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German Pages 407 Year 1986
HEINZ-GEORG SCHWITANSKI
Deliktsrecht, Untemehmensschutz und Arbeitskampfrecht
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 101
Deliktsrecht~
Unternehmens schutz
und Arbeitskampfrecht
Versuch einer systemorientierten Harmonisierung
Von
Dr. Heinz-Georg Schwitanski
DUNCKER
&
HUMBLOT/BERLIN
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Scbwitanski, Heinz-Georg: Deliktsrecht, Untemehmensschutz und Arbeitskampfrecht: Versuch e. systemorientierten Harmonisierungj von Heinz-Georg Schwitanski. - Berlin: Duncker und Humblot, 1986. (Schriften zum Bürgerlichen Recht; Bd. 101) ISBN 3-428-06091-1 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1986 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Hermann Hagedorn, Berlin 46 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-06091-1
Gleichwohl darf die Rechtswissenschaft nicht autbören, nach überzeugenderen Begründungen für die Abgrenzung der Rechtmäßigkeit von Arbeitskämpfen zu suchen, um auf überzeugenderen Grundlagen die Entscheidung von Einzelfragen sinnvoller zu gestalten. (w. Zöllner, Arbeitsrecht, 2. Aufl. 1979, S. 294)
Vorwort Die Arbeit hat der Rechtswissenschaftlichen F akuItät der Universität zu Köln im Sommersemester 1985 als Dissertation vorgelegen. Herr Professor Dr. Manfred Lieb hat die Arbeit angeregt und umfassend gefördert. Er gewährte mir während meiner Assistententätigkeit sowohl in zeitlicher als auch geistiger Hinsicht den Freiraum, der Grundlage jeder eigenständigen wissenschaftlichen Leistung ist. Auch war es die mehrjährige Mitarbeit an seinem Lehrstuhl, die mein wissenschaftliches Denken maßgeblich prägte. Dafür sage ich ihm an dieser Stelle herzlichen Dank. Mein Dank gilt schließlich der Rudolf Siedersleben'schen Otto WolffStiftung, die die Drucklegung der Arbeit durch die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses unterstützte. Köln, im März 1986
Heinz-Georg Schwitanski
Inhaltsverzeichnis Einleitung
17
Erstes Kapitel
I.
Die deliktssystematischen Entwicklungslinien in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs zum Untemehmensschutz
21
Die Rechtsprechung des Reichsgerichts zum deliktsrechtlichen Untemehmensschutz
22
A. Die Periode vor Inkrafttreten des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. l. Der Schutz des Gewerbebetriebs durch negatorische Abwehransprüche . 2. Der Schutz des Gewerbebetriebs durch Schadensersatzansprüche . . . . ..
23 23 31
B. Die Periode nach Inkrafttreten des BGB ............................. l. Die Entwicklung der reichsgerichtlichen Rechtsprechung bis zum Urteil vom 27.2.1904 - RGZ 58, 24 ..................................... 2. Das Urteil des I. Zivilsenats des Reichsgerichts vom 27. 2. 1904 - RGZ 58, 24 3. Die Weiterentwicklung der reichsgerichtlichen Rechtsprechung zum sogenannten Bestandsschutz hin durch den VI. Zivilsenat ................ 4. Untersuchung einiger der sogenannten Bestandsschutzformel widersprechender Urteile ................................................ 5. Die Bedeutung des Unmittelbarkeitserfordernisses in der Bestandsschutzrechtsprechung .......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Aufgabe der Bestandsschutzformel durch den 11. Zivilsenat für das Gebiet des Wettbewerbs- und Warenzeichenrechts .................. a) Zur Herleitung aus dem Urteil vom 18. l. 1905 - RG JW 1905, 174 Nr. 15 b) Das Unmittelbarkeitsverständnis des 11. Zivilsenats im Urteil vom 17.l. 1940 - RGZ 163, 21 ...................................... c) Der Beschluß des 11. Zivilsenats vom 21.4.1931 - RGZ 132,311 .... 7. Zusammenfassung: Die Ausbildung eines deliktsrechtlichen Unternehmensschutzes im Rahmen des § 823 Abs. 1* durch das Reichsgericht ..........................................................
33 33 35 41
46 50 51 52 55 57 58
Il. Die Rechtsprechung des BGH zum Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb .............................................................
59
A. Die erste Phase des Einstiegs in die Rechtsprechung zum Recht am Gewerbebetrieb: vom ersten Constanze-Urteil zum ersten Stromkabel-Urteil ......
59
B. Die zweite Phase der Präzisierung der anzuwendenden Grundsätze: vom ersten Stromkabel-Urteil bis zum Höllenfeuer-Urteil ...................
63
* Paragraphen ohne Gesetzesangabe sind solche des BGB.
10
Inhaltsverzeichnis C. Die dritte Phase der Abkehr von den im ersten Constanze-Urteil entwickelten Grundsätzen: das Höllenfeuer-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
69
D. Die vierte Phase der Konsolidierung und Eingrenzung: vom HöllenfeuerUrteil bis heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
71
E. Zusammenfassung................................................
74
III. Zusammenfassende kritische Würdigung der Entwicklung des Rechts am Gewerbebetrieb in der bzw. durch die Rechtsprechung ..............................
75
A. Kontinuität der Rechtsprechung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
75
B. Die "Brüche" in der Rechtsprechungsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
76
C. Das bisherige Ergebnis der Rechtsprechung: die drei Grundsätze der Haftung aus Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
79
1. Das Unmittelbarkeitserfordernis ..................................
79
2. Der sog. Subsidiaritätsgrundsatz ..................................
84
3. Der offene Tatbestand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
85
D. Das entscheidende argumentative Defizit: Haftungsbegrenzung statt Haftungsbegründung .................................................
88
Zweites Kapitel Allgemeine Grundlagen des Deliktsrechts
93
Der vom Deliktsrecht zu bewältigende Interessenkonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
II. Die beiden "extremen" gesetzgeberischen Lösungsmöglichkeiten ...............
96
III. Die grundsätzliche Entscheidung des BGB-Gesetzgebers .....................
97
IV. Der Weg zur Kodifikation: die Lösung des deliktsrechtlichen Grundkonflikts im Gesetzgebungsprozeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
A. Der Vorentwurf ... . .. . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . ..
98
I.
B. Der Erste Entwurf ................................................ 103 1. Schmiedeis Analyse des Gesetzgebungsverfahrens in den Beratungen der I. Kommission ................................................. 104 2. Kritik und eigene Analyse ....................................... 106 C. Das Verhältnis des Vorentwurfs zum Ersten Entwurf ........ '" ........ 114 D. Der Zweite Entwurf ... .. .. . . . .. . . . . .. .. .. .. .. . .. . . . . . . .. . .. . .. .. .. 116 E. Das Verhältnis des Ersten zum Zweiten Entwurf ...................... 118 V. Wechselbezüglichkeiten zwischen den den "mittleren" Lösungsweg des Gesetzgebers kennzeichnenden Elementen ............................................ 121
Inhaltsverzeichnis Drittes Kapitel Der RegelungsgehaIt des § 823 Abs. 1
l.
Das traditionelle Verständnis des Regelungsgehalts des § 823 Abs. 1
11 124 124
A. Die Grundlegung des traditionellen Verständnisses in der Diskussion unmittelbar nach Inkrafttreten des BGB ................................... 125 B. Das Infragestellen des traditionellen Verständnisses des § 823 Abs. 1 ...... 1. Die Kritik an der dem subjektiven Recht im Rahmen des § 823 Abs. 1 beigelegten Funktion ................................................ a) Von der Begriffs- zur Funktionsbetrachtung ...................... b) Der Gedanke des Institutionenschutzes und seine Verwendbarkeit im Deliktssystem des BGB ....................................... c) Nipperdeys These von den durch die §§ 823 Abs. 2, 826 geschaffenen subjektiven Rechten ............................................. 2. Die Bedeutung des Absolutheitserfordemisses zur positiven Bestimmung der von § 823 Abs. 1 in Bezug genommenen subjektiven Rechte ....... a) Zum Versuch, das Absolutheitserfordemis außerdeliktsrechtlich näher zu bestimmen ............................................... b) Zum Versuch einer Differenzierung zwischen Innen- und Außenbeziehung ....................................................... 3. Die Bedeutung des Kriteriums des generellen Schutzes zur positiven Bestimmung der von § 823 Abs. 1 in Bezug genommenen subjektiven Rechte ........................................................ 4. Fazit: Der Fehler der isolierten Betrachtung der Haftungsvoraussetzungen des § 823 Abs. 1 ................................................
130 131 131 132 136 139 140 141 143 144
Il. Versuch der Entwicklung neuer Kriterien zur Bestimmung des Regelungsgehalts des § 823 Abs. 1 auf der Grundlage der Diskussion um den RechtswidrigkeitsbegrijJ.. 145
A. Darstellung der Lehre vom Verhaltensunrecht und ihrer Kritik .......... 146 B. Die Lehre von der Erheblichkeit der Eingrlffsqualität und ihre Kritik ..... 147 C. Der A.nsatzpunkt der ,~eiteren Betrachtung: Die mittelbaren Eingriffe als "gememsamer Nenner ............................................ 149 1. Der Unterschied zwischen der erstmaligen Abgrenzung mittelbarer von unmittelbaren Eingriffen durch von Caemmerer und allen späteren Versuchen ........................................................ 150 2. Suche nach einem inneren Grund rur die Unterscheidung zwischen mittelbaren und unmittelbaren Eingriffen ............................... 151 a) Das Abstellen auf einen natürlichen Handlungsbegriff ............. b) Das Abstellen auf den Schutzbereich der in § 823 Abs. 1 benannten Rechte ...................................................... 3. Gegenüberstellung mittelbarer und unmittelbarer Verletzungshandlungen 4. Der Versuch Löwischs, die dogmatischen Grundlagen dieser Unterscheidung aufzudecken .............................................. a) Darstellung des von Löwisch entwickelten Gedankengangs ......... b) Kritik der dogmatischen Absicherung im Sinne Löwischs ..........
151 152 152 153 153 157
12
Inhaltsverzeichnis 5. Eigener Lösungsansatz: Rechtfertigung der Differenzierung zwischen mittelbaren und unmittelbaren Eingriffen aus der deliktssystematischen Funktion des § 823 Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 159 a) Die deliktssystematische Funktion des subjektiven Rechts in § 823 Abs. 1 nach der vom Gesetzgeber verfolgten Regelungsabsicht . . . . . . . . . . .. b) Ansätze zu einem funktionalen Verständnis bei den sog. unmittelbaren Eingriffen ................................................... c) Die fehlende außerdeliktsreehtliehe Handlungsumsehreibung bei reinen Verletzungshandlungen ................................... d) Zur Frage, woher man das zur Bewertung mittelbarer Eingriffe notwendige weitere Wertungselement gewinnen kann. . . . . . . . . . .. . . . .. . .. aa) Die Bedeutung des Fahrlässigkeitserfordernisses .............. bb) Fahrlässigkeit als Schuldform? .............................. ce) Die Auswirkungen der Objektivierung des Fahrlässigkeitsbegriffs . e) Auswirkungen der Vorschriften des defensiven Schutzes auf die Grenzziehung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Eingriffen . .. t) Zusammenfassung: Die eingeschränkte Unmittelbarkeitslehre von Caemmerers als Ausdruck der deliktssystematischen Funktion des § 823 Abs. 1 .................................................
160 160 161 163 164 165 167 169 175
6. Überprüfung des hier gefundenen Ergebnisses an der zum Konzept von Caemmerers vorgebrachten Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 176 7. Verhältnis des hier vertretenen Konzepts der eingeschränkten Unmittelbarkeitslehre zu den "reinen" Lehren vom Verhaltens- und Erfolgsunrecht a) Verhältnis zur Lehre vom Erfolgsunrecht ........................ b) Verhältnis zu den Versuchen, den klassischen dreigliedrigen Deliktsaufbau durch Berücksichtigung zusätzlicher materieller Wertungselemente auf der Tatbestandsebene beizubehalten ......................... aa) Die Lehre von der sozialtypischen Offenkundigkeit ............ bb) Zum Versuch Preusehes, eingrenzende Voraussetzungen des sonstigen Rechts iSd. § 823 Abs. 1 zu entwickeln ................. cc) Zum Versuch Preusches, die Verwirklichung einer typischen Gefahr als haftungsbegrenzendes Merkmal im Tatbestand des § 823 Abs. 1 anzusiedeln ................................... c) Verhältnis zur Lehre vom Verhaltensunrecht ..................... d) Verhältnis zu der von Fraenkel vertretenen Auffassung ............ aa) Darstellung des von Fraenkel entwickelten Konzepts .......... bb) Kritik an Fraenkels Konzept ...............................
178 178 181 182 187 190 198 203 203 210'
IlI. Allgemeine Kritik am herrschenden Deliktsrechtsverständnis .................. 213
A. Die Notwendigkeit der Abkehr von der Orientierung an strafrechtlichem
Gedankengut: Deliktsreeht als Vermögensschutzrecht .................. 213
B. Die Bedeutung des Streits um die Rechtswidrigkeitstheorien ............ 219 C. Parallele zum Bereicherungsreeht: Die deliktsrechtliche Einheitstheorie
220
IV. Zusammenfassende Bestimmung des Regelungsgehalts des § 823 Abs. 1 ........ 222
Inhaltsverzeichnis
13
Viertes Kapitel
Der Regelungsgehalt des § 826 I.
Die entstehungsgeschichtlich ausgewiesene Funktion des § 826
226 226
Il. Die umstrittene Auslegung der positivierten Haftungsvoraussetzungen des §826 .. 227 A. Der Begriff der Sittenwidrigkeit ..................................... 228 1. Zur Bezugnahme auf außerrechtliche Maßstäbe ..................... 228
2. Die Bezugnahme auf innerrechtliche Maßstäbe ..................... 229 3. Funktionale Betrachtung ......................................... 230 B. Die subjektiven Haftungsvoraussetzungen des § 826 .................... 232 1. Die Kritik von Bars an der herrschenden Meinung .................. 233 2. Untersuchung der Aussagen Mayer-Malys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 233 3. Die Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände ....... 239
Ill. Zusammenfassung: Der Regelungsgehalt des § 826 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 244
Fünftes Kapitel
Der Anwendungsbereich des § 823 Abs. 2 I.
245
Zur Entstehungsgeschichte des § 823 Abs. 2 ............................... 246
II. Die Funktion des §823 Abs. 2 im Deliktssystem ............................ 247 A. Das Verständnis des § 823 Abs. 2 als Grundtatbestand und der §§ 823 Abs. 1, 826 als ergänzende Sonderregeln .................................... 247 B. Kritik: § 823 Abs. 2 als beschränkte Generalklausei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 248 C. Zum Schutzgesetzerfordernis ....................................... 250 1. Richterrecht als Schutzgesetz? .................................... 250
2. Die Notwendigkeit der deliktsrechtlichen Verortung der Verkehrspflichten 253 a) Die sog. Verkehrspflichten (Gegenstand und Entwicklung) ......... 254 b) Die Verkehrspflichten : Resultat einer praeter legalen Rechtsfortbildung im Bereich der Haftung für Unterlassen? ........................ 255 aa) bb) cc) dd)
Die Bedeutung der Entscheidung vom 30. 10. 1902 - RGZ 52, 373 Die Bedeutung der Entscheidung vom 23.2.1903 - RGZ 54, 53 . Deliktssystem und Haftung für Unterlassen .................. Die Verkehrspflichten: Ausprägung des materiellen deliktsrechtlichen Haftungsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
257 263 265 270
c) Ver~e~rspflichten und die Lehre von der Erheblichkeit der Eingriffsqualltat ..................................................... 271 d) Die Folgen der Einordnung von Richterrecht als Schutzgesetz in § 823 Abs.2 ....................................................... 277
14
Inhaltsverzeichnis aa) Verkehrspflichten zum Schutz fremden Vermögens ............ bb) Exkurs: Zum Verhältnis der c. i. c. und des Vertrags mit Schutzwirkung zum Deliktssystem ................................... cc) Zu Canaris' Versuch, die Notwendigkeit einer "dritten Spur des Haftungsrechts" zu belegen ................................... dd) Zu Pickers Versuch einer Grundlegung der Dogmatik einer Sonderhaftung bei Sonderverbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. ee) Grundsätzliches zur "Rückführung" ausgelagerter Sachverhalte in das Deliktsrecht mit Hilfe von in § 823 Abs. 2 angesiedelten Verkehrspflichten ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
277 281 283 289 296
D. Das Verständnis des § 823 Abs. 2 als eine die §§ 823 Abs. 1, 826 lediglich ergänzende und konkretisierende Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 300 III. Zusammenfassung ................................................... 305
A. Der Regelungsgehalt des § 823 Abs. 2 ................................ 305 B. Zur Bedeutung einer Lehre von den Verkehrspflichten ................. 306 C. Das Deliktssystem des BGB
306
Sechstes Kapitel Die Bewältigung von Untemehmensbeeintriichtigungen im geltenden Dellktssystem
l.
310
Die bisherigen Versuche einer deliktssystematischen Absicherung des haftungsrechtlichen Untemehmensschutzes ............................................ 310
A. Das Unternehmen als Recht iSd. § 823 Abs. 1
310
B. Der Leitgedanke vom "Unternehmensschutz"
312
C. Zu den Versuchen einer dogmatischen Reintegration eines als systemüberschreitend erkannten Unternehmensschutzes in das Deliktssystem ....... 313 1. Schrauders These von der analogen Anwendung des §823 Abs. 1 ...... 314 2. Buchners These vom Recht am Gewerbebetrieb als richterliche Rechtsfortbildung praeter legern ........................................... 318 Il. Eigener Lösungsansatz: Entwicklung der deliktsrechtlichen Haftung für Unternehmensbeeinträchtigungen aus gesetzgeberischen Wertungsvorgaben . . . . . . . . . .. 328
A. Die grundsätzliche Bezugnahme auf die einzelnen Rechtsbeziehungen als Organisationsmittel des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 329 B. Untemehmensbeeintriichtigungen als Verletzung des Eigentums (an den Produktionsmitteln) iSd. § 823 Abs. 1 ................................... 1. Die bisherigen Versuche der Erfassung von reinen Gebrauchsbeeinträchtigungen als Eigentumsverletzungen iSd. § 823 Abs. 1 ................. a) Die grundlegenden Entscheidungen des BGH .................... b) Von der Fixierung auf die Sachzuordnung zur Funktionsbetrachtung .
329 330 330 331
Inhaltsverzeichnis c) Zur Ablehnung einer Haftung in sämtlichen durch Energieausfall bedingten Schadensfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. d) Zu den Versuchen der Erarbeitung von Differenzierungskriterien bezüglich der Ersatzfähigkeit von Gebrauchsbeeinträchtigungen .. . . . . . . .. e) Zu Fraenkels Ablehnung der Ausdehnung des Rechtsverletzungstatbestands auf alle Fälle von Rechtsausübungsstörungen . . . . . . . . . . . . . .. 2. Die im Eigentumsrecht enthaltenen Wertungsvorgaben fUr die deliktsrechtliche Erfassung von Gebrauchsbeeinträchtigungen .............. a) Keine Verwendungserfolgszuweisung ............................ b) Ausschließliche Zuweisung der sachbezogenen Verwendungsbestimmung ....................................................... 3. Die als Verletzung des Eigentums an den Produktionsmitteln gern. § 823 Abs. 1 erfaßbaren Unternehmensbeeinträchtigungen ................. a) Preusches Unterscheidung zwischen einem Produktions- und einem Absatzbereich ............................................... b) Die sich aus dem Eigentum an den Produktionsmitteln ergebenden Wertungsvorgaben ............................................
15 333 334 341 344 344 345 349 349 356
Siebtes Kapitel
Deliktsrechtliche Erfassung rechtswidriger Arbeitskampfmaßnahmen l.
Zur Möglichkeit der deliktsrechtlichen Erfassung des Arbeitskampft über § 826
361 361
A. Gründe fUr eine "Rückkehr" zu § 826 ................................ 361
B. Die allgemeine Entwicklung des Arbeitskampfrechts ................... 363 Il. Eigener Lösungsansatz: Rechtswidrige Arbeitskampfmaßnahmen der Arbeitnehmer als Verletzung des fUnktionalisierten Eigentums an den Produktionsmitteln ..... 365
A. Die Bedeutung der Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Rechts am Gewerbebetrieb vom Bestands- auf den Betätigungsschutz .............. 365
B. Die entscheidende Bruchstelle bei der bisherigen deliktsrechtlichen Erfassung: Entwicklung der vertraglichen Grenzen aus dem Deliktsrecht ...... 369 C. Der Unrechtsgehalt des Streiks ..................................... 372 1. Das Abstellen auf die Kollektivität ................................ 372 2. Das Abstellen auf den Gedanken der Verleitung zum Vertragsbruch ... 377 D. Zur Bedeutung der Arbeitskamptrreiheit fUr das Deliktsrecht ............ 380 E. Zusammenfassung: Vom "Sonderdeliktsrecht" zur Anwendung der §§823 tr. auf das Arbeitskampfrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 386
Zusammenfassende Darstellung der wesentlichen Untersuchungsergebnisse
388
Literaturverzeichnis
397
Einleitung Ist die Rede vom deliktsrechtlichen Unternehmensschutz, so wird wohl jedem Juristen sogleich das Stichwort vom Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in den Sinn kommen. Damit dürfte sich regelmäßig die weitere Vorstellung verbinden, daß mit Hilfe dieses Rechts die Rechtsprechung bereits seit geraumer Zeit deliktsrechtlichen Schutz gegen Untemehmensbeeinträchtigungen gewährt und es in Rechtsprechung und Literatur durch Fallgruppenbildung in bestimmten, weithin anerkannten Konfliktlösungen konkretisiert und ausgeformt worden ist. l Im Zusammenhang mit diesem Gebilde wird häufig von einem generalklauselartigen Recht gesprochen, das systemfremd sein soll.2 Aber dies allein sollte angesichts des breiten Konsenses in Rechtsprechung und Literatur hinsichtlich der erfaßten Sachverhalte noch kein Grund für eine neuerliche Auseinandersetzung sein. Eher scheint dies und die Tatsache einer überaus großen Zahl von Abhandlungen über dieses Recht, die seit Geltung des BGB an dem solchermaßen gewährten Unternehmensschutz nichts geändert hat, dafür zu sprechen, sich mit diesem dogmatischen Zustand nunmehr endgültig zufriedenzugeben. Schaut man sich jedoch allein das Schrifttum der letzten fünfzehn Jahre zu diesem Thema an, so muß man erstaunt feststellen, welche Bandbreite von Zuordnungsversuchen des Unternehmensschutzes zum Deliktssystem in diesem Zeitraum entwickelt worden ist. Diese reicht von der Anerkennung des Rechts am Gewerbebetrieb als echtes sonstiges Recht iSd. § 823 Abs. 13 über die analoge Anwendung des § 823 Abs.1 4 bzw. die Anerkennung als richterliche Rechtsfortbildung im Rahmen des § 823 Abs. 1 5 bis hin zur Ablehnung eines solchen Rechts und der Zuordnung der verschiedenen Fallgruppen zur Haftungsnorm des § 826 bzw. des § 823 Abs. 26 • Zieht man noch die Rechtspre1 Die Nomenklatur in bezug auf dieses Phänomen - soweit es um die Anwendung des § 823 Abs. 1 geht - ist in der Literatur nicht einheitlich. Hier soll insoweit vereinheitlichend und vereinfachend - der Ausdruck "Recht am Gewerbebetrieb" gebraucht werden. 2 Siehe nur Larenz, SchuldR.II, S. 632; RGRK-Steffen § 823 Rz. 36; MK-Mertens § 823 Rz. 484. 3 Preusche, Unternehmensschutz und Haftungsbeschränkung im Deliktsrecht, 1974. 4 Schrauder, Wettbewerbsverstöße als Eingriffe in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, 1970. 5 Buchner, Die Bedeutung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb für den deliktsrechtlichen Unternehmensschutz, 1971.
2 Schwitanslti
18
Einleitung
chung dieses Zeitraums in die Betrachtung mit ein, so stellt man fest, daß auch der BGH mittlerweile hier und da Zweifel an seiner eigenen bzw. reichsgerichtlichen Schöpfung anmeldet. 7 Schon dies scheint Grund genug zu sein, sich erneut mit den keineswegs geklärten dogmatischen Grundlagen des deliktsrechtlichen Unternehmensschutzes 8 auseinanderzusetzen. Erst recht muß dies nunmehr deshalb gelten, weil sich in jüngster Zeit einige Autoren in sehr grundlegender - auch den Unternehmensschutz tangierender - Weise mit dem Deliktssystem des BGB auseinandergesetzt haben. Diese Versuche zielen im wesentlichen darauf ab, neben der Neuzuordnung altbekannter Phänomene einen erweiterten Vermögensschutz über § 823 Abs. 29 bzw. einen gleichsam neu zu schaffenden § 823 Abs. 3 10 zu gewähren. Auch heute ist somit der deliktsrechtliche U nternehmensschutz noch keineswegs dogmatisch hinreichend abgesichert, sondern es wird im Grunde jeder deliktsrechtliche Grundtatbestand als Anknüpfungspunkt vorgeschlagen. Diese Erkenntnis soll Anlaß sein, sich in der folgenden Untersuchung nochmals mit der deliktsrechtlichen Bewältigung des Unternehmensschutzes auseinanderzusetzen. Allerdings soll es zunächst nur um die allgemeine Verortung des Unternehmensschutzes in den deliktsrechtlichen Grundtatbeständen gehen und nicht um eine Auseinandersetzung mit den bislang konkret erarbeiteten Konfliktlösungen in den einzelnen Fallbereichen. Diese soll erst als Folge dieser Verortung und nur soweit zu deren Bestätigung erforderlich in die Betrachtung einbezogen werden. 11 Insofern nähert sich die Arbeit der deliktsrechtlichen Bewältigung von Unternehmensbeeinträchtigungen gleichsam von der "anderen" Seite. Sie fragt zunächst nach den deliktssystematischen Anforderungen an eine Erfassung von Unternehmensbeeinträchtigungen, um dann erst - soweit nötig - auf einzelne Fallgruppen einzugehen. Dies hat seinen Grund darin, daß insbesondere die zahlreichen deliktssystematischen Einordnungsversuche in der Literatur in ihrer dogmatischen Absicherung vielfach im Ansatz nicht speziell unternehmensrechtlich geprägt sind. Bei näherer Betrachtung der jeweiligen Konzepte hat man nur allzuoft den Eindruck, daß sich die einzelnen Autoren bereitwillig einer im Deliktsrecht allgemein vertretenen Theorie angeschlossen haben, um so ihr Ergebnis der Interessenabwägung bezüglich des 6 Allgemein: Medicus, Bürgerliches Recht, Rz. 614; rur die Erfassung rechtswidriger Arbeitskampfmaßnahmen: Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, 1975, S.464ff. 7 Siehe unten 1. Kapitel; II D. 8 Larenz, SchuldR. 11, S. 632. 9 So z. B. grundlegend: von Bar, Verkehrspflichten, 1980. 10 Mertens AcP 178 (1978) S. 227ff. 11 Es wird dabei nicht verkannt, daß diese Verortung natürlich auch von den auftretenden Interessenkonflikten und deren Lösung abhängt. Es soll hier aber nur an den jeweiligen Stellen darauf hingewiesen werden, wo diese Konfliktlösung "am Gesetz festzumachen" ist, nicht dagegen jede einzelne Konfliktlösung in ihren Nuancen nachgezeichnet werden. Dies würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen.
Einleitung
19
Unternehmensschutzes auch deliktssystematisch abzusichern. Da in den einzelnen Fallgruppen des Unternehmensschutzes das Ergebnis der Interessenabwägung in einem mehr oder weniger weiten Kernbereich in der Regel allgemein anerkannt ist, soll hier "nur" noch gefragt werden, welche Möglichkeiten das Deliktssystem des BGB für eine systemgerechte Erfassung und Absicherung des Unternehmensschutzes bereithält. Eine solche Entlastung der Betrachtung von spezifischen unternehmensrechtlichen Fragen der einzelnen Fallgruppen 12 scheint zudem dringend geboten zu sein, da eine pauschale Vermengung beider Bereiche in der Vergangenheit zu mancher Irritation beigetragen haben mag. Aus diesem Blickwinkel soll zunächst die Rechtsprechung des RG und des BGH daraufhin untersucht werden, welche deliktssystematischen Überlegungen sie in ihren verschiedenen Entwicklungsstufen geleitet haben (Erstes Kapitel). Die anschließende Auswertung der Literatur soll gleichfalls allein aus dem Blickwinkel erfolgen, ob die einzelnen Lösungsversuche die deliktssystematischen Zusammenhänge hinreichend berücksichtigt haben. 13 Dazu soll zunächst untersucht werden, welche Vorstellungen der Gesetzgeber mit der Schaffung der deliktsrechtlichen Grundtatbestände des § 823 Abs. 1 und 2 sowie des § 826 verwirklichen wollte (Zweites Kapitel). An diesen gesetzgeberischen Zielvorstellungen sollen sodann im Rahmen der Entwicklung der Anwendungsbereiche der einzelnen Grundtatbestände die verschiedenen zur Erfassung von Unternehmensbeeinträchtigungen herangezogenen bzw. entwickelten allgemeinen deliktssystematischen Begründungsmodelle gemessen werden (Drittes - Fünftes Kapitel). Insofern ist der Ansatz dieser Arbeit in zweifacher Hinsicht begrenzt: Zum einen sollen im wesentlichen nur die allgemein-deliktsrechtlichen Überlegungen untersucht werden, die im Rahmen der Diskussion um den Unternehmensschutz eine Rolle gespielt haben. Zum anderen soll dabei das "Maß aller Dinge" das Regelungsziel des Gesetzgebers bei der Schaffung des heute noch geltenden Deliktssystems sein. Man sollte sich daher nicht der Illusion hingeben, daß im Rahmen dieser Untersuchung die vielschichtigen deliktsrechtlichen Probleme einer insgesamt zufriedenstelIenden Lösung zugeführt werden könnten. Dies war und ist nicht das Ziel dieser Arbeit. Die selbstgestellte Aufgabe geht vielmehr dahin, von den Regelungsabsichten des Gesetzgebers ausgehend in das Gewirr von Rechtswidrigkeitstheorien, deliktssystematischen Überlegungen, Vorschlägen zur Ausgliederung alter und Eingliederung neuer Tatbestände in die einzelnen deliktsrechtlichen Grundnormen, die die deliktsrechtliche Diskus12 Diesbezüglich sei auf die umfangreiche Spezialliteratur verwiesen, insbesondere auf Buchner, Die Bedeutung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb für den deliktsrechtlichen U ntemehmensschutz, 1971. 13 Insoweit sei bereits hier der Hinweis gestattet, daß sich oftmals eine breiter angelegte Darstellung der einzelnen zu diskutierenden Auffassungen nicht vermeiden ließ, da es immer darum ging, den Blick von den Einzelergebnissen zu lösen, zum sie tragenden Deliktskonzept vorzustoßen und dessen Vereinbarkeit mit dem BGB zu überprüfen.
2'
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Einleitung
sion heute beherrschen, gleichsam "Schneisen" zu schlagen, die den Blick wieder auf das hinter den § 823 ff. stehende gesetzgeberische Konzept lenken sollen. Eine solche Vorgehensweise kann sicherlich nicht allen Auffassungen in ihrer eigenständigen und auch übergreifenden Komplexität und ihrem Nuancenreichtum gerecht werden. Gleichwohl hätte sie ihren Wert, wenn es gelingen würde, zur Klärung der gemeinsamen Basis beizutragen und so möglicherweise das Verständnis für das zu schärfen, was im Vordergrund aller deliktsrechtlichen Überlegungen stehen sollte: Auslegung und Anwendung der §§ 823 ff. Dabei wird hoffentlich der Nachweis gelingen, daß eine solche Vorgehensweise zu einer den kollidierenden Interessen gerecht werdenden deliktsrechtlichen Bewältigung von Unternehmensbeeinträchtigungen führen kann (Sechstes Kapitel). Untermauert werden soll dies zuletzt - gleichsam im Wege der Gegenprobedurch die Frage nach der deliktsrechtlichen Erfassung rechtswidriger Arbeitskampfmaßnahmen der Arbeitnehmer (Siebtes Kapitel).
Erstes Kapitel
Die deliktssystematischen Entwicklungslinien in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs zum Unternehmensschutz Die Rechtsprechung von RG und BGH ist bereits wiederholt Gegenstand ausführlicher Untersuchungen gewesen. Im Vordergrund hat dabei immer die Frage gestanden, was der Gegenstand des gewährten Unternehmensschutzes, sein Inhalt und seine Grenzen, waren und sind. 1 Demgegenüber soll hier nunmehr der Frage entscheidendes Gewicht beigemessen werden, wie dieser Unternehmensschutz gewährt wurde. Welche deliktssystematischen Entwicklungslinien sind in der Rechtsprechung festzustellen, welche systemorientierten Überlegungen leiteten sie und in welchen Tatbestandserfordernissen haben sich diese niedergeschlagen? Diese Sichtweise ist insofern von erheblicher Bedeutung, als ein Nachzeichnen der inhaltlichen Entwicklungslinien des gewährten Unternehmensschutzes 2 nur allzuleicht zu der Annahme verleitet, von Anfang an sei ein im wesentlichen einheitliches dogmatisches Gebilde entwickelt und lediglich im Laufe der Zeit wertungsmäßig ergänzt worden. Dies mag mit Blick auf den Inhalt und das Ergebnis des gewährten Schutzes zutreffen. Wir werden aber sehen, daß die systematische Absicherung dieser Ergebnisse in durchaus widersprüchlicher Weise erfolgt ist, die ein unkritisches Einbringen älterer Wertungen der Rechtsprechung in heutige systemorientierte Überlegungen als höchst zweifelhaft erscheinen läßt.3 1 Zu nennen sind hier insbesondere die Arbeiten von Suppes, Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs über das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, 1956, und Schippei, Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, 1956, die sich beide ausdrücklich mit den Fragen der Anerkennung eines Rechts am Gewerbebetrieb nicht auseinandersetzen: siehe Suppes, S. 1 und Schippei, S. 3. Zu nennen ist ferner aus neuerer Zeit die Arbeit Buchners, (Ein!. Fn. 5), deren ausführliche Darstellung der Rechtsprechungsentwicklung vornehmlich der Erfassung des Schutzgegenstandes gewidmet ist: siehe Buchner, S. 64ff. 2 Zentrale Bedeutung hat in dieser Hinsicht bis heute noch immer die Arbeit Fikentschers, Das Recht am Gewerbebetrieb (Unternehmen) als "sonstiges" Recht im Sinne des § 823 Abs.1 BGB in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs, Festgabe f. Kronstein (1967) S. 261. 3 Schon hier sei z. B. auf den Versuch Zeuners in: Festschrift f. Flume Bd. I (1978) S. 775, 780f. hingewiesen, durch eine Trennung zwischen dem Schutz der Gegenstandssphäre und der gewerblichen Betätigung als solcher zu den Wurzeln der Rspr. zum Recht
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1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts zum deliktsrechtlichen Untemehmensschutz "Dadurch, daß es sich bei dem bestehenden selbständigen Gewerbebetrieb nicht bloß um die freie Willens betätigung des Gewerbetreibenden handelt, sondern dieser Wille darin bereits seine gegenständliche Verkörperung gefunden hat, ist die feste Grundlage für die Annahme eines subjektiven Rechts an diesem Betriebe gegeben. Störungen und Beeinträchtigungen, welche sich unmittelbar gegen den Gewerbebetrieb richten, dürfen deshalb als eine unter § 823 Abs. 1 fallende Rechtsverletzung angesehen werden. "4 Mit diesen Feststellungen leitete der I. Zivilsenat des RG eine von diesem Zeitpunkt an ständig praktizierte Rechtssprechung des RG ein, die dem Gewerbebetrieb grundsätzlich deliktsrechtlichen Schutz über § 823 Abs. 1 gewährte. Beschäftigt hat die Rechtsprechung das Problem deliktischen Unternerunensschutzes jedoch schon vor dieser Entscheidung. Dies zeigt bereits die Feststellung im gleichen Urteil, schon in mehreren Entscheidungen verschiedener Senate sei angenommen worden, daß im Gegensatz zu der rechtlichen Möglichkeit, ein beliebiges Gewerbe zu betreiben, wie sie § 1 GewO allgemein gewähre, an dem bereits eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ein subjektives Recht anzuerkennen sei, das unmittelbar verletzt werden könne. 5 Und die Bezugnahme auf einige dieser Entscheidungen macht deutlich, daß sich das Gericht durchaus in deren Tradition sah. So verweist es zum einen darauf, daß ausgesprochen worden ist, Eingriffe in den Gewerbebetrieb könnten Anlaß zu negatorischer Abwehr bieten. 6 Auch sei der Anspruch auf Schadensersatz aus Verletzungen des Gewerbebetriebs am Gewerbebetrieb zurückzukehren, die bereits vor Inkrafttreten des BGB auf das Recht zur freien gewerblichen Betätigung gestützt gewesen sein soll. So richtig letztere Aussage inhaltlich auch ist, so wenig läßt sie sich auf das Deliktssystem des BG B übertragen, in dem anders als in den von Zeuner angeführten RGEntscheidungen Haftungsgrundlage nicht mehr eine deliktsrechtliche Generalklausel sondern ein differenziertes Anspruchssystem ist. Ein weiteres Beispiel dafür, wie die einseitige Betrachtung des Inhalts der Rspr. den Blick für die notwendigen systematischen Überlegungen verstellt, findet sich bei BaumbachjHefermehl, WettbewerbsR., Allg. Rz. 120, wo ausgeführt wird, daß die sog. Bestandsrechtsprechung des RG weder dem Bedürfnis noch dem Wesen des Unternehmens gerecht geworden sei und daher zu Recht später vom RG zugunsten eines Schutzes der gewerblichen Betätigung schlechthin, zumindest für das Gebiet des Wettbewerbs- und Warenzeichenrechts aufgegeben worden sei. Dem könnte man vom Ergebnis her betrachtet durchaus zustimmen, hätte nicht das RG im Rahmen seiner Bestandsrechtsprechung .Unternehmensschutz zusätzlich über § 826 gewährt. Die Ausdehnung des § 823 Abs. 1 auf die gesamte gewerbliche Betätigung gab diese Differenzierung auf und war daher zunächst eine Veränderung systematischer Überlegungen des RG und keine Erweiterung eines bis dahin beschränkten Unternehmensschutzes. Zum Ganzen ausführlich im folgenden. 4 Urt. v. 27.02. 1904 RGZ 58, 24, 29f. 5 RGZ 58, 24, 29.
I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
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anerkannt worden. 7 Die damit in Bezug genommenen Entscheidungen sind allerdings alle zeitlich vor Inkrafttreten des BGB ergangen. Ob sie zur Stützung der Ansicht, daß der Gewerbebetrieb ein Recht iSd. § 823 Abs.1 BGB ist, herangezogen werden konnten, bedarf somit genauerer Prüfung. A. Die Periode vor Inkrafttreten des BGB 1. Der Schutz des Gewerbebetriebs durch negatorische AbwehralL'lpruche
Diese Entwicklungslinieuer Rechtsprechung zum Untemehmensschutz wurde veranlaßt durch den Erlaß verschiedener Gesetze in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Schutz bestimmter Bereiche gewerblicher Betätigung, namentlich des Markenschutzes, des Warenzeichenschutzes, des Musterschutzes und des Patentschutzes. Schon bald nach Erlaß der ersten dieser Gesetze sah sich das RG vor die Frage gestellt, wie die neuen Schutzpositionen in das bestehende Rechtssystem eingegliedert werden konnten. Als erste stellte sich hier die Aufgabe, die nach diesen Gesetzen erlaubten Handlungen dem zivilrechtlichen System zuzuordnen. Dabei waren zwei Überlegungen maßgeblich: Zum einen ging das Gericht von einer grundsätzlich erlaubten freien Konkurrenz zwischen den einzelnen Gewerbetreibenden aus, zum anderen sah es in den neugeschaffenen Schutzrechten eine gesetzlich gestattete bzw. begründete Beeinträchtigung dieser freien Konkurrenz zum Schutz des Gewerbetreibenden und des Publikums. Dies hatte zunächst Konsequenzen in der Hinsicht, daß es das Gericht als unvereinbar mit der Schutzaufgabe des Markenschutzgesetzes ansah, eine nach diesem Gesetz erlaubte Handlung im Geltungsbereich des Art. 1 382 Code Civil - einer deliktsrechtlichen Generalklausel - als eine widerrechtliche, zum Schadensersatz verpflichtende anzusehen. 8 Diese Sicht des Schutzrechts als erlaubte Beeinträchtigung der freien Konkurrenz führte alsbald zu der Frage, ob gegen das durch einen formalen Akt der Eintragung begründete Schutzrecht der Einwand zulässig ist, daß sich der Berechtigte nur zum Schein auf dieses Recht beruft, während er in Wahrheit dem Gesetz fremde oder gar widerstrebende Zwecke verfolgt. Diese Frage entschied das RG für den Fall, daß auf einen solchen Einwand ein eigenständiger über die gesetzlich normierten Löschungsansprüche hinausgehender Löschungsanspruch gestützt wurde. Es erscheine nicht zulässig, ohne Anhalt im Gesetz aus dem tatsächlichen der Anmeldung zugrundeliegenden Motiv oder Zweck wegen seiner mangelnden Übereinstimmung mit dem vom Gesetz unterstellten Zweck 6 Verwiesen wird auf: Urt. v. 27. 10. 1888 RGZ 22, 93; Urt. v. 24. 06. 1889 - Bolze Praxis Bd. 8 Nr. 147; Urt. v.14. 11. 1890- Bolze Praxis Bd. 9 Nr. 110; Urt. v. 26. 11. 1891 - Bolze Praxis Bd. 11 Nr. 112; Urt. v. 18.10. 1899 - JW 1899, 749 Nr. 26. 7 Verwiesen wird auf: Urt. v. 25.06. 1890 RGZ 28, 238. 8 Urt. v. 30.11. 1880 RGZ 3, 67.
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1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
über dem formellen Eintrag ein materielles Unrecht zu konstruieren, welches den Rechtserwerb aus dem Eintrag schlechthin unwirksam mache. 9 Schon aus der Natur des Schutzrechts als eines absoluten folge, daß die Tendenz, es wider den wahren Zweck des Gesetzes gegen einen einzelnen zur Geltung zu bringen, es nicht gegen alle hinfällig machen könne. 10 Die Annahme, daß es sich bei dem geschützten Warenzeichenrecht um ein absolutes, mit der negatorischen Klage verfolgbares Recht handelt, hatte das Gericht bereits in einer kurze Zeit vorher ergangenen Entscheidung begründet. Indem das Gesetz dem Berechtigten gegen einen zu Unrecht Eingetragenen einen Anspruch auf Löschung und auf Unterlassung bestimmter Handlungen gewähre, ohne daß diese Ansprüche ein Verschulden des Störenden zur Voraussetzung hätten, gewähre es den zivilrechtlichen Eigentumsschutz und charakterisiere das Schutzrecht als ein absolutes. l l Der Mißbrauch des Schutzrechts führt nach Ansicht des RG somit nicht zur generellen Unwirksamkeit des Rechts. Er hat vielmehr zur Folge, daß der vom Mißbrauch Betroffene gegen diese bestimmte Anwendung des Schutzrechts den Einwand der Arglist erheben kann. 12 Das RG sah mit anderen Worten in der Geltendmachung eines formalen Schutzrechts zu gesetzesfremden Zwecken keinen grundsätzlich unerlaubten Angriff auf die freie gewerbliche Betätigung des betroffenen Gewerbetreibenden, sondern allein eine auf den Mißbrauch durch den formal Berechtigten gegründete unzulässige Rechtsausübung. Der Einwand der Arglist ergab sich danach also allein aus der Besonderheit des Schutzrechts, nämlich aus dessen begrenztem Schutzzweck. In engem Zusammenhang mit diesem Fragenkomplex stand die weitere Frage, ob der Besitzer eines nicht eingetragenen Kennzeichens gegen denjenigen Gewerbetreibenden, der ein entsprechendes Zeichen für sich eintragen ließ, eine Rechtsverletzung geltend machen bzw. den Einwand erheben konnte, daß die Eintragung allein zum Zwecke täuschender Wettbewerbshandlungen erfolgt war. Dazu führte das Gericht aus, daß für die Frage des Rechtsschutzes allein die Eintragung des Warenzeichens maßgeblich ist. Wer von der Möglichkeit, ein solches Recht zu erzeugen, so spät Gebrauch mache, daß unterdessen ein anderer bereits das Recht für sich begründet habe und ihn deshalb von der Begründung des Rechts ausschließe, der erleide die Folgen seiner eigenen Passivität, nicht die einer ihm zugefügten Rechtsverletzung. 13 Hinsichtlich des zweiten Gesichtspunktes hob das Gericht darauf ab, daß der Schutz des Markenzeichens durch die Einführung des Markenschutzgesetzes einheitlich Urt. v. 13.11. 1886 - RGZ 18,93,97. RGZ 18, 93, 97. 11 Urt. v. 02.10. 1886 RGZ 18, 28, 36f. 12 RGZ 18, 93, 97; so auch bereits Urt. v. 25. 04.1885 - RGZ 13, 157, 159 und Urt. v. 05.12. 1885 - RGZ 15, 102, 109. 13 RGZ 18, 93, 95. 9
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I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
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und erschöpfend geregelt werden sollte. Einem Warenzeichen, das nicht nach Maßgabe des Gesetzes eingetragen worden war, sollte auch kein Rechtsschutz zukommen. Umgekehrt sollte dem eingetragenen Warenzeichen die vom Gesetz zuerkannte Wirkung ohne Rücksicht darauf zukommen, ob es in vorsätzlicher Entlehnung einer von einem Konkurrenten geübten Bezeichnung zum Zwecke der Konkurrenz oder Täuschung angemeldet worden ist. Der Gesetzgeber habe sich in großen Teilen Deutschlands einem Rechtszustand gegenübergefunden, nach welchem die Anbringung solcher Kennzeichen trotz ihrer Wirkung auf das Publikum als etwas rechtlich Indifferentes gegolten habe. Er sei folglich nicht gehindert gewesen, das von ihm erst zu schaffende Recht von einem rein formalen Prinzip her - nämlich dem der Eintragung - zu begründen. Die Rechtsanschauung differenziere eine Individualitätsbetätigung im Gewerbeverkehr trotz längerer Ausübung und ihrer möglichen Wirkung auf das Publikum nicht gegenüber einer gleichen oder ähnlichen Betätigung eines anderen Gewerbetreibenden. Sei dieselbe als Rechtsgut also weder vom Standpunkt eines ersten Ersinnens oder Anbringens oder der Erringung eines Publikums noch von dem Standpunkt eines Schutzes des Publikums erachtet worden und das Reichsgesetz habe nur für das eingetragene Zeichen eine solche Rechtsgutqualität begründet -, so liege in der Nachahmung des Zeichens zum Zweck erfolgreicher Konkurrenz keine Arglist im rechtlichen Sinne. Andernfalls wäre mit diesem Behelf der Arglist das Prinzip der Ahndung des unehrlichen Wettbewerbs in weitem Umfang für alle Rechtsgebiete, denen der Begriff der Arglist bekannt sei, notwendig begründet. Es müsse alsdann entgegen bisheriger Übung auch in Deutschland die Nachahmung von Geschäftsschildern, Warenverpackungen, Etiketten, Geschäftsausstattungen, wenn sie zur Begünstigung von Verwechslungen geschehe, verfolgbar sein. 14 Diese ersten Urteile zeigen, daß das RG zur Eingliederung der durch die neuen Gesetze geschaffenen Schutzpositionen in das zivilrechtliche System maßgeblich auf die Besonderheiten der Schutzrechte abhebt. Diese werden als absolute Rechte anerkannt und ein Mißbrauchseinwand wird allein aus dem besonderen Schutzzweck dieser Rechte hergeleitet. Demgegenüber wird die Beachtlichkeit des Einwands, daß es sich um arglistige Ausübung des Schutzrechts durch den formal Berechtigten zum Zwecke täuschenden Wettbewerbs handelt, abgelehnt, weil ohne Eintragung des Zeichens kein verletzbares Rechtsgut vorhanden ist. D. h. auf ein subjektives Recht am Gewerbebetrieb, das durch eine rein formale Ausübung der Schutzrechte verletzt sein könnte, wird gerade nicht abgestellt. Daß ein besonderes Recht am Gewerbebetrieb oder an gewerblicher Betätigung zu dieser Zeit von der Rechtsprechung nicht anerkannt war, zeigt sich auch daran, daß das RG dem aus einem Schutzrecht berechtigten Gewerbetreibenden nur gegen solche Verletzungen Schutz gewährt, gegen die das Gesetz auch 14
RGZ 18, 93, 101.
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1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
schützen wollte. Aus der bestimmten Fassung des Markenschutzgesetzes ergebe sich, daß nach dem Gesetzeswillen ein ausschließliches Recht jedes Gewerbetreibenden auf jeden gewerbsmäßigen Gebrauch des von ihm verwendeten Zeichens nicht bestehen solle. Zwar könne der Gebrauch des von einem Gewerbetreibenden zur Unterscheidung seiner Waren von den Waren anderer Gewerbetreibenden zuerst und fortdauernd benutzten, aber nicht nach Maßgabe des Gesetzes über den Markenschutz eingetragenen Warenzeichens, sowie der Gebrauch eines eingetragenen Warenzeichens in anderer Art als durch Anbringung auf Waren selbst oder deren Verpackung seitens eines anderen Gewerbetreibenden u. U. in wirtschaftlicher Beziehung letzterem Vorteile zuführen, welche ohne sein Verhalten tatsächlich ersterem zugeflossen sein würden. Selbst wenn jenes Verhalten auf dem Willen beruhen sollte, diese wirtschaftliche Wirkung zu verursachen, so wäre dadurch nicht in den Rechtskreis desjenigen, welcher den wirtschaftlichen Nachteil erleidet, eingegriffen worden. 15 Gelegenheit, sich mit diesen Fragen erneut zu beschäftigen, bot der Rechtsprechung alsbald die Eingliederung einer neuen Fallgruppe aus dem Bereich der Schutzrechte in das zivilrechtliche System. War es in den ersten Entscheidungen darum gegangen, daß gegen einen nach dem Markenschutzgesetz formal Berechtigten der Einwand erhoben wurde, er verfolge mit der Eintragung bzw. mit der Ausübung seines Markenrechts gesetzwidrige Zwecke, so ging es jetzt darum, daß jemand nach dem Markenschutzgesetz als Berechtigter ausgewiesen war, in Wirklichkeit aber kein Recht erworben hatte. Zur Lösung dieser Fälle knüpfte das RG inhaltlich an seine ersten Entscheidungen zum Markenschutzgesetz an, in denen das Gericht die Schutzrechte als gesetzlich begründete und damit erlaubte Beeinträchtigungen der an sich freien gewerblichen Betätigung der übrigen Gewerbetreibenden betrachtet hatte. Machte nun ein nach dem Markenschutzgesetz als Berechtigter ausgewiesener Gewerbetreibender dieses Recht geltend, ohne daß er es in Wirklichkeit erworben hatte, so lag darin folglich ebenfalls eine Beeinträchtigung der freien gewerblichen Betätigung der übrigen Gewerbetreibenden. Da der nur zum Schein Berechtigte in Wirklichkeit kein Schutzrecht iSd. Gesetzes erworben hatte, handelte es sich um eine gesetzlich nicht begründete Beeinträchtigung der gewerblichen Betätigung. So führte das RG in einem Urteil vom 27.10.1888 etwa aus, daß der Gewerbetreibende, welcher (unter Berufung auf den durch Eintragung in das Zeichenregister erzeugten täuschenden Schein eines ihm nach dem Reichsgesetz vom 30. 11. 1874 zustehenden Rechtes auf Markenschutz) die Benutzung einer bestimmten Warenbezeichnung im Verkehr seitens eines anderen Gewerbetreibenden als eine Verletzung jenes Scheinrechtes rügt und untersagt, nicht nur jenem anderen durch den ungerechtfertigten Vorwurf einer rechtswidrigen Handlungsweise ehrverletzend zu nahe tritt, sondern ihn zugleich ohne Rechtsgrund in rechtlich erlaubten gewerblichen Verfügungen stört. 16 1S
Urt. v. 27.04. 1887 - RGZ 17, 101 f.
I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
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Und in der Tat hat das RG in der Folgezeit wegen derartiger Störungen rechtlich erlaubter gewerblicher Verfügungen negatorischen Rechtsschutz gewährt. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, daß dieser Rechtsschutz den Gewerbetreibenden mittels der Feststellungsklage des damaligen § 231 ZPO gewährt wurde. l7 Der Feststellungsklage wurde von der Rechtsprechung zu dieser Zeit nur ein enger Anwendungsbereich zuerkannt. Dieser war gerichtet auf Anerkennung, daß dem Kläger ein Recht zustand bzw. dem Beklagten ein Recht nicht zustand. Erforderlich war somit immer, daß zwischen dem Kläger und dem Beklagten ein besonderes Rechtsverhältnis im Streit war. In den Fällen, in denen das RG Gewerbetreibenden mittels der Feststellungsklage negatorisehen Rechtsschutz gewährte, ergab sich dieses besondere Rechtsverhältnis immer daraus, daß der Beklagte dem Kläger gegenüber ein besonderes Recht, in der Regel ein gewerbliches Schutzrecht, in Anspruch nahm. Dagegen konnte der Kläger auf Feststellung klagen, daß dem Beklagten dieses Recht nicht zustand. Entscheidend für die Gewährung des negatorischen Rechtsschutzes in diesen Fällen war somit nicht das Vorliegen eines besonderen Rechts auf seiten des Klägers, sondern das Fehlen eines besonderen Rechts auf seiten des Beklagten. lB Zwar wurde auch die Position des Klägers entsprechend den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 231 ZPO a. F. dahingehend berücksichtigt, daß dieser ein rechtliches Interesse an der Feststellung haben mußte. Dieses rechtliche Interesse wurde aber bereits ganz allgemein aus der Beeinträchtigung der vermögensrechtlichen Interessen des klagenden Gewerbetreibenden abgeleitet, 16 RGZ 22, 93, 95f. Eigenartigerweise bezeichnet Preusche, S. 13 dies als das erste Urteil des RG auf dem Weg zu einem Schutz des Unternehmens. 17 Dies tut aber Fikentscher, Festgabe f. Kronstein (1967) S. 261, 270: Das Recht am Gewerbebetrieb als Angriffsobjekt iSd. § 823 Abs. 1 konnte erst notwendig werden, als das neue Deliktssystem geschaffen worden war. Besonders deutlich wird dies daraus, daß Fikentscher ausführt, daß es bei RGZ 45, 59 nicht um eine Klage aus § 823 Abs. 1 gegangen sei. Dies war ja auch nicht möglich, da es den § 823 Abs. 1 zur Zeit der Urteilsverkündung noch gar nicht gab. Wenn Fikentscher desweiteren schreibt, daß in den folgenden Jahren (1902-1904) die endgültige Anerkennung eines Rechts am Gewerbebetrieb erfolgte, so verkennt er, daß es nicht um die Anerkennung eines Rechts am Gewerbebetrieb in diesen Urteilen ging, sondern dem Unternehmen gegen bestimmte Handlungen Rechtsschutz gewährt wurde. Eine Berufung auf allein diese Tatsache reicht aber zur Herleitung eines Rechts am Gewerbebetrieb noch nicht aus, insbesondere wenn es - wie Fikentscher zu Beginn seiner Ausführungen betont - darum geht, dieses Recht systemgerecht zu erfassen. Wenn Fikentscher (S. 283) ausführt, daß das RG in Dikten schon immer einen deliktsrechtlichen Schutz der freien wirtschaftlichen Betätigung als solcher mitberücksichtigt hat, und dazu auf RGZ 22, 93 verweist, wo ohne Beschränkung auf einen bereits eingerichteten Gewerbebetrieb von erlaubten gewerblichen Verfügungen gesprochen werde, so verkennt er zweierlei: Zum einen war RGZ 22, 93 an der Feststellungsklage orientiert, bei der es allein um das Bestehen oder Nichtbestehen des Rechts des Eingreifers ging; zum anderen diente die Bestandsrechtsprechung immer dem Schutz gewerblicher Betätigung. Siehe zu letzterem noch ausführlich unten 1. Kap., I B 3. 18 Vgl. RGZ 22, 93; RG Bolze Praxis Bd. 8 Nr. 147 und Bd. 11 Nr. 112; Urt. v. 26. 09. 1894- RG Sächs. Archiv 5,131; Urt. v. 27. 03.1895 - RG Bolze Praxis Bd. 20 Nr. 113.
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1. Kap.: EntwickIungslinien in der Rechtsprechung
ohne daß ein besonderes Recht dieses Gewerbetreibenden an seinem Gewerbebetrieb bemüht wurde. So führte etwa das RG in seinem Urteil vom 26. 09. 1894 aus, daß § 1 GewO die ausreichende rechtliche Grundlage dafür bietet, daß die Beklagte durch die unberechtigte Bezeichnung ihrer Ware als einer gesetzlich geschützten in den Rechtskreis aller derjenigen Personen verletzend eingreife, die solche Waren gewerblich herstellen oder vertreiben, indem sie dieselben in berechtigten gewerblichen Dispositionen störe, ihren Absatz beeinträchtige und deren rechtlich erlaubten Erwerbshandlungen mit dem Schein der Ungesetzlichkeit belege. Dem in solcher Weise in der Freiheit seiner gewerblichen Tätigkeitsentwicklung Beeinträchtigten und damit zugleich in seinen vermögensrechtlichen Interessen Verletzten stehe ein Klagerecht auf Feststellung der mangelnden Berechtigung des Beklagten zu. 19 Daß zu dieser Zeit in der Rechtsprechung ein besonderes Recht des Gewerbetreibenden an seinem Gewerbebetrieb noch nicht anerkannt war, ergibt sich mit besonderer Deutlichkeit auch aus dem Urteil des VI. Zivilsenats des RG vom 24.01. 1895. 20 Dort ging es um die Frage, ob zum Schutz eines Gewerbebetriebs gegen unlauteren Wettbewerb aufgrund des § 819 ZPO im Gebiet des Preußischen Landrechts eine einstweilige Verfügung erlassen werden konnte. Das Gericht sah sich zum Erlaß einer solchen Verfügung nur imstande, wenn diese zur Regelung des einstweiligen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen werden sollte. Es lehnte dann ab, daß schon jeder Gewerbebetrieb als solcher ein Rechtsverhältnis zwischen den miteinander konkurrierenden Gewerbetreibenden begründet, infolgedessen der Gewerbebetrieb als solcher einen Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen einen Konkurrenten hätte in ähnlicher Weise, wie Eigentum und Besitz gegen Eingriffe anderer geschützt sind. Im Preußischen Landrecht fanden sich keine Bestimmungen, die gegen den unlauteren Wettbewerb als solchen gerichtet seien. Es handele sich vielmehr dabei um die Anwendung der allgemeinen Vorschriften, welche die Persönlichkeit und das Vermögen gegen rechtswidrige Beschädigung außerhalb eines Vertrages oder sonstigen Rechtsverhältnisses zu schützen bestimmt seien. 21 Hier zeigt sich, daß dem Gewerbetreibenden von der Rechtsprechung ein besonderer Rechtsschutz gewährt wurde, wenn ihm besondere Rechte durch Gesetz eingeräumt waren, sei es, daß dies durch Vorschriften zum Schutz gegen unlauteren Wettbewerb positiv, sei es, daß dies durch die gegen besondere gewerbliche Ausschlußrechte gerichtete Feststellungsklage negativ erfolgt war. Nun ergibt sich gerade aus dem zuletzt aufgeführten Urteil, daß dem Gewerbetreibenden auch durchaus deliktsrechtlicher Schutz zuteil werden konnte. Abgeleitet wurde dieser jedoch aus den allgemeinen deliktsrechtlichen Vor19 20 21
RG Sächs. Archiv 5, 131 mit Bezugnahme auf RGZ 22, 93 und RGZ 28, 238. RGZ 35, 166. RGZ 35, 166, 169.
I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
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schriften, die in den vor Inkrafttreten des BGB geltenden Partikularordnungen regelmäßig in Persönlichkeit und Vermögen schützenden Generalklauseln normiert worden waren. Zur Haftungsbegründung war ein Abheben auf ein besonderes Recht am Gewerbebetrieb nicht erforderlich. Dies zeigt sich auch in der Entwicklung der Rechtsprechung zum negatorischen Rechtsschutz von der Feststellungsklage weg zur deliktischen Unterlassungsklage. So hatte schon der 11. Zivilsenat des RG in seinem Urteil vom 06.03. 1890 einem Gewerbetreibenden einen deliktsrechtlichen Unterlassungsanspruch aufgrund einer Schädigung des geschäftlichen Rufes und des Vermögens durch den Verkauf minderwertiger Ware als sein Fabrikat zuerkannt. Aber auch dieser wurde aus der schuldhaften Verwirklichung der deliktischen Generalklausel- in diesem Fall Art. 1382 Badisches Landrecht - hergeleitet und nicht aus einem besonderen Recht des Klägers. 22 Desgleichen stützte der I. Zivilsenat im Urteil vom 24.02. 1897 - in einem Fall des Verstoßes einer Warenbezeichnung gegen das Gesetz vom 12. Mai 1894 - den Unterlassungsanspruch auf eine Verletzung der deliktsrechtlichen Generalklausel der §§ 8.10 ff. ALR I 6, nach der zum Ersatz verpflichtet war, wer einem anderen widerrechtlich Schaden zufügte. Die Widerrechtlichkeit wurde in diesem Fall aus dem Verstoß gegen § 16 des Warenbezeichnungsgesetzes hergeleitet. Diese Handlung sei auch geeignet, das Vermögen anderer Gewerbetreibender zu beschädigen, welche beim Vertrieb von Waren gleicher Gattung sich der mißbrauchten Herkunftsbezeichnung richtigerweise bedienten. Der Absatz der letzteren werde durch eine in demselben Absatzgebiet unter mißbräuchlicher Anwendung derselben Herkunftsbezeichnung betriebene Konkurrenz naturgemäß eine Einbuße erleiden. 23 Dabei wird augenscheinlich, daß die deliktische Unterlassungsklage von den gleichen Wertungen getragen wird wie zuvor die negative Feststellungsklage: die Widerrechtlichkeit ergibt sich wie das Nichtbestehen eines besonderen Rechtsverhältnisses aus der Verletzung bzw. dem Mangel eines besonderen Rechts auf seiten des Beklagten. Der Schaden ergibt sich aus der Verletzung der vermögensrechtlichen Interessen des klagenden Gewerbetreibenden, was bei der Feststellungsklage sein rechtliches Interesse an der Feststellung begründet hatte. Und wieder zeigt sich, daß Rechtsschutz nicht wegen Verletzung eines besonderen Rechts des Klägers gewährt wird. Die Haftung wird letztlich durch die mangelnde Berechtigung des Beklagten begründet. Dies wird bestätigt durch die im gleichen Urteil anzutreffende Formulierung, daß es sich um eine "Störung der den redlichen Gewerbebetrieb schützenden Rechtsordnung"24 handelt. Die Störung ergibt sich nicht daraus, daß am Gewerbebetrieb selber ein zu
22 23 24
RGZ 25, 347. RGZ 38, 165, 170f. RGZ 38, 165, 171.
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1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
schützendes Recht besteht, sondern aus der Verletzung bestimmter Rechtsnormen, die ihrerseits den Gewerbebetrieb schützen. Diese Entwicklung der Rechtsprechung wird kurze Zeit vor Inkrafttreten des BGB in zwei Urteilen des I. Zivilsenats des Reichsgerichts vom 18. 10. 1899 25 und vom 09.12. 1899 26 nochmals zusammenfassend bestätigt. Im ersten der genannten Urteile ging es um den unberechtigten Vorwurf der Patentverletzung, der von einem Patentinhaber in dem guten Glauben, sein Patent werde wirklich verletzt, ausgesprochen worden war. Für eine Anwendung des UWG auf diesen Sachverhalt sah das Gericht keinen Raum: zum einen führe dies zu unannehmbaren Ergebnissen, zum anderen passe dieses Gesetz auch nicht auf eine Handlung, die allein eine Rechtsverfolgung durch den Patentinhaber darstelle. Desweiteren stellte es fest, daß für eine solche Anwendung des UWG auch kein Bedürfnis besteht, da das objektive Recht bereits genügend Mittel gewährt, um einem Mißbrauch oder nicht erweislich berechtigten Gebrauch solcher Maßnahmen entgegenzutreten. Insbesondere sei in der Rechtsprechung des RG anerkannt, daß die Behauptung einer Patentverletzung oder die Verletzung eines ähnlichen ausschließlichen Rechts, weil dadurch in den Gewerbebetrieb eines anderen eingegriffen und seiner Ehre zu nahe getreten werde, zum Beweise der Wahrheit verpflichte und für den Fall, daß dieser Beweis nicht geführt werde, den Gegner zum Antrag auf ein Verbot der Wiederholung berechtigeY Im zweiten der genannten Urteile, in dem es wieder um eine Klage gegen den Vertrieb von Waren unter der Bezeichnung "gesetzlich geschütztes Muster" ging, wurde dann endgültig klargestellt, daß negatorischer Rechtsschutz nicht mit Hilfe einer Feststellungsklage gewährt werden muß. Vielmehr sei dem gewerblichen Konkurrenten ein Klagerecht nach allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen Rechts eröffnet, um Beeinträchtigungen seines Rechts auf freie gewerbliche Betätigung aus § 1 GewO abzuwehren. Zur Begründung der Klage bedürfe es nicht des Nachweises anderer Handlungen, durch die speziell der Gewerbebetrieb des Klägers gestört worden wäre. 28 Sieht man diese Entscheidungen vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung, so zeigt sich, daß das RG vor 1900 dem Gewerbebetrieb negatorischen Rechtsschutz, gestützt auf die deliktsrechtlichen Generalklauseln der jeweiligen Partikularordnungen, gewährt hat. Dabei bezeichnet das Abstellen der beiden letztgenannten Entscheidungen auf einen "Eingriff in den Gewerbebetrieb" bzw. auf eine "Beeinträchtigung des Rechts auf freie gewerbliche Betätigung aus § 1 GewO" nicht die Verletzung eines besonderen Rechts am Gewerbebetrieb. Ausgefüllt wurde damit nur das in den einzelnen Generalklauseln aufgestellte Erfordernis der Schadenszufügung. Dieses war schon erfüllt, 25 26 27 28
RG JW 1899, 749 Nr. 26. RGZ 45, 59. RG JW 1899, 749 Nr. 26, 750. RGZ 45, 59, 61 f.
I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
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wenn der Wettbewerb mit unrechtmäßigen Mitteln erfolgte, da dies die Absatzchancen und damit den Ertrag der anderen Gewerbetreibenden schmälerte. Daher kam es auch nicht darauf an, daß Handlungen speziell den Gewerbebetrieb des Klägers gestört hatten. Entscheidend für das Zusprechen eines negatorischen Anspruches blieb aber der Mißbrauch bzw. der nicht erweislich berechtigte Gebrauch bestimmter besonderer Rechte auf seiten des Beklagten. Die negatorische Ansprüche gewährende Rechtsprechung des RG vor 1900 hat somit zwar dem Gewerbetreibenden Rechtsschutz gewährt, dies geschah aber nicht mit Hilfe der Annahme eines besonderen Rechts am Gewerbebetrieb, sondern mit Hilfe der Persönlichkeit und Vermögen allgemein und nicht nur der Gewerbetreibenden schützenden deliktsrechtlichen Generalklauseln. 2. Der Schutz des Gewerbebetriebs durch SchadensersatzanspfÜche
Wie schon die Urteile des RG, die dem Gewerbetreibenden deliktsrechtliche Unterlassungsansprüche gewährten, so stützte auch das Urteil des I. Zivilsenats des RG vom 25.06. 1890 seine Überlegungen zu einem Schadensersatzanspruch des Gewerbetreibenden wegen eines Lieferantenboykotts auf eine mögliche Verletzung der deliktsrechtlichen Generalklauseln des § 8 ALR 16 bzw. der §§ 116, 121,773, 774 des Sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuches. 29 In Veranstaltungen, mit welchen in für einen Erfolg geeigneter Weise vorsätzlich darauf abgezielt werde, einem Gewerbetreibenden die Möglichkeit seiner Versorgung mit den Erzeugnissen, die er für seinen Gewerbebetrieb nicht entbehren könne und die auch für den Eintritt in den Verkehr bestimmt und in einem für das Bedürfnis zureichenden Maße vorhanden seien, gänzlich zu verschließen, liege eine rechtswidrige Vermögensbeschädigung, soweit sie ganz oder teilweise Erfolg hätten. Freilich seien die den natürlichen Verhältnissen entsprechenden Erwartungen keine erworbenen Vermögensstücke. Aber die Erhaltung und Nutzbarmachung eines Gewerbsvermögens beruhe zu einem wesentlichen Teil darauf, daß natürliche Beziehungen des gewerblichen Lebens die natürlichen Wirkungen, die sich für alle gleichmäßig zu vollziehen pflegten, äußern könnten. Wenn nun jemand diese natürlichen Wirkungen geflissentlich in anderer Weise als durch Betätigung eines Konkurrenzbetriebes zum Nachteil eines bestimmten Gewerbetreibenden in der Absicht, dessen Gewerbebetrieb zu untergraben, 29 RGZ 28, 238. Wenn Fikentscher, Festgabef. Kronstein (1967) S. 261,267 meint, das RG habe versucht, dem Kartellproblem von der vereinsrechtlichen Seite her beizukommen, vom Schutz der Gewerbefreiheit sei dagegen keine Rede, so verkennt er die zentrale schadensersatzrechtliche Bedeutung dieser Entscheidung. Auch der Hinweis Fikentschers (S. 275), daß sich das Gericht von jeder vorzeitigen Verengung freihält und es für möglich hält, daß Ersatzansprüche entstehen, weil durch Boykott die Achtung der Persönlichkeit des Gewerbetreibenden, seines Geschäftsbetriebs und die Freiheit seiner gewerblichen Betätigung beeinträchtigt sein kann, läßt gerade nicht erkennen, daß das Gericht hier schon differenziert zu der Frage Stellung genommen hat, wann dies der Fall ist.
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1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
verhindere und dadurch dessen Gewerbsvermögen eine Beeinträchtigung erfahre, so liege eine vorsätzliche rechtswidrige Vermögensbeschädigung vor. Rechtswidrig sei dieselbe, sobald der Beschädigende dazu kein Recht habe. Das in der Konkurrenzberechtigung liegende Recht, mittels des eigenen Konkurrenzbetriebs in solche Beziehungen einzugreifen, kOIllIl)e hier nicht in Frage. Die getroffenen Veranstaltungen seien keine der Klägerin ihre Beziehungen abwendig machenden Handlungen eines Konkurrenzbetriebes. 30 Dieses Urteil unterscheidet sich von den zuvor dargestellten, ebenfalls auf die Verletzung deliktischer Generalklauseln abstellenden Entscheidungen dadurch, daß nicht auf die mangelnde Berechtigung auf seiten des Beklagten abgestellt wurde. Dies war auch nicht möglich, da der Beklagte keinen eigenen Gewerbebetrieb hatte und sich somit nicht auf das hieraus entspringende Wettbewerbsrecht berufen konnte, aber auch darüber hinaus kein besonderes Recht zu seiner Handlungsweise (Boykottaufruf) geltend machte. Das Gericht begründete in diesem Fall die Annahme einer rechtswidrigen Vermögensschädigung daher aus der Besonderheit der Verletzungshandlung. Dabei ging es von einer Prüfung der Zweck-Mittel-Relation aus, woraus sich ergab, daß nicht schon jede Schädigung eines Gewerbebetriebs zu einem Schadensersatzanspruch führen sollte. Entscheidend war für das Gericht, daß der Beklagte eine Handlung vorgenommen hatte, die vorsätzlich darauf abzielte, der Klägerin den Betrieb ihres Gewerbes unmöglich zu machen. Darin sah das Gericht eine rechtswidrige Schädigung des Vermögens der Klägerin. Interessant ist, daß das Gericht in den den natürlichen Verhältnissen entsprechenden Erwartungen des Gewerbetreibenden, sich mit den für seinen Betrieb benötigten Erzeugnissen versorgen zu können, noch keine erworbenen Vermögensstücke gesehen hat. Bleibt aber eine solche vom Gewerbetreibenden erwartete Wirkung des gewerblichen Lebens, die sich in der Regel für alle gleichmäßig zu vollziehen pflegt, nicht lediglich aufgrund von Wettbewerb aus, sondern weil jemand dies unmittelbar anstrebt, so soll eine rechtswidrige Beeinträchtigung des Gewerbsvermögens vorliegen. Hier taucht zum ersten Mal die Unmittelbarkeit im Rahmen des deliktsrechtlichen Untemehmensschutzes auf. Seinen Sinn erhält dieses Merkmal aus der Gegenüberstellung mit den Wirkungen des Wettbewerbs, die ja auch dazu führen können, daß sich die Erwartungen des Gewerbetreibenden nicht erfüllen. Der Wettbewerb anderer Gewerbetreibender zielt aber in erster Linie darauf ab, das eigene Gewerbsvermögen zu nutzen. Erst bei Eintritt eines solchen Erfolges kann dies mittelbar dazu führen, daß die Erwartungen des Konkurrenten enttäuscht werden. Dem stellt das Gericht ein Verhalten gegenüber, das allein darauf gerichtet ist, den Gewerbebetrieb des anderen zu schädigen. Dieses Verhalten wird als unmittelbares charakterisiert. Das Gericht setzt somit zur Begründung der rechtswidrigen Vermögensbeschädigung den Verletzungserfolg, Beeinträchtigung des Gewerbebetriebs, zur Verletzungshandlung in Bezie30
RGZ 28, 238, 247f.
1. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
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hung: unmittelbar die Verhinderung des Gewerbebetriebs anstrebendes Verhalten. Die Schadensersatzpflicht gründet sich aber auch hier wieder auf die das Vermögen allgemein schützende Generalklausel des Deliktsrechts dieser Zeit. Wenn sich das RG nach Inkrafttreten des BGB, das keine deliktsrechtliche Generalklausel enthält, auf diese Entscheidung beruft, so ist dies zutreffend, soweit es darauf hinweisen will, daß dem Gewerbetreibenden bereits früher Rechtsschutz gewährt wurde. Es ist jedoch unzutreffend, sofern es damit belegen will, daß der Gewerbebetrieb bereits früher als besonderes Recht seines Inhabers iSd. Deliktrechts anerkannt worden ist. Darauf war es bei den an den Generalklauseln orientierten Urteilen 31 gerade nicht angekommen. B. Die Periode nach Inkrafttreten des BGB 1. Die Entwicklung der reichsgerichtlichen Rechtsprechung bis zum Urteil vom 27.2. 1904 - RGZ 58, 24
In der ersten Entscheidung nach Inkrafttreten des BGB, die sich mit dem deliktsrechtlichen Schutz eines Gewerbebetriebs zu befassen hatte 32 , sah der VI. Zivilsenat des RG als verletzte deliktsrechtliche Norm § 826 an. 33 Zunächst hatte das Gericht eine Anwendung des § 823 Abs. 1 unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der "Freiheit" abgelehnt. Dies dürfe nicht soweit gehen, jede die freie Willensbestimmung eines anderen irgendwie beeinflussende Einwirkung unter den Begriff der Freiheitsverletzung zu fassen und diese, sofern dem Täter nicht ein besonderes Recht zur Seite stehe, als eine widerrechtliche anzusehen. Ob man ein subjektives Recht auffreie Erwerbstätigkeit annehmen kann und ob sich ein solches subjektives Recht als sonstiges Recht iSd. § 823 Abs. 1 verwenden läßt, ließ das Gericht ausdrücklich dahingestellt. 34 Materiellrechtlich löste es den Fall mit Hilfe des § 826. Das UWG hätte zwar bezweckt, die besonders ausgeprägt zutage tretenden Auswüchse des mißbräuchlichen Wettbewerbs abzuschneiden, habe aber nicht alle Erscheinungsformen desselben treffen können. Hier müßten ergänzend die allgemeinen Bestimmungen des BGB in die Lücke treten. Gerade § 826 sei dazu geeignet und vom Gesetzgeber 31 Unklar ist, wieso Preusche, S. 13, meint, Ende des 19. Jahrhunderts hätten brauchbare Generalklauseln als gesetzliche Grundlagen für einen Schutz des Unternehmens gefehlt. 32 Gegenstand des Urteils war die Unterlassungsklage eines Transportunternehmens gegen eine Dampfschiffsgesellschaft, die im· Konkurrenzkampf gegen ein an dem Transportunternehmen seinerseits beteiligtes Unternehmen als Zwangsmittel die Ausschließung des Transportunternehmens von ihren allgemeinen Frachttarifen verhängt hatte. 33 Urt. v. 11. 04. 1901 RGZ 48, 114. 34 Es ist daher unzutreffend, wenn BaumbachjHefermehl, Wettbewerbsrecht, Allg. Rz 115, diese Entscheidung dafür anführen, daß schon bald nach Inkrafttreten des BGB das Recht am Unternehmen unter die sonstigen Rechte des § 823 Abs. 1 eingeordnet worden ist.
3 Schwitanski
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1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
auch dazu bestimmt, eine Schutzwehr gegen illoyale Handlungen in umfassender Weise zu gewähren, namentlich für den geschäftlichen Verkehr, soweit nicht durch Spezialgesetze deswegen Vorsorge getroffen sei. 35 Das Gericht betonte, daß es bei der Anwendung des § 826 auf die Natur des verletzten Rechtsguts nicht ankommt, insbesondere auch die Beeinträchtigung einer bloßen tatsächlichen Erwerbsaussicht, des Kundschaftsverhältnisses, als Schädigung in Betracht kommt. Anders entschied der IV. Senat am 06.03.1902. Zwar ließ auch er offen, welche Bedeutung dem Begriff "sonstiges Recht" zukommt, ob er sich auf andere bloße Persönlichkeitsrechte bezieht oder wegen der Wortverbindung mit dem Eigentum ausschließlich wirkliche subjektive Rechte im Auge hat. Injedem Falle zwinge aber die Bedeutung der Vorschrift zu der Annahme, daß auch das Recht auf Ausübung des Gewerbebetriebs geschützt werden solle. 36 Demgegenüber erklärte der VI. Zivilsenat am 29. 05. 1902, daß der Begriff der "sonstigen Rechte" nur in der juristischen Bedeutung von wirklichen subjektiven Rechten zu verstehen ist. Die Ansicht, die eine (nicht abgeschlossene) Reihe sogenannter Persönlichkeits- oder Individualrechte als Privatrechte ansehe, darunter auch ein Recht auf freie Erwerbstätigkeit, sei für die Anwendung des § 823 Abs. 1 nicht verwertbar, da dessen Begrenzung damit eine völlig unsichere würde. Nach Ansicht des VI. Senats ist also der Begriff der "sonstigen Rechte" auf die bestimmten, von der Rechtsordnung als solche ausgestalteten und umschriebenen subjektiven Rechte zu beschränken. Folglich fallen darunter nicht die einer solchen Rechtsnatur ermangelnden Befugnisse oder Fähigkeiten, welche zufolge der allgemeinen Freiheit des HandeIns jedermann zukommen: nicht die Befugnis zu ungehinderter Verwertung der Arbeitskraft an sich, nicht eine bloße Erwerbsaussicht. Einen Widerspruch zu der vorhergehenden Entscheidung des IV. Zivilsenats sah das Gericht nicht: Die Ausübung eines selbständig betriebenen Gewerbes mag, namentlich insoweit dieselbe gegen gewisse Eingriffe Dritter durch die Vorschriften des UWG besonders geschützt wird, als ein wohlerworbenes Recht anzusehen sein. 37 Diese Auffassung präzisierte der gleiche Senat im Urteil vom 14.12. 1902 dahingehend, daß mit der Annahme eines wohlerworbenen Rechts noch nicht gesagt ist, jede Störung oder Beeinträchtigung eines anderen in diesem Gewerbebetrieb stelle sich als rechtswidrige, unter § 823 Abs. 1 fallende Rechtsverletzung dar. Das wäre namentlich insoweit nicht anzunehmen, als der fragliche Eingriff in Betätigung der dem Gegner seinerseits zustehenden gewerblichen Handlungsfreiheit und in den Grenzen erlaubter Konkurrenz bzw. Koalition erfolgt sei. Gegen unberechtigte Schädigungen oder Störungen anderer in Ausübung des Gewerbebetriebes gewähre das geltende Recht in dem Wettbewerbsgesetz, in den §§ 823 Abs. 2, 824 und 826 in ausreichendem Maße 35 36 37
RGZ 48, 114, 123f. RG JW 1902, 227 Nr. 88. RGZ 51, 369, 372ft".
I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
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Schutz; insbesondere sei die Vorschrift des § 826 dazu bestimmt und geeignet, in umfassender Weise auch den Gewerbebetrieb gegen illoyale Schädigungen sicherzustellen. 38 Damit war die Rechtsprechung des RG auf ihrer Suche nach einer dogmatisch zufriedenstellenden Begründung für einen deliktsrechtlichen Unternehmensschutz in einen nicht mehr aufzulösenden Widerspruch geraten. Ging sie davon aus, daß das geltende Recht im Wettbewerbsgesetz, in den §§ 823 Abs. 2, 824 und 826 in ausreichendem Maße Schutz gegen unberechtigte Schädigungen oder Störungen anderer in Ausübung des Gewerbebetriebs gewährte, so war an und für sich keine Notwendigkeit mehr für die Anerkennung eines Rechts am Gewerbebetrieb gegeben. Erst recht konnte diese nicht mehr damit begründet werden, daß ein Gewerbebetrieb insoweit als wohlerworbenes Recht anzusehen war, als er durch positive Gesetzesvorschriften, namentlich durch das UWG geschützt war. Soweit dies der Fall war, mußte schon der Schutz des § 823 Abs. 2 in Verbindung mit dieser positiven Gesetzesvorschrift eingreifen. 2. Das Urteil des I. ZiviIsenats des Reichsgerichts vom 27.2.1904 - RGZ 58,24
Vor diesem Hintergrund vollzog sich im Urteil des I. Zivilsenats vom 27. 02. 1904 die für die weitere Entwicklung bestimmende Anerkennung des Rechts am Gewerbebetrieb als Schutzgut iSd. § 823 Abs. 1. Ausgangspunkt war die Überlegung, daß in § 823 Abs. 1 nicht die Haftung für eine Schädigung des Vermögens als solchem, sondern nur für diejenige Vermögensschädigung ausgesprochen wird, welche eine Folge der Verletzung der vom Gesetz bezeichneten Rechtsgüter und Rechte ist. Bei der Prüfung der Frage, ob in dem ihm vorliegenden Fall einer unberechtigten Gebrauchsmusterberühmung ein besonderes Recht oder Rechtsgut des verwarnten Gewerbetreibenden verletzt war, stellte das Gericht zunächst fest, selbst wenn unter Freiheit iSd. § 823 Abs. 1 allgemein die freie Betätigung des Willens zu verstehen sei, gehöre zur Begründung des Schadensersatzanspruches immer das Vorliegen einer widerrechtlichen Verletzung der freien Willensbetätigung. Es sei aber ausgeschlossen, daß das Gesetz die Einwirkung auf den fremden Willen schon aus dem Grunde für widerrechtlich erklären wolle, weil kein besonderes Recht zu dieser Einwirkung bestehe. Folglich müsse diese den Charakter der Widerrechtlichkeit erst durch die Form annehmen, in der sie auftrete, also bei Täuschung, Drohung und Zwang. Zu diesem Tatbestand würde ebenso wie bei § 826 zum mindesten auch das Bewußtsein der Beklagten von der Rechtsunwirksamkeit der Gebrauchsmustereintragungen gehören. 39 Da es in dem dem RG vorliegenden Fall allein um eine fahrlässige Gebrauchsmusterberühmung ging, schied eine solche Haftungsbegründung aus. 38 39
3*
RGZ 56, 271, 275f. RGZ 58, 24, 28.
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1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
Die Frage, ob unter dem Begriff "sonstiges Recht" besondere Persönlichkeitsoder Individualitätsrechte zu fassen sind, ließ das Gericht sodann ausdrücklich offen. Es sei schon in mehreren Entscheidungen verschiedener Senate angenommen worden, daß im Gegensatz zu der rechtlichen Möglichkeit, ein beliebiges Gewerbe zu betreiben, wie sie § 1 GewO allgemein gewähre, an dem bereits eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ein subjektives Recht anzuerkennen sei, das unmittelbar verletzt werden könne. Es sei nicht nur ausgesprochen worden, daß Eingriffe in diesen Gewerbebetrieb Anlaß zu negatorischer Abwehr bieten könnten, sondern es sei auch der Anspruch auf Schadensersatz aus Verletzungen des Gewerbebetriebs anerkannt worden. Der erkennende Senat glaubte daher, sich grundsätzlich auf den gleichen Boden stellen zu sollen. Dadurch, daß es sich bei dem bestehenden selbständigen Gewerbebetrieb nicht bloß um die freie Willensbetätigung des Gewerbetreibenden handele, sondern dieser Wille darin bereits seine gegenständliche Verkörperung gefunden habe, sei die feste Grundlage für die Annahme eines subjektiven Rechts an diesem Betrieb gegeben. Störungen und Beeinträchtigungen, welche sich unmittelbar gegen den Gewerbebetrieb richteten, dürften deshalb als eine unter § 823 Abs. 1 fallende Rechtsverletzung angesehen werden. 40 Aber auch dieses Urteil bleibt die Begründung eines Rechts am Gewerbebetrieb iSd. § 823 Abs. 1 letztlich schuldig. Was zunächst den Verweis auf die Urteile anlangt, die negatorischen Rechtsschutz gewährten, so hat sich oben gezeigt, daß entscheidend für die Gewährung von Rechtsschutz die ungerechtfertigte Inanspruchnahme eines Rechts auf seiten des Beklagten war. Das Interesse des Klägers wurde dadurch berücksichtigt, daß schon die Beeinträchtigung des durch § 1 GewO gewährten Rechts auf freie gewerbliche Betätigung zur Klagebegründung für ausreichend erachtet wurde, ohne daß speziell der Gewerbebetrieb des Klägers gestört werden mußte. 41 Auf diese allgemeine rechtliche Möglichkeit nach § 1 GewO, ein beliebiges Gewerbe zu betreiben, wollte der I. Zivilsenat ausdrücklich nicht abstellen. Er berief sich darauf, daß bereits in mehreren Entscheidungen verschiedener Senate angenommen worden war, daß an dem bereits eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ein subjektives Recht anzuerkennen sei, das unmittelbar verletzt werden könne. 42 Da in den in Bezug genommenen Entscheidungen, soweit sie negatorische Abwehransprüche zum Gegenstand hatten, aber gerade auf § 1 GewO abgehoben wurde 43 , ging dieser Verweis ins Leere. Zudem fehlte in diesen Entscheidungen jeder Hinweis darauf, daß es auf eine unmittelbare Beeinträchtigung des Gewerbebetriebs ankommen sollte. Dieses Erfordernis einer Unmittelbarkeit der Verletzung des Gewerbebetriebs findet sich allein in dem Urteil vom 25.06. 40 41
42
43
RGZ 58, 24, 29f. Vgl. RGZ 45, 59. RGZ 58, 24, 29. Siehe dazu oben 1. Kap., I A 1.
I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
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189044 , das ebenfalls in Bezug genommen wird 45 • Dort war zwar in der Tat ein Schadensersatzanspruch aus Verletzung des Gewerbebetriebs anerkannt worden, dieser war aber auf die allgemein das Vermögen schützenden deliktsrechtlichen Generalklauseln der anwendbaren Partikularordnungen gestützt worden. 46 Wenn nunmehr der I. Zivil senat anführte, daß mit § 823 Abs. 1 gerade keine Haftung für Vermögensschäden begründet werden sollte, dann ging die Berufung auf RGZ 28, 238 ebenfalls fehl. Dort war es gerade um die deliktsrechtliche Erfassung eines Vermögensschadens gegangen. Auch die Berufung47 auf die Urteile des VI. Zivilsenats vom 29.05. 190248 und vom 14.12. 190249 ging in diesem Zusammenhang ins Leere. Denn der VI. Zivilsenat hatte sich, beginnend mit seinem Urteil vom 11.04. 1901 50 , darum bemüht, den deliktsrechtlichen Schutz des Unternehmens in das neue System der §§ 823ff. einzugliedern, dabei aber im wesentlichen auf § 826 abgestellt. Über § 826 sollten auch tatsächliche Erwerbsaussichten geschützt sein. 51 Dagegen sollten als sonstige Rechte nur bestimmte, von der Rechtsordnung als solche ausgestaltete und umschriebene subjektive Rechte in Frage kommen. Hierzu sollten nicht Befugnisse und Fähigkeiten gezählt werden, welche aufgrund der allgemeinen Handlungsfreiheit jedermann zukommen, wie etwa bloße Erwerbsaussichten 52. Demgegenüber hatte in den negatorische Abwehransprüche gewährenden Entscheidungen des RG vor 1900 eben die Beeinträchtigung der Erwerbsaussichten zur Haftungsbegründung gedient. 53 Insofern war die Berufung auf diese beiden Urteilsgruppen des RG für eine Begründung der Haftung aus § 823 Abs. 1 widersprüchlich. 54 Daran änderte auch die Tatsache nichts, daß der VI. Zivilsenat in beiden in Bezug genommenen Entscheidungen die Möglichkeit erwogen hatte, einen selbständig betriebenen Gewerbebetrieb, soweit er gegen gewisse Eingriffe Dritter durch das UWG besonders geschützt wurde, als RGZ 28, 238, 243. RGZ 58, 24, 29. 46 Siehe oben 1. Kap., I A 2. 47 RGZ 58, 24, 29. 48 RGZ 51, 369. 49 RGZ 56, 271. Der Ansicht Fikentschers, Festgabe f. Kronstein (1967) S. 261, 271, daß die beiden Entscheidungen RGZ 51, 66 und RGZ 58, 24 für das Recht am Gewerbebetrieb grundlegend waren, kann nicht gefolgt werden. Denn mit ihrer pauschalen Orientierung an § 823 Abs. 1 stehen sie der differenzierten Betrachtungsweise dieser beiden Urteile des VI. ZS. gerade entgegen. Grundlegend waren sie allein deshalb, weil sie undifferenziert § 823 Abs. 1 anwendeten und damit die weiteren systematischen Überlegungen in den Bereich der Haftungsbegrenzung verdrängten. 50 RGZ 48, 114. 51 RGZ 48, 114, 124. 52 RGZ 51, 369, 373. 53 Siehe oben 1. Kap., I A 1. 54 Siehe auch Wiethölter KritJ 1970, 121, 123. 44
45
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1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
wohlerworbenes Recht anzusehen. 55 Denn zum einen ließ sich mit einer derartigen Begründung allein eine Haftung aus § 823 Abs. 2 und nicht aus § 823 Abs. 1 rechtfertigen. Zum anderen ist diese Aussage wohl allein in die Urteile aufgenommen worden, um einen Widerspruch zum Urteil des IV. Zivilsenats vom 06. 03.1902 56 zu vermeiden. Im Urteil vom 14.12. 1902 hat nämlich der VI. Zivilsenat auf das eigentliche Problem einer solchen Annahme abgehoben, indem er feststellte, daß damit nicht jede Störung oder Beeinträchtigung eines anderen in seinem Gewerbebetrieb sich als rechtswidrige, unter § 823 Abs. 1 fallende Rechtsverletzung darstellt. 57 Die Lösung suchte er dann doch wieder in der Möglichkeit, Störungen oder Schädigungen anderer in Ausübung des Gewerbes insbesondere mit Hilfe der Vorschrift des § 826 zu erfassen. 58 Mit dieser vom VI. Zivilsenat aufgeworfenen Frage nach der Einordnung eines deliktsrechtlichen Unternehmensschutzes in das System der §§ 823 ff. setzte sich der I. Zivilsenat in keiner Weise auseinander. Sein Abstellen darauf, daß in einem bestehenden selbständigen Gewerbebetrieb der Wille des Gewerbetreibenden bereits eine feste gegenständliche Verkörperung gefunden hat und deshalb die feste Grundlage für die Annahme eines subjektiven Rechts an diesem Betrieb gegeben ist 59 , klammerte die eigentliche Frage nach der Reichweite dieses Rechts bzw. nach dem Vorliegen einer unter § 823 Abs. 1 fallenden Rechtsverletzung aus. Für die Einschränkung, daß nur unmittelbar gegen den Gewerbebetrieb gerichtete Störungen und Beeinträchtigungen als eine unter § 823 Abs. 1 fallende Rechtsverletzung angesehen werden dürfen 60 , fehlte jede Begründung. 61 Dieser hätte es aber bedurft, da eine solche allgemein auf die Unmittelbarkeit der Eingriffshandlung abstellende Haftungsbegrenzung im Rahmen des § 823 Abs. 1 an und für sich unbekannt war. Dieses mangelnde Bewußtsein für eine Erfassung des Unternehmensschutzes unter systematischen Erwägungen zeigte sich auch daran, daß der I. Zivilsenat sich nicht argumentativ mit der Betonung des Unternehmensschutzes über § 826 durch den VI. Zivilsenat auseinandersetzte. Vielmehr begnügte er sich mit der Feststellung, der VI. Zivilsenat habe mit seiner Aussage nicht verneint, daß unter Umständen ein Eingriff in den Gewerbebetrieb doch als rechtswidrige Verletzung angesehen werden könne. Dem VI. Zivilsenat habe zur Entscheidung nicht der besondere Fall vorgelegen, daß die Beeinträchtigung des fremden Geschäftsbetriebs aufgrund eines behaupteten, in Wirklichkeit nicht bestehenden gewerblichen Ausschließungsrechts geschehe. 62 55
56 57 58 S9
60
61
RGZ 48, 114, 121; 51, 369, 374. RG JW 1902 Beil. S.227 Nr.88. RGZ 56, 271, 275. RGZ 56, 271, 276. RGZ 58, 24, 30. RGZ 58, 24, 30. Siehe auch Wiethölter KritJ 1970, 121, 123.
I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
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Aber nicht nur bei der Auseinandersetzung mit der vom VI. Zivilsenat bevorzugten Haftungsgrundlage des § 826 stellte der I. Zivilsenat auf die Besonderheit der gewerblichen Ausschließungsrechte ab. Auch die positive Haftungsbegründung aus § 823 Abs. 1 war vorwiegend hieran orientiert. Nicht die Begründung des Eingriffs in den Gewerbebetrieb durch unberechtigte Geltendmachung von gewerblichen Schutzrechten stand hierbei im Vordergrund, vielmehr der Hinweis darauf, daß die Haftung bei Nichtbestehen der Schutzrechte nur Korrelat der bevorzugten Stellung des Schutzrechtsinhabers ist. 63 Damit knüpfte der I. Zivilsenat auch inhaltlich an die frühere Rechtsprechung des RG zum negatorischen Schutz gegenüber solchen Schutzrechtsberühmungen an, wo auch - wie oben bereits gezeigt wurde 64 - entscheidend auf das Fehlen eines besonderen Rechts beim Eingreifer und nicht auf die Verletzung eines besonderen Rechts des Gewerbetreibenden abgestellt worden war. Er verkannte dabei, daß dies im Rahmen des § 823 Abs. 1, der gerade ein besonderes Recht des Verletzten voraussetzt, zur Begründung nicht ausreicht. Dem entsprach letztlich auch der Verweis auf die reichsgerichtliche Rechtsprechung von vor 1900. 6S Da diese - wie sich bereits gezeigt hat 66 - eine Erfassung des Gewerbebetriebs als sonstiges Recht iSd. § 823 Abs. 1 nicht inhaltlich zu stützen vermochte, konnte der Verweis nur so zu verstehen sein, daß auch in der Zeit vor Erlaß des BGB bereits einem Gewerbetreibenden deliktsrechtlicher Schutz gewährt wurde. In dieser Tradition sah der I. Zivilsenat auch sein eigenes Urteil. Er gewährte dann aber den Rechtsschutz mittels § 823 Abs. 1, ohne zu erkennen bzw. darauf einzugehen, wie dieser Schutz, der unter der Geltung eines anderen deliktsrechtlichen Systems entwickelt worden war (Generalklausel), in das neue Deliktssystem des BGB eingeordnet werden konnte. 67 Daß eine solche Überlegung durchaus angebracht gewesen wäre, zeigte sich gerade in dieser Entscheidung daran, daß der I. Zivilsenat, der sich auch in der Tradition der reichs gerichtlichen Rechtsprechung zu unberechtigten Schutzrechtsverwarnungen sah, mit seiner Einordnung in § 823 Abs. 1 die Wertungen der bisherigen Rechtsprechung zum Verhältnis freier Wettbewerb, Schutzrecht 62 RGZ 58, 24, 30f. Auch Buchner, S. 3 f., betont, daß der I. ZS. die Notwendigkeit der Anerkennung eines Rechts am Gewerbebetrieb zwar bejaht, nicht aber begründet, sondern nur einen Widerspruch zur Stellungnahme des VI. ZS. verneint hat. 63 RGZ 58, 24, 30. M Siehe oben 1. Kap., I A 1. 6S RGZ 58, 24, 29. 66 Siehe oben 1. Kap., lAI. 67 Dies läßt sich allerdings nicht mit Wiethölter KritJ 1970, 121, 123 ohne nähere Begründung dahin deuten, daß das RG den Ansatz früherer Urteile mit einer Tendenz zum Schutz der kommerziellen Betätigungsfreiheit hätte übernehmen müssen. Vielmehr war diesen früheren Urteilen eine umfassende Berücksichtigung der kommerziellen Betätigungsfreiheit nur möglich, weil sie auf der Basis von anderen Deliktssystemen ergingen. Mit Inkrafttreten des BGB hätte die Frage der Bewältigung des Unternehmensschutzes unter deliktssystematischen Gesichtspunkten insgesamt neu gestellt werden müssen.
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1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
und Deliktsschutz des Gewerbebetriebs umkehrte. Die bisherige reichsgerichtliche Rechtsprechung zur unberechtigten Schutzrechtsverwarnung war allein an der Besonderheit der Schutzrechte und nicht an der des Gewerbebetriebs orientiert. Ausgangspunkt war die Annahme einer rechtlich indifferenten freien Konkurrenz zwischen den Gewerbetreibenden, bei der erlaubt war, was nicht ausdrücklich verboten war. Schutzrechte stellten eine Beeinträchtigung dieser freien Konkurrenz dar, aber eine gesetzlich erlaubte. Wer sich nun zu Unrecht auf ein Schutzrecht berief, der beeinträchtigte ebenfalls die freie Konkurrenz. Beeinträchtigt war also nicht ein subjektives Recht des Konkurrenten, sondern die Institution "freie Konkurrenz". Diese Beeinträchtigung war nicht erlaubt, da sie nicht dem gesetzlichen Tatbestand entsprach. Solche unberechtigten Schutzrechtsberühmungen waren in zweierlei Hinsicht deliktsrechtlich (Generalklausel) faßbar: als Kränkung der Ehre desjenigen, der einer Rechtsverletzung geziehen wurde, und als Vermögensschädigung des Gewerbetreibenden, dessen Absatz geschmälert wurde. Diese beiden Schadenszufügungen waren auch ohne weiteres rechtswidrig, weil sie eben nicht dem gesetzlichen Tatbestand entsprachen, der solche Beeinträchtigungen erlaubte. Sie erfolgten m. a. W. ohne Rechtsgrund. Diese Rechtsprechung war im Ergebnis wie in ihrer Begründung allein an der deliktsrechtlichen Erfassung unberechtigter Schutzrechtsverwarnungen ausgerichtet, ohne daß damit Aussagen über den sonstigen Schutz des Gewerbebetriebs getroffen worden waren. Diese Sicht der Dinge änderte sich, als das RG nunmehr ausführte, daß der Eingriff in den Gewerbebetrieb mittels einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung widerrechtlich ist, wenn das behauptete Schutzrecht nicht besteht, weil es sich nicht mehr um erlaubten Wettbewerb handelt. 68 Der Gewerbebetrieb wurde zum geschützten Rechtsgut iSd. § 823 Abs. 1. Eingriffe in diesen Gewerbebetrieb waren gerechtfertigt, wenn es sieh um erlaubten Wettbewerb handelte. Unberechtigte Schutzrechtsverwarnungen waren unerlaubter Wettbewerb. Einem solchen Eingriff lag somit kein besonderer Rechtfertigungsgrund zugrunde. Folglich war er rechtswidrig. Damit wich diese neue Rechtsprechung in zwei wesentlichen Punkten von der bisherigen ab. Diese hatte den Wettbewerb als rechtlich indifferent betrachtet, während er nunmehr nur noch als besonders gerechtfertigter Eingriff in den Gewerbebetrieb behandelt wurde. Zudem wurde die berechtigte Schutzrechtsverwarnung als erlaubter und damit gerechtfertigter Wettbewerb angesehen. Demgegenüber hatte die bisherige Rechtsprechung Schutzrechtsverwarnungen nicht als Wettbewerbshandlungen, sondern als Rechtsverfolgungsmaßnahmen angesehen 69 , die eine Einschränkung des freien Wettbewerbs darstellten. Diese unterschiedlichen Wertungen machten somit schon in der grundlegenden Entscheidung des RG zum Recht am Gewerbebetrieb die ganze Problematik dieser Neuorientierung der Rechtsprechung deutlich. Durch die nicht näher 68 69
RGZ 58, 24, 30. RG JW 1899, 749 Nr. 26, 750.
1. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
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eingegrenzte Annahme eines Rechts am Gewerbebetrieb iSd. § 823 Abs. 1 erfüllten nunmehr zahlreiche Handlungen einen deliktsrechtlichen Tatbestand und bedurften besonderer Rechtfertigung. Dadurch wurden Handlungen, die bislang aufgrund allgemeiner bzw. besonderer Handlungsfreiheit jedem freistanden, zu wertungsmäßig nur ausnahmsweise gerechtfertigten. Demgegenüber war bis dahin eine Haftung - etwa im Falle unberechtigter Schutzrechtsverwarnungen - von der Rechtsprechung besonders begründet worden, ohne daß damit zugleich auch im übrigen der Gewerbebetrieb umfassend geschützt worden wäre. Nunmehr wurde im gedanklichen Ansatz der Gewerbebetrieb umfassend geschützt und folglich bedurfte nicht mehr die Haftung, sondern die Nicht-Haftung besonderer Begründung. 70 In der weiteren Rechtsprechung des RG trat als Folge dieser Entscheidung daher auch die Aufgabe der Haftungsbegrenzung zunehmend in den Vordergrund. 3. Die Weiterentwicklung der reichsgerichtlichen Rechtsprechung zum sogenannten Bestandsschutz hin durch den VI. Zivilsenat
Die entscheidende Weiterentwicklung der reichsgerichtlichen Rechtsprechung zum Recht am Gewerbebetrieb vollzog in der Folgezeit der VI. Zivilsenat. Anknüpfend an seine Urteile vom 29.05. 1902 71 und vom 14.12. 1902 72 bemühte er sich dabei vornehmlich um eine Begrenzung des Haftungsumfangs, die der I. Zivilsenat in seinem Urteil vom 27. 02. 1904 73 noch hatte vermissen lassen. Getragen wurde diese Rechtsprechung des VI. Zivilsenats von zwei maßgeblichen Wertungen. Zum einen gehörten zu den sonstigen Rechten nach Auffassung des Gerichts nicht die Befugnisse und Fähigkeiten, welche aufgrund der allgemeinen Handlungsfreiheit jedermann zukamen, wie die Befugnis zu ungehinderter Verwertung der Arbeitskraft und bloße Erwerbsaussichten. 74 Zum anderen sollte mit der Annahme eines wohlerworbenen Rechts noch nicht jede Störung oder Beeinträchtigung eines anderen in seinem Gewerbebetrieb eine rechtswidrige, unter § 823 Abs. 1 fallende Rechtsverletzung sein. Dies sollte insbesondere gelten, wenn der vermeintliche Eingreifer sich nur im Rahmen der eigenen gewerblichen Handlungsfreiheit bzw. in den Grenzen erlaubter Kon70 Es geht daher an der geschichtlichen Entwicklung der Rspr. zum Recht am Gewerbebetrieb vorbei, wenn bei Baumbach/Hefermehl, WettbewerbsR. Allg., Rz.115 ausgeführt wird, daß sich die Einordnung eines Rechts am Gewerbebetrieb in § 823 Abs. 1 durch RGZ 58, 24 nach kurzem Schwanken verfestigt hat. Vielmehr hat der 1. ZS. ohne nähere Auseinandersetzung die bis dahin mit Ausnahme des Urt. des IV. ZS. (JW 1902, Beil. S. 277 Nr. 88) überwiegend ablehnende Haltung des RG, insbesondere des VI. ZS., gegenüber der Anwendung des § 823 Abs.1 aus dem Weg geräumt. Insofern kann dem sachlichen Gehalt der Kritik Wiethölters KriU 1970, 121 hinsichtlich der Anfänge der Rspr. zum Recht am Gewerbebetrieb durchaus beigepflichtet werden. 71 RGZ 51, 369. 72 RGZ 56, 271. 73 RGZ 58, 24. 74 RGZ 51, 369, 373.
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1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
kurrenz und Koalition betätigt hatte. 75 Die Einordnung dieser Wertungen in einen seit RGZ 58, 24 an § 823 Abs. 1 orientierten Unternehmensschutz vollzog sich alsbald nach dieser Entscheidung bis hin zur heute sogenannten Bestandsschutzfonnel des RG. Zunächst stellte der VI. Senat in seinem Urteil vom 02.02. 1905 76 fest, daß nicht schon jede Schadenszufügung gegenüber einem Gewerbetreibenden erst dann gerechtfertigt ist, wenn es sich um die Ausübung eines besonderen Rechts handelt. Vielmehr konnte es sich bei der Schadenszufügung nach Ansicht des Gerichts auch um eine nach der allgemeinen Freiheit an sich erlaubte Handlung handeln. Diese prüfte es sodann deliktsrechtlich am Maßstab des § 826. An diese Wertung knüpfte der VI. Senat auch in seinem Urteil vom 12.07. 1906 an und führte aus, daß ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 nur in Betracht kommt, wenn der Gewerbebetrieb widerrechtlich gestört worden ist. Es könne aber nicht davon die Rede sein, daß eine Handlung schon deshalb rechtswidrig wäre, weil sie für den Ertrag des Gewerbebetriebs eines anderen nachteilig sei. Eine solche Wirkung hätten auch Handlungen, die Ausfluß der allgemeinen und speziell der gewerblichen Handlungsfreiheit dessen, der sie vornehme, seien und diesem in gleicher Weise freistünden wie dem geschädigten Unternehmer sein eigener Gewerbebetrieb.?? In seinem Urteil vom 20.02. 1908 sah der Senat dementsprechend in einer veröffentlichten Warnung der Kunden vor dem Bezug der Fabrikate eines bestimmten Gewerbetreibenden keine Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb. Der Kläger könne unbehelligt und ungestört von der Beklagten weiter fabrizieren und absetzen. Kein Gewerbetreibender habe ein Recht darauf, daß die möglichen Abnehmerkreise seine Ware auch beziehen. Ein jeder habe das Recht, solche Kundenkreise auf unvorteilhafte Seiten des Bezugs hinzuweisen. 78 In zwei weiteren Urteilen des gleichen Jahres bestätigte der VI. Senat diese Linie und betonte, daß die Beeinflussung der Kundschaft auch dann das Recht am Gewerbebetrieb nicht verletzt, wenn sie in dem Bewußtsein geschieht, dadurch den Absatz des Gewerbetreibenden zu schmälern. 79 Im Urteil vom 03.02. 1910 taucht in der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats - soweit ersichtlich - erstmals die F onnel auf, mit der im heutigen Schrifttum die Rechtsprechung des RG immer wieder charakterisiert wird: Ein Eingriff in einen fremden Gewerbebetrieb ist nur dann eine widerrechtliche Verletzung des RGZ 56, 271, 275f. RGZ 60, 94. 77 RGZ 64, 52, 55f.; im Urt v. 04.10. 1906 RGZ 64, 155 hatte der Senat schon differenziert zwischen einem Schutz vor unmittelbar gegen den Gewerbebetrieb gerichteten oder dessen rechtliche Zulässigkeit verneinenden Eingriffen. 78 RG Recht 1908 Nr. 1376. 79 Urt. v. 09.03.1908 RG Warn. 1908 Nr. 375 und Urt. v. 11. 06.1908 - RG JW 1908,482 Nr. 15. 7S
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I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
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§ 823 Abs. 1, wenn der Eingriff sich unmittelbar gegen den Bestand des Gewerbebetriebs richtet, sei es daß dieser tatsächlich gehindert oder daß seine rechtliche Zulässigkeit verneint und seine Schließung oder Einschränkung verlangt wird. 80 Der Bestand des Unternehmens wird nicht angegriffen, wenn der Beklagte nur den vom Unternehmensträger verfolgten Zielen entgegenarbeitet. Bedient er sich dabei unlauterer Mittel, so würde hierdurch wohl die Anwendung des § 826, nicht aber die des § 823 Abs. 1 gerechtfertigt. Mit dieser Entscheidung ist die Rechtsprechung des VI. Senats zum Recht am Gewerbebetrieb der Sache nach abgeschlossen. Auf der Grundlage der Wertungen dieser Entscheidungen hat der Senat durchgängig alle weiteren Urteile zum Deliktsschutz des Gewerbebetriebs erlassen. 80 RGZ 73,107,112. Zuvor hatte im Urt. v.13. 07. 1909-RG JW 1909,493 Nr. 16der V. ZS. unmittelbar gegen den Gewerbebetrieb gerichtete Handlungen als "gegen den Erwerbswillen im Rahmen des eingerichteten Gewerbebetriebs gerichtet" definiert. Wenn Fikentscher, Festgabe f. Kronstein (1967), S. 261,269, ausführt, daß es richtig sein dürfte, mit dem RG die bloße Schmälerung von Gewinnaussichten nicht für einen Deliktstatbestand anzusehen, sich dies freilich ändern würde, wenn die Beeinträchtigungen etwa aufgrund unlauteren Wettbewerbs oder durch die Verletzung eines subjektiven Rechts geschähen - was auch das RG nicht bestreiten würde -, so verkennt er, daß das RG dies betreffend den unlauteren Wettbewerb nicht bestritten hat, Deliktsschutz aber über § 826 gewährt wurde und die haftungsrechtliche Freistellung von Ertragsbeeinträchtigungen gerade im Rahmen der Rspr. ausgesprochen wurde, die entwicklungsgeschichtlich zur Anerkennung des subjektiven Rechts am Gewerbebetrieb führte. Es ist daher auch die weitere Folgerung unzutreffend, daß die von Fikentscher in der Rspr. konstatierte Entwicklungslinie "Verletzbarkeit von Erwerbsaussichten" für sich genommen nicht zu einer Anerkennung eines Rechts am Gewerbebetrieb geführt hätte. Denn die Verletzbarkeit von Erwerbsaussichten wurde gerade in Entscheidungen festgestellt, die ihrerseits dann zur Anerkennung des Rechts am Gewerbebetrieb hinführten. M. E. hat auch die weiterhin von Fikentscher angeführte Entwicklungslinie "privatrechtliche Beschränkbarkeit der Gewerbefreiheit" nichts mit der Anerkennung eines Rechts am Gewerbebetrieb zu tun. Deutlich wird dies, wenn Fikentscher ausführt (S. 273), daß durch die Anerkennung des Gewerbebetriebs als sonstiges Recht die reichsgerichtlichen Grundsätze der privatrechtlichen Beschränkbarkeit der Gewerbefreiheit und der grundsätzlichen Verletzbarkeit von Erwerbsaussichten zunächst keine Einbuße erlitten. Was letzteren betrifft, so war dies auch gar nicht möglich, da dieser ja gerade erst mit der Entwicklung deliktsrechtlichen Unternehmensschutzes ausgeformt wurde. Bei dieser Sichtweise Fikentschers ist dann aber auch seine weitere Feststellung unzutreffend, daß mit der allmählichen Anerkennung des Gewerbebetriebs als sonstiges Recht sich der Rspr. die Frage stellte nach der Abgrenzung des Rechts am Gewerbebetrieb vom reinen Vermögensschutz. Anerkennung und Abgrenzung sind insofern nicht zu trennen. Daher war es auch bei der Entwicklung des Rechts am Gewerbebetrieb die Sicht der Verletzbarkeit von Erwerbsaussichten als typischer Vermögensschaden - weil nicht vom Recht am Gewerbebetrieb erfaßt - die den Umfang des Rechts am Gewerbebetrieb absteckte. Es kann folglich nicht zwischen einem Grundsatz der Verletzbarkeit von Erwerbsaussichten, der zur Anerkennung des Rechts am Gewerbebetrieb führte, und eine dann erst einsetzende Abgrenzung zu reinen Vermögensschäden differenziert werden. Diese vordergründige Sicht der Entwicklung konnte sich allenfalls daraus ergeben, daß in RGZ 58, 24 das Recht am Gewerbebetrieb vorbehaltlos anerkannt wurde und die differenzierenden Überlegungen des VI. ZS. damit in den Bereich der Haftungsbegrenzung verschoben wurden.
1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
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Buchner wirft dem RG im Hinblick auf seine Formel vom Bestandseingriff eine unzulängliche Umschreibung des eigentlichen Schutzgegenstandes vor und weist daraufhin, daß auf diese Formel kaum jemals wirklich vom RG abgestellt worden sei. Bei den beispielhaft angeführten Urteilen stellt Buchner zum Beleg darauf ab, daß Bestandseingriffe verneint wurden, obwohl den betroffenen Betrieben jeweils existenzgefährdende Folgen drohten. 81 Diese Argumentation ist jedoch nur schlüssig, wenn man mit Buchner Bestandseingriffe in einem ganz bestimmten Sinne versteht: nämlich als Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz eines Gewerbebetriebs. 82 Gerade dies ist aber nie die Sichtweise des diese Rechtsprechung entwickelnden VI. Senats gewesen. Es ging dem Senat mit der Sanktionierung von sogenannten Bestandseingriffen nicht primär um den Schutz des Gewerbetreibenden vor Bedrohung seiner wirtschaftlichen Existenz, sondern um den Schutz seiner gewerblichen Betätigung vor ganz bestimmten Beeinträchtigungen. 83 Dies wird besonders deutlich, wenn man sich vor Augen führt, daß das Gericht die sogenannte Bestandsformel erst in die RechtspreBuchner, S. 64f. Siehe etwa Taupitz, Die Haftung für Energieleiterstörungen durch Dritte, 1981, S. 183: "Der Bestand wäre nur angegriffen, wenn die Existenz des Geschäftsbetriebs bedroht wäre." 83 Über diesen eigentlichen Gehalt der sog. Bestandsschutzrspr. herrscht bis heute zum Teil Unklarheit. Dies zeigt sich daran, daß immer wieder dem Bestandsschutz der Betätigungsschutz gegenübergestellt wird und damit wohl regelmäßig die Auffassung verbunden ist, daß der Bestandsschutz bloßer Schutz vor existenzgefahrdenden Eingriffen war: siehe dazu neben den in Fn. 81 u. 82 genannten Löwisch/Meier-Rudolph JuS 1982, 237; Fikentscher, Wirtschaftsrecht 11, S. 110; RGRK-Steffen § 823 Rz. 36. Unzutreffend ist insofern auch die Differenzierung der Rspr-Entwicklung nach einer Periode des Bestands- und einer des Betätigungsschutzes bei Schrauder, S. 214/220. Dieses Mißverständnis der Bestandsschutzrechtsprechung wirkt sich selbst bei denjenigen aus, die erkennen, daß Schutz vor existenzgefahrdenden Eingriffen nicht der eigentliche Gehalt dieser Rspr. war. Zieht man etwa mit Buchner, S. 67 diese Folgerung, so ist es unverständlich, wieso er dann nicht die naheliegende Frage stellt, ob nicht möglicherweise sein Verständnis der Bestandsschutzrspr. an deren Kern vorbeigeht und vielleicht nur deshalb sein Vorwurf gerechtfertigt ist, daß man mit diesem Kriterium alle Unternehmensbeeinträchtigungen von Schadensersatzpflichten freilassen konnte, wenn man dies für erwünscht hielt (S. 68). Die Entscheidungen, die von Buchner dafür beispielhaft benannt werden, daß das RG später selber zugegeben hat, daß es auf die Bestandsgefahrdung (iS. Buchners) nie angekommen war (S. 68, Fn. 28), sind gerade die die Entwicklungslinie in der Rspr. des VI. ZS. verlassenden grundlegenden Entscheidungen des 11. ZS. Dazu noch ausführlich unten 1. Kap., I B 6. Obwohl Fikentscher, Festgabe f. Kronstein (1967) S.261, 278 ausführt, daß der Betätigungsschutz schon seit RGZ 22, 93 in der Formulierung vorhanden war, wird auch bei ihm deutlich (S. 276ff.), daß er verkennt, daß Bestandsschutz beschränkter Betätigungsschutz war: Dies zeigt sich, wenn er ausführt, daß die Entscheidungen zunächst eine Begrenzung des Untemehmensschutzes dadurch verursacht hätten, daß man auf den Bestand des Gewerbebetriebs abstellte. In späteren Entscheidungen sei aber deutlich geworden, daß zumindest auch die Betätigung des Gewerbetreibenden ohne Rücksicht auf den Bestand seines Gewerbebetriebs Schutz verdiene. Aus einer Berücksichtigung der Freiheitsproblematik im Rahmen des § 823 Abs. 1 war aber der in der Formel vom Bestandseingriff zusammengefaßte eingeschränkte Betäti81
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1. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
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chung eingeführt hat, als die Ausformung des Schutzbereichs des Rechts am Gewerbebetrieb der Sache nach bereits abgeschlossen war. Wie sich insbesondere aus den in der Entscheidung RGZ 73, 107, 112 in Bezug genommenen Entscheidungen 84 ergibt, verstand der VI. Senat die Aussage, daß sich der Eingriff unmittelbar gegen den Bestand des Gewerbebetriebs richten muß, als zusammenfassende Kurzformel für den bislang von den Gerichten gewährten Rechtsschutz. 85 Füllt man diese Kurzformel wieder mit den Aussagen auf, die bis dahin zum Schutzbereich des Rechts am Gewerbebetrieb gemacht worden waren, so ergibt sich, daß die Produktions- und Absatzmöglichkeiten des Gewerbetreibenden dagegen geschützt werden sollten, daß Betriebshandlungen tatsächlich verhindert wurden oder die rechtliche Zulässigkeit des Betriebs verneint und seine Schließung oder Einschränkung verlangt wurde. 86 Nicht geschützt sollten nach § 823 Abs.1 der Ertrag des Unternehmens bzw. die Beziehungen zur Kundschaft sein, und zwar weder bei einer absichtlichen Beeinträchtigung in diesem Bereich 8 ? noch bei einer gegenständlichen Auswirkung einer solchen Beeinträchtigung auf den Gewerbebetrieb, sei es daß dieser eingeschränkt, sei es daß er gar aufgegeben werden mußte 88 • gungsschutz gewonnen worden, wobei gerade auch systematische Überlegungen eine Rolle spielten. . 84 RGZ 58, 24; 64, 52; Urt. v. 22. 02.1907 ~ RGZ 65, 210. Wenn Fikentscher, Festgabe f. Kronstein (1967) S. 261,272 ausführt, daß es in RGZ 65, 210, 213 heißt, ein Verstoß gegen § 823 Abs. 1 liege nicht vor, weil lediglich in die Tätigkeit des Gewerbetreibenden als solche, nicht aber in den bestehenden Gewerbebetrieb eingegriffen werde, ist das unzutreffend. An der angeführten Stelle heißt es lediglich, daß das Recht eines jeden auf ungestörte und uneingeschränkte Betätigung der eigenen gewerblichen Tätigkeit als sonstiges Recht angesehen werden mag, keinesfalls aber schon die Aussicht auf Erwerb dazuzurechnen sei. Auch hier zeigt sich m. E., daß die Bestandsschutzrspr. in ihrem Gehalt völlig verkannt wird. Wenn Fikentscher, S. 272 weiter ausführt, daß, wenn die Richter sich in RGZ 65, 210 dem rechtsschöpferischen Schwung, der in den vier grundlegenden Entscheidungen zum Ausdruck gelangte, auch nur zu einem Bruchteil angeschlossen hätten, man schon damals und nicht erst in den dreißiger Jahren die gewerbliche Betätigung in den deliktischen Schutz einbezogen hätte, kann dem in zweierlei Hinsicht nicht gefolgt werden: Zum einen wurde die gewerbliche Tätigkeit auch in den genannten Entscheidungen umfassend deliktisch geschützt, allerdings nicht allein über § 823 Abs. 1, sondern auch über § 826; zum anderen wurde auch über § 823 Abs. 1 die gewerbliche Tätigkeit teilweise geschützt. 85 Und nicht, wie Buchner, S. 65 meint, als dekorative Eingangsfloskel. 86 Daher ist es ~ entgegen Buchner, S. 66 f. ~ nicht verwunderlich, daß in zahlreichen Entscheidungen des RG das Erfordernis des Eingriffs in den Bestand nicht erwähnt wurde. 87 Urt. v. 06.05. 1915 ~ RG JW 1915,913 Nr. 3. 88 Urt. v. 29. 11. 1915 ~ RG Recht 1916 Nr. 232 und Urt. v. 21. 12. 1911 ~ RG JW 1912, 29Q Nr. 11: Verlust einer großen Anzahl yon Abonnenten allein reicht nicht a_~Lllm die Warnung vor dem Bezug einer bestimmtl:fl Zeitschrift zum unmittelbaren Eingriff werden zu lassen. Siehe ferner Urt. v. 07.11. 1912 ~ RG WarnRspr. 1913 Nr. 82, wo die bloße Herbeiführung des wirtschaftlichen Ruins als Fall des § 826 eingeordnet wird. Siehe auch Urt. des 1. ZS. v. 29. 01. 1913 ~ RG JW 1913,435, wonach Konkurrenz eben noch keinen Eingriff in den Gewerbebetrieb darstellte.
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1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
4. Untersuchung einiger der sogenannten Bestandsschutzformel widersprechender Urteile
Hier soll nun nicht geleugnet werden, daß es im Verlauf der reichsgerichtlichen Rechtsprechung zum Recht am Gewerbebetrieb durchaus zu widersprüchlichen Entscheidungen gekommen ist. Jedoch kann ein Teil der in diesem Zusammenhang immer wieder aufgeführten Urteile schon deshalb nicht als Beleg für die Widersprüchlichkeit der Reichsgerichtsrechtsprechung zum Bestandsschutz dienen, weil es sich um Urteile anderer Senate handelt, die offensichtlich bei der Adaption der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats dessen grundlegende Aussagen verkannt haben. Zum Teil handelt es sich ferner um Urteile, die allein nach dem Fehlverständnis des sachlichen Gehalts der Bestandsschutzrechtsprechung durch die sich auf sie berufenden Autoren nicht in das Bild der reichsgerichtlichen Rechtsprechung passen 89 : In dem Urteil des V. Zivilsenats vom 13. 07.1909 90 sieht Preusche ein Beispiel dafür, daß die Bestandsschutzformel im Einzelfall immer wieder willkürlich und stillschweigend abgeändert oder mit Hilfe schwer verständlicher Ausnahmen beiseite geschoben worden ist. Daß das RG die Vergiftung des Brunnens eines Wasserwerks nicht als Bestandseingriff angesehen habe, sondern als nicht ausreichende Verletzung der körperlichen Grundlagen des Gewerbebetriebs, könne kaum überzeugen. Schließlich sei dort gerade die Zerstörung der körperlichen Betriebsgrundlagen gleichbedeutend mit der "tatsächlichen Verhinderung von Betriebshandlungen".91 Jedoch verkennt Preusche, daß dieses erfolgsorientierte Abstellen auf die tatsächliche Verhinderung von Betriebshandlungen nicht der Gehalt der Bestandsschutzrechtsprechung war. Nicht als Erfolg der Handlung machte die tatsächliche Hinderung diese zum unmittelbaren Bestandseingriff, sondern als Gegenstand der zu beurteilenden Handlung selber. 92 Daher führte das RG in diesem Urteil aus, daß als widerrechtliche Verletzungen eines solchen Gewerbebetriebs immer nur Eingriffe angesehen worden sind, die sich unmittelbar gegen den Gewerbebetrieb richten, also gegen die Betätigung des Erwerbswillens im Rahmen des eingerichteten Gewerbebetriebs. Eingriffe in materielle Grundlagen könnten nur dann von § 823 Abs.1 erfaßt werden, wenn durch sie ein an diesen materiellen Grundlagen selbst bestehendes subjektives Recht widerrechtlich verletzt sei. Verletzungen der sachlichen Grundlagen sind für das RG folglich keine gegen den Erwerbswillen gerichteten und damit unmittelbaren Beeinträchtigungen des Gewerbebetriebs, sondern wie Ertragsschmälerungen bloße mittelbar den Erwerbswillen treffende Handlungen. Man kann natürlich darüber streiten, ob man einer solchen Hierzu zählt insbesondere das oben bereits erwähnte Urt. des VI. ZS. - RGZ 76,35. RG JW 1909,493 Nr. 16. 91 Preusche, S. 73. 92 Ansonsten hätten bei einem erfolgsorientierten Verständnis des Bestandseingriffs auch Ertragsschmälerungen tatsächliche Hinderungen von Betriebshandlungen sein müssen. 89
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I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
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Wertung folgen mag. Man kann aber nicht behaupten, daß dieses Urteil nicht im Rahmen der Bestandsrechtsprechung durchaus folgerichtig war. 93 Eben diese Grundsätze führte der V. Zivilsenat später im Urteil vom 22. 01. 1940 94 fort. Der Entzug des für den Betrieb einer Mühle notwendigen Stauwassers durch einen fahrlässig verursachten Deichbruch war für den Senat kein unmittelbarer Bestandseingriff. Es sei nur in die sachlichen Grundlagen des Mühlenbetriebs, d. h. in die lediglich schuldrechtliche Befugnis zum Anstau des Wassers eingegriffen, aber noch kein an dieser Grundlage bestehendes, weil erst später in Gestalt der Staugerechtigkeit begründetes ausschließliches Recht des Müllers verletzt worden war. Geschützt werden sollte m. a. W. nur der Gewerbebetrieb als solcher, die Betätigung des Erwerbswillens in ihm, nicht dagegen über die - mittelbaren - Auswirkungen auf den Gewerbebetrieb auch solche Vermögensbestandteile, die ohne das Recht am Gewerbebetrieb deliktsrechtlich nach § 823 Abs. 1 nicht geschützt wären. Diese Anknüpfung an die Grundsätze des Urteils vom 13.07. 1909 erklärt die in der Tat eigenartige Argumentation. Das Gericht hat nicht ausgesprochen, wie Preusche 95 meint, der Müller könne die körperliche Betriebsgrundlage "Stauwasser" in deliktsrechtlich relevanter Form erst durch eine Staugerechtigkeit seinem Gewerbebetrieb eingliedern. Vielmehr hat das Gericht erwogen, daß in einer solchen Staugerechtigkeit ein selbständig verletzbares absolutes Recht iSd. § 823 Abs. 1 zu sehen sein könnte, ohne daß es auf eine Verletzung eines Rechts am Gewerbebetrieb ankommen sollte. Daher ist das Gericht auch keinesfalls die Erklärung schuldig geblieben, wieso eine besondere Staugerechtigkeit an der Feststellung der tatsächlichen Hinderung von Betriebshandlungen etwas ändern könnte 96 • Auch dann bliebe es mit Blick auf den Gewerbebetrieb dabei, daß er nur mittelbar 97 durch Beeinträchtigung seiner sachlichen Grundlagen verletzt worden wäre; dies wäre jedoch als Verletzung der Staugerechtigkeit nach § 823 Abs. 1 zu sanktionieren gewesen, ohne daß es zur Haftungsbegründung auf die tatsächliche Hinderung von Betriebshandlungen angekommen wäre. Auch dieses Urteil folgt somit der Grundlinie der Bestandsschutzrechtsprechung. Umgekehrt kann das für das Urteil des IV. Zivilsenats des RG vom 19.06. 192498 nicht gelten, in dem das Gericht einen Transportschiffunternehmer, 93 Es kann daher auch Schrauder, S. 219 nicht gefolgt werden, der meint, dieses Urteil habe dem Verbot des Ersatzes des sogenannten Drittschadens Rechnung getragen. Dieses Urteil hat zuallererst die Grenzen des Rechts am Gewerbebetrieb iSd. § 823 Abs. 1 aufgezeigt und dadurch erst bestimmt, daß solcherart eingetretener Schaden nicht nach § 823 Abs. 1 ersatzfähig und deshalb eben nicht ersatzfähiger Drittschaden war. 94 RG DR 1940, 723 Nr. 3. 95 A.a.O., S. 74. 96 So der Vorwurf Preusches, S. 74. 97 Es kann daher auch Taupitz, S. 157 f. nicht gefolgt werden, der meint, das Unmittelbarkeitskriterium habe keine argumentative Rolle in dieser Entscheidung gespielt.
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1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
dessen SchifTe aufgrund eines Deichbruchs längere Zeit festlagen, in seinem Gewerbebetrieb unmittelbar beeinträchtigt sah. Das Berufungsgericht hatte noch auf der Grundlage des Urteils des V. Zivilsenats vom 13. 07.1909 99 hierzu negativ beschieden. Dagegen führte der IV. Zivilsenat aus, daß diese tatsächliche Hinderung an und für sich geeignet ist, einen unmittelbaren Eingriff in den Gewerbebetrieb darzustellen. Es sei nicht abzusehen, weshalb dem Kläger in einem solchen Fall, weil es sich bloß um eine Einwirkung auf die Betriebsmittel handele, der Schutz des § 823 Abs. 1 grundsätzlich versagt sein soll. Weiteres Erfordernis für die Anwendung des § 823 Abs. 1 sei, daß durch das Festhalten der Kähne der Bestand des ganzen Unternehmens in Frage gestellt und nicht bloß der Ertrag gemindert sei. Dann würde durch die tatsächliche Behinderung der einzelnen SchifTe ein unmittelbarer Eingriff in den Bestand des ganzen Unternehmens stattfinden. Auch dies war keine wankelmütige Abänderung der Bestandsschutzrechtsprechung durch ein Gericht, das sich plötzlich nicht mehr um das Vorliegen irgendwelcher anderweitiger absoluter Rechte kümmerte. 1OO Vielmehr beruht diese singuläre Entscheidung 101 auf einem augenscheinlichen Mißverständnis der bisherigen Bestandsschutzrechtsprechung. Nach dieser waren Bestandseingriffe gerade nur solche Fälle tatsächlicher Hinderung, während der IV. Zivilsenat die tatsächliche Hinderung erst unter der Voraussetzung der Existenzgefährdung des Unternehmens als Bestandseingriff ansehen wollte. Auf die Existenzgefährdung ist es in der Bestandsschutzrechtsprechung aber nie angekommen. Maßgeblich war immer, daß die tatsächlichen Hinderungen von Betriebshandlungen unmittelbar durch die beeinträchtigende Handlung und nicht erst durch deren fernere Auswirkungen erfolgten. Bloße Ertragsminderungen sollten nicht erfaßt werden, und zwar selbst bei Verursachung der Existenzvernichtung nicht. Dagegen hob der IV. Zivilsenat hier auf letzteres entscheidend ab. 102 Dieser Begründungsweg stand in diametralem Gegensatz zur bisherigen und auch zur späteren Bestandsschutzrechtsprechung 103 und kann kaum dazu dienen, deren konsequente Praktizierung durch das RG und insbesondere den VI. Zivilsenat zu widerlegen 104 . RG Gruchot Beitr. 68, 78. RG JW 1909,493 Nr. 16. 100 So aber Preusche, S. 74 f. 101 Vgl. Schrauder, S.218, wonach dies die einzige Entscheidung ist, in der die Bestandsgefährdung (verstanden als Existenzgefährdung) positiv geprüft worden ist. 102 Das gleiche gilt für das Urt. des II. ZS. v. 07. 06.1929 - RG SA 84 Nr. 15, in dem das Gericht die bewußte Bestandsgefährdung darin sah, daß das Vorgehen der Beklagten bei voller Auswirkung die Klägerin zu Betriebseinschränkungen zwingt. Die Entscheidung zeigt daher nicht, wie gekünstelt und unhaltbar die Bestandsschutzrspr. war (so aber BaumbachjHefermehl, Wettbewerbsrecht, Allg. Rz. 120), weil sie gar nicht Ausdruck dieser Rspr. war. Insofern kann sie auch nicht dazu dienen, im Vergleich zur gegenteiligen Entscheidung des VI. ZS. (s. nächste Fn.) die Sinnwidrigkeit der Begrenzung auf sog. Bestandseingriffe darzutun (so aber BaumbachjHefermehl, a. a. 0.). Denn gerade diese Entscheidung des VI. ZS. lag voll auf der Linie der Bestandsschutzrspr. 98
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I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
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Erst recht muß das für das in diesem Zusammenhang immer wieder angeführte Urteil des VI. Zivilsenats vom 13.02. 1911 105 gelten. Dort hat das RG einen unmittelbaren Eingriff in den Gewerbebetrieb im Gegensatz zu den ansonsten nicht mit Hilfe des § 823 Abs. 1 erfaßten Boykottfallen bejaht. Der dort zur Entscheidung stehende Boykott einer Gastwirtschaft beschränkte sich nicht mehr auf das "argumentative" Fernhalten der Kundschaft, sondern die Besucher waren höchst handfest vom Betreten der Gaststätte abgehalten worden. Damit war aber die Betriebshandlung des Gastwirts tatsächlich gehindert worden und folglich ein unmittelbarer Eingriff (in den Bestand) iSd. § 823 Abs. 1 gegeben, der den Fall aus dem Regelungsbereich des § 826 heraustreten ließ. Gerade daß das RG in anderen Boykottfallen unter dem Gesichtspunkt, daß der Gewerbetreibende am Betrieb nicht gehindert worden war, eine unerlaubte Handlung iSd. § 823 verneint hatte 106 , zeigt, wie konsequent zumindest der VI. Zivilsenat die in der sogenannten Bestandsschutzformel zusammengefaßte Grundlinie der Rechtsprechung fortführte. Daher muß Preusche widersprochen werden, der meint, daß sich zwischen diesem Urteil und dem des V. Zivilsenats vom 13. 07.1909 kein essentieller Unterschied feststellen läßt. Abgesehen davon, daß der - vergiftete - Brunnen den Produktionsbereich des Wasserwerks und die - ferngehaltenen - Gäste dem Absatzbereich der Gaststätte angehörten, habe es sich in beiden Fällen um "körperliche Grundlagen des Gewerbebetriebs" im weiteren Sinne gehandelt. Der Eingriff in sie habe zwangsläufig in beiden Fällen die tatsächliche Hinderung von Betriebshandlungen verursacht. Es sei anzunehmen, daß das RG die Gäste hier nur deshalb in ihrer Betriebsfunktion berücksichtigt habe, weil in diesem Fall die Absicht der Boykottierer, den Betrieb stillzulegen, klar auf der Hand lag. 107 Preusche verkennt, daß das RG auch in diesem Urteil in einem "schlichten" Boykott grundsätzlich noch keine unerlaubte Handlung sehen wollte und nur ausnahmsweise, wegen des besonders gelagerten Boykottfalles, zu einer Haftung wegen Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb kam. War ein Boykott grundsätzlich keine unerlaubte Handlung iSd. § 823 Abs.1, so konnte für die nunmehrige Subsumption desselben unter diese Vorschrift nicht die Absicht der Boykottierer zur Betriebsstillegung - diese Absicht gehört doch wohl zu jedem Boykott ex definitione hinzu - ausschlaggebend gewesen sein. Ein Widerspruch zum Urteil des V. Zivilsenats vom 13. 07.1909 war nicht zu erkennen. In beiden Fallbereichen war im Ergebnis der Betrieb tatsächlich gehindert worden; in beiden Fällen wurde eine Haftung aus § 823 Abs.1 - wegen mangelnder 103
Nr.5.
Siehe statt vieler nur das Urteil des VI. ZS. vom 24. 03. 1930 - RG LZ 1930,485
104 So aber Taupitz, S. 182, der gerade dieses Urteil RG Gruchot 68, 75 - als Beispiel für die inkonsequente Handhabung der sog. Bestandsschutzformel anführt. lOS RGZ 76, 35. 106 Worauf Buchner, S. 66 f. kritisch abhebt. 107 Preusche, S. 73 f.
4 Schwitanski
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1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
Unmittelbarkeit - abgelehnt. Im Urteil vom 13.02. 1911 ist eine Haftung ausnahmsweise bejaht worden, weil der Betrieb belagert worden war. Die Handlung richtete sich also nicht mehr wie beim normalen Boykott allein an die Kunden, sondern schon unmittelbar - etwa durch Versperren des Zugangs gegen den Gaststättenbetrieb selber. lOS Damit lag das Urteil voll auf der Linie der unmittelbare Bestandseingriffe fordernden Rechtsprechung. S. Die Bedeutung des Unmittelbarkeitserfordernisses in der Bestandsschutzrechtsprechung
Es ist daher nicht zutreffend, wenn Buchner meint, das Bestandskriterium habe dem RG die Möglichkeit gegeben, Schadensersatzpflichten immer dann zu verneinen, wenn es dies für erforderlich hielt. 109 Vielmehr sind durchweg alle Entscheidungen des für die Entwicklung der Bestandsformel maßgeblichen VI. Zivilsenats einheitlich auf Grundlage der Wertungen erfolgt, als deren Kurzform die Bestandsschutzformel betrachtet werden muß.110 Wurde der Bestandsschutz des Gewerbebetriebs als Schutz vor ganz bestimmten eng umgrenzten Eingriffshandlungen angesehen, so erscheint es zweifelhaft, ob das Unrnittelbarkeitserfordernis daneben überhaupt noch eine eigenständige Bedeutung hatte. In der Tat ist behauptet worden, daß die Bezeichnung "unmittelbar" keinen eigenen Aussagegehalt besaß. Sie habe ausschließlich der Betonung und Verdeutlichung der Rechtsgutbeschränkung auf den Bestand gedient und sei damit im Grunde überflüssig gewesen.111 Sieht man aber in 108 Darauf, daß es si~h hier um die Beurteilung besonderer Aktionen im Rahmen eines Boykotts handelte, weist Schrauder, S. 215 hin. 109 Buchner, S. 67 f. 110 Hier sind folgende Entscheidungen des VI. ZS. zu nennen: Urt. v. 13.02. 1911 RGZ 76, 35; Urt. v. 15.06.1911- RG JW 1911, 712 Nr. 12; Urt. v. 29. 02.1911- RGZ 77,217; Urt. v. 13.04. 1912 - RGZ 79,.224; Urt. v. 26.09. 1912 - RG Warn. 1912 Nr.428; Urt. v. 05.11. 1914-RG SA 70,322; Un. v. 06. 05. 1915-RGJW 1915,913 Nr. 3; Urt. v. 20. 01. 1916-RG Recht 1916, Nr. 444; Urt. v.19. 12. 1918-RGZ 94, 248; Urt. v. 12.05. 1919 - RGZ 95,339; Urt. v. 15. 11. 1920 - RGZ 100, 213; Urt. v. 17.02. 1921 - RGZ 101, 335; Urt. v. 02. 06.1921 - RGZ 102,223; Urt. v. 07. 06.1923 - RG Recht 1924, Nr. 537; Urt. v. 04. 10.1923 - RG LZ 1924, Sp. 34; Urt. v. 19.01. 1928RGZ 119, 435; Urt. v. 28. 10. 1929 - RGZ 126,93; Urt. v. 24. 03. 1930 - RG LZ 1930, 1185 Nr. 5; Urt. v. 06. 02.1936 - RG SA 90, 234; Urt. v. 20. 03.1940 - RG Warn. 1940 Nr. 97. 11l Taupitz, S. 158 (für Fälle der Energieversorgungsstörungen); Preusche, S. 75 f.; Fabricius JuS 1961, 152; Schippei, S. 55. Wenn letzterer allerdings anmerkt, daß man unter dem unmittelbaren Eingriff eben den den Bestand des Betriebs gefährdenden oder eine Betriebshandlung hemmenden Eingriffverstand, so verkennt er, daß bestandsgefährdende und Betriebshandlungen hemmende 'Eingriffe vom RG nicht unterschieden wurden, sondern daß in der Hemmung von Betriebshandlungen gerade der Bestandseingriff gesehen wurde. Siehe auch Buchner, S. 76, der auf der Grundlage seines Mißverständnisses der Bestandsformel meint, je stärker das RG habe erkennen lassen, daß es nicht auf das Erfordernis der Bestandsgefährdung, sondern auf die Hinderung von Betriebshandlungen
1. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
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Bestandseingriffen, wie z. B. der tatsächlichen Behinderung von Betriebshandlungen, die Verletzung eines nach § 823 Abs. 1 absblut geschützten Rechts, erkennt man an, daß auch die mittelbare Verletzung von absolut geschützten Rechten zur Haftung aus § 823 Abs. 1 führt, und bedenkt man, daß bei einem an Gewinnerzielung orientierten Gewerbebetrieb eine Schmälerung des Gewinns dazu führen kann, daß Betriebshandlungen mangels Gewinnerzielung sinnlos werden, daher eingestellt werden müssen und damit im Ergebnis tatsächlich gehindert werden, so mußte das RG das Kriterium der Unmittelbarkeit des Eingriffs einführen, wenn es nicht schon die Verletzung von Erwerbsaussichten deliktsrechtlich über das Recht am Gewerbebetrieb erfassen wollte. Das Unmittelbarkeitskriterium hat somit in der Rechtsprechung des RG nach 1900 die gleiche Funktion, die es auch schon in dem Urteil RGZ 28, 238 hatte: Ausschluß einer deliktischen Haftung für die Auswirkungen einer Ertragsbeeinträchtigung auf den Gewerbebetrieb. 112 Diese eigenständige Bedeutung bestand - allgemein gesprochen - darin, daß mittels des Unmittelbarkeitserfordernisses der Verletzungserfolg, tatsächliche Hinderung des Gewerbebetriebs (= Bestandseingrift), als Ansatzpunkt einer deliktischen Haftung mittels Aufstellung bestimmter Anforderungen an die Verletzungshandlung, und zwar an die Art der Erfolgsverursachung, eingeschränkt wurde. 113 6. Die Aufgabe der Bestandsscbutzformel durcb den 11. Zivilsenat fiir das Gebiet des Wettbewerbs- und WareDZeicbenrecbts
Den zweiten wichtigen und heute immer wieder betonten 114 Akzent in der Rechtsprechung des RG zum Recht am Gewerbebetrieb in der Zeit nach 1900 setzte der II. Zivilsenat des RG. Auf dem Gebiet des Wettbewerbs- und Warenzeichenrechts ließ der Senat für eine Haftung wegen Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb iSd. § 823 Abs. 1 schon jede schuldhafte Beeinträchtigung der gewerblichen Betätigung eines anderen genügen, ohne daß es noch darauf ankommen sollte, ob ein unmittelbarer Eingriff in den Bestand des Gewerbebetriebs vorgelegen hatte l15 • abstellte, habe es sich erübrigt, auf die Unmittelbarkeit des Eingriffs besonderes Gewicht zu legen. 112 Unzutreffend ist daher die Aussage von MK-Mertens § 823 Rz. 493, daß das RG den Begriff der Unmittelbarkeit eingeführt hat, ohne den Versuch einer Präszisierung zu unternehmen. 113 Die entgegengesetzte Auffassung Preusches, S.76, nach der die RG-Rspr. am Verletzungserfolg orientiert gewesen sei, während der BGH mit seinem Unmittelbarkeitserfordernis an der Verletzungshandlung ansetze, erklärt sich aus der unzutreffenden Annahme, daß das RG "Bestand" und "Unmittelbarkeit" synonym verwendet habe. 114 Siehe nur Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, Allg. Rz. 120. 115 Siehe etwa Urt. v. 09.10.1934- RG MuW 1935,26; Urt. v.19. 11. 1938-RG JW 1938,484; Urt. v. 17.01. 1940 - RGZ 163,21; Urt. v. 01. 04. 1942 - RG GRUR 1942, 364. 4'
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1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
Ihren Anfang nahm diese Rechtsprechung des 11. Zivilsenats in einem Urteil vom 19.10. 1928, in dem das Gericht ausführte, daß es in diesem Fall deliktsrechtliche Beurteilung einer bestimmten Reklame - nicht maßgebend ist, daß nicht ein unmittelbar gegen den Bestand des Gewerbebetriebs gerichteter Eingriff vorliegt. Vielmehr sei nach mehreren Urteilen des erkennenden Senats auf dem Gebiet der gewerblichen Schutzrechte stets angenommen worden, daß ein Gewerbetreibender, der von dem Inhaber eines Schutzrechts unbefugt in seinem Gewerbebetrieb beeinträchtigt werde, gegen solche Beeinträchtigungen die negatorische Abwehrklage habe und daß die Möglichkeit solcher Unterlassungsansprüche auch zur Abwehr unlauteren Wettbewerbs, z. B. mündlicher oder schriftlicher Berühmungen des Konkurrenten, gegeben seil16 . Diese zunächst noch auf Unterlassungsansprüche beschränkte Rechtsprechung des 11. Zivilsenats l17 wurde schon bald aufSchadensersatzansprüche aus Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb ausgedehnt. 118 Zugleich wurde diese Änderung der Rechtsprechung zum Recht am Gewerbebetrieb beschränkt auf das Gebiet des Wettbewerbs- und Warenzeichenrechts. l19 Diese Auffassung wurde im Urteil vom 17. 01. 1940 nochmals wiederholt, gleichzeitig aber hinzugefügt, daß in jedem Fall ein unmittelbarer Eingriff in den Bereich (nicht Bestand!) des Gewerbebetriebs erforderlich ist. Diese Voraussetzung sei bei Wettbewerbshandlungen ohne weiteres erfüllt. 120 Im Urteil vom 01. 04.1942 wurde dann bei der Beurteilung eines System- und Warenvergleichs eine schuldhafte Beeinträchtigung der gewerblichen Betätigung bejaht, weil die Behauptung eines Mangels die Verkäuflichkeit der Ware beeinträchtige. Erneut betonte der 11. Zivilsenat, daß es eines weitergehenden, unmittelbar gegen den Bestand des Betriebs gerichteten Eingriffs zur Begründung der Haftung aus § 823 Abs.l nicht bedurfte. 121
a) Zur Herleitung aus dem Urteil vom 18.1.1905 RG JW 1905, 174 Nr. 15 Allerdings erscheint bereits die Herleitung dieser Rechtsprechung des 11. Zivil senats im Urteil vom 19. 10.1928 wenig überzeugend. 122 Zur Stützung RG JW 1929, 1217 Nr. 25. Urt. v. 27.02. 1931 - RG MuW 1931, 276. 118 Urt. v. 09. 10. 1934 RG MuW 1935, 26. 119 So wurde im Urt. v. 17.08.1938 RG GRUR 1939, 397 eine Unterlassungsklage, die auf Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb gestützt war, abgewiesen, weil kein unmittelbarer Bestandseingriff vorlag, nachdem das Gericht zunächst festgestellt hatte, daß es zwischen dem Kläger und dem Beklagten an einem Wettbewerbsverhältnis fehlte. Ausdrückliche Beschränkung auf das Gebiet des Wettbewerbs- und Warenzeichenrechts dann im Urt. v. 19.11. 1938 - RG JW 1938, 484. 120 RGZ 163, 21, 32. 121 RG GRUR 1942, 364. 122 Bevor man daher darauf abhebt, daß auch der 11. ZS. des RG nicht immer auf eine tatsächliche oder rechtliche Hinderung des Gewerbebetriebs abgestellt hat - so Buchner, 116
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semer Aussage, daß auf dem Gebiet der gewerbli~hen Schutzrechte vorn erkennenden Senat stets angenommen worden ist, daß ein Gewerbetreibender gegen Schutzrechtsverwarnungen die negatorische Abwehrklage hat, ohne daß es dabei auf das Vorliegen eines unmittelbaren Bestandseingriffs ankommt, beruft sich der 11. Zivilsenat auf zwei (!) frühere Entscheidungen. Die zeitlich erste der in Bezug genommenen Entscheidungen des 11. Zivilsenats, das Urteil vorn 18. 01.1905 123 , ging in der Tat davon aus, daß auf dem Gebiet der gewerblichen Schutzrechte stets angenommen worden ist, daß ein Gewerbetreibender, der von dem Inhaber eines solchen Schutzrechts in seinem freien Gewerbebetrieb beeinträchtigt wird, gegen solche Beeinträchtigungen die negatorische Abwehrklage hat. Diese Rechtsprechung wird vorn 11. Zivilsenat nunmehr auf die Möglichkeit einer Abwehr unberechtigter Untersagungsansprüche nach dem UWG ausgedehnt. Die Möglichkeit der Abwehr habe für die grundsätzliche Freiheit des Gewerbes (§ 1 GewO) die gleiche Bedeutung, einerlei, ob sich der U ntersagungsanspruch auf ein Individualrecht des Konkurrenten (Patent, Muster, Warenzeichen) oder ob er sich auf die gesetzlichen Bestimmungen gegen den unlauteren Wettbewerb gründe. In beiden Fällen müsse eine entsprechende Anwendung des § 1004 über den Schutz des Eigentums Platz greifen. Was zunächst die Begründung dieses älteren Urteils anlangt, so geht dessen Berufung auf die bisherige ständige Rechtsprechung l24 insofern fehl, als diesewie bereits oben gezeigt wurde 125 - in der Zeit vor Erlaß des BG B zum einen auf der Anwendung der negativen Feststellungsklage beruhte. Bei dieser Klageart karn es nicht auf das Vorliegen eines besonderen Rechts des Klägers, sondern allein auf das Fehlen eines besonderen Rechts beim Beklagten an. Zum anderen basierte sie auf der deliktischen Unterlassungsklage, die voraussetzte, daß die einschlägigen deliktsrechtlichen Generalklauseln verletzt waren. Dazu genügte auf seiten des Klägers bereits ein bloßer Vermögensschaden. Daß der erkennende Senat zu dieser Zeit noch ganz in der Tradition dieser alten reichsgerichtlichen Rechtsprechung stand, zeigt sich auch daran, daß die Übertragung dieser Wertungen zur unberechtigten Schutzrechtsverwarnung auf unberechtigte Untersagungsansprüche nach dem UWG damit begründet wurde, daß die Abwehr der letzteren für die grundsätzliche Freiheit des Gewerbes (§ 1 GewO) die gleiche Bedeutung hat wie die Abwehr der ersteren. Insofern geht aber die Berufung auf eine entsprechende Anwendung des § 1004 fehl, da diese voraussetzt, daß ein nach den §§ 823 ff. geschütztes rechtliches Interesse verletzt ist. Letzteres ließ sich jedoch mit der Berufung auf § 1 GewO nicht begründen, daS. 69 -, sollte man sich im klaren darüber sein, daß damit eine gänzlich andere Entwicklungslinie in der RG-Rspr. angesprochen ist, die mit der vom VI. ZS. vorangetriebenen Entwicklung nicht vergleichbar ist. 123 RG JW 1905, 174 Nr.15. 124 Das Gericht verweist auf: RGZ 22, 96; 28, 247; 45, 61. 125 Siehe oben 1. Kap., lAI.
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1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
wie in Ansätzen der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats bereits erkennbar war und dann kurze Zeit später von ihm auch ausdrücklich herausgearbeitet wurde 126 - allein die allgemeine Freiheit zu gewerblichem Handeln noch kein sonstiges Recht iSd. § 823 Abs. 1 war. Zur Bejahung des Unterlassungsanspruchs hätte es somit auch im Urteil des 11. Zivilsenats vom 18. 01. 1905 der Prüfung bedurft, ob durch die unberechtigten Untersagungsansprüche ein Recht des Klägers an seinem Gewerbebetrieb iSd. § 823 Abs. 1 verletzt worden war. Eben daran ließ es der Senat fehlen und übertrug die Wertungen aus der Zeit vor Erlaß des BGB ohne positive Begründung aus dem neuen zivilrechtlichen System auf das Deliktsrecht des BGB. Den Versuch, den Unternehmensschutz in das deliktsrechtliche System des BGB einzugliedern, unternahm erst in der Folgezeit der VI. Zivilsenat unter Berücksichtigung der Wertungen der §§ 823 ff. Dessen Ergebnis war, daß Einwirkungen auf den Ertrag des Unternehmens nicht als Rechtsverletzungen iSd. § 823 Abs. 1 angesehen wurden, sondern die Haftung auf unmittelbare Bestandseingriffe beschränkt wurde. Wenn nun der 11. Zivilsenat in seinem Urteil vom 19. 10. 1928 erstmals meinte, daß es auf die Qualität des Eingriffs als unmittelbarer Bestandseingriff nicht mehr ankommt, so hätte es zur Begründung der Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats bedurft. Diese war zuvor vom 11. Zivilsenat übernommen worden 127 und wurde in der Folgezeit für Fälle, die nicht das Gebiet des Warenzeichen- und Wettbewerbsrechts betrafen, weiter vertreten. 128 Die Berufung aufRG JW 1905, 174 Nr. 15 konnte insofern nicht ausreichen,129 da es auch dort an jeder Begründung aus dem Deliktsrechtssystem des BGB fehlte, vielmehr allein Wertungen aus der Zeit vor Inkrafttreten des BGB in das neue System übertragen wurden. Dieser "Rückschritt" in der Begründung des Rechts am Gewerbebetrieb als sonstiges Recht iSd. § 823 Abs. 1 führte bei der Beurteilung von Schutzrechtsverwarnungen noch zu keiner Änderung seines bisherigen Anwendungsbereichs. Eine Prüfung der Unmittelbarkeit des Eingriffs war schon deshalb nicht Siehe oben 1. Kap., I B. RGZ 65, 210; Urt. v. 02. 01. 1917 - RG JW 1917,712 Nr. 9; Urt. v. OS. 07.1927RGZ 117,408. 128 Urt. v.03. 02. 1931-RGMuW 1931, 200; Urt. v.17. 08. 1938-RGGRUR 1939, 397. 129 Auf die zweite in Bezug genommene Entscheidung - Urt. v. 07. 10. 1924 - RGZ 109, SO - soll hier nicht näher eingegangen werden, da es sich dabei um einen Sonderfall handelte, der nicht den U ntemehmensschutz betraf. Dort ging es nicht um den Eingriff in einen Gewerbebetrieb, sondern darum, daß der Beklagte als Lizenznehmer sich als Träger einer Auszeichnung ausgab, die in Wirklichkeit der Kläger als Erfinder der Ware erhalten hatte. Entscheidend für das RG war, daß es darin einen EingrifTin das vom K!. erworbene Recht an der Auszeichnung und gleichzeitig eine Beeinträchtigung seiner gewerb!. Tätigkeit und Persönlichkeit sah. Vg!. auch Fikentscher, Festgabe f. Kronstein (1967) S. 261,279. 126 127
I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
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notwendig, weil es sich bei Schutzrechtsverwarnungen in klassischer Weise um einen nicht den Ertrag beeinträchtigenden, sondern die Betätigung des Erwerbswillens im Gewerbebetrieb - unmittelbar - hemmenden Eingriff handelte. Das Unmittelbarkeitserfordernis iSd. Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des RG war bei Schutzrechtsverwarnungen somit nicht überflüssig, sondern ohne weiteres erfüllt. Zu einer Haftungserweiterung im Rahmen des Unternehmensschutzes aus § 823 Abs. 1 führte dann aber der Verzicht auf das Erfordernis eines unmittelbaren Bestandseingriffs auch für den Bereich des Wettbewerbsrechts. Denn gerade unlautere Wettbewerbshandlungen, die in der Regel bei den Konkurrenten "nur" zu Ertragsschmälerungen führen, waren es, die der VI. Zivilsenat mit dem Erfordernis eines unmittelbaren Bestandseingriffs von der Haftung aus § 823 Abs. 1 ausschloß. 130 Zur Begründung konnte der Verweis auf das Warenzeichenrecht nicht ausreichen. Bei den dort erfaßten unberechtigten Schutzrechtsverwarnungen handelte es sich ja typischerweise um unmittelbare Bestandseingriffe. Die Bezugnahme auf die bereits angeführten früheren Urteile reichte ebenfalls zur Begründung nicht aus, da dort ohne jede Bezugnahme auf das System der §§ 823 ff. ältere Wertungen übernommen worden waren. Zudem ist ein Eingriff in den Gewerbebetrieb auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts im Urteil vom 18. 01. 1905 in weitaus begrenzterem Umfang bejaht worden, als dies nun der 11. Zivilsenat, vorgebend in der Tradition dieser Entscheidungen zu stehen, ausspricht. In dieser Entscheidung war nicht allgemein zur Abwehr unlauteren Wettbewerbs ein Unterlassungsanspruch wegen Eingriffs in den Gewerbebetrieb anerkannt worden. Vielmehr war allein ein Unterlassungsanspruch gegen unberechtigte Untersagungsansprüche nach dem UWG zuerkannt worden. l3l Diese Beschränkung auf die Abwehr unberechtigter Untersagungsansprüche macht nochmals eindrucksvoll deutlich, daß dieses Urteil des RG noch ganz an den Entscheidungen aus der Zeit vor Erlaß des BGB orientiert war, die allein - wie oben bereits hervorgehoben wurde 132 - auf das Fehlen eines besonderen Rechts auf seiten des Beklagten abstellten.
b) Das Unmitte/barkeitsverständnis des II. Zivi/senats im Urteil vom 17.1.1940 - RGZ 163,21 Daß im Zuge der Entwicklung dieser Rechtsprechung des 11. Zivilsenats dieser die ursprüngliche Bedeutung des Unmittelbarkeitserfordernisses sofern sie dem Senat zu Beginn seiner abweichenden Rechtsprechung überhaupt klar war - gänzlich aus den Augen verloren hat, zeigt auf eindrucksvolle Weise 130 Daß dies auch tatsächlich zu einer Haftungsausweitung führte, zeigt sich besonders deutlich an dem Urt. v. 01. 04. 1942 - RG GRUR 1942, 364, in dem eine Haftung wegen Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb durch einen unrichtigen System- und Warenvergleich deshalb erwogen wurde, weil dieser geeignet erschien, die Verkäuflichkeit der kritisierten Produkte zu erschweren. 131 RG JW 1905, 174 Nr. 15. 132 Siehe oben 1. Kap., I A 1.
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1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
sein Urteil vom 17.01. 1940. 133 Dort wurde zunächst das Erfordernis eines unmittelbaren Eingriffs einleitend aus allgemeinen deliktsrechtlichen Grundsätzen abgeleitet. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 komme nur in Betracht, wenn das etwaige schuldhafte Verhalten des Beklagten unmittelbar eines der durch diese Vorschrift geschützten Rechtsgüter verletzt habe. l34 Das war in dieser Allgemeinheit dogmatisch jedoch nicht haltbar und auch von der Rechtsprechung bis dahin nicht vertreten worden. Vielmehr genügte für eine Haftungsbegründung aus § 823 Abs. 1 auch schon jede mittelbare Verletzung der dort geschützten Rechte und Rechtsgüter. Das Unmittelbarkeitserfordernis bei der Haftung aus Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb ist von der Rechtsprechung nicht aus allgemeinen deliktsrechtlichen Grundsätzen, sondern aus den Besonderheiten des deliktsrechtlichen Unternehmensschutzes - keine Haftung für Ertragsbeeinträchtigungen - entwickelt worden. Aus diesem unzutreffenden allgemeinen deliktsrechtlichen Ansatz erklärt sich wohl auch die weitere Differenzierung des Senats, daß sich bei Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb der Eingriff zumindest auf dem Gebiet des Wettbewerbs- und Warenzeichenrechts nicht unmittelbar gegen den Bestand richten muß. Auf alle Fälle müsse das Verhalten unmittelbar gegen den Bereich des Gewerbebetriebs gerichtet sein, was bei Wettbewerbshandlungen ohne weiteres gegeben sei. 135 Was in diesem Fall die Differenzierung zwischen Bestand und Bereich besagen sollte, läßt sich dem Urteil nicht entnehmen. Auf der Grundlage des Unmittelbarkeitsverständnisses des VI. Zivilsenats war die Aussage, daß Wettbewerbshandlungen ohne weiteres unmittelbar gegen den Gewerbebetrieb gerichtet sind, nicht haltbar. Dies konnte allein, wie oben bereits gesagt wurde, auf Schutzrechtsverwarnungen zutreffen, während Wettbewerbshandlungen typischerweise erst mittelbar den Gewerbebetrieb trafen, nämlich über die Ertragsbeeinträchtigung. Aber auch auf der Grundlage allgemeiner deliktsrechtlicher Erwägungen war das Unmittelbarkeitsverständnis des 11. Zivilsenats, das, wie die Lösung des Falles zeigt, allein der Ausschaltung von Zwischenursachen diente, nicht haltbar. Wenn das Urteil überhaupt sinnvoll verstanden werden kann, dann nur so, daß mit dem Erfordernis des Bereichseingriffs auch der Ertrag des Unternehmens grundsätzlich mitgeschützt sein sollte. Versteht man zusätzlich die Unmittelbarkeit als Ausschaltung von Zwischenursachen, dann ist die Aussage, daß Wettbewerbshandlungen ohne weiteres unmittelbare Bereichseingriffe sind, durchaus zutreffend. So gesehen setzte sich der 11. Zivilsenat in diesem Urteil ohne weiteres über die Bedenken des VI. Zivilsenats hinweg, die diesen zu seiner auf unmittelbare Bestandseingriffe beschränkten Rechtspre133 RGZ 163, 21. Wenn MK-Mertens § 823 Rz. 493 in u. bei Fn. 842 diesem Urteil die Einführung des Unmittelbarkeitsbegriffs zuschreiben will, ist dies unzutreffend: siehe nur oben 1. Kap., I B 3. 134 RGZ 163, 21, 32. 135 RGZ 163,21,32.
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I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
chung veranlaßt hatten. Auch hier fehlt wiederum jede nähere Begründung dieser Haftungserweiterung. c) Der Beschluß des II. Zivi/senats vom 21.4.1931 -
RGZ 132,311
Daß der H. Zivilsenat die Haftung für jede schuldhafte Beeinträchtigung des Gewerbebetriebs auch auf Schadensersatzansprüche aus § 823 Abs. lohne jede nähere Begründung ausdehnte, muß um so mehr verwundern, als der gleiche Senat in einem Beschluß vom 21. 04.1931 die ganze Problematik der Annahme eines Rechts am Gewerbebetrieb noch eindrucksvoll dargestellt hatte. 136 Der 11. Zivilsenat des RG befaßte sich in diesem Beschluß mit der Frage, ob die Beschwerdeführerin durch die unbefugte Führung der Firma in ihrem Recht am Gewerbebetrieb beeinträchtigt sei. Dazu führte er aus, daß der eingerichtete Gewerbebetrieb, den die Rechtsprechung als ein Recht anerkennt, als solcher Gegenstand der Beeinträchtigung gewesen sein müßte. Eine Verhinderung oder Störung ihres eigenen Gewerbebetriebs könne die Beschwerdeführerin nicht behaupten. Zwar genüge für die Zulässigkeit der auf die §§ 823, 1004 sich stützenden quasi-negatorischen Unterlassungsklage auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes jede unbefugte Beeinträchtigung der gewerblichen Betätigung auch ohne Rücksicht darauf, ob ein sich unmittelbar gegen den Bestand richtender Eingriff vorliege. Dabei würden aber immer Beeinträchtigungen des freien Gewerbebetriebs des Klagenden verlangt, möge man auch diese bürgerlich-rechtliche Unterlassungsklage als mit zur Abwehr.unlauteren Wettbewerbs gegeben bezeichnen. Es handele sich um eine auf dem Sondergebiet des gewerblichen Rechtsschutzes vor sich gehende Ausfüllung der in den Einzelvorschriften des BGB und in den Sondergesetzen enthaltenen Lücken durch Richterrecht zur Deckung schutzwürdiger Interessen. Diese Rechtsprechung liege am äußeren Rande oder entferne sich schon von dem Rechtsboden, auf dem das FGG das Beschwerderecht zulasse. Hier genüge es nicht, daß schutzwürdige Interessen bestünden; es müsse ein Recht verletzt sein. Von irgendeinem Eingriff in die freie gewerbliche Betätigung des Beschwerdeführers 136 RGZ 132, 311. Diesem Beschluß lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Beschwerdeführerin, ein Unternehmen aus Stuttgart, hatte beim Amtsgericht Bremen angeregt, die Firma eines dort ansässigen Unternehmens wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Firmenwahrheit zu löschen. Durch den unbefugten Gebrauch sei die Beschwerdeführerin, die ihren eigenen Angaben zufolge im Wettbewerb mit den anderen Unternehmen stand, in ihren Rechten, nämlich in dem Rechtsgut ihres selbständigen Gewerbebetriebs, verletzt. Nachdem das Amtsgericht Bremen ein Einschreiten abgelehnt hatte, hatte das Landgericht die dagegen erhobene Beschwerde unter Bejahung des Beschwerderechts als unbegründet zurückgewiesen. Auf die weitere Beschwerde hin wollte das OLG Hamburg die Beschwerde als unzulässig zurückweisen, weil kein Recht der Beschwerdeführerin iSd. § 20 Abs. 1 FGG verletzt sei. Es sah sich daran aber durch die Entscheidungen anderer OLG gehindert, die ein Beschwerderecht des Wettbewerbers anerkannt hatten. Daher legte das Gericht die Beschwerde gern. § 28 Abs. 2 FGG dem RG zur Entscheidung vor.
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1. Kap.: Entwicklungslinien inder Rechtsprechung
sei aber keine Rede. Es handele sich allein darum, daß die Gegnerin durch eine inhaltlich unwahre Angabe in einem Firmenbestandteil ihren eigenen Absatz fördere und dadurch mittelbar dem Erfolg der geschäftlichen Betätigung des Beschwerdeführers Abbruch tue. Konkurrenz sei aber noch nicht ein Eingriff in den geordneten Geschäftsbetrieb eines anderen. Dies gelte selbst dann, wenn sie sich eines unlauteren Mittels bediene, das nicht zugleich einen solchen Eingriff enthalte. DerinJW 1905,174 Nr. 15 behandelte Fall, wo aus den Unterlassungsansprüchen des Wettbewerbsgesetzes ein Untersagungsrecht hergeleitet und der geschäftlichen Betätigung des Klägers in den Weg gelegt wurde, enthalte demgegenüber gerade einen Eingriff in dessen geschäftliche Betätigung. 137 Abgesehen davon, daß hier auch vom 11. Zivilsenat nochmals das unterstrichen wird, was das RG mit der Einführung des Unmittelbarkeitskriteriums bezweckte, nämlich Ausschluß der Haftung für Schäden aus Ertragsbeeinträchtigungen, wird deutlich, daß der 11. Zivilsenat aus dem Vorhandensein von Unterlassungsansprüchen zugunsten des Gewerbetreibenden noch nicht auf ein Recht des Gewerbetreibenden iSd. § 20 FGG schließen wollte. Der Senat sah den Gegensatz zwischen schutzwürdigen Interessen einerseits und einem Recht andererseits. Genau diesen hier abgelehnten Weg hatte die Rechtsprechung des RG zum deliktsrechtlichen Unternehmensschutz bei der Anwendung des § 823 Abs. 1 aber beschritten. 7. Zusammenfassung: Die Ausbildung eines deliktsrechtlichen Untemehmensschutzes im Rahmen des § 823 Abs.1 durch das Reichsgericht
Die bei Inkrafttreten des BGB vorhandenen Wertungen zur deliktsrechtlichen Schutzwürdigkeit bestimmter Unternehmensinteressen -:- im wesentlichen handelte es sich um negatorischen Rechtsschutz gewährende Urteile - sind unter der Geltung des neuen deliktsrechtlichen Systems zu einem Recht am Gewerbebetrieb iSd. § 823 Abs. 1 zusammengefaßt worden, ohne daß überlegt worden wäre, wie sich der deliktsrechtliche Unternehmensschutz am besten in das Gesamtsystem der §§ 823 ff. eingliedern ließ. Ansätze zu Überlegungen in dieser Richtung waren zwar in der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats vorhanden. Nachdem der I. Zivilsenat das Recht am Gewerbebetrieb einmal als sonstiges Recht iSd. § 823 Abs. 1 anerkannt hatte, sind sie jedoch nur noch dazu . benutzt worden, den weiteren Haftungsumfang dieses sonstigen Rechts einzuschränken. Ergebnis dieser vor allem vom VI. Zivilsenat forcierten Haftungsbegrenzung war das Erfordernis eines unmittelbaren Bestandseingriffs, das vornehmlich dazu dienen sollte, reine Ertragsbeeinträchtigungen mit ihren Folgewirkungen und damit den gesamten Wettbewerbsbereich aus der Haftung nach § 823 Abs. 1 herauszunehmen. Die später einsetzende Rechtsprechung des 11. Zivilsenats, die zu der Auffassung führte, daß jede schuldhafte Beeinträchtigung des freien Gewerbebetriebes 137
RGZ 132, 311, 314 ff.
H. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
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auf dem Gebiet des Wettbewerbs- und Warenzeichenrechts eine Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb iSd. § 823 Abs. 1 darstellte, war dann diesen Bemühungen des VI. Zivilsenats genau entgegengesetzt. 138 Es kann daher nicht verwundern, daß sich diese Rechtsprechung zur "Begründung" auf Urteile berief, die in einer Zeit ergangen waren, in der die Rechtsprechung des VI. Zivilsenats zur Haftungsbegrenzung noch nicht voll ausgebildet war. Im übrigen war in diesen Entscheidungen wiederum nur versucht worden, die Wertungen aus der Zeit vor Erlaß des BGB in dessen deliktsrechtliches System zu übertragen, ohne eine Harmonisierung mit diesem System vorzunehmen. Durch diese Rechtsprechung des 11. Zivilsenats gingen gegen Ende der reichsgerichtlichen Rechtsprechung zum Recht am Gewerbebetrieb systematische Überlegungen zum deliktsrechtlichen Unternehmensschutz, wie sie die Rechtsprechung des VI. Zivilsenats ansatzweise bestimmt hatten, weitgehend verloren.
11. Die Rechtsprechung des BGH zum Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb A. Die erste Phase des Einstiegs in die Rechtsprechung zum Recht am Gewerbebetrieb: vom ersten Constanze-Urteil zum ersten Stromkabel-Urteil Anknüpfend an die Rechtsprechung des RG hat der BGH zu Beginn seiner Rechtsprechung zum Recht am Gewerbebetrieb dessen Funktion gegenüber der reichs gerichtlichen Rechtsprechung an einem wesentlichen Punkt ausgebaut. Der Schutzbereich des Rechts am Gewerbebetrieb wurde im sog. ersten Constanze-UrteiP39 über den sog. Bestandsschutz und den Schutz gewerblicher Betätigung auf dem Gebiet des Warenzeichen- und Wettbewerbsrechts hinaus auf den gesamten gewerblichen Tätigkeitskreis erstreckt. Die von ihm aus Anlaß dieses Urteils vorgenommene Schutzbereichserweiterung sah der BGH als Fortführung der späten reichsgerichtlichen Rechtsprechung des 11. Zivilsenats. Zunächst hatte das Gericht darauf hingewiesen, daß in früheren Entscheidungen des RG eine Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb nur bejaht worden ist, wenn sich der Eingriff unmittelbar gegen den Bestand des Gewerbebetriebs richtete. Eine Schmälerung des wirtschaftlichen Gewinnes, der Aussicht auf Erwerb, sei nicht als ausreichend angesehen worden. Das Gericht führte weiter aus, daß in späteren Entscheidungen das RG jedoch auf dem Gebiet des Warenzeichen- und Wettbewerbsrechts weitergegangen ist 138 Daß sich diese "neue" Auffassug ohne nähere Auseinandersetzung mit dem System der §§ 823 ff. durchsetzen konnte, lag wohl daran, daß die Rspr. des VI. ZS. rein äußerlich haftungsbegrenzend orientiert war, so daß es genügte, zur Haftungsbegründung darauf hinzuweisen, daß auf diesem Sondergebiet die Haftungsbegrenzung überflüssig war. 139 BGHZ 3, 270 = NJW 1952, 660.
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1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
und für den Unterlassungsanspruch jede widerrechtliche Beeinträchtigung der gewerblichen Betätigung für ausreichend erachtet hat, wenn sie einen unmittelbaren Eingriff in den Bereich des Gewerbebetriebs darstellte. Es bestehe kein sachlicher Grund, diesen Gedanken des Schutzes der gewerblichen Betätigung auf das Gebiet des Wettbewerbs und der gewerblichen Schutzrechte zu beschränken. 140 Diese Darstellung der Rechtsprechung des 11. Zivilsenats des RG, deren Fortführung und Erweiterung der BGH anstrebte, war allerdings in einigen Punkten unzutreffend. So erfolgte die Erweiterung der Rechtsprechung durch den 11. Zivilsenat nicht nur in bezug auf Unterlassungsansprüche, sondern auch in bezug auf Schadensersatzansprüche. 141 Ferner wurde ein unmittelbarer Bereichseingriff allein in der Entscheidung RGZ 163, 21 gefordert, dabei aber nicht auf das Gebiet des Warenzeichen- und Wettbewerbsrechts beschränkt. Und gerade bei Wettbewerbshandlungen sollte ein solcher unmittelbarer Bereichseingriff ohne weiteres gegeben sein. 142 Mit der Fortführung dieser Rechtsprechung aufgrund des "Arguments", daß kein sachlicher Grund vorliegt, die Beschränkung auf das Gebiet des Wettbewerbs und der gewerblichen Schutzrechte aufrechtzuerhalten, unterließ es der BGH schon zu Beginn seiner Rechtsprechung, diese daraufhin zu überprüfen, wie sie unter systematischen Überlegungen in das Gefüge der §§ 823 ff. einzupassen war. Insbesondere die Schutzbereichserweiterung hätte dazu Anlaß geben müssen, da die in Bezug genommene, an einem engeren Schutzbereich orientierte Rechtsprechung des 11. Zivilsenats des RG ihrerseits bereits solche Überlegungen nicht angestellt, sondern Wertungen aus der Zeit vor Erlaß des BGB übernommen hatte. 143 Vor allem fehlte auch hier wiederum eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Wertungen, die die Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des RG getragen hatten. 144 Stattdessen berief sich das Gericht zur Begründung seiner Ansicht auf eine Parallele zum Eigentum. Wie dieses nicht nur in seinem Bestand, sondern auch in seinen einzelnen Ausstrahlungen durch § 823 Abs. 1 vor unmittelbaren Eingriffen geschützt sei, so müsse nach dieser Schutzvorschrift auch das Recht am Gewerbebetrieb nicht nur in seinem eigentlichen Bestand, sondern auch in seinen einzelnen Erscheinungsformen, wozu der gesamte gewerbliche Tätigkeitskreis zu rechnen sei, vor unmittelbaren Störungen bewahrt bleiben. 145 Abgesehen davon, daß das Gericht keine Gründe dafür angibt, daß und inwieweit der Unternehmensschutz dem Eigentumsschutz gleichzustellen ist, 140 141 142
143 144
145
BGHZ 3, 270, 279 f. Siehe oben 1. Kap., I Siehe oben 1. Kap., I Siehe oben 1. Kap., I Siehe oben 1. Kap., I BGHZ 3, 270, 279 f.
B 6. B 6 a. B 6. B 1 und 3.
11. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
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zeIgt die Gegenüberstellung von Bestandsschutz einerseits und Schutz der einzelnen Erscheinungsformen des Gewerbebetriebs andererseits, daß das Gericht die Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des RG, die mit der sog. Bestandsformel charakterisiert wird, nicht als Schutz der Betätigung des Gewerbetreibenden vor bestimmten Eingriffshandlungen, sondern - unzutreffend l~ - als Schutz vor wirtschaftlicher Vernichtung verstanden hat. Diese Sicht verhinderte wohl auch die Erkenntnis, daß das U nmittelbarkeitserfordernis iSd. Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des RG seinen Sinn allein darin hatte, daß nicht schon der negative Erfolg einer Handlung im Sinne ihrer Auswirkung im Gewerbebetrieb zur Haftung führen sollte. Es sollten allein ganz bestimmte Eingriffshandlungen erfaßt werden und eine Haftung für bloße Ertragsbeeinträchtigungen, die dann - mittelbar - erst zu einem negativen Erfolg im Gewerbebetrieb führten, sollte ausgeschlossen sein. 147 Diese Funktion konnte das Unmittelbarkeitserfordernis nunmehr, da der gesamte gewerbliche Tätigkeitskreis und damit auch der Absatz- und Ertragsbereich zum Schutzbereich des Rechts am Gewerbebetrieb gerechnet wurde, nicht mehr erfüllen. Besonders augenfallig wird dies, wenn man zum Vergleich ein Urteil des VI. Zivilsenats des RG vom 21. 12. 1911148 heranzieht, in dem - in einem ähnlich gelagerten Fall- die Warnung der Kirche vor einer bestimmten Zeitung nicht als Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb beurteilt worden war, da der daraus resultierende Verlust einer größeren Anzahl von Abonnenten noch nicht als unmittelbarer Eingriff in den Gewerbebetrieb selbst angesehen worden war. Mit der Erweiterung des Schutzbereichs des Rechts am Gewerbebetrieb mußte sich somit die Funktion des Unmittelbarkeitskriteriums wandeln, sollte es noch einen Sinn haben. Dazu aber nahm der BGH keine Stellung. Zwar sollte sein Verweis auf den Eigentumsschutz des § 823 Abs. 1, der auch nur gegenüber unmittelbaren Eingriffen bestehen sollte 149 , wohl darauf hinweisen, daß es sich bei dem Unmittelbarkeitserfordernis um einen allgemeinen deliktsrechtlichen Grundsatz handelt. Gerade das ist jedoch insofern unzutreffend, als bei den nach § 823 Abs. 1 geschützten Rechten unter Kausalitätsgesichtspunkten jede Beeinträchtigung, ob mittelbar oder unmittelbar, grundsätzlich deliktsrechtlich faßbar ist. Denkbar wäre dann noch, daß das Unmittelbarkeitserfordernis beim Eigentumsschutz nach § 823 Abs. 1 diejenigen Handlungen aus einer möglichen Haftung herausnehmen sollte, die sich nicht im weitesten Sinne gegen das Eigentum richten, sondern ihrerseits nur Ausfluß der allgemeinen Handlungsfreiheit des Handelnden sind und erst mittelbar zu einer Entwertung der mit dem Eigentum dem Berechtigten gegebenen Verfügungsmöglichkeiten führen. Überträgt man allerdings diese Wertung auf das Recht am Gewerbebetrieb, so 146
147 148 149
Siehe oben 1. Kap., I B 3. Siehe oben 1. Kap., I B 3. RG JW 1912, 290 Nr.11. BGHZ 3, 270, 279.
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1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
gelangt man wieder zum Ansatzpunkt der Bestandsschutzrechtsprechung des VI. Zivilsenats des RG, über die der BGH gerade hinausgehen wollte. Es zeigt sich, daß im Constanze-Urteil völlig unklar blieb, welche Bedeutung das Unmittelbarkeitserfordernis haben sollte. So verwundert es nicht, daß der BGH hierzu bei der Subsumtion keine weiteren Überlegungen anstellte. Da er den kritischen Artikel für geeignet hielt, die gewerbliche Betätigung des Klägers empfindlich zu beeinträchtigen, sah er ohne weiteres in ihm einen unmittelbaren Eingriff in das Recht der Klägerin an ihrem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. 150 Unter Anlegung des Indikationsschemas, nach dem die Verletzung eines Schutzgutes des § 823 Abs. 1 die Rechtswidrigkeit indiziert und nur dann nicht widerrechtlich ist, wenn dem Beklagten für diesen Eingriff-ausnahmsweiseein besonderer Rechtfertigungsgrund zur Seite steht, kam das Gericht unter Anwendung des Rechtsgedankens des § 193 StGB zur Prüfung der Frage, ob das Verhalten des Beklagten nicht aufgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt sein konnte. Dazu müsse sich die Interessenabwägung in den vom Gesetz gebilligten Grenzen halten, wobei diese Grenzen nach dem für alle Fälle des Interessenwiderstreits geltenden Grundsatz der Güter- und Pflichtenabwägung zu ziehen seien. Unter Anlegung der Grundsätze, die das RG für den übergesetzlichen Notstand entwickelt hatte, kam das Gericht zur Aufstellung strenger Anforderungen an die Rechtmäßigkeit gewerbestörender Werturteile. Der Wertkonflikt dürfe lediglich in der gewählten Art zu lösen sein, wobei derjenige, der berechtigte Interessen nur durch den Eingriff in ein fremdes Rechtsgut wirksam wahrzunehmen vermöge, das kleinste Rechtsübel, das schonendste Mittel, zu wählen habe. 151 Der Einstieg in die Rechtsprechung zum Recht am Gewerbebetrieb durch den BGH war somit gekennzeichnet durch eine Ausdehnung des Schutzbereichs auf den gesamten gewerblichen Tätigkeitskreis bei gleichzeitiger Einordnung dieses Schutzes in § 823 Abs. 1 unter Beibehaltung der überkommenen Prüfungsmethode von Tatbestand und Rechtswidrigkeit anhand des am Regel-AusnahmePrinzip orientierten Indikationsschemas. Diese Einordnung hatte schon in der ersten Entscheidung praktische Konsequenzen. Sie führte dazu, daß an die nur ausnahmsweise zu bejahende - Rechtmäßigkeit gewerbestörender Kritik strenge Anforderungen gestellt wurden. Zu beachten ist allerdings, daß schon in diesem Urteil allein gewerbestörende Kritik, die den Boden der sachlichen Kritik verlassen hatte, derart strengen Anforderungen unterworfen wurde. Hinsichtlich einer sachlichen Kritik führte das Gericht nämlich aus, daß diese selbst dann nicht widerrechtlich ist, wenn sie nachteilige Folgen für den Gewerbebetrieb hat. Eine solche Kritik stehe aufgrund des Rechts zur freien Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG jedem offen. 152 150 ISI
BGHZ 3, 270, 280. BGHZ 3, 270, 281.
11. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
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Diese Grundsätze des Constanze-Urteils bestimmten in der Folgezeit zunächst die Rechtsprechung des BGH zum Recht am Gewerbebetrieb, wobei sie über die Fallgruppe der gewerbestörenden Werturteile hinaus erstreckt wurden. So wurde in der Aufnahme eines Schuldners als "langsamer Zahler" in die Kreditschutzliste eines Wirtschaftsverbandes ein widerrechtlicher Eingriff in die freie gewerbliche Entfaltung des Schuldners gesehen. Dieser war nach Ansicht des BGH auch nicht aufgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt, da es der Beklagte an einer pflichtgemäßen Interessenabwägung habe fehlen lassen. 153 Ferner wurde ein nicht zu Wettbewerbszwecken erfolgter Boykottaufruf als rechtswidriger Eingriff in das Recht am Gewerbebetrieb angesehen, da er nicht nur die freie Entfaltung der gewerblichen Tätigkeit, sondern auch die in dem Unternehmen verkörperten Werte gefährde. Gerechtfertigt sollte er nur in Ausnahmefällen in sehr engen Grenzen durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen sein, da er eine sehr ernsthafte Gefährdung des Gewerbebetriebs mit sich bringe und u. U. für den Betroffenen zur Existenzvernichtung führen könne. Er könne nur dann gerechtfertigt sein, wenn er zur Erreichung eines durch höherwertige Interessen gerechtfertigten Zwecks unbedingt notwendig sei. Auch in diesem Boykottfall wurde vom BGH wieder eine Interessenabwägung gefordert, bei der vom Grundsatz größtmöglicher Schonung fremder Rechte und der Vermeidung jeder zur Interessenwahrnehmung nicht unbedingt erforderlichen Schadenszufügung auszugehen sei. 154 Bei der Beurteilung von Boykottmaßnahmen zeigt sich somit auch, daß die Schutzbereichserweiterung durch den BGH zu einer Änderung der Rechtsprechung im Vergleich zum RG führte. Dieses hatte Boykottmaßnahmen in der Regel allein an § 826 gemessen, wobei ein großzügigerer Maßstab an deren Rechtmäßigkeitsprüfung angelegt worden war. Eine Haftung aus einer Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb hatte das RG dagegen mangels eines unmittelbaren Bestandseingriffs abgelehnt. 155 B. Die zweite Phase der Präzisierung der anzuwendenden Grundsätze: vom ersten Stromkabel-Urteil bis zum Höllenfeuer-Urteil Nach dieser ersten Phase des Einstiegs in die Rechtsprechung zum Recht am Gewerbebetrieb stellte das erste der sog. Stromkabel-Urteile des BGH156 den nächsten Schritt bei der Entwicklung dieser Rechtsprechung dar. Wohl bedingt durch die zahlreichen kritischen Stimmen bezüglich der ersten Entscheidungen sah sich der BGH zu einer grundsätzlicheren Auseinandersetzung mit Zweck und Umfang des von ihm entwickelten Unternehmensschutzes gezwungen. BGHZ 3, 270, 280. BGH NJW 1953, 297. 154 BGH NJW 1957, 1315; siehe ferner aus dieser Phase: BGH NJW 1959, 675. ISS Siehe oben 1. Kap., I B 4 und dort insbesondere auch zu der "Ausnahmeentscheidung" RGZ 76, 35. 152
153
64
1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
Ansatzpunkt der Entscheidung war eine kurze Darstellung der Entwicklung des Rechts am Gewerbebetrieb durch die Rechtsprechung des RG und des BGH. Zwar wurde die Entwicklung der reichsgerichtlichen Rechtsprechung vom Schutz des Gewerbebetriebs vor unmittelbaren Bestandseingriffen in den Urteilen des VI. Zivilsenats bis zum Schutz der gewerblichen Betätigung als solcher auf dem Gebiet des Warenzeichen- und Wettbewerbsrechts in den Urteilen des 11. Zivilsenats in groben Zügen zutreffend dargestellt. 157 Es finden sich gleichwohl in dieser Darstellung an einigen Stellen Ungenauigkeiten, die wiederum zeigen, daß sich das Gericht mit den Wertungen des RG, insbesondere denjenigen des VI. Zivilsenats, die zum Erfordernis eines unmittelbaren Bestandseingriffs führten, nicht näher beschäftigt hat. So wurde gesagt, die einen unmittelbaren Bestandseingriff fordernde Rechtsprechung sei an Fragen des Wettbewerbs und des Boykotts entwickelt worden 158, ohne daß klar wurde, daß gerade Handlungen in diesen Bereichen keine unmittelbaren Bestandseingriffe waren. Daß als Beispiel für diese Rechtsprechung das Urteil R G Z 76, 35, 46 angeführt wird159 , zeigt, daß letzteres dem BGH wohl auch nicht klar war. Denn eben in dieser Entscheidung wurde deutlich gemacht, daß der Boykott nur ausnahmsweise - wegen der besonderen Art seiner Durchführung l60 - als Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb angesehen wurde, während er im Regelfall deliktsrechtlich nur über § 826 erfaßt werden sollte. Des weiteren wurde als Ansatz der späteren Rechtsprechung des 11. Zivilsenats dessen Urteil vom 07. 06. 1929 161 angeführt. 162 Dieses Urteil prüfte aber noch das Vorliegen eines Bestandseingriffs und bejahte dies aufgrund von Erwägungen, die der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats zum sog. Bestandsschutz völlig entgegenliefen. Zudem war bereits vor Erlaß dieses Urteils der entscheidende Schritt in der Rechtsprechung des 11. Zivilsenats vollzogen worden, närnlichim Urteil vom 19.10.1928 163 • D. h. der BGH ordnete auch die Entwicklung der Rechtsprechung des 11. Zivilsenats des RG unzutreffend ein, was wohl dazu führte, daß jeweils eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Wertungen, die den beiden Entwicklungslinien der reichsgerichtlichen Rechtsprechung zugrunde lagen, unterblieb. Besonders deutlich wurde dies bei der Auseinandersetzung des Gerichts mit den Urteilen des RG RGZ 132, 311, 316 und DR 1942, 175. 164 In diesen Urteilen 156 157 158 159
160 161 162 163 164
BGHZ 29, 65 = NJW 1959, 479. BGHZ 29, 65, 67 fT. BGHZ 29, 65, 67. BGHZ 29, 65, 68. Siehe oben 1. Kap., I B 4. RG MuW 1929, 378. BGHZ 29, 65, 68. RG JW 1929, 1217 Nr. 25. Auf diese Urteile hatte sich die Klägerin berufen zum Nachweis, daß em
H. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
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soll lediglich der Bestandsschutz als zu eng und jede schuldhafte Beeinträchtigung der gewerblichen Betätigung eines anderen für die Anwendbarkeit des § 823 Abs. 1 als ausreichend erachtet, das Erfordernis der Unmittelbarkeit des Eingriffs aber nicht angetastet worden sein. Allerdings sei es richtig, daß der Begriff des "unmittelbaren Eingriffs" in der Rechtsprechung nicht definiert worden sei 165. Das Gericht verkannte dabei völlig, daß der Schutz des Gewerbebetriebs vor Bestandseingriffen, wie er vom VI. Zivilsenat des RG entwickelt worden war, mit dem Erfordernis der Unmittelbarkeit des Eingriffs untrennbar zusammenhing. Zwar ist es richtig, daß die Unmittelbarkeit des Eingriffs nicht expressis verbis definiert worden ist. Das, was die Rechtsprechung mit diesem Begriff bezeichnen wollte, ergab sich aber eindeutig aus der Funktion, die ihm in der Entwicklung der Rechtsprechung zum Recht am Gewerbebetrieb zugewiesen worden war. l66 Folglich wurde mit Aufgabe des sog. Bestandsschutzes durch die Rechtsprechung des 11. Zivilsenats zwangsläufig auch das Erfordernis der Unmittelbarkeit angetastet. Sah der BGH gleichwohl die Unmittelbarkeit als fortbestehendes Element des deliktsrechtlichen Unternehmensschutzes an, obwohl es nicht mehr seine ursprüngliche Funktion erfüllte, so wurde die vom Gericht wohl implizierte Kontinuität der Rechtsprechung reduziert auf eine rein formale Übernahme des Wortes ohne inhaltliche Bedeutung. Dies wurde deutlich in der Ausführung des Gerichts, daß nach wie vor ein unmittelbarer Eingriff il}. den Bereich des Gewerbebetriebs erforderlich ist, der Berufung auf die Entscheidung RGZ 163, 21, 32 167 und der wenig später erfolgenden Ablehnung einer Bestimmung der Unmittelbarkeit als Fehlen von Zwischenursachen. l68 Eben in dieser Funktion hatte das RG dieses Merkmal in der angeführten Entscheidung eingesetzt. Auch hier wurde Kontinuität der Rechtsprechung durch Übernahme einer "Worthülse"l69 aus früheren Urteilen vorgespiegelt. Eine inhaltliche Kontinuität war nicht gegeben. Die Folge war, daß der BGH, da er die Klageabweisung auf die mangelnde Unmittelbarkeit des Eingriffs stützte, diese übernommene Worthülse mit neuem Inhalt füllen mußte. Ausgangspunkt seiner Entscheidung waren dabei die Grundsätze des ersten Constanze-Urteils, daß das Recht am Gewerbebetrieb durch § 823 Abs. 1 nicht nur in seinem Bestand, sondern auch in seinen einzelnen Erscheinungsformen, wozu der gesamte gewerbliche Tätigkeitskreis zu rechnen sein sollte, vor unmittelbaren Störungen bewahrt bleiben muß. Hieran hielt das unmittelbarer Eingriff als Voraussetzung einer Anwendung des § 823 Abs.l nicht erforderlich war. 165 BGHZ 29, 65, 71. 166 Siehe oben 1. Kap., I B 3. 167 Die ebenfalls angefUhrten Entscheidungen BGHZ 8, 387, 394; 15, 338, 349; 23,157; LM BGB § 823 [Da] Nr. 4 beriefen sich gleichfalls auf diese RG-Entscheidung, ohne daß der Begriff der Unmittelbarkeit definiert oder aus den Urteilen die Funktion des Merkmals deutlich wurde. 168 BGHZ 29, 65, 71. 169 Kötz, Deliktsrecht, S. 50. 5 Schwitanski
66
1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
Gericht ausdrücklich fest.!70 Sodann führte es aus, daß die von der Rechtsprechung vorgenommene Einordnung in § 823 Abs. 1 zur Gleichstellung hinsichtlich des Schutzes mit den dort ausdrücklich genannten Rechten und Rechtsgütern geführt hat. Folglich sei auch bei Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb zu prüfen, ob die Tatfolgen in den Schutzbereich des Gesetzes fielen. Da der Gesetzgeber bei der Fassung des § 823 Abs. 1 das Recht am Gewerbebetrieb noch nicht ins Auge gefaßt habe, sei die Frage der Haftungsbegrenzung in der Richtung zu stellen, was eigentlich Gegenstand des dem Gewerbebetrieb durch die Rechtsprechung zuerkannten Schutzes sei. Diesen sah der BGH in der Bewahrung des Unternehmens in seiner wirtschaftlichen Tätigkeit, in seinem Funktionieren, vor widerrechtlichen Eingriffen. Geschützt werden solle der Gewerbebetrieb in seinem Bestand und in seinen Ausstrahlungen daher nur, soweit es sich um gerade dem Gewerbebetrieb in seiner wirtschaftenden und wirtschaftlichen Tätigkeit wesensgemäße und eigentümliche Erscheinungsformen und Beziehungen handele.!7! Umfang und Grenzen dieses Schutzes seien durch eine sachgemäße Ausfüllung des Begriffs der Unmittelbarkeit des Eingriffs zu ermitteln. Diese Ausfüllung nahm das Gericht dahingehend vor, daß unmittelbar nur diejenigen Eingriffe sein sollen, die irgendwie gegen den Betrieb als solchen gerichtet, also betriebsbezogen sind und nicht vom Gewerbebetrieb ohne weiteres ablösbare Rechte oder Rechtsgüter betreffen. In diesem Erfordernis sah das Gericht den Ausdruck der Grundhaltung der bisherigen Rechtsprechung, eine übermäßige Ausweitung des Schutzes des Rechts am Gewerbebetrieb zu vermeiden. Diese würde dem deutschen Rechtssystem der in kasuistischer Art geregelten Deliktstatbestände zuwiderlaufen. 172 Interessant für die weitere Entwicklung der Rechtsprechung waren neben diesen positiven Aussagen zum Schutzumfang des Rechts am Gewerbebetrieb die negativen Aussagen, d. h. die Aussagen über das, was nicht in den Schutzbereich des Rechts am Gewerbebetrieb fallen sollte: So sei über die Erweiterung des Schutzes gegenüber dem zunächst nur gewährten Bestandsschutz kein Schutz von Forderungsrechten und kein Schutz des Vermögens als solchem eingeführt worden, beides würde dem geltenden Recht fremd sein.!73 Auch könne die Abgrenzung zwischen mittelbaren und unmittelbaren Eingriffen weder aus der rein sprachlichen Unterscheidung noch aus der Kausalitätslehre gewonnen werden. Ebenso sei eine teleologische Bestimmung der Unmittelbarkeit im Sinne einer Zweckbezogenheit der Eingriffshandlung auf eine Einschränkung der gewerblichen Tätigkeit wegen der Schwierigkeiten im Falle fahrlässigen Handeins des Eingreifenden abzulehnen. Als Beispiele mangelnder Betriebsbezogenheit eines Eingriffs nannte das Gericht die Verletzung eines Angestellten und die Beschädigung eines Betriebskraftwagens.!74 Ebenso lehnte 170 BGHZ 29, BGHZ 29, 172 BGHZ 29, 173 BGHZ 29, 171
65, 65, 65, 65,
69.
70. 73. 73 f.
H. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
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das Gericht im konkreten Fall die Betriebsbezogenheit der Beschädigung des Kabels ab. Die Lieferung elektrischen Stroms über ein Kabel und der Anspruch darauf seien keine dem Gewerbebetrieb wesenseigentümliche Eigenheit, sondern eine auf der Energielieferungspflicht der Versorgungsunternehmen beruhende Beziehung. Sie sei derjenigen gleichartig, die auch andere Stromabnehmer (Haushaltungen, Freiberufler) mit dem Elektrizitätswerk verbinde. 175 Hatte das Constanze-Urteil den grundsätzlichen Schutzzweck des Rechts am Gewerbebetrieb und dessen Einordnung in § 823 Abs. 1 festgeschrieben, so lag die Bedeutung des ersten Stromkabel-Urteils darin, daß in ihm Umfang und Grenzen des gewährten Schutzes unter Erarbeitung allgemeiner Kriterien durch Konkretisierung des Unmittelbarkeitserfordernisses näher bestimmt wurden. Eine weitere Entwicklungslinie der dogmatisch-methodischen Erfassung des Rechts am Gewerbebetrieb durch die Rechtsprechung findet sich bei der Frage nach dem Verhältnis des mittels eines in § 823 Abs. 1 angesiedelten Rechts am Gewerbebetrieb gewährten Schutzes und dem Schutz des Gewerbebetriebs nach 'anderen Vorschriften. Nähere Ausführungen des BGH hierzu finden sich in einem Urteil, in dem sich das Gericht mit der Verjährung von Schadensersatzansprüchen wegen Wettbewerbsverstößen zu befassen hatte. 176 Es kam zu dem Ergebnis, daß sich die Verjährung von Schadensersatzansprüchen aus dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb auch dann nach der Regelung des § 21 UW G (mit der im Vergleich zu § 852 kürzeren Verjährungsfrist) richtet, wenn die zum Schadensersatz verpflichtende Handlung zugleich einen schuldhaften Eingriff in das Recht am Gewerbebetrieb darstellt. Dazu stellte es fest, daß dieses Recht von der Rechtsprechung entwickelt worden ist, da die Generalklausel des § 826 wegen des Erfordernisses eines auf Schädigung gerichteten Vorsatzes den Bedürfnissen des Geschäftslebens nicht genügte und das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb sich als lückenhaft erwies. Deshalb habe die Rechtsprechung stets hervorgehoben, daß eine Anwendung von § 823 Abs. 1 aus dem Gesichtspunkt des Eingriffs in das Recht am Gewerbebetrieb in der Regel nur in Betracht komme, wenn es gelte, Lücken zu schließen. Soweit sich daher Sondervorschriften des Wettbewerbsrechts mit dem Schutzbereich des Rechts am Gewerbebetrieb überschneiden, sind nach Auffassung des BGH bei Handlungen zu Zwecken des Wettbewerbs die Rechtsfolgen auf sachlichrechtlichem Gebiet grundsätzlich den wettbewerbsrechtlichen Sondervorschriften zu entnehmen, denen gegenüber das Recht am Gewerbebetrieb nur lückenfüllenden Charakter habe. 177 Diese Aussage über den subsidiären BGHZ 29, 65, 74. BGHZ 29, 65, 74 f. 176 BGH NJW 1962, 1103. 177 BGH NJW 1962, 1103, 1105. Aufschlußreich ist auch hier wieder die Berufung auf das RG-Urteil RGZ 132, 311, 316 - FGG-Beschwerde -: Die Annahme des lückenfüllenden Charakters betrifft nämlich allein das Sondergebiet des gewerblichen Rechtsschutzes. Für diesen Bereich war zugleich vom erkennenden 11. ZS. des RG das· 174
175
S·
68
1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
Charakter des Rechts am Gewerbebetrieb wurde kurze Zeit später in einer Entscheidung zu einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung allgemein, d. h. ohne Beschränkung auf das Wettbewerbsrecht, übernommen. Die Haftung aus § 823 Abs. 1 unter dem Gesichtspunkt des Eingriffs in den Gewerbebetrieb trete wegen ihres subsidiären Charakters nur ein, wenn eine andere Rechtsgrundlage nicht gegeben sei und der Zusammenhang der auf dem jeweiligen Rechtsgebiet geltenden Normen ergebe, daß eine Lücke bestehe, die mit Hilfe des § 823 Abs. 1 geschlossen werden dürfe. 17s Diese Entscheidungen stellen den Abschluß der zweiten Phase der Entwicklung des Rechts am Gewerbebetrieb durch die Rechtsprechung des BGH dar. 179 Nach der ersten Phase der Übernahme der Rechtsprechung des RG zum Recht am Gewerbebetrieb bei gleichzeitiger Ausdehnung des Schutzbereichs auf die gesamte gewerbliche Tätigkeit unter Beibehaltung der Einordnung in § 823 Abs.1 mit seinem Indikationsschema versuchte der BGH in dieser zweiten Phase, die Grundsätze der ersten präziser zu fassen, ohne von ihnen grundsätzlich abzurücken: So wurde versucht, Umfang und Grenzen des Schutzbereichs. mit Hilfe einer Konkretisierung des Unmittelbarkeitskriteriums genauer zu erfassen und das Verhältnis zu anderen Schutzvorschriften näher zu bestimmen. Zu letzterem ist auch das zweite Stromkabel-UrteiPSO zu rechnen: Das Gericht wiederholte die Grundsätze des ersten Stromkabel-Urteils, wonach die Unterbrechung der Produktion durch Stromausfall ein reiner Vermögensschaden sei, der nicht aus dem Recht am Gewerbebetrieb iSd. § 823 Abs. 1 haftbar macht. Die Durchtrennung des Kabels stelle keinen unmittelbaren, d. h. betriebsbezogenen Angriff auf das Unternehmen dar. Gleichwohl bejahte das Gericht eine Haftung des Beklagten, da die Beschädigung des Stromkabels zu einer Verletzung des Eigentums des Klägers geführt hatte. Die Haftung nach § 823 Abs. 1 wegen einer Eigentumsverletzung greife unabhängig davon ein, ob die gesetzte Ursache den Schaden unverm;ttelt oder erst nach ihrer Fortpflanzung durch eine Ursachenkette hervorrufe. lsl Im Verhältnis zu dem Schutz der benannten Rechte und Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 ist somit nach Auffassung des BGH der Schutz des Rechts am Gewerbebetrieb als sonstiges Recht iSd. § 823 Abs. 1 bei gleichem schadensstiftenden Ereignis weniger umfassend.
Erfordernis der Unmittelbarkeit aufgegeben worden. Jetzt, da der BGR den gesamten gewerblichen Tätigkeitskreis schützte und wieder unmittelbare Eingriffe verlangte, hätte also die Bedeutung des lückenfüllenden Charakters des Rechts am Gewerbebetrieb neu bestimmt werden müssen. 178 BGR NJW 1963, 531, 532 unter Berufung auf das vorherige Urteil (siehe Fn.176). 179 Siehe ferner aus dieser Phase: BGR VersR 1961, 831 u. BGR NJW 1961,2254. 180 BGRZ 41, 123 = NJW 1964, 720. 181 BGRZ 41, 123, 125 f.
H. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
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C. Die dritte Phase der Abkehr von den im ersten Constanze-Urteil entwickelten Grundsätzen: das Höllenfeuer-Urteil Waren dies bislang nur die Präzisierungen des ursprünglichen Rechtsprechungsansatzes zum deliktsrechtlichen Unternehmensschutz, so finden sich noch während dieser Phase erste Anzeichen in einigen Urteilen dafür, daß die Rechtsprechung ihren ursprünglichen deliktsrechtlichen Ansatz modifizierte: So bestätigte der BGH in einem Urteil, das sich mit der Klage eines Gewerbetreibenden gegen eine Rundfunkanstalt wegen in einer Fernsehsendung geäußerter Kritik an seinen Produkten befaßte,182 zWar die Grundsätze des Constanze- und des ersten Stromkabel-Urteils. Es deutete sich jedoch bereits ein Abrücken von dem zunächst mit der Einordnung des Rechts am Gewerbebetrieb als sonstiges Recht in § 823 Abs. 1 verbundenen Indikationsschema an. Insbesondere wurde vom BGH im Anschluß an von Caemmerer 183 von der generalklauselartigen Weite des Rechts am Gewerbebetrieb gesprochen. Zugleich wurde darauf verwiesen, daß das Unternehmen als Teilglied einer arbeitsteiligen Wettbewerbswirtschaft sowohl auf die freien Entscheidungen seiner Kunden wie auch auf den Wettbewerb seiner Konkurrenten angewiesen ist. 184 Ferner tauchte der Hinweis auf, daß es von einer Güter- und Pflichtenabwägung abhängt, ob der Unternehmer Störungen hinnehmen muß oder als ungerechtfertigte Beeinträchtigung abwehren kann. 185 Eine Klarstellung, auf welcher Ebene im Deliktsaufbau diese Prüfung stattzufinden hat, erfolgte nicht. Ähnliche Aussagen finden sich in einer Entscheidung über den Schutz, den ein Betriebsgeheimnis gegen Auswertung durch entlassene Angestellte genießt. 186 Der BGH ließ hier den gesetzlichen Ansatzpunkt einer Haftung ausdrücklich offen (§§ 1 UWG, 826, 823 Abs.1) und stellte fest, daß in jedem Fall die Rechtswidrigkeit nicht schon mit Auswertung des Geheimnisses als gegeben angesehen werden kann. Es bedürfe einer Abwägung aller Umstände, insbesondere der schutzwürdigen Belange des Arbeitgebers gegen die des entlassenen Angestellten. Zur endgültigen und ausdrücklichen Abkehr vom Indikationsschema kam es dann im Rahmen der Rechtsprechung zum Schutz des Gewerbebetriebs gegenüber gewerbeschädigenden Urteilen im Rahmen des Meinungskampfs von Presseunternehmen. Ihren Ausgangspunkt hatte diese Entwicklung im sog. Lüth-Urteil des BVerfG, in dem festgestellt worden war, daß auch Urteile des Zivilrichters, die aufgrund "allgemeiner Gesetze" bürgerlich-rechtlicher Art im Ergebnis zu einer Beschränkung der Meinungsfreiheit gelangen, das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 BGH NJW 1963, 484. von Caemmerer, DJT-Festschrift Bd. 2 (1960) S. 49, 90. 184 Damit langte auch der BGH wieder bei den Überlegungen an, die der sog. Bestandsschutzrspr. des VI. ZS. des RG zugrundegelegen hatten. 185 BGH NJW 1963,484. 186 BGH NJW 1963, 856. 182
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1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
S. 1 GG verletzen können. Diese allgemeinen Gesetze müßten wegen ihrer grundlegenden Bedeutung für das Grundrecht aus Art. 5 GG in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung ihrerseits wiederum an dem Wesens gehalt des Grundrechts gemessen uno msoweit gegebenenfalls selbst wieder eingeschränkt werden. Auch der ZivIlrichter habe jeweils dIe tsedeutung des Grundrechts gegenüber dem Wert des im "allgemeinen Gesetz" geschützten Rechtsguts für den durch die Äußerung angeblich Verletzten abzuwägen. Die Entscheidung könne nur aus einer Gesamtanschauung des Einzelfalls unter Beachtung aller wesentlichen Umstände getroffen werden. Eine unrichtige Abwägung könne das Grundrecht verletzen. 187 Diese Grundsätze wurden vom BGH erstmals im sog. Blinkfüer-Urteip88 auf das Recht am Gewerbebetrieb angewendet. Unter Berufung auf das Lüth-U rteil des BVerfG führte das Gericht aus, daß im Falle der Beeinträchtigung der gewerblichen Betätigung eines anderen durch eine Meinungsäußerung und die von ihr ausgehende Wirkung aus einer Gesamtanschauung des Einzelfalles unter Beachtung aller wesentlichen Umstände die Bedeutung des Grundrechts gegenüber dem Wert, den das beeinträchtigte Recht am Gewerbebetrieb für den Betriebsinhaber darstellt, abzuwägen ist. Es sei zu prüfen, ob den schutzwürdigen Interessen des Beeinträchtigten ein solcher Rang zukomme, daß das Recht zur freien Meinungsäußerung zurücktreten müsse. 189 Damit war für den Bereich gewerbeschädigender Kritik ein Schritt vollzogen worden, der sich kaum noch mit der Vorstellung des Constanze-Urteils von einem absoluten Recht am Gewerbebetrieb, das gegen gewerbeschädigende Kritik nur dann keinen Schutz gewährte, wenn diese ausnahmsweise gerechtfertigt war, vereinbar erschien. Vielmehr mußte nunmehr den im beeinträchtigten Recht am Gewerbebetrieb geschützten Interessen ein solcher Rang zukommen, daß das Recht zur freien Meinungsäußerung hinter ihnen zurücktreten mußte. Die Vorzeichen bei der Wertung des Konflikts zwischen Recht am Gewerbebetrieb und Meinungsäußerung wurden genau umgekehrt. 190 Daraus hinsichtlich der dogmatisch-methodischen Einordnung des Rechts am Gewerbebetrieb die Konsequenzen zu ziehen, unterließ das Gericht zunächst noch. Diesen Schritt vollzog es dann erst in dem für die gesamte weitere Entwicklung des Rechts am Gewerbebetrieb grundlegenden sog. Höllenfeuer-Urteil. l91 Das Urteil wurde geprägt von der Auseinandersetzung mit den Grundsätzen des Constanze-Urteils und deren Lockerung. Das Gericht sah in der methodischen Behandlung der Fälle gewerbeschädigender Kritik im Constanze-Urteil, nämlich der Übernahme des am Vorbild der "klassischen" Rechts(gut)verletzungen BVerfOE 7, 198 fT. = NJW 1958, 257. BOH NJW 1964, 29. 189 BGH NJW 1964, 29, 31. 190 Es war sogar so, daß die Annahme eines Rechts am Gewerbebetrieb den Konflikt zwischen der beiden Seiten zustehenden Freiheit der Meinungsäußerung verdeckte. 191 BGHZ 45,296 = NJW 1966, 1617. 187
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11. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
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des § 823 Abs. 1 orientierten Schemas der indizierten Rechtswidrigkeit und der ausnahmsweisen Rechtfertigung bei der Prüfung der Beeinträchtigung des Gewerbebetriebs, die Tendenz. einer negativen Kritik keinen allzu großen Spielraum zu geben, wenn gewerbhche Melange berührt werden. Über den Hinweis, daß in der Rechtsprechung der "Auffangtatbestand" des Rechts am Gewerbebetrieb zunehmend aus der zu mißbilligenden Art der Schädigung abgeleitet worden ist, so daß es eines besonderen Rechtfertigungsgrundes nicht bedurfte, und dem Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG kam der BGH zu einer erneuten Überprüfung des Verhältnisses der freien Meinungsäußerung zur Beeinträchtigung gewerblicher Interessen. 192 Deren Quintessenz läßt sich dahingehend zusammenfassen, daß es nach den Umständen des Einzelfalles geboten sein kann, den Schutz privater Rechtsgüter zurücktreten zu lassen, um die freie Diskussion gemeinschaftswichtiger Fragen zu sichern. Gegenüber dem Wagnis der Freiheit sei es hinzunehmen, daß das Recht nicht gegenüber jeder unangemessen scharfen Meinungsäußerung Schutz gewähre. 193 Die Bedeutung des Höllenfeuer-Urteils für die weitere Entwicklung des Rechts am Gewerbebetrieb bestand darin, daß zwar die Einordnung des Rechts am Gewerbebetrieb in § 823 Abs. 1 beibehalten, die damit verbundene Rechtswidrigkeitsvermutung hinsichtlich einer tatbestandlichen Eingriffshandlung aber zugunsten einer am Einzelfall orientierten positiven Prüfung, ob die Art der Schädigung zu mißbilligen ist, aufgegeben wurde. Diese grundsätzliche Änderung bei der deliktsrechtlichen Erfassung des Rechts am Gewerbebetrieb gegenüber den Grundsätzen des Constanze-Urteils, die in der Folgezeit auf alle Fallgruppen des Rechts am Gewerbebetrieb ausgedehnt wurde, ist in der Rechtsprechung bis heute bestimmend geblieben. D. Die vierte Pbase der Konsolidierung und Eingreozuog: vom Hölleofeuer-Urteil bis beute Die Zeit nach dem Höllenfeuer-Urteil ist gekennzeichnet durch Entscheidungen, die sich "nur" noch um präzisere Erfassung der allgemeinen Voraussetzungen des Rechtsschutzes mittels des Rechts am Gewerbebetrieb iSd. § 823 Abs. 1 bemühen. Zugleich finden sich immer wieder Hinweise in den Urteilen, die eine einschränkende Tendenz der Rechtsprechung bei der Anwendung des Rechts am Gewerbebetrieb erkennen lassen. So wird nach wie vor das Recht am Gewerbebetrieb als lückenfüllende Ergänzung von § 823 Abs. 1 angesehen 194, der einen Sonderschutz für den Gewerbebetrieb enthält. 195 Da der besondere Deliktsschutz nur einem dem 192 193 194 195
BGHZ 45,296,307 f. BGHZ 45, 296, 308. Zuletzt BGH NJW 1981, 1089. BGH NJW 1976, 1740.
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1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
Gewerbebetrieb eigenen zusätzlichen Schutzbedürfnis entgegenkommen wolle, handele es sich insoweit um einen Auffangtatbestand. 196 Das bedeutet, daß nicht jede Störung des Gewerbebetriebs einen Anspruch aus dem Recht am Gewerbebetrieb auslöst. Vielmehr tritt dieses Recht zum einen dort zurück, wo die besonderen Vorschriften des Wettbewerbsrechts eingreifen, zum anderen dort, wo sich der Eingriff gegen selbständig geschützte Unternehmensbestandteile richtet. Liegen diese beiden Gründe für ein Zurücktreten des Rechts am Gewerbebetrieb nicht vor, so greift der Schutz nur ein, wenn es sich um eine regelungsbedürftige Lücke handelt. 197 So wird in ständiger Rechtsprechung eine Haftung wegen Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb abgelehnt, wenn der Tatbestand der Eigentumsverletzung iSd. § 823 Abs. 1198 bzw. der des § 824 199 erfüllt ist. Dieses Vorrangverhältnis wird allerdings nicht hinsichtlich des § 826 bejaht. Begründet wird dies damit, daß der Schutz des Gewerbebetriebs als sonstiges Recht iSd. § 823 Abs. 1 eingeführt worden ist, weil die Bestimmung des § 826, insbesondere im Hinblick auf das Erfordernis eines vorsätzlichen Handeins, den Bedürfnissen der Praxis nicht genügte. Die Anerkennung des Gewerbebetriebs als sonstiges Recht stelle einen erweiterten Vermögensschutz dar. Schon deshalb gelte der Rechtssatz, daß auf § 823 Abs. 1 als Schutznorm erst zurückzugreifen sei, wenn keine andere Bestimmung zutreffe, bei vorsätzlichen Eingriffen in den fremden Gewerbebetrieb nicht. In einem solchen Fall könne auf die Prüfung der strengeren Voraussetzungen des § 826 verzichtet werden. 200 Diese Sichtweise des Rechts am Gewerbebetrieb als Auffangtatbestand ist neuerdings vom BGH in der Tendenz einschränkend beurteilt worden. 201 Sie soll nicht bedeuten, daß ein Delikt nach § 823 Abs. 1 wegen Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb immer dann zum Zuge kommt, wenn nach anderen Vorschriften eine unerlaubte Handlung nicht zu bejahen wäre. Habe das Gesetz für den spezifischen Eingriffstatbestand in anderen Vorschriften Haftungsmaßstäbe aufgestellt, reichten diese unter den gegebenen Umständen aber zur Bejahung einer Haftung nicht aus, so bestehe ein Anspruch im Zweifel nicht; denn die vom Gesetz vorgegebenen Wertungsmaßstäbe müßten dann zu seiner Verneinung führen. Sehe die Spezialvorschrift des Deliktsrechts eine Haftung gerade nicht vor, spreche dies im Zweifel dafür, daß sich auch nach dem Auffangtatbestand des Rechts am Gewerbebetrieb eine Haftung nicht ergeben dürfe. Diese richterrechtliche Gestaltung solle das kodifizierte Haftungsrecht 196 BGH NJW 1977, 2264; so schon BGH NJW 1966, 2010; zuletzt BGH BB 1983,464, 465 und BGH GRUR 1983, 467, 468. 197 BGH NJW 1969, 2046; BÖH NJW 1974, 315 bestätigt in BGH NJW 1976, 2162 und NJW 1978,1378. 198 BGH NJW 1971, 886; NJW 1977, 2264. 199 BGH NJW 1972, 1658; MDR 1974, 921. 200 BGH NJW 1977, 1875. 201 BGH NJW 1980, 881.
11. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
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nur ergänzen, nicht aber abändern. Daß dem Inhaber eines Gewerbebetriebes allgemein über die gesetzliche Regelung der §§ 824, 826 hinausgehender Schutz gewährt werden solle und dürfe, könne nicht angenommen werden. 202 Hat die Sichtweise des Rechts am Gewerbebetrieb als Auffangtatbestand die Funktion, diesen von der Rechtsprechung entwickelten deliktsrechtlichen Schutz in ein Verhältnis zu den übrigen deliktsrechtlichen Vorschriften zu bringen, so hat das Erfordernis der Unmittelbarkeit des Eingriffs in seiner Konkretisierung in Form der Betriebsbezogenheit die Aufgabe, den Tatbestand des Eingriffs in den Gewerbebetrieb als solchen einzuschränken. 203 Es soll eine uferlose Ausweitung des generalklauselartigen Haftungstatbestandes des Rechts am Gewerbebetrieb in Richtung auf einen allgemeinen deliktischen Vermögensschutz für Gewerbetreibende verhindern 204 und damit einer systemwidrigen Ausuferung dieses besonderen Deliktsschutzes entgegenwirken. 205 Die ursprüngliche Definition von betriebsbezogenen Eingriffen als gegen den Betrieb als solchen gerichtete Eingriffe, die nicht vom Gewerbebetrieb ohne weiteres ablösbare Rechte oder Rechtsgüter betreffen, ist nach dem Höllenfeuer-Urteil weiter präzisiert worden. Die Betriebsbezogenheit des Eingriffs könne sich auch aus dessen Tendenz ergeben. Für die erstrebte und gerechtfertigte Einschränkung dieses deliktischen Tatbestands liege kein Sachgrund 206 vor, wenn mit der schädigenden Maßnahme gerade der Gewerbebetrieb beeinträchtigt werden sollte. 207 Umgekehrt ist eine Betriebsbezogenheit des Eingriffs verneint worden, wenn auch jeder andere Rechtsträger einer entsprechenden Behinderung ausgesetzt sein kann und sie nach den das Haftpflichtrecht bestimmenden wertenden Zurechnungsgesichtspunkten entschädigungslos hinnehmen muß.208 So sei etwa in den Fällen unberechtigter Verfahrenseinleitung kein Grund ersichtlich, einem Gewerbetreibenden einen Anspruch auf Ersatz reinen Vermögensschadens zuzubilligen, den ein anderer ersatzlos hinnehmen müßte, obwohl seine berufliche Entwicklung (z. B. als leitender Bankangestellter, Rechtsanwalt, Notar) ebenfalls schwersten Schaden nehmen könne. 209 Vielmehr müsse der Eingreifende solche Verhaltenspflichten verletzt haben, die ihm im Hinblick auf das besondere Schutzbedürfnis eines Gewerbebetriebs oblagen. 210 BGH NJW 1980, 881, 882. Siehe dazu BGH NJW 1970, 2060; NJW 1977, 1147; NJW 1977, 2208. 204 So schon BGH NJW 1970, 378, 381; siehe ferner BGH NJW 1976, 1740 sowie BGH NJW 1977, 2313. 20S BGH NJW 1977, 2264. 206 Auch dies ist letztlich wieder keine positive Begründung. 207 Std. Rspr. seit BGH NJW 1969, 1207; siehe nur z. B. BGH NJW 1972, 1571; NJW 1976,620; NJW 1977,2313; NJW 1977, 1875; zuletzt: BGH NJW 1983,2313,2314. 208 BGH NJW 1977, 2264. 209 BGH NJW 1979, 1351. 210 BGH NJW 1977, 2264. 202
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1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
Die Frage, welche Verhaltenspflichten der Schädiger verletzt hat, findet sich auch bei dem dritten Element der Prüfung einer Haftung wegen Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb iSd. § 823 Abs. 1, bei der Rechtswidrigkeit. Hier hat die Rechtsprechung an den Grundsätzen des Höllenfeuer-Urteils festgehalten uno fortan OIe Rechtswidrigkeit emes hmgnffs in den Geweroeoetneb stets aufgrund einer positiven Bestimmung angenommen, die auf die zu mißbilligende Art des Vorgehens abstellt, die sich ihrerseits aufgrund einer Güter- und Pflichtenabwägung beurteilt. 211 Dabei wird die positive Prüfung der Rechtswidrigkeit als notwendiges Element der Haftungsbegrenzung angesehen. 212 Der dem Unternehmen gewährte Interessenschutz wird nicht durch den abgeschlossenen Geltungsbereich eines Schutzgutes verkörpert. Seinen Umfang muß der Richter vielmehr von Fall zu Fall aufgrund der jeweils betroffenen Spannungslage ermitteln, in der die Interessen des Unternehmers in Konflikt mit den Interessen anderer stehen. 213 Ein Gewerbebetrieb sei seiner Natur nach ständigen Eingriffen der verschiedensten Art - im Rahmen der freien Marktwirtschaft vor allem seitens der legitimen Konkurrenz - ausgesetzt. Darum sei es grundsätzlich nicht Sache des Eingreifenden, einen besonderen Rechtfertigungsgrund darzutun. Vielmehr sei vom Kläger darzutun und gegebenenfalls zu beweisen, daß der Eingriff von den sozialen Verhaltensregeln nicht gedeckt war. Hier bestehe zwischen der hergebrachten Theorie des Erfolgsunrechts und dem im Vordringen begriffenen Modell des Verhaltensunrechts kein Widerspruch. 214 In einigen allgemeinen Aussagen des BGH zum Recht am Gewerbebetrieb finden sich allerdings deutlich einschränkende Tendenzen wieder. So wird das (sonstige) Recht am Gewerbebetrieb iSd. § 823 Abs. 1 als im Wege richterlicher Rechtsfortbildung geschaffener erweiterter Vermögensschutz gesehen,215 aber zugleich festgestellt, daß durch die Entwicklung des Rechts am Gewerbebetrieb die Geschlossenheit der Regelung der §§ 823 ff. in Schwierigkeiten geraten ist. 216 Insbesondere könnten die Grenzen noch nicht durchweg als begrifflich geklärt angesehen werden und manches dürfe für eine einschränkende Anwendung des Rechts am Gewerbebetrieb sprechen. 217
E. Zusammenfassung Die Rechtsprechung des BGH zum Unternehmensschutz mittels des Rechts am Gewerbebetrieb läßt sich in vier Phasen einteilen: 211 212 213 214 215 216 217
BGH BGH BGH BGH BGH BGH BGH
NJW NJW NJW NJW NJW NJW NJW
1970, 1972, 1981, 1980, 1976, 1976, 1976,
187; NJW 1972, 1571; NJW 1976, 620; NJW 1977, 1875. 1366. 1089. 881. 620; NJW 1977, 1875. 620. 1740.
III. Zusammenfassende kritische Würdigung
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In der ersten Phase erfolgte die Übernahme der an § 823 Abs. 1 orientierten Rechtsprechung des RG bei gleichzeitiger Ausdehnung des Schutzbereichs auf die gesamte gewerbliche Tätigkeit. Die zweite Phase war gekennzeichnet durch das Bemühen, den Eingriffstatbestand nach Maßgabe der in der ersten Phase aufgestellten Grundsätze mit Hilfe einer Orientierung am Schutzzweck des Rechts am Gewerbebetrieb präziser zu fassen. In der dritten Phase wurde die bisherige dogmatisch-methodische Einordnung des Rechts am Gewerbebetrieb in das klassische Schema des § 823 Abs. 1 aufgegeben und der Weg eröffnet für eine positive Bestimmung der Rechtswidrigkeit. Auf dieser Grundlage konsolidierte sich in der vierten Phase die Rechtsprechung zum Unternehmensschutz durch Präzisierung der einzelnen Anspruchsvoraussetzungen bei gleichzeitiger restriktiver Handhabung.
111. Zusammenfassende kritische Würdigung der Entwicklung des Rechts am Gewerbebetrieb in der bzw. durch die Rechtsprechung A. Kontinuität der Rechtsprechung? Betrachtet man rückblickend die Entwicklung des Rechts am Gewerbebetrieb als Schutzgut des § 823 Abs. 1 in der Rechtsprechung des RG und des BGH, so fällt auf den ersten Blick die Kontinuität dieser Rechtsprechung auf. Schon kurze Zeit nach Inkrafttreten des BG B wurde mittels des Rechts am Gewerbebetrieb deliktsrechtlicher Unternehmensschutz gewährt und in dieser Funktion ist das Recht am Gewerbebetrieb bis heute in der Rechtsprechung erhalten geblieben. Doch bei näherem Hinsehen wird deutlich, daß im Laufe dieser Entwicklung der Anwendungsbereich des Rechts am Gewerbebetrieb Schwankungen unterlag: Nach der noch restriktiven Handhabung durch den VI. Zivilsenat des RG folgte die zunächst auf das Gebiet des Wettbewerbs- und Warenzeichenrechts beschränkte Haftungserweiterung durch den 11. Zivilsenat. Daran anschließend erweiterte der BGH nochmals den Schutzbereich des Rechts am Gewerbebetrieb, während er in neuerer Zeit den deliktsrechtlichen Unternehmensschutz wieder betont restriktiv handhabt. Die Suche nach den Gründen dieser Schwankungen in der Rechtsprechung zeigt, daß die oben beschriebene Kontinuität nur eine äußerliche war. Inhaltlich, d. h. hinsichtlich der Wertungen, die die Gerichte zur Rechtfertigung bzw. zur Ausfüllung ihres richterrechtlich entwickelten Unternehmensschutzes anführten, ist es im Laufe dieser Entwicklung wiederholt zu Brüchen gekommen, die die Annahme einer Kontinuität der Rechtsprechung als vordergründig entlarven.
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1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
B. Die "Brüche" in· der Rechtsprechungsentwicklung Schon die Anfänge der Entwicklung eines Rechts am Gewerbebetrieb als sonstiges Recht iSd. § 823 Abs. 1 stellen einen solchen Bruch dar. Zu Beginn des Jahrhunderts sind die Fälle, in denen vor Erlaß des BGB dem Gewerbetreibenden Rechtsschutz gewährt worden war, zu einem subjektiven Recht am Gewerbebetrieb zusammengefaßt und als sonstiges Recht im § 823 Abs. 1 eingeordnet worden. Der inhaltliche Bruch entstand dabei durch die unterbliebene Auseinandersetzung mit der Frage, wie dieser bisherige Schutz des Unternehmens in das neu geschaffene deliktsrechtliche System des BGB paßte. So genügte etwa in RGZ 58, 24 dem Gericht die Annahme, daß § 826 nicht zurgewünschten - Haftung führte, um eine solche über § 823 Abs. 1 zu begründen. Nicht näher überlegt wurde, unter welche Vorschriften der §§ 823 ff. der Schutz des Gewerbebetriebs - in diesem Fall vor unberechtigten Schutzrechtsverwarnungen - wertungsmäßig einzuordnen war. Vielmehr wurde ohne jede Diskussion § 823 Abs. 1 als Anknüpfungspunkt der Haftung gewählt, der mit seinem Abstellen auf ein sonstiges Recht eine Weiterentwicklung vordergründig leichter erscheinen ließ als etwa § 826. 218 Mit dieser pauschalen, undifferenzierten Annahme eines Rechts am Gewerbebetrieb iSd. § 823 Abs. 1 durch den I. Zivilsenat des RG wurden zugleich erste Ansätze systematischer Erwägungen zum deliktsrechtlichen Unternehmensschutz, die in der Rechtsprechung des VI. Zivil senats des RG zu dieser Zeit durchaus vorhanden waren,219 abgeblockt. Zwar bestimmten diese Wertungen weiterhin die Rechtsprechung des VI. Zivilsenats. Jedoch flossen sie jetzt nicht in die Beantwortung der Frage nach der Existenz eines Rechts am Gewerbebetrieb ein. Vielmehr wurden sie nunmehr bei der Frage nach der Begrenzung der Haftung für die Verletzung dieses Rechts bei Annahme der grundsätzlichen Existenz desselben erörtert. Ergebnis dieser Überlegungen war das Erfordernis eines unmittelbaren Bestandseingriffs. 220 Dabei machte es im praktischen Ergebnis keinen Unterschied, ob eine Einschränkung des Schutzumfangs durch Aufstellung bestimmter Anforderungen an die Eingriffshandlung oder durch restriktive (und differenzierte) Bestimmung dessen, was überhaupt als Recht iSd. § 823 Abs. 1 beim Gewerbebetrieb geschützt sein kann, erreicht wurde. Daß sich diese Wertungen des VI. Zivilsenats aber formal nur bei der Frage nach der Haftungsbegrenzung eines mit dem Recht am Gewerbebetrieb dem Wortlaut nach verbundenen weiten Schutzumfanges stellten, machte es dem 11. Zivilsenat später leicht, die Rechtsprechung zum Recht am Gewerbebetrieb auf den Schutz gewerblicher Betätigung als solcher - auf dem Gebiet des Wettbewerbs- und Warenzeichenrechts - unter Verzicht auf das Erfordernis unmittelbarer BestandseingrifTe auszubauen. Da das Kriterium der unmittelbaren Bestands218 219 220
Siehe oben 1. Kap., I B 2. Siehe oben 1. Kap., I B 1. Siehe oben 1. Kap., I B 3.
III. Zusammenfassende kritische Würdigung
77
eingriffe haftungs begrenzend verstanden wurde, blieb, sofern man seine Anwendung verneinte, nach wie vor eine - sogar erweiterte - Haftung wegen Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb iSd. § 823 Abs. 1 möglich, ohne daß es nochmals bzw. in Wirklichkeit erstmals der positiven Begründung bedurft hätte, warum das Recht am Gewerbebetrieb iSd. § 823 Abs. 1 einen so weiten Schutzumfang abdecken konnte. 221 Zugleich stellte diese Ablehnung der Bestandsschutzrechtsprechung des VI. Zivilsenats durch den 11. Zivilsenat für das Gebiet des Wettbewerbs- und Warenzeichenrechts den nächsten inhaltlichen Bruch in der Rechtsprechungsentwicklung dar. Wiederum wurden zur Rechtfertigung dieser Rechtsprechungsänderung keine am System der §§ 823 ff. orientierten Überlegungen angestellt, obwohl dies schon deshalb nahe gelegen hätte, da die aufunmittelbare Bestandseingriffe abstellende Rechtsprechung des VI. Zivilsenats yon solchen Wertungen geprägt war. Vielmehr wurde vom 11. Zivilsenat formal zwar unter Bezugnahme auf Urteile des RG aus der Zeit nach Inkrafttreten des BGB, der Sache nach aber auf Wertungen aus der Zeit vor Erlaß des BGB abgestellt. Dadurch wurden die am Deliktssystem des BGB orientierten Überlegungen des VI. Zivilsenats nicht nur nicht beachtet, sondern für die weitere Zukunft auch verdeckt. 222 Dies zeigte sich im Constanze-Urteil des BGH, der nächsten Bruchstelle in der Rechtsprechungsentwicklung, in dem das Recht am Gewerbebetrieb auf den Schutz des gesamten gewerblichen Tätigkeitskreises ausgedehnt wurde. Wieder fehlte jede Auseinandersetzung mit dem System der § 823 ff. So wurde zur "Begründung" der Haftungserweiterung auf die Rechtsprechung des 11. Zivilsenats des RG verwiesen und gesagt, daß kein sachlicher Grund besteht, diese nicht auszudehnen. Damit erweiterte der BGH diese Rechtsprechung, die auf Wertungen aus der Zeit vor Erlaß des BGB zurückging, ohne hierfür eine positive Begründung zu geben. Zwar verlangte der BGH weiterhin einen unmittelbaren Eingriff. Doch da nach endgültiger Aufgabe des Erfordernisses eines Bestandseingriffes die Unmittelbarkeit nicht mehr iSd. Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des RG verstanden werden konnte und dieser Begriff auch nicht mit einem neuen Inhalt versehen wurde, handelte es sich allein um eine äußerliche Kontinuität der Rechtsprechung. 223 Verstärkt wurde dies noch durch das erste Stromkabel-Urteil des BGH. Abgesehen von der teilweise unzutreffenden Darstellung der Entwicklung der reichsgerichtlichen Rechtsprechung, war die Bezugnahme auf den im Urteil des RG (Z 163, 21) geforderten unmittelbaren Bereichseingriff nun nur noch reine Äußerlichkeit. Die in RGZ 163, 21 getroffene inhaltliche Bestimmung der Unmittelbarkeit als Haftungsausschluß für durch Zwischenursachen bedingte 221 222 223
Siehe oben 1. Kap., I B 6. Siehe oben 1. Kap., I B 6. Siehe oben 1. Kap., 11 A.
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1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
Schädigungen eines Gewerbebetriebs wurde ausdrücklich abgelehnt. 224 Zwar wurden nunmehr dem Unmittelbarkeitserfordernis neue Wertungen zugrundegelegt, die wiederum haftungsbegrenzende Funktion durch Schutzzweckorientierung hatten. Es zeigte sich jedoch das gleiche Phänomen wie zu Beginn der reichsgerichtlichen Rechtsprechung zum Recht am Gewerbebetrieb: nachdem die Rechtsprechung zunächst ohne nähere Überlegung dem Recht am Gewerbebetrieb einen weiten Haftungsumfang hatte zukommen lassen, wurde als nächstes eine Haftungsbegrenzung notwendig. Die prinzipielle Einordnung in § 823 Abs. 1 und der daraus resultierende weite Haftungsumfang als solcher wurden dabei aber nicht in Frage gestellt. Noch deutlicher wurde dies bei der Entwicklung des Rechts am Gewerbebetrieb durch den BGH zum sog. offenen Tatbestand hin. Hier tauchten die Wertungen wieder auf, die die Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des RG dazu bewogen hatten, einen deliktsrechtlichen Unternehmensschutz schwerpunktmäßig nicht über die Annahme eines sonstigen Rechts iSd. § 823 Abs. 1, sondern mit Hilfe des § 826 zu gewähren. Diese Wertungen führten jetzt dazu, daß der BGH bei einem Eingriff in den Gewerbebetrieb iSd. § 823 Abs. 1 nicht von einer Indizierung der Rechtswidrigkeit ausging, sondern die Rechtswidrigkeit jeweils positiv feststellen wollte. Es wurde also aufgrund dieser Wertungen nicht die Einordnung in § 823 Abs. 1 in Frage gestellt; diese wurde vielmehr grundsätzlich beibehalten und in Einklang mit diesen Wertungen gebracht, indem von bis dato zumindest von der Rechtsprechung allgemein anerkannten Grundsätzen der Anwendung des § 823 Abs. 1 abgewichen wurde. Rückblickend zeigt sich, daß sich die Rechtsprechung zum Recht am Gewerbebetrieb keineswegs in dem Sinne kontinuierlich entwickelt hat, daß die Urteile - trotz Ausdehnung des Schutzbereichs - in der Begründung aufeinander aufgebaut hätten. In dieser Entwicklung haben sich vielmehr Bruchstellen zum einen dort ergeben, wo Wertungen aus der Zeit vor Inkrafttreten des BGB, genauer gesagt: der dem Gewerbetreibenden vor Erlaß des BGB gewährte Rechtsschutz, zur Begründung des nunmehr aus § 823 Abs. 1 gewährten Unternehmensschutzes herangezogen wurden, ohne daß diese pauschale Erfassung des Unternehmensschutzes mittels § 823 Abs. 1 grundsätzlich diskutiert worden wäre. Zum anderen ergaben sich Bruchstellen dort, wo allein Begriffe aus früheren Urteilen übernommen wurden ohne die diese Begriffe ausfüllenden Wertungen und bisher allgemein anerkannte Grundsätze der Anwendung des § 823 Abs. 1 geändert wurden, um neuen ("alten") Wertungen im Rahmen des Unternehmensschutzes gerecht zu werden. Gemeinsam ist diesen Angelpunkten der Entwicklung des Rechts am Gewerbebetrieb, daß es zu keiner Zeit zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung der Gerichte mit der Einordnung des deliktsrechtlichen Unnternehmensschutzes in das System der §§ 823 ff. gekommen ist. Nachdem ein Recht am Gewerbebetrieb einmal als sonstiges Recht iSd. § 823 Abs. 1 anerkannt worden 224
Siehe oben 1. Kap., II B.
III. Zusammenfassende kritische Würdigung
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war - was praktisch schon mit Beginn der Rechtsprechung geschah - , ist immer nur versucht worden, einzelne Ausprägungen eines solchen Rechts neuen Erkenntnissen möglichst systemkonform anzupassen. C. Das bisherige Ergebnis der Rechtsprechung: die drei Grundsätze der Haftung aus Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb Nach dem heutigen Stand der Rechtsprechung sind bei der Frage nach einer Haftung wegen Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb drei Grundsätze zu beachten: 225 Erstens: Das Recht am Gewerbebetrieb schützt nur vor unmittelbaren, d. h. betriebsbezogenen Eingriffen in den Gewerbebetrieb. Zweitens: Das Recht am Gewerbebetrieb ist ein Auffangtatbestand, der nur zur lückenfüllenden, subsidiären Anwendung in Fällen spezifischen Unternehmensschutzes kommt. Drittens: Das Recht am Gewerbebetrieb ist ein offener Tatbestand, bei dem der Eingriff als solcher noch nicht die Rechtswidrigkeit indiziert. Diese muß immer erst positiv festgestellt werden. 1. Das Unmittelbarkeitserfordernis
Grundlegend für die inhaltliche Bestimmung des Unmittelbarkeitserfordernisses ist in der Rechtsprechung des BGH bis heute das erste Stromkabel-Urteil geblieben. Dort hatte sich der BGH erstmals mit der Frage befaßt, welche Aufgaben das Unmittelbarkeitserfordernis im Rahmen des Unternehmensschutzes nach § 823 Abs. 1 haben sollte. Er kam dabei zu dem Ergebnis, daß das Unmittelbarkeitskriterium am Schutzzweck des Rechts am Gewerbebetrieb orientierte Haftungsbegrenzungsfunktion haben sollte. Ein unmittelbarer Eingriff soll derjenige sein, der irgendwie gegen den Betrieb als solchen gerichtet, also betriebsbezogen ist, und nicht vom Gewerbebetrieb ohne weiteres ablös bare Rechte betrifft. 226 Aufgrund dieser Bestimmung der Unmittelbarkeit wird diese zum Teil als Wertungsbegriff verstanden, der in einer ersten Grobauslese diejenigen den Gewerbebetrieb beeinträchtigenden Verhaltensweisen normativ ausgrenzen soll, gegenüber denen der Funktionsbereich des Unternehmens als organisches Mehr seiner Einzelfaktoren zusätzlichen Haftungsschutz verdient. 227 Welche Wertungen aber einer solchen normativen Ausgrenzung zugrundeliegen sollen, bleibt bereits im Stromkabel-Urteil im Dunkeln. Zwar versucht das Gericht, mit Siehe oben 1. Kap., 11 D. BGRZ 29, 65, 74. 227 RGRK-StefTen § 823 Rz. 42, dem sich der BGR BB 1983,464,465 nunmehr z. T. anschließt. 225
226
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1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
Hilfe der Unmittelbarkeit eine haftungsbegrenzende Verknüpfung zwischen Erfolg und Handlung herzustellen. Wenn es jedoch eine sprachliche Bestimmung des Begriffs ebenso wie eine Bestimmung anhand der Kausalität wie auch der Zweckgerichtetheit des Eingriffs ablehnt,228 muß man sich fragen, was überhaupt noch den Inhalt der beabsichtigten Haftungsbegrenzung ausmachen soll. Als positive Aussage bleibt nur noch, daß der Eingriff irgendwie gegen den Betrieb als solchen gerichtet sein muß. Diese Aussage ist aber inhaltlich nicht faßbar. 229 Auch wird nicht klar, welche Kriterien eigentlich erfüllt sein müssen, damit ein vom Gewerbebetrieb ohne weiteres ablösbares Recht angenommen werden kann. Im Urteil des BGH finden sich lediglich allgemeine Umschreibungen, daß über das Recht am Gewerbebetrieb weder das Vermögen allgemein noch Forderungsrechte geschützt werden sollen. 230 Es fehlt jede konkrete Aussage zu dem, was tatsächlich mittels des Rechts am Gewerbebetrieb deliktsrechtlich geschützt werden soll. Diese mangelnde inhaltliche Präzisierung der Unmittelbarkeit bzw. der Betriebsbezogenheit ist seit dem Stromkabel-Urteil in der Rechtsprechung immer wieder anzutreffen. So ist vom BGH wiederholt angeführt worden, dieses Erfordernis solle verhindern, daß der Rechtsschutz nach dem Recht am Gewerbebetrieb in einen allgemeinen Vermögensschutz ausarte. 231 Wird jedoch umgekehrt festgestellt, daß der Schutz des Gewerbebetriebs durch das Recht am Gewerbebetrieb einen erweiterten Vermögensschutz darstellt,232 so wird zwar der äußere Rahmen der Rechtsprechung zum Recht am Gewerbebetrieb (kein allgemeiner Vermögensschutz einerseits - besonderer Vermögensschutz für den Gewerbetreibenden andererseits) abgesteckt; wo aber innerhalb dieses weiten Rahmens die Grenze zur Haftung wegen Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb überschritten ist, wird nicht gesagt. Das gleiche Dilemma spiegelt sich auch in der Aussage wider, daß Betriebsbezogenheit die Verletzung solcher Verhaltenspflichten bedeutet, die dem Eingreifenden im Hinblick auf das besondere Schutzbedürfnis eines Gewerbebetriebs oblagen. 233 Wird im gleichen Urteil festgestellt, daß es nicht Sinn des besonderen Rechtsschutzes durch das Recht am Gewerbebetrieb ist, einem Gewerbetreibenden einen Ersatzanspruch für solche Vermögensschäden zu gewähren, die ein anderer unter sonst gleichen Umständen ersatzlos hinnehmen muß,234 so ist wieder nur gesagt, daß für eine Haftung wegen Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb ein besonderes Schutzbedürfnis des Gewerbetreibenden hinsichtlich seines Vermögens erforderlich ist. Dies steht auch nicht im Gegensatz zu der zweiten Aussage des 228 229 230
231 232 233 234
BGHZ 29. 65, 71. So auch Larenz, Anm. zu BGH AP Nr. 2 zu Art. 5 Abs. 1 GG Meinungsfreiheit. BGHZ 29, 65, 73f. Vgl. nur BGH NJW 1976, 1740. BGH NJW 1977, 1875. BGH NJW 1977, 2264. BGH NJW 1977, 2264.
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Urteils. 235 Denn damit sollte nur darauf hingewiesen werden, daß mit Hilfe des Rechts am Gewerbebetrieb nicht schon jeder Vermögensschaden liquidiert werden kann. Bedenklich ist allein die Umschreibung dieser nicht liquidierbaren allgemeinen Vermögensschäden dahingehend, daß es sich um solche handeln muß, die ein anderer unter sonst gleichen Umständen ersatzlos hinnehmen müßte. Das gleiche gilt für die Verneinung der Betriebsbezogenheit des Eingriffs für den Fall einer unberechtigten Verfahrenseinleitung: es sei kein innerer Grund ersichtlich, einem Gewerbetreibenden einen Anspruch auf Ersatz reinen Vermögensschadens zuzubilligen, den ein anderer ersatzlos hinnehmen müßte, obwohl seine berufliche Entwicklung ebenfalls schwersten Schaden nehmen könnte. 236 Diese Abgrenzung des allgemeinen Vermögensschadens, der nicht das besondere Schutzbedürfnis des Gewerbetreibenden betrifft, ist viel zu allgemein gehalten, als daß sie eine Orientierungshilfe bei der Bestimmung der Haftungsvoraussetzungen sein könnte. Eine solche "Definition" der nicht ersatzfähigen Vermögensschäden träfe letztlich auf nahezu alle Fälle zu, in denen die Rechtsprechung bislang die Anwendung des Rechts am Gewerbebetrieb bejaht hat. 237 Es zeigt sich, daß die Merkmale der Unmittelbarkeit bzw. der Betriebsbezogenheit, wie sie vom BGH verwandt werden, keine sicheren Abgrenzungskriterien sind, die eine zuverlässige Ergebnisvoraussage bezüglich der deliktsrechtlichen Haftung für Unternehmensbeeinträchtigungen ermöglichen. Ob mit der neuerdings im Anschluß an Steffen 238 gebrauchten Bestimmung der Betriebsbezogenheit als Beeinträchtigung, die die Grundlagen des Betriebes bedroht oder gerade den Funktionszusammenhang der Betriebsmittel auf längere Zeit aufhebt oder seine Tätigkeit als solche in Frage stellt,239 eine Wandlung der Rechtsprechung zu einer präziseren Bestimmung des Unmittelbarkeitserfordernisses verbunden ist, bleibt abzuwarten. 24O Allerdings ist das Bild von der "leeren Worthülse, deren Aussagekraft gleich null ist" 241 , nicht ganz zutreffend. Besser wäre - um bei dem Bild zu bleiben - von einer nicht vollständig gefüllten Worthülse zu sprechen. Denn die Wertung, die hinter diesem Erfordernis stehen soll, ist die Frage nach dem besonderen Schutzbedürfnis des Gewerbebetriebs. Allein, das Unmittelbarkeitserfordernis als solches kann diese Frage nicht beantworten, weil die Rechtsprechung sich nie um eine präzise positive Begründung desselben bemüht hat. Sie hat sich vielmehr immer damit begnügt, negativ und ganz allgemein zu erklären, was nicht von diesem So aber EsserjWeyers, SchuldR. II, S. 466. BGH NJW 1979, 135t. 237 So auch Buchner DB 1979, 1069. 238 RGRK-StefTen § 823 Rz.43. 239 BGH BB 1983,464, 465. 240 Interessant ist auf jeden Fall, daß diese "Definition" der Betriebsbezogenheit sich vom Gehalt her wieder stark der sog. Bestandsformel des RG annähert. 241 Kötz, Deliktsrecht, S. 50. 235
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besonderen Schutzbedürfnis erfaßt werden soll. Unmittelbarkeit und Betriebsbezogenheit haben die Funktion, die Haftung zu begrenzen. Sie erwecken dabei den Anschein objektiver Kriterien, ohne bislang wirklich präzise Wertungen zu enthalten. 242 Daß diese Entwicklung möglich war, hat seine Ursache wiederum in der Entwicklung der Rechtsprechung des BGH zum Recht am Gewerbebetrieb. Ist deren Ausgangspunkt, wie mehrfach angedeutet, daß mit der Unmittelbarkeit des Eingriffs auf das besondere Schutzbedürfnis des Gewerbebetriebs abgestellt werden soll, so geht es bei der inhaltlichen Ausfüllung dieses Merkmals nicht darum, bestimmte Eingriffe in das Recht auf der Tatbestandsebene aus der Haftung bereits auszugliedern. Es geht vielmehr darum, die Reichweite des Rechts, d. h. den haftungsbegründenden Verletzungstatbestand zu bestimmen. Die zu beantwortende Frage müßte lauten, ob ein besonderes Schutzbedürfnis des Gewerbetreibenden dessen besonderen Schutz im Vergleich zu anderen Vermögensträgern rechtfertigt. Diese Wertung ist bereits mit dem ConstanzeUrteil verdeckt worden. Indem nämlich - ohne Begründung - der gesamte gewerbliche Tätigkeitskreis zum Schutzbereich bestimmt wurde,243 war die Unmittelbarkeitsprüfung später formal eine Frage der Haftungsbegrenzung, nicht dagegen der Haftungsbegründung. Folglich konnte sich der BGR bei der vermeintlichen Frage nach der Raftungsbegrenzung damit begnügen, - negativ - festzustellen, worauf sich die Haftung wegen Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb nicht erstreckt. Eine positive Begründung der Haftung war dagegen formal nicht mehr erforderlich, obwohl es der Sache nach gerade darum ging. Das gleiche Phänomen begegnet uns in der Rechtsprechung des BGR wieder in den Urteilen, in denen das Erfordernis der Unmittelbarkeit, verstanden als haftungs begrenzende Einschränkung des Rechts am Gewerbebetrieb, aus der Tendenz des Eingriffs abgeleitet wird: Für die sonst erstrebte und gerechtfertigte Einschränkung dieses Tatbestandes liege kein Sachgrund vor, wenn mit der schädigenden Maßnahme gerade der Gewerbebetrieb beeinträchtigt werden sollte. 244 Auch hier ist das alleinige Abstellen darauf, daß kein Sachgrund für 242 Vgl. KupischjKrüger, Deliktsrecht, S.23. Das überwiegende Schrifttum steht diesem von der Rspr. entwickelten Kriterium daher ablehnend gegenüber: siehe nur BaumbachjHefermehl, WettbewerbsR., Allg. Rz. 122 f. (physische Eingriffe allerdings ausgenommen); Buchner, S. 82; Diederichsen NJW 1970, 777; EsserjWeyers, SchuldR. H, S. 466; FabriciusJuS 1961, 151, 152 f.; -ders. - AcP 160 (1961) S. 273,304; Fikentscher, SchuldR., S. 639 (physische Eingriffe ausgenommen); Glückert AcP 166 (1966) S. 311, 321; Kötz, Deliktsrecht, S. 50 f.; Larenz, SchuldR. H, S. 635; MK-Mertens § 823 Rz. 494; Preusche, S. 63 ff., 86; StudK-Medicus § 823 Anm. 11 1 b ff; Taupitz, S. 166f.; Wiethölter KritJ 1970, 121, 130. Zustimmend dagegen: Kraft, Interessenabwägung und gute Sitten im Wettbewerbsrecht, 1963, S.167, 169; Kreft, WuV 1978, 197; Neumann-Duesberg NJW 1972, 134 (anders noch in NJW 1968, 1990); RGRK-Steffen § 823 RZ.41. 243 BGHZ 3, 270, 279 f.
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eine Haftungsbegrenzung bei einer solchen subjektiven Tendenz vorliegt, keine positive Begründung des Unmittelbarkeitsverständnisses. Wieder konnte sich das Gericht mit einer solchen Schein begründung begnügen, weil die Frage nach der Unmittelbarkeit formal die Frage nach der Begrenzung eines weiten Haftungstatbestandes war. Bei Wegfall dieser Begrenzung bestand immer noch bzw. gerade wieder eine Haftung wegen Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb, ohne daß diese noch der positiven Begründung bedurft hätte. Gerade eine solche positive Begründung hätte beim Abstellen auf die dem Eingriff zugrundeliegende subjektive Tendenz zur Ausfüllung des Merkmals der Unmittelbarkeit aus verschiedenen Gründen Not getan. Der BGH hatte es selber ja in dem für sein weiteres Unmittelbarkeitsverständnis grundlegenden ersten Stromkabel-Urteil abgelehnt, eine Abgrenzung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Eingriffen aus der Zweckbezogenheit der Handlung abzuleiten, wegen der offenbaren Schwierigkeiten im Falle fahrlässigen Handelns. 245 Nun könnte dieser Widerspruch zwar dadurch ausgeräumt sein, daß der BGH mit seinem späteren Abstellen auf die subjektive Tendenz nur solche Fälle im Auge hatte, bei denen vorsätzliches Handeln des Eingreifenden vorlag. 246 Selbst in diesem Fall bleibt jedoch des weiteren zu beachten, daß der Grund für die mittels des Unmittelbarkeitskriteriums erstrebte Einschränkung des Rechts am Gewerbebetrieb nach der Rechtsprechung darin liegt, daß das Vermögen des Gewerbetreibenden seinem besonderen Schutzbedürfnis entsprechend geschützt und kein allgemeiner Vermögensschutz gewährt wird. 247 Warum für die hieraus folgende Haftungsbegrenzung bei vorsätzlichen Eingriffen kein Sachgrund vorliegen soll, erscheint insofern fraglich, als das ja wohl umgekehrt heißen muß, daß ein besonderes Schutzbedürfnis des Gewerbetreibenden gegenüber solchen Eingriffen besteht. Allein, die vorsätzliche Schadenszufügung kann dieses besondere Schutzbedürfnis des Gewerbetreibenden kaum rechtfertigen. Denn gegen vorsätzliche Schadenszufügungen gewährt ausdrücklich § 826 unter bestimmten Voraussetzungen jedem Vermögensträger Schutz. Was nun das besondere, eine Haftung aus § 823 Abs. 1 rechtfertigende Schutzbedürfnis des Gewerbetreibenden begründen soll, wird auch hier hinsichtlich der von einer subjektiven Tendenz getragenen Eingriffe nicht deutlich. Zudem wird vom BGH nicht klargestellt, wie sich die von ihm vorgenommene Abstufung zwischen ohne weiteres unmittelbaren, weil vorsätzlichen Eingriffen BGH NJW 1969, 1207. BGHZ 29, 65, 71 f. 246 Dafür spricht auch, daß sich der BGH in NJW 1969, 1207 nur auf Lehmann NJW 1959,670 und Hauß Anm. LM Nr. 16 zu§ 823 [Ai] BGB beruft, die beideaus dem Vorsatz die Unmittelbarkeit herleiten wollen, nicht dagegen auf Larenz NJW 1956, 1719, der die Unmittelbarkeit teleologisch im Sinne einer Zweckbezogenheit der Eingriffshandlung verstehen will. Selbst diese Differenzierung ist aber spätestens in BGH NJW 1977, 1875, 1877 aufgegeben worden, wo die Tendenz des Eingriffs sich aus der Willensrichtung des Verletzers ergeben soll, ohne daß eine Auseinandersetzung mit der frühen Rspr. erfolgt. 247 BGH NJW 1976, 1740. 244
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und fahrlässigen Eingriffen, bei denen zur Erfüllung der Unmittelbarkeit besondere Kriterien vorliegen müssen, in das System der §§ 823 ff. einfügen lassen soll. Nach § 823 Abs. 1 wird ein Recht sowohl gegen vorsätzliche wie auch gegen fahrlässige Eingriffe gleichermaßen geschützt und einen - allgemeinen Schutz gegen vorsätzliche Eingriffe gewährt allein § 826. 2. Der sog. Subsidiaritätsgrundsatz Nun hat allerdings der BGH im Rahmen der Frage nach der Funktion des Rechts am Gewerbebetrieb als Auffangtatbestand 248 auch zum Verhältnis des Rechts am Gewerbebetrieb als sonstiges Recht iSd. § 823 Abs. 1 zu § 826 Stellung genommen. 249 Dabei geht das Gericht zutreffend davon aus, daß der Ansatzpunkt der Rechtsprechung für die Entwicklung des Rechts am Gewerbebetrieb die Tatsache war, daß in bestimmten Fällen der Schutz nach § 826 nicht ausreichend war, namentlich gegenüber fahrlässigen Eingriffen in den Gewerbebetrieb. Für solche bestimmten Fälle - also ausnahmsweise - wurde die Anwendbarkeit des Rechts am Gewerbebetrieb bejaht. Insoweit stelle die Anerkennung des Gewerbebetriebs als "sonstiges Recht" iSd. § 823 Abs. 1 einen erweiterten Vermögensschutz dar. 2so Bei diesem Ansatzpunkt kann aber nicht des weiteren damit argumentiert werden, daß auf die Prüfung der strengeren Voraussetzungen des § 826 verzichtet werden kann, da bei vorsätzlichen Eingriffen in den Gewerbebetrieb auf jeden Fall das Recht am Gewerbebetrieb iSd. § 823 Abs. 1 verletzt ist. Liegen die strengeren Voraussetzungen des § 826 vor, ist nach diesem Ansatz kein Raum mehr für eine Anwendung des Rechts am Gewerbebetrieb. Liegen sie dagegen nicht vor, kann noch nicht ohne weiteres das Recht am Gewerbebetrieb verletzt sein. Es bedarf vielmehr der besonderen Begründung, warum trotz mangelnder Erfüllung der strengeren Voraussetzungen des § 826 es gleichwohl zu einer Haftung des Eingreifenden kommen soll. Interessant ist, daß sich damit bei der Erfassung des Rechts am Gewerbebetrieb als Auffangtatbestand die gleiche Wertung findet wie bei der Frage nach der Unmittelbarkeit des Eingriffs: bei vorsätzlichen Eingriffen soll ohne weiteres von einer Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb ausgegangen werden können, ohne daß die strengeren Voraussetzungen des § 826 bzw. die besonderen Voraussetzungen der Unmittelbarkeit noch geprüft werden müßten. Interessant ist ferner, daß es die Rechtsprechung auch hier an einer positiven Begründung ihrer Wertungen fehlen läßt. Die Tatsache aber, daß sowohl bei der Frage nach dem Auffangtatbestand als auch nach der Unmittelbarkeit die vorsätzlichen Eingriffe gleich behandelt werden und daß sich hiergegen jeweils die gleichen Kritikpunkte vorbringen lassen, macht bereits deutlich, daß die Abgrenzung zwischen diesen beiden von 248 249 250
Kritisch zum sog. Subsidiaritätsgrundsatz: Fikentscher, WirtschaftsR. II, S. 111. BGH NJW 1977, 1875, 1877. BGH NJW 1977, 1875, 1877.
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der Rechtsprechung geforderten Haftungselementen nicht gelungen ist: Wird nämlich die Annahme, daß das Recht am Gewerbebetrieb ein Auffangtatbestand ist, damit begründet, daß es sich um einen lückenfüllenden deliktischen Sonderschutz für Unternehmen handelt,2S1 so heißt dies umgekehrt, daß dieser Auffangtatbestand nur dort zur Anwendung kommen soll, wo ein besonderes Schutzbedürfnis für das Unternehmen besteht. Nichts anderes besagt aber nach der Rechtsprechung auch das Kriterium der Unmittelbarkeit bzw. der Betriebsbezogenheit. 2S2 Beide Kriterien sind schon insofern nicht überzeugend, als die Rechtsprechung an keiner Stelle deutlich gemacht hat, woraus sich dieses besondere Schutzbedürfnis des Gewerbebetriebs ergeben soll. Diese Unklarheit verstärkt sich noch durch die Erkenntnis, daß beide im Deliktsaufbau an verschiedener Stelle angesiedelten Kriterien sich in den zugrundeliegenden Wertungen nicht unterscheiden. Auch der neueste Konkretisierungsversuch hinsichtlich des Merkmals "Auffangtatbestand" entpuppt sich bei näherem Hinsehen als untauglicher. Soll nämlich die Heranziehung dieses Auffangtatbestands nur zum Schutz von Integritätsinteressen gerechtfertigt sein,253 besagt dies vor dem Hintergrund, daß der BGH den Schutz des Gewerbebetriebs auf den gesamten gewerblichen Tätigkeitskreis ausgedehnt hat, allein, daß es um die Bestimmung des Punktes geht, wo ein rechtlich anerkanntes Integritätsinteresse hinsichtlich der gewerblichen Tätigkeit besteht. Es fehlt wieder die Bestimmung der Grenzlinie. Bemerkenswerterweise nähert sich das Gericht mit der in diesem Urteil vorgenommenen Bestimmung der Betriebsbezogenheit in autrlilliger Weise wieder der sog. Bestandsschutzrechtsprechung des RG an. 254 3. Der offene Tatbestand
Dieses Bild einer von unklaren Wertungen geprägten Rechtsprechung vervollständigt sich, wenn man das dritte Element, das der BGH bei der Prüfung der Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb berücksichtigt, die positive Bestimmung der Rechtswidrigkeit, in die Betrachtung einbezieht. Eine solche positive Bestimmung der Rechtswidrigkeit soll durch Feststellung der zu mißbilligenden Art des Vorgehens des Eingreifers, die sich ihrerseits aufgrund einer am Einzelfall orientierten Güter- und Ptlichtenabwägung beurteilt, erfolgen. Dabei wird die positive Bestimmung der Rechtswidrigkeit als notwendiges Element der Haftungsbegrenzung angesehen. 255 BGH NJW 1976, 1740. Nach EsserjWeyers, SchuldR. 11, S. 466 ist das Unmittelbarkeitserfordernis Ausdruck des Auffangtatbestandes. Nach Soerge1jZeuner § 823 Rz. 73 berührt es sich in vieler Hinsicht mit dem Subsidiaritätserfordemis. 253 BGH BB 1983,464,465. 254 Siehe oben 1. Kap., I B 3; so auch RGRK-Steffen § 823 Rz.45. 255 Siehe oben in und bei Fn. 212. 251
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Danach muß man sich aber fragen, was die Merkmale der Unmittelbarkeit und des Auffangtatbestandes noch für eine Funktion haben, nachdem die Rechtsprechung von einer solchen positiven Bestimmung der Rechtswidrigkeit ausgeht, die ihrerseits Haftungsbegrenzungsfunktion haben soll.256 Letztlich haben alle drei von der Rechtsprechung bei der Prüfung der Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb berücksichtigten Elemente die gleiche Funktion und es muß sich zwangsläufig die Frage stellen, inwieweit sich diese drei Elemente noch unterscheiden. 257 Die Antwort hierauf ergibt sich daraus, daß die Rechtsprechung mit der positiven Bestimmung der Rechtswidrigkeit gerade an die Art und Weise der Schädigung im Einzelfall anknüpfen will. Damit soll die Rechtswidrigkeit aus einer Bewertung der den Erfolg, Schädigung des Gewerbebetriebs, verursachenden Handlung gewonnen werden. Genau dies war aber auch der Ansatz des BGH bei seiner Präzisierung dessen, was er unter der Unmittelbarkeit des Eingriffs verstehen will ("irgendwie gegen den Betrieb gerichtet"). Dies war ebenfalls eine wertende Betrachtung des HandlungsErfolgs-Verhältnisses zur Bestimmung rechtswidriger Eingriffe in den Gewerbebetrieb. Das gleiche gilt für die neueren Versuche des BGH, die Unmittelbarkeit aus der subjektiven Tendenz des Eingriffs abzuleiten. Es zeigt sich, daß zwischen den vom BGH in ständiger Rechtsprechung berücksichtigten Haftungselementen der Unmittelbarkeit und der positiven Bestimmung der Rechtswidrigkeit kein wertungsmäßiger Unterschied besteht. Bestätigt wird dieses Ergebnis durch einige Aussagen in neueren BGHUrteilen. So ist zum einen die Betriebsbezogenheit des Eingriffs dahingehend bestimmt worden, daß der Eingreifende solche Verhaltenspflichten verletzt haben muß, die ihm im Hinblick auf das besondere Schutzbedürfnis eines Gewerbebetriebs oblagen. 258 Und genau diese Aussage taucht in der Rechtsprechung des BGH zum anderen dort wieder auf, wo das Gericht seine Feststellung, daß beim offenen Tatbestand des Rechts am Gewerbebetrieb schon jetzt zwischen der hergebrachten Theorie des Erfolgsunrechts und dem im Vordringen begriffenen Modell des Verhaltensunrechts kein Widerspruch besteht, darauf stützt, daß vom klagenden Gewerbetreibenden darzutun und gegebenenfalls zu beweisen ist, daß der Eingriff von den sozialen Verhaltensregeln nicht gedeckt ist. 259 256 Nach Emmerich, Schwerpunkte: SchuldR., S. 184 ist die Unmittelbarkeitsprüfung neben der positiven Rechtswidrigkeitsbestimmung überflüssig. Nach Frank JA 1979, 583 geht es bei der Prüfung der Unmittelbarkeit um die positive Feststellung der Rechtswidrigkeit. Anders dagegen SoergeljZeuner § 823 Rz. 74: In dem nach Eingrenzung durch das Unmittelbarkeitserfordemis verbleibenden Raum soll eine positive Rechtswidrigkeitsprüfung erforderlich sein. 257 Es verwundert daher kaum noch, daß auch bei der Frage na~h der Rechtswidrigkeit die Willensrichtung des Handelnden eine besondere Rolle spielen soll: siehe BGH NJW 1972, 1366, 1367. 258 BGH NJW 1977, 2264. 259 BGH NJW 1980, 881.
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Es ist aber nicht nur die gleiche Wertung wie beim Unmittelbarkeitserfordernis, die hinter der positiven Bestimmung der Rechtswidrigkeit durch den BGH steht. Auch der Ansatzpunkt der Kritik ist bei diesem Haftungselement der gleiche: das Gericht gibt keine positive Begründung dafür, daß der Gewerbebetrieb über § 823 Abs. 1, wenn auch nur mittels einer positiven Bestimmung der Rechtswidrigkeit, geschützt werden kann. Eine solche wäre um so dringender erforderlich gewesen, als das Gericht im gleichen Urteil zunächst ausgeführt hat, daß nicht angenommen werden kann, dem Inhaber eines Gewerbebetriebs solle und dürfe allgemein ein über die gesetzliche Regelung der §§ 824, 826 hinausgehender Schutz gewährt werden. 260 Wann aber ein besonderer Schutz gewährt werden darf, wird vom Gericht nicht gesagt. Keine Klarheit gibt auch das Abstellen - im Rahmen der positiven Bestimmung der Rechtswidrigkeit - auf die Verletzung sozialer Verhaltensregeln durch den Eingreifer. Welche Kriterien nämlich erfüllt sein müssen, damit von besonderen Verhaltensregeln gegenüber dem Gewerbetreibenden gesprochen werden kann, wird nicht gesagt. Stattdessen wird zur Begründung dieses Erfordernisses der positiven Rechtswidrigkeitsbestimmung lediglich negativ darauf abgestellt, daß der Gewerbebetrieb tatsächlich seiner Natur nach ständigen Eingriffen der verschiedensten Art ausgesetzt ist, die nicht alle rechtswidrig sind, so etwa Eingriffe im Rahmen der freien Marktwirtschaft seitens der legitimen Konkurrenz. 261 Wieder wird allein auf Wertungen abgestellt, die haftungsbegrenzend entwickelt worden sind, was um so mehr überrascht, als die nunmehr geforderte positive Bestimmung der Rechtswidrigkeit gerade eine positive Begründung der Haftung verlangt. Eine solche positive Haftungsbegründung könnte man nun allerdings in der Formulierung sehen, die ebenfalls in einigen Urteilen zu finden ist, daß sich die positive Bestimmung der Rechtswidrigkeit bei Eingriffen in den Gewerbebetrieb aus der zu mißbilligenden Art des Vorgehens, die sich ihrerseits aufgrund einer Güter- und Ptlichtenabwägung beurteilt, ergibt. 262 Aber auch hier bleibt die entscheidende Frage, was es eigentlich rechtfertigt, einem Gewerbetreibenden einen derartigen delikts rechtlichen Schutz zukommen zu lassen, offen. Daß die Beantwortung dieser Frage unterbleibt, erklärt sich erneut daraus, daß die positive Rechtswidrigkeitsbestimmung vom BGH - sogar ausdrücklich 263 einzig als haftungsbegrenzendes Element verstanden wurde. Zu seiner Begründung konnte es daher genügen, allein auf die Umstände abzustellen, die einer Haftung wegen Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb entgegenstehen konnten. Dabei hätte gerade bei der Einführung der positiven Rechtswidrigkeitsbestimmung eine Auseinandersetzung mit einer positiven Begründung des Rechts am Gewerbebetrieb nahegelegen. Dieses Recht konnte ja nur noch als sonstiges Recht iSd. 823 Abs. 1 erhalten werden, wenn ein bis dahin in der 260
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BGH BGH Siehe BGH
NJW 1980, 881, 882. NJW 1980, 881. oben in und bei FN. 211. NJW 1972, 1366, 1367.
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Rechtsprechung unbekanntes Element in den Tatbestandsaufbau des § 823 Abs. 1 aufgenommen wurde. Zudem wurde mit dem Abstellen auf die zu mißbilligende Art der schädigenden Handlung ein Element positiv in die Rechtswidrigkeitsprüfung aufgenommen, das als Frage nach der Bewertung der Handlung dem Deliktsrecht, insbesondere § 826, nicht fremd ist. Um so mehr hätte das Gericht die Frage aufwerfen müssen, wieso und wieweit eS.gerechtfertigt ist, abweichend von § 826 dem Unternehmen Deliktsschutz zukommen zu lassen.
D. Das entscheidende argumentative DefIZit: Haftungsbegrenzung statt Haftungsbegründung Damit ist der entscheidende Grund dafür aufgedeckt, daß der Rechtsprechung in zahlreichen Abhandlungen im Schrifttum immer wieder im einzelnen vorgehalten werden konnte, daß sich ihre Haftungskriterien, insbesondere ihr Unmittelbarkeitsverständnis, nicht zu nachvollziehbaren Begründungszusammenhängen verdichten ließen. Diese Kriterien waren formal haftungsbegrenzend entwickelt worden. Ihnen fehlte aber die Basis, nämlich die die Haftung begründenden Elemente, zu denen sie in Bezug gesetzt werden konnten. Gab es damit nichts, worauf sich diese haftungsbegrenzenden Kriterien gedanklich beziehen konnten, so mußten sie letztlich jeder Wertung zugänglich sein, völlig verschwommen bleiben und die Aufgabe der Haftungsbegrenzung verfehlen. Hinter allen diesen Merkmalen kommt immer nur das Bedürfnis zum Vorschein, dem Gewerbebetrieb in bestimmten Bereichen einen besonderen Schutz angedeihen zu lassen. Es fehlt der entscheidende gedankliche Fixpunkt: die Gründe für die besondere Haftung für Unternehmensbeeinträchtigungen. Dies hat seine Ursache darin, daß die Rechtsprechung zu keiner Zeit versucht hat, mit Hilfe der §§ 823 ff. solche haftungsbegründenden Elemente zu entwickeln. Sie hat sich gleichsam apriori durch die Behauptung der Existenz eines Rechts am Gewerbebetrieb iSd. § 823 Abs. 1 dieser Aufgabe entledigt und mußte "nur" noch den Haftungsrahmen eingrenzen. Will man dieses entscheidende Begründungsdefizit bei der deliktsrechtlichen Erfassung von Unternehmensbeeinträchtigungen beseitigen, so ist nichts damit gewonnen, die Existenz eines Rechts am Gewerbebetrieb als Faktum anzuerkennen 264 und lediglich die Haftungsbegrenzungskriterien der Rechtsprechung mit 264 Taupitz, S. 150; ähnlich: Esser/Weyers, SchuldR. 11, S. 466 ("Es hilft wohl nur eine Haltung weiter, die eine ... Möglichkeit der Praktizierung partieller Generalklauseln anerkennt. "); MK -Mertens § 823 Rz. 484 (" ... , die als solche heute zum festen Bestand des Richterrechts gehört."); Baumbach/Hefermehl, WettbewerbsR., Allg. Rz. 114 ("Nachdem aufgtrind einer ständigen Rechtsprechung ein Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als ,sonstiges Recht' iSo des § 823 Abs. 1 anerkannt worden ist, steht im Vordergrund die Aufgabe, die Praktikabilität dieses Rechts zu sichern"); Frank JA 1979, 583, 586 f. ("Heute dürfte es allerdings wenig Sinn haben, die Existenz eines ... Rechts am Gewerbebetrieb anzuzweifeln."); Säcker ZRP 1969, 60, 61 (" ... faktisch irreversible judikative Statuierung generalklauselartig weiter ... Rahmenrechte ... ").
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neuen, vermeintlich präziseren, Inhalten zu versehen. Dies war lange Zeit das Bemühen des Schrifttums, dessen Ergebnis insbesondere die unterschiedlichsten Deutungen des Unmittelbarkeitserfordernisses waren, auf deren Grundlage die Rechtsprechung dann gebilligt oder abgelehnt wurde. So wurde dieses verstanden als die Umgrenzung des geschützten Rechtsguts selber,265 als Begrenzung der Haftung vom Eingriffsakt her,266 als Berücksichtigung des Umstandes, ob primär ein selbständiges Recht oder Rechtsgut verletzt worden ist oder nicht, 267 als den allgemeinen Gedanken des Haftungsausschlusses gegenüber mittelbar Geschädigten berücksichtigender Umstand,268 als das Erfordernis des Fehlens von Zwischenursachen. 269 Ferner wurde versucht, der Unmittelbarkeit eine teleologische Deutung im Sinne einer Zweckbezogenheit der Handlung zu geben 270 bzw. in ihr die Abhängigkeit der Haftung von der Schuldform begründet zu sehen. 271 Der Mangel aller dieser Versuche war und ist, daß sie darauf abzielten, ein allgemein gültiges Haftungsbegrenzungsmerkmal zu präzisieren, was jedoch allenfalls für einzelne Fallgruppen, nicht dagegen für den Gesamtbereich der 265 RGRK-Steffen § 823 Rz.46: Betriebsbezogenheit bezeichnet nur die äußeren Grenzen des Schutzguts; Kraft, S. 167; kritisch zur Gleichsetzung mit dem Schutzbereich: Deutsch JZ 1976, 451. 266 Fabricius JuS 1961, 151, 153 (zweifelnd); Fikentscher, SchuldR., S. 639; Preusche, S. 76; Buchner, S. 78 (ablehnend); Deutsch JZ 1976,451. 267 Katzenberger, Recht am Unternehmen und unlauterer Wettbewerb, 1966, S.64; SoergeljZeuner § 823 Rz. 70j72. Hierher gehören auch Überlegungen, nach denen es sich um eine Ausformung der Subsidiaritätslehre handelt - BaumbachjHefermehl, WettbewerbsR., Allg. Rz. 125 - bzw. es auf die Substituierbarkeit der betroffenen Rechtsgüter oder Rechte für den jeweils betroffenen Gewerbebetrieb ankommt: BaumbachjHefermehl, WettbewerbsR., Allg. Rz. 124; Fabricius JuS 1961, 151, 153; Glückert AcP 166 (1966) S. 311,323; Lehmann NJW 1959, 670. Ferner sind hier diejenigen zu nennen, die die Frage der Ablösbarkeit eines Rechts von der Wirkung der Trennung her bestimmen wollen: BaumbachjHefermehl, WettbewerbsR., Allg. Rz. 122; Fabricius JuS 1961, 151, 153; Finze1 NJW 1973, 761; Glückert AcP 166 (1966) S. 311, 322, 325; Schrauder, S. 122. 268 BaumbachjHefermehl, WettbewerbsR., Allg. Rz. 122 f; ErmanjDrees § 823 Rz. 40; Fikentscher, SchuldR., S. 639 (bei physischen Eingriffen); LöwischjMeier-Rudolph JuS 1982,237,239; SoergeljZeuner § 823 Rz. 71. Kritisch dazu: Preusche, S. 76 ff; Buchner, S. 76 f; Taupitz, S. 168 ff. 269 Ein solches Unmittelbarkeitsverständnis wird im Schrifttum einhellig abgelehnt: BaumbachjHefermehl, WettbewerbsR., Allg. Rz. 122; Buchner, S. 78 f; MK-Mertens § 823 Rz.494; Preusche, S. 83 ff.; Sack WRP 1976, 733, 735; Taupitz, S. 172 ff. 270 Larenz NJW 1956, 1719f; ders. -, SchuldR. II, S. 635, wohl auch Sack WRP 1976, 733, 735. Kritisch dazu: BaumbachjHefermehl, WettbewerbsR., Allg. Rz.122; Buchner, S. 80; MK-Mertens § 823 Rz. 494; Preusche, S. 72; RGRK-Steffen § 823 Rz. 44; Taupitz, S. 176 ff. Teilweise wird in einem solchen finalen Moment ein zusätzliches, die Unmittelbarkeit ausfüllendes Kriterium gesehen: LöwischjMeier-Rudolph JuS 1982,237, 239. Auf die subjektive Ausrichtung stellt auch Deutsch JZ 1976, 451 ab. 271 Hauß Anm. LM Nr. 16 zu § 823 [Ai] BGB; Lehmann NJW 1959, 670; Soerge1jZeuner § 823 Rz. 71. Kritisch dazu: Taupitz, S. 179; Preusche, S. 80 ff.; RGRKSteffen § 823 Rz. 44.
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1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
Haftung wegen Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb gelang. Ihre einzige Ursache hat die mangelnde Überzeugungskraft dieser Überlegungen darin, daß versucht wird, die Haftung zu begrenzen, bevor überhaupt der Haftungsgrund aufgedeckt worden ist. Das gleiche gilt für die nicht am Unmittelbarkeitserfordernis ansetzenden Haftungsbegrenzungsversuche des Abstellens auf die Beeinträchtigung des "fonctionnement" des Unternehmens 272 bzw. der Fruchtbarmachung des Gedankens vom Schutzzweck der Norm. 273 Ebenfalls dem Begründungsdefizit der Rechtsprechung verhaftet bleibt, wer die Unmittelbarkeit als Konkretisierung der eigentlichen Haftungsbegründung hinnimmt. Dies könnte nur dann zu einer befriedigenden dogmatischen Erfassung von Unternehmensbeeinträchtigungen führen, wenn der eine gänzlich andere Haftungsbegründung vorgebende Ansatz der Rechtsprechung bei einem Recht am Gewerbebetrieb iSd. § 823 Abs. 1 aufgegeben würde. Zugleich müßte auf der Basis der im Unmittelbarkeitserfordernis angesiedelten Haftungskriterien die deliktsrechtliche Einordnung erneut zur Diskussion gestellt werden. Dies käme jedoch der berühmten Quadratur des Kreises gleich, da die Entwicklung dieser Kriterien im Rahmen des seinerseits durch die Recht-am-Gewerbebetrieb-Rechtsprechung erst entwickelten Unmittelbarkeitserfordernisses ein kritisches Hinterfragen dieser dogmatischen Einordnung praktisch ausschließt, will man der eigenen Argumentation nicht die dogmatische Basis nehmen. Augenscheinlich wird die Fruchtlosigkeit eines solchen Strebens nach allgemeingültigen Haftungs(begrenzungs)kriterien im Rahmen einer grundsätzlich anerkannten Haftung wegen Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb in der vor allem in der neueren Literatur immer wieder betonten Haftungsbegrenzung durch Fallgruppenbildung. 274 Diese Sicht der Dinge wurzelt nämlich zum einen in der Erkenntnis, daß das Recht am Gewerbebetrieb so, wie es von der Rechtsprechung entwickelt worden ist, das Haftungssystem des BGB sprengt,275 und zum anderen in der daher nahezu allgemein anerkannten Notwendigkeit einer positiven Rechtswidrigkeitsfeststellung. 276 Diese findet in 272 BaumbachjHeferrnehl, WettbewerbsR., Allg. Rz. 124; Glückert AcP 166 (1966) S.311, 323; RGRK-StelTen § 823 Rz.44, der diesen Gedanken als Ausprägung des Unmittelbarkeitserfordemisses begreift. Kritisch dazu: Buchner, S. 109 f.; Taupitz, S. 185 ff. 273 Lehmann NJW 1959, 670. Kritisch dazu: Taupitz, S.187ff., 194f. 274 BaumbachjHeferrnehl, WettbewerbsR., Allg., Rz.123, 126 f.; von Caemmerer, DJT-Festschrift Bd. 2 (1960) S. 49,92; Fikentscher, Festgabe f. Kronstein (1967) S. 261, 288 ff.; Kötz, Deliktsrecht, S.51; KupischjKrüger, Deliktsrecht, S.24; Larenz, SchuldR. 11, S. 633 f.; Taupitz, S. 1951T. 275 AK-Däubler § 823 Rz. 49; von Caemmerer, DJT-Festschrift Bd. 2 (1960) S. 49,71, 90; Deutsch JZ 1963, 385, 386 ff.; Emmerich, Schwerpunkte: SchuldR., S. 183; Frank JA 1979,583,586 f.; Kötz, Deliktsrecht, S. 50 f.; Larenz, SchuldR. II, S. 632; LöhrjLöhr BB 1974, 1140; MK-Mertens § 823 Rz.484; RGRK-Steffen § 823 Rz. 36. 276 BaumbachjHeferrnehl, WettbewerbsR., Allg., Rz.126; von Caemmerer, DJTFestschrift Bd. 2 (1960) S.49, 91; Fikentscher, SchuldR., S. 6381T.; Glückert AcP 166
III. Zusammenfassende kritische Würdigung
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dem Ruf nach Ausbildung von Verhaltensnormen zum Schutz des Unternehmens noch eine scheinbar dogmatische Absicherung. 277 Deren mangelnde Bestandskraft offenbart sich aber sogleich, wenn auch in Verfolgung dieses Ansatzes die deliktssystematisch konsequente Erfassung von Unternehmensbeeinträchtigungen zu einer Neuorientierung im Deliktssystem mit Blick auf § 823 Abs. 2 führt. 278 Kommt man daher letztlich bei allen Versuchen, die Haftung für Verletzungen des Rechts am Gewerbebetrieb iSd. § 823 Abs. 1 deliktssystematisch überzeugend zu begründen, zu dem Ergebnis, daß dies im Rahmen des § 823 Abs. 1 im Prinzip nicht möglich ist bzw. die bisherige Entwicklung eher zum Wechsel der Anspruchsgrundlagen drängt, dann sollte doch die Frage viel radikaler gestellt werden: Wie können Unternehmensbeeinträchtigungen -losgelöst von irgendwelchen frühzeitigen Verengungen des Blickwinkels durch ein angebliches Recht am Gewerbebetrieb - deliktssystematisch befriedigend erfaßt werden? Berücksichtigen muß man nämlich, daß der Grund für die mangelnde Überzeugungskraft der bislang in Rechtsprechung und Literatur aufgestellten Haftungsbegrenzungskriterien in dem Bestreben lag, eine für sämtliche Beeinträchtigungen der gewerblichen Betätigung gültige Regel aufzustellen. Scheiterte dies daran, daß unter dem Institut des Rechts am Gewerbebetrieb die unterschiedlichsten Schutztendenzen zusammengefaßt worden sind,279 so hätte die Frage nahegelegen, ob möglicherweise dieses "Institut" nicht zu voreilig anerkannt worden ist, insbesondere wenn die Lösung dieses Problems darin gesehen wird, daß im Bereich des Rechts am Gewerbebetrieb mit Hilfe einer fallgruppenorientierten Interessenabwägung überhaupt erst ein Haftungsgrund über den Gesetzeswortlaut hinaus gefunden werden muß.280 Ist es auch sicherlich zutreffend, daß ein Haftungsgrund für Unternehmensbeeinträchtigungen gefunden werden muß, so bedarf es doch zunächst näherer Untersuchungen, ob dies im Wege der Interessenabwägung über den Gesetzeswortlaut hinaus notwendig und möglich ist.
(1966) S. 311, 322; Kötz, Deliktsrecht, S. 58; Larenz, SchuldR. II, S. 633 f.; - ders. - , Anm. BGH AP Nr. 2 zu Art. 5 Abs. 1 GG Meinungsfreiheit; Säcker ZRP 1969, 60, 62; Soergel/Zeuner § 823 Rz. 74. 277 Baumbach/Hefermehl, WettbewerbsR., Allg., Rz. 122/123; Buchner, S.266; von Caemmerer, DJT-Festschrift Bd.2 (1960) S.49, 91; Diederichsen NJW 1970, 777; Fikentscher, Festgabe f. Kronstein (1967) S. 261,287; - ders. -, SchuldR., S. 640; von Gierke/Sandrock, Handels- u. WirtschaftsR., S. 207; Löhr/Löhr BB 1974, 1140; Medicus, Bürgerliches Recht, Rz. 614; MK-Mertens § 823 Rz. 484,485. 278 Siehe nur Medicus, Bürgerliches Recht, Rz. 614; ders. - in StudK-BGB § 823 Anm. II 1 b ff.; EsserjWeyers, SchuldR. II, S. 466. 279 Esser/Weyers, SchuldR. II, S. 466; Taupitz, S. 195 f.; siehe auch Buchner, S. 237 f. und Löhr/Löhr BB 1974, 1140, die von einem Sammelrecht sprechen, das unterschiedliche Vermögensinteressen inkorporiert. 280 So etwa Taupitz, S. 197.
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1. Kap.: Entwicklungslinien in der Rechtsprechung
Dazu muß der konstruktive Weg der Rechtsprechung und h. M. im Schrifttum, Unternehmensbeeinträchtigungen mittels der Anerkennung des Rechts am Gewerbebetrieb deliktsrechtlich zu erfassen, nachgeprüft werden. Tut man dies mit Blick auf das gesamte Deliktsrecht, so heißt das eben noch nicht von vornherein, daß damit der Schutz bestimmter Positionen zurückgenommen werden soll.281 Es geht zunächst nur darum, diesen Schutz systemgerecht zu verwirklichen. Dazu ist eine Herausarbeitung der Grundprinzipien unseres Haftungsrechts erforderlich, bevor man die Berufung auf diese im Zusammenhang mit dem Recht am Gewerbebetrieb wegen der gewandelten wirtschaftlichen Verhältnisse als ein "schwaches Argument unter weitgehender Nichtberücksichtigung der geschichtlichen Entwicklung" bezeichnet. 282 Ob dies der Fall ist, hängt u. a. von der Flexibilität unseres Haftungsrechts ab, die vielleicht gerade ein solches Grundprinzip desselben darstellt. Dies alles bedarf der Untersuchung, bevor man sich mit der systemdurchbrechenden Rechtsprechung zum Recht am Gewerbebetrieb zufriedengibt. 283 Diese Rechtsprechung dagegen als Faktum anzuerkennen und die darin liegende Veränderung des Deliktssystems· mit der geschichtlichen Entwicklung zu rechtfertigen bzw. überhaupt ohne kritische Nachprüfung hinzunehmen, perpetuiert das, was sich oben bei der Betrachtung der Rechtsprechungsentwicklung gezeigt hat: das von Anfang an zu konstatierende Fehlen jeglicher Versuche, die Haftung für Unternehmensbeeinträchtigungen aus dem Deliktssystem der §§ 823 ff. zu begründen. Will man diesen Mangel beheben, so kann es zunächst nur darum gehen, die Kriterien herauszuarbeiten, die die maßgeblichen deliktsrechtlichen Grundtatbestände hinsichtlich ihres Regelungsgehalts bestimmen.
281 So aber Esser/Weyers, SchuldR. II, S.466; Taupitz, S. 150 f.; siehe auch Buchner DB 1979, 1069, der meint, daß es inkonsequent ist, nach der zurückliegenden Rechtsentwicklung das Unternehmen nun wieder auf den Stand des Rechtsschutzes des § 823 Abs. 1 zurückzuführen. 282 So Taupitz, S. 193. 283 So aber wohl Esser/Weyers, SchuldR. II, S.466, der meint, es helfe nur die Anerkennung einer praeter legern zu § 823 Abs. 1 geschaffenen Möglichkeit der Praktizierung partieller Generalklauseln; siehe ferner oben Fn. 265. .
Zweites Kapitel
Allgemeine Grundlagen des Deliktsrechts I. Der vom Deliktsrecht zu bewältigende Interessenkonflikt Das Deliktsrecht befaßt sich mit der Zuordnung von Schäden.! Schaden kann man ganz allgemein als die Beeinträchtigung von zwei Grundgütern des Menschen definieren: Beeinträchtigung der Person selbst und/oder der ihr zugewiesenen Vermögenswerte. 2 Insofern trifft der Schaden rein tatsächlich zunächst den Träger dieser Grundgüter. Diese "natürliche" Schadenszuordnung wird auch vom Deliktsrecht nicht verändert, sofern der Schaden durch ein Naturereignis verursacht worden ist. Das Recht kann keine Garantie der Person oder des Vermögens schlechthin geben. 3 Beeinträchtigungen der beiden Grundgüter sind aber auch unausbleibliche Folge menschlichen Zusammenlebens. Geht eine Beeinträchtigung auf ein bestimmtes menschliches Verhalten zurück, so·stellt sich die Frage, wem diese Beeinträchtigung letztendlich zur Last fallen soll. Grundaufgabe des Deliktsrechts ist es, Schäden zuzuordnen, die sich aus dem Zusammenleben in der Rechtsgemeinschaft ergeben. 4 Diese Aufgabe hat das Deliktsrecht aber nur im Hinblick auf das allgemeine Verhältnis von Einzelpersonen in der Gemeinschaft zu bewältigen. Soweit es um Beeinträchtigungen geht, die sich aus rechtlichen Sonderbeziehungen von Einzelpersonen zueinander ergeben haben, übernimmt regelmäßig auch - vielfach sogar ausschließlich - das Recht der Sonderbeziehung die Zuordnungsaufgabe. 5 Als Zuordnungspunkte kommen für das allgemeine Verhältnis von Einzelpersonen der Träger der Grundgüter auf der einen und die Verhaltensperson auf der anderen Seite in Betracht. Als Maßstab einer solchen Zuordnung sind entsprechend den sich gegenüberstehenden Personen zwei gegenläufige Grundsätze denkbar. 6 Zum einen könnte man annehmen, daß grundsätzlich derjenige, auf dessen Verhalten die Beeinträchtigungen des anderen beruhen, zum Ausgleich der RGRK-Steffen Vor § 823 Rz.1. Deutsch, HaftungsR. I, S. 11. 3 Deutsch, HaftungsR. I, S. 3 f. 4 RGRK-Steffen Vor § 823 Rz. 1. 5 RGRK-Steffen Vor § 823 Rz. 3; siehe zum Ganzen auch Brüggemeier AcP 182 (1982) S. 385,389. 6 Siehe dazu auch Brüggemeier AcP 182 (1982) S. 385,386. 1
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2. Kap.: Allgemeine Grundlagen des Deliktsrechts
Beeinträchtigungen und damit zur Schadensübernahme verpflichtet ist. 7 Allerdings sind Beeinträchtigungen anderer unausbleibliche Folge menschlichen Zusammenlebens. Das Verhalten des einzelnen hat zwangsläufig häufige und vielfache Auswirkungen auf andere Personen. Dieses mit dem Verhalten des einzelnen verbundene Beeinträchtigungspotential ist durch die zunehmend enge Verflechtung der Lebenszusammenhänge in der Industriegesellschaft noch erhöht worden. Jede aus einer Handlung resultierende Beeinträchtigung anderer auf den Handelnden abzuwälzen, würde zu einem solch hohen Haftungsrisiko für den Handelnden führen, daß dadurch die menschliche Initiative zwangsläufig beschränkt und letztlich die menschliche Handlungsfreiheit weitgehend aufgehoben würde. 8 Zum anderen wäre demgegenüber als Zuordnungsgrundsatz ebenfalls denkbar, den Schaden regelmäßig bei demjenigen zu belassen, bei dem er als Beeinträchtigung VOn Person und Vermögen erstmals eingetreten ist. Damit würde jedoch jede rechtliche Anerkennung des Bestands der Grundgüter geleugnet. Da Person und Vermögen regelmäßig Grundlage und vielfach Ziel menschlicher Handlung sind, würde auch dadurch die Handlungsfreiheit des einzelnen letztlich beseitigt. Die Schadenszuordnung kann folglich keinen dieser beiden Grundsätze zum Maßstab haben. Da beide Grundsätze jeweils für sich betrachtet gleich viel oder gleich wenig Geltung beanspruchen können, kann es auch nicht richtig sein, das Deliktsrecht als Ausnahme vom jeweiligen anderen Grundsatz zu sehen. So geht das Deliktsrecht weder vom Grundsatz "casum sentit dominus" in dem Sinne aus, daß grundsätzlich jeder seinen Schaden selber tragen muß, und ordnet erst als Ausnahme davon in bestimmten Fällen die Haftung des Handelnden an. 9 Noch liegt dem Deliktsrecht der Satz "neminem laedere" in dem Sinne zugrunde, daß grundsätzlich jeder Schaden zu ersetzen ist, und sind die einzelnen Vorschriften einschränkende Konkretisierungen dieses Satzes. 10
Siehe dazu Picker AcP 183 (1983) S. 369, 460 ff. Deutsch, HaftungsR. I, S. 4, 27; Picker AcP 183 (1983) S. 369, 470 ff. 9 So aber RGRK-Steffen Vor § 823 Rz. 1. 10 So aber Picker AcP 183 (1983) S. 369,460 ff.: Daß die von ihm vertretene Auffassung dogmatisch nicht haltbar ist, zeigt sich auch daran, daß die sie tragende Differenzierung zwischen Grundgedanken und Ausgestaltung der Schadenshaftung nicht durchführbar ist. Dazu noch ausführlich unten 5. Kap., II C 2 d dd. Siehe aber auch Hopt AcP 183 (1983) S. 608,632 sowie MertensjReeb JuS 1971,409. Wie Deutsch, HaftungsR. I, S. 3 f. zutreffend ausgeführt hat, haben beide Sätze unterschiedliche Ausgangspunkte und sind auch inhaltlich nicht aufeinander abgestimmt. Vielmehr ist jeder Satz nur und erst wegen seiner begrenzten Wirkung zutreffend. So fällt der Schaden der Sachzuständigkeit entsprechend immer der Person oder dem Träger des Vermögens zur Last. Jedoch bürdet ihnen das Recht nur den Zufallsschaden auf: casum sentit dominus. Umgekehrt legt der Satz "neminem laedere" nur die Grundrichtung des 7
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I. Der zu bewältigende Interessenkonflikt
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Das Zuordnungsprinzip des Deliktsrechts kann nicht Ausnahme von einem der beiden Grundsätze sein, sondern muß Lösung des Spannungsverhältnisses zwischen beiden Grundsätzen sein. 11 Das Deliktsrecht hat sich mit dem grundsätzlichen Widerstreit zwischen dem Interesse der Person an ihrer eigenen Integrität und der ihrer erworbenen Güter einerseits und dem Interesse der Person an der Freiheit ihres Handeins andererseits zu befassen. Bei der Schadenszuordnung muß folglich ein Ausgleich geschaffen werden zwischen zwei grundlegenden Elementen gesellschaftlicher Ordnung: zwischen dem statischen Element des Schutzes des Bestands der Grundgüter der Person und dem dynamischen Element der Gewährleistung der Handlungsfreiheit des einzelnen als Ausdruck gesellschaftlichen Lebens und Grundbedingung jeder Entwicklung. Dabei unterscheidet sich die Deliktshaftung von anderen Formen zivilrechtlicher Haftung (Gefährdungshaftung und Aufopferungshaftung) dadurch, daß es sich bei ihr um Unrechtshaftung handelt. 12 Deren Zuordnungsprinzip geht dahin, daß der Schädiger dem Geschädigten den Schaden abzunehmen hat, weil und soweit er ihn in Widerspruch zur Rechtsordnung vorwerfbar zugefügt hat. 13 Hat sich aber das Deliktsrecht inhaltlich mit dem Konflikt zwischen Bestandsschutz und Gewährleistung eines Handlungsfreiraums zu befassen und ist formales Zuordnungsprinzip der Widerspruch der Schadenszufügung zur Rechtsordnung, dann muß die inhaltliche Bestimmung dieses Widerspruchs eine Lösung des oben beschriebenen Konflikts sein. Deliktshaftung dient dabei dem Betroffenen durch Integritätsschutz. Sie dient dem Handelnden durch das Abstecken von Handlungsfreiräumen. Handlungsfreiheit und Integritätsschutz sind als Grundelemente der Deliktshaftung keine dualistischen Gegensätze, sondern wechselbezüglich aufeinander bezogene Pole der Persönlichkeitsentfaltung. 14 Um den Widerspruch zur Rechtsordnung zu bestimmen, sind daher Integrität und Handlungsfreiheit aneinander zu entwickeln. Dies kann sich bei der abschließenden deliktsrechtlichen Schadenszuordnung zur handelnden Person aus der Sicht des Geschädigten als Bestimmung des von der Rechtsordnung anerkannten Schutzumfangs seiner beeinträchtigten Güter darstellen. Aus der Sicht der handelnden Person kann sich die gleiche Schadenszuordnung als Bestimmung der von der Rechtsordnung mißbilligten Verhaltensweisen darstellen. Umgekehrt kann die Schadenszuordnung für die beeinträchtigte Person die Versagung oder Eingrenzung eines rechtlich anerkannten Schutzumfangs ihrer Güter und für die handelnde Person die AnerkenHaftungsrechts fest: Der Schaden des anderen soll bei Ersatzpflicht nach Möglichkeit vermieden werden, wenn auch nicht jede Schadenszufügung die Ersatzpflicht auslöst. 11 Nach Deutsch, HaftungsR. I, S.3 erwächst aus diesem Spannungsverhältnis ein guter Teil der haftungsrechtlichen Problematik. 12 Dies gilt zumindest für die meisten Vorschriften der §§ 823 ff. 13 RGRK-Steffen Vor § 823 Rz.4. 14 RGRK-Steffen Vor § 823 Rz.7.
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2. Kap.: Allgemeine Grundlagen des Deliktsrechts
nung ihrer Handlungsfreiheit bedeuten. In beiden Fällen ist die erfolgende Bestimmung des Widerspruchs zur Rechtsordnung nicht Ausnahme vom jeweils zurücktretenden Grundelement. Vielmehr werden in dieser Bestimmung beide notwendigen Elemente menschlichen Zusammenlebens gegeneinander abgewogen und ausgegrenzt.
n.
Die beiden "extremen" gesetzgeberischen Lösungsmöglichkeiten
Zur kodifikatorischen Bewältigung der aufeinander bezogenen Entwicklung von Integritäts- und Freiheitsschutz mit dem Ziel der Erarbeitung der dem jeweiligen Grundelement im Interesse des anderen von der Rechtsordnung gesetzten Grenzen sind zwei gegensätzliche Gesetzesmodelle denkbar. So kann der Gesetzgeber zunächst selber durch Formulierung fest umgrenzter Einzeltatbestände die Fälle schadensersatzpflichtigen Unrechts abschließend bestimmen. Eine solche Bildung von Einzeltatbeständen durch den Gesetzgeber hätte den Vorteil, daß die Entscheidung über den Ausgleich zwischen Integritäts- und Handlungsfreiheitsschutz dem Richter vom Gesetzgeber weitgehend vorgegeben wäre. Dem Richter würde vom Gesetzgeber der Entscheidungsmaßstab an die Hand gegeben. Dies entspräche nicht nur der klassischen Aufgabenverteilung zwischen rechtsetzender und rechtsprechender Gewalt, sondern hätte theoretisch auch den Vorteil geringer Rechtsunsicherheit für den Rechtsanwender und den Rechtsunterworfenen für sich. Der große Nachteil einer solchen Lösung bestünde allerdings darin, daß dem Richter ein starres System von Vorschriften vorgegeben wäre, das allein vom Gesetzgeber neuen Entwicklungen angepaßt werden könnte. Da es aber praktisch undurchführbar ist, alle Fälle schadensersatzpflichtigen Unrechts im voraus zu normieren,15 fehlt einer solchen Lösung die notwendige Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Es kann von seiner Anlage her keinen umfassenden Schutz garantieren. Ein solches System von Einzeltatbeständen wäre der Gefahr ausgesetzt, von Veränderungen der gesellschaftlichen Anschauungen und Verhältnisse überholt und praktisch gesprengt zu werden. 16 Diese Gefahr würde vermieden, wenn der Gesetzgeber das entgegengesetzte Gesetzesmodell einer Generalklausel seiner Kodifikation zugrunde legen würde. Dieses läßt sich dahingehend kennzeichnen, daß an Stelle mehrerer Einzeltatbestände ein einziger Tatbestand als abstrakter Maßstab formuliert wird, an dem alle zur Entscheidung stehenden Einzelfälle gemessen werden müssen. 17 Eine solche gesetzgeberische Lösung hätte den Vorteil, daß sie mit größtmöglicher Flexibilität und damit mit der Garantie umfassenden Schutzes auf gewandelte Ordnungsaufgaben reagieren könnte. Dies wäre jedoch nur möglich, weil der IS
16 17
Esser/Weyers, SchuldR. II, S. 450. Esser/Weyers, SchuldR. II, S.450. Esser/Weyers, SchuldR. II, S. 450; Deutsch, HaftungsR. I, S. 109.
III. Die grundsätzliche Entscheidung des BGB-Gesetzgebers
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Maßstab der Generalklausel derart abstrakt ist, daß er der Rechtsprechung keine inhaltlichen Schranken ziehen kann: Eine solche Norm trifft keine inhaltliche Aussage iSd. dem Deliktsrecht aufgegebenen Ausgleichs zwischen Integritäts- und Handlungsfreiheitsschutz. Der Gesetzgeber gibt dem Richter keinen Maßstab vor, sondern gibt die inhaltliche Entscheidung über den Ausgleich an den Richter unter Verschiebung der funktionalen Grenzen zwischen Legislative und Judikative weiter. 18
Irr. Die grundsätzliche Entscheidung des BGB-Gesetzgebers Die Vor- und Nachteile dieser beiden gegensätzlichen Kodifikationsmodelle waren dem Gesetzgeber bei der Schaffung des BGB durchaus bekannt. So war in der römisch-rechtlichen Lex Aquilia die allgemeine Haftung für dolus nur in engen Grenzen durch deliktische Einzeltatbestände einer culpaHaftung ergänzt worden. 19 Die Schadensersatzpflicht im BGB ebenfalls nur an einzelne bestimmte Delikte anzuknüpfen, lehnte die I. Kommission wegen der Gefahr ab, diese Delikte möglicherweise nicht erschöpfend zu gestalten. Ihr Regelungsziel war, einen in allen Fällen ausreichenden Schutz gegen unerlaubte Handlungen zu gewähren. 20 Umgekehrt wollten die GesetzesverfasseJ; sich nicht mit der Normierung einer Generalklausel begnügen, wie sie ihnen etwa mit den Art. 1382, 1383 code civil in der Praxis bereits vorgegeben war. 2l Das Bedenkliche einer solchen Regelung wurde in der unbestimmten Fassung der Haftungsvoraussetzungen gesehen. 22 Diese verdecke die vorhandenen Schwierigkeiten, ohne sie zu lösen. Deren Lösung werde dem Richter auferlegt, ohne daß ihm eine bestimmte Entscheidungshilfe an die Hand gegeben werde. Es entspreche aber weder der Tendenz des Entwurfs noch der im deutschen Volk herrschenden Auffassung von der Stellung des Richteramts, die Lösung solcher Aufgaben, die durch das Gesetz erfolgen müsse, auf die Gerichte abzuwälzen. Diesen Bedenken gegenüber
18
65 f.
Deutsch, HaftungsR. I, S. 12 u.108 f.; von Caemmerer, DJT-Festschrift(1960) S. 49,
RGRK-Steffen § 823 Rz. 1. Mot. II, S. 725. Schon dies muß Skepsis gegenüber Aussagen aufkommen lassen, die den Regelungsgehalt der §§ 823 ff. in die Nähe desjenigen der Lex Aquilia rücken: so etwa von Bar, BJM-Gutachten, S.1681, 1712. 21 Siehe auch die Hinweise auf weitere damals bereits existierende Regelungsmodelle in: Mot. II, S. 724 f. 22 Mot. II, S. 725; Prot. II, S. 571; siehe dazu auch Deutsch, Festschrift f. Weber (1975) S. 125, 126, wonach Kriterium für eine Generalklausel im Haftungsrecht die umfassende Bezeichnung des Unrechts ist, so daß Tatbestand und Widerrechtlichkeit erst im Einzelfall abgegrenzt und festgestellt werden müssen. 19
20
7 Schwitanski
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2. Kap.: Allgemeine Grundlagen des Deliktsrechts
verdiene es den Vorzug, dem Richter zu seiner Entscheidung schon im Gesetz einen gewissen objektiven Maßstab an die Hand zu geben. 23 Zwei Elemente sind damit für die Zielvorstellungen des Gesetzgebers bei der Schaffung eines Deliktssystems im BGB prägend gewesen: Zum einen sollte, in deutlicher Abkehr von einem System von Einzeltatbeständen, ein umfassender Schutz gegen unerlaubte Handlungen gewährt werden. 24 Zum anderen sollte, anders als in den Rechtsordnungen mit deliktsrechtlichen Generalklauseln, dem Richter ein objektiver Maßstab bei der Entscheidungsfindung an die Hand gegeben werden. 25 Der BGB-Gesetzgeber hat somit keines der beiden zuvor dargestellten Gesetzesmodelle hinsichtlich der allgemeinen Haftung für Unrecht im BGB kodifiziert. Vielmehr hat er versucht, einen Mittelweg 26 zwischen diesen beiden Modellen zu beschreiten, der die jeweiligen Vorteile von Einzeltatbeständen einerseits und Generalklausel andererseits in das Deliktsrecht einbringen und die Nachteile ausschließen sollte.
IV. Der Weg zur Kodifikation: die Lösung des deliktsrechtlichen Grundkonflikts im Gesetzgebungsprozeß A. Der Vorentwurf Im Vorentwurf zum BGB ist in § 1 Tp? ganz allgemein als grundlegende Norm des Deliktsrechts formuliert worden: Hat Jemand durch eine widerrechtliche Handlung oder Unterlassung aus Absicht oder aus Fahrlässigkeit einem Anderen einen Schaden zugefügt, so ist er diesem zum Schadensersatz verpflichtet.
Prot. 11, S. 571. Schon hier zeigt sich, daß gegenüber der heute vielfach herrschenden Auslegung der einzelnen Grundtatbestände von vornherein insofern eine gewisse Skepsis geboten erscheint, als das Deliktssystem des BGB des öfteren und zumeist unwidersprochen als System von Einzeltatbeständen bezeichnet wird (so bei Brüggemeier AcP 182 (1982) S. 385, 425; Honsell JA 1983, 101) bzw. der enumerative Charakter des Deliktssystems betont wird (so bei Kreuzer AcP 184 (1984) S. 81, 87; Leser AcP 183 (1983) S. 568, 576; Picker AcP 183 (1983) S. 369, 472). 2S Auch insofern ist Skepsis angebracht, als die einzelnen Grundtatbestände jeweils als Generalklauseln bezeichnet werden (so bei Fraenkel, Tatbestand und Zurechnung bei § 823 Abs. 1 BGB, 1979, S.4O). 26 Daß das Deliktsrecht des BGB eine solche Charakterisierung verdient, dürfte der heute h. M. durchaus entsprechen: siehe nur Reinhardt JZ 1961, 713 u. Deutsch JZ 1963, 385. Es wird sich aber noch zeigen, daß das Verständnis dieses Mittelwegs sehr frühzeitig eine inhaltliche Verkürzung erfahren hat, die mit den Intentionen der Gesetzesverfasser kaum in Einklang stand. 27 Teilentwurf "Unerlaubte Handlungen" des Vorentwurfs zu einem BGB, Recht der Schuldverhältnisse, 1. Abschnitt, Allgemeiner Teil, 2. Titel, III. 23
24
IV. Der Weg zur Kodifikation
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Die Schaffung einer solchen allgemeinen Haftungsnorm erklärt sich aus dem Bemühen des Redaktors von Kübel, den "beschränkten Standpunkt des römischen Rechts"28 aufzugeben, das in der Lex Aquilia die allgemeine Haftung für dolus nur in engen Grenzen durch Einzeltatbestände einer culpa-Haftung ergänzt hatte. Der Grund dieser Regelung wurde in der das römische Deliktsrecht prägenden mangelnden Differenzierung zwischen strafrechtlicher und haftungsrechtlicher Erfassung der Lebenssachverhalte gesehen. 29 Zur Überwindung dieser Rechtsanschauung sah der Vorentwurf, in Übereinstimmung mit und orientiert an der Mehrzahl der modernen Gesetzentwürfe, den entscheidenden Grund für die deliktische Haftung in dem allgemeinen Rechtsgebot, daß jedermann die Rechtssphäre anderer zu achten und sich jedes widerrechtlichen Eingriffs in dieselbe zu enthalten habe. 30 Unerlaubt im zivilrechtlichen Sinne sei danach jede Handlung, durch welche jemand widerrechtlich, unbefugterweise, in eine fremde Rechtssphäre verletzend eingreife. Denn die Rechtssphäre einer jeden Person müsse von allen anderen Personen geachtet und unangetastet gelassen werden; wer gegen dieses allgemeine Rechtsgebot handele, ohne hierzu aus besonderen Gründen berechtigt zu sein, begehe ebendaher eine unerlaubte Handlung und sei deshalb zum Schadensersatz verpflichtet. 31 Daraus ergaben sich als Einzelvoraussetzungen einer Schadensersatzhaftung, daß einerseits eine schadensstiftende Tat bzw. Unterlassung vorliegen, andererseits eine objektive Rechtsverletzung und der Kausalzusammenhang zwischen der Handlung und dem rechtsverletzenden Erfolg, dem eingetretenen Schaden, gegeben sein mußten. Die Bedeutung dieser Voraussetzungen ist aus den Materialien zum Vorentwurf allerdings nicht eindeutig zu entnehmen. Auf der einen Seite ist ausgeführt worden, daß die Schadensersatzpflicht darauf beruht, daß eine Person widerrechtlich eine andere Person in einem von der Rechtsordnung als schutzwürdig und schutzbedürftig anerkannten Interesse verletzt und dadurch geschädigt hat. Damit, daß ein Interesse von der Rechtsordnung als des privatrechtlichen Schutzes würdig anerkannt werde, sei auch im Falle seiner Verletzung und dadurch herbeigeführten Beschädigung der Schadensersatzanspruch gegeben. Mit der widerrechtlichen und schuldhaften Beschädigung und aus derselben entstehe der Anspruch auf Schadensersatz. 32 Diese Ausführungen könnten daraufhindeuten, daß schon im Vorentwurf die Rechtsverletzung die Funktion haben sollte, die Gesamtheit schadensstiftender Handlungen auf eine bestimmte
28 29 30 3l
32
7'
Mot. VE., S. 4. Vgl. Mot. VE., Vgl. Mot. VE., Vgl. Mot. VE., Vgl. Mot. VE.,
S. 4. S. 5. S. 1. S.4.
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2. Kap.: Allgemeine Grundlagen des Deliktsrechts
Auswahl haftungsrechtlich relevanter Verhaltensweisen zu reduzieren. Damit hätte die Rechtsverletzung haftungs begrenzende Wirkung gehabt. Auf der anderen Seite stellte aber nach dem Vorentwurf das Deliktsrecht selber das allgemeine Rechtsgebot auf, die Rechtssphäre einer anderen Person zu achten und nicht zu verletzen. 33 Danach wäre die Schutzwürdigkeit der allgemeinen Rechtssphäre der Person gerade anerkannt gewesen und jede Schadenszufügungkönnte als Rechtsverletzung angesehen worden sein. Dafür spricht, daß verschiedentlich in den Materialien zum Vorentwurf die Begriffe objektive Rechtsverletzung, rechtsverletzender Erfolg und eingetretener Schaden synonym verwandt wurden und daß das Erfordernis der Rechtsverletzung an keiner Stelle explizit als haftungsbegrenzende Voraussetzung charakterisiert wurde. Dafür spricht ferner, daß eine schadensstiftende Handlung, die eine objektive Rechtsverletzung verursacht hatte, auf der Seite des Täters als weitere Haftungsvoraussetzung eine widerrechtliche gewesen sein mußte. Dies sollte der Fall sein, wenn dem Täter Recht und Befugnis zu der Handlung gefehlt hatten. Hieraus folge ganz von selbst, daß, wer nur das ihm zustehende Recht ausübe, ohne die demselben gesetzten Schranken zu übertreten, für den hierdurch einem anderen erwachsenen Schaden nicht verantwortlich sei. 34 Erst hier, bei den Schranken der Rechtsausübung, tauchte nun als eine solche das dieser Rechtsausübung entgegenstehende oder diese beschränkende Recht des Beschädigten auf. Wäre die objektive Rechtsverletzung als haftungsbegrenzende Voraussetzung verstanden worden, dann hätte dort schon die Frage aufgeworfen werden müssen, inwieweit ein solches Recht des Beschädigten verletzt worden ist. Bei der Frage nach der Widerrechtlichkeit der Handlung hätte nur noch gefragt werden dürfen, inwieweit ausnahmsweise ein Recht des Handelnden diese Rechtsverletzung rechtfertigen konnte. Daß diese Fragestellung in den Materialien zum Vorentwurf nicht auftauchte, weil unter objektiver Rechtsverletzung die Beeinträchtigung der allgemeinen Rechtsgüter Vermögen und Person, d. h. jede Schädigung verstanden wurde, findet eine weitere Stütze in § 5 TE. Dort wurde bestimmt, daß nicht auf Schadensersatz haften sollte, wer im Zustand der Notwehr die Person oder das Vermögen des Angreifers beschädigt. Es fehlte somit das Erfordernis einer objektiven Rechtsverletzung gänzlich und es wurde allein auf die Schädigung der allgemeinen Güter Person und Vermögen abgestellt. Da aber das Erfordernis der Widerrechtlichkeit sich auf die eine objektive Rechtsverletzung verursachende Handlung beziehen und Notwehr diese Widerrechtlichkeit ausschließen sollte, spricht gerade diese Bestimmung der Notwehr in § 5 TE dafür, daß objektive Rechtsverletzung jede Beeinträchtigung der Güter Vermögen und Person sein sollte, die durch das allgemeine Rechtsgebot des § 1 TE geschützt werden sollten. Diese Sicht des Erfordernisses der objektiven Rechtsverletzung 33 34
Vgl. Mot. VE., S. 5. Vgl. Mot. VE., S. 13.
IV. Der Weg zur Kodifikation
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erklärt auch, warum an keiner Stelle in den Materialien zum Vorentwurf näher bestimmt wurde, was in diesem Sinne rechtsverletzend sein sollte. 35 Rechtsverletzend war jede Beeinträchtigung der allgemeinen Güter Vermögen und Person, weil das Recht in § 1 TE das allgemeine Gebot aufstellte, diese Güter nicht zu beeinträchtigen. Rechtsverletzung bzw. rechtsverletzender Erfolg war damit jede Herbeiführung eines Schadens. 36 Nur deshalb - weil die Rechtsverletzung noch keine haftungs begrenzende Bedeutung hatte - wurde das Verschuldenserfordernis zum entscheidenden Haftungsgrund. Nicht der Schaden, sofern er nur auf jemandes Verhalten als seine äußere Ursache zurückzuführen war, verpflichtete zum Ersatz, sondern das Verschulden. Es genügte also nicht die objektive Rechtsverletzung, diese mußte dem Täter zur Schuld gerechnet werden können. 37 In diesem Fall werde das Unrecht nach seiner eigentlichen Ursache, nach der Person des Täters gewürdigt. Die Entschädigungspflicht lasse sich nur an den schuldhaften Willen des Schädigers knüpfen, weil die Rechtsordnung mit der in der Beschädigung sich aussprechenden schuldhaften Übertretung des allgemeinen Rechtsgebots, die Rechtssphäre anderer zu achten, die Verpflichtung zur Entschädigung verbinde. 38 Diese allgemeine Forderung der Rechtsordnung verbiete aber nicht nur jedermann, absichtlich in die Rechtssphäre anderer ohne Recht verletzend einzugreifen. Sie verpflichte auch jedermann, bei seinen Handlungen ein bestimmtes Maß an Achtsamkeit, Sorgfalt, Vorsicht und Umsicht anzuwenden und hierdurch Verletzungen anderer durch und aus seinen Handlungen zu vermeiden. 39 Was niemandem in diesem Sinne zur Schuld gerechnet werden könne, das stehe rechtlich mit dem Zufall auf einer Linie. 40 Fraenkel sieht das für die Auslegung der §§ 823 - 826 eigentliche Bedeutsame des Vorentwurfs, weil im weiteren Gesetzgebungsverfahren unverändert gebliebene, darin, daß eine Handlung nach der Regelung des Vorentwurfs niemals schon im Hinblick auf die Herbeiführung eines Schadens widerrechtlich sein sollte. Der eigentliche Haftungsgrund habe allein in der Unerlaubtheit des Verhaltens gelegen, das den Schaden verursacht habe. Dabei sei der Eintritt eines Schadens nicht der Grund für die Unerlaubtheit einer Handlung iSd.
35 Daß der Vorentwurf die Frage nach den rechtsverletzenden Handlungen offengelassen hat, konstatiert auch Fraenkel, S. 100. 36 Damit war aber - im Gegensatz zur Annahme Fraenkels, S. 101 - gerade durch die Abkehr vom Römischen und Gemeinen Recht, die auch Fraenkel (S. 98) als gegeben ansieht, ein gänzlich anderes Haftungssystem anvisiert, das eben deshalb schon die sich aus dem System der Einzeltatbestände ergebenden engen Grenzen für die Zurechnung mittelbarer Erfolgsverursachungen außer Kraft setzte. 37 Vgl. Mot. VE., S. 6. 38 Vgl. Mot. VE., S. 7 f. 39 Vgl. Mot. VE., S. 13. 40 Vgl. Mot. VE., S. 8.
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Generalklausel des § 1 Abs. 1 TE gewesen. Als das wesentliche, die Unerlaubtheit einer Handlung erst begründende Merkmal sei im Vorentwurf der Verstoß gegen ein Rechtsgebot als solcher und nicht die tatsächliche Auswirkung einer erst um deretwillen normwidrigen Handlung, wie es der Schaden, der rechtsverletzende Erfolg, sein sollte, herausgestellt worden. 41 Dabei verkennt Fraenkel, daß nach dem Vorentwurf eben § 1 Abs. 1 TE selber das Rechtsgebot aufstellte, die Rechtssphäre des anderen nicht zu verletzen. Da diese Rechtssphäre ganz allgemein durch die Güter Vermögen und Person bestimmt wurde, war ein jeder Schaden zunächst ein rechtsverletzender, nämlich in Widerspruch zu diesem allgemeinen Gebot stehender Erfolg. D. h. natürlich noch nicht, daß eine Handlung schon im Hinblick auf die Herbeiführung eines Schadens widerrechtlich war. Das bedeutet den Materialien zum Vorentwurf zufolge aber, daß die schädigende Handlung eine widerrechtliche war, wenn dem Täter Recht und Befugnis zu der Handlung gefehlt hatten. Im Hinblick auf die schädigende Handlung sollte daher keine Widerrechtlichkeit vorliegen, wenn der Täter ein Recht zu dieser Handlung hatte. 42 Erst hier tauchte als Schranke dieses Rechts auch ein besonderes Recht des Geschädigten auf. Es zeigt sich, daß nach dem Vorentwurf eine Schädigung zwar noch nicht die sie verursachende Handlung widerrechtlich werden ließ. Der Schaden wurde jedoch insofern zum Anknüpfungspunkt der Konfliktlösung, als jede Schädigung nur dann nicht widerrechtlich sein sollte, wenn dem Handelnden ein besonderes Recht zu der Handlung zustand. 43 Aus heutiger Sicht ist es zwar zutreffend, wenn Fraenkel die Ausführungen zum Verhältnis von rechtsverletzendem Erfolg und Handlung als den nach heutigem Recht haftungsausfüllenden Kausalzusammenhang betreffende Ausführungen bezeichnet. 44 Dies liegt aber allein an der Betrachtung der Dinge aus heutiger Sicht,45 während im Vorentwurf gerade noch die Differenzierung zwischen Haftungsbegründung und Haftungsausfüllung fehlte. Dies hatte seine Ursache darin, daß der Vorentwurf zwar die Abkehr von einem am Römischen Recht orientierten System von Einzeltatbeständen vollzogen, sich stattdessen aber bewußt an der Mehrzahl der neueren Kodifikationen orientiert hatte. 46 Geschaffen wurde als deliktische Anspruchsnorm eine Generalklausel, die keine inhaltlichen Bestimmungen hinsichtlich der schädiFraenkel, S. 98 f. Vgl. Mot. VE., S. 13. 43 Es ist daher unzutreffend, wenn Fraenkel, S. 102 ausführt, daß irgendein Kausalzusammenhang zwischen einer beliebigen Handlung und dem rechtsverletzenden Erfolg nach dem Standpunkt des Vorentwurfs nicht ausreichen konnte, um die Handlung als rechtsverletzende zu werten. Eine schädigende Handlung verletzte das Rechtsgebot des § 1 Abs. 1 TE und war allein deshalb eine widerrechtliche, weil dem Täter Recht und Befugnis zu der Handlung gefehlt hatten. 44 Fraenkel, S. 101. 45 Dies sieht auch Fraenkel, S. 101. 46 Vgl. Mot. VE., S. 5. 41
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genden Verhaltensweisen traf, die ersatzpflichtiges Unrecht darstellen sollten. Vielmehr lag der Regelung das Prinzip des neminem laedere in dem Sinne zugrunde, daß eine Schädigung einen rechtsverletzenden Erfolg, nämlich Verletzung des allgemeinen Rechtsgebots des § 1 Abs. 1 TE darstellte, der die Handlung zur widerrechtlichen werden ließ, wenn dem Täter Recht und Befugnis dazu gefehlt hatten.
B. Der Erste Entwurf Auch der I. Entwurf ist geprägt worden von dem Bemühen seiner Verfasser, die Schadensersatzpflicht entsprechend der Abkehr des Vorentwurfs von der römisch-rechtlichen Tradition nicht in Einzeltatbeständen zu normieren, sondern allgemein als die mögliche Folge einer jeden unerlaubten Handlung hinzustellen. So wurde als Grundtatbestand § 704 Abs. 1 E. I. formuliert: Hat jemand durch eine aus Vorsatz oder Fahrlässigkeit begangene widerrechtliche Handlung - Tun oder Unterlassung - einem anderen einen Schaden zugefügt, dessen Entstehung er vorausgesehen hat oder voraussehen mußte, so ist er dem anderen zum Ersatze des durch die Handlung verursachten Schadens verpflichtet, ohne Unterschied, ob der Umfang des Schadens vorauszusehen war oder nicht. Ergänzend wurde § 704 Abs. 2 E. I. hinzugefügt: Hat jemand aus Vorsatz oder Fahrlässigkeit durch eine widerrechtliche Handlung das Recht eines anderen verletzt, so ist er den durch die Rechtsverletzung dem anderen verursachten Schaden diesem zu ersetzen verpflichtet, auch wenn die Entstehung eines Schadens nicht vorauszusehen war. Ferner wurde in § 705 E.I. angeordnet: Als widerrechtlich gilt auch die kraft der allgemeinen Freiheit an sich erlaubte Handlung, wenn sie einem anderen zum Schaden gereicht und ihre Vornahme gegen die guten Sitten verstößt. Der eigentliche Gehalt dieser Regelungen läßt sich wiederum nur durch einen Rückgriff auf die Materialien zur Entstehung dieser Vorschriften genau bestimmen. Dabei ist es wichtig, den Blick zuallererst auf die Protokolle der Sitzungen der I. Kommission zu lenken 47 und nicht allein auf die Motive. Seinen guten Grund hat dies schon darin, daß die Motive lediglich eine Zusammenfassung der in den Beratungen maßgeblichen Kerngedanken darstellen, die die allmähliche und ineinandergreifende Entwicklung dieser Gedanken in den Beratungen der Kommission nicht erkennen lassen. Dies hat zu der Kritik 47 Protokolle über die Sitzungen der (I.) Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, zitiert nach Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Recht der Schuldverhältnisse III, S. 872 fT.
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Anlaß gegeben, die Motive verfälschten die Regelungsabsichten der Kommission im Vergleich zu den Protokollen. 48 Erst eine Bestimmung des Regelungsgehalts des I. Entwurfs von dem Inhalt der Protokolle her wird hier Klarheit schaffen können, die - dies sei schon vorweggenommen - diese Kritik keineswegs bestätigen wird. Ihre positive Bedeutung liegt darin, eine tragfähige, allgemein akzeptierte Grundlage für das Verständnis des weiteren Gesetzgebungsverfahrens zu finden. 1. SchmiedeIs Analyse des Gesetzgebungsverfahrens in den Beratungen der I. Kommission
In diesem Zusammenhang kann auf recht aufschlußreiche Ausführungen von Schmiedel zurückgegriffen werden. Die Frage, wie die am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten, ohne einen historischen Anknüpfungspunkt zu benutzen, gerade auf die Vorschrift des § 823 Abs.2 verfielen, welche rechtspolitischen Überlegungen sie leiteten, an welchen Gerechtigkeitsvorstellungen sie maßen, beantwortet er dahingehend, daß bei der Schaffung der Norm rechtspolitische Erwägungen nur eine Nebenrolle gespielt haben. Nach dem Verständnis, das die Verfasser der Vorschrift vom Deliktsrecht gehabt haben sollen, habe sie sich aus der Grundstruktur des Rechts gleichsam von selbst ergeben. Die Norm sei nicht aus dem Bewußtsein eines Gesetzgebers, der nach Abwägung verschiedener Lösungsmöglichkeiten sich für eine entscheidet, geschaffen, sondern im Überdenken des Deliktsrechts in seinem Verhältnis zur übrigen Rechtsordnung gefunden worden. Dies sei, verkürzt ausgedrückt, kein volitiver, sondern ein kognitiver Vorgang gewesen. 49 Zu begründen sucht Schmiedel dies durch die Darstellung der Schaffung des Deliktsrechts als einer Abfolge von Erkenntnisakten, in der es zu einem Bruch gekommen sein soll, der die Bestimmungen von ihrer rechtspolitischen Grundlage gelöst haben soll. Rechtspolitische Überlegungen hinsichtlich der Abwägung der Interessen des Geschädigten und des Schadensverursachers seien für die I. Kommission bei der Schaffung der deliktischen Grundtatbestände noch durchaus bestimmend gewesen, wie die über ihre Sitzungen aufgenommenen Protokolle zeigten. Jedoch hätten die Motive den Anschein erweckt, als seien ganz andere Erwägungen maßgeblich gewesen, und es sei offenbar dieser Schein gewesen, an den die 11. Kommission angeknüpft habe, als sie sich für die Konzeption des heutigen § 823 Abs. 2 entschieden habe. so In der I. Kommission haben sich nach Schmiedel zwei entgegengesetzte Grundauffassungen gegenüber gestanden. Nach der einen sollte Anknüpfungspunkt einer Schadensersatzpflicht nur eine widerrechtliche Handlung sein, 48 Insbes. Schmiedel, Deliktsobligationen nach deutschem Kartellrecht, Erster Teil, 1974, S. 20 ff.; dazu sogleich. 49 Schmiedel, S. 28. 50 Schmiedel, S. 20.
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wobei sich die Widerrechtlichkeit nicht schon aus der Schadensverursachung, sondern aus Wertungen der Rechtsordnung außerhalb des Deliktsrechts ergeben sollte. Nach der Gegenmeinung habe die Schadensverursachung schon an und für sich ein Delikt sein sollen, sofern nicht die Handlung eine berechtigte war. Damit sei die deliktsrechtliche Generalklausel ins Auge gefaßt gewesen. Für diese habe sich noch in der ersten Sitzung, die der Beratung des Deliktsrechts gewidmet war, die Mehrheit der Kommission entschieden. Diese sei zwar nicht Teil des I. Entwurfs geworden, vielmehr habe dieser in § 704 an die widerrechtliche Handlung angeknüpft. Dennoch sei das Prinzip der GeneralklauseI der Sache nach nicht aufgegeben worden. Dies werde deutlich, wenn man § 704 E. I und § 705 E. I zusammen sehe. Durch sie werde dasselbe Feld abgedeckt wie durch die ursprünglich beschlossene Einzelnorm. Die Beschränkung auf widerrechtliche Handlungen habe sich gerade nicht durchgesetzt, wie § 705 E. I zeige: Dessen Tatbestand setze zwar bei der Fiktion einer widerrechtlichen Handlung an, eben dadurch werde jedoch klar, daß es hier um die "an sich erlaubte Handlung" als Ausgangsbasis eines deliktischen Schadensersatzanspruchs gehe. Die Generalklausel sei folglich mit den §§ 704, 705 E. I gleichsam nur in zwei Bestimmungen auseinandergezogen worden. Als Prinzip habe sie sich durchgesetzt. 51 Dieser Gesetzgebungsprozeß werde von den Motiven verdeckt. Die rechtspolitischen Erwägungen, die die Grundsatzentscheidung für die deliktische Generalklausel trugen, seien in die Randrolle gedrängt, § 705 E. I zu motivieren. Als das die Grundtatbestände beherrschende Prinzip erscheine die widerrechtliche Handlung, obwohl dieses Prinzip durch § 705 E. I gesprengt werde. Ließen die Motive auch die Gründe für die Entstehung der §§ 704 f. E. I nicht erkennen, so liege in ihnen doch der Anfangspunkt für die Entstehung der späteren §§ 823 ff. und insbesondere des § 823 Abs. 2. Schon in der Bestandsaufnahme des damals geltenden Rechts heiße es nämlich, daß die neueren Entwürfe die Schadensersatzpflicht auf der Basis des Grundsatzes normierten, daß jedermann die Rechtssphäre anderer zu achten und sich eines jeden widerrechtlichen Eingriffs in dieselbe zu enthalten habe. Aus der Verletzung dieses allgemeinen Rechtsgebots entspringe die Verpflichtung zum Schadensersatz. Wie dieser "Grundsatz" zu verstehen sei, welche Bedeutung ihm vor allem für die anstehende gesetzgeberische Aufgabe zugemessen worden sei, gehe besonders klar aus dem Satz hervor: Freilich, was alles unter den Begriff der Rechtssphäre anderer bzw. des Eingriffes in solche im Sinne dieses Gebots fallt, erhellt auch aus den Bestimmungen dieser Entwürfe nicht unzweideutig. 52 Dieser Satz geht nach Schmiedel davon aus, daß das allgemeine Rechtsgebot nicht einheitlich verwirklicht worden ist. Seine richtungsweisende Aussage sei: 51 52
Schmiedel, S. 22 f. Vgl. Mot. 11, S. 725.
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nicht auf die Uneinheitlichkeit der Regelung komme es an, sondern auf die dadurch nur verdeckte Eindeutigkeit des "allgemeinen Rechtsgebots". Dieses lasse sich den ins Auge gefaßten Regelungen nicht einfach entnehmen, es sei aber dennoch als solches vorgegeben. Es gebe den Begriff der "Rechtssphäre anderer" wie den des Eingriffs in sie, und aus dem ersten Begriff folge offenbar, daß ein solcher Eingriff gegen ein "allgemeines Rechtsgebot" verstoße. Dieser gedankliche Ansatz sei für das weitere Gesetzgebungsverfahren bestimmend geworden. Stets werde zunächst versucht, die "Rechtssphären" bzw. die "Rechtskreise" der einzelnen abzustecken, um daraus erst das Recht der unerlaubten Handlungen herzuleiten. S3 2. Kritik und eigene Analyse
Dieser Sicht des Gesetzgebungsprozesses ist in zwei wesentlichen Punkten zu widersprechen: dies ist zum einen die These, daß sich in der I. Kommission das Prinzip der Generalklausel, getragen von rechtspolitischen Erwägungen, durchgesetzt hat. Dies ist zum anderen die These, daß diese Entscheidung von den Motiven entstellt und stattdessen das Deliktsrecht ohne wertende Entscheidung aus einer Betrachtung der übrigen Rechtsordnung entwickelt worden ist. Für Schmiedel besteht das Charakteristische einer deliktsrechtlichen Generalklausei darin, daß schon die Schadensverursachung als solche Delikt ist. Nicht dagegen soll eine Regelung generalklauselartig sein, wenn Haftungsgrund die Widerrechtlichkeit einer schädigenden Handlung ist, sofern die Schadensverursachung allein noch nicht zur Begründung der Widerrechtlichkeit der Handlung ausreicht. 54 Schon jede Schadensverursachung als Delikt mit einer Schadensersatzpflicht zu sanktionieren, ist als extreme Lösung des deliktsrechtlichen Grundkonflikts undurchführbar. ss Folglich müssen bei einer solchen Regelung das Freiheitsinteresse berücksichtigende Elemente in die Wertungen zur Lösung des Grundkonflikts einfließen. Genau dies ist aber der Punkt, an dem ausweislich der Protokolle S6 die Diskussion in der I. Kommission einsetzte. Zu Beginn der Beratungen zu § 1 TE lagen mehrere Anträge vor, S7 die alle gemeinsam hatten, daß sie das Erfordernis der Widerrechtlichkeit der zum Schadensersatz verpflichtenden Handlung fallen lassen wollten. Ausreichend sollte vielmehr sein, daß die Handlung Schaden gestiftet hatte. Dieses Prinzip sollte ausnahmsweise mit der Folge des Haftungsausschlusses dort beschränkt sein, wo in Ausübung eines Rechts bzw. in Wahrnehmung berechtigter Schmiedei, S. 23 fT. Schmiedel, S. 21. 55 Siehe oben 2. Kap., 1. 56 Vgl. Prot. I, S. 962 fT. 57 Diese waren von den Kommissionsmitgliedern Windscheid, Kurlbaum und Planck gestellt worden: siehe Prot. I, S. 963 f. 53
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Interessen gehandelt worden war. 58 Die Kritik an diesen Anträgen ging dahin, daß bei ihnen eine Ersatzpflicht auch in solchen Fällen eintreten würde, in welchen der Handelnde nicht allein kein Gesetz verletzt, sondern in Ausübung seiner natürlichen Freiheit sowohl vom Standpunkt des Rechts als auch der Moral vorwurfsfrei gehandelt hat. Die Abhilfe darin zu suchen, die Beschränkung der Haftung an das Erfordernis der Wahrnehmung berechtigter Interessen zu knüpfen, sei deshalb bedenklich, weil danach auch derjenige zum Schadensersatz verpflichtet sei, der nicht in Ausübung der natürlichen Freiheit, sondern kraft seines besonderen Rechts gehandelt habe. Darin wäre eine unangemessene Verneinung oder Abschwächung des Rechts selbst zu finden. Ferner komme nicht zum Ausdruck, daß bei Ausübung der natürlichen Freiheit nur dann eine Haftung eintreten könne und solle, wenn illoyal gegen den Anstand und die guten Sitten gehandelt worden sei. 59 Daraufhin einigten sich die so kritisierten Antragsteller auf den folgenden, von der Kommission dann mehrheitlich angenommenen Vorschlag: Wer (wissentlich oder fahrlässigerweise) einem anderen Schaden zufügt, ist diesem zum Schadensersatz verpflichtet, es sei denn, daß er in Ausübung eines besonderen Rechts oder in einer mit den guten Sitten übereinstimmenden Ausübung der natürlichen Freiheit gehandelt habe. 60 Dazu wurde ausgeführt, daß in der neueren Zeit vielfach geklagt ist, das geltende materielle Recht sei, von dem französischen Recht abgesehen, zum Schutz des Beschädigten unzureichend. Diesen Klagen lasse sich nicht jede Berechtigung absprechen. Das Prinzip des Entwurfs bringe insofern keine Abhilfe. Es gestatte allerdings, das Ziel einer ausgedehnteren Haftung auf einem anderen Weg, nämlich dadurch zu erreichen, daß im speziellen Teil des Obligationenrechts diese und jene Handlungen besonders verboten, die Zahl der speziellen Delikte vermehrt oder an besondere Tatumstände (dolus, Nachrede, etc.) die Verpflichtung zum Schadensersatz geknüpft werde. Ein solches Verfahren beweise aber die Unzulänglichkeit und zu große Enge des Hauptprinzips. Es könne nicht richtig sein, eine große Zahl spezieller Delikte zu schaffen, die dem Hauptprinzip sich nicht unterordnen ließen und neben diesem als Singularitäten erschienen. Das Gesetzbuch müsse ein Hauptprinzip aussprechen, welches alle Singularitäten entbehrlich mache. Das sachgemäße Prinzip sei aber in dem zuletztgenannten Vorschlag enthalten. Es beruhe auf dem den modemen Rechtsanschauungen entgegenkommenden Gedanken: Wer ein besonderes Recht ausübe, müsse immer haftfrei sein, auch wenn er aus Schikane handele; wer aber nur kraft seiner natürlichen Freiheit handele, dürfe diese nicht zum Schaden anderer mißbrauchen, und ein Mißbrauch sei es, wenn eine
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Vgl. Prot. I, S. 965. Vgl. Prot. I, S. 966. Vgl. Prot. I, S. 966 f.
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Handlungsweise den in den guten Sitten sich ausprägenden Auffassungen und dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspreche. 61 Als Delikt müsse es gelten, bei Ausübung der natürlichen Freiheit durch eine illoyale, die guten Sitten verletzende Handlungsweise einem Dritten zu schaden. 62 Das dergestalt begründete Hauptprinzip scheint, insbesondere bei Berücksichtigung des Wortlauts des mehrheitlich konsentierten Antrags, damit doch 63 die Anknüpfung an die Schadensverursachung und nicht an die Widerrechtlichkeit geworden zu sein. Dies ist jedoch ein Trugschluß: Hat man sich nämlich erst einmal dazu entschlossen, das Freiheitsinteresse des Schädigers berücksichtigende Wertungen in die gesetzliche Lösung des deliktsrechtlichen Grundkonflikts einfließen zu lassen, so besteht kein prinzipieller Unterschied mehr zwischen einem Gesetzesvorschlag, der diese zusätzlichen Wertungen als Ausnahme von einem grundsätzlichen Schadensverursachungsverbot postuliert, und einem Vorschlag, der diese Wertungen als maßgebliche haftungsbegründende Elemente darstellt. In beiden Fällen ist es nicht möglich, allein an die bloße Schadensverursachung die Haftungsfolge zu knüpfen. 64 Es ist folglich unzutreffend, den in den Beratungen der I. Kommission zunächst angenommenen Antrag als reines Schadensverursachungsverbot und damit - nach Schmiedeis Verständnis - als Generalklausel anzusehen. Vielmehr mußte danach neben den Schaden als weiteres haftungsbegründendes Element immer noch die Widerrechtlichkeit der Handlung treten. Und genau so hat die I. Kommission ausweislich der Protokolle den Gehalt des zunächst angenommenen Antrags auch verstanden. 6s Dies zeigt die weitere Diskussion in den Kommissionsberatungen, deren Schwerpunkt sich in der Folgezeit auf die Frage verlagerte, ob das Erfordernis des Vorsatzes oder der Fahrlässigkeit auf die objektiv rechtswidrige Handlung oder auf den Schaden bezogen werden sollte. 66 Die Mehrheit bestimmte zunächst die objektiv rechtswidrige Handlung zum Bezugspunkt des Verschuldens. 67 Dadurch sah sie sich zu einer Auseinandersetzung mit der Frage gezwungen, ob nach dem zuvor angenommenen Antrag überhaupt eine solche in Bezug genommene Haftungsvoraussetzung aufgestellt worden war. Dazu wurde ausgeführt, die Annahme dieses Antrags lasse sich nur scheinbar dafür geltend machen, daß das Erfordernis des Vorsatzes oder der Vgl. Prot. I, S. 967. Vgl. Prot. I, S. 967 f. 63 Wie auch SchmiedeI, S. 21 meint. 64 V gl. Fraenkel, S. 11 O. 65 Unzutreffend daher Picker AcP 183 (1983) S. 369,463, der aus den zuvor dargelegten Erwägungen der 1. Kommission darauf schließt, daß die Rechtswidrigkeit ein bloßes haftungsbeschränkendes Kriterium sein sollte. 66 Vgl. Prot. I, S. 979 ff. 67 Vgl. Prot. I, S. 981. 61,
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Fahrlässigkeit auf den Schaden zu beziehen sei. Wenn dieser Antrag denjenigen, der vorsätzlich oder fahrlässigerweise den Schaden anstifte, zu dessen Ersatz verpflichte, so seien doch Ausnahmen hinzugefügt. Daraus werde~ deutlich, daß zur Begründung der Ersatzpflicht zum Erfordernis der Schadensentstehung noch ein zweites Erfordernis hinzutreten müsse, nämlich das der Widerrechtlichkeit der Handlung, so daß - auf den wesentlichen Inhalt gesehen - sich doch die Rechtsnorm ergebe: nur die widerrechtliche Handlung verpflichte zum Schadensersatz. Der in Ansehung der Vertretung der sog. illoyalen Handlungen gefaßte Beschluß stehe damit nicht im Widerspruch, sondern in vollem Einklang. Die fraglichen Handlungen seien durch jenen Beschluß für widerrechtlich erklärt und sei dadurch nur der allgemeine Rechtsgrundsatz eingeführt: die betreffende Handlungsweise sei nicht minder verboten wie die Verletzung der absoluten Rechte. 68 Damit lassen sich die Kerngedanken der von der I. Kommission intendierten gesetzlichen Regelung des Deliktsrechts bereits deutlich herausstellen, und zwar so, wie sie auch in den Motiven wiederzufinden sind. Die an das französische Recht angelehnte Betonung der Schaffung eines Hauptprinzips, das alle Singularitäten entbehrlich macht, läßt die Bemühungen erkennen, die Schadensersatzpflicht entsprechend der Abkehr des Vorentwurfs von der römischrechtlichen Tradition nicht in Einzeltatbeständen zu normieren, sondern allgemein - Hauptprinzip! - als die mögliche Folge einer jeden unerlaubten Handlung darzustellen. 69 Ziel dieser Regelung war, eine ausgedehntere Haftung 70 zu erreichen. 71 Verwirklicht werden sollte dieses Ziel dadurch, daß zum entscheidenden Haftungsgrund die Widerrechtlichkeit der Handlung bestimmt wurde. Zur Begründung dieser Widerrechtlichkeit sollte aber nicht schon die Schadenszufügung genügen: Werde mit dem Entwurf die Widerrechtlichkeit der Handlung für nötig erachtet, so müsse die letztere, damit die Verpflichtung zum Schadensersatz begründet werde, entweder durch eine Rechtsnorm verboten oder es müsse durch die Handlung ein von dem Handelnden nach den Vorschriften der Rechtsordnung zu respektierendes Recht des Beschädigten verletzt und hieraus der Schaden entstanden sein. Demzufolge könne eine Haftung nicht eintreten, wenn die Handlung weder verboten noch durch dieselbe ein unter absolutem Schutz stehendes oder ein solches Rechtsgut verletzt sei, in welches der Handelnde in Gemäßheit eines obligatorischen Verhältnisses nicht eingreifen dürfe. 72 Als dritte Kategorie widerrechtlicher Vgl. Prot.!, S. 982. Vgl. Mot. 11, S. 725. 70 Vgl. Prot.!, S. 967. 71 In den Motiven findet sich dazu die Aussage: Solle ein in allen Fällen ausreichender Schutz gegen unerlaubte Handlungen gewährt werden, so sei die Schadensersatzpflicht nicht an einzelne bestimmte, möglicherweise nicht erschöpfend gestaltete Delikte zu knüpfen, sondern allgemein als die mögliche Folge einer jeden unerlaubten Handlung hinzustellen. Vgl. Mot. 11, S. 725. 68
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Handlungen traten die von der Kommission für widerrechtlich erklärten illoyalen Handlungen hinzu. 73 Dieses in den drei Kategorien widerrechtlicher Handlungen konkretisierte haftungsrechtliche Grundprinzip der Ersatzpflicht für widerrechtlich herbeigeführte Schädigungen erhielt seine im wesentlichen endgültige Fassung durch die Aufgabe des Beschlusses, das Verschulden auf die objektiv rechtswidrige Handlung zu beziehen, und seine Ersetzung durch die Inbezugnahme von Verschulden und Schaden. Allerdings war damit keineswegs die Aufgabe des bis dahin entwickelten Grundprinzips bezweckt. Vielmehr kamen bei diesen Entscheidungen Schutzerwägungen zugunsten von Schädiger und Geschädigtem im Rahmen dieses bereits anerkannten grundlegenden Prinzips zum Tragen. Die Kommission hatte den ursprünglichen Beschluß, das Verschulden lediglich auf die objektiv rechtswidrige Handlung zu beziehen, gegen die Erkenntnis, daß er mitunter Härten (für den Schädiger) zur Folge haben könnte, mit dem Hinweis verteidigt, daß diese Härten "weniger ins Gewicht fielen, als eine die Beschädigten nur zu oft verkürzende und schwächliche Milde". 74 Diese Wertung kehrte sich in dem später gefaßten Beschluß, das Verschulden auf den Schaden zu beziehen, teilweise um: Die Bestimmung, wer schuld bar eine widerrechtliche Handlung begehe, sei unbedingt für den daraus entstehenden Schaden verantwortlich, auch wenn dieser weder erkannt noch erkennbar gewesen sei, führe zu unerträglichen Härten. 7s Sie lasse sich nur rechtfertigen, wenn die Widerrechtlichkeit darin bestehe, daß ein subjektives Recht des Beschädigten verletzt und in dessen Rechtskreis unmittelbar in schuldbarer
72 Prot. I, S. 965. Die Motive machen daraus knapp, aber nicht weniger zutreffend: "Der Mangel einer gesetzlichen Erlaubnis hat keine Bedeutung; was nicht widerrechtlich ist, ist erlaubt." Siehe Mot. II, S. 725 f. und dazu auch Fraenkel, S. 109. Siehe ferner die inhaltlich gleichfalls zutreffende Wiedergabe der Gedanken zur Rechtsund Gesetzesverletzung in Mot. II, S. 726: Danach sollte widerrechtlich vor allem das Handeln gegen ein absolutes Verbotsgesetz sein, wobei als solches nicht nur ein unmittelbar ein Verbot aussprechendes Gesetz, sondern auch ein mittelbar, insbesondere in der Form von Strafandrohungen, ein Verbot aussprechendes Gesetz angesehen wurde. Ferner sollte die Verletzung des einem anderen zustehenden Rechts widerrechtlich sein. Es liege in dem Begriff eines solchen subjektiven Rechts, daß jeder Dritte dasselbe achten müsse und nicht verletzen dürfe. Doch sei die Verletzung nur eine Rechtswidrigkeit gegenüber dem Berechtigten, während das gesetzliche Verbot jedem zum Schutz diene. 73 Vgl. Mot. II, S. 726 f.: Eine Widerrechtlichkeit einer solchen kraft der natürlichen Freiheit vorgenommenen Handlung wurde in ihrem Mißbrauch zum Schaden anderer gesehen. Ein Mißbrauch sei es, wenn eine Handlungsweise den in den guten Sitten sich ausprägenden Auffassungen und dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspreche. Als widerrechtlich gelte danach auch die zwar kraft der allgemeinen Freiheit an sich erlaubte, aber illoyale gegen die guten Sitten verstoßende Handlungsweise, wenn sie einem anderen zum Schaden gereiche. 74 Vgl. Prot. I, S. 984. 75 Gemeint ist: für den Schädiger.
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Weise eingegriffen sei, in welchem Falle sich die Rechtsverletzung selbst schon gleichsam als ein Schaden im weiteren Sinne betrachten lasse. Sei die Widerrechtlichkeit anderer Art - also ohne Verletzung eines subjektiven Rechts des Beschädigten eine durch die Rechtsordnung verbotene Handlung schuldbar begangen -, so müsse die Verpflichtung zum Ersatz des einem anderen daraus entstandenen Schadens davon abhängig gemacht werden, daß die Entstehung eines solchen vorausgesehen worden oder bei gebührender Aufmerksamkeit vorauszusehen gewesen sei. 76 Dieser letztgenannte Grundsatz ist in § 704 Abs. 1 E. I niedergelegt worden, während in § 704 Abs. 2 E. I die Ausnahme für den Fall der Verletzung subjektiver Rechte normiert worden ist. Ergänzt wurden diese beiden Bestimmungen durch § 705 E. I, in dem die Rechtswidrigkeit illoyaler Handlungen (mit der dann notwendig eingreifenden Haftungsfolge aus § 704 Abs. 1 E. I) angeordnet wurde. Mit seiner unzutreffenden Bestimmung des sachlichen Gehalts des eingangs der Beratungen von der I. Kommission mehrheitlich angenommenen Antrags hat sich Schmiedel in Verbindung mit seinen Fehlvorstellungen über den Charakter einer generalklauselartigen Regelung den Blick auf die eigentliche gesetzgeberische Leistung der I. Kommission bei der Schaffung des Deliktssystems des BGB verstellt. Eine Norm ist nämlich - und dies auch nach dem Verständnis der Gesetzesverfasser - nur dann eine Generalklausel, wenn sie derart abstrakt formuliert ist, daß sie die eigentliche wertende Entscheidung insgesamt an den Richter weitergibt. Für das Deliktsrecht bedeutet dies, daß eine Generalklausel vorliegt, wenn eine Norm die Entscheidung zwischen haftpflichtigen und nicht haftpflichtigen schadensstiftenden Handlungen an den Richter weitergibt. Folglich handelt es sich umgekehrt nicht um eine generalklauselartige Regelung, wenn der Gesetzgeber diese Entscheidung selber trifft. Entscheidend für die Beurteilung einer Norm als Generalklausel ist somit ihr Inhalt. In diesem Sinne ist das Prinzip der Generalklausel schon im Verlauf der Sitzungen der I. Kommission durch die entwickelte "stark differenzierende Lösung"77 in bewußter rechtspolitischer Entscheidung aufgegeben worden. Diese Entscheidung wurde von zwei Wertungselementen getragen: Ein Schadensverursachungsverbot war mit der grundsätzlich anerkannten allgemeinen Handlungsfreiheit unvereinbar. Folglich mußten zu der Schadensverursachung hinzutretende besondere Umstände vorliegen, damit eine Haftung bejaht werden konnte. Und diese besonderen Umstände haben die Gesetzesverfasser dem Richter vorgegeben. Ihren Niederschlag hat die rechtspolitische Entscheidung in den §§ 704, 705 E. I gefunden. Gerade auch in § 705 E. I kommt dieses Prinzip, daß eben nicht schon eine Handlung um des durch sie verursachten Schadens willen widerrechtlich ist, zum Ausdruck. Zur Schadensverursachung muß ein Verstoß gegen die guten Sitten hinzutreten - dies ist die eine Generalklausel ausschließende inhaltliche gesetzgeberische Wertung -, damit 76 77
Prot. I, S. 986. Schmiede!, S. 22.
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2. Kap.: Allgemeine Grundlagen des Deliktsrechts
eine Schadensersatzpflicht bejaht werden kann. Dadurch hat sich die Beschränkung auf widerrechtliche Handlungen durchgesetzt. Die Regelung des I. Entwurfs hat Deutsch als eine auf die vorhersehbare Schadenszufügung abstellende Generalklausel (§ 704 Abs. 1 E. I) gefolgt von einem Gattungstatbestand der Rechtsverletzung für den Fall unvoraussehbaren Schadens bezeichnet. 78 In der Tat legt der Wortlaut des § 704 Abs. 1 E. I die Annahme nahe, es handele sich um eine Generalklausel. 79 Jedoch hatte die I. Kommission den entscheidenden Grund für die deliktsrechtliche Haftung in der Widerrechtlichkeit der Handlung gesehen und die Anforderungen an eine solche widerrechtliche Handlung in drei Kategorien eingrenzend umschrieben. Trotz des weiten Wortlauts sollte § 704 Abs. 1 E. I nicht jede schädigende Handlung, sondern nur die gegen ein gesetzliches Verbot verstoßende Handlung als widerrechtliche erfassen. 80 Daß es sich bei § 704 Abs. 1 E. I nicht um eine inhaltsleere Generalklausel handelte, ergibt sich zudem daraus, daß die Kommission es für notwendig erachtete, in § 705 E. I ein den § 704 Abs. 1 E. I ergänzendes - gesetzliches - Verbot illoyaler Handlungen auszusprechen. Die I. Kommission wollte somit gerade nicht die Entscheidung über haftungsbegründendes Unrecht lediglich an den Richter weitergeben, sondern hat zumindest in Ansätzen versucht, die maßgeblichen Kriterien der Haftung selber herauszuarbeiten. 81 Daran ändert auch die von Deutsch 82 hervorgehobene Unterscheidung der Gesetzesverfasser zwischen Haftung für vorhersehbare Schadenszufügung nach § 704 Abs. 1 E. I und für unvorhersehbare Schadenszufügung nach § 704 Abs. 2 E. I nichts. Obwohl damit, wie sich oben gezeigt hat, bewußt der Schaden zum Bezugspunkt des Verschuldens gemacht worden ist, ist dadurch nicht die
Deutsch, HaftungsR. I, S. 107. Diese Folgerung zieht etwa Löwisch, Der Deliktsschutz relativer Rechte, 1970, S. 7 Fn. 33 u. S. 59; siehe auch Picker AcP 183 (1983) S. 369, 467. 80 Wie hier auch SchmiedeI, S. 14, der ebenfalls darauf hinweist, daß der Wortlaut des § 704 Abs. 1 E. I das begrenzte Verständnis der Gesetzesverfasser von der widerrechtlichen Handlung nicht deutlich werden läßt. 81 Die Alternative zwischen Schadensverursachung und Widerrechtlichkeit war deshalb für die 1. Kommission eine so "weittragende", weil es dabei auch um die Frage ging, ob ein Haftungsmaßstab vorgegeben werden sollte oder nicht. Daraus läßt sich zwar ablesen, daß nicht schon jeder verursachte Schaden zur Haftung führen sollte. Anders als Fraenkel, S. 114 annimmt, heißt das aber noch nicht, daß mittelbare Schadensverursachungen keinen rechtsverletzenden Erfolg darstellen sollten. Ob dies der Fall war, konnte erst durch eine Inhaltsbestimmung des möglicherweise verletzten Rechts ermittelt werden. Grundlegend war damit nicht allein die Entscheidung für oder gegen ein Schadensverursachungsverbot, sondern die Entscheidung für eine Wertungsvorgabe im Gesetz, die dann auch als Ausnahme von einem Haftungsgrund der Schadensverursachung hätte formuliert werden können. 82 JZ 1963, 385 in und bei Fn. 10. 78
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IV. Der Weg zur Kodifikation
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Eingrenzung der Haftung auf die vorgegebenen Kategorien widerrechtlichen Handeins aufgegeben worden, die den entscheidenden Unterschied zur Generalklausel ausmachte. Zudem ist die Differenzierung zwischen Vorhersehbarkeit der Schadenszufügung in § 704 Abs. 1 E. I und deren Unvorhersehbarkeit in § 704 Abs. 2 E. I anhand der Materialien nicht als entscheidendes Differenzierungskriterium zu rechtfertigen. Schon nach § 704 Abs. 1 E. I brauchte nicht der gesamte Schaden vom Handelnden vorausgesehen zu werden, sondern nur eine Schadenszufügung. Auf die Vorhersehbarkeit des Umfangs des tatsächlich verursachten Schadens sollte es nicht ankommen. Der Täter, einmal vorsätzlich oder fahrlässig handelnd in bezug auf eine mögliche Schadenszufügung, sollte dann für jeden dem Beschädigten durch die Handlung verursachten Schaden verantwortlich sein. 83 Zu diesem § 704 Abs. 1 E. I zugrundeliegenden Prinzip sollte § 704 Abs. 2 E. I aber gerade nicht im Gegensatz stehen. In der Verletzung eines absoluten Rechts sollte immer schon ein schädlicher Erfolg der Handlung gesehen werden, welcher in Konsequenz des Grundsatzes des § 704 Abs. 1 E. I zum Ersatz des ganzen dem Berechtigten durch die Rechtsverletzung verursachten Schadens verpflichten sollte. 84 § 704 Abs. 2 E. I stand schon insoweit nicht im Gegensatz zur Regelung des § 704 Abs. 1 E. I. Er wurde vielmehr verstanden als deren besonderer Anwendungsfall. 85 Auch stellte § 704 Abs. 2 E. I eine im Vergleich zu § 704 Abs. 1 E. I engere Regelung dar, als nicht jede Verletzung eines subjektiven Rechts ebenso wie jede V~rletzung eines absoluten Verbotsgesetzes (iSd. § 704 Abs. 1 E. I) eine widerrechtliche Handlung gegenüber jedermann darstellte, sondern nur eine Widerrechtlichkeit gegenüber dem Berechtigten. 86 Der I. Entwurf steht somit nicht, wie Schmiedel sagt,87 in der Tradition der naturrechtlichen Kodifikationen, die jede Schädigung eines anderen für unerlaubt und widerrechtlich erklärten. Schmiedeis gegenteilige Auffassung beruht auf einem bestimmten Vorverständnis der Widerrechtlichkeit. Diese soll eine Generalklausel ausschließen, wenn sie sich aus Normen außerhalb des Deliktsrechts ergibt. Dagegen soll die Aufstellung einer neuen (primären) verbietenden Norm im Deliktsrecht selber - dies soll § 705 E. I sein - das Prinzip der Widerrechtlichkeit sprengen. Dies wäre aber nur dann der Fall, wenn der Gesetzgeber allgemein eine Haftung für widerrechtliche Handlungen angeordnet hätte. Da er jedoch in § 705 E. I nur solche Handlungen als widerrechtlich ansah, die gegen die guten Sitten verstießen, ist dort in der Tat von ihm eine dritte Vgl. Prot. I, S. 11864; Mot. 11, S. 727 f. Vgl. Prot. I, S. 11864; Mot. 11, S. 728. 8S Eingehend zu der Aussage, daß sich diese Auffassung durch die unmittelbare Richtung der Handlung gegen das Recht des Beschädigten und den einem solchen zu gewährenden Schutz rechtfertigt (Prot. I, S. 986; Mot. II, S. 728): siehe unten 3. Kap., 11 C4 b. 86 Vgl. Prot. I, S. 986 f.; Mot. II, S. 726. 87 Schmiede), S. 23 Fn. 75. 83
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2. Kap.: Allgemeine Grundlagen des Deliktsrechts
Kategorie widerrechtlicher Handlungen bestimmt worden, die gerade die Aufstellung einer umfassenden Generalklausel vermeiden sollte. 88 Sowohl in § 704 als auch in § 705 E.I geht es um "an sich erlaubte Handlungen", da allgemeine Handlungsfreiheit herrscht. In beiden Vorschriften wird vom Gesetzgeber vorgegeben, wann eine "an sich erlaubte Handlung" zur nicht erlaubten und damit ausgleichspflichtigen wird. Dies ist keine Auseinanderziehung von einer Generalklausel in zwei Bestimmungen. Dies ist vielmehr die Aufgabe eines Generalklauselsystems durch Konkretisierung der Vorstellungen des Gesetzgebers hinsichtlich ersatzpflichtiger Handlungen. Die Konkretisierung erfolgte in allen drei Grundtatbeständen durch Bezugnahme auf außerdeliktsrechtliche Maßstäbe (subjektive Rechte, Verbotsgesetze, gute Sitten). Nichts anderes bringen auch die Motive zum Ausdruck. Das Mißverständnis auf seiten Schmiedels bezüglich der maßgeblichen rechtspolitischen Erwägungen der 1. Kommission ist auch Ursache für seine Annahme, daß in den Motiven der Anfangspunkt einer neuen deliktsrechtlichen Entwicklungslinie liegt. Gerade der d,afür von Schmiedel 89 angeführte Satz aus den Motiven ist nur verständlich aus dem Wissen um die Entscheidung der 1. Kommission gegen eine deliktsrechtliche Generalklausel. Daß aus den Bestimmungen der neueren deutschen Entwürfe nicht unzweideutig erhellt, was alles unter dem Begriff der Rechtssphäre anderer bzw. des Eingriffs in solche im Sinne dieses Gebotes fällt, besagt nicht, daß das Prinzip nicht einheitlich verwirklicht worden ist. Es weist allein darauf hin, daß dieses Prinzip in den Entwürfen nicht mit inhaltlichen Wertungen ausgefüllt worden ist und deshalb generalklauselartigen Charakter behalten hat. Demgegenüber stellt die Entscheidung der 1. Kommission, die durch die subjektiven Rechte und die Verbotsgesetze gebildete Rechtssphäre anderer, ergänzt durch die Schranke der Sittenwidrigkeit als Grenze der Handlungsfreiheit im Deliktsrecht in Bezug zu nehmen, eine inhaltlich wertende Entscheidung - mit den Worten SchmiedeIs: einen volitiven Vorgang - dar, die wegen dieser inhaltlichen Wertung zu einer Abkehr vom Prinzip der Generalklausel führt.
C. Das Verhältnis des Vorentwurfs zum Ersten Entwurf Der 1. Entwurf unterscheige! sich vom Vorentwurf grundlegend durch den Versuch, die Voraussetzungen einer deliktsrechtlichen Haftung präziser und damit eingrenzender zu fassen. Allerdings wird die Ursache für diese andersgeartete Regelung des 1. Entwurfs in den Materialien nicht unmittelbar deutlich. Die 1. Kommission hat das Ausmaß der von ihr vollzogenen Abkehr vom Regelungsgehalt des Vorentwurfs wohl selber nicht vollständig erkannt, da sie sich zu sehr am Wortlaut des § 1 TE und an dem dort aufgestellten Erfordernis der Widerrechtlichkeit der Handlung orientiert 111Ü-:-Siesah- nämlich· in den 88 89
So auch Fraenke1, S. 110 f. a. a. 0., S. 25.
IV. Der Weg zur Kodifikation
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eingangs der Beratungen gestellten Anträgen 90 eine Abweichung von der Regelung des § 1 TE in der weittragenden, prinzipiellen Frage nach der objektiven Beschaffenheit der zUm Schadensersatz verpflichtenden Handlung. Der Entwurf stelle als Erfordernis die Widerrechtlichkeit der Handlung auf. Die Anträge ließen dieses Erfordernis fallen und erklärten den Umstand für genügend, daß die Handlung Schaden gestiftet habe. Da dieses Prinzip notwendig der Beschränkung bedürfe, bestimmten sie zugleich aber Haftfreiheit, wenn in Ausübung eines Rechts bzw. in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt worden sei. 91 Nichts anderes als das, was die Kommission hier als Inhalt der - ihrer Auffassung nach - von der Regelung des Vorentwurfs abweichenden Anträge darstellt, ist der unter Berücksichtigung der Materialien zum Vorentwurf allein feststellbare Regelungsgehalt des § 1 TE: Dort war zwar in der Tat das Erfordernis der Widerrechtlichkeit der Handlung aufgestellt worden; da aber § 1 TE selber das allgemeine Rechtsgebot aufstellte, andere nicht zu schädigen, war damit allein die Schadensverursachung zum haftungsrechtlich maßgebenden Anknüpfungspunkt geworden. 92 Unter Fortführung der Abkehr vom Einzeltatbestandssystem des Römischen Rechts war der Ansatzpunkt der I. Kommission nunmehr ein anderer. Die Anerkennung allgemeiner Handlungsfreiheit als Grundlage des Zivilrechts stand nicht in Einklang mit dem - auch im Vorentwurf aufgestellten allgemeinen Rechtsgebot, die Rechtssphärt} anderer zu achten, und der Folge, daß eine schädigende Handlung schon bei Fehlen eines besonderen Rechts zu ihrer Vornahme widerrechtlich war. Vielmehr formulierte sie im I. Entwurf-in Abkehr von diesem den Vorentwurf und die neueren Gesetzentwürfe beherrschenden allgemeinen Rechtsgebot - genau entgegengesetzt, daß der Mangel einer gesetzlichen Erlaubnis zu einer schädigenden Handlung keine Bedeutung für die Haftung hat. Sollte dieses vom Vorentwurfpostulierte allgemeine Rechtsgebot nicht mehr gelten, mußte ein anderer - präziserer - Maßstab vorgegeben werden. M. a. W.: Konnte die bloße Schadenszufügung in keiner Weise mehr bestimmen, ob eine Haftung angebracht war oder nicht, so mußte ein anderes Haftungselement zur entscheidenden Wertungsebene werden. Dazu knüpfte die I. Kommission an die bereits im Vorentwurf enthaltene Erkenntnis an, daß allein eine widerrechtliche Handlung zur Haftung führen sollte. Nach Aufgabe des allgemeinen Rechtssatzes des Vorentwurfs genügte nicht mehr die Bestimmung der Fälle, in denen eine Handlung nicht widerrechtlich sein sollte. Vielmehr mußten nun die widerrechtlichen schadenszufügenden Handlungen positiv - und folglich in Abkehr von einem Generalklauselprinzip - vom Gesetzgeber bestimmt werden. Diese Bestimmung erfolgte in den oben beschrie90
91 92
S'
Siehe Prot. I, S. 962 ff. und dazu bereits oben 2. Kap., IV B 2. Vgl. Prot. I, S. 965. Dazu bereits ausführlich oben 2. Kap., IV A.
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2. Kap.: Allgemeine Grundlagen des Deliktsrechts
benen drei Kategorien der Widerrechtlichkeit, die bereits im I. Entwurf die heutige Aufgliederung des Deliktsrechts in die drei Grundtatbestände der Anlage nach erkennen lassen. 93 Das heutige System pauschal als Werk der 11. Kommission zu bezeichnen, 94 wird daher der eigentlichen Leistung der I. Kommission nicht gerecht. Ferner ist eine solche Sichtweise der Entstehung der §§ 823 ff. dazu angetan, die Leistung der 11. Kommission, die damit nicht in der Schaffung des Systems der drei Grundtatbestände bestanden haben kann, zu verdecken.
D. Der Zweite Entwurf Die 11. Kommission wählte als Ausgangspunkt ihrer Überlegungen den Grundsatz, daß die Vorschriften über die Schadensersatzpflicht aus unerlaubten Handlungen zu denjenigen Vorschriften gehören, welche dazu bestimmt sind, die Rechtskreise der einzelnen, innerhalb deren sie ihre individuelle Freiheit entfalten und ihre Interessen verfolgen dürfen, voneinander abzugrenzen. 9S Zur Wahrung seiner Rechte stünden dem Berechtigten die Mittel der Selbstverteidigung, Selbsthilfe und des Beseitigungsanspruchs zur Verfügung. Schutz gewähre zum Teil auch die gesetzliche Strafandrohung. Eine Ergänzung finden diese dem Berechtigten zur Erhaltung seines Rechtskreises gewährten Mittel nach Auffassung der 11. Kommission in dem Anspruch auf Schadensersatz, durch welche die ihm aus dem widerrechtlichen Eingriff erwachsenen Nachteile ausgeglichen werden sollen. 96 Der derart geschützte Rechtskreis des einzelnen umfasse zunächst seine eigentlichen Vermögensrechte sowie auch seine sog. Persönlichkeitsrechte, welche durch das an jedermann gerichtete Verbot eines Eingriffs ebenso geschützt seien, wie die Rechte an Sachen. Die Rechtskreise seien aber auch noch in der Weise voneinander abgegrenzt, daß das Gesetz dem einen im Interesse eines anderen gewisse Pflichten auferlege, ihm ein bestimmtes Verhalten gebiete oder verbiete. 97 Es gehe zu weit, wenn der I. Entwurf in § 704 Abs. 1 jedem Beschädigten ein Recht auf Entschädigung gewähre, ohne daß es darauf ankomme, ob das verletzte Gesetz zum Schutze der geschädigten Interessen bestimmt sei. 98 Es könnten vielmehr nur solche Gebote und Verbote in Betracht kommen, welche darauf abzielten, die Interessen des einen vor der Beeinträchtigung durch den anderen zu bewahren. Unberücksichtigt bleiben müßten die im Die Ähnlichkeit des § 704 E. I mit § 823 betont auch Schmiedei, S. 13. Deutsch, HaftungsR. I, S. 107; - ders. - JZ 1963, 385; - ders. - Festschrift f. Weber (1975) S. 125 f.; RGRK-StefTen § 823 Rz.1; siehe auch Reinhardt JZ 1961, 713. 95 Vgl. Prot. H, S. 567. 96 Vgl. Prot. H, S. 568. 97 Vgl. Prot. H, S. 568. 98 Vgl. Prot. H, S. 571. 93
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Interesse der Gesamtheit auferlegten gesetzlichen Pflichten, welche, weil sie den Interessen aller förderlich seien, auch jedem irgendwie Beteiligten zugute kämen. 99 Andererseits soll nach Auffassung der 11. Kommission nicht jeder Eingriff in den derart umschriebenen fremden Rechtsbereich zum Schadensersatz verpflichten. Erforderlich sei vielmehr ein Eingriff, der durch ein Verschulden des Urhebers des Schadens hervorgerufen worden sei. Ihre innere Begründung finde die Aufstellung dieses Grundsatzes darin, daß sie von entscheidender Bedeutung für die Abgrenzung der Rechtskreise der einzelnen sei, innerhalb deren sie ihre Individualität entfalten dürften. Man brauche bei seinem Tun und Lassen auf die rechtlich geschützten Interessen der anderen nur insoweit zu achten, als man bei Anwendung ordnungsgemäßer Sorgfalt erkennen müsse, daß dieselben dadurch gefährdet werden könnten. Eine Handlung, deren Gefährlichkeit für einen anderen man ungeachtet einer sorgfältigen Prüfung nicht zu erkennen vermöge, dürfe vorgenommen werden; äußere sie dennoch schädliche Wirkungen auf den Rechtskreis eines anderen, so müsse der Betroffene diese Wirkung wie einen Zufall hinnehmen. Gehe man weiter, indem man grundsätzlich den Boden des Entwurfs verlasse, so werde damit keineswegs der Entwicklung des Verkehrs gedient, wohl aber die Bewegungsfreiheit des einzelnen übermäßig eingeschränkt. 100 Allerdings muß nach Ansicht der Kommission anders als in § 704 Abs. 1 E. I das - eingegrenzte - Recht des Betroffenen als Bezugspunkt des Verschuldens genügen, da das Erfordernis der Voraussehbarkeit der Schadensentstehung dieses Recht wieder verkümmern lassen würde. Das richtige Prinzip enthalte § 704 Abs. 2 E. I. Im übrigen empfehle es sich um so mehr, die Fälle beider Kategorien einander gleichzustellen, als es häufig schwer sei, die rechtlich geschützten Interessen und die absoluten Rechte auseinanderzuhalten. 101 Folglich wurde an Stelle des § 704 Abs. 1 u. 2 E. I § 746 Abs. 1 E. 11 wie fol~t formuliert: Wer vorsätzlich oder fahrlässig ein Recht eines anderen widerrechtlich verletzt oder wer gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt, ist dem anderen zum Ersatz des dadurch verursachten Schadens verpflichtet. Dagegen wurde die Regelung des § 705 E. I inhaltlich weitgehend übereinstimmend in den neu formulierten § 749 E. 11 übernommen: Vgl. Prot. H, S. 568. Vgl. Prot. H, S. 569. 101 Vgl. Prot. H, S. 571 f.; wieso sich aus dieser Aussage eine Identifikation des deliktsrechtlich geschützten Interesses mit den enumerativ aufgeführten Rechtsgütern und den absoluten Rechten ergeben sol1- so: Brüggemeier AcP 182 (1982) S. 385, 426 -, ist aus dem Kontext der Gesetzesmaterialien nicht zu erschließen und kann auch kaum mit der Schaffung verschiedener Grundtatbestände in Einklang gebracht werden. 99
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2. Kap.: Allgemeine Grundlagen des Deliktsrechts
Wer durch eine Handlung, die er nicht in Ausübung eines ihm zustehenden Rechtes vornimmt, in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet. Allein die Fahrlässigkeit wurde nicht als Schuldform in die Vorschrift aufgenommen. Die fahrlässige Verletzung einer fremden Interessensphäre durch eine illoyale Handlung werde selten vorkommen; jedenfalls sei darin kein so schwerer Verstoß gegen die öffentliche Sittlichkeit zu finden, daß der Gesetzgeber Veranlassung zum Einschreiten habe. 102 E. Das Verhältnis des Ersten zum Zweiten Entwurf Die 11. Kommission hat die von der I. Kommission in das Gesetzgebungsverfahren eingebrachte grundlegende Differenzierung nach drei Kategorien der Widerrechtlichkeit, die allein die Haftung wegen unerlaubter Handlung begründen sollten, in ihren Grundzügen nicht aufgegeben. Sie hat im Gegenteil auf der Grundlage der Regelung des I. Entwurfs versucht, eine genauere und damit die Haftung weiter eingrenzende Bestimmung der Haftungsvoraussetzungen zu treffen. Dabei ist die 11. Kommission nicht davon ausgegangen, daß der I. Entwurf eine Generalklausel geschaffen hatte. Die Ablehnung der Normierung einer Generalklausel erfolgte nicht in Auseinandersetzung mit der Regelung des I. Entwurfs, sondern in Auseinandersetzung mit einem Antrag, der gerade die Differenzierungen des I. Entwurfs ablehnte, "weil es nicht angehe, die Voraussetzungen der Ersatzpflicht im Gesetz zu fixieren".lo3 Umgekehrt wurde der I. Kommission bescheinigt, daß sie darum bemüht gewesen ist, die Verpflichtung des Täters nicht ins Unermeßliche zu steigern. 104Daß sich die 11. Kommission dennoch gezwungen sah, die Haftung weiter einzuschränken, lag daran, daß die I. Kommission noch im wesentlichen darauf abgestellt hatte, ob eine, vom betroffenen Rechtskreis des Geschädigten her gesehen, widerrechtliche Handlung des potentiell Haftpflichtigen vorlag. Die Frage, ob trotz einer unter solchem Blickwinkel begründeten Widerrechtlichkeit der Handlung ein Schutz des Geschädigten möglicherweise nicht gerechtfertigt war, wurde nicht gestellt. Dies führte dazu, daß nach dem I. Entwurf jede Gesetzesverletzung jedem dadurch Geschädigten Ersatzansprüche gewährte, die allein durch das Erfordernis einer Voraussehbarkeit der Schädigung begrenzt wurden. Dagegen stellte die 11. Kommission die Funktion des Deliktsrechts im Sinne der Losung des oben beschriebenen Grundkonflikts in den Vgl. Prot. II, S. 576. Prot. II, S. 570 f.; dazu auch oben 2. Kap., III. 104 Vgl. Prot. II, S. 569; allerdings vornehmlich auf den Bereich der HaftungsausfülJung bezogen. 102 103
IV. Der Weg zur Kodifikation
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Vordergrund: Die Vorschriften über die Schadensersatzpflicht gehören zu denjenigen Vorschriften, welche dazu bestimmt sind, die Rechtskreise der einzelnen, innerhalb deren diese ihre individuelle Freiheit entfalten und ihre Interessen verfolgen dürfen, voneinander abzugrenzen. lOS Dieser Ausgangspunkt führte zu einer wichtigen Differenzierung gegenüber der Regelung des I. Entwurfs. Die Bestimmung der widerrechtlichen Handlung wurde nicht mehr einheitlich und unabhängig von dem konkret zu beurteilenden Verhältnis zwischen Geschädigtem und Handelndem vorgenommen. Es wurde vielmehr zunächst die Frage gestellt, inwieweit ein schützenswerter Rechtskreis des einzelnen überhaupt bestand. Dies führte zu dem Ergebnis, daß dieser nur dort bestehen konnte, wo ein Verbots- bzw. Gebotsgesetz gerade im Interesse des einzelnen aufgestellt worden war. Diese Erkenntnis ließ die Entscheidung der I. Kommission, eine Entschädigung zu gewähren, ohne daß es darauf ankommen sollte, ob das verletzte Gesetz zum Schutz der geschädigten Interessen bestimmt war, als zu weitgehenden Schutz des Geschädigten erscheinen. Umgekehrt ließ diese generelle Betrachtung der Schutzwürdigkeit der betroffenen Interessen die Aufrechterhaltung der im I. Entwurf geforderten Voraussehbarkeit der Schadensentstehung aus der Sicht des Geschädigten als unangemessen erscheinen. 106 War nämlich einmal festgestellt, daß ein schutzwürdiger Rechtskreis des einzelnen betroffen worden war, so hätte das Erfordernis der Voraussehbarkeit einer Schadensentstehung den zunächst festgestellten Schutzbereich wieder teilweise aufgehoben. Der 11. Kommission genügte daher die Erkennbarkeit der Gefährlichkeit einer Handlung für rechtlich geschützte Interessen anderer zur Haftungsbegründung. Gleichwohl behielt das Verschuldenskriterium auch für die 11. Kommission entscheidende haftungsbegrenzende Bedeutung. Diese wurde nun aber ebenfalls aus dem Funktionsverständnis des Deliktsrechts hergeleitet: Nachdem zunächst die Anforderungen an den geschützten Rechtsbereich des einzelnen festgelegt worden waren, mußte bestimmt werden, wie weit dieser Schutzbereich Rückwirkung auf den Rechtsbereich des Handelnden hatte. Dabei ließ sich die 11. Kommission von dem Ziel leiten, eine übermäßige Beschränkung der Bewegungsfreiheit des einzelnen zu verhindern. Dies sollte dadurch verwirklicht werden, daß erst die Erkennbarkeit der Gefährlichkeit der eigenen Handlung für die rechtlich geschützten Interessen des anderen zur Haftung für einen verursachten Schaden führen sollte. 107 Die eigentliche Leistung der 11. Kommission besteht somit nicht darin, daß erst sie die Lösung von einer deliktsrechtlichen Generalklausel vollzogen und das heutige System der einzelnen Grundtatbestände geschaffen hat. 108 Ihre 105
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Vgl. Prot. II, S. 567. Vgl. Prot. II, S. 571 f. Vgl. Prot. II, S. 569 .. Siehe dazu oben Fn. 94.
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2. Kap.: Allgemeine Grundlagen des Deliktsrechts
Leistung besteht vielmehr darin, daß sie das pauschale Abstellen auf eine widerrechtliche Handlung mit anschließender Differenzierung erst bei der Voraussehbarkeit einer Schadensentstehung mit dem Ziel einer weitergehenden Haftungsbegrenzung aufgegeben hat. An dessen Stelle hat sie eine differenzierende Betrachtung der schädigenden Handlung aus der Sicht des betroffenen Rechtskreises des Geschädigten (in diesem allgemeinen Sinn durchaus erfolgsorientiert) und deren Rückkopplung an den Rechtskreis des Handelnden gesetzt: Das Erfordernis der Herausarbeitung der rechtlich geschützten Interessen des Geschädigten begrenzt bereits die Haftung vom Erfolg einer nach Deliktsrecht zu beurteilenden Handlung her. Diese Begrenzung ermöglicht es, schon dieses rechtlich geschützte Interesse zum Bezugspunkt des Verschuldens zu machen. Die Prüfung des so bezogenen Verschuldens leitet sodann von der Erfolgsbetrachtung zur Untersuchung der Handlung im Rahmen ihrer Ausgangsbedingungen im Rechtskreis des potentiell Haftpflichtigen über. Sie ermöglicht hier in einer weiteren Haftungsbegrenzung die Bestimmung derjenigen Handlungen, die im Hinblick auf den geschützten Rechtskreis vorgenommen werden dürfen bzw. unterbleiben müssen. Die 11. Kommission hat die Regelung des Deliktsrechts weiter ausdifferenziert. Dadurch ist im Vergleich zum I. Entwurf ein verfeinertes und zugleich diffIzileres System entstanden,l09 das in dieser Form auch Gesetz geworden ist. Diese Verfeinerung ist erreicht worden durch eine genauere Betrachtung der jeweils kollidierenden Rechtskreise von Geschädigtem und Handelndem. Während die I. Kommission noch die Beurteilung des einheitlichen Lebenssachverhalts nach rechtswidriger Handlung einerseits und Schädigung andererseits vorgenommen hatte, hat die 11. Kommission im Interesse der Verfeinerung der an den Richter adressierten gesetzgeberischen Wertungsvorgaben diesen einheitlichen Lebenssachverhalt aufgegliedert in die Rechtsverletzung, als Betrachtung der schädigenden Handlung aus der Sicht des Geschädigten, und in rechtsverletzungsbezogenes Verschulden, verstanden als an der Sicht des Schädigers orientierte Rückkopplung des Eingriffs an das Verhalten. Der Schaden wird erst als Folge von Eingriff und Verhalten berücksichtigt. Die gesetzgeberische Betrachtung des Lebenssachverhalts geht den im Vergleich zur tatsächlichen Schadensentstehung umgekehrten Weg: der "natürliche" Schädigungsablauf Handlung-Verletzung-Schaden wird in der Reihenfolge SchadenVerletzung-Handlung einer Wertung unterzogen. Dies ist kein überflüssiger und deshalb ohne weiteres veränderbarer Formalismus, sondern erklärt sich aus dem oben geschilderten Bestreben, dem Richter einen objektiven Entscheidungsmaßstab vorzugeben. 110
109 Daß die Entwicklung der deliktsrechtlichen Grundtatbestände nicht mit dem Werk der I. Kommission abgeschlossen war, läßt Fraenkel, S. 121 ff. wohl unberücksichtigt. 110 Siehe oben 2. Kap., IH.
V. Wechselbezüglichkeiten beim "mittleren" Lösungsweg des BGB
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Damit stellt sich die Frage, welche Zusammenhänge zwischen den beiden, den mittleren Lösungsweg des BGB-Gesetzgebers prägenden Elementen der Vorgabe eines objektiven Maßstabs und der Gewährleistung eines umfassenden Schutzes sowie den zuletzt beschriebenen inhaltlichen Wertungen der I. und der 11. Kommission bestehen.
v.
Wechselbezüglichkeiten zwischen den den "mittleren" Lösungsweg des Gesetzgebers kennzeichnenden Elementen
Das Anliegen, dem Richter für seine Entscheidung einen objektiven Maßstab an die Hand zu geben, hat der Gesetzgeber gerade durch seine inhaltlichen Wertungen bei der Umschreibung der iSd. Deliktsrechts widerrechtlichen Handlungen realisieren wollen. Er wollte im Gesetz bestimmen, welche Handlungsweisen eine Haftung des Handelnden für einen verursachten Schaden begründen sollten. Zugleich sollte die Bestimmung der haftungs begründenden Handlungsweisen - in Abkehr von den bekannten mit Generalklauseln operierenden Deliktssystemen der damaligen Zeit - dem Richter die Grenzen aufzeigen, an denen eine Haftung des Handelnden nach dem Willen des Gesetzgebers enden sollte. Dieser in der Vorgabe eines objektiven Haftungsmaßstabs angelegte Dualismus von Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung fand seine endgültige Ausprägung in dem oben beschriebenen differenzierten System des 11. Entwurfs. Daher konnte die 11. Kommission den Nachteil der Formulierung einer Generalklausel gegenüber der von ihr angestrebten Vorgabe eines objektiven Maßstabs bereits ganz konkret darin sehen, daß unbestimmt bleiben würde, wer als Beschädigter den Anspruch erheben dürfe, nur der unmittelbar oder auch der mittelbar Betroffene, ob auch ein Verstoß gegen ein nicht zum Schutz des Interesses des einzelnen erlassenes Gesetz zum Schadensersatz verpflichte und worauf Vorsatz und Fahrlässigkeit gerichtet sein müßten. 11l Neben der Vorgabe eines objektiven Haftungsmaßstabs wollte der Gesetzgeber einen umfassenden Schutz gewährleisten. Auf der einen Seite sollte eine kraft der allgemeinen Handlungsfreiheit an sich erlaubte Handlung dann eine Haftung für den durch sie verursachten Schaden auslösen, wenn sie die der Handlungsfreiheit durch die anerkannten Rechtskreise anderer von außen gesetzten Grenzen überschritten hatte. Dabei sollte einer zu starken Beschränkung der Handlungsfreiheit durch Aufstellung äußerer Grenzen in Form der Rechtskreise anderer dadurch begegnet werden, daß die Greozüberschreitung in Form des Eingriffs zumindest auf Fahrlässigkeit beruhen mußte. Das sollte der 111 Vgl. Prot. II, S. 571; anders als ReinhardtIZ 1961, 713 ausführt, ließ sie sich nur von dem Gedanken leiten, daß dies nicht unbestimmt bleiben dürfe. Es war dagegen nicht ihr Vorwurf an Generalklauselsysteme, daß bei diesen jeder mittelbar Geschädigte Ersatz verlangen könne.
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2. Kap.: Al1gemeine Grundlagen des Deliktsrechts
Fall sein, wenn man bei Anwendung ordnungsgemäßer Sorgfalt hätte erkennen können, daß die rechtlich geschützten Interessen der anderen durch die eigene Handlung gefährdet wurden. Auf der anderen Seite sollte eine kraft der allgemeinen Handlungsfreiheit. an sich erlaubte Handlung eine Haftung für den durch sie verursachten Schaden auslösen, wenn sie die der Handlungsfreiheit des Schädigers durch die Handlungsfreiheit anderer gezogenen (immanenten) Grenzen verletzte. Diese Grenze sah der Gesetzgeber in der Mißbrauchsschranke. Soweit jemand aufgrund der allgemeinen Handlungsfreiheit handele, habe er die Interessen der anderen zu berücksichtigen, eben weil seine Befugnisse nicht größer seien als die aller anderen. 112 Gerade die Aufnahme eines diese zweite Wertung berücksichtigenden Haftungstatbestandes sollte die Gewähr dafür bieten, daß das Gesetz einen umfassenden deliktischen Schutz anordnete, der über den ersten Wertungsbereich hinaus reichte und nicht durch die N onnierung von Einzeltatbeständen bzw. durch die Verbindung der Schadensersatzpflicht mit besonderen Tatumständen herbeigeführt werden mußte. Auch das zweite gesetzgeberische Anliegen, umfassenden Schutz zu gewährleisten, ist somit in die inhaltlichen Wertungen eingeflossen und führte dazu, daß dem Richter ein entsprechend unterschiedlicher objektiver Haftungsmaßstab vorgegeben wurde (§ 823 Abs. 1 u. 2: Erfordernis der Rechts- bzw. Schutzgesetzverletzung beruhend auf Vorsatz oder Fahrlässigkeit des Handelnden; § 826: Erfordernis der sittenwidrigen auf Vorsatz beruhenden Handlung unter Ausschluß der Fahrlässigkeitshaftung). Berücksichtigen muß man in diesem Zusammenhang, daß das Ziel der Gewährleistung umfassenden Schutzes dem Bemühen entsprang, den Vorteil einer Generalklausel dem Deliktssystem des BGB zu sichern und den Nachteil von Einzeltatbeständen zu vermeiden, und das Anliegen, einen objektiven Maßstab vorzugeben, den Vorteil des Systems von Einzeltatbeständen unter Vermeidung des Nachteils einer Generalklausel in das Deliktssystem des BGB einbringen sollte. Man muß sich folglich darüber im klaren sein, daß bei einer konkretisierenden Ausgestaltung der einzelnen tatbestandlich verfestigten inhaltlichen Wertungen, die diese Anliegen konkretisieren, jeweils beiden Anliegen Rechnung getragen werden muß. Bei einer Überbetonung der Gewährleistung umfassenden Schutzes muß zwangsläufig das Anliegen, dem Richter einen objektiven Maßstab vorzugeben, verkümmern und die Entwicklung in Richtung auf eine inhaltsleere Generalklausel gehen. Umgekehrt muß bei einer Überbetonung des Anliegens, einen objektiven Maßstab vorzugeben, das Bedürfnis nach umfassendem Schutz vernachlässigt werden und die Entwicklung in Richtung auf ein starres System von Einzeltatbeständen gehen. Damit stehen auch die beiden Elemente der Vorgabe eines Maßstabs und der· Gewährleistung umfassenden Schutzes nicht isoliert nebeneinander, sondern in gegenseitiger einander einschränkender und ergänzender Abhängigkeit, die bei 112
Prot.lI, S. 577.
v.
Wechselbezüglichkeiten beim "mittleren" Lösungsweg des BGB
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der Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale berücksichtigt werden muß. Es zeigt sich, daß die den mittleren Lösungsweg des BGB-Gesetzgebers ausmachenden Elemente der Vorgabe eines objektiven Entscheidungsmaßstabs, der Gewährleistung umfassenden Schutzes und der diese beiden Anliegen berücksichtigenden, differenzierten inhaltlichen Wertungen nicht derart punktuell erfaßt werden können, daß der Charakter des einen trotz Wandels des anderen erhalten bleibt. Sie bedingen einander vielmehr derart, daß eine systemgerechte Entwicklung an einem dieser Elemente nur ansetzen kann, wenn sie oie Rückwirkung auf die anderen beachtet. D. h. eine konkretisierende Bestimmung der einzelnen Haftungsvoraussetzungen der §§ 823 Abs. 1 u. 2, 826 kann nur dann dem vom Gesetzgeber vorgegebenen Deliktssystem gerecht werden, wenn sie die wechselseitige Abhängigkeit der systemprägenden Elemente beachtet. Es ist daher im folgenden zu untersuchen, welche Anforderungen dieses System an die Auslegung der drei deliktsrechtlichen Grundtatbestände stellt.
Drittes Kapitel
Der Regelungsgehalt des § 823 Abs. 1 I. Das traditionelle Verständnis des Regelungsgehalts des § 823 Abs. 1 Der Regelungsgehalt des § 823 Abs. 1 ist in Rechtsprechung und Lehre lange Zeit einhellig von der Annahme bestimmt worden, daß die Vorschrift dem Schutz subjektiv absoluter Rechte dient und zwar in einer generellen Weise. Gemeint war damit, daß als sonstige Rechte zunächst nur solche subjektiven Rechte in Betracht kommen konnten, die gegenüber jedermann bestanden. Mit dieser Annahme ist (traditionellerweise) die Vorstellung verknüpft gewesen, daß ein solches Recht auch generell geschützt sei, d. h. daß jede Eingriffshandlung dieses absolute Recht verletzt und daher rechtswidrig ist. Schon der Erfolg, die tatbestandsmäßige Rechts(gut)verletzung, rallte nach dieser Lehre das Unwerturteil über die Handlung des Verletzers;eine gesonderte positive Prüfung der Rechtswidrigkeit des Verhaltens war nicht erforderlich. Es bedurfte auf der Rechtswidrigkeitsstufe allein noch der Prüfung, ob nicht ausnahmsweise ein Rechtfertigungsgrund die Widerrechtlichkeit der Handlung entfallen ließ. Relativiert wurde dieser auf der Rechtswidrigkeitsstufe noch absolute Geltungsanspruch der geschützten Rechte und Rechtsgüter erst auf der Verschuldensebene. Ausgleichsansprüche für den verursachten rechtswidrigen Erfolg wurden erst bei Mißachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt durch den Handelnden gewährt. 1 Ihre Stütze fand diese Auffassung zum einen im Gesetzeswortlaut, aus dem sich auch für das Deliktsrecht die Vorgabe des vom Strafrecht her bekannten klassischen dreigliedrigen Deliktsaufbaus von Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld entnehmen ließ. Dieser ermöglichte es, bei gleichzeitiger Orientierung am sog. kausalen Handlungsbegriff, der mit dem Abstellen auf die Willkürlichkeit des Verhaltens ohne Rücksicht auf die Richtung des Willens den Anknüpfungspunkt schuf für eine Bewertung des Verhaltens vom Erfolg her, mit der tatbestandsmäßigen Rechts(gut)verletzung, dem Erfolg, die Rechtswidrigkeit des verursachenden Verhaltens als indiziert anzusehen. Eine solche Sichtweise des § 823 Abs. 1 schien überdies durch die Entstehungsgeschichte des Deliktsrechts abgesichert. Daraus ließ sich ablesen, daß nur die widerrechtliche Handlung zum Ersatz verpflichten, widerrechtlich die gesetzlich verbotene Handlung und ein gesetzliches Verbot bestimmter Hand1 Siehe nur RGRK-Steffen § 823 Rz. 107, der so das gesetzliche Haftungskonzept umschreibt.
I. Das traditionelle Verständnis
125
lungen in dem einem anderen zustehenden subjektiv absoluten Recht zu sehen sein sollte. 2 A. Die Grundlegung des traditionellen Verständnisses in der Diskussion unmittelbar nach Inkrafttreten des BGB Wichtig für das heutige Verständnis dieser traditionellen Auffassung ist der Blick auf die Diskussion, aus der sich diese Auffassung erst entwickelt hat. Hervorgegangen ist diese Bestimmung der Haftungsvoraussetzungen des § 823 Abs.1 nämlich aus einem bei Inkrafttreten des BGB entbrannten Streit in der Literatur über das allgemeine Verständnis des Deliktsrechts. Teilweise wurde zu dieser Zeit von den Anhängern eines Generalklauselprinzips versucht, ihre im Gesetzgebungsverfahren frustrierte Auffassung von der Notwendigkeit einer solchen Ausgestaltung des Deliktssystems nunmehr im Wege der Auslegung des Begriffs des sonstigen Rechts in § 823 Abs. 1 doch noch zu verwirklichen. Insbesondere von Liszt favorisierte nach wie vor den einheitlichen Deliktsbegriff, wie ihn das ALR und der code civil aufgestellt hatten. Delikt sei jede schuldhafte, rechtswidrige Verletzung fremder rechtlich geschützter Interessen. 3 Die Aufstellung eines solchen einheitlichen Deliktsbegriffs empfehle sich auch für das Privatrecht. 4 Die Bedenken der Gesetzesverfasser seien nicht überzeugend. Die Behauptung, daß jener Grundsatz des code civil unbestimmt sei, sei unrichtig. Der allgemeine Deliktsbegriff sei, wenn man die strafrechtlichen Erfahrungen mit verwerte, einer der schärfsten und durchgearbeitetsten Begriffe, über welche die Rechtswissenschaft überhaupt zu verfügen in der Lage sei. Diesen "unbestimmten" Begriff habe das BGB in § 823 Abs. 1 unverändert aufgenommen. Dagegen seien gerade die weiteren Voraussetzungen des BGB alles andere als scharf. § 826 enthalte eine gewaltige Erweiterung und keine Umgrenzung des Deliktsbegriffs und § 823 Abs. 2 sei erst recht eine Vorschrift, deren Tragweite den größten Zweifeln unterliege. Beide Vorschriften wären am besten gestrichen worden. s Entsprechend seiner Annahme, daß in § 823 Abs. 1 dieser allgemeine Deliktsbegriff anerkannt worden ist, und der Erkenntnis der Mängel der heiden anderen Deliktstatbestände legte von Liszt den Begriff des sonstigen Rechts dahin aus, daß dadurch jedes irgendwie rechtlich geschützte Interesse von § 823 Abs. 1 erfaßt wird. Recht iSd. § 823 Abs. 1 und Rechtsgut iSd. Strafrechts seien identische Begriffe. Auch die durch das öffentliche Recht eingeräumten und gewährleisteten Rechte gehörten hierher. 6 Erfaßt werden sollte jede wie auch immer geartete Verletzung eines solchen rechtlich geschützten Interesses, ohne daß es etwa auf die Umschreibung 2
3
4 5 6
Siehe nur RGRK-StefTen § 823 von Liszt, Deliktsobligationen, von Liszt, Deliktsobligationen, von Liszt, Deliktsobligationen, von Liszt, Deliktsobligationen,
Rz. 107. S. 3. S. 5. S. 7. S. 26.
126
3. Kap.: Der Regelungsgehalt des § 823 Abs. 1
der verletzenden Handlung durch das Strafrecht ankommen sollte. 7 Konsequenz dieser Auslegung des § 823 Abs. 1 war, daß die Verletzung aller Arten von Persönlichkeitsrechten erfaßt wurde, daß Freiheit als ungestörte Willensbestimmung verstanden und die vom Eigentumsschutz erfaßte Sachbeschädigung zur Vermögensbeschädigung erweitert wurde. 8 Folglich verlor § 823 Abs.2 mit Ausnahme des veränderten Verschuldensbezugs für von Liszt jegliche Bedeutung. 9 Dieser Auffassung schloß sich namentlich Dernburg an, der konstatierte, daß nach dieser Auslegung des § 823 Abs.1 der Umfang der gegen Verletzung geschützten Rechte kaum minder weit ist als nach französischem Recht. 10 Und auch Endemann kam auf der Grundlage der Annahme, daß das BGB die unerlaubte Handlung nicht auf den Tatbestand bestimmter Deliktsfalle einengt, sondern eine allgemeine Grundlage der Haftung gibt, ergänzt durch den Versuch, gewisse Gruppierungen als Anhalt aufzustellen, zu einem umfassenden Anwendungsbereich des § 823 Abs. 1. Die Schadensersatzpflicht werde einmal als Schutzmittel bei jedem Eingriff in die befriedete Rechtssphäre des einzelnen, verstanden als der Inbegriff der einem Rechtssubjekt zivilrechtlich zustehenden und erworbenen Rechtsgüter, auferlegt, wobei jede Verletzung der befriedeten Rechtsgüter unterschiedslos geahndet werde. 11 Des weiteren werde der Begriff der geschützten Güter ausgedehnt auf die gesamte unter den Schutz des öffentlichen Rechts gestellte persönliche Rechtssphäre des einzelnen. Jeder Eingriff, der sich gegen das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit oder ein sonstiges Persönlichkeitsrecht richte, erfülle den Tatbestand einer unerlaubten Handlung. Alle diese vorzugsweise durch das Strafrecht anerkannten Rechtsgüter des einzelnen seien damit zu zivilrechtlich absolut geschützten erhoben. 12 Der Sinn der "dunkelen Worte des § 823 Abs. 2 S. 1" wurde entsprechend diesem weiten Anwendungsbereich des § 823 Abs. 1 lediglich in der Festlegung des Prinzips der Nichtersatzfahigkeit von Drittschäden gesehen. 13 Diese Versuche, im Wege der extensiven Auslegung des § 823 Abs. 1 über das Merkmal des sonstigen Rechts doch noch die von den Gesetzesverfassern verworfene deliktsrechtliche Generalklausel zu schaffen, stießen in der Literatur alsbald auf entschiedenen Widerstand. Dabei kam es aber, bedingt durch die Begründungsversuche hinsichtlich der extensiven Auslegung, zu einer für die von Liszt, Deliktsobligationen, S. 28. von Liszt, Deliktsobligationen, S. 22ff. 9 von Liszt, Deliktsobligationen, S. 30ff. 10 Demburg, Das Bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preußens, Die Schuldverhältnisse, 2. Abt.,1.f2. Aufl. 1901, S. 610ff. insbes. S. 615 Fn. 16 u. S. 617. 11 Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts,.!. Bd., 6. Auflage 1899, S. 907 f. 12 Endemann, S.909. 13 Endemann, S. 910. 7
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I. Das traditionelle Verständnis
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weitere Entwicklung bedeutungsvollen Verengung der Sichtweise des Deliktssystems. Die Vertreter der ausdehnenden Auslegung des § 823 Abs. 1 hatten nämlich zur Begründung ihrer Auffassung darauf Bezug genommen, daß dem Deliktsrecht und insbesondere § 823 Abs. 1 die die übrigen neuen Gesetzbücher prägende, allgemeine Deliktsformel von der an die rechtswidrige schuldhafte Schädigung knüpfenden Ersatzpflicht zugrunde liegt. Dem wurde nunmehr entgegengesetzt, daß das BGB einen Mittelweg zwischen dem System der Einzeltatbestände des Römischen Rechts und dem Generalklauselprinzip der neueren Gesetzbücher eingeschlagen hat. 14 Bekämpft wurde mit diesem Hinweis aber nicht nur der Versuch, den § 823 Abs. 1 zur Generalklausel auszubauen, sondern zugleich die gemeinsame Grundlage dieser Versuche, die Annahme, daß dem Deliktsrecht des BGB ein einheitliches Grundprinzip zugrunde liegt. Zwar habe das Gesetz die Tatbestände der unerlaubten Beschädigung und den Inhalt des Anspruchs aus denselben tunlichst auf einen einheitlichen Gesichtspunkt zurückgeführt. Doch sei es in der Vereinheitlichung nicht bis zum letzten Ende vorgeschritten, daß der vorsätzliche oder fahrlässige Eingriff in die fremde Rechtssphäre allgemein seinen Urheber zum Schadensersatz verpflichte. Man habe sich gescheut, einen solchen allgemeinen Deliktsbegriff an die Spitze zu stellen, und habe die einheitliche Regelung im wesentlichen auf die Folgen, den Schadensersatzanspruch, beschränkt. Hinsichtlich der Delikte selbst umschreibe das Gesetz nach wie vor die einzelnen Tatbestände und zwar in kasuistischer, nicht immer einwandfreier Weise. 15 Das BGB begnüge sich nicht damit, nach dem Muster des code civil in einer jeden widerrechtlichen Schadenszufügung ein ersatzpflichtig machendes Delikt zu sehen; vielmehr begrenze es die Voraussetzungen der Ersatzpflicht schärfer, um dadurch eine feste gesetzliche Grundlage für die richterliche Entscheidung zu finden. 16 Die Folgen der unerlaubten Handlung seien gleichmäßig geordnet, die Voraussetzungen der Schadensersatzpflicht seien dagegen durch eine Reihe von Einzelvorschriften begrenzt, die verschiedene Tatbestände voneinander sonderten. Man könne daher nicht von einem allgemeinen oder Hauptdelikt sprechen. 17 War damit eine Rückführung der deliktsrechtlichen Grundtatbestände auf eine allgemeine Haftungsregel abgeblockt worden, weil gerade dies zuvor dazu gedient hatte, § 823 Abs. 1 extensiv auszulegen, so stand man nun vor dem Problem, den Anwendungsbereich der einzelnen, isoliert nebeneinanderstehenden Deliktstatbestände präziser zu fassen und voneinander abzugrenzen. Da ein allgemeines grundlegendes Haftungsprinzip nicht anerkannt wurde, mußten die Cosack, Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts, I. Bd., 2. Aufl. 1899, S. 589. Vgl. Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, H. Bd., 1902, S. 1013 f. 16 Vgl. Oertmann, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, H. Buch, Recht der Schuldverhältnisse, 5. Aufl. 1928, S. 935. 17 Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts 1/2, 4./5. Aufl. 1910, S. 590. 14
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3. Kap.: Der Regelungsgehalt des § 823 Abs. 1
einzelnen Vorschriften aus sich selbst heraus interpretiert werden, d. h. aus den dort verwendeten Begriffen, ohne daß diese in Bezug gesetzt wurden zu einem grundlegenden tatbestandsübergreifenden Prinzip. Dazu bot sich nun die Aufzählung der Rechtsgüter und Rechte in § 823 Abs. 1 in idealer Weise an, zumal die Betrachtung der geschützten Rechtsgüter als Auslegungsmittel vom Strafrecht her bekannt war. Dies führte zu der Annahme, daß § 823 Abs. 1 dem Schutz der dort genannten Rechte und Rechtsgüter zu dienen bestimmt war. Und da nach überwiegender Auffassung Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit keine Rechte, sondern Rechtsgüter waren, war damit die Anwendung des § 823 Abs. 1 über die Auslegung des Merkmals des sonstigen Rechts auf andere Lebensgüter, insbesondere die Ehre, versperrt. 18 Ebenso schied das Vermögen als Schutzgut des § 823 Abs. 1 aus, da es ein subjektives Recht am Vermögen nach allgemeiner Auffassung nicht gab. 19 Zugleich wurde auch versucht, die Kategorie der subjektiven Rechte, die von § 823 Abs. 1 mit dem Merkmal des sonstigen Rechts in Bezug genommen waren, zu präzisieren. Dazu orientierte man sich im wesentlichen an dem in der Vorschrift benannten Recht, dem Eigentum. Dies führte zum einen dazu, daß die Wirkung dieses Rechts gegenüber jedermann der beschränkten Wirkung eines bloßen Forderungsrechts gegenüber dem Schuldner entgegengestellt wurde, daß sonstige Rechte nur subjektiv absolute Rechte sein konnten. 2o Jedoch war diese Abgrenzung zunächst eine vorwiegend aus den Besonderheiten des Forderungsrechts gewonnene Begriffsbestimmung 21 , in diesem Sinne eine rein negative Abgrenzung des Anwendungsbereichs des § 823 Abs. 1, indem gesagt wurde, was nicht unter die Vorschrift subsumiert werden konnte. 22 Eine weitere Eingrenzung erfolgte von der Schutzfunktion des § 823 Abs. 1 her. Dieser schützte die Rechte vor Verletzungen, Verletzungen wurden gleichgesetzt mit Schädigungen und folglich schützte § 823 Abs. 1 vor jeder Schädigung. Dies ließ sich nun dahin umkehren, daß solche Interessen, die nicht zu einem subjektiven Recht verdichtet waren, nur insoweit Schutz genossen, als ihre Verletzung unter die §§ 823 Abs. 2, 826 fiel. 23 Damit war das Erfordernis des generellen Schutzes im Hinblick auf die nach § 823 Abs. 1 geschützten subjektiv absoluten Rechte 18 Enneccerus, S. 591 f.; Hedemann, Schuldrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1931, S. 445. 19 Enneccerus, S. 596. 20 Hedemann, S. 445; Planck's Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 4. Aufl. 1928, § 823 Anm. 11 1 f a. 21 Vgl. etwa Crome, S. 1020 f. u. Enneccerus, S. 594 f., die beide davon ausgehen, daß ein Forderungsrecht an sich unter den Wortlaut des § 823 Abs. 1 fallen müßte, die eine Haftung nach § 823 Abs. 1 gleichwohl ausschließen, weil die Verletzung des Forderungsrechts durch den Schuldner speziell geregelt und durch Dritte das Schuldverhältnis als persönliche Rechtsbeziehung des Gläubigers zum Verpflichteten regelmäßig nicht verletzbar ist. Ebenso Planck, § 823 Anm. 11 1 f. Zur Frage, ob hieraus auch eine positive Aussage hinsichtlich des Anwendungsbereichs des § 823 Abs. 1 abzuleiten ist, siehe unten 3. Kap., IV. 22 Hedemann, S. 445.
I. Das traditionelle Verständnis
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geschaffen. Gewonnen wurde dieses Ergebnis aus der Schutzfunktion des § 823 Abs. 1: da in der Vorschrift die Verletzung (Schädigung) bestimmter Rechte als rechtswidrig bezeichnet wurde,24 konnten auch nur solche rechtlich geschützten Interessen als Rechte unter die Vorschrift subsumiert werden, bei denen jede Schädigung widerrechtlich war. Auch hierbei handelte es sich im wesentlichen wiederum um eine negative Abgrenzung, indem nämlich primär herausgearbeitet wurde, was nicht unter die Vorschrift des § 823 Abs. 1 fallen sollte. Gewonnen wurden die Erfordernisse eines absoluten und generellen Schutzes des subjektiven Rechts iSd. § 823 Abs. 1 somit aus einem Vergleich des Eigentums mit den Forderungsrechten einerseits und den von § 823 Abs.2 erfaßten Interessen andererseits. Der wesentliche Mangel lag darin, daß nicht aufgedeckt wurde und bei dem Versuch, die einzelnen Deliktstatbestände aus sich heraus auszulegen, wohl auch nicht aufgedeckt werden konnte 25 - , warum bestimmte Positionen von § 823 Abs. 1 erfaßt werden sollen, worin der eigentliche Grund für die Differenzierung zwischen Abs. 1 und Abs. 2 des § 823 zu sehen ist. Daß der herrschenden Lehre der tragende Grund fehlte, um ihr Abstellen auf die Verletzung subjektiv absoluter und generell geschützter Rechte plausibel zu machen, deutete sich bereits an in der Kritik Leonhards. Ihr Ansatzpunkt war der Begriff der Rechtsverletzung: Dieser Begriff sei nicht brauchbar, um die Abgrenzung zwischen den schutzlosen Rechtsgütern und den durch § 823 Abs. 1 geschützten zu bestimmen. Die Verletzung.eines Rechts sei weder notwendig, wie sich an dem Schutz der benannten Lebensgüter zeige, noch liege sie in jedem Haftungsfalle vor, wie bei der Beschädigung von Sachen, die eine Verletzung der Sache, nicht des Rechts sei. Ferner sei eine Rechtsverletzung nicht einmal immer ausreichend, wie das Beispiel des Erlöschens eines Rechts aufgrund eines falschen Rates zeige. Eine Haftung nach § 823 Abs. 1 komme in diesem Fall nicht in Betracht, obwohl das Recht zerstört werde. Auch die Formulierung der herrschenden Lehre, daß es auf ein Zuwiderhandeln gegen solche Rechtsvorschriften ankomme, die zur Bildung eines eigenen subjektiv absoluten Rechts geführt hätten, sei unzutreffend. Es gebe zahlreiche Verletzungen subjektiver Rechte, die nicht unter § 823 fielen (z. B. Verletzung von Schuldrechten, ehelichen Pflichten oder Erbrechten). Aus diesem Grunde könne der Kreis der Unrechtshandlungen nicht auf Rechtsverletzungen eingeschränkt werden. 26 23 Oertmann, S. 935. Dies zeigt sich besonders deutlich an den Stellen, wo auf den Verschuldensbezug in § 823 Abs. 1 u. 2 eingegangen wird. Das Verschulden soll sich in Abs. 2 im Unterschied zu Abs. 1 nur auf die Übertretung der Schutznormen beziehen, ohne daß die spezielle Schadensfolge hätte vorausgesehen werden müssen. Umgekehrt bedeutet dies aber, daß sich das Verschulden in § 823 Abs. 1, das sich nach dem Gesetz auf die Rechtsverletzung beziehen soll, auf eine Schädigung der in § 823 Abs. 1 genannten Güter und Rechte beziehen soll. Siehe dazu auch Crome, S. 1024 u. Cosack, S. 592/594. 24 Vgl. Planck, § 823 Anm. 11 2: Grundsätzlich ist jede Verletzung eines der in Abs. 1 bezeichneten Rechte oder Rechtsgüter widerrechtlich, wenn nicht ein besonderes Verhältnis vorliegt, wodurch die Verletzung gerechtfertigt wird. 2S Dazu noch ausführlich unten 3. Kap., III C.
9 Schwitanski
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3. Kap.: Der Regelungsgehalt des § 823 Abs. 1
Ausgangspunkt seiner Überlegungen war die Feststellung, daß unser Gesetz keine allgemeine Schadensklage kennt, sondern nur lauter einzelne Ansprüche aus Unrechtshandlungen. Es folge somit dem Römischen Recht und die deliktsrechtlichen Grundtatbestände erforderten daher einen ganz festen Tatbestand und bezögen sich nur auf bestimmte Schädigungsfälle. 27 Daran anknüpfend kam Leonhard zu dem Ergebnis, daß § 823 Abs. 1 weder schlechthin alle Güter noch die durch ein subjektives Recht geschützten Güter, sondern nur die Gegenstände schützt,28 wobei er darunter Sachen, sachähnliche Güter und rechtliche Gegenstände verstand. 29 Konnte diese Argumentation Leonhards die herrschende Lehre auch nicht in ihren Grundfesten erschüttern - was wohl daran lag, daß diese sich gerade entwickelt hatte aus dem Bemühen, Versuche der extensiven Auslegung des § 823 Abs. 1 zurückzudrängen, und Leonhards Auffassung tendenziell voll auf dieser Linie lag, ja sogar noch den Anwendungsbereich des § 823 Abs. 1 stärker einschränkte -, so zeigte sich doch hier schon deutlich, daß die verwendeten Begriffe - hier: die Rechtsverletzung - für sich betrachtet, ohne Rückführung auf ein grundlegendes Prinzip, eine inhaltliche Rechtfertigung für die aus ihnen hergeleitete Differenzierung nicht zu geben vermochten. Gleichwohl blieb es zunächst bei der herrschenden Anschauung vom "sonstigen Recht", so daß Nipperdey im Jahre 1931 sagen konnte: Der Schutz des Eigentums und der "sonstigen Rechte" im Sinne des § 823 Abs. 1 ist ein bevorzugter. Das Eigentum und die sonstigen Rechte sind grundsätzlich absolut, d. h. gegen jedermann und ganz allgemein (generell), d. h. gegen jeden Eingriff geschützt. 30 B. Das Infragestellen des traditionellen Verständnisses des § 823 Abs. 1
Diese traditionelle und völlig herrschende Bestimmung des Anwendungsbereichs des § 823 Abs. 1 vom geschützten Recht her geriet nach dem H. Weltkrieg zunehmend in das Kreuzfeuer der literarischen Kritik. Im Laufe der Zeit stellte man nämlich fest, daß die einzelnen Abgrenzungskriterien keineswegs die Eindeutigkeit besaßen, mit der bislang ihre Eignung zur Konkretisierung des Anwendungsbereichs des § 823 Abs. 1 postuliert worden war. 31 26
Leonhard, Besonderes Schuldrecht des BGB, 1931, S. 545 ff.
27 Leonhard, S. 543. 28 Leonhard, S. 564.
Leonhard, S. 550. Nipperdey, Beiträge zum Wirtschaftsrecht, Bd. 11, 1931, S.445. 31 Diese Skepsis den bislang verwendeten Begriffen gegenüber hat sich natürlich erst in einem lang andauernden Entwicklungsprozeß immer stärker herausgebildet, der sich weder isoliert im Hinblick auf jeweils nur ein Merkmal noch in einer strikt· aufeinander aufbauenden Abfolge von Entwicklungsschritten vollzogen hat. Wenn in der Darstellung 29 JO
I. Das traditionelle Verständnis
131
1. Die Kritik an der dem subjektiv.en Recht im Rahmen des § 823 Abs. 1 beigelegten Funktion
a) Von der Begriffs- zur Funktionsbetrachtung Im Zentrum der Funktionsbetrachtung des § 823 Abs. 1 hatte vornehmlich der Begriff des subjektiven Rechts gestanden. Und in der Tat schien auf den ersten Blick zur Bestimmung des Anwendungsbereichs des § 823 Abs. 1 nichts einleuchtender zu sein als ein Rückgriff auf den auch in den Gesetzesmaterialien verwendeten Begriff des subjektiven Rechts. Konnte man diesen definieren, so konnte man aus ihm und mit ihm eine erste Eingrenzung der von § 823 Abs. 1 erfaßten Schutzpositionen vornehmen. Dieser dem subjektiven Recht beigelegten grundlegenden Bedeutung für die Anwendung des § 823 Abs. 1 korrespondierte die Tatsache, daß das subjektive Recht lange Zeit als der Zentralbegriff des Privatrechts galt. "Der zentrale Begriff des Privatrechts und zugleich die letzte Abstraktion aus der Vielgestaltigkeit des Rechtslebens ist das Recht des Subjekts, das subjektive Recht. "32 Entsprechend dieser zentralen Bedeutung war die Wissenschaft lange Zeit um eine allgemeingültige Definition des Begriffs bemüht. Diese ist im Laufe einer grundlegenden Auseinandersetzung höchst unterschiedlich gefaßt worden, wobei die verschiedenen Definitionen unter dem Einfluß von jeweiligen Gegenströmungen weiterentwickelt, miteinander verbunden und zum Teil wieder aufgegeben worden sind. 33 Diese Versuche hatten aber den Nachteil, daß eine alle Arten subjektiver Rechte erfassende Definition gesucht wurde, die deshalb auf einer solchen Abstraktionsebene erfolgen mußte, daß der Begriff für die konkrete Rechtsanwendung unbrauchbar, weil nichtssagend wurde. So eignen sich gerade Ausdrücke wie "Willensmacht" oder "Rechtsmacht" nicht zu einer Definition des subjektiven Rechts, weil sie selber bereits mehrdeutig sind und ihnen je nach der Art des betreffenden Rechts ein verschiedener Sinn unterlegt werden kann. 34 hier gleichwohl die Entwicklung mit Blick auf jedes einzelne Merkmal isoliert dargestellt wird, so soll dies dazu dienen, deutlich zu machen, daß die Grenzen des Anwendungsbereichs des § 823 Abs. 1 auf breitester Front durch die Kritik ins Wanken gerieten und nicht lediglich beschränkt auf ein Merkmal, nämlich das des generellen Schutzes. 32 So die klassische Formulierung bei von Tuhr, Der allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, I. Bd., 1910, S. 53. 33 Sah man zunächst im subjektiven Recht die rechtliche Garantie der Willensmacht des Individuums als Willenssubjekt, so wurde dem später die Sicht des subjektiven Rechts als von der Rechtsordnung verliehene Willensmacht, durch die sich der Befehl der Rechtsordnung in Befehle der einzelnen Rechtssubjekte verwandelt, entgegengesetzt. Ausgehend von der Frage nach dem Zweck der Verleihung definierte dann Ihering das subjektive Recht als rechtlich geschütztes Interesse. In der Bestimmung des subjektiven Rechts als durch die Rechtsordnung verliehene Willens- oder Rechtsmacht des einzelnen zur Befriedigung seiner Interessen ist dann im Lauf der weiteren Entwicklung versucht worden, die bisherigen Definitionen zu vereinigen. Siehe dazu nur die Darstellung bei Raiser JZ 1961,465 f. m. w. N. 9·
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3. Kap.: Der Regelungsgehalt des § 823 Abs. 1
Die Einsicht in die Fruchtlosigkeit eines solchen Streits um einen "fast leeren BegrifI"35 hat dazu geführt, daß sich die Frage nach dem subjektiven Recht von der Begriffsbestimmung zur Funktionsbestimmung verlagert hat. Dabei blieb das subjektive Recht zwar ein Grundbegriff des Privatrechts, der ein Strukturelement der Rechtsordnung im Sinne einer nicht weiter ableitbaren Grundkategorie der normativen Sphäre darstellt. Larenz deutet insofern das subjektive Recht als einen Rahmenbegriff, der sinngemäß aussagt, daß jemand etwas rechtens zukommt oder gebührt. 36 Jedoch führte die Funktionsbetrachtung zu der Erkenntnis, daß ein so verstandenes subjektives Recht in unterschiedlicher Gestalt auftreten kann und daß sich diese Formenvielfalt allein durch Gruppenbildung ordnen läßt. 37 Hand in Hand mit dieser Erfassung der Funktionen des subjektiven Rechts ging gleichzeitig eine Relativierung des Begriffs einher, der nur noch als ein Grundbegriff des Zivilrechts unter anderen gesehen wurde. Daneben traten nunmehr Begriffe wie Rechtsverhältnis 38 oder Institution 39 , die teilweise die Rechtsvorschriften herauslösten aus der Bezugnahme auf die Einzelperson und stärker ihren allgemeinen Ordnungscharakter betonten. Diese Relativierung des Begriffs des subjektiven Rechts zielte auch darauf ab, § 823 Abs. 1 aus seiner Stellung als zentrale deliktische Anspruchsnorm zu drängen und statt dessen die Bedeutung des § 823 Abs. 2 zu stärken. Gerade am Beispiel der Herausarbeitung des Gedankens vom Institutionenschutz, der neben den Schutz subjektiver Rechte treten soll, läßt sich die eigentliche Problematik der Bezugnahme auf Begriffe wie Institution und subjektives Recht zur Bestimmung des Anwendungsbereichs deliktsrechtlicher Vorschriften verdeutlichen.
b) Der Gedanke des Institutionenschutzes und seine Verwendbarkeit im Deliktssystem des BGB Raiser versucht, ein das Privatrecht prägendes Spannungsverhältnis in dessen Normenbestand aufzuzeigen. Durch diesen würden nicht nur subjektive Rechte zugeteilt und Handlungsräume gesichert - dies sei die bislang herrschende einseitige Sichtweise des Privatrechts gewesen40 - . Es würden ebensosehr Beziehungsformen ausgestaltet und damit kraft objektiven Rechts das rechtswirksame Handeln der einzelnen normiert. Rechtsinstitute sollen die vom objektiven Recht geordneten typischen Lebensverhältnisse sein. 41 Für Raiser ist Larenz, BOB-AT, S.201. So Raiser JZ 1961,465,466. 36 Larenz, BOB-AT, S.201. 37 Larenz, BOB-AT, S. 201 ff. 38 Larenz, BOB-AT, S. 183 ff. 39 Orundlegend Raiser JZ 1961, 465 ff. und insbesondere in: Summum ius summa iniuria (1963) S. 145 ff.; zust.: Seiter, S. 467 f. mit Bezug auf das Arbeitskampfrecht. 40 Raiser, Summum ius ( ...), S. 146. 41 Raiser, Summum ius ( ... ), S. 148. 34
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I. Das traditionelle Verständnis
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das Privatrecht damit nicht nur an einem, sondern an zwei Systemgedanken orientiert: an dem Ausbau und dem Schutz des Wirkungsbereichs der Einzelperson durch die Zuteilung subjektiver Rechte und an der Entfaltung und Sicherung der unser gesellschaftliches Leben durchziehenden Institutionen durch die Ausbildung entsprechender Rechtsinstitute kraft objektiven Rechts. 42 So einleuchtend eine solche Sichtweise des Normenbestands von diesen zwei Polen her sein mag, so wenig nachvollziehbar ist die Folgerung, daß dementsprechend auch bei der Rechtsanwendung - in unserem Zusammenhang interessiert dabei insbesondere die These, daß die Unterscheidung zwischen § 823 Abs. 1 und § 823 Abs. 2 auf die Gegenüberstellung von Individualrechtsschutz und Institutsschutz zurückzuführen ist43 - differenziert werden kann. Raiser selber erkennt, daß diese beiden Gestaltungsprinzipien sich notwendig im Aufbau des ganzen Privatrechts ergänzen und sich vielfach bei der Ordnung ein und desselben Lebensverhältnisses derart durchdringen, daß sie nur wie verschiedene Aspekte dieser Ordnung erscheinen. 44 Ist die Frage Rechtsschutz oder Institutionenschutz danach im wesentlichen aber nur eine Frage des Blickwinkels, unter dem man ein rechtlich geordnetes Lebensverhältnis betrachtet, so stellt sich doch die Frage, warum, und vor allem, wie man hieraus ein Gegensatzpaar entwickeln kann, das die Abgrenzung zwischen § 823 Abs. 1 und 2 ermöglichen soll. Raiser differenziert insofern zwischen primären, die Rechtsordnung strukturierenden subjektiven Rechten einerseits, die er allein in den einer Person zugewiesenen, mit Rechtsschutz ausgestatteten, selbständigen Rechtsstellungen, den Herrschafts- und Personenrechten, und den vertraglichen und vertragsähnlichen Rechtsverhältnissen sieht, sowie sekundären, bloß instrumentalen Rechten andererseits, den Ansprüchen und Gestaltungsrechten. Diese sollen zum Teil lediglich Schutz- und Hilfsfunktion im Hinblick auf die primären Rechte erfüllen, zum Teil aber auch dem Schutz von Positionen dienen, die unzweideutig nicht zu den primären subjektiven Rechten ausgestaltet sind. Diese Positionen sieht er in den Verhaltensregeln, die die Rechtsordnung aufstellt, um sowohl eine Ordnung, wie etwa die Wettbewerbsordnung, als Institution wie den einzelnen als Glied dieser Ordnung zu schützen. 4s Das dergestalt beschriebene "Spannungsverhältnis im Normenbestand"46 löst sich jedoch alsbald in eine reine Wertungsfrage auf, wenn Raiser selber erkennt, daß das Privatrecht auch beim Institutsschutz nicht auf die Mitwirkung eines in seinen Interessen beeinträchtigten Rechtsgenossen verzichten kann und will und hier, wie sonst, bemüht ist, ihm zu einem Ausgleich seiner Interessen zu 42 43
44 4S 46
Raiser, Summum ius (...), Raiser, Summum ius (... ), Raiser, Summum ius (...), Raiser JZ 1961,465,466 f. Raiser, Summum ius (... ),
S. S. S. u. S.
148. 158. 149. 471 ff. 146.
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3. Kap.: Der Regelungsgehalt des § 823 Abs. 1
verhelfen. 47 Bei dieser Sichtweise mag man zwar annehmen, daß dieser Interessenschutz nicht, wie bei der Verletzung subjektiver Rechte, um der Person des Rechtsträgers willen, sondern als Mittel zum Zweck des Institutsschutzes gewährt wird.48 Das legt aber doch die Frage nahe, ob dieser Institutsschutz Selbstzweck sein soll oder ob nicht gerade durch ihn die Interessen der beteiligten Rechtssubjekte geschützt werden. Und umgekehrt kann man den Eigentumsschutz wohl kaum einzig auf den Schutz des Rechtsgutträgers verkürzen. Man kommt nicht an der Erkenntnis vorbei, daß der Schutz des konkreten Eigentums auch dem Schutz der Institution Eigentum dient,49 die'ja ebenfalls eine überindividuelle Ordnung darstellt. Der bei diesen Überlegungen entstehende Eindruck, daß eine dem Gegensatz Rechtsschutz-Institutionenschutz folgende Rechtsanwendung mit einer solch schablonenhaften Betrachtungsweise der Komplexität der zu regelnden Lebenssachverhalte kaum gerecht werden könnte, verstärkt sich noch, wenn man bedenkt, daß auch die sekundären subjektiven Rechte zur Strukturierung der Rechtsordnung beitragen. Insbesondere die Diskussion um die Rechtswidrigkeitslehren hat gezeigt, daß erst im Rahmen der Frage nach den sekundären Rechten die Verhaltenspflichten auch und gerade in bezug auf primäre subjektive Rechte im Sinne Raisers entwickelt und dadurch die Verkehrsordnung unter dem Einfluß der schutzwürdigen Interessen des Rechtssubjekts erst in concreto ausgebildet wird. so Dies bedeutet zum einen, daß auch bei der Zuteilung sekundärer Rechte, wie etwa Ersatzansprüche nach § 823 Abs. 2, an Rechtssubjekte, die durch Verstöße Dritter gegen dem Institutsschutz dienende Verhaltensregeln benachteiligt worden sind, diese sog. Institutionen ebenfalls und keineswegs in anderer Weise wie die primären subjektiven Rechte im Sinne Raisers dazu dienen, die Selbstbehauptung und Eigenverantwortung der Person in der Gesellschaft zu ermöglichen und zu sichern. Dann liegt aber die Annahme nahe, daß es sich insoweit ebenfalls um subjektive Rechte handelt. SI Und umgekehrt kann man nicht die Erkenntnis leugnen, die sich in der Lehre vom Verhaltensunrecht ihre Bahn ins Zivilrecht gebrochen hat, daß auch die primären subjektiven Rechte Ordnungseleme~te sind, die selber Ordnung schaffen und zugleiCh in eine Ordnung eingegliedert sind. 52 Eben diese Erkenntnis hat doch dazu geführt, daß sich auch die primären subjektiven Rechte, wie etwa das Eigentum, bei ihrem Raiser, Summum ius ( ... ), S. 159. Raiser, Summum ius ( ... ), S. 159. 49 Medicus, BGB-AT, Rz. 72. 50 Dazu noch unten 3. Kap., 11. 51 So auch Buchner, S.262. 52 Man sieht daher die Aufgabe des Privatrechts keineswegs zu einseitig, wenn man sich damit begnügt, die Rechtssphären von Individuen gegeneinander abzugrenzen - so aber der Vorwurf Raisers, Summum ius (... ), S. 146 -. Vielmehr verwirklicht sich ja gerade in der Art, wie man diese Abgrenzung vollzieht, bereits ein eigenständiges Element einer überindividuellen Ordnung. Dadurch wird nicht nur das Nebeneinander von Individuen durch Abgrenzung ihrer Machtsphären gesichert, sondern gerade durch diese Abgrenzung 47
4lI
I. Das traditionelle Verständnis
135
Schutz durch sekundäre Rechte in einzelne Verhaltenspflichten auflösen. Auch für die Eigentumsordnung gilt, ebenso wie es Raiser als Charakteristikum der Wettbewerbsordnung beschreibt, S3 daß auch - und zwar gerade über den Schutz des Güterbestands - die Rechtssubjekte in ihrer selbstverantwortlichen Tätigkeit geschützt und zugleich durch das Ausdehnungsstreben - oder besser: Tätigkeitsstreben - aller anderen begrenzt werden. Ausgehend vom Spannungsverhältnis Rechtsschutz - Institutionenschutz bleibt daniit unklar, wieso die Differenzierung Raisers zwischen primären subjektiven Rechten und Institutionen eine stärkere Betonung des Schutzes nach § 823 Abs. 2 anstelle der übermäßigen Inanspruchnahme des § 823 Abs. 1 bedeutet. 54 Wo ist der iSd. Deliktsrechts entscheidende Grund zur Differenzierung zu finden?S5 Der Hinweis, es sei einer der Zwecke des § 823 Abs.2, die Rechtsinstitute des Privatrechts zu sichern, S6 vermag nach dem zuvor Gesagten eine Differenzierung zwischen Abs. 1 und 2 nicht zu tragen. Er beruht auf dem im Hinblick auf das Deliktsrecht nicht geglückten Versuch, Gegensätzlichkeiten zwischen Rechtsschutz und Institutionenschutz aufzuzeigen, die sich bei näherer Betrachtung als bloßer Wechsel des Blickwinkels herausstellten. Gerade auch der Eigentumsschutz nach § 823 Abs. 1 dient dem Schutz des privatrechtlichen Instituts Eigentum. Einzig tragendes Differenzierungskriterium bleibt für Raiser damit der Hinweis, daß für den Schutz der Person, ihrer Güter und Rechte, im Anwendungsbereich des § 823 Abs. 1 die Widerrechtlichkeit mit dem vom Täter zurechenbar verursachten Verletzungserfolg gegeben ist. Für den Schutz der Rechtsinstitute sei demgegenüber von Fall zu Fall nach der Verhaltensnorm zu fragen, gegen die der Täter verstoßen habe und eine so belegte Unrechtshandlung nach § 823 Abs.2 ersatzpflichtig mache. 57 Damit rekurriert auch Raiser im Anwendungsbereich der deliktsrechtlichen Vörschriften auf das Unterscheidungskriterium des generellen Schutzes, mit dem die überkommene Lehre ihren Begriff des subjektiven Rechts näher präzisiert hat. Eben dieses Kriterium hat sich in der Diskussion um die Rechtswidrigkeitslehren jedoch als ungeeignet erwiesen, den Anwendungsbereich des § 823 Abs. 1 von dem des Abs. 2 abzugrenzen. 58 Im Hinblick auf die Bestimmung subjektiver Rechte iSd. § 823 Abs. 1 bleibt von dem Konzept Raisers lediglich die Erkenntnis zurück, daß die Beschränkung auf Herrschafts- und Personenrechte allein aus dem Versuch der Rückfühwird auch schon der rechte Gebrauch der Macht, wie es Raiser, Summum ius (...), S. 161 fordert, organisiert. 53 Raiser JZ 1961,465,472. 54 Raiser JZ 1961, 465, 472 Fn. 72. 55 So im Ergebnis auch Canaris, Festschrift f. Larenz (1983) S. 27, 46 f. 56 Raiser, Summum ius ( ... ), S. 158. 57 Raiser, Summum ius ( ... ), S. 160. 58 Dazu noch unten 3. Kap., I B 3.
136
3. Kap.: Der Regelungsgehalt des § 823 Abs. 1
rung auf Strukturelemente der Rechtsordnung erklärt wird und Raiser als solche Strukturelemente die von ihm näher beschriebenen primären subjektiven Rechte auf der einen und die Institutionen auf der anderen Seite ansieht. Wie wenig diese Differenzierung an der Anwendung und Abgrenzung deliktsrechtlicher Vorschriften orientiert ist, zeigt sich an den Vorhaltungen Raisers gegenüber der herkömmlichen Doktrin. Sie sei so stark von der Vorstellung beherrscht, Rechtsschutz im Privatrecht sei notwendig Individualrechtsschutz, daß sie versuche, überall da, wo ein Bedürfnis für einen Schutz institutionell anerkannter Interessen auftrete und durch Abwehr- und Schadensersatzansprüche befriedigt werden solle, zunächst ein primäres subjektives Recht zugunsten des Betroffenen zu substituieren, um dann auf die gewohnten Behelfe der §§ 823 Abs. 1, 1004 zurückgreifen zu können. Beispiele für diese Tendenz seien das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das Recht am Unternehmen und am Arbeitsplatz. 59 Daß in den genannten Beispielen aber versucht wurde, die deliktsrechtliche Verortung dieser Probleme mit Hilfe von subjektiven Rechten vorzunehmen, hatte seinen Grund doch darin, daß weder die anerkannten subjektiven Rechte noch die bestehenden Schutzgesetze einen ausreichenden Interessenschutz zu gewährleisten schienen. In dieser Situation schien der Weg über § 823 Abs. 1 der einzig gangbare, da man den Gesetzesbegriff iSd. § 823 Abs. 2 nicht durch Richterrecht auflösen wollte. Wie die Analyse der Rechtsprechung zum Recht am Gewerbebetrieb gezeigt hat,60 lag der Mangel dieser Vorgehensweise darin, daß zu keiner Zeit versucht wurde, den Unternehmensschutz mit dem deliktsrechtlichen Haftungssystem zu koordinieren und statt dessen rein begriffiich mit der Annahme eines subjektiven Rechts argumentiert wurde. Vor diesem Hintergrund ist nichts damit gewonnen, den Begriff des subjektiven Rechts durch den der Institution zu ergänzen. Der entscheidende Mangel der mit der Konstruktion subjektiver Rechte operierenden h. M. lag ja weniger in mangelnder begriffiicher Schärfe als in mangelnder Orientierung der Begriffsbildung an den Erfordernissen des Deliktssystems. Eben dieser Mangel kennzeichnet, wie sich oben gezeigt hat, auch die Lehre Raisers vom Institutionenschutz, da die verwendeten Begriffe des subjektiven Rechts und der Institution nicht zur Klärung der Anwendungsbereiche deliktsrechtlicher Vorschriften beizutragen vermögen.
c) Nipperdeys These von den durch die §§ 823 Abs. 2,826 geschaffenen subjektiven Rechten Dieser Kritik hatte sich die h. M. bereits früher ausgesetzt gesehen. Nipperdey hatte darauf hingewiesen, daß die Annahme, nur § 823 Abs. 1 enthalte subjektive Rechte als Schutzobjekte, nicht richtig sei, da ebenso durch
59 (j()
Raiser, Summum ius (... ), S. 153 f. Siehe oben 1. Kap., III.
1. Das traditionelle Verständnis
Schutzgesetze, § 826 und andere Deliktstatbestände subjektive Rechte Unterlassung - geschaffen würden. 61
137 auf
Dazu meinte Reinhardt, daß dies in der Sache eine Absage an den besonderen Tatbestand der Verletzung eines absoluten Rechts bedeutet. 62 Und in der Tat führt dieser Standpunkt Nipperdeys kombiniert mit der Auffassung der h. L., daß subjektive Rechte nach § 823 Abs. 1 geschützt sind, dazu, daß gleichsam in einem Zirkelschluß das System der §§ 823 ff. aufgelöst und § 823 Abs. 1 zur alleinigen Anspruchsgrundlage werden könnte. Diese Überlegungen mit dem Hinweis zu entkräften zu suchen, daß, selbst wenn man durch Schutzgesetze iSd. § 823 Abs. 2 subjektive Rechte begründet sähe, diese nur im Rahmen der Schutzgesetze bestehen könnten, ein weitergehender Schutz durch die Anerkennung subjektiver Rechte nicht begründet werden könnte,6J geht am eigentlichen Kern der These Nipperdeys vorbei. Folgt man nämlich dessen Auffassung, daß mit dem Bestehen von Unterlassungsansprüchen die Existenz subjektiver Rechte korrespondiert, so gleichen sich der Rechtsschutz über § 823 Abs. 1 und der Schutz nach § 823 Abs. 2 nur dann an, wenn man den Begriff des subjektiven Rechts gleichsetzt mit dem des sonstigen Rechts. Gerade daß diese Gleichsetzung nicht mit dem differenzierenden System der §§ 823 ff. in Einklang zu bringen ist, daß die Bestimmung des Anwendungsbereichs des § 823 Abs. 1 nicht bereits mit dem Begriff des subjektiven Rechts geleistet zu werden vermag, ist die Kernaussage der Nipperdeyschen These, die sich aus deren konsequentem ZuEnde-Denken ergibt. Nipperdey selber hat ja auch nicht den Schluß gezogen, die Systematik der §§ 823 ff. aufgrund dieser Erkenntnis aufzugeben. Er hat vielmehr umgekehrt nach Kriterien gesucht, die die von § 823 Abs. 1 erfaßten subjektiven Rechte näher bestimmten. 64Die Kritik Nipperdeys am herrschenden Verständnis des § 823 Abs. 1 geht somit allein und insofern zutreffenderweise in ihrem Kern dahin, daß der Begriff des sonstigen Rechts iSd. § 823 Abs. 1 nicht aus einem vorgegebenen Begriff des subjektiven Rechts zu bestimmen ist, sondern daß notwendigerweise zur Erhaltung des differenzierenden Systems der §§ 823 ff. auf andere bzw. zusätzliche Kriterien Bezug zu nehmen ist. Daß gleichwohl dieser Schluß vom Begriff des subjektiven Rechts auf das sonstige Recht und damit den Anwendungsbereich des § 823 Abs. 1 immer wieder versucht worden ist, könnte seinen Grund darin haben, daß nach allgemeiner Erkenntnis § 823 Abs. 1 auf Positionen außerhalb des Deliktsrechts verweist. Daraus könnte gefolgert worden sein, daß die Anforderungen an das sonstige Recht eben allein aus dem außerdeliktsrechtlich vorgegebenen Begriff des subjektiven Rechts zu entwickeln sind. Jedoch 61 Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 1. Halbbd., 15. Aufl. 1960, S. 432. 62 Reinhardt JZ 1961, 713, 714. 63 Buchner, S. 21 f. 64 Siehe Enneccerus/Nipperdey, S. 436.
138
3. Kap.: Der Regelungsgehalt des § 823 Abs. 1
verweist § 823 Abs. 2 mit den Schutzgesetzen ebenso auf eine vom sonstigen Recht allerdings abgehobene außerdeliktsrechtliche Erscheinungsform des Rechts. Damit scheint es zwei Abgrenzungsmöglichkeiten zu geben: Entweder kann man außerdeliktsrechtlich subjektives Recht iSd. § 823 Abs. 1 und Gesetz iSd. § 823 Abs. 2 abgrenzen, was angesichts der weiten Begriffsfassung des subjektiven Rechts kaum möglich erscheint, oder aus dem Deliktsrecht muß sich eine Abgrenzungsmöglich.lceit zwischen sonstigem Recht und Schutzgesetz ergeben. Diese ließe sich möglicherweise aus dem Sinn der Differenzierung des Gesetz-gebers zwischen den Tatbeständen des § 823 Abs. 1 und 2 entnehmen. Jedoch ist eine solche Abgrenzungsalternative von vornherein nur eine scheinbare. Wie nämlich Löwisch dargelegt hat, ist eine Bestimmung des Anwendungsbereichs des § 823 Abs. 1 allein aus dem Begriff des subjektiven' Rechts heraus nicht möglich, wenn man mit der heute einhelligen Meinung davon ausgeht, qaß das subjektive Recht in seinem Bestehen und seiner Entfaltungsmöglichkeit von der Anerkennung und dem Schutz durch die Rechtsordnung abhängig ist. Das einzige Mittel, durch das die Rechtsordnung wirken kann, sind ihre Rechtssätze. Nur mit ihnen kann sie subjektive Rechte bestimmen und verleihen. Zu den Rechtssätzen zählt aber auch § 823 Abs. 1. Und gleichgültig welcher der Theorien von der Rechtsordnung man folgt, immer ist es auch seine Schutzfunktion, die erst ein subjektives Recht konstituiert. 65 Man wird gleichsam bei der Suche nach dem in § 823 Abs. 1 vorausgesetzten allgemeinen Begriff "subjektives Recht" wieder auf den Aussagegehalt des §'823 Abs. 1 zurückverwiesen. 66 Es zeigt sich, daß das Abstellen auf den Begriff des subjektiven Rechts allein nichts zur Präzisierung des Anwendungsbereichs des § 823 Abs. 1, insbesondere im Verhältnis zu den übrigen Deliktsnormen, beizutragen vermag. Vielmehr wird man sogar aus den Thesen Nipperdeys den umgekehrten Schluß ziehen müssen, daß über den Begriff des sonstigen Rechts aus der Vielzahl möglicher subjektiver Rechte nur bestimmte Arten in den Regelungsbereich des § 823 Abs. 1 einbezogen sein können. Nimmt man Löwischs Ausführungen hinzu, so lautet die weitere Folgerung, daß sich die Kriterien für die Bestimmung dieser Arten subjektiver Rechte allein aus dem Regelungsgehalt des § 823 Abs. 1 bzw. aus dem Regelungsgehalt des Deliktssystems und damit aus der Differenzierung des Gesetzgebers zwischen den deliktsrechtlichen Grundtatbeständen ergeben können. Solche Kriterien sah die h. M. lange Zeit - und teilweise werden sie noch heute so gesehen - darin, daß nur solche Rechte erfaßt werden, die absolut und generell geschützt werden.
65 66
Löwisch, S. 9 ff. Löwisch, S. 13.
I. Das traditionelle Verständnis
139
2. Die Bedeutung des Absolutheitserfordemisses zur Positiven Bestimmung der von § 823 Abs. 1 in Bezug genommenen subjektiven Rechte
Wie wir oben gesehen haben,67 setzte sich in Literatur und Rechtsprechung bereits sehr früh hinsichtlich der Auslegung des § 823 Abs. 1 die Auffassung durch, daß mit dem Merkmal der sonstigen Rechte nur sog. absolute Rechte gemeint sein können. Verstanden wurde dies dahingehend, daß § 823 Abs. 1 nur solche Rechte erfaßt, die gegen jedermann gerichtet sind, denen eine von jedermann zu achtende Pflicht korrespondiert. Dem wurde das relative Recht gegenübergestellt, das nur gegen einzelne Personen gerichtet ist, dem nur eine von einzelnen zu achtende Pflicht korrespondiert. Diese Gegenüberstellung diente vor allem dazu, die Forderungsrechte als typische relative Rechte aus dem Anwendungsbereich des § 823 Abs. 1 auszuschließen. Hier soll uns nun die Frage interessieren, die wir oben noch ausgeklammert hatten, welche positive Aussage hinsichtlich des Anwendungsbereichs des § 823 Abs. 1 hinter dieser Differenzierung stehen könnte. Zur Beantwortung kann wieder zum Teil auf Ausführungen Löwischs zurückgegriffen werden, wonach das Gegensatzpaar relativ-absolut aus einer begriffsjuristischen Betrachtungsweise der Rechtsordnung entwickelt worden ist. Aus dem Oberbegriff des subjektiven Rechts seien die gegensätzlichen Begriffe des absoluten und relativen Rechts abgeleitet und so eine klare und einfache Einteilung aller Privatrechtsverhältnisse gewonnen worden. 68 Im Gegensatz zu anderen Einteilungskategorien der subjektiven Rechte, wie dingliche Rechte, Forderungs-, Familien-, Vermögensrechte, primäre, sekundäre Rechte, die in der Hauptsache an der Funktion der subjektiven Rechte orientiert sind, ist die Kategorie absolut-relativ eine rein normative, auf die Wirkungsweise des subjektiven Rechts abstellende. D.h. die Rechte werden nach dem Rechtsbefehl, der von ihnen ausgeht, durchdacht und geordnet. 69 Damit besitzt, wie Löwisch sagt, der Gegensatz relativ-absolut keinen Aussagewert für den Schutzbereich des § 823 Abs. 1: Er knüpft an die formale Struktur des einzelnen Rechtsbefehls an und besagt nicht, wann ein relativer und absoluter Rechtsbefehl ergeht. 70 Man muß sogar noch einen Schritt weiter gehen und sagen: daß die Einteilung in relative und absolute Rechte die Kategorie der subjektiven Rechte aufgliedert, schafft durchaus zutreffende formale Strukturbegriffe. Da man sich aber - wie wir oben festgestellt haben 71 - für eine Bestimmung des Begriffs des subjektiven Rechts immer auf die objektive Rechtsordnung und insbesondere auch auf § 823 Abs. 1 selbst verwiesen sieht, kann eine auf die Wirkungsweise subjektiver Rechte abstellende 67
68 69
70 71
Siehe oben 3. Kap., IA. Löwisch, S. 20. Löwisch, S. 18. Löwisch, S. 23. Siehe oben 3. Kap., I B
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3. Kap.: Der Regelungsgehalt des § 823 Abs. 1
Differenzierung den Anwendungsbereich des § 823 Abs. 1 nicht bestimmen. In dieser Allgemeinheit vorgenommen, würde sie das voraussetzen, was sich möglicherweise erst aus § 823 Abs. 1 ergeben könnte: ob nämlich jedermann das Recht zu achten hat oder nicht. a) Zum Versuch, das Absolutheitserfordernis außerdeliktsrechtlich näher zu bestimmen
In dieses Dilemma geraten auch alle Versuche, das Absolutheitserfordemis außerdeliktsrechtlich näher zu bestimmen. So kann man zwar nach allgemeiner Meinung als positiven Gehalt des subjektiven Rechts feststellen, daß es dem einzelnen Rechtssubjekt ein bestimmtes (Vermögens- oder Immaterial-) Gut als ihm gehörig zuweist. Dieser Zuordnungsgedanke besagt jedoch nicht mehr, als daß mit dem subjektiven Recht dem einzelnen irgendein Gut zugewiesen ist, nicht dagegen, welchen Inhalt es hat. 72 Ein an eine solche Zuordnung ohne Rücksicht auf den Inhalt des zugeordneten Gutes anknüpfender Deliktsschutz müßte konsequenterweise allen subjektiven Rechten zugute kommen und könnte demzufolge nicht die im Rahmen des § 823 Abs. 1 gebotene Selektionsaufgabe erfüllen. Der gleiche Vorwurf mangelnder Selektion träfe den Versuch, aus der Tatsache, daß jedes subjektive Recht eine Güterzuordnung enthält, einen allgemeinen Nichtstörungsanspruch ableiten zu wollen. 73 Damit bliebe nur die Möglichkeit, die Zuordnung als solche zum Anknüpfungspunkt des Deliktsschutzes zu machen. Dies erscheint aber als eine verkürzende Betrachtungsweise. Nur die Störung einer - außerdeliktsrechtlichen - Güterzuordnung als Rechtsverletzung iSd. § 823 Abs. 1 anzusehen, könnte nicht erklären, wieso die Vorschrift etwa beim Eigentumsrecht auch Eingriffe in den Gegenstand sanktioniert. 74 Versuche, über die Tatsache der Zuweisung hinausgehend auf den Inhalt der Zuordnung im außerdeliktsrechtlichen Bereich abzustellen, haben ergeben, daß auch hierdurch keine für die Rechtsanwendung bei § 823 Abs. 1 verwendbaren strukturellen Unterscheidungskriterien hinsichtlich der einzelnen subjektiven Rechte zutage gefördert wurden. Vielmehr vermag der Inhalt der Zuordnung nur zu sagen, welche Befugnisse der Inhaber eines Rechts hat, ohne daß sich daraus bereits entnehmen ließe, welche dieser Befugnisse für einen Deliktsschutz in Betracht kommen. 75 Der Rechtsordnung steht es frei, wie Löwisch sagt,76 auch der Rechtsbeziehung von Person zu Person Wirkungen über die unmittelbar Beteiligten hinaus 72
73 74
75
Löwisch, S. 26 f. Löwisch, S. 27 f. Löwisch, S. 29. Siehe dazu im einzelnen Löwisch, S. 30 fT.
1. Das traditionelle Verständnis
141
beizulegen, d. h. jede Rechtsbeziehung kann grundsätzlich deliktsrechtlich geschützt werden. Und es ist zu ergänzen, daß es bei der Frage nach dem Anwendungsbereich des § 823 Abs. 1 gerade darum geht, ob die Rechtsordnung einer bestimmten Rechtsbeziehung in dieser Vorschrift Wirkungen über die unmittelbar Beteiligten hinaus beigelegt hat. Wer diese Frage damit beantwortet, daß die Rechtsordnung eine solche Wirkung den relativen Rechten in § 823 Abs. 1 nicht beigelegt hat, weil es sich um bloße Rechtsbeziehungen von Person zu Person handelt, dessen Argumentation dreht sich im Kreise und der vermag nicht den positiven Gehalt der Vorschrift zu umschreiben.
b) Zum Versuch einer Differenzierung zwischen Innen- und Außenbeziehung Um dies zu verdeutlichen, mag es nützlich sein, wie Löwisch 77 es tut, mit dem Begriffspaar Innenbeziehung - verstanden als außerdeliktsrechtliche Regelung einer Rechtsbeziehung - und Außenbeziehung - verstanden als deliktsrechtliche Regelung einer Innenbeziehung im Verhältnis zu Dritten - zu operieren. Man muß sich nur davor hüten, wie bei dem Gegensatz absolute und relative Rechte in eine für die Rechtsanwendung unfruchtbare und in ihrer strikten Gegensätzlichkeit unzutreffende neue Begriffsbildung abzugleiten, indem man etwa sagt, daß sich der Außenschutz an eine Innenbeziehung erst anlagert. 78 In Wirklichkeit bezeichnen auch diese beiden Begriffe nur zwei Seiten eines einzigen Gebildes: die inhaltliche Regelung einer Innenbeziehung, etwa des Eigentümers zur Sache, steht nicht isoliert neben der Regelung der Außenbeziehung. Der Inhalt der Innenbeziehung kann seinerseits nur mit Blick auf seine Garantie in Außenbeziehungen bestimmt werden. Daß der Eigentümer mit der Sache tun und lassen kann, was er will, kann man nur dann als inhaltliche Regelung seiner Sachherrschaft ansehen, wenn diese Möglichkeit ihm allein im Außenverhältnis zu Dritten garantiert ist. D.h. auch hier gilt, daß das Deliktsrecht und das übrige Recht nicht isoliert nebeneinanderstehen - daran scheiterten auch die Versuche, das Absolutheitserfordernis mit außerdeliktsrechtlichen Wertungen zu füllen - , sondern in einer verbindenden Wechselwirkung stehen, die bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs der deliktsrechtlichen Grundtatbestände ihren Niederschlag finden muß. An diesem Punkt liegt der entscheidende Mangel der weiteren Ausführungen Löwischs. Nachdem er festgestellt hat, daß eine isolierte Betrachtung der Innenbeziehungen keine unter Haftungsbegrenzungsaspekten praktikable Bestimmung des Anwendungsbereichs des § 823 Abs. 1 ermöglicht, will er über die Betrachtung möglicher Verletzungshandlungen zur Bestimmung des Außenschutzes übergehen und hierfür jede Innenbeziehung heranziehen. Er verkennt, daß der Haftungsbegrenzungsgedanke sich gerade darin verwirklicht hat, daß 76 77
78
Löwisch, S. 23. Löwisch, S. 24. Löwisch, S. 24.
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3. Kap.: Der Regelungsgehalt des § 823 Abs. 1
mit dem sonstigen Recht nur bestimmte "Innenrechtsbeziehungen" die Haftung für bestimmte Handlungsweisen nach § 823 Abs. 1 begründen sollten. Löwisch macht zwar deutlich. daß hinter dem Ausschluß relativer Rechte aus § 823 Abs.1 nur das Bestreben steht, Forderungsrechte nicht über § 823 Abs. 1 zu schützen, ohne· daß der positive Gehalt des § 823 Abs. 1 aufgedeckt worden wäre. Seine Folgerung ist jedoch kurzschlüssig, daß daher auch relative Rechte über § 823 Abs. 1 geschützt sein müßten. Auch er stellt nicht die Frage nach der Funktion des sonstigen Rechts in § 823 Abs. 1 und fragt gleichzeitig nicht nach der Funktion der §§ 823 Abs. 2 und 826. Dies führt ihn dann zu einer falschen Weichenstellung hinsichtlich der weiteren Untersuchung. "Daß der Gegensatz von: Wirkung nur gegen einzelne und: Wirkung gegen jedermann nichts über materiellen Gehalt und Schutzwürdigkeit eines Rechts aussagt, sondern mit den so gearteten Ansprüchen nur die formale Kategorie angibt, in der das Recht seine Verwirklichung findet", 79 liegt daran, daß § 823 Abs. 1 selber erst die Schutzwürdigkeit eines Rechts bestimmt. Deshalb kann die aus der mangelnden Aussagekraft des Gegensatzes der Wirkungen entnommene weitere Aufgabe nicht bloß dahin gehen, den positiven Gehalt des subjektiven Rechts zu fixieren, aus dem die Gewährung von Ansprüchen nur gegen einzelne oder gegen alle gefolgert werden kann. 80 Dies muß, wie wir oben gesehen haben, daran scheitern, daß sich der positive Gehalt subjektiver Rechte zur Bestimmung der Haftungsvoraussetzungen des § 823 Abs. 1 nicht isoliert von dieser Vorschrift festlegen läßt. Vielmehr kann die nächste Aufgabe nur lauten, die durchaus unterschiedlich gearteten Innenrechtsbeziehungen zu bestimmen, die durch § 823 Abs. 1 geschützt sein können. Eben weil dieser Aspekt nicht beachtet wird, müssen sich alle untersuchten Kriterien zur Bestimmung des positiven Gehalts subjektiver Rechte als ungeeignet zur Fixierung des Anwendungsbereichs des § 823 Abs. 1 erweisen. D. h. die bisherigen Ausführungen zeigen nur, daß der Anwendungsbereich des § 823 Abs. 1 nicht völlig losgelöst von der Funktion des Deliktsrechts und des § 823 Abs. 1 aus einem, wie auch immer gearteten, Gehalt eines subjektiven Rechts bestimmt werden kann. Die bislang konstatierte Ungeeignetheit der untersuchten Unterscheidungskriterien zur Bestimmung des positiven Gehalts subjektiver Rechte besagt dagegen noch nichts darüber, ob für diese Kriterien in § 823 Abs. 1 grundsätzlich kein Platz ist. Es ist noch offen, ob nicht eine deliktsrechtliche Funktionsbetrachtung eines dieser Kriterien, wie etwa den Zuordnungsgedanken, als maßgebliches Kriterium für die Abgrenzung des Regelungsgehalts des § 823 Abs. 1 konstituiert. 81 Mit den bisherigen Ausführungen bestätigt sich allein, was sich bereits oben andeutete: die Berufung darauf, daß als sonstige Rechte nur absolute Rechte in 79 80 81
Löwisch, S. 26. So aber Löwisch, S. 26. Dazu noch ausfUhrlich unten 3. Kap., II C 5.
I. Das traditionelle Verständnis
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Betracht kommen, diente allein dazu, die Erfassung von Forderungsrechten durch § 823 Abs. 1 zu verhindern. Eine positive Bestimmung derjenigen Rechte, auf die § 823 Abs. 1 verweist, ist damit nicht gegeben worden. Die Verwendung der Begriffe absolute und relative Rechte ermöglichte, eine Orientierung am Gesetz dort vorzugeben, wo in Wirklichkeit die Wirkung von Forderungsrechten gegen jedermann über § 823 Abs. 1 versagt wurde, weil dies eben nicht richtig erschien. Dabei soll nicht verkannt werden, daß dahinter mehr oder weniger offensichtlich das Bemühen stand, die Haftung zu begrenzen. Es wurde jedoch nicht der positive Gehalt der Bezugnahme auf sonstige R.echtedurch § 823 Abs.1 l,iufgedeckt. . -Dies mußte sich spätestens zu dem Zeitpunkt auf die Auslegung des § 823 Abs. 1 auswirken, als auch die h. M. vom generellen Schutz der Rechte nach § 823 Abs. 1 zunehmend in Zweifel gezogen wurde. Soweit sich nämlich im Laufe dieser Entwicklung die Erkenntnis durchsetzte, daß die sog. absoluten Rechte iSd. § 823 Abs. 1 nur gegen bestimmte Verhaltensweisen Schutz genossen, ließ sich der Gegensatz zwischen absoluten Rechten, die sich gegen jedermann, und relativen Rechten, die sich nur an bestimmte Personen richten, vom Deliktsrecht her betrachtet nicht mehr als ein solchermaßen scharf konturiertes, die Rechtsanwendung erleichterndes Gegensatzpaar darstellen. Nunmehr wurden die absoluten Rechte ihrerseits dadurch "relativiert", daß sie sich nicht mehr gegen jedermann, sondern nur noch gegen denjenigen richteten, der gegen die Verhaltensregeln zum Schutz des Rechts verstieß. Damit schien auch nicht mehr der Haftungsbegrenzungsgedanke entgegenzustehen, den relativen Rechten ebenfalls einen solchermaßen begrenzten Schutz gegen bestimmte Verhaltensweisen Dritter zukommen zu lassen, zumal dies im Rahmen des § 826 (unter dem Stichwort: Verleitung zum Vertragsbruch) durchaus praktiziert wurde. Es erschien sogar im Gegenteil vom Rechtsschutzbedürfnis her betrachtet als eine ungerechtfertigte Einschränkung der Stellung des Inhabers relativer Rechte. 82 Aus alldem ergibt sich deutlich, daß das von der h. M. herangezogene Merkmal der Absolutheit der von § 823 Abs. 1 erfaßten Rechte in keiner Weise geeignet war oder ist, durch positive Bestimmung aus der Vielzahl subjektiver Rechte diejenigen zu bestimmen, die sonstige Rechte iSd. § 823 Abs. 1 sein können. 3. Die Bedeutung des Kriteriums des generellen Schutzes zur positiven Bestimmung der von § 823 Abs. 1 in Bezug genommenen subjektiven Rechte
War damit das Absolutheitserfordernis als Stütze der tradierten Auslegung des § 823 Abs. 1 ins Wanken geraten, so stellte sich in der Diskussion um den Rechtswidrigkeitsbegriff im Anschluß an eine Entscheidung des Großen Senats 82
Das ist im Grunde der weitere Gedankengang bei Löwisch, S. 48 fT.
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3. Kap.: Der Regelungsgehalt des § 823 Abs. 1
in Zivilsachen des BGH, in der dieser den Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens kreiert hatte,83 immer deutlicher heraus, daß das traditionelle Rechtswidrigkeitsverständnis, auf dem das Kriterium des generellen Schutzes fußte, gleichfalls nicht mehr haltbar war. Die Kritik setzte an der erfolgsorientierten Betrachtungsweise dieser Unrechtslehre an, nach der schon der Erfolg, die tatbestandsmäßige Rechts(gut)verletzung, das Unwerturteil über die Handlung des Verletzers fällte und eine gesonderte positive Prüfung der Rechtswidrigkeit des Verhaltens nicht erforderlich war. 84Bemängelt wurde vor allem, daß diese Lehre nicht in der Lage ist, diejenigen Fälle befriedigend zu lösen, in denen trotz Einhaltung der verkehrserforderlichen Sorgfalt oder sogar jeder menschenmöglichen Sorgfalt Rechts(gut)verletzungen durch die von der Rechtsordnung zugelassenen gefährlichen Tätigkeiten und Betriebe verursacht werden. Auch in diesen Fällen solle der Erfolg und damit doch wohl auch das Verhalten rechtswidrig sein, obgleich dieses von der Rechtsordnung zugelassen werde. 8s Ferner wurde darauf hingewiesen, daß die klassische Erfolgsunrechtslehre im Zivilrecht nicht ausnahmslos verwirklicht werden kann, da eine ganze Anzahl von Haftungstatbeständen offensichtlich nicht auf einem bloßen Erfolgsunrechtsbegriffberuhen. 86 Auch sei der Gesichtspunkt des Erfolgsunwerts allein nicht in der Lage, die Widerrechtlichkeit bei den Rechts(gut)verletzungen durch Unterlassen zu klären. 87 4. Fazit: Der Fehler der isolierten Betrachtung der Haftungsvoraussetzungen des § 823 Abs. 1
Zeigte sich damit, daß auch die vom Gesetz in § 823 Abs. 1 benannten Rechte und Rechtsgüter keineswegs Schutz gegenjede Eingriffs- bzw. Verletzungshandlung genossen, so entfiel ebenfalls die bislang von der h. M. postulierte Brauchbarkeit des Kriteriums des generellen Schutzes zur Bestimmung der sonstigen Rechte und damit des Anwendungsbereichs des § 823 Abs. 1. Die Folge mußte zwangsläufig sein, daß die alte Abgrenzung zwischen § 823 Abs. 1 und 2 hinfällig wurde, da die These vom generellen Schutz gerade auch hieraus gewonnen worden war. Zugleich wurde deutlich, daß der Mangel der bisherigen Bestimmung des Anwendungsbereichs des § 823 Abs. 1 in der jeweils isolierten Betrachtung verschiedener Merkmale des Gesamttatbestandes bestanden hatte.
BGRZ 24, 21 = NJW 1957, 785. Siehe oben 3. Kap., I. 85 Siehe dazu nur Nipperdey NJW 1957, 1777 ff.; NipperdeyjSäcker NJW 1967, 1985, 1989 ff.; Wiethölter, Verkehrsrichtigs Verhalten, 1960, S. 15 ff.; Niese JZ 1956,460,465; Zippelius NJW 1957, 1707; Engisch, DJT-Festschrift (1960) S. 401 ff. 86 Siehe nur EnneccerusjNipperdey, S. 1280 f. 87 EnneccerusjNipperdey, S. 1281 f. 83
84
11. Versuch der Entwicklung neuer Bestimmungskriterien
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So wurde mit dem Absolutheitserfordernis auf eine Wirkung des subjektiven Rechts abgestellt. Verkannt wurde, daß es diese Wirkung nicht isoliert von § 823 Abs. 1, sondern - zumindest teilweise - erst durch § 823 Abs. 1 hat. Beim Erfordernis des generellen Schutzes wurde isoliert auf die Wirkung des § 823 Abs. 1 geblickt, ohne daß die Funktion der geschützten Rechte im Rahmen der Rechtsordnung beachtet wurde. Dies macht deutlich, daß eine befriedigende Bestimmung des Anwendungsbereichs des § 823 Abs. 1 nur dann erfolgen kann, wenn es gelingt, die Vorschrift aus ihrem delikts- und allgemein zivilrechtlichen Zusammenhang heraus zu interpretieren. Der Grundstein für eine solche Sichtweise des § 823 Abs. 1 ist im Grunde bereits im Laufe der Diskussion um den Rechtswidrigkeitsbegriff gelegt worden. Denn die Erkenntnis der Unhaltbarkeit der alten These vom generellen Schutz leitete die Entwicklung ein, die bisherige Fixierung auf die Erfolgsbetrachtung und auf die Berücksichtigung der Verletztenseite mehr und mehr durch eine Bestimmung des Anwendungsbereichs des § 823 Abs. 1 von der Verhaltensseite und damit von der Schädigerseite her zu ersetzen. Diese Tendenz zur stärkeren Einbeziehung der Verhaltensseite in die Frage nach der Rechtswidrigkeit stellt in ihrer Verknüpfung von Schädiger- und Geschädigtenseite eine erste Druchbrechung der alten isolierenden Betrachtungsweise der einzelnen Deliktstatbestände dar.
11. Versuch der Entwicklung neuer Kriterien zur Bestimmung des Regelungsgehalts des § 823 Abs. 1 auf der Grundlage der Diskussion um den Rechtswidrigkeitsbegriff Die weitere Frage ist daher, ob sich auf der Grundlage dieses neuen Rechtswidrigkeitsverständnisses neue Kriterien finden lassen, um den Regelungsbereich des § 823 Abs. 1 zu umreißen. Die Betrachtung verfolgt nunmehr den umgekehrten Weg im Vergleich zum tradierten Verständnis. Dieses ist dadurch geprägt worden, daß von der Betrachtung der Geschädigtensphäre ausgehend solche Positionen als Charakteristika des Regelungsbereichs des § 823 Abs. 1 angesehen wurden, die generell geschützt sein konnten. Diese Sichtweise hat sich als unhaltbar erwiesen, weil sich mit ihrem erfolgsorientierten Ansatz keine überzeugende Rechtswidrigkeitsbestimmung vornehmen ließ. Nachdem die Rechtswidrigkeitsbestimmung durch Einbeziehung der Verhaltensseite zu überzeugenderen Ergebnissen geführt hat, ist zu fragen, ob sich hieraus nicht neue verallgemeinerungsfähige Kriterien für eine präzise Umschreibung des Regelungsbereichs des § 823 Abs. 1 gewinnen lassen. Diese Aufgabe stellt sich auf den ersten Blick einfacher dar, als sie tatsächlich ist. Zwar besteht heute Übereinstimmung darin, daß Gegenstand der Qualifizierung als rechtswidrig nur menschliches Verhalten sein kann. 88 Einigkeit besteht auch noch insofern, als menschliches Verhalten nur dann rechtswidng sein kann, 10 Schwitanski
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3. Kap.: Der Regelungsgehalt des § 823 Abs. 1
wenn es im Widerspruch zur Rechtsordnung steht. 89 Die Geister scheiden sich aber gründlich bei der weiteren Frage, wie bestimmt werden kann, ob menschliches Verhalten im Widerspruch zur Rechtsordnung steht. Wird heute auch die Erfolgsunrechtslehre klassischer Prägung überwiegend nicht mehr vertreten, so stehen sich doch bei den verhaltensorientierten Lehren mit der Lehre vom Verhaltensunrecht und der Lehre von der Erheblichkeit der Eingriffsqualität zwei durchaus verschiedene Rechtswidrigkeitskonzepte im Rahmen des § 823 Abs. 1 gegenüber.
A. Darstellung der Lehre vom Verbaltensunrecbt und ihrer Kritik Das von der Literatur auch für das Zivilrecht entwickelte rein verhaltensbezogene Rechtswidrigkeitsverständnis 90 hatte und hat seine Wurzeln - je nach Autor verschieden - in der finalen Handlungslehre, der mit dem Merkmal der Finalität, der Steuerbarkeit, ein "personaler Unrechtsbegriff' entspricht,91 in der Imperativentheorie sowie in der Lehre von der Bestimmungsnorm. Seine Anhänger sehen den einzig möglichen Ansatz für das Rechtswidrigkeitsurteil nicht im Ergebnis des Verhaltens, sondern im Vollzug der Handlung. Bei der Vorsatztat soll dies die verbotene Ansteuerung eines Ziels, bei der Fahrlässigkeitstat die Sorgfaltsgebote verletzende Fehlsteuerung des Willens sein. Rechtswidrigkeit ist danach zu definieren als die Beeinträchtigung rechtlich anerkannter Interessen durch gebots- oder verbotswidrige Handlungen, d. h. verhaltenspflichtwidrige Handlungen. Die Rechtsordnung könne ein Verhalten nicht wegen des Erfolgs rückwirkend verbieten. Es sei ihr nur möglich, Verhaltensprogramme festzulegen, deren Gebote und Verbote von vornherein erkennbar und situationsgebunden zu erfüllen seien. Zur Vermeidung des Verletzungserfolgs könne sie, wolle sie nicht konkret bezeichnetes Verhalten verbieten, nur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt iSd. § 276 Abs. 2 S. 2 gebieten. Wer sich nach den durch die Situation beeinflußten Sorgfaltsmaßstäben der Verkehrsgruppe, der er angehöre, richte, handele nicht rechtswidrig, auch wenn sein Verhalten für die Verletzung ursächlich werde. Der Schutzanspruch der Schutzgüter des § 823 Abs. 1 sei durch das Verhaltensprogramm und die ihm innewohnende rechtliche Wertung nach Eignung, Können und beteiligten 88 Deutsch, HaftungsR. I S. 203; Gotzler, Rechtmäßiges Alternativverhalten im haftungsbegründenden Zurechnungszusammenhang, 1977, S. 206. 89 Deutsch, HaftungsR. I, S. 190. 90 Nipperdey NJW 1957, 1777; NipperdeyjSäcker NJW 1967, 1985, 1991; EnneccerusjNipperdey, S. 1287 f.; Münzberg, Verhalten und Erfolg als Grundlagen der Rechtswidrigkeit und der Haftung, 1966; MertensjReeb JuS 1971, 525 tT., 586 ff.; EsserjSchmidt, SchuldR. I, S. 357 ff.; EsserjWeyers, SchuldR. 11, S. 471 ff.; Gotzier, S. 209; Kötz, Deliktsrecht, S. 54 ff.; StaudingerjLöwisch § 276 Rz. 5ff.; Rödig, Erfüllung des Tatbestandes des § 823 Abs. 1 BGB durch Schutzgesetzverstoß, 1973, S. 53; Sourlas, Adäquanztheorie und Normzwecklehre bei der Begründung der Haftung nach § 823 Abs.1 BGB, 1974, S. 141 ff. 91 Vgl. Gotzler, S. 207.
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Interessen von vornherein begrenzt. 92 Die Rechtswidrigkeit wird von dieser Lehre verstanden als die Frustrierung der Bestimmung zu sach- oder normgemäßem Verhalten. 93 Danach ist die Prüfung der Einhaltung der verkehrserforderlichen Sorgfalt, die für das erfolgsbezogene Unrechtskonzept insgesamt Teil der auf der Verschuldensebene angesiedelten Fahrlässigkeitsprüfung ist, bereits weitgehend auf der Rechtswidrigkeitsstufe angesiedelt. 94 An diesem Punkt setzte die Kritik an der Lehre vom Verhaltensunrecht an. Diese nähere entgegen dem klaren Gesetzeswortlaut die Rechtswidrigkeit der Fahrlässigkeit an. 9S Daher sei sie gezwungen, einen unterschiedlichen Rechtswidrigkeitsbegrifffür den defensiven und den repressiven Rechtsgüterschutz zu entwickeln. Ansonsten würde diese neue Lehre in Kauf nehmen, daß ein Eingriff in ein Rechtsgut als nicht notwehrfähig hinzunehmen sei, sofern nur das Verhalten als verkehrsrichtig angesehen werden könne. 96 Auch sei diese Ansicht nicht in der Lage, das subjektiv absolute Recht zu erklären. Die Umdeutung des absoluten Rechts "Eigentum" z. B. zu einem Reflexzentrum von Verboten und Geboten harmoniere nicht mit der positiven Funktion des § 903, wirke gegenüber dem System des Eigentumsschutzes gezwungen und widerspreche dem Sinn des subjektiv absoluten Rechts, dem Rechtssubjekt einen Rechtskreis zur Alleinverantwortung zuzuweisen und es dadurch als Person zu bestätigen. 97
B. Die Lehre von der Erheblichkeit der Eingriffsqualität und ihre Kritik Getragen von der Erkenntnis, daß danach beide Unrechtslehren - die alte wie die neue - dem Anschein nach mit Wertungswidersprüchen in ihrem jeweiligen Konzept versehen sind, die die erstrebte Einheitlichkeit der Rechts92 So die knappe, aber treffende Darstellung dieser Lehre bei RGRK-Steffen § 823 Rz.108. 93 So Deutsch, HaftungsR. I, S. 203. 94 Wobei hier zahlreiche Einordnungsvarianten zu beobachten sind: Manche Vertreter dieser Lehre wollen zwischen objektiven Verkehrspflichten und nach der Erkennbarkeit bestimmten Verkehrspflichten unterscheiden. Andere wollen die Rechtspflicht nach dem "diligentissimus" ermitteln, um für die Verschuldensebene den Maßstab des Verkehrserforderlichen frei zu haben (vgl. dazu Gotzler, S.209 Fn.50/51 m. N.). Wieder andere wollen den objektiven Fahrlässigkeitsbegriff als Schuldform aufgeben und auf der Rechtswidrigkeitsstufe ansiedeln, fordern als Schuldform dann aber subjektiv/individuelle Fahrlässigkeit (siehe nur Nipperdey NJW 1957, 1777, 1780ff.). 9S von Bar, Verkehrspflichten, S. 152. 96 Larenz, SchuldR. 11, S. 608 f.; siehe auch Buchner/Roth, SchuldR. III, Unerlaubte Handlungen, S. 35; Fikentscher, SchuldR., S. 253; ablehnend auch: Erman/Drees § 823 Rz.46; Jauernig/Teichmann § 823 Anm. IV 1; Palandt/Thomas § 823 Anm. 7 A; Soergel/R. Schmidt § 276 Rz. 19 ff.; MK-Hanau § 276 Rz. 29 ff.; kritisch dazu: Gotzler, S. 210 f. 97 Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, 1963, S. 237 ff.; ders.; -, HaftungsR. I, S. 203 f.; zu weiteren Einwänden gegen die Lehre vom Verhaltensunrecht siehe nur Gotzler, S. 212 f. m. w. N.
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widrigkeitsbestimmungjeweils wieder in Frage stellen, hat sich noch eine dritte, vermittelnde Rechtswidrigkeitslehre entwickelt. Diese sog. Lehre von der Erheblichkeit der Eingriffsqualität 98 enthält sowohl Elemente des Erfolgs- wie auch des Handlungsunrechts. 99 Nach ihr erlaubt die tatbestandsmäßige Rechtsverletzung die Feststellung der Rechtswidrigkeit für vorsätzliches und solches fahrlässiges Handeln, das den Verletzungstatbestand "unmittelbar", d. h. insbesondere nicht erst über von dritter Seite hinzutretende Bedingungen verwirklicht. Demgegenüber soll das Verletzt-Sein des Schutzguts nicht ohne weiteres das Rechtswidrigkeitsurteil für im Hinblick auf das Verletzt-Sein mittelbare Tatbeiträge in der Geschehenskette tragen. Insoweit soll die Rechtswidrigkeit erst nach einer Prüfung der Sorgfaltswidrigkeit dieses mittelbar rechtsverletzenden Verhaltens bejaht werden können. 1OO Wo allerdings genau die Grenze zwischen solchen mittelbaren und unmittelbaren Verletzungshandlungen gezogen werden soll, wird von den Vertretern dieser differenzierenden Lehre trotz des einheitlichen Ansatzes nicht mehr einheitlich beantwortet. Mittelbar sollen Verletzungshandlungen sein, die nicht auf die Ausübung von Befugnissen abzielen, die durch ein Herrschaftsrecht einem anderen ausschließlich zugewiesen sind,IOI für die das Verletzt-Sein nicht mehr im Rahmen der Handlung liegt,I02 die bei objektiver natürlicher Wertung nicht unabtrennbarer Bestandteil des Eingriffs sind, sondern erst durch das Dazwischentreten weiterer, vom Täter nicht beherrschter Ereignisse zustande kommen,103 die nicht im Kernbereich des ungeschriebenen Gebots liegen, sich so zu verhalten, daß die Rechte und Rechtsgüter nicht verletzt werden. 104Auch diese Lehre ist wiederum kritisiert worden. Sie hätte ebenfalls keinen einheitlichen Begriff der Rechtswidrigkeit. Vielmehr würde sie bereits im Deliktsrecht selber differenzieren und nicht erst zwischen repressivem und So die Bezeichnung bei RGRK-StefTen § 823 Rz. 109. Eingeleitet wurde diese Entwicklung durch von Caemmerer, DJT-Festschrift II (1960) S.49, 75 fT.; - ders. -, Karlsruher Forum (1961) S. 19 fT. Grundlegend waren ferner: Larenz, Festschrift f. Dölle I (1963) S. 169; Stoll AcP 162 (1963) S.203 sowie Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 210 fT. Diese AufTassung gewinnt heute im Zivilrecht mehr und mehr an Boden: siehe nur Huber, Festschrift f. E. R. Huber (1973) S. 253, 274 fT.; Medicus, Bürgerliches Recht, Rz. 630, 643 fT.; - ders. - in StudK-BGB § 823 Anm. II 2; von Bar, Verkehrspflichten, S.154fT.; - ders. - , BJM-Gutachten, S.1681, 1702f.; Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, 1979, S. 433 fT. Siehe darüber hinaus noch Larenz, SchuldR. Ir, S. 609 fT.; Deutsch, HaftungsR. I, S. 196 fT.; MK-Mertens § 823 Rz. 1 fT., 21 fT.; MKHanau § 276 Rz. 32; Soergel/Zeuner § 823 Rz. 8 f. 100 Siehe dazu im einzelnen die Nachweise in Fn. 99. 101 von Caemmerer, Karlsruher Forum (1961) S. 19 fT. 102 Larenz, Festschrift f. Dölle I (1963) S. 169, 187; zustimmend von Bar, Verkehrspflichten, S.156; - ders. -, BJM-Gutachten, S. 1681, 1703; Marburger, Regeln der Technik, S. 435. 103 Stoll AcP 162 (1963) S. 203, 226. 104 Deutsch, HaftungsR. I, S. 190, 209. 98
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defensivem Güterschutz bzw. zwischen positivem Tun und Unterlassen. lOS Die Unterscheidung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Eingriffen sei nicht praktizierbar und entbehre der inneren Rechtfertigung. 106 Die Unrechtsfeststellung werde willkürlich in verschiedene selbständige und unzusammenhängende Teilbereiche aufgespalten, ohne daß dies überzeugend begründet würde. Der Begriff der Unmittelbarkeit stoße auf erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten, da die Trennungslinie zu den mittelbaren Eingriffen derart verwischt werde, daß eine klare Entscheidung nicht mehr möglich sei. 107 Diese Lehre sei lediglich eine komplizierende dogmatische Hilfskonstruktion, die ohne triftigen Grund die prinzipielle Strukturgleichheit der Rechtswidrigkeitsprüfung für vorsätzliche und fahrlässige Delikte, für Begehungs- und Unterlassungstaten aufgebe. Letztlich verberge sich hinter dem Begriff der Unmittelbarkeit rechtsdogmatisch auch nur eine positive Rechtswidrigkeitsprüfung. 108
C. Der Ansatzpunkt der weiteren Betrachtung: Die mittelbaren Eingriffe als "gemeinsamer Nenner" Erinnern wir uns an die gestellte Aufgabe, mit Hilfe der Rechtswidrigkeitsdiskussion Kriterien für eine präzise Umschreibung des Regelungsgehalts des § 823 Abs. 1 zu gewinnen, so zwingen uns nunmehr die unterschiedlichen Standpunkte im Hinblick auf eine verhaltensorientierte Rechtswidrigkeitsbestimmung zugleich zu einer Stellungnahme zu diesen unterschiedlichen Theorien. Dabei soll versucht werden, diese Stellungnahme gerade mit bzw. aus der Bestimmung des Anwendungsbereichs des § 823 Abs. 1 heraus vorzunehmen. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang, daß die reine Lehre vom Erfolgsunrecht heute mehrheitlich nicht mehr vertreten wird und die Differenzierung zwischen mittelbaren und unmittelbaren Eingriffen bei der Lehre von der Erheblichkeit der Eingriffsqualität dazu geführt hat, daß die weitaus überwiegende Meinung bei den mittelbaren Eingriffen, gleichgültig welchem der beiden Rechtswidrigkeitskonzepte man jeweils anhängt, einem verhaltensorientierten Rechtswidrigkeitsverständnis folgt. Dies legt es nahe, die weitere Betrachtung an den iSd. Lehre von der Erheblichkeit der Eingriffsqualität mittelbaren Eingriffen anzusetzen, gleichsam als dem kleinsten gemeinsamen Nenner der heute vertretenen Meinungen. Hier gilt es, die Gründe aufzudecken, die für die verhaltensorientierte Erfassung dieser Eingriffshandlungen sprechen. Sodann kann die Frage gestellt werden, ob und aus welchen Gründen die DifferenzieMünzberg, S. 334 f.; Gotzler, S. 211. Reinhardt JZ 1961, 713, 718. 107 Münzberg, S. 335; siehe auch Preusche, S. 52 f.; Fraenkel, S. 225 f. . 108 Nipperdey NJW 1967,1985,1990 f.; ablehnend auch Teile derneueren Kommentarliteratur, wobei hier aber vielfach die Lehre vom Verhaltensunrecht und die Lehre von der Erheblichkeit .der Eingriffsqualität undifferenziert gleichbehandelt werden: siehe nur JauernigjTeichmann § 823 Anm. IV 1; PalandtjThomas § 823 Anm. 7 A. lOS
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rung gegenüber den unmittelbaren Eingriffen oder die Gleichbehandlung beider Eingriffsarten, der reinen Verhaltensunrechtslehre folgend, gerechtfertigt ist. 1. Der Unterscbied zwischen der erstmaligen Abgrenzung mittelbarer von unmittelbaren Eingriffen durch von Caemmerer und allen späteren Versuchen
Betrachtet man aus diesem Blickwinkel die zuletzt genannte differenzierende Lehre näher, so fällt auf, daß gerade von Caemmerer, der als erster auf die Unterscheidung unmittelbarer von mittelbaren Eingriffshandlungen aufmerksam machte, sich bei der von ihm entwickelten Abgrenzung von späteren gleichgerichteten Ansätzen in einem Punkt grundlegend unterschied: Für ihn war der Bereich unmittelbar rechtswidriger Handlungen eng begrenzt auf die sog. Herrschaftsrechte und sollte auch dort allein auf Handlungen beschränkt sein, die auf die Verwendung des vom Herrschaftsrecht erfaßten Gutes abzielten. 109 Der gesamte Bereich der reinen Verletzungshandlungen (z. B. Sachbeschädigung, Körperverletzung) sollte dagegen dem Rechtswidrigkeitsurteil nur unterfallen, wenn der Handelnde gegen die objektiv gebotene Sorgfalt verstoßen hatte. uo Auf diese Weise war von Caemmerer eine scharfe Trennung unmittelbarer von mittelbaren Eingriffshandlungen möglich. Eben diese Trennungslinie zwischen mittelbaren und unmittelbaren Verletzungshandlungen hat in der Folgezeit bei Befürwortern wie Gegnern der differenzierenden Lehre immer nur Kritik hervorgerufen. Die Befürworter zogen bzw. ziehen die Trennung mittelbarer von unmittelbaren Eingriffshandlungen anders als von Caemmerer nicht zwischen Verwendungs- und Verletzungshandlungen, sondern durch den Bereich der reinen Verletzungshandlungen im Sinne von Beschädigungs- und Zerstörungshandlungen. Sie wollen auch hier unmittelbare Verletzungshandlungen annehmen (was ihnen prompt den Vorwurf eingebracht hat, sie verwischten eine klare Grenzziehung). 111 So meinte Larenz, daß es keinen Unterschied ausmachen kann, ob man an oder mit einem Gut eine Handlung vornimmt, die dem Berechtigten vorbehalten ist, oder ob man zerstörend in das Gut eingreift. 112 Und Stoll hielt von Caemmerer vor, daß man seine Differenzierung wohl nur durch das Hereinspielen bereicherungsrechtlicher Vorstellungen erklären kann. Dem Problem der Unrechtsabgrenzung sei mit bereicherungsrechtlichen Kategorien aber nicht beizukommen. Das Recht auf Leben und körperliche U nversehrtheit gewähre im gleichen Maß wie 109 von Caemmerer, Karlsruher Forum (1961) S. 19 f., wobei mit solchen Verwendungshandlungen diejenigen Handlungen gemeint waren, die kraft des Zuweisungsgehalts des Herrschaftsrechts allein dem Berechtigten vorbehalten waren, wie dies beim Sacheigentum etwa der Gebrauch, die Nutzung, der Verbrauch der Sache sowie die Verfügung über dieselbe sind. 110 von Caemmerer, Karlsruher Forum (1961) S. 20 f. 111 Siehe oben 3. Kap., 11 B. 112 Larenz, Festschrift f. Dölle I (1963) S. 169, 185.
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das Eigentum und jedes andere Herrschaftsrecht die Befugnis, Einwirkungen auf die geschützte räumlich-körperliche Sphäre auszuschließen. Allein hierauf komme es deliktsrechtlich an, nicht auf den vermögensrechtlichen Zuweisungsgehalt. So sei auch die Beschädigung oder Zerstörung einer Sache sicherlich die Ausübung einer dem Eigentümer vorbehaltenen Befugnis. 113 Aber selbst StolI, der ebenso wie von Caemmerer die Rechtswidrigkeit aus dem Schutzbereich der absoluten Rechte ableiten will, läßt diese dem Eigentümer vorbehaltene Befugnis allein im Hinblick auf unmittelbare Beschädigungshandlungen das Rechtswidrigkeitsurteil tragen. Dies soll dagegen nicht bei mittelbaren Eingriffen gelten, obgleich die Zuweisung dieser Befugnis an den Eigentümer nach seinem eigenen Ansatz gleichfalls eine unbeschränkte ist. 114 Ferner sollen nach allen Auffassungen Eingriffshandlungen dann schlechthin rechtswidrig sein, wenn sie vorsätzlich erfolgen; ohne daß erläutert würde, wieso es bei solchen vorsätzlichen Eingriffen nicht mehr auf die Umschreibung des Schutzbereichs des absoluten Rechts ankommen soll. 115 Bei diesem Streitstand drängt sich die Frage auf, wo der innere Grund für die Differenzierung zwischen mittelbaren und unmittelbaren Eingriffen liegen könnte bzw. ob es einen solchen überhaupt gibt. 2. Suche nach einem inneren Grund für die Unterscheidung zwischen mittelbaren und unmittelbaren Eingriffen
Die differenzierenden Lehren werden im wesentlichen von drei in der Sache miteinander verbundenen Begründungsansätzen getragen: dem Abstellen auf einen natürlichen Handlungsbegriff, 116 der Auslegung der Widerrechtlichkeit aus dem Schutzbereich der absoluten Rechte 117 und dem Versuch, den Rechtswidrigkeitsbegriff des repressiven Schutzes mit dem des defensiven Schutzes zu harmonisieren. 118 a) Das Abstellen auf einen natürlichen Handlungsbegriff
Klopft man diese Begründungsansätze auf ihre Tragfähigkeit ab, so kann man das Abstellen auf einen natürlichen Handlungsbegriff als wenig brauchbar aus Stoll AcP 162 (1963) S. 203, 226 f.; siehe auch Münzberg, S. 337 f. Stoll AcP 162 (1963) S. 203, 226. 115 So auch von Caemmerer, Karlsruher Forum (1961) S. 19. 116 So besonders deutlich Stoll AcP 162 (1963) S. 203, 208 und Larenz, Festschrift f. Dölle I (1963) S. 169, 182 f., der ausführt, daß die Anschauungen des Lebens und die Verkehrswertung mit einem Handlungsbegriff rechnen, der weiter ist als der der finalen, aber enger als der der kausalen Handlungslehre. 117 Siehe nur StollAcP 162 (1963) S. 203,211 und Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 213 ff.;ders. -, HaftungsR. I, S. 196 ff. 118 Siehe nur Larenz, Festschrift f. Dölle I (1963) S. 169, 195 und Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 221 ff.; - ders. -, HaftungsR. I, S. 206 f.; von Bar, Verkehrspflichten, S. 156. 113
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3. Kap.: Der Regelungsgehalt des § 823 Abs. 1
der weiteren Betrachtung ausscheiden, ohne nunmehr aber in eine Diskussion der Handlungslehren einzusteigen. Berücksichtigt man, daß der Gesetzgeber einen objektiven Maßstab für die Rechtswidrigkeit im Deliktsrecht vorgeben wollte, vermag die Berufung auf die Anschauungen des Lebens und die Verkehrswertung 1l9 die Suche nach überzeugenden und systemgerechten Begründungszusammenhängen kaum zu erleichtern, geschweige denn zu tragen. 120 Letzteres sollte wohl auch nicht der Zweck des Abstellens auf einen natürlichen Handlungsbegriff sein. Vielmehr sollte dadurch allein die Suche nach einer Rechtswidrigkeitsbestimmung von der Diskussion um den Handlungsbegriff entlastet werden. 121 Dies machte den Weg frei für das Abstellen auf den Schutzbereich des absoluten Rechts und zugleich für die Harmonisierung der Rechtswidrigkeitsbegriffe des defensiven und des repressiven Schutzes. b) Das Abstellen auf den Schutzbereich der in § 823 Abs. 1 benannten Rechte
Erfolgsversprechender im Hinblick auf das Auffinden eines inneren Grundes für die Differenzierung zwischen mittelbaren und unmittelbaren Eingriffshandlungen erscheint da auf den ersten Blick das Abstellen auf den Schutzbereich der in § 823 Abs. 1 benannten Rechte, wie etwa das Eigentum. Jedoch hatte sich bereits oben angedeutet, daß das absolute Recht allein die Differenzierung zwischen mittelbaren und unmittelbaren Eingriffshandlungen nicht zu erklären vermag. 3. Gegenüberstellung mittelbarer und unmittelbarer Verletzungshandlungen
Um Klarheit zu gewinnen, sollen an dieser Stelle zwei Fälle gegenübergestellt werden, die nach allen Auffassungen unzweifelhaft unmittelbare bzw. mittelbare Eingriffshandlungen darstellen. Ein Vergleich dieser beiden Fälle vermag möglicherweise den inneren Grund für die Differenzierung aufzudecken. Nach allen Auffassungen zweifellos rechtswidrig, weil unmittelbar rechtsverletzend, ist die Vornahme einer dem Eigentümer vorbehaltenen Verwendungshandlung durch einen Nichtberechtigten, z. B. die tatsächliche Benutzung einer Sache bzw. die rechtliche Verfügung über eine Sache. Zweifellos nicht per se rechtswidrig, weil mittelbar rechtsverletzend, ist die durch Zwischenursachen vermittelte Zerstörung einer Sache. Worin, so ist zu fragen, unterscheiden sich diese Handlungen im Hinblick auf das subjektive Recht Eigentum als Schutzgut des § 823 Abs. 1. Stoll weist die Verfügung über das Eigentum als rechtsgeschäftlich-finale Handlung aus. Solche Handlungen zielten auf die Herbeiführung eines rechtsgeschäftlichen Erfolgs ab. Falls ein Nichtberechtigter wirksam verfüge, so sei die 119 120 121
Larenz, Festschrift f. Dölle I, S. 169, 183. So auch Grunsky AcP 182 (1982) S. 453,466 f. Besonders deutlich bei Stoll AcP 162 (1963) S. 203, 212 u. 228.
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Verfügung schlechthin rechtswidrig, weil dies nach dem in den Eigentumsbestimmungen zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers Unrecht sei. 122 Und von Caemmerer meint, die Rechtswidrigkeit sei bei einer solchen Handlung unmittelbar evident, da diese kraft des Zuweisungsgehalts des Eigentums allein dem Eigentümer vorbehalten sei. 123 Beide Autoren sind folglich einig darin, daß die Verfügung über das Eigentum eine unmittelbare Verletzungshandlung ist, weil sie kraft des Eigentumsrechts nur vom Eigentümer vorgenommen werden darf. Dies legt den Schluß nahe, daß umgekehrt mittelbare Verletzungshandlungen, wie die Beschädigung einer Sache, deshalb nicht schlechthin rechtswidrig sind, weil es an der ausschließlichen Zuweisung an den Eigentümer fehlt. Eine solche Argumentation findet sich aber nicht. Stoll hätte so schon deshalb nicht argumentieren können, weil er von Caemmerer gerade vorgehalten hatte, daß auch die Beschädigung und Zerstörung einer Sache eine dem Eigentümer vorbehaltene Befugnis ist. 124 Stattdessen beruft er sich auf die Differenzierung beim negatorischen Schutz des räumlich-körperlichen Herrschaftsbereichs des Eigentümers - die Abgrenzung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Verletzungen müsse die gleiche sein -, womit die Harmonisierung der Rechtswidrigkeitsbegriffe ins Feld geführt wird. Ferner hebt er auf das objektive Erscheinungsbild des rechtsbeeinträchtigenden Erfolgs als natürlicher, nicht abzutrennender Bestandteil der Handlung des Täters ab,125 womit Bezug genommen wird auf die Anschauungen des Lebens und die Verkehrswertung, die bereits oben als wenig aussagekräftig erkannt wurden. Von Caemmerer beruft sich darauf, daß verständigerweise nicht angenommen werden kann, daß jede Handlung verboten gewesen sein soll, die in der Verknüpfung von Ursache und Folge zur Verletzung des Eigentums oder sonstiger Rechte anderer geführt hat, womit auch wieder mehr auf einen beobachtend gewonnenen Aspekt abgestellt wird. 126 4. Der Versuch Löwischs, die dogmatischen Grundlagen dieser Unterscheidung aufzudecken
a) Darstellung des von Löwisch entwickelten Gedankengangs
Anknüpfend an die die Existenz unterschiedlicher Unrechtstypen lediglich aufzeigenden Ausführungen Stolls, hat Löwisch versucht, die dogmatischen Grundlagen dieser Unterscheidung aufzudecken. Einen Ansatzpunkt dafür findet er darin, daß es unter dem Gesichtspunkt der Haftungsbegrenzung ein Stoll AcP 162 (1963) S. 203, 212 u. 218. von Caemmerer, Karlsruher Forum (1961) S. 19. 124 Stoll AcP 162 (1963) S. 203,226. 125 Stoll AcP 162 (1963) S. 203, 226. 126 von Caemmerer, Karlsruher Forum (1961) S. 19, 20. 122
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Gebot vernünftiger Auslegung ist, daß die Unterstellung neuer subjektiver Rechte unter § 823 Abs. 1 solche Beeinträchtigungen eines Rechts aussparen muß, die bloß im Gefolge von Eingriffen in andere Rechte eintreten. 127 Wie man diesem Gebot nachkommen kann, versucht Löwisch in einem ersten Schritt den Motiven zum BGB zu entnehmen. Die deliktsrechtliche Generalklausel in § 704 Abs. 1 E. I habe dem wenigstens insofern Rechnung getragen, als sie Vorsatz und Fahrlässig~eit auf die Schadenszufügung selbst bezogen habe. Dem habe sich § 704 Abs. 2 E. I angeschlossen, nach dem, wer aus Vorsatz oder Fahrlässigkeit durch eine widerrechtliche Handlung das Recht eines anderen verletzt, zum Ersatz des durch die Rechtsverletzung dem anderen entstehenden Schadens verpflichtet sein sollte, "auch wenn die Entstehung eines Schadens nicht vorauszusehen war". Diese über den Rahmen des § 704 Abs. 1 E. I hinausgehende Haftung sei gerechtfertigt gewesen, "durch die unmittelbare Richtung der Handlung gegen das Recht des Beschädigten und dem einem solchen zu gewährenden Schutz". Offenbar hätten die Motive bei den von ihnen in erster Linie ins Auge gefaßten Rechten und Rechtsgütern jede Beeinträchtigung als unmittelbar gegen das Recht gerichtet angesehen. Anders sei der zitierte Satz nicht zu verstehen. 128 Damit stellt sich für Löwisch die grundlegende Frage, worin die unmittelbare Richtung der Handlung gegen das Recht bestehen kann. Könne man diese beantworten, so könnten bei Rechten, bei denen nicht jede Beeinträchtigung zur Anwendung des § 823 Abs. 1 führen könne, diejenigen Handlungen, denen diese Eigenschaft zukomme, von den anderen abgehoben werden. Diese müßten sodann als geeignet angesehen werden können, die Schadensersatzpflicht des Handelnden auszulösen. Die anderen Handlungen, die die Beeinträchtigung eines Rechts nur zur Folge hätten, nicht aber unmittelbar gegen das Recht gerichtet seien, wären dazu nicht im Stande. In den Motiven sei nun das Verständnis der unmittelbaren Richtung der Handlung gegen das Recht offenbar stark am Erfolg der Handlung orientiert. Dieses objektive Verständnis müsse allerdings heute da auf Zweifel stoßen, wo über die Verletzung einer Verkehrspflicht die Haftung für Folgeeingriffe einer in ganz anderer Richtung gehenden Handlung des Schädigers begründet werde. Man gehe wohl nicht fehl in der Annahme, daß die Väter des BGB bei Kenntnis der Entwicklung der Verkehrspflichten, die ja letztlich der schadensersatzrechtliche Ausdruck veränderter Formen menschlichen Zusammenlebens seien, den Satz von der unmittelbaren Richtung der Handlung gegen das Recht nicht in gleicher Weise formuliert hätten. Auch sie hätten mitgemeint, was wir unter der "Richtung" einer Handlung in erster Linie verstünden und gerade dort verrnißten, wo eine Handlung lediglich wegen einer Verletzung einer Verkehrspflicht zurechenbar sei: nämlich den mit der Handlung verfolgten Zweck. 129 127 128
Löwisch, S. 59. Löwisch, S. 59 f.
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Dies sei unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der finalen Handlungslehre auch unmittelbar einleuchtend. Danach liege nichts näher, als dasjenige menschliche Verhalten, dem die Zweckrichtung auf das in Frage stehende geschützte Recht anhafte, zum Ausgangsfall der unerlaubten Handlung iSd. § 823 Abs. 1 zu nehmen. Wer kraft seiner Handlungsfreiheit seinem Handeln selbst die Richtung gegen das Recht eines anderen gebe, müsse die Folgen seiner Handlung selbst verantworten und dem Beeinträchtigten dessen Schaden ersetzen. 130 Die Differenzierung der Eingriffshandlungen nach ihrem Zweckmoment eigne sich auch als Kriterium für die Anwendbarkeit des § 823 Abs. 1. Von Handlungen, die den Zweck einer Beeinträchtigung des Rechts eines anderen an sich trügen, gehe naturgemäß eine viel stärkere Gefährdung dieses Rechts aus. Ihnen vorzubeugen und sie mit den Geschädigten zufriedenstelIenden Sanktionen zu versehen, fordere dessen Interesse viel gebieterischer, als es die Auslösung einer Verursachungskette tue, möge auch die Vorhersehbarkeit der Rechtsbeeinträchtigung (= Fahrlässigkeit) hinzukommen. Umgekehrt lasse sich dem Verkehr zumuten, Sanktionen für Handlungen zu tragen, deren Zweck die Rechtsbeeinträchtigung sei. Denn nach diesem Zweck werde der enge Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen für die Folgen der Rechtsbeeinträchtigung einzustehen sei. Diejenige Handlung, deren Zweck in eine andere Richtung gehe, bleibe sanktionslos, trete als Folge auch die Beeinträchtigung eines Rechts ein. Mit diesem Kriterium passe man den Schutz der verschiedenen subjektiven Rechte deren unterschiedlicher Rechtsmacht an. Eine Handlung richte sich dann gegen ein Recht, wenn sie den Zweck verfolge, den Inhaber in den Befugnissen zu stören, die das Recht ihm gewähre. Diese Befugnisse seien Angriffspunkte, an denen die Handlung von ihrem Zweck her ansetzen müsse. 131 Lasse man in der geschilderten Weise den Zweck der Handlung über die Haftung entscheiden, so seien für die Anwendung des § 823 Abs. 1 die Strukturunterschiede der Rechte nur noch insofern von Bedeutung, als sich nach ihnen die unterschiedliche Rechtsmacht bestimme: Wogegen sich die Handlung ihrem Zweck nach richten könne, hänge allein davon ab, welche Befugnis das Recht gewähre, nicht davon, wie es sie gewähre. 132 Allerdings sei für § 823 Abs. 1 der Satz aufzustellen, daß tatbestandsmäßig in seinem Sinne auch schon Handlungen seien, deren eindeutiger objektiver Sinngehalt in der Richtung gegen das Recht bestehe. Zwar nehme auch im Bereich der unerlaubten Handlung das Gesetz zum regelmäßigen Anknüpfungspunkt seiner Sanktion die subjektive Zielrichtung auf das Recht. Seine innere Rechtfertigung habe dies ebenfalls darin, daß derjenige, der sein Handeln selbst auf eine Beeinträchti129 130 131 132
Löwisch, Löwisch, Löwisch, Löwisch,
S: 60 f. S. 61. S. 66. S. 67.
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3. Kap.: Der Regelungsgehalt des § 823 Abs. 1
gung des Rechts eines anderen lenke, auch selbst die Verantwortung für den angerichteten Schaden zu tragen habe. 133 Für das Abstellen auf den objektiven Sinngehalt sollen jedoch nach Löwisch Gründe der Praktikabilität sprechen. Die Anknüpfung an den objektiven Sinngehalt einer Handlung befreie von der Erforschung des subjektiven Willens des einzelnen, was den Verletzten vor ungerechtfertigten Beweisschwierigkeiten bewahre. Dafür spreche das Interesse des Rechtsinhabers, die - an das Drohen einer subjektiven Eingriffshandlung gebundene - Unterlassungsklage schon gegen solche Handlungen eines potentiellen Verletzers richten zu können, die ihrem objektiven Erscheinungsbild nach gegen sein Recht gerichtet seien, ohne daß es auf den subjektiven Willen des Handelnden ankäme. Und dafür sprächen auch Erwägungen, daß dem Rechtsinhaber ein Schadensersatzanspruch dort kaum zu versagen sei, wo ein nach der Verkehrsauffassung unmittelbar gegen sein Recht gerichteter Eingriff ihn beeinträchtigt habe. Es könne aus seiner Sicht nicht darauf ankommen, ob hinter einer dem objektiven Sinn nach gegen sein Recht gerichteten Handlung auch eine subjektive Zielrichtung stehe. Wo er nicht Schutz gegen jede verursachte Rechtsverletzung erhalten solle, dürfe er ihn jedenfalls gegenüber objektiv gegen sein Recht gerichteten Handlungen erwarten. Interessen des Verletzers, insbesondere an der Bewahrung seiner Handlungsfreiheit, stünden dem nicht im Wege. Auf das Erscheinungsbild der Richtung gegen das Recht abzustellen, bedinge weder ein Überhandnehmen möglicher Unterlassungsklagen noch ein Ausufern von Schadensersatzpflichten. Auch in dieser Gestalt unterschieden sich die gegen ein Recht gerichteten Handlungen scharf von bloß verursachten Rechtsverl~tzungen. 134 Nach Löwisch meint das Gesetz in § 823 Abs. 1 nach aller Abwägung also nicht nur solche Handlungsmuster, in denen die Finalität auf die Rechtsbeeinträchtigung gerichtet ist, sondern auch solche, die ihrem objektiven Sinn nach auf eine solche Rechtsbeeinträchtigung gerichtet erscheinen. 135 Erst ein Überblick über die Tragweite des Satzes vom Schutz gegen subjektiv oder objektiv gegen ein Recht gerichtete Handlungen soll die Grenzziehung und die Ergänzung durch andere Rechtsinstitute ermöglichen. Bei diesem Überblick versage § 823 Abs.1 insofern die Hilfe, als er nicht auf besondere Verhaltensweisen abstelle, sondern die rechtswidrige und vorsätzliche oder fahrlässige "Verletzung" des Rechts eines anderen überhaupt für den Eintritt der Schadensersatzpflicht genügen lasse. Man sei deshalb für die Orientierung darauf angewiesen, selbst die Handlungen zu gruppieren, die subjektiv oder dem objektiven Erscheinungsbild nach die Beeinträchtigung des Rechts eines anderen darstellen. 136 Dies fUhrt Löwisch zu einer Einteilung der Rechtsbeeinträchtigun133 134 135 136
Löwisch, Löwisch, Löwisch, Löwisch,
S. 73. S. 73 f. S. 76. S. 77.
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gen in unbefugte Rechtsausübungen, rein negative Eingriffe in ein Recht und mittelbare Eingriffe. Hinzu tritt als weitere Gruppe die Beeinträchtigung körperlicher Güter. 137 b) Kritik der dogmatischen Absicherung im Sinne Löwischs Dieser Versuch Löwischs, die bislang mehr deskriptiv gewonnene Umschreibung rechtswidriger Verhaltensweisen in der Lehre von der Erheblichkeit der Eingriffsqualität dogmatisch abzusichern, vermag schon in seinem Ansatz, von den Regelungsabsichten der Gesetzesverfasser auf ein finales Moment als Charakteristikum der von § 823 Abs. 1 erfaßten Handlungen zu schließen, nicht zu überzeugen. Das Herausstellen des Handlungszwecks als Kristallisationspunkt der Rechtswidrigkeitsbestimmung wird der Normierungsabsicht der I. Kommission in keiner Weise gerecht. 138 Bereits der Auffassung, daß die Haftung nach § 704 Abs. 2 E. I über den Rahmen des § 704 Abs. 1 E. I hinausgegangen ist, weil sich das Verschulden nicht auf den Schaden, sondern auf die Rechtsverletzung beziehen sollte, muß bei Würdigung der gesamten Materialien zum Deliktsrecht widersprochen werden. Aus diesen ergibt sich, daß die Normierungsabsichten der I. Kommission im Hinblick auf § 704 Abs. 1 und 2 E. I keineswegs so weit auseinanderlagen, daß man bezüglich des Absatzes 2 von einem weitergehenden Haftungsrahmen sprechen kann. Nach Abs. 1 sollte sich das Verschulden zwar auf den Schaden beziehen, es sollte aber nicht notwendig sein, den gesamten Schaden vorauszusehen. Und nach Abs. 2 sollte zwar die Rechtsverletzung und nicht der Schaden Bezugspunkt des Verschuldens sein, zugleich war nach Auffassung der Kommission in der Rechtsverletzung immer bereits ein erster Schaden zu sehen. 139 Insoweit kann hinsichtlich des Verschuldensbezugs kaum mehr als eine Parallele zwischen dem Haftungsrahmen des § 704 Abs. 1 u. 2 E. I festgestellt werden. Aus diesem Grund verkennt Löwisch auch die eigentliche Bedeutung der Aussage in den Motiven, daß sich der veränderte Verschuldensbezug in § 704 Abs. 2 E. I "durch die unmittelbare Richtung der Handlung gegen das Recht des Beschädigten" rechtfertigt. Damit war weder irgendeine Finalität der Handlung allein noch mitgemeint. Vielmehr erklärt sich das Abstellen auf die unmittelbare Richtung der Handlung daraus, daß nach § 704 Abs. 1 E. I jede Verletzung irgendeines Verbotsgesetzes die Handlung haftungsrechtlich relevant werden ließ. Die notwendige Haftungsbegrenzung wurde konsequenterweise nicht durch irgendein Abstellen auf einen persönlichen oder sachlichen Schutzzweck des verletzten Gesetzes erreicht, sondern allein durch den Verschuldensbezug auf den Schaden. Bei Abs. 2 war dagegen eine solche Haftungsbegrenzung im 137 138 139
Löwisch, S. 77 ff. Kritisch insoweit auch Fraenkel, S. 235 f. Siehe oben 2. Kap., IV B 2 in und bei FN. 84.
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Hinblick auf einen subjektiven Schutzbereich bereits durch das Erfordernis der Verletzung eines subjektiven Rechts gegeben. l40 Eine solche rechtsverletzende Handlung war im Gegensatz zur Verbotsgesetze verletzenden Handlung bereits unmittelbar gegen das Recht des Geschädigten gerichtet, weil eben mit dem verletzten subjektiven Recht - anders als mit dem Verbotsgesetz - schon die deliktsrechtlich schutzbedürftige Sphäre des Geschädigten umrissen war. Einer weitergehenden Haftungsbegrenzung durch Veränderung des Verschuldensbezugs bedurfte es nicht. Darin lag auch der entscheidende Grund dafür, daß die 11. Kommission später die Regelung des § 704 Abs. 1 E. I der des § 704 Abs. 2 E. I hinsichtlich des Verschuldensbezugs angleichen konnte, nachdem sie sich dazu entschlossen hatte, nur den Verstoß gegen Schutzgesetze als deliktsrechtlich relevante Handlung zu sanktionieren. Und nur deshalb konnte sie auch sagen, daß die Abgrenzung von Schutzgesetz und subjektivem Recht nicht immer möglich sein werde, 141 ohne wegen dieser Feststellung die entsprechende tatbestandsmäßige Differenzierung aufgeben zu müssen. Entzieht somit schon eine nähere Betrachtung der Entstehungsgeschichte dem Abstellen Löwischs auf Finalitätsgesichtspunkte die selbstgewählte dogmatische Grundlegung, so sei ferner noch darauf hingewiesen, daß Löwisch, unabhängig davon, mit seinem späteren Abstellen auf den objektiven Sinngehalt der Handlung zur Ermittlung ihres Zweckes das eigene Konzept ad absurdum führt. Denn nach seiner eigenen Aussage soll die Scheidung der Handlungen nach solchen Eingriffen, mit denen der Handelnde den Zweck der Beeinträchtigung des Rechts verfolgt, und solchen, denen dieses Zweckmoment fehlt, als Kriterium für die Anwendbarkeit des § 823 Abs. 1 besonders geeignet sein. Es werde sowohl den Interessen des Geschädigten als auch denen des Verkehrs gerecht. Das Interesse des ersteren fordere wegen der stärkeren Gefährdung viel gebieterischer die Sanktionierung von Handlungen, die den Zweck einer Rechtsbeeinträchtigung in sich trügen, als es die bloße Auslösung einer Ursachenkette tue. Umgekehrt werde das Verkehrsinteresse dadurch befriedigt, daß diejenige Handlung, deren Zweck in eine andere Richtung gehe, sanktionslos bleibe, auch wenn als ihre Folge die Beeinträchtigung eines Rechts eintrete. 142 Dieser für eine Zweckbetrachtung sprechende Grund einer gerechten Abwägung der kollidierenden Interessen, der die bloße Verursachungskette von der Haftung ausnehmen soll, wird aber durch die von Löwisch favorisierte objektive Betrachtungsweise wieder aufgehoben. Sowohl aus der Sicht des Handelnden wie des Geschädigten stellt sich eine allein nach dem objektiven Zweck erfaßte Handlung - ohne Rücksicht auf den subjektiv verfolgten Zweck - regelmäßig als nichts anderes dar als die Auslösung einer bloßen Verursachungskette. Dies Siehe oben 2. Kap., IV B 2. Siehe oben 2. Kap., IV D. 142 Löwisch, S. 66; siehe auch die Kritik bei Rödig, S. 46 Fn. 104, wonach das Abstellen auf das Erscheinungsbild das subjektive Recht als Anknüpfungspunkt aufgibt. 140 141
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legt aber den Schluß nahe, daß es im Grunde nicht auf die ZWeCksetzung als entscheidendes dogmatisch abgesichertes Abgrenzungskriterium ankommen kann. Zwar soll es im Grundsatz auf die subjektive Zielrichtung ankommen. Wenn aus Gründen der Praktikabilität dann doch die objektive Zielrichtung bestimmend wird,l43 so spricht dies eher dafür, daß möglicherweise das Abstellen auf die Finalität als solches nicht dem Regelungsgehalt der Vorschrift gerecht wird. Wenn aber in bestimmten Fällen aus Gründen der Haftungsbegrenzung wieder die subjektive Zielrichtung der Handlung entscheidend sein soll, 144 dann zeigt sich, daß hinter dem Abstellen auf den Handlungszweck nicht das mit der Erarbeitung dogmatischer Grundlagen erstrebte einheitliche Konzept stehen kann, das solche Wertungswidersprüche venneiden könnte. Sowohl im Hinblick auf die Widersprüchlichkeit der eigenen Konzeption als auch vor allem wegen der verfehlten Berufung auf die Entstehungsgeschichte des Deliktsrechts muß der Versuch Löwischs einer dogmatischen Grundlegung der Lehre von der Erheblichkeit der Eingriffsqualität als gescheitert angesehen werden. Auch bei ihm bleiben damit als einzige Differenzierungsgründe die Notwendigkeit der Hannonisierung von defensiven und repressiven Schutzvorschriften und das Abstellen auf die Verkehrsauffassung zurück,145 womit sich sein Konzept in seinen Grundlagen in keiner Weise von denen der übrigen Vertreter der Lehre von der Erheblichkeit der Eingriffsqualität unterscheidet 5. Eigener Lösungsansatz: Rechtfertigung der Differenzierung zwischen mittelbaren und unmittelbaren Eingriffen aus der deliktssystematischen Funktion des § 823 Abs. 1
Bevor man sich nun vorschnell mit der Erkenntnis zufriedengibt, daß eben eine andere Grundlegung der Lehre von der Erheblichkeit der Eingriffsqualität nicht möglich erscheint, sollte man sich nochmals den Ansatzpunkt der Überlegungen Löwischs ins Gedächtnis rufen. Der lag nämlich in der Erkenntnis, daß lediglich die Existenz unterschiedlicher Unrechtstypen bislang aufgezeigt worden ist und daß dogmatische Grundlegung not tut. l4(; Diese versuchte er sodann aus den Regelungsabsichten der Gesetzesverfasser zu entwickeln. Wenn dieser Versuch auch daran scheitern mußte, daß Löwisch eine Aussage der .1. Kommission isoliert betrachtet und so zur Grundlage seiner Überlegungen gemacht hat, so ist es doch sein Verdienst, auf die Notwendigkeit einer dogmatischen Grundlegung der Lehre von der Erheblichkeit der Eingriffsqualität hingewiesen und als solche Möglichkeit den Rekurs auf die Regelungsabsichten der Gesetzesverfasser aufgezeigt zu haben. Dies legt die Frage nahe, ob dieser Weg nicht weiterhin gangbar ist, sofern man nur den Fehler der isolierenden Betrachtungsweise Löwischs nicht wiederholt Bevor man sich mit 143 144 145 14(;
Löwisch, S. 73. Löwisch, S. 86 ff. Besonders deutlich: Löwisch, S. 73 f. Löwisch, S. 59.
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3. Kap.: Der Regelungsgehalt des § 823 Abs. 1
einer bloßen deskriptiven Erfassung der Eingriffe nach ihrer Qualität zufriedengibt, sollte man fragen, ob sich nicht auch die differenzierende Behandlung mittelbarer Eingriffe aus der Funktion des § 823 Abs. 1 im Deliktssystem entnehmen läßt.
a) Die deliktssystematische Funktion des subjektiven Rechts in § 823 Abs.l nach der vom Gesetzgeber verfolgten Regelungsabsicht Dazu muß man sich die Erkenntnis ins Gedächtnis rufen, daß das Abstellen auf die subjektiven Rechte in der deliktsrechtlichen Vorschrift des § 823 Abs. 1 nach der vom Gesetzgeber verfolgten Systematisierung des Deliktsrechts eine bestimmte Funktion haben sollte: dem Richter sollte ein objektiver Maßstab zur Entscheidung der Frage vorgegeben werden, wann eine schadensstiftende Handlung eine widerrechtliche und damit haftpflichtige sein sollte. 147 D. h. die Verletzung des subjektiven Rechts wurde als haftungsbegründendes und zugleich haftungsbegrenzendes normatives Merkmal zwischen die "natürlichen" Merkmale Handlung und Schaden geschoben. Mit Hilfe des subjektiven Rechts sollte die Handlung zu bestimmen sein, die einen Schaden im Widerspruch zur Rechtsordnung verursacht hatte, wobei dieser Widerspruch zur Rechtsordnung die Grenze zwischen Handlungsfreiheit und Bestandsschutz markierte.
b) Ansätze zu einem funktionalen Verständnis bei den sog. unmittelbaren Eingriffen Genau dies ist auch der Ansatz von Caemmerers und Stolls l48 zur Begründung der Unmittelbarkeit der Verfügungshandlungen. Die Verfügung über eine Sache ist kraft Eigentumsrecht ausschließlich dem Eigentümer zugewiesen. Verfügt ein Nichtberechtigter über die Sache, so geschieht dies immer im Widerspruch zur Rechtsordnung. Für das Deliktsrecht bedeutet dies, daß ein solches Verhalten, sofern es mindestens fahrlässig geschieht, zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Ebenso stellt sich die Rechtslage im Hinblick auf die tatsächliche Verwendung einer Sache dar. Die Verwendungsbefugnis ist immer allein dem Berechtigten zugewiesen. Jede tatsächliche Verwendung einer Sache durch andere Personen als den Berechtigten steht im Widerspruch zum Eigentumsrecht und damit zur Rechtsordnung. Nun ist durch das Eigentumsrecht dem Berechtigten aber auch - wie Stoll zutreffend hervorgehoben hat l49 - die Befugnis zugewiesen, die Sache zu beschädigen oder zu zerstören. Bedeutet dies nicht zwangsläufig, daß umgekehrt 147 148 149
Siehe oben 2. Kap., V. Siehe oben 3. Kap., 11 C 3. Stoll AcP 162 (1963) S. 203, 226.
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alle anderen von einer Beschädigung oder Zerstörung der Sache ausgeschlossen sind und folglich rechtswidrig handeln, wenn sie gleichwohl eine Sache beschädigen oder zerstören? Jedoch besteht ein erheblicher Unterschied: Die Verfügungs- und Verwendungshandlungen sind Rechtsausübungshandlungen, die als solche inhaltlich außerdeliktsrechtlich umschrieben sind. Sind durch das subjektive Recht Eigentum dem Eigentümer bestimmte Handlungsinhalte zugewiesen, so sind alle übrigen von den derart umschriebenen Handlungen ausgeschlossen. Betrachtet man im Hinblick auf solche Handlungen wieder die Funktion der subjektiven Rechte im Deliktsrecht, so zeigt sich, daß sich hier bereits im wesentlichen allein aus dem Inhalt des subjektiven Rechts die Grenze der Handlungsbefugnisse Dritter bestimmen läßt. Das Eigentumsrecht enthält insoweit eine den Konflikt zwischen Freiheits- und Bestandsschutz vorentscheidende Handlungsumschreibung. c) Die fehlende außerdeliktsrechtliche Handlungsumschreibung bei reinen Verletzungshandlungen
Eben diese inhaltliche Handlungsumschreibung fehlt aber im Hinblick auf die Befugnis, die Sache zu beschädigen oder zu zerstören. Diese Befugnis besagt allein, daß der Eigentümer berechtigt ist, eine Ursache zu setzen mit der Wirkung der Beschädigung der Sache. Kehrt man diese Befugnis in einen Ausschluß aller anderen um, so besagt sie, daß alle anderen keine Ursache setzen dürfen, die eine solche Wirkung hat. Es fehlt an einer den Konflikt vorentscheidenden inhaltlichen Umschreibung der Rechtsausübungshandlung. Die Befugnis des Eigentümers wird allein vom Erfolg her umschrieben. Das wird besonders deutlich, wenn man sich vor Augen führt, was dies im Hinblick auf die Schadensausgleichsfunktion des Deliktsrechts bedeutet. Die Rechtsausübungshandlungen lassen sich deutlich vom Schaden abheben, da sie nicht zwangsläufig mit diesem identisch sind. Wer eine fremde Sache benutzt, muß nicht zwangsläufig einen Schaden verursachen. Wer dagegen eine Sache beschädigt, richtet dadurch bereits immer einen ersten Schaden an. Folglich ist bei der Beschädigung mit der Erfolgsumschreibung der Handlung immer allein ein Schaden umschrieben. 150 Kehrt man die Befugnis des Eigentümers, seine Sache zu beschädigen, ebenfalls in einen Ausschluß aller Nichtberechtigten um, so besagt sie allein, daß alle Nichtberechtigten diesen Erfolg, d. h. einen solchen Schaden, nicht herbeiführen dürfen. Damit sind wir wieder zurückgeworfen auf den bereits eingangs geschilderten Grundkonflikt des Deliktsrechts, diesmal allerdings beschränkt auf die subjektiven Rechte iSd. § 823 Abs. 1, eine Entscheidung zwischen Bestands- und Freiheitsschutz zu treffen. 151 Soll das Rechtswidrigkeitsurteil die Grenze der 150 Dies war ja auch noch die Sichtweise der 1. Kommission, die zwar das Verschulden auf den Schaden bezog, in der Rechtsverletzung aber immer bereits einen ersten Schaden sah: vgl. Mot. 11, S. 728.
11
Schwitanski
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Handlungsfreiheit aufzeigen, so würde dies bei einem Abstellen auf das subjektive Recht bedeuten, daß jede schadensverursachende Handlung die Grenzen der Handlungsfreiheit überschreiten würde und daher rechtswidrig wäre. Und hier kann ebenso wie eingangs die Antwort auf die Frage, ob diese Wertung vertretbar wäre, angesichts des hohen Haftungsrisikos - daran ändert auch die nunmehrige Beschränkung auf die subjektiven Rechte noch nichts, da mit den Lebensgütern, dem Eigentum und den sonstigen Rechten ein hohes Schädigungspotential verbleibt - und der damit verbundenen Gefahr der Beeinträchtigung der allgemeinen Handiungsfreiheit 1S2 nur negativ ausfallen. Auch hier muß daher eine Abwägung vorgenommen werden zwischen dem Interesse am Bestand des vom subjektiven Recht erfaßten Interesses und dem Freiheitsinteresse. 1s3 Fraglich ist, ob sich eine solche Abwägung dem subjektiven Recht selber entnehmen läßt. Dies ist insofern zweifelhaft, als das subjektive Recht seinerseits auf Strukturprinzipien der Rechtsordnung zurückzuführen ist. Die Frage, welche erfolgsverursachenden Handlungen das subjektive Recht verletzen und deshalb rechtswidrig sind, ist aber nichts anderes als die Frage nach der Lösung des dem Deliktsrecht zugrundeliegenden Konflikts. Die Abgrenzung zwischen Bestands- und Freiheitsschutz kann folglich nicht dem subjektiven Recht entnommen werden. Sie muß im Hinblick auf das berührte Ordnungsanliegen aus dem Deliktsrecht selber entwickelt werden. Damit finden sich in der Tat in § 823 Abs. 1 im Hinblick auf die Abwägung zwischen Bestands- und Freiheitsschutz zwei unterschiedliche Maßstäbe: Soweit das subjektive Recht eine Umschreibung der ausschließlich dem Eigentümer zugewiesenen Handlungsbefugnisse enthält, vermag es die Filterfunktion zwischen Schaden und Handlung zu erfüllen. Es umschreibt auch diejenigen Handlungen, die allen anderen verboten sind, inhaltlich umfassend und abschließend. l54 Soweit es dagegen allein um die Beeinträchtigung der vom subjektiven Recht erfaßten Gegenstände oder der Lebensgüter des § 823 Abs. 1 geht, fehlt es an einem weitergehenden Rechtsinhalt, der außerdeliktsrechtlich bestimmt wäre. Dieser ist reduziert auf das Interesse an der Integrität der Gegenstände bzw. der Güter. Eine Handlungsumschreibung ist dem subjektiven Recht nicht zu entnehmen. Es kann in diesem Bereich nicht die vollständige Siehe oben 2. Kap., 1. Siehe oben 2. Kap., 1. 153 Gerade die Vernachlässigung dieses Gesichtspunktes hatte auch zur Überwindung der Lehre vom Erfolgsunrecht geführt. 1~ Siehe auch Kreuzer AcP 184 (1984) S. 81, 85, der allerdings die Notwendigkeit, zwischen Handlungs- und Integritätszuweisung zu differenzieren, nicht berücksichtigt. Eben weil auch solche Handlungszuweisungen die Haftung nach § 823 Abs. 1 begründen können, ist es nicht richtig, diese Vorschrift dahingehend zu charakterisieren, daß das Ge- bzw. Verbot einer Handlung in diese selber aufgenommen worden ist. So aber: von Bar, BJM-Gutachten, S. 1681, 1695. 151
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Filterfunktion erfüllen. Die Beeinträchtigung desselben durch eine erfolgsverursachende Handlung gibt nur insoweit einen objektiven Maßstab vor, als das subjektive Recht seinen Inhaber als den allein Ersatzberechtigten und die Beeinträchtigung und daraus resultierende Folgeschäden als die allein ersatzpflichtigen Schäden ausweist. Im übrigen kommt es darauf an, die Abgrenzung zwischen Bestands- und Freiheitsinteresse und damit die Abgrenzung zwischen verbotenem und erlaubtem Verhalten gerade mit Bezug auf das Ordnungsanliegen des Deliktsrechts eigenständig vorzunehmen. Dabei gilt es, da das berücksichtigungsfahige Bestandsinteresse mit dem subjektiven Recht hinreichend und bis zu seiner äußeren Grenze im Höchstmaß umschrieben ist, festzustellen, inwieweit dessen Schutz im Hinblick auf die Handlungsfreiheit eingegrenzt ist. Es bestätigt sich, daß sich mit Hilfe des subjektiven Rechts allein die Rechtswidrigkeit von Rechtsausübungshandlungen unmittelbar bestimmen läßt. Bei den reinen Verletzungshandlungen bzw. zumindest bei einem Teil derselben muß zur Bestimmung der Rechtswidrigkeit ein weiteres Wertungselement zum subjektiven Recht hinzutreten. d) Zur Frage, woher man das zur Bewertung mittelbarer Eingriffe notwendige weitere Wertungselement gewinnen kann
Die Anhänger der Lehre von der Erheblichkeit der Eingriffsqualität haben, geleitet von der Erkenntnis, daß das Gesetz nach seinem Wortlaut die Rechtswidrigkeit aus der Rechtsverletzung - verstanden als Erfolgsverursachung - ableitet, der rechtsverletzende Erfolg aber offensichtlich nicht jede ursächliche Handlung zur rechtswidrigen werden lassen kann, ISS angenommen, daß ein zusätzliches Rechtswidrigkeitselement - gleichsam lückenfüllend - in das Deliktsrecht aufzunehmen ist. Dieses Element sehen sie darin, daß bei den mittelbaren Verletzungshandlungen zur Bejahung der Rechtswidrigkeit die Feststellung einer objektiven Sorgfaltspflichtverletzung oder, anders ausgedrückt, einer Verkehrspflichtverletzung erforderlich ist. Is6 Die Frage, die sich damit aber sofort aufdrängt, ist die, ob die Annahme einer Regelungslücke nicht voreilig ist. Denn der Gesetzgeber strebte eine umfassende Regelung der Voraussetzungen der Schadensersatzpflicht an und er müßte dennoch mit den Siehe nur von Bar, B1M-Gutachten, S. 1681, 1702. Siehe von Caemmerer, Karlsruher Forum (1961) S. 19, 20 ff., der bei mittelbaren Verletzungshandlungen den Deliktstatbestand erst durch den Verstoß gegen objektive Sorgfaltspflichten begründet sieht, die ihrerseits durch die Herausarbeitung der sog. Verkehrspflichten von der Rspr. lückenfüllend in das Deliktsrecht eingegliedert worden sind. Zu letzterem besonders deutlich auch von Caemmerer, DJT-Festschrift 11 (1960) S. 49, 71ff. Für Stoll ist der Verstoß gegen eine objektive Verkehrspflicht das konstituierende Unrechtselement der mittelbaren Rechtsverletzungen, wobei die Mehrzahl der Verkehrspflichten ihre rechtliche Anerkennung ausschließlich der Rspr. verdankt: AcP 162 (1963) S. 203,229; siehe dazu auch von Bar, Verkehrspflichten, S. 154. 155
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mittelbaren Eingriffshandlungen, insbesondere wenn man mit von Caemmerer darunter jede Verletzungshandlung versteht, eine der wesentlichsten Fallgruppen übersehen haben. Um hier Klarheit zu gewinnen, wollen wir uns nochmals darauf besinnen, weshalb neben dem subjektiven Recht ein zusätzliches Wertungselement zur Bestimmung der Rechtswidrigkeit erforderlich ist. Das subjektive Recht vermag keine Bewertung reiner Verletzungshandlungen vorzugeben, da die Handlungen allein durch den Erfolg, die Verletzung, umschrieben sind, dieser immer bereits einen ersten Schaden darstellt und der Schadensausgleich in unserem Rechtssystem eigenständiges Ordnungsanliegen des Deliktsrechts ist. Es gilt daher, bei den reinen Verletzungshandlungen das zusätzliche Wertungselement aus dem Ordnungsanliegen des Deliktsrechts unter Abwägung des im subjektiven Recht vertypten Bestandsinteresses mit dem Handlungsfreiheitsinteresse zu gewinnen. aa) Die Bedeutung des Fahrlässigkeitserfordernisses Das Freiheitsinteresse hat seine Berücksichtigung bei der Normierung des § 823 Abs. 1 in der Anordnung der Verschuldenshaftung gefunden, die mit dem Erfordernis der Fahrlässigkeit, verstanden als Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, die Minimalanforderungen an eine ausgleichspflichtige schädigende Handlung umschreibt. Es liegt daher nahe, in der Fahrlässigkeit das benötigte zusätzliche Rechtswidrigkeitselement zu sehen. Dies gilt um so mehr, als auch die Entstehungsgeschichte des § 823 Abs. 1 für eine Gleichwertigkeit von subjektivem Recht und Fahrlässigkeit im Deliktsaufbau zu sprechen scheint. Man darf nämlich nicht übersehen, daß die Entstehungsgeschichte der Vorschrift von einer kontinuierlichen Verfeinerung und Aufgliederung der Haftungsvoraussetzungen geprägt worden ist. Die Schaffung der endgültigen Vorschriften des Deliktsrechts beruht auf einem Gesetzgebungsprozeß, in dem die grundlegende und stets beibehaltene Wertung, daß nur für widerrechtliche Handlungen gehaftet wird, unter dem maßgeblichen Gesichtspunkt, einen objektiven Haftungsmaßstab vorzugeben, immer weiter differenziert worden ist. Insofern muß man, will man das Unrechtskonzept des BGB zutreffend erfassen, die Aussagen der 11. Kommission in die Betrachtung einbeziehen. Diese sah in den Vorschriften über die Schadensersatzpflicht aus unerlaubten Handlungen Vorschriften, "welche dazu bestimmt sind, die Rechtskreise der Einzelnen, innerhalb deren diese ihre individuelle Freiheit entfalten und ihre Interessen verfolgen dürfen, voneinander abzugrenzen".1S7 Dieser Rechtskreis wurde einerseits durch die Rechte des einzelnen bestimmt, andererseits durch die Aufstellung des Verschuldensgrundsatzes: "sie sei von entscheidender Bedeutung für die Abgrenzung der Rechtskreise der Einzelnen, innerhalb deren sie ihre Individualität entfalten dürfen. Man brauche bei seinem 157
Vgl. Prot. H, S. 567.
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Thun und Lassen auf die rechtlich geschützten Interessen der Anderen nur insoweit zu achten, als man bei Anwendung ordnungsgemäßer Sorgfalt erkennen müsse, daß dieselben gefährdet werden können. Eine Handlung, deren Gefährlichkeit für einen anderen man ungeachtet einer sorgfältigen Prüfung nicht zu erkennen vermöge, dürfe vorgenommen werden; äußere sie dennoch schädliche Wirkungen auf den Rechtskreis des Anderen, so müsse der Betroffene diese Wirkung wie einen Zufall hinnehmen".158 Ob man schon sagen kann, daß sich daran zeigt, "daß der bürgerlich-liberale Gesetzgeber kein einseitiger Parteigänger der am Erfolg orientierten Unrechtskonzeption gewesen ist", 159 mag hier dahinstehen. Jedenfalls zeigt sich, daß bereits nach der Vorstellung der Gesetzesverfasser eine rechts(gut)gefährdende Handlung nicht schon wegen dieser Gefährlichkeit nicht vorgenommen werden durfte. Bei solchen Handlungen sollte auch die Fahrlässigkeitsprüfung maßgebliches Bewertungselement sein und das von § 823 Abs. 1 in Bezug genommene Recht und die Fahrlässigkeit sollten nach den Intentionen der Gesetzesverfasser der gleichen Abgrenzungsaufgabe dienen. bb) Fahrlässigkeit als Schuldform? Scheint damit auch die Entstehungsgeschichte des § 823 Abs. 1 dafür zu sprechen, die Funktion von subjektivem Recht und Fahrlässigkeit auf der gleichen Ebene im Deliktsaufbau anzusiedeln, so bleibt als letztlich entscheidendes Hindernis die Tatsache bestehen, daß die Fahrlässigkeit nach traditioneller Auffassung und wohl auch derjenigen der Gesetzesverfasser Verschuldenselement ist. Das bei mittelbaren Eingriffen erforderliche zusätzliche Wertungselement ist jedoch ein solches der Rechtswidrigkeitsebene. Zunächst fällt allerdings auf, daß auch bei den Vertretern der Lehre von der Erheblichkeit der Eingriffsqualität die beiden Ebenen nicht so auseinandergehalten werden, daß eine deutliche Trennung möglich ist. Ist bei den mittelbaren Verletzungen die Rechtswidrigkeit des Verhaltens erst in einer objektiven Sorgfaltswidrigkeit zu finden und wird gleichzeitig mit einem objektiven Fahrlässigkeitsmaßstab auf der Verschuldensebene gearbeitet, so scheinen Rechtswidrigkeitsfeststellung und Fahrlässigkeitsprüfung deckungsgleich zu sein. l60 Um gleichwohl der Trennung des Gesetzes von Rechtswidrigkeit und Fahrlässigkeit gerecht zu werden, hat man versucht, den Sorgfaltsmaßstab in eine äußere und eine innere Sorgfalt aufzugliedern. Erstere, sich auf ein äußeres Verhalten beziehende Sorgfalt wurde der Rechtswidrigkeitsebene, letztere, zum äußerlich sorgfältigen Handeln hinzutretende, die innere Einstellung des Vgl. Prot. 11, S. 569. So Hanau, Die Kausalität der Pflichtwidrigkeit, 1971, S. 109, der die zitierte Stelle unzutreffenderweise der 1. Kommission zuschreibt; siehe dazu auch Gotzler, S. 208. 160 So auch Stathopoulos, Festschrift f. Larenz (1983) S. 631, 632 f.; siehe auch die Kritik von Brüggemeier AcP 182 (1982) S. 385, 441. 158 159
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Handelnden meinende Sorgfalt der Verschuldensebene zugewiesen. 16l Diese Differenzierung verkennt aber, daß die Feststellung, ob ein bestimmtes Verhalten objektiven Sorgfaltsanforderungen entspricht, immer an der ebenfalls objektiverfaßten Handlungssituation der Verhaltensperson orientiert sein muß. D. h. jedes äußere Verhalten setzt notwendig ein bestimmtes inneres Verhalten voraus. Wird dieses ebenfalls objektiv ermittelt und hat die Verhaltensperson die solchermaßen an sie gestellten Anforderungen erfüllt, so kann ihr äußeres Verhalten nicht objektiv sorgfaltswidrig sein, da die jeweils erforderliche Sorgfalt immer nur situationsbezogen bestimmt werden kann. Eine Sorgfalt an sich gibt es nicht. 162 Sie kann nur als Beziehung zwischen einem Handlungssubjekt und einem Handlungsobjekt entwickelt werden, die aber ihrerseits immer nur aus der konkreten Handlungssituation zu ermitteln ist. Kann bei einer vorgeblich äußerlich unsorgfältig handelnden Person nicht zugleich auch mangelnde innere Sorgfalt festgestellt werden, ist die äußere Sorgfaltspflicht unzutreffend gebildet worden. Innere und äußere Sorgfalt bilden gemeinsam ein einheitliches Haftungselement, das entweder der Rechtswidrigkeits- oder der Verschuldensebene zuzurechnen ist. l63 Gegen die Zurechnung zur Rechtswidrigkeitsebene ist verschiedentlich die mangelnde Vereinbarkeit mit dem positiven Recht angeführt worden, das zwischen Rechtswidrigkeit und Verschulden unterscheide und daher auch letzteres als Haftungsvoraussetzung erfordere. Bei der Zurechnung der Fahrlässigkeit zur Rechtswidrigkeitsebene verbleibe nichts, was Verschuldensinhalt sein könnte. l64 Um gleichwohl der Erkenntnis der Übereinstimmung von Rechtswidrigkeit im Sinne von Sorgfaltspflichtverletzung und Fahrlässigkeit gerecht zu werden, ist neuerdings die Auffassung vertreten worden, daß sich aus demselben Verhalten (dem fahrlässigen bzw. pflichtwidrigen) zugleich Rechtswidrigkeit und Verschulden ergeben: Daß der Täter die Rechts(gut)verletzung nach den Maßstäben des durchschnittlichen Angehörigen des betreffenden Kreises vorhersehen und vermeiden mußte, bedeute, daß sein Verhalten mit dem Unwerturteil der Rechtswidrigkeit belegt werde. Daß er sie, nach denselben Maßstäben vorhersehen und vermeiden konnte, bedeute, daß sein Verhalten seine persönliche Verantwortlichkeit rechtfertige, daß Verschulden vorliege. 165 Dies ist nun schon logisch nicht mehr nachvollziehbar. Erfüllt ein und dasselbe Verhalten die Voraussetzungen sowohl der Rechtswidrigkeit als auch 161 Siehe Larenz, Festschrift f. Dölle I (1963) S. 169, 189 f.; ders. - , SchuldR. I, S. 266 f.; Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 94 ff.; - ders. -, HaftungsR. I, S. 276 ff.; U. Huber, Festschrift f. E. R. Huber (1973) S. 253, 265; von Bar, Verkehrspflichten, S. 172 ff. 162 Zur Relativität des Fahrlässigkeitsbegriffs siehe nur Deutsch, HaftungsR. I, S. 270 f. sowie EsserfSchmidt, SchuldR. I, S. 369. 163 Wie hier: Stathopoulos, Festschrift f. Larenz (1983) S. 631, S. 634 ff.; siehe auch die Kritik bei Brüggemeier AcP 182 (1982) S. 385, 437 ff. 164 Stathopoulos, Festschrift f. Larenz (1983) S. 631, 636. 165 Stathopoulos, Festschrift f. Larenz (1983) S. 631, 637.
11. Versuch der Entwicklung neuer Bestimmungskriterien
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des Verschuldens, dann sind die Haftungsvoraussetzungen der Rechtswidrigkeit und der Fahrlässigkeit ebenfalls dieselben und dem Versuch, dem positiven Recht mit seiner Unterscheidung zwischen Rechtswidrigkeit und Fahrlässigkeit gerecht zu werden, ist nur ein vordergründiger formaler Erfolg beschieden. Der Sache nach wird nicht unterschieden. Dies wird deutlich an der Unterscheidung zwischen dem, was die Verhaltensperson tun mußte, und dem, was sie tun konnte. Wenn man tun muß, weil man kann,l66 dann sind beide Elemente unauflösbar miteinander verbunden und können so nur Teil einer einheitlichen Haftungsvoraussetzung sein. ce) Die Auswirkungen der Objektivierung des Fahrlässigkeitsbegriffs Damit ist die Frage nach der Zuordnung der Fahrlässigkeit nach wie vor nicht beantwortet. Handelt es sich um ein Rechtswidrigkeits- oder Verschuldenselement? Allerdings zeigt die zuletzt dargestellte Auffassung mit ihrem Versuch, dem positiven Recht mit seiner Unterscheidung zwischen Rechtswidrigkeit und Verschulden treu zu bleiben, daß es diese Unterscheidung des Gesetzes ist, die die Einordnungsprobleme begründet. Eine Lösung erscheint nur möglich, wenn es gelingt, den Gehalt dieser Unterscheidung im positiven Recht aufzudecken. Dem kann man sich zum einen begrifflich nähern, indem man aus der Begriffsverwendung darauf schließt, daß ein bestimmter Regelungsbereich dem jeweiligen Begriffsinhalt vorbehalten bleiben muß. Dies geschieht häufig im Schrifttum, indem aus der Erwähnung der Verschuldensform Fahrlässigkeit darauf geschlossen wird, daß dem Verschuldenselement eine eigenständige Bedeutung verbleiben muß.167 Der Inhalt des Verschuldensgrundsatzes wird darin gesehen, daß ein Verhalten dem Handelnden persönlich zum Vorwurf gereichen muß. Dies setzt voraus, daß er in der gegebenen Situation anders hätte handeln sollen und auch können, daß er sich also unrichtig verhalten hat, obgleich ihm bei der nötigen Sorgfalt oder Aufmerksamkeit oder bei "gutem Willen" möglich gewesen wäre, sich richtig zu verhalten. Die Freiheit im Sinne des Anders-Handeln-Könnens und die trotzdem gezeigte Nichtachtung des Gebots sind die Elemente des Schuldvorwurfs. l68 Im Fahrlässigkeitsbegriff ist das Verschulden nun dahingehend typisierend erfaßt worden, daß schuldhaft handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht läßt. Ist insoweit der Maßstab des geforderten Verhaltens und der verlangte Grad an Sorgfalt nach objektiven Gesichtspunkten zu bestimmen und daher für jedermann der gleiche, so kann ein persönlicher Vorwurf doch nur dem gemacht werden, der selbst in der Lage war, das von ihm Verlangte zu erkennen und sein Verhalten danach einzurichten. l69 Daran fehlt es aber, wenn man mit der h. L. und 166 167
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Stathopoulos, Festschrift f. Larenz (1983) S. 631,637. Siehe nur Larenz, SchuldR. I, S. 267; MK-Hanau § 276 Rz. 27 ff. Siehe statt vieler nur: Larenz, SchuldR. I, S. 255. Larenz, SchuldR. I, S. 263.
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3. Kap.: Der Regelungsgehalt des § 823 Abs. 1
Rechtsprechung im Zivilrecht einen objektivierten Fahrlässigkeitsmaßstab anwendet. Fahrlässig handelt danach bereits derjenige, der die typischen Kenntnisse und Fähigkeiten eines Angehörigen seiner Verkehrsgruppe nicht besitzt oder anwendet, unabhängig davon, ob es ihm in seiner Individualität möglich war. 170 Kann, so ist zu fragen, ein solches Fahrlässigkeitsverständnis noch Ausformung eines Verschuldensgrundsatzes sein. Dagegen scheint zu sprechen, daß hier in das Verschuldensprinzip fremde Elemente objektiver Verantwortung über den objektivierten Fahrlässigkeitsbegriff einfließen. Dem wird der Gedanke entgegengehalten, daß in der Masse der Fälle, in denen der Fahrlässigkeitsvorwurf nach dem objektiven Maßstab begründet sei, er auch im Hinblick auf den individuellen Täter begründet sein werde und es insoweit daher beim Verschuldensgrundsatz verbleibe. In den wenigen Fällen, in denen das nicht der Fall sei, führe die Anwendung des objektiven und typisierten Verschuldensmaßstabs in der Tat zu einer Risikohaftung. Dies sei der Preis, den das Zivilrecht für die grundsätzliche Anerkennung des Verschuldensprinzips zahle. l7l Sieht man aber im Verschulden eine Ausprägung des Prinzips persönlicher Verantwortung, dann kann und muß sich dieses Prinzip dort bewähren, wo der Handelnde aufgrund seiner individuellen Verhältnisse nicht in der Lage ist, den Geboten Folge zu leisten, die die Rechtsordnung an jedermann richtet. 172 Wird nun gerade in einem solchen Fall im Verkehrsinteresse mittels eines objektiven Fahrlässigkeitsmaßstabs die Berücksichtigung individueller Verhältnisse verhindert, so ist das nicht mehr der Preis für die Anerkennung des SchuldprinZips, sondern die Aufgabe desselben zugunsten eines objektiven Haftungsmaßstabs. I ?3 Vom Begriff des Verschuldens her betrachtet, kann die Fahrlässigkeit in der Form, wie sie heute von der h. M. im Zivilrecht verstanden wird, nicht mehr als Verschuldenselement erfaßt werden. I ?4 170 Siehe MK-Hanau § 276 Rz. 84 fT.; Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 132 fT.; ders. -, HaftungsR. I, S. 279 fT.; Ennan/Battes § 276 Rz. 20; RGRK-AlfT § 276 Rz. 19; Staudinger-Löwisch § 276 Rz. 16 fT. jeweils mit weiteren Nachweisen insbes. auch aus der Rspr. 171 Larenz, SchuldR. I, S. 265. 172 Canaris, Festschrift f. Larenz (1983) S.27, 33 spricht davon, daß danach jeder Schädiger das Risiko unterdurchschnittlicher Fähigkeiten bis zur Grenze der Unzurechnungsfähigkeit trägt. 173 Daß die meisten Menschen glücklicherweise über die Fähigkeiten verfügen, die bei der Fahrlässigkeit üblicherweise zugrunde gelegt werden, zeigt nur die Sachgerechtigkeit der zur Ausfüllung des objektivierten Fahrlässigkeitsmaßstabs herangezogenen Kriterien an und bestätigt nicht - wie Canaris, Festschrift f. Larenz (1983) S. 27,33 meint - die geringe Bedeutung einer "bloßen Einschränkung des Verschuidensprinzips". 174 Diese Auswirkung des objektivierten Fahrlässigkeitsmaßstabs übersieht auch Preusche, S. 135 bei seiner DifTerenzierung zwischen dem mit dem" Was" der Verletzungshandlung befaßten objektiven Tatbestand und dem mit dem "Wie" der Verletzungshandlung befaßten - subjektiven - Verschulden. Im Ergebnis wie hier: Nipperdey NJW 1957, 1777, 1779 fT.; von Caemmerer, Karlsruher
H. Versuch der Entwicklung neuer Bestimmungskriterien
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Damit schließt sich der Kreis unserer Betrachtungen wieder. Denn nun ist der Weg frei, die Fahrlässigkeit von ihrer Funktion im Deliktsautbau her zu erfassen und einzuordnen. Danach ist die Fahrlässigkeit, wie sich bereits oben andeutete, das zur Bestimmung widerrechtlichen Verhaltens bei reinen Verletzungshandlungen zusätzlich zum subjektiven Recht benötigte Wertungselement. Die Differenzierung zwischen mittelbaren und unmittelbaren Eingriffen ergibt sich demzufolge im Grundsatz daraus, daß der Gesetzgeber mit der Bezugnahme auf subjektive Rechte in § 823 Abs. 1 dem Richter die Bestimmung widerrechtlichen Verhaltens nur insoweit vorgegeben hat, wie sich daraus unmittelbar die Rechtswidrigkeit sog. Rechtsausübungshandlungen ergibt und erst mittelbar bei reinen Verletzungshandlungen durch Zusammenwirken mit der Fahrlässigkeit als weiterem Wertungselement für die Feststellung der Rechtswidrigkeit des konkreten Verhaltens. e) Auswirkungen der Vorschriften des defensiven Schutzes auf die Grenzziehung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Eingriffen Offen ist noch, wo die Grenze zwischen solchermaßen bestimmten unmittelbaren und mittelbaren Eingriffen verläuft, insbesondere ob die Berücksichtigung der Vorschriften des defensiven Schutzes dazu zwingt, teilweise auch reine Verletzungshandlungen ohne Rücksicht auf die Sorgfalt des Handelnden als rechtswidrig anzusehen. Dieser vielfach geäußerten Auffassung liegt die Erkenntnis zugrunde, daß beim defensiven Schutz schon der unmittelbar bevorstehende Eingriffbzw. die gefährliche Annäherung an das Rechtsgut als rechtswidrig mittels der Unterlassungsklage bzw. durch Notwehr verhindert werden kann. 17s Insoweit scheint es auf irgendeine Sorgfaltswidrigkeit des Handelnden nicht anzukommen. Der umittelbar bevorstehende Eingriff löst bereits die einzig die Rechtswidrigkeit des Verhaltens voraussetzenden Abwehrbefugnisse aus. Folglich scheint es geboten zu sein, solche Eingriffe zu den unmittelbaren Verletzungshandlungen iSd. repressiven Vorschriften zu zählen, bei denen es zur Feststellung der Rechtswidrigkeit auf die Mißachtung irgendwelcher Sorgfaltsanforderungen nicht ankommen kann. 176 Auch dieses Abgrenzungskriterium ist zunächst allein beobachtend gewonnen worden, indem festgestellt wurde, wann bei natürlicher Betrachtungsweise Forum (1961) S. 19, 25 ff., die allerdings die Schuldstufe wieder mit Elementen persönlicher Vorwertbarkeit ausfüllen wollen. Siehe auch EsserjSchmidt, SchuldR. I, S. 368 ff., der konsequenterweise den Begriff der Verschuldenshaftung durch den der Unrechtshaftung ersetzen will. Siehe auch Brüggemeier AcP 182 (1982) S. 385,439 mit Hinweis auf die funktionale Differenz zwischen Strafrecht und Zivilrecht. Siehe ferner Gotzler, S. 213 ff. mit einer Übersicht über den "Stoff", der dennoch für die Verschuldensebene übrig bleibt. 175 Deutsch, HaftungsR. I, S.196f.; von Bar, Verkehrspflichten, S.156. 176 Larenz, Festschrift f. Dölle I (1963) S. 169, 195; Stoll AcP 162 (1963) S. 203, 218 ff.; Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 195 ff., 215 ff.
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3. Kap.: Der Regelungsgehalt des § 823 Abs. 1
offensichtlich die Notwehrbefugnis bzw. der Unterlassungsanspruch einsetzen muß. Zugleich gehen die Anhänger des hier erörterten erweiterten Unmittelbarkeitsbegriffs davon aus, daß sich die Voraussetzungen der Rechtswidrigkeit in § 823 Abs. 1 ebenso wie in den Vorschriften des defensiven Schutzes allein auf den Tatbestand der Rechtsverletzung beziehen. Diese Rechtsverletzung soll dem Inhalt des subjektiven Rechts zu entnehmen sein und folglich soll in beiden Regelungsbereichen die Rechtswidrigkeit im Hinblick auf das erfaßte Verhalten einheitlich zu bestimmen sein. Diese Rechtswidrigkeitsbestimmung erfolgt aus den Vorschriften mit dem engsten Rechtswidrigkeitsbegriff - den defensiven Vorschriften -, um so die Einheitlichkeit des Rechtwidrigkeitsurteils zu wahren. Die Folge ist, daß zwangsläufig die Vorschrift des § 823 Abs. 1 in zwei Tatbestände (unmittelbare und mittelbare Verletzungshandlungen) aufgespalten werden muß, wobei die Grenzlinie durch den Bereich der reinen Verletzungshandlungen verläuft und somit im Grunde auch der Rechtswidrigkeitsbegriff in § 823 Abs. 1 in einen erfolgsorientierten und einen verhaltensorientierten aufgespalten wird. 177 Gestützt zu werden scheint diese Auffassung durch die Aussagen der 11. Kommission, nach denen die Rechtswidrigkeit des Verhaltens einheitliche Folgevoraussetzung sowohl der Selbstverteidigung und Selbsthilfe als auch des Anspruchs auf Schadensersatz zum Ausgleich der aus dem widerrechtlichen Eingriff erwachsenen Nachteile sein sollte. 178 Die Begriffsverwendung im Gesetz sei somit zur Kennzeichnung typischer vergleichbarer Rechtsfolgen erfolgt. Repressive und defensive Schutzvorschriften setzten beide ein außerhalb dieser Normen sich ergebendes bzw. aus der in beiden Vorschriften identischen sachlich-gegenständlichen Umschreibung zu gewinnendes Verhalten voraus. 179 Nun bezog die 11. Kommission ihre Aussage hinsichtlich der unterschiedlichen Folgen rechtswidrigen Verhaltens allein darauf, daß es sich um Mittel des Berechtigten zur Erhaltung seines Rechtskreises handelt. ISO Der Rechtskreis des einzelnen war aber bereits durch den von der I. Kommission vorgeformten Begriff der Widerrechtlichkeit iSd. Deliktsrechts in der dreifachen Form der Verletzung eines Rechts, des Handeins gegen ein Verbotsgesetz und des Handelns gegen die guten Sitten bestimmt. Der Abgrenzung dieser Rechtskreise der einzelnen sollten auch die Vorschriften über die Schadensersatzpflicht aus Siehe die Nachweise in Fn. 176. Vgl. Prot. 11, S. 568. 179 Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 200 fT. meint, wesentliches Erkenntnismittel, daß ein Verhalten der Rechtsordnung widerspreche, sei der Schluß auf die Widerrechtlichkeit aus bestimmten sanktionsbewehrten Vorschriften, wie denen des defensiven und des repressiven Schutzes. Mit Ausnahme des Zeitmoments sei die sachlich-gegenständliche Umschreibung des Verhaltens in den Tatbeständen dieser Vorschriften die gleiche. Bei beiden Normgruppen dürfe daher auf die Rechtswidrigkeit cles tatbestandsmäßigen, nicht besonders gerechtfertigten Verhaltens geschlossen werden. 180 Vgl. Prot. 11, S. 568. 177
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11. Versuch der Entwicklung neuer Bestimmungskriterien
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unerlaubter Handlung dienen und maßgebliches Abgrenzungskriterium sollte insbesondere bei Rechtsverletzungen die Anwendung ordnungsgemäßer Sorgfalt sein. 181 Sind die Rechtskreise der einzelnen auf diese Weise unterschiedlich umschrieben, so muß, bevor das gleichmäßige Einsetzen der Rechtswidrigkeit iSd. Verletzung dieser Rechtskreise als Folgevoraussetzung in den Vorschriften des defensiven und des repressiven Schutzes erfolgen kann, der Inhalt der einzelnen Rechtswidrigkeitsform - hier ist nach der Verletzung eines subjektiven Rechts gefragt - bestimmt werden und nicht umgekehrt der Inhalt derart festgelegt werden, daß ein gleichmäßiges Einsetzen erfolgen kann. Ansonsten müßte nämlich, konsequent zu Ende gedacht, auch die Aufgliederung des Deliktsrechts in die drei Grundtatbestände aufgegeben werden. Auch diese führt dazu, daß der Begriff der Rechtswidrigkeit etwa in § 823 Abs. 1 und § 227 nicht einheitlich ausgefüllt werden kann: so kann die Schutzgesetzverletzung auch einen rechtswidrigen AngriffiSd. Notwehrrechts darstellen, ohne daß dadurch der Rechtswidrigkeitsbegriff des § 823 Abs. 1 ausgefüllt werden könnte. Das gleiche gilt für den Anwendungsbereich des § 826. 182 Der Grund dafür, daß eine solche Abhängigkeit des defensiven Schutzes vom repressiven Schutz zu beachten ist, liegt nun aber darin, daß es in den Tatbeständen des defensiven Schutzes an einer sachlich-gegenständlichen Umschreibung rechtswidriger Verhaltensweisen fehlt. 183 So kommt Notwehr allein bei einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff und die Unterlassungsklage allein wegen einer rechtswidrigen Beeinträchtigung rechtlich geschützter Interessen in Betracht. Wann ein in diesem Sinne einen rechtswidrigen Angriff oder eine Beeinträchtigung darstellendes Verhalten vorliegt, ist dort gerade nicht sachlich-gegenständlich umschrieben. 184 Eine solche Umschreibung findet sich in den Vorschriften über unerlaubte Handlungen, die teilweise wieder auf die übrige Rechtsordnung verweisen - mit den subjektiven Rechten und den Schutzgesetzen -, ergänzend aber auch eigenständige deliktsrechtliche Rechtswidrigkeitskriterien aufstellen - mit der Fahrlässigkeit und der Schädigungshandlung in § 826. Der Inhalt der Widerrechtlichkeit muß folglich aus der Umschreibung in diesen Normen gewonnen werden. Hinsichtlich der Verletzung subjektiver Rechte ist die Umschreibung aus § 823 Abs. 1 zu gewinnen. Danach liegt ein rechtswidriges Verhalten immer, aber auch nur dann vor, wenn subjektive Rechte unter Mißachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt beeinträchtigt werden. Damit erfaßt § 823 Abs. 1 in der Tat einen größeren Kreis von Handlungen - nämlich auch die iSd. erweiterten Unmittelbarkeitslehre mittelbaren Eingriffe - , als der Bereich der defensiven Siehe oben 2. Kap., IV D. Siehe nur Staudinger-Dilcher § 227 Rz.3, wonach nicht nur absolute Rechte, sondemjedes rechtlich geschützte Interesse oder Gut Angriffsobjekt iSd. § 227 sein kann. 183 Siehe dazu auch Münzberg, S. 115 f. 184 Unzutreffend daher Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 204 ff. 181
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3. Kap.: Der Regelungsgehalt des § 823 Abs. 1
Schutzvorschriften abdeckt. Soll jedoch die Widerrechtlichkeit einheitliche Folgevoraussetzung aller Rechtsfolgenormen sein,185 so muß ihr Inhalt zunächst aus der Norm gewonnen werden, die die umfassendste Umschreibung enthält. Dies ist die ausdrücklich auf die Verletzung des subjektiven Rechts abstellende Schadensersatznorm des § 823 Abs.1, die ja auch nach den Vertretern einer erweiterten Unmittelbarkeitslehre mittelbare Verletzungen als rechtswidrige Eingriffshandlungen über den defensiven Schutzbereich hinaus erfaßt. Seinen Grund hat dies darin, wie oben festgestellt wurde, daß bei den reinen Verletzungshandlungen die Deliktsvorschriften mit der Fahrlässigkeit das am Ordnungsanliegen des Deliktsrechts orientierte zusätzliche Wertungselement der Rechtswidrigkeit erst selber vorgeben. 186 Dies ändert natürlich nichts daran, daß der defensive Schutz sachlichgegenständlich nur solche Verhaltensweisen als rechtswidrig erfaßt, die auch von repressiven Schutzvorschriften als solche erfaßt werden. Das liegt aber nicht daran, daß die sachlich-gegenständliche Umschreibung dieser Verhaltensweisen in beiden Vorschriften gleich ist, sondern an der fehlenden Umschreibung in den Vorschriften des defensiven Schutzes und der daher erforderlichen Bezugnahme auf das Deliktsrecht. Erst wenn auf diese Weise die das Rechtswidrigkeitsurteil tragenden Elemente für das Deliktsrecht geklärt worden sind, kann in einem nächsten Schritt geprüft werden, ob andere Rechtsfolgenormen, wie die des defensiven Schutzes, von ihrer Funktion her nur einen bestimmten Ausschnitt aus dem Kreis rechtswidriger Verhaltensweisen erfassen. Wird dagegen umgekehrt von dieser begrenzten Funktion her der Inhalt des Rechtswidrigkeitsurteils für alle Rechtsfolgenormen einheitlich bestimmt, so wird die erstrebte Einheitlichkeit der Rechtsfolgevoraussetzung ,Rechtswidrigkeit' im Grunde wieder aufgegeben, da nunmehr für die Vorschriften mit dem weiteren Funktionsbereich eine zusätzliche Rechtswidrigkeitsfeststellung erforderlich ist. 187 Betrachtet man somit die Vorschriften des defensiven und des repr.essiven Schutzes im Hinblick auf ihre Funktionalität, so stößt man nahezu zwangsläufig auf die zeitliche Verschiebung zwischen dem der Verletzungshandlung nachfolgenden Eingreifen der repressiven Vorschriften und dem der Verletzungshandlung und damit auch dem nachtatlichen Ausgleich vorgelagerten defensiven Schutz. Nun läßt sich natürlich sagen, daß beide Normarten dem gleichen Ordnungsanliegen, Abgrenzung der Rechtskreise der einzelnen, bei lediglich verändertem zeitlichem Bezug dienen. 188 Jedoch darf man nicht übersehen, daß das gleiche Ordnungsanliegen von den verschiedenen Normarten aufgrund des veränderten zeitlichen Bezugs nur durch eine Funktionsverlagerung erreicht 185 186
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Deutsch, HaftungsR. I, S. 207. Siehe oben 3. Kap., 11 C 5 c. Was ja auch dann bei den sog. mittelbaren Eingriffshandlungen erforderlich wurde. Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 204 ff.
II. Versuch der Entwicklung neuer Bestimmungskriterien
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werden kann: Dienen die repressiven Vorschriften durch Restitution der Abgrenzung der Rechtskreise, so tun dies die defensiven Vorschriften durch Prävention. Die Funktionsverlagerung bedingt notwendigerweise eine Verlagerung der von den unterschiedlichen Normen auszugleichenden kollidierenden Interessen und damit auch der Rechtswidrigkeitsbestimmung als Kristallisationspunkt der Interessenabwägung. 189 Diese Verlagerung ist von den repressiven Vorschriften her zu entwickeln,l90 da nur sie eine sachlich-gegenständliche Umschreibung des rechtswidrigen Verhaltens enthalten. § 823 Abs. 1 hat die Kollision zwischen dem Bestandsinteresse des Geschädigten, das vom Gesetz dahingehend vertypt worden ist, daß er Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes verlangen kann, und dem Handlungsfreiheitsinteresse der Verhaltensperson, das auf möglichst umfangreiche Freistellung von Haftungsrisiken geht, zu lösen. 191 Dazu verweist das Gesetz auf die subjektiven Rechte als die rechtlich anerkannten Bestandsinteressen des Geschädigten. Ist hieraus ein bestimmtes Verhalten als allein dem Berechtigten zugewiesenes zu entnehmen, so ist zugleich die Grenze der Handlungsfreiheit aller Nichtberechtigten ausgewiesen, die allein noch durch das dem Fahrlässigkeitserfordernis zu entnehmende, objektiv-typisierend zu bestimmende Erfordernis der Erkennbarkeit der Nichtberechtigung an die Interessenlage beim nachtatlichen Ausgleich angepaßt wird. Soweit es um den Integritätsschutz eines Rechtsguts oder eines von einem subjektiven Recht erfaßten Gegenstands geht, ist die Grenze der Handlungsfreiheit aus dem Erfordernis der Fahrlässigkeit zu entwickeln, wobei sich die Sorgfaltsanforderungen aus der dem Täter objektiv erkennbaren Situation ergeben. Die Zeitverschiebung zwischen repressivem und defensivem Schutz führt zunächst dazu, daß der einem Eingriff immer vorgelagerte defensive Schutz schon mangels tatsächlicher Erkennbarkeit nicht alle - entfernten - Handlungen erfassen kann. 192 Des weiteren führt die Zeitverschiebung beim U nterlassungsanspruch dazu, daß das Handlungsfreiheitsinteresse der potentiellen Verhaltensperson insofern an Gewicht verliert, als hier nicht mehr die Gefahr der Belastung mit übermäßigen Haftungsrisiken droht,193 da ja gerade das haftungsauslösende Ereignis verhindert werden soll. Eine Bestimmung der verkehrserforderlichen Sorgfalt vom Handelnden her ist nicht mehr erforder189 Daß auch hier die Funktionsbestimmtheit des Begriffes ,Rechtswidrigkeit' zum Tragen kommt, hat Gotzler, S. 210 f. hervotgehoben: Dies heißt, daß im Begriffsinhalt, wenn auch verkürzt, die Sinnbeziehung auf das maßgebliche Prinzip zum Ausdruck kommen müsse. Damit unvereinbar sei es, die verschiedenen Ordnungsanliegen des defensiven und des repressiven Güterschutzes "sub specie" Güterschutz zusammenzufassen und auf dieses "Prinzip" einheitlich den Begriff der Rechtswidrigkeit zu beziehen. 190 Umgekehrt entscheidet Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 225 f. 191 Siehe oben 2. Kap., I. 192 So auch Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 229 f. 193 Hierauf hebt auch Gotzler, S. 211 ab.
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3. Kap.: Der Regelungsgehalt des § 823 Abs. 1
lich. Spätestens mit Eingreifen des defensiven Schutzes kann er die Gefahrdung erkennen und sein Handeln gefahrvermeidend bzw. begrenzend einrichten. l94 Dagegen ist es nicht so, daß das Handlungsfreiheitsinteresse gänzlich hinter das Bestandsinteresse zurücktritt. Nicht jedes rechts(gut)gefährdende Verhalten muß grundsätzlich unterlassen werden. Vielmehr gilt auch hier die grundsätzliche Konfliktslösungsrichtlinie des Deliktsrechts, nach der ein Verhalten allein bis zur Grenze der Sorgfaltswidrigkeit im Hinblick auf das gefährdete Recht(sgut) zurückgedrängt werden kann. 195 Diese Sorgfaltsanforderungen werden um so strenger ausfallen, je wahrscheinlicher, ex ante betrachtet, die Gefahrverwirklichung sein wird. Sie können so weit gehen, daß allein ein Unterlassen des intendierten Verhaltens das einzig mögliche sorgfaltige Verhalten im Hinblick auf das gefährdete Recht(sgut) ist. Dabei kommt es zur Bestimmung der erforderlichen Sorgfalt auf das an, was dem zur Entscheidung berufenen Richter erkennbar ist. 196 Diese Situation verändert sich noch mehr, wenn die Notwehr in Rede steht. Hier tritt das Handlungsfreiheitsinteresse nahezu gänzlich hinter dem Bestandsinteresse zurück, da die Verletzungshandlung hier unmittelbar (zeitlich) bevorsteht. Jedoch sind auch dabei die einschränkenden Voraussetzungen des defensiven Güterschutzes zu beachten. Gern. § 227 muß ein gegenwärtiger Angriff vorliegen. Versteht man darunter eine zur Beeinträchtigung eines anderen führende Einwirkung durch aktives Handeln, das so weit gediehen ist, daß die Schädigung unmittelbar bevorsteht,197 so wird auch in diesen Erfordernissen, die bereits im Tatbestand der Vorschrift auf deren Auslesefunktion hinweisen, deutlich, daß Notwehr bei einem "äußerlich" sorgfältigen Verhalten in bezug auf das potentiell gefahrdete Recht(sgut) bei der zwangsläufig erforderlichen ex-ante-Betrachtung kaum in Betracht kommen kann. 19B 194 Siehe dazu Münzberg, S. 423 f., der ebenfalls darauf abhebt, daß der Beklagte spätestens mit Klagezustellung erfahrt, daß sich jemand durch sein Verhalten bedroht fühlt, und daß für den Erfolg der Klage ohnehin der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich ist. 195 Dies ergibt sich zwangsläufig aus der von der Rspr. aufgestellten Voraussetzung, daß eine ernsthafte Bedrohung des geschützten Rechts(guts) durch einen bevorstehenden Eingriff gegeben sein muß. Muß der Anspruchsteller dazu aber Tatsachen vortragen, die die Vorbereitung oder die Absicht eines Eingriffs mit Sicherheit erkennen lassen, so daß eine Schädigung durch eine objektiv widerrechtliche Handlung als unmittelbar bevorstehend anzunehmen ist - siehe dazu RGRK-Steffen § 823 Rz. 128; Larenz, SchuldR. H, S. 692 ff. -, so wird ihm dies kaum gelingen ,bei Handlungen, die die im Hinblick auf das angeblich gefährdete Recht(sgut) verkehrserforderliche Sorgfalt einhalten. Eben dieses auch bei den defensiven Vorschriften weiterhin, wenn auch teilweise nur noch als "Spurenelement" neben dem Güterschutz zu berücksichtigende Handlungsfreiheitsinteresse erlaubt es, die funktionsorientierte Auslegung der Rechtswidrigkeit insgesamt an den repressiven Vorschriften auszurichten, und nicht - wie Gotzler, S. 211 wohl meint -, nach repressiven und defensiven Vorschriften strikt zu trennen. 196 Darauf, daß der Beklagte die tatsächliche Gefährlichkeit seines geplanten Verhaltens erken.nt, kommt es nicht an: Münzberg, S.423. 197 Siehe nur MK- von Feldmann § 227 RZ.2 u. 4.
11. Versuch der Entwicklung neuer Bestimmungskriterien
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Es zeigt sich, daß der defensive Rechts(güter)schutz ebenfalls nicht losgelöst von der Abwägung zwischen Bestands- und Freiheitsschutz möglich ist. Nicht schon jedes gefährdende Verhalten wird vom Rechtswidrigkeitsurteil erfaßt. Vielmehr muß auch hier über die Frage nach der Sorgfaltswidrigkeit die Handlungsfreiheit der Verhaltensperson, wenn auch unter verändertem Blickwinkel, berücksichtigt werden. f) Zusammenfassung: Die eingeschränkte Unmittelbarkeitslehre von Caemmerers als Ausdruck der deliktssystematischen Funktion des § 823 Abs. 1
Der Erweiterung des Unmittelbarkeitsbegriffs in der Lehre kann im Hinblick auf § 823 Abs. 1 nicht gefolgt werden. Dadurch ist ein zusätzliches Merkmal in die Vorschrift eingefügt worden, das dort gänzlich unbestimmt und kaum eingrenzbar ist und für die Haftungsfrage letztlich auch überflüssig ist. Sofern man die Unmittelbarkeit als räumlich-zeitliches Verhältnis von Verhalten und möglichem Erfolg begreift, findet es bereits Berücksichtigung bei der Prüfung der Einhaltung der verkehrserforderlichen Sorgfalt. Deren Ergebnis wird um so anspruchsvoller ausfallen, je näher das Verhalten dem möglichen Eingriff kommt. Gleichwohl ist es immer erst das sorgfaltswidrige Verhalten, das als rechtswidrig erfaßt werden kann. So kann auch die Unmittelbarkeit eines Verhaltens iSd. erweiterten Unmittelbarkeitslehre letztlich erst unter Berücksichtigung von Teilaspekten der Sorgfaltswidrigkeit bejaht werden. Denn das, wenn auch mit unterschiedlicher Formulierung, 199 geforderte räumlich-zeitliche Verhältnis zwischen Verhalten und Erfolg ist seinerseits die Sorgfaltsanforderungen konstituierendes Element. 200 Die einheitliche Prüfung der erforderlichen Sorgfalt in der Vorschrift des § 823 Abs. 1 nach der Qualität des Verhaltens aufzuspalten, ist dort nicht erforderlich. 198 Zu den in diesem Zusammenhang immer wieder angeführten Fällen der Verschiedenheit des Beurteilungsstandpunktes des Handelnden einerseits und des Bedrohten bzw. des abwehrbereiten Dritten andererseits (Larenz, Festschrift f. Dölle I (1963) S. 169, 195; - ders. -, SchuldR. 11, S. 610) siehe nur die Stellungnahme bei Münzberg, S. 344ff. 199 Siehe oben 3. Kap., 11 B. 200 Insofern ist die Feststellung von Nipperdey NJW 1967, 1985, 1990f. zustreffend, daß sich hinter der Unmittelbarkeitsprüfung letztlich nichts anderes als eine zumindest implizit erfolgende positive Rechtswidrigkeitsfeststellung verbirgt. Nicht gefolgt werden kann dagegen Preusche, S. 52 Fn. 129, der meint, daß diese Feststellung zu weit geht. Die Lehre von der Erheblichkeit der Eingriffsqualität verlange eine genaue Untersuchung des Verhältnisses der Handlung zum bereits festgestellten Erfolg. Ziel dieser Prüfung sei, eine Entscheidung darüber treffen zu können, ob der Erfolg "mittelbar" sei und ob daher die Rechtswidrigkeit positiv geprüft werden müsse oder nicht. Demnach könne nicht schon diese Prüfung selbst - auch nicht implizit - eine positive Rechtswidrigkeitsprüfung darstellen. Wenn aber geprüft wird, ob ein Eingriff unmittelbar oder mittelbar erfolgt ist, und bei Bejahung der Unmittelbarkeit die Rechtswidrigkeit indiziert sein soll, dann kann die Unmittelbarkeitsprüfung nichts anderes sein als zumindest Teil einer positiven Prüfung der Rechtswidrigkeit.
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3. Kap.: Der Regelungsgehalt des § 823 Abs. 1
Dies ist allein bei den Vorschriften des defensiven Schutzes wegen dessen zeitlicher Vorverlagerung der Fall, ergibt sich rein tatsächlich aus der Zeitverschiebung und vermag nicht auf den repressiven Schutz durchzuschlagen. Zwar ergibt sich auch nach der hier vertretenen Auffassung, daß eine einheitliche Rechtswidrigkeitsbestimmung für alle Vorschriften des defensiven und des repressiven Schutzes nicht möglich ist. Jedoch ist mit dem Anknüpfen an die Sorgfaltswidrigkeit das grundlegende Prinzip bei allen Vorschriften das gleiche. Unterschiede ergeben sich allein aus der jeweiligen objektiv bestimmten Erkennbarkeit der rechts(gut)gefährdenden Handlungssituation. Diese Unterschiede tragen aber der jeweils verschiedenen Schutzfunktion der anzuwendenden Vorschriften Rechnung und stehen insofern in Einklang mit der gesetzlichen Regelung. Damit erweist sich im Ansatz die eingeschränkte Unmittelbarkeitslehre von Caemmerers als allein zutreffende Differenzierung innerhalb der Norm des § 823 Abs.1. Sie kann darauf zurückgeführt werden, daß in der Vorschrift zur Vorgabe eines objektiven Entscheidungsmaßstabs zwei materielle Rechtswidrigkeitselemente enthalten sind, die je nach Eingriffshandlung in unterschiedlicher Gewichtung gemeinsam der Rechtswidrigkeitsbestimmung dienen. Deren Bandbreite reicht von der im wesentlichen durch den Zuweisungsgehalt der subjektiven Rechte als rechtswidrig ausgewiesenen Rechtsausübungshandlung Nichtberechtigter bis zur reinen Verletzungshandlung. Deren Rechtswidrigkeit muß losgelöst vom subjektiven Recht vom eigenständigen Ordnungsanliegen des Deliktsrechts her bestimmt werden und kann erst dort einsetzen, wo die Handlung unter Mißachtung der im Verkehr im Hinblick auf das gefährdete Recht(sgut) erforderlichen Sorgfalt erfolgt. 6. Überprüfung des bier gefundenen Ergebnisses an der zum Konzept von Caemmerers vorgebrachten Kritik
Die Anlehnung an die Differenzierung von Caemmerers zwischen unmittelbaren und mittelbaren Eingriffen bedarf noch der Absicherung gegen die zahlreiche grundsätzliche Kritik an diesem Konzept. Nicht stichhaltig ist es zunächst, wenn der Auffassung von Caemmerers entgegengehalten wird, bereicherungsrechtliche Kategorien seien für die Unrechtsabgrenzung ungeeignet. 201 Es geht nicht darum, die Unrechtsabgrenzung aus einer abschließenden oder wenigstens für das Deliktsrecht verbindlichen Umfangsbestimmung der subjektiven Rechte im Recht der ungerechtfertigten Bereicherung zu gewinnen,202 sondern um die Auslegung und Umfangsbegrenzung der Rechte selber. Von Caemmerer wies allein daraufhin, daß eine solche Umfangsbestimmung des subjektiven Rechts von seinem Inhalt her nichts 201 Sto11 AcP 162 (1963) S. 203, 227; Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 221 f.; MÜDzberg, S.
337f.
202 So aber Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 221.
11. Versuch der Entwicklung neuer Bestimmungskriterien
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Außergewöhnliches ist, sondern im Bereicherungsrecht ständige Praxis war und ist. 203 Auch der Vorwurf, daß damit ein unterschiedlicher Schutz des Inhalts eines Herrschaftsrechts im Vergleich zum Schutz seiner Existenz und der Lebensgüter gewährt wird,204 vermag zumindest im Hinblick auf den repressiven Schutz nicht einzuleuchten. Es werden allein Elemente, die bislang formal auf einer angeblichen Verschuldensebene angesiedelt wurden, nunmehr als Rechtswidrigkeitselemente behandelt, ohne daß der materielle Gehalt geändert würde. Daß der defensive Schutz nicht eingeschränkt wird, wurde bereits oben nachgewiesen. Deutsch hat gegen diese Differenzierung darüber hinaus noch eingewendet, daß ihr eine der Grundwertung des Privatrechts, welches das Haben des Rechtsguts ebenso wie das Verwenden schützt und die Handlungsfreiheit nur hinsichtlich der nachtatlichen Rechtsfolgen bevorzugt, widersprechende Sozialauffassung zugrunde liegt, die die Handlungsfreiheit allgemein über den Güterschutz stellt. Denn dieser Schutz erfolge erst aus der Beschränkung der Freiheit zum Handeln. 205 Gerade dies ist aber, wie sich oben gezeigt hat; die Sozialauffassung gewesen, die von der I. Kommission dem Deliktssystem zugrunde gelegt und so auch von der 11. Kommission übernommen worden ist. 206 Diese Wertung kehrt sich bei Deutsch nun in einen absoluten Vorrang des Güterschutzes vor der Handlungsfreiheit um, der dann seinerseits beim repressiven Schutz zugunsten der Handlungsfreiheit eingeschränkt sein soll. Soweit diese Auffassung von der Annahme getragen wird, daß beim defensiven Schutz der Schutzanspruch der subjektiven Rechte und Rechtsgüter absoluten Vorrang vor der Handlungsfreiheit hat, hat sich dies bereits oben als unzutreffend erwiesen. Auch beim defensiven Schutz ist regelmäßig eine Abgrenzung zwischen Bestands- und Freiheitsinteresse erforderlich. 207 Diese Auffassung steht ferner im Widerspruch zum Deliktssystem des BGB, betont einseitig dessen haftungsbegrenzende Funktion und vernachlässigt den Dualismus von Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung. 208 Ihre Ursache hat sie in einer Überbetonung der Institution des subjektiven Rechts. Selbst wenn man sich auch - m. E. durchaus zu Recht - dagegen wendet, das subjektive Recht mit den Anhängern der Imperativentheorie als einen bloßen Reflex von Handlungspflichten der übrigen Rechtssubjekte zu verstehen, und dessen positiven Zuweisungsgehalt betont,209 kommt man doch nicht an der von Caemmerer, Karlsruher Forum (1961) S. 19. Stoll AcP 162 (1963) S.203, 227; Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 221 f.; Münzberg, S. 337; Fraenkel, S.222; Marburger, Regeln der Technik, S.434. 205 Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 221. 206 Siehe oben 2. Kap., IV B. 207 Siehe oben 3. Kap., 11 C 5 e. 208 Siehe oben 2. Kap., V. 203
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