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German Pages 128 [130] Year 2023
ir erfahren die Welt durch unsere Sinne. Hören, Schmecken, Riechen, Tasten – allesamt enorm wichtige Reizempfänger. Doch bis zu 80 Prozent seiner Sinneseindrücke gewinnt der Mensch allein durch das Sehen. „Wenn man sich auf ein Universalprinzip verständigen müsste, dass möglichst viele Organismen auf der Erde vereint, dann wäre das wohl der Sinn zum Erfassen von Licht und Helligkeit“, sagt Jan Kremers, Leiter der Augenklinik am Universitätsklinikum Erlangen. Bereits primitivste Einzeller, reagieren auf Lichteinfall. Pflanzen- oder Tierarten, die keine Reaktion auf entsprechende Reize zeigen, gibt es kaum. „Sehen zu können, ist im täglichen Kampf ums Überleben ein unschätzbarer Vorteil“, bekräftigt Ursula Siebert, Leiterin des Instituts für Terrestrische Hochschule Hannover: „egal, ob es nun darum geht, selbst etwas zu fressen zu finden oder darum, Fressfeinden zu entkommen.“ Die Augen und deren verschie-
Die Facettenaugen der Kleinlibelle sind nicht frei beweglich, bieten jedoch nahezu eine Rundumsicht.
Die Evolution des Auges: Es begann vermutlich mit einigen licht empfindlichen Zellen (links). Eine Mutation führte dazu, dass die Zellen in einer kleinen Vertiefung lagen. Das ermöglichte, die Rich tung einer Lichtquelle zu erkennen. Je tiefer die Vertiefung und je schmaler die Öffnung wurde (Mitte), desto präziser wurde diese In
ihrer perfekt an die jeweiligen Umweltbedingungen angepassten Bauformen als Musterbeispiel für Podest- und Zwischenstufen evolutiver Prozesse. Schon Charles Darwin meinte, kein Organ sei so perfekt auf
Doch fossile Funde und Analysen gekoppelt mit Modellierungen ergeben ein stimmiges Bild. Demnach sind alle heute bekannten Augentypen innerhalb von nur 100 Millionen Jahren Evolution entstanden. Die Entwicklung begann vermutlich mit einzelnen Zellen, die sich zu Lichtsinneszellen spezialisierten. Die ersten Mehrzeller in den Ozeanen besaßen daher wohl lediglich einzelne, verstreut liegenden Lichtsinnes-
ne geführte Rundreise durch Marokko begibt, macht vermutlich irgendwann auch in Ouarzazate Station. Die Stadt mit rund 70 000 Ein-
formation und desto mehr Formen konnten erkannt werden. Die Bildung einer Schutzschicht über der Öffnung ermöglichte es den Zellen im Augeninneren, sich weiterzuentwickeln. Einige Organis men bildeten später Linsen an der Vorderseite des Auges (rechts), durch die das Auge fokussieren konnte.
südlich des Atlasgebirges, inmitten einer kargen 18
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Sahara. Das Wetter: fast immer wolkenloser Himmel und strahlender Sonnenschein. Es ist daher kaum verwunderlich, dass vor einigen Ouarzazate eines der größten Solarkraftwerksareale der Welt errichtet wurde. Gleich vier riesige Kraftwerke reihen sich dort auf einer Ebene aneinander. Die Anlagen, die zwischen 2016 und 2018 in Betrieb gingen, tragen die Bezeichnungen „Noor“ I bis IV, wobei das arabische Wort Noor auf Deutsch für „Licht“ steht. Sie produzieren elektrischen Strom aus der Energie des Sonnenlichts – mit einer installierten Leistung von insgesamt rund 600 Megawatt. Das ist etwa halb so viel wie ein modernes Gas- oder Kernkraftwerk an Leistung liefern kann.
Doch die Kraftwerke nutzen zur Stromproduktion unterschiedliche Technologien. Die jüngste und mit maximal gut 70 Megawatt leistungsschwächste der vier Anlagen besteht aus einem rund 140 Hektar großen voltaikmodulen, die die Energie des Sonnenlichts direkt in elektrischen Strom verwandelt. Sie nutzt damit dieselbe Technik, die man auch von den bläulich schillernden Solarpaneelen auf Hausdächern oder in den immer häufiger zu sehenden Solarfeldern am Rand von Autobahnen oder Bahnlinien kennt. 94
DAS WUNDERSAME LEUCHTEN
Von Christian Jung
Augen. „Die Annahme, dass das Auge mit all seinen faszinierenden Möglichkeiten durch natürliche Zuchtwahl entstanden sei, erscheint, wie ich offen bekenne, im höchsten Maße absurd“, schrieb der bekannte Evolutionstheoretiker 1895 in seinem Werk „The Origin of Species – Die Entstehung der Arten“.
Die Technologie, auf der die benachbarten Anlagen Noor I, II und III basieren, unterscheidet sich davon grundlegend. Es sind sogenannte solarthermische oder Sonnenwärmekraftwerke. Deren grundsätzliches Funktionsprinzip ist dem von Kohle- oder Gas- und Dampf-Kraftwerken nicht unähnlich: In einem geschlossenen Kreislauf zirkuliert Wasser, das an einem Ende als heißer Dampf eine Turbine antreibt. Deren Rotation wiederum gibt einem Generator Schwung, der die Bewegungsenergie in elektrischen Strom verwandelt. Danach wird das Wasser abgekühlt, es kondensiert und strömt zum Ausgangspunkt zurück. Dort wird es wieder erhitzt und verdampft erneut. Doch während in einem fossilen Kraftwerk die für das Verdampfen des Wassers benötigte Wärme aus der Verbrennung etwa von Kohle oder Erdgas stammt, bezieht eine solarthermische Anlage dazu Energie aus dem Sonnenlicht. Dafür wird es durch Spiegel auf eine kleine Fläche fokussieren und konzentrieren, die sich dadurch stark erhitzt – und auf diese Weise letztlich flüssiges Wasser in Dampf verwandelt. Solche Anlagen mit einer sogenannten Strahlungsbündelung – im englischen Fachjargon „concentrated solar power“ (CSP) genannt – werden auch im marokkanischen Ouarzazate eingesetzt.
schiedene Varianten. So sind Noor I und II Parabolrinnenkraftwerke, während Noor III ein Solarturmkraftwerk ist. Bei letzterem sind zahlreiche große Spiegel tet, dass sie das ankommende Sonnenlicht zu einem Punkt hinlenken, an dem sich ein Turm befindet. An
NOOR III ist eines der vier aneinander gereihten Solarkraft werk nahe Ouarzazate in Marokko.
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Von der Fackel bis zur Photonik – der Mensch auf der Spur des Lichts
Das wundersame Leuchten
Das wundersame Leuchten Von der Fackel bis zur Photovoltaik – der Mensch auf der Spur des Lichts
Herausgegeben in Zusammenarbeit mit bild der wissenschaft
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. wbg Theiss ist ein Imprint der wbg. © 2023 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Projektleitung: Andrea Stegemann (v.i.S.d.P.) Redaktion: Finn Brockerhoff Bildredaktion: Julia Kant, Verlagsbüro Wais & Partner, Stuttgart Layout, Satz und Prepress: schreiberVIS, Seeheim Umschlagabbildungen: links: serikbaib / Adobe stock; rechts: Ecleposs / Adobe stock Einbandgestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Europe Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-4658-2 Elektronisch ist folgende Ausgabe erhältlich: eBook (PDF): ISBN 978-3-8062-4836-4
Inhalt Allgegenwärtig und voller Rätsel Wie das Licht in die Welt kam
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Es werde Licht! 10 Licht ermöglicht Leben 14 Augen: Komplizen des Lichts 18 Tierisches Leuchten 24 Himmlische Lichtspiele 30
Sieg über das Dunkel
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Höhlenkino im Flackerlicht 36 Das finstere Mittelalter 40 Leuchtfeuer des Fortschritts 46 Die Evolution des elektrischen Lichts 50 Gesund mit Licht 56 Der schädliche Verlust der Nacht 62
Die Physik des Lichts
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Geheimnisse der Optik 70 Schnell wie das Licht 78
Moderne Licht-Technologien
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Strom aus Licht 82 Ein neues Feld für Photovoltaik 88 Der Landwirtschaft geht ein Licht auf 92 Sonne, Wärme, Dampf und Strom 94 Wasserstoff aus dem Solarreaktor 100 Multitalent Laser 102 Heilende Strahlung 106 Rechnen mit Licht 114 Licht auf Umwegen 118 Die Himmelsspäher 122 Autorinnen und Autoren 126 Bildnachweis 128
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Allgegenwärtig und voller Rätsel
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urz bevor am Abend des 8. September 2023 ein Erdbeben der Stärke 6,8 Marokko erschütterte, beobachteten einige Menschen sonderbare blaue Leuchterscheinungen am Himmel. Verwackelte Fotos und Videos des Phänomens wurden tausendfach in den Sozialen Medien geteilt. Bereits bei früheren Erdbeben waren ähnliche Lichter aufgetaucht, so etwa in der Türkei und in Syrien am Anfang des Jahres oder 2017 in Peru. Bekannt geworden sind diese seltenen Lichtphänomene, die jeweils nur für einen kurzen Augenblick zu sehen sind, unter der Bezeichnung „Erdbebenlicht“. Doch obwohl sie vielfach beobachtet wurden und sogar bereits in historischen Dokumenten aus dem Alten Ägypten, China und Japan beschrieben sind, kann die Wissenschaft bislang nicht sicher erklären, wie sie entstehen. Dies ist nur ein Beispiel für die Rätsel, die uns das Phänomen des Lichts noch immer aufgibt. Und selbst die fundamentale Frage, was Licht überhaupt ist, bleibt bis heute umstritten: Im Alltag sprechen wir gerne einfach von Lichtstrahlen – und vielfach genügt diese Vorstellung von hellen Linien, die den Raum um uns füllen. Hätte sich die Wissenschaft damit zufriedengegeben, wären viele technische Errungenschaften unserer modernen Gesellschaft jedoch nie möglich geworden. Das Glasfasernetz beispielsweise, über das ein Großteil der Daten im Internet übertragen wird, funktioniert nur, weil wir erkannt haben, dass Licht sich in Form elektromagnetischer Wellen ausbreitet. Vollständig beschrieben ist das Wesen des Lichts damit jedoch immer noch nicht. Dass Photovoltaik-Anlagen Strom erzeugen, ist nämlich nur zu erklären, wenn man das Licht nicht als Welle, sondern als kleine Energiepakete betrachtet. Licht ist also – je nach Situation – entweder eine Welle oder ein Teilchen. Sie merken schon, es ist kompliziert. Beim Anblick eines prächtigen Sonnenuntergangs, Gewitterhimmels oder Regenbogens muss man sich derart schwierige Fragen glücklicherweise nicht stellen, sondern kann einfach nur staunen. Wie ich Anfang Mai dieses Jahres am Rand der Viktoriafälle: Die Wassermassen rauschten herab, und in der aufstiebenden Gischt entstand ein wundervoller Regenbogen, ganz nah und in schönster Farbenpracht. Ein Foto da-
von finden Sie auf Seite 31. Der Regenbogen zeigt uns alle Farben des sichtbaren Lichts, von rot bis violett – und damit den Teil des für uns sichtbaren Lichts, um den es in diesem Buch geht. Was jenseits dieser Farben liegt, also etwa die infrarote und ultraviolette Strahlung, ist nur am Rande unser Thema. Stattdessen spannen wir den Bogen zur Nutzung des Lichts und seiner Energie. Licht ist für uns Menschen zentral. „Es werde Licht“ steht schon im Buch Genesis der Bibel, und im Johannesevangelium sagt Jesus Christus „ich bin das Licht der Welt“. Wir Menschen verbinden Licht mit Leben und Hoffnung. Die Lichtmetapher zieht sich durch Religionen und Philosophien, wir streben nach Licht und fürchten das Dunkel. Aus meiner Kindheit kenne ich den Spruch: „Und wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.“ Ähnlich klingt es bei Victor Hugo: „Selbst die dunkelste Nacht wird enden und die Sonne wird aufgehen.“ Biologisch sind wir Menschen Lichtwesen, aktiv am Tag und ruhend in der Nacht, im Unterschied zu vielen Tieren. Dass wir diese Grenzen sprengen und die Nacht zum Tage machen können, ist eine recht junge Errungenschaft in der Menschheitsgeschichte. Vom Weg dahin erzählt dieser Band. Und von den Entdeckungen rund um das Thema Licht, hinter denen viele wissenschaftliche Geistesblitze und Momente der Erleuchtung stehen. Unser modernes Leben wäre ohne diese Entwicklungen nicht möglich, wir profitieren davon in den Bereichen Energiegewinnung, Industrieproduktion oder Medizin. Wie viel Nutzung von Licht in unserem Alltag steckt, ist uns kaum bewusst und ebenso wenig, wie viele Zukunftstechnologien auf Licht basieren. So wird die Photonik etwa vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als eine „Schlüsseltechnologie der Digitalisierung“ bezeichnet. Im vorliegenden Band beleuchten wir die verschiedenen Bereiche, in denen Licht eine Rolle spielt. Und wir enden mit einem Blick ins Universum, der dank moderner Teleskoptechnologie heute so weit reicht wie noch nie. Eine anregende Lektüre wünscht Ihnen Ihre Andrea Stegemann
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Wie das Licht in die Welt kam
Es werde Licht! Das erste Licht entstand schon kurz nach dem Urknall. Noch heute künden über 400 Photonen in jedem Kubikzentimeter des Weltraums vom ersten Licht im Universum. Deutlich mehr Lichtteilchen gelangen von der Sonne zu uns – nachdem sie zuvor Hunderttausende Jahre durch unseren Stern geirrt sind. Von Rüdiger Vaas
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ls man das TV-Programm früher noch analog über eine Fernsehantenne empfing, konnte nach Sendeschluss jeder etwas vom Restlicht des Urknalls erhaschen: Zwar stammte der Großteil des Rauschens auf der Mattscheibe von irdischen Störquellen, doch ein Prozent wurde von der Kosmi-
Wie das Licht in die Welt kam
schen Hintergrundstrahlung erzeugt, die heutzutage im für uns Menschen unsichtbaren Mikrowellenbereich den gesamten Weltraum erfüllt. Vor etwa 13,8 Milliarden Jahren, bereits in den ersten Sekundenbruchteilen des Universums, begann diese Strahlung ihr Dasein als sichtbares Licht. Damit ist sie das äl-
Selbst die hellsten Gestirne haben eine finstere Vergangenheit. Denn Sterne entstehen im Verborgenen – inmitten dichter Wolken aus Gas und Staub. Eine solche kosmische Geburtsstätte ist die nur etwa 100 000 Jahre alte Dunkelwolke L1527 im Sternbild Stier, 460 Lichtjahre entfernt. Im Zentrum hat sich ein Protostern gebildet. Er ist noch kein richtiger Stern, in dem die Kernfusion gezündet hat, sondern momentan nur eine dichte, rotierende Gaswolke mit höchstens der Hälfte der Masse unserer Sonne. Aber die Schwerkraft zieht weitere Materie an. Es hat sich bereits eine dunkle Gasund Staubscheibe gebildet (Bildmitte). Sie ist ungefähr so groß wie unser Sonnensystem, und in ihr werden wohl auch bald Planeten entstehen. Die Infrarotaufnahme stammt vom James-Webb-Weltraumteleskop.
teste Leuchten im Kosmos und viel älter als das Licht der ersten Sterne. In ihr zeigt sich das Universum, wie es einst gewesen ist: dichter und heißer als das Zentrum der Sonne – und zwar überall. In der frühen, superheißen Phase nach dem Urknall befand sich sämtliche Materie in einem Zustand, der als Plasma bezeichnet wird: Freie Elektronen und Atomkerne wirbelten wild durcheinander. Die Lichtteilchen wurden ständig an der Materie gestreut oder von ihr verschluckt und wieder ausgespien. Das Universum war damit trüb und undurchsichtig. Doch dieser Zustand war nicht von Dauer. Aufgrund der Ausdehnung des Weltraums nahm die Temperatur des Kosmos ständig ab. Bei ungefähr 4000 Grad Celsius konnten die Atomkerne freie Elektronen an sich binden. Die ersten Atome bildeten sich, der größte Teil davon Wasserstoff. Dadurch bekamen die Lichtteilchen freie Bahn – das Universum wurde durchsichtig. Das geschah etwa 380 000 Jahre nach dem Urknall, also lange bevor die Sterne und Galaxien entstanden sind. Inzwischen, 13,8 Milliarden Jahre später, hat die kosmische Expansion den Weltraum auf rund minus 270 Grad Celsius abgekühlt – und die Wellenlänge des ersten Lichts in den Millimeter- und Zentimeterbereich verschoben. Sehen können wir diese Strahlung daher nicht mehr. Doch noch immer durchfluten etwa 410 Photonen aus dem Feuerballstadium des frühen Universums jeden Kubikzentimeter des Weltraums. Dieses Relikt kündet also noch heute vom heißen Ursprung des Alls.
USA an der Johns Hopkins University in Baltimore. Damals dachte George Gamow über die Entstehung der chemischen Elemente im frühen Universum nach. Er mutmaßte mit Ralph Alpher und Robert Hermann, dass aus der heißen Urzeit eine Strahlung übriggeblieben sei. Die Temperatur wurde auf 5 Grad Kelvin über dem absoluten Nullpunkt geschätzt, in weiteren Arbeiten gaben sie Werte zwischen 3 und 50 Grad Kelvin an. Die Rechnungen waren grob und teilweise fehlerhaft, aber die Grundidee stellte sich später als richtig heraus. Anfang der 1960er-Jahre wurden erneut Berechnungen über eine mögliche Hintergrundstrahlung angestellt: in den USA von Robert Dicke und seinen Kollegen, in der Sowjetunion von Physikern um Yakov B. Zel’dovich. Sie dachten auch über Messungen nach. Währenddessen erfolgten diese bereits – von den Radioastronomen Arno Penzias und Robert Wilson. Sie wussten nichts von den kosmologischen Überlegungen, sondern wollten 1964 die Radiostrahlung der Milchstraße erforschen. Sie verwendeten in Holmdel, New Jersey, eine 15 Meter lange Hornantenne aus Aluminium, die zuvor der Satellitenkommunikation gedient hatte. Bei 7,35 Zentimeter Wellenlänge maßen sie eine überschüssige und richtungsunabhängige unerklärliche Temperatur. Entdecker der Kosmischen Hintergrundstrahlung: Robert W. Wilson (links) und Arno A. Penzias im August 1965 vor ihrer Horn-Antenne auf dem Crawford Hill bei Holmdel, New Jersey.
Botschaft vom Urknall Lange bevor die Hintergrundstrahlung beobachtet wurde, haben Physiker ihre Existenz schon vorausgesagt. Das geschah zwischen 1948 und 1950 in den
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Im Frühjahr 1965 erfuhr Penzias zufällig von Dickes Arbeiten und nahm Kontakt mit ihm auf. Die unverbundenen Puzzlesteine fügten sich sofort zusammen. In der Juli-Ausgabe des Astrophysical Journal erschienen dann direkt hintereinander die Berichte von Penzias und Wilson sowie von Dicke und seinen Kollegen: Die Kosmische Hintergrundstrahlung war entdeckt und als solche identifiziert worden! 1978 wurden Penzias und Wilson dafür mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet. Inzwischen wurde die Strahlung mit speziellen Teleskopen auf der Erde und auf Satelliten überall am Himmel präzise vermessen. Mithilfe von Spektraluntersuchungen weit entfernter intergalaktischer Wolken konnten Astronomen sogar die Temperatur der Hintergrundstrahlung zu verschiedenen Zeiten des Universums bestimmen. Die Messungen passen aus-
gezeichnet zu den Voraussagen des Urknall-Modells und zeigen, wie der Weltraum aufgrund seiner Ausdehnung immer kälter wurde.
Tohuwabohu der Teilchen Seit etwa 380 000 Jahren nach dem Urknall existiert also freies Licht im Weltraum. Trotzdem herrschte damals noch Dunkelheit. Denn nichts reflektierte dieses Licht. Und es gab auch keine Augen, die es sehen konnten. Erst als vielleicht 300 Millionen Jahre später die ersten Sterne entstanden, erhellten einzelne Lichtquellen die Finsternis. Sterne unterscheiden sich in ihrer Größe, Masse, Lebensdauer, aber im Wesentlichen funktionieren sie alle gleich. Insofern ist unser Sonnenschein typisch für alle Gestirne am Himmel, zumal die Sonne als Durchschnittsstern gelten kann. Im Zentrum der Sterne ist es so heiß und dicht, dass sie aus der Verschmelzung von Atomkernen ihre Energie – und dabei auch das Licht, das ins All gelangt– erzeugen. Die Kernfusion findet nur im Zentralbereich der Sonne statt, der sich ungefähr 180 000 Kilometer (0,25 Sonnenradien) vom Mittelpunkt nach außen erstreckt. Weiter draußen sind die Temperaturen bereits zu niedrig. In der Sonnenmitte übersteigen die Temperaturen 15 Millionen Grad Celsius. Wie im frühen Universum liegt die Materie dort nur als Plasma vor. Deshalb ist es in dem stellaren Feuerofen, obwohl er als Gebärmaschine für Photonen wirkt, auch stockfinster. Denn in diesem wimmelnden Wirrwarr kommen die Lichtteilchen nicht weit. Weil sie im dichten Plasma ständig absorbiert, emittiert und gestreut werden, legen sie zwischen diesen einzelnen Prozessen nur ein paar Millimeter zurück. Deshalb brauchen sie nicht Sekunden, sondern Äonen, bis sie die Sonnenoberfläche erreichen: Die Schätzungen variieren zwischen 170 000 und 2 Millionen Jahren. Erst dann Viele Galaxien stehen nicht isoliert im All, sondern bilden Gruppen. Ein schönes Beispiel ist Stephans Quintett im Sternbild Pegasus, 290 Millionen Lichtjahre entfernt, das 1877 von Édouard Jean-Marie Stephan entdeckt wurde. Was er noch nicht wissen konnte: Die Galaxie NGC 7320 (ganz links) gehört nicht zur Gruppe, sondern steht uns rund 250 Millionen Lichtjahre näher als die anderen vier (NGC 7317, NGC 7318A, NGC 7318B, NGC 7319). Von der SchwerkraftWechselwirkung dieses Quartetts künden schwungvolle Schweife aus Sternen, Staub und Gas. Sie wurden den Galaxien durch die Schwerkraft entrissen. Die Infrarotaufnahme vom James Webb Space Telescope zeigt die Galaxien bei 0,6 bis 27,9 Mikrometer Wellenlänge.
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Wie das Licht in die Welt kam | Es werde Licht!
können die Lichtpakete dem wabernden Feuerball entrinnen und in den kalten Weltraum gelangen.
Brodelnde Kernfusionsreaktoren In einer Sekunde setzt die Sonne so viel Energie frei, wie die Menschheit – gemessen am heutigen Verbrauch – in einer Million Jahre benötigen würde. Selbst für die Produktion der Sonnenenergie, die in jeder Sekunde auf die Erde trifft, wären noch rund 140 Millionen der leistungsfähigsten Kernkraftwerke der Welt nötig. Erzeugt wird das Licht, indem über mehrere Reaktionsstufen vier Wasserstoff-Atomkerne (Protonen) zu einem Helium-Kern verschmolzen werden, der aus zwei Protonen und zwei Neutronen zusammengesetzt ist. Dabei wird Energie frei, weil der entstehende Helium-Kern, um 0,7 Prozent leichter ist als die vier einzelnen Protonen. Der Masseunterschied beträgt nur 4,4 × 10–29 Kilogramm. Doch diese winzige Differenz reicht aus, um die Sonnenenergie zu entfesseln. Denn nach Albert Einsteins berühmter Formel E = mc2 ist die Masse m über die Lichtgeschwindigkeit c mit der Energie E äquivalent. Masse und Energie sind also gleichsam zwei verschiedene Seiten derselben Medaille. Außerdem bilden sich bei der Fusion weitere Elementarteilchen: zwei Positronen, zwei Neutrinos und elektromagnetische Strahlung (Photonen). Positronen sind Antimaterie, die sich mit Elektronen zu weiteren Photonen vernichten. So entsteht das Sonnenlicht. Jede einzelne Kernfusion ist für sich genommen ein extrem unwahrscheinliches Ereignis. Ein Reakti-
Vor rund 11 000 Jahren irdischer Zeitrechnung erreichte die Erde das Licht eines scheinbar neuen Sterns am Himmel. Ob Menschen dies beobachtet hatten, vielleicht sogar tagsüber, ist ungewiss. Inzwischen wissen Astronomen, dass dies keine Sterngeburt war, sondern das explosive Ende eines massereichen, ausgebrannten Sterns. Denn die expandierenden Trümmer der brachialen Detonation bewegen sich noch immer durch den Weltraum und bilden schwungvolle Muster. Es handelt sich um den 940 Lichtjahre fernen Vela-Supernova-Überrest im Sternbild Segel des Schiffs. Die jungen blauen Sterne gehören nicht zu ihm, sondern befinden sich im Vordergrund. Das Foto stammt vom 2,65-Meter-VLT Survey Telescope der Europäischen Südsternwarte in Chile.
onszyklus würde statistisch gesehen Milliarden von Jahren benötigen. Doch die immense Zahl der Protonen führt dazu, dass die Kernfusion trotzdem ständig irgendwo im Stern abläuft. In jeder Sekunde werden auf diese Weise vier Millionen Tonnen Masse in der Sonne in Energie umgewandelt. Die Ausbeute ist enorm: Ein Gramm liefert 25 Millionen Kilowattstunden – die Verbrennungsenergie, die in 3000 Tonnen Steinkohle steckt. Weil die Energie in Form von Strahlung und Neutrinos entweicht, wird die Sonne immer leichter. Doch dies ist vernachlässigbar: In den fast fünf Milliarden Jahren, die das Sonnenfeuer schon brennt, haben sich nur drei Zehntausendstel ihrer Masse verflüchtigt. Weil die Sonne nur 150 Millionen Kilometer von der Erde entfernt ist, bietet sie die beste Gelegenheit, die Gestirne insgesamt und ihre Aktivitäten zu erforschen. Das vom Solar Orbiter gemachte Foto zeigt unseren Heimatstern in der kurzwelligen Ultraviolettstrahlung – mitsamt der größten Protuberanz, die jemals zusammen mit der ganzen Sonnenscheibe aufgenommen wurde. Diese von solaren Magnetfeldern getragene Plasma-Brücke erstreckte sich am 15. Februar 2022 mehr als drei Millionen Kilometer weit in den Weltraum.
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Licht ermöglicht Leben Unsere Existenz verdanken wir Urmikroben, die lernten, Sonnenlicht für die Photosynthese zu nutzen. Der Sauerstoff, der dabei als „Abfallprodukt“ entsteht, hat die Erdatmosphäre grundlegend verändert und die Basis für das höhere Leben gelegt.
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ls sich die Erde vor 4,6 Milliarden Jahre formte, war sie ein lebensfeindlicher Ort: eine Kugel aus glühendem Gestein, übersät von Vulkanen, die permanent Lava und giftige Gase in die sauerstofflose Atmosphäre schleuderten. Erst etwa eine Milliarde Jahre später war die Planetenoberfläche so
Von Bettina Wurche
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Wie das Licht in die Welt kam
weit abgekühlt, dass sich Ozeane bildeten. Doch im Inneren der Erde brodelte es weiter, sodass sich am Meeresgrund heiße Schwefelquellen, die sogenannten Schwarzen Raucher, bildeten. Die heiße Flüssigkeit und der darin enthaltende Chemiecocktail aus Mineralen und Gasen bildeten möglicherweise die Grund-
Die ersten an rauchende Schlote erinnernden Gebilde am Meeresgrund wurden Ende der 1970er-Jahre vor den Galapagos-Inseln entdeckt.
lage für die ersten organischen Verbindungen, aus denen alles Leben auf unserem Planeten entstanden ist. Zu Beginn handelte es sich dabei um einzellige Urmikroben. Doch wie alle Lebensformen, die heute auf der Erde leben, brauchten auch sie schon zwei Dinge für ihre Existenz: zum einen Kohlenstoff, um Biomasse zu erzeugen, zum anderen eine stetige Energiezufuhr für ihren Stoffwechsel und die Produktion von Baustoffen. Kohlenstoff war – zum Beispiel in Form von CO2 – reichlich vorhanden, um ihn nutzen zu können, mussten die Mikroben ihn aber mit Energieaufwand „einfangen“. Dafür nutzten sie möglicherweise die Energie chemischer Reaktionen, die von den heißen Schwefelquellen zur Verfügung gestellt wurde. Plausibel erscheint das besonders deshalb, weil die heutigen Schwefelbakterien für ihre Energieerzeugung Enzyme einsetzen, die sehr alt sind und bereits früh in der Evolutionsgeschichte entstanden sind. Die Einschränkung dieser Form der Energiegewinnung, der sogenannten Chemosynthese, ist jedoch, dass sie nur in der unmittelbaren Nähe der Schwarzen Raucher am Meeresboden stattfinden konnte.
die Urlebewesen mithilfe spezieller Proteinkomplexe nutzbar machen konnten. Heutzutage sind die grünen Chlorophyll-Pigmente zum Einfangen des Lichts besonders verbreitet. Sie geben den meisten Gewächsen ihre Grünfärbung: Weil das Chlorophyll rotes und blaues Licht absorbiert, grünes Licht hingegen ungenutzt reflektiert, erscheint es grün. Einige Cyanobakterien – früher Blaualgen genannt – und Rotalgen enthalten neben anderen Photosynthese-Farbstoffen auch Phycobiline, mit denen sie zusätzlich das grüne Licht absorbieren und seine Energie nutzen können.
Sauerstoff als Energie-Revolution Für die Entstehung höheren Lebens, wie es heutzutage auf der Erde existiert, fehlte auf der frühen Erde aber noch eine wichtige Grundzutat: Sauerstoff. Dieser war in der ursprünglichen Atmosphäre nicht vorhanden und wurde erst von im Wasser heimischen Cyanobakterien freigesetzt. Sie waren die erste Lebensform, die bei der Photosynthese Sauerstoff produzierten – und zwar praktisch als Abfallprodukt. Wissenschaftler nennen diesen Vorgang oxygene Photosynthese. Alle vorherigen Arten von Urbakterien hatten dagegen eine anoxygene Photosynthese
Cyanobakterien (Illustration) produzierten als erste Lebensform Sauerstoff – die Basis für die Entwicklung höheren Lebens.
Sonnenlicht als mächtige Energiequelle Vor über 3,4 Milliarden Jahren entdeckten die Urmikroben aber auch noch eine andere Energiequelle, die weltweit verfügbar und zudem praktisch unerschöpflich ist: das Sonnenlicht. Analysen zum Alter bestimmter Enzyme sowie Fossilienfunde aus Grönland und Australien zeigen, dass die Nutzung von Licht zur Energiegewinnung – die Photosynthese – vermutlich so alt ist wie das irdische Leben. Erst durch dieses „Anzapfen“ der Sonnenenergie konnten die Mikroorganismen die Erde erobern. Dabei ist die Photosynthese der einzige biochemische Vorgang auf dem Planeten, bei dem mithilfe von Sonnenlicht aus Wasser (H2O) und anorganischen Stoffen wie Kohlendioxid (CO2) organische Verbindungen wie Zucker produziert werden. Der komplexe Vorgang hat sich wohl aus Pigmenten entwickelt, die ursprünglich dem Zellschutz vor der schädlichen UV-Strahlung dienten: Wurden sie von Licht getroffen, gaben sie etwas Energie ab, die
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Moose (Illustration) gehören zu den frühesten Landpflanzen. Als älteste noch lebende Gattung haben Forscher das Moos Takakia im Himalaya ausgemacht.
betrieben, bei der statt des Sauerstoffs andere anorganische Stoffe wie elementarer Schwefel entstehen. Der zunehmende Sauerstoff der Cyanobakterien reicherte sich zunächst im Wasser der Ozeane an und entwich nach deren Sättigung auch in die Atmosphäre. Aus einem Teil des Luftsauerstoffs (O2) entstand dort auch das Ozon (O3), das sich in 15 bis 30 Kilometern Höhe als Ozonschicht sammelt. Ozon absorbiert die für die meisten Organismen schädliche UV-Strahlung und schützt damit Leben auf der Erdoberfläche vor Strahlenschäden. Vor etwa 2,4 Milliarden Jahren, so zeigen mächtige Schichten versteinerter Bakterienkolonien, war Sauerstoff schon weit verbreitet. Statt der heutigen 21 Prozent machte er damals zwar erst etwa 1 Prozent der Atmosphäre aus, veränderte aber bereits die Chemie der Erdoberfläche. Dadurch wurden die immer komplexeren mehrzelligen Lebensformen möglich.
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Wie das Licht in die Welt kam | Licht ermöglicht Leben
Symbionten an Bord Wie sich aus den frühen Bakterien im Laufe der Evolution unsere heutigen Pflanzen entwickeln konnten, kann mithilfe der Endosymbiontentheorie erklärt werden: Demnach haben sich größere eukaryotische Einzeller, also Vorfahren der heutigen Pflanzenzellen, vor einigen hundert Millionen Jahren Cyanobakterien einverleibt, sodass eine Symbiose zwischen ihnen entstand. Die ehemaligen Cyanobakterien entwickelten sich dadurch in ihren Wirtszellen zu speziellen Funktionseinheiten, den sogenannten Chloroplasten, und verliehen ihnen so die Fähigkeit, die Energie des Sonnenlichts zu nutzen. Mit den Chloroplasten als Endosymbionten an Bord entwickelten sich vor 1,2 Milliarden Jahren komplexere Gewächse aus den eukaryotischen Zellen. Zuerst waren es ans Wasser gebundene Algen. Vor etwa 475 Millionen Jahren verbreiteten sich dann die ersten Gewächse – Moose und Lebermoose – erfolgreich an Land. Und vor etwa 423 Millionen Jahren entstanden die ersten echten Pflanzen. Wie alles höhere Leben auf der Erde verdanken sie ihre Existenz der Photosynthese.
So funktioniert die Photosynthese Die Kurzform lautet: Grüne Pflanzen, Algen und Cyanobakterien nutzen die Energie des Sonnenlichts, um in ihren Chloroplasten aus Kohlendioxid den Zucker Glukose herzustellen. Als Nebenprodukt entsteht dabei Sauer-stoff aus der Spaltung von Wassermolekülen. Genauer besteht der Vorgang der Photosynthese aus zwei Teilen: der Lichtreaktion und der Dunkelreaktion. Die Lichtreaktion wiederum ist in die zwei Prozesse Photosystem II (PS II) und Photosystem I (PS I) aufgeteilt. Dabei steht PS II am Beginn der PhotosyntheseReaktion, wurde aber später entdeckt und dementsprechend auch später benannt als das PS I. Im ersten Schritt von PS II wird die elektromagnetische Energie der Sonnenstrahlen von Chlorophyll-Pigmenten absorbiert. Sie sind von weiteren Pigmenten wie den orangen Carotinoiden umgeben, die noch mehr Licht einfangen und an das zentrale Chlorophyll weitergeben. Im dahinterliegenden Reaktionszentrum trifft die konzentrierte Lichtenergie dann auf ein spezielles Chlorophyll-Pigmentpaar und schlägt dort ein Elektron heraus. Diese Elektronenlücke wird jedoch umgehend durch Elektronen geschlossen, die in einem anderen Teil des Chloroplasten bei der Spaltung von Wassermolekülen durch Lichtenergie freigesetzt werden. Dabei entsteht als „Abfallprodukt“ der für uns überlebenswichtige Sauerstoff. Nun wird das herausgeschlagene Elektron an das PS I weitertransportiert, wo der gleiche Vorgang abläuft wie in PS II: Auch hier gibt ein spezielles Chlorophyllpaar durch die Lichteinwirkung ein Elektron ab. Nur wird die Elektronenlücke dieses Mal durch das Elektron aus PS II geschlossen. Das Elektron aus PS I hingegen wird genutzt, um den zellulären Elektronenlieferant NADPH zu produzieren. Hinter dem PS I wird zudem der Energieträger ATP hergestellt. Diese Substanz ist gewissermaßen das Energie-Kleingeld der Zelle. Sowohl NADPH als auch ATP werden später für die Herstellung von Zucker benötigt.
Zucker wird zusammen mit Wasser im zweiten Teil der Photosynthese, der Dunkelreaktion, erzeugt. Dafür nehmen die Pflanzen über Spaltöffnungen in ihren Blättern Kohlendioxid auf, das durch Enzyme auf größeren Molekülen fixiert wird. Daraus entsteht dann über mehrere Zwischenschritte unter anderem die sogenannten Phosphoglycerinsäure. Diese wird im nächsten Schritt chemisch reduziert. Die Energie und die nötigen Elektronen dafür stammen vom ATP beziehungsweise NADPH. Es entstehen AldehydMoleküle, von denen jeweils zwei zu einem Zuckermolekül zusammengekoppelt werden. Dies ist der Ertrag der Reaktion. Alle anderen Kohlenstoffverbindungen der Pflanze werden aus diesen Zuckern synthetisiert und sind auch die Basis für unsere Ernährung.
Sonnenlicht O2
CO2
Zucker
Wasser
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Die Facettenaugen der Kleinlibelle sind nicht frei beweglich, bieten jedoch nahezu eine Rundumsicht.
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Wie das Licht in die Welt kam
Augen: Komplizen des Lichts Unsere Augen sind ein Wunder der Evolution. Die Sinneszellen in unserer Netzhaut sind so sensibel, dass sie einzelne Photonen wahrzunehmen vermögen. Dabei sind die menschlichen Augen aber bei Weitem nicht die besten: Einige Tiere sehen die Welt in einer Weise, die für uns fast unvorstellbar ist.
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ir erfahren die Welt durch unsere Sinne. Hören, Schmecken, Riechen, Tasten – allesamt enorm wichtige Reizempfänger. Doch bis zu 80 Prozent seiner Sinneseindrücke gewinnt der Mensch allein durch das Sehen. „Wenn man sich auf ein Universalprinzip verständigen müsste, dass möglichst viele Organismen auf der Erde vereint, dann wäre das wohl der Sinn zum Erfassen von Licht und Helligkeit“, sagt Jan Kremers, Leiter der Augenklinik am Universitätsklinikum Erlangen. Bereits primitivste Einzeller reagieren auf Lichteinfall. Pflanzen- oder Tierarten, die keine Reaktion auf entsprechende Reize zeigen, gibt es kaum. „Sehen zu können, ist im täglichen Kampf ums Überleben ein unschätzbarer Vorteil“, bekräftigt Ursula Siebert, Leiterin des Instituts für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung der Tierärztlichen Hochschule Hannover: „Egal, ob es nun darum geht, selbst etwas zu fressen zu finden oder darum, Fressfeinden zu entkommen.“ Die Augen und deren verschiedene Varianten gelten besonders wegen der Vielzahl
ihrer perfekt an die jeweiligen Umweltbedingungen angepassten Bauformen als Musterbeispiel für Podest- und Zwischenstufen evolutiver Prozesse. Schon Charles Darwin meinte, kein Organ sei so perfekt auf die zu leistenden Anforderungen eingestellt wie die Augen. „Die Annahme, dass das Auge mit all seinen faszinierenden Möglichkeiten durch natürliche Zuchtwahl entstanden sei, erscheint, wie ich offen bekenne, im höchsten Maße absurd“, schrieb der bekannte Evolutionstheoretiker 1895 in seinem Werk „The Origin of Species – Die Entstehung der Arten“.
Die Evolution des Auges: Es begann vermutlich mit einigen lichtempfindlichen Zellen (links). Eine Mutation führte dazu, dass die Zellen in einer kleinen Vertiefung lagen. Das ermöglichte, die Richtung einer Lichtquelle zu erkennen. Je tiefer die Vertiefung und je schmaler die Öffnung wurde (Mitte), desto präziser wurde diese
Information und desto mehr Formen konnten erkannt werden. Die Bildung einer Schutzschicht über der Öffnung ermöglichte es den Zellen im Augeninneren, sich weiterzuentwickeln. Einige Organismen bildeten später Linsen an der Vorderseite des Auges (rechts), durch die das Auge fokussieren konnte.
Von Christian Jung
Die Evolution der Sehapparate Doch fossile Funde und Analysen gekoppelt mit Modellierungen ergeben ein stimmiges Bild. Demnach sind alle heute bekannten Augentypen innerhalb von nur 100 Millionen Jahren Evolution entstanden. Die Entwicklung begann vermutlich mit einzelnen Zellen, die sich zu Lichtsinneszellen spezialisierten. Die ersten Mehrzeller in den Ozeanen besaßen daher wohl lediglich einzelne, verstreut liegende Lichtsinneszel-
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Kalmare haben im Verhältnis zu ihrer Körpergröße riesige Augen. Der Karibische Riffkalmar (Sepioteuthis sepioidea) ist ein Schließaugenkalmar, im Unterschied zu Nacktaugenkalmaren besitzt er Augenlider.
len, mit denen sie Licht und Dunkelheit unterscheiden konnten. Die erste zarte evolutive Weiterentwicklung findet sich beim Regenwurm. Bei ihm und mancher Muschelart versammeln sich einige dieser Lichtsinneszellen in einer kleinen, kaum ausgeprägten Vertiefung. Auch von Quallen, Seesternen und Seeigeln kennt man heute solche Flachaugen. Durch die Bündelung der Zellen kann das Tier Hell-Dunkel-Erscheinungen in Kontur und Dauer ebenso wie Schatten wahrnehmen, die womöglich das Herannahen von Fressfeinden ankündigen. Zu den ersten richtigen Gehversuchen in der Evolution der optischen Wahrnehmung kam es jedoch erst danach, als die Sehzellen gegenüber dem sie umgebenden Gewebe absanken und sich eine deutlichere Vertiefung ausbildete. Durch diesen einfachen, aber wirkungsvollen Kniff sind die Lichtsinneszellen zum einen besser geschützt, und zum anderen lässt sich grob die Richtung erfassen, aus der das Licht einfällt. Denn bei seitlicher Bestrahlung werden die abgesenkten Rezeptoren nicht alle gleich angestrahlt. Für diese deutliche Zäsur in der Evolution der Sinnesorgane steht das Pigmentbecherauge. Hier senkt sich der Sehfleck deutlich becherförmig ein. Zudem werden die Lichtsinneszellen, die den Sehfleck bil-
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Wie das Licht in die Welt kam | Augen: Komplizen des Lichts
den, von einer becherförmigen Pigmentschicht umfasst. Nur durch die obere Öffnung gelangt Licht ins Augeninnere – und damit ausschließlich aus einer bestimmten Richtung. Letztlich stellt diese erste deutliche Einsenkung die Weichen für das Grubenauge als Übergangsform zu den Bauformen lichtempfindlicher Zellen der höher entwickelten Tiere. Bei ihnen sind die Lichtsinneszellen eindeutig abgesenkt und ebenfalls optisch durch Pigmentzellen abgeschirmt. Durch das Zusammenziehen dieser Zellen an einem Ort erhöht sich die Lichtempfindlichkeit und ermöglicht ausgeprägtes Richtungssehen. Noch besser geschützt sind die Lichtsinneszellen bei Lochaugen, wie man sie etwa beim Nautilus, einem Tintenfisch-Verwandten, findet. Wucherndes Gewebe hat die Grube so sehr verengt, vertieft und verschlossen, dass nur noch ein kleines Loch frei bleibt, in das Licht einfallen kann. Allein dadurch entstehen Bilder, ähnlich einer simplen Lochkamera. Auf diese Weise können die Tiere bereits gewisse Formen ausmachen. Allerdings ist das Bild äußerst lichtschwach und nicht sehr scharf. Doch der Natur ist daran gelegen, weiter zu optimieren. Eine Flüssigkeit, die das Innere des Lochauges ausfüllt, stellt hierfür einen anderen Ansatzpunkt
dar. Im Laufe der Evolution wurde diese vermutlich immer zähflüssiger, bis daraus ein Sehapparat mit linsenartiger Struktur entstand, mit dem sich ein Gegenstand zugleich scharf und angemessen hell abbilden lässt. Am weitesten auf diesem Weg gekommen ist wohl die Weinbergschnecke mit ihren abgewandelten Blasenaugen. Im kugelförmigen gefüllten Inneren befindet sich ein zähes Sekret mit lichtsammelnden physikalischen Eigenschaften – die erste primitive Vorstufe einer Linse. Bei den meisten Tiergruppen ist die Evolution des Auges an diesem Punkt (bislang) an ihr Ende gekommen. Nur Tintenfische und Wirbeltiere erfuhren weitere Verbesserungen in Form des Linsenauges. Doch selbst hierbei kommt die Natur zu zwei unterschiedlichen Lösungen. Eine Variante findet sich bei den höchst entwickelten Tintenfischen: Kraken, Sepien und Kalmaren. Ihr sogenanntes „everses Linsenauge“ geht aus einer Einstülpung der Epidermis, also der Oberhaut, hervor. Demgegenüber entsteht das „inverse Linsenauge“ bei den Wirbeltieren als Ausstülpung des Gehirns.
In der Netzhaut des menschlichen Auges befinden sich zwei grundsätzlich verschiedene Rezeptortypen: die Stäbchen und die Zapfen. Der Mensch besitzt etwa 120 Millionen Stäbchen in der Retina, von den Zapfen dagegen lediglich gut 6 Millionen – ihr Verhältnis liegt also bei etwa 18 zu 1. Die Stäbchen sind lichtempfindlicher, sie sind für das Hell-Dunkel- und Kontrastsehen verantwortlich und ermöglichen das Sehen in der Dämmerung. Drei Arten von Zapfen, die jeweils auf blaues, grünes und gelbes Licht spezialisiert sind, gewährleisten das Farbensehen. Dafür benötigen sie allerdings weitaus höhere Lichtintensitäten, weshalb sie im Dunkeln unbrauchbar sind. Zwei Punkte in der Netzhaut sind von besonderer Bedeutung: zum einen die Fovea centralis, auch Sehgrube oder „gelber Fleck“ – er ist tatsächlich gelb – genannt. Sie liegt in der optischen Achse der Linse und enthält ausschließlich Zapfen, die zudem besonders dicht gepackt sind. Dort ist die Stelle des schärfsten Sehens. Zum anderen gibt es noch den blinden Fleck an der Austrittstelle des Sehnervs. Da es hier keine Sinneszellen gibt, können Lichtreize nicht verarbeitet werden – sie bleiben in ihrer Wirkung „blind“.
Das Auge des Menschen Aufbau und Wirkmechanismus des Linsenauges sind komplex. Erst durch Zusammenspiel einer gekrümmten Hornhaut, die die Außenfläche des Auges bildet, sowie der Linse, der Netzhaut, Sinneszellen und anderen Elementen ist eine perfekte Sicht möglich. Zunächst muss das einfallende Licht dafür gebrochen und auf eine Ebene fokussiert werden, sodass sich dort ein scharfes Abbild der Außenwelt ergibt. Dies leistet der optische Apparat, zu dem alle lichtdurchlässigen Teile gehören. Der nach Außen augenfälligste Teil des optischen Apparats ist wohl die Iris, jene Struktur, die den Augen ihre Farbe verleiht und deren Muster sich wie ein Fingerabdruck von Mensch zu Mensch unterscheidet. In ihrer Mitte befindet sich die Pupille, mit der reguliert wird, wie viel Licht ins Auge eintritt. Nachdem der optische Apparat seine Vorarbeit geleistet hat, übernimmt die Netzhaut die Regie. Auf ihr entsteht durch die Lichtbrechung ein verkleinertes, umgekehrtes Abbild der im Blickfeld liegenden Umgebung. Diese Lichtreize werden mithilfe von dicht gedrängten Sinneszellen und ableitender Nervenbahnen in Nervenimpulse umgewandelt, aus denen das Gehirn eine visuelle Wahrnehmung erzeugt.
Linse
Lederhaut
Iris
Netzhaut Aderhaut
Glaskörper Hornhaut
Gelber Fleck
Vordere Augenkammer
Sehnerv
Ziliarmuskel
Neu erforscht: die molekularen Grundlagen des Sehens Ein Ausschnitt dessen, was in der Netzhaut auf molekular-physiologischer geschieht, wurde kürzlich von einem Team um Valérie Panneels vom renommierten Paul-Scherrer-Institut zur Förderung der Wissenschaften in der Schweiz entschlüsselt: In den lichtemp-
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Ein Weißkopfseeadler (Haliaeetus leucocephalus) kann eine Maus aus über drei Kilometern Höhe sehen.
findlichen Stäbchenzellen befindet sich das Farbstoff-Protein Rhodopsin, auch Sehpurpur genannt, in dessen Mitte das Molekül Retinal gebunden ist. Trifft nun Licht auf das Retinal in der Netzhaut verändert es innerhalb von nur einer Billionstel Sekunde seine dreidimensionale Form. Damit handelt es sich um einen der schnellsten jemals in der Natur gemessenen Vorgänge. Gleichzeitig absorbiert auch der Rest des umgebenden Rhodopsin etwas Lichtenergie und bläht sich dadurch minimal auf, wodurch es kurzzeitig den größten Teil seines Kontakts zum Retinal verliert. „Das Retinal ist an seinen Enden zwar noch immer über chemische Bindungen ans Protein gebunden, aber es hat nun kurzzeitig genug Platz, sich zu drehen“, erklärt Panneels. Diese Drehung setzt eine Kaskade von Reaktionen in Gang, wodurch Energie als elektrisches Signal vom Sehpigment an die Sinneszelle weitergegeben werden – der Sehprozess hat begonnen.
Augen wie ein Adler Das Prinzip der Linsenaugen auf die Spitze getrieben haben die Greifvögel und Eulen. Doch eine Spezies vereint besonders viele Superlative des Sehens in sich: der Adler. Seine Augen besitzen deutlich mehr lichtempfindliche Sehzellen als die des Menschen. Zudem verfügt er nicht wie wir nur über eine Sehgru-
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Wie das Licht in die Welt kam | Augen: Komplizen des Lichts
be auf der Netzhaut, sondern besitzt pro Auge gleich zwei dieser Punkte des schärfsten Sehens. Mit der zusätzlichen Sehgrube können Adler verschiedene Dinge, die sich sowohl vor ihnen als auch im seitlichen Sichtfeld befinden, gleichzeitig scharf sehen – und dies bis zu einem gewissen Rahmen selbst dann, wenn die Entfernungen sich klar unterscheiden. Doch nicht nur bei der Sehschärfe, auch beim Farbensehen übertrumpft der Adler fast alle anderen Spezies. Während menschliche Augen nur drei verschiedene Farbsehzellen zur Wahrnehmung von blauem, rotem und gelbem Licht haben, besitzen Adleraugen fünf Arten von Zapfen. So können die Luftakrobaten zusätzlich ultraviolettes Licht wahrnehmen und Weißtöne voneinander unterscheiden, die für den Menschen alle gleich aussehen würden. Und noch etwas Drittes zeichnet den Sehapparat des Adlers aus. Für die Augen eines Menschen setzen sich bereits 50 Bilder pro Sekunde zu einem fließenden Film zusammen. Die Augen des Raubgreifers hingegen betrachten sogar 150 Bilder pro Sekunde immer noch wie Einzelaufnahmen. Ein für uns flink Haken schlagender Hase hoppelt für einen Adler gewissermaßen in Zeitlupe übers Feld. Auf andere Weise beeindrucken die Augen des Chamäleons: Ihre seitlich am Kopf sitzenden Augen können sich unabhängig voneinander bewegen und
Das Europäische Chamäleon (Chamaeleo chamaeleon) ist zu völlig voneinander unabhängigen Augenbewegungen fähig.
Über besonders hoch entwickelte Komplexaugen verfügen die Fangschreckenkrebse: Je nach Art besitzen sie zwölf bis 16 verschiedene Typen Fotorezeptorzellen, mit denen sie Licht im äußersten Spektrum von tiefem Ultraviolett bis hinein in entferntestes Infrarot wahrnehmen. Damit nicht genug, ist jedes Auge des Krebses in drei Bereiche aufgeteilt. Das befähigt jedes Auge unabhängig von der Entfernung zur Tiefenwahrnehmung. Es beeindruckt einmal mehr, was der Natur im Zuge evolutiver Prozesse Erstaunliches gelungen ist. Und so faszinieren die zahlreichen verschiedenen Augentypen samt ihrem Leistungsvermögen, die sich im Laufe von Hunderten Millionen Jahren herausgebildet haben.
verfügen dadurch über einen Rundum-Panoramablick von nahezu 360 Grad. Viele Untersuchungen sprechen dafür, dass die visuellen Informationen der beiden Augen im Gehirn der Tiere komplett unabhängig voneinander verarbeitet werden. Zudem bewirkt die kleine Öffnung auf den großen Augen eine Art Lochkameraeffekt, wodurch sich die Augen auf eine Entfernung von bis zu einem Kilometer scharf stellen lassen.
Total verpixelt Auch abseits der Wirbeltiere gibt es Interessantes zu sehen – und sei es „nur“ die in Tausende von Pixeln zerlegte Szenerie, die sich einer Fliege bietet. Bei den Insekten und Krebstieren ging die Natur diesen Weg der Verhundert- oder Vertausendfachung eines Einzelauges zu den sogenannten Komplex- oder Facettenaugen: bis zu 10 000 im Aufbau identische Einzelaugen, in denen sich wiederum meist acht lang gestreckte Lichtsinneszellen befinden. Jedes einzelne Auge nimmt nur Licht aus einer bestimmten Richtung wahr. Da jedes Einzelauge so angeordnet ist, dass es in eine etwas andere Richtung blickt, ergibt sich aus der Summe der einzelnen visuellen Eindrücke ein Mosaik als Gesamtbild. Der Clown-Fangschreckenkrebs (Odontodactylus scyllarus) bewacht sein Gelege. Seine Augen bestehen jeweils aus bis zu 10 000 Einzelaugen.
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Männliche Leuchtkäfer (Lamprohiza splendidula) beginnen mit Einbruch der Dunkelheit zu leuchten und stimulieren damit die flügellosen Weibchen im Gras, es ebenso zu tun. So finden sich die Geschlechtspartner zur Paarung.
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Wie das Licht in die Welt kam
Tierisches Leuchten Einige Lebewesen sind in der Lage, ihr eigenes Licht zu erzeugen – und das mit verblüffender Effizienz. Biolumineszenz hilft ihnen beim Jagen, Fliehen oder der Partnersuche. Und inzwischen hat die vielfältig leuchtende Tierwelt auch die Neugier von Medizinern und Genforschern geweckt, die daraus neue Methoden für ihre Arbeit ableiten.
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lühwürmchen sind nicht nur schön anzusehen, kaum ein anderes Tier schafft es so gut, sich als funkelndes Spektakel zu inszenieren, das seine Umgebung zur schlichten Kulisse verblassen lässt. In warmen Frühsommernächten kann man vielerorts leuchtende Schwärme etwa von Photinus pyralis beobachten – einer von weltweit rund 2000 Glühwürmchenarten. Die meisten Vertreter dieser Käferspezies senden in der Dunkelheit von ihrem Leuchtorgan im Hinterleib unaufhörlich Lichtsignale zur Partnerwerbung aus. Dabei wandeln sie chemische Energie nahezu verlustfrei in kaltes Licht um – also Licht, das ohne gleichzeitige Temperaturerhöhung entsteht. Die Energieausbeute dieser sogenannten Biolumineszenz liegt bei 95 Prozent. Dem-
gegenüber gehen bei einer Glühbirne 95 Prozent der zur Lichterzeugung eingesetzten elektrischen Energie als Wärme verloren. Neben Glühwürmchen verfügen auch einzelne Pilzarten, einige Bakterien und besonders viele Meeresbewohner über solch: eine Energiesparbeleuchtung – je nach Art jedoch in teils sehr verschiedenen Ausführungen und mit unterschiedlichen Funktionen. So stoßen Ruderfußkrebse bei Gefahr über spezielle Drüsen leuchtende Wolken aus. Das blendet den Angreifer und ermöglicht die Flucht ins Dunkel. Haarsterne und einige Quallen treiben es noch weiter: Sie verwirren ihre Feinde, indem sie leuchtende Körperteile abstoßen. Einige Fischarten dagegen locken mit einer attraktiven Lichtshow ihre Beute an oder
Von Christian Jung
Das nächtliche Leuchten in den australischen Gippsland Lakes wird von bioluminiszenten Mikroorganismen erzeugt.
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Links: ein Palmengecko (Pachydactylus rangei) mit fluoreszierenden Körperbereichen, die leuchten, wenn Licht darauf fällt. Rechts: ein Augenlichtfisch oder Ein-Flossen-Blitzlichtfisch (Photoblepharon Palpebratus). Er hat bogenförmige Leuchtorgane unter den Augen, die er mithilfe eines schwarzen Lids abdecken kann. So schaltet er das Licht ein und aus.
leuchten sich damit einen Weg durch die Dunkelheit. Manchmal ist es auch ein Mix aus alledem. Ein besonders faszinierendes Lichtspektakel erzeugen Kleinstlebewesen wie die Dinoflagellaten der Gattung Noctiluca mit dem sogenannten Meeresleuchten. Dabei kommt eine ähnliche chemische Reaktion wie bei den Glühwürmchen zum Einsatz. Die Einzeller werden durch mechanische Reize wie Wasserströmungen zum Leuchten angeregt. Millionen freilebender einzelliger Leuchtbakterien tauchen dann die Meeresoberfläche in einen milchigen Schimmer.
Angestrahlt und zurückgestrahlt „Durch die Fähigkeit, eigenes Licht zu erzeugen, unterscheiden sich die Bewohner der Meere – vor allem jene der Tiefsee – wohl am deutlichsten von denen an Land“, sagt David Prötzel von der Zoologischen Staatssammlung München. Abgesehen von Leuchtkäfern, einigen Hundert- und Tausendfüßern sowie besonderen Schnecken, gibt es an Land praktisch keine Tiere, die selbst Licht herstellen. Dass mancher Landbewohner des Nachts dennoch mit leuchtenden Farben auf sich aufmerksam machen kann, liegt an zwei anderen Formen des kalten Leuchtens: Fluoreszenz und Phosphoreszenz. Das Prinzip ist recht einfach: Bestimmte Moleküle, häufig Proteine, nehmen einfallen-
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Wie das Licht in die Welt kam | Tierisches Leuchten
de Strahlung auf und werden dadurch kurzfristig in einen energetisch höheren Zustand versetzt. Bei der Rückkehr in den Grundzustand geben sie dann ihrerseits Licht ab, allerdings auf einem anderen Energielevel – und damit in einer anderen Farbe. Phosphoreszenz und Fluoreszenz unterscheiden sich wiederum dadurch voneinander, dass es bei der Phosphoreszenz nach Beendigung der Lichteinwirkung zu einem wenige Sekunden bis mehrere Stunden lang anhaltenden Nachleuchten kommt. Bei der Fluoreszenz hingegen stoppt das Strahlen unmittelbar, sobald die lichtaussendende Quelle versiegt.
Die Geheimnisse der Fluoreszenz Vonseiten der Wissenschaft längere Zeit vergleichsweise wenig beachtet, häuften sich zuletzt die Nachweise fluoreszierender Lebewesen. So wurden in wenigen Jahren etliche Fisch-, Frosch-, Molch-, Salamander- und Schildkrötenarten mit diesem Merkmal erfasst. Ebenso fluoreszieren lichtinduziert viele Vertreter niederer Tiergruppen wie Skorpione, Insekten, Quallen und Korallen nebst diversen Einzellern oder Pilzen. Ein besonders prägnantes Beispiel ist der in der Wüste Namib lebende Gecko Pachydactylus rangei. Begegnungen des Nachts erscheinen fast surreal angesichts des Eindrucks, es würde ein Textmarker an einem vorbeihuschen. Mit seinen hell fluoreszierenden Hautstreifen an den Körperseiten und um die Augen wirkt er perfekt in Szene gesetzt. Der Gecko, bei Tag unscheinbar mit dem sandigen Hintergrund verschmol-
zen, nimmt bei seinen nächtlichen Wanderungen durch die riesige Wüste Namibias den blauen Anteil des Mondlichts auf und strahlt es als heller wirkendes, neon-grünes Licht wieder ab: „Und zwar in einer für Landlebewesen bis dato ungewöhnlichen, nicht gekannten Leuchtkraft“, konstatiert David Prötzel, der das Phänomen beim Gecko entdeckt hat. Daher lag die Vermutung nahe, dass bei den Wüstengeckos ein neuer Mechanismus zum Einsatz kommt. Und in der Tat zeigte sich: Spezielle, in die Haut eingelagerte Pigmentzellen, sogenannte Iridophoren, ermöglichen das kräftige neon-grüne Fluoreszieren der Muster. Die Forscher vermuten, dass der Gecko damit in den Weiten der dunklen Namib-Wüste von Artgenossen aus möglichst großer Ferne erkannt werden will. Es hat sich gezeigt, dass Fluoreszenz besonders für jene landlebenden Tiere von Bedeutung ist, die in der Dämmerung aktiv sind – also zu Zeiten, in denen blaues Licht vorherrscht. Blau dominiert als Farbe ansonsten vor allem dort, wo Licht weitaus stärker gefiltert wird als in der Luft: unter Wasser. Rot- und Gelbspektren werden schon wenige Meter unter der Oberfläche absorbiert. Blau- und Grüntöne dringen dagegen etwas tiefer vor. Viele Meerestiere nehmen daher blaues, energiereiches Licht auf und geben es durch Fluoreszenz als energieärmeres rotes, gelbes, orangenes oder grünes Leuchten wieder ab.
Leuchten in Symbiose Bis in die Tiefsee dringt aber selbst das blaue und grüne Licht nicht vor. Dort müssen die Tiere ihr Licht
Links: Der Anglerfisch (Cryptopsaras couesi) lebt in Tiefen von mehr als 500 Metern. Nur die Weibchen werden größer als 15 Zentimeter und haben die charakteristische „Angel“. Das Leuchten wird durch Photobakterien hervorgerufen und lockt vermutlich Beute an. Rechts: Zwergtintenfische (Sepiolidae) können sich durch Leuchtorgane am Körper an das Umgebungslicht anpassen und sich dadurch perfekt tarnen.
also selbst erzeugen: Etwa 90 Prozent der Lebewesen dort unten nutzen Biolumineszenz. Doch strenggenommen stammt das Licht vieler Tiefseebewohner gar nicht von den Tieren selbst. Vielmehr wird die Lichtproduktion von Bakterien übernommen, die in einer engen Symbiose mit dem Tier leben, was als „sekundäre Biolumineszenz“ bezeichnet wird. Das wohl bekannteste Beispiel hierfür ist der weibliche Anglerfisch, der ein mit Bakterien gefülltes Leuchtorgan als Köder an einer vorn am Kopf aussprossenden Angel vor sich herträgt. Die abgeschlossen in dieser Kugel mit dem Tiefseefisch symbiotisch lebenden Einzeller vermögen alle gleichzeitig ihr Licht einzuschalten. Im tiefen Dunkel der Ozeane werden die Beutetiere davon angezogen und schwimmen ihrem Feind direkt vor die Nase. Doch auch näher an der Oberfläche lassen sich Tiere finden, die mithilfe symbiotisch lebender Bakterien leuchten. Der nachtaktive Korallenfisch Photoblepharon etwa beherbergt sie in Leuchtorganen unter seinen Augen. Da sie permanent Licht produzieren, hat der Fisch lichtundurchlässige Lider entwickelt, mit denen er den Lichtfluss nach außen reguliert. So kann er sie in der Dunkelheit gleichzeitig zur Orientierung und Partnersuche sowie zum Ködern von Beute nutzen.
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Die Qualle Aequorea victoria lebt im Pazifischen Ozean vor der Westküste Nordamerikas. Ihr Leuchten wird durch ein fluoreszierendes Protein erzeugt.
Und auch im Innern des Zwergtintenfischs Euprymna scolopes leben stark leuchtende Bakterien. Fast schon paradoxerweise dient ihr Blinken jedoch der Tarnung. Die Kopffüßler jagen nachts an der Wasseroberfläche bei oft klarem Himmel. Gegen den hellen Mondschein würde sich ihre dunkle Unterseite an der Wasseroberfläche aus der Tiefe betrachtet gut sichtbar abzeichnen. Doch zahlreiche auf der unteren Körperseite platzierte Lichtkammern schlucken den Schatten und bewirken, dass sich die Silhouette an der Oberfläche tummelnder Tintenfische optisch auflöst – eine perfekte Tarnung, die sie für von unten zur Wasseroberfläche emporgleitende Raubfische praktisch unsichtbar macht.
Bald Pflanzen als Nachttischlampe? Während die Biolumineszenz sich in der Tierwelt also durchaus etablieren konnte, sind höherentwickelte Pflanzen mit dieser Fähigkeit, wie sie etwa in James Camerons Film „Avatar“ zu sehen sind, auf der Erde nicht bekannt. Doch auch sie könnten mithilfe gentechnischer Methoden bald Realität werden. Vor Kurzem gelang es sowohl Bio-Ingenieuren eines US-amerikanischen Unternehmens als auch einem russischen Forscherteam, mithilfe von Gen-
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Wie das Licht in die Welt kam | Tierisches Leuchten
manipulation und biolumineszierenden Enzymen selbstleuchtende Pflanzen zu züchten. Im Fall der USForschenden soll es gelungen sein, in das Chloroplastengenom der Ziertabak-Art Nicotiana alata das für das Leuchten relevante Erbgut mariner Bakterien zu integrieren. Diese produzieren im Rahmen ihres induzierten Stoffwechsels auf natürlichem Weg Licht. Ziel der Entwicklungen war es, eine saubere, nachhaltige und bezahlbare pflanzliche Alternative für Lichtquellen zu generieren – sei es als Alleebaum an der Straße oder als Nachttischlampe.
Das Leuchten entschlüsselt Dass so etwas heutzutage möglich ist, liegt nicht zuletzt daran, dass inzwischen weitgehend geklärt ist, wie das Leuchten auf molekularer Ebene entsteht. Senden Organismen fluoreszierendes Licht aus, ist ein spezifisches Protein beteiligt, das nach Anregung durch die Biolumineszenz-Reaktion kalt leuchtet. Das Prinzip ist stets das gleiche: Das Enzym Luziferase spaltet den Leuchtstoff Luciferin in zwei Teile („luci-fer“ bedeutet „lichttragend“). Dabei wird Energie in Form von Licht frei. Auf Basis dieses Ablaufs entwickelte jeder Organismus seine Variante der Biolumineszenz. Verschiedene Arten von Luciferinen und zahlreiche
Varianten der Luziferase sind daher aus biochemischer Perspektive der Grund, warum biolumineszente Lebewesen in so vielen Farben erstrahlen. Bei der Leuchtqualle Aequorea victoria kommen gleich zwei Proteine für denselben Zweck zum Einsatz. Während das Luciferin nach der Reaktion erst einmal „aufgebraucht“ ist, verfügt das Weichtier mit dem Protein Aequorin über ein weiteres in den Prozess eingreifendes Molekül. Es ist recyclebar und kann mit Hilfe von Calcium-Ionen ent- und wieder geladen werden und ist damit nahezu unbegrenzt wiederverwendbar. Die Energieproduktion wird also permanent am Laufen gehalten – ein Vorteil im Wettstreit um Nahrung. Die Beispiele zeigen, wie hochspezifisch die Prozesse bei jeder Art ablaufen. Und zugleich ist es ein Hinweis darauf, dass das Phänomen der Biolumineszenz im Laufe der Evolution wohl zigfach unabhängig voneinander entstanden ist. Darauf verweisen auch Besonderheiten rund um Meeresbewohner wie die Seefedernart Renilla reniformis. Für ihr typisch grünes Leuchten ist ein zweistufiger Prozess verantwortlich: Zunächst wird das Substrat von einem spezifischen Enzym, der Renilla-Luciferase, umgesetzt. Das dabei abgegebene blaue Licht wird anschließend unmittelbar von einem weiteren Eiweiß absorbiert. Dieses „Grün-fluoreszierende Protein (GFP)“ strahlt grünes Licht aus – ein als „Biolumineszenz-Resonanzenergietransfer“ bezeichneter Vorgang.
logische Sensibilität der biolumineszenten Mikroorganismen und koppelt diese mit einer empfindlichen, auf Schadstoffe gerichteten Nachweisreaktion. Gibt man nun zu einer Gewässerprobe das „Test-AlgenSystem“ hinzu und sinkt die Leuchtkraft der Pflanze daraufhin unter einen bestimmten Wert, weil sich etwa eine große Menge Pflanzenschutzmittel im Wasser befindet, löst ein Computer Alarm aus. Nach dem gleichen Prinzip wurde auch ein Test mit Leuchtbakterien entwickelt. Ein über tausendjähriger, enger Forschungs- und Anwendungsbezug tritt damit in seine nächste Phase ein, denn bereits im Mittelalter kam die Biolumineszenz in Form von „Bakterienlampen“ zum Einsatz. Ebenso gab es Anleitungen, Buchstaben zu malen, die nachts leuchten und bei Tag unsichtbar sind – wie es die Glühwürmchen seit Abertausenden von Jahren vormachen.
Seefedern leben meist in größeren Tiefen am Meeresboden. Sie gehören zu den Blumentieren (Octocorallia). Ihre Polypen haben immer acht gefiederte Tentakel. Einige Arten sind bioluminiszent.
Anwendung der Biolumineszenz Das Grün-fluoreszierende Protein ist mittlerweile auch in der biomedizinischen Forschung angekommen und dient dort zur Markierung von Zellen: Solche Farbmarkierungen nutzt man zum Beispiel, um Detailfragen zur Genregulation zu klären oder zelluläre Signalwege aufzuschlüsseln. Zudem kann eine modifizierte Luciferase-Reaktion als Nachweis- und Quantifizierungsmethode für verschiedene Zustände von Körperzellen dienen. Und sie kommt in der Ökotoxikologie bei der Analyse von Umweltgiften zum Einsatz – beispielsweise, um Bakterienfilme auf Oberflächen oder die Wasserqualität zu untersuchen. So haben Forschende der Universität Regensburg um Jost Borcherding (inzwischen Universität zu Köln) eine Technik zur Serienreife entwickelt, mit der sich Wasserqualität überwachen lässt. Sie nutzt die bio-
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Von Michael Vogel
Himmlische Lichtspiele Das Zusammenspiel von Sonne und Atmosphäre sorgt an unserem Himmel für vielfältige Lichtphänomene. Polarlicht, Abendrot, Regenbogen und Himmelsblau sind das Ergebnis faszinierender Physik. Von Michael Vogel
Ein Sonnenuntergang aus einem Flugzeug heraus fotografiert.
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uf Kinderbildern ist der Himmel blau, die Sonne gelb und der Regenbogen bunt. Meist sind die Farben am Himmel eine Selbstverständlichkeit, der wir uns im Alltag nur noch selten bewusst werden. Und doch sind sie etwas Besonderes. Denn sie existieren nur, weil in 150 Millionen Kilometer Entfernung unsere Sonne leuchtet. Sie schickt uns ihr Licht, bestehend aus zahllosen Teilchen, den Photonen. Wenn es die Erde erreicht,
Wie das Licht in die Welt kam
hat es bereits eine lange Reise hinter sich – eine Reise, die tief im Innern unseres Sterns ihren Anfang nahm. Denn dort bei einer Temperatur von 15 Millionen Grad Celsius und einem Druck, der 200 Milliarden Mal so hoch ist wie an der Erdoberfläche, verschmelzen permanent Wasserstoff- zu Heliumatomkernen. Dabei entstehen sehr energiereiche Photonen, die viel mehr Energie haben als selbst die Röntgenstrahlung beim Arzt.
Da der Raum zwischen Sonne und Erde praktisch leer ist, rasen die Photonen mit Lichtgeschwindigkeit durch das All. So legen sie die Strecke von durchschnittlich 150 Millionen Kilometern in nur etwa acht Minuten zurück – und tauchen unsere Welt in Licht und Farbe.
Zerstreute Farben Da ist zum Beispiel das Himmelsblau. Steht die Sonne hoch am wolkenlosen Himmel, erscheint sie uns weiß bis weißgelb. Dieses Weiß entsteht durch die Überlagerung von Sonnenstrahlen verschiedener Farben, die das gesamte Spektrum von Rot und Orange über Gelb und Grün bis Blau abdecken. Sichtbar machen lassen sich diese Farbanteile, wenn zum Beispiel Sonnenlicht durch ein Prisma fällt. In der Erdatmosphäre trifft dieses Licht auf die Teilchen der Luft, die es immer wieder leicht ablenken, also streuen. Dabei streuen die Teilchen den blauen Anteil des Sonnenlichts jedoch am stärksten, sodass selbst noch blaues Licht von der Sonne zu uns gelangt, das sich ursprünglich gar nicht in unsere Richtung ausgebreitet hat. In Summe sehen wir also
anteilig sehr viel mehr blaues Sonnenlicht als Licht anderer Farben, weshalb uns der Himmel insgesamt blau erscheint. Ist jedoch viel Staub oder Dunst in der Luft, klappt das nicht mehr so schön. Dann weicht das Himmelsblau einem Weiß. Denn nun dominieren bei der Streuung des Sonnenlichts die Staubpartikel und Wassermoleküle, die viel größer sind als die Teilchen der „reinen“ Luft. Aufgrund ihrer Größe streuen sie das Sonnenlicht völlig anders, nämlich alle Farbanteile gleich stark. Wie im Fall der Sonnenscheibe erscheint uns der Himmel daher in der Mischfarbe Weiß. Auch bei sehr tief stehender Sonne verändert sich die Farbe des Himmels. In dieser Situation, also morgens oder abends, muss das Sonnenlicht aus geometrischen Gründen einen sehr viel längeren Weg durch die Atmosphäre zurücklegen als mittags. Der blaue Sonnenlichtanteil, der ja an sich dank der Streuung selbst noch über viele Umwege zu uns gelangt, ist nun benachteiligt. Denn aus dem Himmelsareal unterhalb der Sonnenscheibe, das weitgehend unterm Horizont liegt, erreicht uns kein Licht mehr. Insgesamt ist der Bereich, aus dem wir gestreutes blaues Der Regenbogen an den Victoria Falls entsteht durch die Gischt der fallenden Wassermassen.
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Der Hopfensee zur blauen Stunde. Kurz nach Sonnenuntergang dominiert das blaue Lichtspektrum und taucht Himmel und Erde in magisch anmutendes Licht.
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Licht bekommen, viel kleiner als mittags. Daher gewinnen die gelb-roten, viel weniger gestreuten Farbanteile des Sonnenlichts die Oberhand, die eher auf direktem Wege zu uns gelangen. Kurz vor Sonnenaufgang und kurz nach Sonnenuntergang äußert sich das in einer Rotfärbung des Himmels über der Sonne: als Morgenrot am Osthimmel und als Abendrot am Westhimmel. Dünne hochliegende Wolken, die von der unsichtbaren Sonne angestrahlt werden, können dieses Farbenspiel noch verstärken. Nicht zuletzt erscheint uns auch die Sonne selbst in Horizontnähe rötlich, besonders wenn viel Staub oder Feuchtigkeit in der Luft ist. Übrigens entsteht das Blau des wolkenlosen Himmels in der bei Fotografen beliebten „blauen Stunde“ nicht durch gestreutes Sonnenlicht. Die blaue Stunde endet mit dem Aufgang der Sonne
Wie das Licht in die Welt kam | Himmlische Lichtspiele
beziehungsweise beginnt nach deren Untergang. Der blaue Himmel kommt dann durch die in 15 bis 30 Kilometer Höhe gelegene Ozonschicht zustande. Ozon absorbiert nämlich Sonnenlicht selektiv und reflektiert allein dessen blauen Farbanteil. Tagsüber geht das allerdings im allgemeinen Himmelsblau unter, weil die atmosphärische Streuung sehr viel dominanter als die Wirkung der Ozonschicht ist.
Prismen aus Tropfen Dass das Sonnenlicht verschiedene Farbanteile hat, lässt sich nicht nur mit einem Prisma erkennen, sondern auch an natürlichen Phänomenen in der Atmosphäre. Am bekanntesten ist der Regenbogen. Befindet man sich zwischen der Sonne und einer Regenfront und haben die Regentropfen alle ähnliche Form und Größe, so wirken sie wie identische winzige Prismen.
Wer das Polarlicht der Nordhalbkugel sehen möchte, hat auf den Lofoten gute Chancen. 2023 war es aber sogar über Deutschland zu beobachten.
Fällt das Sonnenlicht auf einen Regentropfen, wird es gebrochen, also in seine Farbanteile aufgespalten. Verlassen diese Farbanteile den Tropfen wieder, werden sie zu einem geringen Teil an dessen Oberfläche reflektiert. In der Folge treten sie aus dem Tropfen leicht versetzt zur ursprünglichen Einfallsrichtung des Sonnenlichts wieder aus. Diesen geringen reflektierten Farbanteil nehmen wir als Regenbogen wahr. Abhängig vom anfänglichen Einfallswinkel kann es passieren, dass das farblich zerlegte Sonnenlicht im Innern der Tropfen sogar mehr als einmal reflektiert wird. Bei zwei Reflexionen tritt dann außerhalb des Hauptbogens ein sogenannter Nebenbogen auf – mit umgekehrter Farbfolge. Nebenbögen, die durch mehr als zwei Reflexionen entstehen, sind zu lichtschwach, um sie am Himmel zu erkennen. Im Labor ließen sie sich jedoch erzeugen. Bei besonders hellen Regenbögen verrät sich auch die Wellennatur des Sonnenlichts. Innerhalb der Farben des Sonnenlichts, das im Tropfen gebrochen und anschließend reflektiert wurde, legen die einzelnen Wellenzüge nämlich minimal unterschiedlich lange Wege zurück. Überlagern sich diese Wellenzüge, können sie einander verstärken oder auslöschen. Die so entstehenden Interferenzbögen erscheinen vor allem unterhalb des Hauptregenbogens als Abfolge
dunkler und heller Streifen. Sie sind jedoch viel lichtschwächer als der Hauptbogen. Übrigens sind Regenbögen eine sehr persönliche Angelegenheit: Da die Sonne für das Phänomen exakt im Rücken des Betrachters stehen muss, sieht streng genommen jeder seinen eigenen Regenbogen. Zudem sind Regenbögen nur das auffälligste Phänomen, das durch das Wechselspiel des Sonnenlichts mit atmosphärischen Wassertropfen oder Eiskristallen entstehen kann. Halos, Höfe oder Glorien sind weitere Beispiele. Dass die Sonne mehr als sichtbares Licht zu uns schickt, zeigt sich eindrücklich an den Polarlichtern. Von unserem Stern strömen in wechselnder Intensität, aber ständig elektrisch geladene Partikel zur Erde: Elektronen und Protonen. Das Erdmagnetfeld fängt sie ein und lenkt sie zu den Polen, wo die Teilchen hoch oben in der Atmosphäre auf Sauerstoff und Stickstoff treffen. Die geladenen Partikel bringen dadurch die Moleküle zum Leuchten, den Sauerstoff in Rot und Grün, den Stickstoff in Violett und Blau. Dieses Leuchten sehen wir als Polarlichter, im Jahr 2023 sogar mehrfach in der Mitte und dem Norden Deutschlands. Unter allen Phänomenen, die durch unsere Sonne am Himmel entstehen, sind Polarlichter wohl jene, die den Betrachter am meisten entzücken.
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Sieg über das Dunkel
Höhlenkino im Flackerlicht Für die Herstellung steinzeitlicher Höhlenmalereien brauchte es Licht. Feuerschein erleuchtete die Wände nicht nur für die Arbeit der Künstler, manche Werke erweckte es regelrecht zum Leben.
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Von Rolf Heßbrügge
Steinzeitliche Höhlenmalereien in der Chauvet-Höhle in Frankreich.
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rähistorische Höhlenkunst liegt meist tief im Inneren von Höhlen verborgen. Ohne Beleuchtung sieht man dort kaum die Hand vor Augen, geschweige denn die Objekte an den Wänden. Die frühzeitlichen Künstler müssen also über Licht verfügt haben, um arbeiten zu können. Vermutlich haben sie ihre Werke im hellen Schein eines Bodenfeuers oder einer Art Fackel geschaffen. Was das Brennmaterial und die Vermeidung von gefährlicher Rauch-
Sieg über das Dunkel
entwicklung angeht, müssen diese Menschen bereits sehr souverän im Umgang mit Feuer gewesen sein. Doch wer waren sie? Dieser Frage ging der Steinzeit-Experte Dirk Hoffmann vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig nach. Mit seinem Team ermittelte er das Alter von 53 steinzeitlichen Höhlenmalereien aus verschiedenen Regionen Spaniens, um bestimmen zu können, ob sie eher dem vor 40 000 Jahren aus Afrika nach Europa ein-
gewanderten modernen Menschen (Homo sapiens) zuzuschreiben sind oder dem alteingesessenen Neandertaler, der kurz nach der Ankunft der Migranten scheinbar von der Bildfläche verschwand. Für die Datierung nutzten Hoffmann und sein Team Kalkkrusten, die sich im Laufe der Jahrtausende auf den geometrischen Zeichnungen, Punktklecksen oder Handabdrücken in den Höhlen von La Pasiega, Maltravieso und Ardales gebildet hatten. Die Kunstwerke selbst wurden bei der Kalkentnahme nicht beschädigt. Anschließend unterzogen die Forscher die Proben einer Uran-Thorium-Datierung, das heißt, sie ermittelten das Verhältnis der im Kalk enthaltenen radioaktiven Elemente Uran und Thorium, das sich mit der Zeit durch den Zerfall von Uran-Isotopen zugunsten des Thoriums verändert. So ließ sich das Alter der Felskunstwerke in den drei Höhlen mit größtmöglicher wissenschaftlicher Präzision ermitteln: Es beträgt mindestens 64 000 Jahre. Folglich können die Malereien in den untersuchten Höhlen mit großer Sicherheit dem damals in diesem Gebiet lebenden Neandertaler zugeschrieben werden. „Das ist eine unglaublich spannende Entdeckung“, findet Chris Standish von der University of Southampton, der als Co-Autor an Hoffmanns Studie beteiligt war. „Die Felsbilder, die wir datiert haben, sind die mit Abstand ältesten bekannten Höhlenmalereien der Welt.“ Ihre Existenz beweise, dass schon die Neandertaler die Fähigkeit zum abstrakten künstlerischen Denken besaßen.
Spuren des Feuermachens Frühere archäologische Funde hatten bereits belegt, dass die Neandertaler Feuer nicht nur zu nutzen, sondern auch zu entfachen wussten: Vor mindestens 170 000 Jahren härteten sie bereits einfache Holzwerkzeuge in den Flammen. Vor spätestens 50 000 Jahren besaßen sie sogenannte „Steinzeit-Feuerzeuge“. Bei diesem Verfahren schlägt man einen Faustkeil aus Feuerstein gegen ein Stück des eisenhaltigen Minerals Pyrit. Das so erzeugte Funkensprühen bringt dürre, trockene Zweige zum Glühen und entfacht schließlich ein offenes Feuer. Der Anthropologe Andrew Sorensen von der niederländischen Universität Leiden untersuchte knapp 30 im heutigen Frankreich und in den Niederlanden gefundene Faustkeile und fand daran verräterische Gebrauchsspuren. „Man sieht
C-förmige Schlagspuren, aber auch parallele Kratzer in Längsrichtung der Faustkeile sowie Reste von Mineralabrieb auf der Oberfläche“, so der Forscher und erklärt dazu: „Der Faustkeil war das Schweizer Taschenmesser der Neandertaler. Sie nutzten ihn für alles. Aber nur das Feuermachen mit Pyrit hinterließ genau dieses Muster von Gebrauchsspuren.“
Frühes Animations-Kino Die Erforscher der Steinzeitkunst stießen vor einiger Zeit darauf, dass die Flammen für die steinzeitlichen Erschaffer und Betrachter von Kunst mehr als eine einfache Beleuchtung gewesen sein könnten. In manchen Fällen diente das Feuer vermutlich als ein bewusst eingesetzter Bestandteil komplexer Kunstinstallationen, die ihre volle Wirkung erst vor dem Effekt ständig wechselnder Lichtverhältnisse entfalteten. Das ermittelte ein Forscherteam unter Leitung des Archäologen Andy Needham von der britischen University of York anhand von 50 sogenannten Plaketten. Dieser archäologische Fachbegriff steht für lose, abgeflachte Kalksteine, in die steinzeitliche RitzKunstwerke – häufig Tiermotive – eingebracht sind. In einer aufwendigen Versuchsreihe fanden die Forscher Folgendes heraus: Wenn man diese Kunstwerke in unmittelbarer Nähe eines tanzenden Lichtscheins platzierte, etwa als Begrenzungssteine für ein schlichtes Lagerfeuer am Boden, wirkten die Motive durch das Zusammenspiel mit dem Flackern der Flammen besonders dynamisch und lebendig. Sie ließen im Kopf des Betrachters ein regelrechtes Animations-Kino ablaufen. Die Plaketten, die das Team für seine Forschungen nutzte, wurden in der Nähe von Montastruc in Südfrankreich gefunden und stammen aus der jüngeren eurasischen Altsteinzeit (etwa 45 000 bis 9500 v. Chr.). Sie dürften also bereits vom Homo sapiens herrühren und nicht mehr vom Neandertaler und stellen möglicherweise eine künstlerische Weiterentwicklung der ersten gefundenen Steinzeitkunst dar.
Das Feuerzeug der Steinzeit: Gegen eisenhaltiges Gestein geschlagen, ließ der Faustkeil aus Feuerstein Funken sprühen.
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Steinzeitliche Ritz-Kunst wurde auf abgeflachten Steinen gefunden, die an Feuerstellen lagen.
Needham und seine Teamkollegin Izzy Wisher vom Institut für Archäologie der University of Durham hatten für ihre Studie mithilfe von 3D-Scannern und 3D-Druckern exakte Nachbildungen der Plaketten erstellt. Diese Duplikate setzten sie dann dem simulierten Schein eines Feuers aus. Die Forscher nutzten modernste Technologien wie Virtual Reality, um die vielfältigen visuellen Effekte von Flammenschein Im Experiment zeigte sich, dass das Licht des Feuers auf den darum gruppierten gravierten Steinen einen wohl beabsichtigten Effekt erzeugte.
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Sieg über das Dunkel | Höhlenkino im Flackerlicht
unter verschiedenen Wind- und Luftzugverhältnissen genau zu reproduzieren. Was Needham bei diesen Versuchen sah – oder besser: was er zu sehen glaubte –, brachte ihn zum Staunen. „Es wurde deutlich, dass die sanfte dynamische Lichtquelle die eingravierten Formen animiert erscheinen ließ“, beschrieb er den Effekt in der im Fachmagazin Plos One erschienenen Studienarbeit. Dahinter dürfte eine einfache Sinnestäuschung stecken, erzielt durch den flackernden Feuerschein: „Die menschliche Neurologie ist darauf abgestimmt, wechselnde Lichtverhältnisse als Bewegung zu interpretieren“, so Needham. Je nach Entfernung und Winkel zur Feuerstelle spielte sich demnach vor dem Auge des Betrachters ein, wenn auch rudimentärer, Trickfilm ab. Für eine absichtsvolle Kombination von Steinen und Feuer spricht auch, dass viele der gravierten Originalsteine eigentümliche rötliche Flecken aufweisen. „Es erschien zumindest möglich, dass die auf einigen Plaketten sichtbaren Hitzespuren nur zufällig verursacht wurden. Doch aus unseren Experimenten mit
Die Malerein in tiefen, dunklen Höhlen und auf hohen Wänden und Decken herzustellen, muss Teamarbeit gewesen sein.
den Replikationen geht hervor, dass sie eher darauf zurückzuführen sind, dass die Plaketten sehr dicht bei einem Feuer positioniert waren“, so Needham. Denn derlei rötliche Verfärbungen entstehen nur, wenn bestimmte Substanzen im Kalkstein auf sehr hohe Temperaturen treffen. Spuren wie diese legen also nahe, dass die Steine bewusst in unmittelbarer Nähe zu einem Feuer platziert und dem Feuerschein ausgesetzt worden waren. Verstärkt wurden die Animations-Effekte dadurch, dass die steinzeitlichen Gestalter offenbar gezielt das Relief der Gesteinsoberflächen in ihre Darstellungen mit einbezogen hatten, etwa indem sie die Rückenkontur eines Tieres entlang einer länglichen Erhebung verlaufen ließen und so eine Kontraststeigerung durch Schattenwurf erreichten: „Wir wissen, dass das Spiel von Licht und Schatten die menschliche Neigung verstärkt, Formen und Gesichter in unbelebten Objekten zu sehen“, erklärt Needham. „Das könnte
auch erklären, warum bei vielen Plaketten die natürlichen Merkmale des Gesteins ausgenutzt wurden, um Tiere oder künstlerische Formen darzustellen.“ Izzy Wisher, Co-Autorin der Studie, zieht aus den Untersuchungen der Plaketten zusätzlich Rückschlüsse auf die Bedeutung, die das vom brennenden Holz freigesetzte Licht und die gleichzeitige Heizwirkung für das Sozialleben in der Steinzeit spielte: „Unsere Ergebnisse untermauern die Annahme, dass das warme Feuer den Mittelpunkt einer Gemeinschaft bildete und es dazu diente, sich dort zu treffen, einander Geschichten zu erzählen – und sich künstlerisch auszudrücken.“ Ob vielleicht doch auch schon die Neandertaler solche Lichtspiele kannten und einsetzten, liegt für die Forscher bislang noch im Dunkeln. Die Originale der untersuchten Plaketten jedenfalls befinden sich im Besitz des British Museum in London, wo man sie auch besichtigen kann.
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Das offene Herdfeuer für Wärme, Licht und Essenszubereitung. Eine Szene aus dem mittelalterlichen Tacuinum Sanitatis, Handbuch der Gesundheit.
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Sieg über das Dunkel
Das finstere Mittelalter War das „finstere Mittelalter“ auch im buchstäblichen Sinne dunkel? Es gab im Mittelalter verschiedene Leuchtmittel, doch sie waren eine Frage des Geldes.
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as Bild vom finsteren Mittelalter hält sich hartnäckig, obwohl Historiker diese Zeit heute differenzierter sehen. Doch schon die Menschen der Renaissance grenzten sich mit der Wiederbelebung des Glanzes der Antike von den „dunklen Jahrhunderten“ ab. Die Vertreter der Aufklärung setzten später ganz auf die Lichtmetapher und proklamierten das Licht der Vernunft und des Fortschritts gegen das Dunkel aus Unwissen und Rückständigkeit. Im Englischen heißt die Epoche entsprechend Age of Enlightenment (Epoche der Erleuchtung), im Französischen Epoque des Lumières (Epoche der Lichter). Doch jenseits der vermeintlich geistig-kulturellen Finsternis des Mittelalters war es im direkten Wortsinn im Europa dieser Zeit, verglichen mit anderen Regionen, auch nicht dunkler. „Man kann davon ausgehen, dass in mittelalterlichen Haushalten der mit Holzfeuer betriebene offene Herd in der Stube bis ins 12. Jahrhundert hinein die Lichtquelle und der soziale Mittelpunkt war“, sagt Fabian Brenker. Der schwäbische Archäologe ist Kurator des Kunsthistorischen Museums in Wien und Experte für mittelalterliche Leuchtmittel im deutschsprachigen Raum. „Eine Zäsur gab es ab dem Hochmittelalter, als nach und nach der Kachelofen Einzug hielt“, fährt er fort. Diese geschlossene Gerätschaft war wesentlich sicherer als offenes Feuer und hielt den Rauch fern. „Gleichzeitig aber trennte der Kachelofen Wärme und Licht“, verweist der Forscher auf eine entscheidende Veränderung: „Deshalb kamen nun explosionsartig alle möglichen Beleuchtungsgeräte auf: Kerzenständer, Keramikschälchen für den Gebrauch als Öllampen oder einfache Holzspäne.“ Archäologische Funde und sonstige Relikte, etwa in Form von bronzenen Kandelabern (Leuchtern) oder schmiedeeisernen Lampenhaltern, deuten vor allem auf Kerzen und Öllampen hin, die zumindest betuchteren Schichten die Stunden nach Einbruch der
Dunkelheit erhellten. „Allerdings ist die Quellenlage stellenweise dünn“, erklärt Fabian Brenker: „Das Mittelalter ist ja ein riesiger Zeitraum, ich persönlich lasse es um 800 beginnen. Gerade das frühe Mittelalter ist mit Blick auf die Beleuchtung archäologisch schwer greifbar, weil es seit der Christianisierung einerseits kaum mehr Grabbeigaben gab und die meisten frühmittelalterlichen Siedlungen andererseits nur wenig Verwertbares hinterlassen haben.“ Erst für die Zeit ab dem 12. Jahrhundert kann die Wissenschaft heute mehr Licht ins Dunkel bringen: „Nun kamen schriftliche Quellen wie Zollprotokolle, Rechnungsbücher und höfische Epen auf, die beispielsweise den Kauf von Bienenwachs und Dochtmaterial zur Herstellung von Kerzen belegen“, weiß Brenker. „Auch die Kunst liefert uns Belege in bildlicher Form. Ansonsten gewinnen wir Informationen vor allem aus Erzählungen, in denen Beleuchtung allerdings nur vorkommt, wenn sie für die erzählte Handlung wichtig ist.“ All diese Quellen zeugen jedoch kaum vom Leben des kleinen Mannes. „Über die Leuchtmittel der einfachen Menschen des Mittelalters wissen wir sehr wenig“, räumt Brenker ein. Es sei denkbar, dass diese mit Einbruch der Dunkelheit zu Bett gegangen seien, um dann mit der aufgehenden Sonne wieder aktiv zu werden. Schließlich waren Bienenwachs, aber auch pflanzliche Öle, für den Betrieb von Lampen im Mittelalter extrem kostbar. Gleichzeitig lebten viele Menschen jener Zeit nahe am Existenzminimum, was den Archäologen zu der Frage bringt: „Warum sollte jemand, bei dem die Mittel kaum für Nahrung reichten, sich teures Bienenwachs für Kerzen leisten – oder essbares Öl für Beleuchtung verschwenden?“
Von Rolf Heßbrügge
Fackeln und Lampen mit Tradition Technologische Innovationen in puncto Beleuchtung brachte das Mittelalter mit Ausnahme von höhen-
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Die Römer brachten bei ihrer Expansion nach Norden Öllampen mit, für die Olivenöl verwendet wurde. Im Mittelalter wurde die Beschaffung von Olivenöl aus Italien jedoch schwierig und teuer.
verstellbaren Metallständern für Öllampen nicht hervor. Die Lichtquellen selbst reichten ausnahmslos bis in die Antike zurück: „So nennt bereits die Bibel Fackeln und Kerzen im Kontext mit der Verhaftung Jesu“, referiert Fabian Brenker. Öllampen hatten sich nachweislich schon im 6. Jahrhundert v. Chr. im alten Griechenland etabliert und wurden später auch von den Römern genutzt, die diese Lichtquellen in ihren germanischen Provinzen verbreiteten. Öllampen waren auch im Mittelalter noch meist aus Keramik, seltener aus Metall, Stein oder Glas gefertigt. Sie bestanden aus kleinen Ölschalen, aus denen ölgetränkte Dochte hervorlugten, die als Träger für das Brennmaterial dienten. Dass derlei Gegenstände Lampen waren, können Archäologen heute anhand von charakteristischen Rußspuren ermitteln. Was genau in den Lampen verbrannt wurde, lässt sich aber nur selten durch chemische Analysen feststellen.
Die Dochte für die Öllampen, aber auch für Kerzen, wurden aus sogenanntem Werg (auch: Werch oder Werrich) gefertigt; so bezeichnete man grobe Faserreste, etwa von Hanf oder Flachs, die bei der Produktion von Langfasern für Kleidung oder Seile anfielen. Der Docht einer Öllampe reichte bis weit in die Ölschale hinein. Er diente hauptsächlich als Träger des Brennstoffs, brannte jedoch allmählich auch selbst herunter. Hatte man das verkohlte Ende mehrfach entfernt, musste er ersetzt werden. Öllampen wurden im Hochmittelalter auch als mobile Leuchtmittel eingesetzt. Darauf deutet ein Fund von der Burg Nänikon im Kanton Zürich hin: Die runde Blechschale weist einen hohen Rand sowie einen kantartigen seitlichen Tragebügel mit genieteter Lagerung im Schalengehäuse auf und eignet sich so zum Tragen mit einer Hand. Das Objekt dürfte aus dem 13. Jahrhundert stammen. Fragmente eines ganz ähnlichen Gegenstandes, gefunden in der Burg Füllinsdorf im Umland von Basel, werden sogar ins 11. Jahrhundert datiert. Als Brennstoff für Öllampen hatte man in antiken Zeiten vorrangig Olivenöl genutzt, das aus mediterranen römischen Provinzen – meist aus dem heutigen Spanien – importiert wurde. Der Transport der Öl-Amphoren über See- und Flussrouten in die germanischen Provinzen dauerte Wochen und war dementsprechend teuer. An der Verwendung von Olivenöl, den Handelswegen und dem hohen Preis hatte sich Auf dem Holzschnitt aus dem 16. Jahrhundert halten eine Frau und ein Mann Kienspäne mit dem Mund, weil sie die Hände zum Arbeiten brauchen.
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im Mittelalter nichts geändert. Noch im Hochmittelalter galten derlei Lichtquellen deshalb als Privileg des Adels und des Klerus. Erst spätmittelalterliche Quellen nennen vermehrt die Produktion regionaler Pflanzenöle, was den Betrieb von Öllampen vermutlich auch für weniger privilegierte Stände erschwinglich werden ließ. Öllampen aus Glas, die hängend an Wänden – auf zeitgenössischen Abbildungen häufig über dem Kopfende eines Bettes – oder unter Decken befestigt wurden, kamen allmählich ab dem 12. und 13. Jahrhundert auf. Sie waren meist rund, recht bauchig, und man geht davon aus, dass sich in ihrem Innern Wasser sowie – obenauf schwimmend – eine Schicht Öl befand, das abgebrannt wurde. Das Glas brach den Feuerschein, streute das Licht gleichmäßig in die Umgebung und dank des transluzenten Glases, Wassers und Öls auch nach unten. So konnten auch größere Räume nach Einbruch der Dunkelheit passabel ausgeleuchtet werden.
Alternativen fürs einfache Volk Als billige, aber wenig ergiebige und extrem kurzlebige Lichtquelle fürs Volk diente bis ins Spätmittelalter der sogenannte Kienspan: ein herausgespaltenes, etwa zwanzig Zentimeter langes Stück aus stark harzhaltigem (Nadel-)Holz, beispielsweise aus der namengebenden Kiefer, das nach der Entzündung einige Minuten leuchtete, ehe es heruntergebrannt war. Der fahle Schein eines Kienspans genügte, um einen kleinen Arbeitsbereich, etwa einen Tisch, zu erleuchten. Fabian Brenker nennt einen zusätzlichen Vorteil dieser Gerätschaft: „Man konnte Kienspäne im Mund tragen und hatte derweil beide Hände frei. Davon zeugt ein Holzschnitt aus dem 16. Jahrhundert, der einen Gefäße tragenden Mann und eine spinnende Frau zeigt, die jeweils einen brennenden Span im Mund halten.“ Nachweise für den Gebrauch von Kienspänen sind ansonsten recht dünn. Die Hölzchen hatten aufgrund ihrer biologischen Abbaubarkeit kaum eine Chance, als archäologisch identifizierbare Funde zu überdauern: „Es gibt lediglich einige wenige gut konservierte Kienspäne aus Nürnberg, die aus dem 15. Jahrhun-
Kerzenverkauf im 14. Jahrhundert, dargestellt im Tacuinum Sanitatis, Handbuch der Gesundheit.
Der Elefantenleuchter aus Bronze stammt aus dem 12. Jahrhundert.
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Kerzenlicht in der gotischen Kathedrale Saint-Gatien im französischen Tours.
dert stammen“, erläutert Brenker. „Die herausragende Rolle, die der Kienspan bei der Beleuchtung für das einfache Volk gespielt haben dürfte, wird im Wesentlichen aus einigen wenigen zeitgenössischen textlichen Quellen ersichtlich.“ Für den Kienspan sind ab dem 13./14. Jahrhundert auch Haltevorrichtungen wie die tönernen „Maulaffen“ nachgewiesen: kleine Köpfchen aus Keramik, denen man Kienspäne waagerecht in den Mund stecken konnte. Für Lampen wurde eine kostengünstigere Alternative gefunden, indem man sie statt mit Öl mit Talg befeuerte. Das Fett, gewonnen aus den „Abfällen“ von Schlachtvieh wie Rind oder Schaf, fiel wie alle brennbaren tierischen Produkte unter den Sammelbegriff „Unschlitt“. Talg ließ sich auch für Kerzen verwenden, da Talg ein Feststoff ist und erst ab 38 bis 48 Grad schmilzt.
Wachs – ein teures Handelsgut der Hanse Der Rohstoff Wachs gelangte im 12. und 13. Jahrhundert von Nordosteuropa her im größeren Stil ins heu-
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tige Deutschland und war eine lukrative Handelsware der deutschen Hanse. Von Norddeutschland aus wurde das Wachs dann beispielsweise über den Rhein weiter verschifft. Zur Kerzenherstellung wurde das Wachs geschmolzen, in dünne Platten gegossen und anschließend, noch halbweich, per Hand um den Docht gerollt. Viele Höfe beschäftigten hierzu eigene Lichtermacher. „Allerdings“, so Brenker, „sind Kerzen über weite Strecken des Mittelalters wohl vor allem dem kirchlichen Bereich zuzuschreiben.“ Wie kostbar Kerzen, erst recht aus Bienenwachs, im Mittelalter waren, belegt eine Passage aus dem ordensinternen Regelwerk der Templer (1118 bis 1312), denen es untersagt war, bei einem Wettschießen mehr als zehn Kerzenstümpfe als Preis auszusetzen. Wachs war in Westeuropa vermutlich auch deshalb so teuer, weil es aufgrund des starken Waldrückgangs im Mittelalter – unter anderem infolge des immensen Bedarfs an Bau- und Brennholz – immer weniger Waldbienen gab. So musste das begehrte Gut aufwendig aus Osteuropa importiert und auf
den Märkten hierzulande teuer bezahlt werden – erst recht, wenn das Wachs gebleicht war, denn weiße Kerzen galten als vornehmer als gelbe. Die Kunst des Wachsbleichens war in Venedig bereits im 11. Jahrhundert bekannt, im deutschsprachigen Raum hielt sie erst im 13./14. Jahrhundert Einzug.
Grenzen des Lichts Der Magdeburger Lektor Bartholomaeus Anglicus empfahl im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts, für ausladende abendliche Essgelage ausreichend Kandelaber und Bienenwachskerzen vorzuhalten, um auch im Dunkeln noch die reich gedeckte Tafel überblicken und sein Gegenüber erkennen zu können. Allerdings fand Fabian Brenker heraus, dass sich in zeitgenössischen Erzählungen oder Abbildungen kaum Beleuchtungsgegenstände auf Esstischen befanden: „Eher sind Kandelaber im Umfeld des Betts beschrieben worden.“ Mit Kerzenlicht ganze Räume, geschweige denn Säle oder gar Kirchenschiffe komplett auszuleuchten,
vermochten selbst mehrarmige Kerzenleuchter kaum, wie Fabian Brenker aus praktischen Experimenten weiß: „Der Schein einer Kerze genügt gerade so, um zu viert ein Würfelspiel an einem kleinen Tisch spielen zu können, zum längeren Lesen reicht das Licht aber kaum aus. Auch sonst brachten die Beleuchtungsmöglichkeiten im Mittelalter, verglichen mit der heutigen Zeit, etliche Einschränkungen mit sich: Licht zu machen bedurfte immer einer gewissen Vorbereitung. Zudem konnte man den Schein von Kerzen, Öllampen oder auch Kienspänen kaum nach unten lenken. Wenn man also abends in einer Truhe nach etwas suchte, spielte die haptische Wahrnehmung eine viel größere Rolle als die optische.“ Mit Fackeln, für die man einen Holzstiel mit Wachs überzog und entzündete, ließ sich zwar ein hellerer Flammenschein erzielen, doch die Fackeln waren durch ihre großen Flammen brandgefährlich. Sie eigneten sich nur für den Außenbereich, wo sie auch den Vorteil hatten, dass ihr Feuer relativ windbeständig war. Denkbar scheint deshalb, dass die mittelalterlichen Stadtwachen, die abends durch die Straßen patrouillierten und die Menschen zum Löschen der Herdfeuer und anderer möglicher Brandquellen aufforderten, im Fackelschein operierten. Brenker hält dies jedoch für unwahrscheinlich: „Fackeln wären aufgrund ihrer großen, offenen und nicht gut kontrollierbaren Flamme eine zu große Gefahr für die engen mittelalterlichen Siedlungen gewesen, die ja zum Großteil aus Holz und Stroh gebaut waren. Ich glaube deshalb eher, dass die Nachtwächter Laternen mitführten: Kerzen, windgeschützt durch lichtdurchlässiges Material wie dünne Hornscheiben oder auch Glas.“
Die Flammen von Fackeln sind groß und halten auch einem Windstoß stand. Doch sie sind auch brandgefährlich.
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Leuchtfeuer des Fortschritts Neben den „Klassikern“ wie der Fackel und der Glühbirne hat der Mensch im Laufe der Geschichte noch viele Lichtquellen verwendet. Jede für sich spiegelt ein Stück des technologischen und gesellschaftlichen Wandels wider, den die Menschheit von der Steinzeit bis zum Ende des 20. Jahrhunderts durchlaufen hat. Von Aurelia Eberhard
Feuer und Flamme seit der Steinzeit Das offene Feuer kannten bereits unsere fernen Vorfahren, daneben ist wohl der Kienspan eines der ältesten Beleuchtungsmittel. Als günstige Alternative zur Kerze war er bis Anfang des 19. Jahrhunderts in Mittel- und Nordeuropa weit verbreitet. Die stark harzhaltigen Späne wurden meist aus Kiefernholz hergestellt.
Kerze: 1000 v. Chr.. Die Erfindung der Dochtkerze gelangg zeitgleich unabhängig voneinander ann verschiedenen Orten, so tauchte mann bereits um 1000 v. Chr. Papyrusrollen inn Talg und Bienenwachs. Kerzenähnlichee Gegenstände werden seit über 5000 Jahrenn als Lichtquelle verwendet. Die ältestenn erhaltenen Bienenwachskerzen nördlich derr Alpen stammen aus dem 6. bis 7. Jahrhun-dert n. Chr. und wurden im Gräberfeld vonn Oberflacht gefunden..
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Öllampe: 15 000 v. Chr. In Frankreich entdeckte man in der Höhle von Lascaux eine aus rotem Sandstein gefertigte Schale – die bisher älteste Öllampe der Welt. Über die Jahrtausende entwickelten sich die Öllampen zu geschlossenen Gefäßen mit Ausguss. Ein wesentlicher Schritt war die Entdeckung von Pflanzenöl als Brennstoff.
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Sieg über das Dunkel | Leuchtfeuer des Fortschritts
Leuchtturm: 280 v. Chr. Angeblich soll der Koloss von Rhodos als Leuchtturm gedient haben. Der erste tatsächlich nachgewiesene Leuchtturm ist der Pharos von Alexandria, das jüngste der sieben Weltwunder der Antike. An seiner Spitze brannte ein großes offenes Feuer, wahrscheinlich mit Holz und Schilf als Brennmaterial, hinter dem ein Reflektor aus polierter Bronze angebracht war.
Tranlampe mit Walöl: 1780er Die Inuit verwenden schon seit Jahrhunderten Öllampen, in denen Robben- oder Walöl verbrannt wird. Im 18. und 19. Jahrhundert waren Tranlampen auch in europäischen und nordamerikanischen Städten weit verbreitet, weshalb der Walfang stark ausgebaut wurde – was die Walbestände drastisch dezimierte. Die Gestaltung der Lampen reichte von einfacher Tonware zu kunstvoll gefertigten Glasbehältern. Im späten 19. Jahrhundert wurde der Tran zunehmend durch Petroleum ersetzt, das aus Erdöl gewonnen wird.
Kohlebogenlampe: 1802 Ausgehend von seiner Entdeckung des Lichtbogens entwickelte Sir Humphry Davy die Kohlebogenlampe – die erste elektrische Lichtquelle, die über längere Zeit hell leuchten konnte. In ihr fließt der Strom zwischen zwei Grafitelektroden durch die ionisierte Luft und erzeugt so eine leuchtende Gasentladung. Heutzutage kommen Lichtbögen vor allem beim Schweißen, der Stahlherstellung und in Schauexperimenten zum Einsatz.
Gaslampe: 1785 Als Erfinder der Gaslampe gilt der niederländische Wissenschaftler Johannes Petrus Minckeleers, der das nötige Leuchtgas aus Steinkohle extrahierte. Im frühen 19. Jahrhundert verbreitete sich die Technik als neue Form der Straßenbeleuchtung rasant in allen Großstädten dieser Welt. In London brannten ab 1807 die ersten Gaslaternen, in Deutschland erstrahlten sie erstmals 1812 im sächsischen Freiburg. Mit der Entwicklung des Glühstrumpfs, eines feinmaschigen Netzes aus Metalloxiden, im Jahr 1885 konnte die Leuchtkraft von Gaslampen stark erhöht werden.
Modernes Feuerzeug: 18233 Das erste moderne Feuerzeug, das Platinfeuerzeug, wurdee vom deutschen Chemiker Johann Wolfgang Döbereinerr entwickelt und verbrannte Wasserstoffgas, das aus einerr Reaktion von Zink und Schwefelsäure entstand. Durch diee m automatische Zündung konnte das Gerät mit nur einem Handgriff zum Öffnen des Ventils eingeschaltet werden. Derr Wasserstoff entwich dann über ein poröses Stück Platin.. Dadurch wurde die Reaktion mit Luftsauerstoff angeregt,, wobei Wärme entstand, die das Gasgemisch entzündete..
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Streichholz: 1826 Der englische Apotheker John Walker entdeckte per Zufall, dass sich eine Mischung aus Schwefelantimon und Kaliumchlorat durch Reibung an einer rauen Oberfläche entzünden lässt und entwickelte daraus das erste echte Streichholz. Da er seine Erfindung nicht patentieren ließ, wurde er bald von Nachahmern wie Samuel Jones verdrängt, der die neue Zündtechnik mit seinen Lucifer-Streichhölzern allgemein bekannt machte.
Gasentladungsröhre: 1857 Die geißlersche Röhre wurde als erste Gasentladungslampe in vielen kunstvollen Formen und Farben hergestellt, um die neue Welt der Elektrizität zu bewerben. Erfunden wurde sie von dem Glasbläser Heinrich Geißler, und sie ist bis heute in verschiedenen weiterentwickelten Formen als Lichtquelle im Einsatz, etwa als Leuchtröhre, Leuchtstofflampe oder Metalldampflampe. Verwendet werden unter anderem Quecksilber, Natrium und Halogene. Je nach Füllung des Entladungskolbens leuchten Entladungslampen in verschiedenen Farben.
Elektrische Straßenbeleuchtung: 1879 Ab Mitte des 19. Jahrhundert wurden in Paris und London erste Lichtbogenlampen als Straßenbeleuchtung eingesetzt. In Berlin installierte Ernst Werner Siemens 1879 die erste elektrische Laterne, die jedoch beim Test versagte. So erstrahlte der Pariser Platz am Brandenburger Tor erst ein Jahr später im neuen Licht. Allerdings waren nur wenige Bürger von der Technik überzeugt, da viele das Licht als zu grell empfanden.
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Infrarotkabine: 1891 John Harvey Kellogg gilt als Miterfinder von Cornflakes und Erdnussbutter. Weit weniger bekannt ist seine Erfindung der Infrarotwärmekabine, in der ein Mensch durch Infrarotstrahlung erwärmt wird. Eine Lichttherapie in seinem sogenannten „Electric Light Bath“ sollte verschiedene Beschwerden wie Diabetes und Rheuma lindern. Seit einigen Jahren sind Infrarotkabinen als Alternative zur Sauna sehr beliebt, wobei die Strahlung nachweislich bei Schuppenflechte, Akne und Schlafstörungen hilft.
Bildschirm: Bild hi 1897 Der Ursprung des Bildschirms liegt in der Erfindung der Kathodenstrahlröhre durch den deutschen Physiker Ferdinand Braun. In der Röhre wird ein gebündelter Elektronenstrahl erzeugt, der durch elektrische und magnetische Felder abgelenkt wird, und beim Auftreffen auf einen fluoreszierenden Leuchtschirm ein Bild produzierte. Die Bildschirme wurden vor allem zur Anzeige von einfachen Grafiken verwendet, bevor sie unter anderem zu Fernsehgeräten weiterentwickelt wurden.
Bosch-Licht: 1913 Die Brandgefahr, die von den Scheinwerfern früher Automobile ausging, war nicht zu unterschätzen: Die ersten Autos nutzten noch Kerzen zur Beleuchtung, darauf folgten Gas-Karbidlampen. Erst 1913 brachte die Firma Bosch mit einem Generator Strom für Scheinwerfer ins Auto. Das „BoschLicht“, das erste elektrische Lichtsystem aus Scheinwerfer, Lichtmaschine, Batterie und Reglerschalter war geboren.
Taschenlampe: 1898 Drei Trockenbatterien in einer Papprolle, an deren einem Ende eine Glühbirne und ein Messingreflektor befestigt war: so baute der Brite David Misell die erste Taschenlampe. In den USA, wo Misell lebte und sein Patent anmeldete, wurde die Erfindung als „flash light“ bekannt, da sie aufgrund der noch zu schwachen Batterien nur kurz aufleuchten konnte. Bereits 1899 wurde die Erfindung unter dem Namen „Ever Ready“-Taschenlampe auf den Markt gebracht.
LLichtzeiger: 1950err dern r Laserpointers warenn Vorläufer des modernen sogenannte Lichtzeiger. Die modifizierten Taschen-lampen besaßen statt eines Hohlspiegels einee Linse, die zum Scharfstellen verschoben werdenn konnte. Wie ein einfacher Diaprojektor projiziertee der Lichtzeiger ein Pfeilsymbol. Manche Modellee verwendeten Spezialglühbirnen, bei denen derr Glühdraht selbst eine Pfeilform hatte..
Elektr Elektrische Verkehrsampel: 1914 Die erste erst Signalanlage, die Licht zur Regelu Regelung des Straßenverkehrs verwendete, w wurde 1868 vor dem britischen Parlam Parlamentsgebäude aufgestellt. Allerdings eexplodierte die gasbetriebene Ampel schon nach kurzer Zeit. Erst 1914 wurde in Cleveland im US-Bundesstaat Ohio die di erste elektrische betriebene Verkeh Verkehrsampel der Welt installiert – damals nur mit einer roten und einer grünen Lampe. Als heutiges Wahrzeichen Be Berlins und erste elektrische Ampel Deutschlands wurde von Siemens 11924 ein fünfeckiger Ampelturm auf dem Potsdamer Platz errichtet.
Tritiumgaslichtquelle: 1953 Seit der Entdeckung der Radioaktivität wurde Radiolumineszenz bei Uhrzeigern und Kompassnadeln, Fluginstrumenten und anderen Geräten ausgenutzt, die in der Dunkelheit leuchten sollten. Dabei erzeugt eine radioaktive Quelle durch ihre Strahlung in einem Leuchtstoff Licht. Die ersten Leuchtfarben enthielten Radium, später Promethium. 1953 wurde in den USA die Idee zur Verwendung von Tritium patentiert. Tritiumgaslichtquellen werden bis heute in verschiedenen „Glow-inthe-dark“-Produkten genutzt, jedoch zunehmend von anorganischen Nachleuchtpigmenten abgelöst.
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Thomas Alva Edison in seinem Labor, ein später nachkoloriertes Foto aus dem Jahr 1910.
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Die Evolution des elektrischen Lichts Wer an das erste elektrische Licht denkt, denkt meist an Thomas Alva Edison. Der US-Ingenieur hatte jedoch viele Vordenker und Konkurrenten und nach ihm wurde sein Produkt mehrfach revolutioniert – bis hin zur heutigen LED-Technologie.
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rank Dittmann schmunzelt über die so oft gestellte Frage nach dem wahren Erfinder. „Das elektrische Licht hat viele Väter“, sagt er, „aber egal wie man die Geschichte erzählt, irgendwann landet man dann doch bei Edison.“ Dittmann weiß, wovon er spricht, denn er ist Technikhistoriker und Kurator im Deutschen Museum in München, wo er unter anderem die Fachbereiche Energie- und Starkstromtechnik verantwortet. „Thomas Alva Edison hat das elektrische Glühlicht nicht unbedingt erfunden“, erklärt der Experte, „aber er hat alles zusammengebracht, was man an technischem Know-how und an Infrastruktur dafür brauchte. Zudem hat er viele Komponenten so weiterentwickelt, dass elektrische Beleuchtungssysteme massenmarkttauglich wurden.“
Von der Gaslampe zur Glühlampe Der Vorläufer der elektrischen Glühlampe war die Gaslampe. Angeschlossen ans zentrale Gasnetz zur Heizungs- und Warmwasserversorgung, verbrannte sie in einem hitzebeständigen Glaskörper eingeleitetes Gas. Der Glaskörper brach das so freigesetzte Licht und streute es in den Raum. Ganz ähnlich sollte es später die elektrische Glühbirne tun – mit dem Lichtschein eines durch Stromzufuhr zur Weißglut gebrachten dünnen Fadens. Doch bis dahin war es ein weiter Weg. Erst seit Anfang des 19. Jahrhunderts war Elektrizität, wie man sie beispielsweise von Blitzeinschlägen kannte, für Menschen beherrschbar – dank der Voltaʼschen Säule, einer Frühform der Batterie. Nachdem Werner von Siemens 1866 die Dynamo-Maschine erfunden hatte und Elektrizität mithilfe von Wasserturbinen oder Dampfmaschinen auf wirtschaftliche Art erzeugt werden konnte, sahen Visionäre wie Edison einen grundlegenden Technolo-
giewandel heraufziehen: weg vom Gas, hin zu einer Elektrizität, die noch viel mehr Möglichkeiten bot als das Gas. Speziell das elektrische Licht war nach Edisons Auffassung die Schlüsseltechnologie, um die damaligen Hausbesitzer zum aufwendigen Verlegen von Kabeln und dem Einbau der nötigen Elektroinstallation zu bewegen. Denn die Vorteile gegenüber Gaslampen waren immens: weitgehende Geruchs- und Flacker-Freiheit sowie mehr Flexibilität bei den Standorten der Lampen, die man über Kabel einfach mit dem nächsten Stromanschluss verbinden konnte. Zudem galten elektrische Glühlampen als sicherer. Man hatte schlechte Erfahrungen gemacht, unter anderem mit Theaterbränden. Vor allem jener im Jahr 1881 in Wien, als ein gasbetriebener Leuchter in Brand geraten war, entfaltete eine starke Signalwirkung.
Von Rolf Heßbrügge
Ein Mann hält die Leiter für seinen Kollegen, der den Druck in einer Gasstraßenlaterne prüft. 1910 fotografiert.
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Historische Illustration einer Volta’schen Säule, der Frühform einer Batterie.
Elektrisches Licht auf der Expo 1878 Seit den 1870er-Jahren konnte man elektrisches Licht erzeugen. Als 1878 das Gelände der Expo in Paris mit strombetriebenen Lampen beleuchtet wurde, war dies eine Weltsensation. Die verwendete Lichtquelle auf Basis heller Kohlebögen hatte 1876 der russische Ingenieur Pawel Jablotschkow erfunden. Allerdings wies sie nur eine Betriebsdauer von rund 1,5 Stunden auf und spendete derart gleißendes Licht, dass sie ausschließlich für den Außengebrauch nutzbar war. „Edison und viele andere Erfinder sahen dennoch das Potenzial auch für private Haushalte“, erklärt Dittmann. „Sie sprachen von einer Teilung des Lichts – und wollten gemütlichere Lampen für kleinere Räume herstellen.“
Die Erfindung der Glühlampe und Edison Das Prinzip der Glühlampe hatte wohl der Brite Humphry Davy im Jahr 1802 zum Leben, oder besser: zum Leuchten erweckt. Es ist vermeintlich simpel: Elektrische Energie wird durch einen dünnen Faden, etwa aus Kohlenstoff, geleitet. Dieser beginnt dadurch zu glühen: Die Temperatur des Glühfadens kann je nach Diese von Edison entwickelte Glühbirne aus dem Jahr 1879 befindet sich heute im Deutschen Museum München.
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Material und Bauform etwa 1500 bis etwa 3400 Grad Celsius erreichen, sodass er gemäß des Planck’schen Strahlungsgesetzes elektromagnetische Strahlung im unsichtbaren Infrarot-, aber auch im sichtbaren Lichtbereich aussendet. „Die ersten praxistauglichen Glühlampen waren wirklich Hightech“, verrät Frank Dittmann: „Der Glühfaden durfte nicht zu dick sein, sonst glühte er rot. Zudem musste er temperaturbeständig sein.“ Edison versuchte, das Produkt zu optimieren und vor allem: langlebig zu machen. Dazu testete er rund 6000 verkohlte Pflanzenfasern, bis er auf eine besonders langfaserige Bambusart stieß, die – aufs Feinste aufgespalten – die Glühfäden bildete. Mindestens ebenso wichtig war die Glashülle: Sie sollte nicht nur das Licht brechen, sondern auch Sauerstoff vom Glühfaden fernhalten, damit dieser nicht durchbrennen würde. „Zum Vakuumieren brauchte man eine gute Vakuumpumpe“, erklärt Dittmann, „gleichzeitig musste man die Drähte zur Stromversorgung des Glühfadens so in den Glaskörper hineinführen, dass Letzterer nicht undicht wurde.“ Hier stand Edison vor dem wohl größten Problem, denn Glas und Drähte dehnten sich bei Wärme unterschiedlich stark aus, sodass die Glashülle an den
Durchführungen nicht dichthielt und Luft eintreten ließ, wodurch der Glühfaden verbrannte. Die Lösung lieferte ein aus Deutschland eingewanderter Mitarbeiter Edisons, der sein Know-how vom Bonner Instrumentenbauer Heinrich Geißler erworben hatte. „Geißler hatte das Problem gelöst, indem er Mehrschichtenglas aus verschiedenen Glassorten nutzte“, weiß Dittmann aus historischen Quellen: „Glasschicht für Glasschicht näherte er sich dem Ausdehnungskoeffizienten des stromführenden Drahtes an. Die letzte Schicht war in puncto Ausdehnung so nah am Draht, dass alles dicht blieb.“ Edison hatte sich seine Glühlampe früh urheberrechtlich schützen lassen. Das Basispatent unter der Nummer 223 898 („Electric Lamp“) war bereits am 27. Januar 1880 erteilt worden. Zwar gingen viele der darin enthaltenen Innovationen auf Mitarbeiter Edisons zurück, doch auch der Chef selbst „lieferte entscheidende Innovationsbeiträge“, so Dittmann, „etwa den Glühlampensockel mit Schraubgewinde, der – je nach Gewindegröße – bis heute verschiedene E-Bezeichnungen trägt.“ E wie Edison. Die optimale Lampe war jedoch nicht die einzige Herausforderung für Edison. Auf dem Weg zur flächendeckenden Versorgung ganzer Städte mit elek-
trischem Licht galt es, eine komplette Infrastruktur zu erdenken und dann auch aufzubauen. Letzteres war extrem teuer: Elektrizitätswerke und leistungsstarke Dynamos mussten her, ebenso ein Stromleitungsnetz, adäquate Sicherungen sowie Stromzähler. Edison und das Heer von Mitarbeitern, das inzwischen für ihn tätig war, sollten diese Entwicklung vorantreiben. In den 1880er-Jahren begann mit der Elektrifizierung von New York ein weltweites Pilotprojekt. 1911 betrieb die Edison Electric Illuminating Company of New York bereits 33 Kraftwerke, die 4,6 Millionen elektrische Lampen von 108 500 Kunden mit Strom versorgten. Für Edison war das wie eine Lizenz zum Gelddrucken. Bis zu seinem Tod im Jahr 1931 sollte er ein geschätztes Vermögen von rund 170 Millionen Dollar anhäufen. Nach heutigem Kaufkraft-Maßstab entspricht das etwa 20 Milliarden.
Technische Weiterentwicklungen Die Optimierung der Glühlampe schritt unterdessen immer weiter fort: Der österreichische Chemiker Carl Auer von Welsbach hatte bereits 1898 die erste Metallfaden-Glühlampe präsentiert. Als nächster Meilenstein gilt Auers ab 1906 unter dem Markennamen Osram präsentierte Idee, Glühfäden aus hoch schmelDie Edison Company errichtete 1882 das erste öffentliche Elektrizitätswerk in New York. Der Holzstich zeigt die Halle mit den sechs Dynamomaschinen.
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Links: Leuchtstoffröhren bereit zum Recycling. Seit September 2023 dürfen keine neuen mehr verkauft werden. Rechts: In Autoscheinwerfern bieten Halogenlampen größere Helligkeit und eine längere Lebensdauer als die vorherigen Glühlampen. Noch länger halten Xenonlampen. Doch auch in diesem Bereich geht der Trend mittlerweile zu LEDs.
zenden Metallen wie Osmium, Tantal oder Wolfram zu verwenden. „Die Schmelztemperatur von Osram beträgt beispielsweise 3410 Grad Celsius“, referiert Experte Dittmann und erklärt den Vorteil: „Je heißer ein Glühfaden wird, desto heller und tageslichtähnlicher sein Licht.“ Derweil brachte die Evolution des elektrischen Lichts auch andere Arten von Lampen hervor – die sich in ganz unterschiedlichen Lebensräumen behaupteten. War die Glühlampe auf Basis von Edison, Auer & Co. wegen ihres heimeligen, gelblich-weißen Lichts vor allem in privaten Wohnungen beliebt, suchte man nach Möglichkeiten für weithin sichtbare Lichtwerbung. Schon im 19. Jahrhundert hatte der bereits erwähnte Heinrich Geißler die erste Leuchtstoffröhre (auch: Neonröhre) gebaut – damals als bloßes Forschungsprojekt: Ein Edelgas im Inneren einer Glasröhre wurde durch zwei Elektroden zur Entladung und damit zum Leuchten angeregt. 1902 steigerte der US-Elektroingenieur Peter Cooper-Hewitt die Leuchtkraft dieses Lampenprinzips, indem er Quecksilberdampf statt Gas einsetzte. Das entstandene Licht war jedoch eher bläulich und eignete sich kaum zur Beleuchtung. Eine Lösung fand sich in den 1930er-Jahren, als man die Innenseite des Glases mit einer fluoreszierenden Substanz versah, die das blaue in gelblich-weißes Licht umwandelte. „Die Leuchtstoffröhren waren durch ihre länglichen
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Leuchtkörper dafür geeignet, auch große Flächen wie Fabriken auszuleuchten“, so Dittmann, „allerdings stört dieses Licht unser natürliches Farbempfinden.“ Zudem tendieren Leuchtstoffröhren zum Flackern, was nicht nur störend ist, sondern auch negativ auf die Gesundheit wirken kann: übermäßige Belastung der Augen, Kopfschmerzen bis hin zu Migräne. Viele Menschen lehnen deshalb Arbeitsplätze unter Neonlicht ab. Eine deutlich höhere Qualität bot die Halogenlampe: 1959 ließ sich General Electric die erste kommerzielle Version dieses Leuchtentyps patentieren. Die Halogenlampe ist die hellere und auch haltbarere Schwester der Glühlampe. Vorteil: „Sie repariert sich sozusagen selbst“, erklärt Frank Dittmann. „Die Halogenlampe vereint im Inneren einen Glühfaden und ein Gas aus Halogenverbindungen. Letzteres zerfällt bei Hitze und dadurch schlägt sich das verdampfte Glühfadenmaterial wieder an den besonders dünnen Stellen des Glühfadens nieder.“ Die recht teuren Halogenlampen werden dank ihres brillanten Lichts vor allem zur Ausleuchtung von Präsentationsflächen sowie in Autoscheinwerfern eingesetzt. Sie erreichen mit rund 20 Lumen/Watt auch eine doppelt so hohe Effizienz wie Glühlampen. Sie sind bis heute im Einsatz. Dagegen sind die Tage der Glühlampe vorbei. Das Prinzip von Davy, Edison & Co. hatte neben seiner begrenzten Leuchtstärke und Lebensdauer noch eine weitere, ganz entscheidende Schwäche: Die Glühlampe wandelte nur etwa drei Prozent der elektrischen Energie in sichtbares Licht um. Der bei Weitem größte Teil der Energie wurde im infraroten Bereich
als Wärme abgestrahlt, eine enorme Ressourcenverschwendung. Ab 2009 wurde die Glühlampe deshalb EU-weit schrittweise vom Markt genommen – Bühne frei für die Energiesparlampe. Die Nachfolgerin der Glühlampe folgte, wie die Leuchtstoffröhre, dem Gasentladungsprinzip: Die Energiesparlampe enthielt im Inneren eine gewundene Röhre mit Quecksilberdampf, der durch Stromzufuhr leuchtete. Der dazu nötige elektronische Startermechanismus im Sockel benötigte etwa eine Sekunde, um die Gasentladung zu starten, diese wiederum regte einen Leuchtstoff zum Leuchten an. Das Verfahren produzierte nur wenig Wärme und ermöglichte einen gegenüber der Glühlampe um rund 70 Prozent reduzierten Energieverbrauch. Doch das war nicht der einzige Vorteil: Die Energiesparlampe war wesentlich langlebiger als die alte Glühlampe, deren Wolframfaden, der, obwohl er später aus einer hitzebeständigeren Wolframlegierung gefertigt worden war, nach einer gewissen Zeit durchbrannte. Energiesparlampen, die dank gleicher Fassungen in dieselben Leuchtvorrichtungen geschraubt werden konnten wie die alten Glühlampen, kamen auf rund 10 000 Stunden Betriebsdauer – etwa zehnmal mehr als Glühlampen. Dennoch sollten sie ein Phänomen von nur kurzer Dauer sein. Seit dem 21. September 2021 dürfen auch sie europaweit nicht mehr in Umlauf gebracht werden. Neue Generationen von Leuchtmitteln wie LED (steht für Light Emitting Diode; deutsch: Licht aussendende Diode) und OLEDLampen (Organic Light Emitting Diode auf Basis von organischen Verbindungen) haben ihr den Rang als maximal effiziente Lichtquellen abgelaufen. (O)LED-Leuchten sind ein Produkt der Halbleiterforschung: Sie erzielen Licht nicht mehr über Wärme, sondern direkt – über sogenannte Elektronensprünge. Damit sparen sie gegenüber Glühlampen rund 90 Prozent an Energie. „LEDs gibt es schon seit 1962,“ weiß Frank Dittmann. „Damals konnten sie jedoch nur rot leuchten und waren ausschließlich als Leuchtanzeige im Einsatz. In den 1980er-Jahren fand man ein Halbleiter-Material, das blaues Licht erzeugen konnte. Seit 1995 kann man auf Chips LEDs integrieren,
Mit der LED eroberte eine neue Technologie nicht nur den Beleuchtungsmarkt, sondern auch den der Bildschirme. Fernsehgeräte nutzen heute LEDs; zusammengesetzt ermöglicht die Technologie auch riesige Videowalls.
die verschiedene Lichtfarben erzeugen, welche sich zu weißem Licht mischen.“ Im Gegensatz zur Energiesparlampe enthalten LED- und OLED-Lampen kein giftiges Quecksilber, das ihre Vorgängerin früher oder später zum Problemmüll werden ließ. Doch auch die Leuchten der neuesten Generation dürfen nicht einfach im Hausmüll entsorgt werden: LEDs und OLEDs können nämlich zu 90 Prozent recycelt werden und gelten als besonders ressourcenschonend.
OLED ist eine blendfreie, flächige Lichtquelle mit einer weichen Lichtwirkung. 2011 besuchte die damalige Ministerin Annette Schavan die Eröffnung einer ersten OLED-Produktionsanlage von Osram in Regensburg.
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Gesund mit Licht Licht hat einen maßgeblichen Einfluss auf unsere physische und psychische Gesundheit. Es reguliert unzählige Vorgänge im menschlichen Körper und entscheidet damit letztlich sogar darüber, wie gut Medikamente wirken. Von Jürgen Brater
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er stetig wiederkehrende Wechsel von hell und dunkel ist für den Menschen seit jeher der regelmäßigste und universellste Umweltreiz. Kein Wunder also, dass Licht erhebliche Auswirkungen auf das persönliche Wohlbefinden hat – und zwar sowohl körperlich als auch seelisch. Der entscheiden-
de Taktgeber ist dabei die sogenannte innere Uhr. Darunter versteht man einen biologischen Zeitmessapparat des Organismus mit einer Periodenlänge von rund 24 Stunden. Der Fachausdruck lautet „zirkadianer Rhythmus“. Dieser ist genetisch determiniert und steuert – optimal aufeinander abgestimmt – sämt-
Mitternacht 24:00 MelatoninAusschüttung beginnt
Tiefster Schlaf
Höchste Körpertemperatur Niedrigste Körpertemperatur
Zirkadianer Rhythmus
Höchster Blutdruck
Stärkster Blutdruckanstieg
Höchste Muskelkraft und kardiovaskuläre Effizienz
Kürzeste Reaktionszeit Beste Koordinationsfähigkeit
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Die MelatoninAusschüttung stoppt
Mittag 12:00 Höchste Wachsamheit
liche vitalen Prozesse im Körper. Die innere Uhr bestimmt unter anderem, wann Enzyme gespalten, Zellgifte abtransportiert und Muskeln aufgebaut werden. Sie sorgt dafür, dass am frühen Morgen der Spiegel des Wachmacherhormons Cortisol im Blut steigt, dass der Blutdruck in die Höhe geht und sich der Herzschlag beschleunigt. Kurzum: Der gesamte Organismus wird auf Aktivität programmiert. Dazu trägt maßgeblich das Gewebshormon Serotonin bei, das nicht zu Unrecht als Gute-Laune- oder Glückshormon bezeichnet wird. Gegen Mittag läuft dann die Neuproduktion roter Blutkörperchen im Knochenmark auf Hochtouren, und am späten Nachmittag erreicht die Körpertemperatur ihren Tageshöchststand. 38 Grad Celsius am frühen Abend bedeuten daher nur leicht erhöhte Temperatur, während derselbe Wert in den frühen Morgenstunden möglicherweise auf einen verborgenen Infekt hindeutet.
Die Nachtschicht Mit zunehmender Dunkelheit beginnt die Ausschüttung des „Schlafhormons“ Melatonin: Blutdruck, Puls, Atemfrequenz und Körpertemperatur sinken, bis schließlich sämtliche Körperfunktionen im Sparmodus laufen. Zum Schluss entspannt sich auch die Muskulatur und man schläft ein. Doch damit ist der zirkadiane Rhythmus noch keinesfalls beendet. Vielmehr werden während der Nachtruhe defekte Zellen repariert, Nerven- und Immunsystem gleichsam runderneuert und Herz sowie Kreislauf auf den folgenden Tag vorbereitet. Das Gehirn checkt seine Zwischenspeicher, sortiert Unwichtiges aus und verschiebt Bedeutsames in die Langzeitablage; der Hormonhaushalt kommt in Schwung, Gelerntes wird vertieft. Auch die Produktion diverser Wachstumsfaktoren läuft in der Nacht auf Hochtouren. All diese Prozesse erfordern eine Menge Energie, und so verwundert es nicht, dass der Körper während des Schlafs im Vergleich zu Ruhephasen am Tag kaum weniger Kalorien verbraucht. Die molekularen Grundlagen der inneren Uhr sind bis heute nicht in allen Einzelheiten geklärt. Fest steht jedoch, dass daran etliche Gene beteiligt sind: In ihrem Zusammenwirken sorgen sie für FeedbackSchleifen, die sich selbst regulieren und eine Dauer von ziemlich genau 24 Stunden haben. Der entscheidende Impulsgeber ist dabei das Licht. Ein Mangel
an Helligkeit während des Tages kann den zirkadianen Rhythmus ebenso aus dem Takt bringen wie ein Zuviel in der Nacht. Schlafstörungen bis hin zu Depressionen sind die Folge. Genau genommen besitzt jede einzelne Zelle unseres Körpers ihre eigene innere Uhr. Alle diese Zeitmesser folgen einer Art Hierarchie, die von der Hauptuhr im Gehirn namens Nucleus suprachiasmaticus synchronisiert wird. Und zwar so zuverlässig und präzise, dass wir uns – etwa nach einer Zeitumstellung oder einem Interkontinentalflug – in erstaunlich kurzer Zeit an die veränderte Hell-Dunkel-Abfolge anpassen können.
In der Computergrafik des Vitamin-D3-Moleküls stehen gelbe Kugeln für Kohlenstoffatome und blaue Kugeln für Wasserstoff. Die durchgezogenen Linien stellen Bindungen dar.
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Wer sich draußen aufhält, kann Sonne zur Bildung von Vitamin-D3 tanken. Pralles Sonnenlicht ist dafür nicht nötig.
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Zeit für die Medizin! Wenn Darm, Muskeln, Herz oder Gehirn morgens, mittags und abends ganz unterschiedlich arbeiten, kann es nicht egal sein, zu welcher Zeit ein Medikament verabreicht oder ein chirurgischer Eingriff vorgenommen wird. Der Leiter des Arbeitsbereichs Chronobiologie am Institut für Medizinische Immunologie der Berliner Charité, Achim Kramer, weist daher darauf hin: „Eine Therapie, die den 24-Stunden-Takt des Organismus beachtet, ist einer Standardtherapie oft überlegen. Berücksichtigt man chronobiologische Abläufe, erhöht dies nachweislich die Wirksamkeit von Medikamenten und verringert unerwünschte Nebenwirkungen.“ In der Nacht haben wir beispielsweise ein verstärktes Schmerzempfinden im Vergleich zum Tag, weil der Körper bei Dunkelheit weniger schmerzdämpfende Endorphine ausschüttet. Auch die Leistungsfähigkeit des Immunsystems nimmt mit schwindendem Licht ab und erst in den frühen Morgenstunden wieder zu. Da wichtige Abwehrzellen wie
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dendritische Zellen, T-Zellen und Antikörper produzierende B-Zellen während des Tages deutlich aktiver sind als in der Nacht, heilen Wunden bei Helligkeit besser.
Gesund gesonnt Gerade das Licht der Sonne spielt für unsere Gesundheit eine entscheidende Rolle. Es fördert in der Haut die Produktion von Vitamin D3, das in den Körperzellen an Tausenden von Regulationsvorgängen beteiligt ist. Unser Organismus benötigt es in erster Linie für einen perfekt funktionierenden Calcium- und Phosphatstoffwechsel und damit zum Erhalt eines stabilen Knochengerüsts, aber auch, um die uneingeschränkte Funktion des Immunsystems zu gewährleisten. Außerdem schreibt man ihm eine Beteiligung an der Vermeidung von Diabetes und Herz-KreislaufErkrankungen zu. Selbst bösartige Tumore lassen sich aktueller Forschung zufolge zumindest zum Teil auf zu wenig Licht und den dadurch bedingten Mangel an Vitamin D3 zurückführen. Schon lange ist bekannt,
dass in sonnenarmen Gegenden die Krebsrate höher liegt als in Regionen am Äquator. Das gilt offenbar besonders für Darm-, Lungen-, Prostata- und Eierstockkrebs. Wer an einem Vitamin-D3-Mangel leidet – was unbedingt mittels Laboruntersuchung verifiziert sein sollte –, kann diesen normalerweise einfach dadurch abstellen, dass er sich öfter im Freien aufhält. Allerdings sollte man es mit dem Sonnenbaden auch nicht übertreiben, denn dass zu viel UV-Licht Hautkrebs fördert, steht seit Langem fest. Der Himmel muss zur Bildung von Vitamin D3 noch nicht einmal klar sein, auch bei bewölktem Himmel kurbelt das Licht die Synthese an. In unseren Breiten reicht die Helligkeit dafür aber meist nur in den sonnenreichen Monaten von März bis Oktober. Da das Vitamin jedoch fettlöslich ist, kann der Körper im Übermaß produziertes D3 speichern. Deshalb steht es bei ausreichender sommerlicher Beleuchtung auch in der dunklen Jahreszeit in ausreichender Menge zur Verfügung.
Spektrum der Emotionen Vor allem beeinflusst Licht aber ganz erheblich die subjektive Wachheit sowie die kognitiven Fähigkeiten eines Menschen, wobei der jeweiligen Lichtfarbe eine entscheidende Bedeutung zukommt. Generell lässt sich dazu Folgendes sagen:
▸ Blau wirkt beruhigend und beständig. Die kühle Nuance verbreitet zudem Frische und Klarheit und fördert die kognitive Leistungsfähigkeit. ▸ Rot ist die wohl aufmerksamkeitsstärkste Farbe, die Kraft, Lebensfreude, und Dynamik, aber auch Gefahr ausstrahlt. Helles Rot wirkt dabei besonders motivierend, während dunkles eher Wärme spendet. ▸ Grün erinnert an die Natur. Es wirkt beruhigend und unterstützt die mentale Erholung. ▸ Gelbes Licht macht wach, kreativ und steigert die gute Laune. Räumen verleiht es ein warmes, positives Ambiente. ▸ Orange ist ideal zum Entspannen und gilt daher als Farbe der Behaglichkeit. Schon seit Längerem gibt es LED-Beleuchtungssysteme, die es erlauben, das umgebende Raumlicht per Fernbedienung zu verändern und an die jeweilige Stimmung anzupassen. Oder man schaltet auf den Automatikmodus, der morgens für eher grünes Licht mit belebender Wirkung und abends für warme, rötliche Töne sorgt, mit denen man den Tag ausklingen lassen kann. Forschende des Zentrums für Chronobiologie in Basel konnten in einer Studie zeigen, dass Versuchspersonen eine Lernaufgabe vor einem mit Leuchtdioden bestückten Computerbildschirm, dessen Licht einen hohen Blauanteil aufwies, deutlich besLichtfarben beeinflussen Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit. Mediziner und Lichtdesigner empfehlen, dieses Wissen mehr zu nutzen.
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Ist es draußen trübe, nass und kalt, kann dies auf die Stimmung drücken – bis hin zur Winterdepression.
ser lösten als vor einem „normalen“ Monitor. Und bei einer Untersuchung des Berliner Ergonomic Instituts zeigte sich, dass Büroangestellte sich deutlich wohler und leistungsstärker fühlten, wenn der Arbeitsraum mit einem dynamischen Lichtspektrum beleuchtet wurde, das weitgehend der natürlichen Beleuchtung entsprach und sich tageszeitabhängig anpasste – mit einem hohen Blauanteil während des Tages, der gegen Feierabend zunehmend von warmen Rottönen abgelöst wurde. Herkömmliche Leuchtstoffröhren förderten dagegen auch am Tag – entgegen der inneren Uhr – die Produktion von Melatonin und machten die Angestellten entsprechend müde.
Lernen mit Licht In einer an der schwedischen Lund-Universität durchgeführten Studie unter Leitung des bekannten Lichtforschers Thorbjörn Laike, bei der es um den Einfluss der Beleuchtung auf das Leistungsvermögen von Schülern und Schülerinnen ging, wiesen die Wis-
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senschaftler nach, dass der Einsatz von 500-Lux-Licht am Arbeitsplatz und das Anheben des indirekten Beleuchtungsniveaus von 100 auf 300 Lux positive Auswirkungen auf die Stimmung und die Lernergebnisse der Kinder hatte – ganz besonders in Klassenzimmern, in die im Winter wenig natürliches Licht fiel. Am stärksten verbesserten sich die Lernergebnisse in den Fächern Mathematik, Lesen und Schreiben. Außerdem waren die Schüler und Schülerinnen schon am frühen Morgen aufmerksamer und aktiver.
Dunkle Stunden Genauso, wie uns ein Plus an Licht einen Leistungsund Motivationsschub geben kann, kann ein Mangel an Licht uns die Energie aber auch wieder rauben. Wenn die Tage kürzer werden und Berufstätige morgens bei Dunkelheit die Wohnung verlassen und abends bei Dunkelheit heimkommen, gibt es nicht wenige Menschen, die darunter schwer leiden. Die Rede ist von der sogenannten Winterdepression, die bei
Betroffenen alljährlich zwischen September und November beginnt und erst im März oder April endet. Symptome sind vor allem eine lähmende Müdigkeit, die ein erhöhtes Schlafbedürfnis auslöst, sowie eine allgemeine Antriebslosigkeit und Unlust, die nicht selten in eine ausgeprägte Traurigkeit bis hin zu Phasen regelrechter Verzweiflung mündet. Häufig sind Heißhungerattacken, in denen die Kranken gierig Süßigkeiten und andere kohlenhydratreiche, rasch Energie spendenden Lebensmittel in sich hineinschlingen und dadurch teils erheblich an Gewicht zulegen. Typisch sind zudem ein vermindertes Interesse an sozialen Kontakten und Freizeitaktivitäten sowie Motivationsund Konzentrationsschwierigkeiten am Arbeitsplatz. Als Ursache kommen neben einer genetischen Disposition – die Winterdepression tritt familiär gehäuft auf – hormonelle Unregelmäßigkeiten in Betracht, wobei offenbar ein Überschuss an Melatonin und ein gleichzeitiger Mangel an Serotonin die entscheidende Rolle spielen. Auch ein Vitamin-D3-Defizit wird bei Betroffenen häufig diagnostiziert.
Bei der Behandlung der Winterdepression hat sich neben dem Einsatz von Medikamenten sowie psychotherapeutischen Maßnahmen vor allem die sogenannte Lichttherapie bewährt. Zahlreiche Studien bestätigen deren Wirksamkeit. Das Ganze funktioniert über die Augen: Die Netzhaut reagiert auf das starke blaue Licht einer speziellen Lampe und gibt die Information an das Gehirn weiter. Das sorgt dann dafür, dass weniger Melatonin, dafür aber mehr Wach- und Wohlfühlhormone wie Cortisol und Serotonin, ausgeschüttet werden. In der Folge nimmt die Müdigkeit ab und die Stimmung steigt. Am besten funktioniert das, wenn sich der Patient jeden Morgen eine halbe Stunde lang vor eine Lampe setzt, die idealerweise eine Beleuchtungsstärke von 10 000 Lux erreicht. Dann verschwinden die Symptome in der Regel innerhalb von zwei Wochen, die Betroffenen verlieren ihre depressive Verstimmung, werden fröhlicher und leistungsfähiger und sehen der Zukunft wieder positiv entgegen. Was sie gesund gemacht hat, ist nichts anderes als Licht. Gegen Winterdepressionen kann der Einsatz einer Tageslichtlampe helfen. Experten empfehlen, der inneren Uhr damit am Morgen das Startsignal zu geben.
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Vom Weltraum aus wird sichtbar, wie hell erleuchtet besonders Europa in der Nacht ist.
Der schädliche Verlust der Nacht Lichtverschmutzung ist eine oft verkannte, wachsende Form von Umweltbelastung. Manche Auswirkungen sind bereits recht gut erforscht, andere dagegen wahrscheinlich noch nicht einmal entdeckt. Von Kurt de Swaaf
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in Windhauch trägt Pinienduft herbei, das Meer kabbelt leise gegen die Felsen – nur ein paar hungrige Stechmücken stören die nächtliche Idylle in der versteckten Bucht an der Nordwestküste Mallorcas. Über den Bergkämmen der Serra de Tramuntan stehen die Sterne, sogar die Milchstraße ist zu erkennen. Als wir uns eine Stunde später auf den Rückweg nach oben machen, wird im Osten langsam ein gelber Schein sichtbar. Ein Waldbrand? Nein, das
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ist immer so. Die Lichter der Inselhauptstadt Palma strahlen mit Wucht in den Himmel. Und es sind nicht die Einzigen. Satellitenaufnahmen zeigen, dass Mallorca jede Nacht funkelt wie ein überladener Weihnachtsbaum. Und so etwas ist in Europa eher die Regel als Ausnahme. Gott sagte, „es werde Licht“, heißt es in der Bibel. Wir Menschen haben es ihm mit Glühbirnen, Leuchtreklamen und Halogenstrahlern nachgemacht. Die
Dauererhellung hat viele Vorteile. Wir können länger aktiv sein. Straßenlaternen erhöhen die Verkehrssicherheit und Wohnungen ohne ständig qualmende Kerzen oder Öllampen sind der Gesundheit durchaus zuträglich. Inzwischen aber ist es des Guten zu viel. Die Welt braucht die Nacht, und die kommt ihr immer mehr abhanden. Das Phänomen hat auch einen Namen: Lichtverschmutzung. Fachleute sprechen auch von ALAN – dem englischsprachigen Akronym für „Artificial Light At Night“. Rund ein Viertel der globalen Landfläche ist laut Experten davon betroffen, Tendenz steigend – um etwa zwei Prozent pro Jahr. Über Europa sind nur noch zwölf Prozent des Nachthimmels nicht kunstlichtkontaminiert. Das Sternenzelt über uns verblasst.
Die Natur braucht die Nacht Das Problem ist für viele trotzdem nur schwer nachvollziehbar. Menschen sind schließlich tagaktive Pri-
maten, erklärt der Biologe Franz Hölker. „Wir verbinden Licht mit Positivem.“ Ein evolutionäres Erbe, sozusagen. Das Dunkel und die Finsternis dagegen gelten oft als Synonyme für Böses. Doch das sind kulturelle Zuschreibungen. Denn die Natur tickt anders – auf der Erde sind Tag und Nacht exakt gleich verteilt. Im Jahresdurchschnitt ist es überall genauso lange hell wie dunkel. Organismen haben sich diesem Wechsel angepasst, zahlreiche Tierarten sind sogar explizit nachtaktiv. Andere Lebensformen, zu denen auch wir Menschen gehören, nutzen die Zeit zwischen Sonnenuntergang und Tagesanbruch zur Erholung. Es wird geschlafen, dabei gespeichert und der Stoffwechsel bereinigt. Alles essenzielle Vorgänge. Licht ist da nur störend. Bei Wirbeltieren, Homo sapiens natürlich inklusive, greift ALAN vor allem in den Melatonin-Haushalt ein. „Schon geringe Mengen reichen aus, um die Produktion zu unterdrücken“, berichtet Franz Hölker.
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Erst neuerdings denkt man bei Lichtverschmutzung auch an Wassertiere. Laut einer Studie reagieren etwa Barsche deutlich auf nächtliches Licht.
Melatonin ist gewissermaßen das „Nachthormon“, sagt der Wissenschaftler. Ein Mangel daran kann bei tagaktiven Spezies den Schlafrhythmus beeinträchtigen. In Nachttieren indes gibt Melatonin das Signal zum Aufbruch. Der Botenstoff hat aber noch andere Funktionen, wie Hölker betont. Auch in der Produktion von Sexualhormonen spielen die Moleküle eine
Eintagsfliegen haben gegen den sogenannten Staubsaugereffekt der nächtlichen Lichter keine Chance. Viele verbrennen oder sterben vor Erschöpfung, ohne sich fortgepflanzt zu haben.
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steuernde Rolle. Lichtverschmutzung kann somit zu diversen physiologischen Störungen führen – und die treffen nicht nur Landbewohner. Franz Hölker, der am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin arbeitet, erforscht unter anderem die Auswirkungen von ALAN bei Wasserlebewesen. In einer Studie untersuchten er und seine Kolleginnen, wie der Schilddrüsen-Hormonhaushalt von Flussbarschen (Perca fluviatilis) auf nächtliche Beleuchtung reagiert. Das Ergebnis gibt zu denken. In Aquarien mit einer Lichteinstrahlung von 100 Lux nahm die Konzentration von Triiodthyronin (T3) im Blutplasma der Fische nach nur zwei Wochen um durchschnittlich 28 Prozent ab. T3 ist das wirkungsmächtigste Schilddrüsenhormon; es beeinflusst Energiehaushalt, Wachstum und Fortpflanzung. Auch die Melatonin-Produktion der Fische sank in den Versuchen. Dabei ist eine Lichtstärke von 100 Lux im Umfeld von Straßenbeleuchtung nicht ungewöhnlich. Wer also als Barsch in der Berliner Spree oder nahe der Kölner Rheinbrücken lebt, könnte körperlich deutlich beeinträchtigt sein. Ähnliche Folgen habe man auch schon bei einer weiteren wichtigen Fischart, dem Rotauge (Rutilus rutilus), beobachtet, erklärt Hölker.
Tödliche Sogwirkung auf Insekten Für anderes Getier ist ALAN schnell tödlich. Ob Nachtfalter, allerlei Käfer, Zuckmücken, Motten oder Köcherfliegen: Alle schwirren zu den Leuchten. Fachleute sprechen deshalb von einem „Staubsaugereffekt“. Unfähig, sich vom lockenden Schein zu lösen, fallen die Tiere irgendwann entkräftet zu Boden und sterben – oder verbrennen direkt in den Lampen. Niemand weiß, wie viele Insekten so jede Nacht ihr Leben lassen, erklärt die ebenfalls am IGB tätige Agrarwissenschaftlerin Sibylle Schroer. Die Expertin hat allerdings ein paar beunruhigende Zahlen parat. Je nach Typ, Lage und Umständen werden an einer einzelnen Lampe pro Nacht bis zu 1500 Insektenanflüge gezählt, berichtet sie. Deutschlandweit gebe es circa neun Millionen öffentliche „Leuchtpunkte“. Unbekannt sei dagegen die Zahl der privaten Kunstlichtquellen, von der heimeligen Lichterkette auf der Terrasse bis hin zum Scheinwerfer im Innenhof. „Vor allem angestrahlte Fassaden sind für Insekten ganz schlecht“, betont Schroer. Gerade diese großen Flächen seien von sehr weit her sichtbar. Welchen Anteil die Lichtverschmutzung am Insektenschwund der vergangenen Jahrzehnte hat, ist bisher unklar. Zumindest verschärft sie die Lage. Und
es gibt hierzulande noch viel mehr Organismen, die nachweislich unter ALAN leiden. Vögel ändern ihren Tagesrhythmus und werden bei der Brutpflege gestört; wandernde Amphibien verlieren die Orientierung. „Sogar unsere Bäume können durch den Stress schneller altern“, berichtet Sybille Schroer. Bei nächtlichem Anstrahlen reichern sich in den Blättern mehr schädliche Stoffwechselabfallprodukte als „freie Radikale“ an. Im Herbst setzt der Laubabwurf an den betroffenen Ästen oft später ein, wodurch das Risko für Frostschäden steigt.
Auch die Meeresküsten sind betroffen Während die Überbeleuchtung im Landesinneren der Fachwelt schon länger Kopfzerbrechen bereitet, zeigt sich inzwischen, dass auch marine Ökosysteme betroffen sind. Hochrechnungen zufolge sind mindestens 22 Prozent der Küstenregionen weltweit in irgendeiner Form künstlichem Licht ausgesetzt. Städte strahlen, Hafenanlagen wirken oft wie eine riesige Kirmes, und die Laternen auf Molen und Seebrücken senden ihre Partybeleuchtung hunderte Meter weit ins offene Meer hinaus. Das Licht dringt durch die Wasseroberfläche nach unten. Schätzungen nach sind rund 1,6 Millionen Quadratkilometer der küsten-
Auch auf dem neuen LNG-Terminal in Wilhelmshafen brennt nachts das Licht und erleuchtet die Umgebung über und unter der Wasseroberfläche.
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Korallen müssen alle gleichzeitig Eier und Sperma ins Wasser abgeben, synchronisiert wird das durch den Mond. Kunstlicht stört diesen Prozess.
nahen Meeresböden unseres Planeten nachts bis in zehn Meter Tiefe beleuchtet. Schutzgebiete bleiben dabei nicht verschont. Bei den Meeresbewohnern gibt es durch das Zuviel an Licht ebenfalls zahlreiche Todesopfer. Das Schicksal junger Meeresschildkröten, die nach dem Schlüpfen statt zur Brandung zu streben von den hellen Straßenlaternen in die strandnahe Stadt gelockt werden, hat inzwischen traurige Berühmtheit erlangt. Ähnlich dramatisches spielt sich alljährlich auf den Kanarischen Inseln ab. Der Archipel ist ein Brutgebiet für Corys Sturmtaucher, zoologisch Calonectris borealis. Die Vögel sind Höhlenbrüter; sie nisten entfernt von der Küste im Landesinneren der Eilande. Wenn die Jungen im Herbst selbständig werden, setzen sie nachts zu ihrem Jungfernflug an. Ab in die Weite des Ozeans. Doch viele kommen dort nicht an. Stattdessen verirren sich tausende junge Sturmtaucher im Lichterlabyrinth urbanisierter Küstenabschnitte und stürzen zwischen die Häuser. Das Problem tritt auch anderswo auf der Welt bei anderen Seevogelarten auf. Wissenschaftler nennen es Fallout.
Korallen geraten aus dem Takt Korallenriffe, die sowieso schon sehr unter dem Klimawandel leiden, scheinen besonders stark durch ALAN gefährdet zu sein. Die riffbauenden Steinkorallen sind sehr lichtsensibel, erklärt Oren Levy, Biolo-
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Sieg über das Dunkel | Der schädliche Verlust der Nacht
ge am israelischen Meeresforschungsinstitut IUI in Eilat. So wird die Fortpflanzung der meisten Steinkorallenspezies vom natürlichen Lichtregime gesteuert. Die Mehrzahl der Steinkorallen laicht synchronisiert in Massen, fährt Levy fort. Millionen Polypen geben dann gleichzeitig ihre Eizellen und Spermien ins Meerwasser ab, wo umgehend die Befruchtung stattfindet. Das Timing sei dabei entscheidend. Oren Levy und seine Kolleginnen haben dies genauer untersucht. Den Polypen fehlen zwar Augen, wie der Forscher erläutert, doch dafür sind überall in ihren Körpern spezielle, lichtempfindliche Proteinmoleküle, die Cryptochrome, verteilt. Letztere reagieren auf den blauen Anteil des Lichtspektrums. Die Korallen koordinieren ihre Massenreproduktion damit anhand der Mondphasen – Mondlicht ist bekanntlich bläulich. In der Regel findet das Laichen ein paar Tage nach Vollmond statt, berichtet Oren Levy. „Die Zeitspanne zwischen Sonnenuntergang und dem Aufgehen des Mondes ist das entscheidende Signal.“ Die Cryptochrome als Reizempfänger geben den Polypenkörpern wahrscheinlich den Startschuss. Doch an vielen Küsten strahlt der Erdtrabant nicht mehr alleine. ALAN mischt mit. Und stört dadurch das Synchronlaichen. Bei Laborversuchen mit ALAN wurde bereits eine Verringerung der Ansiedlung von Korallenlarven um circa 30 Prozent beobachtet. In der Natur könnte Vergleichbares passieren.
Ein weiterer Effekt, dem die Forschung auf der Spur ist, träfe die ausgewachsenen Korallen direkt. Ihre Polypen leben in Symbiose mit sogenannte Zooxanthellen – einzelligen Algen, die ihre Wirte über Photosynthese vor allem mit energiereichen Zuckerverbindungen versorgen. Bei diesem Syntheseprozess entstehen – wie bei den oben erwähnten Bäumen – quasi als Abfallprodukt sogenannte Reaktive Sauerstoffspezies, englisch abgekürzt ROS. Diese aggressiven Chemikalien können die Zooxanthellen schädigen. „Während des Tages steigen die ROS-Konzentrationen in den Geweben der Polypen stetig an“, erklärt Oren Levy. Kommt jedoch die Nacht, nehmen intrazelluläre Reparaturmechanismen ihre Arbeit auf. ROS werden neutralisiert oder beseitigt. Die Steuerung solcher Prozesse obliege einer biologischen Uhr, sagt Levy. Die Präzision dieses Taktgebers, meint der Wissenschaftler, könnte durch die Lichtverschmutzung gestört werden. Wissenschaftlich erwiesen sei dies allerdings noch nicht, betont Levy.
Wieder mehr Nacht ermöglichen Es gibt auch sonst zum Thema ALAN noch viel zu klären; dennoch herrscht fast weltweit dringend Handlungsbedarf. „Wir wissen jetzt, dass sich Lichtverschmutzung auf alle Ebenen der Biodiversität auswirkt“, sagt Franz Hölker. Die Leuchtflut müsse deshalb aktiv eingedämmt werden. Das ist eigentlich gar nicht so schwierig, meint Sibylle Schroer. „Wir beleuchten viel zu hell.“ Oft würde deutlich schwächeres Licht den Zwecken völlig genügen. Weniger wäre dann aus gleich mehreren Gesichtspunkten mehr – ökologisch, energetisch und ästhetisch. „Abgesehen davon sollte man nur das beleuchten, was wirklich beleuchtet werden muss.“ Klingt selbstverständlich, ist es aber nicht. Landauf, landab bleibt häufig sogar an völlig menschenleeren Orten nachts das Licht an. Da braucht es ein Umdenken. Das IGB-Team und seine Mitstreiterinnen arbeiten zudem an der Entwicklung von insektenfreundlicher Straßenbeleuchtung. Die meisten der bisher üblichen Laternentypen streuen sehr breit, sagt Schroer, so gelangt Kunstlicht auch dorthin, wo es eigentlich nichts verloren hat, und lockt Tiere zum Teil über Dutzende Meter Entfernung an. Die Leuchtkörper der neuen Straßenlaternen sind deshalb weitgehend abgeschirmt. Seitliche Blenden lenken das Licht genau auf
die Fahrbahn oder den Fußweg. Auch sei es wichtig, Reflektionen zu vermeiden. Die Anlagen dürfen nicht glänzen, dementsprechend sei ein mattschwarzer Anstrich der Masten von Vorteil, erklärt Schroer. Kleine Änderungen, große Wirkung. „Das Spektrum spielt ebenfalls eine Rolle.“ Licht ist schließlich nicht gleich Licht. Bläuliches Licht neigt dazu, mehr Insekten anzuziehen, wie die Forscherin erläutert. Es helfe daher, für Straßenbeleuchtung wärmere Farbtöne auszuwählen. „Aber das alleine reicht nicht“, betont sie. Auch das gelbe Licht klassischer Natriumdampflampen lockt Tiere ins Verderben. Schroer plädiert bei der Bekämpfung von Lichtverschmutzung für Gesamtkonzepte, in die alle Beteiligten miteingebunden sind – auch die Firmen mit ihren Bürogebäuden, Schaufenstern und leuchtender Außenwerbung, wie die Expertin betont. Die ersten solcher Projekte verlaufen vielversprechend. Es tut sich was, meint Schroer. Die Reaktionen in der Bevölkerung seien überwiegend positiv. „Viele Menschen erleben einen Aha-Effekt.“ Plötzlich sieht man wieder mehr Sterne. Eine Verringerung der Beleuchtung dagegen werde oft gar nicht bemerkt. Es lebe die Nacht. Wenn junge Sturmtaucher auf Mallorca erstmals vom Landesinnern aufs Meer hinausfliegen wollen, leitet sie das Mondlicht. Hell erleuchtete Ortschaften führen jedoch dazu, dass sich die Vögel verirren und erschöpft auf den Straßen stranden.
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Die Physik des Lichts
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Die Physik des Lichts
Geheimnisse der Optik Licht ist fast überall – aber was genau ist es denn? In den Augen antiker Gelehrter war Licht nicht mehr als ein Bündel leuchtender Linien. Heute dagegen weiß man, dass Licht elektromagnetische Strahlung bündelt. Doch die Natur des Lichts gibt noch immer Rätsel auf.
S
chon seit dem Altertum versuchen Wissenschaftler, die Natur des Lichts zu ergründen und die mannigfaltigen Phänomene zu erklären, die mit ihm einhergehen. So hat die Optik, die Lehre vom Licht, im Laufe der Zeit eine Vielzahl verschiedener Theorien hervorgebracht: Bereits um 300 v. Chr. schrieb der griechische Mathematiker Euklid, dass sich Licht in Form geradliniger Strahlen ausbreitet. Wie schon Pythagoras und andere antike Gelehrte ging er dabei jedoch von einem falschen Sehvorgang aus, bei dem die Augen heiße Sehstrahlen aussenden, die dann von kalten Objekten „zurückgedrängt“ würden. Erst Ptolemäus widersprach dieser Theorie, indem er 400 Jahre nach Euklid argumentierte, dass man auch im Dunkeln sehen können müsste, wenn die Augen tatsächlich Sehstrahlen aussenden würden. Er vermutete daher richtig, dass Lichtstrahlen von Lichtquellen wie der Sonne oder einer Fackel ausgesendet werden und Objekte beleuchten. An der Vorstellung der Sehstrahlen, die vom Auge ausgesendet werden, hielt er dennoch fest. Die heutige Vorstellung, dass Lichtquellen Strahlen aussenden, diese von unserer Umwelt zurückgeworfen und dann auf unsere Augen triffen, etablierte sich erst im 17. Jahrhundert. Woraus diese Strahlen bestehen, blieb jedoch lange ungeklärt. Isaac Newton ging beispielsweise davon aus, dass es sich um Ströme aus kleinen Teilchen
Isaac Newton demonstrierte 1671, dass sich weißes Licht in seine Spektralfarben zerlegen lässt. Dafür nutzte er Sonnenlicht, das durch eine kleine Öffnung in den Fensterladen seines verdunkelten Arbeitszimmers schien. Sobald er ein Glas-Prisma vor die Öffnung hielt, zeigte sich auf einem weißen Stofftuch – zu seiner Verwunderung – ein buntes Farbmuster mit länglicher Form. Newton schloss daraus, dass die verschiedenen Farben des Lichts unterschiedlich stark gebrochen werden. Eine plausible Erklärung hatte er dafür jedoch nicht.
oder Korpuskeln handelt, die von leuchtenden Körpern mit großer Geschwindigkeit ausgeschleudert werden. Vorgänge wie die Reflexion des Lichts an einem Spiegel ließen sich damit gut erklären, schon bei der Deutung der Lichtbrechung kam diese Theorie aber an ihre Grenzen.
Von Rüdiger Vaas und Finn Brockerhoff
Mit Geometrie zum Verständnis Das Fehlen eines klaren theoretischen Verständnisses hinderte die Wissenschaft jedoch nicht daran, ei-
Diese Illustration aus dem Buch „System der visuellen Wahrnehmung beim Menschen“ zeigt die Sehstrahlen, die nach der sogenannten Emanationstheorie von den Augen ausgesendet werden und die Umgebung abtasten.
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ne Vielzahl optischer Effekte zu enträtseln und ihre Gesetzmäßigkeiten zu beschreiben. Denn bereits durch eine rein geometrische Untersuchung des Verlaufs der Lichtstrahlen ließen sich viele Erkenntnisse gewinnen. Als Grundlage für diese geometrische Optik diente das sogenannte Fermatsche Prinzip, das 1662 vom französischen Mathematiker Pierre de Fermat beschrieben wurde. Es besagt, dass Licht immer jenen Weg zwischen zwei Punkten nimmt, für den die benötigte Zeit minimal ist. Mathematisch lassen sich
daraus die Gesetze sowohl für die Reflexion als auch die Brechung von Licht herleiten. Viele einfache optische Phänomene, die mit Linsen und Lichtbrechung zu tun haben, lassen sich damit in guter Näherung beschreiben – doch bei Weitem nicht alle. Bespielweise kann nicht erklärt werden, warum Licht verschiedene Farben haben kann und sich Lichtstrahlen unter bestimmten Bedingungen gegenseitig auslöschen oder auch verstärken können, wenn sie aufeinandertreffen.
Das Fermatsche Prinzip Es besagt, dass Licht immer jenen Weg zwischen zwei Punkten A und B nimmt, für den die benötigte Zeit minimal ist. Interessanterweise ist dieser Weg jedoch nur in einem besonderen Fall auch der kürzeste: nämlich nur, wenn es sich im Vakuum oder innerhalb eines homogenen Mediums wie Glas oder Luft ausbreitet. Dann ist der Weg einfach eine gerade Linie. Wechselt der Lichtstrahl jedoch auf seinem Weg das Medium – etwa von Luft zu Glas –, kommt er schneller ans Ziel, wenn er einen etwas längeren Weg nimmt. Warum das so ist, lässt sich am besten am Beispiel einer Rettungsschwimmerin verstehen, die einen Ertrinkenden retten will. Der kürzeste Weg zu ihm wäre eine Gerade (rot gestrichelt). Aber dafür müsste die Retterin eine weite Strecke schwimmend zurück-
legen – was länger dauert. Um in möglichst kurzer Zeit zum Ertrinkenden zu gelangen, sprintet sie daher zunächst über den Strand. Würde sie dort jedoch so weit laufen, bis sie sich auf seiner Höhe befindet (gelb), wäre das ein Umweg, der ebenfalls Zeit kostet. Ideal ist daher wohl ein Kompromiss zwischen diesen beiden Wegen (grün). Genau solch einen Weg nimmt auch das Licht, wenn es unterwegs von einem Medium in ein anderes übergeht. Einen Haken hat dieser Vergleich jedoch: Die Rettungsschwimmerin kann über den optimalen Weg nachdenken, bevor sie losrennt. Licht kann das nicht. Warum es dennoch in der Lage ist, den Weg mit der kürzesten Laufzeit zu finden, kann nur die Quantenphysik erklären.
Strand
A Rettungsschwimmerin
Wasser
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Die Physik des Lichts | Geheimnisse der Optik
Ertrinkender
B
Zurückgewiesen und gebrochen Trifft ein Lichtstrahl auf ein transparentes Material, wird ein Teil des Lichts trotzdem von der Oberfläche reflektiert. Der Winkel des reflektierten Strahls (α) ist dabei immer gleich dem Winkel des einfallenden Strahls (α) auf der anderen Seite des Lots. Flach eintreffende Strahlen werden also auf der anderen Seite des Lots auch flach wieder zurückgeworfen, steil einfallende dagegen ebenso steil.
Lot
einfallender Strahl
Der nicht-reflektierte Teil des Lichts wird beim Übergang in das neue Material gebrochen, also abgelenkt. Wie stark das Licht seine Richtung ändert, ist dabei vom Material abhängig. Beim Übergang von einem optisch dünneren Material wie Luft zu einem optisch dichteren wie Wasser oder Glas wird der Lichtstrahl zum Lot hin gebrochen. Beim Übergang von einem optisch dichteren zu einem dünneren Medium dagegen vom Lot weg. Einer der ersten, der dieses Gesetz mathematisch beschrieb, war der Niederländer Willebrord van Roijen Snell, weshalb es heute als SnelliusGesetz bekannt ist.
reflektierter Strahl
Luft Wasser
gebrochener Strahl
Der Weg der Strahlen in der geometrischen Optik Streulinsen weiten die Lichtstrahlen auf. Dafür benötigen sie mindestens eine konkave Fläche. Lichtquelle
Sammellinsen haben konvexe Flächen, mit denen sie die Strahlen bündeln.
Wenn Licht in einem Winkel von 45 Grad oder weniger auf die Rückseite eines rechtwinkligen Glasprismas fällt, wird es an der Grenze von Glas zu Luft vollständig reflektiert. Dies wird als Totalreflexion bezeichnet. Die Blende lässt nur die orthogonalen Strahlen durch.
Strahlen
Blende Auf große Distanzen weiten sich die Strahlen von allein auf.
An den Oberflächen der meisten Gegenstände werden die Lichtstrahlen nicht geordnet in dieselbe Richtung zurückgeworfen, sondern durch Unregelmäßigkeiten in der Struktur in viele verschiedene Richtungen verteilt. Dies wird als Streuung bezeichnet.
Am Spiegel gilt das Reflexionsgesetz.
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Das Licht schlägt Wellen Was die geometrische Optik nicht erklären konnte, wurde erst verständlich, als Christiaan Huygens aus Den Haag auf die Idee kam, dass Licht sich ähnlich wie Wellen auf dem Wasser ausbreiten könnte. In dieser Theorie der Wellenoptik wird Licht also weiterhin als Strahlung verstanden, die sich jedoch nicht mehr geradlinig fortbewegt, sondern senkrecht zu seiner Ausbreitungsrichtung auf- und abschwingt. Wie die Strahlung mit Materie wechselwirkt, hängt dabei hauptsächlich von ihrer Wellenlänge ab, also dem Abstand zwischen zwei Wellenbergen beziehungsweise Wellentälern. Das Konzept der Wellenoptik setzte sich jedoch erst im 19. Jahrhundert durch. Maßgeblich waren die Doppelspalt-Experimente zur Interferenz von Thomas Young 1803 in London sowie weitere Arbeiten wenige Jahre später von Joseph von Fraunhofer im oberbayerischen Benediktbeuern und von Augustin Jean Fresnel in Paris. Die Forschungen dieser und anderer Physiker machten die Wellentheorie zum vorherrschenden Paradigma, das schließlich in James Clerk Maxwells klassischer Feldtheorie des Elektromagnetismus vollendet wurde.
Das elektromagnetische Spektrum
strahl in ein Farbspektrum aufzufächern: Die Wellenlänge beziehungsweise die Schwingungsfrequenz einer Welle entspricht ihrer Farbe. Weißes Licht ist eine Überlagerung aus Wellen mit vielen verschiedenen Wellenlängen. Wie schnell sich Licht in einem Medium wie Glas ausbreitet, ist von dieser Wellenlänge abhängig. Langwelliges rotes Licht ist schneller unterwegs und wird daher weniger stark gebrochen als kurzwelliges blaues Licht, das langsamer vorankommt. Dieser Zusammenhang wird in der Physik als Dispersion bezeichnet.
Niederfrequenz
Niederfrequente Wellen werden von allen Objekten ausgestrahlt, die von elektrischem Strom durchflossen werden. Dazu gehören etwa Hochspannungsleitungen.
Radiowellen
Mikrowellen
Das Mobilfunknetz, WLAN, Bluetooth und GPS nutzen Formen von Mikrowellenstrahlung für die Kommunikation.
Infrarotstrahlung
Das James-Webb-Weltraumteleskop erfasst für seine Aufnahmen hauptsächlich infrarote Strahlung.
Das für uns sichtbare Licht mit Wellenlängen zwischen 380 und 750 Nanometern ist nur ein winziger
sichtbares Licht Das Sonnenlicht enthält für uns schädliche UV-Strahlung.
Teil eines viel größeren Spektrums elektromagnetischer Strahlung. Es reicht von niederfrequenten Radiowellen mit Wellenlängen von mehreren Kilometern bis zu den energiereichsten Gammastrahlen, deren Wellenlänge kürzer ist als der Durchmesser eines Atomkerns.
Nach Farben sortierte Wellen Mit der Wellentheorie des Lichts lässt sich verstehen, warum ein Prisma in der Lage ist, einen weißen Licht-
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Die Physik des Lichts | Geheimnisse der Optik
Ultraviolette Strahlung
Röntgenstrahlung
Die erste Röntgenaufnahme wurde bereits 1895 gemacht.
Gammastrahlung
Gammastrahlung entsteht etwa bei radioaktiven Zerfällen. Sie ist in der Lage, sogar dicke Beton- und Bleiwände zu durchdringen.
Die Wellenoptik erklärt viele Lichtphänomene Interferenz Unterschiedliche Wellen können sich überlagern und dabei entweder verstärken oder abschwächen – wenn nämlich Wellenberge quasi auf andere Wellenberge oder aber Wellentäler treffen. Dies wird als konstruktive und destruktive Interferenz bezeichnet. So entstehen zum Beispiel die Farben bei einem dünnen Film aus Dieselöl auf Wasser. Beugung Wellen können an einem Hindernis abgelenkt werden und sich so in Regionen des Raums ausbreiten, die auf geradem Weg versperrt wären, also im geometrischen Schatten liegen. Tritt Licht zum Beispiel durch ein kleines Loch oder einen schmalen Spalt, bilden sich dahinter Kugelwellen, die auch Gebiete neben der Strahlrichtung ausleuchten. Dieses Phänomen lässt sich auch bei Wellen auf dem Wasser beobachten, wenn diese eine Engstelle durchlaufen.
Polarisation Lichtwellen schwingen senkrecht zur Ausbreitungsrichtung (im Gegensatz zu Längs- oder Longitudinalwellen wie Schall, die in Ausbreitungsrichtung schwingen). Findet die Schwingung nur in einer Ebene statt, ist das Licht linear polarisiert. Natürliche elektromagnetische Strahlung ist überwiegend unpolarisiert, also die Überlagerung einer Vielzahl von Einzelwellen mit unterschiedlichen Schwingungsebenen. Menschen können die Polarisation des Lichts nicht wahrnehmen. Bienen und Mausohrfledermäuse dagegen schon: Bei der Brechung oder Reflexion an Wasserflächen oder der Atmosphäre entstehen Polarisationsmuster, die die Tiere zur Orientierung nutzen.
Linear polarisiertes Licht Unpolarisiertes Licht
Polarisationsfilter
Polarisationsfilter Polarisationsfilter
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Die Physiker und Nobelpreisträger Max Planck (links) und Albert Einstein (rechts) sind die Begründer der Quantentheorie des Lichts.
Licht in Portionen Durch seine Relativitätstheorie wurde Albert Einstein weltberühmt. Doch den Physik-Nobelpreis erhielt er nicht für diese, sondern für eine andere wissenschaftliche Arbeit. Sie hatte den sperrigen Titel „Über einen die Erzeugung und Verwandlung des Lichtes betreffenden heuristischen Gesichtspunkt“ und war die Einzige, die er selbst als „sehr revolutionär“ empfand. „Ohne diese Arbeit ist die Entwicklung der Physik im 20. Jahrhundert undenkbar“, sagte der Physiker Res Jost. Und Jürgen Ehlers, Gründungsdirektor des MaxPlanck-Instituts für Gravitationsphysik in Potsdam (auch Albert-Einstein-Institut genannt) meinte, Einsteins Argumentation zeige seine „wunderbare, fast unheimliche Fähigkeit, aus noch unverstandenen experimentellen Tatsachen eine Folgerung herauszudestillieren, die der weiteren theoretischen Grundlagenforschung den Weg weist“. Eine dieser Tatsachen war der damals bereits gut vermessene, aber unverstandene Photo-Effekt. Er betrifft Wechselwirkungen von Strahlung und Materie und hat inzwischen viele technische Anwendungen – etwa in Solarzellen. Schon ab 1839 erkannte man, dass Licht unter bestimmten Umständen Ladungsträger aus metallischen Oberflächen freisetzen kann. Doch nur, wenn Strahlung mit genügend hoher
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Die Physik des Lichts | Geheimnisse der Optik
Frequenz auf Metall trifft. Einstein erklärte dies folgendermaßen: Die Energie der Strahlung, die auf eine Metallplatte trifft, muss Elektronen aus dem Atomverband herausschlagen, was eine vom Material abhängige Mindestenergie erfordert. Die überschüssige Energie der Strahlung tragen dann die Elektronen als Bewegungsenergie davon. Doch diese Erklärung ist nur dann plausibel, wenn sich die Energie und somit die Strahlung nicht kontinuierlich im Raum verteilt, sondern gequantelt ist, also von nicht weiter teilbaren Portionen gebildet wird. Wäre die Strahlung eine elektromagnetische Welle, wäre ihre Energie proportional zur Intensität der Strahlung. Dann müsste die Energie der herausgeschlagenen Elektronen abnehmen, wenn man den Abstand der Strahlenquelle vergrößert, da dies mit einer Verringerung der Intensität einhergeht. Gemessen wurde jedoch eindeutig, dass zwar mit abnehmender Strahlungsintensität weniger Elektronen frei werden, dass aber deren individuelle Energien unabhängig von der Intensität sind.
Begründung der Quantenphysik Max Planck hatte schon 1900 nachgewiesen, dass die Wärmestrahlung diskret, also quantisiert ist (obwohl er das selbst noch viele Jahre lang nicht akzeptieren
wollte). Er führte das nach ihm benannte Plancksche Wirkungsquantum h mit dem Wert 6,62607015 · 10–34 Joulesekunden ein – eine grundlegende Naturkonstante. Indem h mit der Frequenz n des Lichts multipliziert wird, kann dessen Energie berechnet werden. Mit der Entdeckung dieser Beziehung E = h · ν legte Planck daher den Grundstein für die Quantenphysik. Einstein errechnete damit die Bewegungsenergie der freigesetzten Ladungsträger beim Photo-Effekt – und die Ergebnisse stimmten exakt mit den Messungen überein. Auf ein einzelnes Elektron wird dabei stets dieselbe Mindestenergie übertragen. Demnach wird jedes Elektron durch ein ganzes, unteilbares Lichtquant aus dem Atomverband herausgeschlagen. Licht besteht somit, wie Einstein es 1909 ausdrückte, „aus einer endlichen Zahl von in Raumpunkten lokalisierten Energiequanten, welche sich bewegen, ohne sich zu teilen und nur als Ganze absorbiert und erzeugt werden können“. Einstein sprach von Lichtquanten; auch von Lichtteilchen, -korpuskeln und -atomen war bald die Rede – alles etwas missverständlich, zumal sie nicht nur die Träger des sichtbaren Lichts sein sollten, sondern der gesamten elektromagnetischen Strahlung. 1926 prägte der Chemiker Gilbert Newton Lewis in der Zeitschrift Nature den Begriff der Photonen (von griechisch
phos: Licht), meinte damit freilich etwas anderes: eine Art unzerstörbares Austauschteilchen bei der Emission und Absorption von Licht. Trotzdem setzte sich der Begriff durch, allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg.
Rätselhafter Dualismus Mit seiner Erklärung des Photo-Effekts kehrte Einstein zu einer bereits 1704 von Isaac Newton favorisierten – und ähnlich schon im alten Indien und in der griechischen Antike verbreiteten – Auffassung zurück, dass Licht aus Partikeln besteht. Eine Teilchentheorie kann zwar Streuung und Reflexion ebenso gut erklären, nicht jedoch die anderen Phänomene. Die Entdeckung der Quantennatur der Strahlung, ein überraschender Rückfall zur Teilchentheorie, bedeutete einen vernichtender Schlag gegen die Wellentheorie und war wahrlich „sehr revolutionär“. Was Strahlung wirklich ist, bleibt bis heute umstritten. In der Quantenphysik wird oft von einem Dualismus oder einer Komplementarität von Welle und Teilchen gesprochen beziehungsweise von verschiedenen experimentellen Perspektiven auf ein begrifflich unscharfes Phänomen. Für den Praktiker genügt das völlig – für viele Naturphilosophen ist es unbefriedigend. Sie verlangen, noch mehr Licht ins Licht zu bringen.
Der Photo-Effekt Materie kann Strahlung stets nur in einzelnen Paketen aufnehmen, nicht kontinuierlich. Mit dieser Einsicht revolutionierte Einstein die im 19. Jahrhundert experimentell gut etablierte Vorstellung des Lichts als wellenartiges Phänomen. Er etablierte die Vorstellung, dass Licht gewissermaßen aus einzelnen Teilchen, den Photonen, besteht. Beim Photo-Effekt schlägt jeweils ein Photon der elektromagnetischen Strahlung immer nur ein Elektron aus einem Festkörper heraus. Damit das passiert, muss das Photon eine Energie haben, die mindestens so groß ist wie die Bindungsenergie, die das Elektron im Atom hätte. Entscheidet dafür ist die Frequenz des Lichts: Ist sie hoch genug, sind die herausgelösten Elektronen als Strom messbar.
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Schnell wie das Licht Eine superkurze Geschichte von c Die Lichtgeschwindigkeit ist eine der wichtigsten Naturkonstanten. Ohne Sie wäre die Physik des Universums nicht verständlich.
Von Rüdiger Vaas
I
m Vakuum ist Licht genau 299 792,458 Kilometer pro Sekunde schnell. Diesen Wert kürzen Physiker mit c ab (von lateinisch „celeritas“ für „Schnelligkeit“). Bis die Wissenschaft sich auf diesen Wert geeinigt hatte, dauerte es aber mehrere Jahrhunderte. Aristoteles, Heron von Alexandria, Johannes Kepler und René Descartes meinten, das Licht sei unendlich schnell. Empedokles, Avicenna und Galileo Galilei dagegen waren von einer endlichen Geschwindigkeit überzeugt. Um 1600 versuchte Galilei das als Erster zu beweisen, indem er mit einer Laterne ein Lichtsignal gab und die Zeit maß, bis sein Assistent auf einem entfernten Hügel darauf mit einem weiteren Signal reagierte. Doch vergeblich: Nachdem er die Reaktionszeit des Gehilfen abgezogen hatte, blieb keine wiederholbar messbare Zeit mehr übrig. Rund acht Minuten braucht das Licht für die 150 Millionen Kilometer lange Strecke von der Sonne zur Erde, denn die Lichtgeschwindigkeit ist endlich. Das Foto wurde an Bord der Internationalen Raumstation 425 Kilometer über Kanada gemacht.
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Die Physik des Lichts
Von der Messung zur Definition Die erste Messung gelang dem jungen dänischen Astronomen Ole Rømer. Er bestimmte, wann der Jupitermond Io in den Schatten des Planeten eintrat, und verglich die Daten mit den Zeittafeln früherer Messungen, wie sie Seefahrer zur Orientierung verwendet haben. 1676 berichtete Rømer, dass die Io-Verfinsterungen umso später zu sehen sind – und zwar um bis zu 22 Minuten –, je weiter die Erde bei ihrem Lauf um die Sonne von Jupiter entfernt ist. Daraus folgt, dass Licht Zeit braucht, um Distanzen zu überwinden, also nicht unendlich schnell sein kann. 1678 errechnete Christiaan Huygens aus den Messdaten eine Lichtgeschwindigkeit von 212 000 Kilometern pro Sekunde. Das war ein bahnbrechendes Resultat, obgleich noch um 30 Prozent zu gering. 1729 ermittelte James Bradley anhand der Aberration des Sternlichts den Wert von 301 000 Kilometer pro Sekunde – ein Fehler von nur 0,4 Prozent. Weitere Messungen mithilfe rotierender Zahnräder oder
Spiegel, Hohlraum-Resonatoren und Interferometer reduzierten die Messunsicherheit immer weiter, zuletzt auf weniger als 1 zu 100 Millionen. 1983, auf der 17. Generalkonferenz für Maß und Gewicht in Paris, wurde c dann exakt festgelegt, um so die Grundeinheit des Meters zu bestimmen. Seither hat sich eine genauere Messung der Lichtgeschwindigkeit erübrigt, da mit dem festgelegten Wert von c nun andere, abgeleitete Einheiten definiert werden.
Absolute Grenze 1905 postulierte Albert Einstein, dass die VakuumLichtgeschwindigkeit in allen Bezugssystemen identisch ist – unabhängig vom Ort und der Bewegung eines beliebigen Beobachters. Diese Grundannahme seiner Speziellen Relativitätstheorie ist experimentell seither immer genauer bestätigt worden. Und c gilt absolut. Insofern hätte die Relativitätstheorie auch „Absoluttheorie“ genannt werden können. Zudem ist c die Grenzgeschwindigkeit für Materie. Das heißt, um eine Masse auf c zu beschleunigen, bräuchte man unendlich viel Energie. Außerdem folgen aus der Relativitätstheorie kontraintuitive, aber klar bestätigte Konsequenzen: dass Objekte bei der Annäherung an c in ihrer Länge immer stärker gestaucht werden und die Zeit für sie langsamer vergeht. Überdies würde die Intensität einer Lichtquelle für einen Beobachter unendlich groß, falls er sich lichtschnell auf sie zu bewegt. Für ein Photon selbst, das sich mit c bewegt, weil es keine Ruhemasse besitzt, vergeht hingegen überhaupt keine Zeit. Aus sei-
ner Sicht befindet es sich auf seiner Bahn quasi überall zugleich. Wie bei den Werten aller fundamentalen Naturkonstanten weiß niemand, warum c seinen faktischen Wert hat und nicht irgendeinen anderen. Vielleicht lässt er sich eines Tages durch eine ultimative Theorie erklären, aber das ist ungewiss. Eine solche „Weltformel“ ist der Traum vieler Theoretischer Physiker. Denkbar ist, dass sich die Werte der Naturkonstanten mit der Zeit ändern, es sich also gar nicht um echte Konstanten handelt. Das wurde immer wieder auch für c diskutiert, etwa von den Kosmologen João Magueijo und John Barrow. Damit könnten vielleicht einige Rätsel gelöst werden, die aktuell noch um die Zeit unmittelbar nach dem Urknall bestehen. Es gibt Möglichkeiten, die Werte von Naturkonstanten, darunter c, im sehr frühen Universum zu bestimmen: mithilfe der Lichtspektren weit entfernter Urgalaxien. Vage Abweichungen maßen Astronomen hin und wieder, aber noch keine klaren und konsistenten Indizien. Die fundamentale Naturkonstante lässt noch viele fundamentale Fragen offen. Auf plus/minus 11 Kilometer pro Sekunde genau bestimmten 1930 bis 1935 Albert A. Michelson, Fred Pease und Francis Pearson in Südkalifornien den Wert der Vakuum-Lichtgeschwindigkeit. Dazu verwendeten sie eine 1,6 Kilometer lange Vakuumröhre mit zwei großen konkaven Spiegeln an beiden Enden, zwischen denen ein Lichtstrahl zehnmal hin und her reflektiert wurde. Seine Geschwindigkeit wurde anhand geringfügiger Ablenkungen mithilfe eines achtseitigen Drehspiegels, der 512-mal pro Sekunde rotierte, und weiterer Spiegel gemessen.
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Moderne Lichttechnologien
Strom aus Licht Forscher auf der ganzen Welt arbeiten an Ideen zur Verbesserung von Solarzellen. Seit fast 200 Jahren ist bekannt, dass Sonnenlicht Strom erzeugen kann. Dennoch führte die Photovoltaik lange ein Schattendasein. Erst mit der Energiewende wurde sie populär – und ist heute ein gigantisches Forschungsfeld.
A
ls Alexandre Becquerel im Jahr 1839 den photoelektrischen Effekt entdeckte, war die Glühbirne noch nicht erfunden. Für das Phänomen, dass Licht elektrischen Strom produzieren kann, wenn es auf einen Festkörper trifft, interessierte sich
Von Rainer Kurlemann
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Moderne Lichttechnologien
fast 100 Jahre lang nur die Wissenschaft. Strom wurde mit Hilfe von Dynamos erzeugt, die am Ende des 19. Jahrhunderts von Dampfmaschinen angetrieben wurden. Zu Beginn des Zeitalters der Elektrizität hielten Kohle, Gas und später die Atomkraft die Strom-
Seit über 22 Jahre versorgen Solarmodule die Internationale Raumstation ISS mit Strom. Derzeit werden sechs neue Module installiert, um die Leistung wieder auf 215 Kilowatt zu erhöhen.
kosten jahrzehntelang gering. Photovoltaik führte ein Schattendasein. Sie kam nur dort zum Einsatz, wo Alternativen fehlten oder Batterien zu viel Gewicht mit sich bringen. So wurden etwa einige Prototypen für den Einsatz auf einem Zeppelin entwickelt. Doch am 17. März 1958 starteten die ersten Solarmodule ins Weltall. Sie versorgten den US-Satelliten Vanguard 1 sechs Jahre lang mit Energie. Das 1,5 Kilogramm schwere Flugobjekt sendete die Daten seiner Flugbahn und trug dazu bei, dass die Umlaufbahn von Satelliten besser berechnet werden konnte. Seitdem hat sich der Strom aus Sonnenlicht im Weltraum als wichtigste Energiequelle etabliert. Erst im Juli 2023 wurden sechs neue Solarmodule zur Internationalen Raumstation ISS gebracht, die dort nach der Installation bis zu 120 Kilowatt zusätzliche Leistung erzeugen sollen. Auf der Erde dagegen blieb die Photovoltaik trotzdem noch lange Zeit ein Stiefkind der Energiewirtschaft. Der Boom der Technik begann erst Anfang dieses Jahrhunderts. Mit dem beginnenden Klimawandel, der wachsenden Bedeutung erneuerbarer Energien und den stark fallenden Preisen der Solarmodule hat sich das Ansehen radikal geändert. Mittlerweile erreichen neuerbaute Sonnenkraftwerke die Dimension einer Kleinstadt. Und der Superlativ „größte Photovoltaikanlage der Welt“ hat oft nur wenige Monate Bestand. In Indien liefern zwei Photovoltaik-Parks beispielsweise zusammen eine Leistung von mehr als vier Gigawatt Strom, das entspricht dem, was in Deutschland durch die Abschaltung von drei AKW im Frühjahr vom Netz genommen wurde. Im Nordwesten des Landes beansprucht der Solarpark Bhadla im Distrikt Jodhpur eine Fläche von 57 Quadratkilometern. Es steht in einer trockenen, nahezu unbewohnten Region, in der die Temperaturen regelmäßig über 45 Grad Celsius erreichen. Auch China und die arabischen Golfstaaten bestücken immer mehr Flächen in der Wüste mit Sonnenkollektoren. Diese Anlagen lohnen sich, obwohl die Leistung einer Solarzelle mit steigender Temperatur im Regelfall abnimmt. Die Vereinigten Arabischen Emirate haben das weltweit ers-
te Photovoltaik-Kraftwerk zur Herstellung von Aluminium gebaut. Der Strom für die energieaufwändige Produktion von 400 000 Tonnen Leichtmetall durch Elektrolyse stammt fast ausschließlich von Solarzellen.
Theorie und Praxis Mit derartigen Anwendungsmöglichkeiten hatte weder Albert Einstein noch Robert Millikan gerechnet. Einstein hatte 1905 den photoelektrischen Effekt theoretisch erklärt und Millikan etwa zehn Jahre später diese Herleitung im praktischen Experiment bestätigt. Beide erhielten unabhängig voneinander den Physik-Nobelpreis für die Wechselwirkung von Licht mit Materie. Einstein hatte erkannt, dass Licht aus einzelnen Energiepaketen (Photonen) besteht, deren Größe von der Wellenlänge abhängig ist. Trifft das Licht auf Materie, so kann ein Photon die passende Energiemenge liefern, um ein Elektron in einem Atom in einen angeregten Zustand zu versetzen oder das Elektron sogar vom Atom zu trennen. Das aktivierte Elektron kann sich im Material bewegen und so kann elektrischer Strom fließen. Die meisten Solarzellen unterstützen diesen Effekt noch dadurch, dass sie zwei voneinander getrennte Schichten haben: eine mit Elektronenüberschuss und eine, der Elektronen fehlen. Erreicht wird dies, indem das Silizium, aus dem die Solarzellen bestehen, gezielt beispielsweise mit Bor- und Phosphoratomen verunreinigt wird. Physiker nennen das eine Dotierung. Modell des Satelliten Vanguard 1. Er war der erste Raumflugkörper, der Solarzellen für die Stromversorgung verwendete.
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Blick auf den Bhadla Solar Park, ein Solarkraftwerk in der TharWüste im indischen Bundesstaat Rajasthan.
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Derzeit wird in der Photovoltaik fast ausschließlich Silizium für den Massenbetrieb verwendet. Dabei zeigen auch andere Elemente und Verbindungen den photoelektrischen Effekt. Wie viel Energie ein Photon besitzen muss, um ein Elektron photoelektrisch anzuregen, ist eine spezifische Eigenschaft eines Materials, die sich mit der Zusammensetzung und der Struktur verändert. Deshalb sind Solarzellen ein schwieriges Feld für die Forschung. Die Kunst besteht darin, Materialien zu finden, die ausreichend Licht in Strom verwandelt, aber gleichzeitig stabil, preiswert und einfach herzustellen sind. Gemischte Kristalle wie Cadmiumtellurid oder Galliumarsenid erreichen beispielsweise höhere Wirkungsgrade als Silizium, aber sie sind teuer und giftig. Der höhere Wirkungsgrad resultiert daraus, dass ein Photon die Elektronen im Galliumarsenid ohne zusätzlichen Aufwand direkt aktivieren kann. Im Vergleich zum Silizium muss das Photon weniger tief in das Material eindringen. Ein Zehntel der Strecke reicht für die Absorption aus, deshalb lassen sich mit Galliumarsenid sehr dünne So-
Moderne Lichttechnologien | Strom aus Licht
larzellen herstellen. Das Material ist in der Raumfahrt beliebt. Sehr dünnbeschichtete Sonnenkollektoren liefern nicht nur Gewichtsvorteile, sie produzieren gleichzeitig auf derselben Fläche auch noch mehr Strom als Siliziumzellen. Zudem hält Galliumarsenid der intensiven Sonnenstrahlung im Weltraum besser Stand.
Hoffnungsträger Perowskite Doch der wachsende Bedarf an Solarzellen hat auch weltweit die Forschung an neuen Materialien attraktiver gemacht. Einer der größten Hoffnungsträger der Wissenschaft sind derzeit die Perowskite. Perowskit ist ursprünglich der Name einer bestimmten Kristallstruktur, die erstmals in einem Calciumtitanoxidmineral, dem Perowskit, bestimmt wurde. Diese Anordnung der Atome begünstigt elektrische Effekte und das kann auch für die Absorption von Licht gelten. Der größte Vorteil liegt in der einfachen Herstellung: Während das monokristalline Silizium als ein einziger großer Kristall mit viel Energieaufwand aus ei-
ner abkühlenden Siliziumschmelze gezogen werden muss, lassen sich dünne Perowskite sogar mit einem 3D-Drucker drucken. Perowskite bestehen aus mehreren Schichten, die meistens aus unterschiedlichen Metallen oder Metalloxiden aufgebaut werden. Mehr als 6000 verschiedene Varianten sind bekannt. Forschende experimentieren mit verschiedenen Materialien in den einzelnen Schichten und nutzen auch die Erkenntnisse aus der Dotierung von Silizium. Dadurch erzielen sie schnell Fortschritte. „Diese Technologien konnten ihre Lichtkonversionseffizienz in den letzten fünf bis zehn Jahren drastisch steigern und haben mittlerweile zu Silizium aufgeschlossen“, sagt Christoph Brabec vom Helmholtz-Institutes Erlangen-Nürnberg für Erneuerbare Energien (HI ERN), einer Außenstelle des Forschungszentrums Jülich. Seit Team hat im April 2023 die 3D-gedruckten Solarzellen vorgestellt. Der Spitzenwert für den Wirkungsgrad der Perowskite liege im Labor mittlerweile bei 25,7 Prozent und damit nur noch knapp hinter dem Siliziumrekord von 26,7 Prozent, sagt Brabec. Die Forscher können stolz auf ihre Arbeit sein. Als japanische Wissenschaftler im Jahr 2009 ihre ersten Perowskit-Solarzellen präsentierten, erreichten diese nur einen Wirkungsgrad von etwa 3,9 Prozent. Die Perowskite könnten sehr schnell im industriellen Maßstab eingesetzt werden, wenn sie mit herkömmlichen Solarzellen als Tandemmodule kombiniert werden. Dabei wird eine Perowskitschicht auf herkömmliche Silizium-Solarzellen aufgetragen – was einen entscheidenden Vorteil mit sich bringt: Bisher hat die Photovoltaik eine natürliche Begrenzung im Wirkungsgrad bei etwa 30 bis 40 Prozent, denn ein homogenes Material der Solarzellen kann nur einen bestimmten Teil des Lichts zur Anregung von Elektronen verwerten. Da die Perowskite ein anderes Energiepaket (Photonen mit höherer Energie) absorbieren als das Silizium, kann ein größeres Spektrum des Lichtes ausgenutzt werden. Die Perowskitschicht wird dafür so dünn gemacht, dass noch genügend Licht das darunterliegende Silizium erreichen kann. Auf diese Weise ließe sich der Wirkungsgrad weiter steigern. Doch bis dahin müssen die Forscher noch viel Arbeit leisten, denn die neuen Materialien sind noch nicht so stabil, dass sie jahrelang den Umweltbedingungen und der Sonne ausgesetzt werden können.
negative Elektrode
Silizium (mit Phosphor dotiert)
ht
ic zsch Gren positive Elektrode
Silizium (mit Bor dotiert) Ladungstrennung
Dennoch verspricht sich Christoph Brabec von den Perowskiten viele Vorteile in der Anwendung, nicht nur weil sie auf verschiedene Oberflächen gedruckt werden können. Je nach Zusammensetzung kann der Werkstoff andere Farben annehmen, was Perowskite beispielsweise für Photovoltaik als Verkleidung von Gebäuden interessant macht. Die dünnen lichtdurchlässigen Schichten können zudem als transparentes Dach für Gewächshäuser oder als Element von Architektur verwendet werden.
Aufbau einer Solarzelle.
Solarzellen aus polykristallinem Silizium.
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Photovoltaik, integriert in das Glasdach des Turiner Bahnhofs Porta Susa.
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Neue Technologien, neue Möglichkeiten Diese speziellen Beispiele zeigen, dass Photovoltaik neue Anwendungsgebiete erobert und die Fantasie der Ingenieure anregt. Die derzeit vorherrschenden grauen und klobigen Siliziummodule zur Stromerzeugung mögen auf Hausdächern oder anderen großen Flächen noch ihre Zukunft haben, aber filigrane und für individuelle Anwendungen konzipierte kleine, dezentrale Kraftwerke ergänzen das Angebot. Solarzellen können sich in gewöhnlichen Dachziegeln verbergen oder als kleines Balkonkraftwerk Strom liefern. Der niederländische Autohersteller Lightyear hat ein Fahrzeug entwickelt, das komplett mit Sonnenenergie betrieben werden kann. Fünf Quadratmeter Solarzellen bedecken die Motorhaube, das Dach und den Kofferraum. Sie sollen genug Energie liefern, damit das sparsame Elektroauto unabhängig von Ladesäulen und Steckdosen unterwegs sein kann. Und die Firma Iworks aus Luxemburg hat eine PV-Anlage gebaut, die sich wie eine Markise einfahren lässt. Aber auch die Siliziumzellen werden immer besser. Moderne Solarzellen können Sonnenlicht von
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beiden Seiten verwerten. Zum einen das Licht, das sie direkt von oben erreicht, zum anderen Licht, das beispielsweise durch Reflexion auf die Rückseite der Zelle trifft. Bei solchen sogenannten bifacialen Modulen werden transparente Rückseitenabdeckungen verwendet. Herkömmliche Solarmodule haben häufig eine Rückseite, die nicht verwertetes Licht innerhalb des Moduls zurückreflektiert. Dieser Effekt entfällt bei der bifacialen Variante, aber bei zahlreichen Anwendungen kompensiert der Stromgewinn über die Rückseite diesen Verlust. Ein weiterer Weg, der die Wirkungsgrade verbessern soll, ist die Heterojunction-Technologie. Sie löst ein Problem, dass sich aus dem Aufbau der Solarzellen ergibt. Denn häufig werden die aktivierten Elektronen bereits während der Wanderung durch das Material entladen. Sie gehen dadurch verloren, noch bevor sie den Stromkreis erreichen. HeterojunctionZellen kombinieren monokristallines und ungeordnetes (amorphes) Silizum, zudem wird in den das Silizium in den neuen Modulen mit einer sogenannten passivierten Kontaktoberfläche versehen, die verhin-
dert, dass die durch das Licht erzeugten Elektronen in einen Bereich entkommen können, der ihre Ladung kompensiert. Gleichzeitig ergibt sich ein weiterer Vorteil. Die Heterojunction-Zellen sind dünner und biegsamer 87und lassen sich daher besser verarbeiten. „Die nächste Generation der Photovoltaik wird aus solchen passivierenden Kontaktsolarzellen bestehen“, sagt Kaining Ding, Entwickler von Solarzellen am Forschungszentrum Jülich. Doch Veränderungen in diesem Segment gehen langsam. Auf dem Solarmarkt sind die Produktionskosten der Zellen noch immer der ausschlaggebende Faktor für den Marktanteil. Bei der Heterojunction-Technologie stehen den Vorteilen aktuell noch die hohen Investitionskosten für den Bau neuer Fabriken gegenüber. In Deutschland produziert die Zellen jedoch bereits die Firma Meyer Burger an einem Standort im sächsischen Freiberg. Und auch in den USA und China werden bereits Fabriken dafür geplant. Eine noch weitaus kostenintensivere Idee könnte dagegen Opfer des irdischen Erfolges werden: Die Raumfahrtnationen wollen Solaranlagen im Weltraum installieren und den Strom von dort in Form von Mikrowellenstrahlung zur Erde schicken. Das California Institut of Technology (CalTech) hat im März 2023 einen kleinen Prototyp in der Erdumlaufbahn getestet. Doch um damit einen nennenswerten Bei-
trag zur Energieversorgung zu leisten, wären dafür nicht nur dutzende kilometergroße Raumstationen im Weltraum nötig, sondern auch gigantische Empfangsstationen auf der Erde mit einem Flächenbedarf von hunderten Quadratkilometern. Immerhin, Photovoltaik im Weltraum hätte einen Vorteil, den die Erde nicht bietet: Dort scheint die Sonne ununterbrochen, auf der Erde dagegen muss die Energie gespeichert werden, wenn sie auch nachts verwendet werden soll.
Seit der Gaskrise boomen BalkonSolaranlagen.
Lightyear 0 sollte als erstes Solarauto der Welt 2023 in Serie gehen, doch dem Unternehmen ging das Geld aus. Nun soll es bis 2025 geschafft werden.
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Ein neues Feld der Photovoltaik Ackerflächen können der Nahrungsmittel- und Stromproduktion zugleich dienen. Der Ausbau von Solaranlagen benötigt viel Platz. Doch viele geeignete Flächen werden bereits für die Landwirtschaft genutzt. Forscher suchen daher nach Wegen, beide Nutzungen zu kombinieren – und sehen großes Potenzial.
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ie rheinische Ackerbohne könnte die deutsche Landwirtschaft verändern. Denn im Rahmen eines Experiments des Forschungszentrums Jülich (FZJ) wird ihr Anbau auf dem Hof der Familie Müller im Rheinland mit der Nutzung von Photovoltaik kombiniert. Auf diese Weise erntet die Landwirtin und Agri-Business-Studentin Christin Müller auf der Ackerfläche gleich doppelt: nicht nur die Bohnen, sondern zusätzlich auch den Strom von Solarpanelen, die vier Meter darüber installiert sind. Agri-Photovoltaik heißt diese Kombination zweier Technologien, die seit 2011 weltweit getestet wird und die bislang bestehende Flächenkonkurrenz zwischen Photovoltaik und Landwirtschaft verringern soll. Das Interesse in der Region an einer gleichzeitigen Nutzung von Flächen sei groß, berichtet Ulrich Schurr, Direktor des Instituts für Pflanzenwissenschaften in Jülich. „Einige Kommunen, die Anlagen aufbauen wollen, haben uns bereits angesprochen“, sagt er. In Morschenich-Alt, ebenfalls im Rheinland, baut das FZJ über den fruchtbaren Böden auf einer Fläche von zwei Hektar 1000 Solarmodule. Auch im Braunkohlegebiet Garzweiler wird es gemeinsam mit der RWE auf sieben Hektar Versuche geben, wie bei der neuen Nutzung des Geländes die Interessen von Photovoltaik und Landwirtschaft unter einen Hut gebracht werden können. Das Potential ist gewaltig: Das Fraunhofer Institut für solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg schätzte im April 2022, dass in Deutschland 1700 Gigawatt Leistung in Ständerbauweise über den Pflanzen installiert werden könnte. Das wäre die 30-fache Leistung der derzeit hierzulande aktiven PhotovoltaikAnlagen. In Japan, wo freie Flächen besonders knapp sind, gibt es bereits seit 2013 staatliche Förderung
Von Rainer Kurlemann
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für solche Projekte. Auch Korea, die USA, China und Frankreich unterstützen die Solarbauern. Allerdings fürchten die Gegner, dass sich zu viele grüne Ackerflächen in siliziumgraue Ödnis verwandeln.
Licht und Schatten Doch bis die Agri-Photovoltaik massentauglich wird, ist noch viel Forschung nötig. Denn so einfach wie die Idee in der Theorie klingt, ist die Umsetzung in der Praxis nicht. Solaranlagen und Pflanzen vertragen sich nur selten gut. Ackerbohnen bevorzugen beispielsweise einen warmen, sonnigen Platz und Böden mit hohen Wasserspeicherkapazitäten, die Photovoltaik-Module werfen aber Schatten. Deshalb untersuchen Ulrich Schurr und Christin Müller wie sich die Stromerzeuger auf das Wachstum auswirken. Auf dem Versuchsfeld stehen sie in unterschiedlichen Abständen, so dass es sonnige und halbschattige Plätze gibt. „Im Frühjahr wuchsen zunächst die Bohnen im sonnigen, trockenen Bereich schneller, im extrem heißen Sommer hatten dann die Pflanzen im feuchten Schatten klar die Nase vorn“, berichtet Müller, die das Projekt des FZJ auf dem Familienhof betreut. Was diese Erfahrung für die Landwirte bedeuten, kann ganz unterschiedlich sein. Müller sieht einen Vorteil für Betriebe, die Gemüse über Wochenmärkte oder Hofläden direkt vermarkten. „Unter der Anlage wachsen die Pflanzen unterschiedlich schnell – und werden nicht alle gleichzeitig reif“, sagt sie. Bislang erbrachte das Versuchsfeld aber weniger Ertrag als die Bohnen auf dem herkömmlichen Acker nebenan. Für die Landwirte könnte sich der Deal dennoch lohnen. Denn mit dem auf den Feldern selbst erzeugten Solarstrom könnten sie etwa ihre stromfressenden Bewässerungsanlagen betreiben – und
würden sich so unabhängiger von den steigenden Energiepreisen machen. Schon dieses Beispiel zeigt, wie komplex die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Agri-Photovoltaik sind. In hiesigen Regionen hängt der Erfolg auch von den Pflanzen ab, die angebaut werden. Je besser sie Schatten vertragen, desto höher werden die Erfolgschancen. Die ersten Feldversuche an der bayrischen Hochschule Weihenstephan experimentierten 2011 bis 2015 vor allem mit Chinakohl und Salat: Wurden die Felder zu dicht mit Solaranlagen überzogen, halbierte sich die Kohlernte. Ab einem Abstand von 66 Zentimetern zwischen den Modulen erreichten die Kohlköpfe 71 Prozent des Gewichtes der Exemplare einer freien Fläche. Salat erwies sich als weniger anfällig. Bei der Salatsorte „Lollo Rosso“ fiel der Er-
trag höchstens 15 Prozent geringer aus als der von Pflanzen ohne Verschattung durch Agri-Photovoltaik. Dabei setzten die Konstrukteure allerdings andere Solarmodule ein: Statt breiter Flächenmodule verwendeten sie röhrenförmige Elemente, die mehr Licht durchließen. Die Frage nach der Geometrie und den Eigenschaften der Solarmodule beschäftigt die Wissenschaft noch immer. Einige Forschungsprojekte verwenden Photovoltaik-Module, die lichtdurchlässiger sind. Eine Alternative sind bewegliche Module, die beispielsweise nach dem Sonnenstand geführt werden und durch eine höhere Stromausbeute wirtschaftMatthias Meier-Grüll vom Forschungszentrum Jülich erforscht mit seinem Team, wie Ackerflächen zukünftig nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch Strom liefern können. Dazu wurden Versuchsfelder mit Photovoltaik-Anlagen überbaut.
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Auf einer Fläche von 1,3 Hektar wird Hopfen angebaut und gleichzeitig in rund sechs Metern Höhe Solarenergie für etwa 200 Haushalte erzeugt.
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licher werden. Diese Module können aber auch dem Bedarf der Pflanze angepasst werden und an manchen Tagen mehr Licht zum Boden lassen. Andererseits bedeutet dieses Konzept aber auch mehr Investitionskosten für die Landwirte und die Anlagen müssen häufiger gewartet werden. Bei anderen klimatischen Bedingungen bietet der Schattenwurf sogar Vorteile. Das ISE kooperiert bei drei Projekten in Chile, bei denen Solarpanele die Pflanzen vor dem Austrocknen und Sonnenbrand schützen sollen. Der Strom einer Brokkoli- und Blumenkohlfarm versorgt dort die Verpackungsmaschinen und einen Teil der Kühlhäuser mit Energie. In abgelegenen Gegenden sichert die Technologie die Stromversorgung eines Dorfes. Eine Studie der Universität Hohenheim hat ergeben, dass eine Beschattung der Flächen in Regi-
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onen mit ausreichend Wasserzufuhr oft die Ernteerträge senkt, sie aber andererseits bei Dürre sogar zu Ertragssteigerungen führen kann. Bei Wasserknappheit profitieren die Pflanzen nämlich von der geringeren Verdunstung und damit vom geringeren Wasserverlust im Vergleich zu unbeschatteten Flächen. Die Forscher sehen deshalb ein großes Potential in Ländern mit ausgeprägten Dürreperioden wie etwa im östlichen und südlichen Afrika, auf der arabischen Halbinsel, im Nahen Osten, in Indien und Australien.
Umfassende Forschungsphasen Die ersten europäischen Landwirte haben sich schon zum flächendeckenden Einsatz der Photovoltaik entschlossen. In den Niederlanden lässt Obstbauer Marten van Hoff seine gesamte Himbeerplantage mit Solarmodulen überbauen. Mit 24 206 Sonnenkollek-
toren entsteht in der Nähe von Veghel und Eindhoven die nach Angaben des Herstellers GroenLeven größte Agri-Photovoltaik-Anlage Europas, die Strom für etwa 2700 Haushalte erzeugen kann. Beim Obstbauern ersetzt die Photovoltaik die großen Plastikfolien, die bisher die empfindlichen Beeren vor zu viel Regen und Hagel schützten und nach Verwendung in den Müll wanderten. Die Anlage sorge zudem für ein stabiles Klima, das dem Wachstum der Früchte zugutekomme, so van Hoff. In Deutschland laufen eine Reihe ähnlicher Versuche mit Himbeeren, Heidelbeeren, Johannisbeeren, Erdbeeren, Stachelbeeren, Brombeeren und in Apfelplantagen. In der Hallertau in Oberbayern können Hopfenpflanzen die Stahlpfeiler der Photovoltaik-Anlage gleichzeitig als Rankhilfe nutzen. Drei Jahre lang untersucht das bayerische Landesamt für Landwirtschaft, wie das Solardach die Qualität und Menge der Ernte der Zutat fürs Bier beeinflusst. Diese langen Forschungsphasen werden die Entwickler brauchen, denn nicht nur das Wechselspiel
zwischen Pflanzen und Sonnenkollektoren beeinflusst den Erfolg der neuen Technologie. In Deutschland ist es vor allem die Bürokratie, die immer wieder für Schwierigkeiten sorgt. Die Photovoltaikanlagen benötigen nämlich eine Baugenehmigung, die in landwirtschaftlich geprägten Bereichen oft nur als sogenanntes „privilegiertes Vorhaben“ erteilt werden kann. Für Großinvestoren ist es eher möglich, eine solche Genehmigung zu bekommen, als wenn örtliche Unternehmer als Bürgerenergiegesellschaft bauen wollen. Viele Kommunen müssen erst den Flächennutzungsplan ändern und dann einen Bebauungsplan erlassen, damit die Sonnenbauern ihre Projekte verwirklichen können. Ein Teil der Landwirte steht den Sonnenkollektoren aus einem anderen Grund skeptisch gegenüber. Die Stahlkonstruktionen für das Solardach stehen den großen Landmaschinen im Weg, die vielfach für die Bewirtschaftung der Felder eingesetzt werden. Getreide- und Maisfelder werden deshalb vorerst weiter ohne Photovoltaik bleiben. Die Schweiz will bis 2050 CO2-neutral werden. Das Unternehmen Beerenland trägt dazu bei, indem es seine Himbeeren und Erdbeeren auf einer Fläche von 2000 Quadratmetern mit Solarpanelen überbaut hat.
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Der Landwirtschaft geht ein Licht auf Leuchtdioden optimieren den Gemüseanbau in Gewächshäusern. Schnelleres Wachstum, besserer Geschmack und höhere Erträge – energiesparende LED-Beleuchtung macht in der modernen Landwirtschaft einiges möglich.
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Von Rainer Kurlemann
In einer Halle im Kopenhagener Industriegebiet wächst Salat unter LED-Licht.
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flanzen benötigen Licht zum Wachsen. Das klingt einfach, doch hinter diesem Satz versteckt sich eine komplizierte Physik, die beispielsweise im Ackerbau wichtig ist. Landwirte wissen längst, wie sie ihre Pflanzen auch mit wenig Sonnenlicht kultivieren können. Die meisten Gewächshäuser erstrahlen dann im hellen, weißen Licht von Natriumhochdruckdampflampen als Sonnenersatz. Die Natriumlampen liefern genügend Licht für die Photosynthese, den wichtigsten biochemischen Prozess
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auf der Erde, der Pflanzen wachsen lässt. Dank dieser Wechselwirkung können sie die Energie des Lichts für ihren Stoffwechsel nutzen. Sie wandeln damit Kohlendioxid in Zucker um, den sie für das Wachstum benötigen. Die Photosynthese wird im Wesentlichen von zwei Enzymen (Chlorophyll A und B) geleistet. Sie absorbieren vor allem die violetten und orangen sowie die blauen und gelben Teile des Lichts, während der Rest von den Blättern reflektiert wird, die deshalb in unseren Augen als grün erscheinen.
Doch das Zeitalter der Natriumlampen im Gewächshaus geht zu Ende, ähnlich wie die Glühbirne aus privaten Haushalten verdrängt wurde. Studien im Auftrag der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) haben ergeben, dass LED-Leuchten mit 40 bis 60 Prozent weniger Stromverbrauch ähnlich gute Ernteerfolge liefern. Für den Anbau von Kräutern, Spinat, Rucola, Tomaten oder Gurken bietet die neue Technik sogar einen zusätzlichen Vorteil: LED-Leuchten strahlen weniger Wärme ab und können deshalb näher an den Pflanzen platziert werden. Sie können Licht nicht nur von oben liefern, sondern auch von der Seite und erreichen damit schattige Plätze unter den Blättern. Vor allem aber sparen die Lampen Platz. Sie ermöglichen damit neue Konzepte für die Landwirtschaft, beispielsweise das „vertical farming“.
Mit LEDs hoch hinaus In Kopenhagen steht Europas größtes Gewächshaus mit der neuen Technik. Anders Riemann hat die Betreiberfirma Nordic Harvest gegründet und 25 Millionen Euro investiert. Was von außen wie eine unscheinbare Lagerhalle ohne Fenster wirkt, birgt drinnen ein High-Tech-Unternehmen, in dem sich Pflanzen und LED-Beleuchtung 14 Etagen hoch bis unters Dach stapeln. Die Wurzeln von Rucola, Spinat und Basilikum wachsen dabei nicht in die Erde. Sie können alle nötigen Nährstoffe aus speziellen Wasserbecken aufnehmen. In die saubere Halle können keine Pflanzenschädlinge eindringen, deshalb benötigen die Lichtbauern keine Pestizide. Außerdem gibt es in diesem modernen Gewächshaus keine Jahreszeiten. Riemann erntet fünfzehnmal im Jahr. Nach seinen Angaben produziert er das 250-Fache dessen, was ein gewöhnlicher Landwirt auf derselben Fläche anbauen könnte. Der komplette Bedarf Dänemarks könnte durch 20 Indoor-Farmen gedeckt werden, rechnet der Firmengründer vor. Riemanns Techniker erforschen inzwischen den Anbau von anderen Gemüsesorten. Der Einsatz von LED-Leuchten ermöglicht noch viel mehr. Die Techniker können präzise einstellen, welche Wellenlängen durch die Lampe besonders lange und intensiv oder auch gar nicht ausgestrahlt werden sollen. So lässt sich die Beleuchtung an die speziellen Bedürfnisse unterschiedlicher Pflanzen
und auch an die Erfordernisse des Marktes anpassen. Das wachsende Wissen aus der Biochemie der Pflanzen ermöglicht dabei einige Tricks: Pflanzen enthalten nämlich neben dem Chlorophyll viele andere durch Licht einer bestimmten Wellenlänge aktivierte Proteine. Diese Moleküle steuern beispielsweise, ob eine Pflanze sich schnell der Sonne entgegenstreckt oder einen kompakten Wuchs hat, der von vielen Kunden bevorzugt wird. Der Lichteinfluss regelt auch, wann sich Blüten entwickeln oder wie intensiv Aromastoffe gebildet werden. Viele dieser Anwendungen mit ausgewählten Wellenlängen des Lichts stecken noch in den Kinderschuhen. Aber schon heute ist es möglich, dass Basilikum durch Lichttherapie einen intensiveren Geschmack entwickelt. Oder dass Rosen zwar Knospen bilden, sich aber nur wenige Blüten schon beim Züchter öffnen. Die volle Blütenpracht entsteht erst, wenn sie beim Käufer das volle Lichtspektrum bekommen.
Die vertikalen Anbauanlagen reichen bis fast an die Decke. Jede Etage von Grünkohl, Salat oder Kräutern kann nach Bedarf individuell beleuchtet werden.
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Sonne, Wärme, Dampf und Strom Aus der Wärme der Sonne lässt sich ebenso Energie gewinnen, wie aus ihrem Licht. Das Potenzial der Solarthermie für die Produktion von Ökostrom stellen Kraftwerke in Marokko seit einigen Jahren eindrucksvoll unter Beweis.
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er sich wie der Autor dieses Beitrags auf eine geführte Rundreise durch Marokko begibt, macht vermutlich irgendwann auch in Ouarzazate Station. Die Stadt mit rund 70 000 Einwohnern liegt in mehr als 1000 Meter Meereshöhe südlich des Atlasgebirges, inmitten einer kargen Landschaft und nicht weit entfernt vom Westrand der Sahara. Das Wetter: fast immer wolkenloser Himmel und strahlender Sonnenschein. Es ist daher kaum verwunderlich, dass vor einigen Jahren nur rund zehn Kilometer vor den Toren von Ouarzazate eines der größten Solarkraftwerksareale der Welt errichtet wurde. Gleich vier riesige Kraftwerke reihen sich dort auf einer Ebene aneinander. Die Anlagen, die zwischen 2016 und 2018 in Betrieb gingen, tragen die Bezeichnungen „Noor“ I bis IV, wobei das arabische Wort Noor auf Deutsch „Licht“ bedeutet. Sie produzieren elektrischen Strom aus der Energie des Sonnenlichts – mit einer installierten Leistung von insgesamt rund 600 Megawatt. Das ist etwa halb so viel wie ein modernes Gas- oder Kernkraftwerk an Leistung liefern kann.
Breite Palette an Technologien Doch die Kraftwerke nutzen zur Stromproduktion unterschiedliche Technologien. Die jüngste und mit maximal gut 70 Megawatt leistungsschwächste der vier Anlagen besteht aus einem rund 140 Hektar großen Gelände mit Hunderten aneinandergereihten Photovoltaikmodulen, die die Energie des Sonnenlichts direkt in elektrischen Strom verwandelt. Sie nutzt damit dieselbe Technik, die man auch von den bläulich schillernden Solarpaneelen auf Hausdächern oder in den immer häufiger zu sehenden Solarfeldern am Rand von Autobahnen oder Bahnlinien kennt.
Die Technologie, auf der die benachbarten Anlagen Noor I, II und III basieren, unterscheidet sich davon grundlegend. Es sind sogenannte solarthermische oder Sonnenwärmekraftwerke. Deren grundsätzliches Funktionsprinzip ist dem von Kohle- oder Gas- und Dampf-Kraftwerken nicht unähnlich: In einem geschlossenen Kreislauf zirkuliert Wasser, das an einem Ende als heißer Dampf eine Turbine antreibt. Deren Rotation wiederum gibt einem Generator Schwung, der die Bewegungsenergie in elektrischen Strom verwandelt. Danach wird das Wasser abgekühlt, es kondensiert und strömt zum Ausgangspunkt zurück. Dort wird es wieder erhitzt und verdampft erneut. Doch während in einem fossilen Kraftwerk die für das Verdampfen des Wassers benötigte Wärme aus der Verbrennung etwa von Kohle oder Erdgas stammt, bezieht eine solarthermische Anlage dazu Energie aus dem Sonnenlicht. Dafür wird es durch Spiegel auf eine kleine Fläche fokussiert und konzentriert, die sich dadurch stark erhitzt – und auf diese Weise letztlich flüssiges Wasser in Dampf verwandelt. Solche Anlagen mit einer sogenannten Strahlungsbündelung – im englischen Fachjargon „concentrated solar power“ (CSP) genannt – werden auch im marokkanischen Ouarzazate eingesetzt.
Von Ralf Butscher
Rinnen und Türme Allerdings gibt es auch bei dieser Technologie verschiedene Varianten. So sind Noor I und II Parabolrinnenkraftwerke, während Noor III ein Solarturmkraftwerk ist. Bei letzterem sind zahlreiche große Spiegel ungefähr kreisförmig aufgestellt und so ausgerichtet, dass sie das ankommende Sonnenlicht zu einem Punkt hinlenken, an dem sich ein Turm befindet. An
Noor III ist eines von vier aneinandergereihten Solarkraftwerken nahe Ouarzazate in Marokko.
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Südkalifornien in Betrieb. An dem Standort existieren inzwischen neun solcher Anlagen – ebenfalls mit einer Gesamtleistung von rund 350 Megawatt. Und auch in der spanischen Südprovinz Andalusien, einige Dutzend Kilometer im Hinterland der Küstenstadt Almeria, erstreckt sich ein Park aus Parabolrinnenkraftwerken. Die erste der drei Anlagen von „Andasol“ liefert bereits seit 2008 elektrischen Strom ans Netz. An der Entwicklung und dem Bau war das 2011 in Konkurs gegangene deutsche Unternehmen Solar Millennium maßgeblich beteiligt.
Solare Forschungsplattformen
Turm und Sonnenkollektoren im nahe bei Sevilla gelegenen Solarwärmekraftwerk PS10.
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seiner Spitze ist der sogenannte Receiver angebracht: ein dunkles Material, das sich durch das konzentrierte Sonnenlicht auf teils mehr als 1000 Grad Celsius erhitzt und damit die Wärme für die Dampferzeugung liefert. Die Übertragung der Wärme zwischen dem Receiver und dem Wasserkreislauf im Kraftwerk erfolgt durch Luft. Die um den Turm herum angeordneten Spiegel – die Heliostaten – werden ständig automatisch dem Lauf der Sonne nachgeführt, sodass sie stets einen möglichst großen Teil des Lichts auffangen und zur Turmspitze reflektieren können. Parabolrinnenkraftwerke wie Noor I und II hingegen bestehen aus Reihen von Dutzende oder gar Hunderte Meter langen Spiegelkonstruktionen, die in ihrer Form an Fresströge für Vieh erinnern. Innerhalb dieser verspiegelten Rinnen verlaufen Rohre, in denen ein Thermo-Öl fließt. Diese zähflüssige Substanz kann reichlich Wärme aus dem Sonnenlicht aufnehmen, das durch die spezielle Gestalt der Spiegel auf das ölführende Rohr konzentriert wird. Das mehrere Hundert Grad Celsius heiße Thermo-Öl lässt sich dann zum Verdampfen von Wasser im Kraftwerk nutzen. Die beiden Parabolrinnenkraftwerke auf dem Solarareal bei Ouarzazate haben zusammen eine installierte Leistung von gut 350 Megawatt. Solche solarthermischen Kraftwerke werden bereits seit rund 60 Jahren kommerziell betrieben. Die erste Anlage, die elektrischen Strom ins Netz einspeiste, ging 1984 in
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Auch die Forschung an der Solarthermie-Technologie treiben Wissenschaftler aus Deutschland seit vielen Jahren kräftig mit voran. So betreibt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) bei Jülich im westlichen Rheinland ein Solarturmkraftwerk: Die vor rund 15 Jahren errichtete Versuchseinrichtung besteht aus ungefähr 2200 Spiegeln und einem 60 Meter hohen Turm. Ein noch weit größeres Forschungsund Testgelände für Solarthermie gibt es seit Anfang der 1980er-Jahre in dem südspanischen Ort Tabernas, unweit von Almeria und dem Andasol-Kraftwerkspark. Auf dem 100 Hektar großen Gelände arbeiten Forscher aus mehreren Ländern gemeinsam an der Weiterentwicklung der Technologie, darunter auch Experten des DLR. Sie haben insgesamt mehr als 20 000 Quadratmeter Spiegelfläche installiert, verteilt auf mehrere solarthermische Testanlagen. Im Fokus der Forscher auf der „Plataforma Solar de Almeria“ stehen nicht nur die Solarturm- und Parabolrinnentechnologie, sondern auch andere Konzepte: zum Beispiel Kraftwerke mit einer einzelnen großen und parabolförmig gekrümmten Spiegelfläche sowie sogenannte Aufwindkraftwerke. Dabei wird die Energie des Sonnenlichts genutzt, um Luft zu erhitzen und in einer kaminartigen Röhre rasch aufsteigen zu lassen. Die Bewegung der heißen Luft lässt sich nutzen, um – ähnlich wie in einem Dampfkraftwerk – über Turbinen und einen Generator elektrischen Strom zu erzeugen.
Wärmespeicher inklusive Gegenüber der Photovoltaik bietet die Solarthermie einen bedeutenden Vorteil: Die aus dem Sonnenlicht gewonnene Energie lässt sich direkt speichern, noch
In der kalifornischen Mojave-Wüste liegt das Parabolrinnenkraftwerk Solar Energy Generating Systems. Seine Parabolrinnenkollektoren bestehen aus gewölbten Spiegeln, die die Sonnenstrahlen bündeln.
bevor sie in elektrischen Strom verwandelt wird. So sind etwa die Anlagen von Andasol in Südspanien mit riesigen Tanks gekoppelt, in denen sich Tausende Tonnen geschmolzenes Salz befinden. Indem es erhitzt wird, kann das Salz kann die Wärmeenergie aus dem Sonnenlicht – zum Beispiel mittags, wenn die Einstrahlung intensiv aber der Stromverbrauch gering ist – aufnehmen. Wird die Energie später zur Stromproduktion benötigt, lässt sie sich dem Salz wieder entziehen. So kann etwa tagsüber gesammelte Energie für den Abend und die Nacht aufbewahrt werden. Bei Photovoltaikanlagen ist die Energiespeicherung aufwendiger und weniger effizient. Denn die Solarzellen produzieren unmittelbar aus dem Licht elektrischen Strom, der sich nicht einfach aufbewahren lässt. Stattdessen muss er für die Speicherung erst in eine andere Energieform umgewandelt werden – zum Beispiel in die chemische Energie einer Batterie.
Solarthermische Anlagen lassen sich zudem mit konventionellen Kraftwerken kombinieren, zum Beispiel mit einem Gaskraftwerk. Dann liefert das Sonnenlicht tagsüber und bei klarem Wetter die Energie für die Stromerzeugung. Und wenn keine Sonne scheint, übernimmt das Gaskraftwerk die Produktion. Allerdings sind Solarkraftwerke nicht für jeden Standort geeignet. Denn um Strom aus Sonnenwär-
Auch Noor II in Marokko ist ein Parabolrinnenkraftwerk, es ging 2018 in Betrieb.
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Das Solarturmkraftwerk Jülich ist ein solarthermisch getriebenes Wasser-Dampf-Kraftwerk auf Hochtemperaturniveau, das vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) für Forschungszwecke genutzt wird. Es hat über 2000 Spiegel.
me wirtschaftlich rentabel gewinnen zu können, ist viel direkte Einstrahlung erforderlich. Diese Voraussetzung ist in sonnenreichen subtropischen Regionen der Erde erfüllt: zum Beispiel im Mittleren Osten, in Australien und im Südwesten der USA. In Europa kommt vor allem Südspanien für die Nutzung der Solarthermie infrage. Ein besonders großes Potenzial für diese Art von Solarstrom bietet jedoch der nordafrikanische Raum mit der Sahara und den angrenzenden Regionen. Dort scheint die Sonne vielerorts um die 4000 Stunden oder mehr pro Jahr. Zum Vergleich: In Deutschland sind es im Schnitt nur etwa 2000 Stunden.
Ein Megaprojekt endet im Sand Der Reichtum an Solarenergie in den Ländern Nordafrikas war auch ein Treiber eines Projekts, das Anfang der 2000er-Jahre für Furore sorgte. Das Kon-
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zept, das Forscher am DLR entwickelt haben, sah vor, zahlreiche große solarthermische Kraftwerke in Ländern wie Marokko, Algerien und Tunesien zu errichten. Dort sollte klimaschonend und – wegen des enormen Angebots an Sonnenschein – effizient elektrischer Strom produziert und zu einem großen Teil nach Europa transportiert werden. Dazu wollten die Akteure des Projekts „Desertec“ mehrere leistungsfähige Stromtrassen quer durch das Mittelmeer bauen. Per sogenannter Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ) wäre die elektrische Energie aus der Wüste in diesen Leitungen unter recht geringen Verlusten unter anderem nach Deutschland gelangt. Doch die Umsetzung dieser Pläne versandete nach einigen Jahren. Politische Unruhen in mehreren nordafrikanischen Ländern, Schwierigkeiten bei der Finanzierung und nicht zuletzt Streitigkeiten der Beteiligten untereinander verhinderten eine Realisierung des internationalen Megaprojekts. Große Unternehmen wie Siemens, die am Bau von Kraftwerken und Stromtrassen mitwirken wollten, stiegen aus De-
sertec aus. Übrig blieb am Ende lediglich eine Beratungsagentur, die Politiker und Unternehmen zur Nutzung erneuerbarer Energiequellen unterstützt.
Die Kosten für die solarthermische Stromerzeugung sinken dank technischer Fortschritte stetig. Und so wird auch eine Idee wieder aktuell, die noch älter ist als das Desertec-Konzept: die Produktion von Wasserstoff mit „grünem“ Strom aus Afrika. Davon träumten Visionäre bereits in den 1970er-Jahren: Solarkraftwerke in Wüstenregionen oder riesige Wasserkraftwerke im zentralafrikanischen Dschungel sollten Strom erzeugen, mit dem sich Elektrolyseure betreiben ließen – elektrochemische Anlagen, die Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff zerlegen. Wasserstoff galt schon vor 50 Jahren als nützlicher Energieträger und sollte mit Tankschiffen aus Afrika nach Europa befördert werden. Heute erlebt man ein Déjà-vu, denn dieses Konzept ist – spätestens seit Beginn des Ukrainekriegs und der dadurch entstandenen Angst vor einer Energiekrise – wieder brandaktuell. Wasserstoff, der mit Strom aus regenerativen Quellen erzeugt wurde, gilt als ein zentraler Baustein der weiteren Energiewende. Daher hat Deutschland inzwischen Vereinbarungen mit mehreren Ländern getroffen, um grünen Wasserstoff zu beziehen. Ein gemeinsames Großprojekt plant Deutschland derzeit mit Namibia. Bei der Produktion des etwa zum Speichern von Energie gefragten Elements könnten künftig auch Sonnenwärmekraftwerke eine wichtige Rolle spielen – in Marokko und anderswo. So werden wohl noch viele sehenswerte Hightech-Anlagen entstehen, die allemal eine Reise wert sind.
Kraftwerke sprießen im Sonnengürtel Unabhängig von der Bruchlandung des Desertec-Projekts bliebt das enorme Potenzial der Sonne als Energiequelle bestehen. Daher entwickelten etliche Länder nun eigene Pläne für eine Nutzung dieser praktisch unerschöpflichen Energiequelle. Marokko, das in den nächsten Jahren noch weitere solarthermische Kraftwerke bauen will, ist nur ein Beispiel dafür. So setzen unter anderem auch Algerien, Ägypten und Saudi-Arabien auf diese Technologie sowie Länder in anderen sonnenreichen Weltregionen wie Südafrika, Israel, Chile und die USA. In Spanien sind neben Andasol inzwischen eine ganze Reihe von Sonnenwärmekraftwerken unterschiedlicher Größe und sowohl mit Turm- als auch mit Rinnentechnologie in Betrieb.
Die Spiegel lenken die Sonnenstrahlen auf die Spitze des 60 Meter hohen Turms, wo sie einen 22 Quadratmeter großen Receiver erhitzen. Seit 2020 bietet ein zweiter Turm weitere Versuchskapazitäten.
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Wasserstoff aus dem Solarreaktor Mit Photovoltaik lässt sich nicht nur Strom erzeugen. Zwei Forscherteams gehen einen Schritt weiter. Sie wollen mit Sonnenlicht auf umweltfreundliche Weise direkt Wassermoleküle spalten.
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asserstoff soll Rohstoff und Energiequelle der Zukunft werden. Doch das Gas mit der hohen Energiedichte steht nicht in ausreichender Menge zur Verfügung. Die umweltfreundliche Herstellung von Wasserstoff ist noch immer ein großer Schwachpunkt der Energiewende. Deshalb suchen weltweit Wissenschaftler nach Wegen, Wasserstoff nicht mehr aus Erdgas, sondern klimaneutral mit Hilfe von Sonnenlicht direkt aus Wasser erzeugen. Bislang war dies nur indirekt möglich, indem mit Photovoltaik zunächst Strom erzeugt wird, der dann genutzt wird, um Wasser mittels Elektrolyse in Wasserstoff und Sauerstoff aufzuspalten. Dabei ließen sich die beiden Technologien theoretisch hervorragend vereinen: Der photoelektrische Effekt setzt Elektronen frei, wenn Photonen mit aus-
Von Rainer Kurlemann
reichender Energie auf einem Atomverbund treffen. Und Wasserstoffatome müssen Elektronen aufnehmen, damit sich während der Elektrolyse aus Wasser Wasserstoff bilden kann. Wenn beide Prozesse am gleichen Material stattfinden könnten, wäre der Ablauf perfekt: In einem sogenannten Solarreaktor, der von Wasser durchspült wird, könnte Licht die H2OMoleküle unmittelbar spalten. Schon 1972 bewies der Japaner Akira Fujishima, dass speziell aufgearbeitetes Titandioxidpulver diese Eigenschaft besitzt. Doch diese Entdeckung war noch kein Durchbruch für Solarreaktoren. Die ausgewählten Materialien erfüllten die Anforderungen nicht. Viele werden durch Korrosion zerstört, während sich der Wasserstoff aus Wasser bildet, oder sie funktionieren nur bei energiereichem UV-Licht. Hinzu kommt, dass die Bildung von Wasserstoff in der Elektrolyse einen Katalysator erfordert, der die Reaktion beschleunigt. Meistens handelt es sich dabei um ein teures Edelmetall, dem aber photoelektrische Eigenschaften fehlen. Ein neuer Hoffnungsträger war Anfang dieses Jahrhunderts das Indiumnickeltantalat. Der Halbleiter funktionierte zwar mit sichtbarem Licht, aber der Wirkungsgrad von weniger als einem Prozent war enttäuschend. 20 Jahre später suchen Materialwissenschaftler noch immer nach der idealen Mischung aus Katalysator und Photoabsorber, in dem die Elektronen durch Licht aktiviert werden. Ein Forscherteam um Dominik Eder an der TU Wien hat in diesem Jahr ein poröses Material mit dem Namen COK-47 vorgestellt, bei dem Schichten organischer Moleküle in ein oktaedrisches Gerüst aus Titanoxid eingebettet sind: Während Nahaufnahme des Solarreaktors der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL)
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die organischen Moleküle das Licht einfangen, helfen die Titanatome bei der Katalyse. „Das Material konnte Rekordwerte bei der photokatalytischen Wasserstoffproduktion unter Einwirken von sichtbarem Licht erzielen“, sagt Eder.
500 Gramm Wasserstoff pro Tag Andere Forscherteams experimentieren lieber mit sogenannten photoelektrochemischen Zellen (PEC). Dabei wird der Photoabsorber entweder direkt mit einem Katalysator beschichtet, oder beide Materialien werden in einem kleinen Reaktor nahbeieinander montiert. Dieser Ansatz sorgt nicht nur für mehr Stabilität, sondern bringt den Solarreaktoren auch mehr als doppelt so hohe Wirkungsgrade. Sophia Haussener, Professorin am Labor zur Entwicklung erneuerbarer Energien der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL), hat im April 2023 die Ergebnisse ihrer Pilotanlage vorgestellt, die seit drei Jahren auf dem Campus läuft. Es ist der erste größere Solarreaktor weltweit, der Wasserstoff nicht nur im Laborbetrieb produziert. Ein sieben Meter breiter Parabolspiegel bündelt das Sonnenlicht und strahlt es auf die PEC-Zelle. Der Reaktor lieferte im zweiwöchigen Versuchsbetrieb schon etwa 500 Gramm Wasser-
Pilotprojekt an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL): Nachdem die Schüssel die Sonnenstrahlen gebündelt hat, wird Wasser in ihren Fokuspunkt gepumpt. In einem integrierten Reaktor nutzen photoelektrochemische Zellen die Sonnenenergie, um Wassermoleküle in Wasserstoff und Sauerstoff zu elektrolysieren oder aufzuspalten. Auch Wärme wird erzeugt, die durch einen Wärmetauscher geleitet und dadurch nutzbar gemacht wird.
stoff am Tag, genug für eine 50 Kilometer weite Fahrt mit dem Wasserstoffauto. Hausseners kleines Kraftwerk nutzt die Sonnenenergie gleich mehrfach. Es produziert neben Wasserstoff auch Sauerstoff und reichlich Wärme. In einer größeren Version könnte der Reaktor deshalb als Rohstoff- und Energielieferant für Industrie, Krankenhäuser, kleine Wohnsiedlungen oder gar als Tankstelle für Wasserstoff-Autos interessant werden. Die PEC-Zellen haben noch einen weiteren Vorteil. Die Ingenieure können darin auch Mischungen von Kohlendioxid und Wasser elektrolysieren. Dabei reagiert der Wasserstoff gleich mit dem CO2. So bilden sich Methanol und längere Kohlenstoffketten, die wiederum Ausgangsprodukte für E-Fuels und Kunststoffe sein können. Pflanzen machen im Prinzip das gleiche, wenn sie Kohlendioxid für ihr Wachstum binden. Die Solarreaktoren werden deshalb auch als künstliche Photosynthese bezeichnet.
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Multitalent Laser Der Laser ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Es ist eine erstaunliche Karriere für eine Technologie, von der zunächst unklar war, für was sie überhaupt nützlich sein könnte. Von Michael Vogel
Mit Laser-Projektoren lassen sich bunte Lichtshows zaubern.
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atten Sie heute schon mit einem Laser zu tun? Nein, werden Sie vermutlich spontan sagen. Doch bei genauerem Nachdenken wird deutlich, dass es da so einiges gibt. Internet, Computer, Smartphones, Autos, Supermarktkassen, Drucker, der Laserpointer, der DVD-Filmabend, die Mautbrücken auf der Autobahn, die Wettervorhersage – überall spielen Laser eine entscheidende Rolle. Das ist schon eine erstaunliche Entwicklung für eine Technik, die selbst ihr Erfinder zunächst als „eine Lösung, die
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ein Problem sucht“ beschrieb. Theodore Maiman war Physiker beim inzwischen nicht mehr eigenständigen Unternehmen Hughes Aircraft in Kalifornien und baute den ersten funktionierenden Laser aus im Handel erhältlichen Komponenten. Im August 1960 veröffentlichte er seine Erkenntnisse in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Nature“. Die Erfindung hing damals in der Luft. Mitte der 1950er-Jahre war der Maser entwickelt worden – im Prinzip ein Laser für Mikrowellen. Doch die dabei
eingesetzten Technologien ließen sich nicht so einfach auf die viel kürzeren Wellenlängen des sichtbaren Lichts übertragen. Auf dem Weg zum ersten Laser lieferten sich daher gleich mehrere renommierte Forschungseinrichtungen einen Wettlauf. Maiman bei Hughes war dagegen ein Außenseiter. „Er überrumpelte gewissermaßen als Mann des schlichten physikalischen Bürgertums den Hochadel der Prestigelaboratorien“, so der Physiker Herbert Welling, einer der deutschen Pioniere der Laserphysik, in einer Würdigung zum 50-jährigen Jubiläum des Lasers. Maiman erhielt im Lauf seines Lebens viele Auszeichnungen für seine Erfindung, ein Nobelpreis blieb ihm jedoch versagt.
Kontrolliertes Licht Laser sind sehr spezielle Lichtquellen. Während gewöhnlichen Lampen ein wildes Durcheinander ungeordneter Lichtwellen erzeugen, sind Lichtwellen aus einem Laser sehr geordnet und schwingen im Gleichtakt. Das Licht aus einer Glühbirne oder Energiesparlampe ist mehr oder minder weiß, also eine Mischung aus vielen Wellenlängen. Das Licht vieler Laser dagegen ist einfarbig, besitzt also eine ganz bestimmte Wellenlänge, die sich gezielt einstellen lässt. Und während sich der Lichtkegel einer normalen Lampe rasch aufweitet und die Strahlen in alle möglichen Richtungen gestreut werden, lässt sich ein Laserstrahl problemlos stark bündeln. Selbst über weite Distanzen bleibt er erstaunlich schmal und erreicht auf einer kleinen Fläche eine enorme Lichtintensität. Man könnte auch einfach sagen: Laser sind Werkzeuge, um Licht in hohem Maße zu kontrollieren. Sie bestehen aus drei wesentlichen Komponenten: einem aktiven Medium, einer Pumpe und einem Resonator. Beim aktiven Medium handelt es sich um einen Stoff, in dem Atome oder Moleküle durch die Zufuhr von Energie in einen höheren Zustand versetzt werden können. Sie werden angeregt, so der Fachbegriff. In geeigneten Medien bleibt diese Anregung längere Zeit erhalten, sodass sich eine wachsende Zahl von Atomen im angeregten Zustand versammelt. Die dafür erforderliche Energie speist die Pumpe zum Bespiel durch Lichtblitze, Wärme oder chemische Reaktionen in das System ein. Irgendwann befinden sich dann mehr Atome im angeregten Zustand als im Grundzustand.
Nun genügt es bereits, wenn ein Atom in den Grundzustand zurückfällt. Denn das sorgt dafür, dass es ein Photon aussendet. Dieses Lichtteilchen wandert durch das aktive Medium und bringt so die anderen angeregten Atome dazu, ebenfalls in den Grundzustand zu fallen – und dabei ihrerseits Photonen auszusenden. Diesen Vorgang der sogenannten stimulierten Emission hatte schon Albert Einstein 1917 postuliert. Alle Photonen, die dabei entstehen, haben dieselbe Energie, dieselbe Bewegungsrichtung und schwingen im Gleichtakt. Nun kommt der Resonator ins Spiel: An beiden Enden des aktiven Mediums befinden sich reflektierende Spiegel, die einen definierten Abstand zueinander haben. Zwischen ihnen fliegen die entstehenden Photonen so lange hin und her, bis die Zahl der Photonen zu einer regelrechten Lawine angeschwollen ist. Fertig ist der Laser, was tatsächlich ein Akronym für „Light Amplification by Stimulated Emission of Radiation“ ist und soviel wie „Lichtverstärkung durch stimulierte Emission von Strahlung“ bedeutet. Maiman nutzte als aktives Medium synthetische Rubinstäbe, als Pumpe eine Blitzentladungslampe und als Resonator zwei spiegelnde Schichten. Das resultierende Laserlicht war tiefrot.
Der Physiker Theodore Harold Maiman in seinem Büro in Los Angeles. In der Hand hält er den von ihm 1960 entwickelten ersten Laser der Welt.
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Stromquelle
Theodore Maimanns erster Laser war ein Rubinlaser, der rotes Licht abstrahlte. Der mehrere Zentimeter lange Rubinstab bestand hauptsächlich aus Aluminiumoxid und erhielt seine rubinrote Farbe durch geringe Beimischung von Chrom-Ionen. Die Anregung der Chromatome im Rubinkristall, also das optische Pumpen, erfolgte durch eine Blitzlampe. Zur Verbesserung der Lichtausbeute befinden sich die Teile in einem polierten Aluminiumzylinder.
100%-Spiegel Quarz-Blitzlampe Rubin-Kristall
Laserstrahl
Schalter
polierter Aluminiumzylinder
Rasante Entwicklung
Laser werden heute in der industriellen Materialbearbeitung eingesetzt, etwa um computergesteuert Stahlteile zu schneiden.
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Nach Maimans Durchbruch im Jahr 1960 ging es in der Laserforschung Schlag auf Schlag weiter. Noch im selben Jahr demonstrierte der iranisch-amerikanische Physiker Ali Javan den ersten Gaslaser, bei dem das aktive Medium aus einem Helium-Neon-Gemisch bestand. Die US-Physiker Robert Hall und Marshall Nathan stellten 1962 unabhängig voneinander den ersten Halbleiterlaser vor, mit Galliumarsenid als aktivem Medium. Der deutsche Physiker Hermann Haken veröffentlichte 1962 eine erste vollständige Theorie des Lasers. 1964 gelang die Entwicklung von CO2- und Neodym-Lasern, die technisch bis heute eine Rolle spielen. Zwei Jahre später konstruierten der deutsche Physiker Fritz Schäfer und der US-amerika-
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95%-Spiegel
nische Physiker Peter Sorokin gemeinsam den ersten Farbstofflaser, in dem ein Fluoreszenzfarbstoff als aktives Medium diente. Inzwischen gibt es industriell genutzte Laser, die im Dauerbetrieb arbeiten oder die in rascher Folge Lichtblitze von womöglich nur Mikro-, Nano- oder Pikosekunden Dauer abgeben. Eine Pikosekunde ist nur eine Billionstelsekunde. In der Grundlagenforschung kommen bei bestimmten Untersuchungen sogar Laser zum Einsatz, die Femtosekundenblitze erzeugen können, die nur eine Billiardstelsekunde andauern. Die Spanne der Leistungen, die Laser in Form von Licht abgeben, ist ebenfalls groß. In der Halbleiterelektronik oder beim Laserpointer geht es um Milliwatt. In der Medizintechnik sind es ein paar Milliwatt
bis ungefähr 100 Watt. In der industriellen Materialbearbeitung sind viele Kilowatt nötig, und in der Kernfusionsforschung geht es gar um Megawatt. Neben dem sichtbaren Licht gibt es Laser für Infrarot und Ultraviolett und sogar für Röntgenstrahlung. Der Wellenlängenbereich zwischen dem Infrarot und den Mikrowellen, die Terahertzstrahlung, wird derzeit erschlossen. Auch bei den aktiven Medien gibt es eine große Vielfalt: diverse Gase, Farbstoffe und Festkörper. Alle haben ihre Existenzberechtigung, abhängig davon, für welche Anwendung sie gedacht sind. Unter den Festkörperlasern spielt der Halbleiterlaser eine sehr wichtige Rolle, da er sich problemlos in die moderne Elektronik integrieren lässt. Bereits 1962 demonstriert, war sein Weg zum Standardprodukt jedoch steinig. „Es dauerte beinahe drei Jahrzehnte, bis man Strukturierungs- und Materialprobleme sicher beherrschte“, so Herbert Welling. Diese lange Zeit steht stellvertretend für den Weg des Lasers aus dem Forschungslabor in die Alltagsanwendung: Bis die Technik stabil, reproduzierbar und wartungsarm lief, dauerte es Jahre.
Vielfältige Anwendungen Inzwischen ist der Laser jedoch nicht mehr aus modernen Gesellschaften wegzudenken. Folgende vier großen Anwendungsfelder verdeutlichen dies. Das fünfte, die Medizintechnik, ist im Artikel „Heilende Strahlung“ beschrieben. Datenübertragung und Unterhaltungselektronik: Glasfasernetze bilden das Rückgrat des Internets. In ihnen reisen die Bits und Bytes per Licht. Infrarotlaser speisen die Lichtsignale ein. Gegenüber einer elektrischen Datenübertragung hat die optische den Vorteil, dass der Datendurchsatz sehr viel höher ausfallen kann. Mehrere Terabit pro Sekunde sind möglich, Tendenz weiter steigend. Selbst mit der Kommunikation per Laserstrahl zwischen Satelliten wird heute experimentiert. Beim Laserdrucker wiederum lädt ein Laserstrahl das Papier elektrostatisch auf, so dass der Toner anschließend genau an den richtigen Stellen haften bleibt und ein sauberes Druckbild entsteht. DVD- und Blu-Ray-Player nutzt einen Laser, um die Speichermedien optisch abzutasten, und wandeln diese Signale dann mittels Elektronik in das ersehnte Hör- und Seherlebnis.
Industrielle Fertigung: Kein Computer, kein Smartphone, kein Auto entsteht heute ohne Beteiligung eines Lasers. Für Digitalgeräte müssen Halbleiterchips mit sehr feinen Strukturen in hoher Dichte hergestellt werden. Dies erfordert aufwendige Belichtungen von filigranen lichtempfindlichen Schichten – Prozesse, die mit Lasern erfolgen. Für die leistungsfähigsten Prozessoren sind dabei Laser mit extrem kurzwelligem ultraviolettem Licht erforderlich, denn je kürzer die Wellenlänge des Laserlichts, desto winzigere Strukturen lassen sich erzeugen. In der Automobilproduktion und allgemein im Maschinenbau ersetzen Laser zunehmend klassische Bearbeitungsverfahren. Laser bohren, stanzen, schweißen, gravieren und veredeln Oberflächen – egal ob Stahl, Aluminium oder ein anderes Leichtbaumaterial. Sie machen das präziser, oft schneller und letztlich kostengünstiger als die Verfahren, die sie verdrängt haben. Auch der in der Industrie an Bedeutung gewinnende 3D-Druck beruht bei manchen Techniken auf dem Laser: Dieser erhitzt gezielt die Druckmaterialien während der Verarbeitung. Messtechnik: Laser helfen dabei, genaue Windprofile zu erstellen. Diese Informationen fließen in Wettermodelle ein, um zum Beispiel die Zugrichtung von
Schnell wurde die neue Lasertechnologie auch für die Weltraumforschung interessant. Ein Helium-Neon-Laser sollte die Genauigkeit eines neuen Weltraumradars verbessern.
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Die „optische Pinzette“ ist ein photonisches Gerät zum Festhalten und Bewegen kleinster Objekte. Ihre Funktion beruht darauf, dass Licht auf mikroskopische Objekte eine Kraft ausübt und dadurch die Objekte zum Fokus eines stark fokussierten Lichtstrahls gezogen werden.
Regenwolken vorherzusagen. Dasselbe grundlegende Messprinzip spielt auch beim autonomen Fahren eine Rolle: Dort erfassen die Lasersensoren das Fahrzeugumfeld zuverlässig im dreidimensionalen Raum. Auch die Baubranche und das Vermessungswesen bedienen sich dieses Prinzips, um Abstände zu ermitteln. Das erste Wind-Lidar-Lasersystem im Weltraum erstellt Profile von Wind, Aerosolen und Wolken der untersten 30 Kilometer der Atmosphäre. Dazu sendet das Lidarsystem von einem Satelliten aus kurze, starke Impulse ultravioletten Lichts in die Atmosphäre. Anschließend wird das Licht erfasst, das von Luftmolekülen, Staubpartikeln und Wassertröpfchen zurückgestreut wird.
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Laser, auf Satelliten platziert, tasten die Erdoberfläche ab, was für Kartografie, Mineralogie und Geologie interessant ist. Außerdem sind Laser wichtig, um Substanzen zu analysieren, etwa hinsichtlich Zusammensetzung oder Konzentration. Bei den Mautbrücken auf der Autobahn tastet ein Laser die Fahrzeuge ab, um Länge und Art der Lkws zu erfassen – Daten, die als Grundlage für die Mautermittlung dienen. Im Supermarkt identifizieren Laserscanner die Waren in kürzester Zeit anhand ihrer Strichcodes auf der Verpackung. Und nicht zuletzt wird die Mondbahn mit Lasern präzise vermessen. Dazu hatten die Apollo-Astronauten extra Reflektoren auf dem Mond aufgestellt. Forschung: Laser sind auch an den großen Fragen der Wissenschaft beteiligt. Mit ihnen lassen sich Atome bis fast zum absoluten Nullpunkt abkühlen, umgekehrt lässt sich Materie so stark aufheizen, wie es sonst nur in Sternen stattfindet. Womöglich benötigt ein künftiger Kernfusionsreaktor leistungsfähige Laser. Laser helfen auch in der Biologie. So dienen sie bei manchen hochauflösenden Mikroskopen als be-
sondere Beleuchtung oder sie arbeiten wie eine optische Pinzette. Bei Letzterer ist der Laserstrahl so geformt, dass sich Zellen oder Zellbestandteile allein dadurch an einem definierten Ort fixieren lassen, weil die Photonen auf sie treffen. Es ist eine sehr schonende, weil berührungslose Methode. In der Astronomie schließlich helfen Laserstrahlen dabei, Unruhen in den Luftschichten der Erdatmosphäre finden, die für Unschärfen auf Teleskopaufnahmen sorgen. Durch die Messdaten der Laser lassen sich die Bildfehler weitgehend ausgleichen, sodass Aufnahmen von kosmischen Objekten mit einer deutlich höheren Auflösung möglich werden. Selbst um Ereignisse wie das Verschmelzen extrem massereicher Objekte im All zu erfassen, sind Laser nützlich. Dieses Verschmelzen macht sich auf den kilometerlangen irdischen Messstrecken durch Längenänderungen bemerkbar, die dank Laser so winzig sein können wie ein Zehntausendstel des Protonendurchmessers.
Lidar wird von Archäologen als Messinstrument zur Fernerkundung der Erdoberfläche genutzt. Es ermöglicht immer wieder bedeutende Entdeckungen, etwa dass die Maya-Stadt Tikal im Dschungel von Guatemala deutlich größer war als zunächst angenommen.
Die Vielfalt der existierenden Anwendungen für Laser kann einen wahrlich erschlagen. Dabei gehen Marktforscher davon aus, dass künftig noch mehr Unternehmen die praktischen Lichtwerkzeuge nutzen wollen. Vor allem die industrielle Fertigung und die Telekommunikation, aber auch die Medizintechnik gelten als treibende Kräfte. Nur eines wird es wohl nicht so schnell geben: das aus „Star Wars“ bekannte Lichtschwert, auch als Laserschwert bekannt. Denn weder ein Licht- noch ein Laserstrahl endet einfach nach einem Meter Klingenlänge, sondern breitet sich immer weiter aus. Und wenn sich zwei Licht- respektive Laserstrahlen im Kampf kreuzen, dann überlagern sie sich zwar, aber mechanisch spüren ihre Träger davon nichts – sie schlagen einfach Löcher in die Luft.
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Heilende Strahlung In der Medizin ist Licht ein unverzichtbares Werkzeug. Schon heute ermöglicht es eine beeindruckende Vielfalt von Diagnoseund Therapieformen – und das Anwendungsspektrum wächst weiter.
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chon seit vielen Jahren ist Licht in der Medizin ein unverzichtbares Hilfsmittel bei der Diagnose und Therapie unterschiedlicher Krankheiten. Und seine Bedeutung wächst dank kontinuierlich verbesserter Anwendungsmethoden immer weiter. Zusammenfassend spricht man von photonischen Verfahren. In der einfachsten Form kennt wohl jeder die Behandlung von Krankheiten mittels einer Rotlichtlampe. Diese sendet ein Licht aus, das zum einen aus sichtbarem rotem Licht und zum anderen aus unsichtbaren Infrarotstrahlen besteht, die außerhalb des Spektrums liegen, das unsere Augen wahrnehmen können. An Haut und Gefäßen geht Infrarotlicht aber nicht unbemerkt vorbei. Es dringt einige Millimeter tief ins Gewebe ein und erhöht dort die Temperatur. Darauf reagiert der Körper, indem er die Gefäße weitet und so die Durchblutung fördert. Das löst vor allem Muskelverspannungen, aber auch Halsschmerzen lassen nach, und Entzündungen der Nasennebenhöhlen klingen schneller ab. Eine komplexere Anwendung von Licht in der Medizin ist jedem vertraut, der schon einmal im Krankenhaus lag und an einer Fingerspitze einen mit einem Kabel verbundenen Clip tragen musste. Dabei handelt es sich um ein sogenanntes Pulsoxymeter, mit dem sich die Sauerstoffsättigung des Blutes messen lässt. Das Gerät durchleuchtet den Finger hierfür mit einer Lichtquelle. Dabei treffen die Lichtstrahlen im Gewebe auf rote Blutkörperchen, in denen sich der Farbstoff Hämoglobin befindet. Abhängig davon, ob das Hämoglobin mit Sauerstoff gesättigt ist oder nicht, werden unterschiedliche Anteile des Lichts auf charakteristische Weise absorbiert. Mithilfe eines Licht-
sensors kann das Pulsoximeter folglich abgleichen, inwieweit das aus dem Gewebe austretende Licht dem einen oder anderen charakteristischen Absorptionsspektrum entspricht – und daraus errechnen, wie stark das Blut mit Sauerstoff gesättigt ist. Nebenbei lässt sich kontinuierlich die Herzfrequenz bestimmen.
Von Jürgen Brater
Laserstrahl: multifunktional Ein überaus bedeutsames Werkzeug bei der Erkennung und vor allem Behandlung von Krankheiten ist der ebenfalls auf Licht beruhende Laser. Dieses Multitalent bereichert nicht nur Großveranstaltungen durch faszinierende Lightshows oder schneidet im Industriebetrieb Metallteile präzise zurecht – auch in der Medizin entfaltet er vielfältigen Nutzen. Zur Anwendung kommen dabei unterschiedliche Varianten, abhängig von der benötigten Leistungsdichte, der gewünschten Eindringtiefe und der Wellenlänge, die vom zu behandelnden Gewebetyp absorbiert wird. Mit Lasern können Ärzte das Gewebe punktuell erhit-
Eine Rotlichtlampe kann etwa bei einer Erkältung helfen. Durch die wärmenden Infrarotstrahlen erweitern sich die Blutgefäße und die Durchblutung wird verbessert.
Laser statt Brille: Beim Augenlasern kann der Arzt mithilfe eines Lasers Fehlsichtigkeit korrigieren.
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standteilen „endo-“ für „innen“ und „skopie“ für „sehen“ zusammen, bezeichnet also das Betrachten innerer Körperstrukturen mittels eines schlauch- bzw. röhrenförmigen medizinischen Instruments, an dessen Spitze eine Beleuchtungsquelle angebracht ist. Dieses wird entweder durch eine natürliche Körperöffnung oder durch einen eigens geschaffenen Zugang in den Körper eingebracht. Einige häufiger durchgeführte Endoskopien sind: ▸ Gastroskopie zur Untersuchung des Magens ▸ Koloskopie zur Untersuchung des Dickdarms ▸ Bronchoskopie zur Untersuchung der oberen Atemwege (Bronchien) ▸ Zystoskopie zur Untersuchung der Harnblase ▸ Laparoskopie zur Untersuchung der Bauchhöhle mit den darin befindlichen Organen ▸ Arthroskopie zur Untersuchung diverser Gelenke Das Pulsoximeter wird zur Messung des Pulses und der Sauerstoffsättigung im Blut verwendet. Für letzteres sendet eine Lichtquelle Infrarot-Lichtwellen aus, die den Finger durchdringen. Auf der gegenüberliegenden Seite misst der Sensor, welche Lichtanteile absorbiert wurden.
zen, verdampfen oder chemisch verändern. Weichgewebe, Knorpel und Knochen lassen sich damit sowohl durchtrennen und abtragen als auch verschweißen sowie Körperflüssigkeiten koagulieren, also zur Gerinnung bringen. Das geschieht mit einer derartigen Präzision, dass sich sogar winzig kleine Strukturen in lebenden Zellen zielgenau durchtrennen und sogar einzelne Spermien berührungslos in Eizellen einbringen lassen. Mittels Laser entfernen Hautärzte dauerhaft Narben, kosmetisch störende Gewebewucherungen, mögliche Krebsvorstufen sowie Haare und Tätowierungen, und Zahnärzte benutzen die energiereichen Strahlen, um mit ihrer Hilfe Wurzelkanäle aufzubereiten und zu desinfizieren. Augenärzte behandeln mit Lasern Fehlsichtige, indem sie gezielt Hornhaut abtragen oder die Netzhaut punktuell mit dem darunter liegenden Gewebe verschweißen, und Urologen zertrümmern damit zielgenau Nierensteine, ohne dazu einen bauchchirurgischen Eingriff vornehmen zu müssen.
Mit der Kamera durch den Körper Ein weiteres Gebiet der Medizin, das fundamental auf der Anwendung von Licht zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken beruht, ist die Endoskopie. Der Ausdruck setzt sich aus den beiden Wortbe-
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Bereiche des Verdauungstrakts, die für herkömmliche Endoskope unzugänglich sind, kann der Arzt mithilfe einer weiterentwickelten Technik, der sogenannten Kapselendoskopie, untersuchen. Dabei muss der Patient eine kleine Kapsel mit einer darin enthaltenen Minikamera samt LED-Beleuchtung verschlucken. Diese wandert dann, von der natürlichen Darmbewegung angetrieben, im Verlauf mehrerer Stunden durch Magen und Darm und nimmt dabei eine große Anzahl von Bildern auf, die an ein externes Aufzeichnungsgerät übertragen werden. Häufig wird die Endoskopie mit anderen medizinischen Maßnahmen kombiniert, insbesondere mit der Entnahme kleinerer Gewebeabschnitte (Biopsie). So lassen sich etwa bei einer Darmspiegelung verdächtige Schleimhautveränderungen oder -wucherungen vorsorglich gleich mit entfernen. Aber auch größere chirurgische Eingriffe erfordern heute oft nur Schnitte von wenigen Millimetern Länge. Durch diese wird eine Kameraoptik eingeführt, die dem Arzt auf einem Bildschirm ein präzises Bild des Operationsgebietes liefert, wo er dann mittels weiterer in den Körper eingeführter Instrumente schneiden, Gewebe entnehmen und nähen kann. Auf diese Weise durchgeführte Eingriffe nennt man minimalinvasiv oder „Schlüsselloch-Chirurgie“. Da dabei das Durchtrennen von Muskeln weitgehend vermieden wird, sind die postoperativen Beschwerden in der Regel deutlich geringer als bei konventionell durchgeführten Operationen.
Zur Entfernung einer Tätowierung gibt der Laser aus kurzer Entfernung einen sehr intensiven Lichtblitz ab. Dieser zertrümmert die Farbpigmente in unzählige Bruchstücke. Teilweise gelangen diese ins Lymphsystem und werden über Niere und Darm ausgeschieden, oder sie bleiben als möglicherweise giftige Partikel im Körper zurück.
Suchscheinwerfer für Tumore Ein relativ neuartiges endoskopisches Verfahren ist das „Narrow-Band-Imaging“. Dieses ermöglicht dem Arzt, die Feinstruktur der Schleimhaut des MagenDarm-Traktes allein durch den Einsatz von rotem und blauem Licht zu untersuchen. Denn diese beiden Farben werden vom Hämoglobin im Blut besonders effektiv absorbiert, sodass die Blutgefäße im Gewebe deutlich sichtbar werden. Veränderungen, die zum Beispiel auf entstehende Tumore hindeuten könnten, lassen sich auf diese Weise schon ab einer Größe von wenigen Millimetern erkennen. In Kombination mit Ultraschall kann man sogar feststellen, wie tief in die Darmwand verdächtige Zellen bereits vorgedrungen sind. Für das möglichst frühzeitige Auffinden und Entfernen von bösartigen Tumoren, die mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen sind, kommen darüber hinaus die photodynamische Diagnostik (PDD) und die photodynamische Therapie (PDT) zum Einsatz. Sie werden vor allem bei der Früherkennung von Blasenkrebs eingesetzt: Dazu wird über einen dünnen Katheter ein fluoreszierender Farbstoff in die Blase eingebracht. Der wird von Tumorzellen verstärkt aufgenommen und lässt sie bei Beleuchtung mit Blaulicht rot aufleuchten, sodass sie präzise von der gesunden Umgebung unterschieden und zielgerichtet herausgeschnitten werden können. Eine groß angelegte internationale Studie hat bewiesen, dass mit-
hilfe dieses Verfahrens das Risiko für das Wiederauftreten von Blasentumoren deutlich gesenkt werden kann. Auch in der Dermatologie bei der Diagnostik und Therapie bösartiger Hautgeschwülste sowie in der Augenheilkunde zur Behandlung der altersbedingten Makuladegeneration leistet das Verfahren gute Dienste.
Erhellende Grundlagenforschung Eine besondere Rolle spielt Licht aber nicht nur bei der Diagnose und Therapie manifester Erkrankungen, sondern schon viel früher im Rahmen der medi-
Nahaufnahme einer chirurgischen MikroLaser-Skalpellklinge.
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Bei einer Endoskopie werden Organe und Organsysteme im Inneren des Menschen betrachtet. Dazu werden eine Lichtquelle und eine Kamera benötigt.
zinischen Grundlagenforschung sowie der pathologischen Anatomie. Ohne Lichtmikroskope, die mit dem bloßen Auge nicht erkennbare Strukturen sichtbar machen, geht vor allem in der Zytologie, der Wissenschaft von Aufbau und Funktion der Zellen sowie ihrer Bestandteile, gar nichts. Eine spezielle Form, die besonders präzise Ergebnisse liefert, ist die Fluoreszenzmikroskopie. Diese bedient sich der Tatsache, dass einige Stoffe von Natur aus fluoreszieren, also kurzwelliges Anregungslicht absorbieren und einen Teil davon als langwelliges Licht wieder zurückstrahlen. Doch auch Stoffe, die nicht über diese natürliche Fähigkeit verfügen, können durch Einbringen spezieller Substanzen dazu befähigt werden. Dabei stellen spezielle Filter im Mikroskop sicher, dass nur jenes Licht beobachtet wird, das durch die Fluoreszenz entstanden ist. Ei-
Wenn es um das Verdauungssystem und speziell den Dünndarm geht, kann eine Endoskopiekapsel geschluckt werden, die ebenfalls mit Lichtquelle und Kamera ausgestattet ist.
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ne Sonderform ist die sogenannte ImmunfluoreszenzMikroskopie, bei der Proteine oder andere Strukturen mittels Antikörpern, die an einen fluoreszierenden Farbstoff gekoppelt sind, markiert und dadurch sichtbar gemacht werden. Dies ermöglicht, abnorme Veränderungen im Inneren von Zellen, aus denen sich möglicherweise krankhafte Prozesse entwickeln können, in einem sehr frühen Stadium zu erkennen. Ein weiteres optisches Verfahren, das vor allem bei der Erforschung von Infektionskrankheiten eine bedeutende Rolle spielt, ist die Spektroskopie. Allgemein versteht man darunter ein Verfahren zur Feststellung, auf welche Weise Licht abgeschwächt wird, wenn es auf Materie trifft. Forscher können daraus Rückschlüsse auf die chemische Zusammensetzung eines Materials gewinnen. In der Medizin spielt diese Untersuchungsmethode besonders bei der Diagnose bakterieller Infektionen eine Rolle. Und hier ist es vor allem die nach seinem Entwickler, dem indischen Physiker und Nobelpreisträger C. V. Raman, benannte Raman-Spektroskopie, die in den letzten Jahren – speziell auch im Zusammenhang mit der Covid-19-Forschung – besondere Bedeutung erlangt hat. Die Methode basiert auf der Aufzeichnung der Wechselwirkung von fokussiertem Laserlicht mit den Biomo-
Eine Weiterentwicklung der Endoskopie ist Narrow Band Imaging (NBI). Sie nutzt nur die Wellenlängen des Lichts, die vom Hämoglobin absorbiert werden und schafft damit einen maximalen Kontrast zwischen Blutgefäß und umgebender Schleimhaut.
lekülen einer Zelle. Damit können Bakterienarten in Gewebeproben und Flüssigkeiten eindeutig identifiziert werden, ohne erst langwierig Kulturen anlegen zu müssen. Das ermöglicht eine sehr schnelle und vor allem zielgerichtete Behandlung ohne Einsatz unspezifischer Breitbandantibiotika. Wie entscheidend diese Zeitersparnis sein kann, zeigt etwa die Tatsache, dass bei einer Blutvergiftung in jeder Stunde, die verstreicht, ohne dass die Erreger bekannt sind, das Sterberisiko des Patienten um sieben bis zehn Prozent steigt. Abschließend sei noch ein anderes modernes diagnostisches Verfahren mit einer besonders komplizierten Bezeichnung erwähnt: die „optische Kohärenztomografie“. Diese beruht auf der Spaltung von Licht in zwei Anteile, von denen der eine auf die zu untersuchende Probe gelenkt und anschließend mit der anderen zur Wechselwirkung gebracht wird. Aus dem entstehenden Überlagerungs- oder Interferenzmuster lassen sich dann verschiedene Strukturen entlang der optischen Achse unterscheiden. Mit Computerhilfe entsteht so ein dreidimensionales Bild, das man allgemein als Schichtaufnahme oder mit dem Fachausdruck als „Tomografie“ (analog zur Computertomografie und Magnetresonanztomografie) bezeichnet. Die
Methode wird vor allem in der Augenheilkunde zur Beurteilung pathologischer Veränderungen der Netzhaut wie der bereits erwähnten Makuladegeneration, aber auch in der Dermatologie zur Diagnose diverser Hautausschläge und Krebsformen verwendet. Neben den geschilderten gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Anwendungen von Licht in der Medizin. Zum Beispiel bei der Behandlung von Neugeborenen-Gelbsucht mit intensivem Blaulicht: Es sorgt dafür, dass der in der Haut abgelagerte gelbe Gallenfarbstoff Bilirubin durch einen photochemischen Prozess wasserlöslich wird und so aus den Zellen der Haut abtransportiert werden kann. Eine solche Lichttherapie kann zudem bei Hautleiden wie Schuppenflechte und Neurodermitis Linderung verschaffen. Und egal welche medizinische Maßnahme ansteht: UVLicht hilft dabei, Räume, Oberflächen und Instrumente zu desinfizieren, indem es Bakterien und Viren abtötet. Trotz dieser bereits beachtlichen Vielfalt kann man jedenfalls getrost davon ausgehen, dass die Liste der Einsatzmöglichkeiten von Licht in der Medizin zukünftig noch deutlich länger werden wird.
Fluoreszenz-Bild eines Tumors nach einer Immunbehandlung. Zu sehen ist, dass die Tumorzellen (blau) von T-Zellen Lymphozyten des Immunsystems (grün) angegriffen werden.
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Computer werden immer schneller, doch irgendwann ist die Grenze der Elektronik erreicht. Bei bestimmten Rechenoperationen könnten optische Schaltungen möglicherweise übernehmen.
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Rechnen mit Licht Im Glasfaser-Internet überträgt Licht zwar bereits einen Großteil unserer Daten, die Berechnungen erledigen Computer aber nach wie vor mit Elektronen. Bei Spezialanwendungen für Künstliche Intelligenz könnte die Photonik in Zukunft allerdings gewisse Vorteile gegenüber der Siliziumelektronik haben. Und auch für Quantencomputer bieten Lichtteilchen ein gewisses Potenzial.
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erkömmliche Computer rechnen mit Elektronen, die durch Transistoren in einem Halbleitermaterial fließen – eine Technik, die seit Jahrzehnten durch ihre Leistungsfähigkeit und universelle Einsetzbarkeit kaum Platz für Alternativen ließ. Doch bestimmte Aufgaben in den Bereichen Künstlicher Intelligenz und Big Data lassen sich damit nur unter erheblichem Aufwand bewältigen. Das Rechnen mit Licht könnte hierfür eine effizientere Alternative darstellen. Mit denselben Herstellungsmethoden, die in der Halbleiterelektronik zum Einsatz kommen, lassen sich auch optische Schaltungen auf einen Siliziumchip schreiben – nur werden anstelle von Transistoren eben Lichtleiter, Strahlteiler und andere optische Elemente darauf untergebracht. Ein entscheidender Vorteil der Photonik gegenüber herkömmlicher Siliziumelektronik ist dabei ihr Potenzial für deutlich höhere Parallelität in der Datenverarbeitung. Denn so wie sich Lichtpulse mit unterschiedlicher Wellenlänge – also verschiedener Farbe – bei der Übertragung von Daten parallel zueinander durch ein und dieselbe Glasfaser schicken lassen, können auch optische Schaltungen viele Berechnungen gleichzeitig ausführen. Klassische, elektronische Computerarchitekturen dagegen haben einen starken Hang zur seriellen Verarbeitung. Für jeden Rechenschritt verschieben sie Daten zunächst vom Speicher zu einer zentralen Recheneinheit, nur um das Ergebnis anschließend wieder im Speicher abzulegen. Das macht sie für das maschinelle Lernen ineffizient und langsam – schließlich ist gerade die Parallelität bei tiefen neuronalen Netzen der Schlüssel zum Erfolg. Hier führen die Algorithmen immer und immer wieder die gleichen, ele-
mentaren Rechenoperationen aus. „Genau da kann Photonik ihre Stärken voll ausspielen“, sagt Cornelia Denz, die am Institut für Angewandte Physik der Universität Münster die Arbeitsgruppe für Nichtlineare Photonik leitet. „Diese Prozesse können unabhängig voneinander und idealerweise gleichzeitig ablaufen.“
Von Thomas Brandstetter
Abschwächen und vereinigen Ein besonders elegantes Beispiel für parallele, optische Datenverarbeitung stammt von einer internationalen Forschergruppe unter Beteiligung der
Das Start-up-Unternehmen Salience Labs, an dem Forscher von der Universität Münster und der University of Oxford beteiligt sind, hat einen Multi-Chip-Prozessor entwickelt, der elektronische und photonische Schaltungen miteinander vereint.
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Noch stecken Quantencomputer in den Kinderschuhen und es ist nicht klar, welche Technologien sich dabei durchsetzen. Da Lichtteilchen selbst Quanten sind, könnten sie jedoch das ideale Transportmittel für Qubits sein.
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Universität Münster und soll nun im eigens dafür gegründeten Startup Salience Labs zur Marktreife gebracht werden. Herzstück des optischen Chips ist ein Netzwerk aus Lichtleitern, das grundlegende mathematische Operationen in einem einzigen Rechenschritt erledigt. Dazu werden einzelne Strahlen, während sie sich mit Lichtgeschwindigkeit durch die Bahnen des Chips bewegen, an einigen Stellen gezielt abgeschwächt und danach zu einem einzigen Strahl zusammengeführt. Vereinfacht ausgedrückt entspricht dabei das gezielte Abschwächen der Lichtstrahlen simplen Multiplikationen. Ihre anschließende Vereinigung wirkt dagegen wie eine Addition. Gemeinsam bilden diese beiden mathematischen Operationen eine soge-
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nannte Matrixmultiplikation, wie sie in einem neuronalen Netzwerk wieder und wieder abläuft und damit herkömmliche Rechenmaschinen regelmäßig an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bringt. Die optische Variante realisiert sie dagegen blitzschnell, da die Berechnungen gewissermaßen im Vorbeifliegen passieren und in Form verschiedenfarbiger Lichtstrahlen auch gleich mehrmals gleichzeitig in ein und demselben Chip stattfinden können.
Ein optischer Gehilfe „Theoretisch ließe sich mit optischen Methoden jede beliebige mathematische Operation realisieren“, sagt Rolf Drechsler, der den Forschungsbereich Cyber-Physical Systems am Deutschen Forschungszen-
trum für Künstliche Intelligenz und die Arbeitsgruppe für Rechnerarchitektur an der Universität Bremen leitet. Abgesehen von der reinen Datenübertragung seien optische Schaltungen aber noch in einem sehr frühen Stadium. So gibt es beispielsweise noch keine tauglichen Möglichkeiten, die Lichtsignale auf ihrem Weg durch den Chip zu verstärken. Sie können also in der Regel nur ein einziges Mal durch das System laufen, um eine einfache Berechnung auszuführen, bevor sie so stark abgeschwächt wurden, dass sie zum Verstärken wieder in elektronische Signale umgewandelt werden müssen. Schwierig könnte sich zudem die Miniaturisierung gestalten, da die Größe der Lichtleiterstrukturen auf dem Chip nach unten hin von der Wellenlänge des verwendeten Lichts limitiert wird. Und auch die Speicherung von Lichtinformation ist ein noch weitgehend ungelöstes Problem. Bei der Forschung zum optischen Rechnen geht es daher nicht primär darum, voll funktionsfähige Computer zu entwickeln, wie wir sie auf unseren Schreibtischen stehen haben. Was Startups wie Salience Labs stattdessen anstreben, sind sogenannte „photonische Hardwarebeschleuniger“, die in Kombination mit herkömmlichen elektronischen Komponenten arbeiten und diese unterstützen, indem sie ihnen gewisse Operationen abnehmen und schneller ausführen. „Für Spezialanwendungen könnten photonische Technologien daher Vorteile bringen, Quantencomputer sind da zum Beispiel bereits um einiges weiter“, so Drechsler.
Licht für den Quantencomputer Quantencomputer machen sich die teils recht sonderbar anmutenden Gesetzmäßigkeiten der Quantenmechanik zunutze und können so völlig neue Wege beschreiten, zu denen herkömmliche Rechner keinen Zugang haben. Sie arbeiten mit sogenannten Quantenbits (Qubits), die sich nicht wie herkömmliche Bits auf den Wert „null“ oder „eins“ festlegen müssen, sondern gewissermaßen beide Zustände gleichzeitig einnehmen können. Darüber hinaus sind sie untereinander noch durch eine unsichtbare Wechselwirkung verbunden, die selbst dem großen Albert Einstein einst „spukhaft“ erschien. Die geschickte Kombination dieser beiden Eigenschaften soll es Quantencomputern ermöglichen, spezielle Rechenaufgaben schneller zu lösen, als es mit klassischen Methoden möglich wäre.
Noch stecken allerdings auch Quantencomputer in ihren Kinderschuhen. Und obwohl sich Qubits mit Photonen realisieren ließen, setzen die meisten aktuellen Ansätze stattdessen zum Beispiel auf einzelne Atome, die sich in äußerst empfindlichen, quantenmechanischen Überlagerungszuständen befinden. Da diese allerdings sehr empfindlich gegenüber Störungen sind und sich deshalb auch nur schwer kontrollieren und verknüpfen lassen, stehen für die Datenverarbeitung üblicherweise nur einige Dutzend dieser atomaren Qubits zur Verfügung, während für zukünftige Anwendungen tausende davon miteinander verschaltet werden sollen.
Lichttransporter für Quantenzustände Genau hier könnte das Licht ins Spiel kommen, wie etwa Forscher des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik gezeigt haben. Ihnen ist es gelungen, atomare Qubits über ein Glasfaserkabel miteinander zu verknüpfen und so grundlegende Rechenoperationen zu realisieren. „Da Lichtteilchen selbst Quanten sind, sind sie bestens dafür geeignet, die empfindlichen Überlagerungszustände der Qubits von einem Ort zum anderen zu transportieren“, sagt der Leiter der Forschungsgruppe, Gerhard Rempe. Genau wie ein elektronischer Rechner basiert auch ein Quantencomputer auf elementaren Schaltungen, sogenannten logischen Gattern, die die Qubits miteinander verknüpfen. Was in der Elektronik Schaltungen aus Transistoren erledigen, haben Rempe und sein Team in Form einer Glasfaser realisiert. Sie leitet ein einzelnes Photon von einem Atom zum anderen und verändert so deren Zustände. Das Lichtteilchen führt also eine einfache logische Operation mit zwei Qubits aus. Doch da die Methode von Rempes Team skalierbar ist, könnten damit im Prinzip auch beliebig viele Qubits verknüpft werden. Und je mehr solcher elementarer Einheiten ein Quantencomputer hat, desto komplexer werden auch die Berechnungen, die er ausführen kann. Den endgültigen Beweis, ob Licht dem Quantencomputer auf die Sprünge helfen oder es bei KI-Anwendungen mit der altbewährten Siliziumelektronik aufnehmen kann, sind Forscher und Entwickler allerdings noch schuldig. Doch scheint die Zeit reif zu sein, die Welt der Computer mit ein bisschen Optik in neuem Licht erstrahlen zu lassen.
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Moderne Lichttechnologien
Licht auf Umwegen Wer würde sich nicht gern gelegentlich einfach unsichtbar machen? Mit Metamaterialien gelingt das – allerdings bislang nur in der Welt der winzigen Dinge.
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erseus war ein wahrer Held. In der griechischen Mythologie gelang es dem Sohn von Göttervater Zeus, sich der Medusa – einer geflügelten, schlangenhaarigen Schreckgestalt – zu nähern und ihr den Kopf abzuschlagen. Doch das glückte ihm nur dank einer vom Gott Hermes geliehenen Tarnkappe, die den tapferen Kämpfer für die Bestie unsichtbar machte. Denselben Vorteil bot ein wundersamer Umhang für den germanischen Sagenheld Siegfried, dessen Taten im Nibelungenlied besungen werden. In der Realität ist der Wunsch nach einem solchen nützlichen Textil bislang unerfüllbar. Dennoch ist es tatsächlich möglich, Dinge unsichtbar zu machen – und zwar mit sogenannten Metamaterialien. Diese künstlich geschaffenen Stoffe sind in der Lage, Lichtstrahlen so abzulenken oder zu beugen, dass sie um einen Gegenstand herumgeleitet werden. Wie der Verkehr um eine Baustelle oder das Wasser eines Baches um einen großen Stein. Das vom Betrachter wahrgenommene Licht würde dann so aussehen, als wäre es nie mit dem zu tarnenden Objekt in Berührung gekommen.
Künstliche Strukturen für exotische Eigenschaften Die Vorsilbe „meta“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet „jenseits“. Sie macht deutlich, dass es solche Materialien in der Natur offenbar nicht gibt. Ihre besonderen Eigenschaften werden ihnen von Menschenhand aufgeprägt – durch eine regelmäßig strukturierte Oberfläche. Denn dadurch beeinflussen Forscher den sogenannten Brechungsindex der Materialien. Diese phyFraunhofer-Forscher entwickeln Solarzellen mit besonders hohem Wirkungsgrad – durch spezielle Materialkombinationen, Nanostrukturen oder Beschichtungen.
sikalische Größe beschreibt, um welchen Faktor sich die Wellenlänge von Licht in einem Material von der Lichtwellenlänge im Vakuum unterscheidet. Der Brechungsindex des Vakuums hat dabei den Wert 1. Allgemein gilt, dass aus der Natur bekannte Materialien immer einen positiven Brechungsindex besitzen: bei Wasser beträgt er 1,333, bei Fensterglas 1,52 und bei Luft 1,0003. Haben zwei Materialien unterschiedliche Brechungsindizes, wird das Licht an der Grenzfläche der beiden Medien gebrochen: Es ändert seine Ausbreitungsrichtung in einer Weise, die von den Brechungsindizes bestimmt wird. Tritt das Licht aus dem Vakuum – oder aus der Luft – in eine gewöhnliche Substanz wie Wasser ein, wird es zum Lot hin abgelenkt. In einem Metamaterial jedoch ist die Ablenkung so stark, dass das Licht bis über das Lot hinaus gebrochen wird. Das physikalische Kennzeichen dafür ist ein negativer Brechungsindex. Paradoxerweise würde eine konkave Sammellinse mit einem negativen Brechungsindex das Licht daher nicht bündeln, sondern zerstreuen. Um das Licht tatsächlich zu bündeln, müsste man also eine konvexe Streulinse verwenden.
Von Ralf Butscher
Der geistige Vater der Metamaterialien Erste Überlegungen dazu, welche Eigenschaften Werkstoffe mit einem negativen Brechungsindex haben würden, stellte der russische Physiker Viktor Veselago Ende der 1960er-Jahre an. Der Wissenschaftler erwartete, dass sich Lichtwellen dazu bringen ließen, in die „falsche“ Richtung zu laufen, wenn man die elektrischen und magnetischen Merkmale von eigentlich lichtdurchlässigen Stoffen entsprechend manipulieren könnte. Doch experimentell nachweisen konnte Velesago das nicht. Das gelang erst mit der Erfindung der Metamaterialien.
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In Metamaterialien dienen die erzeugten Strukturen dazu, zum Beispiel Lichtwellen zu beeinflussen.
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Die Wiege dieser exotischen Klasse von künstlichen Werkstoffen stand in einem Labor der University of California in San Diego. Dort gelang es im Jahr 2000 einem Team um den US-amerikanischen Physiker David Smith, das weltweit erste Metamaterial herzustellen. Eine spezielle Struktur verlieh dem Stoff einen negativen Brechungsindex. Danach ging die Entwicklung rasch voran. So zeigten der britische Physiker John Pendry und sein deutsch-britischer Kollege Ulf Leonhardt 2006, wie sich aus einem Metamaterial eine Tarnkappe konstruieren lässt. Dazu stellten die beiden Forscher den Brechungsindex eines Metamaterials über die Gestalt seiner Oberfläche so ein, dass es für die elektromagnetische Wellen energetisch günstiger war, das Objekt zu umlaufen, als von ihm einfach nur abgelenkt zu werden. Allerdings: Der Werkstoff, den die beiden Wissenschaftler am Imperial College in London dafür schufen, war kein einheitliches Gebilde. Stattdessen hatten die Metamaterial-Pioniere seine optischen
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Merkmale Schicht für Schicht so verändert, dass sich die Lichtwellen um das Objekt herumführen ließen.
Nur echt mit Einheitszellen Ein echtes Metamaterial hingegen lässt sich nur mithilfe sogenannter Einheitszellen schaffen. Diese kleinen Baublöcke werden periodisch aneinandergereiht – ähnlich wie die Atome oder Moleküle in einem natürlichen Kristall. Es entsteht ein künstliches atomares Gitter mit den gewünschten optischen Eigenschaften. Damit ein solches Metamaterial seine Wirkung auf das Licht entfalten kann, muss eine entscheidende Voraussetzung erfüllt sein: Die darin enthaltenen Einheitszellen müssen wesentlich kleiner sein als die Lichtwellenlänge. Konkret dürfen sie nicht größer sein als ein Viertel der Wellenlänge der einfallenden Strahlung. Für sichtbares Licht, dessen Wellenlänge je nach Farbe etwa zwischen 350 und fast 800 Nanometer beträgt, bedeutet das: Der Tarneffekt zeigt sich nur,
wenn die einzelnen stofflichen Bauelemente kleiner sind als etwa 100 Nanometer – also maximal einen zehntausendstel Millimeter messen. Und selbst dann nur für eine ganz bestimmte Wellenlänge. Dies gelang 2015 Forschern von der University of California in Berkeley mit einem Metamaterial, dessen Oberflächenstruktur aus winzigen Goldblöckchen bestand. Diese manipuliert das einfallende Licht so, dass ein Objekt von knapp 40 Mikrometern Größe darunter unsichtbar wurde – jedoch nur im Wellenlängenbereich von 730 Nanometern, also rotem Licht. In allen anderen Bereichen des Lichtspektrums wäre ein Objekt unter diesem Tarnmantel also noch problemlos erkennbar und bekäme lediglich einen leichten Farbstich. Für griechische Helden wäre er also kein brauchbares Hilfsmittel.
Mehr Strom aus Solarzellen Der Aufwand für die Herstellung nanometerfeiner Strukturmuster macht den Weg hin zu Anwendungen mit sichtbarem Licht beschwerlich. Doch künftig bieten Metamaterialien für optische Technologien viel Potenzial. So könnten sie den Wirkungsgrad von Solarzellen verbessern und dadurch zu einer höheren Energieausbeute führen. An einer solchen Anwendung forschen der Physiker Martin Wegener und sein Team am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Ziel der Wissenschaftler ist es, die metallischen Kontaktflächen auf Solarpaneelen, die bis zu zehn Prozent der lichtempfindlichen, photovoltaisch aktiven Fläche gegen das Sonnenlicht abschatten, durch ein integriertes Metamaterial unsichtbar zu machen. Das Material soll das Licht um die Kontakte herum auf die Solarzellen aus Silizium leiten, die somit vollständig zur Stromerzeugung beitragen können. Dazu verwenden die Forscher in Karlsruhe, die eng mit einem Kollegen am Forschungszentrum Jülich zusammenarbeiten, dünne Polymerschichten, die sie auf die Solarzellen auftragen. Zur Herstellung dieser „Tarnkappen-Oberfläche“ benutzt das Team ein 3D-Druckverfahren mit Laserlicht. Mit der neuen Technik gelang es bereits, die Ausbeute an Sonnenstrom um sieben Prozent zu steigern. Eine andere Anwendung von Metamaterialien bietet sich bei der Fertigung hochauflösender Bildschirme. Ausgehend von einer ähnlichen Idee wie bei den Solarzellen entwickelte der niederländische Physi-
ker und Nanooptik-Experte Mark Brongersma, der an der Stanford University in Kalifornien forscht, zusammen mit einem Team des südkoreanischen Elektronikkonzerns Samsung einen neuen Typ von Display aus OLEDs (Organischen Licht emittierenden Dioden). Damit erreichten die Forscher in den USA und Fernost bereits eine Auflösung von rund 4000 Pixeln pro Zentimeter – ein Vielfaches dessen, was selbst die schärfsten Smartphone-Monitore derzeit schaffen. Die Technologie könnte künftig besonders echt wirkende animierte Videobilder darstellen, etwa auf einem Virtual-Reality-Display.
Umleitung für Schallwellen Nicht nur Licht-, sondern auch andere Wellen lassen sich mit Metamaterialien in ihrer Ausbreitungsrichtung umlenken – zum Beispiel der Schall. Da er im Vergleich sehr große Wellenlängen von einigen Millimetern bis hin zu mehreren Metern hat, genügen dafür Strukturen in handlicher Dimension. So entwickelt das italienische Unternehmen Phononic Vibes, das aus der Polytechnischen Universität Mailand hervorgegangen ist, eine Technik, um die Anwohner von Bahnstrecken vor Zuglärm zu schützen: durch effektive Schallabsorber aus einem Metamaterial, die ein-
Reflexion
einfallender Lichtstrahl Lot Luft
Einige Metamaterialien haben einen negativen Brechungsindex. Anders als in gewöhnlichen Materialien wird das Licht über das Lot hinaus gebrochen.
Material
negativer Brechungsindex
positiver Brechungsindex
fach auf unscheinbaren Platten neben den Gleisen platziert werden. Damit gibt es zwar noch immer keine Tarnkappe, wie man sie aus Mythen und heroischen Epen kennt. Doch für lärmgeplagte Menschen wäre sicher auch mehr Ruhe durch die exotischen Werkstoffe eine Heldentat.
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Die Himmelsspäher Teleskope erhaschen das Licht der Welt – und offenbarten erst ihre Größe und Kuriosität. Ohne sie hätten wir eine völlig falsche Vorstellung vom Universum. Die Fortschritte der Teleskoptechnik waren und sind Erkenntnistreiber. Gegenwärtig entsteht die nächste Generation der Rieseninstrumente. Von Rüdiger Vaas
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eleskope sind Zeitmaschinen. Sie blicken gewissermaßen in die Vergangenheit. Denn das Licht, das sie auffangen, ist nicht unendlich schnell. Es braucht Zeit, um von fernen Gestirnen zu künden. Was in unserem Bezugssystem „jetzt“ geschieht – eine Sternexplosion zum Beispiel –, ist aus
der Sicht der Lichtquelle längst vorbei. Das erlaubt es Astronomen, das Universum in seiner Frühzeit zu studieren – inzwischen sogar in einem Zustand nur wenige 100 Millionen Jahre nach dem Urknall. Teleskope sind auch Erkenntnismaschinen. Sie zeigen uns die große weite Welt auf eine Weise, die
Das Extremely Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (hier als Illustration) wird das größte der Welt. Momentan laufen die Bauarbeiten auf dem 3064 Meter hohen Berg Cerro Armazones in Chile. Einweihung ist nicht vor 2028.
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dem Auge allein verschlossen wäre. Durch sie werden auch schwache Lichtquellen sichtbar sowie allerhand physikalische Effekte, die zuvor vollkommen unbekannt waren.
Abenteuer Astronomie Bereits die ersten Blicke durch ein – aus heutiger Sicht äußerst primitives – Teleskop revolutionierten unser Weltbild. Als Galileo Galilei ab 1609 damit in den Himmel spähte, erschloss sich ihm eine neue Wirklichkeit. Der Mond zeigte sich von Kratern übersäht, mit imposanten Berg- und Tallandschaften. Die Sonne hatte dunkle Flecken. Die Venus wechselte ihre Größe und Gestalt; sie wird zur Lichtsichel, wenn sie größer erscheint. Monde umlaufen Jupiter, und Saturn besitzt einen seltsamen Henkel. (Dass es sich dabei um ein gewaltiges Ringsystem handelt, konnte Galilei mit seinem Teleskop noch nicht auflösen.) Und das schimmernde, scheinbar kontinuierliche Band der Milchstraße, dass sich über den Nachthimmel zieht, besteht in Wirklichkeit aus Myriaden von lichtschwachen Sternen. Inzwischen sind die Teleskope so empfindlich, dass sie viele Milliarden Lichtjahre ferne Galaxien – und zuweilen sogar einzelne Sterne darin – fotografieren können. Die Instrumente machen Planeten bei anderen Sternen sichtbar, künden von den kollabierten Ruinen ausgebrannter und explodierter Sonnen, der Bildung neuer Gestirne, dem Schwerkrafttanz einander umkreisender und manchmal sogar verschmelzender Galaxien bis hin zum ersten Licht, das rund 380 000 Jahre nach dem Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren freigesetzt wurde. Und das Abenteuer der Astronomie ist längst nicht mehr auf das sichtbare Licht beschränkt, sondern hat das gesamte elektromagnetische Spektrum erschlossen: vom langwelligen Radiobereich über das Infrarote und Ultraviolette bis hin zu den hochfrequenten Röntgen- und Gammastrahlen.
Linsen und Spiegel Anfangs dominierten Linsenteleskope in der Himmelsbeobachtung. Doch aufgrund des hohen Gewichts von Glas waren ihrer Größe schnell Grenzen gesetzt. Um das Gewichtsproblem zu lösen, wurden im 17. Jahrhundert die ersten Spiegelteleskope gebaut. Sie fokussieren das Licht mithilfe parabolischer Spiegel auf das Okular und werden im professionel-
len Bereich seit Anfang des 20. Jahrhunderts fast ausschließlich verwendet. Allerdings kommen auch die Spiegel mit zunehmendem Durchmesser ans Limit. Durch technologische Tricks lässt sich dieses aber immer weiter hinausschieben. So müssen die Riesenspiegel heutzutage nicht mehr aus einem Stück geschliffen werden, sondern lassen sich passgenau aus einzelnen, kleineren Stücken zusammensetzen. Außerdem kann man die mit zunehmender Größe unvermeidbare Verformung aufgrund des Eigengewichts ausgleichen – durch kleine Hebemotoren unter den Spiegelsegmenten. Diese sogenannte Aktive Optik ist die Grundlage der modernen Großteleskope. Durch diese Technologien sind Spiegeldurchmesser von acht bis zehn Metern inzwischen keine Seltenheit mehr. Hinzu kommt die Adaptive Optik. Hier wird die Ausrichtung eines Hilfsspiegels in Echtzeit modifiziert, um die unvermeidliche Luftunruhe auszugleichen – die geringfügigen atmosphärischen Schwankungen, die zum scheinbaren Flimmern der Sterne führen und die Fotos unschärfer machen. Vollständig korrigieren lassen sich die störenden Effekte der Atmosphäre damit jedoch nicht.
Vorstoß ins All Einen weiteren gewaltigen Fortschritt brachten daher die Weltraumteleskope: Zum einen lassen sie die störende Erdatmosphäre unter sich und ermöglichen so schärfere Aufnahmen. Zum anderen öffnen sich auf diese Weise überhaupt erst bestimmte Frequenzfenster zum Himmel, die durch die Luftschichten verschlossen sind. Denn besonders Strahlung im Infrarot-, Ultraviolett- und Röntgenbereich aus dem Weltraum wird durch die atmosphärischen Moleküle weitgehend absorbiert und kann daher auf der Erde praktisch nicht beobachtet werden. Komplettiert wird der astronomische Spähtrupp durch Raumsonden, die inzwischen alle größeren Körper im Sonnensystem vor Ort genau inspiziert haben. Im Bereich des sichtbaren Lichts setzte das HubbleWeltraumteleskop Anfang der 1990er-Jahre neue Maßstäbe. Es wurde am 24. April 1990 mit der Space Shuttle Discovery in eine rund 550 Kilometer hohe Erdumlaufbahn gebracht. Aufgrund eines Fehlschliffs des Hauptspiegels war es zunächst nur eingeschränkt verwendbar. Doch mithilfe einer eingebauten Korrekturoptik konnte das Teleskop im Dezember 1993 repa-
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riert werden. Seither beglückt es Astronomen – so-wie auch eine interessierte Öffentlichkeit – mit prachtvollen Fotos und wissenschaftlich äußerst wertvollen Präzisionsdaten. Größenvergleich der Hauptspiegel von bedeutenden Teleskopen: Je mächtiger die Spiegel sind, desto lichtschwächere Objekte am Himmel können sie erforschen. Punktlinien markieren Spiegel mit demselben Lichtsammelvermögen. Zum Vergleich sind unten ein Tennis- und Basketballplatz sowie die Größe von Radioteleskopen eingezeichnet.
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Moderne Lichttechnologien | Die Himmelsspäher
Am 25. Dezember 2021 wurde nach rund 25 Jahren Vorbereitungs- und Bauzeit das James Webb Space Telescope gestartet. Es blickt mit einem 6,5 Meter großen, aus 18 sechseckigen Segmenten zusammengesetzten Hauptspiegel ins All – nicht im sichtbaren, sondern im infraroten Bereich des Spektrums. Schon jetzt setzt es neue Maßstäbe. Es analysiert die Atmosphären von Planeten bei fremden Sternen, späht in die dichten interstellaren Staubwol-
ken, in denen sich neue Sterne bilden, und erhascht den schwachen Schimmer von Urgalaxien. Trotz dieser Meisterleistungen sind Weltraumteleskope kein vollständiger Ersatz für die Observatorien auf der Erde. Denn ihre Planung und Entwicklung ist so aufwendig und zeitintensiv, dass ihre Technik teils Jahrzehnte alt ist, bevor sie überhaupt die Erde verlassen. Außerdem wird ihre Größe – und damit ihre Leistungsfähigkeit – durch die Dimensionen der Raketen begrenzt, die sie in den Weltraum befördern.
Die Riesen der Zukunft Auch auf der Erde geht daher die Entwicklung neuer Observatorien weiter. Gegenwärtig herrscht emsige Aktivität, um die nächste Generation der Riesenteleskope aufzustellen. Aktuelle Rekordhalter sind noch die beiden 1993 und 1996 in Betrieb genommenen 10-Meter-Teleskope des Keck-Observatoriums auf dem Mauna Kea, Hawaii, und das 2009 eingeweihte 10,4-Meter-Observatorium Gran Telescopio Canarias auf La Palma sowie das seit 1998 betriebene, aus vier zusammenschaltbaren 8,2-Meter-Teleskopen bestehende Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (ESO) auf dem Cerro Paranal in Chile. Die neuen Observatorien haben dagegen geradezu monströse Ausmaße. Das ambitionierteste Projekt ist das Extremely Large Telescope der ESO: Das Superteleskop wird einen Hauptspiegel von gewaltigen 39,3 Meter Durchmesser haben und 2028 auf dem Cerro Armazones in Chile in Betrieb gehen. Im Juli 2023 war es bereits zur Hälfte fertiggestellt. Ebenfalls in Chile wird am Las Campanas Observatory das Giant Magellan Telescope gebaut. Es hat einen 24,5 Meter großen Hauptspiegel und könnte 2029 betriebsbereit sein. Finanziert ist auch das Thirty Meter Telescope, das für den Mauna Kea vorgesehen ist. Aufgrund von politischen Protesten vor Ort ist der Fertigungstermin 2027 allerdings unerreichbar, und vielleicht muss die Sternwarte sogar nach La Palma verlegt werden. Auch einige „kleinere“ neue Teleskope werden den Blick ins All signifikant weiten. Besonders vielversprechend ist das Simonyi Survey Telescope (früher Large Synoptic Survey Telescope genannt), das gegenwärtig am Vera C. Rubin Observatory in Chile errichtet wird und Ende 2024 einsatzbereit sein soll. Es hat einen 8,4-Meter-Hauptspiegel für eine Weitwinkeloptik, um
Bevor ein Stern erlischt, wird er so heiß, dass er sich gewaltig aufbläht und mit heftigen Sternwinden sowie teils pulsierendem Zucken Teile seiner Materie ins All bläst. Ein eindrucksvolles Exemplar ist AG Carinae im Sternbild Kiel des Schiffs. Mit rund 60 Sonnenmassen und 100 Sonnenradien ist er ein wahres Monster. Seine Leuchtkraft übertrifft die der Sonne um das 1,5-Millionen-Fache. Er zählt zu den hellsten Sternen der Milchstraße, ist von der Erde aus mit dem bloßen Auge aber unsichtbar. Das liegt nicht nur an seiner großen Entfernung von 20 000 Lichtjahren, sondern auch an der Gas- und Staubwolke, in die er sich hüllt. Sein enormer Masseverlust hat einen rund 10 000 Jahre alten und fünf Lichtjahre großen Nebel gebildet. Das Foto stammt vom Hubble-Weltraumteleskop.
permanent den gesamten Himmel zu durchmustern. Es wird zehn Milliarden Sterne kartograf125ieren sowie vielleicht zehn Milliarden Galaxien entdecken. Vor allem wird es dazu beitragen, wie auch das am 1. Juli 2023 gestartete Weltraumteleskop Euclid, die ominöse Dunkle Energie und Dunkle Materie zu erforschen, die zusammen 95 Prozent der Gesamtenergiedichte des Weltalls ausmachen.
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Autorinnen und Autoren
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Thomas Brandstetter ist promovierter Physiker und hat schon während seines Studiums mit Lasern gearbeitet und seine erste wissenschaftliche Publikation zu dem Thema veröffentlicht. Als freier Wissenschaftsjournalist hat er sich immer wieder mit alternativen Computertechnologien befasst. In Anbetracht der Vielzahl aktueller Startups und erster funktioneller Prototypen scheint ihm die Zeit reif zu sein, vor allem der Künstlichen Intelligenz mit ein bisschen Optik neuen Schwung zu verleihen.
Ralf Butscher ist seit 2001 Redakteur bei bild der wissenschaft und für Technologie-Themen verantwortlich. In diesem Bereich gewinnt das Licht seit etlichen Jahren immer mehr an Bedeutung – vor allem durch den vielfältigen Einsatz unterschiedlicher Arten von Lasern, aber auch durch neue technische Anwendungen von Phänomenen aus der Quantenwelt. Privat bevorzugt der diplomierte Physiker das Licht in Form von wärmenden Sonnenstrahlen, die er zu jeder Jahreszeit gerne genießt.
Jürgen Brater hat als Mediziner und Freizeitjäger viel mit Licht zu tun. Zum Beobachten und Erlegen von Wild bedient er sich modernster technischer Errungenschaften wie Wärmebildkameras und Restlichtverstärker. Und während er Stunden auf einem Hochsitz verbringt, hat er viel Zeit, sich über aktuelle medizinische Licht-Anwendungen wie Pulsoxymeter, Endoskopie, Schlüsselloch-Operationen, photodynamische Diagnostik und vor allem darüber, wie sehr diese Errungenschaften Diagnostik und Therapie verbessert haben, Gedanken zu machen.
Aurelia Eberhard hat Physik in der Licht- und Optikstadt Jena studiert, wo sie mit ihrem Vortrag „What is light?“ Nichtphysikern die Natur des Lichts näherbrachte. In ihrem Praktikum am Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF in Jena beschäftigte sie sich theoretisch und experimentell mit optischen Quantentechnologien. Besonders fasziniert haben sie dabei ihre Versuche zur Quantenbildgebung, bei denen Objekte mithilfe verschränkter Photonen sichtbar gemacht werden. Im September 2023 absolvierte sie ein Praktikum bei bild der wissenschaft.
Finn Brockerhoff ist seit 2023 Redakteur bei bild der wissenschaft. Als begeisterter Hobbymusiker beschäftigt er sich zwar lieber mit Schall- als mit Lichtwellen, doch spätestens seit den Physik-Vorlesungen und Laborversuchen in seinem Wissenschaftsjournalismus-Studium hat es ihm auch die Optik angetan. Bei der Arbeit an diesem Buch war er immer wieder davon beeindruckt, wie fundamental und vielfältig die Rolle des Lichts nicht nur für uns Menschen ist, sondern – in Anspielung auf Douglas Adams – auch für das Leben, das Universum und den ganzen Rest.
Rolf Heßbrügge betrachtete Licht stets als selbstverständlich – allzeit verfügbar, notfalls auf Knopfdruck. Doch nur wenige Sekunden veränderten seine Sichtweise. Bei einem Besuch des früheren Gefängnisses Alcatraz vor der Küste San Franciscos ließ er sich vom Tourguide probeweise kurz in eine fensterlose Dunkelhaftzelle schließen. Als die schwere Eisentür hinter ihm ins Schloss fiel, sah er: nichts mehr, nur noch pure Dunkelheit – und keine Chance, diese abzustellen. Kein Sonnenstrahl, der irgendwo durch einen Fensterspalt drang. Kein Lichtschalter. Nach fünf beklemmenden Sekunden klopfte er energisch an die Tür, die der Guide daraufhin vereinbarungsgemäß öffnete. Licht, endlich.
Christan Jung hat mit Forschenden über ein Phänomen gesprochen, das ob seines massenhaften Auftretens die Wissenschaft verblüfft: „Denn die einen sind im Dunkeln und die andern sind im Licht, und man sieht nur die im Dunkeln, die im Lichte sieht man nicht …“. Nun sieht man sie doch, aber ganz anders, als Mackie Messer das in Brechts Dreigroschenoper auf einige Exemplare der Spezies Mensch bezog. Viele Tiere, die vorzugsweise im Dunkeln aktiv sind, nutzen Mechanismen der Biolumineszenz. Weit mehr Spezies, als man lange dachte, leuchten so auch im Dunkeln. Rainer Kurlemann hat sich als Chemiker schon im Studium mit den besonderen Eigenschaften von Materialien beschäftigt und wie diese im Labor optimiert werden können. Seine Doktorarbeit hat er über die Elektrochemie von Gold geschrieben. Damals waren Batterietechnologien, Photovoltaik und elektrochemische Synthese noch ein Nischenthema der Forschung. Er freut sich, dass diese Alternativen nun eine größere Rolle spielen, und sieht gerade in der Photovoltaik ein großes Potenzial. Als Journalist besucht er Forschende und Technologieentwickler, beispielsweise bei Rennen mit Solarfahrzeugen. Kurt de Swaaf ist als Biologe und Naturfan gerne nachts draußen unterwegs – sei es, um seltene Gartenschläfer zu belauschen, Fledermäuse aufzuspüren oder auch zum Angeln. Und der Zauber des Sternenhimmels hat den gebürtigen Holländer schon als Kind in den Bann geschlagen. Das europaweite Schwinden nächtlicher Dunkelheit ist ihm deshalb schon lange ein Dorn im Auge. Wie sehr Tiere und Pflanzen allerdings tatsächlich unter der Dauerbeleuchtung leiden, erfuhr er erst im Rahmen dieser Recherche.
Rüdiger Vaas ist Redakteur für Astronomie und Physik bei bild der wissenschaft, Philosoph, Dozent und Autor zahlreicher Bücher, darunter „Einfach Einstein!“, „Hawkings neues Universum“ sowie „Tunnel durch Raum und Zeit“. Er interessiert sich besonders für die Grundlagen und Geschichte der Kosmologie und würde gern mit Überlichtgeschwindigkeit durchs All und somit auch in die Vergangenheit reisen, um sich mit Albert Einstein zu unterhalten. Michael Vogel befasste sich schon während des Physikstudiums mit Astronomie, Atmosphärenphysik und Lasertechnik. Während seiner langjährigen Tätigkeit als Journalist begleiteten ihn diese Themengebiete, in denen dem Licht eine zentrale Bedeutung zukommt, weiterhin. Er findet es immer wieder faszinierend, dass mit dem sichtbaren Licht ein ziemlich winziger Ausschnitt aus dem elektromagnetischen Spektrum so eine große Bedeutung für uns Menschen hat. Bettina Wurche ist Meeresbiologin und Wissenschaftsjournalistin. Sie schreibt und spricht am liebsten über Meeresthemen, Biologie und Klimakrise. Sie hat selbst zehn Jahre mit Walen gearbeitet und berichtet heute für verschiedene Medien und auf ihrem Scienceblog Meertext über aktuelle Forschungsergebnisse, vor allem in den Ozeanen und aus der Paläontologie. Die Evolution der Photosynthese, wie Einzeller und Pflanzen das Sonnenlicht zu „fressen“ lernten, hält sie für einen der Meilensteine in der Evolution.
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AUF DEN SPUREN DES LICHTS Licht entstand bereits mit dem Urknall und ist seitdem im Universum allgegenwärtig. Angetrieben durch Sonnenlicht fand vor etwa drei Milliarden Jahren die erste Photosynthese statt und ermöglichte damit die Entstehung allen höheren Lebens auf unserem Planeten. Mit der Zähmung des Feuers brachte der Mensch Licht ins Dunkel der Nacht. Doch bis zur Erfindung der Glühbirne und dem Siegeszug des künstlichen Lichts dauerte es noch Jahrtausende. Inzwischen widmet sich die Lichtforschung ganz neuen Themen. Durch Photovoltaik und Solarthermie ist Sonnenlicht heute eine Triebfeder des Energiewandels. Das Verständnis der physikalischen Zusammenhänge macht die Photonik zu einer unserer wichtigsten Zukunftstechnologien. Sie reicht von LED-Beleuchtung über Lasertechnik bis hin zu neuen Computertechnologien. Die Verbindung von Optik mit Elektronik eröffnet neue Möglichkeiten für die ultraschnelle Übertragung und Verarbeitung von Daten und treibt – etwa durch präzise Bildgebung – die medizinische Diagnostik voran. Und nicht zuletzt lassen Weltraumteleskope uns tiefer ins All blicken als je zuvor.
Augen: Komplizen des Lichts Unsere Augen sind ein Wunder der Evolution. Die Sinneszellen in unserer Netzhaut sind so sensibel, dass sie einzelne Photonen wahrzunehmen vermögen. Dabei sind die Menschlichen Augen aber bei weitem nicht die besten: Einige Tiere sehen die Welt in einer Weise, die für uns fast unvorstellbar ist.
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ir erfahren die Welt durch unsere Sinne. Hören, Schmecken, Riechen, Tasten – allesamt enorm wichtige Reizempfänger. Doch bis zu 80 Prozent seiner Sinneseindrücke gewinnt der Mensch allein durch das Sehen. „Wenn man sich auf ein Universalprinzip verständigen müsste, dass möglichst viele Organismen auf der Erde vereint, dann wäre das wohl der Sinn zum Erfassen von Licht und Helligkeit“, sagt Jan Kremers, Leiter der Augenklinik am Universitätsklinikum Erlangen. Bereits primitivste Einzeller, reagieren auf Lichteinfall. Pflanzen- oder Tierarten, die keine Reaktion auf entsprechende Reize zeigen, gibt es kaum. „Sehen zu können, ist im täglichen Kampf ums Überleben ein unschätzbarer Vorteil“, bekräftigt Ursula Siebert, Leiterin des Instituts für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung der Tierärztlichen Hochschule Hannover: „egal, ob es nun darum geht, selbst etwas zu fressen zu finden oder darum, Fressfeinden zu entkommen.“ Die Augen und deren verschiedene Varianten gelten besonders wegen der Vielzahl
ihrer perfekt an die jeweiligen Umweltbedingungen angepassten Bauformen als Musterbeispiel für Podest- und Zwischenstufen evolutiver Prozesse. Schon Charles Darwin meinte, kein Organ sei so perfekt auf die zu leistenden Anforderungen eingestellt wie die Augen. „Die Annahme, dass das Auge mit all seinen faszinierenden Möglichkeiten durch natürliche Zuchtwahl entstanden sei, erscheint, wie ich offen bekenne, im höchsten Maße absurd“, schrieb der bekannte Evolutionstheoretiker 1895 in seinem Werk „The Origin of Species – Die Entstehung der Arten“.
Von Christian Jung
Die Evolution der Sehapparate Doch fossile Funde und Analysen gekoppelt mit Modellierungen ergeben ein stimmiges Bild. Demnach sind alle heute bekannten Augentypen innerhalb von nur 100 Millionen Jahren Evolution entstanden. Die Entwicklung begann vermutlich mit einzelnen Zellen, die sich zu Lichtsinneszellen spezialisierten. Die ersten Mehrzeller in den Ozeanen besaßen daher wohl lediglich einzelne, verstreut liegenden Lichtsinnes-
Sonne, Wärme, Dampf und Strom Aus der Wärme der Sonne lässt sich ebenso Energie gewinnen, wie aus ihrem Licht. Das Potenzial der Solarthermie für die Produktion von Ökostrom stellen Kraftwerke in Marokko seit einigen Jahren eindrucksvoll unter Beweis.
Die Facettenaugen der Kleinlibelle sind nicht frei beweglich, bieten jedoch nahezu eine Rundumsicht.
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Die Evolution des Auges: Es begann vermutlich mit einigen lichtempfindlichen Zellen (links). Eine Mutation führte dazu, dass die Zellen in einer kleinen Vertiefung lagen. Das ermöglichte, die Richtung einer Lichtquelle zu erkennen. Je tiefer die Vertiefung und je schmaler die Öffnung wurde (Mitte), desto präziser wurde diese In-
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formation und desto mehr Formen konnten erkannt werden. Die Bildung einer Schutzschicht über der Öffnung ermöglichte es den Zellen im Augeninneren, sich weiterzuentwickeln. Einige Organismen bildeten später Linsen an der Vorderseite des Auges (rechts), durch die das Auge fokussieren konnte.
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Wie das Licht in die Welt kam
er sich wie der Autor dieses Beitrags auf eine geführte Rundreise durch Marokko begibt, macht vermutlich irgendwann auch in Ouarzazate Station. Die Stadt mit rund 70 000 Einwohnern liegt in mehr als 1000 Meter Meereshöhe südlich des Atlasgebirges, inmitten einer kargen Landschaft und nicht weit entfernt vom Westrand der Sahara. Das Wetter: fast immer wolkenloser Himmel und strahlender Sonnenschein. Es ist daher kaum verwunderlich, dass vor einigen Jahren nur rund zehn Kilometer vor den Toren von Ouarzazate eines der größten Solarkraftwerksareale der Welt errichtet wurde. Gleich vier riesige Kraftwerke reihen sich dort auf einer Ebene aneinander. Die Anlagen, die zwischen 2016 und 2018 in Betrieb gingen, tragen die Bezeichnungen „Noor“ I bis IV, wobei das arabische Wort Noor auf Deutsch für „Licht“ steht. Sie produzieren elektrischen Strom aus der Energie des Sonnenlichts – mit einer installierten Leistung von insgesamt rund 600 Megawatt. Das ist etwa halb so viel wie ein modernes Gas- oder Kernkraftwerk an Leistung liefern kann.
Breite Palette an Technologien Doch die Kraftwerke nutzen zur Stromproduktion unterschiedliche Technologien. Die jüngste und mit maximal gut 70 Megawatt leistungsschwächste der vier Anlagen besteht aus einem rund 140 Hektar großen Gelände mit Hunderten aneinandergereihten Photovoltaikmodulen, die die Energie des Sonnenlichts direkt in elektrischen Strom verwandelt. Sie nutzt damit dieselbe Technik, die man auch von den bläulich schillernden Solarpaneelen auf Hausdächern oder in den immer häufiger zu sehenden Solarfeldern am Rand von Autobahnen oder Bahnlinien kennt. 94
Moderne Lichttechnologien
ISBN 978-3-8062-4658-2
€ 29,00 [D] € 29,90 [A]
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Die Technologie, auf der die benachbarten Anlagen Noor I, II und III basieren, unterscheidet sich davon grundlegend. Es sind sogenannte solarthermische oder Sonnenwärmekraftwerke. Deren grundsätzliches Funktionsprinzip ist dem von Kohle- oder Gas- und Dampf-Kraftwerken nicht unähnlich: In einem geschlossenen Kreislauf zirkuliert Wasser, das an einem Ende als heißer Dampf eine Turbine antreibt. Deren Rotation wiederum gibt einem Generator Schwung, der die Bewegungsenergie in elektrischen Strom verwandelt. Danach wird das Wasser abgekühlt, es kondensiert und strömt zum Ausgangspunkt zurück. Dort wird es wieder erhitzt und verdampft erneut. Doch während in einem fossilen Kraftwerk die für das Verdampfen des Wassers benötigte Wärme aus der Verbrennung etwa von Kohle oder Erdgas stammt, bezieht eine solarthermische Anlage dazu Energie aus dem Sonnenlicht. Dafür wird es durch Spiegel auf eine kleine Fläche fokussieren und konzentrieren, die sich dadurch stark erhitzt – und auf diese Weise letztlich flüssiges Wasser in Dampf verwandelt. Solche Anlagen mit einer sogenannten Strahlungsbündelung – im englischen Fachjargon „concentrated solar power“ (CSP) genannt – werden auch im marokkanischen Ouarzazate eingesetzt.
Von Ralf Butscher
Rinnen und Türme Allerdings gibt es auch bei dieser Technologie verschiedene Varianten. So sind Noor I und II Parabolrinnenkraftwerke, während Noor III ein Solarturmkraftwerk ist. Bei letzterem sind zahlreiche große Spiegel ungefähr kreisförmig aufgestellt und so ausgerichtet, dass sie das ankommende Sonnenlicht zu einem Punkt hinlenken, an dem sich ein Turm befindet. An
NOOR III ist eines der vier aneinandergereihten Solarkraftwerk nahe Ouarzazate in Marokko.
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