De arte bersandi: Ein Tractat des 13. Jahrhunderts über die Jagd auf Rotwild und Neptalym, cervus emissus, ein Jagdpredigt des 14. Jahrhunderts [Reprint 2018 ed.] 9783111630410, 9783111251424


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German Pages 99 [108] Year 1966

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INHALT
DE ARTE BERSANDI
NEPTALYM CERVUS EMISSUS
GLOSSAR
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De arte bersandi: Ein Tractat des 13. Jahrhunderts über die Jagd auf Rotwild und Neptalym, cervus emissus, ein Jagdpredigt des 14. Jahrhunderts [Reprint 2018 ed.]
 9783111630410, 9783111251424

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DE ARTE BERSANDI E I N T R A K T A T D E S 13. J A H R H U N D E R T S ÜBER D I E J A G D AUF R O T W I L D UND

NEPTALYM CERVUS EMISSUS E I N E J A G D P R E D I G T D E S 14. J A H R H U N D E R T S

EINGELEITET,

HERAUSGEGEBEN

UND

ÜBERSETZT

VON

KURT LINDNER

W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. B E R L I N 1966

Q U E L L E N UND S T U D I E N ZUR G E S C H I C H T E DER J A G D H E R A U S G E G E B E N VON

KURT LINDNER I

ARCHIV-NR. 843766/1

/

INHALT D E ARTE BERSANDI EINFÜHRUNG TEXT

9 23

NEPTALYM CERVUS EMISSUS EINFÜHRUNG

39

TEXT

61

GLOSSAR

95

D E ARTE B E R S A N D I ERSTE AUSGABE ZWEITE AUSGABE

1954 1966

D E ARTE BERSANDI

I Eines der interessantesten Kapitel in der Geschichte der europäischen Jagdliteratur bilden die zahlreichen uns erhaltenen Traktate aus dem 12. und 13. Jahrhundert. Es handelt sich um Handschriften, die wir im Fachschrifttum, der Überlieferung folgend, meist nach dem Namen ihrer mehr oder minder bezeugten Urheber oder nach den selbst gegebenen Titeln bezeichnen. Die überwiegende Mehrzahl dieser Texte ist in einem wenig gepflegten mittelalterlichen Latein abgefaßt. Einzelne Arbeiten, wie das Falkenbuch Friedrichs II. von Hohenstaufen, ragen durch Reichtum des Inhalts und Schönheit der Sprache über alle Abhandlungen aus gleicher Zeit hinaus. Die übrigen sind nicht annähernd von gleichem Wert. Teils haben wir, wie bei Moamin und Gatrif, lateinische Übersetzungen orientalischer Vorlagen vor uns - auch der die Grundlage der spanischen Jagdliteratur bildende libro de la monteria läßt sich weitgehend auf solche morgenländischen Quellen zurückführen - , teils liegen neben der lateinischen Version sehr frühe Fassungen in provengalischer, katalanischer, italienischer oder anglo-normannischer Sprache vor, so daß oft genug Zeit und Ort der Entstehung nur unter Schwierigkeiten zu ermitteln sind. Ein Studium all dieser Abhandlungen läßt sehr bald die ungewöhnlich komplizierten und verwickelten Verwandtschaftsverhältnisse der einzelnen Handschriftenstämme erkennen. Die mit der Klärung der wechselseitigen Beziehungen verknüpfte mühselige Kleinarbeit ist jedoch eine der wichtigsten Forschungsaufgaben auf dem Gebiet der mittelalterlichen Jagdgeschichte, da das im 12. und 11

13. Jahrhundert gelegte Fundament für einige Teile des Jagdwesens den Grundstock des fachwissenschaftlichen Schrifttums bis ins 15. und 16. Jahrhundert bildete. Seltsamerweise blieb bisher unbeachtet, daß es sich bei allen aus dem 12. und 13. Jahrhundert stammenden Texten um Abhandlungen aus dem Gebiet der Beizjagd handelt. Ganz abgesehen von Kaiser Friedrichs II. De arte venandi cum avibus haben wir bei all den Arbeiten, die wir mit den Namen Adelard von Bath, Dancus, Guilelmus, Gerardus, Aquila, Symmachus und Theodotion, Grisofus, Moamin, Gatrif, Demetrius Pepagomenos, Daude de Pradas, Albertus Magnus u.a. verbinden, Werke über die Falknerei vor uns. Leider erweisen sie sich alle mit Ausnahme des kaiserlichen Falkenbuches für die Geschichte der Jagd als wenig ergiebig. Größtenteils stellen sie weitläufige Rezeptsammlungen mit Kuriervorschriften für die Behandlung kranker Beizvögel dar 1 ). Einige Abhandlungen veterinärmedizinischen Inhalts über die Pflege der Hunde aus dieser Zeit sind gleichfalls erhalten, aber auch sie beanspruchen bestenfalls kynologisches, kaum aber jagdgeschichtliches Interesse. Wir verfügen demnach über eine reiche handschriftliche Überlieferung von Texten des 12. und 13. Jahrhunderts, aber ausschließlich über Dokumente zur Geschichte der Falknerei, die nichts über die anderen Formen der Jagdtechnik aussagen. Seine erste Blütezeit erlebte das Fachschrifttum auf diesem Gebiet im *) Von diesen wurden zahlreiche in den letzten Jahren erschlossen, s. Gunnar Tilander, Dancus rex, Guillelmus falconarius, Gerardus falconarius, Lund 1963 (Cynegetica IX); Gunnar Tilander, Grisofus medicus, Alexander medicus, Lund 1964 (Cynegetica X); Gunnar Tilander, Traductions en vieux français de Dancus rex et Guillelmus falconarius, Karlshamn 1965 (Cynegetica XII); Hàkon Tjerneld, Moamin et Ghatrif, Stockholm und Paris 1945; Kurt Lindner, Von Falken, Hunden und Pferden, deutsche Albertus-Magnus-Ubersetzungen, 2 Teile, Berlin 1962 (Quellen und Studien zur Geschichte der Jagd VII u. VIII).

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14. Jahrhundert durch die einzigartigen Leistungen französischer Jagdschriftsteller, aber auch durch die ersten Beweise einer bodenständigen nationalen Fachliteratur in England, Deutschland und Spanien. Fassen wir terminologisch die Beize als Gegensatz zur Jagd mit Hunden, Schußwaffen oder sonstigen Hilfsmitteln auf, so verfügen wir nach herkömmlicher Auffassung, von einer Ausnahme abgesehen, über keine größere didaktische Abhandlung aus der Zeit vor 1300. Diese Ausnahme ist die Chace dou Cerf 2 ), ein aus dem ausgehenden 13. Jahrhundert stammendes, anonymes französisches Lehrgedicht über die Jagd auf Rotwild, das bisher als die älteste europäische Arbeit über die Jagd im engeren Sinne - das Wort Jagd hier im Gegensatz zur Beize gebraucht - angesehen wurde. Mit der hier erstmalig vorgelegten Arbeit De arte bersandi erfährt unser Wissen vom hochmittelalterlichen jagdlichen Schrifttum eine überraschende Bereicherung, denn sie stellt eine nach Entstehungszeit und Inhalt unerwartete Abhandlung über die J a g d auf Rotwild dar. Der Text kam beim Studium der eingangs erwähnten hochmittelalterlichen Texte über die Falknerei zum Vorschein, nachdem er bislang offenbar übersehen worden war 3 ). 2 3

) Gunnar Tilander, La Chace dou Cerf, Stockholm 1960 (Cynegetica VII). ) Hermann Werth (Altfranzösische Jagdlehrbücher nebst Handschriftenbibliographie der abendländischen Jagdliteratur überhaupt, Z. f. rom. Philologie, Bd. XIII, 1889, 10), dem unser Text überraschenderweise ganz entgangen ist, identifizierte Guicennas, auf den er beim Studium der Art de fauconnerie et des chiens de chasse des Guillaume Tardif gestoßen war, ohne weitere Begründung mit Avicenna. Einen kurzen Hinweis auf De arte bersandi gab Charles Homer Haskins, Studies in the history of mediaeval science, Cambridge 1927, 256 und Studies in mediaeval culture, New York 1929, 117/118 u. 130/131. - Seit Erscheinen der ersten Auflage im Jahre 1954 legte auch Tilander eine Ausgabe nach der Handschrift C zusammen mit einer Übersetzung ins Neufranzösische vor: Gunnar Tilander, Guicennas De arte bersandi, Le plus ancien traité de chasse de l'Occident, Uppsala 1956 (Cynegetica III).

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Wir kennen eine Gruppe von Handschriften, deren gegenseitige Abhängigkeit durch die Zusammenstellung mehrerer voneinander unabhängiger Texte in gleicher oder ähnlicher Anordnung leicht zu erweisen ist 4 ). In diesen Manuskripten fand sich auch dieser bisher unbeachtet gebliebene Text des Liber Guicennantis De arte bersandi. Bislang ließen sich vier Handschriften dieser Abhandlung nachweisen : (A) Rom, Bibl. Vaticana, Vat. lat. 5366, Pergament, Ende des 13. Jahrhunderts, Tit. 7 „Incipit über Guicennantis de arte bersandi", fol. 75 v bis 78 v. (B) Rom, Bibl. Vaticana, Reg. lat. 1227 (identisch mit der von Hermann Werth erwähnten Bibl. Reg. Sueziae 1078), Papier, 15. Jahrhundert, „Incipt liber Guicennatis de arte bresandi", fol. 66 v bis 70 r. (C) Chantilly, Musée Condé, lat. 368, Pergament, im Jahre 1459 in Mailand für Herzog Franz Sforza in schöner italienischer Gotik geschrieben und mit zwei ganzseitigen Miniaturen geziert, fol. 101 r bis 106 r. (D) New Häven, Conn., Yale University Library 5 ), Pergament, 15. Jahrhundert (ca. 1415), Tit. 10 „Incipit liber Guicennatis de arte versandi", fol. 73 r bis 75 v. ) E s handelt sich um die Handschriften D, F, H und V in Hàkan Tjernelds Klassifikation der lateinischen Moamin-Manuskripte (Moamin et Ghatrif, Traités de fauconnerie et des chiens de chasse, Édition princeps de la version franco-italienne, Stockholm und Paris 1945), die sämtlich zur Gruppe ß gehören. 6 ) Diese Handschrift befand sich ursprünglich in der Sammlung Schwerdt, Alresford (vgl. C. F. G. R. Schwerdt, Hunting, Hawking, Shooting, Bd. II, London 1928, 349/350), später in der Sammlung David Wagstaff, New York, und gelangte von dort in die Yale University Library; s. auch S. Dillon Ripley and Lynette L. Scribner, Ornithological books in the Yale University Library, New Häven 1961, 330. 4

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Unserer Ausgabe wurde die Handschrift (A) zugrunde gelegt 6 ). (B), (C) und (D) wurden zum Textvergleich herangezogen, ergaben aber nur unerhebliche Abweichungen ohne materielle Bedeutung. Der Handschrift (A) steht (D) am nächsten. (C) ist eine wortgetreue Abschrift von (B). Die Schreibweise des Verfassernamens ist nicht einheitlich überliefert. In der ältesten Handschrift Vat. lat. 5366 (A) wird der Autor stets Guicennans, in der Uberschrift in der dazu passenden Genitivform Guicennantis geschrieben. In den Handschriften Reg. lat. 1227 (B) und Chantilly lat. 368 (C) finden wir übereinstimmend Guicennas bzw. Guicennatis. In der mit (D) bezeichneten Handschrift der Yale University erscheint neben Guicennas auch Guicenas. Für die deutsche Übersetzung wurde Guicennans aus der Handschrift (A) übernommen.

II Auf das jagdliche Schrifttum der eigenen und der nachfolgenden Zeit übte der Liber Guicennantis keine nachhaltige Wirkung aus. Im späten Mittelalter scheint das Werk keine weite Verbreitung gehabt zu haben. Es wurde lediglich in einer einzigen Handschriftengruppe fortgeschrieben und ging in keine der so beliebten kompilatorischen Arbeiten ein. Auffällig ist, daß wir keine Übersetzung in eine lebende Sprache kennen. Da die übrigen Texte, mit denen De arte bersandi überliefert wurde, wie die Traktate des Moamin, des Dancus und des Guilelmus mehrfach, teilweise in nahezu alle lebenden Sprachen übertragen wurden, ist anzunehmen, daß eine Handschrift aus jener Gruppe, die den Guicennans-Text enthält, keinem der Übersetzer zur Vorlage gedient hat. 6

) Carl Arnold Willemsen und Gunnar Tilander bin ich aufrichtigen Dank für Rat und Mithilfe schuldig.

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In der europäischen Jagdliteratur der nachfolgenden Zeit finden wir D e arte bersandi nur zweimal erwähnt. Als erster nennt Guillaume Tardif 7 ) in der Widmung seines im Jahre 1492 bei Anthoine Verard verlegten liure de lart de faulconnerie einen gewissen Guicennas als einen seiner Gewährsleute. Tatsächlich übte jedoch der Liber Guicennans keinerlei Einfluß auf Tardif aus. Dieser Schriftsteller war einer der verantwortungslosesten Plagiatoren, den die europäische Jagdliteratur kennt, zugleich ein prahlsüchtiger und eitler Autor, der sich schon zu Lebzeiten mit Fachgenossen heftig befehdete. Es ist für seinen Charakter kennzeichnend, daß er am Anfang und am Ende seines Werkes seine Quellen zu nennen vorgab, indem er einer Reihe von Schriftstellern Erwähnung tat, deren Arbeiten er bei Abfassung seiner Abhandlung herangezogen haben wollte. Tatsächlich zeigt jedoch die Quellenkritik, daß Tardif von diesen Vorlagen kaum Gebrauch machte, vielmehr sein Wissen im wesentlichen aus einer Handschrift der Fauconnerie des Jean de Franchieres bezog, obgleich er es geflissentlich unterließ, auch nur einmal den Namen dieses Autors zu nennen. Die Zusammenstellung der angeblichen Quellen läßt jedoch kaum einen Zweifel, daß Tardif ein Manuskript aus jener Handschriftengruppe zur Verfügung hatte, in der unseres Wissens der Liber de arte bersandi ausschließlich überliefert ist. Da aber bei ihm Guilelmus in der verstümmelten Form Guillinus vorkommt, dürfte Tardif nach keiner der uns erhaltenen vier Handschriften gearbeitet haben. Irgendwelche Textstellen der art de faulconnerie lassen sich nicht auf De arte bersandi zurückführen. Ebenso geringfügig war der Einfluß unseres Traktats auf Charles d'Arcussia, wohl dem bedeutendsten Schriftsteller auf dem Gebiet der Falknerei neben Friedrich II. Arcussia behandelte ') Ed. Paris 1492 „Lequel liuret ay translate en franjois des liures en latin du roy danchus qui premier trouua et escriuit lart de faulconnerie et des liures en latin de moamus, de guillinus et de guicennas".

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in seiner Fauconnerie in der ihm eigenen umsichtigen Weise gewisse ornithologische Fragen und meinte, man brauche nur die Bücher der Altmeister der Beizjagd zu studieren, um festzustellen, wie wenig Einigkeit über das von ihm aufgeworfene Thema bestehe. Als einen seiner Gewährsleute nannte der sehr kritische Arcussia 8 ) „Gincenas". Da dieser aber neben Moamin und Guilelmus erscheint, lag Arcussia zweifellos ein Exemplar der art de faulconnerie des Tardif vor, nach dem er zitierte. Sonst hätte Arcussia auch gewußt, daß Guicennans gar nichts mit der Falknerei zu tun hatte und somit auch nicht als Zeuge aufgerufen werden konnte. Ein unmittelbarer Einfluß ist jedenfalls von De arte bersandi auch auf Arcussia nicht ausgegangen. Seit dieser Zeit finden wir im jagdwissenschaftlichen Schrifttum nur irreführende Angaben über Guicennans, die die völlige Unkenntnis der tatsächlichen Zusammenhänge verraten. Eine lebendige Vorstellung von der mit diesem Namen in Verbindung gebrachten Schrift war völlig verlorengegangen. Sie mag bei Tardif noch vorhanden gewesen sein. Wer nach ihm diesen Namen zitierte, vermochte sich nichts mehr darunter vorzustellen. Man hielt Guicennans ganz einfach für den Verfasser eines jener mittelalterlichen Falkentraktate, die sich so auffällig langlebig im europäischen Fachschrifttum erwiesen. Die häufig unzuverlässigen Brüder Nicolas und Richard Lallement 9 ) erwähnen ihn in der Bibliothèque historique et critique des Auteurs qui ont traité de la chasse, die sie der 1763 in Rouen erschienenen ersten Ausgabe von Le Verrier de la Conterie's École de la chasse aux chiens courans beibanden, ohne weitere Begründung als einen Araber; Souhart 10 ) nannte ihn in seiner Bibliographie générale des ouvrages sur la chasse einen orientalischen Falkner. 8)

1. Teil, Kap. XVII, ed. Paris 1615, 29, „Moamus, Guillimus et Gincenas se dementent les vns les autres". 9 ) Rouen 1763, CU „Guicennast étoit un Arabe . . .". 10 ) Paris 1886, 230, „Fauconnier d'Orient".

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Die Frage nach der Heimat des Guicennans dürfen wir weitgehend als geklärt ansehen, nachdem der Text des Traktats im Wortlaut vorliegt. Er gibt in recht glaubwürdiger Weise Aufschluß über den Verfasser. Es heißt dort, Guicennans sei ein deutscher Ritter miles theutonicus - gewesen, der wegen seiner Kenntnisse auf allen Gebieten der Jagd als erster unter den Jägern genannt zu werden verdiene. Damit wird der Herkunftsbereich der Abhandlung in einer für jagdliche Arbeiten jener Zeit ungewöhnlich präzisen Weise umrissen. Wir erfahren, daß deutsches jagdliches Brauchtum hier seinen Niederschlag gefunden hatte. Der Inhalt läßt keinen Zweifel, daß diese Angabe über die räumliche Herkunft der Arbeit zutraf. Die Jagdtechnik der europäischen Völker, welche schon in frühmittelalterlicher Zeit bemerkenswerte Unterschiede aufzuweisen hatte, trug im 13. Jahrhundert bereits ein so starkes nationales Gepräge, daß Angaben über das deutsche Jagdwesen keineswegs ohne weiteres auch für die außerdeutschen Völker zutrafen und umgekehrt. Die hier beschriebene Jagdart ist jedoch so spezifisch deutsch, daß der Verfasser der Abhandlung nur ein Fachmann deutscher Herkunft - nur ein solcher konnte zu jener Zeit von der Pirsch sagen: domina omnium venationum reputatur - gewesen sein kann. Glücklicherweise deutet unsere Handschrift auch die Zeit ihrer Entstehung an, denn es heißt weiter, Guicennans habe sich besonderer Wertschätzung der deutschen Fürsten und Barone, vor allem aber der Jäger des Römischen Kaisers Friedrich erfreut. Der Verfasser unserer Abhandlung war demnach vermutlich ein Zeitgenosse Kaiser Friedrichs II. von Hohenstaufen. Seine Person geschichtlich zu erfassen, gelang bisher nicht. Hampe machte darauf aufmerksam, daß er möglicherweise mit jenem Konrad von Lützelhard identisch gewesen sein könne, der in einem Brief vom Jahre 1230 als Guizenardus 11 ) erscheint. Aber auch ohne Näheres u)

Acta pacis ad S. Germanum initae, M. G. H., Epistolae selectae IV, 1926, 52/53; s. auch Charles Homer Haskins, Studies in mediaeval culture, New York (1929), 130/131.

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über ihn zu wissen, gehen wir wohl nicht fehl, wenn wir die Zeit seines Lebens und Wirkens und somit auch die Abfassung unseres Textes in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts verlegen. Zwei Tatsachen sind in diesem Traktat überraschend: einerseits sein Alter, da die älteste uns bisher bekannte Abhandlung zum gleichen Thema rund ein halbes Jahrhundert jünger sein dürfte, und andererseits seine Herkunft, da wir gewohnt sind, die Anfänge der europäischen Jagdliteratur im engeren Sinne im romanischen Raum zu suchen.

III Leider stellt die Abhandlung nur ein Fragment dar, das kaum eine Ergänzung erwarten darf, da das Werk nirgends selbständig erhalten ist und lediglich in Verbindung mit anderen Texten fortgeschrieben wurde. Es endet stets mitten im Satz mit den gleichen Worten Et quando equitabis post bonas bestias . . . Wahrscheinlich hatte der vollständige Urtext ein keineswegs ungewöhnliches Schicksal. Das selbständige Original wurde vielleicht durch äußere Umstände verstümmelt, indem das letzte Blatt oder die letzte Lage abgerissen wurde und verlorenging. Erhalten blieb der Anfang bis zu einer unvermittelt abreißenden Phrase. Ein Schreiber, der ihn interessierende Falkentraktate sammelte, stieß auf diese Vorlage, schrieb das Erhaltene ab und setzte an den Schluß lediglich die Worte Explicit liber de arte bersandi. Der Aufbau der ganzen Arbeit läßt vermuten, daß dieser verlorengegangene Schluß noch mancherlei von jagdgeschichtlichem Interesse enthielt. Die uns erhaltene Partie zerfällt deutlich in einen Prolog und drei Teile, von denen der erste (Abschn. 2 und 3) das jagdliche Können eines Pirschjägers, der zweite (Abschn. 4 bis 9) die Abrichtung der Hunde und der dritte unvollständige (Abschn. 10 bis 14) die eigentliche Jagd beschreibt. 19

Verweilen wir noch einen Augenblick beim Wort bersare, das aus sprachgeschichtlichen Erwägungen mit dem sich daraus ableitenden pirschen übersetzt wurde, obgleich damit der Bedeutungswechsel unbeachtet blieb, den dieses Wort im Laufe der Zeit durchgemacht hat. Der bersarius begegnet uns schon in karolingischer Zeit. Hincmar von Reims (Epist. de ord. pal. reg. Franc, cap. 24) erwähnt ihn neben dem veltrarius und dem beverarius. Die bersarii - die bersatores im Liber Guicennans waren offenbar Jäger, die bei der Waldjagd Verwendung fanden, während den veltrariis die Hetz- oder Feldjagd, den beverariis die Wasser- und vermutlich auch die Erdjagd oblag. Die Entstehung des Wortes Pirsch ist nicht eindeutig geklärt. Frühzeitig kommt das Wort bersa für Wildpark, eigentlich als Zaun des brolium, des Brühls, d.h. des eingefriedeten Tierparkes vor. Mit ihm wird das altfranzösische berser - mit dem Pfeile jagen - in Verbindung gebracht. Ursprünglich hat das Wort pirschen demnach den Sinn von „in einem brolium mit Schußwaffen jagen" gehabt. Diese Vermutung wird durch unseren Traktat erneut bekräftigt. Zwar ist von einem brolium nicht mehr die Rede, aber es war naheliegend, daß man mit bersare eine spezifische Jagdmethode auch dann bezeichnete, wenn sie nicht nur wie ursprünglich in einem Tiergarten, sondern auch in freier Wildbahn geübt wurde. Der Liber Guicennans zeigt deutlich, was man im 13. Jahrhundert unter Pirsch in Deutschland verstand: eine Drückjagd mit Schußwaffen unter Verwendung von Hunden zur Vorsuche, von berittenen Treibern und Schützen zu Fuß. Waffentechnisch ist von Interesse, daß die Schützen ausschließlich die als arbalista oder albalista vorkommende Armbrust als Schußwaffen führen. Im Text ist von den Jägern als architor, archator, archerius oder archarius die Rede. Der genaue Zeitpunkt für die allgemeine Übernahme der Armbrust in das Arsenal der Jagdwaffen liegt noch nicht fest. Wir wissen lediglich, daß diese Schußwaffe im Kriegswesen viel früher als in der Jagd20

technik Bedeutung gewann. Im 13. Jahrhundert scheint sie unserer Abhandlung zufolge zumindest in Deutschland den Bogen schon weitgehend verdrängt zu haben. In ihrer Begleitung finden wir den Köcher (carcassium), den Pfeil (sagitta) für Hochwild und den Bolzen (bulzon) für Vögel. Das lateinische trahere aber bedeutet soviel wie mit Bogen oder Armbrust schießen und steht damit jagdtechnisch im Gegensatz zu menare, womit der Vorgang des Treibens bezeichnet wurde. Eine weitere Bereicherung erfährt unser Wissen von der mittelalterlichen lateinischen Terminologie der J a g d durch die Ausdrücke scorticare und foliare für das Ausder-Decke-Schlagen und exquartare für das Zerwirken, genau genommen für das Vierteilen, die ursprüngliche Form des Zerlegens eines Hirsches. Von besonderem jagdgeschichtlichen Interesse ist die Erwähnung der Bracke - braccetus, brachetus - als der zur Pirsch gebrauchten Hunderasse. Wäre durch den Prolog des Liber Guicennantis die Herkunft unseres Traktats nicht schon bestimmt gewesen, hätten wir durch das Wort Bracke einen entscheidenden Hinweis erhalten, denn dieses blieb dem deutschen Sprachgebrauch vorbehalten. Als corrigia begegnet uns das Leitseil, eines der wichtigsten Hilfsmittel für die Vorsuche. Abgerundet wird unser Bild durch die Angaben im Liber Guicennantis über die Kleidung der Jäger und ihre Ausrüstung, den Spieß (pilla) als Abwehrwaffe, das Horn und die mit mancherlei Utensilien gefüllte Jagdtasche (tasca). Die Quellen zur Geschichte des mittelalterlichen Jagdwesens erfahren durch die Wiederentdeckung des Liber Guicennantis eine erfreuliche Bereicherung. Unser Wissen hat durch diesen Traktat zeitlich und räumlich eine Ausweitung erfahren, die nach dem Stand der jagdhistorischen Forschung kaum erwartet werden konnte.

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