch eine einseitige Maßnahme des Arbeitgebers manipuliert, sondern das Abstreifen der Tarifbindung beruht auf einer Sachentscheidung, deren Wirkung die Tarifparteien mit der Bestimmung des fachlichen Geltungsbereichs ihres Tarifwerkes getroffen haben. (a) Gesetzliche Verankerung des Vereinheitlichungsinteresses? Anders als im Falle eines Betriebsübergangs fehlt es jedoch an einer gesetzlichen Verankerung des Vereinheitlichungsinteresses des Arbeitgebers nach einem Branchenwechsel. Eine Anpassung der Bezugnahmeklausel kommt hier aber mittels des Instituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB in Betracht. Ändert sich der Betriebszweck, kann dies den Wegfall der bei Vertragsschluss zugrunde gelegten Umstände darstellen.182 Sind beide Parteien bei Vertragsschluss übereinstimmend davon ausgegangen oder haben sie unbewusst vorausgesetzt, die Branchenzugehörigkeit des Betriebes werde sich nicht ändern, und erfolgt der spätere Branchenwechsel nicht durch einen „willkürlichen“ Akt des Arbeitgebers, liegt ein Wegfall der Geschäftsgrundlage vor, der grundsätzlich zu einer Ver180
Rieble, SAE 1995, 77 (78). Vgl. Konzen, ZfA 1975, 401 (413). 182 Anders jedoch bei einem Betriebsübergang mit Branchenwechsel, da in diesem Fall die Grundwertungen des § 613a BGB entgegenstehen, vgl. o. Teil 2, A.II.1.d)bb), ab S. 215. 181
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tragsanpassung nach § 313 BGB berechtigt. Zwar ist das Instrument der Änderungskündigung gegenüber dem Wegfall der Geschäftsgrundlage spezieller;183 im Rahmen der Änderungskündigung sind aber die Tatbestände zu würdigen, welche für den Wegfall der Geschäftsgrundlage herangezogen werden könnten.184 In diesem Fall ist aufgrund der Subsidiarität des § 313 BGB gegenüber den arbeitsrechtlich spezielleren Kündigungsinstrumenten dem Arbeitgeber das Recht zur Änderungskündigung zu gewähren.185 (b) Branchenwechsel als Wegfall der Geschäftsgrundlage? Es war bereits oben festgestellt worden, dass die Rechtsprechungsänderung an sich keinen Wegfall der Geschäftsgrundlage darstellt.186 In dem besonderen Fall eines Branchenwechsels können die Umstände jedoch einen Wegfall der Geschäftsgrundlage bewirken. Handelte es sich z. B. ursprünglich um ein Unternehmen der Mineralölindustrie, auf deren Tarifverträge im Arbeitsvertrag verwiesen wurde, und beschränkt sich dieses Unternehmen später auf den Handel mit Mineralöl, wären nach der Rechtsprechungsänderung „ewig“ dynamisch die Tarifverträge der Mineralölindustrie anwendbar, die fachlich vollkommen unpassend für das Unternehmen mit seinem jetzigen Schwerpunkt im Handel wären. Der Bezug der arbeitsvertraglichen Vereinbarung zur Branche wäre vollkommen aufgehoben. Ferner verliert der bisher in Bezug genommene Tarifvertrag nach einem Branchenwechsel auf normativer Ebene seine Richtigkeitsgewähr.187 Die Änderungskündigung zur Inbezugnahme des nunmehr einschlägigen Tarifvertrages führt sodann zur Anwendung des Tarifvertrages, der auf normativer Ebene die Richtigkeitsgewähr für sich beanspruchen kann. Auf der anderen Seite darf es auch im Falle eines Branchenwechsels nicht zu einem Eingriff in die rechtlich geschützten Besitzstände der Arbeitnehmer kommen. Weitere Voraussetzung eines Anspruchs auf Vertragsanpassung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB ist, dass dem Arbeitgeber die Erfüllung der Vereinbarung unter den geänderten Umständen „unzumutbar“ ist.188 Es darf nicht zur Überwälzung des wirt183
s. o. A.VII.2., ab S. 397. KR-Rost, § 2 KSchG Rn. 54k; Hromadka-Ascheid, Änderung von Arbeitsbedingungen, S. 109 (131 ff.). 185 ErfK-Oetker, § 2 KSchG Rn. 65; Hromadka-Ascheid, Änderung von Arbeitsbedingungen, S. 109 (131 ff.); Lambrich, FS Ehmann, S. 169 (233); Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (205 f.). 186 s. o. A.VII.2., ab S. 397. 187 s. o. S. 29, Fn. 19. 188 s. o. Teil 2, A.II.1.d)bb), ab S. 215. 184
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Teil 3: Anpassung von Alt- und Gestaltung von Neuverträgen
schaftlichen Risikos des Arbeitgebers auf den Arbeitnehmer kommen. Das Kriterium der „Unzumutbarkeit“ findet sich auch in § 306 Abs. 3 BGB, der ausnahmsweise trotz der Wertungen der §§ 305c Abs. 2, 306 BGB die Lösung vom Vertrag ermöglicht. Es ist dem Arbeitgeber grundsätzlich unzumutbar, nach einem Branchenwechsel ewig an fachfremde Tarifverträge gebunden zu sein. (2) Interessenabwägung: „Rucksacklösung“ Zugleich ist § 2 KSchG von seiner Grundwertung her, dass er den Arbeitnehmern Bestandsschutz gewähren soll, zu berücksichtigen. Es bedarf daher einer Abwägung der beteiligten Arbeitgeber- mit den Arbeitnehmerinteressen. Auch hier ist die Rechtsprechung des BAG maßgeblich, dass eine Entgeltreduzierung zur Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen nicht zulässig ist.189 Im vorliegenden Fall ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Rechtsprechungsänderung zu einer ganz erheblichen Belastung der Arbeitgeber durch eine möglicherweise „ewige“ individualrechtliche Bindung an einen auf kollektiver Ebene nicht mehr einschlägigen Tarifvertrag führen kann. Der Stichtag für den Vertrauensschutz wurde falsch gewählt, so dass den Arbeitgebern hinsichtlich der zwischen dem 1.1.2002 und dem 14.12.2005 geschlossenen Arbeitsverhältnisse im Endeffekt keine wirksame Anpassungsmöglichkeit zur Verfügung steht. Dies kann nach einem Branchenwechsel eine unzumutbare Belastung für die Arbeitgeber darstellen. Zugleich mussten die Arbeitnehmer bis zum 14.12.2005 davon ausgehen, dass die Bezugnahmeklauseln in ihren Arbeitsverträgen als Gleichstellungsabreden nach dem Wegfall der Tarifbindung des Arbeitgebers ihre Dynamik verlieren würden. Ihr Vertrauen in die uneingeschränkte dynamische Auslegung der Bezugnahmeklausel war daher in dieser Zeit nicht schutzwürdig.190 Ein angemessener Ausgleich mit dem Arbeitnehmerinteresse am Schutz des status quo wird in der Regel darin bestehen, dass das aktuelle Gehalt den Arbeitnehmern im Sinne einer „Rucksacklösung“ erhalten bleibt. Auf diese Weise würden die Arbeitsverhältnisse wiederum nicht vollkommen vereinheitlicht, sondern es würde lediglich die sich aufgrund der Dynamik kontinuierlich vergrößernde „Schere“ zwischen den nunmehr branchenüblichen und den kraft Bezugnahme weiter anwendbaren branchenfremden Arbeitsbedingungen gestoppt. Wie auch im Falle des Betriebsübergangs 189 190
s. o. S. 412, 415. Vgl. bereits o. S. 416.
A. Möglichkeiten der Anpassung von Altverträgen
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müsste der Bestandsschutz Teil des Änderungsangebots des Arbeitgebers sein, so dass er zusichern müsste, dass das bisher erreichte Gehalt so lange erhalten bleibt, bis der nunmehr fachlich maßgebliche Tarifvertrag ein höheres Entgelt vorsieht.191 Bis zu diesem Zeitpunkt wäre das erreichte Gehalt als übertarifliche Zulage zu gewähren. Dann käme es nicht zu einer Entgeltreduzierung, sondern lediglich die sich dynamisch vergrößernde Divergenz zwischen branchenüblichen und branchenfremden Arbeitsbedingungen würde aufgehalten. Sollte der Arbeitgeber seinen Betriebszweck hingegen bewusst geändert haben, um sich seiner Tarifbindung zu entledigen, liegt kein Wegfall der Geschäftsgrundlage vor. Eine Änderungskündigung zur Anpassung der Bezugnahmeklauseln an die veränderte tarifliche Situation unterliegt dann denselben Voraussetzungen wie jede andere Änderungskündigung.192 b) Änderungskündigung ohne konkreten Anlass Schließlich stellt sich die Frage, ob eine Änderungskündigung unter „erleichterten“ Bedingungen auch ohne den konkreten Anlass eines Tarifwechsels in Form eines Betriebsübergangs oder Branchenwechsels „nur“ aufgrund der unerwarteten Rechtsprechungsänderung in Betracht kommt. Grundsätzlich ist jeder Arbeitgeber nach der Rechtsprechungsänderung mit der Dreiteilung seiner Belegschaft konfrontiert, so dass jeder Arbeitgeber auch ohne den konkreten Fall eines Tarifwechsels das Interesse hat, die Arbeitsbedingungen zu vereinheitlichen. Die Probleme potenzieren sich lediglich im Falle eines Tarifwechsels. Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, ob die durch die Rechtsprechungsänderung hervorgerufene unterschiedliche Behandlung einzelner Belegschaftsgruppen je nach dem Datum ihres Arbeitsvertrages eine Änderungskündigung rechtfertigen kann. Dies setzt voraus, dass die Aufsplitterung der Arbeitsbedingungen ein dringendes betriebliches Erfordernis im Sinne des KSchG darstellt. (1) Keine Schutzbedürftigkeit von „Vorratsmaßnahmen“ Ein solches dringendes betriebliches Erfordernis wird man, sofern es sich nicht um den konkreten Anlass eines Tarifwechsels, sondern um eine rein „abstrakte“ Änderungskündigung handelt, wohl verneinen müssen. Der191 192
s. o. A.VIII.3.a)aa), ab S. 411. s. o. A.VIII.1., A.VIII.2., ab S. 400.
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Teil 3: Anpassung von Alt- und Gestaltung von Neuverträgen
artige „Vorratsmaßnahmen“ trifft der Arbeitgeber ausschließlich, um sich für spätere etwaige Veränderungen seiner Tarifbindung zu „wappnen“ und bisherige Versäumnisse seiner Vertragsgestaltung zu korrigieren. Es geht ihm nur darum, die Folgen der Rechtsprechungsänderung, die ihn eigentlich betreffen, abzuwenden. Ohne einen konkreten Anlass, der ein gesetzlich verankertes besonderes Vereinheitlichungsinteresse wie im Falle eines Betriebsübergangs oder Branchenwechsels hervorruft, fehlt es jedenfalls an der „Dringlichkeit“ der Vertragsanpassung. Insofern handelt es sich lediglich um das Bestreben des Arbeitgebers, durch „kosmetische“ Maßnahmen die nachteiligen Folgen seiner bisher ungenauen Vertragsgestaltung zu vermeiden. (2) Grundwertungen der AGB-Kontrolle und des KSchG Ließe man hier eine Änderungskündigung zu, widerspräche dies den Grundwertungen der AGB-Kontrolle und der Unklarheitenregel. Das Risiko der Rechtsprechungsänderung trifft grundsätzlich den Arbeitgeber als Klauselverwender. Die Schutzbedürftigkeit des Arbeitgebers ähnelt daher den (konkreten) Fällen des Verbandsaustritts und Verbandswechsels, bei denen eine abweichende Bewertung der Voraussetzungen einer Änderungskündigung abzulehnen ist.193 Grundsätzlich hatte der Arbeitgeber als Klauselverwender die Möglichkeit, diese klar und eindeutig zu formulieren. Gewährte man auch ohne ein durch einen konkreten Anlass hervorgerufenes besonders schutzwürdiges Vereinheitlichungsinteresse dem Arbeitgeber eine „vereinfachte“ Änderungskündigung, könnte er das wirtschaftliche Risiko der Vertragsgestaltung auf die Arbeitnehmer überwälzen. Dies widerspräche den Grundwertungen der §§ 305c Abs. 2, 306 BGB und würde eine erhebliche Missbrauchsgefahr hervorrufen. Der Grundsatz pacta sunt servanda, den § 2 KSchG schützt, würde verletzt. Die Rechtsprechungsänderung an sich stellt keinen Wegfall der Geschäftsgrundlage dar, der dem Arbeitgeber die Lösung vom Vertrag erlauben würde. Der bisher den Bezugnahmeklauseln beigelegte Gleichstellungszweck ist als reines Motiv nicht die Geschäftsgrundlage der Verwendung der Bezugnahmeklausel.194 Etwas anderes kann nur gelten, sofern die Situation des Arbeitgebers einem der Extremfälle entspricht, unter denen eine Vertragsanpassung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage möglich ist.195 Ansonsten überwiegt mangels eines besonders schützenswerten Vereinheitlichungsinteresses bei einer „abstrakten“ Änderungskündidung das Be193 194 195
s. o. A.VIII.3.a)bb), ab S. 416. s. o. A.VII.2., ab S. 397. s. o. S. 215 ff.
A. Möglichkeiten der Anpassung von Altverträgen
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standsschutzinteresse der Arbeitnehmer. Es bedarf damit der allgemeinen Voraussetzungen an eine Änderungskündigung, die danach abgestuft gelten, ob es sich um die Beseitigung der Klauseldynamik oder um die Einführung einer Tarifwechselklausel handelt.196
IX. Ergebnis Die Arbeitgeber, die Bezugnahmeklauseln in ihren bisherigen Verträgen verwendet haben, müssen diese in den meisten Fällen nunmehr an die geänderte Rechtsprechung zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln anpassen. Grundsätzlich kommen zahlreiche Harmonisierungsinstrumente in Betracht. Bei genauerer Untersuchung erweisen sich aber nur wenige von ihnen als in der Praxis auch wirksam. Eine Anfechtung gemäß § 119 BGB wird in den meisten Fällen bereits aufgrund von Verfristung ausscheiden, wobei auch schon ein Anfechtungsgrund zu verneinen ist. Ein Änderungsvertrag ist grundsätzlich möglich, jedoch mit der Schwierigkeit verbunden, dass er eine Einigung mit jedem einzelnen Arbeitnehmer erfordert. Eine negative betriebliche Übung kommt nur in Betracht, sofern die bisherige Inbezugnahme des Tarifvertrages bereits auf einer betrieblichen Übung beruhte. Zudem dürften die Arbeitnehmer der negativen betrieblichen Übung nicht widersprechen, was nur selten der Fall sein wird. Eine Anfechtung nach § 318 BGB muss ausscheiden, weil die arbeitsvertragliche Bezugnahme keine Leistungsbestimmung durch Dritte im Sinne des § 317 BGB darstellt. Eine Harmonisierung der Arbeitsbedingungen mittels Betriebsvereinbarung verbietet sich meist aufgrund des Günstigkeitsprinzips, und § 77 Abs. 3 BetrVG normiert einen Tarifvorrang, der schon bei bloßer Tarifüblichkeit keine Betriebsvereinbarung mehr zulässt. Eine Vertragsanpassung unter Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage ist subsidiär gegenüber einer Änderungskündigung. Es ist ohnehin zweifelhaft, ob sich der Arbeitgeber hinsichtlich der Rechtsprechungsänderung auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen kann, da diese grundsätzlich in seinen Risikobereich fällt. Eine Änderungskündigung unterliegt hohen Anforderungen, da es dringender betrieblicher Erfordernisse bedarf, die eine Änderung der Arbeitsbedingungen bedingen. Selbst bei deren Vorliegen darf der Arbeitgeber lediglich solche Änderungen vorschlagen, die der Arbeitnehmer billiger196
s. o. A.VIII.2., ab S. 402.
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Teil 3: Anpassung von Alt- und Gestaltung von Neuverträgen
weise hinnehmen muss. Beinhaltet die angestrebte Modifizierung der Bezugnahme eine Entgeltreduzierung, sind die Anforderungen noch höher: Es müssten bei unverändertem Fortbestand des Vertrages auf der Ebene des gesamten Betriebs fortgesetzt Verluste entstehen, die in absehbarer Zeit Entlassungen oder sogar die Schließung des Betriebs notwendig machen würden. Angesichts der geringen Wirksamkeit aller übrigen Harmonisierungsinstrumente und der unzutreffenden Wahl des Stichtages für den Vertrauensschutz ist vor dem Hintergrund der Rechtsprechungsänderung jedoch davon auszugehen, dass in bestimmten, eng definierten Einzelfällen das Vereinheitlichungsinteresse der Arbeitgeber schutzwürdig ist und eine abweichende Bewertung der Voraussetzungen einer Änderungskündigung rechtfertigt. Dies ist lediglich in der konkreten Situation eines Tarifwechsels, und zwar grundsätzlich nur nach einem Betriebsübergang oder einem Branchenwechsel unter bestimmten Voraussetzungen der Fall. Handelt es sich um einen Verbandsaustritt oder Verbandswechsel, die der Arbeitgeber bewusst und freiwillig herbeigeführt hat, ist sein Vereinheitlichungsinteresse nicht schutzwürdig. Ebenso verhält es sich bei Änderungskündigungen zur vorsorglichen Vertragsanpassung ohne einen konkreten Anlass. Selbst nach einem Betriebsübergang oder Branchenwechsel kommt eine Änderungskündigung nur in Betracht, sofern der Arbeitgeber sie mit dem Änderungsangebot verbindet, den Arbeitnehmern im Sinne einer „Rucksacklösung“ das bisher erreichte Gehalt weiter zu gewähren, bis der nunmehr in Bezug genommene einschlägige oder geltende Tarifvertrag eine höhere Vergütung vorsieht. In diesem Fall kommt es nicht zu einer Reduzierung des aktuellen Entgelts. Der Arbeitgeber kann sich von den Folgen der Rechtsprechungsänderung und den Grundwertungen der §§ 305c Abs. 2, 306 BGB nicht vollkommen befreien, sondern lediglich dem „Auseinanderdriften“ der Arbeitsbedingungen in seinem Betrieb Einhalt gebieten.
B. Vorschläge zur Vertragsgestaltung Es ist nunmehr eine Reaktion von Seiten der Arbeitgeber auf die geänderte Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede erforderlich. Ein Vertrauensschutz kommt nur für Verträge, die vor dem 1.1.2002 geschlossen wurden, in Betracht. Bei diesen Altverträgen besteht insofern kein akuter Handlungsbedarf. Auf alle anderen ab dem 1.1.2002 geschlossenen (Alt- und Neu-)Verträge ist die neue Rechtsprechung hingegen anzuwenden. Wollen die Arbeitgeber eine dauerhafte Bindung an die Tarifdynamik vermeiden, müssen sie ihre Klauseln daraufhin überprüfen, ob diese hinreichend klar formuliert sind oder ob eine Änderung erforderlich ist.
B. Vorschläge zur Vertragsgestaltung
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Hanau197 schildert seinen Eindruck, die Praxis hadere momentan noch derart mit dem Rechtsprechungswechsel, dass sie sich noch nicht intensiv mit den neuen Gestaltungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten auseinandergesetzt habe. In der Tat besteht großer und akuter Handlungsbedarf: Alte Klauseln müssen auf ihre Stichhaltigkeit gegenüber der neuen Rechtsprechung überprüft und gegebenenfalls präzisiert werden. Die zur Verfügung stehenden Instrumente zu ihrer Anpassung sind nur bedingt wirksam.198 Bei Neuverträgen bestehen diese Probleme grundsätzlich nicht. Trotz der nunmehr vollzogenen Rechtsprechungsänderung bleibt die Vereinbarung von Gleichstellungsabreden oder Tarifwechselklauseln weiterhin möglich. Dies hat auch das BAG199 ausdrücklich betont. Die Gleichstellungsabrede muss jedoch ihre äußere Gestalt ändern – „um bestehen bleiben zu können, muss sie in transparente Kleider schlüpfen und ihr Volumen ausdehnen“200. Vor dem Hintergrund der neuen Rechtsprechung müssen die Klauseln hinreichend klar und eindeutig formuliert werden; sollte es zu Unklarheiten bei ihrer Auslegung kommen, gehen diese zu Lasten des Verwenders, d.h. des Arbeitgebers. Besonders klar und transparent wäre hierbei die Verwendung lediglich statischer Bezugnahmeklauseln, bei denen aus dem Arbeitsvertragstext hervorginge, welcher Tarifvertrag in welcher Fassung anwendbar ist. Jeder Tarifwechsel müsste jedoch für den Arbeitsvertrag durch eine Vertragsänderung nachvollzogen werden, so dass eine derartige Vertragsgestaltung sehr unflexibel und aufwendig wäre und daher in aller Regel nicht den Parteiinteressen entspricht. Mittlerweile sind im Schrifttum zahlreiche Klauselformulierungen vorgeschlagen worden, mit denen man die Dynamik von der Tarifbindung des Arbeitgebers abhängig machen kann.201 Grundsätzlich ist festzustellen, dass viele Wege zum Ziel (d.h. einer Vermeidung der „Ewigkeitsbindung“) führen. Teilweise wird vorgeschlagen, die Bezugnahmeklausel auf Arbeitsverhältnisse nicht tarifgebundener Arbeitnehmer zu beschränken („Ist der Arbeitnehmer an bei dem Arbeitgeber geltende Tarifverträge normativ gebunden (§ 3 Abs. 1 TVG)), finden auf das Arbeitsverhältnis ausschließlich diese Tarifverträge Anwendung“)202. Diese Formulierung soll verhindern, dass 197
Hanau, RdA 2007, 180 (182). s. o. A., ab S. 381. 199 BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 (2573); ähnlich BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 (968). 200 Heinlein, NJW 2008, 321 (321). 201 Nachw. u. a. bei BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NJW 2006, 2571 (2572); Giesen, NZA 2006, 625 (630). 202 Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1079) unter Hinweis auf Giesen, NZA 2006, 625 (628); ebenso Schiefer, SAE 2008, 22 (27). 198
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Teil 3: Anpassung von Alt- und Gestaltung von Neuverträgen
Gewerkschaftsmitgliedern kumulativ zu ihrer normativen Tarifbindung ein vertraglicher Anspruch zusteht, der sich im Zweifel bei einem Günstigkeitsvergleich gegenüber dem Tarifvertrag durchsetzen könnte.203 In der Tat hat sich in der Fallanalyse gezeigt, dass es unter der neuen, auf nach dem 31.12.2001 geschlossene Arbeitsverhältnisse anwendbaren Rechtsprechung zu einem Nebeneinander tariflicher und vertraglicher Anspruchsgrundlagen bei den Gewerkschaftsmitgliedern kommen und die Bezugnahmeklausel die Folgen der Tarifbindung beseitigen kann.204 Ob eine Beschränkung der Bezugnahmeklausel auf Außenseiter jedoch der richtige Weg zur Lösung dieses Problems ist, ist zu bezweifeln. Die Klausel ist in der Praxis nur dann sinnvoll, wenn der Arbeitgeber weiß, dass der Arbeitnehmer Gewerkschaftsmitglied ist.205 Nach Vertragsschluss kann er die Gewerkschaftszugehörigkeit zwar erfragen,206 dies ist jedoch umständlich. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Arbeitnehmer von sich aus ihre Gewerkschaftszugehörigkeit offenbaren werden, ist diese doch mit einem Nachteil (Wegfall einer vertraglichen Anspruchsgrundlage) verbunden. Zudem besteht die Gefahr, dass die Außenseiter generell und systematisch besser behandelt werden könnten als die Gewerkschaftsmitglieder, was insbesondere dann der Fall sein kann, wenn tariflich gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB, § 4 Abs. 5 TVG eine Statik eintritt, die Bezugnahmeklausel jedoch als Tarifwechselklausel ausgestaltet ist und sie damit einen Wechsel des Bezugnahmeobjekts und eine dynamische Verweisung hierauf bewirkt. Bei den Gewerkschaftsmitgliedern gäbe es keine Möglichkeit, das Bezugnahmeobjekt zu wechseln.207 Eine derartige Differenzierung zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Außenseitern wirft außerdem verfassungsrechtliche Bedenken auf208 und würde den Betriebsfrieden massiv stören. Nur sofern mit den Außenseitern eine „reine“ Gleichstellungsabrede vereinbart wird, ist die Gefahr der Verletzung des Art. 9 Abs. 3 GG gebannt. Fehlt es bei den Gewerkschaftsmitgliedern an einer konstitutiven Bezugnahmeklausel, ist auch die in der Fallanalyse aufgezeigte Möglichkeit der Ablösung statisch nachwirkender bzw. transformierter Tarifverträge durch die Klausel als „andere Abmachung“ im Sinne der §§ 613a Abs. 1 203 Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1079); ebenso Insam/Plümpe, DB 2008, 1265 (1267). 204 s. o. A.II.2.b)bb), ab S. 224; A.II.2.b)cc), ab S. 227; A.II.3.b)bb), ab S. 233; A.II.4.b)bb), ab S. 244; B.III.1.b)bb)(2)(a)(bb), ab S. 278; C.III.1.b)bb), ab S. 316; C.III.2.b)bb), ab S. 324; D.III.1.b)bb)(2), ab S. 341; D.III.1.b)cc)(2), ab S. 342. 205 So auch Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1079). 206 s. o. Fn. 846, S. 178. 207 Vgl. Bauer/Günther, NZA 2008, 6 (8). 208 Vgl. Jacobs, FS Birk, S. 243 (254); ders./Willemsen, JbArbR, Bd. 45, S. 47 (61 f.).
B. Vorschläge zur Vertragsgestaltung
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S. 4 BGB, 4 Abs. 5 TVG nicht möglich, wodurch auf vertraglicher Ebene auch das Tarifniveau unterschreitende Veränderungen vereinbart werden könnten.209 In aller Regel bedarf es einer derartigen Beschränkung der Klauselwirkung auf Außenseiter schon gar nicht. Ist nämlich die Bezugnahmeklausel präzise und umsichtig formuliert, führt sie jederzeit zu einem Gleichlauf der vertraglichen Regelung mit der tariflichen Situation, sofern ein solcher gewünscht ist. Die oben geschilderten Probleme einer Kollision der Anspruchsgrundlagen werden daher bereits durch die Klauselformulierung vermieden, so dass eine Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit gar nicht erforderlich ist. Aus diesen Gründen ist die Beschränkung der Bezugnahmeklausel auf die Arbeitsverhältnisse der Außenseiter abzulehnen. Die Bezugnahmeklausel ist vielmehr wie auch bisher in allen Arbeitsverhältnissen zu vereinbaren. Die Gefahr jeder „Musterklausel“ besteht jedoch in der Schaffung vollkommen unübersichtlicher Klauselwerke, die von dem Bemühen getragen werden, möglichst alle denkbaren Konstellationen zu erfassen, in denen die Aufrechterhaltung einer vereinbarten Dynamik zum Problem werden könnte.210 Es wird in diesem Zusammenhang bereits vor einer „Amerikanisierung“ der Vertragsgestaltung gewarnt.211 In der Tat muss sich jede Klausel am Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB messen lassen. Ist die Klausel zu unübersichtlich und unverständlich für die Arbeitnehmer, droht die Unwirksamkeit. Andererseits schafft es eine im Vergleich zur bisherigen Situation deutlich größere Rechtssicherheit, wenn die Arbeitsvertragsparteien genaue Vereinbarungen darüber treffen, welche Rechtsfolgen ihre Verweisungsklausel in den verschiedenen Fällen des Tarifwechsels zeitigen soll. Auch dies trägt zu einer möglichst hohen Transparenz zukünftiger Regelungen bei. Eine detaillierte Regelung der problematischen Fälle des Tarifwechsels ist insofern auch der neuen Rechtsprechung geschuldet.212 Eine weit formulierte Tarifwechselklausel („Es gelten die jeweils für den Arbeitgeber maßgeblichen Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung . . .“) lässt diejenigen Situationen offen, in denen der Arbeitgeber nicht (mehr) tarifgebunden ist (z. B. bei Verbandsaustritt oder Betriebsübergang auf einen nicht tarifgebundenen Erwerber).213 Es empfiehlt sich daher eine präzise Formulierung der Bezug209
s. hierzu o. Teil 2, A.II.2.b)cc), ab S. 227; B.III.1.b)bb)(2)(a)(bb), ab S. 278. Houben, SAE 2007, 109 (114). 211 Klebeck, NZA 2006, 15 (19). Vgl. o. S. 160. 212 Giesen, NZA 2006, 625 (631); Schwab, Bezugnahmen auf Tarifverträge, S. 89 f. 213 WHSS-Hohenstatt, E Rn. 214. 210
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Teil 3: Anpassung von Alt- und Gestaltung von Neuverträgen
nahmeklauseln, die den Willen der Parteien im Hinblick auf die verschiedenen denkbaren Fälle des Tarifwechsels zweifelsfrei erkennen lässt. Im Folgenden sind beispielhafte Klauselformulierungen aufzuzeigen. Dass es sich hierbei nicht um allgemeingültige „Patentlösungen“ handeln kann, liegt auf der Hand. Jeder Arbeitgeber muss die Bezugnahmeklausel nach seinen individuellen Bedürfnissen gestalten. Je nach Tarifbindung bzw. fehlender Tarifbindung und intendierter Tragweite der Bezugnahmeklausel kommen unterschiedliche Klauseltypen in Betracht.
I. Tarifgebundener Arbeitgeber Die tarifgebundenen Arbeitgeber können sowohl eine Gleichstellungsabrede als auch eine Tarifwechselklausel vereinbaren. 1. Gleichstellungsabrede Mit der Verwendung einer Gleichstellungsabrede synchronisieren die Arbeitgeber die vertragliche Situation mit der tariflichen. Die Bezugnahmeklausel ersetzt die fehlende Tarifbindung der Außenseiter. Damit wird sie statisch, sobald auf tariflicher Ebene die Dynamik endet. Auf diese Weise wird eine „Ewigkeitsbindung“ des Arbeitgebers unabhängig von der Tarifentwicklung verhindert; endet die Tarifbindung des Arbeitgebers, findet auch die dynamische Bezugnahme ihr Ende. a) Formulierungsvorschlag Eine Gleichstellungsabrede könnte etwa wie folgt formuliert werden:214 (1) Für das Arbeitsverhältnis gelten die Tarifverträge der XY-Branche im Tarifgebiet Z, abgeschlossen zwischen der Gewerkschaft A und dem Verband der B-Industrie, in ihrer jeweils geltenden Fassung. (2) 1Bestehen im Betrieb mehrere normativ geltende Tarifverträge, ist derjenige Tarifvertrag in Bezug zu nehmen, der nach seinem sachlichen Anwendungsbereich dem Betrieb am nächsten steht. 2Lässt sich nach Satz 1 keine Entscheidung treffen, ist derjenige Tarifvertrag anzuwenden, der die relative Mehrzahl der Arbeitsverhältnisse im Betrieb erfasst. (3) 1Mit dieser Klausel soll lediglich die tarifvertraglich geltende Rechtslage widergespiegelt werden. 2Entfällt daher die Tarifbindung des Arbeitgebers aufgrund 214 s. auch Henssler, FS Wißmann, S. 133 (155 f.); Klebeck, NZA 2006, 15 (20); Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (260 f.); Reichel, Bezugnahme, S. 251 f.; WHSSHohenstatt, E Rn. 214; Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458 (464); Zerres, NJW 2006, 3533 (3537).
B. Vorschläge zur Vertragsgestaltung
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eines Verbandsaustritts oder Branchenwechsels, gelten die Tarifverträge gemäß (1) statisch in der zuletzt gültigen Fassung fort, sofern sie nicht durch eine andere Abmachung ersetzt werden. 3Satz 2 gilt entsprechend, wenn der Betrieb oder Betriebsteil, in dem der Arbeitnehmer beschäftigt ist, auf einen nicht an die Tarifverträge der XY-Branche gebundenen Erwerber übertragen wird. (4) 1Absatz (3) gilt nicht, wenn eine Tarifbindung des Arbeitgebers bzw. Betriebserwerbers an andere Tarifverträge, die ebenfalls mit der Gewerkschaft A geschlossen wurden, entsteht. 2Hierzu gehören auch Firmentarifverträge. 3In diesem Falle sind diese Tarifverträge nach Maßgabe dieses Paragraphen auf das Arbeitsverhältnis anwendbar.
Diese Gleichstellungsabrede regelt die Rechtsfolgen eines Tarifwechsels in allen hier untersuchten Fällen des Tarifwechsels. In der Klausel ist eine Begrenzung der vertraglichen Bindung des Arbeitgebers vorgesehen: Der Gleichstellungszweck wird explizit formuliert (Abs. 3 S. 1). Die Tarifbindung des Arbeitgebers ist als auflösende Bedingung der dynamischen Bezugnahme formuliert. Hieraus wird deutlich, dass die Verweisung keine Ansprüche begründet, die über das tarifrechtlich geschuldete Maß hinausreichen.215 Entfällt die dynamische normative Tarifbindung (§ 4 Abs. 5 TVG, § 613a Abs. 1 S. 2 BGB), wandelt sich auch die bisher dynamische Bezugnahme in eine statische. Kommt es auf tariflicher Ebene zu einer Ablösung durch einen nunmehr normativ geltenden Tarifvertrag, wird dies auch auf arbeitsvertraglicher Ebene nachvollzogen (Abs. 4). Absatz 2 trägt der Möglichkeit Rechnung, dass das BAG wahrscheinlich in Zukunft vom Grundsatz der Tarifeinheit Abstand nehmen und eine Tarifpluralität zulassen wird.216 Abs. 4 S. 2 stellt klar, dass auch Firmentarifverträge von der Bezugnahmeklausel erfasst sind, und ermöglicht somit einen Wechsel des Bezugnahmeobjekts, sofern im Betrieb ein Sanierungshaustarifvertrag geschlossen wird.217 Durch diese Gleichstellungsabrede kann der Arbeitgeber jedoch keinen Tarifwechsel zu den Tarifverträgen einer anderen Branche, die von einer anderen Gewerkschaft geschlossen wurden, erreichen. In diesem Falle wären auch die bisher tarifgebundenen Arbeitnehmer nicht normativ an den neuen Tarifvertrag gebunden. Zu diesem Zweck bedarf es vielmehr einer großen dynamischen Bezugnahmeklausel, die auch einen etwaigen Branchenwechsel und damit einen Wechsel der zuständigen Gewerkschaft erfasst.218 215 216 217 218
Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 203. s. hierzu o. Teil 2, E.IV., ab S. 364. s. hierzu o. Teil 2, E.III., ab S. 357. s. u. B.I.2., ab S. 434.
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Teil 3: Anpassung von Alt- und Gestaltung von Neuverträgen
b) Unwirksamkeit bei Betriebsübergang? Heinlein ist der Auffassung, die Vereinbarung des Wegfalls der Dynamik nach einem Betriebsübergang (Absatz 3 Satz 3 der obigen Musterklausel) sei unwirksam, wenn die auflösende Bedingung allein wegen des Betriebsübergangs vereinbart sei.219 Der Wegfall der Dynamik nach einem Betriebsübergang benachteilige im Regelfall die Arbeitnehmer, da sie bei einer nur statischen Fortgeltung der Tarifverträge nicht mehr an der Tarifentwicklung teilnähmen. Die Folgen der Auslegung als Gleichstellungsabrede widersprächen dem Schutzzweck des § 613a BGB: Dieser liege darin, den Arbeitnehmern Bestandsschutz und Vertragsinhaltsschutz zu gewährleisten. Es müsse daher einen sachlichen Grund geben, der die auflösende Bedingung „aus sich heraus“ trage. Anhaltspunkte liefere § 613a Abs. 4 BGB. Der Betriebsübergang dürfe nicht tragender Grund für den Wegfall der Dynamik einer Bezugnahmeklausel sein. Eine Umgehung des § 613a Abs. 1 S. 1 BGB sei nur dann auszuschließen, wenn der Veräußerer durch Vereinbarung der Gleichstellungsabrede schutzwerte Interessen des nicht tarifgebundenen Erwerbers wahrnehme.220 Solche Interessen bestünden jedoch nicht. Die negative Koalitionsfreiheit des Erwerbers werde durch die fortdauernde Dynamik der Klausel nach dem Betriebsübergang nicht beeinträchtigt. Es gehe bei der Gleichstellungsabrede allein darum, eine Bindung des Erwerbers an denselben Vertragsinhalt wie der Veräußerer zu verhindern. Dies sei mit dem Schutzzweck des § 613a Abs. 1 S. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Die Ansicht Heinleins überzeugt nicht. Der Schutzgedanke des § 613a BGB will den Arbeitnehmer vor ungerechtfertigten Nachteilen bewahren, nicht jedoch seine Vertragsfreiheit einschränken.221 Der Arbeitnehmer kann daher das Arbeitsverhältnis jederzeit, mit dem Veräußerer oder dem Erwerber, aufheben.222 Der Arbeitnehmer kann zudem jederzeit die Bedingungen des Arbeitsverhältnisses ändern. Ändert er die Arbeitsbedingungen durch Vereinbarung mit dem Veräußerer, ist der Anwendungsbereich des § 613a BGB noch gar nicht eröffnet. § 613a BGB soll den Arbeitnehmer gegenüber dem Erwerber so stellen, wie er auch gegenüber dem Veräußerer gestanden hätte, er soll den Arbeitnehmer aber nicht schon (Jahre) vor einem Betriebsübergang in seiner Vertragsfreiheit beschränken. Sofern Veräußerer und Arbeitnehmer im Voraus eine Gleichstellungsabrede vereinbaren, kom219
NJW 2008, 321 (325 f.). Heinlein, NJW 2008, 321 (325 f.). 221 ErfK-Preis, § 613a BGB Rn. 83; HWK-Willemsen/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rn. 245. 222 BAG v. 29.10.1975 – 5 AZR 444/74, AP Nr. 2 zu § 613a BGB; ErfK-Preis, § 613a BGB Rn. 83. 220
B. Vorschläge zur Vertragsgestaltung
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men sie im Rahmen ihrer Privatautonomie überein, dass die Klausel nach einem etwaigen Betriebsübergang ihre Dynamik verlieren soll. Eine besondere Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers vor seiner eigenen Willenserklärung ist hierbei nicht erkennbar. Es droht insbesondere keine Umgehung des § 613a Abs. 1 S. 1 BGB: Haben Veräußerer und Arbeitnehmer den Wegfall der Dynamik bei einem Betriebsübergang vereinbart, tritt der Erwerber genau so in das Arbeitsverhältnis ein, wie es zwischen Arbeitnehmer und Veräußerer bereits bestanden hat. Bisher stand die Rechtsprechung Vereinbarungen mit dem Erwerber, die zum Nachteil des Arbeitnehmers vom bisherigen Arbeitsvertrag abweichen, kritisch gegenüber. Vereinbarungen, die den Erlass rückständiger Löhne oder den Verzicht auf betriebliche Sozialleistungen vorsahen, sollten nur mit einem sachlichen Grund möglich sein.223 Diese Rechtsprechung hat das BAG nunmehr in seinem Urteil vom 7.11.2007 insofern revidiert, als die einzelvertragliche Absenkung der vereinbarten Vergütung zwischen Erwerber und Arbeitnehmer nach einem Betriebsübergang keines sachlichen Grundes bedarf.224 Entgegen der Auffassung Heinleins225 ist der von § 613a Abs. 1 S. 1 BGB gewährte Vertragsinhaltsschutz nach der expliziten Entscheidung des BAG nicht zwingend.226 Auch nach Rechtsprechung des EuGH kann die Betriebsübergangs-Richtlinie nur in Anspruch genommen werden, um sicherzustellen, dass der betroffene Arbeitnehmer in seiner Rechtsbeziehung zum Erwerber in gleicher Weise geschützt ist, wie er es nach den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats in seinen Beziehungen zum Veräußerer war.227 Einer mit dem neuen Inhaber vereinbarten Änderung des Arbeitsverhältnisses stehe die Richtlinie nicht entgegen, wenn das anwendbare innerstaatliche Recht eine solche Änderung unabhängig vom Betriebsübergang zulasse. Sofern aber sogar in unmittelbarem Anschluss an den Betriebsübergang für die nach § 613a Abs. 1 S. 1 BGB weitergeltende Bezugnahmeklausel ohne weiteres Vertragsfreiheit herrscht,228 kann im Veräußererbetrieb lange vor einem Betriebsübergang nichts anderes gelten. Sofern Arbeitnehmer und Erwerber nach einem Betriebsübergang das Entgelt senken können, ist 223 BAG v. 18.8.1976 – 5 AZR 95/75, AP Nr. 4 zu § 613a BGB; BAG v. 26.1.1977 – 5 AZR 302/75, AP Nr. 5 zu § 613a BGB; BAG v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, AP Nr. 18 zu § 613a BGB. Vgl. o. S. 218. 224 BAG v. 7.11.2007 – 5 AZR 1007/06, ZIP 2008, 286 (286 f.).Vgl. o. S. 218. 225 NJW 2008, 321 (325). 226 BAG v. 7.11.2007 – 5 AZR 1007/06, ZIP 2008, 286 (286). 227 EuGH v. 10.2.1988 – Rs. C-324/86, EAS Nr. 4 zu Art. 1 RL 77/187/EWG (Daddy’s Dance Hall). Vgl. auch den Verweis in BAG v. 7.11.2007 – 5 AZR 1007/06, ZIP 2008, 286 (286). 228 BAG v. 7.11.2007 – 5 AZR 1007/06, ZIP 2008, 286 (286).
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Teil 3: Anpassung von Alt- und Gestaltung von Neuverträgen
eine Vereinbarung einer Gleichstellungsabrede mit dem Veräußerer, die nach dem Betriebsübergang lediglich die weitere Teilhabe an Tariflohnerhöhungen beendet, nicht aber das Entgelt reduziert, erst recht zulässig. Der Wegfall der Dynamik aufgrund einer Gleichstellungsabrede verstößt daher nicht gegen den Schutzgedanken des § 613a BGB und ist daher zulässig. 2. Tarifwechselklausel Eine Tarifwechselklausel ermöglicht im Gegensatz zu einer Gleichstellungsabrede die Inbezugnahme von Tarifverträgen auch nach einem Branchenwechsel, Betriebsübergang oder einem ähnlichen Ereignis, mit dem ein Wechsel der tarifzuständigen Gewerkschaft einhergeht. Die oben dargestellte Formulierung einer Gleichstellungsabrede führt nur zu einem Wegfall der Dynamik, falls die tarifschließende Gewerkschaft wechselt.229 In einer Tarifwechselklausel muss der Wille der Parteien zum Ausdruck kommen, dass unter bestimmten Umständen ein Wechsel des Bezugnahmeobjektes eintreten soll, so dass auch ein von einer anderen Gewerkschaft geschlossener Tarifvertrag von der Klauselwirkung erfasst werden kann. Aus diesem Grund ist bei der Formulierung einer großen dynamischen Bezugnahmeklausel auf besondere Klarheit zu achten. Eine Tarifwechselklausel könnte möglicherweise wie folgt lauten:230 (1) 1Für das Arbeitsverhältnis gelten die im Betrieb/Unternehmen jeweils normativ geltenden Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung. 2Derzeit sind dies die Tarifverträge der XY-Branche im Tarifgebiet Z, abgeschlossen zwischen der Gewerkschaft A und dem Verband der B-Industrie. (2) 1Bestehen im Betrieb mehrere normativ geltende Tarifverträge, ist derjenige Tarifvertrag in Bezug zu nehmen, der nach seinem sachlichen Anwendungsbereich dem Betrieb am nächsten steht. 2Lässt sich nach Satz 1 keine Entscheidung treffen, ist derjenige Tarifvertrag anzuwenden, der die relative Mehrzahl der Arbeitsverhältnisse im Betrieb erfasst. (3) 1Entfällt aufgrund eines Verbandsaustritts oder Branchenwechsels die Tarifbindung des Arbeitgebers, gelten die Tarifverträge gemäß (1) statisch in der zuletzt gültigen Fassung fort, sofern sie nicht durch eine andere Abmachung ersetzt werden. 2Satz 1 gilt entsprechend, wenn der Betrieb oder Betriebsteil, in dem der Arbeitnehmer beschäftigt ist, auf einen nicht tarifgebundenen Erwerber übertragen wird. 229
Vgl. o. B.I.1.a), ab S. 430. Jacobs, FS Birk, S. 243 (261 f.); Henssler, FS Wißmann, S. 133 (155 f.); Klebeck, NZA 2006, 15 (20); Giesen, NZA 2006, 625 (629); WHSS-Hohenstatt, E Rn. 215; Reichel, Bezugnahme, S. 251 ff. 230
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(4) 1Abs. (3) gilt nicht, wenn infolge eines Verbands- oder Branchenwechsels eine Tarifbindung des Arbeitgebers an andere Tarifverträge besteht. 2Hierzu gehören auch Firmentarifverträge. 3In diesem Falle sind diese Tarifverträge nach Maßgabe dieses Paragraphen auf das Arbeitsverhältnis anwendbar. 4Satz 3 gilt entsprechend, wenn im Falle eines Betriebs(teil)übergangs auf Seiten des Erwerbers eine andere Tarifbindung besteht.
Ausgangspunkt ist somit eine große dynamische Bezugnahmeklausel (Abs. 1 S. 1), die dem Arbeitgeber eine in zeitlicher und fachlicher Hinsicht flexible Anwendung ermöglicht.231 Hierbei sollte auf die „normativ geltenden“ Tarifverträge, nicht aber die „gültigen“ oder „einschlägigen“ Tarifverträge verwiesen werden – ansonsten wäre z. B. bei einem Verbandsaustritt die nur noch statische Fortwirkung der Klausel nicht sichergestellt.232 Es könnten auch die ihrem Geltungsbereich nach auf das Arbeitsverhältnis passenden Tarifverträge hierunter gefasst werden, so dass unabhängig von der Tarifbindung des Arbeitgebers eine schuldrechtliche Bindung an die Tarifverträge einträte. Um den Anforderungen des Nachweisgesetzes gerecht zu werden, sollte der Arbeitgeber hierbei zugleich einen Hinweis auf die zur Zeit des Vertragsschlusses tatsächlich anwendbaren Tarifverträge geben (Abs. 1 S. 2). Zudem sollte auch eine Verweisung auf Haustarifverträge aufgenommen werden (Abs. 4 S. 1), um auch den Abschluss von Firmentarifverträgen weiterhin möglich zu machen.233 Die Klausel geht über eine Gleichstellungsabrede hinaus, indem sie eine Inbezugnahme neuer Tarifverträge auch dann erlaubt, wenn für die Gewerkschaftsmitglieder, die bisher normativ gebunden waren, keine Tarifbindung an den neuen Tarifvertrag besteht. Dies ist z. B. der Fall bei einem Verbandswechsel oder bei einem Betriebsübergang auf einen anderweitig tarifgebundenen Erwerber. Absatz 2 trifft erneut Vorkehrung für den Fall, dass der Grundsatz der Tarifeinheit vom BAG nicht weiter verfolgt wird und es bei einer Tarifpluralität zu Unklarheiten darüber kommen kann, welcher Tarifvertrag das Bezugnahmeobjekt sein soll.234 Zur Klarstellung der Auswirkung der Bezugnahmeklausel bei Betriebsübergang, Verbandsaustritt, -wechsel oder Branchenwechsel wird eine Regelung für alle hier untersuchten Fälle des Tarifwechsels getroffen (Abs. 3, Abs. 4).
231 232
Henssler, FS Wißmann, S. 133 (155); Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 207. Henssler, FS Wißmann, S. 133 (155 f.); Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458
(464). 233 234
s. hierzu o. Teil 2, E.III., ab S. 357. s. o. Teil 2, E.III.3., ab S. 360.
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Teil 3: Anpassung von Alt- und Gestaltung von Neuverträgen
II. Nicht tarifgebundener Arbeitgeber Sofern der Arbeitgeber nicht tarifgebunden ist, ist eine Klauselgestaltung, die sich auf seine Tarifbindung bezieht, nicht möglich. Ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber kann die Dynamik daher nicht unter die Bedingung der fortdauernden Verbandsmitgliedschaft stellen. Ein (den „bisherigen Klauseln“) immanentes Entdynamisierungsrecht ist für diese Gruppe jedoch bisher von der Rechtsprechung nicht anerkannt worden,235 so dass grundsätzlich zu einer Formulierung entsprechend Abs. (1) der obigen Tarifwechselklausel zu raten ist. Sofern man ein Entdynamisierungsrecht vorsehen will, sind hierbei in jedem Fall die restriktiven Anforderungen des § 308 Nr. 4 BGB und der Rechtsprechung zum Widerrufsvorbehalt zu berücksichtigen.236 Nach Ansicht des BAG muss der Vertragstext eines formularmäßigen Widerrufsvorbehalts die konkreten Voraussetzungen und den Inhalt des Widerrufs benennen, um den Anforderungen des Transparenzgebots nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB gerecht zu werden.237 Der Widerruf darf nur aus wirtschaftlichen und/oder betriebsorganisatorischen Gründen erfolgen, wobei höchstrichterlich noch nicht vollkommen geklärt ist, wie konkret die Gründe benannt werden müssen, so dass insofern noch eine gewisse Unsicherheit besteht. Zudem darf der Widerruf höchstens 25 bis 30% der Gesamtvergütung erfassen.238 Angesichts der Tatsache, dass ein Widerruf der Dynamik keine Reduzierung des aktuellen Entgelts darstellt und daher nicht in den Rechtsbestand der Arbeitnehmer eingreift, ist grundsätzlich von einer Zulässigkeit der Vereinbarung eines Entdynamisierungsrechts auszugehen.239 Es kommt folgende Formulierung in Betracht:240 (1) 1Für das Arbeitsverhältnis gelten die für den Betrieb/das Unternehmen einschlägigen Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung. 2Derzeit sind dies die Tarifverträge der XY-Branche im Tarifgebiet Z, abgeschlossen zwischen der Gewerkschaft A und dem Verband der B-Industrie. (2) Der Arbeitgeber kann Änderungen des Tarifvertrages aus wirtschaftlichen und/oder betriebsorganisatorischen Gründen innerhalb einer Frist von vier Wochen nach ihrem Inkrafttreten durch schriftliche Erklärung widersprechen. 235
Ebenso Klebeck, NZA 2006, 15 (20). Vgl. hierzu A.I., ab S. 381. s. hierzu S. 382. 237 BAG v. 12.1.2005 – 5 AZR 364/04, NZA 2005, 465 (467); BAG v. 11.10.2006 – 5 AZR 721/05, NZA 2007, 87 (89 f.). 238 BAG v. 12.1.2005 – 5 AZR 364/04, NZA 2005, 465 (467); BAG v. 11.10.2006 – 5 AZR 721/05, NZA 2007, 87 (89). 239 Vgl. Jacobs, FS Birk, S. 243 (263). Zu der Frage der Entgeltkürzung s. o. A.VIII.2.b)aa), ab S. 404. 240 s. auch Henssler, FS Wißmann, S. 133 (156); Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (261 f.); Seel, MDR 2006, 491 (494); Müller-Bonanni/Seeger, ArbRB 2006, 249 (251). 236
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Ausgangspunkt ist wiederum eine große dynamische Bezugnahmeklausel (Abs. 1), um dem Arbeitgeber größtmögliche Flexibilität zu geben und keine ständigen Vertragsanpassungen notwendig zu machen. Eine Vereinbarung darüber, dass keine Gleichstellungsabrede vorliegt, ist hierbei nicht nötig, da bereits die alte Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede bei nicht tarifgebundenen Arbeitgebern nicht zur Anwendung kam. Die Klausel verweist anders als im Falle des tarifgebundenen Arbeitgebers mangels normativer Geltung des Tarifvertrages nicht auf die „geltenden“, sondern die „einschlägigen“ Tarifverträge. Bei einer Tarifänderung kann der Arbeitgeber in jedem Einzelfall entscheiden, ob er sie auch für seine Arbeitsverhältnisse maßgeblich machen will. Das Erfordernis eines Widerrufsgrundes (Abs. 2)241 bietet den Arbeitnehmern Rechtssicherheit und trägt der BAG-Rechtsprechung Rechnung. Vollkommen geklärt sind die konkreten Anforderungen an die Formulierung des Widerrufsgrundes jedoch noch nicht. Eine Einbeziehung einer Vielzahl von möglichen Gründen ist jedoch ebenfalls nicht praktikabel, sondern würde den Vertragsumfang derart erweitern, dass das Transparenzprinzip verletzt werden könnte.242
241 s. hierzu auch Otto, Bezugnahmeklauseln, S. 205 f.; Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1079). 242 Ebenso Wisskirchen/Lützeler, AuA 2006, 528 (531).
Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen 1. Arbeitsvertragliche Bezugnahmen bzw. Verweisungen auf Tarifverträge sind ein weit verbreiteter Bestandteil der arbeitsrechtlichen Vertragsgestaltung. Sie stehen an der Schnittstelle zwischen Arbeitsvertrags- und Tarifrecht. Auch wenn sie sich nicht in jedem Fall aus gesetzlicher oder richterrechtlicher Zulassung ergeben, sind sie rechtlich zulässig. Bezugnahmeklauseln sind erforderlich, um (mangels Einschlägigkeit des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Außenseitern) tarifliche Regelungen auch auf nicht tarifgebundene Arbeitnehmer anwendbar zu machen und somit für einheitliche Arbeitsbedingungen zu sorgen. 2. Bezugnahmeklauseln stellen einzelvertragliche Absprachen dar und kommen durch ausdrückliche Vereinbarung, konkludente Einigung oder betriebliche Übung zustande. Ein Formerfordernis besteht ungeachtet der Voraussetzungen des NachwG bis auf wenige Ausnahmen nicht. 3. Die Bezugnahmeabrede ist eine verkürzte Absprache über den Vertragsinhalt. Die in Bezug genommenen Tarifnormen wirken deshalb rein schuldrechtlich zwischen den Parteien; eine normative Geltung kann durch die Bezugnahme nicht herbeigeführt werden. Bezugnahmeklauseln haben – sowohl bei Außenseitern als auch bei Gewerkschaftsmitgliedern – konstitutive Wirkung und stellen damit eine eigenständige Anspruchsgrundlage dar. 4. Bei den Klauseltypen herrscht Artenvielfalt. Nach ihrem sachlichen Umfang lassen sich Global-, Teil- und Einzelverweisungen unterscheiden. Vom Grad ihrer Dynamik her kommen statische, kleine dynamische und große dynamische Klauseln in Betracht. Die Klausel kann auf den sachlich und örtlich einschlägigen, aber auch auf einen fremden, einen unwirksamen oder einen nur noch nachwirkenden oder abgelösten Tarifvertrag verweisen. 5. Bezugnahmeklauseln sind „kollektivrechtliche Vereinbarungen“ im Sinne des § 15 Abs. 3 AGG. Dem Arbeitgeber kommt insofern bei ihrer Verwendung eine Haftungsprivilegierung zugute. Dies gilt jedoch nur für den Fall der Globalbezugnahme. 6. Grenzen der Bezugnahme sind das zwingende Gesetzesrecht (§ 134 BGB) und die AGB-Kontrolle. Der Tarifvertrag selbst unterliegt keiner Inhaltskontrolle. Entgegen häufig vertretener Ansicht ist selbst das Trans-
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parenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB auf den Tarifvertrag nicht anwendbar. Die Bezugnahmeklausel als Bestandteil des Arbeitsvertrages unterliegt hingegen der AGB-Kontrolle. Hierbei scheidet eine Einbeziehungskontrolle aus, die Inhaltskontrolle ist jedoch möglich. 7. Eine Schranke der Inhaltskontrolle ist § 310 Abs. 4 S. 3 BGB, die jedoch nur im Falle einer Globalbezugnahme auf den einschlägigen Tarifvertrag greift. In allen anderen Fällen kommt eine Inhaltskontrolle in Betracht. Hierbei sind insbesondere das Transparenzgebot, der Überraschungsschutz und die Unklarheitenregel zu beachten. 8. Dynamische Bezugnahmeklauseln sind weder grundsätzlich überraschend noch intransparent. Ein Überraschungsschutz gemäß § 305c Abs. 1 BGB vor unvorhersehbaren Tarifänderungen kommt nur unter besonderen Umständen in Betracht. Die Rechtsfolgen im Falle der Unwirksamkeit der Klausel bestimmen sich nach § 306 BGB. 9. Die Auslegung von Bezugnahmeklauseln ist von der Auslegung der Tarifnormen als Objekte der Bezugnahme zu trennen. Die Auslegung der Bezugnahmeklausel als individualrechtliche Vereinbarung erfolgt nach den allgemeinen Grundsätzen der Auslegung von Verträgen gemäß §§ 133, 157 BGB. Die in Bezug genommenen Tarifbestimmungen sind hingegen nach den Grundsätzen der Tarifvertragsauslegung auszulegen. 10. Die Auslegung der Klauseln ist Kern einer bereits Jahrzehnte währenden dogmatischen Diskussion. Sie bemisst sich nach der prinzipiellen Grundentscheidung der Frage: Wie ist eine solche Klausel nach dem Empfängerhorizont zu verstehen, und zu wessen Lasten gehen Ungenauigkeiten der Formulierung? 11. Nach früherer ständiger Rechtsprechung des Vierten Senats lautete die Antwort: Ungenauigkeiten gehen zu Lasten des Arbeitnehmers. Eine vorformulierte dynamische Bezugnahmeklausel eines tarifgebundenen Arbeitgebers auf die für das Arbeitsverhältnis einschlägigen Tarifverträge diente, auch wenn der Wortlaut dies nicht ohne Weiteres erkennen ließ, danach typischerweise dem Zweck, die Außenseiter und die Gewerkschaftsmitglieder gleichzustellen (sog. Gleichstellungsabrede). Als solche war sie – lediglich – das Spiegelbild der tariflichen Situation. 12. Nach einem Tarifwechsel bemaß sich der Inhalt der Bezugnahmeklausel im Falle eines tarifgebundenen Arbeitgebers deshalb – völlig unabhängig davon, ob eine statische, kleine oder große dynamische Klausel vorlag – allein danach, was tarifrechtlich galt. Die Außenseiter sollten gegenüber den Organisierten gleich-, aber nicht bessergestellt werden. Diese Rechtsprechung war förderlich für das Bestreben der Arbeitgeber, einen effektiven Tarifwechsel herbeizuführen.
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13. In seinem Urteil vom 14.12.2005 (Az. 4 AZR 536/04) kündigte der Vierte Senat eine Rechtsprechungsänderung zu der Auslegung von Bezugnahmeklauseln an, die er in seinem Urteil vom 18.4.2007 (Az. 4 AZR 652/05) erstmals umgesetzt und mit Urteil vom 22.10.2008 (Az. 4 AZR 793/07) bestätigt hat. Für ab dem 1.1.2002 geschlossene Arbeitsverhältnisse gilt die Gleichstellungsdogmatik nicht mehr; die Auslegung richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen der Vertragsauslegung. Für Arbeitsverträge, die vor diesem Datum geschlossen wurden, bleibt es jedoch bei der Auslegung als Gleichstellungsabrede. 14. Dies stellt eine Abkehr von der über Jahrzehnte gefestigten Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede und damit einen Paradigmenwechsel dar. Die Rechtsprechungsänderung ist zu befürworten. Die Auslegung als Gleichstellungsabrede widersprach den Grundregeln der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und führte in einzelnen Konstellationen zu widersprüchlichen und inkonsequenten Ergebnissen; sie war daher – schon vor Eingreifen der Schuldrechtsreform – abzulehnen. Der dogmatisch richtige Weg liegt in einer Auslegung der Bezugnahmeklausel in jedem Einzelfall gemäß §§ 133, 157 BGB. 15. Entscheidend für die Auslegung von Bezugnahemklauseln ist somit in Zukunft primär der Wortlaut der Klausel. Die Vereinbarung einer Gleichstellungsabrede muss klar und eindeutig sein. Die neue Rechtsprechung führt insofern zu Rechtsunsicherheit, als das BAG nun hinreichende, für den Arbeitnehmer erkennbare „Anhaltspunkte“ für einen vom Arbeitgeber verfolgten Gleichstellungszweck fordert. Die Voraussetzungen sind noch ungeklärt, jedoch wird es sich um Fallkonstellationen handeln müssen, in denen die Tarifbindung des Arbeitgebers für den Arbeitnehmer zum einen transparent ist, zum anderen ersichtlich der Grund für die Vereinbarung der Bezugnahmeklausel ist. Es muss für den Arbeitnehmer daher erkennbar sein, dass die Tarifbindung des Arbeitgebers die Klauselwirkung im Sinne einer auflösenden Bedingung beeinflussen sollte. Die Tarifbindung des Arbeitgebers ist an sich kein auslegungsrelevanter Umstand mehr. Ein Gleichstellungszweck lässt sich ohne besondere Anhaltspunkte auch nicht durch eine ergänzende Vertragsauslegung postulieren. 16. Sofern nach Ausschöpfung aller Auslegungsmöglichkeiten bei der Auslegung Zweifel verbleiben, z. B. hinsichtlich der Frage, ob eine dynamische oder statische Bezugnahme von den Parteien gewollt ist, ist die Klausel gemäß der allgemeinen Unklarheitenregel bzw. bei AGB gemäß § 305c Abs. 2 BGB im für den Arbeitnehmer günstigsten Sinne auszulegen. Unklarheiten gehen damit nunmehr zu Lasten des Verwenders, d.h. des Arbeitgebers. 17. Ob ein verfassungsrechtlich gebotener Vertrauensschutz der Arbeitgeber vor der Anwendung der geänderten Rechtsprechung auf bestehende
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Arbeitsverhältnisse anzunehmen ist, ist umstritten, grundsätzlich aber zu bejahen. Jedenfalls wendet das BAG die neue Rechtsprechung nur auf Arbeitsverhältnisse an, die ab dem 1.1.2002 geschlossen worden sind. Damit geht es zwar über die von Art. 229 § 5 EGBGB festgesetzte zeitliche „Schonfrist“ des 1.1.2003 hinaus; ab diesem Datum gilt die Schuldrechtsreform auch für (eventuell auch vor dem 1.1.2002 geschlossene) Dauerschuldverhältnisse. Der Stichtag des ersten Urteils des BAG, das die Rechtsprechungsänderung ankündigte (14.12.2005), wäre jedoch überzeugender gewesen. 18. Ein Arbeitgeber, der unklare Klauseln vereinbart hat, wird nun mitunter dauerhaft und dynamisch an die Tarifverträge gebunden. Gegen diese potenzielle unfreiwillige „Ewigkeitsbindung“ des Arbeitgebers an Tarifverträge, die er nicht (mehr) durch seine Mitgliedschaft im entsprechenden Arbeitgeberverband legitimiert, werden zum Teil verfassungsrechtliche Bedenken erhoben. Diese Bedenken überzeugen jedoch nicht, da die Bindung an den Tarifvertrag rein schuldrechtlich und damit abdingbar ist und der Arbeitgeber die Bezugnahmeklausel in ihrer genauen Ausgestaltung in Ausübung seiner Privatautonomie vereinbart hat. Seine negative Koalitionsfreiheit wird nicht verletzt. 19. Strittig ist, ob das Urteil des EuGH in der Rechtssache C-499/04 (Hans Werhof gegen Freeway Traffic Systems GmbH & Co. KG) der Rechtsprechungsänderung entgegensteht. Es wird die Ansicht vertreten, dass eine dauerhafte dynamische Bindung des Erwerbers nach einem Betriebsübergang seine europarechtlich geschützte negative Vereinigungsfreiheit verletze. Eine derartige Aussage kann dem Urteil jedoch nicht entnommen werden. Die Bezugnahmeklausel betrifft die koalitionsrechtlich nicht relevante Ebene des Einzelarbeitsvertrages und beruht auf der Privatautonomie der Parteien. Die negative Vereinigungsfreiheit des Betriebserwerbers wird nicht verletzt und verhindert daher weder durch unmittelbare noch mittelbare Drittwirkung im Arbeitsverhältnis eine dynamische Auslegung der Bezugnahmeklausel. Die Rechtsprechungsänderung ist europarechtskonform. 20. Die untersuchten Fallgruppen des Tarifwechsels – Betriebsübergang, Verbandsaustritt, Verbandswechsel und Branchenwechsel – sind gängige Ereignisse der betrieblichen Praxis, in Folge derer eine Veränderung oder gar Beendigung der tariflichen Regelungssysteme eintritt. Bezugnahmeklauseln können hierbei einen ganz erheblichen Einfluss auf das Gelingen oder Nichtgelingen des Tarifwechsels haben. 21. Ein Tarifwechsel in dem hier behandelten Sinne ist jede Veränderung der ursprünglich bei Vertragsschluss gegebenen – und von den Parteien ihrer Vertragsgestaltung zugrunde gelegten – tariflichen Situation. Hierunter fallen z. B. die Nachbindung oder Nachwirkung gemäß §§ 3 Abs. 3, 4
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Abs. 5 TVG, die Ablösung eines Tarifvertrages gemäß der lex posteriorRegel oder nach § 613a Abs. 1 S. 3 BGB oder das „Einfrieren“ der bisher normativ geltenden Tarifnormen gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB. Es ist dann eine Auslegung der Klausel erforderlich, um zu klären, ob die bisherige Bezugnahmevereinbarung auch für diese Situation in dem Sinne Geltung beansprucht, dass sie auch weiterhin (lediglich) letztere abbildet. 22. Als vertragliche Vereinbarung bleiben Bezugnahmeklauseln von einem Tarifwechsel grundsätzlich unberührt. Bei einem Betriebsübergang gehen sie als Inhalt des Arbeitsverhältnisses gemäß § 613a Abs. 1 S. 1 BGB auf das nunmehr zwischen dem Erwerber und dem Arbeitnehmer bestehende Arbeitsverhältnis über. Auch bei einem Verbandsaustritt, Verbandswechsel oder Branchenwechsel hat die Tarifänderung (§§ 3 Abs. 3, 4 Abs. 5 TVG) zunächst keine Auswirkungen auf den Arbeitsvertrag und damit auch nicht auf die Bezugnahmeklausel. 23. Bei der Auslegung der Verweisungsklauseln im Zusammenhang mit einem Tarifwechsel geht es daher um die Frage, ob die Veränderung auf tariflicher Ebene auf die arbeitsvertragliche Ebene „durchschlagen“ soll, ob z. B. eine ursprünglich dynamische Klausel ab dem Zeitpunkt des Tarifwechsels ihre Dynamik verliert oder hiervon unberührt, und unter Umständen auch „ewig“, dynamisch weitergilt. 24. Letzteres wurde von der Rechtsprechung früher für nicht sachgerecht erachtet, würden die Außenseiter auf diese Weise doch besser gestellt als die Gewerkschaftsmitglieder (ohne Bezugnahmeklausel): Auch nach einem Tarifwechsel hätten sie weiterhin Anteil an der Tarifentwicklung, während diese Teilnahme für die Gewerkschaftsmitglieder enden würde. Die bisherige Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede passte die Auslegung der Klausel daher entgegen ihrem Wortlaut der tariflichen Entwicklung an. 25. Die Änderung der Rechtsprechung hat nun für den Tarifwechsel weitreichende Folgen. Die Vereinbarung einer statischen, kleinen dynamischen oder großen dynamischen Klausel ist beachtlich. Ein Tarifwechsel ändert hieran grundsätzlich nichts. Die Bezugnahmeklausel vollzieht das tarifliche Ereignis nicht auf vertraglicher Ebene nach. Die Bezugnahmeklausel hat daher in jedem Fall sowohl für Außenseiter als auch Gewerkschaftsmitglieder „voll“konstitutive Wirkung. 26. In der Folge kann es zu einer „ewigen dynamischen“ und damit „Quasi-Tarifbindung“ des Arbeitgebers über die Bezugnahmeklausel kommen – auch wenn er nach dem Tarifwechsel nicht mehr tarifgebunden ist. Obwohl er aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten oder in einen anderen Verband gewechselt ist, können auf diese Weise die „alten“ Tarifverträge die Arbeitsverhältnisse dauerhaft bestimmen. Auch wenn der bisherige Ta-
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rifvertrag gemäß §§ 613a Abs. 1 S. 2 BGB, §§ 3 Abs. 3, 4 Abs. 5 TVG nur noch statisch wirkt oder es gar zu einer Ablösung durch einen neuen Tarifvertrag gemäß § 613a Abs. 1 S. 3 BGB, §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG kommt, kann vertraglich der „alte“ Tarifvertrag – dynamisch (!) – weiter in Bezug genommen sein. Unter der Gleichstellungsdogmatik hätte sich die Klausel der veränderten tariflichen Situation angepasst oder zumindest ihre Dynamik verloren. Eine „Tarifflucht“ wird wirkungslos, wenn sie sich jetzt nur noch auf normativer, nicht aber zugleich auch auf individualrechtlicher Ebene „realisieren“ lässt. 27. Während die Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede einen effektiven Tarifwechsel oftmals überhaupt erst möglich machte, führt die neue Rechtsprechung nun in zahlreichen Konstellationen zu einem Auseinanderfallen von vertraglicher und tariflicher Ebene. In den Arbeitsverhältnissen der Gewerkschaftsmitglieder, die typischerweise zusätzlich auch eine Bezugnahmeklausel vereinbart haben, kommt es zu widersprüchlichen Regelungsaussagen. Derartige Kollisionen sind in der Regel über das Günstigkeitsprinzip zu lösen. In bestimmten Fällen des Tarifwechsels setzt sich die Bezugnahmeklausel jedoch unabhängig von ihrer Günstigkeit gegenüber dem Tarifvertrag durch. Grundsätzlich erhält die Bezugnahmeklausel durch die neue Rechtsprechung somit das Potenzial, die gesetzlichen Rechtsfolgen eines Tarifwechsel zu torpedieren und tatsächlich wirkungslos zu machen. Auf der anderen Seite beseitigt sie bisher bestehende Wertungswidersprüche zwischen den Gruppen der tarifgebundenen und der nicht tarifgebundenen Arbeitgeber. 28. Ein Recht der Arbeitnehmer zum „Rosinenpicken“ wird durch die neue Rechtsprechung nicht begründet. Sofern im Falle einer unklar formulierten Klausel gemäß § 305c Abs. 2 BGB ein Günstigkeitsvergleich vorzunehmen ist, erfolgt dieser auf objektiver Grundlage und erschöpft sich in dem Vergleich der Varianten einer statischen, kleinen oder großen dynamischen Bezugnahmeklausel. Eine einmal getroffene Entscheidung für die günstigste der drei Auslegungsvarianten wird durch spätere Tarifveränderungen – seien sie für die Arbeitnehmer vorteilhaft oder nachteilig – nicht mehr berührt. 29. Fraglich ist, ob Sanierungstarifverträge in Zukunft de facto wirkungslos bleiben, wenn ein Verbandstarifvertrag besteht und die Bezugnahmeklausel auf letzteren verweist. Eine Bezugnahmeklausel, die nur auf den Verbandstarifvertrag verweist, kann in Zukunft nicht mehr ohne Weiteres (ergänzend) in dem Sinne ausgelegt werden, dass sie auch einen sanierenden Haustarifvertrag mit erfasst. Lediglich im Falle eines firmenbezogenen (Überleitungs-)Verbandstarifvertrages kommt eine derartige ergänzende Auslegung noch in Betracht. Für die Zukunft ist jedem Arbeitgeber zu raten, in
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die Bezugnahmeklausel auch den Verweis auf etwaige (zukünftige) Firmentarifverträge oder firmenbezogene Verbandstarifverträge aufzunehmen. 30. Mit der Abkehr von der Gleichstellungsabrede mehren sich die Anzeichen für eine Abwendung der Rechtsprechung vom Prinzip der Tarifeinheit im Betrieb. Kommt es innerhalb eines Betriebes zu einer Tarifpluralität, können sich Schwierigkeiten hinsichtlich der Bestimmung des in Bezug genommenen Tarifvertrages ergeben. Es wird hier einer überzeugenden Lösung für die Praxis bedürfen. Rechtssicherheit schafft eine explizite Vereinbarung. Im Zweifel streben die Parteien die Inbezugnahme des sachnächsten Tarifvertrages an. 31. In bestimmten Konstellationen kann es gemäß der Rechtsprechung des BAG zum Partizipationsarbeitskampf nach der Abkehr von der Gleichstellungsabrede zu einer Verdoppelung des Arbeitskampfrisikos für die Arbeitgeber kommen. Die Friedenspflicht der Arbeitnehmer ist hierbei nur ein begrenzt wirksamer Schutzmechanismus. Der Arbeitgeber kann sich dann mit einem Arbeitskampf um einen Firmen- und um einen Verbandstarifvertrag konfrontiert sehen. Dies kann nur durch eine präzise Klauselformulierung, die eine dynamische „Ewigkeitsbindung“ verhindert, vermieden werden. 32. Innerhalb der Betriebe entsteht aufgrund der Stichtagsregelung des Vertrauensschutzes oftmals eine Gemengelage der in Bezug genommenen Tarifverträge, da die Auslegung der Bezugnahmeklausel jeweils vom Datum des Vertragsschlusses (Stichtag: 1.1.2002) abhängt. Der Arbeitgeber muss in den Arbeitsverhältnissen unterschiedliche Arbeitsbedingungen anwenden, je nachdem, wann der Arbeitsvertrag geschlossen wurde. Es ist deshalb zu empfehlen, nicht nur bei der künftigen Arbeitsvertragsgestaltung die angekündigten Auslegungsgrundsätze zu beachten, sondern auch und insbesondere die abgeschlossenen Arbeitsverträge daraufhin zu überprüfen, ob sie der neuen Rechtsprechung des Vierten Senats standhalten werden. Ist dies nicht der Fall, muss eine Anpassung der Verträge angestrebt werden. 33. Einem Arbeitgeber stehen im Falle einer unerwünschten „ewigen Dynamik“ der Bezugnahmeklausel scheinbar zahlreiche Harmonisierungsinstrumente zur Verfügung. Ein Recht des Arbeitgebers zur einseitigen Entdynamisierung bedarf jedoch einer expliziten Vereinbarung der Parteien. Eine Anfechtung nunmehr als „unbedingt“ dynamisch interpretierter Bezugnahmeklauseln begegnet zahlreichen Bedenken und ist in der Regel nicht zulässig. Ein Änderungsvertrag ist grundsätzlich jederzeit möglich; es bedarf dann jedoch einer – in der Praxis häufig nicht realisierbaren – Einigung mit jedem einzelnen Arbeitnehmer. Eine sog. negative betriebliche Übung kommt nur in Betracht, sofern die bisherige (dynamische) Bezugnahme (nur) auf einer Betriebsübung beruhte. Eine die Bezugnahmeklausel
Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen
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modifizierende Betriebsvereinbarung scheitert in der Regel am Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG und könnte nur eine Verbesserung der arbeitsvertraglichen Situation, aber keine Verschlechterung herbeiführen. Eine Berufung auf die Störung der Geschäftsgrundlage scheitert jedenfalls an der Subsidiarität dieses Rechtsinstituts gegenüber dem Kündigungsrecht. 34. Eine Änderungskündigung mit dem Ziel einer Anpassung der Bezugnahmeklausel an die neue Rechtsprechungslage unterliegt hohen Anforderungen, insbesondere, wenn es sich um eine Änderungskündigung zur Entgeltreduzierung handelt. Eine Änderungskündigung zur Einführung einer Tarifwechselklausel stellt in der Regel, anders als die Einführung einer Gleichstellungsabrede, eine Änderungskündigung zur Entgeltreduzierung dar. Eine Änderungskündigung zur Beseitigung der „Ewigkeitsbindung“ ist jedoch abweichend von den allgemeinen Anforderungen zulässig, sofern der Arbeitgeber nach einem Betriebsübergang oder Branchenwechsel und den Umständen des Einzelfalles ein gesetzlich verankertes und schützenswertes Vereinheitlichungsinteresse hat. Hierbei ist erforderlich, dass er in seinem Änderungsangebot den Arbeitnehmern im Sinne einer „Rucksacklösung“ das gegenwärtige Tariflohnniveau zusichert, bis sich aufgrund der Anwendbarkeit des nunmehr einschlägigen Tarifvertrages ein höheres Entgelt ergibt. In diesem Fall werden das Bestandsschutzinteresse der Arbeitnehmer und das Vereinheitlichungsinteresse des Arbeitgebers in einen angemessenen Ausgleich gebracht und eine Änderungskündigung ist nicht sozialwidrig. Ein Recht zur Änderungskündigung unterliegt hingegen den allgemeinen Voraussetzungen, wenn es sich um einen Tarifwechsel aufgrund eines Verbandsaustritts oder -wechsels oder um eine „vorsorgliche“ Änderungskündigung ohne den konkreten Anlass eines Tarifwechsel handelt. 35. Für neue Bezugnahmeklauseln ist die Vereinbarung einer Gleichstellungsabrede weiterhin möglich, sofern diese klar und eindeutig ist. Eine solche Klausel deckt jedoch keinen Tarifwechsel zu einem Tarifvertrag einer anderen Gewerkschaft ab. Hierfür bedarf es der Vereinbarung einer Tarifwechselklausel. 36. Eine Gleichstellungsabrede könnte wie folgt formuliert werden: (1) Für das Arbeitsverhältnis gelten die Tarifverträge der XY-Branche im Tarifgebiet Z, abgeschlossen zwischen der Gewerkschaft A und dem Verband der B-Industrie, in ihrer jeweils geltenden Fassung. (2) 1Bestehen im Betrieb mehrere normativ geltende Tarifverträge, ist derjenige Tarifvertrag in Bezug zu nehmen, der nach seinem sachlichen Anwendungsbereich dem Betrieb am nächsten steht. 2Lässt sich nach Satz 1 keine Entscheidung treffen, ist derjenige Tarifvertrag anzuwenden, der die relative Mehrzahl der Arbeitsverhältnisse im Betrieb erfasst.
446
Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen
(3) 1Mit dieser Klausel soll lediglich die tarifvertraglich geltende Rechtslage widergespiegelt werden. 2Entfällt daher die Tarifbindung des Arbeitgebers aufgrund eines Verbandsaustritts oder Branchenwechsels, gelten die Tarifverträge gemäß (1) statisch in der zuletzt gültigen Fassung fort, sofern sie nicht durch eine andere Abmachung ersetzt werden. 3Satz 2 gilt entsprechend, wenn der Betrieb oder Betriebsteil, in dem der Arbeitnehmer beschäftigt ist, auf einen nicht an die Tarifverträge der XY-Branche gebundenen Erwerber übertragen wird. (4) 1Absatz (3) gilt nicht, wenn eine Tarifbindung des Arbeitgebers bzw. Betriebserwerbers an andere Tarifverträge, die ebenfalls mit der Gewerkschaft A geschlossen wurden, entsteht. 2Hierzu gehören auch Firmentarifverträge. 3In diesem Falle sind diese Tarifverträge nach Maßgabe dieses Paragraphen auf das Arbeitsverhältnis anwendbar.
37. Eine Tarifwechselklausel könnte die folgende Form haben: (1) 1Für das Arbeitsverhältnis gelten die im Betrieb/Unternehmen jeweils normativ geltenden Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung. 2Derzeit sind dies die Tarifverträge der XY-Branche im Tarifgebiet Z, abgeschlossen zwischen der Gewerkschaft A und dem Verband der B-Industrie. (2) 1Bestehen im Betrieb mehrere normativ geltende Tarifverträge, ist derjenige Tarifvertrag in Bezug zu nehmen, der nach seinem sachlichen Anwendungsbereich dem Betrieb am nächsten steht. 2Lässt sich nach Satz 1 keine Entscheidung treffen, ist derjenige Tarifvertrag anzuwenden, der die relative Mehrzahl der Arbeitsverhältnisse im Betrieb erfasst. (3) 1Entfällt aufgrund eines Verbandsaustritts oder Branchenwechsels die Tarifbindung des Arbeitgebers, gelten die Tarifverträge gemäß (1) statisch in der zuletzt gültigen Fassung fort, sofern sie nicht durch eine andere Abmachung ersetzt werden. 2Satz 1 gilt entsprechend, wenn der Betrieb oder Betriebsteil, in dem der Arbeitnehmer beschäftigt ist, auf einen nicht tarifgebundenen Erwerber übertragen wird. (4) 1Abs. (3) gilt nicht, wenn infolge eines Verbands- oder Branchenwechsels eine Tarifbindung des Arbeitgebers an andere Tarifverträge besteht. 2Hierzu gehören auch Firmentarifverträge. 3In diesem Falle sind diese Tarifverträge nach Maßgabe dieses Paragraphen auf das Arbeitsverhältnis anwendbar. 4Satz 3 gilt entsprechend, wenn im Falle eines Betriebs(teil)übergangs auf Seiten des Erwerbers eine andere Tarifbindung besteht.
38. Für einen nicht organisierten Arbeitgeber kommt folgende Formulierung in Betracht: (1) 1Für das Arbeitsverhältnis gelten die für den Betrieb/das Unternehmen einschlägigen Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung. 2Derzeit sind dies die Tarifverträge der XY-Branche im Tarifgebiet Z, abgeschlossen zwischen der Gewerkschaft A und dem Verband der B-Industrie. (2) Der Arbeitgeber kann Änderungen des Tarifvertrages aus wirtschaftlichen und/oder betriebsorganisatorischen Gründen innerhalb einer Frist von vier Wochen nach ihrem Inkrafttreten durch schriftliche Erklärung widersprechen.
Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen
447
39. Die Unterscheidung des BAG zwischen „Alt-“ und „Neuverträgen“ wird auch in den nächsten Jahren zu einer geteilten Rechtsprechung hinsichtlich der Auslegung von Bezugnahmeklauseln führen. Die Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede wurde daher nicht beendet, sondern wird auch in den nächsten Jahren weiterhin auslegungsrelevant bleiben. Seit der Rechtsprechungsänderung sind mehrere Urteile zur Gleichstellungsabrede ergangen. 40. Die neue Rechtsprechung des BAG zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln ist noch „jung“ und wird in den nächsten Jahren durch (höchst)richterliche Rechtsprechung weiterer Konkretisierung und präziser Ausgestaltung bedürfen. Bereits jetzt zeichnen sich zahlreiche Folgeprobleme der Rechtsprechungsänderung ab, die gerade auch dadurch bedingt sind, dass es sich um eine Querschnittsmaterie zwischen Arbeitsvertragsund Tarifrecht handelt. Der grundlegende Paradigmenwechsel, den die Rechtsprechungsänderung bewirkt hat, verlangt in Zukunft nach klaren Vorgaben der Rechtsprechung.
Anhang
4
3
2
1
• NEU: §§ 133, 157 BGB, Unklarheitenregel ! Dynamik der BZN bleibt erhalten
• NEU 2: §§ 133, 157 BGB, Unklarheitenregel ! Dynamik der BZN bleibt erhalten
– § 613a I 1 BGB ! alter TV bleibt Objekt der BZN, evtl. dynamisch – Branchenwechsel? Tarifwechsel bei großer dyn. BZN Bei kleiner dyn. BZN: Ergänzende Auslegung/§ 313 BGB?
Keine Gleichstellungsabrede (A.II.1.)
! ! Kollision zwischen d. statisch ins AV transformierten TV und d. dyn. BZN (§ 613a I 1 BGB ! § 613a I 2 BGB !) – Grds. Günstigkeitsprinzip – Sonderfall: große dyn. BZN ! § 613a I 4 Alt. 2 BGB
2. BZN 4: § 613a I 1 BGB • ALT: Gleichstellungsabrede ! dyn. BZN wird statisch
1. TV 3: § 613a I 2 BGB ! TV wird in AV transformiert, „eingefroren“ ! statisch
AN ist Gewerkschaftsmitglied [A.II.2.b)]
• ALT 1: Gleichstellungsabrede ! Anpassung an die tarifl. Situation – dyn. BZN wird statisch
§ 613a I 1 BGB
AN ist Außenseiter [A.II.2.a)]
ALT = Altverträge (vor dem 1.1.2002 geschlossen). NEU = Neuverträge (ab dem 1.1.2002 geschlossen). TV = Tarifvertrag. BZN = Bezugnahmeklausel.
Veräußerer ist nicht tarifgebunden
Veräußerer ist tarifgebunden
A. Erwerber ist nicht tarifgebunden (A.II.2.)
Fall 1: Betriebsübergang
450 Anhang
Veräußerer ist tarifgebunden
(A.II.6.)
Veräußerer ist nicht tarifgebunden
• NEU: §§ 133, 157 BGB, Unklarheitenregel ! Dynamik der BZN bleibt erhalten (keine Veränderung durch Rspr.änd.)
• ALT: Gleichstellungsabrede ! Dynamik der BZN bleibt erhalten
§ 613a I 1 BGB
AN ist Außenseiter [A.II.3.a)]
(Fortsetzung nächste Seite)
! Kollision zwischen normativ geltendem neuen TV (§§ 3 I, 4 I TVG) und der BZN (§ 613a I 1 BGB) bei einer ausnahmsweise stat. BZN ! ! § 4 III TVG
• NEU: §§ 133, 157 BGB, Unklarheitenregel ! Dynamik der BZN bleibt erhalten (keine Veränderung durch Rspr.änd.)
2. BZN: § 613a I 1 BGB • ALT: Gleichstellungsabrede ! Dynamik der BZN bleibt erhalten
1. TV: §§ 3 I, 4 I TVG ! TV gilt weiterhin normativ
AN ist Gewerkschaftsmitglied [A.II.3.b)]
II. Identischer TV bei Veräußerer und Erwerber (A.II.3.)
• § 613a I 1 BGB ! alter TV bleibt Objekt der BZN, evtl. dynamisch • kongruent tarifgebundene Gewmitgl. haben BZN + normative Tarifbindung gem. §§ 3 I, 4 I TVG ! evtl. Kollision zwischen dem normativ geltenden neuen TV (§§ 3 I, 4 I TVG) und der BZN (§ 613a I 1 BGB) ! § 4 III TVG
I. Keine Gleichstellungsabrede
B. Erwerber ist tarifgebunden
Anhang 451
Veräußerer ist tarifgebunden
(Fortsetzung)
• NEU: §§ 133, 157 BGB, Unklarheitenregel ! Dynamik der (kleinen) BZN bleibt erhalten, Tarifwechselklausel muss eindeutig vereinbart worden sein ! Kollision zwischen dem normativ geltenden neuen TV (§ 613a I 3 BGB, §§ 3 I, 4 I TVG) und der statischen/ dyn. BZN des alten TV (§ 613a I 1 BGB) ! ! § 4 III TVG
• NEU: §§ 133, 157 BGB, Unklarheitenregel ! Dynamik bleibt erhalten
2. BZN: § 613a I 1 BGB • ALT: Gleichstellungsabrede ! „bes. U.“ ! Wechsel – neuer TV dyn., ebenso bei großer dyn. Kl.
• NEU: §§ 133, 157 BGB, Unklarheitenregel ! Dynamik der (kleinen) BZN bleibt erhalten, Tarifwechselklausel muss eindeutig vereinbart worden sein
• ALT: Gleichstellungsabrede ! kleine dyn. BZN wird statisch, bei großer dyn. BZN Wechsel möglich
! Kollision zwischen dem statisch ins AV transformierten alten TV (§ 613a I 2 BGB) und der dyn. BZN des alten/ neuen TV (§ 613a I 1 BGB) ! ! Günstigkeitsprinzip ! Sonderfall: große dyn. BZN ! § 613a I 4 Alt. 2 BGB
• NEU: §§ 133, 157 BGB, Unklarheitenregel ! Dynamik bleibt erhalten
2. BZN: § 613a I 1 BGB • ALT: Gleichstellungsabrede ! kleine dyn. BZN wird statisch, bei großer Wechsel möglich
1. TV: § 613a I 2 BGB ! TV wird in AV transformiert, „eingefroren“ ! statisch
§ 613a I 1 BGB
1. TV: neuer TV gilt normativ gem. §§ 3 I, 4 I TVG (Ablösung des alten TV gem. § 613a I 3 BGB)
§ 613a I 1 BGB
• ALT: Gleichstellungsabrede ! bei kleiner dyn. BZN u. ident. Gew. liegen „besondere Umstände“ vor ! Wechsel des Bezugnahmeobjekts – neuer TV dyn., ebenso bei großer dyn. Kl.
AN ist Gewerkschaftsmitglied [A.II.5.b)]
AN ist Außenseiter [A.II.5.a)]
AN ist Gewerkschaftsmitglied [A.II.4.b)]
Andere Gewerkschaft (A.II.5.)
AN ist Außenseiter [A.II.4.a)]
Identische Gewerkschaft (A.II.4.)
III. Anderer TV beim Erwerber als beim Veräußerer
452 Anhang
5
Keine Gleichstellungsabrede
! ! Kollision zwischen dem statisch wirkenden TV (§§ 3 III, 4 V TVG) und der dyn. BZN ! a. BZN günstiger ! § 4 III TVG b. BZN ungünstiger ! bei § 4 V TVG: BZN ist „andere Abmachung“, löst statisch nachwirkenden TV ab
• NEU: §§ 133, 157 BGB, Unklarheitenregel ! Dynamik der BZN bleibt erhalten
2. BZN: • ALT: Gleichstellungsabrede ! dyn. BZN wird zur statischen
1. TV: §§ 3 III, 4 V TVG ! TV wirkt statisch weiter
• ALT: Wertungswiderspruch zur Situation der tarifgebundenen AG • NEU: Auslegung bei allen AG gleich ! Wertungswiderspruch beseitigt
• NEU: §§ 133, 157 BGB, Unklarheitenregel ! Dynamik der BZN bleibt erhalten
• ALT: Gleichstellungsabrede ! dyn. BZN wird zur statischen
AN ist Gewerkschaftsmitglied [B.III.1.b)]
(Fortsetzung nächste Seite)
Mangels Tarifbindung des AG ist kein Verbandsaustritt möglich. Die Situation der nicht tarifgebundenen AG wird zu Vergleichszwecken dargestellt.
(B.III.2.)
AG ist nicht tarifgebunden5*
(B.III.1.)
AG ist tarifgebunden
AN ist Außenseiter [B.III.1.a)]
Fall 2: Verbandsaustritt
Anhang 453
(C.III.1.)
Tarifkonkurrenz
I. Neuer TV mit identischer Gewerkschaft:
(Fortsetzung)
2. BZN: • ALT: Gleichstellungsabrede ! Identität der Gew = „besonderer Umstand“ ! kleine dyn. BZN wird zur großen! Wechsel zu „neuem“ TV; ebenso bei großer dyn. BZN
• NEU: §§ 133, 157 BGB, Unklarheitenregel ! Dynamik bleibt erhalten ! kleine dyn. BZN verweist dynamisch auf „alten“ TV, große dyn. BZN evtl. auf „neuen“ TV
! ! Kollision zwischen neuem TV (§§ 3 I, 4 I TVG) und statischer / kleiner dyn. BZN auf „alten“ TV ! ! § 4 III TVG
• NEU: §§ 133, 157 BGB, Unklarheitenregel ! Dynamik bleibt erhalten ! kl. dyn. BZN verweist dynamisch auf „alten“ TV, große dyn. BZN evtl. auf „neuen“ TV
1. TV: Tarifkonkurrenz zwischen altem (§ 3 III TVG) und neuem (§§ 3 I, 4 I TVG) TV! Spezialitätsprinzip ! sachnächster TV gilt; i. d. R. Ablösung durch „neuen“ TV. In Nachwirkungsphase Ablösung durch „neuen TV“ gemäß § 4 V TVG
AN ist Gewerkschaftsmitglied [C.III.1.b)]
• ALT: Gleichstellungsabrede ! Identität der Gew = „besonderer Umstand“, kleine dyn. Kl. wird zur großen ! Wechsel zu „neuem“ TV, sofern dieser spezieller ist; ebenso bei großer dyn. BZN
AN ist Außenseiter [C.III.1.a)]
Fall 3: Verbandswechsel
454 Anhang
(C.III.2.)
Tarifpluralität
II. Neuer TV mit anderer Gewerkschaft:
• NEU: §§ 133, 157 BGB, Unklarheitenregel ! Dynamik bleibt erhalten ! kleine dyn. BZN verweist dyn. auf „alten“, große evtl. auf „neuen“ TV
• ALT: Gleichstellungsabrede ! kleine dyn. BZN wird zur statischen; große führt evtl. zu einem Wechsel des Objekts der BZN
AN ist Außenseiter [C.III.2.a)]
(Fortsetzung nächste Seite)
! grds. § 4 III TVG, in der Phase der Nachwirkung ist BZN aber „andere Abmachung“ gemäß § 4 V TVG
! Kollision zwischen „altem“ TV (§§ 3 III, 4 V TVG) und einer großen dyn. BZN auf „neuen“ TV oder Kollision zwischen „altem“ TV (§§ 3 III, 4 V TVG) und kleiner. dyn. BZN auf „alten“ TV oder Kollision zwischen „neuem“ TV (§§ 3 I, 4 I TVG) und statischer oder kleiner dyn. BZN auf „alten“ TV !
• NEU: §§ 133, 157 BGB, Unklarheitenregel ! Dynamik bleibt erhalten ! kleine dyn. BZN verweist dyn. auf „alten“, große evtl. auf „neuen“ TV
2. Kl.: • ALT: Gleichstellungsabrede ! kleine dyn. BZN wird zur statischen; große führt evtl. zu einem Wechsel des Objekts der BZN
1. TV: Tarifpluralität zwischen altem (§§ 3 III, 4 V TVG) und neuem (§§ 3 I, 4 I TVG) TV ! bleibt bestehen
AN ist Gewerkschaftsmitglied [C.III.2.b)]
Anhang 455
6
Keine Gleichstellungsabrede
! ! Kollision zwischen statisch nachwirkendem alten TV (§ 4 V TVG analog) und dyn. BZN ! ! BZN ist „andere Abmachung“ i. S. d. § 4 V TVG analog
• NEU: §§ 133, 157 BGB, Unklarheitenregel ! Dynamik bleibt erhalten ! Kleine dyn. BZN verweist dynamisch auf „alten“ TV, bei großer dyn. BZN Tarifwechsel zu „neuem“ TV
2. BZN: • ALT: Gleichstellungsabrede ! dyn. BZN wird zur statischen
1. TV: § 4 V TVG analog! „alter“ TV wirkt statisch nach
• NEU: Auslegung bei allen AG gleich ! Wertungswiderspruch beseitigt
• ALT: Wertungswiderspruch zur Situation der tarifgebundenen AG
• NEU: §§ 133, 157 BGB, Unklarheitenregel ! Dynamik bleibt erhalten ! Kleine dyn. BZN verweist dynamisch auf „alten“ TV, bei großer dyn. BZN Tarifwechsel zu „neuem“ TV
• ALT: Gleichstellungsabrede ! dyn. BZN wird zur statischen
AN ist Gewerkschaftsmitglied [D.III.1.b)]
Mangels Tarifbindung des AG kommt es zu keiner Nachwirkung gemäß § 4 V TVG. Die Situation der nicht tarifgebundenen AG wird zu Vergleichszwecken dargestellt.
(D.III.2.)
AG ist nicht tarifgebunden6
(D.III.1.)
AG ist tarifgebunden
AN ist Außenseiter [D.III.1.a)]
Fall 4: Branchenwechsel
456 Anhang
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Sachwortverzeichnis Abmachung, andere – Begriff 267, 275 – Bezugnahmeklausel als A. 276 ff., 325 Abschluss von Bezugnahmeklauseln 48 ff. – ausdrückliche Verweisung 49 – Form 57 ff. – konkludente Verweisung 49 f. – Verweisung durch Gesamtzusage 50 f. – Verweisung kraft betrieblicher Übung 51 ff. Allgemeine Geschäftsbedingungen 92 ff. – AGB-Kontrolle der Bezugnahmeklausel 93 ff. – Arbeitnehmer als Verbraucher 92 f., 159 – Auslegung 130 f. – Begriff 92 – Benachteiligungsverbot 123 f. – Blue-Pencil-Test 125 – Einbeziehungskontrolle 95 – im Arbeitsrecht geltende Besonderheiten 118 f. – Inhaltskontrolle 103 ff. – Rechtsfolgen bei Unwirksamkeit 124 ff. – Transparenzgebot 113 ff. – Überraschungsschutz 96 ff. – Unklarheitenregel 119 ff. – Verbot der geltungserhaltenden Reduktion 124 f. – Vorrang der Individualabrede 95 Allgemeiner Gleichbehandlungsgrundsatz 412
– Begriff 38 – und Betriebsübergang 412 – Entbehrlichkeit der Bezugnahme 38 ff. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz 86 ff. – und Bezugnahmeklauseln 87 ff. – Erfordernis der Globalbezugnahme 89 f. – Gesetzeszweck 86 f. Allgemeinverbindlicherklärung – und Betriebsübergang 251 ff. – und Koalitionsfreiheit 176 – und Tarifkonkurrenz 290 – Voraussetzungen 28 Änderungskündigung – abstrakte Ä. 423 ff. – und Anpassung von Bezugnahmeklauseln 399 ff. – Begriff 400 – und Betriebsübergang 411 ff. – und Branchenwechsel 419 ff. – Entdynamisierung durch Ä. 399 ff. – und Entgeltreduzierung 402 ff. – Ä. nach einem Tarifwechsel 411 ff. – Rucksacklösung 415 f., 422 f. – und Verbandsaustritt 416 ff. – und Verbandswechsel 418 – Voraussetzungen 400 ff. Änderungsvertrag 388 ff. – Entdynamisierung durch Ä. 389 f. – Gestaltungsformen 388 f. Anerkennungstarifvertrag 30, 373 Anfechtung 384 ff., 387 ff. – A. gem. § 119 BGB 384 ff. – A. gem. § 318 BGB 387 ff.
Sachwortverzeichnis – Entdynamisierung durch A. 384 ff., 387 ff. – Irrtum der Arbeitgeber 384 ff. – Verfristung 386 f. Arbeitgeberverband 259 ff. – Austrittsfristen 259 ff. – Organisation 259 Arbeitskampfrisiko 372 ff. – Begriff 372 – Folgen der Rechtsprechungsänderung zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln 372 ff. – und Friedenspflicht 374 ff. – und Partizipationsarbeitskampf 373 – und Vertragsgestaltung 376 f. ausdrückliche Bezugnahme 49 Auslegung – des Arbeitsvertrages 128 ff. – Besonderheiten bei AGB 130 f. – von Bezugnahmeklauseln 127 ff., 132 ff. – des Bezugnahmeobjekts 132 – ergänzende A. 130 – Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede 33 f., 132 ff., 137 ff., 141 ff., 198 ff., 347 ff. – Rechtsprechungsänderung 33 f., 132 ff., 137 ff., 141 ff., 198 ff., 347 ff. – des Tarifvertrages 127 f. – Werhof-Urteil des EuGH 34, 179 ff. Außenseiter 27 Bahnstreik 302 f., 369 f. Benachteiligungsverbot – § 7 Abs. 2 AGG 87 f. – § 307 Abs. 1 S. 1 BGB 123 f. Besonderheiten, im Arbeitsrecht geltende 93, 116, 118 f., 151 Betrieb – Begriff 199 – Betriebsübergang 199 ff. betriebliche Übung 51 ff.
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– Begriff 51 f. – und Bezugnahme 51 ff. – Freiwilligkeitsvorbehalt 52, 392 – negative b. Ü. 390 ff. – Schriftformerfordernis 52 – Vertragstheorie 51 – Vertrauenstheorie 52 – Zustandekommen 51 f. Betriebsübergang – und allgemeiner Gleichbehandlungsgrundsatz 412 – Änderungskündigung 411 ff. – Arbeitgeberwechsel 200 f. – Begriff 199 f. – und Bezugnahmeklauseln 208 ff. – und Branchenwechsel 213 ff. – kongruente Tarifbindung 204 ff. – Rechtsfolgen 199 ff. – Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers 208 – Veränderungssperre 202 f. Betriebsübergang, Bindung des Erwerbers an einen anderen, mit derselben Gewerkschaft geschlossenen Tarifvertrag 236 ff. – nicht tarifgebundener Arbeitnehmer 236 ff. – tarifgebundener Arbeitnehmer 243 ff. – Rangverhältnis von § 613a Abs. 1 S. 1 und S. 3 BGB 244 ff. Betriebsübergang, Bindung des Erwerbers an einen mit einer anderen Gewerkschaft geschlossenen Tarifvertrag 247 ff. – nicht tarifgebundener Arbeitnehmer 247 ff. – Sonderfall: allgemeinverbindlicher Tarifvertrag beim Erwerber 251 ff. – tarifgebundener Arbeitnehmer 250 f. Betriebsübergang, keine Tarifbindung bei Veräußerer und Erwerber 210 ff.
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Sachwortverzeichnis
– Besonderheiten bei Branchenwechsel 213 ff. – Rechtsfolgen der Bezugnahme 212 f. Betriebsübergang, Tarifbindung bei Veräußerer und Erwerber an denselben Tarifvertrag 231 ff. – nicht tarifgebundener Arbeitnehmer 231 f. – Rangverhältnis von Tarifvertrag und Bezugnahmeklausel 233 ff. – tarifgebundener Arbeitnehmer 232 ff. Betriebsübergang, Tarifbindung nur des Erwerbers 254 ff. – nicht tarifgebundener Arbeitnehmer 254 f. – tarifgebundener Arbeitnehmer 255 f. Betriebsübergang, Tarifbindung nur des Veräußerers 217 ff. – nicht tarifgebundener Arbeitnehmer 218 ff. – Rangverhältnis von § 613a Abs. 1 S. 1 und S. 2 BGB 224 ff. – Sonderfall der großen dynamischen Klausel 227 ff. – tarifgebundener Arbeitnehmer 222 ff. Betriebsvereinbarung 393 ff. – Begriff 393 – Betriebsverfassungsrechtliches Günstigkeitsprinzip 394 f. – Entdynamisierung durch B. 393 ff. – Tarifvorrang 53, 393 f. – Unzulässigkeit der Bezugnahme 53 f. Betriebszweck – Änderung des B. 329 ff. – Begriff 329 f. Bezugnahmeklauseln – Abschluss 48 ff. – AGB-Kontrolle der B. 92 ff. – und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz 86 ff.
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Änderungskündigung 399 ff. Änderungsvertrag 388 ff. ausdrückliche Bezugnahme 49 Auslegung 33 f., 127 ff., 132 ff., 141 ff., 161 ff., 170 ff., 179 ff., 198 ff., 258 ff., 287 ff., 329 ff., 347 ff. und betriebliche Übung 51 ff. und Betriebsübergang 198 ff., 208 ff. und Branchenwechsel 329 ff., 334 ff. deklaratorische B. 70 f. dynamische B. 85 f., 99 ff., 116 ff. Einzelverweisung 77, 109 f. Entdynamisierung von B. 380 ff. Formerfordernisse 57 ff. Funktionen von B. 28 ff. und Gesamtzusage 50 f. gesetzliche Bezugnahmeermächtigung 41 f. Gleichstellungsabrede 33 f., 132 ff., 137 ff., 141 ff., 161 ff., 404 ff., 430 ff. Globalverweisung 73 f., 89 f., 104 f. Grenzen 91 ff. große dynamische B. 85 f. kleine dynamische B. 85 konkludente Bezugnahme 49 f. konstitutive B. 69 f. Rechtsnatur 62 ff. Rechtsprechungsänderung 33 f., 132 ff., 141 ff., 198 ff., 347 ff. Rechtswirkung 66 ff., 69 ff. richterrechtliche Bezugnahmeermächtigung 42 f. Rosinenpicken 354 ff. sachlicher Umfang 73 ff. und Sanierungstarifverträge 357 ff. statische B. 84 Überraschungsschutz 96 ff. Unklarheitenregel 119 ff.
Sachwortverzeichnis – und Verbandsaustritt 258 ff., 267 ff. – und Verbandswechsel 287 ff., 307 ff. – verfassungsrechtliche Probleme 170 ff. – und Vertragsgestaltung 426 ff. – Vertrauensschutz 161 ff. – Werhof-Urteil des EuGH 179 ff. – Teilverweisung 74 ff., 105 ff. – Zulässigkeit 40 ff. Blue-Pencil-Test 125 Branchenwechsel 213 ff., 329 ff. – Änderungskündigung 419 ff. – Begriff 329 f. – und Betriebsübergang 213 ff. – Betriebszweck 329 f. – und Bezugnahmeklauseln 334 ff. – Rechtsfolgen 330 ff. – Rucksacklösung 422 f. Branchenwechsel, nicht tarifgebundener Arbeitgeber 343 ff. – nicht tarifgebundener Arbeitnehmer 343 ff. – tarifgebundener Arbeitnehmer 346 Branchenwechsel, tarifgebundener Arbeitgeber 334 ff. – nicht tarifgebundener Arbeitnehmer 334 ff. – tarifgebundener Arbeitnehmer 340 ff. Bundesangestellten-Tarifvertrag (BAT), Verweisung auf – Tarifsukzession 122 – und TvöD 81, 122 – und Überraschungsschutz 81 deklaratorische Bezugnahmeklausel 70 f. – Begriff 70 – und beiderseitige Tarifbindung 70 f. dynamische Bezugnahmeklausel 84 ff. – AGB-Kontrolle 99 ff., 116 ff. – Begriff 84 ff.
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– große d. B. 85 f. – kleine d. B. 85 – Zulässigkeit 84 ff. Einbeziehungskontrolle 95 einschlägiger Tarifvertrag 78 Einzelverweisung 77, 109 f. Entdynamisierung der Bezugnahmeklausel 380 ff. – durch Änderungskündigung 399 ff. – durch Änderungsvertrag 388 ff. – durch Anfechtung 384 ff., 387 f. – durch Berufung auf Störung der Geschäftsgrundlage 395 ff. – durch Betriebsvereinbarungen 393 ff. – durch negative betriebliche Übung 390 ff. – durch Widerruf 381 ff. Entgeltreduzierung 402 ff. – Änderungskündigung zur E. 402 ff. – Begriff 402 ff. – Hinauskündigung einer Bezugnahmeklausel 404 – bei Vereinbarung einer Gleichstellungsabrede 404 ff. – bei Vereinbarung einer Tarifwechselklausel 408 ergänzende Vertragsauslegung 82, 126, 130, 153 ff., 221, 244, 253, 309 ff., 314, 317, 321, 336, 361, 382 Erstreckungsklausel 330 firmenbezogener Verbandstarifvertrag 241 f., 362 ff. Firmentarifvertrag 30 – und Arbeitskampf 174 f. – Auslegung der Bezugnahme auf einen Verbandstarifvertrag als Verweisung auf einen F. 236 ff., 357 ff. – und Betriebsübergang 202, 236 ff. – und Rechtsprechungsänderung zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln 357 ff.
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Sachwortverzeichnis
– und Spezialitätsprinzip 294 – und Tarifkonkurrenz 233 ff. – Überleitungstarifvertrag 363 – und Verschmelzung 175 – und Vertragsgestaltung 430 f., 434 f. – Verweisung auf einen F. 242 f. Flucht aus dem Arbeitgeberverband 331 Formerfordernis bei Bezugnahmeklauseln 57 ff. – Anforderungen des NachwG 59 f. – Auslegungspflicht nach § 8 TVG 60 f. – gesetzliches F. 57 f. fremder Tarifvertrag 78 ff., 97 ff., 110 f. Friedenspflicht 374 ff. – absolute 375 – und Bezugnahmeklauseln 374 ff. – und Partizipationsarbeitskampf 374 ff. – relative 374 f. Gesamtrechtsnachfolge 202 Gesamtzusage, Bezugnahme durch 50 f. Geschäftsgrundlage – und dynamische Bezugnahmeklauseln 102 f. – Entdynamisierung 395 ff. – und Gleichstellungsabrede 397 ff. – und Rechtsprechungsänderung 397 ff. – Störung 395 ff. – Wegfall der G. bei Betriebsübergang mit Branchenwechsel 215 ff. – Wegfall der G. bei Branchenwechsel (Altvertrag) 419 ff. gesetzliche Bezugnahmeermächtigung – Begriff 41 f. – Voraussetzungen 43 f. Gewerkschaftsmitgliedschaft 27 – Frage nach der G. 29, 133, 151, 177, 428
Gleichstellungsabrede – und Betriebsübergang 208 ff. – Bewertung der Rechtsprechungsänderung 141 ff., 347 ff. – und Branchenwechsel 334 ff. – Einführung durch Änderungskündigung 404 ff. – Formulierungsvorschlag 430 f. – Kritik an der Rechtsprechung zur G. 136 f., 142 ff. – Rechtsprechung zur G. 33 f., 132 ff. – Rechtsprechungsänderung 33 f., 137 ff. – und Tarifwechsel 33 f., 135, 198 ff. – und Verbandsaustritt 267 ff. – und Verbandswechsel 307 ff. – Vertrauensschutz 161 ff. Globalverweisung 73 f., 89 f., 104 f. Grenzen der Bezugnahme 91 ff. – AGB-Kontrolle 92 ff. – zwingendes Recht 91 große dynamische Bezugnahmeklausel 85 f. Günstigkeitsprinzip – und Betriebsübergang 204 – betriebsverfassungsrechtliches G. 394 f. – Gesamtvergleich 226 – und Rosinenpicken 355 ff. – Sachgruppenvergleich 226, 234 – bei Tarifkonkurrenz 293 – zwischen Tarifvertrag und Bezugnahmeklausel 80, 95, 225 f., 227 ff., 234 f., 246, 250, 252 f., 255, 258, 275 ff., 287, 290 f., 317, 319, 324 f., 334, 341, 353 Haustarifvertrag siehe Firmentarifvertrag Individualabrede, Vorrang der 95 Industrieverbandsprinzip 248, 302, 305
Sachwortverzeichnis Inhaltskontrolle 103 ff. – Benachteiligungsverbot 123 f. – Berücksichtigung der im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten 118 f. – und Bezugnahme auf einen fremden Tarifvertrag 110 f. – bei Bezugnahme auf einen abgelaufenen Tarifvertrag 113 – bei Einzelverweisung 109 f. – bei Globalverweisung 104 – Schranke der I. 103 ff. – und tarifdispositives Gesetzesrecht 111 ff. – bei Teilverweisung 105 f. – Transparenzgebot 113 ff. – Unklarheitenregel 119 ff. interpretatio benevolentiae 146, 351 Jeweiligkeitsklausel 85, 117, 160, 176, 344 kirchliche Arbeitgeber 97 kleine dynamische Bezugnahmeklausel 85 Koalitionsfreiheit – und dynamische Bezugnahmeklauseln 170 ff., 173 ff. – und Fristen für den Verbandsaustritt 259 f. – negative K. 172 – positive K. 171 – und rechtliche Zulässigkeit von Bezugnahmeklauseln 45 ff. – und Tarifpluralität 299 f., 304 f. konkludente Bezugnahme 49 f. konstitutive Bezugnahmeklausel 69 ff. – Begriff 69 f. – und beiderseitige Tarifbindung 70 f. lex posterior-Regel 290 lex specialis derogat legi generali 203, 245, 293
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Mehrheitsprinzip 295, 296, 315, 322, 372 Mischbetrieb 288 Nachbindung (§ 3 Abs. 3 TVG) – bei Branchenwechsel 331 f. – Ende 262 f. – Inhalt und Zweck 261 f., 331 f. – bei Verbandsaustritt 261 ff. – bei Verbandswechsel 289 ff. Nachwirkung (§ 4 Abs. 5 TVG) – Bezugnahmeklausel als andere Abmachung 278 ff. – bei Branchenwechsel 332 f. – Ende 267 – Inhalt und Zweck 264 f., 332 f. – nach einer Nachbindung 265 ff. – bei Verbandsaustritt 264 ff. – bei Verbandswechsel 289 ff. negative betriebliche Übung – Begriff 390 – Entdynamisierung 390 ff. pacta sunt servanda 261, 396, 403, 424 Partizipationsarbeitskampf 373 – Verdoppelung des Arbeitskampfrisikos 373 ff. Privatautonomie siehe Vertragsfreiheit Quasi-Tarifbindung 352, 378 Quasi-Verbandaustritt 283 ff. Rangverhältnis – von Bezugnahmeklausel und nachwirkendem Tarifvertrag 275 ff., 325 – von Bezugnahmeklausel und normativ geltendem Tarifvertrag 233 ff. – von § 613a Abs. 1 S. 1 und S. 2 BGB 224 ff. – von § 613a Abs. 1 S. 1 und S. 3 BGB 244 ff.
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Sachwortverzeichnis
Rechtsnatur von Bezugnahmeklauseln 62 ff. – Historie 62 ff. Rechtsprechungsänderung zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln – Ankündigung und Änderung der Rechtsprechung 137 ff. – und Anrufung des Großen Senats 158 f. – Auswirkungen im Falle des Betriebsübergangs 208 ff. – Auswirkungen im Falle des Branchenwechsels 334 ff. – Auswirkungen im Falle des Verbandsaustritts 267 ff. – Auswirkungen im Falle des Verbandswechsels 307 ff. – Bewertung der R. 141 ff., 146 ff. – Kritik an der Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede 136 f., 142 ff. – Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede 132 ff. – verfassungsrechtliche Bedenken 170 ff. – Vertrauensschutz 161 ff. – Werhof-Urteil des EuGH 179 ff. Rechtswirkung von Bezugnahmeklauseln 66 ff., 69 ff. Reduktion, Verbot der geltungserhaltenden 124 f., 139 Richterrechtliche Bezugnahmeermächtigung – Begriff 42 f. – Voraussetzungen 43 f. Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrages 30, 41, 68, 89 f., 94, 103 ff., 108, 110, 113, 115, 229, 421 Rosinenpicken 76 f., 89, 109, 354 ff. Rucksacklösung 415 f., 422 f. Sachgruppenvergleich 226, 234 Sanierungstarifvertrag 357 ff. – Auswirkungen der Rechtsprechungsänderung 358 ff.
– Begriff 357 – und Bezugnahmeklauseln 358 ff. Schiedsverfahren des DGB 248, 305 Spezialitätsprinzip – bei Tarifkonkurrenz 293 ff. – bei Tarifpluralität 297 ff. statische Bezugnahmeklausel 84 f. Stufentarifvertrag 203 Tarifbindung 27 tarifdispositives Recht 30, 41 ff., 111 ff. Tarifeinheit, Lehre der 297 ff., 364 ff. – Anzeichen für eine Aufgabe der T. 365 ff. – Auswirkungen der Rechtsprechungsänderung 364 ff. – Kritik an der T. bei Tarifpluralität 299 ff. – bei Tarifkonkurrenz 293 ff. – bei Tarifpluralität 279 ff. Tarifflucht 31, 261, 286, 292, 328, 352, 418, 420, 443 Tarifkonkurrenz – Begriff 290 – betriebsweite T. 304 – Günstigkeitsprinzip 293 – Lehre der Tarifeinheit 293 ff. – und Nachbindung 295 – rechtliche Behandlung 290 ff. – Spezialitätsprinzip 293 ff. – und Verbandswechsel 290 ff. – im Verhältnis Bezugnahmeklausel und Tarifvertrag 80, 233 f., 253 Tarifpluralität – Lehre der Tarifeinheit 279 ff. – rechtliche Behandlung 296 ff. – und Verbandswechsel 296 ff. Tarifsukzession 122 – BAT und TVöD 122 – Begriff 122 Tarifvertrag – abgelöster T. 83
Sachwortverzeichnis – – – – – – – –
AGB-Kontrolle 93 f., 114 f. Auslegung 127 f. und Betriebsübergang 199 ff. und Branchenwechsel 330 ff. einschlägiger T. 78 fremder T. 78 ff., 97 ff., 110 f. Nachbindung 261 ff., 289 ff., 331 f. Nachwirkung 83, 264 ff., 289 ff., 332 f. – Richtigkeitsgewähr des T. 30, 41, 68, 89 f., 94, 103 ff., 108, 110, 113, 115, 229, 421 – unwirksamer T. 82 f. – und Verbandsaustritt 261 ff. – und Verbandswechsel 289 ff. Tarifvorrang (§ 77 Abs. 3 BetrVG) 53, 393 f. Tarifwechsel 31 ff. – Begriff 31 f. – Betriebsübergang 198 ff. – Branchenwechsel 329 ff. – Fallanalyse zum T. 198 ff. – Verbandsaustritt 258 ff. – Verbandswechsel 287 ff. Tarifwechselklausel – Begriff 86, 160 – Formulierungsvorschlag 434 f. teil-konstitutive Wirkung von Bezugnahmeklauseln 283 ff., 345 Teilverweisung 74 ff., 105 ff. Transaktionskosten 29 Transparenzgebot 113 ff. – und Bezugnahmeklauseln allgemein 115 f. – und dynamische Bezugnahmeklauseln 116 ff. – und Tarifvertrag 114 f. Überleitungstarifvertrag 363 f. Überraschungsschutz 96 ff. – und Bezugnahmeklauseln allgemein 96
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– und Bezugnahme auf fremde Tarifverträge 97 ff. – und dynamische Bezugnahme 99 ff. – Voraussetzungen 96 Umfang der Bezugnahme – einschlägiger oder fremder Tarifvertrag 78 ff. – Grad der Dynamik 84 ff. – nachwirkender oder abgelöster Tarifvertrag 83 f. – sachlicher U. 73 ff. – unwirksamer Tarifvertrag 82 f. Unklarheitenregel 34, 119 ff., 137 – und Bezugnahmeklauseln 120 ff., 156 f., 159 f. – Voraussetzungen 120, 131 – Widerspruch der U. zur Auslegungsregel der Gleichstellungsabrede 145 f. Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers (bei Betriebsübergang) 208 Unwirksamkeit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen 124 ff. Veränderungssperre 202 f., 205, 209, 254, 390, 413 Verbandsaustritt 258 ff., 267 ff. – Änderungskündigung 416 ff. – Begriff 258 ff. – Bezugnahmeklausel als andere Abmachung 278 ff. – und Bezugnahmeklauseln 267 ff. – dynamische Bezugnahmeklausel 274 ff. – Fristen 259 f. – Rechtsfolgen 261 ff. – statische Bezugnahmeklausel 273 – Vergleich mit der Situation nicht tarifgebundener Arbeitgeber 282 ff. – „Wiederaufleben“ der Bezugnahmeklausel 276 ff. Verbandswechsel – Änderungskündigung 418 – Begriff 287 ff.
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Sachwortverzeichnis
– und Bezugnahmeklauseln 307 ff. – Rechtsfolgen 289 ff. – Tarifkonkurrenz 290 ff. – Tarifpluralität 296 ff. Verbandswechsel, Tarifkonkurrenz 290 ff., 308 ff. – nicht tarifgebundener Arbeitnehmer 308 ff. – tarifgebundener Arbeitnehmer 316 ff. Verbandswechsel, Tarifpluralität 296 ff., 319 ff. – nicht tarifgebundener Arbeitnehmer 319 ff. – tarifgebundener Arbeitnehmer 322 ff. Verbraucher, Arbeitnehmer als 92 f., 159 Vereinigungsfreiheit – mittelbare Drittwirkung 191 ff. – und die Rechtsprechungsänderung zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln 181 ff., 187 ff., 191 ff. – Regelungsgehalt 183 ff., 187 ff., 191 ff. – unmittelbare Drittwirkung 189 ff. – Werhof-Urteil des EuGH 179 ff. Verschmelzung 175, 202 Vertragsfreiheit 46 ff., 68, 75, 77, 80, 82, 83, 98, 108, 177 ff., 184 f., 190, 193, 234, 279 f., 387, 389, 432 Vertragsgestaltung – Formulierungsbeispiel bei fehlender Tarifbindung des Arbeitgebers 436 f. – Formulierungsbeispiel Gleichstellungsabrede 430 ff.
– Formulierungsbeispiel Tarifwechselklausel 434 f. – Hinweise 426 ff. Vertragstheorie 51 Vertrauensschutz 161 ff. – bei Änderung einer Rechtsprechung allgemein 162 f. – bei der Rechtsprechungsänderung zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln 163 ff. – Wahl des Stichtags 167 ff. Vertrauenstheorie 52 Verweisungsklauseln siehe Bezugnahmeklauseln Werhof-Urteil des EuGH 179 ff. – Auswirkungen auf die Rechtsprechungsänderung zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln 34, 179 ff., 181 ff., 185 ff., 187 ff., 191 ff. – Bindungswirkung 185 – Drittwirkung der Vereinigungsfreiheit 189 ff. – Inhalt der Entscheidung 179 ff. Widerruf 381 ff. – Entdynamisierung durch W. 381 ff. – Recht zum W. kraft ergänzender Vertragsauslegung 382 ff. – Vereinbarung eines Rechts zum W. 383 f. – Voraussetzungen 383 f. – Widerrufsvorbehalt 101, 371, 382 f., 436 Zulässigkeit von Bezugnahmeklauseln 40 ff.