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German Pages [482] Year 2013
FTS 70
Mit Beiträgen von Dirk Ansorge Albert Gerhards Hans Hermann Henrix Thomas Hieke Peter Hünermann Klaus Kießling Daniel Krochmalnik Werner Löser SJ Thomas Schüller Michael Sievernich SJ Tobias Specker SJ Adrian Taranzano Santiago Madrigal Terrazas SJ Christian W. Troll SJ Heinrich Watzka SJ Ansgar Wucherpfennig SJ
ISBN 978-3-402-16057-2
Bildnachweis Archiv des Katholischen Deutschen Frauenbundes e.V.
FRANKFURTER THEOLOGISCHE STUDIEN Band 70
Ansorge (Hg.) • Das Zweite Vatikanische Konzil
Fünfzig Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) sind die Diskussionen um seine Zielsetzung und Bedeutung in der katholischen Kirche keineswegs zur Ruhe gekommen. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein: weiterhin wird heute um die Form der Liturgie gestritten, das Verhältnis der Ortskirchen zur universalen Kirche, die Gestalt des kirchlichen Amtes, den Umfang möglicher Inkulturation, die Ökumene und die Beziehungen zu den nichtchristlichen Religionen. Welche Akzente wollten die Konzilsväter in ihren sechzehn Dokumenten setzen – und welche Entwicklungen haben sie tatsächlich angestoßen? Wie sind die nachkonziliaren Entwicklungen theologisch zu beurteilen? Und welche Aufgaben stellen sich Kirche und Theologie heute – an der Schwelle zum dritten Jahrtausend der Kirchengeschichte?
Dirk Ansorge (Hg.)
Das Zweite Vatikanische Konzil Impulse und Perspektiven
Der Herausgeber
Dirk Ansorge, geboren 1960 in Gelsenkirchen; 1980–1987 Studium der Katholischen Theologie, Philosophie und Physik in Bochum, Jerusalem und Straßburg; 1987–1992 Mitarbeiter am Lehrstuhl für Dogmatik in Tübingen; 1993 Promotion in Katholischer Theologie; 1993–2011 Dozent an der Katholischen Akademie des Bistums Essen „Die Wolfsburg“ in Mülheim an der Ruhr; 2008 Habilitation in Münster und Erteilung der Lehrbefugnis für Dogmatik und Dogmengeschichte; 2009/10 Gastprofessor in Wien. Seit 2011 Dozent, seit 2012 ordentlicher Professor für Dogmatik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main.
Kolumnentitel Verfassername
Dirk Ansorge (Hg.) Das Zweite Vatikanische Konzil
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Kolumnentitel Verfassername
FRANKFURTER THEOLOGISCHE STUDIEN Im Auftrag der Professoren der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen Theologische Fakultät, Frankfurt am Main herausgegeben von JOHANNES ARNOLD, MICHAEL SCHNEIDER SJ, ANSGAR WUCHERPFENNIG SJ
70. Band
DIRK ANSORGE (HG.) DAS ZWEITE VATIKANISCHE KONZIL
Kolumnentitel Verfassername
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DIRK ANSORGE (HG.)
DAS ZWEITE VATIKANISCHE KONZIL IMPULSE UND PERSPEKTIVEN
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Kolumnentitel Verfassername
© 2013 Aschendorff Verlag GmbH & Co. KG, Münster Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Vergütungsansprüche des § 54 Abs. 2 UrhG werden durch die Verwertungsgesellschaft Wort wahrgenommen. Gesamtherstellung: Aschendorff Druckzentrum GmbH & Co. KG, Münster, 2013 Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier ∞ ISBN 978-3-402-16057-2
Vorwort Fünfzig Jahre nach der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) sind die Diskussionen um seine Zielsetzung und Bedeutung keineswegs zur Ruhe gekommen, sondern – wie es scheint – gerade erst neu aufgeflammt. Sehen die einen im Konzil einen radikalen Bruch mit der Überlieferung, den es zu korrigieren gelte, so fordern die anderen die Einlösung noch unabgegoltener Reformen. Nicht erst seit dem Amtsantritt von Papst Franziskus steht dabei das Verhältnis der Ortskirchen zur universalen Kirche ebenso zur Debatte wie die Gestalt des kirchlichen Amtes oder das Verhältnis von Kirche und Welt. Die von den Konzilsvätern im Verlauf von vier Sitzungsperioden verabschiedeten sechzehn Dokumente sind nach dem Konzil in zahlreichen Bereichen des kirchlichen Lebens wirksam geworden. Aus ihnen ging nicht nur eine grundlegende Reform der Liturgie hervor, sondern auch die Neufassung des kirchlichen Rechtes. Das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen wurde ebenso neu gefasst wie die ökumenischen Beziehungen zu den nichtkatholischen Christen. Zahlreiche Verlautbarungen der letzten Jahrzehnte zu Kultur und Gesellschaft auf allen Ebenen der Kirche tragen den Stempel des Konzils. Welche theologischen und pastoralen Akzente wollten die Konzilsväter setzen? Wie sind die nachkonziliaren Entwicklungen zu beurteilen? Und welche Aufgaben stellen sich Kirche und Theologie an der Schwelle zum dritten Jahrtausend? Fragen wie diese hat die Philosophisch-Theologische Hochschule Sankt Georgen im Wintersemester 2012/13 im Rahmen einer viel beachteten Ringvorlesung aufgegriffen: „Fünfzig Jahre danach: Impulse des Zweiten Vatikanischen Konzils“. Dabei wurden zahlreiche Aspekte der Debatten, Dokumente und Diskussionen während des Konzils und danach vorgestellt und diskutiert. Der vorliegende Band dokumentiert nicht nur die sechs im Rahmen der Ringvorlesung gehaltenen Vorträge, sondern ergänzt diese um neun weitere Beiträge. Deren Anordnung in diesem Band folgt inhaltlichen Gesichtspunkten. Grundsätzlichen Überlegungen zur theologischen Eigenart des Konzils (Sievernich, Hünermann) schließen sich Beiträge zur Interpretation der biblischen Offenbarungsschriften an (Hieke, Wucherpfennig). Es folgen drei Beiträge zum
VI Kirchenverständnis des Konzils und zu dessen ökumenischen Implikationen (Madrigal Terrazas, Löser, Ansorge). Überlegungen zur Konzilserklärung über die Religionsfreiheit (Watzka) bilden die Brücke zu vier Beiträgen, die sich mit dem Verhältnis der katholischen Kirche zum Judentum (Henrix, Krochmalnik) und zum Islam (Troll, Specker) befassen. Mit Überlegungen zur liturgischen Erneuerung nach dem Konzil (Gerhards), zur Wiedereinführung des Ständigen Diakonats (Kießling) und zum erneuerten Kirchenrecht (Schüller) werden liturgische und praktische Perspektiven des Konzils angesprochen. Der abschließende Beitrag zum Katakombenpakt (Taranzano) hat nicht zuletzt durch jene Akzente Bedeutung erlangt, die Papst Franziskus schon bald nach seiner Wahl im März 2013 gesetzt hat. Als Herausgeber dieses Bandes danke ich allen Kollegen, Studierenden und Mitarbeitenden in Sankt Georgen, die die Ringvorlesung mit vorbereitet und ihre Durchführung ermöglicht haben. Stellvertretend für sie alle sei Hochschulrektor Professor Heinrich Watzka SJ genannt. Besonders danke ich allen, die ihre Beiträge zur Veröffentlichung in diesem Band zur Verfügung gestellt haben. Bei der Redaktion der Texte und den Vorbereitungen für die Drucklegung haben mir Frau cand.-theol. Stefanie Matulla und Herr Dipl.-theol. Daniel Remmel wertvolle Hilfe geleistet; beiden danke ich dafür sehr. Ebenfalls danke ich den Herausgebern der „Frankfurter Theologische Studien“ für die Aufnahme des Buches in diese Reihe. Und nicht zuletzt gilt mein Dank der Stiftung Hochschule Sankt Georgen, der Dr. Hans Feith und Dr. Elisabeth Feith-Stiftung, Frankfurt am Main, sowie dem Freundeskreis Sankt Georgen e.V. Ohne ihre großzügige finanzielle Unterstützung wäre die Drucklegung dieses Bandes nicht möglich gewesen. Unmittelbar nach Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils hat Karl Rahner SJ in München einen bewegenden Vortrag gehalten, in dem er das Ende des Konzils als einen neuen Beginn wertete. Ein halbes Jahrhundert danach hat diese Deutung nichts von ihrer damaligen Aktualität verloren. In diesem Sinne versteht sich der vorliegende Band als Beitrag zur vertiefenden Auseinandersetzung mit dem Konzil und seinen Wegweisungen für die Zukunft der katholischen Kirche und den Glauben in der Welt von heute. Frankfurt am Main, im November 2013 Prof. Dr. Dirk Ansorge Philosophisch-Theologische Hochschule Sankt Georgen
Inhalt Kirche im Kontext Der „pastorale“ Grundzug des Zweiten Vatikanischen Konzils MICHAEL SIEVERNICH SJ
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Die zentralen theologischen Aussagen des Konzils PETER HÜNERMANN
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Dei Verbum und Biblische Auslegung THOMAS HIEKE
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Welche Zukunft hat die historisch-kritische Exegese? Prolegomena für eine zukünftige Evangelien-Exegese 50 Jahre nach Dei Verbum ANSGAR WUCHERPFENNIG SJ
76
Die Aufzeichnungen über die Kirchenkonstitution Lumen gentium im Konzilstagebuch des Frankfurter Theologen Otto Semmelroth SJ SANTIAGO MADRIGAL TERRAZAS SJ
103
Das Ökumenismusdekret Unitatis redintegratio und sein Rückhalt in der Konstitution Lumen gentium WERNER LÖSER SJ
141
Sichtbare Einheit oder versöhnte Verschiedenheit? Unitatis redintegratio und der ökumenische Dialog heute DIRK ANSORGE
160
Von der Toleranz zur religiösen Freiheit. Argumente auf dem Weg zur Konzilserklärung Dignitatis humanae HEINRICH WATZKA SJ
199
VIII Nostra aetate – Weg der Entstehung und Weisung für die Zukunft: Das Konzil und die christlich-jüdischen Beziehungen HANS HERMANN HENRIX
228
In unserer Zeit – Nostra aetate jüdisch gelesen DANIEL KROCHMALNIK
246
Das Konzil und die Entwicklung der katholischen Sicht des Islams CHRISTIAN W. TROLL SJ
261
Blickwechsel – Muslime lesen Nostra aetate TOBIAS SPECKER SJ
315
Universalität und Partikularität. Zum Stand der liturgischen Erneuerung 50 Jahre nach Sacrosanctum Concilium ALBERT GERHARDS
349
(Eigen-) Ständiger Diakonat in der Weltkirche. Zu Theologie und Spiritualität eines konziliaren Amtes KLAUS KIESSLING
375
Der CIC – die Krönung des Zweiten Vatikanums? Zur „Hermeneutik des Bruches“ vs. „Hermeneutik der Kontinuität“ (Papst Benedikt XVI.) am Beispiel des kirchlichen Verfassungsrechtes THOMAS SCHÜLLER
411
Der „Katakombenpakt“: Ausdruck der Grammatik des Zweiten Vatikanischen Konzils und Anstoß für seine Fortschreibung ADRIÁN TARANZANO
434
Gesamtdarstellungen, Quellen- und Sammelwerke
457
Personenregister
458
Register der Konzilstexte
466
Autoren
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MICHAEL SIEVERNICH SJ
Kirche im Kontext Der „pastorale“ Grundzug des Zweiten Vatikanischen Konzils Die feierliche Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils am 11. Oktober 1962 war nicht nur ein kircheninternes, sondern auch ein mediales Weltereignis. Die Eröffnung wurde als schwarz-weiße Eurovisionssendung live aus der römischen Petersbasilika gesendet und über den ersten zivilen Kommunikationssatelliten (Telestar) nach Nordamerika übertragen. Alle Welt sah das zur Konzilsaula umgestaltete Hauptschiff von St. Peter mit den beiden symmetrisch angeordneten Tribünen, auf denen die Konzilsväter gleichsam dialogisch gegenübersaßen, geschart um das Evangeliar und den Altar, aber auch um das Petrusgrab. In der visuellen Kommunikation verband die Konzilsaula gleichsam kirchliche Tradition und moderne Innovation. Die mediale Aufmerksamkeit galt nicht nur dem Raum und dem Ereignis, sondern auch der Person des populären Papstes Johannes XXIII., der im selben Jahr von TIME MAGAZINE zum „Mann des Jahres“ erkoren worden war, ein Jahr nach dem Präsidenten John F. Kennedy (1961) und ein Jahr vor dem Bürgerrechtler Martin Luther King Jr. (1963). Damit sind drei Figuren genannt, welche dem Wandel der 60er Jahre ein Gesicht gaben und ihn zugleich gestalteten. Sie verweisen bildstark auf umkämpfte Anerkennungsprozesse der Zeit, auf die politische Anerkennung des amerikanischen Katholizismus, die kirchliche Anerkennung der späten Moderne und die kulturelle Anerkennung der Rassengleichheit. Vergessen wir auch nicht, dass der Kalte Krieg zwischen Ost und West auf dem Höhepunkt stand (Kubakrise) und die Welt an den Rand eines Atomkriegs manövrierte. In dasselbe Jahrzehnt fallen die gesellschaftlichen Umbrüche, die mit dem Symboljahr 1968 markiert werden, geprägt von Vietnamkrieg und Studentenbewegung, vom Scheitern des Prager Frühlings, von der Diskussion um die „Pille“, von der Sprengung der Paulinerkirche in Leipzig und vom Attentat auf den Friedensnobelpreisträger Martin Luther King. Daher kann es durchaus als providentiell gelten, dass
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Michael Sievernich SJ
Papst Johannes XXIII. ein pastorales, und das heißt ein positiv auf den zeitgenössischen Kontext bezogenes Konzil vorschlug, das schon vor dem Umbruch die Kategorien zum Verständnis und zur Gestaltung des Wandels bereitstellte. Damit befreite er die Kirche aus der antimodernen Defensivhaltung, brachte sie à jour und machte sie zu einer Protagonistin im Weltgeschehen. Wenn die Kirche ohne konziliare Erneuerung in den Umbruch der Zeit hineingeschlittert wäre, braucht es keine große Phantasie, um sich im Rahmen einer Folgenabschätzung das hieraus resultierende Szenario vorzustellen. Das angerissene Thema des pastoralen Charakters des Konzils, das in die komplexe Verlaufsgeschichte sowie in die Vor- und Nachge1 schichte des Kirchenereignisses einzubetten ist, sei in drei Schritten erörtert: (1) Präsenz der Weltkirche, (2) Resonanz der Pastoralität, sowie (3) Performanz dialektischer Perspektiven. 1. PRÄSENZ DER WELTKIRCHE Das Konzil war von Beginn an ein Weltereignis, da durch die Bischöfe alle Kontinente vertreten waren. Diese internationale Zusammensetzung war ebenso neu wie die Tatsache, dass sich deren Akteure über den Kreis der Katholiken hinaus an „alle Welt“ richtete, da Christus das „Licht der Völker“ (LG 1) und die Kirche mit der Völkerfamilie „engstens verbunden“ (intima coniunctio, GS 1) sei. Diese bislang größte konziliare Kirchenversammlung war ein öffentlicher Event, der viele Zeitgenossen in den Bann zog. Der Autor dieses Beitrags war damals ein junger Zeitgenosse im Alter von 17 Jahren, Gymnasiast in Köln, Mitglied eines katholischen Jugendverbands (Bund Neudeutschland) und Ministrant am Hohen Dom zu Köln. Wir jugendliche Katholiken waren stolz auf unsere Kirche und ihre Internationalität. Wir verfolgten diesen Aufbruch der Kirche nicht nur als Beobachter, sondern wollten ihn selbst mitgestalten. Das Konzil prägte in dieser Alterskohorte Biographien und gab nicht selten den Anstoß für eine kirchliche Berufung. Mag dieses Geschehen für viele Zeitzeugen in lebendiger Erinnerung stehen, so müssen heutige Studierende sich dieses große Kirchenereignis, seine Geschichte und Bedeutung nun
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Vgl. dazu u.a. J. W. O’MALLEY, What happened at Vatican II, Cambridge/London 2008.
Der pastorale Grundzug des Konzils
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mühsam aus Dokumenten und Literatur sowie Berichten von Zeitzeugen erarbeiten. Auf dem Zweiten Vatikanum war der Episkopat der Weltkirche weitgehend präsent, auch wenn die kommunistischen Länder Volksrepublik China, Nord-Korea und Nord-Vietnam die Teilnahme der Bischöfe verhinderten und osteuropäische Länder jenseits des Eisernen Vorhangs die Teilnahme administrativ behinderten. Die Weitung zur Weltkirche wird im Vergleich mit dem Ersten Vatikanischen Konzil (1869/70) deutlich: Damals stammten die ungefähr 700 Teilnehmer zu fast drei Vierteln (72 Prozent) aus Europa und nur 9 Prozent aus Afrika, während beim Zweiten Vatikanum fast zwei Drittel (64 Prozent) der Konzilsväter aus nicht europäischen Ländern kamen. Die insgesamt über 3000 Konzilsväter, die im Verlauf der vier Sitzungsperioden teilnahmen, stammten aus 116 verschiedenen Ländern, davon die meisten (1036) aus Nord- und Südamerika und aus Europa (1060); von den Europäern waren freilich fast die Hälfte (451) aus Italien, weit mehr als aus ganz Afrika. Aus dem asiatischen und ozeanischen Raum kamen 482 und aus Afrika 351 Konzilsväter; überdies nahmen 129 2 Generalsuperioren der (männlichen) Orden teil. Bei der prozentualen Verteilung am Weltkatholizismus war Europa seinem Katholikenanteil entsprechend vertreten (etwa 32 Prozent der Konzilsväter bei 36 Prozent Katholiken), während Lateinamerika unterrepräsentiert war (etwa 22 Prozent Konzilsväter für 35 Prozent Katholiken). Andere Kontinente waren dagegen numerisch überrepräsentiert; so verfügte das subsaharische Afrika über 9 Prozent der Konzilsväter bei 4 Prozent Katholiken und Asien/Ozeanien über 12 Prozent der Väter 3 bei 7 Prozent Katholiken. Würde heute ein Konzil abgehalten, gäbe es völlig andere Kräfteverhältnisse, die vor allem auf das kräftige Wachstum der Kirchen des Südens (Afrika, Asien/Ozeanien, Lateinamerika) zurückzuführen sind, die heute etwa zwei Drittel aller Katholiken stellen. Demgegenüber leben nurmehr etwa 25 Prozent aller
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Vgl. SEGRETARIA GENERALE DEL CONCILIO (Ed.), I padri presenti al Concilio Ecumenico Vaticano II, Città del Vaticano 1966, 352. Vgl. H. RAGUER, Das früheste Gepräge der Versammlung, in: Giuseppe Alberigo (Hg.), Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils (1959-1965), Bd. 2, dt. Ausg. hg. von K. Wittstadt, Mainz/Leuven 2000, 203-272, hier 206.
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Katholiken in Europa, das allerdings aus demographischen Gründen 4 abnehmende Zahlen verzeichnet. Doch über die Zahlen und die geographische Herkunft der Konzilsväter hinaus ist das Konzil auch als theologisches Ereignis zu sehen. Karl Rahner (1904-1984), der wie seine Kollegen aus Frankfurt Alois Grillmeier, Hans Hirschmann und Otto Semmelroth zur Gruppe der rund 480 Pertti gehörte, entwarf nach dem Ereignis eine theologische Grundinterpretation des Konzils. Dabei entfaltete er die These, dass das Zweite Vatikanische Konzil „der erste amtliche Selbstvollzug der 5 Kirche als Weltkirche“ gewesen sei. Damit habe die Kirche einen „qualitativen Sprung“ zur Weltkirche gemacht, denn zum ersten Mal sei der Weltepiskopat als höchste Lehrinstanz zusammengetreten. Das Werden einer Weltkirche zeige sich in der Zulassung von Volkssprachen für die Liturgie, in der Auseinandersetzung mit Weltproblemen wie Krieg und Frieden und in der positiven Würdigung anderer Religionen. Die Zäsur des Konzils bedeute den Übergang vom europäisch geprägten Christentum zu einer Weltreligion, ähnlich dem Übergang des Christentums in die pagane Welt der späten Antike. Der Übergang von der Westkirche zur Weltkirche stellt nach Rahner vor die Herausforderung eines wachsenden Pluralismus in Verkündigung, Liturgie und Recht, der nur dezentral in den einzelnen Kulturen bewältigt werden könne. Wenn die Kirche zur Weltkirche wird, weicht damit ein lange vorherrschender Eurozentrismus der Pluralität kulturell unterschiedlicher Katholizismen. Neben den Eurokatholizismus, der freilich in höchst differenzierter Gestalt auftritt, treten neue Formen des afrikanischen, südamerikanischen, chinesischen oder indischen Katholizismus. Diese Pluralität macht den Reichtum der Katholizität der katholischen Kirche aus, die im Petrusamt ein Symbol der Einheit aller Ortskirchen ausgebildet hat. Die neue Situation erforderte eine stärkere theologische Zuwendung zu den anderen Kulturen und den in ihnen entstehenden Kirchen. Um diesen Transformationsprozess zu bezeichnen, bediente sich das Konzil selbst der aus der frühneuzeitlichen Mission in Asien bekannten Kategorie der Akkommodation, da 4
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Vgl. B. T. FROEHLE/M. L. GAUTIER, Global Catholicism. Portrait of the World Church, Maryknoll NY 2003, 1-11. K. RAHNER, Theologische Grundinterpretation des II. Vatikanischen Konzils, in: Schriften zur Theologie, Bd. 14, Zürich 1980, 287-302, hier 288 (auch zum Folgenden).
Der pastorale Grundzug des Konzils
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der Begriff der Inkulturation zwar schon geprägt, aber noch nicht breit rezipiert war. Erst ein Jahrzehnt nach Konzilsende, als die Herausforderungen umfassender und dringlicher geworden waren, gewann auch das Konzept der Inkulturation an Bedeutung. Geht es doch zunehmend darum, das Christentum so in die verschiedenen Sprachen und Kulturen, auch in die Kultur der Moderne zu „übersetzen“, dass es sich dort in pluriformen Gestalten einwurzeln und entfalten kann, damit die Kulturen von innen belebt werden und diese dann die Kirche bereichern. Tatsächlich bilden sich heute kulturell vielfach verwurzelte Ortskirchen heraus, die eine gemeinsame Lern-, Gebets- und Solidargemeinschaft konstituieren und der Kommunika6 tion des Evangeliums in Wahrheit und Freiheit verpflichtet sind. Im Zweiten Vatikanischen Konzil unternahmen es die Konzilsväter, die Kirche im Horizont der globalen Moderne und der modernen Globalisierung zu verorten und sich damit den kulturellen und religiösen 7 Welten zu öffnen. Von entscheidender Bedeutung wurde dabei die konziliare Kategorie des Pastoralen, die nicht nur die Pastoralkonstitution, sondern auch das gesamte Konzil als „Pastoralkonzil“ betrifft. 2. RESONANZ DES „PASTORALEN“ Das Konzil versteht sich als Pastoralkonzil und verfügt unter seinen Dokumenten über zwei Kirchenkonstitutionen, eine „Dogmatische Konstitution über die Kirche“ (Lumen gentium) und eine „Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute“ (Gaudium et spes). Die ungewöhnliche Bezeichnung der letzteren, die ein neues Genus von Konzilsdokumenten anzeigt, hat Begeisterung, aber auch Kritik und Skepsis ausgelöst. So mutmaßen die einen, das Konzil sei „nur“ ein Pastoralkonzil gewesen, das nur pastorale Fragen in den Blick genommen habe und daher für die Glaubenslehre belanglos sei. Andere meinen, einem Pastoralkonzil ginge es hauptsächlich um pastorale Themen, die ihre Aktualität einbüßen würden, sobald die Zeiten sich geändert hätten. Wieder andere sprechen von abgestufter
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Vgl. dazu u.a. SEKRETARIAT DER DEUTSCHEN BISCHOFSKONFERENZ (Hg.), Allen Völkern Sein Heil. Die Mission der Weltkirche (Die deutschen Bischöfe 76), Bonn 2004. Vgl. dazu die verschiedenen Beiträge in: P. HÜNERMANN (Hg.), Das II. Vatikanum – christlicher Glaube im Horizont globaler Modernisierung, Paderborn 1998.
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Verbindlichkeit der konziliaren Dokumente (Konstitutionen, Dekrete, Erklärungen), oder sie setzen Lehr- und Pastoralkonzil in Opposi8 tion zueinander. Auch die Konzilsväter hatten ihre Last mit dem Verständnis eines Pastoralkonzils, war es doch das erste dieses Stils. Einige plädierten für die reine Lehre, weil man für die pastorale Applikation kein Konzil brauche (Ottaviani), andere für eine strikte Trennung von Dogma und Pastoral durch parallele Dokumente (Lefebvre). Wieder andere meinten, Pastoral sei eine Art „Theologie light“, welche die an sich exakten dogmatischen und kanonistischen Aussagen ad usum delphini pastoral herunter breche, also aus Gründen der Billigkeit ein Auge zudrücke. Bei dieser Gemengelage wundert es nicht, dass ein bekannter Kirchenhistoriker in seiner Konziliengeschichte zum apodiktischen Schluss kommt: „Ein ungeklärter Begriff von ‚pastoral‘ hat si9 cher Verwirrung gestiftet und dem Zweiten Vatikanum geschadet“. Demnach bleibt zu ergründen, ob es nicht schon damals einen vom Konzil selbst geklärten Begriff des Pastoralen gegeben hat, der zwar neu war, aber keineswegs verwirrte. 2.1 Der Begriff „Pastoral“ Außerhalb von Kirchenkreisen schwant dem Zeitgenossen ohnehin beim Wort „pastoral“ nichts Gutes. So lässt der österreichische Schriftsteller Alois Brandstetter in seinem Roman Die Abtei den Ich-Erzähler einen Monolog an den Abt halten, eine einzige Klage über die Krise der Kirche und ihres Personals. „Mein Abt“, heißt es da, „ihr sollt die materielle Anspruchslosigkeit, aber doch nicht die geistige verkünden. Muss man sich denn um Himmels willen wirklich zum Schaf erniedrigen, wenn man in eurer Pastoraltheologie berücksichtigt wer-
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Zu den Positionen vgl. M. DELGADO/M. SIEVERNICH Zur Rezeption und Interpretation des Konzils der Metaphern, in: Dies. (Hg.), Die großen Metaphern des Zweiten Vatikanischen Konzils. Ihre Bedeutung für heute, Freiburg u.a. 2013, 15-32; J.-H. TÜCK, Die Verbindlichkeit des Konzils. Die Hermeneutik der Reform als Interpretationsschlüssel, in: Ders. (Hg.), Erinnerung an die Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg u.a. 2012, 85-104. K. SCHATZ, Allgemeine Konzilien – Brennpunkte der Kirchengeschichte, Paderborn ²2008, 301.
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den will?“ Ähnlich düster sieht es in der Philosophie aus, wenn Michel Foucault die „Pastoralmacht“ kritisiert, jene kirchlich entwickelte Machttechnik, die über die Subjektivierung der Seelen ihre Unterwerfung betreibe, insbesondere in Geständnissen, und die so das sokrati11 sche Element der Selbstsorge verdrängt habe. Natürlich gibt es auch den positiv konnotierten Begriff der Pastoral, der die Gesamtheit kirchlichen Handelns wie Seelsorge, Gemeinde, Sakramente, Evangelisierung, Diakonie in den Räumen von Stadt und Land sowie in der säkularen Gesellschaft umfasst. Konziliare Aufgabe der Kirche aber ist es, „Gott den Vater und seinen menschgewordenen Sohn präsent und sozusagen sichtbar zu machen“ (GS 21). Der Begriff der Pastoral beruht auf dem uralten Bild des Hirten im Alten Orient, in der klassischen Antike und in der gesamtbiblischen Tradition, was hier nur en passant erwähnt werden kann. Das „Pastorale“ gründet also in jener Metaphorik vom König als Hirten, der sein Volk schützt und leitet. Biblisch findet es Anhalt am Hirte-Sein Gottes, alttestamentlich zum Beispiel im Psalm „Der Herr ist mein Hirt, nichts wird mir fehlen...“ (Ps 23,1). Neutestamentlich greift das Evangelium nach Johannes das Bild als Selbstbezeichnung Jesu auf: „Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe“ (Joh 10,11). Diese Bildrede, die vom schönen-guten Hirten (kalós) spricht, prägte durch die Jahrhunderte die Ikonographie des Schafträgers, aber auch abgeleitet das kirchliche Amtsverständnis, das ekklesiologisch und konziliar als Hirtendienst bezeichnet wird (LG 21, 22 und 28; PO 13, 14). Welches spezifische Verständnis des „Pastoralen“ hat das Pastoralkonzil entwickelt? 2.2 Die Eröffnungsansprache Gaudet mater ecclesia Eine erste und entscheidende Orientierung hierzu gab Papst Johannes XXIII. in seiner eigenhändig verfassten Ansprache Gaudet mater ecclesia („Es freue sich die Mutter Kirche“) zur Eröffnung des Konzils am 11. Oktober 1962. Der Papst wollte generell ein „geistlich“ inspi-
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A. BRANDSTETTER, Die Abtei. Roman, Salzburg/Wien ³1979, 92. Vgl. H. STEINKAMP, Seelsorge als Anstiftung zur Selbstsorge, Münster 2005 (hier auch Hinweise auf die einschlägigen Thesen von Michel Foucault).
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riertes und „pastoral“ ausgerichtetes Konzil. Besonders bedeutsam scheinen drei miteinander verknüpfte Punkte der programmatischen 12 Ansprache. Zum einen akzeptiert der Papst die Moderne und kritisiert ausdrücklich die „Unglückspropheten“ (vaticinatores rerum adversarum), die „in den heutigen Verhältnissen der menschlichen Gesellschaft nur Untergang und Unheil erkennen“ und meinen, „dass unsere Zeit im Vergleich zur Vergangenheit dauernd zum Schlechteren abgeglitten“ sei. Demgegenüber betont Johannes XXIII. das Positive der modernen Welt, ohne sie damit in allem zu affirmieren, und erkennt sogar providentielle Züge: „In der gegenwärtigen Entwicklung der menschlichen Ereignisse, durch welche die Menschheit in eine neue Ordnung (novum ordinem) einzutreten scheint, muss man viel eher einen verborgenen Plan der Vorsehung anerkennen.“ Zum anderen besteht der Papst auf einer kontextuellen Auslegung der christlichen Lehre, da es nicht allein darauf ankomme, das christliche Glaubensgut (depositum) nur zu bewahren oder die Lehre zu wiederholen; dafür sei kein Konzil nötig. Der springende Punkt sei vielmehr die Frage, wie die gesamte christliche Lehre ohne Abstriche „in der heutigen Zeit“ angenommen und so ausgelegt werden könne, „wie es unsere Zeit verlangt“; daher plädiert er für „ein Lehramt mit vorwiegend pastoralem Charakter“ (un magistero a carattere prevalente pastorale). Schließlich plädiert der Papst für eine Medizin der Barmherzigkeit, denn er wollte kein Konzil, das Irrtümer verurteilt, wie die beiden vorangegangenen Konzilien. Er wollte vielmehr ein Konzil, in dem die Kirche die „Heilmittel der Barmherzigkeit“ anwendet und nicht die Waffe der Strenge erhebt, weil es angemessener sei, ausgiebig zu erklären als zu verurteilen (was natürlich nicht bedeutet, dass es keine falschen Lehren mehr gäbe, die auch als solche zu bezeichnen sind). 13 Dieses Prinzip der „pastoralità“ prägt das Konzil und seine Dokumente. Es überschreitet damit das klassische Binom von „Glaube und
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Vgl. JOHANNES XXIII., Ansprache zur Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils Gaudet Mater Ecclesia, Nr. 9; lat. in: Acta Synodalia Sacrosancti Concilii Oecumenici Vaticani II, Bd. I/1, Città del Vaticano 1970, 166-175; dt. Übers.: Die Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils, in: Herder-Korrespondenz 17 (1962) 84-88; lat., ital. und dt. in: L. KAUFMANN/N. KLEIN, Johannes XXIII. Prophetie im Vermächtnis. Fribourg/Ue. 1990, 116-150 (auch zum Folgenden).
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Sitten“ (fides et mores) oder „Lehre und Disziplin“ (doctrina et disciplina), das für die bisherigen Konzilien als typisch gelten kann. Es tritt aus der Defensive heraus und bezieht sich positiv auf die jeweilige Gegenwart und die zeitgenössische Kultur. Durch ein „aggiornamento“, gleichsam ein updating der normativen biblischen und patristischen Quellen (ressourcement), soll die Kirche mit dem Heute in Beziehung treten, auf den gesellschaftlichen Kontext Bezug nehmen. Genau dieser Bezug bildet eine hermeneutische Regel, die christliche Lehre im Kontext der Gegenwart zu interpretieren. Nach dem „pastoralen Prinzip“ darf sich die Kirche weder isolieren, noch kritiklos anpassen. Vielmehr kommt es darauf an, mit der „Welt“ in ein dialogisches Verhältnis zu treten und mit ihr zu verhandeln (GS 92). Denn einerseits hat die Kirche der Welt das Evangelium Jesu Christi zu verkünden, aber andererseits muss die Kirche auch „auf die verschiedenen Sprachen unserer Zeit“ hören und jene Hilfe wahrnehmen, die sie von der Welt empfängt; selbst die Feindschaft ihrer Gegner und Verfolger sei „nützlich“ gewesen (GS 44). Das Konzil sollte also kein klassisches „Lehrkonzil“ mit Definitionen und Verwerfungen werden wie das Tridentinum oder das Erste Vatikanum, sondern die andersartigen Züge eines „Pastoralkonzils“ tra14 gen. Dabei geht es weder um den Verzicht auf theologische Aussagen, noch um die Dominanz primär pastoraler Fragen. Vielmehr geht es darum, die dogmatischen, ethischen und disziplinären Fragen in eine pastorale Perspektive zu stellen. Und das heißt, sie auf den Menschen und konkrete geschichtliche Situationen zu beziehen. „Pastoralität“ ist also die Dritte im Bunde, welche die normativen Vorgaben von Lehre (doctrina) und Disziplin (disciplina) auf reale Kontexte bezieht. Diese Erweiterung findet sich schon in der Ankündigung des Konzils durch den Papst, der in seiner kurzen Enzyklika Ad Petri cathedram vom 29. Juni 1959 das Ziel festhielt:
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Vgl. M. SIEVERNICH, Die „Pastoralität“ des Zweiten Vatikanischen Konzils, in: Ders./M. Delgado (Hg.), Die großen Metaphern des Zweiten Vatikanischen Konzils. Ihre Bedeutung für heute, Freiburg u.a. 2013, 35-58. Zum Begriff auch G. ALBERIGO (Hg.), Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils (1959-1965), Bd. 2, dt. Ausg. hg. von K. Wittstadt, Mainz/Leuven 2000, 664-669. Vgl. S. MADRIGAL, Unas lecciones sobre el Vaticano II y su legado, Madrid 2012, 181186.
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Michael Sievernich SJ
Sie [die Konzilsväter] werden insbesondere das Wachstum des katholischen Glaubens behandeln, die Erneuerung der Sitten des christlichen Volkes und eine angemessenere Anpassung der kirchlichen Disziplin an die Erfordernisse und Bedingungen unserer Zeit (ut ad Catholicae Fidei incrementum et ad rectam christiani populi morum renovationem deveniatur, utque ecclesiastica disciplina ad nostrorum temporum necessitates rationesque aptius accommode15 tur).
Es geht also um das klassische Konzilsprogramm der Doctrina (fides et mores) und der Disciplina, erweitert um die „angemessenere Anpassung“ an die „Erfordernisse und Bedingungen unserer Zeit“. Genau diesen Bezug meint „Pastoralität“. %JFTF ,PO[JMTJEFF +PIBOOFTī 99*** [V EFS CJPHSBQIJTDI XPIM EBT 16 pastorale Vorbild des hl. Karl Borromäus beigetragen hat, blieb nicht bloß päpstlicher Wunsch, sondern wurde vom Konzil selbst rezipiert und fortgebildet. 2.3 Die Pastorale Konstitution Gaudium et spes Eine ausdrückliche Klärung des Verständnisses von „Pastoral“ hat das Konzil in der Pastoralen Konstitution Gaudium et spes selbst vorgenommen, so dass durch dieses Dokument der Begriff erläutert wurde. 17 Die vielfach kommentierte Pastoralkonstitution „über die Kirche in der modernen Welt“ bildet zusammen mit den Konstitutionen über die göttliche Offenbarung (Dei verbum), über die Kirche (Lumen gentium) und über die Liturgie (Sacrosanctum Concilium) den Kern der konziliaren Dokumente, welche die Selbstmitteilung Gottes, die innere Gestalt der Kirche und ihre Aufgabe in der Welt thematisieren. Letztere Aufgabe wird in der Pastoralkonstitution behandelt, die aus zwei gleichrangigen Teilen besteht, welche eine organische Einheit bilden. 15
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JOHANNES XXIII., Enzyklika Ad Petri Cathedram (29. Juni 1959), in: Acta et documenta Concilii Oecumenici Vaticani II apparando, Bd. I/1, Città del Vaticano 1960, 33-35, hier 34 (auch zum Folgenden). Vgl. H. J. SIEBEN, Katholische Konzilsidee im 19. und 20. Jahrhundert (Konziliengeschichte, Reihe B) Paderborn u.a. 1993, 286-290. Vgl. u.a. H.-J. SANDER, Theologischer Kommentar zur Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, in: P. Hünermann/B. J. Hilberath (Hg.), Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 4, Freiburg u.a. 2005, 581-886.
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Sie legen einerseits lehrhaft die Berufung des Menschen (Person, Gemeinschaft, menschliches Schaffen, Aufgabe der Kirche) dar und umschreiben andererseits dringliche Fragestellungen der Zeit (Ehe und Familie, Kultur, Politik, Wirtschaft, Krieg und Frieden). Warum ist das Dokument über die Kirche in der modernen Welt eine „pastorale“ Konstitution? Die konzise Antwort gibt die amtliche Fußnote zu Beginn: „Sie wird ‚pastoral’ genannt, weil sie, gestützt auf Prinzipien der Lehre, das Verhältnis der Kirche zur Welt und zu den Menschen von heute darzustellen beabsichtigt“ (GS 1, Fußnote). Daher fehle weder im ersten Teil über die Berufung des Menschen die pastorale Zielsetzung, noch im zweiten Teil über aktuelle Fragestellungen die lehrhafte Zielsetzung. Die Kirche klärt also auf diesem Konzil ihr theologisches Verhältnis zur Welt nach dem Prinzip der „pastoralità“, dessen Melodie Johannes XXIII. in seiner Eröffnungsrede intoniert hatte. Auf diese Weise verknüpft es Lehre und Leben denkbar eng miteinander und bezieht Glaube, Moral und Disziplin auf die jeweiligen Lebenswelten. Das Pastorale gehört zum Kirchenbegriff. Formal bestimmt die Kirche damit ihr Verhältnis zur Moderne und ihren Handlungsmodus, der Lehre und Leben aufeinander bezieht und die pastorale Form der Lehre betont. Nach dem Prinzip der „pastoralità“ schweben also Kirche und Theologie nicht zeitlos und ortlos im Abstrakten; vielmehr muss man der Kirche, ihrem Handeln und ihrer Reflexion, auch ihren Konzilien anmerken, in welchem zeitlichen und räumlichen Kontext sie existiert und agiert. Daher kommt es darauf an, „die bleibenden Werte (valores perennes) recht zu erkennen und mit dem Neuen, das aufkommt, zu einer richtigen Synthese zu bringen“ (GS 4). Daraus ergibt sich die Aufgabe, „nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten“ (GS 4). Es sei daran erinnert, dass Johannes XXIII. in der Enzyklika Pacem in terris (1963), die er während des Konzils publizierte, drei Zeichen der Zeit benannte, die bis heute nichts an Aktualität eingebüßt haben dürften: die Armut vieler Völker, die gleiche Würde der Frau und die Durchsetzung der Menschenrechte (Nr. 21-25). Auch das Konzil nennt unsystematisch einige solcher Zeichen (signa), wie das Verlangen nach der Einheit der Christen (UR 4), die Forderung nach Religionsfreiheit (DiH 15) und der wachsende Sinn für die Solidarität
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aller Völker (AA 14). Sie zu erforschen, ist freilich Sache des ganzen 18 Volkes Gottes, also nicht nur der Amtsträger und Spezialisten. So gesehen vollzog das Konzil mit dem Prozess der Kontextualisierung, der sich aus dem Prinzip der Pastoralität ergibt, gleichsam einen spatial turn auf der Suche nach dem verlorenen Raum einer atopisch gewordenen Theologie. Das Konzil suchte aufs Neue jene theologischen Orte auf, die Melchior Cano (1525-1560) in der frühen Neuzeit bestimmt hatte. Dazu gehören neben klassischen Bezeugungsorten der Heiligen Schrift, des Lehramts, der Kirchenväter oder der Konzilien, auch „fremde Orte“ (loci alieni), nämlich Geschichte, Vernunft und Philosophie, die gewissermaßen Grenzorte zwischen dem Eige19 nen und dem Fremden sind. Werden diese „fremden Orte“ in die theologische Topographie einbezogen, dann öffnet sich ein weites Feld, bei dem sich die Aufgabe stellt, „in den Ereignissen, Wünschen und Bedürfnissen [...] zu unterscheiden, was darin wahre Zeichen der Gegenwart und der Absicht Gottes sind“ (GS 11). Damit wird die Verschränkung von Lehre und Pastoral deutlich, eine mélange, die nicht nur für die Pastoralkonstitution gilt, sondern auch für die anderen Konstitutionen. So gilt nach der Konstitution über die göttliche Offenbarung, dass das Offenbarungsgeschehen „in Wort und Tat“ (gestis verbisque: DV 2) nach der Weitergabe (transmissio) in „Lehre, Leben und Kult“ (DV 8) verlangt. Für die Dogmatische Konstitution über die Kirche sind es die „gegenwärtigen Zeitverhältnisse“ (condiciones huius temporis), die der universalen Sendung der Kirche „eine besondere Dringlichkeit“ verleihen (LG 1). Dieses Verständnis von „Pastoralität“, das explizit in der Pastoralkonstitution zum Tragen kommt, bestimmt das gesamte Corpus der Konzilsdokumente, in dem es um das Verhältnis von Lehre und Leben sowie um den pastoralen Charakter des Lehramts geht. Daher verbietet sich jedes Verständnis, das eine Alternative oder Gegen-
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So auch K. LEHMANN, Neue Zeichen der Zeit. Unterscheidungskriterien zur Diagnose der Situation der Kirche in der Gesellschaft und zum kirchlichen Handeln heute, in: Ders., Zuversicht aus dem Glauben. Die Grundsatzreferate des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz mit den Predigten der Eröffnungsgottesdienste, Freiburg u.a. 2006, 504-538. Zu M. Canos theologischer Erkenntnislehre vgl. W. KERN/F.-J. NIEMANN, Theologische Erkenntnislehre (Leitfaden Theologie 4), Düsseldorf 1981, 49-53; P. HÜNERMANN, Dogmatische Prinzipienlehre. Glaube – Überlieferung – Theologie als Sprach- und Wahrheitsgeschehen, Münster 2003, 162-171.
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übersetzung zwischen Lehre und Pastoral konstruiert: „Ogni opposizione tra dottrinale e pastorale è fuori luogo: quella pastorale è una dimensione 20 intrinseca alla natura dottrinale del magistero“. Die Pastoral ist keine Hinzufügung zum kirchlichen Lehramt, sondern entspricht seinem innersten Wesen. Diese Neubestimmung der wechselseitigen Bezogenheit bewirkt, dass die Pastoral nicht einfach als Applikation normativer Vorgaben dogmatischer, moraltheologischer oder kirchenrechtlicher Art verstanden werden kann, so sehr diese Vorgaben selbstverständlich in der Pastoral zu berücksichtigen sind. Umgekehrt kann die Lehre nicht von der Pastoral abgeleitet werden, wohl aber kann diese Impulse geben, bestimmte Entscheidungen im Licht des Evangeliums und unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Situation und ihres Wissens neu zu überdenken. Solche in Lernprozessen aufgearbeitete Diskontinuitäten und pastoral orientierte Innovationen verdunkeln nicht die Glaubenslehre, sondern können sie im Gegenteil vertiefen und einleuchtender werden lassen. „Weder Umarmung noch Getto kön21 nen auf Dauer das Problem der Neuzeit für das Christentum lösen“. Wohl aber ein pastorales Lehramt, das für „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst“ (GS 1) der Menschen von heute offen ist, und eine Pastoral, welche die Ambivalenzen der Moderne kritisch im Licht des Glaubens reflektiert. 3. PERFORMANZ DIALEKTISCHER PERSPEKTIVEN Das Zweite Vatikanische Konzil hat das von Johannes XXIII. inaugurierte pastorale Prinzip programmatisch aufgegriffen und in seine Dokumente inkorporiert, ohne dass der Rezeptionsprozess damit abgeschlossen wäre. Die konziliare Pastoralität stellte gleichsam die Initiation in einen Lernprozess dar, den fortzuführen die nachkonziliare Kirche in die Pflicht genommen ist. Auch wenn die Umstände sich ändern und sich manche Einzelaussagen überholen, so bleibt 20
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A. SCOLA, „Gaudium et spes“: Dialogo e discernimento nella testimonianza della verità, in: R. Fisichella (Ed.), Il Concilio Vaticano II. Recenzione e attualitá alla luce del Giubileo, Torino 2000, 82-114, hier 108. J. RATZINGER, Der Weltdienst der Kirche. Auswirkungen von Gaudium et spes im letzten Jahrzehnt, in: Internationale katholische Zeitschrift „Communio“ 4 (1975) 439-454, hier 451.
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doch das Prinzip der Pastoralität, nämlich sich auf die jeweilig neue 22 Situation zu beziehen. So fordert eine Verknüpfung von Lehre und Leben den Einbezug des jeweiligen lokalen und globalen Kontextes. Da dieser bei einer Weltkirche ein Weltkontext ist, hat sich das Weltkonzil veranlasst gesehen, sich auch mit den Weltfragen wie dem Wirtschaftsleben, dem Rüstungswettlauf und der Entwicklungszusammenarbeit zu befassen (GS 63-90). Um nun der Vielfalt der Gegenstände des Konzils Herr zu werden und ihre Kohärenz zu gewährleisten, hat der belgische Kardinal LéonJoseph Suenens mit der Unterscheidung ad intra und ad extra ein hilfreiches Schema entworfen, das übrigens vom biblischen Missionsbefehl ausgeht (Mt 28,19f.) und hintergründig die Dokumente des Kon23 zils strukturiert. Mit dem Schema ad intra – ad extra können die insgesamt sechzehn Dokumente (Konstitutionen, Dekrete, Erklärungen) zwanglos den beiden Kategorien „nach innen“ und „nach außen“ zugeordnet werden. Neu ist dabei natürlich nicht, dass sich ein Konzil „nach außen“ wendet; das haben Konzilien immer getan, um durch Definitionen und Verurteilungen klare Abgrenzungen vorzunehmen. In diesem Sinn waren bei aller inneren Reformfreudigkeit für das Tridentinum und das Erste Vatikanum die Reformation im 16. Jahrhundert und der Modernismus im 19. Jahrhundert das Außen, von dem es sich defensiv abzugrenzen galt. Neu war beim Zweiten Vatikanum allerdings die Art und Weise des Blicks nach außen, da das Konzil auf Canones und Anathemata verzichtete und sich nach dem Prinzip der „pastoralità“ dem zeitgeschichtlichen Kontext und dem Anderen in seiner Andersheit positiv, anerkennend, wertschätzend zuwandte, ohne deshalb eine unkritische Umarmung zu suchen. Diese neue Orientierung war keineswegs selbstverständlich, sondern das Ergebnis konfliktiver Dispute. Als Wendepunkt kann die Diskussion über das Schema zur göttlichen Offenbarung (De fontibus revelationis) gelten, dessen Hintergrundrauschen die Frage nach der 24 pastoralen Ausrichtung der Lehre war. Ein scharfer Konzilsbeobachter kommentierte damals den Zielkonflikt folgendermaßen: 22
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Vgl. CHR. THEOBALD, La réception du concile Vatican II, Bd. 1: Accéder à la source, Paris 1999. Vgl. L.-J. SUENENS, Souvenirs et Espérances, Paris 1991, 72-78. Vgl. G. RUGGIERI, Der erste Konflikt in Fragen der Lehre, in: G. Alberigo (Hg.), Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils (1959-1965), Bd. 2, dt. Ausg. hg. von K. Wittstadt, Mainz/Leuven 2000, 273-314.
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Soll die antimodernistische Geisteshaltung, die Linie der Abschließung, der Verurteilung, der Defensive bis zur fast ängstlichen Ablehnung hin fortgesetzt werden oder will die Kirche, nachdem die nötige Abgrenzung besorgt ist, ein neues Blatt aufschlagen und in eine neue positive Begegnung mit ihren Ursprüngen, ihren Brüdern, mit der Welt von heute treten? Dadurch, dass sich eine so deutliche Mehrheit des Konzils für die zweite Alternative entschied, ist dieses Konzil zu einem 25 neuen Anfang geworden.
Die verabschiedeten Dokumente des Zweiten Vatikanums bilden also ein Gefüge, das hälftig die Binnen- und die Außenperspektive repräsentiert. Diese doppelte Perspektive zeigt sich schon an der Tatsache, dass es zwei Kirchenkonstitutionen gibt: eine Dogmatische Konstitution über die Kirche (Lumen gentium) und eine Pastorale Konstitution über die Kirche in der heutigen Welt (Gaudium et spes). Doch beide Konstitutionen sind jeweils schon am Anfang dialektisch miteinander verschränkt, da sie theologische Aussagen und gegenwärtige Verhältnisse aufeinander beziehen. Außer den beiden grundlegenden Kirchenkonstitutionen sind unter der Innenperspektive (ad intra) folgende Dokumente anzuordnen: die Konstitutionen über die göttliche Offenbarung (Dei verbum) und die heilige Liturgie (Sacrosanctum Concilium), die Dekrete über die katholischen Ostkirchen (Orientalium ecclesiarum), über die Hirtenaufgabe der Bischöfe (Christus Dominus), über den Dienst der Priester (Presbyterorum ordinis), über die Ausbildung der Priester (Optatam totius) und über die Erneuerung des Ordenslebens (Perfectae caritatis). Unter der Außenperspektive (ad extra) sind außer der Pastoralkonstitution folgende Dokumente anzusiedeln: die Dekrete über das Laienapostolat (Apostolicam actuositatem), über den Ökumenismus (Unitats redintegratio), über die Missionstätigkeit der Kirche (Ad gentes) und über die sozialen Kommunikationsmittel (Inter mirifica), sowie die Erklärungen über die christliche Erziehung (Gravissimum educationis), über die Religionsfreiheit (Dignitatis humanae) und über das Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen (Nostra aetate). Zugleich aber stehen die Perspektiven nicht parataktisch und beziehungslos nebeneinander, vielmehr begründet die Binnenperspektive die Sendung nach Außen, wie auch der Bezug nach Außen auf die Binnenperspektive einwirkt. 25
J. RATZINGER, Die erste Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils. Ein Rückblick, Köln 1963, 43f.
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Inhaltlich lassen sich beide Typen von konziliaren Dokumenten den Stichworten der inneren Partizipation und der äußeren Anerkennung zuordnen. Die innere Partizipation hat ekklesiologisch Ausdruck gefunden in der Einheit des Volkes Gottes und der Berufung aller Mitglieder durch Taufe und Firmung zum gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen (LG 10). Mit dem Begriff der „tätigen Teilnahme“ (participatio actuosa) hat die Liturgiekonstitution eine Formel gefunden, die weit über den liturgischen Bereich Anwendung finden kann, zum Beispiel als Teilhabe an der Sendung der Kirche (LG 33; AA 1). Nach außen herrscht die Logik der Anerkennung, handele es sich um die moderne Welt oder um die kulturelle, konfessionelle oder religiöse Alterität. Es gibt viele Beispiele der Anerkennung, so die Anerkennung der Werte bei Nichtchristen (AA 27), des Guten im menschlichen Fortschritt (GS 37), der Dynamik der Gegenwart, welche die Menschenrechte fördert (GS 41), der Kultur und ihres Freiheitsraums (GS 59) sowie die Teilnahme der Frauen daran (GS 60). Besondere Anerkennung zeigt das Konzil im Verhältnis zu den anderen, den nicht-christlichen Religionen. Diese werden nicht mehr als Irrtümer verurteilt oder gar dämonologisch interpretiert, sondern als Suchbewegungen auf Gott hin gesehen und ekklesiologisch dem pilgernden Gottesvolk zugeordnet. So führt die Anerkennung der Anderen zu Aussagen, denen zufolge Gott denen nicht ferne sei, die den unbekannten Gott „in Bildern und Schatten“ suchen; dass Heil erlangen könne, wer ohne Kenntnis Christi seinem Gewissen folge; dass sich „Gutes und Wahres“ in den anderen Religionen finde (LG 16). Auch seien die anderen Religionen als Antworten auf Menschheitsfragen wie Sinn, Glück, Leid und Tod zu sehen, wie denn die „katholische Kirche nichts von alldem ab[lehnt], was in diesen Religionen [i. e. Hinduismus, Buddhismus] wahr und heilig ist“ (NA 2). Diese Wertschätzung gipfelt im Missionsdekret Ad gentes in der Aussage: Was immer aber an Wahrheit und Gnade schon bei den Heiden sich durch eine Art von verborgener Gegenwart Gottes findet, befreit sie von der Ansteckung durch das Böse und gibt es ihrem Urheber Christus zurück [...]. Was an Gutem in Herz und Sinn der Menschen oder auch in den jeweiligen Riten und Kulturen der Völker keimhaft angelegt sich findet, wird folglich nicht bloß nicht zerstört, sondern gesund gemacht, über sich hinausgehoben und vollendet zur Herrlichkeit Gottes, zur Beschämung des Satans und zur Seligkeit des Menschen (AG 9).
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Daher ist anzuerkennen, dass sich Güte, Wahrheit, Heiligkeit, Gnade und eine verborgene Präsenz Gottes in anderen Religionen findet. Diese Anerkennungshermeneutik sei nun formal und inhaltlich an Beispielen durchdekliniert. So erörtert die Pastoralkonstitution das Verhältnis von Kirche und Welt, die nicht gegeneinander auftreten, sondern in dialektischer Verschränkung in einem wechselseitigen 26 „commercium“ Hilfe voneinander erfahren. Die Kirche, „die das irdische Geschick mit der Welt teilt“ (GS 40), ist die Gebende, da sie den einzelnen Menschen das Geheimnis Gottes offenkundig macht und dem Menschen seine Wahrheit erschließt, die personale Würde und Freiheit des Menschen schützt, wie sie auch die Religionsfreiheit respektiert. Weiterhin bringt sie der menschlichen Gemeinschaft Hilfe, da sie aus ihrer religiösen Sendung zum Aufbau, besonders für die Armen, beiträgt und selbst „in Christus gleichsam das Sakrament“ ist (GS 42; vgl. LG 1). So trägt sie zur Einheit der Gemeinschaften und Völker bei und achtet „alles Wahre, Gute und Gerechte“ in den Institutionen (GS 42). Überdies unterstützt die Kirche das „menschliche Schaffen“ (GS 43), sei es durch Laien oder durch Priester und Bischöfe, wobei sie „an der Erfahrung der Geschichte immerfort reifen muss“ (GS 43). Zu dieser traditionellen Sicht der gebenden Kirche tritt freilich das neue Moment einer empfangenden Kirche, die aber nicht nur von Gott, sondern auch von der Welt empfängt und lernt. Schließlich verdanke die Kirche sich auch der Geschichte und der Entwicklung der Menschheit. In diesem Lernprozess erhalten auch die Philosophen den ihnen gebührenden Platz, wie die Pastoralkonstitution festhält: Von Beginn ihrer Geschichte an hat sie gelernt, die Botschaft Christi in der Vorstellungswelt und Sprache der verschiedenen Völker auszusagen und darüber hinaus diese Botschaft mit Hilfe der Weisheit der Philosophen zu verdeutlichen, um so das Evangelium sowohl dem Verständnis aller als auch berechtigten Ansprüchen der Gebildeten angemessen zu verkünden (GS 44).
Vor dem Hintergrund laufenden Empfangens und dauernden Lernens in der Geschichte formuliert die Pastoralkonstitution zugleich die Aufgabe, „unter dem Beistand des Heiligen Geistes auf die ver-
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Vgl. A. GRILLMEIER, Wandernde Kirche und werdende Welt. Kommentare zur Pastoralkonstitution 4, Köln 1968, 104-176.
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schiedenen Sprachen unserer Zeit zu hören, sie zu unterscheiden, zu deuten und im Licht des Gotteswortes zu beurteilen, damit die geoffenbarte Wahrheit immer tiefer erfasst, besser verstanden und passender verkündet werden kann“ (GS 44). Allerdings waren Lernprozesse bisweilen verzögert, so dass es auf dem Konzil zu einer Art nachholender Anerkennung kam, und zwar in Sachen Religionsfreiheit. Diesem Thema gilt ein eigenes Dokument, die Erklärung Dignitatis humanae. Sie bestätigt das Recht der Person und der Religionsgemeinschaften auf „religiöse Freiheit“ (DiH 2) und schließt jeglichen Zwang in Glaubensdingen und jede Unterdrückung Andersgläubiger aus. Damit verankert sie das Menschenrecht der Religionsfreiheit in der inhärenten Personwürde, unabhängig von der Wahrheit der Religion, die nicht anders Anspruch erhebt als „kraft der Wahrheit selbst, die sanft und zugleich stark den Geist durchdringt“ (DiH 1). Mit der Verteidigung der Religionsfreiheit hat das Konzil nicht den Anspruch der Kirche aufgegeben, die einzig wahre Religion (unica vera religio) zu sein (DiH 1). Wohl aber hat es die bis dahin geltende Auffassung überwunden, wonach nur die wahre Religion (vera religio) Recht auf Freiheit habe, die als falsch oder irrtümlich eingeschätzte Religion (religio falsa) dagegen keinen Anspruch auf Freiheit geltend machen könne. Die Frage der Religionsfreiheit war auf dem Konzil deshalb höchst umstritten, weil das kirchliche Lehramt im 19. Jahrhundert die aufkommenden Freiheiten wie Religionsfreiheit, Gewissensfreiheit, Meinungsfreiheit strikt abgelehnt hatte – so noch Papst Leo XIII., der sich in seiner Freiheitsenzyklika Libertatis praestantissimum donum (1888) zwar der demokratischen Regierungsform öffnete, die Religionsfreiheit hingegen zurückwies (DzH 3252). Die Diskrepanz zwischen den lehramtlichen Texten des 19. Jahrhunderts und den konziliaren Texten des 20. Jahrhunderts macht Diskontinuitäten offensichtlich. Allerdings wird man in Rechnung stellen müssen, dass beide Texte auf unterschiedliche Kontexte reagierten, die bei der Auslegung mit zu bedenken sind. Das päpstliche Lehramt des 19. Jahrhunderts stemmte sich gegen den religionsfeindlichen Liberalismus frankophoner Provenienz, der sich im Gefolge der Französischen Revolution und der antiklerikalen Unterdrückung der Kirche breitmachte, weshalb die Freiheiten als Teil eines kirchenfeindlichen Programms galten. Die Anstöße zur Religionsfreiheit auf dem Zweiten Vatikanum dagegen kamen – unter Vermittlung nordamerikanischer Bischöfe und Theologen – aus dem eher religionsfreundlichen Kontext der anglophonen Vereinigten Staaten von Amerika. Diese waren seit ihrer Gründung eine junge Demokratie, die von Anfang an eine klare Trennung von
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Staat und Religion (wall of separation) einführte und die Etablierung einer Staatsreligion ablehnte, zugleich aber die freie Ausübung der Religion gewährleistete, wie der 1791 verabschiedete erste Zusatzarti27 kel zur amerikanischen Verfassung (first amendment) festhält. Die Impulse zu diesem wichtigen konziliaren Text über die Religionsfreiheit, welche die Kirche in einem atemberaubenden Prozess von einer Gegnerin zu einer Befürworterin machte, kamen aus Amerika, nicht aus Europa. Dieses Faktum hatte formative Bedeutung für die Weltkirche, wie der bereits genannte frühe Konzilsbeobachter kommentierte: In einer entscheidenden Stunde des Konzils war die innere Führung von Europa fort an die jungen Kirchen Amerikas und der Missionsländer übergegangen. Deutlicher als irgendwann zuvor zeigte sich die positive Bedeutung der Tatsache, daß die Kirche Weltkirche geworden ist, die vom Reichtum aller lebt, zeigte sich die Bedeutung der Vielheit in der Einheit der Kir28 che.
Daraus folge: „Die beiden Amerikas und die Missionsländer sind zu einer selbstständigen Bedeutung emporgereift und verkörpern auch unabhängig von der europäischen Lokomotive das Verlangen nach einer Erneuerung des Glaubens in allen seinen Dimensionen.“ Aus diesem Vorgang ließe sich die Regel ableiten: Wenn die Kirche ihre Kontexte weitet und konstitutiv einbezieht, wie eine Weltkirche dies ihrem universalen Sendungsauftrag schuldig ist und wie dies hier mit Amerika und seinem Beitrag zum Konzil der Fall war, dann können sich auch unerwartet neue Lösungen alter Problemstellungen ergeben. Als sich die katholische Kirche auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil der modernen Welt zuwandte, ohne sich ihr auszuliefern, hat
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Der erste Zusatzartikel lautet: „Der Kongress darf kein Gesetz verabschieden, das die Einführung einer Staatsreligion zum Gegenstand hat, die freie Religionsausübung verbietet, die Rede- oder Pressefreiheit oder das Recht des Volkes einschränkt, sich friedlich zu versammeln und die Regierung um die Beseitigung von Missständen zu ersuchen“ (“Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or of the press; or the right of the people peaceably to assemble, and to petition the Government for a redress of grievances”). J. RATZINGER, Ergebnisse und Probleme der dritten Konzilsperiode, Köln 1965, 33f. (auch zum Folgenden).
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sie zur Interpretation ihrer Identität im Kontext der Zeit das Prinzip der Pastoralität erfunden. Dieses wird ihr auch weiterhin helfen, im Prozess der Globalisierung immer mehr zu einer kulturell vielfach verwurzelten Weltkirche zu werden, die der Menschheit ihre Dienste anbietet, nicht ohne von dieser selbst zu lernen. 29 Im Rahmen der „Globalisierung des Katholizismus“ sei an das Wort erinnert, das der Konzilstheologe und spätere Kardinal Alois Grillmeier der Kirche als Forderung des Konzils mit auf den Weg gegeben hat. Angesichts des Dilemmas, sich dem Herrn zuzukehren oder der Welt zuzuwenden, lautet seine Formel: „Kehre zu Gott in 30 und durch die Wende zur Welt!“
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Vgl. zu diesem Phänomen u.a. ST. NACKE, Die Kirche der Weltgesellschaft. Das II. Vatikanische Konzil und die Globalisierung des Katholizismus, Wiesbaden 2010. A. GRILLMEIER, Wandernde Kirche und werdende Welt, 9.
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Die zentralen theologischen Aussagen des Konzils Der Beitrag setzt die Ausführungen von Michael Sievernich voraus. Er charakterisiert das Profil des Zweiten Vatikanischen Konzils von seiner Aufgabenstellung her. Diese Klärung des Profils ist von unerlässlicher Bedeutung für die hier entfaltete Problemstellung. Das Zweite Vatikanum unterscheidet sich ja gerade durch sein Profil wesentlich von den voraufgehenden Konzilien. Es besitzt von dorther schon einen ganz eigentümlichen Charakter unter den Konzilien, der sich selbstverständlich in den zentralen theologischen Aussagen Geltung verschafft. Diese liegen nicht einfach auf einer Ebene nebeneinander: Sie entfalten sich auf drei Ebenen, die in eine jeweils größere Tiefendimension hineinführen. Zur Erleichterung des Einstiegs: Wir sind aus der Tradition der Theologie her gewohnt, dass zentrale theologische Begriffe auf drei unterschiedlichen Ebenen spielen, von denen jede notwendig ist, notwendig in ihrer jeweiligen Unterschiedenheit von den anderen, und die gleichwohl zusammen gehören und in einen wesentlich vertieften Sinn hinein führen. Geläufig ist die Differenzierung im Sakramentenbegriff: Sacramentum, das ist wesentlich sacramentum tantum, in sich ständiges Zeichen, geprägt also durch einen Verweischarakter, der über die In-Sich-Ständigkeit hinausweist. Ferner ist sacramentum wesentlich sacramentum et res. Hier wird auf den Vollzugscharakter geblickt. Die In-Sich-Ständigkeit des Zeichens und sein Verweischarakter über sich hinaus werden zur Wirklichkeit erweckt im Vollzug. Im Vollzug leuchtet die Sache auf, um die es geht, weil sie im Vollzug als konstitutives Moment „miterscheint“. Dies gilt für die originäre Erstsetzung wie den mitvollziehenden Nach-Vollzug. Und schließlich gibt es die res tantum, hier ereignet sich gleichsam die Umkehr, eine Inversion: Es ist Gottes Gnade selbst, seine Huld und Zuwendung, seine Selbstmitteilung, die das zutiefst Bewegende ist, das sich in sacramentum et res wie im sacramentum tantum äußert und mitteilt. Wir gebrauchen diese Differenzierung sacramentum tantum – sacramentum et res – res tantum zumeist nur in einer oberflächlichen Weise.
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Wir führen diese Differenzierung an und bedenken nicht, was wir sagen. Man kann, ja man muss sich fragen, was es bedeutet, wenn im Zweiten Vatikanischen Konzil – nicht ohne die Mitwirkung von Pater Semmelroth! – Kirche sacramentum genannt wird. Gibt es eine bündige und schnelle Antwort auf das, was in Bezug auf Kirche sacramentum tantum, sacramentum et res und res tantum bedeuten? Gibt es eine prompte Antwort, wie Jesus Christus – den Augustinus exemplar und sacramentum nennt – zu charakterisieren ist als sacramentum tantum, sacramentum et res und res tantum? Soweit zur proleptischen, d.h. zur voraufgreifenden Begründung dessen, sich den zentralen theologischen Aussagen des Konzils in drei Schritten zu nähern. EBENE 1: WAS SIND DIE ZENTRALEN THEOLOGISCHEN AUSSAGEN DES KONZILS? Antwort: Sie finden sich im „Wortlaut“ der 16 Dokumente. Auf die Frage: „Was hat das Konzil gesagt?“, hat Karl Rahner im Dezember 1965 geantwortet: 1. Das grundsätzliche Selbstverständnis der Kirche: in der Kirchenkonstitution „Lumen gentium“; 2. Das innere Leben: a) ihr munus sanctificandi, also die Liturgie: in der Konstitution „De sacra liturgia“; b) ihr munus regendi: im Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe und im Dekret über die katholischen Ostkirchen; c) ihr munus docendi: in der dogmatischen Konstitution über die göttliche Offenbarung und in der Erklärung über die christliche Erziehung; d) ihre Stände: in den Dekreten über den Dienst und das Leben der Priester und über ihre Ausbildung, im Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens und im Dekret über das Laienapostolat; 3. Die Sendung der Kirche nach außen: a) ihr Verhältnis zu der nichtkatholischen Christenheit: im Dekret über den Ökumenismus und im Dekret über die katholischen Ostkirchen; b) ihr Verhältnis zu den Nichtchristen: in der Erklärung über die nichtchristlichen Religionen und in dem Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche;
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c) ihr Verhältnis zur heutigen profanen Weltsituation im Allgemeinen: in der pastoralen Konstitution über die Kirche in der Welt von heute und auch im Dekret über die sozialen Kommunikationsmittel; d) endlich ihr Verhältnis zum weltanschaulichen Pluralismus der Gegenwart: im Besonderen in der Erklärung über die Reli1 gionsfreiheit.
Rahner beantwortet mit dieser Aufstellung die Frage, die Kardinal Montini in den Diskussionen über die grundsätzliche Aufgabe des Konzils am Ende der ersten Sitzungsperiode (am 5. Dez. 1962) in der Konzilsaula als Votum vorgetragen hat: Er wünschte sich vom Konzil, dass wir allen Gläubigen und allen Menschen überhaupt auseinander zu setzen vermögen, was die Kirche aus dem Willen Gottes und Jesu Christi sei und was ihr heilbringendes Tun in unseren Zeiten zu sein hat. Deswegen haben wir uns mit allen Kräften zu mühen, den Menschen zu erklären, was die Kirche sei, was sie tue, was die Botschaft sei, die von ihr den Menschen unserer Zeit vorzulegen ist, um ihnen Heil zu bringen und die Fragen, die sie belasten in rechter Weise zu beantworten. Dies alles müssen wir mit Worten sagen, die ebenso der Wahrheit treu ergeben wie dem Fassungsvermögen und der Denkungsart der Menschen unserer Zeiten angemessen sind: Dies müssen wir sowohl unseren Gläubigen – und ihnen in erster Linie – und allen Übrigen, unter ihnen besonders den Brüdern, die als von der Einheit der Kirche Getrennte angesehen werden, aus2 sagen.
Die leitende Frage – dies kommt gerade im Votum Montinis sehr deutlich zum Ausdruck – lautet: Was sollen wir sagen? Rahner gibt nach drei Jahren die Antwort. Er beantwortet die Frage nach dem „Was“: Wir haben gesagt, was die Kirche ist, was sie tut hinsichtlich ihres inneren Lebens, hinsichtlich ihrer Sendung nach außen. Dabei orientiert sich Rahner an den Themen, die das Zweite Vatikanum – deutlich sichtbar in den Anfangsworten eines jeden Dokuments – behandelt hat.
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Vgl. H. VORGRIMLER, Zur Einführung, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Das Zweite Vatikanische Konzil. Dokumente und Kommentare, Teil I, Freiburg u.a. 1966, 7f. Ebd., 7.
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Auf die Fragen nach dem „Was“ antwortet die „Aussage“. Montini spricht hier sehr genau: Er fragt nach der enuntiatio, der „Aussage“. Die Aussage ist ein Erstes, ein unhintergehbar Erstes, denn es kann nichts gedacht, es kann nichts geglaubt werden, was nicht ein „Etwas“ ist. Es kann nichts gesagt werden, es sei denn ein „Etwas“. Wer nach den zentralen theologischen Aussagen des Konzils fragt, kommt an dieser ersten Antwort auf das, was das Konzil gesagt hat, nicht vorbei. Zugleich aber kann der Fragende dabei nicht stehen bleiben. Die Aussage selbst zwingt zum Weitergehen. Montini selbst nennt zwei Bedingungen für die Aussagen, um die es geht: Die erste Bedingung: „Das alles müssen wir mit Worten sagen, die […] der Wahrheit treu 3 ergeben sind“. Die zweite Bedingung: Das „Etwas“ muss so gesagt sein, dass die Menschen unserer Zeit es verstehen. Beide Bedingungen treiben die Aussage notwendigerweise über sich hinaus. Ein klassisches Beispiel unserer Zeit sind die Auseinandersetzungen mit der Piusbruderschaft. Diese Bruderschaft argumentiert gegen das Ökumenismus-Dekret formal wie folgt: Das Trienter Konzil hat „etwas“ gesagt. Diese Aussage ist feierlich definiert und wurde in der Glaubenspraxis festgehalten. Das Zweite Vatikanische Konzil hat dagegen „etwas anderes“ gesagt. Infolgedessen kann das Zweite Vatikanum mit seiner Aussage hier nicht gelten. Dass jede Aussage unter Bedingungen steht, auch die feierlich definierte Aussage, wird nicht bedacht. Dabei benennt das Zweite Vatikanische Konzil in Unitatis redintegratio ausdrücklich die veränderte Bedingung seiner Aussage. Im ersten Kapitel mit dem Titel „Die katholischen Prinzipien des Ökumenismus“ heißt es: In dieser einen und einzigen Kirche Gottes sind schon von den ersten Anfängen an manche Spaltungen aufgekommen, die der Apostel als verwerflich schwer tadelt. In den späteren Jahrhunderten aber sind ausgedehntere Meinungsverschiedenheiten entstanden, und es trennten sich nicht unbedeutende Gemeinschaften von der vollen Gemeinschaft der katholischen Kirche, bisweilen nicht ohne Schuld der Menschen auf beiden Seiten. Die aber jetzt in solchen Gemeinschaften geboren und mit dem Glauben an Christus erfüllt werden, können nicht wegen der Sünde der Tren-
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Lateinisch: veritati inhaereant. Alicui inhaerere heißt jemandem „anhangen“, „treu ergeben sein“, vgl. K. E. GEORGES, Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, Bd. 2, Basel 1962, 270.
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nung angeklagt werden, und die katholische Kirche umfängt sie mit brüderlicher Ehrfurcht und Liebe (UR 3; auch zum Folgenden; Hervorhebungen P.H.).
Im Anschluss daran werden die tiefgreifenden Übereinstimmungen – trotz gewisser Differenzen – aufgezeigt, und es wird gesagt, dass diese Christen „aufgrund des Glaubens in der Taufe gerechtfertigt, Christus einverleibt […] und von den Kindern der katholischen Kirche verdientermaßen als Brüder im Herrn anerkannt“ werden. Im Blick auf die getrennten Kirchen und Gemeinschaften ekklesialer Art heißt es: „Der Geist Christi weigert sich nämlich nicht, sie als Mittel des Heils zu gebrauchen, deren Kraft sich von der Fülle der Gnade und Wahrheit selbst herleitet, die der katholischen Kirche anvertraut ist“. Es zeigt sich in diesem Zusammenhang deutlich: Die Aussage des II. Vatikanischen Konzils gewinnt ihre Plausibilität gerade aus dieser veränderten Situation. Sie wird damit verantwortlich bejahbar. Es gilt nämlich: Auch Glaubensaussagen müssen in ihrer Glaubwürdigkeit begründet sein. Nur so gibt es eine Ratio fidei, einen verantwortlichen und damit vernünftigen Glauben.
Natürlich gibt es unterschiedliche Bedingungen. Es gibt äußere Bedingungen. Sie sind immer in irgendeiner Weise orts- und zeitgebunden wie in diesem Beispiel. Und es gibt innere Bedingungen, die nicht hergeleitet werden können und aus ihrer Herleitung plausibel sind, sondern es sind Sachverhalte, die von „sich her einleuchten“. Eine zweite Voraussetzung, die Montini nennt: Das „Etwas“, die Aussage des Konzils, muss so gesagt sein, dass die Menschen unserer Zeit es verstehen. Andernfalls kommt das, was gesagt wird, bei den Menschen überhaupt nicht an. Was ankommt, das sind dann lediglich Worte, aber keine Worte, die erfüllte Worte sind, weil sie einen Sinn transportieren, sondern Worte, die fremd sind, die man nachreden kann, aber die im Grunde nichts wahrhaft sagen. Es muss das „Wie“ des Sprechens, seine Angemessenheit an den intendierten Sachverhalt im Sprechen selbst deutlich werden. Auf Nachfragen müssen entsprechende Antworten möglich sein, so dass hier keine Vorstellungen geweckt werden, die gar nicht gemeint sind, die die Sache, um die es geht, im Grunde nur verdunkeln. Ein Beispiel für diese zweite Art von Bedingung ist gleichfalls dem gegenwärtigen Disput mit der Piusbruderschaft zu entnehmen: Aufgrund der Charakteristik des Konzils als eines „pastoralen Konzils“ wird von vornherein unterstellt, dass es den Konzilsvätern bei den Aussagen des Konzils nicht um die Wahrheit des Glaubens gegangen
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sei, sondern um ein erbauliches Sprechen mit entsprechenden rhetorischen Mitteln, die um ihrer emotionalen Wirksamkeit willen weitgehend aus einem Anpassungsprozess an die Euphorie, den optimistischen Zukunftsglauben jener Zeit erwachsen sind und die infolgedessen in nüchternen Stimmungslagen revisionsbedürftig sind. Den Gipfel einer solchen Interpretation der Sprechweise repräsentiert wohl die Auskunft von Kardinal Brandmüller, er verstehe die Aufregung der Verantwortlichen der Piusbruderschaft über den Dialog mit den Religionen nicht, es sei doch lediglich die pastorale Äußerung eines Konzils, der infolgedessen ein sehr geringer Grad von Ver4 bindlichkeit zukomme. Dabei wird völlig vernachlässigt, dass es umfangreiche Untersuchungen zum Gebrauch des Wortes „pastoral“ in den Schriften Johannes XXIII. gibt und eine genaue Umschreibung 5 dessen, was mit diesem Wort gemeint ist. Die transzendentallogische Rechtfertigung der hier vollzogenen Schritte hat Hermann Krings in 6 seiner „Transzendentalen Logik“ in glänzender Weise aufgezeigt. Wenden wir uns von diesen Reflexionen der zweiten Ebene zu, auf die wir in der Einleitung hingewiesen haben. EBENE 2: WAS SIND DIE ZENTRALEN THEOLOGISCHEN AUSSAGEN DES KONZILS? Antwort: Wesentliche theologische Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils ergeben sich aus Klärungen einer Reihe von äußeren Bedingungen des Glaubens- und Selbstverständnisses der Kirche, wenn sie durch entsprechende Klä7 rungen der Sprachweise des Konzils begleitet werden. Veranlasst durch die Moderne haben die Konzilsväter in Bezug auf eine Reihe überlieferter Glaubensaussagen Klärungen und Verände-
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Siehe dazu J.-H. TÜCK, Ein „reines Pastoralkonzil“?, in: Internationale katholische Zeitschrift Communio 41 (2012) 441-457, hier 441. Vgl. G. ALBERIGO, Transizione epocale. Studi sul Concilio Vaticano II, Bologna 2009, 39-42; DERS., La svolta pastorale nel Vaticano II, in: Ders., Per una „nuova“ pastorale ecumenica, Roma 1990, 71-76. Vgl. H. KRINGS, Transzendentale Logik, München 1964, hier insbesondere Kapitel XI: Die Affirmation, 300-354. Ich beziehe mich im Folgenden auf einige Publikationen, deren Ergebnisse ich im vorliegenden Kontext zusammenfasse.
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rungen durchgeführt. Begründet werden diese Klärungen und Veränderungen durch neue Bestimmungen der „äußeren Bedingungen“. Aus diesen Klärungen und Veränderungen ergeben sich „wesentliche theologische Aussagen“. Zur Veranlassung dieser Klärungen und Veränderungen: Sowohl Johannes XXIII. wie die Konzilsväter sehen die Veranlassung, den Glauben neu zu sagen, in dem epochalen Wandel, der sich in der Menschheitsgeschichte vollzogen hat und weiter ausprägt. So spricht Johannes XXIII. in seiner Ansprache Gaudet mater Ecclesia anlässlich der feierlichen Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils vom zeitgeschichtlichen Sinn des Konzils: In der gegenwärtigen Entwicklung der menschlichen Ereignisse, durch welche die Menschheit in eine neue Ordnung einzutreten scheint, muss man […] einen verborgenen Plan der göttlichen Vorsehung anerkennen. Dieser verfolgt mit dem Ablauf der Zeit durch die Werke der Menschen und meistens über ihre Erwartungen hinaus sein eigenes Ziel, und alles, auch die entgegengesetzten menschlichen Interessen, lenkt er weise zum 8 Heil der Kirche.
So wendet sich der Papst gegen die „Unglückspropheten, die immer das Unheil voraussagen, als ob die Welt vor dem Untergang stünde“ und spricht – ohne die „schweren politischen und wirtschaftlichen Probleme“, die Sorgen und Plagen der Menschen zu übersehen – auch von den „wunderbaren Entdeckungen menschlichen Geistes und dem Fortschritt der Erkenntnisse, die wir uns heute zunutze machen“, und der Verkündigung der überlieferten christlichen Lehre in dieser neuen Epoche. In ähnlicher Weise haben die Konzilsväter in Gaudium et spes (Nr. 410) die neue Situation des Menschen in der heutigen Welt gekennzeichnet und Grundzüge dieser „neuen Epoche“ (GS 4) herausgestellt. Grundzüge der modernen Industriegesellschaft, der Wissenschaften,
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JOHANNES XXIII., Ansprache zur Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils Gaudet Mater Ecclesia, in: Acta Synodalia Sacrosancti Concilii Oecumenici Vaticani II, Bd. I/1, Città del Vaticano 1970, 166-175; dt.: Das Zweite Vatikanische Ökumenische Konzil. Die Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils, in: Herder-Korrespondenz 17 (1962) 84-88; vgl. dazu P. HÜNERMANN/B. J. HILBERATH (Hg.), Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 5, Freiburg u.a. 2009, 484-486 (auch zum Folgenden).
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der tiefen Erschütterungen der überlieferten Kulturen, des Ethos, der Religiosität werden ebenso charakterisiert wie die Bedeutung der 9 Wissenschaften und vor allem der Naturwissenschaften. In diesem neuen Kontext haben die Konzilsväter vier große Entscheidungen getroffen, durch die bisherige Glaubensauffassungen und Aussagen modifiziert, das heißt sowohl geklärt wie verändert worden sind. 2.1 Erste Entscheidung: Das Dekret über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae Nach dramatischen Auseinandersetzungen in der Konzilsaula löst das Konzil mit der Verabschiedung von Dignitatis humanae ein Problem, welches die Geschichte der Kirche faktisch von der konstantinischen Wende ab begleitet hat. Formal wendet sich das Konzil nicht dieser ganzen Geschichte zu, sondern greift das Problem in jener geschichtlichen Gestalt auf, die sich in der Neuzeit in Europa seit der Reformationszeit ausgebildet hat. Es ist eine Problematik, die „eine der maßgeblichen mentalitätsgeschichtlichen Voraussetzungen für die radikale Kritik am Christentum und das Aufkommen des modernen Atheismus in Europa dar10 stellt“. Die schärfste Form der Verurteilung findet die Religionsfreiheit im 19. Jahrhundert: 1832 spricht Gregor XVI. in seiner Antrittsenzyklika von dem deliramentum der Religionsfreiheit (DzH 2730). Der Papst sieht in der Gewissensfreiheit die Ablehnung jeder Bindung. Hier artikuliert sich – für den Papst – die grundlegende Bestreitung von Glauben und Kirche durch die Moderne. Papst Pius IX., der Nachfolger Gregors XVI., veröffentlicht 1864 den sogenannten Syllabus. In den Nummern 77–79 wird die Staats9
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Die epochale Schwelle, die sich vor 50 Jahren bereits abzeichnete, wird heute als „große Transformation“ bezeichnet, als Beginn des Anthropozäns. Es wird verglichen mit der ersten großen Transformation anlässlich der Sesshaft-Werdung des Menschen, der Ausbildung der Agrarwirtschaft und des Handwerks, der ersten Stadtgründungen und der Entfaltung der Schrift; und der zweiten großen Transformation, der Industriealisierung im 19. Jahrhundert. Siehe WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT DER BUNDESREGIERUNG GLOBALE UMWELTVERÄNDERUNGEN (Hg.), Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation, Berlin 2011, 87-116. R. SIEBENROCK, Theologischer Kommentar zur Erklärung über die religiöse Freiheit Dignitatis humanae, in: P. Hünermann/B. J. Hilberath (Hg.), Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 4, Freiburg u.a. 2009, 130.
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religion ausdrücklich sanktioniert, die Religionsfreiheit hingegen und die öffentliche Freiheit zur Ausübung des jeweiligen Kultes verworfen, geächtet, verdammt (DzH 2977-2979). Papst Leo XIII. spricht zwar 1888 in seiner Enzyklika Libertas praestantissimum davon, dass die öffentliche Gewalt das Recht hat, manches zur Vermeidung größerer Übel zu dulden. Insofern kann der Staat nach Leo XIII. andere Religionen dulden. Grundsatz bleibt jedoch, dass es keineswegs erlaubt ist, die Freiheit zu denken, zu schreiben, zu lehren und desgleichen unterschiedslose Religionsfreiheit zu fordern, zu verteidigen oder zu gewähren, so als ob es alles Rechte seien, die die Natur dem Menschen verliehen habe. Denn wenn sie die Natur wirklich verliehen hätte, dann wäre es recht, der Herrschaft Gottes Abbruch zu tun, und die menschliche Freiheit könnte durch kein Gesetz gezügelt werden (DzH 3252).
Nach einer gewissen Annäherung an die Menschenrechtsfrage und an das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit gegen einen Staatsabsolutismus durch Papst Pius XII. veröffentlicht Johannes XXIII. schließlich nach der ersten Sitzungsperiode des Konzils seine Enzyklika Pacem in terris (1963). Er zählt zu den unveräußerlichen Rechten des Menschen, „dass er sowohl Gott nach der rechten Norm seines Gewissens verehren als auch seine Religion privat und öffentlich bekennen kann“ (DzH 3961). Diese päpstliche Erklärung steht in engstem Zusammenhang mit der Entstehung des Dekrets über die Religionsfreiheit. Überblickt man die Ausführungen von Dignitatis humanae, so zeigt sich in der Argumentation selbst, welches die Referenzpunkte sind, aufgrund derer die Bischöfe die frühere Glaubenslehre klären und – aufgrund der neuen Klärung – die Aussage selbst verändern. Bereits in der Einleitung wird auf der einen Seite die Sendung der Kirche betont, das Evangelium allen Völkern und damit die „einzige wahre Religion“ zu verkünden. Sofort aber wird hinzugefügt: In gleicher Weise aber bekennt die heilige Synode, dass diese Pflichten das Gewissen der Menschen berühren und binden und die Wahrheit sich nicht anders auferlegt als kraft der Wahrheit selbst, die zugleich sanft und stark in die Gemüter eindringt (DiH 1).
Indem bereits im ersten allgemeinen Argumentationsgang die Fundierung des Rechtes auf religiöse Freiheit – verstanden als Freiheit von allem staatlichen Zwang – in der geschichtlichen Herausbildung der Überzeugung von der unveräußerlichen Würde des Menschen
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entfaltet wird, frei die Wahrheit und insbesondere die Wahrheit der Religion zu suchen, wird faktisch die philosophische Entwicklung der Moderne seit Kant aufgenommen. Dabei geht es nicht um einzelne philosophische Systeme, sondern um jene grundlegende vernünftige 11 Einsicht, die sich ebenso aus der geschichtlichen Erfahrung – im Sinne der Entwicklung des modernen Rechtsstaates und seiner eingestandenen Kompetenzgrenzen – wie aus der rationalen Aufarbeitung in den unterschiedlichen philosophischen Ansätzen speist. Deshalb trägt der erste Teil der Argumentation die lateinische Überschrift Ratio generalis, und in dieser Entfaltung der Ratio generalis, in ihrer geschichtlichen Entfaltung sehen die Konzilsväter – so DiH 3 – die Vorsehung Gottes am Werk. Hier geschieht ein wichtiger Schritt in der Bewusstwerdung der menschlichen Würde und Freiheit, die vom Glauben her gesehen dem Menschen von Gott her zukommt. Der zweite Teil von Dignitatis humanae thematisiert die Libertas religiosa sub luce revelationis. Die Einleitung dieses Abschnittes zeigt die Verbindung zum voraufgehenden ersten Abschnitt auf und zeigt die Zusammengehörigkeit beider Argumentationsgruppen: Was diese vatikanische Synode über das Recht des Menschen auf religiöse Freiheit erklärt, hat seine Grundlage in der Würde der Person, deren Erfordernisse der menschlichen Vernunft durch die Erfahrung der Jahrhunderte vollständiger bekannt wurden. Jedoch hat diese Lehre von der Freiheit ihre Wurzel auch in der göttlichen Offenbarung, weswegen sie umso mehr von Christen gewissenhaft zu beachten ist. Obwohl nämlich die Offenbarung das Recht auf Freisein von äußerem Zwang im religiösen Bereich nicht ausdrücklich bestätigt, macht sie dennoch die Würde der menschlichen Person in ihrer ganzen Wei12 te sichtbar (DiH 9).
Man sieht an dieser Art der Argumentation, was die Konzilsväter unter einem Lesen der „Zeichen der Zeit“ verstehen: Es geht um die angemessene rationale Interpretation der Entfaltung der Geschichte. Dies impliziert eine rational-philosophische Reflexion und eine entspre11
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Man denke an die Religionskriege in Europa, insbesondere den 30jährigen Krieg nach der Reformation und seine Folgen. Ich erspare mir hier den detaillierten Aufweis, wie die Väter des Zweiten Vatikanums diese ganze „Weite der Würde der menschlichen Person“ aus dem Alten und Neuen Testament, aus zahlreichen Verweisen auf die patristische Theologie bis hin zu den Enzykliken Pius XII., Johannes XXIII. und Pauls VI. aufzeigen.
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chende Interpretation der geschichtlichen Vorgänge ebenso wie den Aufweis der theologischen Verwurzelung dieser Entwicklung in den Zeugnissen der Offenbarung Gottes. Mit dieser grundlegenden Entscheidung werden mehr als eintausendfünfhundert Jahre Staatskirchentum von der konstantinischen Wende bis zum Ende des Franco-Regimes verabschiedet. Das bedeutet aber zugleich – und dies manifestiert sich in den unterschiedlichen Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils –, dass Grundzüge der Gestalt des Glaubens, wie sie sich seit jener Zeit ausgebreitet hat, verabschiedet werden; denn dieses Staatskirchentum hat das Glaubensverständnis und die Lebensformen der Ortskirche wie der Kirchen in Ost und West im Ganzen nachhaltig geprägt. Zugleich entwickelt das Zweite Vatikanische Konzil erste Charakteristika eines neuen Profils des Glaubensverständnisses. Ich bin diesen Fragen in meinem Aufsatz „Kriterien für die Rezeption des II. Vatikanischen Konzils“ nachgegangen und habe dort beispielhaft zunächst auf Nostra aetate und den Dialog mit den nichtchristlichen Religionen 13 hingewiesen, der darin programmatisch eröffnet wird. Die neue Verhältnisbestimmung zu den Religionen hängt damit zusammen, dass mit Dignitatis humanae die grundlegende Identifikation der Ordnung des Glaubens bzw. der Kirche mit der staatlichen oder imperialen öffentlichen Rechtsordnung aufgehoben wird. Von Nikaia ab sind Glaubenssätze öffentliche Rechtssätze, die grundsätzlich strafbewehrt sind. Diese Definition des Glaubens, verbunden mit unmittelbaren öffentlich rechtlichen Sanktionen, zeigt sich in den verschiedensten Spielarten, von verwaltungsmäßigen Maßnahmen und Sprachformen bis hin zu Kreuzzügen, Kämpfen gegen andere Religionen und die damit verknüpften Machtansprüche. Hier erfolgt jeweils – im Namen der Offenbarung – eine simple Negation der anderen Religionen. Jetzt, wo eben diese simple Form der Negation theologisch zurückgewiesen wird, ergibt sich die Aufgabe, vom Verbindenden ausgehend auch das Unterschiedliche zu nennen. Dies aber führt in einen Dialog der Religionen. Dei Verbum, Lumen gentium, verabschiedet lange vor Nostra aetate, tragen dem Rechnung, wenn Dei Verbum von der Offenbarung Gottes selbst als einer Selbstmitteilung und einem alle Epo-
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Vgl. P. HÜNERMANN, Kriterien für die Rezeption des II. Vatikanischen Konzils, in: Theologische Quartalschrift 191 (2011) 126-147.
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chen und Zeitalter der Menschheitsgeschichte umfassenden Geschehen spricht, oder wenn Lumen gentium die Geschichte der Menschen von Anfang an bestimmt sieht durch das Mysterium der Kirche, das sich in unterschiedlichen Vorformen abschattet. Der Text spricht von einer praefiguratio. In beiden Fällen wird hier die simple Negation aufgehoben. So wird das Verhältnis von Christentum und Judentum schon in LG 2 und LG 9 auf ein neues Fundament gestellt. Die Mission der Kirche wird gegenüber der Geschichte in einer wesentlich veränderten Weise gesehen: Ad gentes sieht die Mission wesentlich als ein Kommunikations- und Freiheitsgeschehen. Die einzige Basis der Mission und ihr Modell bietet die Praxis Jesu Christi selbst, der die Menschen „durch einen wahrhaft menschlichen Dialog zum göttlichen Licht“ leitete (AG 8). Die Geschichte der Mission, die aufs engste mit politischen und wirtschaftlichen Interessen des Reiches der später nachfolgenden Staaten verknüpft und durchmischt war, ist damit grundsätzlich verabschiedet. Ich verweise ferner auf die Entwicklung des theologischen Amtsverständnisses im Mittelalter und auf die Entwicklung der feudalen und privilegierten Strukturen, die aufgrund des hier ganz selbstverständlich praktizierten Staatskirchentums dem Amt zugeschrieben werden. 2.2 Zweite Entscheidung: Die Verabschiedung der eintausendjährigen Spaltung von Ost- und Westkirche und die damit gegebene Aufgabe des Konzeptes einer monokulturellen Kirche im Westen Die Grundentscheidung, die sich in Orientalium ecclesiarum 14-18 und Unitatis redintegratio 13-17 manifestiert, bedeutet den Abschied von der Hinnahme des Schismas von Ost- und Westkirche, noch nicht aber die vollendete Aufarbeitung dieser Kirchentrennung, wenngleich die wechselseitigen Verwerfungen von beiden Seiten am Ende des Konzils von Rom und Byzanz ausdrücklich aufgehoben wurden. Das Grundprinzip dieser Neuorientierung liegt in dem Satz: Der katholischen Kirche ist dieser Vorsatz eigen, dass die Überlieferungen einer jeden Teilkirche bzw. eines jeden Ritus gewahrt und unversehrt bleiben, und sie selbst will in gleicher Weise ihre Lebensweise den vielfältigen Bedürfnissen der Zeiten und Orte anpassen (OE 2).
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Die Entscheidung, die mit dieser Feststellung getroffen wird, betrifft Grundzüge im westlichen Kirchen- und Glaubensverständnis, die damit korrigiert sowie verabschiedet werden und zur Herausbildung neuer Perspektiven und Profile führen. Wie zeigt sich, dass die katholische Kirche vom Mittelalter an eine monokulturelle Theologie- und Kirchengestalt entfaltet? Zunächst eine theologiegeschichtliche Feststellung: Vom 12. Jahrhundert ab wird in den theologischen Fakultäten, in den sich entfaltenden Universitäten mit den Sentenzen des Petrus Lombardus ein universales theologisches Lehrbuch eingeführt, das bis in die Barockscholastik hinein, wo es durch die Summe des Thomas abgelöst wird, in Geltung bleibt und immer wieder neu interpretiert wird. Daneben bilden die Dekrete des Gratian den Grundstock des sich neu entfaltenden Kirchenrechts und eines damit zugleich verbundenen öffentlichen Systems von unterschiedlichen Rechten und Gruppen von Rechten, die vom Kirchenrecht als Rahmen mitbestimmt sind. Im exegetischen Bereich schließlich wird die Glossa ordinaria zum grundlegenden exegetischen Lehrinstrument. Damit ist ein Rahmen für die kommenden theologischen Entwicklungen gegeben, der die abendländische Theologie und die Lebensform der Kirche zutiefst bestimmt hat. Verbunden damit ist eine hohe Betonung der zentralen Stellung des Nachfolgers Petri. Von nahezu allen Kanonisten wird bis in die Neuzeit hinein die These vertreten, dass Jesus Petrus exklusiv zum Bischof geweiht habe und von Petrus die anderen Apostel gleichfalls die Bischofsweihe empfangen hätten. Das Gleiche gilt für die Mehrheit der Theologen. Aus dieser monokulturellen Gestalt ergibt sich, dass bei den Begegnungen von Ost- und Westkirche auf dem Zweiten Konzil von Lyon (1274), in Florenz und Ferrara (1431-1445) und den anschließenden Unionen mit Griechen, Armeniern, Jakobiten usw. den Syrern, Chaldäern, Maroniten die erarbeitete westliche Sakramentenlehre auferlegt und zahlreiche Veränderungen und Anpassungen an westliche Vorstellungen durchgesetzt wurden. Dagegen heißt es jetzt: Das von den Aposteln überlieferte Erbe aber wurde in verschiedenen Formen und Weisen angenommen und daher von den ersten Anfängen der Kirche selbst an hier und dort verschiedenartig ausgelegt auch wegen der Verschiedenheit der Sinnesart und der Lebensbedingungen (UR 16).
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Diese unterschiedlichen kirchlichen Ordnungen, Sitten, Gebräuche, aber auch die unterschiedlichen Liturgien und Glaubensentfaltungen stehen der Einheit der Kirche nicht entgegen, vielmehr bereichern sie sie (UR 17). Auch hier zeigen sich zahlreiche Parallelaussagen, die nicht ausdrücklich in diesem ökumenischen Text erarbeitet worden sind, gleichwohl aber die Grundlagen betreffen, so etwa, wenn in Lumen gentium 13 und 23 ausdrücklich die Rede davon ist, dass die Kirche in und aus Kirchen besteht. Die Kirche kann ihrer Sendung für die Menschen des gesamten Erdkreises nur nachkommen, indem sie in sich selbst der Pluralität und rechtmäßigen Verschiedenheit Raum gewährt (GS 92). Ausdrücklich wird den Patriarchen der östlichen Kirchen deren eigenständige Jurisdiktion bestätigt (OE 7-11, insbesondere OE 9). 2.3 Dritte Entscheidung: Der Abschied von fünfhundert Jahren Spaltung von Katholiken, Lutheranern, Reformierten und damit die Verabschiedung der „Konfessionskirchen“ Mit Unitatis redintegratio 1-4 hat die katholische Kirche ihr Verhältnis zu den Kirchen der Reformation neu bestimmt. Diese Neubestimmung bedeutet wesentlich die Verabschiedung des Konzeptes der „Konfessionskirche“. Was ist damit gemeint? Auf dem Augsburger Reichstag hatte Melanchthon 1530 die Confessio Augustana vorgelegt, in der er die entscheidenden Kritikpunkte Luthers und der reformatorisch gesonnenen Theologen darlegte. Die Confessio Augustana führt in der Folge zu einem ganz eigentümlichen Prozess: Eine wachsende Zahl von Fürsten, die zur Reformation neigen und sie sich als zugleich für die Kirchenordnung Verantwortliche zu eigen machen, nehmen dieses Dokument als Grundlage für eine gute öffentliche Ordnung, die sowohl die Kirche wie das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben und das Familienleben betrifft. Damit setzt ein Prozess der Identitätsbildung ein, der nicht nur politische, kulturelle, sondern auch das Hauswesen betreffende Konsequenzen hat und sich jeweils von den spezifischen Kritikpunkten her definiert. Die Gegenreformation benutzt ihrerseits die Trienter Verwerfungen der von Luther vertretenen theologischen Thesen, um von diesen Identitätspunkten her kirchliches, gesellschaftliches, privates Leben zu strukturieren. Die Folge ist, dass mit diesen antagonistischen Referenzpunkten die viel größeren Gemeinsamkeiten, die theologischen Variationsbreiten von einzelnen theologischen Sachfragen nicht mehr
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vorkommen. Es erfolgt ein Abbruch der jeweiligen kirchlichen, gesellschaftlichen, öffentlichen verbindenden Elemente. Diese abgrenzende Stilisierung der Identitätsbildung führt zur Ausbildung katholischer bzw. protestantischer Milieus, die sich wechselseitig radikal ausschließen. Dazu gehören auch die konfessionell totalen Abgrenzungen von lutherischem und reformiertem Christentum. In der Theologie ergibt sich eine ganze Reihe von Tabuthemen. Auf katholischer Seite wird z.B. die Frage nach dem gemeinsamen Priestertum aller Christen nicht mehr gestellt, gerade weil bei den Evangelischen darauf ein nahezu exklusiver Akzent gesetzt wird. Ähnlich widersprüchliche Positionen ergeben sich im Blick auf das Kirchenverständnis. Katholischerseits wird Kirche nahezu exklusiv als Institution behandelt, während evangelischerseits die Ecclesia invisibilis betont wird. Die Verkündigung des Evangeliums wird gegen die Kirche der Sakramente ausgespielt. Das alles verlängert sich bis in die neuscholastischen dogmatischen Handbücher hinein. Man spricht nicht mehr von Christen, es gibt nur noch Katholiken, Lutheraner und Reformierte. Die neue Glaubensgestalt, die im Zweiten Vatikanum sichtbar wird, wird in Unitatis redintegratio zunächst so charakterisiert, dass ausdrücklich unterschieden wird zwischen den für das Schisma ursprünglich Verantwortlichen und den heutigen Christen. Letztere sind nicht schuld an Schisma und Häresie; sie werden vielmehr in dieser so geprägten Glaubensgestalt in der Konfessionskirche geboren. Im Blick auf die Entwicklung in der Zeit nach der Trennung heißt es ausdrücklich, dass der Geist Christi „sich nicht weigerte, sie als Mittel des Heils zu gebrauchen“ (UR 3), und die katholischen Christen werden ausdrücklich aufgefordert, die Christen als Getaufte und so zum Leib Christi Gehörige brüderlich aufzunehmen. Die Angehörigen der katholischen Kirche wie der anderen Kirchen und Gemeinschaften werden aufgefordert, die noch bleibenden Differenzen aufzuarbeiten und „am ökumenischen Werk erfinderisch teilzunehmen“ (UR 4). Ausdrücklich wird zur Begründung darauf hingewiesen, dass von beiden Seiten her der Wunsch nach der Einheit durch den Heiligen Geist geweckt ist. Die Auswirkungen dieser neuen Bestimmung in den übrigen Dokumenten sind nicht nur in Lumen gentium zu verspüren, sondern zeigen sich ebenso in Dei Verbum und der Art und Weise, wie dort von Schrift und Tradition die Rede ist, wie z.B. in Fragen der Liturgie. Vor allem ist die Lehre vom priesterlichen Volk Gottes ein wichtiges Moment dieser theologischen Neuorientierung. Gleiches gilt für die Neufassung der Lehre von der Eucharistie, die sich von den tridentinischen Kontroverspunkten und dem darin implizit angedeuteten
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gegenreformatorischen Gesamtverständnis nicht unwesentlich unter14 scheidet. 2.4 Vierte Entscheidung: Mit Gaudium et spes – aber auch mit den anderen Dekreten – nimmt die katholische Kirche Abschied vom Verweilen an der Schwelle der Moderne und sieht die Kirche, sieht das Glaubensverständnis wesentlich im Kontext der Moderne. Mit dieser Entscheidung wird eine wichtige Vertiefung und Spezifikation der zwei großen Konstitutionen des Ersten Vatikanums Dei Verbum und Pastor Aeternus vorgenommen. In Bezug auf die Glaubenskonstitution (DzH 3000-3045) findet ebenso wie in Bezug auf die Konstitution über Primat und Magisterium des Papstes (DzH 3050-3075) eine differenzierende Fortschreibung statt. Es wird in Bezug auf den Glauben von einer zweifachen Ordnung der Erkenntnis gesprochen, die nicht nur im Prinzip, sondern auch im Gegenstand verschieden sind (DzH 3015). Diese Formel, die nach dem Ersten Vatikanum im Sinne von zwei nebeneinander stehenden Erkenntnisordnungen verstanden worden ist, wird im Zweiten Vatikanum abgelöst: Es wird von der gegenseitigen Durchdringung von irdischer und himmlischer Bürgerschaft (GS 40) gesprochen, der Perichorese von Denken und Glauben, die schon von Thomas und Augustinus thematisiert wird. Dass zunächst ein Nebeneinander beider Erkenntnisordnungen leitend war, dokumentiert sich deutlich in den Antworten der päpstlichen Bibelkommission am Beginn des 20. Jahrhunderts sowie einer 14
Es wird dies sehr deutlich, wenn man etwa die Studie der Piusbruderschaft zur Liturgiereform des Zweiten Vatikanums liest und sieht, welche Konklusionen hier aus den Trienter Aussagen gezogen werden. In diesem Kontext ist die Methodologie, mit der im Zweiten Vatikanum die großen Texte erarbeitet werden, vielleicht am signifikantesten hinsichtlich der Abwendung von einem konfessionskirchlichen Konzept. Das Zweite Vatikanum betont, dass das Neue und Alte Testament die Seele der Theologie und der Verkündigung ist (DV 24). Das Ministerium wird als erstes durch den Auftrag zur Verkündigung charakterisiert (LG 20). All diese Aussagen spiegeln sich in der methodischen Arbeit der Konzilskommissionen. Die vorbereiteten Dokumente des Konzils waren eindeutig gepresst in die enge Systematik und die abstrakte Methodologie der Neuscholastik, während jetzt in breiter Weise Texte der Schrift, der Patristik, des Mittelalters aufgenommen und in ihren jeweiligen Eigenheiten und Profilen respektiert werden.
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Reihe weiterer lehramtlicher Feststellungen – darunter etwa die Verwerfung des Monogenismus durch Papst Pius XII. unter Berufung auf 15 Trient und die Erkenntnisordnung des Glaubens. Die wechselseitige Perichorese von Vernunft und Glauben prägt sich in besonderer Weise in Gaudium et spes aus (GS 40-45). Johannes Paul II. hat diese wechselseitige Durchdringung von Vernunft und Glauben in seiner Enzyk16 lika Fides et ratio (1998) ausdrücklich „auf den Punkt“ gebracht. In Bezug auf die Konstitution Pastor aeternus des Ersten Vatikanums ist zu sagen, dass das Zweite Vatikanische Konzil im Unterschied zum Ersten Vatikanum ausdrücklich die Bedingungen thematisiert, unter denen sowohl der Primat wie das Lehramt des römischen Bischofs auszuüben ist. Im Ersten Vatikanum sind genau diese Bedingungen nicht erörtert und näher geklärt worden. In Bezug auf die Unfehlbarkeit hat man dies ausdrücklich vermieden, um das Volk Gottes nicht 17 im Glauben zu erschüttern. 2.5 Fazit Die genannten tiefgreifenden und Veränderungen mit sich bringenden Entscheidungen, die hier an vier Referenzpunkten festgemacht wurden, bringen zwei wesentliche Resultate mit sich: Zum einen hat die Kirche ihre Position in mehrfacher Hinsicht neu bestimmt: gegenüber der Weltöffentlichkeit und den Staaten wie gegenüber den überstaatlichen Organisationen, gegenüber den nichtchristlichen Religionen und den nichtkatholischen Kirchen und gegenüber den ekklesialen Gemeinschaften. Zum anderen hat sie die neuen Umrisse der Gestalt des Glaubens und des kirchlichen Lebens in der Moderne, die wesentlich mit diesen Veränderungen in Zusammenhang stehen, umrissen. Es entsteht so – gleichsam nach innen gerichtet – ein neues Profil theologischer Art. Ich habe diese Züge angedeutet; sie bedürfen dringend einer entsprechenden Ausarbeitung. Das Ensemble der neuen profilierenden Umrisslinien, wie sie sich im Zweiten Vatikanischen
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Vgl. PIUS XII., Enzyklika Humani generis (12. Aug. 1950; DzH 3875-3899, bes. 3897). Vgl. JOHANNES PAUL II., Enzyklika Fides et ratio (14. Sept. 1998; dt. Übers. als: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 135, Bonn 1998). Zu den Einzelnachweisen vgl. HÜNERMANN, Kriterien für die Rezeption, 139-144.
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Konzil bereits abzeichnen und die weiteren darauf folgenden Ergebnisse habe ich in der einleitenden These charakterisiert als wesentliche theologische Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils, die sich aus Klärungen einer Reihe von äußeren Bedingungen des Glaubens und Selbstverständnisses der Kirche ergeben. Ich habe im 5. Band des Konzilskommentars die These begründet, dass es sich bei diesen wesentlichen Aussagen nach außen und innen hin um „konstitutionelle Texte“ handelt. Es sind nicht einfach „pastorale“ Aussagen im Sinne von Kardinal Brandmüller, das heißt beiläufige Aussagen. Es sind vielmehr verbindliche Aussagen, die abstecken, welche Einhaltung von Bedingungen unhintergehbar sind, damit das Evangelium in der Moderne, in unserer Zeit und für die Menschen 18 unserer Zeit überhaupt angemessen verkündet werden kann. Aus diesen vier Klärungen ergeben sich die wesentlichen Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils. EBENE 3: WAS SIND DIE ZENTRALEN THEOLOGISCHEN AUSSAGEN DES KONZILS? Antwort: Die zentralen theologischen Aussagen des Konzils ergeben sich aus der Klärung der inneren Bedingungen des Glaubens- und Selbstverständnisses der Kirche. Auch diese Klärung muss durch eine entsprechende Klärung der Sprechweise des Konzils begleitet werden. 3.1 Erster Schritt: Wo finden sich die zentralen Aussagen des Konzils im Wortlaut der Dokumente? Der einleitende Hinweis auf die traditionelle Sakramentenlehre hat die Rede von den drei Ebenen theologischen Sprechens vorbereitet: die Ebene des sacramentum tantum, die Ebene sacramentum et res, und schließlich die Ebene res tantum. Res tantum bezeichnet die Sache schlechthin, um die es in den Sakramenten geht, nämlich jenes zent-
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Zur näheren Charakteristik des Sinnes von „konstitutionellen Texten“ siehe P. HÜNERMANN, Der Text: Werden – Gestalt – Bedeutung. Eine hermeneutische Reflexion, in: Ders. / B. J. Hilberath (Hg.), Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 5, Freiburg u.a. 2009, 5-101, bes. 82-87.
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rale Geschehen, von dem her Sakramente überhaupt Sakramente sind: die Huld und Gnade Gottes, durch die Gott uns sein eigenes Leben, seine ewige Liebe zuwendet. Es geht um das konstitutive Handeln Gottes selbst. Wo und wie wird in den konziliaren Texten diese Sache schlechthin, um die es in den Texten geht, thematisiert? Das Konzil hat eine heuristische Spur gelegt, indem es Konstitutionen von Dekreten und Erklärungen unterschied. Man darf also vermuten, dass in den Konstitutionen diese höchste und schlechthin entscheidende „Sache“, um die es in den Aussagen des Zweiten Vatikanums insgesamt geht, ausdrücklich thematisiert wird. Befragt man die großen Konstitutionen des Konzils, Dei Verbum, Lumen gentium und Gaudium et spes, so zeigt sich deutlich im Aufbau und in der Gliederung der Konstitutionen, wo diese Sache, um welche es zutiefst geht, behandelt wird. In Dei Verbum trägt das erste Kapitel den Titel: „Die Offenbarung selbst“ (De ipsa revelatione). Die folgenden Kapitel behandeln eindeutig Fragen, die sich von diesem ersten Kapitel her ergeben. Das erste Kapitel der Kirchenkonstitution Lumen gentium trägt den Titel: „Das Mysterium der Kirche“; damit ist ebenso das Zentrum aller Aussagen angezielt, die in den folgenden Kapiteln entfaltet werden. Gaudium et spes geht einen etwas anderen Weg in seinem grundlegenden ersten Teil. Indem hier – nach der Beschreibung der gegenwärtigen Situation der Menschheit – nach der Würde, der sozialen Verfasstheit des Menschen und dem Tätigsein des Menschen gefragt wird, wird von jedem dieser Ausgangspunkte her auf das Christusmysterium vorgedacht. Diese einzelnen miteinander konvergierenden Linien werden dann im 4. Kapitel gebündelt, so dass hier die eigentliche Sache, um die es geht, klar zum Ausdruck kommt. Auch Sacrosanctum Concilium wird Konstitution genannt. Allerdings tragen hier lediglich die Einleitung und das 1. Kapitel konstitutionellen Charakter. Vom 2. Kapitel an beginnen die Ausführungen über die Reform der Liturgie. Diese Reformen – sie beziehen sich formal auf die Liturgie der Westkirche – sind allerdings wesentlich durch das 1. Kapitel geprägt. Hier ergibt sich ein sachlicher Zusammenhang, der
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die Reform in ihren Grundzügen zu seiner wesentlichen kirchlichen 19 Angelegenheit macht. Bereits der Einleitungstext SC 2 spricht von der „innersten Sache“, um die es bei der Liturgie geht: In der Liturgie generell, im eucharistischen Opfer im Besonderen, wird das opus redemptionis vollzogen, so dass die Glaubenden durch ihr Leben (vivendo) das „Mysterium Christi“ und die „eigentliche Natur der Kirche“, ihr Mysterium, „offenbar machen“. Das 1. Kapitel entfaltet dann die einzelnen bereits hier genannten Momente der Einleitung. Auch hier geht es um das Mysterium Gottes, der das „Werk der Erlösung“ in und durch Jesus Christus wirkt, wie um das daraus resultierende Mysterium der Kirche und den offenbar machenden Vollzug dieses Mysteriums durch die Glaubenden. Eingangs wurde, von der Sakramententheologie her kommend, von der dritten Ebene als der res tantum gesprochen. Damit ist Gottes eigenes Handeln und Tun bezeichnet, das als innerstes konstitutives Handeln die Sakramente als Sakramente in ihren verschiedenen Ausprägungen konstituiert. Dieser Hinweis findet in den genannten Kapiteln seine volle Bestätigung. Sie handeln von Gott, der sich selbst als Heil der Menschen erschließt; zudem wird seine Selbsterschließung in unterschiedlichsten Perspektiven charakterisiert. Entsprechend wird in Dei Verbum 2-4 Gott von vornherein als jener charakterisiert, der die Schöpfung durch sein Wort ins Dasein ruft und sich den Menschen „von den Ureltern ab“ selbst kundtut. So wird in DV 2 neben neutestamentlichen Texten ganz selbstverständlich auch das Alte Testament zitiert. In der gesamten Heilsökonomie „redet der unsichtbare Gott […] die Menschen als Freunde an […], um sie zur Gemeinschaft mit sich einzuladen und in sie aufzunehmen“. Die heilsgeschichtlichen Werke und Worte aber bringen „das in ihnen enthaltene Mysterium ans Licht“. „Die innerste, durch diese Offenbarung sowohl über Gott als auch über das Heil des Menschen (gegebene) Wahrheit aber leuchtet uns in Christus auf, der zugleich als Mittler und Fülle der ganzen Offenbarung hervortritt“. Rede, Anrede wird in diesem Kapitel nicht als Metapher verstanden, wenngleich mit diesen Worten nicht die unmittelbare Gesprächssituation zwischen zwei
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Siehe dazu die ausgezeichneten Ausführungen von M. FAGGIOLI, True Reform: Liturgy and Ecclesiology in Sacrosanctum Concilium, Liturgical Press, Collegeville, Minnesota 2012.
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Menschen bezeichnet ist. Die Menschheit in ihrer ganzen Geschichte ist in ihrem Dasein die Angeredete. Bei solch einer Glaubensaussage steht dem modernen Menschen der langwierige Prozess der Ausbildung des Denkens und Sprechens der Menschen in der Menschheitsgeschichte vor Augen: die lange Reihe der Gestalten des Heiligen, des Religiösen, der Religionen, der unterschiedlichen Formen von kultischen Handlungen etc. Soll diese christliche Lehre vom sich offenbarenden Gott glaubwürdig sein, dann muss das Mysterium Christi, das Mysterium des sich selbst offenbarenden, den Menschen ansprechenden Gottes in diesen Gestalten des Heiligen und in den Religionen aufleuchten. Aber es kann nicht einfach identisch sein mit diesen historischen Gestalten, die sich voneinander unterscheiden, abgrenzen, ausschließen, bekämpfen. Das bedeutet aber, dass das „Mysterium des sich offenbarenden Gottes“ nicht auf der Ebene der gegenständlichen Gestalten von Religion gesucht werden darf, sondern auf einer Ebene, die diese geschichtliche, gegenständliche Realität, basierend auf Wahrnehmbarkeit und Erfahrbarkeit, nochmals übersteigt. Dieses „Übersteigen“ wird durch Dei Verbum selbst bezeugt. Das „Mysterium der Offenbarung über Gott und das Heil des Menschen“ (DV 2) wird nicht als unmittelbarer Aussageinhalt von Worten und Handlungen bezeichnet. Vielmehr „leuchtet“ dieses Mysterium „auf“, und zwar in den Handlungen und Worten. Die Wahrheit der Offenbarung Gottes und des Heils der Menschen „treten hervor“ in Jesus Christus. So wird „die innerste Wahrheit“ offenbar. Es geht hier durchaus um etwas, das mit geschichtlich wahrnehmbarem Reden und Anreden und mit einer Erfahrung der Geschichte zu tun hat, mit geschichtlichen Ereignissen, mit Abraham, Mose, mit dem Auszug aus Ägypten, mit Jesus, dem Christus, seinem Auftreten, seiner Passion, seiner Auferstehung. Gleichwohl ist und bleibt die Offenbarung Gottes ein „Mysterium“. Die Ausführungen über das Mysterium der Kirche im ersten Kapitel von Lumen gentium weisen die gleiche Struktur auf wie das erste Kapitel von Dei Verbum. In der Kirchenkonstitution findet sich am Anfang die Aussage: Der ewige Vater hat nach dem völlig freien und verborgenen Ratschluss seiner Weisheit und Güte die gesamte Welt erschaffen; er hat beschlossen, die Menschen zur Teilnahme am göttlichen Leben zu erheben, und als sie in Adam gefallen waren, verließ er sie nicht, sondern gewährte ihnen Hilfen im Blick auf Christus, „der das Bild des unsichtbaren Gottes ist, der Erstgeborene aller Schöpfung“ (Kol 1,15) […] Die aber an Christus
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glauben, beschloss er, in der heiligen Kirche zusammen zu rufen, die, schon seit dem Ursprung der Welt vorausgestaltet, in der Geschichte des Volkes Israel und dem Alten Bund auf wunderbare Weise vorbereitet, in den letzten Zeiten gegründet, durch die Ausgießung des Geistes offenbart wurde und am Ende der Zeiten in Herrlichkeit vollendet werden wird (LG 2).
Hier ist der gleiche, die ganze Menschheit in die Gemeinschaft mit Gott führende Bogen aufgespannt wie in Dei Verbum. Von diesem Mysterium der Kirche wird gesagt, dass es in der empirischen Kirche aufleuchtet: Haec Ecclesia […] subsistit in Ecclesia catholica […] (LG 8). Im Kommentar der Kommission zu Lumen gentium 8, der dem Textentwurf beigegeben wurde, heißt es: Die Intention aber ist zu zeigen, dass die Kirche, deren innerste und geheime Natur beschrieben worden ist, durch die sie mit Christus und seinem Werk auf ewig vereint ist, hier auf Erden konkret in der katholischen Kirche zu finden ist. Diese empirische Kirche aber offenbart das Mysterium, aber nicht ohne Schatten […]. So wird dem Eindruck vorgebeugt, als ob die Beschreibung, welche das Konzil von der Kirche vorlegt, rein ide20 alistisch und irreal ist.
Zu Gaudium et spes lediglich wenige Anmerkungen. Das vierte Kapitel der Konstitution bestimmt im ersten Abschnitt die Aussageabsicht dieses wichtigen Dokuments: Es ist deshalb in diesem Kapitel – unter Voraussetzung aller von diesem Konzil über das Mysterium der Kirche schon getroffenen Aussagen – nun eben diese Kirche selbst zu betrachten, insofern sie in dieser Welt besteht und mit ihr lebt und wirkt (GS 40).
Es geht also wesentlich um das „Mysterium“ der Kirche, ihr Dasein, ihr Leben, ihr Handeln in dieser Welt. Als Mysterium hat die Kirche ein „heilbringendes eschatologisches Ziel“ (GS 40). Sie soll in der Welt existierend und handelnd das Leben, das Licht, das ihr von Christus her zukommt mitteilen, in der Welt aufleuchten lassen (vgl. GS 40). Wie geschieht das? Indem sie in einer fundamentalen Weise die „Würde der menschlichen Person heilt und erhöht, das Gefüge der
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Acta Synodalia Sacrosancti Concilii Vaticani II, Bd. III/2, 176.
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menschlichen Gesellschaft festigt und die alltägliche Tätigkeit der Menschen mit tieferer Sinnhaftigkeit und Bedeutung erfüllt“ (GS 40). Ein solches Wirken aber kann nur „im Glauben erfasst werden“: Diese gegenseitige Durchdringung der irdischen und himmlischen Bürgerschaft […] bleibt ein Mysterium der menschlichen Geschichte, die bis zur vollen Offenbarung der Herrlichkeit der Kinder Gottes durch die Sünde durcheinander gebracht wird (GS 40).
„Die Kirche ist das ‚allgemeine Sakrament des Heils‘“ (LG 48), das das Mysterium der Liebe Gottes gegenüber dem Menschen zugleich kundtut und wirkt“ (GS 45). Dieses Mysterium der Liebe Gottes wird in den folgenden Abschnitten in Jesus Christus gesehen. Der oben angeführte Einleitungstext von Sacrosanctum Concilium schließt sich in seiner Kernaussage sachlich nahtlos an die oben zitierten Konstitutionen an. Besser gesagt, er nimmt in der Genesis des Zweiten Vatikanischen Konzils und seiner Texte die Rolle der maßgeblichen Ouvertüre des Ganzen ein. 3.2 Zweiter Schritt: Wie wird die „innerste Sache“ gekennzeichnet? Eine begriffliche Annäherung Fassen wir zusammen: Alle vier Konstitutionen kennzeichnen die „innerste Sache“ des Handelns Gottes: -
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als das Mysterium der Selbsterschließung und Offenbarung Gottes, das die ganze menschheitliche Geschichte als Heilsgeschichte durchzieht, darin aufleuchtet und in Jesus Christus endgültig offenbar gemacht wird (DV). als Mysterium der Kirche. Es ist das Handeln Gottes, durch das die Menschheit von Anfang an in die Gemeinschaft mit Gott berufen und hineingeführt wird. Dieses Mysterium wird vorausgebildet in mannigfachen Formen der Gemeinschaft des Menschen miteinander und mit Gott, offenbar in Jesus Christus (LG). Dieses Handeln Gottes prägt und bestimmt das – nur im Glauben erfassbare – Kommunikationsgeschehen dieses Lebens in der Gemeinschaft mit Gott in der gegenwärtigen Weltsituation (GS). Das erlösende Handeln Gottes wird in der Liturgie von der Gemeinschaft der Glaubenden mit-vollzogen (SC).
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Wir haben dieses zutage tretende, aufleuchtende Handeln Gottes und seine Auswirkung in der Geschichte charakterisiert als etwas, das sich zwar zeigt, indem es aufleuchtet, aber zugleich wesentlich entzogen, unbegreiflich und unableitbar ist. Wie ist dieser auf den ersten Blick paradoxe Satz verständlich? Etwas, was aufleuchtet, sich zeigt und zugleich wesentlich entzogen, unbegreiflich, unableitbar ist? Im Bereich philosophischer Reflexion wird seit Kant von jenen Implikaten der geschichtlich-gegenständlichen Erfahrung gesprochen, die sich in der Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit als konstitutive Momente des Denkens und Erfahrens wie des sittlichen Handelns erweisen. Sie liegen in der Empirie nicht vor. Sie liegen auch nicht einfach in der Ratio des Menschen vor. Sie erweisen sich im Vollzug transzendentaler Freiheit des Menschen, in ihrem Sinn, ihrer Geltung und Bedeutung. Dieses Erweisen ist ein Aufleuchten. In diesem Aufleuchten, in diesem Vollzug transzendentaler Freiheit wird nicht ein Erkennen generiert. Es wird kein Gegenstand erfasst. Es wird menschliche Tätigkeit als begründete, als vernünftige, verantwortliche begriffen, indem auf das geachtet wird, was „mit“ im Vollzug zutage tritt, im Urteilen über Gegenstände der Erfahrung, im sittlichen Handeln selbst. In diesem Sinne sind es Sachverhalte, die sich von sich 21 selbst her zeigen. Es gibt eine Übereinstimmung zwischen Denken und Glauben, indem beide Male ein Transzendieren vorliegt und ein Transzendieren hervortritt, aber es gibt auch einen grundsätzlichen Unterschied: Wenn von Jesus Christus gesagt wird, dass in ihm „die Offenbarung Gottes in ihrer Fülle“ (vgl. DV 2) hervortritt, dass in ihm diese Offen21
Zur Verständigung: Transzendentales Denken kommt nicht nur bei Kant, Fichte, Schelling, Hegel vor. Heidegger charakterisiert seine Phänomenologie in „Sein und Zeit“ (1927) ebenso als transzendentales Denken. Buber und Rosenzweig, Cohen, die heutige Sprachphilosophie, sie alle implizieren in dieser oder jener Form transzendentales Denken. Blondel gehört ebenso dazu wie zahlreiche andere Philosophen. Die führenden Theologen des Zweiten Vatikanischen Konzils, Rahner, Congar, de Lubac und andere waren in je unterschiedlichen Ausprägungen davon beeinflusst (Siehe dazu P. HÜNERMANN, … in mundo huius temporis…, in: J.-H. Tück [Hg.], Erinnerung an die Zukunft – Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg u.a. 2012, 35-37). In diesem Kontext sei daran erinnert, dass das lumen intellectus agentis in der Erkenntnislehre des Thomas von Aquin ein apriorischer Sachverhalt ist, der im Vollzug jeder Erkenntnis mit aufleuchtet und konstitutiv für sie ist. Vgl. T HOMAS VON AQUIN, De Ver. q. 10, a. 6, ad 7, u. ö.
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barung in ihrer „Wahrheit“ aufleuchtet, dann kann Transzendieren nicht als vom Denken erschlossene Bedingung der Möglichkeit von realer Erfahrung und sittlichem Handeln verstanden werden. Transzendentalität als Mysterium spricht ja vom Handeln des lebendigen Gottes, der sich erschließt, und zwar als das schlechthinnige Zuvor von allem. Wie kann dieses schlechthin zuvorkommende Handeln Gottes aufleuchten, sich zeigen? Dies geht nur im Bereich transzendentaler Freiheit. Aber wie? Es ist jene unbedingte, vollendete Anerkennung des Menschen, des Sterblichen, des Sünders in seinem innersten Frei- und Selbstsein durch Gott selbst, die der Mensch als jene Ermächtigung erfährt, sich Gott in einem unbedingten Vertrauen, einem SichVerlassen zuzuwenden und damit den anderen Menschen gleicherweise in Unbedingtheit mit anzuerkennen. Es ist ein Glaube, ein sich verlassendes, weil sich empfangendes Vertrauen – eine fides formata caritate, d.h. ein Glaube, der von der Liebe Gottes ermöglicht, in antwortender gläubiger Liebe aufbricht, durch die der Mensch in ein freies, bejahendes Verhältnis zu seiner eigenen Verantwortung, zum unbedingten Anerkennen der anderen Menschen als freiheitliche Wesen ermächtigt wird, die Welt als Schöpfung und ihm anvertraute 22 Gabe bejahen kann. 3.3 Dritter Schritt: Zum theologischen Hintergrund der zentralen Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils Diese knappe, mit fast sträflicher Kürze vorgetragene begriffliche Annäherung an die zentralen Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils vom Mysterium Gottes, vom Mysterium seiner Offenbarung, der Kirche, ihrer Sendung in der Welt und dem Vollzug des Opus Redemptionis in der Liturgie bedarf zur Veranschaulichung einiger Hinweise auf den theologischen Hintergrund. Karl Rahner hat 1938, bedrängt durch die Zeitumstände – die Ausweisung der Jesuiten aus Innsbruck und Tirol –, bedrängt durch die Aufgabe, dem modernen Menschen den Glauben neu zu erschließen, seine berühmte Studie „Hörer des Wortes“ erarbeitet. Der Mensch ist von sich her der Fragende, der Suchende, der gewiesen ist, in die
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Siehe dazu H. KRINGS, Freiheit. Ein Versuch Gott zu denken, in: Ders., System und Freiheit, Freiburg/München 1980.
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Geschichte hinein zu hören, ob dort nicht das Wort, die Antwort zu vernehmen ist auf die Frage, die er selbst ist. Das Buch stellt eine der ersten und prägnantesten Ankündigungen einer Theologie dar, für die Gott nicht mehr das höchste Sein einer Pyramide von Seiendem ist, sondern wesentlich der den Menschen in seiner Welt ins Dasein Rufende, Anrufende, und der Mensch seinerseits ist Hörer des Wortes. Die transzendentale Theologie, die Rahner in der Folge im Wesentlichen in seinem „Grundkurs des Glaubens“ (1976) und zahlreichen anderen Schriften entwickelt hat, entfaltet sich von diesem Ansatz her. Während der letzten Kriegsjahre hat Bernhard Welte (1906-1983) sich in seiner Habilitationsschrift mit dem Transzendieren im „philosophischen Glauben“ bei Karl Jaspers und bei Thomas von Aquin 23 auseinandergesetzt. In den abschließenden Reflexionen behandelt Welte ausdrücklich ein neues Bedenken der Offenbarung. Seine späteren Schriften entfalten die neuen Zugänge zum Mysterium Gottes, der Offenbarung und der Kirche in eindrucksvoller Weise von der Begegnung mit Kierkegaard und Nietzsche, Thomas und Eckhart, Heidegger her. Als dritter Theologe sei auf Henri de Lubac (1896-1991) hingewiesen. Bewegend ist seine am Ende des Zweiten Weltkriegs ausgeführte Studie „De la connaissance de Dieu“, die er seinen „glaubenden Freunden und den Freunden, die glauben, nicht glauben zu können“, 24 gewidmet hat. Auch hier folgt eine reiche Sequenz von theologischen Arbeiten zum Mysterium Gottes und dem Mysterium Jesu Christi wie dem Mysterium der Kirche. Den angeführten Theologen wären viele Namen hinzuzufügen, nicht nur „große“, das heißt weithin bekannte Namen, wie etwa Hans Urs von Balthasar (1905-1988), sondern ebenso weniger bekannte, die ihren Teil an einer schrittweisen Erarbeitung geleistet haben, gleichend einem tastenden, vorsichtigen Ausschreiten der Räume einer Theologie in der modernen Welt. Der „Grundriss heilsgeschichtlicher
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Vgl. B. WELTE, Der philosophische Glaube bei Karl Jaspers und die Möglichkeit seiner Deutung durch die thomistische Philosophie (1949), in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2/3, Freiburg u.a. 2008, 15-291. H. DE LUBAC, De la connaissance de Dieu, Paris 1941; dt. Übersetzung in: R. Scherer (Hg.), Vom Erkennen Gottes, in: Symposion, Jahrbuch für Philosophie 2 (Freiburg 1949) 191-250.
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Dogmatik“ von Johannes Feiner und Magnus Löhrer führt zahlreiche solcher Einzelschritte vor. Was in diesem Werk noch nicht geleistet werden kann, ist die theologisch-begriffliche Zusammenschau dieser Schritte. Dieses Werk, konzipiert vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil, erschien während des Konzils und lässt – wie wenige damalige Veröffentlichungen – den geistigen Hintergrund hervortreten, vor dem die zentralen Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils formuliert und zugleich als auszuarbeitende theologische Einsichten dem theologischen Arbeiten vorgegeben wurden. 3.4 Fazit Die zentralen Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils finden sich – wie aufgezeigt – in den grundlegenden Kapiteln der Konstitutionen des Konzils. Es sind die Aussagen, welche das Mysterium Gottes betreffen und das sich erschließende, hervortretende Handeln Gottes bekennen. Dies geschieht im Zweiten Vatikanum in hoher Verdichtung oder Konzentration. Die Theologie steht vor der Herausforderung, die darin beschlossene Ratio fidei herauszuarbeiten. Eine schwierige Aufgabe, die in vielen kleinen Schritten vorangetrieben wird. Generelle Hinweise darauf wurden oben angegeben. Ein hervorragendes Beispiel hat etwa Hans Urs von Balthasar mit seiner Christologie des irdischen Jesus vorgelegt, die er 1978 in seiner „Theodrama26 tik“ veröffentlicht hat. In diesem Sinne sind die zentralen Aussagen des Konzils keine enuntiationes, die – gleichsam feststellend – „aus- und zu Ende“ gesagt sind, sondern Einweisungen in einen Vollzug, zu dem auch die Erarbeitung der Ratio fidei gehört. Diese Arbeit kann nicht geleistet werden unter Absehung von den zuvor genannten „wesentlichen Aussagen“ und dem „Wortlaut“ der Dokumente.
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J. FEINER/M. LÖHRER (Hg.), Mysterium Salutis. Grundriß heilsgeschichtlicher Dogmatik, Einsiedeln 1965ff. H. U. VON BALTHASAR, Theodramatik, Bd. 2/2, Einsiedeln 1978, 136-211.
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Literatur ALBERIGO, GIUSEPPE, Transizione epocale. Studi sul Concilio Vaticano II, Bologna 2009. –, La svolta pastorale nel Vaticano II, in: Ders., Per una „nuova“ pastorale ecumenica, Roma 1990, 71-76. FAGGIOLI, MASSIMO, True Reform: Liturgy and Ecclesiology in Sacrosanctum Concilium, Liturgical Press, Collegeville, Minnesota 2012. HÜNERMANN, PETER, „…in mundo huius temporis…“ Die Bedeutung des II. Vatikanischen Konzils im kulturellen Transformationsprozess der Gegenwart: Das Textcorpus des II. Vatikanischen Konzils ist ein konstitutioneller Text des Glaubens, in: Jan-Heiner Tück (Hg.), Erinnerung an die Zukunft. Das II. Vatikanische Konzil, Freiburg u.a. 2012, 31-53. –, Der „Text“. Eine Ergänzung zur Hermeneutik des II. Vatikanischen Konzils, in: Cristianesimo nelle storia 28/2 (2007) 339-358. –, Der Text: Werden-Gestalt-Bedeutung. Eine hermeneutische Reflexion, in: Ders. / Bernd Jochen Hilberath (Hg.), Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 5, Freiburg u.a. 2009, 5-101. –, Der übersehene „Text“. Zur Hermeneutik des II. Vatikanischen Konzils in: Concilium. Internationale Zeitschrift für Theologie 41 (2005), Heft 4, 434-451. –, Kriterien für die Rezeption des II. Vatikanischen Konzils, in: Theologische Quartalschrift 191 (2011) 126-147. –, Quo vadis? Au sujet de l’importance du Concile Vatican II pour l’Église. L’ücuménisme et la société aujourd’hui, in: Recherches des sciences religieuses 100 (2012) 27-44. JOHANNES XXIII., Ansprache zur Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils Gaudet Mater Ecclesia, in: Acta Synodalia Sacrosancti Concilii Oecumenici Vaticani II, Bd. I/1, Città del Vaticano 1970, 166-175; dt.: Das Zweite Vatikanische Ökumenische Konzil. Die Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils, in: Herder-Korrespondenz 17 (1962) 84-88; lat., ital. und dt. in: Ludwig Kaufmann/Nikolaus Klein, Johannes XXIII., Prophetie im Vermächtnis, Fribourg/Ue. 1990, 107-150. KRINGS, HERMANN, Freiheit. Ein Versuch Gott zu denken, in: Ders., System und Freiheit, Freiburg – München 1980. –, Transzendentale Logik, München 1964.
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LUBAC, HENRI DE, De la connaissance de Dieu, Paris 1941; dt. Übersetzung in: Robert Scherer (Hg.), Vom Erkennen Gottes, in: Symposion. Jahrbuch für Philosophie, Bd. 2, Freiburg 1949. SIEBENROCK, ROMAN, Theologischer Kommentar zur Erklärung über die religiöse Freiheit Dignitatis humanae, in: Peter Hünermann/Bernd Jochen Hilberath (Hg.), Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 4, Freiburg u.a. 2009, 125-218. TÜCK, JAN-HEINER, Ein „reines Pastoralkonzil“?, in: Internationale katholische Zeitschrift Communio 41 (2012) 441-457. VORGRIMLER, HERBERT, Zur Einführung, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Das Zweite Vatikanische Konzil. Dokumente und Kommentare, Teil I, Freiburg u.a. 1966, 7f. WELTE, BERNHARD, Der philosophische Glaube bei Karl Jaspers und die Möglichkeit seiner Deutung durch die thomistische Philosophie (1949), in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2/3, Freiburg u.a. 2008. WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT DER BUNDESREGIERUNG GLOBALE UMWELTVERÄNDERUNGEN (Hg.), Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation, Berlin 2011.
THOMAS HIEKE
Dei Verbum und Biblische Auslegung 1. EINFÜHRUNG Die katholische Bibelwissenschaft hat heute mit dem kirchlichen 1 Lehramt eigentlich keine Probleme. Das war früher anders, doch die Entwicklungen des 20. Jahrhunderts sowohl innerhalb der katholischen Kirche und ihres Lehramts als auch in der Bibelwissenschaft haben einen erfreulichen, konvergierenden Verlauf genommen. Als Meilensteine der Äußerungen des kirchlichen Lehramts sind die Enzyklika Divino afflante Spiritu von Papst Pius XII. (1943) und die Dogmatische Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die 2 göttliche Offenbarung Dei Verbum zu nennen sowie die großen Papie-
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Dazu z.B. TH. SÖDING, Theologie mit Seele. Der Stellenwert der Schriftauslegung nach der Offenbarungskonstitution Dei Verbum, in: J.-H. Tück (Hg.), Erinnerung an die Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg u.a. 2012, 423-448, hier 426428; W. KIRCHSCHLÄGER, Das Studium der Bibel als Seele der Theologie. Der Einfluss von Bibel und Exegese auf das Zweite Vatikanische Konzil, in: Bibel und Kirche 60 (2005) 112-116, hier 112f. Zu Text und Kommentar: Das Zweite Vatikanische Konzil, Dokumente und Kommentare, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Teil II, Freiburg u.a. 1967 (Einleitung und Kommentar zu Dei Verbum von JOSEPH RATZINGER, 498-528, 571-583; Kommentar von ALOYS GRILLMEIER, 528-557; Kommentar von BÉDA RIGAUX, 558570); Neuübersetzung: PETER HÜNERMANN (Hg.), Die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils. Konstitutionen, Dekrete, Erläuterungen, Lateinisch-deutsche Studienausgabe, Freiburg u.a. 2004, 363-385. Siehe ferner den Kommentar von Helmut Hoping zu Dei Verbum: H. HOPING, Theologischer Kommentar zur Dogmatischen Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, in: P. Hünermann/B. J. Hilberath (Hg.), Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 3, Freiburg u.a. 2005, 695-831. Zum Einfluss des Theologen Joseph Ratzinger auf die Formulierungen von Dei Verbum siehe L. BOEVE, Revelation, Scripture and Tradition. Lessons from Vatican II’s Constitution “Dei Verbum” for Contemporary Theology, in: International Journal of Systematic Theology 13 (2011) 416-433, hier 419-420; Boeve setzt sich ausführlich mit Ratzingers Kommentar zu Dei
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re der Päpstlichen Bibelkommission „Die Interpretation der Bibel in der Kirche“ (1993/1996) und „Das jüdische Volk und seine heilige 3 Schrift in der christlichen Bibel“ (2001) . Hier sind Fortschritte erzielt worden, die über manche bedenkliche Äußerungen in der Vergangenheit hinwegtrösten. Es gilt, aus der Geschichte zu lernen, aber nicht krampfhaft an Vergangenem festzuhalten. Anhand der Dogmatischen Konstitution Dei Verbum möchte ich im Folgenden einige Festlegungen beschreiben, mich über einen prophetischen Weitblick freuen und eine Reihe von Anfragen formulie-
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Verbum von 1967 auseinander. Siehe ferner J. WICKS, Vatican II on Revelation – From Behind the Scenes, in: Theological Studies 71 (2010) 3, 637-650, hier 641-643, 646647; TH. SÖDING, Die Seele der Theologie. Ihre Einheit aus dem Geist der Heiligen Schrift in Dei Verbum und bei Joseph Ratzinger, in: Internationale katholische Zeitschrift Communio 35 (2006) 545-557; R. VODERHOLZER, Offenbarung, Tradition und Schriftauslegung. Bausteine zu einer christlichen Bibelhermeneutik, Regensburg 2013, 82-102. Zur unmittelbaren Vorgeschichte des Dokuments im Konzilsverlauf siehe u.a. H. SAUER, Die dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, in: F. X. Bischof/St. Leimgruber (Hg.), Vierzig Jahre II. Vatikanum. Zur Wirkungsgeschichte der Konzilstexte, Würzburg 2004, 232-351, hier 233-242; K. SCHELKENS, Catholic Theology of Revelation on the Eve of Vatican II. A Redaction History of the Schema De fontibus revelationis (1960-1962), Leiden 2010; R. VODERHOLZER, Offenbarung, Tradition und Schriftauslegung, 64-71. Für die Vorbereitung des Konzils und die Redaktionsgeschichte von DV ist besonders das Ringen um die Bibelhermeneutik und die historisch-kritische Methode in der „Römischen Kontroverse“ zwischen dem Pontificum Institutum Biblicum (PIB) und der Pontifica Universitas Lateranensis in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts bemerkenswert: Während das PIB die historisch-kritische Methode aufgreifen und diskutieren wollte, lehnte sie die Lateran-Universität als modernistisch und überflüssig ab, da die Bibel unfehlbar sei. Mit dem Konzil hat sich eine behutsame Integration der historisch-kritischen Methode durchgesetzt. Siehe dazu A. DUPONT/K. SCHELKENS, Katholische Exegese vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1960–1961), in: Zeitschrift für Katholische Theologie 132 (2010) 1-24. Aus den letzten zehn Jahren gibt es eine Fülle von Arbeiten zu Dei Verbum. Eine ausführliche Dokumentation der Auseinandersetzung damit kann im Rahmen dieses Aufsatzes nicht erfolgen. Die Dokumente der Bibelkommission sind vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz übersetzt und herausgegeben greifbar (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Nr. 115 und Nr. 152). Zum Dokument „Die Interpretation der Bibel in der Kirche“ siehe auch R. KÜHSCHELM, Nicht nur legitim, sondern unerlässlich … Die historisch-kritische Methode nach Dei Verbum 12 und den folgenden kirchlichen Dokumenten, in: J.-H. Tück (Hg.), Erinnerung an die Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg u.a. 2012, 462-476, hier 468-471; zur Gesamtentwicklung siehe u.a. H. FRANKEMÖLLE, Fortschritt und Stillstand. Entwicklungen seit 1965, in: Bibel und Kirche 60 (2005) 173-177, hier 174-176.
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ren – nicht an die Konzilskonstitution, vielmehr an die Systematische Theologie, die liturgische Praxis und die pastoralen Strukturen von „heute“. 2. FESTLEGUNGEN 2.1 Die Unüberbietbarkeit der Offenbarung in Jesus Christus (DV 2; 4; 7) In den Abschnitten 2, 4 und 7 betont Dei Verbum (DV) die Unüberbiet4 barkeit der Offenbarung in Jesus Christus. Hintereinander gelesen hört sich das so an: Die Tiefe der durch diese Offenbarung über Gott und über das Heil des Menschen erschlossenen Wahrheit leuchtet uns auf in Christus, der zugleich der Mittler und die Fülle der ganzen Offen5 barung ist (DV 2). […] Daher ist die christliche Heilsordnung, nämlich der neue und endgültige Bund, unüberholbar, und es ist keine neue öffentliche Offenbarung mehr zu erwarten vor der Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus in Herrlichkeit (vgl. 1 Tim 6,14 und Tit 2,13) (DV 4). […] Darum hat Christus der Herr, in dem die ganze Offenbarung des höchsten Gottes sich vollendet (vgl. 2 Kor 1,20; 3,16-4,6), […] (DV 7).
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Zur Entwicklung des Offenbarungsverständnisses im kirchlichen Lehramt seit dem Ersten Vatikanischen Konzil und seinem Dokument Dei Filius über das Zweite Vatikanische Konzil mit DV bis in die neuere Zeit siehe J. REIKERSTORFER, Der Wandel im Offenbarungsverständnis. Vatikanum I – Vatikanum II – weiterführende Perspektiven, in: J.-H. Tück (Hg.), Erinnerung an die Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg u.a. 2012, 477-490. TH. SÖDING bringt den Fortschritt, der durch DV erreicht wurde, auf die Formulierung: „Dei Verbum hat seine theologiegeschichtliche Bedeutung darin, dass es das instruktionstheoretische Offenbarungsmodell durch ein heilsgeschichtliches ablöst, das schöpfungstheologisch begründet ist“ (Theologie, 429). Ergänzen müsste man neben der schöpfungstheologischen Begründung noch den inkarnatorischen Gedanken des „Gott mit uns“ (DV 4) bzw. der Wendung „Gotteswort in Menschenwort“ (s.u.); siehe dazu G. S TEINS, Bibel im Gespräch. Die verkannte Offenbarungskonstitution Dei Verbum, in: Ders., Kanonisch-intertextuelle Studien zum Alten Testament (Stuttgarter biblische Aufsatzbände 48), Stuttgart 2009, 124. Belegt mit einer Reihe neutestamentlicher Stellen: Mt 11,27; Joh 1,14.17; 14,6; 17,13; 2 Kor 3,16; 4,6; Eph 1,3-14. – Hervorhebung durch T.H. (auch zum Folgenden).
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So wunderbar diese differentia specifica des Christentums ist, aus philosophisch-anthropologischer Sicht ist sie fast selbstverständlich: Gibt es eine „noch“ engere Nähe zwischen Mensch und Gott, als dass Gott selbst die Schranke überwindet und die Menschennatur annimmt? Wohl kaum. Was aus dieser Überlegung und den genannten Sätzen aber nicht abgeleitet werden darf (was aber oft genug getan wurde!), ist ein christlicher Chauvinismus, der die eigene (!) Religion für besser als andere hält oder andere Heilswege als nichtig (oder gar „vernichtet“!) ansieht. Mindestens ein weiterer Heilsweg bleibt in jedem Falle offen: der 6 des Judentums. Das hat Papst Johannes Paul II. mit seiner Rede vom „nicht gekündigten Bund“ Gottes mit dem Judentum immer wieder 7 deutlich gemacht. Das Christentum ist auf das Judentum angewiesen; es ist (mit Paulus) die Wurzel des edlen Ölbaums, auf den der Zweig vom wilden Ölbaum (die Christen aus den Völkern) eingepfropft wurde (Röm 11,17f.). Damit ist einem fehlgeleiteten christlichen Absolutheits- und Ausschließlichkeitsanspruch der Abschied gegeben, und im Sinne einer positiven Religionsfreiheit ist die Existenz anderer Religionen zu akzeptieren und zu respektieren. Mit der Erklärung zu den nichtchristlichen Religionen Nostra aetate (NA) hat das Konzil 8 erste Schritte in diese Richtung unternommen (28. Oktober 1965).
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Siehe dazu u.a. E. DIRSCHERL, Gottes Wort als Fülle der Zeit – Die Heilsbedeutung des jüdischen Glaubens in der Zeit post Christum natum, in: H. Frankemölle/J. Wohlmuth (Hg.), Das Heil der Anderen. Problemfeld „Judenmission“ (Quaestiones disputatae 238), Freiburg u.a. 2010, 395-419; P. HÜNERMANN, Juden auf dem Weg des Heils. Eine theologische Reflexion auf die Frage von Offenbarung und Geschichte im Ausgang von Dei Verbum, in: Das Heil der Anderen, 420-459. Siehe unten den Abschnitt „Eigenwort mit Eigenwert“. Johannes Paul II., Ansprache an den Zentralrat der Juden in Deutschland und die Rabbinerkonferenz, 17. November 1980 in Mainz, zitiert in: P ÄPSTLICHE BIBELKOMMISSION (Hg.), Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel (2001), Nr. 86 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 152, Bonn 2002, 164). Unter Nr. 86 finden sich weitere Äußerungen von Johannes Paul II. in dieser Richtung, so beim Besuch der Synagoge in Rom 1986, bei einem Kolloquium über die Wurzeln des Antijudaismus im Christentum 1997 und bei seiner Israel-Pilgerreise im Jahr 2000. Vgl. ferner CHR. DOHMEN, Israelerinnerung im Verstehen der zweieinen Bibel, in: Ders. (Hg.), In Gottes Volk eingebunden. Christlich-jüdische Blickpunkte zum Dokument der Päpstlichen Bibelkomission „Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel“, Stuttgart 2003, 9-19, hier 11. Im Blick auf das Judentum sei hier v. a. NA 4 genannt: „[…] Nichtsdestoweniger sind die Juden nach dem Zeugnis der Apostel immer noch von Gott geliebt um der Väter
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2.2 Tradition und Heilige Schrift und Kirchliches Lehramt (DV 10,3) In DV 10,3 findet sich der folgende Absatz: Es zeigt sich also, dass die Heilige Überlieferung, die Heilige Schrift und das Lehramt der Kirche gemäß dem weisen Ratschluss Gottes so miteinander verknüpft und einander zugesellt sind, dass keines ohne die anderen besteht und dass alle zusammen, jedes auf seine Art, durch das Tun des einen Heiligen Geistes 9 wirksam dem Heil der Seelen dienen.
Ich lese den Abschnitt so, dass die drei Größen „Tradition“, Heilige Schrift und kirchliches Lehramt paritätisch nebeneinander stehen und sich durchdringen. Inhalte des Glaubens, die sich in allen drei Größen finden, haben zweifellos die größte Verbindlichkeit. Die Exegese hat nun das Problem, dass sie bisweilen feststellen muss, dass manche Versuche der Tradition oder des Lehramtes, für bestimmte Aussagen Schriftbezüge zu finden, mehr als problematisch sind bzw. 10 diese Versuche als gescheitert anzusehen sind. Damit bricht für manche Aspekte der Glaubenslehre die mittlere Säule, „Heilige Schrift“, weg, und das Ideal des „alle zusammen“ ist dahin. Die Fest-
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willen; sind doch seine Gnadengaben und seine Berufung unwiderruflich (11). […] Gewiss ist die Kirche das neue Volk Gottes, trotzdem darf man die Juden nicht als von Gott verworfen oder verflucht darstellen, als wäre dies aus der Heiligen Schrift zu folgern. […]“. Die enthaltene Fußnote 11 verweist auf „Röm 11,28-29; vgl. II. Vat. Konzil, Dogm. Konst. über die Kirche Lumen gentium: AAS 57 (1965) 20“. – Zum Blick auf die nichtchristlichen Religionen und die nichtglaubenden Menschen siehe auch REIKERSTORFER, Der Wandel im Offenbarungsverständnis, 486f. Hervorhebung durch T. H. – Siehe dazu u.a. K. LEHMANN, Schrift – Überlieferung – Kirche. Das Zweite Vatikanische Konzil von nahem betrachtet, am Beispiel der Dogmatischen Konstitution über die göttliche Offenbarung, in: Internationale katholische Zeitschrift Communio 34 (2005) 559-571; M. K RIENKE, Dei Verbum und das Verhältnis von Schrift, Tradition und Lehramt. Reflexionen zur internationalen Tagung „Die loci theologici im Lichte von Dei Verbum“, Universität des Lateran, 24.-25. November 2005, in: Theologie und Glaube 96 (2006) 203-207; R. V ODERHOLZER, Offenbarung, Schrift und Kirche. Eine relecture von „Dei Verbum“ im Licht vorbereitender und rezipierender Texte Joseph Ratzingers, in: Internationale katholische Zeitschrift Communio 39 (2010) 287-303. Vgl. dazu z.B. das Dogma der Immaculata conceptio Mariae von 1854; dazu die „Einleitung“ zu Dei Verbum von J. RATZINGER, 498, sowie seinen Kommentar: „… daß es nicht für jede katholische Lehre einen Schriftbeweis gibt, wird im Ernst niemand bestreiten können“ (ebd., 526).
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stellung, dass für bestimmte Traditionen (oder lehramtliche Äußerungen) Aussagen in der Schrift fehlen, hätte von den Konzilsvätern als Kriterium genutzt werden können, kirchliche Traditionen zu kritisieren bzw. eine Unterscheidung innerhalb der Überlieferungen zu 11 treffen. Die Andeutung dieser Möglichkeit unterblieb jedoch. Gegen Versuche, der „Tradition“ eine gewisse Priorität gegenüber der „Heiligen Schrift“ einzuräumen, sei Hermann Kardinal Volk aus Mainz zitiert, der als Bischof in der Konzilsaula sagte: „Wir stellen in 12 dieser Aula die Heilige Schrift auf, nicht die Tradition“. 3. PROPHETISCHER WEITBLICK 3.1 Doppelautorschaft Ein prophetischer Weitblick zeigt sich in DV 12: Der Schrifterklärer (es besteht kein Grund, hier Frauen auszuschließen, daher muss die männliche Form inklusiv verstanden werden) muss sorgfältig erforschen, „was die heiligen Schriftsteller wirklich zu sagen beabsichtigten und was Gott mit ihren Worten kundtun wollte.“ Damit ist die grundsätzliche Berechtigung der „Erforschung“ der Bibel positiv formuliert; es wird nicht gesagt, dass bestimmte Untersuchungsmethoden unan13 gebracht seien oder dass eine bestimmte „theologische“ Schriftauslegungsweise entwickelt werden müsste, die sich von der exegetischen 14 unterscheide.
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Kommentar zu Dei Verbum von J. RATZINGER (520): „Das Vaticanum II hat in diesem Punkt bedauerlicherweise keinen Fortschritt gebracht, sondern das traditionskritische Moment so gut wie völlig übergangen.“ Siehe auch ebd., 524, ferner B OEVE, Revelation, 426; SÖDING, Theologie, 434. Dennoch ist festzuhalten, dass die Schlussfassung von DV gegenüber den Konzilsvorlagen und den früheren Positionen hinsichtlich des Verhältnisses von Tradition, Schrift und Lehramt erhebliche Fortschritte gebracht hat. Darauf weisen u.a. der Kommentar zu Dei Verbum von RATZINGER sowie BOEVE, Revelation, 423-425, deutlich hin. SAUER, Konstitution, 232. Später wird das Dokument der PÄPSTLICHEN BIBELKOMMISSION, Die Interpretation der Bibel in der Kirche (1993; Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 115, Bonn ²1996) nur den fundamentalistischen Zugang verwerfen (61-63); alle anderen Zugänge werden grundsätzlich gewürdigt. Dazu SÖDING, Theologie mit Seele, 443.
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DV 12 betont ferner die Notwendigkeit des historisch-kritischen und literaturwissenschaftlichen Instrumentariums: Es ist nach den literarischen Gattungen und den umweltbedingten Denk-, Sprachund Erzählformen zu fragen, nach der Zeit- und Kulturbedingtheit 15 des jeweils vorliegenden Textes. Darüber hinaus aber ist in DV 12 die „Doppelautorschaft“ der Bibel festgehalten, die die Bibel faktisch aus der Fülle der antiken vorderorientalischen Literatur heraushebt. Das bringt keine methodologischen Einschränkungen mit sich; die Bibel darf analysiert werden wie das Gilgamesch-Epos oder wie die Erzählung „Josef und Asenet“. Aber die literaturhistorische, die sprach- und literaturwissenschaftliche Analyse hat darüber hinaus zu berücksichtigen, dass Generationen von Menschen jüdischen und christlichen Glaubens diese Bibel in ihren verschiedenen Ausprägungen (auch und vor allem) als Gottes Wort angesehen haben und ansehen. Hier geht es nicht um Pietät gegenüber religiösen Gefühlen, sondern um historische Tatsachen: Die Bibel wurde und wird von gläubigen Menschen als Gottes Wort betrachtet. Anders ausgedrückt: Es ist zweierlei erforderlich, eben die Erforschung dessen, was die „heiligen Schriftsteller“ wirklich zu sagen beabsichtigten und was Gott mit ihren Worten kundtun wollte. „Demnach ist die Kundgabeabsicht Gottes nicht identisch mit der Aussageabsicht der Hagiographen“, so der Wiener Alttestamentler Ludger Schwien16 horst-Schönberger. Es ist damit zu rechnen, dass das, was Gott kundtun wollte (und heute noch kundtun will!), über das hinaus geht, was die menschlichen (und damit begrenzten) historischen Verfasser (und Verfasserinnen?) sagen wollten. Wie das zu erforschen sei, „was Gott kundtun wollte“, lässt DV offen; aber zweifelsfrei ist dies eine Aufgabe
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ROMAN KÜHSCHELM betont, dass hier die historisch-kritische Auslegung „endlich Heimatrecht in der katholischen Kirche und deren Bibelauslegung“ erhalte (Nicht nur legitim, sondern unerlässlich, 466). L. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, Zwei antagonistische Modelle der Schriftauslegung in Dei Verbum?, in: J.-H. Tück (Hg.), Erinnerung an die Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg u.a. 2012, 449-461, hier 457 (Hervorhebung im Original), mit Hinweis darauf, dass das „und“ (et) additiv und nicht explikativ bzw. identifizierend zu verstehen sei. Zu dieser Problematik siehe auch W. J. L EVADA, Schriftauslegung als Herz der Theologie. Vierzig Jahre nach Dei Verbum, in: Erbe und Auftrag 82 (2006) 60-68, hier 64.
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der Exegese, mithin der wissenschaftlich betriebenen Schriftauslegung innerhalb der wissenschaftlichen Theologie. Die durch den Frankfurter Jesuiten Norbert Lohfink angestoßene Diskussion darüber, wie die Wendung „was Gott mit ihren [der heiligen Schriftsteller] Worten kundtun wollte“ inhaltlich zu füllen sei, hat 17 zwischenzeitlich wesentliche Fortschritte gemacht. Eine literaturwissenschaftlich recht verstandene „kanonische Exegese“, „kanonischintertextuelle Lektüre“ oder „Biblische Auslegung“ (siehe im Folgenden) berücksichtigt diese sich aus der historischen Überlieferung des Textes „als Heiliger Schrift“ ergebenden Fragestellungen, ohne dabei in einen naiven Biblizismus bzw. Fundamentalismus abzugleiten, ohne die historischen Distanzen zu ignorieren und vor allem ohne aus den in Schrift, Tradition und Lehramt entwickelten Glaubenslehren vermeintliche historische Tatsachen (z.B. über den Geburtsort Jesu 18 oder sein Todesdatum) zu deduzieren. Damit sei aber nicht zu schnell darüber hinweggegangen, dass in der theologischen Diskussion sehr wohl „antagonistische Modelle der Schriftauslegung“ gesehen wurden (und werden): die „neuzeitliche“, historisch-kritische Exegese einerseits und die „Auslegung von der Überlieferung, vom Glauben der Kirche her“, also die „vor-neuzeit19 liche“ oder „patristische“ Schrifthermeneutik andererseits. Es kann nun nicht einfach gesagt werden, dass DV der ersteren zu Lasten der letzteren den Vorzug gebe und die historisch-kritische Exegese infolge ihrer Anerkennung durch das kirchliche Lehramt zu dem ausschließlichen Standardmodell erhebe. Gerade die erwähnten Ausführungen zur „Doppelautorschaft“ mit Gott als Urheber (auctor) neben den heiligen Schriftstellern und der Verweis auf die Einheit und Irrtumslosigkeit der Schrift (DV 11-12) übernehmen wichtige 20 Prinzipien der patristischen Schrifthermeneutik. DV spricht nicht vom mehrfachen Schriftsinn oder vom „geistigen Sinn“ der Schrift. Schwienhorst-Schönberger hält diesbezüglich fest:
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N. LOHFINK, Der weiße Fleck in Dei Verbum, Art. 12, in: Trierer Theologische Zeitschrift 101 (1992) 20-35. Siehe auch die Hinweise bei SÖDING, Theologie, 440. Unter diesen Begriffen fasst SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, Modelle, 449-452, die Diskussion zusammen. Zudem weist DV 23 darauf hin, dass die Kirche das „Studium der Väter des Ostens wie des Westens und der heiligen Liturgien“ fördert; siehe dazu S TEINS, Bibel im Gespräch, 126.
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Offensichtlich war die Furcht vor übertriebenen Allegorisierungen, in denen man zur Zeit der Entstehung der Konstitution geradezu das Gegenteil einer wissenschaftlichen Exegese sah, zu groß. Es ist nun eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet an dieser Stelle aus der inneren Entwicklung und aus den Aporien einer historisch-kritisch ausgerichteten Exegese die Einsicht erwachsen ist, dass die Suche nach der einen, wahren Bedeutung literarischer Texte eine Suche nach etwas ist, das es so nicht gibt. Als literarische Texte sind die Texte der Heiligen Schrift mehrdeutig. Zudem ist die Bedeutung eines Textes nicht ohne weiteres identisch mit der Aussageabsicht seines Autors. Damit ergeben sich überraschende Affinitäten 21 zum Verständnis eines mehrfachen Schriftsinns.
Wie Ludger Schwienhorst-Schönberger treffend aufzeigt, führen die Erkenntnisse der modernen Literaturwissenschaft über die Vieldimensionalität literarischer Texte und ihre Unabhängigkeit von der Intention des historischen Autors zu einer wissenschaftlich reflektierten Lösung der vermeintlichen Spannung zwischen den Modellen der Schriftauslegung. Die Heilige(n) Schrift(en) hat (haben) nicht nur mehrere, verschiedene Realisierungen (Kanonausprägungen, Bibeln), sondern als Text mehrere, verschiedene Sinnpotentiale, die von Leserinnen und Lesern unterschiedlicher Herkunft (aus dem Judentum, aus dem Christentum), zu unterschiedlicher Zeiten und in unterschiedlichen Räumen je verschieden akzentuiert werden können. Dies ermöglicht die geheimnisvolle Wahrheit, dass z.B. Juden und Christen den gleichen Text unterschiedlich (und mit gleicher 22 Berechtigung) lesen dürfen, aber auch, dass immer neue Generationen von Leserinnen und Lesern „ihr“ Leben im Schrifttext wiederfinden können. Nur so kann auch heute und zu jeder Zeit gelten, was DV 24 so formuliert: „In den Heiligen Büchern kommt ja der Vater, der im Himmel ist, seinen Kindern in Liebe entgegen und nimmt mit ihnen das Gespräch auf“.
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SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, Zwei antagonistische Modelle, 455 (Hervorhebung im Original). Siehe dazu auch STEINS, Bibel im Gespräch, 127. Das zeigt SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, Zwei antagonistische Modelle, 456 am Beispiel von Ps 1 in jüdischer und christlicher Rezeption auf.
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3.2 Einheit der Schrift – biblische Auslegung Im zweiten Absatz von DV 12 ist erneut von der Ermittlung des „Sinnes der heiligen Texte“ die Rede, und dazu sei „mit nicht geringerer Sorgfalt auf den Inhalt und die Einheit der ganzen Schrift“ zu achten. In den letzten Jahrzehnten wurde darauf mehr Wert gelegt; geläufig ist dies unter dem bereits erwähnten Schlagwort „kanonische Auslegung“ 23 bzw. „kanonische Exegese“. Da der Begriff „Kanon“ schillernd und vieldeutig ist, schlage ich vor, stattdessen das Wort „Bibel“ zu verwenden: Die „Bibel“ ist der Gesamtumfang und das Gesamtarrangement der Heiligen Schrift(en) einer Glaubensgemeinschaft. Dabei haben unterschiedliche Glaubensgemeinschaften (Juden, Christen protestantischer Ausrichtung, Katholiken usw.) unterschiedliche „Kanon24 ausprägungen“, also „Bibeln“. Wer innerhalb der eigenen Glaubensgemeinschaft Texte für diese Gemeinschaft auslegt, sollte tatsächlich „die Einheit der ganzen Schrift“ vor Augen haben – und nicht mit willkürlich aus dem Zusammenhang gerissenen Sätzen oder Perikopen eigene Interessen verfolgen. Der Rest des Abschnittes DV 12 formuliert – etwas dunkel – das, was man heute die „Auslegungsgemeinschaft“ nennen könnte (DV spricht z.B. vom „Urteil der Kirche“). Auslegung geschieht nicht im luftleeren Raum, sondern muss sich dem Urteil der Glaubenden stellen. Dabei ist es nicht so, dass „nur“ das explizite Lehramt „Urteile“ spricht, die dann das „Volk“ hinnehmen müsste – noch nie hat das Lehramt der
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Siehe dazu auch den Schlussgedanken bei L. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, Zwei antagonistische Modelle der Schriftauslegung in Dei Verbum?, 460f., und dessen Verweis auf den Aufsatz von N. LOHFINK, Über die Irrtumslosigkeit und die Einheit der Schrift, in: Stimmen der Zeit 174 (1964) 161-181, sowie dessen Kommentierung durch den Autor im Nachdruck in dem Sammelband N. LOHFINK, Studien zur biblischen Theologie, Stuttgart 1993, 9. Zum Begriff „Kanonausprägungen“ siehe z.B. T H. HIEKE, Vom Verstehen biblischer Texte. Methodologisch-hermeneutische Erwägungen zum Programm einer „biblischen Auslegung“, in: Biblische Notizen 119/120 (2003) 71-89, hier 78, 80, 89; DERS., „Biblische Texte als Texte der Bibel auslegen“. Dargestellt am Beispiel von Offb 22,621 und anderen kanonrelevanten Texten, in: E. Ballhorn/G. Steins (Hg.), Der Bibelkanon in der Bibelauslegung. Methodenreflexionen und Beispielexegesen, Stuttgart 2007, 331-345, hier 345. Weitergehende Überlegungen und Fallstudien zu den „Formen des Kanons“ finden sich in TH. HIEKE (Hg.), Formen des Kanons. Studien zu Ausprägungen des biblischen Kanons von der Antike bis zum 19. Jahrhundert (Stuttgarter Bibelstudien 228), Stuttgart 2013.
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Kirche eine bestimmte Schriftauslegung ausdrücklich dogmatisiert, und es tat gut daran! Das „Urteil der Kirche“ wird letztlich von der gesamten Gemeinschaft der Glaubenden gefällt: Wenn eine bestimmte Schriftauslegung keine Akzeptanz findet, ist sie – jedenfalls für den Augenblick – nicht akzeptabel. Insofern sind die Predigt und die Katechese und das Schreiben von Kommentaren nur die Hälfte des Vermittlungsprozesses: Die Auslegung muss besprochen und angenommen werden. In der „Biblischen Auslegung“ – wie ich das Methodenensemble in Anschluss an Christoph Dohmen nennen möchte – gibt es zwei Kriterien der Überprüfung einer Auslegung: (1) der Gesamtkontext der jeweiligen Bibel („Die Einheit der ganzen Schrift“) und (2) die Glau25 bensgemeinschaft („das Urteil der Kirche“). Damit sind die Grundsätze der „Biblischen Auslegung“ in DV 12 bereits angedeutet wor26 den. Die „Biblische Auslegung“ ist prinzipiell nicht abgeschlossen. Auch das ist in DV 12 und 13 grundgelegt: Als Grundprinzip aller wissenschaftlichen Exegese wird mehrfach betont, dass Gottes Wort in Menschenwort ergangen sei: Da Gott in der Heiligen Schrift durch Menschen nach Menschenart gesprochen hat […] (DV 12). […] Denn Gottes Worte, durch Menschenzunge formuliert, sind menschlicher Rede
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Siehe dazu neben den in Fußnote 24 genannten Titeln auch noch T H. HIEKE, Alles Auslegungssache. Methodisch-hermeneutische Erwägungen zur Kontextualisierung biblischer Auslegung, in: Biblische Notizen 140 (2009) 95-110; ferner STEINS, Bibel im Gespräch, 127. Wenn auch nicht begrifflich erwähnt, sind damit „kanonische Exegese“ und „historisch-kritische Methode“ in DV 12 implizit vorhanden. Die Beziehung zwischen beiden Wegen ist komplex und komplementär; mit Recht weist S ÖDING (Theologie, 438) darauf hin, dass DV 12 weder einfach „die“ historisch-kritische Methode adaptiert noch „die“ kanonische Exegese antizipiert habe. Beide „Etiketten“ vereinfachen zu sehr eine Differenziertheit an hermeneutischen und methodologischen Herangehensweisen. Sie genügen nicht mehr, um den exegetisch-methodischen Standort einer Position zu beschreiben; man muss heute genauer erläutern, was man unter „historisch-kritisch“ bzw. „kanonisch“ versteht. Siehe dazu als Diskussionsbeitrag T H. HIEKE, Zum Verhältnis von biblischer Auslegung und historischer Rückfrage, in: Internationale katholische Zeitschrift Communio 39 (2010) 264-274; ferner B OEVE, Revelation, 428; KÜHSCHELM, Nicht nur legitim, 462-476, mit Hinweisen auf die Behandlung der historisch-kritischen Methode in weiteren kirchlichen Dokumenten nach Dei Verbum.
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ähnlich geworden, wie einst des ewigen Vaters Wort durch die Annahme menschlich-schwachen Fleisches den Menschen ähnlich geworden ist (DV 13).
Menschenwort ist jedoch immer auslegungsbedürftig, wie schon der Alltag lehrt. Gott hat es nun einmal so gewollt, seine Botschaft in Form von Menschenworten zu vermitteln – zum einen, damit wir sie überhaupt verstehen, zum anderen dabei in Kauf nehmend, dass das Menschenwort, das Wort der „Hagiographen“, wie DV 12 die biblischen Schriftsteller nennt, fehlinterpretiert, missverstanden werden kann, und dass es immer neu in veränderte Gemeinschaften, Kulturen, Zeiten hinein vermittelt werden muss. Da stets neue Menschengenerationen das „Wort Gottes“ der Bibel in die Hand nehmen, ist die Auslegung beständig zu erneuern, zu verändern, zu aktualisieren. Der Prozess ist nicht abgeschlossen. Das weiß die Kirche. Hätte sie den Fehler begangen, eine bestimmte Schriftinterpretation des Mittelalters oder des 18. Jahrhunderts zu dogmatisieren, so wäre die Schrift in dieser Zeit gefangen geblieben und könnte nicht mehr zu den Menschen von heute sprechen. Aber die Kirche hat diesen Fehler vermieden. Hätte Papst Benedikt XVI. seine drei Jesus-Bücher als das dogmatisch „letzte Wort“ über Jesus deklariert, wäre das Neue Testament schon in spätestens zwanzig Jahren für die Katholische Kirche unrettbar verloren gewesen. So aber können sich unter geänderten Lebensumständen und für künftige Generationen von Christinnen und Christen wieder je neue Sichtweisen auf Jesus und neue Arten der Verkündigung der uralten Botschaft herausbilden. 3.3 Eigenwort mit Eigenwert In DV 14 bis 16 geht es um das Alte Testament. Neben prophetischem Weitblick ist hier ein Wermutstropfen zu notieren, nämlich ein Widerspruch zwischen DV 14 und DV 15 – was zeigt, dass es sich auch bei dem „Dokument“ Dei Verbum um „Menschenwort“ handelt. In DV 14 wird – bereits 1965 – in aller wünschenswerten Klarheit gesagt: Die Geschichte des Heiles liegt, von heiligen Verfassern vorausverkündet, berichtet und gedeutet, als wahres Wort Gottes vor
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in den Büchern des Alten Bundes; darum behalten diese von Gott eingegebenen Schriften ihren unvergänglichen Wert.
Später wird Erich Zenger das wichtige Wort vom „Eigenwort mit Ei27 genwert“ sagen. Noch immer ist dies vielen Christinnen und Christen heute nicht bewusst und nicht klar. Noch immer gibt es Textausgaben des Neuen Testaments alleine, vielleicht noch zusammen mit dem Psalter. Noch immer müssen Menschen in der Verkündigung, in Schule und Katechese dafür kämpfen, dass die „Bücher des Alten Bundes“ mit dem „wahre[n] Wort Gottes […] ihren unvergänglichen Wert“ haben dürfen. DV selbst bringt gleich im nächsten Abschnitt (DV 15, erster Satz) einen nicht unerheblichen Widerspruch: Gottes Geschichtsplan im Alten Bund zielte vor allem darauf, das Kommen Christi, des Erlösers des Alls, und das Kommen des messianischen Reiches vorzubereiten, prophetisch anzukündigen (vgl. Lk 24,44; Joh 5,39; 1 Petr 1,10) und in verschiedenen Vorbildern anzuzeigen (vgl. 1 Kor 10,11).
Wo ist hier der „unvergängliche Wert“, wenn es doch „nur“ darum geht („vor allem“), das Kommen Christi anzukündigen? Bei diesem Verständnis wird das Alte Testament wieder untergeordnet und auf 28 eine typologische Ankündigungsfunktion reduziert.
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Einschlägig für diese Position ist in der von ERICH ZENGER maßgeblich gestalteten „Einleitung in das Alte Testament“ der Abschnitt I. Die Bedeutung der Bibel Israels für christliche Identität, darin Punkt 5: Christlich-jüdische Bibelhermeneutik: E. ZENGER/CHR. FREVEL (Hg.), Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart 82012. Im Kleinen Konzilskompendium (K. RAHNER/H. VORGRIMLER, Freiburg u.a. 1966, 21 1989) steht im Kommentar dazu lapidar: „Man braucht die Mängel dieses Kapitels nicht zu verschweigen, das der Tatsache, daß das Alte Testament das Heilige Buch Jesu und der Urgemeinde war und eine viel längere Erfahrung der Menschheit mit Gott enthält als das Neue Testament, kaum gerecht wird“ (364). Siehe auch S TEINS, Bibel im Gespräch, 123. Der Kommentar von B. RIGAUX im Lexikon für Theologie und Kirche (2. Aufl. 1967, 558-562) ist wohlwollender, aber es fehlt ihm m. E. das Problembewusstsein dafür, dass das Alte Testament der christlichen Bibel zugleich die Heilige Schrift des Judentums ist. – Mit STEINS (Bibel im Gespräch, 129) ist darauf hinzuweisen, dass mit dem Dokument der Päpstlichen Bibelkommission von 2001 „Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel“ diese Position „völlig revidiert worden“ ist: „Im Wissen um die Offenheit von Texten und die Sinnkonstitution im je spezifischen Erfahrungshorizont einer Interpretationsge-
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Die Betrachtung muss umgekehrt erfolgen: Die ersten Christinnen und Christen, die als Menschen jüdischen Glaubens aus ihrer Heiligen Schrift lebten, haben in den Büchern des Alten Bundes Hilfen gefunden, das unglaubliche Ereignis der Menschwerdung Gottes und der Predigt Jesu, sein Leiden, Sterben und Auferstehen zu deuten und zu verstehen. Das Alte Testament ist also nicht bloß ein Vorbereitungskurs, sondern der Resonanzraum, in dem erst alles klingt. Frank Crüsemann nennt in einer glücklichen Formulierung das Alte Testa29 ment den „Wahrheitsraum des Neuen“. Wie ist vor diesem Hintergrund der rätselhafte Satz von DV 16,1 zu verstehen: „Gott, der die Bücher beider Bünde inspiriert hat und ihr Urheber ist, wollte in Weisheit, dass der Neue im Alten verborgen und der Alte im Neuen erschlossen sei“? Der Satz geht auf Augustinus zu30 rück. Die Folgerung, die in DV 16 daraus gezogen wird, ist nur im Rahmen der christlichen Religion verstehbar. Nur für Christinnen
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meinschaft wird die jüdische Lesart der Bibel als legitime Möglichkeit anerkannt (vgl. Nr. 22)“. F. CRÜSEMANN, Das Alte Testament als Wahrheitsraum des Neuen. Die neue Sicht der christlichen Bibel, Gütersloh 2011. AUGUSTINUS, Quaestionum in Heptateuchum libri septem 2,73 (PL 34,623 / CSEL 28,2, 141). Augustinus kommentiert in der besagten Quaestio Ex 20,19. Dort sagt das Volk – erschreckt durch die gewaltigen Naturzeichen bei der Theophanie – zu Mose: „Rede du mit uns, dann wollen wir hören. Gott soll nicht mit uns reden, sonst sterben wir“. Augustinus meint dazu: Multum et solide significatur, ad Vetus Testamentum timorem potius pertinere, sicut ad Novum dilectionem: quamquam et in Vetere Novum lateat, et in Novo Vetus pateat. Quomodo autem tali populo tribuatur videre vocem Dei, si hoc accipiendum est intellegere, cum sibi loqui Deum timeant ne moriantur, non satis elucet: „Deutlich und fest wird bezeichnet, dass sich auf das Alte Testament eher die Furcht bezieht, wie auf das Neue die Liebe; gleichwohl ist im Alten Testament das Neue ebenso verborgen, wie im Neuen Testament das Alte offensteht. Wie aber einem solchen Volk zugeteilt sein sollte, die Stimme Gottes zu sehen, wenn das als ‚zu verstehen‘ zu interpretieren ist, obwohl sie doch fürchten zu sterben, wenn Gott zu ihnen spricht, ist nicht hinreichend klar“ (für die Übersetzung danke ich Dr. Alexander Zerfaß). Augustinus folgt hier wohl der weit verbreiteten Meinung, im Alten Testament erscheine ein eher furchterregender Gott, während Gott im Neuen Testament eher ein liebender sei. Umso bemerkenswerter ist, dass der Kirchenvater auf der anderen Seite (quamquam, „gleichwohl“) die Einheit der christlichen Bibel betont, indem er von der offenbaren Anwesenheit des AT im NT analog auf eine verborgene Anwesenheit des NT im AT schließt. Vgl. dazu auch CHR. DOHMEN, Exodus 19-40 (Herders theologischer Kommentar zum Alten Testament 2), Freiburg u.a. 2004, 136. Aus meiner Sicht ist jedoch auch Augustinus weit davon entfernt, dem Alten Testament „Eigenwort und Eigenwert“ zuzugestehen.
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und Christen gilt, dass die Bücher des Alten Bundes „erst im Neuen Bund ihren vollen Sinn“ erhalten. Würde man dies als allgemein gültige Aussage ansehen, so hätten die Menschen jüdischen Glaubens eine unvollkommene (oder: unvollständige, oder, noch schlimmer: unverständliche) Bibel. Das kann nicht sein. Also gilt DV 16 nur für Christen: Da die neutestamentlichen Schriften so stark auf das Alte Testament zurückgreifen, ist eine Lektüre des Neuen Testaments immer auf eine Lektüre des Alten Testaments verwiesen, und dabei ergeben sich sehr wohl neue Sinndimensionen. Diese werten jedoch die jüdischen Leseweisen des gleichen Textes, die ohne das Neue Testament auskommen, in keiner Weise ab. Dass es zu dieser Thematik, insbesondere des Verhältnisses von jüdischer Bibel und zwei-einer christlicher Bibel Alten und Neuen Testaments noch erheblichen Nachbesserungsbedarf gab, wird auch dadurch deutlich, dass die Päpstliche Bibelkommission 2001 ein Papier mit dem Titel „Das jüdische Volk und seine heilige Schrift in der christlichen Bibel“ vorlegte. Bemerkenswerterweise ist dieses Papier um ein Vielfaches länger als die gesamte Konzilskonstitution Dei Verbum. 4. ANFRAGEN Von daher ergeben sich – abschließend – Anfragen an die heutige liturgische Praxis, die Systematische Theologie sowie an die Pastoral und ihre Strukturen. 4.1. Gottes Wort in der Liturgie DV 21 betont: Die Kirche hat die Heiligen Schriften immer verehrt wie den Herrenleib selbst, weil sie, vor allem in der heiligen Liturgie, vom Tisch des Wortes Gottes wie des Leibes Christi ohne Unterlass das Brot des Lebens nimmt und den Gläubigen reicht. 31
Ist diese Feststellung des Konzils – wohlgemerkt, es ist eine Feststellung, keine Forderung! – heute zutreffend? Sind der „Tisch des Wor31
Siehe dazu den Kommentar zu Dei Verbum von RATZINGER, 572. Er betont die Übereinstimmung mit der Liturgiekonstitution; denn durch beide Texte drückt das Kon-
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tes Gottes“ und der „Tisch des Leibes Christi“ wirklich gleichberechtigt, oder ist nicht doch der eucharistische Teil „mehr wert“? Konkret geht es mir um mehr Sensibilität für den Vortrag des Wortes Gottes, insbesondere, wenn aus den „Büchern des Alten Bundes“ vorgetragen wird. Lektorinnen und Lektoren müssen intensiver geschult werden; die Vorbereitung auf den Vortrag der Lesung darf sich nicht auf „einmal durchlesen vor der Messe“ beschränken. Die Evangeliare genießen mittlerweile auch meist eine feierliche Verehrung, und beim Vortrag des Evangeliums stehen wir. Aber damit soll nicht eine Abwertung der anderen Lesungen verbunden sein. Wie könnte man die „Verehrung der Heiligen Schriften“ in der liturgischen Praxis so gestalten, dass die Lesungen aufgewertet werden? Ein Vorschlag könnte so lauten: Man bleibt beim Alten Testament und bei den Briefen sitzen, aber dafür kann die Lesung etwas länger sein. Viele alttestamentliche Perikopen sind oft bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Das Auslassen von Versen am Anfang, in der Mitte und am Ende tut dem Heiligen Text nie gut. Eine Überarbeitung der Leseordnung hinsichtlich der Perikopierung und die Abschaffung der Kürzungen wären dringend fällig. Die alttestamentliche Lesung zusammen mit dem Antwortpsalm als allererstes ersatzlos zu streichen, wie das leider immer wieder geschieht, ist ein pastoraler Skandal. 4.2 Exegese und Lehramt DV 23 spricht von der Erforschung der göttlichen Schriften durch die katholischen Exegeten und die anderen Vertreter der theologischen Wissenschaft – unter Aufsicht des kirchlichen Lehramts. Damit stellt sich in Verbindung mit dem, was oben zu DV 10,3 gesagt wurde, die Frage nach dem Verhältnis von Exegese und Lehramt. DV 10,3 geht von einem paritätischen Nebeneinander von Tradition, Heiliger Schrift und Lehramt der Kirche aus. Solange alle drei übereinstimmen, gibt es keine Probleme. Wenn die „Aufsicht des kirchlichen Lehramts“ so zu verstehen ist, dass damit die Auslegungsgemeinschaft repräsentiert wird, die als zweites Kriterium paritätisch neben die
zil aus, dass die Liturgie des Wortes „nicht eine mehr oder minder verzichtbare Vormesse, sondern grundsätzlich gleichen Ranges mit der im engeren Sinn sakramentalen Liturgie ist“.
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„Einheit der Schrift“ (Gesamtkontext der Bibel) tritt, und wenn beide Kontrollinstanzen einer „Biblischen Auslegung“ sind, so mag dies noch angehen. Was aber geschieht, wenn die Exegese bei ihrer Erforschung der „göttlichen Schriften“ Dinge herausfindet, die Aussagen des Lehramtes widersprechen? Nach DV 10,3 gibt es das nicht, d.h. sobald ein solcher Widerspruch auftritt, muss eine der beiden Seiten 32 irren. Ist es aber notwendig immer die Exegese, die irrt? DV 1 erinnert programmatisch daran, dass der Verkündigung der Kirche das ehrfurchtsvolle Hören auf „Gottes Wort“ vorausgeht: So gibt das Konzil mit dieser ekklesiologischen Konzeption auch einer Theologie den Abschied, die das Lehramt der Kirche vorgängig zum Gegenüber des Volkes Gottes konzipiert, statt die Kirche als ganze durch das gemeinsame Hören auf Gottes Wort (DV 1) zu bestimmen. Erst durch dieses Hören auf das Wort Gottes wird die Kirche konstituiert, nicht durch Ämter und Funktionen. […] Das Wort der Schrift bleibt oberste 33 Norm und bleibender Maßstab der Kirche.
Das kirchliche Lehramt steht damit weder über dem Volk Gottes als Ganzem noch ihm gegenüber, sondern ist Teil der großen Auslegungsgemeinschaft der Kirche. Es hat die besondere Aufgabe der Repräsentanz und der Sichtung und Bündelung der Interpretationen. Ebenso ist die wissenschaftliche Exegese Teil der Auslegungsgemeinschaft. Sie hat die besondere Aufgabe, durch historisch-kritische und literaturwissenschaftliche Methoden das Wort Gottes im Menschenwort der Antike so zugänglich zu machen, dass das ehrfurchtsvolle Hören für die gesamte Gemeinschaft des Volkes Gottes möglich und fruchtbar wird. Streitfälle hinsichtlich der Interpretation gibt es zweifellos, doch nach den Konzilstexten, insbesondere nach DV, können diese nicht auf disziplinarischem Weg über die „höhere Autorität“ geregelt werden. Es wird ja gerade keine Instanz mit absoluter Auslegungshoheit definiert. Damit bleibt nur das „ehrfurchtsvolle Hören“ im Sinne eines diskursiven Ringens innerhalb der großen Auslegungsgemeinschaft des Volkes Gottes.
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Siehe dazu z.B. die kritischen Anmerkungen von D. K OSCH, „Um unseres Heiles willen“. Eine relecture von „Dei Verbum“ nach 40 Jahren, in: Bibel und Kirche 60 (2005) 45-51, hier 49. SAUER, Konstitution, 249.
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4.3 Die Seele der Theologie DV 24 führt einen Satz an, der vielfach zitiert und intensiv diskutiert wurde und wird: Die Heiligen Schriften enthalten das Wort Gottes und, weil inspiriert, sind sie wahrhaft Wort Gottes: Deshalb sei das Studium des heiligen Buches gleichsam die Seele der heiligen Theolo34 gie.
Das Wort von der „Seele der heiligen Theologie“ wird von Papst Leo XIII. in seiner Enzyklika Providentissimus Deus (1893) verwendet und von Papst Benedikt XV. in der Enzyklika Spiritus Paraclitus (1920) wiederholt. Man wird feststellen dürfen, dass diese Mahnung (hier ist tatsächlich ein auffordernder Stil angedeutet!) mittlerweile gut umge35 setzt wird. Die Systematische Theologie ist heute und schon seit lan36 gem stark bibelorientiert. Auf welchem Niveau aber geht die Systematische Theologie mit der Bibel um: werden die aktuellen Diskussionen der Bibelwissenschaft wahrgenommen, werden ihre Ergebnisse
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Siehe dazu insbesondere SÖDING, Seele, 545-557. TH. SÖDING hört hier einen Optativ heraus: „Es ist nicht so; es wäre aber gut, wenn es so wäre; es ist eine sachgerechte und zeitgemäße Option katholischer Theologie, dass sie durch das Studium der Bibel beseelt wird“ (Theologie, 423). Grundsätzlich sei aber zu fragen, ob katholische Theologie dadurch kreativ und modern werde oder ob sie einem Biblizismus zum Opfer falle. Dann verschärft er die Dringlichkeit der Frage: „Ist die Orientierung an der Heiligen Schrift Teil des Problems oder der Lösung?“ (424). Es gibt aber auch – insbesondere in lehramtlichen Texten – Rückschritte zu kritisieren, etwa wenn lehramtliche Schreiben die Bibel doch wieder lediglich als Steinbruch für dicta probantia verwenden und in unreflektierter, die geschichtliche Distanz der Texte vergessender Hermeneutik aus dem Kontext gelöste Bibelsätze als „ewige Wahrheiten“ zum Abwürgen wichtiger Diskussionen einsetzen. Ein besonders extremes Beispiel ist der Katechismus der Katholischen Kirche (1993), der Dei Verbum zwar zitiert, sich aber die Prinzipien des Dokuments nicht zu eigen macht. Siehe dazu KIRCHSCHLÄGER, Das Studium der Bibel, 116, der unter Anmerkung 25 weitere Beispiele nennt: die Erklärung Inter Insigniores der Glaubenskongregation (1976), die Enzyklika Familiaris consortio (1981), die Schriftargumentation in der Erklärung über das Priesteramt der Frau (1994). Siehe ferner auch W. K IRCHSCHLÄGER, Zum Heil aller Völker. Dei Verbum als Grundlage für einen neuen Zugang zur Bibel, in: Theologisch-praktische Quartalschrift 154 (2006) 173-182, hier 174, wo er auf die Instructio Liturgiam authenticam (2001) hinweist.
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ernst genommen? Angesichts der Literaturfülle in der Theologie in jedem der beiden Fächer, Bibelwissenschaft wie Systematische Theologie, ist das für alle Seiten eine echte Herausforderung. Zweifellos ist 38 der Austausch zwischen beiden Disziplinen weiter zu vertiefen. 4.4 Zeit und Raum für das gründliche Studium der Schrift DV 25 fordert „alle Kleriker, besonders Christi Priester und die anderen, die sich als Diakone oder Katecheten ihrem Auftrag entsprechend dem Dienst des Wortes widmen“, auf, sich in gründlichem Studium mit der Schrift zu befassen, und zwar „beständig“. Dazu gehört nicht nur die Lektüre der Bibel selbst, sondern auch die Weiterbildung durch bibelwissenschaftliche Literatur. Immer wieder hört man Klagen von Seelsorgern, dass sie durch ihre Aufgabenfülle nicht mehr in der Lage sind, theologische Literatur zu lesen und sich entsprechend auf dem aktuellen Stand zu halten. Damit entfällt auch oft das 39 gründliche Studium der Heiligen Schrift. So stellt sich noch eine Anfrage an unsere heutige Praxis: Haben unsere Priester genug Zeit für das, was in DV 25 gefordert wird? Oder haben die „Strukturplanungen“ in den Diözesen als Meisterwerke der Verwaltung des Priestermangels Ordnungen geschaffen, in denen Seelsorger so „effektiv“ eingesetzt und in ihrer Arbeitszeit verplant werden, dass sie nicht mehr „studieren“ oder ein „theologisches Buch“ lesen können? Ist in den pastoralen Strukturen und den Arbeitsfel-
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Siehe dazu auch die zweifelnden Bemerkungen von K IRCHSCHLÄGER, Zum Heil aller Völker, 179. Die Ermahnungen im Kommentar zu Dei Verbum von J. RATZINGER, 575f., zu interdisziplinärer Zusammenarbeit in der Theologie sind immer noch sehr aktuell. SÖDING, Theologie mit Seele, 443-446, bietet einen Überblick über derzeitige Ansätze zum Verhältnis zwischen Systematischer Theologie und Schriftauslegung auf katholischer wie protestantischer Seite, optiert für ein „konstruktives Gespräch“ und skizziert kurz, wie dies aussehen kann. Siehe auch R. VODERHOLZER, Dogmatik im Geiste des Konzils. Die Dynamisierung der Lehre von den Loci theologici durch die Offenbarungskonstitution „Dei Verbum“, in: Trierer Theologische Zeitschrift 115 (2006) 149-166; E. KLINGER, Kirche und Offenbarung. Die neue Systematik in der Theologie, in: Münchener theologische Zeitschrift 54 (2003) 127-140. Glücklicherweise gibt es viele Gegenbeispiele; siehe z.B. den persönlich gehaltenen Bericht von L. FELDKÄMPER, Die Heilige Schrift im Leben der Kirche. Erfahrungen um die Umsetzung von Dei Verbum VI, in: Bibel und Kirche 60 (2005) 234-238.
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dern und Stellenbeschreibungen der Seelsorger, der Priester, aber auch der Laienmitarbeiterinnen und -mitarbeiter in der Seelsorge ausreichend Zeit-Raum vorgesehen für die theologische Weiterbildung, insbesondere das Studium der Heiligen Schrift als „Seele der heiligen Theologie“? 5. SCHLUSSGEDANKE Fast 50 Jahre nach dem Konzil stellen wir einmal mehr fest, dass die Texte der Konzilsväter – obwohl sie doch „Menschenwort“ sind – wahrhaft „geistvoll“ sind: Sie zeugen von einem prophetischen Weitblick, den wir gerade erst einholen, und sie veranlassen uns zu Anfragen an heutige Theologie und Praxis, die mitunter schmerzlich sind. Stellenweise frustrieren die Texte ungemein: Zum einen, weil sie an bestimmten Stellen – zeitbedingt – noch nicht so weit waren, wie wir heute es glücklicherweise sind (etwa im Verhältnis christliche Bibel – jüdische Heilige Schrift); zum anderen, weil die heutige Situation immer noch den Ansprüchen und Idealen des Konzils hinterherhinkt. Die Kirche hat keine Alternative zum konziliaren, dialogischen 40 Prozess: Nur im Miteinander der vielen Stimmen und Charismen, nur im Hören aufeinander, nur im gegenseitigen Respekt aller Getauften liegt Zukunft – und es ist an der Zeit, dafür die nötigen Strukturen auf allen Ebenen der Kirche zu schaffen. Die Bibel selbst ist ein 41 vielstimmiges Dokument, in sich ein dialogischer Prozess – wenn das Studium der Bibel die „Seele der heiligen Theologie“ sein soll (DV 24), ist auch die Theologie damit notwendig ein dialogischer Prozess. Diese Vielstimmigkeit und Dialogizität von Heiliger Schrift und Theo40
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Siehe dazu auch die Ausführungen von BOEVE, Revelation, Scripture, and Tradition, 427-433. Boeve betont mit Recht, dass das Konzept der göttlichen Offenbarung, das das Zweite Vatikanische Konzil selbständig entwickelte und das DV formuliert, ein Prinzip des Dialogs ist. Zugleich beklagt Boeve, dass mittlerweile der Eindruck entstanden ist, die dialogische Offenheit des Konzils werde vom kirchlichen Lehramt zurückgenommen, um durch eine einseitige und asymmetrische instruktionstheoretische Konzeption ersetzt zu werden. Auch KIRCHSCHLÄGER, Zum Heil aller Völker, 176, betont, dass in Kapitel 1 von DV ein personaler, dialogischer Ansatz des Offenbarungsverständnisses entwickelt werde. Siehe das Themenheft 192 „Dialog: ins Gespräch kommen“ der Zeitschrift Bibel heute (2012); ferner SÖDING, Theologie mit Seele, 441: „die Bibel ist ein genuiner Plural“.
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logie aber müssen sich auch in den Strukturen und Vollzügen der Kirche abbilden und nachvollziehen lassen. Das Zweite Vatikanische Konzil hat in geradezu begeisternder Weise diesen Dialogprozess auf42 gegriffen und weitergeführt; mittlerweile ist es mehr als überfällig, dass dieser Weg mit Mut und Gottvertrauen weitergegangen wird.
Literatur BIBEL HEUTE, Themenheft 192: „Dialog: ins Gespräch kommen“, 2012. BOEVE, LIEVEN, Revelation, Scripture and Tradition. Lessons from Vatican II’s Constitution “Dei Verbum” for Contemporary Theology, in: International Journal of Systematic Theology 13 (2011) 416-433. CRÜSEMANN, FRANK, Das Alte Testament als Wahrheitsraum des Neuen. Die neue Sicht der christlichen Bibel, Gütersloh 2011. DIRSCHERL, ERWIN, Gottes Wort als Fülle der Zeit – Die Heilsbedeutung des jüdischen Glaubens in der Zeit post Christum natum, in: Hubert Frankemölle/Josef Wohlmuth (Hg.), Das Heil der Anderen. Problemfeld „Judenmission“ (Quaestiones Disputatae 238), Freiburg u.a. 2010, 395-419. DOHMEN, CHRISTOPH, Exodus 19-40 (Herders theologischer Kommentar zum Alten Testament), Freiburg u.a. 2004. –, Israelerinnerung im Verstehen der zweieinen Bibel, in: Ders. (Hg.), In Gottes Volk eingebunden. Christlich-jüdische Blickpunkte zum Dokument der Päpstlichen Bibelkomission „Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel“, Stuttgart 2003, 9-19. DUPONT, ANTHONY/SCHELKENS, KARIM, Katholische Exegese vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1960–1961), in: Zeitschrift für Katholische Theologie 132 (2010) 1-24. FELDKÄMPER, LUDGER, Die Heilige Schrift im Leben der Kirche. Erfahrungen um die Umsetzung von Dei Verbum, in: Bibel und Kirche 60 (2005) 234-238. FRANKEMÖLLE, HUBERT, Fortschritt und Stillstand. Entwicklungen seit 1965, in: Bibel und Kirche 60 (2005) 173-177.
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Vgl. dazu REIKERSTORFER, Der Wandel im Offenbarungsverständnis, 483-485; STEINS, Bibel im Gespräch, 124.
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GRILLMEIER, ALOYS, Kommentar zur Dogmatischen Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Das Zweite Vatikanische Konzil. Dokumente und Kommentare, Teil II, Freiburg u.a. 1967, 528-557 (zu Kap. III). HIEKE, THOMAS, Alles Auslegungssache. Methodisch-hermeneutische Erwägungen zur Kontextualisierung biblischer Auslegung, in: Biblische Notizen 140 (2009) 95-110. –, „Biblische Texte als Texte der Bibel auslegen“. Dargestellt am Beispiel von Offb 22,6-21 und anderen kanonrelevanten Texten, in: Egbert Ballhorn/Georg Steins (Hg.), Der Bibelkanon in der Bibelauslegung. Methodenreflexionen und Beispielexegesen, Stuttgart 2007, 331-345. Ǘ (Hg.), Formen des Kanons. Studien zu Ausprägungen des biblischen Kanons von der Antike bis zum 19. Jahrhundert (Stuttgarter Bibelstudien 228), Stuttgart 2013. –, Vom Verstehen biblischer Texte. Methodologisch-hermeneutische Erwägungen zum Programm einer „biblischen Auslegung“, in: Biblische Notizen 119/120 (2003) 71-89. –, Zum Verhältnis von biblischer Auslegung und historischer Rückfrage, in: Internationale katholische Zeitschrift Communio 39 (2010) 264-274. HOPING, HELMUT, Theologischer Kommentar zur Dogmatischen Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, in: Peter Hünermann/Bernd Jochen Hilberath (Hg.), Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 3, Freiburg u.a. 2005, 695-831. HÜNERMANN, PETER, Juden auf dem Weg des Heils. Eine theologische Reflexion auf die Frage von Offenbarung und Geschichte im Ausgang von Dei Verbum, in: Hubert Frankemölle/Josef Wohlmuth (Hg.), Das Heil der Anderen. Problemfeld „Judenmission“ (Quaestiones Disputatae 238), Freiburg u.a. 2010, 420-459. KIRCHSCHLÄGER, WALTER, Das Studium der Bibel als Seele der Theologie. Der Einfluss von Bibel und Exegese auf das Zweite Vatikanische Konzil, in: Bibel und Kirche 60 (2005) 112-116. –, Zum Heil aller Völker. Dei Verbum als Grundlage für einen neuen Zugang zur Bibel, in: Theologisch-praktische Quartalschrift 154 (2006) 173-182. KLINGER, ELMAR, Kirche und Offenbarung. Die neue Systematik in der Theologie, in: Münchener theologische Zeitschrift 54 (2003) 127140. KOSCH, DANIEL, „Um unseres Heiles willen“. Eine relecture von „Dei Verbum“ nach 40 Jahren, in: Bibel und Kirche 60 (2005) 45-51.
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ANSGAR WUCHERPFENNIG SJ
Welche Zukunft hat die historisch-kritische Exegese? Prolegomena für eine zukünftige Evangelien-Exegese 50 Jahre nach Dei Verbum Am 18. November 1965 wurde die Dogmatische Konstitution Dei Verbum während der vierten Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen 1 Konzils fast einstimmig verabschiedet. Sie lag ganz auf der Linie der Enzyklika Divino afflante Spiritu, mit der Pius XII. bereits 1943 der neueren katholischen Bibelwissenschaft den Weg für eine kirchenöffentli2 che Anerkennung bereitet hatte. Dennoch war der Konzilskonstitution ein zähes Ringen vorausgegangen. Ursprünglich war christliche Theologie überhaupt nur Auslegung der Schrift. Die ersten Disziplinen, die sich von ihr verselbständigt hatten, waren nach den heutigen Bezeichnungen das Kirchenrecht und die Dogmatik. Bis in das Mittelalter hinein blieb aber die Schriftauslegung Quelle der Theologie. In der Blütezeit mittelalterlicher Scholastik war Thomas von Aquin nicht nur systematischer Theologe,
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Eine gewaltige Mehrheit von 2344 Konzilsvätern stimmte mit placet für die siebte Fassung des Dokuments und nur sechs mit non placet. Der endgültigen Zustimmung des Konzils ging eine vierjährige Arbeit der Kommission voraus und selbst in der vierten Sitzungsperiode hat es noch zweimal einer päpstlichen Intervention bedurft, um die Diskussionen über die Konstitution nicht in einer Sackgasse enden zu lassen. Zu einem Überblick vgl. K. SCHATZ, Allgemeine Konzilien – Brennpunkte der Kirchengeschichte, Paderborn u. a ²2008, 329–331; ausführlicher: J. RATZINGER, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung. Einleitung, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Das Zweite Vatikanische Konzil. Dokumente und Kommentare, Teil II, Freiburg u.a. 1967, 498–503, hier 502; eine neuere Darstellung findet sich bei K. WENZEL, Kleine Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils, Freiburg u.a. 2005, 144–159. Text u.a. in den Acta Apostolicae Sedis 35 (1943) 297-326 und im Enchiridion Biblicum (4. Aufl. 1961, Nr. 538-232); Textauszüge mit dt. Übersetzung in DzH 38253831.
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sondern blieb immer auch Exeget, dessen Kommentar etwa zum Römerbrief zu manchen theologischen Fragen immer noch hochaktuell ist. Ähnliches gilt für seinen Lehrer Albert den Großen, dessen Schriftauslegung an Pfiffigkeit und Witz mancher modernen exegetischen Monographie weit überlegen ist. Mit dem Beginn der historischen Kritik an der Bibel begann tatsächlich etwas Neues in der Theologie. Die neuzeitliche historische Erforschung der Bibel war nichts Harmloses. Noch nicht in ihrer Anfangszeit, aber recht bald gingen einige der historischen Bibelwissen3 schaftler auf deutliche Distanz zum Christentum. Zum Teil aufgrund eigener Wahl, zum Teil durch die Marginalisierung einer bestimmten Neuscholastik war die biblische Exegese im 19. und 20. Jahrhundert innerhalb der Theologie immer mehr an den Rand geraten. Der Konstitution Dei Verbum ist es gelungen, die moderne biblische Exegese als eigenständige Disziplin wieder in das wissenschaftliche Gespräch der Theologie einzubringen. Noch während des Konzils wurde um die neue Exegese gerungen. Mit Maximilian Zerwick (1901-1975) und Stanislas Lyonnet (19021986) wurden Anfang 1962 zwei Professoren des römischen Bibelinsti4 tuts aus dem laufenden Lehrbetrieb herausgenommen. Dem Lehrverbot war ein längerer Konflikt der Professoren mit römischen Behörden vorangegangen. Pater Zerwick durfte mit Bibelgriechisch fortfahren und wurde Autor von Wörterbüchern und einem bis heute hilfreichen sprachlichen Schlüssel zum Neuen Testament. Pater Lyonnet blieb, auch wenn er keine Vorlesungen mehr hielt, Dekan der biblischen Fakultät. Ähnliche Einschränkungen ihrer Arbeit oder Lehrverbote erfuhren zur gleichen Zeit Exegeten in allen Kontinenten, in Frankfurt Sankt Georgen war Pater Franz Joseph Schierse (1915-1992) davon betroffen. Nach längeren, zähen Verhandlungen benachrichtigte im Fall von Lyonnet und Zerwick der Generalobere
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Beispielsweise der wichtige Vertreter der historisch-kritischen Jesusforschung David Friedrich Strauß (1808-1874): M. REISER, Bibel und Kirche. Eine Antwort an Ulrich Luz, in: Ders., Bibelkritik und Auslegung der Heiligen Schrift. Beiträge zur Geschichte der biblischen Exegese und Hermeneutik (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 217), Tübingen 12007, 63–78, hier 71f. Die folgende Darstellung der Vorgänge am Bibelinstitut und auf dem Konzil verdanke ich vor allem den Hinweisen von Norbert Lohfink. Siehe dazu aber auch die hervorragend recherchierte Geschichte des Bibelinstituts bei M. GILBERT, The Pontifical Biblical Institute. A Century of History (1909-2009), Rom 2009, bes. 160–168.
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1963 den damaligen Rektor des Biblicum von der Rehabilitierung der beiden Professoren: Sie möge sine clamore aut, ut patet, gloriatione vollzogen werden – „ohne großes Aufsehen und selbstverständlich ohne 5 Stolz“. – Welchen Schmerz es für einen Professor bedeutet hat, mit einem Lehrverbot belegt zu sein, lässt sich heute wohl nur noch ahnen. Nicht nur die Beziehung zwischen Exegese und Lehramt, auch die 6 Konzilskonstitution selbst hatte eine bewegte Geschichte: Als einer der ersten Texte wurde dem Konzil ein Entwurf vorgelegt, der den Titel De fontibus revelationis trug. Er war ganz im Sinne der Gegner der modernen Bibelwissenschaft formuliert; wäre er durchgekommen, wäre es mit dieser im Rahmen der katholischen Theologie zu Ende gewesen. Stattdessen provozierte er sofort große Diskussionen unter den Konzilsteilnehmern. Bei einer Probeabstimmung lehnte die absolute Mehrheit den Text ab, doch wurde die in diesem Falle vorgeschriebene Zweidrittelmehrheit nicht erreicht. Das war die entscheidende Krise in der Auseinandersetzung. Papst Johannes XXIII. löste den Knoten, indem er selbst den Text zurückzog und ankündigte, er werde eine gemischte Kommission aus Gegnern und Befürwortern einrichten, die einen neuen mehrheitsfähigen Text erarbeiten sollte. So geschah es dann auch; doch es dauerte bis kurz vor dem Ende des Konzils, dass ein Text zustande kam, der dann fast einstimmig angenommen werden konnte. In diesem Zusammenhang ereignete sich etwas, was auch für die Geschichte von Sankt Georgen interessant ist. Die Kommunikationsprozesse im Konzil waren sehr schwierig, und man ahnte oft nicht, wer was dachte. Das Bibelinstitut, das außerhalb der Beratungen in der Konzilsaula natürlich in die einschlägigen Diskussionen verwickelt war, plante deshalb einen öffentlichen Akt der Demonstration: Es verlegte Pater Norbert Lohfinks Verteidigung seiner Doktorarbeit über das Hauptgebot im Deuteronomium vom ursprünglich geplanten 8. November auf den 22. November 1962, einen für das Konzil verhandlungsfreien Nachmittag. Das war dann jedoch genau der Tag nach der päpstlichen Entscheidung, den alten Text zurückzuziehen und einen neuen auszuarbeiten. Eine große Zahl der Konzilsteilnehmer unterstützte mit ihrer Anwesenheit das Bibelinstitut und die his-
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GILBERT, The Pontifical Biblical Institute, 186. Vgl. ebd., 170 (auch zum Folgenden).
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torisch-kritische Exegese. Zwölf Kardinäle, darunter Alfrink, Bea, Döpfner, Frings, Léger, Tisserant, wohnten der Verteidigung bei, etwa vierhundert Bischöfe erschienen und weitere wohlmeinende Theologen, darunter auch der junge Professor Joseph Ratzinger. So wurde die Thesenverteidigung nicht nur zu einer Abstimmung mit den Füßen für ein neues Offenbarungsschema, sondern fast schon zu einer vorausgenommenen Siegesfeier. Die Vorgänge vor und um Dei Verbum, wie der Text am Ende hieß, sollen hier nicht weiter rekonstruiert werden. Stattdessen will ich mich im Folgenden mit der Frage nach der Zukunft der historischkritischen Exegese beschäftigen. Dei Verbum war das Aggiornamento für eine moderne Exegese. Allerdings scheint es heute, dass die Moderne zur Zeit des Konzils bereits in ihre Auslaufphase geraten war. Das Wort „Kritik“ oder „kri7 tisch“ stammt aus der Anfangszeit der Moderne. Aufgebracht wurde es von Humanisten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und bezeichnete ursprünglich eine neue philologische und historische Exegese antiker Literatur. Der Oratorianer Richard Simon hat den 8 Ausdruck „historische Kritik“ in die Bibelexegese eingeführt. Von Anfang an erfreute sich die Kritik nicht nur der Beliebtheit. Jonathan Swift hat sie 1704 im “Battle of the Books“ in einer Satire karikiert. Nach einer alten Prophezeiung werde in den Zeiten der Moderne “a malignant deity called criticism“ („eine bösartige Gottheit namens ‚Kritizismus‘“) erscheinen. Nun wurde sie aufgefunden in einer Höhle ausgestreckt über der Beute zahlloser halb aufgefressener Bücher. Zu ihrer Rechten saß Unwissenheit, ihr Vater und Gatte, erblindet im Alter. Zu ihrer Linken Stolz, ihre Mutter, sie zieht sie mit den Papierfetzen auf, die sie selber zerrissen hat. Daneben war die Meinung, ihre Schwester, leichtfüßig und betrügerisch, starrköpfig, leichtfertig und sich stets
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Vgl. M. REISER, Einführung, in: Ders., Bibelkritik und Auslegung der Heiligen Schrift (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 217), Tübingen 2007,1– 38, hier 34–38 (auch zum Folgenden). Er findet sich erstmals in seiner 1678 veröffentlichten Schrift „Histoire Critique du Vieux Testament“ („Historische Kritik des Alten Testaments“). Das Deutsche hat „Kritik“ als Lehnwort aus dem Französischen übernommen, was die Betonung auf der letzten Silbe noch zeigt; vgl. REISER, Einführung, 35; ferner N. LOHFINK, Zur historisch-kritischen Methode, in: Ders., Bibelauslegung im Wandel, Frankfurt am Main 1967, 50–75.
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wendend. Über ihr spielten ihre Kinder: Lärm und Dreistigkeit, Eintönigkeit und Eitelkeit, Bestimmtheit, Pedanterie und 9 schlechte Sitten.
Die Kritik: Ein katzenartiges Monster über halbaufgefressenen Seiten großer Literatur, eine paar Seiten hängen ihr noch im Maul und schon hat sie ihre Krallen in das nächste Werk geschlagen; ein drastisches Bild! Aber hat die moderne Kritik nicht tatsächlich zahllose Seiten der Bibel durch ihre einseitige Begrenzung auf die historische Bedeutung einem religiösen Leben als Nahrung entzogen? Swifts Satire auf die Kritik steht am Anfang der Moderne. Schon bald, in den Jahren nach dem Konzil, hat man deren Ende ausmachen wollen. Seit Anfang der 80er Jahre sprechen Zeitdiagnostiker von der 10 Postmoderne. Hat sich das Konzil also zu einer literaturwissenschaftlichen Methode bekannt, die während des Konzils bereits veraltet war? Gibt es eine Zukunft für die historisch-kritische Exegese in der Postmoderne? Diese vollmundigen Fragen möchte ich für meinen Beitrag beträchtlich eingrenzen und die Konzilskonstitution mit den Fragen nach einer zukünftigen Exegese der Evangelien in ein Gespräch bringen. Dabei werde ich zunächst im Gespräch mit Dei Verbum vier Linien für eine zukünftige Exegese der Evangelien nachgehen: (1) Die Evangelien sind biblische Geschichtsschreibung; (2) die Evangelien sind Biographie; (3) die Evangelien sind Geschichte von unten und Mikro-
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J. SWIFT, The Battle of the Books, in: Ders., A Tale of a Tub and Other Works, hg. von A. Ross/D. Woolley, Oxford 1986 (Übersetzung von A.W.); ebd., 115: “Meanwhile Momus, fearing the worst, and calling to mind an ancient prophecy which bore no very good face to his children the Moderns, bent his flight to the region of a malignant deity called Criticism. She dwelt on the top of a snowy mountain in Nova Zembla; there Momus found her extended in her den, upon the spoils of numberless volumes, half devoured. At her right hand sat Ignorance, her father and husband, blind with age; at her left, Pride, her mother, dressing her up in the scraps of paper herself had torn. There was Opinion, her sister, light of foot, hood-winked, and head-strong, yet giddy and perpetually turning. About her played her children, Noise and Impudence, Dulness and Vanity, Positiveness, Pedantry, and Ill-manners. The goddess herself had claws like a cat; her head, and ears, and voice resembled those of an ass; her teeth fallen out before, her eyes turned inward, as if she looked only upon herself.” Zur Frage nach der Bibel in der Postmoderne im Folgenden: W. FRITZEN, Die Bibel im posttraditionalen Parlament der Geschichten, in: Theologie und Philosophie 86 (2011) 503–522.
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historie; (4) die Evangelien sind perspektivische Geschichtsschreibung. In diesen vier Linien zeigt sich die plurale Einheit der vier Evangelien als ein „Parlament“ (W. Fritzen) verschiedener Erzählungen, aus dem sich herausfordernde Antworten auf die Anfragen der Postmoderne ergeben. Jedoch erschöpft sich Dei Verbum nicht in seiner Bejahung einer erneuerten katholischen Bibelauslegung. In einem kleinen Passus in Artikel 12 weitet es die Perspektive historischer Fragen an die Schrift. Dieser im Konzilsdokument nur angedeutete Ausblick bildet den Schluss der hier vorgelegten Überlegungen zu einer künftigen Evangelienexegese. 1. DIE HISTORICITAS DER EVANGELIEN 1.1 Die Evangelien sind biblische Geschichtsschreibung Auf die eigentliche Methodik der Exegese geht die Konzilskonstitution erst in ihrem dritten Kapitel in Artikel 12 ein. Ihm geht in diesem Kapitel ein kurzer Artikel über die Inspiration voran. In Artikel 12 folgt dann eine Art Methodenparagraph. Er handelt nicht über das Lesen der Schrift im alltäglichen Leben von Christen oder über die Auslegung bei der Predigt, sondern von der professionellen wissen11 schaftlichen Exegese. Wir werden auf diesen Artikel noch zurückkommen. Vorher stellt Dei Verbum in seinen ersten beiden Kapiteln eine allgemeine Theologie der Offenbarung vor, in die der Abschnitt über 12 Inspiration und Exegese hineingestellt ist. Die beiden Eingangskapi-
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Vgl. N. LOHFINK, Der weiße Fleck in Dei Verbum, Artikel 12, in: Ders., Studien zur biblischen Theologie (Stuttgarter biblische Aufsatzbände 16), Stuttgart 1993, 78–96, hier 81. Zum Folgenden: D. FARKASFALVY, Inspiration and Interpretation, in: M. L. Lamb (Hg.), Vatican II. Renewal within tradition, Oxford u. a 2008, 77–100, hier 80f. Wie Dei Verbum 12 in der Konstitution in ein dialogisches Verständnis von Offenbarung integriert ist, hat Reimund Bieringer gezeigt, vgl. R. B IERINGER, Biblical Revelation and Exegetical Interpretation According to Dei Verbum 12, in: Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt 27 (2002) 5–40, hier 6f. Bieringers Artikel fußt wie viele andere Arbeiten letztlich auf den offenbarungstheologischen Überlegungen, die Joseph Ratzinger 1967 in seinem Kommentar zu Dei Verbum für die 2. Auflage des
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tel beschreiben die Heilsökonomie in einer Art Triptychon: die Propheten des Alten Testaments, Christus und die Apostel. Dabei haben die Worte „Propheten“ und „Apostel“ eine quasi-technische Bedeutung: „Propheten“ meint die Empfänger der Offenbarung in Israel, also die Männer und Frauen in den Schriften des Alten Testaments. „Apostel“ hingegen meint die Empfänger der Sendung Jesu, ausgewählte Augenzeugen, Männer und Frauen, die das Wort der Offenbarung aus seinem Mund empfangen haben und am Beginn der mündlichen Jesusüberlieferung stehen. Diese Heilsökonomie ist nicht identisch mit einem historischen Prozess von aufeinander folgenden Ereignissen. Sie ist vielmehr eine Kette von verschiedenen Antizipationen und gipfelt in der Inkarnation des Logos, in der diese Antizipationen ihre geschichtlich einmalige Konzentration und Fülle erfahren haben. Von dem raumzeitlichen Moment der Inkarnation breitet sich Gottes Erlösung auf alle vorangehenden und folgenden Zeiten und Räume aus. Erst an diesem Punkt in Artikel 7 führt die Konzilskonstitution die „Heilige Schrift“ ein. Obwohl das Dokument vorher Mose erwähnt (DV 3) und auch „die Propheten“ (DV 3; 7), werden diese nur genannt in ihrer Rolle, dass sie Gottes Wort gesprochen haben – so als wäre es eine mündliche Offenbarung. Erst an dieser Stelle, im Zusammenhang mit der vollen Botschaft der Offenbarung Christi, spricht das Konzilsdokument das erste Mal ausdrücklich von einer Verschriftlichung der Offenbarung: „Jene Apostel und apostolischen Männer, die unter der Inspiration des gleichen Heiligen Geistes die Botschaft vom 13 Heil niederschrieben.“ Und darauf erläutert die Konstitution das erste Mal ausdrücklich in einem feierlichen Satz die Bedeutung der Heiligen Schrift (DV 7): Diese Heilige Überlieferung und die Heilige Schrift beider Testamente sind gleichsam ein Spiegel, in dem die Kirche Gott, von dem sie alles empfängt, auf ihrer irdischen Pilgerschaft anschaut, bis sie hingeführt wird, ihn von Angesicht zu Angesicht zu sehen, so wie er ist (vgl. 1 Joh 3,2).
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Lexikons für Theologie und Kirche dargestellt hat (Das Zweite Vatikanische Konzil. Dokumente und Kommentare, Teil II, 498-503). Hervorhebung durch A.W.
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Hier zeigt sich ein erster Aspekt der Geschichtsschreibung der Evangelien: Sie sind biblische Geschichtsschreibung und lassen sich nur in einer gesamtbiblischen Heilsökonomie verstehen. An den Anfängen der Evangelien lässt sich beobachten, wie sorgfältig diese Schriften ihre Geschichtsschreibung mit der des Alten Testaments verbunden 14 haben. Sie beginnen alle in unterschiedlicher Weise, aber jedes knüpft an das Alte Testament an. Bei Matthäus ist die Kontinuität vielleicht am deutlichsten spürbar. Er beginnt mit der Genealogie Jesu, die seine Familie über David bis zu Abraham zurückverfolgt. Auf diese Weise zeigt der Evangelist, dass Jesus ein direkter Nachkomme Abrahams ist, dem Gott verheißen hat, sein Nachkomme werde ein Segen für alle Völker sein. Aber die Genealogie erinnert auch an die ganze Geschichte Israels, sie ist so etwas wie ein kondensiertes Inhaltsverzeichnis des gesamten Alten Testaments. Wie Markus den Anfang seines Evangeliums mit dem Alten Testament verknüpft, ist kürzer und einfacher. Er zitiert die Prophezeiung aus Jesaja von der „Stimme eines Rufenden in der Wüste“ (Mk 1,3). Darauf zeigt er, wie sich diese Prophezeiung schon mit dem ersten Ereignis, das er erzählt, erfüllt: mit dem Täufer, der in der Wüste dem Erscheinen Jesu den Weg bereitet. Hier verwebt Markus die Geschichte Jesu enger mit der alttestamentlichen Überlieferung, als es auf den ersten Blick scheint. Das Zitat, mit dem Markus beginnt, stammt aus Jesaja 40, dem Beginn des Deuterojesaja, einem Abschnitt, in dem die ersten Christen eine besondere Verheißung der gesamten Geschichte Jesu sahen, bis zu seinem Tod und seiner Auferstehung. Wenn Markus mit dieser Schriftstelle beginnt, zeigt er folglich: Schon hier, am Beginn der Erzählung, beginnt die Erfüllung Jesajas, und sie wird sich weiter erfüllen bis zum Ende der Erzählung mit der Auferstehung Jesu. Wieder anders beginnt Lukas: Nur er hat unter den Evangelien ein Vorwort, mit dem er sich in der Art antiker Historiker mit seiner Geschichtsschreibung auf Augenzeugen beruft. Aber er beginnt dann seine Erzählung mit dem Tempel in Jerusalem. Der Vater des Täufers dient als Priester im Tempel. Der Tempel führt zurück in das Zentrum
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Vgl. R. BAUCKHAM, The Gospels as Histories. What sort of history are they?, Text im Internet unter http://richardbauckham.co.uk/uploads/Accessible/Gospels.pdf (zuletzt eingesehen am 23.10.2013).
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der Tora, in dem Gott auf dem Berg Sinai Mose seinen Plan offenbart. Am gleichen Ort endet das Evangelium des Lukas: Mit dem Segen des Auferstandenen kehren die Jünger vom Ölberg in den Tempel zurück. Johannes‘ Evangelium schließlich beginnt nicht mit der Geschichte Israels. Er setzt noch früher ein, so weit zurück wie es überhaupt nur möglich ist: „Im Anfang …“ (Joh 1,1) sind seine ersten Worte, genauso wie die ersten Worte des Buches Genesis. Dort, so weit zurück, dass es Geschichte fast nicht mehr fassen kann, vor der Schöpfung und vor Israel, hat die Geschichte Jesu begonnen. Jesus war das Wort, das Gott gesprochen hat, als er die Schöpfung ins Dasein rief. So geht das Johannesevangelium auch weiter, nicht nur als Geschichte Israels, sondern auch als kosmische Geschichte, mit der Gottes Schöpfung begonnen hat, aber in der Bibel: in Genesis 1. Die Anfänge der Evangelien machen deutlich: Als Geschichte Jesu sind sie Teil biblischer Geschichtsschreibung. Die Schreiber der Evangelien haben ihre Arbeit als Fortsetzung der biblischen Geschichte des Alten Testaments verstanden. Der französische Philosoph Jean-François Lyotard (1924-1998) hat den Verlust der „Großen Erzählungen“ als das Merkmal der Postmoderne bezeichnet. Damit meinte er den Niedergang von MetaErzählungen, die eine bestimmte Geschichtsperspektive und Zukunftsverheißung beinhalten. Solche Meta-Erzählungen zwingen nach Lyotard eine vielgestaltige geschichtliche Wirklichkeit in die Einheit15 lichkeit einer Geschichte. Auch die Moderne mit ihrer MetaErzählung von Emanzipation durch Vernunft und Aufklärung gehört
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Lyotard hat das Phänomen der von ihm gemeinten Großerzählungen in seinem Buch „Postmoderne für Kinder“ erklärt: „Diese Erzählungen sind keine Mythen im Sinne von Fabeln […]. Zwar haben sie wie die Mythen das Ziel, Institutionen, soziale und politische Praktiken, Gesetzgebungen, Ethiken, Denkweisen zu legitimieren. Aber im Unterschied zu den Mythen suchen sie die Legitimität nicht in einem ursprünglichen, begründenden Akt, sondern in einer einzulösenden Zukunft, das heißt in einer noch zu verwirklichenden Idee. Diese Idee (der Freiheit, der ‚Aufklärung‘, des Sozialismus usw.) hat legitimierenden Wert, weil sie allgemeine Gültigkeit besitzt. Sie ist richtungsweisend für alle menschlichen Realitäten“ (J. F. L YOTARD, Postmoderne für Kinder, hg. von P. Engelmann, Wien 1996, 32–37, hier 32f.). Lyotards Zeilen sind ideologiekritisch gegen Großerzählungen gewendet. Die Evangelien sind in diesem Sinn durchaus ebenfalls ideologiekritisch, wie sich noch zeigen wird. Vgl. zu der Thematik auch FRITZEN, Die Bibel im posttraditionalen Parlament, 506–509.
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noch in den Bereich solcher großer Erzählungen. Mit der Postmoderne bejaht Lyotard grundsätzlich eine Multiplizität von Geschichten. Wie verhalten sich die Evangelien zu einer solchen Großerzählung? Auf diese Frage werden wir noch zurückkommen müssen. Zunächst lässt sich festhalten: Als biblische Geschichtsschreibung ordnen sich die Evangelien in eine vielgestaltige große Erzählung ein, die in den Schriften des Alten Testaments begonnen hat. 1.2 Die Evangelien als Biographie Wenn die Konzilskonstitution in ihrem fünften Kapitel über das Neue Testament ausdrücklich die Evangelien behandelt, spricht sie über deren historicitas. Dieses neulateinische Wort findet sich in dem gesamten Konzilsdokument nur an dieser Stelle über die Evangelien. Es steht im Rahmen einer feierlichen Erklärung über die Zuverlässigkeit und Treue der Überlieferung, die sich in den Evangelien niederge16 schlagen hat. In einem eingeschobenen Relativsatz wird fast wie in einem Nebengedanken über die vier Evangelien gesagt: quorum historicitatem incunctanter affirmat. Das lateinische historicitas wird im Deutschen gewöhnlich mit „Geschichtlichkeit“ wiedergegeben, was keine glückliche Übersetzung ist. Geschichtlichkeit meint im Deutschen ein Grundmoment menschlichen Daseins. Das lateinische historicitas meint im Konzilstext aber die historische Zuverlässigkeit der Evangelien. Sie wird im Zusammenhang des Artikels 19 durch die Zuverlässigkeit ihres Überlieferungsprozesses formal begründet. In dem Wort historicitas ist aber noch eine andere Voraussetzung enthalten, auf die der Konzilstext nicht weiter eingeht: Die Evangelien geben Zeugnis von Vergangenem. Sie sind historia. Auf welche Art auch immer sind die Evangelien eine Form von Geschichtsschreibung. Die Form ihrer Geschichtsschreibung fällt in den Aufgabenbereich einer historisch-kritischen Exegese. Sie gehört in den Zusammenhang der Untersuchung der literarischen Form, die Dei Verbum 12 16
DV 19: „Unsere heilige Mutter, die Kirche, hat entschieden und unentwegt daran festgehalten und hält daran fest, dass die vier genannten Evangelien, deren Geschichtlichkeit sie ohne Bedenken bejaht [quorum historicitatem incunctanter affirmat], zuverlässig überliefern, was Jesus, der Sohn Gottes, in seinem Leben unter den Menschen zu deren ewigem Heil wirklich getan und gelehrt hat bis zu dem Tag, da er aufgenommen wurde (vgl. Apg 1,1-2).“
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als erste Methode des professionellen Exegeten nennt: „Um die Aussageabsicht der Hagiographen zu ermitteln, ist neben anderem auf die literarischen Gattungen zu achten.“ Das Konzilsdokument hat sich, wenn es hier von der intentio – „der Aussageabsicht“ – spricht, ein modernes subjektbezogenes Autorenkonzept angeeignet. Die Gattung einer Schrift wird aber nicht nur von der Aussageabsicht des Autors bestimmt, sondern in einem vielfältigen interaktiven Zusammenspiel von Leserinnen und Lesern, Autor und Medium einer Schrift. Die literarische Gattung ist für das Verstehen einer Schrift von entscheidender Bedeutung, denn die Gattung bestimmt die Erwartungen der Leser an einen Text. Ein historischer Roman liest sich anders als eine historische Monographie. Als welche Gattung haben die ersten Leser die Evangelien wahrgenommen? Für weite Teile der exegetischen Forschung des 20. Jahrhunderts – auch für die katholische Exegese vor und nach dem Konzil – stand als Ausgangsdatum fest, dass die Evangelien keine Biographien Jesu seien. Diese Auffassung ist als eine negative Gattungsbestimmung fast zu einem Dogma ihrer modernen Auslegung geworden. Die Abgrenzung der Evangelien von der Biographie hat sicherlich verschiedene Beweggründe gehabt. Dem ältesten Evangelium nach Markus etwa lässt sich nur sehr schwer ein chronologischer oder geographischer Rahmen des Lebenslaufes Jesu entnehmen. Es beginnt mit einem ganzen Tag Jesu in Kafarnaum, einem Schabbat, und es endet mit einer Woche in Jerusalem; dazwischen sind die Ereignisse aber sehr locker und ohne chronologische Angaben miteinander verbunden. Der Hauptgrund aber war, dass die moderne Exegese die Evangelien als Kerygma verstanden hat, nicht als Geschichtsschreibung. Die Evangelien würden im Licht der Auferstehung Jesu seine gegenwärtige Bedeutung für die Leser und Hörer verkünden, nicht seine historicitas. Einige Sätze aus Dei Verbum 19 haben ein solches Verständnis 17 durchaus begünstigen können. Aus dieser Grundannahme erklären sich viele der reduktionistischen historischen Überzeugungen der 17
Ein solches Verständnis der Evangelien als Kerygma des Auferstanden spricht etwa aus DV 19: „Die heiligen Verfasser aber haben die vier Evangelien redigiert, indem sie einiges aus dem vielen auswählten, das mündlich oder auch schon schriftlich überliefert war, indem sie anderes zu Überblicken zusammenzogen oder im Hinblick auf die Lage in den Kirchen verdeutlichten, indem sie schließlich die Form der Verkündigung beibehielten …“ (Hervorhebungen durch A.W.).
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Evangelienauslegung Mitte der 80er Jahre. Aus der Überlieferung vom einfachen Leben des jüdischen Messias Jesus habe die nachösterliche Verkündigung eine sukzessive Vergöttlichung vorgenommen. Mit der Jungfrauengeburt sei der Beginn des Lebens Jesu an die Lebensbeschreibungen griechischer Halbgötter angeglichen worden. Jesu Geburt in der Davidstadt Bethlehem sei nicht historisch, sondern aufgrund der Verkündigung Jesu als Messias und Sohn Davids später mit seiner Überlieferung verbunden worden. Die Verklärung auf dem 18 Berg galt – so etwa bei Rudolf Bultmann – als dislozierte Ostergeschichte. Nach diesem Ansatz sind die Evangelien einem Stab Zuckerwatte vergleichbar, den man auf einem Jahrmarkt kaufen kann. Wie sich der geschleuderte Zucker in einem riesigen luftgefüllten Wattebausch um den Stab herumwickelt, so hat sich um ein dünnes historisches Skelett die gesamte nachösterliche Evangelienüberlieferung gebildet. Aus der Fülle der Evangelienüberlieferung müssten demnach in mühsamer historischer Analyse die ipsissima vox und die ipsissima gesta Jesu heraus destilliert werden. Das Konzil ist in diesem Punkt viel ausgewogener gewesen: Die Evangelien seien der schriftliche Niederschlag der mündlichen Überlieferung, die auf Augenzeugen Jesu zurückgeht. Drei Eigenschaften dieser Überlieferung hält die Konstitution fest: Sie sei (1) eine getreue Wiedergabe der Taten und Lehren Jesu, sie sei (2) aus der Erfahrung der Verherrlichung Christi und (3) aus dem Licht des Geistes verstan19 den worden.
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Vgl. R. BULTMANN, Die Geschichte der synoptischen Tradition (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments 29), Göttingen 101995, 278. DV 19: „Die Apostel haben nach der Auffahrt des Herrn das, was er selbst gesagt und getan hatte, ihren Hörern mit jenem volleren Verständnis überliefert, das ihnen aus der Erfahrung der Verherrlichung Christi und aus dem Licht des Geistes der Wahrheit zufloss.“ Wie die Überlieferung der Evangelien rückgebunden ist an die Erfahrungen von Augenzeugen in der unmittelbaren sozialen Umgebung Jesu, hat Richard Bauckham in einer Monographie über die Evangelien herausgestellt: R. BAUCKHAM, Jesus and the Eyewitnesses. The Gospels as Eyewitness Testimony, Cambridge 2006. Das heißt selbstverständlich nicht, dass die Darstellung der Evangelien wie ein modernes Protokoll eines Augenzeugen zu lesen ist. In der ausgewogenen Darstellung der unterschiedlichen Komponenten des Überlieferungsprozesses (s. o.) liegt ein bleibendes Verdienst des Konzils.
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Hier zeichnet sich in den letzten 20 Jahren ein Paradigmenwechsel 20 im Sinne des Konzils ab. Im angloamerikanischen Bereich hat Richard Burridge 1992 mit seinem Buch “What are the Gospels?” die Diskussion neu angeworfen und überzeugende Argumente aufgebracht, dass die Evangelien bei allen Unterschieden im Detail doch Biographien seien. Im deutschsprachigen Bereich hat die Dissertation von Dirk Frickenschmidt „Evangelium als Biographie“ diese These unterstützt. 142 Werke der antiken Literatur hat er einer Literaturfamilie der Biographie zuordnen können, darunter so unterschiedliche Erzählungen wie die frühjüdischen Prophetenlegenden, Philosophenviten oder biographische Schelmengeschichten aus dem Leben des Fabeldichters Aesop. Dieser Literaturfamilie ordnet Frickenschmidt auch die Evangelien zu. Biographien im antiken Umfeld der Evangelien sind nicht mit modernen vergleichbar. Sie sind weniger an einzelnen historischen Daten einer Figur interessiert als an ihrem moralischen Charakter. Sie erzählen nicht genau in chronologischer Reihenfolge, sondern stellen die Person in einen groben chronologischen Rahmen. Dieser gibt ihnen Raum für verschiedenste Anekdoten über ihren Titelhelden. Biographien sind oft geschrieben, um das Leben der Leser durch die dargestellten Personen zu beeinflussen: Das Leben eines Philosophen sollte die Leser von dessen Philosophie überzeugen oder das leuchtende Beispiel eines Helden wie Herakles sollte ein Vorbild geben, um es zu imitieren. Die Gattung Biographie erweist daher auch die Alternative von Geschichte oder Kerygma als falsch. Die antike Literaturfamilie der Biographie bot Geschichte als Kerygma.
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Zum Folgenden vgl. R. A. BURRIDGE, What are the Gospels? A comparison with Graeco-Roman biography (Society for New Testament Studies; Monograph Series 70), Cambridge u.a. 1992, und D. FRICKENSCHMIDT, Evangelium als Biographie. Die vier Evangelien im Rahmen antiker Erzählkunst (Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter 22), Tübingen u.a. 1997; außerdem D. DORMEYER, Das Markusevangelium als Idealbiographie von Jesus Christus, dem Nazarener (Stuttgarter Biblische Beiträge 43), Stuttgart 2002, sowie die Arbeit seines Schülers D. W ÖRDEMANN, Das Charakterbild im bíos nach Plutarch und das Christusbild im Evangelium nach Markus (Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums, Reihe 1, Bd. 19), Paderborn 2002.
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1.3 Geschichte von unten und Mikrohistorie In einem aufschlussreichen Vergleich mit neuen Ansätzen postmoderner Historiographie hat Richard Bauckham das neue Biographie21 Paradigma für die Evangelien noch geschärft. In den 60er Jahren – etwa gleichzeitig mit dem Konzil – hat sich in den Geschichtswissenschaften die „Geschichte von unten“ entwickelt. Sie entstand zunächst in den USA als sozialkritische “grassroots history” und befasste sich mit der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung in den 50er und 60er Jahren. Die Schrift des englischen Historikers E. P. Thompson “The Making of the English Working Class” von 1963 ist zu einem Klassiker der „Geschichte von unten“ geworden. Die „Geschichte von unten“ brach mit dem Ansatz traditioneller Geschichtswissenschaft, Geschichte allein aus der Perspektive der herrschenden Eliten zu untersuchen. Gegen eine hegemoniale Perspektive wollte „Geschichte von unten“ nicht nur „über“ die unteren gesellschaftlichen Schichten schreiben, sondern auch aus ihrer Perspektive: aus dem Blickwinkel gewöhnlicher Arbeiter oder rechtloser Schwarzer. Wenn man aus dieser Perspektive auf die Evangelien blickt, zeigt sich, dass die meisten dort dargestellten Personen nicht wirklich aus der Schicht der Armen stammen, sondern aus einer Mittelschicht mit kleineren eigenständigen Unternehmen, einem Fischereibetrieb, einer kleinen Landwirtschaft oder einer kleineren Zollstelle. Zachäus ist als Oberzöllner schon eine Ausnahme. Richard Bauckhams Untersuchungen bestätigen dies. Er hat die etwa 70 Figuren im Markusevangelium ihrer sozialen Herkunft nach geordnet und die gleichen Untersuchungen für die übrigen Evangelien angestellt. Die weitaus größte Mehrheit der Figuren, etwa 70 bis 80 %, stammt aus der Mittelschicht, eine verschwindend geringe Zahl, nur etwa 2 %, stammen aus der Oberschicht, und etwa 5 bis 7 % sind aus den unteren Schichten der Gesellschaft. Im Vergleich mit heutiger Geschichtsschreibung lassen sich die Evangelien daher nicht als „Geschichte von unten“ betrachten, sie stellen eher eine Perspektive der Mittelschicht dar. Im Vergleich zur antiken Literatur allerdings zeigt sich in den Evangelien ein deutlicher Perspektivwechsel. Hauptthema antiker Biographien sind nach Frickenschmidt „maßgebende Menschen“, „große Männer“ oder
21
Vgl. BAUCKHAM, Gospels as Histories, 5–7.
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„hochgestellte Persönlichkeiten“. Biographien sind Geschichtsschreibung großer Leute. Leute aus der Mittelschicht stehen so gut wie nie im Mittelpunkt. Wenn sie als Individuen aus der Mittelschicht auftreten, so nur weil sie für die Erzählungen über die Elite nötig sind. Vor allem aber treten sie in Massen auf: als Volksmenge, als politische Versammlung oder im Heer. Hier stehen die Evangelien im deutlichen Kontrast zur antiken Historiographie. Sie stellen Mittelschicht und Arme in die Mitte, allerdings nicht wiederum aus politischen Motiven. Politisch ist ihre „Geschichte von unten“ weitgehend absichtslos. Sie erzählen vielmehr das Entstehen einer Anhängerschaft um Jesus, die das gesamte soziale Spektrum umfasst, von dem Aristokraten Josef von Arimatäa bis zu dem geheilten Leprakranken Simon und sogar Heiden wie dem Centurio in Kafarnaum. Ein zweiter Trend der neueren Geschichtsschreibung lässt das Profil der Evangelien noch deutlicher erkennen. In den 70er und 80er Jahren hat sich in Italien die „Mikrohistorie“ entwickelt. Eines der meistgelesenen Bücher dieser Mikrohistorie stammt von dem italienischen Kulturwissenschaftler Carlo Ginzburg: „Der Käse und die Würmer. Die Welt eines Müllers um 1600“. Es handelt von dem italienischen Bauern Menocchio und seinem Blick auf die Gesellschaft. Die Mikrohistorie lenkt ihren Fokus auf die Ebene kleiner alltäglicher Details, die bei der Konzentration auf die Großentwicklungen der Makrohistorie verborgen bleiben. Sie blickt auf ein Individuum, eine soziale Gruppe, ein Dorf, eine Stadt oder einen Stadtteil. Mikrohistorie wählt als Untersuchungsgegenstand gerade das Ungewöhnliche, das nicht Gesetzmäßige, das auf der Makro-Ebene verborgen bleibt. Die sozialen Gruppen, Institutionen und gesellschaftlichen Verhältnisse erscheinen dabei nicht mehr als strukturelle und unhintergehbare Vorgegebenheiten, sondern zeigen sich, wie sie von Individuen in den Grenzen ihrer Handlungsspielräume, in Konflikten und Ver23 handlungen mitgestaltet werden. Wenn wir von da aus zu der antiken Umwelt des Neuen Testaments zurückkehren, zeigt sich ein signifikanter Unterschied zwischen Geschichtsschreibung und Biographie. Antike Historiographie bewegt
22 23
FRICKENSCHMIDT, Evangelium als Biographie, 215. Vgl. H. MEDICK, Mikrohistorie, in: S. Jordan (Hg.), Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe (Reclams Universal-Bibliothek 503), Stuttgart 2003, 215– 218, hier 217.
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sich auf der Makro-Ebene. Geschichte wie in Caesars Bellum Gallicum ist die Erzählung von Politik und Kriegen. In der Zeit der Evangelien ist die Geschichtsschreibung einer dominierenden Großerzählung zugeordnet: dem unaufhaltsamen Aufstieg Roms und seinem Triumph über äußere und innere Bedrohungen seiner Macht. Die Biographie hingegen bot, selbst da, wo Politiker und militärische Führer ihr Gegenstand waren, die Möglichkeit zur Mikrohistorie: Ihre bevorzugte literarische Technik der Anekdote zeigt an Details, in einer kurzen und bündigen aber offenbarenden Art, die Charaktere ihrer handelnden Figuren. Die Evangelien sind solche kleinen Erzählungen über kleine Leute, deren Leben außer durch ihre Beziehung zu Jesus sonst niemals wahrgenommen worden wäre. Als Biographien sind die Evangelien für die Antike ein Spezialfall von Mikrohistorie. Mit diesem Charakter teilen sie ein typisches Phänomen der Postmoderne: Sie ermöglichen Multiplizität im Angesicht der großen totalitarisierenden Meta-Erzählung vom Aufstieg des römischen Reiches. Geschichte war für die Antike politische oder militärische Geschichte, die Geschichte eines Volkes, eines Staates oder einer Polis. Biographie hingegen ist erzählte Geschichte mit einer Konzentration auf die Mikroperspektive einer einzelnen Person. 1.4 Die Evangelien sind perspektivische Geschichtsschreibung Diese Aspekte der Evangelien gehören zur Frage ihrer Gattung. Sie sind Teil der Untersuchung, die Dei Verbum 12 als die Aufgabe der professionellen historischen Exegese beschreibt: Da Gott in der Heiligen Schrift durch Menschen und nach Menschenart gesprochen hat, muss der Schrifterklärer, um zu erfassen, was Gott uns mitteilen wollte, sorgfältig erforschen, was die heiligen Schriftsteller wirklich zu sagen beabsichtigten und was Gott mit ihren Worten kundtun wollte (DV 12).
Und die Konstitution führt an der gleichen Stelle weiter aus: Will man richtig verstehen, was der heilige Verfasser in seiner Schrift aussagen wollte, so muss man schließlich genau auf die vorgegebenen umweltbedingten Denk-, Sprach- und Erzählformen achten, die zur Zeit des Verfassers herrschten, wie auf die Formen, die damals im menschlichen Alltagsverkehr üblich waren.
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Dei Verbum spricht hier von den Aufgaben exegetischer Forschung, 24 von der Auslegung des „Exegeseprofessors im Hörsaal“ . Es ist sicherlich ein Hauptakzent und bleibendes Verdienst von Dei Verbum, diese Form von historischer Kritik ermöglicht zu haben. Damit hat das Konzil ein Aggiornamento zu einer modernen Exegese gegeben, das sich aber durchaus in Richtung postmoderner Ansätze weiterdenken lässt. Die Konzilskonstitution hat der Bibel eine Stimme im theologischen Gespräch verliehen, die verhindert, dass Theologie die Vielfalt menschlicher Lebensgeschichten einer selbstgemachten Großen Erzählung einverleibt. Die vielleicht größte Herausforderung der Postmoderne für eine traditionelle Geschichtsschreibung ist, dass alle Geschichte perspektivisch bleibt. Bauckham schreibt: Wir können nicht die Sicht von Gottes Auge auf die Geschichte einnehmen, oder, wie jemand es genannt hat, die Sicht von nirgendwo. Wir sind selbst immer in einem hier und jetzt situiert, so ist es immer die partikulare Sicht von jemandem, die wir in der Vergangenheit sehen. […] Wir rekonstruieren deutende Darstellungen von Geschichte, die bestenfalls immer nur Teil 25 der Erzählung sind.
Die Evangelien bieten in ihrer Viergestalt immer schon eine Pluralität von Perspektiven auf die Geschichte. Wie verhalten sich die Evangelien nun zu dem Niedergang der Großen Erzählungen, nach Lyotard dem typischen Kennzeichen der Postmoderne? Lyotard hatte den Zerfall der Großen Erzählungen ja nicht nur festgestellt, sondern ihn auch als Postulat für eine postmoderne Konstruktion der Wirklichkeit gefordert. In seiner Darstellung der postmodernen Philosophie für Kinder spricht er vom „Krieg dem Ganzen“: „Aktivieren wir die Differenzen, retten wir die Differenzen,
24 25
LOHFINK, Der weiße Fleck, 81. BAUCKHAM, Gospels as histories, 9: “Secondly, where we can perhaps most profit from the postmodern challenge to traditional history is in recognizing that all history is perspectival. We cannot take a God’s eye view of history, or, as someone has described it, the view from nowhere. We are ourselves situated in the here and now and so it is from somewhere in particular that we view the past. … We construct interpretative representations of history that can tell, at best, only part of the story” (Hervorhebungen im Original; Übers. A.W.).
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retten wir die Ehre des Namens“. Die vier Evangelien stellen im Neuen Testament eine „Pluralität von Perspektiven“ dar, in die sich „die eine Erzählung“ von dem jüdischen Messias und Retter der Welt Jesus von Nazaret je neu ausdifferenziert. Ganzheit entsteht von Anfang ihrer Auslegungsgeschichte an nur durch das Inkraftsetzen ihrer differenzierten Multiplizität. Nach Irenäus von Lyon ist das beschränkte Auswählen nur eines der Evangelien ein Kennzeichen von 27 αἵρεσις – „Spaltung“. Die Ganzheit des Gottmenschen Jesus wird nur im Ernstnehmen der Pluralität der vier Perspektiven auf ihn erfahr28 bar. Jedoch können die Evangelien nicht nur für sich gelesen werden, sie sind Teil der gesamten Bibel und nur so verstehbar. Als solcher sind sie oft als ein Kapitel der Großerzählung der einen Bibel verstanden worden. So tun es schon viele katechetische Kurzfassungen der Bibel. Sie lassen die biblische Geschichte chronologisch mit der Schöpfung beginnen und mit der Wiederkunft Jesu enden. Ordnen sich die Evangelien tatsächlich nicht doch einfach in die eine große biblische Erzählung ein? Nun kann man Lyotards Beobachtung vom Zerfall der Großen Erzählungen sicherlich auch anfragen. J. R. Tolkiens „Herr der Ringe“ ist das Beispiel einer Großerzählung, die offenbar weiterhin eine brei29 te Zustimmung findet. Seine Trilogie lässt eine Mehrzahl auch hete26
27
28
29
LYOTARD, Postmoderne für Kinder, 31; vgl. FRITZEN, Die Bibel im posttraditionalen Parlament der Geschichte, 507. Vgl. IRENÄUS VON LYON, Gegen die Häresien III 11, 7–9 (Fontes Christiani 8/3, Freiburg u.a. 1995, 106-121). An dieser Stelle wäre zu überlegen, ob nicht auch die apokryphen Evangelien an dieser Pluralität des Blicks auf Jesus teilhaben. Irenäus schließt dies aus: Die Vierzahl der Evangelien hat für ihn die Bedeutung eines Maßstabs (= kanôn) für die Richtigkeit des Glaubens an Jesus Christus. Hier wären sicherlich weitere Untersuchungen notwendig, aber es scheint mir, dass die vier Linien, die wir für die Evangelienexegese entwickelt haben – (1) Biblische Geschichtsschreibung, (2) biographischer Charakter, (3) Geschichte von unten/Mikrohistorie und (4) perspektivische Geschichtsschreibung – auch post factum als Kriterien erscheinen, nach denen die vier Evangelien von der Kirche ausgewählt worden sind. Das bedeutet nicht, dass die apokryphe Evangelienüberlieferung wertlos wäre. Sie bereichert den Blick auf Jesus und dient dazu, den hohen Wert der Jesusüberlieferung in den vier Evangelien einzuschätzen. Zur Entwicklung des neutestamentlichen Kanon vgl. C HR. MARKSCHIES, Haupteinleitung, in: Ders. / J. Schröter (Hg.), Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung, I/1, Tübingen 2012, 1-180. Vgl. FRITZEN, Die Bibel im posttraditionalen Parlament der Geschichte, 513.
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rogener Lese-Perspektiven zu: als Entwicklungsromans Frodos, als Wegerzählung von den Gefährten des Ringträgers, als apokalyptisches Drama, als Wiederkunft des rettenden Königs. Nicht jede Großerzählung zwingt also partikulare Sichtweisen in einen Zentralmythos ein. Andere Beispiele ließen sich ergänzen: C. S. Lewis‘ „Chroniken von Narnia“, Joanne K. Rowlings „Harry Potter“. Einheit, Kohärenz und Konsistenz, die Merkmale von Großerzählungen, antworten auf die Sehnsucht von Menschen und sind offenbar auch in der Postmoderne noch erforderlich. Wie also fügen sich die Evangelien in eine Großerzählung „der gesamten Bibel“ ein, die gleichzeitig ihre Multiplizität zulässt? 2. DIE EINHEIT DER SCHRIFT Eine Antwort auf diese Frage hat Dei Verbum nur angedeutet. Es spricht die Einheit der Schrift mit einem kleinen Passus an, den Norbert Loh30 fink als weißen Fleck von Dei Verbum 12 bezeichnet hat. Schon der Beginn des Artikels lässt aber die Perspektive der Einheit der Schrift anklingen: Der Exeget oder die Exegetin muss sorgfältig erforschen, „was die heiligen Schriftsteller wirklich zu sagen beabsichtigten und 31 was Gott mit ihren Worten kundtun wollte“. Die historische Kritik, deren Linien wir für eine zukünftige Exegese bislang nachgegangen sind, ist nur ihre erste Aufgabe, die zweite geht weiter. Dei Verbum lässt den professionellen Ausleger und die Auslegerin der biblischen Schriften also durchaus auch nach dem fragen, was Richard Bauckham “a God’s eye view of history” nennt, und die Konzilsväter geben auch an, in welche Richtung dieser weitere methodische Schritt geht: Da die Heilige Schrift in dem Geist gelesen und ausgelegt werden muss, in dem sie geschrieben wurde, erfordert die rechte 30
31
Vgl. LOHFINK, Der weiße Fleck, 92–95 (auch zum Folgenden). Eine etwas andere Sicht vertritt BIERINGER, Biblical Revelation (vgl. seine Auseinandersetzung mit Lohfink ebd. 28f.). Es würde zu weit führen, die Differenzen zwischen beiden Lesarten hier genauer zu erörtern. Bieringer entwickelt eine schlüssige Interpretation des Methodenparagraphen aufgrund eines dialogischen Offenbarungsverständnisses. Die von Lohfink aufgedeckte Struktur von Artikel 12 (LOHFINK, Der weiße Fleck, 80) und die daraus folgende Berücksichtigung der Einheit der Schrift kann er m. E. aber nicht entkräften. Hervorhebung durch A.W.
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Ermittlung des Sinnes der heiligen Texte, dass man mit nicht geringerer Sorgfalt auf den Inhalt und die Einheit der ganzen Schrift achtet, unter Berücksichtigung der lebendigen Überlieferung der 32 Gesamtkirche und der Analogie des Glaubens (DV 12).
Zur Erfassung der Bedeutung einer Schriftstelle muss der methodische Blick der Exegese ihren Zusammenhang in der Einheit der Schrift betrachten. Nun ist die Bibel kein Buch wie ein moderner Fortsetzungsroman. Wer sie wie die katechetischen Kurzfassungen als ein fortlaufendes Geschichtsbuch versteht, übersieht ihre verschiedenen Gattungen und vielfältigen literarischen Formen. Auch setzt sich die Geschichte in den Büchern der Schrift nicht kontinuierlich fort. Die Geschichte Israels beginnt mit Abraham in der Genesis; das Buch Exodus erzählt von der Befreiung seiner Nachkommen aus dem Sklavenhaus Ägypten; die weiteren Bücher der Tora erzählen von ihrem Weg durch die Wüste bis vor Israels Grenzen im Ostjordanland. Dort stirbt Mose mit dem Blick auf das Gelobte Land. Danach zieht das Ende der Tora eine Zäsur in die Geschichte Israels. Die Tora ist das Zentrum der hebräischen Schrift. Israels Einzug in das Gelobte Land und die weitere Geschichte bis zu König David und schließlich dem Exil seiner Söhne stehen aber nicht mehr in der Tora, sondern in den Geschichtsbüchern, die die jüdische Kanoneinteilung schon zur Zeit Jesu „Propheten“ nennt. Ähnlich ist es mit dem Neuen Testament: Die Geschichte Jesu setzt wieder am Ende der Tora ein. Sie beginnt im Ostjordanland, dort, wo Israel am Ende der Tora auf den Einzug in das Gelobte Land wartet. Dort lässt sich Jesus von Johannes taufen und darauf zieht er wie das 33 Volk Israel von jenseits des Jordans in das Land ein. Jesu Geschichte endet mit seiner Auferstehung. Die weitere Ausbreitung des Gottesworts steht nicht mehr in den Evangelien, sondern in der Apostelgeschichte. Die Apostelgeschichte ist ursprünglich der zweite Teil des lukanischen Doppelwerks, aber in der Einteilung des Neuen Testaments sind die beiden Teile auseinander genommen und das Johannesevangelium ist dazwischen gesetzt. So enden die Evangelien mit der Rückkehr des Sohnes zum Vater. Nach dieser Zäsur setzt wieder eine neue Geschichte ein. Die Einheit der biblischen Geschichte ist 32 33
Hervorhebung durch A.W. Vgl. die johanneische Tradition vom Taufort in Joh 3,26.
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also in den verschiedenen Büchern der Schrift keine bruchlose Erzählung von einem Anfangspunkt Alpha bis zu einem Zielpunkt Omega. Ihre Einheit ist immer wieder fragmentiert und zum Teil – wie etwa im Fall des lukanischen Doppelwerks – bewusst dekonstruiert. Mit dem weiteren methodischen Schritt, den Dei Verbum nur andeutet, soll die Exegese die Bedeutung einer einzelnen Schrift also in diese fragmentierte und in sich differenzierte Einheit der Schrift hineinstellen. Wie verhalten sich diese beiden methodischen Perspektiven zueinander: die Aussage einzelner Schriften und Gottes Absicht in der Einheit der Schrift? Wie treten die vielfältigen Aussagen einzelner Schriften zu Gottes Aussageabsicht mit der gesamten Bibel miteinander in Beziehung? Unter dem Stichwort „kanonische Exegese“ lassen sich in der Zeit seit dem Konzil verschiedene Ansätze in der Bibelwissenschaft zusammenfassen, die die Einheit der Schrift wieder in den Blick neh34 men. In ihren Anfängen, als christliche Theologie im Wesentlichen Schriftauslegung war, war diese Einheit selbstverständlich. In der Exegese heute sind die Ansätze kanonischer Exegese nicht unumstritten.
34
In seinen drei Jesusbüchern hat Joseph Ratzinger die Ansätze kanonischer Exegese für das Leben Jesu weiter gedacht. Er beruft sich dabei ausdrücklich auf Dei Verbum 12 (vgl. J. RATZINGER/BENEDIKT XVI., Jesus von Nazareth, Bd. 1, Freiburg u.a. 2007, 17). Bei aller Kritik, die an den drei Bänden im Detail bleiben mag, sind sie ein inspirierender Versuch, die Exegese der Evangelien über die bloße historische Perspektive hinaus weiterzuführen. Jedoch ist er keineswegs unumstritten geblieben. Zu einer Kritik an dem jüngsten Buch siehe M. T HEOBALD, Joseph Ratzinger verabschiedet die historisch-kritische Schriftauslegung!, in: Bibel und Kirche 1 (2013) 46– 47. Zu wenig wahrgenommen ist m. E. bislang das Dokument Verbum Domini, das Papst Benedikt als nachsynodales Schreiben zur Bischofssynode über „Das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche“ herausgegeben hat: B ENEDIKT XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Verbum Domini (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 187), Bonn 2008. Dort findet sich ein klares Bekenntnis zur historischen Forschung an den biblischen Schriften: „Das historische Faktum ist eine Grunddimension des christlichen Glaubens. Die Heilsgeschichte ist keine Mythologie, sondern wirkliche Geschichte und muss deshalb mit den Methoden ernsthafter Geschichtswissenschaft untersucht werden (Verbum Domini, Nr. 32). Ähnliche Äußerungen ließen sich freilich auch schon in den Jesusbüchern finden; vgl. J. RATZINGER/BENEDIKT XVI., Jesus von Nazareth, Bd. 1, Freiburg u.a. 2007: „Die historisch-kritische Methode […] bleibt von der Struktur des christlichen Glaubens her unverzichtbar“ (14f.).
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Es braucht vermutlich noch Zeit, bis die Andeutungen von Dei Verbum 35 in einer konsensfähigen Exegese integriert werden können. 2.1 Die symbolische Exegese Ephräms Die Offenbarungskonstitution deutet an, dass die Menschwerdung die Grundlage ist, auf der eine christliche Einheit der Schrift gewonnen werden kann. Das verweist die Suche nach der Einheit der Schrift wiederum auf die Evangelien. Allerdings darf die Menschwerdung Jesu dabei nicht exklusiv verstanden werden, sonst verliert sie ihre die Multiplizität integrierende Kraft. Einer zukünftigen kanonischen Exegese fehlt wohl auch noch ein Konzept von Wirklichkeit, welches das historische Konzept der Moderne weiterführt. Das symbolische Wirklichkeitsverständnis Ephräms, eines syrischen Theologen aus dem Einflussbereich der antiochenischen Exegese im 4. Jahrhundert, kann hier m. E. in die Zukunft weisen. Ephräms Exegese zeigt, wie tief neuere Ansätze zum Symbolverständnis bei Karl Rahner oder bei Paul Ricüur bereits in der Geschichte der Exegese verwurzelt sind. Ephräm ist auch Exeget, aber mehr noch als Exeget ist er Dichter, der größte Dichter der Väterzeit. Robert Murray bezeichnet ihn als den einzigen, der als Dichtertheologe neben Dante zu set36 zen sei. Ephräm bleibt in seiner syrischen Welt der ursprünglichen Sprache und Umgebung Jesu nahe. Gleichzeitig findet sich bei ihm eine Weiterentwicklung der antiochenischen „Theoria“ zu einer symbolischen Lektüre der gesamten Schrift. Ihr bleibt die einzelne Geschichtsperspektive wichtig und wird nicht aufgehoben; aber durch die Geschichte und in ihr erblickt der gläubige Leser noch etwas Tieferes und weniger Zeitbedingtes. Der Lektüre der Schrift eröffnet sich so eine nicht zu erschöpfende Fülle je wieder neu zu findender Deutungen:
35
36
Einen guten Überblick zu dieser Thematik geben die Beiträge in einem Sammelband, der von Egbert Ballhorn und Georg Steins herausgegeben wurde: E. B ALLHORN/G. STEINS (Hg.), Der Bibelkanon in der Bibelauslegung. Methodenreflexionen und Beispielexegesen, Stuttgart 2007. Vgl. R. MURRAY, Der Dichter als Exeget. Der hl. Ephräm und die heutige Exegese, in: Zeitschrift für katholische Theologie 100 (1978) 484–494, hier 484; vgl. auch das Hauptwerk von Robert Murray: R. MURRAY, Symbols of Church and Kingdom. A Study in Early Syriac Tradition, Cambridge 1975.
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Wer könnte den Reichtum (alles) Auffindbaren in einem deiner Worte erfassen, da doch das, was wir nicht mit dem Verstand begreifen, größer ist als das, was wir wie Durstige von der Quelle aufnehmen. Es gibt ebenso viele Möglichkeiten sein 37 Wort zu deuten, wie Menschen, die es studieren.
Ephräm gewinnt sein Wirklichkeitskonzept aus dem syrischen Wort 38 für Symbol râzâ. Der Ausdruck ist über das alte Persisch und Aramäische in das Syrische gelangt und bedeutet zunächst „Geheimnis“. In dieser Bedeutung findet es sich etwa in Dan 2,18. Gottes Offenbarung ist nach Ephräm auf solche râzê verwiesen. Namen und Bezeichnungen Gottes, sind manifeste Symbole, mit denen Gottes Gnade dem menschlichen Geist Aspekte seiner verborgenen Wirklichkeit oder Wahrheit (TIS¿S RVTIU ) enthüllt. Noch tiefer in Gottes Wesen eindringen zu wollen, würde den Menschen in jenem Abgrund verloren gehen lassen, der Schöpfung und Schöpfer trennt. Geistliches Leben und Theologie sind daher die Betrachtung der râzê. Zwar gebraucht Ephräm râzâ oft synonym mit Typos (typos, ṭupsâ), – d.h. Worte, Handlungen, Ereignisse und Erzählungen des Alten Testaments, die das Neue Testament vorausdeuten. Jedoch geht die Bedeutung der râzê bei Ephräm weit über eine typologische Deutung der Schrift hinaus. Symbole sind für Ephräm auch Erfahrungen mit Mensch und Natur, in der Verkündigung der Apostel und im Leben der Kirche, wie etwa die Sakramente. Die Theoria bezieht sich zugleich auf die Ereignisse aus der alttestamentlichen Zeit, aus dem Leben Jesu, aus dem Leben der Kirche und aus der Endzeit. Alle Ereignisse und Perspektiven bewegen sich im Bereich der „Theoria“ in gleicher Nähe zum geistigen Auge des Menschen. Die Schau ist also immer ein mehrschichtiges Wahrnehmen von Geschichte in der Zeit, die die Vielfalt der ge-
37
38
EPHRAEM DER SYRER, Kommentar zum Diatessaron 1,18, hg. von Chr. Lange (Fontes Christiani 54/1), Turnhout 2008, 140f.; vgl. auch ebd., Anm. 51. Zu den problematischen Seiten der antijüdischen Aussagen Ephräms vgl. die Einleitung von Chr. Lange: ebd., 116–118. Sie erklären sich zum Teil aus der engen Nachbarschaft einer starken jüdischen Synagogengemeinde. Ephräms oben dargestelltes symbolisches Konzept der Wirklichkeit bleibt davon aber unbetroffen. Vgl. S. H. GRIFFITH, “Faith Adoring the Mystery”: Reading the Bible with St. Ephraem the Syrian (The Père Marquette Lecture in Theology 28), Milwaukee 1997, 30f. (auch zum Folgenden); ausführlicher dazu: T. B. MANSOUR, La pensée symbolique de Saint Ephrem le Syrien (Bibliothèque de l’Université de Saint-Esprit, Kaslik, Liban 16), Kaslik 1988, 23–120.
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schichtlichen Perspektiven sichert, nicht nur der Evangelien, sondern aller biblischen und menschlichen Geschichten. Ihre einigende Symbolkraft hat die „Theoria“ aus der Menschwerdung. So schreibt Ephräm bei seiner Auslegung des Johannesprologs: Deshalb war es angebracht, dass unser Herr zum Hafen für alle guten Dinge wird, in dem sie sich versammelten, zum Ziel für alle Symbole, damit diese von überall her zu ihm eilten, und zum Versammlungsplatz für alle Gleichnisse, damit sie sich – gleichsam wie auf Flügeln – erhöben und sich über ihm allein 39 niederließen.
Hier erinnert uns Ephräm an die christozentrische Perspektive der Schrift in Dei Verbum, die wir am Anfang gesehen haben. Die Einheit durch die Menschwerdung macht alle einzelnen Schriften der einen Bibel prinzipiell aufeinander beziehbar. Mir scheint, dass Ephräms symbolische Schriftauslegung ein Wirklichkeitsverständnis andeutet, das die Multiplizität der Schrift offenhält, aber gleichzeitig durch die Inkarnation deren Kohärenz wahrt. Alle menschliche Wirklichkeit ist auf die Menschwerdung des Gottessohnes und ihr Zeugnis in der Schrift bezogen. Ephräms symbolische Lektüre der Schrift überschreitet freilich die Kompetenzen einer rein wissenschaftlichen Exegese. Ephräm spricht von einer Weltsicht, die jeder Christ und jede Christin aufgrund ihrer Lektüre der Schrift gewinnen können. Es geht ihm um eine biblisch fundierte Transformation von Kultur und Gesellschaft. Die Exegese steht im Dienst einer solchen umfassenden Sicht der Wirklichkeit. Sie hilft Christen zur Bildung einer geistlichen Wahrnehmung der Welt. Auch das Konzil hält dies fest: Die Exegese trägt dazu bei, dass „so gleichsam aufgrund wissenschaftlicher Vorarbeit das Urteil der Kirche reift“ (DV 12). Aber die Exegese leistet dazu nur einen begrenzten Beitrag. Wissenschaftliche Exegese ist gewissermaßen „Hilfe zur Selbsthilfe“; sie soll dazu führen, dass Christen mit der Bibel selbst ihr Leben in seinen verschiedenen Bezügen zum Wort Gottes begreifen. Mit ihrer Erforschung der Schrift bleibt Exegese dafür ein notwendiges Korrektiv. Ein Christ lebt nämlich nicht nur im Jetzt der Gegenwart; Christsein ist zutiefst geschichtlich. Damit biblische Exegese in ein je neues Menschwerden von Gottes Wort führt und sich die Ge-
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EPHRÄM DER SYRER, Kommentar zum Diatessaron 1,1 (Übersetzung von A.W.).
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schichte der Bibel auch in einem differenzierten Heute weiterschreibt, wird ihre historische Kritik auch in Zukunft notwendig sein.
Literatur BALLHORN, EGBERT/STEINS, GEORG (Hg.), Der Bibelkanon in der Bibelauslegung. Methodenreflexionen und Beispielexegesen, Stuttgart 2007. BAUCKHAM, RICHARD, The Gospels as Histories. What sort of history are they?: http://richardbauckham.co.uk/uploads/Accessible/ Gospels.pdf. –, Jesus and the Eyewitnesses. The Gospels as Eyewitness Testimony, Cambridge 2006. BENEDIKT XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben „Verbum Domini“, u.a. als: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 187, hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2008. BIERINGER, REIMUND, Biblical Revelation and Exegetical Interpretation According to Dei Verbum 12, in: Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt 27 (2002) 5-40. BULTMANN, RUDOLF, Die Geschichte der synoptischen Tradition (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testa10 ments 29), Göttingen 1995. BURRIDGE, RICHARD A., What are the Gospels? A Comparison with Graeco-Roman biography (Society for New Testament Studies; Monograph Series 70), Cambridge u.a. 1992. DORMEYER, DETLEV, Das Markusevangelium als Idealbiographie von Jesus Christus, dem Nazarener (Stuttgarter Biblische Beiträge 43), Stuttgart 2002. EPHRAEM DER SYRER, Kommentar zum Diatessaron, hg. v. Christian Lange (Fontes Christiani 54/1), Turnhout 2008. FARKASFALVY, DENNIS, Inspiration and Interpretation, in: Matthew L. Lamb (Ed.), Vatican II. Renewal within Tradition, Oxford u.a. 2008, 77-100. FRICKENSCHMIDT, DIRK, Evangelium als Biographie. Die vier Evangelien im Rahmen antiker Erzählkunst (Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter 22), Tübingen u.a. 1997. FRITZEN, WOLFGANG, Die Bibel im posttraditionalen Parlament der Geschichten, in: Theologie und Philosophie 86 (2011) 503-522.
Evangelien-Exegese 50 Jahre nach Dei Verbum
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Ansgar Wucherpfennig SJ
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SANTIAGO MADRIGAL TERRAZAS SJ
Die Aufzeichnungen über die Kirchenkonstitution Lumen gentium im Konzilstagebuch des Frankfurter Theologen Otto Semmelroth SJ Heute war nun der Start zum Konzil. P. Hirschmann, P. Grillmeier und ich fuhren mit dem Wagen vom Verleger Pattloch […] zum Flughafen. Dort wurden wir vom Abfertigungsgeschalter der Alitalia gleich von einer Stewardess in einen separaten Raum des großen Warteraums geführt, wo schon eine Reihe von Konzilsteilnehmern versammelt waren. Gleich zuerst begrüßte uns ein Bischof von Kanada, dessen Kaplan in Militärgeistlichen-Uniform war. Es kamen immer mehr zusammen, Bischof Hengsbach von Essen, Bischof Kempf von Limburg – Bischof Volk, als dessen Theologe ich beim Konzil bin, war schon gestern geflogen –, Bischof Wehr von Trier, Bischof Bolte von Fulda mit seinem Weihbischof, einige Bischöfe von jenseits des Ozeans, der Kardinal von Rio und schließlich auch Kardinal Frings, mit dem auch Prof. Ratzinger kam, außerdem eine Reihe von Theologen.
So lautet die erste Eintragung des Konzilstagebuches von P. Otto 1 Semmelroth SJ (1912-1979) , mit Datum vom 9. Oktober 1962. Mit diesen frischen und lakonischen Notizen beginnt sein noch nicht veröffentlichtes „Tagebuch zum II. Vatikanischen Konzil“. Eine Kopie dieses Dokumentes, das 149 Schreibmaschinenseiten umfasst, befindet sich im Archiv der Frankfurter Jesuitenhochschule Sankt Geor2 gen. 1
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Vgl. E.-M. FABER/M. KEHL, Semmelroth, Otto, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 9, Freiburg u.a. 2000, 455; G. WASSILOWSKY, Semmelroth, Otto, in: M. Quisinsky/P. Walter (Hg.), Personenlexikon zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Freiburg u.a. 2012, 250f. Vgl. H. J. SIEBEN, Studien zum Ökumenischen Konzil. Definitionen und Begriffe, Tagebücher und Augustinus-Rezeption, Paderborn 2010, 222.
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Santiago Madrigal Terrazas SJ
Der deutsche Jesuit Semmelroth, geboren in Bitburg am 1. Dezember 1912, berichtet nahezu täglich über die Gesamtentwicklung des Konzils; zweifelsohne enthalten diese Papiere hoch interessantes Material für die Historiker dieses Ereignisses. Im Vergleich mit dem Journal du Concile des Dominikaners Yves Congar und mit den Carnets du Concile des Jesuiten Henri de Lubac, deren moderne Ausgabe dicke 3 Bücher von tausend Seiten umfassen, stehen wir hier vor einem kleinen Dokument. Trotz seiner Kürze stellt es jedoch eine wichtige Erkenntnisquelle für die Erforschung des Zweiten Vatikanums und des deutschen Konzilsbeitrags dar. Es handelt sich offensichtlich um ein echtes Diarium, in dem nicht nur Notizen über den inneren und äußeren Verlauf des Konzils zu lesen sind, sondern auch private Informationen über den Gesundheitszustand des Autors, eines schwer Zuckerkranken, persönliche Beobachtungen über Verwandte und Freunde, gepaart mit technischen Überlegungen über die theologischen Schemata und Gebete für das erfolgreiche Gelingen des Konzils. Ab und zu tauchen auch die Zeichen seiner schlichten und tiefen Frömmigkeit auf, die ihm in den kritischen Situationen des Konzils geholfen haben, Ruhe und Gleichmut sowie die Hoffnung auf die wirksame Anwesenheit des Heiligen 4 Geistes zu bewahren. Im Unterschied zu den beiden genannten französischen Theologen, die schon zwischen 1960 und 1962 als Konsultoren der vorbereitenden Theologischen Kommission in Rom gearbeitet hatten, beginnt das Konzil für den deutschen Jesuiten auf dem Frankfurter Flughafen. Er reist als Privattheologe des Mainzer Bischofs Hermann Volk mit P. Hirschmann und P. Grillmeier von Frankfurt nach Rom, die sozusagen die „Frankfurter Schule“ auf dem Zweiten Vatikanum darstellten. In Rom hat er im Germanicum gewohnt, zusammen mit dem Theologen Karl Rahner und Kardinal Döpfner von München, der einer der vier Moderatoren und eine Schlüsselfigur des Konzils war.
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Vgl. S. MADRIGAL, Tiempo de Concilio. El Vaticano II en los Diarios de Yves Congar y Henri de Lubac, Santander 2009. Vgl. O. SEMMELROTH, Tagebuch zum II. Vatikanischen Konzil, 29 (1. Dez. 1962): „Heute ist mein fünfzigster Geburtstag. Das ist Anlass eines aufrichtigen Dankes gegen Gott für alles, was er mir in diesem halben Jahrhundert geschenckt hat. Es war manches Schwere, aber unendlich vielmehr Gutes und Schönes. Zu diesem Schönen gehört auch, dass ich diesen Geburtstag in Rom, beim Konzil feiern kann.“
Semmelroths Tagebuch und die Kirchenkonstitution
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In diesem Aufsatz werden wir uns auf solche Passagen des Konzilstagebuches beschränken, die sich mit der Entstehungsgeschichte und dem Inhalt der dogmatischen Konstitution über die Kirche beschäftigen. Trotzdem, in einem ersten Schritt, wollen wir zunächst eine vorläufige Frage behandeln und nachklingen lassen: Wie ist unser Jesuit, der als Privattheologe des Mainzer Bischofs Hermann Volk nach Rom kam, zum Peritus Concilii geworden? Danach, dem Leitfaden der ersten drei Tagungsperioden folgend – das heißt, bis zur feierlichen Verabschiedung der Kirchenkonstitution Lumen gentium am 21. November 1964 –, werden wir die historischen Informationen und die theologischen Reflexionen Semmelroths darstellen. Zusammenfassend können wir das Ergebnis unserer Forschungen vielleicht folgenderweise vorwegnehmen: Der Frankfurter Dogmatiker bietet sowohl ein aufschlussreiches Zeugnis der Redaktionsgeschichte der Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanums wie auch eine theologisch fundierte Erklärung ihrer Ekklesiologie. Eine Reihe anderer interessanter Notizen über die wichtigsten Dokumente des 5 Zweiten Vatikanums lassen wir beiseite. 1. WIE KANN EIN THEOLOGE ZUM PERITUS CONCILII WERDEN? Nach der Konzilsgeschäftsordnung gab es innerhalb des Konzilsgeschehens neben den Konzilsvätern Fachleute für die verschiedenen Themen, nämlich Konzilstheologen (Periti Concilii, aufgrund einer offiziellen Berufung durch den Papst), Privattheologen als Berater 6 eines Bischofs, und auch Laien-Beobachter (Auditores). Wie schon gesagt, kam unser Jesuit zum Konzil als Berater des Mainzer Bischofs. Semmelroths Konzilstagebuch ist deshalb in erster Linie das lebendige Zeugnis der Zusammenarbeit zwischen der Theologie und dem bischöflichen Lehramt. Außerdem erlauben uns die Seiten seines
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Für eine detallierte Darstellung und zusammenfassende Auswertung des Konzilstagebuches siehe S. MADRIGAL, El Vaticano II en el diario conciliar de Otto Semmelroth, in: Estudios Eclesiásticos 87 (2012) 105-164. Vgl. O. H. PESCH, Das Zweite Vatikanische Konzil. Vorgeschichte – Verlauf – Ergebnisse – Wirkungsgeschichte, Würzburg ³2011, 72; dazu auch: K.-H. NEUFELD, Obispos y teólogos al servicio del Concilio Vaticano II, in: R. Latourelle (Ed.), Vaticano II. Balance y perspectivas. Veinticinco años después (1962-1987), Salamanca 1990, 6584.
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Santiago Madrigal Terrazas SJ
Tagebuches beispielhaft, den langen Weg nachzuverfolgen, durch den ein Privattheologe zum Peritus Concilii wird. In diesem Sinne bietet uns die Eintragung vom 20. November 1963 einen Anknüpfungspunkt. Dort ist zu lesen: „Nun habe ich die Freude erlebt, daß ich die Ernennung zum Peritus Concilii bekommen habe. Heute nachmittag wurde mir die Ernennungsurkunde und der Paß gebracht“. Das bedeutet, dass der theologische Berater des Bischofs Volk erst gegen Ende der zweiten Sitzungsperiode die Ernennung zum Konzilstheologen erlangen konnte; und dies, obwohl sich Volk von Anfang an darum bemüht hatte, aber monatelang eben vergeblich. Worin liegt die Aufgabe eines Privattheologen auf dem Konzil? Wir können eine Antwort auf diese Frage mit den Worten Semmelroths geben: Nachdem nun beschlossen ist, daß das liturgische Schema zuerst behandelt werden soll, habe ich dieses heute (am 17. Oktober 1962) genau durchstudiert und exzerpiert und eine Reihe von Bemerkungen, die meiner Meinung nach beachtet werden müssen, für Bischof Volk aufgeschrieben. Das liturgische Schema ist als Ganzes sehr schön, wenn man auch an zwei Stellen einige dogmatische Unkorrektheiten beseitigen müsste 7 […].
Einige Tage später notierte Semmelroth: „Heute habe ich für Bischof Volk seine Ausführungen ins Lateinische übersetzt, die er über den 8 Kirchengesang vortragen will“. Noch ein anderes Beispiel seiner theologischen Tätigkeit: Ich arbeitete einen Text aus für Bischof Volk als Ergänzung zu dem, was er mir gestern gezeigt hat. Er hatte für das Sekretariat Beas etwas geschrieben über die Kirche als Heilsfrucht und die 9 Kirche als Heilsinstitution.
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SEMMELROTH, Tagebuch, 7 (17. Okt. 1962). Ebd., 16 (9. Nov. 1962). Ebd., 13 (31. Okt. 1962). Vgl. auch Tagebuch, 31 (5. Dez. 1962): „Bischof Volk schickte mir drei Entwürfe, die in der Mixta Commissio zu drei Kapiteln des neugearbeiteten Schema De Revelatione vorgelegt worden sind: De S. Scripturae Inspiratione et Interpretatione; De Vetere Testamento; De Scriptura in Ecclesia. Ich kann nur sagen, wenn diese Entwürfe so durchgehen würden, wäre es ausgezeichnet. Ein Unterschied wie Tag und Nacht gegenüber dem ersten Schema.“
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Semmelroths Tagebuch und die Kirchenkonstitution 10
Von seinem Mainzer Bischof, der zu Beas Sekretariat gehört, bekommt er täglich Information darüber, was in der Aula geschehen ist. Am 20. Oktober konnte Semmelroth mit Freude diese Notiz eintragen: Weiterhin bestätigte der Bischof, daß das Sekretariat für die Einheit der Christen eine eigentliche Kommission geworden sei. Außerdem dürfe jeder Bischof in dieser Kommission seinen Theologen zu den Sitzungen mitbringen, auch wenn der nicht 11 Peritus sei.
Bereits dies war eine große Ehre für Semmelroth. Während der Feier seines fünfzigsten Geburtstages, am 2. Dezember 1962, hatte er Gelegenheit, Bischof Volk zu fragen, ob er ihn in der nächsten Konzilsperiode wieder mitzunehmen gedenke. Natürlich gab dieser eine Bestätigung. Allerdings wurden die Hoffnungen auf Semmelroths Ernennung zum Konzilstheologen am 30. September 1963 neuerlich enttäuscht: Mittags rief Bischof Volk an. Er teilte zunächst einigermaßen traurig mit, daß heute bekannt gegeben worden sei, daß keine neuen Periti mehr ernannt werden. So muss ich darauf verzichten. Aber das ist nicht schlimm. Arbeit genug für das Konzil, 12 unmittelbar für Bischof Volk, habe ich.
Vermutlich war der Stopp der Periti-Ernennungen durch den Fall eines tschechischen Theologen veranlasst worden. Druck und Erpressung von Seiten der tschechischen Regierung zwangen den Heiligen 13 Stuhl, die Ernennung von Periti auszusetzen. Bald aber eröffneten sich neue Perspektiven für unseren Theologen:
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Vgl. M. VELATI, Le Secrétariat pour l’unité des Chrétiens et l’origine du décret sur l’oecuménisme (1962-1963), in: M. Lamberigts/Cl. Soetens/J. Grootaers (Ed.), Les Commissions Conciliaires à Vatican II (Instrumenta theologica 18), Löwen 1996, 181-203. SEMMELROTH, Tagebuch, 8 (20. Okt. 1962). Ebd., 39 (30. Sept. 1963). Es handelt sich um eine Information, die P. Semmelroth von dem tschechischen Jesuiten und Bischof Pavol Hnilica bekommen hatte (vgl. Tagebuch, 46 [17. Okt. 1963]).
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Bischof Volk rief mittags an, daß er tatsächlich zum Mitglied der theol. Kommission ernannt ist. Das ist eine erfreuliche Sache, wenn sie auch wahrscheinlich recht viel Arbeit mit sich bringen wird. Er erklärte, so sagte er, daß er nicht ohne Peritus in die Kommission gehe. So werde ich vielleicht in die theol. Kommission und ihre Sitzungen mitgehen können [...]. Es scheint sich ein Weg aufzutun, daß ich in die Sitzungen der Generalkongregation gehen kann, vielleicht von nächster Wo14 che an.
Im Anhang lesen wir einen Brief von Bischof Volk mit Datum vom 17. Oktober 1963: Ego infrascriptus Hermannus Volk, Episcopus Moguntinus, peto, ut P. Otto Semmelroth S. J., meus peritus privatus, admittatur ad Congregationes Generales Concilii in Aula celebrandas propter importantiam discussionum instantium, in quibus P. Semmelroth optime versatus est. Ejus consilium mihi ex hac quoque ratione pretiosissimum erit, quod nuperrime nominatus sum membrum Comissionis Theologicae Concilii.
Fünf Tage später, am 22. Oktober 1963, bekam Semmelroth die bis zum 10. November befristete Erlaubnis, an den Generalkongregationen des Konzils teilzunehmen, was für ihn zumindest einen kleinen Schritt bedeutete. Bischof Volk wollte weiter versuchen, seine Ernennung als Peritus zu erreichen, und er war damit nicht der einzige. Auch Kardinal König bemühte sich um die Sache Semmelroths. Lesen wir im Konzilstagebuch, was P. Grillmeier ihm am 7. November 1963 sagte: Der Kardinal von Wien wünsche seine Ernennung zum Peritus, damit Semmelroth „in der von ihm geleiteten Subkommission zur 15 Mariologie mitarbeiten könne“. Dazwischen aber verging die Zeit sehr schnell. Mit seinem vorläufigen Pass konnte er in die Aula eintreten. Am 14. November, während der Generalkongregation, sagte ihm Bischof Volk, Kardinal Frings habe einen Vorstoß gemacht, damit er doch zum Peritus ernannt wer16 de. Diese Bemühung wurde wirksam: Eine Woche danach, am 23. November 1963 – am Tag zuvor war der amerikanische Präsident John F. Kennedy einem Mordanschlag zum Opfer gefallen –, konnte der
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Ebd., 46 (17. Okt. 1963). Ebd., 51 (7. Nov. 1963). Vgl. ebd., 52 (14. Nov. 1963).
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Frankfurter Dogmatiker die Freude seiner Ernennung zum Peritus 17 Concilii kundtun. Vielleicht könnte man P. Semmelroth so einschätzen, als wäre er ein Theologe der zweiten Reihe gewesen. Trotzdem machten mehrere Eigenschaften Semmelroth zu einem von den deutschen Bischöfen hoch geschätzten Theologen: seine theologische Bildung und Kompetenz, sein klares Eintreten für die theologischen Anliegen der Konzilsmehrheit, seine feine Fähigkeit zur Teamarbeit (v. a. mit Grillmeier, Rahner, Ratzinger), seine stillschweigende Arbeit für Bischof Volk. Aufgrund dieser Tugenden wurde P. Semmelroth gewiss zu Recht zu einem Peritus Concilii ernannt. Mit Datum vom 24. November 1963 finden wir eine Aufzeichnung, die uns über sein theologisches Profil informiert: Bischof Schröffer schickte mir heute einen Brief mit den Observationes des Msgr. Fenton, eines amerikanischen Peritus, der sehr konservativ ist und in der theologischen Kommission gegen den Gebrauch des Wortes Sakrament für die Kirche kämpft. In seinen Observationes hat er behauptet, mein Buch sei das erste, durch das diese Aussage in die theologische Sprechweise eingeführt worden sei. Damit gibt er mir entschieden zu viel Ehre. Bischof Schröffer bat mich um eine kurze Stellungnahme zu diesen Observationes. Ich habe sie ihm sofort ausgearbeitet und werde sie ihm morgen in der Konzilsaula 18 übergeben.
Semmelroth war als Verfasser eines im Jahre 1953 veröffentlichten 19 Buches mit dem Titel „Die Kirche als Ursakrament“ bekannt. Dieses Buch ist in Bezug auf die Wiederentdeckung einer sakramentalen Vision der Kirche ein bahnbrechendes Werk. Es stellt in der Geschichte der katholischen Ekklesiologie den Übergang zwischen der Enzyklika Mystici Corporis (1943) von Pius XII. und der Dogmatischen Konsti20 tution Lumen gentium des Zweiten Vatikanischen Konzils dar.
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Vgl. ebd., 54ª (20. Nov. 1963). Ebd., 55f. (24. Nov. 1963). Vgl. S. MADRIGAL, Tradición jesuítica en materia eclesiológica, Madrid 2010, 46-55. O. SEMMELROTH, Die Kirche als Ursakrament, Frankfurt am Main 1953. Siehe dazu: O. SEMMELROTH, Die Kirche als Sakrament des Heils, in: J. Feiner/M. Löhrer (Hg.), Mysterium Salutis, Bd. IV/1, Einsiedeln 1972, 309-355. Vgl. J. MEYER ZU SCHLOCHTERN, Sakrament Kirche. Wirken Gottes im Handeln der Menschen, Freiburg u.a. 1992, 121-151. Unter Semmelroths Veröffentlichungen sind auch zu
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Santiago Madrigal Terrazas SJ
Nach diesen Beobachtungen kehren wir jetzt zu den ersten Konzilstagen zurück. 2. DIE ERSTE SITZUNGSPERIODE (HERBST 1962) UND DIE DEBATTE ÜBER DIE DOGMATISCHEN SCHEMATA Im Blick auf unser Thema werden wir auf eine detaillierte Darstellung der ersten Konzilsperiode (11. Oktober bis 8. Dezember 1962) verzichten. Es lohnt sich aber, folgenden Satz zu bedenken, mit dem Semmelroth die schwierige Situation des beginnenden Konzils beschreibt: „Die Unzufriedenheit mit den von der theologischen Kommission vorbereiteten Schemata ist doch sehr allgemein, so dass man hoffen 21 kann, daß es doch wohl torpediert wird“. Diese harsche Kritik bezieht sich auf vier Schemata (De fontibus revelationis; De deposito fidei pure custodiendo; De ordine morali christiano; De castitate, matrimonio, familia, virginitate); allesamt hatten sie bei den Bi22 schöfen und Theologen großes Unbehagen ausgelöst. Am 15. Oktober 1962 treffen sich Bischof Volk und Professor Ratzinger im Germanicum mit Rahner und Semmelroth, um den Entwurf für ein neues Schema zu Glaubens- und Moralfragen als Ersatz für das bisher vorliegende, als unzulänglich empfundene Schema zu besprechen. Im Gegensatz dazu wurde das Liturgische Schema von Seiten der Konzilsväter wohlwollend aufgenommen. Wenn dieses Schema als Ganzes durchgehe, dann könne man sehr froh sein und das Konzil hätte einen guten Start gehabt, notiert Semmelroth.
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nennen: Urbild der Kirche. Organischer Aufbau des Mariengeheimnisses, Würzburg 1950; Ich glaube an die Kirche. Erwägungen über das gottmenschliche Geheimnis der Kirche, Düsseldorf 1959; Vom Sinn der Sakramente, Frankfurt am Main 1960; Wort Gottes. Wesen und Heilsbedeutung der biblischen Inspiration, Kevelaer 1961; Wirkendes Wort: Zur Theologie der Verkündigung, Frankfurt am Main 1962. SEMMELROTH, Tagebuch, 5 (14. Okt. 1962.). Vgl. R. SIEBENROCK, „Meine schlimmsten Erwarturgen sind weit übertroffen“, in: K. Wittstadt/W. Verschooten (Hg.), Der Beitrag der deutschsprachigen und osteuropäischen Länder zum Zweiten Vatikanischen Konzil (Instrumenta theologica 16), Löwen 1996, 121-139. Vgl. auch J. O’MALLEY, What Happened at Vatican II, Cambridge, Massachussets 2008, besonders Kap. 4: “The First Periode (1962): The lines are drawn”, 126-159.
Semmelroths Tagebuch und die Kirchenkonstitution
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2.1 Das Scheitern des Schemas De Fontibus revelationis Bei der ersten Zusammenkunft von deutschen und französischen Bischöfen und Theologen im Gästehaus der deutschen Bischöfe, der Villa Mater Dei unweit des Petersdoms, wurde eine Taktik besprochen, um das liturgische Schema durchzubringen. Am folgenden Tag, dem 19. Oktober, fand eine neue Zusammenkunft statt, an der Congar, Daniélou, de Lubac, Philips, Küng, Ratzinger, Semmelroth und Rahner teilnahmen. Zunächst legte Bischof Volk seinen Entwurf dar, der durch einen Vorschlag von P. Daniélou ergänzt wurde. Man stimmte darin überein, dass die bisherigen vier theologischen und moraltheologischen Schemata aufgegeben werden müssten. Infolgedessen wurde betont, dass ein neues Schema ausgearbeitet werden müsse, das an 23 die Stelle der bisherigen zu treten habe. Am 7. November wurde mitgeteilt, dass als nächstes Schema jenes über die Quellen der Offenbarung (De fontibus revelationis) in der Aula diskutiert werde. Das Urteil Semmelroths vom selben Tag klingt vernichtend: Man kann nur hoffen, daß es gelingt, dieses Schema durchfallen zu lassen. Denn auch wenn es korrigiert und ergänzt würde, ist doch seine ganze Anlage so, daß der Eindruck sehr schlecht sein müsste, wenn es vom Konzil angenommen würde. Es ist in seiner Anlage viel zu negativ, mit Verurteilungen gegenteiliger Auffassungen. Es fällt zudem Entscheidungen in Fragen, die theologisch noch gar nicht reif sind, als dass ein Konzil so entschieden darüber sprechen sollte […]. Der Eindruck in der Öffentlichkeit müsste schlecht sein. Das ist keine Glaubensverkündigung, wie sie einem Konzil ansteht. So müssen wir beten und alles tun, um die Bischöfe zu animieren, ihr Non-placet 24 zu sprechen.
Es erweist sich jedoch als nicht so einfach, schnell Ersatz zu schaffen. Was von Congar, Rahner, Ratzinger und Daniélou ausgearbeitet wurde, schien ihm noch wenig zufriedenstellend zu sein. Es müsste – dachte Bischof Volk – ein Weg gefunden werden, alle Vorschläge zu
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Vgl. SEMMELROTH, Tagebuch, 8 (Eintrag zum 19. Okt. 1962). Ebd., 16 (7. Nov. 1962). Vgl. G. RUGGIERI, Der erste Konflikt in Fragen der Lehre, in: G. Alberigo (Hg.), Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils (1959-1965), Bd. 2, Mainz/Leuven 2000, 273-314.
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einem brauchbaren Schema zu vereinigen. Semmelroths Chronik verzeichnet für den 8. November 1962: Fast sieben Stunden haben heute P. Rahner, Prof. Ratzinger und ich an dem von diesen beiden vorbereiteten Entwurf für ein neues Schema gearbeitet. Das Schema ist, in sich gesehen, ein sehr schöner Entwurf. Dennoch bin ich nicht ganz ohne Sorge, ob es Aussicht hat, bei den Konzilsvätern durchzugehen. Ich fürchte, es ist in seinem Gedankengang und der Sprache doch nicht einfach genug, um die große Menge der Konzilsvä25 ter zu gewinnen.
Kardinal Frings wollte das Schema gleich in 2500 Exemplaren vervielfältigen, um es den Bischöfen zukommen zu lassen. Zwei Tage später arbeitete Semmelroth mit Rahner an einem Gutachten für Kardinal König, das dieser als Alternative zum ersten dogmatischen Schema vorstellen wollte. Für den Kardinal von Wien war es außerordentlich wichtig, dass das Schema De fontibus revelationis nicht nur korrigiert, sondern ganz abgelehnt würde. In diesem Sinne ist zu lesen: Das von Rahner ausgearbeitete Gutachten gegen das Schema De fontibus revelationis, an dem ich mit P. Pfister geholfen hatte, wird von vielen Bischöfen verlangt. Heute sind noch einmal 500 Exemplare abgezogen worden. Vor allem die amerikani26 schen Bischöfe wollten es haben.
Semmelroth glaubt, es müsse mit allen Mitteln versucht werden, das alte Schema zu Fall zu bringen. Trotzdem war es noch durchaus unklar, ob das theologische Schema einfach mit Non-placet durchfallen würde. Die Debatte über das Schema (14. bis 21. November) führte schließlich zur ersten großen Spaltung der Konzilsväter.
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Ebd., 16 (8. Nov. 1962). Vgl. Y. CONGAR, Erinnerungen an eine Episode auf dem II. Vatikanischen Konzil – Anhang: Zwei Schema-Entwürfe ,De Revelatione Dei‘, in: E. Klinger/K. Wittstadt (Hg.), Glaube im Prozeß. Christsein nach dem II. Vatikanum. Festschrift für K. Rahner, Freiburg u.a. 1984, 22-64, hier v. a. 33-64. SEMMELROTH, Tagebuch, 19 (13. Nov. 1962): „Das Schema von Rahner und Ratzinger, das als Ersatz lanciert wird, scheint doch manche Widerstände oder doch Skepsis zu wecken. In seiner Latinität ist es ja ganz sicher schlecht. Es ist aber auch in manchen seiner Formulierungen für die Zwecke einer Konzilsvorlage ungereift.“ Ebd., 21 (17. Nov. 1962).
Semmelroths Tagebuch und die Kirchenkonstitution
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Da die bisherige Geschäftsordnung keine klare Prozedur für den Übergang von der Generaldebatte zur Spezialdebatte vorsah, kam es am 20. November zu einer zusätzlichen Verwirrung. Demnach brauchte die Ablehnung des Schemas wie alle Konzilsbeschlüsse eine Zweidrittelmehrheit. Sie brachte es aber nur auf 62,5 % der Stimmen (1368 Non-placet gegenüber 822 Placet). Paradoxerweise hätte nun ein Schema, das von der Mehrheit der Konzilsväter eindeutig abgelehnt worden war, praktisch als approbiert gegolten, und man hätte zur 27 Spezialdebatte der einzelnen Kapitel schreiten müssen. Am folgenden Tag entschied Papst Johannes XXIII. jedoch, dass das Schema grundlegend umzugestalten sei, und zwar – entsprechend den Vorschlägen in der Konzilsaula – durch eine neue und paritätisch besetzte Kommission. Den Vorsitz führten die beiden Kardinäle Ottaviani und Bea, Sekretäre waren Tromp und Willebrands. „Der Heilige Geist wirkt doch“, schrieb Semmelroth daraufhin in 28 sein Tagebuch. So kehrt er zur alltäglichen Arbeit des Theologen zurück: „Heute morgen [am 24. November] habe ich das marianische Schema durchgearbeitet und ein kleines Gutachten für Bischof Volk gemacht“. Seiner Meinung nach sei das Dokument vom Inhalt her erfreulich, aber ökumenisch betrachtet sei es unangebracht, „daß es nun so ziemlich am Anfang des Konzils stehen soll, außerdem einigermaßen isoliert, nachdem es ursprünglich nach dem Schema De 29 Ecclesia behandelt werden sollte“. Ein überraschender Tag war der 26. November: Kardinal Frings bat Semmelroth, einen Vortrag zum Schema De Ecclesia im Rahmen der Zusammenkunft der deutschsprachigen Bischöfe zu halten. Semmelroth zeichnete diese Beobachtung auf: Das Konzil ist jetzt ganz sicher bald am Höhepunkt seiner Thematik: De Ecclesia. Das Schema ist aber der Art, daß es
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Vgl. ebd., 24 (20. Nov. 1962). Vgl. K. SCHATZ, Allgemeine Konzilien – Brennpunkte der Kirchengeschichte, Paderborn 1997, 297. Ebd., 24 (21. Nov. 1962). Vgl. R. BURIGANA, La Commissione “De Divina Revelatione”, in: M. Lamberigts/Cl. Soetens/J. Grootaers (Ed.), Les Commissions Conciliaires à Vatican II (Instrumenta theologica 18), Löwen 1996, 27-61. Ebd., 26 (24. Nov. 1962).
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scharfe Auseinandersetzungen hervorrufen wird. Es ist ganz 30 vom Geist Tromps erfüllt. Das gibt noch viel Arbeit.
Semmelroth begann sofort, seine Ansprache für die deutschen Bischöfe vorzubereiten, eine Aufgabe, die er abwechselnd mit den Aufträgen von Bischof Volk bezüglich des Schemas De unitate Ecclesiae und des neuen Schemas über die Offenbarung zu erfüllen hatte. Diese Tage waren – so beschreibt der Jesuit – außerordentlich mit Arbeit gefüllt, und die Erschöpfung infolge der Anstrengungen zwang ihn, eine zeitlang im Bett zu liegen, so dass er nicht alles tun konnte, was er 31 eigentlich tun wollte. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er an die Wirkungen seiner Ansprache in Bezug auf seine Ernennung zum Peritus Concilii gedacht hat. Mit Datum vom 28. November lesen wir: Vormittags habe ich drei Stunden lang mit P. Rahner das Schema De Ecclesia durchgearbeitet und mit kritischen Bemerkungen versehen. Es soll daraus ein Skriptum entstehen, das in vielen Exemplaren vervielfältigt und den Bischöfen zugeleitet werden soll. Wir sind nur mit den ersten beiden Kapiteln fertig geworden. Das Schema kann so, wie es vorliegt, auf keinen Fall vom Konzil angenommen werden, genauso wenig wie das Schema De fontibus revelationis.
Die gemeinsamen Arbeiten am ekklesiologischen Schema waren mühsam, aber sehr wichtig; die kritischen Bemerkungen würden ihm bei der Vorbereitung seines Vortrags für die Bischöfe am 3. Dezember dienen. Rahner und Semmelroth arbeiteten während der zwei letzten Novembertage immer noch am ekklesiologischen Schema. Aus dieser Zusammenarbeit sind ungefähr 20 Seiten eines Textes entstanden, der 32 vervielfältigt wurde, um an die Bischöfe verteilt zu werden. Der Ein30
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Ebd., 27 (26. Nov. 1962). Vgl. G. RUGGIERI, Der schwierige Abschied von der kontroverstheologisch geprägten Ekklesiologie, in: G. Alberigo (Hg.), Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils (1959-1965), Bd. 2, Mainz/Leuven 2000, 331-419. Vgl. ebd., 28 (28. Nov. 1962). Vgl. Ebd., 28f. (29. Nov. 1962). Die von Karl Rahner und Otto Semmelroth verfassten Animadversiones zum Schema De Ecclesia sind einzusehen in: G. WASSILOWSKY, Universales Heilssakrament Kirche. Karl Rahners Beitrag zur Ekklesiologie des II. Vatikanums (Innsbrucker Theologische Studien 59), Innsbruck 2001, 410-423. Vgl. A. MELLONI, Ecclesiologie al Vaticano II (Autunno 1962 - Estate 1963), in: M. Lam-
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druck, den man von dem bisherigen Schema De Ecclesia gewinnt, ist nach Semmelroths Auffassung deshalb sehr negativ, weil die ekklesiologische Arbeit der letzten Jahrhunderte nicht berücksichtigt worden sei. In der Sicht des Frankfurter Dogmatikers ist die theologische Vorbereitungskommission dafür verantwortlich, dass alle ihre Schemata durchfallen und das Konzil fast ohne greifbares Ergebnis vertagt wird. Kurzum: „Das Schema [De Ecclesia] kann kaum ein anderes Schicksal 33 bekommen als das De fontibus revelationis“. In diesem Zusammenhang stellt Semmelroth interessante Erwägungen ekklesiologischer Natur an: Gerade das Thema, das eigentlich die besondere Frage dieses Konzils sein musste – in Fortführung des ersten Vatikanum –, nämlich die Lehre von dem Bischofskollegium, hat bisher schon eine außerordentliche Verwirklichung erfahren, nicht so sehr lehrhaft, wohl aber faktisch durch das, was im Konzil bisher geschehen ist. Das Corpus episcoporum hat sich als eine Wirklichkeit erwiesen, die man in dieser Weise gar nicht kannte. Ehe in theologischer Reflexion auch konziliar dargestellt wird, was das Kollegium der Bischöfe ist und wie es zusammen mit dem Papst die Kirche leitet, hat sich diese Wirklichkeit, auch gerade im Gegensatz zu Vorstellungen der Kurie, schon durch die Tat dargestellt.
2.2 Das Schema De Ecclesia im Licht der katholischen Ekklesiologie Am Montag, dem 3. Dezember 1962, konnte Semmelroth vor den deutschsprachigen Bischöfen seinen Vortrag über das Schema De Ecclesia halten. Inhalt und Absicht des Referates wurden von ihm folgendermaßen zusammengefasst: „Ich habe gezeigt, daß und warum das Schema in seiner Struktur und in seinen einzelnen Kapiteln unzulänglich ist. Ich habe es getan, indem ich eine Darstellung des Wesens 34 und der Struktur der Kirche gab“.
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berigts/Cl. Soetens/J. Grootaers (Ed.), Les Commissions Conciliaires à Vatican II (Instrumenta theologica 18), Löwen 1996, 91-179, hier 120f. Ebd., 29 (30. Nov. 1962) (auch zum Folgenden). Ebd., 30 (3. Dez. 1962). Im Gespräch mit Kardinal Döpfner: „Ich konnte ihm in zwanzigminütiger Besprechung doch die einzelnen wichtigsten Momente so darstellen, dass er selbst die Konsequenz zog, dass wohl Non-placet das entsprechende Votum sein müsse. Am Montag werde ich den deutschsprachigen Bischöfen einen Vor-
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Zwei Tage später, im Rahmen einer Pressekonferenz, hat der deutsche Jesuit auch über die Kirche und Maria als Thema des Konzils gesprochen. Zwischen den Aufzeichnungen des Tagebuches Semmelroths befindet sich das Exzerpt der beiden Texte, die eine tiefgründige ekklesiologische Vorlesung darstellen. Das von der vorbereitenden Theologischen Kommission erarbeitete Schema De Ecclesia umfasste 11 Kapitel, mitsamt einem Anhang über die Gottesmutter. Bisher war noch nicht entschieden, ob das marianische Kapitel ein unabhängiges Dokument oder ein Kapitel innerhalb der Kirchenkonstitution werden sollte. Vor dem Hintergrund dieser Alternative ist erkennbar, dass sich die beiden Vorträge Semmelroths gegenseitig ergänzen: Das Thema „Maria“ muss im Zusammenhang mit dem Thema „Kirche“ gesehen werden – und umgekehrt. Die Kirche ist das zentrale und eigentliche Thema des Zweiten Vatikanischen Konzils. Wenn auch das Schema über die Kirche erst gegen Ende der ersten Konzilsperiode vorgelegt worden ist, darf man nicht meinen, die Kirche sei ein weniger wichtiges Thema des Konzils. Aus drei Gründen ist das Gegenteil der Fall: (1) Geschichtlich ist dem jetzigen Konzil das Thema der Kirche durch die unvollendet gebliebene Thematik des Ersten Vatikanischen Konzils aufgegeben. Wegen des vorzeitigen Abbruchs dieses Konzils konnten nur die Lehren vom Primat und von der Unfehlbarkeit des Papstes behandelt werden, nicht aber eine ganze Lehre über die Kirche. Vorausgesetzt, dass die Enzyklika Mystici corporis diese Fehlstelle nicht gefüllt hat, wartet das Erste Vatikanum auf seine Fortsetzung. (2) Die innerkirchliche Situation macht die Kirche zum zentralen Thema. Im Rahmen der Lehre von der Kirche gibt es eine Reihe von aktuellen und dringenden Fragen: Das gesamte Kirchenbewusstsein der Gläubigen, die Stellung der Laien in der Kirche, die Frage nach der Stellung der Bischöfe. (3) Vor allem das ökumenische Bemühen verlangt eine Selbstdarstellung der Kirche, weil die Lehre von der Kirche zweifellos der strittigste Gegenstand unter den christlichen Bekenntnissen ist.
trag über das Schema halten können. Und ich hoffe, dass ich ihnen deutlich machen kann, wie unzulänglich, ja gefährlich dieses Schema ist.“ Vgl. G. TREFFLER (Bearb.), Julius Kardinal Döpfner. Konzilstagebücher, Briefe und Notizen zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Regensburg 2006, 9f.
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Semmelroths Beschreibung des Kirchenschemas begann mit dem Bericht über die einzelnen Kapitel. Deren Aufbau sah folgendermaßen aus: (1) Die Natur der Kirche; (2) Gliedschaft und Heilsnotwendigkeit der Kirche. Daraufhin folgten vier Kapitel über die Stände in der Kirche: (3) Bischofsamt und Priestertum; (4) die residierenden Bischöfe; (5) der Stand der evangelischen Räte; (6) das Laientum. Darauf folgen mehrere Themen: (7) das Lehramt der Kirche; (8) die Autorität und der Gehorsam in der Kirche; (9) die Beziehungen von Kirche und Staat; (10) die Notwendigkeit, dass die Kirche das Evangelium allen Völkern verkünde; (11) der Ökumenismus. Nach dieser Beschreibung fügte Semmelroth sein kritisches Urteil hinzu: dem Entwurf fehlt der Versuch einer organischen Darstellung. Seiner Meinung nach sollte das Schema von einer Auffassung der Kirche als Gegenstand des Glaubens und als congregatio fidelium ausgehen. So könnten verschiedene Missverständnisse vermieden werden – so als ob die Gemeinschaft der Glaubenden nur eine Art Kollektivsubjekt des Glaubens sei, statt ein echter Gegenstand des Glaubens und ein wahres Geheimnis zu sein, das man nur im Glauben erfassen kann. Dieses Verständnis der Kirche wäre auch dann noch möglich, wenn man sich dazu bekennt, dass die Kirche von Christus gestiftet, und eben deshalb göttliches Mysterium ist. In Wahrheit ist die Kirche selbst keine rein natürliche Gesellschaft, sondern – so wahr sie auch Gesellschaft ist – Gegenstand des Glaubens. Kirche ist ein göttliches Geheimnis, das sich hinter oder in ihrer erfahrbaren sozialen Gestalt verbirgt. Die Heilige Schrift spricht von der Kirche nicht in Begriffen, sondern in Bildern, und diese Bilder enthalten fast immer ein empirisches und ein göttliches Element: Leib Christi, Volk Gottes, Haus oder Tempel des Heiligen Geistes, Braut Christi, Herde Christi. Hieraus resultiert die schwierige Aufgabe der Kirche, sich sowohl als menschlich greifbare und erfahrbare gesellschaftliche Stiftung darzubieten wie auch zu verkündigen, dass Gott, Christus in ihr ist, und ahnen zu lassen, welcher Art das Verhältnis ihrer menschlichsichtbaren Seite zur Gegenwart und Wirksamkeit Gottes in ihr ist. Darin nimmt sie am Geheimnis Christi selbst teil, der als wahrer Mensch erfahrbar war und doch die zweite Person des dreifaltigen Gottes ist. Von diesen Voraussetzungen her hat Semmelroth einen Kommentar der wichtigsten Fragen des Schemas De Ecclesia erstellt. In Bezug auf das erste Kapitel, De Ecclesiae militantis natura, zieht unser Jesuit den Titel Ecclesia peregrinans vor, um die einseitige Bevorzugung des Bildes vom mystischen Leib Christi zu vermeiden; außerdem muss
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man die anderen biblischen Bilder bedenken, die andere ergänzende Akzente setzen. Der Frankfurter Theologe kritisierte auch eine allzu kategorische Identifizierung zwischen der katholischen Kirche und dem mystischen Leib Christi. Hier begegnen wir der Frage, wer Glied der Kirche ist, das heißt, dem Thema des zweiten Kapitels, und hier zeigt sich schon, dass sich an dieser Stelle eine schwierige Kontroverse im theologischen Gespräch mit der nicht-katholischen Christenheit auftut. In Bezug auf das zweite Kapitel stellt Semmelroth die herkömmliche – aber ökumenisch gesehen unzulängliche – Lösung vor: Um im vollen und ganzen Sinn Glied der Kirche zu sein, muss man durch ein dreifaches Band mit ihr verbunden sein: durch das sakramentale Band, vor allem der Taufe und der Eucharistie und der anderen Sakramente; durch das Bekenntnis des von Christus geoffenbarten und von der Kirche verkündeten Glaubens; durch die Anerkennung der von Christus gestifteten Hierarchie (Papst und Bischöfe), durch die Christus in der Kirche repräsentiert wird. Nichtsdestoweniger gibt es Menschen, die zwar nicht alle genannten Bande zur Kirche halten, sondern nur manche, und die dies in der Überzeugung tun, damit Christi Willen zu erfüllen. Das ist der Fall bei den von der katholischen Kirche getrennten Kirchen des Ostens, die zwei Bande zur Kirche verwirklichen. Ihrerseits verwirklichen die protestantischen Bekenntnisse das Band der Taufe und eine Reihe von anderen Glaubenspunkten. Von daher entsteht eine schwerwiegende Frage: Sind sie nach katholischem Glauben dadurch Glieder der Kirche oder nicht? Infolgedessen lehnte Semmelroth eine voto-Zugehörigkeit im Namen einer 35 objektiven, stückhaft wirklichen Kirchengliedschaft ab. Es bedarf einer neuen Infragestellung nicht nur der Frage der Mitgliedschaft in der Kirche, sondern auch der Heilsnotwendigkeit der Kirche. Darf man für die Menschen, die als Nichtgetaufte keines der drei Bande verwirklichen – aber dies ohne eigene Schuld –, annehmen, dass sie durch den Besitz der Menschennatur, die Christus in der Menschwerdung angenommen hat, auf die Kirche hingeordnet sind?
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Siehe dazu auch J. RATZINGER, Der Kirchenbegriff und die Frage nach der Gliedschaft, in: Ders., Das neue Volk Gottes. Entwürfe zur Ekklesiologie, Düsseldorf 1969, 90-104.
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Im Aufbau des Schemas sprechen die Kapitel III-VI über die Bischöfe, Priester, Ordensleute, Laien. Für Semmelroth, der seine Erwägungen mit den Laien beginnt, ist die Betonung des Laientums der Ausdruck des neu erwachten Selbstverständnisses der Kirche als Volk Gottes. Dagegen kritisiert er den Standort des Schemas, weil das Laientum als bloßes Hilfsorgan in der Amtstätigkeit der Hierarchie behandelt wird. Das geistliche Amt ist in der Schrift als diakonia bezeichnet, weshalb es im Dienst der Verwirklichung des Volkes Gottes steht. Das Amt – sowohl die höchsten Stufen des Papstes und des Bischofskollegiums wie auch die Stufen des einfachen Priesters und des Diakons – ist keine absolute Größe, sondern in zweifacher Weise relativ: Repräsentativ ist es auf Christus, ministeriell auf die Gemeinde und das Laientum bezogen. Diese Themen enthalten jeweils wieder andere Einzelfragen, die von der zentralen Stellung der Kirche als Hauptthema des Konzils Zeugnis geben. Wie schon angekündigt, können wir diese ekklesiologische Dissertation mit den Erwägungen Semmelroths zum Thema „Maria“ ergänzen. Am 5. Dezember, im Rahmen einer Pressekonferenz, hat er schon Stellung genommen zu der Frage, die von den Konzilsvätern während der zweiten Sitzungsperiode scharf diskutiert werden wird: Das Thema „Maria“ muss im Zusammenhang mit dem Thema „Kirche“ gesehen 36 werden. Die Bedeutung Mariens für den katholischen Glauben und die Frömmigkeit liegt darin, dass sie sich in einer dreifachen Beziehung zu drei Wirklichkeiten unseres Glaubens befindet. Erstens: Ihre Beziehung zu Christus und seinem Heilswerk. Sie ist Gottesmutter und so ist das Bekenntnis zu Maria das Bekenntnis zum Geheimnis Christi. Zweitens: Ihre Beziehung zur Kirche, deren Urbild sie ist, weil sie im Glauben die Botschaft der Menschwerdung empfangen hat. Drittens: Ihre Beziehung zu den einzelnen Gläubigen, deren Vorbild sie darstellt. Allmählich ging die erste Sitzungsperiode des Konzils zu Ende. Es war ersichtlich, von welch einseitigen Kräften das Schema De Ecclesia und die bisher vorgelegten dogmatischen Schemata vorbereitet worden waren. Wir schließen diesen Abschnitt mit folgender Information:
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Vgl. SEMMELROTH, Tagebuch, 31 (5. Dez. 1962): „Nachmittags habe ich dann in dem überfüllten Saal im Generalat der Salvatorianer, wo sich die deutsche Presse immer trifft, die Pressekonferenz mit einem Vortrag über Kirche und Maria als Thema des Konzils gehalten. Ich glaube, es ist recht gut angekommen.“
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Die Tatsache, daß gestern [am 5. Dezember] Kardinal Montini von Mailand gegen das Schema De Ecclesia gesprochen hat, wird für sehr bedeutsam gehalten. Es ist ein Durchbruch des Druckes, unter dem die italienischen Bischöfe durch Kardinal Siri 37 stehen.
2.3 Die erste Intersession: Das deutsche Schema De Ecclesia Am 10. Dezember reiste Bischof Volk nach Frankfurt, um die weiteren Vorbereitungen für die theologische Arbeit an dem Schema De Ecclesia zu besprechen. Im Februar sollte eine Bischofskonferenz in München stattfinden, unter der Leitung von Kardinal Döpfner. Für die Vorbereitung wollte Volk auf Rahner, Grillmeier, Semmelroth und Schmaus 38 zählen dürfen. Am 18. Dezember haben Semmelroth, Grillmeier und Hirschmann im Mainzer Bischofshaus den Vorschlag für das neue Schema De Ecclesia skizziert. Dieser Entwurf wurde nach Weihnachten, am 30. Dezember, in München mit Kardinal Döpfner, Bischof Volk und Bischof Schröffer, Schmaus, Ratzinger, Schnackenburg, Rahner, Grillmeier und Semmelroth drei Tage lang durchgesprochen. Am Ende der Zusammenkunft übernahm Semmelroth „die Aufgabe, in der nächsten Zeit ein Gutachten kritischer Art zum bisherigen Schema De Ecclesia zusammenzustellen [...]. P. Grillmeier hat dasselbe für den endgültigen Entwurf des positiven Schemas De 39 Ecclesia übernommen“. Wie geplant, fand zwischen dem 26. und 27. Januar 1963 eine neuerliche Zusammenkunft mehrerer Theologen mit Bischof Volk in Mainz statt, um den von Grillmeier und Rahner ausgearbeiteten Entwurf für ein neues Schema zu besprechen, von welchem letztlich das sogenannte „deutsche Schema“ De Eccclesia ausgegangen ist. Nach Semmelroths Angaben trafen sich in Mainz Ratzinger, Schnackenburg, Grillmeier, Congar, Smulders, Philips, Rahner und Semmelroth selbst. Am 5. Februar begannen in München die Beratungen der Bischofskonferenz, und in diesem Zusammenhang musste Semmelroth sein Referat über die kritischen Anmerkungen zum alten Kirchenschema
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Ebd., 32 (6. Dez. 1962). Vgl. ebd., 33 (10. Dez. 1962). Ebd., 34 (28.-30. Dez. 1963). Vgl. TREFFLER, Julius Kardinal Döpfner, 332-334.
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halten. Dabei war Prof. Schauf anwesend, ein Schüler und Mitarbeiter von P. Tromp, der sich meldete, „um eine Kritik an der Kritik zu geben“, „er gab dann praktisch nur eine recht dürftig wirkende Apologie 40 der Abschnitte der theol. Vorbereitungskommission“. Danach wurden die einzelnen Kapitel des neuen Schema-Vorschlags von je einem Referenten vorgetragen und darüber diskutiert. Am folgenden Tag gingen die Beratungen weiter. Mit Freude schrieb Semmelroth über das endgültige Ergebnis, „daß der vorbereitete Entwurf mit einigen Abänderungswünschen mit fast 100 % der Stimmen von den Bischöfen als Vorschlag des deutschen und österreichischen Episkopates für Rom angenommen wurde“. Im Konzilstagebuch kommt das „deutsche Schema“ freilich nicht 41 mehr vor. Dieses Schweigen ist so zu erklären: Am 26. Februar hatte sich die Kommission für das Philips-Schema De Ecclesia entschieden. Gerard Philips, ein belgischer Prälat, war Mitglied in der vorbereitenden Theologischen Kommission und ab 1962 Mitglied der Theologischen Kommission. Philips, der zum Hauptschriftsteller der zukünftigen Kirchenkonstitution Lumen gentium werden sollte, hatte an der theologischen Zusammenkunft in Mainz teilgenommen. In seinem Konzilstagebuch hat er den Kern des deutschen ekklesiologischen Schemas so beschrieben, wie Semmelroth die Kirche verstanden 42 wissen wollte: als Ur-Sakrament. 3. DIE ZWEITE SITZUNGSPERIODE (HERBST 1963) UND DIE WEICHENSTELLUNGEN FÜR DAS KIRCHENSCHEMA Zu Beginn der zweiten Tagungsperiode (29. September bis 4. Dezember 1963) war die Stimmung unvergleichlich positiver als am Ende der 43 ersten Sitzungsperiode im voraufgegangenen Jahr. Zudem hatte man
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Ebd., 35 (5. Febr. 1963) (auch zum Folgenden). Vgl. WASSILOWSKY, Universales Heilssakrament Kirche, 277-303; 357-407. Vgl. Acta Synodalia Sacrosancti Concilii Oecumenici Vaticani II, Bd. I/4, Città del Vaticano 1971, 608-639. Vgl. K. SCHELKENS (Hg.), Carnets conciliaires de Mgr Philips secrétaire adjoint de la commission doctrinale. Texte néerlandais avec traduction française, Lovain 2006, 81-156, hier 91: «le tout est centré autour de l’Église comme sacrement originaire». Vgl. SEMMELROTH, Tagebuch, 37 (26. Sept. 1963). Vgl. J. O’MALLEY, What Happened at Vatican II, Kap. 5: “The Second Periode (1963). A Majority prevailing”, 160-198.
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viel Vertrauen zu dem neuen Papst, Paul VI. (1963-1978). Für unser Thema waren die beiden wichtigsten Ereignisse der zweiten Konzilsphase der entscheidende Durchbruch der neuen theologischen Ansätze im Kirchenschema und die Diskussion der praktischen Probleme der Kollegialität im Bischofsschema. Wir werden uns auf die neuen Ansätze im Schema De Ecclesia und die marianische Frage beschränken. Von Anfang an haben Bischof Volk, Rahner und Semmelroth dafür plädiert, dass man das mariologische Schema im Zusammenhang mit einer Darstellung des eschatologischen Aspektes der Kirche dem Kir44 chenschema anfügen sollte. Das Tagebuch des Frankfurter Theologen verzeichnet für den 1. Oktober 1963: „Das neue Schema De Ecclesia ist in der heutigen Generalkongregation mit überwältigender Mehr45 heit in genere angenommen worden. Das ist ein erfreulicher Auftakt“. So wurde endgültig das Tromp-Schema überwunden. Der theologischen Gruppe um Bischof Volk war das von Philips verfasste Schema gut bekannt. Es war sehr positiv aufgenommen worden, auch wenn es 46 einiger Korrekturen bedurfte. Bei einer neuerlichen Zusammenkunft deutscher und französischer Bischöfe und Theologen wurden am 4. Oktober zwei Themen behandelt: das collegium episcoporum und die Frage, ob und wie das marianische Schema in das Kirchenschema eingereiht werden könne. Bischof Volk leitete die Zusammenkunft; Bischof Elchinger von Straßburg 47 übersetzte und wirkte auch als Gesprächsleiter. Was die Mariologie betrifft, hatte Philips ein letztes Kapitel De loco et munere Mariae in Ecclesia vorgeschlagen. Anderseits war es nötig, die Frage der Kollegialität der Bischöfe zu klären. Die Rede Kardinal Ruffinis beim Konzil gegen die Kollegialität bewirkte, dass die Aussprache über dieses Thema sowohl innerhalb wie auch außerhalb der Konzils-
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Vgl. ebd., 38 (28. Sept. 1963); vgl. auch ebd., 39 (30. Sept. 1963): „Außerdem formulieren wir eine Intervention des Bischofs, in der ein hinzuzufügendes Kapitel über das eschatologische Wesen und im Zusammenhang damit über Maria und die Heiligen verlangt wird.“ Ebd., 39 (1. Okt. 1963). Vgl. A. MELLONI, Der Beginn der zweiten Konzilsperiode und die große ekklesiologische Debatte, in: G. Alberigo (Hg.), Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils (1959-1965), Bd. 3, Mainz/Leuven 2000, 52-56. Vgl. ebd., 10 (25. Okt. 1962). Vgl. ebd., 40 (4. Okt. 1963). Vgl. B. XIBAUT, Mgr. Léon-Arthur Elchinger. Un evêque français au Concile, París 2009.
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aula als sehr zentral empfunden wurde. Dementsprechend hat Semmelroth am 5. Oktober zusammen mit Rahner, Ratzinger und Pfister einen Text zur Frage nach dem Bischofskollegium ausgearbeitet, um die Hauptargumente aus Schrift, Tradition und der Natur der Sache 48 darzustellen. Nachmittags wurde das Dokument vervielfältigt und sofort allen interessierten Konzilsvätern zur Verfügung gestellt. Für den gleichen Tag notiert Semmelroth: Msgr. Schröffer, Bischof von Eichstätt, sollte bei den deutschen Bischöfen einen Vortrag zum Kapitel des Kirchenschemas über die Laien halten und in ihrem Auftrag eine Intervention in der Konzilsaula vortragen, weshalb er das Thema mit anderen Bischöfen und Theologen besprochen hatte. Der Bischof hat auch über die letzte Debatte in der theologischen Kommission informiert: Parente bestand auf der Diskussion der brisanten Frage, ob die Koordinationskommission überhaupt das Recht habe, zu verlangen, daß aus dem Kapitel über die Laien der Stoff über den Populus Dei herausgezogen und vor das Kapitel 49 über die Bischöfe gestellt werde.
Am 6. Oktober haben Semmelroth, Klostermann und Wicki den Text einer Intervention zum Kapitel über die Laien im Kirchenschema ausgearbeitet. In diesem Zusammenhang referiert unser Theologe seinen Standpunkt in Bezug auf den logischen Aufbau der Kirchenkonstitution: Was zum Thema Volk Gottes gehört, muss herausgenommen und in einem eigenen Kapitel vor den Episkopat gestellt werden. Der Verarmung des Kapitels über die Laien, die dadurch droht, kann und muss entgegengewirkt werden. Das vor allem auch durch eine korrekte Herausstellung dessen, was der Laie ist. Im Schema nämlich ist nicht genügend die doppelte Polarität auseinanderzuhalten: Amt – Laientum und Evangelischer Rätestand – Weltstand. Es muss dann auch die Fundierung des Volkes Gottes nicht nur von den Sakramenten her, sondern auch vom Wort Gottes her genommen werden. Schließlich muss die Gegenüberstellung Hierarchie – Laien korrigiert werden, und der Gehorsam darf nicht nur im Zusammenhang mit
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Vgl. ebd., 41 (5. Okt. 63). Über die Kollegialitätsdebatte zwischen dem 4. und 16. Oktober vgl. MELLONI, Der Beginn der zweiten Konzilsperiode, 75-91. Ebd. 41 (5. Okt. 1963).
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dem Laientum dargestellt werden, da auch die Hierarchen vom 50 Gehorsam gebunden sind.
Die erwähnte Entscheidung stellt eine bemerkenswerte Stufe in der Entwicklungsgeschichte des Kirchenschemas dar. Man hat sogar von einer „kopernikanischen Wende“ gesprochen: Auf Vorschlag von Kardinal Suenens hatte die Kommission dem Entwurf den Änderungsvorschlag mitgegeben, das Kapitel über das Volk Gottes vor das über die Hierarchie zu stellen. Diese Option sollte die Überwindung einer einseitig hierarchozentrischen Kirchenauffassung bedeuten. Dieses Anliegen wurde in der Aula auch von den meisten Konzilsvätern vertreten und sollte in das endgültige Schema eingehen. Infolgedessen sah das neue Kirchenschema im Oktober 1963 so aus: (1) Das Geheimnis der Kirche; (2) das Volk Gottes; (3) die Hierarchie; (4) die Laien; (5) die Heiligkeit und evangelischer Rätestand. In der Konzilsaula wurde weiter um die bischöfliche Kollegialität 51 gestritten. Die Chronik Semmelroths für den 10. Oktober nimmt die zukünftige Entwicklung der Debatte vorweg: Die gestrige Sitzung der theol. Kommission hat zwei erfreuliche Ergebnisse gezeitigt. Mit großer Mehrheit wurde dafür plädiert, daß De populo Dei vor dem Episkopat gehandelt werde im Kirchenschema. Zweitens, mit Mehrheit von 12 zu 9 dafür, daß das marianische Schema in das Kirchenschema aufgenommen 52 würde.
Das Schema De beata Maria Virgine begleitete fortan die Auseinandersetzungen über die bischöfliche Kollegialität und über die Sakramentalität der Bischofsweihe in der Konzilsaula. Auch in Semmelroths Tagebuch steht jetzt die marianische Frage im Vordergrund. Das hat mit den theologischen Aufgaben von Bischof Volk zu tun; denn er ist in drei verschiedenen Subkommissionen des Sekretariats für die Einheit der Christen tätig, von denen sich eine
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Ebd., 41 (6. Okt. 1963). Vgl. ebd., 42 (7. Okt. 1963): „In der Konzilsaula wurde heute durch eine stattliche Reihe von acht Kardinälen, Patriarch Maximos und mehreren Bischöfen Kardinal Ruffini, der dieser Tage so gegen das Kollegium der Bischöfe gesprochen hatte, sehr desavouiert. Am Anfang stand Kardinal Siri, von dem man das kaum erwartet hatte. Er sprach sehr für die Kollegialität.“ Ebd., 43 (10. Okt. 1963).
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mit der Mariologie beschäftigt. Auf einer Konferenz der deutschen, französischen und belgischen Bischöfe und Theologen wurde darüber 53 diskutiert, wie in der Frage des marianischen Textes vorzugehen sei. Die Theologen um Semmelroth, nämlich Grillmeier, Ratzinger, Feiner, Rahner, dachten sogar daran, ein eigenes mariologisches Kapitel zu verfassen. Da jedoch mehrere Entwürfe im Entstehen waren, ver54 zichteten sie auf eine solche Initiative. Ökumenisch betrachtet bleiben die marianische Theologie und die Marienverehrung weiterhin Haupttrennungspunkte zwischen den christlichen Konfessionen. Bei der Vorbereitung eines Vortrages, den Semmelroth im Waldenser Kolleg halten sollte, hat er ein mariani55 sches Schlusskapitel zum Kirchenschema skizziert. Weiterhin war umstritten, ob das Konzil ein eigenes Dokument über Maria verabschieden oder innerhalb des Kirchenschemas in einem eigenen Kapitel über die Gottesmutter sprechen sollte. Schließlich wurde entschieden, dass Kardinal Santos in der Aula zugunsten einer Trennung, Kardinal König hingegen zugunsten einer Eingliederung sprechen 56 sollte und anschließend darüber abgestimmt werde. Am 29. Oktober entschied das Konzil sich mit knapper Mehrheit (1114 gegenüber 1074 Stimmen, also 50,9 %) für die Einfügung des Marienkapitels in das Kirchenschema. Am nächsten Tag, dem 30. Oktober, fanden weitere wichtige Abstimmungen statt, um die Meinung des Konzils zu folgenden fünf Fragen zu ergründen: Ob die Bischofsweihe sakramentalen Charakter habe; ob sie in das Bischofskollegium eingliedert; ob das Bischofskollegium zusammen mit seinem Haupt Inhaber der höchsten Gewalt in der Kirche sei; ob diese Gewalt auf göttlichem Recht beruhe; ob der 57 ständige Diakonat wiederherzustellen sei. An diesem Tag war Semmelroth nicht in Rom, sondern in Frankfurt, wo er den Scholastikern vom Konzil berichten musste: Man stand sehr unter dem Eindruck der Abstimmung über das marianische Schema, das also kein eigenes Schema werden soll;
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Vgl. ebd., 44 (11. Okt. 1963). Vgl. ebd., 44 (13. Okt. 1963). Vgl. ebd., 45 (15. Okt. 1963). Vgl. O’MALLEY, What Happened at Vatican II, 188. Vgl. ebd., 46 (16. Okt. 1963). Vgl. SCHATZ, Allgemeine Konzilien, 306. O’Malley schreibt dazu: “The votes were another turning point in the council” (What Happened at Vatican II, 184).
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so hatten wir es ja sehr erhofft. Außerdem unter dem Eindruck der gerade am Mittwoch geschehenen Abstimmungen über die Testfragen. Wie sich am anderen Tag aus der Presse zeigte, war das ein übergewältigender ‚Sieg der Reformpartei‘. Es wurde als 58 Höhepunkt des Konzils empfunden.
Semmelroths Chronik informiert uns auch über die zweite Intersession und seinen Aufenthalt in Rom vom 19. bis 26. Januar 1964. Während dieser Woche hat der neu ernannte Peritus Concilii an den Sitzungen der fünften Unterkommission der theologischen Kommission zur Bearbeitung des Schemas De Ecclesia teilgenommen. Mit Datum vom 25. Januar schreibt er: „Heute vormittag war die letzte Sitzung. Das 59 Kapitel über die Bischöfe ist jetzt ganz ordentlich geworden“. Im März ist Semmelroth zusammen mit Rahner erneut nach Rom geflogen, um für vierzehn Tage an der Sitzung der theologischen Kommission teilzunehmen: „Es ging um die Fertigstellung des Schemas De Ecclesia, dessen Texte jetzt mit Ausnahme des letzten Kapitels und des 60 marianischen Schlusses anscheinend fertiggestellt sind“. 4. DIE DRITTE KONZILSPERIODE (HERBST 1964) UND DIE FEIERLICHE VERABSCHIEDUNG DER KIRCHENKONSTITUTION LUMEN GENTIUM
Wenn auch die dritte Konzilsperiode erst am 14. September 1964 begann (und zwar mit der feierlichen Konzelebration des Papstes mit 24 61 Bischöfen ), war Semmelroth bereits fünf Tage früher in Rom eingetroffen, weil er zur Sitzung der Subkommission zum 13. Schema einge-
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Ebd., 49f. (3. Nov. 1963). Ebd., 61 (25. Okt. 1964). Ebd., 62 (2. März. 1964); vgl. auch ebd., 65 (14. März 1964): „Vormittags wurde der Abschnitt über die Religiosen zu Ende geführt und ganz kurz über das neu vorgelegte Kapitel über die Ecclesia triumphans gehandelt, das auf Bitten einiger Väter eingefügt werden soll. Nachmittags ging es dann über das schwierige Kapitel über die Mutter Gottes. Kardinal Santos begann mit einer kurzen Relation, an die er dann in einer etwas sonderbar wirkenden Weise seine Kritik anfügte. Er hält das Schema für minimalistisch, wo es doch in Wirklichkeit seine Anliegen durchaus behandelt, wenn auch nicht in den Begriffen, die diese Leute wollen: Mediatrix, Corredemptrix. An sich ist das Schema, wie es jetzt vorliegt, ein guter Kompromiß von hinreichender Nüchternheit und doch auch vollständig gewahrter Katholizität.“ Vgl. ebd., 79 (14. Sept. 1964). Dazu O’MALLEY, What happened at Vatican II, bes. Kap. 6: “The third Period (1964): Triumphs und Tribulations”, 199-246.
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laden worden war. Wieder beschränken wir uns auf die Kirchenkonstitution und lassen seine Informationen über die Entstehungsgeschichte der Pastoralkonstitution Gaudium et spes oder über das Schema De libertate religiosa außer Acht. Das Kirchenschema war inzwischen neu verfasst worden. Nur die neu angefügten Kapitel über den eschatologischen Charakter der Kirche und über die Gottesmutter Maria im Geheimnis Christi und der Kirche bedurften noch einer konziliaren Debatte. Diese fand vom 15. bis zum 18. September statt. Am Ende der dritten Tagungsperiode schließlich wurde die Dogmatische Konstitution Lumen gentium verabschiedet. Sie kann als Gipfel und Abschluss eines halben Jahrhunderts ekklesiologischen Ringens gelten, in dem herausragende Theologen wie Romano Guardini oder Henri de Lubac die volle Gestalt der Kirche zurück gewannen. 4.1 Die eschatologische Dynamik der Kirche als Sakrament des Heils Im Rahmen der 80. Generalkongregation wurde auch das eschatolo62 gische Kapitel des Kirchenschemas diskutiert. Am nächsten Tag, dem 16. September, hielt Semmelroth während der deutschen Pressekonferenz einen Vortrag über den eschatologischen Charakter der Kirche. Die Grundlinien dieses Vortrags stellen eine systematische 63 Auslegung der Kirchenkonstitution dar. Semmelroth begann sein Ansprache mit den folgenden Beobachtungen: Im Rahmen einer Konstitution über die Kirche würde ein Kapitel über den eschatologischen Charakter der Kirche auf den ersten Blick Erstaunen wecken. Außerdem sei auch zu bedenken, dass dieses Thema ursprünglich im Kirchenschema nicht vorgesehen worden war. Worin also liege der sachlogische Zusammenhang zwischen der eschatologischen Betrachtung und dem unmittelbaren Gegenstand der Kirchenkonstitution? Ist die Blickrichtung dieses Kapitels identisch mit jener des übrigen Schemas? Auf die so gestellten Fragen antwortet Semmelroth: Während die eschatologische Betrachtung den Blick von der sichtbaren Kirche fort auf die noch unsichtbare Vollendung richtet, betrachtet das Schema
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Vgl. ebd., 80 (15.-16. Sept. 1964). Vgl. ebd., 80 (16. Sept. 1964). Siehe auch ebd., 78 (11. Sept. 1964).
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ansonsten die Kirche, insofern sie von oben, nämlich von Christus, dem menschgewordenen Gottessohn, in die diesseitige Geschichte eingestiftet worden ist. Die ersten Kapitel „Das Geheimnis der Kirche“ (Kap. 1), „Die Kirche als Volk Gottes“ (Kap. 2) und „Die allgemeine Berufung zur Heiligkeit“ (Kap. 5) lenken den Blick bereits über das diesseitige Dasein der Kirche hinaus in die göttliche Tiefe ihres Wesens und Ziels hinein. Sie lassen aber keinen Zweifel an der Organisiertheit und Gegliedertheit der Kirche in der Struktur von „Hierar64 chie“ (3. Kap.), „Laien“ (4. Kap.) und „Ordensstand“ (6. Kap.). So bleibt also der Blick auf das durchaus diesseitige Erscheinungsbild der Kirche gerichtet. Erst das Kapitel über die eschatologische Dimension der pilgernden Kirche (Kap. 7) richtet den Blick auf die noch ausstehende Vollendung der Kirche. Der Rückblick auf die Geschichte der Kirche ist in diesem Sinne sehr aufschlussreich: In den Auseinandersetzungen mit spiritualistischen Tendenzen wurde nicht ohne Einseitigkeit die diesseitigegesellschaftliche Prägung der Kirche in den Vordergrund gestellt. Diese gehört zwar zum Wesen der Kirche, ist aber nicht ihr ganzes Wesen. Die sichtbare Kirche steht im Dienst des Heils, der Gnade, des ewigen Lebens. Leider wurde die sichtbare Kirche oft allzu wenig als sakramentales Zeichen und Unterpfand, als Verleiblichung des Heilswirkens Gottes, und die Kirchengliedschaft als nicht hinreichend für die glaubende Verbindung des Menschen mit Christus gesehen. Vor diesem Hintergrund betont das 7. Kapitel der Kirchenkonstitution die eschatologische Dynamik, welche die Verbindung des äußerlich Sichtbaren an der Kirche mit ihrer schon vorhandenen, aber noch nicht sichtbaren Vollendungsgestalt kennzeichnet. Der eschatologische Charakter unserer Berufung in der Kirche meint das Zugleich von „schon“ verwirklichtem und „noch nicht“ erfülltem und vollendetem Heil. Das Heil, das Christus den Menschen gebracht und das die Kirche zu vermitteln hat, ist nämlich ewiges Leben in der Teilnahme am Leben Gottes. Als solches findet es seine
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Vgl. ebd., 88 (30. Sept. 1964): „Daß nun das Kapitel De religiosis ein eigenes Kapitel wird, wurde in der Abstimmung angenommen. Und man kann es sogar begrüßen, daß De Religiosis nicht in einem Kapitel mit der Berufung zur Heiligkeit gehandelt wird. Mir selbst ist das Ergebnis der Abstimmung in diesem Punkt ganz recht, nicht aus dem Grund, aus dem die Ordensleute so leidenschaftlich dafür gekämft haben – Gründe eines gewissens Prestiges – sondern aus Gründen der theologischen Klarheit und Systematik im Ganzen des Schemas.“
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endgültige und volle Verwirklichung erst, wenn der Mensch seine Geschichte auf Erden vollendet hat. Es ist „schon“ da in der Gnade, die Christus in die Welt gebracht hat. Aber es ist „noch nicht“ vollendet und unverlierbar, sondern noch verborgen unter der „Gestalt dieser Welt, die vergeht“ (1 Kor 7,31), und noch verlierbar durch die Sünde, die den Menschen bedroht. Dieser ambivalente Charakter des Heils spiegelt sich in der Kirche wider. Positiv heißt es, dass die sichtbare Kirche auf Erden von Christus gestiftetes „Sakrament“, Unterpfand jenes Heils ist, das seinen Anfang in der Gnade auf Erden, seine Vollendung und Endgültigkeit im Himmel hat. Negativ bedeutet es, dass die sichtbare, gesellschaftliche Kirche nicht als endgültige Wirklichkeit betrachtet werden darf. Der eschatologische Charakter der sichtbaren Kirche liegt also darin, dass sie in enger Verbindung mit der „himmlischen Kirche“ steht. In diesem Licht kann die Heiligenverehrung als konkrete Gestalt der eschatologischen Dynamik der Kirche betrachtet werden. Das 7. Kapitel der Kirchenkonstitution stellt deshalb in kurzen Zügen die Entwicklungsgeschichte der Heiligenverehrung von der apostolischen Zeit an dar. Es wendet sich auch gegen mögliche Missverständnisse; denn der wahre Sinn der Heiligenverehrung ist es, die Verbindung von pilgernder und himmlischer Kirche zu konkretisieren. Und wenn die Kirche auf Erden die Heiligen verehrt und sie fürbittend anruft, dann bekennt sie in konkreter Weise ihren eschatologischen Charakter. Nachdem das Kapitel über die Eschatologie abgeschlossen wurde, begann die Diskussion des marianischen Kapitels in der Konzilsaula: Heute [am 17. September] sprachen noch drei Bischöfe im Namen von über 70 anderen zum Marienkapitel, darunter Kardinal Frings, der zum Kompromiss mahnte, und Kardinal Alfrink, der auf den Unterschied der Frömmigkeit, wo man Minimalisten und Maximalisten unterscheiden könne, und der Glaubenslehre, wo es nur um die Wahrheit gehe, aufmerksam machte. Er plädiert für die Weglassung des Titels Mediatrix, weil er so missverständlich, auch unter Katholiken sei. Es war eine sehr gute Intervention. Ein Spanier dagegen plädierte mit lächerlichen aprioristischen Argumenten für den Titel Mater 65 Ecclesiae.
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Vgl. ebd., 81 (18. Sept. 1964); vgl. auch 84 (21. Sept. 1964): „Bischof Volk gab mir ein Skriptum, das er ausgearbeitet hat und gern im Namen der deutschen Bischöfe noch
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Semmelroths Meinung nach spricht bei vielen in der marianischen Frage zu viel das Gefühl und zu wenig die theologische Korrektheit. Im Rahmen der theologischen Kommission hatte er eine Intervention über die doppelte Rücksicht der Kirche als Mutter und als Gemeinschaft der Gläubigen getätigt, um darzustellen, wie weitsichtig und 66 zurückhaltend man mit dem Titel Mater Ecclesiae sein muss. Aber schon bald lernen wir andere Sorgen unseres Theologen kennen, und zwar am Samstag, dem 19. September, dem Tage seines Silbernen Priesterjubiläums. Semmelroth pilgerte nach S. Paolo fuori le mura und betete dort „um die Fürbitte des Apostels für die am Montag beginnenden Abstimmungen über das dritte Kapitel des Kirchenschemas. Es sind immer noch Machenschaften im Gang, die Kollegia67 lität des Hirtenamtes zu Fall zu bringen“. Die Italiener seien in der Frage der Kollegialität anscheinend gespalten und verschiedener Meinung – was seine Hoffnung nährte. 4.2 Widerstand und Machenschaften der Minorität gegen die Kollegialität Am Montag, dem 21. September 1964, begann für das Konzil eine entscheidende Woche. Es wurden zwei Relationen zum dritten Kapitel über die kollegiale Hirtengewalt der Bischöfe gelesen. Bischof Franic stellte das Thema kritisch vor, was Erzbischof Parente in seiner Relation als das Herz der Kirchenkonstitution bezeichnete; er erhielt den Beifall der Konzilsaula. Semmelroth beschreibt: Von den vier Abstimmungen, die heute gemacht wurden, war das Ergebnis gut. Bei der zweiten, in der schon der Begriff Kol-
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vortragen würde über die Einführung des Titels Mater fidelium in das Marienkapitel. Vielleicht kann es ja gelingen, dadurch zu verhindern, dass der Titel Mater Ecclesiae vorkommt.“ Ferner ebd., 95 (15. Okt. 1964): „Die Sitzung der Theol. Kommission heute war eine spannende Sache. Besonders in der Frage der Mediatrix. Philips hat einen Kompromisstext ausgearbeitet, der den Mediatrixtitel in eine Reihe mit anderen eingefügt und mit einer, wie mir scheint, wichtigen und guten theol. Interpretation versieht.“ Vgl. ebd., 94 (14. Okt. 1964). Vgl. J. A. KOMONCHAK, Unterwegs zu einer Ekklesiologie der Gemeinschaft, in: G. Alberigo (Hg.), Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils (1959-1965), Bd. 4, Mainz/Leuven 2006, 61-72. Ebd., 82 (19. Sept. 1964).
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legium, in Anwendung auf die Apostel, vorkam, gab es nicht 68 ganz zweihundert Non-placet.
Am nächsten Tag fanden die dramatischen Abstimmungen zur Kollegialität des bischöflichen Hirtenamtes statt. Mit Genugtuung notiert Semmelroth: Sie sind heute gut ausgegangen [...]. Etwas über 300 negative Stimmen gab es nur zur Kollegialität und zur Frage nach der vollen Bischofsgewalt (alle drei Gewalten) durch die bischöfliche Konsekration. Das mag viel aussehen. Wenn man aber bedenkt, welche Propaganda die letzte Zeit gemacht wurde, vor allem bei den Italienern, dann muß man doch sagen, das vorliegende Schema hat einen großen Erfolg zu verzeichnen. Von über zweitausendeinhundert Abstimmungen nur etwas über 69 dreihundert Non-placet ist bedeutend.
Anders gesagt: Die Abstimmungen über das dritte Kapitel verliefen weiter recht gut, wenngleich es Gerüchte gab, „dass die antikollegiale Gruppe sich nicht zufrieden gebe, sondern vom Papst erbitten wolle, daß eine neue Kommission gebildet werde, die also dann über der 70 Theologischen Kommission stände“. Und man erzählte dagegen, dass der Papst nach der Abstimmung über die Kollegialität, die eine so eindrucksvolle Mehrheit erreicht hatte, sich sehr befreit gezeigt haben soll. Auch die Möglichkeit der Wiedereinrichtung des Ständi71 gen Diakonats sei akzeptiert worden. Die Chronik des Frankfurter Jesuiten verzeichnet für den 30. September mit Genugtuung: Trotz der Machenschaften und Propaganda der Italiener ist die Abstimmung über die Kollegialität und auch die zweite über das dritte Kapitel mit sehr großer Mehrheit von Placet-Stimmen durchgegangen. Die Placet-iuxta-modum sind um 500 herum. Das heißt also, daß Modi, die gegen die Substanz des Schemas gehen, nicht nur nicht berücksichtigt zu werden brauchen,
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Ebd., 84 (21. Sept. 1964). Vgl. KOMONCHAK, Unterwegs zu einer Ekklesiologie der Gemeinschaft, 72-97. Ebd., 84 (22. Sept. 1964). Ebd., 85 (24. Sept. 1964). Vgl. ebd., 86f. (28., 29. Sept. 1964).
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sondern nicht berücksichtigt werden dürfen, weil über zwei72 drittel schlechthinnige Placet-Stimmen da sind.
Die Taktik der Kollegialitätsgegner entsprach einer doppelten Strategie: Einerseits hatten sie Modi vorbereitet, die sich gegen die Substanz des Schemas richteten, andererseits übten sie stillschweigenden Druck auf den Papst aus. Am 5. Oktober fragte Semmelroth Msgr. Philips, ob noch Gefahr für die Kollegialitätslehre bestehe; dieser antwortete ihm, es gebe noch vereinzelte Gegenstimmen, aber er sehe darin keine Gefahr mehr; denn „je länger darüber gehandelt und gearbeitet 73 werde, desto größer und klarer werde die Mehrheit in der Aula“. Gegen den Optimismus von Philips sprach aber der unablässige Widerstand der Minorität. Dazu lesen wir im Tagebuch: Eine Gruppe von Bischöfen der reaktionären Richtung schickt Einladung an die Bischöfe rund, zu dienstags stattfindenden Versammlungen, in denen die anstehenden Fragen im Geist der Kardinäle Ruffini und Santos – also der Reaktion – bespro74 chen werden sollen.
Diese Kurialen seien offensichtlich nicht geneigt, die Wirklichkeit des Konzils anzuerkennen.
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Ebd., 88 (30. Sept. 1964). Vgl. L. A. G. TAGLE, Paolo VI e il concilio nel 1964, in: M. T. Fattori/A. Melloni (Ed.), L’evento e le decisioni. Studi sulle dinamiche del concilio Vaticano II, Il Mulino 1997, 355-369. Ebd., 91 (6. Okt. 1964). Ebd., 93 (12. Okt. 1964). Wir lesen unter den Aufzeichungen Semmelroths den Text eines Briefes mit Datum vom 6. Oktober 1964: «Eccellenza Rev.ma: Un gruppo di Padri di diverse nazioni si riunisce ogni martedi alle ore 17, Via del Sant’Ufficio, 23, alla Curia Generalizia dell’Ordine di Sant’Agostino. Scopo di tali adunanze è lo studio comune, con il concorso di teologi, degli Schemi sottomessi alla discussione dei Padri, nella luce della dottrina tradizionale della Chiesa, secondo l’insegnamento dei Sommi Pontifici. Questi studi si fanno secondo lo spirito degli interventi fatti in Aula Conciliare dalle LL.EE.RRme. i Signore Cardinali Ruffini, Siri, Santos, Browne ed altri. La prossima Conferenza sarà fatta da S.E.Rev.ma. il Cardinale Ernesto Ruffini sul 13 Schema: ‚De Ecclesia in mundo huius temporisʻ, martedi 13 Ottobre, nell’indirizzo e all’ ora sopra indicati.» Der Brief trägt die Unterschrift des Geraldo de Proença Sigaud (Erzbischof von Diamantina, Brasilien). Siehe dazu: L. PERRIN, Il «Coetus Internationalis Patrum» e la minoranza conciliare, in: M. T. Fattori/A. Melloni (Ed.), L’evento e le decisioni. Studi sulle dinamiche del concilio Vaticano II, Il Mulino 1997, 173-188.
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4.3 Der schwärzeste Tag des Konzils Mitte November 1964 arbeitete Pater Semmelroth zusammen mit Professor Ratzinger und Pater Grillmeier an der deutschen Übersetzung des noch nicht endgültig abgestimmten Textes der Kirchenkonstitution. Dabei handelte es sich um eine Aufgabe, die ihnen von Kar75 dinal Frings einen Monat zuvor aufgetragen worden war. In der Konzilsaula war am 23. Oktober mitgeteilt worden, dass der Schluss der dritten Sitzungsperiode auf den 21. November festgelegt worden war. Im Rahmen der entsprechenden Sessio publica sollte die Dogmati76 sche Konstitution über die Kirche feierlich verkündet werden. Wir treten in die sogenannte Settimana nera ein, die „Schwarze Woche“, die 77 zwischen dem 14. und dem 21. November 1964 ablief. Was unser spezifisches Thema betrifft, ist die Konzilssituation folgendermaßen zu beschreiben: Dem endgültigen Text der Kirchenkonstitution, der am 14. November den Konzilsvätern ausgehändigt wurde, war eine Nota explicativa praevia beigefügt worden, die vermutlich vom Papst persönlich stammte. Die Note betonte die Prärogativen des Primats, der auch alleine, ohne das Kollegium, handeln könne, und sie verwarf ein Verständnis der Kollegialität, durch das in irgendeiner Weise den souveränen Rechten des Papstes Abbruch getan würde. Der Konzilssekretär Kardinal Felici kündigte an, dass über die Nota explicativa praevia selbst nicht abgestimmt werde, auch wenn sie authentische Interpretation des dritten Kapitels der Kirchenkonstitution sei. Zurück zu Semmelroths Tagebuch. Am 15. November wurde er von Journalisten angerufen, die Fragen bezüglich jener Erklärung zum dritten Kapitel des Kirchenschemas hatten. Unser Theologe zeigt sich davon überzeugt, „dass sachlich sich nichts ändere, wenn auch die 78 Optik ein wenig gelitten hat“. Semmelroth sieht in der Nota ein Mittel, den Text mit großer Mehrheit beschließen zu können. Anders gesagt: Die Kollegialitätslehre bleibt ohne substantielle Veränderungen, und mit der Nota kann zudem der consensus unanimis besser ge75 76 77
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Vgl. ebd., 94 (15. Nov. 1964). Vgl. ebd., 110 (14. Nov. 1964). Vgl. L. A. G. TAGLE, Die „schwarze Woche“ des Konzils (14. bis 21. November 1964), in: G. Alberigo (Hg.), Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils (1959-1965), Bd. 2, Mainz/Leuven 2006, 451-530. SEMMELROTH, Tagebuch, 110 (15. Nov. 1964).
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währleistet werden. Deswegen kritisierte er auch jene, die eine Nonplacet-Stimme zum dritten Kapitel De Ecclesia unterstützen und fördern. Das wäre eine gefährliche Strategie, weil so die feierliche Verkündung der Kirchenkonstitution in dieser dritten Konzilsperiode verhindert werde. Semmelroth schien es klar, dass die Verzögerung 79 die Taktik der antikollegialen Minorität sei. Trotzdem zeichnete er am 19. November mit Besorgnis und Bestürzung auf: Heute war der bisher schwärzeste Tag des Konzils. Es begann schon damit, daß der Papst gestern abend bei der Audienz den deutschen Bischöfen gesagt hat, er werde am Samstag nachmittags in Maria Maggiore den Titel Mater Ecclesiae verkünden. Damit stellt er sich nun wieder einmal formell gegen das Konzil, das doch nach langen Auseinandersetzungen ausdrücklich diesen Titel nicht in das Schema De BMV aufgenommen hat. Dann empfing uns, als wir in die Aula kamen, gleich eine üble Stimmung. Was war passiert? Mehreres, was man nicht recht verstehen kann. Zunächst einmal wurde verkündet, daß die Abstimmung De Ecclesia im Geist der Nota praevia geschehe, so daß dieser eine höhere, konziliare Autorität gegeben wird. Das hat schon viele aufgeregt, obwohl ich glaube, daß man nicht genügend bedenkt, daß eine solche Nota interpretativa auf jeden Fall nicht in einem Sinne stehen kann, der gegen den Text der Konstitution selbst ist. Das weitere war, daß verkündet wurde, das Dekret über die Libertas religiosa werde nicht abgestimmt, sondern aufgeschoben. Das hat nun vor allem die Amerikaner sehr verstimmt, ja verbittert. Es ist auch schlimm, weniger wegen des Inhalts – von ihm her ist es vielleicht ganz gut, daß noch daran gearbeitet werden kann – sondern der Modus procedendi. Gestern noch war das Schema ausgegeben und gesagt worden, es werde darüber abgestimmt, und heute plötzlich diese Absage. Und schließlich als drittes Unheil: Der Text De Oecumenismo, der ja doch nun mit an Einstimmigkeit grenzender Mehrheit angenommen worden ist, soll mit 18 Änderungen versehen werden, von denen zwei für die Protestanten schockierend sind. Und dies ist auch wegen der Art und Weise des Vorgehens schlimm [...]. Und das alles auf Kosten des Papstes. Er hat sehr viel an Autorität eingebüßt. Und viele sind sehr be80 drückt.
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Vgl. ebd., 110 (16. Nov. 1964). Ebd., 112 (19. Nov. 1964).
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Bei der Schlussabstimmung am 21. November 1964 erhielt die Kirchenkonstitution Lumen gentium weit über 99 % Ja-Stimmen. Trotz allem konnten die Geschehnisse der Schwarzen Woche nicht den Erneuerungsgeist des Konzils bremsen. An dieser Stelle brechen wir unsere Lektüre des Konzilstagebuches von Semmelroth ab; denn wir haben das Ziel dieser Untersuchung erreicht, nämlich seine Darstellung der Entwicklungsgeschichte und des Inhalts der Kirchenkonstitution. Dementsprechend lassen wir die Ereignisse der vierten und letzten Tagungsperiode im Herbst 1965 außer Acht. Während der dritten Intersession hatte unser Jesuit, von Mgsr. Garrone eingeladen, auch an der Erarbeitung des Schemas XIII De Ecclesia in mundo huius temporis, der zukünftigen Pastoralkonstitution, teilgenommen. Seine letzte und wichtigste Arbeit für das Konzil hatte mit der Redaktion von Gaudium et spes zu tun – ganz im Sinne des Urteils von G. Turbanti: Mir scheint es wichtig, die Anwesenheit von Grillmeier und Semmelroth in der theologischen Unterkommission wahrzunehmen. Von den Hemmnissen des Schemas De Ecclesia befreit haben diese von da an begonnen, aktiv am Schema XIII mitzuarbeiten. Mit der vollständigen Anwesenheit der Theologengruppe aus Frankfurt (Hirschmann, Grillmeier, Semmelroth) beginnt die deutsche Theologie bei der Ausarbeitung des 81 Schemas konsistenter vertreten zu sein.
5. ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN Als besonderes Kennzeichen des Konzilstagebuches von Semmelroth ist zunächst zu nennen, dass es sich am Anfang um die Aufzeichnungen eines Peritus personalis handelt, weil unser Theologe erst am Ende
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«Mi sembra importante registrare la presenza nella sottocommissione teologica di Grillmeier e Semmelroth che, liberati dagli impegni del “De Ecclesia”, cominciarono a laborare attivamente da questo periodo allo Schema XIII. Con la presenza al completo del gruppo di teologi di Francoforte (Hirschmann - Grillmeier - Semmelroth […]) la teologia tedesca cominciò ad avere una rappresentanza più consistente nell’elaborazione dello schema»: G. TURBANTI, La Commissione mista per lo schema XVII-XIII, in: M. Lamberigts/Cl. Soetens/J. Grootaers (Ed.), Les Commissions Conciliaires à Vatican II (Instrumenta theologica 18), Löwen 1996, 216-250, hier 243f.
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der zweiten Sitzungsperiode und durch die Vermittlung des Kardinal Frings den Rang eines Peritus Concilii erreichen konnte (20. November 1963). Es ist auch klar, dass seine Anwesenheit während der letzten zwei Sitzungsperioden intensiver wurde. Nichtsdestoweniger muss man zugeben, dass der Frankfurter Jesuit schon als Privattheologe von Hermann Volk am Verlauf der Konzilsarbeit sehr engagiert war, besonders in der Diskussion und Erarbeitung der theologischen Thematiken, an welchen der Mainzer Bischof tätig war: Liturgische Reform, Kirche, Ökumenismus, Offenbarung. Semmelroth handelte als Berater, Übersetzer und Verfasser der Konzilsansprachen des Mainzer Bischofs; außerdem begleitete er Bischof Volk in die theologischen Kommissionen; schließlich besuchte er regelmäßig die Treffen der deutschen und französischen Bischöfe und Theologen unter Volk und Elchinger. Deswegen ist sein Konzilstagebuch in erster Linie Spiegel und Zeugnis der Zusammenarbeit zwischen Bischöfen und Theologen, zwischen Lehramt und Theologie. Seine Ernennung zum Peritus Concilii bedeutete gleichzeitig die Anerkennung seines großartigen Bemühens und seiner theologischen Kompetenz sowie seiner engagierten Widmung an die Sache des Konzils. Beispielhaft dafür stehen seine Vorträge über das ekklesiologische Schema, das mariologische Kapitel der Kirchenkonstitution oder seine Mitwirkung am Entwurf des sogenannten deutschen Schemas De Ecclesia. So ist auch zu erklären, dass Congar seinen Namen auf die Liste jener Theologen gesetzt hat, die ein wahres Magisterium während des Konzils ausgeübt haben: Chenu, Colson, Ratzinger, Rahner, Lub82 ac, Rondet, Daniélou, Schillebeeckx. Semmelroth arbeitete regelmäßig mit den Jesuiten Grillmeier, Rahner und Hirschmann sowie mit Professor Ratzinger zusammen. Inner- und außerhalb dieser theologischen Gruppe fühlte er sich jenen verbunden, die gegen die dogmatischen Schemata der Vorbereitenden Theologischen Kommission von Ottaviani und Tromp gekämpft haben. In diesem Sinne verkörpert er eine gewisse via media in freundlichem Einvernehmen mit Bischöfen wie Schröffer und Theologen wie Gerard Philips oder Carlo Colombo. Eines Tages, fast zum Ende des Konzils, hat ihm Kardinal Döpfner anvertraut, „dass die
82
Vgl. Y. CONGAR, Mon Journal du Concile, hg. v. Éric Mahieu, Bd. 1, Paris 2002, 137.
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Jesuiten am besten der Konzilsarbeit der deutschen Bischöfen gedient 83 hätten“. Das Tagebuch zum Zweiten Vatikanischen Konzil von Otto Semmelroth stellt aufgrund seiner Nähe zu Rahner und Volk eine unschätzbare Quelle für die Rekonstruktion der historischen Gescheh84 nisse und der deutschen Strategie auf dem Konzil dar. Bischof Volk koordinierte sowohl die deutsche konziliare Arbeit als auch die Kontakte der deutschen Bischöfe und Theologen mit den anderen Bischöfen und Theologen aus Mitteleuropa, besonders mit Bischof Elchin85 ger. Abgesehen davon ist dieses Tagebuch eine bemerkenswerte Quelle für die Erforschung der Redaktionsgeschichte der Kirchenkonstitu86 tion Lumen gentium und für die Auslegung ihres Inhalts. Im Konzilstagebuch des Frankfurter Professors spiegeln sich jene Konzilsereignisse wider, in die er persönlich verwickelt war, und zwar ausgehend von seiner theologischen Überzeugung, dass die Kirche und ihre Mission das Thema des Konzils sein sollten. Vielleicht könnte man Semmelroths mystische und menschliche Erfahrungen der vier Sitzungsperioden des Konzils mit jenen tröstenden Worten zusammenfassen, die der heilige Ignatius von Loyola 1537 an der Kapelle von La Storta formulierte, die Semmelroth am 2. November 1964 besuchte: Romae vobis propitius ero: „In Rom werde ich euch gnädig sein!“
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SEMMELROTH, Tagebuch, 138 (9. Nov. 1965). Vgl. G. FOGARTY, Das Konzil beginnt, in: Giuseppe Alberigo (Hg.), Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils (1959-1965), Bd. 2, Mainz/Leuven 2000, 95 Anm. 38. Vgl. SEMMELROTH, Tagebuch, 123 (17. Sept. 1965): „Am Nachmittag war wieder eine der deutsch-französisch-holländisch-belgischen Konferenzen, wie sie in der ersten und zweiten Sitzungsperiode so nützlich gewesen waren. Von vier bis halb sieben wurde diskutiert, um Fragen des Inhalts und des Vorgehens bezüglich des dreizehnten Schemas. Bischof Volk und Bischof Elchinger waren wieder die Leitenden.“ Vgl. O. SEMMELROTH, Dogmatische Konstitution über die Kirche (Constitutio dogmatica de Ecclesia). Kommentar zum VII. und zum VIII. Kapitel, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Das Zweite Vatikanische Konzil. Dokumente und Kommentare, Teil I, Freiburg u.a. 1966, 314-347. DERS., Die Kirche, das neue Gottesvolk, in: G. Baraúna (Hg.), De ecclesia. Beiträge zur Konstitution „Über die Kirche“ des Zweiten Vatikanischen Konzils, Bd. 1, Freiburg u.a. 1966, 365-379.
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WERNER LÖSER SJ
Das Ökumenismusdekret Unitatis redintegratio und sein Rückhalt in der Konstitution Lumen gentium Das Bemühen um eine Vertiefung der sichtbaren Einheit der christlichen Kirche bleibt nach wie vor aktuell. Das ist nicht nur die Auffassung vieler Menschen in unseren Kirchengemeinden, sondern auch die Überzeugung vieler Bischöfe, ja auch der Päpste. Benedikt XVI. etwa hat die Bedeutung des Bemühens um die Einheit der Kirche am 15. November 2012 vor den Mitgliedern der Vollversammlung des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der 1 Christen zum Ausdruck gebracht. Benedikt betonte dabei, dass es einerseits einen inneren Zusammenhang gebe zwischen den ökumenischen Bemühungen und andererseits den vielfältigen Einsätzen zur Gestaltung des „Jahres des Glaubens“, zu dem er in der Perspektive einer weltweiten neuen Evangelisierung aufgerufen hatte. So machte der Papst darauf aufmerksam, dass das ökumenische Engagement für die katholische Kirche nicht am Rande ihrer Aktivitäten stehen darf, sondern einen integralen Teil ihres Auftrags in dieser Zeit und für diese Welt ausmacht. Papst Franziskus teilt diese Auffassung. Unmittelbar nach seiner Amtseinführung hat Benedikts Nachfolger als Bischof von Rom und Papst der Universalkirche die Begegnung und das Gespräch mit nichtkatholischen Christen gesucht. Auf welchen Grundlagen sich die ökumenischen Bemühungen der katholischen Kirche künftig bewegen sollten, wenn sie nicht ins Ungefähre abgleiten sollen, kann eine Erinnerung an die grundlegenden und weichenstellenden Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils zeigen. Deswegen wird im Folgenden zunächst an die Kerngedanken des Ökumenismusdekrets Unitatis redintegratio erinnert. Diese werden
1
http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/speeches/2012/november/doc uments/hf_ben-xvi_spe_20121115_chrstuni_ge.html (auch zum Folgenden).
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anschließend auf die Aussagen der Dogmatischen Konstitution Lumen gentium zur Sakramentalität der Kirche zurückgeführt. 1. DIE KERNGEDANKEN DES DEKRETS UNITATIS REDINTEGRATIO Das Zweite Vatikanische Konzil mit seinen theologischen Konzepten ist in unseren Tagen noch einmal zum Thema eines kontrovers geführten Gesprächs geworden. Die einen distanzieren sich von ihm, weil sie in ihm die Legitimierung einer Selbstüberlassung der katholischen Kirche an die moderne Zeit mit all ihren Relativismen und Pluralismen sehen. Die anderen hegen die Befürchtung, dass die Verantwortlichen in der Kirche sich zu sehr auf die Seite der genannten Konzilskritiker stellen könnten und fordern laut die bleibende Geltung der konziliaren Entscheidungen. Dies alles bezieht sich nicht zuletzt auf den Bereich der Ökumene, der ein zentrales Kapitel der konziliaren Bemühungen ausmacht. Als am 21. November 1964 im Konzil die Schlussabstimmung über das Ökumenismusdekret stattfand, war die Befriedigung über das Ergebnis groß. Nur 11 Konzilsväter konnten sich zu einem „Ja“ nicht entschließen, alle anderen, weit mehr als 2000 Bischöfe, brachten ihre 2 Zustimmung zum Ausdruck. Wie die meisten anderen Dokumente des Konzils, so hatte auch das Ökumenismusdekret eine wechselvolle Vorgeschichte. Bisweilen hatte man daran gedacht, es in die Kirchenkonstitution zu integrieren. Ein anderer Vorschlag zielte dahin, einen umfassenden Text abzufassen, in dem auch die Beziehungen der katholischen Kirche zum Judentum und zu den nichtchristlichen Religionen zur Sprache kämen. Schließlich fiel doch die Entscheidung, dem Thema Ökumene ein eigenes Dokument zu widmen und sich in ihm auf die innerchristliche Problematik zu beschränken. Mehr und mehr wurde das Einheitssekretariat unter seinem Präsidenten Kardinal Bea maßgeblich für die konkrete Ausgestaltung der Entwürfe und schließlich des Endtextes. Die Veröffentlichung des Ökumenismusdekrets vor nunmehr nahezu 50
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Vgl. K. RAHNER/H. VORGRIMLER, Kleines Konzilskompendium, Freiburg u.a. 25 1994, 217.
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Jahren wurde als ein bedeutendes Ereignis für die katholische Kirche und die ganze christliche Welt angesehen. Unitatis redintegratio umfasst insgesamt 24 Abschnitte. Der erste und der letzte Abschnitt (UR 1 und UR 24) bilden einen Rahmen: das Proömium und das Finale des Dekrets. Die dazwischen liegenden Abschnitte sind zu drei Kapiteln zusammengefasst. Das erste Kapitel trägt die Überschrift „Die katholischen Prinzipien des Ökumenismus“. Es reicht von UR 2 bis UR 4. In diesem Kapitel sind die theologischen Grundlagen des Ökumene-Verständnisses der katholischen Kirche dargelegt. Im zweiten Kapitel geht es um die „praktische Verwirklichung des Ökumenismus“. Es handelt sich um UR 5 bis UR 12. Im dritten Kapitel schließlich – überschrieben mit „Die vom römischen apostolischen Stuhl getrennten Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften“ – kennzeichnet das Konzil zunächst die Kirchen des Ostens (in UR 14 bis UR 18) und dann jene Kirchen, die aus der abendländischen Reformation hervorgegangen sind (in UR 19 bis UR 23). Das Proömium beginnt mit diesem Satz: Die Einheit aller Christen wiederherstellen zu helfen, ist eine der Hauptaufgaben des Heiligen Ökumenischen Zweiten Vatikanischen Konzils. Denn Christus der Herr hat eine einige und einzige Kirche gegründet (Una enim atque unica a Christo Domino condita est Ecclesia: UR 1).
In diesen Formulierungen scheint mir der Schlüssel für den Zugang zum katholischen Ökumene-Verständnis zu liegen. Von höchster Bedeutung ist der Begriff „Einheit“. Die Einheit der Kirche kommt nicht zur Darstellung, weil es Spaltungen in der Christenheit gibt. Aber sie soll doch konkret erfahrbar sein, weil nur eine geeinte Christenheit das zur Erscheinung bringt, was Christus der Herr beabsichtigt und begründet hat: die eine Kirche. Innerhalb des Begriffs der „einen Kirche“ nimmt das Dekret nun Differenzierung vor. Es unterscheidet zwischen una und unica, deutsch: einig und einzig. Die Kennzeichnung una, „einig“, betrifft die innere Gefügtheit und Gestaltetheit der Kirche, die andere Kennzeichnung unica, „einzig“ stellt die Kirche in die größere Welt der christlichen Kirchen und Gemeinschaften. Entscheidend für das Ökumenismusdekret des letzten Konzils ist nun genau dies, nämlich dass in ihm sowohl der Sinn des una als auch der Sinn des unica gegenüber dem jeweils früheren Verständnis verändert und geweitet erscheint.
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In der Enzyklika Satis cognitum Papst Leos XIII. von 1896 findet sich ein Satz, in dem programmatisch von der Einheit und der Einzigkeit der Kirche die Rede ist. Er lautet: Er [Christus], der nur eine einzige [Kirche] gründete, hat sie auch einig gewollt, und zwar derart, dass alle, die zu ihr gehören sollten, durch die innigsten Bande miteinander vereinigt 3 durchaus nur ein Volk, ein Reich, einen Leib ausmachen.
Überprüft man nun in der genannten Enzyklika und späteren kirchenoffiziellen Texten, was mit den Begriffen una und unica genauerhin gemeint war, so stellt man fest: una, „einig“ bedeutet „Einförmigkeit“, „Uniformität“, unica, „einzig“ bedeutet „Ausschließlichkeit“, „Exklusivität“. Die Uniformität der Kirche war nach dem damaligen Verständnis und im Rahmen einer, wie man sagen kann, „christomonistisch“ argumentierenden Theologie durch ihre hierarchische, vom Papst als dem sichtbaren Einheitszentrum her strukturierte Gestalt gewährleistet. In Satis cognitum findet sich der Satz: Da der göttliche Stifter wollte, dass die Kirche eins sei im Glauben, in der Verwaltung und in der Gemeinschaft, so wählte er sich den Petrus und seine Nachfolger zur Grundlage und zum 4 Mittelpunkt dieser Einheit.
In der Tat war die katholische Kirche bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts in allen wesentlichen Dimensionen ihrer Struktur und ihres Vollzugs durch eine weitgehende Uniformität gekennzeichnet. Das prägte auch die damalige Erfahrung, die die Gläubigen mit ihrer Kirche machten. Dieselbe Kirche erhob den Anspruch, als einzige – in Ausschließlichkeit – die Kirche zu sein, die sich mit Recht auf Christus berufen kann. Über die der katholischen Kirche nicht Zugehörigen
3
4
LEO XIII., Enzyklika Satis cognitum (29. Juni 1896), Nr. 6, in: Acta Sanctae Sedis 28 (1895-96) 708-739, hier 715: Qui unicam condidit, is idem condidit unam [sc. Ecclesiam]: videlicet eiusmodi, ut quotquot in ipsa futuri essent, actissimis vinculis sociati tenerentur, ita prorsus ut unam gentem, unum regnum, corpus unum efficerent. Der zitierte Abschnitt findet sich auch in DzH 3305. LEO XIII., Satis cognitum, Nr. 14: Cum ecclesiam divinus auctor fide et regimine et communione unam esse decrevisset, Petrum eiusque successores delegit in quibus principium foret ac velut centrum uniatis (ASS 733; nicht in DzH aufgenommen).
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wurde folgerichtig ohne Unterscheidung gesprochen – so etwa Papst Leo XIII. in der bereits genannten Enzyklika: Es gibt nur eine Kirche Christi, und zwar für alle Zeiten. Wer abseits von ihr lebt, erfüllt nicht den Willen und die Vorschrift Christi; da er den Weg des Heils verlassen hat, geht er dem 5 Verderben entgegen.
Das Neue des Ökumenismusdekrets des Zweiten Vatikanischen Konzils liegt nun vor allem darin, dass in ihm den Begriffen una und unica eine offenere Bedeutung gegeben wird und daraus entsprechende Folgerungen abgeleitet werden. Auch Unitatis redintegratio hält an der Aussage fest, Christus habe seine Kirche als „eine einige und einzige“ (UR 1) gewollt und gegründet. Aber nun bedeutet „einig“ nicht mehr „einförmig“, sondern innerlich vielförmig, Einheit also in Mannigfaltigkeit. Und „einzig“ bedeutet nun nicht mehr „ausschließlich“, „exklusiv“, sondern „einbeziehend“, „inklusiv“, „Einzigkeit in Offenheit“. Letzteres hat zur Folge, dass anderen christlichen Gemeinschaften die Kirchlichkeit nicht nur nicht mehr abgesprochen, sondern nun ausdrücklich zugesprochen wird. In je eigener Weise sind sie der katholischen Kirche zugeordnet und haben Anteil an ihr. Freilich verschweigt das Dekret nicht, dass den nichtkatholischen kirchlichen Gemeinschaften Mängel anhaften – defectus. Dabei geht es aber nicht um eine Wertung der Gläubigkeit und Frömmigkeit der einzelnen Glieder dieser kirchlichen Gemeinschaften, sondern um eine Einschätzung der strukturellen und sakramentalen Ausstattung dieser kirchlichen Gemeinschaften selbst. Indem diese defectus behoben werden, entsteht so viel an Gemeinsamkeit, dass dann auch die communicatio in sacris, die gottesdienstliche, besonders eucharistische Gemeinschaft vollzogen werden kann. Es ist im Sinne des Ökumenismusdekrets des letzten Konzils unabdingbar, dass alle ökumenischen Prozesse zutiefst von einem geistlichen Bemühen getragen sein müssen. Die erneuerte Sicht von Unitatis redintegratio gründet auf einem trinitarischen und eucharistischen Kirchenkonzept, wie der Abschnitt 2 des Dekrets in eindrucksvoller Weise erkennen lässt.
5
Ebd., 714: Est igitur Ecclesia Christi unica et perpetua: quicumque seorsum eant, aberrant a voluntate et praescriptione Christi Domini, relictoque salutis itinere, ad interitum digrediuntur.
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Das Ökumeneverständnis des Zweiten Vatikanischen Konzils ruht auf den skizzierten Grundentscheidungen. Man könnte es so umschreiben: Nachdem die katholische Kirche die ökumenische Bewegung, die im Bereich der reformatorischen und der orthodoxen Kirchen aufgekommen war, in den Jahrzehnten vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil mit äußerstem Misstrauen, ja mit gänzlicher Ablehnung begleitete, sieht sie sich nun in der Lage, ja durch das Wirken des Heiligen Geistes dahin geführt, die ökumenische Bewegung nicht nur gutzuheißen, sondern in sie einzutreten, wie UR 4 beschreibt: Unter dem Wehen der Gnade des Heiligen Geistes gibt es heute in vielen Ländern auf Erden Bestrebungen, durch Gebet, Wort und Werk zu jener Fülle der Einheit zu gelangen, die Jesus Christus will. Daher mahnt dieses heilige Konzil alle katholischen Gläubigen, dass sie, die Zeichen der Zeit erkennend, mit Eifer an dem ökumenischen Werk teilnehmen.
Was „ökumenische Bewegung“ konkret bedeutet, wird vorläufig in vier Stichworten umschrieben: (1) Abbau ungerechtfertigter Vorurteile (2) Theologischer Dialog (3) Zusammenarbeit in allen möglichen Bereichen (4) Gemeinsames Gebet. Das Ziel, das die römisch-katholische Kirche bei allem ökumenischen Bemühen letztlich verfolgt, wird mehrfach als „volle kirchliche Gemeinschaft“, als plena communio bezeichnet. Dieses stellt sich im Sinne des letzten Konzils vor allem in der Gottesdienst-Gemeinschaft dar, wobei insbesondere an den Bereich der Eucharistie gedacht ist (communicatio in sacris). Aber auch schon bevor die „volle kirchliche Gemeinschaft“ erreicht ist, können mannigfache Beziehungen, getragen von wechselseitiger Achtung, zwischen den Christen und zwischen den Kirchen verwirklicht werden. Die Ausschöpfung dieser Möglichkeiten ist wichtig, weil sie eine entscheidende Konsequenz in sich tragen: [A]llmählich [werden] die Hindernisse, die sich der völligen kirchlichen Gemeinschaft entgegenstellen, überwunden und alle Christen zur selben Eucharistiefeier, zur Einheit der einen und einzigen Kirche versammelt […], die Christus seiner Kirche von Anfang an geschenkt hat, eine Einheit, die nach unserem Glauben unverlierbar in der katholischen Kirche besteht, und die, wie wir hoffen, immer mehr wachsen wird bis zur Vollendung der Zeiten (UR 4).
Damit dieses Ziel erreicht werden kann, sind Bewegungen sowohl in der römisch-katholischen Kirche als auch in den anderen Kirchen und Gemeinschaften unausweichlich. Bei den Kirchen der Orthodo-
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xie und der Reformation geht es – in freilich recht unterschiedlicher Weise – um eine Wiedergewinnung und Wiederbelebung der bislang fehlenden oder Mängel aufweisenden Elemente sakramentaler Kirchlichkeit. Bei der römisch-katholischen Kirche sind vielfältige Bekehrungen und Wandlungen notwendig. Sie sollen dazu verhelfen, ihr Bild deutlicher und glaubwürdiger erscheinen zu lassen. Die „dauernde Reform“, zu der die Kirche gerufen ist, zielt nicht zuletzt dahin, dass soviel an Katholizität und innerer Weite wie nur möglich zum Tragen kommt, damit die bisher getrennten Kirchen ohne Aufgabe ihrer vom Heiligen Geist gewirkten Traditionen in der Gemeinschaft mit der erneuerten römisch-katholischen Kirche ihren Ort finden können. Das Konzil ermuntert zu dem Programm: Einheit im Notwendigen, Freiheit in allem anderen. Dieses Programm ist wie folgt formuliert: Alle in der Kirche sollen unter Wahrung der Einheit im Notwendigen je nach der Aufgabe eines jeden in den verschiedenen Formen des geistlichen Lebens und der äußeren Lebensgestaltung, in der Verschiedenheit der liturgischen Formen sowie der theologischen Ausarbeitung der Offenbarungswahrheit die gebührende Freiheit walten lassen, in allem aber die Liebe üben. Auf diese Weise werden sie die wahre Katholizität und Apostolizität der Kirche immer vollständiger zum Ausdruck bringen. Auf der anderen Seite ist es notwendig, dass die Katholiken die wahrhaft christlichen Güter aus dem gemeinsamen Erbe mit Freude anerkennen und hochschätzen, die sich bei den von uns getrennten Brüdern finden. Es ist billig und heilsam, die Reichtümer Christi und das Wirken der Geisteskräfte im Leben der anderen anzuerkennen, die für Christus Zeugnis geben, manchmal bis zur Hingabe des Lebens: denn Gott ist immer wunderbar und bewunderungswürdig in seinen Werken. Man darf auch nicht übergehen, dass alles, was von der Gnade des Heiligen Geistes in den Herzen der getrennten Brüder gewirkt wird, auch zu unserer eigenen Auferbauung beitragen kann. Denn was wahrhaft christlich ist, steht niemals im Gegensatz zu den echten Gütern des Glaubens, sondern kann immer dazu helfen, dass das Geheimnis Christi und der Kirche vollkommener erfasst werde (UR 4).
Die Kirchen wachsen zur Fülle des Glaubens und der Kirchlichkeit auf je ihre Weise heran. Ermöglicht wird dieser Prozess nicht zuletzt durch den Dialog, der nach dem Willen des Konzils auf de Ebene der Gleichheit (par cum pari) stattfinden soll (UR 9). Hinsichtlich dessen soll das Studium der Theologie ökumenisch ausgerichtet sein (UR 10). Weiterhin sollen alle ökumenischen Bemühungen vom Gebet
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füreinander und um die Einheit der Kirche getragen und begleitet sein (UR 8). Das Ökumenismusdekret bietet, so dürfte sich gezeigt haben, eine konkrete, in sorgfältig dogmatisch-theologischer Argumentation begründete Standortbestimmung der katholischen Kirche inmitten der weltweiten ökumenischen Bewegung und skizziert einige wenige, aber wesentliche Linien ihres künftigen ökumenischen Engagements. Unitatis redintegratio hat sich bis heute als Basistext für alles ökumenische Bemühen der katholischen Kirche bewährt und bedurfte an keiner Stelle einer Revision. Das bedeutet nicht, dass dieses Dekret nur Zustimmung erfahren hätte. Schon in den konziliaren Diskussionen und dann auch in den ersten Stellungnahmen haben sich Auffassungen zu Gehör gebracht, die das konziliare Konzept nicht einfachhin billigten. Einige dieser Stimmen sollen in Erinnerung gerufen werden, denn in ihrer Weise können sie zum Verständnis des Dekrets beitragen. Während Erzbischof Joseph Kardinal Ritter von Saint Louis meinte, mit der Verabschiedung des Ökumenismusdekrets werde „der Gegen6 reformation mit ihrer unglücklichen Polemik ein Ende gesetzt“, befürchtete der Kardinal von Sevilla José Maria Bueno, das Schema fördere den Indifferentismus: Der Ökumenismus an sich ist zu loben, aber man muss mit großer Vorsicht und Klugheit vorgehen, damit die Gläubigen nicht in die Gefahr des Indifferentismus geraten, der alle christlichen Bekenntnisse auf die gleiche Ebene stellt. Diese Gefahr vermeidet das Schema nicht nur nicht, sondern verschärft sie, weil es den verschiedenen Bekenntnissen Ausdrücke von mehr als höflichem Klang widmet und behauptet, dass auch außerhalb der Kirche der Heilige Geist wirke und man Glaube, Hoffnung und Liebe, also die echtesten christlichen Tugenden auch bei den 7 Getrennten finden könne.
Während dem Kardinal von Sevilla die Position des Konzils zu weit geht, geht sie einer Reihe prominenter evangelischer Theologen nicht weit genug. Der Lutheraner Edmund Schlink (1903-1984) sah damals in dem Ökumenismusdekret erste Schritte in die richtige Richtung gewiesen, bemängelte aber, dass das Ökumenismusverständnis des 6 7
Acta Synodalia Ss. Concilii Oecumenici Vaticani II, Bd. II/5, 536-538, hier 536. Ebd., Bd. II/5, 532-536, hier 532.
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Dekrets ein spezifisch römisch-katholisches bleibe, das von den anderen Kirchen so nicht angenommen werden könne. Für ihn ergab sich nach der Untersuchung der Texte folgender Befund: [D]er Ökumenismus des konziliaren Dekretes [ist] ein spezifisch römischer Ökumenismus […]. Er ist der Versuch einer eigentümlichen Synthese zwischen dem kirchenrechtlich exklusiven Begriff, wie er in der Selbstbezeichnung der Generalsynoden der römischen Kirche als ökumenische Konzilien vorliegt, und dem weiteren Begriff, wie er heute in der ökumenischen Bewegung als Bezeichnung für die Einigungsbestrebungen und die wachsende Gemeinschaft getrennter Kirchen verwendet wird. […] Angesichts dieses Tatbestandes kann es nicht überraschen, dass die konziliare Behandlung des ökumenischen Problems in manchen nichtrömischen Kirchen nicht nur freudiges Hoffen, sondern auch Sorgen ausgelöst hat. Alle Kirchen sehnen sich heute nach Gemeinschaft. Aber die Sorge ist bei vielen nicht geschwunden, dass ein römischer Ökumenismus letztlich doch nur Unterwerfung, nicht aber Gemeinschaft anstreben könne. Sind nicht nur die Methoden und die ersten Ziele dieses Ökumenismus wahrhaft ökumenisch? Sind aber demgegenüber nicht das Endziel und die wichtigsten Voraussetzungen einst8 weilen noch spezifisch römisch?
Ähnlich hat damals der schweizerische reformierte Theologe Lukas Vischer (1926-2008) seine Bedenken formuliert. So sehr er die große Öffnung, die das Ökumenismusdekret ermöglichen sollte, begrüßte, sah er sich aber doch auch zu folgenden Sätzen veranlasst: Die römisch-katholische Kirche versteht die ökumenische Aufgabe in erster Linie als Öffnung ihrer eigenen Grenzen. Sie trachtet nicht so sehr danach, eine Gemeinschaft mit anderen Kirchen zu bilden. Sie hat die unwillkürliche Neigung, sich als die Mitte der ökumenischen Bemühungen zu betrachten. Sie öffnet sich für die anderen Kirchen; sie stellt sich aber nicht neben sie. Sie tritt ihnen gegenüber, und sie hat Mühe, sich als ein Glied in eine Gemeinschaft mit ihnen einzufügen. Sie ist darum in der Lage, nach allen Seiten hin Kontakte herzustel-
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E. SCHLINK, Schriften zu Ökumene und Bekenntnis, Bd. 1: Der kommende Christus und die kirchlichen Traditionen. Nach dem Konzil, Göttingen 1965, 124f.
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len. Sie sieht sich aber vorläufig noch außerstande, in eine Ge9 meinschaft wie den Ökumenischen Rat einzutreten.
Solche Stimmen lassen erkennen, dass das Ökumenismusdekret ein durchaus deutliches Profil im Sinne der katholischen Kirche und ihrer Theologie hat. Nur so ist es auch zu erklären, dass die angedeuteten Abgrenzungen von ihm so deutlich ausgefallen sind. In seinem Vortrag „Das Dekret über den Ökumenismus – nach 40 Jahren neu gelesen“ hat Kardinal Kasper am 11. November 2004 in Rocca di Papa das Ökumenekonzept von Unitatis redintegratio treffend und gültig zusammengefasst: Die anzustrebende ökumenische Einheit bedeutet mehr als ein Netzwerk von Konfessionskirchen, die einander gegenseitig anerkennen, indem sie Abendmahls- und Kanzelgemeinschaft aufnehmen. Das katholische Verständnis der Ökumene setzt die in der katholischen Kirche bereits gegebene Einheit und die ebenfalls bereits gegebene teilweise »communio« mit den anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften voraus, um von dieser unvollständigen Gemeinschaft zur vollen Gemeinschaft zu gelangen (UUS 14), welche Einheit im Glauben, in den Sakramenten und in der kirchlichen Leitung einschließt (LG 14; UR 2-3). Die Einheit im Sinn der vollen »communio« meint nicht Uniformität, sondern Einheit in der Vielfalt und Vielfalt in der Einheit. Es kann innerhalb der einen Kirche eine legitime Vielfalt der Mentalitäten, der Gebräuche, der Riten, der kanonischen Ordnungen, der Theologien und der Spiritualitäten geben (LG 13; UR 4; 16-17). Wir können auch sagen: Das Wesen der als »communio« verstandenen Einheit ist Katholizität in ihrer nicht konfessionellen, sondern ursprünglichen qualitativen Bedeutung; sie meint die Verwirklichung aller Gaben, 10 welche die Orts- und Konfessionskirchen beitragen können.
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Dieser Text ist eine Zusammenfassung seines Aufsatzes: Die Kirche und die Kirchen. Einige Überlegungen zur zweiten Session des Vatikanischen Konzils, in: Reformatio 13 (1964) 67-84. W. KASPER, Das Dekret über den Ökumenismus – nach 40 Jahren neu gelesen (Vortrag in Rocca di Papa am 11. Nov. 2004): http://www.vatican.va/roman_ curia/pontifical_councils/chrstuni/card-kasper-docs/rc_pc_chrstuni_doc_200411 11_kasper-ecumenism_ge.html (zuletzt eingesehen am 27.10.2013).
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2. DIE SAKRAMENTALE ERSCHLIESSUNG DER KIRCHE IN LUMEN GENTIUM
Die Ekklesiologie, die in Unitatis redintegratio zum Tragen kommt, ist wesentlich durch ihre Sakramentalität bestimmt. Da gerade diese Bestimmung der Kirche „ökumenisch“ umstritten ist, wie jüngst der Bonner Dogmatiker Karl Heinz Menke in seinem Buch „Sakramentalität – Wesen und Wunde des Katholizismus“ (Regensburg 2012) gezeigt hat, sei hier noch auf das erste Kapitel der Dogmatischen Konstitution Lumen gentium verwiesen, wo es zentral um die Erschließung dieser Bestimmung der Kirche geht. Kapitel I der Dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen gentium bringt den Grundgedanken der katholischen Ekklesiologie in besonders gültiger und gelungener Weise zum Vorschein. Dieser Text ist der erste konziliar abgestimmte Text in der katholischen Kirche, in dem es zentral um sie selbst geht. Das Erste Vatikanum hatte schon einmal einen Versuch in derselben Richtung unternommen, aber weil das Konzil frühzeitig abgebrochen werden musste, war es nicht mehr zur Besprechung und Verabschiedung des Dokumentes über die Kirche gekommen. Nur der Abschnitt über die Kompetenzen des Römischen Bischofs konnte noch verabschiedet werden. In den dann folgenden Jahrzehnten gab es vor allem zwei Enzykliken zur Ekklesiologie: Satis cognitum von Leo XIII. aus dem Jahre 1896 und Mystici corporis von Pius XII. aus dem Jahre 1943. Doch erst das Zweite Vatikanum nahm sich des Themas „Kirche“ in bislang unbekannter Ausdrücklichkeit an. Die Dogmatische Konstitution Lumen gentium bildet das wichtigste Ergebnis dieser Beratungen. Die meisten anderen vom Konzil erarbeiteten Dokumente lassen sich zwanglos der Konstitution Lumen gentium zuordnen. So zeigt sich: dass die Kirche so ausdrücklich in dogmatischer Besinnung, die auch in lehramtlichen Dokumenten ihren Niederschlag findet, über sich selbst nachdenkt, ist ein vergleichsweise junges Phänomen. Offenbar war es notwendig geworden, dass sich die Kirche ihrer selbst ausdrücklich vergewisserte. In früheren Zeiten war dies wohl in ähnlicher Weise nicht dringlich. Man konnte sich auf die geistliche Meditation über die Kirche anhand biblischer Texte, unter ihnen vor allem des Canticum canticorum, und auf die rechtliche Organisation ihrer Strukturen und Aktivitäten beschränken. In Kapitel I der Dogmatischen Konstitution Lumen gentium wird die alles andere grundlegende Mitte des katholischen Kirchenverständnisses zur Sprache gebracht. Ja, man kann sogar sagen: hier geht es in gedrängter Form um das Ganze des Christlichen, wie die katholische
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Kirche es versteht und vollzieht. Das erste Kapitel weist in seinen acht Abschnitten einen klar durchdachten Aufbau auf. Ich zeichne ihn in Kürze nach und liefere anschließend zu den einzelnen Abschnitten einige Anmerkungen. 2.1 Der Aufbau des ersten Kapitels von Lumen gentium Der erste Abschnitt von Lumen gentium (LG 1) kann mit „Einleitung“ oder „Ouvertüre“ überschrieben werden. In einer Ouvertüre wird ein Leitmotiv für das Folgende erstmals angeschlagen. Dieses Motiv heißt „Kirche als Sakrament“ oder, wie es in der Überschrift heißt und was dasselbe meint, „Kirche als Mysterium“. Was dies genauerhin bedeutet, wird in den folgenden sieben Abschnitten entfaltet. Dabei gehören LG 2 bis 5 zusammen. In ihnen wird die Frage nach der Bedeutung der Aussage, die Kirche sei ein Mysterium, dadurch beantwortet, dass über ihren Ursprung, über ihre Herkunft gesprochen wird. Die Kirche ist eine menschliche Gemeinschaft, aber sie unterscheidet sich von jeder anderen menschlichen Gemeinschaft dadurch, dass sie ihren Grund nicht in der Anlage oder in den Anliegen von uns Menschen hat – was auf jede sonstige menschliche Gemeinschaft zutrifft –, sondern im Willen und im Handeln Gottes zugunsten von uns Menschen. Dies darzulegen ist der Sinn von LG 2 bis 5. Dabei bilden LG 2 bis 4 noch einmal eine Einheit und stehen LG 5 gegenüber. Sie könnten überschrieben werden mit: „Das kirchengründende Wollen und Wirken des dreieinen Gottes“, während es in LG 5 um die Herkunft der Kirche aus dem geschichtlichen Handeln Jesu von Nazareth geht. Die Kirche hat also eine trinitarische und eine jesuanische Herkunft. Beide Herkunftsbereiche gehören trotz ihrer Unterschiedlichkeit zusammen. Sie verweisen wechselseitig aufeinander. Und sie wirken sich auf die Gestalt und das Leben der Kirche aus. Sie prägen sie. Das Handeln des dreieinen Gottes, das auf die Gründung der Kirche hinausläuft, wird derart erklärt, dass die Kirche in LG 2 als Werk des Vaters, in LG 3 als Werk des Sohnes und in LG 4 als Werk des Heiligen Geistes beschrieben wird. Am Ende von LG 4 heißt es darum mit Verweis auf Cyprian, Augustinus und Johannes von Damaskus zusammenfassend: „So erscheint die ganze Kirche als ‚das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes her geeinte Volkʻ“. Damit ist eine erste und grundlegende Antwort auf die Frage gegeben, was gemeint ist, wenn die Kirche als Sakrament oder Myste-
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rium bezeichnet wird. Die Antwort besteht in dem Hinweis auf den Ursprung der Kirche, der sich in ihrer Gestalt und in ihren Vollzügen auswirkt. Die beiden folgenden Abschnitte LG 6 und 7 gehören wiederum zusammen. Sie könnten überschrieben werden mit: „Der sakramentale oder mysteriale Sinn der Kirche – ausgedrückt in biblischen Bildern“. Die Ausgiebigkeit der Zeichnung der Bilder in LG 6 und 7 erklärt sich wohl aus der Einsicht, dass theologische Begriffe allein dem sakramentalen oder mysterialen Charakter der Kirche nur schwer gerecht werden. Bilder haben eine eigene Aussagekraft, die hier dem, was zum 11 Ausdruck gebracht werden soll, besser entspricht. In früheren Zeiten haben die Christen bereits gern in Bildern über die Kirche gespro12 chen. Im Laufe der Zeit ergab sich jedoch eine weitgehende Beschränkung auf das paulinische Bild der Kirche als des „Leibes Christi“. Dabei hoben die Theologen gerne jene Aspekte dieses Bildes hervor, die geeignet waren, die hierarchische Struktur der Kirche zu verdeutlichen. Das sollte jetzt auf doppelte Weise korrigiert werden. Zum einen wird – vor allem in LG 6 – wieder der reichen Vielfalt der Bilder der Kirche Rechnung getragen. Zum anderen wird das Leib-Bild in der erstaunlichen Mannigfaltigkeit seiner Dimensionen gezeichnet – dies geschieht in LG 7. So liegt in den Abschnitten LG 6 und 7 eine zweite Antwort auf die Frage nach dem Sinn der Aussage vor, die Kirche sei Sakrament oder Mysterium. Sie besagt: Die Ereignisse, in denen die Kirche ihren Grund hat, kommen in den Texten der Bibel ursprünglich zur Sprache. In diesen Texten finden sich Bilder, die besonders geeignet sind, die Kirche in ihren sakramentalen und mysterialen Dimensionen zu beschreiben. Wer ein Verständnis für die Kirche gewinnen will, tut gut daran, sich diesen Bildern zuzuwenden und sie zu betrachten. Das erste Kapitel von Lumen gentium endet mit dem Abschnitt 8, der die Überschrift tragen könnte: „Die Kirche Gottes und die römischkatholische Kirche“. Es ist bekannt, dass die römisch-katholische Kirche in ihrer konkreten, auch hierarchischen Gestalt – nicht aus Will-
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12
Vgl. hierzu J. WERBICK, Kirche. Ein ekklesiologischer Entwurf für Studium und Praxis, Freiburg u.a. 1994, 38-43. Vgl. E. DASSMANN, Die eine Kirche in vielen Bildern. Zur Ekklesiologie der Kirchenväter (Standorte in Antike und Christentum 1), Stuttgart 2010.
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kür, auch nicht aus Machtgier, auch nicht aus nur historischfaktischen Ursachen, sondern aus theologischen Gründen und um dem Willen Gottes zu entsprechen – eine nicht völlige, aber doch weitreichende Identifikation zwischen sich und der Kirche Gottes erkennt. Dies bringt das Konzil im mittleren Stück von LG 8 zur Sprache. „Ecclesia Dei subsistit in ecclesia romana-catholica“, könnte sinngemäß gesagt werden: „Die Kirche Gottes in der römisch-katholischen Kirche verwirklicht“. Dieser mittlere Teilabschnitt, der im Juni 2007 durch die „Antworten“ der Kongregation für die Glaubenslehre „auf Fragen 13 zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche“ erneut bestätigt wurde, ist umgeben von einer dogmatischen Grundsatzüberlegung einerseits und von einer spirituellen Weisung andererseits. Die dogmatische Grundsatzüberlegung im ersten Teilabschnitt von LG 8 gilt einer dritten Antwort auf die Frage, was für die Kirche Sakrament und Mysterium bedeuten. Sie umkreist der Sache nach den Begriff des Symbols. Im Symbol kommt das Symbolisierte zur Erscheinung. Zwischen dem Symbolisierten und dem Symbol waltet ein innerer Zusammenhang. Man könnte sagen: Das Symbol entspricht dem Symbolisierten, dieses spiegelt sich in jenem. Angewandt auf die Kirche bedeutet dies nun: In dieser Kirche, sofern sie eine erfahrbare, gesellschaftlich greifbare und in das Miteinander von Amt und Gemeinde gegliederte Größe ist, stellt sich jene Kirche dar, die ihrem Wesen nach das von Gott gerufene Volk, der auf das Haupt Christus bezogene Leib Christi und der vom Geiste Gottes durchwohnte lebendige Tempel ist. Die Kirche Gottes ist eine, folglich kann sie auch in ihrer gesellschaftlichen Verfasstheit nur eine Kirche sein. Der dritte Teilabschnitt von LG 8 bringt einen spirituellen Gedanken, der mehr ist als ein frommes Anhängsel an die so anspruchsvollen dogmatischen Aussagen der beiden vorhergehenden Teilabschnitte. Er möchte der Gefahr wehren, dass sich die römisch-katholische Kirche, die einen so weitreichenden Anspruch zu vertreten hat, triumphalistisch gebärdet, irdischen Glanz und irdische Macht verkörpert. Er sagt: Einen solchen Anspruch kann eine Kirche nur als arme Kirche, als Kirche unter dem Kreuz, als Kirche auch der Märtyrer erheben. Gerade dieses spirituelle Motiv gehört im Sinne des Konzils
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http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_ con_cfaith_doc_20070629_responsa-quaestiones_ge.html (zuletzt eingesehen am 27.10.2013).
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in die Lehre von der Kirche, die in der römisch-katholischen Kirche „subsistiert“, unabdingbar hinein. Die dritte Antwort auf die Frage nach der Sakramentalität der Kirche besagt also: Die Kirche Gottes begegnet uns konkret in der römisch-katholischen Kirche, die durch eine bischöfliche Verfassung und durch ihre im römischen Papst sich darstellende Weltkirchlichkeit gekennzeichnet ist. 2.2 Anmerkungen zu einzelnen Aussagen In LG 1 lautet die erste Aussage: „Christus ist das Licht der Völker“. Diese Aussage wird in einem Satz über die Kirche weitergeführt. Das Licht erreicht die Völker dadurch, dass es zunächst auf die Kirche fällt und von ihr aus in alle Welt weiterstrahlt. Hier steht im Hintergrund das von den Kirchenvätern immer wieder dargelegte Motiv des Mon14 des – mysterium lunae. Nicht die Kirche ist die Sonne, sondern Christus, aber die Kirche ist wie der Mond. Er empfängt das Licht der Sonne und gibt es weiter. In LG 2 geht es um die Kirche, sofern sie ein Werk des Vaters ist. Der Vater gilt in besonderer Weise als der Garant für die Universalität der Kirche, wir könnten vorsichtig auch sagen: Er ist der Garant der kosmischen Kirche. Dies kommt in dem altkirchlichen Motiv der Ecclesia ab Abel zur Sprache. „Dann [am Ende der Zeiten] werden [...] alle Gerechten von Adam an, ‚dem gerechten Abel bis zum letzten Erwähltenʻ, in der allumfassenden Kirche beim Vater versammelt werden.“ Hier wird die Aussage, die in der Konstitution an späterer Stelle entfaltet wird, vorbereitet, dass die Kirche Gottes über die verfasste Kirche hinausreicht. Es gibt eine gestufte Zuordnung und Zugehörigkeit zur sichtbaren Kirche auch in ihrem Umfeld. Bisweilen spricht man von „konzentrischen Kreisen“. Wenn auf Abel verwiesen wird, so steht er für alle „Gerechten“ und vor allem für diejenigen, die für ihr gerechtes Leben mit ihrem Leben einstehen mussten. Kurz gesagt: Die Zugehörigkeit zur Ecclesia ab Abel entsteht nicht durch Vereinnahmung, sondern durch Entscheidung. Sie ist keine „billige“. Man kann festhalten: Es ist vor allem die Rückbindung der Kirche an
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Vgl. H. RAHNER, Symbole der Kirche. Die Ekklesiologie der Väter, Salzburg 1964, 91173.
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den Willen und das Wirken des Vaters, die es ermöglicht hat, ein enges Verständnis des extra ecclesiam nulla salus in ein offenes und weites Verständnis hinein zu überwinden. In LG 3 spricht die Konstitution über den Ursprung der Kirche im Weg und Werk Jesu Christi, des Sohnes Gottes. Lange Zeit war es üblich, den Anfang der Kirche in dem formellen Gründungs- und Stiftungswort Jesu: „Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen“ (Mt 16,18), zu sehen. Jetzt ist es der ganze Weg und das ganze Werk des Sohnes, aus denen als ihr Ergebnis die Kirche hervorgeht. Dieser ganze Weg und dieses ganze Werk kommen zu ihrem alles zusammenfassenden Ende und zu ihrer Vollendung im Sterben Jesu am Kreuz und in der Öffnung der Seite des gekreuzigten Jesus, aus der Blut und Wasser hervorströmten (Joh 19,34). Hier klingt das von den Kirchenvätern immer wieder beleuchtete Motiv der ecclesia ex 15 latere Christi an. Blut und Wasser lassen an die Taufe und die Eucharistie denken, in deren sakramentaler Feier die Kirche immer neu entsteht und wächst. In diesem Sinne wird in LG 3 eine eucharistische Ekklesiologie grundgelegt. Ähnlich wie im Motiv der Ecclesia ab Abel leben auch im Motiv der Ecclesia ex latere Christi ekklesiologische Einsichten und Anliegen der Kirchenväter auf. In LG 4 beschreibt die Konstitution die Kirche, sofern sie ihren Ursprung im Wehen und Wirken des Heiligen Geistes hat. Gemeint ist die charismatische Kirche. Durch die Kraft des Evangeliums lässt er [der Heilige Geist] die Kirche allezeit sich verjüngen, erneut sie immerfort und geleitet sie zur vollkommenen Vereinigung mit ihrem Bräutigam. Denn der Geist und die Braut aber sagen zum Herrn Jesus: „Komm!“ (vgl. Apk 22,17).
Die Kirche als Sponsa verbi – auch dies ist ein in der altkirchlichen Theologie unermüdlich meditiertes Motiv, das erst in dem Moment zurücktrat, als Martin Luther im Blick auf die ihm begegnende Kirche 16 sagte, sie sei in Wahrheit die Hure Babylon. Im Rückblick auf die Geschichte der Kirche zeigt sich, dass es immer schwer war, in Leben und Lehre der Kirche ihre amtlichen und ihre geistlichen, ihre hie-
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Vgl. RAHNER, Symbole der Kirche, 177-235. Vgl. H. U. VON BALTHASAR, Casta meretrix, in: Ders., Sponsa Verbi, Einsiedeln 31971, 203-305.
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rarchischen und ihre charismatischen Dimensionen beieinander zu halten. In diesem Abschnitt wird programmatisch daran erinnert, dass beides zusammen gehört. So wird als wesentliches Anliegen der trinitarischen Grundlegung der Kirche in LG 2 bis 4 erkennbar: Die Kirche soll in ihren kosmischen, eucharistischen und charismatischen Dimensionen hervortreten. Biblisches und patristisches Gedankengut ist dabei leitend. In LG 5 spricht das Konzil vom geschichtlichen Ausgangspunkt der Kirche, der im Wirken des irdischen, am Kreuze hingerichteten, aber vom Vater auferweckten Jesus von Nazareth liegt. Das Leitmotiv, das das Konzil hier hervorgehoben hat, entstammt der eschatologischen Verkündigung Jesu und heißt „Reich Gottes“ (Mt 4,17 parr.). Wie sind „Reich Gottes“ und Kirche aufeinander zu beziehen? Es gab eine Zeit, in der – sei es aus theologischer Überzeugung oder sei es aus erlebter Enttäuschung – zwischen „Reich Gottes“ und Kirche eine Kluft behauptet wurde. Man mag hier an den berühmten, zu Beginn des 20. Jahrhunderts geschriebenen Satz des französischen Theologen Alfred Loisy (1857-1940) denken: „Jesus hatte das Reich angekündigt, 17 und dafür ist die Kirche gekommen“. Es bleibt wahr, dass zwischen diesen beiden Größen eine Spannung besteht. Umso wichtiger ist es, dass immer wieder versucht wird, das, was „Reich Gottes“ meint, kirchlich (ekklesiologisch) zu denken und zu leben, und umgekehrt das, was Kirche meint, endgeschichtlich (eschatologisch) zu denken und zu leben. Beides lässt sich wohl nur durch den Bezug zu Jesus Christus erreichen, der – nach einem Wort wiederum der Kirchenvä18 ter – das „Reich Gottes in Person“ , die autobasileia ist. Dieser Gedanke klingt in folgendem Satz der Konstitution an: „Vor allem aber wird dieses Reich offenbar in der Person Christi selbst, des Sohnes Gottes und des Menschensohnes, der gekommen ist, ‚um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für die Vielenʻ (Mk 10,45).“ In LG 6 werden einige Bilder für die Kirche sorgfältig entfaltet. Es ist die kosmische, die eucharistische, die charismatische, aber auch die hierarchische Kirche – und dies alles in differenzierter Einheit –, die in diesen Bildern gezeichnet wird. Es ist die sakramentale, myste17
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„Jésus annonçait le royaume, et c’est l’église qui est venue“: A. LOISY, L’évangile et l’église, Paris 1902, 111; dt. Übers. der 2. erw. Aufl.: Das Evangelium und die Kirche, München 1904, 112f. ORIGENES VON ALEXANDRIEN, Comm. In Matth. 14,7 (Patrologia Graeca 13, 1198BC); vgl. auch TERTULLIAN, Adversus Markionem IV 33,8.
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riale Kirche. Besonders wichtig ist – wie schon früher angedeutet – die Wiederbelebung des Bildes der Kirche als Sponsa Verbi. Über sie wird noch eine Aussage angefügt, die im VII. Kapitel der Konstitution noch einmal ausführlich behandelt wird: Die Kirche befinde sich in der Fremde und auf dem Weg: Solange aber die Kirche hier auf Erden in Pilgerschaft fern vom Herrn lebt (vgl. 2 Kor 5,6), weiß sie sich in der Fremde, so dass sie sucht und sinnt nach dem, was oben ist, wo Christus zur Rechten des Vaters sitzt, wo das Leben der Kirche mit Christus in Gott verborgen ist, bis sie mit ihrem Bräutigam vereint in Herrlichkeit erscheint (vgl. Kol 3,1-4).
In LG 7 findet sich eine ausführliche und differenzierte Betrachtung über das paulinische Motiv des Leibes Christi, das lange Zeit hindurch so stark im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand, dass andere Bilder daneben verblassten. Dazu kam, dass es in eingeengter Weise, das heißt auf die hierarchischen Aspekte der Kirche konzentrierter Weise im Blick war. Der Abschnitt 7 der Konstitution überwindet diese Engführung und breitet eine reiche Theologie der Kirche als des Leibes Christi aus. Die eucharistischen und charismatischen Aspekte der Kirche treten ergänzend zu den hierarchischen nachdrücklich hinzu. Die biblischen Grundlagen, wie sie einerseits im Römerbrief und im 1. Korintherbrief und andererseits im Epheserbrief und im Kolosserbrief vorliegen, werden hier ausgewertet. Durch den ganzen Abschnitt hindurch zieht sich der Hinweis auf das Miteinander von Einheit und Vielfalt in der Kirche. Die Gliedschaft im Leib Christi wird begründet und befestigt in den Sakramenten der Taufe und der Eucharistie. Aus dieser organischen Verbundenheit ergibt sich auch ein bestimmtes Verständnis des geistlichen Lebens der Christen. Der Kernbegriff lautet: Gleichgestaltung mit Christus: Alle Glieder müssen ihm gleichgestaltet werden, bis Christus Gestalt gewinnt in ihnen (Gal 4,19). Deshalb werden wir aufgenommen in die Mysterien seine Erdenlebens, sind ihm gleichgestaltet, mit ihm gestorben und mit ihm auferweckt, bis wir mit ihm herrschen werden (Phil 3,12; 2 Tim 2,11; Eph 2,6; Kol 2,12 usw.). Solange wir auf Erden in Pilgerschaft sind und in Bedrängnis und Verfolgung ihm auf seinem Weg nachgehen, werden wir – gleichwie der Leib zum Haupt gehört – in sein Leiden hineingenommen; wir leiden mit ihm, um so mit ihm verherrlicht zu werden (vgl. Röm 8,17).
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In LG 8 schließlich, in dem viele Teilthemen erörtert werden, wird die Kirche als eine „Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe“ bezeichnet. Durch die Herausstellung dieser Trias geschieht eine Konzentration auf das Zentrum des christlichen Lebensvollzugs. Dies stellt gleichzeitig eine Rückbindung an die früheste Besinnung der Christen auf den neuen Weg dar, der ihnen eröffnet worden war: Im ältesten in das Neue Testament aufgenommenen Brief, im 1. Thessalonicherbrief, spricht Paulus gleich in den ersten Versen vom Glauben und von der Hoffnung und der Liebe (1 Thess 1,3). Das Zweite Vatikanum hat uns also eine starke und reiche Theologie der Kirche geschenkt. Es ist zu wünschen, dass es uns im ökumenischen Rahmen gelänge, noch einmal neu darüber ins Gespräch zu kommen.
Literatur BALTHASAR, HANS URS VON, Casta meretrix, in: Ders., Sponsa Verbi, 3 Einsiedeln 1971, 203-305. DASSMANN, ERNST, Die eine Kirche in vielen Bildern. Zur Ekklesiologie der Kirchenväter (Standorte in Antike und Christentum 1), Stuttgart 2010. MENKE, KARL-HEINZ, Sakramentalität. Wesen und Wunde des Katholizismus, Regensburg 2012. RAHNER, HUGO, Symbole der Kirche. Die Ekklesiologie der Väter, Salzburg 1964. SCHLINK, EDMUND, Ökumenische Dogmatik. Grundzüge, Göttingen 1983. VISCHER, LUKAS, Die Kirche und die Kirchen. Einige Überlegungen zur zweiten Session des Vatikanischen Konzils, in: Reformatio 13 (1964) 67-84. WERBICK, JÜRGEN, Kirche. Ein ekklesiologischer Entwurf für Studium und Praxis, Freiburg u.a. 1994.
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Sichtbare Einheit oder versöhnte Verschiedenheit? Unitatis redintegratio und der ökumenische Dialog heute Die Beziehungen der katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften haben schon während des Zweiten Vatikanischen Konzils und mehr noch danach einen unübersehbaren Wandel erfahren. Noch im Vorfeld des Ersten Vatikanischen Konzils – im Jahr 1868 – hatte Papst Pius IX. alle Nichtkatholiken dazu eingeladen, sich angesichts des bevorstehenden Konzils nun doch endlich der katholischen Kirche anzuschließen; denn allein ihr seien 1 jene Gnadenmittel anvertraut, die zum Heil unerlässlich sind. 1928 verwarf Papst Pius XI. in seiner Enzyklika Mortalium animos alle Bemühungen der von ihm so genannten „Panchristen“, mit Angehörigen anderer Konfessionen über Fragen des Glaubens auch nur zu sprechen. Weil allein die römisch-katholische Kirche die eine und einzige Kirche Christi sei, so der Papst, könne es außerhalb ihrer in Bezug auf 2 das ewige Heil der Seelen nur Irrtum oder Sünde geben. Und selbst Johannes XXIII. noch verlieh in seiner Antrittsenzyklika Ad Petri Cathedram seiner „süßen Hoffnung“ Ausdruck, alle Nichtkatholiken mögen 3 recht bald zur katholischen Kirche zurückkehren.
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PIUS IX., Apostolische Schreiben Iam vos omnes vom 13. Sept. 1868 (DzH 2997-2999). PIUS XI., Enzyklika Mortalium animos (Actae Apostolicae Sedis 20 [1928] 13f.; Übers. A. Rohrbasser, Heilslehre der Kirche, Freiburg 1953, 398ff.; vgl. auch DzH 3683). JOHANNES XXIII., Enzyklika Ad Petri Cathedram (29. Juni 1959), in: Acta et documenta Concilii Oecumenici Vaticani II, Bd. I/1, Città del Vaticano 1960, Nr. 32: „[…] dieses Gebet flößt Uns ein und befestigt in Uns die süße Hoffnung, dass alle Schafe, die nicht in dieser Hürde sind, schließlich einmal die Sehnsucht spüren, zurückzukehren, und dass deshalb nach dem Wort des göttlichen Erlösers »ein Schafstall und ein Hirte werde« (Joh 10,16)“; ferner Nr. 43: „Gestattet, dass Wir euch mit innigem Verlangen Brüder und Söhne nennen. Lasst Uns die Hoffnung auf eure Rückkehr nähren, die Wir in väterlichem Empfinden hegen.“ Freilich werden Aussagen wie diese durch die seither vielzitierte Feststellung des Papstes relativiert, wonach „das, was
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Vor diesem Hintergrund erst lässt sich die Reichweite jener konziliaren Texte und Entscheidungen ermessen, die das Verhältnis der katholischen Kirche zu den nichtkatholischen Kirchen und kirchli4 chen Gemeinschaften betreffen. Unmittelbar nach Abschluss des Konzils wurden seine ökumenischen Impulse auf allen Ebenen kirchlichen Lebens aufgegriffen, fortgesetzt und vertieft. Arbeitsgruppen und Kommissionen erarbeiteten eine inzwischen kaum mehr überschaubare Vielzahl an Dokumenten zu Themen der Theologie und der kirchlichen Praxis. Darin wurden weitreichende Konvergenzen oder gar Übereinstimmungen in Fragen des Glaubens und der Kirchendisziplin festgestellt und Perspektiven für das künftige Miteinander der Christen skizziert. Gleichwohl, so scheint es, treten die ökumenischen Beziehungen ein halbes Jahrhundert nach dem Konzil in merkwürdiger Weise auf der Stelle. Von „Ernüchterung“, gar von einer „ökumenischen Eiszeit“ 5 ist die Rede. Die Erstarrung betrifft zum einen den Fortgang theologischer Gespräche – so etwa im Blick auf das kirchenleitende Amt oder eine universale Episkopé. Der Wiener reformierte Systematiker Ulrich Körtner diagnostiziert gar eine „Sackgasse der Konsensökumene“; gegenwärtig vollziehe sich zwischen den Konfessionen ein 6 „Paradigmenwechsel“ hin zu einer „Differenzökumene“. Die Abkühlung der ökumenischen Beziehungen betrifft aber auch die interkonfessionelle Verständigung über praktische Fragen – so etwa in den Bereichen der Bioethik oder der Sexualethik. Hier haben sich in jüngerer Vergangenheit gravierende Differenzen zwischen der 7 katholischen Kirche und den Kirchen der Reformation aufgetan.
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uns verbindet, viel stärker ist als das, was uns trennt“ (vgl. u.a. Johannes Paul II., Enzyklika Ut unum sint /S ;VS´LVNFOJTDIFO(SVOEBVTSJDIUVOH+PIBOOFTī99*** vgl. W. BEINERT, Johannes XXIII., in: J. Ernesti/W. Thönissen (Hg.), Personenlexikon Ökumene, Freiburg u.a. 2010, 101-103. Der Begriff „kirchliche Gemeinschaft“ wird hier – entgegen mancherlich Missverständnissen (vgl. etwa U. KÖRTNER, Wohin steuert die Ökumene? Vom Konsenszum Differenzmodell, Göttingen 2005, 24) – nicht in einem abwertenden Sinne gebraucht, sondern respektiert das Selbstverständnis jener evangelischer Christen, die sich explizit nicht als „Kirchen“ begreifen. Siehe u.a. M. KOCK, Wider die ökumenische Eiszeit. Die Vision von der Einheit der Kirche, Neukirchen-Vluyn 2006. Vgl. KÖRTNER, Wohin steuert die Ökumene?,14 u.ö. Ein Beispiel hierzu ist die Mitte 2013 vom Rat der EKD verabschiedete Orientierungshilfe „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit – Familie als verlässliche Ge-
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Angesichts dessen diagnostizierte Kardinal Koch eine veränderte ökumenische Problemkonstellation: „Während in einer früheren Phase der ökumenischen Bewegung das Losungswort geheißen hat: «Glaube trennt – Handeln vereint», wird dieses heute gleichsam auf den Kopf gestellt, dass der Glaube eher verbindet und vor allem die 8 Ethik trennt“. Dabei fällt auf, dass immer dann, wenn von Stagnation oder gar Rückschritt der ökumenischen Beziehungen die Rede ist, maßgebliche Persönlichkeiten und Autoritäten aller Kirchen und Konfessionen eben diese Einschätzung postwendend dementieren. Offenbar sind die Impulse der vielfältigen ökumenischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts, in dessen zweiter Hälfte auch die katholische Kirche eine bedeutende Rolle spielt, so sehr wirksam, dass jeder Stillstand oder gar Rückschritt als Defizit wahrgenommen wird. Dies gilt für die Ebene der Kirchenleitungen ebenso wie für theologische Gespräche unter Fachleuten, aber auch für interkonfessionelle Begegnungen im Alltag von Gemeinden und Familien. Um diese spannungsvolle Situation vor dem Hintergrund des Zweiten Vatikanischen Konzils in ihrer Tiefenstruktur und hinsichtlich ihrer möglichen Perspektiven zu würdigen, erfolgt im Folgenden zunächst eine Einordnung der ökumenischen Dimension des Konzils in ihren konfessions- und theologiegeschichtlichen Rahmen (1). In einem zweiten Schritt wird die aktuelle Situation der ökumenischen Beziehungen vor allem in Hinblick auf die umstrittenen Zielperspektiven der Ökumene skizziert (2). Von daher ergibt sich die Rückfrage nach der Art und Weise, in der das Konzil selbst das Wesen der Kirche Jesu Christi verstanden und wie es die Beziehungen der römischkatholischen Kirche zu den nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften bestimmt hat (3). Vor dem Hintergrund katholischer Ekklesiologie werden in einem weiteren Schritt einige zentrale Themen benannt, die fünfzig Jahre nach Konzilsbeginn in den Gesprächen mit den orientalischen Kirchen, den Kirchen der Orthodoxie und den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zu erörtern sind (4). Beobachtungen zur
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meinschaft stärken“. Inbesondere die darin vertretenen Positionen zur Homosexualität haben auf katholischer Seite teils erhebliche Kritik ausgelöst. Vgl. K. KOCH, Ökumene im Wandel. Zum Zukunftspotential des Ökumenismusdekrets Unitatis redintegratio, in: Jan-Heiner Tück (Hg.), Erinnerung an die Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg u.a. 2012, 335-368, hier 359.
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konziliaren „Hermeneutik des Wohlwollens“ leiten zu abschließenden Hinweisen hinsichtlich der dogmatischen Verbindlichkeit des Ökumenismus-Dekretes über (5). 1. GESCHICHTLICHE EINORDNUNG VON UNITATIS REDINTEGRATIO Als Geburtsstunde der neueren ökumenischen Bewegung gilt gemeinhin die erste „Weltmissionskonferenz“ (CWME). Sie fand im Jahr 1910 im schottischen Edinburgh statt und versammelte etwa 1200 Delegierte überwiegend aus evangelischen Kirchen und Missionsgesellschaf9 ten. Ihr folgte eine Reihe weiterer Konferenzen innerhalb der Kirchen der Reformation und der Orthodoxie. Nach dem Zweiten Weltkrieg und nur drei Jahre nach der Gründung der Vereinten Nationen konstituierte sich am 23. August 1948 in Amsterdam der Ökumenische Weltrat der Kirchen (ÖRK). Waren Vertreter der katholischen Kirche 1910 nach Edinburgh gar nicht erst eingeladen worden, so untersagte nun, im Jahr 1948, das Heilige Offiz allen Katholiken und Katholikinnen die Teilnahme an ökumenischen Veranstaltungen aller Art und somit auch an der 10 Gründungsversammlung des ÖRK. Grundsätzlich, daran erinnerte das Heilige Offiz in einem Mahnschreiben vom 5. Juni 1948, durften Katholiken laut dem seinerzeit geltenden Kirchenrecht von 1917 (can. 1325 § 3) nicht an ökumenischen Konferenzen teilnehmen – es sei denn, es liege eine ausdrückliche Erlaubnis des Heiligen Stuhles vor.
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Zu ihr traten etwa 1200 Delegierte aus evangelischen Kirchen und Missionsgesellschaften überwiegend aus dem anglo-amerikanischen Raum zusammen, um heute durchaus umstrittene Strategien für die Verkündigung des Evangeliums an die „Heiden“ in den westlichen Kolonien abzustimmen. Monitum Cum compertum (5. Juni 1948): „Nachdem festgestellt worden ist, dass an verschiedenen Orten entgegen den Vorschriften des kanonischen Rechtes und ohne vorherige Erlaubnis des Heiligen Stuhles gemischte Zusammenkünfte zwischen Nichtkatholiken und Katholiken stattgefunden haben, bei denen Fragen, die den Glauben betreffen, behandelt wurden, wird allen in Erinnerung gebracht, dass es gemäß Kanon 1325 Par. 3 sowohl Laien wie Klerikern, und zwar ebenso Welt- wie Ordensgeistlichen, verboten ist, solchen Zusammenkünften ohne die vorher erwähnte Erlaubnis beizuwohnen. Noch weniger ist es den Katholiken gestattet, derartige Kongresse einzuberufen und zu organisieren“ (zit. nach: Herder-Korrespondenz 1947/48, 443).
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In dieser Einschränkung freilich deutet sich bereits eine zaghafte Öffnung der katholischen Kirche zur ökumenischen Bewegung an. Besonders in Deutschland, dem Stammland der Reformation, waren während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erste, zugleich aber auch tragfähige Kontakte zwischen den verschiedenen Kirchen 11 und kirchlichen Gemeinschaften geknüpft worden. Nicht zuletzt diese Kontakte schufen ein Klima, das in der Nachkriegszeit die Öffnung der katholischen Kirche zur ökumenischen Bewegung mit vorbereiten half. So würdigte das Heilige Offiz in seiner Instruktion Ecclesia catholica vom 20. Dezember 1949 die ökumenische Bewegung erstmals als eine 12 Frucht des Heiligen Geistes. Von den nichtkatholischen Kirchen heißt es, der Geist Christi habe „sich gewürdigt, sie als Mittler des Heils zu gebrauchen“; das Mühen um die Einheit der Kirche wird als Christenpflicht eingestuft. Allerdings beschreibt die Instruktion den Weg zur Kircheneinheit weiterhin als einen Weg zurück in den Schoß der römisch-katholischen Kirche. Die weiteren Schritte auf dem Weg einer allmählichen Öffnung der katholischen Kirche zur ökumenischen Bewegung sind vielfältig und 13 verzweigt. Allgemein anerkannt ist die maßgebliche Rolle, die Papst Johannes XXIII. für die pastorale Grundausrichtung des Zweiten Va14 tikanischen Konzils gespielt hat. Seine verschiedenen diplomatischen Tätigkeiten auf dem Balkan und in der Türkei hatten Angelo Roncalli wiederholt mit nichtkatholischen Christen zusammentreffen lassen. In Bulgarien begegnete der zukünftige Papst einer selbstbe-
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J. ERNESTI, Ökumene im Dritten Reich, Paderborn 2007; DERS. (Hg.), Die Entdeckung der Ökumene. Zur Beteiligung der katholischen Kirche an der ökumenischen Bewegung, Paderborn 2008. „Wenn auch die katholische Kirche nicht an ökumenischen Kongressen und anderen Zusammenkünften teilnimmt, so hat sie doch nie unterlassen, wie aus zahlreichen päpstlichen Dokumenten hervorgeht, und wird auch inskünftig niemals davon ablassen, mit aufmerksamstem Interesse und inständigem Gebet alle Versuche zu unterstützen, die sich zu erreichen bemühen, was Christus so sehr am Herzen lag, dass nämlich alle, die an Ihn glauben, vollkommen eins seien“ (zit. nach P. Cattin/H. Th. Conus [Hg.], Heilslehre der Kirche. Dokumente von Pius IX. bis Pius XII., dt. Ausg. hg. von Anton Rohrbasser, Fribourg/Ue. 1953, 412). Für einen ersten Überblick vgl. u.a. J. ERNESTI, Kleine Geschichte der Ökumene, Freiburg u.a. 2007, 64-81. Vgl. die Würdigung von W. THÖNISSEN, Ein Konzil für ein ökumenisches Zeitalter. Schlüsselthemen des Zweiten Vaticanum, Leipzig/Paderborn 2013, 27f.
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wussten und national orientierten Kirche der Orthodoxie; in der Türkei sah er sich an der Seite verschiedener christlicher Kirchen mit dem laizistischen Staat Kemal Atatürks konfrontiert. Freilich: noch der Textentwurf De Unitate ecclesiae, den die Kommission für die katholischen Ostkirchen während der ersten Sitzungsperiode des Konzils (1962) vorlegte, vertrat nichts wesentlich Anderes als das Jahrhunderte lang von der katholischen Kirche verfochtene Kon15 zept einer Rückkehr-Ökumene. Und wenn das schließlich verabschiedete Dekret über den Ökumenismus Unitatis redintegratio mit der Feststellung beginnt: „Die Einheit aller Christen wiederherstellen zu helfen ist eine der Hauptaufgaben des Heiligen Ökumenischen Zweiten Vatikanischen Konzils“ (UR 1), dann lässt auch diese Formulierung noch offen, ob damit die Anerkennung einer legitimen Vielfalt verbunden ist oder nicht doch einer traditionellen RückkehrÖkumene das Wort geredet wird. Als für die ökumenische Grundorientierung des Konzils letztlich entscheidend erwies sich die Einrichtung eines besonderen Sekretariats für die Förderung der Einheit der Christen durch Johannes XXIII. Zum Präsidenten dieses Sekretariats ernannte der Papst im Juni 1960 den deutschen Jesuiten und Kardinal Augustin Bea (1881-1968). Bea war nicht nur maßgeblich an der Vorbereitung des ÖkumenismusDekrets Unitatis redintegratio beteiligt, sondern auch an der Entstehung von Nostra aetate sowie an der Konzilserklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae.16 Im Laufe vieler Beratungen und Gespräche veränderte sich allmählich die Einstellung der Konzilsväter im Blick auf das Verhältnis der katholischen Kirche zu den nichtkatholischen Kirchen. Mehrere Kommentatoren – darunter der Tübinger Dogmatiker Bernd Jochen Hilberath – sprechen hier wohl zu Recht von einem „ökumenischen
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Zum Begriff der „Rückkehr-Ökumene“ siehe J.-H. TÜCK, Abschied von der Rückkehr-Ökumene. Das II. Vatikanum und die ökumenische Öffnung der katholischen Kirche, in: H. Hoping (Hg.), Konfessionelle Identität und Kirchengemeinschaft, Münster 2000, 11-52. Vgl. zu seinen verschiedenen Initiativen: A. BEA, Die Einheit der Christen. Probleme und Prinzipien, Hindernisse und Mittel, Verwirklichungen und Aussichten, Freiburg u.a. 1963. Vgl. auch PH. J. ROY, Bea, Augustin, in: M. Quisinsky/P. Walter (Hg.), Personenlexikon zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Freiburg u.a. 2012, 4850.
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Lernprozess“. Dieser Lernprozess war nicht zuletzt durch die Anwesenheit einer wachsenden Zahl von Konzilsbeobachtern aus den Kirchen der Orthodoxie und der Reformation angestoßen und vertieft worden. Diese Beobachter – in der vierten Sitzungsperiode waren es mehr als einhundert – hatten in der Konzilsaula ihre Plätze im Mittelschiff von Sankt Peter und damit unmittelbar vor dem Präsidium. Zwar hatten sie in der Aula kein Stimmrecht; aber in zahlreichen Gesprächen außerhalb der Plenarsitzungen konnten die nichtkatholischen Beobachter einen nachhaltigen Einfluss auf die Entscheidungen in den verschiedenen Kommissionen und Unterkommissionen des Konzils ausüben. Nicht ohne Wirkung auf die Konzilsberatungen erwies sich auch, dass zeitgleich mit den vorbereitenden Arbeiten am ÖkumenismusDekret mehrere Vollversammlungen nichtkatholischer Kirchen stattfanden. Bereits ein Jahr vor Eröffnung des Konzils, Ende 1961, hatte in Neu Delhi die dritte Vollversammlung des ÖRK getagt. An ihr nahmen erstmals fünf offizielle Beobachter der römisch-katholischen Kirche teil. In Neu Delhi wurde unter anderem erklärt: Der Ökumenische Rat der Kirchen ist eine Gemeinschaft von Kirchen, die den Herrn Jesus Christus gemäß der Heiligen Schrift als Gott und Heiland bekennen und darum gemeinsam zu erfüllen trachten, wozu sie berufen sind, zur Ehre Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes (Verfassung des ÖRK, Art. I).
Diese sog. „Basis-Formel“ des ÖRK wird von den Konzilsvätern gleich zu Beginn von Unitatis redintegratio fast wörtlich aufgegriffen, wenn es dort heißt: Diese Einheitsbewegung, die man als ökumenische Bewegung bezeichnet, wird von Menschen getragen, die den dreieinigen Gott anrufen und Jesus als Herrn und Erlöser bekennen (UR 1).
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B. J. HILBERATH, Theologischer Kommentar zum Dekret über den Ökumenismus Unitatis redintegratio, in: P. Hünermann/B. J. Hilberath, Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 3, Freiburg u.a. 2005, 69-223, hier 195-212 (auch zum Folgenden).
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Anfang August des Jahres 1963 – also kurz vor Beginn der zweiten Sitzungsperiode des Konzils am 29. September – versammelte sich der Lutherische Weltbund in Helsinki. Ebenfalls im August tagten die Anglikanische Gemeinschaft und die Erste Methodistische Europäische Konferenz. Und im September 1963 trat auf Rhodos die zweite Innerorthodoxe Konferenz zusammen. Viele der bei diesen Versammlungen und Konferenzen führenden Persönlichkeiten waren Beobachter beim Konzil. So konnten sie ihren jeweiligen Kirchen unmittelbar vom Geschehen in Rom berichten. Umgekehrt nahmen an den genannten Konferenzen nun auch – anders als noch wenige Jahre zuvor – katholische Theologen als Beobachter teil. Unter ihnen waren viele, die bei den Vorbereitungen der ökumenisch relevanten Texte des Konzils maßgeblich mitwirkten. Auf diese Weise konnte im Verlauf der Beratungen der anfangs nur zögerlich aufgegriffene Impuls 1BQTU +PIBOOFTī99*** EJF &JOIFJU EFS $ISJTUFO BMT FJOF CFTUJNNFO de Perspektive des Konzils insgesamt zur Geltung zu bringen, in vielfacher Weise wirksam werden. Diese Entwicklung wurde auch durch Papst Paul VI. keineswegs gebremst. Im Gegenteil: unstrittig war Paul VI. ein entschiedener Förde18 rer der Ökumene. Zu einer Ikone der ökumenischen Öffnung der katholischen Kirche zur Orthodoxie wurde seine Begegnung mit dem Ökumenischen Patriarchen Athenagoras in Jerusalem im Januar 1964 – also lange vor Abschluss des Konzils. Nicht zuletzt dem Bemühen Pauls VI. ist es zu verdanken, dass die Konzilsväter am Ende der dritten Sitzungsperiode, am 21. November 1964, nicht nur das Dekret über den Ökumenismus, sondern auch und zeitgleich damit das Dekret über die katholischen Ostkirchen Orientalium ecclesiarum und die Kirchenkonstitution Lumen gentium mit überwältigender Mehrheit 19 verabschiedeten. Alle drei Konzilsdokumente stehen in einer inneren Beziehung zueinander und erhellen sich wechselseitig. Dabei ist freilich sogleich hinzuzufügen, dass sich die ökumenische Dimension des Konzils keineswegs auf diese drei Dokumente be-
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Vgl. u.a. ERNESTI, Kleine Geschichte, 102-106; THÖNISSEN, Ein Konzil für ein ökumenisches Zeitalter, 15-24. Das Dekret über die katholischen Ostkirchen Orientalium ecclesiarum erhielt 2110 JaStimmen gegenüber 39 Nein-Stimmen; das Ökumenismusdekret Unitatis Redintegratio erhielt eine noch deutlichere Mehrheit von 2137 Ja-Stimmen gegenüber 11 NeinStimmen. Die Kirchenkonstitution Lumen gentium verabschiedet erhielt 2151 JaStimmen gegenüber 5 Nein-Stimmen.
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schränkt. In nahezu allen vom Konzil verabschiedeten Texten lässt sich der Wunsch identifizieren, die jeweiligen Positionen der katholischen Kirche in respektvollem Dialog mit den nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften darzustellen. Programmatisch heißt es hierzu in Unitatis redintegratio 11: „Die Art und Weise der Formulierung des katholischen Glaubens darf keinerlei Hindernis bilden für den Dialog mit den Brüdern.“ Obwohl es nach dem Konzil in der Kirche durchaus auch Phasen ökumenischen Überschwangs gegeben hat, die durchaus kritisch zu beurteilen sind, so lässt sich doch insgesamt feststellen, dass in weiten Bereichen kirchlichen Lebens die vorkonziliare Betonung konfessioneller Differenzen einem Suchen nach dem Verbindenden gewichen ist. Ganz im Geist des Ökumenismusdekrets hat Johannes Paul II. den Einsatz für die Ökumene als „unumkehrbare Verpflichtung“ der ka20 tholischen Kirche charakterisiert. Diese Verpflichtung hat nicht nur theologische Früchte getragen – so ist es für katholische Theologen heutzutage selbstverständlich, auch auf evangelische Forschungsbei21 träge zurückzugreifen, wenn theologische Fragen erörtert werden –, sondern vielerorts auch gemeinsame Initiativen im sozialen oder politischen Bereich geweckt. 2. VOM AUFBRUCH ZUM STILLSTAND? Gleichwohl sah sich im Blick auf die nachkonziliare ökumenische Entwicklung Kardinal Kurt Koch, seit Juli 2010 Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, bei einer Ansprache in Bern im November 2012 zu der Feststellung veranlasst:
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JOHANNES PAUL II., Enzyklika Ut unum sint (25. Mai 1995), Nr. 3 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 121, Bonn 1995, 6). Kardinal Koch erkennt in diesem Zusammenhang sogar eine „ökumenische Verpflichtung iure divino“: KOCH, Ökumene im Wandel, 365. Daneben gibt es eine Reihe von Darstellungen des christlichen Glaubens in explizit ökumenischer Perspektive, so etwa E. SCHLINK, Ökumenische Dogmatik. Grundzüge, Göttingen 1983; O. H. PESCH, Katholische Dogmatik aus ökumenischer Erfahrung, Bd. I: Die Geschichte der Menschen mit Gott, Ostfildern 2008; Bd. II: Die Geschichte Gottes mit den Menschen, Ostfildern 2009; W. BEINERT/U. KÜHN, Ökumenische Dogmatik, Leipzig/Regensburg 2013.
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Die Naherwartung, die während des Zweiten Vatikanischen Konzils große Hoffnungen geweckt hatte, dass die ökumenische Einheit der Christen unmittelbar vor der Türe stehe, hat sich nicht erfüllt. Das Ziel der Ökumenischen Bewegung ist im Gegenteil in den vergangenen Jahrzehnten immer undeutlicher geworden […]. Darin besteht die prekäre Situation der 22 Ökumene heute.
Wiederholt hatte der Kardinal in den Jahren zuvor eine fehlende Zielperspektive der ökumenischen Bewegung diagnostiziert: Dass über das Ziel der Ökumenischen Bewegung bisher keine wirklich tragfähige Verständigung erzielt werden konnte und frühere diesbezügliche Teilkonsense teilweise wieder in Frage gestellt werden, hat seinen wesentlichen Grund darin, dass die recht unterschiedlichen konfessionellen Konzeptionen der Kirche und ihrer Einheit nach wie vor weithin unversöhnt nebeneinander stehen. Da es somit so viele ökumenische Zielvorstellungen wie konfessionelle Ekklesiologien gibt, erweist es sich als unmöglich, vom eigenen konfessionellen Verständnis der Kirche und ihrer Einheit problemlos auf ein ökumenisch 23 kompatibles Einheitsmodell zu schließen.
Sollte Kochs Diagnose zutreffen, dann stehen die Kirchen fünfzig Jahre nach der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils vor einer höchst seltsamen Situation: Niemals zuvor in der Kirchen- und Theologiegeschichte wurde in so wenigen Jahrzehnten in so vielen zuvor strittigen, ja kirchentrennenden Fragen eine so weitgehende Übereinstimmung erzielt. Diese Übereinstimmungen – sie sind in den bislang vier Bänden der „Dokumente wachsender Übereinstimmung“ (19832012) ausgezeichnet dokumentiert – betreffen zentrale theologische Fragen wie das Verständnis der Taufe, der Sakramente, des Abendmahls, des kirchlichen Amtes, ja sogar den Kernpunkt der Kirchenspaltung des 16. Jahrhunderts, die Frage nach dem Verständnis des Rechtfertigungsgeschehens.
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K. KOCH, Ökumene als göttliche Pflicht. Katholische Protagonisten der Ökumenischen Bewegung: http://www.zh.ref.ch/handlungsfelder/ds/oekumeneaktuell/ copy_of_VortragK.Kochkumenewohin121108.pdf.(zuletzt eingesehen 26.10.2013). Ansprache beim Internationalen Ökumenischen Forum im Rahmen der HeiligRock-Wallfahrt nach Trier (30. Jan.- 3. Febr. 2012): http://www.epd.de/fachdienst /fachdienst-dokumentation/schwerpunktartikel/%C3%B6kumene-bewegung (26.10.2013).
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Zwar wurde in der 1999 von Katholischer Kirche und Lutherischem Weltbund in Augsburg unterzeichneten „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ keine vollständige Übereinstimmung hinsichtlich der Rechtfertigungslehre erzielt, wohl aber ein „Konsens in 24 Grundwahrheiten“ bzw. ein „differenzierter Konsens“. Auch wenn dieser Konsens von katholischer wie von evangelischer Seite wieder25 holt in Frage gestellt wurde, ist nur schwer zu bestreiten, dass auf seiner Grundlage bei zukünftigen Gesprächen theologisch vertiefende Klärungen herbeigeführt werden können. Gleichwohl scheint man in den Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und den nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften inzwischen an einem Punkt angelangt zu sein, an dem sich kaum noch etwas bewegt. Die Bewegung der Kirchen aufeinander zu scheint gleichsam eingefroren zu sein. Man hängt sozusagen in einer ökumenischen Steilwand fest, und niemand aus der Seilschaft weiß so recht, wie und wohin es weitergehen kann. Und es ist ja nicht nur der katholische Kardinal Koch, der im Blick auf die ökumenische Bewegung von einer „prekären Situation“ spricht. Gottfried Wilhelm Locher beispielsweise, seit 2011 Ratspräsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, plädierte
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Zum Begriff des „differenzierten Konsenses“ vgl. W. THÖNISSEN, Hermeutik, ökumenische, in: Ders. (Hg.), Lexikon der Ökumene und Konfessionskunde, Freiburg u.a. 2007, 549-552. Nach Eberhard Jüngel freilich handelt es sich beim „differenzierten Konsens“ um eine „begriffliche Missgeburt“: E. JÜNGEL, Amica Exegesis einer römischen Note, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche, Beiheft 10 (Dezember 1998) 252-279, hier 258, Anm. 15. Vgl. u.a. erwähnte das Beiheft 10 der Zeitschrift für Theologie und Kirche mit Beiträgen von Leif Grane, Reinhard Schwarz, Thomas Kaufmann, Joachim Ringleben, Wilfried Härle, Dorothea Wendebourg, Johannes Wallmann und Eberhard Jüngel zur 1999 unterzeichneten „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“. Kritisch zur „Gemeinsamen Erklärung“ äußerte sich von katholischer Seite u.a. L. SCHEFFCZYK, „Differenzierter Konsens“ und „Einheit in der Wahrheit“. Zum ersten Jahrestag der Unterzeichnung der Gemeinsamen Offiziellen Feststellung zur Rechtfertigungslehre, in: Ders., Ökumene. Der steile Weg der Wahrheit, Siegburg 2004, 293-303. Vgl. bereits im Vorfeld der Unterzeichnung die differenzierte Einschätzung von K. LEHMANN, Einig im Verständnis der Rechtfertigungsbotschaft? Erfahrungen und Lehren im Blick auf die gegenwärtige ökumenische Situation. Eröffnungsreferat bei der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda (21. Sept. 1998), in: Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz 19, hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1998, 3-34. In einem „Anhang“ (35-82) finden sich der Text sowie die wichtigsten Dokumente zur „Gemeinsamen Erklärung“.
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ähnlich wie Körtner für einen Perspektivenwechsel. Die „Ökumene der Fachleute“, die Diskussionen der von beiden Seiten beteiligten Theologen, so Locher auf der Abgeordnetenversammlung des Reformierten Kirchenbundes im November 2012, drehe sich immer mehr im Kreis. Demgegenüber werde in den Schweizer Kirchengemeinden 26 „längst gemeinsam gebetet, gesungen und gefeiert“. Locher rief dazu auf, die ökumenischen Kräfte dort zu bündeln, „wo heute Versöhnung und kirchliches Zusammenwachsen eine Chance haben“. Und das sei offenbar im Verhältnis der reformierten Kirche zur katholischen Kirche nicht möglich. Aussichtsreicher sei es deshalb, die Kräfte innerhalb der evangelischen Kirchenfamilie zu konzentrieren. Die Ökumene mit der katholischen Kirche solle keineswegs aufgegeben werden, so Locher; der nächste Schritt richte sich aber anderswohin. Dabei sind sich Vertreter aller Kirchen darin einig, dass die fehlende Einheit die Glaubwürdigkeit ihrer Verkündigung und somit des Evangeliums schwer beeinträchtigt. Während aber Locher – und mit ihm eine Vielzahl evangelischer Theologen und Kirchenführer – das Modell einer „Einheit in Verschiedenheit“ oder einer „versöhnten Verschiedenheit“ als Zielvorstellung der Ökumene vertritt, beharren maßgebliche Ökumeniker der katholischen Kirche weiterhin auf der 27 Vision einer „sichtbaren Einheit“. Die Vision einer „sichtbaren Einheit“ wird auch vom Konzil vertreten. Sie ist als Zielperspektive der ökumenischen Bewegung gleich im ersten Kapitel des Ökumenismus-Dekretes formuliert: Fast alle streben, wenn auch auf verschiedene Weise, zu einer einen, sichtbaren Kirche Gottes hin, die in Wahrheit allumfas-
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Vgl. http://www.kirchenbund.ch/sites/default/files/media/pdf/praesident/ 2012 /121105_WdRp_Orig_de.pdf (eingesehen am 26.10.2013). Für den ökumenischen Zielbegriff „versöhnte Verschiedenheit“ wird meist der evangelisch-lutherische Theologe Harding Meyer (geb. 1928) als Urheber genannt: vgl. H. MEYER, Versöhnte Verschiedenheit. Aufsätze zur ökumenischen Theologie II. Der katholisch/lutherische Dialog, Frankfurt am Main 2000; kritisch dazu K ÖRTNER, Wohin steuert die Ökumene?, 21f. Für die katholische Perspektive vgl. W. KASPER, Wege in die Einheit. Perspektiven für die Ökumene, Freiburg u.a. 2005, bes. 72-105: Communio: Die Leitidee der katholischen ökumenischen Theologie. Vgl. auch den Überblick von JUTTA KOSLOWSKI, Die Einheit der Kirche in der ökumenischen Diskussion. Zielvorstellungen kirchlicher Einheit im katholisch-evangelischen Dialog (Studien zur systematischen Theologie und Ethik 52), Münster 2008.
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send und zur ganzen Welt gesandt ist, damit sich die Welt zum Evangelium bekehre und so ihr Heil finde zur Ehre Gottes (UR 1).
Zwar sprach auch der Ökumenische Rat der Kirchen 1961 in Neu Delhi noch von einer sichtbaren Einheit der Kirchen als Zielvorstel28 lung der Ökumene. In den folgenden Jahrzehnten beschränkte sich die angezielte Sichtbarkeit jedoch zunehmend auf die wechselseitige Anerkennung der jeweiligen Bekenntnisformeln, des Verkündigungs29 dienstes, der Sakramentenspendung und der kirchlichen Ämter. Eine institutionelle Einheit von Kirchen – etwa im Modell einer „Kirchenunion“ – wird von den meisten Mitgliedskirchen des ÖRK seit 30 den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts nicht mehr angestrebt. Tatsächlich prallen hier sehr unterschiedliche Vorstellungen davon aufeinander, was Kirche ist bzw. was sie sein soll. So sind es vor allem Unterschiede in den jeweiligen Ekklesiologien, die gegenwärtig den weiteren Fortschritt der ökumenischen Dialoge hemmen. Von daher drängt sich sowohl im Rückblick auf das Konzil wie auch im Hinblick auf die gegenwärtige Situation der ökumenischen Beziehungen die Frage auf, wie das Konzil selbst die Kirche versteht. 28
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„Wir glauben, daß die Einheit, die zugleich Gottes Wille und seine Gabe an seine Kirche ist, sichtbar gemacht wird, indem alle an jedem Ort, die in Jesus Christus getauft sind und ihn als Herrn und Heiland bekennen, durch den Heiligen Geist in eine völlig verpflichtete Gemeinschaft geführt werden, die sich zu dem einen apostolischen Glauben bekennt, das eine Evangelium verkündigt, das eine Brot bricht, sich im gemeinsamen Gebet vereint und ein gemeinsames Leben führt, das sich in Zeugnis und Dienst an alle wendet. Sie sind zugleich vereint mit der gesamten Christenheit an allen Orten und zu allen Zeiten in der Weise, dass Amt und Glieder von allen anerkannt werden und dass alle gemeinsam so handeln und sprechen können, wie es die gegebene Lage im Hinblick auf die Aufgaben erfordert, zu denen Gott sein Volk ruft. Wir glauben, dass wir für solche Einheit beten und arbeiten müssen“ (zit. nach: G. GASSMANN, Einheit, in: Evangelisches Kirchenlexikon, Bd. 1, Göttingen 1986, 1002-1006, hier 1004f). Das bekannteste Beispiel für diese Form der wechselseitigen Anerkennung getrennter Kirchen ist die 1973 zwischen den lutherischen, reformierten und unierten Kirchen Europas vereinbarte „Leuenberger Konkordie“. Darin ist u.a. Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft sowie die gegenseitige Anerkennung der Ordination vereinbart (Text hg. v. W. HÜFFMEIER, Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa/Agreement between reformation churches in Europe, Frankfurt am Main 1991). Vgl. A. RITTER, Einheit und Gemeinschaft der Kirchen in versöhnter Verschiedenheit. Grundfragen ökumenischer Theologie aus evangelischer Sicht, Münster 2013, bes. 74f.
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3. ZUR EKKLESIOLOGIE DES KONZILS Nachdem die katholische Kirche über Jahrhunderte hinweg darauf beharrt hat, dass allein in ihr und durch sie die Menschen zum Heil gelangen können, hat das Konzil gerade in diesem ekklesiologisch zentralen Punkt eine fundamentale Neuorientierung vorgenommen. Diese wird besonders in der Kirchenkonstitution Lumen gentium deutlich, wo es in Nr. 8 heißt, dass auch außerhalb der Kirche und ihres institutionellen Gefüges „vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit“ zu finden sind. Ähnlich wird in Unitatis redintegratio eingeräumt, „dass einige, ja sogar viele und bedeutende Elemente oder Güter, aus denen insgesamt die Kirche erbaut wird und ihr Leben gewinnt, auch außerhalb der sichtbaren Grenzen der katholischen Kirche existieren können“ (UR 3). Beispielhaft aufgezählt werden „das geschriebene Wort Gottes, das Leben der Gnade, Glaube, Hoffnung und Liebe und andere innere Gaben des Heiligen Geistes und sichtbare Elemente“ (ebd.). Angesichts alles dessen, so Unitatis redintegratio, sind die nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften „nicht ohne Bedeutung und Gewicht im Geheimnis des Heiles“, mehr noch: sie sind „Mittel des Heiles“. Das aber heißt, dass nicht nur einzelne Christgläubige außerhalb der katholischen Kirche zum Heil gelangen können. Vielmehr sind die nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften als solche authentische Gestalten christlichen Glaubens, innerhalb derer und mit deren Hilfe Menschen zur Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott finden können. Nach Auffassung des Konzils folgt hieraus nun keineswegs, dass es ganz unbedeutend sei, ob jemand der katholischen Kirche angehört oder nicht. Der Grund hierfür ist wiederum die Sichtbarkeit der Kirche Jesu Christi. Zur Erläuterung dieses Sachverhaltes bedienen sich 31 die Konzilsväter der Metapher des Sakraments. So wird etwa in Lumen gentium, aber beispielsweise auch zu Beginn des Missionsdekretes Ad gentes, die Kirche als „allumfassendes Heilssakrament“ gedeutet.
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Vgl. J.-H. TÜCK, Sakrament des Heils für die Welt. Annäherungen an einen ekklesiologischen Leitbegriff des Konzils, in: M. Delgado/M. Sievernich (Hg.), Die großen Metaphern des Zweiten Vatikanischen Konzils. Ihre Bedeutung für heute, Freiburg u.a. 2013, 141-167.
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Mit dem Begriff des Sakraments verbindet sich nach klassischer, auf Augustinus und Thomas von Aquin zurückgehender Definition die 32 Einheit von sichtbarer Gestalt und unsichtbarer Gnade. Entsprechend betont Lumen gentium die für die Kirche wesentliche Einheit von göttlicher und menschlicher Wirklichkeit: Die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche sind nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttli33 chem Element zusammenwächst (LG 8).
In einem kühnen theologischen Ausgriff wird das Wesen der Kirche christologisch und pneumatologisch verortet: Wie nämlich die angenommene Natur dem göttlichen Wort als lebendiges, ihm unlöslich geeintes Heilsorgan dient, so dient auf eine ganz ähnliche Weise das gesellschaftliche Gefüge der Kirche dem Geist Christi, der es belebt, zum Wachstum seines 34 Leibes (vgl. Eph 4,16) (ebd.).
Das Konzil spricht hier von einer „nicht unbedeutenden Analogie“, einer geheimnisvollen Entsprechung zwischen dem Mysterium des fleischgewordenen Wortes und dem Wesen der Kirche. Damit wird eine in der vorkonziliaren Ekklesiologie verbreitete Vorstellung korrigiert, wonach die Kirche als „andauernde Fleischwerdung“ Jesu Chris35 ti aufgefasst werden könne. Zwischen der hypostatischen Einigung von göttlicher und menschlicher Natur in der Person des göttlichen Logos einerseits und der „komplexen Wirklichkeit“ der Kirche als 32 33
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Vgl. L. OTT, Grundriß der Dogmatik, Freiburg u.a. 101981, 391f. Societas autem organis hierarchicis instructa et mysticum Christi Corpus, coetus adspectabilis et communitas spiritualis, Ecclesia terrestris et Ecclesia coelestibus bonis ditata, non ut duae res considerandae sunt, sed unam realitatem complexam efformant, quae humano et divino coalescit elemento. Sicut enim natura assumpta Verbo divino ut vivum organum salutis, Ei indissolubiliter unitum, inservit, non dissimili modo socialis compago Ecclesiae Spiritui Christi, eam vivificanti, ad augmentum corporis inservit (cf. Eph 4,16). Vgl. J. A. MÖHLER, Symbolik oder Darstellung der dogmatischen Gegensätze der Katholiken und Protestanten, nach ihren öffentlichen Bekenntnisschriften, Mainz 1832, § 36, 322f.
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Einheit von göttlicher Wirklichkeit und sichtbarem Gefüge anderer36 seits waltet keine Identität, sondern eine Entsprechung. Während in in Lumen gentium 1 gesagt wird, die Kirche sei „gleich37 sam“ (veluti) Sakrament und Zeichen, heißt es in Ad gentes 1, die Kir38 che solle das allumfassende Sakrament des Heils sein. Der sakramentale Charakter der Kirche erscheint im Missionsdekret demnach in einer geschichtlichen Perspektive und als Zielbestimmung ihres Wesens. Damit ist die sichtbare Gestalt der Kirche bzw. ihre institutionelle Verfassung unter einen eschatologischen Vorbehalt gestellt. Zugleich betonen sowohl der Begriff des Sakraments (LG 1) als auch die Analogie zur Menschwerdung (LG 8), dass die sichtbare Gestalt der Kirche in Bezug auf ihre Natur nichts bloß Akzidentelles ist. Kirche ist ihrem Wesen nach eine geschichtliche Größe; gerade als solche existiert sie nach katholischem Verständnis als „sichtbares Gefüge“ (compago visibilis) in Raum und Zeit. Nicht zuletzt deshalb hatte Kardinal Robert Bellarmin SJ (gest. 1621) gegenüber spiritualisierenden Tendenzen auf reformatorischer Seite darauf beharrt: Die Kirche ist eine Vereinigung von Menschen, die so sichtbar und greifbar ist wie die römische Volksversammlung, das Kö39 nigreich Frankreich oder die Republik Venedig.
Innerhalb der katholischen Kirche ist durchaus umstritten, was genau 40 zum institutionellen Kernbestand des Kircheseins zählt. Gewiss ge-
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Vgl. LG 8: „Die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche sind nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst.“ LG 1: Cum autem Ecclesia sit in Christo veluti sacramentum seu signum et instrumentum intimae cum Deo unionis totiusque generis humani unitatis […]. AG 1: Ad gentes divinitus missa ut sit «universale salutis sacramentum». R. BELLARMIN, Disputationes de controversiis christianae fidei adversus huius temporis haereticos, Ingolstadt 1587, Contr. IV 33,2: Ecclesia enim est coetus hominum ita visibilis, et palpabilis, ut est coetus populi Romani, vel Regnum Galliae, aut Respublica Venetorum (Opera omnia, ed. Justinus Fêvre, tome II, Paris 1870, 318). Die nicht nur ökumenisch, sondern auch innerkatholisch geführten Auseinandersetzungen mit der Ekklesiologie von KARL-HEINZ MENKE (Sakramentalität. Wesen und Wunde des Katholizismus, Regensburg 2012) verdeutlichen strittige Fragen etwa im Blick auf das katholische Amtsverständnis.
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hören nach katholischem Verständnis das Bischofsamt und die apostolische Sukzession zum unverfügbaren Wesen der Kirche. Hier ist – wie auf dem Konzil von Trient – von einer göttlichen Einsetzung (or41 42 dinatio divina) die Rede oder vom „göttlichen Recht“ (ius divinum). Anderes hingegen – wie etwa die Zulassung von Frauen zum sakramentalen Diakonat – wird jüngst vereinzelt wieder kontrovers disku43 tiert. Unstrittig misst die katholische Kirche von ihrem theologischen Selbstverständnis her der institutionellen Verfassung der Kirche ein größeres Gewicht bei als die Kirchen der Reformation. Darin zeigt sich eine ekklesiologische Verwandtschaft mit den altorientalischen Kirchen und den Kirchen der Orthodoxie, auf die nicht zuletzt Jo44 seph Ratzinger/Benedikt XVI. wiederholt hingewiesen hat. Insofern ist es nicht überraschend, wenn die katholische Kirche auch das Ziel der ökumenischen Annäherung nicht als „versöhnte Verschiedenheit“, sondern als „sichtbare Einheit“ auffasst. Von daher erschließt sich aber auch der Grund, warum seit dem Konzil so erbittert über das berühmte subsistit gestritten wird, mit dem sich die katholische Kirche in Lumen gentium 8 selbst beschreibt: „Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfasst und geordnet, ist verwirklicht in der katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und 45 von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird.“ Hierzu 41
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Vgl. CONCILIUM TRIDENTINUM, 23. Sitzung (15. Juli 1563), Lehre und Canones über das Sakrament der Weihe, can. 6 (DzH 1776). J. G. GARCÍA AIZ, Consideraciones en torno al conflicto eclesiastico «ius divinum vs. ordinatio divina» sobre el canon VI de la sesión XXIII del Tridentino, in: Archivo teológico Granadino 74 (2011) 5-31; F. %ī"GOSTINO, Lo «jus divinum» nelle sue diverse manifestazioni, in: Juan Ignacio Arrieta (Ed.), Il ius divinum nella vita della Chiesa. XIII Congresso Internazionale di Diritto Canonico, Venezia 17-21 settembre 2008, Venezia 2010, 103-114. Während das kirchliche Lehramt seit „Inter insigniores“ (1976) und „Ordinatio sacerdotalis“ (1994) die Zulassung von Frauen zum Priesteramt als definitiv entschieden betrachtet, scheint nach dem Motuproprio „Omnium in mentem“ (2009) der Diskussion um die mögliche Zulassung von Frauen zum sakramentalen Diakonat wieder ein gewisser Spielraum eröffnet zu sein. Vgl. J. RATZINGER, Die ökumenische Situation – Orthodoxie, Katholizismus und Reforma¬tion, in: Ders., Theologische Prinzipienlehre, München 1982, 203-214. Haec Ecclesia, in hoc mundo ut societas constituta et ordinata, subsistit in Ecclesia catholica, a successore Petri et Episcopis in eius communione gubernata. – Der belgische Theologe Gérard Philips, Mitglied der Theologischen Kommission und Schlussredakteur von Lumen gentium, schrieb 1997 in seinem Kommentar zur Kirchenkonstitution, der
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hatte bereits die Theologische Kommission des Konzils einen erläuternden Kommentar veröffentlicht: Die Sinnspitze in der Nr. 8 besteht darin, zu zeigen, dass die Kirche […] auf dieser Erde konkret anzutreffen ist in der katholischen Kirche. […] So ist dem Eindruck vorgebeugt, die Beschreibung [der Kirche] durch das Konzil sei etwas rein Idealis46 tisches und Irreales.
Demnach steht die römisch-katholische Kirche in einer realen Kontinuität zur Kirche Christi. Sie ist mit ihr aber nicht einfach identisch – und zwar aus einem doppelten Grund. Zum einen gibt es nach Auffassung des Konzils auch außerhalb der katholischen Kirche „ekklesiale Elemente“ – darunter etwa den Glauben an Jesus Christus, die Vereh47 rung der Heiligen Schriften oder die Feier der Sakramente. Zum anderen ist auch die katholische Kirche durch vielfältige Mängel verunstaltet. Dies wird im weiteren Text von LG 8 deutlich, wo die Kirche als eine Kircher der Sünder beschrieben ist: Während aber Christus heilig, schuldlos, unbefleckt war (Hebr 7,26) und Sünde nicht kannte (2 Kor 5,21), sondern allein die Sünden des Volkes zu sühnen gekommen ist (vgl. Hebr 2,17), umfaßt die Kirche Sünder in ihrem eigenen Schoße. Sie ist zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig, sie geht immer48 fort den Weg der Buße und Erneuerung (LG 8).
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Ausdruck subsistit in werde noch Ströme von Tinte fließen lassen (L’Église et son mystère au IIe Concile du Vatican. Histoire, texte, et commentaire de la constitution “Lumen gentium”, 2 Bde., Paris 1967, Bd. 1, 119). Sein Wort sollte sich in einem von ihm selbst wohl nicht geahnten Maße bewahrheiten. Bis heute ist die Diskussion um die Deutung dieses Begriffs nicht verstummt, und nichts deutet darauf hin, dass sich dies in naher Zukunft ändern wird. Intentio autem est ostendere, Ecclesiam, cuius descripta est intima et arcana natura, qua cum Christo Eiusque opere in perpetuum unitur, his in terris concrete inveniri in Ecclesia catholica. Haec autem Ecclesia empirica mysterium revelat, sed non sine umbris, donec ad plenum lumen adducatur, sicut etiam Christus Dominus per exinanitionem ad gloriam pervenit. Ita praecavetur impressio ac si descriptio, quam Concilium de Ecclesia proponit, esset mere idealistica et irrealis (Acta Synodalia Sacrosancti Concilii Vaticani II, Bd. III/1, 176). Vgl. LG 15; UR 15. Ecclesia in proprio sinu peccatores complectens, sancta simul et semper purificanda, poenitentiam et renovationem continuo prosequitur (LG 8). Vgl. zu den ekklesiologischen Implikationen dieser Selbstbeschreibung u.a. D. ANSORGE, „Vergib uns unsere Schuld!“ – Schuldbekenntnis und Vergebungsbitten Papst Johannes Pauls II. im Heiligen Jahr
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Die vorkonziliare Ekklesiologie bestritt genau diese Differenz, indem sie die katholische Kirche als societas perfecta auffasste. In ihrer Heiligkeit hob sie sich zugleich von allen anderen christlichen Gemeinschaften ab. Wenngleich katholische Theologen infolge der Ausbreitung des Christentums nach Asien und Amerika im 17. Jahrhundert zunehmend auch Nichtchristen die Möglichkeit einräumte, das Heil zu 49 erlangen, so bestritten sie mehrheitlich doch weiterhin, dass es außerhalb der römisch-katholischen Kirche so etwas wie „Kirche“ gibt. Ganz auf dieser Linie stand noch im ursprünglichen Entwurf der Kirchenkonstitution (1962) zu lesen: „Die römisch-katholische Kirche ist [est] der mystische Leib Christi […] und nur die Kirche, die römisch50 katholisch ist, hat das Recht [sola iure], sich Kirche zu nennen.“ Erstaunlicherweise erscheint genau diese unvermittelte Identität von Kirche Jesu Christi und mystischem Leib Christi im Ostkirchendekret Orientalium Ecclesiarum behauptet zu sein. Dort heißt es in Nr. 2: Die heilige katholische Kirche ist der mystische Leib Christi und besteht aus den Gläubigen, die durch denselben Glauben, dieselben Sakramente und dieselbe oberhirtliche Führung im Heiligen Geist organisch geeint sind (OE 2).
Die drei ekklesiologisch bedeutsamen Dokumente Orientalium ecclesiarum, Lumen gentium und Unitatis redintegratio wurden am selben Tag, dem 21. November 1964, verabschiedet und promulgiert. Historisch aber gehen die Entwürfe für das Ostkirchendekret und die redaktionellen Arbeiten daran sowohl der Kirchenkonstitution als auch dem 51 Ökumenismusdekret voraus. Insofern lässt sich auch hieran ablesen,
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2000, in: Internationale katholische Zeitschrift Communio 42 (2013) 460-470, sowie die weiteren Beiträge in Heft 5/2013 dieser Zeitschrift („Ecclesiam sanctam“). Vgl. etwa die Überlegungen, die im 16. und 17. Jahrhundert Theologen wie Domingo de Soto OP (1494–1560), Francesco Suárez SJ (1548-1617) und Juan de Lugo SJ (1583-1660) im Anschluss an Hebr 11,6 („Wer vor Gott treten will, muss glauben, dass er ist und dass er die belohnt, die ihn suchen“) über die Heilsmöglichkeiten von Ungetauften anstellten. Dazu J. DUPUIS, Unterwegs zu einer christlichen Theologie des religiösen Pluralismus (Salzburger Theologische Studien 38/Interkulturell 5), Innsbruck 2010, 177-179. Acta Synodalia Sacrosancti Concilii Oecumenici Vaticani II, Bd. I/4, 15. Vgl. J. M. HOECK, Kommentar zum Dekret über die katholischen Ostkirchen, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Das Zweite Vatikanische Konzil. Dokumente und Kommentare, Teil II, Freiburg u.a. 1967, 367.
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dass die Konzilsväter die unvermittelte Identifikation der römischkatholischen Kirche mit dem mystischen Leib Christi und die exklusive Gleichsetzung der Kirche Jesu Christi mit der katholischen Kirche 52 nicht mitvollziehen wollten. Die katholische Kirche ist Leib Christi – so besonders LG 7 – aber sie ist es in einer geschichtlich vermittelten Gestalt. Und deshalb kann es auch außerhalb ihrer „ekklesiale Elemente“ geben. In dieser Perspektive erläutert LG 15, die Kirche wisse 53 sich mit allen Getauften „aus mehrfachem Grunde verbunden“. Gemeinsam seien allen Getauften die Heilige Schrift, der Glaubenseifer, die Sakramente, das Gebet und vieles andere mehr. Selbst Bischofsamt und Marienverehrung begegneten außerhalb der römisch-katholischen Kirche. In alledem sieht das Konzil „Elemente des Kircheseins“, die „zur katholischen Kirche tendieren und hinführen“ (LG 8). Was aber fehlt dann den nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften in Bezug auf die volle Kircheneinheit noch? Nach Auffassung des Konzils mangelt es ihnen vor allem an der von Christus gewollten sichtbaren Einheit seiner Kirche. Diese Einheit ist nach römisch-katholischer Auffassung nur in der Gemeinschaft der Bischöfe untereinander und mit dem Bischof von Rom verwirklicht. Aus diesem Grund wird in der nachkonziliaren Verkündigung des kirchlichen Lehramtes zwar keine unvermittelte Identität von katholischer Kirche und Kirche Jesu Christi mehr behauptet, wohl aber darauf bestanden, dass die Kirche Christi hinsichtlich ihrer wesentlichen Elemente vollständig allein in der römisch-katholischen Kirche anzutreffen ist. So betont etwa die von nichtkatholischer Seite heftig kritisierte Erklärung der Glaubenskongregation Dominus Iesus im Heiligen
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„Anstelle von ‚est‘ […] wird gesagt ‚subsistit in‘, damit der Ausdruck besser übereinstimmt mit der Bejahung von ekklesialen Elementen, die woanders gegeben sind [adsunt]“ (Acta Synodalia Ss. Concilii Oecumenici Vaticani II., Bd. III/1, 177). „Viele nämlich halten die Schrift als Glaubens- und Lebensnorm in Ehren, zeigen einen aufrichtigen religiösen Eifer, glauben in Liebe an Gott, den allmächtigen Vater, und an Christus, den Sohn Gottes und Erlöser, empfangen das Zeichen der Taufe, wodurch sie mit Christus verbunden werden; ja sie anerkennen und empfangen auch andere Sakramente in ihren eigenen Kirchen oder kirchlichen Gemeinschaften. Mehrere unter ihnen besitzen auch einen Episkopat, feiern die heilige Eucharistie und pflegen die Verehrung der jungfräulichen Gottesmutter. Dazu kommt die Gemeinschaft im Gebet und in anderen geistlichen Gütern; ja sogar eine wahre Verbindung im Heiligen Geiste, der in Gaben und Gnaden auch in ihnen mit seiner heiligenden Kraft wirksam ist und manche von ihnen bis zur Vergießung des Blutes gestärkt hat“ (LG 15).
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Jahr 2000: „Der authentischen Bedeutung des Konzilstextes widerspricht deshalb die Interpretation jener, die von der Formel »subsistit in« die Meinung ableiten, dass die einzige Kirche Christi auch in an54 deren christlichen Kirchen verwirklicht sein könnte.“ Damit bestreitet die Erklärung den Kirchen der Orthodoxie oder der Reformation nicht das Kirche-Sein nach deren je eigenem Selbstverständnis, wohl aber nach römisch-katholischem Verständnis. Für das Konzil sind die Elemente der bischöflichen Sukzession und die Einheit mit dem Bischof von Rom so wesentlich, dass es nach UR 22 auch den Kerngehalt (substantia) des eucharistischen Mysteriums damit verbindet. Um diese Auslegung zu stützen, deutet Dominus Iesus den Begriff der „Subsistenz“ in LG 8 im Sinne eines nur einmal möglichen konkreten Seins. Im Jahr 2002 stellte der damalige Präfekt der Glaubenskongregation Joseph Ratzinger dazu fest: „In der Differenz zwischen 55 subsistit und est liegt das ganze ökumenische Problem verborgen“. Denn „das Wort subsistit stammt aus der in der Scholastik weiterentwickelten antiken Philosophie. […] »Subsistere« ist ein Spezialfall von »esse«. Es ist das Sein in der Form eines eigenständigen Subjekts.“ Die Subsistenz einer konkreten Wirklichkeit aber lässt sich nicht vervielfältigen, ohne den Begriff seines Gehalts zu entleeren: Das Konzil will uns sagen, dass die Kirche Jesu Christi in der katholischen Kirche als konkretes Subjekt in dieser Welt anzutreffen ist. Das geht nur einmal, und die Vorstellung, das Subsistit sei zu multiplizieren, verfehlt genau das Gemeinte. Mit dem Wort subsistit wollte das Konzil das Besondere und nicht Multiplizierbare der katholischen Kirche ausdrücken: Es gibt die 56 Kirche als Subjekt in der geschichtlichen Wirklichkeit.
Vor diesem Hintergrund deutet Ratzinger die Spaltung der Kirche Jesu Christi als Sünde nicht nur gegen ihre Einheit, sondern auch gegen ihre Einzigkeit. Zwar ist durchaus eingeräumt, dass es „kirchliche Realität“ „auch außerhalb der einen Kirche“ gibt. Andererseits
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KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE, Erklärung Dominus Iesus über die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche, Anmerkung 56 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 148, Bonn 2000, 31). J. RATZINGER, Die Ekklesiologie der Konstitution Lumen gentium, in: Weggemeinschaft des Glaubens. Kirche als Communio. Festgabe zum 75. Geburtstag, hg. vom Schülerkreis, Augsburg 2002, 107-131, hier 127. Ebd. („konkretes Subjekt“ ist im Original fett gedruckt).
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aber wird einem Verständnis kirchlicher Vielfalt widersprochen, wonach die verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften eine an sich unerkennbare Realität der Kirche Jesu Christi jeweils nur 57 unvollkommen widerspiegeln. Wäre dem so, so Ratzinger, dann erübrige sich jede Suche nach kirchlicher Einheit; diese wäre ja aus 58 prinzipiellen Gründen niemals zu erreichen. Obwohl Ratzingers Deutung von „Subsistenz“ dem scholastischen 59 Verständnis entspricht, trifft sie kaum die Absicht der Konzilsväter. „Der Sinn des Wortes »subsistit« ist umstritten“, konstatiert Walter Kasper. „Handelt es sich dabei – wie gewöhnlich angenommen – um eine Formulierung, die einfach mehr ökumenische Flexibilität ermöglichen soll, oder muss sie im Sinn des scholastischen Begriffs der 60 »Subsistenz« verstanden werden?“ Kasper zufolge geben die Konzilsdokumente „keinen Hinweis, der diese letztere Interpretation stützen würde“. Hier zeichnet sich ein grundsätzlicher Konflikt ab: Nachdem die Glaubenskongregation im Sommer 2007 – nun unter dem Vorsitz von Kardinal William Joseph Levada – erneut festgestellt hatte: „Das Wort »subsistiert« wird […] nur der katholischen Kirche allein zugeschrie61 ben“ , beharrte Kardinal Lehmann in seinem Eröffnungsreferat zur Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz im Herbst 2007
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Analog werden in der Erklärung Dominus Iesus jene religionstheologischen Entwürfe zurückgewiesen, die von einer prinzipiellen Unerkennbarkeit der göttlichen Wirklichkeit ausgehen und diese in der Vielfalt der Religionen immer nur abgeschattet wahrnehmen, so dass sich eine Komplementarität der Offenbarungsgestalten ergibt (vgl. bes. Nr. 21). Vgl. hierzu auch die Erklärung Mysterium Ecclesiae der Kongregation für die Glaubenslehre von 1973, in: Acta Apostolicae Sedis 65 (1973) 396-408; lat.-dt. Text in: Nachkonziliare Dokumentation 43, Trier 1975, 128-167. Vgl. etwa H. SCHÖNDORF, Subsistenz, in: Ders./W. Brugger, Philosophisches Wörterbuch, Freiburg 2010, 479 (mit Hinweisen auf Thomas von Aquin und Suárez). W. KASPER, Communio: Die Leitidee der katholischen ökumenischen Theologie, in: Ders., Wege der Einheit. Perspektiven für die Ökumene, Freiburg u.a. 2005, 72-105, hier 93 (auch zum Folgenden). KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE, Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche, Città del Vaticano 2007 (dt. in: Verlautbarungen des apostolischen Stuhls 148, Bonn 42007, 47-54). Vgl. dazu die verschiedenen Beiträge zur Diskussion um die „Antworten“ in: J.-H. TÜCK (Hg.), Römisches Monopol? Der Streit um die Einheit der Kirche (Theologie kontrovers), Freiburg u.a. 2008.
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darauf, dass die Wortwahl des Konzils eine exklusive Identifikation der einen Kirche Jesu Christi mit der katholischen Kirche ausschließe: Die katholische Kirche erblickt in den anderen christlichen Glaubensgemeinschaften eine wirkliche Anteilnahme am Kirche-Sein. Sie kann ihren Anspruch auf substanzielle Identität nicht preisgeben, hat aber ihren absoluten Anspruch im Sinne einer puren Identifikation reduziert. Wenn sie an dieser substanziellen Identität mit der Kirche Jesu Christi festhält, vertritt 62 sie dennoch kein exklusives, absolutes Identitätsmodell.
Lehmann erinnerte an jene Konzilstexte, in denen sich die Kirche 63 unter einen eschatologischen Vorbehalt stellte. Darüber hinaus werde vom Konzil betont, dass die Spaltung der Kirchen auch die Fülle der katholischen Kirche selbst mindert. So gelangt der Kardinal zu der dialektischen Forderung: „Man muss also beides festhalten: den Anspruch der katholischen Kirche auf substanzielle Identität zwischen der Kirche Jesu Christi und ihr und der Anerkennung kirchlicher 64 Elemente außerhalb ihrer selbst.“ Diese Dialektik ist keineswegs Ausdruck theologischer Ratlosigkeit. Sie resultiert vielmehr aus dem Wesen der Kirche selbst. Als „universales Heilssakrament“ ist die Kirche sowohl das Werk des dreieinigen Gottes in der Welt, opus Dei, wie zugleich auch opus hominum. Kirche ist der Gestaltungsmacht gläubiger Menschen anvertraut, um so ihre göttliche Sendung zu erfüllen. 4. KERNFRAGEN ÖKUMENISCHER GESPRÄCHE HEUTE Indes sind es oft gerade die Menschen, deren Fehlbarkeit und Eigensinn dafür verantwortlich ist, dass die Kirche keineswegs in Einigkeit und Heiligkeit Zeugnis ablegt von dem, dessen Grund und Ziel sie ist.
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Text unter: http://www.oekumene-ack.de/uploads/media/2007-065a_eroeffnungs referat-lehmann.pdf (eingesehen am 27.10.2013), 13f. So etwa UR 3: „[…] Dieses Volk Gottes bleibt zwar während seiner irdischen Pilgerschaft in seinen Gliedern der Sünde ausgesetzt, aber es wächst in Christus und wird von Gott nach seinem geheimnisvollen Ratschluss sanft geleitet, bis es zur ganzen Fülle der ewigen Herrlichkeit im himmlischen Jerusalem freudig gelangt.“ Vgl. bes. auch Lumen gentium, Kap. VII. Ebd., 13.
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Das Ökumenismusdekret gibt sich diesbezüglich keinerlei Illusion hin: Christus der Herr hat eine einige und einzige Kirche gegründet, und doch erheben mehrere christliche Gemeinschaften vor den Menschen den Anspruch, das wahre Erbe Jesu Christi darzustellen; sie alle bekennen sich als Jünger des Herrn, aber sie weichen in ihrem Denken voneinander ab und gehen verschiedene Wege, als ob Christus selber geteilt wäre (UR 1).
Der hieraus resultierende Imperativ, sich um die Einheit der Kirche Jesu Christi zu bemühen, wurde nach dem Konzil auf allen Ebenen der katholischen Kirche aufgegriffen. Heutzutage stehen bei interkonfessionellen Gesprächen weniger Themen der Gotteslehre oder der Christologie im Zentrum der Aufmerksamkeit als vielmehr Fragen 65 der Sakramententheologie oder des kirchlichen Amtes. Darüber hinaus hat die Debatte um die Rechtfertigungslehre verdeutlicht, dass im Gespräch mit den Kirchen der Reformation besonders auch die theologische Anthropologie zur Debatte steht. Über Jahrhunderte hinweg war die Einfügung des sogenannten filioque in das Glaubensbekenntnis von Nikaia und Konstantinopel das Schibboleth im Verhältnis zwischen der lateinischen Kirche und der Orthodoxie. Man wird zwar keineswegs sagen können, dass der Filioque-Streit inzwischen ausgeräumt wäre. Gerade die orthodoxen Kirchen beharren weiterhin auf der Entscheidung der von der Orthodoxie als 4. Konzil von Konstantinopel gezählten Synode von 879/880, die sämtliche Zusätze zum nizäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis von 381 für ungültig erklärte – eine Entscheidung, die im Übrigen durch Papst Johannes VIII. (872-882) bestätigt wurde. Gleichwohl werden bilaterale Gespräche über diese Fragen heutzutage nicht 66 mehr polemisch, sondern konstruktiv geführt. Bezüglich der Einheit von göttlicher und menschlicher Natur in Jesus Christus wurden nach dem Konzil bemerkenswerte Erklärungen unterzeichnet, die weitgehende christologische Übereinstimmungen 65
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Vgl. den Überblick bei D. SATTLER, Brennpunkte des ökumenischen Dialogs, in: Michael Kappes u.a., Trennung überwinden: Ökumene als Aufgabe der Theologie (Theologische Module 2), Freiburg u.a. 2007, 56-105. M. BÖHNKE/A. E. KATTAN/B. OBERDORFER (Hg.), Die Filioque-Kontroverse. Historische, ökumenische und dogmatische Perspektiven 1200 Jahre nach der Aachener Synode (Quaestiones Disputatae 245), Freiburg u.a. 2011.
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zwischen den früher so genannten „monophysitischen“ Kirchen und 67 der römisch-katholischen Kirche signalisieren. Diese Erklärungen wurden nicht selten durch das geduldige Engagement inoffizieller Einrichtungen wie etwa der 1964 von Kardinal Franz König gegründeten Stiftung „Pro Oriente“ in Wien vorbereitet. Einzuräumen ist freilich auch, dass ökumenische Konsenserklärungen nicht immer unmittelbar spürbare Veränderungen in den praktischen Beziehungen zwi68 schen den getrennten Kirchen zeitigen. 4.1 Orientalische Kirchen/Kirchen der Orthodoxie Bei alledem stellen sich nach dem Konzil die Beziehungen zu den Ostkirchen und den Kirchen der Orthodoxie aus der Sicht der römisch-katholischen Kirche wesentlich anders dar als die Beziehungen zu den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, die aus der Refor69 mation hervorgegangen sind. In einem vielzitierten Aufsatz zur Situation der Ökumene hat Joseph Ratzinger 1976 in Graz die Andersar70 tigkeit der jeweiligen Beziehungen betont. Bereits Unitatis redintegratio verschweigt zwar die dogmatischen Lehrunterschiede keineswegs, anerkennt aber doch zugleich die Apostolizität der Orientalischen Kirchen und der Kirchen der Orthodoxie. Deren reiche liturgische Traditionen werden gerühmt; vor allem aber werden ihr Sakramen67
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Siehe TH. HAINTHALER, Entwicklungen im Dialog der orientalisch-orthodoxen Kirchen, in: Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim 57 (2006) 15-18. Obwohl zwischen den christlichen Kirchen ein Konsens hinsichtlich der wechselseitigen Anerkennung der Taufe besteht, fordert etwa die koptische Kirche im Falle von Konversionen eine erneute Taufe. Und da die koptische Kirche keine Mischehe kennt, muss eine katholische Frau noch einmal getauft werden, bevor sie einen Kopten heiraten darf: J. SCHROEDEL, Umbruch in schwieriger Zeit. Zur Situation der koptischen Christen in Ägypten, in: Herder-Korrespondenz 62 (2008) 264-268, hier 264. Bereits Unitatis redintegratio unterscheidet hier: „Indessen sind diese einzelnen Trennungen untereinander sehr verschieden, nicht allein bedingt durch ihre Entstehung und durch die Umstände von Ort und Zeit, sondern vor allem nach Art und Bedeutsamkeit der Probleme, die sich auf den Glauben und die kirchliche Struktur beziehen“ (UR 13). Tatsächlich behandelt das Dokument die „Orientalischen Kirchen“ und „Die getrennten Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften im Abendland“ in zwei unterschiedlichen Abschnitten (UR 14-18; 19-23). J. RATZINGER, Die ökumenische Situation – Orthodoxie, Katholizismus und Reformation, in: Ders., Theologische Prinzipienlehre, München 1982, 203-214.
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tenverständnis und die Kontinuität des Weiheamtes gewürdigt. Von daher gestattet das Ökumenismusdekret unter gegebenen Umständen nicht nur eine communicatio in sacris; vielmehr wird eine Gottesdienstgemeinschaft mit den Orientalischen Kirchen und den Kirchen der 71 Orthodoxie unter gegebenen Umständen sogar empfohlen. Gerade im Blick auf die reichen liturgischen Traditionen der Ostkirchen skizziert Unitatis redintegratio im Anschluss an Lumen gentium das Bild einer einen und zugleich vielgestaltigen Kirche, die unter72 schiedliche Teilkirchen umfasst. Die eine Kirche Jesu Christi, so Lumen gentium 23, besteht „in und aus“ Teilkirchen. Deren legitime Pluralität – in liturgischen Formen beispielsweise, aber auch in ihrer jeweiligen Kirchenverfassung – vermehrt die „Zierde und Schönheit“ 73 der Kirche Christi und trägt so zur Erfüllung ihrer Sendung bei. Dass Unitatis redintegratio eine Pluralität von Kirchen und kirchlichen Formen nicht nur toleriert, sondern als besonderen Reichtum würdigt, ist von kaum zu unterschätzender Bedeutung nicht nur für
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Weil die orientalischen Kirchen „trotz ihrer Trennung wahre Sakramente besitzen, vor allem aber in der Kraft der apostolischen Sukzession das Priestertum und die Eucharistie […], so ist eine gewisse Gottesdienstgemeinschaft unter gegebenen geeigneten Umständen mit Billigung der kirchlichen Autorität nicht nur möglich, sondern auch ratsam“ (UR 15). Eine „Teilkirche“ (ecclesia particularis) ist nach CIC/1983, can. 368, und im Anschluss an LG 23 ein Bestandteil der römisch-katholischen Kirche. Diese wiederum besteht als Gesamtheit von Teilkirchen. Allerdings findet der Begriff auch im Blick auf die Ökumene Verwendung. Vgl. etwa das Schreiben der Kongregation für die Glaubenslehre an die Bischöfe der katholischen Kirche über einige Aspekte der Kirche als Communio Communionis notio (28. Mai 1992), bes. Nr. 17: „[…] Diese Gemeinschaft existiert besonders mit den orthodoxen orientalischen Kirchen, die trotz ihrer Trennung vom Stuhl Petri mit der katholischen Kirche durch engste Bande, wie die apostolische Sukzession und die gültige Eucharistie, verbunden bleiben und daher den Titel «Teilkirchen» verdienen.“ Weil die eine Kirche nach LG 23 „in und aus“ Teilkirchen besteht, diese aber qua apostolischer Sukzession vollständige Kirchen sind, kommt ihnen auch das Recht zu, ihre jeweilige Verfassung selbst zu bestimmen. „Da […] eine gewisse Verschiedenheit der Sitten und Gebräuche […] nicht im geringsten der Einheit der Kirche entgegensteht, sondern vielmehr ihre Zierde und Schönheit vermehrt und zur Erfüllung ihrer Sendung nicht wenig beiträgt, so erklärt das Heilige Konzil feierlich, um jeden Zweifel auszuschließen, dass die Kirchen des Orients, im Bewusstsein der notwendigen Einheit der ganzen Kirche, die Fähigkeit haben, sich nach ihren eigenen Ordnungen zu regieren, wie sie der Geistesart ihrer Gläubigen am meisten entsprechen und dem Heil der Seelen am besten dienlich sind“ (UR 16).
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die aktuellen ökumenischen Beziehungen, sondern auch für die Zielperspektive des ökumenischen Dialogs insgesamt. Vor dem Hintergrund weitgehender Konvergenzen in den Berei74 chen der Sakramententheologie und des Kirchenverständnisses besteht der zentrale Dissens im Gespräch mit den orientalischen Kirchen und den Kirchen der Orthodoxie weiterhin vor allem im Blick auf die Anerkennung des römischen Primats. Besonders die Definitionen der päpstlichen Unfehlbarkeit und des Jurisdiktionsprimats auf dem Ersten Vatikanischen Konzil (1869/70) erschweren eine Verständigung über das universale Amt des Bischofs von Rom erheblich. Dabei scheint es höchst bemerkenswert, wenn Joseph Ratzinger wiederholt die Möglichkeit angedeutet hat, die Papstdogmen des 75 19. Jahrhunderts in gewisser Weise „einzuklammern“: Eine Wiedervereinigung zwischen Ostkirche und Westkirche sei möglich, so Ratzinger 1976 in Graz, wenn Rom vom Osten „nicht mehr an Primatslehre verlangt, als im ersten Jahrtausend gelehrt und gelebt worden ist“, und wenn der Osten „darauf verzichtet, die westliche Entwicklung des zweiten Jahrtausends als häretisch zu bekämpfen.“ Stattdessen sollen die Kirchen des Ostens die katholische Kirche in ihrer historisch gewordenen Gestalt als rechtmäßig und rechtgläubig akzeptieren. Wiedervereinigung wäre in dieser Perspektive ein „gegenseitiger Akt des Sich-Annehmens, des Sich-Wiedererkennens in der gemeinsamen unverlorenen Katholizität“. Ganz auf dieser Linie liegt auch eine Anregung Johannes Pauls II. hinsichtlich des Petrusdienstes. Der Papst schreibt in seiner Ökumene-Enzklika Ut unum sint (1995), er spüre eine besondere Verantwortung für die Einheit der Kirche, wenn er die an ihn gerichtete Bitte vernehme, „eine Form der Primatsausübung zu finden, die zwar keineswegs auf das Wesentliche ihrer Sendung verzichtet, sich aber einer neuen Situation öffnet“ (Nr. 95). Johannes Paul II. bestimmt die Aufgabe des Bischofs von Rom wesentlich als eine subsidiäre gegenüber den Teilkirchen. Diese Aufgabe könne der Bischof von Rom freilich
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Vgl. hierzu bes. das 2007 von einer Gemeinsamen Internationalen Kommission für den Theologischen Dialog zwischen der Römisch-Katholischen Kirche und der Orthodoxen Kirche unterzeichnete „Ravenna-Dokument“ über „Ekklesiologische und kanonische Konsequenzen der sakramentalen Natur der Kirche: Kirchliche Communio, Konziliarität und Autorität“ (dt. Übers. in: Dokumente wachsender Übereinstimmung, Bd. 4, Leipzig/Paderborn 2012, 833-848). RATZINGER, Die ökumenische Situation, 209 (auch zum Folgenden).
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nur dann wirksam ausüben, wenn sein Amt mit einer entsprechenden 76 Vollmacht und Autorität ausgestattet sei. Hier wird von päpstlicher Seite eine Gesprächsbereit signalisiert, deren ekklesiologische Reichweite bislang noch keineswegs hinreichend ausgelotet ist. 4.2 Kirchen und kirchliche Gemeinschaften der Reformation Doch nicht nur für die Kirchen des Ostens, sondern – und vielleicht mehr noch – auch für die Kirchen des Westens stellt der römische Primat ein schwerwiegendes ökumenisches Hindernis dar. Zwar hat sich gerade in Deutschland das Verhältnis der christlichen Konfessionen untereinander nach dem Zweiten Weltkrieg in besonderer Weise vertieft. Dennoch scheinen sich heute weniger die praktischen Beziehungen als vielmehr die ökumenischen Dialoge zwischen der katholischen Kirche und den Kirchen der Reformation schwieriger zu gestalten als die Gespräche zwischen der katholischen Kirche und den Kirchen des Ostens. Zwar teilt die katholische Kirche auch mit den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften der Reformation den Glauben an den dreifaltigen Gott, das Bekenntnis der einen Taufe und die Hochschätzung der Heiligen Schrift. Sie unterscheidet sich von ihnen aber doch sehr in ihrem Verständnis der Sakramente und des kirchlichen Amtes. Im Blick auf das kirchliche Amt ist in Unitatis redintegratio sogar vom „Fehlen“ oder vom „Mangel“ des Weihesakramentes in den Kirchen der Reformation die Rede – je nachdem, wie man das lateinische defec77 tus übersetzt. Das Konzil macht sich mit dieser Feststellung die traditionelle katholische Sicht zu Eigen, wonach es im 16. Jahrhundert in den meisten Kirchen der Reformation zu einem Abbruch der bischöf-
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„Mit der Vollmacht und Autorität, ohne die dieses Amt illusorisch wäre, muss der Bischof von Rom die Gemeinschaft aller Kirchen gewährleisten. Dadurch ist er der Erste unter den Dienern an der Einheit“ (UUS 94). „Obgleich bei den von uns getrennten Kirchlichen Gemeinschaften die aus der Taufe hervorgehende volle Einheit mit uns fehlt und obgleich sie nach unserem Glauben vor allem wegen des Fehlens des Weihesakramentes die ursprüngliche und vollständige Wirklichkeit (substantia) des eucharistischen Mysteriums nicht bewahrt haben, bekennen sie doch bei der Gedächtnisfeier des Todes und der Auferstehung des Herrn im Heiligen Abendmahl, dass hier die lebendige Gemeinschaft mit Christus bezeichnet werde, und sie erwarten seine glorreiche Wiederkunft“ (UR 22).
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lichen Sukzession gekommen ist. Dieser Abbruch habe unmittelbare Konsequenzen für die Feier der eucharistischen Mahlgemeinschaft; denn deren „ursprüngliche und vollständige Wirklichkeit“ sei in den Kirchen der Reformation nicht bewahrt worden. Zugleich aber, so die Erklärung, bekennen die Kirchen der Reformation „bei der Gedächtnisfeier des Todes und der Auferstehung des Herrn im Heiligen Abendmahl, dass hier die lebendige Gemeinschaft mit Christus bezeichnet werde, und sie erwarten seine glorreiche Wiederkunft“ (UR 22). Mit dieser Feststellung sind die ökumenischen Gespräche über die eucharistische Gegenwart auf eine bemerkenswert solide Grundlage gestellt. Tatsächlich haben nach dem Konzil zahlreiche Gespräche über die Natur des „Herrenmahls“ zu bemerkenswerten Annähe79 rungen zwischen den Konfessionen geführt. Als entscheidende theologische Herausforderung im interkonfessionellen Gespräch erweist sich insofern das Verhältnis zwischen Eucharistie bzw. Abendmahl einerseits und Kirche andererseits. Hinsichtlich der übrigen Sakramente haben die ökumenischen Gespräche der zurückliegenden Jahrzehnte zunehmende Übereinstimmungen zwischen der katholischen Kirche und den Kirchen der Re80 formation erkennen lassen. Inzwischen sind die im Rahmen bilateraler oder multilateraler Dialoge erzielten theologischen Konvergenzen in ihrer Vielfalt nahezu unüberschaubar geworden. Deshalb suchen engagierte Ökumeniker nach Wegen, das Erreichte für künftige ökumenische Gespräche zu sichern. Der lutherische Theologe Harding Meyer etwa hat den Kirchenleitungen vorgeschlagen, sich auf sog. „InVia-Erklärungen“ zu verständigen, welche den jeweils erzielten Kon-
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Für Wolfgang Beinert ist die Sukzession „unter dem Aspekt des Ökumenismus die am meisten umstrittene Position, vielleicht gegenwärtig das einzige noch echte Schwierigkeiten bereitende Theologumenon“: DERS./U. KÜHN, Ökumenische Dogmatik, Leipzig/Regensburg 2013, 520f. Vgl. D. SATTLER, Einheit im Geheimnis des Glaubens. Literaturbericht: Herrenmahl - Eucharistie - Abendmahl/Ökumenische Perspektiven, in: Bücher der Gegenwart. Beilage zu Christ in der Gegenwart 52 (2000) 184f; DIES./B. J. HILBERATH (Hg.), Vorgeschmack. Ökumenische Bemühungen um die Eucharistie (Festschrift Theodor Schneider), Mainz 1995 Vgl. hierzu bes. die von KARL LEHMANN und WOLFHART PANNENBERG herausgegebenen Ergebnisse von Studien, die der Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen in der ersten Hälfte der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts angestrengt hatte: Lehrverurteilungen – kirchentrennend? Rechtfertigung, Sakramente und Amt im Zeitalter der Reformation und heute, Freiburg/Göttingen 1986.
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sens zu theologischen Themen festhalten. Und im Jahr 2009 hat Kardinal Kasper mit seinem Projekt „Harvesting the Fruits“ ökumenische Übereinstimmungen, Annäherungen, aber auch Differenzen zusammengetragen, die sich gegenwärtig in den Gesprächen der römisch-katholischen Kirche mit vier nichtkatholischen Kirchen – den Lutheranern, den Reformierten, den Anglikanern und den Metho82 disten – identifizieren lassen. Fast selbstverständlich arbeiten gegenwärtig viele im ökumenischen Dialog Engagierte darauf hin, den anstehenden 500. Jahrestag der Reformation im Jahr 2017 nicht in kontroverstheologischer Abgrenzung, sondern in gemeinsamem Geden83 ken zu begehen. 4.3 Eine ökumenische „Hermeneutik des Wohlwollens“ Fünfzig Jahre nach dem Zweiten Vatikanum ist auf allen Ebenen des ökumenischen Miteinanders – aber auch des ökumenischen Streits – zuallermeist eine grundsätzliche „Hermeneutik des Wohlwollens“ gegenüber den jeweils anderen Konfessionen spürbar. Nicht mehr geht es Katholiken – wie in vergangenen Jahrhunderten – um polemische Abgrenzungen, sondern um die Anerkennung all jener Elemente oder Güter, von denen das Konzil sagt, dass aus ihnen „insgesamt die Kirche erbaut wird und ihr Leben gewinnt“, und dass sie „auch außerhalb der sichtbaren Grenzen der katholischen Kirche existieren 84 können“ (UR 3).
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Vgl. H. MEYER, Stillstand oder neuer Kairos? Zur Zukunft des evangelisch-katholischen Dialogs, in: Stimmen der Zeit (2007) 687-696. Harvesting the Fruits. Basic Aspects of Christian Faith in Ecumenical Dialogue, New York 2009; in dt. Übers. als: W. KASPER, Die Früchte ernten. Grundlagen christlichen Glaubens im ökumenischen Dialog, Leipzig/Paderborn 2011. Vgl. hierzu den Bericht der LUTHERISCH/RÖMISCH-KATHOLISCHEN KOMMISSION FÜR DIE EINHEIT, Vom Konflikt zur Gemeinschaft. Gemeinsames lutherisch-katholisches Reformationsgedenken im Jahr 2017, Leipzig/Paderborn 2013. Von grundsätzlicher Bedeutung für die Ökumene sind die am Ende des Dokuments formulierten fünf „ökumenischen Imperative“ (95-97). Ausdrücklich beansprucht die katholische Kirche nach UR 3 kein Monopol auf die Heilige Schrift, das Leben der Gnade, auf die Gaben des Heiligen Geistes, ja nicht einmal auf sichtbare Elemente des Kirche-Seins wie die Feier der Liturgie und die Spendung der Sakramente – auch wenn deren Natur im Einzelnen oft anders bestimmt wird als in der katholischen Kirche.
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Die ökumenische „Hermeneutik des Wohlwollens“ ist keineswegs gleichbedeutend mit unverbindlicher Beliebigkeit. Sie ist vielmehr von einem leidenschaftlichen Interesse für die Wahrheit christlichen Glaubens geleitet, unterstellt aber eben diese Leidenschaft auch den Mitgliedern der jeweils anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften. Die so verstandene „Hermeneutik des Wohlwollens“ begegnet in Unitatis redintegratio auffallend häufig. So wird in Nr. 19 zwar zunächst festgestellt, […], dass es zwischen diesen Kirchen und Gemeinschaften und der katholischen Kirche Unterschiede von großem Gewicht gibt, nicht nur in historischer, soziologischer, psychologischer und kultureller Beziehung, sondern vor allem in der Interpretation der offenbarten Wahrheit (UR 19).
Sogleich aber wird hinzugefügt: Damit jedoch trotz dieser Unterschiede der ökumenische Dialog erleichtert werde, wollen wir im Folgenden einige Gesichtspunkte hervorheben, die das Fundament und ein Anstoß zu diesem Dialog sein können und sollen (ebd.).
Eine ähnliche Struktur weisen auch die weiteren Ausführungen über die Kirchen der Reformation auf: Mehrfach werden die Unterschiede im Glaubensverständnis genannt, um ein „dennoch“ oder ein „nichtsdestoweniger“ hinzuzufügen, das den Weg zu einer ökumenischen 85 Verständigung bahnen soll. Diese Struktur ist für ein Gesamtverständnis des Dekretes von kaum zu überschätzender Bedeutung, markiert sie doch die grundsätzliche Richtung, die das Konzil der katholischen Kirche zu weisen beabsichtigt: die bestehenden Differenzen klar zu benennen, um gerade so und im Ausgang von diesen Differenzen den Weg aufeinander zu gehen zu können. Ziel dieses Weges ist es nach katholischem Verständ-
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UR 20: „[…] Wir wissen zwar, dass nicht geringe Unterschiede gegenüber der Lehre der katholischen Kirche bestehen, insbesondere über Christus als das fleischgewordene Wort Gottes und über das Werk der Erlösung, sodann über das Geheimnis und den Dienst der Kirche und über die Aufgabe Mariens im Heilswerk. Dennoch freuen wir uns, wenn wir sehen, wie die getrennten Brüder zu Christus als Quelle und Mittelpunkt der kirchlichen Gemeinschaft streben.“
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nis, die verborgene Einheit des Leibes Christi, der einen Kirche, zunehmend sichtbar werden zu lassen, um auf diese Weise der Welt jenen Gott zu bezeugen, der sich ihr in Jesus Christus geoffenbart hat. Dem Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück zufolge ordnet sich die ökumenische Gesamtabsicht des Konzils in dessen umfassende „Hermeneutik der Anerkennung“ ein: So findet sich in der dogmatischen Konstitution über die Kirche, «Lumen gentium», die dialogische Öffnung des Kirchenbegriffs im Blick auf die nichtkatholischen Kirchen, die nichtchristlichen Religionen und auch die Atheisten. Eine Hermeneutik der Abgrenzung, welche Nichtchristen als «Heiden» und Nichtkatholiken als «Schismatiker» und «Häretiker» bezeichnet, weicht hier einer Hermeneutik der Anerkennung, die das «Gute und Wahre» bei den anderen würdigt. Die überlieferte Lehre von der «Heilsnotwendigkeit» der Kirche wird nicht zurückgenommen, aber der Begriff der Kirche ausgedehnt, und es wird von unterschiedlichen Graden der Zugehörigkeit ge86 sprochen.
An die Stelle der rettenden Arche, um die herum es nur Tod und 87 Verderben gibt, setzt das Konzil mit seiner Hermeneutik der Anerkennung und des Wohlwollens eine Ekklesiologie konzentrischer Kreise. Diese Ekklesiologie erlaubt es, eine gestufte Nähe zur katholischen Kirche theologisch zu verantworten, die in letzter Instanz nicht nur die getrennten Kirchen, sondern auch die nichtchristlichen Religionen, ja alle Menschen guten Willens, umfasst. 5. ZUR VERBINDLICHKEIT DES ÖKUMENISMUSDEKRETS Zu Beginn des Jahres 2012 meinte Kardinal Walter Brandmüller, von 1998 bis 2009 Präsident des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaft, mit Blick auf die Gespräche des Vatikan mit der PiusBruderschaft darauf hinweisen zu müssen, dass den dabei am meisten 86
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J.-H. TÜCK, Ist die katholische Kirche in der Moderne angekommen? Die Verbindlichkeit des Konzils und die Frage der Aussöhnung mit den Traditionalisten, in: Neue Zürcher Zeitung, 2. Juni 2012, 51. Vgl. zu diesem Bild u.a. J. WERBICK, Kirche. Ein ekklesiologischer Entwurf für Studium und Praxis, Freiburg u.a. 1994, 253-263 (mit zahlreichen Hinweisen auf Texte der Theologiegeschichte).
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umstrittenen Dokumenten des Konzils, nämlich Nostrae aetate und Dignitatis humanae, ein nur minderer Verbindlichkeitsgrad zukommt. Gilt dies auch für Unitatis redintegratio, insofern es sich auch hier „lediglich“ um ein Dekret handelt, das zudem den Blick ad extra richtet? Allerdings sagt die Gattungsbezeichnung eines Konzilsdokuments noch wenig über seine Verbindlichkeit aus. Wer die Unterscheidung von Konstitutionen, Dekreten und Erklärungen, die das Zweite Vatikanische Konzil vorgenommen hat, als Hinweis auf deren jeweiligen Verbindlichkeitsgrad interpretieren wollte, wäre daran zu erinnern, dass etwa im 16. Jahrhundert das für die Geschichte des Katholizismus so folgenreiche Konzil von Trient lediglich Dekrete verabschiedet hat – darunter das bedeutende „Dekret über die Rechtfertigung“. Wichtiger als die Gattungsbezeichnung konziliarer Dokumente ist deren systematischer Ort im Gesamtgefüge der verabschiedeten Dokumente. Die in Unitatis redintegratio 11 erwähnte Rangordnung oder „Hierarchie der Wahrheiten innerhalb der katholischen Lehre“ ergibt sich aus der jeweiligen Art des „Zusammenhangs mit dem Fundament 88 des christlichen Glaubens“ (UR 11). Sie bedeutet aber gerade keine mindere Verbindlichkeit. Joseph Ratzinger spricht in diesem Zusammenhang gerne von einer „organischen Ganzheit“ des christlichen 89 Glaubens. Die einzelnen Wahrheiten des Glaubens haben im Gesamtgefüge zwar einen unterschiedlichen Stellenwert; nachrangige Wahrheiten sind deshalb aber nicht weniger wahr als die ihnen übergeordneten und dürfen deshalb auch nicht einfach missachtet werden. Entsprechend setzt das Ökumenismusdekret die zeitgleich verabschiedete Kirchenkonstitution Lumen gentium voraus und entfaltet deren Bedeutung im Blick auf die Beziehungen der katholischen Kirche zu den nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaf90 ten. In einem maßgeblich von Kardinal Walter Kasper verantworteten Schreiben des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der
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Vgl. dazu M. ENDERS, Hierarchie der Wahheiten, in: M. Sievernich/M. Delgado (Hg.), Die großen Metaphern des Zweiten Vatikanischen Konzils. Ihre Bedeutung für heute, Freiburg u.a. 2013, 120-137. Vgl. etwa: J. RATZINGER, Die Krise der Katechese und ihre Überwindung. Rede in Frankreich, Einsiedeln 1983, 16. Eine ähnliche systematische Verordnung im Gefüge aller Konzilstexte ließe sich für die anderen Dekrete und Erklärungen des Konzils ebenfalls vornehmen; vgl. hierzu die Beiträge von Sievernich und Hünermann in diesem Band.
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Christen zur Verbindlichkeit des Ökumenismus-Dekretes aus dem Jahr 2003 heißt es unmissverständlich: Unitatis redintegratio nachträglich zu degradieren hieße, sich über ein ökumenisches Konzil, über das authentische Lehramt der Kirche, über das vom Heiligen Geist geleitete Leben der Kirche zu stellen, und dem Heiligen Geist zu widerstehen, der diesen Prozess mit seinen Höhen und Tiefen, seinen Problemen, aber noch viel mehr mit seinen vielen hoffnungsvollen 91 Aspekten angestoßen hat.
Angesichts dieses Anspruchs drängt sich im Blick auf die nachkonziliare Lehrentwicklung der Verdacht auf, dass der Päpstliche Einheitsrat in der Vergangenheit bei maßgeblichen Verlautbarungen der Kurie und besonders der Glaubenskongregation nicht immer mit der vom Konzil gebotenen Sorgfalt konsultiert wurde. Dies aber widerspricht dem ausdrücklichen Wunsch der Konzilsväter. Diese nämlich hatten am Ende von Unitatis redintegratio gewünscht, dass „alles, was die Söhne der katholischen Kirche ins Werk setzen, in Verbindung mit den Unternehmungen der getrennten Brüder fortschreitet“ (UR 24). Dieser Wunsch bedeutet natürlich keine Selbstblockade in dem Fall, dass in strittigen Fragen kein ökumenischer Konsens erzielt werden kann. Aber er bedeutet wohl doch, dass in allem zunächst eine Verständigung mit den nichtkatholischen Brüdern und Schwestern wenigstens angezielt werden soll. Die Konzilsväter waren der festen Überzeugung, dass dies keineswegs zu einem Profilverlust des Katholischen führen muss, sondern vielmehr der Sendung der Kirche zugute kommt, nämlich in Wahrhaftigkeit und Treue Jesus Christus vor allen Menschen guten Willens zu bezeugen.
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Text nach: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, 5. Dez. 2003, 11f.; fast wortgleich in: W. KASPER, Das Ökumenismus-Dekret des Zweiten Vatikanischen Konzils und seine bleibende theologische Verbindlichkeit, in: Ders., Wege der Einheit. Perspektiven für die Ökumene, Freiburg u.a. 2004, 16-25, hier 25.
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Von der Toleranz zur religiösen Freiheit Argumente auf dem Weg zur Konzilserklärung Dignitatis humanae Im Zusammenhang des Lobs der Tugend der Gerechtigkeit im V. Buch der Nikomachischen Ethik wird von Aristoteles ein unbekannter Autor zitiert, der an der Gerechtigkeit hervorhebt, dass sie das „Gut 1 der Anderen“ sei. Aristoteles kann diesem Autor nur beipflichten, handelt es sich doch bei der Gerechtigkeit um die einzige der charakterlichen Tugenden, mittels derer Handelnde nicht nur ein Gut für sich, sondern gleichzeitig für andere zu realisieren vermögen. „[Die Gerechtigkeit] verwirklicht ja das, was dem anderen nützlich ist, mag es ein Vertreter der staatlichen Autorität oder einer unserer Freunde 2 sein“. Als Papst Benedikt im März 2012 während seines Besuchs in Kuba für die katholische Kirche eine wirksamere gesellschaftliche Präsenz forderte, beispielsweise die Wiedereinführung kirchlicher Feiertage, berief er sich auf ein allgemeines Menschenrecht, die Religionsfreiheit, nicht auf Prärogativen und Privilegien, die Gott exklusiv der Kirche verliehen hätte, auch nicht auf die religiösen Pflichten der staatlichen Autorität, und er beklagte folgerichtig die Einschränkung grundlegender Freiheitsrechte in Staaten wie Kuba. Die Freiheit, die die katholische Kirche für die Ausübung ihrer Sendung in Staat und Gesellschaft beansprucht, hat keine andere Grundlage als das Freiheitsrecht, das in der Würde menschlicher Personen grundgelegt ist. In der modernen Welt ist die Kirche „Anwältin für und Akteurin dank Religionsfreiheit“ und in dieser Eigenschaft auch „Anwältin der Reli-
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ἀλλότριον ἀγαθόv: ARISTOTELES, Nikomachische Ethik V, 1130a 3. Ebd., 1130a 4-6.
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gionsfreiheit der anderen Bekenntnisse“. Indem sie ihre eigene Freiheit verteidigt, verteidigt sie die Freiheit aller anderen in der Ausübung ihrer Religion, einschließlich derer, die sie traditionell als ‚Apostatenʻ, ‚Schismatikerʻ, ‚Häretikerʻ, ‚Heidenʻ und ‚Götzendienerʻ bezeichnet hatte. Sie verteidigt die Freiheit von Juden und Muslimen, 4 sogar die Freiheit der religiös Indifferenten und der Atheisten. Aber setzt sich die Kirche mit ihrer Haltung, die seit der Verabschiedung 5 der Erklärung über die Religionsfreiheit am Vorabend des Konzilsendes offizielle Doktrin ist, nicht dem Verdacht aus, dass sie ihren exklusiven Wahrheitsanspruch preisgibt und sich auf religiösem Gebiet dem Indifferentismus, Relativismus und Pluralismus nähert? Bischof Granados Garcia aus Toledo, einer der Väter auf dem Konzil, kritisierte, dass das Recht auf unterschiedslose Verbreitung von religiöser Wahrheit und Irrtümern eine „um es gelinde auszudrücken 6 – neue Lehre in der Kirche“ sei. Ein anderer spanischer Bischof betonte, dass dem Menschen „kein Recht der Wahl in religiösen Dingen zustehe, seitdem die Offenbarung ergangen sei, dass er vielmehr nur 7 die Pflicht habe, anzunehmen“. Eine Minderheit der Konzilsväter vertrat beharrlich den Standpunkt, dass sich Rechte nur aus objektiven geistigen Werten, z.B. der Wahrheit, herleiten ließen. Bei der Frage der Religionsfreiheit sei der Gegenstand des Rechts kein anderer als der Inhalt des religiösen Glaubens. Ein objektives Recht auf Religionsfreiheit besitze daher nur die römisch-katholische Kirche, die als wahre Kirche Jesu Christi Trägerin der offenbarten Wahrheit sei. Die Staaten, so die Auffassung der Minderheit, unterstehen nicht weniger dem göttlichen Gebot wie die Kirche. Demnach schulden
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DEUTSCHE KOMMISSION JUSTITIA ET PAX, Von der Toleranz zur Religionsfreiheit. Erklärung der Deutschen Kommission Justitia et Pax anlässlich des vierzigsten Jahrestags der Konzilserklärung „Dignitatis humanae“ im Dezember 2005, in: Religionsfreiheit – gegenwärtige Herausforderungen aus christlicher Sicht (Gerechtigkeit und Frieden 118), Bonn 2009, 11-20, hier 18. „[Die Kirche] fordert für sich nur jene Freiheit, die sie den anderen nicht nur einräumt, sondern für die sie sich auch für die anderen einsetzt.“ (R. SIEBENROCK, Theologischer Kommentar zur Erklärung über die religiöse Freiheit Dignitatis humanae, in: P. Hünermann/B. J. Hilberath [Hg.], Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Freiburg u.a. 2005, 125-218, hier 197). Die Schlussabstimmung fand am 7. Dezember 1965 statt. Zitiert nach TH. A. WEITZ, Religionsfreiheit auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil, St. Ottilien 1997, 89. Ebd.
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Regierungen, nicht nur einzelne Bürger, Gott die Erfüllung ihrer religiösen Pflicht, die im Fall der Staaten in nichts anderem bestehen könne als der Anerkennung und dem Schutz des Rechts der Kirche auf die unbehinderte Ausübung ihrer Sendung. Das Ideal der Minorität auf dem Konzil war bis zuletzt der katholische Konfessionsstaat, in dem die katholische Kirche die Stelle der einzigen Staatsreligion besetzt hielt. Im katholischen Konfessionsstaat des 20. Jahrhunderts – das Modell war Spanien unter der Herrschaft Francos – war Andersgläubigen die Religionsausübung ‚privatʻ gestattet, auch war die Ausübung religiösen Zwangs wie zu Zeiten der Reformation keine Option mehr. Die Existenz nicht-katholischer Minderheiten, ihrer Denkweisen und ihrer religiösen Praxis, wurde als ein Übel angesehen, das um der Vermeidung größerer Übel zu tolerieren war. Rechte wurden den Gläubigen der geduldeten Denominationen nicht zuerkannt. Atheistische Propaganda war zu verbieten. Das war die Norm für die katholischen Staaten. Von den nicht-katholischen Staaten, d.h. den Staaten mit großer nichtkatholischer oder nichtchristlicher Bevölkerungsmehrheit, forderte die Kirche für sich und 8 für alle „Kulte, die der natürlichen Religion nicht widerstreiten“ , das Recht auf freie Religionsausübung. Auf dem Konzil wurde für die hier nur sehr verkürzt dargestellte Position der Minorität wiederholt wie folgt argumentiert: Doctrina traditionalis haec est: Ius pro veritate; pro errore tolerantia, si quando exigat bonum commune („Dies ist die traditionelle Lehre: Recht für die Wahrheit; für den Irrtum Toleranz, soweit es das 9 Gemeinwohl erfordert“). Diese Lehre setzte sich auf dem Konzil bekanntlich nicht durch. Die Achtung der Andersgläubigen wurde nicht auf dem Weg der Ausweitung der klassischen katholischen Toleranzdoktrin erreicht, sondern auf dem Weg der Anerkennung der religiösen Freiheit als eines Grundrechts der Person, das sich aus der Personwürde herleitet. Von dieser als Grundrecht der Person verkündeten Religionsfreiheit – darauf macht der Konzilstheologe Pietro Pavan aufmerksam – sind weder die „Beziehungen der Menschen zu der Wahrheit oder zu Gott“ noch die „Beziehungen zwischen den Mitgliedern irgendeiner religiö8
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Die Formel findet sich sinngemäß in dem ersten Entwurf eines vorbereitenden Schemas De relationibus inter Ecclesiam et Statum necnon de tolerantia religiosa aus der Anfangszeit des Konzils, das aus der Feder von Kardinal Ottaviani stammte (Acta Synodalia Sacrosancti Concilii Oecumenici Vaticani II, Ser. II Praep. II/4, 657-661). Zitiert nach WEITZ, Religionsfreiheit, 89.
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sen Gemeinschaft und den Autoritäten innerhalb derselben“ betroffen, sondern einzig und allein „die Beziehungen der Menschen unter10 einander im gesellschaftlichen Leben“. Das Konzil entkoppelte den Inhalt des Rechts auf Freiheit in religiösen Dingen von dem Inhalt der religiösen Überzeugungen, die in Freiheit ergriffen werden können, und bestimmte den Inhalt des Rechts auf Freiheit rein negativ als 11 „Freiheit von Zwang in der staatlichen Gesellschaft“ . Pavan führt an, dass sich die Konzilsväter bei diesem Schritt von der Erwägung leiten ließen, dass es sich bei den Beziehungen zwischen Personen und geistigen Werten wie z.B. der Wahrheit nicht um rechtliche Beziehungen handeln könne – „es sind, wenn überhaupt, metaphysische, logische 12 oder sittliche Beziehungen“ . Als sittliche Beziehung weiß das Konzil das Verhältnis vernunftbegabter Wesen zur Wahrheit sehr wohl zu würdigen und spricht von der Pflicht, „die Wahrheit, besonders in dem, was Gott und seine Kirche angeht“, aufzunehmen und zu be13 wahren. Die religiöse Freiheit lässt die „überlieferte katholische Lehre von der moralischen Pflicht der Menschen und der Gesellschaft gegenüber der wahren Religion und der einzigen Kirche Christi [voll14 kommen] unangetastet“ . Verabschiedet hat sich das Konzil von einer bestimmten rechtsphilosophischen Figur, wonach allein der Bezug zu einem transzendenten Wert wie z.B. der Wahrheit ein Recht zu konstituieren vermag. Rechtliche Beziehungen – so kommentiert Pavan die Wendung des Konzils – sind „immer und ausschließlich intersubjektive Beziehungen, d.h. Beziehungen zwischen den Trägern des Rechts, 15 von Person zu Person“. Das Recht der religiösen Freiheit ist ein Recht auf Freisein von Zwang, der von anderen Personen, gesellschaftlichen Gruppen oder der Staatsgewalt ausgehen kann, und besteht unabhängig von der Stellungnahme der Person zu einem transzendenten Wert wie der Wahrheit allein aufgrund der Freiheitsnatur menschlicher Personen.
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P. PAVAN, Die wesentlichen Elemente des Rechts auf Religionsfreiheit, in: J. Hamer/Y. Congar (Hg.), Die Konzilserklärung über die Religionsfreiheit, Paderborn 1967, 167-225, hier 171. Erklärung über die religiöse Freiheit Dignitatis humanae, Nr. 2. PAVAN, Die wesentlichen Elemente, 169. DiH, Nr. 1. Ebd 1. PAVAN, Die wesentlichen Elemente, 169.
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Das Freiheitsrecht vom Zwang in religiösen und weltanschaulichen Dingen artikuliert sich laut Pavan in zweifacher Brechung: (a) als Recht, „nicht gezwungen zu werden, gegen seine eigene Überzeugung zu handeln“, (b) als Recht, „nicht gehindert zu werden, in den gegebenen Grenzen, in Übereinstimmung mit seiner Überzeugung zu 16 handeln“. In dem erstgenannten Sinn ist die religiöse Freiheit im katholischen Bereich immer anerkannt worden und bildet den Kern der Lehre von der Freiheit des Glaubensakts, der seiner Natur nach Nötigung und Gewaltanwendung ausschließt. In dem zweitgenannten Sinn wurde die religiöse Freiheit als Grundrecht der Person von so gut wie keinem katholischen Autor bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hin verteidigt, geschweige denn vom Lehramt. Die katholische Option war bis an die Schwelle des Konzils die Beibehaltung und Dehnung des klassischen Toleranzkonzepts im Verbund mit einer Staatskonzeption, der gemäß Staat und Kirche zwar nicht unterschiedslos eins sind, aber als Instrumente der einen Vorsehung und als Adressaten des einen göttlichen Willens in einem gemeinsamen Verantwortungsraum vor Gott stehen und aus diesem Transzendenzbezug ihre je spezifischen Rechte und Pflichten herleiten. Das klassische katholische Toleranzkonzept konnte sich auf dem Konzil nicht durchsetzen. Wir haben bereits gesehen, dass an die Stelle weitestgehender Tolerierung der religiösen Lehren und Praktiken von Nichtkatholiken die Anerkennung eines in der Natur der Person wurzelnden Rechts auf Freisein vom Zwang in religiösen Dingen trat. Dieses Recht war an keine inhaltliche Stellungnahme zu irgendeinem religiösen Inhalt geknüpft, auch nicht der wahren Religion. Im Fortgang meines Beitrags möchte ich in der hier angegebenen Reihenfolge auf folgende Fragen antworten: (1) Wie wurde theologisch die Toleranz gegenüber Andersgläubigen begründet? (2) Was sind die Grundzüge der klassischen katholischen Staatsdoktrin? (3) Wie war vorzugehen, wenn Katholiken im Staat die Minderheit bildeten? (4) Markiert die Anerkennung der vollen Religionsfreiheit für alle einen Bruch mit der bisherigen Lehrverkündigung der Kirche? (5) Wie lässt sich der Paradigmenwechsel, den das Konzil mit der Verabschiedung der Erklärung über die Religionsfreiheit vollzogen hat, näherhin umreißen? (6) Und schließlich: hat die Kirche sich selbst und Andere von dem Anspruch der Wahrheit dispensiert, als sie die
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Anerkennung der vollen Religionsfreiheit für Alle in den Rang einer offiziellen Doktrin erhob? 1. DAS KLASSISCHE KATHOLISCHE TOLERANZKONZEPT Von eminenter theologiehistorischer Bedeutung für das klassische katholische Toleranzkonzept sind die Ausführungen des Thomas von Aquin in den Quaestiones 10 und 11 der Pars secunda secundae seiner theologischen Summe. Thomas fragt dort zunächst ganz allgemein, ob jede Form des Unglaubens Sünde ist. In seiner Antwort unterscheidet er zwei Weisen des Unglaubens. Unter ‚Unglaubenʻ kann – erstens – das bloße Fehlen des Glaubens verstanden werden, „so dass man von einem Ungläubigen lediglich deshalb spricht, weil er den Glauben nicht hat“. ‚Unglaubeʻ kann aber auch – zweitens – den ausdrückli17 chen „Widerspruch zum Glauben“ meinen. Seine Frage, ob jede Form des Unglaubens Sünde sei, beantwortet Thomas nun wie folgt: die Ungläubigen im ersten Sinn – das sind diejenigen, „die vom Glauben nichts gehört haben“ – werden „zwar wegen anderer Sünden, die ohne Glauben nicht vergeben werden können, verworfen. Sie werden aber nicht wegen der Sünde des Unglaubens verworfen.“ Der Unglaube in der zweiten Bedeutung des Worts ist eindeutig „Sünde“, was nicht zur Folge hat, dass jegliches Tun des 18 Ungläubigen Sünde ist. Der Unglaube des Heiden, der Unglaube des Juden und der Unglaube des vom Glauben abgefallen Häretikers oder Schismatikers sind jedoch nach Graden der Schwere ihrer Sün19 digkeit unterschiedlich zu bewerten. [Es] sündigt schwerer gegen den Glauben, der sich gegen den bereits angenommenen Glauben auflehnt, als der, der dem Glauben widerstrebt, den er noch gar nicht angenommen hat, und wieder schwerer sündigt, der nicht erfüllt, was er versprochen hat, als wenn er nicht erfüllt, was er nie versprochen hat. Und insofern ist der Unglaube der Häretiker, die den Glauben
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Summa theologiae II-II, qu. 10, art. 1; im Folgenden zitiert nach der deutschen Thomasausgabe, Glaube als Tugend, II-II, 1-16 (Vollständige, ungekürzte deutschlateinische Ausgabe der Summa theologica, Bd. 15, hg. von der Albertus-MagnusAkademie, Walberberg bei Köln, 1950). Vgl. ebd., art. 4. Ebd., art. 5.
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des Evangeliums bekennen und ihm widersprechen, indem sie ihn entstellen, eine schwerere Sünde als die [Sünde] der Juden, die den Glauben des Evangeliums niemals angenommen haben. Weil sie aber sein Vorbild im Alten Gesetz angenommen haben, das sie falsch deuten und entstellen, so ist auch ihr Unglaube eine schwerere Sünde als der Unglaube der Heiden, die 20 in keiner Weise den Glauben angenommen haben.
Für Thomas steht außer Zweifel, dass man Ungläubige aller drei Kategorien nicht zum Glauben zwingen darf, denn sie sollen den Glauben 21 „aus sich heraus“ annehmen. „Glaube ist Sache des Willens“; der Wille ist seiner Natur nach frei. Ungläubige sind mit Gewalt daran zu hindern, dass sie dem Glauben öffentlich Schaden zufügen, „sei es durch Lästerungen oder durch bösartiges Zureden oder durch offene 22 Verfolgungen“. Das Verbot der Anwendung von Zwang findet auf Häretiker keine Anwendung. Diejenigen, die schon einmal den Glauben angenommen haben, jetzt aber abgefallen sind, sie sind „mit körperlichen Mitteln zu nötigen, zu erfüllen, was sie versprochen, und 23 festzuhalten, was sie ein für allemal angenommen haben“. Thomas begreift den Glauben als ein „rechtsartiges Treueverhältnis“, dessen Auflösung unsittlich wäre und außerdem die Grundlagen 24 der religiös-politischen Einheitswelt des Mittelalters bedrohte. Häresie war fast immer mit politischem Aufruhr verknüpft. Haben Juden den Glauben einmal angenommen, „müssen sie unausweichlich ge25 zwungen werden, den Glauben festzuhalten“. Als nächstes fragt Thomas, ob kirchliche und staatliche Autoritäten die „gottesdienstlichen Gebräuche der Ungläubigen“ dulden dürfen, liege es doch auf der Hand, dass die „Ungläubigen durch die Be26 obachtung ihrer Religionsbräuche sündigen“. Thomas unterscheidet zwischen Juden und Heiden. Die Gebräuche der Juden werden geduldet. Da in ihren Gebräuchen die „Wahrheit des von uns festgehal-
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Ebd., art. 6. Ebd., art. 8. Ebd. Ebd. Vgl. E.-W. BÖCKENFÖRDE, Die Religionsfreiheit im Spannungsfeld zwischen Kirche und Staat, in: Ders., Religionsfreiheit. Die Kirche in der modernen Welt, Freiburg u.a. 1990, 33-58, hier 34. Summa theologiae II-II, qu. 10, art. 8. Ebd., art. 11.
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tenen Glaubens vorgebildet war“, erwächst aus dem jüdischen Kult das „Gute, dass wir von Seiten unserer Feinde ein Zeugnis unseres Glaubens haben und dass uns gleichsam im Bilde vor Augen steht, was 27 wir glauben“. „Die Gebräuche anderer Ungläubiger, die keinerlei Wahrheit oder Nutzen an die Hand geben, darf man nicht dulden, 28 außer etwa, um einem Übel vorzubeugen.“ Thomas erwähnt den öffentlichen Anstoß, die Zwietracht oder das Verschließen der Tür der anderen, könne man doch Heiden, denen gegenüber man sich tolerant erweise, mit der Zeit zum Glauben bekehren. Objektiv gesehen ist die Existenz fremder Religion immer ein Übel, doch ist in einer Art Schadensabwägung zu prüfen, ob deren Beseitigung neue Übel hervorruft, die das anfängliche Übel an Schwere übertreffen. In manchen Fällen ist das Übel zu tolerieren. Thomas legt ein Argument vor, das vom Lehramt in Abwandlung noch bis zum Vorabend des Konzils vertreten wurde, wie wir weiter unten sehen werden. Thomas schreibt: Gott lässt, wiewohl er allmächtig und im höchsten Grade vollkommen ist, dennoch innerhalb des Weltganzen manche Übel, die Er verhindern könnte, zu, damit nicht durch ihre Beseitigung Gutes von höherem Wert unterbunden oder gar schlimmere Übel als Folge eintreten würden. So dulden auch im Bereich menschlichen Regierens die Vorsteher in berechtigter Weise manche Übel, damit Gutes nicht verhindert werde, oder auch, damit man sich noch schlimmeren Übeln aussetze. So sagt zum Beispiel der heilige Augustinus: „Entferne die Buhlerinnen aus der menschlichen Gesellschaft, und du wirst durch die sinnlichen Leidenschaften alles in Unordnung bringen.“ So können also die Ungläubigen in ihren Religionsbräuchen geduldet werden, obwohl sie damit sündigen; sei es wegen eines Guten, das daraus erwächst, oder um eines Übels willen, dem 29 man damit vorbeugt.
Ebenso wenig darf man die Kinder von Juden und anderen Ungläubi30 gen gegen den Willen ihrer Eltern taufen. Häretiker hingegen sind unter keinen Umständen zu dulden. Sie können, „sobald sie der Häresie überführt sind, nicht nur aus der Gemeinschaft ausgeschlossen,
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Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. ebd., art.12.
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sondern auch rechtens getötet werden“. Zur Begründung führt Thomas an, dass die Kirche neben dem zeitlichen Wohl ihrer Gläubigen auch ihr ewiges Heil im Blick haben müsse. Ewiges Heil ist weitaus besser als irdisches Wohl, und der Verlust des ewigen Heils ist weitaus schlimmer als der Verlust irdischer Güter, das irdische Leben eingeschlossen. Die wahre Liebe gebietet es, dass man sich für das Heil und das Wohl der größeren Zahl entscheidet, auch wenn dabei dem Einzelnen Schaden zuzufügen ist. Häretiker werden den Gläubigen deshalb zur Gefahr, weil sie den wahren Glauben verfälschen. Der wahre Glaube ist eine Voraussetzung für das ewige Heil eines jeden Menschen. Ein falscher Glaube vermag den Menschen in die ewige Verdammnis zu stürzen bzw. sein ewiges Heil zu verhindern. Der Glaube des Menschen ist in seiner heilsentscheidenden Dimension durch das Wirken anderer in hohem Maße beeinflussbar, sei es zum Guten oder zum Schlechten. Aus Liebe zum Nächsten muss die Autorität wollen, dass der Häretiker aus der menschlichen Gemeinschaft entfernt werde, „einerseits, weil das ewige Heil einem vergänglichen Gute vorzuziehen ist, andererseits, weil das Wohl einer Vielheit dem Wohl eines 32 einzelnen vorgeht“. Nachdem wir nun gesehen haben, in welchem Umfang und mit welcher Begründung Thomas Andersgläubigen Toleranz gewähren kann, und wo deren Grenzen liegen, wollen wir uns dem moderneren Toleranzkonzept von Papst Pius XII. zuwenden. In einer denkwürdigen Ansprache an die Vereinigung katholischer Juristen Italiens vom 6. Dezember 1953 erneuert der Papst den Grundsatz, dass keine menschliche Autorität und kein Staat das Recht haben, „etwas zu lehren oder zu tun, was gegen die religiöse Wahrheit oder gegen das sitt33 lich Gute wäre“. Pius spricht nicht von Sünde, wohl aber von Unrecht, das in einem solchen Falle dem wahren Glauben zugefügt würde. Pius leitet nun zum Thema der Toleranz über und stellt rein rhetorisch die Frage: Kann Gott, obwohl es ihm möglich und leicht wäre, den Irrtum und die Entgleisung zu unterdrücken, in einigen Fällen das ‚Nichtverhindern’ wählen, ohne in Widerspruch mit seiner
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Summa theologiae II-II, qu. 11, art. 3. Ebd., art. 4. H. SCHNATZ (Hg.), Päpstliche Verlautbarungen zu Staat und Gesellschaft, Darmstadt 1973, 379.
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Vollkommenheit zu geraten? Kann es geschehen, dass er unter bestimmten Verhältnissen den Menschen keinen Befehl gibt und keine Verpflichtung auferlegt, ja ihnen nicht einmal das 34 Recht gibt, den Irrtum und das Falsche zu unterdrücken?
Die Antwort kann nur positiv sein. „Gott verurteilt [Irrtum und Sün35 de], doch er lässt sie bestehen“. Pius leitet aus diesem Faktum die Schlussfolgerung ab, dass die „Pflicht, sittliche und religiöse Verirrungen zu unterdrücken, [...] keine letzte Norm des Handelns sein kann. Sie muss höheren und allgemeineren Normen untergeordnet werden, die es unter gewissen Verhältnissen erlauben, ja es vielleicht als den besseren Teil erscheinen lassen, den Irrtum nicht zu verhin36 dern, um ein höheren Gut zu verwirklichen“. Der Papst fasst seine Antwort in zwei Thesen zusammen: 1. Was nicht der Wahrheit und dem Sittengesetz entspricht, hat objektiv kein Recht auf Dasein, Propaganda und Aktion. 2. Nicht durch staatliche Gesetze und Zwangsmaßnahmen einzugreifen, kann trotzdem im Interesse eines höheren und umfas37 senderen Gutes gerechtfertigt sein.
Die beiden Sätze enthalten die offizielle Toleranzdoktrin der katholischen Kirche, die bis zum Vorabend des Konzilsendes in Geltung blieb und auch noch in Gestalt des Schemas De relationibus inter Ecclesiam et Statum necnon de tolerantia religiosa Eingang in die Konzilsaula 38 fand. Die Konzilsväter haben einen anderen Weg beschritten und das Toleranzmotiv restlos in dem Begriff der Religionsfreiheit aufgehen lassen, bis dahin, dass sie den Terminus auch sprachlich eliminiert haben. Nicht nur die traditionelle Toleranzlehre, „sogar der Toleranzbegriff selbst [wurde] als Hindernis für das Anliegen des Konzils in Sachen Religionsfreiheit angesehen“, so der Tübinger Fundamen-
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Ebd., 379f. Ebd., 381. Ebd. Ebd. Vgl. Acta et Documenta Concilii Oecumenici Vaticani II Apparando, Series II (Praeparatoria) II/4, 657-661.
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taltheologe Max Seckler. Wie soll man diesen Sachverhalt bewerten? Indem das Konzil die Toleranzproblematik auf „ihren rechtlichen Kern“ reduzierte, so Seckler eher kritisch, sei es der Komplexität des 40 Toleranzthemas nicht gerecht geworden, ja es habe die Toleranzproblematik noch verschärft, indem es den weltanschaulich-religiösen Pluralismus „aus dem Zusammenhang von Menschenwürde, Menschenrechten, Wahrheit und Freiheit geradezu sanktioniert“ und ihn der Kirche unter Ausklammerung der Wahrheitsfrage „auferlegt“ 41 habe. Glaubte das Konzil tatsächlich, dass sich die Antagonismen und Konflikte, die sich aus einem wuchernden Pluralismus aufbauen, allein mit den Mitteln des Rechts lösen lassen? Selbst wenn es der Rechtsordnung gelingen sollte, die Konflikte zu zähmen, kann das Zusammenleben der Menschen nicht der Tugend der Toleranz entraten. Diese hat für Seckler eine ethische und eine eschatologische Seite. In eschatologischer Hinsicht unterstreicht die Toleranz die „Vorläufigkeit unserer Daseinsordnung“ und die „Kontingenz unserer Wahrheitshabe“. Die ethische Toleranz ist in dieser Hinsicht „in einem sowohl Ausdruck als auch Ermöglichung menschlicher Gemeinschaft in 42 statu viatoris“. Seckler erhebt sie in den Rang des „Existential[s] einer auf Frieden und Versöhnung, aber eben auch auf Wahrheit und Freiheit angelegten Schöpfungs- und Erlösungsordnung, die noch in Wehen liegt, zu deren Würde aber der Streit um die Wahrheit ebenso gehört wie die Achtung fremder Freiheit und das Wissen um die eige43 ne Kontingenz“. Daher ist für Seckler die „Toleranz im guten alten Sinn absolut unverzichtbar“. Er leitet daraus den Schluss ab, dass das „Toleranzdenken“ mit Dignitatis humanae „nicht sein Ende, sondern 44 eher nur eine neue, bessere Grundlage gefunden hat“. Waren die Konzilsväter also schlecht beraten, als sie den Toleranzdiskurs nicht wieder aufnahmen und das mit ihm verknüpfte Anliegen auf die rechtliche Ebene transponierten? Um der begrifflichen Klarheit willen war es von eminenter Bedeutung, zwischen religiöser Tole-
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M. SECKLER, Religionsfreiheit und Toleranz. Die „Erklärung über die Religionsfreiheit“ des Zweiten Vatikanischen Konzils im Kontext der kirchlichen Toleranz- und Intoleranzdoktrinen, in: Theologische Quartalschrift 175 (1995) 1-18, hier 5. Ebd., 15. Ebd., 16. Ebd., 17. Ebd., 17f. Ebd., 18.
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ranz und der menschenrechtlich verstandenen Religionsfreiheit zu unterscheiden. Heiner Bielefeldt listet die Unterschiede auf: Während die Toleranz obrigkeitlich gewährt (oder versagt) wurde, bezeichnet die Religionsfreiheit einen unveräußerlichen Rechtsanspruch der Menschen; während sich die Toleranz auf einen begrenzten Kreis religiöser Gruppen erstreckte, ist der Anspruch der Religionsfreiheit universalistisch gedacht; und während im Rahmen einer Politik religiöser Toleranz Rangabstufungen zwischen unterschiedlichen Religionsgemeinschaften möglich blieben, ist das Menschenrecht auf Religionsfreiheit mit dem Anspruch diskriminierungsfreier Ge45 währleistung verbunden.
Als Menschenrecht unterscheidet sich die Religionsfreiheit nicht nur von der „traditionellen religiösen Toleranz“, die von Muslimen, Juden und Christen zeitweise praktiziert wurde, sondern auch von der „weiter reichenden aufgeklärten Toleranzpolitik, wie sie im berühmten Ausspruch Friedrichs des Großen zum Ausdruck kommt, wonach 46 ‚jeder nach seiner Fasson selig’ werden dürfe“. Religionsfreiheit zählt als individuelles Freiheitsrecht zu den Menschenrechten der 47 „ersten Generation“ . Es ist aber kein reines Individualrecht, weil es dem Einzelnen die Freiheit einräumt, seinen Glauben öffentlich und 48 in Gemeinschaft auszuüben. In historischer und staatstheoretischer Perspektive löste die menschenrechtlich verstandene Religionsfreiheit die Toleranzgesetzgebung aufgeklärter Staaten ab und trat an deren Stelle. Mit diesem Schritt war die Toleranz als politische Praxis oder Form der Staatspolitik gegenstandslos geworden, nicht jedoch als
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H. BIELEFELDT, Bedrohtes Menschenrecht. Erfahrungen mit der Religionsfreiheit, in: Herder-Korrespondenz 60 (2006) 65-70, hier 67 (Hervorhebungen im Original). Ebd. Dieter Witschen identifiziert in historisch-genetischer Perspektive drei „Generationen der Menschenrechte“. Die erste Generation bilden die „individuellen Freiheitsund die politischen Partizipationsrechte“, zu denen die Religionsfreiheit zählt. Mit der zweiten Generation verbinden sich die „sozialen Anspruchsrechte“ und mit der dritten die „internationalen Solidaritätsrechte“: D. WITSCHEN, Religionsfreiheit und Kirche. Politik – Rechtsethik – Theologie, Paderborn 2013, 16. Religionsfreiheit als Grundrecht der Person entfaltet sich in vier Dimensionen, der Glaubensfreiheit, der Bekenntnisfreiheit, der Religionsausübungsfreiheit und der religiösen Versammlungsfreiheit; vgl. WITSCHEN, Religionsfreiheit und Kirche, 16.
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Haltung bzw. Tugend der Staatsbürger im lebenspraktischen Umgang 49 mit Andersdenkenden und Andersgläubigen. Rainer Forst unterscheidet in einer Vorarbeit zu seiner vielbeachteten Studie zur Geschichte und zum normativen Gehalt des Toleranzbegriffs vier Konzeptionen von Toleranz, die sich zur menschenrechtlich verstandenen Religionsfreiheit entweder komplementär oder negierend verhalten: (a) eine „Erlaubnis-Konzeption“, bei der eine Autorität oder Mehrheit einer Minderheit die „Erlaubnis gibt, ihren Überzeugungen gemäß zu leben, solange sie – und das ist die entscheidende Bedingung – die Vorherrschaft der Autorität oder Mehr50 heit nicht in Frage stellt“, (b) einer „Koexistenz-Konzeption“, bei der sich zwei gleich starke Gruppen gegenüberstehen, die einander tolerieren, ohne die religiösen und politisch-moralischen Überzeugungen 51 des jeweils anderen zu teilen, (c) einer „Respekt-Konzeption“ und 52 (d) einer „Wertschätzungs-Konzeption“. Während in den Konzeptionen (a) und (b) die Toleranz jeden Rechtsanspruch ausschließt, respektieren in der Konzeption (c) die Toleranzparteien einander als rechtlich und politisch Gleiche trotz fortbestehender weltanschaulich-religiöser Differenzen. In der Konzeption (d) tritt zu der rechtlichen Anerkennung die Wertschätzung des Bekenntnisses des jeweils Anderen. Mit der Respekt-Konzeption wird der Boden der wechselseitig zugestandenen und allgemein anerkannten Grundrechte betreten, während dieser von der Wertschätzungs-Konzeption schlicht vorausgesetzt wird. Von ihrem Selbstverständnis her konnte die katholische Kirche Toleranz unmöglich anders als im Sinn der Erlaubnis-Konzeption verstehen und praktizieren. Toleranz wurde hierbei als permissio mali, als „Dulden einer als weder wertvoll noch gleichberechtigt angesehenen Überzeugung oder Praxis, die jedoch nicht die Grenzen des Erträgli53 chen überschreitet“, verstanden. Der weltanschaulich-religiöse Irrtum galt ihr als Übel, das nur dann zu dulden war, wenn das Ein-
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Zu dieser Unterscheidung vgl. R. FORST, Toleranz im Konflikt. Geschichte, Gehalt und Gegenwart eines umstrittenen Begriffs, Frankfurt am Main 2003, 17. R. FORST, Toleranz, Gerechtigkeit und Vernunft, in: Ders. (Hg.), Toleranz. Philosophische Grundlagen und gesellschaftliche Praxis einer umstrittenen Tugend, Frankfurt am Main 2000, 119-143, hier 124. Ebd., 125. Ebd., 127-129. Vgl. ebd., 125.
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schreiten zu noch größerem Übel führte. Als Beleg für diese Haltung führt Forst den Kommentar des Johannes Teutonicus zum Dekret 54 Gratians an: minus malum toleratur ut maius tollatur . Aus der Duldung darf nicht die Billigung geschlossen werden: ecclesia non approbat, sed 55 permittit. Aus der Sicht der Kirche stellte der weltanschaulich-neutrale Staat nicht weniger ein Übel dar als der Irrtum, den jener nicht bekämpfte. Mit der Erlaubnis-Konzeption der Toleranz war die religiöse Indienstnahme des Staates verknüpft, die mit seiner weltanschaulich-religiösen Neutralität nicht vereinbar war. 2. ERWARTUNGEN AN DEN KATHOLISCHEN STAAT Paradigmatisch für das Kirche-Staat-Verhältnis sind die Ausführungen Papst Leos XIII. in der Enzyklika Immortale Dei aus dem Jahr 1885. Das Zueinander von Staat und Kirche ist von der Tatsache geprägt, dass die staatliche Gemeinschaft nicht weniger als die Kirche Adressatin und Empfängerin des göttlichen Willens ist. So wie die einzelnen Gläubigen unter der Anleitung der Kirche zur wahren Gottesverehrung verpflichtet sind, hat auch der Staat gegenüber Gott seine Pflich56 ten zu erfüllen, die in „öffentlicher Religionsausübung“ bestehen. Auch für die Staaten gibt es „keine andere Art und Weise der Gottes57 verehrung als jene, welche Gottes Wille selbst vorgeschrieben hat“. Es dürfte den Staaten nicht schwer fallen zu erkennen, so der Papst, welche die wahre Religion sei: [So] viele und so lichtvolle Beweisgründe, die Wahrheit der Weissagungen, die häufigen Wunder, die äußerst schnelle Verbreitung [...] inmitten einer feindlichen Welt [...], das Zeugnis der Märtyrer und so manches Ähnliche tun augenscheinlich dar, jene sei die allein wahre Religion, welche Jesus Christus selbst gestiftet und seiner Kirche sie zu behüten und weiter aus58 zubreiten übergeben hat.
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Aus der Glossia ordinaria von 1215, zitiert nach FORST, Toleranz im Konflikt, 85. Zitiert nach FORST, Toleranz im Konflikt, 85. SCHNATZ, Päpstliche Verlautbarungen, 103. Ebd., 105. Ebd., 107.
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Kraft göttlichen Rechts sind die Staaten gehalten, die katholische Religion zu ihrer einzigen Staatsreligion zu erheben und die Aktivitäten der Kirche nach Kräften zu fördern. Die Kirche kann es daher den Staaten nicht erlauben, dass sie den anderen Bekenntnissen dasselbe Recht einräumt wie der wahren Religion; sie tadelt aber die Regierungen nicht, „wenn sie wegen großer staatlicher Vorteile oder um Übles zu verhindern nach Herkommen und Gewohnheit dulden, dass diese 59 im Staate bestehen“ . Es wäre ein Missverständnis, wollte man aus der toleranten Haltung der Kirche gegenüber Andersgläubigen das Recht ableiten, in den Staaten „Gedanken-, Rede-, Lehr- und unterschiedslos Religionsfreiheit zu fordern, zu verteidigen, zu gewähren, als wären 60 alle diese Freiheiten von Natur gegebene Rechte“, so Leo in der Enzyklika Libertas praestantissimum von 1888. Wären solche Rechte von Natur aus gegeben, würden sie der Verpflichtung gegenüber der offenbarten Wahrheit und der göttlichen Majestät widersprechen, was widersinnig sei. Die Lehren Leos XIII. blieben bis in die Zeit des Konzils die offizielle Doktrin zum Kirche-Staat-Verhältnis. Noch in der 11. Auflage des von Klaus Mörsdorf verfassten Lehrbuchs des Kirchenrechts, die 1964 – also während des Konzils – erschien, lesen wir: [Die Kirche will durchaus nicht], dass der Staat sich von den Angelegenheiten der Religion und der Sittlichkeit fernhalte, sondern erwartet von ihm eine positive Förderung der wahren christlichen Religion. Der religiös neutrale Staat der Neuzeit er61 scheint ihr als nationale Apostasie.
Mörsdorf kommt auch auf die Forderung nach religiöser Freiheit zu sprechen. Die Kirche muss ihr widerstehen: Als getreue Hüterin der christlichen Offenbarung kann die Kirche dem Irrtum keinerlei Rechte zugestehen und muss daher die unbeschränkte Bekenntnis- und Kultusfreiheit ablehnen; sie verkennt indessen nicht, dass der konfessionell ge-
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Ebd., 129 Ebd., 185. K. MÖRSDORF, Lehrbuch des Kirchenrechts auf Grund des Codex Iuris Canonici, I. Band, München u.a. 111964, 45.
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mischte Staat in einer anderen Lage ist als der katholische des 62 Mittelalters.
3. ZWEIERLEI MASS Wie war vorzugehen, wenn Katholiken im Staat nicht die Mehrheit bildeten? Eine Handlungsanweisung bot das These-Hypothese-Schema, das in unterschiedlichen Varianten seit der Mitte des 19. Jahrhunderts propagiert wurde und durch Kardinal Ottaviani Eingang in die Konzilsaula fand. In ihrer krassen Form wurde diese Theorie noch 1948 in der von Jesuiten herausgegebenen Zeitschrift Civiltà Cattolica vertreten. Der Artikel ist ungezeichnet. Darin heißt es: [In] einem Staat, wo die Mehrheit katholisch ist, [wird die Kirche verlangen], dass dem Irrtum keine gesetzliche Existenz gegeben werde und dass den nicht-katholischen religiösen Minderheiten nur eine faktische Existenz ohne Möglichkeit der Propaganda gelassen werde. Wenn aber die konkreten Umstände die volle Anwendung dieses Prinzips nicht erlauben, [...] dann wird die Kirche für sich größtmögliche Konzessionen verlangen. Zugleich wird sie genötigt sein, als geringeres Übel die gesetzliche Tolerierung anderer Religionsgemeinschaften anzunehmen. In einigen Ländern werden die Katholiken überdies gezwungen sein, selber die volle Religionsfreiheit für alle zu verlangen, wo sie im Grund allein das Existenzrecht hätten. In diesem Fall verzichtet die Kirche nicht auf ihre These, aber sie passt sich der Hypothese an, d.h. der tatsächlichen Lage, 63 von der das konkrete Leben nicht absehen kann.
Der ‚Theseʻ entsprach das Ideal des katholischen Konfessionsstaats, der aus katholischer Sicht zwar die Norm darstellte, aber selbst in den Staaten, in denen die Katholiken die Bevölkerungsmehrheit bildeten, nicht mehr durchsetzbar war. In der Rechtswirklichkeit dieser Länder basierte das Existenzrecht der Kirche nicht auf der Anerkennung göttlicher Prärogativen mit Blick auf diese Kirche, sondern auf der gesetz62 63
Ebd., 45f. Zitiert nach E.-W. BÖCKENFÖRDE, Religionsfreiheit als Aufgabe der Christen, in: Ders., Religionsfreiheit, 15-31, hier 20f. Böckenförde meint, dass man dem anonymen Autor für seine klare Sprache dankbar sein müsse: „Ohne opportunistische Schönfärberei wird hier deutlich, welche Ergebnisse das Prinzip des Vorrangs der Wahrheit vor der Freiheit zeitigt, wenn es konsequent entfaltet wird“ (ebd. 21).
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lichen Tolerierung aller Religionsgemeinschaften, nicht nur der katholischen, oder, wie in den meisten Verfassungen moderner Staaten, auf der Anerkennung allgemeiner Menschenrechte und damit auch des Grundrechts auf religiöse Freiheit. Wollte die Kirche nicht ihre rechtliche Stellung gefährden, musste sie ‚gute Miene zum bösen Spiel machenʻ und sich als Anwältin religiöser Toleranz oder religiöser Freiheit aller gerieren. Die Kirche gab damit ihre prinzipielle Rechtsposition nicht preis, wonach sie unter allen Religionsgemeinschaften das alleinige Existenzrecht besaß, vielmehr passte sie sich aus Gründen der Selbsterhaltung der ‚Hypotheseʻ an. Dieser strategische Umgang mit der Religionsfreiheit musste die Kirche nicht nur in den Augen ihrer Kritiker als zunehmend unglaubwürdig erscheinen las64 sen. Sie hatte sich mit ihrem Grundsatz, dass dem Irrtum keinerlei rechtliche Existenz zu geben ist, in eine ausweglose Situation gebracht. 4. KONTINUITÄT ODER BRUCH? Kann der Übergang von der klassischen katholischen Toleranzkonzeption, wonach der Irrtum zwar kein Recht auf Existenz und Verbreitung begründet, aber um der Vermeidung noch schwerer Übel willen toleriert werden kann, zu der menschenrechtlich argumentierenden Konzilserklärung über die religiöse Freiheit noch als bruchlose Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre interpretiert werden, oder hat das Konzil mit der Anerkennung der vollen Religionsfreiheit für alle einen Paradigmenwechsel vollzogen? In der Wissenschaftsphilosophie hat man sich seit den bahnbrechenden Arbeiten des Wissenschaftshistorikers Thomas S. Kuhn in den 1960er Jahren angewöhnt, den Fortschritt in den Wissenschaften
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Kardinal Alfredo Ottaviani, Leiter der Konzilskommission und angesehener Kanonist, kommt diesem Einwand zuvor, wenn er in dem 1960 in 4. Auflage erschienenen Lehrbuch des Kirchenrechts (Institutiones iuris publici ecclesiastici, Bd. 2) schreibt: „Du sagst vielleicht, die katholische Kirche brauche also zweierlei Maß und Gewicht. Denn wo sie selbst herrscht, will sie die Rechte der Andersgläubigen einschränken, wo sie aber eine Minderheit der Bürger bildet, verlangt sie die gleichen Rechte wie die anderen. Darauf ist zu antworten: In der Tat, zweierlei Maß und Gewicht ist anzuwenden; das eine für die Wahrheit, das andere für den Irrtum“ (zitiert nach SECKLER, Religionsfreiheit und Toleranz, 8).
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nicht als gradlinigen Prozess der Wissensakkumulierung, sondern als eine durch Grundlagenkrisen heraufbeschworene Abfolge von revolutionären Sprüngen anzusehen, für die er den Terminus „Paradig65 menwechsel“ geprägt hat. Ein Paradigma besteht aus den allgemeinen theoretischen Annahmen und den Gesetzen sowie den Vorschriften für ihre Anwendung in exemplarischen Experimenten, die die Scientific community eines Fachs zu einem gegebenen Zeitpunkt anerkennt. Wissenschaftler, die innerhalb eines Paradigmas arbeiten, 66 praktizieren das, was Kuhn „Normalwissenschaft” nennt. Bei ihren Experimenten stoßen sie unvermeidlich auf Schwierigkeiten und Falsifikationen. Überhandnehmende Schwierigkeiten (Anomalien) steigern sich zur Krise. Eine Krise wird überwunden, wenn ein neues Paradigma auftaucht und zunehmend mehr Anhänger unter den Wissenschaftlern findet, bis das alte, problembeladene Paradigma aufgegeben wird. Es handelt sich um einen sprunghaften Wechsel, d.h. eine wissenschaftliche Revolution. Papst Benedikt hat 2005 im Rückblick auf die seiner Meinung nach nicht unproblematisch verlaufene Rezeption der Konzilsbeschlüsse „zwei gegensätzliche Hermeneutiken“ ausmachen wollen, eine „Hermeneutik der Diskontinuität und des Bruches“, die große Verwirrung gestiftet habe und das Risiko eines Bruchs zwischen vorkonziliarer und nachkonziliarer Kirche heraufbeschwor, sowie eine „Hermeneutik der Reform“, die die Erneuerung der Kirche „unter Wahrung der 67 Kontinuität” betrieb und auch weitgehend erfolgreich war. Der Papst konzediert, dass es im Lauf des 19. Jahrhunderts in Folge des Zusammenstoßes des Glaubens der Kirche mit einem radikalen Liberalismus und einem religions- und metaphysikfeindlichen Szientismus 68 zu „harten“ Verurteilungen von Seiten der Kirche gekommen sei. Mit Blick auf die Bewertung der Gewissens- und Bekenntnisfreiheit lasse sich tatsächlich von einer Diskontinuität der Lehrentwicklung sprechen. Kontinuität und Diskontinuität, so der Papst, lägen jedoch auf unterschiedlichen Ebenen. Diskontinuitäten können überhaupt
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TH. S. KUHN, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt am Main 1973, 98. Ebd., 58. BENEDIKT XVI., Ansprache an das Kardinalskollegium und die Mitglieder der Römischen Kurie beim Weihnachtsempfang am 22. Dezember 2005; veröffentlicht u.a. als Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 172, Bonn 2006, 11. Vgl. ebd., 14.
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nur bei „vorübergehende[n], nicht zum Wesen gehörende[n] Fragen“ auftreten, und um solche handele es sich bei der Auseinandersetzung der Kirche mit den radikaleren Formen des Liberalismus im 69 19. und frühen 20. Jahrhundert, während die „Grundsätze“ den 70 „dauerhaften Aspekt“ darstellten. Die Kirche habe bis zum Vorabend des Konzils nicht die Religionsfreiheit verurteilt, sondern nur deren zeitbedingte Fehlinterpretation, wonach in der Religionsfreiheit die „Unfähigkeit des Menschen, die Wahrheit zu finden“, zum Ausdruck 71 komme. Durch diese Fehlinterpretation werde dem „Relativismus“ der „Rang eines Gesetzes“ verliehen. Der Relativismus begehe den Fehler, dass er die Religionsfreiheit von der „Ebene einer gesellschaftlichen und historischen Notwendigkeit auf die ihr nicht angemessene Ebene der Metaphysik erhebt und so ihres wahren Sinnes beraubt“. Die relativistische Lesart der Religionsfreiheit kann von „demjenigen, der glaubt, dass der Mensch fähig sei, die Wahrheit Gottes zu erkennen, und der aufgrund der der Wahrheit innewohnenden Würde an diese Erkenntnis gebunden ist“, unmöglich akzeptiert werden. Indem das Konzil zwischen grundsätzlicher und zeitbedingter Ebene unterschied, hat es einen „wesentlichen Grundsatz des modernen Staates anerkannt und übernommen und gleichzeitig ein tief verankertes Erbe der Kirche wieder aufgegriffen“. Der Papst insinuiert in seiner Ansprache, dass die vorkonziliare Kirche mit dem politisch-rechtlichen Aspekt der religiösen Freiheit nie ihre Schwierigkeiten gehabt habe, nur mit dem sittlichmoralischen Aspekt, und dass sie mit ihren Verurteilungen nur den Relativismus treffen wollte, der sich unter Berufung auf ein angebliches Grundrecht der Person von der Verpflichtung zur Wahrheitssuche dispensiert glaubte. Warum aber hat sich die Kirche bis an die Schwelle des Konzils so hartnäckig der Anerkennung religiöser Freiheit auf staatlicher Ebene widersetzt, wenn es ihr nur um die Abwehr des relativistischen Selbstmissverständnisses religiöser Freiheit auf moralischem Gebiet zu tun war? Offenbart diese Weigerung nicht auch ein fundamental anderes Verständnis von den Pflichten und Aufgaben des Staates mit Blick auf Gott, die wahre Religion und das Zueinander von rechtlicher und sittlicher Ordnung?
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Ebd., 16. Ebd., 17. Ebd. (auch zum Folgenden).
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Indem das Konzil ein Grundrecht der Person auf Freiheit von Zwang in religiösen Dingen geltend macht und diese Freiheit nicht auf das forum internum einer Gewissensentscheidung eingrenzt, sondern im politisch-rechtlichen Bereich ansiedelt und verankert, bricht es mit einer mehr als tausendjährigen Tradition der Amalgamierung von Staat und Religion, Recht und Moral. Das vom Papst konstatierte Element der Kontinuität mag man noch am ehesten in der „nicht erst auf dem Konzil erkannten Lehre vom Primat des Gewissens in 72 menschlichen Handlungen“ erblicken. Indem das Konzil die religiöse Freiheit als ‚äußereʻ Freiheit bestimmt, setzt es einen politischrechtlichen Ordnungsrahmen voraus, für den es weder in den lehramtlichen Dokumenten vor dem Konzil noch in den älteren Lehrbüchern der katholischen Staatsrechtslehre einen Anhaltspunkt gibt, sehr wohl aber in der Verfassungswirklichkeit zahlreicher Staaten seit der amerikanischen und der französischen Revolution und in den 73 Diskursen des säkularen Staatsrechts. Es ist daher gerechtfertigt, mit Blick auf die staatsrechtlichen und rechtsethischen Grundlagen der Religionsfreiheit von einem Paradigmenwechsel zu sprechen, der darin besteht, dass „Fragen der religiösen Überzeugung, Orientierung und Lebenspraxis fortan staatlicher Regelung entzogen und ganz der 74 Freiheit der Menschen überantwortet werden“. Dem Rückzug des Staates aus religiöser Bevormundung korrespondiert eine Entpolitisierung der Religion: Weder können die Religionsgemeinschaften sich der Protektion des Staates bedienen, um Dissidenten zu disziplinieren und konkurrierende Bekenntnisse auf Distanz zu halten, noch ist es dem Staat erlaubt, die Religion als Quelle staatlicher Legitima75 tion oder als Medium politischer Integration einzusetzen.
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So T. WEISSENBORN, Religionsfreiheit. Christliche Wahrheit und menschliche Würde im Konflikt?, Marburg 2003, 212. Dazu BÖCKENFÖRDE, Religionsfreiheit als Aufgabe der Christen, 18: „So schmerzlich diese Erkenntnis sein mag: Die Religionsfreiheit, die heute auch den Christen weithin eine Selbstverständlichkeit ist, wird in ihrer Entstehung nicht den Kirchen, nicht den Theologen und auch nicht dem christlichen Naturrecht verdankt, sondern dem modernen Staat, den Juristen und dem weltlich rationalen Recht.“ BIELEFELDT, Bedrohtes Menschenrecht, 66. Ebd.
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Der Paradigmenwechsel, so Bielefeldt, werde „heruntergespielt“, 76 wenn man die Religionsfreiheit mit „religiöser Toleranz“ verwechsle. 5. DAS ALTE UND DAS NEUE PARADIGMA Aus der Sicht des katholischen Staatsrechtlers Ernst-Wolfgang Böckenförde war die klassische katholische Toleranzkonzeption, die durch eine einflussreiche Minderheit Eingang in das vorbereitende Schema 77 der Konzilskommission fand, von unheilbaren Aporien befallen. Allein der in den Diskussionen immer wieder beschworene Gegensatz 78 von Wahrheit und Freiheit ist ein Scheinkonflikt, wenn man bedenkt, dass die religiöse Wahrheit immer nur in Gestalt der als wahr geglaubten Überzeugungen konkreter Menschen vorliegt, die diese Überzeugungen überdies in Freiheit angenommen haben müssen. Auch setzt der Glaube rein begrifflich die negative Glaubensfreiheit, d.h. die Freiheit, nicht zu glauben, voraus. Die Unhaltbarkeit der traditionellen Doktrin, so Böckenförde, zeigt sich vor allem in der fehlenden Unterscheidung von Recht und Moral und der Übertragung von Grundsätzen aus dem theologisch-metaphysischen und dem moralischen Bereich auf den Bereich des bürgerlichen und staatlichen Rechts. In Theologie und Metaphysik mag die Maxime, dass der Irrtum kein Recht hat, sinnvoll sein, sofern man nicht aus dem Blick verliert, dass ‚Rechtʻ im übertragenen Sinn verstanden wird. Auch ist es zutreffend, dass im Bereich der moralischen Bewertung von Handlungen der Personen und ihren Haltungen der Maßstab der Wahrheitssuche und der Treue zur einmal erkannten Wahrheit ins Spiel kommt. Moralisch gesehen hat der Irrtum gegenüber der Wahrheit kein Recht. Die konstitutive Bezogenheit des Rechts auf einen transzendenten Wert wie die Wahrheit stößt aber gerade im Übergang von der religiös-moralischen Ordnung auf die Ordnung des bürgerlichen und staatlichen Rechts an ihre Grenzen. Ohne den Zusammenhang von Recht und Moral in Abrede zu stellen, gilt es doch die Verschiedenheit beider hinsichtlich ihrer Ziele und ihres Inhalts in den Blick zu nehmen.
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Ebd. Vgl. BÖCKENFÖRDE, Religionsfreiheit als Aufgabe, 27. Vgl. WEISSENBORN, Religionsfreiheit, 208.
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Der Geltungsbereich des Rechts erstreckt sich auf den Bereich der Beziehungen der Rechtssubjekte untereinander und in ihrem Verhältnis zur staatlichen Gewalt. Die Pflichten gegenüber Gott sind nicht Bestandteil des so verstandenen Rechts. Das moderne säkulare Recht ist nicht „Tugend- und Wahrheitsordnung, sondern Friedens- und 79 Freiheitsordnung“. Sein Ziel bemisst sich nicht an der sittlichen Vervollkommnung des Menschen und seiner ewigen Vollendung, sondern an der Befriedung des sozialen Raums und der Herstellung von Bedingungen, unter denen die Rechtssubjekte ihre Freiheit zu realisieren vermögen. Das moderne Recht ist im Kern Abwehr- und Schutzrecht, das den Freiheitsraum des Einzelnen gegenüber Zugriffen Anderer und der staatlichen Gewalt verteidigt, darüber hinaus Leistungs- und Teilhaberecht gegenüber dem Staat und anderen gesellschaftlichen Akteuren sowie Teilnahme- und Gestaltungsrecht. „Inhalt und Gebote des Rechts gehen demgemäß nicht weiter, als es dessen Sinn und Zweck, das äußere Zusammenleben der Menschen 80 untereinander verbindlich zu regeln, entspricht.“ Dem klassischen katholischen Staatsrechtsdenken fehlten laut Böckenförde die begrifflichen Ressourcen, um die Autonomie des Rechts und dessen Unabhängigkeit von der Ordnung der Moral angemessen bestimmen zu können. Das Recht blieb zwar auch in der neuscholastischen Staatsrechtslehre auf die „äußeren, streng geschuldeten zwischenmenschlichen Handlungen“ begrenzt, seiner Natur nach war es Bestandteil der sittlichen Ordnung und dient als Mittel zum Zweck der Schaffung eines Ordnungsrahmens, der gewährleistet, dass der Mensch „von seiner sittlichen Bestimmung bzw. seinem guten 81 Ziel, der eigenen Vollendung, nicht abweicht“. Der Rechtsordnung kam es freilich nicht zu, unsittliches Handeln unter dem Gesichtspunkt der Sünde zu ahnden, sondern ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des Verstoßes gegen die gerechte soziale Ordnung im Sinne der Gesetze. Böckenförde vermag in dieser Unterscheidung noch nicht die Unterscheidung von Recht und Moral, sondern lediglich die „Abgrenzung“ des Rechts als einer „natürlichen“ Ordnung gegen die Ansprüche einer „unmittelbaren Theokratie” zu erken-
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BÖCKENFÖRDE, Religionsfreiheit als Aufgabe, 28. Ebd. Ebd.
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nen. Indem die rechtliche Ordnung die Bedingungen herstellte, unter denen die Einzelnen gleichermaßen ihr natürlich-sittliches wie ihr übernatürlich-religiöses Ziel realisieren konnten, war sie selber Teil der „Vollendungsordnung“ und wurde vom Ziel der Sittlichkeit, 83 dem Guten, und dem Absoluten bestimmt. Im Rahmen dieses sittlich-integralen Rechtsverständnisses konnte die rechtliche Freiheit grundsätzlich nicht weiter abgesteckt sein als die sittliche Freiheit. Auch das Strafrecht bildete keine Ausnahme, da die Staatsgewalt aus „praktisch-politischen Klugheitsgründen“, nicht aus Einsicht in die Selbstbeschränkung des Rechts von der strafrechtlichen Verfolgung 84 unsittlicher Handlungen absehen konnte. Die Betrachtungsweise des Rechts als eines Teils der umfassenden sittlich-politisch-sakralen Ordnung implizierte einen Rechtsbegriff, der den Eigenstand von Recht und Politik gegenüber Ethik, Moral und Religion noch nicht reflektierte. Ein solcher integraler Rechtsbe85 griff war in einer „politisch-religiösen Einheitswelt“ zu Hause, in der aufgrund fehlender weltanschaulicher Differenzen keine sachliche Notwendigkeit bestand, die Sphären von Recht, Politik und Moral zu trennen. Dieser Rechtsbegriff „hat schon lange keinen Ort in der 86 Wirklichkeit mehr“, was die katholische Staatsrechtslehre nicht davon abgehalten hatte, ihn bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein als Postulat zu vertreten. Als Rechtsbegriff war er nur „solange möglich, wie die von ihm vorausgesetzte homogene Gesellschaft unange87 fochten bestand“, obgleich sich auch in ihr das Problem der Freiheit in Gestalt der Außenseiter und Abweichler stellte. Brach diese Grundlage auseinander, wie es in der europäischen Geschichte zur Zeit der Glaubensspaltung erstmals sichtbar wurde, musste sich das Recht, um seine eigentliche Aufgabe erfüllen zu können, aus seiner Bindung an
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Vgl. ebd. Vgl. ebd. Ebd., 29. Zum Begriff der religiös-politischen Einheitswelt und seiner geschichtlichen Konkretion in der mittelalterlichen Idee der res publica christiana, in der dem Christentum die Rolle einer „Polis-Religion“ zuwuchs, vgl. E.-W. BÖCKENFÖRDE, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit. Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht, Frankfurt am Main 1976, 4264, hier 45. BÖCKENFÖRDE, Religionsfreiheit als Aufgabe, 29. Ebd.
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eine einzige Konfession und eine einzige Konzeption der Sittlichkeit lösen. Es fand in den Bedingungen einer säkularen, auf Friedens- und Überlebenssicherung zurückgenommenen „Erhaltungsordnung“ eine neue weltlich-rationale Grundlage. Das Recht, wie es aus der Not der konfessionellen Bürgerkriege hervorgegangen ist, hat, eben um der Freiheit willen, darauf verzichtet, selbst schon unmittelbar Ordnung der Wahrheit und der Sittlichkeit zu sein; es will nur Wahrheit und Sittlich88 keit ermöglichen und das äußere Zusammenleben sichern.
Die Konzilsväter gelangten zur Anerkennung religiöser Freiheit als eines Grundrechts der Person unter Absehung von jeder inhaltlichen Stellungnahme der Person zur sittlichen oder religiösen Wahrheit, weil sie zwischen (a) der sittlichen Pflicht der Person, die „Wahrheit, besonders in dem, was Gott und seine Kirche angeht, zu suchen und 89 die erkannte Wahrheit aufzunehmen und zu bewahren“, und (b) dem Recht der Person auf „religiöse Freiheit“ im Sinn der Freiheit „von jedem Zwang sowohl von Seiten Einzelner wie gesellschaftlicher 90 Gruppen, wie jeder menschlichen Gewalt“ unterschieden haben. Die Respektierung der Tatsache, dass sich Sittlichkeit und Recht hinsichtlich ihres Ziels und ihres Inhalts unterscheiden, verschaffte ihnen den nötigen Spielraum, einerseits die „überlieferte katholische Lehre von der moralischen Pflicht der Menschen und der Gesellschaften gegenüber der wahren Religion und der einzigen Kirche Christi unangetas91 tet“ zu lassen, um so – andererseits – vom Grundrecht der Person auf „religiöse Freiheit“ so sprechen zu können, dass es in der „rechtlichen Ordnung der Gesellschaft“ Anerkennung finden kann und „zum bür92 gerlichen Recht“ wird. Diese Unterscheidung wurde möglich, weil die Mehrheit der Konzilsväter den integralen Rechtsbegriff des klassischen katholischen Staatsrechtsdenkens hinter sich ließ und auf der Grundlage des modernen säkularen Rechts argumentierte. Der moderne säkulare Rechtsstaat ist nicht Adressat des göttlichen Willens mit Blick auf Förderung und Durchsetzung der wahren Religion und
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Ebd., 29f. DiH, Nr. 1. DiH, Nr. 2. DiH, Nr. 1. DiH, Nr. 2.
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der Bekämpfung des Irrtums, vielmehr Adressat und Garant der Grundrechte der Personen einschließlich ihres Rechts auf religiöse Freiheit. Die „konsequente Verwirklichung“ der Religionsfreiheit war nur im „säkularen Rechtsstaat“ denkbar, zu dem sich das Konzil vorbehaltlos 93 bekannt hat. Der säkulare Staat ist der weltanschaulich neutrale Staat, der sich mit keinem der auf seinem Territorium gelebten Bekenntnisse, auch nicht dem der Bevölkerungsmehrheit, identifiziert und kein Bekenntnis diskriminiert, auch nicht das einer Minderheit. Die weltanschauliche Neutralität des säkularen Staats hat ihren positiven Grund, so Bielefeldt, „im geschuldeten Respekt vor der Religions94 freiheit der Menschen“ und nicht per se in einer religions- und kirchenfeindlichen Ideologie. Die Herausbildung des säkularen Rechtstaats darf also nicht mit einer angeblichen Entchristlichung von Staat und Gesellschaft und einem Sieg von Säkularismus, Laizismus und Relativismus gleichgesetzt werden. Bielefeldt schlägt vor, die dem Staat abverlangte Nicht-Identifikation als „Prinzip der respektvollen Nicht-Identifikation“ zu bezeichnen; die religiös-weltanschauliche Neutralität sollte jedenfalls nicht mit einer „allgemeinen Wertneutrali95 tät“ verwechselt werden: Als Konsequenz eines hohen ‚Verfassungswertes’, nämlich des Menschenrechts auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit, ist sie das Gegenteil von ethischer Indifferenz, mit der sie oft 96 karikierend gleichgesetzt wird.
Bielefeldt interpretiert den bewussten Verzicht des Staates auf seine klassische Rolle in der Cura religionis nicht als Rückzug oder Reduktion, sondern als „Transformation“ seiner Verantwortung: „An die Stelle der traditionellen Sorge für die Wahrheit der Religion [...] tritt der Einsatz des Staates für die Freiheit der Menschen in Fragen des Be97 kenntnisses und der religiösen Praxis.“ 93 94 95 96 97
BIELEFELDT, Bedrohtes Menschenrecht, 68. Ebd. Ebd. Ebd., 68f. H. BIELEFELDT, Religionsfreiheit als Menschenrecht – neuartige Gefährdungen des „klassischen“ Menschenrechts?, in: Deutsche Kommission Justitia et Pax (Hg.), Religionsfreiheit – gegenwärtige Herausforderungen aus christlicher Sicht, Bonn 2009, 68-82, hier 72 (Hervorhebung im Original).
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6. WAHRHEIT UND FREIHEIT Hat die Kirche sich selbst, den Staat und die menschliche Gesellschaft von dem Anspruch der Wahrheit dispensiert, als sie die Religionsfreiheit zu einem Grundrecht der Person erklärte, das unabhängig von der Wahrheit einer religiösen Überzeugung in nichts anderem als der Personwürde ihren Grund hat? Die Antwort dürfte jetzt leicht fallen. Der Text der Konzilserklärung differenziert sehr genau zwischen (1) dem bürgerlichen Recht auf religiöse Freiheit, (2) der moralischen Pflicht der Person gegenüber der Wahrheit, und (3) dem Wahrheits98 anspruch der Kirche. Das Konzil stellt klar, dass sich das Grundrecht der Person „auf die Freiheit von Zwang in der staatlichen Gemeinschaft bezieht“, was aber nicht so gedeutet werden darf, dass die Person von ihrer „moralischen Pflicht [...] gegenüber der wahren Religi99 on und der einzigen Kirche Christi“ dispensiert sei. Das bürgerliche Recht auf Freiheit von Zwang in religiösen Dingen hebt die Pflicht der Person gegenüber der religiösen Wahrheit nicht auf. Das Konzil lässt keine Zweifel aufkommen, dass die „einzige wahre Religion“ in der „katholischen, apostolischen Kirche“ verwirklicht ist. Weil das Konzil aber zwischen Recht und moralischer Pflicht unterscheidet, kann es zugestehen, dass das Recht auf religiöse Freiheit auch denjenigen erhalten bleibt, die „ihrer Pflicht, die Wahrheit zu suchen und daran 100 festzuhalten, nicht nachkommen“. Das Recht auf volle Religionsfreiheit, die negative Religionsfreiheit eingeschlossen, ist überhaupt nicht in einer „subjektiven Verfassung der Person” begründet, sondern in „ihrem Wesen selbst“. Der Zusammenhang von Personwürde und religiöser Freiheit wird noch deutlicher, wenn man berücksichtigt, dass die menschenrechtlich verstandene Religionsfreiheit nicht nur die Wahrheitsverpflichtung nicht aufhebt, sondern überhaupt erst Bedingungen herstellt, unter denen Personen dieser Verpflichtung in einer Weise nachkommen können, die ihre Würde respektiert:
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Vgl. R. SIEBENROCK, Theologischer Kommentar zur Erklärung über die religiöse Freiheit Dignitatis humanae, in: P. Hünermann/B. J. Hilberath (Hg.), Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Freiburg u.a. 2005, 125218, hier 171. DiH, Nr. 1. DiH, Nr. 2.
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Der Mensch vermag [...] dieser Verpflichtung auf die seinem eigenen Wesen entsprechende Weise nicht nachzukommen, wenn er nicht im Genuss der inneren, psychologischen Freiheit und zugleich der Freiheit von äußerem Zwang steht (DiH 2).
Der Zusammenhang von Würde und Freiheit wurde nicht zu allen Zeiten von der Kirche und der menschlichen Kultur in dieser wünschenswerten Klarheit und Eindeutigkeit gesehen. Es ist das Vorrecht der neuzeitlichen Freiheitsgeschichte, auf diesen Zusammenhang aufmerksam geworden zu sein. An diesen Erkenntnisfortschritt auf sittlichem Gebiet möchten die Konzilsväter ausdrücklich anknüpfen, indem sie der Erklärung über die religiöse Freiheit den Satz voranstellen: Die Würde der menschlichen Person kommt den Menschen unserer Zeit immer mehr zum Bewusstsein, und es wächst die Zahl derer, die den Anspruch erheben, dass die Menschen bei ihrem Tun ihr eigenes Urteil und ein verantwortliche Freiheit besitzen und davon Gebrauch machen sollen (DiH 1).
Der ontologische Zusammenhang von Personwürde und Freiheit erfährt im Konzilstext eine Ausweitung auf die kommunikativen und diskursiven Bedingungen religiöser Wahrheitssuche in der Gegenwart: Die Wahrheit muss [...] auf eine Weise gesucht werden, die der Würde der menschlichen Person und ihrer Sozialnatur eigen ist, d.h. auf dem Weg der freien Forschung, mit Hilfe des Lehramtes oder der Unterweisung, des Gedankenaustausches und des Dialogs, wodurch die Menschen einander die Wahrheit, die sie gefunden haben oder gefunden zu haben glauben, mitteilen, damit sich bei der Erforschung der Wahrheit gegenseitig 101 zu Hilfe kommen [...].
Siebenrock erblickt in diesem Passus den Grundzug einer „elementaren Grammatik der Gottsuche in der Gegenwart“, die mit den Befindlichkeiten und Erwartungen mündiger Subjekte rechnet und den Ausgleich zwischen autoritativen und dialogischen Vermittlungswei102 sen sucht. Die Wahrheit Gottes lässt sich heute nur unter gesell-
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DiH, Nr. 3. SIEBENROCK, Theologischer Kommentar, 175.
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schaftlichen und politischen Bedingungen finden, die Paternalismus, Zwang und Bevormundung ausschließen. Böckenförde liest die Konzilserklärung zur Religionsfreiheit als „ein Stück Selbstdefinition des christlichen Glaubens“, der sich von den antiken und mittelalterlichen Vorbildern einer „Polisreligion“, die keine Rücksicht nehmen wollte auf die Gewissen ihrer Gläubigen, befreit hat, und sich als „Re103 ligion der Freiheit“ versteht. Umso besorgniserregender sind die weltweit zu beobachtenden Tendenzen, im Sog religiöser Renaissancen und deren politischer Instrumentalisierung Religionsfreiheit erneut in Frage zu stellen.
Literatur BENEDIKT XVI., Ansprache an das Kardinalskollegium und die Mitglieder der Römischen Kurie beim Weihnachtsempfang am 22. Dezember 2005 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 172, hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2006). BIELEFELDT, HEINER, Bedrohtes Menschenrecht. Erfahrungen mit der Religionsfreiheit, in: Herder-Korrespondenz 60 (2006) 65-70. –, Religionsfreiheit als Menschenrecht – Neuartige Gefährdungen des „klassischen“ Menschenrechts?, in: Deutsche Kommission Justitia et Pax (Hg.), Religionsfreiheit – gegenwärtige Herausforderungen aus christlicher Sicht (Gerechtigkeit und Frieden 118), Bonn 2009, 6882. BÖCKENFÖRDE, ERNST-WOLFGANG, Religionsfreiheit als Aufgabe der Christen, in: Ders., Religionsfreiheit. Die Kirche in der modernen Welt, Freiburg u.a. 1990, 15-31. –, Die Religionsfreiheit im Spannungsfeld zwischen Kirche und Staat, in: Ders., Religionsfreiheit. Die Kirche in der modernen Welt, Freiburg u.a. 1990, 33-58. –, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit. Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht, Frankfurt am Main 1976, 42-64.
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BÖCKENFÖRDE, Religionsfreiheit, 7.
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DEUTSCHE KOMMISSION JUSTITIA ET PAX, Von der Toleranz zur Religionsfreiheit. Erklärung der Deutschen Kommission Justitia et Pax anlässlich des vierzigsten Jahrestags der Konzilserklärung Dignitatis humanae im Dezember 2005, in: Dies. (Hg.), Religionsfreiheit – gegenwärtige Herausforderungen aus christlicher Sicht (Gerechtigkeit und Frieden 118), Bonn 2009, 11-20. FORST, RAINER, Toleranz, Gerechtigkeit und Vernunft, in: Ders. (Hg.), Toleranz. Philosophische Grundlagen und gesellschaftliche Praxis einer umstrittenen Tugend, Frankfurt am Main 2000, 119-143. –, Toleranz im Konflikt. Geschichte, Gehalt und Gegenwart eines umstrittenen Begriffs, Frankfurt am Main 2003. KUHN, THOMAS S., Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt am Main 1973. MÖRSDORF, KLAUS, Lehrbuch des Kirchenrechts auf Grund des Codex 11 Iuris Canonici, Bd. 1, München u.a. 1964. PAVAN, PIETRO, Die wesentlichen Elemente des Rechts auf Religionsfreiheit, in: Jerôme Hamer/Yves Congar (Hg.), Die Konzilserklärung über die Religionsfreiheit, Paderborn 1967, 167-225. SCHNATZ, HELMUT (Hg.), Päpstliche Verlautbarungen zu Staat und Gesellschaft, Darmstadt 1973. SECKLER, MAX, Religionsfreiheit und Toleranz. Die „Erklärung über die Religionsfreiheit“ des Zweiten Vatikanischen Konzils im Kontext der kirchlichen Toleranz- und Intoleranzdoktrinen, in: Theologische Quartalschrift 175 (1995) 1-18. SIEBENROCK, ROMAN, Theologischer Kommentar zur Erklärung über die religiöse Freiheit Dignitatis humanae, in: Peter Hünermann/ Bernd Jochen Hilberath (Hg.), Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Freiburg u.a. 2005, 125-218. WEISSENBORN, THOMAS, Religionsfreiheit. Christliche Wahrheit und menschliche Würde im Konflikt?, Marburg 2003. WEITZ, THOMAS A., Religionsfreiheit auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil, St. Ottilien 1997. WITSCHEN, DIETER, Religionsfreiheit und Kirche. Politik – Rechtsethik – Theologie, Paderborn 2013.
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Nostra aetate – Weg der Entstehung und Weisung für die Zukunft: Das Konzil und die christlich-jüdischen Beziehungen1 1. EINE ANKÜNDIGUNG VON TRAGWEITE Als nur wenige Wochen nach seiner Wahl zum Papst (28. Oktober 1958) Johannes XXIII. am 25. Januar 1959 bei einer Ansprache an einen kleinen Kreis von Kardinälen im Benediktinerkloster von St. 2 Paul vor den Mauern ein Konzil ankündigte, war die katholische Welt sogleich elektrisiert. Auch zeigten sich die christliche Orthodoxie und die protestantische Welt interessiert und aufmerksam. In der jüdi-
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Beim folgenden Beitrag handelt es sich um die Einführung in das gemeinsam mit Daniel Krochmalnik bestrittene Seminar „50 Jahre Konzil – Zum Ertrag von ‚Nostra Aetate‘“ vom 3. Dezember 2012 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn. Ansprache von Papst Johannes XXIII. zur Ankündigung einer Diözesansynode für Rom und des Ökumenischen Konzils am 25. Jan. 1959: JOHANNES XXIII., Sollemnis allocutio ad Emos. Patres Cardinales in Urbe praesentes, 25. Jan. 1959, in: Acta Apostolicae Sedis 51 (1959) 65-69; deutsche Übersetzung in: Herder-Korrespondenz 13 (1958/59) 387-388; dazu: O. H. PESCH, Das Zweite Vatikanische Konzil – Vorgeschichte, Verlauf, Ergebnisse, Nachgeschichte, Würzburg ³1994, 46f., und G. ALBERIGO, Die Ankündigung des Konzils. Von der Sicherheit des Sich-Verschanzens zur Faszination des Suchens, in: Ders. (Hg.), Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils, Bd. 1, Mainz/Leuven 1997, 1-60, bes. 1-7. Siehe auch die Skizze von J.-H. TÜCK, Erinnerung an die Zukunft. 50 Jahre Zweites Vatikanisches Konzil, in: Ders. (Hg.), Erinnerung an die Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg u.a. 2012, 11-30; K. KOCH, Das Zweite Vatikanische Konzil. Die Hermeneutik der Reform, Augsburg 2012; J. CONNELLY, From Enemy to Brother. The Revolution in Catholic Teaching on the Jews 1933 – 1965, Cambridge/London 2012, 239-272.
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schen Welt hingegen gab es so gut wie keine Reaktionen und Interes3 sensbekundungen. Diese jüdische Nichtinteressiertheit war durchaus verständlich, war sie doch nicht nur auf die mit der Ankündigung verbundene Intention einer innerkirchlichen Reform und des Dialogs mit den anderen Kirchen zurückzuführen; sie war zugleich auch Beleg der damals großen Beziehungslosigkeit, ja des Abgrunds zwischen der Kirche und dem Judentum. Die relative Interesselosigkeit, mit der die jüdische Welt auf die Konzilsankündigung durch Johannes XXIII. reagierte, änderte sich allerdings mit den bald in Gang kommenden Konzilsvorbereitungen. In der ersten Vorbereitungsphase tauchte das Stichwort „Judentum“ nur zwei Mal auf, und zwar mit jeweils konträren Intentionen. Vom Päpstlichen Bibelinstitut in Rom – 1909 von Papst Pius X. gegründet und in Trägerschaft der Jesuiten – hatten 19 Professoren in einer Eingabe die Notwendigkeit unterstrichen, den Antisemitismus zu vermeiden und zu bekämpfen. Zudem hatte ein italienischer Bischof bei seinem Votum – der Gesamtepiskopat war in der ersten Vorbereitungsphase um Vorschläge für die Konzilsberatung gebeten worden – den befremdlichen Vorschlag gemacht, die von Juden kontrollierte Freimaurerei zu verurteilen. Ansonsten aber gab es keine Interventionen, die Beziehung der Kirche zum jüdischen Volk und Judentum 4 irgendwie zu thematisieren. Dass dies schließlich dennoch geschah und in dessen Folge nicht nur jüdisches Interesse fand, sondern auch im Brennpunkt zentraler, intensiver und kontroverser Debatten in und außerhalb der Konzilsaula stand, geht – wie wir im Folgenden sehen werden – auf Papst Johannes XXIII. persönlich zurück. 2. DIE WEITE DES HERZENS VON JOHANNES XXIII. In seinen Jahren als Apostolischer Delegat für die Türkei und Griechenland mit Sitz in Istanbul (von 1935 bis 1944) war Papst Johannes
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Vgl.J. O. BEOZZO, Das äußere Klima, in: G. Alberigo (Hg.), Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils, Bd. 1, Mainz/Leuven 1997, 403-456, hier 442f. Vgl. ebd., 443; dazu auch TH. STRANSKY, Nostra Aetate: An Insider’s Story, in: N. Lamdan/A. Melloni (Hg.), Nostra Aetate: Origins, Promulgation, Impact on JewishCatholic Relations (Christianity and History 5), Berlin 2007, 29-53, hier 34f.
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XXIII. bzw. Bischof Angelo Giuseppe Roncalli von den Ereignissen der nationalsozialistischen Judenverfolgung eingeholt worden. Die Flucht vieler jüdischer Frauen und Männer aus den besetzten Gebieten erfolgte oft über den Balkan. Die Türkei wurde zum Durchgangsland nicht weniger jüdischer Flüchtlinge. Bischof Roncalli war in Kontakt mit der Jewish Agency, welche professionelle Fluchthilfe leistete. In den Jahren 1942 und 1943 intervenierte er gegen die Deportation griechischer und slowakischer Juden. Er setzte sich zusammen mit König Boris III. von Bulgarien auch für die bulgarischen Juden ein und half im Zusammenspiel mit türkischen Behörden jüdischen Flüchtlingen in der Türkei. So war er an der Rettung zahlreicher jüdi5 scher Flüchtlinge vor der Vernichtung entscheidend beteiligt. Besonders darauf bezogen sich israelische Nachrufe nach dem Tod von Papst Johannes XXIII. am Pfingstmontag, dem 3. Juni 1963, die ihn als „einen wahrhaften Gerechten der Welt“ würdigten, „dessen Weitherzigkeit und Achtung für die Menschheit sich […] auch auf das 6 jüdische Volk erstreckten“. Als Papst Johannes XXIII. bekräftigte Roncalli seine Achtung des jüdischen Volkes und Judentums. Er änderte in der ersten Passionsund Osterzeit nach seiner Papstwahl die traditionelle Karfreitagsfürbitte für die Juden. Jahrhunderte lang hatte diese Fürbitte mit der Aufforderung begonnen: Oremus pro perfidis Judaeis – „Lasset uns beten für die ungläubigen Juden“ und im weiteren Text von der judaicam perfidiam gesprochen. Diesen Ausdruck wie auch das Eigenschaftswort 7 perfidus hat Johannes XXIII. tilgen lassen. Beide Ausdrücke hatten
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Vgl. D. RECKER, Die Wegbereiter der Judenerklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils. Johannes XXIII., Kardinal Bea und Prälat Oesterreicher – eine Darstellung ihrer theologischen Entwicklung, Paderborn 2007, widmet „Roncallis Rettungsaktionen von Juden im Zweiten Weltkrieg“ (132-143) ein eigenes Kapitel, wo die Autorin einerseits von „der Rettung von Zehntausenden von Juden“ im Jahr 1944 spricht (140), andererseits aber wohl begründet allgemein festhält: „Wenn man alle Aktionen (der Hilfsinterventionen Roncallis) zusammenzählt, lässt sich keine genaue Zahl der Geretteten feststellen“ (142). Papst Johannes XXIII. in jüdischen und israelischen Nachrufen, in: Freiburger Rundbrief 15 (1963/64) 68-70, hier 69; dazu: G. ALBERIGO, Johannes XXIII. Leben und Wirken des Konzilspapstes, Mainz 2000, 106-109, und R. ALLEGRI, Johannes XXIII., Ein Lebensbild, München 1994, 90f. (dort die Darstellung der Intervention zur Rettung jüdischer Kinder aus Rumänien). Vgl. P. DÉMANN, Johannes XXIII. und die Juden, in: Freiburger Rundbrief 12 (1959/60) 4-8 (auch zum Folgenden).
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viele Generationen von Betern in den verschiedenen Sprachen im Sinne von „perfid“ oder „jüdischer Treulosigkeit“ verstanden, was zweifellos eine Kränkung des jüdischen Volkes darstellte. Auch strich der Papst andere unfreundliche Nennungen des jüdischen Volkes aus der katholischen Liturgie. Aber Roncalli begnügte sich als Papst nicht mit der Beseitigung des Negativen. Er setzte Zeichen positiver Zuwendung: Am 17. Oktober 1960 etwa empfing Johannes XXIII. eine Gruppe amerikanischer Juden. Auf einer Studienfahrt des United Jewish Appeal durch Europa und nach Israel hatten die etwa 130 Personen den Papst aufgesucht, um ihm für seine Rettungsbemühungen in der Zeit als Apostolischer Delegat in der Türkei zu danken. Auf diese Zeit angesprochen erinnerte der Papst in seinem improvisierten Wort daran, dass es ihm in einem besonderen Fall zu helfen gelang, als sich eine schreckliche Katastrophe abzeichnete: Ein Schiff voller jüdischer Kinder aus Rumänien hatte die deutsche Blockade durchbrochen und war in den Hafen von Istanbul eingelaufen, wo es festgehalten wurde. Um Auseinandersetzungen mit Deutschland zu vermeiden, entschied die Türkei, das Schiff zurückzuschicken. Dies hätte für die Kinder den Tod bedeutet. Der Apostolische Delegat Roncalli hat mit großer Entschiedenheit interveniert. Nach vielen schwierigen Kontakten willigte die türkische Regierung ein, dass das Schiff die Kinder in Sicherheit bringen konnte – eine Intervention, für die der damalige Oberrabbiner von Jerusalem mit einem eigenen Besuch in Istanbul ausdrücklich dankte. Dieser Erinnerung fügte der Papst eine Erwägung zu einer ihn immer bewegenden Geschichte der Bibel zu: Josef, hoher Verwalter des Pharao von Ägypten, offenbarte sich nach zwischenzeitlicher Anwendung von List seinen Brüdern mit dem Ausruf: „Ich bin Josef, euer Bruder“ (Gen 45,4). Den jüdischen Besuchern war klar, dass der Papst damit auf seinen zweiten Namen Josef anspielte und seine persönliche Verbundenheit mit seinen Gästen und ihrem Volk zum Ausdruck 8 bringen wollte.
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Vgl. J. OESTERREICHER, Päpstliche Unterweisung über die Juden, in: Freiburger Rundbrief 13 (1960/61) 8-10, hier 8. Vgl. dazu auch den Bericht über die Audienz für die Gruppe von United Jewish Appeal vom 17. Oktober 1960 in: Discorsi – Messagi – Colloqui del Santo Padre Giovanni XXIII, Il Secondo anno del Pontificato, Città del Vaticano 1961, 697-699.
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Wenn man sich die geschilderten Gesten und Taten des Papstes vor Augen stellt, so wirkt die Einschätzung von Johannes Oesterreicher, „dem“ Konzilsberater für Fragen des Judentums, überzeugend: Die eigentliche Quelle für den Entschluss, dem [Zweiten Vatikanischen] Konzil den Erlass einer Erklärung über das Verhältnis der Kirche zum jüdischen Volk nahezulegen, ist […] das )FS[+PIBOOFTī99*** JNCFTPOEFSFOTFJOF&JOGºIMVOHJOEBT 9 jüdische Leiden.
Die Weite des Herzens, der daraus erwachsende Einsatz in Tat und Solidarität und die Spontaneität der Zuwendung haben in der Gestalt von Papst Johannes XXIII. die Firnis von Vorurteil, Unfreundlichkeit, ja Feindseligkeit im Verhältnis der katholischen Kirche zum jüdischen Volk und Judentum aufgebrochen. Das war notwendig, damit in diesem Verhältnis auf katholischer Seite eine kirchliche und theologische Neubesinnung einsetzen konnte. Und doch bedurfte es eines Anstoßes von außen, damit die Beziehung der Kirche zum Judentum ausdrückliches Thema eines eigenen Dokumentes des Zweiten Vatikanischen Konzils wurde.
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J. OESTERREICHER, Kommentierende Einleitung zur Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Das Zweite Vatikanische Konzil. Dokumente und Kommentare, Teil II, Freiburg u.a. 1967, 406-478, hier 409. Eine zusammenhängende Darstellung des Verhältnisses von Papst Johannes XXIII. zum jüdischen Volk steht noch aus. Hinweise lassen sich entnehmen aus: A. BEA, Die Kirche und das jüdische Volk, Freiburg u.a. 1966, 21f.; J. OESTERREICHER Triumph der Güte. Papst Johannes XXIII. und die Juden: Festschrift für Walter Strolz, Freiburg u.a. 1987, 317-329; G. ALBERIGO, Johannes XXIII., in: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 5, Freiburg u.a. 1996, 952-955; D. RECKER, Wegbereiter, 103-199, hier 445 (mit der Würdigung, dass Roncalli lange Zeit von der traditionellen katholischen Theologie des 19. Jahrhunderts und ihrem Antijudaismus geprägt war, seine Erfahrungen auf dem Balkan und in Istanbul einen Einbruch darstellten und seine Theologie seinen Hilfstaten gegenüber Juden hinterherhinkte; auch wenn er es ermöglichte, dass sich die Einstellung der Kirche änderte, haben andere die theologische Arbeit geleistet); J. D’HIPPOLITO, John XXIII and the Jews (20. August 2004), in: http://www.raoulwallenberg.net/ roncalli/articles-11/pope-john-xxiii-jews/.
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3. EIN ANSTOSS VON AUSSEN UND SEINE WEITERVERFOLGUNG Dieser Anstoß von außen ist mit dem Namen von Jules Isaac (1877– 10 1963) verbunden. Der französisch-jüdische Historiker hatte Frau und Kinder in Auschwitz verloren und fragte sich, wie die Shoah in einem Europa hatte geschehen können, das so viele Jahrhunderte lang christlich gewesen war. So ging er den Wurzeln der christlichen Judenfeindschaft nach und fand den Grund in einer „Lehre der Verachtung“. Isaac hatte sich die Lebensaufgabe gestellt, an der Überwindung dieser unseligen Tradition mitzuwirken. Schon 1947 beteiligte er sich an der Konferenz von Seelisberg. In Seelisberg kam es zu einem Appell evangelischer, katholischer und jüdischer Konferenzteilnehmer/innen an die Kirchen, ihre Haltung, Katechese und Unterweisung im Blick auf die Darstellung des Judentums zu revidieren. Jules Isaac hatte dazu Thesen entwickelt, die zum Kern der Seelisber11 ger Thesen wurden. Das Zeichen der Wertschätzung des jüdischen Volkes, das Johannes XXIII. mit seinen Interventionen zur Liturgie setzte, ermutigte ihn, den Papst um eine Audienz zu bitten. Auf Vermittlung des Bischofs von Aix-en-Provence kam es am 13. Juni 1960 zu der erbetenen Be12 gegnung von Jules Isaac mit Papst Johannes XXIII. Dabei überreichte der jüdische Gelehrte dem Papst eine Denkschrift und ein Dossier. Gegen Ende der Audienz fragte Jules Isaac den Papst, ob er denn eine
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Dazu die sehr informative und knappe Skizze zur Bedeutung Isaacs für das Konzil bei R. A. SIEBENROCK, Theologischer Kommentar zur Erklärung über die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen. Nostra aetate, in: P. Hünermann/B. J. Hilberath (Hg.), Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 3, Freiburg u.a. 2005, 591-693, hier 625f. und 634f. (auch zum Folgenden). Vgl. M. MORSELLI, Jules Isaac and the Origins of Nostra Aetate, in: N. Lamdan/A. Melloni (Hg.), Nostra Aetate: Origins, Promulgation, Impact, 21-28 (auch zum Folgenden). Dazu auch die Darstellung des Einflusses von Jules Isaac bei C ONNELLY, From Enemy to Brother, 175-181 und 201-203. Die Seelisberger Thesen gehören sachlich zur Vorgeschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils und finden sich in: R. RENDTORFF/H. H. HENRIX (Hg.), Die Kirchen und das Judentum, Bd. 1, Paderborn/Gütersloh 2001, 646f. J. OESTERREICHER, Kommentierende Einleitung, 406f. Ein interner Bericht von Jules Isaac über die Audienz findet sich in: SIDIC [Service Information – Documentation Juifs et Chrétiens] 1 (1968), No. 3, 11-13.
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gewisse Hoffnung mitnehme dürfe, worauf Johannes XXIII. sagte: „Sie haben Grund zu mehr als Hoffnung“. Der Papst betraute nach Isaacs Besuch Kardinal Augustin Bea, Präsident des kurz zuvor geschaffenen Sekretariats für die Förderung der Einheit der Christen, mit der Prüfung des Dossiers und möglicher Folgerungen daraus für die Beratungen des Konzils. Eine Arbeitsgruppe des Einheitssekretariats verfolgte dieses Anliegen weiter. Ihre Bemühungen führten im Dezember 1961 zum Entwurf für ein kurzes Konzilsdekret Decretum de Iudaeis. Das Vorhaben, dass sich das Konzil zu der Beziehung der Kirche zum jüdischen Volk äußern sollte, geriet jedoch bald nach Veröffentlichung des Entwurfs in den Strudel des Nahostkonflikts. Arabische Staaten protestierten und setzten die christlichen Minderheiten der Region unter Druck. Alle vatikanischen Beteuerungen, dass es sich um eine theologische und nicht um politische Fragestellung und Äußerung handelt, konnten das politische Umfeld nicht beruhigen. Es 13 folgte eine dramatische Textgeschichte. Der Erstentwurf wurde im Juni 1962 von der Tagesordnung abgesetzt. Durch eine Intervention von Kardinal Bea bei Johannes XXIII. blieb das Thema selbst auf der Agenda des Konzils, sollte aber nun ein Teil des Dekrets über den Ökumenismus werden. Der Fassung, welche der zweiten Sitzungsperiode am 18. November 1963 vorgelegt wurde, war eine Einführung zu den anderen Religionen vorgeschaltet. In der Zwischenzeit hatte es zwei Entwicklungen gegeben, welche die Konzilsarbeit indirekt und in einer direkten Weise betrafen. Das am 20. Februar 1963 in Berlin uraufgeführte Theaterstück „Der Stellvertreter“ von Rolf Hochhuth, der das „Schweigen“ von Papst Pius XII. in den Jahren der Shoah kritisierte, führte zu einer äußerst erregten internationalen Debatte. Diese löste in und außerhalb der Konzilsaula
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Diese ist vielfach ausführlich dargestellt worden, so vor allem durch OESTERREICHER, Kommentierende Einleitung, 414-474 (426: Wortlaut des Erstentwurfs Decretum de Iudaeis) aber auch u.a. PESCH, Das Zweite Vatikanische Konzil, 291-303; B EOZZO, Das äußere Klima, 442-449; BOHLEN, Wende und Neubeginn. Die Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils zu den Juden „Nostra aetate“ Nr. 4, in: F. Schuller u.a. (Hg.), Katholizismus und Judentum. Gemeinsamkeiten und Verwerfungen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, Regensburg 2005, 297-308; SIEBENROCK, Theologischer Kommentar, 633-643; E. FÜRLINGER (Hg.), „Der Dialog muss weitergehen“. Ausgewählte vatikanische Dokumente zum interreligiösen Dialog (1964-2008), Freiburg u.a. 2009, 3242; CONNELLY, From Enemy to Brother, 243-265.
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die Befürchtung aus, eine konziliare Thematisierung der Beziehung der Kirche zum Judentum böte die Gelegenheit zu einer sich verschärfenden Kritik an Pius XII. Und: es hatte einen Pontifikatswechsel gegeben. Johannes XXIII. war am 3. Juni 1963 gestorben. Sein Nachfolger Paul VI. hatte nach seiner Wahl zum Papst am 21. Juni 1963 seinen Willen bekundet, nicht nur das Konzil fortzusetzen, sondern auch die Beziehung der Kirche zum Judentum weiterhin zu themati14 sieren. Dieser grundlegenden Entscheidung zum Trotz kam es nicht zur Beratung des Zweitentwurfs, wohl aber zu einem starken Votum von Kardinal Bea in der Konzilsaula: Das Konzil müsse in seinem Bemühen um die Erneuerung der Kirche auch die Frage der Haltung zu 15 den Juden aufnehmen. Diese Sicht erfuhr durch die überraschende Pilgerfahrt von Papst Paul VI. ins Heilige Land vom 4. bis 6. Januar 16 1964 eine Bestätigung. Erst eine dritte Textfassung wurde Gegenstand der Beratungen und der während der dritten Sitzungsperiode einzigen Diskussion in der Konzilsaula (28. und 29. September 1964). Diese Diskussion wird gerne die „große Debatte“ des Konzils genannt. Eine Korrespondentin schrieb unter dem Eindruck des ersten Tages: „Heute war der größte Tag des Konzils in dieser Session; die Deklaration über die Juden wurde durch eine Reihe von Reden mit Pauken und Trompeten vorangetrieben; eine Ansprache war positiver als die 17 andere.“ Kardinal Cushing aus Boston forderte, die »Judenerklärung« „positiver [zu] fassen, nicht so ängstlich, [sondern] liebevoller“. Kardinal Liénart von Lille trat für die Verkündigung ein, „dass die Berufung des jüdischen Volkes auch weiterhin bestehe und dass es nach dem Ratschluss Gottes… Anteil an der gegenwärtigen Ökonomie 18 der Heilsgeschichte habe“. Konzilsväter aus Asien baten, die Erklärung um Aussagen über den Islam, Buddhismus und Hinduismus zu erweitern.
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Vgl. SIEBENROCK, Theologischer Kommentar, 639f. Die am 19. November 1963 gehaltene Relatio von Kardinal Bea findet sich in: A. BEA, Die Kirche und das jüdische Volk, 141-147. Vgl. J. ERNESTI, Die Revision der katholischen Haltung zum Judentum und zur Palästinafrage unter Papst Paul VI., Freiburger Rundbrief. Neue Folge 19 (2011) 265-275. OESTERREICHER, Kommentierende Einleitung, 441. Ebd., 441 und 443. Eine detaillierte Wiedergabe der Diskussionen in der Konzilsaula mit Zitaten findet sich im Freiburger Rundbrief 16/17 (1964/65) 5-43.
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Eine inhaltliche Kontroverse zu Einzelaussagen eines Konzilsdokuments wurde in der Öffentlichkeit der Konzilsaula kaum ausgetragen. Sie erfolgte eher im Umfeld des Konzils und vor allem in der von Kardinal Bea bereits vor Konzilsbeginn gegründeten Arbeitsgruppe bzw. 19 in der später zur Unterkommission erweiterten Gruppe. Einige Mitglieder waren Experten der Ökumene zwischen den Kirchen, aber nicht mit Fragen der Beziehung der Kirche zum jüdischen Volk und Judentum vertraut. In den internen Diskussionen wurde darum gerungen, ob es um das jüdische Volk oder um das Judentum gehe, wie die Beziehung der Kirche zu dieser Gemeinschaft zutreffend zu beschreiben sei, ob dabei die Frage der Mission gegenüber Juden anzusprechen sei oder ob eine bleibende positive Rolle der Juden in der Heilsgeschichte anzuerkennen sei. Es ging um die Frage, ob die Diskontinuität zwischen Altem und Neuem Testament größer sei als die Kontinuität zwischen beiden und ob und wie der Gottesmordvorwurf zu thematisieren sei. Eingaben aus dem Kreis der Konzilsväter wie auch Gespräche mit Konzilstheologen flossen in die Beratungen ein. Gespräche und Korrespondenzen mit jüdischen Gesprächspartnern – seien sie Beobachter des Konzilsgeschehens wie Ernst Ludwig Ehrlich oder Abraham Joshua Heschel, seien sie öffentlich sich äußernde Repräsentanten jüdischer Körperschaften – oder auch die Kenntnisnahme von Memoranden wie auch der Austausch von Positionen stärkten die Sensibilitäten für jüdische Sorgen, Befürchtungen und Anliegen wie z.B. für den Wunsch einer Verurteilung des Antisemi20 tismus. Die Forderung der Konzilsväter, in die geplante Erklärung auch den Islam, den Buddhismus, Hinduismus und weitere Religionen ein19
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Vgl. CONNELLY, From Enemy to Brother, 241. Ihr gehörten an: John M. Oesterreicher, Abt Leo Rudloff (Jerusalem), Gregory Baum und später George Tavard. Im Oktober 1964 wurde sie durch weitere Theologen ergänzt: Antonius C. Ramselaar (Niederlande), Barnabas Ahern (USA), Pierre Benoit (Jerusalem), Bruno Hussar (Israel), Nicolaus Persich (USA), Thomas Stransky (USA). Vgl. CONNELLY, From Enemy to Brother, 246-265. Jüdischerseits hat es eine Reihe von Publikationen gegeben, welche die innerjüdische Diskussion um eine Begleitung des Konzils rekonstruieren. Hierzu gab besonders Rabbi Soloveitchik Anlass. Dazu: Y. SKLARIN, “Rushing in Where Angels Fear to Tread”: Rabbi Joseph B. Soloveitchik, the Rabbinical Council of America, Modern Orthodox Jewry and the Second Vatican Council, in: Modern Judaism 29 (2009) 351-385. Zur jüdischen historischen Einordnung des Konzils vgl. die verschiedenen Beiträge in: E. CARLEBACH/J. J. SCHACTER (Hg.), New Perspectives on Jewish-Christian Relations, Leiden 2012.
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zubeziehen, erhielt eine Stütze durch die zwischenzeitlich veröffentlichte Enzyklika Ecclesiam suam Pauls VI. vom 6. August 1964. Darin hatte sich der neue Papst in positiver Weise über die anderen Religionen geäußert. So kam es zur Neubearbeitung und zum vierten Textentwurf. Dieser trug den Titel „Erklärung über die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen“ und begann mit den Worten Nostra aetate („In unserer Zeit“). Er erhielt in einer Abstimmung viel Zustimmung, aber wiederum auch Kritik. Die Stimmen der Polemik und des Protests in arabischen Ländern verstummten nicht. Der Text erfuhr weitere Änderungen, wurde dann aber in der feierlichen Schlussabstimmung am 28. Oktober 1965 mit 2221 Jastimmen gegen 88 Neinstimmen angenommen. 5. DER TEXT VON NOSTRA AETATE UND SEINE REZEPTION Der Text Nostra aetate ist in der Geschichte der Kirche, ihrer Konzilien und ihrer Theologie ein einmaliges Novum. Er stellt mit seinem Artikel 4 einen fundamentalen Wendepunkt in der Beziehung und Haltung der Kirche zum jüdischen Volk und Judentum dar. Immer wieder wird der Einleitungssatz zum vierten Artikel zitiert, und das geschieht mit gutem Grund: Er hält der langen Tradition der Judenfeindschaft die Position entgegen, dass das Judentum bereits bei der kirchlichen Selbstvergewisserung begegnet: „Bei ihrer Besinnung auf das Geheimnis der Kirche gedenkt die Heilige Synode des Bandes, wodurch das Volk des Neuen Bundes mit dem Stamme Abrahams geistlich verbunden ist.“ Es gehört zum Sein der Kirche, dass sie nicht nur von der geschichtlichen Herkunft her mit dem Stamme Abrahams, d.h. mit dem jüdischen Volk verbunden ist. Vielmehr ist diese geistliche Verbundenheit in ihr Geheimnis eingeschrieben, sie ist Teil ihrer Identität. Sie hat von Israel die Offenbarung empfangen. Aus dem jüdischen Volk kommt Christus; die Apostel entstammen ihm. Mit Paulus bekennt das Konzil, dass die Verheißungen an Israel weiterhin gültig sind und die Juden von Gott geliebt bleiben, sind doch die göttlichen Gnadengaben und seine Berufung unwiderruflich. Das gemeinsame geistliche Erbe gebietet gegenseitige Achtung; christliche Katechese und Predigt darf die Juden nicht als von Gott verworfen darstellen; jede Manifestation von Antisemitismus wird abgelehnt. Das vierte Kapitel von Nostra aetate ist ein sehr kurzer Konzilstext: In seinem lateinischen Original umfasst er nur 15 Sätze. Obwohl manches ungesagt blieb – so kommt z.B. der Holocaust ebenso wenig vor wie ein klares Wort der historischen Verantwortung der Kirche –,
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äußerten jüdische Stimmen ihre Freude über das Konzil und sein Dokument. Rabbiner James Rudin verglich Nostra aetate mit einer Magna Charta, welche für die Beziehungen zwischen Kirche und Judentum einen neuen Grund lege und den Auftrag zu einer konstruk21 tiven Änderung erteile. Rabbiner Gilbert S. Rosenthal schrieb, dass die Hauptaussagen von Nostra aetate „eine kopernikanische Wende im katholischen Denken über die jüdische Religion und das jüdische Volk“ darstellen. Geoffrey Wigoder, seinerzeit Journalist beim Israelischen Rundfunk und später Herausgeber der Encyclopaedia Judaica, betonte aus jüdischer Sicht, dass der Ton von Nostra aetate einen Durchbruch darstelle. Die Betonung des geistlichen Bandes zwischen der Kirche und dem jüdischen Volk oder die Aussage, dass die Kirche das Alte Testament durch jenes Volk erhalten habe, mit dem Gott den Alten Bund geschlossen habe, seien historisch beispiellos. Wie war die Wirkung und Rezeption von Nostra aetate in der katholischen Kirche selbst? Gelegentlich kann man hören, dass die Kirche hinter die Haltung und Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils zurückfällt. In mancher Hinsicht ist dies eine Gefahr bzw. Realität. Im Bezug auf die Konzilserklärung Nostra aetate und ihre Wirkung lässt sich aber Anderes sagen: Es hat von Seiten Roms beträchtliche Anstrengungen gegeben, Nostra aetate zu einer bleibenden Wirkung zu verhelfen. Die dort grundgelegte Haltung hat in den Päpsten ihre Sachwalter und „Vollstrecker“. In Weiterführung des Vermächtnisses von Johannes XXIII. hat Paul VI. die Approbation der Konzilserklärung ernst genommen. Er richtete eigens eine Kommission für die religiösen Beziehungen zu den Juden ein. Diese Kommission veröffentlichte 1974 „Richtlinien und Hinweise für die Durchführung der Konzilserklärung ‚Nostra aetate’, Artikel 4“. Sie ist nun in einer mehr als 40-jährigen Tradition eines „Internationalen katholisch-jüdischen Verbindungskomitees“ (ILC) Partner des „Internationalen jüdischen Komitees für interreligiöse Konsultationen“ (IJCIC). Besonders aber Johannes Paul II. hat die Rezeption der Konzilserklärung Nostra aetate zur Reife geführt und der Haltung der Kirche gegenüber dem jüdischen Volk und dem Judentum eine neue Qualität und Konsistenz gegeben.
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Belege bei CONNELLY, From Enemy to Brother, 267 (hier auch die folgenden Zitate).
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Als Kernaussagen der päpstlichen Perspektive, in der Johannes 22 Paul II. Israel wahrgenommen hat, kann man festhalten: Der mit Mose geschlossene Alte Bund ist von Gott nie gekündigt worden. Das jüdische Volk steht weiterhin in einer unwiderruflichen Berufung; es ist immer noch Erbe jener Erwählung, der Gott treu ist. Es ist geradezu das „Volk des Bundes“. Es hat im Blick auf sein Leiden in der Shoah eine Sendung vor allen Menschen, vor der ganzen Menschheit und auch vor der Kirche. Die Heilige Schrift der Kirche kann nicht getrennt werden von diesem Volk und seiner Geschichte. Die Tatsache, dass Jesus Jude war und dass sein Milieu die jüdische Welt war, ist kein kultureller Zufall. Wer diese Bindung lösen und durch eine andere religiöse Tradition ersetzen wollte, würde die Identität der Person Jesu Christi verlieren und die Wahrheit der Menschwerdung des Sohnes Gottes selbst angreifen. Die jüdische Religion ist für die Kirche nicht etwas „Äußerliches“, sondern gehört in gewisser Weise zum Inneren der christlichen Religion. Zu ihr haben die Kirche und Christen Beziehungen wie zu keiner anderen Religion. Die Juden sind „unsere bevorzugten Brüder und, so könnte man gewissermaßen sagen, unse23 re älteren Brüder“. Der Antisemitismus ist eine Sünde gegen Gott und die Menschheit. Die lehrmäßigen Aussagen haben in den großen Gesten von Johannes Paul II. ihren eigenen Kommentar erhalten. Vor allem zwei Ereignisse haben sich dem Weltgedächtnis tief eingeprägt: Sein historischer Besuch der römischen Synagoge vom 13. April 1986 und als Höhepunkt der Zuwendung dieses Pontifikats im Blick auf das jüdische Volk der Besuch Israels und Jerusalems vom 21. bis 26. März 2000. Johannes Paul II. hat seinen Respekt und seine Wertschätzung gegenüber dem jüdischen Volk mit eindrücklichen Zeichen und Symbolen
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Die Aussagen lassen sich u.a. den zahlreichen Ansprachen und Texten von Johannes Paul II. entnehmen, die in den beiden großen Sammelbänden dokumentiert sind: R. RENDTORFF/H. H. HENRIX (Hg.), Die Kirchen und das Judentum. Dokumente 1945 bis 1985, Paderborn 1988, und H. H. HENRIX/W. KRAUS (Hg.), Die Kirchen und das Judentum, Bd. 2: Dokumente 1986-2000, Paderborn/Gütersloh 2001. Vgl. auch E. FÜRLINGER (Hg.), „Der Dialog muss weitergehen“. Ausgewählte vatikanische Dokumente zum interreligiösen Dialog (1964-2008), Freiburg u.a. 2009. RENDTORFF/ HENRIX, Die Kirchen und das Judentum, Bd. 1, 109.
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sowie mit theologisch gewichtigen Aussagen zum Ausdruck ge24 bracht. Sein Nachfolger Papst Benedikt XVI. hat nach seiner Wahl vom 19. April 2005 mehrfach seinen Willen bekundet, den von seinem Vorgänger beschrittenen Weg entschlossen fortzusetzen. Dennoch geriet seine Beziehung zu den Juden mit der von ihm verabschiedeten Karfreitagsfürbitte für die Juden im Jahr 2008 und mit der Aufhebung der Exkommunikation der vier Weihbischöfe der judenfeindlich be25 lasteten Pius-Bruderschaft im Jahr 2009 in ein Zwielicht. Der Israelbesuch Benedikts XVI. im Mai 2009 konnte die Beziehung für die Öffentlichkeit Israels noch nicht so recht aus dem Schatten des aufgelebten Argwohns herausführen. Gleichwohl war dieser Besuch Ausdruck der Überzeugung, der Glaube Israels sei das Fundament des christlichen Glaubens. Diese Überzeugung erhielt ein wichtiges Zeugnis im Besuch der jüdischen Gemeinde Roms durch den Papst am 17. Januar 2010. Benedikt setzte mit seiner Ansprache in der römischen Synagoge bedeut26 same Akzente: Das Zweite Vatikanische Konzil führte auf den „unwiderruflichen Weg des Dialogs, der Brüderlichkeit und der Freundschaft“, so der Papst. Die Kennzeichnung des jüdischen Volkes als „Volk des Bundes“ durch Johannes Paul II. wiederholte Benedikt in der Beteuerung seiner persönlichen „Nähe und Liebe zum Volk des Bundes“. Den Bund qualifizierte er als den „Bund des Mose“. Dass 24
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Dazu E. FISHER, Pope John Paul II’s Pilgrimage of Reconciliation: A Commentary on the Texts, in: E. Fisher/L. Klenicki (Hg.), Pope John Paul II, Spiritual Pilgrimage. Texts on Jews and Judaism 1979-1995, New York 1995, XX-XXXIX; J. STERN, JeanPaul II face à l’Antijudaïsme, in: Radici dell’ Antigiudaismo in Ambiente Cristiano. Colloquio Intra-Ecclesiale. Atti del Simposio Teologico-Storico. Città del Vaticano, 30 ottobre – 1 novembre 1997. Grande Giubileo dell’ Anno 2000, Città del Vaticano 2000, 54-78; D. G. DALIN/M. LEVERING (Hg.), John Paul II and the Jewish People: A Jewish-Christian Dialogue, New York/Toronto/Plymouth 2008; H. H. HENRIX, Judentum und Christentum: Gemeinschaft wider Willen, Regensburg 2008, 69-81, 101-105; DERS., Zuspruch aus fremden Quellen. Begegnungen mit Persönlichkeiten aus Judentum und Christentum, Kevelaer 2012, 88-101. Vgl. dazu u.a. W. HOMOLKA/E. ZENGER (Hg.), „... damit sie Jesus Christus erkennen“. Die neue Karfreitagsfürbitte für die Juden (Theologie kontrovers), Freiburg u.a. 2008; H. FRANKEMÖLLE/J. WOHLMUTH (Hg.), Das Heil der Anderen. Problemfeld „Judenmission“ (Quaestiones disputatae 238), Freiburg u.a. 2010. BENEDIKT XVI., Ansprache beim Besuch der römischen Synagoge am 17. Januar 2010: http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/speeches/2010/january /documents/hf_ben-xvi_spe_20100117_sinagoga_ge.html (auch zum Folgenden).
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dieser ungekündigt ist, bedurfte nicht mehr der ausdrücklichen Versicherung. Benedikts Ansprache in der römischen Synagoge ist ein zentraler Bezugspunkt für sein Verständnis der Beziehung der Kirche zum jüdischen Volk und zum Judentum. Das katholisch-jüdische Verhältnis wird nicht frei von Irritationen und Spannungen bleiben. Aber der Umgang damit hat in diesen Aussagen einen Schlüssel konstruktiver Bearbeitung. Solche Zuversicht erfuhr beim Deutschlandbesuch Papst Benedikts XVI. im September 2011 bei seiner Begegnung im Berliner Reichstagsgebäude mit Vertretern des Zentralrats der Juden in Deutschland und der Rabbinerkonferenzen eine Bekräftigung. Benedikt knüpfte dabei an die theologischen Grundlinien seiner Ansprache in der römischen Synagoge an. Bemerkenswert war auch die Grußadresse des Vorsitzenden des Zentralrats Dieter Graumann mit seiner Äußerung, dass sich die Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und dem Judentum „in den vergangenen Jahrzehnten 27 wirklich ganz dramatisch verbessert“ haben. 5. AUSBLICK Die Erklärung Nostra aetate hat einen singulären Platz im Zweiten Vatikanischen Konzil. Als kürzester Text von allen verabschiedeten Dokumenten wurde sie wirkungsgeschichtlich vor allem durch die Dynamik der Rezeption im Pontifikat von Johannes Paul II. zum vielleicht bedeutendsten Dokument des Konzils. Andere Kirchen haben sich durch diese Konzilserklärung für ihre eigene Haltung gegenüber dem jüdischen Volk und Judentum anregen lassen. Nostra aetate ist darüber hinaus ein „zukunftsweisender“ Konzilstext, der seine weitere Wirkung noch vor sich hat. Unter den am christlichjüdischen Dialog beteiligten christlichen Theologinnen und Theologen gibt es die Zuversicht, dass „der kürzeste Text des Konzils der
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BENEDIKT XVI., Ansprache an die Vertreter der jüdischen Gemeinde, in: Apostolische Reise Seiner Heiligkeit Papst Benedikt XVI. nach Berlin, Erfurt und Freiburg – 22.-25. September 2011. Predigten, Ansprachen und Grußworte (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 189), Bonn 2011, 44-47, sowie die Ansprache von Dr. Dieter Graumann, in: ebd., 40-43, hier 40.
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Kompass des kirchlich-glaubenden Handelns im 21. Jahrhundert ist 28 und immer mehr werden wird.“ Über die Wirkung auf das Verhältnis von Kirche und Judentum hinaus hat Nostra aetate Erneuerungen des kirchlichen Lebens und der Theologie angestoßen, die dem Konzil wichtige Anliegen waren – darunter eine neue Wertschätzung des Alten Testaments als Wort Gottes, die Wahrnehmung des Jude-Seins Jesu wie auch die Sensibilität für den jüdischen Zugang zu Gott und seinem Bund, aber auch für die Beziehung der Dimensionen des Lebens zum Verständnis der Erlösung in und von dieser Welt. Die Entwicklung und den Stand der christlich-jüdischen Beziehung kennzeichnete der „Internationale Rat der Christen und Juden“ (ICCJ) vielleicht am prägnantesten, als er 70 Jahre nach Kriegsbeginn die Zeit der Neu-Verpflichtung zum jüdisch-christlichen Dialog gekommen sah und in seinem Berliner Aufruf vom Juli 2009 feststellte: Wir begreifen die jüdisch-christlichen Beziehungen nicht als „Problem“, das es zu „lösen“ gilt, sondern vielmehr als fortdauernden Prozess des Lernens und Verfeinerns. Am wichtigsten ist vielleicht, dass wir zu Freundschaft und Vertrauen gefunden 29 haben.
Literatur ALBERIGO, GIUSEPPE, Die Ankündigung des Konzils. Von der Sicherheit des Sich-Verschanzens zur Faszination des Suchens, in: Ders. (Hg.), Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils (1959-1965), Bd. 1, dt. Ausg. hg. v. Klaus Wittstadt, Mainz/Leuven 1997, 1-60. –, Johannes XXIII. Leben und Wirken des Konzilspapstes, Mainz 2000, 106-109. 28
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SIEBENROCK, Theologischer Kommentar, 677. Dazu auch: H. H. HENRIX (Hg.), Nostra Aetate – Ein zukunftsweisender Konzilstext. Die Haltung der Kirche zum Judentum 40 Jahre danach, Aachen 2006; ferner auch die verschiedenen Beiträge in J. SINKOVITS/U. WINKLER (Hg.), Weltkirche und Weltreligionen. Die Brisanz des Zweiten Vatikanischen Konzils 40 Jahre nach Nostra aetate, Innsbruck 2007. KONRAD-ADENAUER-STIFTUNG (Hg.), Zeit zur Neu-Verpflichtung. Christlich-jüdischer Dialog 70 Jahre nach Kriegsbeginn und Shoah, Sankt Augustin/Berlin 2009, 16.
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–, Johannes XXIII., in: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 5, Freiburg u.a. 1996, 952-955. ALLEGRI, RENZO, Johannes XXIII. Ein Lebensbild, München 1994. BEA, AUGUSTIN, Die Kirche und das jüdische Volk, Freiburg u.a. 1966. BENEDIKT XVI., Ansprache an die Vertreter der jüdischen Gemeinde, in: Apostolische Reise Seiner Heiligkeit Papst Benedikt XVI. nach Berlin, Erfurt und Freiburg. 22.-25. September 2011. Predigten, Ansprachen und Grußworte (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 189), Bonn 2011,44-47. Ǘ "OTQSBDIF CFJN #FTVDI EFS S´NJTDIFO 4ZOBHPHF BN +BOVBS 2010: http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/speeches /2010/january/documents/hf_ben-xvi_spe_20100117_sinagoga_ ge.html. BEOZZO, J. OSCAR, Das äußere Klima, in: Giuseppe Alberigo (Hg.), Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils (1959-1965), dt. Ausg. hg. v. Klaus Wittstadt, Bd. 1, Mainz/Leuven 1997, 403-456. BOHLEN, REINHOLD, Wende und Neubeginn. Die Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils zu den Juden „Nostra aetate“, Nr. 4, in: Florian Schuller u.a. (Hg.), Katholizismus und Judentum. Gemeinsamkeiten und Verwerfungen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, Regensburg 2005. CARLEBACH, ELISHEVA/SCHACTER, JACOB J. (Hg.), New Perspectives on Jewish-Christian Relations, Leiden 2012. CONNELLY, JOHN, From Enemy to Brother. Nostra Aetate: Origins, Promulgation, Impact on Jewish-Catholic Relations (Christianity and History 5), Berlin 2007. –, From Enemy to Brother. The Revolution in Catholic Teaching on the Jews 1933 – 1965, Cambridge/London 2012. DALIN, DAVID G. / LEVERING, MATTHEW (Hg.), John Paul II and the Jewish People: A Jewish-Christian Dialogue, New York/Toronto/Plymouth 2008. DÉMANN, PAUL, Johannes XXIII. und die Juden, in: Freiburger Rundbrief 12 (1959/60), 4-8. ERNESTI, JÖRG, Die Revision der katholischen Haltung zum Judentum und zur Palästinafrage unter Papst Paul VI., in: Freiburger Rundbrief. Neue Folge 19 (2011) 265-275. FISHER, EUGENE, Pope John Paul II’s Pilgrimage of Reconciliation: A Commentary on the Texts, in: Eugene Fisher/Leon Klenicki (Hg.), Pope John Paul II, Spiritual Pilgrimage. Texts on Jews and Judaism 1979-1995, New York 1995.
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FRANKEMÖLLE, HUBERT/WOHLMUTH, JOSEF (Hg.), Das Heil der Anderen. Problemfeld „Judenmission“ (Quaestiones Disputatae 238), Freiburg u.a. 2010. FÜRLINGER, ERNST (Hg.), „Der Dialog muss weitergehen“. Ausgewählte vatikanische Dokumente zum interreligiösen Dialog (1964-2008), Freiburg u.a. 2009. HENRIX, HANS HERMANN/KRAUS, WOLFGANG (Hg.), Die Kirchen und das Judentum, Bd. 2: Dokumente von 1986-2000, Paderborn/Gütersloh 2001. HENRIX, HANS HERMANN, Judentum und Christentum: Gemeinschaft wider Willen, Regensburg 2008. Ǘ )H
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DANIEL KROCHMALNIK
In unserer Zeit – Nostra aetate jüdisch gelesen Konzilserklärungen sind Kompromisspapiere. Um jede Formulierung wird gerungen, alle Parteien sollen zufrieden gestellt werden. Das Ergebnis erinnert an Kommuniqués politischer Gipfeltreffen. Das gilt auch für die Epoche machende Erklärung Nostra aetate, deren span1 nende Entstehungsgeschichte schon oft erzählt wurde. Die Ehrenerklärung für die verachtete und verfolgte Religion ist nach einem veritablen „Konzilskrimi“ zu einer Erklärung über alle Religionen geworden; schließlich verschwand aus dem Kompromisstitel auch noch das maxime ad Iudeos. Kritik von jüdischer Seite, wie 2 jüngst wieder von Michael Wolfssohn, ist wohlfeil. Allerdings ist solche Kritik anachronistisch, denn sie setzt den nachkonziliaren Erwartungshorizont voraus. Der erbitterte Widerstand gegen die Erklärung und die anschließende Kirchenspaltung beweisen zur Genüge, wie unerhört die Erklärung auch in ihrer vielfach redigierten und reduzierten Endgestalt aus der damaligen Sicht war. Gewiss, es gehört zum traditionalistischen Stil derartiger Verlautbarungen, dass das Neue im alten Gewand auftritt und insbesondere der Abschnitt über die Juden wie eine unbedenkliche Neuauflage des Israel-Traktats des Apostels 3 Paulus anmutet (Röm 9-11). Außerdem ist der Freispruch des jüdischen Volkes von der Beschuldigung des Gottesmordes nur ein Freispruch 2. Klasse, während das Bekenntnis zur eigenen Schuld am Judenmord durch die Jahrtausende unterbleibt. Hinter den abge1
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Vgl. u.a. K. WENZEL, Kleine Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils, Freiburg u.a. 2005, 133-143. Vgl. M. WOLFFSOHN, Juden und Christen – ungleiche Geschwister. Die Geschichte zweier Rivalen, Düsseldorf 2008. Vgl. F. MUSSNER, Impulse des Dokuments für die Auslegung von Röm 9-11, in: Chr. Dohmen (Hg.), In Gottes Volk eingebunden. Jüdisch-christliche Blickpunkte zum Dokument der Päpstlichen Bibelkommission „Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel“, Stuttgart 2003, 89-94.
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schwächten Formulierungen stand aber ein eindeutiger Versöhnungswille und die nachkonziliaren Päpste haben diesen Willen gegen alle Widerstände und trotz aller Rückschläge bis heute immer wieder bekräftigt; allen voran der polnische Papst, der das Judentum noch in seiner religiösen Größe und in seinem physischen Elend, und der deutsche Papst, der die Judenfeinde in ihrer physischen Größe und ihrem moralischen Bankrott erlebt hatte. Vor allem ihrer Beharrlichkeit ist es zu verdanken, dass Nostra aetate zu einer Revolution in den 4 christlich-jüdischen Beziehungen geführt hat. In einem Punkt ist der Wechsel allerdings schon im Dokument selber deutlich zu spüren – im Tonfall. Es wird nicht mehr verurteilt und verdammt, sondern gewürdigt und anerkannt. War bisher das Verhältnis zu den anderen Religionen eher durch Kategorien wie Konkurrenz, Kontroverse und Konversion geprägt, so spricht sich das Konzil nachdrücklich für die Ideale der Koexistenz, der Konvivenz und Konzilianz aus. In diesem Sinne ruft es dazu auf, ohne viele Worte die alten Streitigkeiten zu begraben und gemeinsam für die Verwirklichung dessen einzutreten, was man heute Weltethos nennt (NA 3). Im gravitätischen Kurialstil schimmert Abenteuerlust durch. Man erwartet sich von der Begegnung echten Erkenntnisgewinn. Was die Anderen sind und was sie bringen, steht nicht schon in vergilbten Irrtumsinventaren der Kirche; sie verdienen vielmehr eine neue Betrachtung. So heißt es in Bezug auf die Juden, mit denen man nun schon so lange zusammenlebt: Da also das Christen und Juden gemeinsame geistliche Erbe so reich ist, will die Heilige Synode die gegenseitige Kenntnis und Achtung fördern, die vor allem die Frucht biblischer und theologischer Studien sowie des brüderlichen Gesprächs ist (NA 4).
Wann hatte man zuvor von offizieller kirchlicher Seite jemals gehört, dass die religiös enterbten Juden an einem reichen geistlichen Erbe Teil hätten; dass man mit den verstockten Juden nicht nur polemisch
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Vgl. H. H. HENRIX, Von der Konzilserklärung Nostra Aetate zum Pontifikat Benedikts XVI. Theologische Entwicklungen im Verhältnis der Katholischen Kirche zum jüdischen Volk und Judentum, in: A. Hoffmann, (Hg.), Christliches Selbstverständnis im Angesicht des Judentums (Forum Siegen), Siegen 2010, 79-100; vgl. auch das Buch von H.-J. FISCHER, Päpste und Juden. Die Wende unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI., Berlin 2012, 79-100.
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und apologetisch disputieren, sondern respektvoll sprechen soll? Das Äußerste, was man in Notzeiten erwarten durfte, war eine Ehren- und Schutzerklärung zugunsten der Verfolgten, die manchmal auch aus5 blieb oder in der berühmten Schreibtischschublade verschwand. Eine solche verspätete Erklärung ist Nostra aetate auch. In jener Aufforderung zum vorurteilslosen Kennenlernen steckt aber noch mehr: Sie enthält in nuce den christlich-jüdischen Dialog und die judaistischen Forschungen, die in den folgenden Jahrzehnten einen ungeahnten Aufschwung erleben sollten. Andererseits hält Nostra aetate wie aus Angst vor der eigenen Courage immer wieder inne und vergewissert sich in Formulierungen wie „Gewiss ist die Kirche das neue Volk Gottes“ selbst, dann aber heißt es „trotzdem“ (NA 4). Wie dieses tamen begründet ist – aus Liebe oder Klugheit (NA 2) – bleibt dahingestellt; in jedem Fall springt die Kirche mit diesem Wörtlein über ihren eigenen Schatten. Man kann mit den anderen gut leben, auch wenn man nicht immer ganz ihrer Meinung ist (NA 2). Das Dokument sucht eine schwierige Balance zwischen christlichem Wahrheitsanspruch und ebenso christlicher Friedenspflicht. Dabei liegt der Schwerpunkt ganz selbstverständlich in der Kirche. Die Bewegung wird aus der christlichen Mitte heraus und auf sie hin geführt; die anderen Religionen liegen in mehr oder minder großer Distanz zu dieser Mitte. Die Kommentare sprechen von einem 6 „Zwiebelschalenmodell“ . Passt so ein zentralistisches Modell zur Entdeckung der anderen Religionen? Wird die ausgestreckte Hand damit nicht auf halbem Wege wieder zurückgezogen?
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Die von Papst Pius XI. im Sommer 1938 in Auftrag gegebene Enzyklika Humani generis unitas gegen Rassismus und Antisemitismus blieb unvollendet. Laut P. Johannes H. Nota SJ ein Glück, denn wäre diese „unterschlagene“ Enzyklika mit zeittypischen antisemitischen Untertönen veröffentlicht worden, wäre der Neuanfang mit Nostra Aetate 4 noch schwieriger gewesen: J. H. NOTA, Edith Stein und der Entwurf für eine Enzyklika gegen Rassismus und Antisemitismus, in: Freiburger Rundbrief 26 (1974) 35-41. Vgl. dazu auch meinen Beitrag: Edith Stein – Der Weg einer Jüdin zum Katholizismus, in: W. Herbstrith (Hg.): Erinnere dich – vergiß es nicht. Christlichjüdische Perspektiven, Essen 1990, 99-102. Vgl. R. BERNHARDT, Der Absolutheitsanspruch des Christentums von der Aufklärung bis zur Pluralistischen Religionstheologie, Gütersloh 21993, 116f.; ferner: INTERNATIONALE THEOLOGENKOMMISSION, Das Christentum und die Religionen (30. Sept. 1996; Arbeitshilfen 136, hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1996), Nr. 64-71.
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Trotzdem! Nostra aetate ist weit mehr als ein schüchterner Aufruf zum interreligiösen Dialog: Die Erklärung liefert einen Atlas der Religionsgeschichte, in dem die gangbaren religiösen Wege vorgezeichnet, die Kreuzungen der Begegnung sehr genau eingezeichnet sind. Der Versuch, das religiöse Phänomen in seiner Gänze und seiner Vielfalt und den religiösen Prozess von Anfang bis Ende in 1219 Wörtern zu komprimieren, ist geradezu tollkühn. Die Beschreibung steckt voller religionswissenschaftlicher, theoretischer und auch philosophischer Annahmen und Anleihen, die durch den knappen neutesta7 mentlichen Stellenapparat keineswegs erschöpft werden. In dem Bemühen, bei dem, „was den Menschen gemeinsam ist“ (NA 1), anzuknüpfen, setzt die Erklärung bei den letzten und ewigen metaphysischen Fragen des Menschen an (NA 2). Durch die Suche nach Antworten gelangt der Mensch von selbst zum Begriff einer „höchsten Gottheit“ (NA 2) – eine natürliche Religion, die sich sogar bei den einst sprichwörtlichen Haitianern und Neuseeländern fände. Wohlgemerkt, keine primitive Religion, wie sie die evolutionistische Religionstheorie seit der Aufklärung annimmt, sondern eine Art Urmonotheismus, der das Leben immer schon mit vollgültigem religiösen Sinn erfüllt (NA 2). Zu dieser natürlichen Religion verhalten sich die positiven Religionen in etwa wie die Logik zu den Grammatiken der gesprochenen Sprachen (NA 2). Allerdings bleibt die Erklärung nicht beim religiösen Pluralismus stehen, sie unterwirft die Religionen einem zeitlichen und räumlichen Schema. Demnach haben die Weltreligionen auf ihrem Weg von Ost nach West (Hinduismus, Buddhismus, Islam) einen Fortschritt (progressus: NA 2) in der sprachlichen und begrifflichen Erhellung jener metaphysischen Fragen und Antworten erzielt; sie haben zunehmend an Höhe gewonnen, das Fenster zum Jenseits immer weiter aufgestoßen und die Transzendenz immer deutlicher artikuliert, dabei haben sie anerkennenswerte religiöse und sittliche Lebensformen hervorgebracht. Der anthropologische Ansatz der Erklärung ist aber von Anfang an in die große biblische Erzählung vom ersten Ursprung bis zum letzten Ziel der Geschichte eingefasst (NA 1). Folgt man den Hinweisen der
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Dazu die religionswissenschaftliche Zusammenfassung von J. FIGL, Nostra aetate – Grundsatzerklärung über die Beziehungen der Kirche zu den Religionen, in: J.-H. Tück (Hg.), Erinnerung an die Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg u.a. 2012, 405-419.
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Randkonkordanz zu den angeführten neutestamentlichen Stellen, etwa zur Rede des Apostels vor dem Areopag, landet man rasch bei den Kernaussagen der Hebräischen Bibel zu Mensch und Menschheit: Das Menschengeschlecht stammt vom ersten gottgebildeten Menschen ab (Gen 1,27; NA 5), wie die ersten Kapitel der Genesis erzählen; die nachsintflutliche Menschenfamilie verzweigt sich nach Völkern und Zungen auf der ganzen Erde, wie die Völkertafel aufzählt (Gen 10) und jedem Volk wurde Land auf dem weiten Erdkreis zuteil, wie das Moseslied erinnert (Dtn 32,8; NA 1). Doch diesen Fliehkräften der Menschheitsgeschichte wirken Zentralkräfte der Heilsgeschichte entgegen; die Weltkarte ist zentriert und auf die Heilige Stadt hin orientiert, die Nostra aetate in den Sehnsuchtsbildern Jesajas und seiner Schüler, der exilischen und nachexilischen Propheten schildert, als Ort, wo die Herrlichkeit Gottes leuchtet (Sach 2,9; Jes 60,19f.), und wo schließlich alle Völker mit einer Zunge und Schulter an Schulter Gott dienen werden (Zeph 3,9; NA 4). Urbi et orbi also – allerdings heißt die urbs nicht Rom! Jerusalem, die „zionistische“ Zuspitzung der Heilsgeschichte, ist keineswegs der einzige jüdische Topos in diesem Dokument; seine Sprache klingt in kundigen jüdischen Ohren auch sonst vertraut, sie ließe sich Satz für Satz oder wenigstens Gemeinplatz für Gemeinplatz in die biblische und rabbinische Begrifflichkeit rückübersetzen: Die Menschheitsgeschichte ist eine Familiensaga, in der Gott von Anfang an die Hauptrolle spielt, in der Folge der Generationen (Dorot) und Degenerationen (Dor HaMabul, Gen 6; Dor Haflaga, Gen 11) treten bestimmte Geschlechter (Toldot) in immer nähere Beziehung zu Gott. Die adamitischen bzw. noachidischen, abrahamitischen, israelitischen, mosaischen, davidischen und messianischen Bünde (Britot) stellen auch Stufen religiöser Entwicklung dar (Ma’alot). Die noachidische Religion mit ihren sieben vernünftigen Sittengeboten (Mizwot Bene Noach) kann inhaltlich als „natürliche Religion“ angesprochen 8 werden. Im geographischen Raum bilden die Stellen der Begegnung mit Gott (Misbeach, Mischkan, Mikdasch) Zentren, um die herum sich die Geschichte in konzentrischen Kreisen dreht, wie es in den Lagern
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Vgl. K. MÜLLER, Tora für die Völker. Die noachidischen Gebote und Ansätze zu ihrer Rezeption im Christentum (Studien zu Kirche und Israel 15), Berlin 1994. Vgl. dazu D. KROCHMALNIK, Naturrecht und Rechtspositivismus in der jüdischen Tradition, in: Trumah. Zeitschrift der Hochschule für Jüdische Studien 8 (1999) 133-150.
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(Machanot) des Gottesvolkes in der Wüste vorgebildet (Num 1) und auf Jerusalem, das Land Israel und auf die übrigen Länder übertragen 9 worden ist. Wie weit die Völker (Umot) von diesem Zentrum immer entfernt sein mögen: wenn sie sich nach jenen vernünftigen Sittengeboten richten, haben sie – wenigstens nach der überwiegenden Auffassung jüdischer Gelehrter – den gleichen Anteil am Heil wie der frömmste Jerusalemer. Ein mittelalterlicher jüdischer Moralist hat diese Ansicht so auf den Punkt gebracht: Wenn jemand einem anderen sieben Goldstücke schuldet (eine Anspielung auf die sieben noachidischen Gebote) und ihm sieben zurückgibt, dann hat er mehr vollbracht als einer, der 613 schuldet (eine Anspielung auf die 613 mosaischen Gebote) und nur 10 612 zurück erstattet. Die Jesaja-Schüler richten ihr Wort auch an die fernsten Inseln (Jes 49,1), und die gerechten Heiden werden, wie die letzten Verse des Jesajabuches ankündigen, ins Zentrum gravitieren (Jes 66,18-24). Die neuzeitliche jüdische Mystik hat das Bild der zentripetalen, in aller Welt verstreuten Funken göttlichen Lichts (Nizozot; NA 2), die auf die Entdeckung und Einbringung durch das zerstreute Gottesvolk (Galujot) warten, gezeichnet. In der maßgeblichen jüdischen Eschatologie obliegt diese praeparatio messianica (LeJascher Derech LaMelech HaMaschiach) den anderen abrahamitischen Religionen – Christentum und Islam –, die gleichsam als weltliche Arme die messianische Arbeit des Judentums verrichten (Maimonides, Hilchot Melachim 11, 4). Wie man sieht, taucht das Jüdische nicht erst im vierten Abschnitt der Erklärung auf, man kann Nostra aetate geradezu als Dokument des anonymen Judentums lesen und durch die biblisch-rabbinischen Begriffe Toldot, Dorot, Ma’alot, Britot, Mizwot, Machanot, Umot, Galujot, Nizozot entschlüsseln. Auch manche Überraschungen lassen sich von daher erklären, so die chronologische Inversion des Islams und des
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Vgl. M. TILLY, Jerusalem – Nabel der Welt. Überlieferung und Funktionen von Heiligtumstraditionen im antiken Judentum, Stuttgart 2002. Vgl. dazu: A. STOCK, Poetische Dogmatik. Gotteslehre, 1. Orte, Paderborn 2004, 35-83; sowie die Dissertationsschrift von M. FUSS, Die Konstruktion der Heiligen Stadt Jerusalem. Der Umgang mit Jerusalem in Judentum, Christentum und Islam, Stuttgart 2012, sowie D. KROCHMALNIK, Der Nabel der Welt. Über die Sonderstellung Jerusalems in der jüdischen Tradition, in: Bibel und Kirche 51 (1996) 66-72. Sinngemäß nach BACHJA IBN PAQUDA, Die Herzenspflichten, 3. Pforte, Kap. 6, ed. R. Josef Kafich (hebr.-arab.), Jerusalem 1973, 166.
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Judentums. Sie entspricht der Genealogie Abrahams, in der die Toldot Jischmael der Toldot Ja’akow natürlich vorgeordnet ist (Gen 25,12-16; 26,19-22.); der Islam ist danach nicht unser Enkel, sondern unser Onkel. Als Jude kann man sich ferner nicht über das „Zwiebelschalenmodell“ in der Erklärung beschweren, es stammt geradewegs vom Jerusalem-zentrischen Weltbild Jesajas und seiner Schüler ab. In dieser Perspektive ist schließlich auch die christlich-jüdische Topik des Dokuments nicht überraschend, denn nach der rabbinischen Auffassung – wie übrigens auch nach der patristischen – verhalten sich Judentum und Christentum keineswegs wie fremde Religionen zueinander. Ihr Verwandtschaftsverhältnis gleicht auch nicht, wie man in der religionswissenschaftlichen Rede von der Tochterreligion gewöhnlich annimmt, dem von Vater und Kind, sondern dem von Brüdern und zwar von den Zwillingsbrüdern Isaaks und Rebekkas, wobei der ältere Bruder wenigstens nach jüdischer Lesart der Typus des Christentums ist. Obschon sie wie alle Brüderpaare der Genesis zunächst im Streit und Wettbewerb um die Gottesgunst liegen (Gen 25,22), gehören sie doch 11 dem gleichen Stamm an und sprechen also die gleiche Sprache. Die jüdische Topik ist aber kein Sondergut von Nostra aetate; sie dürfte sich in allen kirchlichen Verlautbarungen finden, auch den judenfeindlichsten. Die meisten christlichen Topoi lassen sich aus jüdischen Topoi ableiten und stellen deren Transformation dar. Ein für die katholisch-jüdische Beziehung instruktives Beispiel dieser Topologie mag das illustrieren: Auf den ersten Blick gibt es kaum etwas „unjüdischeres“ als den Einzug zur Papstmesse im Petersdom. Nicht jedoch, wenn man sich an die Erscheinung des Hohepriesters im Tempel erinnert. Das fromme Buch Jesus Sirach (Ben Sira), das zwar nicht zum jüdischen Kanon gehört, dessen Verfasser Ben Sira bei den Rabbinen aber hohes Ansehen genoss, schließt mit der Schilderung des Auftritts des Hohepriesters: Wie herrlich, wenn er herausschaute aus dem Zelt, wenn er heraustrat zwischen dem Vorhang: wie ein leuchtender Stern zwischen den Wolken, wie der Vollmond in den Tagen des Fes-
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Vgl. I. J. YUVAL, Zwei Völker in deinem Leib. Gegenseitige Wahrnehmung von Juden und Christen in Spätantike und Mittelalter, in: M. Brenner/S. Rohrbacher (Hg.), Jüdische Religion, Geschichte und Kultur, Bd. 4, Göttingen 2007, 9-25. Vgl. dazu D. KROCHMALNIK, Im Garten der Schrift. Wie Juden die Bibel lesen, Regensburg 2006, 40-44.
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tes, wie die strahlende Sonne über dem Königspalast, wie ein Regenbogen, der in den Wolken erscheint […]. (Wie herrlich,) wenn er die Prachtgewänder angelegt und sich mit allem Schmuck bekleidet hatte, wenn er emporstieg zum erhabenen Altar und die Einfassung des heiligen Raumes mit Glanz erfüllte (50,5-7. 11).
Dieser Hymnus ist in den traurigen tempellosen Zeiten keineswegs verschollen. Am Jom Kippur wird in der Synagoge der Dienst (Awoda) des Hohepriesters im Allerheiligsten regelrecht nachgespielt. Danach stimmen der Vorbeter und die Gemeinde den mittelalterlichen Wechselgesang an: „So war der Anblick des Hohenpriesters“ (Mare Chohen), was nichts anderes als eine Adaptation des Hymnus von Ben Sira ist: Wahrlich! Wie herrlich sah der Hohepriester aus, als er aus dem Allerheiligsten wohlbehalten und unverletzt kam. Wie jenes Zelt, ausgespannt über den Bewohnern der Höhe, war der Anblick des Hohepriesters. Wie die blitzenden Tiere am Gotteswagen, war der Anblick des Hohepriesters. Wie die Farbe des Regenbogens in den Wolken, war der Anblick des Hohepriesters. Wie die Sonne, wenn sie aufgeht über die Erde, war 12 der Anblick des Hohenpriesters […].
Vom Tempel aus gesehen, der ja nicht nur unsere Vergangenheit sondern auch unsere Zukunft sein soll, ist uns kaum etwas Päpstliches fremd. Der Vergleich dürfte eher auf Christen peinlich wirken, wenn man die Rolle der Hohenpriester in den Evangelien bedenkt: Sie machen dort eine noch schlechtere Figur als die verschrienen Pharisäer und Schriftgelehrten. Aber die römische Kirche sah sich als Translation des Tempels von Jerusalem. Das belegt Paul von Naredi-Rainer in 13 seinem schönen Buch mit schlagenden architektonischen Zitaten. So als ob der von Rom zerstörte Tempel mitten in Rom wieder auferstanden wäre, während das Wahrzeichen des Imperiums – das aus dem erbeuteten Tempelschatz finanzierte Kolosseum – zum Gedenkort für Märtyrer wurde, zur Topographie des Terrors – und zum Steinbruch für neue Kirchen. Diese geradezu providentielle Wende der Weltge-
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Gebete für den Versöhnungstag mit deutscher Übersetzung v. W. Heidenheim, Rödelheim 1894, 404. Vgl. P. V. NAREDI-RAINER, Salomos Tempel und das Abendland, Monumentale Folgen historischer Irrtümer, Köln 1994.
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schichte hat die alten Feinde des Imperiums einander aber nicht näher gebracht. Kurz und gut: Man kann aus der jüdischen Topik in kirchlichen Verlautbarungen nicht auf den Stand der christlich-jüdischen Beziehungen schließen. Im Fall von Nostra aetate entspricht die jüdische Diktion aber der tieferen Intention. Hier bekennt sich die römische Kirche nicht nur zu ihren jüdischen Wurzeln, sie anerkennt auch das Judentum. Wohlgemerkt: Nicht das Judentum im Christentum, das antiquierte, idealisierte Judentum, sondern das real existierende, malträtierte Judentum, das Judentum im jüdischen Volk „in unserer Zeit“ (NA 1). Auch wenn der Titel der Erklärung jetzt anders und allgemeiner lautet und das Judentum, wenn auch gewichtig, an den Schluss der Erklärung gerückt ist, so bleibt die Judenerklärung das Herzstück des Ganzen. Wenn die Kirche den jüdischen Sonderweg nicht mehr nur als verbohrte Hartnäckigkeit und Rückständigkeit abtut, wenn das Judentum als unverjährter Bund anerkannt wird, dann hat das Auswirkungen nicht nur auf das Verhältnis zum Judentum, sondern auch auf das Verhältnis zu allen anderen Religionen und auch auf das Selbstverständnis der Kirche. Nur ein einziger Weg, der nicht nach Rom führt, ist schon ein Beweis für die Existenz anderer Wege. Die anderen Religionen müssen nicht mehr als früher oder später aufzuhebende, aufzugebende Irrwege betrachtet, sie können als gleichberechtigte religiöse Wege anerkannt und zur Mitarbeit am gemeinsamen Erlösungswerk eingeladen werden. Das Katholische, das Ganze und Allgemeine, das das Andere und „Abwegige“ nicht mehr a limine ausschließt, erscheint nicht mehr als das abstrakt Universale, sondern als „dieses“ konkrete Gottesvolk. Dabei ist das Judentum aber nicht ein Gottesvolk unter Anderen; es ist das Andere im Selbst, das Fremde 14 im eigenen Herzen. Die Alterität in der Egoität, die Exzentrizität im Zentrum zuzulassen, dazu braucht es mehr als Toleranz – aber nicht weniger fordert die wahre Liebe: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Lev 19,18) und: „‚Wer nicht liebt, kennt Gott nichtʻ (1 Joh 4,8)“ (NA 5). Auch für diese Bifokalität, die das zentralistische Lagermodell (Machanot) relativiert, hält die Bibel ein Bild bereit, das Bild vom himmlischen und vom irdischen Doppellager Israels: Mach-
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Vgl. dazu die verschiedenen Beiträge in: A. HOFFMANN (Hg.), Christliches Selbstverständnis im Angesicht des Judentums (Forum Siegen), Siegen 2010.
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najim (Gen 32,3. 8). Ich bin mir bewusst, dass ich die Aussagen der vorsichtigen Erklärung überspanne, ich glaube aber, dass diese Konsequenzen auf der Linie und in der Fortsetzung des Dokuments lie15 gen. Trotz der sprachlichen und gedanklichen Nähe besteht aber die Gefahr, dass Juden und Christen aneinander vorbeireden. Die geographische Position des Judentums hatte sich nämlich just in der Zeit der Erklärung dramatisch verschoben. Die historischen Ereignisse, die dazu führten, waren ja der eigentliche Auslöser der Erklärung. Der Schwerpunkt des Judentums hatte sich geographisch nach Nordamerika und Israel und d.h. aus alten katholischen Kerngebieten, wie Polen, Deutschland und Österreich, Frankreich und Italien, in die protestantische und islamische Welt verlagert. Die Erklärung hatte darum kaum eine praktische Auswirkung auf das Leben der meisten Juden. Die katholische Stimme aber wird in der ganzen Welt gehört. Es kommt deshalb sehr darauf an, die spirituellen Verschiebungen wahrzunehmen, die mit den geographischen einhergehen. Das jüdische Bewusstsein dreht sich „in unserer Zeit“ (NA 1) um zwei Brennpunkte: die Vernichtung des europäischen Judentums und die Gründung des Staates Israel. Für die Juden handelt es sich nicht nur um politische Ereignisse: Die Rückkehr in das Land der Väter und der Bibel und das Gedenken an sechs Millionen Märtyrer haben auch ihr Verständnis ihrer religiösen Quellen grundlegend verändert. Die alten Geschichten von Sklaverei und Befreiung, von Exil und Exodus, von Wüste und Gelobtem Land, die mittelalterlichen Märtyrerelegien und die mystischen Erlösungsphantasien, die im Zeitalter der Emanzipation und Assimilation aufgehört hatten, zu uns zu sprechen, erscheinen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts in neuem Licht und ste-
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Dazu: J. OESTERREICHER, Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen. Kommentierende Einleitung, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Das Zweite Vatikanische Konzil. Dokumente und Kommentare, Teil II, Freiburg u.a. 1967, 406-487; ferner R. A. SIEBENROCK, Theologischer Kommentar zur Erklärung über die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra Aetate, in: P. Hünermann/B. J. Hilberath (Hg.), Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Freiburg u.a. 2005, 595-693. Zur Fortführung vgl. die Erklärung der PÄPSTLICHEN BIBELKOMMISSION, Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 152), Bonn 2001; vgl. auch J. B EUTLER, Das jüdische Volk und die christliche Bibel, in: Stimmen der Zeit 220 (2002) 519-529.
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hen als ewige Wahrheiten vor uns. Das christlich-jüdische Gespräch „in unserer Zeit“ (NA 1) muss sich auf diesen Bewusstseinswandel einstellen. Auch der Antisemitismus hat sich inzwischen angepasst. Er begründet heute seinen Hass gegen Juden nicht mehr mit dem Gottesmord und mit dem Rassenkampf, den Nostra aetate mit klaren Worten verurteilt; er ist vielmehr revisionistisch, antizionistisch, fundamentalistisch. Meistens wird er gar nicht als solcher er- und bekannt, er hat ein gutes Gewissen als Auschwitzlüge, als Israelkritik, als Engagement für die palästinensische Sache, als Prophetenwort usw. Auch in den christlichen Kirchen gibt es diese Tendenzen, und nach den Jahren der Versöhnung tauchen sie auch wieder in kirchenamtlichen Dokumen16 ten auf. Für uns sind Nostra aetate und die Folgeerklärungen ein Maßstab, ein point of no return. Alles, was dahinter zurück zu fallen scheint, stößt in der jüdischen Welt auf einhellige Kritik. Außerdem hätten sich die Juden eine derartige Erklärung schon früher gewünscht – 1933, 1943, wenigstens 1953, aber die Kirche blieb angesichts der Vernichtung des Jüdischen Volkes größtenteils stumm. Deshalb wird auch das Seligsprechungsverfahren von Papst Pius XII. von kritischen jüdischen Stimmen begleitet. Wir zweifeln gar nicht daran, dass Pius XII. wie Noach ein Heiliger und Gerechter in seiner Zeit war (Isch Zaddik Tamim BeDoro; Gen 6,9). Er musste das Kirchenschiff während der Sintflut zwischen Gog und Magog hindurchmanövrieren (Ez 38-39; Joh 20,8). Auch Wohlgesinnte meinen aber, dass er wie Noach auf Jiddisch gesagt: „A Zaddik im Pelz“ war, d.h. dass er vor allem um die Seinen besorgt war. Als die Deutschen am Schabbat des 16. Oktober 1943 um 5:30 Uhr in das alte jüdische Ghetto gegenüber der Tiberinsel eindrangen, 1259 Juden in Nachthemden zusammentrieben und
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Um nur einige Dokumente und Initiativen aus der jüngeren Vergangenheit anzuführen: das „Kairos-Palästina-Dokument“ des Ökumenischen Rates der Kirchen (11. Dezember 2009); der Bericht der Reformierten Kirche von Schottland „Das ErCF"CSBIBNT &JO#FSJDIUºCFSEBT 7FSIFJFOF-BOEīdž .BJ EFS"VGSVG[VN Boykott jüdischer Produkte aus dem Westjordanland durch das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz (HEKS) und die katholische Organisation Pax Christi in Berlin Mitte („Besatzung schmeckt bitter“), der von den Kirchenleitungen unwiderTQSPDIFO CMJFC %JF Lj1SPUFTUBOU $IVSDIFTī -FUUFS PO *TSBFMdž JO EFO 64" 0LUPCFS 2012) und vergleichbare Äußerungen der United Church of Canada zeigen, dass es sich um eine weltweite Tendenz in den Kirchen handelt.
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bis zum 18. Oktober im Collegio Militare unweit des Vatikans auf engstem Raum und ohne Verpflegung einkerkerten, da wusste der Papst, was ihnen bevorstand. Hinter den Kulissen hat er unermüdlich protestiert, aber letztendlich hat er ohnmächtig der Deportation zugesehen. Was wäre gewesen, wenn sich Jesus in der Stadt aufgehalten hätte – was er gewiss auch getan hat? Er als „Volljude“ wäre vor den Augen des Kirchenhauptes abgeführt worden. Am Montagvormittag wurden die Juden auf dem Tiburtina-Bahnhof in Viehwaggons gepfercht und in der Nacht zum folgenden Samstag kam der Zug nach qualvoller Fahrt in Auschwitz an. Der Lagerkommandant persönlich ließ es sich nicht nehmen, die Judenfracht aus der Ewigen Stadt persönlich abzufertigen. Nur 15 Männer und eine Frau aus diesem Transport überlebten. Der katholische Theologe und Kirchenhistoriker 17 Klaus Kühlwein wirft dem Papst deshalb „Unterlassung“ vor. Es gibt neue Beweise, dass viele jüdische Flüchtlinge auf Weisung des Papstes gerettet wurden, es gibt aber auch Beweise, dass vom Vatikan aus SSSchergen nach Südamerika geschleust wurden. Kurz und gut, die Bilanz ist nicht frei von Zweideutigkeiten, das Heilige aber ist wenigstens nach biblischem und jüdischem Verständnis das Unvermischte (Lev 19,19). „In unserer Zeit“ aber rüsten Islamisten zum nächsten Holocaust und Israelkritiker bereiten ihm mit der Delegitimierung Israels weltweit den Boden. Christen sind in ihren alten nahöstlichen Stammländern die ersten wehrlosen Opfer dieses Radikalismus. Dazu hörten wir „in unserer Zeit“ gerne ein entscheidendes Wort! Man hat zwar behauptet, dass die jüdische Seite Nostra aetate nicht ausreichend gewürdigt hätte, dass die Umarmung nicht erwidert wurde. Nicht, wie man ehemals annahm, aus Halsstarrigkeit – ein Wort, wie für Juden geschaffen –, vielmehr lägen die Interessen einfach anders. Die Christen suchten einen Dialog mit dem Judentum, die Juden seien aber nur an einem Dialog mit der Christenheit interessiert. Das Verhältnis sei eben asymmetrisch: Der Sohn oder die Tochter bräuchten den Vater, um zu wissen, wer sie sind, der Vater brauche dazu aber nicht den Sohn oder die Tochter, so auch die Vaterreligion und die 17
K. KÜHLWEIN, „Die armen Juden“ – als Papst Pius XII. weinte, in: T. D. Wabbel (Hg.), Das Heilige Nichts. Gott nach dem Holocaust, Düsseldorf 2007, 122-135. Die überarbeitete Neuauflage von S. FRIEDLÄNDER, Pius XII. und das Dritte Reich. Eine Dokumentation (München 2011) kommt zum gleichen Schluss. Ich führe sie nur deshalb nicht an, weil Friedländer Jude und Überlebender ist und deshalb von den Befürwortern der Heiligsprechung Pius XII. womöglich als parteiisch abgetan wird.
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Tochter- oder Sohnesreligion. Abgesehen davon, dass diese Binsenwahrheit in jedem Fall zu kurz greift – psychologisch, historisch, dogmatisch – hat die neue kirchliche und akademische Wertschätzung des Judentums seinen Wert nicht nur in den Augen der Christen, sondern auch vieler religiös indifferenter Juden erhöht. Ich kenne viele jüdische Intellektuelle, die in Folge der Herausforderung des christlich-jüdischen Dialogs zu ihren jüdischen Wurzeln und Quellen zurückgefunden haben. Ja, ich kenne auch manchen guten Christen, der auf dem gleichen Weg zum Judentum übergetreten ist, was früher fast undenkbar und noch früher lebensgefährlich war. Gewiss, die Mission für das Judentum lag nicht in der Absicht der Konzilsväter, aber die Fälle zeigen doch, dass ihre Inspiration nicht nur in den eigenen Reihen Bewegung ausgelöst hat. Die Erträge der akademischen Forschungen auf den gemeinsamen Feldern der Hebräischen Sprachwissenschaft, der Bibelexegese, der biblischen Archäologie, der Geschichte der Epoche des 2. Tempels, der rabbinischen Literatur und der Theologie sind unschätzbar. Jüdische Gelehrte der jüngeren Generation haben sich infolge der Entspannung des Verhältnisses zudem von einer Opfergeschichtsschreibung gelöst und die eigenen 18 Beziehungsbilder einer radikalen Revision unterzogen. Jüngst hat eine Reihe von namhaften jüdischen Gesprächspartnern eine viel beachtete Antwort auf Nostra aetate und die vielen anderen Erklärun19 gen veröffentlicht: Dabru emet – Redet Wahrheit. Aber das ist schon eine andere Geschichte.
Literatur BERNHARDT, REINHOLD, Der Absolutheitsanspruch des Christentums von der Aufklärung bis zur Pluralistischen Religionstheologie, Gü2 tersloh 1993.
18
19
Vgl. M. SAPERSTEIN, Stolpersteine, Weggabelungen und Umwege auf dem Weg zum Reich Gottes, in: Konrad Adenauer Stiftung (Hg.), Zeit zur Neu-Verpflichtung. Christlich-Jüdischer Dialog 70 Jahre nach Kriegsbeginn und Shoah, SanktAugustin/Berlin 2009, 63-93. Vgl. H. FRANKEMÖLLER (Hg.), Juden und Christen im Gespräch über „Dabru emet – Redet Wahrheit“, Paderborn/Frankfurt am Main 2005.
Nostra aetate jüdisch gelesen
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260
Daniel Krochmalnik
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Das Konzil und die Entwicklung der katholischen Sicht des Islams 1. EINLEITUNG 1.1 Umfang und Abgrenzung Mit seinen Aussagen über den Glauben und die Praxis der Muslime hat das Zweite Vatikanische Konzil den lehramtlichen katholischen Diskurs über die Muslime und den Islam nachhaltig bereichert und verändert. Dies soll im Folgenden an einigen Beispielen aufgezeigt werden. Neben Aussagen der Päpste und des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog werden dabei lehramtliche Schreiben aus zwei Regionen der Kirche berücksichtigt: die Verlautbarungen der katholischen Patriarchen des Orients und der regionalen Bischofskonferenz des Maghreb. In diesen Ausführungen geht es freilich nicht um lehramtliche Aussagen zum christlich-muslimischen Dialog, sondern lediglich um den jeweiligen christlichen Blick auf die Muslime und auf den Islam. Wir wollen fragen, wie das Lehramt den Islam darstellt und beurteilt, welche Aspekte jeweils betont, vernachlässigt oder kaum erwähnt werden. Auch soll aus der Untersuchung hervorgehen, welche Stellung der Islam innerhalb des Denkens der offiziell lehrenden katholischen Kirche heute einnimmt und wie Grundlehren des Korans und des Islams bewertet werden, wie zum Beispiel: Monotheismus, Prophetie und Offenbarung, Muhammad und der Koran, islamische theologische Anthropologie, Ethik, Recht und Staat. Unter „Islam“ verstehen wir hier einmal die Gemeinschaft der muslimischen Gläubigen (arab. umma) im weitesten Sinne, als die Gesamtheit all der Personen, die die TIBI¿EB bekennen und sich auf den Koran als den endgültigen Ausdruck des Willen Gottes beziehen. Zum anderen fassen wir den Islam hier auch als Bezeichnung für das Gesamt göttlicher Vorschriften und Lehren auf, die von der Gemeinschaft der Muslime im Glauben als von Gott geoffenbart anerkannt werden.
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1.2 Beispiele geläufiger Sichtweisen des Islams in der Zeit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil Die Ansichten über den Islam der hier zunächst vorgestellten drei katholischen Autoren sind paradigmatisch für das Denken katholischer Theologen während des Jahrzehnts, das dem Zweiten Vatikanischen Konzil vorausging. Sie vermitteln eine Idee von der Art und Weise, wie katholische Theologen in den Jahren kurz vor dem Konzil den Islam und seine Herausforderung an den Glauben der Kirche beurteilten. Das Lehramt der Kirche hatte sich ja bis zum Konzil überhaupt nicht zum Islam geäußert. Wir stellen diese Aussagen an den Anfang unserer Ausführungen, um den radikalen Neuanfang sichtbar werden zu lassen, den das Zweite Vatikanische Konzil im Hinblick auf die Sicht und das Verhältnis der Kirche zum Islam darstellt. Gegen Ende meiner Grundstudien in Philosophie und Theologie stieß ich im Jahr 1959 eines Tages „zufällig“ auf den Aufsatz “The need for Islamic studies” des holländischen Jesuiten J. J. Houben, der zu diesem Zeitpunkt Professor für Islamwissenschaften in Nijmegen und 1 Beirut war. Houben vertrat darin die Auffassung, dass sich die muslimische Welt in der bis dahin größten Umbruchzeit ihrer Geschichte befinde. Wohl wissend, dass es vor allem die politische Seite der Krise war, die Aufmerksamkeit innerhalb der Fachwelt erregte, betonte er demgegenüber, die Krise sei „zutiefst religiös“, und sie sei „das notwendige 2 Ergebnis das Wesens des Islams selbst.“ Von der theokratischen Natur des Islams ausgehend tangiere die Krise das traditionelle religiöspolitische Gefüge der islamischen Geistesgeschichte. Seit dem Beginn seiner Geschichte, so Houben, stellten Theokratie, politischer Despotismus und „die Einheit von Staat und Kirche“ sich gegenseitig bedingende Bestandteile des Islams dar. Daher setze eine mögliche Demokratisierung der muslimischen Welt zunächst eine Verwerfung, oder zumindest eine substantielle Änderung der traditionellen theologischen Lehrmeinung des Islams durch einflussreiche Personen und Bewegungen der islamischen Welt voraus.
1
2
J. J. HOUBEN, The Need for Islamic Studies, in: Scientia Missionum Ancilla (Festschrift Alphonso Ioanni Mariae Mulders), Nijmegen 1953, 180-191. Ebd., 180 (Übersetzung von Chr.T., auch zum Folgenden).
Das Konzil und die katholische Sicht des Islams
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Houben betrachtet es nun als Aufgabe der katholischen Gebildeten, im Kontakt mit dem Islam „christliche Ideale“ in den „wiederauflebenden Islam“ einzuspeisen; denn einige Muslime hätten sich jüngst sehr darum bemüht, den Einfluss von traditionellen, „orthodoxen“ theologischen Schulen auf den Islam zu brechen. Nicht nur die in den muslimischen Ländern arbeitenden Missionare, sondern alle Katholiken müssten realisieren, dass in Bezug auf diese Fragestellung das Schicksal von hunderten Millionen von Muslimen auf dem Spiel stehe. Um ihnen zu helfen und zur Lösung religiöser Konflikte entlang der Konfessionsgrenzen beizutragen, sei für Katholiken eine genauere Kenntnis der Mentalität der Muslime und der Eigenart des Islams als Religion und Gemeinwesen dringend von3 nöten. Nur wenig später wurde ich auf den Ansatz des Münsteraner Missionswissenschaftlers Thomas Ohm OSB aufmerksam. 1961 veröffent4 lichte er das Büchlein „Mohammedaner und Katholiken“ mit dem Ziel, dem weitverbreiteten „Gefühl der Hoffnungslosigkeit“ unter Katholiken bezüglich der Islammission entgegenzuwirken. Diese „Hoffnungslosigkeit“ entstehe vor allem durch den beinahe vollständigen Misserfolg der christlichen Mission unter den Muslimen. Er, Ohm, wolle nun für ein neues Denken unter Christen werben und somit für das Entstehen einer neuen Haltung der Katholiken gegenüber den Muslimen. Ohm erinnerte daran, dass „vom 7. bis in das 12. Jahrhundert die meisten Katholiken im Islam einen Feind und Gegner, bzw. sogar ihren Todfeind oder gefährlichsten Gegner sahen, und der Meinung waren, dass zu dessen Bekämpfung auf Kriege und ‚Kreuzzüge‘ gegen 5 Muslime zurückzugreifen sei.“ „Auch heute“, so Ohm, „betrachten viele [Katholiken] Christentum und Islam als Religionen, die sich 6 gegeneinander wie Licht und Dunkel, gut und böse ausschließen.“ Im Gegensatz hierzu habe es seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts eine Zahl bedeutender Persönlichkeiten, Gruppen und Initiativen gegeben, die sich – entgegen der Hauptströmung der katholischen Ansicht und Praxis – um eine Annäherung an den Islam bemühten.
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Ebd., 191. TH. OHM, Mohammedaner und Katholiken, München 1961. Ebd., 24. Ebd., 28.
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Im Schlussteil antwortete Ohm in dreifacher Weise auf die beiden Fragen: Wie sollen Katholiken über Muslime und ihre Religion denken, und welche Position und Haltung sollen sie ihnen gegenüber 7 einnehmen? Der Weg zu Gott ist Jesus Christus. ‚Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben‘ (Joh 14,6), Die Religion, die totale, die ausschließlich wahre Religion ist die Religion unseres Herrn Jesus Christus. [...] Der Islam ist nicht die und nicht einmal eine Religion, die von Gott angeboten, gelehrt, geschaffen, geoffenbart 8 und angeordnet wurde.
Daher sind Christen beauftragt, auf die Muslime zuzugehen, sie sind zu ihnen gesandt. Gott möchte keine „Kreuzzüge“ gegen den Islam, aber er ordnet die Verkündigung der Frohen Botschaft an. Christus hat einen universalen Missionsbefehl erteilt. Alle „Nicht-Jünger“ müssen zu Jüngern und Nachfolgern Jesu gemacht werden. Auch die Muslime dürfen nicht ohne die wesentliche Frohe Botschaft Jesu bleiben 9 und ohne den unausforschlichen Reichtum Christi (Eph 3,8). Allerdings gilt es zu betonen, dass Ohm nicht die Auffassung vertritt, dass Muslime von der Rettung ausgeschlossen sind und allesamt verdammt werden. Er lehnt die Auffassung ab, dass die Gesamtheit aller Lehren, Lebensregeln, Gesetze, Gebetsformen, Erlasse und 10 Bräuche des Islams in jeder Hinsicht falsch und von Übel seien. Ohms theologische Hilflosigkeit wird offensichtlich, wenn er gegen Ende seines Essays erklärt, dass Katholiken den islamischen Anspruch 11 „die oder auch nur eine wahre Religion zu sein“ nicht akzeptieren können. Gleichzeitig bezeichnet er den Islam als eine „echte Religion, nicht bloß Ersatzreligion oder verkappte Religion.“ Ohm betont ferner die bis zur Gegenwart andauernde Herausforderung des Islams für den christlichen Glauben und seine theologische Reflexion: Folglich können die Christen nicht genug um die Erkenntnis des Sinnes ringen, den der Islam von Gott aus hat, den der Is-
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Vgl. ebd., 61. Ebd., 61f. (Hervorhebungen durch Th.O.). Vgl. ebd., 62. Vgl. ebd., 64. Ebd., 69 (Hervorhebungen durch T.O.; auch zum Folgenden).
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lam in der Heilsgeschichte besitzt, sich nicht genug die Frage 12 vorlegen, welche Aufgaben er für sie und an ihnen hat.
Seine eigene Antwort hierzu lautet: Der Islam ist ein Ruf an die Christen, Buße zu tun für das Böse, das Christen den Moslems angetan haben, ein Stachel, der die Christen zur Selbstprüfung nötigt und sie nicht in Ruhe lassen wird, bis sie das wesentlich Christliche mehr herausarbeiten, zeigen und leben, ein Aufruf, Gott im Geiste und in der Wahrheit anzubeten. […] [Daher] ist der Geist, den die Christen in der Islammission benötigen, nicht der Geist der Feindschaft, der Herrschaft, der Überheblichkeit, der Antipathie, sondern der Geist der Freundschaft, der Brüderlichkeit, der Sympathie, des Verständ13 nisses – der Heilige Geist der Agape.
Es ist aufschlussreich, Ohms Ausführungen in Verbindung mit dem Essay «Chrétiens en face de l'Islam», veröffentlicht im Jahre 1956 in der einflussreichen französischen Monatsschrift Études, zu lesen. Dieser Essay, der Ohm offensichtlich unbekannt war, wurde von dem GSBO[´TJTDIFO+FTVJUFO"OES§Eī"MWFSOZQVCMJ[JFSU EFSBMTMBOHK¢ISJHFS Direktor des $FOUSF 3FMJHJFVY EīUVEFT "SBCFT (CREA) in Bikfaya, Libanon, und als Professor für Arabische Literatur am Institut Oriental de l'Université St. Joseph zahlreiche Personen ausgebildet hat, die später als Erzieher und Gelehrte im Nahen Osten und darüber hinaus gewirkt haben. *N )BVQUUFJM TFJOFT &TTBZT FS´SUFSU Eī"MWFSOZ EJF UIFPMPHJTDIF 'SB ge: Welchen Platz sollte die muslimische Religion innerhalb des katholischen Glaubens einnehmen? Er schreibt unverblümt und klar: Es kann für uns Christen keinen Zweifel geben, dass nur eine einzige göttliche Religion existiert, so wie es nur einen einzigen Gott und eine einzige Wahrheit gibt: das ist die Religion, die vom Judentum vorbereitet, von Christus offenbart und von der katholischen Kirche überliefert wurde. Es ist unmöglich für uns, die anderen Religionen als verschiedene Partizipationsweisen an derselben göttlichen Religion anzuerkennen. Wir könnten akzeptieren, dass sie 'natürliche' Religionen sind, Re-
12 13
Ebd., 68. Ebd., 85.
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sultate des Menschen, d.h. die Objektivierung seiner angeborenen Neigung, eine höhere Kraft anzuerkennen angesichts der Tatsache, dass der Mensch, noch bevor er ein vernünftiges 14 und lachendes, ein religiöses Wesen ist.
%ī"MWFSOZ CF[FJDIOFU EFO *TMBN JN (FGPMHF WPO $IBSMFT +PVSOFU BMT «essai de religion naturelle», wobei er ihm abspricht, „eine göttliche Religion“ zu sein. Der Islam „stellt“ sich selbst „als eine Offenbarung 15 dar“; er „beansprucht, Suche Gottes und seines Reiches zu sein“. In der Tat ist er Religion in dem Sinne, dass er die wirklichen religiösen Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen beansprucht. Durch seinen eindeutig monotheistischen Charakter aber ist er mehr als etwa der Hinduismus oder die Religion der Griechen. Auf der anderen Seite sei es unleugbar, dass der Islam mit seinem strikten Monotheismus – der entgegen der Behauptung einiger Gelehrter weder eine jüdische Sekte noch eine christliche Häresie sei, da er sich zu keiner Zeit zu diesen bekannte, und sich daher niemals von einer dieser Religionen abspaltete – auf jüdische und christliche Lehrmeinungen traf und durch Osmose eine bestimmte Zahl von Wahrheiten, die grundsätzlich zum Eigenbestand der anderen beiden Religionen gehörten, in sich aufnahm und als offenbart darstellte, so beispielsweise: das Leben nach dem Tod, Schöpfungsglaube und Engelwesen […]. Ebenso haben einige ‚heilige Geschichten‘ in stark entstellter Form die islamische Verkündigungspraxis berei16 chert.
%FOOPDI TUFMMU EFS *TMBN OBDI %ī"MWFSOZ LjFJOF SFJO NFOTDIMJDIF #F mühung um den Monotheismus in einem semitischen Umfeld dar – eine Bemühung, die man bewundernswert finden kann, jedoch nichts 17 darüber hinaus.“ Die Ablehnung der Inkarnation, der Auferstehung und der Trinität durch den Islam stelle eine Begrenzung dar, die der menschliche Verstand Gott auferlege. Die Einzigkeit Gottes, wie sie vom Islam gelehrt und verkündet werde, schließe die Ablehnung ein,
14
15 16 17
A. %ī"LVERNY, Chrétiens en face de l'Islam, in: Études 289 (Mai 1956), 161-175, hier 167 (Übersetzung von Chr.T.). Ebd. Ebd., 168. Ebd., 169.
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das anzunehmen, was Gott von sich selbst offenbart. Folglich also „ist 18 der Gott des Islams nicht der Gott der christlichen Offenbarung.“ Vielleicht war der Islam eine persönliche Gnade für Muhammad, eine Attraktion in der Welt authentischer Offenbarung über die so großartige Figur des Abraham. Aber wir müssen auch feststellen, dass der Islam eine Verweigerung darstellt: die Verweigerung [nämlich], sich tiefgreifend dem Mysterium Christi und des Kreuzes zu unterwerfen, sicherlich nicht explizit in Worten, jedoch als Tatsache. Das ist der Grund, warum der Islam für uns nicht mehr als eine menschliche Institution sein 19 kann.
%ī"MWFSOZ JTU TJDI EFS Lj6OXºSEJHLFJUdž EFS $ISJTUFO CFXVTTU LjEJFTF Überlegenheit der Religion [sc. des Christentums], zu der Gott uns 20 berufen hat, zu bekennen“. Während einerseits unsere Beurteilung der religiösen Lehre des Islams fest zu bleiben habe, sei es andererseits nötig, dass die Christen sich als „Zeugen der Liebe Gottes gegen21 über den Muslimen erweisen.“ Sie sollten mit den Muslimen zusammenarbeiten, besonders im Dienst an den Benachteiligten. Schließlich sind sie dazu aufgerufen, inspiriert durch das Leben des Charles de Foucauld (1858-1916), in der Kraft der Liebe Jesu, des Erlösers, an Stelle der Muslime (se substituer) zu ergänzen, „was immer in deren 22 hingebendem Opfer noch fehlt.“ 2. DAS ZWEITE VATIKANISCHE KONZIL UND SEINE SICHT DER MUSLIME UND DES ISLAMS 2.1 Analyse der relevanten Texte Als während der zweiten Sitzungsperiode des Konzils (29. Sept. 4. Dez. 1963) der Entwurf eines Textes über das Judentum vorgestellt wurde, forderten die in muslimischen Ländern lebenden katholischorientalischen Patriarchen und Bischöfe eine Balance, ein Gleichge-
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Ebd., 170. Ebd. Ebd. Ebd., 173. Ebd., 175.
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wicht in dem Sinn, dass das Konzil nicht nur dem Judentum, sondern auch dem Islam Gerechtigkeit widerfahren lassen müsse. Dieser Forderung kam das Konzil zunächst durch die Veröffentlichung von zwei relativ kurzen, aber entscheidenden Texten nach. Obwohl sich diese Texte in erster Linie mit der konkreten Haltung der Katholiken gegenüber den Muslimen befassen und ferner an keiner Stelle vom Islam als solchem sprechen, beinhalten sie einschlussweise Elemente einer neuen katholischen theologischen Sicht des Islams. Nr. 16 der Dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen gentium erklärt: Der Heilswille umfasst aber auch die, welche den Schöpfer anerkennen, unter ihnen besonders die Muslim, die sich zum Glauben Abrahams bekennen und mit uns den einen Gott anbeten, den barmherzigen, der die Menschen am Jüngsten Tag richten wird.
Eine sorgfältige Lektüre der relevanten Konzilsdokumente lässt zunächst einmal erkennen, dass das Konzil keine sachliche Verbindung zwischen Islam, Ismael und den biblischen Offenbarungen herstellen wollte. Der Bezug auf Abraham steht lediglich mit der Formulierung sie „bekennen“ auf einer subjektiven Ebene. Der Islam wird als erste Religion im Abschnitt der nicht-biblischen, monotheistischen Religionen angeführt, und es wird eindeutig erklärt, dass Muslime und Christen den gleichen Gott anbeten. Der zweite Text des Konzils ist der dritte Paragraph der Erklärung über die Beziehung der Kirche zu den nicht-christlichen Religionen Nostra aetate. Er ist länger und aus inhaltlicher Sicht aufschlussreicher. In Nostra aetate wurden die Schemata über das Judentum, den Islam und andere Religionen vereint. Absatz 2 definiert zunächst die Grundprinzipien der christlichen Sichtweise auf die Religionen im Allgemeinen und fordert dann dazu auf, alles das anzuerkennen, „was in diesen Religionen wahr und heilig ist“, allerdings unter Vermeidung jeglichen Synkretismus. Dann erklärt das Konzil in Absatz 3 des Dokuments: Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslim, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat. Sie mühen sich, auch seinen verborgenen Ratschlüssen sich mit ganzer Seele zu unterwerfen, so wie Abraham sich Gott unterworfen hat, auf den der islamische Glaube sich gerne beruft. Jesus, den sie allerdings nicht als Gott anerkennen, verehren sie doch
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als Propheten, und sie ehren seine jungfräuliche Mutter Maria, die sie bisweilen auch in Frömmigkeit anrufen. Überdies erwarten sie den Tag des Gerichtes, an dem Gott alle Menschen auferweckt und ihnen vergilt. Deshalb legen sie Wert auf sittliche Lebenshaltung und verehren Gott besonders durch Gebet, Almosen und Fasten. Da es jedoch im Lauf der Jahrhunderte zu manchen Zwistigkeiten und Feindschaften zwischen Christen und Muslim kam, ermahnt die Heilige Synode alle, das Vergangene beiseite zu lassen, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen.
Zwei Eigenschaften des Textes fallen unmittelbar ins Auge: Erstens unterstreicht er die Gemeinsamkeiten von Islam und Christentum, wobei er gleichzeitig den wesentlichen Unterschied erwähnt: das christliche Bekenntnis zur Gottheit Jesu. Zweitens eröffnet er die Möglichkeit einer Zusammenarbeit zwischen den beiden Religionen im Dienst an der Menschheit und bei der Lösung ihrer dringlichsten 23 Probleme. Der erste Satz des Paragraphen erweckt zunächst den Eindruck einer fast trivial klingenden Formel, in Wahrheit aber macht dieser kurze Text eine einzigartige Aussage und er stellt einen absoluten Neubeginn dar. Die höchste lehramtliche Autorität der Kirche gibt hier zum ersten Mal in der gesamten Geschichte der Kirche eine offizielle Erklärung über den religiösen Grundvollzug der Muslime ab: Der Glaube an Gott als den Einen und seine Anbetung sind der Mittelpunkt und das Herz des Islams. Diese Aussage deckt sich mit dem ersten Artikel des christlichen Glaubens: Credo in unum Deum, auch wenn sich für die Christen die göttliche Einheit in der Trinität der Personen öffnet. Muslime und Christen beten gemeinsam den einen Gott an, aber sie verwenden für ihn nicht immer die gleichen Bezeichnungen. Darüber hinaus weisen sie scheinbar gleichen Bezeichnungen nicht immer die gleiche Bedeutung zu. Dennoch erwähnt das Konzil ausdrücklich einige im Sprachgebrauch der Muslime verwendete Bezeichnungen, die für den Islam von besonderer Bedeutung sind. Sie kommen wiederholt im Koran vor und sind den beiden Reli-
23
Vgl. R. CASPAR, Traité de Théologie Musulmane, Tome I: Histoire de la Pensée Religieuse Musulmane, Roma 1987, 83-87.
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gionen gemeinsam. Eine Anmerkung, die diesem Text des Konzils beigefügt ist und somit dessen integraler Bestandteil ist, bezieht sich auf den Brief von Papst Gregor VII. (1073-1085) an den Emir von Mauretanien Al-Nasir, in dem der Papst den Emir als einen „Bruder in Abraham“ grüßt und als einen Menschen anspricht, der an den einen 24 Gott und Schöpfer glaubt. Aufgrund der Vieldeutigkeit des Begriffs „Prophet“, der im Islam und im Christentum nicht immer in gleicher Weise verwandt wird, lehnte das Konzil es ab, der Formulierung „der zur Menschheit gesprochen hat“ die Ergänzung „durch die Propheten“ beizufügen. Allerdings ist gerade diese Aussage „der durch die Propheten gesprochen hat“ von elementarer Bedeutung für eine adäquate christliche Einschätzung des muslimischen Glaubens: Dieser bezieht sich in seinem Selbstverständnis nämlich nicht auf einen vom menschlichen Denken erfundenen Gott, vielmehr auf den transzendenten Gott, der sich der Menschheit durch sein Wort und durch die Propheten geoffenbart hat – auch wenn die Prophetengestalten im biblischen und im koranischen Glauben nicht identisch sind. Der muslimische Glaube – so das Konzil – ist in erster Linie islâm, aktive Unterwerfung unter den Willen Gottes. „Seinen Ratschlüssen, auch seinen verborgenen, mühen sie sich mit ganzer Seele zu unterwerfen“ (UR 3). So wird der Geheimnis-Charakter benannt, der den islamischen Glauben kennzeichnet: Er ist vernünftig, ohne rational zu sein, und dies steht im Einklang mit dem Koran, der von den Gläubigen die Annahme des Willens Gottes verlangt, auch wenn dies in den Augen der Vernunft widersinnig erscheinen mag. Als Urtyp und Modell dieses Glaubens spielt Abraham im Koran und folglich im gläubigen Denken und Handeln der Muslime eine eminente Rolle. Jesus und Maria gehören zu den herausragenden Gestalten des Korans. Dieser weigert sich allerdings unmissverständlich, in Jesus mehr als einen der großen Propheten zu sehen. Muslime sehen darin eine positive Ausrichtung in dem Sinn, dass diese Weigerung beabsichtige, die absolute Transzendenz Gottes zu sichern und zu verteidigen. Maria wird gemäß der auf dem Text des Korans basierenden islamischen 24
Vgl. CHR. COURTOIS, Grègoire VII et l’Afrique du Nord. Remarques sur les commuOBVU§TDIS§UJFOOFTEī"GSJRVFBV9*FTJ¦DMF JO3FWVF)JTUPSJRVF 226. Textauszug des Briefes von Gregor VII. an An-Nasir (lat. in Patrologia Latina 148,450-452) in dt. Übersetzung in: A. Lexutt/D. Metz (Hg.), Christentum – Islam. Ein Quellenkompendium (8.-21. Jh.), Köln u.a. 2009, 57f.
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Glaubenslehre als jungfräuliche Mutter Jesu verehrt, eine Tatsache, die als solche innerislamisch nie umstritten war und somit eine Brü25 cke zur katholischen Glaubenslehre darstellt. Der Konzilstext geht auch in aller Kürze auf die islamische Eschatologie ein. Die Auferstehung des Leibes und das darauf folgende Gericht stellen zwei wesentliche Punkte des islamischen und christlichen Glaubens dar. Die Modalitäten und Kriterien dieses Gerichts werden je nach theologischer Auffassung bzw. Richtung unterschiedlich dargestellt. In jedem Fall aber wird sowohl im Koran wie in den Evangelien jeder Mensch nach seinen Taten beurteilt (remunerabit), und sowohl bei den Christen wie bei den Muslimen kehrt die Welt, die von Gott kommt, zu Gott zurück, um dort ihre Vollendung zu finden. „Sie legen Wert auf sittliche Lebenshaltung“ (NA 3) ist jene Formulierung, auf die sich die Konzilsväter einigten, nachdem sie zwar die längere Formulierung „… ein sittliches Leben, sowohl individuell als auch familiär und sozial“ diskutiert, sich dann aber dazu entschlossen hatten, im Text keinen expliziten Bezug auf die hohe Stellung familiärer und sozialer Werte im Islam zu nehmen. Diese Entscheidung erfolgte vor allem wegen der Aussagen des Korans zu Polygamie und Ehescheidung und aufgrund der im Islam gängigen Lehre über die wesentliche Verbindung zwischen Geistlichem und Zeitlichen bzw. 26 zwischen Religion und Staat. Des Weiteren wird die muslimische Glaubenspraxis mittels ihrer drei Hauptmerkmale beschrieben: rituelles Gebet, Almosen und Fasten. Vom islamischen Glaubensbekenntnis, der TIBI¿EB, wurde nur der erste Teil, der Glaube an den einen Gott, am Anfang des Textes erwähnt. Die Verpflichtung zur Hadsch (Pilgerfahrt nach Mekka) hätte ebenfalls Erwähnung finden können. Diese Verpflichtung wird jedoch bei weitem nicht von allen Muslimen praktiziert, und das Konzil hatte ja auch nicht die Absicht, in irgendeiner Weise eine vollständige Darstellung des Islams vorzunehmen. Der zweite Teil des Textes betrifft die gegenwärtigen und zukünftigen Perspektiven der Verständigung und des Zusammenarbeitens zwischen Christen und Muslimen. Die Feindschaften und Kriege in
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Vgl. u.a. Sura 21:91: „Und der, die ihre Keuschheit wahrte, hauchten Wir von Unserem Geist ein und machten sie und ihren Sohn zu einem Zeichen für die Welten.“ Vgl. Acta Synodalia Sacrosancti Concilii Oecumenici Vaticani II, Bd. IV/4, 704 (ad modum 51).
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der Vergangenheit sollen „vergessen“ werden. Das bedeutet freilich nicht, sie zu ignorieren; vielmehr soll die belastete Vergangenheit gemeinsam aufgearbeitet werden. Gegenseitige Verständigung, geprägt von Objektivität und Respekt, erfordert auf beiden Seiten Anstrengung und den dezidierten Willen zur Weiterentwicklung. Über den „Dialog“ hinaus muss es ferner zu einem Zusammenarbeiten zwischen den Gläubigen auf ein gemeinsames Ziel hin kommen. Es gilt, sich gemeinsam den Herausforderungen des modernen Denkens und der modernen Gesellschaft zu stellen, nicht nur um – gerade auch bei der Jugend – den Glauben an Gott zu sichern und festigen, sondern auch, um durch einen aufrichtigen und engagierten Glauben einen Beitrag zur Rettung unserer Gesellschaft zu leisten und um den Gefahren zu wehren, die dem Glauben von einem gewissen Neuheidentum her drohen. Auf diese Weise soll gemeinsam eine bessere Welt 27 errichtet werden. Ohne Frage stellen die Aussagen des Konzils über den Islam, gerade auch im Licht der Geschichte, eine radikale Neuerung dar. Dessen ungeachtet wies nicht lange nach Abschluss des Konzils der Dominikaner Georges Anawati (1905-1994), ein herausragender Konzilsexperte für den Islam und die christliche-muslimischen Beziehungen, in einer kritischen Analyse der hier diskutierten Konzilsaussagen auf ihr beredtes Schweigen hin, und zwar einmal im Hinblick auf die Gestalt Abrahams und die spirituelle (möglicherweise auch historische) Beziehung, die der Islam durch Ismael und vor allem durch Muhammad zu ihm hat, und zum anderen im Hinblick auf den prophetischen Charakter des Islams. In seinem „Exkurs zum Konzilstext über die Muslim“ in der halboffiziellen Ausgabe der deutschen Version der Konzilstexte aus dem Jahre 1967 schreibt Anawati: [Man kann sagen], die Konzilserklärung gebe mit einem Minimum an Worten das Wesentliche der muslimischen Theodizee, nicht aber das Wesentliche des muslimischen Glaubens wieder, zu dessen wichtigsten Elementen der Glaube an die Sendung 28 Mohammeds gehört.
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Vgl. CASPAR, Traité de Théologie Musulmane, 87. G.-C. ANAWATI, Exkurs zum Konzilstext über die Muslim, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Das Zweite Vatikanische Konzil. Dokumente und Kommentare, Teil II, Freiburg u.a. 1967, 485-487, hier 486 (Hervorhebungen von Anawati).
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Das Schweigen des Konzils bezüglich des zweiten Teils des muslimischen Glaubensbekenntnisses (TIBI¿EB) stellt zweifellos ein für viele Muslime schmerzhaftes Detail dar. Das Konzil beschloss, allein im Modus des Schweigens dazu Stellung zu nehmen. Anawati fügte die zuversichtliche prophetische Anmerkung hinzu: „Ist der Dialog einmal in Gang gekommen, so wird man gezwungen sein, dieses Haupt29 stück genauer darzustellen.“ 2.2 Louis Massignon und das Zweite Vatikanische Konzil Während der dem Konzil vorausgehenden Jahrzehnte hat kein Theologe so intensiv und beharrlich daran gearbeitet, die katholische Ansicht des Islams zu verändern, wie der französische Islamkundler und Mystiker Louis Massignon (1883-1962). Nachdem er seinen katholischen Glauben durch das Studium des großen muslimischen Mystikers Mansûr Al-Hallaj (857-922) entdeckt hatte, war Massignon davon überzeugt, dass für ein adäquates Verstehen des Islams seitens der Christen eine Veränderung der Perspektive nötig sei. Die Christen hätten sich durch eine Art kopernikanische Wende auf das Zentrum der muslimischen Lehre einzulassen: «par un renversement à la Copernic, au centre même de l'Islam, là ou vit cette étincelle de vérité dont se soutient invisiblement et mystérieusement tout le reste» (Prière 30 sur Ismaël [1935] ). Massignon war offen für die muslimische Vorstellung, dass die drei Religionen aus der gleichen Quelle hervorgehen. Er akzeptierte die Verbindung der Muslime mit Abraham über Ismael: Sie sind die Erben seines Segens und seiner Berufung zu einer besonderen Erwählung durch Gott. So stellt Massignon Muhammad als einen prophète négatif dar, da dieser Gott abspreche, mehr zu sein als das, was er ihm zu sein zugestehe. Muhammad ist der Vorbote eines kompromisslosen Monotheismus. Für Massignon ist Muhammad nicht länger der „Antichrist“, wie er in der Kirche in der Vergangenheit vielfach dargestellt wurde. Er erhofft eher von Christen und Juden, dass sie sich selbst an den Platz der Muslime stellen, damit auch diese an der einen von Gott vorgesehe-
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ANAWATI, Exkurs zum Konzilstext, 487. CASPAR, Traité de Théologie Musulmane, 80, siehe dort Fußnote 15; 108.
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nen Rettung aller teilhaben («celui qui attend que des Chrétiens et des Juifs se substituent aux Musulmans pour se réunir en un seul salut 31 proposé par Dieu» ). Diese Stellvertretung (substitution) schließt ein, dass Christen die Sünden, die Mängel, die Leiden und die Einschränkungen der muslimischen Lehren und Gesetze auf sich nehmen. Sie bedeutet und fordert, dass Christen sozusagen abhängig vom Islam leben, um ihr Leben auf die gleiche Weise, in der Christus von denen abhängig ist, die er rettet, zu retten. Massignon war zutiefst davon überzeugt, dass alle Muslime, die schon gerichteten und geretteten ebenso wie die heute lebenden, dazu existieren, um durch die Christen stellvertretend „verinnerlicht“ zu werden: «[ils] sont lá pour être intériorisés par nous-mêmes, en nous substituant á eux.» Für Massignon ist der Islam ein abrahamitisches Schisma, das sowohl dem Dekalog vorausgeht, der das Judentum begründet, als auch dem Pfingstfest, das das Christentum begründet. Während – auf der einen Seite – die positive Beschreibung der zentralen Aspekte des muslimischen Glaubens und der muslimischen Praxis des Zweiten Vatikanischen Konzils und seine neue Anschauung über den Islam ohne Massignons Einsicht und Einsatz undenkbar wären, nahm das Konzil – auf der anderen Seite – Abstand davon, Schlüsselelemente der eigenwilligen theologischen Vision des Islams und seines Propheten von Massignon zu übernehmen. Es wollte verhindern, dass die zweifellos privilegierte Stellung, die der Islam unter den anderen großen Religionen in einer christlichen Vision der Heilsgeschichte innehat, die Einmaligkeit der jüdisch-christlichen Offenbarung mit ihrem aus christlicher Glaubenssicht absoluten Höhepunkt in der göttlich-menschlichen Person Jesu Christi überschattet. Das Konzil war außerdem davon überzeugt, dass die historische Abstammung der Muslime von Ismael, wie sie von den Muslimen verkündet wird, historisch nicht nachweisbar ist.
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L. MASSIGNON, Le signe marial, in: Rythmes du Monde 3 (1948) 7-16 (auch zum Folgenden).
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3. LEHRAMTLICHE ÄUSSERUNGEN NACH DEM ZWEITEN VATIKANUM ÜBER DEN ISLAM UND DIE CHRISTLICHMUSLIMISCHEN BEZIEHUNGEN 3.1 Gesten, Äußerungen und Ansprachen der Päpste allgemein Die Jahre direkt nach dem Konzil erlebten unzählige Initiativen, die darauf zielten, die vom Konzil gelehrten Vorstellungen in die Praxis des Dialogs mit den Muslimen umzusetzen. Von besonderer Bedeutung war in diesem Kontext die Gründung des Vatikanischen „Sekretariats für die Nichtchristen“ im Jahr 1964, das 1989 in „Päpstlicher Rat für den Interreligiösen Dialog“ umbenannt wurde. Der Päpstliche Rat wurde für den Dialog mit allen größeren Religionen gegründet, hat während der Jahrzehnte seiner Gründung im Ganzen jedoch sein Hauptaugenmerk auf den Dialog mit den Muslimen gerichtet und diesen Dialog begleitet und gefördert. Diesem Zweck dient die „Unterkommission für die religiösen Beziehungen zwischen Christen und Muslimen“, welcher der Präsident, der Vizepräsident, der Sekretär und eine Gruppe von acht Konsultoren angehören. Einflussreiche „Richtlinien für den christlich-muslimischen Dialog“ wurden erstmals 32 im Jahre 1969 veröffentlicht. 1981 erschien ein von Maurice Borrmans, einem französischen Islamkundler und Mitglied der Weißen Väter, für den Päpstlichen Rat ganz und gar neu verfasster Text unter 33 dem gleichen Titel. Die Päpste begannen, von der Regierungszeit Paul VI. an, mit der Praxis weltweiter pastoraler Besuche und legten während dieser Reisen großen Wert darauf, Repräsentanten von muslimischen Gemeinschaften, die zur gleichen Nation wie die jeweilige vom Papst besuchte lokale Kirche gehören, zu begegnen und sich in Ansprachen in besonderer Weise an sie zu richten. Die zahlreichen von den Päpsten besuchten örtlichen Kirchen wurden auf diese Weise angeregt, in ihren Beziehungen zu den Muslimen den Geist der päpstlichen Ansprachen umzusetzen. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil erschienen zahlreiche Stellungnahmen des kirchlichen Lehramtes bezüglich des interreligiösen
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SECRETARIATUS PRO NON-CHRISTIANIS, Guidelines for a Dialogue between Christians and Muslims, Rome 1969. Dt. Übers.: SEKRETARIAT FÜR DIE NICHTCHRISTEN/M. BORRMANS, Wege zum christlich-islamischen Dialog, Frankfurt am Main 1985.
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Dialoges im Allgemeinen und der christlich-muslimischen Beziehun34 gen im Besonderen. Betrachtet man die Enzykliken der Päpste, ihre Ansprachen an Muslime und interreligiöse Gruppen während ihrer Reisen, ihre Reden anlässlich privater Audienzen und bei Anlässen wie beispielsweise dem Weltfriedenstag oder der Akkreditierung von Botschaftern, so entdeckt man Aussagen, die die katholische Auffassung über den Islam, die hinter den konziliaren Aussagen steht, weiterentwickeln. Ein dominierendes Thema ist die Überzeugung, dass der Glaube an den einen gemeinsamen und einzigen, personalen Schöpfergott und seine Anbetung auf Seiten der Muslime und der Christen eine Verbindung der „Brüderlichkeit“ schafft. Sie basiert auf vergleichbaren Vorstellungen von Christen und Muslimen über die Grundausrichtung und den Sinn des menschlichen Lebens. In diesen gemeinsamen Glaubensüberzeugungen wird eine moralische Grundlage und somit die Basis für die Wahrnehmung eines gemeinsamen Auftrags von Gott an den Menschen gesehen. Die nachkonziliaren Aussagen verbindet die Absicht, das Gemeinsame zu unterstreichen, ohne dabei die Unterschiede, auch tiefe und deutliche, zu vergessen. Diese Unterschiede werden allerdings niemals so stark betont, dass hierdurch eine offene und brüderliche Begegnung zwischen Muslimen und Christen bedeutungslos würde. Die Aussagen scheinen durch eine pädagogische Absicht gekennzeichnet zu sein, die in der muslimischen Tradition besonders die Aspekte und Werte beleuchten, die am meisten der christlichen Tradition nahestehen. In Berührung mit der Realität des Islams ist die christliche Tradition dazu herausgefordert, sich selbst in ihrer gelebten Wirklichkeit zu reinigen und, darüber hinaus, bereichern zu lassen. So betont das Lehramt seinen Respekt und gar seine aufrichtige „Bewunderung“ für den glaubenden und praktizierenden Muslim, insistiert jedoch gleichzeitig auf der Würde jedes menschlichen Wesens als Geschöpf Gottes; eine Würde, die alle, und gerade auch Christen und Muslime, vor Gott dazu verpflichtet die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit aller Menschen effektiv umzusetzen und dafür einzustehen, dass das
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Vgl. Christlich-islamische Begegnungs- und Dokumentationsstelle (C IBEDO) e.V. (Hg.), Die offiziellen Dokumente der katholischen Kirche zum Dialog mit dem Islam, zusammengestellt von Timo Güzelmansur. Mit einer Einleitung von Christian W. Troll, Regensburg 2009.
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fundamentale Recht zum freien Bekenntnis des Glaubens Individuen und Gemeinschaften ohne Wenn und Aber allgemein anerkannt und rechtlich sanktioniert werde. Wenn das Lehramt einerseits die Überzeugung der Muslime anerkennt, dass es gelte, die religiöse Botschaft in Gesellschaft und Gemeinwesen wirksam umzusetzen, so unterstreicht es anderseits gleichzeitig die christliche Überzeugung, dass es zwischen religiös-geistlicher und strikt politisch-sozialer Ordnung zu unterscheiden und in rechter Weise zu trennen gilt, gerade heute, im Kontext kulturell und religiös plural zusammengesetzter Gesellschaften und Staaten. 3.2 Die Sicht der einzelnen Päpste 3.2.1 Paul VI. (1897-1978; Papst seit 1963) Schon als Erzbischof und Kardinal war Paul VI. vom Phänomen des Islams fasziniert. Der Islam beeindruckte ihn als globales, Kontinente und Kulturen überschreitendes Phänomen zusammen mit den daraus sich ergebenden politischen und kulturellen Fragen. Freilich, noch stärker faszinierte ihn der Islam als Form eines radikalen Monotheismus, dessen innere Kraft auch eine Jahrzehnte währende, aggressiv atheistische Herrschaft kaum überwinden zu können schien. Die Welt des Agnostizismus und Atheismus und das sozialistische Denken hatten Giovanni Battista Montini (1897-1978, Papst seit 1962) ja seit sei35 nen jungen Priesterjahren intensiv beschäftigt. Es waren der französische Islamkundler Louis Massignon sowie der mit Massignon und Montini befreundete Philosoph Jacques Maritain (1882-1973), die Montinis Interesse am Islam wachriefen, schon als dieser noch Erzbischof von Mailand war. Massignon hatte eine Vereinigung gegründet, die sich für das gegenseitige christlich-muslimische Verstehen einsetzte. So kam es, dass Montini lernte, die Muslime nicht als Ungläubige (infideles) zu betrachten, wie es seit Jahrhunderten in der Christenheit üblich gewesen war, sondern eher als Mit-Bekenner des Monotheismus. Massignon vertrat ja äußerst eloquent die These vom „dreifachen Erbe Abrahams“ (Judentum , Christentum und Is-
35
Vgl. J. ERNESTI, Paul VI. Der vergessene Papst, Freiburg u.a. 2012, bes. 27-45.
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lam). Diese These wurde vom Konzil in gemilderter Form übernommen, allerdings ohne dass damit dem Islam vom katholischen Glauben her eine Offenbarung im eigentlichen Sinn zuerkannt worden wäre. In seiner „Botschaft aus Bethlehem“ richtete Paul VI. Anfang 1964 „ehrerbietige Grüße gepaart mit Anerkennung und Liebe“ an die Christen und die ganze Welt und „in besonderer Weise an jede Person, die den Monotheismus bekennt und mit uns den einen und wahren Gott religiös verehrt, den lebendigen und höchsten, den Gott 37 Abrahams, den Erhabenen.“ Paul VI. spricht so im Geiste des Konzils dem Islam eine besondere Stellung im universalen Konzert der Religionen zu. Er wiederholt die oben analysierte Lehre von Lumen gentium 16 und Nostra aetate 3: Die Muslime praktizieren eine Religion, die einem authentischen Glauben an den personalen und allmächtigen Gott Ausdruck verleiht. Die Haltung Pauls VI. stützt das Bemühen des Konzils um Ausgewogenheit und Taktgefühl. Allerdings unterscheidet das Konzil unmissverständlich zwischen den negativen Urteilen einerseits, die sich von den christlichen Prinzipien her und aufgrund der historischkritischen Forschung in Bezug auf die Offenbarungen Muhammads and die Ursprünge des Islams ergeben, und der unbestreitbaren Tatsache der muslimischen religiösen Grundhaltung andererseits. Sie wurzelt in der grundsätzlichen Aufrichtigkeit und in der glühenden monotheistischen Predigt des Propheten. Dass der Islam prophetische Religion genannt werden kann, heißt dennoch nicht, dass es legitim wäre, Muhammad in eine Linie mit den Propheten des Alten Testa38 mentes zu stellen.
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Vgl. u.a. L. MASSIGNON, Les Trois Prières d’Abraham (1949), in: Y. Moubarac (Hg.), Louis Massignon. Opera minora, Bd. 3, Beirut 1963, 804-816 (die deutsche Übertragung von Hans Urs von Balthasar in der Internationalen katholischen Zeitschrift Communio 4 [1975] 19-28 ist unvollständig). Vgl. S. RUPP, Eine Antwort auf Abraham. Der Islam aus der Sicht Louis Massignons, in: B. Nitsche (Hg.), Von der Communio zur kommunikativen Theologie (Festschrift Bernd Jochen Hilberath), Berlin 2008, 183-190, bes. 175f. PAUL VI., Le message adressé de Bethléem aux Chrétiens et au monde (Documentation Catholique 1417), Paris 1964, 181 (Übersetzung von Chr.T.). Siehe dazu M. BORRMANS, Le pape Paul VI et les musulmans, dans: Islamochristiana 4 (1978) 1-10.
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Ein sichtbar neues Element in der Lehre von Papst Paul VI. ist der ausdrückliche Respekt nicht nur gegenüber Muslimen als Individuen, sondern auch für den von ihnen bezeugten kollektiven Glauben. In Kampala, der Hauptstadt von Uganda, verband Paul VI. während seines Besuchs im Jahre 1969 das Gedenken an die „Bekenner des 39 muslimischen Glaubens“ ausdrücklich mit dem Gedenken an die katholischen und protestantischen Märtyrer. Beim gleichen Anlass bat er um Gottes Segen für die muslimische Gemeinschaft in dem klaren Bewusstsein, dass Muslime und Christen in ihrem Gebet zu Gott vereint seien und gemeinsam für den künftigen Wohlstand und den Frieden in Afrika verantwortlich sind. 3.2.2 Johannes Paul II. (1920-2005; Papst seit 1978) ,BSPM8PKUZîBXJENFUFX¢ISFOEEFSBVTHFEFIOUFO;FJUTFJOFSQ¢QTUMJ chen Amtsführung den christlich-muslimischen Beziehungen eine außergewöhnliche Aufmerksamkeit. Sowohl in seinen Ansprachen vor Christen, die in Asien, Afrika, dem Mittleren Osten und Europa mit Muslimen zusammenleben, als auch in seinen Ansprachen vor Muslimen im Kontext seiner zahlreichen Reisen in verschiedene islamische Länder hat Johannes Paul II. versucht, ein festes Fundament für den christlich-muslimischen Dialog zu legen und die Bedingungen und Prinzipien für ein gedeihliches Zusammenleben der Anhänger dieser beiden Religionen zu benennen. In unserem Zusammenhang geht es jedoch weder um die innovativen Ideen und Initiativen des Papstes im Hinblick auf die convivencia und den Dialog von Christen und Muslimen noch um seine Auffassung vom Verhältnis von Dialog und Verkündigung und von einer katholischen Theologie der Religionen, mit besonderer Berücksichtigung der Herausforderung seitens des Islams. Vielmehr richtet sich unser Blick hier auf die Frage, wie Johannes Paul II. den Islam als eine distinkte religiöse Weltsicht und als ein Gesamt von als göttlich offenbart geglaubten Lehren gesehen und beurteilt hat. Außerdem interessiert uns, wie er die lebendige, weltweite Gemeinschaft der Muslime
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PAUL VI., Ansprache an die muslimischen Gemeinschaften Ugandas (1. Aug. 1969), in: Die offiziellen Dokumente der katholischen Kirche zum Dialog mit dem Islam, 400 (Nr. 2109).
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mit ihrem großen Fächer von Sekten, Bewegungen, Richtungen und ideologischen Tendenzen wahrgenommen hat und wie er mit der Tatsache umgegangen ist, dass sich diese gesamte islamische Wirklichkeit in einem Prozess dauernder Bewegung und Veränderung befindet. In seiner Antrittsenzyklika Redemptor hominis (1979) betont Johannes Paul II. zwei Punkte, die für eine katholische Sicht des Islams von grundlegender Bedeutung sind: (1) Er, der Sohn Gottes, hat sich durch seine Menschwerdung in gewisser Hinsicht mit jedem menschlichen Wesen vereinigt (vgl. Nr. 13). (2) Der Heilige Geist ist im Leben von Nicht-Christen tätig, und zwar nicht in Verachtung ihres religiösen Tuns, sondern vielmehr als dessen Wesen und Grundlage (vgl. Nr. 11). In einer Ansprache an das „Sekretariat für die Nicht-Christen“ (dem heutigen „Päpstlichen Rat für den interreligiösen Dialog“) zitiert der Papst Mt 8,10: „Nicht einmal in Israel habe ich so einen Glauben ge40 funden“. Er betont, es sei für Katholiken wichtig, in der Begegnung mit Nicht-Christen Respekt und Achtung walten zu lassen: „Respekt und Wertschätzung ‚für den Anderen‘ und das was er in der Tiefe 41 seines Herzens hegt, ist für den Dialog wesentlich.“ Mit anderen Worten: Ein Christ, der keine Liebe empfindet für Muslime (oder für Angehörige einer anderen Religion) und für die Überzeugungen, die ihrem jeweiligen religiösen Selbstverständnis zugrunde liegen, entbehrt der Fähigkeit, die Tiefe oder Aussagekraft ihrer Religion zu ermessen und in angemessener Weise darüber zu sprechen. So gilt es im Bemühen, in einen echten Dialog mit Muslimen (oder Angehörigen einer anderen Religion) zu treten, eine „Änderung des Herzens“ zu vollziehen. Wir haben keinen Anhaltspunkt dafür, dass Johannes Paul II. während irgendeiner Periode seines Lebens je einen dezidierten Versuch unternommen hat, den Islam als Religion und Kultur näher zu studie42 ren. 7FSNVUMJDICFHBOOEFSEBNBMJHF#JTDIPG,BSPM8PKUZîBFSTUJN Kontext der Diskussionen des Zweiten Vatikanischen Konzils über die 40
41 42
JOHANNES PAUL II., Ansprache an die Mitglieder und Konsultoren des Sekretariats für die Nichtchristen (27. April 1979), in: Die offiziellen Dokumente der katholischen Kirche zum Dialog mit dem Islam, 143f. (Nr. 537; auch zum Folgenden). Ebd., 144 (Nr. 542). Siehe dazu CHR. W. TROLL, John Paul II and Islam, in: M. A. Hayes/G. O'Collins (Hg.), The Legacy of John Paul II, London 2008, 203-227.
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Muslime und über den Islam, ein solches Interesse für den Islam zu entwickeln. Seither bedachte er die Aussagen des Islams im Licht des katholischen Glaubens. In dem 1994 von Vittorio Messori, einem italienischen Historiker und Journalisten herausgegebenen Buch „Die 43 Schwelle der Hoffnung überschreiten“ , das schriftliche Antworten Johannes Pauls II. auf Messoris Fragen wiedergibt, finden wir im „Mohammed?“ betitelten Abschnitt 15 gut vier Seiten mit einem für unsere Fragestellung aufschlussreichen Text. Ich messe den dort wiedergegebenen Aussagen des Papstes für jegliche Einschätzung seines Denkens über den Islam eine zentrale Rolle zu; hier haben wir mit Sicherheit ganz und gar eigene Auffassungen und Reflexionen des Papstes zu unserem Thema vor uns. Alle anderen Aussagen des Papstes basieren ja auf Vorlagen oder Punkten für Reden, die ihm jeweils zur Überarbeitung vorgelegt wurden und aus denen dann seine zahlreichen Ansprachen und Texte entstanden sind. Auf diesen wenigen Seiten gibt Johannes Paul II. dasjenige über den Islam zu Papier, was ihm im Bezug auf diesen – eine, wie er sagt, „der großen monotheistischen Religionen“ – als Glaubenslehre von zentraler Bedeutung zu sein scheint. Die oben benannten Fragen finden hier Antworten, Zunächst teilt uns der Papst eine Erinnerung aus seinen jüngeren +BISFONJU.JUFJOFS(SVQQFKVOHFS3FJTFOEFSCFTJDIUJHUF8PKUZîBJN Kloster von San Marco in Florenz die Fresken von Fra Angelico. Damals schloss sich uns ein Mann an, der die Bewunderung für die Meisterschaft dieses großen geistlichen Künstlers mit uns teilte, aber hinzufügte: ‚Doch ist nichts vergleichbar mit unse44 rem wundervollen moslemischen Monotheismus.ʻ
Ich nehme an, dass der Papst die Worte des Muslims seinen Worten der Bewunderung für das Gemälde Fra Angelicos zum einen hinzufügte, um die zentrale Stellung zu betonen, die Gott als absolut einzigartiger und einer in der Glaubenssicht der Muslime, dem „reinen Monotheismus“, einnimmt, zum anderen wohl auch, um darüber hinaus zu zeigen, dass die Muslime sich stets in einer Beziehung der Konkurrenz und des Wetteifers mit anderen Glaubenswelten – nicht zuletzt der christlichen –, ihren jeweiligen religiösen Vorstellungen sowie ihrer Glaubenspraxis sehen. 43 44
V. MESSORI (Hg.), Die Schwelle der Hoffnung überschreiten, Hamburg 1994. Ebd., 119f.
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Die darauf folgenden Bemerkungen des Papstes sind ebenfalls erwähnenswert: „Diese Erklärung hinderte uns nicht daran, die Besichtigung und das Gespräch in freundschaftlichem Ton fortzuführen.“ Es ist, als wolle Johannes Paul II. uns sagen: Unterschiede im Glauben und in der Lehre sowie der potentielle Konflikt von Glaubenslehren und Wahrheitsansprüchen auf der normativen Ebene sind eine Sache, das ständige Bemühen um einen „freundlichen“ Dialog und um Begegnung ein andere. Johannes Paul II. hielt die Fähigkeit für wichtig, das klare Bewusstsein der Unterschiede in der Lehre der beiden Religionen zu verbinden mit der christlichen Pflicht, Begegnung und freundliches Gespräch, auch über religiöse Themen, mit den Anhängern anderer Religionen hochzuschätzen und zu pflegen. Die zwei darauffolgenden Paragraphen von „Die Schwelle der Hoffnung überschreiten“ zeigen uns klar, was für den Papst den wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Glaubenslehren ausmacht. Er nimmt den Text des Korans zur Kenntnis und vergleicht seine Aussagen mit der zentralen Botschaft der biblischen Schriften. Auf diese Weise entdeckt er zunächst, „dass sich hier ein Prozess der Einschrän45 kung der göttlichen Offenbarung“ vollzogen hat. Worin besteht aber dieser? Er besteht in „der Entfernung […] von dem, was Gott zuerst im Alten Testament durch die Propheten und dann, definitiver, im Neu46 en Testament durch seinen Sohn gesagt hat.“ Diese Aussage wird zugespitzt in dem Satz des Papstes, der gleich darauf folgt: „Dieser ganze Reichtum der Selbstoffenbarung Gottes, der das Erbe des Alten 47 und Neuen Testaments ausmacht, wurde im Islam hintangestellt.“ Nun ist es zwar allgemein bekannt, dass im Selbstverständnis des Korans die Offenbarung wesentlich in der Offenbarung des Willens Gottes besteht und nicht in der Offenbarung seines Seins. Man könnte jedoch argumentieren, dass der Koran, indem er Gott in mannigfaltiger Weise benennt, etwa, wenn er ihn als barmherzig, gütig, allwissend beschreibt, de facto Eigenschaften der Natur Gottes offenbart in dem Sinn, dass Gott in diesen Worten des Korans Aspekte seines Selbst offenbart, die der bloße menschliche Verstand allein nicht erkennen könne. Von daher würde man die Aussage des Papstes so verstehen,
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Ebd., 120. Ebd. Ebd.
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dass im Islam die gesamte Selbstoffenbarung Gottes übergangen worden ist. Man wird kaum bestreiten können, dass der Koran in der Tat den Reichtum des spezifisch biblischen Verstehens der Selbstoffenbarung Gottes verloren hat. Es ist weiterhin anzunehmen, dass Johannes Paul II. hier an die vielfältigen Wege denkt, in denen der Gott der hebräischen Bibel sich selbst offenbart, indem er sich wirklich einlässt auf die Geschichte des auserwählten Volkes und sich gerade auch mit den verspotteten und leidenden Propheten identifiziert, in deren Botschaft und Leiden (siehe z.B. die leidvollen Erfahrungen des Propheten Jeremia und die Lieder vom leidenden Gottesknecht im Buch des Jesaja) er sein Selbst als vergebend, heilend und erlösend offenbart. Wie dem auch sei, der Papst benennt hier die spezifischen Punkte nicht, an die er bei diesen Aussagen denkt. Indem er jedoch Gottes Initiative im Akt der Offenbarung besonders hervorhebt – letztlich durch seinen Sohn –, könnte der Papst die christliche Antwort auf die koranische Anschuldigung andeuten wollen, dass die Christen in einer Art Übertreibung aus Devotion und Liebe heraus Jesus zur Position der Göttlichkeit erhoben haben und gerade so die absolute Reinheit des Monotheismus Abrahams, wie ihn der Koran erneut eingeschärft hat, verdunkelt haben. Im darauf folgenden Paragraphen schreibt Johannes Paul II.: „Dem Gott des Korans werden die schönsten Namen verliehen, über die die 48 menschliche Sprache verfügt.“ Man kann diese Aussage so verstehen, als wolle er implizit sagen, dass dem Koran keinerlei Offenbarungsqualität irgendeiner Art zuzuschreiben sei. In diesem Fall würde er den Gedanken kategorisch ausschließen wollen, dass wenigstens einige Aussagen des Korans über die Eigenschaften (TJG¿U) des einen Gottes der Bibel die Offenbarungsqualität der entsprechenden biblischen Aussagen teilen. Mit anderen Worten: die Idee, dass einige Aussagen des Korans Elemente genuin offenbarter Wahrheit enthalten, wäre ausgeschlossen. Wenn der Papst ferner sagt, dass der Gott des islamischen Glaubens 49 „außerhalb der Welt steht“ , ist eine kritische Nachfrage durchaus berechtigt: Gibt es nicht in Vergangenheit und Gegenwart muslimische Weisen, die koranischen Aussagen dahingehend zu verstehen,
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Ebd. Ebd.
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dass sie die aktive Gegenwart Gottes oder, wenn man so will, Gottes gegenwärtiges Wirken in der Welt der geschaffenen Dinge durchaus lehren? Zahlreiche Texte muslimischer Mystiker der Gegenwart und Vergangenheit könnten hier angeführt werden. Sie sind vom Glauben her überzeugt, dass Gott, der Schöpfer, in und durch die Welt der Schöpfung dauernd am Werk ist, und dieser Glaube gründet für sie fest auf eindeutigen Aussagen des Korans. Johannes Paul II. scheint hier das Wissen um die Vielfalt koranischer Auslegung und damit islamischer Sichtweisen Gottes und seines Verhältnisses zu Welt abzugehen. Folglich gelangt er zu einer wenig differenzierten Beurteilung des muslimischen Gottesbildes – oder, besser gesagt, der verschiedenen sich vom Koran her ableitenden muslimischen Bilder von Gott. Ferner vermisst man in seiner Aussage die Unterscheidung zwischen der „Nähe“ oder gar der „Präsenz“ Gottes in Beziehung zu seinen Geschöpfen, besonders in Bezug auf die menschliche Person einerseits („Wir sind ihm näher als seine Halsschlagader“: Sure 50:16), und der Frage, wie die Natur dieses unendlich barmherzigen Gottes im Kontext der relevanten koranischen Aussagen insgesamt näher zu beschreiben ist, andererseits. Selbst wenn wir berücksichtigen, dass es einen weiten Fächer muslimischer Aussagen gibt, die sich alle auf den Koran beziehen, begegnen wir im Koran kaum der Idee, dass Gottes Liebe genuin sich selbst hingebende und unbedingte Liebe ist, die sich in Jesus, seinem Sohn, dem Sünder, ja dem Feind Gottes zuwendet und für ihn Leiden und Tod aus sich nimmt. Von daher also wird die – allerdings unnötig undifferenzierte – Aussage des Papstes verständlich: Der Gott des Korans ist „nur Herrlichkeit, aber nie Emanuel, der Gott-mit-uns. Der Islam ist keine Religion der Erlösung. Er hat keinen Platz für das Kreuz und die 50 Auferstehung“. Eine weitere Aussage Johannes Pauls II. dürfte dagegen kaum weiterer Differenzierung bedürfen: Jesus wird zwar erwähnt, aber nur als Prophet, der Mohammed, dem letzten Propheten, den Weg bereitet. Es wird auch an Maria, seine jungfräuliche Mutter erinnert, doch das Drama der 51 Erlösung vollständig weggelassen.
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Ebd. Ebd.
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Es lohnt sich, die Worte des Papstes hier mit denen von Nostra aetate zu vergleichen. Dort lesen wir: „Jesus, den sie allerdings nicht als Gott anerkennen, verehren sie doch als Propheten, und sie ehren seine jungfräuliche Mutter Maria, die sie bisweilen auch in Frömmigkeit anrufen“ (NA 3). Im Kontrast zu Nostra aetate betont der Papst in „Die Schwelle der Hoffnung überschreiten“ die wesentlichen Unterschiede zwischen dem Glauben der Muslime und der Christen in Bezug auf Jesus und seine Mutter Maria. Das Konzil hebt die Verehrung Jesu als eines Propheten und die Ehrerbietung gegenüber Maria seiner Mutter als den Christen und Muslimen gemeinsame Elemente des Glaubens hervor. Johannes Paul II. weist dagegen auf den abgrundtiefen Unterschied zwischen den entsprechenden christlichen und muslimischen Lehren hin: Jesus werde zwar erwähnt, „aber nur als Prophet, 52 der Mohammed, dem letzten Propheten, den Weg bereitet“ ; und während in Nostra aetate davon gesprochen wird, dass die Muslime seine „jungfräuliche Mutter Maria ehren, die sie bisweilen auch in Frömmigkeit anrufen“, weist Johannes Paul II. in dem Interview zwar darauf hin, dass Jesu Mutter erwähnt werde, stellt aber sogleich „das totale Fehlen“ auf der Seite des Glaubens der Muslime bezüglich „des Dramas der Erlösung“ fest. Der Papst schließt mit dem Satz: „Daher ist nicht nur die Theologie, sondern auch die Anthropologie des Islam 53 sehr weit entfernt von der christlichen“. Es bleibt trotz allem dabei: Die Grundhaltung Johannes Pauls II. war unzweifelhaft geprägt von tiefem Respekt für die religiösen Erfahrungen der Muslime. Er hat sich unermüdlich und wie kein anderer Papst vor ihm für eine echte Annäherung von Katholiken und Muslimen eingesetzt, nicht nur im Modus des gegenseitigen Austauschs in Gesprächen, sondern auch durch einen Prozess gegenseitigen Lernens, der von dem Bewusstsein geprägt ist, vom Anderen sowohl herausgefordert zu sein wie auch von ihm bereichert werden zu können. Ferner versuchte er immer wieder, Christen und Muslime in gemeinsamen Anliegen zu gemeinsamem Sprechen und Handeln zu motivieren. Darüber hinaus klären die Aussagen Johannes Pauls II. eine Frage, die in den entsprechenden Konzilsaussagen unbeantwortet geblieben war. Die Konzilstexte erklären, dass sich der islamische Glaube auf
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Ebd. (auch zum Folgenden). Ebd.
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Abraham beruft (NA 3) und dass die Muslime „den Glauben Abrahams bekennen“ (LG 16). Beide Formulierungen lassen die Möglichkeit einer „einschränkenden“ Interpretation offen, welche daran festhalten würde, dass, obwohl die Muslime sich selbst in der Linie des Glaubens Abrahams sehen, die Christen dies nicht so verstehen. Im Gegensatz zu dieser Position hat Johannes Paul II. bei verschiedenen Anlässen eine Parallele zwischen der islamischen Selbstidentifikation als Nachkommen Abrahams und der der Christen gezogen. Der Islamkundler und Jesuit Thomas Michel weist auf die „soteriologischen Auswirkungen dieser Position [Johannes Pauls II.] im Licht der paulinischen Theologie, dass ‚Abraham durch seinen Glauben gerettet wurde‘,“ hin: Man könnte fragen, ob Muslime nicht auf eine ähnliche Art und Weise gerettet werden wie Juden, als Kinder im Glauben an Abraham, die Erben des Versprechens sind, das dem Patriarchen gemacht wurde. Die Bedeutung solcher päpstlicher Lehren für jegliche theologische Bewertung des Islams, die von Katholiken vorgenommen wird, ist offensichtlich. Es gilt sie zu 54 berücksichtigen.
Die Worte, die Johannes Paul II. im Jahre 1979 an die katholische Gemeinde in Ankara richtete, zielen in die gleiche Richtung: Der Glaube an Gott, der von den geistlichen Nachkommen Abrahams, von Christen, Muslimen und Juden bezeugt wird, bildet, wenn er in überzeugender Weise gelebt wird und das Leben des Gläubigen durchwirkt, ein sicheres Fundament für die Würde, Brüderlichkeit und Freiheit aller Menschen sowie das Grundprinzip einer geradlinigen Moralität, und es stellt das 55 Fundament des gesellschaftlichen Lebens dar.
„Indem der Papst die gesellschaftliche und moralische Wirkung des Glaubens bestätigt“, so Michel, „scheint er von der Auffassung auszugehen, dass es sich hierbei um einen authentischen Glauben handelt und nicht nur um eine Beziehung zu Gott, die die Muslime sich ledig56 lich selbst zuschreiben.“ 54
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TH. MICHEL, Christianity and Islam. Reflections on Recent Teachings of the Church, in: Encounter 112 (1985) 13 (Übersetzung von Chr.T.). Ebd. Ebd.
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Angesichts dieses Christen und Muslimen gemeinsamen Glaubens, der das Fundament für Dialog und Zusammenarbeit darstellt, lädt der Papst die Katholiken dazu ein, täglich die tiefen Wurzeln des Glaubens an Gott zu erwägen, an den auch eure muslimischen Mitbürger glauben, und diesen Glauben zum Prinzip der Zusammenarbeit für den Fortschritt des Menschen, im Streben nach dem Guten, für die Ausweitung des Friedens und der Brüderlichkeit, im freien Bekennt57 nis des eigenen Glaubens zu machen.
Nach Thomas Michel geht Johannes Paul II. hier über die übliche Aufforderung an Theologen und religiöse Führer zum Dialog hinaus. Nach Einschätzung des Papstes fördert und stärkt der Islam, wie er von frommen und einfachen Muslimen bekannt und praktiziert wird, das Bewusstsein der katholischen Christen von der souveränen Gegenwart jenes Gottes, der sie, wie sie im Glauben wissen, unablässig dazu auffordert, Christus nachzufolgen – und dies in Offenheit für das tägliche Wirken seines Geistes. Johannes Paul II. betrachtet den muslimischen Glauben – welcher, nach dem Modell Abrahams, bedingungsloser Gehorsam gegenüber Gottes Willen ist – als einen wichtigen „Treffpunkt“ von Christen und Muslimen. Bezugnehmend auf Tit 3,8 reflektiert er die gemeinsame Berufung der Christen und Muslime unter den Bedingungen des gemeinsamen Lebens in den pluralen Gesellschaften von heute. Er hofft, dass in diesen Gesellschaften in immer größerem Maß Religionsfreiheit und die Freiheit in der Erziehung gewährleistet werden. Christen und Muslime sieht er von Gott dazu berufen, einander besser kennenzulernen, die Unterschiede in den Glaubensauffassungen als solche zu akzeptieren, gegenseitige Vorurteile zu überwinden und sich hierdurch gegenseitig zu bereichern, und zwar durch ein gemeinsames moralisches und geistliches Streben in der Bemühung um Versöhnung und im gemeinsamen Dienst, besonders an den benachteiligten und ausgegrenzten Mitmenschen. Allerdings weist Johannes Paul II. schon in „Die Schwelle der Hoffnung überschreiten“ am Ende seiner Aussagen zum Islam auf „funda-
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JOHANNES PAUL II., Ansprache an die katholische Gemeinde in Ankara (29. Nov. 1987), in: Die offiziellen Dokumente der katholischen Kirche zum Dialog mit dem Islam, 407-410, hier 409 (Nr. 2134).
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mentalistische Strömungen“ in islamisch geprägten Gesellschaften hin. Er belässt es jedoch bei einer kurzen, rein beschreibenden Erwähnung des Phänomens: [Wo diese] an die Macht kommen, werden die Menschenrechte und das Prinzip der religiösen Freiheit leider sehr einseitig ausgelegt. Die Religionsfreiheit wird als Freiheit verstanden, allen Einwohnern die »wahre Religion« aufzuerlegen. Die Lage der Christen ist in diesen Ländern nicht selten sogar als be58 drohlich zu bezeichnen.
3.2.3 Benedikt XVI. (geb. 1927, Papst 2005-2013) Kardinal Joseph Ratzinger, von 2005 bis 2013 Papst Benedikt XVI., bohrte in dieser letztgenannten Thematik tiefer. In seinem ausgedehnten Interview mit Peter Seewald ging er 1996 auf einige Wesenselemente der Religion des Islams ein und unterstrich ein paar substantielle Unterschiede zwischen den beiden Religionen. Seewald hatte im Zusammenhang mit seiner ersten Frage zum Thema festgestellt, dass der Islam sich in seinem Selbstverständnis von der westlichen Wertegesellschaft grundsätzlich unterscheide, um den Kardinal dann zu fragen, „auf welcher Grundlage“ „ein besseres Kennenlernen und eine Verständigung der Kulturen [hier dachte Seewald eindeutig 59 vor allem an den Islam] dann stattfinden könnte.“ Der Kardinal trifft zunächst eine Feststellung, die in den offiziellen Texten des Lehramtes bis dahin kaum zu finden war und die auch heute noch viel zu selten betont wird: [Der Islam ist] keine einheitliche Größe [und] hat ja auch keine einheitliche Instanz, deswegen ist Dialog mit dem Islam immer Dialog mit bestimmten Gruppen. Niemand kann für den Islam als ganzen sprechen, er hat sozusagen keine gemeinsam geregelte Orthodoxie. Und er stellt sich, von den eigentlichen Brüchen zwischen Sunniten und Schiiten abgesehen, natürlich 60 auch in verschiedenen Variationen da.
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V. MESSORI , Die Schwelle der Hoffnung, 122. J. RATZINGER, Salz der Erde. Christentum und katholische Kirche an der Jahrhundertwende, München 41996, 259. Ebd.
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Kardinal Ratzinger stellt sodann einen weiteren Punkt als „wichtig“ heraus: „Der Islam insgesamt“ hat „eine völlig andere Struktur des Miteinander von Gesellschaft, Kultur und Religion“: Er kennt „die Trennung des politischen und religiösen Bereichs, die das Christentum 61 von Anfang an in sich trug, überhaupt nicht.“ Wenn man heute im Westen die Möglichkeit islamischer theologischer Fakultäten oder die Vorstellung des Islams als Körperschaft des öffentlichen Rechtes diskutiert, dann setzt man voraus, dass alle Religionen irgendwo gleich strukturiert sind; dass alle sich in ein demokratisches System mit ihren Rechtsordnungen und ihren Freiräumen, die diese Rechtsordnung gibt, einfügen. Dem Wesen des Islams aber muss das an sich wi62 dersprechen.
Schließlich weist der Kardinal auf einen Grundzug des Islams hin, der seiner Meinung nach in seiner Tragweite kaum überschätzt werden kann: Der Koran ist ein ganzheitliches Religionsgesetz, das die Ganzheit des politischen und gesellschaftlichen Lebens regelt und darauf aus ist, dass die ganze Lebensordnung eine solche des Islams sei. Die Scharia prägt eine Gesellschaft vom Anfang bis zum Ende. Insofern kann er zwar solche Teilfreiheiten, wie unsere Verfassung sie gibt, schon ausnutzen, aber es kann nicht sein Zielpunkt sein, dass er sagt: ja, jetzt sind wir auch Körperschaft des öffentlichen Rechts, jetzt sind wir genau so präsent wie die Katholiken und die Protestanten. Da ist er immer noch nicht an seinem eigentlichen Punkt angelangt, das ist noch ein 63 Entfremdungspunkt.
Für den späteren Papst Benedikt XVI. hat der Islam „eine ganz andere Totalität der Lebensordnung, er umgreift einfach alles, und seine 64 Lebensordnung ist anders als die unsere.“ Als Beispiel für diese Andersheit erwähnt er die „ganz deutliche Unterordnung der Frau unter den Mann“ und die „sehr festgefügte und unseren modernen Gesell-
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Ebd. Ebd., 260. Ebd. Ebd.
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schaftsvorstellungen entgegengesetzte Ordnung des Strafrechts, der 65 ganzen Lebensbezüge“. Somit ist der Islam für Kardinal Ratzinger „nicht einfach eine Konfession, die man auch in den freiheitlichen Raum der pluralistischen 66 Gesellschaft einbezieht“. „Wenn man das so hinstellt, wie das heute manchmal geschieht, ist der Islam nach einem christlichen Modell 67 dekliniert und nicht in seinem Selbstsein gesehen“. Der christlichmuslimische Dialog stellt sich daher für Kardinal Ratzinger „sehr viel 68 komplizierter“ dar „als etwa der innerchristliche Dialog“. Eines fällt auf: In seinem Gespräch mit Peter Seewald spricht der damalige Präfekt der Glaubenskongregation mit keinem Wort von den verschiedenen Richtungen in der zeitgenössischen Koranauslegung noch über die sich daraus ergebenden divergierenden muslimischen Auffassungen vom Wesen des Islams. Denn es gibt ja durchaus eine ganze Reihe von Sichten des Islams, die die Auffassung vom Islam als „totale Lebensordnung“ in Frage stellen und die diese In-FrageStellung hermeneutisch artikulieren. Natürlich stellt sich in diesem Zusammenhang dann gleich auch die Frage der Gewichtung der verschiedenen Richtungen innerhalb der Gesamtheit der Gemeinschaft der muslimischen Gläubigen, der umma. Gleich von Anfang seines Pontifikats an hat Benedikt XVI. die herausragende Bedeutung des christlich-muslimischen Dialogs betont und energisch zum Dialog mit den Muslimen aufgefordert. Dabei kommt seiner Ansprache beim Treffen mit Vertretern der Muslime in Köln am 20. August 2005, die er mit „Liebe muslimische Freunde“ ansprach, eine zentrale Bedeutung zu, vor allem für ein Verständnis der spezifischen Art und Weise, in der er – auf der Basis seiner eben dargelegten Sicht des Islams – nun als Papst den Dialog mit den Mus69 limen führt. Zunächst übernimmt er „die Blickrichtung“ seines Vor-
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Ebd., 260f. Ebd. Ebd., 261. Ebd. Vgl. BENEDIKT XVI., Ansprache bei der Begegnung mit Vertretern einiger muslimischer Gemeinschaften (20. Aug. 2005), in: Predigten, Ansprachen und Grußworte im Rahmen der Apostolischen Reise von Papst Benedikt XVI. nach Köln anlässlich des XX. Weltjugendtages (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 169, Bonn 2005), 76. Auch in: Die offiziellen Dokumente der katholischen Kirche zum Dialog mit dem Islam, 519-522 (Nr. 2441-2446).
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gängers und zitiert dessen Wort, das Johannes Paul II. im Jahr 1985 an etwa zehntausend junge Muslime im Stadion von Casablanca (Marokko) gerichtet hatte: Die jungen Menschen können eine bessere Zukunft bauen, wenn sie ihren Glauben vor allem auf Gott setzen und sich bemühen, die Welt nach dem Plan Gottes zu bauen, in Weisheit 70 und Zuversicht.
Furchtlos und intellektuell redlich scheut sich Benedikt nicht, gleich nach dieser Feststellung auf das Phänomen des islamistischen Terrorismus einzugehen, das seit den Anschlägen vom 11. September 2001 erneut ins Weltbewusstsein getreten war. Er dankt dafür, dass viele Muslime auch öffentlich besonders jede Verknüpfung ihres Glaubens mit dem Terrorismus entschieden zurückgewiesen und ihn eindeutig verurteilt haben, und er weist nun auf die „schwere aber nicht unmögliche Aufgabe“ hin, gemeinsam „das Hassgefühl aus den Herzen auszurotten, uns gegen jede Form von Intoleranz zu verwahren und uns 71 jeder Manifestation von Gewalt zu widersetzen“. Dabei betont er, dass Christen sowohl wie Muslime vom Glauben an Gott her leben. „Der gläubige Mensch – und wir alle als Christen und als Muslime sind gläubige Menschen – weiß, dass er sich trotz der eigenen Schwäche auf 72 die geistige Kraft des Gebetes verlassen kann.“ Der Papst sieht Christen und Muslime von Gott aufgefordert, sich auf die gemeinsamen moralischen Grundwerte zu besinnen: Die Würde der Person und die Verteidigung der Rechte, die sich aus dieser Würde ergeben, müssen Ziel und Zweck jedes sozialen Planes und jedes Bemühens zu dessen Durchsetzung sein. Das ist eine Botschaft, welche die leise, aber deutliche Stimme des Gewissens in unverwechselbarer Weise skandiert. Es ist eine Botschaft, die man hören und zu Gehör bringen muss: Würde ihr Widerhall in den Herzen verstummen, wäre die Welt der Finsternis einer neuen Barbarei ausgesetzt. Nur
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JOHANNES PAUL II., Ansprache bei der Begegnung mit der muslimischen Jugend in Marokko (Casablanca, 19. Aug. 1985), in: Die offiziellen Dokumente der katholischen Kirche zum Dialog mit dem Islam, 429-437, hier 432 (Nr. 2207), auch in: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 66, Bonn 1985, 181. Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 169, 74; auch in: Die offiziellen Dokumente, 520 (Nr. 2442). Ebd.
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über die Anerkennung der Zentralität der Person kann man eine gemeinsame Verständigungs-Grundlage finden, eventuelle Gegensätze überwinden und die explosive Kraft der Ideologien 73 neutralisieren.
Wie die Analyse der relevanten Aussagen im Interview mit Seewald im Jahr 1996 gezeigt hat, ist sich Benedikt XVI. des Anspruchs des traditionellen Islam bewusst, die „Totalität der Lebensordnung“ regeln zu wollen. Er weiß und macht unmissverständlich klar, dass beide Seiten, die christliche und die muslimische, sich „leider nicht immer durch gegenseitige Achtung und durch Verständnis ausgezeichnet haben“: Wie viele Seiten der Geschichte verzeichnen Schlachten und Kriege, die auf der einen wie der anderen Seite unter Anrufung des Namens Gottes begonnen wurden, als ob die Bekämpfung des Feindes und die Tötung des Gegners etwas sein könnte, was Gott gefällt! […] Die Lektionen der Vergangenheit müssen uns davor bewahren, die gleichen Fehler zu wiederholen. Wir wollen Wege der Versöhnung suchen und lernen, so zu leben, dass jeder die Identität des anderen respektiert. Die Verteidigung der Religionsfreiheit ist in diesem Sinn ein ständiger Imperativ und die Achtung der Minderheiten ein unanfechtbares Zeichen 74 wahrer Zivilisation.
Der Papst zitiert dann in der Kölner Ansprache von 2005 den vollen Wortlaut des den christlich-muslimischen Beziehungen gewidmeten dritten Abschnitts der Konzilserklärung Nostra aetate und fügt hinzu: Diese Worte des Zweiten Vatikanischen Konzils bleiben für uns die Magna Charta des Dialogs mit Ihnen, und ich freue mich, dass Sie aus dem gleichen Geist heraus zu uns gesprochen und diese Intentionen bestätigt haben. […] Wir dürfen Angst und Pessimismus keinen Raum geben. Wir müssen vielmehr Optimismus und Hoffnung pflegen. Der interreligiöse und interkulturelle Dialog zwischen Christen und Muslimen darf nicht auf 75 eine Saisonentscheidung reduziert werden.
Den Aussagen der Kölner Ansprache Benedikts wurde hier deshalb viel Raum zugemessen, weil sie in hervorragender Weise Einblick
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Ebd., 74f. Ebd., 75 (auch zum Folgenden). Ebd., 76.
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gewähren nicht nur in die Grundauffassung des Papstes vom christlich-muslimischen Dialog, sondern implizit auch in seine spezifische Sicht des Islams. Seine Aussagen zum Dialog mit den Muslimen wären sinnlos, wäre er nicht davon überzeugt, dass auch die Muslime vom Kern ihres Glaubens und von den Grundwerten des Islams her – und das heißt: auf der Basis einer den heutigen Anforderungen angemessenen Interpretation der Botschaft des Korans – einer solchen religiösen Sicht voll und ganz zustimmen könnten, in der die Würde der Person und die sich daraus ergebenden Rechte, wie vor allem Religionsfreiheit und Minderheitenrechte, einen zentralen Platz einnehmen. Von daher erhellt sich auch, warum Benedikt XVI. im Schlussteil derselben Kölner Ansprache, an die anwesenden führenden Vertreter der muslimischen Gemeinschaften in Deutschland gewandt, so eindrücklich auf die Aufgabe der religiösen Lehre und Erziehung hingewiesen hat: Sie führen die Gläubigen des Islams und erziehen sie im muslimischen Glauben. Die Lehre ist das Mittel zu Weitergabe von Vorstellungen und Überzeugungen. Das Wort ist der Hauptweg in der Erziehung des Geistes. Sie tragen deshalb eine große Verantwortung in der Erziehung der nachwachsenden Generationen. […] Gemeinsam müssen wir – Christen und Muslime – uns den zahlreichen Herausforderungen stellen, die die Zeit uns aufgibt. Für Apathie und Untätigkeit ist kein Platz und 76 noch weniger für Parteilichkeit und Sektentum.
Dies führt uns zu einem weiteren zentralen Thema im Denken Benedikts, dem Verhältnis von Vernunft und Glaube. Für den Papst gehört die Frage nach der recht verstanden Rationalität des Glaubens zum Wesen des Dialogs. Wenn wir, Christen und Muslime, so Benedikt, wirklich eine gemeinsame Basis finden wollen, dann müssen wir uns 77 der humanen Basis des Dialogs bewusst werden. Die Vernunft gehört zur gemeinsamen menschlichen Natur. Wo immer die Vernunft rein positivistisch wird, dort wird sie gefährlich und zerstörerisch. Eine solche Vernunft reduziert die großen grundlegenden Werte unseres
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Ebd. Die Gedanken formulierte Benedikt vor allem in einem Dialog mit dem Historiker und Journalisten Ernesto Galli della Loggia am 25. Oktober 2004. Siehe „Il Foglio“ 27. e 28. 10. 2004 (auch zum Folgenden).
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Seins und amputiert sozusagen unsere menschliche Natur und die menschlichen Kulturen. Was Muslime und Gläubige anderer Religionen verletzt, ist nicht, dass dem Westen zugehörige Menschen das Christentum erwähnen oder von ihren christlichen Wurzeln sprechen, sondern wenn im Namen der westlichen Kultur Gott beiseitegeschoben und das Heilige verachtet oder geschändet wird. Diese Gottvergessenheit und Wurzellosigkeit trennt uns von den anderen Kulturen und verunmöglicht echte Begegnung. Sie ist Ausdruck der Arroganz einer reduzierten Vernunft und ruft gewaltträchtige, fundamentalistische Reaktionen hervor. Benedikt bewundert im Islam die tiefe Glaubensüberzeugung sowie den Sinn für das Heilige, der dem Westen weitgehend verloren gegangen ist. Er hat verstanden, dass Muslime letztlich nicht durch das Kruzifix oder andere christliche Symbole verletzt werden, sondern eher durch eine Art laizistischer Ideologie, die das religiöse Element aus dem öffentlichen Raum vertrieben sehen will. Muslime sind zutiefst verunsichert von einer Zivilisation, die Gott und das Heilige aus dem öffentlichen Raum verbannen wollen. In anderen Äußerungen zum Islam seit den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hat sich Kardinal Joseph Ratzinger wiederholt zum Phänomen des Fundamentalismus geäußert. Diesen sieht er als eine Äußerung von Pathologien, die es in den Religionen gebe. Solche „sind höchst gefährlich“ und machen es nötig, „das göttliche Licht der Vernunft sozusagen als Kontrollorgan anzusehen, von dem her sich Religion immer wieder neu reinigen und ordnen lassen muss, was 78 übrigens auch die Vorstellung der Kirchenväter war.“ Der spätere Papst betont hier die Notwendigkeit einer Korrelation von Vernunft und Glaube. Vernunft und Religion sind zu gegenseitiger Reinigung und Heilung berufen, brauchen einander wechselseitig und müssen 79 sich gegenseitig anerkennen. Ratzinger fordert Christen und Muslime auf, in den verschiedenen Glaubenstraditionen Vernunft und Gewissen neu wirksam werden zu lassen und ihnen so zu ermöglichen, ein gemeinsames Wertefundament zu finden, um von dort her die Welt gemeinsam zu gestalten.
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J. RATZINGER, Werte in Zeiten des Umbruchs. Die Herausforderungen der Zukunft bestehen, Freiburg u.a. 2004, 40. Vgl. ebd., 41.
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So war die vieldiskutierte Regensburger Rede vom 12. September 2006 nicht in erster Linie dem Islam gewidmet, sondern dem Verhältnis von Glaube und Vernunft: Keineswegs ging es ihm darum, wie manche meinten, der Vernünftigkeit des christlichen Glaubens die fehlende Vernünftigkeit anderer Religionen – namentlich des Islam – entgegenzusetzen. Vielmehr ist hier darauf angesprochen, dass es auf Seiten der Religionen der Reflexion auf die universale Verbindlichkeit der Vernunft bedarf, die somit auch die Religionen verbindet. […] Gerade so aber ist ein den Religionen gemeinsamer Spannungsraum gegeben, der Gemeinsames und Trennendes umfasst und die Möglichkeit eröffnet, sowohl die theologischen Fragen – vor allem die nach dem Gottesbild – als auch die ethischen Herausforderungen, denen sich die Religi80 onen in unserer Zeit stellen müssen, im Dialog aufzugreifen.
Prägnant und konkret hat Benedikt das Anliegen des rechten Zusammenspiels von Religion und Vernunft am 19. März 2009 bei seiner Ansprache an die muslimische Gemeinde in Kamerun formuliert: Eine wahre Religion erweitert den Horizont des menschlichen Begreifens und bildet die Grundlage jeder echten menschlichen Kultur. Sie weist alle Formen der Gewalt und des Totalitarismus zurück: nicht nur aus Glaubensprinzipien, sondern auch aufgrund der rechten Vernunft. Religion und Vernunft stärken sich nämlich gegenseitig, sofern die Religion von der Vernunft gereinigt und strukturiert und das volle Potenzial der Vernunft 81 durch die Offenbarung und den Glauben freigesetzt wird.
Die Ansprache Benedikts XVI. an die Teilnehmer des ersten Seminars des Katholisch-Muslimischen Forums am 6. November 2008 in Rom stellt im Wesentlichen seine Antwort auf den berühmten Brief „A Common Word“ aus dem Jahre 2007 dar. Dieser war von zahlreichen muslimischen Gelehrten und Anführern unterzeichnet worden und
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K. LEHMANN, Chancen und Grenzen des Dialogs zwischen den „abrahamitischen Religionen“, in: Benedikt XVI., Glaube und Vernunft. Die Regensburger Vorlesung, Kommentiert von Gesine Schwan, Adel Theodor Khoury, Karl Kardinal Lehmann, Freiburg u.a. 2006, 97-133, hier 105f. BENEDIKT XVI., Ansprache anlässlich der Begegnung mit Vertretern der muslimischen Gemeinden Kameruns (19. März 2009), dokumentiert in C IBEDO Beiträge 2/2009, 70f.
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hatte einige Monate früher zur Gründung des Katholisch-Muslimischen Forums geführt. Benedikt XVI. fühlte sich durch die Initiative dieses Briefes ermutigt, Christen und Muslime aufzufordern, von ihrem Gottesglauben her „gemeinsam für den grundlegenden Respekt, für die Würde der menschlichen Person und die fundamentalen Menschenrechte“ einzutreten, „auch wenn unsere anthropologischen Sichtweisen und unsere Theologien diese auf verschiedene Weise begründen“: […] Nur wenn wir die zentrale Bedeutung der Person und die Würde des menschlichen Lebens anerkennen und das Gottesgeschenk des Lebens respektieren und verteidigen, welches sowohl für Christen als auch für Muslime gleichermaßen heilig ist, nur auf der Basis dieser Erkenntnis können wir eine gemeinsame Grundlage finden, um eine brüderlichere Welt zu erschaffen, eine Welt, in der die Konfrontationen und die Differenzen friedlich beigelegt werden und die zerstörerische Kraft der 82 Ideologien neutralisiert wird.
Solche Worte wären nicht mehr als leeres Gerede, wäre Benedikt XVI. aufgrund seiner Sicht des Islams nicht überzeugt, dass durch den Prozess beharrlichen und ehrlichen Dialogs eine Auslegung des Korans – und darauf aufbauend eine entsprechende Sicht des Islams – Raum gewinnt, die den Respekt vor der Würde des Menschen und Geschwisterlichkeit unter allen Menschen in den Mittelpunkt ihres gläubigen Bemühens stellt. Es geht Benedikt darum, dass die Muslime die Aufgabe erkennen, „im Rahmen von Glaube und Wahrheit das enorme 83 Potenzial menschlicher Vernunft zum Guten heranzubilden“. […] Gott hat uns mit der Fähigkeit ausgestattet, an seiner Vernunft teilzuhaben und so gemäß dem Guten zu handeln. Die Muslime verehren Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat. Und als an den ei-
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BENEDIKT XVI., Ansprache an die Teilnehmer der Katholisch-Muslimischen Forums, Rom (6. Nov. 2008), dokumentiert in: CIBEDO Beiträge 4/2008, 36 (auch zum Folgenden). BENEDIKT XVI., Ansprache anlässlich der Begegnung mit muslimischen Religionsführern, dem diplomatischen Korps und den Rektoren der Jordanischen Universitäten am 9. Mai 2009, in: Apostolische Reise Seiner Heiligkeit Papst Benedikt XVI. ins Heilige Land (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 185), Bonn 2009, 37f. (auch zum Folgenden).
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nen Gott Glaubende wissen wir, dass die menschliche Vernunft selbst Gabe Gottes ist und dass sie zu ihrem höchsten Niveau aufsteigt, wenn sie in das Licht der göttlichen Wahrheit getaucht ist. Denn wenn die menschliche Vernunft demütig zulässt, dass sie selber vom Glauben geläutert wird, dann ist sie fern davon, geschwächt zu werden, vielmehr wird sie gestärkt, um der Überheblichkeit zu widerstehen und über ihrer eigenen Grenzen hinauszugreifen. […] Dieses Verständnis von Vernunft, das unaufhörlich den menschlichen Geist auf der Suche nach dem Absoluten über sich selbst hinauszieht, stellt eine Herausforderung dar; es umfasst ein Gefühl der Hoffnung als auch der Vorsicht. Christen und Muslime werden gemeinsam dazu angespornt, alles zu suchen, was recht und richtig ist. Wir sind verpflichtet, über unsere eigenen Interesse hinauszugehen und Andere, insbesondere staatliche Beamte und Führungskräfte, zu ermutigen, das gleiche zu tun, um die große Genugtuung zu erfahren, die der Dienst zum Wohl der Allgemeinheit selbst unter persönlichen Opfern bereitet. Und wir werden daran erinnert, dass unsere gemeinsame menschliche Würde es ist, welche die allgemeinen Menschenrechte begründet, die für jeden Mann und für jede Frau in gleicher Weise gelten, unabhängig von religiöser, sozialer oder ethnischer Zugehörigkeit. In dieser Hinsicht müssen wir feststellen, dass das Recht auf Religionsfreiheit sich über die Frage des Kultes hinaus erstreckt und das Recht – besonders der Minderheiten – auf fairen Zugang zum Arbeitsmarkt und zu anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens einschließt.
Hier geht Papst Benedikt XVI. von einer Sicht des Islams aus, die es für möglich hält, dass Muslime, im Rahmen der zeitgenössischen pluralen Gesellschaften und gereinigt durch den Dialog der Religionen, eine Sicht des Islams entwickeln und umzusetzen versuchen, die sich in Dialog und Zusammenarbeit, also in Partnerschaft mit anderen Gruppen gemeinsam, verwirklicht. Das wäre dann ein Islam ohne Totalitätsanspruch und frei von der Versuchung, die eigene Vision mit gewaltsamen Mitteln durchzusetzen. 3.3 Die vatikanischen Richtlinien für einen Dialog zwischen Muslimen und Christen (1969) Die vom vatikanischen „Sekretariat für die Nicht-Christen“ im Jahr 1969 herausgegebenen „Richtlinien für einen Dialog zwischen Muslimen und Christen“ distanzieren sich bewusst von den negativen und rein abgrenzenden Sichtweisen des Islams, wie sie vor dem Konzil in der katholischen Welt gang und gäbe waren. In ihrer Diskussion der
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Grundlagen und Bedingungen für einen tragfähigen Dialog geht es ihnen darum, inadäquate und verzerrte Bilder des Islams aus Vergangenheit und Gegenwart in das Bewusstsein der Katholiken zu rufen und darauf hin zu wirken, dass diese Bilder durch neue, positivere ersetzt werden. Sie ermutigen die Katholiken zu einer echten Begegnung mit verschiedenen Gruppen und Bewegungen muslimischer Gläubiger. Das herausragende den Richtlinien zugrunde liegende Merkmal ist ihre Charakterisierung des Islams als „eines Glaubens, als einer Entwicklung hin zu Gott und zur letzten Verwirklichung des 84 ganzen Potenzials des Menschen.“ „Achtung“ und „Respekt“ für Muslime könnten sich nur dann richtig entwickeln, wenn der Islam 85 „zuerst und vor allem als ein Glaube“ betrachtet wird. Im Geist des Dialogs ermahnen die Richtlinien die Katholiken, „zunächst die Anregungen zu beachten, die die Muslime selbst vorschlagen“, anstatt „ihre eigenen Ideen den Muslimen von heute aufzu86 drängen.“ Es bestehe die Möglichkeit, dass aus diesem Bemühen vergangene und verkehrte Einstellungen und Ansichten überwunden werden können. Allerdings scheint es, dass die Richtlinien hier und da die normativen Ideale, die der Islam selbst in sich trägt, hinsichtlich ihrer soziopolitischen Dimension unterbewerten. Ferner unterscheiden sie nicht deutlich das Ideal bzw. die normative Ebene von der in Vergangenheit und Gegenwart gelebten Realität. Man wird fragen dürfen, ob in diesen Richtlinien den sozio-politischen Fragestellungen, Methoden und Herangehensweisen in Bezug auf den in den verschiedenen Regionen der vergangenen und gegenwärtigen muslimischen Welt gelebten Islam die Aufmerksamkeit geschenkt wurde, die sie verdienen. Aufgrund eines Mangels an historischer und soziologischer Differenzierung entsteht so in den Richtlinien ein idealisierendes und somit verzerrendes Bild des Islams. Die komplett überarbeitete zweite Auflage der Richtlinien aus dem Jahr 1981 erscheint ebenfalls recht optimistisch, wenn es dort heißt: So scheinen die Beziehungen zwischen Christen und Muslimen in eine Zeit der Achtung und des Verstehens eingetreten zu
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SECRETARIATUS PRO NON-CHRISTIANIS, Guidelines for a Dialogue between Muslims and Christians, Roma 1969, 143. Ebd., 144. Ebd., 91.
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sein, nachdem sie Jahrhunderte von theologischer und politischer Polemik gekannt und zeitweise unter einem heftigen Proselytismus gelitten haben. Dabei bemühen sich die Christen, die Muslime wegen des großen Reichtums ihrer religiösen Er87 fahrung zu achten.
Bezieht sich der Text hier auf eine kirchlich normative Lehre oder auf die wirklich bestehenden, vorherrschenden Haltungen der Katholiken gegenüber Muslimen und ihrem islamischen Glauben? Die vorherrschenden Haltungen von Katholiken in vielen Teilen der Welt wurden und werden nämlich weiterhin sowohl von Ignoranz und Vorurteilen als auch von durchaus negativen Erfahrungen geprägt, vor allem dort, wo Christen als Minderheiten in mehrheitlich islamischen Gesellschaften leben. Der einzige Punkt, an dem der Text von einer dem Evangelium und ihrer (der christlichen) Theologie gemäßen Einschätzung des Islams durch die Katholiken spricht, charakterisiert den Islam folgendermaßen: [E]ine monotheistische Religion prophetischen Typs, die noch nicht klar genug definierte Beziehungen zur jüdisch-christlichen Tradition hat, in der das Abraham-Modell des Glaubens und der Unterwerfung unter Gott bis in die letzten Konsequen88 zen hinein gefeiert wird.
Die Richtlinien betreten eindeutig neue Wege, wenn sie, Jahre nach dem Abschluss des Konzils, die Frage der christlichen Einschätzung Muhammads, des Propheten des Islams, ansprechen. Ihre Aufforderung an die Katholiken lautet, auf allen Mangel an Respekt, auf alles unkorrekte Verhalten – in Wort und Schrift – verzichten, wie auch auf alle abfälligen oder gar beleidigenden Bemerkungen, in allem, was Muhamm89 ad, den verehrten Propheten des Islams, betrifft.
Stattdessen sollten die Katholiken eine nüchterne Einschätzung nach einsichtigen Kriterien vornehmen: 87
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SEKRETARIAT FÜR DIE NICHTCHRISTEN/M. BORMANS, Wege zum christlich-islamischen Dialog, Frankfurt am Main 1985, 18. Ebd., 154. Ebd., 78.
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[Christen] müssen objektiv abschätzen und ‚im Glauben‘ entscheiden, wo genau seine [Muhammads] Inspiration, seine Aufrichtigkeit und Treue lagen im Rahmen seiner persönlichen Antwort auf den Ruf Gottes und in jenem umfassenderen Be90 reich einer von der Vorsehung geleiteten Weltgeschichte.
Hier behandelt ein offizieller vatikanischer Text zum ersten Mal ausdrücklich jenes Problem, über welches das Konzil behutsam geschwiegen hatte. Allerdings ist die Position, die die Richtlinien hier einnehmen, nicht ohne Probleme. Zuerst gestehen sie den Christen zu, dass diese, wenn sie auch im Propheten des Islams „mit Unwissenheit und un91 überwindbarem Irrtum“ konfrontiert sind, doch zugleich erkennen, „dass Muhammad ein großes literarisches, politisches und religiöses Genie war, und dass ihm nicht die besonderen Gaben gefehlt haben, 92 viele Menschen zur Verehrung des wahren Gottes zu führen.“ Diese Sicht Muhammads erinnert an Thomas Carlyles (1795-1881) Darstellung Muhammads in dem Kapitel „Ein Held als Prophet“ in seinem berühmten Buch „Heroes“ aus dem Jahre 1846. Dort stellt Carlyle Muhammad als herausragendes Beispiel unter einer großen Zahl besonders begabter und eindrucksvoller Personen der Geschichte dar. Diese Sicht steht allerdings in scharfem Gegensatz zur gängigen muslimischen Vorstellung von Muhammad als einem gewöhnlichen, ja sogar „ungebildeten“ Menschen, dessen Größe „einzig“ darauf fuße, dass Gott ihn berufen und ihn mit der Verbreitung der letzten, vollkommenen Offenbarung, das heißt dem Koran, beauftragt hat. Sicherlich, die Richtlinien fügen die Anmerkung hinzu, dass Christen in Mohammad einiges entdecken können: Gewisse ‚prophetische Besonderheitenʻ […]: sein Glaube an den Einen Gott ist eine Konstante seiner Botschaft und seines Lebens […], sein Aufruf zur Gerechtigkeit und zum Respekt der menschlichen Person ist ein Schrei, den niemand zum 93 Schweigen bringen kann.
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Ebd., 78f. Ebd., 79. Ebd. Ebd.
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Auch qualifizieren die Richtlinien den Satz des Patriarchen Timotheus von Bagdad (780-823) „Muhammad ist dem Weg der Propheten gefolgt“, als „eine glückliche Formel“, „denn er hat nichts anderes getan als ihr Beispiel nachzuahmen, selbst wenn er sich nicht völlig 94 dem anschloss, den sie angekündigt haben.“ Hans Zirker wirft an dieser Stelle ein: Ein solches Verständnis wird weder religionsphänomenologisch dem Erscheinungsbild Mohammeds gerecht, noch bibeltheologisch der alttestamentlichen Prophetie (die Jesus nicht so eindeutig „angekündigt“ hat, dass man Jahrhunderte später nur ihnen zu folgen brauchte, um sich zugleich auch „völlig“ im 95 christlichen Sinn zu Jesus zu bekennen).
Allerdings bleibt uns auch Zirker die Darstellung einer klaren und christlich-theologisch überzeugenden Alternative schuldig. Es bleibt das Verdienst der überarbeiteten Richtlinien von 1981, die christlichtheologische Frage der Prophetenschaft Muhammads – eine im Prozess weiterer christlich-muslimischer theologischer Reflektion immer wieder neu zu stellende Frage – zumindest klar in den Raum gestellt zu haben. Allerdings überrascht dies: Nirgends beziehen sich die Richtlinien auf die unleugbaren Gegensätze in den prophetischen Laufbahnen der Gründerfiguren beider Religionen. So steht Jesu Wahl, gewaltfrei für die Wahrheit und Integrität seiner Sendung zu leiden und sterben in klarem Kontrast zur Entscheidung des islamischen Propheten mittels politischer und militärischer Aktion dem Islam und seinem Propheten im Namen Gottes einen Machtbereich zu schaffen, in der die Umsetzung, Ausbreitung und Herrschaft der islamischen Glaubensbotschaft erleichtert, wenn nicht gar erst ermöglicht wurden. Auch versäumen es die Richtlinien, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob beide Optionen, die Jesu so wie die Muhammads aus christlichtheologischer Sicht berechtigterweise als fraglos authentische, von 96 Gottes Ruf und Willen getragene zu qualifizieren sind.
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Ebd. H. ZIRKER, Islam: Theologische und Gesellschaftliche Herausforderungen, Düsseldorf 1993, 160. Siehe dazu auch: Muhammad – Prophet auch für Christen?, Kap. 10, in C HRISTIAN W. TROLL, Unterscheiden um zu klären. Orientierung im christlich-islamischen Dia-
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3.4 Die Bischofskonferenz der Region Nordafrika Unter den auf den Islam und die christlich-muslimischen Beziehungen bezogenen lehramtlichen Aussagen auf regionaler Ebene verdient der Brief der Bischöfe des Maghreb «Chrétiens du Maghreb: le sens de nos rencontres», veröffentlicht 1979, besondere Erwähnung. Er bringt eine klar umrissene Vorstellung davon zum Ausdruck, wie die Katholiken des Maghreb mit den übrigen Bewohnern des Maghreb leben und zusammenarbeiten sollten. Allerdings ignoriert der Text nahezu vollständig die Tatsache, dass es die islamische Tradition ist, die das religiöse und kulturelle Leben der Menschen des Maghreb trägt. Das Dokument umfasst ca. 30 Seiten, bezieht sich jedoch nur fünf Mal auf den Islam oder die Muslime. Dieser Option liegen kontextabhängige Einflüsse zugrunde: die christlichen Gemeinschaften im Maghreb stellten schon zu der Zeit, als der Brief geschrieben wurde, und mehr noch heute eine verschwindend geringe Minderheit dar. Sie bestehen außerdem fast ausschließlich aus Ausländern und aus vor allem westafrikanischen Studenten, die aus beruflichen Gründen im Maghreb leben. Ein winziger Kern von Laien, Priestern und Ordensleuten sind dauerhaft vor Ort präsent. Das zentrale Stück des Briefes ist eine theologische Reflexion über die Situation der menschlichen Person vor Gott. Die Bischöfe laden die Christen ein, über die soziologischen Grenzen der Kirche hinaus zu schauen und die Rettungstat Gottes im Hinblick auf jede menschliche Person zu reflektieren. Dabei gehen sie von einer Theologie aus, die bewusst die zentrale Bedeutung des „Königreichs Gottes“ (royaume de Dieu) unterstreicht. Von daher betonen sie, dass alle Männer und Frauen in Christus geschaffen und dazu gerufen sind, in ihm das göttliche Abbild zur Darstellung zu bringen: Das Königreich Gottes kommt nicht ausschließlich dorthin und ist nicht nur dort gegenwärtig, wo Menschen die Taufe akzeptieren. Nein, es bricht auch überall dort an, wo Menschen sich in ihrer wahren Berufung engagieren, wo sie geliebt werden, wo sie Gemeinschaften bilden, in denen man zu lieben lernt: in Familien, Vereinen, Nationen. Es bricht dort an, wo die Armen wie menschliche Wesen behandelt werden, wo man sich mit
log, Freiburg u.a. 2008, 181-198; DERS., Muslime fragen, Christen antworten, Kevelaer ²2004, Kap. 4: Muhammad – Prophet auch für Christen?, 47-57.
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Feinden wieder versöhnt, wo Gerechtigkeit gefördert wird, wo Frieden besteht, wo man alles Wahre, Schöne und Gute im menschlichen Wesen wachsen lässt [...]. Anzuerkennen, dass diese Aufgaben allen Männern und Frauen gemeinsam gestellt sind, bedeutet, die christliche Berufung im Herzen jegliches 97 Kampfes für eine wirklich menschliche Existenz zu verorten.
An keiner Stelle präzisiert der Brief, wo Christen im muslimischen Glauben und in muslimischer Praxis solche Werte verkündet und verwirklicht sehen können, und er fordert sie auch nicht explizit auf, in ihrem christlichen Glauben in Offenheit und kritischem Respekt diesen Werten Anerkennung zu verschaffen. Die Bischöfe sprechen nur indirekt von den Muslimen und nur insoweit, wie es der Respekt vor der Wahlfreiheit der Muslime als den Gläubigen einer anderen Tradition verdient hat. So verleiht dieses Dokument einer christlichen Theologie Ausdruck, die auf der einen Seite Wert darauf legt, die universalen Dimensionen des christlichen Glaubensgeheimnisses in Vergangenheit und Gegenwart weiter zu entwickeln, sich auf der anderen Seite jedoch uninteressiert daran zeigt, die besondere Natur des islamischen Glaubens sowie dessen Praxis und Platz innerhalb einer christlichen Vorstellung von einer universalen Geschichte von Religion und Rettung zu entdecken. Unmittelbar vor seinem gewaltsamen Tod veröffentlichte der ehemalige Bischof von Oran, Pierre Claverie (1938-1996), in Zusammenarbeit mit und im Namen der Bischofkonferenz von Nord-Afrika unter dem Titel «Le livre de la foi» ein „Arbeitspapier“ für alle diejenigen, die das Bedürfnis verspüren, über ihre christlichen Erfahrungen im nordafrikanischen Kontext nachzudenken. Dieser knappe Text stellt nur einige ausgewählte, jedoch zentrale Elemente des muslimischen Glaubens in eine vergleichende Perspektive mit dem christlichen Glauben. Er betont, dass „wir jegliche Bemühung unternommen haben, dies mit einem gewissenhaften Respekt zu tun.“ Der Text schweigt bezeichnenderweise darüber, wie katholischer Glaube solche zentralen Belange des Islams wie die bereits erwähnten
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CONFERENCE EPISCOPALE REGIONALE DE L'AFRIQUE DU NORD, Chrétiens au Maghreb: Le sens de nos rencontres (Documentation Catholique 1775), Paris 1979, 1032-1044, hier 1038 (Übersetzung von Chr.T.).
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beurteilt. Eine Analyse des Textes würde freilich zeigen, dass seine Schwerpunkte und Angebote (nicht zuletzt die Zentrierung auf den katholischen Glauben rund um die Vorstellung vom „Wort Gottes“) als Antworten auf die Herausforderungen des Islams zu lesen sind, auch wenn dieser Aspekt vom Autor – zumindest in dieser Publikation – nicht weiter ausgelotet worden ist. Der Text stellt im Zusammenhang der Erörterung des Glaubens Abrahams die jeweilige jüdische, christliche und islamische Vorstellung von Abraham vor und folgert, nachdem er die Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Vorstellungen erörtert hat: Kann man die Kinder Abrahams vereinen, diese Nachkommenschaft, die von Anfang an in Uneinigkeit und gegenseitigem Widerspruch lebt? Der gemeinsame Nenner ist die Vorstellung von der menschlichen Person als einem Geschöpf, das in einer privilegierten Beziehung mit seinem Schöpfergott lebt, in einer Beziehung, die durch ein maßloses Vertrauen gekennzeichnet ist. Dennoch unterscheidet sich die Art der Beziehung zwischen den drei Traditionen. Für den Islam bezieht sie sich auf das, was als die Natur des menschlichen Wesens als solche betrachtet wird (‚jeder Mensch ist als Muslim geborenʻ); für das Judentum besteht es darin, auf ein Wort zu hören, es ist die Antwort auf eine Berufung; für das Christentum besteht es darin, einer Person nachzufolgen. Also trennen sich die drei Traditionslinien grundsätzlich gerade dort, wo sie sich annähern. Sicherlich ist Abraham der Vater aller Gläubigen: alle berufen sich auf ihn als ihren gemeinsamen Vorfahren. Dennoch unterscheiden sich die Interpretationen im Hinblick darauf, was nach ihrer jeweiligen Meinung nach die ursprüngliche Geschichte jedem von ihnen hinterlassen hat. Alle drei Religionen beziehen sich auf eine gemeinsame Grundlage, und es sollte, wenn man sich auf die Konvergenzen beruft, möglich sein, die Anstrengung zu unternehmen, gemeinsame Elemente zu vertiefen, indem man das, was von der einen bekannt wird, zur anderen in ein Verhältnis setzt. Denn es scheint doch so zu sein, dass die Erfahrung des Glaubens [, die Christen und Muslime machen,] in ihrer geistlichen Dimension in vieler Hinsicht übereinkommt. Vielleicht könnte uns so Abraham dazu bringen, gemeinsam zu leben, zu suchen und zu 98 handeln. 98
P. CLAVERIE & LES EVEQUES DU MAGHREB, Le livre de la foi. Révélations et parole de Dieu dans la tradition chrétienne, Paris 1996, 64 (Übersetzung von Chr.T.).
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Im Blick auf die Frage nach dem Verhältnis von Religion und Staat spricht der Text von „einer zeitgenössischen Strömung im Islam“, die „versucht, in der gesamten muslimischen Welt islamische Staatsordnungen einzuführen, und die dies in der Überzeugung tut, dass Religion und Gewalt miteinander verbunden werden müssen“. Dennoch sagt der Text – der hier auf den 1936 in Tunis geborenen Intellektuel99 len Hischam Djait Bezug nimmt –, dass die fruchtbarsten Perioden der Geschichte des Islams als Religion sowie als Kultur jene waren, in denen Religion und Gewalt voneinander getrennt waren, und dass die dunkelsten Zeiten des Islams immer dann anbrachen, wenn dies nicht der Fall war. 3.5 Die Briefe der katholischen Patriarchen des Ostens In den Pastoralbriefen der orientalischen katholischen Patriarchen begegnen wir einem ganz anderen katholischen Blick auf den Islam und auf die muslimische Gemeinschaft. Die Patriarchen stellen die Themen „Christliche Präsenz im Orient“ (1992) und „Koexistenz von Muslimen und Christen in der arabischen Welt“ (1994) in den Mittelpunkt. Sie sprechen folglich über Islam und Muslime nur in impliziter Weise. Allerdings spricht der Pastoralbrief aus dem Jahre 1992 von der christlich-arabischen kulturellen Identität „als einem untrennbaren 100 Teil der kulturellen Identität der Muslime und umgekehrt“. Die Patriarchen qualifizieren den authentischen Geist und die religiösen Werte sowohl der Christen als auch der Muslime als eine Hilfe, „um die Probleme, die unser Zusammenleben behindern, zu überwin101 den“. Wir sind hier weit entfernt von der Sicht der Bischöfe des Maghreb, die das Faktum der arabisch-muslimischen kulturellen und religiösen Identität der nordafrikanischen Mitbürger nicht wahrnimmt oder bewusst übergeht.
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Vgl. H. DJAIT, Das arabisch-muslimische Denken und die Aufklärung, in: E. Heller/H. Mosbahi (Hg.), Islam, Demokratie, Moderne. Aktuelle Antworten arabischer Denker, München 1998, 29-46; DERS., Kultur und Politik in der arabischen Welt, ebd. 94-109. PATRIARCHES CATHOLIQUES DīORIENT, La présence chrétienne en Orient: témoignage et mission (Documentation Catholique 1992), Paris 1992, 595-611, hier 606 (Übersetzung von Chr.T., auch im Folgenden). Ebd., 607.
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Der Brief der Patriarchen über die Koexistenz von Christen und Muslimen aus dem Jahr 1994 erklärt, dass die „Beziehungen mit dem Islam und den Muslimen einen besonderen und fundamentalen Aspekt der Identität unserer Kirche innerhalb des Rahmens der Ge102 samtkirche darstellen“: Die Patriarchen sind davon überzeugt, dass während dieser Phase der Weltgeschichte die Religionen insgesamt eine besondere und wirksame Rolle zur Ausweitung der Beziehungen zwischen den verschiedenen Gruppen der Menschheit spie103 len.
Daher „laden sie alle religiösen und geistlichen Akteure dazu ein, sich ihren Bemühungen anzuschließen, um ihre Verantwortung in der Welt und zur Lösung ihrer dringlichsten Probleme zu überneh104 men“. Der dritte Teil des Briefes von 1994, überschrieben mit „Gemeinsam für eine egalitäre Gesellschaft“, versteht die muslimischen Bedenken hinsichtlich der politischen Rolle des Islams positiv: Niemand kann die Religion vom öffentlichen Leben fernhalten oder sie auf Liturgien und Andachten beschränken; denn Religion ist [eine Einheit von] Dogma und Leben, die mit dem Ganzen der menschlichen Existenz, privat und öffentlich, persönlich und sozial, zu tun hat [...]. Die Gesellschaft an religiöse Werte zu binden, ist kein Übel. Im Gegenteil, religiöse Werte verleihen der Gesellschaft ihre Seele. Aber in diesem Fall ist es nötig, dass die Religion die Person vollkommen auf Gott ausrichtet, auf den vollkommenen Respekt vor dem Wesen Gottes und vor jeder religiösen Überzeugung, besonders wenn wir es mit einer Minderheitsreligion in einer bestimmten Gesellschaft oder Nation zu tun haben. Die Gesetze des Staates müssen die Rechte der Minderheitsreligion mit der gleichen Strenge garantieren, wie sie die Rechte der Mehrheit oder der Staatsreli105 gion garantieren.
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PATRIARCHES CATHOLIQUES D’ORIENT, Ensemble devant Dieu pour le bien de la personne et de la société. La Coexistence entre musulmans et chrétiens dans le monde arabe (Documentation Catholique 2113), Paris 1994, 320-336, hier 320f. Ebd., 321. Ebd. Ebd., 330f.
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Die Patriarchen ermahnen die Katholiken, ihrerseits „geistliche Solidarität und Verantwortung gegenüber Gott“ zu entwickeln. Sie befürworten – ohne den Begriff explizit zu erwähnen – die Haltung der badaliyya (innere, gegenseitige Verbundenheit, auch im Sinn gegenseitiger Stellvertretung). Damit übernehmen sie einen Kerngedanken von Louis Massignon. Die Katholiken des Orients sind dazu aufgefordert, die Meinungen und Sorgen ihrer muslimischen Nachbarn in ihre Gebete einzuschließen und gemeinsam mit den Muslimen eine gleiche Verantwortung gegenüber Gott zu übernehmen: Jeder muss sich selbst an die Stelle des anderen stellen; mit ihm, im Bewusstsein der Gegenwart Gottes und in einer Haltung der Umkehr und Unterwerfung, durchlebt er die gleichen Schwierigkeiten, die gleichen Herausforderungen und die gleichen 106 Hoffnungen und Sehnsüchte.
Eindeutig ist es das Ziel der Patriarchen, mit diesem Brief unter den Christen eine geistlich offene Grundhaltung gegenüber Muslimen als Gläubigen zu fördern. Gleichzeitig bewegt sie die Hoffnung, dass eine Mehrheit der Muslime in der arabischen Welt sich für Formen des friedlichen Nebeneinanders im Geiste gegenseitiger Anerkennung entscheidet, die in der Anerkennung gleicher Bürgerechte für alle, Christen und Muslime, ihren politischen Ausdruck finden sollte. 4. SCHLUSSBEMERKUNGEN Leider ist es in diesem Rahmen nicht möglich, auf die post-konziliare Entwicklung der Sicht des Islams wenigstens einiger herausragender katholischer Islamexperten und Theologen einzugehen. Dazu würden neben anderen sicher folgende Namen gehören: Miguel Asín Palacios (1871-1944); Georges Anawati (1905-1994); Roger Arnaldez (19112006); Jean-Muhammad Abd-el-Jalil (1904-1979); Youakim Moubarak (1924-1994); Giulio Bassetti-Sani (1912-2001); Robert Caspar (19232007); Hans Küng (* 1928); Henri Teissier (* 1929); Adel Theodore
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Ebd., 335. Siehe auch Fußnote Nr. 5 des Texts.
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Khoury (* 1930); Hans Zirker (* 1935) ; Adolfo Gonzales Montes 108 (* 1946). Allerdings wird eine Darstellung der verschiedenen katholischen Perspektiven auf den Islam es nicht versäumen dürfen, der Entwicklung der lehramtlichen Äußerungen gebührenden Platz einzuräumen. Einerseits tragen die Ansichten einzelner katholischer Denker wesentlich zur Ausprägung und weiteren Entwicklung der lehramtlichen Positionen bei. Andererseits prägen die offiziellen und halboffiziellen lehramtlichen Äußerungen der Kirche ihrerseits das Denken einzelner katholischer Theologen und Kommentatoren. Die Entwicklung der katholischen Sicht(en) des Islams ist auch das Resultat der kontinuierlichen gegenseitigen Beeinflussung von missionarisch-apostolischer Aktion auf der einen und Glaubensvision und theologischer Reflektion auf der anderen Seite. Diese beiden sind wiederum geprägt von den mannigfachen Erfahrungen in Begegnung und Gedankenaustausch im Rahmen der christlichen Ökumene sowie des christlich-muslimischen Dialogs weltweit. Die christliche missionarischen Präsenz in Gesellschaften, wo Konversion vom Islam zur Kirche praktisch ausgeschlossen ist, und wo die öffentliche Diskussion christlicher Ideen und Lehren äußerst scharf kontrolliert und zensiert werden – wie etwa in Saudi Arabien, im Yemen und im Maghreb –, hat nicht zuletzt zur Entwicklung eines neuen katholischen Verständnisses von Mission geführt: Missionarische Präsenz, verstanden nach dem „Modell Nazareth“, bezeichnet eine Weise, im Modus der Kontemplation und des Dienstes an den Armen und Marginalisierten unter Muslimen zu leben, und dies unter völligem Verzicht auf öffentliche Verkündigung Christi und auf die explizite Einladung zu Taufe. Dies ist eine Weise der Gegenwart, die, aus einer anderen Perspektive betrachtet, aus aufmerksamem Hören sowie dem systematischen Versuch besteht, die gelebte und verkündete Realität des Islams im Dialog mit Muslimen zu verstehen. Dieser Weise missio-
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Vgl. CHR. W. TROLL, Christianity and Islam: Mutual Challenges. Hans Zirker's recent work on Islam, in: Orientalia Christiana Periodica 61 (1995), 571-580. Vgl. CHR. W. TROLL, Changing Catholic Views of Islam, in: Jacques Waardenburg (ed.), Islam and Christianity: Mutual Perceptions since the mid-20th century, Leuven 1998, 38-67; ferner: CHR. W. TROLL, Catholic Teachings on Interreligious Dialogue: Analysis of some recent official documents, with special reference to ChristianMuslim relations, in: J. Waardenburg (ed.), Muslim-Christian Perceptions of Dialogue Today, Leuven 2000, 252-268.
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narischer Präsenz unter den Muslimen kann im Kontrast zu direkter Beeinflussung eine Art katalysatorische Funktion zugeschrieben werden. Zweifellos sind das Leben und die missionarische Reflexion der Kirche durch den sich beschleunigenden und substantiell verändernden weltweiten politischen Kontext beeinflusst worden. Vor etwa siebzig Jahren begann der Zusammenbruch der kolonialen politischen 109 Ordnungen. Von da ab sind in der sog. „muslimischen Welt“ zahllose unabhängige Nationen und gleichzeitig auch mächtige muslimische internationale Organisationen entstanden. Trotz mannigfacher alter und neuer inner-islamischer Spannungen hat sich ein neues umma-Bewusstsein gebildet. Dies hat zur Schaffung effektiver, moderner, internationaler islamischer Strukturen geführt, die in Teilen der muslimischen Welt Kohäsion und Wachstum gefördert haben. Dieses internationale islamische Netzwerk macht es der muslimischen Gemeinschaft möglich, eine gewichtige Rolle in globalen Diskussionen und Entscheidungen zu spielen. Organisationen wie die 1962 im saudischen Mekka ins Leben gerufene „Islamische Weltliga“ (Rabitat alʽAlam al-Islami) oder die 1969 in Rabat (Marokko) gegründete „Organisation für Islamische Zusammenarbeit“ (OIC) machen den Islam zu einem globalen Kompetitor. Wie weit sich der Islam in der Zukunft über reine Machtfragen hinaus international gerade auch moralisch und geistlich profilieren kann und die Fähigkeit erlangt, zu den Grundfragen des Glaubens und Handelns auf der Basis des Glaubens an die göttliche Offenbarung im Koran mit einer Stimme zu sprechen, bleibt offen. Nur auf der Ebene konsistenter moralisch-religiöser Verkündigung und Einflussnahmen ist eine von Fall zu Fall zu ermittelnde Partnerschaft mit der katholischen Kirche denkbar. Dazu bedarf es der Unterscheidung und recht verstanden Trennung des politischen vom religiösen Bereich. Die rasanten umwälzenden Entwicklungen auf dem Gebiet der Kommunikation haben zu einem Schrumpfen der Entfernungen und zu einer Globalisierung des Bewusstseins geführt. Die Frage der weltweiten Koexistenz in Gerechtigkeit und Frieden zwischen kulturell doch recht verschieden geprägten Nationen, die zudem gerade auch
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Wir halten den Begriff ‚muslimische Welt‘ für inadäquat und irreführend. Stattdessen sprechen wir von mehrheitlich muslimischen Ländern oder Regionen.
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in ihrem Innenbereich sich mehr und mehr kulturell und religiös ausdifferenzieren, wurde spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende der Kolonialreiche zu einer der Grundfragen und Hauptherausforderungen für die Katholische Kirche. Deshalb hat sie seit dieser Zeit gelernt – offiziell und auf höchster Ebene mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil –, die weltweite muslimische Gemeinschaft und den Islam als einen bedeutenden religiösen Partner und zugleich Konkurrenten innerhalb dieser globalen Konstellation zu sehen. Es hat die verschiedenen katholischen Einschätzungen des Islams in der Zeit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil miteinander verbunden, dass sie alle das Studium der Kultur und der Religion des Islams als einen notwendigen und wesentlichen Teil des Apostolats betrachteten. Dabei waren sie allerdings davon überzeugt, das Christentum sei die einzige göttliche Religion, die mit Berechtigung die Auffassung vertrete, übernatürlich geoffenbart zu sein. Den Islam dagegen betrachteten sie als bloß natürliche Religion, die sozusagen „von unten“ entstanden sei. Folglich trifft man in dieser Zeit nur unter den wenigen Pionieren der vierziger und fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts – darunter etwa M. Asin Palacios, L. Massignon und J. Abd-el-Jalil – auf das Bewusstsein, dass Katholiken vom Islam lernen und von ihm inspiriert werden können. Bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil wurde der Islam vor allem als Konkurrent gesehen. Man bemühte sich, Konvertiten zu gewinnen und durch Bildungs- und Gesundheitspflege nicht nur zu dienen, sondern auch den Einfluss der Kirche unter den Bevölkerungen Afrikas and Asiens zu mehren. Der Islam wurde eher als Hindernis oder Bedrohung der missionarischen Expansion denn als theologische Herausforderung oder als Quelle geistlicher Bereicherung gesehen. Die katholischen Einschätzungen des Islams waren stets von einer gewissen Verlegenheit gekennzeichnet, sofern sie einerseits nicht anders konnten, als dem Islam gewisse moralische und geistliche Werte zuzuerkennen, während sie gleichzeitig an der Überzeugung festhielten, dass eine Anerkennung des Islams als „genuine Religion“ einem Verrat des katholischen Glaubens gleichkäme. Bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus existierte kaum eine kohärente katholisch-theologische Theologie der Religionen, die die Werte des muslimischen Glaubens und Lebens und damit des Islams realistisch und ehrlich hätte beurteilen und gewichten können. Aber gleichzeitig wurden in immer mehr Ländern die Muslime und damit ihr Islam einerseits und Christen und ihr Christentum andererseits Partner im Leben der modernen Gesellschaft und Mitbürger im Leben der Nationen. Auch wurden der Islam und das Leben und Denken der Musli-
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me, nicht zuletzt im sog. Westen, mittels der modernen Religionswissenschaft und der Bildung allgemein besser bekannt. Das Zweite Vatikanische Konzil erscheint uns somit als ein Ereignis von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung einer neuen Weise, den Islam zu sehen und zu beurteilen und den Muslimen zu begegnen. Die feierliche Aussage in der Kirchenkonstitution Lumen gentium 16, dass Christen und Muslime miteinander den einen Gott anbeten, stellt ein bedeutsames, verbindendes Glied dar, auf das sich eine in beiden Religionen vergleichbare Sicht der menschlichen Person stützen kann. Die Aussage in der Enzyklika Johannes Pauls II. Redemptor hominis (8-10) vom März 1979 – ganz im Einklang mit der Lehre des Konzils – dass der Heilige Geist im Leben der Nicht-Christen wirkt – nicht trotz ihrer religiösen Zugehörigkeit zu ihrer jeweiligen Religion, sondern als ihr Wesen und ihre Begründung – lieferte sozusagen die theologische Begründung für die hochbedeutsame Ansprache des Papstes an die Christen von Ankara im darauffolgenden November. In dieser Ansprache qualifizierte der Papst den muslimischen Glauben mit seiner Bereitschaft zur unbedingten Unterwerfung unter den geheimnisvollen Willen Gottes, nach dem Modell Abrahams, als eine 110 grundlegende Gemeinsamkeit von Christen und Muslimen. Die Kirche betrachtet also Christen und Muslime als von Gott dazu berufen, in den pluralen Gesellschaften unserer Zeit zusammenzuleben und sich für das Gemeinwohl einzusetzen, und zwar auf Grundlage der vollen Anerkennung der Freiheit des Gewissens. Dies impliziert die Wahl oder Ablehnung einer Religion ebenso wie die Ausübung der frei gewählten Religion. Erst wenn diese rechtlich-politische Grundlage, die einen genuinen Rechts- und Verfassungsstaat voraussetzt, der den grundlegenden Menschenrechten und gleichen Bürgerrechten verpflichtet ist, von beiden Religionen her positiv gesehen gefördert und vorangetrieben wird, besteht die Hoffnung auf ein von beiden Religionen getragenes geistliches Streben nach Versöhnung und einem gemeinsamen Einsatz für Gerechtigkeit, besonders für die Ausgegrenzten und Benachteiligten. Solches gemeinsames Denken 111 und Handeln in gegenseitigem Zeugnis, davon ist die Kirche über-
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JOHANNES PAUL II., Ansprache an die katholische Gemeinde in Ankara (29. Nov. 1979, in: Die offiziellen Dokumente, 407-410, bes. 409 (Nr. 2132-2134). Vgl. dazu CHR. W. TROLL, Zeugnis trifft auf Zeugnis. Der Islam und der christliche Glaube, Trier 2012, 76-77.
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zeugt, würde die jeweilige christliche und muslimische Identität nicht schwächen, sondern vielmehr stärken. Wie der französische Jesuit Henri Sanson (1917-2010) vor Jahren treffend geschrieben hat, ist die Kirche dazu gerufen, den „Islam im Spiegel des christlichen Glaubens“ zu sehen und ihm so mit kritischer Offenheit zu begegnen. Das wird sie nicht überzeugend verwirklichen können ohne ständige, wohlinformierte, intelligente „Unterscheidung der Geister“, in der Haltung kritischer Offenheit, im unerschrockenen Glauben an und Zeugnis für Jesus, den gekreuzigten und le112 bendigen Sohn Gottes.
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112
Vgl. CHR. W. TROLL, Als Christ dem Islam begegnen, Würzburg (2004) 22007.
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Blickwechsel – Muslime lesen Nostra aetate Viel wird bis zum 28. Oktober 2015, dem 50. Jahrestag der endgültigen konziliaren Zustimmung zu Nostra aetate, über, zu und manchmal wohl auch gegen die „Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen“ geschrieben werden. Und das ist auch gut so, wenn es denn mehr ist als eine rituelle Zitation einer Geschichte gewordenen „kopernikanischen Wende“ und „radikalen 1 Neuerung“ in den interreligiösen Beziehungen. Normative Texte initiieren und fordern die erneute und erneuernde Relecture. Sie leben durch ihre Wirkungsgeschichte. Für Nostra aetate gilt dies in besonderer Weise, ist es doch nicht nur das „kürzeste Dokument des 2 Konzils mit dem weitesten Horizont“ , sondern fordert in seiner konflikthaften Entstehung, in seinen Leerstellen und Andeutungen gera3 dezu künftige Forschung ein. Viel Diskussion hat das Dokument bereits bewirkt: Über die Normativität und Gattung der „Erklärung“, über die Methodik, die anderen Religionen wahrzunehmen, über die Frage, inwiefern der eine Gott der gemeinsame Gott ist, über die (Nicht-)Unterscheidung von religio und fides und den Stellenwert der anderen Religion im Heilswirken Gottes, über die Sinnhaftigkeit einer „abrahamischen Ökumene“ oder über die Tradition der negativen
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CHR. W. TROLL, Katholisches Lehramt und Islam seit dem Konzil, in: Ders., Unterscheiden um zu klären. Orientierung im christlich-islamischen Dialog, Freiburg u.a. 2008, 231-253, hier 235. R. SIEBENROCK, Theologischer Kommentar zur Erklärung über die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra Aetate, in: P. Hünermann/B. J. Hilberath (Hg.), Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 3, Freiburg u.a. 2005, 591-693, hier 595f. Vgl. ebd., 598: „Während andere Texte des Konzils traditionelle Fragestellungen klären und deren Problemstellungen auch abschließen konnten, eröffnet diese Erklärung neue Perspektiven“ (vgl. dazu auch ebd., 644f., 661).
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Theologie als vermittelndem Bezugspunkt, um nur einige Themen zu nennen. In Bezug auf den Islam besteht tatsächlich Einigkeit darin, dass Nostra aetate keine vollständige Auflistung der muslimischen Glaubens4 lehre mit konziliarer Approbation leisten wollte. Der Kern von Nostra aetate liegt jedoch auch nicht in einer bloß respektvolleren Haltung und freundlichen Worten, sondern wesentlich – und in bedeutender Verbindung mit Dignitatis humanae – in der Anerkennung, dass der andere Gläubige Subjekt ist. Da der andere Glaubende auch der anders Glaubende ist, ist seine Religion über die existentiell-anthropo5 logische Perspektive des Konzils mit einbezogen. Was auch immer Nostra aetate über die Heilsbedeutung der anderen Religion gesagt haben mag, die Religion des Anderen ist nach diesem Konzilstext mehr als ein Objekt des Studiums, der Wertschätzung oder der Kri6 tik. Sie ist vor allem und zunächst ein Anspruch an den christlichen Glauben, ein Angesprochen-Werden, und das bedeutet: ein eigener Blick mit seinem eigenen, unverfügbaren Zentrum. Dieser Respekt vor dem Subjektsein des Anderen kann sich in ge7 meinsamer Forschung mit überraschenden Ergebnissen zeigen. Der Respekt vor dem Subjektsein des Anderen zeigt sich aber auch darin, wahrzunehmen, dass der andere Glaubende auch seinen eigenen Blick auf diejenigen Texte hat, die ihn als anders Glaubenden in den Blick nehmen: Nostra aetate nimmt nicht nur die Muslime wahr (und viel ist über diese Wahrnehmung geschrieben worden), sondern wird auch von ihnen wahr genommen – Blickwechsel. Dies ist bisher wenig, fast gar nicht zur Kenntnis genommen worden. Dieses Desiderat in einem ersten Versuch zu beheben, ist Anliegen des Artikels. Die Ergebnisse sind nicht immer angenehm, aber stets lehrreich. Das Kriterium der Auswahl ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung – so wäre etwa die weit verbreitete Bezugnahme auf Nostra aetate in Blogs und Internetkommentaren eine eigene Beschäftigung wert.
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Vgl. ebd., 644. Vgl. ebd., 651-653. Vgl. ebd., 646. Hans-Jörg Schmid gibt hier einen profunden Überblick über die Themen und stellt vor allem die Blickwechsel zwischen Bibel und Koran sowie die gemeinsamen sozialethischen Themen in den Vordergrund. Siehe H.-J. S CHMID, 50 Jahre nach dem Konzil – Theologische Beiträge zum christlich-islamischen Dialog angesichts neuer Kooperationsmöglichkeiten, in: Theologische Revue 108 (2012) 91-110.
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%JF 5BUTBDIF EBTT JO EJFTFN #FJUSBH NJU .BINVU "ZEãO FJO UºSLJ scher Autor den meisten Platz erhält und sehr ausführlich behandelt wird, liegt einerseits darin begründet, dass er eine ungewöhnlich ausführliche Auseinandersetzung mit Nostra aetate geführt hat und zum anderen, dass die meisten Ausführungen des in der Türkei durchaus bekannten und renommierten Autors sprachlich vielen westlichen Theologen nicht zugänglich sind. 1. NOSTRA AETATE: EIN DOKUMENT PASTORALER BEZIEHUNGSARBEIT – ATAULLAH SIDDIQUI Die unter christlichen Theologen wohl bekannteste Bezugnahme auf das Zweite Vatikanische Konzil und Nostra aetate bietet der unter anderem an der „Islamic Foundation“ in Leicester forschende englische Islamwissenschaftler Ataullah Siddiqui in seinem 1997 erschienenen Buch “Christian-Muslim Dialogue in the Twentieth Century”. Das Anliegen des Buches ist es, ein Verständnis dafür zu wecken, was für Muslime besonders wichtig ist, und zugleich zu zeigen, dass die Frage des religiösen Pluralismus und der Mission, die nach Siddiqui für das kirchliche Christentum zentral ist, auf der muslimischen Agenda ganz 8 unten steht. Auch wenn die dialogischen Bemühungen damit von 9 vornherein aus der Geschichte der Mission abgeleitet werden, bietet Siddiqui eine erste seriöse, wenn auch knappe Auseinandersetzung mit den Dokumenten und Institutionen, in denen die verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften den Islam in den Blick 10 nehmen. Siddiqui würdigt Nostra aetate als Öffnung und Herausforderung, die christliche Haltung und die Beziehungen zu den nichtchristlichen Religionen zu überdenken. Zugleich hebt er hervor, dass das Konzil sich weder explizit zum Islam geäußert noch eine entwickelte Theolo-
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Vgl. A. SIDDIQUI, Christian-Muslim Dialogue in the Twentieth century, New York 1997, XIV: “[…] to provide an understanding of the Muslims‘ concerns and to demonstrate that the question of religious pluralism and mission, so central to the heart of ecclesiastical Christianity, constituted the least important item on the muslims‘ agenda.” Vgl. ebd., XIII. Zu Nostra aetate siehe ebd., 34-36, zum II. Vatikanischen Konzil insgesamt siehe ebd., 32-39.
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gie des interreligiösen Dialogs konzipiert habe. Interessanterweise konzentriert sich Siddiqui sodann ganz auf den zweiten Teil von NA 3, der handlungsorientiert zu einem Neuanfang in den christlichislamischen Beziehungen aufruft, und übergeht die Aussagen über die Elemente des muslimischen Glaubens des ersten Teils von NA 3 (sowie die Verhältnisbestimmung von LG 16). Die positive Bedeutung sieht Siddiqui mithin auch nicht in der theologischen Perspektive, sondern in der wohlwollenden und versöhnlicheren Haltung von NA gegenüber den Muslimen. Siddiqui, so kann man sagen, nimmt NA vor allem als pastorale Beziehungsarbeit wahr. Kritisch stellt Siddiqui heraus, dass das Konzil erstens selektiv in der Wahrnehmung der anderen Religionen gewesen sei, dass zweitens die Spannung im Verhältnis zwischen Dialog und Mission ungelöst 12 bleibe und dass drittens das Konzil den Islam nicht als eine neue Offenbarung anerkannt habe. So könne sich das Konzil auch nicht zu Muhammad und dem Koran äußern und sei auch „noch nicht bereit gewesen“, den Islam in den „inneren Zirkel“ zuzulassen, in den es das 13 Judentum aufgenommen habe. Die von Siddiqui nicht weiter ausgeführte Kritik zeigt: Erstens, dass aus muslimischer Perspektive das Ziel und Kriterium des Dialogs die Frage der Anerkennung ist. Diese hat eine praktischäußerliche Seite der positiven Beziehungen und Wahrnehmung – für die NA zumeist gelobt wird – und eine theologische Seite der Anerkennung koranischer Offenbarung, deren Mangel oft beklagt wird. Zweitens wird innerhalb der Frage der Anerkennung die Öffnung zum Judentum als Präzedenz- und Analogiefall des Verhältnisses zum Islam behandelt. Der heilsgeschichtliche Kontext innerhalb der christlichen Perspektive wird nicht berücksichtigt. Drittens ist die Kritik an der Nichtanerkennung des Offenbarungscharakters der islamischen Religion verbunden mit einer kritischen 14 Thematisierung der Christozentrik der konziliaren Dokumente. Es wird ersichtlich, dass hinter der durchaus wohlwollend-kritischen Perspektive Siddiquis gravierendere theologische Differenzen liegen, die aber in der Kürze der Analyse nicht ausgeführt werden. 11 12
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Ebd., 34. Vgl. ebd., 39: “But is the ‘dialogue’ part of ‘mission’ or will ‘mission’ be ‘dialogical’ in relation to other religions? That is the crucial question.” Ebd., 34. Vgl. ebd., 36, 38.
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"CIJMGFTDIBGGUIJFSEFSUºSLJTDIF5IFPMPHF.BINVU"ZEãO EFSOJDIU nur ausführlich auf Nostra aetate Bezug nimmt, sondern auch die kritische Perspektive deutlich zuspitzt. 2. NOSTRA AETATE: NICHTS ALS SCHÖNE WORTE? MAHMUT AYDIN Wenn es in der Türkei gilt, die Aktivitäten und theologischen Entwicklungen des katholischen Christentums zu analysieren und zu komNFOUJFSFO TPXJSEEFS/BNF.BINVU"ZEãOOJDIUMBOHFBVGTJDIXBS 15 ten lassen. Der 1968 in Samsun geborene islamische Theologe wird als Experte für das katholische Christentum gehandelt, ein Ruf, der sich nicht nur auf die Vielfalt an Publikationen zum Christentum stützt – vom Kirchenrecht bis zum historischen Jesus –, sondern vor allem auch auf sein 1998 in Birmingham am “Centre for the Study of Islam and Muslim-Christian Relations” (Selly Oak) erworbenes DoktoSBU .BINVU "ZEãO MFISU IFVUF BMT 1SPGFTTPS EJF &JOGºISVOH JO EJF 3FMJHJPOTHFTDIJDIUF %JOMFS 5BSJIJ "OBCJMJN %BMã BO EFS UIFPMPHJ schen (Ihlayiat) Fakultät der „19. Mai Universität“ von Samsun und gehört zum Beirat der wissenschaftlichen Zeitschrift der Diyanet, des 16 türkischen Religionsministeriums. 5BUT¢DIMJDI WFSUSJUU "ZEãO FJOF profilierte, mitunter polemische, aber intellektuell ernst zu nehmende Haltung gegenüber dem Christentum, dessen gegenwärtige Theo17 logie er wie kaum ein anderer islamischer Theologe kennt. Zu Recht wird er als „Fachmann für den interreligiösen Dialog und die Missi-
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Und wenn er es nicht ist, so ist es der 1943 geborene Theologieprofessor und türkiTDIF 4UBBUTNJOJTUFS .FINFU "ZEãO .BO LBOO EJF CFJEFO MFJDIU WFSXFDITFMO EFOO beide haben viel über das Christentum publiziert. http://www.diyanet.gov.tr/turkish/DIYANET/ilmi_dergi/48_2/kimlik.htm (eingesehen am 07.09.2012). Während M. AYDIN, .POPMPÙEBO %JZBMPÙB
BÙEBĈ )ãSJTUJZBO %ºĈºODFTJOEF )ãSJTUJZBO.ºTMºNBO*MJĈLJMFSJ "OLBSB OPDIFJOF[XBSHSVOEMFHFOELSJUJTDIF aber immerhin auch positive Momente unterstreichende Haltung hat, ist diese 2008 einem aggressiven und polemischen Ton gewichen. Es wäre eine eigene Arbeit, nachzuzeichnen, wie durch die Veränderung weniger Nuancen und durch die Auslassung mancher positiver Wertungen aus einer kritischen Analyse eine defensivaggressive Haltung erwächst.
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on“ vorgestellt – eine Verbindung, die auch seine Grundperspektive 19 kennzeichnet. So lohnt sich die Auseinandersetzung mit ihm schon deswegen, weil man in ihm einen profilierten Kritiker findet, der eine in der Türkei weit verbreitete Haltung reflektiert ins Wort bringt und EJFTF JOUFMMFLUVFMM TUºU[U %B "ZEãO [VEFN JO TFJOFN #VDI Lj7PN .P OPMPH [VN %JBMPH .POPMPHEBO %JZBMPÙB dž FJOF EFS BVTGºISMJDITUFO 20 und fundiertesten Auseinandersetzung mit Nostra aetate vorlegt, soll seine Position detailliert nachgezeichnet, eingeordnet und kommentiert werden. 2.1. Die historische Charakterisierung und Einordnung von Nostra aetate Die grundlegende Einschätzung des Dokumentes als wichtigem An21 fangs- und Wendepunkt, BVGEJFTJDI"ZEãOSFGFSJFSFOECF[JFIUVOE 22 die er überprüfen will, trifft die Unterscheidung zwischen den Impulsen des Konzils und der Lehr- und Lebenstradition der Kirche vor dem Konzil. Diese Unterscheidung wird in Bezug auf das Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen sowohl durch Konzilsteilnehmer 23 als auch durch die nachkonziliare Theologie formuliert. "ZEãOHSFJGU sie mit Blick auf die Kirchengeschichte bis zum Konzil auf und unterstreicht, dass die Kirche bis zu diesem Zeitpunkt sich weder für die
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Zu dem Kontext der Diskussion um Mission und Dialog in der Türkei siehe F. KÖRNER, Außenblick. Christliche Mission in türkisch-muslimischer und systematischtheologischer Darstellung, in: CIBEDO-Beiträge 3 (2010) 119-125. 19 So gibt eine Gülen nahestehende Website einen Artikel der nationalistisch-islamistischen Zeitung VAKITWPOXJFEFS JOEFNFTNJU#F[VHBVG"ZEãOLMBSIFJU EBTT dieser die Muslime gegenüber den Winkelzügen des Dialogs zur Wachsamkeit aufruGF EJOMFSBSBTãEJZBMPHPZVOVOBLBSĈã.ºTMºNBOMBSDŽãOVZBOãLPMNBTãOãJTUFZFSFL 6O ter http://diyalogcu.wordpress.com/2007/05/24/dinlerarasi-diyalog-vatikan%e 2%80%99intuzagi/ (eingesehen am 21.09.2012). 20 %BT FSTUF ,BQJUFM EFT WPO "ZEãO JO 8BTIJOHUPO FSTDIJFOFO #VDIFT dž.PEFSO Christian Theological Understandings of Muslims since the Second Vatican Council“ ist eine leicht veränderte Übersetzung von Aydin in AYDIN, .POPMPÙEBO %JZBMPÙB 75-120. 21 Vgl. ebd., 75 und 89. 22 Was sagt das Konzil mit welchem Ziel über die Muslime und welche Wirkungen hat EJFTBVGEFO%JBMPH 4PMBVUFOEJFMFJUFOEFO'SBHFO"ZEãOT FCE 23 Vgl. SIEBENROCK, Theologischer Kommentar, 595, 598, 666.
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anderen Religionen interessiert noch eine positive Lehräußerung 24 getroffen habe. Die Abwesenheit der Beschäftigung mit den anderen 3FMJHJPOFOXJSEWPO"ZEãOTPEBOO[VS"CXFSUVOH[VHFTQJU[U/JFNBMT sei von der Kirche einer anderen Religion gegenüber Respekt gezeigt 25 worden. "ZEãO WFSTUFIU EJF (FTDIJDIUF EFT LBUIPMJTDIFO $ISJTUFO tums als eine Geschichte nicht nur des Missverständnisses und der gegenseitigen Konfrontation, sondern des christlichen Unrechts und der expansiven Vereinnahmung. So wird die Abwesenheit einer lehramtlichen Würdigung der Religionen zur Unheilsgeschichte der Kirche insgesamt verdichtet. *OIBMUMJDIUIFPMPHJTDI TJFIU "ZEãO EJF (FTDIJDIUF EFT LBUIPMJTDIFO Christentums durch den Satz „Außerhalb der Kirche kein Heil“ ge26 LFOO[FJDIOFU EFO"ZEãOBMTCJT[VN,PO[JMHºMUJHFT%PHNBWPSTUFMMU %JFTFS-FISTBU[JTUOBDI"ZEãOOJDIUOVSFJOFHFTDIJDIUMJDIQS¢HFOEF Verhältnisbestimmung zu den nichtchristlichen Religionen, sondern ist Grundlage und Eckstein einer jeden Beziehung der Kirche zu 27 ihnen. "ZEãOVOUFSTDIFJEFUBMTPOJDIU[XJTDIFOEFS-FISFEFS,JSDIF über die jeweils anderen Religionen und der Frage der Heilsmöglich28 keit von Nichtchristen. Auch wenn er die differenzierte Entstehungsund Wirkungsgeschichte des Lehrsatzes kennt und seriös referiert, so erkennt er in ihm keine theologisch-soteriologische, sondern nur eine 29 kirchenpolitische Motivation. Vor allem aber sieht er in ihm den Ausdruck einer mehr als 1500-jährigen Geschichte, in der sich der expansive Wille des Christentums mit der weltweiten Verbreitung der
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Vgl. AYDIN, .POPMPÙEBO%JZBMPÙB 7HMFCE dž,BUPMJL,JMJTFTJUBSJIJOEFJMLEFGBT´[LPOVTVCVEPLºNBOMB)ãSJTUJZBO PMNBZBO EJOMFS ,JMJTF UBSBGãOEBO TBZHã H´TUFSJMNFTJ HFSFLFO PMVĈVNMBS PMBSBL LBCVM FEJMNFZFCBĈMBONãĈUãSLJ&CE *N&OHMJTDIFOTBOGUFSdžXJUIUIFEFDMBSBUJPOPGNostra Aetate non-Christian religions began to be regarded as entities that the Church should respect.” 26 Die „Einführung zur geschichtlichen und theologischen Problematik von Artikel 14 [LG]“ durch Aloys Grillmeier SJ spricht nicht von einem Dogma, sondern von dem „Satz“ und weist auch auf seinen theologischen Kontext hin. Siehe A. G RILLMEIER, Kommentar zu Kap. I von Lumen gentium, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Das Zweite Vatikanische Konzil. Dokumente und Kommentare, Teil I, Freiburg u.a. 1966, 156-347, hier 194-196. 27 Vgl. AYDIN, .POPMPÙEBO %JZBMPÙB CSJHFOT OJDIU BVG &OHMJTDI JO "YDIN, Modern Christian Theological Understandings,112. 28 Vgl. dagegen SIEBENROCK, Theologischer Kommentar, 599. 29 Vgl. AYDIN, .POPMPÙEBO%JZBMPÙB 25
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römischen Kultur verbindet. Die ursprünglich selbst auf Toleranz IPGGFOEFO$ISJTUFOVOUFSCJFUFOOBDI"ZEãOTFJUJISFS7FSCJOEVOHNJU der kaiserlichen Macht die antiken Heiden in ihrer Intoleranz und 30 Barmherzigkeit. %JFTF &JOTDI¢U[VOH "ZEãOT JTU NFIS BMT FJOF IJTUPSJTDIF "VTTBHF verbindet sie doch implizit das Christentum und den Götzendienst – in koranisch geschulten Ohren werden die Christen hier eindeutig als NVĊSJLĒO („Beigeseller“ als Inbegriff der Ungläubigen) qualifiziert. Interessanterweise wird die Ausweitung des Lehrsatzes auf die Muslime – fälschlicherweise – durch den Sieg des Osmanischen Reiches motiviert und also sowohl politisch als auch im Paradigma von Sieg und Niederlage erklärt. Die einheitlich ablehnende Geschichte der Kirche HFXJOOU OBDI "ZEãO NJU EFO UIFPMPHJTDIFO "VGGBTTVOHFO EFS #FHFI renstaufe, der unschuldigen Nichtkenntnis Christi und des impliziten Glaubens im 19. Jahrhundert keine grundlegende theoretische Ver¢OEFSVOH TPOEFSO XJSE OVS BCHFTDIX¢DIU [BZãGMBNBLIBGJGMFUNFL Grautöne treten erst mit den ausführlich besprochenen Theologen -PVJT .BTTJHOPO VOE ,BSM 3BIOFS BVG EJF "ZEãO BVDI OPDI FJONBM 31 gegen die konziliare Lehre stark macht. Die Zuspitzung der Geschichte von Christentum und Islam, die nicht nur strikt einseitig bleibt, sondern auch viele Nuancen und Dif-
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4P¢VFSUTJDI"ZEãOJOFJOFS'VOPUFVOUFS#F[VHBVGEFO)BSWBSE1SPGFTTPS3BN sey McMullen (und nicht den schottischen Philosophen John Macmurray!): ebd. 78, Fußnote 11 (dies wird in der englischen Ausgabe nicht übersetzt.): “Kanaatimizce bu HFMJĈNFOJOBMUãOEBTJZBTJFULFOMFSEF´OFNMJCJSSPMPZOBNJĈUJS;JSB CJSJODJC´MºNEF ifade ettiġJNJ[ HJCJ EJÙFS EJO NFOTVQMBSãOãO )ãSJTUJZBO PMNBLTã[ãO LFTJOMJLMF LVSUVMVĈB FSFNFZFDFLMFSJ JMFSJ TºSºMFSFL POMBSãO IFS WBTJUB LVMMBOãMBSBL )ãSJTUJZBO ZBQãMBNTãHºOEFNFHFMNJĈUJS0OMBSãOCVĈFLJMEF)ãSJTUJZBOZBQNBTãZMBEB3PNBLºM UºS WF NFEFOJZFUJOJO UºN EºOZBZB ZBZãMNBTã T´[ LPOVTV PMBDBLUã "NFSJLBMã CJMJN BEBNã.BDNVSSBZZãMãOEBLBMFNFBMEãÙãLJUBCãOEBT´[LPOVTVCVEPHNBOãOCV ĈFLJMEF EãĈMBZãDã ZBQãMNBTãZMB EBIB ´ODF CBĈLBMBSãOEBO UPMFSBOT WF NFSIBNFU VNBO )ãSJTUJZBOMBSãO LFOEJMFSJOEFO UPMFSBOT WF NFSIBNFU VNVOMBS LPOVNVOB HF¥UJÙJOJ ileri sürmektir. Hatta Macmurray daha da ileri giderek kendilerinden merhamet VNVMBO )ãSJTUJZBOMBSãO EPMBZãTãZMB EB )ãSJTUJZBOMãÙßO EBIB ´ODF LFOEJMFSJOEFO NFS IBNFU VNVMBO QVUQFSFTUMFSEFO WF EPMBZãTãZMB EB QVUQFSTU JOBO¥MBSEBO EBIB NFS IBNFUTJ[PMEVLMBSãOãJMFSJTºSNFLUFEJSLJ 31 Ersterem schreibt er zudem alle positiven Aussagen über den Islam zu. Dessen realer Einfluss auf das Konzil wird diskutiert. Siehe CHR. S. KROKUS, Louis Massignon’s influence on the teaching of Vatican II on Muslims and Islam, in: Islam and ChristianMuslim Relations 23 (2012) 329-345.
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ferenzierungen ausblendet, ist in Bezug auf die Dramaturgie der "SHVNFOUBUJPO HVU HFX¢IMU HJCU TJF EFS MFJUFOEFO 'SBHF "ZEãOT PC das Konzil diese Haltung hinter sich lasse, doch ein umso stärkeres Gewicht: Jede Kontinuität der Lehrentwicklung, so kann man nur folgern, schriebe die Unrechtsgeschichte weiter. Die Akzentuierung der kirchlichen Geschichtsschreibung setzt sich auch in Bezug auf die Entstehung von Nostra aetateGPSU"ZEãOTLJ[[JFSU die turbulente Entstehungsgeschichte im Rückgriff auf einschlägige 33 34 Konzilskommentare (Johannes Oesterreicher und Robert Caspar ), gibt ihr aber eigene Akzente: Einerseits betont er, dass eine Erklärung zu den nichtchristlichen Religionen in der Konzilsplanung nicht vorHFTFIFOXBS"ZEãOVOUFSTUSFJDIUEJF6OBCTFICBSLFJU EFS&OUTUFIVOH des Dokumentes bis hin zu der Aussage, Nostra aetae sei „vollkommen 35 ein Unfallwerk (tamamen bir kaza eseri)“ . Andererseits stellt er den großen Einfluss jüdischer Personen und des kirchlichen Willens zur Verurteilung des – seiner Ansicht nach innerhalb der Kirche entste36 henden – Antisemitismus heraus und versteht die Zuwendung zu den anderen Religionen, vor allem zum Islam, allein aus der Intervention der Bischöfe der orientalischen Kirchen. Dass nicht nur orientalische Bischöfe, sondern massiv auch die Interessenlage muslimischer 37 Staaten beteiligt war, blendet er genauso aus wie die tiefe spirituelle und religiöse Verortung der Zuwendung zum Islam bei Paul VI. und 32
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Siehe z.B. in Bezug auf die Haltung zum Koran D. MARSHALL, Roman-Catholic Approaches to the Qurʾ¿O TJODF 7BUJDBO ** IUUQSFQPTJUPSZCFSLMFZDFOUFS georgetown.edu/120711MarshallRomanCatholicApproachesQur%E2%80%99 anVaticanII.pdf (eingesehen am 21.09.2012), 1-3. Vgl. u.a. J. OESTERREICHER, Kommentierende Einleitung zu Nostra Aetate, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Das Zweite Vatikanische Konzil. Dokumente und Kommentare, Teil II, Freiburg u.a. 1967, 406-487. Vgl. u.a. R. CASPAR, Le Concile et l’Islam, in: Études 89/328, Paris 1966, 114-126; DERS., La religion musulmane, in: Unam Sanctam 61, Paris 1966, 201-237. AYDIN, .POPMPÙEBO %JZBMPÙB "VG &OHMJTDI TBOGUFS BMT džBDDJEFOUJBM EPDVNFOULJ (AYDIN, Modern Christian Theological Understandings, 24). Man beachte den unterschiedlichen Zungenschlag zwischen der türkischen und der englischen Ausgabe: AYDIN, .POPMPÙEBO%JZBMPÙB dž0ZãMMBSEB1BQBTBEFDFLJMJTF CºOZFTJOEF HFMJĈFO :BIVEJEºĈNBOMãÙãZMB BOUJTFNJUJTN BMBLBEBS PMVZPSEVdž Lj*O diesen Jahren war der Papst nur interessiert an der in der kirchlichen Struktur sich entwickelnden Judenfeindschaft [Anti-Semintismus])”; im Englischen: “At the time he was greatly concerned about the anti-Semitism within the Church” (A YDIN, Modern Christian Theological Understandings, 22). Vgl. SIEBENROCK, Theologischer Kommentar, 642f.
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anderen Konzilsteilnehmern. Die Beschäftigung des Konzils mit dem Islam ist demzufolge also zufällig, reaktiv und politisch motiviert. %JF ,POTFRVFO[ WPO "ZEãOT 8BISOFINVOH EFS (FTDIJDIUF EFT Christentums ist in seiner Interpretation des zweiten Teils von Nostra aetate 3 erkennbar. Das Konzil ermahnt, das Vergangene beiseite zu lassen, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen (NA 3).
#FJ FYQMJ[JUFS 8ºSEJHVOH EFS 'SJFEFOTCFNºIVOHFO LSJUJTJFSU "ZEãO 38 das „hinter sich lassen“, das er als „vergessen“ übersetzt, scharf. Auch XFOO "ZEãO GPSNVMJFSU EBTT EJF WFSHBOHFOFO ,POGMJLUF WPO CFJEFO Seiten ausgegangen seien, benennt er einseitig das Unrecht seitens des Christentums und zieht eine Linie von den Kreuzzügen zu den Bürgerkriegen in Bosnien und im Kosovo. Dieser Sprung über Jahrhunderte deutet nicht nur serbischen und kroatischen Nationalismus als christlichen Religionskrieg, sondern verdichtet die gesamte Geschichte der muslimischen Welt zu einer einzigen Opfergeschichte. In dieser Geschichtswahrnehmung wird der Aufruf zum Vergessen als eine weitere Gefährdung der islamischen Identität wahrgenommen: 39 Wer vergisst, wo er herkommt, vergisst, wer er ist. Das erlittene Unrecht wird mithin konstitutiv für die islamische Identität. Vor diesem Hintergrund kann der Aufruf, diese Vergangenheit hinter sich zu lassen, nicht anders als eine gleichsam neue Enteignung, nun nicht mehr mit kriegerischen, sondern mit vermeintlich versöhnlichen MitUFMO WFSTUBOEFOXFSEFO8FOO"ZEãOTDIMJFMJDIEBSBVGIJOXFJTU EBTT auch der Koran dem Vergessen des Vergangenen entgegentrete, erlangt der Widerstand gegen diese Form des Neuanfangs eine religiös OPSNBUJWF2VBMJU¢U"VDIXFOO"ZEãOJOFJOFNQPTJUJWFO*NQVMTEFN Vergessen der Vergangenheit das Erinnern entgegenstellt, um eine neue Zukunft zu begründen, wird doch an dieser massiven Kritik die 38
AYDIN, .POPMPÙEBO%JZBMPÙB džćJNEJCVLVUTBMLPOTJMIFSLFTJHF¥NJĈJVOVUNBZB […] davet etmektedir”. Die lateinische Formulierung praeterita obiliviscentes kann sowohl „vergessen“ als auch „nicht beachten“ bedeuten; wahrscheinlich bezieht sich "ZEãOBCFSBVGEBT&OHMJTDIFdžGPSHFUUIFQBTULJ 39 7HMFCE dž)BGã[BNã[ãLBZCFUUJÙJNJ[EFLJNPMEVÙVNV[VIBUãSMBZBNBEãÙãNã[HJCJ HF¥NJĈJNJ[JUBNBNFOVOUUVÙVNV[EBEBLJNMJÙJNJ[UFIMJLFZFHJSFSLJ
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Schwierigkeit der Verständigung angesichts eines nicht evolutiven, ahistorischen und monoperspektivischen Geschichtsbildes deutlich. 2.2. Die theologische Diskussion von Nostra aetate "OEFST BMT 4JEEJRVJ BOBMZTJFSU "ZEãO BVTGºISMJDI EFO FSTUFO 5FJM WPO Nostra aetate 3 und stellt die Aussagen zu einzelnen GlaubenselemenUFOEFT*TMBNTJOEFO7PSEFSHSVOE%FSBSUMJFTU"ZEãONostra aetate als ein autoritatives theologisches Dokument, das die Lehre der Kirche über den Islam und die Heilsmöglichkeit der anderen Religionen formuliert – im Gegensatz zu christlichen Theologen, die Nostra aeatete als eine neue Perspektive verstehen, die den Raum öffnet, um einzelne theologische Themen auszuarbeiten. Damit tritt auch die theologische Verankerung der selektiven Aussagen über die Religionen in der Perspektive des allgemeinen Heilswillens Gottes zurück, der sich in 40 der Einheit der Menschheit realisiert. 2.2.1. Die Deutung der Aussagen zu einzelnen Elementen des islamischen Glaubens "ZEãOT"OBMZTFGPMHUEFOFJO[FMOFOJO/"CFOBOOUFO&MFNFOUFOEFT 41 islamischen Glaubens: Der gemeinsame Glaube an den einen Gott, die Gottesprädikate, der Bezug auf Abraham, die Ehrbezeugung gegenüber Jesus und Maria, der Jenseitsglaube und die im Islam gelebUFOSFMJHJ´TFOVOETJUUMJDIFO8FSUF"ZEãOXFSUFUIJFSCFJEFOHFNFJO samen Bezug auf den einen Gott, die Erwähnung Abrahams und die wertschätzende Deutung des spirituellen und sittlichen Verhaltens als religiöse Ausdrucksformen als einen wirklichen Fortschritt in den 42 christlich-islamischen Beziehungen. Dennoch ist seine Interpretation grundlegend kritisch, und zwar in mehrfacher Hinsicht.
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8JFXPIM"ZEãOEJFTFUIFPMPHJTDIF7FSBOLFSVOHQS¢[JTFSFGFSJFSU TJFIUǁPEFSBL[FQ tiert – er ihre theologische Bedeutung nicht. Das Bemühen um Verständigung ist eben keine Zeitanpassung, keine Nettigkeit und auch keine Vorbereitung der Mission, sondern Wesensausdruck der Kirche (siehe ebd., 92f.). 41 Vgl. ebd., 96-108. 42 Vgl. ebd., 101, 103, 105.
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"ZEãOWFSTUFIUEJF4VDIFOBDIHFNFJOTBNFO&MFNFOUFOBMT"L[FQ tanz und Übernahme der islamischen Glaubensaussagen. Wohl nicht 43 zufällig verwendet er in diesem Kontext das Verb “onaylamak” , mit dem die Bestätigung und Ratifizierung von etwas Vorgefundenem 44 bezeichnet wird. Implizit schwingt in diesem Wort auch die theologische Bedeutung des taṣEßR mit, des Glaubensaktes. Gemeinsamkeit bedeutet mithin die christliche Bestätigung eines vorgefundenen, weil durch den Koran vorformulierten Bestands an gemeinsamen AussaHFO ,POTFRVFOU IFCU "ZEãO IFSWPS EBTT EJF (PUUFTQS¢EJLBUF EJF 45 beiden Traditionen gemeinsam sind, dem Koran entliehen wurden. *O EJFTFS 8FJTF TDIMJFU TJDI "ZEãO EFS %FVUVOH BO EBT ,PO[JM IBCF den ersten Teil des islamischen Glaubensbekenntnisses, das Bekenntnis zum einen Gott, übernommen. Ja, er formuliert sogar, das Konzil 46 habe damit die islamische Lehre des tauḥßE bestätigt. So wird die Ausrichtung auf den gemeinsamen Gott zur Übernahme der islamischen Gotteslehre. Die Problematik dieser Deutung ist offensichtlich: Der jeweilige Glaube wird hier zu einer quantitativen Größe von einzelnen Glaubensaussagen, die zudem aus dem Kontext des jeweiligen Glaubenssystems herausgelöst werden können. Man darf aber fragen, ob man z.B. tauḥßE so einfach aus dem – wohl durchdachten – System des muslimischen Glaubens herauslösen und als gemeinsame Lehre festhalten 43
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Ebd., 98. “Acknowledges” in der englischen Übersetzung: A YDIN, Modern Christian Theological Understandings, 29. Vgl. AYDIN 5ºSL¥F 4´[MºL
dž:BQãMBO CJS JĈJ EPÙSV WF ZFSJOEF CVMBSBL kabul etmek, tasdik etmek, tasdiklemek“ („ein Faktum als richtig und am Platz befindlich akzeptieren, bestätigen“). AYDIN, .POPMPÙEBO%JZBMPÙB dž,POTJM#BCBMBSãUBSBGãOEBOEJMFHFUJSJMFO5BOSãOãO CV TãGBUã ,VSĶBODŽEB 5BOSãZMB ZFS BMBO UFSJNMFS PEºO¥ BMãOBSBL ZBQãMNãĈUãSdž Lj%JFTFT Gottesprädikat, das seitens der Konzilsväter zur Sprache gebracht wurde, wurde verwendet, indem die Begriffe, die im Koran mit Gott in Verbindung stehen, ausgeCPSHU XVSEFOdž "O BOEFSFS 4UFMMF TQSJDIU "ZEãO EBWPO EBTT TJDI EBT ,PO[JM den Koran zunutze gemacht habe (yaralanmak), um seine eigene Gottesvorstellung BVT[VESºDLFO%JFTF%FVUVOH EJFJO"ZEãOT8PSUFOEJFFJHFOUMJDIFO#FTJU[WFSI¢MU nisse noch einmal unterstreicht, wird auch von christlichen Theologen vertreten. Zugleich kann man aber auch darauf verweisen, dass diese Prädikate Allgemeingut der biblisch-hellenistischen Tradition sind. Siehe dazu G. RIZZI, Nostra Aetate 3: Das Zweite Vatikanische Konzil und die Muslime, in: H. Vöcking (Hg.), Nostra Aetate und die Muslime. Eine Dokumentation (Georges Anawati Schriftenreihe 8), Freiburg u.a. 2010, 124-177, hier 136-141. Vgl. AYDIN, .POPMPÙEBO%JZBMPÙB
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kann. Zumindest kommt durch diese Deutung die Problematik eines Dialogs in den Blick, der sein Gelingen an der Menge der Übereinstimmungen abliest – und am Ende zu Recht fragt, warum sich das Konzil zu so vielen drängenden Fragen nicht geäußert hat. 4P[JFIUEFS WPO"ZEãOHFX¢IMUF"OTBU[QVOLULSJUJTDIF'SBHFO OPU wendigerweise nach sich. Die erste Frage lautet: Wenn der gemeinsame Bestand der Aussagen wesentlich durch die Referenz auf den Koran bestimmt ist, bestätigt EBT ,PO[JM EBOO EFO ,PSBO BMT 0GGFOCBSVOH "VDI IJFS HFIU "ZEãO zunächst von der islamischen Bestimmung aus, dass Gottes Offenbarung in beiden Religionen durch Propheten geschehe und die Religionen sich erst in einem zweiten Schritt in der Art und Weise dieser 48 prophetischen Offenbarung unterscheiden. Auf dieser Grundlage kann man in der Aussage von NA 3, dass die Muslime „den alleinigen Gott anbeten, […] der zu den Menschen gesprochen hat“, eine implizite Bestätigung der muslimischen Auffassung sehen, dass Gott im 49 Koran seine Wortoffenbarung durch Muhammad vermittelt habe. In FJOFS LVS[FO 8FOEVOH JEFOUJGJ[JFSU "ZEãO IJFS EBT 4QSFDIFO (PUUFT mit „Offenbarung“ und zwar im islamischen Verständnis des waḥy. So positiv dies aus muslimischer Sicht auch erscheinen mag, so mahnt "ZEãOEFOOPDIEJF.VTMJNF[VS7PSTJDIUEFOOFOUHFHFOEFS7PSMBHF habe der endgültige Konzilstext aus dem „Sprechen Gottes“ „den ProQIFUFOdž FOUGFSOU "ZEãO EFVUFU EJFT EBIJOHFIFOE EBTT EBT ,PO[JM zwar den Offenbarungscharakter implizit anerkenne, aber explizit eine Unabhängigkeit des Islams von der christlich-jüdischen Tradition ablehne. Aufgrund dieser widersprüchlichen Haltung hüte sich das Konzil auch vor einer positiven Aussage über die zwei Grundelemente des islamischen Glaubens: über den Koran und Muhammad.
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Vgl. AYDIN, %JOMFSBSBTã%JZBMPH.BIJZFU *MLFMFSWF5BSUãĈNBMBS*TUBOCVM 4PTJFIU"ZEãOEFO"VGSVG[VtauḥßE auch als genaues Gegenbild zum heutigen Dialogverständnis. 48 Vgl. AYDIN, .POPMPÙEBO%JZBMPÙB 49 7HMFCE dž,POTJMJO5BOSãZBLPOVĈNBDãWFZBWBIZFEJDJPMBSBLJĈBSFUFUNFTJPMVN MVCJSHFMJĈNFPMBSBLLBCVMFEJMFCJMJSdž Lj.BOLBOOEJF#F[FJDIOVOH(PUUFTBMTSFEFOE oder offenbarend durch das Konzil als eine positive Entwicklung akzeptieren“). GeGPMHFSUXJSEFCE dž¥ºOLº 5BOSãJOTBOMBSMBLPOVĈVSǃJGBEFTJIFSIBOHJCJSZBSHãEB CVMVONBLTã[ *TMBN¬ WBIZF ZBOJ ,VDŽSBODŽB [ãNOFO JĈBSFU FEFSdž Lj%FOO EFS "VTESVDL ,Gott hat zu den Menschen gesprochenʻ weist durch die Blume auf die Offenbarung, das heißt den Koran, hin, ohne dass irgendein Urteil gegeben wäre“).
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Die zweite Frage ist nicht weniger naheliegend: Wenn die Gemeinsamkeit wesentlich in gemeinsamen Aussagen besteht und das Konzil bereits den ersten Teil des Glaubensbekenntnisses bestätigt, warum OJDIU BVDI EFO [XFJUFO EJF 1SPQIFUFOTDIBGU .VIBNNBET "ZEãO deutet dies sehr klar als ein Anzeichen dafür, dass das Konzil in seiner Beschäftigung mit dem Islam die christliche Perspektive nicht verlassen habe. 7PO IJFSIFS GPSNVMJFSU "ZEãO JO TDIBSGFS 8FJTF TFJOFO )BVQULSJ tikpunkt an Nostra aetate: Das Konzil habe die Unabhängigkeit des Islams von der jüdisch-christlichen Tradition nicht anerkannt, sondern umgekehrt den islamischen Glauben in die christliche Perspektive hinein vereinnahmt, ohne zugleich den Offenbarungscharakter 50 des Islams anzuerkennen. Die Forderung, die Unabhängigkeit des Islams anzuerkennen, ist interessant, weil sie verschieden verstanden werden kann: Sie könnte eine religionsgeschichtliche Perspektive anzielen, die den Islam – und vor allem den Koran – als ein eigenständiges Werk akzeptiert und nicht einfach aus christlichen und jüdischen Quellen ableitet. Offensichtlich äußert sich das Konzil zu dieser Frage nicht, die christlicherseits auch keine Glaubensfrage, sondern eine Frage der historischen Forschung ist. Die Betonung der Unabhängigkeit könnte auch eine christlichtheologische Perspektive einfordern, die den Islam nicht als eine christliche Häresie oder Irrlehre auffasst. Offensichtlich aber hat das Konzil diese in der Tradition vertretene Lehre nicht aufgenommen, sondern akzeptiert das religionsgeschichtliche Faktum des Islams als eigenständige Religion und deutet ihn auch theologisch nicht als blo-
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&YQMJ[JU FCE dž"ODBL CV ZBQãMãSLFO *TMBN CBÙßNTß[ CJS EJOTFM HFMFOFL PMBSBL EFÙJM J¥JOEF )ãSJTUJZBO IBLJLBUJOJO ZBOTãNBTã PMBO HFMFOFL PMBSBL OJUFMFOEJSJM NJĈUJS#VOBSBÙNFO.ºTMºNBOMBS:BIVEJ)ãSJTUJZBOWBIZJOJOEãĈãOEBH´SºMFSFLCV HFMFOFÙF UBCJJPMNBZBOMBS HJCJNºUBMBB FEJMNJĈUJSdž Lj%FS *TMBNXVSEF TPDIBSBLUFSJ siert, dass er keine unabhängige religiöse Tradition sei, sondern in sich die christliche Wahrheit wiederspiegele. Trotzdem wurde er, indem die Muslime als außerhalb der jüdisch-christlichen Offenbarung betrachtet wurden, so studiert, als seien die Muslime in ihrem Wesen nicht verbunden mit dieser Tradition“). Und er folgert FCE dž)ãSJTUBZBOMBSUBSBGãOEBOZBQãMBDBLCVZBOMãĈBMHãMBNBPOMBSã*TMBNDŽã)ãSJT UJZBOMBĈUãSNBZB H´UºSFCJMJSdž LjEJF TFJUFOT EFS $ISJTUFO HFNBDIU XFSEFOEF GBMTDIF Wahrnehmung kann zu einer Christianisierung des Islam führen“). Als Schuldiger wird zum Beispiel Kenneth Cragg genannt.
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ßes Derivat christlichen Glaubens. Was also ist die Forderung von "ZEãO "ZEãO WFSTUFIU EJF 'PSEFSVOH OBDI 6OBCI¢OHJHLFJU XFTFOUMJDI BMT eine Forderung an die christliche „Religionstheologie“, die anderen Religionen nicht in ihrem Bezug zur christlich-jüdischen Heilsgeschichte, sondern als eigenständige Offenbarungen anzuerkennen. Diese Forderung impliziert zwei Elemente: Zum einen muss die nichtchristliche Religion als solche und nicht nur die gläubige Haltung des Einzelnen als heilsbedeutsam anerkannt werden – eine reliHJPOTUIFPMPHJTDIF 1FSTQFLUJWF EJF "ZEãO JN ,PO[JM OJDIU HFHFCFO 51 sieht. Zum anderen muss die Heilsbedeutung der nichtchristlichen Religion auch unabhängig von der jüdisch-christlichen Geschichte und explizit auch noch einmal unabhängig von Christus akzeptiert 52 werden. 8FOO EFN OJDIU TP JTU ǁ "ZEãO CJFUFU HFSOF FJO SBEJLBMFT entweder-oder – seien die Elemente der Heiligkeit und Wahrheit (NA 2), von denen das Konzil spricht, letztlich nur Elemente der Bosheit und Schlechtigkeit, und der nichtchristliche Gläubige müsse sich von 53 der eigenen Religion trennen, um zum Heil zu gelangen. Mit dieser Wendung spitzt er seine Forderung nach Unabhängigkeit noch einNBM [V /BDI "ZEãOT "VGGBTTVOH JTU EJF &JHFOTU¢OEJHLFJU FSTU EBOO gewahrt (und damit die christliche Unrechtsgeschichte erst dann beendet), wenn das Christentum sowie Christus als einer unter mehre54 ren möglichen Wegen zum Heil gedeutet und auch die dem christli-
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Vgl. ebd., 112-116. Die Schärfe seiner Deutung liegt allerdings nicht zuletzt darin begründet, dass er sich in den religionstheologischen Fragen den lutherischen Theologen Miikka Ruokanen als Bezugspunkt sucht – und ihn für einen repräsentativen katholischen Theologen und für einen Beweis der Uneinigkeit der katholischen Theologie hält (siehe ebd., 115). 52 Vgl. ebd., 94-96, 107-109, 118. Ganz explizit auf Christus bezogen in: AYDIN, DinleraSBTã%JZBMPH 53 Vgl. AYDIN, .POPMPÙEBO%JZBMPÙB CSJHFOTJOEFVUMJDIFN8JEFSTQSVDI[V der Nummer 29 des von ihm an anderer Stelle als Beleg für die Missionsabsichten zitierten Dokumentes des Päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog, „Dialog und Verkündigung. Überlegungen und Orientierungen zum Interreligiösen Dialog und zur Verkündigung des Evangeliums Jesu Christi“ (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 102, Bonn 1991). 54 "ZEãO VOUFSTDIFJEFU OJDIU [XJTDIFO $ISJTUVT VOE EFN $ISJTUFOUVN TJFIF "YDIN, %JOMFSBSBTã%JZBMPH
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chen Verständnis entgegenstehenden Aussagen als Offenbarungen 55 Gottes anerkannt werden. Dies ist als klare Kriteriologie und Lackmustest des Dialogs formuliert: Nur wenn das Christentum den Koran als eine eigenständige Offenbarung Gottes und Muhammad als Propheten anerkennt, hat es auch die Unabhängigkeit des Islams anerkannt. Die Anerkennung Muhammads als Propheten ist die Bedingung eines jeden Dialogs; ohne sie bleibt die vom Konzil angesprochene Hochachtung ein rei56 nes Lippenbekenntnis. "ZEãO M¢TTU FT IJFS OJDIU BO %FVUMJDILFJU WFS missen: Weil das Konzil dieser Forderung nicht nachgekommen ist, habe es bei aller Freundlichkeit in den einzelnen Aussagen die Tradition der Missachtung nicht verlassen, sondern nur auf subtilere Weise 57 fortgesetzt. Ja, die Freundlichkeit der Aussagen verdecke die wahre Absicht des Konzils nur: Letztlich sei der Dialog nur Ausdruck eines 58 christlichen Paternalismus und eine Vorstufe der Mission, die in den Schritten vorgebliches Dialoginteresse, Zusammenarbeit, Missionie59 rung ablaufe. "ZEãO JTU OJDIU WFSMFHFO TJDI NJU EFS "OTQJFMVOH BVG heimliche Absichten und der Unterstellung doppelter Standards der verbreiteten türkischen Polemik gegenüber christlicher Mission zu 60 bedienen – eine Redeweise, die, so darf man erinnern, für Christen in der Türkei tödliche Folgen haben kann und hatte. Andererseits NVTTNBOGFTUIBMUFO EBTT"ZEãOOJDIUBMMF5ºSFO[VTDIM¢HU&STQSJDIU auch davon, dass für alle Religionen der Dialog über das Kennenlernen und die Zusammenarbeit hinaus zu einem wirklichen Mitteilen 61 der eigenen religiösen Erfahrungen werden müsse, und würdigt
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Siehe z.B. seine Kritik an der Verwendung von allein mit dem christlichen Glauben kompatiblen Gottesprädikaten in AYDIN, .POPMPÙEBO%JZBMPÙB Vgl. ebd., 101 mit Verweis auf Hans Küng. Vgl. ebd., 112: Das Konzil habe nur eine „freundlichere Miene aufgesetzt“ (“Nostra Aetate)ãSJTUJZBOPMNBZBOEJOTFMHFMFOLMFSEFOCBITFEFSLFOPMVNMVJGBEFMFSLVMMBOB SBLPOMBSBLBSĈãTFNQBUJLCJS5BWãSUBLãONãĈUãLJ "OEFSTBVG&OHMJTDIJO"YDIN, Modern Christian Theological Understandings, 40: “Nostra Aetate speaks about nonChristians with sympathy and in a tone of goodwill.” Vgl. AYDIN, .POPMPÙEBO%JZBMPÙB Vgl. ebd., 96. In Englisch ist hier der Text gekürzt und abgeändert; siehe A YDIN, Modern Christian Theological Understandings, 27. Vgl. AYDIN, .POPMPÙEBO%JZBMPÙB *NTQ¢UFSFO#VDITQJU[U"ZEãOEJFTF Einschätzung noch einmal zu und spricht explizit davon, dass Dialog nur eine andere Methode der Missionierung sei; siehe AYDIN %JOMFSBSBTã%JZBMPH G Vgl. AYDIN, .POPMPÙEBO%JZBMPÙB
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immer wieder auch explizit die positive Haltung, zu der das Konzil 62 aufrufe. Diese Perspektive fällt allerdings in seinem jüngeren Werk aus. Dort unterscheidet er radikal zwischen einem institutionellen Dialog, dem er keine Chance gibt, und einem Dialog der Individuen, den er für möglich hält – Nostra aetate fällt natürlich auf die Seite des 63 ersteren. *OTHFTBNU TP LBOO NBO GFTUIBMUFO HFIU FT JO "ZEãOT 'PSEFSVOH nach Unabhängigkeit des Islams nicht um eine Forderung nach religionswissenschaftlicher Neutralität oder um einen positiven Einbezug in die Heilsgeschichte, sondern um eine neue religionstheologische Perspektive, die die heilsgeschichtliche Perspektive verlässt und „ob64 jektiv“ auf die Verschiedenheit der Religionen schaut. Doch wie soll diese aussehen? 2.2.2. Das Verständnis von Religion "ZEãO GPSNVMJFSU TFJOF SFMJHJPOTUIFPMPHJTDIF 1FSTQFLUJWF BOIBOE EFS 65 kritischen Deutung von NA 1,2 und 5. Seine Perspektive ist meines Erachtens wesentlich durch die Kombination einer pluralistischen Religionstheologie mit einem islamisch-theologischen Fundament bestimmt. &JOFSTFJUT MFHU "ZEãO EFO FYJTUFOUJFMMBOUISPQPMPHJTDIFO ;VHBOH von NA 1 dahingehend aus, dass das Konzil alle Religionen in gleicher Weise als menschliche Hervorbringungen verstehe, mit denen sich
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"NEFVUMJDITUFOFCE džćBZFU**7BUJLBO,POTJMJO.ºTMºNBOMBSMBJMJHJMJJGBEFMFS JOJ )ãSJTUBZBOMBSMB .ºTMºNBOMBS BSBTãOEB EBIB JZJ WF WFSJNMJ CJS EJZBMPH J¥JO IFEFG PMBSBLEFÙJMEFCJSCBTMBOHJ¥OPLUBTãPMBSBLBMãSTBL .ºTMºNBOMBSãOCVLPOTJMJ )ãSJT UJZBO.ºTMºNBO JMJĈLJMFSJ UBSJIJOEF CJS E´OºN OPLUBTã PMBSBL H´SNFMFSJ HFSFLUJÙJOJ söyleyebiliriz“ („Wenn wir die mit den Muslimen verbundenen Konzilsaussagen, wenn auch nicht mit dem Ziel eines besseren und aufrichtigeren Dialogs zwischen Christen und Muslimen getroffen, als einen Anfangspunkt nehmen können, so können wir sagen, dass die Muslime das Konzil als einen Wendepunkt in der Geschichte der christlich-islamischen Beziehungen sehen müssen”). 63 Siehe z.B. AYDIN %JOMFSBSBTã%JZBMPH 64 dž/FTOFMBSBĈUJSNBMBSLJJO"YDIN, .POPMPÙEBO%JZBMPÙB VOEdžUBSBGTã[CJSĈFLJMEFLJ in AYDIN %JOMFSBSBTã%JZBMPH 65 Und später noch einmal explizit in AYDIN %JOMFSBSBTã%JZBMPH
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der Mensch der Wahrheit nähere. "ZEãO XFSUFU EJFT BVTHFTQSPDIFO positiv als eine erste Anerkennung des Wahrheitscharakters nichtchristlicher Religionen. Dieser Interpretation liegt eine Unterscheidung zwischen einem unbegreifbar-göttlichen Absoluten und einem geschichtlich-funktionalen Relativen zugrunde, die für den pluralistischen Ansatz charakteristisch ist. Sie wird in den späteren Schriften ergänzt durch die Gleichwertigkeit der Heilswege, den Vorrang der Praxis vor der Dogmatik und vor der Kritik an der ekklesialen Dimension des Glaubens – ebenfalls typische Elemente einer pluralistischen 67 Religionstheologie. 4P WFSXVOEFSU FT OJDIU EBTT "ZEãO JNNFS XJF der auf Paul Knitter und John Hick und gerne auch auf Hans Küng verweist. Diese positive pluralistische Deutung hat aber ihren impliziten Preis: Anerkennung und Respekt vor den nichtchristlichen Religionen heißt dann nämlich Akzeptanz des nicht aufeinander bezogenen Nebeneinanders der Religionen, Relativierung des eigenen Wahrheitsanspruchs und Deutung des Geschichtlich-RelativenMenschlichen als eines Nichtgöttlichen. Das islamisch-theologische Fundament des Pluralismus erkennt man nun – zum einen – in bestimmten, eher beiläufigen Akzentuierungen. So, wenn Abraham nicht als eine in eine partikulare Geschichte eingebundene Gestalt, sondern als ein übergeschichtliches 68 Glaubensmodell für die ganze Menschheit gedeutet wird, so, wenn Jesus und Maria nicht in ihrer sehr unterschiedlichen Stellung in der Heilsgeschichte, sondern als zwei in ähnlicher Weise wichtige religiöse 69 70 Gestalten erscheinen, so, wenn (mit Borrmans ) die Akzeptanz der religiösen Werte im Islam klar als Akzeptanz der Vorordnung von 71 Gottesrecht vor Menschenrecht gedeutet wird, so schließlich, wenn
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Vgl. AYDIN, .POPMPÙEBO%JZBMPÙB džNostra Aetate tüm dinsel gelenekleri hakikati FMEF FUNFLJ¥JO JOTBOMBSãOºSFUUJLMFSJ JGBEFMFS PMBSBL H´SºSLJ LjNostra Aetate sieht die gesamten religiösen Traditionen als Ausdrücke an, die von Menschen gemacht wurden, um die Wahrheit zu ergreifen“). Vgl. AYDIN %JOMFSBSBTã%JZBMPH G Vgl. AYDIN, .POPMPÙEBO%JZBMPÙB Wobei dies in der nicht unbedingt glücklichen Formulierung des Konzils selbst angelegt ist. Siehe dazu SIEBENROCK, 5IFPMPHJTDIFS,PNNFOUBS /BDI"ZEãOJTU die Erwähnung Marias so und so nur Ausdruck der katholischen Präferenzen. Vgl. u.a. M. BORRMANS, Orientations pour un dialogue entre Chrétiens et Musulmans, Paris 1981. Vgl. AYDIN, .POPMPÙEBO%JZBMPÙB
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der Islam als letzte Offenbarung benannt wird – all dies deutet auf das islamisch-theologische Fundament hin, das dem religiösen Pluralismus selbstverständlich zugrunde liegt.73 Tiefer jedoch als diese einzelnen Momente scheint mir – zum anderen – im implizit vorausgesetzten Verständnis der Beziehung von Christentum und Islam das islamisch-theologische Fundament wirksam zu sein. So zeigt die oben skizzierte Interpretation der Konzilsaussage, dass die „Muslime den alleinigen Gott anbeten, […] der zu den .FOTDIFOHFTQSPDIFOIBUdž EBTT"ZEãO0GGFOCBSVOHHSVOET¢U[MJDIBMT 74 Mitteilung versteht. Der jeweilige christliche und muslimische Glaube wird konsequent als die Annahme und Bestätigung von Glaubensaussagen betrachtet. Von hierher wird das Verhältnis der Religionen bestimmt: Die grundlegenden Aussagen formuliert allein die koranische Offenbarung. Die Eigenheiten der anderen Religionen bestehen sodann in den über diese Grundlage hinausgehenden Formulierungen und Annahmen. Das Christentum unterscheidet sich mithin vom Islam dahingehend, dass es der gemeinsamen Basis des Glaubens an den einen Gott, an das Jenseits und an den Propheten Jesus noch unterscheidend den Glauben an die Trinität, die Gottessohnschaft Jesu oder die heilsvermittelnde Kraft der Kirche hinzugesellt – das Judentum darin, dass es bestimmte Aussagen für sich alleine rekla75 miert. Insgesamt, so kann man festhalten, treffen sich der religionstheologische Pluralismus und das islamisch-theologische Fundament darin, die heilsgeschichtliche Dimension des christlichen Glaubens auszuschalten: Dass Gott sich selbst durch geschichtliches Handeln und die Bindung an eine partikulare Geschichte offenbart. Dass deshalb Parti72
Vgl. ebd., 118. *OUFSFTTBOU ǁ BCFS FJHFOT [V BOBMZTJFSFO ǁ JTU IJFS "ZEãOT 7FSBOLFSVOH EFT TQF[JGJ schen Pluralismus im Koran und in der Deutung Muhammads. Siehe A YDIN, DinMFSBSBTã%JZBMPH 74 Damit soll nicht gesagt sein, dass das islamische Offenbarungsverständnis sich in einem instruktionstheoretischen Verständnis erschöpft. Hilfreich ist hier A. MIDDELBECK-VARWICK, Der eine Gott, „…der zu den Menschen gesprochen hat“ (NA 3). Offenbarungstheologie als Entscheidungsfrage christlich-muslimischer Beziehungen?, in: Theologische Quartalschrift 191 (2011) 148-167, hier 157-164. 75 Die Kombination von Pluralismus, Kritik des Exklusivismus und gleichzeitiger islaNJTDIFS #JOOFOQFSTQFLUJWF JMMVTUSJFSFO BVG UIFPMPHJTDI GVOEJFSUF 8FJTF "ZEãOT Überlegungen zum unterschiedlichen Bundesverständnis, die eine eigene Untersuchung wert wären: Siehe dazu AYDIN %JOMFSBSBTã%JZBMPH
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kularität nicht gegen Universalität, Geschichtlichkeit nicht gegen Transzendenz, und Kontingenz nicht gegen Transzendenz ausspielbar JTU LBOOGºS"ZEãOFCFOOVS"VTESVDLEFSKºEJTDIDISJTUMJDIFO'FIMJO terpretation des Islams sein. Doch damit wäre der Dialog nur um den Preis der Aufgabe wesentlicher Strukturmomente christlichen Glaubens möglich. 3. NOSTRA AETATE – PRAKTISCH?: FETHULLAH GÜLEN In vielen Teilen der Welt, von Indonesien bis Afrika, von Australien über Deutschland bis in die USA, pflegen solche Vereine und Einrichtungen den Dialog mit Christen und Menschen anderen Glaubens, die sich von dem Gedankengut des türkischen und in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen inspirieren lassen – und von den gegenseitigen netzwerkartigen Verbindungen profitieren. Wohl keine andere Organisation, deren Mitglieder vom islamischen Glauben motiviert sind, zeigt derartig professionelle und auch finanzkräftige Dialogaktivitäten. Und auch inhaltlich ist der Dialog, den Gülen als Pflicht des muslimisch Gläubigen auslegt, in seinem Denken fest verankert. Nichts naheliegender also, als zu untersuchen, ob es eine interpretierende Bezugnahme der sogenannten Hizmet-Bewegung auf Nostra aetate gibt. In dieser Frage kommt man – angesichts des ausufernden Predigt- und Publikationsmaterials – zu folgenden vorläufigen Ergebnissen. Erstens ist festzuhalten, dass es von Fethullah Gülen selbst keine explizite Bezugnahme auf Nostra aetate gibt. Der berühmte Brief, den Gülen 1998 an Johannes Paul II. schrieb und der die Audienz vorbereitete, nimmt zwar auf Paul VI. als Gründer des Päpstlichen Rates für 76 den interreligiösen Dialog Bezug, nicht aber auf Nostra aetate. Zweitens besteht eine klare Verbindung zwischen Gülen und Nostra aetate im Sinne einer Fremdzuschreibung. Diese geschieht einerseits durch im Dialog engagierte Christen, gerade auch im Kontext von Konferenzen der Hizmet-Bewegung. Zumeist wird mit Nostra aetate die eigene Ausrichtung umschrieben, mitunter aber auch die Tätigkeit der Hizmet-Bewegung charakterisiert – bis hin zu dem Satz Tom Mi-
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Vgl. F. GÜLEN 1BQB**+PIO1BVMF7FSEJÙJ.FTBK VOUFS http://tr.fgulen.com/content/view/1459/137/ (eingesehen am 20.09.2012).
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chels, die Gülen-Bewegung sei der muslimische Gesprächspartner, 77 den katholische Christen seit Nostra aetate immer gesucht hätten. Im Blick sind hier vor allem die praktischen Aktivitäten, die von der Organisation von Begegnungen über die Etablierung des Noahfestes bis hin zu großen, mediales Aufsehen erregenden Konferenzen reichen. Sie erscheinen aus christlicher Perspektive gleichsam als muslimische Antwort auf die im zweiten Teil von Nostra aetate 3 ausgesprochene Ermahnung zu einem Neuanfang in den Beziehungen zu den Muslimen. Im Blick einzelner Autoren sind aber auch inhaltliche Elemente – darunter die seitens der Hizmet-Bewegung sehr gepflegte Betonung von Gemeinsamkeit und Konsensualität, die als Fortführung der von NA 3 benannten gemeinsamen Glaubenselemente gedeutet werden 78 kann. Andererseits geschieht die Fremdzuschreibung durch türkische Kritiker des Dialogs im Allgemeinen und Gülens im Besonderen in zum Teil polemischer oder sogar diffamierender Art, vor allem auf türkischen Internetseiten. Im Zuge einer scharfen Kritik am Papstbesuch wird Gülen auch mit Nostra aetate in Verbindung gebracht. Das Konzil und Nostra aetate werden hier als eine nur im Äußeren veränderte Missionsstrategie gedeutet, die unauflöslich mit imperial79 kolonialen Interessen des Westens verbunden sei. Nostra aetate ist in diesem Kontext gleichsam die Blaupause des Eroberungsplanes. Gülen wird eine zum Teil indirekte und naiv duldende Mitarbeit, zum Teil aber auch eine offene Zusammenarbeit in dem Nostra aetate80 Projekt unterstellt, die Türkei zu christianisieren.
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So wird Tom Michel auf einer Gülen-nahen website mit den Worten zitiert: „‘Are Gülen and the Hizmet community friends or foes?’ I must answer that they are our friends. They are the kind of Muslim interlocutors for an active dialogue for which we have been searching since the time of Nostra Aetate.” Vgl. http://www.fethullahgulen.nl/categorie/actueel/154/hizmet-reaches-out-to-others-giving-much-groundfor-hope-tells-prof-leo-d-lefebure (eingesehen am 20.09.2012). Vgl. T. MICHEL, Turkish Experience For Muslim-Christian Dialogue. A Thinker: B.S. Nursi; An Activist: M.F. Gülen, in: Australian Intercultural Society (Ed.), Travelling Together Beyond Dialogue: Peace and Dialogue in a Plural Society, Common Values and Responsibilities, Melbourne 2002, 33-40. So auf der website „Islam Üstündür“ vgl.: http://www.islamustundur.com/hir istiyanlastirma.html (eingesehen am 22.10.2013). http://ahmetdursun374.blogcu.com/fethullah-gulen-kimin-misyoneri/1751847 (20.09.2012). http://www.eravsar.de/Dinlerarasi%20Diyalog.htm#Cizvit bir rahipten Katolik bir nur talebesi olur mu (20.09.2012).
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Diesen eher mentalitätsgeschichtlich interessanten Zuschreibungen gegenüber gibt es drittens tatsächlich eine seriöse interpretierende Bezugnahme auf Nostra aetate aus dem geistigen Umfeld Fethullah Gülens. In einem Artikel, der auf die Melbourner Gülen-Konferenz von 2009 zurückgeht, bietet der australische Islamwissenschaftler Salih Yücel einen Vergleich zwischen „Gülen und der Vision von Nostra 81 Aetate“. Entgegen den bisherigen Annäherungen ist Yücels Zugang zu Nostra aetate nun uneingeschränkt wertschätzend und positiv: Er zitiert die Einschätzung von Nostra aetate als Wendepunkt und Magna Charta des Dialogs und bezeichnet den Konzilstext selbst als einen ersten Schritt, die Kultur des Dialogs zu befördern (“first step in promoting 82 the culture of dialogue” ) oder als einen „lobenswerten Schritt“ 83 (“commendable step” ). Keinen Zweifel äußert Yücel an der Aufrichtigkeit der Dialogbemühungen und sieht in ihnen keine “hidden agenda”, wie wohl auch er – mit einem ganz anderen Zungenschlag – auf die Notwendigkeit hinweist, das Verhältnis von Mission und Dialog zu klären. Weiter dient Nostra aetate Yücel wesentlich als positive Referenz zur vergleichenden Erläuterung (und institutionellen Aufwertung) der Anliegen Gülens: Beide initiieren Initiativen des Austausches und des Miteinanders der Religionsgemeinschaften; beide stellen eine Position der Mitte dar, die von „Radikalen“ angegriffen werden; beide begründen ein Gegenüber zum aggressiven Materialismus und Säkularismus. Sehr klar wird Nostra aetate hier im Horizont des geistigen Vaters Gülens, Said Nursi, wahrgenommen, der, so Yücel, den Dialog 84 schon weit vor Nostra aetate gesucht habe. Die herausgestellte Gemeinsamkeit dient sodann auch zur Abgrenzung gegenüber anderen, kritischen muslimischen Annäherungen an Nostra aetate und somit zur Betonung der Spezifizität der von Gülen inspirierten Aktivitäten, so
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Vgl. S. Yücel, Institutionalizing of Muslim-Christian Dialogue: Nostra Aetate and Fethullah Gülen’s Vision: http://www.acu.edu.au/__data/assets/pdf_file/ 0016/223090/Institutionalizing_of_Muslim-Christian_Dialogue_Nostra_Aetate _and_Fethullah_Gulens_Vision.pdf (eingesehen am 21.9.2012), 2. Ebd., 5. Ebd., 7. Einmal mehr werden die Ebenen der individuellen theologischen Annäherung und der offiziellen Dokumente vertauscht, auch wegen des Ausfalls letzterer Ebene im Islam.
Muslime lesen Nostrae aetate
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dass Yücel mit der Forderung schließen kann, einen weiteren muslimischen Religionsführer zu nennen, der sich dem Dialog so sehr verpflichtet wisse wie Gülen: “We have yet to witness another prominent 85 Muslim leader pronouncing dialogue as an ,obligation‘ like Gülen”. Die Besonderheit der Interpretation Yücels liegt jedoch drittens in der wirkungsgeschichtlichen Annäherung an Nostra aetate, die er klar formuliert: Sowohl die Erklärung Nostra aetate als auch die Vision von Gülen haben religiös orientierte Menschen dazu veranlasst, einander ihre Türen zu öffnen. Tatsächlich erlangen Theorien und Ideen erst dann Glaubwürdigkeit, wenn sie zur Anwendung ge86 langen. Erst dann nutzen sie den Menschen.
Die theologische Dimension wie auch die konkreten Aussagen in Nostra aetate treten ganz in den Hintergrund und werden von Yücel nicht analysiert. Im Vordergrund steht die Handlungsebene, so dass Nostra aetate wesentlich nicht als theologisches Dokument, sondern als autoritative Handlungsanweisung wahrgenommen wird. Konsequenterweise ist Yücels Hauptkritikpunkt, dass dieser Konzilstext nicht zu einer institutionalisierten Zusammenarbeit geführt hat – ein Manko, in das die Aktivitäten der Gülen-Bewegung einspringen. Umgekehrt wird der Mangel an zentraler autoritativer Institution im Islam bedau87 ert. Der Ausfall der theologischen Dimension bestimmt auch das Dialogverständnis. Im Dialog geht es wesentlich darum, auf der Basis implizit vorausgesetzter Gemeinsamkeit gut miteinander auszukom88 men und mit positiver Wirkung zu kooperieren. Zumindest der islamische Glaube ist von diesem Dialog unberührt, weil in ihm schon alles gegeben ist: Die koranische Offenbarung rufe bereits hunderte
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87 88
Ebd., 7. Ebd., 7: “Both the declaration of Nostra Aetate and the vision of Gülen have pushed religious persons to open their doors to each other. Yet, it is only when theories and ideas are applied that they gain credibility and give benefit.” (dt. Übersetzung von T.S.). Vgl. ebd., 4f., 7. Dies ist klar im Dialogverständnis Said Nursis verankert, das Yücel mit den Worten zitiert: “Believers should now unite, not only with their Muslim fellow-believers, but with truly religious and pious Christians, disregarding questions of dispute and not arguing over them, for absolute disbelief is on the attack” (ebd., 1f.).
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von Jahren vor Nostra aetate zum Dialog auf, und bereits 1363 Jahre vor dem Besuch Papst Johannes Pauls II. in einer Moschee habe der Kalif 89 ʿUmar eine Kirche besucht. Die Gemeinsamkeit, so wird ersichtlich, ist um den Preis der Ausblendung historischer Kontextualität und durch einen Mangel an Problembewusstsein angesichts der eigenen normativen Texte und Glaubensgeschichte erkauft. Zusammenfassend darf man festhalten, dass die von Gülen inspirierte Interpretation von Nostra aetate in Bezug auf die Akzeptanz der Dialogbemühungen und den Willen zur Zusammenarbeit exzeptionell ist. Ob allerdings die Ausblendung der theologischen Dimension Nostra aetate gerecht wird und einen sicheren Grund der Zusammenarbeit bietet, mag fraglich erscheinen. Bräuchte es nicht über die Gemeinsamkeit hinaus eine Perspektive, die auch Differenz und Wider90 spruch bewältigen kann? 4. NOSTRA AETATE – EINE THEOLOGISCHE HERMENEUTIK DES UNTERSCHIEDS: HASSEN GAROUACHI Mit einem eigenen originellen Ansatz, wenn auch weitaus weniger BOBMZUJTDI VOE BVTGºISMJDI BMT .BINVU "ZEãO OJNNU TDIMJFMJDI EFS an der Universität Manouba (Tunesien) Human- und Sozialwissenschaften lehrende Professor Hassen Garouachi Nostra aetate in den Blick. Auch seine Deutung beginnt mit der doch recht auffälligen Spannung zwischen Wertschätzung des Konzils als „Wendepunkt“ und „neuer Ära“ auf der einen und schärfster Kritik des Dialogs auf der anderen Seite: Der Dialog sei inflationär, ein „Pseudo-Dialog“ und fast 91 vollkommen wirkungslos. Die Gründe dieser vernichtenden Kritik bleiben etwas im Vagen. Will man sie nicht nur als rhetorische Geste werten, so wären zu nennen: Garouachi wehrt sich explizit gegen eine
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Vgl. ebd., 2. Einen hervorragenden Ansatz aus dem Umfeld der Bewegung bietet der Artikel von T. K":"0Ø-6, Preachers of Dialogue. International Relations and Interfaith Theology, in: Muslim World in transition: Contributions of the Gülen Movement. International Conference Proceedings, Leeds 2007, 511-525. H. GAROUACHI, Nostra Aetate aus der Sicht eines Muslims, in: H. Vöcking (Hg.), Nostra Aetate und die Muslime. Eine Dokumentation (Georges Anawati Schriftenreihe 8), Freiburg u.a. 2010, 98-110, 98f.
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politische Funktionalisierung der religiösen Begegnung in den politischen Integrationsdiskurs. Zugleich betont er die Selbständigkeit des Islams und mahnt die Christen, sich nicht selbst einen „verbesserten 92 Islam“ zu erfinden. Am deutlichsten ist seine Kritik jedoch in der Interpretation von Nostra aetate TFMCTU CFHSºOEFU JO EFN FS ǁ "ZEãO nicht unähnlich – eine Veränderung der Haltung gegenüber den Muslimen, nicht aber der theologischen Lehre über den Islam sieht. Sehr ausdrücklich erkennt Garouachi die pastorale Dimension des Dokumentes an und sieht im Bemühen um verbesserte Beziehungen zu den Muslimen keine „hidden agenda“. Indem Garouachi die Ernsthaftigkeit des konziliaren Willens zur Zusammenarbeit akzeptiert, lehnt er umgekehrt jede missionarische Dimension von Religion klar ab: „Die Muslime und die Christen [arbeiten] in der Welt zusammen, nicht hauptsächlich, um das Reich Gottes, Allahs oder des Herrn aus93 zubreiten“. Die Formulierung macht nebenbei auch deutlich, wie leicht die christlich selbstverständliche Rede vom „Reich Gottes“ missverstanden werden kann. Den größten Mangel sieht Garouachi – wie "ZEãO ǁ IJOHFHFO EBSJO EBTT EBT ,PO[JM OJDIU [V FJOFS UIFPMPHJTDI begründeten Achtung der Religion des Islams gekommen ist. Dies macht Garouachi vor allem an dem Schweigen von Nostra aetate über den Koran und Muhammad fest. Er bemängelt allerdings nicht das Schweigen als solches, sondern die zugrundeliegende Theologie, EJF BVDI FS XJF "ZEãO JO FJOFS XJEFSTQSºDIMJDIFO 4JUVBUJPO TJFIU Einerseits wird der Islam vom Konzil nicht in seinen Grundelementen, die seine Unabhängigkeit und Eigenständigkeit ausmachen (Koran und Muhammad), positiv reflektiert, andererseits wird er aber auch nicht in seiner Verbindung zur biblischen Tradition und in sei94 ner Beziehung zur Heilsgeschichte anerkannt. "OEFSTBMT"ZEãOXFJTU(BSPVBDIJKFEPDIBVGEBTFSOTUIBGUFUIFPMP gische Problem hin, vor das sich christliche Theologie gestellt sieht: Muhammad ist auch nicht der von Gott gesandte Prophet, denn ein von Gott gesandter Prophet kann nicht die göttliche Sohnschaft leugnen. Und da die göttliche Sohnschaft Jesu von Muhammad und dem Koran geleugnet wird, kann Muhammad
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Ebd., 103. Ebd., 100. Vgl. ebd., 102f.
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kein Prophet sein, und der Koran ist sicherlich nicht die Of95 fenbarung.
%JF &JHFOTU¢OEJHLFJU VOE 6OBCI¢OHJHLFJU EFT *TMBNT EJF "ZEãO VOE Garouachi in Nostra aetate nicht gewahrt sehen, beinhaltet eben auch 96 Elemente des expliziten Widerspruchs zum christlichen Glauben. Dennoch bleibt Garouachi kritisch: Die neue Haltung zum Islam bleibt theologisch unterbestimmt und letztlich ein „spiritueller Egozentrismus“. Allerdings nimmt Garouachi hier auch die islamische Tradition kritisch in den Blick: Die Muslime zu loben, den Koran und Muhammad aber zu ignorieren, entspreche exakt der Haltung, die in Berufung auf Sure "M.¿ʿida 5:82 die Christen lobe, die Kreuzigung und die Gottheit Christi aber nicht anerkenne. In reflektierter Selbstkritik schneidet Garouachi den oft gegangenen Weg ab, der kritisierten christlichen Theologie einfachhin die pluralitätsfreundliche Position des Korans entgegenzustellen. Garouachi schlägt als Ausweg aus dieser Lage nun einen Zugang vor, den man als eine theologische Hermeneutik der Differenz bezeichnen könnte, die aus der jeweiligen Binnenperspektive die Unter97 schiedlichkeit religiöser Traditionen bejaht: Mit dem Ziel, die plurale Realität der religiösen Traditionen in ihrer Eigenart und Unterschiedenheit anzuerkennen, unterscheidet auch Garouachi die menschliche Realität der Gottesverehrung von der Realität des ganz BOEFSFO (PUUFT "OEFST BMT "ZEãO CFHSºOEFU (BSPVBDIJ EJFTFO ;V gang jedoch interessanterweise in biblischen Traditionen sowie in den Glaubenslehren der Inkarnation und der Trinität. Garouachis Vorschlag fußt auf seiner Deutung der Inkarnation, in der er sich auf den französischen Historiker und Philosophen Marcel Gauchet (geb. 1946) bezieht: In ihr sieht Garouachi gerade keine Vermischung, sondern die letztgültige Bestätigung der jeweiligen Autonomie von göttlicher und menschlicher Realität: „Die Inkarnation bezeugt in einmaliger Weise den unüberwindlichen Abstand der beiden Ordnungen der Realität voneinander und der je eigenen vollen Konsistenz in sich
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Ebd., 103. Vgl. SIEBENROCK, Theologischer Kommentar, 659: „Das Schweigen an dieser Stelle ist so überdeutlich, dass damit eine Verlegenheit, kein Verschweigen angezeigt wird.“ Vgl. GAROUACHI, Nostra Aetate, 104-109 (auch zum Folgenden).
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selbst.“ Gerade in Christus liegt die Unterschiedenheit von göttlicher und menschlicher Realität und der Eigenwert der menschlichen 99 Wirklichkeit begründet. Dieses Verhältnis von göttlicher und menschlicher Realität wendet er auf das Verhältnis zwischen den Religionen an: Zunächst verpflichtet die Inkarnation dazu, „die Realität 100 der Welt so anzuerkennen wie sie ist“. Sodann begründet sie – tiefer noch – eine religionstheologische Haltung, die „den Unterschied vertieft, die Unterwerfung und erzwungene Übereinstimmung bekämpft und schließlich jede Regung des Stolzes verwirft“. Gerade der Glaube an die Inkarnation ermögliche (und verpflichte dazu), „ihre [der Nichtchristen] Religion von innen her zu kennen, nicht von außen her, und ihre Andersartigkeit anzuerkennen“. Eine aus muslimischer Perspektive formulierte christliche Alteritätstheologie begründet theologisch ein Verhältnis der Religionen, das auf wechselseitige Anerkennung der Differenz abzielt. Wenn das nun kein reifes Ergebnis des viel gescholtenen Dialogs ist! Unausgeführt bleibt allerdings die muslimische Begründung dieser 101 durch die Differenz bestimmten Religionstheologie. Und schließlich darf man dann doch auch fragen, warum eigentlich die Christen nicht hin zu einem verbesserten Islam hin denken dürfen, wenn Garouachi – respektabel und legitimerweise – einen muslimischen Vorschlag zu einem verbesserten christlichen Verständnis der nichtchristlichen Religionen macht. 5. EIN LETZTER BLICKWECHSEL – DIE BEDEUTUNG FÜR CHRISTLICHE THEOLOGIE Da die muslimischen Perspektiven auf Nostra aetate mit christlichtheologischem Interesse wahrgenommen wurden, seien sie zum Schluss in aller Kürze auf ihren Ertrag für eine christliche Relecture von Nostra aetate befragt.
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100 101
Ebd.,106. Dies erinnert durchaus an die „kenotische Demutschristologie“ (S IEBENROCK, Theologischer Kommentar, 666). GAROUACHI, Nostra Aetate, 107 (auch zum Folgenden). Sehr vage ebd., 110.
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&STUFOT 7PS BMMFN .BINVU "ZEãO NBDIU JO TFJOFS ,SJUJL FJOF Grundproblematik der Aussagen von Nostra aetate deutlich: Formuliert Nostra aetate eine gemeinsame Basis, eine Schnittmenge der beiden Religionen, die verspricht, bei näherer Forschung noch ausgeweitet zu werden, so dass es zu einer zunehmend vertieften Form des gemeinsamen Glaubens kommt? Oder bietet Nostra aetate mit Kenntnis und Respekt gegenüber der islamischen Tradition Formulierungen aus der christlichen Tradition an, die auch aus dem islamischen Glauben heraus verständlich sind, die aber die christliche Perspektive nicht verlassen? Hier ginge es nicht darum, eine „religionsökumenische Schnittmenge“ herzustellen, sondern eine christliche Perspektive zu formulieren, die um den Anderen weiß, ihn als Anderen zu respektieren sucht und von hierher Formulierungen findet, die der Andere 102 besser versteht und die helfen, unnötige Konflikte zu vermeiden. ,MBSJTU EBTT"ZEãOEBT,PO[JMJNFSTUFO4JOOFWFSTUFIU FJOFOLMFJOFO Schritt auf den islamischen Glauben hin sieht und konsequenterweise über das Ausmaß des Schrittes enttäuscht ist. Diese Enttäuschung ist aber meines Erachtens in einer problematischen Vorstellung von Gemeinsamkeit und Konsensualität begrün103 det. .BO LBOO EJFT TFIS HVU BO "ZEãOT BCFS BVDI 4JEEJRVJT ,SJUJL der konziliaren Wertschätzung dessen, „was in diesen Religionen wahr und heilig ist“ (NA 2) sehen. Diese theologischen Aussagen des Konzils wurden ja vor allem wegen ihrer christozentrischen Bestimmung kritisiert. Warum aber dies? Warum ist es so verwunderlich, dass ein christliches Dokument höchster Autorität die Gläubigen anderer Religionen in ihrem impliziten Bezug zu Christus betrachtet? Warum ist es kritikwürdig, wenn der Glaube des Anderen aus christlicher Perspektive in Christus mündet? Zunächst sicherlich, weil nicht differenziert genug unterschieden wird zwischen Christozentrik und Ekklesiozentrik und weiterhin zwi-
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Angezielt wäre eine wechselseitige Inklusion des Anderen als Anderen. Siehe dazu MIDDELBECK-VARWICK, Der eine Gott, 164. Zur – scharfen – Problematisierung der Konsensualität siehe auch F. KÖRNER, Verständigung durch Vereinnahmung? Das Common Word der 138 Muslime in religionswissenschaftlicher und theologischer Sicht, in: Chr. Böttigheimer/F. Bruckmann (Hg.), Glaubensverantwortung im Horizont der „Zeichen der Zeit“ (Quaestiones Disputatae 228), Freiburg u.a. 2012, 107-134, hier 109, 115-119.
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schen der Heilsnotwendigkeit der Kirche und der Heilsnotwendigkeit 104 der Kirchengliedschaft. Tiefer aber scheint mir dieser Kritik eine problematische Zuordnung von Monotheismus und Christologie zugrunde zu liegen. Aus christlicher Perspektive ist der Glaube an Christus kein lehrmäßiges Surplus über einen allgemein geteilten Monotheismus hinaus – gleichsam als christliche „Kür“ zur abrahamitischen „Pflicht“ –, sondern die christliche Form des Monotheismus. Die scharfe Kritik von muslimischer Seite scheint dies hingegen nicht als christliche Perspektive gelten zu lassen, sondern vielmehr eine spezifisch islamische Vorstellung von der Einheit der Religionen als allgemein verbindlich und geteilt vorauszusetzen. So wäre der Glaube an den einen Gott der Grundbestand der drei „abrahamitischen Religionen“, die sich erst danach durch sekundäre – lehrmäßige und religionspraktische – Besonderheiten differenzieren. Dies aber ist eine muslimisch bestimmte Perspektive auf die Einheit der Offenbarungsreligionen. Als solche ist sie der Verständigung möglicherweise zuträglich; sie jedoch als allgemeinverbindlich vorauszusetzen, nimmt der Begegnung die Perspektivität. Hier ist meines Erachtens die Hermeneutik der Differenz, der Garaouchi folgt, ein weitaus vielversprechenderer Ansatz. Zweitens: Die muslimischen Perspektiven auf Nostra aetate, insbeTPOEFSFEJF*OUFSQSFUBUJPO.BINVU"ZEãOT FSIFMMFOOPDIFJONBMEJF Problematik eines religionstheologischen Pluralismus. Zunächst wird deutlich, dass der religionstheologische Pluralismus sehr leicht als einfache Bestätigung eines islamisch akzentuierten Offenbarungsverständnisses aufgefasst wird: Die radikale Unterscheidung von Gott und Welt, das Nebeneinander zumindest der Schriftreligionen (implizit gemessen am Maßstab des Korans), die moralisch-ethische Perspektive auf Personen der Heilsgeschichte und die Konzentration auf ein instruktionstheoretisches Glaubensverständnis sind Berührungspunkte, die manche pluralistische Religionstheologie für manche muslimische Perspektiven sehr übergangslos zugänglich machen. Nun wäre gegen diese Leichtigkeit in der Verständigung ja nichts einzuwenden, wenn nicht darüber hinaus sehr klar ersichtlich würde, dass EFSQMVSBMJTUJTDIF"OTBU[[VNJOEFTUCFJ"ZEãONJUEFS'PSEFSVOHWFS bunden ist, eine Offenbarung außerhalb und unabhängig von der jüdisch-christlichen Heilsgeschichte zu akzeptieren. Ja, der Pluralis-
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Explizit in AYDIN %JOMFSBSBTã%JZBMPH
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mus lässt das christliche Beharren auf einem heilsgeschichtlichen 105 Denken geradezu als einen verkappten Exklusivismus erscheinen. Eine Abkehr vom heilsgeschichtlichen Denken ist aus christlichtheologischer Perspektive aber hoch problematisch: Sie nimmt nicht nur der theologischen Verständigung mit dem Judentum ihre Tiefe und macht sie zum bloßen Exempel der interreligiösen Verständigung (und spielt so NA 3 gegen NA 4 aus). Sie läuft auch der gesamten Intention von Nostra aetate grundlegend zuwider, deren „Grundperspektive in der These von der Einheit der Heilsgeschichte zum Ausdruck 106 [kommt]“ , ja, sie beschädigt insgesamt die Grammatik des christlichen Glaubens. %JFLSJUJTDIF*OUFSQSFUBUJPO"ZEãOTNBIOUBMTPWPSKFEFNSFMJHJPOT theologischen Übereifer: So berechtigt das Beharren auf der Unabhängigkeit des Islams ist und so berechtigt die Mahnung ausgesprochen werden darf, den Islam nicht um der Verständigung willen zu christianisieren, so wenig kann der Dialog um den Preis gesucht werden, dass sich das Christentum vorab auf den Boden eines islamisch bestimmten Religionsverständnisses begeben muss, um einen Dialog überhaupt erst möglich zu machen. Vielmehr spornt die Kritik ex negativo zu einer geschichtstheologisch fundierten Reflexion über die Stellung des Islams in der Heilsgeschichte an. Ein Schlüsselthema ist hier sicherlich die Deutung des Korans als Nucleus einer Interpretationsund Kulturgeschichte, denn nur von ihm her erschließt sich die Rolle Muhammads angemessen. Diese Erwägungen können aus der christlich-jüdischen Neubesinnung über die Fundamente des christlichen Glaubens nur lernen. Eine konsequente Israeltheologie könnte eine heilsgeschichtlich verankerte Perspektive auf den Islam befruchten – ohne das Judentum in irgendeiner Form zu einem bloßen Präzedenz- oder Analogiefall des 107 interreligiösen Verhältnisses zu gebrauchen. Geklärt werden müsste allerdings: Erstens, ob bestimmte koranische Aussagen – vor allem in
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So ausdrücklich AYDIN %JOMFSBSBTã%JZBMPH %JFTF1SPCMFNBUJLTBIBVDITDIPO Anawati, wenn er die Nichterwähnung Muhammads im Konzil eben mit der Problematik der heilsgeschichtlichen Position des Islam in Verbindung brachte; siehe G. ANAWATI, Exkurs zum Konzilstext über die Muslim, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Das Zweite Vatikanische Konzil. Dokumente und Kommentare, Teil II, Freiburg u.a. 1967, 485-487, hier 486f. SIEBENROCK, Theologischer Kommentar, 665. Vgl. ebd., 672f. So verstehe ich auch MIDDELBECK-VARWICK, Der eine Gott, 165.
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Bezug auf die Kreuzigung, Trinität und Gottessohnschaft – tatsächlich und unumgänglich als explizite Negationen des christlichen Glaubens zu verstehen sind, und zweitens – wenn es denn so wäre–, wie eine explizite Negation von Grundelementen des christlichen Glaubens in 108 heilsgeschichtlicher Perspektive zu deuten wäre. Drittens: Die Konzentration von Nostra aetate auf die Erneuerung einer Haltung zu den nichtchristlichen Religionen sollte nicht als bloßer Ausdruck eines guten Willens abgetan werden. Sie ist theologisch begründet in dem Heilswillen Gottes für alle Menschen, der sich in allen Bewegungen, in denen sich „das Menschengeschlecht von Tag zu Tag enger zusammenschließt und die Beziehungen unter den verschiedenen Völkern sich mehren“ (NA 1), verwirklicht. Die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen ist Wesensvollzug der 109 Kirche selbst. Sie berührt folglich das Innere des Glaubens. Viertens: Wenn die Haltung der Kirche zu den anderen Religionen Wesensvollzug von Kirche ist, so bestimmt dies auch das Verhältnis von Dialog und Mission: Nostra aetate ist keine freundliche Zugabe zu dem Missionsauftrag der Kirche, sondern Vorgabe. Die scharfe Kritik .BINVU"ZEãOTMFISUBMMFSEJOHT EBTTEJF6OUFSTDIFJEVOHWPO%JBMPH und Mission aus muslimischer Perspektive nicht gesehen oder nicht geglaubt wird. Dies kann taktische Gründe im polemischen Wettkampf haben, es kann nur die intellektuelle Variante der türkischen Missiophobie sein, es kann aber auch auf eine tatsächliche Verbin110 dung von Mission und Dialog hinweisen. Eine verlegene Zurückstellung des Missionsauftrages – von welcher Seite auch immer – hat keineswegs zu einem besseren Verständnis geführt. Also gilt es von christlicher Seite her zum einen, theologisch weiter und besser zu klären, was Mission unter heutigen Bedingungen und in ihrer deutlichen Unterscheidung von allen kolonialen und zivilisatorischen „Missio111 nen“ meint. Zum anderen gilt es, die christliche Berechenbarkeit weiter zu stärken, indem man im Sinne eines “code of conduct” klar definiert, welche Methoden in der Mission ausgeschlossen sind.
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Siehe als erste Richtungsweisung D. MARSHALL, Roman-Catholic Approaches to the Qurʾ¿O TJODF 7BUJDBO ** VOE % BURELL, Können Christen den Koran als Wort Gottes anerkennen?, in: CIBEDO-Beiträge 3 (2010) 128-134. Vgl. SIEBENROCK, Theologischer Kommentar, 597f., 645-649. Vgl. ebd., 666. Vgl. hierzu KÖRNER, Außenblick, 125-127.
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'ºOGUFOT7PSBMMFN"ZEãOT BCFSBVDI:ºDFMTVOE4JEEJRVJT8BIS nehmungen der Kirchengeschichte weisen schließlich auf die Bedeutung von gemeinsamer historischer Forschung und Lehre hin. Geschichte ist gerade im Blick auf die christlich-islamischen Beziehungen sehr tief mit Identitätskonstruktionen, Einseitigkeiten und Unkenntnis des Anderen verbunden. Vor jeder theologischen Annäherung liegt hier ein breites Arbeitsfeld für ein gemeinsames Studium der Geschichte beider Religionen vor, das bereit ist, auf die sehr anders akzentuierte Wahrnehmung des Anderen zu hören, Selbstkritik konstitutiv zuzulassen und einseitige Identifizierungen mit der Opferperspektive zu vermeiden. Die Mängel im Blick auf Perspektivität und Selbstkritik mögen durch bis in die Gegenwart reichende Unrechts- und Unterlegenheitserfahrungen begründet sein. Möglicherweise aber liegt hier eine noch tiefer gehende, theologische Frage zugrunde: Welche Rolle spielt eigentlich eine religiös motivierte Kritik der eigenen religiösen Tradition für die Theologie und den Glauben? Zweifellos kennen beide Religionen Formen religiöser Religionskritik – sie gälte es, fruchtbar zu machen.
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Universalität und Partikularität. Zum Stand der liturgischen Erneuerung 50 Jahre nach Sacrosanctum Concilium 1. ZUM FRAGEHORIZONT Als Kardinal Joseph Ratzinger Papst wurde, verzichtete er auf einen der zahlreichen traditionellen Titel des Bischofs von Rom: Patriarch des Abendlandes. Den meisten wird das kaum aufgefallen sein, viele hatten nichts dagegen, dass ein alter Zopf abgeschnitten wurde. Manche aber fragten aus ökumenischer Perspektive an, ob nicht damit ein wichtiger Merkpunkt der altkirchlichen Wirklichkeit verloren gegangen sei: dass die Kirche sich nicht aus der Uniformität, sondern aus der Pluriformität heraus gebildet hat. Nun geht es hier nicht um die Frage der Rangordnung der Patriar1 chate und um die Primatsfrage. Jedoch war es ein deutliches Zeichen, dass Papst Benedikt den einzigen Titel ablegte, der die Überordnung des Papstes über die Gesamtkirche relativierte und die geschichtliche Bedingtheit des heutigen römisch-katholischen Verständnisses vom Papsttum zum Ausdruck brachte. Umso mehr ließ die Ansprache Papst Franziskusʼ unmittelbar nach seiner Wahl aufhorchen, in der er ausschließlich von sich als neugewähltem Bischof von Rom sprach, kein einziges Mal als neugewähltem Papst. Ein Unterscheidungsmerkmal der Patriarchate sind die jeweiligen liturgischen Traditionen, die freilich zum Teil rege Austauschbeziehungen pflegten. Für den Liturgiehistoriker ist jedenfalls klar, dass wir stets nur von Liturgien im Plural sprechen können. Die von Anton
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Vgl. dazu die abweichende Beurteilung des Bonner Dogmatikers Karl-Heinz Menke: K.-H. MENKE, Sakramentalität. Wesen und Wunde des Katholizismus, Regensburg 2012, 214-224.
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Baumstark begründete Vergleichende Liturgiewissenschaft setzt Plu2 ralität notwendig voraus. Dies gilt für die großen Liturgiefamilien in Ost und West wie auch für die Differenzierungen innerhalb eines 3 Ritus. Davon soll im Folgenden die Rede sein. 2. DEZENTRALISIERUNG – EIN PRINZIP DER LITURGIEREFORM Der Trierer Liturgiewissenschaftler und Konzilstheologe Balthasar Fischer (1912-2001) zitierte in seiner Abschiedsvorlesung als Liturgieprofessor 1981 unter dem Titel „Liturgie oder Liturgien?“ aus einer Ansprache Papst Pauls VI., die dieser im Jahr der Verabschiedung der Liturgiekonstitution 1963 an die Basilianermönche der italo-byzantini4 schen Abtei Grottaferrata bei Rom gerichtet hatte: Die verschiedenen Besonderheiten des Ritus, die Sprache, die Weise Gottesdienst zu feiern: das alles kann auf den ersten Blick wie eine exotische Sehenswürdigkeit wirken. In Wirklichkeit geht es um helltönende Noten im machtvollen Chor und im harmonischen Konzert der einen katholischen Kirche. Diese will sich nicht nur mit einer Stimme ausdrücken: es ist ihr Wunsch, dass sich in ihr so viele Stimmen wie nur möglich frei erheben können zur Ehre Gottes, zum Bekenntnis Christi, zur Gegenwart des Hl. Geistes in der heiligen Kirche. Der Erlöser hat eine einzige Kirche gewollt, aber sie sollte zugleich katholisch sein, d.h. Qualität und Legitimität vorausgesetzt, offen für 5 ungezählte mögliche Ausdrucksformen.
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Vgl. den umfangreichen Kongressband: R. F. TAFT/G. WINKLER (Ed.), Acts of the International Congress Comparative Liturgy. Fifty Years after Anton Baumstark (1872-1948), Rome, 25-29 September 1998 (Orientalia Christiana Analecta 265), Rom 2001, bes. 9-29 (Introduction). Dazu: A. GERHARDS, Jenseits von Traditionalismus und Zentralismus – die Liturgie der Kirche, in: M. Heimbach-Steins/G. Kruip/S. Wendel (Hg.), Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch. Argumente zum Memorandum, Freiburg u.a. 2011, 200– 211. Vgl. A. HEINZ, Das „Konzilstagebuch“ des Liturgiewissenschaftlers Balthasar Fischer († 2001). Eindrücke und Gedanken eines Zeitzeugen, in: Liturgisches Jahrbuch 62 (2012) 229-259. B. FISCHER, Liturgie oder Liturgien?, in: Trierer Theologische Zeitschrift 90 (1981) 265-275, hier 275. Dazu den grundlegenden Beitrag: H.-J. FEULNER, Die Einheit der Liturgie in der Vielfalt der Riten und Formen. Zwei Entwicklungen aus der jüngsten
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Was hier zunächst in Bezug auf die altkirchliche Pluralität gleichberechtigt nebeneinander existierender Ritenfamilien gesagt ist, die stets auch innerhalb der römischen Kirche galt, weitete sich im Zuge der Liturgiereform aus in Richtung einer Pluralität nationaler und regionaler Ausprägungen, wie sie es in früheren Zeiten bis ins 19. Jahr6 hundert hinein schon einmal gab (z.B. die „Kölnische Liturgie“ ). Fundament dieser zentrifugalen Dynamik war die Liturgiekonstitution selbst, die die Dezentralisierung des liturgischen Rechts fest7 schrieb: SC 22, § 1. Das Recht, die heilige Liturgie zu ordnen, steht einzig der Autorität der Kirche zu. Diese Autorität liegt beim Apostolischen Stuhl und nach Maßgabe des Rechtes beim Bischof. SC 22, § 2. Auch den rechtmäßig konstituierten, für bestimmte Gebiete zuständigen Bischofsvereinigungen verschiedener Art steht es auf Grund einer vom Recht gewährten Vollmacht zu, innerhalb festgelegter Grenzen die Liturgie zu ordnen.
Dies führte in der Phase unmittelbar nach dem Konzil zu einer Dynamik, die sich in unzähligen Publikationen mit frei geschaffenen liturgischen Texten niederschlug. Offenbar hatte man den dritten Paragraphen von SC 22 gern übersehen: SC 22, § 3. Deshalb darf durchaus niemand sonst, auch wenn er Priester wäre, nach eigenem Gutdünken in der Liturgie etwas hinzufügen, wegnehmen oder ändern.
Immerhin war es ungefähr ein Jahrzehnt lang möglich, lokale Prägungen und Traditionen in die damals von den Bischofskonferenzen approbierten neuen Liturgiebücher einzutragen. Das Approbationsrecht hat Rom jedoch inzwischen wieder an sich gezogen.
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Vergangenheit, in: J.-H. Tück (Hg.), Erinnerung an die Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg u.a. 2012, 165-197, hier 197. A. GERHARDS/A. ODENTHAL (Hg.), Kölnische Liturgie und ihre Geschichte. Studien zur interdisziplinären Erforschung des Gottesdienstes im Erzbistum Köln (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen 87), Münster 2000. Vgl. R. KACZYNSKI, Theologischer Kommentar zur Konstitution über die heilige Liturgie, in: P. Hünermann/B. J. Hilberath (Hg.), Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 2, Freiburg u.a. 2004, 87-89.
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1976, ein Jahr nach Erscheinen des deutschen Messbuches, schilderte Balthasar Fischer anlässlich der Verabschiedung des damaligen Leiters des Liturgischen Instituts in Trier, Prälat Dr. Johannes Wagner (1908-1999), die Einführung eben dieses Buches in einer österreichischen Dorfkirche: Der Pfarrer hob den roten Band hoch und zeigte ihn voller Freude der Gemeinde. Aus dem, was er dann gesagt hat, ist mir eines haften geblieben. Als zum letzten Mal vor 400 Jahren ein neues Meßbuch aus Rom gekommen sei, sei es direkt von den römischen Schreibtischen in die Kirchen gekommen, aber schlimm sei das eigentlich nicht gewesen, da eh keiner verstanden habe, was drinstand. Das sei diesmal anders. Zum erstenmal komme nun in endgültiger Gestalt ein Meßbuch auf den Altar, dessen Gebete jeder verstehen könne und dessen endgültige deutsche Gestalt erst abgeschlossen worden sei, nachdem die Bischöfe fünf Jahre lang viele Priester und Laien um ihre 8 Meinung zur Übersetzung befragt hätten.
Von der Freizügigkeit der Nachkonzilszeit ist nicht mehr viel übrig geblieben. Die bevorstehende Neuausgabe des Messbuches nach der Editio Tertia des Missale Romanum ist nach streng zentralistischen Krite9 rien erstellt. Dies hat äußere und innere Gründe. Über die äußeren – ideologischen und kirchenpolitischen – Gründe mag man spekulieren. Ein innerer Grund liegt in der unterschiedlichen Sicht des Verhältnisses der Tradition zu den Traditionen hinsichtlich der liturgischen Überlieferung der Kirche. 3. TRADITION IN TRADITIONEN Die im Frühjahr 2004 erschienene römische Instruktion Redemptionis sacramentum „über einige Dinge bezüglich der heiligsten Eucharistie,
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B. FISCHER, Vom Missale Pius‘ V. zum Missale Pauls VI., in: Liturgisches Jahrbuch 26 (1976) 2-18, hier 2. Dazu: B. KRANEMANN/ST. WAHLE (Hg.), „…Ohren der Barmherzigkeit“. Über angemessene Liturgiesprache (Theologie kontrovers), Freiburg u.a. 2011; M. STUFLESSER, Eucharistie. Liturgische Feier und theologische Erschließung, Regensburg 2013, 277-284.
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die einzuhalten und zu vermeiden sind“ spricht im Vorwort von den Ursachen der Missbräuche, die auf einem falschen Verständnis von Freiheit sowie auf Unkenntnis beruhen können. So sei vielen nicht bekannt, was an Strukturen und Formen auf apostolischer und gemeinkirchlicher Überlieferung beruhe (Nr. 9). In diesem Zusammenhang wird in einer Anmerkung aus einem Brief des hl. Augustinus an einen gewissen Januarius zitiert – nach Frits van der Meer zusammen mit einem zweiten Brief „von seinen 11 sämtlichen Werken wohl das wichtigste liturgische Dokument.“ Das Zitat lautet in deutscher Übersetzung: Was wir aber nicht aufgrund der Heiligen Schrift, sondern aufgrund der Überlieferung, jedoch in Übereinstimmung mit dem ganzen Erdkreise zu halten pflegen, das ist doch offenbar auf Empfehlung und Einsetzung entweder der Apostel oder aber der allgemeinen Konzilien, deren Ansehen der Kirche so sehr 12 zum Nutzen gereicht, zurückzuführen.
Der Text des Augustinus präzisiert das Wesentliche der Überlieferung: „Hierzu gehören die jährliche Feier der Leidens, der Auferstehung, der Himmelfahrt unseres Herrn, der Herabkunft des Heiligen Geistes oder was sonst die ganze Kirche, wo immer sie ausgebreitet ist, beobachtet.“ Dann aber vollzieht der Text eine erstaunliche Wendung: Andere Gebräuche sind verschieden nach Gegend, Land, Ortschaft. So fasten einige am Sabbat, andere nicht. Einige empfangen täglich den Leib und das Blut des Herrn, andere nur an
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KONGREGATION FÜR DEN GOTTESDIENST UND DIE SAKRAMENTENORDNUNG, Instruktion Redemptionis sacramentum über einige Dinge bezüglich der heiligsten Eucharistie, die einzuhalten und zu vermeiden sind (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 164), Bonn 2004; dazu: A. GERHARDS, Liturgietheologische und -ästhetische Überlegungen zur Instruktion „Sakrament der Erlösung“, in: Zeitschrift für katholische Theologie 127 (2005) 253-270; wieder abgedruckt in: Ders., Erneuerung kirchlichen Lebens aus dem Gottesdienst. Beiträge zur Reform der Liturgie (Praktische Theologie heute 120), Stuttgart 2012, 108-119. F. VAN DER MEER, Augustinus der Seelsorger. Leben und Wirken eines Kirchenvaters, Köln 1953, 293. A. AUGUSTINUS, Antwort auf die Fragen des Januarius (Nr. 54) I.1. (Bibliothek der Kirchenväter 29, 209); vgl. den lateinischen Text im Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 34, 15915-18).
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bestimmten Tagen. An einigen Orten unterbleibt das heilige Opfer keinen Tag, an anderen wird es nur am Sabbat und am Sonntag, an anderen wieder nur am Sonntag dargebracht. Diese und ähnliche Gebräuche derart können nach freier Wahl beobachtet werden. Ein verständiger und ernsthafter Christ hält nun nicht den einen Gebrauch für besser, den anderen für schlechter, sondern er schließt sich dem Brauch der Gemeinde, bei der er sich gerade befindet, an. Denn was offenbar weder gegen den Glauben noch gegen die guten Sitten verstößt, das ist als indifferent zu betrachten und muss beobachtet werden 13 im Anschluss an jene, bei denen man sich befindet.
Balthasar Fischer beschrieb das hier erkennbare Anliegen Augustins im Jahr 1967, also in der intensivsten Phase der Liturgiereform, folgendermaßen: Es scheint, dass die (leider nicht auf uns gekommenen) Fragen des Januarius sämtlich Fragen zum Gottesdienst der Kirche gewesen sind und dass sie von einer Tendenz getragen waren, die man heute als Tendenz zum Addieren und Uniformieren im Bereich des Kultes bezeichnen würde. Das gibt dem Adressaten die Gelegenheit, mit Nachdruck (da und dort möchte man sagen mit einer gewissen Ungeduld) das der afrikanischen Tradition besonders teure parcissime [d.h. die äußerste Kargheit] des christlichen Kultes und zugleich das [Prinzip] der legitimen variatio per loca [die lokale Verschiedenheit] herauszuarbeiten, die er in einem anderen Brief in dem Psalmwort von der filia regis circumdata varietate [die Königstochter, umgeben von reicher Vielfalt] angedeutet sieht: zwei Prinzipien, die im Zeitalter der Rückbesinnung auf die pristina sanctorum Patrum norma [altehrwürdige Norm der Väter] in gottesdienstlichen Dingen (Liturgie-Konstitution, Art. 50) nach einem Zeitalter der Exuberanz [Üppigkeit] und der Zentralisation ihre Leuchtkraft wieder14 gewinnen.
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Ebd., II.2. (BKV 29, 209f.; CSEL 34, 160 4-15). B. FISCHER, „Tamquam machina quaedam...“: Ein Wort Augustins (Ep. 55,39) zum Ethos der Liturgiewissenschaft, in: Miscellanea Liturgica in onore di S.E. il Cardinale Giacomo Lercaro, Bd. 2, Rom 1967, 85-93, hier 89; vgl. A. GERHARDS, Liturgiewissenschaft. Katholisch – Evangelisch – Ökumenisch, in: M. Meyer-Blanck (Hg.), Liturgiewissenschaft und Kirche. Ökumenische Perspektiven, Rheinbach 2003, 63-86; wieder abgedruckt in: Ders., Erneuerung kirchlichen Lebens aus dem Gottesdienst, 234-245.
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Die Verkürzung der Augustinusstelle auf die allgemein verbindlichen Dinge kehrt deren eigentliche Aussage – die positive Wahrnehmung der Vielfalt – in ihr Gegenteil um. Augustinus geht es gerade nicht um Einheitlichkeit um jeden Preis, sondern um den Respekt vor ortskirchlichen Besonderheiten. Die Vielfalt in den peripheren Dingen ist Ausdruck von Vitalität und Schönheit, wie im Wort von der Königstochter angedeutet wird. Die Liturgie – insbesondere die römische – lebt aus der dialektischen Beziehung zwischen universalkirchlicher Gemeinsamkeit und teilkirchlicher Besonderheit. Zweifellos bedürfen auch die lokalen Bräuche einer kirchlichen Regelung, um Fehlentwicklungen und Willkür vorzubeugen. Doch entsprechen Träume von einer „Welt-Ein15 heitsliturgie“ nicht der geschichtlichen Wirklichkeit der Kirche, die ihre liturgische Identität nicht im Singular einer einzigen liturgischen Tradition, sondern im Plural von Liturgien gefunden hat. Die Instruktion von 2004 lässt – anders als die liturgische Legislative in den Jahrzehnten der Liturgiereform – kaum noch Spielraum für Weiterentwicklungen auf der Ebene einzelner Kulturen und Länder. Die fünfte Instruktion zur Durchführung der Liturgiereform aus 16 dem Jahr 2001 „Liturgiam authenticam“ hat die zentralistische Tendenz konsequent auf die Übersetzung der liturgischen Texte angewandt, indem man allen partikulären Bestrebungen, wie sie etwa im Bereich der englisch- und deutschsprachigen Länder im Gange waren, einen Riegel vorschob. Damit wurde auch eine zwölfjährige Arbeit an der Revision des deutschen Messbuches von 1976 Makulatur. Die neue Übersetzerkommission wurde nicht etwa von den deutschsprachigen Bischofskonferenzen, sondern von der römischen Kongregation eingerichtet und hat streng nach den enggefassten Prinzipien textgetreuer Übersetzung zu verfahren. Das erste Resultat war der 2009 erschienene erneuerte Begräbnisritus, der nach massiven
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B. FISCHER, Der Traum von einer Welt-Einheitsliturgie. Ein frühes Zeugnis aus Mitteldeutschland. Josef Gülden zum 70. Geburtstag, in: Liturgisches Jahrbuch 27 (1977) 129-135. Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, Der Gebrauch der Volkssprache bei der Herausgabe der Bücher der römischen Liturgie Liturgiam authenticam. Fünfte Instruktion zur ordnungsgemäßen Ausführung der Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die heilige Liturgie (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 154), Bonn 2001.
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Protesten im Jahr 2012 de facto durch ein teilkirchlich verantwortetes 17 „Manuale“ ersetzt wurde. Die Rückentwicklung hin zum universalkirchlichen Zentralismus lässt sich an den Dokumenten der Liturgieerneuerung im Zeitraum 18 von 45 Jahren ablesen: 4.12.1963 26.9.1964 4.5.1967 25.1.1969 6.4.1969 5.9.1970 25.1.1983
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Vaticanum II, Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium Ritenkongregation, Erste Instruktion Inter Oecumenici Ritenkongregation, Zweite Instruktion Tres abhinc annos Ritenkongregation, Dritte Instruktion De interpretatione textuum liturgicorum Ordo Missae Liturgiekongregation, Dritte Instruktion Liturgicae instaurationes Codex Iuris Canonici
Die kirchliche Begräbnisfeier. Manuale, hg. im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz, der Österreichischen Bischofskonferenz und der Schweizer Bischofskonferenz sowie des Bischofs von Bozen-Brixen und des Bischofs von Lüttich, Trier 2012. In der „Pastoralen Einführung“ heißt es: „Im Jahr 2009 erschien die zweite authentische Ausgabe des Buches ‚Die kirchliche Begräbnisfeier in den Bistümern des deutschen Sprachgebietesʻ. […] Aufgrund der pastoralen Erfahrungen in den vergangenen Jahrzehnten und im Blick auf den Wandel in der Bestattungskultur war eine Neuausgabe des liturgischen Buches für das Begräbnis notwendig geworden. Schon bald stellte sich allerdings heraus, dass das erneuerte Buch nicht allen Situationen einer sich schnell veränderten Welt gerecht wurde. Deshalb ha[t] die Deutsche Bischofskonferenz […] entschieden, die berechtigten Wünsche aufzugreifen und im Blick auf die pastoralliturgischen Herausforderungen der Gegenwart dieses Manuale zu veröffentlichen“ (S. 7). Man fragt sich wohl zu Recht, warum man nicht schon 2009 auf diese Idee gekommen ist. Die älteren Dokumente sind veröffentlicht in: R. K ACZYNSKI (Hg.), Enchiridion Documentorum Instaurationis Liturgicae, 3 Bde., Rom 1976-1997; die Nummern sind identisch mit der deutschen Ausgabe: H. RENNINGS/M. KLÖCKENER (Hg.), Dokumente zur Erneuerung der Liturgie, 3 Bde., Kevelaer 1983-2001. Dazu ausführlicher: A. GERHARDS, Tradition versus Schrift? Die Übersetzerinstruktion „Liturgiam authenticam“ und die deutsche Einheitsübersetzung, in: Stimmen der Zeit 224 (2006) 821–829; wieder abgedruckt in: Ders., Erneuerung kirchlichen Lebens aus dem Gottesdienst, 120-126.
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12.9.1983 24.1.1994 15.8.1997 20.4.2000 28.3.2001 17.4.2003 25.3.2004 7.7.2007 6.2.2008
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Kongregation für die Sakramente und den Gottesdienst, Dekret Variationes in libros liturgicos introducendae Vierte Instruktion Varietates legitimae Instruktion zu einigen Fragen über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester Grundordnung Missalis Romani (Editio Tertia) Gottesdienstkongregation, Fünfte Instruktion Liturgiam authenticam Johannes Paul II., Enzyklika Ecclesia de Eucharistia Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramente, Instruktion Redemptionis Sacramentum Benedikt XVI., Motu proprio Summorum Pontificum Neufassung der Karfreitagsfürbitte für die Juden
Die auf die Liturgiekonstitution folgenden Dokumente hatten von Anfang an das Ziel, eine unkontrollierte Dynamik der Reformbemühungen einzudämmen. Legt die erste Instruktion die Grundlinien der Reform (auch liturgierechtlich: Dezentralisierung) fest und ordnet konkrete Änderungen an, spricht die zweite zwar von positiven Erfahrungen, verweist aber zugleich auf die bestehende Ordnung und ordnet vor allem eine Vereinfachung der Riten an. Die Dritte Instruktion war ein Einschnitt: Aufgrund wachsender Widerstände gegen die Reform sowie aufgrund von Klagen in Bezug auf Freizügigkeiten wird eine langsamere Gangart eingelegt. Vollmachten zu liturgischen Experimenten im Bereich der Eucharistie wurden zurückgenommen. Dennoch ging die Reformdynamik noch bis zur Mitte der siebziger Jahre weiter. Dann aber zeichnete sich eine Rückbesinnung auf eher traditionelle Positionen ab, wie sie im Codex Iuris Canonici 1983, nun unter Papst Johannes Paul II., vorherrschen. Die „Variationes“ hatten den neuen kanonistischen Rahmenbedingungen durch Modifikationen der vorliegenden liturgischen Bücher Rechnung zu tragen. Die Vierte Instruktion regelt Fragen der Inkulturation, die nur für Länder mit nichtchristlicher Tradition gilt. Für die Länder mit alter christlicher Tradition reicht die bisherige liturgische Gesetzgebung aus. Die Instruktion über die Mitarbeit der Laien präzisiert die Unterschiedlichkeit der beiden Sacerdotia und legt die Grenzen der Mitwirkung der Laien fest. Die Institutio generalis der Editio Tertia des Messbuches nimmt auf negative Erfahrungen mit dem Ordo Missae 1969 Bezug und trifft detaillierte Festlegungen. Die Fünfte Instruktion regelt
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die Frage der Übersetzungen grundsätzlich neu, in deutlicher Differenz zur Instruktion von 1969. Faktisch ist das Recht auf Ordnung der Liturgie wieder auf die oberste Ebene Rom reduziert. Die eigenwillige Augustinus-Interpretation der Instruktion Redemptionis Sacramentum, die ihrerseits an die Enzyklika Ecclesia de Eucharistia anknüpft, ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Die Wiedereinführung der älteren Form der römischen Liturgie durch das Motu proprio Summorum Pontificum bildet den bis19 herigen Abschluss dieser Entwicklung. Spätestens im Zuge der anschließenden Diskussion um die Karfreitagsfürbitte für die Juden zeigte sich die Problematik der jahrzehntlangen regressiven Strategie 20 in Bezug auf die Liturgiereform. 4. TRADITIONALISMUS – DER EINWAND ROMANO GUARDINIS Im Jahr 1964 sandte Romano Guardini an Prälat Johannes Wagner anlässlich eines Liturgischen Kongresses in Mainz, der den Auftakt zur Liturgieerneuerung nach der Veröffentlichung der Liturgiekonstitution bildete, Gedanken zum Thema „Der Kultakt und die gegenwärtige Aufgabe der Liturgischen Bildung“. Darin heißt es: Ist vielleicht der liturgische Akt, und mit ihm überhaupt das, was „Liturgie“ heißt, so sehr historisch gebunden – antik, oder mittelalterlich, oder barock – daß man sie der Ehrlichkeit wegen ganz aufgeben müßte? Sollte man sich nicht zu der Einsicht durchringen, der Mensch des industriellen Zeitalters, der Technik und der durch sie bedingten soziologischen Strukturen sei zum liturgischen Akt einfach nicht mehr fähig? Und sollte man, statt von Erneuerung zu reden, nicht lieber überlegen, in welcher Weise die heiligen Geheimnisse zu feiern seien, damit dieser heutige Mensch mit seiner Wahrheit in ihnen ste21 hen könne?
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Vgl. dazu A. GERHARDS (Hg.), Ein Ritus – zwei Formen. Die Richtlinie Papst Benedikts XVI. zur Liturgie (Theologie kontrovers), Freiburg u.a. 2008; M. KLÖCKENER, Wie Liturgie verstehen? Anfragen an das Motu proprio „Summorum Pontificum“ Papst Benedikts XVI., in: Archiv für Liturgiewissenschaft 50 (2008) 268-305. Vgl. dazu W. HOMOLKA/E. ZENGER (Hg.), „... damit sie Jesus Christus erkennen“. Die neue Karfreitagsfürbitte für die Juden (Theologie kontrovers), Freiburg u.a. 2008. R. GUARDINI, Der Kultakt und die gegenwärtige Aufgabe der liturgischen Bildung, in: Ders., Liturgie und Liturgische Bildung. Ein Brief, Mainz/Paderborn 1992, 9-17,
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An anderer Stelle hat Guardini den Gedanken der Entfremdung des modernen Menschen von den tradierten Formen des Glaubensausdrucks mit dem Wandel der Gottesbeziehung in Verbindung gebracht: In früheren Zeiten war, so scheint es, die Welt von Gott voll. Nicht, daß die Menschen besonders gut gewesen wären; es hat Unrecht und Sünde gegeben wie heute. Trotzdem war wohl etwas anders: das Gute ist aus der Nähe Gottes heraus geschehen, und das Böse wider diese Nähe, und deswegen waren auch Umkehr und Buße so tief. Im Lauf der Zeit wird aber das Herz immer kühler. Die Welt wird immer voller von Sachen; die Stunde bedrängt von immer heftigerem Geschehen – das Dasein aber in seiner Tiefe wird immer leerer […]. Wenn aber einmal die Zeit kommt – und sie wird kommen, nachdem die Dunkelheit durchgestanden ist – und der Mensch Gott fragt: „Herr, wo warst du doch damals?“, dann wird er wieder die Antwort vernehmen: „Euch näher als je!“ Vielleicht ist Gott unserer frostigen Zeit näher als dem Barock mit der Pracht seiner Kirchen, dem Mittelalter mit der Fülle seiner Symbole, dem frühen Christentum mit seinem jungen Todesmut; nur empfinden wir es nicht. Er aber erwartet, daß wir nicht sagen: „Wir fühlen keine Nähe, also ist kein Gott“ – sondern daß wir ihm 22 durch die Ferne hin die Treue halten.
Das Dilemma der offiziellen kirchlichen Liturgie vor und nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil besteht darin, dass sie in Kontinuität zu den vergangenen Epochen, in denen „die Welt von Gott voll“ war, die Nähe Gottes behauptet – was jedoch der Erfahrung der Menschen meist widerspricht. Wie kann man Gott „durch die Ferne hin die Treue halten“ – in einer Zeit, in der sich der Effekt auf Knopfdruck einzustellen hat, auch im Bereich personaler Beziehungen? Ist der heutige Mensch zum „liturgischen Akt“ wirklich nicht mehr fähig, weil er womöglich in seiner Welt die Spuren Gottes nicht mehr findet, von denen das liturgische Symbol lebt? Weil seine Sprache von der der
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hier 15f.; vgl. dazu: A. GERHARDS, Romano Guardini als Prophet des Liturgischen. Eine Rückbesinnung in postmoderner Zeit, in: H. J. Schuster (Hg.), Guardini weiterdenken (Schriftenreihe des Forum Guardini 1), Berlin 1993, 140-153; wieder abgedruckt in: Ders., Erneuerung kirchlichen Lebens aus dem Gottesdienst, 41-48. R. GUARDINI, Gottes Nähe und Ferne (1960; 1952), in: I. Klimmer (Hg.), Angefochtene Zuversicht. Romano Guardini Lesebuch, Darmstadt 1985, 82f. (auch zum Folgenden).
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Liturgie (und der Bibel) so verschieden ist, dass er in den traditionellen Antworten seine Fragen nicht aufgehoben findet? Entscheidend an der Frage Guardinis nach der Liturgiefähigkeit ist die Prämisse, dass der Mensch von heute eine Wahrheit hat. Guardini setzt gegen alle Misanthropie ein positives Bild des heutigen Menschen, da ihm von Gott her Personalität, d.h. Selbststand und Fähigkeit zur Beziehung, geschenkt ist. Freilich muss er diese seine Fähigkeiten, die vielfach verschüttet sind, wieder freilegen. Dies betrifft vor allem die Inflation der Bilder und Wörter, die auch eine ungewollte Folge der Umstellung auf muttersprachliche und auf eine formbare und zugleich deformierbare Liturgie darstellt. Erst ein Ineinander von Bildbejahung und Bildverzicht, von Schweigen und Wort schafft jenes spannungsvolle Gleichgewicht, in dem Begegnung mit sich selbst, mit dem Nächsten und mit Gott gelingen kann. Guardini schrieb über die religiöse Sprache: Zum Wesen alles Sprechens gehört, daß es auf das Schweigen bezogen ist. Erst beide Verhaltensweisen zusammen bilden das volle Phänomen. [...] Das echte Schweigen bedeutet nicht das bloße Negativum, daß nicht gesprochen werde, sondern ein lebendiges Verhalten; eine in sich schwingende Bewegtheit des inneren Lebens, in welcher dieses seiner selbst mächtig wird. Erst aus dieser bewegten Ruhe kommt dem Wort jene stille Kraft, die es voll macht. [...] Ohne den Zusammenhang mit dem Schweigen wird das Wort zum Gerede; ohne Zusammenhang mit dem Wort wird aus dem Schweigen Stummheit. Sie bilden zusammen ein Ganzes, und es ist eine nachdenklich machende Tatsache, daß es für dieses Ganze keinen Begriff gibt. 23 In ihm existiert der Mensch.
Das gilt im besonderen Maß vom religiösen Wort, das nur aus dem Schweigen kommen kann, da religiöse Erfahrung im Innersten des Menschen geschieht: Daß im Gerede und Gedröhn unserer Zeit das Schweigen sich verliert, bildet eine der Ursachen, warum die religiöse Erfahrung verblaßt und, eben damit, das religiöse Sprechen an Echtheit und Inhalt verliert. Man hört es ihm an, wenn es, statt aus
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dem Schweigen und dem inneren Gegenüber, Worte aus Wor24 ten hervorbringt.
Von Romano Guardini kann man lernen, dass es nicht um ein Entweder – Oder gehen kann: Objektivität versus Subjektivität, Tradition versus Fortschritt, Zwang versus Freiheit usw. Diese die heutigen Diskussionen weitgehend beherrschenden Frontstellungen verhindern den Blick auf die wesentlichen Fragen, die Guardini bereits vor rund 50 Jahren klar gestellt hat. Wie aber ist das Spannungsverhältnis von traditionell und institutionell Vorgegebenem einerseits und situativ Eingebrachtem andererseits, von Universalität und Partikularität also, näher zu bestimmen? 5. „… SICH SELBST UND ZÜGE SEINES LEBENS MÖGLICHST LEBENDIG … WIEDERZUERKENNEN“ (Liturgiam authenticam 42) Im Jahr 2001 erschien die erwähnte Fünfte Instruktion zur ordnungsgemäßen Ausführung der Konstitution des Zweiten Vatikanischen 25 Konzils über die heilige Liturgie Liturgiam authenticam . Der Tübinger Liturgiewissenschaftler Andreas Odenthal hat auf eine darin enthaltene Formulierung aufmerksam gemacht, die die Zuordnung menschlicher Lebenswelten zum Glauben thematisiert. Im zweiten Abschnitt „Die Übersetzung liturgischer Texte in die Volkssprache“ heißt es unter der Überschrift „Weitere Normen für die Übersetzung der Heiligen Schrift und für die Erstellung der Lektionare“ (Nr. 42): Zwar muss man darauf achten, den historischen Kontext von Bibelstellen nicht zu verdunkeln, doch soll der Übersetzer bedenken, dass das in der Liturgie verkündete Wort Gottes nicht etwas wie ein bloß historisches Dokument ist. Denn der Bibeltext handelt nicht nur von den berühmten Menschen und Ereignissen des Alten und des Neuen Testamentes, sondern auch von den Heilsmysterien und betrifft die Gläubigen unserer Zeit und deren Leben. Wenn ein Wort oder ein Ausdruck die Wahl zwischen mehreren Übersetzungsmöglichkeiten bietet, soll
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Ebd., 252. KONGREGATION FÜR DEN GOTTESDIENST UND DIE SAKRAMENTENORDNUNG, Der Gebrauch der Volkssprache; dazu A. GERHARDS, Tradition versus Schrift? Die Übersetzer-Instruktion „Liturgiam authenticam“.
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man sich unter steter Wahrung der Treue gegenüber dem Originaltext darum bemühen, dass die gewählte Variante den Zuhörer befähigt, sich selbst und Züge seines Lebens möglichst lebendig in den Personen und Ereignissen des Textes wiederzuerkennen.
Wie Odenthal vermerkt, ist mit dem letzten Satz eine bemerkenswerte Feststellung getroffen. Das Hören auf die Heilige Schrift geschieht zu dem Zweck, sich selbst und Züge seines Lebens darin möglichst lebendig wiederzuerkennen. Dies scheint in Widerspruch zu stehen zu dem, was die Instruktion zuvor (Nr. 19) schreibt: Die Worte der Heiligen Schrift sowie andere Worte, die in liturgischen Feiern, vor allem bei der Feier der Sakramente, vorgetragen werden, zielen nicht in erster Linie darauf ab, gewissermaßen die innere Verfassung der Gläubigen widerzuspiegeln, sondern sie drücken Wahrheiten aus, welche die Grenzen von Zeit und Ort überschreiten.
Ausgangspunkt ist demnach nicht die eigene Befindlichkeit, sondern die vom entsprechenden liturgischen oder biblischen Text formulierte Glaubenswahrheit. Damit wird ein Wiedererkennen des eigenen Lebens in den Texten der Liturgie nicht ausgeschlossen, aber nachgeordnet. 26 Die Instruktion nimmt im Sinne der Gegensatzlehre Guardinis zwei Pole in den Blick. Odenthal kommentiert: Einerseits geht es um den Originaltext der Bibel und die darin auftauchenden Menschen und ihre Schicksale. Aber die Bibel ist nicht bloß ein historisches Dokument, sondern schildert die Heilsmysterien des Glaubens. Deshalb gilt es, die Bibel als Norm des Christlichen in Treue zu bewahren. Andererseits geht es um den das Wort Gottes hörenden und die Liturgie feiernden Menschen. Mit Blick auf ihn ist es nötig zu gewährleisten, daß er sich selbst und Züge seines Lebens möglichst lebendig ‚wiedererkennen‘ kann. Damit sind die beiden Pole eines Symbols benannt (συsβάλλειν = zusammenwerfen, vereinigen): Vereinigt wird das Wort Gottes in der Heiligen Schrift und der „heutige Mensch mit seiner Wahrheit“ (Guardini). Die Heilige
26
Vgl. R. GUARDINI, Der Gegensatz. Versuche zu einer Philosophie des Lebendig-Konkreten, Mainz (1925) 1998. In dieser Methodenschrift entwickelt Guardini im Gegenzug zu Hegels Dialektik eine eigenständige Dialogik.
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Schrift ist das Wort Gottes, aber alleine genügt es nicht. Es be27 darf des glaubenden und hörenden Menschen.
Der hier zur Sprache kommende Gegensatz, wie Guardini ihn als Prinzip alles lebendigen Seins beschrieben hat, bildet ein Strukturprinzip des Glaubens und damit auch der Liturgie, insofern sie Ausdruck des Glaubens und dessen Feier ist. Der „Originaltext“ ist das, was Augustinus „das Wesentliche“ genannt hatte. Er bildet die Norm; ihm gegenüber muss man die Treue halten. Trotz manchem Zeitbedingten gibt es in Schrift und Tradition (darunter eben auch in der Liturgie) Unverzichtbares. Die Liturgie hat „einen kraft göttlicher Einsetzung unveränderlichen Teil“ und „Teile, die dem Wandel unterworfen sind“ (SC 21). Mitte der Liturgie ist das Pascha-Mysterium (SC 6). Die Vorgabe verbietet ein allzu schnelles und wohlfeiles Passend-Machen. Dennoch kommt es darauf an, dass der gläubige Mensch in die Lage versetzt wird, „sich selbst und Züge seines Lebens möglichst lebendig in den Personen und Ereignissen des Textes wiederzuerkennen“ (Liturgiam authenticam 42). In hörender Aneignung des Wortes und in der rituellen Vergegenwärtigung der vergangenen Heilsereignisse ereignet sich gnadenhafte Begegnung und Verwandlung. Liturgische Versammlung ist nicht nur Erzählgemeinschaft, sondern Zeitgenossenschaft mit dem rettenden Gott. Odenthal führt dies anhand eines symboltheoretischen Ansatzes aus. Entscheidend ist dabei die Erfahrung der Vorgegebenheit eines „symbolischen Raums“, in dem Selbstbegegnung, also Wiedererkennen seiner selbst am Anderen möglich wird. Ausgangspunkt ist demnach nicht die Artikulation der subjektiven Befindlichkeit, sondern das Sich einlassen auf die Erfahrungen Anderer, in denen sich die eigenen Erfahrungen spiegeln. Liturgiegerechte Korrelation bzw. 28 Interrelation setzt demgemäß nicht an der eigenen Erfahrung an, 27
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A. ODENTHAL, Lebenswelt und Ritual. Überlegungen zu einem notwendigen Spannungsverhältnis menschlicher Erfahrung und liturgischen Feierns, in: Liturgisches Jahrbuch 54 (2004) 85-103, hier 89; vgl. DERS., Sich selbst und Züge seines Lebens wiedererkennen. Symboltheoretische Überlegungen zur liturgischen Sprache anhand der Instructio „Liturgiam authenticam“, in: Kranemann/Wahle (Hg.), „…Ohren der Barmherzigkeit“, 125-133. Vgl. A. ODENTHAL, „Kritische Interrelation“ von Lebens-Erfahrung und GlaubensTradition. Überlegungen zu einem Diktum von Edward Schillebeeckx im Hinblick auf einen symboltheoretischen Ansatz als integratives Paradigma der Liturgiewissenschaft, in: Theologische Quartalschrift 187 (2007) 183-203.
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sondern zunächst an den in Texten, Symbolen und rituellen Handlungen „geronnenen“ Erfahrungen anderer, auf die man sich einlässt. Wo dieses Verhältnis umgedreht wird, kann sich Gottesdienst schnell in „liturgisches Geländespiel“ verkehren. Gelingt die Korrelation, können sich wertvolle variationes per loca herausbilden, Zeugnisse gelebten Glaubens in einem vielstimmigen Chor. 6. BEWAHREN UND ERNEUERN Zu dem seit Jahrzehnten von Theoretikern und Praktikern kontrovers diskutierten Thema „Bewahren und Erneuern“ legte der Münsteraner Kirchenhistoriker Arnold Angenendt vor mehr als zehn Jahren eine Quaestio disputata vor, in der er sich mit der in Wissenschaft und Kirche verbreiteten Verfallshypothese der abendländischen Liturgie auseinandersetzt. Demnach sei die Liturgie in Antike und Frühmittelalter 29 ganz durch das Objektive bestimmt gewesen. Später hätten subjektive Frömmigkeitsformen zum Schaden der Liturgie überhand genommen, verkörpere doch die Liturgie an sich das Objektive. So galt das Spätmittelalter als eine „Periode der Auflösungen und Wucherungen“. Demgegenüber weist Angenendt nach, dass das Frühmittelalter durch einen archaischen Ritualismus bestimmt gewesen ist, der sich von der (bei Augustinus bezeugten) Freiheit der altkirchlichen Liturgie deutlich unterscheidet. Dies zeigt sich z.B. in den skrupulösen Anfragen des Bonifatius an Rom, wie viele Kelche auf dem Altar stehen dürfen oder an welcher Stelle genau die Kreuze beim Kanon zu machen seien. Von der variatio per loca ist nichts mehr geblieben. Doch machten sich schon bald Gegenkräfte bemerkbar, die einen geistlichen Mitvollzug der Liturgie zum Ziel hatten. Messallegorese, Messandachten etc. sollten das objektiv im Ritus Vollzogene in subjektiven Bildern verinnerlichen. Der Preis dieser an sich positiv zu bewertenden Entwicklung war freilich hoch: Ritus und Frömmigkeit drifteten nachhaltig auseinander. Die Liturgie verlor ihre primäre Semantik. Diese Entwicklung setzte sich auch nach der Reformation fort, wenn etwa die barocke Inszenierung von Kirchenraum und Liturgie
29
Vgl. A. ANGENENDT, Liturgik und Historik. Gab es eine organische Liturgie-Entwicklung? (Quaestiones disputatae 189), Freiburg u.a. 2001, 150.
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einerseits der Darstellung objektiver Glaubenswahrheiten dient und andererseits an das subjektive Empfinden der versammelten Individuen rührt. Bekanntlich setzte die Liturgische Bewegung mit der Betonung des Objektiven, der Wiederentdeckung der inhaltlichen Reichtümer des liturgischen Erbes und der Pflege der kommunitären Ausdrucksformen an genau diesem Punkt an. Angenendt zieht die Linien bis in die Gegenwart hinein. Derzeit erleben wir einen von der kirchlichen Autorität durchaus geförderten 30 Pendelrückschlag in Richtung auf fixierte Ritualität. Demgegenüber betont Angenendt, dass (im Sinne des erwähnten symboltheoretischen Ansatzes) die auf subjektiven Mitvollzug angewiesene Liturgie einer je neuen Durchdringung und auch Veränderung bedarf: [Die Liturgie] vermittelt Ewiges und ist doch auch der wechselvollen Geschichte und ihrem Kairos verpflichtet. [...] Natürlich bleibt das Postulat der Kontinuität dort gültig, wo die Fortsetzung und Durchhaltung des in und mit Jesus Christus gestifteten Auftrags ansteht. Die Verwirklichung dieses Auftrags in der Zeit aber hat ihre unvorhersehbaren Konkretisierungen, denen Raum zu geben ist. Von hierher zeigt sich, dass ein Verharren bei einer vorgeblich unveränderlichen Liturgieform zwar das zweifellos starke religionspsychologische Verlangen nach Bleibendheit zu befriedigen vermag, nicht aber das Erfordernis, die „Gunst der Stunde“ wahrzunehmen. Die Liturgiepraxis steht hier vor einer schwierigen, weil immer neu zu lösenden Aufgabe: die Stiftung Jesu Christi durchzuhalten in einer wech31 selnden [...] Geschichte.
Vor diesem Hintergrund darf man gespannt sein, wie die Geschichte der Liturgiereform unter dem Pontifikat eines Nichteuropäers weitergeht.
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Manche verbanden mit dem nationalen Eucharistischen Kongress in Köln im Juni 2013 die Hoffnung oder aber die Befürchtung, damit würde die Rückkehr zum alten Paradigma ratifiziert. Dagegen stellte Johannes Röser fest: „,Überholte‘ Frömmigkeitsformen können in anderen Zusammenhängen offenbar wieder spielerisch frei zitiert und unter veränderten Horizonten selber verwandelt werden“: J. RÖSER, Bauwerk Eucharistie, in: Christ in der Gegenwart 65 (2013), Heft 24, 272. ANGENENDT, Liturgik und Historik, 203.
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7. DIE LITURGIEKONSTITUTION – EINE INVESTITION IN DIE ZUKUNFT DER KIRCHE Abschließend soll der Blick noch einmal auf die Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium gelenkt werden. Am 4. Dezember 1963 wurde 32 sie als erstes Dokument des Konzils verabschiedet. Sie ist mit einem Vorwort versehen, das zugleich die Überschrift über das gesamte Reformprogramm darstellt: Das heilige Konzil hat sich zum Ziel gesetzt, das christliche Leben unter den Gläubigen mehr und mehr zu vertiefen, die dem Wechsel unterworfenen Einrichtungen den Notwendigkeiten unseres Zeitalters besser anzupassen, zu fördern, was immer zur Einheit aller, die an Christus glauben, beitragen kann, und zu stärken, was immer helfen kann, alle in den Schoß der Kirche zu rufen. Darum hält es das Konzil auch in besonderer Weise für seine Aufgabe, sich um Erneuerung und Pflege der Liturgie zu sorgen (SC 1).
Im Blick auf das Spannungsfeld von Universalität und Partikularität 33 fällt vor allem das Wort „anpassen“ (accomodare) auf. Die Aufgabe, Einheit und Vielfalt in der Liturgie in ein rechtes Verhältnis zueinander zu bringen, hatte sich der Kirche schon längst gestellt, und zwar im Zusammenhang mit ihrer Missionstätigkeit: Kann eine auf dem Boden Europas entstandene Liturgie unverändert in andere Kontinente exportiert werden? Muss nicht die Einheit der erfahrenen Kirche gerade durch die Vielgestalt kultureller Ausprägungen zur Darstellung kommen? So gab man folgerichtig das Prinzip der ausschließlich zentral von Rom geregelten Liturgie auf und bekannte sich zu drei Ebenen liturgischen Rechts: neben Rom sind es nun die Bischofskonferenzen und der einzelne Bischof, die über die jeweilige Gestalt der Liturgie befinden sollen (SC 22). Die Folge war eine in ihren letzten Konsequenzen noch nicht absehbare Entwicklung, die vor allem in Ländern außerhalb Europas
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Vgl. dazu A. GERHARDS, Gipfelpunkt und Quelle. Intention der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium, in: J.-H. Tück (Hg.), Erinnerung an die Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg u.a. 22013, 127-146. Vgl. A. GERHARDS, „Einheit in Vielfalt“ – Zum Stand der Liturgischen Erneuerung 30 Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil; in: A. Gerhards, Erneuerung kirchlichen Lebens aus dem Gottesdienst, 59-62.
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deutlich wird. So wird in Basisgemeinden Lateinamerikas oder in kongolesischen Gemeinden zwar katholischer Gottesdienst gefeiert; doch unterscheidet sich dieser von den in den römischen Modellbüchern enthaltenen Texten und Riten erheblich. Wichtiger noch als die Gestalt des Gottesdienstes ist aber die Erkenntnis, dass die versammelte Gemeinde selbst – Priester und „Laien“ – eine Einheit in Vielfalt darstellen. Der Priester „liest“ nicht mehr die Messe, sondern die versammelte priesterliche Gemeinde feiert zusammen mit ihm und mit den Anderen, die je eine besondere Aufgabe versehen. Der Dienst des Priesters ist nach wie vor unverzichtbarer Bestandteil vor allem der Eucharistiefeier, aber das tragende Fundament seines Leitungsdienstes ist nach dem Zeugnis der geltenden liturgischen Dokumente die 34 vielschichtige Versammlung des Volkes Gottes. Es war kein Zufall, dass die Liturgie als erster Teilbereich des umfangreichen Programms abgeschlossen werden konnte. Für manche handelte es sich um eine eher untergeordnete Materie. Sicher verkannten viele der Konzilsväter die der Liturgiekonstitution zugrunde liegende Dynamik, die sich in der im März 1964 begonnenen Liturgiereform über den engeren Bereich der Liturgie hinaus entfalten sollte. Aber das alles war nicht wie aus heiterem Himmel gekommen. Der Innsbrucker Liturgiewissenschaftler Josef Andreas Jungmann SJ leitete die deutsche Übersetzung der Konstitution seinerzeit folgendermaßen ein: Ein großes Werk, von dem vor wenigen Jahren noch niemand geträumt hat, ist glücklich vollendet. Ein Frühling, der vor einem halben Jahrhundert ins Land gezogen und überall mächtig aufgeblüht ist, hat seine Erfüllung gefunden in einer reichen Ernte. Ein großes Geschenk Gottes ist in unsere Hände ge35 legt worden.
Jungmann spielt hier auf die bereits erwähnte Liturgische Bewegung an, die in der Zeit um den Ersten Weltkrieg zusammen mit anderen Aufbrüchen (Bibel-, Jugend- und Ökumenische Bewegung) bewirkt hatte, was Romano Guardini 1922 in die Worte fasste: „Die Kirche
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Vgl. auch den Katechismus der Katholischen Kirche, wonach bei der Feier der Sakramente die ganze Versammlung „Liturge“ ist (Nr. 1144). Vgl. auch Nr. 1140 mit Hinweis auf SC 26 und Nr. 1141 mit Hinweis auf LG 10 und SC 14. J. A. JUNGMANN, Einleitung, in: Liturgisches Jahrbuch 14 (1964) 2-7, hier 2.
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erwacht in den Seelen“. Die entscheidende Erkenntnis dieser Jahrzehnte war, dass die Kirche kein Ding außerhalb von uns ist, keine bloße Institution, sondern ein lebendiger Organismus, eine Gemeinschaft, von der ein jeder und eine jede wichtiger, unverzichtbarer Bestandteil ist: Kirche, das sind wir. Für den Gottesdienst bedeutet dies, dass er nach Jahrhunderten wieder zu einem Gemeinschaftserlebnis werden sollte. Dazu war die Abkehr von dem Prinzip weltweiter Uniformität, das seit vierhundert Jahren mehr oder weniger in Geltung war, unumgänglich. Die Liturgische Bewegung konnte offensichtlich innerhalb kurzer Zeit Formen der von Papst Pius X. 1903 zum Prinzip erhobenen tätigen Teilnahme (participatio actuosa) entwickeln, die von den Päpsten Pius XII. und Johannes XXIII. wohlwollend gefördert oder zumindest 37 geduldet wurden. Dennoch sah man die Unzulänglichkeiten einer nur oberflächlich angepassten Liturgie nach dem „Tridentinischen Ritus“ und empfand dementsprechend die Liturgiekonstitution als einen Befreiungsschlag. Bot sich nun doch die Möglichkeit, nach den Erkenntnissen der liturgiegeschichtlichen Forschung und den Resultaten der seit der Enzyklika Mediator Dei 1JVTī9** BCHFIBMUFOFO liturgischen Kongresse ein umfassendes liturgisches Reformwerk in Gang zu setzen. Die Innovationen bestanden also weniger in den Aussagen des Konzils selbst als in der bereits geleisteten Arbeit, an die die Reformarbeit nach dem Konzil anknüpfen konnte. Daraus erklärt sich die Dynamik der Reform, die bald in vielen Einzelfragen den Wortlaut des Konzils hinter sich ließ. Dies ist aber nicht so zu verstehen, als habe man sich über das Konzil hinweggesetzt. Nur war die Eigendynamik einiger
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R. GUARDINI, Das Erwachen der Kirche in der Seele (1922), in: I. Klimmer (Hg.), Angefochtene Zuversicht. Romano Guardini Lesebuch, Darmstadt 1985, 187-191, hier 187; vgl. dazu: A. GERHARDS, Denken in Gegensätzen – Anmerkungen zur Guardini-Rezeption bei Heinz Robert Schlette, in: C. Hell/P. Petzel/K. Wenzel (Hg.), Glaube und Skepsis. Beiträge zur Religionsphilosophie Heinz Robert Schlettes, Ostfildern 2011, 234–248, bes. 239f. Vgl. zum Folgenden A. GERHARDS, „Sacrosanctum Concilium“ – Neuansätze, Wirkungen, offene Fragen. Vierzig Jahre Umgang mit der erneuerten Liturgie, in: Ders., Erneuerung kirchlichen Lebens aus dem Gottesdienst, 63-71.
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zentraler Prinzipien in ihrem Synergieeffekt wohl kaum jemandem 38 bewusst gewesen. Nach Meinung vieler Verantwortlicher in der Kirche ist die Phase der Liturgiereform mit der Erstellung der Liturgischen Bücher abgeschlossen. Dies scheint äußerlich gesehen mehr oder weniger zuzutreffen. Dennoch hat sich inzwischen gezeigt, dass bei einer volkssprachlichen Liturgie infolge der Weiterentwicklung der Sprache und der gesamten Kultur mit „Endgültigem“ nicht mehr zu rechnen ist. Zudem hat die Dezentralisierung des Liturgierechts eine Dynamik ausgelöst, die bereits wiederholt zu einer revidierten Neuausgabe der römischen „Musterbücher“ geführt hat. Der eigentliche Grund, warum es keinen Stillstand im Bemühen um Erneuerung der Liturgie geben kann, ist aber theologischer Natur. Nach Aussage des Konzils ist die Liturgie Höhepunkt und Quelle des Tuns der Kirche (SC 10), des pilgernden Gottesvolkes. Als Kirche auf dem Weg durch die Zeit ist sie ständig zu erneuern – nicht aus sich selbst hinaus, sondern von Gott her. Die Konzilsväter haben sicher noch nicht das Ausmaß der Herausforderungen erkennen können, denen sich die Kirche in einer radikal sich wandelnden Welt heute gegenübersieht. Sie haben aber entscheidende Weichenstellungen vorgenommen, um das Evangelium in unsere Zeit hinein sprechen zu lassen. Freilich stellt sich in unserer Zeit die Frage aufs Neue, in welche Richtung die Reform weitergehen soll. Die Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil fiel ja bekanntlich in die Phase der „Zweiten Aufklärung“. Hieraus erklären sich manche rationalistische Einseitigkeiten, die mitunter bereits ausgeglichen worden sind oder bei einer anstehenden Reform ausgeglichen werden. Momentan erleben wir eine Renaissance des Symbolischen und damit verbunden auch die Renaissance einer wiederauflebenden Symbolik der traditionellen Liturgie. Die Versuchung liegt nahe, dem Modetrend zu folgen und auf dem Markt der unendlichen Möglich-
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Neben dem Prinzip der „tätigen Teilnahme“ (SC 14; 30 u. ö.) sind die Dezentralisierung des Liturgierechts (SC 22) sowie die prinzipielle Einführung der Muttersprachen (SC 36) vor dem Hintergrund der Aufwertung der Hl. Schrift (SC 24) zu nennen, ferner die – in der konkreten Durchführung nicht unproblematische – Vereinfachung der Riten (SC 34). Einen gewaltigen Schub bewirkte die Öffnung für die „Musik der Völker“ (SC 119), deren Einbeziehung in die Liturgie nach den allgemeinen Regeln der Anpassung der Liturgie (SC 39; 40) zu geschehen habe.
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keiten alles anzubieten, was gewünscht wird. Dies wäre aber genauso fatal wie seinerzeit die rationalistische Verkürzung. Christlicher Gottesdienst hat die doppelte Eigenschaft, sowohl Zeichen der künftigen Vollendung im Himmel als auch Quelle für das Leben, Sendung in den Alltag zu sein. Dazu ist einerseits eine symbolisch-ästhetische Kompetenz gefragt, die den Mitfeiernden die Ahnung des Anderen, der „himmlischen Liturgie“ vermittelt. Auf der anderen Seite braucht es jene Lebensnähe, das Ernstnehmen der Befindlichkeit der Teilnehmenden, um sie in ihrer Individualität anzusprechen und zur 39 gemeinschaftlichen Erfahrung zu führen. Das Potential der Liturgiekonstitution ist auch nach über fünfzig Jahren noch nicht ausgeschöpft. Der vergleichende Blick aus heutiger Perspektive in ihr unmittelbares Vorfeld zeigt, dass der Innovationsschub der Liturgischen Bewegung, der mit dem Aufbruch der Moderne im 20. Jahrhundert zusammenfiel, immer noch Inspirationen 40 bereithält. Diese fruchtbar zu machen, setzt freilich eine erneute vertiefte Auseinandersetzung mit dem „Geist der Liturgie“ voraus, wie 41 sie von Papst Benedikt XVI. wiederholt eingefordert wurde und für die die Liturgiekonstitution den entscheidenden Bezugspunkt darstellt. Die Erneuerung der Liturgie als Höhepunkt und Quelle jeglichen Tuns ist eine Kernaufgabe der Kirche auf allen Ebenen, denn ihre Sendung dient in jeder Hinsicht dem doppelten Ziel der Heiligung des Menschen und der Verherrlichung Gottes (SC 10).
Literatur ANGENENDT, ARNOLD, Liturgik und Historik. Gab es eine organische Liturgie-Entwicklung? (Quaestiones Disputatae 189), Freiburg u.a. 2001.
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Dazu A. GERHARDS, Die Ästhetik der Liturgie. Wie christliche Gottesdienste gestalten?, in: Herder-Korrespondenz Spezial: Wie heute Gott feiern? Liturgie im 21. Jahrhundert, Freiburg u.a. 2013, 9-13. Dazu die weiterführenden Überlegungen: B. KRANEMANN, In die Zeit gesetzt. Diskussionen um die Liturgiereform, in: Herder-Korrespondenz Spezial: Konzil im Konflikt. 50 Jahre Zweites Vatikanum, Freiburg u.a. 2012, 31-35. Vgl. J. RATZINGER, Der Geist der Liturgie. Eine Einführung, Freiburg u.a. 2000.
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Die kirchliche Begräbnisfeier. Manuale, hg. im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz, der Österreichischen Bischofskonferenz und der Schweizer Bischofskonferenz sowie des Bischofs von BozenBrixen und des Bischofs von Lüttich, Trier 2012. FEULNER, HANS-JÜRGEN, Die Einheit der Liturgie in der Vielfalt der Riten und Formen. Zwei Entwicklungen aus der jüngsten Vergangenheit, in: Jan-Heiner Tück (Hg.), Erinnerung an die Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg u.a. 2012, 165-197. FISCHER, BALTHASAR, Der Traum von einer Welt-Einheitsliturgie. Ein frühes Zeugnis aus Mitteldeutschland. Josef Gülden zum 70. Geburtstag, in: Liturgisches Jahrbuch 27 (1977) 129-135. –, Liturgie oder Liturgien?, in: Trierer Theologische Zeitschrift 90 (1981) 265-275. –, „Tamquam machina quaedam...“: Ein Wort Augustins (Ep. 55,39) zum Ethos der Liturgiewissenschaft, in: Miscellanea Liturgica in onore di S.E. il Cardinale Giacomo Lercaro, Bd. 2, Rom 1967, 8593. –, Vom Missale Pius‘ V. zum Missale Pauls VI., in: Liturgisches Jahrbuch 26 (1976) 2-18. GERHARDS, ALBERT, Denken in Gegensätzen – Anmerkungen zur Guardini-Rezeption bei Heinz Robert Schlette, in: Cornelius Hell/Paul Petzel/Knut Wenzel (Hg.), Glaube und Skepsis. Beiträge zur Religionsphilosophie Heinz Robert Schlettes, Ostfildern 2011, 234-248. –, Die Ästhetik der Liturgie. Wie christliche Gottesdienste gestalten?, in: Herder-Korrespondenz Spezial: Wie heute Gott feiern? Liturgie im 21. Jahrhundert, Freiburg u.a. 2013, 9-13. –, „Einheit in Vielfalt“ – Zum Stand der Liturgischen Erneuerung 30 Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil; in: Wort und Antwort 35 (1995) 106-109. –, Erneuerung kirchlichen Lebens aus dem Gottesdienst. Beiträge zur Reform der Liturgie (Praktische Theologie heute 120), Stuttgart 2012. –, Gipfelpunkt und Quelle. Intention der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium, in: Jan-Heiner Tück (Hg.), Erinnerung an die 2 Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg u.a. 2013, 127146. –, Jenseits von Traditionalismus und Zentralismus – die Liturgie der Kirche, in: Marianne Heimbach-Steins/Gerhard Kruip/Saskia Wendel (Hg.), Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch. Argumente zum Memorandum, Freiburg u.a. 2011, 200-211. –, Liturgietheologische und -ästhetische Überlegungen zur Instruktion „Sakrament der Erlösung“, in: Erneuerung kirchlichen Lebens
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–, Sich selbst und Züge seines Lebens wiedererkennen. Symboltheoretische Überlegungen zur liturgischen Sprache anhand der Instructio „Liturgiam authenticam“, in: Benedikt Kranemann/Stephan Wahle (Hg.), „…Ohren der Barmherzigkeit“. Über angemessene Liturgiesprache (Theologie kontrovers), Freiburg u.a. 2011, 125-133. RATZINGER, JOSEPH, Der Geist der Liturgie. Eine Einführung, Freiburg u.a. 2000. RENNINGS, HEINRICH/KLÖCKENER, MARTIN (Hg.), Dokumente zur Erneuerung der Liturgie, 3 Bde., Kevelaer 1983-2001. RÖSER, JOHANNES, Bauwerk Eucharistie, in: Christ in der Gegenwart 65 (2013) Heft 24, 271f. 275. STUFLESSER, MARTIN, Eucharistie. Liturgische Feier und theologische Erschließung, Regensburg 2013. TAFT, ROBERT F./WINKLER, GABRIELE (Ed.), Acts of the International Congress Comparative Liturgy. Fifty Years after Anton Baumstark (1872-1948), Rome, 25-29 September 1998 (Orientalia Christiana Analecta 265), Rom 2001.
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(Eigen-) Ständiger Diakonat in der Weltkirche. Zu Theologie und Spiritualität eines konziliaren Amtes 1. BIOGRAPHISCHE NOTIZEN EINES GEHEIMEN DIAKONS Mich bewegt zunächst die in Jahren gewachsene Gewissheit, ein „geheimer“ Diakon zu sein. Den Ruf, den ich vernehme, versuche ich nun zu „verlautbaren“ und in der Tat zu übernehmen. Diese Entwicklung zeichnet sich in vielen biographischen Stationen ab.
Mit diesen Worten beginnt die schriftliche Darlegung meiner Berufsmotivation gegenüber der Diözese Rottenburg-Stuttgart auf meinem Weg zum Diakonat. Zu diesen biographischen Stationen gehören die eigenen Anfänge, zuallererst mein konfessionell kooperatives Elternhaus. Hinzu gesellen sich die kirchliche Jugendarbeit im Leitungsteam unserer Gemeinde und dort auch die Mitarbeit im Krankenpflegeverein, die Pflege und die Erziehung mehrfach behinderter sowie psychiatrisch auffälliger Kinder und Jugendlicher im Kinderzentrum Maulbronn, das mich nachhaltig prägte und in der Entscheidung bestärkte, den Beruf eines Theologen und schließlich auch Psychologen anzustreben. In die Studienzeit fällt die Betreuung Strafgefangener, hinzu kommen erste Erfahrungen als ausgebildeter Psychotherapeut und Pastoralpsychologe, die ich insbesondere mit suizidgefährdeten Menschen verbinde, Erfahrungen als langjähriger Lehrer an berufsbildenden Schulen in Freiburg und im finnischen Lahti, von dem ich bis dahin nur die Sprungschanzen kannte, die bei Winterspielen zum Einsatz kamen, und das mir zur zweiten Heimat wurde. Vom Norden aus wuchsen mir noch größere Flügel, so dass ich zu Straßenkindern nach Sankt Petersburg kam, mit Caritas international zum Einsatz in der Jugendsozialarbeit in Südkorea, schließlich im Rahmen eines Praxisprojekts zu gewaltbereiten Heranwachsenden aus verarmten und verwahrlosten Familien in der Ukraine. Viele Bilder erscheinen vor meinem inneren Auge, ganz präsent sind mir zahlreiche Herausforderungen, die mich eigene Grenzen spüren ließen und lassen. Und zugleich bin ich dem Himmel dankbar
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für einen Erfahrungsreichtum, der mir dadurch zukam und mir erlaubt, daran geistlich zu wachsen; dankbar bin ich besonders meiner Frau und unseren Söhnen, ohne die ich mir mein Leben nicht vorstellen könnte und die mich als den Ältesten von uns vieren aber auch dann und wann wissen lassen, dass ich mich auf meinen langen Wegen mitunter so verhalte, als wäre ich der Jüngste. Mich bewegt eine Solidarität, die hier ganz nah und zugleich in großer Ferne not tut, und eine Spiritualität, die mich Demut üben lässt. Denn all meine Gaben, die mir geschenkt sind, habe ich nicht aus mir selbst, und sie können nur leben, wenn ich sie nicht für mich selbst behalte. Es ist mir noch gut im Ohr, wie eine Diakoniewissenschaftlerin, es war in Heidelberg, mich an ihrer Überzeugung teilhaben ließ, dass Gaben immer auch Verpflichtung bedeuten, und diese Wendung ging mir unmittelbar zu Herzen: Wenn Gaben ein Geschenk und ein Wink des Himmels sind, so bin ich spirituell verpflichtet, sie nicht verkümmern zu lassen, auch wenn sie mir und anderen vielleicht unbequem erscheinen. Diese Einsicht gehört zu meiner Berufungsgeschichte. Solidarität und Spiritualität liegen mir dabei am Herzen, insbesondere das „und“, das Zusammenspiel von Solidarität und Spiritualität. Zunächst aber will ich neben diesen biographischen einen biblischhistorischen Zugang zum Diakonat stellen – bis hin zum Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965), das das Amt des Ständigen Diakons neu einführte und dem sich der vorliegende Band widmet, und darüber hinaus. Im Anschluss daran versuche ich, Beiträge Ständiger Diakone zur Zukunft der Weltkirche zu skizzieren. 2. VOM AUFGANG BIS ZUM NIEDERGANG. DIAKONIE 1 UND DIAKONAT IN BIBLISCHER UND NACHBIBLISCHER ZEIT 2.1 Freiwilliger Dienst Schon die neutestamentlichen Kontexte der Wortgruppe diakonia/diakonein lassen sich schwer in einen gemeinsamen Bedeutungs-
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Vgl. A. JUREVICIUS, Zur Theologie des Diakonats. Der Ständige Diakonat auf der Suche nach eigenem Profil (Schriften zur Praktischen Theologie 3), Hamburg 2004, 19-55.
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horizont einbetten: Da ist der materiell zu fassende Dienst an den Tischen (Apg 6,2), da ist der spirituell zu verstehende Dienst am Wort (Apg 6,4), und da ist der paulinische Dienst der Versöhnung (2 Kor 5,18). In seiner biblischen Vielfalt erweist sich diakonisches Handeln als Dienst, der anderen gewährt wird. Dabei bezeichnet diakonos als biblischer Terminus geschlechtsübergreifend Männer und Frauen gleichermaßen. Im profanen Griechisch meint diakonein eine minderwertige, ja menschenunwürdige Tätigkeit – derer, die es mit den Geringen und den Geringsten halten, und derer, die tun, was sich nicht ziemt für diejenigen, die im konventionellen Sinn auf Erfolg und Ansehen zielen. Diakonein ist aber freiwilliger Dienst, freiwillige Hingabe 3 – im Unterschied zu douleuein , das zwangsweise erfolgt und sklavisches Unterworfensein bezeichnet. Als diakonos kann also eine Person gelten, die nicht dem Sklavenstand angehört und aus freien Stücken in ein Dienstverhältnis zugunsten eines anderen tritt. 2.2 Go-Between 4
Jüngere Studien sehen in diakonischen Einsätzen Vermittlungstätig5 keiten, die auf eine Beauftragung zurückgehen, etwa die Verkündi-
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Vgl. H. W. BEYER, diakoneo, diakonia, diakonos, in: G. Kittel (Hg.), Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Bd. 2, Stuttgart 1935, 81-93. Vgl. J. ROLOFF, Zur diakonischen Dimension und Bedeutung von Gottesdienst und Herrenmahl, in: G. K. Schäfer/Th. Strohm (Hg.), Diakonie – biblische Grundlagen und Orientierungen. Ein Arbeitsbuch (Veröffentlichungen des Diakoniewissenschaftlichen Instituts an der Universität Heidelberg 2), Heidelberg ²1994, 186-201, hier 189. Vgl. J. N. COLLINS, Diakonia. Re-interpreting the Ancient Sources, Oxford 1990, und J. N. COLLINS, Deacons and the Church. Making connections between old and new, Harrisburg/Pennsylvania 2002; eine Besprechung beider Veröffentlichungen bietet T. POHJOLAINEN, Rezensionen zu John N. Collins, Diakonia. Re-interpreting the Ancient Sources, und zu John N. Collins, Deacons and the Church. Making connections between old and new, in: Diaconia Christi 41 (2006) 137; zur Diskussion um John N. Collins vgl. K. KIESSLING, Humble waiting-on-tables or missionary going-between? John N. Collins and the nature of “diakonia” in the New Testament, in: New Diaconal Review 4 (2010) 34-38. A. HENTSCHEL stellt heraus, dass das Handeln eines diakonos nicht in eigener Vollmacht geschieht, sondern einer Beauftragung bedarf, „die den Beauftragten in ein Beziehungsverhältnis zwischen Auftraggeber und Adressaten einordnet, welches hierarchisch strukturiert ist und häufig eine Vermittlungsfunktion dahingehend
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gung des Evangeliums oder das Überbringen von Nachrichten und Kollekten bei Paulus (beispielsweise 1 Kor 3,5; Kol 1,7. 23-29; 2 Kor 3,5f. und 8,19; 1 Thess 3,1-13; Röm 16,1f.). Als charakteristisch erscheint dann eine Tätigkeit als Botschafter, der im Dienst einer missionarischen Verkündigung steht, ein „Dazwischen gehen“. In diesem Sinne lassen sich eine Tradition der Evangelien, die den Dienstcharakter diakonischen Handelns betonen, und eine paulinische Sprache unterscheiden, die auf Vermittlung setzt, der aber auch politische und 6 provokative Qualitäten zukommen. Ich sehe aber keinen Grund, nun die eine Einsicht gegen die andere auszuspielen, vielmehr spricht alles dafür, diese biblischen Traditionen in ihrer Vielfalt ernst zu nehmen. 7 Denn gerade jenes Go-Between kann seinerseits sozial motiviert aus Solidarität geschehen, auch vermag es Solidarität zu stiften; und das Dienen darf nicht auf karitative Motive, denen im übrigen eine eigene Berechtigung zukommt, beschränkt und ins Unpolitische abgedrängt werden. Setzt sich nicht auch die Demut als Dien-mut aus beidem zusammen, aus dem Dienen und dem mutigen „Dazwischen gehen“? Und gehen davon nicht je eigene Konfrontationen aus? Neutestamentlich erscheint Jesus – gleichwohl Herr des Reiches Gottes – als derjenige, der freiwillig dient und damit menschliche Rangordnungen auf den Kopf stellt – oder vom Kopf auf die Füße (Mk 10,45 par 8 Mt 20,28 par Lk 22,27).
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nach sich zieht, dass der Beauftragte eine Sache oder Nachricht an die Adressaten überbringen muss“: Diakonia im Neuen Testament. Studien zur Semantik unter besonderer Berücksichtigung der Rolle von Frauen (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 2/226), Tübingen 2007, 433. Ich verweise auf Bettina Eltrops Beitrag zum Symposion „Diakonat – ein wesentlicher Beitrag für die Kirche des 3. Jahrtausends“, welches in der Zeit von 6.-8. Oktober 2008 in Fulda stattfand: B. ELTROP, Diakonat – ein wesentlicher Beitrag für die Kirche des 3. Jahrtausends. Biblische Grundlagen, zuletzt gesichtet am 4. September 2009 unter www.thf-fulda.de/diakonat08/Eltrop_Biblische_Wurzeln_des_diako nats.pdf, und auf J. GOHDE, Die Aufgabe der Diakonie im zukünftigen Europa, in: V. Herrmann (Hg.), Diakoniewissenschaft im Dialog (DWI-Info 36), Heidelberg 2004, 280-294. Vgl. COLLINS, Diakonia, 77. Vgl. TH. SÖDING, „Nicht bedient zu werden, sondern zu dienen“ (Mk 10,45). Diakonie und Diakonat im Licht des Neuen Testaments, in: K. Armbruster/M. Mühl (Hg.), Bereit wozu? Geweiht für was? Zur Diskussion um den Ständigen Diakonat (Quaestiones Disputatae 232), Freiburg u.a. 2009, 30-62, und J. R OLOFF, Die Kirche im Neuen Testament (Grundrisse zum Neuen Testament 10), Göttingen 1993, 133: „Wie Jesus durch sein Verhalten das Strukturprinzip von Herrschaft und Gewalt
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2.3 Amt des Diakons Zu den sieben leitenden Hellenisten Jerusalems zählen insbesondere Stephanus als ihr charismatisches Haupt, Nikolaus, der als ehemaliger Heide auf dem Weg über das Judentum Christ wurde, und der missionseifrige Philippus (Apg 6); dabei sind die Sieben noch nicht Diakone im Sinne des späteren Amtes; Lukas nennt sie nicht Diakone. Erst nach dem Märtyrertod des Stephanus kristallisiert sich im Zuge der 9 Entstehung der Pastoralbriefe aus der Tätigkeit der Sieben das eigenständige Amt des Diakons heraus. Die Pastoralbriefe führen manchmal den Bischof (1 Tim 3,1; Tit 1,7), manchmal den Presbyter (1 Tim 4,14; Tit 1,5) zur Bezeichnung des gemeindlichen Ältestenamts an; ursprünglich getrennte presbyterale und episkopale Verfassungsformen wachsen zusammen, das Kollegium der Episkopen fällt mit demjenigen der Presbyter in eins. 2.4 Sacerdotium und Ministerium Eine klare hierarchische Zuordnung der drei Ämter bezeugt Ignatius von Antiochien in seinen Briefen zu Beginn des zweiten Jahrhunderts. Das kirchliche Amt erscheint ihm als irdisches Abbild eines himmlischen Urbilds: der Bischof als Abbild des Vaters, die Presbyter als Se10 nat der Apostel, die Diakone als Abbilder des Sohnes. Wenn der
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durchbrochen hat, indem er an dessen Stelle das Prinzip des dienenden Daseins für andere setzte […], so soll es auch der halten, der für die Gemeinde Verantwortung trägt.“ Vgl. G. LOHFINK, Die Normativität der Amtsvorstellungen in den Pastoralbriefen, in: Theologische Quartalschrift 157 (1977) 93-106; die Pastoralbriefe „kennen zwar die Ordination […], aber das Ziel der Ordination ist nicht in erster Linie die Weitergabe von Amtsvollmacht, sondern die unversehrte Weitergabe der anvertrauten Tradition“ (104). „Höchstes Prinzip ist die unverfälschte Weitergabe des der Kirche von Gott anvertrauten Evangeliums“, und diese ist „ohne ein geordnetes Amt in den Ortskirchen nicht möglich“ (105), aber „von ihrem Verständnis her ist die Kirche nicht auf bestimmte Amtsstrukturen festgelegt. Sie ist einzig und allein auf das Evangelium Gottes und auf die apostolische Interpretation des Evangeliums festgelegt“ (106). „Ganz ebenso sollen alle den Diakonen Ehrfurcht erzeigen wie Jesus Christus, wie auch dem Bischof als Abbild des Vaters und den Presbytern als Ratsversammlung Gottes und als Bund der Apostel. Ohne diese verdient nichts den Namen Kirche“
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Bischof den Vater und der Diakon den Sohn repräsentiert, stehen sie einander näher als Presbyter und Bischof. Apostelkolleg und Presbyter wirken in dieser trinitarischen Konstellation fast wie Fremdkörper. Nochmals einhundert Jahre später fasst Hippolyt von Rom in der „Traditio Apostolica“ den Dienst des Bischofs und der Presbyter als sacerdotium zusammen – im Unterschied zum ministerium der Diako11 ne. Im Unterschied zur ebenfalls aus dem dritten Jahrhundert stammenden syrischen „Didaskalia Apostolorum“, die die Tendenz dokumentiert, alle wichtigen Aufgaben der Gemeinde den Bischöfen, 12 Priestern und Diakonen vorzubehalten, kennen die „Apostolischen Konstitutionen“ zur Wende zum 4. Jahrhundert die Ordination von Diakonissen, Subdiakonen und Lektoren unter Auflegung der Hän13 de. „Überdieß soll der Diakon Ohr und Aug‘ und Mund und Herz 14 und Seele des Bischofs sein“.
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(IgnTrall 3,1). Der Brief des Ignatius an die Gemeinde in Tralles findet sich bei H. PAULSEN, Die Briefe des Ignatius von Antiochia und der Brief des Polykarp von Smyrna (Handbuch zum Neuen Testament 18: Die Apostolischen Väter, Bd. 2), 2., neubearbeitete Aufl. der Auslegung von Walter Bauer, Tübingen 1985, 57-67, hier 59. „Bei der Weihe des Diakons soll allein der Bischof die Hände auflegen, weil er nicht zum Presbyter geweiht wird, sondern zum Dienst für den Bischof, um das zu tun, was dieser ihm aufträgt. Er nimmt nämlich nicht am Rat des Klerus teil, sondern er übernimmt Aufgaben und macht den Bischof auf das aufmerksam, was ansteht“ (Traditio Apostolica 8). Der Text findet sich in: Didache, übersetzt und eingeleitet von Georg Schöllgen – Traditio Apostolica, übersetzt und eingeleitet von Wilhelm Geerlings (Fontes Christiani 1), Freiburg u.a. 1991, 232-237, hier 233 und 235. „Eine Christengemeinde des dritten Jahrhunderts“ heißt die zugehörige Abhandlung in: H. ACHELIS/J. FLEMMING (Hg.), Die syrische Didaskalia, übersetzt und erklärt (Die ältesten Quellen des orientalischen Kirchenrechts; Zweites Buch: Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur; Neue Folge X/2), Leipzig 1904, 266-317. Vgl. Apostolische Konstitution 8,19-22, in: Die sogenannten Apostolischen Constitutionen und Canonen, aus dem Urtext übersetzt von Dr. Ferdinand Boxler (Bibliothek der Kirchenväter 19), Kempten 1874, 291f. Apostolische Konstitution 2,44 (Die sogenannten Apostolischen Constitutionen und Canonen, 87).
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2.5 Abschaffung des Diakonats Zusammenfassend ergibt sich, dass der Diakonat von Anfang an eng mit dem Episkopat und dessen diakonischem Auftrag verwoben ist. Der Presbyterat hingegen ist in der Urkirche als Amt noch schwach ausgeprägt. In der Folgezeit aber erstarkt der Presbyterat – bis hin zur Abschaffung des Diakonats als eines ständigen Weihegrades: Urkirchliche Aufgaben des Lehrens, die in der „Traditio Apostolica“ schon gar nicht mehr mit einem eigenen Stand vertreten sind, gehen auf Bischöfe und Presbyter über, nicht aber auf Diakone. Und im dritten Jahrhundert sind nicht mehr nur den Bischöfen, sondern auch einigen Presbytern Diakone zugeordnet. Diakonen kommt damit ein Status zu, der Leviten vergleichbar ist, die alttestamentlichen Priestern unterstellt sind. Während die Bischöfe zunächst noch aus den Diakonen gewählt werden, verliert der Diakonat in Konflikten zwischen Diakonen und Presbytern immer mehr an Gewicht: Die Verbindung von Eucharistie und Gemeinschaftsmahl lockert sich – bis hin zur 15 weitgehenden Abschaffung der Agape in Kirchenräumen im fünften Jahrhundert. Große Bedeutung für den Niedergang des Diakonats kommt zudem der im vierten Jahrhundert einsetzenden Durchsetzung der Zölibatspflicht für die am eucharistischen Kult Beteiligten zu. Diakone geraten gleichsam in eine Identitätskrise, da ihr Amt kaum mehr an diakonische Aufgaben gebunden ist und zu einer (niedrigen) Stufe auf der Hierarchieleiter des Presbyterats wird: Diakonie wird insbesondere im sechsten und siebten Jahrhundert zur Bezeichnung des klösterlichen Armenwesens; dem Diakon kommt nurmehr eine untergeordnete liturgische und schon gar keine diakonische Rolle mehr zu. Die Verbindung von Kloster und Hospital wird zum diakonischen Markenzeichen des frühen Mittelalters, Laienbewegungen tragen die kirchliche Diakonie des Hochmittelalters mit.
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Vgl. K. RICHTER, Agape. II. Liturgisch, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 1, Freiburg u.a. 1993, 222f.
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3. NEUE INITIATIVEN. DIAKONIE UND DIAKONAT VON FRANZ VON ASSISI BIS ZUM KONZIL 3.1 Entwicklungen im letzten Jahrtausend Eine wichtige Rolle kommt Franz von Assisi (1181/82-1226) zu, der auf die Priesterweihe verzichtet und sich bewusst für den Diakonat entscheidet – also für ein Dienstamt in großer Nähe zum Gottesknecht, zu Christus. Auf diese Weise bildet der Diakonat keine Durchgangsstufe auf dem Weg zur Priesterweihe, sondern ein andauerndes Amt. Auch die Reformatoren setzen auf eine Belebung der altkirchlichen Diakonie. Schließlich suchen die Väter des Konzils von Trient (1545-1563) den Diakonat zu neuem Leben zu erwecken; allerdings werden daraus nur tote Buchstaben, die nicht zur Umsetzung kom16 men. Zu veränderter Praxis tragen in jüngerer Zeit diakonische Anstalten und das Diakonische Werk (seit 1848) sowie die verbandliche Caritas (seit 1897) bei. Dort sind auch die Anfänge zur Erneuerung des Dia17 konats und seiner sakramentalen Gestalt heimisch. Bestärkt werden diese durch die Apostolische Konstitution Sacramentum ordinis (1947) 18 Papst Pius’ XII. und durch die Theologie Karl Rahners (190419 1984). Letzterer versteht den Diakonat als eigenständige, als eigene und ständige Aufgabe, als Dienstamt, das bereits als anonymer Diako16 17
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Vgl. JUREVICIUS, Zur Theologie des Diakonats, 61f. „Besondere Unterstützung findet die Diakonatsidee u.a. bei G. Hüssler, der als neuer Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes (DCV) H. Kramer als seinen Assistenten nach Freiburg zurückholte, und bei J. Rodhain, Generalsekretär von Secours catholique in Frankreich, der im März 1959 einer Programmkommission von Caritas Internationalis in Royaumont bei Paris vorsaß“: K. B AUMANN, Der Priesterblock im KZ Dachau als Ausgangspunkt für ein neues Nachdenken über kirchliches Leben, Gesellschaft und Diakonat, in: K. Armbruster/M. Mühl (Hg.), Bereit wozu? Geweiht für was? Zur Diskussion um den Ständigen Diakonat (Quaestiones Disputatae 232), Freiburg u.a. 2009, 95-120, hier 108. In diesem Zusammenhang sei verwiesen auf A. BIESINGER/K. KIESSLING, „Wir mußten schließlich erst das Gesicht des Diakonates finden!“ Prälat Dr. Georg Hüssler im Gespräch, in: Diaconia Christi 40 (2005) 51-57. Text mit dt. Übers.: DzH 3857-3861. Vgl. u.a. K. RAHNER, Die Theologie der Erneuerung des Diakonates, in: Ders./H. Vorgrimler (Hg.), Diaconia in Christo. Über die Erneuerung des Diakonates (Quaestiones Disputatae 15/16), Freiburg u.a. 1962, 285-324, erneut abgedruckt in: Diaconia Christi 47 (2012), Heft 2, 6-42.
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nat wirksam ist – „geheime“ Diakone lebten offenbar schon vor dem Konzil – und dem durch die Ordination die ihm gebührende kirchliche Anerkennung und Stärkung zuwächst. Als Konzilstheologe hat sich Rahner für ein solches Verständnis nachdrücklich eingesetzt. 3.2 Lumen gentium und Ad gentes In der Erneuerungsbewegung, die das Zweite Vatikanische Konzil in Gang setzte, nimmt die Wiedereinführung des Ständigen Diakonats einen wichtigen Platz ein. Wer aber ist der Diakon, welche sind die für ihn spezifischen Aufgaben, welche theologische Gestalt nimmt dieses Amt an? Die Auffassungen der Konzilsväter zur Notwendigkeit und zur Gestalt des Diakonats gehen weit auseinander, insbesondere in der Debatte um Ehe oder Zölibat der Diakone. Schlussendlich bleibt die nüchterne Feststellung, dass die Wiederbelebung des Diakonats nicht so sehr theologischer Arbeit und theologischer Einsicht entspringt, sondern in starkem Maße einem pastoralen Druck, der sich aus dem Priestermangel ergibt. Entscheidendes Konzilsdokument für die Erneuerung des Diakonats ist die dogmatische Konstitution Lumen gentium: Den Diakonen werden die Hände nicht zum Priestertum, sondern zur Dienstleistung 20 aufgelegt (non ad sacerdotium, sed ad ministerium: LG 29). Das Konzil erinnert damit zwar an die „Traditio Apostolica“, irritiert aber auch, weil Lumen gentium mit dem Begriff sacerdotium (LG 10) die gemeinsame Würde aller Getauften umschreibt. Von daher ist dieser Terminus nicht zur Differenzierung von Diakonat und Presbyterat geeignet. Zugleich findet sich in Lumen gentium aber eine eindeutig positive Einschätzung des Diakonats, dessen Träger mit sakramentaler Würde gestärkt werden und ihr diakonisches Handeln in einen weiten Horizont stellen können: Diakone dienen dem Volk Gottes „in der Diakonie der Liturgie, des Wortes und der Liebestätigkeit in Gemeinschaft mit dem Bischof und seinem Presbyterium“ (LG 29). Der Text zählt vorrangig liturgische Aufgaben des Diakons auf, ohne dem Diakonat jedoch ein eigenständiges theologisches Konzept zu unterlegen:
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Diesen und alle weiteren Konzilstexte entnehme ich K. RAHNER/H. VORGRIMLER, Kleines Konzilskompendium, Freiburg u.a. 181985.
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Sache des Diakons ist es, je nach Weisung der zuständigen Autorität, feierlich die Taufe zu spenden, die Eucharistie zu verwahren und auszuteilen, der Eheschließung im Namen der Kirche zu assistieren und sie zu segnen, die Wegzehrung den Sterbenden zu überbringen, vor den Gläubigen die Heilige Schrift zu lesen, das Volk zu lehren und zu ermahnen, dem Gottesdienst und dem Gebet der Gläubigen vorzustehen, Sakramentalien zu spenden und den Beerdigungsritus zu leiten (LG 29).
Unter den genannten Funktionen findet sich keine, die ausdrücklich und ausschließlich dem Diakonat – und nicht etwa auch dem Presbyterat oder dem Episkopat – zugeordnet wäre. Alle dem Diakon zukommenden Aufgaben können grundsätzlich auch Laien ausüben. Das Konzil überlässt den Bischöfen die Entscheidung, „ob und wo es für die Seelsorge angebracht ist, derartige Diakone zu bestellen“ (LG 29). Dieser Umstand erinnert daran, dass ein Hauptmotiv für die Wiedereinführung des Diakonats in der Abhilfe für den herrschenden Priestermangel liegt, zumal die Umschreibung dieses „neuen“ Amtes keine einzige gleichsam urdiakonische Aufgabe zu erkennen gibt. Zudem spricht der Konzilstext ausschließlich von Männern. Der Neutestamentler Thomas Söding deutet möglicherweise hieraus resultierende Implikationen an: Wollte man den Diakonat auf Dauer nicht für Frauen öffnen, um die Einheit des Weiheamtes zu wahren, müsste man ein Äquivalent suchen, um dem Charisma, der Kompetenz und dem nachhaltigen Engagement von Frauen und Männern, die nicht geweiht sind, aber in der Lehre, in der Liturgie und in der Diakonie wesentliche Aufgaben in der Kirche und für die Kirche übernehmen, einen genau umschriebenen Dienst (dem 21 neutestamentlichen Wort für „Amt“) zuzuordnen.
Eine im Sinne Rahners theologische Begründung findet die Wiedereinführung des Diakonats im Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad gentes: [...] es ist angebracht, dass Männer, die tatsächlich einen diakonalen Dienst ausüben, [...] durch die von den Aposteln her überlieferte Handauflegung gestärkt und dem Altare enger verbunden werden, damit sie ihren Dienst mit Hilfe der sakra-
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TH. SÖDING, „Nicht bedient zu werden, sondern zu dienen“ (Mk 10,45), 62.
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mentalen Diakonatsgnade wirksamer erfüllen können [...] (AG 16).
Anonyme Diakone verlautbaren auf diese Weise ihre Berufung. Zu konstatieren bleibt jedoch: Das Konzil hat den Diakonat zwar von seiner Schattenexistenz befreit, aber es hat noch keine umfassende Theologie des Diakonats als Öffnung der Kirche zur Welt und für eine neue 22 nichtkultische Form der Christusrepräsentation entwickelt.
Heute kommt es weltweit darauf an, den Ständigen Diakonat in seiner möglichen Eigenständigkeit nicht pastoralliturgischen Bedürfnissen zu opfern, so sehr diese sich auch mit Recht an dieses Amt herantragen lassen, sondern ihm einen vorrangig diakonisch-theologischen Grundzug zuzusprechen. 4. VERHEIRATETE GEISTLICHE. NACHKONZILIARE ENTWICKLUNGEN ZUR THEOLOGIE DES DIAKONATS Im Anschluss an das Konzil legt Papst Paul VI. im Jahr 1967 das Apos23 tolische Schreiben Sacrum diaconatus ordinem vor, das konkrete Richtlinien zur Umsetzung der Konzilsbeschlüsse markiert und zumindest auch einige nichtliturgische Aufgaben des Diakons anklingen lässt. Die so initiierte Erneuerungsbewegung schlägt zuerst in Deutschland Wurzeln – mit ersten Ordinationen verheirateter Männer im Jahr 1968 in Köln und in Rottenburg. Noch heute ist der Diakonat in Afrika, Asien und Australien vergleichsweise schwach vertreten, auch in vielen Ländern Osteuropas – im Unterschied zu Nord- und Südamerika sowie zu vielen anderen Regionen Europas. Insgesamt leben etwa 24 35.000 Diakone weltweit. Sie bilden die einzige wachsende Berufsgruppe der Kirche.
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JUREVICIUS, Zur Theologie des Diakonats, 87. PAUL VI., Apostolisches Schreiben Sacrum Diaconatus Ordinem, in: Nachkonziliare Dokumentation 38, eingeleitet und kommentiert von Heribert Schmitz, 2., verbesserte Auflage, Trier 1977, 42-61. Vgl. A. GONDAN, Weltstatistik zum Ständigen Diakonat im Dezember 2007, in: Diaconia Christi 43 (2008) 139f.
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Die im Jahr 1998 erlassenen „Grundnormen für die Ausbildung der 25 Ständigen Diakone“ nennen als Motive zur Wiedereinführung des Diakonats an erster Stelle den Wunsch, die Kirche durch den diakonischen Dienst zu bereichern; an zweiter Stelle die Absicht, durch die Weihegnade diejenigen zu stärken, die bereits diakonische Aufgaben wahrnehmen; an dritter Stelle das Bemühen, dem Priestermangel ent26 gegenzuwirken. In dieser Reihenfolge tritt die konstitutive Schwäche eines aus der Not (wieder-) geborenen Diakonats zurück hinter die gelebte diakonische Praxis, welche die Kirche dazu ermahnt, diese Weihe zu spenden. Der Diakonat trägt dazu bei, martyria, leiturgia und diakonia, also Verkündigungsdienst, Gottesdienst und Menschen27 dienst, in einen zeichenhaften Zusammenhang zu bringen – zugunsten einer Erneuerung der Diakonie, an der in kulturell und religiös pluraler Welt die Glaubwürdigkeit der Kirche hängt. 4.1 Jesus Christus als Diakon Nachkonziliare Bestrebungen gehen dahin, den Bezug des Diakonats zu Jesus Christus stark zu machen, wenn die Diakonie Jesu beziehungsdichte Heilungsprozesse umfasst; wenn er „wie der, der bedient“ (Lk 22,27), den Weg einer Karriere nach unten zeigt, alles Herrische von sich weist und sich als Diakon versteht; wenn dem Diakon bei der Ordination die Stola als kleines Handtuch zum Zeichen der Fußwaschung überreicht wird, von der das Johannes-Evangelium anstelle der synoptischen Einsetzung des Abendmahls berichtet und in Jesu Aufforderung zur Diakonie münden lässt: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe“ 25
Vgl. KONGREGATION FÜR DAS KATHOLISCHE BILDUNGSWESEN/KONGREGATION FÜR die Ausbildung der Ständigen Diakone. Direktorium für den Dienst und das Leben der Ständigen Diakone (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 132), Bonn 1998. Vgl. ebd., 14. Wenn der Diakon in allen drei Grunddiensten wirkt, lässt er sich nicht durch andere Ämter und Dienste ersetzen. Darauf verweist vor dem Hintergrund des Niedergangs des Diakonats in der Spätantike G. PREDEL, Veränderte soziale Wirklichkeit – verändertes Amt. Zum Niedergang des Diakonates als eigenständigem Amt am Beispiel der Kirche Galliens im 4.-7. Jahrhundert, in: K. Armbruster/M. Mühl (Hg.), Bereit wozu? Geweiht für was? Zur Diskussion um den Ständigen Diakonat (Quaestiones Disputatae 232), Freiburg u.a. 2009, 63-94, hier 93. DEN KLERUS, Grundnormen für
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(Joh 13,15); wenn er in seinem Leiden am Kreuz, in seiner Em-pathie, in seinem Hinein-leiden solidarisch mit dem Leiden und Sterben in der Welt wird; wenn Christus auch in anonymer Diakonie repräsentiert wird durch den, der dient (Mt 25,40), aber dank der Menschwerdung Gottes auch durch den, der bedient wird. Die Diakonie Jesu Christi manifestiert die Menschenfreundlichkeit Gottes, sie ist Gottesauslegung in Vollgestalt. 4.2 Diakonat als Sakrament der Diakonie aller Gläubigen Im diakonischen Amt der Kirche lebt der diakonos Christos fort; von ihm her hat die Kirche eine diakonische Existenz – und steht doch fortwährend in der Versuchung, Herrscherin zu werden und nicht Diakonin zu bleiben. Der Diakonat lässt sich als Sakrament der Diakonie aller Gläubigen fassen; so, dass Diakone urdiakonische Aufgaben übernehmen und mehr noch Gemeinden zu diakonischem Einsatz animieren und qualifizieren – und nicht etwa qua Amt diakonisches Handeln von weiblichen und männlichen Laien disqualifizieren. Eine diakonische Predigt lebt denn auch aus zwei Quellen der Verkündigung, aus den Geschichten des Leidens und der Erlösung in der Offenbarung ebenso wie aus den Lebensgeschichten von Frauen und Männern, jungen und alten Menschen, die heute ihrer Rechte beraubt sind und Solidarität beanspruchen. 4.3 Doppelte Sakramentalität Zum Thema wird auch die doppelte Sakramentalität von Ehe und Diakonat, weil die Aufhebung der Zölibatspflicht zur Existenz verheirateter Geistlicher führt; über 90 % der Ständigen Diakone sind Ehemänner. Die Hochschätzung der Ehe kommt hier in ganz eigener Weise zum Ausdruck. Ordo und Ehe sind genau die beiden Sakramente, die der jeweilige Empfänger und die jeweilige Empfängerin nicht so sehr für sich, nicht so sehr zur Stärkung der eigenen Gottesbeziehung annehmen, sondern vorrangig zugunsten anderer: die Ordination zugunsten einer Gemeinde, die Trauung zugunsten eines Gegenübers und ihrer Kinder. In diesem Sinne gehören Ehe- und Weihesakrament konstitutiv zusammen – und sie unterscheiden sich darin sowohl von den drei Initiationssakramenten als auch von Buße und Krankensalbung.
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Ehe- und Weihesakrament lassen sich als Standessakramente zusammenfassen, denn sie kommen der Heiligung eines Standes zugute, und dies in einer Existentialität, die sich in der unbegrenzten Dauer der mit den Sakramenten verbundenen Gaben und Aufgaben zeigt: Die Ehe ist unauflöslich, der Ordo verleiht ein unauslöschliches Merkmal (character indelebilis). Wenn besondere Umstände auf eine Änderung drängen, erfolgt diese auf rechtlicher, nicht auf theologi28 scher Ebene. Gewiss, mit dem Empfang beider Standessakramente potenzieren sich auch Verpflichtungen, die wohl nur dann nicht zur Überforderung werden, wenn jene Forderungen nicht aus uns selbst entstehen und nicht aus uns selbst erfüllt werden müssen, sondern wirklich aus jener Zuwendung hervorgehen, die Gnade heißt – Gnade jenes Gottes, der sie in uns wirkt und in uns vollendet und uns Christinnen und Christen aus den Sakramenten unüberwindlich macht! Auch vor dem Hintergrund der doppelten Sakramentalität lässt sich der Diakonat nicht aus dem Presbyterat ableiten, vielmehr entstammen beide bischöflicher Vollmacht. Wiederum christologisch lässt sich die Beziehung von Diakonat und Presbyterat als Unvermischtheit und Ungetrenntheit der beiden Ämter beschreiben, sie verhalten sich zueinander eigenständig. In diesem Sinne sind Diakon und Priester aufeinander verwiesen und jeweils direkt dem Bischof zugeordnet. 4.4 (Eigen-) Ständiger Diakonat Die Kompetenzerweiterung, die das Konzil für den Diakon in seiner liturgischen Rolle vorsieht, markiert insofern keinen Fortschritt, als sie die jeweiligen Eigenarten von Diakonat und Presbyterat eher verdunkelt als erhellt. Die Absicht des Konzils, die Auswirkungen des Priestermangels mit dem Diakonat zu sanieren, setzt eine Therapie in Gang, die heftige Nebenwirkungen für Diakonat und Kirche mit sich bringt. Denn der Diakon ist nicht Ersatzpriester oder Priesterersatz, vielmehr entfaltet sich sein Amt eigenständig aus dem Bischofsamt und seinem diakonischen Auftrag. Darum brauchen Diakone Orte
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Vgl. W. BEINERT, Ordo und Ehe im Spannungsfeld der Sakramente, in: Arbeitsgemeinschaft Ständiger Diakonat in der Bundesrepublik Deutschland (Hg.), Diakone im Spannungsfeld von Ehesakrament und Weihesakrament – Kontrast oder Ergänzung? (Dokumentation 20 / Jahrestagung 2003), Münster 2003, 38-44.
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diakonischer Präsenz, sie verkörpern die Diaconia Christi unabhängig davon, ob viele oder wenige Priester in ihrer Umgebung arbeiten. „Der Dienst des Diakons ist auch dann unentbehrlich, wenn es genug 29 Priester und aktive Laien gäbe.“ Als sakramentales Zeichen Christi steht er in seiner Gottesbeziehung und in solidarischen Beziehungen zu Menschen in Not ein für jenes diakonische Handeln, das er selber und andere mit ihm ausüben. Ständige Diakone stehen in diesem Sinne im Dienst an den Bedürftigen und in ihrem Auftrag. Theologisch taugen Ständige Diakone nicht als Brücken zwischen Laien und Klerus, da sie ihrerseits zum Stand der Kleriker gehören. Orthodoxe Liturgie hingegen stellt den Diakon als Vermittler zwischen Priester und Volk vor. Sie versteht sich selbst als fortwährende Verwandlung des gesamten Lebens nach dem Vorbild Christi. Diakonie erscheint darum allemal als liturgische Diakonie, gleichsam als Liturgie nach der Liturgie. 4.5 Diakonat im Zivilberuf Bindeglieder zwischen Laien und Klerus sind Diakone in einem soziologischen Sinne, wenn sie dank ihrer Ordination zum Klerus gehören und dank ihres Zivilberufes die Arbeitswelt von Laien teilen. Unter den Geweihten sind sie Nicht-Priester, unter den Nicht-Priestern sind sie Geweihte. Als Brücke fungieren sie insbesondere dann, wenn sie sich der unmittelbar Nächsten und zugleich der Fernsten annehmen und in ihrer Solidarität mit Unterdrückten das Eintreten Gottes gerade für diese Menschen offen legen. Sie können zudem Brücken zwischen gemeindlicher und verbandlicher Diakonie und Caritas, zwischen Gemeinden und sozialen Brennpunkten, zwischen Kirche und Organisationen in freier, weltanschaulicher und kommunaler Trägerschaft bauen. Von daher bedarf es der Diakonisierung eines liturgisierten Diakonats, weil Diakone noch immer im Verdacht stehen, ihnen sei mehr an der Präsenz am Altar gelegen als am diakonischen Amt. Ihr Amt bekleiden sie entweder als Hauptamtliche, die ihren bisher ausgeübten Beruf aufgegeben haben, oder als Diakone im Zivilbe-
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JUREVICIUS, Zur Theologie des Diakonats, 274.
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ruf, die ihren ehedem erlernten Beruf weiterhin ausüben und zugleich als Diakone wirken – nicht nur neben, sondern auch in ihrem Zivilberuf. Gerade durch den Diakon im Zivilberuf gewinnt das gesamte kirchliche Amt eine spezifische Lebensnähe und eine spezifische Chance zum glaubwürdigen Zeugnis auch in der Arbeitswelt – und so auch wieder in der Liturgie! 4.6 Diakonisierung des Amtes statt Klerikalisierung der Diakonie Es geht also um eine Diakonisierung des Amtes und nicht um eine Klerikalisierung der Diakonie. Und gerade dem Diakonat kann es nicht darum gehen, sich auf Kosten anderer Ämter oder zu Lasten von Laien zu profilieren, sondern seinem diakonischen Grundzug, seiner ureigenen Berufung auf die Spur zu kommen und damit den Diakonat in seiner ständigen Gestalt zu einer eigenständigen Gestalt zu entwickeln. Die Geschichte des Diakonats und gerade ihre Nachzeichnung zeigen nämlich, dass der Diakonat genau dort und nur dort blüht, wo er die ureigene Aufgabe des konkreten Dienstes an armen und rechtlosen Menschen in enger Verbindung mit dem Gottesdienst in Wort und Tat wahrnimmt. In dieser Hinsicht wird für den zweiten historischen Start des Ständigen Diakonats alles davon abhängen, ob er seinen ihm gemäßen Ort findet. 4.7 Internationales Diakonatszentrum Im Zuge der Wiedergeburt dieses Amtes formierte sich zur Zeit des 31 Konzils das Internationale Diakonatszentrum (IDZ) zum Studium und zur Förderung des Diakonats. Das IDZ arbeitet als kirchlich anerkannter eingetragener Verein und wird getragen von engagierten weiblichen und männlichen Laien, von Theologinnen und Theologen, Diakonen, Priestern und Bischöfen aus aller Welt. Seit dem Konzil veranstaltet das IDZ alle vier Jahre eine internationale Studienkonferenz, im März 2009 in Wien mit Beteiligten aus etwa dreißig verschiedenen Ländern, im Juni 2013 im mährischen Velehrad. Zudem
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Vgl. G. FÜRST, Caritas – Das Liebestun als Auftrag der Kirche, in: Diaconia Christi 43 (2008) 97-108.
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gibt das IDZ seit nun schon fast fünfzig Jahren die Halbjahreszeitschrift Diaconia Christi heraus. Das IDZ fördert den Ständigen Diakonat auf vielfältige Weise und trägt nicht nur zur Solidarisierung untereinander bei, sondern auch zu einer Solidarität, die denen zugute kommt, zu denen Diakone gesandt und die darauf am dringendsten angewiesen sind. 5. AUS GÖTTLICHER SOLIDARITÄT. FÜR EINE SPIRITUALITÄT … Familiengottesdienst zum Erntedankfest vor einigen Jahren: In unserer Gemeinde verkünden Kinder das Evangelium, sie spielen die Geschichte von der wunderbaren Vermehrung der fünf Brote und der zwei Fische. Erzieherinnen bereiten sich mit den Kindern intensiv darauf vor, darunter auch meine beiden Söhne Ruben und Simon. Die Erzieherinnen stellen für den Gottesdienst in Aussicht, dass sie Brot und Fische mitbringen, und Ruben übernimmt die Rolle Jesu – mit der Begründung, dass sich sonst sowieso keiner traut. Meiner Frau und mir ist lebendig in Erinnerung, wie er kurz vor Beginn des Gottesdienstes zu bedenken gibt: „Ob die Erzieherinnen wohl echtes Brot und echte Fische bringen? Auf jeden Fall ist der Jesus echt!“ Oft gehen mir die Augen auf angesichts der großen Fragen, die die Kleinen bewegen. Kleine und große Menschen, die erzählen, wes Geistes Kind sie sind, aus welchem Geist, aus welchem spiritus sie leben, gewähren Einblicke in ihre Spiritualität. Leben im Geist, geistliches Leben zeigt sich inspiriert, begeistert von Kräften und Impulsen, die nicht aus mir selbst kommen und, wenn sie bei mir ankommen, nicht bei mir verbleiben. Dabei denke ich nicht allein an die einleitend angedeuteten Erfahrungen eines geheimen Diakons, sondern auch an weltkirchliche Erfahrungen, die mir seit meiner Ordination zuteil wurden: an einen Aufenthalt von IDZ-Delegierten in Südafrika und den nicht nur dort tobenden Kampf gegen HIV/AIDS, an den Einsatz lateinamerikanischer Diakone hinter Gefängnismauern, schließlich an von Misereor initiierte Projekte in China und Begegnungen mit Chinesinnen in ganz prekärer Lage. Ich denke auch an
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Informatives und Aktuelles findet sich auf der Homepage des IDZ: www.diaconiaidz.org.
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gemeindliches Engagement zugunsten vielfältiger weltkirchlicher 32 Partnerschaften mit Ländern des Südens und des Ostens. 5.1 … im konziliaren Wandel von einer West- zu einer Weltkirche Aber auch wenn im Kontext der Kolonialgeschichte eine weltweite Verbreitung des Christentums erfolgte, so ist mit der Universalisierung einer „West“-Kirche noch keine „Welt“-Kirche realisiert. Damit ist allenfalls an „das Tun einer Exportfirma“ erinnert, „die eine europäische Religion, ohne eigentlich diese Ware verändern zu wollen, in alle Welt exportierte wie ihre sonstige sich überlegen haltende Kultur 33 und Zivilisation“. Für die katholische Kirche bildet schließlich das Zweite Vatikanische Konzil den ersten amtlichen Selbstvollzug als Weltkirche – und damit den Aufbruch zu einem kulturell plural verwurzelten Christentum. Dieser epochale Wandel von einer West- zu einer Weltkirche konnte einsetzen, weil das Konzil eine Neubestimmung des Verhältnisses von Kirche und Welt bietet. Für die dogmatische Konstitution Lumen gentium ist Kirche „in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (LG 1). Sie empfängt – auch als 34 35 Gemeinde – „die Sendung“, nicht sich selbst, sondern „das Reich
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Vgl. K. KIESSLING/C. CHO/V. PIRKER (Hg.), Weltkirchliche Arbeit heute für morgen – Wissenschaftliche Studie in Gemeinden deutscher Diözesen (Arbeitshilfen 235), Bonn 2009, und K. KIESSLING/C. CHO/H.-J. WAGENER, Blickpunkt Lateinamerika. Empirische Studie zur weltkirchlichen Arbeit der Bischöflichen Aktion Adveniat (Diakonie und Ökumene 4), Münster 2012. K. RAHNER, Theologische Grundinterpretation des II. Vatikanischen Konzils, in: Ders., Schriften zur Theologie, Bd. 14, Einsiedeln 1980, 287-302, hier 288; siehe auch M. SIEVERNICH, Die Aktualität der Mission nach Karl Rahner, in: Missionswissenschaftliches Institut Missio (Hg.), Ein Glaube in vielen Kulturen. Theologische und soziopastorale Perspektiven für ein neues Miteinander von Kirche und Gesellschaft in der einen Welt, Frankfurt am Main 1996, 186-204. Vgl. dazu S. KNOBLOCH, Potential Ortsgemeinde. Ein praktisch-theologisches Plädoyer, in: Pastoraltheologische Informationen 28 (2008) 2, 55-85. Zur Unterscheidung von Kirche und Reich Gottes nimmt das Konzil Stellung: „Bis es [...] einen neuen Himmel und eine neue Erde gibt, in denen die Gerechtigkeit wohnt (vgl. 2 Petr 3,13), trägt die pilgernde Kirche in ihren Sakramenten und Einrichtungen, die noch zu dieser Weltzeit gehören, die Gestalt dieser Welt, die ver-
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Christi und Gottes anzukündigen und in allen Völkern zu begründen“ (LG 5). Die Kirchenkonstitution erhebt einen klaren missionarischen Anspruch – und begründet ihn trinitarisch: „Wie nämlich der Sohn vom Vater gesandt ist, so hat er selbst die Apostel gesandt (vgl. Joh 20,21) mit den Worten: ‚Gehet hin und lehret alle Völker, taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, lehret sie alles halten, was ich euch geboten habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt’ (Mt 28,18-20) [...]. Jedem Jünger Christi“, so heißt es ausdrücklich, „obliegt die Pflicht, nach seinem Teil den Glauben auszusäen“ (LG 17) – im Sinne der universalen Be36 stimmung des Evangeliums und einer weltkirchlichen Spiritualität. Systematisch-theologisch gewinnt die schon vorgebrachte Solidarität erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und seiner Pastoralkon37 stitution Gaudium et spes Bedeutung (GS 4; 32; 90) , und zwar als Kategorie der Erlösung: Der Gedanke der Genugtuung Gottes durch Jesu Tod am Kreuz tritt zurück, es braucht keine Sühneopfer mehr zur Beschwichtigung eines erzürnten Gottes. Eine Neubegründung von Solidarität tritt hervor – durch die Menschwerdung Gottes, der 38 nicht Versöhnung braucht, sondern seinerseits schenkt (2 Kor 5,21 ). Erlösung gründet in jenem am Kreuz verschenkten Leben: In diesem Heilsopfer Christi solidarisiert sich Gott mit allen entmenschlichten Opfern […]. Daraus folgt ein sozialkritisches Potential: jede weitere entfremdende Opferung kann nun in
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geht, und zählt selbst so zu der Schöpfung, die bis jetzt noch seufzt und in Wehen liegt und die Offenbarung der Kinder Gottes erwartet (vgl. Röm 8,19-22)“ (LG 48). Vgl. M. SIEVERNICH, Missionarisch Welt-Kirche sein. Konturen des heutigen Missionsverständnisses, in: Zur Debatte 34 (2004) 7, 21-22, und G. COLLET, Ortskirchliches Engagement und weltkirchliche Solidarität. Bemerkungen zum christlichen Einsatz im Horizont der Globalisierung, in: J. Werbick/F. Schumacher (Hg.), Weltkirche – Ortskirche. Fruchtbare Spannung oder belastender Konflikt?, Münster 2006, 109-127, hier 117. Dazu K. KIESSLING, Lernziel: Solidarität – sozialpsychologische Qualität und theologische Dignität eines Prozesses, in: A. Biesinger/O. Fuchs/K. Kießling (Hg.), Solidarität als interkultureller Lernprozeß (Tübinger Perspektiven zur Pastoraltheologie und Religionspädagogik 22), Münster 2005, 71-95. Zu biblischen Zugängen zur Stellvertretung vgl. B. JANOWSKI, An die Stelle des Anderen treten. Zur biblischen Semantik der Stellvertretung, in: Ders./J. Chr. Janowski/ H. P. Lichtenberger (Hg.), Stellvertretung. Theologische, philosophische und kulturelle Aspekte, Bd. 1, Neukirchen-Vluyn 2006, 43-68.
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Christi Namen nicht mehr gerechtfertigt und erpresst werden, 39 sondern nur noch aufs allerheftigste verurteilt werden.
Der Tod Jesu lässt sich dann als „das letzte Opfer“ beschreiben, „welches 40 alle künftigen unfreiwilligen menschlichen Opfer disqualifiziert“. Jesus Christus offenbart und verwirklicht Gottes Liebe und Solidarität mit den Menschen und befreit sie mit seiner Botschaft vom Reich Gottes zur Solidarität untereinander. „Nur wo Gott Mensch wird und als Mensch radikal der Mensch für die andern ist, da wird der Grund gelegt zu einer neuen Daseinsmöglichkeit und einer neuen Solidarität 41 unter den Menschen, zu Frieden und Versöhnung in der Welt.“ Mit der Menschwerdung Gottes setzt unsere eigene Menschwer42 dung ein. Und wenn der Gekreuzigte in das Reich des Todes hinabsteigt, so tritt er in seinem Tod und durch seine Auferstehung in die Solidarität mit den Toten und ihrem Leid ein; so begründet er Solidarität unter den Menschen über den Tod hinaus; so eröffnet er die Vision einer Weltgemeinschaft, die auf göttliche Solidarität setzt. Theologisch orientiert sich diese Vision an einer Zukunft, die sich menschlichem Zugriff entzieht. Sie richtet sich aus an einer Lebenswelt, in der die Qualitäten Gottes zur Lebensqualität menschlicher Verhältnisse geworden sind. In diesem Horizont lässt sich einer brutaler denn je um sich greifenden Globalisierung des Profits und des Elends eine Globalisierung 43 der Solidarität entgegenhalten: Der Weltkirche ist als ältestem global player das global prayer anvertraut, und zu ihrer Mission gehört die An-
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P. BÜHLER, Warum müssen wir uns heute noch in Theologie und Verkündigung mit dem Opfer befassen?, in: H. J. Luibl/S. Scheuter (Hg.), Opfer. Verschenktes Leben (denkMal – Standpunkte aus Theologie und Kirche 3), Zürich 2001, 3-7, hier 6. R. MUNZ, Feministisch theologische Opferkritik, in: H. J. Luibl/S. Scheuter (Hg.), Opfer. Verschenktes Leben (denkMal – Standpunkte aus Theologie und Kirche 3), Zürich 2001, 9-12, hier 12 (Hervorhebungen Munz). W. KASPER, Jesus der Christus, Mainz 101986, 266. Auf „Inkarnationskompetenz“ verweist R. BUCHER, Mehr als Adressaten. Grundsätzliche Überlegungen zum Konzept einer milieusensiblen Pastoral, in: M. N. Ebertz/H.-G. Hunstig (Hg.), Hinaus ins Weite. Gehversuche einer milieusensiblen Kirche, Würzburg ²2008, 67-83, hier 74. Vgl. M. BRUHN/A. GRÖZINGER (Hg.), Kirche und Marktorientierung. Impulse aus der Ökumenischen Basler Kirchenstudie (Praktische Theologie im Dialog 20), Fribourg/Ue. 2000, sowie K. GABRIEL/K. RITTER (Hg.), Solidarität und Markt. Die Rolle der kirchlichen Diakonie im modernen Sozialstaat, Freiburg u.a. 2005.
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waltschaft für die Armen und Unterdrückten sowie die Pflicht, stellvertretend einzutreten und die Stimme zu erheben für diejenigen, die keine Stimme haben, überhört werden oder verstummt sind. Solidarität ist der biblischen Idee der Stellvertretung verpflichtet – nicht so, dass es Opfer braucht, damit Gott sich versöhnen lässt, aber so, dass Menschen füreinander eintreten. Solidarität will demjenigen, dem sie gilt, dessen Platz nicht wegnehmen, sondern ihm den Raum für dessen eigenes Dasein schaffen. Stellvertretung meint einen Einsatz, der das Gegenüber nicht ersetzt, sondern freisetzt. Ich denke beispielsweise an die Rolle von Eltern: In vielfältiger Weise sind sie als Vertreterinnen und Vertreter ihrer Kinder gefragt, aber niemals so, dass sie sie ersetzen, sondern so, dass sie sie stärken, damit sie eines Tages selber diese Stelle einnehmen können. Den Wandel von einer West- zu einer Weltkirche hat auch das jüngste Konklave vollzogen: „Brüder und Schwestern, guten Abend! Ihr wisst, es war die Aufgabe des Konklaves, Rom einen Bischof zu geben. Es scheint, meine Mitbrüder, die Kardinäle, sind fast bis ans Ende der Welt gegangen, um ihn zu holen […].“ Diese Worte fand Papst Franziskus am 13. März 2013, als er sich erstmals auf der Loggia des Petersdoms zeigte. Der Heilige Vater weckt mit der Wahl seines Namens insbesondere bei Ständigen Diakonen spezifische Hoffnungen. Doch schon sein Vorgänger spricht von einer „Diakonie der Stell44 vertretung“ – lange bevor Joseph Ratzinger zu Benedikt XVI. wurde: Er führt unter Verweis auf das Bild des Moses (im Buch Deuteronomium) und die Gottesknechtlieder (bei Jesaja) aus, dass „die Idee der Stellvertretung eine der Urgegebenheiten des biblischen Zeugnisses ist, deren Wiederentdeckung dem Christentum in seiner heutigen Weltenstunde zu einer entscheidenden Erneuerung und Vertiefung 45 seines Selbstverständnisses verhelfen kann“. Und je länger ich Diakon bin, desto lebenswichtiger wird mir eine Praxis der Stellvertretung – auch in der Hoffnung, dass daraus eine eigene Gestalt von dia46 konischer Spiritualität erwächst, die sich in der Spur dessen bewegt, was sich biblisch abzeichnet, als Dienst im klassischen Sinne ebenso wie als „Dazwischen gehen“. 44
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J. RATZINGER, Stellvertretung, in: H. Fries (Hg.), Handbuch theologischer Grundbegriffe, Bd. 4, München 21970, 127-137, hier 129. Ebd., 137. Vgl. K. KIESSLING (Hg.), Diakonische Spiritualität. Beiträge aus Wissenschaft, Ausbildung und Praxis (Diakonie und Ökumene 3), Münster 2009.
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5.2 ... in der Kirche als erstem Ort der Stellvertretung Kirche verstehe ich als den ersten Ort einer Stellvertretung, die dazu 47 befähigt, in der Welt Verantwortung zu übernehmen. Sie wirkt als Stellvertreterin aller Völker vor Gott und zugleich als Stellvertreterin des nicht mehr anwesenden Jesus Christus für und vor den Menschen. In ihrer Sendung bleibt der Inhalt der Botschaft der Maßstab, an 48 dem Zeuginnen und Zeugen sich orientieren: „Du kannst nur das 49 evangelisieren, was du von Herzen liebst.“ Schließlich ist ja auch unser Glaube nicht die Bedingung für Gottes Liebe; Glaube ist vielmehr die Auskunft darüber, dass Gott alle Menschen bedingungslos liebt, so dass sie sich verändern können. Gott ist als Vater, Sohn und Geist selbst Beziehung, Gottes Geheimnis lebt als Beziehung und in Beziehung: Ohne die spirituelle Rückbindung und Verwurzelung der Mission in der grenzüberschreitenden Liebe Gottes würde sie zum Machwerk der Menschen und ihrer Ausgrenzungen. Mission betreibt die Kirche nicht aus sich selbst. Sie verdankt sich vielmehr dem Sendungsauftrag Jesu Christi und setzt dessen Sendung nach Kräften fort. Sie lebt durch jene, die bezeugen, was ihnen selbst widerfährt. Die Erfahrung, unbedingt angenommen und geliebt zu sein, lebt nur fort, wenn Menschen diese nicht wie einen Raub für sich behalten, sondern mit ihren Mitmenschen teilen. Mission zielt auf das 50 Mitteilen des Evangeliums. Wenn Pastoral sich nicht exklusiv bin47
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Vgl. W. PALAVER, Die Bedeutung von Stellvertretung für eine theologische Sozialethik. Ein Beitrag aus der Sicht der mimetischen Theorie René Girards, in: J. Chr. Janowski/B. Janowski/H. P. Lichtenberger (Hg.), Stellvertretung. Theologische, philosophische und kulturelle Aspekte, Bd. 1, Neukirchen-Vluyn 2006, 213-226. Vgl. O. JOHN, „Zeit zur Aussaat. Missionarisch Kirche sein“. Überlegungen im Anschluss an ein Wort der deutschen Bischöfe, in: K. Vellguth (Hg.), Missionarisch Kirche sein. Erfahrungen und Visionen, Freiburg u.a. 2002, 120-141, hier 140. H. SCHALÜCK, Am Anfang war die Beziehung. Über das Verhältnis von missionarischer Spiritualität und Dialog, in: K. Vellguth (Hg.), Missionarisch Kirche sein. Erfahrungen und Visionen, Freiburg u.a. 2002, 79-86, hier 86; siehe auch K. K IESSLING, Nicht aus sich selbst und nicht für sich selbst. Zum diakonischen Primat einer missionarischen Kirche, in: J. Kreidler/Th. Broch/D. Steinfort (Hg.), Zeichen der heilsamen Nähe Gottes. Auf dem Weg zu einer missionarischen Kirche. Bischof Gebhard Fürst zum 60. Geburtstag, Ostfildern 2008, 126-138. Vgl. G. COLLET, Sich der Gegenwart aussetzen. Missionstheologische Bemerkungen zum Glaubenszeugnis in unserem Kontext, in: M. Böhnke/M. Bongardt/G. Essen/J. Werbick (Hg.), Freiheit Gottes und der Menschen. Festschrift für Thomas Pröpper, Regensburg 2006, 381-393, hier 391.
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nenkirchlich versteht, sondern im Sinne des Konzils als kreative Konfrontation des Evangeliums mit der Gegenwart, so zielt sie auf eine solidarische Verbundenheit mit allen. Dann setzt sie auch nicht auf eine Ideologie des Gesundschrumpfens unserer Kirche, schon gar nicht mit elitärem Bewusstsein. Mission betreibt die Kirche nicht nur nicht aus sich selbst, auch 51 nicht für sich selbst, sondern zugunsten derer, deren Würde angetastet ist und die unserer Solidarität am meisten bedürfen – unabhängig davon, ob sie zur Kirche gehören oder nicht. Denn nicht die Kirche ist das Ziel, sondern das Reich und die Solidarität Gottes, „damit auf Erden sein Weg erkannt wird und unter allen Völkern sein Heil“ 52 (Ps 67,3). 5.3 ... in Stellvertretung für unersetzliche Menschen Menschen sind unersetzlich, sonst würden sie und ihre Menschenwürde verraten. Aber wem bin ich unersetzlich? Wer diese Frage nicht stellt, der verfehlt das Geheimnis jedes unersetzlichen Menschen. Und unersetzlich bin ich einzig denen, die mich lieben – solange sie mich lieben. Zu einem Unersetzlichen werde ich nicht aus mir selbst, sondern indem ich angewiesen bleibe auf andere. Unersetzlich bin ich denen, die ihre Hoffnung auf mich setzen. Und gerade dann kann ich mich in meiner eigenen Schwachheit annehmen, ohne an ihr zu verzweifeln. Aber dabei bin und bleibe ich – bewusst oder nicht – angewiesen auf Stellvertreter, die für mich eintreten, ohne aus mir eine Null zu machen. „Wer nach den Strukturen gelebter Stellvertretung fragt, wird nicht umhin können, nach Christus zu fragen, also danach, in welchem Sinne sich die Stellvertretung beschreiben lässt, die die konkrete Per53 son Jesus [...] freiwillig für alle [...] leisten soll.“ Mein Stellvertreter,
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Vgl. B. J. HILBERATH, Thesen zur Theologie des Diakonats, in: K. Kießling (Hg.), Ständige Diakone – Stellvertreter der Armen? Projekt Pro Diakonia: Prozess – Positionen – Perspektiven (Diakonie und Ökumene 2), Münster 2006, 92-104. Vgl. SEKRETARIAT DER DEUTSCHEN BISCHOFSKONFERENZ (Hg.), Allen Völkern Sein Heil. Die Mission der Weltkirche (Die deutschen Bischöfe 76), Bonn 2004. D. SÖLLE, Stellvertretung (Gesammelte Werke 3), Stuttgart 2006, 88; siehe auch H. GOLLWITZER, Von der Stellvertretung Gottes. Christlicher Glaube in der Erfahrung der Verborgenheit Gottes. Zum Gespräch mit Dorothee Sölle, München 1967.
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der an meiner Stelle glaubt, hofft und liebt, weil ich nicht glauben, nicht hoffen, nicht lieben kann, hebt mich nicht auf, so dass es auf mich nicht mehr ankäme. Vielmehr läuft er vor, und ich folge nach, andere folgen nach, weil er sich nach uns umsieht und uns ansieht. Er verleiht uns durch sein Ansehen Ansehen. Er leidet mit denen und an denen, die nicht nachkommen. Der Stellvertreter ist empfindlich für ihr Leid. Mir liegt daran, die Weltgerichtsrede (Mt 25,31-46) ins Spiel zu bringen: Hier begegnet ausgerechnet in den Bedürftigen und Ausgegrenzten der, in dem Gott selbst begegnet. Dieser Umstand schürt meine Skepsis gegenüber einem Repräsentationsgedanken, der speziell den Amtsträgern eine repraesentatio Christi zuschreibt. Dieser lateinische Begriff umschreibt – anders als die Stellvertretung – ein Verhältnis von Urbild und Abbild. Geraten Repräsentanten nicht in Versu54 chung, „zu vereinnahmen, was (oder wen) sie repräsentieren“ ? Vor allem dann, wenn „die Absolutheit des Repräsentierten in einer QuasiAbsolutheit der Repräsentierenden abgebildet sein und von ihnen 55 entsprechend geltend gemacht werden soll“ ? Die Weltgerichtsrede lese ich als biblische Kritik an solcher Vereinnahmung, denn göttliche Macht und Herrschaft bildet sich hier gerade nicht in weltlicher Macht und Herrschaft ab. Sie lässt sich überhaupt nicht einfangen, auch nicht von Amts wegen – ganz im Sinne des biblischen Bilderverbots. Jesus Christus begegnet in Leidenden und Ohnmächtigen: Diese Dynamik durchkreuzt ein ohnehin statisch anmutendes Urbild-Abbild-Denken. Diesem ziehe ich eine Diakonie der Stellvertretung vor, die zwar Demut verlangt, aber unverfänglich wirkt. Jesus Christus begegnet dann nicht in einer Einbahnstraße, gar vom Amtsträger zum Bedürftigen. Die Weltgerichtsrede stellt genau diese Idee vom Kopf auf die Füße. Was aber heißt für den Diakon 56 dann, in persona Christi capitis zu dienen?
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J. WERBICK, Repräsentation – eine theologische Schlüsselkategorie?, in: M. J. Rainer/H.-G. Janßen (Hg.), Bilderverbot (Jahrbuch Politische Theologie 2), Münster 1997, 295-302, hier 300. Ebd. Diese Wendung findet sich im Codex Iuris Canonici, 2., verbesserte und vermehrte Auflage, Kevelaer 1984, Can. 1008, und bezieht sich auf Episkopat, Presbyterat und Diakonat (Can. 1009, § 1).
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5.4 … angesichts des Motu proprio Omnium in mentem (2009) Diese Frage stellte sich mir schon in der Vorbereitung auf die eigene Ordination – und seither immer wieder, auch in der Ausbildung zukünftiger Mitbrüder, und erneut angesichts der Veröffentlichung des Motu proprio Benedikts XVI. am 15. Dezember 2009. Omnium in mentem spricht den Bischöfen und Priestern zu, in persona Christi capitis zu handeln, also in der Person Christi des Hauptes, nicht mehr aber den Diakonen. Die Einschätzungen darüber, wer und was den Papst zu diesem Motu proprio bewegte, sowie darüber, worauf er damit zielt, gehen nach wie vor auseinander, sowohl unter den Diakonen weltweit 57 als auch in theologischen Fachkreisen: Da kenne ich diejenigen, die das Motu proprio so lesen, dass sie es uneingeschränkt begrüßen können, und zugleich diejenigen, die es so auffassen, dass sie in eine spirituelle Krise stürzen. Auch ich selber erlebe eine Irritation – ganz im Gegensatz zu jener Klarheit, die Benedikt XVI. sonst pflegte und zeigte, beispielsweise in der Auseinandersetzung mit sexueller Gewalt in unserer Kirche, in der er früher als viele Bischöfe Klartext gesprochen hat, auch mit ihnen. Möglicherweise lag seine Absicht darin, klarzulegen, dass kirchliche Leitungsaufgaben bei Bischöfen und Priestern liegen und der Diakon in persona Christi servi handelt, in der Person Christi des Dieners. Die seinerzeit kursierende Vermutung, mit diesem Motu proprio solle ein Diakonat der Frau auf den Weg kommen, teile ich nicht. Denn dafür schafft das Dokument, soweit ich sehe, keine Grundlagen. Unabhängig davon ließen die vergangenen Monate Neuaufbrüche zu einem weiblichen Diakonat und Suchbewegungen nach dessen spezifischer Gestalt spürbar werden, die ich hoffnungsvoll wahrnehme. Zugunsten der Einheit des Ordo und zugunsten des Dienstcharakters aller Ämter halte ich mich an eine Wendung, die schon der Vorgänger Benedikts XVI. vorbrachte. Denn schon das Konzil lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass an „der Sendung und Gnade des Hohepriesters […] in eigener Weise auch […] die Diakone“ (LG 41) teilhaben. Nach Johannes Paul II. handelt der Diakon in der Person Jesu Christi, insofern Jesus Christus als Herr und Haupt der Kirche zu-
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Vgl. M. KIRSCHNER, Amtlich in der Person Christi handeln – als Diakon? Zur Theologie des Diakonats aus Anlass des Motu proprio „Omnium in mentem“ vom 15. Dezember 2009, in Diaconia Christi 45 (2010) 231-243.
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gleich zum Diener aller wurde. In meinen Augen erinnert der Diakon 58 die sakramentale Würde der Geringsten. Er ist ihr Vertreter, solidarisch und spirituell, nicht aber ihr Ersatzmann. Er bringt Soziales als geistliches Lebensmittel ins Spiel. 5.5 ... in Fürbitten und Segensgesten „Von Christus geht alle Stellvertretung aus, und nur durch ihn und mit ihm und in ihm sind wir selbst Stellvertreter. [...] ‚Kommunion’ mit dem ‚Stellvertreter’ Christus ist Gemeinschaft mit Gott an der Stelle 59 des [...] fußwaschenden Sohnes“. Am Kreuz spricht er eine Fürbitte aus für die Verbrecher, die mit ihm zur Hinrichtung geführt werden: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23,34). Mit dieser Fürbitte eröffnet sich uns die Möglichkeit, dass wir Fürbitten aussprechen und so unseren Nächsten gleichsam zum Christus werden. Fürbitten bilden einen liturgischen Ort zur Einübung in eine Spiritualität christlicher Stellvertretung. Solidarität lebt als Stellvertretung, und Stellvertretung entspringt dem Geist Jesu Christi. Hierher gehört das Zeugnis einer Frau, die ein Tal der Tränen durchschritten hat: Zuallererst: In den allerschwersten Stunden hat der Glaube überhaupt keine Rolle mehr gespielt. Mein Verstand und mein Wille mochten ihn wohl weiterhin bejahen, aber für mein Herz war er unerreichbar. Er war kein Trost, keine Antwort auf verzweifelnd quälende Fragen, keine Hilfe, wenn ich nicht weiterwußte. Ja, im Gegenteil: Nicht der Glaube trug mich, sondern ich mußte auch noch den Glauben tragen. Doch, eine Hilfe war er: In seltenen, aber dann wirklich trostreichen Stunden hat es mir viel bedeutet, dass andere für die Kranken, für mich beteten. Ich habe meinen Mann manchmal darum gebeten, die gleichsam anonym zu Gott geschickten Wünsche („[...] und unsern kranken Nachbarn auch“) auf mich zu lenken. Das hat mich dann wirklich beruhigt und mir ein wenig besseren Schlaf beschert, als sich sonst hätte erwarten lassen. Es war also weni-
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Vgl. S. SANDER, Gott begegnet im Anderen. Der Diakon und die Einheit des sakramentalen Amtes (Freiburger theologische Studien 170), Freiburg u.a. 2006, und S. SANDER, Das Amt des Diakons. Eine Handreichung, Freiburg u.a. 2008. K.-H. MENKE, Stellvertretung. Schlüsselbegriff christlichen Lebens und theologische Grundkategorie, Einsiedeln – Freiburg ²1997, 439.
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ger mein Glaube als der Glaube anderer, die Fürbitte anderer, 60 die eine Rolle gespielt haben auf dem Weg zur Genesung.
Jesus Christus als der Stellvertreter ermöglicht uns wechselseitige Stell61 vertretung. Und in unsere Fürbitten schließen wir auch jene ein, die vor uns gelebt haben und nicht vergessen sind. Auch kennen wir Heilige – als Fürsprecher für uns und einander. Wenn einer des Anderen Last trägt (Gal 6,2), so kann es auch geschehen, dass die wenigen Versammelten für die vielen beten, die derzeit nicht da sind. Und umgekehrt mögen die in der Welt Aktiven auch diejenigen vertreten, die kontemplativ leben. Auch Gemeinden sind miteinander verbunden, Ortskirchen und weltkirchliche Ge62 meinschaften – in gegenseitiger Stellvertretung. Und mir selbst bedeutet es viel, zu spüren, dass irgendwo auf der Welt einer oder eine für mich betet – und ich für sie. Diakone sind „Männer des Gebets“, wie meine Spiritualin gern betont. Aber was, wenn ich im Gebet nichts vernehme, mit dem Geheimnis meines Lebens nicht in Berührung komme? Wenn ich klage, juble, vielleicht schreie? Ist mein Beten dann nicht immerhin schon ein Akt von Freiheit, von Freiheit gegenüber allem Bestehenden, in das ich verstrickt bin? Ist mein Beten dann nicht ein Ausdruck meiner Entschiedenheit, mich nicht mit alledem abzufinden – und angetrieben von einer Leidenschaft, mit offenen Augen zu sehen, verwandelt zu werden und meinerseits verändernd zu wirken? Ist mein Beten dann nicht schon ein Zeichen der Hoffnung darauf, dass mir das Herz
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I. WEBER-GAST, Weil du nicht geflohen bist vor meiner Angst, Mainz 1978, 32f. Vgl. O. FUCHS, Aspekte einer praktischen Theologie der „Stellvertretung“, in: J. Chr. Janowski/B. Janowski/H. P. Lichtenberger (Hg.), Stellvertretung. Theologische, philosophische und kulturelle Aspekte, Bd. 1, Neukirchen-Vluyn 2006, 227-264, hier 257. Vgl. H. KOCH, Stellvertretung, nicht Ersatz. Vom Sein und der Aufgabe der Christen und der Kirche in der heutigen Gesellschaft (Teile 1 und 2), in: Pastoralblatt für die Diözesen Aachen, Berlin, Essen, Hamburg, Hildesheim, Köln, Osnabrück 53 (2001) 67-75. 99-106; O. FUCHS, „Stellvertretung“ – paradoxe Macht der Liebe, in: M. Gielen/J. Kügler (Hg.), Liebe, Macht und Religion. Interdisziplinäre Studien zu Grunddimensionen menschlicher Existenz. Gedenkschrift für Helmut Merklein, Stuttgart 2003, 357-378; O. FUCHS, Solidarität auf der Basis christlicher Spiritualität, in: A. Biesinger/O. Fuchs/K. Kießling (Hg.), Solidarität als interkultureller Lernprozeß (Tübinger Perspektiven zur Pastoraltheologie und Religionspädagogik 22), Münster 2005, 21-52.
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weit wird und mir Kraft zuwächst, mit eigenen Händen zupacken zu können? Kraft, anders zu leben, damit andere leben können? Und dabei bleibe ich angewiesen auf den Segen, auf jene Gnade, nicht selber erringen zu müssen, wovon ich lebe, sondern mich fallen lassen zu dürfen in den Schoß Gottes: Ebenso sieht der Segnende von sich ab. Denn er steht nicht für das Versprechen, das er gibt. Er spielt ein Spiel, dessen Regeln und dessen Ausgang er nicht garantiert. Das ist die Demut des Segnenden: er spendet etwas, was er nicht hat, und seine eigene Blöße hält ihn nicht ab, aufs Ganze zu gehen und Gott als Versprechen zu geben. Der Segnende ist ein schlechter Buchhalter. Er bilanziert nicht, und er gibt nicht nur aus, was er hat. Er sagt nicht nur, was er verantworten kann; und er verspricht nicht nur, was er halten kann. Fallen lässt sich also nicht nur der Gesegnete, fallen lässt sich auch der Segnende in die Sprache und 63 in die Geste, die größer ist als ihr Herz.
Und selbst wenn der Glaube der Segnenden und der Gesegneten schwach ist, so können beide doch Anleihen machen beim Glauben ihrer Schwestern und Brüder, den lebenden wie den toten. Spiritualität der Stellvertretung – in einer Welt der Gnade, in der genau diese Gnade lebt und in der das Unmögliche möglich wird. 5.6 ... Hoffen in Stellvertretung – überall auf der Welt Ich denke erneut an die Delegiertenversammlung des Internationalen Diakonatszentrums im Jahr 2008 in Südafrika, an einen dort veranstal64 teten Studientag und an eine von HIV/AIDS aufs Entsetzlichste bedrohte Welt, in der Vollwaisen aufwachsen, deren älteste Schwester nicht nur für ihre jüngeren Geschwister Sorge trägt, sondern auch schutzlos der Gefahr ausgesetzt ist, vergewaltigt und geschwängert zu werden. Zugleich lebt unser Gottesdienst in Soweto in mir fort, die Kraft der Frauenstimmen, der Tanz in der Liturgie und die starken 63 64
F. STEFFENSKY, Schwarzbrot-Spiritualität, Neuausgabe, Stuttgart 2006, 180. Vgl. E. RAIDT, Ein sozio-politischer Abriss über Südafrika, in: Diaconia Christi 43 (2008) 15-22, und A. MUNRO, Katholische Soziallehre und ihre Antwort auf AIDS, in: Diaconia Christi 43 (2008) 39-53. Beide Texte gingen aus Vorträgen zu diesem Studientag hervor, der am 11. April 2008 am St Augustine College in Johannesburg stattfand.
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Zeichen von Lebensfreude und Gottvertrauen. Doch wie finden diese Hoffnung und jene Hoffnungslosigkeit zueinander? Wer hofft für diejenigen, denen jede Hoffnung abgeht? 65 Ich denke an die Auswertung eindrücklicher Gespräche mit lateinamerikanischen Mitbrüdern, an das Wirken eines argentinischen Diakons, der mit Gefangenen arbeitet, denen ein Beiname anhängt: tumbero, was sich von tumba, Grab, ableitet, weil sie würdelos dahinleben und sich gleichsam in einer Todeszone befinden. Stellvertretend wirken heißt dann nicht, ihnen ihre mögliche Schuld abzunehmen, für die sie selber einstehen müssen; stellvertretend wirken heißt aber, ihnen dort beizustehen, wo sie selber am Ende sind – aus der kraftvollen Spiritualität, von der diese Diakone zusammen mit ihren Frauen und Kindern Zeugnis geben. Ich denke an russische Straßenkinder, die mir in Straßenschächten unterirdisch verlaufende Rohre zeigten, an denen sie sich in Winternächten bei klirrender Kälte wärmen, weil ihnen nach Hause gehen noch unerträglicher wäre. Wer wird ihnen zum Nikolaus? Ich denke an Jugendliche, die in der Ukraine ohne Eltern aufwachsen, weil diese im Ausland Geld verdienen müssen – Jugendliche, die sich und ihre Geschwister durchzubringen versuchen und dabei eine Gewaltbereitschaft entwickeln, mit der umzugehen mich an meine eigenen Grenzen brachte. Ich denke an unglaublich mutige Ordensschwestern, die in Vorstädten Koreas mit denen arbeiten, die auf dem Weg einer rasanten Industrialisierung buchstäblich auf der Strecke blieben, und die ihrerseits Gefahr laufen, vergessen zu werden. Ich denke an junge Frauen in China, dem einzigen Land der Welt, in dem die Zahl der Selbsttötungen von Frauen die nationale Suizidrate von Männern übersteigt, und an alle Menschen, die an einer Kluft zugrunde gehen, die sich zwischen ihr leidvolles Dasein und ihre Hoffnungen schiebt – so schmerzlich, dass sie diese Kluft nicht zu 66 überbrücken vermögen und darum ihre Hoffnungen fahren lassen.
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Vgl. M. MÄHR/K. KIESSLING, Pro Diakonia Latina oder: Vom lebensnahen Mut der Diakone in Lateinamerika (Teile I und II), in: Diaconia Christi 42 (2007) 25-60. 158172. Vgl. K. KIESSLING, Sozialwesen in China. Daten – Fakten – Hintergründe, in: Diaconia Christi 43 (2008) 132-137, und P. JINGNONG DU, „Ich wollte einfach nicht weiterleben“. Plädoyer für eine interdisziplinär verantwortete Seelsorge bei Depressivität
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Ich denke an diejenigen, die ich bei mir zuhause begleite: Wenn mein Leben in Finsternis zu versinken droht, brauche ich einen Menschen, der mir zum Licht wird, der seine Hoffnung in mich und in die Möglichkeiten Gottes mit mir setzt – trotz allem; einen Menschen, der vorläufig und stellvertretend für mich eine Brücke baut über jene Kluft zwischen leidvollem Dasein einerseits und Hoffnungen andererseits. Nur wenn ich spüren kann, wie ein anderer mir und meiner Zukunft etwas zutraut, mein Fünkchen Hoffnung vorsichtig brennend hält, vermag ich selbst wieder Hoffnung zu schöpfen. Hoffnung lässt leben – darum ist es lebensnotwendig, dass andere für mich hoffen, bis ich selbst wieder ein Hoffender bin: Liebevolle Nähe und Treue können Raum und Zeit für eigenes Hoffen neu erschließen und aus alles niederreißender Finsternis einen Weg ans Licht weisen. Diese Liebe erzwingt nichts, sondern hofft alles: Der Stellvertreter lässt dem von ihm Vertretenen die Zeit, an seine Stelle zurückzukehren. Der Stellvertreter zwingt ihn nicht dazu, er hofft für ihn. Liebe ist als Hoffnung Stellvertretung. Der Stellvertreter macht sich abhängig, er weiß, dass er nicht machen kann, was und worauf er hofft, aber genau in dieser Ohnmacht ist er zur Liebe befreit. 67 Diakone verstehen sich als Stellvertreter der Armen – die sie nicht ersetzen, die sie nicht von dem ihnen zustehenden Platz verdrängen, für die sie sich aber einsetzen. Jesus Christus lebt nicht in einer Einbahnstraße vom Amtsträger zum Bedürftigen, vielmehr sind wir alle Bedürftige und sind wir füreinander Christus, wie schon Martin Lu68 ther (1483-1546) betonte. Christus schenkt sich uns in Brot und Wein. Wir werden ein Brot, ein Trank. Wir werden einander Brot und Getränk für den Hunger und den Durst, den andere empfinden. In dieser wechselseitigen Stellvertretung sind wir füreinander präsent – und echt präsent. Wie beim Erntedankfest wissen wir zwar nicht um die Echtheit der Brote und der Fische, die gebracht werden, aber: Auf jeden Fall ist der Jesus echt! Und ob andere Anwesende diesen
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und Suizidalität von Frauen in China (Pastoralpsychologie und Spiritualität 17), Frankfurt am Main 2012. Vgl. K. KIESSLING (Hg.), Ständige Diakone – Stellvertreter der Armen? Projekt Pro Diakonia: Prozess – Positionen – Perspektiven (Diakonie und Ökumene 2), Münster 2006. Vgl. T. MANNERMAA, Der im Glauben gegenwärtige Christus. Rechtfertigung und Vergottung. Zum ökumenischen Dialog (Arbeiten zur Geschichte und Theologie des Luthertums; Neue Folge 8), Hannover 1989, 171.
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kleinen Jesus als echt erlebt haben, hängt an der Aufmerksamkeit, an der Präsenz aller Beteiligten. Und auf diese Präsenz, auf diese Spiritualität der Stellvertretung, auch auf einen Diakonat der Stellvertretung kommt es an. Darin sehe ich einen zentralen Beitrag zur Zukunft der Weltkirche: eine Chance, die sich mit diesem Amt für Diakonie, Kirche und Gesellschaft auftut; eine Chance, die wir nicht rückwärtsgewandt vertun und mutlos verkommen lassen dürfen; eine Chance, die wir beherzt aufgreifen und inhaltlich füllen mögen. Denn was nützt die Realpräsenz Gottes, wenn kein Mensch real präsent ist?
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THOMAS SCHÜLLER
Der CIC – die Krönung des Zweiten Vatikanums? Zur „Hermeneutik des Bruches“ vs. „Hermeneutik der Kontinuität“ (Papst Benedikt XVI.) am Beispiel des kirchlichen Verfassungsrechtes1 1. EINFÜHRUNG Konzilsjubiläen sind nicht nur Grund zur Rückschau, sondern auch Gelegenheiten, eine Zwischenbilanz zu ziehen, bei der unter Rezeptionsgesichtspunkten nach Umsetzung und Desideraten gefragt wird. Kirchenpolitisch geht es darüber hinaus auch um Deutungshoheit. Hat sich das scheinbar „Neue“ dieses Konzils oder doch das „Bewahrende“ durchgesetzt? Selten kommt dabei das katholische Kirchenrecht in den Blick. Und doch lassen sich Zweites Vatikanum und der CIC von 1983 nicht voneinander trennen, da sie von Anfang an in einem unauflöslichen Zusammenhang zueinander stehen. Als Papst Johannes XXIII. neben einer Diözesansynode für die Stadt Rom am 2 25. Januar 1959 das Konzil ankündigte, gab er gleichzeitig bekannt, dass nach Abschluss des Zweiten Vatikanums der Codex von 1917 auf der Basis der Beschlüsse des angekündigten Konzils grundlegend überarbeitet, und auch das Recht für die unierten Ostkirchen neu 3 gefasst werden solle. Johannes XXIII. war davon überzeugt, dass mit
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Diesem Beitrag liegt ein am 23. Jan. 2013 im Rahmen der vom Zentrum für Wissenschaftstheorie der WWU Münster verantworteten Ringvorlesung „Hermeneutik normativer Wissenschaften – Perspektiven aus Rechtswissenschaft und Theologie“ gehaltener Vortrag zugrunde. Vgl. JOHANNES XXIII., Sollemnis allocutio ad Emos. Patres Cardinales in Urbe praesentes, 25. Jan.1959, in: Acta Apostolicae Sedis 51 (1959) 65-69; deutsche Übersetzung in: Herder-Korrespondenz 13 (1958/59), 387f. Vgl. ebd., 388: „Für euch, ehrwürdige Brüder und geliebte Söhne, bedarf es keiner ausführlichen Darlegungen über die geschichtliche und rechtliche Bedeutung die-
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Thomas Schüller
der Promulgation dieser beiden Codices die Arbeit des Konzils gekrönt werden sollte. Krönung, das klingt nach Endpunkt, Vollen4 dung, Schlussstrich, vielleicht auch authentisch-letztverbindlicher 5 Auslegung der Konzilstexte, hier vor allem der drei großen, auch kirchenrechtlich bedeutsamen Konstitutionen Lumen gentium, Gaudi6 um et spes und Sacrosanctum concilium. Und genau hier verlaufen auch die Frontlinien in meiner Fachdisziplin, was die Relevanz des kirchlichen Gesetzbuchs für die Rezeption des Zweiten Vatikanums angeht. Wie die Dogmatik um die rechte ekklesiologische Hermeneutik streitet – ob nun entweder die nur sprachlich wohlklingenden Communio-Elemente nichts an einer allein auf die Primatialgewalt des Papstes zugespitzten Lehre von der
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ser beiden Vorschläge. Sie werden glücklich zur erwünschten Anpassung des kirchlichen Gesetzbuches führen, die die beiden Proben praktischer Anwendung der Vorschriften kirchlicher Disziplin, die der Geist des Herrn Uns auf den Weg eingeben wird, begleiten und krönen soll.“ (Esse condurranno felicamente all´auspicato e atteso aggiornamento del Codice di Diritto Canonico, che dovrebbe accompagnare e coronare questi due saggi di pratica applicazione deo provvedimenti di ecclesiastica disciplina, che lo Spirito del Signore Ci verrà suggerendo lungo la via.: ebd., 68f.). Dazu die Äußerung des Präsidenten des Päpstlichen Rates für die Interpretation von Gesetzestexten, Francesco Kardinal Coccopalmerio, der CIC von 1983 habe die Beschlüsse des Zweiten Vatikanums „vervollständigt“ (http://www.kathweb.at/ site/nachrichten/database/52046.html; eingesehen am 22. Jan. 2013). Vgl. N. LÜDECKE, Der Codex Iuris Canonici von 1983: „Krönung“ des II. Vatikanischen Konzils?, in: H. Wolf/C. Arnold (Hg.), Die deutschsprachigen Länder und das II. Vatikanum (Programm und Wirkungsgeschichte des II. Vatikanum 4), Paderborn u.a. 2000, 209-237. Mit diesem Beitrag richtete Lüdecke eine regelrechte „Kampfansage“ an Dogmatik und einige kanonistische Verfassungsrechtler, wie seinen eigenen Doktorvater Hubert Müller, indem er diesen Verklärung und Verdrängung im Ignorieren des Vorrangs des kirchlichen Rechts als authentischem Interpreten der Lehre des II. Vatikanum vorhielt. Beispielhaft für diese Art von polemischer Streitschrift stehen Kurzformeln wie „Codex sehen, Konzil verstehen“ (64) oder „Codex sticht Konzil“ (65), die sich in einem weiteren Beitrag finden lassen: N. LÜDECKE, Der Codex Iuris Canonici als authentische Rezeption des Zweiten Vatikanums. Statement aus kirchenrechtlicher Sicht, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 26 (2007) 47-69. Vgl. M. GRAULICH, Studium Codicis, Schola Concilii. Zweites Vatikanisches Konzil und Codex Iuris Canonici bei Johannes Paul II., in: D. Meier u.a. (Hg.), Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils in Theologie und Kirchenrecht heute, Essen 2008, 163-182, hier 176. Graulich merkt mit Verweis auf die Apostolische Konstitution Sacrae diciplinae leges, mit der die Promulgation des CIC verfügt wurde, an, dass „Krönung“ bzw. das verwendete Wort complementum weniger Vervollständigung im Sinne von endgültiger Vollendung, sondern „Ergänzung“ meine.
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römisch-katholischen Kirche zu ändern vermögen oder doch das Papstamt einzubetten ist in ein Gesamtkonzept von Kirche, das die rechte Balance von Universalkirche zu Teilkirchen bzw. Papst und 7 Bischofskollegium wahrt – so nimmt in der Kanonistik die Diskussion an Schärfe zu zwischen denen, die im CIC das letzte Dokument des Konzils sehen und somit den Codex als Interpretationsrahmen für das Konzil und nicht umgekehrt betrachten, während die andere Gruppe nachdrücklich daran festhält, dass das kirchliche Recht nur vom Konzil her zu verstehen ist. Die erstgenannte Gruppe bezeichnet sich v. a. selbst als „korrekte Kanonisten“; in der Tradition von Carl Schmitt, Hans Barion und Werner Böckenförde stehend, gewinnt sie in den 8 Kollegen Georg Bier und Norbert Lüdecke zunehmend an Bedeutung. Zur noch größeren Gruppe von Kanonisten/Innen, die den CIC vom Konzil her verstehen, zählen beispielsweise Sabine Demel, Heribert Hallermann und auch Myriam Wijlens. Zu dieser an sich bereits spannungsvollen Kontroverse tritt nun auch die durch Papst Benedikt XVI. (2005-213) in seiner Weihnachtsansprache an die Kurie am 22. Dezember 2005 angestoßene Diskussi9 on über die korrekte Hermeneutik des Konzils hinzu. Der Papst stellte damals einer „Hermeneutik der Diskontinuität und des Bruches“ die „Hermeneutik der Reform und Kontinuität“ gegenüber. Konkrete Ereignisse in seinem Pontifikat zeigten, wie der Papst die10 se Hermeneutik der Reform bzw. Kontinuität offenbar verstanden 7
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Vgl. B. J. HILBERATH, Zum Verhältnis von Ortskirchen und Weltkirche nach dem II. Vatikanum, in: A. Franz (Hg.), Was ist heute noch katholisch? Zum Streit um die innere Einheit und Vielfalt der Kirche (Quaestiones Disputatae 192), Freiburg u.a. 2001, 36-49, hier 41. Dazu: N. LÜDECKE/G. BIER, Das römisch-katholische Kirchenrecht. Eine Einführung, Stuttgart 2012. Vgl. BENEDIKT XVI., Ansprache an die Römische Kurie vom 22.12.2005, in: Acta Apostolicae Sedis 98 (2006) 40-53; dt. Übersetzung in: Ansprache von Papst Benedikt XVI. an das Kardinalskollegium und die Mitglieder der Römischen Kurie beim Weihnachtsempfang (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 172), Bonn 2006. Aus der unüberschaubaren Auswahl nur einige, ausgewählte Literaturangaben: B. J. HILBERATH, Kontinuität oder Bruch? Für eine angemessene Hermeneutik des Zweiten Vatikanischen Konzils, in: Herder-Korrespondenz Spezial: Konzil im Konflikt. 50 Jahre Zweites Vatikanum, 2012, 5-9; M. STRIET, Streit um die Piusbruderschaft? Oder um das Zweite Vatikanische Konzil?, in: W. Beinert (Hg.), Vatikan und Pius-Brüder. Anatomie einer Krise (Theologie kontrovers), Freiburg u.a. 2009, 129-144; C HR. THEOBALD, «L´Herméneutique de réforme» implique-t-elle une réforme de l´herméneutique?, in: Recherches de Science Religieuse 100 (2012) 65-84; J.-H.
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hat. Zu erinnern ist an das Motu Proprio Summorum Pontificum aus dem 11 Jahr 2007 , mit dem Benedikt XVI. den sog. tridentinischen Ritus aus den Hinterhöfen einzelner Kirchen herausholte und ihn als „außerordentlichen“ Gebrauch der alten Form des Römischen Ritus, der nie 12 aufgegeben worden sei, gleichberechtigt neben den „ordentlichen“ Gebrauch des Missale von 1970 stellte. Die These, das Missale Romanum von 1962 sei niemals abrogiert worden, steht im krassen Widerspruch zur Entscheidung seines Vorgängers Papst Paul VI., der bei der verbindlichen Einführung des Missale von 1970 das Missale Romanum 13 von 1962 für derogiert erklärte. Kirchenrechtlich lässt sich diese 14 Spannung bis heute nicht aufheben. Aber sie zeigt das Anliegen von Benedikt XVI., gerade im Bereich der Liturgie das Alte mit dem Neu15 en zu verbinden. Dieses Anliegen darf als eines der Lebensthemen für Benedikt XVI. gelten. So formulierte er unmittelbar nach dem Zweiten Vatikanum: „Aber darüber darf man nicht vergessen, dass die
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TÜCK, Ein „reines Pastoralkonzil“? Zur Verbindlichkeit des Vatikanum II, in: Internationale katholische Zeitschrift Communio 41 (2012) 441-457; S. O. HORN, Der Papst, das Konzil und die Hermeneutik, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. April 2009, Seite N 4; U. RUH, Hermeneutik. Benedikt XVI. äußerte sich grundsätzlich zur Deutung des Konzils, in: Herder-Korrespondenz 60 (2006) 58f. BENEDIKT XVI., Litterae Apostolicae motu proprio datae Summorum Pontificum (7. Juli 2007), in: Acta Apostolicae Sedis 99 (2007) 777-781, dt. Übersetzung hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 178), Bonn 2007, 5-19. Vgl. ebd., Art. 2: „Proinde Missae Sacrificium, iuxta editionem typicam Missalis Romani a B. Ioanne XXIII anno 1962 promulgatam et numquam abrogatam, uti formam extraordinariam Liturgiae Ecclesiae, celebrare licet“. Dies wiederholt BENEDIKT XVI. auch in seinem Begleitschreiben an die Bischöfe: „Was nun die Verwendung des Messbuchs von 1962 als forma extraordinaria der Meßliturgie angeht, so möchte ich darauf aufmerksam machen, dass dieses Missale nie rechtlich abrogiert wurde und insofern im Prinzip immer zugelassen blieb“ (22). Vgl. PAUL VI., Apostolische Konstitution Missale Romanum (3. April 1969), in: Acta Apostolicae Sedis 61 (1969) 217-222, hier 222: „[…,] Constitutionibus et Ordinationibus Apostolicis a Decessoribus Nostris editis, ceterisque praescriptionibus etiam peculiari mentione et derogatione dignis […].“ Vgl. M. REHAK, Der außerordentliche Gebrauch der alten Form des Römischen Ritus. Kirchenrechtliche Skizzen zum Motu Proprio Summorum Pontificum vom 07.07.2007 (Münchener Theologische Studien. Kanonistische Abteilung 64), St. Ottilien 2009, 33-55. Rehak spricht hier von einer problematischen Behauptung des Papstes (54). Vgl. E. GARHAMMER, Vom Konzilstheologen zum Papst. Bruch oder Kontinuität?, Würzburg 2013.
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Kirche allzeit Kirche geblieben ist und dass allzeit in ihr der Weg des 16 Evangeliums gefunden werden konnte und gefunden worden ist“. Die Frage nach der Verbindlichkeit der konziliaren Lehre soll hier in drei Schritten angegangen werden. Der erste Schritt dient zunächst der Vorstellung der These Papst Benedikts XVI. von der Hermeneutik der Reform und der Kontinuität, die zumindest in der aktuellen theologischen Szene immer breitere Zustimmung erfährt. Wenn es nun, wie bereits angedeutet, um das rechte Verhältnis von kirchlichem Recht und Konzilstexten gehen soll, d.h. um das rechte Verstehen von Gesetzestexten, kann man nicht an der vielleicht zunächst etwas ungewöhnlich anmutenden Interpretationstheorie des kirchlichen Rechts vorbei gehen, die dann in einem zweiten Schritt beleuchtet wird. Schließlich, in einem dritten Schritt, erfolgt die Probe aufs Exempel, und zwar am Beispiel des kirchlichen Verfassungsrechtes, hier insbesondere bei der Stellung des einzelnen Bischofs und des gesamten Bischofskollegiums zum Papst. Stimmt es, wenn ein korrekter Kanonist wie der Freiburger Kirchenrechtler Bier uns glauben machen will, dass Diözesanbischöfe nicht mehr als weisungsgebunde17 ne Verwaltungsbeamte des Papstes seien oder sind sie nicht vielmehr an Christi Statt und als dessen Stellvertreter Nachfolger der Apostel mit entsprechender umfänglicher Autorität für ihre Diözesen und gleichzeitig damit auch für die Gesamtkirche? 2. DAS HERMENEUTISCHE VERSTÄNDNIS BENEDIKTS XVI.: DIE WEIHNACHTSANSPRACHE VON 2005 Weihnachtsansprachen der Päpste an die Kurie dienen eigentlich dem Dank und Jahresrückblick, verbunden mit den unvermeidbaren theologischen Reflexionen über die Menschwerdung Gottes. Papst
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J. RATZINGER, Die letzte Sitzungsperiode des Konzils, Köln 1966, 76. Vgl. G. BIER, Die Rechtsstellung des Diözesanbischofs nach dem Codex Iuris Canonici von 1983 (Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft 32), Würzburg 2001, 374: „Inhalt und Qualität der Zuständigkeiten des Diözesanbischofs weisen ihn in rechtlicher Sicht als Sachwalter des Papstes in der zugewiesenen Diözese aus.“ Und wenig später fasst Bier zusammen: „Die allgemeinen kodikarischen Bestimmungen zum Episkopat und zum Diözesanbischofsamt sowie die normative Ausgestaltung dieses Amtes in den kodikarischen Bestimmungen zeichnen den Diözesanbischof als päpstlichen Beamten“ (ebd., 376).
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Benedikt XVI. nutzte seine erste Ansprache im Jahr 2005 hingegen dazu, einen kräftigen Akzent zu setzen, um die richtige Hermeneutik der Konzilstexte von aus seiner Sicht untauglichen Zugängen zu unterscheiden. Wenn der Papst in dieser Ansprache in recht deutlichen Worten den Kontrast zwischen der Hermeneutik des Bruches bzw. Diskontinuität und der Reform bzw. Kontinuität herausstellt, so ist zum besseren Verständnis dieser These zunächst das kirchenpolitische Umfeld der Rede zu betrachten. Da gibt es auf der einen Seite die Piusbruderschaft, die bis heute behauptet, das Zweite Vatikanum stelle einen Bruch mit der katholischen Lehrtradition dar, und die dieses Konzil im Lichte einer Hermeneutik des Bruches deutet. Beispielhaft hierfür stehen für diese Brüder das Ökumenismusdekret Unitatis redintegratio mit der Würdigung der ekklesiologischen Dignität der nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften. Diesem Dekret stellen sie das Axiom „außerhalb der römisch-katholischen Kirche gibt es kein Heil“ entge18 gen. Genannt werden muss auch Nostra aetate mit seiner theologischen Wertschätzung der nichtchristlichen Religionen vor allem des Judentums und des Islams, in denen Spuren der Wahrheit zu entdecken seien – so das Zweite Vatikanum. Dem stellen die Anhänger von Erzbischof Lefebvre entgegen, dass es die Wahrheit nur in der katholischen Kirche gebe. Und wer so denkt, der kann die Erklärung Dignitatis hu19 manae zur Religionsfreiheit nur ablehnen, bedeutet dieses Bekenntnis der römisch-katholischen Kirche zur umfassenden Geltung der Religionsfreiheit für diese Splittergruppe am rechten Rand der Kirche doch die Aufgabe des alleinigen Wahrheitsanspruches der römischkatholischen Kirche. Dies ist die eine Seite des Straßengrabens. Papst Benedikt XVI. nennt aber auch die andere Variante der Hermeneutik der Diskontinuität, und zwar jene, die einen Bruch zwischen vor- und nachkonziliarer Kirche beschwört. Ihren Vertretern gehe es um einen angeblichen „Geist des Konzils“, der sich nicht wirklich in den Texten des Konzils selbst finden lasse. So entstehe mit der Kennzeichnung des Konzils als „Ereignis“ Raum für Spekulationen,
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Vgl. zum Ganzen u.a. W. BEINERT (Hg.), Vatikan und Pius-Brüder. Anatomie einer Krise (Theologie kontrovers), Freiburg u.a. 2009. M. HEIMBACH-STEINS, Religionsfreiheit. Ein Menschenrecht unter Druck, Paderborn u.a. 2012, 71-77, bes. 74-77.
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die eben mit der Rede vom „Geist des Konzils“ gemeint seien. Damit werde aber die Natur des Konzils aus ihrem Wesen heraus missverstanden; denn dieses sei eben nicht eine „Art verfassungsgebende Versammlung […], die eine alte Verfassung außer Kraft setzt und eine 20 neue schafft“ , weil nämlich „die eigentliche Kirchenverfassung vom 21 Herrn kommt“. Diesen beiden Gefahren stellt nun Benedikt XVI. seine Idee von der Hermeneutik der Reform und Kontinuität gegenüber. Die zentrale These lautet: Das Zweite Vatikanische Konzil hat durch die Neubestimmung des Verhältnisses zwischen dem Glauben der Kirche und bestimmten Grundelementen des modernen Denkens einige in der Vergangenheit gefällte Entscheidungen neu überdacht oder auch korrigiert, aber trotz dieser scheinbaren Diskontinuität hat sie ihre wahre Natur und Identität bewahrt und ver22 tieft.
Ganz im Sinn einer durch und durch platonisch geprägten Theologie bleibt die Kirche, was die dynamische Treue zu ihren Grundsätzen angeht, immer kontinuierlich in der Spur. Das, was als scheinbare Diskontinuität wahrgenommen wird, liegt auf einer ganz anderen Ebene, nämlich der sich ständig in historischen Prozessen verändernden Wirklichkeit: Die konkreten Umstände, die von der historischen Situation abhängen und daher Veränderungen unterworfen sein können, sind dagegen nicht ebenso beständig. So können die grundsätzlichen Entscheidungen ihre Gültigkeit behalten, wäh-
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BENEDIKT XVI., Ansprache an die Römische Kurie, 12 (auch zum Folgenden). Bernd Jochen Hilberath weist darauf hin, dass mit dem Hinweis auf die verfassungsgebende Versammlung vor allem Peter Hünermann gemeint sei, der im 5. Band des von ihm herausgegebenen Theologischen Kommentars zum Zweiten Vatikanischen Konzil „diesen Vergleich zog, als er in dem Textcorpus des Konzils ‚eine gewisse Ähnlichkeit mit Verfassungstexten ausmachte, die von repräsentativen verfassungsgebenden Versammlungen ausgearbeitet werdenʻ“: Kontinuität oder Bruch? Für eine ange-messene Hermeneutik des Zweiten Vatikanischen Konzils, in: Konzil im Konflikt. 50 Jahre Zweites Vatikanum (Herder Korrespondenz Spezial), Freiburg u.a. 2012, 5-9, hier 6. BENEDIKT XVI., Ansprache an die Römische Kurie, 18.
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rend die Art ihrer Anwendung auf neue Zusammenhänge sich 23 ändern kann.
Im Blick auf Gaudium et spes Nr. 44 hat der Freiburger Fundamentaltheologe Magnus Striet diese chemisch reine, quasi ahistorische Sicht auf Kirche, wie sie in dieser Ansprache anklingt, kritisch angefragt. In GS 44 betone die Konstitution, wie viel die Kirche „selbst der Geschichte und der Entwicklung der Menschheit verdankt“. Die Kirche – so Striet – habe als geschichtliche Größe nie monolithisch existiert: „Eine kontingenzenthobene Größe Kirche ist zum einen nicht denkbar, zum anderen verbietet die inkarnatorische Grundstruktur des 24 Glaubens, an der Fiktion einer ‚reinen Kircheʻ festzuhalten.“ Hier prallen, wie mir scheint, bei aller holzschnitzartigen Gegenüberstellung zweier vermeintlich oder tatsächlich sich widersprechender Hermeneutiken, kaum zu versöhnende Sichtweisen von Kirche und der Bewahrung ihrer Identität im Glauben aufeinander. Während für den Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück, in treuer Übersetzung des päpstlichen Ansatzes, die Reform der Kirche nur ihre konkrete Erscheinungsform bzw. Verwirklichung betrifft – wo es durchaus auf der Mikroebene Brüche und Diskontinuitäten geben könne –, stellt die „Hermeneutik der Reform“ auf der Makroebene die Kontinuität der Lehrtradition nicht in Frage und tangiert somit auch nicht das Wesen der Kirche als Subjekt, das als wanderndes Gottesvolk 25 in der Geschichte immer es selbst bleibt. Für die andere Sicht hingegen wird Kirche durch die Begegnung mit der Welt in ihrer Substanz wirklich verändert, erfährt Weitung ihrer Identität, wandelt sich selbst. Je nachdem, welcher Deutung man sich anschließt, hat dies weitreichende Konsequenzen. Die verfassungsrechtliche Dimension ist noch in einem eigenen Gedankengang zu behandeln. Man kann diese Zusammenhänge aber bereits an dieser Stelle recht gut am Beispiel der Religionsfreiheit darstellen. Sieht man in der auf dem Zweiten Vatikanum formulierten Lehre vom Recht auf religiöse Freiheit nur die Absage an die historisch überkommene Forderung nach einem katholischen Staat, der als verlängerter Arm der Kirche fungiert, trägt man also nur den gewandel23 24 25
Ebd., 17. STRIET, Streit um die Piusbruderschaft?, 140. Vgl. TÜCK, Ein „reines Pastoralkonzil“?, 449.
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ten politischen Verhältnissen Rechnung und hält trotzdem am Wahrheitsanspruch der Kirche fest, erscheint diese Erklärung weniger als 26 eine „kopernikanische Wende“ , sondern eher als ein nur scheinbares Eingehen auf ein universell geltendes Menschenrecht. Wobei bei der kirchlichen Wirkung der Religionsfreiheit zu unter27 scheiden ist: Nach außen sagt can. 748 § 2 CIC , dass kein Mensch zum Glauben bzw. zum Eintritt in die Kirche gezwungen werden 28 darf. Die katholische Kirche verzichtet endgültig auf den Einsatz von Zwangsmitteln, was ihre missionarische Tätigkeit angeht. Nach innen steht es um die kirchliche Wirkung der Religionsfreiheit jedoch anders. Während der emeritierte Münchner Kirchenrechtler Winfried 29 Aymans mit Berufung auf DiH 20 auch denjenigen, die ihrer Pflicht, an der Wahrheit festzuhalten, nicht nachkommen, das Recht auf reli30 giöse Freiheit zuspricht, betonen Lüdecke und Bier in diesem Punkt zutreffend, dass mit wahrer Freiheit in der Kirche „nicht autonome Selbstverwirklichung in gewollter Freiheit, sondern ekklesionome Ein31 flechtung in die communio“ gemeint sei. Can. 748 § 2 CIC garantiere und begründe tatsächlich „die Freiheit der Glaubensannahme, nicht der Glaubensbewahrung. Denn § 2 stellt klar: Wer die Wahrheit einmal erkannt hat, muss sie kraft göttlichen Rechts annehmen und 32 bewahren“. Von daher kann es im Recht der Kirche für katholische Christen kein Recht auf Abkehr von der Wahrheit geben, so dass ein solches Verhalten als Glaubensstraftat der Häresie, des Schismas oder gar der Apostasie gewertet werden muss. Solange aber strafrechtlich
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J. ISENSEE, Die katholische Kritik an den Menschenrechten, in: E.-W. Böckenförde/R. Spaemann (Hg.), Menschenrechte und Menschenwürde, Stuttgart 1987, 138174, hier 141f. Can. 748 § 2 CIC: „Niemand hat jemals das Recht, Menschen zur Annahme des katholischen Glaubens gegen ihr Gewissen durch Zwang zu bewegen.“ Zu dieser Norm will die Bestimmung aus dem Taufrecht in can. 868 § 2 nicht so recht passen, in der angeordnet wird: „In Todesgefahr wird ein Kind katholischer, ja sogar auch nichtkatholischer Eltern auch gegen den Willen der Eltern erlaubt getauft.“ Vgl. W. AYMANS, Kanonisches Recht. Lehrbuch aufgrund des Codex Iuris Canonici, Bd. 1, Paderborn 1991, 95. DiH 2: „So bleibt das Recht auf religiöse Freiheit auch denjenigen erhalten, die ihrer Pflicht, die Wahrheit zu suchen und daran festzuhalten, nicht nachkommen, und ihre Ausübung darf nicht gehemmt werden“. Vgl. AYMANS, Kanonisches Recht I, 95f. LÜDECKE/ BIER, Kirchenrecht, 72. Ebd., 87f.
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die Abkehr vom einst angenommenen katholischen Glauben mit diesen Strafen sanktioniert wird, scheint „die Möglichkeit der (freien) Ab33 kehr vom (katholischen) Glauben […] noch nicht gegeben zu sein“. Tatsächlich fehlt bis heute im kirchlichen Gesetzbuch im Grundrechtekatalog der Gläubigen die Garantie der innerkirchlich geltenden Religionsfreiheit. 3. INTERPRETATION NACH KIRCHENRECHT – 34 UNGEWOHNTE REGELN UND HOHER GELTUNGSANSPRUCH Bevor wir nach einem ersten Testlauf – wie sich am Beispiel der divergierenden Deutungen der konziliaren Lehre von der Religionsfreiheit, je nachdem welcher Hermeneutik man folgt, geltendes kirchliches Recht zu lehramtlichen Äußerungen verhält –, zum kirchlichen Verfassungsrecht kommen, scheint es angebracht, die kodikarisch festgelegten Normen zur Auslegung von Gesetzestexten kurz darzustellen. Der kodikarische Befund mag dabei nicht nur für den weltlichen Juristen befremdlich erscheinen, aber ohne Kenntnis der kirchenrechtlichen Normen zur korrekten Auslegung von kirchlichen Gesetzen kann die Frage, wer interpretiert hier wen – das Konzil den 35 CIC oder doch der CIC abschließend das Konzil –, nicht sachgerecht beantwortet werden. Die Kirchenrechtswissenschaft ist sehr zurückhaltend, was die rechtstheoretische Reflexion der Interpretation von
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R. SEBOTT, Religionsfreiheit II. Katholisch, in: Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht, Bd. 3, Paderborn 2004, 410. Bis heute unübertroffen in der luziden Analyse der kodikarisch fixierten Interpretationsnormen ist die Arbeit von B. T. DRÖßLER, Bemerkungen zur Interpretationstheorie des CIC/1983, in: Archiv für Katholisches Kirchenrecht 153 (1984) 3-34. Beispielhaft für diese Kontroverse M. GRAULICH, Studium Codicis, Schola Concilii; H. HALLERMANN, Das letzte Buch des Konzils. Oder: Wie das Kirchenrecht zur Verlebendigung des Konzils beitragen kann, in: E. Garhammer (Hg.), Theologie wohin? Blicke von außen und von innen, Würzburg 2011, 201-234; M. WIJLENS, Die Konzilshermeneutik und das Kirchenrecht, in: D. Meier u. a (Hg.), Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils in Theologie und Kirchenrecht heute, Essen 2008, 711-728; P. HÜNERMANN, Ist der CIC revisionsbedürftig? Dogmatische Anfragen an die Kanonistik zur Interpretation des CIC/1983, zum bischöflichen Amt, zur Ortskirche und zu den Laien, in: Theologie der Gegenwart 50 (2007) 15-30; L. MÜLLER, Der Diözesanbischof – ein Beamter des Papstes?, in: Archiv für Katholisches Kirchenrecht 170 (2001) 106-122.
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Normen betrifft, und nahezu schweigsam, was die rechtsmethodische 36 Durchdringung der Applikation von Kirchenrecht angeht. Dabei sind kirchliche Gesetze im Medium der Sprache Ausdruck gesetzgeberischer Arbeit, die stets in dem geschichtlichen Kontext ihrer Entstehung und deshalb als immer auslegungsbedürftig bleibende Texte interpretiert werden müssen. Der Vorstellung, dass Gesetzestexte aufgrund ihrer Binnensprache eindeutig verstehbar und von daher nicht eigens interpretiert werden müssten, steht die Erfahrung der menschlichen Kontingenz bei der sprachlichen Erfassung des gesetzgeberisch Gewollten entgegen. Hinzu kommen Gründe wie die Veränderung der sozialen Lebenswirklichkeit, die Mehrdeutigkeit der gesetzlichen Formulierung oder auch der fehlende Wille der Normadressaten, ein Gesetz richtig zu verstehen, die es notwendig erscheinen lassen, kirchenrechtliche Normen auszulegen. Anders als nun in den modernen Rechtswissenschaften, die ein breites Spektrum an Auslegungsmethoden anbieten, ist es der Papst selbst, der in den Canones 16 und 17 CIC von 1983 verbindlich vorschreibt, wie Gesetze auszulegen sind 37 und welches Auslegungsergebnis von welchem Interpreten gilt. Die beiden genannten Canones 16 und 17 beschreiben die von päpstlicher Seite her kirchenrechtlich vorgeschriebenen authentischen, d.h. kirchenamtlich bindenden und die nichtauthentischen, d.h. privaten Interpretationsmethoden des Kirchenrechts. Can. 16 38 39 CIC bietet in der „Form einer Legaldefinition“ zwei Weisen der authentischen Interpretation. Zunächst interpretiert der Gesetzgeber selbst seine Normen oder ein von ihm beauftragtes Organ, in diesem
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Vgl. TH. SCHÜLLER, Die Barmherzigkeit als Prinzip der Rechtsapplikation in der Kirche im Dienste der salus animarum. Ein kanonistischer Beitrag zu Methodenproblemen der Kirchenrechtstheorie (Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft 14), Würzburg 1993, 217-287. Vgl. LÜDECKE/ BIER, Kirchenrecht, 30f. Can. 16 CIC: „§ 1 Gesetze interpretiert authentisch der Gesetzgeber und derjenige, dem von diesem die Vollmacht zur authentischen Auslegung übertragen worden ist. § 2 Die nach Art eines Gesetzes erfolgte authentische Auslegung hat dieselbe Rechtskraft wie das Gesetz selbst und muss promulgiert werden; wenn sie nur in sich klare Worte eines Gesetzes erläutert, gilt sie rückwirkend; wenn sie ein Gesetz einschränkt oder erweitert oder ein zweifelhaftes Gesetz erklärt, gilt sie nicht rückwirkend. § 3 Eine Auslegung aber nach Art eines Gerichtsurteils oder eines Verwaltungsaktes in einem Einzelfall hat nicht die Kraft eines Gesetzes und bindet nur die Personen und betrifft nur die Sachen, für die sie gegeben worden ist.“ DRÖSSLER, Bemerkungen zur Interpretationstheorie des CIC/1983, 6.
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Fall der Päpstliche Rat für die Interpretation von Gesetzestexten. Eine zweite Form der authentischen Interpretation stellt die Auslegung des Richters durch sein Urteil oder eine Verwaltungsentscheidung dar, die jedoch nach can. 16 § 3 CIC nur einen geringen Verbindlichkeitscharakter für sich beanspruchen kann. Das Stichwort Verbindlichkeit macht deutlich, dass mit authentischer Auslegung die geltungstheoretische Qualifizierung des Interpretationsergebnisses gemeint ist. Dabei ist nicht der Aufweis der Autorität notwendig, sie wird vielmehr vorausgesetzt. Notwendig ist auch nicht die rechtliche Qualität und damit Überzeugungskraft der vorgetragenen Gründe für diese Form der Auslegung – sofern sie überhaupt genannt werden. Allein die Tatsache, dass es der Gesetzgeber oder sein von ihm beauftragtes Organ ist, legitimiert die Auslegung, die wie ein Gesetz bindet. Der langjährige Präsident des Päpstlichen Rates für die Auslegung von Gesetzestexten, der inzwischen verstorbene Salesianerpater Castillo Lara, hat diesen Sachverhalt prägnant wie folgt auf den Punkt gebracht: „Eine Antwort des Rates verpflichtet, nicht weil sie auf überzeugenden Motiven basiert, sondern weil die gesetzgeberische Autorität sie bindend 40 will“. Alle anderen Interpreten des kirchlichen Rechts werden in can. 41 17 CIC für ihre nichtauthentische, private Interpretation vom Papst auf folgende Auslegungsmethoden verpflichtet, und nur wer sie an42 wendet, interpretiert methodisch korrekt das Gesetz. Grundregel ist, dass kirchliche Gesetze gemäß der je eigenen Bedeutung ihrer in Text und Kontext betrachteten Worte zu verstehen sind. Damit liegt das Schwergewicht bei der sog. philologischen bzw. grammatikalisch-logischen Methode. Ausgangstext ist dabei der lateinische Wortlaut, der verbindlich ist. Erst wenn diese Methode zu keinem klaren Ergebnis führt, sind vier weitere Hilfsregeln heranzuziehen: 1. Der Rückgriff auf Parallelstellen (analoge Auslegung), 2. der Bezug auf den Zweck
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R. J. CASTILLO LARA, Die authentische Auslegung des kanonischen Rechts im Rahmen der Tätigkeit der Päpstlichen Kommission für die authentische Interpretation des Ius Canonicum, in: Österreichisches Archiv für Kirchenrecht 37 (1987/88) 209228, hier 226. Can. 17 CIC: „Kirchliche Gesetze sind zu verstehen gemäß der im Text und im Kontext wohl erwogenen eigenen Wortbedeutung; wenn sie zweifelhaft und dunkel bleibt, ist zurückzugreifen auf Parallelstellen, wenn es solche gibt, auf Zweck und Umstände des Gesetzes und auf die Absicht des Gesetzgebers.“ Vgl. LÜDECKE/ BIER, Kirchenrecht, 31.
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des Gesetzes (teleologische Auslegung), 3. das Beleuchten der Umstände des Gesetzes (historische Auslegung) und 4. die Rückfrage 43 nach der Absicht des Gesetzgebers (genetische Auslegung). Diese Aufteilung in Grund- und Hilfsregeln, die den Anschein erwecken, dass in der Regel der Gesetzeswortlaut eindeutig und klar ist, mag durchaus als hermeneutisch naiv eingeschätzt werden. Dennoch hat Papst Johannes Paul II. an diesen bereits aus dem Codex von 1917 bekannten Regeln festgehalten. Gerade was die Einbeziehung der Texte des Zweiten Vatikanums als verbindlichem Rahmen für die Auslegung des CIC angeht, wird bevorzugt auf die historische Auslegung verwiesen, um den sog. „Geist des Konzils“, der in diesen Texten destilliert zu finden ist, zu ermit44 teln. Kritiker dieses historischen Zuganges monieren, dass die Bezugnahme auf den „Geist des Konzils“ das Auslegungsproblem nicht löse, sondern „es auf die Ebene der richtigen Konzilsinterpretation“ 45 verschiebe. Gefragt wird: „Wer legt die Lehren des Konzils aus? Wer füllt seinen ‚Geistʻ mit Inhalt? Und mit welcher Autorität geschieht dies jeweils?“ Trotz aller bewundernswerter zeitgeschichtlicher Aufarbeitung der Entstehung der Konzilstexte sei es letztlich der Papst, der entscheide, was das Konzil wollte. Somit sind wir wieder auf die Unterscheidung von authentischer und nichtauthentischer Auslegung kirchenrechtlicher Normen zurückverwiesen. Diese Unterscheidung drückt „eine kompetenzrechtliche Unterscheidung aufgrund der Urheberschaft eines bestimmten Interpretationsproduktes mit geltungs46 theoretischer Wirkung“ aus. Damit ist gesagt, dass die Interpretationsergebnisse des Gesetzgebers und der von ihm beauftragten Organe verbindliche Rechtsgültigkeit beanspruchen, während die Ergebnisse der nichtauthentischen Interpretation unverbindlich, gleichwohl nicht unerheblich sind. Als Brücke zum Verfassungsrecht und anknüpfend an die Weihnachtsansprache des Papstes im Jahr 2005 erlangt eine oft übersehene Norm ganz zu Beginn des kirchlichen Gesetzbuchs möglicherweise
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Vgl. SCHÜLLER, Die Barmherzigkeit als Prinzip der Rechtsapplikation, 222-230. Vgl. W. SCHULZ, „Der Geist des Konzils“ als Interpretationsmaxime der kanonischen Rechtsordnung, in: Apollinaris 55 (1982) 449-460; H. SCHWENDENWEIN, Der ‚Geist der Gesetzgebungʻ als dynamischer Interpretationsfaktor, in: Revue de droit canonique 22 (1972) 315-332. LÜDECKE/ BIER, Kirchenrecht, 35 (auch zum Folgenden). DRÖSSLER, Bemerkungen zur Interpretationstheorie des CIC/1983, 6.
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neue Relevanz. In can. 6 § 2 CIC wird festgestellt, dass Canones des CIC, die altes Recht wiedergeben, auch unter Berücksichtigung der kanonischen Tradition zu würdigen sind. Schon Bernd Drößler hat früh gegen die Kritik, diese Interpretationsnorm hätte bei den Cano47 nes 16 und 17 CIC eingeordnet werden müssen, darauf hingewiesen, dass diese Norm durchaus am richtigen Ort stehe, denn es sei „die gesetzgeberische Regelungsabsicht“ gewesen, „durch einen interpretatorischen Hinweis schon in der Einleitung zum neuen Codex die Kontinuität in der kanonischen Gesetzesauslegung auch nach Eintritt der 48 neuen Rechtslage zu gewährleisten“. Hier taucht das Motiv von Kontinuität im Wandel der Rechtsentwicklung auf. Es lässt mit Blick auf die Frage, ob im Verfassungsrecht des CIC die Kurskorrektur im Verhältnis von Papst und Bischofskollegium bzw. einzelnem Diözesanbischof und entsprechend von Gesamtkirche zu den Teilkirchen, in denen und aus denen die eine und einzige katholische Kirche besteht, wie es in Lumen gentium 23 zu finden ist, aufgegriffen wurde oder nicht, neu nachdenken. Ist hier alles letztlich doch beim Alten geblieben und hat es nur zeitbedingte ekklesiologische Anpassungen gegeben – oder ist auf dem Zweiten Vatikanum das Bischofsamt und damit auch die Teilkirche und ihre Verbände wieder ihrer theologischen Dignität entsprechend auch verfassungsrechtlich aufgewertet worden? 4. WER INTERPRETIERT WEN – DER CIC DAS ZWEITE VATIKANUM ODER UMGEKEHRT? DAS VERHÄLTNIS VON DIÖZESANBISCHOF UND PAPST Da Kirchenrecht in weiten Teilen geronnene Dogmatik ist, gilt das bisher Gesagte in ganz besonderer Weise für das Verfassungsrecht des CIC. Papst Johannes Paul II. bestätigt dies in der Apostolischen Kon-
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Vgl. H. SCHMITZ, Die Gesetzessystematik des Codex Iuris Canonici Liber I-III, München 1963, 20; Ders., Der Codex Iuris Canonici von 1983, in: J. Listl/H. Müller/H. Schmitz (Hg.), Handbuch des Katholischen Kirchenrechts, Regenburg 1983, 33-57, hier 56. DRÖSSLER, Bemerkungen zur Interpretationstheorie des CIC/1983, 12f.
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stitution Sacrae disciplinae leges, Kraft setzt, wenn er schreibt:
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mit der er den Codex von 1983 in
Das Instrument, das der Codex ist, entspricht deutlich dem Wesen der Kirche, wie es vor allem durch das Lehramt des II. Vatikanischen Konzils ganz allgemein und besonders in seiner ekklesiologischen Lehre dargestellt wird. Ja, dieser neue Codex kann gewissermaßen als ein großes Bemühen aufgefasst werden, eben diese Lehre, nämlich die konziliare Ekklesiologie, in die kanonistische Sprache zu übersetzen. Auch wenn es unmöglich ist, das in der Lehre des Konzils beschriebene Bild der Kirche erschöpfend in die kanonistische Sprache zu übertragen, so muss doch der Codex sich immer auf dieses Bild wie auf ein vorrangiges Beispiel beziehen, dessen Züge er soweit 50 wie möglich gemäß seiner Natur ausdrücken muß.
Und er fügt hinzu: Daraus folgt, dass jenes grundlegend Neue, das, ohne jemals von der gesetzgeberischen Tradition der Kirche abzuweichen, im II. Vatikanischen Konzil anzutreffen ist, besonders was die ekklesiologische Lehre betrifft, auch das Neue im neuen Codex 51 ausmacht.
Zu den Neuheiten zählt der Papst nur wenig später folgende ekklesiologisch bedeutsamen Punkte auf: Kirche verstehe sich als Volk Gottes; hierarchische Autorität sei immer nur als Dienst an den Gläubigen zu 52 deuten; die Kirche sei eine communio ecclesiarum im Sinne von Lumen gentium 23, die sich im Verhältnis von bischöflicher Kollegialität und Primat abbilde und schließlich hätten alle Getauften auf je eigene Weise am prophetischen, priesterlichen und königlichen Amt Christi 53 Anteil. Damit unterstreicht der Papst zum einen den konstitutionellen Charakter des Zweiten Vatikanischen Konzils als lehramtlich ver-
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JOHANNES PAUL II., Apostolische Konstitution Sacrae disciplinae leges, in: Acta Apostolicae Sedis 75/II (1983), VII-XIV; dt. Übersetzung in: Codex Iuris Canonici. Codex des kanonischen Rechtes, Lateinisch-deutsche Ausgabe, Kevelaer 92009, X-XXII. Ebd., XIX. Ebd. Vgl. W. AYMANS, Communio Ecclesiarum als Gestaltgesetz der einen Kirche, in: Archiv für Katholisches Kirchenrecht 139 (1970) 69-90. Vgl. JOHANNES PAUL II., Sacrae disciplinae, XIX.
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pflichtender Konsens des ganzen Volk Gottes. Dieser Konsens ist maßgeblich und vorrangig für die rechtliche Umsetzung dieser Ekkle55 siologie im Verfassungsrecht des CIC. Zum anderen verdeutlicht Johannes Paul II. mit dem Begriff instrumentum den nachgeordneten Dienstcharakter des Verfassungsrechts, das zwar für die rechtliche Verbindlichkeit der hierarchisch strukturierten Verfasstheit der Kirche sorgt, sich dabei aber immer an der konstitutionellen Lehre zu orientieren hat. Mit der Metapher „Bild“ macht der Papst deutlich, dass der CIC Maß am Konzil und nicht umgekehrt nehmen muss. Dabei handelt es sich bei der Abfassung der verfassungsrechtlichen Normen immer nur um einen nicht erschöpfend gelingenden Versuch, die Ekklesiologie des Ersten und Zweiten Vatikanums in kirchenrechtliche Sprache zu übersetzen. Auch hier wird bei der Verhältnisbestimmung von Konzil und CIC deutlich: norma normans sind die Texte des Konzils und nicht die Normen des CIC. Somit ist das konziliare Kirchenbild der „Kontext der kirchlichen Gesetze des CIC, 56 der bei allen kirchlichen Gesetzen heranzuziehen ist“. Wer hingegen wie Bier und Lüdecke den Normwortlaut der verfassungsrechtlichen Normen, auch wenn er von den konziliaren Vorgaben abweicht, zur 57 letztentscheidenden Größe nach dem Motto „CIC sticht Konzil“ und ausschließlich geltender Interpretation der Konzilsbeschlüsse dekla58 riert, „pervertiert“ – so Peter Hünermann – den nachrangigen
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Vgl. J. RATZINGER, Ergebnisse und Probleme der dritten Konzilsperiode, Köln 1965, 58. Ratzinger betont hier, dass es auf der einen Seite ohne Mitwirkung des Papstes keine gesamtkirchliche Verbindlichkeit der Konzilsbeschlüsse geben könne. Es gelte aber auch mit Blick auf die altkirchliche Tradition, dass „eine konziliare Aussage ihre endgültige gesamtkirchliche Verbindlichkeit erst dadurch“ erhalte, „daß sie von der Gesamtkirche ‚rezipiertʻ, angenommen wird“. An anderer Stelle unterstreicht Ratzinger diesen Aspekt der Rezeption, der als geschichtlicher Prozess zur Klärung führe, was vom Konzil wirklich angenommen werde und es dem ganzen Volk Gottes ermögliche, am Konzil auf diese Weise teilzunehmen. Die Rezeption des Konzils könne „gar nicht in der Versammlung der Bischöfe allein zu Ende gebracht werden“: J. RATZINGER, Theologische Prinzipienlehre. Bausteine zur Fundamentaltheologie, München 1982, 391f. Vgl. HÜNERMANN, Ist der CIC revisionsbedürftig?, 18. S. DEMEL, Wer interpretiert wen? Der Codex Iuris Canonici als „Krönung“ des Konzils, in: Konzil im Konflikt. 50 Jahre Zweites Vatikanum [Herder-Korrespondenz Spezial], Freiburg u.a. 2012, 13-18, hier 17. LÜDECKE/ BIER, Kirchenrecht, 40. HÜNERMANN, Ist der CIC revisionsbedürftig?, 20.
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Dienstcharakter des Kirchenrechts, macht ein „instrumentum“ zur 59 Hauptsache und „idolisiert“ das Recht „zu einem Götzen“. Wohin eine solche Hypostasierung des Kirchenrechts in der Kanonistik führen kann, soll abschließend am Streit über das Amt des Diözesanbischofs aufgezeigt werden. Der bereits mehrfach genannte Freiburger Kirchenrechtler Georg Bier hat 2001 in einer viel beachteten Habilitationsschrift mit der als in der kanonistischen Zunft als common sense geltenden These aufgeräumt, dass Zweite Vatikanum habe in einer Art Kurskorrektur zum Ersten Vatikanum das Amt des Diözesanbischofs und die Teilkirchen gegenüber Papst und Gesamtkirche in der Kirchenkonstitution Lumen gentium aufgewertet, und dies sei im Verfassungsrecht des CIC vollumfänglich rezipiert wor60 den. Da Bier mit der beschriebenen methodischen Vorentscheidung seine kirchenrechtliche Analyse betreibt, dass immer nur das gilt, was im Codex als Krönung des Konzils steht, listet er nun minutiös die Stellen auf, wo der Codex beim Amt des Diözesanbischof nicht den ganzen Text der Kirchenkonstitution aufgreift. Nach Lumen gentium 27 leiten die Bischöfe „die ihnen zugewiesenen Teilkirchen als Stellvertreter Christi und Gesandte Christi“. Somit sind sie also nicht als „Stellvertreter der Bischöfe von Rom zu verstehen, denn sie haben eine ihnen eigene Gewalt inne und heißen in voller Wahrheit Vorsteher des Volkes, das sie leiten“; diese Gewalt üben sie im Namen Christi persönlich aus (LG 27). Nimmt man noch hinzu, dass in Lumen gentium 20 davon die Rede ist, dass die Bischöfe „an Gottes Stelle“ (LG 27) der Herde vorstehen und bereits im Codex von 1917 in can. 329 § 1 CIC ihren Teilkirchen ex divina institutione vorstehen, dann kann überhaupt kein Zweifel daran bestehen, dass das Amt des Diözesanbischofs göttlichen Rechtes und damit konstitutiv für die Kirche ist. Es kann nicht durch defizitäre Formulierungen in den verfassungsrecht61 lichen Normen des CIC in Frage gestellt werden.
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Ebd. Besonders prominente Vertreter dieser lange Zeit unumstrittenen Lehrmeinung waren der Doktorvater von Georg Bier, Norbert Lüdecke und mir, der Bonner Kanonist Hubert Müller und Heribert Schmitz in München. Vgl. HÜNERMANN, Ist der CIC revisionsbedürftig?, 26, mit Verweis auf die offizielle Vorrede zum Codex, wo es heißt, dass das Amt der Bischöfe und die mit ihm zusammenhängenden Vollmachten göttlichen Rechtes sind.
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Bier zieht aber genau den gegenteiligen Schluss und stellt fest, dass im Codex dieses zentrale Amt des Diözesanbischofs nicht göttlichen Rechtes sei. Er beweist dies mit Hinweis auf die fehlenden Bezugnahmen im Normtext auf das Zweite Vatikanum, zum Beispiel in can. 381 § 1 CIC, wo die Formulierung aus Lumen gentium 27, dass die Bischöfe als Stellvertreter ihre Teilkirchen leiten, nicht aufgenommen worden sei. Das Verhältnis von Papst und Bischöfen sei demnach nicht eine Beziehung unter Gleichrangigen, sondern weise ein hierarchisches Gefälle auf. Der Diözesanbischof bleibe mit nur eingeschränkter Leitungsgewalt in Abhängigkeit vom Papst und der ihm zugewiesene Platz sei disponibel: „Der Diözesanbischof kann in dieser Perspektive als Beamter des Papstes erscheinen, dessen Einsatzort in Abhängigkeit von gesamtkirchlichen – je vom Papst zu beurteilenden – Erfordernis62 63 sen festgelegt wird.“ Und genüsslich kann Bier scheinbar weitere Unterstützung für seine These in can. 331 § 1 CIC finden, der lautet: Der Papst hat kraft seines Amtes nicht nur Gewalt in Hinblick auf die Gesamtkirche, sondern besitzt auch über alle Teilkirchen und deren Verbände einen Vorrang ordentlicher Gewalt, durch den zugleich die eigenberechtigte, ordentliche und unmittelbare Gewalt gestärkt und geschützt wird, die die Bischöfe über die ihrer Sorge anvertrauten Teilkirchen innehaben.
Was gilt nun? Ist der Papst ein absolutistischer Monarch und die Diözesanbischöfe seine beamteten Vasallen? Unstrittig handelt es sich nach der Lehre der Kirche beim bischöflichen Amt um einen sich früh in der Kirchengeschichte ausbildenden Dienst mit einer Fülle an Kompetenzen, welcher somit aus göttlicher Stiftung und Ermächtigung in der Nachfolge der Apostel hervorgeht. Von daher gibt es theologisch keinen Rangunterschied zwischen dem Bischof von Rom und den Bischöfen der Weltkirche. Was nun den Vorrang ordentlicher Gewalt des Papstes angeht, so findet er seine verfassungsrechtliche Grenze an der auf göttlichem Recht beruhenden Eigenständigkeit des Bischofsamtes. Peter Krämer hält daher fest: Daraus folgt, dass der Papst seine Vollmacht im Hinblick auf die Teilkirchen nur subsidiär einsetzen darf, das heißt, wenn er
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BIER, Die Rechtsstellung des Diözesanbischofs, 85. Vgl. ebd., 144-149.
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ein Eingreifen aus pastoralen Gründen um der Einheit der Kir64 che willen für notwendig hält.
Ich durfte aus direkter Nähe erleben, wie ein solches Eingreifen des Papstes in eine Teilkirche wirkt, als Papst Johannes Paul II. im Jahr 2002 Bischof Franz Kamphaus die Entscheidungskompetenz über den von Papst angeordneten Ausstieg aus der Schwangerenkonfliktberatung entzog und dem damaligen Weihbischof des Bistums Limburg übertrug. Als Kirchenrechtler muss ich nicht nur aufgrund dieser Erfahrung konstatieren, dass die „Kompetenz-Kompetenz“ in der Einschätzung, was den Dienst des Diözesanbischofs stärkt und stützt, allein beim Papst liegt und im Moment keinen rechtlich-prozeduralen Regeln unterworfen ist. Genau diesen Missstand prangert Peter Hünermann an und fordert für solche Entscheidungen des Papstes, dass er zum einen verpflichtet werde, diese dem Volk Gottes und dem betroffenen Diözesanbischof zu begründen, und dass zum anderen darüber hinaus ein hierfür bindendes Verfahren normativ festzulegen 65 sei. Ungeachtet dieses noch ungelösten Problems kann aber dennoch anhand dieses Beispiels festgestellt werden, dass bei der kirchenrechtlichen Interpretation der verfassungsrechtlichen Normen der Vorrang der lehramtlichen Aussagen der Konzilien, hier besonders des Zweiten Vatikanums, zu beachten ist, die das im göttlichen Recht grundgelegte Amt der Diözesanbischöfe und des Papstes als Bischof von Rom betonen. Sie fordern dazu heraus, weiter an der lehramtlich und davon abgeleitet auch kirchenrechtlich noch nicht befriedigend gelösten Spannung zu arbeiten, wie Einheit und Subsidiarität nicht nur in der katholischen Soziallehre, sondern auch in der Verfassungswirklichkeit der Kirche Realität werden können. Gerade unter hermeneutischen Gesichtspunkten ist deshalb der Einschätzung des emeritierten Münsteraner Kirchenrechtlers Klaus Lüdicke uneingeschränkt beizupflichten: Mit vielen Autoren der heutigen Kanonistik stimme ich überein, dass das 1983 in Kraft gesetzte Gesetzbuch der Kirche in
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P. KRÄMER, Wer hat das Sagen in der Kirche? Zur spannungsgeladenen Einheit zwischen Rom und den Ortskirchen, in: H. Hoffmann (Hg.), Das Bischofsamt im Spagat zwischen Ortskirche und Weltkirche, Trier 2002, 9-27, hier 14. Vgl. HÜNERMANN, Ist der CIC revisionsbedürftig?, 26f.
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starkem Maße von den Impulsen und Einsichten des Zweiten Vatikanischen Konzils mitbestimmt ist. Die angeführten Beispiele, denen noch etliche hinzugefügt werden könnten, machen aber deutlich, dass dieses Konzil, soll es vollständiger in der Lebenswirklichkeit der Kirche umgesetzt werden, eine weiterreichende Reform des kirchlichen Rechts nötig macht. Wenn die Kirche eine Ecclesia semper reformanda ist, so das 66 Kirchenrecht mit ihr und in ihr ein ius semper reformandum.
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Kirchenrecht und Zweites Vatikanum
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ADRIÁN J. TARANZANO
Der „Katakombenpakt“: Ausdruck der Grammatik des Zweiten Vatikanischen Konzils und Anstoß für seine Fortschreibung 1. EINFÜHRUNG Eindrucksvoll beschreibt das Buch Esra die gegensätzlichen Haltungen gegenüber ein und demselben Ereignis. Es handelt sich um die Wiederaufnahme des Tempelkults in Jerusalem nach der Rückkehr aus dem Babylonischen Exil (Esra 3,1-13). Die verschiedenen Reaktionen gründeten in den persönlichen Erfahrungen, die Menschen aus unterschiedlichen Generationen gemacht hatten. Für die Jüngeren gab die Grundsteinlegung des zukünftigen neuen Tempels unbestreitbar Anlass zu Freude. Für die ältere Generation dagegen, die noch den Glanz des ersten Tempels gesehen hatte, erwies sich dieser Akt als völlig unzureichend. Ihre Traurigkeit und ihr Weinen waren Ausdruck tiefer Enttäuschung. Und niemand konnte beide Schreie – die vor Freude und die vor Enttäuschung – voneinander unterscheiden (vgl. Esra 3,13). Das Zweite Vatikanische Konzil legte den Grundstein für die Sendung der Kirche in einer Gesellschaft, welche die Schwelle des dritten Jahrtausends überschritten hat. Für die meisten Christen der dritten Generation nach dem Konzil ist eine Kirche ohne die von ihm ange1 stoßenen Erneuerungen und ohne seine „Grammatik“ völlig unvor-
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Zum Begriff „Grammatik“, vgl. P. HÜNERMANN, Welches ist die Grammatik des Konzils und welches die „folgerichtige“ Fortschreibung in der Gegenwart? Vortrag im Rahmen der Tagung „Anfang des Anfangs – und wie geht es weiter? Aktuelle Konzilshermeneutiken und Konzilspragmatiken des Vaticanum II, Ein Mehr-Generationen-Gespräch“, 16.-18. Mai 2013, Stuttgart-Hohenheim 2013. Der Tübinger Theologe verwendet „Grammatik“ im Sinne der modernen Sprachphilosophie, die
Der Katakombenpakt
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stellbar. Sie begrüßen die vom Konzil gebrachten Erneuerungen, auch wenn sie keine direkte Erfahrung mit seinem ursprünglichen „Glanz“ hatten. Für diejenigen hingegen, die das Konzil noch persönlich erlebt haben oder Zeugen der zahlreichen von ihm geweckten Erwartungen sind, ist die oft schwerfällige Umsetzung seiner Beschlüsse nicht selten eine Quelle der Enttäuschung. Zwar ist kaum je ein Konzil innerhalb einer einzigen Generation 2 vollständig rezipiert worden. Geht man aber davon aus, dass „das Zweite Vatikanische Konzil Entscheidungen gefällt [hat], die […] die ausdrückliche Absicht hatten, einen Beginn zu setzen, der offen für 3 eine Zukunft war“, dann wird man den „Stillstand der Arbeiten“ (vgl. Esra 4,24) in der Tat nur bedauern können. Und man wird dafür plädieren, dass die prophetischen Stimmen – wie seinerzeit die der Propheten Haggai und Sacharja (vgl. Esra 5,1f.) – gehört werden und die ausstehenden Arbeiten in erneuerter Treue zum Geist wieder aufgenommen werden (vgl. Esra 5,2). Eine der wichtigsten, wenngleich heute nicht selten vergessenen prophetischen Stimmen im Zusammenhang mit dem Konzil war der sogenannte „Katakombenpakt“. Vierzig Bischöfe vor allem aus Lateinamerika haben ihn wenige Tage vor dem feierlichen Abschluss des Konzils, am 16. November 1965 in den Domitilla-Katakomben vor den 4 Mauern Roms unterzeichnet. Fünfhundert Bischöfe schlossen sich später diesem Pakt an und verpflichteten sich auf seine Entscheidungen. An diesen Pakt soll im Folgenden erinnert und seine bleibende Bedeutung für die Reform der katholischen Kirche im Sinne des Konzils verdeutlicht werden.
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die unauflösliche Verbindung zwischen Bedeutung und Gebrauch bzw. Pragmatik hervorhebt. Vgl. P. HÜNERMANN/B. J. HILBERATH (Hg.), Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 2, Freiburg u.a. 2009, VII. A. MELLONI, „Ohne eine kirchliche Seele zu haben“. Reformprojekte der römischen Kurie und das Zweite Vatikanische Konzil in Sicht von Eugenio Corecco, in: P. Hünermann (Hg.), Das Zweite Vatikanische Konzil und die Zeichen der Zeit heute, Freiburg u.a. 2006, 348-361, hier 350; Hervorhebung durch A.T. Vollständiger Text in deutscher Übersetzung: Die dreizehn Selbstverpflichtungen ungenannter Bischöfe auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil, in: Concilium 13 (1977) 262-263.
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Adrián Taranzano
2. DIE KIRCHE DER ARMEN UND DER KATAKOMBENPAKT In der Vorvorbereitungsphase des Zweiten Vatikanischen Konzils lässt sich ein historisch-kontextuell geprägtes Bewusstsein der lateinamerikanischen Kirche kaum erkennen. Die konkrete Situation Lateinamerikas gehörte anfänglich nicht zu jenen Fragen, welche die 5 Bischöfe in der Konzilsaula diskutieren wollten. Das Konzil selbst beschäftigte sich nur kurz mit dem Problem der Armut. Die diesbe6 züglichen Aussagen sind eher marginal und auch das Interesse der 7 großen Mehrheit der Bischöfe zu diesem Thema war begrenzt. Dennoch heben einige Theologen die Wichtigkeit der entsprechenden 8 konziliaren Äußerungen hervor. Kurz vor Beginn des Konzils freilich stellte Papst Johannes XXIII. im Blick auf das Thema „Armut“ die Weichen für eine neue Sensibilität. Diese sollte vor allem in Lateinamerika eine fortschreitende Be5
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Vgl. E. FOUILLOUX, Die vor-vorbereitende Phase (1959-1960). Der langsame Gang aus der Unbeweglichkeit, in: G. Alberigo (Hg.), Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils, Bd. 1, Mainz/Leuven 1997, 61-187, hier 129. Siehe auch C. SCHICKENDANTZ, Zeichen der Zeit heute aus lateinamerikanischer Perspektive, in: P. Hünermann (Hg.), Das Zweite Vatikanische Konzil und die Zeichen der Zeit heute, Freiburg u.a. 2006, 163-180, hier 164. Vgl. z.B. LG 8, 3; GS 1; 69; 72; 88. Vgl. N. ARNTZ, „Für eine dienende und arme Kirche“. Der Katakombenpakt als subversives Vermächtnis des II. Vaticanums, in: G. Bitter/M. Blasberg-Kuhnke (Hg.), Religion und Bildung in Kirche und Gesellschaft (Festschrift für Norbert Mette), Würzburg 2011, 297-307, hier 301; siehe auch M. ECKHOLT, Kirche der Armen. Die Rezeption des Zweiten Vatikanums in Lateinamerika, in: Herder-Korrespondenz Spezial. Das unerledigte Konzil. 40 Jahre Zweites Vatikanum, Oktober 2005, 50-55, hier 50; ausführlicher in: DIES., Kirche der Armen, in: M. Sievernich/M. Delgado (Hg.), Die großen Metaphern des Zweiten Vatikanischen Konzils. Ihre Be-deutung für heute, Freiburg u.a. 2013, 205-224; J. SOBRINO, Der „Kirche der Armen“ war auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil kein Erfolg beschieden. Von Medellín gefördert, verwirklichte sie wesentliche Elemente des Konzils, in: Concilium 48 (2012) 296-305, hier 300. M. KEHL stellt fest, dass LG 8,3 „durchaus in das dogmatische Selbstverständnis der Kirche“ des Konzils gehört (Die Kirche. Eine katholische Ekklesiologie, Würzburg 1992, 241f.). Für E. KLINGER, Armut: Eine Herausforderung Gottes. Der Glaube des Konzils und die Befreiung des Menschen, Zürich 1990, ist das Ereignis selbst und der Geist des Konzils die unbestrittene Voraussetzung der lateinamerikanischen Theologie und der Kirche der Armen: „Ihre Option für die Armen steht und fällt mit dem Konzil und seiner dogmatischen und pastoralen Erneuerung“ (154). Eine besondere Rolle schreibt er der Pastoralkonstitution zu. Siehe auch 157f., 165, 246.
Der Katakombenpakt
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deutung erlangen. In einer Radioansprache sprach der frühere Kardinal Roncalli am 11. September 1962 unter anderem über eine Kirche, die die Kirche aller, aber vornehmlich „die Kirche der Armen“ 10 sei und sein wolle. Nach Auffassung des Papstes verlangt das soziale Elend nach „Rache vor dem Angesicht des Herrn“. Es müsse unmissverständlich beklagt werden. Alle Menschen, besonders aber die Christen müssten darüber wachen, dass die „Verwaltung und die Verteilung der Güter“ zugunsten aller erfolgt. Die kurze Ansprache des Papstes hat einen nachhaltigen Prozess im 11 Gang gesetzt. Unter anderem konstituierten Bischöfe aus achtzehn 12 Nationen die Gruppe „Kirche der Armen“. Während des Konzils einigermaßen bedeutungslos, ist ihr Einfluss auf die nachkonziliare Entwicklung besonders in Lateinamerika mit Recht hervorgehoben 13 worden. Die Mitglieder der Gruppe trafen sich allwöchentlich, um
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Vgl. KEHL, Kirche, 242-245; siehe auch SCHICKENDANTZ, Zeichen der Zeit, 163-168. Erst nach und nach sollten sich die Armut und der Arme nicht nur als Herausforderung und Problem, sondern auch als locus theologicus für die Reflexion und Mission der Kirche festigen. Ein immer umfassenderes Verständnis der Armut sollte später u.a. auch die Frauenfrage einbeziehen (ebd., 169-176). Die Bischöfe des Paktes erwähnen dieses Thema nur kurz (siehe Katakombenpakt, 9, Selbstverpflichtung). JOHANNES XXIII., Radiomessaggio ai fedeli di tutto il mondo a un mese dal Concilio Ecumenico Vaticano II, Vaticano, 11 settembre 1962: « le miserie della vita sociale che gridano vendetta al cospetto di Dio: tutto deve essere chiaramente richiamato e deplorato. Dovere di ogni uomo, dovere impellente del cristiano è di considerare il superfluo con la misura delle necessità altrui, e di ben vigilare perchè l'amministrazione e la distribuzione dei beni creati venga posta a vantaggio di tutti. » (http://www.vatican.va/holy_father/john_xxiii/spee ches/1962/documents/hf_j-xxiii_spe_19620911_ecumenical-council_it.html) (auch zum Folgenden). Vgl. ARNTZ, Vermächtnis, 298; siehe auch K. APPEL/S. PITTL, Das Konzil am Grab. Das Grabmal Pauls VI. und der „Pakt der Katakomben“ als Verständnishilfen für den ästhetischen Perspektivenwechsel des Konzils, in: J.-H. Tück (Hg.), Erinnerung an die Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg u.a. 2012, 303-316, hier 312315. Vgl. dazu ARNTZ, Vermächtnis, 298f., sowie M. ECKHOLT, Nahe bei Gott und nahe bei den Armen. Das Konzilsjubiläum in Lateinamerika, in: Herder-Korrespondenz 67 (2013) 24-29, hier 24. Vgl. SOBRINO, Kirche der Armen: „Ohne das Konzil hätte es die Kirche der Armen nicht gegeben, aber ebenso gibt es sie nicht nur aufgrund des Konzils. Und ohne die Kirche der Armen, wie sie im Umfeld von Medellín entstand, hätte sich das Konzil nicht auf eine so dem Evangelium gemäße Weise in der Dritten Welt entfaltet. Und […] viele grundlegende Elemente des Konzils hätten ohne die Kirche der Armen nie eine solche schöpferische Kraft entfaltet“ (300).
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die Themen des Konzils aus der Perspektive der Kirche der Armen zu 14 vertiefen und weiterzuentwickeln. Einer der führenden Köpfe dieser Gruppe war der damalige Weihbischof von Rio de Janeiro, Dom Helder Câmara. In einem seiner später als „Circulares conciliares“ veröffentlichen Briefe beschreibt er das Ziel, das die Gruppe verfolgte: Wir haben mit einer Gruppe von Freunden einen ausführlichen Plan ausgearbeitet, um mit diesem – und mit der Gnade Gottes – in den nächsten drei Konzilsjahren die Heilige Kirche auf die verloren gegangenen Wege der Armut zu führen […]. 15 Die Reform muss von innen kommen.
Eine bedeutsame Frucht dieser Gruppe ist zweifellos der am 16. November 1965 unterzeichnete Katakombenpakt. Das Dokument wurde 16 von Kardinal Giacomo Lercaro, dem Erzbischof von Bologna, Papst 17 Paul VI. übergeben. Einzig die Empfangsbestätigung durch den 18 Staatssekretär kam als Antwort zurück. Die Wirkung des Paktes aber 19 sollte, besonders für Lateinamerika, überaus prägend sein. Der Text stellt eine kühne Konkretisierung der konziliaren Ekklesiologie auf dem Feld kirchlicher Praxis dar. Sein aus dreizehn Selbstverpflichtungen bestehender Wortlaut lässt sich in fünf Themenfelder gliedern: (1) das Verständnis der Kirche als Volk Gottes, (2) der Verzicht auf den Kult der eigenen Person, (3) die kommunionale Ausübung kirchlicher Autorität, (4) der Einsatz für die Armen und für die Gerechtigkeit als wesentliche Aufgabe der Kirche und (5) das gelebte Zeugnis evangelischer Armut. Eine kurze Darstellung dieser verschiedenen, aber innerlich miteinander verbundenen Aspekte kann die Tragweite und die „existenziel-
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Vgl. ARNTZ, Vermächtnis, 301. H. CÂMARA, „Circulares Conciliares“ (Brief 140), in: Coleção Obras Completas, Bd. I/1, Recife 2009, 200. Zitiert nach Arntz, Vermächtnis, 301. Erzbischof Lercaro verwandelte seine bischöfliche Residenz in ein Waisenhaus. Siehe dazu APPEL/PITTL, Konzil, 313. Vgl. ARNTZ, Vermächtnis, 302. Vgl. H.-J. SANDER, Theologischer Kommentar zur Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes, in: P. Hünermann/B. J. Hilberath (Hg.), Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 4, Freiburg u.a. 2009, 581-886, hier 712. Vgl. ARNTZ, Vermächtnis, 306.
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le, kirchliche, kirchenpolitische und programmatisch-prophetische 20 Bedeutung“ des Katakombenpaktes verdeutlichen. 2.1 Die Kirche als Volk Gottes Mit seinem Amtsverständnis zieht der Katakombenpakt praktische Konsequenzen aus einer theologischen Grundentscheidung des Konzils: Entgegen dem ursprünglichen Entwurf der Kirchenkonstitution, der mit der Darstellung der hierarchischen Verfassung der Kirche einsetzte, wurde im endgültigen Text der Konstitution das Kapitel 21 über die Kirche als „Volk Gottes“ vorangestellt. Es setzt „Hierarchie“ und Laien auf der Grundlage der gemeinsamen Taufe in eine enge Beziehung zueinander. Die Relatio begründet diese Entscheidung damit, dass das Volk zur Kategorie des Zieles im Ratschluss Gottes gehört, während die „Hierarchie“ als ein auf dieses Ziel hingeordnetes Mittel zu sehen ist. Die „Hierarchie“ wird nur als Dienst am Volk Gottes 22 betrachtet und als Bestandteil desselben verstanden. Der Pakt gebraucht zwar an keiner Stelle den Begriff „Volk Gottes“; die Volk-Gottes-Ekklesiologie wird aber in den getroffenen Entscheidungen durchaus wirksam. Sie steht „auf dem festen Boden der kirch23 lichen Tradition“. Auch wenn sie keine Neuerung des Konzils war, ist sie von ihm entschieden wieder aufgegriffen worden – nicht zuletzt
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Ebd., 297. Vgl. P. HÜNERMANN, Theologischer Kommentar zur dogmatischen Konstitution Lumen gentium, in: P. Hünermann/B. J. Hilberath (Hg.), Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 2, Freiburg u.a. 2004, 263-582, hier 371f. Zur Problematik des Begriffes „Hierarchie“ siehe K EHL, Kirche, 115-117. Das katholische Kirchenrecht von 1983 hat den Begriff „Hierarchie“ aufgegeben. Nun wird eher von „hierarchischer Verfassung“, „hierarchischer Struktur“ oder „hierarchischer Gemeinschaft“ gesprochen. Siehe auch F. HENGSBACH, Gottes Volk im Exil. Anstöße zur Kirchenreform, Oberursel 2011, 106. Das Motu Proprio über den Dienst der Liebe führt den Begriff „Hierarchie“ wieder ein: B ENEDIKT XVI., Apostolisches Schreiben in Form eines Motu Proprio Intima Ecclessiae Natura über den Dienst der Liebe (11. November 2012), Einleitung, Abs. 6 (http://www.vatican.va /holy_father/benedict_xvi/motu_proprio/documents/hf_ben-xvi_motu-roprio_ 20121111_caritas_ge.html) (eingesehen am 19.06.2013). W. KASPER, Katholische Kirche. Wesen – Wirklichkeit – Sendung, Freiburg u.a. 2011, 181.
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im Bemühen, konfessionelle und antireformatorische Verengungen 24 der Ekklesiologie zu überwinden. Vor diesem Hintergrund verpflichten sich die Bischöfe, ein Leben unter den Menschen zu führen und einen Lebensstil wie die Men25 schen in ihren Diözesen und Gemeinden zu pflegen. Für die Unterzeichner des Katakombenpaktes stehen die Hirten inmitten des Volkes als dessen Diener und nicht über ihm wie seine Herren (vgl. 1 Petr 26 5, 3). Oder, mit den Worten des Frankfurter Jesuiten und Sozialethikers Friedhelm Hengsbach: Sie haben sich vorgenommen, „das 27 Leben auf gleicher Augenhöhe mit dem Kirchenvolk zu suchen.“ 2.2 Verzicht auf den Selbstkult Auf der Grundlage der konziliaren Volk-Gottes-Ekklesiologie wird der Katakombenpakt sehr konkret: Die Bischöfe verzichten ausdrücklich auf die Amtskleidung, die aus „teurem Stoff“ und mit „auffallenden Farben“ gemacht ist, und auf Amtsinsignien, die aus „kostbarem Me28 tall“ – Gold oder Silber – hergestellt sind. Die Ablehnung der kirchlichen Ehrentitel („Eminenz“, „Exzellenz“, „Monsignore“) weist in 29 eine ähnliche Richtung.
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Vgl. ebd., 185; siehe auch J. WERBICK, Kirche. Ein ekklesiologischer Entwurf für Studium und Praxis, Freiburg u.a. 1994, 50f. Vgl. Katakombenpakt, 1. Selbstverpflichtung. Oder mit den Worten von Elmar Klinger: „Die Frage, die gestellt werden muss, lautet: was ist die Grundlage von was? Ist die Hierarchie Grundlage der Gemeinschaft, so dass Gemeinschaft aus der Verbundenheit mit der Hierarchie und damit aus einem Rechtsverhältnis besteht? Oder ist die Gemeinschaft Grundlage der Hierarchie, so dass Hierarchie in der Gemeinschaft eine Funktion erfüllt: sie steht in ihrem Dienst. Diese Alternative ist kein akademisches Problem. Im einen Fall steht die Hierarchie über allem, im anderen bildet sie einen Teil des Ganzen. Lumen Gentium ist in Aufbau und Aussage eindeutig. Die Hierarchie ist Teil des Volkes Gottes und leistet in ihm ihren Dienst“: E. KLINGER, Die dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, in: F. X. Bischof/St. Leimgruber (Hg.), Vierzig Jahre II. Vatikanum. Zur Wirkungsgeschichte der Konzilstexte, Würzburg 2004, 74-97, hier 89. Vgl auch S. DEMEL, Dienste und Ämter im Volk Gottes, in: P. Hünermann (Hg.), Das Zweite Vatikanische Konzil und die Zeichen der Zeit heute, Freiburg u.a. 2006, 340347, bes. 340. HENGSBACH, Exil, 173. Vgl. Katakombenpakt, 2. Selbstverpflichtung. Vgl. ebd., 5. Selbstverpflichtung.
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Diese Entscheidungen oder Selbstverpflichtungen gehen weit über eine bloße äußere Bescheidenheit hinaus. Die abgelehnten Gebräuche stellen zwei Grundversuchungen des christlichen Lebens und der Kirche selbst dar, vor denen das Evangelium ausdrücklich warnt: Reichtum und Macht (vgl. Lk 12,15; 22,24-26). Die vierzig Bischöfe des Katakombenpaktes verstehen die auffallende Kleidung und die kostbaren Insignien als Ausdruck eines Reichtums, der dazu führen kann, sich über Andere zu erheben. Die von ihnen erwähnten biblischen Zitate beziehen sich auf das Zeugnis des Petrus (vgl. Apg 3,9) und auf Hinweise Jesu an die Zwölf (vgl. Mk 6,9; Mt 10,9), die auf die Notwendigkeit der apostolischen Armut hinweisen. Nur diejenigen, die „weder Silber noch Gold“ besitzen, können überzeugend und glaubwürdig das Evangelium verkünden. Im Verständnis der Bischöfe sind die Titelbezeichnungen ein Ausdruck von Macht, der dem Geist und der Lehre des Evangeliums widerspricht. Darüber hinaus betonen diese Gebräuche auf einer übergebührlichen Weise den Unterschied zu den restlichen Gläubigen. Sie betonen so sehr die „Würde“ des kirchlichen Amts, dass dieses zu einem Ziel in sich selbst zu werden droht. Der Kult der eigenen Person ist eine naheliegende Gefahr. Gleiches gilt für die Verlockung, einer „Hierarchielatrie“ zu verfallen, welche die diakonische und auf das Volk Gottes zielende Natur des kirchlichen Amtes verdunkelt. Der Verzicht auf den Selbstkult und auf das Sich-über-Andere-Erheben macht dagegen deutlich, dass das kirchliche Amt nur als Dienst am Volk zu verstehen und auszuüben ist. Die von der bestehenden Praxis geförderte Distanz zwischen den kirchlichen Amtsträgern und dem Rest des Volkes Gottes gleicht in den Augen der Bischöfe des Paktes einer theologischen und pastoralen „Häresie“. 2.3 Kommunionale Ausübung des kirchlichen Amtes Direkte Folge dieses Verständnisses des kirchlichen Amtes ist die konkrete Ausübung der Autorität. Die Unterzeichner des Paktes wissen 30 sich nicht nur „eins […] mit all ihren Brüdern im Bischofsamt“, son31 dern auch eins mit „den Geschwistern in Christus“. Unverzichtbare
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Ebd., Einführung. Ebd., 12. Selbstverpflichtung.
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Voraussetzung, damit das kirchliche Amt als „ein wahrer Dienst“ ausgeübt werden kann, ist die tiefe Verbindung und gegenseitige Beziehung von Priestern, Diakonen, Ordensleuten und Laien. Die Bischöfe des Paktes nehmen sich vor, nicht nur mit ihnen zusammen ihr eigenes „Leben ständig kritisch zu prüfen“ – eine Art correctio fraterna –, sondern die Mitchristen auch „als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ zu betrachten. Sie verzichten dabei ausdrücklich auf eine Form der Amtsausübung, die sie wie „Chefs nach Art dieser Welt“ erscheinen lassen könnte. Die Begriffe „Mitverantwortung“ und „Beteiligung“ kommen zwar noch nicht im Wortlaut des Paktes vor, aber ihre Grundbedeutungen und Implikationen lassen sich schon in nuce erkennen. Die konziliare Theologie des Volkes Gottes spiegelt sich in der Bereitschaft der Bischöfe zu kommunionalen oder kommunikativen Strukturen wieder, 32 die sie noch konkretisieren und in die Praxis umsetzen müssen. Die zweite Generalversammlung des lateinamerikanischen Episkopates in Medellín hat 1968 diese Thematik mit der Forderung nach erneuerten pastoralen Strukturen, die die Beteiligung aller Getauften 33 ermöglichen, ausdrücklich wieder aufgenommen. Sie spielte eine 34 wichtige Rolle bei der Durchsetzung der Beschlüsse. In Medellín wurden die Themen des Katakombenpaktes zum Bestandteil des kirchlichen Lehramtes einer kontinentalen Ortskirche. Ihre Selbstverpflichtungen blieben nicht folgenlos: zahlreiche Bischöfe verän35 derten tatsächlich den Stil ihrer Amtsausübung.
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Zur Notwendigkeit einer Entsprechung zwischen Theologie und konkreten Strukturen siehe M. KEHL, Wohin geht die Kirche? Eine Zeitdiagnose, Freiburg u.a. 61997, 72; siehe auch H. HEINZ, Demokratie in der Kirche. Zur Mitverantwortung und Beteiligung aller Getauften, in: Stimmen der Zeit 212 (1994) 579-592, hier 579. Vgl. ARNTZ, Vermächtnis, 305. Zur Bedeutung der Konferenz von Medellín siehe auch ECKHOLT, Nahe bei Gott, 25. Vgl. II. GENERALVERSAMMLUNG DES LATEINAMERIKANISCHEN EPISKOPATS, Medellín 24.8.–6.9.1968, Beschlüsse, bes. Dokument 14 „Die Armut der Kirche“ (Stimmen der Weltkirche 8, Bonn 1979, 115-120); siehe auch HEINZ, Demokratie, 580. Vgl. ARNTZ, Vermächtnis, 306. Vgl. auch J. RATZINGER/H. MAIER (Hg.), Demokratie in der Kirche. Möglichkeiten, Grenzen, Gefahren, Limburg 1970. Ratzinger erwähnt das „klassische Modell kirchlicher ‚Demokratie‘“, das mit drei Aussagen Cyprians zusammengefasst werden kann: nihil sine episcopo, nihil sine consilio vestro (= Rat des Presbyteriums) und nihil sine consensu plebis (43f). Der damalige Regensburger Theologe betont aber schon in den fünfziger Jahren das monarchische Prinzip in der Ortskirche. Bei J. RATZINGER heißt es an anderer Stelle: „Während die Leitung der Einzel-
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2.4 Einsatz für die Armen und für Gerechtigkeit Die Unterzeichner des Paktes verpflichteten sich zu einem entschiedenen Engagement für die Armen und zum Einsatz für die Gerechtigkeit in einer skandalös ungleichen Welt. Sie bezeichnen diese Aufgabe als einen wesentlichen und unverzichtbaren Bestandteil ihres aposto36 lischen pastoralen Dienstes. Diese entschiedene Berücksichtigung der Armen und die engagierte Suche nach Gerechtigkeit stellen eine Antizipation des „Einbruchs der Armen“ dar, die allmählich Eingang in das Denken und Handeln der lateinamerikanischen Kirche finden 37 sollte. Diese Aufgabe beschränkt sich nicht auf lehramtliche Erklärungen oder theoretische Belehrungen. Der Wortlaut der Selbstverpflichtungen legt vielmehr nahe, dass die Bischöfe den Einsatz für die Gerechtigkeit als ein opus proprium betrachten. Sie gehen davon aus, dass es einen engen Zusammenhang zwischen Liebe und Gerechtigkeit gibt, 38 der in der Ausübung des pastoralen Dienstes wirksam werden muss. Die Liebe – so unverzichtbar sie ist – darf nicht die Gerechtigkeit ersetzen oder übersehen. Die wahre Liebe nötigt dazu, sich zugunsten der zahllosen Benachteiligten für die Gerechtigkeit einzusetzen. Folglich müssen die Werke der „Wohltätigkeit“ in „soziale Werke“ umgewandelt werden, die auf Gerechtigkeit und Liebe gründen. Das entspricht dem Bild des biblischen Gottes, der nicht nur die Liebe ist
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kirche monarchisch ist (obgleich auch sie das Kollegium der Presbyter und die Mitwirkung der ganzen Gemeinde einschließt), beruht die Einheit der Gesamtkirche auf den Querverbindungen der Bischöfe untereinander, die das eigentliche Wesen der Katholizität ausmachen“ (Das neue Volk Gottes. Entwürfe zur Ekklesiologie, Düsseldorf 1972, 49). Vgl. Katakombenpakt, 8. Selbstverpflichtung. Bezüglich dieses Einbruchs kommentiert C. SCHICKENDANTZ: „Mit der Formulierung ‚Einbruch der Armen‘ wurde nicht die bloße Existenz der Armen bezeichnet. Es gab immer Armut in Lateinamerika. Das Neue war, sich dieser Realität bewusst zu werden. Es wurde eine neue personale und soziale Verantwortung entwickelt; es wurden die wesentlichen evangelischen Züge des Glaubens neu entdeckt. Dies Armut ist ein ‚Ort‘, besser gesagt, ‚der Ort‘, von woher Gott spricht, von woher sich das Gesicht Jesu Christi zeigt, von woher eine Verantwortung für den Bruder reklamiert wird, von woher eine neue Reflexion, eine neue Sensibilisierung und ein wirksames Handeln gefordert wird“ (Zeichen der Zeit, 169). Für diese Wahrnehmung ist der Katakombenpakt von großem Belang gewesen. Vgl. Katakombenpakt, 9. Selbstverpflichtung.
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(vgl. 1 Joh 4, 8), sondern auch jener Gott, der Recht schafft und für 39 den die Gerechtigkeit ein opus proprium ist (vgl. Ps 82). Darüber hinaus verpflichten sich die Unterzeichner des Paktes, gemeinsam mit den Episkopaten der armen Nationen „dringliche Projekte“ im Dienst der verarmten Mehrheit der Menschheit zu verwirkli40 chen. Ausdrücklich wird die bischöfliche Kollegialität erwähnt, und sie wird als jene kirchliche Handlungsweise bezeichnet, die dann „dem Evangelium am besten entspricht“, wenn sie sich für die Menschen im Elend einsetzt. Die Kollegialität nimmt in diesem Zusammenhang ein soziales Gesicht an und wird als ein Instrument im Dienst der Gerechtigkeit betrachtet. Die Unterzeichner begnügen sich nicht nur mit dem „Sehen“ oder 41 mit dem „Urteilen“, sondern sie gehen auch zum „Handeln“ über. Ihr Vorsatz schließt im Blick auf „Gesetze, Strukturen und gesellschaftliche Institutionen“ das gemeinsame Engagement mit jenen Staaten bzw. politischen Gesellschaften ein, die die Gleichheit und die ge42 samtmenschliche Entwicklung fördern. Auf der Ebene der internationalen Organisationen ist das Zeugnis des Evangeliums untrennbar vom Einsatz für die Schaffung von „wirtschaftlichen und kulturellen Strukturen“. Diese können der verarmten Mehrheit der Menschen 43 einen Ausweg aus dem Elend ermöglichen. Das Ziel dieses Bemühens und der Mitwirkung mit nichtkirchlichen Organen und Organisationen ist die Entstehung einer neuen „Gesellschaftsordnung“. Diese ist dadurch charakterisiert, dass sie der „Würde der Menschen- und Gotteskinder“ gerecht wird. Menschliche Wür-
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Vgl. KEHL, Kirche, 243; siehe auch J. MOLTMANN, „Sein Name ist Gerechtigkeit“. Neue Beiträge zur christlichen Gotteslehre, Gütersloh – München 2008, 113f. Katakombenpakt, 11. Selbstverpflichtung. Zur Wirkung dieser induktiven Methode in der lateinamerikanischen Realität siehe SCHICKENDANTZ, Zeichen der Zeit, 166. Katakombenpakt, 10. Selbstverpflichtung. Vgl. Katakombenpakt, 11. Selbstverpflichtung. Zum tiefen Zusammenhang zwischen Evangelisierung und menschlicher Entfaltung vgl. PAUL VI., Apostolisches Schreiben Evangelii Nuntiandi über die Evangelisierung in der Welt von heute, Vatikan 1975, Nr. 31; dt. Übersetzung: Apostolisches Schreiben Evangelii Nuntiandi Seiner Heiligkeit Papst Paul VI. an den Episkopat, den Klerus und alle Gläubigen der Katholischen Kirche über die Evangelisierung in der Welt von heute (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 2, Bonn 1975); siehe auch G. CASALE, Guai a me se non annuncio il Vangelo. Riformare la Chiesa. Lettera aperta al Sinodo dei Vescovi, Molfetta (BA) 2012, 15-21.
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de und Gottessohnschaft werden als untrennbare Einheit betrachtet. Folglich muss das kirchliche Amt im Dienst des „ganzen“ Menschen stehen. In der lateinamerikanischen Theologie gehört der Einsatz für soziale Gerechtigkeit zu jener „Heiligkeit“, die eines der vier Merkmale 44 (notae) der Kirche bildet. In diesem Sinn ist der engagierte Einsatz für soziale Gerechtigkeit ein wesentliches Kennzeichen für die Glaub45 würdigkeit der Kirche. 2.5 Zeugnis evangelischer Armut Die Unterzeichner des Katakombenpaktes stellen sich selbst vor als „Bischöfe, die sich zum Zweiten Vatikanischen Konzil versammelt haben“ und „die sich dessen bewusst geworden sind, wie viel ihnen noch fehlt, um ein dem Evangelium entsprechendes Leben in Armut 46 zu führen.“ Dieser Selbstkritik folgen erstaunliche Selbstverpflichtungen: „Wir verzichten ein für allemal darauf, als Reiche zu erscheinen wie auch 47 wirklich reich zu sein“. Das wird im Verzicht auf den Besitz von Gütern auf eigenen Namen konkretisiert („weder Immobilien oder Mobi48 lien noch Bankkonten“). Die Überschreibung des „notwendigen“ Besitzes auf den Namen der Diözese oder der sozialen bzw. karitativen Werke soll deutlich machen, was man als diakonischen Umgang mit 49 Gütern bezeichnen kann. Für die Kirche ist der Besitz von Gütern nur im Hinblick auf ihre apostolische Sendung und im Zusammenhang mit dem Dienst an den 44
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L. BOFF, Kirche: Charisma und Macht. Studien zu einer streibaren Ekklesiologie, Düsseldorf 1985, 220; siehe auch WERBICK, Kirche, 143-147; KLINGER, Armut, 226. Nach einer Umfrage der CONICET [Consejo Nacional de Investigaciones Científicas y Técnicas] genießt die Katholische Kirche in Argentinien eine hohe Glaubwürdigkeit im Vergleich zu anderen Institutionen der argentinischen Gesellschaft. Der Einsatz in sozialen Bereichen spielt keine geringe Rolle für diese positive Einschätzung. Siehe CONICET, Primera Encuesta sobre creencias y actitudes religiosas en Argentina, Buenos Aires 2008, 15; siehe auch M. LARROSA, „¿Un “7 (siete) en el examen” para la Iglesia Católica en Argentina?“, in: Vida Pastoral 275 (2009) 4-7. Katakombenpakt, Einführung. Ebd., 2. Selbstverpflichtung. Ebd., 3. Selbstverpflichtung. Vgl. ebd., 8. Selbstverpflichtung.
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Armen gerechtfertigt. Andernfalls wird er leicht zum Ausdruck von jener „weltlichen“ Macht, auf die sich die Apostel nicht stützen dürfen, damit das Kreuz Christi nicht zunichte gemacht wird (vgl. 1 Kor 1,17). Die Kenosis Jesu – seine Selbsterniedrigung bis zum Tod – soll auch das Programm und der Weg der Kirche sein, falls sie wirklich ihm – und nicht einem anderen Herrn – dienen will (vgl. Phil 2,7). Der lateinamerikanische Episkopat wird sich in seiner zweiten Generalversammlung in Medellín (1968) diese prophetischen Impulse zu Eigen machen. Der Geist der Selbstverpflichtungen bezüglich der Armut wird im Dokument 14 von Medellín („Armut der Kirche“) lehr50 amtlichen Rang erreichen. Die Armut der Kirche und ihrer Mitglieder ist eine Haltung evangelischer Offenheit gegenüber Gott, eine Konstante in der Heilsgeschichte. Sie ist ein Zeichen des unschätzbaren Wertes der Armen und der kirchlichen Solidarität mit den Lei51 denden. 3. DER KATAKOMBENPAKT: ANSTOSS FÜR DIE FORTSCHREIBUNG DES KONZILS Fünfzig Jahre nach dem Konzil sorgen sich nicht Wenige um die Fortsetzung des konziliaren Aufbruchs. „Die Kirche ist 200 Jahre zurückgeblieben“, stellte Kardinal Carlo Martini, der 2012 verstorbene Erzbi52 schof von Mailand, in seinem letzten Interview bedauernd fest. Dass dies keine partielle oder subjektive Wahrnehmung ist, belegt eine Äußerung aus traditionalistischen Kreisen: „In Rom habe ich feststellen können, dass die Rede über den Glanz des Zweiten Vatikanums, die sie uns bis zum Überdruss wiederholen, auch wenn sie noch weit53 hin im Munde vieler ist, nicht mehr in aller Köpfe ist.“ Mit diesen
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Text in: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 8, 115-120. Vgl. ARNTZ, Vermächtnis, 305f. C. MARTINI, Intervista con Georg Sporschill, 8 agosto 2012. Eine deutsche Version, zuletzt eingesehen am 16.04.2013, ist aufrufbar unter http://www.bibelwerk.at/ downloads/Interview_Martini.pdf. B. FELLAY, Lettre aux évêques de la Fraternité Saint-Pie X. Der Originalbrief, zuletzt eingesehen am 15.4.2013, ist aufrufbar unter http://www.riposte-catholique.fr/ summorum-pontificum-blog/documents-summorum/lettre-de-mgr-fellay-auxeveques-de-la-fraternite-saint-pie-x#.UWcGELXOuSq: «J'ai pu constater à Rom com-
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Worten fasste der lefebvrianische Bischof Bernard Fellay im April 2012 die Gründe seiner Hoffnung zusammen. Tatsächlich haben in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten zahlreiche Widerstände eine entschlossene Umsetzung der konziliaren Beschlüsse verhindert. Sie müssen beim Namen genannt werden, 54 um „die Asche zu entfernen“, die „die Glut verdeckt“. In Südamerika etwa wurde nach der Emeritierung von Bischöfen, die am Konzil teilgenommen hatten, oft ein Episkopat ernannt, der 55 eher dem römischen Zentralismus zuneigt. Erkennbare Tendenzen 56 zu einem „Ekklesiozentrismus“ und zu „bischofsfixierten“ Ortskir57 chen sind Symptome einer Verdunklung der Volk-Gottes-Ekklesiolo58 gie des Konzils, die viele beunruhigen. Hinzu tritt eine nur unzureichende kirchenrechtliche Konkretisierung der vom Zweiten Vatikanischen Konzil geforderten Mitverantwortungsstrukturen des ganzen 59 Gottesvolkes auf den verschiedenen Ebenen der Kirche.
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bien le discours sur les gloires de Vatican II que l'on va nous ressasser, s'il est encore sur la bouche de beaucoup, n'est cependant plus dans toutes les têtes». C. MARTINI, Intervista. In Anlehnung an K. Rahner benutzt der Mailander Kardinal das Bild von Glut und Asche. Mit derselben Bildlichkeit arbeitet auch M. WERLEN, Miteinander die Glut unter der Asche entdecken, Einsiedeln 52012, I, XIV. Vgl. ECKHOLT, Nahe bei Gott, 25; siehe auch DIES., Kirche der Armen, 53-54; M. GONZÁLEZ, Malestares y emergencias pastorales. Repercusiones del cambio epocal en la vida pastoral de la Iglesia Católica argentina, in: Vida Pastoral 241 (2003) 10-17. Zum Ungleichgewicht zwischen der Universalkirche und den Einzelkirchen siehe KEHL, Wohin, 80-98. ECKHOLT, Nahe bei Gott, 25. In diesem Zusammenhang sei kurz auf die Verbindung zwischen einer fragwürdigen Konzeption und Praxis von „Macht“ in der Kirche und den Missbrauchskandalen hingewiesen. Siehe auch C. SCHICKENDANTZ, Creciente desconfianza en las estructuras históricas de la Iglesia. Hacia una reforma institucional en el actual contexto cultural, in: Fundación Amerindia (Coord. Edit.), Congreso Continental de teología. La teología de la liberación en prospectiva. T. I. Trabajos científicos, Montevideo 2012, 249-272, hier 251-253. HENGSBACH, Exil, 172. G. GRESHAKE, Was hat es gebracht? Ein kritischer Rückblick zum Priesterjahr, in: Herder-Korrespondenz 64 (2010) 375-377, hier 377 weist auf die „ständige Einschränkung laikaler kirchlicher Dienste durch römischen Anweisungen“ hin; siehe auch KEHL, Wohin, 59-64. Vgl. DEMEL, Dienste und Ämter, 343f.; siehe dazu HENGSBACH, Exil, 171-173; ECKHOLT, Kirche der Armen, 54. Eine andere Meinung vertritt L. MÜLLER, Das Zweite Vatikanische Konzil und das Kirchenrecht, in: J.-H. Tück (Hg.), Erinnerung an die Zukunft, 317-332, hier 329-332.
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Eine problematische Konzeption des kirchlichen Amtes lässt sich auch darin erkennen, dass „im 20. Jahrhundert der Anteil der nichtresidierenden Bischöfe, d.h. der Bischöfe, die nicht einer Ortskirche vorstehen, auf nahezu 50 Prozent wächst und Leiter bzw. Sekretäre 60 der römischen Kongregationen und Räte Bischöfe sind.“ Sie empfangen für ihren kurialen Dienst die Bischofsweihe und werden beispielsweise in die „Würde“ eines Erzbischofes „erhoben“. Diese Er61 nennungen, aber auch die Fortdauer der klerikalen Ehrentitel und 62 die damit verbundenen Rechte auf besondere Kleidung und Ansehen fördern den Selbstkult und begünstigen nicht selten eine Form von Karrierismus, die dem Evangelium zutiefst widerspricht: „Wenn jemand der Erste sein will, dann soll er der Letzte von allen und der 63 Diener aller sein“ (Mk 9,35 par). Besonders unter jüngeren Priester ist heute nicht selten ein Wieder64 aufleben des Klerikalismus zu beobachten. Nach Einschätzung des emeritierten Freiburger Dogmatikers Gisbert Greshake hat das letzte Priesterjahr – dessen Tragweite für die ganze Welt unbestreitbar ist – in hohem Maße „das vorkonziliare hierarchische Priesterbild“ gefei-
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P. HÜNERMANN, Zum Streit über den Diakonat der Frau im gegenwärtigen Dialogprozess. Argumente und Argumentationen, in: Theologische Quartalschrift 192 (2012) 342-378, hier 348. Vgl. W. SCHULZ, Ehrentitel, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 3, Freiburg u.a. 2009, 511f. Vgl. SECRETARIA STATUS SEU PAPALIS, Instructio Ut sive sollicite. Circa vestes, titulos et insignia generis Cardinalium, Episcoporum et Praelatorum ordine minorum in: Acta Apostolicae Sedis 61 (1969) 334-340. Sogar die „Cappa Magna“ ist noch heute vorgesehen. Siehe auch CONGREGAZIONE PER IL CULTO DIVINO E LA DISCIPLINA DEI SACRAMENTI, Caeremoniale Episcoporum, Vaticano, 14 settembre 1984, Nr. 64, 126, 192, 1215. G. GRESHAKE, Priesterjahr, 377 bedauert mit gesunden Menschenverstand „derzeitige Lächerlichkeiten wie die Wiedereinführung der Cappa Magna seitens einiger Kardinäle“ und „die barocke ‚Verfeinerung‘ liturgischer Gewänder“. Auch MARTINI kritisiert in seinem letzten Interview den Prunk: „Unsere Rituale und die Gewänder sind pompös. Sagt das aus, was wir heute sind?“ (ebd.). Auch der „Vatileaks-Skandal“ ist in gewissem Maße das Resultat einer von der Kirche gepflegten Praxis. Die Kirche selbst schürt den „Machtinstinkt“, der sie und ihre Glaubwürdigkeit schließlich untergräbt. Vgl. TH. VON MITSCHKE-COLLANDE, Schafft sich die katholische Kirche ab? Analysen und Lösungen eines Unternehmensberaters, München 2012, 72-74; siehe dazu GRESHAKE, Priesterjahr, 377.
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ert. Dieses Urteil wird durch die Äußerungen des Schweizer Gene66 raloberen der Piusbruderschaft bestätigt. Die im Ansatz durchaus richtige Betonung einer geistlichen Identität des Klerus und der Mission der Kirche kann dazu führen, dass sie den aktiven Einsatz für Gerechtigkeit und eine entschlossenere Mitwirkung der Kirche in sozialen Bereichen schwächt. Bedenklich erscheinen in dieser Perspektive auch Akzente, die Papst Benedikt XVI. in seiner ersten Enzyklika Deus Caritas est (2005) gesetzt hat. Demnach stellen die karitativen Organisationen zwar das opus proprium der Kirche dar; der Einsatz für soziale Gerechtigkeit aber ist Sache der Politik. Diese muss sich irgendwann mit der Frage beschäftigen, was Gerechtigkeit eigentlich ist und welche praktischen oder gesetzgeberischen Konsequenzen sich aus ihr ergeben. Der Beitrag der Kirche zu dieser Frage liegt vorrangig in der „Reinigung“ der praktischen Ver67 nunft der politischen Gesellschaft durch den Glauben. Auch die Verbindung zwischen Evangelisierung und der Entfaltung menschlichen Lebens – von Papst Paul VI. in seinem Schreiben Evangelii Nuntiandi 1975 deutlich hervorgehoben – fehlt im Instrumentum 65 66
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GRESHAKE, Priesterjahr, 376. Der lefebvrianische Bischof legt das Priesterjahr als den Versuch der römischen Autoritäten aus, das „wahre“ Verständnis des Priestertums, das vom II. Vatikanischen Konzil zerstört worden sei, wieder herzustellen. Darüber hinaus behauptet er, dass sich die von der Kleruskongregation kürzlich veröffentlichte Gewissenserforschung eindeutig in der Linie der „vorkonziliaren Spiritualität“ befinde. „Es scheint, als ob sie nach Ecône gegangen wären, um diese Gewissenserforschung zu holen“. Siehe auch B. FELLAY, Intervista sullo stato attuale delle relazioni della Fraternità San Pio X con Roma, in: Documentation Information Catholiques Internationales 256, 8 giugno 2012. Das Interview, zuletzt eingesehen am 15.04.2013, ist online aufrufbar unter http://www.sanpiox.it/public/index.php?option=com_content&view=article&id=6 2:intervista-di-mons-bernard-fellay-sullo-stato-attuale-delle-relazioni-della-fraternitasan-pio-x-con-roma&catid=58:informazioni-casa-generalizia&Itemid=64. Vgl. BENEDIKT XVI., Enzyklika Deus Caritas est vom 25. Dez. 2005 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 171, Bonn 2005, 28). Auch wenn der Papst eine gegenseitige Beziehung zwischen Liebe und Gerechtigkeit annimmt, verteidigt er einen kategorischen Unterschied zwischen beiden Ebenen. Später wurde dieser noch kirchenrechtlich bestimmt. Ein Motu Proprio des Papstes beschreibt den Dienst der Liebe als „ein konstitutives Element der kirchlichen Sendung und unverzichtbaren Ausdruck ihres eigenen Wesens“ und schließt die diesbezügliche „Gesetzlücke“, „um die Wesentlichkeit des Liebesdienstes in der Kirche und seine konstitutive Beziehung zum Bischofsamt in der kanonischen Rechtsordnung angemessen zum Ausdruck zu bringen.“ Vgl. DERS., Motuproprio über den Dienst der Liebe Intima Ecclesiae Natura vom 11. Nov. 2012, Einleitung (a.a.O.).
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Laboris der letzten Synode zur Neuen Evangelisierung. Vergeistlichung und Entweltlichung bedeuten vielfach eine praktische Tautologie und können als zwei Seiten einer und derselben Medaille gel69 ten. Keine Frage: eine dem Evangelium entsprechende „Entweltlichung“ ist lebenswichtig für die Kirche. Sie schließt aber vor allem ein deutliches Zeugnis der evangelischen Armut ein – und das soll in der 70 Freiburger Rede Benedikts XVI. ebenfalls gemeint gewesen sein. Doch scheint die Kirche in diesem Bereich eine besondere „Unfähigkeit“ zu haben – um eine Formulierung von Karl Rahner aufzugrei71 fen. „Die Option für ein einfaches luxusloses Leben und die Anteil72 nahme an der Armut so vieler Leute sind noch ein fernes Ziel“. Im sogenannten Präkonklave hat Kardinal Jorge Bergoglio im März 2013 nachdrücklich auf die Gefahr einer zunehmenden Entfremdung der Kirche gegenüber der zu evangelisierenden Gesellschaft und auf die Versuchung hingewiesen, die aus „kirchlicher Selbstbezogenheit“ 73 und „theologischem Narzissmus“ erwachsen. Der ausdrückliche 74 Wunsch nach einer „armen Kirche für die Armen“ und das erstaun68 69
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Vgl. CASALE, Guai a me, 39-43. In diesem Zusammenhang ist J. MOLTMANN, Theologie der Hoffnung. Untersuchungen zur Begründung und zu den Konsequenzen einer christlichen Eschatologie, Gütersloh 2005, zuzustimmen: „Nicht in radikaler Entweltlichung gewinnt sich der Glaube, sondern durch hoffnungsvolle Entäußerung in die Welt hinein wird er zu einem Gewinn für die Welt“ (148). Vgl. BENEDIKT XVI., Ansprache an engagierte Katholiken aus Kirche und Gesellschaft, Freiburg/Br., 25. Sept. 2011, in: Apostolische Reise seiner Heiligkeit Papst Benedikts XVI. nach Berlin, Erfurt und Freiburg. 22.-25. Sept. 2011 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 189), Bonn 2011, 145-151; siehe auch J. ERBACHER (Hg.), Entweltlichung der Kirche? Die Freiburger Rede des Papstes, Freiburg u.a. 2012. Zur Beziehung zwischen Entweltlichung und Armut sowie zur diesbezüglichen Bedeutung des Katakombenpaktes siehe TH. FORNET-PONSE, Für eine arme Kirche! Der Katakombenpakt von 1965 als Beispiel der Entweltlichung, in: Stimmen der Zeit 230 (2012) 651-661. Der Ausdruck stammt von K. RAHNER, Die Unfähigkeit zur Armut in der Kirche, in: Ders., Schriften zur Theologie, Bd. 10, Einsiedeln 1972, 520-530, hier 524. Siehe auch FORNET-PONSE, Arme Kirche, 657. CASALE, Guai a me, 49. J. BERGOGLIO, Rede vor der Kardinalversammlung, Vatikan, März 2013. Eine deutsche Version des Textes, zuletzt eingesehen am 16.04.2013, ist online aufrufbar unter http://blog.radiovatikan.de/die-kirche-die-sich-um-sich-selber-dreht-theologi scher-narzissmus/. Papst FRANZISKUS, Ansprache an die Medienvertreter, Vatikan, 16. März 2013, unter http://www.vatican.va/holy_father/francesco/speeches/2013/march/docu
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liche Eingeständnis, dass wir „nicht alles getan haben, […] was uns der 75 Heilige Geist im Konzil gesagt hat“, wecken bei Vielen die Hoffnung, 76 dass statt einer „Reform der Reform“ ein „Aggiornamento des Aggiornamento“ stattfinden kann. In dieser Perspektive kann das prophetische Zeichen des Katakombenpaktes einen Impuls für die heutige Kirche liefern und eine Ermutigung sein, einen neuen Aufbruch zu wagen. Die Unterzeichner des Katakombenpaktes von 1965 haben durch Tat und Wahrheit bewiesen, dass eine Kirche möglich ist, die solidarisch ist mit den Armen in der Welt. Insofern bleibt der Katakombenpakt als eine Art „subversives Vermächtnis“ des Zweiten Vatikanischen Konzils weiterhin wirk77 sam. Die Unterzeichner des Paktes wollten die Kirche aus ihrer Selbstbezogenheit befreien. Über die entschlossene Option für die Armen 78 (extra pauperes nulla salus ) hinaus hat der Pakt deshalb ekklesiologische Implikationen: Extra paupertatem nulla salus ecclessiae – jenseits der Armut gibt es kein Heil für die Kirche. In der evangelischen Armut sahen die Unterzeichner eine – wenn nicht die einzige – Lebensmöglichkeit für die Kirche in der Moderne. Die Armut schließt den Verzicht auf Macht wesentlich mit ein. Ohne eine entschiedene Option für innerkirchliche Communio-Strukturen besteht die Gefahr einer wachsenden Kluft zwischen der Kirche und den zeitgenössischen Gesellschaften. Diese nämlich sind für Formen der Partizipation hochgradig sensibel. Dabei geht es nicht um eine Anpassung an die Kultur des Moments – den „Zeitgeist“ –, sondern darum, sich dem legitimen Anspruch auf Beteiligung zu stellen. Scheinen doch in der Tat „bestimmte Forderungen der Moderne, die noch nicht institutionell [sc. in der Kirche] aufgenommen worden sind, […] evangeliumsgemäßer und theologisch richtiger als einige
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ments/papa-francesco_20130316_rappresentanti-media_ge.html (eingesehen am 19.06.2013). Papst FRANZISKUS, Frühmesse im vatikanischen Gästehaus „Domus Sanctae Martae“. Das Leben nehmen wie es kommt, unter http://www.vatican.va/holy_ father/francesco/cotidie/2013/ge/papa-francesco_20130413_meditazioni-4_ge. html (eingesehen am 19.06.2013). CASALE, Guai a me, 33. ARNTZ, Vermächtnis, 307. Zur Umformung des Prinzips „Extra ecclesia nulla salus“ und ihrer Bedeutung in der lateinamerikanischen Theologie vgl. SCHICKENDANTZ, Zeichen der Zeit, 170.
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unserer gegenwärtigen Praktiken und Organisationskonzeptionen zu 79 sein“. Wenn die Glaubwürdigkeit der Kirche in heutiger Zeit eine „Über80 lebensfrage“ ist, dann war und ist der Katakombenpakt mehr als nur ein unverzichtbarer Bestandteil ihrer „Überlebensstrategie“. Er ist vielmehr authentischer Ausdruck ihres geschichtlichen Ringens um die Treue zum Evangelium und zu ihrer Sendung, alle Menschen auf der Welt die Güte und Barmherzigkeit Gottes erfahren zu lassen, und gilt „besonders den Armen und Bedrängten aller Art“ (GS 1).
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Personenregister (ohne Literaturverzeichnisse) Abd-el-Jalil, Jean-Muhammad 307 310 "HPTUJOP 'SBODFTDPEī Alberigo, Giuseppe 9 28 228 230 232 Albert der Große 77 Alfrink, Kardinal Bernhard Jan 79 129 Al-Hallaj, Mansûr 273 Allegri, Renzo 230 "MWFSOZ "OES§Eī Anawati, Georges 272f. 307 344 Angenendt, Arnold 364f. Ansorge, Dirk 177 Appel, Kurt 437f. Aristoteles 199 Arnaldez, Roger 307 Arntz, Norbert 436-438 442 446 451 Asin Palacios, Miguel 307 310 Atatürk, Kemal 164 Athenagoras, Patriarch 167 Augustinus, Aurelius 24 38 65 152 173 206 353-355 363f. Aydin, Mahmut 317 319-334 338-340 342-346 Aydin, Mehmet 319 Aymans, Winfried 419 425 Bachja ibn Paquda 251 Ballhorn, Egbert 61 97 Balthasar, Hans Urs von 48f. 156 Barion, Hans 413
Bassetti-Sani, Giulio 307 Bauckham, Richard 83 87 89 92 94 Baumann, Klaus 382 Baumstark, Anton 350 Bea, Augustin Kardinal 79 106f. 113 142 165 230 232 234-236 Beinert, Wolfgang 161 168 188 388 416 Bellarmin, Kardinal Robert 175 Benedikt XV., Papst 69 Benedikt XVI., Papst 13 15 19 52f. 56f. 63 66 70 76 79 81 96 103 109-112 118 120 123 125 133 136 141 176 180f. 184 186 192 216 240f. 247 288297 349 358 370 395 399 411 413-417 426 439 442 449f. Beozzo, J. Oscar 229 234 Bergoglio, Jorge s.v. Franziskus, Papst Bernhardt, Reinhold 248 Beutler, Johannes 255 Beyer, Hermann Wolfgang 377 Bielefeldt, Heiner 210 218f. 223 Bier, Georg 413 415 419 421423 426-428 Bieringer, Reimund 81 94 Biesinger, Albert 382 Blondel, Maurice 46
Personenregister
Böckenförde, Ernst-Wolfgang 205 214 218 219-221 226 Böckenförde, Werner 413 Böhnke, Michael 183 Boeve, Lieven 52 57 62 71 Boff, Leonardo 445 Bohlen, Reinhold 234 Bolte, Bischof Adolf 103 Boris III., Zar von Bulgarien 230 Borrmans, Maurice 275 278 332 Borromäus, Kardinal Karl 10 Brandmüller, Walter 28 40 192 Brandstetter, Alois 6f. Bruhn, Manfred 394 Buber, Martin 46 Bucher, Rainer 394 Bueno, Kardinal José Maria 148 Bühler, Pierre 394 Caspar, Robert 269 272f. 307 323 Cohen, Hermann 46 Congar, Yves 46 104 111f. 120 136 202 Cyprian von Karthago 152 442 Daniélou, Jean 111 136 Démann, Paul 230 Demel, Sabine 413 426 440 447 Dirscherl, Erwin 55 Djait, Hischam 305 Döpfner, Julius Kardinal 79 104 115f. 120 136 Dohmen, Christoph 55 62 65 Dormeyer, Detlev 88 Drößler, Bernd 420 424
459
Dupont, Anthony 53 Dupuis, Jacques 178 Eckhart von Hochheim 48 Eckholt, Margit 436f. 442 447 Ehrlich, Ernst Ludwig 236 Elchinger, Bischof LéonArthur 122 136 137 Eltrop, Bettina 378 Enders, Michael 192 Ephräm der Syrer 97-99 Erbacher, Jürgen 450 Ernesti, Jörg 164 167 235 277 Faber, Eva-Maria 103 Faggioli, Massimo 42 Farkasfalvy, Dennis 81 Feiner, Johannes 49 125 Feldkämper, Ludger 70 Felici, Kardinal Pericle 133 Fellay, Bernard 446f. 449 Fenton, Joseph Clifford 109 Feulner, Hans-Jürgen 350 Fichte, Johann Gottlieb 46 Figl, Johann 249 Fischer, Balthasar 350 352 354f. Fischer, Heinz-Joachim 247 Fisher, Eugene 240 Fogarty, Gerald 137 Fornet-Ponse, Thomas 450 Forst, Reiner 211f. Foucauld, Charles de 267 Foucault, Michel 7 Fouilloux, Etienne 436 Franco, Francisco 33 201 Franic, Frane 130 Frankemölle, Hubert 53 240 258 Franziskus, Papst 141 349 395 450f. Franz von Assisi 382
460
Personenregister
Frevel, Christian 64 Frickenschmidt, Dirk 88-90 Friedländer, Saul 257 Frings, Kardinal Joseph 79 103 108 112f. 129 133 136 Fritzen, Wolfgang 80f. 84 93 Froehle, Bryan T. 4 Fuchs, Ottmar 401 Fürlinger, Ernst 234 239 Fürst, Bischof Gebhard 390 Fuss, Martin 251 Gabriel, Karl 394 Garcia, Granados 200 García Aiz, Jesús Ginés 176 Garhammer, Erich 414 Garouachi, Hassen 338-341 Garrone, Kardinal GabrielMarie 135 Gassmann, Günter 172 Gauchet, Marcel 340 Gautier, Mary L. 4 Georges, Karl Ernst 26 Gerhards, Albert 349-370 Gilbert, Maurice 77f. Ginzburg, Carlo 90 Gioia, Francesco 313 Gohde, Jürgen 378 Gollwitzer, Helmut 397 Gondan, Alexander 385 González, Marcelo 447 Graumann, Dieter 241 Gregor VII., Papst 270 Gregor XVI., Papst 30 Greshake, Gisbert 447-449 Griffith, Sidney Harrison 98 Grillmeier, Kardinal Aloys 4 17 20 52 103f. 108f. 120 125 133 135f. 321 Grözinger, Albrecht 394
Guardini, Romano 127 358363 368 Gülen, Fetullah 320 334-338 Güzelmansur, Timo 276 Hainthaler, Theresia 184 Hallermann, Heribert 413 420 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 46 Heidegger, Martin 46 48 Heimbach-Steins, Marianne 416 Heinz, Andreas 350 Heinz, Hanspeter 442 Hengsbach, Kardinal Franz 103 Hengsbach, Friedhelm 439f. 447 Henrix, Hans Hermann 233 239f. 242 247 Hentschel, Anni 377 Heschel, Abraham Joschua 236 Hick, John 332 Hieke, Thomas 61f. Hilberath, Bernd-Jochen 29 165f. 188 397 413 417 435 )JQQPMJUP +PTFQIEī Hippolyt von Rom 380 Hirschmann, Hans 4 103f. 120 135f. Hoeck, Johannes M. 178 Hoffmann, Andreas 254 Homolka, Walter 240 358 Hoping, Helmut 52 Horn, Stephan O. 414 Houben, Jean-Jacques 262f. Hüffmeier, Wilhelm 172
Personenregister
Hünermann, Peter 5 12 29 33 39f. 46 52 55 420 426f. 429 434f. 439 448 Ignatius von Antiochien 379 Ignatius von Loyola 137 Irenäus von Lyon 93 Isaac, Jules 233f. Isensee, Josef 419 Janowski, Bernd 393 396 401 Janowski, J. Christine 393 396 401 Jingnong Du, Peter 403 Johannes VIII., Papst 183 Johannes XXIII., Papst 1f. 7f. 10f. 13 28f. 31f. 78 113 160f. 164f. 228-235 238 368 411 436f. Johannes Paul II., Papst 39 55 161 168 186 238-241 247 279-287 291 311 334 357 399 423-426 429 Johannes von Damaskus 152 Johannes Teutonicus 212 John, Ottmar 396 Jüngel, Eberhard 170 Jungmann, Josef Andreas 367 Jurevicius, Algirdas 376 382 385 389 Kaczynski, Reiner 351 356 Kamphaus, Bischof Franz 429 Kant, Immanuel 32 46 Kasper, Kardinal Walter 150 171 181 189 192f. 394 439 Kattan, Asaad Elias 183 Kaufmann, Ludwig 8 ,BZBPÙMV 5VSBO Kehl, Medard 103 436f. 439 442 444 447 Kempf, Bischof Wilhelm 103 Kennedy, John F. 1 108
461
Kern, Walter 12 Khoury, Adel Theodore 295 307f. Kierkegaard, Søren 48 Kießling, Klaus 377 382 392f. 395f. 403f. King, Martin Luther 1 Kirchschläger, Walter 52 6971 Kirschner, Martin 399 Klein, Nikolaus 8 Klinger, Elmar 70 436 440 445 Klöckener, Martin 356 358 Klostermann, Ferdinand 123 Knitter, Paul 332 Knobloch, Stefan 392 Koch, Bischof Heiner 401 Koch, Kardinal Kurt 162 168170 228 Kock, Manfred 161 König, Kardinal Franz 108 112 125 184 Körner, Felix 320 342 345 Körtner, Ulrich 161 171 Komonchak, Joseph A. 130f. Kosch, Daniel 68 Koslowski, Jutta 171 Krämer, Peter 428f. Kranemann, Benedikt 352 370 Kraus, Wolfgang 239 Krienke, Markus 56 Krings, Hermann 28 47 Krochmalnik, Daniel 250-252 Krokus, Christian S. 322 Kühlwein, Klaus 257 Kühschelm, Roman 53 58 62 Küng, Hans 111 307 330 332 Kühn, Ulrich 168 188
462
Personenregister
Kuhn, Thomas S. 215f. Larrosa, Mauricio Damián 445 Lefebvre, Erzbischof Marcel 6 416 447 Léger, Kardinal Paul-Émile 79 Lehmann, Kardinal Karl 12 56 170 181f. 188 295 Leo XIII., Papst 18 31 69 144f. 151 Lercaro, Kardinal Giacomo 438 Levada, Kardinal William Joseph 58 181 Levering, Matthew 240 Lewis, Clive Staples 94 Liénart, Kardinal Achille 235 Locher, Gottfried Wilhelm 170f. Löhrer, Magnus 49 Lohfink, Gerhard 379 Lohfink, Norbert 59 61 77-79 81 92 94 Loisy, Alfred 157 Lüdecke, Norbert 412f. 419 421-423 426f. Lüdicke, Klaus 429f. Lubac, Kardinal Henri de 46 48 104 111 127 136 Lugo, Kardinal Juan de 178 Luther, Martin 36 156 404 Lyonnet, Stanislas 77 Lyotard, Jean-Francois 84f. 92f. Madrigal Terrazas, Santiago 9 104f. 109 Mähr, Michael 403 Mannermaa, Tuomo 404 Mansour, Tanios Bou 98
Maritain, Jacques 277 Markschies, Christoph 93 Marshall, David 323 345 Martini, Carlo 446-448 Massignon, Louis 273f. 277f. 307 310 Maximos IV. Sayegh, Patriarch 124 Medick, Hans 90 Meer, Frits van der 353 Melanchthon, Philipp 36 Melloni, Alberto 114 122f. 435 Menke, Karl-Heinz 151 175 349 400 Messori, Vittorio 281 288 Meyer, Harding 171 188f. Meyer zu Schlochtern, Josef 109 Michel, Thomas 286f. Michel, Tom 335 Middelbeck-Varwick, Anja 333 342 344 Mitschke-Collande, Thomas von 448 452 Möhler, Johann Adam 174 Mörsdorf, Klaus 213 Moltmann, Jürgen 444 450 Montes, Adolfo Gonzales 308 Montini, Kardinal Giovanni Battista s.v. Paul VI. Morselli, Marco 233 Moubarak, Youakim 278 307 Müller, Hubert 412 427 Müller, Klaus 250 Müller, Ludger 420 447 Munro, Alison 402 Munz, Regine 394 Murray, Robert 97 Mußner, Franz 246
Personenregister
Nacke, Stefan 20 Naredi-Rainer, Paul von 253 Neufeld, Karl-Heinz 105 Niemann, Franz-Josef 12 Nietzsche, Friedrich 48 Nota, Johannes H. 248 Nursi, Said 336f. Oberdorfer, Bernd 183 Odenthal, Andreas 351 361363 Oesterreicher, Johannes M. 230-236 255 323 Ohm, Thomas 263-265 OʼMalley, John W. 2 110 121 125f. Origenes von Alexandrien 157 Ott, Ludwig 174 Ottaviani, Kardinal Alfredo 6 113 136 201 214f. Palacios, Miguel Asín 307 Palaver, Wolfgang 396 Pannenberg, Wolfhart 188 Parente, Pietro 123 130 Paul VI., Papst 25-27 32 120 122 167 235 237f. 275 277279 323 334 350 385 414 438 444 449 Pavan, Pietro 201-203 Perrin, Luc 132 Pesch, Otto Hermann 105 168 228 234 Petrus Lombardus 35 Pfister, Pierre 112 123 Philips, Gérard 111 120-122 130 132 136 176 Pirker, Viera 392 Pittl, Sebastian 437f. Pius IX., Papst 30 160 Pius X., Papst 229 368
463
Pius XI., Papst 160 Pius XII., Papst 31f. 39 52 76 109 151 207 234f. 256f. 368 382 Pohjolainen, Terttu 377 Predel, Gregor 386 Raguer, Hilari 3 Rahner, Hugo 155f. Rahner, Karl 4 24f. 46-48 64 97 104 109-112 114 120 122f. 125f. 136f. 142 382-384 392 447 450 Raidt, Edith 402 Ratzinger, Kardinal Joseph s.v. Benedikt XVI. Recker, Dorothee 230 232 Rehak, Martin 414 Reikerstorfer, Johann 54 72 Reiser, Marius 77 79 Rendtorff, Rolf 233 239 Rennings, Heinrich 356 Richter, Klemens 381 Ricüur, Paul 97 Rigaux, Béda 52 64 Ritter, André 172 Ritter, Kardinal Joseph Elmer 148 Ritter, Klaus 394 Rizzi, Giovanni 326 Röser, Johannes 365 Roloff, Jürgen 377f. Roncalli, Angelo s.v. Johannes XXIII. Rondet, Henri 136 Rosenthal, Gilbert S. 238 Rosenzweig, Franz 46 Rowling, Joanne K. 94 Roy, Philippe J. 165 Rudin, James 238 Rudloff, Abt Leo 236
464
Personenregister
Ruffini, Ernesto Kardinal 122 124 132 Ruggieri, Giuseppe 15 111 114 Ruh, Ulrich 414 Sander, Hans-Joachim 10 438 Sander, Stefan 400 Sanson, Henri 312 Santos, Rufino Jiao Kardinal 125f. 132 Saperstein, Marc 258 Sattler, Dorothea 183 188 Sauer, Hanjo 53 57 68 Schacter, Jacob J. 236 Schalück, Hermann 396 Schatz, Klaus 6 76 113 125 Schauf, Heribert 121 Scheffczyk, Kardinal Leo 170 Schelkens, Karim 53 121 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 46 Schickendantz, Carlos 436f. 443f. 447 451f. Schierse, Franz-Josef 77 Schillebeeckx, Edward 136 363 Schlink, Edmund 148f. 168 Schmaus, Michael 120 Schmid, Hans-Jörg 316 Schmitt, Carl 413 Schmitz, Heribert 424 427 Schnackenburg, Rudolf 120 Schnatz, Helmut 207 212 Schöndorf, Harald 181 Schroedel, Joachim 184 Schröffer, Bischof Joseph 109 120 123 136 Schüller, Thomas 421 423 Schulz, Winfried 423 448 Schwendenwein, Hugo 423
Schwienhorst-Schönberger, Ludger 58-61 Scola, Angelo 13 Sebott, Reinhold 420 Seckler, Max 209 215 Seewald, Peter 288 290 292 Semmelroth, Otto 4 24 103127 130-137 Siddiqui, Atullah 317f. Sieben, Hermann Josef 10 103 Siebenrock, Roman 30 110 200 224f. 233-235 242 255 315 320f. 323 332 340f. 344f. Sievernich, Michael 6 9 23 192 392f. Simon, Richard 79 Sinkovits, Josef 242 Siri, Kardinal Giuseppe 120 124 132 Sklarin, Yigal 236 Smulders, Piet 120 Sobrino, Jon 436f. Söding, Thomas 52-54 57 59 62 69-71 378 384 Sölle, Dorothee 397 Soto, Domingo de 178 Steffensky, Fulbert 402 Steinkamp, Hermann 7 Steins, Georg 54 59f. 62 64 72 Stern, Jean 240 Stock, Alex 251 Stransky, Thomas 229 Strauß, David Friedrich 77 Striet, Magnus 413 418 Stuflesser, Martin 352 Suárez, Francesco 178 Suenens, Kardinal LeónJoseph 14 124 Swift, Jonathan 79f.
Personenregister
Tagle, Luis Antonio G. 132f. Taft, Robert F. 350 Teissier, Henri 307 Theobald, Christoph 14 413 Theobald, Michael 96 Thönissen, Wolfgang 164 167 170 Thomas von Aquin 35 38 46 48 76 174 204-207 Thompson, Edward Palmer 89 Tilly, Michael 251 Timotheus von Bagdad, Patriarch 301 Tisserant, Kardinal Eugène 79 Tolkien, John Ronald Reuel 93 Treffler, Guido 116 120 Troll, Christian W. 280 301 308 311f. 315 Tromp, Sebastian 113f. 121f. 136 Tück, Jan-Heiner 6 28 165 173 181 191 228 414 418 Turbanti, Giovanni 135 Velati, Mauro 107 Vischer, Lukas 149 Voderholzer, Bischof Rudolf 53 56 70 75 Volk, Kardinal Hermann 57 103-111 113f. 120 122 136f. Vorgrimler, Herbert 25 64 142 383
465
Wagener, Hermann-Josef 392 Wagner, Johannes 352 358 Wahle, Stephan 352 Wassilowsky, Günther 103 114 121 Weber-Gast, Ingrid 401 Weissenborn, Thomas 218f. Weitz, Thomas A. 200f. Welte, Bernhard 48 Wenzel, Knut 76 246 Werbick, Jürgen 153 191 398 440 445 Werlen, Abt Martin 447 Wicki, Josef 123 Wicks, Jared 53 Wigoder, Geoffrey 238 Wijlens, Myriam 413 420 Willebrands, Kardinal Gerardus Maria 113 Winkler, Gabriele 350 Winkler, Ulrich 242 Witschen, Dieter 210 Wördemann, Dirk 88 Wohlmuth, Josef 240 8PKUZîB ,BSEJOBM,BSPMTW Johannes Paul II. Wolfssohn, Michael 246 Xibaut, Bernhard 122 Yücel, Salih 336f. Yuval, Israel Jabob 252 Zenger, Erich 64 240 358 Zerwick, Maximilian 77 Zirker, Hans 301 308
Register der Konzilstexte Apostolicam actuositatem (AA) 1 14 27
16 12 16
Ad gentes (AG) 1 8 9 16
175 34 17 385
23 24 25
59 67 38 60 69 71 70
Dignitatis humanae (DiH) 1 2 3 9 15 20
18 31 202 222 224f. 18 202 222 224f. 419 32 225 32 12 419
Dei verbum (DV)
Gaudium et spes (GS)
1 2 2-4 3 4 7 8 10 11-12 12
1 4 4-10 11 21 32 37 40 40-45 41 42 43 44 45 59 60 63-90 69
13 14 14-16 15 16 19 21
68 12 42f. 46 54 42 82 54, 54 82 12 56 67f. 59 57f. 61-63 81 85 91 94f. 99 63 63 63 63f. 65f. 85-87 66
2 11 13 436 452 11 30 393 29 12 7 393 16 17 38 44f. 39 16 17 17 9 18 418 45 16 16 14 436
467
Register der Konzilstexte
72 88 90 92
436 436 393 9 36
Lumen gentium (LG) 1 2 2-4 2-5 3 4 5 6 7 8 9 10 13 14 15 16 17 20 21 22 23 27 28 29 41 48
2 12 17 152 155 175 392 34 44 152 155 152 157 152 152 156 152 156 152 157 393 153 157 153 158 179 44 153f. 159 174-177 179 f. 436 34 16 367 383 36 150 150 177 179 16 268 278 286 311 318 393 38 427 7 7 36 185 424f. 427f. 7 383f. 399 45 393
Nostra aetate (NA) 1 2 3 4 5
249f. 254-256 331 345 16 248f. 251 268 329 331 342 247 268 271 278 285f. 318 324f. 327 335 344 55 247f. 250 344 250 254 331
Orientalium ecclesiarum (OE) 2 7-11 9 14-18
34 178 36 36 34
Presbyterorum ordinis (PO) 13 14
7 7
Sacrosanctum Concilium (SC) 1 2 6 10 14 21 22 24 26 30 34 36 39
366 42 363 369f. 367 369 363 351 366 369 369 367 369 369 369 369
468 40 119
Register der Konzilstexte
369 369
Unitatis redintegratio 1 1-4 2 2-3 2-4 3 4 5-12 8
143 145 165f. 172 183 36 145 150 143 27 37 173 182 189 270 11 37 146 147 150 143 148
9 10 11 13 13-17 14-18 15 16 16-17 17 19 19-23 20 22 24
147 147 168 192 184 34 143 184 177 185 35 185 150 36 190 143 184 190 180 187f. 143 193
Autoren ANSORGE, DIRK, geboren 1960 in Gelsenkirchen; Studium der Katholischen Theologie, Philosophie und Physik in Bochum, Jerusalem und Straßburg; 1987-1992 Mitarbeit am Lehrstuhl für Dogmatik in Tübingen bei Prof. Peter Hünermann; 1993 Promotion mit einer Arbeit über den karolingischen Theologen Johannes Scottus Eriugena; 1993-2011 Dozent an der Katholischen Akademie des Bistums Essen „Die Wolfsburg“ in Mülheim an der Ruhr; 2008 Habilitation im Fach in Münster mit einer Studie zum Verhältnis von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes, Ernennung zum Privatdozenten mit der venia legendi für Dogmatik und Dogmengeschichte; 2008-2011 Lehraufträge in Köln, Essen, Wuppertal und Bochum; 2009/10 Gastprofessor in Wien. Seit 2011 Dozent, seit 2012 ordentlicher Professor für Dogmatik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main. GERHARDS, ALBERT, geboren 1951 in Viersen-Dülken; Priesterweihe 1976; 1970-1977 Studium der Katholischen Theologie in Innsbruck und Rom, 1997 Lizenziat in Dogmatischer Theologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom; 1979-1981 Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Liturgiewissenschaft bei Prof. Balthasar Fischer in Trier; 1982 Promotion; anschließend Kaplan in Mönchengladbach; 1984-1989 Professor für Liturgiewissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bochum, seit 1989 Universitätsprofessor in Bonn; Mitglied in verschiedenen theologischen und pastoralen Arbeitsgruppen; Mitherausgeber liturgiewissenschaftlicher Schriftenreihen. HENRIX, HANS HERMANN, geboren 1941 in Waldniel/Niederrhein; 1961-1964 Studium der Wirtschaftswissenschaften an der AlbertusMagnus-Universität zu Köln, 1964-1969 Theologiestudium in Frankfurt Sankt-Georgen, Innsbruck und Münster; seit 1969 Direktionsassistent und Dozent für Theologie und Ökumene an der Bischöflichen Akademie des Bistums Aachen; von 1988 an bis zur Pensionierung 2005 deren Direktor; seit 1977 Mitarbeit in zahlreichen kirchlichen Gremien zum christlich-jüdischen Dialog; 2000 Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Universität Osnabrück; 2003 Ernennung zum Konsultor der Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum beim Päpstlichen Rat für die Einheit der Christen; seit 2009 Honorarprofessor der Universität Salzburg.
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HIEKE, THOMAS, geboren 1968 in Pegnitz/Oberfranken; 1987-1992 Studium der Katholischen Theologie in Bamberg und Innsbruck; 1996 Promotion im Fach Exegese des Alten Testaments bei Prof. Hubert Irsigler in Bamberg; 1996-2000 wiss. Mitarbeiter im DFGProjekt „Synoptische Konkordanz“; 2000-2006 Assistent bei Prof. Christoph Dohmen in Regensburg; 2003 Habilitation in Regensburg mit einer Studie zu den Genealogien der Genesis; seit 2007 Professor für Altes Testament an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz; Mitarbeit bei verschiedenen Zeitschriften, Lexika und an der Revision der Einheitsübersetzung; Erarbeitung einer Kommentars zum Buch Levitikus (Publikation 2014); Herausgeber der Reihe „Stuttgarter Biblische Aufsatzbände (Altes Testament)“. HÜNERMANN, PETER, geboren 1929 in Berlin; 1949-1958 Studium der Philosophie und Theologie in Rom; 1955 Priesterweihe; 1958 Promotion; zwischen 1958 und 1961 seelsorgerische Tätigkeiten in Mönchengladbach und Aachen; nach weiteren Studien in München und Freiburg 1967 Habilitation in Freiburg im Breisgau und Erteilung der venia legendi für Dogmatik und Christliche Religionsphilosophie; 1971-1982 ordentlicher Professor für Dogmatik in Münster, seit 1982 am Lehrstuhl für Dogmatik in Tübingen; 1983 Honorarprofessor an der Universidad Católica Boliviana in Cochabamba; Mitarbeit in zahlreichen Gesellschaften und Netzwerken; 1973-2002 Vorsitzender des Stipendienwerkes Lateinamerika-Deutschland e.V.; 1985-2003 Präsident des Katholischen Akademischen Ausländerdienstes (KAAD); 1989-1995 Gründungspräsident der Europäischen Gesellschaft für Katholische Theologie, 1997 Emeritierung; Auszeichnung mit verschiedenen Ehrendoktorwürden. KIESSLING, KLAUS, geboren 1962 in Stuttgart; seit 2004 Ständiger Diakon des Bistums Rottenburg-Stuttgart; Studium der Katholischen Theologie und Psychologie in Würzburg und Freiburg im Breisgau; 1997 Promotion in Psychologie an der Universität Bern; 2001 Promotion in Praktischer Theologie an der Universität Fribourg; 2004 Habilitation und Ernennung zum Privatdozenten für Religionspädagogik und Katechetik an der Universität Tübingen; seit 2004 ordentlicher Professor für Religionspädagogik, Pastoralpsychologie und Psychologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main; Mitgliedschaft in religionspädagogischen, pastoraltheologischen und -psychologischen Arbeitsgemeinschaften; seit 2009 Präsident des Internationalen Diakonatszentrums.
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KROCHMALNIK, DANIEL, geboren 1956 in München; 1976-1981 Studium der Philosophie und Judaistik in München; 1988 Promotion in Philosophie an der Hochschule für Philosophie SJ, anschließend wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg, Lehraufträge u.a. in Frankfurt Sankt Georgen; 1999 Erteilung der venia legendi für Jüdische Philosophie durch die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg sowie Ernennung zum Professor für Jüdische Philosophie und Geistesgeschichte der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg; seit 2003 ordentlicher Professor für Jüdische Religionslehre, Religionspädagogik und Religionsdidaktik an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg; 2009 Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Fakultät für Katholische Theologie der Universität Bamberg. LÖSER, WERNER (SJ), geboren 1940 in Olpe, 1960 Eintritt in der Jesuitenorden; Studium der Philosophie 1962-1965 in Pullach bei München und der Theologie 1967 -1971 in Frankfurt Sankt Georgen; 1971-1975 Assistent von Prof. Karl Lehmann an der Universität Freiburg; 1975 Doktorat in Theologie mit einer Studie über Hans Urs von Balthasar als Interpret der Theologie der Kirchenväter; 1975 bis zur Emeritierung 2008 ordentlicher Professor für Dogmatik und Ökumenische Theologie in Frankfurt Sankt Georgen; bis 2013 Schriftleiter der Zeitschrift „Theologie und Philosophie“. Seit 2008 Superior der Kommunität SJ im Frankfurter Ignatiushaus. MADRIGAL TERRAZAS, SANTIAGO (SJ), geboren 1960 in Casalarreina (Spanien); 1978 Eintritt in die Gesellschaft Jesu; Studium der Theologie und Philosophie in Salamanca und Madrid; 1984 Lizenziat für Philosophie an der Päpstlichen Universität Comillas in Madrid und 1991 für Theologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen; 1994 theologische Promotion in Madrid; seit 1995 verschiedene Lehrtätigkeiten; ordentlicher Professor für Dogmatik an der Päpstlichen Universität Comillas Madrid. SCHÜLLER, THOMAS, geboren 1961 in Köln; 1982-1987 Studium der Katholischen Theologie in Tübingen, Innsbruck und Bonn; 19911993 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bonn; 1992 theologische Promotion im Fach Kirchenrecht in Bonn; 1994 Promotion zum Lic. iur. can. für Kanonisches Recht in Münster; von 1993 bis 2009 Leiter der Stabsstelle Kirchliches Recht im Bischöflichen Ordinariat Limburg, Bischofsnotar und Promotor iustitiae (Kirchenanwalt) am Bischöflichen Offizialat Limburg; 1997-2001 Persönlicher Referent von Bischof Franz Kamphaus (Limburg);
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2004 Habilitation und Erteilung der venia legendi für Kirchenrecht an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar; ab 2005 Honorarprofessor, ab 2007 ordentlicher Professor für Kirchenrecht in Vallendar; seit 2009 Universitätsprofessor in Münster und Direktor des Instituts für Kanonisches Recht. SIEVERNICH, MICHAEL (SJ), geboren 1945 in Arnsburg bei Lich/Hessen; 1965 Abitur und Eintritt in die Gesellschaft Jesu; Studium der Philosophie in München und Katholische Theologie in Frankfurt am Main; 1973 Priesterweihe; 1982 Promotion an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster mit einer Studie über Schuld und Sünde in der Theologie der Gegenwart; nach Studienaufenthalt in Kolumbien 1987 Habilitation an der Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main, ab 1988 Professor für Pastoraltheologie, 1996-2000 Rektor der Hochschule; Gastdozenturen in Buenos Aires und Mexiko; 2003-2011 Universitätsprofessor für Pastoraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 2007-2008 Dekan der Fakultät und Senator der Universität, Honorarprofessor an der Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main. SPECKER, TOBIAS (SJ), geboren 1971 in Goch am Niederrhein; Studium der Germanistik und Katholischen Theologie; Theologische Promotion; 2001 Eintritt in den Jesuitenorden; mehrjährige Tätigkeit als Islambeauftragter des Bistums Speyer und als Bildungsreferent in Ludwigshafen; Absolvent des Studiengangs „Islamische Studien“ an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. TARANZANO, ADRIÁN JORGE, Lic. theol., 1974 geboren in Balnearia (Argentinien), 1992-1999 Studium der Philosophie und Theologie in Córdoba; 2011 Lizenziat in Biblische Exegese am Päpstlichen Bibelinstitut Rom. Seit 2011 Doktorand an der Ludwig-MaximiliansUniversität München im Fach Dogmatik. TROLL, CHRISTIAN (SJ), 1937 in Berlin geboren; 1957-1961 Studium der Philosophie und Theologie in Bonn und Tübingen; 1961-1963 Studium der Arabistik an der Universität St. Joseph in Beirut; 1963 Eintritt in die Gesellschaft Jesu; Studien in London; 1975 Promotion; 1976-1988 Professor für islamische Studien am Vidyajyoti Institute of Religious Studies in Neu-Delhi; 1988-1993 Senior Lecturer am Centre for the Study of Islam and Christian-Muslim Relations an der University of Birmingham; 1993-1999 Professor für Islamische Institutionen am Päpstlichen Orientalischen Institut in Rom; 19922001 Dozent an der Universität Ankara; seit 1999 Leiter des christ-
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lich-islamischen Forums der katholischen Akademie in Berlin; 2001 Ernennung zum Honorarprofessor durch die Philosophisch-Theologische Hochschule Sankt Georgen; 2007 Emeritierung; 1993-2005 Mitglied der Päpstlichen Kommission für religiöse Beziehungen zu den Muslimen; seit 1999 Mitglied der Unterkommission der Deutschen Bischofskonferenz für den Interreligiösen Dialog; Berater der bischöflichen Arbeitsstelle CIBEDO. WATZKA, HEINRICH (SJ), geboren 1954 in Elz bei Limburg an der Lahn; seit 1980 Mitglied des Jesuitenordens, 1985 Priesterweihe; 1975-1980 Studium der katholischen Theologie in Mainz und Frankfurt am Main; 1982-1985 Philosophiestudium in München, 1985-88 Germanistikstudium an der Goethe-Universität Frankfurt am Main; 1998 Promotion in Philosophie an der HumboldtUniversität zu Berlin; seit 1998 Lehraufträge für Philosophie in Frankfurt Sankt-Georgen, Innsbruck und München; 2007 Habilitation an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck und Berufung zum ordentlichen Professor für Philosophie an der PhilosophischTheologischen Hochschule Sankt Georgen. WUCHERPFENNIG, ANSGAR (SJ), geboren 1965 in Hannover; seit 1991 Mitglied des Jesuitenordens, 1997 Priesterweihe; 1986-1991 Studium der Katholischen Theologie in Frankfurt am Main und Tübingen; 1994-1996 Lizenziat in Bibelwissenschaften am Päpstlichen Bibelinstitut in Rom; 2001 Promotion in Würzburg mit einer Arbeit über das Johannesevangelium und die Gnosis; zwischen 2002 und 2008 Lehrbeauftragter und Dozent für Neutestamentliche Einleitung und Exegese an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen, 2007 Habilitation in Mainz mit einer Studie über die Gestalt des Josef am Anfang des Matthäusevangeliums; seit 2008 ordentlicher Professor für Neues Testament in Frankfurt Sankt Georgen; 2006 und 2009 Gastdozenturen am Päpstlichen Bibelinstitut in Rom; Mitglied in verschiedenen Arbeitsgemeinschaften und Mitherausgeber der „Frankfurter Theologische Studien“.