Das vergessene Gedenken: Die Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr 9783110785463, 9783110784008

Since the founding of the Bundeswehr in 1955, over 3,300 soldiers have died in service. But pledges to commemorate them

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German Pages 524 [523] Year 2022

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Table of contents :
Inhalt
I. Einleitung
II. Historische Grundlagen moderner Gefallenenehrung oder Deutungskonzepte des soldatischen Opfers ab 1813
III. Veteranenvereine und Totengedenken: Der Kampf ehemaliger Berufssoldaten der Wehrmacht um Rehabilitation ab 1949
IV. Opfer, Tod und Ehre: Soldatenbilder und Todesvorstellungen der Aufbaugeneration der Bundeswehr
V. Die Toten der Bundeswehr
VI. Sprachlicher und ritueller Umgang mit den Toten der Bundeswehr
VII. Binnenmilitärische Formen des Trauerns und des Gedenkens für getötete Soldaten
VIII. Das Fundament einer militärischen Gedenkkultur: Das Ehrenmal der Bundeswehr und der Wald der Erinnerung
IX. Fazit und Ausblick
Abkürzungen
Quellen und Literatur
Personenregister
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Das vergessene Gedenken: Die Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr
 9783110785463, 9783110784008

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Nordmann • Das vergessene Gedenken

Beiträge zur Militärgeschichte Begründet vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt Herausgegeben vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr Band 80

Das vergessene Gedenken Die Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr Von

Julia Katharina Nordmann

Zugl. Universität Potsdam, Historisches Institut, Dissertation 2019 (Gutachter: Prof. Dr. Sönke Neitzel, Prof. em. Dr. Bernhard R. Kroener)

Redaktion: ZMSBw, Fachbereich Publikationen (0921‐01) Projektkoordination, Bildrechte: Michael Thomae Lektorat: Cordula Hubert, Olching Texterfassung und Satz: Carola Klinke und Antje Lorenz Cover: Carola Klinke ISBN 978-3-11-078400-8 E-ISBN (PDF) 978-3-11-078546-3 E-ISBN (EPUB) 978-3-11-078549-4 ISSN 2192-2322 Library of Congress Control Number: 2022936737 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Walter de Gruyter GmbH Berlin/Boston Titelbild: Wald der Erinnerung, Henning-von-Tresckow-Kaserne, Geltow (Gemeinde Schwielowsee) bei Potsdam, November 2014 (Bundeswehr/Hannemann) Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Inhalt I. Einleitung............................................................................................. 1 II.

Historische Grundlagen moderner Gefallenenehrung oder Deutungskonzepte des soldatischen Opfers ab 1813..................... 23 1. Sacrificium und Heldentod: Deutungen des soldatischen Opfers bis 1945................................... 27 2. Totaler Krieg – totale Niederlage: Das Verständnis des soldatischen Opfers nach 1945......................... 39 3. Für den Schutz des Sozialismus: Tod und Totengedenken in der NVA............................................... 49

III. Veteranenvereine und Totengedenken: Der Kampf ehemaliger Berufssoldaten der Wehrmacht um Rehabilitation ab 1949................... 60 1. Die Veteranenvereine seit dem 19. Jahrhundert ............................... 60 a) Der Verband deutscher Soldaten e.V............................................ 71 b) Der Ring deutscher Soldatenverbände e.V................................... 84 c) Der Deutsche Luftwaffenring e.V................................................. 94 d) Der Deutsche Luftwaffenblock e.V.............................................. 101 e) Der Deutsche Marinebund e.V.................................................... 107 2. Die Funktion des Totengedenkens für die Veteranen der Wehrmacht................................................................ 119 a) Die Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V........................................ 128 b) Das Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V................. 137 IV. Opfer, Tod und Ehre: Soldatenbilder und Todesvorstellungen der Aufbaugeneration der Bundeswehr.................................................. 149 1. Die Debatte um das Bild des Bundeswehrsoldaten........................... 149 2. Die Bedeutung der militärischen Sozialisation................................. 155 3. Innere Führung und Staatsbürger in Uniform.................................. 169 a) Die Philosophie der Inneren Führung......................................... 169 b) Der neue Soldat: Staatsbürger in Uniform.................................. 173 c) Das Bild des Soldatentodes in der Bundeswehr........................... 194

VI Inhalt

V.

Die Toten der Bundeswehr.................................................................... 202 1. Die Todesstatistik der Bundeswehr................................................... 203 2. Von Unfalltoten und Gefallenen...................................................... 208 a) Die Todesfälle der Bundeswehr bis 1990..................................... 210 b) Die humanitären Missionen und die Kampfeinsätze der Bundeswehr nach 1990......................................................... 225

VI. Sprachlicher und ritueller Umgang mit den Toten der Bundeswehr............................................................. 239 1. Der sprachliche Umgang mit den Todesfällen.................................. 239 a) »Besondere Vorkommnisse« und »Unfälle« im Kalten Krieg.......................................................................... 239 b) »Tod durch Fremdeinwirkung«: Neue militärische Realitäten – neue Sprachregelungen............................................ 243 2. Der Wandel militärischer Trauerformen in der Bundeswehr........................................................................... 254 a) Anfänge einer militärischen Trauerkultur.................................... 254 b) Der militärische Totenkult während des Kalten Krieges und seine historischen Ursprünge........................ 263 c) Nach 1990: Wandel des Totenkults............................................. 273 d) Das Ehrengrab der Bundeswehr und die Plakette »Ehrendes Gedenken der Bundeswehr«......................... 283 3. Deutung und Sinnstiftung des Todes von Soldaten.......................... 289 a) Deutungen des Todes von Bundeswehrsoldaten während des Kalten Krieges........................................................ 290 b) Deutungen des Todes von Bundeswehrsoldaten in den Auslandsmissionen........................................................... 298 VII. Binnenmilitärische Formen des Trauerns und des Gedenkens für getötete Soldaten............................................................................. 309 1. Kameradschaftliche Gedenkformen für im Dienst tödlich verunfallte Bundeswehrangehörige............................ 310 a) Namenspatronagen..................................................................... 312 b) Gedenktafeln.............................................................................. 321 c) Gedenkzeichen für die Unfalltoten der Bundeswehr................... 323 d) Gedenkzeichen für die Toten und Gefallenen der Auslandseinsätze................................................................... 330 2. Binnenmilitärisches Gedenken in den ausländischen Einsatzgebieten................................................................................ 339 3. Gemeinsame Ehrenmale von Wehrmacht und Bundeswehr: Die Rolle der Veteranen ............................................. 349 a) Gemeinsame Ehrenmale der Waffengattungen ........................... 358 b) Gemeinsame Ehrenmale der Teilstreitkräfte................................ 374

Inhalt VII

VIII. Das Fundament einer militärischen Gedenkkultur: Das Ehrenmal der Bundeswehr und der Wald der Erinnerung.............. 409 1. Das Ehrenmal der Bundeswehr in Berlin-Tiergarten........................ 414 2. Der Wald der Erinnerung in Potsdam-Schwielowsee........................ 421 IX. Fazit und Ausblick................................................................................ 426 Abkürzungen.................................................................................................. 433 Quellen und Literatur.................................................................................... 438 Personenregister............................................................................................. 511

I. Einleitung Am 2.  April 2010, einem Karfreitag, begaben sich Soldaten der Bundeswehr auf Patrouillenfahrt in der nordafghanischen Provinz Kunduz. Die Soldaten vom Fallschirmjägerbataillon 373 aus dem niedersächsischen Seedorf waren im Rahmen der »International Security Assistance Force« (ISAF) im Einsatz. Ihr Auftrag: Sicherung der Region. Gegen 13 Uhr entdeckten die Soldaten Sprengfallen am Straßenrand. Kaum hatten die Deutschen mit deren Entschärfung begonnen, als sie von mutmaßlichen Kämpfern der islamistischen Taliban aus dem Hinterhalt mit Handfeuerwaffen und Panzerfäusten attackiert wurden. Die Bundeswehrsoldaten verteidigten sich und erwiderten das Feuer. Und mit einem Mal waren sie in erbitterte Kampfhandlungen verwickelt, standen praktisch mitten im Krieg. Das Gefecht dauerte Stunden. Der Angriff der Taliban konnte zwar von den Soldaten der Bundeswehr abgewiesen werden. Aber in dieser militärischen Aus­ einandersetzung, die als Karfreitagsgefecht in die Geschichte der Bundeswehr eingehen sollte, hatten die Deutschen hohe Verluste zu beklagen: Acht Soldaten wurden verwundet. Drei weitere Soldaten waren tot.1 Nach ihrer Überführung wurden die Gefallenen in der Heimat geehrt. Zahlreiche Vertreter aus Politik und Gesellschaft nahmen an der Gedenkfeier am 9. April 2010 in der St.-Lamberti-Kirche in Selsingen teil. Neben Verteidigungsminister KarlTheodor zu Guttenberg (CSU) würdigte auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die toten Soldaten. Guttenberg nannte die Toten sogar »tapfere Helden«, auf die man »stolz«2 sein könne. In Berlin erinnert auch das Ehrenmal der Bundeswehr an die Gefallenen von Kunduz und bewahrt sie vor dem Vergessen: Martin Kadir Augustyniak. Nils Bruns. Robert Hartert.3 Eine Armee und eine Gesellschaft, die um ihre toten Soldaten4 trauern, diese offiziell und öffentlich ehren und erinnern – das ist nichts Außergewöhnliches. Das 1 2

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Vgl. Helmecke, Gefallen, S.  4‑7; S./Trenzinger, Isa Khel, Karfreitag 2010; Barth/Schaal, Deutschland dienen, S. 211‑231; zuletzt u.a. Götz, »Hier ist Krieg«, v.a. S. 182‑192, 371‑376. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg anlässlich der Trauerfeier für die drei am 2.4. gefallenen Soldaten in der Sankt-Lamberti-Kirche am 9.4.2010 in Selsingen, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Im Ehrenmal der Bundeswehr namentlich genannte verstorbene Bundeswehrangehörige, Stand: 3.8.2021, (letzter Zugriff 6.9.2021). Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit auf das Gendern durchgängig verzichtet.

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I. Einleitung

Gedenken an getötete Soldaten ist in vielen anderen Ländern selbstverständlicher, ja integraler Teil der kulturellen Identität. Frankreich etwa veranstaltet regelmäßig Gottesdienste für seine gefallenen Soldaten. Im DÔme des Invalides zu Paris, dem zentralen Gedenkort Frankreichs. Die Italiener ehren ihre getöteten Soldaten in jedem Jahr am Altare della Patria, dem Nationaldenkmal auf dem Kapitolshügel in Rom. In Großbritannien tragen viele Menschen am Remembrance Day (informell auch »Poppy Day« genannt) stilisierte Mohnblüten zur Erinnerung an ihre gefallenen Soldaten, insbesondere jene der Weltkriege. Am Memorial Day, dem jeweils letzten Montag im Mai, würdigen die Vereinigten Staaten ihre Kriegstoten. Und in Russland versammeln sich am 9. Mai, dem »Tag des Sieges«, zahlreiche Bürger, um das Ende des »Großen Vaterländischen Krieges« zu feiern und im Rahmen der Aktion »Unsterbliches Regiment« insbesondere der sowjetischen Soldaten des Zweiten Weltkrieges zu gedenken.5 Die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland hingegen ist geprägt von einem anderen, stark distanzierten Verhältnis zu ihren toten Soldaten. Die Hauptursachen hierfür sind in der Diktatur des Nationalsozialismus, der Rolle der Wehrmacht als Hitlers Armee sowie in der katastrophalen militärischen Niederlage von 1945 zu suchen. Infolge dieser historischen Belastung und angesichts der stark antimilitärischen Stimmung in der Bevölkerung nach 1945 sowie wegen der besonderen Gründungsumstände der am 12.  November 1955 aufgestellten Bundeswehr trat auch in dieser die Würdigung von im Dienst getöteten Soldaten so gut wie vollständig in den Hintergrund. Stattdessen rückte die Bundesrepublik Deutschland ganz allgemein sämtliche Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft in den Mittelpunkt ihres offiziellen und öffentlichen Gedenkens.6 Erst das Ende des Kalten Krieges und die deutsche Teilnahme an Auslandsmissionen der Vereinten Nationen ab 1992 markierten eine grundlegende Zäsur beim Umgang Deutschlands mit seinen getöteten Soldaten.7 Am Anfang dieses Prozesses stand Alexander Arndt. Der Feldwebel der Bundeswehr starb am 14. Oktober 1993 im Rahmen der Kambodscha-Mission »United Nations Transitional Authority in Cambodia« (UNTAC), an der sich auch die Bundesrepublik beteiligte.8 Arndt war 5

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Vgl. Schlie, Bundeswehr und Tradition, S. 26; Nani, Die Gefallenen der »neuen Kriege«, S. 293; Goebel, Brüchige Kontinuität, S. 208 f., 223 f.; Hausmann, Die unfriedliche Zeit, S. 423, 431 f.; Dornblüth, Privates oder verordnetes Gedenken?, 9.5.2016, (letzter Zugriff 6.9.2021); Geyer, Amerikanisches Totengedenken, S. 508 f. Vgl. Hettling, Gefallenengedenken – aber wie?, S. 69. Der erste größere UN-Auslandseinsatz, an dem sich die Bundeswehr beteiligte, war die »United Nations Transitional Authority in Cambodia« (UNTAC). Soldaten der Bundeswehr leisteten in Kambodscha zwischen dem 22.5.1992 und dem 12.11.1993 medizinische Hilfe. Der zweite derartige Einsatz war die »United Nations Operation in Somalia« (UNOSOM II). Vom 25.8.1992 bis zum 21.3.1993 sowie vom 28.8.1993 bis zum 23.3.1994 unterstützten Bundeswehrsoldaten humanitäre Hilfsmaßnahmen vor Ort. Vgl. BMVg, Die Bundeswehr im Einsatz, S. 66 f. Vgl. Unterrichtung des Verteidigungsausschusses am 20.10.1993 über die Lage der deutschen Sanitätssoldaten in Kambodscha, AdsD, Depositum Heinz-Alfred Steiner, Akte: 12. WP, V-Aus­ schuss, Protokolle ab Nr. 55; dpa-Meldung vom 14.10.1993, Bundeswehr/Kambodscha (2. Zu­sam­ menfassung), Zum ersten Mal deutscher Soldat bei UNO-Mission erschossen, ACDP, 0/054/24-0.



I. Einleitung

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der erste deutsche Soldat nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, der bei einem Auslandseinsatz sein Leben verlor. Sein Tod konfrontierte die Bundeswehr wie die Bundesrepublik mit schwierigen Fragen: Auf welche Weise soll man einen im Auslandseinsatz getöteten Bun­des­ wehrsoldaten offiziell betrauern? In welchem Rahmen ihn würdigen? Und wie seiner gedenken? Mit noch größerer Wucht stellten sich diese Fragen durch den ISAF-Einsatz in Afghanistan, der für die Bundeswehr im Januar 2002 seinen Anfang nahm.9 Denn nach und nach wandelte die ursprünglich humanitäre Mission für Sicherheit und Wiederaufbau am Hindukusch ihren Charakter grundlegend: Sie wurde zum Kampfeinsatz für die Bundeswehr. Mit toten Soldaten, die im Namen Deutsch­lands starben. Und mit deren Opfer die Bundeswehr und die Gesellschaft der Bundes­ republik nun plötzlich einen würdigen und ehrenden Umgang finden müssen. In keinem anderen Auslandseinsatz der Bundeswehr starben so viele deutsche Soldaten. Bis zum offiziellen Ende der Mission am 29. Juni 2021 verloren in Afghanistan 59 Bundeswehrsoldaten ihr Leben, 35 davon durch »Fremdeinwirkung«, also bei Kampfhandlungen, Anschlägen oder durch Selbstmordattentate.10 Diese Erfahrungen mit Toten durch Fremdeinwirkung haben den Umgang der Bundeswehr mit dem Tod eigener Soldaten grundsätzlich und tiefgreifend verändert. Und sie haben dazu geführt, dass erstmals neben den binnenmilitärischen und kameradschaftlichen Formen der Trauer und des Erinnerns auch Rituale und Zeremonien, Protokolle und Gedenkorte entstanden. Die Bundeswehr trauert nun umfassend um ihre Toten. Sie trauert offiziell und öffentlich. Und sie will auch dauerhaft an ihre Toten erinnern. So gibt ihre Homepage bekannt, dass denjenigen, »die in pflichtgemäßer Erfüllung des Dienstes ihr Leben gelassen haben«, ein »würdiges Gedenken« gebühre. Dazu »schafft die Bundeswehr öffentliche Räume«11. Anfang 2021 gibt es mehrere dieser für die Öffentlichkeit bestimmten Orte. Der Ort mit der größtmöglichen offiziellen Anmutung ist das Ehrenmal der Bundeswehr im Außenhof des Bendlerblocks am Berliner Sitz des BMVg. Der riegelartige Baukörper mit seiner filigranen Bronzehaut wurde am 8. September 2009 von Ver­ teidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) und Bundespräsident Horst Köhler (CDU) eingeweiht. Das Berliner Ehrenmal ist den rund 3300 Bundeswehrsoldaten gewidmet, die seit 1955 im Dienst tödlich verunglückten, getötet wurden oder gefallen sind.12 Mit diesem Monument gedenken die Bundeswehr und die Bundesrepublik Deutschland erstmals ausschließlich der eigenen toten Soldaten. 9

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Vgl. BMVg, Die Bundeswehr im Einsatz, S.  66  f.; Afghanistan – ISAF (International Security Assistance Force), (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. BMVg, Pressemitteilung »Ende des Afghanistan-Einsatzes«, 29.6.2021, (letzter Zugriff 6.9.2021); Todesfälle in der Bundeswehr im Auslandseinsatz und in anerkannten Missionen, Stand: 21.10.2019, (letzter Zugriff 6.9.2021). Im Gedenken an die Toten der Bundeswehr, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. BMVg, Das Ehrenmal der Bundeswehr, S. 5, 9, 55.

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I. Einleitung

Mit dem Wald der Erinnerung auf dem Gelände des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr bei Potsdam – er versammelt die Ehrenhaine aus den Feldlagern der Auslandseinsätze in einem weitläufigen, parkartigen Gelände – schufen die Bundes­ wehr, Kameraden und Angehörige der Toten einen zentralen und zugleich sehr persönlichen Ort des Trauerns und des Gedenkens. Am Volkstrauertag 2014 weihte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) den Wald der Erinnerung ein.13 Erweitert man den Begriff des Erinnerungsraumes, so lässt er sich auch auf öffentliche Trauerfeiern für im Einsatz gefallene Soldaten ausdehnen. Die erste dieser Zeremonien würdigte am 24. Juni 2008 in der Alexanderskirche von Zweibrücken zwei im Rahmen des UN-Einsatzes in Bosnien-Herzegowina getötete deutsche Soldaten.14 Ebenso kann man dieses erweiterte Verständnis des Erinnerungsraums auch auf das im Sommer 2009 etablierte »Ehrengrab der Bundeswehr« übertragen. Dabei kennzeichnet die Bundeswehr die private Grabstätte eines im Ausland gefallenen deutschen Soldaten offiziell als »Ehrengrab« und verleiht diesem so in gewisser Weise einen öffentlichen Charakter. Unfalltote der Bundeswehr dagegen zeichnet die Plakette »Ehrendes Gedenken« aus. Sie wird auf den privaten Grabstein appliziert.15 Neben diesen öffentlichen und offiziellen Orten der Würdigung und des Erinnerns haben sich zahlreiche kameradschaftliche Orte des Gedenkens etabliert. Manche von ihnen besitzen für die gesamte Bundeswehr Bedeutung. Andere wiederum sind beschränkt auf eine Teilstreitkraft, eine Waffengattung oder auch nur auf eine einzelne Einheit. Hervorzuheben wäre an dieser Stelle zum Beispiel die binnenmilitärische Gedenkstätte auf dem Gelände der Fallschirmjägerkaserne in Seedorf. Sie ist den drei deutschen Gefallenen des Karfreitagsgefechts gewidmet. Herzstück des Denkmals sind die Türen jenes Radfahrzeugs vom Typ »Dingo«, mit dem die Soldaten sich auch an dem besagten 2. April auf Patrouillenfahrt begeben hatten. Die zerschossenen Türen sind in die Erinnerungsstätte aus weißen Klinkersteinen eingefügt. Reliquiengleich gemahnen sie an den Tod und das Opfer der Kameraden.16 Neben öffentlichen und binnenmilitärischen Gedenkstätten sind auch Namens­ patronagen zu Elementen der Erinnerung und damit zu einem Teil der neuen militärischen Memorialkultur der Bundeswehr geworden. Ein Beispiel dafür – und gewissermaßen Pars pro Toto – mag die vormalige Emmich-Cambrai-Kaserne in Hannover sein. Auf Wunsch der dort stationierten Soldaten benannte man die 13 14

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Vgl. BMVg, Der Wald der Erinnerung, S. 42‑49. Vgl. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Franz Josef Jung anlässlich der Trauerfeier für die am 19.6.2008 in Bosnien-Herzegowina ums Leben gekommenen Soldaten der Bundeswehr am 24.6.2008 in der Alexanderskirche in Zweibrücken, (letzter Zugriff 12.05.2010), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Schreiben BMVg Dr.  Franz Josef Jung an den Präsidenten des VDK Reinhard Führer 13.10.2009, Privatarchiv Julia Nordmann. Die Autorin dankt Bernd Kästner, Koordinator für die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr in der Bundesgeschäftsstelle des VDK, und Peter Päßler, Archivar in der Bundesgeschäftsstelle des VDK, dass sie ihr dieses und weitere Dokumente zugänglich gemacht haben. Vgl. Koch, Ehrendes Gedenken, (letzter Zugriff 8.8.2016), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Libero, Nationale militärische Erinnerungskultur, Privatarchiv Julia Nordmann.



I. Einleitung

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Einrichtung im März 2018 um in »Hauptfeldwebel-Lagenstein-Kaserne«. So erinnert sie dauerhaft an den Feldjäger Tobias Lagenstein, der am 28.  Mai 2011 im nordafghanischen Taloqan durch einen Sprengsatz getötet wurde.17 Der auch auf Personen, Symbole, Ritualhandlungen, Zeremonien und dergleichen mehr übertragene Begriff des Erinnerungsortes geht auf Pierre Nora zurück. Der französische Historiker prägte dieses erweiterte Verständnis in den 1980er-Jahren. Dabei fügte er im Rahmen des Projektes »Les lieux de mémoire« möglichst viele Kernattribute des kollektiven Gedächtnisses der Franzosen zu einem einheitlichen Ganzen zusammen, das er als die Gesamtheit der nationalen Erinnerungsorte versteht. Diesen geschärften Blick auf das Selbstverständnis eines Landes, der Orte, Sinnbilder, Wahrzeichen bzw. national prägende Topoi aller Art in den Mittelpunkt der Betrachtungen rückt, machten sich auch andere europäische Länder zu eigen. Italien und die Niederlande zum Beispiel, Österreich, Dänemark oder die Bundesrepublik Deutschland.18 Für ihre Traditionspflege hat die Bundeswehr insgesamt Noras breites Verständnis streit­ kräfte, einzelne des Erinnerungsortes übernommen.19 Doch auch die Teil­ Waffengattungen und Einheiten, Einsatzkontingente und Kampf­ge­mein­schaften schufen und schaffen sich vor allem im Rahmen der Auslandseinsätze derartig erweiterte Orte der Erinnerung, die ihre Gruppenidentität und ihren Zu­sam­menhalt verfestigen und stärken. Auch vor Beginn der Auslandseinsätze entstanden innerhalb der Bundeswehr bereits solche Erinnerungsorte, die häufig mit einem binnenmilitärischen Toten­ge­ denken verbunden waren. In seiner richtungsweisenden Studie »Erinnerungs­orte der Bundeswehr« von 2019 betont Hans-Günther Behrendt die herausragende Be­deu­ tung solcher Orte, analysiert sie und ordnet sie in den Kontext der Bundeswehr ein. Der Oberstleutnant a.D. und ehemalige Referent der Hauptabteilung Rüstung im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) spart dabei auch die für die Bundeswehr tragischen Erinnerungsorte wie das Unglück an der Iller (s.u.) nicht aus. Behrendts umfassende Zusammenschau stellt dabei zentrale Fragen in den Fokus: Welche Orte der Erinnerung prägten und prägen die Bundeswehr? Welche Sinnbilder, welche Symbolik transportieren diese Orte? Und worin liegt ihre spezifische Bedeutung für die Bundeswehr?20 Vor allem mit der Teilnahme deutscher Truppen an bewaffneten humanitären und militärischen Auslandseinsätzen rückte der Tod im Dienst verstärkt ins Bewusstsein der Soldaten und der Bundeswehr. Kampf, Verwundung und Tod waren plötzlich keine abstrakten Begriffe mehr, sondern wurden zu integralen Bestandteilen des Soldatenberufs. Mittlerweile besitzt das Gedenken an die eigenen im Dienst getöteten Soldaten einen wichtigen Platz in der militärischen Erinnerungskultur der Bundeswehr. Ja, es wird zunehmend zum Bezugspunkt einer eigenen militärischen 17

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Vgl. Kasernennamen unter der Lupe (3), 29.8.2019, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Deutsche Erinnerungsorte, S. 8 f. Vgl. Erinnerungsorte der Bundeswehr. Vgl. ebd.; Rogg, Erinnerungskulturelle Zugänge zur Bundeswehr und ihrer Geschichte, S. 12 f.

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I. Einleitung

Tradition für die deutschen Streitkräfte.21 Zahlreiche Orte solcher Erinnerung stehen bereits damit in Verbindung: Phnom Penh, Kabul, Kunduz, Tabankort (Mali) – um nur einige zu nennen. Diese herausgehobene und traditionsbildende Bedeutung des öffentlichen und offiziellen militärischen Totengedenkens erkannte auch die Politik. 2011 erklärte Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) das Berliner Ehrenmal erstmals zum Teil der Traditionspflege der Bundeswehr. Und der neue Erlass »Die Tradition der Bundeswehr. Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege«, den Verteidigungsministerin von der Leyen am 28.  März 2018 verabschiedete, ordnet nun grundsätzlich das dauerhafte Totengedenken an die in Ausübung ihres Dienstes getöteten Soldaten auch verbindlich und amtlich der Traditionspflege in der Bundeswehr zu.22 Solch ein würdigender und ehrender Umgang mit dem Tod eigener Soldaten in einem öffentlichen und offiziellen Rahmen ist, wie bereits angedeutet, ein vergleichsweise neues Phänomen in der über 65-jährigen Geschichte der Bundeswehr. Denn bis in die frühen 2000er-Jahre existierten kaum öffentliche Trauerrituale, kaum Trauerzeremonien, geschweige denn eine ausgereifte Trauer- und Gedenkkultur für die im Dienst getöteten Bundeswehrsoldaten. Die einzigen, die der Toten gedachten, waren die Kameraden. Von Anfang an und in vielfältiger Weise bewahrten sie die Erinnerung. Die Bundeswehr als Institution ging, zugespitzt formuliert, sogar aus unterschiedlichen Gründen, wie die Untersuchung zeigen wird, geradezu auf Abstand zu ihren Toten. Ein paradoxer, widersinniger Umstand, da, wie es der Sozialphilosoph Edwin Micewski auf den Punkt bringt, der Tod im Dienst doch die »metaphysische Natur des Militärischen«23 sei. Von Anfang an erforderte der Dienst in der Bundeswehr Tote. Die ersten Todes­ fälle ereigneten sich bereits 1956. 1962 starben 166 Soldaten im Dienst, mehr als in jedem anderen Jahr. Doch bis in die 1970er-Jahre waren die Opferzahlen hoch.24 Denn zahlreiche Unfälle, aber auch einige der schwersten Unglücke der Bundes­ wehr­geschichte fielen in diese Jahre. Als im Juni 1957 15 Rekruten aus Kempten während einer Übung in der Iller ertranken, existierte nicht einmal ein verbindliches Trauer­zeremoniell für die Truppe. So wurde die eilig organisierte Trauerfeier auf dem Kasernen­hof der Kemptener Prinz-Franz-Kaserne zur Blaupause für die internen Totenfeiern der Bundeswehr. 1959 erließ Generalinspekteur General Adolf Heusinger gemäß dem Kemptener Vorbild erstmals Richtlinien für den Abschied der Truppe von ihren getöteten

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Vgl. Libero, Nationale militärische Erinnerungskultur, Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Maizière, Das Ganze im Blick (Vortrag 14.10.2011). Abgedr. in: Tradition für die Bundeswehr, S. 211‑220, S. 216; Erlass »Die Tradition der Bundeswehr«, 28.3.2018. Abgedr. in: Tradition in der Bundeswehr, S. 282‑295, hier Ziff. 4.7, S. 292. Micewski, Tod und Tabu, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Todesfälle in der Bundeswehr infolge der Ausübung des Dienstes, Stand: 30.8.2021, (letzter Zugriff 6.9.2021); Rink, Die Bundeswehr 1950/55 bis 1989, S. 204.



I. Einleitung

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Kameraden.25 Mit den Rahmenbedingungen eines dauerhaften, öffentlichen und offiziellen Würdigens und Erinnerns beschäftigte sich Heusinger nicht. Und so kehrte die Bundeswehr nach Unfällen und Havarien in der Regel schnell zur Normalität zurück. Ihr Versprechen, den im Dienst getöteten Soldaten ein dauerhaft »ehrendes Andenken« zu bewahren, verhallte gewöhnlich schon bald nach den internen Totenfeiern in den behelfsmäßig zu Trauerhallen umfunktionierten Räumlichkeiten der Kasernen, Truppenübungsplätze und Fliegerhorste. Zwischen den 1950er- und den 1970er-Jahren standen anstelle der Toten der Bundeswehr jene der Wehrmacht im Fokus der neuen Streitkräfte. Denn durch die enge Zusammenarbeit von Veteranenverbänden und ehemaligen Wehrmachtangehörigen in Führungspositionen der Bundeswehr entstand eine Vielzahl von Gedenkstätten, die zum Teil bis heute an die Gefallenen der Wehrmacht erinnern. Vor allem um diese Kriegsopfer kreiste der militärische Totenkult in der Bundeswehr, sodass es durchaus präziser wäre, bis zum Beginn der UN-Auslandseinsätze weitgehend von einer Trauer- und Gedenkkultur der Wehrmacht im Rahmen der Bundeswehr zu sprechen. Die binnenmilitärische Memorialkultur für die zumeist Unfalltoten der Bun­des­ wehr fand dagegen ihren Ausdruck in oft schmucklosen Tafeln, schlichten Findlingen und in Stelen oder einfachen Holz- und Metallkreuzen an den Unfallstellen, auf Fliegerhorsten und Truppenübungsplätzen oder in Kasernen. Dieses kameradschaftliche und binnenmilitärische Abschiednehmen ist, wie die Untersuchung belegt, die wohl bedeutendste Keimzelle für die Entwicklung einer offiziellen und öffentlichen Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr. Im Wesentlichen stehen drei Fragekomplexe im Mittelpunkt der Untersuchung: 1. Welche historischen Hintergründe und welche ideengeschichtlichen Traditionen prägten seit Ende der Aufklärung das moderne Verständnis des soldatischen Opfertodes sowie des militärischen Totengedenkens? 2. Welche zeitgeschichtlichen Bedingungen, welche Vorstellungen in der Bundes­ wehr und welche Direktiven des BMVg führten dazu, dass bis in die 1990er-Jahre hinein nur eine binnenmilitärische Trauer- und Gedenkkultur in der Bundeswehr entstand? Welche Ansätze der Sinnstiftung des Soldatentodes entwickelten sich? Welche Rituale, welche Zeremonien der Trauer? 3. Welche zeitgeschichtlichen Konstellationen sowie bundeswehrinternen Entwick­ lungen setzten in den 1990er-Jahren schließlich den Prozess in Gang, der stufenweise zur Ausbildung erster Formen einer offiziellen und öffentlichen Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr führte? Welche Rolle spielten dabei die kameradschaftlichen Erinnerungsstätten und Ehrenhaine, die im Zuge der deutschen Teilnahme an Auslandsmissionen entstanden? Drei Erklärungsansätze sollen die Ursachen dieses Fehlens einer offiziellen und öffentlichen Memorialkultur in der Bundeswehr analysieren. Der erste dieser Ansätze beleuchtet die zeitgeschichtlichen Umstände nach 1949, unter denen der Wunsch nach einem Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik 25

Vgl. Der BM der Verteidigung, FüB – FüB I 3, Richtlinien für Trauerfeiern und Beerdigungen, 29.9.1959, BArch, BWD 3/123.

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I. Einleitung

im Rahmen der NATO laut wurde. Denn die Idee einer Wiederbewaffnung Westdeutschlands entstand innerhalb einer Gesellschaft, die noch ganz im Schatten der NS-Diktatur und der katastrophalen Niederlage des Zweiten Weltkriegs stand. Die vorherrschende Stimmung war gegen alles Militärische und Soldatische eingestellt. Eine neue deutsche Armee lehnte die Mehrheit dieser Gesellschaft ab.26 Noch weniger wollte sie von der Möglichkeit neuer toter deutscher Soldaten wissen oder gar vom Wiederaufleben eines Opfer- und Heldenkultes, wie er die militärische Trauerkultur bis 1945 prägte. Das Fehlen amtlicher militärischer Trauer- und Gedenkformen hatte aber noch andere Gründe. Sie hingen eng mit den Gründungsumständen der Bundeswehr zusammen. Denn führende Offiziere der Aufbaugeneration hatten ihre soldatische Sozia­lisation in drei Armeen durchlaufen: der Kaiserlichen Armee, der Reichswehr, der Wehrmacht. Diese Grundkonstellation barg erheblichen Sprengstoff, denn die jeweiligen Vorstellungen von den Werten und Aufgaben des Soldaten waren so heterogen wie die ideologischen und moralischen Prägungen der Männer der Auf­bau­generation. Von Anfang an entbrannte daher eine erbitterte und letztlich jahrzehntelange Kontroverse um die neue Armee. Man stritt um ihre Ausrichtung, um ihre Aufgaben und um die militärische Tradition, auf die sie sich beziehen sollte. Man stritt um das Berufsverständnis des Soldaten, um Eidestreue und Gehorsamspflicht, um Heldentum, Kampf- und Opferbereitschaft. Und man stritt ebenso um das Bild des Soldatentodes. Der zweite Ansatz untersucht daher das Verständnis des Soldaten und seiner Aufgaben, so wie es Wolf Graf von Baudissin in seinem Konstrukt des Staatsbürgers in Uniform Anfang der 1950er-Jahre propagierte. Denn der sogenannte Reformer Baudissin spaltete in gewisser Weise den aktiven Kampf, das Töten und das Getötet­ werden ab vom Selbstverständnis des Soldaten und marginalisierte sie.27 Auch Trauerzeremonien, Gedenkformen und die Errichtung von Denkmälern lehnte Baudissin ab, um die Bundeswehr vom Heldenkult der Nationalsozialisten radikal abzugrenzen. Wer aber das Kämpfen und das Sterben zur »Nebenfolge des soldatischen Auftrags«28 erklärt und jede militärische Totenehrung unter den Generalverdacht des »Pathos« stellt,29 der braucht, der will auch keine offiziellen und öffentlichen Formen des militärischen Trauerns und Gedenkens. Diese Haltung prägte nach Gründung der Bundeswehr ganz entscheidend das offizielle Verhältnis der neuen Streitkräfte zu ihren Soldaten, die in Ausübung des Dienstes getötet wurden.

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Unter der Parole »Ohne mich« schlossen sich verschiedene gesellschaftliche Gruppen zu einer pazifistisch motivierten Protestbewegung gegen die Wiederbewaffnung zusammen. Aus ihren Reihen ging anschließend die Friedensbewegung hervor. Vgl. Werner, Die »Ohne-mich«-Bewegung. Die Formel »Staatsbürger in Uniform« lässt sich ab 1953 in den Überlegungen und Schriften Baudissins nachweisen. Vgl. Baudissin, Vom Bild des künftigen Soldaten, S. 200‑204; Baudissin, Beitrag des Soldaten zum Dienst am Frieden (1969), S. 41. Vgl. Baudissin, Beitrag des Soldaten zum Dienst am Frieden (1969), S. 41. Vgl. Baudissin, Soldatische Tradition, S. 437.



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Der dritte Erklärungsansatz weist in Richtung vieler traditionalistisch eingestellter »alter Kameraden«. Denn für diese Wehrmachtveteranen, die beim Aufbau der Bundeswehr eine bedeutende Rolle spielten, waren die Toten der Bundeswehr, die ja nicht Kriegsopfer, sondern zumeist Unfallopfer waren, grundsätzlich militärisch weniger gedenkwürdig. Der Aufbau einer offiziellen Trauer- und Gedenkkultur erschien aus dieser Perspektive ebenfalls unangemessen. Diese Lücke in der Bundeswehr füllte stattdessen, wie erwähnt, der Totenkult um die Gefallenen der Wehrmacht. Die ehemaligen Wehrmachtsoldaten, sowohl die, welche nun in der Bundeswehr dienten, wie auch jene, die in den Veteranenverbänden organisiert waren, würdigten ihre gefallenen Kameraden der Wehrmacht mit Trauer- und Gedenkfeiern im Rahmen der Bundeswehr. Diese Veteranen bildeten also – analog zur Theorie vom gemeinsamen kulturellen Gedächtnis einer Gemein­ schaft, wie sie die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann formuliert30 – eine Erinnerungsgemeinschaft, in deren Zentrum die eigenen Gefallenen standen. Der Tod im Kampf bildete dabei den sozialen Kitt. Die Unfalltoten der Bundeswehr hätten die Homogenität dieser Gemeinschaft gestört. Und wie jedes Kriegstotengedenken war auch jenes der Veteranen nicht nur auf die Vergangenheit bezogen, sondern ebenso auf die Gegenwart. Als Identitätsstiftung der Überlebenden, wie der Historiker Reinhart Koselleck betont. Auf diese Weise diente das Totengedenken an den Ehrenmalen der Wehrmacht der Selbstvergewisserung und der Legitimation des eigenen Handelns.31 Die Veteranen verfolgten mit ihrem Gedenken – es nahm oft die Züge einer Heldenverehrung an, verabsolutierte die militärische Leistung und trennte diese ab von der NS-Diktatur – noch eine ganz andere Absicht. Denn diese ideologisch bereinigte Totenehrung stellte allein das vorbildlich ausgeführte Handwerk des Kämpfens in den Mittelpunkt und sollte damit auch der Rehabilitierung der eigenen Kriegsbiografien dienen. Zudem sollte über dieses Totengedenken auch die jeweilige Truppenidentität von Soldaten der Bundeswehr mit den Leistungen und Opfern der alten Kameraden verbunden werden und so traditionalistische Vorstellungen von Soldatentum in der Bundeswehr durchgesetzt und verankert werden. All diese Zusammenhänge, Strömungen und Überzeugungen, ineinander verwoben, einander bedingend und ergänzend, führten dazu, dass sich in der Bundeswehr über mehr als 40 Jahre keine offizielle und öffentliche Trauer- und Gedenkkultur für die im Dienst getöteten Bundeswehrsoldaten entwickeln konnte. Vor allem das Ende des Kalten Krieges und der Zerfall der alten Weltordnung schufen die veränderten Bedingungen, in deren Rahmen die Bundeswehr neue und für sie originäre Aufgaben zu bewältigen hat: bewaffnete UN-Auslandsmissionen. Die militärischen Opfer dieser Einsätze zwangen die Bundeswehr, über den Umgang mit ihren toten Soldaten grundlegend neu nachzudenken. Und so waren diese Toten letztlich der entscheidende Auslöser für eine Entwicklung, in deren Rahmen sukzessiv erste Formen einer offiziellen und öffentlichen Trauer- und 30 31

Vgl. Assmann, Erinnerungsräume, S. 33. Vgl. Koselleck, Kriegerdenkmale, S. 257.

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Gedenkkultur der Bundeswehr und der Bundesrepublik Deutschland entstehen konnten. Diese Entwicklung ist ein prozesshaftes Geschehen, das andauert.

Stand der Forschung Angesichts der überragenden Bedeutung des Totengedenkens für die Identität, das Berufsverständnis, die Aufgaben und die Selbstwahrnehmung des Soldaten muss es verwundern, dass die historische Forschung sich so zögerlich und sehr einseitig mit der binnenmilitärischen wie auch der offiziellen und öffentlichen militärischen Memorialkultur der Bundeswehr beschäftigt hat. Im Mittelpunkt der wenigen publizierten Arbeiten stehen dabei vor allem das Ehrenmal der Bundeswehr in Berlin und die Trauer- und Gedenkformen für die Gefallenen der Auslandseinsätze, insbesondere für jene des ISAF-Kampfeinsatzes in Afghanistan. In der Zeit zwischen der Ankündigung von Verteidigungsminister Jung im Sommer 2006, ein Ehrenmal für die im Dienst getöteten Soldaten der Bundeswehr errichten zu wollen, und der Einweihung des Ehrenmals im Herbst 2009 fanden zwei interdisziplinäre Fachtagungen zum Thema statt.32 Die erste der beiden Tagungen wurde im Oktober 2007 am Wissenschaftszentrum in Berlin unter dem Titel »Der Tod des Soldaten als demokratische Herausforderung« abgehalten. Die Historiker Manfred Hettling (Universität Halle-Wittenberg) und Jörg Echternkamp (Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam, ZMSBw) leiteten die Veranstaltung. 2008 und 2013 veröffentlichten sie die Beiträge der Konferenz in zwei Sammelbänden.33 Die zweite Tagung »Soldatentod in heutigen Kriegen. Herausforderungen für politische Normenbildung und Erinnerungskultur« fand im Juni 2008 an der Evangelischen Akademie Loccum statt. Die Historikerin Corinna Hauswedell führte die Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Volksbund Deutsche Kriegs­ gräber­fürsorge (VDK), Landesverband Niedersachsen, und der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung durch. Die Beiträge wurden 2009 in einem gleichnamigen Sammelband publiziert.34 Beide Zusammenkünfte verfolgten die Absicht, die Ehrenmalpläne des BMVg in einem wissenschaftlichen Rahmen zu diskutieren. Auf diese Weise wollten sie das zu errichtende Monument zum Gegenstand des öffentlichen Diskurses machen. Diskutiert wurden dabei u.a. die Probleme, Anforderungen und Aufgaben einer demokratischen Erinnerungskultur in der Bundesrepublik als postheroischer Gesellschaft für die bei UN-Auslandseinsätzen getöteten Bundeswehrsoldaten. Auch die zeitgemäße Symbolisierung des Kriegstodes war Thema sowie der Vergleich mit der Situation in anderen Ländern und die Betrachtung der historischen Entwicklung.35 32 33

34 35

Vgl. »Nicht vergessen«. In: Die Zeit, 29.6.2006; BMVg, Das Ehrenmal der Bundeswehr, S. 55. Vgl. Friedrich, Der Tod des Soldaten, S. 141‑146. Die Beiträge, die sich mit dem Totengedenken in der Bundesrepublik beschäftigen, sind veröffentlicht in: Bedingt erinnerungsbereit. Die international vergleichenden Beiträge sind erschienen in: Gefallenengedenken im globalen Vergleich. Vgl. Soldatentod in heutigen Kriegen. Vgl. Hauswedell, Vorwort, S. 9, 12; Friedrich, Der Tod des Soldaten, S. 141.



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2019 erschien ein weiterer Aufsatz Hettlings zum politischen Totenkult mit historischer Ausrichtung, der den Gegensatz zwischen der öffentlichen Vereinnahmung der toten Soldaten im militärischen Totengedenkens bis 1945 und deren Zurücktreten seitdem darlegt.36 Einige Aufsätze anderer Autoren untersuchten die problematische Beziehung zwischen Bundeswehr und Wehrmacht. Kulminationspunkte waren dabei das Ehrenmal der Luftwaffe und der Luftfahrt in Fürstenfeldbruck (Bayern) sowie das Ehrenmal des Deutschen Heeres auf der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz (Rheinland-Pfalz).37 Wolfgang Schmidt, Militärhistoriker an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, stellte das interne Trauerzeremoniell der Bundeswehr in den Mit­tel­punkt.38 Anregungen, warum innerhalb der Bundeswehr keine offizielle und öffentliche Memorialkultur existiert, gab Hettling 2007 in seinem Aufsatz: »Gefallenengeden­ ken – aber wie?«39 Eine grundlegende wissenschaftliche Untersuchung zu diesem Thema aber fehlte. Viel zu wenig wissenschaftliche Beachtung finden auch die binnenmilitärischen Trauerformen und die offizielle und öffentliche Gedenkpraxis der Bundeswehr, wie sie sich im Zuge der UN-Auslandseinsätze herausbildeten und -bilden. Eine Ausnahme waren insbesondere zwei Beiträge der Militärhistorikerin Loretana de Libero. Die Arbeiten beleuchten das amtliche wie auch das binnenmilitärische Totengedenken innerhalb der Bundeswehr in Zeiten der UN-Auslandseinsätze.40 Den sich wandelnden Umgang von Bundeswehr und Politik mit den in Afghanistan gefallenen Deutschen zeichnet der Politikwissenschaftler Kåre Dahl Martinsen nach.41 Mit der gewachsenen Bedeutung der Trauerfeiern der Bundeswehr für die Gefallenen des Afghanistan-Einsatzes beschäftigt sich der Politikwissenschaftler Sebastian Nieke in zwei Beiträgen. Seit Sommer 2008 werden diese Zeremonien nicht mehr intern im Hangar des militärischen Teils des Flughafens Köln-Wahn ausgerichtet, sondern in repräsentativen Kirchen am Standort der getöteten Soldaten. Durch den Ortswechsel wurden die Trauerfeiern in die Öffentlichkeit verlagert und avancierten auf diese Weise, so Nieke, zu einem »wichtigen Teil des Soldatengedenkens«42 in Bundeswehr und Bundesrepublik. Diese Form des Gedenkens sei zugleich mit einem politischen Auftrag verbunden.43 Vor allem in den zu diesen Anlässen gehaltenen Ansprachen der Verteidigungsminister sieht Nieke ein wesentliches Instrument, um der Gesellschaft die militärische Wirklichkeit und die politische Notwendigkeit des ISAF-Einsatzes zu vermitteln.44 36 37 38 39 40 41 42 43 44

Vgl. Hettling, Die zwei Körper. Vgl. Hettling, Gefallenengedenken – aber wie?; Becker, Architekturhistorische Anmerkungen; Schöbel, Am Anfang war der Held. Vgl. Schmidt, Die Toten der Bundeswehr. Vgl. Hettling, Gefallenengedenken – aber wie? Vgl. Libero, Einsatzarmee und Erinnerung; Libero, Tod im Einsatz. Vgl. Martinsen, Germany. Nieke, Die Trauerfeiern des Afghanistaneinsatzes, S. 6. Vgl. ebd., S. 8. Vgl. Nieke, Gefallene Helfer.

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Wissenschaftliche Untersuchungen, die sich der offiziellen und öffentlichen sowie der binnenmilitärischen Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr über den gesamten Zeitraum von ihrer Gründung im Jahr 1955 bis zu ihren UN-Aus­lands­ ein­sätzen im Jahr 2017 widmeten, gibt es bislang nicht. Insbesondere die systematische Bearbeitung der Trauer- und Gedenkkultur der Epoche des Kalten Krieges wurde vernachlässigt – und in diesem Zusammenhang vor allem die wissenschaftliche Erforschung der Binnensituation der Bundeswehr. Das heißt: Es fehlte ein Forschungsansatz, der die Bundeswehr als autonomes soziologisches Subsystem behandelt, das ganz spezifische und eigene systemimmanente Gründe für das weitgehende Fehlen von offiziellen und öffentlichen Trauer- und Gedenkformen besitzt. Denn die Begründungszusammenhänge, die zeigen, warum in der Gesellschaft der Bundesrepublik kaum ein politischer Totenkult für die im Dienst getöteten Bundeswehrsoldaten existierte, erklären nicht, warum es auch innerhalb der Bundeswehr über mehr als 40 Jahre nur eine rudimentäre offizielle und öffentliche Trauer- und Gedenkkultur für die eigenen Toten gab. Nahezu gänzlich von der wissenschaftlichen Forschung vergessen waren in diesem Zusammenhang die Unfalltoten der Bundeswehr. Auch die binnenmilitärischen, die kameradschaftlichen Formen des Trauerns und Gedenkens, die sich während des Kalten Krieges für die zumeist Unfalltoten der Bundeswehr entwickelten, ignorierte die Wissenschaft weitgehend. Diese Forschungslücke steht im Zentrum der vorliegenden Untersuchung.

Quellenlage Schwerpunkte dieser Untersuchung sind zum einen das Totengedenken der Bundeswehr für im Dienst gestorbene Bundeswehrsoldaten und zum anderen das Totengedenken von Wehrmachtveteranen im Rahmen der Bundeswehr für deren im Zweiten Weltkrieg gefallene Kameraden. Der Zeitraum der Untersuchung erstreckt sich über 65 Jahre, von 1955 bis Anfang 2020. Untersucht werden vor allem die verschiedenen Formen, die Motive und die Entwicklungsstränge der Erscheinungen militärischen Totengedenkens sowie die unterschiedlichen Erinnerungsgemeinschaften und deren Strukturen. Die individuelle soldatische Perspektive auf das militärische Totengedenken im Rahmen der Bundeswehr konnte hier allenfalls gestreift werden. Die Gründe dafür lagen vor allem in den für bundeswehrexterne Wissenschaftler schwer zugänglichen Quellen wie den privaten Selbstzeugnissen von Einsatzsoldaten. Dazu kommt die Schwierigkeit für die militärhistorische Forschung, aus subjektiven Zeugnissen allgemeingültige Aussagen abzuleiten. Denn die Bundeswehr ist, wie de Libero feststellt, eine heterogene Wahrnehmungs- und Erinnerungsgemeinschaft. Es hängt also weitgehend vom Zufall ab, welche Perspektive auf das Erlebte, Erfahrene oder Erinnerte sich dem Historiker eröffnet und welche ihm verschlossen bleibt.45 Für die Geschichte der Bundeswehr ist das Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg (BArch) zentraler Ausgangspunkt. Für die Zeit vor 1961 wurden die 45

Vgl. Libero, Tod im Einsatz, S. 3.



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Unterlagen des Dienstbetriebes der Bundeswehr allerdings noch nicht systematisch gesammelt, wodurch sich zwangsläufig Lücken in einigen Bereichen der vorliegenden Untersuchung ergaben, zum Beispiel im Hinblick auf frühe Todesfälle in der Bundeswehr, die Entwicklung von verbindlichen Richtlinien für militärische Trauerfeiern, die ab Juli 1957 hauptsächlich im Militärischen Führungsrat – dem höchsten Gremium der Bundeswehr – koordiniert wurde, sowie die Gründe, warum es bis September 1959 dauerte, bis Generalinspekteur Adolf Heusinger erste und verpflichtende »Richtlinien für Trauerfeiern und Beerdigungen«46 präsentierte. Als Ergänzung erwiesen sich die Unterlagen aus dem Bestand des Archivs des Katholischen Militärbischofs für die Deutsche Bundeswehr in Berlin (AKMB). Die Militärseelsorge der Evangelischen Kirche verfügt zwar über keine vergleichbare Dokumentensammlung, war aber ebenso wie das Katholische Militärbischofsamt an der Erarbeitung von Richtlinien für militärische Trauerfeiern und Beerdigungen beteiligt. Die im AKMB gesichteten Unterlagen gewährten zudem einen Einblick in die Praxis von bundeswehrinternen militärischen Trauerfeiern vor dem Iller-Unglück 1957. Ungeklärt hingegen bleibt die Gestaltung entsprechender Trauerfeiern zwischen 1957 und 1959. Für den Zeitraum von 1961 bis 1970 ist das Quellenmaterial im BArch oft nur teilweise erschlossen.47 Zudem war das Abgabeverhalten mancher Kasernen und Dienststellen, in deren Zuständigkeitsbereich sich Todesfälle ereigneten, mangelhaft. Das heißt, die Weiterleitung entsprechender Unterlagen nach Freiburg – Unfall­do­ ku­men­tationen, Berichte über Trauerfeiern und Ansprachen oder Beschreibungen kamerad­schaftlicher Gedenkformen – unterblieb. Dieses Problem besteht mit Aus­ nahmen bis heute und betrifft auch Todesfälle, die sich im Rahmen der UN-Aus­ lands­einsätze der Bundeswehr ereigneten.48 Jenseits der dramatischen Unglücksfälle und Havarien – der Untergang des U-Bootes »Hai«, der Absturz der Transall über Kreta oder der Schießunfall von Bergen-Hohne – findet man wenigstens bis in die 1990er-Jahre hinein kaum Material zum Umgang und zur Gedenkpraxis einzelner Einheiten bzw. Standorte, wenn es um die alltäglichen Todesfälle des Dienstbetriebs geht. Nur vereinzelt geben Chroniken der Verbände oder Truppen- und Verbandszeitschriften Hinweise auf im Dienst tödlich verunglückte Soldaten. Da sich im BArch praktisch keine Traueransprachen für die Opfer des alltäglichen Dienstbetriebes erhalten haben, legte diese Untersuchung ihren Fokus auf die Deutung und die Sinnstiftung des Todes von Bundeswehrsoldaten aus der Perspektive der politischen und militärischen Führung der Bundeswehr. Unbeantwortet blieben deshalb Fragen nach der Würdigung des Todes durch Standortkommandanten, Vorgesetzte und Kameraden des Toten.49 46 47 48

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Vgl. Der BM für Verteidigung, FüB – FüB I 3, Richtlinien für Trauerfeiern und Beerdigungen, 29.9.1959, BArch, BWD 3/123. Vgl. Rink, Die Bundeswehr 1950/55 bis 1989, S. 18 f. Diese Informationen basieren auf Gesprächen mit Mitarbeitern des BArch im Rahmen von Besuchen in den Jahren 2013 und 2017. Eine stichprobenartige Abfrage auf Invenio, der Rechercheplattform des BArch, im Frühjahr 2020 bestätigte diesen Eindruck. Vgl. BMVg, 10 Jahre Bundeswehr, o.S. (»Sie opferten ihr Leben«). Siehe Kap. VII.3.

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Auch über die Todesfälle, die sich in den Auslandseinsätzen bis Anfang der 2000erJahre ereignet haben, finden sich kaum Unterlagen im BArch. Eine Ausnahme ist die Dokumentation der Trauerfeier für Oberstleutnant d.R. Armin Franz, der am 14. November 2005 in Afghanistan gefallen ist.50 Das weitgehende Fehlen von Informationen betrifft sogar die Würdigung und Ehrung von Soldaten, deren Todesfälle in gewisser Weise Zäsuren in der Bundes­ wehr­geschichte darstellen. So haben sich keinerlei Unterlagen über die Trauerfeier für Alexander Arndt oder Dieter Eißing erhalten, die je nach Sichtweise als erster nach 1945 bei einem Auslandseinsatz gefallener Soldat gelten.51 Bis zum Relaunch der Internetauftritte von Bundeswehr und BMVg im Laufe von 2019 waren auf den entsprechenden Seiten zumindest für die Jahre von 2003 bis 2017 ausgewählte Würdigungen und Reden der jeweiligen Verteidigungsminister für im Ausland getötete deutsche Soldaten zu finden. Aktuell sind diese nicht mehr verfügbar. Auch die Dokumentation des binnenmilitärischen und kameradschaftlichen Gedenkens zeigt sich ähnlich lückenhaft. Manche sprechen sogar von einer »institutionellen Amnesie«52. So haben sich keine offiziellen Vorgänge zu den Namens­ patronagen für Ludger Hölker und Erich Boldt erhalten, die 1977 bzw. 1992 erfolgten und auf den Führungsebenen von Luftwaffe bzw. Heer entschieden wurden. Lediglich eine sogenannte Vorlagenotiz für den Inspekteur des Heeres von 1985 ist überliefert. Sie streift den Fall Boldt und verschiebt eine eventuelle Namenspatronage auf unbestimmte Zeit.53 Binnenmilitärische Erinnerungszeichen wie Namenstafeln, Steinplatten, Kreuze oder Stelen wurden und werden in der Regel von Kameraden initiiert und realisiert. Da auf diese Weise so gut wie kein amtlicher Schriftverkehr anfällt, ist man bei der Dokumentation und Analyse dieser Form des Gedenkens – vor allem, wenn es sich um die ersten drei oder vier Jahrzehnte der Bundeswehr handelt – primär auf ausgedehnte Internetrecherchen (z.B. Reservistenkameradschaften, unterschiedliche Foren der Teilstreitkräfte oder einzelner Standorte) angewiesen. Insbesondere seit der deutschen Teilnahme am ISAF-Einsatz widmet sich auch die Bundeswehr auf ihren Internetseiten teilweise der Dokumentation kameradschaftlicher Gedenkformen. Diese umfassen zunehmend auch summarische binnenmilitärische Erinnerungszeichen für alle in Ausübung ihres Dienstes gestorbenen Soldaten, sowohl die Unfalltoten wie auch die durch Fremdeinwirkung Gefallenen der Bundeswehr. Ergänzend gesichtet und ausgewertet wurden auch die Nachlässe bzw. Deposita folgender Bundesminister der Verteidigung: Theodor Blank (CDU), Franz Josef Strauß (CSU), Kai-Uwe von Hassel (CDU), Gerhard Schröder (CDU), Helmut Schmidt (SPD), Manfred Wörner (CDU), Gerhard Stoltenberg (CDU), Volker Rühe (CDU). Nachlässe von Georg Leber (SPD) und Hans Apel (SPD) fehlen. 50 51 52 53

Siehe BArch, BH 30/1198. Vgl. Seliger, Sterben für Kabul, S. 55‑58. Vgl. Kümmel/Leonhard, Death, the Military and Society, S.  16‑19; Manutscharjan, Tod im Kaukasus. In: Focus, 15.10.2001. Rack, Die Unmöglichkeit zu trauern. In: SZ, 15.10.2009. Vgl. FüH I 3, Oberst i.G. Noack, Vorlagenotiz für InspH, 2.9.1985, BArch, BH 1/7394.



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Ebenso wurden aus den Beständen des BArch die Nachlässe von Persönlichkeiten gesichtet und ausgewertet, die für die Bundeswehr prägend waren. Darunter u.a. Wolf Graf von Baudissin, Ulrich de Maizière, Johannes Steinhoff oder Johann Adolf Graf von Kielmansegg. Detaillierte Unterlagen zu den Grundüberlegungen, dem Diskussionsprozess sowie der Planungs- und Bauphase des »Ehrenmals der Bundeswehr« und des »Waldes der Erinnerung« waren bis zum Abschluss der Untersuchung (2017) für die Archivnutzung nicht verfügbar. Mittlerweile finden sich im BArch Unterlagen zum Ehrenmal der Bundeswehr.54 Andere Recherchen wurden später, in den Jahren 2018 bis 2021, abgeschlossen. Ausgewertet und analysiert wurden in diesem Zusammenhang die Informations­ broschüren des BMVg, die wissenschaftliche Debatte auf Kongressen und in Fach­pu­ bli­kationen sowie die Berichterstattung überregionaler meinungsbildender Medien. Bei den Recherchen zum »Ehrengrab der Bundeswehr« war vor allem der VDK in Kassel, der zusammen mit dem BMVg das Institut des Ehrengrabs etablierte, sehr entgegenkommend und hilfreich. Einen entscheidenden Entwicklungsschritt auf dem Weg hin zu offiziellen und öffentlichen militärischen Gedenkformen belegt ein interner Schriftwechsel zwischen dem BMVg und den Führungsstäben der Teilstreitkräfte. In diesen Dokumenten von 1994/1995 befasste sich die Führung der Bundeswehr erstmals explizit und umfassend mit dem Thema eines offiziellen Totengedenkens im Rahmen der Bundeswehr.55 Manches zur Geschichte der Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr muss offen bleiben. Vieles zur Geschichte des Totengedenkens in der Bundeswehr hingegen konnte anhand von verschiedenen Quellen rekonstruiert und dargestellt werden. Die Angaben zur Dokumentation der im Folgenden aufgeführten Namen der Ehrenmalstiftungen, der Veteranenverbände und Kameradschaften sowie der Titel ihrer publizistischen Verbandsorgane finden sich in Kapitel  III.1.a‑e (Veteranen­ verbän­de und deren Publikationen) sowie in Kapitel  III.2.a‑b (Ehrenmalstiftun­ gen) bzw. in Kapitel  VII.3.a (Kameradschaften und deren Publikationen) dieser Un­ter­suchung. Die Veteranenverbände und Kameradschaften der Wehrmacht, soweit sie noch existieren, gestatteten in der Regel keinen Einblick in ihre Archive oder in einzelne Dokumente. Manche ignorierten bereits die Anfrage. Eine Ausnahme stellten in diesem Zusammenhang die Kooperation und die Unterstützung des Deutschen Marinebundes (DMB) dar. In manche Unterlagen der Veteranenverbände und Kameradschaften konnte allerdings dennoch Einsicht genommen werden, da sie aus unterschiedlichen Gründen und auf verschiedenen Wegen auch Eingang in andere Archive fanden. Im BArch werden darüber hinaus zahlreiche Unterlagen zur Beteiligung der Bundeswehr am Aufbau der Gedenkkultur der Wehrmachtveteranen aufbewahrt, insbesondere zum Bau des Ehrenmals der Luftwaffe und der Luftfahrt in Fürstenfeldbruck und zum Ehrenmal des Deutschen Heeres auf der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz. Auch 54 55

BArch, BW 1/582150, BW 1/546040, BW 1/546041 und BW 1/567956. BArch, BW 2/25478.

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Dokumente zur Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal und zum Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres lagern in Freiburg, teils als eigener Bestand, teils im Nachlass von Kurt Student, teils im Bestand des Führungsstabes des Heeres (FüH) der Bundeswehr. Im Deutschen Kunstarchiv des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg be­ wahrt man den Nachlass des Bildhauers Hans Wimmer, der das Ehrenmal des Deutschen Heeres geplant und konzipiert hat. Einen reichen und aussagekräftigen Fundus für die Untersuchung lieferten die Verbandsorgane der Veteranenvereine, insbesondere für die Ehrenmalplanungen und die Feiern der Einweihung sowie die rhythmisch wiederkehrenden Zeremonien des Totengedenkens. Daneben sind die Aktivitäten der Verbände und deren Kontakte zur Bundeswehr Thema. Ferner geben sie Aufschluss über die Deutung des Zweiten Weltkrieges. Manche dieser Zeitschriften wechselten im Lauf der Zeit ihren Namen, gelegentlich sogar mehrfach. Die folgende Auflistung nennt jeweils alle Titelnamen eines Verbandsorgans. – Soldat im Volk für den Verband deutscher Soldaten (VdS) und den Ring deutscher Soldatenverbände (RdS) – Der Luftwaffenring/Internationale Luftwaffenrevue/Luftwaffenrevue für den Deut­ schen Luftwaffenring und den Deutschen Luftwaffenblock – Leinen los!/Marine/Blaue Jungs für den Deutschen Marinebund – Jägerblatt/Fliegerblatt für die Gemeinschaft ehemaliger Jagdflieger bzw. die Ge­ meinschaft der Flieger Deutscher Streitkräfte, wie der Verband später heißt – Die Gebirgstruppe für den Kameradenkreis der Gebirgstruppe – Der Deutsche Fallschirmjäger für den Bund Deutscher Fallschirmjäger

Hinweis zu Internetseiten Einige Internetseiten, die im Rahmen dieser Untersuchung zitiert wurden, sind inzwischen nicht mehr online abrufbar. Dies betrifft vor allem auch Webseiten der Bundeswehr und des BMVg, die vor 2019 zu datieren sind. In diesem Jahr kam es zu einem Relaunch der Internetauftritte mit der Folge, dass ältere Informationen gelöscht und Seiten überarbeitet wurden. Vor Drucklegung dieser Untersuchung wurden alle angegebenen Links überprüft und, sofern sie zu diesem Zeitpunkt noch verfügbar waren, auf den 6.9.2021 als letzten Zugriff datiert. Links, die ein anderes Datum des letzten Zugriffs tragen, sind nicht mehr abrufbar. Die Autorin bewahrt jedoch jeweils eine PDF-Datei des zitierten Inhalts in ihrem privaten Archiv – im Anmerkungsapparat gekennzeichnet als »Privatarchiv Julia Nordmann« – auf.

Aufbau und Vorgehensweise der Untersuchung Die Untersuchung nimmt 1813 ihren Anfang, in jenem Jahr, in dem Friedrich Wilhelm  III. im Rahmen der Befreiungskriege die allgemeine Wehrpflicht einführte. Diese Neuerung markierte auch den Beginn des modernen militärischen Totenkultes. Nun musste zwar jeder wehrfähige Mann den Militärdienst verrichten.



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Aber zugleich wurde jetzt auch jeder Soldat, ungeachtet seines Standes und seiner Herkunft, für würdig befunden, im Falle seines Todes im Feld öffentlich geehrt und offiziell und namentlich auf Kriegerdenkmälern genannt zu werden.56 Im Zentrum der würdigenden Anerkennung des Kriegstodes des einfachen Soldaten stand von nun an das Opfer. Ursprünglich entlehnt aus religiösen und kultischen Zusammenhängen, bezieht dieses Opferverständnis seinen Sinn gewissermaßen aus sich selbst heraus. Es ist eine freiwillige Gabe an eine höhere Instanz, an eine Gottheit. Diesen Deutungsrahmen übertrug man nun auf den Soldatentod und ersetzte die Gottheit durch Vaterland, König oder Führer. Teil II der Untersuchung skizziert zunächst den Werte- und Bedeutungswandel des soldatischen Opfers im Zeitraum von 1813 bis 1945. Die Deutung des soldatischen Opfers als Heldentod wurde in den Befreiungskriegen von 1813 bis 1815 sowie in den preußisch-deutschen Einigungskriegen von 1864, 1866 und 1870/71 entscheidend und nachhaltig geprägt. Sie findet ihren Ausdruck in dem sakral aufgeladenen Begriff »Gefallener«, der schließlich zu der sinnstiftenden Pathosformel des modernen politischen Totenkultes wurde.57 Das massenhafte und anonyme Sterben des Ersten Weltkriegs führte das Konzept des Heldentodes der Befreiungs- und Einigungskriege an seine Grenzen. Soldatisches Opfer und Heldentod mussten angesichts der katastrophalen Realität des modernen Vernichtungskrieges neu interpretiert und mit neuem Sinn aufgeladen werden. Diese transformierten Deutungsmuster des heldischen Opfers wurden von den Nationalsozialisten übernommen, modifiziert und an deren Ideologie angepasst. Mit der verheerenden Niederlage von 1945 begann in der Bundesrepublik Deutschland die Entwicklung hin zu einer »postheroischen Gesellschaft«, wie es Münkler formuliert.58 Dieser Prozess hatte, wie die Untersuchung zeigt, weitreichende Folgen für das Verständnis des soldatischen Opfers und des Heldenbegriffs sowie für das militärische Totengedenken und den staatlichen Totenkult. 1965 markiert eine wichtige Zäsur in diesem Prozess. Denn in diesem Jahr wurde das »Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherr­ schaft« verabschiedet.59 Nicht zuletzt dieses sogenannte Gräbergesetz verweist auf die Bun­des­republik als postheroische Gesellschaft. Denn es erklärt ausschließlich die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft zu Subjekten des offiziellen und öffentlichen staatlichen Totengedenkens. Eine solche Eingrenzung des Personenkreises schließt aber sowohl die Unfalltoten der Bundeswehr wie auch die im Auslandseinsatz getöteten deutschen Soldaten praktisch aus. Obwohl diese Studie ihren Fokus auf die Bundesrepublik legt, verliert sie nicht den anderen deutschen Staat aus dem Blick und beschäftigt sich zumindest ansatzweise auch mit der von der Forschung bisher wenig beachteten Frage, wie die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR mit den Toten ihres militärischen Dienstbetriebes – es 56 57 58 59

Vgl. Stübig, Die Wehrverfassung Preußens in der Reformzeit, S.  46  f.; Hettling/Echternkamp, Heroisierung, S. 126‑130. Vgl. Latzel, ›Gefallen für Deutschland‹, S. 97 f. Vgl. Münkler, Der Wandel des Krieges, S. 310‑322. Vgl. Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft (Gräbergesetz) vom 1.7.1965. In: BGBl. I, ausgegeben am 8.7.1965, S. 589‑92.

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handelt sich um schätzungsweise 2500 Soldaten – umgegangen ist. Damit orientiert sich die Untersuchung an der neueren Forschung des ZMSBw, das an einer komparativen militärgeschichtlichen Darstellung von Bundeswehr und NVA arbeitet.60 Teil III und IV umreißen das Spannungsfeld, in dem das binnenmilitärische bzw. kameradschaftliche Totengedenken innerhalb der Bundeswehr ab 1955 entstand. Zugleich liefern sie zentrale Erklärungsansätze, warum sich in der Bundeswehr und bis in die 2000er-Jahre hinein keine offizielle und öffentliche Trauer- und Gedenkkultur für die eigenen im Dienst getöteten Soldaten entwickelt hat. Eine impulsgebende und prägende Rolle im Zusammenhang mit dem binnenmilitärischen Totengedenken in der Bundeswehr spielten die Veteranenverbände. Das heißt, die nach 1949 wieder- bzw. neu gegründeten Interessenvertretungen ehemaliger Wehrmachtsoldaten. Diese Vereinigungen der Veteranen und ihre richtungsweisende Bedeutung für den militärischen Totenkult der Bundeswehr, insbesondere während der Epoche des Kalten Krieges, behandelt Teil III. Untersucht wurden dabei jene Veteranenverbände, die zum einen über deutlichen Einfluss in der Bundeswehr verfügten und zum anderen zielstrebig und nachhaltig den Aufbau einer militärischen Gedenkkultur vorantrieben. Diese sind: Der Verband deutscher Soldaten mit Sitz in Bonn, der Ring deutscher Soldatenverbände (Bonn), der Deutsche Marinebund (Laboe), der Deutsche Luftwaffenring (Detmold) und der Deutsche Luftwaffenblock (Wiesbaden). Analysiert wurde die Arbeit dieser Vereinigungen bis zu ihrer Auflösung. Diese Verbände standen in engem Kontakt mit ihren in der Bundeswehr dienenden ehemaligen Wehrmachtkameraden. »Unter dem Deckmantel der Kameradschaft«, so der Militärhistoriker Heiner Möllers, lebte auf diese Weise die »geschönte und bereinigte Kriegserinnerung«61 fort. Von den Verbrechen, die zumindest Teile der Wehrmacht begangen haben, war nie die Rede. Die Wehrmachtveteranen waren entscheidende Akteure für die Konstruktion einer militärischen Erinnerungsgemeinschaft innerhalb der Bundeswehr, die sich allerdings ausschließlich auf das Totengedenken ihrer im Krieg gefallenen Kameraden bezog. Die infolge der Ausübung ihres Dienstes gestorbenen Bundeswehrsoldaten grenzten sie dabei aus. Die Veteranen verfolgten mit ihrem Gefallenengedenken auch eine gesellschaftspolitische Absicht. Denn mittels ihres Totenkults in eigener Sache und innerhalb der Bundeswehr versuchten sie ebenso, die Wehrmacht und damit auch die eigenen Kriegsbiografien zu rehabilitieren. Insbesondere der Geschichtstheoretiker Reinhart Koselleck sieht im Gedenken an die Gefallenen vor allem eine politische Indienstnahme der Überlebenden.62 Der US-amerikanische Historiker Jay Winter betont im Zusammenhang mit dem Gefallenengedenken dagegen mehr das individuelle Trauern und deutet folglich auch Kriegerdenkmäler primär als »sites of mourning«63. Die Untersuchung berück60 61 62 63

Vgl. Echternkamp [u.a.], Deutsche Militärgeschichte von 1945 bis 1990, S. 162‑170. Möllers, Ein schwieriges Erbe, S. 67. Vgl. Nowak, Projektionen der Moral, S. 190; Koselleck, Kriegerdenkmale, S. 259. Vgl. Winter, Sites of Memory.



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sichtigt beide Ansätze. Sie sieht im Gefallenengedenken der Wehrmachtveteranen zwar auch ein starkes Moment politischer Instrumentalisierung, erkennt aber ebenso die persönliche Trauer und die moralische Verpflichtung der ehemaligen Wehrmachtangehörigen als tragende Motive an, gefallenen Kameraden ein würdiges und ehrendes Andenken zu bewahren. Teil IV der Untersuchung widmet sich jenen ehemaligen Wehrmachtoffizieren, welche die Bundeswehr in den 1950er-Jahren aufgebaut und in ihr gedient haben. Sie stellten als Verantwortliche die Weichen für das Totengedenken der Bundeswehr und prägten es dadurch schließlich bis in die 1990er-Jahre. Traditionell wurden diese Offiziere von vielen Militärhistorikern pauschal mit den Etiketten »Reformer« und »Traditionalisten« versehen. Tatsächlich handelte es sich aber nicht einfach um Vertreter zweier homogener Lager, die sich gewissermaßen antagonistisch gegenüberstanden. Teile der neueren historischen Forschung lassen sich weniger von solch dualistischen Zuschreibungen leiten und versuchen am Beispiel einzelner Akteure deren vielfältige Motive sowie auch deren oft vorhandene innere Widersprüchlichkeit aufzuzeigen.64 Festhalten lässt sich: Die Wehrmachtveteranen, die führend waren beim Aufbau der Bundeswehr, stimmten demokratischen Militärreformen nicht einfach vorbehaltlos zu (die sog. Reformer) oder lehnten sie grundsätzlich ab (die sog. Traditionalisten). In der Regel handelte es sich bei den vertretenen Meinungen um Positionen relativer Nähe bzw. Ferne zu einer der beiden Grundrichtungen. Entscheidend für den jeweiligen Standpunkt dieser Veteranen ist vor allem deren militärische Sozialisation, d.h., ob sie in der Kaiserlichen Armee, der Reichswehr oder der Wehrmacht ausgebildet und geprägt wurden. Dies ist nicht nur entscheidend für die jeweiligen soldatischen Wertvorstellungen und militärischen Traditionen, sondern auch für das Verständnis des soldatischen Opfers, des Soldatentodes und des militärischen Trauerns und Gedenkens. Althergebrachte Überzeugungen und autoritäre Ideale der Wehrmacht prägten vor allem die Traditionalisten in der Bundeswehr. Die eher Reformorientierten hingegen zeigten sich offener für ein neues, deutlich demokratischeres Verständnis des Soldaten. Doch bei aller Unterschiedlichkeit der Positionen gab es auch Gemeinsamkeiten in zentralen Fragen – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. So lehnten z.B. die mehr traditionalistischen Veteranen die militärische Gedenkwürdigkeit der im Dienst tödlich verunglückten Bundeswehrsoldaten grundsätzlich ab, weil diese nicht bei Kampfhandlungen gefallen waren. Und auch die Reformorientierten, die wie Baudissin den Soldatentod zur »Nebenfolge« des soldatischen Auftrags erklärten, wollten keine explizite Trauer- und Gedenkkultur für die Toten der Bundeswehr. Teil V, VI und VII richten den Fokus auf die verschiedenen Formen der Toten­ würdigung und -ehrung sowie des Totengedenkens in der Bundeswehr von 1955 bis in die Gegenwart. Teil V befasst sich dabei mit jenen Soldaten, die im Rahmen der Bundeswehr zwischen 1956 – in diesem Jahr wurde der erste Bundeswehrsoldat im Dienst getö64

Vgl. Echternkamp [u.a.], Deutsche Militärgeschichte von 1945 bis 1990, S. 139.

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tet65 – und 1990 starben. Jährlich verloren so in diesem Zeitraum durchschnittlich 71 Bundeswehrsoldaten ihr Leben. All diese Toten waren ausschließlich Opfer von Unfällen und Unglücken, da die Bundeswehr in den Zeiten des Kalten Krieges in keinerlei Kampfhandlungen verwickelt war. Exemplarisch beschrieben und untersucht werden die folgenreichsten und für die Anfänge einer binnenmilitärischen und kameradschaftlichen Trauerkultur der Bun­deswehr aussagekräftigsten Unglücksfälle dieser Zeit. Beispiele dafür sind das Un­glück an der Iller im Juni 1957 mit 15  Toten, der Untergang des U-Bootes »Hai« im September 1966 mit 19 Toten oder der Absturz der Transall über Kreta im Februar 1975 mit 42 Toten. Auch weniger verlustreiche Unglücksfälle werden be­rück­sichtigt, soweit sie Bedeutung für die Ausbildung einer binnenmilitärischen Trauer- und Gedenkkultur aufweisen. Neben den Unfalltoten des Kalten Kriegs widmet sich Kapitel  V auch jenen Bundeswehrsoldaten, die im Rahmen zumeist rein humanitärer Auslandseinsätze ab 1992 ihr Leben im Dienst verloren. Einen weiteren Schwerpunkt setzt dieses Kapitel mit der Beleuchtung der ISAF in Afghanistan, an der sich die Bundeswehr beteiligte. Bis heute verloren 115 Bundeswehrsoldaten bei Auslandsmissionen ihr Leben, davon 59 in Afghanistan.66 1993 wurde Feldwebel Alexander Arndt während der Kambodscha-Mission der UNO, an der die Bundeswehr teilnahm, getötet. Dieser erste Todesfall eines Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz war wohl der entscheidende Anlass, der die Debatte über die Notwendigkeit einer angemessenen öffentlichen und offiziellen Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr für ihre im Dienst getöteten Soldaten maßgeblich beförderte. Die Teilnahme der Bundeswehr an der von der NATO geführten ISAF-Mission forcierte diese Auseinandersetzung auf eindringliche Weise. Denn insbesondere die militärische Wirklichkeit des Afghanistan-Einsatzes veränderte sowohl innerhalb der Bundeswehr als auch in der deutschen Öffentlichkeit das Bild des Bundeswehrsoldaten. 2008 sprach das BMVg erstmals von einem deutschen Soldaten, der »im Einsatz für den Frieden gefallen«67 sei. Und mit Verteidigungsminister zu Guttenberg sprach 2010 zum ersten Mal ein Vertreter der Bundesregierung von »Krieg«68 in Afghanistan. Von nun an war auch amtlich von »Krieg« und von »Gefallenen« die Rede, sprachlichen Chiffren für das neue Bild und das veränderte Verständnis des Bundes­ wehr­soldaten.69 Und wer anerkanntermaßen im Kampfeinsatz für die Interessen seines Landes fällt, der muss von diesem auch mit staatlichen Würden und in aller Öffentlichkeit geehrt und betrauert werden. So schuf der Einsatz in Afghanistan 65 66 67

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Vgl. Im Gedenken an die Toten der Bundeswehr, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. ebd. »Im Einsatz für den Frieden gefallen«. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Franz Josef Jung anlässlich der Trauerfeier für die am 20.10.2008 in Afghanistan getöteten Soldaten der Bundeswehr am 24.10.2008 in Zweibrücken, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privatarchiv Julia Nordmann. Tabu-Bruch. In: Spiegel online, 4.4.2010. Vgl. Latzel, ›Gefallen für Deutschland‹, S. 102.



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eigene kämpfende Vorbilder und legte das Fundament für eine offizielle und öffentliche Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr. Teil VI fasst die Entwicklungslinien hin zur heutigen offiziellen und öffentlichen militärischen Trauerkultur der Bundeswehr zusammen. Am Anfang standen die Sprachregelungen sowie die improvisierten internen Trauerfeiern der Bundeswehr für ihre Unfalltoten während des Kalten Krieges. Es folgten die modifizierten Trauerzeremonien, wie sie während der humanitären Auslandseinsätze und zu Beginn der Mission in Afghanistan entstanden. Den Abschluss bilden jene Formen des offiziellen und öffentlichen Totenkults der Bundeswehr, der sich seit 2008 nach und nach entwickelt – ein Prozess, der wohl noch geraume Zeit andauern wird. Es gleicht in gewisser Weise der Quadratur des Kreises, einer postheroischen Gesellschaft den Opfertod von Soldaten im Krieg zu vermitteln. Doch seit dem verlustreichen Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan sind zumindest ansatzweise eine Akzeptanz des soldatischen Opfers und eine vorsichtige Re-Heroisierung zu beobachten.70 In diesem Teil sollen die unterschiedlichen militärischen Riten und Zeremonien sowie die sich wandelnden Deutungen und Sinnstiftungen des Soldatentodes miteinander verglichen werden. So dient dieser Abschnitt als Grundlage für die Standortbestimmung der heutigen Trauerkultur der Bundeswehr, für die Wurzeln ihrer militärischen Traditionen und dafür, welche historischen Vorbilder und ideologischen Muster verworfen wurden. Teil VII widmet sich den materiellen Ausdrucksformen des militärischen Toten­ kults in der Bundeswehr. Zum einen behandelt dieser Abschnitt das Totengedenken der Bundeswehr für ihre eigenen Opfer im In- und Ausland. Es stellt die verschiedenen Formen des militärischen Erinnerns und Gedenkens vor: Tafeln, Platten, Kreuze, Stelen, Steine und ähnliche Objekte sowie Namenspatronagen oder Ehrenhaine. Zum anderen beleuchtet dieser Teil das Totengedenken und die Totenehrung, die ehemalige Wehrmachtangehörige für ihre gefallenen Kriegskameraden im Rahmen der Bundeswehr veranstalteten. Vor allem der binnenmilitärische Totenkult von Bundeswehrsoldaten für Bun­ des­wehrsoldaten trug entscheidend zur Entstehung der heute praktizierten offiziellen Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr bei. Außerdem ist diese binnenmilitärische Memorialkultur, wie Abschnitt VII zeigt, zum Teil der Erinnerungskultur und der Traditionspflege in der Truppe geworden. Insbesondere im Zusammenhang mit dem ISAF-Einsatz würdigen zahlreiche kameradschaftliche Erinnerungsstätten in Deutschland und in Afghanistan die Toten und Gefallenen der Bundeswehr. Auch in aktuellen Auslandseinsätzen setzten Kameraden dieses Erinnern fort. 70

Wegweisend für die Entwicklung einer offiziellen und öffentlichen Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr war zum einen die erste öffentliche Trauerfeier der Bundeswehr am 24. Juni 2008 in Zweibrücken. Und zum anderen die Einweihung des Ehrenmals der Bundeswehr in Berlin am 8.  September 2009. Vgl. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr.  Franz Josef Jung anlässlich der Trauerfeier für die am 19.6.2008 in Bosnien-Herzegowina ums Leben gekommenen Soldaten der Bundeswehr am 24.6.2008 in der Alexanderskirche in Zweibrücken, (letzter Zugriff 12.05.2010), Privatarchiv Julia Nordmann; BMVg, Das Ehrenmal der Bundeswehr, S.  55; Latzel, ›Gefallen für Deutschland‹, S.  95  f.; Münkler, Militärisches To­ten­ gedenken, S. 24 f.

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Ebenfalls in Teil VII werden die zentralen Ehrenmale für die Gefallenen der Wehr­macht dargestellt. Außerdem widmet sich dieser Teil ausgewählten Gedenk­ stätten für die Gefallenen einzelner Waffengattungen der Wehrmacht. Auch diese zentralen, binnenmilitärischen Ehrenmale liefern wichtige Impulse für die Entwicklung von offiziellen und öffentlichen Trauer- und Gedenk­formen. Insbesondere das Ehrenmal des Deutschen Heeres trug mit einer Er­ wei­ terung der Widmung für die Bundeswehr, die alle Unfallopfer des Heeres einschließt, ab 1994 dazu bei, ebenso wie die Stele zum Gedenken an die bei internationalen Auslandseinsätzen gefallenen Heeressoldaten, um die das Ehrenmal 2006 ergänzt wurde. Die Inschrift dieser Stele diente sogar als Vorbild für die Widmung des zentralen Ehrenmals der Bundeswehr, weil sie das soldatische Opfer und den Soldatentod an elementare Werte der Bundesrepublik wie Frieden, Recht und Freiheit bindet. Doch das Totengedenken der Veteranen innerhalb der Bundeswehr und die zentralen Ehrenmale der Teilstreitkräfte und der Waffengattungen leisteten nicht nur einen Beitrag zur Entstehung einer öffentlichen Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr. Diese binnenmilitärische Memorialkultur sollte auch als Multiplikator dienen: für die alten Bilder, die ideologischen Werte und die heroischen Ideale des Soldaten, wie sie die Wehrmacht vertreten hat. Demokratische Normen und ethische Verantwortlichkeit, die den Staatsbürger in Uniform auszeichnen sollen, spielten dabei lange so gut wie keine Rolle. »Opfer« und »Held« waren die Schlüsselbegriffe, die von den Veteranen exklusiv für ihre gefallenen Kameraden reklamiert wurden. Doch auch Bundeswehrsoldaten wie Erich Boldt opferten schon während des Kalten Krieges im Dienst ihr Leben, um andere zu retten. Sein Sohn brachte die Bedeutung dieses Opfers 2011, 50 Jahre nach dem Tod des Vaters, auf den Punkt: »Er hat der jungen Republik gezeigt, dass auch junge Demokraten ihr Leben opfern können und nicht nur fanatische Nazis.«71 Besonders die jüngsten Namenspatronagen seit dem Afghanistan-Einsatz, die eine zunehmend wichtige Rolle im kameradschaftlichen Totengedenken und in der Traditionspflege spielen, spiegeln die Entstehung einer eigenen, auf die Bundeswehr fokussierten militärischen Vorbild- und Erinnerungskultur. So wurde etwa die Emmich-Cambrai-Kaserne in Hannover 2018 in Hauptfeldwebel-Lagenstein-Ka­ ser­ne umbenannt. Es ist die erste Kaserne, die den Namen eines Gefallenen der Bun­des­wehr trägt. Auf diese Weise und nach und nach bringt die Bundeswehr Vorbilder, auch kämpfende, aus ihren eigenen Reihen hervor. Ganz im Sinne der 2018 modifizierten Traditionsrichtlinien, die zur stärkeren Orientierung an der eigenen Geschichte auffordern. Und es sind vor allem die in Afghanistan Gefallenen, die zu kämpfenden Vorbildern werden. Zu Vorbildern, die nun der Bundeswehr entstammen. Teil  VIII beschließt die Untersuchung mit der Auseinandersetzung mit den Er­scheinungs­formen jener militärischen Trauer- und Gedenkkultur, die ihre (vorläufigen) Höhepunkte im Ehrenmal der Bundeswehr in Berlin und im Wald der Erinnerung in Potsdam-Schwielowsee findet. 71

Vgl. Abenheim/Hartmann, Einführung, S. 34.

II. Historische Grundlagen moderner Gefallenenehrung oder Deutungskonzepte des soldatischen Opfers ab 1813 Seitdem sich Menschen in Kriegen gegenseitig töten, wird der Tod für das Vaterland als Ideal gepriesen. Einer der ältesten Belege dafür ist die »Rede des Perikles für die Gefallenen«, mit welcher der athenische Staatsmann im Winter 431/430 v. Chr. jene Soldaten ehrte, die während des ersten Jahres des Peloponnesischen Krieges ihr Leben verloren. Die Situation war prekär, denn der Krieg wurde von beiden Parteien, Spartanern und Athenern, mit bis dahin beispielloser Brutalität geführt. Die Athener traf es besonders hart. Sie waren unterlegen, und der Ausbruch einer Seuche in Athen 430 v. Chr. vollendete das Elend.1 Um der Katastrophe einen Sinn zu verleihen und die Disziplin der Bevölkerung zu stärken, stellte sich Perikles vor die Angehörigen der Gefallenen und deutete den Tod für das Vaterland als das »schönste Opfer«. Er erklärte die Toten zu »Helden«, die »unsterblichen Ruhm und das erhabenste Grab« errungen hätten, und er forderte die Angehörigen auf, sich am »Ruhm dieser Toten« aufzurichten.2 Terminologie und Funktion des modernen Totenkultes waren hier bereits angelegt. Perikles sprach von »Helden« und von »Opfern«. Über diese Begrifflichkeiten wertete er die Gefallenen auf und deutete ihre Opferbereitschaft um zum patriotischen Akt. Sowohl die Stilisierung und die Aufwertung der Opferbereitschaft zur vaterländischen Tat wie auch die Ehrung als Tausch für das gegebene Leben bildeten die Grundlage des modernen Totenkultes. Dennoch sind die kontinuierliche Aufwertung des einfachen Soldaten und die Verklärung seines Kriegstodes ein modernes Phänomen. Denn bis ins späte 18. Jahrhundert war das Bild vom Soldatentod zwiespältig. Im Fall großer Feldherren oder adeliger Offiziere war er schon immer mit Hochachtung und Ruhm verbunden. Ihre toten Körper wurden mit militärischen Ehren bestattet, und Denkmäler würdigten ihre Opferbereitschaft.3 Für den gemeinen Soldaten hingegen galt dies in Preußen und in anderen Monarchien Europas nicht. Im 16. und 17.  Jahrhundert, in der Hochzeit der Söldnerheere, wurde der soldatische Dienst mit einem Sold abgegolten und war damit ein Erwerbsberuf wie Bauer oder Schmied. Verwundung und Tod waren Berufsrisiken. Diese Umstände bestimmten auch den Blick der Söldner auf den 1 2 3

Vgl. Die Rede des Perikles für die Gefallenen; Bleicken, Die athenische Demokratie, S.  71; Assmann, Erinnerungsräume, S. 43; Lotze, Griechische Geschichte, S. 72 f.; Meier, Athen, S. 545. Die Rede des Perikles für die Gefallenen, S. 25 f., 29. Vgl. Latzel, Vom Sterben im Krieg, S. 43; Koch, Von Helden und Opfern, S. 11; Baumann, »So schlägt man mir den Pummerleinpumm«, S. 118 f.

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Tod im Krieg. In den Landsknechtliedern der Zeit z.B. verbanden sich mit dem Tod – wenn sie überhaupt von ihm berichteten – wahlweise Spott, Trotz, Fatalismus oder Bagatellisierung. Mit wohl bitterer Ironie pries ein Lied von Söldnern aus dem 17. Jahrhundert den Tod in der Schlacht gar als etwas Beglückendes: »Kein seligr Tod ist in der Welt, / als wer fürm Feind erschlagen.«4 Spätestens im 18.  Jahrhundert änderte sich die Einstellung zum Soldatentod grundsätzlich. In den Monarchien Europas hatten sich inzwischen stehende Heere durchgesetzt und das Söldnerwesen nahezu vollständig abgelöst. Anstelle von Landsknechten dienten nun als »gemeine Soldaten« zum einen freiwillig Geworbene, zum anderen auch zwangsweise Rekrutierte. Im Unterschied zu den freiwillig Geworbenen wurden diese zum Beispiel häufig gezielt an einsamen Orten überwältigt und teilweise unter Einsatz brutaler körperlicher Gewalt zum Kriegsdienst gezwungen. Der Blick der Zwangsrekrutierten auf Krieg und Tod war daher wohl weder patriotisch noch heroisch geprägt. In dem zeitgenössischen Soldatenlied »Stets in Trauern muss ich leben, weil ich ein Soldat jetzt bin« klagte der Protagonist, dass er und seinesgleichen als »Hunde« bezeichnet würden und er »bis zum Tode / nichts als nur ein Sklave« sei.5 Gemeinsam war Söldnern und Zwangsrekrutierten, dass sie keine bürgerlichen Rechte der Teilhabe an ihrem Gemeinwesen besaßen. Beide sahen daher in dem kriegführenden Staat, dem sie dienen mussten, nicht unbedingt immer ihr Vaterland. Umgekehrt gestanden auch die Monarchen dem Tod und dem Opfer der Soldaten, die für deren Interessen sterben mussten, keine übermäßige Bedeutung oder gar Gedenkwürdigkeit zu. Noch im 16. Jahrhundert war zudem eine Unterscheidung zwischen Verwundeten und Kriegstoten nicht üblich und auch Statistiken über die Anzahl der Toten und Verwundeten wurden nicht geführt.6 Diese Geringschätzung zeigte sich über lange Zeiträume bereits darin, dass der Körper des toten Soldaten zunächst manchmal einfach auf dem Schlachtfeld zurückgelassen wurde, Dieben zur Plünderung und Tieren zum Fraß ausgesetzt. Erst nach Tagen, und zuerst wohl aus hygienischen Gründen, bestattete man die Toten oft notdürftig und anonym in Massengräbern.7 Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts 4

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Zit. bei: Pietzcker, Die Todesvorstellung im Landsknechts- und Soldatenlied, S. 4. Vgl. Papke, Von der Miliz zum Stehenden Heer, S. 121 f.; Schnitter, Die überlieferte Defensionspflicht, S. 34‑36; Hagemann, Tod für das Vaterland, S. 318; Baumann, »So schlägt man mir den Pummerleinpumm«, S. 103 f. Zit. bei: Steinitz, Deutsche Volkslieder, Bd  1, S.  410‑412. Vgl. Schnitter, Die überlieferte Defensionspflicht, S.  35  f.; Hagemann, Tod für das Vaterland, S.  318; Pröve, Stehendes Heer und städtische Gesellschaft im 18.  Jahrhundert, S.  39; auch: Winter, Untertanengeist durch Militärpflicht?; Pröve, Zum Verhältnis von Militär und Gesellschaft. Vgl. Koch, Von Helden und Opfern, S. 11; Baumann, »So schlägt man mir den Pummerleinpumm«, S. 111‑113. Der Militärschriftsteller Hannß Friedrich von Fleming beschrieb 1726 die Geringschätzung der toten Körper der Soldaten: Die Soldaten würden im Kriege »alle Hauffenweise begraben, ausser daß die vornehmsten Officierer oder andere, die sich etwan durch ihre Tapferkeit besonders signalisiret, hierinnen von denen übrigen Gemeinen distinguiret, und in einem eigenen Grabe beerdiget werden«. Fleming, Der vollkommene teutsche Soldat, S. 375. Vgl. Baumann, »So schlägt man mir den Pummerleinpumm«, S. 115‑117.



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erfasste man die Kriegstoten allmählich statistisch.8 Man begann, die toten Soldaten wahrzunehmen – wenn auch nicht als Individuen, so doch als Masse. Die einfachen Bevölkerungsschichten und das aufstrebende Bürgertum Preußens und anderer deutscher Staaten lehnten den Krieg zumeist ab. Die einen, weil sie in ihm kämpfen und sterben mussten, die Bürger hingegen, weil sie in ihrer Mehrheit von der Aufklärung und deren Friedensidealen geprägt waren. Vor allem der Verlauf des Siebenjährigen Krieges von 1756 bis 1763 bestärkte die preußische Bevölkerung in ihrer grundsätzlichen Ablehnung des Kriegs.9 Doch paradoxerweise leitete der Siebenjährige Krieg zugleich auch eine andere Sicht auf militärische Auseinandersetzungen ein. Denn obwohl dieser Krieg manchen Historikern als einer der letzten Kabinettskriege gilt, die sich u.a. dadurch auszeichneten, dass der überwältigende Großteil der Bevölkerung nicht in das direkte Kampfgeschehen involviert war, fanden dennoch einige Schlachten auf dichter besiedeltem Territorium statt. In der Bevölkerung führte dies zu ganz neuen »Kriegserfahrungen« wie dem Gefühl der unmittelbaren Bedrohung durch einen Feind.10 Aus dieser Gefahr resultierte die Bereitschaft, über den eigenen Schutz grundsätzlich neu nachzudenken und diesen nicht nur als Aufgabe des jeweiligen Fürsten zu verstehen. Ferner bestärkte der Angriff eines äußeren Feindes stets das Gefühl der Einheit nach innen, der Zugehörigkeit zu einem staatlichen Gebilde, das eben nicht nur repressiv war, sondern auch für militärischen Schutz und persönliche Sicherheit sorgte. Auf diese Weise wuchs auch im ursprünglich so kriegsfeindlichen Bürgertum die Bereitschaft, über den reinen Eigennutz hinaus zu handeln und das eigene Gemeinwesen mit der Waffe zu verteidigen, in letzter Konsequenz auch unter Einsatz des Lebens.11 Das bereitete den Boden für ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, für die Idee der Nation. Und es führte schließlich zu einer Neubewertung des soldatischen Opfers. Eine wegweisende Schrift verfasste 1761 der preußische Gelehrte Thomas Abbt. In seiner Abhandlung »Vom Tode für das Vaterland« rekurrierte er auf antike Vorbilder und Ideale.12 Mit Abbts Schrift begann im deutschsprachigen Raum die Renaissance des Mythos vom heldenhaften Tod und vom heiligen Opfer für das Vaterland. Sie schlug die Brücke zur Antike, transformierte diese, führte das Motiv des ethisch wertvollen Todes für das Vaterland erneut ein und war damit der 8

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Im späten 18.  Jahrhundert erkannten Hygieniker den Zusammenhang zwischen Massengräbern und dem Ausbruch von Seuchen. Deshalb änderten nach und nach alle europäischen Staaten ihre Begräbnispraxis und bestatteten getötete Soldaten in Einzelgräbern. Vgl. Goltermann, Opfer, S. 31‑35, 66; Fleming, Der vollkommene teutsche Soldat, S. 375; Hettling/Echternkamp, Heroi­ sierung, S. 126. Das Friedensideal in dieser Zeit findet seinen Ausdruck besonders in der Schrift »Zum ewigen Frieden« des Königsberger Philosophen Immanuel Kant von 1795. Vgl. Der Siebenjährige Krieg (1756‑1763); Latzel, Vom Sterben im Krieg, S.  30, 32; Hagemann, »Mannlicher Muth und Teutsche Ehre«, S. 277. Vgl. Externbrink, Der Siebenjährige Krieg; Externbrink, Die Grenzen des »Kabinettskrieges«; Hettling/Echternkamp, Heroisierung, S. 123. Vgl. Hettling/Echternkamp, Heroisierung, S. 123 f. Vgl. Abbt, Vom Tode für das Vaterland, S. 84‑86. Abbt fand das Motiv des ethisch wertvollen Todes für das Vaterland etwa in der Gefallenenrede des Perikles.

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Ausgangspunkt, von dem aus sich die »Entwicklung der ›modernen‹ Verherrlichung des Soldatentodes« bis ins 20. Jahrhundert weiterverfolgen lässt.13 Als Voraussetzung für seine Form des wehrhaften Patriotismus entwarf Abbt erste Vorstellungen von einer Art Rechtsgleichheit aller Bewohner eines Staates, die sich allerdings im Wesentlichen auf die Forderung bezog, dass jeder, ungeachtet seines Standes, als Soldat dienen müsse. Dieser Schritt in Richtung Rechtsgleichheit sei die zwingende Voraussetzung dafür, dass die Subjekte eines Staates bereit seien, ihr Leben dem Vaterland zu opfern. Denn wer lediglich Untertan sei, habe keine Motivation, dieses Opfer zu erbringen. Die Identifikation mit dem Vaterland setzte er dabei geradezu selbstverständlich mit der Bereitschaft zum Opfertod für dieses gleich.14 Abbts Vorgehen bedeutete nicht weniger als eine grundsätzliche Neubewertung des Soldatentodes. Auf der Basis des antiken Verständnisses wendete er ihn ins Patriotische. Ähnlich wie Perikles diese Art des Todes als das »schönste Opfer« verklärte, deutete ihn auch Abbt. Und er verstand diesen Tod als etwas dauerhaft Verehrenswertes. Auf diese Weise verband er die patriotische Pflicht zum Soldatentod mit dem höchsten Ruhm. Dabei operierte er mit soldatischen Tugenden, indem er den patriotischen Tod mit Attributen wie »Tapferkeit« und »Ehre« verknüpfte. So wurde der Krieger erst durch den Tod zum wahren Helden. Zugleich sprach Abbt nun auch den einfachen Soldaten die militärische Ehrbarkeit zu, die bislang ausschließlich Adel und Offizieren vorbehalten war.15 Seine Schrift von 1761 machte Abbt im deutschsprachigen Raum zum entscheidenden Wegbereiter einer modernen Gefallenenehrung. Er legte die ideologische Grundlage für den modernen Totenkult, wie er sich dann ab 1813, ausgehend vom Königreich Preußen, entwickelte. Dort erlebte er auch seine stärkste Ausprägung. Denn infolge der Befreiungskriege bildeten sich in Preußen sukzessive die wesentlichen Grundelemente der modernen Gefallenenehrung aus, wie sie sich teilweise noch in der Würdigung getöteter Bundeswehrsoldaten in der Bundesrepublik finden.16 Im Gefolge der Französischen Revolution von 1789 erfuhr das Ideal einer allgemeinen Teilhabe am Gemeinwesen und an der Armee erstmals deutliche Ansätze seiner Verwirklichung in Europa: »Liberté, Égalité, Fraternité« – allerdings nicht im Rahmen einer Monarchie. In Frankreich entwickelte sich ein Patriotismus, geprägt durch die Ideen der Aufklärung. Und das Vaterland, für das die französischen Truppen bald gegen die Monarchien Europas kämpften, war eine Republik.17 In Preußen und anderen deutschen Ländern nahmen die Dinge bekanntermaßen einen anderen Verlauf. Dort verschmolzen an der Schwelle zum 19. Jahrhundert patriotisch-nationale Ideen mit religiösen Vorstellungen. Der deutsche Nationalismus 13

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Vgl. Latzel, Vom Sterben im Krieg, S. 11, 29 f.; Abbt, Vom Tode für das Vaterland, S. 80, 91; Burgdorf, Nationales Erwachen der Deutschen nach 1756, S. 114; auch: Schmidt, Die Apotheose des Krieges, S. 131. Abbt, Vom Tode für das Vaterland, S. 82 f. Vgl. ebd., S. 63, 70, 79, 85, 82 f. Vgl. Münkler, Der Wandel des Krieges, S. 310; Hettling/Echternkamp, Heroisierung, S. 125. Vgl. Schulin, Die Französische Revolution, S. 59; Greive, Die Entstehung der Französischen Re­vo­ lu­tionsparole; Kruse, Strukturprobleme, S. 33.



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wurde, zugespitzt formuliert, geradezu in den Stand einer messianischen Glaubens­ lehre erhoben, und der Krieg war das Mittel zur Erlösung. Denn er sollte nun nicht mehr nur für z.B. territoriale Erweiterungen oder zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen geführt werden, sondern vor allem für eine Idee: den preußischen, den deutschen Nationalstaat. Insbesondere den bürgerlichen Schichten vieler deutscher Länder erschien der Krieg zunehmend als Heilsbringer, als Weg zur nationalen Befreiung und zur Entfaltung der deutschen Nation. Für dieses hehre Ziel sah man nun auch einen Präventivkrieg als legitime Maßnahme an. Und der Einsatz des Lebens für diese Idee wurde zum Ideal und zur höchsten Pflicht vor allem für das Bürgertum in den deutschen Ländern.18 Seitdem durchlief das Verständnis des Opfertodes des einfachen Soldaten mehrere Metamorphosen und Deutungen.

1. Sacrificium und Heldentod: Deutungen des soldatischen Opfers bis 1945 Für die Deutung des soldatischen Opfers als sacrificium und als Heldentod sowie das damit verbundene Heldengedenken waren die deutschen Befreiungskriege (1813‑1815) und Einigungskriege (1864, 1866, 1870/71) entscheidend.19 Damit eine Tat, ein Tod als sacrificium angesehen werden kann, sind drei Elemente unverzichtbar: Sie muss erstens freiwillig erbracht werden, zweitens in einer Kampfsituation, und sie muss drittens für etwas Sinnbehaftetes geleistet werden.20 Im Königreich Preußen beflügelte die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht 1813 die neuen Ideale. Damit schaffte sie den Rahmen, in dem die heroisierende Deutung des soldatischen Opfers auf den einfachen Soldaten übertragbar wurde. Die Wehrpflicht war das Herzstück der preußischen Militärreformen von 1807, mit denen Heeresreformer wie Gerhard Johann David von Scharnhorst, August Graf Neidhardt von Gneisenau, Carl von Clausewitz oder Ludwig Leopold Gottlieb Hermann von Boyen das Söldnerheer des Absolutismus zum modernen Volksheer umbauten.21 Zur Steigerung der allgemeinen Wehrbereitschaft sollten zunächst der Beruf des Soldaten von seinem negativen Image befreit und die Vorstellung der soldatischen Ehre, die bislang Offizieren vorbehalten war, erneuert und auf den gewöhnlichen Soldaten übertragbar gemacht werden. Darüber hinaus sollten ideelle Anreize wie die Stiftung des Eisernen Kreuzes am 10. März 1813 durch Friedrich Wilhelm III. oder die Erweiterung politischer Rechte dazu beitragen, die Identifikation mit dem 18

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Vgl. Latzel, Vom Sterben im Krieg, S. 33, 35; Hagemann, »Mannlicher Muth und Teutsche Ehre«, S. 272, 277, 281‑289; Zimmer, Auf dem Altar des Vaterlandes; Pietzcker, Die Todesvorstellung im Landsknechts- und Soldatenlied, S. 7; Hettling/Echternkamp, Heroisierung, S. 124. Vgl. Hettling, Die zwei Körper, S. 161. Vgl. Herzog, Am Scheitelpunkt, S. 22. Vgl. Stübig, Die Wehrverfassung Preußens, S. 42 f., 46 f.; Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd 1, S. 464.

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Königreich zu erhöhen und somit die Bereitschaft zum Einsatz des eigenen Lebens für Preußen ideologisch zu verfestigen.22 Am 5. Mai 1813 ordnete der preußische König an, in jeder Kirche für die getöteten Soldaten der Gemeinde eine Gedenktafel aufzustellen. Diese sollte die Namen und die Dienstgrade aller Gefallenen nennen, also auch die der einfachen Soldaten. Auf diese Weise erfuhr das soldatische Opfer erstmals eine individuelle Würdigung, unabhängig von Stand und Rang. So wurden alle Gefallenen egalisiert und in den gleichen, unmittelbaren Bezug zu Vaterland und König gesetzt.23 Die individuelle Würdigung des soldatischen Opfers und dessen Bindung an ein Vaterland oder eine Nation sind die ausschlaggebenden Motive, die den modernen militärischen Totenkult bis in die Gegenwart auszeichnen. Der patriotisch-wehrhafte Bürgerheld wurde zum allgemeinen männlichen Idealtypus. War es zuvor nur adeligen Heerführern vorbehalten, den Heldentod zu sterben, konnte nun prinzipiell jeder Bürger durch das Opfer seines Lebens für die Nation zum Helden werden. Dadurch begann die patriotisch-nationale Aufladung des Heldentodes. Auch kulturell wurde aufgerüstet. Denn zur Steigerung der Wehrund Opferbereitschaft in allen Bevölkerungsschichten konstruierte man einen preußisch-deutschen Nationalmythos, ein kollektives Narrativ. Ziel war es, Preußen zur »wehrhaften Nation« zu stilisieren und den antinapoleonischen Befreiungskampf zum »Heiligen Krieg« zu erhöhen. Zentraler Teil dieses Mythos war daher der »religiöse Patriotismus«, der sich in der Form des Eisernen Kreuzes niederschlug. Auf diese Weise bildete sich in Preußen, wie auch in anderen europäischen Staaten, eine Art christlich geprägter Opferreligion heraus, die das Vaterland zu einem sakralen Wert stilisierte.24 Innerhalb dieser Opferreligion wurde der Tod zum höchsten Bekenntnis und zum stärksten Beweis seiner patriotischen Gläubigkeit für jeden Preußen. Die starke religiöse Aufladung war der Tatsache geschuldet, dass christlicher Glaube und christliche Lebenseinstellung traditionell integrale Bestandteile soldatischer Tugenden sind. Denn der Glaube an ein Leben nach dem Tod und an die Gottgegebenheit der weltlichen Ordnung waren zentrale Voraussetzungen zur Überwindung der Todesangst und für die Bereitschaft zu Opfermut und zur Erfüllung der Verteidigungspflicht dem Staatswesen gegenüber. Auf diesem Hintergrund entwickelte sich eine Sinnstiftung des Soldatentodes, die maßgeblich und auch noch lange nach den Befreiungskriegen durch diese Art der Opferreligion geprägt wurde.25 Während der Befreiungskriege wurde zudem der kausale Zusammenhang zwischen Soldatenberuf und Opfertod noch verfestigt. Der Tod für die Nation wurde 22

23 24 25

Vgl. Latzel, Vom Sterben im Krieg, S. 34; Hettling/Echternkamp, Heroisierung, S. 124; Hagemann, »Mannlicher Muth und Teutsche Ehre«, S. 33. Das Eiserne Kreuz sollte zunächst nur für die Dauer der Befreiungskriege gelten, wurde aber für den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und für die beiden Weltkriege jeweils erneut gestiftet. Vgl. Heinemann, Das Eiserne Kreuz. Vgl. Hettling/Echternkamp, Heroisierung, S. 128‑130. Vgl. Schilling, »Kriegshelden«, S. 43; Hagemann, »Mannlicher Muth und Teutsche Ehre«, S. 34, 349; Latzel, Vom Sterben im Krieg, S. 35; Zimmer, Auf dem Altar des Vaterlandes, S. 58. Vgl. Hagemann, »Mannlicher Muth und Teutsche Ehre«, S.  344; Zimmer, Auf dem Altar des Vaterlandes, S. 61; Rohkrämer, Der Militarismus der »kleinen Leute«, S. 203; Hettling/Echtern­ kamp, Heroisierung, S. 127.



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gleichgesetzt mit dem Opfertod Christi. Der evangelische Feldprediger Heinrich Gottlieb Tzschirner setzte den Tod für die Nation direkt mit dem Opfertod Christi gleich: »Ihr seyd Bekenner des Glaubens, der auch das Leben für die Brüder zu lassen gebietet, und Nachfolger dessen, der uns das rührendste Beispiel aufopfernder Liebe gab und hinging und litt und starb zum Heile der Welt.«26 Auf diese Weise wurde der Märtyrertod in der Nachfolge Christi zur patriotischen Pflicht,27 und der wahre und heldenhafte Soldat fand durch diesen Tod auf dem Schlachtfeld seine Bestimmung und seine Erfüllung. Diese kausale Verbindung von Soldaten- und Märtyrertod diente bis 1945 als ideologisches Muster für die Verklärung des Todes auf dem Schlachtfeld. Der Opferheld in der Nachfolge Christi wurde nach und nach zu einem Ideal, das zwischen 1813 und 1945 potenziell für jeden Soldaten erreichbar war, ungeachtet seiner Herkunft. Damit demontierte dieser neue Heldentypus die alte Form des Führerhelden, der ausschließlich adeliger Herkunft war, eine militärische Führungsposition bekleidete und im Zentrum eines elitären Heldenkonzeptes stand. So wurde der neue Heldentypus Voraussetzung und Ausdruck einer langfristigen Demokratisierung des militärischen Totenkultes. Und die Nation sollte dabei auf dem Altar des Vaterlandes errichtet werden, auf dem sich die Soldaten freiwillig opferten. Ihr Tod glich daher einem »Gottesdienst«.28 Diese Sakralisierung des Opfertodes war der Beginn einer systematischen Vor­ bereitung auf den Tod für das Vaterland. Neben die alten militärischen Tugenden wie Gehorsam, Tapferkeit, Kameradschaft oder Pflichterfüllung traten nun auch neue Werte wie unbedingter Kampfeswille und auch die Selbstaufopferung für das Vater­ land. Bis 1945 bestimmten nun diese Ideale das maßgeblich soldatische Handeln. Auf diese Weise wurde vor allem zwischen 1813 und 1815 das individuelle Opfer des einzelnen Soldaten als Heldentat für die Nation idealisiert. Denn die militärischen und politischen Erfolge der Befreiungskriege legitimierten diese Sichtweise und Deutung des soldatischen Opfers. Und da sich ein solches Verständnis des Soldatentodes in den Befreiungskriegen bewährt hatte, lag ein Rückgriff auf diese Deutungsebene auch in den folgenden Einigungskriegen nahe.29 Insbesondere durch den Krieg gegen Frankreich sollte nun das unvollendete Projekt von 1813 – die Nationalstaatsbildung – vollendet werden. In seinem »Schlacht­ruf« schrieb der Autor Adolf Menk am 24. Juli 1870 in der Mittelrheinischen Zeitung: »Frisch auf, mein Volk, frisch auf im alten Glauben, / Den deine Väter einst erkauft mit Blut!«30 Der alte Glaube bezog sich dabei auf das Bekenntnis zur Nation. Denn die großen Opfer der Soldaten in den Befreiungskriegen sollten nicht umsonst gewesen sein und nun, im Jahr 1870, die Zeitgenossen auffordern, in diesem Sinne die Bildung des Nationalstaates mit dem Schwert fortzuführen. Um im Sinne der »ruhmreichen 26 27 28 29 30

Tzschirner, Fünf Reden, Predigt I, S. 370. Vgl. Latzel, Vom Sterben im Krieg, S. 37. Vgl. Zimmer, Auf dem Altar des Vaterlandes, S. 63; ebenfalls: Latzel, Vom Sterben im Krieg, S. 37. Vgl. Pelzer, Die Wiedergeburt Deutschlands, S.  141; Zimmer, Auf dem Altar des Vaterlandes, S. 61. Vgl. Hettling, Die zwei Körper, S. 161. Menk, Schlachtruf, S. 27.

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Ahnen«31, der »Helden aus vorigen Tagen«, der »Helfer im heiligen Kampf«32 zu handeln. Doch im Jahr 1870 gab es auch Unterschiede zu den Positionen von 1813. An einem entscheidenden Punkt wird dies deutlich: Das religiöse Gewand, in das sich die Kriegsrhetorik 1813 hüllte, erfuhr eine Art Säkularisierung. An die Stelle des Glaubens an einen patriotischen Gott trat das Bekenntnis an einen irdischen Machthaber: das preußische Militär. Damit entsprach die neue, religiös verbrämte Kriegsbegründung der tiefen Religiosität von 1813 nur noch an der Oberfläche.33 Auf allen Ebenen wurde – selbst wenn es vielen Soldaten 1870 zunächst wohl vor allem um die Verteidigung des Vaterlandes gegen Frankreich ging – auch der nationale Geist von 1813 beschworen.34 Damit war vor allem eines gemeint: der Wunsch nach dem Nationalstaat. Dieser sollte durch Gottes Hilfe und durch Opferfreudigkeit, sprich die Bereitschaft der männlichen Bevölkerung zum Heldentod im Krieg, verwirklicht werden. Begriffe wie »Heiliger Krieg« wurden zwar übernommen, waren aber 1870 nicht mehr nur Chiffren eines religiösen Patriotismus. Sie standen nun in einem deutlich national-machtpolitischen Kontext. Und anders als noch 1813 gebrauchte man »Gott« oder »Heiliger Krieg« weit mehr als ideologische Legitimation denn als sakrale Wunderwaffe. Das Hauptaugenmerk lag nun in der Tat auf den militärischen Mitteln: Schwert, Eisen und »blitzender Wehre«35. Vor allem das Militär, nicht mehr in erster Linie Gott, entschied den Krieg. Doch vollständig verschwand der Glaube an den göttlichen Beistand offensichtlich nie. »Welch eine Wendung durch Gottes Fügung“ jubelte beispielsweise der preußische König Wilhelm I. am Abend des 2. September 1870 wenige Stunden nach dem militärischen Triumph über Frankreich bei Sedan.36 Auch 1870 stilisierte man den Soldatendienst zu einer Art Gottesdienst und stiftete das Eiserne Kreuz neu37  – nun aber für die Einheit der Nation. Und der Soldat sollte bereit sein, dafür zu sterben. Diese Todesbereitschaft, die den gefallenen Soldaten zum Kriegshelden und zum »Edelsten seines Volkes«38 erhob und die sich von ihrem 1813 noch beinahe ausschließlich religiösen Verständnis emanzipierte, wurde ab der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts zu einer militärischen Kardinaltugend, ja, geradezu zur Pflicht eines jeden Soldaten. Der Soldat, der sich freiwillig für das Vaterland opfert: Dieses sakrale Verständnis des soldatischen Todes prägte den militärischen Totenkult des gesamten 19.  Jahr­ 31 32 33 34

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Sturm, Deutsches Kriegslied. Gerok, Die Geister der Helden, S. 59. Vgl. Latzel, Vom Sterben im Krieg, S. 47. Zunächst führten die Deutschen vor allem einen Verteidigungskrieg. Mit dieser Botschaft wandte sich Wilhelm I. am 2. August 1870, 14 Tage nach der französischen Kriegserklärung, an die kämpfende Armee. In seiner Ansprache rief er die Soldaten zur »Verteidigung des bedrohten Vaterlandes« auf. Doch im Hintergrund schwang stets die Erwartung mit, dass der Krieg die nationale Einheit bringe. Vgl. Steinbach, Abgrund Metz, S. 21, Zitat ebd.; Zimmer, Auf dem Altar des Vaterlandes, S. 77; Epkenhans, Der Deutsch-Französische Krieg 1870/1871, S. 117. Sturm, Deutsches Kriegslied, S. 4. Vgl. Zimmer, Auf dem Altar des Vaterlandes, S. 124. Vgl. Bendikowski, 1870/71, S. 152, Zitat ebd. Vgl. Zimmer, Auf dem Altar des Vaterlandes, S. 116. Rogge, Rede bei der Beerdigung am 19. August 1870, S. 14.



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hun­derts. Doch im Gegensatz zu 1813 erweiterte sich 1870 der Opferbegriff erheblich. Dies zeigte sich bereits in der Bezeichnung der Gefallenen des Krieges als »Märtyrer des Sieges« und »der deutschen Heere«39. Auch das konkrete Kriegsgeschehen rückte nun in den Vordergrund. Denn zum Sieg ging es nur durch Ströme von Blut und über Berge von Leichen.40 Zur Rechtfertigung des Blutzolls rechnete man die Höhe der Opferzahlen gewissermaßen auf gegen die Größe der Erfolge. So, wie es beispielsweise der Soldat Heinrich Rindfleisch in einem seiner Briefe von der Front notierte: »Die Erfolge sind nicht kleiner als die riesigen Opfer, die sie kosten.«41 Die »Todesernte«42, die »Blutsaat«43 wurde so zur »Freudenernte«,44 und der »Tod ist verschlungen in den Sieg«45. Neben die Idee des rein sakralen Opfertodes trat ab 1870 auch die neue Vorstellung, der zufolge die Opferung des Heldenlebens quasi einen materiellen Tauschwert besaß; »theures Blut«46 der Soldaten wurde gewissermaßen eingetauscht gegen Ehre und Macht der aus Kampf und Krieg geborenen deutschen Nation. Dieser Begründungszusammenhang der Aufrechnung von Opferzahlen gegen Kriegsziele, der sich ab 1870 festigte, war bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges von zentraler Bedeutung. Er war auch einer der entscheidenden Gründe dafür, dass Feldherren aller Kriegsparteien ihre Soldaten während der beiden Weltkriege zu Millionen in Stellungs­kriegen sterben ließen, ohne dass die katastrophalen Men­ schen­verluste sie zum Umdenken oder zum Rückzug veranlasst hätten. Nach dem siegreichen Krieg von 1870/71 erreichte der Glaube an das Militär als Heilsbringer seinen Höhepunkt. Der Krieg wurde durch seine vorgeblich reinigende und erzieherische Funktion als die höchste Bewährungsprobe des Daseins angesehen, welche die edelsten Eigenschaften eines Volkes hervorbringe. Die gesellschaftliche Akzeptanz des Krieges, die bis zu seiner blinden Verklärung reichte, wurde damit auch in Deutschland zur tragenden Säule der neuen deutschen Nation.47 Aus militärischer und nationaler Perspektive waren die Einigungskriege ein durchschlagender Erfolg, die Opfer sinnvoll und nicht weiter zu problematisieren. Auch ihre Zahl war im Vergleich mit den Kriegen des 17./18. und vor allem des 20. Jahrhunderts relativ gering: Zwischen 1864 und 1871 fielen auf preußischer Seite annähernd 50 000 Soldaten.48 Die Einigungskriege brachten nicht nur die nationale Einigung und die Reichsgründung, sie schafften auch ein neues Heldenbewusstsein 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48

Kausser, Den todten Helden, S. 326 f. Vgl. K...b, Schlachtgesang, S. 358. Rindfleisch, Feldbriefe 1870‑1871, S. 13. Jordan, Lebend oder sterbend, S. 66. Jordan, Ehre sei Gott in der Höhe, S. 72. Jordan, Zur Heimkehr!, S. 134. 1. Korinther 15,55. Zeise, Deutschlands Heer, S. 18; auch: Latzel, Vom Sterben im Krieg, S. 48. Vgl. Latzel, Vom Sterben im Krieg, S. 55; Kühlich, Die deutschen Soldaten, S. 120 f. Eine exakte Zahl der Verluste lässt sich – wie bei allen Kriegen dieser Zeit – nicht seriös ermitteln. Hinzu kommt, dass oft mehr Soldaten durch Infektionskrankheiten wie Cholera oder Pocken starben als durch Kampfhandlungen. Die im Text genannte Zahl bezieht sich auf die im Kampf gefallenen Soldaten der preußischen Armee, wie sie etwa Christoph Jahr nennt. Vgl. Jahr, Blut und Eisen, S. 56, 120, 127, 270.

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und legten so die Grundlage für eine lang andauernde gesellschaftliche Anerkennung des Kriegshelden. Und sie verankerten darüber hinaus genuin militärische Werte tief in der neuen deutschen Nation.49 Adolf Brandenburg, der 1870/71 als Freiwilliger diente, brachte es in seinen Kriegserinnerungen auf den Punkt:

»Es wurden in Deutschlands Jugend ideale Güter lebendig – für Ideale begeisterte man sich, kämpfte man und konnte man den Heldentod erleiden [...] Große neue Zeiten, Geburtsperioden für eine neue Welt können nur entstehen durch [...] Heldenmuth, Heldenopfer, Heldenblut!«50

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 war der Glaube an den Erfolg kriegerischer Lösungen im Deutschen Reich weit verbreitet. Die Reputation und der Einfluss militärischer Kreise waren übermächtig und deren oft bellizistische Wertvorstellungen durchdrangen und prägten die Gesellschaft des Kaiserreiches.51 Mit Fortgang des Krieges aber entstand ein tiefer Riss zwischen der Propaganda von Sieg und Heldenpathos und der immer verheerenderen Kriegsrealität mit ihren Bergen an Leichen und Massen von Verstümmelten. Mit den endlosen Stellungs­ kriegen und Grabenkämpfen, dem Einsatz von weitreichender Artillerie, ersten Flugzeugen, Panzern und chemischen Waffen zeigte der Erste Weltkrieg zunehmend das Gesicht, das die Kriege des 20. Jahrhunderts kennzeichnet: anonymer, massenhafter Tod. Der Krieger stritt nicht mehr mit eigener Kraft und heldenhaft mit dem Feind. Stattdessen wurden Soldaten von Geschossen aus großer Ferne zerrissen, von Panzern überrollt, von Minen verstümmelt und mit Giftgas vernichtet.52 Die Soldaten wurden mit bislang beispiellosen »Destruktionserlebnissen« konfrontiert, die ihre heroischen Vorstellungen vom Kriegstod vollständig zerrütteten.53 Die Deutungskonzepte des soldatischen Opfers und dessen Bindung an übergeordnete Werte, wie sie sich im 19. Jahrhundert herausgebildet haben, waren nicht mehr mit der Realität dieses Krieges in Einklang zu bringen. »Der Tod war und ist die letzte Wahrheit des Krieges«54, bilanziert der Historiker Georg L. Mosse. Diese Erkenntnis bestätigten die Vernichtungsschlachten des Ersten Weltkrieges so eindrucksvoll wie nie zuvor. Nicht zuletzt deshalb griff man im Ersten Weltkrieg erneut auf christliche Sinnstiftung zurück, um so dem anonymen Massensterben eine religiöse und ethische Bedeutung zu verleihen. Der Garnisons­pfarrer Otto Herpel brachte es 1917 auf den Punkt: Der »Anblick der gefal­le­nen Soldaten« zwinge geradezu dazu, »den Tod einem Zweck unterzuordnen und ihm damit einen Sinn zu geben, den zu leugnen das Gemüt mit Entsetzen füllen 49 50 51 52

53 54

Vgl. Kruse, Strukturprobleme, S. 37; Hettling, Die zwei Körper, S. 161; Neitzel/Welzer, Sol­daten, S. 67. Brandenburg, Vor dem Feind, S. 3. Vgl. Latzel, Vom Sterben im Krieg, S. 55. Vgl. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd 4, S. 103‑105. Ein Panoptikum der umfassenden Kriegsbegeisterung und der Kriegspropaganda versammelte der Pazifist Ernst Friedrich in seinem 1924 erschienenen Buch Krieg dem Kriege. Hier konfrontierte er zudem die propagandistisch geschönten Kriegsbilder mit der Realität des Krieges. Vgl. Friedrich, Krieg dem Kriege; Epkenhans, Der Erste Weltkrieg 1914‑1918, S. 45‑120. Vgl. Latzel, Die mißlungene Flucht vor dem Tod, S. 183; Latzel, Vom Sterben im Krieg, S. 74. Mosse, Über Kriegserinnerungen, S. 31.



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müßte«55. So bildeten sich bereits während des Krieges neue Muster zur Deutung des soldatischen Opfers heraus. Der Theologe Johannes Müller interpretierte den Tod für das Vaterland als »überlegenste Tat vollmächtigen Lebens, persönlichen Handelns« und als »die höchstmöglichste Leistung menschlichen Heldentums«56. Das Sterben en masse sollte in eine Art kollektiven Todeskult verwandelt werden. Der Sieg im Kampf war dabei zur Sinnstiftung nicht unbedingt nötig. Diese entscheidende Neuerung war dem verheerenden Kriegsverlauf geschuldet. War die Ehrung des Todes während der Befreiungsund Einigungskriege organisch mit dem erfolgreichen Verlauf des Krieges verbunden, entkoppelte man nun die Opferdeutung und den Gefallenenkult von der Frage des Sieges.57 Der Tod wurde so zum Sieg umgedeutet und das Leben seiner Herrschaft untergeordnet. Auf diese Weise würdigte man nun das Sterben im Krieg per se und das soldatische Opfer erfuhr dadurch seine Verabsolutierung. Das »Wofür« des Sterbens geriet dabei nahezu vollständig in den Hintergrund. So konnte die Sinnhaftigkeit von sacrificium trotz des blutig verlaufenden Krieges und der katastrophalen Niederlage bewahrt werden.58 Durch den Tod sollte der Eintritt in das mythische Kollektiv der ewigen Kämpfer erreicht werden. Indem man diese Gemeinschaft zum posthumen Sehnsuchtsort stilisierte, erhielt der Massentod einen Rahmen.59 Dadurch verlieh man selbst angesichts des anonymen Massensterbens dem alten Motiv des Märtyrertodes eine neue Bedeutungsebene. Dieser wird nicht nur wie etwa beim Evangelisten Johannes als die »Auferstehung und das Leben«60 gesehen. Der deutlich nationalistisch orientierte Theologe Müller ging weit darüber hinaus: »Mit dieser Opferfreudigkeit verliert die Hölle ihre Schrecken, und das Leben triumphiert, auch wenn die Welt zum Friedhof wird.«61 In dieser Verkehrung der Grenzen zwischen Leben und Tod mutierte das Holz­ kreuz auf dem Massengrab zum »Erwecker«62. »Der auferstandene Christus«, predigte Ludwig Wessel vor Offizieren, »schreitet über dieses Krieges weltenweites Gräber­ feld und segnet die Grüfte aller Tapferen zu Auferstehungsstätten«63. Auf geradezu paradigmatische Weise übertrug der evangelische Feldgeistliche den Auf­er­ste­hungs­ gedanken auf Massengräber. So kam es nach und nach zur Abkehr von der Heroi­ sierung des einzelnen Gefallenen. Die Massengräber wurden zu monumentalen

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Herpel, Die Frömmigkeit der deutschen Kriegslyrik, S. 4; Latzel, Die mißlungene Flucht vor dem Tod, S. 192; Mosse, Über Kriegserinnerungen, S. 31. Müller, Der Tod fürs Vaterland, S. 13 f. Vgl. Hüppauf, »Der Tod ist verschlungen in den Sieg«, S. 89; Hettling/Echternkamp, Heroisierung, S. 136; Hettling, Die zwei Körper, S. 162. Vgl. Herzog, Am Scheitelpunkt, S. 27; Hettling, Die zwei Körper, S. 162; Kruse, Strukturprobleme, S. 40. Vgl. Hüppauf, »Der Tod ist verschlungen in den Sieg«, S. 89. Johannes 11,25. Müller, Krieg als Schicksal und Erlebnis, S. 18. Vgl. Brors, Das Werk des Kriegsheilandes, S. 15. Wessel, Als die Traurigen, aber allzeit fröhlich, S. 22.

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Sinnbildern des Heroischen, wo »Held an Held«64 ruhte. Und der Soldat entfaltete erst im Tod seinen ganzen Nutzen für das Vaterland. Ganz in diesem Sinne forderte der populäre Dichter Heinrich Lersch: »Deutschland muß leben, und wenn wir sterben müssen!«65 Im November 1918 war der »Große Krieg« verloren. Das Deutsche Reich war am Ende, Kaiser Wilhelm II. floh in die neutralen Niederlande .66 Die Kriegsbilanz war katastrophal: In Deutschland waren rund 2,7 Millionen Kriegstote zu beklagen, im Rest Europas weitere 14,3 Millionen Kriegsopfer, Hunderttausende waren verkrüppelt, traumatisiert oder litten an den Spätfolgen des Gaskriegs. Großflächige Ver­ wüstungen, Hunger, Krankheiten, der Zusammenbruch der Wirtschaft und die völlige Verarmung großer Bevölkerungsteile prägten Deutschland und den Kontinent.67 Mit der Unterzeichnung des Friedensvertrages von Versailles am 28. Juni 1919 – viele Deutsche bezeichneten dieses Abkommen als »Schanddiktat«68 – endete der Erste Weltkrieg auch völkerrechtlich. Die Bedingungen des Vertrages schrieben der neuen »Republik Deutschland« eine stark verkleinerte Armee ohne den Besitz moderner Waffen vor, und sie diktierten erhebliche Gebietsabtrennungen etwa von Oberschlesien, dem Memelgebiet oder Elsass-Lothringen. Wirtschaftlich bedeutende Regionen wie das Rheinland mit seiner Montanindustrie wurden von den Siegermächten besetzt. Überdies forderten die Alliierten jährlich zwischen einer und 2,5 Milliarden Reichsmark an Reparationen – eine für ein kriegszerstörtes Land gewaltige Forderung.69 Es wäre durchaus naheliegend gewesen, wie die Historikerin Sabine Behrenbeck schreibt, dass es, wie nach dem Zweiten Weltkrieg, auch nach der Niederlage von 1918 zu einer breiten und nachhaltigen gesellschaftlichen Ächtung alles Militärischen kommen würde.70 Doch dies geschah nur punktuell. In der Weimarer Republik gab es kein einheitliches Deutungsmuster für den Soldatentod im Ersten Weltkrieg. Auch das Gedenken an die Gefallenen konnte im Gegensatz zu den Jahren nach 1871 zu keinem einheits- und identitätsstiftenden Moment werden. Stattdessen avancierten Heldentum, soldatisches Opfer oder Kriegsbereitschaft grundsätzlich zu Themen politischer Kontroversen.71 64 65 66 67

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Lersch, Vor Ostern, S. 68‑70; Hüppauf, »Der Tod ist verschlungen in den Sieg«, S. 80; auch: Linse, »Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden!«, S. 264. Lersch, Soldatenabschied, S. 14 f. Insbesondere in Frankreich, Belgien und England wird der Erste Weltkrieg als der »Große Krieg« erinnert. Vgl. Münkler, Der Große Krieg, S. 751, 753. Das Deutsche Reich hatte rund 2 Mio. gefallene Soldaten zu beklagen und etwa 700 000 Ziviltote. Vgl. Epkenhans, Der Erste Weltkrieg 1914‑1918, S. 251; Overmans, Kriegsverluste, S. 663. Als »dienstunbrauchbar« mit Anspruch auf eine »Verstümmeltenzulage« waren offiziell 89 760 Soldaten anerkannt. Allerdings lag die Dunkelziffer viel höher. Der Sanitätsbericht des Deutschen Heeres bezifferte 1934 die Zahl der durch Verwundung, Unfall, Selbstmord und Krankheit zwischen dem 2. August 1914 und dem 31. Juli 1918 als dienstunbrauchbar entlassenen Soldaten auf 702 778. Vgl. Eckart, Invalidität, S. 584; Bihl, Der Erste Weltkrieg 1914‑1918, S. 301. Vgl. Ullrich, Die nervöse Großmacht, S. 587 f. Vgl. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd  4, S.  241, 243‑252; Winkler, Weimar 1918‑1933, S. 90. Vgl. Behrenbeck, Heldenkult, S. 143. Vgl. Kaiser, Von Helden und Opfern, S. 24, 43.



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Nach über hundert Jahren der Heroisierung und Mystifizierung des Kriegstodes erzwang die verheerende Niederlage in Teilen der Gesellschaft tatsächlich eine Neu­ bewertung der Begriffe »soldatisches Opfer« und »Heldentum«. Das aktiv erbrachte »sacrificium« wurde erstmals auch als »victima« gedeutet, als passives Schlachtopfer, und mit defensiven Sinnstiftungen verbunden.72 Niederschlag fand dieses etwa in Kriegerdenkmälern, die den Gedanken und das Gefühl der Trauer in den Mittelpunkt rückten. Seinen paradigmatischen und ikonografischen Ausdruck findet dies in den Motiven der Bildhauerin Käthe Kollwitz, die dem Kriegstod beispielsweise in ihren Skulpturen »Trauerndes Elternpaar« von 1932 oder der »Pietà« von 1937 jeglichen Sinn verweigerte.73 In breiten Bevölkerungskreisen haben dagegen althergebrachte Sinnstiftungs­mus­ ter und Deutungskonzepte des soldatischen Opfers den Ersten Weltkrieg über­lebt. Insbesondere das Verständnis des Opfers an sich erfuhr eine sinnhafte An­passung an die Niederlage und konnte so auch in der Weimarer Republik als eine Grundlage für politische Sprach- und Handlungslogiken dienen.74 Dies zeigte etwa die offizielle Veranstaltung der Weimarer Regierung zum Gedenken an die Gefallenen des Weltkriegs am 3.  August 1924. Eigentlich sollte diese Zeremonie ganz unter dem Zeichen der Trauer stehen, und im ursprünglichen Entwurf des Programms war sie auch als »Trauerfeier des Deutschen Volkes zum Gedächtnis an die Opfer des Weltkrieges« deklariert. Doch schon während der Vorbereitungen verschob man die Gewichtungen und änderte die Widmung. Das neue Motto lautete nun: »Gedenkfeier des Deutschen Volkes zu Ehren der Opfer des Weltkrieges«. Auf diese Weise geriet die Trauer in den Hintergrund, während, wenn auch unausgesprochen, das alte Verständnis von sacrificium hervortrat.75 Manche Teile der Bevölkerung und einige Organisationen verbanden zudem das soldatische Opfer der Kaiserlichen Armee mit dem Gedanken der Vergeltung und verknüpften diese Kombination mit der als nationale Demütigung empfundenen Unterzeichnung des Versailler Vertrages. So instrumentalisierte z.B. der 1919 gegründete VDK das Narrativ des Kriegshelden für den Gedanken der militärischen Revanche.76 Am Volkstrauertag 1924 forderte der Volksbundspräsident Fritz Siems: »Der Geist der toten Helden schwebt um uns – sie sprechen in dieser Stunde: ›Das taten wir für Euch, was tut Ihr für uns?‹«77 Der Appell an die Lebenden, die Aufforderung zur Nachahmung der soldatischen Opferbereitschaft, wie sie seit 1813 propagiert wurde, blieb auch in der Weimarer Republik ein grundlegendes Deutungsmuster des Kriegstodes.78 72

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Der Begriff »sacrificium« betont die aktive Komponente des Opfers. In dieser Sichtweise erscheint es als heilige Handlung, beispielsweise im Sinn eines Messopfers. Der Begriff »victima« hebt die passive Bedeutung des Opferbegriffs hervor. Im religiösen Kontext bedeutet »victima« Opfertier bzw. Schlachtopfer. Vgl. Sleumer, Kirchenlateinisches Wörterbuch, S. 687, 820. Vgl. Kienitz, Beschädigte Helden, S. 107‑109; Kruse, Strukturprobleme, S. 41; Armanski, »... und wenn wir sterben müssen«, S. 23. Vgl. Herzog, Am Scheitelpunkt, S. 27. Vgl. ebd., S. 32 f. Vgl. Kaiser, Von Helden und Opfern, S. 10, 25, 58‑61. Zit. bei: ebd., S. 62. Vgl. Hettling, Die zwei Körper, S. 163.

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Dem organisierten Gedenken an die Gefallenen des Ersten Weltkrieges attestiert Echternkamp in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen als Grundcharakter »traurig-trotzige«79 Züge. Denn die Deutung des soldatischen Opfers beinhaltete in dieser Zeit immer auch ein »Jetzt erst recht« im Sinne militärischer Rache.80 Ein typischer Ausdruck dafür ist das 1924 von dem Bildhauer Eberhard Encke geschaffene Denkmal für die Gefallenen des Kaiser Franz Garde-Grenadier-Regiments in Berlin-Kreuzberg. Auf einem aus Muschelkalk geformten Steinquader kniet ein männlicher Akt. Sein Haupt ist gesenkt, mit der Linken fasst er sich ans Herz, eine Geste der Trauer. Doch seine Brust wirkt gestählt und aufgereckt, und die Rechte ist geballt zur Faust. Trauer und Rache, vereint in einem Krieger.81 Nach der Machtübernahme Hitlers am 30.  Januar 1933 verschob sich das Gedenken an die soldatischen Opfer des Ersten Weltkrieges von der Trauer weitgehend hin zum Motiv der Rache. Also vom persönlichen und gesellschaftlichen Ab­ schiednehmen hin zur Forderung nach militärischer Revanche. 1935 forderte Werner von Blomberg, General der Infanterie und Oberbefehlshaber der Wehrmacht, dass die Heutigen dem »Opfer unserer Gefallenen den rechten Sinn geben« müssten, also Rache nehmen am Feind für die Toten.82 Auf diese Weise wurde es den Nationalsozialisten möglich, die Weltkriegsopfer für ihre militärisch-expansiven Ziele zu vereinnahmen und ihren Tod heroisch aufzuladen. Ihr Opferbegriff verschmolz die im Feld gefallenen Soldaten mit den »Märtyrern« der nationalsozialistischen Bewegung, die z.B. in den Straßenschlachten während der Weimarer Republik getötet wurden, zu kämpfenden Vorbildern und Helden des Nationalsozialismus. Im Mittelpunkt stand dabei die selbstlose Hingabe des Lebens, das Opfer an sich.83 Darüber hinaus verliehen die Nationalsozialisten dem Opferbegriff eine völkische Färbung. Prägend war dabei der Langemarck-Mythos, der einer neuen Generation potenzieller Kriegsfreiwilliger das ideologische Rüstzeug für Heldentum und Opferbereitschaft liefern sollte.84 Dazu überhöhte man eine militärisch kaum bedeutende Schlacht, die im Herbst 1914 in Langemarck (Flandern) stattfand, zum Mythos von Ehre und Heldentum schlechthin. Die Wirklichkeit, so die militärhistorische Forschung der Bundesrepublik, sah anders aus: Schlecht ausgebildete und mangelhaft ausgerüstete junge Soldaten wurden zum Kanonenfutter inkom79 80 81 82 83 84

Echternkamp, Soldaten im Nachkrieg, S. 49. Vgl. Schneider, Kriegstotenkult, S. 340. Vgl. Gefallenen-Denkmal Baerwaldstraße in Berlin-Kreuzberg, (letzter Zugriff 6.9.2021); Koselleck, Zur politischen Ikonologie des gewaltsamen Todes, S. 56. Vgl. und zit. bei: Herzog, Am Scheitelpunkt, S. 33 f.; Kershaw, Hitler 1889‑1936, S. 522 f.; Kruse, Struk­turprobleme, S. 41. Vgl. Herzog, Am Scheitelpunkt, S. 33 f.; Hettling, Die zwei Körper, S. 163; Kruse, Strukturprobleme, S. 42; Siemens, Horst Wessel, S. 169 f. Vgl. Herzog, Am Scheitelpunkt, S. 35; Behrenbeck, Heldenkult, S. 145. Seinen Ursprung hatte der Langemarck-Mythos im Heeresbericht vom 11. November 1914. Der Bericht stilisierte einen taktischen Erfolg innerhalb eines eklatanten operativen Fehlschlages zu einem großen Sieg: »West­lich Langemarck brachen junge Regimenter unter dem Gesange ›Deutschland, Deutschland über alles‹ gegen die erste Linie der feindlichen Stellungen vor und nahmen sie.« Vgl. und zit. bei: Weinrich, Kult der Jugend, S. 321. Vgl. Wette, Militarismus in Deutschland, S. 182 f.



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petenter Offiziere. Der Kulturhistoriker Bernd Hüppauf betrachtete die Reihe der mythischen Helden von Langemarck als ein symbolisches Band und als eine Art Identi­fikationsmodell für junge Männer. Die Opferbereitschaft der Soldaten von Langemarck sowie deren Kampfgeist sollten als Ideale der nationalsozialistischen Bewegung erscheinen und ihr auf diese Weise heldenhaft konnotierte Bezugspunkte verleihen.85 In dem damals überaus populären Drama »Jugend von Langemarck« (1933) von Heinrich Zerkaulen, einem späteren Mitglied des Bamberger Dichterkreises, marschierten die toten Helden nicht nur in der Vorstellung der Lebenden mit. Sie waren auch über das Band des Blutes, und damit ganz im nationalsozialistischen Sinn, völkisch und rassisch mit allen Kriegern kommender deutscher Generationen verbunden: »Das Blut der Väter, ihr Wille, ihr Sterben [...] das alles rauscht in uns.«86 Für Hitler war die Bereitschaft zum Opfer für das Vaterland nicht nur soldatische Pflicht, sondern auch völkische Aufgabe. Und völkisch bedeutete vor allem: rassisch. Daher war der Krieg im Verständnis der Nationalsozialisten vor allem der Kampf der Rassen.87 Das nationalsozialistische Verständnis des soldatischen Opfertodes stützte sich hauptsächlich auf drei Vorstellungen: 1. Die Idee des Opfers an sich. Wie bereits seit Aufkommen des modernen Totenkultes im frühen 19. Jahrhundert wurde auch im Dritten Reich eine enge Beziehung zwischen der Opferbereitschaft des Einzelnen und dem dauerhaften Fortbestand des deutschen Volkes hergestellt. Zunächst avancierte die Opferbereitschaft des Soldaten in der von dem Militärhistoriker Wolfram Wette als »Vorkriegszeit«88 bezeichneten Spanne von 1933 bis 1939 zum Wert an sich. Denn an konkrete Ziele war diese dabei noch nicht gebunden, wie die Kulturhistorikerin Sabine Behrenbeck feststellt.89 Damit war auch das nationalsozialistische Bild vom Soldatentod ein »Kampfund Opfermythos«90. Der Kampf allein stiftete dem Tod einen Sinn, und die Teilnahme am Kampf wurde zum Selbstzweck, unabhängig vom Erfolg. Die 85 86

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Vgl. Hüppauf, Schlachtenmythen, S. 51; Bessel, Kriegserfahrungen, S. 130. Zerkaulen, Jugend von Langemarck, S. 32 f.; Latzel, Vom Sterben im Krieg, S. 82. Der Bamberger Dichterkreis existierte zwischen 1936 und 1943. Er bot ein Forum für Dichter und Schriftsteller, die sich mit dem nationalsozialistischen System identifizierten, aber keine offiziellen Parteidichter waren. Die Arbeit des Kreises konzentrierte sich auf die nationalsozialistische und volkshafte Literatur. Seine Mitglieder publizierten ihre Texte in insgesamt fünf Sammelbänden. Vgl. Der Bamberger Dichterkreis 1936‑1943. Vgl. Schmitz-Berning, Vokabular des Nationalsozialismus, S. 645‑647; Latzel, Vom Sterben im Krieg, S. 84. Das Staatsverständnis Hitlers baute auf dem Rasseverständnis auf. Hitler betrachtete den Staat vor allem als Mittel zum Zweck: der Erhaltung und Stärkung der »arischen Rasse«. Somit hatten Staat, Politik und Krieg für Hitler ausschließlich dem Lebens- und Daseinskampf des deutschen Volkes, respektive der »arischen Rasse«, zu dienen. Dem hatte sich auch der Soldatentod unterzuordnen. Denn Staaten hatten, wie Hitler am Beispiel Preußens – »des Reiches Keimzelle« – in Mein Kampf zeigte, ihr Dasein nicht der Wirtschaft zu verdanken, sondern dem Selbsterhaltungsund Machttrieb, ihrem »strahlenden Heldentum« und dem »soldatischen Todesmut«. Vgl. Hitler, Mein Kampf, S. 166, 169; Meier, Warum Krieg?, S. 198 f. Wette, Zur psychologischen Mobilmachung, S. 205. Vgl. Behrenbeck, Heldenkult, S. 150, 156; Behrenbeck, Der Kult um die toten Helden, S. 405. Vgl. Hettling/Echternkamp, Heroisierung, S. 139.

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Hingabe des Lebens geschah um ihrer selbst willen, und das zeichnete den Soldaten als Helden aus. Durch das Opfer an sich sollte sich ein Volk als überlegene Rasse auszeichnen und so neue Kraft und Reinheit gewinnen. In diesem sozialdarwinistischen Verständnis des Opfers bedeutete der Kampf für den Einzelnen, wie der Wehrmachtdekan Wilhelm Hunzinger predigte, »die Stunde der Bewährung und damit die Möglichkeit der Auslese und des Wachstums durch den Willen«91. 2. Die Idee des Opfertodes für die höhere nationale Sache. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Opfer wieder mit konkretem Sinn aufgeladen und als Lebenskampfideologie interpretiert. Der Soldat starb nun wieder für eine höhere Sache, für das »letzte Ziel der Nation«92. In den Worten des nationalsozialistischen Kulturpolitikers Kurt Eggers war damit die »freie Entfaltung ihres Lebenswillens«93 gemeint, eine euphemistische Umschreibung für die aggressive Expansionspolitik des Deutschen Reiches. In diesem Sinne predigte auch Hunzinger nach dem Überfall auf Polen Ende September 1939 vor seinen Soldaten: »Der deutsche Adler spannt nun seine mächtigen Flügel weit, weit über das Herz Europas, das ›Deutschland‹ heißt. Raum ist geschaffen für die Fülle deutscher Menschen.«94 Ergo: Ein »Volk ohne Raum« musste mit dem Schwert neuen Lebensraum erobern.95 3. Die Idee des Opfers als Vollendung einer historischen Mission. Dieser Grundgedanke offenbarte sich in der Vorstellung einer Art von Fortexistenz des Opfers über seinen individuellen Tod hinaus. Denn der gefallene Held lebte im kollektiven Gedächtnis der Überlebenden weiter. Eine Anlehnung an den christlichen Opfertod fand auch hier statt, allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Im christlichen Glauben ist die Schuld der Menschen durch den Opfertod Jesu getilgt, im nationalsozialistischen Opfermythos waren dagegen immer neue Opfer nötig, bis schließlich in einer unbestimmten Zukunft der End­sieg die Erlösung brachte. Die neue Weltordnung – »Deutschlands Ewig­ keit«96 – blieb also eine reine Zukunftsvision. Aus dem Opfer vergangener Generationen erwuchs so die Verpflichtung, diesem durch ein weiteres Opfer einen dauerhaften Sinn zu verleihen.97 Dieser Gedanke war es, der mit dem immer verlustreicheren Fortgang des Krieges zur Durchhalteparole wurde. So war Anfang 1944 in der Neuen Gemeinschaft, der Zeitschrift der Reichs­ propagandaleitung, zu lesen: »Wir wollen immer daran denken, dass all diese Opfer nicht vergeblich sein dürfen, [...] dass nur der Sieg des Reiches diese Opfer krönen darf.«98 91 92 93 94 95 96 97 98

Hunzinger, Der rechte Kampf, S. 20; Hettling/Echternkamp, Heroisierung, S. 139; Latzel, Vom Sterben im Krieg, S. 84. Eggers, Von der Freiheit des Kriegers, S. 51. Vgl. Latzel, Vom Sterben im Krieg, S. 84. Eggers, Von der Freiheit des Kriegers, S. 51. Hunzinger, Der rechte Kampf, S. 20. Vgl. Behrenbeck, Der Kult um die toten Helden, S. 411. Schumann, Soldatengrab in Frankreich, S. 26. Vgl. Behrenbeck, Der Kult um die toten Helden, S. 469 f. Vgl. Behrenbeck, Der Kult um die toten Helden, S. 470. Zit. bei: ebd., S. 471. Vgl. Götting, Bleibt unseren Gefallenen treu!, S. 34.



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Die Tatsache, dass das nationalsozialistische Bild vom Soldatentod aus der Rezep­ tion bekannter Versatzstücke bestand, ergänzt durch Rassenideologie und Kampf um Lebensraum, machte lange Zeit dessen Massenkompatibilität aus. Ent­schei­dend war dabei vor allem, dass christliche Versatzstücke verwendet wurden und so eine beinahe zweitausendjährige Tradition der religiösen Überhöhung des selbstlosen Opfertodes und des sakralisierten Märtyrerkults fortgesetzt wurde.99 Die deutsche Gesellschaft wurde seit Mitte der 1930er-Jahre systematisch militarisiert und hierarchisiert. Die Notwendigkeit eines neuen Krieges wurde geradezu zur Selbstverständlichkeit. Und man könnte sogar die These wagen, dass zwischen 1933 und 1945 eine systematische Erziehung zum Heldentod stattfand. Diese Opfer- und Todesbereitschaft stellten die Nationalsozialisten ins Zentrum ihres heroischen Totenkultes, den sie im ganzen Reich mit Heldengedenktagen, Totenfeiern, Namenspatronagen oder Denkmälern zelebrierten. Der Heldenkult der NS-Zeit beschwor ein Soldatenbild, das vor allem auf die kollektive Opferbereitschaft ausgerichtet war.100 Und mit dieser wurde der Fortbestand des Volkes unauflösbar verknüpft. »Niemals kann ein Volk untergehen«, behauptete Außenminister Joachim von Ribbentrop im November 1938, »solange es Männer sein eigen nennt, die jederzeit bereit sind zu sterben, damit ihr Volk lebe«101. Auf diese Weise konnte die nationalsozialistische Volksgemeinschaft einen unbegrenzten Opferanspruch an ihre Mitglieder und auch an die Soldaten stellen. Diese Denkfiguren avancierten insbesondere gegen Ende des Zweiten Weltkrieges zu einem zentralen Aspekt der Endsieglogik. Sogar die Niederlage bei Stalingrad fügten die Nationalsozialisten bruchlos in ihr Verständnis von sacrificium ein. Doch der verheerende Kriegsverlauf führte diesen Mythos vom sinnhaften und heroischen Tod für den Endsieg schließlich zunehmend ad absurdum und ermöglichte dessen radikale Entmystifizierung.102

2. Totaler Krieg – totale Niederlage: Das Verständnis des soldatischen Opfers nach 1945 Auf den Totalen Krieg103 folgte die totale Niederlage. Der Zweite Weltkrieg übertraf an Vernichtungskraft und Zerstörung alles, was man bis dahin für möglich gehal99 100 101 102 103

Vgl. Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd 9/1, S. 69 (Beitrag Echternkamp). Vgl. Wette, Militarismus in Deutschland, S. 184, 186; Sabrow, Den Zweiten Weltkrieg erinnern, S. 17. Zit. bei: Ackermann, Nationale Totenfeiern in Deutschland, S. 190. Vgl. Herzog, Am Scheitelpunkt, S. 36 f.; Wette, Das Massensterben als »Heldenepos«; Behrenbeck, Der Kult um die toten Helden, S. 418. Der Ausdruck »Totaler Krieg« hat eine lange Geschichte. Eine sehr frühe Nennung findet sich bei Georg Christoph Lichtenberg. Im Zusammenhang mit einer Dokumentation der zeitgenössischen Alltagssprache des einfachen Volkes erwähnte der Schriftsteller den Begriff in den 1770er-Jahren: »Bediente haben ihre Phrases [...] Eine totale Schlacht, ein totaler Feldzug, ein totaler Krieg.« (Lichtenberg, Schriften, Bd 2, S. 569) Gut 50 Jahre später griff sie der preußische Militärtheoretiker Carl von Clausewitz in seinem 1832 erschienenen Werk Vom Kriege auf. Er sprach leicht abgewan-

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ten hatte. Die Bilanz war katastrophal. Bis zu sechzig Millionen Menschen verloren durch den Krieg der Nationalsozialisten ihr Leben. In Deutschland starben infolge des Krieges rund 6,3 Millionen Menschen, darunter wohl – wie die verlässlichsten Quellen angeben – etwa 5,3  Millionen Angehörige von Wehrmacht, Waffen-SS, Reichsarbeitsdienst, Hitler-Jugend oder Volkssturm.104 Der Ausgang des Krieges machte die Deutschen nicht nur zu Kriegsverlierern. Die Kriegsverbrechen und systematischen Kriegsgräuel, die im Schatten der Front begangenen kollektiven Exekutionen, die organisierte Ermordung von Minderheiten und Gegnern des Regimes und die industriell durchgeführte Vernichtung der Juden ließen die Deutschen auch als Kriegsverbrecher und Massenmörder vor der Weltgemeinschaft erscheinen. An diesen Verbrechen hatte die Wehrmacht ihren Anteil.105 Die Entzauberung von Wehrmacht, Heldentod und Opfermythos, ja der preußischen Militärtradition insgesamt, hätte daher kaum vollständiger ausfallen können. Diese Vorstellungen verloren in der bundesrepublikanischen Gesellschaft – mit Ausnahme der Wehrmachtveteranen und ihrer Fürsprecher – ihre Wirkungsmacht. Denn anders als 1918 musste sich das Verständnis des Opfers 1945 nicht nur gegen die totale Niederlage und die bedingungslose Kapitulation behaupten, sondern der Opferbegriff selbst erfuhr einen radikalen Bedeutungswandel. Das preußische, das wilhelminische und in gewisser Weise auch das Weimarer militärische Totengedenken würdigten vor allem den Helden und nicht das Opfer. An die Stelle von sacrificium und aktivem Heldentum rückte nach dem Zweiten Weltkrieg nun die victima, das

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delt von einem »absoluten Krieg«, welcher ein Resultat der »zerstörenden Kraft des losgelassenen Elements« sei. Clausewitz meinte damit, dass die im Krieg ausgeübte Gewalt von sich aus keine Mäßigung kenne. Es bedürfe einer »Scheidewand, die das totale Entladen« verhindere, einer Mäßigung von außen. Denn nur durch politische und gesellschaftliche Kräfte könne die Absolutheit des Krieges in Grenzen gehalten werden (Clausewitz, Vom Kriege, S.  651‑654). Entscheidend zur Etablierung des Begriffs trug jedoch wohl der französische Journalist Léon Daudet bei. Unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges veröffentlichte er 1918 das Buch La guerre totale (Daudet, La guerre totale). In der Zeit zwischen den Weltkriegen erlebte der Begriff dann eine regelrechte Konjunktur. Ein Beispiel dafür ist das Buch Der totale Krieg, publiziert 1935 von General Erich Ludendorff (Ludendorff, Der totale Krieg). Spätestens nachdem Reichspropagandaminister Joseph Goebbels am 18. Februar 1943 im Berliner Sportpalast zur Führung eines »totalen Krieges« aufrief, erreichte die Formel die breiten Massen. Wegen der Zuspitzung der Situation an der Ostfront rief Goebbels zu der totalen Fortsetzung des Kampfes unter Einsatz aller menschlichen und materiellen Ressourcen auf: »Das Radikalste ist heute gerade radikal und das Totalste gerade total genug, um zum Siege zu führen« (zit. bei: Moltmann, Goebbels’ Rede zum totalen Krieg, S. 39). Vgl. Wendt, »Totaler Krieg«, S. 384 f. Vgl. Der Große Ploetz, S. 842 f.; Overmans, Deutsche militärische Verluste, S. 316. Im Februar 1999 bezeichnete der Staatsminister für Kulturelle Angelegenheiten Michael Naumann (SPD) die Wehrmacht in einem Interview mit der britischen Zeitung Sunday Times als ein »marschierendes Schlachthaus«. Zit. nach Hartmann/Hürter/Lieb/Pohl, Der deutsche Krieg im Osten 1941‑1944, S. 70, Anm. 414. Diese Zuschreibung wird sicher nicht jedem einzelnen Angehörigen der Wehrmacht gerecht. Dennoch begingen Angehörige der Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges zahlreiche Verbrechen oder waren an ihnen beteiligt. Es ist an dieser Stelle nicht möglich, die Beteiligung und Verstrickung der Wehrmacht an Verbrechen in all ihren Dimensionen wiederzugeben. Daher sei exemplarisch verwiesen auf: Epkenhans/Zimmermann, Die Wehrmacht; Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges.



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passive Opfer.106 In der späteren, ganz allgemeinen Formulierung »Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft« findet diese Neubestimmung ihren Ausdruck. Mit Kriegsende setzte in der westdeutschen Gesellschaft eine grundsätzliche Debatte über die Bedeutung des Militärischen ein. Man stritt über die Bewertung und die Rolle der Wehrmacht im Zusammenhang mit der NS-Diktatur, über Kriegsverbrechen und die Grenzen militärischen Gehorsams. Und bald auch über eine Wiederbewaffnung, darüber, ob die Bundesrepublik Deutschland angesichts der jüngsten Vergangenheit eine eigene Armee haben sollte, haben durfte – oder ob sie sogar eine haben musste. Wie viele andere auch verlangte der Historiker Friedrich Meinecke 1946, dass der »radikale Bruch« mit der »militaristischen Vergangenheit«107 erfolgen müsse. Aber wie sollte dieser aussehen? Eine, zumindest was eigene Soldaten anging, entmilitarisierte Bundesrepublik? Oder ein Staat mit einer neuen Form von Armee, einer Art gezähmter Wehrmacht? Auch soldatische Werte wie Heldentum, Eidestreue und Opferbereitschaft stellte man auf den Prüfstand. Maßgeblich beteiligt an dieser Debatte waren Politiker der wieder- bzw. neu gegründeten Parteien, führende Vertreter der Kirchen, Wehrmachtoffiziere, Opfer des NS-Regimes, Repräsentanten der Kriegsgräberfürsorge sowie Schriftsteller und Intellektuelle.108 Zu einer grundsätzlichen Distanzierung von der Wehrmacht wollte sich die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft nicht durchringen, denn sie war im wahren Sinne des Wortes eine Volksarmee gewesen. Zwischen ihrer Aufstellung im März 1935 und ihrer Auflösung 1945 gehörten ihr etwa 18 Millionen Menschen an. Aus so gut wie jeder Familie wurde wenigstens ein Mitglied in die nationalsozialistischen Streitkräfte eingezogen und war damit auch Teil des Gewaltapparates. Diese Tatsache sei von überragender psychologischer Bedeutung, konstatiert der Militärhistoriker Wolfram Wette, denn sie bestimmte im Nachkriegsdeutschland die Richtung der Auseinandersetzung über das Militärische im Allgemeinen und über die Wehrmacht im Besonderen; sie wurde so zu einer Rechtfertigungsdebatte. Die Mehrheit der Westdeutschen und auch der Ostdeutschen wollte daher von Verbrechen des NSRegimes und der Wehrmacht nichts wissen.109 Gemäß dem Motto: Eine Armee, in der sich Millionen deutsche Soldaten für das Vaterland aufopferten, konnte doch nicht verbrecherisch gewesen sein. Angesichts des sich abzeichnenden Kalten Krieges und der Möglichkeit einer neuen militärischen Auseinandersetzung mit den Mitteln atomarer Massen­ver­nich­ tungswaffen drängte sich vor allem auch die Frage auf, welche Bedeutung das traditionelle Leitbild des soldatischen Helden und seiner Opferbereitschaft künftig überhaupt noch haben konnte. Im Gefolge des Kalten Krieges erfasste dieser Schwerpunkt der Debatte auch die Zivilgesellschaften der Vereinigten Staaten und der westeuropäischen Länder. Dieser 106

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Vgl. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd  5, S.  17; Mosse, Gefallen für das Vaterland, S. 258; Echternkamp, Soldaten im Nachkrieg, S. 45; Herzog, Am Scheitelpunkt, S. 29; Sabrow, Den Zweiten Weltkrieg erinnern, S. 17. Vgl. Meinecke, Die deutsche Katastrophe, S. 156. Vgl. Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik, Bd 2, S. 463‑604 (Beitrag Volkmann). Vgl. Wette, Das Bild der Wehrmacht-Elite nach 1945, S. 583; Wette, Die Wehrmacht, S. 201, 237.

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fundamentale Diskurs stand am Anfang jenes Transformationsprozesses, der angesichts der drohenden Vernichtung Aller im Kriegsfall die Sinnhaftigkeit militärischen Kämpfens grundsätzlich infrage stellte und so in gewisser Weise das Zeitalter der »postheroischen Gesellschaft« einläutete. Andere Faktoren traten hinzu. Münkler, der den Begriff in Deutschland prägte, leitet ihn von der Formel »post-heroic war­fare« ab, die der US-amerikanische Politikwissenschaftler und Militärstratege Edward N. Luttwak 1995 einführte.110 Untrennbar verbunden mit der heroischen Gesellschaft war der Gedanke des soldatischen Opfers, der im Wesentlichen die Selbstaufopferung des als Soldat kämpfenden Bürgers für sein Gemeinwesen meinte. Heroische Gesellschaften in diesem Sinne waren z.B. die europäischen Nationalstaaten des 19. und frühen 20.  Jahr­ hun­derts. Gewissermaßen als Gegenleistung betrauerte der Staat die sich für seine Interessen Opfernden, würdigte sie im Rahmen einer offiziellen und öffentlichen Memorialkultur in Zeremonien und mit Gedenkstätten und behielt sie auf diese Weise in ehrender Erinnerung. Das Opfer des Lebens im Tausch gegen dauerhafte Würdigung – auf diese Kurzformel ließe sich diese Beziehung reduzieren.111 Heroische Gesellschaften benötigten, wie Münkler argumentiert, für ihre Selbst­ vergewisserung das soldatische Opfer. In postheroischen Gesellschaften dagegen ist die Selbstverständlichkeit dieses Opfers fragwürdig geworden und spaltet sich auf in die Antipoden Opferbereitschaft und Opfersensibilität (casualty shyness).112 In diesem Zusammenhang meint postheroische Opferbereitschaft, wie Münkler definiert, »das Verschwinden bzw. die schwindende Bedeutung eines Kämpfertyps, der durch gesteigerte Opferbereitschaft ein erhöhtes Maß gesellschaftlicher Ehrerbietung zu erwerben trachtet«113. Und »Opfersensibilität« bezeichnet vor allem, wie es der französische Sozial­wis­ sen­schaftler Pascal Girardin formuliert, eine Art geistiger Haltung, ein »mind-set exhibited by certain actors within society that is characterized by a fierce reluctance to commit military forces as soon as there is a risk of death«114. Der Kalte Krieg, Massenvernichtungswaffen, die atomare Bedrohung und dazu tiefgreifende demografische und kulturelle Umbrüche – das waren die Rahmen­be­ dingungen, innerhalb derer sich die postheroische Gesellschaft entwickelte. Im Falle der Bundesrepublik entfaltete auch noch die katastrophale Kriegsniederlage ihre antiheroische Wirkung. Als bedeutenden kulturellen Einflussfaktor identifiziert Münkler einen beschleunigten Säkularisierungsprozess. Das Verschwinden religiöser Potenziale habe den Verlust genau jener Ressourcen zur Folge, »die für eine heroische Aufladung einer Gesell­schaft unverzichtbar sind«115. Denn die Bereitschaft, sich für etwas oder jeman110 111 112 113 114 115

Vgl. Münkler, Der Wandel des Krieges, S. 310, 317‑320; Luttwak, Toward Post-Heroic Warfare, S. 109‑122; Kümmel, ›Gestorben wird immer‹!?, S. 92. Vgl. Münkler, Der Wandel des Krieges, S. 313‑316, 322. Vgl. ebd., S. 315 f.; Kümmel, ›Gestorben wird immer‹!?, S. 92. Münkler, Der Wandel des Krieges, S. 310. Girardin, Casualty Aversion in Tepid War, S. 99. Vgl. Münkler, Der Wandel des Krieges, S. 316.



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den aufzuopfern, setze religiöse Überhöhung und somit ein Moment der Transzen­ denz voraus.116 Daneben führt er die demografische Entwicklung als ausschlaggebendes Moment an. Denn die Verringerung der Sterblichkeitsrate und der Rückgang der Geburten würden eine grundsätzliche Aufwertung des Individuums und jedes einzelnen Lebens zur Folge haben und daher dem Tod eines jeden Soldaten zusätzliches Gewicht verleihen. Ausdrücklich verweist er in diesem Zusammenhang auch auf die Existenz der Atombombe, denn diese führe den zentralen Gedanken der heroischen Gesellschaft – dass nämlich stellvertretend durch das eigene Opfer andere gerettet werden könnten – endgültig ad absurdum.117 In manchen Veteranenkreisen der Wehrmacht aber hielt man unbeirrbar am althergebrachten Bild des Soldaten, am Heldentum und am traditionellen Opfer­ver­ ständnis fest, als hätte es Hiroshima und Nagasaki nie gegeben. Doch diese Veteranen verfolgten mit der ungebrochenen Aufrechterhaltung der soldatischen Opfer­bereit­ schaft auch noch eine andere, der eigenen Rehabilitation dienende Absicht. Denn in dieser Sicht war der Wehrmachtsoldat vor allem ein untadeliger, selbst­loser und altruistischer Staatsdiener in Uniform. Und seine Opferbereitschaft wurde zum Vorbild für die Gesellschaft.118 Diese Opferideologie wurzelte seit dem Ende der Söldnerheere tief in der deut­schen Militärtradition und durchdrang auch die nationalsozialistische Volks­ ge­ meinschaft, welche die bislang letzte heroische Gesellschaft auf deutschen Boden war. Und noch die katastrophalen Folgen von Hitlers militärisch sinnlosen Durch­ haltebefehlen für Stalingrad wurden vom Völkischen Beobachter am 4. Februar 1943 im Sinne dieser Opferideologie mit geradezu mythischer Bedeutung aufgeladen: »Sie starben, damit Deutschland lebe.«119 Ähnlich ist auch der Wehrmachtbericht vom 9. Mai 1945 zu lesen, die letzten Zeilen einer untergehenden Armee. »Die Deutsche Wehrmacht«, so resümierte Groß­admiral und Hitler-Nachfolger Karl Dönitz, »ist am Ende einer gewaltigen Über­macht ehrenvoll unterlegen«. Im Bericht ist von einem »heldenhaften Ringen« die Rede, von der »Waffenehre des Soldaten«, von der Eidestreue, vom »Opfer« sowie davon, dass der deutsche Soldat »Unvergessliches« geleistet habe. Und dass die Toten alle Deutschen »zu bedingungsloser Treue, zu Gehorsam und Disziplin gegenüber dem aus zahllosen Wunden blutenden Vaterland«120 verpflichten würden. Unter Veteranen überlebte die Ideologie der heroischen Opferbereitschaft und der pauschalen Untadeligkeit des Wehrmachtsoldaten das Dritte Reich und entfaltete darüber hinaus eine Breitenwirkung, sodass sie bei vielen Menschen in der Bundesrepublik das Bild des Soldaten und das Verständnis seines Berufes bis in die 1960er-Jahre hinein prägte. Auf diese Weise – und um den Preis der histo116 117 118 119 120

Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 313, 318. Vgl. Bald, Alte Kameraden, S. 55; auch: Hildebrand, Wandelbare und unwandelbare Werte, S. 315, 327; Der Große Ploetz, S. 842. Zit. bei: Wette, Das Massensterben als »Heldenepos«, S. 56. Für alle Zitate: Wehrmachtbericht vom 9. Mai 1945, S. 568 f., hier S. 569. Vgl. Klee, Das Personen­ lexikon zum Dritten Reich, S. 114.

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rischen Wahrheit, wie der Historiker Norbert Frei anmerkt – öffnete sich für die Wehrmachtveteranen die Möglichkeit, ihrem Kriegseinsatz einen gesellschaftlich anerkannten höheren Wert zuzuschreiben.121 Nachhaltige Wirkung entfaltete in diesem Zusammenhang die Ehrenerklärung, die Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) am 3. Dezember 1952 vor dem Deut­ schen Bundestag abgab und in der er, wohl auf Druck der Soldatenverbände, die Ehre der Wehrmachtsoldaten praktisch in den Rang einer Staatsdoktrin erhob.122 Zu dieser Erklärung hatte wohl beigetragen, dass den Westalliierten im Gefolge des Kalten Krieges ein Militärbeitrag der Bundesrepublik unabdingbar für die Vertei­ digung Westeuropas erschien – deshalb sollte Adenauer eine neue Armee aufbauen. Zur Planung und Umsetzung dieses Vorhabens aber war er zwingend auf die Wehr­ macht­veteranen angewiesen, auf ihre organisatorischen Fähigkeiten und ihre militärische Erfahrung.123 Ein ähnliches Bild vom Soldaten und seiner Ehre pflegte auch der 1946 provisorisch und am 4. September 1947 offiziell wieder zugelassene VDK mit Sitz in Kassel. Dabei propagierte er eine Soldatenehre, vollständig abgelöst von der Legitimation und den Zielen eines Krieges und abgetrennt vom politischen Kontext: »Nicht in Sieg oder Niederlage liegt der Sinn des Kriegstodes beschlossen, sondern in dem Beispiel des Opfers, das von den Überlebenden demütige Achtung fordert. Dabei ist es gleichgültig, ob dieses Opfer freiwillig, in der Pflicht gebunden oder aus innerer Überzeugung gebracht wurde.«124

Der VDK, den der VdS als »das Herz und Gewissen unserer gefallenen Kameraden«125 bezeichnete, verfügte über mehrere Hunderttausend Mitglieder (1959 waren es 659 207) und damit über großen Einfluss in der Bundesrepublik. Und er war maßgeblich an dem Versuch beteiligt, die Gefallenen beider Weltkriege in den Mittel­ punkt eines neu zu begründenden, staatlichen Totenkultes zu stellen.126 121 122

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Vgl. Frei, Vergangenheitspolitik, S. 22. Adenauers Ehrenerklärung im Wortlaut: »Ich möchte heute vor diesem Hohen Hause im Namen der Bundesregierung erklären, dass wir alle Waffenträger unseres Volkes, die im Namen der hohen soldatischen Überlieferung ehrenhaft zu Lande, auf dem Wasser und in der Luft gekämpft haben, anerkennen. Wir sind überzeugt, dass der gute Ruf und die große Leistung des deutschen Soldaten trotz aller Schmähungen während der vergangenen Jahre in unserem Volke noch lebendig sind und auch bleiben werden.« Stenographische Berichte des Deutschen Bundestages, 3.12.1952, S. 11141. Vgl. Manig, Politik der Ehre, S. 240 f. Vgl. Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik, Bd  1 (Beitrag Wiggershaus); Manig, Politik der Ehre, S. 197 f. Gedanken zum Volkstrauertag, S. 163. Vgl. Kaiser, Sie wollen gar nicht, S. 70. Eine erste provisorische Geschäftsstelle richtete der VDK im Frühjahr 1946 in Oldenburg ein. Im Mai 1948 wurde sie nach Nienburg an der Weser verlegt. Erst 1951 erhielt der VDK seinen endgültigen Sitz in Kassel. Vgl. Kaiser, Von Helden und Opfern, S. 228. Die Toten verpflichten die Lebenden, S. 1. Die Zahl der Mitglieder wuchs stetig. Im Jahr 1960 zählte der VDK bereits 687 564 Mitglieder. Da die Bundesgeschäftsstelle des VDK für den gesamten Bund erst ab 1960 eine offizielle Mitgliederstatistik führte, ist die Gesamtzahl der Mitglieder zwischen 1947 und 1958 schwer zu ermitteln. Vgl. Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., Tätigkeitsbericht des Vorstandes für den Vertretertag 1961, S. 3, Privatarchiv Julia Nordmann; Kaiser, Von Helden und Opfern, S. 233; Kaiser, Sie wollen gar nicht, S. 69.



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In weiten Teilen der Gesellschaft der jungen Bundesrepublik jedoch war ein ungebrochenes Verständnis des heldenhaften soldatischen Opfers nicht mehr konsensfähig. Es eignete sich nicht länger als kollektiv sinnstiftende Kraft, als Narrativ. Denn durch die Vielzahl der Opfergruppen, die NS-Diktatur und Zweiter Weltkrieg hervorbrachten, verschob sich der Fokus des Gedenkens von der Heroisierung hin zur Viktimisierung. Diese Entwicklung ist paradigmatisch für postheroische Gesellschaften. Nach und nach rückte der offizielle und öffentliche Totenkult der Bundesrepublik nun das passive, leidende Opfer in seinen Mittelpunkt. Das aktive, soldatische Selbstopfer trat in den Hintergrund.127 Einen Schritt mit großer Symbolkraft in diese Richtung unternahm man 1952. In diesem Jahr verlegte man den erst 1950 wiedereingeführten Volkstrauertag – den die Nationalsozialisten umbenannten in »Heldengedenktag« und im Frühling begingen – wieder in den November, der traditionell mit Tod, Trauer und Vergänglichkeit assoziiert ist.128 Damit begann auch formal die Abkehr vom Heldengedenken der National­sozialisten. Ein offizielles und öffentliches Totengedenken aber, das zunehmend unter der Prämisse der Viktimisierung stand, war kaum in der Lage, auch die Gefallenen der Weltkriege, insbesondere jene der Wehrmacht miteinzuschließen. Um auch für diese toten Soldaten einen Platz im Totenkult der Bundesrepublik zu schaffen, verband der VDK die beiden Ebenen des Opfer-Begriffs – das aktive sacrificium und das passive victima – miteinander. Er verknüpfte diese beiden Deutungen zu »einem einzigen, scheinbar eindeutigen und moralisch besetzten Opferbegriff«. Dies sei, so die Sozialwissenschaftlerin Alexandra Kaiser, »die zentrale argumentative Ausgangs­ position«129 des VDK gewesen, um die Aufnahme der Weltkriegstoten ins offizielle Gedenken durchzusetzen. Auf dieser Grundlage wurden die gefallenen Wehrmachtsoldaten zunächst zu Opfern eines verbrecherischen Regimes erklärt, schuldlos und missbraucht.130 Vordenker der Position des VDK war der Historiker und spätere Vorsitzende des Deutschen Historikerverbandes Gerhard Ritter, dessen Haltung auch die Veteranen und später deren Verbände teilten. Bereits 1947 sprach er im Zusammenhang mit Angehörigen der Wehrmacht von »willenlosen Opfern«. Die Soldaten hätten gar keine andere Wahl gehabt, als »gehorsam ihre soldatische Pflicht zu tun an dem Posten, auf den sie gestellt wurden, das eigene Leben mit hinein zu werfen in das allgemeine Schicksal Deutschlands und die letzte Verantwortung den Machthabern 127 128

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Vgl. Kaiser, Von Helden und Opfern, S. 211; Sabrow, Die postheroische Gedächtnisgesellschaft, S. 314 f.; Leonhard, Die postheroische Gesellschaft, S. 105. Vgl. Kaiser, Von Helden und Opfern, S. 178‑181, 226, 242. In gewisser Weise lässt sich der Toten­ sonntag, auch Ewigkeitssonntag genannt, den König Friedrich Wilhelm III. 1816 für die evangelischen Kirchen in den preußischen Regionen einführte, als Vorläufer des Volkstrauertages sehen. Friedrich Wilhelm III. etablierte diesen Tag vor allem auch unter dem Eindruck der frisch beendeten Befreiungskriege gegen Napoleon, um der zahlreichen Soldaten zu gedenken, die zwischen 1813 und 1815 gefallen waren. Begangen wird der Gedenktag traditionell am letzten Sonntag vor dem 1. Advent. Vgl. Merkel, Feste und Feiertage IV, S. 128. Kaiser, Sie wollen gar nicht, S. 70. Vgl. Kaiser, Von Helden und Opfern, S. 232.

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zu überlassen«.131 Sie seien, so Ritter weiter, »reinen Herzens« ins Feld gezogen, im »ehrlichen Glau­ben, für eine gute Sache zu kämpfen, und ohne Ahnung von den wahren Hin­ter­gründen dieses Krieges«.132 Auch auf die grundsätzliche Verlogenheit des militärischen Heldenbildes wies er hin:

»Wer selber einmal Soldat gewesen ist und im Feuer großer Schlachten gestanden hat, der weiß, wie richtig das ist und wie verlogen geradezu jede Gefallenenehrung, die ohne weiteres voraussetzt, dass die Gefallenen alle ›Helden‹ waren – Helden im populären Sinn des Wortes, das heißt Männer ohne Furcht. Er weiß von der allgemeinen Todesangst, in der sich in Wahrheit jedes Schlachtgemetzel voll­zieht.«133

Wilhelm Ahlhorn und Hermann Ehlers, beide Ehrenpräsidenten des VDK, vertraten 1950 und 1951 ähnliche Ansichten wie Ritter.134 1951 wies der VDK auch den Begriff des Helden als Kennzeichen des Wehrmachtsoldaten zurück: »Man nannte den Soldaten einen Helden. Und doch wollte er selbst gar kein Held sein. Ihm war das große, unerbittliche Gesetz des Krieges aufgezwungen, daher kannte er nur eines: die Pflicht [...] Er muss lernen zu töten und wird vielleicht selbst den Tod erleiden.«135

Auf diese Weise entwickelte sich in den ersten Jahren der Bundesrepublik ein neues Verständnis des Soldatentodes. Zum einen erfolgte der Bruch mit dem Heldenkult, zum anderen verschränkten sich die beiden Opferbegriffe sacrificium und victima miteinander, und der eine trug Merkmale des anderen in sich.136 Mittels eines modifizierten Opferbegriffs und durch die Exkulpierung der Wehrmacht gelang es VDK und Veteranenverbänden, dass man nun auch die Toten der Wehrmacht unter die Opfer des Nationalsozialismus zählte und sie zu Subjekten des staatlichen Totengedenkens wurden. Eine herausgehobene Stellung der gefallenen Wehrmachtsoldaten innerhalb des offiziellen und öffentlichen Totengedenkens erreichten VDK und Veteranenverbände jedoch nicht. Ihr Gefallenengedenken entwickelte sich parallel zum bundesrepublikanischen Totenkult. Beide standen in einem permanenten Spannungsfeld.137 Am 16. Juni 1964 weihte Bundespräsident Heinrich Lübke (CDU) im Bonner Hofgarten das Ehrenmal der Bundesrepublik Deutschland ein. Gewidmet »den Opfern der Kriege und der Gewaltherrschaft«, war es das erste deutsche Monument, das die Toten des Krieges wie auch die Opfer des NS-Regimes gemeinsam ehrte.138 Sprachlich wurde diese nunmehr sehr breit gefasste Opfergemeinschaft ab 1962 in der neuen Gedenkformel der Bundesrepublik festgelegt: »Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft«. Am 1. Juli 1965 erhielt diese Formel im »Gesetz über die 131 132 133 134

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Ritter, Vom Sinn des Todesopfers, S. 15 f. Ebd., S. 15. Ebd., S. 23. Vgl. Ihr seid nicht allein und verlassen in Eurem Leid, S.  27; Ansprache des Präsidenten des Deutschen Bundestages Dr. Hermann Ehlers am 18.2.1951 in der Gedenkstunde des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge im Bundeshaus zu Bonn. Lefevre-Osten, Eure Gräber und Kreuze mahnen!, S. 122. Vgl. Kaiser, Sie wollen gar nicht, S. 71; Am Volkstrauertag, S. 99. Vgl. Kaiser, Sie wollen gar nicht, S. 70; Hettling, Die zwei Körper, S. 164. Vgl. Kaiser, Von Helden und Opfern, S. 287.



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Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft (Gräbergesetz)« ihre juristische Form. Der Tod im Kampf unterschied sich in dieser Perspektive im Prinzip allerdings nicht vom Sterben im Konzentrationslager. Und nicht nur der gefallene Soldat erhielt einen Teil der aktiven Opferrolle zurück, sondern auch die Toten der NS-Verbrechen wurden, ein wenig zumindest, zu tätigen, zu aktiven Opfern. Auf diese Weise wurden die Soldaten zu »unschuldigen Helden« und die NS-Toten zu »heldenhaften Opfern«.139 1956, im Jahr nach Gründung der Bundeswehr, stellte der VDK auch die Frage, wie es in den Zeiten des Kalten Kriegs und der Atombombe um den »Tod fürs Vater­ land« stehe: »Die Technisierung des Krieges wird immer wieder zu einer Totalisierung des Krieges führen und so dem Tod fürs Vaterland seinen alten Adel nehmen, weil er nach den Nicht­ soldaten ebenso greift wie nach den Soldaten [...] So widerlegt der Krieg sich selbst, so wird er, statt die berühmte Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln zu bleiben, vom Diener zum Herrn, zum Dämon, der den Sieger wie den Besiegten frisst. Der Mensch, statt sich zu opfern, wird geopfert [...] Wir mögen es bedauern, dass die im Tod fürs Vater­land bewährte Opferbereitschaft den Menschen der Zukunft verloren geht. Aber wir können den Krieg nicht rufen, um die Menschen zu erziehen.«140

Bereits 1947 erkannte Ritter, dass ein Krieg im Zeitalter nuklearer Vernichtung unbedingt vermieden werden müsse und es daher »keine dringlichere Aufgabe für unsere Generation« gebe, »als ihn zu verhindern«141. Denn die Vernichtungskraft der Atombombe unterscheide nicht mehr zwischen Soldaten und Zivilisten. Und daher lasse sie für die heroische, die stellvertretende Opferbereitschaft des Soldaten keinen Raum mehr: »Im Zeitalter des totalen Krieges und der Atombombe bedeutet er [der Krieg] doch buchstäblich nichts anderes als Selbstvernichtung der Menschheit.«142 Anlässlich des Volkstrauertages 1956 redete auch der Historiker Hermann Heimpel in seiner Ansprache »Über den Tod für das Vaterland« dem Ende des Heroischen das Wort. Ausgangspunkt war die Frage, ob es den sinnhaften Opfertod fürs Vaterland noch geben könne. Er verneinte die Frage und warnte eindringlich vor der Rückkehr zu Romantisierung und Verklärung des Soldatentodes, denn der moderne Krieg dürfte »die auf Sieger und Besiegte gleichmäßig zurückschlagende Massenvernichtung sein«143. Auch für den britischen Militärhistoriker John Keegan begann die Ära des Postheroischen spätestens mit dem nuklearen Zeitalter. Der Diskurs in der frühen Bundesrepublik über den Begriff des Opfers, das Bild des Soldaten und über die Möglichkeit künftiger Kriege stützte diese Annahme. Ebenso die Umfrage, die das Allensbacher Institut für Demoskopie im Herbst 1964 durchführte. Das 139

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Vgl. Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft (Gräbergesetz) vom 1. Juli 1965, S. 589‑592; Hettling/Echternkamp, Heroisierung, S. 140; Kaiser, Von Helden und Opfern, S. 285, 289‑291. »Und setztet ihr nicht das Leben ein ...«, S. 84 f. Ritter, Vom Sinn des Todesopfers, S. 26. Ebd.; vgl. Münkler, Der Wandel des Krieges, S. 313; Kümmel, ›Gestorben wird immer‹!?, S. 95. Heimpel, Über den Tod für das Vaterland, S. 18.

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Ergebnis: Knapp 20 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs gab die Mehrheit der Bundesbürger an, dass sich der Tod fürs Vaterland nicht lohne.144 Die postheroische Gesellschaft ist militärisch nur eingeschränkt handlungsfähig, denn die casualty shyness ist ihr immanent. Und im Zeitalter des vielfachen militärischen overkill und der Massenvernichtung kann der Tod des Soldaten fürs Vaterland kein individuelles und heroisches Selbstopfer mehr sein. Doch auch postheroische Gesellschaften geraten in bündnis- und außenpolitische Konstellationen und Verpflichtungen, in denen sie auf die Opferbereitschaft ihrer Soldaten angewiesen sind. Das Dilemma ist damit vorgezeichnet.145 Fast dreißig Jahre lang trug die offizielle Gedenkformel »den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft« zum gesellschaftlichen Frieden in der Bundesrepublik bei. Doch mit dem Ende des Kalten Krieges änderten sich die geopolitischen Konstanten fundamental. Auch ein Einsatz der Bundeswehr im Ausland und im Rahmen der Vereinten Nationen war plötzlich möglich. Kambodscha (1992) stand am Anfang, es folgten Missionen in Georgien (1994), im Kosovo (1999) und schließlich in Afghanistan (2002).146 Und spätestens mit den ersten Bundeswehrsoldaten, die bei diesen Auslandseinsätzen ihr Leben verloren, wurde die »postheroische« Gedenk­ formel von 1965, »den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft«, obsolet. Denn das Moment des aktiven Selbstopfers im Sinne von sacrificium, das die im Ausland ge­ fallenen Bundeswehrsoldaten kennzeichnet, schließt diese Formel aus. Der Histo­riker Martin Sabrow bezeichnet die Bundesrepublik daher als »postheroische Ge­dächt­nis­gesellschaft«147. Ein Staat jedoch, der von seinen Soldaten potenziell den aktiven Kampf und den Opfertod einfordert, kann diese im Fall der Fälle nicht einfach pauschal zu passiven Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft erklären.148 Er bedarf einer Sprachregelung, die klar und deutlich die Tatsache in den Vordergrund rückt, dass diese Soldaten aktiv und freiwillig ihr Leben für einen Auftrag opfern, den ihnen die Bundesrepublik Deutschland erteilt. Eine Sprachregelung, die diese Soldaten angemessen würdigt und ehrt und für ein dauerhaftes Gedenken im Rahmen einer Memorialkultur von Bundeswehr und Bundesrepublik sorgt – auch wenn dieser postheroische Staat einer solchen Erinnerung nicht mehr um seiner Selbstvergewisserung willen bedarf. Der Militärhistoriker Rudolf J. Schlaffer sieht angesichts der neuen Herausforderungen, vor denen Bundesrepublik und Bundeswehr stehen, sogar die Notwendigkeit einer »neoheroischen Gesellschaft«149.

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Vgl. Keegan, The Mask of Command, S.  311‑351; Der Tod fürs Vaterland. In: Der Spiegel, 7.10.1964. Vgl. Leonhard, Die postheroische Gesellschaft, S.  106; Münkler, Militärisches Totengedenken, S. 28. Vgl. Kaiser, Von Helden und Opfern, S. 287 f.; BMVg, Die Bundeswehr im Einsatz, S. 66 f., 86, 97. Sabrow, Die postheroische Gedächtnisgesellschaft, S.  311. Vgl. Hettling, Gefallenengedenken – aber wie?, S. 69. Vgl. Hettling, Militärisches Totengedenken, S. 15. Vgl. Schlaffer, Die Bundeswehr auf dem Weg zur »Armee im Einsatz«, S. 255; Münkler, Militärisches Totengedenken, S. 28.



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3. Für den Schutz des Sozialismus: Tod und Totengedenken in der NVA Das Gedenken und die Ehrung der Toten in der NVA unterlagen ganz der staatlichen Kontrolle und Lenkung. Sie dienten in erster Linie der politischen Propaganda und der Selbstdarstellung des sozialistischen Staates.150 Die am 18.  Januar 1956 beinahe zeitgleich mit der Bundeswehr im Rahmen des Warschauer Pakts aufgestellte NVA diente zunächst der Machtabsicherung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Formal unterstand sie dem Ministe­rium für Nationale Verteidigung in Strausberg (MfNV), unterlag aber in hohem Maß der Kontrolle der Partei. Nach dem Vorbild der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) übte auch die SED direkten Einfluss auf die NVA aus. Ihre führende Rolle in die NVA sicherte sich die SED dabei durch die Politische Haupt­verwaltung (oberste Politverwaltung innerhalb der NVA), die der Partei direkt unterstand. Darüber hinaus waren fast 100 Prozent der Offiziere sowie ein großer Teil der Fähnriche (seit 1973) und Berufsunteroffiziere Mitglieder der SED. Die Kommandeure gehörten oft den Parteileitungen der Grundorganisationen der SED an.151 Sie mussten sich daher an deren Beschlüssen orientieren und waren in ihren Entscheidungen keineswegs frei. Überdies sorgte das Ministerium für Staatssicherheit mittels zahlreicher offizieller und inoffizieller Mitarbeiter innerhalb der NVA für eine Kontrolle der Armee. In den 1970er- und 1980er-Jahren galt die NVA neben der sowjetischen Armee militärisch und politisch als die zuverlässigste des Warschauer Paktes.152 Dieser umfassenden Überwachung unterlag auch das Totengedenken in der NVA. Es war die Partei, die entschied, welcher Todesfall innerhalb der Armee und später auch der Grenztruppen aufgrund seiner politischen Implikationen erinnerungswürdig und tauglich für die Propaganda war und welcher aus Gründen der Parteiräson bagatellisiert und marginalisiert wurde. Eine eigene bzw. binnenmilitärische und kameradschaftliche Trauer- und Gedenkkultur konnte sich unter diesen Umständen innerhalb der Armee nicht entwickeln. Die genaue Zahl der Soldaten, die in Ausübung ihres Dienstes zwischen 1956 und der Auflösung der NVA am 2. Oktober 1990 zu Tode kamen, war nicht zu ermitteln. Die Anzahl der Todesfälle wurde zwar regelmäßig in den Kollegiumsprotokollen und Berichten der Militärjustiz an das MfNV vermerkt. Allerdings änderten sich permanent die statistischen Kriterien wie etwa die Zeiträume der Erfassung und sogar der relevante Personenkreis.153 150

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Auch wenn die Autorin nicht auf die NVA eingeht, sei hier dennoch auf die Dissertation von Jane Redlin verwiesen, da sie ein grundsätzliches Verständnis über die politische Funktion der Toten­ ehrung in der DDR vermittelt. Vgl. Redlin, Säkulare Totenrituale. Vgl. Diedrich, Herrschaftssicherung, S. 266‑268. Vgl. Glaser/Wenzke, Kann man in der NVA Traditionswerte für die Bundeswehr finden?, S. 125 f.; Wolf, Das Ministerium für Staatssicherheit; Kutz, Deutsche Soldaten, S. 139. Mitunter wurden alle Armeeangehörigen zusammengefasst, ohne dass differenziert wurde in zivile oder militärische Mitarbeiter. Im Rahmen einer anderen Erhebung wurden beispielsweise auch Angehörige des Zivilschutzes in die Statistik mit einbezogen. Vgl. Gespräch mit Dr. Rüdiger

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Zuverlässige Schätzungen gehen im Zeitraum von 1956 bis 1971 von rund 700 im Dienst ums Leben gekommenen NVA-Soldaten aus. Bis zum Ende der NVA pendelte sich die Zahl bei durchschnittlich weit über 100 jährlichen Todesfällen ein. Insgesamt verloren damit wohl mindestens 2500 Soldaten der NVA in Ausübung des Dienstes ihr Leben.154 Bis auf wenige Ausnahmen zu Zwecken der Propaganda, wie etwa der Über­ höhung von Grenzsoldaten zu Helden, weil diese unter Einsatz ihres Lebens z.B. eine Republikflucht verhinderten, versuchte die SED die Todesfälle kleinzureden, um­zu­interpretieren und, wenn möglich, sogar zu verschweigen. Hinsichtlich der Todesarten zeigen sich Parallelen zur Bundeswehr, aber auch Unterschiede. Die Übereinstimmungen erklären sich durch die Tatsache, dass auch die NVA wie die Bundeswehr bis 1990 zu keinem Zeitpunkt aktiv in Kriegshandlungen verstrickt war. Und ähnlich wie die Bundeswehr hatte auch die NVA den Auftrag der Landesverteidigung und war Teil eines multinationalen Verteidigungsbündnisses. Im Gegensatz zur Bundeswehr aber nahmen die Grenztruppen der DDR ab 1961 zeitweise den Rang einer eigenen Teilstreitkraft innerhalb der NVA ein. Dem MfNV waren sie bis zum Ende der DDR unterstellt.155 Wie im Fall der Bundeswehr bis 1990 waren die meisten Toten der NVA Unfalltote aufgrund von Fahrlässigkeit, Vernachlässigung von Sicherheitsbestimmungen und Verkehrsvorschriften, Materialfehlern, höherer Gewalt und gewiss auch, obwohl offiziell nicht eingestanden, Alkoholkonsum. Auch Sportunfälle und Unglücke im Rahmen der militärischen Ausbildung und während der Gefechtsübungen waren eine häufige Todesart in der NVA, ebenso wie Suizide.156 Um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen, kann auf sie nicht näher eingegangen werden. Einen bedeutenden Unterschied zwischen Bundeswehr und NVA allerdings bildeten die Todesfälle von NVA-Angehörigen an der innerdeutschen Grenze, denn wie bereits dargelegt, war die NVA zeitweise auch für den Schutz der Außengrenzen zuständig. Nach offiziellen Angaben der DDR verloren insgesamt 17 Grenzsoldaten an der innerdeutschen Demarkationslinie ihr Leben.157

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Wenzke, Leiter des Forschungsbereiches »Militärgeschichte nach 1945« des ZMSBw am 12.8.2016; Leonhard, ›Armee der Einheit‹, S. 72. Vgl. Wenzke, Ulbrichts Soldaten, S.  525  f.; auch: Anlage  5 Protokoll über die Sitzung des Kollegium vom 28.8.1972, BArch, DVW 1/55567. Das Protokoll, das die oben genannte Zahl von über 100 jährlichen Todesfällen bestätigt, erfasste tödlich verletzte Armeeangehörige von 1968 bis 1972; daraus ergibt sich die Mindestzahl von 2500 für den gesamten Zeitraum. Eine sicher belegte Gesamtzahl konnte nicht gefunden werden. Formell wurden die Grenztruppen aufgrund der KSZE-Verhandlungen 1973 offiziell aus der NVA ausgegliedert. Sie unterstanden formell aber immer noch dem Minister für Nationale Verteidigung. Vgl. Glaser/Wenzke, Kann man in der NVA Traditionswerte für die Bundeswehr finden?, S. 126. Vgl. Wenzke, Ulbrichts Soldaten, S. 507, 511. DDR-Angaben zufolge wurden 16 Angehörige der Grenztruppen an der innerdeutschen Grenze getötet. Nach 1989 wurden noch zwei weitere Todesfälle benannt, von denen allerdings nur einer belegt ist. Die Gesamtzahl an DDR-Grenzsoldaten, die an der innerdeutschen Grenze ihr Leben verloren, liegt bei 27. Nicht in der Mortalitätsstatistik der NVA inbegriffen sind die Todesfälle zwischen 1950 und 1956, da die Grenze in diesen Jahren noch von der 1946 gegründeten Grenzpolizei



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Vergleichsweise große Teile der NVA befanden sich in ständiger Gefechts­bereit­ schaft. Allerdings ließ sich anhand der vorliegenden Quellen nicht zweifelsfrei belegen, ob, wie häufig vermutet wird, tatsächlich dieses Ausmaß der Gefechtsbereitschaft ursächlich war für die im Vergleich zur Bundeswehr höhere Zahl von Unfällen und Todesopfern.158 Der vermutlich erste tödliche Unfall in der NVA ereignete sich am 10. September 1957. Ein Kampfflugzeug des Typs MiG-15 BIS kippte bei der Landung ab, und dabei kam der Pilot ums Leben. Allein im Juli 1960 ereigneten sich bei einer besonders dramatischen Unglücksserie im Bereich des Kommandos der Luftstreitkräfte und Luftverteidigung vier Flugunfälle, bei denen zwölf Menschen den Tod fanden. In zwei Fällen waren MiG-Flugzeuge involviert.159 Am 14.  Januar 1975 ereignete sich der wohl spektakulärste Unfall mit einem MiG-Jagdflugzeug. Beim Landeanflug auf den Armeeflugplatz Cottbus löste sich eine Klappe der MiG-21, das Triebwerk der Maschine zog Luft und ging aus. Der Flieger stürzte ab und bohrte sich frontal in einen Wohnblock, der unmittelbar an das Textilkombinat Cottbus mit seinen Tausenden von Angestellten grenzte. Beim Aufprall explodierte die Maschine, der Pilot und fünf Bewohnerinnen des Hauses kamen ums Leben, 16 weitere Menschen trugen schwere Verletzungen davon. Nur durch die Tatsache, dass der Pilot im letzten Moment und wohl unter Einsatz des eigenen Lebens eine Kursänderung vornahm, wurde eine verheerende Katastrophe verhindert.160 Weitere bekannte Gründe für Unglücke, bei denen Soldaten der NVA ums Leben kamen, sind explodierende Munition,161 Unfälle mit Panzerfahrzeugen162 oder

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bewacht wurde. Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft 13.  August aus dem Jahr 2004 starben allerdings nicht 27, sondern insgesamt 37  Grenzsoldaten in Berlin und an der innerdeutschen Grenze. Sie wurden aus propagandistischen Gründen nicht in der »Heldenliste« geführt, da sie von Flüchtlingen aus den »befreundeten sozialistischen Bruderstaaten« Polen, der ČSSR und von sowjetischen Staaten getötet wurden und die DDR-Führung nicht zugeben wollte, dass Flüchtlinge aus diesen Ländern sich den Weg an der innerdeutschen Grenze freigeschossen hatten. Vgl. Ullrich, Geteilte Ansichten, S. 133 f. Vgl. Rogg, Armee des Volkes?, S. 281‑284. Das Jagdflugzeug MiG (Mikojan-Gurewitsch) wurde in der Sowjetunion produziert und war in gewisser Weise das Pendant des Warschauer Pakts zum Kampfflugzeug Starfighter, das die Bundeswehr zeitgleich nutzte. Vgl. Stünkel, Ungleiche Gegner, S.  50‑57; Verluste im JG-2, (letzter Zugriff 6.9.2021); Wenzke, Ulbrichts Soldaten, S. 518. Vgl. Wendler, Im Januar 1975 raste eine MiG-21 in Cottbus in ein Wohnhaus. In: Lausitzer Rundschau, 26.2.2014. Sofort nach dem Unfall riegelte man die Unfallstelle hermetisch ab. Als sie zwei Tage später wieder freigegeben wurde, war das Loch in der Hausfront mit Waschbeton geflickt. Äußerlich erinnerte nichts mehr an das Unglück. Die Stasi versuchte, die Katastrophe geheim zu halten. Der Pilot bekam posthum, weil er eine noch größere Katastrophe verhindert hatte, den Kampforden »Für Verdienste um Volk und Vaterland« der DDR in Gold verliehen. Im August 1968 stürzte ein Schützenpanzerwagen des Mot.-Schützenregiments 16 bei Schönheide in eine Mulde. Dabei explodierte die Munition, die in dem Fahrzeug lagerte. Zwei der zwölf Insassen des Wagens wurden dabei getötet. Vgl. Wenzke, Wo stehen unsere Truppen?, S. 124 f. Am 28. Februar 1962 kam ein Panzer während einer Nachtübung von der Fahrbahn ab und stürzte vier Meter tief von einer Brücke in einen Bach. Der Fahrer des Panzers wurde dabei tödlich verletzt. Vgl. ebd., S. 511 f.

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Unfälle bei der Bergung von Kampfmaterial163 sowie das Kentern von Booten der Marine164. Die schwerste Havarie der Volksmarine ereignete sich am 31.  August 1968. Während einer seit dem 21.  August aufgrund des Prager Frühlings bestehenden er­höhten Gefechtsbereitschaft der NVA erhielten die Kommandanten der Torpe­ do­ schnell­ boote  843 »Erich Kuttner« und 844 »Willi Bänsch« den Befehl, die »Sofortbereitschaft« herzustellen. Dazu verließen sie in den frühen Morgenstunden den Hafen Darßer Ort mit dem Auftrag der Aufklärung und der Begleitung der angeblich in die Operationszone der Volksmarine eingedrungenen westdeutschen Fregatte F 223 Karlsruhe. Es herrschte dichter Nebel. Plötzlich tauchte unmittelbar neben Torpedoschnellboot 844 der Bug eines schwedischen Fährschiffes auf. Für ein Ausweichmanöver blieb keine Zeit, das Marinefahrzeug und die Fähre kollidierten. Sieben Soldaten der Volksmarine starben. Später führte man die Ursache des Unglücks auf das eklatante Fehlverhalten des Kommandanten von Torpedoschnellboot  844 zurück, der die »allgemein geltenden Besonderheiten terrestrischer Navigation bei Fahrt im Nebel« missachtete.165 Vergleichsweise wenige Todesfälle hatten die Grenztruppen zu verzeichnen, obwohl diese mit durchschnittlich 44 000 Mann neben den Landstreitkräften eine beträchtliche Stärke erreichten.166 Insgesamt verloren bis 1990 nur 17  Soldaten der Grenztruppen unmittelbar bei der Ausübung ihres Dienstes an der Grenze ihr Leben. Etwa die Hälfte dieser Grenzsoldaten, insgesamt neun, starb bei Schusswechseln an der DDR-Grenze. Die einen wurden von desertierenden Grenzern erschossen, welche die Flucht in den Westen wagten,167 die anderen gerieten versehentlich ins Feuer der eigenen Kameraden.168 Die übrigen getöteten Grenzsoldaten fielen Zivilisten zum Opfer, die sich ihren Weg in den Westen freischossen.169 163

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Im Jahr 1979 erhielt eine Panzerkompanie während eines Panzermarsches von ihrem Kommandeur den Befehl, mit ihrem Kampfpanzer einen anderen, durch eine Havarie beschädigten Panzer zu bergen. Durch eine Verletzung der Sicherheitsvorschriften wurde ein Panzerkommandant eingequetscht und kam uns Leben. Vgl. Information des Militärjustizorgans an das Kollegium des MfNV, Information über die im Jahr 1979 verurteilten Angehörigen der Nationalen Volksarmee, der Grenztruppen der DDR und der Zivilverteidigung, 15.1.1980, Bl. 11, BArch, DVW 1/55616. Am 26. Juli 1959 versuchten zwei Matrosen befehlswidrig, ein Schlauchboot über die Heckwulst ihres Schiffes auszusetzen und während der Fahrt in dieses einzusteigen. Das dabei kenternde Schlauchboot wurde durch die Schrauben des Schiffs unter Wasser gezogen. Einer der beiden Matrosen verunglückte tödlich. Vgl. Wenzke, Ulbrichts Soldaten, S. 514 f. Vgl. ebd., S. 515‑517; Pfeiffer, Untergang im Kalten Krieg, S. 32‑35. Vgl. Ritter/Lapp, Deutschland grenzenlos, S. 12. Vgl. Maurer, Halt – Staatsgrenze!, S. 226. Im Gegensatz zu den Zahlen der Todesopfer an der Mauer müssen diese Zahlen kritisch betrachtet werden. Nicht in jedem Fall konnte der Wahrheitsgehalt der offiziellen Überlieferung zu diesen Fällen bestimmt werden. Hinzu kommt, dass einige Grenzsoldaten wohl von fahnenflüchtigen sowjetischen Soldaten getötet wurden. Aus Rücksicht auf die »sozialistischen Bruderstaaten« wurden diese nicht in die offizielle Statistik, die »Heldenliste«, aufgenommen. Vgl. ebd.; auch: Ullrich, Geteilte Ansichten, S. 134. Neben Reinhold Huhn ist noch Siegfried Widera, Angehöriger der 5.  Kompanie des Grenz­ regiments  42, zu erwähnen, der am 8.  September 1963 in Berlin am Grenzübergang zwischen Treptow und Neukölln von Republikflüchtlingen mit einer Eisenstange erschlagen wurde. Vgl. Chronik der Mauer, Todesopfer Siegfried Widera, (letzter Zugriff 6.9.2021). Seit dem Bau der Mauer im August 1961 sind keine Fälle von Grenzsoldaten bekannt, die von Zivilisten getötet wurden. Vgl. Gedenkstätte Berliner Mauer, Reinhold Huhn, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. Gespräch mit Dr. Rüdiger Wenzke, Leiter des Forschungsbereiches »Militärgeschichte nach 1945« des ZMSBw, am 12.8.2016. Vgl. Maurer, Halt – Staatsgrenze!, S. 226 f.

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Revolution«175, die »im Kampf gegen den heimtückischen Feind ihr Leben für die Heimat«176 gaben. Denn die Grenze, der »antifaschistische Schutzwall«177, war nicht nur ein zentrales Symbol für die DDR. Sie sicherte auch mit aller Gewalt die Autonomie und die staatliche Integrität der DDR. An keinem anderen Ort wurde der Schwur des Fahneneides, die DDR vor Feinden zu schützen, so unmittelbar einer Bewährungsprobe unterzogen wie an der Grenze. Die Staatsführung sprach deshalb auch vom Grenzregime als »Frontdienst in Friedenszeiten«178. Und im »Ratgeber für den Grenzsoldaten« von 1988 findet man für die überragende Bedeutung der Soldaten an der Staatsgrenze folgende Worte: »Grenztruppen des Sozialismus – das heißt vor allem Verteidiger des Friedens. Ihn zu erhalten, darin verdichtet sich der Sinn unseres Soldatseins im Sozialismus.«179 Für die als Vorbilder, als Helden verehrten Grenzsoldaten rief die Führung der DDR eine Gedenk- und Erinnerungskultur ins Leben, die über die NVA hinausund weit in die Gesellschaft der DDR hineinreichte.180 Das Gedenken für die toten Grenzsoldaten der NVA erfolgte auf mehreren Ebenen. Unmittelbar nach seinem Tod wurde der Soldat mit einer Trauerzeremonie mit Ehrenwache und einer Beisetzung mit militärischen Ehren gewürdigt.181 Dieses Zeremoniell stand im Prinzip jedem getöteten Soldaten zu, Selbstmörder ausgenommen. Im Fall der von der SED-Führung als Vorbilder ausgewählten Grenzsoldaten allerdings nahmen Trauerfeier und Beisetzung regelrecht den Charakter eines Staatsaktes an, wie auch im Fall Huhn. Ab 1972 regelte und normierte auch eine vom Minister für Nationale Verteidigung erlassene »Ordnung über militärische Zeremonielle«182 das Ritual. Die darin aufgeführten Elemente haben ihren Ursprung in traditionellen Formen des militärischen Trauerzeremoniells und ähnelten somit im Wesentlichen denen der Bundeswehr. Zunächst fand eine Trauerfeier in der Kaserne bzw. am Standort des getöteten Soldaten statt. Im Mittelpunkt der Zeremonie standen dabei ein Großporträt und der Sarg des Toten, bedeckt mit der Staatsfahne der DDR. Auf der Fahne lag der Stahlhelm des Verstorbenen und davor wurden auf einem Kissen seine Orden präsentiert. Die Ehrenwache am Sarg hielten vier Soldaten mit dem gleichen Dienstgrad wie der Tote.183 Nach den Ansprachen intonierte eine Militärkapelle einen Trauermarsch, häufig das »Unsterbliche Opfer«, ein russisches Musikstück. Die Wahl dieses Marsches offenbart die Tradition, in der sich DDR und NVA sahen. Denn der 175 176 177 178

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Lapp, Grenzregime der DDR, S. 432. Baumgartner, Auf Kampfposten im Geiste revolutionärer Vorbilder. In: ND, 24.11.1979. Vgl. Rogg, Armee des Volkes?, S. 44. Diese Parole wurde später ersetzt durch »Grenzdienst sei Gefechtsdienst im Frieden«. In den 1980er-Jahren tauschte man sie aus gegen die neutralere Bezeichnung »Waffendienst im Frieden«. Vgl. Lapp, Grenzregime der DDR, S. 120. Vgl. Vom Sinn des Soldatseins (1988), S. 21. Ein konkretes Beispiel für diese breite Gedenkkultur findet sich hier: Baade, Der Tod des Grenz­ soldaten, S. 71‑108. Vgl. ebd., S. 71‑87. NVA, Offiziershochschule der LSK/LV »Franz Mehring«, Auszüge aus der Ordnung Nr. 010/9/005 des Ministers für Nationale Verteidigung über militärische Zeremonielle vom 22.  Juni 1979, 2. Aufl. Vgl. ebd., Ziff. 57/1-57/3d, 63; Baade, Der Tod des Grenzsoldaten, S. 71.



II. Historische Grundlagen moderner Gefallenenehrung

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Marsch, der an die Toten der Russischen Revolution von 1905 erinnert, zählt zu den bekanntesten Liedern der Arbeiterbewegung. Deshalb war diese Komposition auch in der NVA fest verwurzelt und wurde nicht nur anlässlich von Trauerfeiern gespielt, sondern war auch Teil des Großen Zapfenstreiches der NVA. Auch jenseits der NVA spielte dieses Stück eine bedeutende Rolle, denn es erklang ebenso bei der staatlich organisierten Demonstration an der Gedenkstätte von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am Zentralfriedhof in Berlin Friedrichsfelde anläss­lich des Todestags der beiden Sozialistenführer.184 Im Anschluss an die Trauerfeier am Standort des Getöteten überführte man den Sarg in dessen Heimatort. Hier fand die Beisetzung – Sarg oder Urne – statt. In der Trauerhalle des örtlichen Friedhofs wartete eine weitere Zeremonie: Der aufgebahrte Sarg oder die Urne wurde mit Kränzen und Ordenskissen geschmückt, eine Ehrenwache nahm Aufstellung. Dann erfolgten Ansprachen lokaler Persönlichkeiten, die den Soldatentod im Sinne der Partei einordneten. Der Nachruf des militärischen Vertreters erfolgte am Grab.185 An die Trauerfeier schloss sich die Beisetzung mit militärischen Ehren an. Ehren­ geleit, Musikkorps, Träger von Sarg, von Kranz- und Ordenskissen und Ange­hörige geleiteten den Toten zum offenen Grab, Trauermusik erklang. In dem Moment, in dem der Sarg sich ins Grab senkte, setzte ein Trommelwirbel ein, die Truppen­fahne wurde gesenkt. Darauf erfolgte das Kommando für die drei Ehren­salven. In der Bundeswehr gab es diesen Ehrensalut, der dem tradierten Fundus des militärischen Trauerzeremoniells entstammt und bis 1945 obligatorischer Bestandteil dieses Rituals war, nicht. Abschließend intonierte das Musikkorps erneut einen Trauermarsch, um dann zusammen mit der Ehrenwache von der Grabstätte abzumarschieren.186 Die zu Volkshelden erklärten Toten bestattete man in einem Ehrengrab. In der Regel waren diese Gräber einheitlich gestaltet: Ein einfacher quadratischer und weißer Steinblock, auf dem das Wappen der DDR, Dienstgrad, Name und Lebensdaten des Toten eingraviert waren. Durch das Wappen der DDR, das ebenso Teil der Dienstfahnen und Dienstembleme der NVA war, vereinnahmte die DDR diese Toten für sich und reklamierte sie als Tote des Staates, um so das Nationalbewusstsein der Armeeangehörigen zu fördern. Im Mittelpunkt stand nicht der konkrete Mensch, sondern der Soldat, der Held, der von einem mörderischen Feind des Systems bei der Verteidigung von Heimat und Sozialismus sein Leben opferte. Gelegentlich wurde der tote Held sogar posthum durch den Minister für Nationale Verteidigung beför184

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Vgl. Waldmann, Lieder der Arbeiterbewegung, o.S.; Deisenroth, Der Große Zapfenstreich der Nationalen Volksarmee, S. 15a; Vom Sinn des Soldatseins (1979); Ehrendes Gedenken. In: ND, 14.1.1974. Vgl. NVA, Offiziershochschule der LSK/LV »Franz Mehring«, Auszüge aus der Ordnung Nr.  010/9/005 des Ministers für Nationale Verteidigung über militärische Zeremonielle vom 22. Juni 1979, 2. Aufl., Ziff. 64/1 und 64/2; Baade, Der Tod des Grenzsoldaten, S. 80 f. Vgl. NVA, Offiziershochschule der LSK/LV »Franz Mehring«, Auszüge aus der Ordnung Nr.  010/9/005 des Ministers für Nationale Verteidigung über militärische Zeremonielle vom 22. Juni 1979, 2. Aufl., Ziff. 66/1-66/3, 67, 80. Siehe Kap. VI.2.a. Vgl. Stein, Symbole, S. 279; BMVg, ZDv 10/8 »Militärische Formen und Feiern der Bundeswehr«, Juni 1983, Kapitel  3: Trauerfeiern, Juni 1991.

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dert und mit Medaillen und Orden wie dem Kampforden »Für Verdienste um Volk und Vaterland« ausgezeichnet.187 Die staatliche Beanspruchung des Toten zeigte sich auch darin, dass dessen Angehörige weder die Wahl des Bestattungsortes noch die Gestaltung des Grabes beeinflussen konnten. Das Ehrengrab wurde so ausschließlich zum Ort staatlicher Gedenk­veranstaltungen und Kranzniederlegungen, etwa jährlich am 1. Dezember, dem »Tag der Grenztruppen«. Die Teilnahme an diesen Ritualen war für die Grenzsoldaten verpflichtend.188 Jenseits von Trauerfeier und Grabritual existierten in der NVA noch weitere und in der Regel lokale Formen der militärischen Heldenehrung und des Totengedenkens. Ein typisches Beispiel dafür ist der Fall von Egon Schultz. Der Unteroffizier der Grenztruppen wurde am 5. Oktober 1964 bei einem Schusswechsel an der Berliner Mauer versehentlich von einem Kameraden erschossen. Fünf Tage später erließ der Kommandeur des Grenzregiments 33 den Befehl, dass Unteroffizier Schultz in die Personalliste des Regiments aufzunehmen und als anwesend zu führen sei. Bei jedem Appell wurde Schultz nun als Erster aufgerufen, und ein Kamerad antwortete stellvertretend für ihn. Darüber hinaus benannte man die Unteroffizierstube in »Egon Schultz-Zimmer« um und beließ seine Ecke im Originalzustand, mit Spind und Bett, über dem ein Porträt des Getöteten mit Trauerflor hing.189 Der Held war nun in der Truppe permanent anwesend. Eine weitere Maßnahme, um die Getöteten im Gedächtnis ihrer Einheit präsent zu halten, war die Namenspatronage. Sie war innerhalb der NVA weitaus ausgeprägter als in der Bundeswehr. So wurde etwa die 7. Grenzkompanie von Zarrentin nach einem an der Grenze getöteten Kameraden benannt (»Lutz Meier«), ebenso das Grenzausbildungsregiment 12 in Plauen in Sachsen (»Rudi Arnstadt«).190 Auch die monumentale Erinnerung an getötete Grenzsoldaten in Form von Ehrenhainen mit Gedenktafeln und Gedenksteinen war üblich. Sie fand entweder im öffentlichen oder im militärischen Raum statt. Mindestens acht solche Monumente – Steinquader, Findlinge oder ähnliche Ehrenmale – sind bekannt, aufgestellt von

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Beispielsweise: Letztes Geleit für Ulrich Steinhauer. In: ND, 13.11.1980. Vgl. Wenzke, Die Suche der NVA nach Identität, S. 59. Vgl. Chronik der Mauer, Todesopfer Ulrich Steinhauer, (letzter Zugriff 6.9.2021); »Auch Grenz­ soldaten können Opfer sein.« Maria Nooke, stellvertretende Leiterin der Mauergedenkstätte, über den schwierigen Umgang mit im Dienst getöteten Grenzsoldaten der DDR; Ullrich, Geteilte Ansichten, S. 135. Vgl. Reimer, Familientreffen, S. 95; Frotscher/Liebig, Opfer deutscher Teilung, S. 159; Gedenkstätte Berliner Mauer, Egon Schulz, (letzter Zugriff 6.9.2021); NVA, Befehl Nr.  65/64 des Kommandeurs des Grenzregimentes 33, 10.10.1964, Inhalt: Ehrung des Genossen Uffz. Schultz, Egon. Abgedr. in: Baade, Der Tod des Grenzsoldaten, S. 105. Vgl. Baade, Der Tod des Grenzsoldaten, S. 88 f.; Chronik der Mauer, Todesopfer Ulrich Stein­ hauer, (letzter Zugriff 6.9.2021); Kommando Grenztruppen der DDR, (letzter Zugriff 6.9.2021); Frotscher/Liebig, Opfer deutscher Teilung, S. 121.



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der DDR-Regierung oder der NVA. Die meisten dieser Gedenkorte entstanden in den 1950er- und 1960er-Jahren.191 Diese Ehrenhaine wurden entweder auf dem Gelände jener Kasernen errichtet, wo die getöteten Grenzsoldaten dienten, oder dort, wo sie gelebt hatten. Die Haine hoben stets den Vorbildcharakter und das Vermächtnis der Getöteten hervor.192 Diese Absicht propagiert und untermauert auch der Ratgeber für die Grenzsoldaten »Vom Sinn des Soldatseins«:

»Wir handeln im Geiste derer, die ihr Leben für den Schutz der menschlichsten Ordnung, des Sozialismus, gaben. Im revolutionären Handeln Tausender junger Grenzsoldaten unserer Tage wirkt das Vermächtnis all jener, die in treuer militärischer Pflichterfüllung bei der Sicherung unserer Staatsgrenze im Kampf gegen einen heimtückischen Feind gefallen sind.«193

Der »heimtückische Feind« war der Republikflüchtling, der häufig auch der Kamerad des Getöteten war und bei seiner Flucht von der Dienstwaffe Gebrauch machte. Offiziell liest sich das dann z.B. so: »Am 18. Januar 1972 wurde in Ausübung seines Dienstes zum Schutze der Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik der Leutnant Lutz Meier brutal und hinterrücks durch einen Banditen ermordet.«194 Nur in ganz wenigen Einzelfällen war auch der Klassenfeind Bundesrepublik direkt an tödlichen Grenzzwischenfällen beteiligt. So im Fall von Rudi Arnstadt, der am 14. August 1962 von einem Beamten des Bundesgrenzschutzes (BGS) unter nie ganz geklärten Umständen an der deutsch-deutschen Grenze erschossen wurde. Auf seiner Gedenktafel war zu lesen: »In treuer Pflichterfüllung [...] beim Schutz der Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik von Banditen des BGS ermordet«.195 Beispiele solcher Haine auf militärischem Terrain fanden sich im Bereich der Theodor-Körner-Kaserne in Dömitz, dem Standort des III. Grenzausbildungsbatail­ lons; auf den Höfen der Berliner Kasernen Rummelsburg und Friedrich Engels, auf dem Gelände der 7. Grenzkompanie zu Schiercke im Harz und dem der 6. Flottille in Dranske auf Rügen.196 Bei der ersten Version des Gedenksteins von Dranske von 1969 handelte es sich um einen Findling. Er ragte aus einer Steinskulptur, deren Umriss an ein Torpedo­ boot erinnerte. Die Tafel, die in den Findling eingelassen war, nannte Namen und Dienstgrade der getöteten Soldaten und trug folgende Inschrift: »In treuer Pflicht­

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Vgl. Ullrich, Geteilte Ansichten, S. 134 f. Die Inschrift des Gedenksteins auf dem Kasernengelände des III. Grenzausbildungsbataillons in Dömitz betonte beispielsweise den Vorbildcharakter der Getöteten: »Unser Vorbild / Uffz. Peter Göring / Verpflichtung und Mahnung.« Vgl. Frotscher/Liebig, Opfer deutscher Teilung, S. 105. Vgl. Vom Sinn des Soldatseins (1979), S. 29. Kommando Grenztruppen der DDR, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Ullrich, Geteilte Ansichten, S. 135. Vgl. Ullrich, Geteilte Ansichten, S. 142; Schönfelder/Erices, Todessache Rudi Arnstadt. Vgl. Frotscher/Liebig, Opfer deutscher Teilung, S. 13; Baade, Der Tod des Grenzsoldaten, S. 106; Kommando Grenztruppen der DDR, (letzter Zugriff 6.9.2021); Ullrich, Geteilte Ansichten, S. 135; Die Schnellboot-Seite, (letzter Zugriff 6.9.2021).

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erfüllung / zum Schutze / unseres sozialistischen Vaterlandes / der Deutschen Demo­ kra­tischen Republik / gaben sie ihr Leben«.197 1973, am fünften Jahrestag der Havarie, entfernte man das alte Ehrenmonument und ersetzte es durch ein neues Denkmal. Nun ragt ein rötlicher Stein aus dem Boden. Der Findling zeigt das eingravierte Modell der »Willi Bänsch«, und einer vergoldeten Tafel sind wiederum die Namen der Toten und ihre Dienstgrade zu entnehmen. Unterhalb der Namensplatte ist folgende Inschrift zu lesen: »Sie gaben ihr Leben / für den Schutz des Sozialismus«.198 Das neue Ehrenmal weist nicht mehr das martialische Aussehen des alten auf. Auch die Totenwidmung ist verschlankt. Dadurch wollte man jetzt wohl den Unfallcharakter des Geschehens in den Vordergrund rücken, denn der Zusatz »in treuer Pflichterfüllung« entfiel. Und die Soldaten gaben ihr Leben nun nicht mehr explizit für die DDR, sondern für den Schutz des Sozialismus insgesamt. Beispiele für Ehrenhaine im öffentlichen Raum fanden sich in der Grenzgemeinde Wiesenfeld in Thüringen oder in Berlin-Mitte. Auch Reinhold Huhn erhielt neben seinem Ehrengrab einen solchen Ehrenhain auf dem Gelände der Kaserne in BerlinRummelsburg, wo er gedient hatte. Der Hain wurde am 7.  Oktober 1962, dem Jahrestag der Gründung der DDR, eingeweiht.199 Darüber hinaus legte man auch großzügigere Gedenkstätten im öffentlichen Raum an. Beinahe zeitgleich mit seinem Ehrenhain errichtete man für Huhn an der Stelle seines Todes auch ein solches Denkmal in Berlin-Mitte. Ebenfalls am 7. Okto­ ber 1962 weihte der Berliner Stadtkommandant Generalmajor Helmut Poppe das dicht an der Mauer gelegene Monument in der Jerusalemer Straße, Ecke Zimmer­ straße ein. Es handelte sich um eine gewaltige Wand aus Ziegelsteinen, an der vergoldete Lettern verkündeten: »Sein Tod ist uns Verpflichtung – Die Mörder werden ihrer gerechten Strafe nicht entgehen«.200 Vor der Mauer postierte man ein Pult aus Backsteinen mit vergoldetem Lorbeer­ kranz und eiserner Flammenschale. Im Namen aller Grenzsoldaten versprach Major Günter Bliesener, Kommandeur der IV. Grenzabteilung der 1. Grenzbrigade, in seiner Ansprache, dass die Grenzsoldaten auch in Zukunft »treu, fest und standhaft wie Reinhold Huhn [...] die Staatsgrenze der DDR gegen alle Provokationen«201 verteidigen würden. 197 198

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Die Schnellboot-Seite, (letzter Zugriff 6.9.2021). 1990 verlegte man den Gedenkstein auf den Friedhof in Dranske. Die Marinekameradschaft Bug 1992 kümmert sich um seinen Erhalt. Vgl. Marinekameradschaft Bug 1992 e.V., (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Ullrich, Geteilte Ansichten, S. 142; Mörderischer Zufall. In: Spiegel Geschichte, 10.8.2012; Frotscher/Liebig, Opfer deutscher Teilung, S. 113. Nach 1990 wurden die Ehrenhaine in der Regel nach und nach abgebaut. In einigen Fällen gibt es auch keine Fotos mehr von ihnen. Was bleibt, ist die Information darüber, dass es sie gegeben hat. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Ehrenhaine und Gedenksteine, die an dieser Stelle nicht beschrieben werden konnten, in Gestalt und Inschrift den beschriebenen ähneln. Zit. bei: Gedenktafel für Reinhold Huhn. Vgl. Marxen/Werle, Strafjustiz und DDR-Unrecht, Bd 2/2, S. 1078; Volksarmee Nr. 43/1962, S. 5. Volksarmee Nr. 43/1962, S. 5. Vgl. Marxen/Werle, Strafjustiz und DDR-Unrecht, S. 1070.



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1973 wurde das Ehrenmal für Huhn abgebaut und an dessen Stelle das zentrale Denkmal der Grenztruppen der DDR errichtet: ein überraschend schlichtes Monument für eine zentrale Gedenkstätte mit derart hoher ideologischer und propagandistischer Bedeutung. Denn in seiner Präsenz und repräsentativen Wirkung fiel es deutlich hinter das demontierte Ehrenmal zurück. Das neue Denkmal: vier rohe, versetzt aufeinandergestapelte Betonblöcke, flankiert von einer eisernen Flammen­ schale. Der oberste Quader trug die Inschrift: »Ihr Tod ist uns Verpflichtung«. Auf dem Block darunter waren die Namen der bis 1973 getöteten Grenzsoldaten der DDR zu lesen.202 Über die genauen Gründe, warum das zentrale Denkmal der Grenzsoldaten derart bescheiden ausfiel, kann nur spekuliert werden. Aber naheliegend war wohl, dass in den 1960er-Jahren, dem ersten Jahrzehnt der Mauer, der ideologischen Ausein­an­ der­setzung über den »Antifaschistischen Schutzwall« auf jeder Ebene großer Raum gewidmet wurde. Ab Anfang der 1970er-Jahre, der Phase des Machtwechsels von Walter Ulbricht zu Erich Honecker,203 wollte dann die Führung der DDR wohl mehr die Normalität ihres Staates betonen und nicht so plakativ durch ein gewaltiges zentrales Denkmal die Existenz von Mauer und Schießbefehl. Der letzte Todesfall, den die NVA zu beklagen hatte, ereignete sich am 13. Sep­ tem­ber 1990, kaum mehr als zwei Wochen vor Auflösung der Armee. Während einer Vor­führung für den Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestags stürzte eine MiG-23ML in den Greifswalder Bodden ab. Der Pilot war sofort tot.204 Die meisten Gedenkstätten, Denkmäler, Ehrengräber und Erinnerungs­monu­ mente verschwanden nach der Wiedervereinigung und der Abwicklung der NVA einfach aus dem öffentlichen und militärischen Raum. Zum Teil gelangten sie in das Depot des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden, teils verschwanden sie in Depots der betroffenen Gemeinden und teils endeten sie wohl auch als Bauschutt.205 In der heutigen, aktuellen militärischen Erinnerungslandschaft der Bundes­re­ publik Deutschland haben die Toten von NVA und Grenztruppen kaum mehr eine Bedeutung. Gedenkkultur ist eben immer auch eine direkte Spiegelung politischer Aktualität.

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Vgl. Baade, Der Tod des Grenzsoldaten, S. 109. Eine Abbildung des Denkmals findet sich hier: Ehrenhain, (letzter Zugriff 6.9.2021). Das Denkmal wurde 1993 entfernt. Vgl. Ullrich, Geteilte Ansichten, S. 134. Vgl. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd 5, S. 340. Vgl. Verluste, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Baade, Der Tod des Grenzsoldaten, S. 106; Ullrich, Geteilte Ansichten, S. 134.

III. Veteranenvereine und Totengedenken: Der Kampf ehemaliger Berufssoldaten der Wehrmacht um Rehabilitation ab 1949 1. Die Veteranenvereine seit dem 19. Jahrhundert Die Wehrmacht mag untergehen im Feuer feindlicher Übermacht – die Ehre ihrer Soldaten aber muss bleiben. Darauf dringt der letzte Wehrmachtbericht, veröffentlicht am 9. Mai 1945 von Hitlers Nachfolger Großadmiral und Oberbefehlshaber der Wehrmacht Karl Dönitz.1 An zwei Stellen greift dieser Bericht die Ehre des deutschen Soldaten auf: zum einen im Zusammenhang mit der »Waffenehre des deutschen Soldaten«, die angeblich stets gewahrt werde, und zum anderen in Verbindung mit der totalen Niederlage: »Die deutsche Wehrmacht ist am Ende einer gewaltigen Übermacht ehrenvoll unterlegen«, lautet die Formel.2 Diese Selbstexkulpation wurde später zur Grundlage der Verteidigung in allen Kriegsverbrecherprozessen gegen die Generalität der einstigen Wehrmacht. Denn die »Generalsdenkschrift« vom 19. November 1945 – verfasst von Teilen von Hitlers Heeresführung: Generalfeldmarschall Walther von Brauchitsch, General­feld­mar­ schall Erich von Manstein, Generaloberst Franz Halder, General der Artillerie Walter Warlimont sowie General der Kavallerie Siegfried Westphal – knüpft nahtlos an das makellose Bild des deutschen Soldaten an, wie es im letzten Wehrmachtbericht propagiert wird. Die prominenten Namen der Unterzeichner und ihre hohen militärischen Ränge sollten dieses Narrativ der »Generalsdenkschrift« in den Rang einer geschichtlichen Wahrheit erheben – ganz im Gegensatz zur Sichtweise der Ankläger im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess.3 Insbesondere dieser letzte Wehrmachtbericht war nicht nur das Fundament einer legendenhaften Selbstdarstellung der Wehrmacht,4 sondern darüber hinaus die Grundlage für die binnenmilitärische Trauer- und Gedenkkultur der Wehr­macht­ veteranen im Rahmen der Bundeswehr. Denn durch die Rettung der Ehre des deutschen Soldaten wurde das Gedenken an die gefallenen Wehr­macht­soldaten möglich, 1 2 3

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Vgl. Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, S. 114. Wehrmachtbericht vom 9.  Mai 1945. Abgedr. in: Die Wehrmachtberichte 1939‑1945, Bd  3, S. 568 f., hier S. 569. Wette, Die Wehrmacht, S. 205‑207. Der vollständige Text der Generalsdenkschrift ist abgedr. in: Westphal, Der Deutsche Generalstab auf der Anklagebank, S. 28‑87. Vgl. Wette, Das Bild der Wehrmacht-Elite nach 1945, S. 580 f.; Echternkamp, Soldaten im Nachkrieg, S. 135. Vgl. Wette, Die Wehrmacht, S. 204.



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und darüber hinaus ließ sich so auch die ganze Armee, die Hitlers Zielen gedient hatte, rehabilitieren. Durch ihre Bindung an Hitler und den Nationalsozialismus verloren allgemeingültige Soldatentugenden wie Ehre, Gehorsam oder Opferbereitschaft ihren traditionellen Bezugsrahmen, der sich vor allem im 19. Jahrhundert herausgebildet hatte. In den Dienst von Rasse, Blut und Volksgemeinschaft gestellt, gewannen diese Werte eine andere Bedeutung. Sie waren nun ausschließlich der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft und den Zielen der nationalsozialistischen Politik und Krieg­führung verpflichtet. Diesen Maximen sollte jeder deutsche Soldat sein Leben bedingungslos opfern.5 Der nationalsozialistische Ehrbegriff, wie er auch den letzten Bericht der Wehr­ macht prägt, verknüpfte bedingungslosen Gehorsam, kriegerischen Kampf und Opfer­tod zu einer unauflöslichen Einheit. Für diese Ehre gaben die Gefallenen der Wehr­macht ihr Leben. Und auf diese Vorstellungen und diese Werte wollten die Verfasser der »Generalsdenkschrift« und viele andere ehemalige Führungskräfte der Wehrmacht später auch die Soldaten der Bundeswehr verpflichten.6 Ihre Wertvorstellungen von spezifischer Soldatenehre und Pflicht dienten den Wehrmachtveteranen als »semantisches Trennmittel«7, wie Echternkamp feststellt, um die Mehrheit der »wahren« deutschen Soldaten (zu denen sie sich selber zählten) von der Minderheit nationalsozialistischer Verbrecher zu unterscheiden. Um diesen in der NS-Diktatur wurzelnden Vorstellungen von Soldatentum und Soldatenehre sowie ihrem Geschichtsbild eine wirkmächtige Stimme zu geben, gründeten sowohl führende Repräsentanten der einstigen Wehrmacht als auch Vertreter unterer Dienstgrade eigene Interessenvertretungen: die Veteranenorganisationen.8 Veteranenorganisationen waren kein neues Phänomen. Sie traten erstmals mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im frühen 19. Jahrhundert auf, insbeson­ dere in den linksrheinischen Gebieten von Rheinhessen. Im Zuge der Befreiungsund Einigungskriege etablierten sie sich als anerkannte gesellschaftliche Inte­res­ sengruppen. Im Zuge des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 entwickelte sich schließlich das moderne Veteranenwesen.9 Unter Bezeichnungen wie »Krieger­verein«, »Soldatenverein«, »Militärverein« oder »Kampfgenossenverein« entstanden überall in Deutschland Veteranenvereinigungen, sogar in kleinen Dörfern. 1873 gründete sich der Dachverband dieser Organisationen, der sich zunächst Deutscher Kriegerbund nannte und ab 1900 Kyffhäuserbund. Diesem Dachverband schlossen sich die meisten der örtlichen Vereine an. Auf diese Weise potenzierten sie ihren Einfluss und verbreiteten ihr zentrales Anliegen in der ganzen Gesellschaft: die Bewahrung des Andenkens an gefallene und vermisste Soldaten, an die sich für das Wohl der Nation aufopfernden Helden.10 5 6 7 8 9 10

Vgl. Jasper, Zweierlei Weltkriege?, S. 145‑151. Vgl. Wette, Militarismus in Deutschland, S. 183. Siehe Kap. VII.3.a‑b. Echternkamp, Soldaten im Nachkrieg, S. 186. Vgl. auch Schenck zu Schweinsberg, Die Soldatenverbände in der Bundesrepublik, S. 97; Ech­tern­ kamp, Soldaten im Nachkrieg, S. 50. Vgl. Kühne, Zwischen Vernichtungskrieg und Freizeitgesellschaft, S. 99; Rohkrämer, Der Militaris­ mus der »kleinen Leute«, S. 27‑30. Zu den weiteren Aufgaben von Kriegervereinen zählten die Förderung von Kameradschaft, die Pflege von Brauchtum und, je nach den finanziellen Spielräumen des jeweiligen Vereins, auch die

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III. Veteranenvereine und Totengedenken

Nach und nach erlangten die Kriegervereine immer mehr Bedeutung bei der Ausgestaltung des militärischen Totengedenkens. Häufig initiierten sie den Bau von Kriegerdenkmälern und organisierten Umzüge, Fahnenweihen, Gedenk- und Totenfeiern für die Gefallenen. Zugleich wuchs auch ihre gesellschaftliche Bedeutung kontinuierlich an und ihr oft militaristisches Bild von Krieg und Soldatentum prägte breite Kreise der Bevölkerung.11 Die Kriegervereine erfüllten, wie der Militärhistoriker und Holocaustforscher Thomas Kühne schreibt, das Bedürfnis vieler Bürger nach »Vereinsgeselligkeit«12 und verbreiteten auf diese Weise ein positiv konnotiertes Bild von Soldatentum, Militär­wesen und Krieg. Im Jahr 1888 zählte der Dachverband der Kriegervereine insgesamt etwa 900 000 Mitglieder. 1913, am Vorabend des Ersten Weltkrieges, waren es bereits ca. drei Millionen. Auf solche Mitgliederzahlen brachte es keine andere Organisation in dieser Zeit. Daher waren diese Vereine die wohl wichtigste Schnittstelle zwischen Bürger und Militär.13 Insbesondere in der Weimarer Republik erwiesen sich manche Soldaten- und Kriegervereine als antidemokratische Sammelbecken, die oft nationalistische und rechtsradikale Ideen im Volk verbreiteten und so dazu beitrugen, den Weg für die NS-Diktatur zu ebnen. Nach seinem Regierungsantritt im Januar 1933 ließ Hitler fast alle unabhängigen Organisationen nach und nach gleichschalten bzw. auflösen, darunter auch die Kriegervereine. Diese unterlagen nun der Kontrolle der National­ sozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP).14

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Unter­stützung bedürftiger Veteranen oder ihrer Hinterbliebenen. Öffentlich in Erscheinung traten sie neben der Stiftung von Denkmälern etwa durch Paraden und Veranstaltungen. Zweck ihrer öffentlichen Präsenz war das Wachhalten der Erinnerung an das Kriegserlebnis, vor allem aber auch Propaganda. Auf diese Weise sollte demonstriert werden, dass das militärische Zeremoniell, das Brauchtum und die Uniform einen selbstverständlichen Platz im zivilen Leben haben. Durch Ak­ tionen wie Weihnachtsbescherungen für die Kinder gefallener Kameraden sollten auch diese spielerisch an die militärische Welt herangeführt werden. Vgl. Koch, Von Helden und Opfern, S. 37. Vgl. ebd., S. 38. Kühne, Zwischen Vernichtungskrieg und Freizeitgesellschaft, S. 99. Zunächst durften ausschließlich kriegsgediente Männer den Kriegervereinen beitreten. Das änderte sich jedoch schon bald, sodass nun alle Männer Mitglied werden konnten, die Wehrdienst geleistet hatten. Später hatten selbst männliche Zivilisten die Möglichkeit, sich den Kriegervereinen anzuschließen. Vgl. Koch, Von Helden und Opfern, S. 37; Kühne, Zwischen Vernichtungskrieg und Frei­zeit­gesellschaft, S. 99; Hettling/Echternkamp, Heroisierung, S. 131. Vgl. Weber, Veteranenpolitik in Deutschland, S. 154 f., 157. Einige Beispiele für gleichgeschaltete Kriegervereine: Der Bund Deutscher Marine-Vereine, wie der DMB zwischen 1922 und 1935 hieß, wurde im März 1935 gleichgeschaltet und in Nationalsozialistischer Deutscher Marinebund umbenannt. Im April 1943 stellte der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Großadmiral Karl Dönitz, den Bund direkt unter das Oberkommando der Kriegsmarine. Vgl. Hartwig, 50  Jahre Deutscher Marinebund, S.  5; Amtliche Bekanntmachungen des Bundesführers, Bundesbefehl Nr.  2/43, 25.5.1943, DMB-Archiv, Akte Nr. 4, Geschichte DMB 1902‑2002. Auch der im Dezember 1918 gegründete Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten wurde gleichgeschaltet und im März 1934 umbenannt in Nationalsozialistischer Deutscher Frontkämpferbund (Stahlhelm). Bereits seit 1931 orien­tierte sich der Stahlhelm, der sich bei seiner Gründung politische Neutralität verordnet hatte, zunehmend in Richtung NSDAP. Vgl. Berghahn, Der Stahlhelm, S. 13 f., 172‑270; Lingen, Kessel­rings letzte Schlacht, S. 297, Anm. 49. Auch den Kyffhäuserbund gliederte man in den nationalsozialistischen Staat ein. Qua Erlass ernannte Hitler den Soldatenbund im März 1938 zur alleinigen Vereinigung ehemaliger Soldaten. Seit Herbst 1938 trug er auch einen neuen Namen: Nationalsozialistischer Reichskriegerbund. Vgl. Die bürgerlichen Parteien in Deutschland, Bd 2, S. 310.



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Unmittelbar nach Kriegsende knüpfte man zunächst im Rahmen informeller Zusammenschlüsse, etwa in Form von Stammtischen oder Kegel- und Gesangsver­ einen, an diese Form soldatischer Selbstorganisation an. Denn die Ankündigung in der Proklamation Nr.  2 des Alliierten Kontrollrats vom 20.  September 1945 und schließ­lich das Gesetz Nr. 34 des Alliierten Kontrollrats vom 20. August 1946 verboten grundsätzlich die Bildung von Soldatenvereinen. Diese Verbote sollten das Wiederaufleben einer organisierten Vereinskultur des deutschen Militarismus verhindern. Mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland am 24. Mai 1949 änderte sich die Rechtslage. Das Gesetz Nr. 34 wurde am 16. Dezember aufgehoben.15 Die neu gewonnene Legalität ließ die »Veteranenkultur«16 regelrecht aufblühen. Die frühen 1950er-Jahre brachten eine Vielzahl von Kameradschaftszirkeln einzelner Divisionen und Regimenter hervor. Zudem gründeten sich auch größere Traditionsverbände wie der Bund Deutscher Fallschirmjäger (BDF), die Gemein­ schaft ehemaliger Jagdflieger, der Kameradenkreis der ehemaligen Gebirgstruppe, der Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten – Kampfbund für Europa, der Verband ehemaliger Angehöriger des Deutschen Afrika-Korps, der Kyffhäuserbund oder die Traditionsgemeinschaft Panzerkorps Großdeutschland.17 Diese Vereine dienten vor allem der kameradschaftlichen Wiederbegegnung und der finanziellen und materiellen Unterstützung von in Not geratenen Kameraden und ihren Hinterbliebenen. Sie widmeten sich auch der Pflege der soldatischen Kameradschaft, der militärischen Tradition und dem Gedenken an gefallene Kameraden. Sie veranstalteten Gedenkfeiern sowie Fahrten zu Soldatenfriedhöfen und errichteten Ehrenmale, die den Mythos von der »sauberen«, heldenhaften und untadeligen Wehrmacht propagierten. Die junge Bundesrepublik, deren Staatsrepertoire

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Vgl. Kontrollratsgesetz Nr. 34: Auflösung der Wehrmacht vom 20. August 1946, (letzter Zugriff 6.9.2021). Das Kontrollratsgesetz Nr. 34 brachte die Ankündigung in der Proklamation Nr. 2 des Alliierten Kontrollrats vom 20. September 1945 in Gesetzesform. Es löste nicht nur die Wehrmacht offiziell auf, die seit dem 8. Mai 1945 faktisch nicht mehr bestand, sondern verbot auch die Organisation von Veteranen in Vereinen. Vgl. auch: Kontrollratsproklamation Nr. 2: Zusätzliche an Deutschland gestellte Forderungen vom 20. Sep­tember 1945, (letzter Zugriff 6.9.2021); Kühne, Kameradschaft, S. 214. Vgl. Kühne, Zwischen Vernichtungskrieg und Freizeitgesellschaft, S. 93. Einige der genannten Verbände wie die Gemeinschaft ehemaliger Jagdflieger, der Kameradenkreis der ehemaligen Gebirgstruppe oder der Verband ehemaliger Angehöriger des Deutschen AfrikaKorps wechselten teilweise mehrfach ihren Namen. Hier wird der Name angegeben, den sie bei ihrer Gründung trugen. Der Verband ehemaliger Angehöriger des Deutschen Afrika-Korps benannte sich um in: Verband Deutsches Afrika-Korps. Ob der Verband gegenwärtig noch existiert, konnte nicht geklärt werden. (letzter Zugriff 11.6.2020), Privatarchiv Julia Nordmann. Der Kyffhäuserbund hat seinen Namen behalten: (letzter Zugriff 6.9.2021). Ob die Traditionsgemeinschaft Panzerkorps Großdeutschland gegenwärtig noch existiert, ist ebenfalls unklar. Noch 1999/2000 war sie unter ihrem Gründungsnamen Mitglied im RdS. Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 14/4337, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Petra Pau, Ulla Jelpke, Heidi Lippmann und der Fraktion der PDS, Soldatische Traditionsverbände und Pressemeldungen über Mittel aus dem Bundeshaushalt für ein Seminar in Aachen (Nachfrage), Drucksache 14/4337, 17.10.2000.

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III. Veteranenvereine und Totengedenken

ein eigenes Gefallenengedenken nicht vorsah, überließ den Veteranenvereinen damit bereits zu einem frühen Zeitpunkt das Feld des militärischen Totenkults.18 Um aber ihre Interessen zu bündeln und ihren politischen und gesellschaftlichen Einfluss zu steigern, schlossen sich viele dieser zum Teil sehr kleinen Kamerad­ schaften und Vereine ab den frühen 1950er-Jahren in Großverbänden zusammen.19 Repräsentanten der Führungselite der ehemaligen Wehrmacht – teilweise saßen diese Vertreter bereits Kameradschaften und Traditionsverbänden vor – forcierten diese Zusammenschlüsse. In ihrer Mitgliederstruktur orientierten sich die Großverbände an den Teilstreitkräften Heer, Luftwaffe und Marine. Mit dem RdS gründete sich 1957 zusätzlich auch ein Dachverband, der Veteranen sämtlicher Teil­streit­kräfte der Wehrmacht umfasste. Doch bei all diesen Zusammenschlüssen handelte es sich prinzipiell um Interessenvertretungen, die der Selbstversicherung des soldatischen Selbstverständnisses nach innen und nach außen20 und damit der Rehabilitation der Wehrmacht insgesamt dienten. Während des Zweiten Weltkrieges standen viele führende Gründungs­mitglieder der Soldatenverbände bis zuletzt treu an Hitlers Seite. Ihnen kam bei der Fortsetzung des Krieges bis zum bitteren Ende eine Schlüsselrolle zu. Oft wider besseres Wissen setzten sie in der militärisch aussichtslosen Endphase des Zweiten Weltkrieges den Kampf fort – ohne Rücksichtnahme auf die ihnen unterstellten Soldaten und die Zivilbevölkerung.21 In den Augen der Alliierten waren diese Offiziere der Wehrmacht wesentliche Stützen des NS-Regimes und mitverantwortlich für die Gräuel und die Verbrechen des Zweiten Weltkrieges. Daher mussten sich einige militärische Führer der Wehrmacht auch in Kriegsverbrecherprozessen verantworten.22 Aus Sicht der einstigen Wehrmachtelite bedrohte die strafrechtliche Ahndung ihres Kriegshandelns den Kern ihres Soldatseins: die soldatische Ehre. Zudem erfuhr ihr Selbstbild – als Führungsoffiziere verstanden sie sich als Teil der gesellschaftlichen 18

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Viele der von den Veteranenverbänden organisierten Veranstaltungen wurden auch von lokalen Politikern und Prominenten besucht. Über die Berichterstattung zumeist in der Lokalpresse, verbunden mit Veranstaltungsorten im gesamten Bundesgebiet, konnten die Veteranen mit ihrem Anliegen insgesamt ein breites Publikum erreichen. Auch auf diese Weise gelang es ihnen, den Mythos von der sauberen Wehrmacht in der bundesrepublikanischen Gesellschaft zu verbreiten. Vgl. Echternkamp, Arbeit am Mythos, S. 431; Wette, Die Wehrmacht, S. 195; Kühne, Zwischen Vernichtungskrieg und Freizeitgesellschaft, S. 93; Kühne, Kameradschaft, S. 217. Siehe Kap. III.2a‑b. Vgl. Manig, Politik der Ehre, S. 410. Diese Einigungsbestrebungen unter den Soldatenverbänden waren ausdrücklich auch vonseiten des BMVg erwünscht. So seien die Verbände, so die Einschätzung von Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, besser zu kontrollieren. Vgl. auch Schreiben Kurt Student an Oberst a.D. Rudolf Böhmler, 12.12.1956, BArch, N 667/2. Vgl. Echternkamp, Soldaten im Nachkrieg, S. 195. Siehe Kap. III.1.a.‑e. Vgl. Kershaw, Das Ende, S. 425 f., 534 f.; Steinbach, Zwischen Gefolgschaft, Gehorsam und Widerstand, S. 575 f.; Brüggemann, Männer von Ehre?, S. 35, 431. Insgesamt fielen 5,3 Mio. Wehrmachtsoldaten im Zweiten Weltkrieg, davon 2,6 Mio. allein im letzten Kriegsjahr. In den letzten Kriegsmonaten fielen monatlich zwischen 300 000 und 400 000 Soldaten. Vgl. Overmans, Deutsche militärische Verluste, S. 243, 316, 318. Vgl. Brüggemann, Männer von Ehre?, S. 39; Manig, Politik der Ehre, S. 46‑48; Wette, Der OKWProzeß, S. 202; Wette, Die Wehrmacht, S. 207‑217; Ihme-Tuchel, Der Prozess gegen die »SüdostGenerale«; Lingen, Kesselrings letzte Schlacht, S.  122‑170; Wrochem, Erich von Manstein, S. 164‑192; Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, S. 385 f.; Brüggemann, Männer von Ehre?, S. 407.



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Elite – nach 1945 sowohl durch die Kriegsverbrecherprozesse als auch durch die Politik der Entmilitarisierung der Alliierten einen existenziellen Bruch.23 Kriegsgefangenschaft, Strafprozesse, Demilitarisierung, Berufs- und Statusverlust sowie manchmal auch wirtschaftliche Not erzeugten bei den einstigen Führern der Wehrmacht ein Gefühl tiefer Kränkung und Demütigung. Und zwischen 1945 und 1949 verfügten die Offiziere kaum über Handlungsoptionen, um ihre Situation aktiv zu verändern.24 Mit der Gründung der Bundesrepublik im Mai 1949 und der Aufhebung des Gesetzes Nr.  34 verbesserten sich die Rahmenbedingungen für die Wehrmacht­ offiziere. Sie begannen ihrer Deklassierung und ihrer Ohnmacht nun die Strategie einer »Politik der Ehre« entgegenzusetzen.25 So benennt der Historiker Bert-Oliver Manig dieses planmäßige Vorgehen, das auf Rehabilitierung und Wiederherstellung zuerst der soldatischen, aber auch der bürgerlichen Ehre abzielte. Dieser Prozess nahm im Grunde bereits mit dem letzten Wehrmachtbericht vom 9. Mai 1945 seinen Anfang.26 Auch entbehrte es nicht einer gewissen Ironie, wenn sich die einstigen Wehrmachtgenerale später in ihren Rehabilitierungsbemühungen ausgerechnet auf das Urteil des Internationalen Militärgerichtshofes in Nürnberg vom 1.  Oktober 1946 berufen konnten. Denn dem Gericht gelang es nicht, den Generalstab und das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) in ihrer Gesamtheit als verbrecherische Organisation einzustufen und ihren Mitgliedern damit kollektiv jede Ehre abzusprechen. Führungsoffiziere der Wehrmacht dagegen deuteten dieses Urteil um in einen expliziten Freispruch – der er keineswegs war –, getreu dem Motto, wenn nicht einmal eine »Siegerjustiz« das kollektiv Verbrecherische erkennen könne, dann sei ja die Führung der Wehrmacht exkulpiert und auch all ihre Soldaten hätten ehrenhaft gekämpft. Diese Argumentationslinie wurde zum ständig wiederkehrenden Mantra im Kampf der Berufssoldaten um ihre Rehabilitierung.27 Weitere zentrale Schritte im Rahmen dieses Prozesses der Rehabilitierung waren die Ehrenerklärungen für die Wehrmachtsoldaten von Bundeskanzler Adenauer und dem Oberkommandierenden der NATO in Europa Dwight D. Eisenhower oder auch die Freilassung hochrangiger Wehrmachtoffiziere aus alliierter Haft. Seinen Endpunkt fand dieser Prozess mit der Übernahme zentraler Führungsaufgaben durch Wehrmachtoffiziere bei Aufstellung der Bundeswehr. Denn ihre neuen Karrieren verhalfen den betroffenen Generalen wie auch kollektiv ihren Kameraden in den Veteranenverbänden zu neuer gesellschaftlicher Akzeptanz.28 23

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Vgl. Brüggemann, Männer von Ehre?, S. 45 f., 434 f. Diesen spezifischen Ehrbegriff hatten insbesondere Offiziere initialisiert, die ihre militärische Sozialisation noch während des Kaiserreiches erhalten hatten. Vgl. Kroener, »Der starke Mann im Heimatkriegsgebiet«, S. 67. Vgl. Manig, Politik der Ehre, S.  8; 35  Jahre Verband deutscher Soldaten, S.  1  f.; Brüggemann, Männer von Ehre?, S. 46. Vgl. Manig, Politik der Ehre, S. 8; Brüggemann, Männer von Ehre?, S. 35‑47, v.a. S. 45 f. Vgl. Manig, Politik der Ehre, S. 9. Juristisch gesehen war das Nürnberger Urteil ein Freispruch für die Wehrmacht als Organisation. Jedoch befand das Gericht die Führung der Wehrmacht im moralischen Sinn für schuldig. Vgl. Wette, Die Wehrmacht, S. 207‑210; Nürnberger Urteil; Brüggemann, Männer von Ehre?, S. 405; Manig, Politik der Ehre, S. 54; Wette, Der OKW-Prozeß, S. 201 f., 209. Vgl. Brüggemann, Männer von Ehre?, S. 428 f.

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Die Großverbände der Veteranen fungierten in diesem Kontext vor allem als Lobbyorganisationen. Echternkamp spricht von »Pressure Groups«29, mit denen die Veteranen in der frühen Bundesrepublik öffentlichkeitswirksam und wirkmächtig ihre Ehre wiederherstellen und ihre Rehabilitierung vorantreiben konnten. Insbesondere der 1951 gegründete VdS war ein wichtiger Akteur in diesem Prozess und ein politisches Schwergewicht,30 aber auch der 1952 gegründete DMB und der 1953 gegründete Deutsche Luftwaffenring (DLWR) sind hier als einflussreich zu nennen. Der RdS und der Deutsche Luftwaffenblock (DLWB) hatten durch ihre jeweils spätere Gründung – 1957 bzw. 1960 – graduell eine andere Programmatik. In der Zeit ihres Bestehens kämpften jedoch alle Verbände gegen Vorbehalte, Kritik oder Diffamierung der Wehrmacht und ihrer Soldaten. Für die einstige Generalität der Wehrmacht bedeutete Rehabilitierung vor allem eine standesgemäße Versorgung und die Beendigung der – wie sie es nannten – »Diffamierung«31 von deutschen Soldaten, die sie zum einen in den Kriegs­ver­ brecherprozessen und der Inhaftierung von Wehrmachtgeneralen wie Karl Dönitz, Erich Raeder, Erich von Manstein oder Albert Kesselring zu erkennen glaubten und zum anderen in militärkritischen öffentlichen Diskursen in Medien und Forschung.32 In diesem Zusammenhang sollte auch die Erinnerung an jene Wehrmacht­ kame­raden marginalisiert werden, die mit dem 20.  Juli 1944 verbunden waren. Denn diese Männer aus ihren eigenen Reihen stellten die kritiklose und einseitige Auffassung von militärischer Ehre und Pflichterfüllung als unumstößlichen Maßstab bloß und zeigten, dass es auch andere Interpretationen gibt. Auf diese Weise zeigte auch der militärische Widerstand die Fragwürdigkeit der Selbstexkulpationsstrategie der Wehrmachtelite nach 1945 auf. Der Widerstand war somit eine permanente Bedrohung für das Narrativ einer stets sauberen, ehrenhaften und pflichtbewussten Wehrmacht.33 Zentrale Forderung der Veteranenverbände im Rahmen des Rehabilitierungs­ prozesses war die öffentliche Anerkennung der Wehrmacht und ihrer Soldaten sowie die Würdigung ihrer Toten als Opfer im Dienst für die deutsche Nation. Stellvertretend und symbolisch sollte sich dies etwa in einer staatlichen Ehrung und in einer Sonderstellung der Wehrmachtgefallenen innerhalb des bundesrepublikanischen Totenkultes ausdrücken. Dafür setzte sich insbesondere der RdS ein.34 Nicht zuletzt um die ehemaligen Wehrmachtsoldaten in den neuen Staat zu integrieren, akzeptierte die Regierungspolitik weitgehend die Sichtweise der Veteranen­ vereine.35 Diese nutzten ihre Deutungshoheit und schafften sich ihr eigenes, neues Narrativ, das im Grunde ein altes war. Denn dabei rekurrierten sie auf Inter­pretationen 29 30 31 32 33

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Echternkamp, Soldaten im Nachkrieg, S. 197. Vgl. Brüggemann, Männer von Ehre?, S. 427; Manig, Politik der Ehre, S. 475. Vgl. Manig, Politik der Ehre, S. 77; exemplarisch: Satzung Verband deutscher Soldaten (VdS) e.V. (Stand: 1.12.1969). Abgedr. in: Körber, Soldat im Volk, S. 171‑183, § 3 (1)1.b), S. 171. Vgl. Manig, Politik der Ehre, S. 9. Vgl. ebd.; auch: Schreiben des VdS, Der Vorsitzende Generaloberst a.D. Hans v. Salmuth, an den Generalinspekteur der Bundeswehr, General Adolf Heusinger, August 1959, BArch, BW 2/20004; Lingen, Kontingenzbewältigung nach der Niederlage 1945, S. 91; Manig, Politik der Ehre, S. 9. Vgl. Manig, Politik der Ehre, S. 9. Siehe Kap. III.1.b. Vgl. Manig, Politik der Ehre, S. 8.



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und Modelle, die ihren Ursprung in den Befreiungs- und Einigungs­kriegen des 19. Jahrhunderts haben, z.B. der Gleichsetzung von christlicher Passionsgeschichte und soldatischem Opfertod. Dieses Narrativ sollte auch dem Wehrmachtsoldaten etwas von der freiwilligen Selbstaufopferung und dem Glanz der Unschuld Christi verleihen und es so ermöglichen, die militärische Leistung des einzelnen Soldaten von der Frage moralischer Verantwortung und individueller Schuld im Krieg abzulösen. Denn, so das zentrale Argument ihrer moralischen Rehabilitierung, wer den Horror der Front und den Tod der Kameraden erlebt und das Martyrium der Kriegsgefangenschaft durchgestanden hat, ist durch und durch geläutert und kann nicht einfach ein Kriegsverbrecher sein. Diese Selbststilisierung zum Opfer – Kühne bezeichnet diesen Vorgang als »Viktimisierung«36 – zog sich nach 1945 wie ein roter Faden durch ihre Deutungsangebote für den Zweiten Weltkrieg. Auf diese Weise entwickelten die Veteranenvereine ihre eigene militärische Erinnerungskultur.37 Eine zentrale Rolle spielte hier das von den Soldatenver­bän­den etablierte und inszenierte Totengedenken. Die Instrumentalisierung der gefallenen Soldaten war ein wichtiges Feld für ihre moralische Rehabilitierung. Auf diesem Weg ließ sich in der Logik der Viktimisierung eine ganze Armee und besonders ihre Führungselite von jeglicher Schuld freisprechen. In christlicher Tradition verband das Totengedenken die Heiligkeit der Opferhandlung mit der Unschuld der Toten. Auf diese Weise konnten die einstigen Heerführer ihren Dienst bis zum Ende als heilig stilisieren, ihn mit der Unschuld der Toten verbinden und diese auf sich übertragen. Schuldzuweisungen bekamen in diesem heiligen und hoch emotionalen Kontext einen nahezu obszönen Charakter, da sie mit dem zentralen Grundsatz brachen, über Tote nur Gutes zu sagen. Auf den regelmäßig stattfindenden Gedenkveranstaltungen, etwa am Volkstrauertag, ließ sich das propagierte Bild durch Ansprachen verschiedener Repräsentanten der Soldatenverbände, der Kirche, der Bundeswehr und der Politik zudem glaubwürdig darstellen und dauerhaft erhalten.38 Der Zusammenhalt und die Zusammenarbeit zwischen den in Verbänden organisierten ehemaligen Wehrmachtsoldaten und ihren Kameraden im Amt Blank waren in diesen Fragen nahezu uneingeschränkt. Insbesondere in der Bundeswehr, aufgebaut von 44 Weltkriegsgeneralen und Tausenden weiteren Wehrmachtoffizieren, konnten sie daher ihre Deutungsmuster lange – teilweise bis in die Gegenwart – konservieren.39 Das zeigen etwa Beispiele aus der Truppenpraxis wie die Begehung von Ereignissen aus der Geschichte der Wehrmacht,40 die Übernahme ihres Toten­ 36 37 38 39 40

Vgl. Kühne, Viktimisierungsfalle. Vgl. Brüggemann, Männer von Ehre?, S. 432; Kühne, Zwischen Vernichtungskrieg und Freizeit­ gesellschaft, S. 100 f. Siehe Kap. III.2. Vgl. Manig, Politik der Ehre, S. 471; Kühne, Viktimisierungsfalle, S. 186. Vgl. Wrochem, Erich von Manstein, S. 246; Düsterberg, Soldat und Kriegserlebnis, S. 2; Bald, Alte Kameraden, S. 51. Am Ehrenmal der Fallschirmjäger auf dem Gelände der Luftlande-und Transportschule der Bundeswehr in Altenstadt beging man bis in die 1990er-Jahre jeweils am 20. Mai den »Kreta-Tag« zur Erinnerung an die Eroberung Kretas durch die Wehrmacht 1941. Bis zu seiner Abschaffung war der »Kreta-Tag« auch in anderen Teilen der Bundeswehr ein traditionsstiftender Jahrestag. Vgl. Virchow, Gegen den Zivilismus, S. 360; zuletzt auch der Ausstellungskatalog: Hitlers Elitetruppe?,

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gedenkens41 und damit die Fortsetzung von Wehrmachtbrauchtum in der Bun­des­ wehr oder die Würdigung soldatischer Leistungen im Krieg42 und hochdeko­rierter richts­ Soldaten etwa durch Namenspatronagen43 und im Rahmen von Unter­ einheiten.44 Auf diese Weise war das offizielle Traditionsgut der Bundeswehr lange durch die Gepflogenheiten der Wehrmacht beeinflusst; die Vorbildhaftigkeit der Wehrmacht war allgemein anerkannt. Damit nahm die Bundeswehr Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Wehrmachtveteranen. Nach seiner Amtsübernahme im Oktober 1982 plante z.B. Verteidigungsminister Wörner, die von seinem Vorgänger Apel ausgearbeiteten Traditionsrichtlinien, die sich gegen die Wehrmacht als Traditionsstifterin wandten,45 im Sinne der alten Kämpfer zu revidieren. Zu diesem Zweck bat er Johannes Müller, Generalmajor a.D.

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darin insbesondere die Beiträge Schröder, Die »Traditionsgemeinschaft Fallschirm-Panzer-JägerAbteilung 1«, und Zimmermann, Wahrnehmung und Nachleben der Fallschirmtruppe. Am 9.  Mai 1959 weihte die Bundeswehr zusammen mit verschiedenen soldatischen Traditions­ verbänden im Ehrenhof des Wehrbereichskommandos  II in Hannover Gedenktafeln zur Er­ innerung an Gefallene und Vermisste der 13.  Panzerdivision, der 19.  Infanterie- und späteren 19. Panzerdivision sowie des Generalkommandos XI. Armeekorps ein. Diese Gedenktafeln waren Teil des Totenkultes der Wehrmacht gewesen und bis 1945 in der Fahnenhalle des General­kom­ mandos des XI. Armeekorps der Wehrmacht präsentiert worden. Dieses Gedenken setzte die Bun­ des­wehr fort. Vgl. Bie., Ehrung Gefallener und Vermißter, S. 2. Am 22. Juli 1979 veranstaltete das Beobachtungsbataillon 103 aus Pfullendorf eine Gedenkfeier zu Ehren von Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch, dem Namenspatron der Pfullendorfer Kaserne. Fritsch war knapp 40 Jahre zuvor am 22.9.1939 in Polen gefallen. Der Oberbefehlshaber der Wehrmacht ehrte ihn am 26.9.1939 in einem Tagesbefehl: »Die Deutsche Wehrmacht senkt ehrend ihre Fahnen vor der Größe dieses Soldatentums« (vgl. Mühleisen, Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch, S.  65, Zitat S. 68). Der überzeugte Nationalsozialist Fritsch war bis 1938 Oberbefehlshaber des Heeres und nahm als Chef des Artillerieregiments 12 am Überfall auf Polen teil. Vgl. 25 Jahre Artillerie der Bundeswehr, S. 205. Am 25. Gründungstag der Kampftruppenschule in Munster im Jahr 1981 ehrte deren Kommandeur Brigadegeneral Joachim von Schwerin in seiner Ansprache die anwesenden Wehrmachtsgenerale Siegfried Westphal und Walther Nehring und versicherte ihnen, dass die Bundeswehr »an den Werten des Charakters und der Leistung [festhält], die immer bestimmend waren für eine saubere deutsche soldatische Gemeinschaft.« Vgl. Düsterberg, Soldat und Kriegserlebnis, S. 1, Zitat S. 1 f. Diese Namenspatronagen, die Benennung von Schiffen und Kasernen nach Generalen der Wehrmacht, folgten keiner ministeriellen Weisung. Die Initiative dazu kam in der Regel von unten, aus der Truppe. Diese hatte in der Anfangszeit der Bundeswehr nahezu freie Hand in Traditions­ fragen. Etliche Soldaten der Wehrmacht, die Hitler treu gedient hatten, kamen in der Bundeswehr zu besonderen Ehren. Zu ihnen zählten Generaloberst Eduard Dietl, Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch, General Rudolf Konrad, General Ludwig Kübler, Oberst Werner Mölders, Generalfeldmarschall Erwin Rommel, Generalmajor Adalbert Schulz oder General Hasso von Manteuffel. Unter diesen Offizieren waren glühende Nationalsozialisten, überzeugte Antisemiten und verurteilte Kriegsverbrecher. Vgl. Düsterberg, Soldat und Kriegserlebnis, S.  1; Wette, Die Wehr­­macht, S. 253 f.; Giordano, Die Traditionslüge, S. 299 f. Vgl. Düsterberg, Soldat und Kriegserlebnis, S. 2. Auch wenn die Traditionsrichtlinien von 1965 und 1982 die Wehrmacht – wohl, wie der Militär­ his­toriker Wolfram Wette vermutete, aus taktischen Gründen – nicht erwähnten, so enthielt die Richtlinie von 1982 doch erstmals eine eindeutige Absage an die Traditionswürdigkeit der Wehrmacht: »In den Nationalsozialismus waren Streitkräfte teils schuldhaft verstrickt, teils wurden sie schuldlos missbraucht. Ein Unrechtsregime wie das Dritte Reich kann Tradition nicht begründen.« Erlass »Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundeswehr«, 20.9.1982. Abgedr. in: Abenheim, Bundeswehr und Tradition, S. 230‑234, hier Ziff. I.6, S. 230. Vgl. Wette, Die Wehrmacht, S. 258.



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und Vorsitzender des VdS, um eine Stellungnahme. Auch wenn Wörner Apels Richt­ linien zwar außer Kraft setzen wollte, es aus politischen Gründen aber nicht konnte, so zeigt das Beispiel doch, wie sehr manche Verteidigungsminister den Veteranen und ihrem Verständnis der Traditionspflege entgegenkamen.46 Erst die modifizierten Traditionsrichtlinien, die Verteidigungsministerin von der Leyen im März 2018 verabschiedete, binden das soldatische Handeln eindeutiger an die Werte und Normen des Grundgesetzes als der Erlass von 1982: Sie heben die künstliche Trennung von soldatischem Handeln und politischen Umständen auf und erklären die Wehrmacht in ihrer Gesamtheit für nicht traditionswürdig.47 Im Wissen um die hohe emotionale Kraft der historischen Deutung des Zweiten Weltkrieges für die einstige Wehrmachtelite ließ die Regierungspolitik den Veteranen über lange Zeit große Freiräume, um ihr einseitiges Narrativ und ihr Bild einer heroischen und stets ehrenhaften Wehrmacht zu etablieren. Denn diese Form der Rehabilitierung war in gewisser Weise der politische Preis, den Adenauer zu zahlen bereit war, um sich der Mitarbeit der Wehrmachtgenerale im neuen, demokratischen Staat Bundesrepublik zu versichern.48 Darüber hinaus wurden die Veteranenvereine auch zum Sprachrohr und zum be­ »Leistungsträger«49 für ein zentrales Projekt der Nachkriegszeit: die Wieder­ waffnung. Im Zuge des aufkommenden Kalten Krieges und der sich bei den West­ alliierten verfestigenden Erkenntnis, dass Westeuropa mit einer demilitarisierten Bundesrepublik wohl kaum gegen die Expansion des Kommunismus zu verteidigen sei,50 konnten die Veteranen auf ihre soldatischen Fähigkeiten und ihre militärische Erfahrung im Kampf gegen die Sowjetunion verweisen. Außerdem ließ sich einzig aus ihren Reihen militärisch qualifiziertes Personal für eine neu aufzustellende Armee der Bundesrepublik Deutschland rekrutieren. Ohne ihre Mitwirkung, das wussten die Veteranenverbände genau, war der Aufbau einer »neuen Wehrmacht«51 46 47 48 49 50 51

Vgl. »Zurück zur Legende vom besonderen Sterben«. In: Der Spiegel, 10.10.1983; Wette, Die Wehrmacht, S. 258 f. Vgl. Erlass »Die Tradition der Bundeswehr«, 28.3.2018. Abgedr. in: Tra­di­tion in der Bundeswehr, S. 282‑295, hier Ziff. 3.1, 3.4.1, S. 286, 288. Vgl. Manig, Politik der Ehre, S. 8. Vgl. Echternkamp, Soldaten im Nachkrieg, S. 206. Vgl. Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik, Bd 2, S. 5 (Beitrag Maier). Als »neue Wehrmacht« bezeichnete man übergangsweise die noch namenlose bundesrepublikanische Armee. Noch bei ihrer Aufstellung am 12.  November 1955 skizzierte der erste Ver­tei­di­ gungs­minister Theodor Blank in seiner Ansprache das politische Profil der »neuen Wehrmacht«. Seit dem 1.  April 1956 tragen die Streitkräfte schließlich offiziell den Namen Bundes­wehr. Die Um­be­nennung geht zurück auf den Vorschlag des ehemaligen Generals der Panzertruppen und FDP-Bun­destagsabgeordneten Hasso von Manteuffel. Auch wenn es zunächst nicht nur personell, sondern auch namentlich in gewisser Weise nach einer ungebrochenen Fortsetzung der deutschen Militär­geschichte aussah, symbolisiert der Name »Bundeswehr« einen demokratischen Neuanfang. Erstmals lässt sich dieser Begriff in einem Bericht des preußischen Offiziers und Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung von 1848/49 Daniel Friedrich Gottlob Teichert finden. Unter der Bezeichnung »Bundeswehr« forderte er den Aufbau einer Volkswehr, die der Souveränität der Bürger unterstehen sollte. Vgl. Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik, Bd 3, S. 706 (Beitrag Greiner); Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, S. 390 f.; Bericht über einen dem Wehrausschusse der Nationalversammlung übergebenen Vorschlag zur Bildung eines Bürgerwehrvereins im Lahnthale, Berichterstatter: Abgeordneter Teichert, 5. März 1849. Abgedr. in: Verhandlungen der Deutschen verfassunggebenden Reichsversammlung, Bd 4, S. 9 f., hier S. 9.

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kaum möglich. Diese Tatsache und der sich rasch verschärfende Kalte Krieg verhalfen ihnen zu Unterstützung und Zugeständnissen auf höchster politischer Ebene. Dazu zählten z.B. die beiden Ehrenerklärungen für die Wehrmacht. Die erste gab der Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte Eisenhower am 23. Januar 1951 ab, die zweite Bundeskanzler Adenauer am 3.  Dezember 1952.52 Diese Ehren­ erklärungen im Geiste des letzten Wehrmachtberichts von Dönitz – beide unterstrichen noch einmal den großen Stellenwert der soldatischen Ehre – bildeten nicht nur die Grundlage für die Aufstellung westdeutscher Streitkräfte unter dem Befehl und mit den Wertvorstellungen alter Wehrmachtgenerale, sondern auch für die Legende von der »sauberen« Wehrmacht, die sich in breiten Kreisen über Jahrzehnte halten konnte. Erst die beiden Ausstellungen des Hamburger Instituts für Sozialforschung zur Wehrmacht (1995‑1999 und 2001‑2004)53 beleuchteten für eine breite Öffent­ lichkeit deren Nachtseite und dekonstruierten diesen Mythos und die Mär einer ganz normalen Kriegführung.54 Die Veteranenverbände erlebten in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre einen außerordentlichen Auftrieb.55 Mittels erheblicher Unterstützung durch die Bundes­ regierung – so Manig – errichtete man damit den alten Kameraden eine Plattform, auf der sie ihren Wehrmachtmythos propagieren konnten, um nicht zuletzt auch auf diese Weise im pazifistischen Klima der jungen Bundesrepublik für die Wieder­ bewaffnung und die »Steigerung des Wehrwillens« in der Bevölkerung zu werben. Insbesondere die Verbandstreffen boten den Soldatenverbänden in den 1950er-Jahren und teilweise auch später noch eine öffentliche Bühne, auf der sie, aufgewertet durch die Teilnahme hoher Repräsentanten aus Militär und Politik oder von lokalen Eliten, die Respektabilität des Soldatenberufes und des Soldatentodes demonstrieren konnten. Auf diese Weise konnten sie ihre Nützlichkeit und ihre Dienste für den neuen Staat unter Beweis stellen.56 Ab der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre verloren die Großverbände sukzessive an politischem Gewicht und waren außerhalb von Bundeswehr und Militärkreisen kein wesentlicher macht- oder parteipolitischer Faktor mehr. Mehr und mehr bildeten sie sich zurück zu einer gesellschaftlichen Subkultur, verbunden durch die gemeinsamen Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg als eine Zeit der Bewährung von Kameradschaft, Pflichterfüllung, Tapferkeit, Ehre und Opferbereitschaft. Noch in den 1960er-Jahren ließen sich, wie Kühne zeigt, ca. 2000 Kameradschaften und Veteranenverbände von Einheiten der Wehrmacht und der Waffen-SS nachweisen.57 Gegenwärtig existieren noch zahlreiche Traditionsverbände, etwa der Fall­ schirm­springer, Gebirgsjäger oder Jagdflieger. Zudem existieren von den einst fünf 52 53

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Vgl. Manig, Politik der Ehre, S.  258  f.; Stenographische Berichte des Deutschen Bundestages, 3.12.1952, S. 11141. Die erste der beiden Ausstellungen trug den Titel: »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941‑1944«. Vgl. Wette, Die Wehrmacht, S. 264. Die zweite Ausstellung firmierte unter: »Ver­ brechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941‑1944«. Vgl. Wette, Die Wehrmacht, S. 262. Vgl. Riggert, Zur Lage in den deutschen Soldatenbünden, S. 40. Vgl. Manig, Politik der Ehre, S. 410, 602. Vgl. Latzel, Soldatenverbände gegen die Ausstellung »Vernichtungskrieg«, S. 325; Kühne, Zwischen Vernichtungskrieg und Freizeitgesellschaft, S. 93.



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Großverbänden heute noch der DMB und der DLWR. Diese Dachorganisationen der ehemaligen Wehrmachtsoldaten sind im Folgenden zu behandeln.

a) Der Verband deutscher Soldaten e.V. Mit der Aufhebung des Gesetzes Nr. 34 des Alliierten Kontrollrates im Dezember 1949 entstand eine Flut von Traditions- und Veteranenvereinen sowie von Versor­ gungs­gemeinschaften, die zum Teil ganz unterschiedliche Interessen und politische Ziele vertraten und miteinander konkurrierten. Ohne gemeinsame Ziel­ setzung liche und Koordinierung aber drohte all diesen Vereinigungen die gesellschaft­ Marginalisierung und Bedeutungslosigkeit.58 In dieser Situation konnte nur ein Zusammenschluss bzw. ein Dachverband das politische Gewicht und die Verhand­ lungsmacht der einzelnen Vereine erhöhen. Gerade in der Diskussion um die deutsche Wiederbewaffnung zu Beginn der 1950er-Jahre sahen die Traditionsund Veteranenverbände die Chance, ihre zentralen Anliegen wie die Versorgung ehemaliger Berufssoldaten gemäß Artikel  131 des Grundgesetzes, die Freilassung der noch in Kriegsgefangenschaft verbliebenen Soldaten sowie die Ehrenrettung (Rehabilitierung) der Wehrmachtsoldaten insgesamt zu erreichen - gewissermaßen als Gegenleistung dafür, dass sie für die deutsche Wiederbewaffnung mit ganzer Kraft mobilisierten und warben und bereit waren, ihre militärische Erfahrung und ihr militärisches Führungspotenzial in den Dienst der neuen Armee zu stellen.59 Am 9. September 1951 wurde auf Initiative von Admiral a.D. Gottfried Hansen in Bonn der VdS gegründet.60 Das erklärte Ziel des Verbandes war es, Sprachrohr und Anwalt aller ehemaligen Wehrmachtsoldaten zu sein, um durch die »Konzentration des Soldatentums«61 mit gewichtiger politischer Stimme »in allen das Soldatentum berührenden entscheidenden Fragen«62 Stellung zu beziehen. Zwar konnte der VdS nicht die Mehrheit, dafür aber einflussreiche Traditions­ verbände zu seinen Mitgliedern zählen. 24 Männer zählte das erste vorläufige Präsidium 58 59 60

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Vgl. Schenck zu Schweinsberg, Die Soldatenverbände in der Bundesrepublik, S. 100. Vgl. Manig, Politik der Ehre, S. 199, 240‑242, 272‑302; Wrochem, Erich von Manstein, S. 235. Hansen trat 1898 als Kadett in die Kaiserliche Marine ein. 1916 nahm er als Offizier an der Skagerrakschlacht teil. Bis zu seiner Pensionierung 1932 war er Chef der Marinestation der Ostsee in Kiel. Im Mai 1939 reaktivierte man den Träger beider Klassen des Eisernen Kreuzes aus seinem Ruhestand. Zwischen November 1941 und Juni 1943 war Hansen Leiter des Luftwaffenlehrstabes im Oberkommando der Kriegsmarine. Bis Ende 1943 diente er dem Oberbefehlshaber des Marine­ oberkommandos Ostsee. Früh engagierte er sich für die Interessen der ehemaligen Wehr­macht­ soldaten. Bereits unmittelbar nach Kriegsende gründete er trotz des alliierten Verbots einen informellen Veteranenverband, den »Hansen-Kreis«. In der Bundesrepublik war Hansen einer der ersten namhaften Funktionäre der wieder- bzw. neu gegründeten Veteranenverbände. Er verfolgte ab 1950, in einem frühen Stadium der Wiederbewaffnungsdebatte, mit Nachdruck das Ziel, auf höchster politischer Ebene eine »Anerkennung der Reinheit unserer einstigen Wehrmacht« (Förster, Die Wehrmacht im NS-Staat, S. 128, Anm. 134) und ihres unpolitischen Charakters zu erwirken. Vgl. Hildebrand/Henriot, Deutschlands Admirale 1849‑1945, Bd 2, S. 17 f.; VdS, Geschäftsstelle, Protokoll der Tagung am 9.  September 1951 in Bonn, 17.9.1951, BArch, BW  9/3085; Manig, Politik der Ehre, S. 395‑400; Frei, Vergangenheitspolitik, S. 209, 223. Vgl. VdS, Der Vorsitzende, Konzentration des Soldatentums, Bonn, 21.1.1959, BArch, BW 2/20005. VdS, Protokoll der Tagung am 9. September 1951 in Bonn, BArch, BW 9/3085. Vgl. Manig, Poli­ tik der Ehre, S. 410 f.

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III. Veteranenvereine und Totengedenken

des VdS, darunter viele prominente Persönlichkeiten aus den Reihen der Wehrmacht in ihrer aktuellen Funktion als Vertreter verschiedener Waffenkameradschaften und Traditionsverbänden: Den Bund ehemaliger deutscher Fallschirmjäger vertraten General a.D. Hermann-Bernhard Ramcke und Generaloberst a.D. Kurt Student, den Bund versorgungsberechtigter Wehrmachtangehöriger Admiral a.D. Gottfried Hansen, den Schutzbund ehemaliger Deutscher Soldaten Generalleutnant a.D. August Krakau und Oberst  a.D. Ludwig Gümbel, die Traditionsgemeinschaft Pan­zer­korps Großdeutschland General  a.D. Hasso von Manteuffel, den Verband Deutsches Afrika-Korps die Generale  a.D. Ludwig Crüwell und Hans-Karl von Esebeck sowie Oberst a.D. Irnfried von Wechmar63 sowie die ehemalige Waffen-SS General a.D. Herbert Otto Gille und Generaloberst a.D. Paul Hausser.64 Zum ersten Vorsitzenden des VdS wählten die Delegierten Generaloberst a.D. Johannes Frießner.65 Zumindest vor 1945 waren etliche der Genannten überzeugte Parteigenossen der NSDAP, glühende Anhänger von Hitler oder bekennende Anti­ semiten.66 Andere waren verurteilte Kriegsverbrecher oder befanden sich in laufenden Verfahren.67 63 64 65

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Wechmar wurde im Frühjahr 1959 als Oberst der Reserve aus der Bundeswehr verabschiedet. Vgl. Scherzer, Die Ritterkreuzträger, S. 742. Vgl. Schenck zu Schweinsberg, Die Soldatenverbände in der Bundesrepublik, S.  103; Manig, Politik der Ehre, S. 395. Frießner war während des Zweiten Weltkrieges Oberbefehlshaber der Heeresgruppen Nord und Süd an der Ostfront. Für seine Verwendung als Präsident des VdS sprach, dass er bereits 1947 aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft entlassen wurde und vergleichsweise wenig belastet war. Darüber hinaus galt er für viele Waffen- und Traditionsgemeinschaften als vertrauenswürdig. Vgl. Schenck zu Schweinsberg, Die Soldatenverbände in der Bundesrepublik, S. 101. Guderian, Manteuffel und Ramcke beispielsweise unterhielten laut britischem Geheimdienst Kontakte zur sogenannten Bruderschaft, die sich 1945 in einem britischen Kriegsgefangenenlager gebildet hatte. Anführer des rechtslastigen Zusammenschlusses war seit 1950 der ehemalige Staatssekretär im Reichspropagandaministerium Werner Naumann. Ab 1951 nannte sich die Bruderschaft daher »Naumann-Kreis«. Neben ehemaligen Nazifunktionären zählten auch ehemalige Soldaten zu dessen Mitgliedern. Der Kreis verfolgte das Ziel, die Bundesrepublik zu unterwandern. Schließlich erfuhr der britische Geheimdienst von diesen Plänen und verhaftete im Januar 1953 Naumann und andere Angehörige des Kreises. Vgl. Baldow, Episode oder Gefahr?; Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, S. 208, 391, 478. Beispielhaft für die vielfach rechtslastige Mitgliederstruktur des VdS in seiner Gründungsphase sind auch Crüwell und Gümbel. Beide waren Träger des Blutordens, des Ehrenzeichens der NSDAP, und distanzierten sich auch nach 1945 weder von ihrer Anhängerschaft zu Hitler und dem Nationalsozialismus noch von ihren antisemitischen Einstellungen. Zumindest Gümbel verbreitete noch in den frühen 1950er-Jahren innerhalb der Veteranenszene seine antisemitische Anschauung. Vgl. Manig, Politik der Ehre, S. 325, Anm. 13, S. 395; Neitzel, Abgehört, S. 52, 58. Zwei Beispiele für diese Gruppe: Ramcke, ab September 1944 in amerikanischer Kriegs­ ge­ fangenschaft, wurde im Dezember 1946 an Frankreich ausgeliefert. Dort verurteilte man ihn im Frühjahr 1951 wegen Kriegsverbrechen im Kampf um Brest zu einer Gefängnisstrafe von fünfeinhalb Jahren. Bereits im Juni 1951 wurde er wegen seines fortgeschrittenen Alters vorzeitig aus der Haft entlassen. Vgl. Thomas/Wegmann, Die Ritterkreuzträger der Deutschen Wehrmacht 1939‑1945, Teil II: Fallschirmjäger, S. 214‑218. Kesselring wurde im Mai 1947 wegen Duldung von Geiselerschießungen in den Fosse Ardeatine und wegen seiner Befehle zur Bandenbekämpfung durch ein britisches Militärgericht ursprünglich zum Tod durch Erschießen verurteilt. Noch im Juli des Jahres wurde diese Strafe in lebenslange Haft umgewandelt. 1948 verkürzte man sie ein weiteres Mal auf 21 Jahre. Schließlich wurde Kesselring wegen seiner Krebserkrankung im Herbst 1952 vorzeitig entlassen. Vgl. Lingen, Kesselrings letzte Schlacht, S. 76, 302 f.



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An der Gründungsversammlung nahmen 51  Vertreter verschiedener Soldaten­ bünde teil.68 Zu den Gründungsmitgliedern zählten neben den sechs bereits genannten Gruppen zwei weitere Verbände: die Organisation der Kraftfahrttruppen und der Stahlhelm.69 ›Freischwebend‹ nahmen Admiral a.D. Hellmuth Guido Heye als Vertreter der Marine und Generaloberst a.D. Heinz Guderian, Generaloberst a.D. Johannes Frießner, Generalmajor a.D. Erich Dethleffsen und Kapitän zur See a.D. Heinz Assmann teil. 1954 schloss sich auch der mitgliederstarke und traditionsreiche Kyffhäuserbund dem VdS an, allerdings unter Beibehaltung seines Status als unabhängiger Soldatenbund. 1962 trat die Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS (HIAG) ebenfalls dem VdS bei.70 Für seine Mitglieder fungierte der weit am rechten politischen Rand angesiedelte VdS als Dachverband mit föderaler Struktur. Die Hauptgeschäftsstelle hatte ihren Sitz in Bonn, nahe der Bundesregierung. Insgesamt gliederte sich der Dachverband in elf Landesverbände, denen jeweils absteigend Bezirksverbände (Regierungsbezirke), Kreisverbände und Ortsgruppen untergeordnet waren.71 Die Mitglieder des VdS waren zunächst ehemalige Berufssoldaten der Wehr­ macht, später stammten sie zunehmend aus der Bundeswehr. Seit 1956 existierte ein Abkommen zwischen dem VdS und dem damals neu gegründeten Deutschen Bun­ des­ wehrverband (DBwV), in dem vereinbart wurde, dass den Zeit- und Berufssoldaten, die aus der Bundeswehr ausschieden, der Beitritt im VdS nahegelegt werden sollte. Insgesamt war der VdS ein Verband für Berufssoldaten.72 Ende der 1950er-Jahre zählte der VdS etwa 80 000 Mitglieder, zehn Jahre nach seiner Gründung war die Zahl, wie aus einer Notitz des Führungsstabes der Bundeswehr (FüB) hervorgeht, auf etwa 120 000 gewachsen. Insgesamt, so die Einschätzung 68 69

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Vgl. Manig, Politik der Ehre, S. 395. Der Stahlhelm gründete sich am 24.2.1951 in Frankfurt a.M. wieder. Später kehrte er zu seinem ursprünglichen Namen Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten zurück. Nach seiner vorzeitigen Haftentlassung im Oktober 1952 übernahm Kesselring den Ehrenvorsitz des Stahlhelms. Sein prominenter und symbolträchtiger Name sollte dem Verband zu mehr Mitgliedern verhelfen. In seinen Publikationen ventilierte der Stahlhelm seine Geringschätzung der Parteienlandschaft in der Bun­desrepublik Deutschland. Der Politikwissenschaftler Richard Stöss charakterisiert den Verband als rechtsextrem. Vgl. Lingen, Kesselrings letzte Schlacht, S. 297‑300; Stöss, Die extreme Rechte, S. 129. Vgl. Manig, Politik der Ehre, S. 395; Hirsch, Rechts von der Union, S. 245. Seit 1951 organisierten sich die ehemaligen Angehörigen der (Waffen-)SS in der HIAG. Zeitweise zählte die HIAG bis zu 20 000 Mitglieder. Der Bundesverband löste sich 1992 auf, allerdings existieren regionale Verbände weiter. Die HIAG schloss sich 1962 dem VdS an und war dort ein tragendes Mitglied mit großem Einfluss innerhalb des Verbandes. Zentrale Anliegen der HIAG, für die sie auch im VdS eintrat, waren die rechtliche Gleichstellung von ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS und ehemaligen Wehrmachtsoldaten oder die Rehabilitierung der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS. Ab den 1960er-Jahren war sie in der Bevölkerung zunehmend umstritten, und die Verfassungsschutzberichte führten die HIAG bis in die 1980er-Jahre als rechtsextreme Organi­ sation. Vgl. Wilke, Die »Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit« (HIAG) 1950‑1990. Vgl. Körber, Die Gliederung des VdS, S. 79. Vgl. Vereinbarung des Verbandes deutscher Soldaten mit dem Deutschen Bundeswehr-Verband aus dem Jahre 1956. Abgedr. in: Körber, Soldat im Volk, S. 167 f.; Schreiben des VdS, Der Vor­ sitzende Generaloberst a.D. Hans von Salmuth, an den Generalinspekteur der Bundeswehr, General Heusinger, 10.2.1960, BArch, BW 2/20005. Vgl. Soldat zwischen gestern und morgen, S. 5; Lockenour, Soldiers as Citizens, S. 49.

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Kühnes, konnte er jedoch nie mehr als 200 000 Mitglieder mobilisieren. Damit zählte der VdS dennoch neben dem 1957 gegründeten RdS zu den mitgliederstärksten und einflussreichsten soldatischen Dachverbänden in der Bundesrepublik. Danach sanken seine Mitgliederzahlen kontinuierlich. Im Jahr 1989 hatte er nach eigenen Angaben noch gut 85 000, zehn Jahre später waren es noch gut 80 000. In den letzten Jahren seines Bestehens zählte er lediglich noch 5000 Mitglieder.73 Publizistisches Sprachrohr des Verbandes war vom 1.  Mai 1951 bis zu ihrer Einstellung Ende 201374 die stark rechtslastige und oft auch rechtsextreme Zeit­ schrift Soldat im Volk. Für Tradition und Fortschritt, Ehre und Recht, Freiheit und Kamerad­schaft, die immer wieder für scharfe Kontroversen sorgte. Am 21. September 1951, wenige Wochen nach Gründung des VdS, gab der erste Präsident Frießner in Bad Godesberg vor ausländischen Journalisten eine Presse­ konferenz. Sie wurde zum Debakel für den Verband und enthüllte die Gesinnung des Präsidenten, die dieser, wie er selbst betonte, in »soldatisch-offener Sprache«75 und ganz im Geiste seiner vor 1945 erfolgten politischen Sozialisation darlegte. Frießner rechtfertigte nicht nur den kriegsauslösenden deutschen Angriff auf Polen am 1. September 1939 »als Akt der volksdeutschen Notwehr«. Er äußerte sich auch über den militärischen Widerstand des 20. Juli 1944, den er »als Soldat und Christ« als »politischen Mord« ablehne, während er zugleich die Waffen-SS als stets »anständig kämpfend« pries.76 Die Außenwirkung dieser Rede eines offensichtlich vollkommen Unbelehrbaren war katastrophal. Am 10.  Dezember 1951 musste Frießner zurücktreten, am 6. Januar 1952 folgte ihm Hansen nach. Zwar gelang es Hansen, den Verband aus der politischen Schusslinie zu manövrieren, explizit allerdings distanzierte sich der VdS nie von diesem Gedankengut.77 Ab Ende 1951 widmete sich der VdS der Durchsetzung einer Interessenpolitik, welche auf die Rehabilitierung der einstigen Führungselite der Wehrmacht abzielte. Obwohl nach der Frießner-Affäre nur durch die Gnade des Kanzleramtes am Leben gehalten, erarbeitete sich der VdS nach und nach in Bonn die Position eines respektierten Verhandlungspartners. Er fügte sich ein in die politische Kultur 73

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Vgl. Zimmermann, Ulrich de Maizière, S. 226, Anm. 341; FüB VII 7, Aktennotiz, Betr.: Verband deutscher Soldaten e.V., Bonn, 2.11.1961, BArch, BW  2/20005. Vgl. Kühne, Kameradschaft, S.  217; Schreiber, Vorwort, o.S.; Schäfer, Bundeswehr und Rechtsextremismus; Fritz, Die letzte Division. In: LOTTA, 4.8.2014. Vgl. Fritz, Die letzte Division. In: LOTTA, 4.8.2014. Zit. bei: Manig, Politik der Ehre, S. 412. Ebd. Die von Frießner geäußerte Einschätzung der Umstände des kriegsauslösenden Angriffs auf Polen deckt sich ganz mit der Perspektive des ersten Wehrmachtberichtes vom 1. September 1939, 11.35 Uhr: »Auf Befehl des Führers und Obersten Befehlshabers hat die Wehrmacht den aktiven Schutz des Reiches übernommen.« Nachfolgend sprach der Bericht von einem deutschen »Gegenangriff«, um der »polnischen Gewalt Einhalt zu gebieten«, Wehrmachtbericht vom 1. Sep­tem­ber 1939. Abgedr. in: Die Wehrmachtberichte 1939‑1945, Bd 1, S. 1 f., hier S. 1. Die Broschüre »Erlöst und vernichtet zugleich«, die der VdS zum 8. Mai 2005 herausgab, zeigt, dass dieser auch 60  Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges weitgehend ungebrochen an dem Narrativ des Wehrmachtberichts festhielt. Vgl. 8. Mai 1945: »Erlöst und vernichtet zugleich.« Vgl. Manig, Politik der Ehre, S. 439, 452; etwa: 30 Jahre Verband deutscher Soldaten, S. 2.



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der Bundesrepublik und war unter Wehrmachtveteranen und später auch Bun­des­ wehrsoldaten vor allem in den 1950er-Jahren ein politisches Schwergewicht. Vielen Führungsoffizieren der Wehrmacht eröffnete der VdS die Möglichkeit, sich bei der Regierung für ihre militärischen, politischen und finanziellen Interessen einzusetzen, ihr Ansehen zu verbessern und sich als gesellschaftlich relevante Kraft zu inszenieren.78 Der Verband trat selbstbewusst gegenüber der Politik auf. Er kämpfte mit Erfolg für eine materielle Versorgung der ehemaligen Berufssoldaten der Wehrmacht. Darüber hinaus forderte Hansen im Frühjahr 1952 bei Eisenhower, der im Spätherbst dieses Jahres Präsident der Vereinigten Staaten wurde, und bei Bundeskanzler Adenauer eine Generalamnestie, also die Freilassung aller als Kriegsverbrecher verurteilten Angehörigen der Wehrmacht.79 Zur Generalamnestie kam es nicht. Jedoch erreichte der VdS in Zusammenarbeit mit der deutschen und der britischen Politik, dass die »militärischen Ikonen«80 Erich von Manstein und Albert Kesselring unter dem Vorwand gesundheitlicher Gründe aus britischer Kriegsgefangenschaft entlassen wurden. Kesselring kam im Oktober 1952 frei, Manstein im Mai 1953. Verbandsintern besaß dieser Coup jedoch die Strahlkraft einer Generalamnestie. Und für seinen stillschweigenden Verzicht auf sein Maximalziel erhielt der VdS eine politische Kompensation: Er rang dem Kanzler das Versprechen ab, sich für eine umfassende Lösung der Kriegsverbrecherfrage einzusetzen, an das der Verband seinen weiteren Einsatz für die Wiederbewaffnung band.81 Gewichtiger und öffentlichkeitswirksamer war jedoch etwas anderes: Am 3.  Dezember 1952 verlas Adenauer vor dem Deutschen Bundestag die in der Geschäftsstelle des VdS maßgeblich mitformulierte Ehrenerklärung für alle ehemaligen »Waffenträger des deutschen Volkes« und bescheinigte damit pauschal der gesamten Wehrmacht ihre Ehre.82 Ein Meilenstein für die Veteranen. Mit den erkämpften Fortschritten zur Lösung der Kriegsverbrecherfrage und den Ehrenerklärungen befreite sich die Elite der Wehrmacht vom Vorwurf der Kollektivschuld. An dessen Stelle trat das Narrativ von der sauberen Wehrmacht.83 Laut Satzung – aus Gründen der gut gesicherten Dokumentierbarkeit wird die vom 1. Dezember 1969 gewählt – trat der Verband über die Rehabilitierung hinaus für folgende Aufgaben ein, die bis zu seiner faktischen Auflösung 2016 Bestand hatten: »1. Pflege der soldatischen Tugenden, insbesondere der Kameradschaft. 2. Kampf für Recht und Freiheit, dieser schließt insbesondere in sich: a) Treue zum ungeteilten Vaterland.

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Vgl. Manig, Politik der Ehre, S. 440, 475; Brüggemann, Männer von Ehre?, S. 427; Diehl, The Thanks of the Fatherland, S. 226. Vgl. Manig, Politik der Ehre, S. 456 f., 475‑481, 596; Rupieper, Dwight D. Eisenhower. Vgl. Lingen, Kesselrings letzte Schlacht, S. 295. Vgl. Manig, Politik der Ehre, S. 463‑475; Wrochem, Erich von Manstein, S. 248‑259; Lingen, Kesselrings letzte Schlacht, S. 247, 302 f. Vgl. Manig, Politik der Ehre, S. 475, 480, 539. Vgl. ebd., S. 475.

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b) Bekämpfung jeder Diffamierung und Rechtsminderung aller Soldaten, Wehr­ machts­beamten und ihrer Hinterbliebenen. c) Eintreten und Hilfe für die noch im Gewahrsam befindlichen deutschen Kriegs­ verurteilten mit dem Ziel, den Festgehaltenen zur Freiheit zu verhelfen. d) Durchsetzung der verfassungsmäßigen und gesetzlich verbrieften Rechte. e) Pflege des Wehrgedankens und der Wehrbereitschaft. 3. Linderung der sozialen Not in den Familien, der Witwen und Waisen, Versehrten, Kranken und Alten durch umfassende Betreuung (Zuwendungen dieser Art dürfen nur bedürftigen Personen zugute kommen). 4. Förderung aller Maßnahmen, die der Vorbereitung auf einen bürgerlichen Beruf dienen. 5. Unentgeltliche Beratung und Vertretung aller Soldaten bei der Wahrnehmung ihrer aus der Wehrdienstzeit, den Versorgungs- und sonstigen sozialen Gesetzen sich ergebenden Rechte. 6. Pflege und Schutz des Andenkens der in Erfüllung ihrer staatsbürgerlichen Pflicht gefallenen Wehrmachtsangehörigen. 7. Kameradschaftliche Zusammenarbeit mit Verbänden gleichartiger Zielsetzung. 8. Fühlungnahme mit den Soldaten aller Völker auf der Grundlage gegenseitiger Ach­tung. 9. Jugendarbeit im Sinne der Nummer 1. (2) Der VdS verfolgt diese Ziele unter Bejahung der demokratischen Staatsform, jedoch unabhängig von Parteipolitik und weltanschaulicher Bindung.«84

Neben materiellen Dienstleistungen für seine Mitglieder, der »Wiederbelebung der alten Kameradschaft«85 und dem Gedenken an die gefallenen Kameraden war die Garantie für eine »inhaltlich fortdauernde Kontinuität des deutschen Soldatentums«86 zentrales Anliegen. Die damit verbundenen Werte wie »Tapferkeit, Opferbereitschaft und Kameradschaft«87, aber auch »Eidestreue«88 sollten erneut belebt werden, um ihnen so »zu allgemeiner Geltung in unserem Volke«89 zu verhelfen. Dieser Appell, zu alten, vordemokratischen Soldatenbildern zurückzukehren, wie sie z.B. in der Armee der Kaiserzeit und in der Wehrmacht gültig waren, richtete sich an die Bundeswehr. Mittels enger Zusammenarbeit und durch personellen Austausch wollte der VdS de facto die Bundeswehr unterwandern, um so seine Vorstellungen vom Soldatentum zu verbreiten und einen Gegenentwurf zur neuen Führungsphilosophie des Staatsbürgers in Uniform zu schaffen, wie sie die Reformer um Wolf Graf von Baudissin für die Bundeswehr vertraten und die der Dachverband der Wehrmachtsoldaten entschieden ablehnte. Denn in der Problematisierung ihrer soldatischen Werte und den Ideen der Reformer sahen die einstigen 84 85 86 87 88 89

Satzung Verband deutscher Soldaten (VdS) e.V. (Stand: 1.12.1969). Abgedr. in: Körber, Soldat im Volk, S. 171‑183. Echternkamp, Soldaten im Nachkrieg, S. 197. »Soldatische Tradition – gestern und heute.« Vortrag des Generals  a.D. Matzky anlässlich des Seminars des Deutschen Bundeswehrverbandes am 14.4.1978 in Walberberg, BArch, MSG 3/4134. Ebd. Der Verband rief mit den Worten »Getreu unserem Eid ...« im Herbst 1951 die ehemaligen Kriegs­ teilnehmer zum Eintritt in den VdS auf. Zit. bei: Manig, Politik der Ehre, S. 324. Zit. bei: Theimer, Des Teufels Generale, S. 537.



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Wehrmachtangehörigen einen Angriff auf ihre militärische Ehre.90 Der VdS sah sich daher zu der »Feststellung verpflichtet, dass ein Heer ohne unbedingten Gehorsam nicht bestehen kann«91. Für ihn war der Soldatenberuf ein Beruf sui generis und der Soldat erhaben über die Masse ziviler Staatsbürger. Insgesamt, so der VdS, breche die Bundeswehr mit der Kontinuität des deutschen Soldatentums, was langfristig zu einer »Spaltung zwischen altem und neuem Soldatentum«92 führen müsse. Spätestens als die Bundeswehr an Auslandseinsätzen teilnahm, setzte sich der Verband dafür ein, die Spaltung zu überwinden und dem Soldatenberuf diese Sonderstellung zurückzugeben. 1991 forderte der VdS etwa Ehrungen für Einsatzsoldaten, ab den 2000erJahren ein Gefallenengedenken.93 Das Eintreten für die alten Werte korrespondierte mit der satzungsmäßigen Aufgabe des VdS, der Verunglimpfung der Wehrmacht und der deutschen militärischen Vergangenheit sowie der »Diffamierung des deutschen Soldaten«94 entgegenzuwirken, die die Agenda des VdS neben der Traditions- und Kamerad­ schafts­pflege, dem Totengedenken und der Förderung des Wehrgedankens bis zu seiner Auflösung bestimmte. Das verwundert nicht, denn bis 2001 – in diesem Jahr übergab Generalmajor  a.D. Jürgen Schreiber die Führung des Verbandes an Oberstleutnant a.D. Erich Hoppe – dienten alle Vorsitzenden auch in der Wehrmacht und prägten durch ihre persönliche Betroffenheit von der Wehrmachtkritik die Linie des Verbandes nachhaltig. Die beiden letzten Vorsitzenden Hoppe und ab 2004 Oberstleutnant a.D. d.R. Max Klaar setzten diese geschichtspolitische Ausrichtung in wesentlichen Teilen fort, obwohl sie ausschließlich in der Bundeswehr dienten.95 Diese Grundhaltung fand 1965 ihren Ausdruck in der Diffamierung jeglicher Wehrmachtkritik zum »publizistischen Landesverrat«96 – eine Auffassung, welche die Wehrmacht jeglicher kritischer Debatte entrückte. Als besondere Provokation empfand der VdS die seit den 1960er-Jahren zunehmend quellenbasierte und damit kritische Beschäftigung mit dem Zweiten Weltkrieg in der Forschung, insbesondere wenn diese gewissermaßen aus den eigenen Reihen kam. Eine Reizfigur für den Verband war Manfred Messerschmidt, 1970‑1988 Lei­ ten­der Historiker am Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) der Bundes­ 90 91 92 93 94

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Vgl. Matzky, »Soldatische Tradition – gestern und heute«, 14. April 1978, BArch, MSG 3/4134. Vgl. Hillmann, Die Kriegsmarine und ihre Großadmirale, S. 299. Handbuch für den ehemaligen Deutschen Soldaten 1953, S. 69. Matzky, »Soldatische Tradition – gestern und heute«, 14.4.1978, BArch, MSG 3/4134. Vgl. Schreiber, VdS fordert Auszeichnung für deutsche Einsatztruppen am Golf, S. 114; Klaar, Wer ehrt wo die Gefallenen der Bundeswehr?, S. 195; Arlak, Und der Dank des Vaterlandes?, S. 52. Vgl. Schenck zu Schweinsberg, Die Soldatenverbände in der Bundesrepublik, S.  115; Satzung Verband deutscher Soldaten (VdS) e.V. (Stand: 1.12.1969). Abgedr. in: Körber, Soldat im Volk, S. 171‑183, hier § 3 (1)2.b), S. 171. Die Satzung des VdS mit Stand 12.4.1997, § 3, 4, war gültig bis zur Auflösung des VdS 2016 und auf der Internetseite des Verbandes abrufbar. PDF-Datei im Privatarchiv der Autorin. Vgl. Klaar, 55 Jahre Verband deutscher Soldaten e.V., S. 47; Schenck zu Schweinsberg, Die Sol­ da­tenverbände in der Bundesrepublik, S. 99 f. Schreiber war parallel von 1990 bis 2000 Präsi­dent des RdS und auch Vorsitzender des DLWR. Vgl. Neue Führungsspitze beim Ring Deutscher Sol­ datenverbände (RDS), S. 283; Bundeswehr zieht Trennungsstrich zum VdS. In: Anti­fa­schis­tisches InfoBlatt, 12.6.2004; Der neue Bundesvorsitzende und sein Stellvertreter stellen sich vor, S. 112 f. Jahresbericht 1965 über die Tätigkeit des Vorstandes des Verbandes deutscher Soldaten, S. 3.

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wehr in Freiburg und Vertreter einer kritischen Militärgeschichte in Deutsch­land. Messerschmidt steht für die schonungslose Aufarbeitung der Rolle der Wehr­ macht im Zweiten Weltkrieg und für den unbedingten Willen zu historisch-wissenschaftlicher Aufklärung. Darüber hinaus tritt er für eine Neubewertung von Deserteuren der Wehrmacht ein und profilierte sich in der heftigen Debatte über die Wehrmachtausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung als deren entschiedener Verteidiger.97 Auch über sein Ausscheiden aus dem MGFA hinaus versuchte der VdS Messerschmidt als Wissenschaftler zu diskreditieren und beim BMVg seine Ent­ lassung zu bewirken.98 Der undifferenzierte Vorwurf des VdS war die Behauptung, Messer­schmidts Forschung basiere auf einer Art Abneigung gegen Soldaten und nicht auf Fakten.99 Auf diese Weise bezichtigte ihn der VdS der »pauschale[n] Verunglimpfung der Soldaten der Wehrmacht«100, der »Verleumdung«101 und der Geschichtsfälschung102. Schreiber, VdS-Präsident von 1987 bis 2001, sah in Messerschmidts grundlegender Arbeit über die Rolle der Wehrmachtjustiz im Nationalsozialismus von 1987 nichts als ein Anklagebuch, das »in seiner hasserfüllten Einseitigkeit nicht ernst genommen werden«103 solle.104 1996 legte Schreiber nach und äußerte, Messerschmidt sei nichts als ein »sich immer mehr in Hasstiraden hereinsteigernder Vortragsreisender in Sachen Wehrmachtverleumdung«105. Zu diesem Zeitpunkt war der Forscher längst Rentner. Auch in der öffentlichen Würdigung von Deserteuren, wie sie etwa in Bonn oder in Bremen Ende der 1980er-Jahre geplant war, wollte der VdS eine Diffamierung aller eidestreuen Wehrmachtsoldaten erkennen. 1989 sammelte der Verband Unter­ schriften gegen ein in Bonn geplantes Denkmal, das jenen Soldaten gewidmet sein sollte, die Hitler den Gehorsam verweigerten. Darüber hinaus drängte er den Bonner Oberbürgermeister und den Bremer Senat, die Aufstellung zu verhindern.106 Durch die Ehrung der Deserteure fühlte sich der VdS zum einen provoziert, zum anderen stellte eine solche Würdigung das vom VdS maßgeblich mitformulierte Geschichtsbild des ehrenhaften, weil unter allen Umständen eidestreuen Soldaten öffentlich infrage. Die Kampagne der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte 97 98 99 100 101 102 103 104

105 106

Vgl. Epkenhans, Zum 85. Geburtstag von Prof. Dr. Manfred Messerschmidt. Vgl. Abschließende Erwiderung des Oberst a.D. Dr. Rolf Elble, S. 4 f.; Bekenntnis zur Tradition mit Blick in die Zukunft, S. 4. Vgl. Remmen, Deserteure und Militärgerichte, S. 18; Abschließende Erwiderung des Oberst a.D. Dr. Rolf Elble; Eniuse, Messerschmidt und Co, S. 140. Abschließende Erwiderung des Oberst a.D. Dr. Rolf Elble; Messerschmidt, Militär­ge­schichts­ schreibung tendenziös?, S. 4. Bekenntnis zur Tradition mit Blick in die Zukunft, S. 4. Vgl. Elble, Messerschmidt »außer Dienst«, S. 3; Eniuse, Messerschmidt und Co, S. 140. Zit. bei: Virchow, Gegen den Zivilismus, S. 418. Vgl. Zimmermann, Generalmajor a.D. Dr.  Jürgen Schreiber für weitere zwei Jahre an der Verbandsspitze, S. 117; Bundeswehr zieht Trennungsstrich zum VdS, (letzter Zugriff 6.9.2021); Messerschmidt/ Wüllner, Die Wehrmachtjustiz im Dienste des Nationalsozialismus. Schreiber, »Leutnant« Manfred Messerschmidt?, S. 260. Vgl. Hauptgeschäftsführer des VdS stellt Strafantrag wegen Beleidigung, S. 1; Deserteur-Denkmal in Bonn?, S. 59; Michaelis, »Fragwürdigs Unterfangen«, S. 3.



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Kriegsdienstgegner, welche die Ehrenmale für Deserteure vorantrieb, empfand der VdS als »reine Blasphemie«107. In diesem Zusammenhang ist auch die Agitation des VdS-Verbandsblattes Soldat im Volk gegen die erste Wehrmachtausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung zu sehen. Dieser Kampf gegen die »Anti-Wehrmachts-Aus­ stel­ lung«108, wie der VdS die Dokumentation nannte, die er als wissenschaftlich unseriös diskreditierte, beherrschte ab der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre die Arbeit des Verbandes. Es war zugleich die letzte Offensive des VdS vor dem Verschwinden in die Bedeutungslosigkeit.109 Ebenso versuchte der VdS insbesondere ab den 1990er-Jahren die Umbenennung von Bundeswehrkasernen, die Namen belasteter Wehrmachtoffiziere trugen, zu verhindern. In diesem Zusammenhang spottete das VdS-Verbandsblatt: »Wann bekommt die Bundeswehr ihre Gänseblümchen-Kaserne?«110 Im Eintreten für die Beibehaltung auch durch die NS-Zeit belasteter Namen für militärische Einrichtungen wie z.B. Generaloberst-Dietl-Kaserne oder MöldersKaserne verbarg sich die Sorge des VdS, dass mit dem Verschwinden dieser Namen, die für ihn militärische Vorbilder repräsentierten, insgesamt traditionelle Vorstellungen von Soldatentum und soldatischer Persönlichkeit aufgegeben werden könnten.111 In den Traditionsrichtlinien von 1982 sah der VdS eine »amtlich vollzogene Diffamierung«112 der Wehrmacht, denn der Erlass stelle die Soldaten der Wehrmacht nicht »eindeutig als anständige Kerle«113 dar.114 Aber gerade weil diese »so großartig sind, müssten sie in der Bundeswehr heute besonders gepflegt werden. Sie sollten nicht mit einer angeblichen Schuld belastet werden, da der deutsche Soldat bis zuletzt im guten Glauben war, er kämpfe für Volk und Vaterland und nicht für ein verbrecherisches Regime!«115 Zur Legitimation seiner Wertvorstellungen präsentierte der VdS eine nahezu geschichtsblinde Interpretation der Wehrmacht. Diese Deutung änderte sich kaum, wie die folgenden Beispiele zeigen. Über den Kriegsbeginn konnte man 1953 lesen: »Am 1. September 1939 trat die deutsche Wehrmacht ihren Opfergang an, tapfer und einsatzbereit hat sie ihre Pflicht bis zum letzten erfüllt, auch dann noch, als das Versagen der obersten Führung Hitlers selbst dem einfachen Mann nicht mehr verborgen bleiben konnte, selbst dann noch, als die Heimat in Schutt und Asche versank, eigene Frauen und Kinder dem Moloch Krieg geopfert wurden.«116

107 108 109 110 111 112 113 114 115 116

Baumann, Das ist reine Blasphemie, S. 139. L.P., KV Speyer, S. 44. Vgl. Stoecker, Kritische Bemerkungen, S.  7‑9; auch VdS-Vertreterversammlung 2000, S.  131; Latzel, Soldatenverbände gegen die Ausstellung »Vernichtungskrieg«, S. 335. Vgl. Schreiber, Zeitgeist contra Tradition, S. 45‑47. Vgl. Leesen, Bald fällt selbst das Eiserne Kreuz, S. 167‑169; Bernhard, »Mölders«, S. 48 f. Elble, Unsere wesentlichen Bedenken, S. 5. Vgl. Mahlow, Zum Wertewechsel in der Bundeswehr, S. 7. Vgl. Wette, Die Wehrmacht, S. 259 f. Blumröder, Über Tradition und Traditionswürdigkeit, S. 11. Handbuch für den ehemaligen Deutschen Soldaten 1953, S. 69.

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Und ähnlich war die Position auch 1991:

»Im ganzen ist aber festzuhalten, dass es Führung und Truppe des Heeres trotz der unglaublichen Befehle, die von oben kamen, weitestgehend gelungen ist, die Ehre des deutschen Soldaten rein zu halten [...] Die Leistungen der deutschen Soldaten im Russlandfeldzug waren [...] bewunderungswürdig [...] Ihre Haltung [...] fast übermenschlich.«117

Der Geschichtsrevisionismus, der sich hinter diesen Ansichten verbirgt, zeigte sich in einer hartnäckigen Leugnung jeglicher Kriegsschuld, noch weit über die Ansichten des ersten VdS-Präsidenten Frießner hinaus. So äußerte sich z.B. Gerd SchultzeRohnhof, Generalmajor a.D. der Bundeswehr,118 für den VdS im Jahr 2005 anlässlich des 60. Jahrestages des Kriegsendes in der eigens zu diesem Zweck publizierten Broschüre »8. Mai 1945 – Erlöst und vernichtet zugleich«:

»Das neue Polen – kaum gegründet – stellt 1918 aus den ehemals deutschen, österreichischen, ungarischen und russischen Weltkriegssoldaten polnischer Nationalität ein starkes Heer auf und beginnt, sich nach drei Himmelsrichtungen zu Lasten seiner Nachbarn Russland, Deutschland, Litauen und Tschechoslowakei angriffsweise auszudehnen.«119

Hier wird gewissermaßen die geopolitische Situation am Ende des Ersten Weltkriegs in demagogischer Absicht benutzt, um ein Klima zu konstruieren, das den deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 indirekt auch als Akt der Verteidigung er­scheinen lässt. Auch Max Klaar vertrat historisch ähnlich absurde Ansichten. So be­hauptete er 2011, beide Weltkriege hätten England und seine Verbündeten als zweiten Dreißigjährigen Krieg initiiert, um Deutschland als Wirtschaftsmacht aus­zu­schalten.120 Inhaltlich lag dies ganz auf der Linie der NS-Propaganda, die ebenfalls stets behauptete, die Weltkriege seien Deutschland aufgezwungen worden. Darüber hinaus forderte Klaar bereits seit 1989 in einem Rundschreiben die Revision der 1945 festgelegten Grenzen und die territoriale Wiederherstellung des Deutschlands von 1937.121 Formal bekannte sich der VdS, der bei seiner Gründung Bundeskanzler Adenauer und Bundespräsident Theodor Heuss die Zusicherung gab, den Aufbau und Bestand der Bundesrepublik loyal zu unterstützen, in seinen Satzungen regelmäßig zur »demokratischen Staatsform«122. In der Praxis aber musste er an dieses Versprechen er117 118

119 120 121 122

Blumröder, Über Tradition und Traditionswürdigkeit, S. 11. Schultze-Rhonhof, Befehlshaber im Wehrbereich II und Kommandeur der 1. Panzerdivision, wurde im März 1996 auf eigenen Wunsch vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Wegen seiner rechtslastigen und geschichtsrevisionistischen Positionen, die er als Autor und Referent verbreitet, erklärte die Bundeswehr ihn zur »persona non grata« und erteilte ihm Kasernenverbot. Bei der Bundestagswahl 2017 sprach er sich für die rechtspopulistische und teilweise rechtsextreme Partei Alternative für Deutschland (AfD) aus. Vgl. Kilian, Führungseliten, S. 554 f.; Ein Mann mit Rückgrat, (letzter Zugriff 6.9.2021). Schultze-Rhonhof, 8. Mai 1945, S. 32. Vgl. Klaar, Dann gnade Euch Gott, S. 205. Vgl. Wette, Militarismus und Pazifismus, S.  175‑177; Gass, Der Einmarsch der »Traditions­ge­ mein­schaft Potsdamer Glockenspiel e.V.«, S. 10. Satzung Verband deutscher Soldaten (VdS) e.V. (Stand: 1.12.1969). Abgedr. in: Körber, Soldat im Volk, S. 171‑183, § 3 (2), S. 172.



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innert werden. Ein formales Bekenntnis zum Grundgesetz fand sich erst ab 1981 in der Satzung des Verbandes.123 Die Analyse der öffentlichen Äußerungen und der publizistischen Arbeit des VdS lässt dessen geschichtsrevisionistisches, antidemokratisches und oft rechtsextremes Weltbild, das sich über die gesamte Zeit seines Bestehens hielt, zutage treten. Zwar lassen sich keineswegs alle Mitglieder des Dachverbandes pauschal als rechtsextrem bewerten, aber dennoch weisen zahlreiche Belege auf eine weite Verbreitung oder zumindest eine Offenheit für neofaschistische Tendenzen hin. Auch haben sich weder der VdS als Gesamtverband noch seine Funktionäre jemals öffentlich klar und deutlich von Hitlers Angriffskriegen distanziert.124 Auch die Tatsache, dass die Verbandsschrift des VdS regelmäßig für rechtsextreme Druckerzeugnisse warb125 und entsprechenden Autoren ein Forum bot,126 belegt die Affinität des Verbandes zu solchen Positionen. Dies lässt sich von Anfang an nachweisen. Im Sommer 1960 plante der VdS in Zusammenarbeit mit dem BMVg eine »Broschüre über das deutsche Soldatentum«. Verfassen sollten sie die Schriftsteller Ernst Jünger und Werner Beumelburg. Letzterer war ein repräsentativer Autor des Nationalsozialismus. Beumelburg schrieb Romane zu militärgeschichtlichen Themen 123

124



125

126

Vgl. Eine Mahnung an die Soldatenbünde. In: FAZ, 3.10.1951; Satzung Verband deutscher Soldaten (VdS) e.V. (Stand: 24.4.1981). Abgedr. in: Körber, Soldat im Volk, S. 193‑200, hier § 2, S. 193. Vgl. Schäfer, Bundeswehr und Rechtsextremismus; Rudel-Strauß, Erfolgreichster Kriegsflieger der Weltgeschichte, S. 149‑152. Ein Beleg für die Offenheit des VdS gegenüber Positionen des rechten politischen Lagers ist die Initiative seines ehemaligen Vorsitzenden Max Klaar für den Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Potsdamer Garnisonkirche. Für diesen Zweck gründete er in den 1980er-Jahren die Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel. Diese trat für eine ungebrochene und originalgetreue Wiedererrichtung der Kirche ein. Klaar brachte die Traditionsgemeinschaft zeitweilig sogar in der Geschäftsstelle des VdS unter. Neben einer fehlenden räumlichen Distanz steht diese Bürogemeinschaft wohl auch für eine gewisse geistige Nähe des VdS – auch über die Figur seines Präsidenten hinaus – zu diesem stark umstrittenen Vorhaben. Kritiker sahen die im 18. Jahrhundert erbaute Kirche als Sammelort der rechtsradikalen und rebuplikfeindlichen Kräfte. Sie zogen eine Linie vom preußischen Militarismus über den Rechtsradikalismus der Weimarer Republik und den Nationalsozialismus bis zu den rechtsextremen Auswüchsen der Gegenwart. Diese verorteten sie auch in der Person Max Klaar und seinem Konzept. Inzwischen ist die Entscheidung zum Wiederaufbau getroffen worden. Doch Klaars geistiges Erbe diskreditiere diese bis in die Gegenwart, so ein Sprecher der Stiftung Garnisonkirche. Die 2004 gegründete Fördergesellschaft steht unter der Schirmherrschaft der evangelischen Kirche, der Stadt Potsdam, des Landes Brandenburg und des Bundespräsidenten. Mit dem Wiederaufbau verfolgt sie andere Ziele als Klaar. Sie möchte die Kirche vor allem als Ort der Friedens- und Versöhnungsarbeit nutzen. Vgl. Den Bruch wagen; Gerlach, Das Kreuz mit der Kirche. In: taz, 1.11.2018; Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche, S.  192; Wiederaufbau Garnisonkirche Potsdam, (letzter Zugriff 6.9.2021); Langels, Der Streit um den Wiederaufbau der Garnisonkirche, 7.1.2020, (letzter Zu­ griff 6.9.2021); auch: Hirsch, Rechts von der Union, S. 248. Im Februar 1978 warb Soldat im Volk beispielsweise auf Seite 6 für eine Publikation des österreichischen Schriftstellers Karl Springenschmidt. Springenschmidt war NSDAP-Mitglied. Er zeichnete verantwortlich für die Bücherverbrennung auf dem Salzburger Residenzplatz am 30. April 1938. Auch nach 1945 blieb er ein Anhänger von rechtsextremem Gedankengut. Vgl. Soldat im Volk, 2/1978, S. 6; Jahn, Karl Springenschmid, S. 146‑147; auch: Schlee, Ritter sein – um der Zukunft willen, S. 325. Vgl. Clemens, Auftrag erfüllt, S. 59.

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und machte ab 1942 Karriere als Kriegstagebuchführer für den Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Hermann Göring. Vom Nationalsozialismus distanzierte er sich nie eindeutig.127 In den Ausgaben  4 und 5 aus dem Jahr 2003 stammte jeweils der Leitartikel von Richard Tedor, einem berüchtigten Neonazi aus den Vereinigten Staaten, der öffentlich als stellvertrender Vorsitzender der Nationalsozialistischen Partei Amerikas auftritt. Das Erscheinen Tedors im Rahmen des VdS blieb nicht folgenlos: Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) verhängte im März 2004 ein striktes Kontaktverbot zwischen Bundeswehr und VdS.128 Dies war zunächst das Ende einer wechselvollen Beziehung, die überraschenderweise Jahrzehnte währte. Denn bereits kurz nach Aufstellung der Bundeswehr herrschte im BMVg die berechtigte Befürchtung, dass der VdS der Bundeswehr schweren politischen Schaden zufügen könnte. Aus diesem Grund distanzierte sich das Ministerium wie etwa im Oktober 1959 vom VdS und lud diesen bewusst nicht zu der Eröffnung einer Wanderwerbeausstellung der Marine in Buxtehude ein.129 Ein Jahr später nahm das Ministerium der Bundesgeschäftsführung des Verbands dann das Versprechen ab, »dass jeder Anschein einer Rechtsradikalisierung im VdS vermieden werden«130 muss. Trotz der ständigen Sorge, der VdS könne Ansehen und Außenwirkung der Bundeswehr beschädigen, wurde dennoch die Zusammenarbeit zwischen Verband und Bundeswehr seitens des Ministeriums lange Zeit euphemistisch als »gut«131 beschrieben. Zum einen, weil man die Kooperation des Dachverbandes ehemaliger Wehrmachtsoldaten dringend zum Aufbau der Bundeswehr benötigte. Und zum anderen, weil es intensive Verbindungen zwischen hochrangigen Bundes­ wehr­ offizieren und ehemaligen Führungspersönlichkeiten der Wehrmacht gab, die nun den Verband leiteten. Das galt z.B. für den Inspekteur des Heeres und späteren Generalinspekteur der Bundeswehr Generalleutnant Ulrich de Maizière und den General a.D. der Bundeswehr und Vorsitzenden des VdS Gerhard Matzky. Beide dienten auch in der Wehrmacht und kannten sich bereits seit ihrer Zeit in britischer Kriegsgefangenschaft.132 127 128

129 130 131 132

Vgl. Zimmermann, Ulrich de Maizière, S. 227; Klee, Das Kulturlexikon zum Dritten Reich, S. 50. Vgl. Tedor, Unternehmen »Barbarossa«; Schreiben des BMVg, Referat FüS I 4, an den VdS, Betr.: Aufkündigung der Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und VdS, 11. März 2004, Privatarchiv Julia Nordmann. Die Autorin dankt Oberstleutnant  a.D. Ekkehard Herrmann, Vorsitzender Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres, dass er ihr dieses und weitere Dokumente zur Ver­fü­ gung gestellt hat. Vgl. Schreiben des VdS, Hauptgeschäftsführer Linde, an das BMVg, Betr.: Ausschaltung des VdS bei einer Werbewanderausstellung der Bundesmarine in Buxtehude, 31.10.1959, BArch, BW 2/20005. FüB  VII  7, Aktennotiz, Betr.: Kontaktaufnahme Major Schwarz FüB  VII  7 mit VdS Bun­des­ geschäftsführung am 20.9.1960, 4.10.1960, BArch, BW 2/20005. FüB VII 1, Vermerk, Betr.: Orientierung über den Verband deutscher Soldaten (VdS), 18.2.1960, BArch, BW 2/20005. Ulrich de Maizière war zwischen 1964 und 1966 Inspekteur des Heeres und zwischen 1966 und 1972 Generalinspekteur der Bundeswehr. Vgl. Zimmermann, Ulrich de Maizière, S. 227, 266, 326. Generalleutnant Gerhard Matzky war von April 1957 bis zu seiner Pensionierung im Februar 1960 Kommandierender General des I. Korps in Münster. Zwischen 1965 und 1978 war er Vorsitzender des VdS. Vgl. Körber, die Gliederung des VdS, S. 95‑98; Kilian, Führungseliten, S. 298. Siehe Kap. III.1.



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Auf der VdS-Tagung im April 1954 bezeichnete der designierte Verteidigungs­ minister Theodor Blank die VdS-Mitglieder als »hervorragende Vertreter des deutschen Soldatentums« und betonte, dass man in ihnen Kameraden finde, »von denen wir Rat und Anregung bekommen können«133. An anderer Stelle bezeichnete Blank die ehemaligen Wehrmachtveteranen des VdS als »wertvollste Kräfte«134 beim Aufbau der neuen Streitkräfte. Darüber hinaus gab er dem VdS das Versprechen, »echte Tradition erhalten und weiterleben«135 zu lassen. Und weiter: »Wir wollen von uns aus zu Ihnen [...] ein Band [knüpfen], um die neuen und die alten Soldaten eins werden zu lassen, in dem Empfinden, dass wir eins sind im Wesen, im Denken, eins sind im Empfinden, im Glauben und im Handeln nämlich, echtes deutsches Soldatentum zu wecken [...] Ein Soldatentum, die alten aus den beiden vergangenen Kriegen und die neuen, die wir heute aufbauen, ein Soldatentum in einer gemeinsamen Wesensart, von wahrhaft guten Soldaten-Kameraden.«136

Durch solche geradezu leichtfertig missverständlichen Worte, gesprochen auch aus der Notwendigkeit heraus, die Mitglieder des VdS für die Aufstellung der Bun­des­ wehr zu gewinnen, die jedoch einer scheinbar ungebrochenen Tradition zwischen Wehrmacht und Bundeswehr das Wort redeten, wurden, wie der Militär­his­to­ riker John Zimmermann konstatiert, »Geister gerufen«137, die zu einer Belastung für die Bundeswehr wurden, die schließlich untragbar wurde. Denn viele ehemalige Wehrmachtsoldaten, aber keineswegs nur diese, fühlten sich in Traditions­ auf­fassungen bestätigt, die in einem vordemokratischen und autoritären Militär­ verständnis wurzelten. Manche lasen aus solchen Ansprachen sogar Sympathien für geradezu rechtsextreme Positionen. Das brachte die Bundeswehr in der Folgezeit immer wieder in öffentlichen Rechtfertigungsdruck und setzte sie der Kritik aus, Kontakte zu entsprechenden Kreisen zu pflegen. 2004 war die Situation für die Bundeswehr schließlich untragbar geworden. Das Kontaktverbot trug wohl entscheidend zur Auflösung des VdS bei. Über ein Jahrzehnt wehrte er sich erfolglos dagegen. Im März 2014 wies schließlich auch das Bundesverfassungsgericht in Karsruhe eine Verfassungsbeschwerde des Verbandes gegen das Kontaktverbot zurück. Damit war es irreversibel. Und der VdS steckte in einer existenziellen Krise: Seine finanziellen Ressourcen waren durch die juristische Auseinandersetzung aufgebraucht. Nach eigenen Angaben konnte er die Vereinsarbeit nur noch durch Spenden aufrechterhalten. Schließlich musste der VdS aus finanziellen Gründen auch sein Kommunikationsmedium nach außen, Soldat im Volk, einstellen. Hinzu kamen rapide sinkende Mitgliederzahlen.138 All das beschleu133 134 135 136 137 138

Rede Theodor Blank, VdS-Jahrestagung, April 1954, ACDP, 01-098-001/1. Rede Theodor Blank bei der Jahrestagung des Verbandes deutscher Soldaten, 8.3.1956, BArch, BW 2/20173. Zit. bei: Zimmermann, Ulrich de Maizière, S. 226. Zimmermann zitiert aus der Rede, die Ver­tei­ di­gungsminister Blank auf der Vertreterversammlung des VdS am 22. März 1956 hielt. Zit. bei: ebd. Vgl. ebd. Vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 10.3.2014 – 1 BvR 377/13 – Rn. (1‑27), (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Klaar, 55 Jahre Verband deutscher Soldaten e.V., S. 47; Fritz, Die letzte Division. In: LOTTA, 4.8.2014.

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nigte die Erosion des Verbandes und höhlte ihn schließlich aus. Im Oktober 2016 löste er sich endgültig auf.139

b) Der Ring deutscher Soldatenverbände e.V. Bereits 1952 schien die Chance auf einen großen gemeinsamen Soldatenbund durch die Vielzahl der Neu- bzw. Wiedergründungen von soldatischen Interessen- und Traditionsverbänden wie dem DLWR, dem DMB oder dem Kyffhäuserbund vertan. Die zersplitterte Veteranenszene war geprägt durch gegenseitiges Misstrauen, Machtkämpfe und Rivalitäten. Viele Verbände wie VdS und Kyffhäuserbund besaßen keinen ernsthaften Fusionswillen, weil sie sich für stark genug hielten, um den jeweiligen Rivalen bei sich einzugliedern. So scheiterten maßgebliche Initiativen für Zusammenschlüsse wie die Eingliederung des DLWR oder des DMB in den VdS. Stattdessen organisierte sich jede der drei Teilstreitkräfte in einem eigenen Sammelverband.140 Erst am 23. November 1957 gelang in Bonn mit der Gründung des RdS der erste Zusammenschluss von Veteranen- und Traditionsverbänden sowie Kameradschaften aus allen Teilstreitkräften der ehemaligen Wehrmacht.141 Die größte soldatische Arbeitsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland entstand. Der Anstoß für die Gründung des RdS kam von außen: mit der am 10. Juni 1955 in Paris gegründeten Fédération Européenne des Associations de Combattants (FEDAC). Diesem multinationalen Zusammenschluss von Frontkämpferverbänden gehörten Vereinigungen aus den Beneluxstaaten, Frankreich und Italien an. Siegfried Westphal, General der Kavallerie a.D., vertrat die deutsche Seite. Er war eines der Gründungsmitglieder der FEDAC.142 Um eine Vereinfachung der Beziehungen zu den Soldatenverbänden in Westeuropa zu erreichen und den deutschen Traditions- und Veteranenverbänden eine Stimme auf übernationaler Ebene zu verleihen, wurde der RdS als »Sprecher«143 des deutschen Soldatentums gegründet. Bis zu seiner Auflösung vertrat der RdS als Nationale Sektion Deutschlands die Interessen der deutschen Soldatenverbände im 139

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Der VdS ist im Vereinsregister des Amtsgerichts Bonn unter der Nummer VR 2206 registriert. Der letzte Eintrag vom 24. Oktober 2016 belegt die Auflösung des Verbandes. Vgl. Vereinsregister des Amtsgerichts Bonn, Wiedergabe des aktuellen Registerinhalts des Vereins VR  2206, Abruf vom 25.1.2018. Vgl. Schenck zu Schweinsberg, Die Soldatenverbände in der Bundesrepublik, S.  105, 165; FüB  VII  1, Soldatenverbände in der Bundesrepublik, BArch, BW  2/20004. Die ehemaligen Heeres­soldaten der Wehrmacht organisierten sich bevorzugt im VdS, die ehemaligen Soldaten der Luftwaffe im DLWR, vor allem aber im DLWB, und die ehemaligen Soldaten der Kriegsmarine im DMB. Vgl. Satzung des RdS, 23.11.1957, BArch, BW 2/20004; 20 Jahre RDS. Vgl. 20 Jahre RDS; Donner, Die sozial- und staatspolitische Tätigkeit der Kriegsopferverbände, S.  118‑122; 30  Jahre Ring Deutscher Soldatenverbände, S.  7; Confédération Européenne des Anciens Combattants et des Militaires Section Belge asbl. C.E.A.C., (letzter Zugriff 6.9.2021). 20 Jahre RDS.



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Rahmen der FEDAC, deren Nachfolgeorganisation ab Mitte der 1970er-Jahre die Confédération Européenne des Anciens Combattants war.144 Unter weitgehender Wahrung ihrer Eigenständigkeit schlossen sich 1957 auf der Gründungsversammlung acht der bereits existierenden Sammelverbände im RdS zusammen.145 Belastbare und nachprüfbare Mitgliederzahlen aus der Zeit der Gründung des RdS und seiner Auflösung sind nicht verfügbar. Für den Zeitraum von 1961 bis 1999 gibt es Angaben. Der FüB nannte für das Jahr 1961 eine Zahl von 500 000 ehemaligen Soldaten und Kriegsopfern, die im RdS zusammengeschlossen seien. 1967 sprach Westphal in einem Schreiben an Bundeskanzler, Verteidigungsminister und Innenminister gar von 600 000 Mitgliedern – eine Angabe, die wohl deutlich zu hoch ausfiel, vermutlich um das Gewicht des RdS zu unterstreichen. Fest steht jedoch, dass der Ring zu dieser Zeit die meisten Mitglieder zählte. Danach sank die Zahl kontinuierlich. Von den 1980er-Jahren bis etwa 1999 schwankten die Angaben zwischen 280 000 und 300 000 Mitgliedern.146 Die Gründungsmitglieder des RdS im Jahr 1957 waren folgende: der Verband ehemaliger Angehöriger des Deutschen Afrika-Korps, der Bund Deutscher Kriegs­ be­schä­digter und Kriegshinterbliebener, der Kyffhäuserbund, der DMB, die Tradi­ tions­gemeinschaft Panzerkorps Großdeutschland, der Sudetendeutsche Front­kämp­ fer­bund, die Gemeinschaft der Ritterkreuzträger und der VdS.147 Zehn Jahre später, am 4.  November 1967, beschloss auch der DLWB seinen Beitritt zum RdS. Allerdings stellte er die Bedingung, dass der Präsident des DLWB, Kurt Student, 1. Vizepräsident der Dachorganisation wurde. Die Zusammensetzung der Mitgliedsverbände zeigt, dass 1967 jede Teilstreitkraft im RdS vertreten war, wodurch der Ring den Anspruch erheben konnte, Sprecher aller Soldaten zu sein.148 Im Jahr 1999 gehörten dem RdS laut BMVg 37  Verbände an. Darunter waren auch viele kleine Gruppierungen und lokale Traditionsverbände von Divisionen und Regimentern. Weitere Mitglieder verfolgten lediglich gedenkpolitische Zwecke, etwa das Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres, das Kuratorium »SoldatenEhrenmal Göttingen« oder das Preußische Denkmal-Institut.149 144 145 146

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Vgl. Neue Führungsspitze beim Ring Deutscher Soldatenverbände (RDS), S. 283; 30 Jahre Ring Deutscher Soldatenverbände, S. 7. Vgl. Satzung des RdS, 23.11.1957, BArch, BW 2/20004. Vgl. FüB  VII  7, Aktennotiz, Betr.: Verband deutscher Soldaten e.V., 2.11.1961, BArch, BW 2/20005; Aus dem Ring Deutscher Soldatenverbände, S. 8; Schenck zu Schweinsberg, Die Sol­ daten­verbände in der Bundesrepublik, S. 166; RdS-Mitgliederversammlung, S. 19; 30 Jahre Ring Deutscher Soldatenverbände, S. 7; Lemm, Für Frieden, Völkerverständigung und Kameradschaft, S. 28 f.; Schreiber, Über die derzeitige »Bundeskultur«, S. 85. Vgl. ebenfalls für diesen Zeitraum: Zimmermann, Personalentscheidung war notwendig, S. 9. Vgl. Schreiben des Präsidenten des RdS, General der Kavallerie a.D. Westphal, an den BM für Verteidigung Franz Josef Strauß, 27.11.1957, BArch, BW 2/20004. Vgl. DLWB, Bericht der 4. Ordentlichen Mitgliederversammlung des Deutschen Luftwaffenblocks am 4.11.1967, BArch, N 667/15; 20 Jahre RDS. Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 14/4337, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Petra Pau, Ulla Jelpke, Heidi Lippmann und der Fraktion der PDS, Soldatische Traditionsverbände und Pressemeldungen über Mittel aus dem Bundeshaushalt für ein Seminar in Aachen (Nachfrage), 17.10.2000, S. 3. Hier findet sich eine vollständige Auflistung der insgesamt 37 angeschlossenen Verbände.

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Treibende Kraft für die Gründung und erster Präsident des RdS war Siegfried Westphal, Bundesvorsitzender des Verbands ehemaliger Angehöriger des Deutschen Afrika-Korps.150 Kurt Linde, Generalmajor a.D. und Hauptgeschäftsführer des VdS, wurde zum Geschäftsführer des RdS.151 Insbesondere mit dem VdS unterhielt der RdS enge Beziehungen, sodass sich durch den Blick in die Protokolle der Mitgliederversammlungen häufig der Eindruck aufdrängte, der RdS sei das Sprach­ rohr für die Interessen und Projekte des VdS. Begünstigt wurde diese Situation nicht nur dadurch, dass der VdS der größte und wohl einflussreichste Verband innerhalb des RdS war, sondern auch durch den Umstand, dass die Hauptgeschäftsstelle des RdS in den Räumen des VdS untergebracht war. Auch die Tatsache, dass der RdS kein eigenes Verbandsblatt publizierte, sondern Mitherausgeber des VdS-Organs Soldat im Volk wurde, belegt die beinahe symbiotische Zusammenarbeit beider Vereine genauso wie personelle Überschneidungen bei Spitzenämtern.152 Das erklärte Ziel aller im RdS zusammengeschlossenen Verbände war es, »gemeinsame kameradschaftliche, rechtliche und ideelle Anliegen untereinander abzustimmen und nach außen hin zusammen zu vertreten«153. Die Satzung von 1957 definierte folgende Aufgaben: »1. Pflege der soldatischen Tugenden, besonders der Kameradschaft, 2. Eintreten für Ehre und Recht der alten Soldaten, 3. Pflege und Schutz des Andenkens der Gefallenen, 4. Pflege des Wehrgedankens und der Verteidigungsbereitschaft als Naturrecht eines freien Volkes, 5. Kameradschaftliche Zusammenarbeit mit Verbänden gleichartiger oder verwandter Zielsetzung, 6. Pflege eines kameradschaftlichen Verhältnisses zu Soldatenverbänden anderer Völker, die die Menschenrechte und Grundfreiheiten anerkennen, um der internationalen Verständigung und Versöhnung und damit der Wahrung des Friedens zu dienen.«154

Im Wesentlichen blieben diese Aufgaben bis zur Auflösung des RdS bestehen. Auf der Mitgliederversammlung vom 7. Oktober 2000 gab sich der Ring zwar eine neue Satzung, an seinen Aufgaben und seinem Anliegen änderte sich jedoch kaum etwas. Er kümmerte sich nun allerdings deutlicher um die Vertretung der Interessen einzelner Mitgliederverbände: gegenüber der Bundesregierung, insbesondere gegen150

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Neben Generalfeldmarschall Erwin Rommel war Siegfried Westphal das Gesicht des Afrika-Feld­ zuges der Wehrmacht. Westphal diente in verschiedenen Funktionen, etwa als Chef der Füh­rungs­ abteilung beim Oberbefehlshaber Süd ab Februar 1943, als Stabschef beim Ober­be­fehls­haber Südwest ab November 1943 oder als Stabschef beim Oberbefehlshaber West ab September 1944. Im Februar 1945 wurde er zum General der Kavallerie ernannt. Westphal zählte zum engsten Kreis um Hitler. Im Mai 1945 geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft, aus der er im Dezember 1947 entlassen wurde. 1951 forcierte Westphal maßgeblich die Gründung des Verbandes Deutsches Afrika-Korps und später die Gründung des RdS, dessen Präsident er bis 1979 war. Vgl. Megargee, Siegfried Westphal, S. 37‑49; General Westphal 80 Jahre, S. 2. Vgl. 20 Jahre RDS. Jürgen Schreiber war parallel zu seinem Amt als Vorsitzender des VdS von 1990 bis 2000 auch Präsident des RdS. Vgl. Neue Führungsspitze beim Ring Deutscher Soldatenverbände (RDS), S. 283; 20 Jahre RDS. Satzung des RdS, 23.11.1957, BArch, BW 2/20004. Ebd.



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über dem BMVg, gegenüber Vereinigungen wie dem DBwV oder dem Verband der Reservisten der deutschen Bundeswehr und ebenso gegenüber den Medien.155 Neben der Kameradschaftspflege und dem Kampf für die soldatische Ehre der Veteranen der Wehrmacht – zuletzt zusammen mit den RdS-Mitgliedsverbänden VdS und DLWR gegen die Wehrmachtausstellung156 – lag ein weiterer, satzungsgemäßer Schwerpunkt des RdS auf der Zusammenarbeit mit Soldatenverbänden auf europäischer und internationaler Ebene. Er vertrat die Interessen der Wehrmachtveteranen im Ausland. Dabei lag dem RdS nicht nur die Propagierung eines positiven Bildes des deutschen Soldaten im Ausland am Herzen, sondern auch das gemeinsame Gedenken an die Gefallenen der Kriege, wie es etwa durch internationale Treffen auf deutschen und ausländischen Kriegsgräberstätten organisiert werden sollte.157 Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt des RdS lag auf Paragraf 3 der Satzung, der die Pflege und den Schutz des Andenkens an die Gefallenen regelte.158 Dies korrespondierte mit dem Eintreten für die Soldatenehre der ehemaligen Wehrmachtangehörigen, ein Ansinnen, das der Ring sogar mithilfe eines Ehrenschutzgesetzes absichern wollte. Dem einfachen Gedenken der Gefallenen widmeten sich zwar auch andere Soldatenverbände. Doch der RdS als Dachverband plante größer und seine Kon­ zep­tionen für ein militärisches Totengedenken reichten weit über einzelne Verbände und Regionen hinaus. Auf seine Initiative ging auch das Ehrenmal des Deutschen Heeres zurück.159 Die besondere Bedeutung, die der RdS dem militärischen Totengedenken beimaß, ist vor allem Westphal geschuldet, der sich nach eigenem Bekunden mit den Gefallenen tief verbunden fühlte. Er gehörte auch dem Beirat des VDK an und war Ehrenmitglied des Commonwealth-German-French Joint Committee.160 Bis zur Fertigstellung des Ehrenmals des Deutschen Heeres im Jahr 1972 war der Bau eines zentralen Gedenkmonuments in den Mitgliederversammlungen und in der 155

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Vgl. Neue Führungsspitze beim Ring Deutscher Soldatenverbände (RDS), S. 283. Es bestand keine Mög­lichkeit, diese Satzung zu sichten. Aus der Berichterstattung über den RdS in der Zeitschrift Soldat im Volk geht jedoch hervor, dass sich an dessen Aufgaben nicht wesentlich etwas verändert hat. Ein gemeinsamer Aufruf der drei Verbände von 1997 proklamierte: »Diese Ausstellung verleumdet unsere tapferen Soldaten pauschal durch einseitige, verallgemeinernde Darstellung angeblicher Verbrechen der deutschen Wehrmacht.« Zit. bei: Latzel, Soldatenverbände gegen die Ausstellung »Vernichtungskrieg«, S. 326. Vgl. 20 Jahre RDS. Vgl. z.B. auch Niederschrift über die Sitzung des Rings deutscher Soldaten­ver­ bände in Bonn am 19.12.1963, BArch, B 469/22; 25 Jahre Ring Deutscher Soldatenverbände, S. 2. Außerdem plante der RdS in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre, Liegenschaften der Bundeswehr nach »verdienten Heerführern des 2. Weltkrieges« zu benennen. Auf diese Weise sollte »bei den jungen Soldaten das Andenken an diese verdienten Heerführer« wachgehalten werden. Als mögliche Namenspatrone schlug der RdS die wegen Kriegsverbrechen verurteilten Generale Erich von Manstein, Georg-Hans Reinhardt, Hermann Hoth sowie Heinz Guderian vor. Vgl. Niederschrift über die Sitzung des Rings deutscher Soldatenverbände in Bonn, 19.12.1963, BArch, B 469/22. Reinhardt und Hoth wurden jeweils am 28.  Oktober 1948 im sogenannten OKW-Prozess zu 15 Jahren Haft verurteilt. Reinhardt wurde am 27. Juni 1952 und Hoth am 7. April 1954 vorzeitig entlassen. Vgl. Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, S. 271, 488. Zu Guderian und Manstein vgl. ebd., S. 208, 390. Vgl. Niederschrift über die Sitzung des Ringes deutscher Soldatenverbände am 28. Oktober 1964, BArch, B 469/49. Siehe Kap. III.2.b. Vgl. RdS, Mitteilungen, 4/77, 9.3.1977, BArch, B 469/90.

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Korrespondenz sehr präsent.161 Nach Vollendung des Ehrenmals für das Heer resümierte der RdS, die Umsetzung dieses Vorhabens sei eine seiner »stolzesten und immer sichtbaren Leistungen«162. Seine ursprüngliche Intention, »die zentrale deutsche Gedenkstätte für die gefallenen und vermissten Soldaten der beiden Weltkriege«163 zu errichten, konnte der RdS jedoch nicht realisieren. Neben Westphal, der das Projekt einer zentralen Gedenkstätte im RdS vorantrieb, gab auch der VdS wichtige Impulse dafür. Kurt Linde stellte am 11. Dezember 1957 folgenden Antrag an den RdS: Dieser möge beschließen, dass

»aus Achtung vor dem Opfer der toten und vermissten Soldaten, aus dem Bekenntnis zu ihrem Erbe und aus Dankbarkeit gegenüber ihren toten und vermissten Kameraden [...] die im ›Ring deutscher Soldatenverbände‹ zusammengeschlossenen Soldatenverbände ihren toten und vermissten Kameraden der beiden Weltkriege 1914‑1918 und 1939‑1945 ein Ehrenmal errichten«164.

Dieses Ehrenmal, so Linde, »soll eine Stätte des Gedenkens an die gefallenen und vermissten Soldaten und der Mahnung an den Gedanken des Friedens sein. Es soll symbolisch alle Toten aus fremder Erde heimholen und ihnen eine Heimstätte in freier deutscher Erde geben«165. Dabei sollte es allerdings, so Linde weiter, nicht die Neue Wache in Berlin ersetzen, die aufgrund der deutschen Teilung nicht zugänglich sei.166 Der Ort des neuen zentralen Ehrenmals sollte nach Plänen des RdS vom Sommer 1960 im Teutoburger Wald liegen, »im Herzen unseres Vaterlandes, des ganzen Deutschlands«167. Die Wahl des Teutoburger Waldes lässt aber ebenso die Vermutung zu, dass es dem RdS dabei vielleicht weniger um einen zentralen Platz in Deutschland ging als vielmehr darum, das Ehrenmal in die militärische Tradition eines bereits im Teutoburger Wald stehenden Monuments zu stellen: des Hermanndenkmals. Als die Vertreter des RdS im Sommer 1960 nach eigenem Bekunden »zufällig«168 erfuhren, dass es seitens der Bundesregierung Pläne für ein zentrales Ehrenmal zu protokollarischen Zwecken im Bonner Hofgarten gab169, nutzten sie ihre Beziehungen und nahmen Kontakt mit hohen Regierungsstellen im BMVg, Innenministerium 161 162 163 164 165 166 167

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Diesen Eindruck legt die Sichtung des entsprechenden Materials nahe. Siehe Kap. VII.3.b. D., 20 Jahre RDS, Sonderdruck, 2/78. Schreiben des VdS an RdS, Betr.: Ehrenmal für die Toten und Vermissten der Weltkriege 1914‑1918 und 1939‑1945, 11.12.1957, BArch, BW 2/20005. Ebd. Ebd. Vgl. ebd. Schreiben des RdS an das Bundeskanzleramt, z.Hd. von Herrn Staatssekretär Globke, 20.9.1960, BArch, BW 2/20005. Vgl. Niederschrift über die Sitzung des Rings deutscher Soldatenverbände in Bonn, 16.12.1960, BArch, B 469/22. Schreiben des RdS an den Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Dr. h.c. Heinrich Lübke, 10.11.1961, BArch, BW 2/20005. Vgl. ebd. Das Bundeskabinett setzte sich am 21. September 1960 auch mit dem Vorschlag eines Grabmals für den unbekannten Soldaten auseinander. Allerdings verschob Adenauer die Diskussion auf unbestimmte Zeit, da er ein reines Soldatengedenken vermeiden wollte. Vgl. Protokoll der 122.  Kabinettssitzung am 21.9.1960, Tagesordnungspunkt  2: Gestaltung des Volkstrauertages,

(letzter Zugriff 6.9.2021).



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und dem Bundeskanzleramt auf. Auch an Bundespräsident Lübke wandten sie sich.170 Denn der RdS wollte zusammen mit der Bundesregierung ein gemeinsames zentrales Denkmal errichten und dabei die Gestaltung eines solchen Ehrenmals möglichst weitgehend in Richtung einer soldatischen Schwerpunktsetzung beeinflussen.171 Genau daran scheiterte die Zusammenarbeit. Die Bundesregierung wollte, zusammen mit dem VDK, ein Denkmal für die »Opfer von Krieg und Gewalt­herr­ schaft«.172 Eine »Vermischung zwischen Soldatentod und dem Tod in den KZs«173 wollte der RdS aber unbedingt vermeiden. Nach Auffassung des Rings sollte ein solches Denkmal nicht nur ausschließlich Soldaten gewidmet sein, sondern diese auch als Helden und Opferbereite repräsentieren. Bei einer Besprechung im Bundesinnenministerium schlug der Ring folgende Inschrift vor: »Den Opfern der beiden Weltkriege / An dem Ruhm dieser Toten sollt ihr euch aufrichten.«174 Widmungen, die das Innenministerium vorschlug, waren dem RdS zu pazifistisch. Eine Einigung oder ein Kompromiss zwischen den Parteien war nicht zu erreichen.175 Insgesamt vertrat der RdS traditionalistische und militaristische Werte, die ihren Ausdruck auch in seinen Vorstellungen bezüglich der Ehrung von Gefallenen fanden. Ungebrochen knüpfte er an Traditionslinien an, wie sie vor 1945 verbreitet waren. Ebenso bemühte sich der RdS, wie ein Beschluss vom Sommer 1973 zeigt, der wohl auf Initiative des VdS zurückging, um einen eigenen Tag der Gefallenenehrung – jenseits des Volkstrauertages. Denn der RdS bezichtigte die Bundesregierung der Umfunktionierung des Volkstrauertages, da dieser seit seiner Reaktivierung 1950 nicht mehr ausschließlich toten Soldaten vorbehalten war und ist, sondern allen Opfergruppen des Krieges. Ähnlich ging der RdS auch im Zusammenhang mit dem zentralen Gedenkmal für die Toten des Krieges vor. Da er die ausschließliche Widmung für gefallene Soldaten nicht durchsetzen konnte, errichtete der Verband in Zusammenarbeit mit der Bundeswehr das Ehrenmal des Deutschen Heeres, das im Oktober 1972 fertiggestellt wurde.176 Auch jenseits von Volkstrauertag und Ehrenmal beharrte der RdS auf dem Bild des reinen Soldaten als Gegenentwurf zum Staatsbürger in Uniform. Ende 1973 beschloss der Verband, von nun an stets am 10. März, dem Stiftungstag des 170

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Vgl. Schreiben des RdS an das Bundeskanzleramt, z.Hd. von Herrn Staatssekretär Globke, 20.9.1960, BArch, BW  2/20005; Schreiben des RdS an das BMVg, z.Hd. von Herrn Oberst Schaeder, 25.8.1960, BArch, BW 2/20005; Schreiben des RdS an den Präsidenten der Bundes­ republik Deutschland, Herrn Dr.  h.c. Heinrich Lübke, 10.11.1961, BArch, BW  2/20005. Vgl. Kaiser, Von Helden und Opfern, S. 286. Kanzleramt und Innenministerium sicherten dem RdS zu, dass dieser an den Vorarbeiten beteiligt werde. Vgl. Niederschrift über die Sitzung des Ring deutscher Soldatenverbände in Bonn, 16.12.1960, BArch, B 469/22. Die Vehemenz, mit der der RdS in der Frage einer soldatischen Schwerpunktsetzung des Denkmals auftrat, belegen die bereits zitierten Schreiben des Rings an Globke vom 20.9.1960, an Oberst Schaeder vom 25.8.1960 und an Lübke vom 10.11.1961. Vgl. Kaiser, Von Helden und Opfern, S. 283. Ebd., S. 286. Zit. bei: ebd. Vgl. ebd. Das zeigen auch die Ausführungen in Kapitel  III.2.b zum Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres. Vgl. Kaiser, Von Helden und Opfern, S. 287. Vgl. RdS, Mitteilungen, 5/73, 14.8.1973, BArch, B 469/90 (1v2). Siehe Kap. VII.3.b.

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Eisernen Kreuzes im Jahr 1813, »Gedenkfeiern für den internen Bereich des deutschen Soldatentums durchzuführen«177. Noch in den 1990er-Jahren fanden diese Veranstaltungen, die alle anderen Opfer des Zweiten Weltkrieges bewusst ausschlossen, etwa auf dem Standortfriedhof Lilienthalstraße in Berlin-Kreuzberg statt.178 Die Betonung des Militärischen und die Erhebung des gefallenen Soldaten über alle anderen Opfer des Krieges stießen unter den allermeisten Mitgliedsverbänden des RdS auf breite Zustimmung. Dies belegte auch deren Teilnahme an den zeitgleich stattfindenden Kranzniederlegungen am Ehrenmal des Deutschen Heeres in Koblenz und am Marine-Ehrenmal in Laboe am 10.  März 1974.179 Einzig die dem RdS angeschlossenen Vereine der ehemaligen Luftwaffe beteiligten sich nicht an diesem Vorhaben. Dabei plante der RdS den DLWB neben dem DMB und dem VdS als Mitträger der Veranstaltung anlässlich des Stiftungstages des Eisernen Kreuzes ein.180 Der DLWB verweigerte seine Teilnahme aus gutem Grund. Denn seine Vertreter erkannten frühzeitig den »politischen Sprengstoff«181, den der Beschluss der exklusiven Ehrung gefallener Soldaten barg, weil er sich damit demonstrativ dem staatlichen Gedenken entgegenstellte. Auch der BDF lehnte den Vorschlag des RdS ab: der Exklusivitätsanspruch katapultiere die Soldaten aus der Zugehörigkeit zu ihrem Volk und seiner Geschichte.182 Am deutlichsten wurde Karl-Eduard Wilke, Generalmajor a.D. und Vorsitzender der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal. Er sah das »Wiederauflebenlassen des Heldengedenktages«183 als Gefahr. Dennoch wollte sich der RdS nicht von der Vorstellung des Soldaten als Helden lösen. Seine Mitglieder versuchten stattdessen, dieses Ideal in die Zukunft zu übertragen. Nach der Auflösung des RdS auf Bundesebene 2005 veranstaltete der fortbestehende Berliner Landesverband auf dem Garnisonsfriedhof am Columbiadamm im Stadtteil Neukölln weiterhin Gedenkfeiern am Volkstrauertag.184 Entscheidende Änderung: Der Berliner Verband erweiterte den Begriff des Heldentodes, sodass dieser nun auch auf im Ausland getötete Bundeswehrsoldaten anwendbar wurde. So bezeichnete z.B. Armin Brenker, Oberstleutnant der Bundeswehr a.D. und

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Vgl. DLWB, Bericht über die Besprechung des RdS Nr. 7/73 vom 4.12.1973; Kurt Student, Kurzer Vorbericht über die RdS-Tagung am 25.10.1974, beides in BArch, N  667/21. Vgl. Hettling/ Echternkamp, Heroisierung, S. 130. Vgl. Ring deutscher Soldatenverbände e.V., S. 12. Auch die Bundeswehr beteiligte sich am Ehrenmal des Deutschen Heeres mit einer »starken Abordnung.« Vgl. RdS, Mitteilungen, 4/74, 15.3.1974, BArch, B 469/90 (1v2). Vgl. RdS, Mitteilungen Nr. 5/73, 14.8.1973, BArch, B 469/90 (1v2). Schreiben des DLWB an den RdS, 24.9.1973, BArch, N 667/21. Vgl. Schreiben des Bundes Deutscher Fallschirmjäger e.V. an Kurt Student, 23.10.1974, BArch, N 667/21. Schreiben von Karl-Eduard Wilke an Generaloberst a.D. Kurt Student, 5.10.1973, BArch, N 667/21. Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 16/7258, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen, Inge Höger, Paul Schäfer (Köln) und der Fraktion DIE LINKE, Drucksache  16/6919, 21.11.2007, S.  1. Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache  16/11006, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Inge Höger, Paul Schäfer (Köln) und der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 16/10780, 21.11.2008, S. 1.



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Vizevorsitzender des RdS Berlin, in seiner Ansprache am Volkstrauertag 2006 den Tod von Bundeswehrsoldaten in Afghanistan explizit als »Heldentod«185. Inwieweit die Unterlagen des RdS intensive Kontakte zur Bundeswehr belegen, war aufgrund fehlenden Aktenzugangs nicht festzustellen. Fest steht aber, dass einzelne Personen und Mitgliederverbände durchaus enge Verbindungen zur Bundeswehr unterhielten. Dokumentieren lässt sich auch der im Dezember 1973 geschlossene Partnerschaftsvertrag zwischen dem RdS und dem DBwV. Die Vereinbarung legte zentrale gemeinsame Aufgaben wie die Förderung der Verteidigungs- und der Einsatzbereitschaft der Streitkräfte oder der Wehrgerechtigkeit fest. Auch dem Gefallenen­gedenken und der Vermittlung soldatischer Werte wollte man sich gemeinsam widmen.186 Als im Herbst 1982 nach 13  Jahren SPD-Führung mit Wörner wieder ein konservativer Hausherr ins BMVg einzog,187 berichtet das Organ Soldat im Volk über eine Intensivierung des Kontaktes zwischen dem RdS und der Bundeswehr. Wörners Nachfolger Rupert Scholz (CDU) behielt diese Linie bei. Das Anliegen, die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr auszubauen, blieb daher auch in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre bestehen. Zu diesem Zweck plante man etwa regelmäßige Informationstagungen von RdS und Ministerium in den Räumen des BMVg.188 Insbesondere in den späteren Jahren des RdS nach 1980 hatten viele seiner Führungs­figuren in der Bundeswehr gedient. Man pflegte kameradschaftliche Ver­ bindungen. Am 10. März 1984 etwa richtete die Panzertruppenschule in Munster zu Ehren des 75. Geburtstages des RdS-Präsidenten General a.D. Horst Niemack einen Empfang aus. Im Juni 1989 lud die Bundeswehr erneut zu einem runden Präsidentengeburtstag. Das Wachbataillon veranstaltete anlässlich des 70. Geburts­ tages von Generalleutnant a.D. Heinz-Georg Lemm, Präsident des RdS seit 1985, einen Empfang in der Siegburger Brückbergkaserne. Der Generalinspekteur Admiral Dieter Wellershoff, höchster Repräsentant der Bundeswehr, hielt eine Laudatio auf seinen ehemaligen Bundeswehrkameraden.189

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Deutscher Bundestag, Drucksache 16/3963, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Monika Knoche, Inge Höger-Neuling, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 16/3742, 22.12.2006, S. 1 f. Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 16/7258, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen, Inge Höger, Paul Schäfer (Köln) und der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 16/6919, 21.11.2007, S. 1. Vgl. Niederschrift über die Mitgliederversammlung des Ringes deutscher Soldatenverbände vom 9.6.1969, BArch, B  469/49; RdS, Der Präsident, Mitteilungen, 2/1974, 21.1.1974, BArch, B 469/22. Seine SPD-Vorgänger seit 1969 waren Schmidt (Oktober 1969‑Juli 1972), Leber (bis Februar 1978) und Apel (bis Oktober 1982). Vgl. Rink, Die Bundeswehr 1950/55‑1998, S. 40‑42. Vgl. Minister Wörner empfängt RDS, S. 24; RDS-Präsident im Amt bestätigt, S. 24; Gedanken­ aus­tausch mit Minister, S. 78. Vgl. Minister Wörner empfängt RDS, S.  24; Generalleutnant Lemm neuer Präsident, S.  19; Zimmermann, 70. Geburtstag des Präsidenten, S. 190 f.

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Ebenso ist zwischen RdS und Bundeswehr eine deutliche inhaltliche Überein­ stim­mung in Sachen Traditionspflege festzustellen, insbesondere seit dem Amtsantritt von Verteidigungsminister Wörner im Jahr 1982. Denn dieser signalisierte dem RdS, die distanzierte Linie seines Vorgängers Apel aufgeben zu wollen. So wollte Wörner die Neufassung der Traditionsrichtlinien seines Vorgängers zumindest aufweichen, um damit intensive Kontakte zwischen Veteranen der Wehrmacht und Soldaten der Bundeswehr zu ermöglichen. Anfang 1984 lud Wörner die Führung des RdS zu einem klärenden Gespräch über das Verhältnis zwischen Wehrmachtveteranen und Bundeswehrsoldaten ein. Der Minister würdigte die militärische Leistung der Wehrmachtsoldaten, die auch für die Bundeswehrsoldaten durchaus vorbildhaft sei.190 Die Diskussion über die überlieferungswürdigen und politisch angemessenen soldatischen Traditionen ist so alt wie die Bundeswehr selbst. 1977 und ausgelöst durch die sogenannte Rudel-Affäre im Herbst des Vorjahres – sie wird an späterer Stelle genauer dargestellt – gründete sich eine Arbeitsgemeinschaft, die über das gültige Erbe des deutschen Soldaten debattieren sollte. Ihr gehörten an: der DBwV, der RdS, der VdS, der Kyffhäuserbund und der DMB.191 Doch die vorherrschende Überzeugung im BMVg, die Streitkräfte im National­ sozialismus seien »teils schuldhaft verstrickt« und ein »Unrechtsregime wie das Dritte Reich«192 könne keine militärische Tradition begründen, sahen VdS und RdS als gravierendes »Hemmnis«193 für die Zusammenarbeit zwischen Soldatenverbänden und Bundeswehrführug. Darüber hinaus führte seit 1979 Horst Niemack den RdS. Er vertrat die alte und seit den 1950er-Jahren weitgehend unveränderte Position vieler ehemaliger Führungsoffiziere der Wehrmacht, der zufolge die militärische Leistung des Soldaten ein Wert per se sei, unabhängig von den politischen Zielen, denen sie diene.194 Diese Überzeugung offenbarte den Graben zwischen dem RdS und der Bundeswehr mit ihrem Verständnis des Soldaten als Staatsbürger in Uniform. Zur Jahreswende 1980/81 zog Apel im Zusammenhang mit der Frage einer Beteiligung der Bundeswehr an der Beerdigung des verurteilten Kriegsverbrechers Dönitz eine rote Linie. Offiziell nahm die Bundeswehr nicht teil an dem Begräbnis. Und darüber hinaus formulierte der Verteidigungsminister folgendes Diktum: »Soldatische Pflichterfüllung und militärische Tüchtigkeit sind nicht zu tren-

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Vgl. Minister Wörner empfängt RDS, S.  24; Ewige Werte. In: Der Spiegel, 13.5.1984; Libero, Tradition in Zeiten der Transformation, S. 42; Giordano, Die Traditionslüge, S. 76 f.; Wörner, Der Beitrag der Kriegsgeneration. Vgl. RdS, Der Geschäftsführer, Mitteilungen, 5/1977, 28.3.1977, BArch, B 469/22. Erlass »Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundeswehr«, 20.9.1982. Abgedr. in: Abenheim, Bundeswehr und Tradition, S. 230‑234, hier Ziff. I.6, S. 230. RdS, Der Generalsekretär, Mitteilungen, 3/1982, 4.10.1982, BArch, B 469/90. Vgl. Niederschrift über die Mitgliederversammlung des Ringes deutscher Soldatenverbände vom 9.6.1969, BArch, B 469/49. Niemack war nicht nur Präsident des RdS, sondern parallel auch Präsident der Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger. Vgl. Ewige Werte. In: Der Spiegel, 13.5.1984; General Westphal geht – General Niemack kommt. Vgl. Abenheim, Bundeswehr und Tradition, S. 204.



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nen von den politischen Zielen, denen sie dienen.«195 Auch die überarbeiteten Traditionsrichtlinien vom September 1982 waren von diesem Grundsatz geleitet.196 Trotz der zumindest verbalen Abmilderung des Apel’schen Diktums durch Wörner 1984 gab es kein Zurück hinter diesen zweiten Traditionserlass. Diese Tatsache spiegelt deutlich das Schwinden des Einflusses und die Erosion der Deutungshoheit bezüglich soldatischer Werte, denen die Veteranenverbände im Lauf der Zeit unterworfen waren. Es bleibt festzuhalten: Nach außen trat der RdS zwar deutlich gemäßigter auf als der VdS. Aber inhaltlich vertrat er oft ganz ähnliche, manchmal sogar rechtsextreme Positionen.197 Dies lässt sich zweifelsfrei belegen, denn zum einen teilte sich der RdS mit dem VdS das Publikationsorgan Soldat im Volk, dessen rechtsradikale Beiträge zum Kontaktverbot mit der Bundeswehr führten.198 Und zum anderen distanzierte sich die Führung des RdS nie von den im Verbandsblatt veröffentlichten Äußerungen von Rechtsradikalen. Zu einem Kontaktverbot zwischen der Bundeswehr und dem RdS ist es, wie im Falle des VdS, dennoch nicht gekommen. Aber das BMVg beendete am 4.  März 1999 die Zusammenarbeit mit der Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger des Eisernen Kreuzes und Träger vom Militär-Verdienst-Kreuz, einem Gründungsmitglied des RdS. Grund für diesen Schritt waren die rechtsextremen Tendenzen der Gemeinschaft.199 Dass die Ordensgemeinschaft auch über das Kontaktverbot hinaus Mitglied im RdS bleiben konnte200 und dass Horst Niemack in Personalunion Präsident des RdS und der Ordensgemeinschaft war, belegt, dass der RdS offensichtlich keine Probleme mit entsprechenden Positionen hatte. Am 31. Dezember 2005 löste sich der RdS auf Bundesebene auf.201 195

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Zit. bei: Libero, Soldatische Identität, S.  50. Manfred Wörner, Apels Nachfolger im Amt des Verteidigungsministers, trat allerdings wieder – zumindest verbal – hinter diesen Grundsatz zurück. Er verteidigte etwa Oberst Hans-Ulrich Rudel mit der Bemerkung, niemand könne »bestreiten, dass Oberst Rudel ein tapferer Soldat war, der untadelig gekämpft hat.« Außerdem sei »militärische Tapferkeit, unabhängig von der übrigen Persönlichkeit und vom historischen Zusammenhang, ein Wert an sich.« Zit. bei: Abenheim, Bundeswehr und Tradition, S. 192. Vgl. Erlass »Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundeswehr«, 20.9.1982. Abgedr. in: Abenheim, Bundeswehr und Tradition, S. 230‑234. Vgl. Hettiger, Erinnerung als Ritual, S. 13; Deutscher Bundestag, Drucksache 14/1485, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Heidi LippmannKasten, Petra Pau und der Fraktion der PDS, Die Traditionsverbände und der Rechtsextremismus, Drucksache 14/1376, 13.8.1999. Siehe Kap. III.1.a. Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 17/8720, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katja Keul, Omid Nouripour, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 17/8559, 23.2.2012, S.  4; Schäfer, Bundeswehr und Rechtsextremismus. Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 14/4337, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Petra Pau, Ulla Jelpke, Heidi Lippmann und der Fraktion der PDS, Soldatische Traditionsverbände und Pressemeldungen über Mittel aus dem Bundeshaushalt für ein Seminar in Aachen (Nachfrage), 17.10.2000, S. 3. Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 16/1282, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen, Kersten Naumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 16/1083, 25.4.2006, S. 5. Am 31. Dezember 2006 wurde der RdS aus dem Vereinsregister gestrichen. Vgl. Ergebnisniederschrift über die ordentliche

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c) Der Deutsche Luftwaffenring e.V. Die Geschichte des DLWR begann mit einem Aufruf in der zweiten und zugleich letzten Ausgabe der Zeitschrift Adler. Das militärische Mitteilungsblatt wurde 1952 herausgegeben von Hans-Detlev Herhudt von Rhoden, Generalmajor a.D. und ehemaliger Chef der kriegswissenschaftlichen Abteilung der Luftwaffe der Wehrmacht, unter Federführung von Generalmajor a.D. Klaus Uebe, dem späteren Bundesvorsitzenden des DLWR.202 In dem Aufruf appellierten acht ehemalige Wehrmachtangehörige der Luftwaffe – darunter Uebe und Generalleutnant a.D. Martin Harlinghausen, der spätere Befehlshaber der Luftwaffengruppe Nord der Bundeswehr – erstens an »alle Traditionsverbände von Einheiten oder Waffengattungen der Luftwaffe« und zweitens an »alle einzelnen Kameraden, die nicht Traditionsverbänden angehören«, und riefen diese zur Gründung des DLWR auf. Hinter den Kulissen war Kesselring die treibende Kraft für den Zusammenschluss der bestehenden Traditionsverbände und Kameradschaften der ehemaligen Luftwaffe zum DLWR.203 Hauptgrund für die Schaffung des DLWR war die Gefahr, dass ohne schlagkräftige Interessenvertretung der ehemaligen Luftwaffenangehörigen »über Form und Inhalt eines künftigen Luftwaffenbeitrages zur Europa-Armee entschieden wird, ohne dass gewählte und autorisierte Vertreter derjenigen gehört werden, die es in erster Linie angeht«204. Zur Gründung des DLWR luden die Initiatoren am 1. Juni 1952 auf die Wasser­ kuppe in der Rhön ein. Am 3. und 4.  Oktober 1953 erfolgte dann in Detmold der endgültige Zusammenschluss von zwölf bestehenden Luftwaffenvereinigungen zum Deutschen Luftwaffenring. Seine Bundesgeschäftsstelle richtete der Verband in Bremen ein.205 Prägend für den DLWR war, wie erwähnt, Kesselring, dem bereits am 3. August 1952 der Ehrenvorsitz des Verbands angeboten wurde.206 Er stelle, so der DLWR, die geeignete Integrations- und Führungsfigur dar, die behilflich sein könne, die

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Mitgliederversammlung des Kuratoriums Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V. am 23. November 2006, BArch, B 497/7. Aufruf von 1952 zur Gründung des Luftwaffenrings e.V. Mit der Zeitschrift Adler, die in einer Auflage von 1000 Stück erschien, setzte man eine Tradition fort. Zwischen dem 1. März 1939 und dem 12. September 1944 gab das Reichsluftfahrtministerium eine Propagandazeitschrift heraus, die denselben Titel trug und zum Vorbild für das neue Magazin wurde. Vgl. ebd.; Der Adler. Eine Auswahl aus der Illustrierten. Vgl. Aufruf von 1952 zur Gründung des Luftwaffenrings e.V.; Lemke, Konzeption und Aufbau der Luftwaffe, S. 161; Telegramm aus Detmold, undatiert; Brief von Richard Heuser an General­feld­ marschall a.D. Albert Kesselring, 24. November 1954, alle drei: BArch, BW 2/1267. Aufruf von 1952 zur Gründung des Luftwaffenrings e.V. Vgl. ebd; Werner Andres, Bericht über die Gründungsversammlung des Deutschen Luftwaffenrings am 3. und 4.10.1953 in Detmold, BArch, BW 2/1267; Die Luftwaffe in der Moderne, S. 14. Vgl. auch Schreiben von Kurt Student an Oberst a.D. Rudolf Böhmler, 12.12.1956, BArch, N 667/2; Satzung des Luftwaffenrings e.V. (1959), § I.2. Kesselring war Ehrenvorsitzender von drei Veteranenverbänden: DLWR, Stahlhelm und Deutsches Afrika-Korps. Vgl. Lingen, Kesselrings letzte Schlacht, S.  295‑300. Darüber hinaus hatte er auch noch die Schirmherrschaft für das Luftwaffen-Ehrenmal inne, denn die Initiatoren versprachen sich durch die Strahlkraft seiner Person innerhalb der Veteranenszene Aufmerksamkeit und Unterstützung für das Ehrenmalprojekt. Vgl. Luftwaffen-Ehrenmal 1960.



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»vielen kleinen Traditionsverbände kameradschaftlich zusammenzuführen«. Denn Kesselring sei »in Krieg und Frieden Vorbild selbstloser soldatischer Pflichterfüllung und Opferbereitschaft« gewesen. »Kein Sieger, kein ehemaliger Feind, der sich zur Ethik ehrenhaften Soldatentums bekennt«, könne ihm »die Achtung als Ehrenmann versagen«.207 Im Oktober 1953 war Kesselring – der, wie schon an anderer Stelle dargestellt, ein Jahr zuvor begnadigt wurde – nun auch persönlich anlässlich des offiziellen Zusammenschlusses zum DLWR anwesend.208 Da der DLWR innerhalb der Veteranen von Anfang an, wie noch ausgeführt wird, umstritten war, lag die Wiederholung der Gründungszeremonie unter Anwesenheit des Generalfeldmarschalls aus taktischen Gründen und um die Akzeptanz des Rings zu erhöhen nahe. Denn Kesselring, der selbsternannte »Soldat bis zum letzten Tag«209, wurde noch am 19.  Juli 1960 in der Grabrede, die Generalleutnant Josef Kammhuber, Inspekteur der Luftwaffe der Bundeswehr, auf ihn hielt, als Vorbild erinnert. In Kontrast dazu steht die Tatsache, dass Kesselring die Verantwortung für Kriegsverbrechen gegen die italienische Zivilbevölkerung im Jahr 1944 trug und bis zum Ende ungebrochen zu Hitler stand.210 Konkret waren das Streben nach Exkulpation und Rehabilitierung sowie der Wunsch nach Freilassung inhaftierter Wehrmachtveteranen und die Versorgungsfrage die unmittelbaren Motive, die auch hinter der Gründung des DLWR standen. Mit der Ernennung Kesselrings zum Ehrenpräsidenten unterstrich der DLWR diese Ziele.211 Darüber hinaus sollte Kesselring zur zentralen Integrationsfigur des Rings werden und so den Zusammenhalt der oftmals uneinigen Einzelverbände stärken. Ebenso wollte man mit der Gründung eines Zentralverbandes die öffentliche Wahrnehmung und den politischen Einfluss der Luftwaffenveteranen stärken. So wollte man sich Einfluss innerhalb der Bundeswehr, insbesondere bei Aufstellung und Ausrichtung einer neuen Luftwaffe, sichern.212 Der DLWR war von Anfang an jedoch auch darauf angelegt, »Teil der Sammlung aller Soldaten«213 im Rahmen eines Gesamtverbands zu werden, der sämtliche Teilstreitkräfte der ehemaligen Wehrmacht repräsentiert. Auf diese Weise sollte die Bedeutung der ehemaligen Luftwaffensoldaten insgesamt und auf Dauer erhöht werden. Bereits um die Jahreswende 1954/55 existierten im DLWR solche Pläne. So wollte man sich nach einer Vereinigung von VdS und Kyffhäuserbund, die zeitweilig als die Grundlage für einen großen Soldatenbund gesehen wurde, dieser 207 208 209 210

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Zit. bei: Lingen, Kesselrings letzte Schlacht, S. 295. Vgl. ebd., S.  302  f. Siehe Kap.  III.1; Telegramm aus Detmold, undatiert, BArch, BW  2/1267; Lingen, Kesselrings letzte Schlacht, S. 288. Kesselring, Soldat bis zum letzten Tag. Vgl. Generalfeldmarschall Albert Kesselring zur großen Armee abberufen. Unter der Signatur BArch, BW 2/20286 finden sich die Unterlagen über die Vorbereitungen der Bundeswehr für die Beisetzung Kesselrings. Vgl. Lingen, Kesselrings letzte Schlacht, S. 76‑86. Vgl. Lingen, Kesselrings letzte Schlacht, S. 295. Vgl. Werner Andres, Bericht über die Gründungsversammlung des »Deutschen Luftwaffenrings« am 3. und 4.10.1953 in Detmold, BArch, BW 2/1267. Aufruf von 1952 zur Gründung des Luftwaffenrings e.V.

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Großorganisation als korporatives Mitglied anschließen.214 Im Frühjahr 1959 diskutierte man im DLWR auch die Frage eines Anschlusses an den RdS. Beide Vorhaben scheiterten. Zum einen, weil sich VdS und Kyffhäuserbund nie zu einer Fusion entschließen konnten. Zum anderen, weil die FEDAC, dessen deutsche Sektion der RdS ist, die Waffen-SS und damit einige dem DLWR angeschlossene Verbände nicht als reguläre Truppe im Sinne der Haager Landkriegsordnung anerkannte. Ein weiteres Hindernis für die Fusion mit dem RdS lag darin, dass dieser dem DLWR aufgrund seiner organisatorischen und inhaltlichen Abhängigkeit vom VdS in seiner Wirkungskraft nicht überzeugend erschien.215 Mit der Entstehung des Dachverbandes DLWB im Juli 1960, dem er als Gründungsmitglied angehörte, gab der DLWR seine Autonomie auf. Als dann der DLWB dem RdS beitrat, wurde auch der DLWR dort Mitglied. Später, als sich der DLWB auflöste, blieb der DLWR im RdS.216 Aufgrund mangelnder Einigkeit unter den ehemaligen Luftwaffenangehörigen und wegen seiner letztlich eher geringen Attraktivität war die Wirkungskraft des DLWR beschränkt. Kritisiert wurden vor allem die schlechte Leitung und Organisation sowie viele Entscheidungen, deren Zustandekommen als undemokratisch empfunden wurde.217 Ohne Anschluss an einen großen Dachverband konnte der DLWR nur eine marginale Rolle spielen. Deutlicher Ausdruck der Zerrissenheit der Luftwaffe der Wehrmacht ist der Kommentar von Karl-Eduard Wilke, den die Verbandszeitschrift Der Luftwaffenring Anfang 1956 veröffentlichte. Wilke schreibt zwar über ein zu errichtendes, zentrales Ehrenmal der Luftwaffe, aber mindestens ebenso sehr geht es ihm um Einigkeit unter seinen Kameraden. Denn das Ehrenmal sei ganz »im Interesse eines echten Zusammenhalts innerhalb der Angehörigen der ehemaligen deutschen Luftwaffe.« Damit »vielleicht am Tage der Denkmals-Einweihung alles Trennende fällt und eine große, allumfassende Vereinigung – der wirkliche Luftwaffenring dasteht.«218 In diesem Ruf nach Einigkeit unterschied sich der DLWR deutlich von anderen Verbänden. Auf der Generalversammlung am 6. Oktober 1956 in Rhöndorf bei Bonn beschloss der DLWR einstimmig die Errichtung eines zentralen Ehrenmals für die deutsche Luftwaffe und die Luftfahrt sowie die Bildung eines Kuratoriums zu des-

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Vgl. ebd.; Werner Andres, Bericht über die Gründungsversammlung des »Deutschen Luft­waf­fen­ rings« am 3. und 4.10.1953 in Detmold, BArch, BW 2/1267; Korporativer Anschluss, S. 5 f.; auch: Schenck zu Schweinsberg, Die Soldatenverbände in der Bundesrepublik, S. 165. Vgl. Schreiben von Oberst i.G. a.D. Martin Mettig (Bundesführung) an General der Kavallerie a.D. Westphal, 1.5.1959, BArch, N 667/2. Siehe Kap. III.1.a. Siehe Kap.  III.1.c und III.1.d. Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 14/4337, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Petra Pau, Ulla Jelpke, Heidi Lippmann und der Fraktion der PDS, Soldatische Traditionsverbände und Pressemeldungen über Mittel aus dem Bundeshaushalt für ein Seminar in Aachen (Nachfrage), Drucksache 14/4337, 17.10.2000, S. 4. Vgl. Werner Andres, Bericht über die Gründungsversammlung des »Deutschen Luftwaffenrings« am 3. und 4.10.1953 in Detmold, BArch, BW 2/1267. Uebe, Wir stellen für das neue Jahr zur Diskussion.



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sen Realisierung. Im Juni 1957 wurde der DLWR dann zum Träger der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal und kommunizierte regelmäßig den Fortschritt des Projektes.219 Darüber hinaus legte die Satzung vom Oktober 1959 – zuvor konnte wohl keine Einigung erzielt werden220 – folgende Ziele des DLWR fest: »a) Zusammenschluss aller Angehörigen der alten und neuen Luftwaffe, sowie der Sol­da­ ten, Beamten, Angestellten und Arbeiter, ferner die Angehörigen der Luft­fahrt­industrie b) Förderung des fliegerisch- und fliegertechnischen Nachwuchses c) Förderung des Wehrgedankens, daher Zusammenarbeit mit der Bundeswehr und den anderen soldatischen Verbänden d) Pflege der Kameradschaft e) Betreuung der Mitglieder und der Hinterbliebenen in ihren Versorgungs- und anderen Ansprüchen f ) Unterstützung bedürftiger Mitglieder und Hinterbliebener nach der Gemein­nützig­ keits­verordnung (BGBl. I 1953 S. 592) im Rahmen der Möglichkeiten g) Aufklärung von Vermisstenschicksalen h) Förderung des Aufbaues und der Pflege der Soldatenfriedhöfe i) Eintreten gegen die Diffamierung des deutschen Soldatentums j) Der LWR verfolgt keine wirtschaftlichen Ziele, er ist überparteilich und bekennt sich zu allen staatserhaltenen [sic] Kräften«.221

Die erstrebte Einigkeit konnte der DLWR nie erreichen. Im Gegenteil, viele der nach und nach entstehenden Traditionsverbände der Luftwaffe, darunter auch die einflussreichsten wie die Kameradschaft der Transportflieger, der BDF unter der Präsidentschaft von Kurt Student und die Gemeinschaft der Jagdflieger, traten dem DLWR nicht bei.222 Daher war dort lediglich »ein Bruchteil«223 aller ehemaligen Angehörigen der Luftwaffe Mitglied. So war der Ring allenfalls ein »Torso«224, oft praktisch handlungsunfähig und ohne klare Position nach außen. Bereits 1954 war den Beteiligten klar, dass sie ihre Vorhaben mit dem Ring nicht erreichen könnten und dieser gescheitert sei, wie ein Briefwechsel zwischen Kesselring und Richard Heuser, Oberst a.D. der Wehrmacht und Leiter des Referats »Ausbildung« im Amt Blank, zeigt.225 Darüber hinaus unternahm der VdS zum Teil durchaus erfolgreiche Abwerbeversuche, um innerhalb seines Dachverbands eine eigene Abteilung Luftwaffe zu etablieren und dadurch den DLWR gewissermaßen »zu sprengen«226. 219 220 221 222 223 224 225 226

Vgl. Bau des Ehrenmals der Luftwaffe genehmigt; Wilke, Das Ehrenmal der Luftwaffe und Luft­ fahrt; Luftwaffen-Ehrenmal 1960. Vgl. Werner Andres, Bericht über die Gründungsversammlung des »Deutschen Luftwaffenrings« am 3. und 4.10.1953 in Detmold, BArch, BW 2/1267. Satzung des Luftwaffenrings e.V. (1959). Vgl. Schreiben von Rudolf Schrank an Major a.D. Hans Schnaars, 28. Oktober 1967, BArch, N 667/15. Weber, Luftwaffenring, quo vadis? Schreiben von Kurt Student an Oberst a.D. Rudolf Böhmler, 12.12.1956, BArch, N 667/2. Vgl. Zimmermann, Ulrich de Maizière, S.  158, Anm. 131; Schreiben von Richard Heuser an Feldmarschall Albert Kesselring, 24.11.1954, BArch, BW 2/1267. Beispielsweise löste sich die Ortsgruppe Hannover auf und trat dem VdS bei. Vgl. Schreiben des Bundes deutscher Fallschirmjäger e.V., Oberst a.D. Rudolf Böhmler, 2. Bundesleiter, an General­ oberst a.D. Kurt Student, 30.5.1958, BArch, N 667/13.

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Als Antwort darauf rief der DLWR 1957 eine Arbeitsgemeinschaft der LuftwaffenTraditionsverbände ins Leben. Dieser Arbeitsgemeinschaft, deren Sprecher Student war, schlossen sich zahlreiche Vereinigungen an, darunter auch Traditionsverbände der Flakartillerie, des Flakkorps, der Luftnachrichten-Truppen und der verschiedenen Luftgaukommandos.227 Bei der Arbeitsgemeinschaft handelte es sich allerdings nur um eine provisorische Konstruktion, eine Art Zwischenschritt auf der Suche nach einem Dachverband der Luftwaffe, der einflussreich und groß genug war, um ein Gegengewicht zu den Dachverbänden des Heeres VdS und RdS zu bilden. Aus dieser Arbeitsgemeinschaft ging schließlich im Jahr 1960 der DLWB hervor.228 Anders als bei vielen anderen Soldatenverbänden stand beim DLWR die Ehrung der Gefallenen zunächst nicht im Vordergrund. Die Kriegsverbrecherfrage und der Komplex der Rehabilitierung waren vorrangig. Eine Gefallenenehrung erwähnen weder der Gründungsaufruf noch frühe Fassungen der Satzung. Erst auf der Bundeshauptversammlung im September 1965 und unmittelbar vor der Fertigstellung des Luftwaffen-Ehrenmals wurde die Ehrung der Gefallenen in die neue Satzung aufgenommen und damit als zentrale Aufgabe des DLWR definiert. Nun verfügte der DLWR auch formal über die Grundlage für sein Engagement bei Ehrenmal- und Gedenksteinprojekten.229 Die militärpolitischen Ansichten des DLWR unterschieden sich nicht wesentlich von denen anderer Soldatenverbände, und er war offen für rechtskonservative und auch rechtsextreme Ansichten. Als Referenten zu seinen Veranstaltungen lud er Personen wie den Militärrichter und NS-Apologeten Manfred Roeder ein, verantwortlich für zahlreiche Todesurteile u.a. gegen Mitglieder der Widerstandsgruppe Rote Kapelle.230 Vor allem aber verbreitete er in seinem Verbandsorgan Der Luft­ waffen­ring – die Publikation änderte mehrfach ihren Namen231 – geschichtsrevisionistische Äußerungen. So bezeichnete er die Kritik an der Bombardierung von Rotterdam durch die Luftwaffe am 14. Mai 1940 entgegen gesicherter historischer Erkenntnis als »eine maßlose und völlig ungerechtfertigte Propaganda gegen die deutsche Kriegsführung und besonders gegen unsere Luftwaffe«232. 227 228 229

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Vgl. Mettig, Hier spricht die Bundesleitung! Vgl. auch Schreiben von Kurt Student an Oberst a.D. Rudolf Böhmler, 12.12.1956, BArch, N 667/2. Vgl. Gründung des »Deutschen Luftwaffenblocks« am 10.  Juli 1960 in Wiesbaden, BArch, N 667/19. Vgl. Satzung des Luftwaffenrings e.V. (1959). In § 2 definierte die Satzung lediglich den Aufbau und die Pflege von Soldatenfriedhöfen als Aufgabe des Ringes. Vgl. Satzung des Luftwaffenrings e.V. (1965), § 3.4 und 3.5. Vgl. Einweihung des Gedenksteins des Flakregiments I/24 in Iserlohn. Der DLWR unterstützte auch die Wiederrichtung des Ehrenmals für die gefallenen Flieger beider Weltkriege am 16. März 1958. Vgl. Fliegerehrenmal in Nürnberg eingeweiht. Vgl. Dietzsch, Zwischen Konkurrenz und Kooperation, S. 80, Anm. 20. Vgl. Grosse, Ankläger von Widerstandskämpfern, S. 52. Unter dem Namen Der Luftwaffenring erschien das Verbandsorgan erstmals im Januar 1953. Im Oktober 1959 benannte der Ring die Zeitschrift in Internationale Luftwaffenrevue um. Zwischen 1960 und Anfang 1961 war Der Luftwaffenring als Beilage der Internationalen Luftwaffenrevue beigefügt und ging schließlich vollständig in ihr auf. Seit Februar 1961 erscheint die Zeitschrift unter dem Namen Luftwaffenrevue. Kundgebung des Deutschen Luftwaffenblocks e.V. und Luftwaffenrings e.V. am 29.10.1966 in Krefeld, S. 176. Vgl. Barnouw, Die Niederlande im Zweiten Weltkrieg, S. 27 f.



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Und an allen Verbrechen sowie auch am »Zusammenbruch« des deutschen Reiches, so wollte es Der Luftwaffenring seinen Lesern ernsthaft glauben machen, trug nur einer, einer ganz allein und ohne jeden Mittäter die Schuld:

»Das Dritte Reich ist 1945 zusammengebrochen, nicht durch das Versagen der Wehrmacht, sondern durch den Wahnsinn eines einzigen Mannes, der seinen Willen mit brutaler Gewalt durchgesetzt hat [...] Wir alle, die wir hier in unserem LWR zusammengeschlossen sind, haben in dem größten Kriege aller Zeiten unsere Pflicht auf dem Platz getan, auf den wir gestellt wurden.«233

Noch 1985, 40  Jahre nach dem Ende des deutschen Angriffskrieges, verleumdete das Verbandsorgan Polen als »kriegslüstern« und den britischen Premierminister Winston Churchill als »Totengräber Europas«, der sich den Zweiten Weltkrieg »herbeigewünscht« habe.234 Die ideologische Rechtfertigung, der sich der DLWR »voll und ganz«235 anschloss, deckte sich mit den Richtlinien über das deutsche Soldatentum, welche die Traditionsgemeinschaft Panzer-Korps Großdeutschland, Mitglied im VdS, vertrat, eine Glorifizierung des deutschen Soldaten. Dieser »erwartet einen ehrenvollen Platz auf Grund seines vierjährigen Kampfes gegen die bolschewistische Übermacht [...] Der deutsche Soldat bekennt sich zu seiner Tradition. Er beugt sich in Demut vor den Toten, die Deutschland ihr Leben gaben [...] Also soll auch die Stellung des Soldaten im Staate dem Opfer entsprechen, das die Nation von ihm erwartet.«236

Dies entsprach den Vorstellungen eines »guten und sauberen Soldatentums«237, wie sie auch Student vertrat, eines Soldatentums, das sich von jeder Schuld distanzierte und selbst exkulpierte. Dieses Verständnis des Soldatentums wollten die Vertreter des DLWR auch in der Bundeswehr durchsetzen: »Wir selber sind der Ansicht, dass der Aufbau der neuen Bundeswehr nicht ohne Traditionspflege mit Rückblick auf die großen Leistungen der Soldaten in der Vergangenheit geht.«238 Daher legte der DLWR etwa auch beim BMVg Protest gegen die Absetzung von Oberst Bern Oskar von Baer ein, der seinen Posten als Kommandeur der 1. Luftlandedivision der Bundeswehr verlor. Der Grund für die Amtsenthebung: die »Gedenkfeier zum Andenken an die Eroberung Kretas« durch die Wehrmacht, die Baer veranstaltete.239 Diese Äußerungen und Aktionen und auch die Tatsache, dass der DLWR verurteilten Kriegsverbrechern wie Kesselring ein öffentliches Forum bot, zeigen, dass der Verband an der Entstehung und Verbreitung der Legende von der sauberen Wehrmacht beteiligt war. In den späten 1990er-Jahren kämpfte er zusammen mit dem RdS, dessen Mitglied er war, und dem VdS für ihre Konservierung. In dem gemeinsamen Münchener Boykottaufruf vom Februar 1997 bezeichnete der DLWR 233 234 235 236 237 238 239

Aus dem Verbandsleben, S. 108. Wilke, Der Kampf ums Öl, S. 13. Deutsches Soldatentum, S. 2. Ebd. Generaloberst Student, S. 96. Seibt, Hervorragender Soldat und Offizier wird abgelöst, S. 2. Vgl. ebd.; Nägler, Der gewollte Soldat, S. 115.

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die sogenannte Wehrmachtausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung als pauschale Verleumdung der Wehrmachtsoldaten und sprach von »angeblichen« Verbrechen.240 Trotz der problematischen geschichtsrevisionistischen Positionen des DLWR gibt es bis in die Gegenwart vielfältige Beziehungen zur Bundeswehr. Auch die aktuell gültige Satzung vom Juni 2005 benennt die Pflege dieser Beziehungen als Aufgabe.241 Wie tief diese heute tatsächlich sind, lässt sich kaum ermitteln. Historisch jedenfalls deuten viele Indizien auf ein enges Verhältnis. So lobte z.B. Verteidigungsminister Strauß in seinen Glückwünschen an den DLWR zur Jahreswende 1957/58 die tiefe Verbundenheit von Bundeswehr und Veteranen: »Selbstloser Dienst an der Sache, Pflichterfüllung und Opferbereitschaft sind zeitlose Werte des Soldatentums, in denen sich die Bundeswehr mit Ihnen, der Gemeinschaft ehemaliger Luftwaffenangehöriger, ganz besonders verbunden fühlt.«242 Mit der Gründung des DLWB schrumpften die Mitgliederzahlen des DLWR – konkrete Zahlen waren nicht zu ermitteln – und er sank nach und nach in die Be­deu­tungslosigkeit.243 Seit der Jahrtausendwende ist der DLWR ein reiner Kameradschaftsverein, geschrumpft auf wenige Ortsverbände.244 Laut Satzung vom Juni 2005 treibt er die »Vereinigung der Angehörigen und Freunde der alten und neuen Luftwaffe sowie der Luftfahrtindustrie«245 voran. Neu ist das explizite Bekenntnis zum Grundgesetz.246 In älteren Fassungen bekannte sich der DLWR lediglich unspezifisch zu den »staatserhaltenden Kräften«247. Kameradschaftliche Fürsorge und das Eintreten für die Ehre des deutschen Soldatentums sind seine Hauptaufgaben. Daneben beschäftigt er sich vor allem mit dem Aufbau und der Pflege von Soldatenfriedhöfen sowie der Organisation des Totengedenkens am zentralen Ehrenmal der Luftwaffe und der Luftfahrt.248 Das gemeinsame Totengedenken ist wohl das stärkste Bindeglied zwischen DLWR und Bundeswehr. Im September 2012 richteten DLWR und Bundes­luft­ waffe eine Gedenkfeier für den Bundeswehrpiloten Erik Edgar Bedarf vom Jagd­bom­ ber­geschwader 31 aus. Bedarf starb 1962, weil er in seinem brennenden Starfighter 240

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Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 14/4337, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Petra Pau, Ulla Jelpke, Heidi Lippmann und der Fraktion der PDS, Soldatische Traditionsverbände und Pressemeldungen über Mittel aus dem Bundeshaushalt für ein Seminar in Aachen (Nachfrage), Drucksache 14/4337, 17.10.2000. Vgl. Latzel, Soldatenverbände gegen die Ausstellung »Vernichtungskrieg«, S. 326. Vgl. Satzung des Deutschen Luftwaffenrings e.V. (Stand: Juni 2005), §  3, e, (letzter Zugriff 12.1.2016), Privatarchiv Julia Nordmann. Neujahrsglückwunsch des Herrn Ministers, S. 1. Vgl. Bundeshauptversammlung des DLWR, Auszug aus der Ansprache des 1. BV Kam. Mettig vor den Delegierten der BHV, 14.5.1976, BArch, N 667/22. Vgl. Deutscher Luftwaffenring e.V., (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Satzung des Deutschen Luftwaffenrings e.V. (Stand: Juni 2005), §  2.1, (letzter Zugriff 12.1.2016), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. ebd., § 2, 5. Vgl. Satzung des Luftwaffenrings e.V. (1959), § 2. j; Satzung des Luftwaffenrings e.V. (1965), § 2, 3. Vgl. Satzung des Deutschen Luftwaffenrings e.V. (Stand: Juni 2005), §  3, c, (letzter Zugriff 12.1.2016), Privatarchiv Julia Nordmann.



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so lange ausharrte, bis er in unbewohntes Gebiet abstürzte, sodass er eine Katastophe ver­hinderte.249 Bemerkenswert war diese Feier, weil sie eines Soldaten gedachte, dessen Tod nicht die Bewährung im Kampf symbolisierte, sondern den Schutz der Zivil­bevölkerung in den Mittelpunkt rückte. Seit Gründung der Interessengemeinschaft Deutsche Luftwaffe im Jahr 2010, die sich im weitesten Sinne für die Belange der Luftwaffe einsetzt, ist auch der DLWR dort Mitglied.250

d) Der Deutsche Luftwaffenblock e.V. »Ich melde noch, Herr Feldmarschall, dass sich die alte Luftwaffe nun endlich zum ›Deutschen Luftwaffenblock‹ zusammengefunden hat, wie es schon lange Ihr sehnlich­ ster Wunsch war«.251

Nachdem am 10. Juli 1960 in Wiesbaden der DLWB gegründet wurde, meldete der Vorsitzende der neuen Vereinigung Student in seiner Grabrede für den am 16. Juli gestorbenen Kesselring Vollzug. Nun verfügte auch die ehemalige Luftwaffe über einen funktionierenden Dachverband.252 Die Bezeichnung »Block« sollte der Neugründung in der Veteranenlandschaft eine »kämpferische Note«253 verleihen, die nun alle wichtigen Traditionsgemeinschaften, Vereine und Bünde der ehemaligen Luftwaffe zusammenfasste. Die Geschäftsführung übernahm Major a.D. Hans Schnaars.254 Der DLWB verstand sich als Gegenstück zum RdS, mit dem aber eine enge Zusammenarbeit vereinbart wurde.255 Ähnlich wie der RdS besaß der Block weder 249 250 251 252

253 254 255

Vgl. Ahlers, Zum 50.  Todestag; Oberleutnant Erik Bedarf, 29.3.1936‑3.9.1962, S.  2. Siehe Kap. VII.3. Vgl. Interessengemeinschaft Deutsche Luftwaffe e.V., (letzter Zugriff 6.9.2021). Generalfeldmarschall Albert Kesselring zur großen Armee abberufen. Vgl. Gründung des »Deutschen Luftwaffenblocks« am 10.  Juli 1960 in Wiesbaden, BArch, N 667/19; Deutscher Luftwaffenblock gegründet; Generalfeldmarschall Albert Kesselring zur großen Armee abberufen; Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, S. 305. Niederschrift über die Sitzung des Vorstandes des »Deutschen Luftwaffenblocks e.V.« am 18.1.1962 in Mehlem, BArch, N 667/2. Vgl. Gründung des »Deutschen Luftwaffenblocks« am 10.  Juli 1960 in Wiesbaden, BArch, N 667/19. Vgl. Schenck zu Schweinsberg, Die Soldatenverbände in der Bundesrepublik, S. 166. Beide Dachverbände arbeiteten in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre bei der Frage der verurteilten Soldaten zusammen. Am 4. August 1960 etwa bewirkten sie für Generalfeldmarschall a.D. Ferdinand Schörner, der als »blutiger Ferdinand« und als »der brutalste von Hitlers Feldmarschällen« in die Geschichte einging, die Umwandlung der Gefängnis- in eine Bewährungsstrafe. Auch bemühten sich RdS und DLWB mit der Aktion »Straffreiheitsgesetz« vom 30. September 1960 – erfolglos – um Einstellung aller kriegsbedingten Prozesse gegen ehemalige Soldaten. Vgl. DLWB, Bericht der 4. Ordentlichen Mitgliederversammlung des Deutschen Luftwaffenblocks am 4. November 1967, BArch, N 667/15; auch: Mazower, Militärische Gewalt und nationalsozialistische Werte, S. 170 f.; Steinkamp, Generalfeldmarschall Ferdinand Schörner, S. 507‑515. Zusammen mit dem Stahlhelm protestierten DLWB und RdS bei Verteidigungsminister Strauß wegen der – nach Meinung der Soldatenverbände – ungenügenden Beteiligung der Bundeswehr an der Beerdigung von Kesselring. Die Planungen innerhalb des FüB für die Beisetzung Kesselrings, bei der Luftwaffeninspekteur Kammhuber die Grabrede hielt, sind unter BArch, BW  2/20286 dokumentiert. Vgl. DLWB,

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eine eigene Geschäftsstelle noch ein eigenes Verbandsorgan, sondern teilte sich beides mit dem DLWR.256 An der Gründungsversammlung in Wiesbaden nahmen elf Traditionsverbände der ehemaligen Luftwaffe teil: der BDF, die Gemeinschaft der Jagdflieger, der DLWR, die Kameradschaft der Transportflieger, die Traditionsgemeinschaft der Luft­nach­rich­tentruppe, das Fallschirmjäger-Panzer-Korps, der Waffenring der Flak­ artillerie und Flugabwehr, die Stiftung Luftwaffen Ehrenmal, der Traditions­ver­band Luftgau Kommando I und der Traditionsverband Luftgau Kommando VIII sowie die Kameradschaft 21. Luftwaffen Felddivision.257 Bis auf die Jagdflieger, die einen Beitritt zunächst ablehnten, jedoch in zentralen Fragen mit dem Dachverband kooperierten258, schlossen sich all diese Verbände korporativ und unter Wahrung ihrer Eigenständigkeit dem DLWB an. Im Herbst 1960 zählte der Block dann ca. 100 000 Mitglieder. Verglichen mit anderen Sol­ da­ten­verbänden belegt diese Zahl den hohen Organisationsgrad innerhalb der alten Luftwaffe, denn der vom Heer dominierte VdS verfügte zur selben Zeit über eine vergleichbare Mitgliederzahl wie der DLWB, hatte aber als die viel größere Teilstreitkraft ein deutlich höheres Mitgliederpotenzial. Außerdem war ein Teil der Luftwaffenverbände auch im DLWR organisiert.259 Auf der Gründungsversammlung zeigte sich der DLWB selbstbewusst: »Wir sind nicht etwa Außenseiter, die ewig Gestrigen und Unbelehrbaren, sondern wir haben nach der Katastrophe am Aufbau unseres neuen Staates tatkräftig mitgearbeitet – verantwortungsbewusst, selbstlos und treu, obwohl es gerade uns Soldaten verdammt

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Protokoll über die 2. ordentliche Mitgliederversammlung des Vereins »Deutscher Luftwaffenblock e.V.« am 28. April 1962, 23.5.1962, BArch, N 667/12. Vgl. DLWB, Präsident, 1. Informationsbrief, 1.9.1960, BArch, N 667/12. Vgl. Deutscher Luft­ waffenblock gegründet. Vgl. Gründung des »Deutschen Luftwaffenblocks« am 10.  Juli 1960 in Wiesbaden, BArch, N 667/19. Die Protokolle der Mitgliederversammlungen des DLWB bis 1967 haben sich im Nachlass von Kurt Student erhalten. Aus ihnen geht hervor, dass der Vorsitzende der Gemeinschaft der Jagdflieger, Oberstleutnant  a.D. Werner Andres, auf der Gründungsversammlung des Blocks anwesend war und auch weiterhin regelmäßig an den jährlichen Mitgliederversammlungen teilnahm. Zwischen der Gründung des Blocks 1960 und 1962 war Andres Stellvertreter des Präsidenten Student und damit Teil des erweiterten Vorstandes. Jedoch legte er dieses Amt auf der Mitgliederversammlung am 28. April 1962 in Düsseldorf nieder. Mehrmals legte Student ihm nahe, die Jagdfliegergemeinschaft zu einem Beitritt zu bewegen. Das lehnte diese jedoch ab, da sie nicht davon überzeugt war, mit dem Block »viel erreichen« zu können. Außerdem war es ihr wegen ihrer Satzung nahezu unmöglich, einem eingetragenen Verein korporativ beizutreten. Vgl. Gründung des »Deutschen Luftwaffenblocks« am 10.  Juli 1960 in Wiesbaden, BArch, N  667/19; Schreiben Gemeinschaft der Jagdflieger, 1. Vorsitzender Oberstleutnant a.D. Werner Andres, an Kurt Student, 1.12.1960, BArch, N 667/2; Niederschrift über die Sitzung des Vorstandes des »Deutschen Luftwaffenblocks e.V. am 18.1.1962 in Mehlem, 12.2.1962, BArch, N  667/2; DLWB, Protokoll über die 2.  ordentliche Mitgliederversammlung des Vereins »Deutscher Luftwaffenblock e.V.« am 28.  April 1962, 23.5.1962, BArch, N 667/12; DLWB, Hauptgeschäftsführer, Bericht der 4. Ordentlichen Mitgliederversammlung des Deutschen Luftwaffenblocks am Sonnabend, den 4. November 1967 in Köln, 17.11.1967, BArch, N 667/15. Vgl. Gründung des »Deutschen Luftwaffenblocks« am 10.  Juli 1960 in Wiesbaden, BArch, N 667/19; Schreiben des DLWB an das BMVg, Inspekteur der Luftwaffe, z.Hd. von Herrn Haupt­ mann Kriehnen, 30.9.1960, BArch, N 667/12. Siehe Kap. III.1.a.



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schwer gemacht worden ist! [...] Man kann uns Frontsoldaten nicht mehr länger als Staats­bürger zweiter Klasse behandeln.«260

Aus dieser Kampfansage – »wir Frontsoldaten« wollen »nun endlich einmal kräftig und unüberhörbar auf den Tisch hauen«261 – leiteten sich auch die zentralen Ziele des DLWB ab: »a) Engeres Zusammengehen b) Wiederherstellung des Rufes des deutschen Soldaten und Anerkennung in der Öffentlichkeit c) Kampf gegen die schleichende Diffamierung gleich von welcher Seite d) Forderung nach Kriegsamnestie e) Aufnahme kameradschaftlicher Beziehungen zu ausländischen Soldatenverbänden.«262

Verglichen mit anderen soldatischen Interessenvertretungen erfolgte die Gründung des DLWB spät. Der Ruf nach Kriegsamnestie, die Wiederherstellung der Repu­ ta­tion des deutschen Soldaten, die Mitarbeit am Aufbau der Bundeswehr und das Gedenken an die Gefallenen – all dem widmeten sich längst andere Verbände. Der DLWB war hier lediglich eine weitere Stimme für die Interessen ehemaliger Wehrmachtsoldaten, insbesondere die der Luftwaffe. In der ersten Hälfte der 1960er-Jahre konzentrierte sich der Verband auf die Agitation gegen noch laufende Kriegsverbrecherprozesse und entsprechende Ermitt­ lungs­verfahren gegen Wehrmachtsoldaten.263 Auch der Kampf gegen die Diffa­mie­ rung der alten Soldaten und für die Anerkennung ihrer »großen Opfer«264 war eine seiner zentralen Aufgaben. Einen exponierten Stellenwert besaß in diesem Zusam­ men­hang der gemeinsame Protest, den RdS, Stahlhelm und der frisch gegründete DLWB am 29. August 1960 beim Verteidigungsminister gegen die »völlig ungenügende Beteiligung der B.W. an der Trauerfeier«265 für Kesselring vorbrachten. Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt war die Mitarbeit bei Planung und Errichtung des zentralen Luftwaffen-Ehrenmals in Fürstenfeldbruck.266 Die späte Gründung war vor allem eine »Notlösung«267. Sie war eine Reaktion auf das Scheitern des DLWR als starke und einflussreiche Vertretung der ehemaligen Luftwaffenangehörigen. Und sie war ein Wettlauf gegen den VdS, der in den 1950er-Jahren eine eigene Gruppe »Luftwaffe« zu etablieren versuchte. Dieser war bemüht, die Traditionsverbände der alten Luftwaffe in seinen Verband einzugliedern, um damit den DLWR zu sprengen.268

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Gründung des »Deutschen Luftwaffenblocks« am 10. Juli 1960 in Wiesbaden, BArch, N 667/19. Ebd. Ebd. Vgl. Brief von Kurt Student an Oberst a.D. Friedrich Haarde, 10.5.1962, BArch, N 667/2. Niederschrift über die Sitzung des Vorstandes des »Deutschen Luftwaffenblocks e.V.« am 18.1.1962. DLWB, Protokoll über die 2.  ordentliche Mitgliederversammlung des Vereins »Deutscher Luft­ waffenblock e.V.« am 28. April 1962, 23.5.1962, BArch, N 667/12. Siehe Kap. III.2.a. DLWB, Protokoll über die 3. ordentliche Mitgliederversammlung des Vereins »Deutscher Luft­ waffenblock e.V.« am 18. Juli 1964 in Köln, 11.8.1964, BArch, N 667/13. Vgl. ebd.; Schreiben des Bund deutscher Fallschirmjäger e.V., Bundesleitung, an Generaloberst a.D. Kurt Student, 30.5. 1958, BArch, N 667/13.

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Dieser hatte dem wenig entgegenzusetzen. Ein Bollwerk gegen eine Einverleibung durch den VdS konnte er nicht sein. Und auch das Renommee Kesselrings war in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre deutlich angeschlagen.269 Einflussreiche Verbände wie der BDF, die sich nie dem Ring angeschlossen hatten, baten daher Kurt Student darum, die Angehörigen der Wehrmachtluftwaffe in einem unabhängigen Verband zusammenzuführen. Die Gründung des DLWB war daher ein weiterer Versuch der Einigung über eine neu geschaffene Struktur und vor allem mit einer anderen Führungsfigur.270 Die Gründung sollte ein Fundament sein, von dem aus die ehemaligen Luftwaffenangehörigen geschlossen und selbstbewusst ihre Interessen vertreten konnten, auch innerhalb eines Großverbandes wie dem VdS oder dem RdS. Mit Student rückte ein Mann an die Spitze des DLWB, der innerhalb der ehemaligen Luftstreitkräfte eine hohe Reputation besaß, die bis in die Luftwaffe der Bundeswehr hineinreichte.271 Auch beim Sammeln von Spenden für den Bau des 269

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Das Bild von Kesselring war innerhalb der Veteranenszene und auch in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit zumindest ambivalent. Kesselrings Reputation nahm durch seine Aktivitäten nach der Haftentlassung im Oktober 1952 schweren Schaden. Die Übernahme der Ehrenpräsidentschaft im Stahlhelm, der sich am äußersten rechten Rand des politischen Spektrums bewegte, trübte sein öffentliches Bild deutlich ein. Auch geriet Kesselring durch seine hochumstrittenen Auftritte als Gutachter in den Prozessen gegen Oberst a.D. Walter Ohm, Feldmarschall a.D. Ferdinand Schörner und Generalleutnant a.D. Theodor Tolsdorff in den Sog der verheerenden Wirkung, welche diese Gerichtsverfahren in der Öffentlichkeit entfalteten. Und schließlich stieß seine Selbststilisierung zum ›Gentleman im Krieg‹, die er 1953 in seinen Memoiren »Soldat bis zum letzten Tag« unter Ausblendung jeglicher moralischer Verantwortung und Schuld verbreitete, auf scharfe Kritik. Vgl. Lingen, Kesselrings letzte Schlacht, S. 298, 323, 340‑343. Davon unbeeindruckt ernannte ihn die Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal dennoch zu ihrem Ehrenvorsitzenden. Kesselrings ungebrochene Strahlkraft in gewissen Veteranenkreisen sollte behilflich sein bei der Werbung um Unterstützung für das Ehrenmalprojekt. Ihre hohe Meinung von Kesselring behielt die Stiftung bis zu ihrer Auflösung 1987 bei. Sie sah in dem Feldmarschall a.D. eine »Leitfigur«, die sich »Achtung und Vertrauen« sowie »Würde und Anerkennung« erworben hatte. Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Luftwaffen-Ehrenmal Fürstenfeldbruck. Den Toten der Luftwaffe und der Luftfahrt, November 1987 (Broschüre), S. 7, BArch, B 482/3. Vgl. Schreiben Bund Deutscher Fallschirmjäger e.V., Oberst a.D. Rudolf Böhmler, 2. Bundesleiter, an Generaloberst a.D. Kurt Student, 30.5.1958, BArch, N 667/13. Vgl. DLWB, Protokoll über die 3. ordentliche Mitgliederversammlung des Vereins »Deutscher Luftwaffenblock e.V.« am 18. Juli 1964 in Köln, 11.8.1964, BArch, N 667/13. Vgl. Schreiben Bund deutscher Fallschirmjäger e.V., Oberst a.D. Rudolf Böhmler, 2. Bundesleiter, an Generaloberst a.D. Kurt Student, 30.5.1958, BArch, N 667/13; Herr Generaloberst a.D. Kurt Student, S.  56; Zimmermann, Zwischen Reformern und Traditionalisten?, S.  308. Als General der Fallschirmtruppe der Wehrmacht plante Student den deutschen Angriff auf die griechische Insel Kreta am 20. Mai 1941. Das »Unternehmen Merkur« dauerte bis Anfang Juni 1941. Die Wehrmacht hatte gegen heftigen Widerstand griechischer und britischer Truppen und unter großen Verlusten Kreta eingenommen. Die Bevölkerung der Insel wehrte sich gegen die Invasoren. Auf ausdrücklichen Befehl von Student vom 31. Mai kehrten die Fallschirmjäger in die Ortschaften zurück, in denen sie von der kretischen Bevölkerung beschossen oder in denen Kameraden – teilweise unter brutalen Umständen – getötet worden waren. Sie brannten diese Orte nieder und ermordeten deren Bevölkerung. Diesen Massakern fielen auch Frauen und Kinder zum Opfer. Im Mai 1945 wurde Student festgenommen und ein Jahr später von einem britischen Militärgericht in Lüneburg wegen der auf Kreta begangenen Kriegsverbrechen zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Allerdings wollte der zuständige britische Gerichtsherr General Sir Alexander Galloway das Urteil nicht bestätigen. Der Grund: Students untadelige Haltung als Soldat. Daher wurde es aufgehoben. Die Kritik alliierter Generale und Richter an Prozessen gegen Angehörige der Wehrmacht war kein seltenes Phänomen. Sie förderte neben dem Freispruch von OKW und Generalstab



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Luftwaffen-Ehrenmals nutzte man seine Popularität, etwa in der Dezemberausgabe 1960 des Verbandsorgans Der Luftwaffenring.272 Die hohe Beliebtheit von Student gründete nicht zuletzt auf einem Mythos. Student, dem Kommandeur der Fallschirm- und Luftlandetruppen sowie Befehls­ haber der Schlacht um Kreta, gelang es gemeinsam mit dem Oberbefehlshaber der Luft­waffe Göring, in einem opulenten Bildband273 den überaus verlustreichen Kampf um Kreta am 20. Mai 1941 als glänzenden Erfolg darzustellen – und nicht als den teuer erkauften »Pyrrhus-Sieg«274, der er in Wahrheit war. Auf der Gründungsveranstaltung des Blocks nutzte Student diesen Mythos zur Einigung der Waffengattungen der Luftwaffe: »Dieser große deutsche Erfolg wurde durch eine erstaunliche Gemeinschaftsleistung aller Sparten der Luftwaffe erzielt, der Fallschirmjäger und Transporter, der Bomber und der Jäger, der Luft­nach­rich­ ten­truppe und der Flak.«275 Das Soldatentum, das Student propagierte, sah im Kampf bis zum Tod den Sinn und die Vollendung der soldatischen Existenz. Gnadenlos opferte Student, bis zum Kriegsende Hitler treu ergeben, seine Soldaten auch in militärisch fragwürdigen Schlachten hin. Damit verstieß er gegen das soldatische Ethos, wie es sich nach 1945 in der Bundesrepublik herausbildete. Seit 1998 gilt Student auch offiziell nicht mehr als traditionswürdig.276 In den ersten Jahren der Bundeswehr allerdings herrschte ein anderer Geist. Insbesondere während der 1956 beginnenden Amtszeit von Josef Kammhuber – Kommandierender General der Nachtjagd in der Wehrmacht und Generalleutnant in der Bundeswehr – als Inspekteur der Bundesluftwaffe gestalteten sich die Kontakte zwischen dem DLWB und der Führung der Bundesluftwaffe besonders intensiv, und hier vor allem bei der Frage nach einer Traditionsfindung für die Bundesluftwaffe.277 Auch im Zusammenhang mit der Gestaltung des Luftwaffen-Ehrenmals278 und bei der Suche nach gemeinsamen Formen der Totenehrung von Veteranen und Bundeswehrsoldaten gab es regen Austausch. Und darüber hinaus organisierte der

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des Heeres im Nürnberger Prozess und in den Folgeprozessen die Legende von der »sauberen Wehrmacht«. 1948 wurde Student nach einer erfolgreichen Berufung aus der Gefangenschaft entlassen. Vgl. Bundesarchiv, Kurt Student (letzter Zugriff 6.9.2021); Roth, Die deutsche Fallschirmtruppe, S. 113‑162. Vgl. Epkenhans/Zimmermann, Die Wehrmacht, S. 107 f., 125. Unterlagen über den Prozess gegen Student finden sich in seinem Nachlass: BArch, N 667/5. Vgl. Student, Luftwaffen-Ehrenmal, S. 1. Vgl. Kreta, Sieg der Kühnsten. Vgl. Roth, Die Deutsche Fallschirmtruppe, S. 160. Gründung des »Deutschen Luftwaffenblocks« am 10. Juli 1960 in Wiesbaden, BArch, N 667/19. Vgl. Roth, Die Deutsche Fallschirmtruppe, S. 267 f. Siehe auch Kap. VII.3.a. Im Oktober 1998 trennte man sich von der »Generaloberst-Student-Straße« auf dem Gelände der Franz-Josef-StraußKaserne in Altenstadt. Auch der dortige »Generaloberst-Student-Saal« erhielt an diesem Tag den neuen Namen »Turmsaal«. Vgl. Hindenburg soll in Schongau bleiben. In: Merkur, 3.1.2013; Giordano, Die Traditionslüge, S. 301. Vgl. Schöbel, Am Anfang war der Held, S. 43; Kilian, Führungseliten, S. 274. Dies belegt etwa der Schriftwechsel zwischen dem DLWB, der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal und dem Inspekteur Kammhuber, der im Nachlass von Student aufbewahrt wird: BArch, N 667/27 und N 667/28.

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DLWB in Zusammenarbeit mit der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal und der Bundes­ luftwaffe Feierlichkeiten und Totenehrungen am Luftwaffen-Ehrenmal.279 Auch zum BMVg unterhielt der DLWB vielfältige Beziehungen. So veranstalteten sie bis in die späten 1960er-Jahre gemeinsam wehrpolitische Seminare, und der DLWB nahm an Informationstagungen im Ministerium teil.280 Anders als etwa beim VdS entwickelte der Block keinerlei Pläne, seinen Nachwuchs aus den Reihen der Bundesluftwaffe zu rekrutieren. Ein Bruch zwischen Bundeswehr und DLWB erfolgte am Volkstrauertag 1977. Der Grund: An der Veranstaltung am Luftwaffen-Ehrenmal hatte auch Hans-Ulrich Rudel teilgenommen, Oberst a.D. und bekennender Rechtsextremist. Weder die Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal noch der DLWB wollten sich von Rudel distanzieren. Die Bundeswehr kündigte zunächst einmal das gemeinsame Totengedenken am Volkstrauertag auf und wollte künftig bereits am Tag zuvor allein der Toten gedenken.281 Doch der DLWB ruderte wohl zurück und suchte die Wiederannäherung an die Bundeswehr – offensichtlich erfolgreich. Jedenfalls fanden die Luftwaffe der Bundeswehr und der DLWB im Sommer 1978 ein Arrangement für eine gemeinsame Totenehrung am Vortag des Volkstrauertages. Die Bundesluftwaffe behielt dabei die Regie, der Verband durfte aber teilnehmen und erhielt bei seiner eigenen Veranstaltung am Volkstrauertag Unterstützung seitens der Bundeswehr, etwa durch das Musikkorps oder bei der Organisation des Transportes zur Gedenkstätte.282 Am 4.  November 1967 fällte der DLWB eine Grundsatzentscheidung: Er gab seine Eigenständigkeit auf und schloss sich dem RdS an. Im Herbst 1974 trennten sich die Wege jedoch wieder aufgrund schwerwiegender politischer Differenzen.283 Auch intern scheiterte der DLWB. Denn insgesamt, so die Einschätzung der eigenen Mitglieder, blieb er eine »Gemeinschaft ohne das erforderliche enge Zu­sam­ men­gehörigkeitsgefühl«284. Nach dem Tod Students am 1. Juli 1978 setzten sich die 279

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Vgl. Informationstagung des Deutschen Luftwaffenblocks e.V.; DLWB, Protokoll über die 3. ordentliche Mitgliederversammlung des Vereins »Deutscher Luftwaffenblock e.V.« am 18. Juli 1964 in Köln, 11.8.1964, BArch, N 667/13. Vgl. DLWB, Bericht über die 4. ordentliche Mitgliederversammlung des Deutschen Luftwaffen­ blocks am 4. November 1967 in Köln, BArch, M 667/15; Schreiben von Brigadegeneral Friedrich, BMVg, an den Präsidenten des DLWB, Generaloberst a.D. Kurt Student, 20. September 1967, BArch, N 667/15; Schreiben des BM der Verteidigung an den Präsidenten des DLWB, General­ oberst a.D. Kurt Student, 30.10.1964, BArch, N 667/13. Vgl. Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, S. 512; Neitzel, Rudel, Hans-Ulrich, S. 160 f. Siehe Kap. VII.3.b. Vgl. Schreiben des BMVg, InspLw, an Herrn Generalleutnant a.D. Dr. Konrad Stangl, 31.7.1978, BArch, B 482/3. Vgl. Schreiben des BMVg, InspLw, an Herrn Generalleutnant a.D. Dr. Konrad Stangl, 1.8.1978, BArch, B 482/3. Vgl. DLWB, Protokoll über die 3. ordentliche Mitgliederversammlung des Vereins »Deutscher Luftwaffenblock e.V.« am 18. Juli 1964 in Köln, 11.8.1964, BArch, N 667/13; DLWB, Bericht der 4. Ordentlichen Mitgliederversammlung des Deutschen Luftwaffenblocks am 4. November 1967, BArch, N 667/15; Schreiben des DLWR, 1. BV Manig, an Generaloberst Kurt Student, 6.10.1974, BArch, N 667/21; Schreiben des DLWB an den RdS, 24.9.1973, BArch, N 667/21. DLWB, Protokoll über die 3. ordentliche Mitgliederversammlung des Vereins »Deutscher Luft­waf­ fen­block e.V.« am 18. Juli 1964 in Köln, 11.8.1964, BArch, N 667/13.



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Fliehkräfte im Block endgültig durch. Seiner Identifikationsfigur beraubt, löste er sich am 31. Oktober 1979 auf.285

e) Der Deutsche Marinebund e.V. Laut Eigendarstellung ist der DMB, der seine Geschäftsstelle in Laboe in SchleswigHolstein unterhält, Deutschlands »größter maritimer Interessenverband«286 mit mehr als 10 000 Mitgliedern im Jahr 2021.287 Im Unterschied zu den anderen im Rahmen dieser Arbeit vorgestellten Soldatenverbänden ist der DMB keine Nachkriegsgründung. Seine Wurzeln reichen vielmehr bis ins Jahr 1891 zurück, in dem die Vereinigung unter dem Namen Bund deutscher Marinevereine gegründet wurde. Mehrfach änderte er seine Bezeichnung, bis es 1922 bei »Bund Deutscher Marinevereine« (BDM-V) blieb.288 Während der Zeit des Nationalsozialismus hieß er Nationalsozialistischer Deutscher Marinebund (NS-DMB) und wurde wie beinahe alle vom Regime unabhängigen Organisationen seiner Selbstständigkeit enthoben und gleichgeschaltet.289 Am 29. Oktober 1945 wurde er durch das bereits erwähnte Kontrollratsgesetz Nr. 2 des Alliierten Kontrollrats aufgelöst.290 Vor allem nach 1949 entstanden in der Bundesrepublik wieder zahlreiche Marinevereinigungen und -kameradschaften. Die Neugründung des DMB erfolgte 285

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Der DLWB ist im Vereinsregister des Amtsgerichts Stuttgart seit dem 7.  April 1961 unter der Nummer VR 1423 registriert. Der letzte Eintrag vom 31. Oktober 1979 belegt die Auflösung des Verbandes. Vgl. Vereinsregister des Amtsgerichts Stuttgart, Wiedergabe des aktuellen Registerinhalts des Vereins VR 1423, Abruf vom 16.7.2020. Bereits auf der Mitgliederversammlung des Blocks am 18.  Juli 1964 stellen die Delegierten fest, dass man »ohne ihn [Student] den Block begraben« könne. Vgl. DLWB, Protokoll über die 3. ordentliche Mitgliederversammlung des Vereins »Deutscher Luftwaffenblock e.V.« am 18. Juli 1964 in Köln, 11.8.1964, BArch, N 667/13. Vgl. Finzel, Nachruf, S. 28. DMB, Historie, (letzter Zu­ griff 6.9.2021). Vgl. ebd. 1893, bereits zwei Jahre nach seiner Gründung, sah sich der Bund deutscher Marinevereine zu einer Umbenennung in Vereinigung Deutscher Marine-Vereine gezwungen. Der Grund: Die bereits etablierten Kriegerverbände nahmen den DMB als Konkurrenz wahr. Verbände wie der Deutsche Kriegerbund und der Reichskriegerbund beanspruchten die Bezeichnung »Bund« exklusiv für sich. Daher agitierten sie wohl auch bei den Reichsbehörden gegen die neue Marinevereinigung – mit Erfolg. Vgl. Witt, 125 Jahre Deutscher Marinebund, S. 20, 22, 207. Die Gleichschaltung erfolgte freiwillig. Der BDM-V unterwarf sich bereitwillig den neuen Machthabern, da ohnehin viele seiner Ziele mit denen des NS-Regimes übereinstimmten. Nur wenige Wochen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten passte sich die Marine­ver­ einigung an die ordnungspolitischen Vorstellungen des neuen Regimes an. War der BDM-V bisher an den Vorgaben des demokratischen Vereinsrechts ausgerichtet, führte er nun das »Führer­ prinzip« ein. Auch die Arbeit des BDM-V war fortan durch den Geist und die Ideologie des Nationalsozialismus dominiert und an dessen Zielen orientiert. So stellte sich der Bund etwa in den Dienst der Kriegsmarine, um so die Vorbereitung eines neuen Krieges zu unterstützen. In diesem Sinne wurde ab Mitte der 1930er-Jahre die Sport- und Schießausbildung zu einem zentralen Teil des Verbandslebens. Mit der Umbenennung vom März 1935 rundete er auch äußerlich die Selbstgleichschaltung ab. Der NS-DMB war nun zu einem integralen Teil des Herrschaftsgefüges der Nationalsozialisten geworden. Vgl. ebd., S. 54 f., 58, 60‑68. Vgl. Hartwig, 50 Jahre Deutscher Marinebund, S. 9.

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erst später. Der unmittelbare Anlass dafür war die berechtigte Sorge, dass ohne einen Rechtsnachfolger des NS-DMB das noch verbliebene Vermögen, Liegenschaften und vor allem das 1936 eingeweihte Marine-Ehrenmal in Laboe, das die Briten beschlagnahmten, in die Obhut der Gemeinde Laboe übergehen könnte und damit für den Verband verloren sei.291 Auf Initiative von Karl Beutz, Vorsitzender der Marinekameradschaft Wil­ helms­haven 1894 und vormals führendes Mitglied im NS-DMB, gründete man in aller Eile am 20.  Dezember 1952 durch Eintrag in das Vereinsregister beim Amts­gericht Wilhelmshaven den Marinebund als DMB neu. Bei dem zuvor statt­ findenden Sondierungstreffen am 22./23. November 1952 waren insgesamt 40 Ma­ ri­ ne­ kameradschaften als Gründungsmitglieder anwesend. Unter Wahrung ihrer Eigen­ständigkeit schlossen sie sich dem DMB als Dachverband an. Als Satzung verab­schie­deten die Delegierten vorläufig eine modifizierte Version der Satzung des NS-DMB. Bis zum ersten Abgeordnetentag vom 28. November 1953, an dem man Fregattenkapitän a.D. Otto Kretschmer zum Präsidenten wählte, führte Beutz kommissarisch den DMB.292 Anfängliche Überlegungen einzelner Kameradschaften, sich dem VdS anzuschließen, wurden verworfen, weil man befürchtete, in einem derartigen Großverband unterzugehen. Der DMB zählte kurz nach seiner Gründung ca. 8000  Mitglieder. Die Zahl wuchs: 1956 waren es bereits 20 000. Unter den etwa 80 000 Mitgliedern des VdS wäre das Gewicht des DMB dennoch tatsächlich eher gering gewesen. 1995 hatte der DMB laut Eigendarstellung rund 25 000 Mitglieder. Ende des Jahres 2002 waren es noch knapp 21 000.293 Im Großen und Ganzen verfolgte der DMB stets eine Politik der Eigenständigkeit. Eine Ausnahme stellte der RdS dar, dessen Gründungsmitglied der DMB war und dem er bis zu dessen Auflösung angeschlossen blieb. Denn für den DMB, der an der 291

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Vgl. ebd., S.  10; Bericht über die Tagung der Marine-Kameradschafts- bzw. Vereinsführer am 22./23. November 1952 in Hannoversch-Münden, DMB-Archiv, Akte Nr. 12, Abgeordnetentage 1952‑1960. Kretschmer galt als der erfolgreichste U-Boot-Kommandant des Zweiten Weltkrieges. Er trat im Dezember 1955 in die Bundeswehr ein und nahm zunächst am 2. Offizierlehrgang in Sonthofen teil. Im Januar 1957 diente er als Kommandeur des 1. Geleitgeschwaders in Wilhelmshaven und Cuxhaven. 1965 beförderte man ihn zum Flottillenadmiral. Im September 1970 wurde er pensioniert. Zuletzt war Kretschmer Unterabteilungsleiter im Amt für Militärkunde in München. Vgl. Bradley [u.a.], Die Generale und Admirale der Bundeswehr 1955‑1999, Bd  2.2, S.  758‑761; DMB, Rundschreiben Nr.  15, Dezember 1953, DMB-Archiv, Akte Nr.  12, Abgeordnetentage 1952‑1960; Arndt, Militärvereine in Norddeutschland, S.  239; Bericht über die Tagung der Marine-Kameradschafts- bzw. Vereinsführer am 22./23.  November 1952 in Hannoversch-Mün­ den, DMB-Archiv, Akte Nr.  12, Abgeordnetentage 1952‑1960; Witt, 125  Jahre Deutscher Marine­bund, S. 81, 83. Vgl. Bericht über die Tagung der Marine-Kameradschafts- bzw. Vereinsführer am 22./23. November 1952 in Hannoversch-Münden, DMB-Archiv, Akte Nr.  12, Abgeordnetentage 1952‑1960; Hartwig, 50 Jahre Deutscher Marinebund, S. 224 f. Auf S. 224‑227 listet Hartwig die exakten Mitgliedszahlen für jedes Jahr bis 2002 auf. Siehe Kap. III.1.a. Vgl. DMB, Mitteilungen an die Presse, Abgeordnetentag in Mannheim, 6.6.1995, DMB-Archiv, Akte Nr.  41, Abgeordnetentag 1995; Hartwig, 50 Jahre Deutscher Marinebund, S. 227. 1995 waren es genau 24 402 Mitglieder, der Höchststand über den gesamten Zeitraum hinweg. Vgl. Witt, 125 Jahre Deutscher Marinebund, S. 158.



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Gründungsversammlung der FEDAC am 11. und 12. Juni 1955 in Paris teilnahm und die Förderung internationaler Kontakte zwischen Marineverbänden verschiedener Länder pflegte, war ein Anschluss an den RdS, der als deutsche Sektion der FEDAC fungierte, zwingend.294 »Frei von jeder Partei-Politik« wollte der DMB sein und vor allem »den Marine­ geist pflegen«.295 Daneben standen »die gegenseitige Hilfe, die Solidarität untereinander und die Kameradschaft sowie das Gedenken an die vielen Gefallenen im Vordergrund«296. Auf diesen Prämissen beruhte auch die neue Satzung vom Frühjahr 1955.297 Diese beinhaltete: »1. Zusammenfassung aller ehemaligen Angehörigen der Kaiserlichen Marine, der Reichsmarine, der Kriegsmarine und der Handelsmarine. 2. Pflege der Tradition und der Kameradschaft auf der Grundlage echten deutschen Soldatentums unter Ausschaltung jeglicher Parteipolitik und unabhängig von der Religionszugehörigkeit. 3. Pflege des Gedankens der Seefahrt und der Seegeltung in kameradschaftlicher Zusammenarbeit mit der Handelsschifffahrt, Wecken des Verständnisses für die See im deutschen Volk. 4. Förderung des europäischen Gedankens. 5. Erziehung der Jugend zu verantwortungsbewussten, demokratischen Staatsbürgern unter Pflege von Kameradschaft, Vaterlandsliebe und Wahrung europäischen Kultur­ guts. Ausbildung der Jugend im See- und Wassersport, verbunden mit der Hebung des Interesses für die See und die Seefahrt. 6. Umfassende soziale Fürsorge für die in Not geratenen Kameraden, ihre Angehörigen und ihre Hinterbliebenen und Schaffung einer Hilfs- und Unterstützungskasse. 7. Betätigung im Vermissten- und Suchdienst in Verbindung mit dem Deutschen Roten Kreuz. 8. Kameradschaftliche Zusammenarbeit mit allen Verbänden ehemaliger Soldaten mit gleichartiger Zielsetzung. 9. Verwaltung des beweglichen und unbeweglichen Vermögens des Bundes. Darin eingeschlossen: a) alle künftig entstehenden Wohlfahrtseinrichtungen b) das dem Deutschen Marinebund gehörende Ehrenmal in Laboe.298«

Vergleicht man diese Satzung mit denen anderer in dieser Arbeit vorgestellter Soldatenverbände, fällt auf, dass hier die »klassischen« Aufgaben wie Förderung des Wehrgedankens, Beendigung der Diffamierung des deutschen Soldatentums 294

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Vgl. Schreiben des Präsidenten des RdS, General der Kavallerie a.D. Westphal, an den BM für Verteidigung Franz Josef Strauß, 27.11.57, BArch, BW 2/20004; Deutscher Bundestag, Druck­ sache 14/4337, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Petra Pau, Ulla Jelpke, Heidi Lippmann und der Fraktion der PDS, Soldatische Traditionsverbände und Pressemeldungen über Mittel aus dem Bundeshaushalt für ein Seminar in Aachen (Nachfrage), Drucksache 14/4337, 17.10.2000; Die Gründung der FEDAC, S. 116 f. Siehe Kap. III.1.b. Bericht über die Tagung der Marine-Kameradschafts- bzw. Vereinsführer am 22./23.  November 1952 in Hannoversch-Münden, DMB-Archiv, Akte Nr. 12, Abgeordnetentage 1952‑1960. Zit. bei: Hartwig, 50 Jahre Deutscher Marinebund, S. 9. Vgl. ebd., S. 15. Zit. ebd., S. 16.

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oder Lösung der Kriegsverbrecherfrage keine Erwähnung fanden. Erklärbar ist dies mit dem Selbstverständnis des DMB, kein rein soldatischer, sondern auch ein maritimer Interessenverband zu sein und damit auch offen für zivile Mitglieder. Diese Öffnung hatte ihren Ursprung in der Kooperation von Kriegsmarine und Handelsmarine während des Zweiten Weltkrieges. Eine wesentliche Säule der Arbeit des DMB bis in die Gegenwart sind daher auch die Förderung der zivilen Seefahrt, die Zusammenarbeit zwischen Marine und Handelsmarine und die Erhaltung der deutschen Marinetradition und des maritimen Brauchtums.299 Der DMB versteht sich daher als Schnittstelle zwischen ziviler und militärischer Ebene. Das findet seinen Ausdruck auch in der Führung des DMB. Der Wiedergründer des DMB Karl Beutz z.B. war Ingenieur, der aktuelle Präsident Heinz Maurus war bis Januar 2020 Kommunalpolitiker der CDU und Unternehmer. Auch das Totengedenken des DMB bezieht beide Ebenen ein. Der Schwerpunkt allerdings liegt im militärischen Bereich.300 In gewisser Weise unterscheidet sich der DMB damit von anderen Veteranen­ vereinen, die sich nach 1949 in der Bundesrepublik gründeten. Doch jenseits der Satzungsbestimmungen verfolgten zumindest Teile des DMB ähnliche Ziele wie RdS, VdS oder DLWB. Zu nennen sind hier etwa der Kampf gegen die angebliche Diffamierung der Wehrmachtsoldaten oder die Lösung der Kriegsverbrecherfrage. Auch Opferkult und Heldengedenken waren dieser Fraktion des DMB nicht fremd.301 Überraschenderweise führten weder die erste Nachkriegssatzung von 1955 noch die aktuelle vom Mai 2014 die Ehrung der Gefallenen unter ihren Aufgaben auf, obwohl diese Tätigkeiten schon durch Pflege und Instandhaltung des MarineEhrenmals in Laboe einen bedeutenden Teil der Arbeit des DMB darstellten. Stattdessen spiegelten verschiedene Versionen der Satzung des DMB dessen schwerpunktmäßige Ausrichtung auf kameradschaftliche, pädagogische, karitative, paneuropäische und allgemein maritime Obliegenheiten. Diese Orientierung belegte auch der erklärte Anspruch des DMB, kein »Kriegerverein«302 sein zu wollen. Vielmehr wollte der Dachverband der Marine mitarbeiten »am Aufbau unseres Vaterlandes, an unserer Zukunft und an den Aufgaben, die man von uns verlangt und von uns erwartet«303, wie Gerhard Wagner, Konteradmiral a.D. und 299 300 301

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DMB, Historie, (letzter Zu­ griff 6.9.2021). Vgl. Hartwig, 50 Jahre Deutscher Marinebund, S. 17. Vgl. Hartwig, 50 Jahre Deutscher Marinebund, S. 13; Kreispräsident Heinz Maurus tritt nach über sechs Jahren zurück. In: Husumer Nachrichten, 6.12.2019. Siehe Kap. VII.3.b. Zwar verzichtete der DMB ab 1952/53 auf eine heroische gefärbte Sprache. Jedoch verwies die Gestaltung des Ehrenmals bis in die Mitte der 1990er-Jahre auf eine Trauer- und Gedenkkultur, die Totengedenken mit Heldenverehrung nahezu gleichsetzte. Die Bezeichnung »Weihehalle«, aber auch die ungebrochen und unkommentiert beibehaltenen Widmungen innerhalb des Ehrenmals wie »Weihestätte unserer gefallenen Helden im Weltkrieg 1914/18« legen dies nahe. Vgl. Ergebnisprotokoll des Abgeordnetentages 1995 vom 10. Juni 1995 in Mannheim, S. 15, DMBArchiv, Akte Nr. 41, Abgeordnetentag 1995. Protokoll der Abgeordnetentagung des Deutschen Marine-Bundes e.V. am 28. November 1953 in Marburg an der Lahn, S. 9, DMB-Archiv, Akte Nr. 12, Abgeordnetentage 1952‑1960. Ebd.



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Vorstandsmitglied im DMB, auf dem Abgeordnetentag 1953 feststellte. Später wurde Wagner Stellvertreter von Vizeadmiral Friedrich Ruge als Inspekteur der Marine.304 Zwar bereits im Dezember 1952 formal ins Leben gerufen, beging der DMB erst am 31. Mai 1953 in Wilhelmshaven seine Gründungsfeier. Das Datum war nicht zufällig gewählt, denn am 31. Mai 1916 hatte die überaus verlustreiche Seeschlacht von Skagerrak305 begonnen. Bis 2003 fanden auch Abgeordnetentage am 31. Mai statt.306 Der programmatischen Aussage, kein »Kriegerverein« sein zu wollen, widersprach ebenfalls das Bekenntnis des DMB zur Reichskriegsfahne. Schon seit den Zeiten der Weimarer Republik gilt diese als Symbol der Kriegsverherrlichung und der politischen Rechten.307 Diese Fahne zählte auf Abgeordnetentagen ebenso zum festen Inventar wie auf Skagerrak-Gedenkveranstaltungen oder anlässlich der Rückübernahme des Marine-Ehrenmals in Laboe.308 Um der politischen Kritik zu begegnen und wohl auch, um die Karrierechancen seiner Mitglieder in der Bundeswehr nicht zu torpedieren, beschloss der DMB ein formales Bekenntnis zur politischen Ordnung des Grundgesetzes und zur Fahne der Bundesrepublik Deutschland. 1967 wurde dies in einer Neufassung der Satzung festgelegt: »Der DMB steht zu der im Grundgesetz verankerten Staatsauffassung sowie zu den Symbolen der Bundesrepublik.«309 Die Reichskriegsfahne fand allerdings weiterhin bei Aktivitäten des Bundes Verwendung. Noch auf dem Abgeordnetentag 1995 hielt das Ergebnisprotokoll fest: Es sei »sicher keine Frage, dass wir auch zu der Reichskriegsflagge stehen, unter der viele Kameraden von uns gedient bzw. ihr Leben gelassen haben«310.

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Die Delegierten des Abgeordnetentages von 1953 wählten Wagner zum Vorsitzenden des Satzungsund Versicherungsausschusses. Vgl. Hartwig, 50 Jahre deutscher Marinebund, S. 37. Vgl. Protokoll der Abgeordnetentagung des Deutschen Marine-Bundes e.V. am 28. November 1953 in Marburg an der Lahn, S. 9, DMB-Archiv, Akte Nr. 12, Abgeordnetentage 1952‑1960. Vgl. Köster, Vize­ admiral Karl-Adolf Zenker, S. 333. Vgl. Krüger/Rahn, Skagerrak, S. 839‑841; Götz, Remembering the Battle of Jutland, S. 360‑362. Vgl. undatiert und ohne Quellenangabe: Wieder Deutscher Marinebund ab Mai 1953. Vom Bundes­treffen der Marinekameradschaften in Münden, DMB-Archiv, Akte Nr.  12, Ab­ge­ord­ netentage 1952‑1960. Seit 2003 finden die Abgeordnetentage des DMB Mitte Juni statt. Damit bewegte sich der Bund auf die aktive Marine zu, die seit 1998 den 14. Juni als Festtag begeht. An diesem Tag im Jahr 1848 stellte die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche 6 Mio. Taler bereit, mit denen die erste gesamtdeutsche Flotte aufgebaut wurde. Es war die Geburtsstunde der deutschen Marine. Vgl. Marinegeburtstag: Tagesbefehl des Inspekteurs der Marine, 12.6.2020, (letzter Zugriff 6.9.2021); Hartwig, 50  Jahre Deutscher Marinebund, S. 14. Die paramilitärische Vereinigung Bund Reichskriegsflagge, die 1923 von Ernst Röhm gegründet wurde und unter der politischen Führung von Hitler stand, trug die Fahne schon im Namen. Vgl. Maser, Die Frühgeschichte der NSDAP, S. 424. Für die Rückübernahme des Ehrenmals Krohne, Hamburg und Laboe, S. 4; für die Abgeordnetentage etwa Delegierten-Tagung des DMB, S. 116; Hartwig, 50 Jahre Deutscher Marinebund, S. 71. Satzung, 3. Juni 1967. Abgedr. in: Protokoll über den Abgeordnetentag des DMB am 3. Juni 1967 in Saarlouis, S. 23‑28, § 2, S. 23, DMB-Archiv, Akte Nr. 13, Abgeordnetentage 1961‑1969. Ergebnisprotokoll des Abgeordnetentages 1995 vom 10. Juni 1995 in Mannheim, S. 24, DMBArchiv, Akte Nr. 41, Abgeordnetentag 1995.

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Darüber hinaus traten Teile des DMB offensiv für verurteilte Kriegsverbrecher ein. Insbesondere unter den Angehörigen der Kriegsmarine war die Ablehnung dieser Prozesse durch die Einschläge in den eigenen Reihen stark ausgeprägt. So richteten Gründungsmitglieder im November 1952 ein Schreiben an Bundeskanzler Adenauer und baten ihn, für die Großadmirale a.D. Raeder und Dönitz einzutreten, die sich in alliierter Haft befanden.311 Auch um seine Hilfe zur Freilassung aller »von der Sowjet-Union und den Westmächten festgehaltenen ›Kriegsverurteilten‹«312 ersuchten sie den Kanzler. Trotz zunehmenden politischen und öffentlichen Drucks und der Eintrübung der Beziehungen zur Marine der Bundeswehr, die ihrerseits um eine eindeutige Position zu Dönitz rang,313 bekannte sich der DMB uneingeschränkt zu Raeder314 und Dönitz315 als Vorbildern der Marine. Man verlieh ihnen die Ehrenmitgliedschaft im DMB, wohl nicht zuletzt als eine Art rehabilitierender Maßnahme. Über diese Stilisierung zu militärischen Vorbildern, die lediglich ihre Pflicht als Soldaten erfüllt und für die Nation und nicht für das NS-Regime gekämpft hätten, sollten 311

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Vgl. Manig, Politik der Ehre, S. 202 f. Raeder war zwischen Oktober 1946 und September 1955 inhaftiert, Dönitz zwischen Oktober 1946 und Oktober 1956. Vgl. Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, S.  476, 114  f.; Bericht über die Tagung der Marine-Kameradschafts- bzw. Vereins­führer am 22./23. November 1952 in Hannoversch-Münden, DMB-Archiv, Akte Nr. 12, Ab­geord­netentage 1952‑1960. Bericht über die Tagung der Marine-Kameradschafts- bzw. Vereinsführer am 22./23. November 1952 in Hannoversch-Münden, DMB-Archiv, Akte Nr.  12, Abgeordnetentage 1952‑1960. Bis zur Haftentlassung von Dönitz im Oktober 1956 beschäftigte die Kriegsverbrecherfrage die Dele­ gier­ten auf den Abgeordnetentagen des DMB unmittelbar nach dem Totengedenken. Die Marineführung war zunehmend verunsichert, welchen öffentlichen Umgang sie mit Dönitz pflegen sollte. Wegen der Anwesenheit des Großadmirals  a.D. sagte der geladene Vertreter der Marine Flottillenadmiral Herwig Collmann seine Teilnahme am Abgeordnetentag des DMB 1969 ab. Collmann diente in der Kriegsmarine u.a. als U-Boot-Kommandant und war gewissermaßen ein Kamerad des Großadmirals. Seine Absage zeigt, dass er als Marinevertreter nicht offiziell mit Dönitz in Verbindung gebracht werden wollte. Vgl. DMB, Protokoll über den Abgeordnetentag des DMB am 7. Juni 1969 in Bremerhaven, S. 6, DMB-Archiv, Akte Nr. 13, Abgeordnetentage 1961‑1969. Vgl. Bradley [u.a.], Die Generale und Admirale der Bundeswehr 1955‑1997, Bd 1, S. 340‑342. Die seit den 1960er-Jahren mehrfach geänderten Pläne im Hinblick auf die Beteiligung der Bundeswehr an der Beerdigung von Dönitz dokumentieren ebenfalls die Unsicherheit von Bundeswehr und Marineführung im öffentlichen Umgang mit ihm. Vgl. BArch, BM  1/4783; Hartwig, Großadmiral Karl Dönitz, S. 200‑216. Erst im April 1998, fast 20 Jahre nach dem Tod des Großadmirals, distanzierte sich mit Hans-Rudolf Boehmer, Vizeadmiral und Inspekteur der Marine, erstmals ein hoher Repräsentant der Bundesmarine öffentlich und eindeutig von Dönitz: »Es ist die kulturelle Aufgabe von Soldaten, ihre Vorgänger zu ehren. Wenn ich möchte, dass dies nicht im Pfeifkonzert von Opposition und politischem Getöse untergeht, dann muss ich zu den Symbolen und auch zu den sie repräsentierenden Figuren, ich nenne z.B. Admiral Dönitz, eine klare Trennlinie fahren.« Damit beendete Boehmer gewissermaßen ein jahrzehntelanges Ringen der Marine um eine Haltung zu Dönitz. Zit. ebd., S. 216. Raeder sei, so der DMB, ein »klassischer Vertreter besten deutschen soldatischen Führertums«, ein »Führer edelster Prägung« und ein »hervorragender Skagerrak-Kämpfer«. Grußwort an Großadmiral Erich Raeder von Admiral a.D. Max Bastian. In: Programmheft für den Marine-Gedenk- und Skagerrak-Tag am 29., 30. und 31. Mai 1954 in Wilhelmshaven, S. 11, DMB-Archiv, Akte Nr. 12, Abgeordnetentage 1952‑1960. Der DMB ehrte Dönitz auch posthum noch als »untadelige[n] Soldat[en]«, als »große soldatische Führerpersönlichkeit« und als »geniale[n] Taktiker der deutschen Seekriegsführung«. Deutscher Marinebund e.V., Großadmiral Karl Dönitz, S. 5 f.



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die Kriegsbiografien aller DMB-Mitglieder Sinnhaftigkeit und zugleich Exkulpation erlangen.316 Dönitz genoss unter den Veteranen der Kriegsmarine nicht nur eine hohe Verehrung, sondern auch eine nahezu uneingeschränkte Solidarität auf der Ebene der Kameradschaft. Auf dem Abgeordnetentag im Juli 1961 beschloss der DMB, sich »in selbstverständlicher Kameradschaft und Treue zu allen seinen Mitgliedern« zu bekennen und »sich schützend vor jeden Kameraden, der unqualifizierten Angriffen ausgesetzt wird«, zu stellen: »Dies gilt auch ganz besonders für unsere beiden Großadmirale, die für uns immer Vorbilder in Pflichttreue und Kameradschaft bleiben werden.«317 Als die Stadt Bremerhaven ihre Schirmherrschaft für den Abgeordnetentag im Juni 1969 aufgrund der angekündigten Teilnahme von Dönitz zurückzog, nivellierten die Delegierten des Bundes Dönitz’ herausragende Rolle und bezeichnen ihn in einer Presseerklärung als »Kameraden unter Kameraden«318. In einem ähnlichen Konflikt mit der Stadt Wilhelmshaven 1963 – auch diese drohte, die Schirmherrschaft für den Abgeordnetentag zu entziehen, falls Dönitz anwesend sei – verwies der DMB auf dessen rein kameradschaftliche Rolle im Verband und betonte, dass dieser sich an die Grundsätze und die politische Neutralität des DMB halte.319 Darüber hinaus versuchte der DMB in seinem Verbandsorgan Leinen los! Dönitz zu exkulpieren und bezeichnete den Nürnberger Richterspruch gegen den Großadmiral und HitlerNachfolger geschichtsblind und pauschal als »Unrechtsurteil«320. Das tiefe Gefühl der Kameradschaft und der Solidarität321, das man dem ehemaligen Oberbefehlshaber entgegenbrachte, mit dem man derart existenzielle und dramatische Zeiten durchlebt hatte, ist menschlich nachvollziehbar. Der Marineschriftsteller und stellvertretende Vorsitzende des 1934 gegründeten Reichsbunds deutscher Seegeltung – einer Art Propagandaabteilung für die Kriegsmarine322 –, Rudolf 316

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Karl Dönitz wurde am 8. Juni 1957 auf dem Abgeordnetentag in Düsseldorf auf Antrag der U-Boot-Kameradschaft Kiel zum Ehrenmitglied ernannt. Vgl. Anträge zum Abgeordnetentag des Deutschen Marine-Bundes in Düsseldorf am 8. Juni 1957, Antrag Nr. 3; Anträge zur Ab­ge­ord­ neten­tagung in Kiel am 2. Juni 1956, Antrag Nr. 1, beides: DMB-Archiv, Akte Nr. 12, Ab­ge­ord­ ne­ten­tage 1952‑1960. Vgl. Witt, 125  Jahre Deutscher Marinebund, S.  81; Protokoll über den Abgeordnetentag des DMB am 1. Juli 1961 in der Stadthalle in Karlsruhe, S. 8, DMB-Archiv, Akte Nr. 13, Abgeordnetentag 1961‑1969; Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd 5, S. 301. Protokoll über den Abgeordnetentag des DMB am 1. Juli 1961 in der Stadthalle in Karlsruhe, S. 8, DMB-Archiv, Akte Nr. 13, Abgeordnetentag 1961‑1969. Vgl. DMB, Protokoll über den Abgeordnetentag des DMB am 7. Juni 1969 in Bremerhaven, S. 6, DMB-Archiv, Akte Nr. 13, Abgeordnetentage 1961‑1969. Vgl. Krohne, Wilhelmshaven, S. 227. Ebd. Das Gefühl von Solidarität untereinander war innerhalb der Angehörigen der Kriegsmarine tief verwurzelt. Zum einen speiste es sich aus dem Zugehörigkeitsgefühl zu einer Teilstreitkraft und zum anderen aus jenem spezifischen Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein, das bereits die Kaiserliche Marine besaß. Letzteres repräsentierte in den Augen der DMB-Mitglieder insbesondere Erich Raeder, der bis Januar 1943 Oberbefehlshaber der Kriegsmarine war. Vgl. Hillmann, Die Kriegsmarine, S. 299, 325. Vgl. Schwengler, Marine und Öffentlichkeit 1919 bis 1939, S. 353‑355; Diziol, »Deutsche, werdet Mitglieder des Vaterlandes!«, S. 716‑725.

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Krohne, erklärte die in Nürnberg verurteilten Raeder und Dönitz gewissermaßen zu Sündenböcken und Märtyrern, symbolisch bestraft für die gesamte Führungsebene der Kriegsmarine. Denn, so schrieb er in Leinen los!, sie hätten letztlich »stellvertretend für uns alle in Spandau«323 gesessen. Doch menschliches Verständnis darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der DMB unter dem Etikett der Kameradschaftspflege bedingungslos mit einem überzeugten Nationalsozialisten und Bewunderer Hitlers solidarisierte, ja, diesen geradezu verehrte.324 Diese ungebrochene Verehrung endete erst mit dem Tod von Dönitz im Jahr 1980.325 Auch dessen Kriegshandlungen gelten nun für den DMB nicht mehr als traditionswürdig.326 Seit Januar 1995 beschäftigt der DMB einen »Beratenden Historiker«327, der auf dem Abgeordnetentag 1995 den Delegierten des Bundes dringend zu einer Änderung des Geschichtsbildes und auch zu einer Modifizierung des Ehrenmales riet – z.B. Tilgung von Begriffen wie »Weihehalle«, Entfernung der Reichskriegsfahne und dergleichen mehr. Mit Erfolg, denn diese Vorschläge fanden durch den personellen

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Krohne, Wilhelmshaven, S. 227. Wenige Tage vor Dönitz’ Tod am 24.12.1980 initiierte der DMB in Damp die »ALBATROSS – Erinnerungsstätte für ›Rettung über See‹«. Die Kosten beliefen sich auf 250 000 DM. Inoffiziell handelte es sich dabei um eine Dönitz-Gedenkstätte, wie zahlreiche großformatige Porträts des Großadmirals, die dort präsentiert wurden, nahelegen. Im Jahr 2000 löste man die Erinnerungsstätte auf. Vgl. Hartwig, Großadmiral Karl Dönitz, S. 135 f.; Hillmann, Die Kriegsmarine, S. 326; Witt, 125 Jahre Deutscher Marinebund, S. 137‑140. Der Wandel deutete sich bereits im Jahr vor Dönitz’ Tod an. DMB-Präsident Friedrich Rohlfing erklärte Dönitz auf dem Abgeordnetentag 1979 zu einem »heißen Eisen, das zur Zeit nicht angefasst werden solle«. Und ein Antrag der Marinekameradschaft Emden für den Abgeordnetentag 1982 vom 12.1.1982 stellte – bezugnehmend auf das Rohlfing-Zitat – die ungebrochene Zustimmung zu Dönitz infrage und forderte eine eindeutige Stellungnahme des DMB zum Großadmiral. Ferner warf sie die richtungsweisende Frage nach der Tradition, den Tugenden und den Bräuchen auf, über die der DMB öffentlich wahrgenommen werden wolle. Vgl. DMB, Anträge zum Abgeordnetentag 1982, Antrag Nr. 3 – Marinekameradschaft Emden von 1905, Betreff: Antrag zum Abgeordnetentag des DMB 1982, DMB-Archiv, Akte Nr. 27, Abgeordnetentag 1982. 1982 beendete der DMB seine Debatte über die Traditionswürdigkeit von Dönitz mit dem lakonischen Hinweis, dass man vom ihm keine geschichtlich eindeutige Stellungnahme erwarten könne. Vgl. Hartwig, 50 Jahre Deutscher Marinebund, S. 103. Daran hat sich gewissermaßen bis heute wenig geändert. Offiziell hat sich der DMB bislang nicht klar genug von Dönitz distanziert. Jedoch idealisiert der Bund den Großadmiral auch nicht mehr. Die aktuelle Dauerausstellung des DMB von 2010 problematisiert Dönitz’ Nähe zum NS-Regime: »Hatte die Kriegsmarine unter der Führung von Großadmiral Raeder – zumindest äußerlich noch eine gewisse Distanz zum NSRegime gehalten, gerät sie ab 1943 unter ihrem neuen Oberbefehlshaber Großadmiral Dönitz in zunehmendem Maße in den Bann der NS-Ideologie.« Witt, Ausstellungstexte Historische Halle, S. 43, Privatarchiv Julia Nordmann. Die Autorin dankt Jann Markus Witt, Historiker beim DMB, dass er ihr dieses und weitere Dokumente zugänglich gemacht hat. In seiner Publikation »125 Jahre Deutscher Marinebund« zeichnet Witt ein Bild von Dönitz als Repräsentant des NSRegimes, der bis zu seinem Tod weder Reue noch Selbstkritik gezeigt oder seine Handlungen als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine reflektiert habe. Auch betont Witt die Verantwortungslosigkeit, die den militärischen Führer Dönitz ausgezeichnet habe. Dönitz, so der Historiker des DMB, habe nach der Wende im U-Boot-Krieg Ende Mai 1943 seine U-Boot-Besatzungen »kaltherzig in den Tod geschickt«. Vgl. Witt, 125 Jahre Deutscher Marinebund, S. 112‑117. Vgl. Hartwig, 50 Jahre Deutscher Marinebund, S. 131.



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Wechsel in der Führungsebene des DMB Zustimmung, der nun verstärkt Veteranen der Bundesmarine angehören.328 Die überarbeitete Dauerausstellung von 2010 in der Historischen Halle329 spiegelt das gewandelte Geschichtsbild. Ein besonders eindrückliches Beispiel dafür ist die nunmehrige Einordnung des Zweiten Weltkriegs als »rassenideologisch begründeter Vernichtungskrieg«330 – eine Sichtweise, die noch in den 1980er-Jahren im Rahmen des DMB undenkbar war. Auch verweist die Ausstellung nun auf die Tatsache, dass der Marineführung die Kriegsabsichten Hitlers durchaus frühzeitig bekannt waren. Ebenso thematisiert sie Kriegsverbrechen der Marine wie die Erschießungen von Juden 1941 am Strand von Libau (heute Lettland) oder die Tatsache, dass Marinesoldaten Ende 1944 Teile des Wachpersonals im Konzentrationslager Ladelund stellten.331 Darüber hinaus rückt die Ausstellung von der überidealisierten Betrachtung von Dönitz und dessen Rolle im Zweiten Weltkrieg ab. Ganz will sie sich aber dennoch nicht von alten Mythen lösen. So tritt Dönitz dort aufgrund der von ihm zwischen Januar und Mai 1945 mitinitiierten Evakuierung von Flüchtlingen aus Ost- und Westpreußen primär als Retter der Zivilbevölkerung auf – eine Legende, die er einst selbst ins Leben gerufen hatte.332 Die Operation »Hannibal« wird in der Ausstellung als »bemerkenswerteste Leistung der Kriegsmarine«333 und als »spektakuläres Rettungsunternehmen«334 dargestellt. Tatsächlich aber diente sie insgesamt weniger humanitären Zwecken als vielmehr der Rettung von Wehrmachtsoldaten und militärischem Material aus dem Osten.335 328

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Konteradmiral a.D. Hans-Arend Feindt, der 1983 an die Spitze des DMB aufstieg, begann seine militärische Laufbahn in der Kriegsmarine. Von 1956 bis 1982 diente er in der Marine der Bundeswehr. Feindt war der letzte Präsident des DMB mit Wehrmachterfahrung. Sein Rückzug von der Spitze des DMB leitete daher auch einen Generationenwechsel ein. Mit seinem Nachfolger Flottillenadmiral a.D. Hansdieter Christmann, 1991 gewählt, führte erstmals ein Präsident den DMB, der ausschließlich in der Marine der Bundeswehr gedient hatte. Vgl. Deutscher Marine­ bund e.V., Festschrift, S. 30, 33; Witt, 125 Jahre Deutscher Marinebund, S. 148‑151; Ergebnis­ protokoll des Abgeordnetentages 1995 vom 10. Juni 1995 in Mannheim, S. 13‑16, DMB-Archiv, Akte Nr. 41, Abgeordnetentag 1995. Ab dem Sommer 1956 entstand in der »Ehrenhalle« die erste Dauerausstellung des DMB nach seiner Wiedergründung. Seit dem Abgeordnetentag 1995, der eine deutliche Wende im Hinblick auf das Geschichtsbild und die Tradition des DMB einleitete, entsprach die Schau jedoch zunehmend »grafisch und inhaltlich nicht mehr den Anforderungen der heutigen Zeit«. Gespräch mit Dr. Jann M. Witt, Historiker des DMB, am 12.11.2010; vgl. Ergebnisprotokoll des Abgeordnetentages 1995 vom 10.  Juni 1995 in Mannheim, S.  13  f., DMB-Archiv, Akte Nr.  41, Abgeordnetentag 1995. Witt, Ausstellungstexte Historische Halle, S. 40. Vgl. ebd., S. 32, 43; Keil, Nazis raus. In: Die Zeit, 24.9.2015; Schmid, Vom »Heldenhain« zum umstrittenen Erinnerungsort, S. 154, 158. Vgl. Witt, Ausstellungstexte Historische Halle, S.  43; Hartwig, Großadmiral Karl Dönitz, S. 125‑138. Witt, Ausstellungstexte Historische Halle, S. 40. Ebd., S. 44. Vgl. Hartwig, Großadmiral Karl Dönitz, S. 133; Janker, Als die Ostsee zum Massengrab wurde. In: SZ, 2.5.2015; Hillmann, Der »Mythos« Dönitz, S. 264‑266. In seiner Darstellung der 125-jährigen Geschichte des DMB relativiert Witt die Aussagen der Dauerausstellung und distanziert sich von ihnen, indem er die kritisierten Stellen anderen in den Mund legt: »In den letzten Wochen des Krieges rettete die Kriegsmarine Hunderttausende von Flüchtlingen vor der vorrückenden Roten Armee über die Ostsee. Der Kieler Marinehistoriker Michael Salewski bezeichnete das verzweifelte

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Damit folgt die modifizierte Dauerausstellung des DMB nicht in allen Punkten dem aktuellen historischen Forschungsstand und schreibt stattdessen auch Sichtweisen fort, verbreitet von Marineveteranen, die nach 1945 ein positives Narrativ der Kriegsmarine konstruierten336 und in ihr nur das gutwillige Opfer von Hitlers Befehlen sahen: »Bis zuletzt gehorcht die Kriegsmarine Hitlers Befehlen. Die meisten Marineangehörigen kämpfen im guten Glauben, ihre Heimat zu verteidigen, ohne zu wissen, dass sie von einem verbrecherischen Regime missbraucht werden.«337 Das Geschichtsbild der Ausstellung zeichnet die Marine damit zumindest in Teilen auch so: Hineinbefohlen in einen Krieg, in dem sie sauber kämpft und sich durch Pflichterfüllung und Opferbereitschaft auszeichnet, rettet sie am Ende auch noch das Leben von Zivilisten.338 Auf ein ähnlich exkulpatorisches Moment verweist auch die unkommentierte Aussage der Ausstellung, viele Veteranen der Kriegsmarine würden die Verurteilung von Dönitz und Raeder als »unrechtmäßig«339 betrachten. Jeder Hinweis auf die Art der Unrechtmäßigkeit oder den Grund der Verurteilung unterbleibt.340 Die Beziehungen zwischen dem DMB und der Marine der Bundeswehr waren wohl in den 1950er-Jahren besonders eng. Denn in dieser Zeit kam es zu zahlreichen personellen Überschneidungen. Der DMB wurde zum Personalpool für die Bundesmarine. Viele Mitglieder des im November 1953 gewählten Bundes­vor­ standes des DMB übernahmen ab 1955/56 Aufgaben in der frisch aufgestellten Bun­des­marine: Friedrich Ruge, im DMB als Organisationsleiter tätig, wurde 1956 Inspekteur der Bundesmarine. Auch in dieser Funktion blieb er dem DMB jedoch als Mitglied verbunden. Sein späterer Stellvertreter Wagner war 1953 als Vorsitzender des Satzungs- und Versicherungsausschusses im DMB tätig. Auch DMB-Präsident Kretschmer wechselte in die Bundesmarine und wurde zunächst Kommandeur des

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Rettungsunternehmen über See als ›die größte und erfolgreichste Operation der Kriegsmarine‹. Doch bis in die letzten Kriegstage hinein wurde das Handeln der Verantwortlichen nicht von dem Gedanken an die Evakuierung von Flüchtlingen, sondern von der Weiterführung des bereits verlorenen Krieges bestimmt.« Witt, 125 Jahre Deutscher Marinebund, S. 73. Deutliche Kritik an der Ausstellung übten vor allem fünf Historiker, angeführt durch den Kieler Professor Karl Heinrich Pohl. In einer öffentlichen Stellungnahme beanstandeten sie u.a., dass sie inhaltlich lediglich eine Modifikation der vorherigen Ausstellung sei. Sie sei von widerstreitenden Interessen geleitet, in zentralen Aussagen nicht tragfähig und verfolge insgesamt einen unkritischen historischen Ansatz. Die Historiker beanstandeten daher, dass die CDU/FDPLandesregierung in Schleswig-Holstein die Neugestaltung der Ausstellung – trotz der Defizite in fachlicher Hinsicht – mit 600 000 Euro aus dem Investitionsprogramm Kulturelles Erbe gefördert hatte. Vgl. Pohl, Die neue Ausstellung in Laboe; Schmidt, Vom »Heldenhain« zum umstrittenen Erinnerungsort, S. 156 f.; Garbe [u.a.], Stellungnahme zum Konzept des Deutschen Marinebundes zur Neugestaltung der Historischen Halle des Marine-Ehrenmals in Laboe, 7.6.2010, (letzter Zugriff 16.11.2010), Privatarchiv Julia Nordmann; Hillmann, Die Kriegsmarine, S. 300. Witt, Ausstellungstexte Historische Halle, S. 43. Vgl. Hillmann, Die Kriegsmarine, S. 299 f. Witt, Ausstellungstexte Historische Halle, S. 45. Vgl. Hillmann, Die Kriegsmarine, S. 325; Witt, Ausstellungstexte Historisches Halle, S. 45. Witt, der diese Ausstellung kuratiert hat, bezeichnete das Ergebnis mehrfach als »work in progress«. Es gebe innerhalb des DMB also die grundsätzliche Bereitschaft zu einer Weiterentwicklung der inhaltlichen Aussagen der Ausstellung. Vgl. und zit. bei: Schmid, Vom »Heldenhain« zum umstrittenen Erinnerungsort, S. 158.



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1. Geleitgeschwaders. Und der Jugendleiter des DMB Friedrich Rohlfing wechselte zur Technischen Marineschule in Kiel.341 In den folgenden Jahren lockerten sich die Beziehungen zwischen DMB und Bundesmarine. Zwar traten Repräsentanten der Bundeswehr wie der Inspekteur der Marine auf Abgeordnetentagen des DMB auf342 und zwischen 1976 und 1996 gab man gemeinsam das DMB-Verbandsblatt heraus. Von 1953 bis 1968 trug es den Namen Leinen los!, von 1969 bis 1988 hieß es Marine, von 1989 bis 1996 Blaue Jungs und seit 1997 und bis heute erneut Leinen los! 343 Als »Krönung unserer Zusammenarbeit«344 bezeichnete der Präsident des DMB Kurt Weyher 1969 den Erlass des Inspekteurs der Marine zur Spendenaktion innerhalb der Bundesmarine für die Instandsetzung des Ehrenmals in Laboe. Doch trotz gemeinsamer Herausgeberschaft des Verbandsblattes blieben DMB und Bundeswehr zumindest offiziell auf Distanz zueinander, wie ein Vertreter des Führungsstabes der Bundesmarine (FüM) am 28. Juli 1988 bei einem gemeinsamen Treffen auf der Bonner Hardthöhe bestätigte: »Über mehr als 30 Jahre [...] haben wir kein Schrifttum, keine Aktenlage zum DMB. Damit ist das hier gesicherte Wissen um den DMB geradezu lächerlich unterentwickelt bzw. gar nicht vorhanden.«345

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Vgl. Hartwig, 50 Jahre Deutscher Marinebund, S.  20, 37; Kilian, Führungseliten, S.  299; Abgeordnetentag des Deutschen Marinebundes und Großes Marine-Treffen. Düsseldorf, Pfingst­ treffen 1957, S.  10, DMB-Archiv, Akte Nr.  12, Abgeordnetentage 1952‑1960; Hildebrand/ Henriot, Deutschlands Admirale 1849‑1945, Bd 3, S. 500 f.; Bradley [u.a.], Die Generale und Admirale der Bundeswehr 1955‑1999, Bd 2.2, S. 760; Gerdau, »Albatros-Kapitän« ging auf letzte Reise. In: Ostpreußenblatt, 7.3.1992. Beispiele dafür sind: Auf dem Abgeordnetentag 1956 sprach der stellvertretende Marineinspekteur Wagner. Vgl. Rede des Herrn Konteradmiral Wagner, DMB-Archiv, Akte Nr. 12, Abgeordnetentag 1952‑1960. Auf den Abgeordnetentagen 1970, 1971 und 1972 sprach der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Gert Jeschonnek. Vgl. DMB, Protokoll über den Abgeordnetentag des DMB am 6.  Juni 1970 in Fulda, S.  7‑9, DMB-Archiv, Akte Nr.  14, Abgeordnetentag 1970; DMB, Protokoll über den Abgeordnetentag des DMB am 5.  Juni 1971 in Würzburg, S.  5‑8; DMBArchiv, Akte Nr.  15, Abgeordnetentag 1971. Nach dem Eklat, den die Teilnahme von Dönitz auf dem Abgeordnetentag 1969 in Bremerhaven ausgelöst hatte, ordnete Generalinspekteur de Maizière im Juli des Jahres in einem Schreiben an Verteidigungsminister Gerhard Schröder an, dass die Übernahme der Schirmherrschaft und Anwesenheit Dönitz’ auf den Abgeordnetentagen des DMB die Teilnahme der Bundeswehr ausschließe. Tatsächlich war Dönitz nur noch auf den Abgeordnetentagen 1973, 1974 und 1976 anwesend. Vgl. Hartwig, Großadmiral Karl Dönitz, S. 236; Hartwig, 50 Jahre deutscher Marinebund, S. 80. Auf dem Abgeordnetentag 1984 sprach Konteradmiral Dieter Wellershoff, Kommandeur der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Vgl. Protokoll über den Abgeordnetentag des Deutschen Marinebundes e.V. am 2. Juni 1984 in Göttingen, S. 6‑10, DMB-Archiv, Akte Nr. 29, Abgeordnetentag 1984. Auf dem Abgeordnetentag 1995 sprach Vizeadmiral Dirk Horten, Stellvertreter des Inspekteurs der Marine. Vgl. Grußwort zum Abgeordnetentag des DMB am 10. Juni 1995 in Mannheim, DMB-Archiv, Akte Nr. 41, Abgeordnetentag 1995. Vgl. Hartwig, 50 Jahre deutscher Marinebund, S. 158 f. Zit. ebd., S. 41. Kurzvortrag FüM  I  3, DMB-Archiv, Akte Nr.  76, Ordner: DMB, Bundeswehr, Bundesmarine, Deutsche Marine, Jahrespreis DMB. Vgl. Schreiben des DMB, Der Präsident, ohne Empfänger, Betr.: Bestandsaufnahme der Verbindungen und Beziehungen zwischen dem DMB und Marine, hier: Bildung einer Arbeitsgruppe, 2.1.1990, DMB-Archiv, Akte Nr.  76, DMB, Bundeswehr, Bundesmarine, Deutsche Marine, Jahrespreis DMB.

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III. Veteranenvereine und Totengedenken

Erst mit diesem Treffen auf der Hardthöhe begann eine ernsthafte Annäherung zwischen DMB und Bundesmarine. Im Januar 1990 nahm eine gemeinsame Arbeitsgruppe ihre Tätigkeit auf. In einem mehrjährigen Prozess fanden beide Seiten nach und nach Möglichkeiten der Kooperation. Und am Volkstrauertag 1996 wurde das Marine-Ehrenmal in Laboe auch zur offiziellen Gedenkstätte der Bundesmarine. Schon seit 1994 finden dort am Volkstrauertag gemeinsame Gedenkveranstaltungen statt, die sich mittlerweile zu einer festen Tradition entwickelt haben.346 Im Jahr 2000 forderte DMB-Präsident Michael Kämpf eine weitere Annäherung an die Marine der Bundeswehr, da diese »ein wichtiges Fundament unseres Selbst­ver­ ständ­nisses«347 sei. Gemeinsam führte man die Auszeichnung »Bester Bootsmann« ein, die seitdem an den besten Jahrgangsabsolventen der Ausbildung an der Marine­ unteroffizierschule in Plön verliehen wird. Auch beschloss man die Einführung von »Dienstlichen Veranstaltungen« für DMB-Mitglieder bei der Marine. Auf diese Weise sollen diese nicht nur über die Marine der Bundeswehr informiert werden, sondern es soll vor allem auch ein Bewusstsein der Zusammengehörigkeit zwischen aktiver Marine und DMB aufgebaut werden.348 In diesem Sinn bekundete der DMB im Januar 2011 seine Solidarität mit der Besatzung der »Gorch Fock«, dem Segelschulschiff der Marine. Nach dem tödlichen Unfall einer Offizieranwärterin im November 2010 gerieten Kapitän und Mannschaft öffentlich in die Kritik. Bei der Rückkehr des Schiffes nach Kiel zeigte der DMB deshalb seine demonstrative Verbundenheit mit der Besatzung des Schiffes und auch mit der Marine der Bundeswehr, indem er am Turm des Ehrenmals in Laboe ein 50  Quadratmeter großes Banner mit folgender Botschaft hisste: »Der Deutsche Marinebund begrüßt die GORCH FOCK und ihre Besatzung«.349 Die Tatsache, dass der DMB im Gegensatz zu den meisten anderen soldatischen Veteranenverbänden immer noch existiert, ist wohl vor allem der Pflege seiner Beziehung zur Bundesmarine geschuldet. Dass sich dieses Verhältnis seit den 1990er-Jahren sogar intensiviert hat, liegt sicher auch daran, dass sich der DMB, begünstigt durch den Generationenwechsel, kritischen historischen Anmerkungen zu seinem Geschichtsbild nicht mehr grundsätzlich verschließt. Und darüber hinaus wendet er sich ja auch an allgemein an der Schifffahrt bzw. Handelsschifffahrt interessierte Kreise.

346

347 348 349

Vgl. Schreiben des DMB, Der Präsident, ohne Empfänger, Betr.: Bestandsaufnahme der Ver­bin­ dungen und Beziehungen zwischen dem DMB und Marine, hier: Bildung einer Arbeits­gruppe, 2.1.1990, DMB-Archiv, Akte Nr.  76, DMB, Bundeswehr, Bundesmarine, Deutsche Marine, Jahrespreis DMB; Witt, 125 Jahre Deutscher Marinebund, S. 151. Siehe Kap. VII.3.b. Zit. bei: Hartwig, 50 Jahre Deutscher Marinebund, S. 48. Vgl. ebd., S. 146. Zit. bei: Witt, 125 Jahre Deutscher Marinebund, S. 180.



III. Veteranenvereine und Totengedenken

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2. Die Funktion des Totengedenkens für die Veteranen der Wehrmacht Kameradschaft verbindet Soldaten nicht nur im Krieg, sondern auch über den Tod hinaus. Oder wie ein anonymer Autor 1955 im Verbandsorgan Kriegsgräberfürsorge des VDK schreibt: »Das Soldatengrab ist nach seinem Ursprung ein Kameradengrab, denn im Kriege stehen nicht nur das Leben und Kämpfen der Soldaten, sondern auch ihr Tod unter dem Zeichen der Kameradschaft.«350 In der durch Rivalitäten geprägten Veteranenszene war das Gedenken an die Gefallenen von zentraler Bedeutung. Es stiftete Zusammenhalt und Gemeinsamkeit. Die überlebenden Kameraden traten in eine Verbindung mit ihren toten Kameraden ein.351 Darauf wiesen die ehemaligen Wehrmachtsoldaten hin, wenn sie am Volkstrauertag bekannten: »Die Toten verpflichten die Lebenden.« Das Gedenken wurde zur »Ehrenpflicht«.352 Im Begriff »Ehrenpflicht« zeigt sich bereits die Problematik des militärischen Toten­gedenkens. Zunächst beinhaltete sie selbstverständlich einen religiösen und menschlich-kameradschaftlichen Imperativ, der die Überlebenden beauftragte, ihren Toten bzw. Gefallenen eine würdige Grabstätte zu bereiten und ihnen ein ehrenvolles Andenken zu bewahren. Aus dem unmittelbar erlebten Tod von Kameraden oder Untergebenen leiteten viele ehemalige Wehrmachtangehörige – unabhängig von ihrem Dienstgrad – zunächst eine tief empfundene moralische Verpflichtung zum lebenslangen Gedenken an ihre Toten ab. Bereits während des Krieges wurde die Verpflichtung zum Gedenken angesichts steigender Verlustzahlen propagandistisch vorbereitet. Der Gräberdienst der Wehr­ macht kategorisierte das Totengedenken als »selbstverständliche Ehren­pflicht«353. Und der letzte Wehrmachtbericht vom 9. Mai 1945 schloss mit dem Gedenken an die Toten, die »vor dem Feind gebliebenen Kameraden«, welche zu »bedingungs­ loser Treue« verpflichten.354 Eine Aufforderung, an die sich die Veteranen nach 1945 hielten. Das verwundert nicht, denn Kameradschaft besaß als militärische Kardinaltugend grundsätzlich – auch wenn sie in der Praxis zuweilen in einer ganzen Bandbreite von Nuancierungen vorkam – einen großen Wert für die Soldaten. Sie war identitätsstiftend für die eigene militärische Rolle und sorgte für ein unmittelbares persönliches und soziales Umfeld. Kameradschaft war für die Soldaten der Inbegriff alles Guten im Krieg, so das Fazit, das Kühne am Ende seiner Forschungen zieht. Sie war Inbegriff von Menschlichkeit und gegenseitiger Fürsorge, von emotionaler 350 351

352 353 354

Das Soldatengrab, S. 114. Vgl. Hettiger, Erinnerung als Ritual, S. 37. Ein Merkblatt der Abteilung Wehrmacht-Verlustwesen vom Oktober 1941 ordnete an, dass die Gefallenen nebeneinander bestattet werden sollten, um so die Kameradschaft auch über den Tod hinaus fortzusetzen. Das war eine nationalsozialistische Adaption des Mythos der Frontkameradschaft aus dem Ersten Weltkrieg. Zu finden ist das Merkblatt im BArch unter der Signatur RW 6/182. Vgl. Janz, Totenhügel und Waldfriedhöfe. Die Toten verpflichten die Lebenden, S. 1; Die Toten rufen die Lebenden, S. 1. Zit. bei: Janz, Totenhügel und Waldfriedhöfe. Wehrmachtbericht 9. Mai 1945. Abgedr. in: Die Wehrmachtberichte 1939‑1945, Bd 3, S. 568 f., hier S. 569.

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Anteilnahme und von Opferbereitschaft. Sie half bei der Kompensation traumatischer Erlebnisse. Denn den Krieg erlebte man nicht allein, sondern immer in einer Gruppe, und auf diesen Zusammenhang war jeder Wehrmachtsoldat in hohem Maß angewiesen.355 Für viele Veteranen überdauerte die Kameradschaft als positiver Wert ihres Dienstes in der Wehrmacht daher den Krieg. Ihre große Bedeutung und Strahlkraft erwuchs aus der Intensität der gemeinsam erlebten Kriegszeit, einem prägenden Abschnitt der eigenen Biografie. Die Konfrontation mit Gewalt und dem massenhaften Tod, insbesondere auch dem der Kameraden, waren sowohl individuell prägende Erfahrungen als auch kollektive.356 Ein Teil der Wehrmachtveteranen – in den 1950er-Jahren waren es insgesamt zehn Prozent der etwa zehn Millionen ehemaligen Soldaten – konservierte die Kriegskameradschaft und schloss sich den vielen kleineren Regiments- und Divisionskameradschaften bzw. Traditionsverbänden ehemaliger Wehrmachtsoldaten an, die sich nach 1949 gründen.357 Das in diesem Rahmen praktizierte Totengedenken hatte primär keine politischen Implikationen. Obwohl es kollektiv etwa bei Gedenkfeiern an Erinnerungs­monu­ menten geschah, war es zunächst auch Ausdruck einer persönlichen Betroffenheit und individuellen Trauer. Der Dichter Ludwig Uhland beschrieb die Beziehung zwischen Kameraden in seinem Lied »Der gute Kamerad« von 1809 als fast schon symbiotisch: »Ihn hat es weggerissen, / Er liegt vor meinen Füßen / als wär’s ein Stück von mir.«358 Die Trauer um den Kameraden war, wie Kühne feststellt, immer auch eine Trauer um das eigene Ich. Denn der Tod des Kameraden konfrontierte die Soldaten während des Krieges stets auch mit ihrem eigenen potenziellen Tod.359 Nach dem Krieg zwang er die Veteranen, sich mit der Zufälligkeit des eigenen Überlebens auseinanderzusetzen. Denn der Tod im Krieg war nicht berechenbar, sondern zufällig, wahllos, schicksalshaft. Uhland drückte es so aus: »Eine Kugel kam geflogen. / Gilt’s mir oder gilt es Dir?«360 Aus der Ahnung heraus, vielleicht sogar das eigene Überleben dem Tod des Kameraden zu verdanken, weil dieser auch in Verantwortung gegenüber seinen Kameraden gefallen war, leitete sich eine Gedenkschuld ab. Und diese Verpflichtung erhielt im Angesicht der Kriegsniederlage, die den Tod von 5,3 Millionen Wehrmachtsoldaten gewissermaßen als sinnlos erscheinen ließ, eine zusätzliche, eine besondere Schärfe. Der amerikanische Psychoanalytiker Chaim F. Shatan bezeichnet das Phänomen als »Überlebens-Schuld«.361 Das kollektive Totengedenken im Kameradenkreis war nicht nur heilsam, es half auch über biografische Brüche hinweg. Die Konturen der individuell zu verantwor355 356 357 358 359 360 361

Vgl. Kühne, Kameradschaft, S. 272; Römer, Kameraden, S. 159 f., 164. Vgl. Römer, Kameraden, S. 159 f.; Echternkamp, Soldaten im Nachkrieg, S. 58. Vgl. Kühne, Kameradschaft, S. 217 f. Ebd., Zitat S. 30, 31, 217. Vgl. Zimmermann, Der gute Kamerad, S. 249. Vgl. Kühne, Kameradschaft, S. 189. Ebd., S. 30. Shatan, Militarisierte Trauer und Rachezeremoniell, S. 240. Vgl. Weber, Gedanken über den Sol­ da­tentod, S. 5; Römer, Kameradschaft, S. 159; Kühne, Kameradschaft, S. 10; Overmans, Deutsche militärische Verluste, S. 316.



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tenden Kriegsbiografie verschwommen bei der gemeinschaftlichen Erinnerung an die toten Kameraden und verschmolzen mit der Erinnerung an die Kriegsvergangenheit zu einer Rückschau auf ein beinahe abstraktes deutsches Soldatentum. Über das kollektive Totengedenken konstruierten und transportierten die Veteranenverbände ein positives, weil tugendhaftes Soldatenbild, das die aktive Gewalterfahrung des einzelnen Veteranen, die Schuldgefühle durch das Töten im Kampf oder wegen im Krieg begangener Verbrechen weitgehend ausblendete. Der Einzelne erhielt somit die Möglichkeit, in einer abstrakten Vorstellung des Soldaten aufzugehen, welche die Gedenkansprachen zumeist erschufen.362 Auf diese Weise ließ sich das soldatische Selbstbild reparieren und glätten.363 Und darüber hinaus trug das kollektive Gefallenengedenken dazu bei, individuelle biografische Risse und Brüche zu verarbeiten. Diese komplexe emotionale Gemengelage aus Schuld, Gewalt- und Todeserfahrung, Verantwortung, Anteilnahme und Trauer fand nach dem Krieg ihren besonderen Ausdruck in dem persönlichen Bedürfnis und der moralischen Verpflichtung, die toten Kameraden nicht vergessen zu wollen, nicht vergessen zu dürfen, und ihre Gräber, die Denkmäler und die Erinnerungsstätten zu erhalten und zu pflegen, der Toten zu gedenken und sie dadurch gewissermaßen in den Kreis der Lebenden einzubeziehen und als integralen Teil der Kameradengruppe zu betrachten.364 Gleichzeitig verschmolzen dabei aber auch die Trauernden mit ihren gefallenen Kameraden zu einer kollektiven Soldaten- und Opfergemeinschaft. Dieser komplexe Zusammenhang ist ein wesentlicher Teil all dessen, was den Terminus »Ehrenpflicht« mit Inhalt auflädt. Und genau darin – in der Begrifflichkeit der Ehre – liegt für viele auch das zentrale Problem einer »ehrenden« militärischen Trauer- und Gedenkkultur für die Gefallenen der Wehrmacht. Denn die Trauer für diese Toten kann nicht nur in einem kameradschaftlichen Zusammenhang gesehen werden. Das ehrende Totengedenken für Angehörige der Wehrmacht muss vielmehr in einen weit größeren, politischen Zusammenhang eingeordnet werden. Denn der militärische Kampf für die verbrecherischen Ziele der NS-Diktatur machte auch Soldaten der Wehrmacht (insbesondere Angehörige der militärischen Führung) zu Mittätern und Mördern.365 Wie aber kann man die Führer und die Soldaten der NS-Wehrmacht, die oftmals sogar zu Mördern wurden, ehren? Darf man sie überhaupt ehren? Der Versuch, den Begriff »Ehre« mit Inhalten auszustatten, führt unvermeidlich zu Auseinandersetzungen darüber, was denn nun die wahren und zeitlosen, die ehrenvollen Werte des Soldatentums seien. Und ebenso unvermeidlich wirft er die Frage auf, ob die Werte der Wehrmacht auch diejenigen der Bundeswehr sein können, sein dürfen. In dieser Situation entfaltet der soldatische Totenkult noch eine ganz andere Dimension: Das ehrende militärische Totengedenken sollte auch der Rehabilitierung der gefallenen Wehrmachtsoldaten und damit ihrem Vermächtnis in der (Militär-) 362 363 364 365

Vgl. Echternkamp, Soldaten im Nachkrieg, S. 219. Vgl. ebd., S. 218 f. Vgl. Wagner, Ich hatt’ einen Kameraden?, S. 574. Vgl. Echternkamp, Soldaten im Nachkrieg, S.  164, 182‑187; auch: Kühne, Kameradschaft, S. 245.

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Geschichte dienen. Insbesondere die Spitzenvertreter der großen Veteranenverbände, häufig den höchsten Generalsrängen angehörend, instrumentalisierten das Toten­ gedenken für ihre persönliche Rehabilitierung  – der Gefallenenkult als Wieder­ her­stellung der soldatischen Ehre insgesamt. Denn wenn man die Gefallenen ehren konnte, dann färbte diese wiedergewonnene Ehre auch auf die noch lebenden Wehrmachtsoldaten ab. Die Ehrung der Gefallenen wurde so zu einer stellvertretenden Anerkennung der eigenen soldatischen Leistung. Durch den Verweis auf das gemeinsam als Kameraden erlebte Schicksal war diese Übertragungsleistung möglich. Das erklärt auch den Wunsch nach einem zentralen Ehrenmal für die Gesamtheit der Gefallenen beider Weltkriege. Damit sollten diese durch einen exklusiven Platz in der nationalen Gedenkkultur gewürdigt werden. Auf diesem Hintergrund ist auch der Widerstand ehemaliger Wehrmachtsoldaten in den 1990er-Jahren gegen­über den angedachten Erweiterungen »ihrer« Ehrenmale für die Soldaten der Bundes­wehr zu sehen. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte die Bundeswehr noch keine im Kampf Gefallenen zu beklagen, sondern ausschließlich Unfalltote. Und mit solchen Toten wollten die alten Kameraden »ihre« Denkmäler keinesfalls teilen.366 »Der Tod des Soldaten im Krieg ist kein Betriebsunfall«367, so bringt 1969 das Verbandsblatt von VdS und RdS Soldat im Volk die Überzeugung vieler ehemaliger Wehrmachtsoldaten auf den Punkt. In ihrem Totengedenken stilisierten die Wehrmachtsoldaten den Opfertod ihrer Kameraden sowohl als victima wie als sacrificium.368 Beide Opferbegriffe separierten das soldatische Handeln von den politischen Umständen und forcierten damit eine virtuelle Trennung zwischen soldatischer Ehre und Schuld. Übrig blieb die Ehre, ein Leitmotiv des Totengedenkens ehemaliger Wehrmachtsoldaten. Diese artifizielle Aufspaltung machte vor allem der Philosoph Karl Jaspers in seiner 1946 anlässlich der Nürnberger Prozesse erschienenen Schrift »Die Schuldfrage« gesellschaftsfähig: »Hier ist zunächst zu unterscheiden zwischen der soldatischen Ehre und dem politischen Sinn. Denn das Bewusstsein soldatischer Ehre bleibt unbetroffen von allen Schulderörterungen [...] Aber die soldatische Bewährung darf nicht identifiziert werden mit der Sache, für die gekämpft wurde.«369

Diese entpolitisierte Sicht der Dinge machte sich auch die Bundeswehr über ein Vierteljahrhundert mehr oder weniger zu eigen. Erst Verteidigungsminister Apel 366

367 368 369

Vgl. DMB, Niederschrift über das Gespräch mit Flottenadmiral a.D. Kretschmer, 17.8.1997, DMB-Archiv, Akte Nr. 131, Vorgang Otto Kretschmer, Betr.: Streit um Widmung Marine-Ehren­ mal Laboe. Beispielhaft für die Abgrenzung der Gefallenen der Wehrmacht von den Toten der Bundeswehr durch die Wehrmachtsveteranen steht die Aussage von Otto Kretschmer, Flottillen­ admiral  a.D. und erster Präsident des DMB. Im August 1997 distanzierte sich Kretschmer im Gespräch mit einem seiner Nachfolger, Hansdieter Christmann, von den Toten der Marine der Bundeswehr und wertete sie als »Betriebsunfälle« ab. Diese sollten, so Kretschmer, auf keinen Fall in einem »Gefallenen-Ehrenmal« gewürdigt werden. Eine Meinung, die viele ehemalige Soldaten der Wehrmacht wohl teilten. Vgl. Gespräch mit Dr. Jann M. Witt, Historiker des DMB, am 21.5.2012. Weber, Um das Wort vom Heldentod, S. 11. Siehe Kap. II.2. Jaspers, Die Schuldfrage, S. 58 f.



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stellte im Vorfeld der Beerdigung von Dönitz im Zusammenhang mit der Frage einer offiziellen Beteiligung der Bundeswehr im Januar 1981 klar: »Soldatische Pflichterfüllung und militärische Tüchtigkeit sind nicht zu trennen von den politischen Zielen, denen sie dienen.«370 Besonders zwischen den 1950er- und 1970er-Jahren kultivierten ehemalige Wehrmachtsoldaten den Mythos von der unbefleckten Ehre des Soldaten und seines Opfertodes, unabhängig von den politischen Umständen und jenseits jedweden moralischen Einwands.371 Symptomatisch für eine ganze Generation ehemaliger Wehrmachtsoldaten und späterer Bundeswehrangehöriger mag der hochrangige Wehrmacht- und Bundeswehroffizier Arthur Weber stehen:

»Eine ganze Stufenfolge von mäkelnden Bemerkungen gibt es, mit denen man ihr [die Wehrmachtsoldaten] Opfer herabsetzen möchte. * Sie verloren ihr Leben nicht mal ›für eine gute und gerechte Sache‹, sie dienten Hitler [...] Soldaten erfahren doch meist erst als Veteranen, ob die politische Führung gute oder schlechte Ziele verfolgte [...] * Eine andere unehrerbietige Bemerkung: es war doch vergeblich; 1866‑1945 wurden Ströme von Blut für das Reich vergossen, das nun schon seit fast 30 Jahren zerschlagen ist. – Ist das nicht herzlos und dumm, Menschen, die sich treu einsetzen, nur am Erfolg zu messen?«372

Außerdem sei die historische Bewertung des soldatischen Verhaltens »zeitgebunden«373. Eine richtige Bemerkung, aber welches geschichtliche Ereignis unterläge in seiner späteren Betrachtung nicht der historischen Distanz! Zeitlos wie das Handeln einer göttlichen Macht hingegen, glaubte Weber, sei der Opfertod des Soldaten, der in dieser Argumentation kurzerhand zu einem universalen und jeder Kritik enthobenen Wert stilisiert wurde. Der Soldatentod als Folge ewiger Tugenden wie Treue, Pflichterfüllung, Opferbereitschaft. Ähnlich wie Weber 1974 argumentierte 1966 anlässlich der Übergabe des Ehrenmals der Luftwaffe und der Luftfahrt an die Bundeswehr schon das VeteranenVerbandsblatt Luftwaffen-Revue. Der Soldatentod wurde als heiligster Einsatz für die Nation gesehen, angelehnt an die Idee des »agnus dei«, den Opfertod Christi: »Sie brachten das höchste Opfer, welches überhaupt ein Mensch bringen kann. Sie gaben ihr Leben hin für die Heimat und für unser Vaterland.«374 Auch der Verweis auf die schiere Zahl der toten Soldaten sollte diese Argumentation stützen. Um das Gewicht des Opfers zu erhöhen und die Zeitlosigkeit des deutschen Soldatentums zu propagieren, addierte die Schrift Soldat im Volk, das Zentralorgan von VdS und RdS, die toten Soldaten der beiden Weltkriege: »Rund sechs Millionen Gefallene [...] Es ist gut und heilsam, sich an einem Tage wie dem Volkstrauertag noch einmal einige Zahlen vor Augen zu führen, die das ganze Opfer des deutschen Soldatentums erkennen läßt [sic].«375 Auf diese Weise stellten VdS und RdS die Gefallenen des Ersten und des Zweiten Weltkriegs gleich und gleich in eine Reihe, ungeachtet der völlig anders gearte370 371 372 373 374 375

Apel, Der Abstieg, S. 175. Vgl. Hettiger, Erinnerung als Ritual, S. 80. Weber, Gedanken über den Soldatentod, S. 5; Nägler, Der gewollte Soldat, S. 115, Anm. 137. Weber, Gedanken über den Soldatentod, S. 5. Übergabe des Luftwaffen-Ehrenmals am 20. Mai 66, S. 104. Die Toten verpflichten die Lebenden, S. 1; Echternkamp, Kein stilles Gedenken, S. 49.

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ten Kriegsgründe und politischen Umstände. Die Prämisse des Soldatentodes, der Grundsatz von Befehl und Gehorsam, sei in allen Kriegen seit 1813 gleich, so die Argumentation der ehemaligen Wehrmachtangehörigen. Auf dieser Grundlage konstruierten die Dachverbände der ehemaligen Wehrmacht eine Traditionskette, in die alle Gefallenen seit den Freiheitskriegen eingereiht werden konnten. Auch die der Wehrmacht.376 Durch diese zeitlose Betrachtungsweise des Soldatentodes wurden alle Opfergruppen als Einheit wahrgenommen und die unterschiedlichen historischen Umstände ihres Todes vollständig angeglichen. Deshalb forderte der Präsident des DLWB, Student, dass die neuen Ehrenmale »Heimat aller unserer Gefallenen«377 werden sollten. So löste sich die Wehrmacht auf im Strom aller deutschen Soldaten. Die gleiche Absicht verfolgte Karl-Eduard Wilke, später Vorsitzender der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal. Er wollte ein Denkmal, »welches die Zeiten überdauert und Kunde gibt von dem Geschehen innerhalb zweier Generationen, deren Väter und Söhne für die Freiheit Deutschlands lebten und starben«378. Bindeglied für die gemeinsame Gefallenenehrung war die soldatische Pflicht­ erfüllung, die als ebenso zeitlos apostrophiert wurde wie der Begriff »Vaterland«. Ein Ehrenmal auf dieser Basis ermöglichte ein ahistorisches Totengedenken ohne konkreten Hinweis darauf, ob sich die Gefallenen nun für eine absolutistische Monarchie, die Diktatur Hitlers oder einen demokratischen Staat geopfert hatten.379 In der Bundesrepublik verloren die Kriegs- und Heldenrhetorik und die damit verbundenen Konzepte von Militär und Soldatsein ihre gesellschaftliche Akzeptanz und waren nicht mehr öffentlich sagbar, ohne an den Rand eines Skandals zu geraten.380 Bei offiziellen Anlässen in Zusammenhang mit der Bundeswehr distanzierten sich führende Wehrmachtveteranen daher von der althergebrachten Kriegsterminologie, etwa Student anlässlich der feierlichen Übergabe des Ehrenmals der Luftwaffe und der Luftfahrt an die Bundeswehr im Mai 1966: »Wir alten Soldaten wollen heute nicht mehr von Helden, Heldentum und Heldentod sprechen.«381 Doch wenn ehemalige Angehörige der Wehrmachtelite unter sich waren, klang ihre Sprache anders.382 Da wurden dann erbarmungslos geführte, extrem ver­lust­ reiche Schlachten wie Verdun und Stalingrad als »die großen Pole soldatischen 376

377 378 379 380 381 382

Richard Wagner, der als Soldat in Wehrmacht und Bundeswehr gedient hat, kritisierte, dass der Traditionserlass der Bundeswehr von 1965 das Gedenken an die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges nicht zum verbindlichen Teil der Traditionspflege in der Bundeswehr erhob. Dies forderten die Dachverbände der ehemaligen Wehrmachtsoldaten so direkt nicht. Vgl. Wagner, Ich hatt’ einen Kameraden?, S. 574. Vgl. Student, Deutscher Luftwaffenblock. Wilke, Das Ehrenmal der Luftwaffe und Luftfahrt. Vgl. Hettiger, Erinnerung als Ritual, S. 78. Vgl. Echternkamp, Soldaten im Nachkrieg, S. 182. Übergabe des Luftwaffen-Ehrenmals am 20. Mai 1966, S. 104. Unter den Frontsoldaten bekam der Heldenkult allerdings bereits mit Beginn des Zweiten Weltkrieges deutliche Risse. Begriffe wie »Held« oder »Heldentum« verloren in Anbetracht der eigenen verzweifelten und ausweglosen Lage sowie des massenhaft erlebten Todes an Strahlkraft. Der Heldenkult passte immer weniger zu den individuellen Erfahrungen und verlor so seine Überzeugungskraft. Vgl. Schilling, »Kriegshelden«, S. 373; Latzel, Deutsche Soldaten – nationalsozialistischer Krieg?, S. 278 f.



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Heldentums«383 gepriesen. Kesselring schwärmte, wie er »auf dem deutschen Helden­friedhof Cervia-Rimini« seiner gefallenen Soldaten und »ihres heldenhaften Kampfes«384 gedachte. Oder Klaus Uebe forderte für seine »Kriegshelden« ein Luft­waffen-Denkmal, welches das »Heroische« in den Vordergrund rücke.385 Das Heldische sollte die Gefallenen in den Kontext des Ewigen einreihen,386 um sie der Sphäre des Irdischen und seiner Moralvorstellungen zu entziehen. Der taktische Rückzug auf die soldatische Pflichterfüllung legte noch eine weitere Bedeutungsebene des Opferbegriffs frei. Die Gefallenen wurden zu »Opfern des Gehorsams, der Pflicht«, waren »im bittersten Sinne des Wortes Opfer der Politik«.387 Anlässlich der Übergabe des Ehrenmals der Luftwaffe und der Luftfahrt an die Bun­ deswehr interpretierte die Luftwaffen-Revue den Tod der Wehrmachtsoldaten so: »Denn sie haben ihre Pflicht erfüllt bis zum Tode im festen Glauben, mit ihrem Einsatz dem Vaterland zu dienen, die Heimat zu schützen und sie vor feindlichem Zugriff zu bewahren. Dass ihr Opfer dieses Ziel nicht erreicht hat, ist nicht ihre Schuld.«388

Diese Projektion sollte suggerieren, dass die Wehrmacht durch ihren Gehorsam, ihre Treue zur soldatischen Pflicht und ihre Überzeugung, die Heimat zu schützen, selbst zum Opfer von Hitlers verbrecherischem Angriffskrieg wurde.389 Diesen ungebrochenen Glauben, den der einfache Wehrmachtsoldat an der Front durchaus für sich reklamieren durfte, konnten die Befehlshaber in den Führungsstäben der Wehrmacht aber wohl kaum ernsthaft für sich beanspruchen. Auf diese Weise wollten die ehemaligen Wehrmachtangehörigen über das Totengedenken nicht nur ihre eigene moralische Rehabilitierung voranbringen, sondern auch sittliche Maßstäbe für soldatisches Dienen definieren. Diese Normen verstanden sie auch als Kampfansage und Gegenentwurf zur Führungsphilosophie der Reformer in der Bundeswehr. Denn die Bundeswehr betrachtet die Maßstäbe der Wehrmacht als keinesfalls ausreichend, da es keine soldatische Pflichterfüllung geben dürfe, die jenseits aller moralischen Gewissensentscheidungen operiert.390 Um die Verbreitung von Vorstellungen dieser Art zu verhindern, wollten die Veteranen der Wehrmacht erreichen, dass ihre Gefallenen und deren Auffassungen von Ehre und Pflicht auch für die Aufbaugeneration der Bundeswehr zum »verpflichtenden Vorbild«391 würden. In der Luftwaffen-Revue las sich das wie folgt: »Diesen Opfertaten sich würdig zu erweisen, sollen die jungen Soldaten der neuen Luftwaffe lernen.«392 Und der General der Flieger a.D. Alfred Mahnke äußerte in einem Brief an Wilke anlässlich der Übergabe des Luftwaffen-Ehrenmals an die Bundeswehr die 383 384 385 386 387 388 389 390 391 392

Die Toten rufen die Lebenden, S. 1; Bald, Alte Kameraden, S. 56. Worte, die nicht gesprochen werden durften, S. 1. Uebe, Ein Luftwaffen-Ehrenmal!?!, S. 2. Vgl. Hettiger, Erinnerung als Ritual, S. 79. Die Toten rufen die Lebenden, S. 1. Übergabe des Luftwaffen-Ehrenmals am 20. Mai 1966, S. 101. Dieses Selbstbild teilten die ehemaligen Wehrmachtangehörigen mit der Mehrheit der West­ deutschen. Vgl. Echternkamp, Kein stilles Gedenken, S. 47. Vgl. ebd., S. 50. Generalfeldmarschall Kesselring, Liebe Kameraden!, o.S. Übergabe des Luftwaffen-Ehrenmals am 20. Mai 1966, S. 101.

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Hoffnung, »dass noch viele Generationen von Soldaten daran erinnert werden, dass sie alle auf den Schultern früherer Soldatengenerationen stehen, denen nachzueifern dies Ehrenmal sie auffordert«393. Diese Beispiele mögen zeigen, dass es für die ehemaligen Wehrmachtangehörigen zentrale Aufgabe einer jeden Gedenkkultur war, militärische Vergangenheit und Gegenwart in einen gemeinsamen Bezugsrahmen zu setzen. So sollte ein positiver Rückbezug auf die soldatische Tradition der Gefallenen der Wehrmacht ermöglicht werden, damit diese als Vorbild der Bundeswehr dienen konnten.394 Die Veteranenverbände – DMB, RdS, VdS, DLWB und DLWR – standen zu diesem Zweck im regelmäßigen Austausch, vor allem mit den Führungsstäben der Teilstreitkräfte der Bundeswehr, aber auch mit dem BMVg. Mit Wehrmachtoffizieren wie Manstein (Heer), Kesselring (Luftwaffe) oder Dönitz (Marine), die unter den ehemaligen Soldaten hoch angesehen und geachtet waren, hatten die Veteranenverbände Persönlichkeiten mit hoher Symbolkraft in ihren Reihen. Dies verschaffte ihnen hinter den Kulissen zeit- und teilweise erhebliche Möglichkeiten, in die junge Bundeswehr hineinzuwirken.395 Aus diesem Grund wurden Kesselring und Manstein auch Schirmherren für die Ehrenmale von Heer bzw. Luftwaffe. Die alten Kameraden in der Bundeswehrführung waren ihr verlängerter Arm und handelten in der Regel in ihrem Sinn.396 Auf diese Weise wollten sie ihre Konzepte von soldatischen Werten, Soldatentum und Soldatentod in der Bundeswehr etablieren und in die nächste Generation transferieren. Gerade in den 1950er- und 1960er-Jahren übten führende ehemalige Wehrmachtangehörige großen Einfluss auf die Traditionsbildung innerhalb der Bundeswehr aus. Dass diese Bemühungen erfolgreich waren, zeigen nicht nur die Benennungen von Kasernen oder Einheiten der Bundeswehr nach »Helden der Wehrmacht«397. Oft gelang es den ehemaligen Wehrmachtveteranen auch, gemeinsam mit der Bundeswehr Ehrenmale für die Gefallenen der Weltkriege zu pla393 394 395

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Brief von General der Flieger a.D. Alfred Mahnke an Generalmajor a.D. Karl-Eduard Wilke, 23.5.1966, BArch, B 482/2. Vgl. Hettiger, Erinnerung als Ritual, S. 77; auch: Echternkamp, Kein stilles Gedenken, S. 50. Vgl. Zimmermann, Zwischen Reformern und Traditionalisten?, S.  301; Wrochem, Erich von Manstein, S.  315, 325‑340; Manig, Politik der Ehre, S.  485. Kesselring war innerhalb der Bundeswehr eine umstrittene Figur. Beim Aufbau der Bundeswehr verzichtete man weitgehend auf seine Expertise. Kesselring soll jedoch, so die Historikerin Kerstin Lingen, gute und vertrauensvolle Kontakte zum Personalchef der Abteilung Luftwaffe im Amt Blank, Oberst Günther Freiherr von Maltzahn, unterhalten haben. Für ein differenzierteres und vollständigeres Bild über den Nachkriegswerdegang von Albert Kesselring vgl. Lingen, Kesselrings letzte Schlacht, insbes. S. 323, 325 Anm. 201, 340‑343. Siehe Kap. III.2.a und III.2.b. Vgl. Zimmermann, Zwischen Reformern und Traditionalisten?, S. 301. Der Historiker René Schilling unterscheidet in seiner Studie zwei Kategorien von Helden: Als Helden galten zum einen Soldaten, die in der Wehrmacht gedient hatten und bereits in dieser Zeit hoch angesehen waren. Zu dieser Gruppe zählten etwa Generalfeldmarschall Kurt Student oder Groß­admiral Karl Dönitz, aber auch Generalfeldmarschall Erwin Rommel. Ferner wurden nationale Kriegshelden der Vergangenheit wie Richthofen, Immelmann oder Boelcke als Helden verehrt. Vgl. Schilling, Die »Helden der Wehrmacht«. Für die Luftwaffe hat der Militärhistoriker Heiner Möllers das Zusammenspiel zwischen den Luftwaffen-Traditionsverbänden und dem ersten Inspek­ teur der Luftwaffe, Generalleutnant Josef Kammhuber, bei der Traditionsbildung untersucht. Vgl. Möllers, Die Luftwaffe und ihr Umgang mit »Tradition«. Für die Teilstreit­kräfte Heer und Marine steht eine solche Untersuchung noch aus.



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nen, Geldmittel für diese Monumente via Bundeswehr zu organisieren und diese darüber hinaus zu deren Unterhalt zu verpflichten.398 Dieser durchschlagende Erfolg war kaum verwunderlich, denn viele Führungskräfte der jungen Bundeswehr stammten aus den Reihen der Wehrmacht und verfügten über enge Kontakte zu alten Kameraden in den Traditionsverbänden oder waren selber Mitglieder in diesen Vereinigungen. Die ehemaligen Wehrmachtangehörigen, die nun in der Bundeswehr dienten, stießen in der neuen Armee auf ein Vakuum an militärischen Überlieferungen und Ritualen. Nach 1945 gab es kein militärisches Erbe, auf das man mit einer ungebrochenen Selbstverständlichkeit zurückgreifen konnte. Zugleich gab es so gut wie keine Regeln, die verbindlich festlegten, was denn nun an Liedgut, Literatur, Orden, Ehrenabzeichen oder Kriegsmemorabilia, an Gedenkzeremonien und Riten wünschenswert oder akzeptabel für eine Demokratie war. Oder welchen militärischen Idolen und Vorbildern der Wehrmacht man innerhalb der Bundeswehr nacheifern sollte oder durfte.399 Dieses Vakuum füllten zu einem erheblichen Teil die ehemaligen Wehrmacht­sol­ daten und ihre Verbände. In der Bundeswehr trafen sie auf engagierte Helfer, viele ebenfalls mit Wehrmachtgeschichte. Zwar gab es seit 1959 Bemühungen, durch einen sogenannten Traditionserlass verbindliche Regeln zur militärischen Über­ lieferung zu schaffen,400 aber jene, die federführend damit befasst waren, entstammten oft selbst Hitlers Armee. Dazu gehörte Adolf Heusinger, Generalleutnant a.D. und erster Generalinspekteur der Bundeswehr, der sich im Rahmen der Diskussion über den Traditionserlass anlässlich des zehnjährigen Bestehens des VdS wie folgt äußerte: »Es ist müßig zu betonen, dass die Bundeswehr in keiner Weise die Soldaten des Zweiten Weltkrieges, insbesondere die Kämpfer des Ostheeres abwertet, die tapfer und ehrenvoll die Waffen führten gegen die bolschewistische Gefahr. Ihr Opfergang war von dem Wissen oder doch der Ahnung bestimmt, dass eine heillose Welt Vaterland und Heimat verschlänge, wenn der Widerstand erlahmte.«401

Des Weiteren forderte er die alten Kameraden des VdS auf: »Helfen Sie mit, die Tugenden einzupflanzen in die Jugend [...] Die alten Fahnen sind verehrungswürdig [...] In diesem Sinne stehen Ihnen die Tore der Bundeswehrkasernen offen – und die Herzen der Soldaten.«402 Genau nach diesem Motto handelte die junge Bundeswehr.403 Und angesichts der Tatsache, dass die Leitlinien für eine demokratische Tradition der Bundeswehr ganz erheblich ausgerechnet von jenen formuliert wurden, die durch diese eigentlich kon398 399

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Vgl. Schöbel, Am Anfang war der Held, S. 43. Siehe Kap. III.2.a und III.2.b sowie VII.3.b. In einem Schreiben an den FüB konstatierte der FüH einen »unhaltbaren Zustand des Wildwuchses in der Truppe«. Vgl. Schreiben FüH I 3 an FüB I 4, Betr.: Traditionspflege, 18.6.1964, BArch, BW 2/3928. Hinweise darauf finden sich in BArch, BW 2/3928. Heusinger, Die Bundeswehr und die alten Soldaten, S. 99. Vgl. Kilian, Führungseliten, S. 256 f. Als Generalinspekteur war Heusinger maßgeblich an der Diskussion über Tradition für die Bundeswehr beteiligt. Vgl. Abenheim, Bundeswehr und Tradition, S. 126‑129. Heusinger, Die Bundeswehr und die alten Soldaten, S. 102. Eine Weisung des FüB vom 30. September 1958, die wohl als eine vorläufige Regelung der Tra­ di­tions­frage gesehen werden kann, erklärte Kontakte zu ehemaligen Soldaten der Wehrmacht

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trolliert werden sollten, war es auch später kein Wunder, dass der erste Traditions­ erlass der Bundeswehr vom 1. Juli 1965 so vage blieb, wenn es um die Abgrenzung der Bundeswehr von der Wehrmacht und ihrem Erbe ging.404 Mittels des Transfers militärischer Traditionen, durch den Wehrmachtveteranen in der Bundeswehr ihre Konzepte von Soldatentum, Opfertod und Ehre sowie ihr Verständnis von Krieg etablierten, erreichten die alten Kameraden nicht nur die Weitergabe ihres Erbes. Sie propagierten ebenso ihre Bewertung der Wehrmacht und des Zweiten Weltkriegs und konnten sich so in gewisser Weise selbst rehabilitieren. Besonderes Augenmerk legten die ehemaligen Wehrmachtangehörigen dabei auf die Gedenkkultur. Ihre gefallenen Kameraden erhoben sie in diesem Zusammenhang pauschal zu opferbereiten militärischen Idolen und wurden so stellvertretend für sie ebenfalls Vorbilder. Das ist einer der Hauptgründe dafür, dass die alten Kameraden so darauf drangen, die militärische Gedenkkultur in ihren Traditionsverbänden zu konservieren, die Hoheit über die militärische Totenehrung zu behalten und diese dann in der Bundeswehr zu etablieren. So avancierte die binnenmilitärische und kameradschaftliche Trauer- und Gedenkkultur der Veteranen zur Grundlage des Totengedenkens in der Bundeswehr.

a) Die Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V. Die Idee, zum Gedenken an die Toten der Luftwaffe beider Weltkriege ein Ehrenmal zu errichten, entstand innerhalb der ehemaligen Luftwaffe der Wehrmacht zeitgleich mit der Aufstellung der Bundeswehr. Im November 1955 präsentierte Wilke seinem lokalen Traditionsverband Luftwaffen-Tischrunde zu Hannover seine Vorstellungen für ein Ehrenmal der Luftwaffe. Bestärkt durch die Resonanz der Kameraden, wendete er sich an Klaus Uebe, den Chefredakteur von Der Luftwaffenring. Uebe veröffentlichte die Ehrenmalspläne im Januar 1956 und stellte sie zur Diskussion.405 Im Jahr 1988 sollte ein Sprecher der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal diese Idee eines zentralen Ehrenmals zum geradezu biblischen Schöpfungsakt stilisieren: »Am Anfang war die Idee und die Idee war bei einigen wenigen Luftwaffenangehörigen, und sie verkörperten zunächst allein die Idee. Nichts als die Idee und der brennende Wunsch nach Verwirklichung standen am Beginn der Errichtung eines den Toten der Luftstreitkräfte und der Luftfahrt gewidmeten Ehrenmales.«406

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ausdrück­lich als erwünscht. Vgl. FüB an alle Kommandeure und Chefs selbstständiger Einheiten, Betr.: Traditionspflege, 30.9.1958, BArch, BW 2/3928. Der Traditionserlass bestätigte offiziell, dass »die Pflege kameradschaftlicher Beziehungen zu ehemaligen Soldaten [...] möglich und erwünscht« sei. Darüber hinaus erklärte er die Würdigung ihres Erbes zur Grundlage der Traditionspflege der Bundeswehr: »Die ehemaligen Soldaten sollen erkennen, dass die Bundeswehr ihre soldatische Leistung und ihr Opfer würdigt«, denn, so weiter: »Rechte Traditionspflege ist nur möglich in Dankbarkeit und Ehrfurcht vor den Leistungen und Leiden der Vergangenheit.« Erlass »Bundeswehr und Tradition«, 1.7.1965. Abgedr. in: Abenheim, Bundeswehr und Tradition, S. 225‑229, hier Ziff. II.8, III.27, III.29, S. 226, 229. Vgl. Uebe, Ein Luftwaffen-Ehrenmal!?!, S. 2; Schreiben von Karl-Eduard Wilke an Gen.Maj. a.D. Roderich Cescotti, Betr.: Das Ehrenmal der Luftwaffe und der Luftfahrt zu Fürstenfeldbruck, 7.10.1987, BArch, B 482/3. Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Luftwaffen-Ehrenmal Fürstenfeldbruck. Den Toten der Luft­ waffe und der Luftfahrt, November 1987 (Broschüre), S. 5, BArch, B 482/3.



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Noch 1956 begannen die organisatorischen Vorarbeiten für die Stiftung LuftwaffenEhrenmal. Am 24. Juni 1957 erfolgte in Hannover, wo auch der Sitz des Vereins war, die offizielle Gründung.407 Einziger Zweck der Stiftung war, wie die Satzung verriet, »die Schaffung eines Ehrenmals der Luftwaffe sowie die Beschaffung der dafür erforderlichen Mittel durch private und öffentliche Sammlungen sowie Ver­an­staltungen«408. Vorsitzender der Stiftung war Wilke409, sein Stellvertreter Generalmajor a.D. Conrad Seibt410. Vier Organe bestimmten Ausrichtung und Arbeit der Stiftung: der repräsentative und beratende Ehrenvorsitzende; der Vorstand mit seinen administrativen Aufgaben; das Kuratorium, das als Botschafter für die Idee des Ehrenmals fungierte; die Mitgliederversammlung. Ehrenvorsitzender wurde Kesselring.411 Bei Auswahl der Gründungsmitglieder achtete man darauf, Personen zu nominieren, die nicht allzu sehr mit der NS-Diktatur verbunden waren, um so Konflikte mit der Bundeswehr, der Öffentlichkeit und Politikern zu vermeiden.412 Aus die407

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Vgl. Gründungsprotokoll, BArch, B 482/1; auch: Das Ehrenmal der Luftwaffe und der Luftfahrt zu Fürstenfeldbruck. Eine Kurz-Chronik aus Anlass des Treffens alter Kameraden vom LG 1 am LW. Ehrenmal am 29./30.4.1978, BArch, B 482/2. Satzung der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V. vom 24. Juni 1957, § 2 Zweck, BArch, B 482/3. Wilke trat im März 1918 als Fähnrich in das 2. Ober-Elsässische Infanterie-Regiment Nr. 171 ein. Während des Zweiten Weltkrieges diente er bis 1943 u.a. als Kommodore des Kampfgeschwaders 55 und als Chef des Generalstabs des Luftwaffen-Kommandos Südost. Im Januar 1944 wurde er zum Generalmajor befördert und bekleidete, nachdem er im Januar 1945 zum Kommandeur der 15. Flieger-Division aufstieg, ab Ende April 1945 das Amt des Chefs der Organisationsabteilung der Luftflotte Reich. Im August 1945 geriet Wilke in Kriegsgefangenschaft. Im Juni 1947 wurde er entlassen. Aufgrund seiner vergleichsweise geringen Belastung eignete er sich für das Amt des Vorsitzenden der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal, da er so das Ehrenmalprojekt in Armee und Politik geräuschlos vorantreiben konnte. Vgl. Hildebrand, Die Generale der deutschen Luftwaffe 1935‑1945, Bd 3, S. 522 f. Seibt stieg im Dezember 1942 zum Oberbefehlshaber Süd auf. Nach einer Beförderung zum Generalmajor im April 1943 ernannte man ihn im Dezember des Jahres zum Oberquartiermeister beim Armeekommando der Fallschirmarmee. Im Juni 1944 beförderte man ihn zum Chef des Stabes des Nachschubwesens der Luftwaffe. Bei Kriegsende geriet er in amerikanische Gefangenschaft, aus der er 1947 entlassen wurde. Auch er war vergleichsweise wenig belastet und eignete sich daher für repräsentative Funktionen. Vgl. Hildebrand, Die Generale der deutschen Luftwaffe 1935‑1945, Bd 3, S. 283 f. Vgl. Gründungsprotokoll, BArch, B 482/1; Satzung der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V. vom 24. Juni 1957, § 8 Organe des Vereins, § 9 Ehrenvorsitzende, § 10 Der Vorstand, § 11 Wirkungskreis des Vorstandes, § 12 Das Kuratorium, seine Aufgaben und Befugnis, BArch, B 482/3; Wortlaut der Urkunde für die Grundsteinlegung des Luftwaffen-Ehrenmals am 24. September 1961, BArch, N  667/27. Mit Kesselring, so schwärmte die Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal noch kurz vor ihrer Auflösung 1987, »war eine Leitfigur gewonnen worden, welche sich sowohl im Weltkrieg II als hoher militärischer Führer Achtung und Vertrauen der unterstellten Soldaten als auch im Nachkriegsdeutschland Würde und Anerkennung durch verantwortungsbewusste Haltung erworben hatte«. Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Luftwaffen-Ehrenmal Fürstenfeldbruck. Den Toten der Luftwaffe und der Luftfahrt, November 1987 (Broschüre), S. 7, BArch, B 482/3. Vgl. Schreiben von Karl-Eduard Wilke an den Innenminister des Landes Schleswig-Holstein, Herrn Minister Dr. jur. Helmut Lemke, Betr.: Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., hier öffentliche Geldsammlung, 28.8.1960, BArch, B 482/1. Zwischen ihrer Gründung und dem Jahr 1960 wandte sich die Stiftung mit der Bitte um Unterstützung an verschiedene Personen aus den Bereichen Militär (Josef Kammhuber, Kurt Student, Johannes Trautloft), Kultur (NDR-Intendant Dr. Walter Hilpert), Religion (Heinrich Maria Janssen, Bischof von Hildesheim), Wirtschaft (Prof. Heinrich Nordhoff, Geschäftsführer VW) und Politik (Kai-Uwe von Hassel, damals Ministerpräsident von

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sem Grund trat etwa Alfred Mahnke, einer der Initiatoren des Ehrenmals, öffentlich selten in Erscheinung. Eine der Ausnahmen war die Grundsteinlegung des Ehrenmals. Ansonsten begleitete er den Fortschritt der Arbeit vornehmlich im Hintergrund. Dies belegt ein Briefwechsel zwischen Mahnke und Wilke, der sich in den Stiftungsunterlagen findet. Aus Gründen der Konfliktvermeidung wollte auch der DLWB unter Präsident Student offiziell nicht in Erscheinung treten. Aber auch in diesem Fall lässt sich durch Briefwechsel und Sitzungsprotokolle belegen, dass der DLWB maßgeblich an der Realisierung des Ehrenmals beteiligt war.413 Neben diesen »stillen Teilhabern« gestalteten auch Traditionsverbände der alten Luftwaffe, ehemalige Wehrmachtangehörige ohne Verbandszugehörigkeit und führende Re­prä­sen­tanten der Bundeswehr wie Josef Kammhuber die Arbeit der Stiftung. Kammhuber war neben Wilke die wohl wichtigste und einflussreichste Figur bei der Realisierung des Luftwaffen-Ehrenmals. Er entstammte zwar auch der Luftwaffe der Wehrmacht, gehörte aber keinem der entsprechenden Traditionsverbände an. Kamm­huber, Generalleutnant der Bundeswehr und vom 1.  Juni 1957 bis zum 30. Sep­tem­ber 1962 erster Inspekteur der Bundesluftwaffe, blieb über seine Amtszeit hinaus dem Ehren­malprojekt verbunden. Und sein Nachfolger, Generalleutnant Werner Panitzki, setzte die Arbeit im Sinne Kammhubers fort.414 Kammhuber war wohl bereits seit der unmittelbaren Nachkriegszeit getragen von der Mission, eine Totenehrung der gefallenen Luftwaffenangehörigen der Wehrmacht sei »nötig und unaufschiebbar«415. Denn diese Ehrung sollte ein entscheidender Teil der Identität der neuen Luftwaffe der Bundeswehr werden. Die Schaffung eines solchen Selbstverständnisses, das der Bundesluftwaffe ein ganz eigenes Profil verleihen und in Abgrenzung zu den anderen Teilstreitkräften zugleich ihre Eigenständigkeit erhalten sollte, war ein zentrales Vorhaben seiner Amtszeit als Luftwaffeninspekteur.416 Er wollte den Soldaten der Bundesluftwaffe militärische Vorbilder an die Hand geben, Idole, die den ungebrochenen »Waffenstolz«417 aus den beiden Weltkriegen hinein in die Bundesluftwaffe trugen und deren Leitbild auch noch im Nuklearzeitalter gültig sein konnte.418 Anlässlich der Verleihung von Traditionsnamen am 21. April

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Schleswig Holstein, Max Brauer, 1. Bürgermeister von Hamburg, Wilhelm Kaisen, 1. Bürgermeister von Bremen). Vgl. Schreiben der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Der Vor­stand, an Herrn Dr. Jaeger, 25.2.1958, ACSP, NL Jaeger C: 199. Vgl. Brief von General der Flieger a.D. Alfred Mahnke an Generalmajor a.D. Karl-Eduard Wilke, 4.4.1973, BArch, B  482/2. Der gesamte Schriftwechsel zwischen Mahnke und Wilke wird unter dieser Signatur aufbewahrt. Vgl. Ansprache General der Flieger a.D. A. Mahnke, 24.9.1961, BArch, N 667/27; Tagung des Deutschen Luftwaffenblocks am 15. Juli 1961 in Bremen, BArch, N 667/27. Vgl. Gründungsprotokoll, BArch, B 482/1; Schreiben der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V. an den Vorstand der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Betr.: Vorstandssitzung am 28. Oktober 1960, 15.10.1960, BArch, N 667/27; Schreiben von Generalmajor a.D. Karl-Eduard Wilke an Ge­ne­ral­ oberst Kurt Student, 16.8.1963, BArch, N 667/27; Schmidt, »Seines Wertes bewusst!«, S. 374. Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal, Vorstands-Schreiben an Conrad Seibt, 18.12.1960, BArch, N 667/27. Vgl. Schöbel, Im Anfang war der Held, S. 44. Zit. bei: ebd. Vgl. ebd.



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1961 definierte Kammhuber sein nun dem Geist der Bundesrepublik angepasstes Ideal des Soldaten wie folgt:

»Die besten und modernsten Waffen nützen aber nichts, wenn die Menschen, die sie bedienen sollen, nicht von ihrer Aufgabe überzeugt sind. Der Beruf des Soldaten erfordert daher eine innere Ethik, ein moralisches Streben und ein sittliches Empfinden für die Notwendigkeit der Verteidigungsbereitschaft. Und deswegen ist es wichtig, dass der Soldat hierbei auf Vorbilder schauen kann, [...] die diese sittlichen Ideale in höchster Vollendung bereits in schweren Zeiten vorgelebt haben, und die für sie ihr Leben hingaben.«419

Durch die Benennung von Luftwaffengeschwadern nach legendären Jagdpiloten des Ersten Weltkriegs – Max Immelmann, Manfred von Richthofen, Oswald Boelcke – oder die Taufe von Straßen auf Fliegerhorsten, bei denen ebenfalls prominente Krieger als Namensgeber Pate standen, wird deutlich, dass Kammhuber insbesondere auch im Zeitalter der Atombombe nicht unbedingt der Staatsbürger in Uniform als idealer Soldat vorschwebte, sondern der militärisch erfolgreiche, auch im Ausland für seine Leistung geachtete, opferbereite Kämpfer: der Kriegsheld.420 Über seine Vorbilder versuchte Kammhuber eine Tradition aufzubauen, in der auch Luftwaffenangehörige der Wehrmacht jenseits von moralischer Schuld und politischer Verstrickung als Kriegshelden das Bewusstsein und die Identität der Bundesluftwaffe prägen konnten. Das zentrale Ehrenmal der Luftwaffe und der Luftfahrt spielte dabei eine entscheidende Rolle. Denn in gewisser Weise sollte es der monumentale Ausdruck von Kammhubers Traditionskonzept sein und den Soldaten der Bundesluftwaffe die Ehrwürdigkeit dieser Vorbilder vor Augen führen. Kammhuber, so die Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal, plane den Aufbau eines »Sammelbeckens des geistigen Lebens der Bundesluftwaffe«421, in dessen Zentrum das Ehrenmal als sichtbares Zeichen der Verbindung zwischen alter und neuer Luftwaffe stehen sollte. Insbesondere die Standortfrage des Ehrenmals war für Kammhuber daher von besonderer Wichtigkeit. Bei der Wahl des Aufstellungsortes, die zwischen 1956 und 1960 neben der Gestaltung des Ehrenmals die Arbeit der Stiftung dominierte, übte er massiven Druck aus, der teilweise schon erpresserische Züge zeigte.422 Bevor die Stiftung durch den Vorstandsbeschluss vom 6. Januar 1961 den Weg für eine Errichtung des Ehrenmals auf dem Fliegerhorst der Bundesluftwaffe in Fürstenfeldbruck bereitete, verfolgte sie andere Pläne hinsichtlich des Aufstellungs­ ortes: Im Frühjahr 1957 stellte sie im Luftwaffenring einen Standort am Lohberg in der Lüneburger Heide nahe Fallingbostel zur Diskussion. In dieser »urdeutschen Landschaft«423, wie Erhard Milch, Generalfeldmarschall a.D. und zumindest bis 1945 bekennender Nationalsozialist, diesen Landstrich nannte, sollte sich das Ehrenmal erheben. Der Entwurf dafür stammte von Gerd Sophus Rexhausen – Architekt und 419

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Ansprache des Inspekteurs der Luftwaffe anläßlich der Verleihung von Traditionsnamen an Jagd­ geschwader 71, Jabo-Geschwader 31 und Aufklärungsgeschwader 51 am 21. April 1961 in Ahlhorn, BArch, BL 1/14962; Möllers, Die Luftwaffe und ihr Umgang mit »Tradition«, S. 24. Vgl. ebd., S. 25. Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal, Vorstands-Schreiben an Conrad Seibt, 18.12.1960, BArch, N 667/27. Vgl. ebd.; Wortlaut der Urkunde für die Grundsteinlegung des Luftwaffen-Ehrenmals am 24. Sep­ tember 1961, BArch, N 667/27. Zit. bei: So soll das Ehrenmal für Luftfahrt und Luftwaffe aussehen.

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Mitglied des DLWR – und knüpfte in seinen gewaltigen Dimensionen an Vorbilder wie das Marine-Ehrenmal oder das Tannenberg-Denkmal an.424 Der Entwurf sah einen gigantischen Kuppelsaal vor, gekrönt von einem Strahlen­ bündel, das in über 60 Meter Höhe aufragt. Die schiere Größe des Ehrenmals sollte einschüchtern und Ehrfurcht erzeugen angesichts des Opfertods der Luft­waffen­ soldaten. Das in die Weite des Himmels weisende Strahlenbündel wollte wohl Symbol sein für die Unsterblichkeit der Gefallenen, und der Kuppelsaal, der einem Sarkophag gleich gestaltet war, versinnbildlichte die Endlichkeit der Leiber, die geborgen im Stein in ihren Särgen ruhten.425 Dieses aufwendige Unterfangen war weder mit Spenden – bis zu diesem Zeitpunkt hatte man ca. 16 000 DM eingesammelt – noch mithilfe der Mitglieder des DLWR finanzierbar. Aus diesem Grund ließ die Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal von dem Plan ab.426 Im Dezember 1958 wurde Wilke mit der Suche nach einem geeigneten Gelände und der gestalterischen Neukonzeption des Ehrenmals beauftragt. Kurze Zeit später fand er ein Grundstück nahe der Schaumburg im Weserbergland, das die Stiftung im Frühjahr 1959 pachtete. Am 21. Juni 1959 lud diese dann zu einer Arbeitstagung auf Schloss Schaumburg. Bei dieser Zusammenkunft fasste man den Beschluss, das Ehrenmal auf dem Pachtgrundstück zu errichten. Außerdem schrieb man einen Wettbewerb für einen neuen Entwurf aus. Auf der Folgetagung am 18. März 1960 wählte die Stiftung dann aus insgesamt sieben Vorschlägen ihren Favoriten: den Entwurf von Ernst Zinsser, den der Architekturprofessor in Zusammenarbeit mit dem Bildhauer Kurt Lehmann konzipiert hatte. Als Grundstruktur sah dieses Vorhaben ein 40  Meter langes Mauersegment vor, errichtet auf einer Waldwiese. Zinssers Vorhaben war zwar deutlich kostengünstiger als Rexhausens kolossales Monument, überstieg aber dennoch die Möglichkeiten der Stiftung.427 Und so entstand aus den Plänen der beiden Hannoveraner schließlich das zentrale Ehrenmal der Luftwaffe, das an späterer Stelle in dieser Arbeit beschrieben und interpretiert wird428. Der ursprünglich dafür geplante Standort lag in der Nähe von Schloss Schaumburg.429 424

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Vgl. Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Betr.: Errichtung eines Luftwaffen-Ehrenmals, hier Zwischenbescheid, 7.1.1961, BArch, N 667/27; So soll das Ehrenmal für Luftfahrt und Luftwaffe aussehen; Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, S. 412; Hümmelchen, Generalfeldmarschall Erhard Milch, S. 173 f. Siehe Kap. VII.3.b; Tietz, Das Tannenberg-Nationaldenkmal. Vgl. Vortrag in Bad Godesberg am 2. Mai 1963, gehalten vermutlich von Wilke, BArch, N 667/27; So soll das Ehrenmal für Luftfahrt und Luftwaffe aussehen, S. 1. Vgl. Vortrag in Bad Godesberg am 2. Mai 1963, gehalten vermutlich von Wilke, BArch, N 667/27. Rexhausen veranschlagte Kosten von 1,3 bis 2  Mio. DM. Vgl. Handschriftliche Notiz auf dem Artikel: So soll das Ehrenmal für Luftfahrt und Luftwaffe aussehen, BArch, B 482/2. Vgl. Vortrag in Bad Godesberg am 2. Mai 1963, gehalten vermutlich von Wilke, BArch, N 667/27; Bericht, o.S.; Karl-Eduard Wilke, Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Kleine Übersicht über die Geschichte der Errichtung des Ehrenmals der Luftwaffe und der Luftfahrt zu Fürstenfeldbruck, September 1984, BArch, B 482/1. Siehe Kap. VII.3.b. Vgl. Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Luftwaffen-Ehrenmal Fürstenfeldbruck. Den Toten der Luftwaffe und der Luftfahrt, November 1987 (Broschüre), S. 7, BArch, B 482/3. Ernst Zinsser begann 1932 seine Laufbahn als Architekt mit einem prämierten Entwurf für das Reichs­ehren­ mal in Bad Berka. Während des Zweiten Weltkrieges entwarf er neben Industriebauten vor al-



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Am 17. September 1959 sagte Verteidigungsminister Strauß der Stiftung seine Unterstützung für die Realisierung des Entwurfs von Zinsser und Lehmann zu. Ebenso bat man Unternehmen aus der Luftfahrtbranche wie die Deutsche Lufthansa erfolgreich um Spenden. Auch an Kammhuber wendete sich die Stiftung mit der Bitte, dieser möge innerhalb der Luftwaffe für das zentrale Ehrenmal mobilisieren.430 Doch Kammhuber verweigerte seine Hilfe. Nicht, weil er etwa den ausgewählten Entwurf abgelehnt hätte. Kammhuber passte der Standort nicht. Erstens wollte er die räumliche Nähe zur neuen Luftwaffe und nicht einen abgelegenen Ort im Weserbergland. Das zentrale Luftwaffen-Ehrenmal sollte permanent für die Soldaten sichtbar sein und nicht nur Trost und Identität spenden, sondern auch die Soldaten der Bundesluftwaffe auf das Vorbild des Opfertodes einschwören.431 Und zweitens erkannte Kammhuber weitsichtig, dass die Bundesluftwaffe »in einigen Jahren der tragende Teil von Überlieferungen und erhaltender Bestandteil des Gedenkens an die Opfer der Luftwaffenverbände« sein werde und daher auch für diese Aufgabe eine Liegenschaft der Bundeswehr besser geeignet sei als das Weserbergland.432 Kammhuber favorisierte den Fliegerhorst Fürstenfeldbruck. Am 16.  Dezember 1960 unterbreitete Kammhuber der Stiftung folgendes An­gebot: »1. Kostenlose Zurverfügungstellung von Platz und Gelände 2. Übernahme der fertiggestellten Anlagen in die pflegerische Obhut der Luftwaffe 3. Instandhaltung der Bauwerke 4. Spendenaufruf von Seiten des Inspekteurs an die ihm unterstellten Luftwaffensoldaten 5. Jährliche Gedenkfeiern am Ehrenmal unter Abstützung auf die aktive Luftwaffe«.433

Der Standort Fürstenfeldbruck war für Kammhuber nicht verhandelbar. Um ihn zu erzwingen, setzte er die finanziell angeschlagene Stiftung massiv unter Druck. Nur

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lem Thingplätze und andere nationalsozialistische Kultstätten. Zinsser realisierte acht dieser Thing­plätze, die als Freilichtbühnen zur Aufführung kultischer Festspiele fungierten und auf diese Weise das Gefühl der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft festigen sollten. Der bekannteste ist der Thingplatz Nussberg. Die Topografie der runden Anlagen erinnert an das Ehrenmal der Luftwaffe. Nach dem Krieg plante Zinsser hauptsächlich Büro- und Geschäftsgebäude. Vgl. Becker, Architekturhistorische Anmerkungen, S.  80; Lenzig, Gerichtslinden und Thingplätze in Deutschland, S.  26; Lubiz, Ernst Zinsser, (letzter Zugriff 6.9.2021); Karl-Eduard Wilke, Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Kleine Über­ sicht über die Geschichte der Errichtung des Ehrenmals der Luftwaffe und der Luftfahrt zu Fürstenfeldbruck, September 1984, BArch, B 482/1. Vgl. Schreiben Karl-Eduard Wilke an den Innenminister des Landes Schleswig-Holstein, Herrn Minister Dr. jur. Helmut Lemke, Betr.: Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., hier öffentliche Geld­ sammlung, 28.8.1960, BArch, B 482/1; Schreiben Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V. an den Vor­stand der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Betr.: Vorstandssitzung am 28. Oktober 1960, 15.10.1960, BArch, N 667/27; Vortrag in Bad Godesberg am 2. Mai 1963, gehalten vermutlich von Wilke, BArch, N 667/27. Vgl. auch: Schöbel, Am Anfang war der Held, S.  46. Diese Sichtweise äußerte Kammhuber in seiner Ansprache anlässlich der Grundsteinlegung des Ehrenmals am 24.9.1961; Ansprache des Inspekteurs der Luftwaffe am 24.9.61 in Fürstenfeldbruck aus Anlaß der Grundsteinlegung des Ehrenmals der Luftwaffe, BArch, N 667/27. Schreiben von Oberst Friedrich-Karl Knust an den Vorstand der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., z.Hd. Karl-Eduard Wilke, Betr.: Standortwahl für das Luftwaffenehrenmal, 23.1.1961, BArch, B 482/1. Vgl. Vortrag in Bad Godesberg am 2. Mai 1963, gehalten vermutlich von Wilke, BArch, N 667/27.

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III. Veteranenvereine und Totengedenken

im Falle einer Entscheidung für Fürstenfeldbruck, ließ Kammhuber wissen, würde er sich bei den zuständigen ministeriellen Stellen, bei den Stäben der Luftwaffe und bei der Truppe für das Denkmal einsetzen. Und nur dann würde er dafür Sorge tragen, dass die Bundesluftwaffe Pflege und Instandhaltung des Ehrenmals übernähme.434 Viele alte Kameraden der Luftwaffe aus den Traditionsverbänden protestierten gegen die De-facto-Übernahme des zentralen Ehrenmals durch die Bundeswehr. Durchsetzen konnten sie sich aber nicht. Denn ohne das Plazet Kammhubers und »ohne Beteiligung der Bundeswehr« war die Errichtung des Ehrenmals »nicht zu schaffen«.435 Notgedrungen stimmte die Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal dem Vor­ schlag Kammhubers einstimmig zu.436 Durch die Abhängigkeit von der Bundesluftwaffe war die Stiftung nun in ihren Entscheidungen – von der Gestaltung des Ehrenmals bis hin zu Fragen der Zeremonien und ihrer Terminierung – nicht mehr autonom und musste sich oft den Vorgaben der Bundeswehr unterordnen. Dies führte zu »Spannungen«437 und innerhalb der Veteranenverbände zu dem Eindruck, dass es sich bei dem geplanten zentralen Ehrenmal der Luftwaffe vor allem um eine Erinnerungsstätte der Bundesluftwaffe handelte, obwohl diese bis zur Übernahme des fertigen Monuments 1966 nicht offiziell, sondern nur im Hintergrund an den Arbeiten beteiligt war.438 Neben der Debatte um den Standort führte auch die Frage nach dem Ein­wei­ hungs­datum des Ehrenmals zu scharfen Kontroversen zwischen alter und neuer Luftwaffe. Kammhuber bestand trotz der Proteste von Stiftung und Veteranen darauf, das Ehrenmal am Volkstrauertag 1962 einzuweihen. Den alten Kameraden passte die Wahl des Volkstrauertages nicht. Sie wollten ihre Gefallenen auf eigene, militärische Weise und an einem eigens den Soldaten gewidmeten Tag ehren – und nicht am Volkstrauertag, an dem unterschiedslos aller Toten gedacht wird. Auch wenn sie formal den Volkstrauertag zunächst nur »aus witterungsbedingten Gründen«439 ablehnten. Kammhubers Terminwahl verriet in dieser Situation Weitblick und politische Erfahrung. Er erkannte, dass wenn er die alten Werte und Vorbilder der Luftwaffe aus der Zeit vor 1945 wirklich dauerhaft bewahren wollte, dies unbedingt im Rahmen der Bundeswehr geschehen musste. Am Volkstrauertag, gemeinsam mit allen anderen. Sondertrauertage und Sonderveranstaltungen, wie sie den alten 434 435 436

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Vgl. Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal, Vorstands-Schreiben an Conrad Seibt, 18.12.1960, BArch, N 667/27. Schreiben der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Generalmajor a.D. Karl-Eduard Wilke an Generaloberst Kurt Student, 16.7.1961, BArch, N 667/27. Hervorhebung im Original. Vgl. Tagung des Deutschen Luftwaffenblocks am 15.7.1961 im Hotel »Schaper Siedenburg« Bremen, BArch, N 667/27; Schreiben der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Generalmajor a.D. Karl-Eduard Wilke, an das Bundespräsidialamt, 10.2.1961, BArch, N 667/27. Schreiben Generalmajor a.D. Karl-Eduard Wilke an Generaloberst Kurt Student, 16.8.1963, BArch, N 667/27. Vgl. Schreiben Generaloberst a.D. Kurt Student an Generalmajor  a.D. Karl-Eduard Wilke, 22.8.1963, BArch, N 667/27; Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Der Vorstand, Betr.: Niederschrift zur »Seminartagung« am 2. Mai 1963 bei Bad Godesberg, veranstaltet vom BMdV, FüB VII 7, BArch, N 667/27. Schreiben der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Der Vorstand an den Präsidenten des DLWB, Generaloberst a.D. Kurt Student, 21.4.1962, BArch, N 667/27.



III. Veteranenvereine und Totengedenken

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Kameraden vorschwebten, waren in dieser Lage kontraproduktiv, denn sie rückten das Totengedenken der alten Kameraden für all ihre Gegner freiwillig in die Nische und die Isolation der Ewiggestrigen, der Militaristen und im schlimmsten Fall der Rechtsradikalen und unbelehrbaren Nationalsozialisten. Kammhuber argumentierte, dass er mit der Wahl des Volkstrauertages im November eine Tradition der Totenehrung in der Luftwaffe einleiten wollte, die Jahr für Jahr ganz automatisch ihre Fortsetzung finde. Dabei sollten die Gedenkzeremonien am zentralen Ehrenmal, das auch die alten Traditionen der Luftwaffe beider Weltkriege verkörpere, zum festen Bestandteil des Kalenders der Luftwaffe werden.440 Auf diese Weise wollte Kammhuber via Ehrenmal die alten Kriegshelden als Vorbilder in die Tradition der Bundesluftwaffe überführen. Auch der Denkmalsarchitekt Zinsser äußerte sich im Sinne Kammhubers. Das Ehrenmal sei als Beitrag zu einer lebendigen Tradition gedacht, als ein Ort der Begegnung und des Lernens von den alten Soldaten, der »für die junge Generation, die in Fürstenfeldbruck ausgebildet wird, von hohem ethischen Wert sein«441 werde. Nach Klärung der Standortfrage und Festlegung der Gedenktage gliederte sich die zweite Phase der Arbeit der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal zwischen 1960 und 1966 in folgende Abschnitte: Planung der Bauarbeiten, Grundsteinlegung (24.9.1961) sowie Koordinierung und Überwachung der Bauarbeiten bis zur endgültigen Fertigstellung und Einweihung des Ehrenmals am 20. Mai 1966.442 Inhaltlich waren in dieser Zeit Fragen der Ikonografie und der symbolischen Ausgestaltung des Ehrenmals relevant, die zwischen der Stiftung, Vertretern der Veteranenverbände und der Bundesluftwaffe, vertreten durch Kammhuber, verhandelt wurden. Am 2. Mai 1963 veranstaltete die Bundesluftwaffe in Bad Godesberg eine Tagung, deren Ergebnis der sogenannte Godesberger Beschluss war. Die Vereinbarung regelte die Detailfragen bezüglich der Ausschmückung des Ehrenmals: Sinnsprüche, Jahreszahlen, christliche Symbolik, antike und militärische Zeichen. Während die Stiftung z.B. das Sinnbild des Eisernen Kreuzes favorisierte, bevorzugte Kammhuber eine eher christliche Konnotation des Ehrenmals. Im Frühjahr 1965 kam es zu einer scharfen Diskussion. Anlass war die Figur des Adlers, der das Ehrenmal schmücken sollte. Manche wie Denkmalsarchitekt Zinsser sahen in seiner Gestaltung eine deutliche Parallele zu den bauplastischen Adlerdarstellungen der Nationalsozialisten. Dies galt es unbedingt zu vermeiden. Später würde man daher den Adler modifizieren.443 440 441 442

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Vgl. Schreiben des Inspekteurs der Luftwaffe, Generalleutnant Josef Kammhuber, an General­ oberst a.D. Kurt Student, 29.5.1962, BArch, N 667/27. Prof. Ernst Zinsser, Das Ehrenmal für die Toten der Luftwaffe, 8.6.1961, BArch, B 482/1. Die Arbeiten konzentrierten sich zunächst im Wesentlichen auf den Kern des Ehrenmals. Dieser erste Abschnitt konnte zum Volkstrauertag 1962 fertiggestellt werden. Den monumentalen Gedenkstein im Inneren der Anlage, der zu diesem Zeitpunkt noch durch eine hölzerne Attrappe provisorisch ersetzt wurde, tauschte man zum Volkstrauertag 1963 durch den eigentlichen Stein aus. Damit war auch der zweite Bauabschnitt beendet. Der dritte Bauabschnitt bis Mai 1966 betraf die künstlerische Ausgestaltung des Zugangsbereiches mit dem Tor und den Mauern, die das Ehrenmal flankieren. Vgl. Karl-Eduard Wilke, Kleine Geschichte über die Errichtung des Ehrenmals der Luftwaffe und der Luftfahrt zu Fürstenfeldbruck, September 1984, BArch, B 482/1. Vgl. Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Der Vorstand, Betr.: Niederschrift zur »Seminartagung« am 2.  Mai 1963 bei Bad Godesberg, veranstaltet vom BMdV, FüB  VII  7, BArch, N  667/27; Ernst Zinsser, Gedanken über die Anbringung des Adlersymbols am Ehrenmal Fürstenfeldbruck,

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Nach Abschluss der letzten Bauphase und der Übergabe des fertiggestellten Ehren­mals der Luftwaffe und der Luftfahrt am 20.  Mai 1966 in die Obhut des Kom­mandeurs der Luftwaffenschule in Fürstenfeldbruck und damit in den Ver­ ant­wortungsbereich des Verteidigungsministers verringerten sich die Aufgaben der Stiftung erheblich. Nun war die Bundeswehr für Unterhalt und Instandhaltung des Ehrenmals zuständig.444 Zusammen mit dem DLWB organisierte die Stiftung nun die jährlichen Veranstaltungen am Ehrenmal am Volkstrauertag. Daneben erweiterte sie das Monument um Elemente, die der Entwurf von Zinsser nicht vorsah. Ursprünglich sollte das Eiserne Kreuz im Blickfang des Ehrenmals stehen, jene soldatische Auszeichnung, von der die Stiftung überzeugt war: Es kann »nichts Wertvolleres und Besseres«445 geben als dieses Kreuz, weil es unmittelbares »Symbol des Deutschen Soldatentums«446 sei. Nun wurde es weniger prominent auf einem Gedenkstein platziert. Jahreszahlen, Inschriften und weitere Symbole waren anfangs nicht geplant. Dennoch wurde das Ehrenmal im Lauf der Jahre um zwei Inschriften, zwei Sinnbilder und eine Ehrenplakette ergänzt. 1977 fügte man die Widmung »Ihr seid unvergessen« hinzu, und im Eingangsbereich des Monuments brachte man ein christliches Kreuz aus Eisen an. 1979 erweiterte man die Widmung durch den Zusatz: »Den Toten der Luftwaffe und der Luftfahrt«, und die steinerne Kanzel vor dem Ehrenmal schmückte man mit einem Lorbeerkranz aus Eisen. 1985 ließ die Stiftung dann eine Plakette zu Ehren ihres Gründers Karl-Eduard Wilke am Ehrenmal anbringen.447 Obwohl die Stiftung bereits 1968 ihre Auflösung plante, beendete sie ihre Arbeit offiziell erst am 31. Dezember 1987. Neben der Organisation von Veran­stal­tungen trat sie kaum mehr in Erscheinung. Zuletzt gab sie 1987 noch eine Infor­ma­tions­ broschüre über das Ehrenmal heraus, die zugleich den Abschluss der Arbeit des Vorstands bildete.448 Das Ehrenmal der Luftwaffe und der Luftfahrt ist bis heute in der Obhut des Kommandeurs der Offizierschule in Fürstenfeldbruck.449

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30.4.1965, BArch, B 482/2; Das Ehrenmal der Luftwaffe und der Luftfahrt zu Fürstenfeldbruck. Eine Kurz-Chronik aus Anlass des Treffens alter Kameraden vom LG  1 am Lw. Ehrenmal am 29./30.4.1978, BArch, B 482/2. Vgl. FüH I 3, Vermerk für Herrn Stellvertreter über Herrn UAL I, Betr.: Ehrenmal des Heeres, 21.3.1968, BArch, BH 1/3883. Vgl. Vortrag in Bad Godesberg am 2.5.1963, gehalten vermutlich von Wilke, BArch, N 667/27. Ebd. Vgl. Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Der Vorstand, Betr.: Niederschrift zur »Seminartagung« am 2. Mai 1963 bei Bad Godesberg, veranstaltet vom BMdV, FüB VII 7, BArch, N 667/27; Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Luftwaffen-Ehrenmal Fürstenfeldbruck. Den Toten der Luftwaffe und der Luftfahrt, November 1987 (Broschüre), S. 18, BArch, B 482/3; Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Liquiditationsvorstand, Informationsblatt 5/87, 23.11.1987, BArch, B 482/3. Vgl. Schreiben der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V. an Generaloberst a.D. Kurt Student, 27.5.1966, BArch, N 667/14; Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Luftwaffen-Ehrenmal Fürsten­ feld­bruck. Den Toten der Luftwaffe und der Luftfahrt, November 1987 (Broschüre), BArch, B  482/3; Niederschrift zur letzten außerordentlichen Mitgliederversammlung der Stiftung Luft­ waffen-Ehrenmal e.V. am 13. November 1987, BArch, B 482/3. Vgl. Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Der Vorstand, Betr.: Niederschrift zur »Seminartagung« am 2. Mai 1963 bei Bad Godesberg, veranstaltet vom BMdV, FüB VII 7, BArch, N 667/27; Das



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b) Das Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V. Die Idee, ein Ehrenmal des Heeres zu errichten, existierte nicht nur bei VdS und RdS – als eine Art Ersatz für die gescheiterten Pläne von 1957 zum Bau eines zentralen Monuments für das Gedenken an die vermissten und gefallenen Soldaten der beiden Weltkriege. Auch in der Führungsebene des Heeres der Bundeswehr, die in engem Kontakt zu den Veteranenverbänden stand, gab es diesen Wunsch.450 Sowohl die beiden Dachverbände der Wehrmachtveteranen als auch die Führung des Bundeswehrheeres verfolgten dieselbe Intention: Traditionspflege, Ehrung der gefallenen Kameraden und dadurch auch die Rehabilitation der Soldaten der Wehrmacht. Nachdem schon seit einigen Jahren das Vorhaben, ein Ehrenmal auf der Koblenzer Festung Ehrenbreitstein zu errichten, aus »innenpolitischen Gründen keine praktische Förderung«451 mehr erfuhr, versuchte Joachim Dettmann einen anderen Weg zu gehen. Der Major im Wehrbereichskommando I der Bundeswehr präsentierte im Frühjahr 1965 die Koblenzer Pläne für ein zentrales Ehrenmal des Heeres seinem Vorgesetzten Gottfried Annuß, Oberst i.G. und stellvertretender Befehlshaber im Wehrbereich I. Dettmann verband dies mit der Bitte, die Pläne an Heeresinspekteur Ulrich de Maizière weiterzuleiten. Die Notwendigkeit eines zentralen Monuments für das Heer begründete Dettmann gegenüber Annuß wie folgt: »Das Fehlen eines solchen Ehrenmals wird von den Teilnehmern des letzten Krieges umso schmerzlicher empfunden als Luftwaffe und Marine ein solches besitzen. Es bedarf keiner weiteren Begründung, dass das Ehrenmal des Heeres noch zu Lebzeiten der Kriegsteilnehmer und mit deren Hilfe errichtet werden muss.«452

Im FüH teilte man diese Auffassung von der »Pflicht des Gedächtnisses«453, wie ein Vermerk in den Akten des Stabes festhielt:

»Für die gefallenen Angehörigen der eigenen Teilstreitkraft haben Luftwaffe und Marine ihr Ehrenmal in Fürstenfeldbruck bzw. Laboe. Die größte Teilstreitkraft – das Heer – hat keins. Wir wären es unseren gefallenen Kameraden und dem Ansehen des Heeres schuldig.«454

Diese erneute Initiative für ein zentrales Ehrenmal des Heeres stand wohl in engem Zusammenhang mit dem ersten Traditionserlass der Bundeswehr, den Ver­tei­ di­gungs­minister Kai-Uwe von Hassel am 1. Juli 1965 vorlegte: »Tradition im Heer

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Ehrenmal der Luftwaffe, (letzter Zugriff 6.9.2021). Siehe Kap. III.1.b. Vgl. FüH I 1 an UAL FüH I, Betr.: Sprechzettel für Insp. d.H.; hier: Ehrenmal des Heeres, 27.4.1965, BArch, BH 1/3883. De Maizière war von 1960 bis 1962 Kommandeur der Schule für Innere Führung in Koblenz. In dieser Zeit waren ihm – so geht es aus dem Sprechzettel hervor – Pläne für ein Ehrenmal auf der Festung Ehrenbreitstein bereits bekannt. FüH I 1 an UAL FüH I, Betr.: Sprechzettel für Insp. d.H.; hier: Ehrenmal des Heeres, 27.4.1965, BArch, BH 1/3883. Schreiben von Major Joachim Dettmann an Oberst i.G. Annuß, 16.2.1965, BArch, BH 1/3883. FüH I 1 an UAL FüH I, Betr.: Sprechzettel für Insp. d.H.; hier: Ehrenmal des Heeres, 27.4.1965, BArch, BH 1/3883. FüH  I  1, Vermerk für UAL I, Betr.: Traditionsbildung: hier: Ehrenmal des Heeres, 26.6.1965, BArch, BH 1/3883.

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muss sinnvoll anknüpfen an die Leistungen der vergangenen Geschlechter und der Ehrfurcht vor diesen den jungen Soldaten sinnfälligen Ausdruck geben.«455 Damit wurde die ideelle Grundlage gelegt, um das Ehrenmalvorhaben zum symbolischen Bezugs- und Ausgangspunkt einer militärischen Tradition des Heeres zu stilisieren. Dabei war immer wieder von einem monumentalen Vorbild die Rede: dem Nationaldenkmal Tannenberg, das ab 1935 Reichsehrenmal Tannenberg genannt wurde. Diese zentrale Gedenkstätte, die während des Dritten Reiches – als Kulisse monumentaler Propagandainszenierungen und der Kriegsverherrlichung – der Gefallenenehrung diente,456 sollte, zumindest nach Meinung Einzelner, nachgebaut und dann zum Ort der Identifikation für das Heer der Bundeswehr werden. So schwärmte etwa Joachim Dettmann, Major im Wehrbereichskommando I, noch 1965 vom zerstörten Tannenberg-Denkmal, das er »immer als besonders eindrucksvoll empfunden« hat. Und er schlug vor, es »als Ehrenmal des Heeres neu zu errichten«.457 Im FüH der Bundeswehr kursierte daneben auch die Idee, die Fahnen des Tannenberg-Denkmals, die im Januar 1945 kurz vor der Sprengung des Monuments durch die Wehrmacht vor der anmarschierenden Roten Armee gerettet wurden, vor einem neu zu errichtenden Ehrenmal des Heeres zu präsentieren. Einen gut geeigneten Standort dafür sah der FüH 1965 aus verschiedenen Gründen in der Koblenzer Festung Ehrenbreitstein: aufgrund ihrer militärgeschichtlichen Bedeutung als Ver­ tei­digungsfestung, die bis ins frühe 16. Jahrhundert zurückgeht. Darüber hinaus gab es bereits nach dem Ersten Weltkrieg Pläne, in der Rheinfestung das Ehrenmal für die Gefallenen des Heeres zu erbauen. Später allerdings beschloss der Reichstag dann den Bau der Gedenkstätte in Tannenberg.458 Aufgrund der Initiative von de Maizière verfolgte man zwischen Januar und November 1966 die Ehrenmalpläne besonders innerhalb der Führungsebene des Heeres und prüfte sie auf ihre Realisierbarkeit hin. Auch Besprechungen zwischen dem FüH und der Stadt Koblenz bezüglich der Verfügbarkeit des Standortes Ehren­breitstein fanden statt. Außerdem konzipierte man konkrete Pläne zur Um­ setzung des Ehrenmals, so plante man etwa nach dem Vorbild der Luftwaffe die Gründung einer Stiftung Ehrenmal des Heeres. Ausführlich erläuterte man auf der Kommandeurtagung des Heeres am 24. Januar 1966 das Pro und Kontra der Ehrenmalpläne. Darüber hinaus erhielten die Kommandeure den Auftrag, ein

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FüH I 1 an UAL FüH I, Betr.: Sprechzettel für Insp. d.H.; hier: Ehrenmal des Heeres, 27.4.1965, BArch, BH 1/3883. Vgl. Erlass, »Bundeswehr und Tradition«, 1.7.1965. Abgedr. in: Abenheim, Bundeswehr und Tradition, S. 225‑229, hier Ziff. II.8, S. 226. Vgl. Tietz, Das Tannenberg-Nationaldenkmal, S. 85‑90, 123‑126. Vgl. Schreiben von Major Joachim Dettmann an Oberst i.G. Annuß, 16.2.1965, BArch, BH 1/3883. Vgl. Schreiben von Major Joachim Dettmann an Oberst i.G. Annuß, 16.2.1965, BArch, BH 1/3883; FüH I 1, Vermerk für UAL I, Betr.: Traditionsbildung: hier: Ehrenmal des Heeres, 26.6.1965, BArch, BH  1/3883; Tietz, Das Tannenberg-Nationaldenkmal, S.  201; FüH  I  1 an UAL FüH  I, Betr.: Sprechzettel für Insp. d.H.; hier: Ehrenmal des Heeres, 27.4.1965, BArch, BH  1/3883; Wischemann, Zur Geschichte der Festung Ehrenbreitstein; Generalleutnant a.D. Hermann Hölter, Notiz über Besprechung mit Herrn Oberst i.G. Frevert-Niedermein, FüH I 3 a, 19.4.1968 über Errichtung eines Ehrenmals des Heeres, BArch, BH 1/3883.



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Meinungsbild unter ihren Soldaten zu erstellen und dieses im Rahmen der nächsten Tagung am 14./15. November 1966 vorzustellen.459 Parallel dazu fanden ab Frühjahr 1966 informelle Gespräche zwischen Bundeswehr und VdS statt. Motiviert durch die Überlegungen im Heer der Bundeswehr fasste der VdS auf seiner Vertreterversammlung vom 23. April 1966 den Beschluss, »ein würdiges gemeinsames Ehrenmal für die Soldaten des ehemaligen deutschen Heeres zu schaffen«460. Für den VdS war die Offerte der Bundeswehr ein Glücksfall, da der Dachverband nicht über die finanziellen Mittel verfügte, um ein solches Vorhaben alleine zu bewerkstelligen. Dieses war nur in Kooperation mit der Bundeswehr realisierbar.461 Auch für das Heer der Bundeswehr ergaben sich aus dieser Zusammenarbeit Vor­teile. Denn aus politischen Gründen wollte de Maizière die Durchführung des Ehren­malvorhabens einem Gremium übertragen, das außerhalb des aktiven Heeres stand. In den Veteranenverbänden VdS und RdS sah er die entsprechenden Er­ füllungs­gehilfen,462 weil durch die Auslagerung des Projektes nach dem Vorbild der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal nach außen hin kein direkter Bezug zum Heer der Bundeswehr mehr sichtbar war. Außerdem bot die Gründung einer Stiftung durch ihre finanzielle wie personelle Eigenständigkeit zusätzliche Vorteile für das Heer. Obwohl der Wille innerhalb der Heeresführung, ein zentrales Denkmal für die gefallenen Heeressoldaten beider Weltkriege zu errichten, seit dem Frühjahr 1965 groß war, lehnte die Kommandeurtagung vom 14./15.  November 1966 eine solche Gedenkstätte ab. Dies lag vor allem an der ungeklärten Finanzierung und weil man bezüglich der Ortswahl keine Einigung erzielen konnte. Denn viele Soldaten der Bundeswehr lehnten den Standort Ehrenbreitstein ab. Für sie war ein zentrales Ehrenmal des Heeres untrennbar mit der »Neuen Wache« in Berlin verbunden.463 Auch bevorzugten viele Bundeswehrsoldaten eher die Einzeldenkmäler der Regimenter, die inzwischen entstanden waren, etwa der Ehrenhain für die gepanzerten Einheiten der Wehrmacht in Munster464 oder der Gedenkstein für die 78. In­fan­te­riedivision, der im Oktober 1959 auf der Neckarinsel in Tübingen eingeweiht wurde.465 Angesichts dieser Lage entschieden sich die Kommandeure auf ihrer Tagung mehrheitlich für einen Aufschub des Projekts »zentrales Ehrenmal«. Im Januar 1967

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Vgl. FüH  I  1, Sprechzettel für den Herrn Inspekteur des Heeres, Betr.: Kommandeurtagung, 12.1.1966, BArch, BH 1/3883; FüH I 1, Sprechzettel für die Kommandeurtagung des Heeres am 14./15.11.1966, 2.11.1966, BArch, BH 1/3883. Schreiben des VdS, Generalleutnant a.D. Gerhard Matzky, an den Inspekteur des Heeres, Ge­ne­ral­ leutnant Ulrich de Maizière, 24.5.1966, BArch, BH 1/3883. Vgl. ebd. Vgl. Schreiben des Inspekteurs des Heeres, Generalleutnant Ulrich de Maizière, an den Vorsitzenden des VdS, Generalleutnant a.D. Gerhard Matzky, 6.6.1966, BArch, BH  1/3883; undatierter Briefentwurf, vermutlich vom Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Josef Moll, an General der Kavallerie a.D. Westphal und Generalleutnant a.D. Matzky, BArch, BH 1/3883. Vgl. Schreiben InspH Generalleutnant Josef Moll an den Vorsitzenden des VdS Generalleutnant a.D. Matzky, 5.1.1967, BArch, BH 1/3883. Der Ehrenhain wurde 1961 eingeweiht. Siehe Kap. VII.3.a. Vgl. Lenk, Zerstörte Gedenktafel im Neckar entdeckt. In: Alb-Bote, 8.1.2014.

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stellte Josef Moll, Generalleutnant der Bundeswehr und Nachfolger de Maizières als Inspekteur des Heeres, die Ehrenmalpläne auf unbestimmte Zeit zurück.466 Damit wollten sich die Dachverbände der Traditionsvereine des Heeres nicht zu­friedengeben. Zwischen Januar 1967 und Anfang 1968 drängten RdS und VdS auf eine Entscheidung zum Bau des Ehrenmals und forderten den Inspekteur des Heeres wiederholt auf, die Frage einer zentralen Gedenkstätte für das Heer auf den Tagungen der Heereskommandeure nachdrücklich zu Sprache zu bringen.467 In einem Brief des VdS-Vorsitzenden Matzky an Moll vom 13.  Januar 1967 beklagte Matzky eindringlich den »Notstand« der Traditionsverbände. Nach der Zerstörung des Tannenbergdenkmals und der Unzugänglichkeit der »Neuen Wache« in OstBerlin seien die alten Kameraden »überall darauf angewiesen, [...] sich bei ihren Totenehrungen an Truppendenkmälern zu versammeln, zu denen sie keine besondere innere Verbindung haben«.468 Innerhalb der Führung des Heeres war man hingegen bemüht, zunächst jegliche Festlegung auf eine klare Position zu vermeiden. Allerdings distanzierte man sich nicht grundsätzlich vom Projekt einer zentralen Heeresgedenkstätte, was wohl darauf schließen lässt, dass es trotz politischer Bedenken gegen den Einfluss belasteter ehemaliger Wehrmachtsoldaten innerhalb der Bundeswehr große Sympathien für die alten Kameraden gab. So erzielte man in der Führungsebene zunächst einen vorläufigen Kompromiss. Dieser beinhaltete im Wesentlichen, dass die Bundeswehr nicht direkt mit der Errichtung einer zentralen Gedenkstätte für die Gefallenen der Weltkriege in Verbindung stehen sollte. Die Umsetzung und die Finanzierung der diesbezüglichen Pläne sowie die spätere Inobhutnahme des Ehrenmals sollten ausschließlich durch die Dachverbände VdS und RdS erfolgen. Eine ideelle Unterstützung des Projektes sowie die eventuelle Mitwirkung bei der Einweihung oder bei anderen zeremoniellen Anlässen an einem solchen Ehrenmal aber waren für die Heeresführung der Bundeswehr durchaus denkbar.469 Im Februar 1968 begann ein regelmäßiger schriftlicher Austausch zwischen Moll und Siegfried Westphal, dem Präsidenten des RdS. Auf diesem Weg informierte Westphal die Bundeswehr fortlaufend über die Pläne, die architektonischen Ideen, die möglichen Aufstellungsorte, die Kosten und die potenziellen Inschriften bezüglich des zentralen Ehrenmals für das Heer.470

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Vgl. Schreiben InspH, Generalleutnant Josef Moll, an den Vorsitzenden des VdS, Generalleutnant a.D. Matzky, 5.1.1967, BArch, BH 1/3883. Schreiben des Stellvertreters des Inspekteurs des Heeres, Generalmajor Hubert Sonneck, an den Präsidenten des RdS, General der Kavallerie a.D. Westphal, 1.2.1968, BArch, BH 1/3883. Schreiben des VdS, Generalleutnant a.D. Matzky, an den Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Moll, 13.1.1967, BArch, BH 1/3883. Vgl. FüH I 3, Vermerk für den Herrn Inspekteur des Heeres über Herrn UAL FüH I, 17.1.1968, BArch, BH 1/3883; Schreiben des Stellvertreters des Inspekteurs des Heeres, Generalmajor Hubert Sonneck, an den Präsidenten des RdS, General der Kavallerie a.D. Westphal, 1.2.1968, BArch, BH 1/3883; FüH I 3, Vermerk für Herrn Stellvertreter über Herrn UAL I, Betr.: Ehrenmal des Heeres, Vorg.: Stellv. vom 27.2.1968, 21.3.1968, BArch, BH 1/3883. Vgl. Schreiben des RdS, Der Präsident an den Inspekteur des Heeres, Herrn Generalleutnant Moll, 9.2.1968, BArch, BH 1/3883.



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Zu diesem Zeitpunkt planten die Traditionsverbände, auf der Festung Ehren­ breit­stein einen Basaltlavastein oder einen Findling als zentrales Ehrenmal zu errichten. Die Kosten sollten sich auf 70 000  DM belaufen, und der Stein sollte ein Eisernes Kreuz tragen und »Den Toten des deutschen Heeres 1914‑1918, 1939‑1945« gewidmet sein.471 Diesen Plan thematisierte Moll daraufhin erneut bei einer Kommandeurtagung. Er vertrat nun die Ansicht, dass das Ehrenmal »seinen Sinn nur dann voll erfüllen kann, wenn es in aktiver Unterstützung durch das Heer verwirklicht wird«472. Während seiner Amtszeit bis zum 30.  September 1968473 verwaltete Moll die Ehrenmalpläne vor allem. Die treibenden Kräfte bei diesem Vorhaben waren sein Vorgänger de Maizière und vor allem sein Nachfolger, Generalleutnant Albert Schnez. Die Motive beider Inspekteure lagen wohl in der Bereitschaft, Traditionen der Wehrmacht in die Bundeswehr zu integrieren. Auch wenn dies nicht unumstritten ist, so ordnet die Forschung de Maizière zwar eher dem Lager der Reformer zu. Denn seit seinem Eintritt ins Amt Blank unterstützte er den militärischen Neuanfang mit seiner Maxime des Staatsbürgers in Uniform. Jedoch vertrat er diese Linie weniger dogmatisch als sein Mitstreiter Baudissin. Denn de Maizière zeigte sich durchaus flexibel und zu Zugeständnissen bereit, etwa in Fragen des ehrenden Gedenkens an Gefallene der Wehrmacht im Rahmen der Bundeswehr.474 Schnez hingegen positionierte sich eindeutiger im Sinne des traditionalistischen Lagers. Das zeigt etwa seine weitgehende Ablehnung des Leitbildes des Staatsbürgers in Uniform.475 In seinen Vorstellungen war er VdS und RdS deutlich näher als Moll oder de Maizière. Dies hatte zur Folge, dass das Heer der Bundeswehr nun enger, direkter in die Ehrenmalpläne involviert wurde. Eine Nähe, die de Maizière aus Gründen der Außenwirkung für die Bundeswehr wohl noch zu vermeiden suchte. Seine Vorstellungen, sein Verständnis des Soldatenberufs brachte Schnez in zwei internen Studien zum Ausdruck, die trotz Geheimhaltungsstatus an die Öffent­lichkeit gelangten: »Gedanken zur Inneren Führung« (Mai 1969) und »Gedanken zur Ver­ besserung der Inneren Ordnung des Heeres« (Juni 1969).476 In beiden Papieren setzte sich Schnez mit Fragen der Tradition auseinander und stellt fest, dass »die Truppe 471 472 473 474

475 476

Vgl. ebd. Schreiben des Stellvertreters des Inspekteurs des Heeres, Generalmajor Schneck, an den Präsidenten des RdS, General der Kavallerie a.D. Westphal, 1. April 1968, BArch, BH 1/3883. Vgl. Hammerich, Kommiss kommt von Kompromiss, S. 281. Ein Beispiel dafür ist de Maizières Teilnahme an der Einweihung des Ehrenmals der Fallschirmjäger am 9. September 1966 auf dem Gelände der Luftlande- und Transportschule in Altenstadt. Zu­ sam­men mit Kurt Student, der Symbolfigur der Fallschirmtruppe der Wehrmacht, schritt er die Ehrenformation ab. In seiner Funktion als Generalinspekteur und damit höchster Vertreter der Bundeswehr wertete de Maizière durch seine Anwesenheit die Veteranen der Fallschirmjäger und ihr Totengedenken auf und verlieh Letzterem sogar einen offiziösen Stellenwert. Siehe Kap. VII.3.a; Nägler, Der gewollte Soldat, S. 26; Zimmermann, Ulrich de Maizière, S. 158, 423 f. Siehe Kap. IV.2. Vgl. Albert Schnez, Gedanken zur Verbesserung der Inneren Ordnung des Heeres, Juni 1969, C, III, 22, D, III, 62/a, BArch, BH 1/1686. Vgl. FüH, InspH, Gedanken zur Inneren Führung, Mai 1969, ACDP, 01-483-110/1; Albert Schnez, Gedanken zur Verbesserung der Inneren Ordnung des Heeres, Juni 1969, BArch, BH 1/1686.

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weithin zur Geschichtslosigkeit verurteilt und ohne verpflichtendes Traditions­ bewusstsein«477 sei. Er forderte von der politischen und militärischen Führung der Bundeswehr eine Korrektur des Bildes von Reichswehr und Wehrmacht und damit verbunden ein klares Bekenntnis »zur deutschen Soldatentradition«478. Schnez und der mit ihm zusammenarbeitende FüH wollten das Heer der Bundes­wehr wieder stärker in eine traditionalistisch geprägte Richtung lenken und damit der angeblichen Geschichtslosigkeit entgegenwirken. Dabei plädierten sie für »Waffenstolz« und »Korpsgeist«479, welche dadurch entstünden, dass sich bestimmte Waffengattungen »besondere Attribute anlegen«480 dürften wie Symbole, Vorbilder, Feiern von Kriegsereignissen oder Liedgut. Das zentrale Ehrenmal des Heeres fügte sich exakt in diese Intention ein, weil es, wie von Schnez gefordert, dazu beitrug, »vermehrt soldatische Motive« herauszustellen, die das »Traditionsbewusstsein stärken«481. Trotz mancher Zweifel innerhalb des Heeres,482 die mehrheitlich aus den Reihen jüngerer Soldaten kamen, die selbst nicht mehr in der Wehrmacht gekämpft hatten und für die ein solches Denkmal weniger ein würdiges Gedenken denn ein »falsches Pathos«483 zum Ausdruck brachte, verfocht Schnez vehement dieses Projekt. Mit all seinem Einfluss und seiner Kraft setzte er es innerhalb des Heeres durch. Gegenüber dem später gegründeten Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres zeigte er sich sehr nachgiebig und war zu Zugeständnissen bereit. Jenseits der Tatsache, dass die Positionen des Inspekteurs des Heeres und des Kuratoriums wohl nicht allzu weit auseinandergelegen haben dürften, handelte er sich damit den Vorwurf ein, er wolle sich noch unbedingt vor Ablauf seiner Dienstzeit selbst ein Denkmal schaffen.484 Inzwischen war der RdS unter seinem Präsidenten Westphal treibende Kraft in der Ehrenmal-Angelegenheit. Auf Westphals Initiative und Einladung hin wurde am 17.  Oktober 1969 in Bonn das Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres gegründet. Auf der Gründungsversammlung waren u.a. anwesend: Matzky (VdS), Westphal (RdS), General Eugen Bleyer (Kyffhäuserbund), Major Walther-Peer Fellgiebel (Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger) und Oberleutnant d.R. Claus von Lucke (FüH). Das Kuratorium erhielt die Rechtsform eines Vereins, Präsident 477 478 479 480 481 482

483 484

Vgl. Albert Schnez, Gedanken zur Verbesserung der Inneren Ordnung des Heeres, Juni 1969, C, III, 22, BArch, BH 1/1686. Ebd., D, III, 62a. Ebd., D, IV, 81 Ebd., D, III, 67, b, 5, c. Ebd., D, III, 62c. Vgl. FüH I 3, Vermerk für Herrn Inspekteur des Heeres, 20.1.1971, BArch, BH 1/3883. Im Zu­ sammenhang mit der Frage nach einer möglichen Sammlung für ein Ehrenmal innerhalb des Heeres verfasste Claus Freiherr von Rosen die folgende Stellungnahme für den Inspekteur des Heeres, in der er diese Zweifel andeutete: »Bevor zu einer Sammlung innerhalb des Heeres aufgerufen wird, sollten wir uns eine gewisse Einflussnahme auf die Gestaltung sichern [...] Sollte das Kuratorium jedoch auf seinem vorgeschlagenen Entwurf bestehen, sehe ich Schwierigkeiten, die Ausführung des Ehremals innerhalb des Heeres zu vertreten. Da InspH einer der Schirmherren des Kuratoriums ist, müssten wir m.A. unseren Einfluss auf die Gestaltung geltend machen können.« Ebd. Vgl. Gäntgen, Bundeswehrsoldaten zweifeln am Sinn eines neuen Denkmals für die Gefallenen. In: Rundschau am Sonntag, 8.8.1971; Im tiefen Graben. In: Der Spiegel, 3.9.1972. Vgl. Gäntgen, Bundeswehrsoldaten zweifeln am Sinn eines neuen Denkmals für die Gefallenen. In: Rundschau am Sonntag, 8.8.1971.



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wurde Westphal. Die personellen Überschneidungen zwischen dem Kuratorium und den Dachverbänden der Traditionsvereine des Heeres waren augenfällig. Darüber hinaus schloss sich das Kuratorium mit VdS und RdS zu einer Bürogemeinschaft zusammen.485 Verkürzt ließe sich aufgrund dieser engen Verbindungen daher sagen, dass das Kuratorium im Wesentlichen aus den beiden Dachverbänden besteht. Am 29. Oktober 1970, ein Jahr nach Gründung des Kuratoriums, beschloss die Mitgliederversammlung die endgültige Vereinssatzung. Als primären Zweck des Kuratoriums definierte man die »Errichtung und Unterhaltung eines Ehrenmals zur Erinnerung an die Opfer und Leistungen des deutschen Heeres in den beiden Weltkriegen 1914/1918 und 1939/1945«.486 Zugleich traf man Vorbereitungen für die Errichtung des Monuments. Am 27. Januar 1970 führte William Speck, Justiz-Amtmann a.D. und Geschäftsführender Vor­sitzender des Kuratoriums, ein Gespräch mit Georg Fischbacher, Leiter der Planungsabteilung des VDK. Speck wollte sich über Erfahrungen mit der Ge­fal­lenen­ ehrung sowie dem Bau von Monumenten und Gedenkstätten austauschen. Etwa zur selben Zeit, Ende Februar 1970, nahm das Kuratorium Kontakt zu Architekten und Künstlern auf, um Vorschläge für das Ehrenmal zu sammeln.487 Unter den Künstlern war auch der Münchener Bildhauer Hans Wimmer. Er würde das Monument schließlich gestalten. Für Wimmer sprach: Er war Träger des Ordens »Pour le mérite« und er hatte bereits Entwürfe für einige Kriegerdenkmäler ausgearbeitet. Am 7. April traf sich Speck auch mit Werner Bornheim, Landeskonservator und Leiter des Landesamts Rheinland-Pfalz für Denkmalpflege. In diesem Gespräch erteilte das Land Rheinland-Pfalz seine endgültige Zustimmung zu den Plänen des Kuratoriums.488 Durch die Initiative von Schnez war die Bundeswehr nun doch und entgegen der zuvor vertretenen Auffassung aktiv und direkt an den Ehrenmalplänen beteiligt. Vor allem durch die Tatsache, dass Schnez gemeinsam mit Manstein die Schirmherrschaft für das Kuratorium übernahm, trat das Heer nun dauerhaft in Verbindung mit diesem Monument in Erscheinung. Satzungsgemäß ging die Schirmherrschaft automatisch auf den jeweiligen Heeresinspekteur über. So wurde ein Vertreter des Heeres der Bundeswehr Mitglied im Präsidium des Kuratoriums und nahm an den

485

486

487 488

Vgl. Niederschrift über die Gründung des »Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres«, BArch, BH 1/3883; Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres, Protokoll über die Mitgliederversamm­ lung des Kuratoriums Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V. am 24.9.1980, 20.10.1980, BArch, BH 1/3883. Satzung des Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V., 29.10.1970, BArch, BH 1/3883. Ursprünglich beschloss das Kuratorium die Satzung bereits auf seiner Gründungsversammlung. Allerdings musste Westphal – damit das Finanzamt die Gemeinnützigkeit des Kuratoriums anerkannte – Änderungen vornehmen, welche die Mitgliederversammlung am 29. Oktober 1970 als neue Satzung annahm. Vgl. Schreiben Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V. an alle Mitglieder, 11.4.1970, BArch, BH 1/3883. Vgl. Schreiben Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V. an Professor Hans Wimmer, 23.2.1970, DKA, NL Wimmer, Hans, I, C. Vgl. ebd.; Kuhl, Hans Wimmer; Schreiben Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V. an alle Mitglieder, 11.4.1970, BArch, BH 1/3883.

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Präsidialsitzungen teil.489 Dominiert wurde das Kuratorium aber so gut wie ausschließlich von den Dachverbänden der Traditionsvereine VdS und RdS.490 Der geringe Einfluss der Bundeswehr zeigte sich vor allem in der Gestaltung des Ehrenmals. Zwar gab es im FüH Einzelmeinungen wie die von Oberst i.G. Alexander Frevert-Niedermein, der ein Monument favorisierte, das in seiner Formgebung nicht zu schlicht sein dürfe, um den »Opfergang«491 des Heeres der Wehrmacht würdig abbilden zu können. Doch mehrheitlich tendierte die Meinung im FüH seit 1967 zu einer Gedenkstätte, die aus einem schlichten Stein bestand. Diese wenig pathetische Form der Gestaltung war für die meisten im FüH die Bedingung für eine Beteiligung der Bundeswehr an dem Projekt.492 Das Kuratorium hatte jedoch andere Pläne. Es forderte eine Gedenkstätte, die dem »selbstlosen Opfer der fast 6 Millionen gefallenen deutschen Soldaten«493 des Heeres während der Weltkriege würdig sei. Das Kuratorium wollte daher etwas Größeres, Beeindruckenderes. Ihm schwebte ein Monument vor, das der Größe und der Bedeutung der Teilstreitkraft Heer entsprach und sich nicht vor den Ehrenmalen von Marine und Luftwaffe verstecken musste. Der Vorschlag Wimmers, der am 31. Juli 1970 den Mitgliedern des Kuratoriums vorgestellt wurde494, erschien dem Gremium als »wirkungsvolles und würdiges Ehrenmal für die gefallenen Soldaten des deutschen Heeres«495. Der Entwurf sah ein neun Meter hohes, in Basalt gehauenes Kreuz mit kurzem Querbalken vor. Dort, wo sich Längs- und Querbalken schnitten, sollte ein Eisernes Kreuz in den Stein getrieben werden. Der Plan erwies sich jedoch als nicht realisierbar, denn Wimmer konnte entsprechende Basaltblöcke, wie sie für seine Idee benötigt wurden, nicht beschaffen.496 Am 14. September 1970 teilte Wimmer dem 489

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Vgl. Schreiben Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V., General der Kavallerie a.D. Westphal, an den BM der Verteidigung Helmut Schmidt, 23.11.1970, BArch, BH 1/3883; Satzung des Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V., 29.10.1970, §  1,3, BArch, BH  1/3883; Das Ehrenmal des Deutschen Heeres, (letzter Zugriff 6.9.2021); auch: Satzung Kuratorium Ehren­mal des Deutschen Heeres e.V., 13.5.1993, (letzter Zugriff 6.9.2021); Niederschrift über die Gründung des »Kuratorium Ehren­mal des Deutschen Heeres«, BArch, BH 1/3883. Das Kuratorium bildete mit dem VdS und dem RdS eine Bürogemeinschaft. Vgl. Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V., Protokoll über die Mitgliederversammlung des Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres am 2. Oktober 1981, 29.3.1982, BArch, BH 1/3883. Vgl. Generalleutnant Hermann Hölter, Notiz über Besprechung mit Herrn Oberst i.G. FrevertNiede­rmein, FüH I 3, BMVg, am 19.4.1968 über Errichtung eines Ehrenmals des Heeres, BArch, BH 1/3883. Vgl. Schreiben des Inspekteurs des Heeres, Generalleutnant Josef Moll, an den Vorsitzenden des VdS, Generalleutnant a.D. Matzky, 5.1.1967, BArch, BH 1/3883. Schreiben von William Speck an Professor Hans Wimmer, 1.5.1970, DKA, NL Wimmer, Hans, I, C. Vgl. Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V. an alle Mitglieder, 31.7.1970, DKA, NL Wimmer, Hans, I, C. Vgl. Schreiben Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V., General der Kavallerie a.D. West­phal, an Hans Wimmer, 13.8.1970, DKA, NL Wimmer, Hans, I, C. Vgl. Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V. an alle Mitglieder, 31.7.1970, DKA, NL Wimmer, Hans, I, C; Schreiben Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V. an alle Mit­glie­ der, 12.10.1970, DKA, NL Wimmer, Hans, I, C.



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Kuratorium schließlich mit: »Das Kreuz müssen wir also begraben [...] Wir haben aber eine Lösung gefunden, die sich verwirklichen lässt.«497 Im Austausch mit dem Kuratorium entwickelte Wimmer noch im September den schließlich auf der Festung Ehrenbreitstein umgesetzten Entwurf: In einer Nische, die in die Mauer der Feste geschlagen ist, ruht unter dem Zeichen des Eisernen Kreuzes die Bronzefigur eines toten Soldaten.498 Die Annahme dieses Entwurfs durch das Kuratorium mag ein Beispiel dafür sein, wie gering der Einfluss der Heeresführung der Bundeswehr in ihrer Gesamtheit, die sich ja auf einen schlichten Stein verständigt hatte, auf Entscheidungen des Kuratoriums tatsächlich häufig war. Sie zeigt jedoch das Gewicht einzelner Repräsentanten wie beispielsweise das von Schnez. Denn mit seinem Verständnis von Tradition und seiner Vorliebe für starke soldatische Symbole ist davon auszugehen, dass er nicht allzu weit entfernt von den Vorstellungen des Kuratoriums war. Auch bezüglich der Inschrift gab es unterschiedliche Meinungen. Die frühen Vorschläge des Kuratoriums, das an die »Opfer und Leistungen des deutschen Heeres in beiden Weltkriegen«499 erinnern wollte, stellten noch den Opfergedanken im Sinne von sacrificium in den Vordergrund. Westphal schlug daher folgende In­ schrift vor: »Dem Andenken der 5,7 Millionen gefallenen Soldaten des Heeres, die in 2 Weltkriegen ihr Leben für Deutschland opferten. Ihre Mahnung: Erhalte den Frieden.« Am 18. September 1970 schrieb er an Wimmer: »Nur durch diese Inschrift können auch künftige Geschlechter erkennen, was das Ehrenmal symbolisieren soll.«500 Die Betonung des Opfergedankens gefiel nicht jedem in der Bundeswehr. Besonders seit den späten 1960er-Jahren und seit mit Helmut Schmidt ein sozialdemokratischer Verteidigungsminister im Amt war, entsprach dieser Opfergedanke auch in der Armee kaum mehr dem Zeitgeist. Ein Gedenken, welches das heroische soldatische Opfer in den Vordergrund stellte, war in der deutschen Gesellschaft da auch längst nicht mehr konsensfähig. Daher stellte Westphal Schmidt am 23. November 1970 eine überarbeitete Version der Inschrift vor.501 Sie nannte nun die Jahreszahlen der beiden Kriege, verzichtete auf den Begriff des Opfers und lautet: »Ehre dem Andenken der über fünf Millionen Soldaten des Heeres, die in zwei Weltkriegen für Deutschland starben. Ihre Mahnung: Frieden.«502 Ein weiterer, inhaltlich ähnlicher Entwurf trug überdies als Zugeständnis an die politische Verfasstheit der Bundesrepublik den Zusatz: »In Einigkeit und Recht und Freiheit«503. 497 498 499 500 501

502 503

Schreiben Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V. an alle Mitglieder, 12.10.1970, DKA, NL Wimmer, Hans, I, C. Vgl. ebd. Für eine genauere Beschreibung und Interpretation siehe Kap. VII.3.b. Vgl. Schreiben Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V. an Professor Hans Wimmer, 23.2.1970, DKA, NL Wimmer, Hans, I, C. Schreiben Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V. an Professor Hans Wimmer, 18.9.1970, DKA, NL Wimmer, Hans, I, C. Vgl. Kaiser, Von Helden und Opfern, S.  211; Schreiben Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V., General der Kavallerie a.D. Westphal, an den BM der Verteidigung Helmut Schmidt, 23.11.1970, BArch, BH 1/3883. Schreiben Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V., General der Kavallerie a.D. Westphal, an den BM der Verteidigung Helmut Schmidt, 23.11.1970, BArch, BH 1/3883. Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V., Rundschreiben Nr. 1/1971, 16.2.1971, BArch, BH 1/3883.

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Nicht nur weil das Ehrenmal öffentlichen Raum besetzte, sondern auch weil das Kuratorium – ähnlich wie zuvor die Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal – sein Vorhaben durch Spenden finanzieren wollte, war eine Anpassung an den Zeitgeist unabdingbar. Zwar stammten die Spender hauptsächlich aus »soldatisch interessierten Kreisen«504 und Traditionsverbänden, deren Mitglieder kleine Beträge spendeten. Aber es gab auch Förderer wie den DBwV, die in der Öffentlichkeit standen und ihr Engagement entsprechend rechtfertigen mussten. So veröffentlichte der DBwV in seinem Organ Die Bundeswehr Spendenaufrufe für das geplante Ehrenmal des Heeres. Der Inspekteur des Heeres Schnez initiierte zwischen Februar und Juni 1971 unter seinen Soldaten eine Spendenaktion. Neben den Geldern der Veteranenverbände trug Schnez mit seinen Sammlungen innerhalb der Bundeswehr dazu bei, einen erheblichen Teil der für das Vorhaben benötigten Summe von 500 000 DM aufzubringen. Das Land Rheinland-Pfalz unterstützte das Projekt mit 15 000 DM.505 Am 29. Oktober 1972 wurde das Ehrenmal auf der Festung Ehrenbreitstein feierlich in Zusammenarbeit mit dem Heer der Bundeswehr und in Anwesenheit von Verteidigungsminister Leber und Generalinspekteur Admiral Armin Zimmermann eingeweiht.506 Nun war die Hauptaufgabe des Kuratoriums Ehrenmal des Deutschen Heeres erledigt. Für den Verein blieben jetzt vor allem die Instandhaltung und die Organisation der periodisch wiederkehrenden Zeremonien und Feierstunden wie der Kranzniederlegungen am Volkstrauertag und ab 1974 auch am Stiftungstag des Eisernen Kreuzes. Eine andere Aufgabe war die weitere Ausgestaltung des Ehrenmals. So wurden die Inschrift und das Eiserne Kreuz optisch präsenter gestaltet. Später versah man die Nische des Ehrenmals mit einem bronzenen Eichenkranz und mit Halterungen für Ehrenkränze anlässlich von Gedenkveranstaltungen.507 Das Kuratorium arbeitete auch an der Herausgabe einer Broschüre über das Ehrenmal, die laut Beschluss der Mitgliederversammlung vom 2. Oktober 1981 anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Gedenkstätte neu aufgelegt werden sollte. Daneben widmete sich das Gremium der Öffentlichkeitsarbeit, um das Ehrenmal 504 505

506 507

Vgl. ebd. Vgl. Schreiben Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V., General der Kavallerie a.D. Westphal, an den BM der Verteidigung Helmut Schmidt, 23.11.1970, BArch, BH 1/3883; auch: FüH I 3, Vermerk für Herrn Inspekteur des Heeres, 20.1.1971, BArch, BH 1/3883; BMVg, InspH, Spendenaktion des Heeres für das geplante Ehrenmal des Deutschen Heeres, 19.2.1971, BArch, BH 1/3883; Schreiben InspH an den Kommandierenden General des I. Korps, Generalleutnant Hans Hinrichs, Betr.: Sammlung für das Ehrenmal des Deutschen Heeres, 19.2.1971, BArch, BH  1/3883; auch: Schreiben Oberst i.G. von Rosen im FüH I 3 an das Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V., 23.2.1971, BArch, BH  1/3883. Vgl. Schautafel: Das Ehrenmal des Deutschen Heeres, Privatarchiv Julia Nordmann. Die Autorin dankt Werner Hinrichs, Vorsitzender des Kuratoriums Ehrenmal des Deutschen Heeres, dass er ihr die Abbildungen und Texte der im Folgenden genannten Schautafeln zur Verfügung gestellt hat. Vgl. Schreiben InspH Generalleutnant Ernst Ferber an den Kommandierenden General des III. Korps, Herrn Generalleutnant Gerd Niepold, Mai 1972, BArch, BH 1/3883. Vgl. RdS, Mitteilung Nr. 4/74, 15.3.1974, BArch, BH 1/3883; Schreiben Professor Hans Wimmer an den Präsidenten des Kuratoriums Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V., General der Kaval­ lerie a.D. Westphal, 22.12.1972; Schreiben Präsident des Kuratoriums Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V., General der Kavallerie a.D. Westphal, an Professor Hans Wimmer, 14.1.1973, beide: DKA, NL Wimmer, Hans, I, C; Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V., Bericht über die Mitgliederversammlung des Kuratoriums am 2.12.1977, 19.12.1977, BArch, BH 1/3883.



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des Heeres breiteren Teilen der deutschen Bevölkerung bekannt zu machen und auf die enge Verbundenheit zwischen Wehrmachtveteranen und Bundeswehrsoldaten des Heeres hinzuweisen.508 Im Unterschied zur Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal besteht das Kuratorium bis heute fort. 1987 wählte die Mitgliederversammlung Eberhard Burandt, General­ leutnant a.D. der Bundeswehr, zum Präsidenten des Kuratoriums.509 Seitdem leiten ausschließlich Bundeswehrveteranen das Gremium. Die meisten von ihnen dienten zuvor in der Führungsebene des Heeres: Burandt war stellvertretender Inspekteur, genauso wie seine Nachfolger Generalleutnant  a.D. Harald Schulz510 und der seit 2017 amtierende Präsident Generalleutnant a.D. Reinhard Kammerer. Mit General­ leutnant a.D. Hans-Otto Budde trat 2010 sogar ein ehemaliger Inspekteur des Heeres an die Spitze des Kuratoriums. Langfristig verschoben sich dadurch die Prioritäten und Schwerpunkte in der inhaltlichen Arbeit, denn nun rückten das Heer der Bundeswehr und seine Toten stärker in den Fokus.511 Nach der Jahrtausendwende beschloss man eine Aufgabenerweiterung des Gremiums mit dem Ziel, traditionelle soldatische Werte innerhalb einer militärischen Gedenkkultur auch einer neuen Generation vermitteln zu können. In dieser Zeit war Rüdiger Drews Präsident, Generalleutnant a.D. und zuvor Kommandeur des Heeres­ führungskommandos der Bundeswehr.512 Auf der Mitgliederversammlung vom 17. November 2005 stellten die Delegierten des Kuratoriums daher Überlegungen an, ihre Organisation in eine Art von übergeordneter Bildungsstätte zu überführen. Auf diese Weise wollte man die Jugend erreichen, von der man glaubte, dass »deren Erziehungs- und Bildungsdefizite sie von der soldatischen Welt so entfernt 508

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Vgl. Schreiben Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V. an Professor Hans Wimmer, 19.9.1972, DKA, NL Wimmer, Hans, I, C; Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V., Protokoll über die Mitgliederversammlung des Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres am 2. Ok­to­ber 1981, 29.3.1982, BArch, BH 1/3883. Vgl. Das Ehrenmal des Deutschen Heeres, (letzter Zugriff 6.9.2021); Präsidenten und Vorsitzende, (letzter Zugriff 6.9.2021). Burandt übte das Amt zwischen 1987 und 1995 aus. Sein Nachfolger Schulz stand zwischen 1995 und 2002 als Präsident an der Spitze des Kuratoriums. Vgl. ebd.; auch: Bradley [u.a.], Die Generale und Admirale der Bundeswehr 1955‑1997, Bd  1, S.  293. Kilian, Führungseliten, S.  420, verweist darauf, dass Schulz in den Rang eines Generalleutnants aufstieg. Soldaten dieses Dienstgrades übernehmen in der Regel leitende Funktionen innerhalb der Bundeswehr. Schulz’ Verwendung als Stellvertreter des Inspekteurs des Heeres geht indirekt aus dieser Angabe hervor. Vgl. Kecke, Großer Zapfenstreich für General Kammerer. In: Leipziger Volkszeitung, 25.6.2014. Budde war zwischen 2010 und 2017 Präsident des Kuratoriums; Präsidenten und Vorsitzende, (letzter Zugriff 6.9.2021); Kilian, Führungseliten, S. 495; Eberhard Burandt, Vermerk zum Fortbestehen des Kuratoriums Ehrenmal des Deutschen Heeres nach Abtreten der Traditionsverbände der Wehrmacht, 3.4.1992, BArch, B 497/2. Siehe Kap. VII.3.b. Drews stand von 1998 bis zu seiner Pensionierung 2002 an der Spitze des Heeresführungskom­ mandos der Bundeswehr. Anschließend war er von 2002 bis 2010 Präsident des Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres. Vgl. Poppe, Ausgewählte Kurzbiografien, Übersichten und Karten, S. 724; Bradley [u.a.], Die Generale und Admirale der Bundeswehr 1955‑1997, Bd 1, S. 407 f.; Prä­si­den­ten und Vorsitzende, (letzter Zugriff 6.9.2021).

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haben«513. Arbeitsschwerpunkt sollte dabei die soldatische Nachwuchsförderung für die Bundeswehr werden, »Erlebnispädagogik«514 eingeschlossen. Das Protokoll der Mitgliederversammlung des Kuratoriums von 2006 vermerkte dazu:

»[Der] Sachstand bietet keine Grundlage für eine tragfähige Zukunftsbasis für das Heer. Der Soldat mit seinen Tugenden wird zunehmend zum unbekannten Wesen mit einer nicht mehr nachvollziehbaren Geisteshaltung. Zusammen mit dem gesellschaftlichen Prozess der Individualisierung, der Schwächung der Verantwortungsbereitschaft, sozialem Disengagement gehen wichtige Grundlagen für den Entschluss zum Soldatenberuf verloren.«515

2009 stellte man einen Plan zur Umsetzung dieses Programms vor, das auch HansOtto Budde zur Begutachtung vorgelegt wurde, denn das Kuratorium plante weiterhin eine enge Zusammenarbeit mit der Bundeswehr. Das Programm sah ein »Zwei-Säulen-Konzept«516 für das neue Kuratorium vor, d.h.: von nun an betreute das Gremium zwei ganz unterschiedliche und voneinander getrennte Bereiche. Der eine Bereich – »Ehrenmal« genannt – umfasste die althergebrachten Aufgaben wie In­stand­haltung, Führungen sowie Zeremonien und Feiern am Ehrenmal. Darüber hinaus sollte eine Datenbank aufgebaut werden, welche die Gefallenen und Toten des Heeres der Bundeswehr sammelt, denn seit 1992 beteiligt sich Deutschland im Rahmen von UNO und NATO an militärischen Einsätzen im Ausland.517 Der andere Bereich – das »Forum« – war den pädagogischen Ambitionen des Kuratoriums gewidmet. Im Rahmen des Forums sollten Seminare abgehalten sowie militärgeschichtliche Exkursionen und militärische Übungen, angelehnt an die Soldatenausbildung der Bundeswehr, veranstaltet werden.518 Aus den Plänen des Forums wurde jedoch nichts. Weder kam es zu einer Erweiterung der Aufgaben noch zu einer Zusammenarbeit mit der Bundeswehr. Eine entsprechende Änderung der Satzung des Kuratoriums, die eine solche Aufgaben­ erweiterung widerspiegeln müsste, erfolgte bislang nicht.519 Zwischen 2014 und 2019 beschäftigte sich das Kuratorium mit den Themen »Erinnerungskultur« sowie »Geschichte des Ehrenmals« und ergänzte das Monument am 22. März 2019 um den sogenannten Raum der Information. Gegenwärtig bereitet sich das Kuratorium auf das 50. Jubiläum der Einweihung des Ehrenmals im Oktober 2022 vor. Geplant sind ein Festakt mit Symposium zum Thema militärische Gedenkkultur sowie eine Ausstellung über den Bildhauer Hans Wimmer.520 513 514 515 516 517 518 519 520

Ergebnisniederschrift über die ordentliche Mitgliederversammlung des Kuratoriums Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V. am 17. November 2005, BArch, B 497/7. Ebd. Ebd. Vgl. Schreiben Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V. an alle Mitglieder, Oktober 2009, BArch, B 497/5. Vgl. ebd.; auch: Entwurf: Das neue Kuratorium, 11.10.2009, BArch, B  497/5; BMVg, Die Bundeswehr im Einsatz, S. 66. Vgl. Entwurf: Das neue Kuratorium, 11.10.2009, BArch, B 497/5. Vgl. Satzung Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V., 13.5.1993, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. die E-Mails von Oberstleutnant a.D. Werner Hinrichs, Vorsitzender Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres, an die Autorin vom 2.3. und 6.3.2020.

IV. Opfer, Tod und Ehre: Soldatenbilder und Todesvorstellungen der Aufbaugeneration der Bundeswehr 1. Die Debatte um das Bild des Bundeswehrsoldaten Die Soldaten, mit denen die Bundesrepublik 1955 die Bundeswehr aufbaute, durchliefen ihre politische und militärische Sozialisation in drei grundverschiedenen politischen Systemen und ihren ebenso unterschiedlichen Armeen: in der Kaiserlichen Armee der Monarchie der Hohenzollern, in der Reichswehr der Weimarer Republik und in der Wehrmacht der NS-Diktatur. Diese Grundkonstellation barg erheblichen Sprengstoff, denn die Vorstellungen vom Wesen des Soldaten, seinen Werten, seinen Idealen und den Aufgaben seines Berufes waren so heterogen wie die politisch-ideologischen und die moralisch-ethischen Prägungen und Einstellungen der Männer der Aufbaugeneration.1 Von Anfang an entbrannte daher eine erbitterte und letztlich jahrzehntelange Kontroverse um die Deutungshoheit in Bezug auf die neue Armee. Man stritt um ihre Ausrichtung, um ihre Aufgaben und um die militärischen Traditionen, auf die sie sich beziehen sollte. Man stritt um das Berufsverständnis des Soldaten und seine gesellschaftliche Stellung, um Eidestreue und Gehorsamspflicht, um Heldentum, Kampf- und Opferbereitschaft. Und man stritt damit auch um das Bild des Sol­­da­tentodes.2 Im Wesentlichen und vereinfacht zusammengefasst lässt sich diese Aus­ein­an­ der­setzung anhand der beiden militärpolitischen Lager darstellen, die diesen Fun­ da­mentalkonflikt über die Ausrichtung der Bundeswehr von Anfang an dominierten: zum einen die eher Reformorientierten um Wolf Graf von Baudissin, die unter der Maxime »Innere Führung« eine deutlich demokratisierte Armee aufbauen wollten und den Soldaten als Staatsbürger in Uniform verstanden. Und zum anderen die mehr traditionalistisch Ausgerichteten um Heinz Karst, die eine Armee und einen Soldaten nach dem Vorbild der Wehrmacht schaffen wollten – nur ohne Nationalsozialismus und Hitler. In der Praxis verloren diese beiden Positionen aber oft an Trennschärfe, verwischten oder gingen sogar ineinander über. Eine ausschließliche Zuordnung zu einem der beiden Lager, wie es die häufig verwendeten Begriffe »Reformer« und »Traditionalisten« suggerieren, ist daher vielfach kaum möglich.

1 2

Vgl. Pauli, Wehrmachtsoffiziere in der Bundeswehr; Wette, Militarismus in Deutschland, S. 222. Vgl. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd 5, S. 18, der von einem Kampf spricht.

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IV. Opfer, Tod und Ehre

Konstatieren lässt sich jedoch oftmals eine unterschiedlich ausgeprägte inhaltliche Nähe bzw. Ferne zu einem der beiden Lager.3 Viele Historiker allerdings sehen in Baudissin gewissermaßen eine Art Prototyp des Reformers. Er trat im Mai 1951 als Leiter des Referats Innere Führung ins Amt Blank ein. Im Gegensatz zu vielen seiner Mitstreiter forderte er beharrlich eine umfassende Militärreform, deren Ziel der Staatsbürger in Uniform sein sollte. Dieses Ideal vertrat er so uneingeschränkt und ausschließlich, wie es im Lager der Reformer, die ansonsten durchaus unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte setzten, wohl kein Zweiter tat.4 Auch bei den Traditionalisten herrschte keineswegs Einigkeit über die Ausrichtung und die Inhalte der neuen Armee. Ebenso wenig war ihr Bild oder waren ihre Bilder des Soldaten hermetisch abgegrenzt von entsprechenden Vorstellungen der Reformer. Am Beispiel von Heinz Karst, Major und später Protagonist der sogenannten Traditionalisten, lassen sich die oft fließenden Grenzen zwischen den Positionen von Reformern und Traditionalisten verdeutlichen. Im November 1955 nahm Karst seinen Dienst als Stellvertreter Baudissins im Referat Innere Führung auf. Zusammen mit Ulrich de Maizière und Johann Adolf Graf von Kielmansegg erarbeitete er maßgeblich die Konzeption der Inneren Führung und das Leitbild des »Staatsbürgers in Uniform«. Damit vertrat Karst anfänglich reformerische Positionen, die sich von seinem später deutlich traditionalistisch formulierten Soldatenbild durchaus abgrenzten. Tatsächlich deuteten sich bald Differenzen zu Baudissin an, die zunehmend gravierender und schließlich unüberbrückbar wurden.5 So propagierte Karst in einem Vortrag mit dem Titel »Aufgaben und Aufbau der Inneren Führung in der Bundeswehr«, den er im Juli 1956 hielt, die militärische Erziehung zum »tapferen, harten [...] Kämpfer«, der seine Motivation nicht, wie es das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform vorsah, aus dem eigenen Erleben von Freiheit bezog, sondern aus »voller Hingabe an die Pflicht«6. Zwei Jahre später stellte sich Karst grundsätzlich gegen den Staatsbürger in Uniform und dessen Bindung an demokratische, rechtsstaatliche und freiheitliche Werte. In seinem Aufsatz »Tradition im Atomzeitalter« vom Frühjahr 1958 bezweifelte er, dass Soldaten unter den Belastungen einer nuklearen Auseinandersetzung den dafür nötigen moralischen Rückhalt aus den »unabdingbaren Prinzipien eines staatsbürgerlichen Daseins«7 beziehen könnten. 1964 – Karst war inzwischen General und Beauftragter für das Erziehungs- und Bildungswesen der Bundeswehr  – hatte er sich von den Prinzipien der Inneren Führung endgültig abgewendet. In seiner Publikation Das Bild des Soldaten schrieb er 3 4

5 6 7

Vgl. Rink, Die Bundeswehr 1950/55‑1989, S. 86‑92; BMVg, Handbuch Innere Führung (1957); Bald, Die Bundeswehr, S. 64 f.; Nägler, Der gewollte Soldat, S. 25 f. Vgl. beispielsweise Kutz, Militär und Gesellschaft, S. 283; ebenfalls: Bald, Graf Baudissin, S. 24; Krüger/Wiese, Zwischen Militärreform und Wehrpropaganda, S. 102; Schlaffer, Die Innere Füh­ rung, S. 139. Vgl. Bradley [u.a.], Die Generale und Admirale der Bundeswehr 1955‑1999, Bd  2.2, S.  582; Schlaffer, Die Innere Führung, S. 139; Nägler, Der gewollte Soldat, S. 125‑133. Zit. bei: Nägler, Der gewollte Soldat, S. 129. Karst, Tradition im Atomzeitalter, S. 3; Nägler, Der gewollte Soldat, S. 131.



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nun, Freiheit und Demokratie seien »keine letzten Werte«8. Und als Baudissin 1967 in den Ruhestand gegangen war, distanzierte sich Karst auch ganz offen von dem Reformkonzept und wurde zu einem der profiliertesten Kritiker der Inneren Führung und zur vielleicht wichtigsten Stimme der Traditionalisten in der Bundeswehr.9 Generalleutnant Hans Röttiger, erster Inspekteur des Heeres der Bundeswehr, griff unmittelbar nach seinem Amtsantritt im September 1956 den wohl zentralen Gedanken des »Staatsbürgers in Uniform« auf, der das Gewissen des Soldaten zur letzten Entscheidungsinstanz erklärt und über den blinden Gehorsam erhebt.10 Röttiger sah die geplante atomare Aufrüstung der Bundeswehr kritisch. Öffentlich gab er sogar Gedankenspielen über eine »Atomdienstverweigerung« Raum. In diesem Zusammenhang forderte er einen »seiner Verantwortung bewusste[n] Soldaten«, der angesichts der atomaren Vernichtungskraft auch bereit sei, Befehle als »unsittlich« abzulehnen. Er jedenfalls wollte auch in seiner Funktion als Inspekteur des Heeres keinem seiner Führungssoldaten zumuten, den Einsatz von Atomwaffen vertreten zu müssen.11 Jenseits der atomaren Bedrohung, im Bereich konventioneller Waffen, präferierte Röttiger allerdings durchaus den unbedingt gehorsamstreuen Bundeswehrsoldaten: »Allen Widerständen zum Trotz werden wir die Panzertruppe im alten Geist wieder gestalten.«12 Auch Heeresinspekteur Schnez wurde vor allem wegen seiner militärpolitischen Studien, in denen er ein Gegenmodell zum Staatsbürger in Uniform entwarf, als Traditionalist wahrgenommen. In seinen Überlegungen zum »Heer der 70er Jahre« (1969) äußerte er, wie der Militärhistoriker Florian Reichenberger zeigt, durchaus andere, mehr reformorientierte Positionen und betonte dabei auch die Bedeutung soldatischer Gewissensentscheidung.13 Insgesamt vertrat die überwiegende Mehrheit der Offiziere der Aufbaugeneration der Bundeswehr eher traditionalistische Positionen. Diese Offiziere bewegten sich, wie der Historiker Klaus Naumann feststellt, auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in alten Bahnen, blieben also grundsätzlich den alten Denkmustern von vor 1945 verhaftet.14 Nur eine Minderheit von Offizieren der Aufbaugeneration hingegen forderte ein neues, anderes Soldatenbild für die Bundeswehr ein: den Staatsbürger in Uniform. Wer neben Baudissin und wohl auch Kielmansegg zu diesen deutlich Reformorientierten zählt, ist kaum eindeutig zu klären. Insbesondere im Hinblick auf einige »Väter der Bundeswehr« wie Adolf Heusinger, Hans Speidel oder Ulrich 8 9 10 11 12 13

14

Karst, Das Bild des Soldaten, S. 44. Vgl. Bald, Graf Baudissin, S. 28; Simon, Die Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft, S. 41; Grasheys Nachbrenner. In: Der Spiegel, 5.5.1969; Wette, Die Wehrmacht, S. 260. Vgl. Kilian, Führungseliten, S. 296 f.; Lingen, Von der Freiheit der Gewissensentscheidung, S. 403. Vgl. Röttiger, »Umrüstung und Atomdienstverweigerung!«, S. 517; Lingen, Von der Freiheit der Gewissensentscheidung, S. 404. Zit. bei: Libero, Tradition in Zeiten der Transformation, S. 83. Vgl. Reichenberger, Der gedachte Krieg, S. 321; FüH, InspH, Gedanken zur Inneren Führung, Mai 1969, ACDP, 01-483-110/1; Albert Schnez, Gedanken zur Verbesserung der Inneren Ordnung des Heeres, Juni 1969, C, III, 22, D, III, 62/a, BArch, BH 1/1686. Vgl. Zimmermann, Zwischen Reformern und Traditionalisten?, S. 299; Naumann, Generale in der Demokratie; Kutz, Die verspätete Armee, S. 68.

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de Maizière gehen die Auffassungen auseinander und eine abschließende Bewertung fällt schwer.15 In den Augen vieler reformferner, restaurativ eingestellter Offiziere galt neben Baudissin daher vor allem auch Kielmansegg als politisch und militärisch »unzuverlässig«. Kriterium für diese Beurteilung war neben dem Eintreten für den Staatsbürger in Uniform auch die Bewertung der soldatischen Loyalität zu Zeiten der Wehrmacht. Bei Kielmansegg zog man diese in Zweifel, weil er im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 von der Gestapo zwischenzeitlich festgenommen wurde.16 Baudissin und Kielmansegg landeten so als entschlossene Verfechter des »Staats­ bürgers in Uniform« auf der sogenannten Strafliste West, einem internen Index entschiedener Reformgegner für ihre Widersacher. Anfang der 1960er-Jahre gelang es den Reformgegnern dann, beide auf Spitzenpositionen der NATO »wegzuloben«. Auf diese Weise sollte zum einen ihre Einflussnahme auf die Truppe verhindert werden und zum anderen konnten sie bei der Allianz den geläuterten und demokratisierten deutschen Offizier repräsentieren, während die »Loyalen« in der Bundeswehr Karriere machten. Darunter war auch de Maizière, der bis ins höchste Amt der Bundeswehr – dem des Generalinspekteurs – aufstieg. De Maizière war allerdings ein Grenzfall, denn er wurde zugleich im Februar 1965 für seine Verdienste um die Innere Führung neben Baudissin und Kielmansegg mit dem Freiherr-vom-SteinPreis ausgezeichnet.17 Das Beispiel de Maizières verdeutlicht die Ambivalenz vieler Protagonisten der Aufbauphase der Bundeswehr. Und auch dezidiert reformorientierte Offiziere haben in bestimmten Situationen reformferne Positionen oder ein nahezu ungebrochenes soldatisches Traditionsverständnis vertreten. Vor allem Kielmansegg und de Maizière begriffen darüber hinaus die Innere Führung im Gegensatz zu Baudissin nicht als etwas Absolutes, sondern als Lernprozess: eine Entwicklung, in deren Verlauf sich das Militär nach und nach wandelt, von einem uneingeschränkt autoritären und auf bedingungslosem Gehorsam basierenden Apparat hin zu einer auch dem soldatischen Gewissen verpflichteten und von einem demokratischen Parlament kontrollierten Streitkraft.18 Die verschiedenen Auffassungen des Soldatischen unter den klar reformorientierten Offizieren der Aufbaugeneration finden nicht zuletzt ihre Ursachen in deren unterschiedlichen Kriegsbiografien. De Maizière z.B. fand bis zum Ende des Krieges Verwendung an der Ostfront bzw. im Generalstab im Oberkommando des Heeres 15

16 17 18

Vgl. Nägler, Der gewollte Soldat, S. 25 f. Detlef Bald rechnet beispielsweise neben Baudissin, den er als »Spiritus rector« der Militärreform identifiziert, die Generale Speidel, Heusinger, Kielmansegg und de Maizière zu den Reformern; Bald, Militär und Gesellschaft 1945‑1990, S. 74. Martin Kutz hingegen hebt jenseits von Baudissin besonders Kielmansegg und Speidel als Reformer hervor, während er Heusinger, de Maizière, Schnez, Grashey und Röttiger eher dem Lager der Traditionalisten zuordnet. Vgl. Kutz, Militär und Gesellschaft, S. 283. Vgl. Kutz, Die verspätete Armee, S. 77; Feldmeyer/Meyer, Johann Adolf Graf von Kielmansegg, S. 26‑33. Vgl. Kutz, Die verspätete Armee, S.  77; Zimmermann, Ulrich de Maizière, S.  326; Abenheim, Bundeswehr und Tradition, S. 154. Vgl. Schlaffer, Die Innere Führung, S. 139 f.



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(OKH).19 Der Abschied von alten soldatischen Vorstellungen fiel de Maizière daher offensichtlich deutlich schwerer als z.B. Baudissin, dessen Kriegsbiografie sich ganz anders gestaltete. Für Baudissin war der aktive Krieg bereits im Frühjahr 1941 mit seiner Gefangennahme durch die Briten zu Ende. Er wurde nach Dhurringile im südaustralischen Bundesstaat Victoria verbracht und erst 1947 entlassen. In diesen Jahren und fern von den Schlachtfeldern Europas war es ihm wohl möglich, sich bereits in der Kriegsgefangenschaft mit dem Bild, dem Verständnis und den Aufgaben des Soldaten, mit hierarchischen Strukturen und militärischen Funktionsprinzipien sowie mit ethisch-moralischen Grundsätzen kritisch zu beschäftigen.20 Auch persönliche Verbundenheit, Loyalität oder Freundschaft begründeten das oft widersprüchliche oder inkonsequente Verhalten von Führungsoffizieren der Aufbaugeneration zwischen den Polen Reform und Tradition. So zeigte der dem Flügel der Reformer zugeordnete Kielmansegg seine Sympathien für die traditionalistisch ausgerichteten Panzermänner der Wehrmacht, indem er 1961 an der Einweihung ihres Ehrenhains in Munster teilnahm. Die Panzermänner waren gewissermaßen alte Kameraden von Kielmansegg, der bis April 1945 selbst ein Panzergrenadier-Re­gi­ment führte.21 Ähnlich, wenn auch deutlich ausgeprägter, war diese Widersprüchlichkeit bei de Maizière. Seit seiner Ernennung zum Inspekteur des Heeres im Oktober 1964 intensivierten ehemalige Generale der Wehrmacht und Vertreter von Vetera­nen­ organisationen wie Siegfried Westphal, General der Kavallerie a.D. und Präsident des RdS, ihre Beziehungen zu de Maizière. Einerseits war dieser zwar bemüht, weiterhin öffentlich als Reformer wahrgenommen zu werden, und vertrat daher nach außen entsprechende Positionen. Andererseits wollte er jedoch von den Veteranen, die in gewisser Weise auch seine alten Heereskameraden waren, als einer der Ihren gesehen werden, ohne jedoch allzu sehr für deren Zwecke instrumentalisiert zu werden. Diese Art Opportunismus, die vermutlich auch einer Karriere in der Bundeswehr dienlich war, charakterisiert sein Biograf John Zimmermann als »teilweise virtuos ausbalanciertes Verhältnis zwischen Nähe und Distanz«22. Dieses Verhalten erklärt wohl auch seine Unterstützung des Totengedenkens von Wehrmachtveteranen im Rahmen der Bundeswehr.23 Auch Heusinger muss in diesem Rahmen betrachtet werden. Bis Ende der 1950erJahre war sein Eintreten für eine grundlegende Militärreform eher zögerlich. Häufig rekurrierte auch er auf traditionalistische soldatische Werte, die den Vorstellungen der Inneren Führung und des Staatsbürgers in Uniform widersprachen.24 19 20

21 22 23 24

Vgl. Kilian, Führungseliten, S. 347 f. Vgl. Simon, Die Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft, S. 73‑75; Nerger, Wolf Graf von Baudissin, S.  16; Rosen, Der Schöpfer der Führungsphilosophie, S.  14; Förster, Wolf Graf von Baudissin, S. 30‑32. Siehe Kap. VII.3.a. Vgl. Schmidt, Einweihung des Ehrenhains der Panzertruppenschule in Muns­ ter­lager, S. 36; Kilian, Führungseliten, S. 277. Zimmermann, Ulrich de Maizière, S. 284‑286, Zitat S. 286. Siehe Kap. III.2.b, VII.3.a. Vgl. Bald, Graf Baudissin, S. 43, 46; Heusinger, Die Bundeswehr und die alten Soldaten, S. 99, 102‑104.

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»Lasst uns festhalten an den alten Prinzipien, die wir noch gebrauchen werden«25, forderte Heusinger am 27. September 1958 vor Offizieren der Bundeswehr. Diesen Appell des ersten Generalinspekteurs der Bundeswehr nahm sein Publikum wohl sehr geneigt zur Kenntnis, da es sich überwiegend aus ehemaligen Soldaten der Reichs­wehr und der Wehrmacht rekrutierte. Insbesondere ab 1959 jedoch trat Heusinger vor allem bei Fragen des militärischen Erziehungs- und Bildungswesens für reformnahe Ideen ein.26 Etliche der Offiziere, die ab 1955 in der neuen westdeutschen Armee dienten, wollten nun den Bundeswehrsoldaten gemäß ihrer eigenen militärischen Sozialisation formen. Sie fühlten sich in ihren Absichten durch den Appell Heusingers ermuntert. Auch Verteidigungsminister Strauß, der ein Ende des »inneren Gewürges«27 forderte, wie er die Innere Führung nannte, und stattdessen den Geist der Wehrmacht als Vorbild für die Bundeswehr beschwor, schien hinter den Traditionalisten zu stehen – obwohl die Regierung Adenauer offiziell den Kurs der Reformer vertrat.28 Trotz der häufig geringen Trennschärfe zwischen den Positionen Reform und Tradition lassen sich doch auch klare Unterschiede zwischen beiden Lagern feststellen. Die deutlich traditionalistisch orientierten Kräfte – und das war ihr verbindendes Moment – lehnten die Innere Führung und die Idee einer Demokratisierung der Streitkräfte ab, da diese Konzepte dem militärischen Handwerk wenig dienlich seien. Denn sie würden zu einer »unsoldatischen Armee«29 führen, die im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung ihre kämpferischen Aufgaben nicht mehr erfüllen könne. Außerdem glaubten diese Kräfte, dass die neue Führungsphilosophie dem Soldatenberuf seine besondere Ehre rauben würde, indem sie diesen nicht mehr auf das Kämpfen und das Sterben ausrichte.30 Im Frühjahr 1969 spitzte sich die Auseinandersetzung zwischen den Kontrahenten zu. Während einer Ansprache an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg forderte Hellmut Grashey, Generalmajor und stellvertretender Inspekteur des Heeres, die Bundeswehr müsse endlich die »Maske«31 der Inneren Führung ablegen und zu alten soldatischen Werten im Sinne der Wehrmacht zurückkehren. Gegenüber den eher Reformorientierten befanden sich die klar traditionalistisch Ausgerichteten zwar in der Mehrheit,32 aber sie konnten sich langfristig nicht durchsetzen, obwohl sie die Bundeswehr intern durchaus und nachhaltig prägten. Im »Weißbuch« von 1970 »Zur Sicherheit der Bundesrepublik und zur Lage der Bundeswehr« schrieb Verteidigungsminister Schmidt die Reformkonzeption der 25 26 27 28 29 30 31 32

Zit. bei: Wette, Neue Form, alter Geist. In: Die Zeit, 18.3.1999. Vgl. Bald, Graf Baudissin, S. 46. Zit. bei: Bald/Klotz/Wette, Mythos Wehrmacht. Nachkriegsdebatten und Traditionspflege, S. 37. Vgl. Bald, Die Bundeswehr, S. 32‑35; Bald, Graf Baudissin, S. 48; Bald, Reform des Militärs in der Ära Adenauer, S. 214, 218. Ulrich, »Der deutsche Offizier stirbt ...«, S. 15. Explizit vertrat Karst diese Einstellung. Vgl. Gras­ heys Nachbrenner. In: Der Spiegel, 5.5.1969. Vgl. Bald, Graf Baudissin, S.  44; Ulrich, »Der deutsche Offizier stirbt ...«, S.  15; Pauli, Wehr­ machts­offiziere in der Bundeswehr, S. 128. Zit. bei: Wette, Militarismus in Deutschland, S. 224 f., Zitat S. 224. Vgl. Zimmermann, Zwischen Reformern und Traditionalisten?, S. 299.



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Inneren Führung und des Staatsbürgers in Uniform schließlich als »Wesenskern der Bundeswehr«33 fest.

2. Die Bedeutung der militärischen Sozialisation Die Gründe für den Streit zwischen den reform- und den traditionalistisch orientierten Führungskräften lagen auch in ihrer Heterogenität. Denn in ihrer erweiterten Aufstellungsphase, die von 1955 bis etwa 1970 dauerte, dienten Offiziere mit Geburtsjahrgängen ab 1889.34 Die vorliegende Arbeit legt den Schwerpunkt auf Führungsoffiziere der frühen Bundeswehr, die etwa bis 1918 geboren wurden. Vor allem sie prägten die militärischen Werte und Traditionen, die Bilder des Soldaten und seines Opfers im Rahmen der frühen Bundeswehr. Bis zum Jahr 1957 wurden 44  ehemalige Generale und Admirale der Wehrmacht für den Aufbau der Bundeswehr reaktiviert. Zwei Jahre später setzte sich das Offizierkorps aus 14 900 Berufssoldaten zusammen, 12 360 von ihnen hatten in der Wehrmacht gedient und 300 stammten aus dem Führerkorps der SS, die übrigen wurden in der Bundeswehr zu Offizieren ernannt.35 Die Militärhistoriker Bernhard R. Kroener, Georg Meyer und Frank Pauli belegen in entsprechenden Studien, wie die militärische Sozialisation sowie der von Dienstgrad und militärischer Verwendung abhängige Erfahrungshorizont grundsätzlich die spezifischen Verhaltens- und Denkweisen, die Werthaltungen und die politischen Einstellungen dieser Offiziere formten.36 Neben den gruppenspezifischen Einflüssen waren aber auch biografische Faktoren wie Brüche, Wendepunkte oder traumatische Erfahrungen bestimmend. Auf diese Bedeutung weist etwa der Historiker Klaus Naumann in seiner Studie »Generale in der Demokratie«37 hin. Der britische Historiker Alaric Searle erweitert die Perspektive. Seiner Meinung nach sollte die Wehrmachtgeneralität nicht nur im NS-Rahmen gesehen werden, der neben der Zeit von 1933 bis 1945 auch die Aufarbeitung der NS-Geschichte nach 1945 umfasst. Vielmehr sollte man diese Personengruppe auch im Zusammenhang mit der Wiederbewaffnungsdebatte untersuchen, die nach 1949 in der Bundesrepublik geführt wurde. Ein zentrales Konfliktfeld in dieser Auseinandersetzung war der Streit um militärische Reformen. Durch Betrachtung und Analyse der Nuancen in den unterschiedlichen Positionen, die einzelne Offiziere dabei vertreten haben, lassen sich für Searle zusätzliche Kriterien ableiten, mittels derer diese Wehrmachtveteranen präziser in die Gruppen der eher Reformorientierten bzw. Reformfernen eingeteilt werden können, wodurch sich ein differenzierteres Bild ergibt.38 33 34 35 36 37 38

BMVg, Weißbuch 1970, Nr. 152, S. 121. Militärische Aufbaugenerationen der Bundeswehr, S. 1, 16‑22. Vgl. Wette, Militarismus in Deutschland, S. 221; Pauli, Wehrmachtsoffiziere in der Bundeswehr, S. 145 f.; Bald, Alte Kameraden, S. 51. Vgl. Kroener, Generationserfahrungen und Elitenwandel, S. 228; Anfänge westdeutscher Sicher­ heitspolitik, Bd 3 (Beitrag Meyer); Pauli, Wehrmachtsoffiziere in der Bundeswehr. Vgl. Naumann, Generale in der Demokratie. Vgl. Searle, Nutzen und Grenzen der Selbstzeugnisse, S. 278, 289.

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Grundsätzlich kann in der Aufstellung der Bundeswehr, so der Militärhistoriker Detlef Bald, der »Eindruck der kollektiven Kontinuität einer soldatischen Welt«39 entstehen, die von der Kaiserzeit bis zur NS-Diktatur reichte. Gemeinsam war so gut wie allen Lebensläufen der Offiziere der Aufbaugeneration der Bundeswehr, dass sie durch die Teilnahme an einem oder zwei Weltkriegen gezeichnet und geprägt waren, durch existenzielle Brüche und schwere Vergangenheitsbelastungen, durch die Notwendigkeit von Neubeginn und Umdenken sowie die Auseinandersetzung mit einem potenziellen Atomkrieg.40 Ferner war allen das Anliegen gemeinsam, eine kampffähige Armee aufzubauen, welche die Bundesrepublik gegen einen möglichen Angriff der Sowjetunion verteidigen konnte. Die ältesten Soldaten der Aufbaugeneration der Bundeswehr dienten noch in der Kaiserlichen Armee. Adolf Heusinger (Jg. 1897), Josef Kammhuber (Jg. 1896), Hans Röttiger (Jg. 1896), Friedrich Ruge (Jg. 1894) oder Hans Speidel (Jg. 1897) gehörten dieser Generation an. Sie alle bekleideten hohe Ränge und Führungspositionen in der Bundeswehr, sei es als Generalinspekteur der Bundeswehr (Heusinger), als Inspekteure der Teilstreitkräfte (Kammhuber, Röttiger, Ruge) oder als General (Speidel). Die zweite Gruppe von Offizieren der Aufbaugeneration der Bundeswehr diente nicht mehr im Ersten Weltkrieg und war geprägt von der Reichswehr. Ihr gehörten hochrangige Offiziere und Funktionsträger der Bundeswehr an wie Wolf Graf von Baudissin (Jg. 1907), Friedrich Foertsch (Jg. 1900), Johann Adolf Graf von Kielmansegg (Jg. 1906), Ulrich de Maizière (Jg. 1912) und Albert Schnez (Jg. 1911) sowie Johannes Steinhoff (Jg. 1913), Werner Panitzki (Jg. 1911), KarlAdolf Zenker (Jg. 1907) und Alfred Zerbel (Jg. 1904).41 Zur dritten Gruppe der Offiziere der Aufbaugeneration der Bundeswehr gehörten jene, die ausschließlich in der Wehrmacht sozialisiert wurden. Zu ihnen zählen Hellmut Grashey (Jg. 1914), Heinz Karst (Jg. 1914), Günther Rall (Jg. 1918) oder Armin Zimmermann (Jg. 1917). Die große Mehrheit der Offiziere aus der Aufbaugeneration der Bundeswehr erfuhr dabei ihre militärische Sozialisation in Reichswehr und Wehrmacht.42 Daher wurden sie alle mit vollkommen anderen Soldatenbildern sozialisiert als in der Bun­des­wehr. Vor allem die militärische Sozialisation dieser Offiziere von Reichswehr und Wehr­macht, ihre militärischen Traditionen und ihr Bild des Soldaten sowie ihre Ein­stellungen zum Soldatentod sollen im Folgenden vorgestellt werden. Grundlage sind dabei Ordres, Dienstvorschriften, Pflichtenkataloge oder Erlasse der Vorgänger­ armeen der Bundeswehr, welche das militärische Selbstverständnis der Offiziere der Aufbaugeneration der Bundeswehr nachvollziehbar machen. Fundament soldatischer Wertbindung war für die in der Kaiserlichen Armee sozialisierten militärischen Führer die Offizierehre. Diese war an die Einleitungsordre 39 40 41 42

Bald, Alte Kameraden, S. 51. Vgl. Naumann, Generale in der Demokratie, S. 19. Vgl. Pauli, Wehrmachtsoffiziere in der Bundeswehr, S. 32; Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd 5, S. 305. Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik, Bd 3, S. 876 (Beitrag Meyer).



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von Wilhelm I. zur Ehrengerichtsverordnung vom 2. Mai 1874 angelehnt und behielt bis 1918 Gültigkeit: »Wahre Ehre kann ohne Treue bis in den Tod, ohne unerschütterlichen Mut, feste Entschlossenheit, selbstverleugnenden Gehorsam, lautere Wahrhaftigkeit [...] wie ohne aufopfernde Erfüllung selbst der anscheinend kleinsten Pflichten nicht bestehen. Sie verlangt, dass auch in dem äußeren Leben des Offiziers sich die Würde ausdrücke, die aus dem Bewusstsein hervorgeht, dem Stande anzugehören, dem die Verteidigung von Thron und Vaterland anvertraut ist.«43

Zwar wurde hier die Ehre des Soldaten mit einem potenziellen Opfer verbunden. Ein expliziter Aufopferungskult bzw. eine radikale Erziehung hin zum Tod war in der Kaiserlichen Armee jedoch noch nicht feststellbar. Neben ihrem Verständnis der Offizierehre basierte die soldatische Wertbindung dieser Offiziere auf den Kriegsartikeln, einer Vorform der Berufspflichten des deutschen Soldaten. Am 22. September 1902 erließ Kaiser Wilhelm II. diese Pflichtenlehre, die bis zum Ende des Ersten Weltkrieges Gültigkeit behielt und für jeden Soldaten verbindlich war.44 An dieser Stelle soll insbesondere der 2.  Artikel hervorgehoben werden, da er gewissermaßen die Quersumme all jener Tugenden bildete, die man von einem Soldaten der Kaiserlichen Armee erwartete: »Die unverbrüchliche Wahrung der im Fahneneide gelobten Treue ist die erste Pflicht des Soldaten. Nächstem erfordert der Beruf des Soldaten: Kriegsfertigkeit, Mut bei allen Dienstobliegenheiten, Tapferkeit im Kriege, Gehorsam gegen die Vorgesetzten, ehrenhafte Führung im und außer Dienst, gutes und redliches Verhalten gegen die Kameraden.«45

Artikel 6 erläutert die Pflicht der Treue. Sie »gebietet dem Soldaten, bei allen Vorfällen im Krieg und Frieden mit Aufbietung aller seiner Kräfte, selbst mit Aufopferung des Lebens, jede Gefahr von Seiner Majestät dem Kaiser, dem Landsherrn und dem Vaterlande abzuwenden«46. Daran knüpfte die Reichswehr an. Ihre Soldaten sollten im Geist der überlieferten Werte und Tugenden der preußischen und kaiserlichen Armee erzogen werden.47 Von überragender Bedeutung sei dabei das »heilige Vermächtnis einer großen Vergangenheit«48, betonte Hans von Seeckt, Generaloberst und Chef der Heeresleitung der Reichswehr, am 1. Januar 1921 in seinem Erlass »Grundlagen für die Erziehung des Heeres«. Seeckt war bestrebt, die Soldaten und Offiziere der Reichswehr nach diesen soldatischen Ehr- und Pflichtauffassungen zu erziehen. Und wohl vor allem als Reaktion auf die Meutereien in Heer und Marine 1918 stellte er neben dem Ehrenkodex 43 44

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Zit. bei: Hürter, Hitlers Heerführer, S. 61 f. Vgl. Schmidt, Die Kriegsartikel vom 22.  September 1902, S.  8; Berufspflichten des deutschen Sol­daten vom 2. März 1922. Abgedr. in: Heeresverordnungsblatt 1922, S. 141 f.; Schlott, Die Dis­ zi­pli­nars­trafordnung für das Heer, S. 113‑124. Schmidt, Die Kriegsartikel vom 22. September 1902, S. 9. Ebd., S. 30. Vgl. Meier-Welcker, Der Weg zum Offizier im Reichsheer der Weimarer Republik, S. 167; Breit, Das Staats- und Gesellschaftsbild deutscher Generale, S. 145. Reichswehrministerium, Chef der Heeresleitung, Grundlagen der Erziehung des Heeres (Erlaß des Generals v. Seeckt), 1.1.1921. Abgedr. in: Heeresverordnungsblatt, 30.12.1920, Nr. 79, S. 1041 f., hier S. 1041.

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auch unbedingten Gehorsam und unbedingte Treue in den Mittelpunkt seines soldatischen Pflichtenkataloges.49 Schon hier ließ sich eine Art Vorläufer des späteren Konzepts von Treue und Gehorsam der Wehrmacht erkennen. Für die Erziehung des Heeres postulierte Seeckt neben der soldatischen Ehre50 »Treue bis in den Tod, unerschütterlichen Mut, feste Entschlossenheit, selbstverleugnenden Gehorsam« sowie »aufopfernde Erfüllung« der Pflicht.51 Verbindlichen Charakter erhielt dieses Verständnis soldatischer Tugenden durch die »Berufspflichten des deutschen Soldaten«, die das Heeres-Verordnungsblatt 1922 proklamierte.52 In den späten 1920er-Jahren richtete sich die Reichswehr schleichend neu aus – offensiver, kampfbetonter  – und Fragen nach der Schlagkraft der Armee rückten in den Mittelpunkt. Dies schlug sich auch in einer Veränderung des soldatischen Selbstverständnisses nieder. Die Sprache wurde heroischer. Wieder war vom deutschen Heldentum die Rede, und die Gefallenen des Ersten Weltkrieges wurden zu strahlenden Vorbildern für die Reichswehrsoldaten stilisiert.53 Im Mai 1930 erschienen die »Berufspflichten des deutschen Soldaten« in einer revidierten Neufassung,54 die den sich verändernden Geist in der Reichswehr spiegelte. Zunehmend stellte sie den Dienst ihrer Soldaten in den Rahmen eines »abstrakt-etatistischen Aufopferungskult[s sic]«55. 1931 gab das Reichswehrministerium erstmals einen »Leitfaden für Erziehung und Unterricht«56 heraus. Darin wurden im Wesentlichen zwei Maximen vertreten: zum einen, dass der Staat eine höhere Wertigkeit besitze als der einzelne Soldat,57 und zum anderen, dass der höchste Sinn des Soldatseins im Opfer für diesen Staat bestehe:

»In der dauernden Bereitschaft zum Opfer des Lebens für das Vaterland liegt der Sinn des Soldatenberufs. Der Soldat tut den unmittelbarsten Dienst am Vaterland: er soll ihm im Kriege das Opfer des Lebens darbringen, er soll sich und seine Truppen im Frieden unablässig auf dieses Opfer vorbereiten. Darin liegt seine hohe sittliche Aufgabe.«58

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Vgl. Dietz, Das Primat der Politik, S. 284; Pauli, Wehrmachtsoffiziere in der Bundeswehr, S. 41. Die Gleichsetzung von Ehre und unbedingtem Gehorsam adaptiert vermeintlich die preußische Tradition. Steht in der preußischen Armee jedoch die Ehre – als ethisches Korrektiv – im Gegensatz zum unbedingten, blinden Gehorsam, werden in der Reichswehr Gehorsam und Ehre gleichgesetzt. Das bereitet den Boden für den »unmoralischen« Gehorsam vieler Wehrmachtsoldaten im »Dritten Reich«. Vgl. Dietz, Das Primat der Politik, S. 284 f. Reichswehrministerium, Chef der Heeresleitung, Grundlagen der Erziehung des Heeres (Erlaß des Generals v. Seeckt), 1.1.1921. Abgedr. in: Heeresverordnungsblatt, 30.12.1920, Nr. 79, S. 1041 f., hier S. 1041. Vgl. Berufspflichten des deutschen Soldaten vom 2. März 1922. In Artikel 2 definieren die Be­ rufs­pflichten die Ehre als höchstes Gut des Soldaten. Neben den preußischen Tugenden wie Mut, Tapferkeit, Kameradschaft und Gehorsam (Artikel 2) wird auch die Opferung des Lebens (Artikel 4) vom Soldaten verlangt. Vgl. Breit, Das Staats- und Gesellschaftsbild deutscher Generale, S. 152; Reichswehrministerium, Leitfaden für den Unterricht im Heere (1926), S. 6. Die Ausgabe von 1924 erklärt den Opfertod noch nicht zum Vorbild; ebd., S. 5. Vgl. Berufspflichten des deutschen Soldaten vom 9. Mai 1930. Abgedr. in: Heeresverordnungsblatt 1930, S. 75. Heinemann, Rechtsgeschichte der Reichswehr, S. 150. Reichswehrministerium, Leitfaden für Erziehung und Unterricht. Ebd., Teil A, S. 6. Ebd.



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Auf diese Weise nahm der Opfertod im Berufsverständnis des Soldaten seit den späten 1920er-Jahren eine zentrale Rolle ein, während andere soldatischen Werte in den Hintergrund rückten. Das Berufsethos des Soldaten bezog sich mehr und mehr auf den Tod als Wert sui generis. So wurde der Weg für ein Verständnis des Soldatenberufs geebnet, das in der Wehrmacht Ehre und Tod praktisch gleichsetzte. Wie keine andere Organisation des nationalsozialistischen Deutschlands war die Wehrmacht durch egalitäre und hierarchische Strukturen zugleich gekennzeichnet: die Volksgemeinschaft auf der einen Seite, der Befehlshaber auf der anderen. Diese Grundstruktur verdichtete sich im Leitbild des opferbereiten soldatischen Helden, der auf der einen Seite ein guter Kamerad und auf der anderen Seite ein charismatischer Führer sein sollte.59 Einen Eindruck dieses Soldatenbildes, das in der Wehrmacht vorherrschte, vermittelt die Schrift Der deutsche Soldat von Major Hermann Foertsch, Pressechef der Reichswehr, kurz bevor sie zur Wehrmacht wurde.60 In der Schrift von 1934 transportierte Foertsch ein Soldatenbild, in dem es vor allem um Opfer und Gehorsamspflicht ging, um Blut und Treue bis in den Tod. Stets war der Soldat bereit zum Waffengang, geprägt von kriegerischen Tugenden wie Kampfesmut, Pflichtgefühl, Kameradschaft und Disziplin.61 Vor allem aber musste der Soldat über eine Fähigkeit verfügen: das »Sterbenkönnen«62. In seinem 1935 veröffentlichten Leitfaden Der Offizier der deut­ schen Wehrmacht. Eine Pflichtenlehre propagierte Foertsch den Soldatentod als größtes Bekenntnis zum Staat: »Ein besonderes Kennzeichen höchster Pflichterfüllung ist die Treue. Der Soldat besiegelt seine Treue mit dem Tode. Das Opfer des Lebens ist ihr höchster Preis.«63 Und weiter: »Für Volk und Vaterland haben zu allen Zeiten 59 60

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Vgl. Reichel, Helden und Opfer, S. 167. Vgl. Foertsch, Der deutsche Soldat; Bradley [u.a.], Die Generale des Heeres 1921‑1945, Bd 4, S. 27. Foertsch, der in der Bundeswehr keine Verwendung fand, gehörte jener Expertengruppe an, die sich auf Initiative von Bundeskanzler Adenauer im Oktober 1950 im Kloster Himmerod in der Eifel zusammenfand, um über den Aufbau einer neuen Armee für die Bundesrepublik Deutschland zu beraten. Foertsch war Vorsitzender des Allgemeinen Ausschusses, der die ethischen Grundsätze für den neuen deutschen Soldaten sowie die Leitprinzipien für das »Innere Gefüge« der zukünftigen Streitkräfte in der Demokratie entwickeln sollte. Das ist bemerkenswert, denn ab 1934 arbeitete Foertsch aktiv an der ideologischen Anpassung der Reichswehr an die Weltanschauung und die Bedürfnisse des Führerstaates mit. In seinem Buch »Die Wehrmacht im nationalsozialistischen Staat« von 1935 ebnete er der Reichswehr den Weg in das NS-Regime und schnitt den Eid des »unbedingten Gehorsams« auf die Person Hitlers zu. Auch seine weiteren Publikationen thematisierten die geistige Verwandtschaft von Nationalsozialismus und Soldatentum. Auf der Himmeroder Tagung versuchte er sein Konzept des »Inneren Gefüges«, das er 1942 eigentlich für die Wehrmacht entwickelt hatte, auf die neu zu schaffende Bundeswehr zu übertragen. Erst die Drohung Baudissins, der Himmeroder Denkschrift seine Unterschrift zu verweigern, erzwang Zugeständnisse wie die Ergänzung, dass »ohne Anlehnung an die Formen der alten Wehrmacht heute grundlegend Neues zu schaffen« sei. Vgl. Rautenberg/Wiggershaus, Die »Himmeroder Denkschrift«, S.  151; Messerschmidt, Das Verhältnis von Wehrmacht und NS-Staat, S. 58 f.; Foertsch, Die Wehrmacht im nationalsozialistischen Staat; Bald, Die Bundeswehr, S. 32; Bald, Adenauers Geheimnis. In: Die Zeit, 2.6.2005. Vgl. Foertsch, Der deutsche Soldat, S. 6 f., 11, 19. Ebd., S. 19. Foertsch, Der Offizier der deutschen Wehrmacht, S,  27. In seinem Vortrag »Der Offizier«, den Kielmansegg während des Adjutantenlehrgangs der 6. Panzerdivision in Deutsch-Eylau Ende 1940 hielt, bezog er sich insbesondere im Zusammenhang mit der Ehre des Soldaten häufig und teilweise

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Offizier und Mann geblutet und ihr Leben geopfert. Nur aus Opfern wächst Großes. Auch dieses Opfer ist Pflicht.« So forderte Foertsch eine »Erziehung zum Kämpfer«, der »todtrotzend kämpft« und »lachend stirbt«.64 Foertsch war ein typischer Vertreter der Wehrmachtideologie, die radikal einer Erziehung hin zum Tod das Wort redete. Bereits vor Aufstellung der Wehrmacht am 16. März 1935 wurde diese Ideologie vorbereitet.65 Das beste Beispiel dafür mag das Paradigma sein, die Soldaten müssen »sterbefreudiger werden«,66 das Feldbischof Franz Dohrmann der künftigen Armee bei der Langemarck-Feier 1934 in Berlin auferlegte. Entscheidender geistiger Bezugspunkt für diese Sicht des Soldaten war der von Reichspräsident Paul von Hindenburg am 25.  Mai 1934 zusammengestellte Katalog »Die Pflichten des deutschen Soldaten«67, der in jedem Soldbuch klebte und bis 1945 in Kraft blieb. Für dieses Verzeichnis, das auf den preußisch-deutschen Soldatentugenden basierte, war Krieg »der entscheidende Schritt zur inneren Einigung und Stählung unseres Volkes«, »Inbegriff des ›Kampfes auf Leben oder Tod‹« und »folgerichtige und bestimmende Grundlage des soldatischen Denkens und der soldatischen Erziehung«68. Höchste Tugend des Soldaten war »der kämpferische Mut. Er fordert Härte und Entschlossenheit. Feigheit ist schimpflich, Zaudern unsoldatisch.«69 Ferner propagierte der Katalog eine soldatische Erziehung, die auf Befehl und unbedingtem Gehorsam beruhte.70 Ehre setzte er mit uneingeschränkter Opfer­ bereitschaft gleich: »Die Ehre des Soldaten liegt im bedingungslosen Einsatz seiner Person für Volk und Vaterland bis zur Opferung seines Lebens.«71 Vordergründig wurden alle Soldaten der Aufbaugeneration der Bundeswehr mit ähnlichen soldatischen Tugenden und militärischen Werten sozialisiert. Das gemeinsame Fundament waren die preußischen Tugenden wie Pflicht, Gehorsam, Treue und Opferbereitschaft.72

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wörtlich auf Foertsch. Kielmansegg schloss seine Ausführungen so: »Alles, was wir Offiziere tun, ob wir kämpfen, ausbilden oder erziehen, alles geht um ein Ziel. Das Ziel heißt Deutschland. Sein Führer ist Adolf Hitler. Wer ihm treu ist, lebt und stirbt für Deutschland.« Kielmansegg, Der Offizier. Vortrag während des Adjutantenlehrgangs der 6. Panzerdivision in Deutsch-Eylau, Winter 1940. Abgedr. in: Feldmeyer/Meyer, Johann Adolf Graf von Kielmansegg, S. 91‑100, Zitat S. 100. Foertsch, Der Offizier der deutschen Wehrmacht, S. 88, 93. Vgl. Foertsch, Der deutsche Soldat, S. 16‑21; Gesetz für den Aufbau der Wehrmacht vom 16. März 1935, Reichsgesetzblatt Teil I, 28/1935, 16.3.1935, S. 369‑375. Zit. bei: Schilling, Die »Helden der Wehrmacht«, S. 557. Diese Aufforderung stammt ursprünglich von dem preußischen Generalleutnant und Heeresreformer Gerhard von Scharnhorst. Vgl. Vermächtnis von Langemarck. In: Namslauer Stadtblatt, 14.11.1934. Vgl. Die Pflichten des deutschen Soldaten. Foertsch bezog sich auf diesen Katalog und nahm ihn als Ausgangspunkt seiner Pflichtenlehre. Vgl. Foertsch, Der Offizier der deutschen Wehrmacht, S. 17. Foertsch, Der Offizier der deutschen Wehrmacht, S. 3. Ebd., S. 14. Ebd., S. 16. Ebd., S. 10. Vgl. Horn, Die militärische Aufbaugeneration der Bundeswehr, S. 455.



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Auch die Wehrmacht reihte sich in diese Tradition ein. Allerdings setzte sie andere Akzente. Die preußischen Tugenden wurden aus ihrem größeren Wertzusammenhang herausgelöst und im Rahmen der Wehrmacht radikalisiert. Sie mündeten in das Leitbild des unbedingten Kämpfers, dessen höchstes Ideal der Opfertod war.73 In dieser Logik galt Opferbereitschaft als Ausweis des höchsten Soldatentums. Grundsätzlich, so der Militärhistoriker Sönke Neitzel, teilten die Wehrmachtsoldaten trotz aller sozialen und biografischen Unterschiede dasselbe militärische Werte­ system.74 Sie hatten es lediglich, je nachdem, ob sie nur in der Wehrmacht oder auch in den Vorgängerarmeen der Kaiserzeit und der Weimarer Republik geprägt wurden, mehr oder weniger verinnerlicht. Anfang der 1950er-Jahre waren vor allem zwei Kriege entscheidend für die Planungen des Aufbaus der Bundeswehr: Der zurückliegende Zweite Weltkrieg und der drohende Nuklearkrieg. Insbesondere Letzterer schwebte wie ein Damokles­ schwert über den Überlegungen der Offiziere der Aufbaugeneration. Für die eine Gruppe mussten sich aus diesem modifizierten Kriegsbild neue Maßstäbe für den militärischen Dienstbetrieb und das Wertesystem des Soldaten ergeben. Denn ein mit Atomwaffen geführter Krieg war nicht mehr mit den Kategorien und Maßstäben vergangener Kriege zu messen. Er käme einer Katastrophe biblischen Ausmaßes gleich und würde für Soldaten und Zivilisten gleichermaßen den Tod bedeuten. Insbesondere die Reformer zogen daraus den Schluss, dass die Bewährung des Soldaten nicht mehr länger im Kampf liegen könne. Das Diktum, dass die »höchste Soldatenehre« der »Tod auf dem Feld der Ehre«75 sei – wie es die Schrift »Wahrung der Ehre« formulierte, die zwischen 1934 (noch von der Reichswehr) und 1945 herausgegeben wurde – konnte für die Bundeswehr offiziell keine Gültigkeit mehr besitzen. Denn die Heroisierung und Verklärung des Todes auf dem Schlachtfeld hatten im sozialdarwinistischen Ausleseverständnis der Nationalsozialisten den Endpunkt jeglicher Sinnhaftigkeit erreicht. Das Gleiche gilt, wenn auch aus anderen Gründen, für einen nuklear geführten Krieg. Viele reformnahe Offiziere der Aufbaugeneration wollten die Bundeswehr daher nicht auf Heldentum und Todesverklärung ausrichten, sondern im Zeitalter eines potenziellen Atomkriegs ganz den militärischen Abschreckungscharakter der neuen Armee in den Vordergrund rücken – gemäß der späteren Devise von 1972: »Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen«.76 Für die andere Gruppe aber, und sie ist die deutlich größere, lag die Antwort auf die Aufgaben der Zukunft in den Werten und Tugenden der Vergangenheit. Diese Führungsoffiziere der Aufbaugeneration orientierten sich unmittelbar an der Wehrmacht, in deren Rahmen sie gedient und gekämpft hatten. Sie übernahmen nicht nur operative Vorstellungen für den militärischen Einsatz, Organisationsstrukturen und Ausbildungsziele, sondern auch das soldatische Berufsverständnis und den 73 74 75 76

Vgl. Hillgruber, Die »Endlösung«, S. 71 f. Vgl. Wette, Die Wehrmacht, S. 188; Wette, Militarismus in Deutschland, S. 183; Neitzel/Welzer, Soldaten, S. 305. Der Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Wahrung der Ehre (1938), o.S. BMVg, ZDv 10/1 »Hilfen für die Innere Führung«, August 1972, IV, 235 (1).

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Wertekanon, der Ehre und bedingungslose Opferbereitschaft untrennbar aneinander bindet. Auf diese Weise sollte die Wehrmacht zum Vorbild der Bundeswehr werden.77 An den Beispielen von Heinz Karst und Albert Schnez, die zu den führenden Repräsentanten des deutlich traditionalistischen Lagers zählten, lassen sich die Initialisierung sowie die Fortexistenz des Referenzrahmens einer militärischen Subkultur zeigen. Ihre Karrieren waren ganz auf Kampf und militärische Erfolge ausgerichtet. Vor allem die Bedeutung der Opferbereitschaft stieg in Relation zum mehr und mehr desaströsen Verlauf des Zweiten Weltkriegs. Sie avancierte geradezu zum Wert sui generis und damit zum Maßstab für Wahrnehmungen und Deutungen von Ereignissen. Auf diese Weise trug die Opferbereitschaft als Ausdruck anständigen Verhaltens und als Identifikationsmodell auch über die verheerende militärische Niederlage der Wehrmacht hinaus und verlieh deren Soldaten den höchsten Wert.78 Die gewaltigen Verluste an den Fronten wurden für Offiziere wie Schnez und Karst, welche die soldatischen Vorstellungen der Wehrmacht vollständig internalisiert hatten, letztlich zum geradezu geheiligten Wert an sich. Und für Karst hob noch in den 1980er-Jahren allein schon die schiere Höhe der Opferzahlen die Wehrmacht in den Rang des Sakrosankten: »Keine andere Nation dieser Erde würde ihren Millionen Toten an den Fronten und in den Gefangenenlagern diese Art ›Forschung‹ angedeihen lassen.«79 Karst wollte die militärischen Werte, Maximen und Ziele der Wehrmacht nicht hinterfragen und prüfen, inwieweit Ideale wie Heldentum und bedingungslose Opferbereitschaft Mitschuld trugen an der totalen militärischen Niederlage und der flächendeckenden Zerstörung Deutschlands. Darüber hinaus dienten das ungebrochene Festhalten an seinem Verständnis des Soldaten und des Soldatentodes und die von ihm propagierte Unantastbarkeit der Wehrmachtideale wohl auch dazu, die Integrität der eigenen militärischen Biografie aufrechtzuerhalten. Auf diese Weise fand sich der Kampf- und Opferkult der Wehrmacht auch in den militärischen Überlegungen wieder, die Karst als Offizier der Bundeswehr veröffentlichte. 1964 propagierte er in seiner Publikation Das Bild des Soldaten entsprechende Vorstellungen vom Soldatenberuf. Ausgangspunkt der Schrift war die Frage nach Sinn und Selbstverständnis des Soldatenberufes im Atomzeitalter, das radikal neue Anforderungen an den Soldaten stelle.80 Doch die Antworten, die Karst für die Zeiten der globalen nuklearen Bedrohung fand, sind nur Wiederholungen der alten Gewissheiten, gepaart mit Kritik an der Philosophie der Inneren Führung81 der Bundeswehr. Das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform lehnte er rundweg ab. Für ihn waren soldatische und zivile Existenz unvereinbare Gegensätze. Er bezweifelte 77 78 79 80 81

Bald, Ein Gespenst geht um in Deutschland. Vgl. Neitzel/Welzer, Soldaten, S.  299, 306  f.; Latzel, Soldatenverbände gegen die Ausstellung »Vernichtungskrieg«, S. 330. Karst, Kampagne gegen die Wehrmacht, S. 19. Vgl. Karst, Das Bild des Soldaten, Vorwort. Nur an wenigen Stellen verwendete Karst die Begriffe »Innere Führung« und »Staatsbürger in Uni­ form«. Allerdings griff er mehrfach einzelne Wesensmerkmale der Führungsphilosophie der Bun­ des­wehr auf und setzte sich mit ihnen auseinander.



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den militärischen Wert des Bundeswehrsoldaten und beklagte, dass die herausgehobene Bedeutung, das Elitäre und die besondere Ehre des Soldatenberufs in der Bundeswehr aus dem Blick geraten seien. Schuld daran sei die reformerische, demokratisierte Führungsphilosophie.82 Statt Antworten auf die militärische Ausgangslage des Kalten Kriegs und deren nukleare Optionen zu suchen, schwärmte Karst von der Wehrmacht, die »große Leistungen an der Front vollbracht hat«83, von Kämpferkult84, Todesbereitschaft und Opfertod.85 So wirkt Karsts Schrift unfreiwillig auch wie der Abgesang auf eine militärische Welt der soldatischen Elite, des heldenhaften Kampfes Mann gegen Mann und des radikalen Opferkults, die nicht nur ideologisch ihre Berechtigung verloren hatte, sondern angesichts der geopolitischen und waffentechnischen Realitäten auch militärisch. 1969 gelangten trotz Geheimhaltungsstatus zwei interne Betrachtungen von Schnez an die Öffentlichkeit. Der Inspekteur des Heeres rechnete in seinen »Gedanken zur Inneren Führung« (Mai 1969) und in den »Gedanken zur Verbesserung der Inneren Ordnung des Heeres« (Juni 1969) grundsätzlich mit der Idee der Inneren Führung ab. Für die »Gedanken« vom Juni 1969 vermutet man Karst als Autor oder zumindest als entscheidenden Ideengeber.86 Die Bundeswehr als ungebrochene Fortsetzung der Wehrmacht, als »Kampf-, Schicksals- und Notgemeinschaft«87 und der Soldatenberuf als Aufgabe einer heroischen Elite:88 Ausgehend von diesen Prämissen wollten Schnez und Karst – und mit ihnen das Lager der deutlich traditionalistisch Orientierten – in den »Gedanken« ihr von Diktatur und Wehrmacht geprägtes Verständnis des Soldatenberufes und des Soldatentodes konservieren und hinüberretten in die Bundeswehr und die Bundesrepublik. Äußerlich unbeeindruckt von den Kampf- und Todeserfahrungen des Zweiten Weltkrieges betrachteten die Traditionalisten die Opfer- und Todesbereitschaft des Soldaten ungebrochen als Wert sui generis. Auch unter den Bedingungen eines möglichen Atomkrieges sollte sie zentraler Bezugspunkt des Soldatenberufes bleiben.89 Ein ähnliches Soldatenverständnis vertrat wohl auch Josef Kammhuber, erster Inspekteur der Luftwaffe der Bundeswehr. Durch sein soldatisches Wirken, analysiert die Psychoanalytikerin Elke Horn, ziehe sich eine radikale Funktionalität, die teilweise gewalttätige, brutale, zynische und menschenverachtende Momente 82 83 84 85

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Vgl. Karst, Das Bild des Soldaten, Vorwort, S. 29 f., 92‑95, 187‑191, 294 f., 372. Ebd., S. 137. Vgl. ebd., S. 13 f., 187, 367. Vgl. ebd., S. 13, 15. Karst bezog die Bereitschaft zum Opfertod auch auf den Friedensfall. Denn auch dann seien Gefahren vom Soldatenberuf nicht zu trennen, »wie der Tod des Feldwebels Boldt, der sich für seine Männer opferte, vor Augen führt«. Ebd., S. 111. Vgl. FüH, InspH, Gedanken zur Inneren Führung, Mai 1969, ACDP, 01-483-110/1; Albert Schnez, Gedanken zur Verbesserung der Inneren Ordnung des Heeres, Juni 1969, BArch, BH  1/1686; Abenheim, Bundeswehr und Tradition, S. 179. FüH, InspH, Gedanken zur Inneren Führung, Mai 1969, S. 6, ACDP, 01-483-110/1. Albert Schnez, Gedanken zur Verbesserung der Inneren Ordnung des Heeres, Juni 1969, D, I, 52 f., BArch, BH 1/1686. Vgl. Warburg, Paradoxe Anforderungen, S. 59.

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besitze.90 Im Rahmen seiner Verwendungen und Vorhaben während des Zweiten Weltkrieges forderte Kammhuber gnadenlos und im Geiste der ihm vertrauten Dienstvorschriften das soldatische Opfer ein. Das zeigen z.B. seine Pläne für den Ausbau der Nachtjagd, die wenig Rücksicht auf das Leben der beteiligten Soldaten nahmen.91 Seinen militärischen Ambitionen ordnete Kammhuber alles unter, und für diese war er auch bereit, die ihm unterstellten Soldaten hinzuopfern. 1956 wurde Kammhuber zunächst als Generalleutnant in der Abteilung Luftwaffe des BMVg eingesetzt und diente kurze Zeit später als erster Inspekteur der Luftwaffe. Er war mitverantwortlich für die Einführung des Starfighters. Und exemplarisch für seinen Umgang mit dem Leben von Soldaten ist Kammhubers Plan, mit dem neuen Kampfflugzeug eine Kunstflugstaffel in der Luftwaffe aufzubauen. Er setzte dieses Vorhaben rücksichtslos gegen den Rat erfahrener Piloten durch. Und bereits während der Generalprobe für eine Vorführung verunglückte am 19.  Juni 1962 ein vierköpfiges Kunstflugteam bei Nörvenich tödlich.92 Im Aufbau der Luftwaffe, den er als Inspekteur maßgeblich gestaltete, sah Kammhuber am Ende seiner soldatischen Laufbahn noch einmal die Chance, militärisch Gewaltiges zu leisten. Er wollte die Luftwaffe atomar aufrüsten:93 »Alle Offiziere der Luftwaffe sind damit vertraut zu machen, dass die Luftwaffe mit dem Ziel aufgestellt wird, einen Atomkrieg zu führen.«94 Wie schon im Zweiten Weltkrieg schienen ihn die potenziell katastrophalen Folgen seiner Planspiele nur wenig zu beschäftigen.95 Auch wollte er in der jungen Luftwaffe eine Art des neuen Opferkults einführen, der sein Zentrum in einem Ehren­mal der Luftwaffe finden sollte. Anlässlich der Grundsteinlegung des Ehren­ mals der Luftwaffe und der Luftfahrt am 24. September 1961 bekräftigte er, dass es die »Werte menschlicher Opferbereitschaft« seien, »die allein den Bestand unseres Volkes vor der Geschichte sichern« würden und die daher den Soldaten der Luftwaffe der Bundeswehr »als mahnendes Erbe überliefert werden« müssten. Denn die Soldaten der Bundeswehr sollten es »den toten Kameraden gleich tun in ihrer treuen Hingabe an die unvergänglichen Tugenden echten Soldatentums, wenn es sein muss bis zum Tod«96. Rasch fand sich Kammhuber im ideologischen Duktus der Wehrmacht und bei deren Lobpreisung der heldischen Soldaten wieder, denn diese

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Vgl. Kilian, Führungseliten, S. 272, 274; Horn, Die Militärische Aufbaugeneration der Bundeswehr, S. 451. Vgl. Schmidt, »Seines Wertes bewusst!«, S. 354; Falck, Falkenjahre, S. 202. Vgl. Schmidt, »Seines Wertes bewusst!«, S. 374, 380; Lemke, Konzeption und Aufbau der Luftwaffe, S. 151; Chronik Jagdbombergeschwader 31 »Boelcke«, S. 43. Vgl. Schmidt, »Seines Wertes bewusst!«, S. 374, 369; Lemke, Konzeption und Aufbau der Luftwaffe, S. 151. Zit. bei: Schmidt, »Seines Wertes bewusst!«, S. 377. Es sind keine Einlassungen Kammhubers bekannt, in denen er sich mit der Frage des Verhältnisses von Opfern und militärischer Zielsetzung auseinandersetzt. Ansprache InspL am 24.9.1961 in Fürstenfeldbruck aus Anlaß der Grundsteinlegung des Ehrenmals der Luftwaffe, BArch, N 667/27. Vgl. Schöbel, Am Anfang war der Held, S. 43. Siehe Kap. III.2.a.



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»kämpften und starben unter dem ewigen Gesetz, das die Besten eines Volkes aufruft zum Opfer des Lebens, für den Bestand der Nation, sie kämpften und fielen in hingebendem Dienen und selbstverständlicher Pflichterfüllung«97.

Es war also nicht nur der Offizier des Zweiten Weltkriegs Kammhuber ein Anhänger der Wehrmachtideologie von Held und Opfer, sondern auch der Inspekteur der Luftwaffe Kammhuber. Die Offiziere, die dem Lager der ausgeprägten Traditionalisten angehörten, bewegten sich, wie der Historiker Klaus Naumann feststellt, auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem militärisch-moralischen Zusammenbruch in alten Bahnen, blieben also ihren alten Denkmustern verhaftet. Abgelegt hatten sie, so der Militärhistoriker Martin Kutz, lediglich das Ideologisch-Nationalsozialistische.98 Mit ihrem Soldatenbild und ihrem Opferverständnis verhinderten diese Traditio­ na­listen das ehrende Gedenken an die in Ausübung ihres Dienstes getöteten Bun­ des­wehrsoldaten, weil sie jegliche militärische Totenehrung ausschließlich an den Tod im Kampf banden. Dabei schlossen sie auch jene Toten der Bundeswehr von jeglicher militärischen Ehrung aus, die ihr Leben zur Rettung anderer opferten. Statt­dessen schufen sie Möglichkeiten, um im Rahmen der Bundeswehr gefallener Wehrmachtsoldaten zu gedenken. Die eher Reformorientierten distanzierten sich hingegen deutlicher von ihrer militärischen Sozialisation. Gemeinsam war all diesen Offizieren nach dem Ende des Dritten Reichs und der totalen Niederlage wohl die Erkenntnis der Notwendigkeit eines umfassenden militärischen Neuanfangs in Westdeutschland. Mit der Konzep­ tion der Inneren Führung und dem Ideal des Staatsbürgers in Uniform versuchten sie tatsächlich die Begründung eines radikal anderen soldatischen Ethos, ohne Elitebewusstsein, ohne Helden- und ohne Opferkult.99 Die Entheroisierung der soldatischen Kampf- und Opferbereitschaft war ihre Art, mit dem Massensterben des Zweiten Weltkriegs umzugehen. Und es war, im Hinblick auf einen drohenden Atomkrieg, auch das Bemühen, eine Wiederholung verheerender militärischer und menschlicher Katastrophen zu verhindern. Denn die Atomwaffen, so Baudissin, verliehen »dem heutigen Krieg eine Totalität [...], die ihn aller früheren Sinngebung« beraube.100 Eine Bezugnahme auf die Wehrmacht lehnte er entschieden ab. Denn in der nationalsozialistischen Wehrmacht sah Baudissin militärische Grundwerte wie Pflicht, Treue, Gehorsam oder Opferbereitschaft bis ins Menschenverachtende übersteigert, ja fanatisiert. Für ihn exekutierte die Wehrmacht durch die maßlose Heroisierung des soldatischen Opfers eine Erziehung hin zum Sterben, die keinen Respekt vor dem Leben des Soldaten zeige. Darin aber sah er eine Pervertierung der christlich-

97 98 99 100

Ansprache InspL am 24.9.61 in Fürstenfeldbruck aus Anlaß der Grundsteinlegung des Ehrenmals der Luftwaffe, BArch, N 667/27. Vgl. Naumann, Generale in der Demokratie; Kutz, Die verspätete Armee, S. 68. Vgl. Meyer, Adolf Heusinger 1945‑1961, S. 264; Kilian, Führungseliten, S. 255. Siehe Kap. IV.3.a und IV.3.b, des Weiteren Kap. II.1 und Kap. IV.1. Vgl. Baudissin, Das Kriegsbild, S. 370.

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humanitären Werte, die für ihn zwingend Teil jeder militärischen Ausbildung sein sollten.101 Heldenkult, sozialdarwinistische Auslese, Opferfanatismus – diesen Grund­prin­ zi­pien der Wehrmacht setzte Baudissin nach 1945 eine militärische Ethik entgegen, die in seinem lutherischen Christentum verankert war und die den Schutz des Lebens der Soldaten – auch der gegnerischen – zum Imperativ erhob.102 Der Tod des Soldaten konnte für Baudissin keinesfalls ein Wert an sich sein, sondern allenfalls noch die Ultima Ratio. Die geopolitischen Bruchlinien und die atomare Bedrohung des Kalten Krieges der 1950er-Jahre bestärkten Baudissin noch in seinen ebenso idealistischen wie ambitionierten Ansichten.103 Besonders im Atomzeitalter waren für Baudissin die einzig dauerhaft zuverlässigen Richtwerte für den Aufbau und den Handlungsspielraum einer reformierten Armee die sogenannten christlich-abendländischen Werte wie persönliche Verantwortung, Menschlichkeit, Frieden oder Menschenwürde.104 Und bei all seinem Handeln und bei all seinen Entscheidungen müsse sich der Soldat einer »letzten Instanz«105 verpflichtet wissen – dem eigenen Gewissen. Im Gegensatz zu militärischen Führern der Wehrmacht, die auch noch in vollkommen aussichtsloser Situation Hinopferungs-Befehle gaben, dürfe ein militärischer Führer der neuen westdeutschen Armee, so Baudissin, Entscheidungen über Leben und Tod ausschließlich auf der Grundlage einer Ethik der Verantwortung treffen. Also aus einer tiefen Bindung an die Gesellschaft heraus und auf der Basis des Auftrages, den er von dieser erhalte. Dabei müsse diese militärische Führungsperson permanent die Notwendigkeit und die Verhältnismäßigkeit potenzieller soldatischer Opfer überprüfen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit mit christlichen Werten und im Rahmen des Grundgesetzes.106 »Hier steht wirklich der führende Soldat allein vor seinem Gewissen und der Alternative, seinen Kopf oder seine Untergebenen zu opfern, seiner Verantwortung vor dem Vorgesetzten oder der für seine Truppe folgen.«107 Doch trotz all dieser religiösen und moralischen Vorgaben, mit denen Baudissin die ethischen Grenzen von Befehl und Gehorsam aufzeigen wollte, kam auch er zu dem Schluss, dass im Gefecht von einem Führer auch künftig verlangt werden könne, »gegen seine bessere Einsicht sich selbst oder, was für einen verantwortungsbewussten Führer schwerer ist, seine Truppe [...] zu opfern«.108

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Vgl. Bald, Graf Baudissin, S. 21, 41; Baudissin, Beitrag des Soldaten zum Dienst am Frieden, S. 30. Die Tötung des Gegners war für Baudissin lediglich die letzte Konsequenz im Kampf. Vielmehr plädierte er dafür, den Gegner außer Gefecht zu setzen, indem man ihn gefangen nahm, ihm Ver­ wundungen zufügte oder ihn in die Flucht schlug. Vgl. Baudissin, Beitrag des Soldaten zum Dienst am Frieden, S. 41. Vgl. Baudissin, Held oder Krieger oder Soldat?, S. 160; Bald, Graf Baudissin, S. 38. Vgl. Baudissin, Graf von Baudissin, S. 23. BMVg, Handbuch Innere Führung (1957), S. 7. Vgl. Baudissin, Verantwortung, S. 215; Baudissin, Held oder Krieger oder Soldat?, S. 160. Vgl. Baudissin, Verantwortung, S. 216. Ebd.



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Baudissin war am entschiedensten in der Ablehnung jeglichen Helden- und Opferkults. Sein Verständnis des Soldaten und des Soldatentodes, das im BMVg und in der Regierungspolitik unterstützt wurde und das zumindest offiziell das favorisierte Soldatenbild der jungen Bundeswehr verkörperte, negierte erstmals in der deutschen Militärgeschichte den Opfertod des Soldaten als zentralen Bezugspunkt seines Berufes und als Wert an sich.109 So entschieden waren Baudissins Mitstreiter nicht. Zu Beginn des Zweiten Welt­kriegs waren manche von ihnen noch ganz auf Linie der nationalsozialistischen Propaganda. So forderte Kielmansegg Ende 1940 den nationalsozialistischen Soldaten, der getreu seinem Eid für Hitler kämpft: »Wer ihm treu ist, lebt und stirbt für Deutschland«110. Auch Heusinger, im Rahmen seiner Verwendung im OKH ein wichtiger Berater Hitlers, zeichnete in seinen militärischen Erinnerungen Befehl im Widerstreit von 1950 ein Bild des militärischen Führers, welcher der politischen Führung in schicksalhafter Fügung und bedingungslosem Gehorsam ergeben war.111 Dazu gab Heusinger ein fiktives Gespräch zwischen einem ungenannten Oberbefehlshaber der Wehrmacht im Osten und seinen ebenfalls anonymen Kommandierenden Generalen wieder, das er auf Mitte Juni 1941, also unmittelbar vor den Beginn des »Unternehmens Barbarossa«112 legte. Der Oberbefehlshaber: »Ich weiß, meine Herren, die vor uns liegende Offensive ist schwer, schwerer als alle bisherigen. Sie wird der Truppe das Letzte abverlangen. Wir haben uns nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, ob diese weiteren Opfer notwendig sind. Bitte beschweren Sie sich nicht mit Gedanken über diese Frage! Unsere Pflicht, vielleicht unser Schicksal, ist es, die von der politischen Führung für unumgänglich gehaltene Entscheidung rasch und mit möglichst geringen Verlusten herbeizuführen.«113

Doch bereits im Titel von Heusingers Buch deutet sich auch der Konflikt zwischen soldatischem Gehorsam und menschlichem Gewissen an, den er mehrmals thematisierte: »Jeder musste ihn [diesen Konflikt] in der eigenen Brust ausfechten. Es gab keine grundsätzliche Entscheidung für alle, nur tragische, unlösbare Widersprüche und Pflichten. Sollte die eine erfüllt, musste die andere verletzt werden.«114 Die hier beispielhaft genannten Soldaten zeichneten sich wie Baudissin durch eine mehr oder weniger starke christlich-protestantische Prägung und Werthaltung 109 110 111

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Siehe Kap. IV.3.a‑c. Kielmansegg, Der Offizier, S. 100. Heusinger, Befehl im Widerstreit. Heusingers Roman war Teil der Geschichtsoffensive einer kleinen Gruppe ehemaliger Wehrmachtsgenerale. Diese verfolgte das Ziel, im Rahmen der Wiederbewaffnungsdebatte ein positives Bild des deutschen Soldaten in der bundesrepublikanischen Gesellschaft zu konstruieren und diesen so rehabilitieren. Auch Franz Halders Pamphlet Hitler als Feldherr und Hans Speidels Tatsachenbericht Invasion 1944 (beide 1949 erschienen) waren Teil dieses Manövers zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Vgl. Searle, Nutzen und Grenzen der Selbstzeugnisse, S. 283 f.; Bald, Die Bundeswehr, S. 50. Der Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion in den frühen Morgenstunden des 22. Juni 1941 trug den Decknamen »Unternehmen Barbarossa«. Es handelte sich um einen rassenideologisch motivierten Angriffs- und Vernichtungskrieg. Vgl. Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion. Heusinger, Befehl im Widerstreit, S. 124. Ebd., S. 388.

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aus. Diese stellte ein Gegengewicht zur nationalsozialistischen Ideologie und zu deren Soldatenbild dar.115 In einer Rede vor dem Evangelischen Kirchentag in München am 14. August 1959 nannte Heusinger das Erteilen von Befehlen, die Untergebene in den Tod schicken, »die schwerste Verantwortung überhaupt, die einem Menschen aufgebürdet werden kann«116. Neben der deutlichen Betonung des individuellen Gewissens zur Relativierung von Befehl und Gehorsam, das sie von den Traditionalisten unterschied, vertraten jedoch auch die Reformorientierten in der Bundeswehr wesentliche Teile des seit den Befreiungskriegen entwickelten Soldatenbildes für die Bundeswehr. Ulrich de Maizière schrieb: »Soldatsein erfordert Opfer. Sie nicht zu fordern, wäre ein schweres Versäumnis, das im Ernstfall vermeidbares Blut kosten würde.«117 Dies erfordere »Mut«, »Kampfwillen« und »harte« Männer.118 Auch habe die Freiheit des Gewissens enge Grenzen. Denn »Befehl und Gehorsam [...] sind unerlässliche Begriffe früheren und heutigen Soldatentums«119. Ähnlich äußerte sich Kielmansegg: »Der Tod des Soldaten ist ein Tod unter dem Gesetz von Befehl und Gehorsam.«120 Denn die Pflichterfüllung bis zur Hingabe des Lebens sei, wie de Maizière ergänzte, »letztendlich auch der Sinn der im Gelöbnis, Eid und Gesetz vom Soldaten geforderten Grundpflicht, ›Freiheit und Recht des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen‹«121. Allerdings verstanden die Reformer das soldatische Opfer – als Reaktion auf die militärisch sinnlosen Hinopferungs-Schlachten der Wehrmacht und vor dem Hintergrund eines drohenden Atomkrieges – nicht mehr als Wert sui generis und abgelöst von jedwedem politischen und moralischen Kontext. Stattdessen sollte das Opfer mit demokratischen Grundsätzen verknüpft sein und die Forderung nach ihm sollte nicht blind, sondern aus dem Prinzip der Verantwortung heraus erfolgen. Baudissin ging über dieses modifizierte Verständnis des Soldatenberufs und des Soldatentodes weit hinaus. Er war der Entschiedenste unter den Reformern, und er rückte – wie in Kapitel IV.3.c gezeigt wird – die Opferbereitschaft und den Soldatentod ganz an den Rand seines Verständnisses des Soldaten. Ebenso trat er vehement für die Vermeidung von Pathos beim Tod eines Soldaten ein. Dadurch verhinderten nicht zuletzt auch entschiedende Reformer wie Baudissin eine militärische Würdigung und ehrendes Totengedenken an in Ausübung ihres Dienstes tödlich verunglückten Bundeswehrsoldaten.

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Vgl. Dörfler-Dierken, Ethische Fundamente der Inneren Führung, S.  69‑102. Hier ist auch Ulrich de Maizière zu nennen: Vgl. Zimmermann, Ulrich de Maizière, S. 21, 116‑120; Kilian, Führungseliten, S. 255; Naumann, Generale in der Demokratie, S. 73. Heusinger, Der Christ in der Bundeswehr, S. 86. Maizière, Innere Führung, S. 5. Ebd., S. 5, 7. Maizière, Erziehung zum Staatsbürger in Uniform, S. 61. Kielmansegg, Offizier. Vorläufige Fassung, S. 127. Maizière, Innere Führung, S. 2.



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3. Innere Führung und Staatsbürger in Uniform a) Die Philosophie der Inneren Führung Die Vordenker einer Remilitarisierung der Bundesrepublik nahmen ihre Arbeit in einer überaus schwierigen Zeit und innerhalb einer traumatisierten Gesellschaft auf, die noch ganz im Schatten der NS-Diktatur und der katastrophalen Niederlage stand. Die vorherrschende Stimmung in der Bevölkerung der Bundesrepublik war gegen alles Militärische und alles Soldatische eingestellt. So war es kein Wunder, dass die Pläne für eine Wiederbewaffnung, welche die Bundesregierung bereits seit 1949 verfolgte, von Anfang an heftige Proteste in der Bevölkerung hervorriefen. Diese fanden in Massendemonstrationen und Slogans und Parolen wie »Ohne mich«122 oder »Lieber tot als Soldat«123 ihren Ausdruck.124 Um den westdeutschen Verteidigungsbeitrag vorzubereiten, rief die Regierung Adenauer im Oktober 1950 das sogenannte Amt Blank ins Leben. Diese Dienststelle war keine eigenständige Institution mit eigenem Etat, sondern dem Kanzleramt angegliedert. Seine Hauptaufgabe bestand zunächst darin, in der Bundesrepublik und innerhalb der westdeutschen Bevölkerung für die Legitimität und die Notwendigkeit einer bundesdeutschen Armee zu werben, um so ihre Akzeptanz zu erhöhen.125 Die neue Armee sollte einer demokratischen Kontrolle unterliegen, um zu vermeiden, dass die Streitkräfte wie im Kaiserreich oder der Weimarer Republik ein gefährliches Eigenleben führen und zum »Staat im Staate« würden. Deshalb sollte die Armee von Anfang an in die demokratische Gesellschaft der Bundesrepublik integriert und dem Grundgesetz und der Kontrolle des Parlaments unterstellt werden. In Anbetracht der Tatsache, dass Militär und Demokratie in der deutschen Geschichte traditionell Gegensätze darstellten, war dies keine leichte Aufgabe. Der Garant für eine demokratische Kontrolle der Armee sollte nun in der Bundesrepublik die Innere Führung sein, eine Führungsphilosophie, die sich vor allem am Leitbild des »Staatsbürgers in Uniform« orientiert und die erstmals als »Inneres Gefüge« auf Veranlassung Baudissins in der sogenannten Himmeroder Denkschrift im Oktober 1950 erwähnt wurde. Am 8. Mai 1951 trat Baudissin ins Amt Blank ein.126 Auf Basis der personell und inhaltlich eher an militärischer Restauration und Kontinuität zur Wehrmacht orientierten Himmeroder Überlegungen formulierten die Teilnehmer der Tagung auch rudimentär die Prinzipien der »Inneren Führung«. 122 123

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Vgl. Werner, Die »Ohne-mich«-Bewegung. Der damals 22-jährige Weltkriegsveteran Helmut Krifft schrieb aus Protest gegen die Wieder­ be­waffnung einen Brief an Adenauer: »Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, sollten Sie mit dem Gedanken spielen, auch mich zum Dienst in einer neuen Wehrmacht heranzuziehen, teile ich Ihnen hiermit mit, dass ich mich eher umbringen würde, als noch einmal Soldat zu werden.« Latsch, Lieber tot als Soldat. In: Der Spiegel, 22.2.2006, S. 135‑137, Zitat S. 135. Vgl. Rautenberg/Wiggershaus, Die »Himmeroder Denkschrift, S. 137. Vgl. Krüger, Das Amt Blank. Vgl. Kroener, Militär, Staat und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, S. 44; Rautenberg/Wiggershaus, Die »Himmeroder Denkschrift«, S. 168‑192, hier S. 185; Krüger/Wiese, Zwischen Militärreform und Wehrpropaganda, S. 102.

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Sie sahen vor, dass »ohne Anlehnung an die Formen der alten Wehrmacht heute grund­ legend Neues zu schaffen ist«127, und sie betonten die demokratische Wertbezogenheit der soldatischen Identität. Maßgeblich an diesen seit 1951 ausformulierten Leitlinien beteiligt, die erst im März 1953 offiziell den Namen »Innere Führung« erhielten128, waren neben Baudissin noch de Maizière, Speidel, Heusinger und Kielmansegg. Das Konstrukt der Inneren Führung, das Kielmansegg als Balance »zwischen demokratischer Idee und soldatischer Notwendigkeit«129 bezeichnete, sah einen umfassenden Verzicht auf obrigkeitsstaatliche Formen der militärischen Lenkung vor, um so mit der belasteten Vergangenheit zu brechen und einen Neuanfang zu wagen. Die politische Ausgangslage der 1950er-Jahre zwang die Planer zu diesem neuen Denkansatz. Baudissin fasste dies so zusammen: »Da eine Anpassung von Staat und Gesellschaft, das heißt, eine Militarisierung des politischen und des zivilen Bereichs außerhalb der Vorstellungen lag, ging es um die sachgemäße Einordnung der Bundeswehr in die neue Wirklichkeit. Damit schied manches Alte, ob nun früher bewährt oder nicht, für den Neuansatz aus.«130

Auch de Maizière erkannte im November 1952 die »Abhängigkeit des militärischen Bereichs vom politischen«131, also dass eine Demokratie über eine andere Armee verfügen muss als eine Diktatur. Um die Bundeswehr in die Gesellschaft zu integrieren, sah die Konzeption der Inneren Führung daher vor, zivile und militärische Normen in der Bundeswehr miteinander zu verbinden. Dazu ist es nötig, die hierarchische Ordnung sowie das System von Befehl und Gehorsam gemäß den freiheitlich-demokratischen Grundsätzen auszurichten.132 Das war leichter gesagt als getan, weil die Planer in gewisser Weise die »Quadratur des Kreises«133 zu bewältigen hatten. Denn die zu schaffende »Wehrmacht«, wie die neue Armee anfangs noch genannt wurde,134 hatte zwei sich nicht unbedingt ergänzende Funktionen zu erfüllen: Sie sollte zum einen demokratisch und nicht autoritär ausgerichtet sein, zum anderen aber dennoch höchste militärische Professionalität und Effizienz aufweisen. Daneben sollte die Innere Führung vor dem Hintergrund eines drohenden und Freund und Feind gleichermaßen vernichtenden Atomschlages militärischem Handeln eine demokratisch legitimierte Grundlage bieten. Vier zentrale Zielsetzungen sind auf diese Weise mit dem Begriff der »Inneren Führung« verbunden. Sie haben bis heute Bestand:

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Rautenberg/Wiggershaus, Die »Himmeroder Denkschrift«, S.  185; Bald, Die Bundeswehr, S. 29‑33, Hervorhebung im Original. Vgl. Oberstleutnant i.G. Rieck, Innere Führung in der Bundeswehr – Darstellung der Konzeption, von Rahmenbedingungen und Herausforderungen in der Zukunft, 27.10.1988, AdsD, Nachlass Dieter Heistermann, Akte: Innere Führung/Politische Bildung, S. 3. Zit. bei: Käppner, Innere Führung – jetzt erst recht. In: SZ, 15.2.2017. Baudissin, Der Bürger in Uniform. In: Die Zeit, 9.5.1969. Ulrich de Maizière, Persönliche Gedanken zur Auseinandersetzung zwischen »Reformern« und »Reaktionären«, 8.11.1952, BArch, N 673/75. Vgl. Bredow, Militär und Demokratie in Deutschland, S. 126; auch: Maizière, Entstehung und Grundgedanken, S. 24. Bredow, Militär und Demokratie in Deutschland, S. 126. Vgl. Bald, Die Bundeswehr, S. 7.



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– Legitimation: Beantwortung der Frage nach dem Sinn des militärischen Auftrages auf der Grundlage ethischer, rechtlicher, politischer und gesellschaft­ licher Begründungen für das soldatische Handeln – Integration: Erhaltung und Förderung der Einbindung der Bundeswehr in Staat und Gesellschaft, Förderung des Verständnisses für ihren Auftrag, aber auch aktive Integration der Soldaten in den Wandel der Streitkräfte – Motivation: Förderung der soldatischen Bereitschaft zur gewissenhaften Pflicht­ er­füllung, zum gewissensgeleiteten Gehorsam und zur Übernahme von Ver­ant­ wor­tung; Steigerung der Disziplin und des Zusammenhalts der Truppe – Gestaltung der inneren Ordnung: Ausrichtung der inneren Ordnung der Streit­ kräfte an der Rechtsordnung der Bundesrepublik und wirkungsvolle Gestaltung der Auftragserfüllung135 Diese vier Grundprinzipien eröffnen ein weites Feld der Auslegung. Eine offiziell festgelegte Interpretation, wie diese Leitlinien im Einzelnen genau umzusetzen sind, gibt es nicht. Stattdessen existieren verschiedene Auslegungen nebeneinander, die jeweils unterschiedliche Akzente setzen.136 Hinzu kommt, dass es sich bei der Inneren Führung um eine offene, dynamisch gestaltete Konzeption handelt, das durch An­ passung an die Erfordernisse des jeweiligen Auftrages eine andere Ausrichtung erfahren kann. So bewahren sich diese Prinzipien ihre Zukunftsfähigkeit. Deutlich formulierte diese Tatsache z.B. Verteidigungsminister Schröder am 5. Mai 1969 in seiner Ansprache vor der Heeresoffizierschule III in München. Neben den zeitlosen Grundsätzen, so Schröder, besitze die Innere Führung auch Elemente, die »wandelbar und entwicklungs- bzw. erneuerungsbedürftig sind«137. Der Politikwissenschaftler und Militärexperte Wilfried von Bredow definiert die »Innere Führung« als »das Insgesamt aller geschriebenen und ungeschriebenen Vorschriften und Regeln der Streitkräfte [...], nach denen sie ihr innerorganisatorisches Selbstverständnis und Verhalten und ihre Beziehungen zur zivilen Außenwelt definieren«138. Im erweiterten Sinn beruht die Innere Führung auf folgenden Grundsätzen, die sich durch das Handbuch Innere Führung von 1957 ziehen139 und im Wesentlichen bis heute Gültigkeit besitzen: »– Integration in Staat und Gesellschaft, – Leitbild vom ›Staatsbürger in Uniform‹, – ethische, rechtliche und politische Legitimation des Auftrages,

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Vgl. BMVg, Zentrale Dienstvorschrift A-2600/1 »Innere Führung, Selbstverständnis und Füh­ rungs­kultur«, November 2017, Ziff. 401, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Baudissin, Staatsbürger in Uniform und Innere Führung, S. 166. Die jeweils aktuelle Aus­ legung der Inneren Führung halten vor allem die gleichnamigen Dienstvorschriften des Ver­tei­ di­gungsministeriums fest. Erstmals wurde die ZDv 10/1 »Innere Führung« am 10.8.1972 durch Verteidigungsminister Leber erlassen. FüH, InspH, Gedanken zur Inneren Führung, Mai 1969, ACDP, 01-483-110/1. Zit. bei: Lippert, »Innere Führung«, S. 2. Vgl. BMVg, Handbuch Innere Führung (1957). Die Grundsätze werden hier verdichtet formuliert wiedergegeben.

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– Verwirklichung wesentlicher staatlicher und gesellschaftlicher Werte in den Streit­kräf­ten, – Grenzen für ›Befehl und Gehorsam‹, – Anwendung des Prinzips ›Führen mit Auftrag‹, – Wahrnehmung der gesetzlich festgelegten Beteiligungsrechte der Soldatinnen und Sol­daten sowie – Wahrnehmung des im Grundgesetz garantierten Koalitionsrechts«140

Neben politischen und gewerkschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten der Soldaten bietet die Innere Führung unter den Bedingungen einer veränderten Gesellschaft und eines gewandelten Kriegsbildes eine neue Grundlage für militärisches Handeln. Das Ziel der Inneren Führung ist es, die nötigen Voraussetzungen für einsatzfähige Streitkräfte mit den freiheitlichen Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaates in Einklang zu bringen.141 Von Anfang an musste sich die Innere Führung an wechselnde politische und gesellschaftliche Bedingungen anpassen, am stärksten dann nach der Wiedervereinigung im Oktober 1990. Denn die Integration der ehemaligen NVA-Soldaten, die in einem anderen politischen und militärischen System sozialisiert wurden, andere militärische Ziele verfolgten und einem anderen internationalen Verteidigungspakt angehörten, stellte die Innere Führung vor ganz neue Herausforderungen. Überdies wandelte sich Anfang der 1990er-Jahre auch die Sicherheitslage. Denn mit Ausbruch der militärischen Auseinandersetzungen im Vielvölkerstaat Jugoslawien herrschte zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs wieder Krieg, mitten in Europa. Auf all das musste die Innere Führung reagieren. Und was in den Verteidigungspolitischen Richtlinien des Verteidigungsministers von 1992 noch Andeutung blieb, wurde in der Version von 2003 konkretisiert: Denn seit Sommer 1999 – ihrem ersten militärischen Auslandseinsatz im Kosovo – war die Bundeswehr keine reine Ver­tei­ di­gungsarmee mehr.142 Daher musste auch die Konzeption der Inneren Führung an­gepasst werden »an die neuen Einsatzbedingungen der Streitkräfte«143. Das erste Mal in ihrer Geschichte musste sich die Innere Führung in echten Kampfeinsätzen bewähren. Seitdem die Bundeswehr international Verantwortung übernehmen muss, steht ihre ursprünglich theoretische Grundaufgabe zunehmend praktisch im Mittelpunkt: kampffähige Soldaten einsatzbereit zu halten.144 Die Transformation der Prinzipien 140

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Vgl. z.B. BMVg, Zentrale Dienstvorschrift A-2600/1 »Innere Führung, Selbstverständnis und Füh­ rungskultur«, November 2017, Ziff. 316, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. ebd., S. 3. Vgl. Moerchel, 50  Jahre Bundeswehr (Interview mit General  a.D. Ulrich de Maizière), S.  8; BMVg, Bericht des Bundesministeriums der Verteidigung zur Anwendung der Konzeption der Inneren Führung oder vergleichbarer Konzeptionen in NATO-Staaten, 16.5.1997, AdsD, Nachlass Dieter Heistermann, Akte: Innere Führung/Politische Bildung; BMVg, Verteidigungspolitische Richtlinien für den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung, 26.11.1992, Punkt 53: Leitbild und Selbstverständnis des Soldaten. BMVg, Verteidigungspolitische Richtlinien für den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung, 21.5.2003, S. 30. Vgl. Bohrmann, Person, Staatsbürger, Soldat, S. 14.



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der Inneren Führung in reale Kriegssituationen gestaltete sich in der Praxis allerdings schwierig. Insbesondere in den Truppenteilen, die in Auslandseinsätze mit Kampfmandat entsendet wurden, gab es gelegentlich Zweifel daran, ob die Füh­ rungs­konzeption noch zeitgemäß ist.145 Auch die gesellschaftliche Bedeutung der Bundes­wehr ließ nach. Bei der Kommandeurtagung der Bundeswehr in Bonn am 10. Oktober 2005 konstatierte Bundespräsident Köhler ein »freundliches Des­in­te­ resse«146 der Deutschen an ihrer Armee. Bredow eruierte 2007 vier Bereiche, in denen die Innere Führung einer Anpassung an innen- und außenpolitische Entwicklungen bedurfte: 1. Die staatlichen Vorgaben zum Schutz der soldatischen Grundrechte und der Inneren Führung müssten auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. 2. Der neue Auftrag der Streitkräfte müsse der Gesellschaft verständlich kommuniziert werden. 3. Innerhalb der Streitkräfte müssten effiziente und verlässliche Regelungen eingeführt werden, die gewährleisteten, dass die Grundsätze der Inneren Führung auch bei der Erfüllung der neuen Aufgaben nicht vernachlässigt würden. 4. Das Selbstverständnis des Soldaten jenseits militärischer Fertigkeiten müsse so erweitert werden, dass darin auch die politischen, rechtlichen und legitimatorischen Aspekte dieser neuen Aufgabe integriert werden könnten.147 Gut zehn Jahre nach Bredows Überlegungen ist die Akzeptanz der Inneren Führung auch weiterhin offenbar durchwachsen. Insbesondere unter jüngeren Offizieren mit Kampferfahrung in Afghanistan. Die Konzeption, so der Tenor, spiegle nicht mehr die von ihnen in Gefechten gemachten Erfahrungen.148

b) Der neue Soldat: Staatsbürger in Uniform 1955 bis 1990: Soldat für den Frieden Baudissin bezeichnete die Konzeption eines neuen Soldaten für die Bundeswehr als »Griff ins Unbekannte«, weil es notwendig sei, »über den bisherigen Erfahrungsbereich 145 146

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Vgl. Meyer, Innere Führung und Auslandseinsätze (HSFK-Report 2/2009), S. 1. Rede von Bundespräsident Horst Köhler bei der Kommandeurtagung der Bundeswehr in Bonn, 10.10.2005, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Bredow, Erweitertes Einsatzspektrum der Bundeswehr, S. 133. Einer der schärfsten Kritiker der Inneren Führung ist Marcel Bohnert. Der Oberstleutnant stellt die Führungsphilosophie teilweise mit zweifelhaften Thesen in Frage. So bezweifelt er etwa, dass eine kämpfende Armee in der Mitte der Gesellschaft stehen könne. Vielmehr versteht er den Soldatenberuf als Beruf sui generis und wendet sich damit ab von einem zentralen Grundsatz der Inneren Führung. Als Kern des soldatischen Handelns begreift er den Kampf. Das führt ihn in seiner 2017 erschienenen Streitschrift schließlich zu der Frage, »inwieweit eine friedliche geistige Grundorientierung von Soldatinnen und Soldaten dazu geeignet ist, in einem Kampfeinsatz zu tragen«. Bohnert, Innere Führung auf dem Prüfstand, S. 13; Bohnert, Armee in zwei Welten, S. 84; Bohnert, Ressortzusammenarbeit. In: peacelab, 23.3.2017, (letzter Zugriff 6.9.2021); Kampling/Walter, Oberstleutnant Marcel Bohnert. In: ndr, 24.7.2020, (letzter Zugriff 6.9.2021).

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hinauszudenken«.149 Auf der Grundlage des Leitbildes des Staatsbürgers in Uniform, an dem sich die Innere Führung orientiert, entwickelte Baudissin ein soldatisches Selbstbild und Berufsverständnis, das im Kontrast zum reinen Befehlsempfänger von Reichswehr und Wehrmacht steht. Baudissins neuer Soldat war aber nicht ganz ohne Vorbild in der deutschen Militärgeschichte, denn in gewisser Weise ließ er sich auf die preußischen Militärreformer Clausewitz, Gneisenau und Scharnhorst zurückführen. Deren zentrales Anliegen war es, eine enge Verbindung zwischen Volk und Armee über die Allgemeine Wehrpflicht und das Dienen aus Überzeugung sowie durch die Achtung vor der Würde des einzelnen Menschen zu erreichen.150 Ähnlich wie die schweren Niederlagen von Jena und Auerstedt 1806 die preußischen Heeresreformen initiierten,151 bedingte die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs die militärischen Reformen der Bundesrepublik. Neben der Notwendigkeit, den neuen Soldaten tief in der Gesellschaft der Bundesrepublik zu verwurzeln, zwang vor allem die Gefahr eines Atomkriegs zu einem grundlegenden Wandel des soldatischen Berufsverständnisses. Für die »Konstruktion des neuen Soldaten«152, wie Baudissin auf technokratische Weise diese Arbeit am Menschen bezeichnete, war daher nicht mehr die traditionelle Auffassung vom Soldatentum maßgebend, sondern alles »an sittlichen, geistigen und menschlichen Kräften [...], was für jede soldatische und menschliche Ordnung überhaupt notwendig ist und sein wird«153. Durch diese Bindung an Moral und Sittlichkeit sollte der Soldat zu einem Wesen werden, das freiheitlich und verantwortlich seinen Dienst tut. Dadurch sollte eine Wiederholung der verheerenden historischen Erfahrung verhindert werden, der zufolge der Soldat zum »bloßen Funktionär der Gewalt«, zum »Legionär« und zum »Diener jedes Regimes« wird.154 Wie der neue deutsche Soldat stattdessen zu verstehen sei, brachte das Amt Blank auf folgende Formel: Der »Typ des modernen Soldaten« sollte ein »freier Mensch, guter Staatsbürger und vollwertiger Soldat zugleich« sein.155 Ausgangspunkt dieses Ansatzes war der »Staatsbürger in Uniform«, ein Soldat, integriert in das geistige und politische Leben des Gemeinwesens. Ein Soldat, der die gleichen Grundrechte wie jeder andere Bürger besitzt und der weiß, was Freiheit ist. Er hat Teil am politischen und gesellschaftlichen Diskurs, denn, so Baudissin, »nur die Einbürgerung des Soldaten verschafft ihm das Erlebnis der Werte, die er zu verteidigen hat, und nur die Möglichkeit zum Mitgestalten gibt ihm auch einen Anreiz zur Verantwortung«156. 149 150 151 152 153

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Wolf Graf von Baudissin, Das Bild des zukünftigen Soldaten, undatiert, S. 1, BArch, N 690/185. Vgl. Zumkley, Braucht die Bundeswehr Tradition?, S. 67. Vgl. Rink, Jena und die Folgen. Wolf Graf von Baudissin, Das Bild des zukünftigen Soldaten, undatiert, S. 1, BArch, N 690/185. Ebd. Im Handbuch Innere Führung 1957 entwarf Baudissin das Idealbild des Soldaten als christlichen Ritters. Der Offizier der Bundeswehr sollte die christlichen Traditionen bejahen und sich zu dem Urbild des abendländischen Soldaten, dem Miles Christianus, bekennen. Allerdings ließ sich dieses deutlich religiöse Konstrukt nicht durchsetzen. Das schließlich entworfene Bild des Soldaten als Landes- und Bündnisverteidiger war das Ergebnis pragmatischer Überlegungen. Vgl. Libero, Soldatische Identität, S. 48; BMVg, Handbuch Innere Führung (1957), S. 76. Wolf Graf von Baudissin, Das Bild des zukünftigen Soldaten, undatiert, S. 5, BArch, N 690/185. Zit. bei: Libero, Soldatische Identität, S. 47. Baudissin, Das Bild des zukünftigen deutschen Soldaten (Juni 1954), S.  206; Baudissin, Soldat (1962), S. 195.



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Das Dienen des Soldaten wurde durch diese Vorstellungen vom rein autokratischen Prinzip von Befehl und Gehorsam befreit, das der Idee des Staatsbürgers in Uniform widersprach. Und es wurde auf die Ebene der inneren Überzeugung verlagert, aus der heraus der Soldat, wie Ulrich de Maizière forderte, die »feste Ent­schlos­ sen­heit zur Verteidigung, d.h. zum Kampf« ableiten musste – »wenn es sein muss bis zur Hingabe des Lebens«157. Die innere Überzeugung zum Dienst am Gemeinwesen und zur Verteidigung der damit verbundenen Werte sollte von nun an den rigorosen soldatischen Gehorsam ersetzen. Die Grundannahme, die hinter dieser Konzeption erkennbar ist, besagt, dass der Soldat nur dann bereit ist, seine Heimat, seine Gesellschaft und die mit ihr verbundenen Anschauungen zu verteidigen, wenn er von den Werten der freiheitlichen und rechtstaatlichen Ordnung überzeugt ist und diese auch als verteidigungswert erkennt. Die Verkörperung all dieser Prinzipien ist das Grundgesetz, welches das Handeln des Soldaten ethisch begründet, rechtlich begrenzt und moralisch rechtfertigt.158 Wie auch der neue soldatische Eid nahelegt, wird das »treue Dienen« daher an »Recht« und »Freiheit« gebunden, die sowohl das Verständnis von Gehorsam wie auch die einseitige Bindung an Personen oder das Vaterland relativieren. Dadurch, dass sich ein Dienen jenseits demokratischer und humanitärer Werte verbietet, sollte die Pflicht zum Dienst legitimiert und zugleich begrenzt werden.159 In der Praxis zeigte sich später allerdings, dass Begriffe wie »Vaterland« oder »Heimat« als Antwort auf das »Wofür« des Dienens durchaus ihre Bedeutung behielten, sich aber mit den Wertbegriffen der Gesellschaft verbanden.160 Diese gesellschaftlichen und moralischen Werte traten an die Stelle des vormaligen Feindbildes. Durch die Bindung des militärischen Dienens an das Grundgesetz fiel insbesondere im historischen Vergleich auf, dass der Soldat nun nicht mehr primär gegen etwas kämpft – die Franzosen, die Engländer oder die Russen. Der Soldat kämpft nun vor allem für etwas: die Erhaltung des Friedens oder die Verteidigung der Wertegemeinschaft, als deren gleichberechtigter Teil er sich begreift. Denn nach Auffassung der Reformergruppe um Baudissin genügte es nicht mehr, einen mit Waffen und Gerät ausgerüsteten und ausgebildeten Kämpfer zu erziehen, sondern der Soldat müsse, wie de Maizière ausführte, »innerlich bereit und willens sein, diese Waffen und Geräte anzuwenden, d.h. zu kämpfen und zu schießen, wenn es die Lage erfordert«161. Doch in den Zeiten der potenziell alles vernichtenden Kraft eines Nuklearkriegs bedeutete die Fähigkeit zum Kampf paradoxerweise: »Kämpfen können, um nicht 157 158

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Maizière, Innere Führung, S. 2. Vgl. Maizière, Entstehung und Grundgedanken, S. 28 f.; Bohrmann, Person, Staatsbürger, Soldat, S. 12; BMVg, Zentrale Dienstvorschrift A-2600/1 »Innere Führung, Selbstverständnis und Füh­ rungskultur«, November 2017, Ziff. 103, (letzter Zugriff 6.9.2021). Zit. bei: Lange, Fahneneid, S. 219. Vgl. Maizière, Entstehung und Grundgedanken, S. 26; BMVg, Handbuch Innere Führung (1957), S. 9 f. Vgl. Dienststelle Blank, Vom künftigen deutschen Soldaten, S. 27; Nägler, Zur Ambivalenz der Atom­waffe, S. 158. Maizière, Innere Führung, S. 2.

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kämpfen zu müssen«162. Dies war das Grundaxiom der militärischen Abschreckung und ein Novum in der deutschen Militärgeschichte. Denn alles militärische Dienen und jede Ausbildung an der Waffe diente einzig und allein der Verhinderung eines Kriegs und dem Ziel der Erhaltung des Friedens, wie es auch der Friedensauftrag des Grundgesetzes festschreibt.163 Das oberste strategische Ziel, das sich aus diesem Kriegsbild ableitete, war daher nicht mehr der militärische Sieg, sondern das »Nichtbesiegt-Werden«164 bzw. die Verhinderung der atomaren Vernichtung. Der Auftrag des Soldaten, die Verhinderung eines Krieges, bedeutete also die Verhinderung des Tötens und dadurch auch die Verhinderung des Sterbens. Laut Handbuch für Innere Führung durfte Militärdienst »kein freiwilliger oder unfreiwilliger Sklavendienst sein, der den blinden und totalen Gehorsam aus Zwang oder mangelnder Einsicht über alles stellt«165. Damit ging das Verständnis von »Gehorsam aus Verantwortung« einher, diese vernunftsethisch begründete Selbst­ ver­pflichtung in der Denktradition von Immanuel Kant, die den Soldaten über den bloßen Befehlsempfänger erhebt.166 Auf diese Weise sollte dem Missbrauch der Gehorsamspflicht an der Front vorgebeugt werden, sodass sich der Soldat weder sinnlos und blindlings »verheizen« lassen noch er selbst aufgrund seiner Befehle zum Kriegsverbrecher und Mörder werden sollte. So sollte der Soldat durch ein Men­ schen­bild geprägt werden, das die Ideale der Aufklärung mit den Grundsätzen des demokratischen Rechtsstaates vereint. Das bedeutet aber auch, dass der mündige »Staatsbürger in Uniform« gegebenenfalls Befehle verweigert, wenn diese humanitären, ethischen oder demokratischen Prinzipien fundamental widersprechen. Dieses militärische Berufsverständnis grenzte das Ideal des Bundeswehrsoldaten klar vom Soldatenbild der Wehrmacht mit ihrem Führerkult und dem Diktum des absoluten Gehorsams ab.167 Ähnlich wie es bei Polizeibeamten und Feuerwehrmännern der Fall ist, übernimmt auch der Staatsbürger in Uniform die Aufgaben des Soldaten aus Verantwortung gegenüber dem Gemeinwesen. Entgegen den Forderungen der Traditionalisten wurde dem Soldaten der Bundesrepublik Deutschland keine Sonderstellung innerhalb der Gesellschaft mehr zugestanden.168 Theodor Blank, ab November 1955 erster Verteidigungsminister der Bundesrepublik, formulierte dies bereits 1952 so: 162

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Dieses Motto rief Verteidigungsminister Schmidt für das Jahr 1971 aus. Vgl. Chronik 1. Kompanie, Panzergrenadierbataillon 53, 1971, BArch, BH 9-5/390. Im August 1972 erhob er es in den »Hilfen für die Innere Führung« (ZDv 10/1, IV, 235 [1]) in den Rang eines offiziellen Grundsatzes für das Selbstverständnis des Bundeswehrsoldaten. Baudissin, Gedanken zur inneren Führung, S. 206; auch: Baudissin, Staatsbürger in Uniform und Innere Führung, S. 159; Baudissin, Der Bürger in Uniform. In: Die Zeit, 9.5.1969; Reeb, Krieg und Frieden, S. 125. Baudissin, Gedanken zur inneren Führung, S. 206; auch: Baudissin, Staatsbürger in Uniform und Innere Führung, S. 159; Baudissin, Der Bürger in Uniform. In: Die Zeit, 9.5.1969; Reeb, Krieg und Frieden, S. 125. Vgl. Baudissin, Beitrag des Soldaten zum Dienst am Frieden, S. 39. Vgl. Baudissin, Grundsätzliche Weisung, S. 63 f.; Ebeling/Seiffert/Senger, Ethische Fundamente der Inneren Führung, S. 23. Vgl. Baudissin, Das Bild des zukünftigen Soldaten (2014), S. 58. Vgl. Bormann, Als »Schule der Nation« überfordert, S. 351; BMVg, Handbuch Innere Führung (1964), S. 29.



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»Wir wollen und werden dafür sorgen, dass der Komiss nicht wiederkommt. Sondern wir wollen den ›Staatsbürger in Uniform‹, den Soldatentyp, der die freie Persönlichkeit sich entwickeln lässt und zugleich die nötige Härte und Schlagkraft der Truppe gewährleistet [...] Wir wollen dem Beruf des Soldaten einen neuen Sinn geben. Dieser Beruf ist in der Vergangenheit zuerst überbewertet und dann zu Unrecht verdächtigt worden. Für die Zukunft muss gelten, dass der Soldat wie jeder andere Bürger eine notwendige Aufgabe im Staate erfüllt. Ihm gebührt die gleiche Achtung, nicht mehr und nicht weniger.«169

Eine ähnliche Position vertrat auch Baudissin. In seiner Konzeption des neuen Soldaten widersetzte sich der Reformer dem Postulat der Traditionalisten, dass das Soldatische aufgrund seiner vermeintlich zeitlosen Charakteristika wie Ehre, Disziplin, Gehorsam, Kameradschaft oder Opferbereitschaft eine Sphäre sui generis begründen müsse. Insbesondere die permanente Lebensgefahr, aus der heraus sich die Ehre des Soldaten als Belohnung und Kompensation ableitet, ist in einem modernen Krieg (z.B. der Totale Krieg der Nationalsozialisten oder ein nuklearer Schlagabtausch) nicht mehr auf den kämpfenden Soldat beschränkt, sondern sie betrifft in gleichem Maße auch die Zivilbevölkerung.170 Nach Baudissin: »Nachdem die ganze Welt zum Schlachtfeld wurde, ist der Soldat aus seiner Sonderstellung, die ihm seit den Zeiten des Absolutismus zugewiesen war, zurückgetreten in den Kreis derer, die mit ihm zusammen eine bestimmte Lebensform gestalten und verteidigen.«171 Eine besondere Gefährdung des Soldaten bestehe daher nur noch unter Vorbehalt, sodass nicht mehr erkennbar sei, »woher der Soldat heute noch ein Ehrbewusstsein ableiten will, das über die angeborene Ehre hinausgeht, die jeder unbescholtene Staatsbürger und jeder pflichtbewusste Staatsdiener genießt«172. Der mögliche »Ernstfall« präsentiere sich, wie der Militärexperte und Sozial­wis­ sen­schaftler Gerhard Kümmel erläuterte, in zwei Formen, die beide bezüglich der Lebensgefährdung keinen Unterschied zwischen Soldaten und Zivilisten machten. Dies sei zum einen das apokalyptische Szenario des Atomkrieges. Die Vertei­di­gungs­ konzepte der NATO während des Kalten Krieges – »massive retaliation« und »flexi­ ble response« – und die im Ernstfall damit verbundene Vernichtungskraft waren nichts anderes als euphemistische Umschreibungen für den massenhaften Tod auf allen Seiten, ohne Unterscheidung zwischen Soldat und Zivilist.173 Zum anderen aber könne ein ähnliches Szenario auch durch konventionelle Waffen ausgelöst werden, etwa durch massive Fliegerangriffe auf Städte oder durch großflächigen Artilleriebeschuss. Aus dieser Negation einer Sonderstellung leitete sich für Baudissin ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen dem Staatsbürger in Uniform und seinen soldatischen Vorgängern ab: 169 170 171 172 173

Theodor Blank, Die deutsche Verteidigungspolitik im Rahmen der deutschen Außenpolitik, 1952, ACDP, 01-098-001/1. Vgl. Baudissin, Soldat in der Welt von heute, S. 169 f. Baudissin, Das Kriegsbild. Vortrag, S. 18. Baudissin, Soldat in der Welt von heute, S. 170. Vgl. Pommerin, Von der »massive retaliation« zur »flexible response«; Kümmel, ›Gestorben wird immer‹!?, S. 94 f.

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»Da seine täglichen Aufgaben ihn befriedigen, braucht er nicht für die Zukunft zu leben, da er keine Sonderstellung genießt, braucht er nicht auf die Rechtfertigung im Ernstfall zu warten. Schon die Realität moderner Kriegsführung verbietet es ihm, in den Bahnen des 19. Jahrhunderts weiterzudenken und im Kriege ein ersehntes ›Feld der Bewährung‹ [...] zu erblicken.«174

Der neue demokratische Soldat der Bundeswehr, so folgerte Baudissin weiter, durchbreche die »angeblich logische Kette, dass Soldat = Krieg bedeute«175. Bestehe im traditionellen deutschen Soldatentum die Bewährungsprobe des Soldaten noch im Krieg und in seiner kriegerischen Leistung, betonte Heusinger, so liege sie beim Soldaten der Bundeswehr in erster Linie in der militärischen Abschreckung und der dadurch erhofften Verhinderung des Kriegs und dessen apokalyptischer Zerstörungskraft.176 Das Wirken des Soldaten, ergänzte Baudissin, dürfe daher nicht mehr auf den Krieg ausgerichtet sein. Denn bei einem Krieg gehe es heute nur noch »um die letzte Verteidigung der Existenz [...] und der Soldat hat hierbei mitzuhelfen, diesen Krieg durch einen Höchstgrad abwehrbereiter Kriegstüchtigkeit zu verhüten«177. Da der militärische Auftrag neben den Verpflichtungen im NATO-Bündnis vor allem in der territorialen Landesverteidigung bestand, prägte die Erhaltung des Friedens – zusammen mit den sicherheitspolitischen Vorgaben des Ost-West-Kon­ flik­tes – die Identität und das Selbstverständnis des Bundeswehrsoldaten auf grundlegende Weise.178 Der Soldat, forderte Baudissin, solle erstmalig und ausschließlich seine lohnende Aufgabe darin erkennen, »im Frieden den Frieden zu bewahren und im Krieg den Rückweg in den Frieden offenzuhalten«179. Dieser zentrale Grundsatz sollte den Soldaten bereits bei ihrem Eintritt in die Bundeswehr vermittelt werden. Anlässlich der feierlichen Verpflichtung der ersten Wehrpflichtigen in Mittenwald am 19. Mai 1957 postulierte Verteidigungsminister Strauß: Die Verhinderung des Kriegs »allein kann der Sinn soldatischer Existenz sein«180. Ihr Symbol erhielt diese Philosophie der Kriegsverhinderung in den Zeiten des Kalten Krieges durch den Igel. Er wurde zum programmatischen Wappentier der Bundeswehr, verbunden mit dem Slogan »Schön friedlich«181. Denn mit seiner wenig aggressiven Natur, aber der Fähigkeit, bei Gefahr jederzeit die Stacheln zur Verteidigung zu nutzen, stellte der Igel das perfekte Bild des bewaffneten Friedens dar. Die Konzeption der Inneren Führung begriff den Soldaten aber keineswegs nur als Apostel des Friedens. Denn im Fall der Verteidigung sei er »Ziel, Mittel und Träger des kalten wie des heißen Gefechts«182. Auch der neue Soldat musste kämp174 175 176 177 178 179 180 181 182

Baudissin, Das Leitbild des zukünftigen Soldaten (Januar/Februar 1955), S. 216. Baudissin, Das Bild des zukünftigen Soldaten, undatiert, S. 3, BArch, N 690/185. Vgl. Heusinger, Das Selbstverständnis des Soldaten in unserer Zeit, S. 44. Baudissin, Das Bild des zukünftigen deutschen Soldaten (Juni 1954), S. 208. Vgl. Seiffert, Soldatische Identitäten und neue Auftragslage. Baudissin, Soldat für den Frieden, S. 28. Ansprache des Herrn Ministers an die Wehrpflichtigen anlässlich der feierlichen Verpflichtung in Mittenwald am 19.5.1957, BArch, BW 2/1147. Vgl. Loch, Das Gesicht der Bundeswehr, S. 310. Zit. bei: Naumann, Ein staatsbürgerlicher Aristokrat, S. 44.



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fen und gegebenenfalls töten. Das Selbstverständnis des Dieners für den Frieden beinhaltete daher auch die antagonistische Vorstellung des »harten Kämpfers«183, der »notfalls auch das Töten von Menschen auf sich nimmt«184. Trotz dieser martialischen Wortwahl entstammte dieser »harte Kämpfer« einem anderen semantischen Hintergrund als der »Krieger« der Traditionalisten. Denn wie Baudissin ausführte, handelte es sich beim Kämpfer der Reformer nicht um eine Art Kampfmaschine, sondern in erster Linie um die geistige und moralische Standfestigkeit des Soldaten. Darüber hinaus wurde die Kämpfernatur, die traditionell das Alleinstellungsmerkmal des Soldatenberufes darstellt, als Nebenaspekt des Soldatischen identifiziert.185 Das Handbuch Innere Führung wies zwar explizit darauf hin, dass bei der Verteidigung des deutschen Volkes »nicht nur an die Verteidigung mit der Waffe im heißen Gefecht gedacht werden«186 dürfe. Doch jenseits aller Rhetorik der Kriegsverhinderung betonten auch Reformer wie de Maizière, dass der Kampf stets die letzte Konsequenz soldatischen Dienens sei.187 Ein Soldat aber, der an der Waffe ausgebildet wird, um diese möglichst nicht zu benutzen, musste über eine andere Motivation und andere Werte verfügen, um in seiner Existenz einen Sinn zu erkennen. Generalinspekteur Heusinger formulierte diese Aufgabenstellung 1958 im Rahmen eines Vortrags an der Evangelischen Akademie Loccum so: »Die Bewährung des Soldaten muss heute in erster Linie an der Verhinderung des Krieges gemessen werden. Damit stellt sich das alte Problem der soldatischen Existenz im Frieden mit verdoppelter Dringlichkeit. Es wird für den Berufssoldaten nicht immer leicht sein, ein Leben lang den inneren Schwung beizubehalten für die Vorbereitung einer Situation, die nach unserem Willen niemals eintreten soll. Hier müssen wir neue Maßstäbe für die soldatische Leistung entwickeln. Die nimmermüde Bereitschaft, das Schreckliche ver­hindern zu helfen, muss zu einem der entscheidenden Wertmesser des Soldatischen werden.«188

Durch das Leitbild des »Staatsbürgers in Uniform« wurden militärischer Kampfeinsatz und akute Lebensgefahr des Soldaten an die Peripherie der soldatischen Identität verschoben. Damit unterschied sich die Bundeswehr grundlegend von der traditionell verankerten Auffassung dessen, was das soldatische Selbstbild im Innersten ausmacht. Denn historisch gesehen ist der Tod stets integraler Bestandteil der soldatischen Identität.189 Trotz der Tatsache, dass nicht der Kampf, sondern dessen Verhinderung das Ziel der soldatischen Identität für die Bundeswehr im Kalten Krieg war, und trotz aller Bemühungen der Reformer, den Tod als Alleinstellungsmerkmal des Soldaten in den Zeiten potenzieller Massenvernichtung zu relativieren – die Möglichkeit, als Kämpfer getötet zu werden, war nicht nur in der Geschichte des Militärischen zentraler Wertbezug des Soldatischen. Sie behielt auch in der Wahrnehmung der 183 184 185 186 187

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Baudissin, Zur Aufgabenstellung des Referats Inneres Gefüge, S. 152. Vgl. Baudissin, Soldat in der Welt von heute, S. 172. Vgl. ebd.; auch: Mannitz, Bundeswehr als Freund und Helfer in aller Welt?, S. 7. BMVg, Handbuch Innere Führung (1957), S. 10. Eine der Ausnahmen bildete die Rhetorik de Maizières. Er übersetzte den »klaren Ver­tei­di­gungs­ auftrag« der Bundeswehr mit dem »soldatischen Kampfauftrag, der auf das Bestehen im Krieg ausgerichtet sein muss.« Maizière, Innere Führung, S. 2. Vgl. Heusinger, Das Selbstverständnis des Soldaten, S. 44. Vgl. Dörfler-Dierken, Der Tod des Soldaten als Opfer, S. 76‑78.

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Bundeswehrsoldaten einen hohen Rang. Ebenso forderten führende Persönlichkeiten der Veteranenvereine, traditionalistisch orientierte Führungsoffiziere, die über großen Einfluss in der Bundeswehr verfügten, sowie vor allem Wehrmachtveteranen, die in der Bundeswehr dienten, die uneingeschränkte Anerkennung der berufsdefinierenden Rolle des Todes im Kampf für das Selbstbild des Soldaten. Micewski begreift den Tod als die »metaphysische Natur des Militärischen, die von ihrem Wesenskern her unveränderlich«190 sei:

»Im Kontext des Kriegers und Soldaten wird dieses ›Überleben-Wollen‹ einerseits, dieses ›Sichopfern-Wollen‹ andererseits, dieser wunderbare Dualismus von ethischer Sinn­ gebung, wenn schon nicht andauernd gelebt und bewiesen, so doch ständig geübt, unterbewusst reflektiert, in den kleinen Dosen der Entbehrungen und Einschränkungen, welche die Natur des Militärischen für den Soldaten in Ausbildung und Erziehung nahezu ständig bereithält, genossen [...] Ich wage, abschließend, nochmals die zusammenfassende Feststellung, dass die Faszination des Soldatischen und Militärischen in erster Linie mit den Ideen des ›Sich-dem-Tod-Stellen‹, dem sich potenziell ›Aufopfern‹, und dem ›Sich-der-Ohnmacht-Entgegenstemmen‹ zu tun hat.«191

Diese »institutionalisierte Leitidee der individuellen Todesbereitschaft«192 mache das Militär zum gesellschaftlichen Subsystem, wie der Soziologe M. Rainer Lepsius betont. Der Ernstfall, auf den das Militärwesen ausgerichtet sei, habe vor­ aus­sehbare Todesfolgen für die Soldaten. Daher umfasse die Sozialisierung des Soldaten für den Ernstfall einen den eigenen Tod antizipierenden und legitimierenden Wertbezug. Die soldatische Identität entwickelt daher, so sieht das auch Lepsius, ein Sonderbewusstsein, aus dem heraus sich der Anspruch auf Prestige und Sonderschätzung des Soldatischen ableitet.193 Schon in der ersten Planungsphase der Bundeswehr versuchten ehemalige Wehrmachtangehörige, diese Wertbindung und die Sonderrolle des Soldatischen festzuschreiben und fortzusetzen. So schrieb Oberstleutnant a.D. Erich Hildebrand 1952 in der Wehrwissenschaftlichen Rundschau ganz im alten Duktus: »So steht das Leben des Soldaten, im Krieg und im Frieden im Zeichen der Bereitschaft zum Opfer, das seinem Stand den Adel verleiht, der ihn vor allen anderen Ständen auszeichnet und der ihm in allen wehrtüchtigen Völkern auch bereitwillig zuerkannt wird.«194 Durch das »Gleichgewicht des Schreckens« blieb der Soldatentod im Kampf bis zum Ende des Kalten Krieges für die Bundeswehr allerdings »bestenfalls eine formlose Abstraktion«195. Für die neue Armee der Bundesrepublik war der Tod daher weder zentraler Wertbezug für den Soldaten noch integraler Bestandteil des Soldatenberufes. Stattdessen, stellte Verteidigungsminister Stoltenberg fest, hätten 190 191 192 193 194 195

Micewski, Tod und Tabu, (letzter Zugriff 6.9.2021). Ebd. Lepsius, Militärwesen, S. 366. Vgl. ebd. Hildebrand, Wandelbare und unwandelbare Werte, S. 310. Siehe auch Picht, Vom künftigen deutschen Soldaten III, S. 579. Hempelmann, Den Tod studieren, S. 12.



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die Soldaten nur noch potenziell »die Pflicht übernommen, notfalls unter Einsatz ihres eigenen Lebens Frieden und Freiheit aller Bürger [...] zu verteidigen«196. Auch die Reformer de Maizière oder Heusinger sprachen von der »Bereitschaft zum Einsatz des Lebens«197 allenfalls dann, wenn es denn unbedingt aus Verantwortung gegenüber dem Gemeinwesen sein müsse. So oder ähnlich sahen es auch andere Führungspersönlichkeiten wie Ernst Ferber, Generalleutnant und Inspekteur des Heeres.198 All diese Äußerungen belegen die Abspaltung des Soldatentodes, seine Kennzeich­ nung als Ultima Ratio – ganz in Abgrenzung zur Heroisierung des Soldaten­ todes und einer Erziehung hin zum Sterben, so wie es in älteren Konzepten des Soldatischen angelegt war.199 Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Forderung an den Bundeswehrsoldaten, sein Leben bedingungslos zu opfern, suspekt geworden. Sie fand sich daher auch nicht in den Richtlinien des BMVg, die sich inhaltlich mit dem Soldatenberuf befassten wie etwa die verschiedenen Ausgaben der Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) 10/1 »Innere Führung«200. Denn das Grundgesetz erklärt den Schutz des Lebens zum höchsten Wert. Dies gilt auch für das Leben des Soldaten.201 Und so verlor das Opfer des Lebens seinen imperativen Charakter und verlagerte sich auf die Ebene der Ultima Ratio. Auch das Soldatengesetz, welches dem Selbstverständnis des Soldatenberufes einen juristischen Rahmen verleiht, schränkte in Paragraf  7 die Möglichkeit des Soldatentodes erheblich ein.202 Vor allem aber schlägt sich das Fehlen der uneingeschränkten Forderung nach dem Einsatz des Lebens in der Eidesformel der Bundeswehr nieder, die den Soldaten schwören lässt, »der Bundesrepublik treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen«203. Neben den gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen bildet der Eid die theoretische Grundlage und den Wertbezug des soldatischen Selbstverständnisses. Denn der Eid, respektive das Gelöbnis, steht am Anfang der Dienstzeit eines Sol­ daten und hat die Funktion, dem Soldaten als Staatsbürger seine Aufgabe und seine Rolle innerhalb des staatlichen Gefüges zu verdeutlichen und ihn emotional an die196 197 198

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Der BM der Verteidigung, Informations- und Pressestab, Mitteilungen an die Presse, 20.10.1989, ACDP, 01-626-019/112. Heusinger, Die Bundeswehr und die alten Soldaten, S. 96. Vgl. Maizière, Innere Führung, S. 2; Ansprache des Inspekteurs des Heeres bei der Einweihung des Ehrenmals des Heeres am 29. Oktober 1972 in Koblenz auf der Festung Ehrenbreitstein, BArch, BW 1/22111. Vgl. Bormann, Die Erziehung des Soldaten, S. 114. Im August 1972 gab das BMVg die »Hilfen für die Innere Führung« (ZDv 10/1) heraus. Diese lösten das 1956 erstmals erschienene und bis 1972 mehrfach aufgelegte »Handbuch Innere Führung. Hilfen zur Klärung der Begriffe« ab. Überarbeitete Fassungen davon erschienen 1975, 1993, 2008 und 2017. Vgl. BMVg, Zentrale Dienstvorschrift A-2600/1 »Innere Führung, Selbstverständnis und Führungskultur«, November 2017, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 2, § 2; Dörfler-Dierken, Der Tod des Soldaten als Opfer, S. 77. Vgl. Rittau, Soldatengesetz, S. 92, Punkt 2. Vgl. BMVg, Handbuch Innere Führung (1957), S. 13.

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ses zu binden. Auf diese Weise steht der Eid der Bundeswehr ganz im Gegensatz zu den Eidesformeln von Reichswehr, Wehrmacht und auch NVA, die alle explizit den Einsatz seines Lebens vom Soldaten forderten.204 Sowohl das Soldatengesetz der Bundesrepublik wie auch der Eid der Bundeswehr stellen den Begriff der Tapferkeit in den Mittelpunkt. Und Tapferkeit meint dabei keineswegs zwangsläufig und an erster Stelle den Einsatz des Soldatenlebens. Der Kommentar zum Soldatengesetz von 1957 erläuterte zur Tapferkeit, dass diese »das Ziel der Erziehung und Selbsterziehung des Soldaten sein solle, dessen Wille zur treuen Pflichterfüllung stärker als die Furcht ist, und dass ihm durch den beschlossenen Wortlaut des § 7 der besondere Ernst seiner Aufgabe deutlich vor Augen gestellt werden soll, damit er die Einsicht gewinnt, dass die Verteidigung von Recht und Freiheit den Einsatz der ganzen Person notwendig macht«.205

Die Verlagerung von Kampf, Tod und Töten auf die Ebene eines »notwendigen Übels«206 bzw. einer theoretischen Bereitschaft dazu legte dem Angehörigen der Bundeswehr eine kritische Distanz zu den soldatischen Attributen nahe. Diese zumindest partielle Ausblendung des Soldatentodes war ein ganz entscheidender Grund dafür, dass die Bundeswehr kaum über Formen der offiziellen und öffentlichen Trauer- und Gedenkkultur für ihre im Dienst getöteten Soldaten verfügte. Nach 1990: Die Rückkehr des Kämpfers

Über 40 Jahre trat der »Ernstfall«, der Kampfeinsatz für die Bundeswehr, nicht ein. Plötzlich war er da, am 12. Juni 1999 in der ehemals jugoslawischen Provinz Kosovo. Seit diesem Tag und zum ersten Mal in ihrer Geschichte nahm die Bundeswehr an einem militärischen Einsatz im Ausland kämpfend teil.207 Das Ende des Kalten Kriegs, der Zerfall der Sowjetunion und die Auflösung des Warschauer Pakts führten nicht nur zur Erosion der bipolaren Weltordnung, sondern auch zu einem tiefgreifenden Wandel des soldatischen Selbstverständnisses innerhalb der Bundeswehr. Der Staatsbürger in Uniform, dessen militärisches Selbstverständnis auf die unbedingte Verhinderung eines potenziellen Atomkriegs ausgerichtet war, sah sich praktisch über Nacht mit einer vollkommen veränderten militärischen Ausgangslage konfrontiert. Er fand sich in einer Situation wieder, 204

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Die Forderung nach dem Einsatz des Lebens wurde 1955/56 mit dem Vorschlag für die Eidesformel »Vaterland und Freiheit unter Einsatz meiner Person tapfer zu verteidigen« durchaus diskutiert. Vgl. Stenographische Berichte des Deutschen Bundestages, 6.3.1956, S. 6881. Der Vorschlag, die Soldaten explizit den Einsatz des Lebens schwören zu lassen, war in den frühen 1950er-Jahren sehr populär, da kurzfristig eine Orientierung an bekannten Formen stattfand. Für die verschiedenen Vorschläge vgl. Lange, Der Fahneneid, S. 202‑219. Zu den Eidesformeln in Reichswehr, Wehr­macht und NVA vgl. ebd., S. 113, 118, 151, 155. Vgl. Schmitz, Kämpfer, Helfer, Retter ..., S. 20‑22, hier S. 20; Flink, Notwendiger Rückhalt, S. 17 f. Rittau, Soldatengesetz, S. 92, Punkt 2 (Auslegung von § 7 Grundpflicht des Soldaten: Der Soldat hat die Pflicht, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen). Nägler, Zur Ambivalenz der Atomwaffe, S. 157. Vgl. Die Bundeswehr in Kosovo – KFOR, (letzter Zugriff 6.9.2021).



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auf die er durch seinen militärischen Auftrag nicht vorbereitet war.208 Denn nun rückten für die Bundeswehr plötzlich konventionell geführte und räumlich begrenzte militärische Auseinandersetzungen im Rahmen der NATO in den Bereich des Denkbaren, ja, des unmittelbar Möglichen. Zur Führung eines Kriegs aber waren die Bundeswehrsoldaten weder durch ihre Ausbildung oder ihr Berufsverständnis noch durch ihre mentale Einstellung bereit. Denn man habe ihnen vergessen zu sagen, wie der Vordenker und Mitbegründer der Bundeswehr Kielmansegg feststellte, »dass Sol­ datsein in letzter Konsequenz auch töten und sterben heißen kann«. Und Soldaten, die das nicht wüssten, attestierte Kielmansegg »Signaturen eines gestörten Verständ­ nisses von Aufgabe und Wesen des Soldaten«.209 Noch vier Jahre später bestätigte eine unter Bundeswehrsoldaten durchgeführte Befragung die Hartnäckigkeit der von Kielmansegg konstatierten und seit dem Ende des Kalten Krieges wirklichkeitsfremd gewordenen Wahrnehmung des eigenen Berufes. Zwei Drittel der Befragten gaben an, dass sie sich nicht mit der Möglichkeit des eigenen Todes im Kampfeinsatz auseinandergesetzt hatten. Das Bewusstsein für den Tod als letzte Konsequenz des soldatischen Dienstes hatte sich auch 1995 bei der Mehrheit der Bundeswehrsoldaten noch nicht verfestigt. Im Gegenteil, der eigene Tod galt neben dem Töten des Gegners als Tabu in der Bundeswehr - trotz der sich seit 1990 deutlich wandelnden militärischen Anforderungen.210 Denn die veränderte politische Weltlage und zahlreiche militärische Konflikte, die in den 1990er-Jahren aufflammten, konfrontierten die Bundeswehr mit neuen Auf­gaben und mit Einsätzen im Ausland. Es begann im Mai 1992 in Kambodscha, im August 1992 folgte Somalia. Diese beiden Auslandseinsätze waren noch rein humanitärer Natur. Die Bundeswehr leistete medizinische Hilfe und half bei der Auf­ bereitung von und der Versorgung mit Trinkwasser. Im Juni 1999 kämpften im Rahmen der NATO-Sicherheitstruppe »Kosovo Force« (KFOR) zum ersten Mal seit 1945 wieder deutsche Soldaten im Ausland.211 Seit Januar 2002 war die Bundeswehr auch in Afghanistan präsent. Sukzessive nahm sie unter dem Dach der ISAF an konkreten Kriegshandlungen teil, und im April 2009 mussten sich deutsche Soldaten in einem Feuergefecht bewähren. Die Zeit der Bundeswehrdoktrin »kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen« war endgültig vorbei. Die Bundeswehrsoldaten waren von nun an mit einer anderen militärischen Realität konfrontiert, einer Wirklichkeit, in der für sie der Kampf zur Handlungsoption werden musste und damit Teil eines veränderten Berufsverständnisses.212 208

209 210 211 212

Der Warschauer Pakt löste sich am 1. Juli 1991 auf. Das Ende des Kalten Krieges wird jedoch allgemein auf den Zusammenbruch der Sowjetunion am 25. Dezember 1991 datiert. Vgl. Umbach, Das rote Bündnis, S. 590‑597; Stöver, Der Kalte Krieg 1947‑1991, S. 437‑462; Mannitz, Bundes­ wehr als Freund und Helfer in aller Welt?, S. 2. Kielmansegg, »Der Krieg ist der Ernstfall«, S. 304, 306. Vgl. Puzicha, Soldatentod, S. 91, 94, 97; Uhlmann, Verwundung und Tod, S. 79 f. Vgl. BMVg, Die Bundeswehr im Einsatz, S. 85‑89. Vgl. ebd., S. 95‑105; Nachtwei, Der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Siehe Kap. V.2.b. Am 14. März 1997 standen Bundeswehrsoldaten im Rahmen der »Operation Libelle« (SFOR-Mission) das erste Mal in einem Gefecht. Es verlief ohne eigene Verluste. Vgl. Militärhistorisches Museum

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So begann durch die Auslandseinsätze eine Auseinandersetzung innerhalb der Bundeswehr, die sukzessive eine deutliche Akzentverschiebung bezüglich der Funktion und der Identität des Soldaten einleitete, die langfristig wohl zu einem »fundamentalen Identitätswechsel« führte.213 Insbesondere die Einsatzerfahrungen während der ISAF-Mission waren prägend für die neue soldatische Identität. Ob­ wohl nur ein sehr kleiner Bruchteil aller Soldaten an dieser Mission teilnahm, diskutierte man die Veränderung des soldatischen Selbstverständnisses innerhalb der Sozial­wissenschaften fast ausschließlich in Bezug auf den Afghanistan-Einsatz.214 In der Bundeswehr selbst dagegen setzte die entsprechende Diskussion bereits deutlich früher und im Zusammenhang mit den ersten Auslandseinsätzen215 ein. Grundlage des Diskurses war die Annahme, dass das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform, dessen Aufgabe die Landesverteidigung war, zwar in seinem Wesen bestehen bleiben solle, aber aufgrund der neuen Einsätze einer Erweiterung und einer neuen Legitimationsbasis bedürfe. Inhaltlich reihte sich die neue Debatte beinahe nahtlos in die Kette früherer Auseinandersetzungen um das Selbstverständnis des Bundeswehrsoldaten ein.216 Alte Fragen – Auslandsmissionen oder reine Landes­ver­ teidigung? Aktiver Kämpfer oder Beauftragter zur Abschreckung? Staatsbürger in Uniform oder Soldat sui generis? – wurden neu gestellt. Auf der 33. Kommandeurtagung der Bundeswehr in Leipzig im Mai 1992 deutete General Klaus Naumann, Generalinspekteur der Bundeswehr, bereits die Tendenz der neuen Identität des Soldaten an. Er stellte klar, dass zur Einsatzbereitschaft gehöre, dass die »Truppe [...] im Frieden ebenso wie in Krise und Krieg [...] kämpfen kann und, wenn sie es muss, auch kämpfen will«217. Denn »der Soldat [ist] in letz-

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der Bundeswehr, 60 Jahre Bundeswehr, o.S.; Pommerin, Vom Kalten Krieg, S. 378; Hansen, Vom Friedensalltag zur Kriegserfahrung, S. 267. Vgl. Hansen, Vom Friedensalltag zur Kriegserfahrung, S. 264; Collmer, Der flexible Soldat, S. 144. Vgl. Dörfler-Dierken, Identitätspolitik der Bundeswehr, S. 147. Militärhistoriker und Soziologen diskutierten im Wesentlichen über drei Soldatenbilder: Zum einen über den miles protector, einen Soldaten, der rettet, schützt und hilft und im Notfall auch mit militärischen Mitteln Sicherheit erzwingen kann. Zweitens über den miles bellicus. Dieser Soldatentyp ist reduziert auf den Willen zum Kampf und steht für ein überzeitliches Kämpfertum, das mit dem zivilgesellschaftlichen Wertekanon des Staatsbürgers in Uniform nicht vereinbar ist. Daneben gab es eine dritte Position, die zwischen dem Kämpfer und dem Staatsbürger in Uniform keinen Gegensatz sah und beide Faktoren in das Leitbild des Bundeswehrsoldaten integrieren wollte. Vgl. Neitzel, Der Westen und die Neuen Kriege, S. 63‑79. Tatsächlich ist die Bundeswehr seit 1960 im Ausland engagiert. Sie hat vielfach in Katastrophen­ gebieten Hilfe geleistet, etwa in Marokko, Tunesien und Äthiopien. Für eine vollständige Auflistung der Auslandseinsätze vor 1990 vgl. Wegweiser zur Geschichte: Auslandseinsätze der Bundeswehr, Anhang, S. 297‑301. Vgl. Küenzlen, Kämpfer in postheroischer Zeit?, S.  114  f.; Naumann, Die Bundeswehr im Leitbilddilemma, S. 75; Warburg, Paradoxe Anforderungen, S. 59. Naumann, Schlußbemerkungen (Kommandeurtagung der Bundeswehr 1992), S. 35. Nach Auf­ fassung des Generalinspekteurs war die Bundeswehr allerdings noch primär auf die Landes­ver­tei­ di­gung ausgerichtet. Vgl. Naumann, Standortbestimmung (Kommandeurtagung der Bundeswehr 1992), S. 21. Es sei jedoch, so Naumann, bereits denkbar, dass sich der Einsatz der Bundeswehr auch »außerhalb Deutschlands« [...] »in unterschiedlichen Formen vollziehen« kann. Naumann, Schlußbemerkungen (Kommandeurtagung der Bundeswehr 1992), S. 33.



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ter Konsequenz ein Kämpfer«218. 1993 wurde Naumann deutlicher: »Wir brauchen Kämpfer [...] Es ist ein neuer Soldat, den wir brauchen.«219 Auch Verteidigungsminister Rühe sah dies ähnlich, wenn auch deutlich zurückgenommener formuliert. Denn aus dem »Kämpfer« wurde bei ihm der »aktive Friedensförderer«220:

»Ein neuer Soldatentypus entstand: vom Kriegsverhinderer zum aktiven Friedensförderer. Er bleibt der Verteidiger von Freiheit und Frieden. Er muss kämpfen können und notfalls mit seinem Leben einstehen. Das ist der unveränderte sittliche Kern des soldatischen Dienstes. Aber heute kommt etwas Großartiges hinzu: Unsere Soldaten leisten ein aktives Friedenswerk.«221

Der Position von Naumann und Rühe, die sich durch Bezeichnungen wie »Weltbürger in Uniform«222, »demokratischer Krieger«223 oder »bewaffneter Sozialarbeiter in globaler Mission«224 dem neuen Soldatenbild anzunähern versuchte, stand später eine deutlich andere Auffassung innerhalb der Bundeswehr gegenüber. Diese orientierte sich weniger am Leitbild des »Staatsbürgers in Uniform«. Sie ging vielmehr von der Fragestellung aus, ob denn nicht stattdessen eine reine Kämpfernatur à la Rambo besser zur Erfüllung der neuen Aufgaben der Bundeswehr geeignet sei. Ganz in diesem Sinn forderte Heeresinspekteur Budde im März 2004 den »archaischen Kämpfer«225. Diese Vorstellung provozierte allerdings heftigen Widerspruch, weil sie eine völlige Abkehr vom Staatsbürger in Uniform bedeuten würde.226 Trotz aller Unterschiede – zwei zentrale Eigenschaften, die grundlegend für die Identität des Bundeswehrsoldaten werden sollten, kristallisierten sich nach und nach heraus. Zum einen das »Schützen« und »Helfen«, Merkmale, die Naumann auf der Kommandeurtagung der Bundeswehr 1995 als integrale Bestandteile des soldatischen Leitbildes bestätigte.227 Zum anderen das »Kämpfen« des Bundeswehrsoldaten, das ab der Jahrtausendwende sukzessive Teil des soldatischen Selbstverständnisses wurde.228 Ergänzen ließe sich noch die Rolle des Vermittlers, des Diplomaten und des 218 219 220 221 222 223 224 225 226

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Naumann, Schlussbemerkungen (Kommandeurtagung der Bundeswehr 1992), S. 35. Naumann, Standortbestimmung (Kommandeurtagung der Bundeswehr 1993), S. 40. Rühe, Rede (Kommandeurtagung der Bundeswehr 1993), S. 20. Ebd. Vgl. Arenth/Westphal, Soldat, Soldat in neuer Form. In: Die Woche, 15.4.1993; Arenth/Westphal, Gesucht: Weltbürger in Uniform, S. 64‑67. Vgl. Herberg-Rothe, Demokratische Krieger, S. 26‑30. Vgl. Biehl, Kämpfer auf dem Vormarsch?, S. 52; Bredow, Die Zukunft der Bundeswehr, S. 21. Zit. bei: Winkel, Bundeswehr braucht archaische Kämpfer. Die Welt, 29.2.2004. Vgl. Fax von Oberst Dietrich Genschel an Dieter Heistermann, Betr.: Deine Anfrage betreffend Tragfähigkeit des Leitbildes Staatsbürger in Uniform und Zusammenhang mit neuen Aufgaben der Bundeswehr/Internationalen Einsätze, 28.1.1998, AdsD, Nachlass Dieter Heistermann, Akte: Innere Führung/Politische Bildung. Vgl. Zwicknagl, Die Bundeswehr an der Schwelle, S.  12. Solche anachronistischen Vorschläge können, so der Historiker Naumann, als Unsicherheit gedeutet werden und als Flucht in traditionalistische Leitbilder, die Orientierung geben sollten für die Anfang der 2000er-Jahre noch neuen Einsatzerfahrungen und Extremsituationen. Vgl. Naumann, Die Bundeswehr im Leitbilddilemma, S. 88. Vgl. Naumann, Reden (Kommandeurtagung der Bundeswehr 1995), S. 26, 33; Naumann, Die dunkle Seite des Soldatentums. In: Die Welt, 1.8.2013. Vgl. Küenzlen, Kämpfer in postheroischer Zeit, S. 120.

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Schlichters.229 Die Übergänge zwischen den verschiedenen Rollen, die zusammen die neue soldatische Identität bedingen, sind allerdings fließend, oft sogar innerhalb eines Einsatzes. Der ausschließliche Kämpfer, den manche führenden Funktionsträger der Bundeswehr propagierten, erwies sich daher als »hoffnungslos unterkomplex«230, wie der Historiker und Sozialforscher Klaus Naumann konstatierte. Ähnlich sah es auch das Weißbuch des BMVg von 2006, das den modernen Soldaten neben seiner Funktion als »Kämpfer« auch als »Helfer«, »Schützer« und »Vermittler« in Personalunion verstand, der an demokratische Normen und Werte sowie an die Erhaltung und den Schutz des Friedens gebunden ist.231 Vor allem mit dem Afghanistan-Einsatz 2002 trat die Fokussierung auf den soldatischen Kämpfer und dessen primär militärische Aufgaben zunehmend in den Vordergrund. Das Statement von Verteidigungsminister Jung aus dem Jahr 2006, dem zufolge der Soldat »im Kern immer noch Kämpfer«232 sei, zeigte, dass der Kämpfer innerhalb der Bundeswehr zur Selbstverständlichkeit wurde. Die Metamorphose des soldatischen Wesens und die Betonung des Kämpfe­ri­ schen hatten beträchtliche Auswirkungen auf das Selbstverständnis des Bun­des­wehr­ soldaten. Eine der entscheidenden Folgewirkungen war die Wieder­besinnung auf alte soldatische Tugenden.233 Werte wie Tapferkeit, Ehre, Mut, Kamerad­schaft und Opferbereitschaft erhalten auf diese Weise in einer global operierenden Einsatzarmee und damit im soldatischen Selbstverständnis eine reale Entsprechung, wie der Generalinspekteur der Bundeswehr General Volker Wieker schrieb. Weil sie real gefordert werden. Weil sie hilfreich bei der Bewältigung der Herausforderungen des Einsatzes und häufig mit persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen verbunden sind234, die in den Erzählungen und im Austausch der Soldaten nachwirken und so zur Verfestigung dieser Werte beitragen. Vor allem die oft existenziellen Ein­ satz­erfahrungen trennen heute den Bundeswehrsoldaten wieder von der Zivil­gesell­ schaft und verleihen seinem Beruf erneut eine Sonderstellung, die das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform zu relativieren versuchte. Deutliches Indiz für die wachsende Bedeutung traditioneller soldatischer Tugen­ den war die Einführung von Einsatzmedaillen im April 1996, mit denen zunächst rückwirkend die Teilnahme am UN-Einsatz in Kroatien, United Nations Protection Force (UNPF), honoriert wurde und die seitdem in Silber, Bronze oder Gold als sichtbares Ehrenabzeichen für Auslandseinsätze verliehen werden. Unter den Soldaten allerdings wuchs die Kritik an dieser Form der Ehren- und Teilnahmemedaille. Besonders ab 2002, als Bundeswehrsoldaten im Rahmen der ISAF-Mission immer 229 230 231 232

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Vgl. Bohrmann, Person, Staatsbürger, Soldat, S.  24; auch: Schmitz, Kämpfer, Helfer, Retter ..., S. 21. Naumann, Die Bundeswehr im Leitbilddilemma, S. 78. BMVg, Weißbuch 2006, S. 70. Vgl. Biehl, Kämpfer auf dem Vormarsch?, S. 50 f. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Franz Josef Jung anlässlich des XXXII. Inter­na­tio­ nalen Militärhistorikerkongresses am 21.8.2006 in Potsdam, (letzter Zu­ griff 2.12.2015), Privatarchiv Julia Nordmann. Im Weißbuch 2006, S. 95, erklärte Ver­tei­di­gungs­ minister Jung den Umstand, dass der Soldat im Einsatz auch in der Lage sein müsse zu kämpfen, zur »Grundlage« des Berufes. Vgl. Küenzlen, Kämpfer in postheroischer Zeit, S. 114. Vgl. BMVg, Soldat sein heute, S. 7.



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öfter in direkte Kampfsituationen gerieten. Viele Afghanistan-Kämpfer waren der Meinung, diese Abzeichen würdigten weder die große Gefahr von Verwundung oder Tod ausreichend noch würden sie der besonderen Härte dieses Einsatzes gerecht.235 Im Spätsommer 2008 reagierte Verteidigungsminister Jung auf die Kritik der Soldaten. Er führte das Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit ein, das erste Ehren­abzeichen seiner Art in der Bundeswehr, das für herausragende tapfere Leistungen jenseits der soldatischen Grundpflichten verliehen wurde.236 Verteidi­ gungs­minister zu Guttenberg setzte diesen Weg fort. Im November 2010 stiftete er die Einsatzmedaille Gefecht. Sie wird jedem Soldaten verliehen, der mindestens einmal »aktiv an Gefechtshandlungen teilgenommen« oder »unter hoher persönlicher Gefährdung terroristische oder militärische Gewalt erlitten«237 hat. Mit den Auslandseinsätzen wurden nicht nur alte soldatische Werte und Tugenden wiederbelebt. Die von den Vereinten Nationen oder der NATO geleiteten Missionen konfrontierten die Bundeswehr mit einschneidenden und zugleich originären Aufgaben: Denn zum ersten Mal in ihrer Geschichte hatte die deutsche Nachkriegsarmee Tote im Auslandseinsatz zu beklagen. Am 14. Oktober 1993 wurde Alexander Arndt in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh auf offener Straße erschossen. Der 26-jährige Feldwebel ist offiziell der erste Gefallene der Bundeswehr.238 Auch an anderen Orten fielen Angehörige der Bundeswehr. So am 8.  Oktober 2001 in Georgien, wo Oberstabsarzt Dieter Eißing und seine nichtdeutschen Begleiter bei einem UN-Einsatz in einem Hubschrauber abgeschossen wurden.239 Besonders tragisch war das Selbstmordattentat der radikalislamischen Taliban vom 7. Juni 2003 in der afghanischen Hauptstadt Kabul, bei dem vier Bun­ des­wehrangehörige starben und weitere 31 verwundet wurden.240 Die Gefallenen stellten die Bundeswehr vor ein Problem, das für eine Armee keines sein sollte: durch Gewalteinwirkung getötete Soldaten. Denn von ihrer Gründung an bis in die 1990er-Jahre hinein war die Bundeswehr in keinerlei militärische Auseinandersetzungen verwickelt. Sie kannte daher nur im Dienst verunglückte Soldaten. Diese Unfallopfer ehrte man intern, hielt für sie im Rahmen der Bundeswehr Trauerfeiern ab, und die Kameraden errichteten vielleicht eine Gedenkecke in der Kaserne. 235

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Vgl. BMVg, Die Bundeswehr im Einsatz, S. 80. Hier findet sich zudem eine Übersicht über die unterschiedlichen Ehrenzeichen und Medaillen der Bundeswehr. Vgl. Bohnert, Armee in zwei Welten, S. 82 f. Vgl. BMVg, Ehrenzeichen und Einsatzmedaillen der Bundeswehr, S. 8‑18. Optisch gleicht das Ehren­kreuz der Bundeswehr für Tapferkeit dem Eisernen Kreuz, das die Bundeswehr als Aus­ zeich­nung nicht reaktiviert hat. Zwei stilistische Eingriffe brechen diese Ähnlichkeit jedoch auf. Anders als das in Silber gefasste und schwarz akzentuierte Eiserne Kreuz ist das Ehrenkreuz der Bundes­wehr ganz in Gold gehalten. In seiner Mitte ist zudem ein rundes Emblem aufgesetzt, das, gerahmt von einem Eichenkranz, das Hoheitszeichen der Bundeswehr und den Bundesadler als Symbol des Staates übereinanderliegend zeigt. Das Eiserne Kreuz besaß ein solches Emblem nicht. Die Insignien des jeweiligen Staates waren direkt in das Kreuz eingebracht. Vgl. Heinemann, Das Eiserne Kreuz; BMVg, Ehrenzeichen und Einsatzmedaillen der Bundeswehr, S. 13, 18. Guttenberg führt Kämpfer-Orden ein. In: Der Spiegel, 15.11.2010. Siehe Kap. V.2.b. Vgl. Manutscharjan, Tod im Kaukasus. In: Focus, 15.10.2001. Siehe auch Kap. V.2.b. Goos, Das Leben nach dem Tod. In: Der Spiegel, 16.6.2008.

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Doch was ist der richtige, der angemessene Umgang mit Toten durch Fremd­ einwirkung, mit Kriegstoten? Mit Soldaten, die gemäß offizieller Verlautbarung für den Schutz Deutschlands gestorben waren? Denn wie Verteidigungsminister Struck am 5. Dezember 2002 feststellte: »Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt.«241 Die Staatsbürger in Uniform waren für ihren Staat gefallen. Und dieser hatte nun die Pflicht, seine für das Gemeinwohl Gefallenen öffentlich zu betrauern und zu würdigen. Auf welche Riten und Rituale aber kann, soll oder darf man dabei zurückgreifen? An welche militärische Tradition kann man anknüpfen? Und welche Zeremonien, Symbole und Handlungen sind aus historischen Gründen zu meiden? Auf diese zentralen Fragen mussten nun die deutsche Politik wie die Bundeswehr angemessene Antworten finden. Mit der Übertragung der binnenmilitärischen Trauerformen für tödlich verunfallte Soldaten auf die im Ausland bei Kampfeinsätzen Gefallenen der Bundeswehr, wie sie bis 2008 üblich ist, zeigte sich die Truppe zunehmend unzufrieden. Auf viele Soldaten, die sich selbst in existenziell bedrohlichen Einsatz- und Kampfsituationen befanden, wirkten diese Zeremonien unpassend, verfehlt und befremdlich, weil sie weder ihre hohe Opferbereitschaft ausreichend würdigten noch ihre lebensgefährlichen Erfahrungen widerspiegelten.242 Im Jahr 2009 reagierten Politik und Bundeswehr auf den Unmut der Truppe. Am Berliner Sitz des BMVg, im Hof des Bendlerblocks, weihte man das Ehrenmal der Bundeswehr für deren Tote und Gefallene ein. Überdies begründete man das Institut des Ehrengrabes der Bundeswehr.243 Die Härten und Gefahren der Auslandseinsätze der Bundeswehr bewirkten zudem, dass man den Soldaten aufgrund ihrer einschneidenden und oft traumatischen Erfahrungen wieder eine herausgehobene Stellung und eine besondere Anerkennung und Ehre zubilligt. Dadurch will man die Unterschiede in der Erfahrungswelt von Kämpfern und Zivilisten betonen. Auf diese Weise rückten Politik und Bundeswehr ein gutes Stück weit ab von einer zentralen Eigenschaft des »Staatsbürgers in Uniform«: der Vermeidung jeglicher Sonderstellung des Soldaten. 241

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Im Vorfeld der für das Frühjahr 2003 geplanten Vorstellung der überarbeiteten Verteidigungspoliti­ schen Richtlinien, die den Abschied der Bundeswehr von der reinen Landesverteidigung weiter forcierten, erläuterte Verteidigungsminister Struck am 5. Dezember 2002 die neue Maßgabe am Beispiel der deutschen Beteiligung an der ISAF-Mission: »Die Sicherheit der Bundeswehr wird eben auch am Hindukusch verteidigt.« Dieser Satz löste eine öffentliche Debatte über die neuen Aufgaben der Bundeswehr aus, in deren Rahmen sich der Bezugspunkt des Sicherheitsaspektes zunehmend von der Bundeswehr auf die Bundesrepublik verschob. Struck übernahm diese Wendung und formulierte am 21. Februar 2003 auf einer Pressekonferenz die neue verteidigungspolitische Doktrin so: »Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt.« Zit. bei: Schmitz, Das soldatische Selbstverständnis im Wandel, S. 13. Am 24. Juni 2008 richtete die Bundeswehr die Trauerfeier für einen im Ausland getöteten Soldaten erstmals nicht mehr intern auf militärischem Gelände aus, sondern öffentlich in einer repräsentativen Kirche am Standort des Toten. Auf diese Weise wurden die militärischen Trauerfeiern für im Ausland gefallene Bundeswehrsoldaten nach und nach zu einem Element der offiziellen und öffentlichen Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr. Ausführlicher mit dieser Entwicklung beschäftigt sich Kapitel VI.2.c. Vgl. Bohnert, Armee in zwei Welten, S. 86. Vgl. BMVg, Das Ehrenmal der Bundeswehr, S. 55; BMVg, PSZ III/1, Fürsorge in Todesfällen in einer besonderen Auslandsverwendung, 14.1.2010, Punkt 3, Privatarchiv Julia Nordmann.



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Mit seinen Verteidigungspolitischen Richtlinien von 2011 griff das BMVg den Gedanken einer Sonderstellung des Soldaten auf: »Zu den Besonderheiten des soldatischen Dienens zählt, dass der Einsatz mit der Gefährdung von Leib und Leben verbunden sein kann. Vom Soldaten wird verlangt, den übertragenen Auftrag tapfer und unter Einsatz seines Lebens im Kampf durchzusetzen.«244 Diese Festschreibung bedeutete eine Abkehr vom Soldatenbild des Kalten Krieges, das den Soldaten ausschließlich als öffentlichen Dienstleister begriff, ganz so wie den Verwaltungsbeamten, den Bibliothekar oder den Mitarbeiter des Ordnungsamts.245 Einer der Wegbereiter dieses neuen soldatischen Selbstverständnisses war Vertei­ di­gungs­minister Stoltenberg. Bereits auf der Kommandeurtagung 1991 und unter dem Eindruck des Zweiten Golfkrieges (August 1990‑März 1991), bei dem eine international zusammengesetzte und von den USA geführte Streitmacht gegen die irakische Invasionsarmee in Kuwait antrat, versuchte Stoltenberg, Politik und Gesell­ schaft darauf vorzubereiten, dass auch die Bundeswehr künftig häufiger in die Lage geraten könne, sich an internationalen militärischen Auslandseinsätzen zu beteiligen. 1990 kaufte sich die Bundesrepublik von einer aktiven Teilnahme an diesem Krieg noch durch eine Zahlung in Höhe von 18 Milliarden DM gewissermaßen frei.246 Stoltenberg kritisierte das »reflexartige« Nein zu bewaffneten Auslandseinsätzen der Bundeswehr als »moralisch fragwürdig« und verantwortungslos und verabschiedete sich so praktisch von einer weiteren Grundeigenschaft des »Staatsbürgers in Uniform«: dem Dienst für den Frieden, den es unter allen Umständen zu bewahren galt. Doch der Frieden, so Stoltenberg, könne nicht zum absoluten Wert erhoben werden.247 Generalinspekteur Dieter Wellershoff pflichtete seinem Dienstherrn bei: »Wir müssen uns auch selbstkritisch fragen, ob nicht auch wir in der Vergangenheit zu sehr dem gesellschaftlichen Trend der Verdrängung der ›Macht‹ in die Ecke des Bösen erlegen sind; ob wir deutlich genug gesagt haben, dass zum Soldatsein nicht nur das ›treue Dienen‹, sondern im Ernstfall auch das ›tapfere Verteidigen‹ gehört; ob wir nicht den Gedanken an Krieg, Tod und Verwundung zu weit in den Hintergrund geschoben haben.«248

Damit wies Wellershoff auf die verdrängten Aspekte des Soldatseins hin. Drastischer formulierte es der Militärdekan Andreas Pawlas. Er unterstellte der Bundeswehr Vorsatz und kritisiert das weitgehende, »vielleicht auch trotzige Beschweigen oder gar Ignorieren der Verbindung des Soldatenberufs mit Angst und Tod, mit Töten und Getötetwerden«249. Diese Merkmale könnten aber, so Pawlas weiter, in Zukunft in ganz entscheidendem Maße die Rolle des Soldatenberufes prägen. Daher müssten sie neu und inten244

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BMVg, Verteidigungspolitische Richtlinien, 27.5.2011, S.  20, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Naumann, Die Bundeswehr im Leitbilddilemma, S. 84. Vgl. Schöneberger, Vom Zweiten Golfkrieg zum Kampfeinsatz im Kosovo, S.  108; Stoltenberg, Rede (Kommandeurtagung der Bundeswehr 1991), S. 3‑15; Hellmann/Wagner/Baumann, Deut­ sche Außenpolitik, S. 204. Vgl. Stoltenberg, Rede (Kommandeurtagung der Bundeswehr 1991), S. 12. Wellershoff, Standortbestimmung (Kommandeurtagung der Bundeswehr 1991), S. 21. Pawlas, Zum Umgang mit Angst, Tod und Trauer in der Bundeswehr, S. 144.

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siv diskutiert werden. Nur so sei sicherzustellen, dass die Soldaten der Bundeswehr ein Selbstverständnis entwickeln könnten, das ihnen als Kämpfer Orientierung und Sicherheit für ihr militärisches Handeln verleihe.250 Das Bild des Kämpfers stellte zwei Aspekte wieder ins Zentrum soldatischer Identität, die aus Gründen der jüngeren deutschen Geschichte mit einem Tabu behaftet waren: das Kämpfen und das Töten. 1992 formulierte Generalinspekteur Naumann diesen Gedanken so:

»Die letzte Konsequenz des soldatischen Dienens, nämlich die Anwendung von Gewalt und damit höchste physische und psychische Anforderungen sowie Gefahr für Leib und Leben, dürfen wir nicht länger verdrängen oder tabuisieren. Wir müssen in Ausbildung und Erziehung darauf eingehen, alles andere wäre ein Verstoß gegen unsere Pflichten als Vorgesetzte zur Fürsorge und Kameradschaft.«251

Durch den Tod von Feldwebel Alexander Arndt erhielten Naumanns Forderungen im Herbst 1993 einen realen Hintergrund. »Nachhaltig hat seine Ermordung in Phnom Penh uns allen ins Bewusstsein gerufen«, stellte der Wehrbeauftragte Alfred Biehle (CSU) in seinem Jahresbericht 1993 fest, »dass auch humanitäre Einsätze von den Beteiligten einen hohen Preis fordern können«252. Ausdrücklich schloss sich Biehle den Forderungen Naumanns an: »Soldaten müssen sich mit der Gefahr, ihr Leben in einem Einsatz zu verlieren, auseinandersetzen. Dies darf jedoch nicht mit falschem soldatischen Pathos geschehen.«253 Der Hinweis zur Pathosvermeidung bezog sich auf fragwürdige Methoden bei der Umsetzung dieser Forderung, etwa im Fall eines Kompaniechefs, der den Teilnehmern einer Stoßtruppausbildung ein zweifelhaftes Erinnerungsblatt aushändigte, das den Soldatenberuf in eine ungebrochene Tradition mit der Wehrmacht stellte und maßlos überhöhte. Es zeigte das Bild eines Obergefreiten der Wehrmacht, bewaffnet und mit Sturmgepäck, und darunter fand sich ein Zitat aus Friedrich Schillers Wallenstein: »Der dem Tode ins Angesicht schauen kann, der Soldat allein ist der freie Mann.«254 In ihrem Jahresbericht von 1995 griff auch Claire Marienfeld (CDU), Biehles Nachfolgerin als Wehrbeauftragte, die Forderung nach der Auseinandersetzung mit dem Soldatentod in der Bundeswehr mit Nachdruck auf:

»Im Rahmen der Vorbereitung auf besondere Auslandsverwendungen werden vermehrt auch Themen wie der Umgang mit Tod und Verwundung [...] in die Ausbildung aufgenommen. Diese Bemühungen sind sehr zu begrüßen und weiter auszubauen. Es scheint mir angeraten, auch Konzepte zu entwickeln, die neben einer umfassenden Vorbereitung eine angemessene Nachbereitung von besonderen Auslandseinsätzen einbeziehen.«255

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Vgl. ebd. Naumann, Schlußbemerkungen (Kommandeurtagung der Bundeswehr 1992), S.  38, aber auch S. 34 f. Deutscher Bundestag, 12. Wahlperiode, Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten, Jahresbericht 1993 (Drucksache 12/6950), S. 4. Ebd., S. 11. Ebd. Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, Unterrichtung durch die Wehrbeauftragte. Jahresbericht 1995 (Drucksache 13/3900), S. 31.



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Auf administrativer Ebene fand die Neuformulierung des soldatischen Selbst­ver­ ständ­nisses in zwei Versionen der ZDv 10/1 – die erste von 1993, die zweite von 2008 – ihren Niederschlag. Sukzessive und auf dem Hintergrund der verschiedenen Einsatzerfahrungen (Kambodscha, Somalia, Kosovo, Afghanistan) wurden das soldatische Selbstverständnis und der soldatische Auftrag weiterentwickelt und an die Realitäten der Auslandseinsätze angepasst. Die wenige Monate vor dem ersten Gefallenen der Bundeswehr erschienene Version der ZDv  10/1 vom 16.  Februar 1993 thematisierte die Auseinandersetzung mit dem Soldatentod noch lediglich in ihrer Anlage 1: »Leitsätze für die Praxis der Inneren Führung«. Dabei blieb sie sehr vage und hypothetisch. Die Grundpflicht des Soldaten sei es, »der Bundesrepublik Deutsch­land treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen«. Dies schließe im äußersten Fall auch »den Einsatz seines Lebens ein«.256 Doch trotz aller Unbestimmtheit konkretisierte die Fassung der ZDv 10/1 von 1993, wenn auch nur im Ansatz, zum ersten Mal die im soldatischen Eid geforderte Tugend der Tapferkeit. Später, und modifiziert durch weitere Auslandseinsätze, wird der Begriff der Tapferkeit eine umfassendere und genauere Bedeutung annehmen. Sie ist nicht nur eine für den kämpfenden Soldaten entscheidende Grundhaltung bei der Überwindung von Angst vor Tod und Verwundung,257 sondern in letzter Konsequenz fordert sie auch den Einsatz des eigenen Lebens. Und genau diesen Einsatz des Lebens thematisierte die Version von 1993 erstmals. Das explizite Selbstopfer dagegen wird auch weiterhin nicht als Forderung an den Soldaten herangetragen. Uwe Hartmann, Oberst und Hochschulpädagoge an der Hamburger Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr, machte geltend, dass die Bundeswehr keinesfalls dazu erziehen dürfe, soldatisches Leben als »Opfergang«258 vorzuleben. Dies widerspreche dem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform, das auch dem Soldaten im Kampfeinsatz prinzipiell den übergeordneten Wert seines Lebens zugesteht, wie er auch im Grundgesetz verankert ist. Eine Ausrichtung der soldatischen Pflichten und der soldatischen Identität hin auf den Tod ist in der Bundeswehr auch nicht erkennbar. Eine ähnliche Sicht, wenn auch aus anderen Gründen, vertrat der Militärsozio­ loge Paul Klein. Allein die Tatsache, dass mehr als drei Viertel aller Soldaten der Bun­deswehr zumeist vor allem organisatorische, logistische oder technische Funk­ tionen ausüben (Hard- und Software-Abteilungen, Kommunikations- und Auf­ klärungsdienste, Ver­sorgungs- und Sanitätseinheiten), erlaube es nicht, die Aufgaben und den Beruf des Soldaten vom Tode her zu definieren.259 Dennoch wurde der aktive Soldatentod mit den Auslandseinsätzen und dem ersten gefallenen Soldaten der Bundeswehr von nun an zu einer durchaus realen Möglichkeit. 256 257 258 259

BMVg, ZDv »Innere Führung«, Februar 1993, Anlage 1.2. Zit. auch bei: Meyer, Innere Führung und Auslandseinsätze, S. 11. Vgl. BMVg, Soldat sein heute, S. 11. Hartmann, Innere Führung, S. 140 f. Vgl. Vereint marschieren – Marcher uni, S. 9; Klein, Soldat und ziviler Beruf, S. 160 f.; DörflerDierken, Der Tod des Soldaten als Opfer, S. 77.

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Auf diese Tatsache reagierte auch die Bundeswehr. Das Zentrum Innere Führung gab den Kommandeuren der Auslandseinsätze Richtlinien an die Hand für den Fall der Verwundung und des Todes von Kameraden und für den angemessenen Umgang mit diesen Situationen. Brigadegeneral Hans-Christian Beck vom Zentrum Innere Führung widmete sich in seinem Vorwort zur ersten Ausgabe des Arbeitspapiers »Umgang mit Verwundung und Tod im Einsatz« (Mai 1996) dieser Problematik:260 »Innere Führung im Einsatz erfordert die geistige Vorbereitung auf bisher eher ungewohnte Themen«261, leitete er seine Schrift vorsichtig ein. Dieses Arbeitspapier war der erste Vorstoß zur Integration des Bereichs Verwundung und Tod in den Rahmen der Ausbildung. Seitdem erschien es in verschiedenen Auflagen und 2010 schließlich in einer gänzlich überarbeiteten Fassung.262 In der Praxis der Bundeswehr allerdings ist das Thema Tod und Trauer erst seit 2008 obligatorischer Bestandteil der Ausbildung der Soldaten.263 Bis dahin erfolgte die Auseinandersetzung mit diesem Komplex auf freiwilliger Basis und zumeist erst unmittelbar vor einem Auslandseinsatz. John Carsten Krumm, Militärdekan und Referatsleiter Personal am Evangeli­ schen Kirchenamt für die Bundeswehr, hält bemerkenswerterweise »eine gewisse Weichheit«264 in der Charakterstruktur des Soldaten für hilfreich bei der Be­wäl­ti­ gung von Verwundung und Tod von Kameraden sowie beim Umgang mit Trauer, Leid, Angst und Schuld. An dieser Herangehensweise orientiert sich auch die Neufassung des Arbeitspapiers von 2010. Sie erteilt damit manchen bundeswehr­ internen Überlegungen eine klare Absage, die den Standpunkt vertreten, dass traditionelle Männlichkeitskonzepte bzw. ein robuster Kämpfer besser zum Umgang mit Verwundung und Tod geeignet seien. Denn diese Sicht der Dinge verkenne, dass auch der Soldat letztlich vor allem »ein Mensch mit Gefühlen und Ängsten«265 sei. Aber nicht nur der potenziell eigene Tod gehört zum Berufsverständnis des Bundeswehrsoldaten, sondern auch das gezielte Töten anderer. Konkret trat diese Situation zum ersten Mal am 21. Januar 1994 für die Bundeswehr ein. Damals tötete ein deutscher Wachsoldat im Rahmen des UN-Stabilisierungseinsatzes in Somalia (UNSOM) einen somalischen Zivilisten, der in das deutsche Lager in Belet Uen eindrang. Auch im Rahmen der ISAF-Mission in Afghanistan töteten Bundeswehrsoldaten. Das spektakulärste Beispiel dafür ist die Bombardierung von zwei durch Taliban-Kämpfer entführten Tanklastwagen bei Kunduz, befohlen am 4.  September 2009 von einem Oberst der Bundeswehr. Dabei wurden Dutzende Zivilisten getötet.266 260 261 262 263 264

265 266

Vgl. Umgang mit Verwundung und Tod im Einsatz (1996), Vorwort. Vgl. ebd. Vgl. Auseinandersetzung mit Verwundung, Tod und Trauer. Vgl. Hempelmann, Den Tod studieren, S. 14. Zit. bei: Libero, Tod im Einsatz, S. 12. Auch der Truppenpsychologe Oberst Horst Schuh vertrat 1999 die Position, dass »die Fähigkeit, zu trauern und den Schmerz des Leids zu spüren«, einen Soldaten nicht schwäche. Vgl. Schuh, Tod im Einsatz, S. 232. Auseinandersetzung mit Verwundung, Tod und Trauer, S. 8. Vgl. Libero, Tod im Einsatz, S. 12. Vgl. Surmann, Neue Militärjustiz?, S.  346; Bundeswehr tötet erstmals einen Menschen in Afghanistan. In: Spiegel online, 20.8.2008; Bundeswehr tötet sechs afghanische Soldaten. In: Die Welt, 3.4.2010. Die Zahl der Opfer der Bombardierung vom 4. September 2009 variiert je nach



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Im Jahr 2008 griff auch die entsprechende Fassung der ZDv 10/1 das Kämpfen und Töten auf, um es offiziell in das Berufsbild und das Selbstverständnis des Bundeswehrsoldaten zu integrieren. Der militärische Dienst, so formuliert es die ZDv, »schließt den Einsatz der eigenen Gesundheit und des eigenen Lebens mit ein und verlangt in letzter Konsequenz, im Kampf auch zu töten«267. Eine praktische Dimension erhielt diese Forderung 2009 durch die Überarbeitung der Einsatzgrundsätze für Bundeswehrsoldaten in Afghanistan. Ausdrücklich erlaubten diese nun den Waffeneinsatz gegen Personen, die »Angriffe planen, vorbereiten, unterstützen oder ein sonstiges feindseliges Verhalten zeigen«268. 2012 präzisierte Generalinspekteur Wieker diese Einsatzgrundsätze:

»Das meint nicht weniger, als den bewussten Einsatz militärischer Gewalt gegen einen Gegner, der häufig in hochkomplexen Szenarien ohne Bindung an das humanitäre Völkerrecht seine Mittel in asymmetrischer Aufstellung zur Wirkung bringt und darüber hinaus Zeitpunkt, Ort und Wahl der Mittel selber bestimmt.«269

Wieker meinte damit nicht nur den Kampf gegen reguläre Soldaten, sondern auch gegen bewaffnete Irreguläre, Untergrundkämpfer, Aufständische, Terroristen. Hieraus ergab sich nicht nur eine neue Qualität des Bundeswehreinsatzes, sondern das Töten eines Gegners, das bei Baudissin allenfalls ein extremer Sonderfall war, wurde zur militärischen Normalität im Rahmen eines Auslandseinsatzes erklärt. Zug um Zug verabschiedete sich die Bundeswehr vom Soldaten, der ausschließlich Friedens­dienste verrichtete, wie ihn Baudissin unter anderen Ausgangsbedingungen einst konzipiert hatte.270 1972 bezeichnete die ZDv 10/1 den Auftrag des Soldaten noch als »Frie­dens­ dienst«271 und seine Kampfbereitschaft als Hilfe zur Wahrung des Friedens. In der aktuellen Fassung der ZDv von 2008, kritisiert Claus Freiherr von Rosen, Oberst­ leutnant a.D. und Leiter des Baudissin-Dokumentationszentrums an der Füh­rungs­ akademie der Bundeswehr in Hamburg, sei bedauerlicherweise von Frieden nichts mehr zu lesen.272 Der neue Bezugspunkt des soldatischen Selbstverständnisses – so gibt es die Ein­satzlage der Bundeswehr vor – sei vielmehr »das Bestehen im Einsatz unter Kampfbedingungen«273. Die Auslandseinsätze führen also dazu, dass Kämpfen, Töten und Sterben allmählich ins Bewusstsein der Bundeswehr dringen und den Soldaten

267

268 269 270 271 272 273

Quelle: Amnesty International nennt 83 Tote, eine Untersuchungskommission aus Kabul 140 und der Untersuchungsbericht der NATO geht von 17 bis 142 Toten aus. Vgl. Mettelsiefen/Reuter, Kunduz, 4. September 2009, S. 125. BMVg, Zentrale Dienstvorschrift A-2600/1 »Innere Führung, Selbstverständnis und Füh­rungs­ kultur«, November 2017, Ziff. 105, (letzter Zugriff 6.9.2021). Die Ausgabe der ZDv 10/1 vom Februar 1993 setzt sich mit der Möglichkeit des Tötens anderer noch nicht auseinander. Zit. bei: Neue Einsatzregeln tragen der Entwicklung Rechnung. In: FAZ, 29.7.2009. BMVg, Soldat sein heute, S. 6. Vgl. Baudissin, Beitrag des Soldaten zum Dienst am Frieden, S. 41; Rosen, Die ZDv 10/1 Innere Führung von 2008, S. 28. BMVg, ZDv 10/1 »Hilfen für die Innere Führung«, August 1972, IV, 235 (1). Vgl. Rosen, Die ZDv 10/1 Innere Führung von 2008, S. 28. BMVg, Soldat sein heute, S. 13. Das Wort »Frieden« wurde hier nicht erwähnt.

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bereits im Rahmen ihrer Ausbildung vermittelt werden müssen. Ein Verleugnen dieser Kernaspekte der soldatischen Profession führt in letzter Konsequenz nur – wie die Anfänge des Einsatzes in Afghanistan deutlich zeigten – zu einer mangelhaft ausgerüsteten sowie mental überforderten und damit praktisch kaum kampffähigen Truppe. Genau dieser Problematik will die aktuelle Fassung der ZDv 10/1 von 2008 in ihrer Ziffer 105 begegnen, indem sie einen starken Bezug zur Einsatzrealität herstellt. Denn der Einsatz in militärisch, politisch und ethnisch hochkomplexen Auslandseinsätzen wie in Afghanistan erfordert einen umfassend ausgebildeten und vorbereiteten Soldaten, der nicht nur seine militärischen Kampftechniken beherrscht, sondern auch über eine gereifte Persönlichkeit und interkulturelle Kompetenzen verfügt.274 So trug der Bundeswehreinsatz in Afghanistan maßgeblich zum Abschied von der alten Bundeswehr und ihrem Soldatenkonzept des Kalten Kriegs bei. Denn vor allem durch diesen Einsatz kamen die Soldaten der Bundesrepublik der Forderung der US-Amerikaner nahe, der zufolge die Deutschen »das Töten wieder lernen müssen«275. Die theoretische Frage: »Soldat für den Krieg?«276, die der evangelische Militärdekan Wolf Werner Rausch 1994 aufwarf, hat die Wirklichkeit längst beantwortet. Oder, wie es die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit am 1. September 2011 im Zusammenhang mit den Soldaten der Bundeswehr lakonisch formulierte: »Sie kämpfen, sie töten, sie sterben.«277

c) Das Bild des Soldatentodes in der Bundeswehr Im Gegensatz zu den Vorgängerarmeen, insbesondere aber der Wehrmacht, die sich geradezu exzessiv mit dem (Helden-)Tod fürs Vaterland befassten,278 formulierten sowohl die Verantwortlichen der Politik in der Bundesrepublik als auch die Führungskräfte der Bundeswehr bis Anfang der 1990er-Jahre kaum theoretische, staatsphilosophische, theologische oder militärseelsorgerische Gedanken und Ideen zum Soldatentod. Dies zeigte sich auch in den entsprechenden Dienstvorschriften und Publikationen des BMVg. In der ZDv 10/8 »Militärische Formen und Feiern der Bundeswehr«, Kapitel 3 »Trauerfeiern« (die erste Fassung von 1967 galt im Wesentlichen unverändert bis 2016) fand der Soldatentod keine Erwähnung. Aktuell ist die Zentralrichtlinie A2/2630/0-0-3 »Militärische Formen und Feiern der Bundeswehr« in Kraft. Die Zentralrichtlinie B-2642/22 »Trauerzeremoniell für gefallene Soldatinnen und Soldaten« von 2017 ergänzt sie und berücksichtigt nun endlich auch den Tod durch Fremdeinwirkung.279 274

275 276 277 278 279

Vgl. Ungerer, Kämpfen, Töten und Getötetwerden. In: BMVg, Reader Sicherheitspolitik 11/2010: (letzter Zugriff 4.12.2015), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Neitzel, Der Westen und die Neuen Kriege, S. 78; Biehl, Kämpfer auf dem Vormarsch?, S. 52. Hammerstein [u.a.], Das Afghanistan-Abenteuer. In: Der Spiegel, 19.11.2006. Rausch, »Soldat für den Krieg?«, S. 126‑129. Friederichs, Das Ende der alten Bundeswehr. In: Zeit online, 1.9.2011. Siehe Kap. I und III.1. Vgl. ZDv »Militärische Formen und Feiern«, August 1967, Kapitel  3 »Trauerfeiern«, BArch, BWD 3/123. Die Fassung vom 3. Juni 1983 war bis zum 30. Oktober 2016 gültig, das Kapitel 3



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Eine der Ausnahmen bezüglich einer frühen Auseinandersetzung mit dem Soldatentod bilden die militärtheoretischen Schriften von Baudissin. Dieser beschäftigte sich mit dem Thema immerhin an mehreren Stellen. Daher bilden Baudissins Einlassungen im Rahmen seiner Konzeption des Soldatischen den Ausgangspunkt und die Grundlage für die Auseinandersetzung mit dem Soldatentod in der Bun­des­wehr. Für das durchgängige Ignorieren dieses für jede Armee zentralen Themas gab es mehrere Erklärungen. 1. Das Kriegsbild der Bundeswehr, das Gleichgewicht des Schreckens und die überwiegende Ausrichtung des Staatsbürgers in Uniform auf den Frieden. Das heißt: In Zeiten eines Atomschlags war Krieg keine Erfolg versprechende Option mehr, sondern stets eine potenziell alles vernichtende Bedrohung, die es durch den Staatsbürger in Uniform, dessen festgeschriebener Auftrag die Friedenserhaltung war, unbedingt zu verhindern galt. Wessen Ziel es aber war, den Krieg unter allen Umständen zu vermeiden, der musste sich auch nicht mit dem Soldatentod in besonderer Weise auseinandersetzen. 2. Die Möglichkeit eines globalen Atomschlags zwischen NATO und Warschauer Pakt bedrohte nicht nur das Leben des Soldaten, sondern das eines jeden Menschen. Dadurch wurde auch das Bewusstsein um das besondere »soldatische Risiko«280 in den Streitkräften zunehmend in den Hintergrund verdrängt. Der Soldatentod unterschied sich so kaum mehr von dem eines Zivilisten. 3. Mit wachsendem Abstand zum Zweiten Weltkrieg galt der Soldatentod zunehmend als »historisiert«, wurde also vor allem als Phänomen der Weltkriege betrachtet. Diese Gründe trugen dazu bei, dass die zumindest potenzielle Bereitschaft des Sol­da­ ten zum Opfertod, die traditionell das Alleinstellungsmerkmal des Soldatenberufes darstellte, in der Bundeswehr nach und nach ihren alten Wert einbüßte. Zwar sah die Publikation des Amt Blank Vom künftigen deutschen Soldaten eine »der Härte des Krieges angemessenen Ausbildung«281 vor. Allerdings waren Krieg, Kampf und Opfer keine sinnstiftenden Bezüge des militärischen Dienstes. Dementsprechend existierte in der Bundeswehr offiziell kein hierfür passender Organisationsrahmen282, also auch keine offizielle und öffentliche Trauer- und Gedenkkultur. Baudissins Vorstellungen über Opfer und Soldatentod begründeten stattdessen ein neues Ethos des Soldatischen, das sich fundamental von seinen historischen Vorgängern abgrenzte. Die Geschichte des deutschen Soldatentums analysierend,

280 281 282

»Trauerfeiern« wurde jedoch 1991 überarbeitet. Vgl. BMVg, ZDv 10/8 »Militärische Formen und Feiern der Bundeswehr«, Juni 1983, Kapitel 3: Trauerfeiern, Juni 1991. Vgl. Fachgespräch im BMVg mit Oberstleutnant Ralf Kimmerle, FüSK III 2 – Referat Betreuung und Fürsorge, Stabshauptmann Michael Rothmeier, Büro für Angelegenheiten für Hinterbliebene, und Oberstleutnant Gerhard Schlaffer, Abteilung Personal/Zentrale Angelegenheiten – Ehrenmal, am 27.5.2020. Da es sich sowohl bei der Zentralrichtlinie als auch bei ihrer Ergänzung um Verschlusssachen handelt, die nur für den Dienstgebrauch bestimmt sind, konnten sie im Rahmen dieser Untersuchung nicht eingesehen werden. Ehlert, Die Bundeswehr als Instrument der Friedenssicherung, S. 20. Vom künftigen deutschen Soldaten, S. 54. Vgl. Nägler, Der gewollte Soldat, S. 47.

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rekurrierte Baudissin insbesondere auf die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs, die zu einer fundamentalen Erschütterung des soldatischen Selbstverständnisses in Deutschland führten. 1955, im Jahr der Aufstellung der Bundeswehr, schrieb er: »Der deutsche Soldat zog mit mehr oder minder festumrissenen, traditionsgebun­ denen Wertbegriffen und militärischen Grundsätzen in den Zweiten Weltkrieg. Die Erfahrungen des Krieges haben alle hergebrachten Maßstäbe gründlich infrage gestellt.«283 Werte wie Opferbereitschaft, Heldentum oder Todesverachtung und die darauf basierende Ausrichtung des Soldatenberufes hin zum Tod, die Baudissin als eine der zentralen Ursachen für den mörderischen Missbrauch des Soldatentums während des Zweiten Weltkriegs identifizierte, stellte er in seinen Überlegungen grundsätzlich infrage. Stattdessen wollte der Militärreformer diese problematischen Werte durch christlich und humanistisch geprägte wie Friedensbereitschaft, Orientierung am Gewissen, moralische Verantwortung oder Achtung der Menschenwürde ersetzen. Also eher Jesus Christus und Immanuel Kant als Ernst Moritz Arndt und Ernst Jünger. Außerdem weigerte er sich, dem Soldatentod eine besondere Form der Ehre zuzusprechen. Damit bestritt Baudissin vehement die Grundannahme Lepsius’, die auch von den Traditionalisten in der Bundeswehr geteilt wurde und der zufolge das Militärwesen per se auf den Ernstfall mit Todesfolge ausgerichtet sei, somit stets einen den Tod antizipierenden und legitimierenden Wertbezug entwickle und dadurch zwangsläufig zur militärischen Subkultur werde.284 Gemäß Baudissin konnte für den Staatsbürger in Uniform der Krieg »kein Feld ersehnter Bewährung sein, wo erst die Mannestugenden geweckt und bestätigt werden können«285. Stattdessen musste sich der Soldat unserer Zeit auf den Frieden beziehen, weil »der Krieg heute nur noch ein Weg in die gegenseitige Vernichtung«286 ist. In dieser Situa­ tion entfiel für Baudissin auch der Wert des soldatischen Selbstopfers. Weder Töten noch Sterben waren für ihn »den Soldatenberuf auszeichnende Besonder­heiten«287, und im Grunde unterscheide sich der Tod eines Soldaten der Bundes­wehr nicht vom Tod eines Polizisten, der im Rahmen seines Dienstes für den Rechts­staat getötet wird. Auch dem Konzept des exklusiven Heldentodes des Soldaten stand Baudissin kritisch gegenüber. Ähnlich vermittelte dies 1964 die Zeitschrift Information für die Truppe 288 den Soldaten der Bundeswehr: »Der Heldentod ist nicht allein Sache der Männer, und er wird nicht allein im Kriege gestorben [...] Die hochherzige Hingabe  

283 284 285 286 287 288

Baudissin, Die neue deutsche Bundeswehr, S. 159. Vgl. Kap. IV.3.a‑b. Vgl. Lepsius, Militärwesen, S. 366. Baudissin, Das Bild des zukünftigen Soldaten, undatiert, S. 7, BArch, N 690/185. Baudissin, Das Kriegsbild. Vortrag, S. 13. Baudissin, Beitrag des Soldaten zum Dienst am Frieden, S. 41. Die Zeitschrift Information für die Truppe (seit 2007: if. Zeitschrift für Innere Führung) erschien erstmals im August 1956. Es ist die älteste Zeitschrift der Bundeswehr. Herausgeber sind der Ver­tei­di­ gungsminister und der Generalinspekteur. Sie beschäftigt sich mit internen Themen der Streitkräfte und dient hauptsächlich zur Vermittlung und Verfestigung der Inneren Führung und des Leitbildes des Staatsbürgers in Uniform. Vgl. Schmidt, Die bildhafte Vermittlung des Staatsbürgers in Uniform, S. 172. Vgl. Kilper, Bundesdeutsche Militärfachzeitschriften von 1952 bis heute, S. 91 f.



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des Lebens [ist] kein Privileg des Soldaten.«289 »Tapferkeit und Opfermut«290 bezeichneten auf diese Weise Kriterien für den Einsatz des eigenen Lebens zur Rettung anderer und sprengten so den exklusiven Kontext des Militärischen. Baudissin erklärte das Töten und das Sterben zur »Nebenfolge«291 des militärischen Auftrags. Diese Sicht widersprach den Traditionalisten in der Bundeswehr, für die das Militär grundsätzlich auf den Ernstfall ausgerichtet war. Sein Konzept, betonte Baudissin, bedeute eine »Revolutionierung des militärischen Denkens«292. Für ihn waren Kampf und Krieg allenfalls die Ultima Ratio und keinesfalls die primäre oder gar einzige Handlungsoption des Soldaten. Der kämpfende Soldat, so Baudissin, dürfe »ja nicht das einzige Mittel«293 einer bi- oder multilateralen Auseinandersetzung sein. Erstrangige Ziele seien vielmehr die Friedenserhaltung bzw. die Abschreckung des Gegners. Kampfhandlungen hingegen sollten nur aus Gründen der Verteidigung bzw. der Außergefechtsetzung des Gegners erfolgen. Wie Baudissin glaubt auch Lepsius, der die Sozialstrukturen gesellschaftlicher Milieus analysierte, dass der moderne Krieg die gesamte Bevölkerung mit dem Kriegstod bedroht. Dennoch, so Lepsius, bleibe das Militär der aktive und exklusive Träger von Kampfhandlungen und benötige daher auch eine besondere Wert­orien­ tierung im Todesfalle.294 Auch der potenzielle Opfertod des Soldaten war für Baudissin kein Selbstzweck des Berufes mehr, sondern lediglich »ein mögliches Mittel zum Zweck«295, d.h. zum Dienst an und zur Verteidigung der Gemeinschaft, die auf dem Fundament der Werte des Grundgesetzes steht. Daher verwendete Baudissin den Begriff des Opfers sehr selten.296 Für ihn war der Tod im Krieg die letzte, die äußerste Konsequenz, der ultimative Notfall des Soldatenberufs, jenseits von allem Pathos und jeglicher Heldenglorifizierung. Damit korrespondierte auch Baudissins Bild vom Krieg, den er als »letzte Verteidigung der Existenz«297 begriff und nicht mehr als Feld soldatischer Bewährung oder gar als Mittel territorialer Expansion. Ähnlich wie Baudissin sah auch de Maizière das soldatische Opfer: Der Einsatz des Lebens geschehe »nicht aus Enthusiasmus, sondern aus nüchterner Erkenntnis der Notwendigkeit«298. Auf diese Weise ersetzte bei den Reformern die utilitaristische Kategorie der Notwendigkeit die traditionell mit dem Soldatentod verbundenen Attribute der Ehre sowie der Aufforderung zur Nachahmung, die bis 1945 jedes soldatische Opfer implizierte. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die Soldaten, insbesonde289 290 291 292 293 294 295 296

297 298

Heldentod im Frieden, o.S. Ebd. Baudissin, Beitrag des Soldaten zum Dienst am Frieden, S. 41. Ebd., S. 40. Baudissin, Das Bild des zukünftigen Soldaten, undatiert, S. 8, BArch, N 690/185. Vgl. Lepsius, Militärwesen, S. 366. Baudissin, Soldat für den Frieden, S. 41. Eine der wenigen Ausnahmen findet sich in einem Aufsatz, der 1964 in der Zeitschrift Wehrkunde erschien. Hier sprach Baudissin von einem militärischen Vorgesetzten, der sich für die »höhere Sache opfert«. Vgl. Baudissin, Über den unbedingten Gehorsam, S. 176. Baudissin, Das Bild des zukünftigen Soldaten, undatiert, S. 8, BArch, N 690/185. Vgl. Bormann, Die Erziehung des Soldaten, S. 114. Maizière, Erziehung zum Staatsbürger in Uniform, S. 95. Vgl. Baudissin, Held oder Krieger oder Soldat?, S. 160.

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re die Offiziere, systematisch darauf vorbereitet und eingeschworen, sich im Krieg zu opfern und ihren Tod auch als Opfergang vorzuleben.299 Diesem Verständnis von Soldatentod und Opfer fühlte sich auch Verteidigungs­ minister Blank noch verbunden. So versuchte er am 14. Juli 1956 in einer Rede vor Angehörigen des VdS in Flensburg die Rehabilitation des opferbereiten Helden: »Es kann für die deutsche Jugend [...] immer noch eine Ehre sein, vorsterben zu dürfen.«300 Der Reformer Baudissin dagegen versucht, den Zusammenhang von Tod, Ehre und Vorbildhaftigkeit aufzubrechen. Reden wie die von Blank oder Publikationen, in denen »der Bundeswehr soldatische Vorbilder angedient [werden], denen nachzusterben wieder höchstes Ziel sein müsse«, muteten ihn »gespenstisch«301 an. Baudissin forderte hingegen, dass sich die Bundeswehr »sehr entschlossen von dem Unsinn einer Erziehung zum Sterben trennen«302 müsse, da diese »einen sehr falschen Ton«303 habe. Stattdessen wollte er den Soldatenberuf auf »das Leben in einer Gemeinschaft, zunächst in der soldatischen und dann in der großen Gemeinschaft«304 ausrichten. Baudissin folgte dem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform, dem mündigen Soldaten, der aus Überzeugung für die demokratischen Werte seiner Gesellschaft kämpft und sich für diese im äußersten Notfall auch opfert. Denn sein Tod solle für den Soldaten »stets ein bewusst der Gemeinschaft gebrachtes Opfer«305 bedeuten. Auf diese Weise brach Baudissin radikal mit der heroischen Aufladung des Sol­ da­tentodes, um so der Wiederkehr des mystifizierten Kämpfers entgegenzuwirken. Konkret lehnte Baudissin, der im Gegensatz zu Lepsius dem Soldaten seine Sonder­ stellung und der militärischen Subkultur ihren exklusiven Status absprechen wollte, eine Heroisierung des Soldatentodes aus folgenden Gründen ab: »Der Tod auf dem Schlachtfeld wird zum ersehnenswerten Heldentod verklärt; er verliert damit die Würde menschlicher Tragik und seinen christlichen Ernst.«306 Darüber hinaus negiere das Konzept des Heldentodes den Wert des individuellen Lebens und widerspreche aufgrund seiner soldatisch-autoritären Ausrichtung dem Staatsbürger in Uniform. Aus christlicher Sicht sei es überdies ethisch problematisch, da es mit dem Wert des Lebens derart fahrlässig umgehe, ohne jeglichen Respekt vor dem Leben der Soldaten.307 Auch aus historischen Gründen, insbesondere wegen seiner Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Heldenkult, wies Baudissin die Heroisierung des Soldatentodes zurück. Diese war mit seiner Idee des militärischen Führers als einer verantwortungsbewusst und sittlich handelnden Person unvereinbar. Denn eine Heroisierung des Soldatentodes verkenne die wesentliche Frage nach dem Ver­hält­ 299 300 301 302 303 304 305 306 307

Vgl. Hartmann, Innere Führung, S. 140 f. Zit. bei: Vorsterben. In: FR, 11.8.1956. Das Redemanuskript war weder im Nachlass von Theodor Blank im ACDP noch im BArch zu finden. Baudissin, Beitrag des Soldaten zum Dienst am Frieden, S. 31. Baudissin, Das Bild des zukünftigen Soldaten, undatiert, S. 10, BArch, N 690/185. Baudissin, Aufgaben der Teilgebiete der Inneren Führung, S. 83. Baudissin, Bild des zukünftigen Soldaten, undatiert, S. 10. Baudissin, Held oder Krieger oder Soldat?, S. 161. Vgl. Baudissin, Aufgaben der Teilgebiete der Inneren Führung, S. 83. Baudissin, Beitrag des Soldaten zum Dienst am Frieden, S. 30. Vgl. Lepsius, Militärwesen, S. 366. Vgl. Baudissin, Beitrag des Soldaten zum Dienst am Frieden, S. 30.



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nis »von Blutopfern und politischer Zielsetzung«308. Stattdessen legitimiere sie das Erteilen von Befehlen zu einem Himmelfahrtskommando oder verlängere durch militärisch und politisch sinnlose Befehle einen Krieg.309 So verliere das Leben des Soldaten seinen Wert, denn ein nationalistisches, autoritäres, totalitäres oder diktatorisches System, in dessen Namen die Soldaten als Helden geopfert werden, muss die Zahl der Toten nicht mehr rechtfertigen, sondern sie nur als den nötigen Preis für ein gewissermaßen heiliges politisches Ziel deklarieren. Die angebliche Größe des Vorhabens rechtfertigt dann die Höhe der Leichenberge. Und dadurch werden die Gefallenen »in nihilistischer Weise zum anonymen Heldentod entwürdigt«310. Die Entscheidung über Leben und Tod, die ein militärischer Führer im Ernstfall treffen muss, so Baudissin, dürfe dieser ausschließlich auf dem Hintergrund einer Ethik der Verantwortung treffen, also aus der Bindung an die Gesellschaft und aus dem Auftrag heraus, den er von dieser erhalte. Dabei müsse der Führer permanent die Notwendigkeit und die Verhältnismäßigkeit von soldatischen Opfern überprüfen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit mit den Werten des Grundgesetzes.311 Überdies setzte ein Führer mit den Idealen Heldenpathos und Opfertum eine Art negativer Selektion in Gang, weil er, wie Baudissin ausführte, »vorzugsweise Menschen an[spricht], denen die inneren Voraussetzungen fehlen, die ihnen in Befehlsgewalt und Waffen anvertraute Machtfülle so rational und sparsam, d.h. so menschlich und zweckgebunden wie möglich zu verwalten«.312 Baudissin ging in seiner Kritik des Opfer- und Heldentodes aber noch weiter. Scharf attackierte er jegliche Glorifizierung. Er argumentierte, dass durch die Überhöhung des Gefallenentods der Soldatenberuf insgesamt sogar seine »Glaubwürdigkeit und Autorität«313 einbüße. Denn durch die Glorifizierung seines Todes verliere der Soldat seinen Status als Staatsbürger in Uniform, ja, letztlich werde er sogar entmenschlicht und zum bloßen Kampfmittel, zum reinen Kriegsmaterial degradiert. Darüber hinaus bedeute ein Festhalten am Helden- und Opfermythos im Grunde nicht weniger als die »Verneinung des Soldatentums zugunsten politischideologischer Chimären«314. Baudissins Leitbild des Staatsbürgers in Uniform und seine reformistischen Thesen zu Opfertum und Heldenmut stießen auf heftige Kritik der Traditionalisten, die eine andere Bundeswehr propagierten als der Reformer. Werner Picht, vormals Pressereferent des OKW und in der Anfangszeit der Bundeswehr einer der Wortführer der Traditionalisten, lehnte die Idee des Staatsbürgers in Uniform entschieden ab. Entsprechend seiner militärischen Prägung in den Zeiten der NS-Diktatur betrachtete er den Soldaten gewissermaßen als Eigentum des Staates: »Der Soldat ist ein Mensch, dem sein Leben nicht mehr zu eigen gehört. Der Soldatentod ist kein Betriebsunfall, sondern apriorischer Inhalt des soldatischen Daseins, ob er nun de

308 309 310 311 312 313 314

Vgl. ebd. Vgl. Baudissin, Soldat in der Welt von heute, S. 171. Vgl. Baudissin, Volkstrauertag 1972, S. 183. Vgl. Baudissin, Held oder Krieger oder Soldat?, S. 160. Baudissin, Soldat für den Frieden, S. 41. Baudissin, Beitrag des Soldaten zum Dienst am Frieden, S. 30. Vgl. Baudissin, Soldat in der Welt von heute, S. 171.

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facto erlitten wird oder nicht. Der Soldat hat sich demnach des obersten Menschen- und Bürgerrechts entäußert, oder es ist ihm abgesprochen worden.«315

Baudissins Forderung, den Soldaten vor allem zum (Über-)Leben zu erziehen, kritisierte Picht als Manöver, das den Soldatentod »aus der Blicklinie«316 rücken solle, um so alle Unterschiede zwischen der soldatischen und der zivilen Existenz zu verwischen. Denn schließlich sei es doch der Soldatentod, der den Soldaten vom Zivilisten unterscheide.317 Pichts Kritik an Baudissin, der in seinen Überlegungen manchmal geradezu zwanghaft die Begrifflichkeiten »Tod«, »Töten« und »Sterben« vermied, offenbarte zumindest eine konzeptionelle Schwäche des Reformers. Denn Baudissins Grundannahmen zum Soldatentod und zur Kriegsverhinderung funktionierten ausschließlich unter den Bedingungen des Kalten Krieges und eines drohenden Atomschlags. Das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform, die Verdrängung des soldatischen Sterbens und die scharfe Abgrenzung zum soldatischen Opferkult der Vergangenheit – all diese Vorstellungen Baudissins führten dazu, dass sich innerhalb der Bundeswehr von Anfang an und während des gesamten Kalten Krieges eine weitreichende Distanz zu den Themenkomplexen Tod und Sterben entwickelte. Daher wurde etwa, wie Hettling zutreffend bemerkte, zwar die Vereidigung des Soldaten, sein Eintritt ins Militär bewusst öffentlich inszeniert. Doch im Falle seines Todes im Dienst gestand man ihm keinen öffentlichen Raum und keine öffentliche Form zu.318 Sein Tod war Privatsache der Angehörigen. Die Egalisierung des soldatischen und zivilen Todesrisikos, wie sie sich im Kalten Krieg und unter der Drohung eines globalen Atomschlags herausgebildet hatte, erwies sich nach 1990 zunehmend als problematisch und steht spätestens seit Afghanistan in krassem Missverhältnis zur Wirklichkeit. Diese neue Realität zwang die Bundeswehr zur Änderung ihrer Haltung zum Sterben und zum Töten von Soldaten. Sie benötigte ein neues Soldatenbild, um ihre militärischen Auslandseinsätze und den Kampf ihrer Soldaten zu thematisieren und positiv zu deuten. Und sie brauchte ein neues Todesbild, um ihre toten Soldaten offiziell und öffentlich zu ehren und an sie zu erinnern. Der Wandel innerhalb der Bundeswehr begann zunächst sprachlich. Der militärische wurde vom zivilen Tod abgegrenzt. Von nun an war wieder von »Gefallenen«319 im Zusammenhang mit toten Soldaten die Rede. Auch Verteidigungsminister Thomas de Maizière betonte nun das kämpferische Moment des Soldatenberufs, und er würdigte das Sterben des opferbereiten Soldaten. So zum Beispiel in seiner 315

316 317 318 319

Picht, Vom künftigen deutschen Soldaten III, S. 579. Picht, »Das Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt ...«. Picht äußerte in zahlreichen Beiträgen seine ablehnende Haltung gegenüber dem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform, z.B. Picht, Staatsbürger in Uniform? Picht, Vom künftigen deutschen Soldaten III, S. 579. Vgl. ebd. Vgl. Hettling, Gefallenengedenken – aber wie?, S. 69. Vgl. »Im Einsatz für den Frieden gefallen«. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Franz Josef Jung anlässlich der Trauerfeier für die am 20.10.2008 in Afghanistan getöteten Soldaten der Bundeswehr am 24.10.2008 in Zweibrücken, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privatarchiv Julia Nordmann.



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Ansprache anlässlich der Trauerfeier für den am 2. Juni 2011 in Afghanistan gefallenen Oberstabsgefreiten Alexej Kobelew:

»Er war Soldat – mit ganzer Kraft und mit ganzem Herzen. Er war mutig, und er war tapfer. Er hatte seinen Eid geleistet, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit tapfer zu verteidigen. Niemand sonst als Soldaten leisten diesen Eid, und niemandem sonst verlangen wir diesen Eid ab. Er war bereit, dafür das Äußerste zu geben: sein eigenes Leben.«320

De Maizières Äußerung belegt deutlich den Prozess der Wandlung, den der Soldatenberuf seit den Bundeswehreinsätzen im Ausland durchlief. Allein schon die Eidesleistung verleiht nun dem Soldatenberuf seine Besonderheit. Und die Tatsache einer exklusiven Lebensgefahr der Soldaten im Ausland steigert diese noch. Zwar sollten der soldatische Tod und auch das soldatische Selbstopfer nun wieder ihre Würdigung und ihre Ehrung erfahren. Aber, und ganz im Sinne Baudissins, nicht als Opferkult und Heldengedenken. Denn der Erfolg eines militärischen Einsatzes wird nicht nur am strategischen Resultat gemessen, sondern vor allem auch an den Verlustzahlen. Ganz im Sinne des Grundgesetzes, das dem Wert des Lebens einen übergeordneten Rang einräumt und dadurch auch die militärische Führung zum verantwortungsethischen Umgang mit dem Leben der Soldaten zwingt. Diese Haltung bestätigt auch die neuere Kommentarliteratur zum Soldatengesetz (etwa ab den 2000er-Jahren). Diese legt fest, der Dienstherr müsse dafür Sorge tragen, dass die »Gefahren konkret auf ein unvermeidbares Mindestmaß beschränkt bleiben«321. So soll der Soldat der Bundeswehr auch künftig sein Leben nur im äußersten Notfall zur Verteidigung der Werte des Grundgesetzes und der Bundesrepublik Deutschland opfern.

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Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Thomas de Maizière anlässlich der Trauerfeier für den am 2.6.2011 in Afghanistan gefallenen Oberstabsgefreiten Alexej Kobelew, (letzter Zugriff 17.12.2015), Privatarchiv Julia Nordmann. In der Provinz Baghlan im Norden Afghanistans fuhr ein Schützenpanzer der Bundeswehr vom Typ »Marder« in eine versteckte Sprengladung. Die folgende Explosion zerriss den Panzer, in dem auch Kobelew saß. Dieser war sofort tot, fünf weitere Besatzungsmitglieder wurden schwer verwundet. Vgl. Bohnert/Neumann, Panzergrenadiere, S. 56; Briedigkeit, Das Äußerste gegeben. In: Bundeswehr aktuell, 23, 14.6.2011. Vgl. Dörfler-Dierken, Soldaten-Gedenken aus protestantischer Perspektive, S. 109, 113, Anm. 10; Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz (Kommentar), S.  117, Punkt 9: Auslegung von §  7 SG: Grundpflicht des Soldaten: »Der Soldat hat die Pflicht der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.«

V. Die Toten der Bundeswehr Der Tod gehört dazu – für die Einsatzarmee Bundeswehr ist diese Feststellung Teil ihres Selbstverständnisses. Dies war nicht immer so. Zwar kommen seit Bestehen der Bundeswehr Soldaten »infolge der Ausübung des Dienstes«1 ums Leben. Doch bis in die 1990er-Jahre hinein wurde ihr Tod als »Nebenfolge des Auftrages«2 betrachtet. Diese Vorstellung hielt die Toten gewissermaßen auf Distanz und verhinderte die Auseinandersetzung mit dem Soldatentod. Und sie führte folglich nicht nur dazu, dass sich in der Bundesrepublik Deutschland keine öffentliche Trauer- und Gedenkkultur für ihre Soldaten entwickeln konnte. Sie betraf sogar den »informationstechnischen« Umgang mit den Toten der Bundeswehr. Das heißt, bis zum Jahr 2009 gab es weder im BMVg noch in den Führungsstäben der Teilstreitkräfte eine zentrale Erfassung der Todesfälle in der Bundeswehr. »Institutionelle Amnesie«3, so bezeichneten manche Kritiker diesen Umgang der Bundeswehr mit ihren Toten. Aber warum marginalisierte die Bundeswehr ihre Toten? Und weshalb sprach sie stets von Einzelfällen? Insbesondere in den Anfangsjahren stand die Bundeswehr häufig im Fokus der öffentlichen Kritik. Besonders moniert wurden gefährliche »Schleifer-Methoden«, gravierende Brüche der Dienstvorschriften oder der leichtfertige Einsatz militärischer Technik, die entweder unausgereift oder aufgrund zu kurzer Ausbildungszeiten von den Soldaten nicht hinreichend beherrschbar war.4 All dies führte zu Unfällen mit Verletzten und auch mit Toten. Um die Bundeswehr aus dem Schussfeld der Kritik zu nehmen, vermieden es Politiker wie Führungskräfte der Bundeswehr, von systematischen Fehlern zu sprechen. Stets war von Einzelfällen die Rede. Und diesen einzelnen Fällen bzw. »Nebenfolgen« des soldatischen Auftrags musste man dann auch keine eigene, systematische Statistik widmen. Dabei ist ein qualifiziertes Zahlenwerk stets der erste Schritt zur fundierten Analyse der Ursachen und damit zu deren Beseitigung. Und darüber hinaus erkennt die statistische Erfassung den Todesfall zumindest an und schafft so auch die Grundlage jeder Trauer- und Gedenkkultur.

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So lautet die offizielle Formulierung des BMVg: Todesfälle in der Bundeswehr infolge des Dienstes, Stand: 30.8.2021, (letzter Zugriff 6.9.2021). Baudissin, Beitrag des Soldaten zum Dienst am Frieden, S. 41. Rack, Die Unmöglichkeit zu trauern. In: SZ, 15.10.2009. Vgl. Nägler, Der gewollte Soldat, S. 317.



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1. Die Todesstatistik der Bundeswehr Obwohl der Tod des Soldaten in Friedenszeiten und in Gestalt des »Betriebsunfalls« stets auch ein Tod im Namen des Gemeinwesens und damit ein öffentlicher Tod ist, besaß die Öffentlichkeit bis zum 13. März 2009 keine Kenntnis über die exakte Zahl der Soldaten, die in Ausübung des Dienstes ihr Leben verloren.5 Erst im Vorfeld der Einweihung des Ehrenmals der Bundeswehr legte das BMVg diese insbesondere für die namentliche Totenehrung grundlegende Information offen und publizierte die Gesamtzahl der Todesfälle innerhalb der Bundeswehr. Demnach sind seit 1956 bis Mitte 2021 3310 Soldaten in Ausübung ihrer Dienstpflichten durch Unfälle und bei Kampfeinsätzen im Ausland ums Leben gekommen.6 Intern allerdings erfolgte die Erfassung der Toten praktisch von Anfang an. Die Daten wurden vom Führungsstab der Streitkräfte (FüS) und vom Institut für Wehrmedizinalstatistik und Berichtwesen gesammelt.7 Die Erhebung dieser Daten diente, so hieß es in der Vorbemerkung des Fünfjahresberichtes »Sterbefälle in der Bundeswehr 1957‑1961«, der »Erfassung der Sterbefälle«8. Beide Dokumentationen, bzw. die Nachfolgestatistik, die sie ab 2015 ersetzt, listen so ab 1957 die Zahl der Todesfälle innerhalb der Bundeswehr auf. Ebenso schlüsseln sie die genauen Ursachen auf und ob die Soldaten während oder außerhalb des Dienstes zu Tode gekommen sind. Auch Suizide werden erfasst. Darüber hinaus schlüsseln sie die Toten nach ihrer Zugehörigkeit zu den jeweiligen Teilstreitkräften und nach ihren Dienstgraden auf. Die Todesumstände allerdings sind oft nur schemenhaft belegt.9 Diese Statistik, forderte der Fünfjahresbericht, »soll näheren Aufschluss über die jeweiligen Todesursachen geben, damit die Gesamtsituation überblickt werden kann

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Vgl. 3000 starben im Dienst. In: Der Tagesspiegel, 14.3.2009. Vereinzelt machte das BMVg auch vor 2009 Angaben zu der Gesamtzahl der im Dienst getöteten Bundeswehrsoldaten, so z.B. Verteidigungsminister Jung in: »Nicht vergessen«. In: Die Zeit, 29.6.2006. Vgl. 3000 starben im Dienst. In: Der Tagesspiegel, 14.3.2009. Vgl. Todesfälle in der Bundeswehr, 30.8.2021, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. z.B. BArch, BW 2/2337. Die unter dieser Signatur aufbewahrten Jahresberichte geben über einen Zeitraum von 30  Jahren Auskunft über die ›besonderen Vorkommnisse‹ innerhalb der Bundeswehr. Der FüS hat diese Daten erhoben und zusammengefasst. Die Vollständigkeit dieser Erhebungen lässt sich im Nachhinein insbesondere für die frühen Jahre der Bundeswehr nicht mehr überprüfen. Auf der Grundlage dieser Daten ermittelte der FüS im Februar 1995 eine Gesamt­zahl der Soldaten, die in Ausübung ihres Dienstes ihr Leben verloren hatten. Vgl. Schreiben FüS I 4 an Herrn Staatssekretär Dr. Wichert a.D. über ParlKab, Betr.: Anzahl der seit Bestehen der Bundeswehr im Dienst tödlich verunglückten Soldaten, Februar 1995, BArch, BW 2/25478. Die zwischen 1957 und 1993 veröffentlichten Berichte finden sich z.B. in den Unterlagen des Sonderbeauftragten 40 Jahre Bundeswehr: vgl. BArch, BW 2/25478. Sterbefälle in der Bundeswehr 1957‑1961 (Fünfjahresbericht), Beiträge zur Wehrmedizinalstatistik, Heft 5, August 1962, S. 5, BArch, BW 2/25478. Ebd., S. 24‑28. Der Gesundheitsjahresbericht der Bundeswehr ersetzt die Beiträge zur Wehr­me­ di­zi­nalstatistik. Er wird herausgegeben durch das Referat Sanitätsdienst II, das der Abteilung Füh­ rung Streitkräfte untergeordnet und im Verteidigungsministerium angesiedelt ist. Vgl. E-Mail von Oberstabsarzt Dr. Peter Richter, Abteilungsleiter B am Institut für Präventivmedizin der Bun­des­ wehr, an die Autorin vom 10.9.2021.

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und sich aus ihr Möglichkeiten für geeignete Gegenmaßnahmen herleiten lassen«10. Doch die Statistik der Todesfälle war nicht für eine Veröffentlichung vorgesehen. Schon der erste Fünfjahresbericht über die »Sterbefälle in der Bundeswehr« vom August 1962 trug den Zusatz »VS – Nur für den Dienstgebrauch«. Die Geheimhaltung der Todeszahlen hatte Methode im Ministerium. So wollte man öffentliche Kritik vermeiden. Noch anlässlich des 40. Geburtstages der Bun­des­ wehr im Jahr 1995 riet der Sonderbeauftragte 40 Jahre Bundeswehr Oberst Günter Kruse in einem internen Schreiben an Verteidigungsminister Rühe daher dringend von einer Veröffentlichung der Zahlen ab:

»Die Bekanntgabe der annähernden Größenordnung von ca. 3000 ›echten‹ Dienstunfällen mit Todesfolge [...] könnte ohne zusätzliche Erklärungen sowohl für die Öffentlichkeit als auch für die Bundeswehr selbst eher schockierend wirken. Sie ist für ein öffentliches Totengedenken auch nicht von Belang.«11

Das BMVg folgte dieser Empfehlung, vor allem wohl wegen der möglichen Schockwirkung dieser Zahlen und der casualty shyness in einer postheroischen Gesellschaft wie der Bundesrepublik.12 Der Tod eines Soldaten wird dabei häufig als institutionelles Versagen der Bundeswehr gewertet. Dazu kommt, dass die Legiti­ mation eines militärischen Einsatzes als abhängig von der Gefährdung der Soldaten angesehen wird. Kritische Debatten begleiteten die Bundeswehr von Anfang an. War es zuerst die grundsätzliche Frage der Wiederbewaffnung der Deutschen, so waren es später die Rolle ehemaliger Wehrmachtangehöriger in ihren Reihen, umstrittene Aus­bildungsmethoden, unzureichende und mangelhafte Ausrüstung oder die Starfighter-Krise.13 Zum Zeitpunkt des Schreibens des Sonderbeauftragten von 1995 waren es die scharfen Auseinandersetzungen um die ersten Auslandseinsätze der Bun­des­wehr und das internationale militärische Engagement der Bundesrepublik in Krisen­gebieten. Bei jeder dieser Kontroversen stellte sich die Frage der Akzeptanz der Bundeswehr und ihrer Verankerung in der Gesellschaft neu. Dies verdeutlicht und erklärt auch, warum das BMVg beschloss, die Todeszahlen der Bundeswehr über ein halbes Jahrhundert lang als interne Verschlusssache zu behandeln.14 Bereits 1957 notierte Baudissin im Zusammenhang mit dem Unglück am bayerischen Fluss Iller in seinem Tagebuch, es sei »ein pervertierter Zustand«, dass »jeder Zwischenfall und Unfall als Angriffsmaterial gegen die Bundeswehr benutzt wird«.15 10 11

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Sterbefälle in der Bundeswehr 1957‑1961 (Fünfjahresbericht), Beiträge zur Wehrmedizinalstatistik, Heft 5, August 1962, S. 5, BArch, BW 2/25478. Schreiben des Sonderbeauftragten 40 Jahre Bundeswehr an den BM der Verteidigung Volker Rühe, Betr.: Überlegungen zum Totengedenken anläßlich 40  Jahre Bundeswehr, 22.5.1995, BArch, BW 2/25478. Siehe Kap. II.2. Vgl. Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik, Bd 2 (Beitrag Volkmann); Abenheim, Bundeswehr und Tradition; Schlaffer, Der Wehrbeauftragte, S. 164‑180; Pommerin, Auf dem Weg zur europäischen Rüstungskooperation, S.  341; Kollmer, Rüstungsbeschaffung; Lemke, Konzeption und Aufbau der Luftwaffe, S. 363‑374. Siehe Kap. V.2.a. Vgl. Rimscha, Ein Land tut sich schwer. Die Veröffentlichung der Todeszahlen erfolgte im Frühjahr 2009. Wolf Graf von Baudissin, Tagebuchaufzeichnungen 1.1957‑6.1957, Eintrag vom 22.6.1957, BArch, N 717/8. Ulrich de Maizière schätzte in seinem privat-dienstlichen Tagebuch ähnlich wie



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Insbesondere zwischen 1959 und 1975 erreichten die jährlichen Todeszahlen in der Bundeswehr gemäß den 2009 offengelegten Angaben des BMVg ein vergleichsweise konstant hohes Niveau. In diesem Zeitraum verloren per annum ca. 100 Soldaten in Ausübung ihres Dienstes ihr Leben. 1962 erreichte die Opferzahl mit 166 getöteten Soldaten ihren Höchststand. Danach sank sie wieder. Seit 1982 sind es ca. 40 bis 60 Todesfälle im Jahr, Tendenz: weiter abnehmend. Ab den 1990er-Jahren sterben im Durchschnitt nur noch 26 Soldaten. Und seit 2013 verlieren durchschnittlich rund acht Soldaten pro Jahr im Dienst ihr Leben.16 Diese deutliche Abnahme der Todesfälle lässt sich im Wesentlichen auf zwei Ursachen zurückführen. Zum einen erklärt sie sich durch die in diesen Zeiträumen stark schwankende Truppenstärke der Bundeswehr. Denn während des Kalten Krieges, in dem sich schwer bewaffnete Soldaten der NATO und des Warschauer Pakts auf dem Territorium der beiden deutschen Staaten unmittelbar gegenüberstanden, galt zur Verteidigung der Bundesrepublik die militärische Maxime, im Fall eines Angriffs praktisch sofort große Truppenverbände mobilisieren zu können. Entsprechend hoch war daher auch die Zahl der Soldaten der Bundeswehr. Noch 1990 zählte sie 495 000 aktive Soldaten.17 Mit dem Fall der Mauer und dem 3. Oktober 1990 änderte sich die politische Weltlage dramatisch. Das Ende des Kalten Kriegs zeichnete sich ab. Die NVA wurde aufgelöst, die DDR und die Bundesrepublik wurden vereinigt. 1991 folgte der Abzug aller sowjetischen Atomwaffen vom Territorium der ehemaligen DDR. 1994 zogen auch die rund 338 000 sowjetischen Soldaten aus Berlin und den neuen Bundesländern ab. Und mit dem Beitritt Polens zur NATO im März 1999 verschob sich auch die Grenzlinie des westlichen Verteidigungsbündnisses ca. 700 Kilometer weit nach Osten, von Berlin an die weißrussische Grenze. Mit dem Beitritt der baltischen Staaten zur NATO im Jahr 2004 rückte die Grenze des westlichen Bündnisses ein weiteres Stück nach Osten.18 Diese politischen Umwälzungen führten dazu, dass die Truppenstärke der Bun­ des­wehr deutlich reduziert werden konnte. Sukzessive sank die Zahl der Bundes­ wehr­sol­daten. Im Dezember 1994 belief sie sich auf 340 000 Mann, im Jahr 2000 auf 320 000 und 2010 noch auf 250 000. Zehn Jahre später zählte man 184 489 Soldaten. Seit 1990 hat sich die Truppenstärke der Bundeswehr damit beinahe gedrittelt.19

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Baudissin das Iller-Unglück als »schwere Belastung für die Bundeswehr und für die Wehrpflicht« ein. Vgl. Ulrich de Maizière, Dienstliche Tagebuchaufzeichnungen 11.3.1957‑5.10.1957, Eintrag vom 3.6.1957, BArch, N 673/23. Vgl. Todesfälle in der Bundeswehr, 30.8.2021, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Feldmeyer, Die neue Bundeswehr, S. 69. Vgl. Leonhard, ›Armee der Einheit‹, S. 72; Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd 5, S. 337; Bange, Sicherheit und Staat, S. 492; Kowalczuk/Wolle, Roter Stern über Deutschland, S. 221, 238; Schmidt, Auf dem Weg zum NATO-Beitritt, S. 1; Lau, Putins Profit. In: Die Zeit, 24.4.2014. Vgl. BMVg, Die Bundeswehr im Einsatz, S.  40; Scharping plant Truppenstärke von 255 000 Soldaten. In: Spiegel online, 1.6.2000; Guttenberg nennt Truppenstärke und Frist für Wehrpflicht. In: Der Spiegel, 22.11.2010; Personalzahlen der Bundeswehr, (letzter Zugriff 6.9.2021).

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Die vergleichsweise hohen Zahlen der Todesfälle in den Jahren des Kalten Krieges waren daher zum einen der gewaltigen Truppenstärke von fast einer halben Million Mann geschuldet. Zum anderen lagen sie an den technischen Unzulänglichkeiten von Ausrüstung und Bewaffnung, der fehlenden Erfahrung damit und dem Mangel an geschultem Personal. Im Lauf der Jahre sank die Zahl der Todesfälle dann deutlich, als sich die Ausbildung der Soldaten verbesserte, Sicherheitsbestimmungen verschärft und gravierende technische Probleme gelöst wurden. Dies betraf insbesondere die Luftwaffe, die gerade in den 1960er-Jahren zahlreiche tödliche Flugzeugabstürze (Starfighter, Noratlas) aufgrund dieser schwerwiegenden Defizite zu beklagen hatte.20 Zwar setzt nach und nach ein Umdenken in Politik und Bundeswehr ein, was den öffentlichen Umgang mit den Zahlen der Todesfälle angeht, aber von Transparenz kann dennoch lange nicht die Rede sein – besonders, wenn es um die Auslandseinsätze der Bundeswehr geht. So unterschied das BMVg bis 2006 bezüglich der Todesfälle bei Auslandseinsätzen nicht zwischen im Kampf Gefallenen und tödlich Verunfallten. Durch diese Vorgehensweise sollte wohl vermieden werden, dass die hohe Gefährdung der Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz zum Thema andauernder kontroverser Diskussionen wurde und so die ohnehin prekäre öffentliche Akzeptanz dieser Missionen zusätzlich schwächte.21 Auch wenn bis zu einer umfassenden Transparenz noch viele Jahre verstreichen sollten, so begann doch mit dem 40.  Geburtstag der Bundeswehr 1995 und der Initiative von Verteidigungsminister Rühe ein Umdenken beim öffentlichen Umgang mit den Todesfällen in der Bundeswehr. Bis 1995 zeigte das BMVg offenbar kein sonderliches Interesse, die exakte Anzahl der Soldaten zu ermitteln, die bis dato ihr Leben im Dienst verloren hatten. Erst der Sonderbeauftragte 40 Jahre Bundeswehr Kruse stellte im Rahmen dieses Jubiläums Überlegungen für eine Ehrung der toten Soldaten an. Dazu benötigte er die genaue Anzahl und die Namen der Toten.22 Doch seine Befragung der Führungsstäbe der Teilstreitkräfte nach der Zahl ihrer jeweiligen Toten sowie der Art des Totengedenkens führten zu keinen belastbaren Informationen, wie die Antwort des Führungsstabes der Luftwaffe (FüL) beispielhaft zeigt: »FüL [...] sieht keine Möglichkeit, eine Liste über die seit 1955 im Dienst ums Leben gekommenen Angehörigen der Luftwaffe vorzulegen. Es gibt weder eine entsprechende zentrale Erfassung noch erscheint eine dezentrale Abfrage erfolgsversprechend, da die vielen in der Vergangenheit aufgelösten Truppenteile unberücksichtigt bleiben.«23

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Bei einer exakten Drittelung der Truppenstärke würde sich die aktuelle Zahl auf genau 165 000 Soldaten belaufen. Vgl. Luftwaffenamt, Gruppe Flugsicherheit und Unfallverhütung, OSTA Dr. K. Biehl, Flug­un­fall­ statistik der Bundeswehr 1958 bis 1963 in der Sicht des Fliegerarztes, BArch, BL 32/20. Vgl. Bundeswehr: 3000 starben im Dienst. In: Der Tagesspiegel, 14.3.2009. Vgl. beispielsweise ARD Deutschlandtrend Dezember 2009, S.  6, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Sonderbeauftragter 40  Jahre Bundeswehr, Betr.: Totengedenken anl. 40  Jahre Bundeswehr, 30.3.1995, BArch, BW 2/25478; Schreiben des Sonderbeauftragten 40 Jahre Bundeswehr an P/Z, FüH I 3, FüL I 3, FüM I 3, Betr.: Überlegungen zum Totengedenken anl. 40 Jahre Bundeswehr, 24.4.1995, BArch, BW 2/25478. Schreiben FüL 1 3 an den Sonderbeauftragten 40 Jahre Bundeswehr, Herr Oberst Günter Kruse, 5.5.1995, BArch, BW 2/25478.



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Dies zeigt, dass die Statistiken des Instituts für Wehrmedizinalstatistik und Bericht­ wesen offenbar unvollständig waren – aus welchen Gründen auch immer. Und seitens der Teilstreitkräfte und des BMVg wurden scheinbar keine eigenen Erhebungen durchgeführt. Erst ab Dezember 2007 begann das BMVg über 27 000 vorhandene Datensätze wie etwa Personal- oder Krankenakten auszuwerten, um erstmals eine zentrale Dokumentation über getötete Bundeswehrangehörige zu erstellen, die neben Namen und Zugehörigkeit zu einem Truppenteil auch Todesursache und Todesjahr benennt.24 Außerdem begann das Ministerium etwa zu dieser Zeit mit der Entwicklung verbindlicher Kriterien, um eine eindeutige Definition für den Tod in Ausübung des Dienstes festlegen zu können. Denn nur der Tod infolge der Dienstausübung berechtigt zur namentlichen Erinnerung im Berliner Ehrenmal. In diesem Zusammenhang versuchen die Beamten bei jedem einzelnen Todesfall exakt zu klären, ob er sich im Dienst oder infolge des Dienstes ereignet hat. Allerdings erfolgt diese Prüfung nur bei Todesfällen im Inland. Verstirbt ein Soldat im Rahmen einer Auslandsmission, wird er in jedem Fall im Ehrenmal gewürdigt – unabhängig davon, ob er sein Leben bei einem Unfall verlor, bei einem Anschlag, im Gefecht, ob er durch Suizid aus dem Leben schied oder ob sein Tod auf natürliche Weise eintrat. Das BMVg begründet dies mit den besonderen Belastungen, denen ein Soldat im Auslandseinsatz ausgesezt ist, und geht deshalb davon aus, dass sich jeder Todesfall während einer solchen Mission grundsätzlich infolge des soldatischen Dienstes ereignet.25 Diese Daten, die, wie im Folgenden gezeigt wird, wohl kaum vollständig sind26 und auch gegenwärtig noch aktualisiert und ergänzt werden, waren die Grundlage 24

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Vgl. Fachgespräch im BMVg mit Oberstleutnant Ralf Kimmerle, FüSK III 2 – Referat Betreuung und Fürsorge, Stabshauptmann Michael Rothmeier, Büro für Angelegenheiten für Hinterbliebene, und Oberstleutnant Gerhard Schlaffer, Abteilung Personal/Zentrale Angelegenheiten – Ehrenmal, am 27.5.2020. Vgl. Schreiben der Personalabteilung (P/Z Zmob) an den Sonderbeauftragten 40 Jahre Bundeswehr Herrn Oberst Günter Kruse, Betr.: 40 Jahre Bundeswehr, hier: Totengedenken anlässlich 40 Jahre Bundeswehr, 5.4.1995, BArch, BW  2/25478; Fachgespräch im BMVg mit Oberstleutnant Ralf Kimmerle, FüSK III 2 – Referat Betreuung und Fürsorge, Stabshauptmann Michael Rothmeier, Büro für Angelegenheiten für Hinterbliebene, und Oberstleutnant Gerhard Schlaffer, Abteilung Personal/Zentrale Angelegenheiten – Ehrenmal, am 27.5.2020. Das belegt etwa die Liste mit den Namen aller im Ehrenmal der Bundeswehr erinnerten Soldaten. Insbesondere für die ersten zehn Jahre nach Aufstellung der Bundeswehr ergänzt das BMVg teilweise noch Namen. Ein Beispiel dafür ist das Jahr 1956. Im Oktober 2013 nannte das Ministerium noch die Namen von drei in diesem Jahr im Dienst getöteten Soldaten, gegenwärtig sind es vier. Nicht erfasst ist auch der Todesfall von Stabsfeldwebel Allgaier (Lehrbataillon Munster-Lager) im Oktober 1956. Vgl. IC 5, Vermerk vom 27.10.1956, Betr.: Bestattungs- und Überführungskosten bei Todesfällen von Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit, 29.10.1956, BArch, BW  1/314895. Ein weiteres Beispiel für die Erfassungslücken ist der Todesfall des Schützen Carl-Heinrich Dieth (Versorgungsbataillon 156), der vermutlich 1960 oder 1961 bei dem Versuch ertrank, einem Kameraden das Leben zu retten. Er wird anlässlich des zehnten Geburtstages der Bundeswehr 1965 erwähnt, jedoch nicht mehr im Ehrenmal. Vgl. BMVg, 10 Jahre Bundeswehr, o.S. (»Sie opferten ihr Leben«). Vgl. Im Ehrenmal der Bundeswehr namentlich genannte verstorbene Bundeswehrangehörige, Stand: 3.8.2021, (letzter Zugriff 6.9.2021); Rack, Die Unmöglichkeit zu trauern. In: SZ, 15.10.2009; Fachgespräch im BMVg mit Oberstleutnant Ralf Kimmerle, FüSK  III  2 – Referat Betreuung und Fürsorge, Stabshauptmann Michael Rothmeier, Büro für Angelegenheiten für Hinterbliebene, und Oberstleutnant Gerhard Schlaffer, Abteilung Personal/Zentrale Angelegen­ heiten – Ehrenmal, am 27.5.2020. Vgl. Rack, Für Frieden, Recht und Freiheit. In: Südwestrundfunk, 2.11.2010, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Im Ehrenmal der Bundeswehr namentlich genannte verstorbene Bundeswehrangehörige, Stand: 3.8.2021, (letzter Zugriff 6.9.2021). Siehe Kap. V.2.a. Vgl. Mitteilungen an die Presse: Das Bundesministerium für Verteidigung veröffentlicht nachstehend den Wortlaut der Erklärung, die Bundesverteidigungsminister Strauß am 26. Juni 1957 vor dem Bundestag abgegeben hat, BArch, BW 1/21637. Die Vermutung, dass fehlende Unterlagen die Recherche nach frühen Todesfällen erschweren, ließ sich in einem Gespräch mit Dr. Andreas Kunz, Referatsleiter im Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg, am 27. November 2013 bestätigten. Dies zeigen auch die Statistischen Informationen, die das Institut für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen jährlich herausgab. Die Jahrgänge bis 1993 sind hier zusammengefasst: BArch, BW 2/25478. Vgl. Soldatentod heute. In: Die Zeit, 10.2.1967.



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Doch neben dem Tod im Kampf gehört auch der Unfalltod zur soldatischen Normalität. Adelbert Weinstein, Militärexperte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Major im Generalstab a.D., hielt 1957 fest: »Soldatsein ist immer mit Gefahren verbunden, ob im Frieden oder im Krieg. Man wird Unfälle bei der Bundeswehr, wie in jedem Betrieb, durch Sorgfalt auf ein Mindestmaß beschränken können. Vermeiden lassen sie sich nie.«32 Das belegen auch die Zahlen. Bis Ende 1990 kamen 2568 Soldaten ums Leben.33 In allen drei Teilstreitkräften ereigneten sich schwere Unglücke mit teilweise Dutzenden von Toten. Doch die meisten Todesfälle in Ausübung des Dienstes ereigneten sich in Form oftmals banaler Unfälle. Die Hauptgründe: Missachtung von Sicherheitsbestimmungen, menschliches und/oder technisches Versagen, mangelhafte Ausbildung, unausgereifte oder unzureichend getestete militärische Technik sowie höhere Gewalt.34 Viele Unfälle mit Todesfolge wurden von den zuständigen Dienststellen der Bundeswehr akribisch dokumentiert, weil die entsprechenden Akten Grundlage von internen oder strafrechtlichen Ermittlungen waren. Häufig jedoch sind die Unterlagen unvollständig oder fehlen ganz. In solchen Fällen wird im Folgenden ergänzend auf Informationsquellen wie Tageszeitungen, Veröffentlichungen der Bun­ des­wehr oder wissenschaftliche Untersuchungen zurückgegriffen. Nicht jedes Unglück mit Todesfolge innerhalb der Bundeswehr kann beleuchtet werden. Vorgestellt wird stattdessen ein möglichst repräsentativer und aussagefähiger Querschnitt gut dokumentierter Fälle. Darüber hinaus sollen die ausgewählten Beispiele charakteristisch und prägend für die jeweilige Phase der Bundeswehr­ge­ schichte sein. Häufig waren sie auch der Anlass für tiefgreifende Veränderungen und Zäsuren innerhalb der Streitkräfte. Schließlich sollen sie möglichst Einblicke in die binnenmilitärische und kameradschaftliche Trauerpraxis beim Umgang mit ihnen gewähren. Die Zweiteilung dieses Kapitels ergibt sich aus dem Aufgabenspektrum der Bundeswehr, das sich mit dem Fall der Mauer, der Wiederherstellung der vollen deutschen Souveränität und dem Ende des Kalten Krieges in den 1990er-Jahren radikal wandelte. Vor diesem Zeitpunkt war die Bundeswehr so gut wie ausschließlich mit Unfalltoten konfrontiert. Danach aber starben Soldaten auch infolge von UN-Missionen und -Kampfeinsätzen im Ausland durch »Fremdeinwirkung«35, wie der gewaltsame Tod von Soldaten im Einsatz im Sprachgebrauch des BMVg heißt.

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Zit. in: Iller-Katastrophe. In: Der Spiegel, 12.6.1957. Eine exakte Angabe bis zum 3. Oktober 1990 ist nicht möglich. Nicht in diese Zahl miteingerechnet sind die Suizide. Vgl. Todesfälle in der Bundeswehr, Stand: 30.8.2021, (letzter Zugriff 6.9.2021). Siehe Kap. V.2.a. Vgl. Nägler, Der gewollte Soldat, S. 317‑326; Schlaffer, Der Wehrbeauftragte, S. 164‑180; Schwenke, Pilot im Starfighter, S. 729. Libero, Tod im Einsatz, S. 1.

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a) Die Todesfälle der Bundeswehr bis 1990 Das Unglück an der Iller Am Montag, dem 3.  Juni 1957, erschütterte erstmals eine schwere Tragödie die Bundeswehr. Während einer Übung von Wehrdienstleistenden, die am 1. April 1957 ihren Dienst im Luftlandejägerbataillon 19 in Kempten angetreten hatten, kamen bei der Durchquerung der Iller 15 der Rekruten ums Leben. Das Unglück ereignete sich bei Hirschdorf, wenige Kilometer nördlich von Kempten.36 »Wir gehen jetzt einmal durch die Iller. Im Ernstfall müssen wir so etwas auch tun.«37 Mit diesen Worten des Ausbilders nahm die Katastrophe nach einer Zigarettenpause ihren Lauf. Um 17.45 Uhr wendete sich das Pressereferat des BMVg an die Öffentlichkeit: »Beim 4. Zug der 2. Kompanie des Luftlandejägerbataillons 19, Standort Kempten, ereignete sich heute, 10:30 Uhr ein Unglücksfall beim Überqueren der Iller in Höhe des Ortes Hirschdorf, 6 km. Nördlich Kempten. Von den 33 Soldaten des Zuges wurden 19 von dem reißenden Wasser erfasst, während die restlichen 14 außerhalb der Gefahrenzone blieben. Von den 19 Soldaten konnten bisher 4 lebend und 1 tot geborgen werden, während 14 zur Stunde noch vermisst sind.«38

Verteidigungsminister Strauß, der am Tag danach heiraten würde, kommentierte das Drama mit den Worten: »Seid ihr denn alle blöd? Bei so einem Wasserstand kann man doch nicht die Iller durchqueren.«39 Im Juni herrscht in den Hochlagen der Allgäuer Alpen oft noch Schneeschmelze, wodurch Gebirgsflüsse wie die Iller stark abkühlen und anschwellen. Auf dem Lehrplan der Kemptener Rekruten stand für den 3.  Juni in der Zeit von 7 bis 12 Uhr Infanterie- und Gefechtsausbildung. Von einer Flussdurchquerung hingegen war dort nichts vermerkt. Diese war sogar an die ausdrückliche Erlaubnis des Bataillonskommandeurs Major Alfred Genz gebunden. Eine entsprechende Ge­ neh­migung von Genz lag nicht vor.40 Erst wenige Tage vor der Katastrophe an der Iller übernahm Stabsoberjäger Dieter Julitz die Befehlsgewalt über die 28 an der Flussdurchquerung beteiligten Rekruten. Julitz, der schon immer einmal die Iller durchschreiten wollte, traf seine verhängnisvolle Entscheidung spontan und wider jeden Befehl.41 Der Stabsoberjäger 36 37 38 39 40 41

Vgl. Schlaffer, Schleifer a.D.?, S.  647  f.; Fuchs, Der Fluß gibt seine Opfer nicht frei. In: SZ, 5.6.1957; Erinnerungsorte der Bundeswehr, S. 74 f. Zit. in: Urteil Prozeß Iller-Unglück. Mündliche Urteilsbegründung mitstenografiert in der Verhandlung, BArch, BW 2/2572. Durchsage des Pressereferates BMVg um 17.45 Uhr, BArch, BW 2/2572. Zit. bei: Blasius, Ende einer Übung. In: FAZ, 2.6.2007. Vgl. Strauß, Die Erinnerungen, S. 290. Vgl. Mitteilung für die Presse, Nr. 640/57 der Erklärung des BMVg Strauß vom 26.6.1957 vor dem Bundestag, BArch, BH 1/2338. Vgl. Iller-Katastrophe. Der Spiegel, 12.6.1957; Mitteilung für die Presse, Nr. 640/57 der Erklärung des BMVg Strauß vom 26.6.1957 vor dem Bundestag, BArch, BH 1/2338; Urteil Prozeß IllerUnglück. Mündliche Urteilsbegründung mitstenografiert in der Verhandlung, BArch, BW 2/2572; Schreiben von Oberst Wolf Graf von Baudissin an Major Ernst-Egon Schütz, 13.8.1957, BArch, BW 2/2572.



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führte seine Rekruten an den Fluss. Dann stieg er, ganz nach dem Grundsatz: Führen durch persönliches Vorbild, als Erster und mit seinem Maschinengewehr auf der Schulter in den an dieser Stelle 50 Meter breiten, 1,30 Meter tiefen und acht Grad kalten Gebirgsfluss. Seine Rekruten folgten ihm, in Uniform und mit Stahlhelm. Ihre Karabiner trugen sie in der erhobenen linken Hand, um die Gewehre so vor dem Wasser zu schützen. Als Julitz die Mitte des Flusses schon überschritten hatte, wurde er von der reißenden Strömung erfasst, die wohl alle Beteiligten dramatisch unterschätzt hatten. Kurz danach verloren auch die Rekruten den Boden unter den Füßen und wurden stromab in Richtung der Hirschdorfer Brücke getrieben. Einigen – darunter Julitz selbst – gelang es, an den Brückenpfeilern Halt zu finden, 15 der 28 Rekruten allerdings ertranken in der Iller, viele von ihnen vermutlich in den gefährlichen Strudeln unmittelbar hinter den Pfeilern.42 Schwere Regenfälle in den Stunden nach dem Unglück erschwerten die Bergung der Toten.43 Erst am 21.  Juni 1957 erreichte den FüH ein Telegramm: Das Luft­ lande­jäger­bataillon 19 aus Kempten und die 1. Luftlandedivision Esslingen meldeten, »dass der letzte Vermisste gefunden wurde«44. 18 Tage hatte die Suche insgesamt gedauert. Gut zwei Monate später fand vor dem Landgericht Kempten ein Prozess gegen Julitz wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung statt. Der Stabsoberjäger wurde zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Die zwei Monate seiner Untersuchungshaft wurden angerechnet, die restlichen sechs zur Bewährung ausgesetzt.45 Das erste schwere Unglück der Bundeswehr, so der Militärhistoriker Frank Nägler, bündelte die inneren Probleme der neuen Streitkräfte wie unter einem Brennglas. Jugendlicher Leichtsinn, Abenteuerlust, ein spontaner Entschluss und die Fehleinschätzung einer Gefahrensituation trafen auf strukturelle Defizite innerhalb der Truppe, von denen Nägler im Wesentlichen zwei Bereiche herausarbeitet: das Kommunikationsdefizit und das Personaldefizit. Der fehlende Informationsaustausch zeigte sich vor allem in der unzureichenden Unterrichtung der Unteroffiziere und in deren Unkenntnis des zwingenden Befehlscharakters des Dienstplanes.46 Also: Erfüllung des Lehrplans und keinesfalls eigenmächtige Mutproben. Folgt man Nägler, so war die Missachtung des Dienstplans vor allem auf die mangelnde bzw. bei Julitz nicht vorhandene Erfahrung für die im Frieden geltenden Ausbildungsgrundsätze sowie auf dessen fehlende Einsicht in die Notwendigkeit einer peinlichen Einhaltung der aufgestellten Regeln zurückzuführen. Kurz: Als 42

43 44 45 46

Vgl. Mitteilung für die Presse, Nr. 640/57 der Erklärung des BMVg Strauß vom 26.6.1957 vor dem Bundestag, BArch, BH 1/2338; Urteil Prozeß Iller-Unglück. Mündliche Urteilsbegründung mitstenografiert in der Verhandlung, BArch, BW 2/2572; Schlaffer, Schleifer a.D.?, S. 647; Blasius, Ende einer Übung. In: FAZ, 2.6.2007; für den gesamten Abschnitt: Bericht der vom Herrn Bundesminister für Verteidigung eingesetzten Kommission zur Untersuchung des Illerunglücks am 3.6.1957, 17.7.1957, BArch, BW 2/2572. Vgl. Fuchs, Der Fluß gibt seine Opfer nicht frei. In: SZ, 5.6.1957. Telegramm 21.6.1957, 18.00 Uhr, BMVg, gez. Manz, an BMVg, FüH, BArch, BH 1/2338. Vgl. Urteil Prozeß Iller-Unglück. Mündliche Urteilsbegründung mitstenografiert in der Verhand­ lung, BArch, BW 2/2572. Vgl. Nägler, Der gewollte Soldat, S. 317‑325.

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Zugführer fehlte Julitz jegliche Erfahrung und somit hätte er den eigentlich für die Ausbildung zuständigen Stabsunteroffizier nicht vertreten dürfen.47 Auch das Personaldefizit der jungen Bundeswehr illustriert das Unglück an der Iller deutlich. Denn aufgrund ihres rasanten Aufbaus litt die Bundeswehr in den ersten Jahren unter einem gravierenden Mangel an Offizieren, vor allem an erfahrenen. Auch im betroffenen Luftlandejägerbataillon 19 fehlten zum Zeitpunkt des Unglücks bei 21 zur Verfügung stehenden Offizieren dem Soll nach noch weitere elf Führungskräfte. Mit Verweis auf die umfassende Offizierausbildung waren sich die bundeswehrinternen Verfasser des Untersuchungsberichtes zum Iller-Unglück sicher, dass ein Offizier in voller Kenntnis seiner Dienstvorschriften keinesfalls derart von diesen abweichen würde wie Julitz.48 In einem Kommandeurbrief stellte Heeresinspekteur Hans Röttiger fest, »dass die Erziehungsarbeit [...] noch mehr in den Vordergrund rücken muss«49. Röttiger forderte, dass die Bataillonskommandeure wöchentlich ihr Offizierkorps anhand der vorgelegten Dienstpläne über das Wesentliche der Vorschriften zu belehren hätten, damit diese die entsprechenden Anweisungen dann verbindlich an ihre Unteroffiziere weitergäben.50 Neben den im Folgenden dargestellten Unglücken, dem Untergang des U-Bootes »Hai« im September 1966 und dem Absturz der Transall-Maschine über Kreta im Februar 1975, war das dramatische Geschehen an der Iller das bisher opferreichste Unglück in der Geschichte der Bundeswehr. Zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs waren die Westdeutschen mit einer Vielzahl toter Soldaten konfrontiert. Und sowohl die Bundeswehrführung als auch die Politik mussten sich nun mit Fragen der Art der Trauer und der Totenehrung befassen. Der Untergang des U-Bootes »Hai« Am 14. September 1966 sank das U-Boot »Hai« in der Nordsee. Die Havarie ist der schwerste Unfall in der Geschichte der Marine der Bundeswehr.51 Auf die Frage, was nach der Bergung des verunglückten U-Bootes mit diesem geschehen werde, antwortete ein Marine-Offizier lakonisch: Dann würde es eben wieder instand gesetzt, »damit es zum dritten Male versenkt werden kann«52. In dieser Antwort kam nicht nur die Geschichte des U-Bootes »Hai« in Kurzform zum Ausdruck. Sie war in gewisser Weise auch eine Analyse des krisenhaften Zustandes der U-Boot-Waffe im Speziellen sowie der Marine im zehnten Jahr nach ihrer Aufstellung im Allgemeinen. Denn mangelnde bzw. veraltete Ausrüstung waren die entscheidenden Ursachen für den Untergang des U-Bootes »Hai«, das bereits

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Vgl. ebd., S. 320 f. Vgl. Folgerungen, 1. Entwurf Ministerrede, undatiert, BArch, BH 1/2338; Nägler, Der gewollte Soldat, S. 324 f. Der Inspekteur des Heeres, Kommandeurbrief Nr. 2, 3.7.1957, BArch, BH 1/2338. Ebd. Vgl. Althaus, U-Boot-Drama in der Nordsee. In: Die Welt, 14.9.2016. Zit. bei: Rost, »U Hai« – narrensicher und doch gesunken. In: Die Zeit, 23.9.1966.



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für die Marine der Wehrmacht vom Stapel gelaufen war.53 Als U 2365 wurde es ursprünglich am 2. März 1945 in Dienst gestellt, allerdings nie eingesetzt und schließlich im Zusammenhang mit dem »Regenbogen-Befehl« am 8. Mai 1945 versenkt. Erst im Juni 1956, nachdem es bereits über zehn Jahre auf dem Grund des Meeres vor der dänischen Insel Anholt lag, wurde es geborgen und generalüberholt. Am 15. August 1957 war es für die Marine der Bundeswehr einsatzbereit.54 Aber wie kam es zu der Havarie von 1966? Am 12. September 1966 verließen die U-Boote »Hai«, »Hecht« und U 3 sowie das Sicherheitsboot »Passat« und der Tender »Lech« den Hafen von Neustadt in Holstein. Der Verband, der eine Lehrgruppe von U-Booten bildete, brach zu einem Übungsmanöver in der Nähe von Aberdeen in Schottland auf. Das Geschwader stand unter dem Kommando von Hans-Gert Marholz, Fregattenkapitän und Kom­ man­deur des Verbands.55 Am 14.  September, dem Tag des Unglücks, befand sich das Geschwader 150 Seemeilen westlich von Helgoland, am nördlichen Rand der Doggerbank. Die Wetterbedingungen waren schwierig, es wütete ein heftiger Sturm mit Windstärke acht bis zehn. Gegen 18.42  Uhr sendete das U-Boot »Hai« ein letztes Signal an den Verband. Routinemäßig sollte es vier Stunden später wieder Kontakt aufnehmen, aber die Meldung blieb aus. An einen ernsten Zwischenfall dachte zu diesem Zeitpunkt niemand, weder die Führung der Begleitboote noch die Verantwortlichen des Flottenkommandos in Glücksburg. Vielmehr glaubte man lange an eine Störung der Funkverbindung aufgrund der schweren See. Deshalb wurde erst in den frühen Morgenstunden des 15. Septembers eine Suchaktion eingeleitet.56 Zu diesem Zeitpunkt war das U-Boot »Hai« längst gesunken, »wie ein Stein«57 und ohne Funk- oder Notsignal. Von den 20 Marinesoldaten der Besatzung überlebte nur 53 54

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Vgl. Sander-Nagashima, Die Bundesmarine 1950 bis 1972, S. 47 f.; Schreiben von Kurt Fuljahn an Helmut Schmidt, 16.9.1966, AdSP, NL Helmut Schmidt, 1/HSAA005424. Am 30. April 1945 befahl die Kriegsmarine die Versenkung aller Schiffe und U-Boote, die nicht für die Fischerei oder zum Minenräumen geeignet waren, um so zu verhindern, dass diese in die Hände des Gegners fielen. Großadmiral Dönitz, vormaliger Oberbefehlshaber der Kriegsmarine und nach Hitlers Selbstmord dessen Nachfolger als Oberbefehlshaber der Wehrmacht, betätigte den »Regenbogen-Befehl«. Am  4. Mai wurde der Befehl allerdings schon wieder zurückgenommen, da die am selben Tag unterzeichnete Teilkapitulation der Kriegsmarine nun eine Auslieferung dieser Schiffe und U-Boote an die alliierten Streitkräfte vorsah. Dennoch versenkten einige U-Boot-Besatzungen ihre Boote in der Annahme, damit dem tatsächlichen Willen ihres alten Oberbefehlshabers Dönitz zu entsprechen. Vgl. Salewski, »Exporiare aliquis nostris ex ossibus ultor«, S. 31; Hillmann, Der »Mythos« Dönitz, S. 260 f.; Ewerth, Die U-Boot-Flottille der deutschen Marine, S. 35. Vgl. Rost, »U Hai« – narrensicher und doch gesunken. In: Die Zeit, 23.9.1966. In seinem Tagebuch berichtete Günther Reeder, Flottillenadmiral und Befehlshaber Streitkräfte Nordsee, im Minutentakt stichwortartig über die Katastrophe, beginnend mit dem Verlust des Kontaktes zu U-Hai. Er schildert auch die Bergung der toten Besatzungsmitglieder und des Bootes sowie die Weitergabe von Informationen an die Presse. Vgl. Tagebuch des Befehlshabers der Streitkräfte Nordsee, Bd 1/1966, BArch, BM 11/77; Müller, Nicht einmal ein Notsignal. In: FAZ, 19.8.2000; Pressekonferenz, 22.9.1966, BArch, BM 22/54; »Hai«-Unglück. In: Der Spiegel, 26.9.1966. »Hai«-Unglück. In: Der Spiegel, 26.9.1966; vgl. Rost, »U Hai« – narrensicher und doch gesunken. In: Die Zeit, 23.9.1966.

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ein einziger: Obermaat Peter Silbernagel. Am späten Vormittag des 15. September wurde er von einem britischen Fischtrawler gerettet, 13 Stunden hatte er in einer Art Schwimmweste in der offenen Nordsee getrieben. Das U-Boot selbst wurde erst später geortet und am 24. September aus der See gehoben und geborgen.58 Der amtliche Bericht, der die Havarie aufklären sollte, stützte sich auf die Untersuchung des Wracks und die Aussagen von Silbernagel. Daraus ergab sich, dass sich das Unglück mit hoher Wahrscheinlichkeit aufgrund eines technischen Versagens ereignet hatte. Unmittelbare Ursache war demnach ein fehlerhaft umkonstruierter Ansaugstutzen.59 Die Katastrophe ereignete sich am Abend des 14.  Septembers gegen 22  Uhr. Obermaat Silbernagel: »Alles ging unglaublich schnell: Das Boot wurde hecklastig, drohte zu kentern. Als ich über Lautsprecher den Befehl unseres Kommandanten [Joachim-Peter] Wiedersheim hörte: ›Alle Mann von Bord!‹, wusste ich, dass wir sinken würden. Ich lief zur Ausstiegsluke im Turm des Boots. Vor mir sprangen bereits Kameraden ins Wasser, ich hechtete hinterher – als Letzter. Nach mir kam keiner mehr raus. Sechs meiner Freunde gingen mit der ›Hai‹ unter.«60

Die technische Untersuchung des Wracks ergab, dass vermutlich durch den defekten Ansaugstutzen unbemerkt und wohl sehr rasch so viel Wasser in den Maschinenraum eintrat, dass das U-Boot in Schräglage geriet und in der rauen See kenterte. Sechs Marinesoldaten starben im U-Boot, das auf 40 Meter Tiefe sank. Da kein Sichtkontakt zu den anderen Booten des Verbandes bestand, konnte niemand den um ihr Leben schwimmenden Marinesoldaten zu Hilfe kommen. 13 Besatzungsmitglieder ertranken in der kalten Nordsee.61 Der Untergang des U-Bootes »Hai« zeigte in geradezu paradigmatischer Weise die Probleme der Bundesmarine in ihrer Aufbau- und Konsolidierungsphase. Es fehlte an vielem, vor allem an finanziellen Mitteln. Auch 1966, mehr als zehn Jahre nach Aufstellung der kleinsten Teilstreitkraft, war deren Technik und deren Ausrüstung mangelhaft. Insbesondere viele U-Boote waren veraltet. Und genau wie »Hai« waren auch die Boote »Hecht« (U 2367) oder »Wilhelm Bauer« (U 2540) bereits Teil der Kriegsmarine gewesen. Auch sie wurden versenkt, dann gehoben und für die Bundeswehr instand gesetzt. »Hecht« war noch bis zum 30.  September 1968 im Dienst, »Wilhelm Bauer« sogar bis zum 15. März 1982.62 Trotz mancher Umbau- und Modernisierungsarbeiten galten die genannten U-Boote bereits bei Indienststellung in der Bundeswehr unter Fachleuten als technisch überholt. So wurden sie nicht nur teilweise mangelhaft umgebaut, ihnen fehl-

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62

Vgl. Kilian, Kai-Uwe von Hassel, S.  268; Tagebuch des Befehlshabers der Streitkräfte Nordsee, Bd 1/1966, BArch, BM 11/77. Gunkel, Allein unter Toten. In: Spiegel Geschichte, 1.2.2010. Der Untergang der »Hai«. In: Spiegel Panorama, 3.11.2000. Vgl. Amtlicher Bericht zum U-Hai Unglück, (letzter Zugriff 16.3.2016), Privatarchiv Julia Nordmann; Der Untergang der »Hai«. In: Spiegel Panorama, 3.11.2000. Vgl. Sander-Nagashima, Die Bundesmarine, S. 56‑61, 132.



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ten darüber hinaus auch technische Standards wie die Ausrüstung für Radarortung.63 Auf diese Weise waren gravierende Zwischenfälle und auch Havarien mit Verletzten und Toten geradezu vorprogrammiert. Der Absturz der Transall über Kreta Am 9. Februar 1975 hob die Transall C-160 des Lufttransportgeschwaders 63 um 7.53  Uhr vom Flugplatz Hohn in Schleswig-Holstein ab. Ziel der Maschine war der NATO-Stützpunkt Souda im Nordwesten der griechischen Insel Kreta. Die Besatzung, die auf dem Weg zum jährlichen taktischen Schießen auf der NATO Mission Firing Installation war, umfasste 35 Soldaten des Flakraketenbataillons 39 sowie sieben Besatzungsmitglieder. Verantwortlicher Pilot war Hauptmann Karl Heinz Schacht, sein Co-Pilot Oberst Elmar Schlottmann.64 Beide Flugzeugführer zählten mit über 5000 bzw. 3000  Flugstunden zu den erfahrensten Transall-Piloten der Bundeswehr überhaupt. Der Flug verlief planmäßig. Um 14.17 Uhr erreichte die Transall das Funkfeuer von Paleochora an der Südwestspitze Kretas. Um diese Zeit befand sich die Maschine etwa 15 nautische Meilen von Souda entfernt. Um 14.21 Uhr erteilte die Anflugkontrolle des Militär­ flugplatzes der Transall die Erlaubnis zur Einleitung des Sinkfluges. Nur eine Minute später meldete der Pilot, dass er sich nun genau über dem Flugplatz befinde. Das überraschte die Fluglotsen, denn für diese Strecke würde die Transall regulär beinahe fünf Minuten benötigen. Um 14.27  Uhr, also exakt zu dem Zeitpunkt, an dem die Transportmaschine der Bundeswehr in Souda landen sollte, versuchte die Anflugkontrolle erneut Kontakt zum Cockpit aufzunehmen. Die Transall antwortete nicht.65 Sie war an den Weißen Bergen Kretas (Lefka Ori), einem Gebirgsmassiv von fast 30 Kilometern Ausdehnung, zerschellt. Was also geschah genau zwischen 14.22 Uhr und 14.27 Uhr? Der Bericht der Unfallkommission rekonstruierte detailliert den Unglücksflug, an dessen Ende der erste Absturz einer Transall und zugleich der »tragischste Unfall der Bundes­wehr­ geschichte«66 steht. Alle 42 Insassen kamen ums Leben. Doch trotz der akribischen Untersuchung bleibt der exakte Unfallhergang bis heute ein Rätsel und die Analyse des Absturzes bewegt sich im Bereich des Wahrscheinlichen. Denn im Unterschied zu zivilen Flugzeugen verfügte die Transall weder über einen Flight- noch einen

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Vgl. Schreiben von Kurt Fuljahn an Helmut Schmidt, 16.9.1966, AdSP, NL Helmut Schmidt, 1/HSAA005424; auch »Hai«-Unglück. In: Der Spiegel, 26.9.1966. Vgl. Möllers, Der tragischste Unfall der Bundeswehrgeschichte, (letzter Zugriff 17.3.2016), Privatarchiv Julia Nordmann; Bericht des Leiters der Unfallkommission Oberst i.G. Kallerhoff, AdSD, NL Werner Buchstaller, Akte 43. Vgl. Möllers, Der tragischste Unfall der Bundeswehrgeschichte, (letzter Zugriff 17.3.2016), Privatarchiv Julia Nordmann; Bericht des Leiters der Unfallkommission Oberst i.G. Kallerhoff, AdSD, NL Werner Buchstaller, Akte 43; vgl. auch: Tödliche Schleife. In: Der Spiegel, 16.2.1975. Möllers, Der tragischste Unfall der Bundeswehrgeschichte, (letzter Zugriff 17.3.2016), Privatarchiv Julia Nordmann.

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Voice-Recorder. Und auch Augenzeugen, die Hinweise zur Aufklärung geben könnten, gab es nicht.67 Vermutet wird, dass die Hauptursache des Absturzes in einer Fehlanzeige der »Tactical Air Navigation« (Tacan) lag. Tacan steht für ein militärisches Funkfeuer, das Flugzeugen hochpräzise Entfernungsinformationen liefert.68 Arbeitet das System einwandfrei, beginnen die Nadeln der Navigationsinstrumente an Bord zu rotieren, sobald das Flugzeug ein Tacan-Funkfeuer überfliegt. Doch gelegentlich kann es vorkommen, dass sich die Nadeln schon bei Annäherung an einen Tacan-Sender ein- oder zweimal drehen. Dies könnte auch bei der Transall der Bundeswehr der Fall gewesen sein. Denn damit lässt sich eine Missinterpretation der Piloten erklären, die möglicherweise eine Fehlinformation von Tacan mit einer realen Positionsangabe verwechselten. Diese Verwechselung würde auch plausibel erklären, weshalb der Pilot zu früh die Rechtskurve einschlug, in die vermeintliche Landeschleife steuerte und an den Weißen Bergen zerschellte.69 Aufgrund der winterlichen Witterungsbedingungen und der schwierigen Topografie dauerte die Bergung der Flugzeugtrümmer und der Leichen zwei Wochen. Am 6. März 1975 sendete das Flugmedizinische Institut der Luftwaffe in Fürsten­feldbruck seinen Abschlussbericht zur Veröffentlichung an die Redaktion der Zeit­schrift Bundeswehr aktuell: »Zwei Wochen waren sie im Einsatz, die Männer von der Flugunfalleinsatzgruppe der Abteilung V [...] Unter schwersten Bedingungen bargen und identifizierten sie die Opfer der Flugkatstrophe in den Weißen Bergen auf Kreta. In 2000 m Höhe kämpften sie gemeinsam mit den Gebirgsjägern, um die Toten dem Schnee und dem Eis der Bergwildnis zu entreißen. Dann arbeiteten sie Tag um Tag bis zur physischen Erschöpfung an der Identifizierung der Toten. Alle Möglichkeiten der Kriminalistik und der forensischen Medizin schöpften sie aus. Endlich hatten sie es geschafft. Jeder der 42 Särge trug das Namensschild eines der toten Kameraden. Keines der Opfer blieb namenlos.«70

Die Todesflieger Starfighter und Noratlas Am 8. Januar 1957 geriet eine tieffliegende Kolbenmaschine vom Typ »Harward« in der Nähe von Preißenberg im Allgäu ins Trudeln. Wegen der geringen Höhe gelang es dem Piloten nicht mehr, sich aus dem Flugzeug zu retten. Die Harward stürzte ab und der Pilot starb.71

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Vgl. Bericht des Leiters der Unfallkommission Oberst i.G. Kallerhoff, AdSD, NL Werner Buch­ staller, Akte  43; IPStab Presse, Ein Sprecher des Bundesministeriums der Verteidigung gibt bekannt, 11.2.1975, BArch, BW 1/49802; vgl. auch: Tödliche Schleife. In: Der Spiegel, 16.2.1975. Vgl. Lemke, Konzeption und Aufbau der Luftwaffe, S.  390; Tödliche Schleife. In: Der Spiegel, 16.2.1975. Vgl. Tödliche Schleife. In: Der Spiegel, 16.2.1975. Vgl. Flugmedizinisches Institut der Luftwaffe, Fürstenfeldbruck, an die Redaktion Bundeswehr aktuell, Betr.: Einsatz des Flugmedizinischen Instituts der Luftwaffe, Abteilung V – Flugunfallmedizin, bei Flugunfall Kreta, 6.3.1975, BArch, BW 1/49802. Vgl. Priller, Der erste Tote der neuen Luftwaffe, S. 1.



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Das Unglück bei Preißenberg ist der erste tödliche Absturz einer Bundes­wehr­ maschine. Ihm sollten in rascher Folge zahlreiche weitere folgen. Allein zwischen 1958 und 1965, also in nur sieben Jahren, verloren 228  Piloten und Besatzungs­ mitglieder bei Flugunfällen ihr Leben. Neben tödlichen Verkehrsunfällen im Dienst war damit der Tod in der Luft für viele Jahre die häufigste Todesursache in der Bundeswehr.72 Unfälle ereigneten sich mit einer ganzen Reihe von Fluggeräten.73 Doch insbesondere zwei Flugzeugtypen waren für ganze Serien von Abstürzen verantwortlich. Am berüchtigtsten war in diesem Zusammenhang der »Starfighter« mit der Typen­ bezeichnung F-104 G des US-amerikanischen Luft- und Raumfahrt­unter­nehmens Lockheed. Von seiner Indienststellung im Sommer 1961 bis zu seiner Ausmusterung im Mai 1991 wurden insgesamt 916  Starfighter angeschafft, 298 der Maschinen stürzten ab, 108 Piloten starben.74 Weit dahinter in der Unglücksstatistik, aber dennoch mit hohen Unglückszahlen, folgte die Noratlas des ursprünglich französischen Herstellers Nord Aviation. Sie war der Vorgänger der deutsch-französischen Transall. Bereits 1957, im Jahr ihrer Indienststellung, stand die Noratlas aufgrund diverser Mängel in der Kritik. Dokumentiert sind: Risse im Kraftstofftank, brechende Leitungen, versagende Steuerungsorgane, ausfallende Funkanlagen.75 Im Folgenden sollen einige der aussagekräftigsten Flugunfälle zusammengestellt werden. Ausgewählte Beispiele für dokumentierte Abstürze von Maschinen des Typs »Noratlas« sind:

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Vgl. ebd.; auch: Siano, Die Luftwaffe und der Starfighter, S. 323. Die Häufigkeit von Flugunfällen mit Todesfolge bestätigen die Erhebungen der Statistischen Informationen aus dem Sanitäts- und Gesundheitswesen der Bundeswehr, die das Wehrmedizinalamt bis in die späten 1960er-Jahre herausgab. Vgl. BArch, BW 2/25478. In Unfälle verwickelt waren z.B. die DO 27 PH 201 des Herstellers Dornier, der Transport­hub­ schrauber »Vertol« H 21 der Firma Piasecki Helicopter Corporation oder die Kolbenmaschine Harward des Rüstungsunternehmens North American Aviation. Vgl. Ärztlicher Bericht über einen Flugunfall, 14.2.1964, sowie: Korpsheeresfliegerkommandeur  2, Hauptmann Schneider, Bericht über den Verlauf des Fluges der abgestürzten Do 27 PH 201, Flugzeugführer: SU Häfele, 25.2.1964, beide: BArch, BH  1/29611; Haaß, Ein Hubschrauber flog in den Tod. In: HNA, 14.1.2014; Drei Flugzeuge der Bundeswehr abgestürzt. In: FAZ, 15.1.1959; Priller, Der erste Tote der neuen Luftwaffe, S. 1. Vgl. Rebhan, Aufbau und Organisation der Luftwaffe 1955 bis 1971, S. 609; Lemke, Aufbau und Konzeption der Luftwaffe, S. 374. Bezüglich der Starfighter-Abstürze finden sich auch abweichende Angaben in der Literatur: 269 Abstürze und 116 tödlich verunglückte Piloten bei Schulz/Emse, Starfighter – Das Leben mit dem Drama. In: Flensburger Tageblatt, 8.11.2015; 292 Abstürze sowie 116 tote Piloten bei Stünkel, Ungleiche Gegner, S. 52. Hauptmann Lutz Tyrkowski war der erste Pilot, der mit einem Starfighter tödlich verunglückte. Der Unfall ereignete sich am 25.1.1962, noch vor der offiziellen Indienststellung des Starfighters. Vgl., auch für eine Auflistung sämtlicher Verluste mit kurzer Unfallbeschreibung, Kropf, Deutsche Starfighter, S. 30, 102 f., 139‑143. Vgl. Rebhan, Aufbau und Organisation der Luftwaffe 1955 bis 1971, S. 631; Lappen im Tank. In: Der Spiegel, 8.1.1958. Die Führung der Luftwaffe führte in ihrer Stellungnahme vor dem Ver­teidigungsausschuss des Deutschen Bundestages, der nach dem Absturz einer Noratlas am 23.1.1961 bei Overath-Vilkerath mit vier toten Besatzungsmitgliedern über die Flugtauglichkeit des Transportfliegers diskutierte, die Unfälle überwiegend auf menschliches Versagen zurück. Vgl. »Noratlas« ohne Mängel?. In: FAZ, 4.3.1961; Pommerin, Auf dem Weg zur europäischen Rüstungs­kooperation, S. 341.

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– 15. Juli 1958: Absturz einer Noratlas in der Nähe von Berchtesgaden, Zahl der Todesopfer: sechs Besatzungsmitglieder.76 – 24.  Juli 1959: Explosion einer Noratlas bei Bursa in der Türkei, Zahl der Todesopfer: fünf Besatzungsmitglieder.77 – 12. Februar 1969: Absturz einer Noratlas bei Neubiberg, Zahl der Todesopfer: ein Kind, zehn Besatzungsmitglieder.78 Mit der Noratlas, die zwischen 1957 und 1971 als Transportflugzeug für Material und Soldaten in der Bundeswehr eingesetzt wurde, ereigneten sich insgesamt mutmaßlich zehn Abstürze mit 41 Toten.79 Da es sich bei der Noratlas um ein Trans­ port­flugzeug handelte, war oft eine größere Besatzung an Bord als in anderen militärischen Flugzeugtypen. Dies erklärt die vergleichsweise hohe Zahl an Todes­opfern pro Absturz. Nachhaltiger und tiefer als die Unglücksfälle im Zusammenhang mit der Noratlas sind die vielen Abstürze mit Maschinen des Überschallflugzeugs Starfighter F-104 im kollektiven Bewusstsein der Bundesrepublik verankert. Am markantesten dafür sind die bitteren und sarkastischen Bezeichnungen, mit denen der Unglücksflieger in der Öffentlichkeit belegt wurde: »Witwenmacher«, »Erdnagel«, »fliegender Sarg« oder »Sargfighter« waren nur die geläufigsten.80 Der Starfighter wurde sowohl in der Luftwaffe als auch der Marine eingesetzt. Er diente zur Seekriegführung, als konventioneller Jagdbomber und Jäger, als Aufklärer sowie als potenzieller Träger für Nuklearwaffen. Der erste tödliche Absturz ereignete sich am 25. Januar 1962 und der letzte am 11. Dezember 1984. 1965 erreichte die Unfallserie des Starfighters mit 26 Abstürzen und 17 toten Piloten einen ersten Höhepunkt. Das prominenteste Opfer des Starfighters war Oberleutnant Joachim von Hassel, der am 10. März 1970 als 57. Pilot tödlich verunglückte. Er war der Sohn von Kai-Uwe von Hassel, der zwischen 1963 und 1966 Verteidigungsminister war.81 76 77 78 79

80 81

Vgl. Deutsches Militärflugzeug abgestürzt. In: FAZ, 16.7.1958; Ahrens, Die Transportflieger der Luftwaffe, S. 507. Vgl. Deutsches Militärflugzeug abgestürzt. In: FAZ, 27.7.1959; Ahrens, Die Transportflieger der Luftwaffe, S. 507. Vgl. Zwei Abstürze von Bundeswehrmaschinen. In: FAZ, 13.2.1969; Schwarzer Tag für die Luftwaffe., S. 4; Ahrens, Die Transportflieger der Luftwaffe, S. 508. Vgl. Rebhan, Aufbau und Organisation der Luftwaffe 1955 bis 1971, S. 633. Da keine offizielle Statistik verfügbar ist, welche die Abstürze der Noratlas dokumentiert, wurde versucht, durch eine Medienrecherche die Häufigkeit der Abstürze und die Zahl der Toten zu ermitteln. Wegen der unvollständigen Quellenlage sind die genannten Zahlen jedoch nur ungefähre Werte. Neben den im Folgenden beschriebenen Beispielen für tödliche Abstürze wurden noch folgende Artikel aus der FAZ herangezogen: Bei einem Probeflug abgestürzt, 18.9.1959; Die Fliegersoldaten gefunden, 23.3.1960; »Noratlas«-Absturz durch Wirbelsturm, 23.6.1960; Wieder eine »Noratlas« abgestürzt, 24.1.1961; Bundeswehr-Flugzeug abgestürzt, 25.11.1964; Fünf Soldaten bei Flugzeugabsturz getötet, 20.11.1970; vgl. auch Ahrens, Die Transportflieger der Luftwaffe, S. 507 f. Vgl. Lemke, Konzeption und Aufbau der Luftwaffe, S. 348; Schwenke, Pilot im Starfighter, S. 730. Vgl. Schwenke, Pilot im Starfighter, S. 727‑729; Schwere Unfälle/Totalverluste F/RF/TF-104F/G der Luftwaffe, (letzter Zugriff 6.9.2021); auch: Schulz/Emse, Starfighter – Das Leben mit dem Drama. In: Flensburger Tageblatt, 8.11.2015; Lemke [u.a.], Die Luftwaffe



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Die tödliche Serie des Starfighters ist beispiellos, und die Ursachen für die Abstürze ließen sich wie im Fall von Joachim von Hassel oft nicht ermitteln. Während Bundeswehrführung und BMVg eher auf menschliches Versagen verwiesen, stellten die Opferangehörigen und deren Anwälte technische Mängel und unzureichende Schulung und Ausbildung der Piloten in den Vordergrund. In vielen Fällen war es vermutlich eine fatale Mischung aus beiden Ursachenkomplexen. Darüber hinaus spiegelte die Absturzserie wohl auch eine gravierende Systemkrise der Luftwaffe der Bundeswehr.82 Dies legt bereits der Blick in die Gründungsgeschichte der Bun­ deswehr nahe. Ab den späten 1950er-Jahren sollte die Bundeswehr unter Verteidigungsminister Strauß rasch an die Vorgaben der NATO-Partner angepasst werden. Doch personell wie technisch war die Armee im Aufbau dazu nur unzureichend in der Lage. Besonders deutlich trat dieses Problem beim Starfighter zutage.83 Das unter Zeitdruck für den deutschen Markt modifizierte und teils neu konstruierte Flugzeug wies, wie sich bald zeigte, technische Mängel auf. Besonders sind hier ein oftmals unzureichend funktionierender Schleudersitz zu nennen oder auch die Tatsache, dass die für den deutschen Markt umgebauten Starfighter schwerer und damit schwieriger zu manövrieren waren als die amerikanischen Originale. Ebenso kam es in Einzelfällen zu Triebwerksausfällen.84 Auch hinkte die Ausbildung der Bundeswehrpiloten, die zum Teil in den Vereinigten Staaten erfolgte, den Anforderungen eines derart hochkomplexen Flug­ zeuges deutlich hinterher. Vor allem die zu geringe Anzahl der Flugstunden für die Piloten wurde moniert. Überdies verfügte die Bundeswehr über zu wenige qualifizierte Techniker, um die Flugzeuge den hohen Erfordernissen entsprechend zu warten und instand zu halten. Auch die Versorgung mit originalen Ersatzteilen bereitete Probleme. Die Luftwaffe musste improvisieren. In der Bundeswehr sprach man bereits von einer »Kannibalisierung«85, man begegnete dem Nachschubmangel also mit der Entnahme von Ersatzteilen aus anderen Flugzeugen. Die permanente Improvisation verlängerte die Reparaturzeiten der Starfighter in den Werkstätten ganz erheblich. Und die eingeschränkte Verfügbarkeit der Maschinen trug ebenfalls zum Defizit an Flugstunden der Piloten bei.86 Die große Zahl der Unfälle in der Luftwaffe war wohl einer der entscheidenden Gründe dafür, dass Politik und Bundeswehr sich so lange sträubten, die Unfallopfer der Streitkräfte mit offiziellen Formen des militärischen Totengedenkens zu würdigen. Denn durch die öffentliche Ehrung der Toten würde zugleich auch der Fokus

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1950 bis 1970, S. 805 (Chronologie); Kilian, Kai-Uwe von Hassel, S. 312 f.; Koop, Kai-Uwe von Hassel, S. 134, 147, 157 f., 163; Beeck, Mit Überschall, S. 229‑234. Vgl. Marinefliegergeschwader 2, Kommodore, Stellungnahme zum Flugunfall Otl z.S. von Hassel am 10.3.1970, 31.8.1970, BArch, BL 1/107; Kilian, Kai-Uwe von Hassel, S. 313; Siano, Die Luft­ waffe und der Starfighter, S. 348; Lemke, Konzeption und Aufbau der Luftwaffe, S. 363 f., 366. Vgl. Lemke, Konzeption und Aufbau der Luftwaffe, S. 321‑324, 360‑366. Vgl. Siano, Die Luftwaffe und der Starfighter, Deglow, Starfighter-Absturz. In: Kölner Stadt-An­zei­ ger, 20.6.2012; auch: Scheller, Der heilige Antonius bleibt. In: Die Zeit, 29.9.1967. Schwenke, Pilot im Starfighter, S. 730. Vgl. ebd. und Rebhan, Aufbau und Organisation der Luftwaffe 1955 bis 1971, S. 624; Siano, Die Luftwaffe und der Starfighter, S. 348.

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auf die Ursachen all dieser Unglücke gelenkt: auf technische, finanzielle und personelle Missstände innerhalb der Bundeswehr. Der Tod von Rekruten in der Bundeswehrausbildung Von Aufstellung der Bundeswehr im November 1955 an bis heute sind zahlreiche Verletzungen der Grundsätze der Inneren Führung dokumentiert, in Einzelfällen sogar ihre völlige Missachtung. Der wohl zentrale Grundsatz der Inneren Führung ist weitgehend deckungsgleich mit Artikel  1 des Grundgesetzes: »Die Würde des Menschen ist unantastbar.«87 Das vermutlich bekannteste Beispiel für Verstöße gegen die Innere Führung ist der sogenannte Hitzemarsch von Nagold, der geradezu zum Symbol für die Nicht­ einhaltung ihrer Maximen wurde.88 Am 1.  Juli 1963 traten neue Rekruten ihren Dienst bei der FallschirmjägerAusbildungskompanie 6/9 in Nagold an. Am 25. Juli 1963 brachen die Rekruten im Rahmen ihrer Grundausbildung zu einem vorgeschriebenen 15-Kilometer-Marsch auf. Der Tag war schwül-heiß, und die jungen Männer, die gerade drei Wochen dienten, trugen ihre Sturmgewehre und schweres Marschgepäck. Dieser Gewaltmarsch alleine war bereits eine enorme Herausforderung für die unerfahrenen und untrainierten Rekruten. Doch das genügte einigen Ausbildern offensichtlich noch nicht. Sie schikanierten die jungen Männer zusätzlich, traten sie mit Füßen, stießen sie mit Gewehrläufen oder befahlen ihnen, das Ventil der ABC-Schutzmaske sauber zu kauen. Überdies verlängerten sie den Marsch vorschriftswidrig einfach um zwei Kilometer.89 Die Folgen der Demütigungen, Quälereien und Vorschriftsverletzungen ließen nicht auf sich warten: Vier Rekruten kollabierten, zwei weitere verloren sogar das Bewusstsein. Einer von ihnen, der 19-jährige Gert Trimborn, starb am 1.  August 1963, ohne noch einmal das Bewusstsein zu erlangen.90 Die Bundeswehr versuchte zunächst, die Vorfälle zu bagatellisieren und herunterzuspielen, als hätten sich die bedauerlichen Vorkommnisse im üblichen Rahmen der obligatorischen Grundausbildung ereignet. So reagierte die Bundeswehr in Krisen oft. In einem Schreiben des FüL formulierte es ein Mitarbeiter so: »Nagold hat aber einen, wie mir scheint [sic] für die Bundeswehr typischen Zug in Erscheinung treten lassen, den Zug der Vorgesetzten, Verfehlungen Untergebener zu beschönigen und zu decken.«91 Die Ursachen für derart gravierende Vorfälle waren demnach struktureller Natur. Denn innerhalb der Bundeswehr herrschte offenbar häufig ein Klima der Ignoranz gegenüber den Grundsätzen der Inneren Führung. Doch Nagold setzte umfangreiche Untersuchungen in Gang, nicht nur bundeswehrintern, sondern auch auf straf87 88 89 90 91

Grundgesetz, Art. 1, § 1; Möllers, Die Schleifer von Nagold, (letzter Zugriff 18.3.2016), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Erinnerungsorte der Bundeswehr, S. 104 f. Vgl. Schlaffer, Der Wehrbeauftragte, S. 161‑163; Zwischenbericht über Nagold, BArch, BM 1/197. Vgl. Zwischenbericht über Nagold, BArch, BM 1/197. Schreiben FüL I an FüB I, Betr.: Erziehererlaß des Generalinspekteurs, 20.2.1964, BArch, BM 1/197.



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rechtlicher Ebene. Schon am 30. Juli, zwei Tage vor dem Tod Trimborns, erging eine Weisung des FüH an das II. Korps, dem die Kompanie in Nagold unterstellt war. Die Direktive besagte, dass die Zwischenfälle hinsichtlich der »Zweckmäßigkeit der befohlenen Ausbildung«, der »Zumutbarkeit der geforderten Marschleistung« und der »Beachtung der Vorschriften« zu untersuchen seien.92 Die Ergebnisse der Nachforschungen: Mitverantwortlich für den Tod Trimborns war möglicherweise, wie die rechtsmedizinische Untersuchung ergab, ein akutes Leber- und Nierenleiden des Rekruten. Als wesentlicher Grund für seinen Tod aber galt der vorschriftswidrige und schikanöse Ausbildungsmarsch.93 Insgesamt zeige Nagold, wie Schlaffer konstatiert, dass »die Leitsätze für Menschenführung mustergültig verletzt und dabei sämtliche strukturellen wie personellen Unzulänglichkeiten aus einem zu raschen Aufbau der Streitkräfte offen gelegt«94 worden seien. Die Konsequenzen, die sich aus Nagold und der bundeswehrinternen wie auch öffentlichen Diskussion ergaben, waren vielfältig. Die truppendienstliche Ein­lei­ tungs­ behörde veranlasste drei disziplinargerichtliche Verfahren gegen Offiziere, Unter­offiziere und Mannschaften. Der Kommandeur sowie der Stellvertreter der Fallschirmjägerbrigade 25 beantragten disziplinargerichtliche Verfahren gegen sich selbst. Die Folgen: Der Kommandeur der Ausbildungskompanie wurde durch den Befehl von Generalleutnant Leo Hepp (straf-)versetzt, ebenso alle (Hilfs-)Aus­bilder, die vor dem 1.  August 1963 in der Kompanie dienten. Hepp löste damit eigen­ mächtig die Kompanie auf – ein einmaliger und umstrittener Vorgang in der Bun­ des­wehr –, um den belasteten Namen Ausbildungskompanie 6/9 aus dem Heer zu eliminieren.95 Auch strafrechtlich zeitigte Nagold erhebliche Folgen. Insgesamt leitete die zuständige Staatsanwaltschaft 24 Ermittlungsverfahren ein. Gegen elf Soldaten wurde Ende 1963 vor dem Schöffengericht in Calw das Verfahren eröffnet. Zwei der Angeklagten sprach man frei, neun der Soldaten wurden zu Freiheitsstrafen von zehn Tagen Arrest bis zu acht Monaten Gefängnis verurteilt.96 Nagold hatte aber auch zur Folge, dass sowohl Politiker wie Führungskräfte der Bundeswehr die militärischen Ausbildungsmethoden problematisierten und auf eine strikte Einhaltung der Grundsätze der Inneren Führung drangen. Vor allem zwei Hauptursachen identifizierte man für die Defizite der Militärausbildung: 1. erfahrene Veteranen, die nun als Führungskräfte in der Bundeswehr dienten und die harten, entwürdigenden und oft brutalen Ausbildungsmethoden ihrer Zeit in der Wehrmacht auf die Armee der Bundesrepublik übertrugen. 2.  junge Vorgesetzte, die kaum über militärische Praxis und nur über unzureichende Menschenkenntnis verfügten.97 Hellmuth Guido Heye (CDU), Admiral a.D. und Wehrbeauftragter des deutschen Bundestages, kam in seinem Jahresbericht 1963 zu einem ähnlichen 92 93 94 95 96 97

Vgl. Zwischenbericht über Nagold, BArch, BM 1/197. Vgl. Schlaffer, Der Wehrbeauftragte, S. 163. Ebd., S. 161. Vgl. ebd., S. 163. Vgl. Schlaffer, Schleifer a.D.?, S. 653 f.; Schlaffer, Der Wehrbeauftragte, S. 163; Zwischenbericht über Nagold, BArch, BM 1/197. Vgl. Schlaffer, Schleifer a.D.?, S. 655 f.

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Ergebnis. Viele militärische Vorgesetzte, schrieb Heye, seien noch sehr jung und hätten wenig Dienst- und Lebenserfahrung. Und weiter: »Solche jungen Vorgesetzten suchen nicht selten ihre Unsicherheit durch Ausbildungsmaßnahmen auszugleichen, die einen Rückfall in überholte und unzulässige Methoden bedeuten.«98 Dieser Umstand bedingte auch den Tod des Rekruten Gert Trimborn in Nagold. Hans Dieter Raub etwa, einer der Ausbilder des Toten auf dem sogenannten Hitzemarsch, war im Sommer 1963 erst 22 Jahre alt. Ende des Jahres wurde er als Hauptverantwortlicher für den Gewaltmarsch zur Rechenschaft gezogen und wegen Misshandlung, entwürdigender Behandlung und Missbrauch der Dienstgewalt zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. In der jungen Bundeswehr musste offenbar erst noch internalisiert werden, dass die Ausbildung nicht im Gegensatz, sondern auf Grundlage der Vorschriften und Richtlinien der Inneren Führung erfolgen musste und dabei insbesondere die Menschenwürde der Soldaten zu achten war.99 Ein weiterer schwerwiegender Zwischenfall, der die Missstände in der Ausbildung der Bundeswehr besonders deutlich illustriert, ist der Tod des Sanitätsgefreiten Roman Ortlieb auf dem Truppenübungsplatz Bodelsberg bei Kempten. Er wurde im Sommer 1967 während der Übungen »Leben im Feld« und »Kampf in der Stellung« durch einen üblen Scherz seines wohl angetrunkenen Ausbilders Peter Kellein tödlich vergiftet.100 Der 27-jährige Feldwebel Kellein, der am 5. August 1967 um drei Uhr morgens nach einem ausgiebigen Zechgelage zum Truppenübungsplatz zurückkehrte, hatte den Befehl, seinen Zug um sechs Uhr zu wecken.101 Beim Gang durch die Stellung überprüfte Kellein die angeordnete Alarmbereitschaft des Zuges, der zufolge stets ein Posten Wache zu halten hatte. Doch alle Soldaten schliefen. Kellein beschloss offenbar, seinem pflichtvergessenen Zug eine Lehre zu erteilen. Dazu entzündete der Feldwebel eine Nebelkerze vom Typ DM 1 und postierte sie auf der untersten Stufe der Treppe vor dem Eingang zum Unterstand, in dem drei Soldaten schliefen, unter ihnen der Sanitätsgefreite Ortlieb. Rasch breitete sich ein Nebel aus Zinkchlorid im Unterstand aus. Alle drei Insassen gelangten ins Freie, doch alle drei hatten das Gift bereits eingeatmet, fühlten sich benommen und erbrachen sich.102 Eine ernste Gesundheitsgefährdung der drei Soldaten des Unterstandes wurde zunächst nicht erkannt. Doch am 6. August musste Roman Ortlieb aufgrund an98 99

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Deutscher Bundestag, 4. Wahlperiode, Bericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages für das Berichtsjahr 1963 (Drucksache IV/2305), S. 26. Vgl. Schlaffer, Der Wehrbeauftragte, S. 43. Vgl. Mey, Das Heimweh des Gefreiten Raub. In: Die Zeit, 25.11.1966. In einem späteren Berufungsverfahren verkürzten die Richter die Strafe auf fünf Monate ohne Bewährung. Zwischen­ bericht über Nagold, BArch, BM 1/197. Vgl. Oberst Sinram, Bericht über die Untersuchung des Besonderen Vorkommnisses (Todesfall des SanGefr Ortlieb an der HUS I, Sonthofen), 29.8.1967, BArch, BH 1/2337; Schreiben der Stammkompanie Heeresunteroffizierschule I an Inspektion des Erziehungs- und Bildungswesens im Heer, Betr.: Besonderes Vorkommnis, hier: SanGefr Roman Ortlieb, 1. Meldung vom 7.8.1967, 11.8.1967, BArch, BH 1/2337. Vgl. Oberst Sinram, Bericht über die Untersuchung des Besonderen Vorkommnisses (Todesfall des SanGefr Ortlieb an der HUS I, Sonthofen), 29.8.1967, BArch, BH 1/2337. Vgl. Schreiben der Stammkompanie Heeresunteroffizierschule  I an Inspektion des Erziehungsund Bildungswesens im Heer, Betr.: Besonderes Vorkommnis, hier: SanGefr Roman Ortlieb, 1. Meldung vom 7.8.1967, 11.8.1967, BArch, BH 1/2337.



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haltender Beschwerden, die auf eine schleichende Vergiftung schließen ließen, ins Bundeswehrlazarett Kempten eingeliefert werden. Dort stellten die Ärzte fest, dass Ortlieb durch das Zinkchlorid eine lebensbedrohliche Intoxikation erlitten hatte. Fünf Tage später, am 11.  August um 17.30  Uhr, erlag der Sanitätsgefreite der Vergiftung.103 Feldwebel Kellein hätte es besser wissen müssen. Bereits 1963 kam es in der Bun­ des­wehr zu Unfällen mit der Nebelkerze DM 1. Daher wurde 1965 die Heeres­dienst­ vorschrift HDv 132/6 »Darstellungsmittel für die Ausbildung in der ABC-Abwehr und Sicherheitsbestimmungen« erlassen, die über deren potenzielle Gefahren aufklärte. Der spätere Untersuchungsbericht stellte fest, dass sogar Kellein selbst noch am 3. August 1967 die ihm untergebenen Soldaten über den Umgang mit Nebelkerzen und die Handhabung des Zünders belehrt hatte. Ferner klärte er diese darüber auf, dass der Einsatz von Nebelkerzen in geschlossenen Räumen mit Lebensgefahr verbunden sei.104 1969 wurde Kellein, der mit seiner vorschriftswidrigen und leichtfertigen Tat laut eigener Aussage nur ein »gefechtsmäßiges Alarmwecken«105 auslösen wollte, wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit dem Vergehen der Misshandlung Untergebener und der Nichtbefolgung eines Befehls zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt.106 Nagold und Bodelsberg sind zwei Fälle von vielen, in denen Soldaten durch vorschriftswidrige, demütigende oder lebensgefährliche Ausbildungsmethoden zu Schaden oder sogar ums Leben kamen. Die Bundeswehr versuchte, wie auch Füh­ rungs­offiziere bestätigten, wiederholt diese Vorfälle zu bagatellisieren107 und über die Toten nicht allzu viele Worte zu verlieren. Unfälle mit dem Schützenpanzer HS-30 Um durch Kriegswaffen zu sterben, muss man sich nicht im Krieg befinden. Dies galt auch für die Bundeswehr. Am 9. April 1964 war auf dem NATO-Schießplatz von Bergen-Hohne in der Lüneburger Heide ein großes Gefechtsschießen geplant. Denn im Rahmen einer Lehrvorführung für den 6.  Internationalen Generalstabslehrgang der Führungs­ 103 104

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Vgl. ebd. Im Sommer 1963 erlitten 20 Rekruten der 9. Ausbildungskompanie der 6. Panzergrenadierdivision in Boostedt während einer nächtlichen Alarmübung Schleimhautverletzungen. Ihre Ausbilder hatten u.a. Nebelkerzen im Kasernenflur gezündet. Vgl. Tauglich II. in: Der Spiegel, 21.8.1963; FüH, Heeresdienstvorschrift »Darstellungsmittel für die Ausbildung in der ABC-Abwehr und Sicherheitsbestimmungen« (HDv 132/6), Juli 1965, BArch, BHD 1/66; Oberst Sinram, Bericht über die Untersuchung des Besonderen Vorkommnisses (Todesfall des SanGefr Ortlieb an der HUS I, Sonthofen), 29.8.1967, BArch, BH 1/2337. Bartels, Tödlicher Nebel. In: Die Zeit, 1.9.1967. Vgl. Der Mann hatte Angst. In: Der Spiegel, 7.4.1969. Ein vergleichbarer Fall wie in Nagold ereignete sich am 16. Juli 1964 bei der Ausbildungskompanie 1/9 der 1.  Luftlandedivision in Esslingen. Während einer Geländeübung von Rekruten, bei der sämtliche Vorschriften für den Dienst bei Hitze außer Acht gelassen wurden, brach der Funker Anton Deigl zusammen und starb noch in derselben Nacht an den Folgen des Hitzemarsches. Dieser Fall ist dokumentiert in BArch, BH 7-2/789. Vgl. Schreiben FüL I an FüB I, Betr.: Erziehererlaß des Generalinspekteurs, 20.2.1964, BArch, BM 1/197.

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akademie der Bundeswehr sollte der Schützenpanzer des Typs HS-30 vor 250 Lehr­ gangs­teilnehmern seine durchschlagende Feuerkraft beweisen. Bei dem Gefechts­ schießen sollten neue Grundsätze für die bewegliche Verteidigung demonstriert werden, entwickelt von der Kampftruppenschule III in Munster. Für bessere Sicht waren die Beobachter des Gefechtsschießens am Großen Dellberg platziert, auf zu mobilen Tribünen umfunktionierten Lastkraftwagen, mit denen die Beobachter später dem Feuer vorausfuhren und damit »gefechtsnah« der Lehrvorführung folgen konnten.108 Gegen 14 Uhr eröffneten vier Schützenpanzer HS 30 das Feuer auf ein Ziel, das sich rund 900 Meter entfernt vom Großen Dellberg befand. Keine der Granaten traf das Ziel, dennoch wurden weitere Salven abgefeuert. Als die Verantwortlichen realisierten, dass die Geschosse gefährlich nahe bei den Zuschauern detonierten, war es bereits zu spät. Der Befehl zur Einstellung des Feuers konnte nicht mehr rechtzeitig erteilt werden. Eine Granate der letzten Salve explodierte mitten unter den Beobachtern. Zehn Soldaten – davon acht Soldaten der Bundeswehr und zwei ausländische Teilnehmer des Lehrgangs – starben, neun weitere wurden verletzt.109 Das Unglück von Bergen-Hohne ist eines der schwersten in der Geschichte der Bundeswehr. Das Landgericht Lüneburg, vor dem sich so gut wie alle Verantwortlichen des Gefechtsschießens rechtfertigen mussten, identifizierte eine ganze Reihe von Verletzungen militärischer Bestimmungen: Verstöße und Fehler beim Schießen und der Zielbeobachtung, Nachlässigkeiten und Versäumnisse bei der Einhaltung von Sicherheitsvorkehrungen.110 Menschliches Versagen war einer der Hauptgründe für Verletzte und Tote im Militärbetrieb der Bundeswehr. Konstruktive Fehler und technische Mängel am Kriegsgerät waren – wie auch das Beispiel des Starfighters zeigt – insbesondere bis in die 1960er-Jahre zentrale Ursachen. Wie im Fall einer Übung, die das Lehrbataillon der in München ansässigen Heeresoffizierschule  III im Frühjahr 1969 auf dem Truppenübungsplatz Munster-Nord durchführte.111 Am 25. Februar 1969 gingen im Rahmen dieser Übung auf der Schießbahn I von Munster-Nord, bei der junge Offizieranwärter mit Bordmaschinenkanonen scharfes Schießen trainieren sollten, vier Schützenpanzer HS-30 nebeneinander in Stellung. Während des Einschießens gab die Kanone des zweiten Panzers plötzlich kein Einzelfeuer mehr ab, wie vorgesehen, sondern stattdessen Dauerfeuer. Dabei schwenkte der Geschützturm des Panzers nach links, und 34  Schuss bestrichen 108

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Vgl. Ulrich de Maizière, Dienstliche Tagebuchaufzeichnungen 15.9.1963‑5.6.1964, Ein­ trag vom 9.4.1964, BArch, N  673/31; König, Das Schießunglück von Bergen Hohne, (letzter Zugriff 22.3.2016), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Kilian, Kai-Uwe von Hassel, S. 267; König, Das Schießunglück von Bergen Hohne, (letzter Zugriff 22.3.2016), Privatarchiv Julia Nordmann; Gedenken an Schießunfall von Bergen-Hohne. In: Cellesche Zeitung, 14.4.2014. Vgl. Draußen meckert ein MG. In: Der Spiegel, 25.11.1964; König, Das Schießunglück von Ber­ gen Hohne, (letzter Zugriff 22.3.2016), Privatarchiv Julia Nord­mann. Vgl. Deinhardt, Panzergrenadiere im Kalten Krieg, S.  94; Erwin Fischer, Der Tod im HS  30, 10.2.1970 (Manuskript aus der Sendereihe »Verteidigung und Sicherheit«), BArch, BW 1/25410.



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den Nachbarpanzer. Die 20-Millimeter-Geschosse erfassten den Gefreiten Norbert Johannsen und zerfetzten ihn. Einer seiner Kameraden wurde am Kopf verletzt.112 Die Ursache dieses Unglücks war ein schwerer konstruktionsbedingter Fehler im Turm des Panzers. Diese Gefahrenquelle, von der die Verantwortlichen 1969 schon länger Kenntnis hatten, hatte wohl bereits weitere Todesopfer gefordert. Der HS-30 sei, so ein Oberstleutnant der Bundeswehr, »eine Mistkarre, von Anfang an«113. Auch strafrechtlich wurde dieser Fall untersucht. In ihrem Schlussbericht führten die ermittelnden Beamten des 1.  Kommissariats der Landeskriminalpolizei Lüne­ burg an, dass ein Konstruktionsfehler der Seitenrichtmaschine maßgeblich zu dem Unglück geführt habe.114 Um menschliches und technisches Versagen oder gar systematische Fehler möglichst rasch vergessen zu machen und das Militär scharfer öffentlicher Kritik zu entziehen, hatten Politik und Bundeswehr kein Interesse daran, der Toten dieser Vor­ fälle in offiziellen Zeremonien zu gedenken. Auch dies ist ein Grund, warum sich in der Bundeswehr und in der Bundesrepublik keine offizielle und öffentliche Gedenk­ kultur für im Dienst getötete Soldaten entwickelt.

b) Die humanitären Missionen und die Kampfeinsätze der Bundeswehr nach 1990 Das Gleichgewicht des Schreckens, das in den Zeiten von NATO und Warschauer Pakt zu einer nuklearen Pattsituation führte, bestimmte alle militärpolitischen Überlegungen in der Bundesrepublik. Die Erhaltung des Friedens war für die deutsche Regierungspolitik von Aufstellung der Bundeswehr im November 1955 an bis in die Zeit nach dem Fall der Mauer hinein alternativlos. Sie war geradezu ein Grundpfeiler deutscher Nachkriegsidentität und integraler Bestandteil des Selbstverständnisses der Bundeswehr. Für die Armee der Bundesrepublik war daher der Soldatentod kaum mehr als eine abstrakte Vorstellung, eine »Nebenfolge«115 des militärischen Auftrags. Auch für den Soldaten war der Tod im Kampf somit kein primärer Bezugspunkt seines Berufes. Dies rückte die Beschäftigung mit dem Tod im Kriegsfall in den Hintergrund. Bis zum 12.  Juni 1999 trat der Kriegsfall, ein Kriegs- und Kampfeinsatz für die Bundeswehr, nicht ein. Aber spätestens mit der Mission im Kosovo stand der Staatsbürger in Uniform einer ganz anderen militärischen Wirklichkeit gegenüber. Einer Realität, auf die er kaum vorbereitet war. Die radikal veränderte Lage nach dem Kalten Krieg und dem Zerfall der bipolaren Weltordnung führte dazu, dass sich die Bundesrepublik plötzlich mit toten 112 113

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Vgl. Erwin Fischer, Der Tod im HS 30, 10.2.1970 (Manuskript aus der Sendereihe »Verteidigung und Sicherheit«), BArch, BW 1/25410. Zit. in: Die Unvollendete. In: Der Spiegel, 13.11.1967. Vgl. Erwin Fischer, Der Tod im HS 30, 10.2.1970 (Manuskript aus der Sendereihe »Verteidigung und Sicherheit«), BArch, BW 1/25410; Deinhardt, Panzergrenadiere im Kalten Krieg, S. 94, 141‑144. Vgl. Erwin Fischer, Der Tod im HS 30, 10.2.1970 (Manuskript aus der Sendereihe »Verteidigung und Sicherheit«), BArch, BW 1/25410. Vgl. Baudissin, Beitrag des Soldaten zum Dienst am Frieden, S. 41.

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Bundeswehrangehörigen konfrontiert sah, mit Soldaten, die im Rahmen humanitärer oder kriegerischer Auslandseinsätze ihr Leben verloren. Insgesamt starben seit dem 22.  Mai 1992 115  Soldaten bei den deutschen Auslandsmissionen, 59 von ihnen kamen während der ISAF- bzw. der Nachfolgemission »Resolute Support« in Afghanistan ums Leben.116 Bereits nach dem ersten Todesfall eines Bun­des­wehr­ soldaten im Ausland konstatierte Die Welt: »Schon jetzt lässt sich aber sagen: Weder humanitäre noch friedenserhaltende UNO-Einsätze werden jemals risikolos sein.«117 Auch im Zuge der Auslandseinsätze ereignen sich die meisten Todesfälle von Bundeswehrsoldaten durch Unfälle. Der bisher schwerste Unfall der Bundeswehr im Auslandseinsatz ereignete sich am 21. Dezember 2002 in der afghanischen Haupt­ stadt Kabul. Bei idealem Flugwetter patrouillierte ein Transporthubschrauber vom Typ »Sikorsky« CH-53 der Bundeswehr über Kabul. In etwa 70 Metern Höhe geriet er plötzlich außer Kontrolle, trudelte und fiel wie ein Stein vom Himmel. Er zerschellte und brannte völlig aus. Alle sieben Insassen – ein Hauptmann, ein Ober­leut­ nant, drei Hauptfeldwebel, ein Stabsunteroffizier und ein Hauptgefreiter – waren auf der Stelle tot.118 Fast zwei Jahre dauerte die Untersuchung der nach Deutschland überführten Wrackteile des Hubschraubers, bis die Unglücksursache feststand: Eine der selbstsichernden Schraubenmuttern im Antriebssystem hatte sich gelöst und eine Antriebswelle getroffen. Der Hauptmotor verlor an Drehzahl, die Maschine geriet außer Kontrolle und stürzte ab.119 Diese Todesfälle aber, die rein unfallbedingt waren, führten noch zu keiner grund­legenden Änderung im Selbstbild des Bundeswehrsoldaten und zu keinem tief­greifenden Wandel des Verständnisses vom Soldatentod. Auch als Opfer für Deutschland wurden diese tödlich Verunglückten kaum wahrgenommen und lieferten daher wenig Anlass für ein öffentliches Betrauern und Gedenken. Die deutschen Opfer der UN-Missionen erhielten vor allem aufgrund der Tatsache, dass sie im 116

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Seit 1990 wird die Bundeswehr zu »friedenserhaltenden« und »friedenssichernden« Maßnahmen außerhalb des Bundesgebietes und des NATO-Vertragsgebietes eingesetzt. Die ersten Einsätze dieser Art waren die Operation Südflanke vom 16.  August 1990 bis zum 13.  September 1991 im Mittelmeer und im Persischen Golf sowie die Operation Desert Storm im Zusammenhang mit dem Zweiten Golfkrieg vom August 1991 bis zum 30. September 1996. Die Daten beziehen sich auf die Beteiligung der Bundeswehr. Die Bundeswehr entsandte aber nur wenige Soldaten in diese Missionen. Im Rahmen der UNTAC-Mission in Kambodscha schickte die Bundeswehr erstmals ein deutsches Truppenkontingent von signifikanter Größe in einen Auslandseinsatz. Daher wird dieser Einsatz hier als Erstes aufgeführt. Vgl. BMVg, Die Bundeswehr im Einsatz, S. 66; Auslandseinsätze: bisher rund 418  000 Kommandierungen. In: bundeswehr-journal, 23.4.2018; Todesfälle in der Bundeswehr im Auslandseinsatz und in anerkannten Missionen, Stand: 21.10.2019, (letzter Zugriff 6.9.2021). Lambeck, Tragischer Blutzoll. In: Die Welt, 15.10.1993. Von den 115 im Ausland getöteten Bundeswehrsoldaten fielen 37 durch Fremdeinwirkung und 77 wurden durch Unfälle getötet. Vgl. Todesfälle in der Bundeswehr im Auslandseinsatz und in anerkannten Missionen, Stand: 21.10.2019, (letzter Zugriff 6.9.2021); Kümmel/Leon­ hard, Death, the Military and Society, S. 26; Gehrmann, Der Absturz. In: FR, 16.10.2008. Vgl. Ray, Zehn Jahre nach dem Hubschrauberabsturz über Kabul. In: Schwäbische Zeitung, 21.12.2012.



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Zusammenhang mit den gesellschaftlich umstrittenen Auslandseinsätzen ihr Leben verloren, breite mediale Aufmerksamkeit. Die deutschen Soldaten im Ausland starben jedoch nicht nur bei Munitions-, Boots- oder Verkehrsunfällen, sondern nach offiziellem Sprachgebrauch des BMVg fielen 37 von ihnen durch »Fremdeinwirkung«.120 Das heißt: Diese 37  Bundes­ wehr­soldaten verloren im Kampfeinsatz durch »gezielte Akte äußerer Kräfte«121 ihr Leben. Durch reguläres und irreguläres feindliches Gewehr- oder Granatfeuer, durch Improvised Explosive Devices (z.B. Sprengfallen), Autobomben, Brandsätze, Minen oder durch Selbstmordattentäter mit Sprenggürteln.122 Es waren diese im Kampfeinsatz und durch Terrorakte Gefallenen, die einen Prozess einleiteten, in dessen Verlauf sich das Selbstbild des Bundeswehrsoldaten fundamental veränderte. Und mit ihm das Verständnis der militärischen Aufgaben des Soldaten. Denn von nun an galt auch in der Bundeswehr, dass Soldatsein Töten und Sterben heißt. Und die Bundesrepublik Deutschland, die von ihren kämpfenden Staatsbürgern letztlich den Einsatz ihres Lebens einfordert, muss diese dann im Fall ihres Todes auch angemessen ehren: mit einer Gedenkkultur, die sie würdigt und der Tatsache, dass diese Soldaten ihr Leben für das Gemeinwesen eingesetzt haben, gebührend Rechnung trägt. Der erste gefallene Bundeswehrsoldat, der wohl am Anfang dieses Prozesses stand, war Oberstabsarzt Dieter Eißing. Der Militärmediziner wurde im Rahmen einer in Deutschland kaum beachteten UN-Beobachtermission mit seinem Hubschrauber über Georgien abgeschossen. Doch erst mit dem ISAF-Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan und der gewaltigen medialen Aufmerksamkeit, die diese verlustreiche UN-Mission ausgelöst hat, rückte der Gefallenentod deutscher Soldaten ins kollektive Bewusstsein der Bundesrepublik.123 Mit Guttenberg sprach am 4. April 2010 erstmals ein amtierender deutscher Verteidigungsminister ganz offiziell vom »Krieg«124 in Afghanistan, an dem Bundeswehrsoldaten beteiligt waren. Der Kampfeinsatz in Afghanistan veränderte endgültig das Aufgabenprofil und die Gefährdungslage der deutschen Soldaten. Traurige Premieren reihten sich aneinander: Am 29. Mai 2003 fiel der erste Bundeswehrsoldat in Afghanistan, unweit der Hauptstadt Kabul.125 Am 7. Juni 2003 starben in Kabul erstmals vier deutsche 120

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Vgl. Pokatzky, »Firm, fair, friendly«. In: Die Zeit, 1.8.1997; Marine-Soldaten sollen Waffenschmuggel nach Serbien unterbinden. In: Berliner Zeitung, 22.12.1995; Fax vom Wehrbereichskommando V/10. Panzerdivision an das BMVg, Betr.: Tod von Soldaten während Auslandseinsatz (SFOR), hier Major d.R. Karl List, 27. September 2000, BArch, BW 1/527694; Todesfälle in der Bundeswehr im Auslandseinsatz und in anerkannten Missionen, Stand: 21.10.2019, (letzter Zugriff 6.9.2021). Franke/Roos, Eine Rekonstruktion der Wirkungen des Soldatentods (2011), S.  2, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Libero, Tod im Einsatz, S. 1. Vgl. Staud, »Gefühle sind zuzulassen!«. In: Die Zeit, 15.7.2004; Wiegold, Freundliches Desinteresse?, S. 303 f.; Speckmann, Gefallene in postheroischen Gesellschaften. In: FAZ, 30.12.2009. Vgl. Tabu-Bruch. In: Spiegel online, 4.4.2010; ISAF-Einsatz ist kein Krieg. In: aktuell. Zeitung für die Bundeswehr, 29.6.2009, S. 3. Vgl. Queins/Konze, Gedenken an Stabsgefreiten Stefan Kamins, S. 19.

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Soldaten durch ein Selbstmordattentat. Am 14.  November 2005 wurde der erste Reservist der Bundeswehr am Hindukusch getötet. Am 29.  April 2009 fiel bei Kunduz der erste Bundeswehrsoldat in einem Feuerwechsel, und in den ersten beiden Aprilwochen 2010 ereigneten sich in der Großregion Kunduz schwere Gefechte, bei denen insgesamt sieben deutsche Soldaten starben.126 Verwundete und gefallene Soldaten gehörten nun auch zur Normalität der Bundeswehr. Die 35 in Afghanistan gefallenen deutschen Soldaten waren zwischen 21 und 48 Jahren alt, unter ihnen viele Unteroffiziere und Mannschaftsdienstgrade. Akten und Dokumentationen des BMVg zu den Todesfällen im Ausland sind im Bundes­ archiv-Militärarchiv kaum zu finden. Ob es dazu überhaupt umfangreiche Unterlagen gibt oder ob diese aufgrund von Sperrfristen oder wegen der Tatsache, dass z.B. der Afghanistan-Einsatz zum Zeitpunkt der Abfassung der Arbeit noch nicht abgeschlossen war, noch nicht freigegeben wurden – darüber kann man nur spekulieren.127 Bei der Darstellung der Todesfälle wird daher primär auf die öffentlich zugängliche Berichterstattung, die Bulletins der Vereinten Nationen und die Informationen des BMVg und der Bundeswehr zurückgegriffen. Darüber hinaus werden auch persönliche Berichte von bei Auslandseinsätzen verwendeten Bundeswehrsoldaten sowie wissenschaftliche Darstellungen herangezogen. Der erste Todesfall der Bundeswehr im UN-Auslandseinsatz »Wir hatten bisher bei unseren humanitären Einsätzen ein unwahrscheinliches Glück. Deswegen sind wir jetzt so sehr schockiert, dass es auch einen Bundeswehrsoldaten getroffen hat. Wir müssen das harte Schicksal zur Kenntnis nehmen. Wir erleben das zum ersten Mal.«128

Mit diesen Worten kommentierte ein General den ersten Todesfall eines deutschen Soldaten in einem Auslandseinsatz nach 1945.129 Dieser markierte eine Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik und ihrer Armee. Alexander Arndt war Feldwebel und Sanitäter in der 3. Kompanie des Sanitäts­ bataillons 1 in Hildesheim und Angehöriger des deutschen Kontingents der UNTAC gewesen. Die UNTAC-Mission, basierend auf der UN-Resolution 745 vom 28. April 1992, war eine Friedensmission. Sie lief vom 22. Mai 1992 bis zum 12. November 1993. Ihre Aufgaben umfassten die Wiederherstellung einer zivilen und demokratischen Ordnung in Kambodscha sowie die Vorbereitung freier Wahlen. Arndts

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Vgl. Goos, Das Leben nach dem Tod. In: Der Spiegel, 16.6.2008; Müller, Deutschlands vergessene Soldaten. In: Die Welt, 17.12.2006; Gaede, Das ist Krieg, Sergej, Krieg! In: taz, 2.10.2010; Helmecke, Gefallen, S. 4. Vgl. Libero, Tod im Einsatz, S. 60‑62; Todesfälle in der Bundeswehr im Auslandseinsatz und in anerkannten Missionen, Stand: 21.10.2019, (letzter Zugriff 6.9.2021); Chiari, Der Afgha­ nistan-Einsatz der Bundeswehr, S. 141 f. Zit. bei: Kuhn, Todesnachricht aus Kambodscha schockierte Bundeswehrsoldaten. In: dpa, 14.10.1993. Vgl. Kümmel/Leonhard, Death, the Military and Society, S. 16.



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Einsatz war medizinischer Natur. Er diente als Pfleger auf der Intensivstation des deutschen Hospitals vor Ort.130 Am 14. Oktober 1993 gegen 20 Uhr Ortszeit war Arndt zusammen mit einem Kameraden in Zivil, aber mit einem als Dienstfahrzeug der UN gekennzeichneten Jeep im Norden von Phnom Penh unterwegs. Als die Deutschen durch eine Pfütze fuhren, bespritzte ihr Jeep kambodschanische Männer. Wütend nahmen zwei von ihnen mit einem Motorrad die Verfolgung des UN-Gefährts auf. Dabei beschoss der Sozius den Jeep. Arndt trafen zwei Geschosse. Obwohl er sofort ins deutsche Hospital transportiert wurde, erlag der Feldwebel den schweren Schussverletzungen.131 Politische Motive für die Tat schloss ein Bundwehrsprecher vor Ort aus. Der Todesschütze, der später festgenommen wurde, war Leutnant der kambodschanischen Polizei und vermutlich angetrunken oder sogar betrunken. Feldwebel Arndt starb nur wenige Tage vor Ablauf seiner Dienstzeit am 31.  Oktober. Er wurde 26 Jahre alt.132 Was die Totenehrung anging, wurde Arndt kaum anders behandelt als die Unfall­ toten des Kalten Krieges: Es gab keine öffentliche Trauer­feier. Allerdings hielten der Verteidigungsminister und der Generalinspekteur eine Ansprache auf dem Flugplatz in Wunstdorf, wo der Gedenkappell stattfand.133 Dennoch stand dieser Todesfall am Anfang eines Prozesses, der zu einer Norma­li­sierung im Umgang mit den Toten und zu einer öffentlichen Ehrung ihres Todes durch die Bundeswehr führte. Der erste nach 1945 im Ausland gefallene deutsche Soldat Vielen in der Bundeswehr gilt Arndt als der erste deutsche Soldat, der nach dem Zweiten Weltkrieg im Ausland gefallen ist. Zwar starb Arndt nicht unmittelbar während des Dienstes, doch das BMVg trennt im Fall eines Auslandseinsatzes grundsätzlich nicht zwischen Dienst und Freizeit. In dieser Perspektive wird der Feldwebel zum Gefallenen.134 130 131

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Vgl. Dietrich, Den Sinn im Leben suchen. In: FAZ, 23.11.1993; BMVg, Die Bundeswehr im Einsatz, S. 66; Trauer um den toten Deutschen. In: FAZ, 16.10.1993. Vgl. Käßner, Wofür wir kämpfen, S.  197  f.; Unterrichtung des Verteidigungsausschusses am 20. Oktober 1993 über die Lage der deutschen Sanitätssoldaten in Kambodscha, AdsD, Deposi­ tum Heinz-Alfred Steiner, Akte: 12. WP, V-Ausschuss, Protokolle ab Nr. 55; dpa-Meldung vom 14.10.1993, Bundeswehr/Kambodscha (Zweite Zusammenfassung), Zum ersten Mal deutscher Soldat bei UNO-Mission erschossen – Schüsse in Phnom Penh möglicherweise von einem Betrun­ kenen, ACDP, 0/054/24-0. Vgl. Käßner, Wofür wir kämpfen, S. 198; dpa-Meldung vom 14.10.1993, Bundeswehr/Kambod­ scha (Zweite Zusammenfassung), Zum ersten Mal deutscher Soldat bei UNO-Mission erschossen – Schüsse in Phnom Penh möglicherweise von einem Betrunkenen, ACDP, 0/054/24-0. Über die Vorbereitung und die Durchführung der Trauerfeier haben sich keine Informationen erhalten. Die Rekonstruktion der Zeremonie erfolgte daher anhand der medialen Berichterstattung. Vgl. E-Mail von Martin Buschhorn, Regierungsobersekretär am Fliegerhorst Wunstdorf, an die Autorin vom 1.3.2018; Dietrich, Den Sinn im Leben suchen. In: FAZ, 23.11.1993; die Manus­ kripte der Ansprachen haben sich nicht erhalten. Die offizielle Statistik des BMVg zählt 37 Soldaten, die durch »Fremdeinwirkung gefallen« sind, davon 35 während der ISAF-Mission in Afghanistan und einer bei der UNOMIG-Mission. Dem­ zu­folge handelt es sich bei dem 37.  Soldaten um Alexander Arndt. Vgl. Todesfälle in der Bun­ deswehr im Auslandseinsatz und in anerkannten Missionen, Stand: 21.10.2019, (letzter Zugriff 6.9.2021); Fachgespräch im BMVg mit Oberstleutnant Ralf Kimmerle, FüSK III 2 – Referat Betreuung und Fürsorge, Stabshauptmann Michael Rothmeier, Büro für Angelegenheiten für Hinterbliebene, und Oberstleutnant Gerhard Schlaffer, Abteilung Personal/Zentrale An­ge­le­ gen­heiten – Ehrenmal, am 27.5.2020. Vgl. BMVg, Die Bundeswehr im Einsatz, S.  72, sowie Mammadov, Die Sezessionskonflikte im postsowjetischen Raum, S. 41 f. Für weitere Informationen vgl.: UN, UNOMIG, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Bauer/Hiersemenzel, Der stille Tod eines deutschen Soldaten. In: e-politik, 14.11.2001; Schorkowitz, Postkommunismus und verordneter Nationalismus, S. 146; Deutscher Sanitätsoffizier getötet. In: aktuell. Zeitung für die Bundeswehr, 15.10.2001, S. 4; Manutscharjan, Tod im Kau­ka­ sus. In: Focus, 15.10.2001; Manutscharjan, Im Einsatz für die Menschlichkeit. In: aktuell. Zeitung für die Bundeswehr, 5.11.2001, S. 8. Vgl. Kümmel/Leonhard, Death, the Military and Society, S.  20; Wiegold, Freundliches Des­ interesse?, S. 301. Es haben sich keine näheren Informationen zur Trauerfeier erhalten. Vgl. E-Mail von Hauptfeldwebel Andreas Tautz, Presse- und Informationszentrum des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, an die Autorin am 28.2.2018.



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der Tod des Oberstabsarztes damals geradezu versteckt wurde. So starb Eißing in Georgien einen »stillen Tod« im Rahmen einer vergessenen Mission.138 In der abchasischen Hauptstadt Sukhumi erinnert eine Gedenktafel aus schwarzem Granit an die Opfer des Hubschrauberabschusses. Auf ihrer Vorder- und Rückseite ist die Inschrift in kyrillischen und lateinischen Buchstaben eingraviert. Jeweils auf der linken Seite der Tafel werden die Namen, die Nationalitäten und gegebenenfalls die militärischen Dienstgrade der neun Opfer aufgeführt. Eißing wird an dritter Stelle genannt. Auf der rechten Seite ist unter dem Emblem der Vereinten Nationen folgende Widmung zu lesen: »Blessed are the peacekeepers who gave their lives in service of peace with the United Nations Observer Mission in Georgia.« Am unteren Rand der Tafel ist das Datum des Abschusses eingraviert.139 Die Erinnerung an den Oberstabsarzt ist heute nahezu verblasst. Im Ehrenmal der Bundeswehr und im Wald der Erinnerung aber ist Eißings Name festgehalten. Der erste Gefallene der Bundeswehr in Afghanistan Bis Ende Mai 2003 kamen Bundeswehrsoldaten in Afghanistan vor allem durch Unfälle und beim Entschärfen von Munition ums Leben. Die ersten beiden deutschen Soldaten starben zusammen mit drei dänischen am 6. März 2002 beim Versuch, eine russische Boden-Luft-Rakete zu entschärfen. Befördert durch die Außendarstellung des BMVg führte dies in der Öffentlichkeit zu der Wahrnehmung, dass es sich bei der ISAF um einen reinen »Stabilisierungseinsatz« und nicht um die Teilnahme an Kampfhandlungen handelte.140 Vom 2. Januar 2002 bis zum Ende der ISAF-Mission am 31. Dezember 2014 stellte die Bundeswehr nach US-Amerikanern (60 000) und Briten (7700) das drittgrößte Kontingent (4400) in Afghanistan.141 Grundlage der Mission, die bis zum Herbst 2003 auf Kabul beschränkt war, stellte die Resolution 1386 des UN-Sicherheitsrates dar.142 Die Bundeswehr erklärte diesen Beschluss der UNO später so: 138

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Vgl. Nachtwei, »Wald der Erinnerung« bei Potsdam, 20.11.2014, (letzter Zugriff 6.9.2021); Bauer/Hierse­ menzel, Der stille Tod eines deutschen Soldaten. In: e-politik, 14.11.2001; Manutscharjan, Tod im Kaukasus. In: Focus, 15.10.2001. Es war nicht zu ermitteln, wann der Stein errichtet wurde und wer seine Aufstellung veranlasst hat. Der Autorin liegen aber Fotos des Gedenksteins vor. Sie dankt Winfried Nachtwei, dass er ihr diese sowie weitere Fotos von anderen Gedenkstätten und Materialien zugänglich gemacht hat. Vgl. E-Mail von Winfried Nachtwei, von 1994 bis 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages und Verteidigungspolitiker von Bündnis 90/Die Grünen, an die Autorin am 27.3.2020. Vgl. Staud, »Gefühle sind zuzulassen!«. In: Die Zeit, 15.7.2004; Jerabek, ... des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen! Jerabek porträtiert alle Verunglückten und Gefallenen der Bundeswehr und beschreibt die Umstände ihres Todes. Vgl. Die Gefallenen – eine traurige Liste. In: FR, 15.6.2009; BMVg, Die Bundeswehr im Einsatz, S. 82; Wiegold, Freundliches Desinteresse?, S. 302 f. Vgl. Libero, Tod im Einsatz, S. 2. Exemplarisch werden hier die Zahlen vom 1. August 2013 angegeben. Vgl. NATO, International Security Assistance Force (ISAF): Key Facts and Figures, 1. August 2013, (letzter Zugriff 6.9.2021). Der Vergleich mit den Truppenstärken im Frühjahr 2010 zeigt keine grundlegenden Veränderungen. Vgl. Amt für Geoinformationswesen der Bundeswehr, An ISAF beteiligte Nationen. In: Bundeswehr aktuell, 12.4.2010, S. 9; United Nations

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»Afghanistan bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit so zu unterstützen, dass sowohl die afghanischen Staatsorgane als auch das Personal der Vereinten Nationen und anderes internationales Zivilpersonal, insbesondere solches, das dem Wiederaufbau und humanitären Aufgaben nachgeht, in einem sicheren Umfeld arbeiten können. Dabei standen insbesondere die Ausbildung und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte (Afghan National Army, Afghan National Police) im Mittelpunkt.«143

Von der Teilnahme an Kampfhandlungen oder von einem Kriegsgebiet war dabei nicht die Rede. Doch die afghanische Realität holte die Bundeswehr rasch ein. Am 29. Mai 2003 nahm der 24-jährige Stabsgefreite Stefan Kamins vom Amt des Militärgeografischen Dienstes der Bundeswehr in Euskirchen als Fahrer eines ungepanzerten Geländewagens vom Typ »Wolf« an einem Aufklärungsauftrag südlich von Kabul teil. Strategisches Ziel dieser Fahrt war es, alternative Routen durch den Großraum Kabul für die vor Ort stationierten Kameraden auszukundschaften, damit diese enge, unübersichtliche und gefährliche Durchgangsstraßen durch das Stadtgebiet möglichst vermeiden konnten. Dazu sollten Kamins und sein ihn begleitender Vorgesetzter das Terrain mittels GPS vermessen und anschließend mögliche neue Routen durch Kabul in ihre Datenbasis aufnehmen. Doch der militärische Routineauftrag endete tragisch. Eine Landmine explodierte unter dem Geländewagen. Kamins war sofort tot, sein Vorgesetzter wurde verletzt.144 Kamins ist der erste Soldat der Bundeswehr, der in Afghanistan durch »Fremd­einwirkung« gefallen ist.145 Bundeswehrintern und im Rahmen seiner Einheit wurde später für Kamins ein Gedenkstein eingeweiht. Ein Jahr nach seinem Tod wurde in Afghanistan eine Straße nach dem Stabsgefreiten benannt. Sie führt westlich vom Feldlager Kunduz nach Norden und trägt den Namen »LOC Kamins«. Offiziell und öffentlich erfuhr der erste deutsche Gefallene in Afghanistan aber keine Ehrung146, was von Angehörigen getöteter Bundeswehrsoldaten kritisiert wurde. So sagte Doris Schick-Deininger, deren Mann, Hauptmann Friedrich Deininger, im Dezember 2002 in Afghanistan tödlich verunglückte: »Menschen sind im Dienst für ihr Land gestorben. Man sollte ihrer an einem öffentlichen Platz gedenken. Mitten im Leben.«147

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Security Council, Resolution 1386 (2001), 20.12.2001, (letzter Zugriff 6.9.2021). Afghanistan – ISAF (International Security Assistance Force), (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Kümmel/Leonhard, Death, the Military and Society, S.  28; Queins/Konze, Gedenken an Stabs­gefreiten Stefan Kamins, S. 19. Bis zum 29. Mai 2003 kamen während der ISAF-Mission elf Soldaten durch Unfälle ums Leben. Vgl. Kässner, Wofür wir kämpfen, S. 314 f. Vgl. Queins/Konze, Gedenken an Stabsgefreiten Stefan Kamins, S.  17; Libero, Tod im Einsatz, S. 51; Naumann, Abwehr, S. 171. Vgl. Gehrmann, Der Absturz. In: FR, 16.10.2008.



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Selbstmordattentate in Afghanistan Am 7. Juni 2003 machte sich gegen 7.45 Uhr ein ungepanzerter Mannschaftsbus der Bundeswehr von Camp Warehouse, der Militärbasis bei Kabul, auf den Weg zum Flughafen der afghanischen Hauptstadt. An Bord waren 33  Soldaten. Ihr Einsatz am Hindukusch war beendet, sie sollten nach Deutschland zurückfliegen. Vor und hinter dem Bus mit den Soldaten fuhren ein »Wolf« und ein mit Gepäck beladener Lkw. Gegen 7:58 Uhr bog der Konvoi der Bundeswehr in die Jalalabad Road ein. Die Fahrspuren der breiten Ausfallstraße wurden nur durch einen unbefestigten Mittelstreifen getrennt.148 Auf dieser Straße, die zum Flughafen führt, ereigneten sich zahlreiche Anschläge der radikalislamischen Taliban gegen Angehörige der ISAF und gegen ihre afghanischen Hilfs- und Polizeitruppen. Wegen der hohen Ge­fährdungslage wurde die Jalalabad Road militärisch daher als »Route Violett«149 ein­gestuft. Ein Lada Kombi, der dazu ansetzte, den deutschen Mannschaftsbus zu überholen, wurde den Bundeswehrsoldaten zum Verhängnis. Denn der russische Pkw wurde von einem Selbstmordattentäter gesteuert, der sich mit seiner Ladung von etwa 150 Kilogramm Sprengstoff – wie spätere Ermittlungen ergeben haben – auf Höhe der Soldaten in die Luft sprengte. Vier Bundeswehrsoldaten wurden durch die Explosion zerrissen, die übrigen 29 Insassen wurden zum Teil schwer verletzt, trauma­tisiert waren alle Überlebenden.150 Der Anschlag auf der Jalalabad Road ist der erste gezielte tödliche Angriff auf deutsche Soldaten im Ausland nach dem Zweiten Weltkrieg und der bis dahin schwerste Angriff auf die Bundeswehr überhaupt.151 Das Selbstmordattentat führte sowohl der Bundeswehr als auch der deutschen Politik eindringlich vor Augen, dass die Mission in Afghanistan mehr war als lediglich ein Hilfseinsatz zum Wiederaufbau des Landes. Nach dem Anschlag kritisierten Politik und Medien in Deutschland die Fehleinschätzung der Sicherheitslage in Afghanistan für ausländische Soldaten sowie die Missachtung elementarer Schutz­ regeln, wie sie die Fortbewegung mit ungepanzerten Fahrzeugen außerhalb des befestigten und bewachten Feldlagers darstellte. Zudem führte man in der Bun­des­repu­ blik eine intensive öffentliche Diskussion über die angemessene Ausrüstung und den nötigen Selbstschutz für die deutschen Soldaten im Ausland. Zaghaft begann auch eine Debatte über das Fehlen staatlicher Formen der Ehrung getöteter Soldaten.152 148

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Vgl. König, Der Busanschlag vom 7. Juni 2003, (letzter Zugriff 1.4.2016), Privatarchiv Julia Nordmann; Goos, Das Leben nach dem Tod. In: Der Spiegel, 16.6.2008. Vgl. Waziri, Jalalabad. In: Huffington Post, 7.12.2014; BMVg, Vorläufiger Abschlussbericht zum Selbstmordattentat auf das DtEinsKtgt ISAF (Kabul) am 14. November 2005, 9.2.2006, BArch, BH 30/1198. Vgl. 53 tote deutsche Soldaten in Afghanistan. In: Die Welt, 10.5.2013; Attentat auf deutsche Soldaten in Afghanistan (Bildstrecke), S. 29; Groos, Ein schöner Tag zum Sterben, S. 17‑40. Vgl. König, Der Busanschlag vom 7. Juni 2003, (letzter Zugriff 1.4.2016), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. ebd. und Kümmel/Leonhard, Death, the Military and Society, S. 30‑33.

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Doch gepanzerte Fahrzeuge allein können die Bundeswehrsoldaten während ihres Einsatzes in Afghanistan nicht in allen Fällen schützen. Dies zeigte ein weiterer Anschlag der Taliban auf der Jalalabad Road. Am 14. November 2005 verließen Oberstleutnant d.R. Armin Franz und zwei Feldjäger gegen 14.30 Uhr das Camp Warehouse. Die Bundeswehrsoldaten waren dieses Mal mit einem gepanzerten Fahrzeug unterwegs. Ihr Auftrag: eine routinemäßige Erkundungsfahrt zur Vorbereitung eines Truppenbesuchs des Befehlshabers des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr. Um 14.51 Uhr, etwa 6,5 Kilometer vom Camp Warehouse entfernt, rammte ein Toyota Corolla auf der Jalalabad Road das Bundeswehrfahrzeug. Es geriet ins Schleudern, prallte gegen eine Betonbegrenzung und blieb liegen. Die Deutschen, die an einen Verkehrsunfall glaubten, verließen ihr Fahrzeug. Kurz danach brachte der Fahrer des Toyotas eine Bombe mit zwölf Kilo Sprengstoff zur Explosion. Ein weiterer Sprengsatz, den der Selbstmordattentäter im Kofferraum platziert hatte, detonierte nicht.153 Oberstleutnant Franz war sofort tot, die beiden Feldjäger erlitten schwerste Verletzungen.154 Da die Panzerung des Fahrzeugs der Explosion standhielt, war nach Einschätzung des Untersuchungsberichtes des BMVg davon auszugehen, dass die Soldaten unversehrt geblieben wären, hätten sie ihr Fahrzeug nicht verlassen. Dennoch war ihr Verhalten laut Bericht korrekt, da die Soldaten nicht ahnen konnten, dass es sich um einen fingierten Unfall gehandelt hatte. Oberstleutnant Franz ist der erste deutsche Reservist und der 18. Bundeswehrsoldat, der in Afghanistan getötet wurde. Insgesamt zählte die Bundeswehr Ende 2005 bereits 64 Tote bei Auslandseinsätzen.155 Dennoch verfügten Bundesrepublik und Bundeswehr noch immer über keine nationalen Zeremonien und öffentlichen Rituale zum Gedenken und zur Ehrung der Gefallenen. Verabschiedet wurden die Toten nach Ankunft der Särge in der Regel in einem Hangar auf dem militärischen Teil des Flughafens Köln-Wahn. Auch für Armin Franz fand dort am 16.  November 2005 eine Gedenkveranstaltung statt. Neben den Angehörigen waren Verteidigungsminister Struck, Generalinspekteur General Wolfgang Schneiderhan sowie der Wehrbeauftragte des Bundestages Reinhold Robbe (SPD) anwesend.156 Der Akt dauerte eine halbe Stunde157 und wurde in der Öffentlichkeit kaum beachtet. Armin Franz blieb »nach dem Willen der Streitkräfte [...] ein unbekannter Soldat«158, schrieb Die Welt.

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Vgl. BMVg, Vorläufiger Abschlussbericht zum Selbstmordattentat auf das DtEinsKtgt ISAF (Kabul) am 14. November 2005, 9.2.2006, BArch, BH 30/1198. Vgl. ebd. Vgl. ebd. und Käßner, Wofür wir kämpfen, S. 195. Vgl. Hammer, Wie der Staat trauert, S. 164. Hammer listet alle Trauerfeiern für im Einsatz getötete Soldaten der Bundeswehr mit Angabe des Datums und des Ortes tabellarisch auf. Vgl. Fax von Oberst­leutnant Jürgen Thiel, FüS im BMVg, Betreff: Überführung des am 14.  November 2005 umgekommenen Soldaten nach Köln-Wahn am 16. November 2005, hier: Vorbereitung und Durch­führung zentrale Gedenkveranstaltung unter Anwesenheit BM und GenInsp, 15.11.2005, BArch, BH 30/1198. Vgl. Käßner, Wofür wir kämpfen, S. 196. Kremp, Tod in Afghanistan. In: Die Welt, 26.11.2005; vgl. auch: Käßner, Wofür wir kämpfen, S. 202 f.



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Der erste Tote der Bundeswehr in einem Gefecht Am 29. April 2009 verließen der Hauptgefreite Sergej Motz vom Jägerbataillon 292 und ein Kamerad mit einem Schützenpanzer vom Typ »Fuchs« das Feldlager der Bundeswehr im nordafghanischen Kunduz. Ihr Auftrag: »Gesprächsaufklärung« bei den Dorfältesten von Gul Tepa 3, etwa 15 Kilometer südwestlich von Kunduz. Am Nachmittag erreichten sie das Dorf. Nach Erledigung ihres Auftrags machten sie sich am frühen Abend auf den Rückweg zum Feldlager. Dabei tauschten Motz und sein Kamerad die Plätze im Schützenpanzer.159 »Kurz nachdem wir die Plätze getauscht hatten«, notierte der Kamerad später in seinem Tagebuch, »passierten wir eine Tankstelle. Auf der Hinfahrt saßen überall Leute, jetzt war sie menschenleer.« Wenig später prasselten Kugeln gegen die Außen­ haut des Panzers. »Wie Regen«, erinnerte sich der Kamerad.160 Mehrere dunkel gekleidete Angreifer beschossen den Panzer mit Kalaschnikows. Motz feuerte mit seinem Maschinengewehr zurück. Im Straßengraben hatten sich weitere Angreifer mit Panzerfäusten postiert. Eine der Granaten durchdrang die Panzerung des »Fuchs« und explodierte. Motz fing deren Wucht mit seinem Körper ab. Nur deswegen gab es im Fahrzeug wohl keine weiteren Toten oder Verwundeten. Die Uhr von Motz blieb um 19.10 Uhr stehen, der Todeszeit des 21-jährigen Hauptgefreiten.161 Motz ist der erste deutsche Soldat nach dem Zweiten Weltkrieg, der in einem Feuergefecht gefallen ist, und der erste Angehörige der Bundeswehr, dem die Einsatzmedaille Gefecht verliehen wurde – posthum. Und seit dem 24. Juni 2008 erhalten gefallene Soldaten auch einen öffentlichen Staatsakt – siehe Kapitel VI.2.c. Für den Hauptgefreiten Sergej Motz fand er in der St.-Johannes-Kirche von Bad Saulgau statt. Anwesend waren neben Angehörigen und Kameraden auch Vertei­di­ gungs­minis­ter Jung, Generalinspekteur Schneiderhan, der Wehrbeauftragte Robbe, Mit­ glie­ der des Bundestages aus der Region sowie der baden-württembergische Innen­minis­ter Heribert Rech (CDU). Motz ist darüber hinaus der erste Soldat der Bundes­repu­blik, dessen Grab zu einem Ehrengrab der Bundeswehr wurde. Eine Ehrung, die im Sommer 2009 ins Leben gerufen wurde.162 Angesichts der kriegerischen Realität am Hindukusch begann die Bundesrepublik Deutschland nach und nach über verbindliche offizielle Formen des Trauerns und des Gedenkens für ihre getöteten Soldaten nachzudenken und erste öffentliche Zeremonien mit staatlichen und religiösen Symbolen und Riten zu gestalten. Am 8. September 2009 wurde auch das Ehrenmal der Bundeswehr von Bundespräsident 159 160 161 162

Vgl. Gaede, Das ist Krieg, Sergej, Krieg! In: taz, 2.10.2010. Zit. ebd. Vgl. Demmler, War ihr Tod das wert? In: Focus, 14.10.2013; Multer/Möllers, Das Gedenken an Sergej Motz bleibt lebendig. In: Schwäbische Zeitung, 29.4.2019. Das Gefecht, in dem Motz fiel, markierte »eine bis dahin nicht gekannte Intensität des Afghanis­ tan­einsatzes für deutsche Soldaten«. Deshalb erklärte das BMVg den 29.4.2010 zum Stichtag für die Verleihung der »Einsatzmedaille Gefecht«. Vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Ehren­ zeichen und Einsatzmedaillen, S. 27 (Zitat). Vgl. Birta, Ein Zeichen setzen. In: Bundeswehr aktuell, 6.12.2011, S. 1; Seliger, Sterben für Kabul, S. 110; Schiermeyer, Sergej Motz gibt dem Tod in Afghanistan ein Gesicht. In: Stuttgarter Zeitung, 8.5.2009; »Sergej Motz wollte helfen«. In: Schwäbische Zeitung, 7.5.2009. Siehe Kap. VI.2.d.

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V. Die Toten der Bundeswehr

Köhler in Berlin eingeweiht. Hier sollen alle seit 1955 getöteten Angehörigen der Bundeswehr gewürdigt werden – siehe Kapitel VIII.1.163 Der April 2010 Am Karfreitag, den 2. April 2010, entdeckten Bundeswehrsoldaten vom Fall­schirm­ jäger­bataillon 373 aus Seedorf auf einer Patrouillenfahrt unweit von Kunduz gegen 13 Uhr Sprengfallen am Straßenrand.164 Als die Deutschen mit deren Entschärfung begannen, wurden sie von zahlreichen mutmaßlichen Kämpfern der Taliban mit Handfeuerwaffen und Panzerfäusten attackiert. Ein Soldat berichtete später: »Auf einmal ging’s richtig los [...] Uns flogen die Kugeln nur so um die Ohren.«165 Die Bundeswehrsoldaten erwiderten das Feuer, während ihr Kompaniechef Ver­ stärkung anforderte. Der deutsche Kommandeur in Kunduz setzte daraufhin eine Reservekompanie zur Unterstützung in Marsch. Auch Kampfflugzeuge stiegen auf und flogen mehrfach – um die eigenen Kräfte und die Zivilbevölkerung nicht zu gefährden – Scheinangriffe (Show of Force) zur Einschüchterung der Angreifer. Ebenso überwachten Aufklärungsdrohnen das Kampfgebiet. Das Gefecht dauerte viele Stunden, bis weit in die Dunkelheit hinein. Der Angriff der afghanischen Kämpfer konnte von den Soldaten der Fall­schirm­ jäger­kompanie  373 abgewiesen werden. Doch am Ende der Kampfhandlungen, die als Karfreitagsgefecht in die Geschichte der Bundeswehr eingingen, waren acht deutsche Soldaten verwundet. Drei weitere waren tot. Die Namen der Gefallenen: Haupt­feldwebel Nils Bruns (35 Jahre), Stabsgefreiter Robert Hartert (25 Jahre), Haupt­gefreiter Martin Kadir Augustyniak (28 Jahre).166 Das Karfreitagsgefecht ist der bislang schwerste und verlustreichste Einsatz der Bundeswehr. Zum ersten Mal nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren deutsche Soldaten in länger anhaltende Kampfhandlungen verwickelt. Nie zuvor gab es Erfahrungen dieser Art in der Bundeswehr.167 Während dieses Gefechts zeigten sich die neue militärische Wirklichkeit der Bundeswehrsoldaten und die ganze Bedeutung ihres militärischen Gelöbnisses in rigoroser Deutlichkeit. In ihrem Tages­ befehl anlässlich des zehnten Jahrestages des Karfreitagsgefechts im April 2020 fand Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) dafür eine schnör­ kel­lose Sprache:

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Vgl. Schiermeyer, Sergej Motz gibt dem Tod in Afghanistan ein Gesicht. In: Stuttgarter Zeitung, 8.5.2009; Bewegender Abschied. In: aktuell. Zeitung für die Bundeswehr, 11.5.2009, S. 1; Bun­des­ ministerium der Verteidigung, Das Ehrenmal der Bundeswehr, S. 55. Siehe Kap. VI.2.c und VIII. Vgl. Karfreitagsgefecht: Als der Afghanistan-Einsatz zum Krieg wurde. In: DBwV, 13.4.2017, (letzter Zugriff 6.9.2021); Blutiger April, S. 9. Vgl. Marberg, Karfreitagsgefecht, S. 14. Vgl. Helmecke, Gefallen, S. 6 (Zitat). Vgl. ebd.; Hinterhältiges und perfides Vorgehen. In: Bundeswehr aktuell, 12.4.2010, S. 10; Hel­ mecke, Gefallen, S. 4‑7; Marberg, Karfreitagsgefecht, S. 14. Vgl. Heinzle/Küstner, Seedorf gedenkt der gefallenen Soldaten von Kunduz, (letzter Zugriff 11.6.2020), Privatarchiv Julia Nordmann; Helmecke, Gefallen, S. 4 f.



V. Die Toten der Bundeswehr

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»Für die Bundeswehr verdeutlicht dieser Tag, was den Beruf des Soldaten in letzter Konsequenz ausmacht: die Fähigkeit, im Kampf zu bestehen. Und auch die Bereitschaft, für den Auftrag, den der Deutsche Bundestag der Bundeswehr gibt, das eigene Leben einzusetzen.«168

Das Karfreitagsgefecht war der Wendepunkt für die deutsche Afghanistan-Mission – und Symbol dafür, dass aus dem ursprünglich primär humanitären Engagement für Sicherheit und Wiederaufbau längst ein Kampfeinsatz geworden war. Viele Soldaten beschrieben die Situation als »wie im Krieg«169. Auch in der Politik erfolgte eine Zäsur: Mit Verteidigungsminister zu Guttenberg sprach zum ersten Mal auch ein Ver­treter der Bundesregierung von »Krieg«170 in Afghanistan. Am 15.  April 2010, knapp zwei Wochen nach dem Karfreitagsgefecht, war ein gepanzertes Fahrzeug der Bundeswehr vom Typ »Eagle  IV« im Rahmen einer multi­nationalen Marschkolonne im Raum Baghlan unterwegs, ca. 100  Kilometer südwestlich von Kunduz. Der Auftrag der Kolonne lautete: Wiederherstellung der Be­wegungs­freiheit für die in Afghanistan agierenden internationalen Kräfte in der Region. Gegen 14 Uhr befand sich die Marschkolonne in der Nähe einer Brücke, als sie durch Bewaffnete mit Panzerfäusten angegriffen wurde. Dabei wurde unter anderem der »Eagle IV« zerstört. Die Bundeswehr hatte hohe Verluste zu beklagen: Fünf deutsche Soldaten waren schwer verwundet, drei gefallen: Major Jörn Radloff (38  Jahre), Hauptfeldwebel Marius Dubnicki (32  Jahre), Stabsunteroffizier Josef Kronawitter (24 Jahre).171 Nur wenige Stunden nach den Vorfällen im Raum Baghlan geriet auch ein gepanzertes deutsches Sanitätsfahrzeug vom Typ »Yak« südwestlich von Kunduz in einen Hinterhalt. Der »Yak« wurde mit Panzerfäusten und vermutlich auch mit Mörsern beschossen. Eine Granate schlug im Heck des Fahrzeugs ein. Dabei wurde Ober­ stabs­arzt Dr. Thomas Broer (33 Jahre) getötet.172 So führten die afghanischen Ereignisse vom April 2010 sowohl den Verant­wort­ lichen von Bundesregierung und Bundeswehr als auch der deutschen Öffentlichkeit endgültig vor Augen, dass sich die Bundesrepublik de facto mitten in einem Krieg am Hindukusch befand. Sie zeigten, dass nun Kämpfen, Töten und Sterben zur militärischen Wirklichkeit der Bundeswehr wurden.173 Und wohl auch, um unmissverständlich die politische Verantwortung für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan anzuerkennen, nahmen die Spitzen der deutschen Regierung an öffentlichen Trauerzeremonien für die Opfer am Hindukusch teil. 168

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BMVg, Tagesbefehl zur Erinnerung an das »Karfreitagsgefecht« 2010, 2.4.2020, (letzter Zugriff 6.9.2021). Helmecke, Gefallen, S. 5. Tabu-Bruch. In: Spiegel online, 4.4.2010. Vgl. Friederichs, Vier Bundeswehrsoldaten getötet. In: Zeit online, 15.4.2010; Trauriges Ende eines Besuchs, S. 1; Gebauer/Goetz, Bundeswehrmission am Hindukusch. In: Spiegel online, 15.4.2010. Vgl. Der Anschlag hat etwas in mir verändert, (letzter Zugriff 4.4.2016), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Helmecke, Gefallen, S. 4.

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V. Die Toten der Bundeswehr

Am 9.  April 2010 fand in der Sankt-Lamberti-Kirche in Selsingen die öffent­ liche Trauerfeier für die Gefallenen des Karfreitagsgefechts statt. Am 24. April verabschiedete man die Gefallenen des Einsatzes bei Baghlan im Liebfrauenmünster von Ingolstadt. Neben Verteidigungsminister zu Guttenberg war unter anderen auch Außenminister Guido Westerwelle (FDP) vor Ort. Selbst Kanzlerin Merkel erschien zu beiden Trauer- und Gedenkfeiern.174

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Vgl. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg anlässlich der Trauerfeier für die drei am 2.4. gefallenen Soldaten in der Sankt-Lamberti-Kirche am 9.4. in Selsingen, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privatarchiv Julia Nordmann; Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg anlässlich der Trauerfeier für die vier am 15.4. gefallenen Soldaten im Liebfrauenmünster in Ingolstadt am 24.4.2010, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Letztes Geleit für die Gefallenen. In: Bundeswehr aktuell, 12.4.2010, S. 1.

VI. Sprachlicher und ritueller Umgang mit den Toten der Bundeswehr 1. Der sprachliche Umgang mit den Todesfällen a) »Besondere Vorkommnisse« und »Unfälle« im Kalten Krieg Sprache ist nicht nur ein Instrument zur Beschreibung der Wirklichkeit, Sprache prägt auch deren Wahrnehmung.1 Man kann nur über Dinge reden, für die man auch Begriffe besitzt, und man kann eine bestimmte Realität nur dann differenziert wahrnehmen, wenn man auch über ein entsprechendes sprachliches Instrumentarium verfügt. Die Wortwahl zur Beschreibung des Soldatentodes – z.B. »Unfalltod«, »kollateraler Tod«, »Fliegertod«, »Opfertod«, »Gefallenentod« oder »Heldentod« – schafft jeweils einen anderen narrativen und ideologischen Hintergrund, vor dem sich der Tod eines Soldaten ereignet. Auch entscheidet die Wortwahl über den Status eines toten Soldaten, sowohl in der Armee wie in der Gesellschaft. Darüber hinaus bestimmt sie das »Ob« und das »Wie« jeder militärischen und öffentlichen Würdigung und aller Trauer- und Gedenkformen. Bei der sprachlichen Annäherung an den Tod eines Soldaten sind grundsätzlich zwei Ebenen zu unterscheiden. Die erste Ebene, repräsentiert durch das BMVg, kommuniziert den Todesfall in der deutschen Öffentlichkeit. Dadurch ist der Sprachgebrauch oft euphemistisch eingefärbt und politischen Erwägungen und gesellschaftlichen Normen unterworfen. Für die zweite Ebene steht die von einem Todesfall betroffene Einheit der Bundeswehr. Ihre Kommunikation richtet sich primär an eine militärische Binnenöffentlichkeit, an ein geschlossenes Milieu. Ihre Wortwahl unterliegt daher deutlich weniger Einschränkungen. Darüber hinaus resultieren die Unterschiede zwischen beiden Kommunikationsebenen daraus, dass für die Beamten des Ministeriums der Tod eines Soldaten ein heikler Verwaltungsakt ist, während er für die Kameraden seiner Einheit ein emotionales Ereignis darstellt. Ausgangspunkt der sprachlichen Einordnung eines Todesfalls in der Bundeswehr ist zunächst stets die interne Kommunikation zwischen der betroffenen Einheit und ihrer jeweils übergeordneten Dienststelle. Von da wandert die Meldung des Todes in der Hierarchie nach oben. Der Führungsstab der jeweiligen Teilstreitkraft wird informiert, ebenso der Generalinspekteur der Bundeswehr sowie der Bundesminister der 1

Vgl. Dörfler-Dierken, Identitätspolitik der Bundeswehr, S. 138.

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VI. Sprachlicher und ritueller Umgang mit den Toten

Verteidigung und im Fall eines Auslandseinsatzes auch das Einsatzführungskommando in Potsdam.2 Der Todesfall eines Bundeswehrsoldaten wird zunächst einmal als Ereignis wahrgenommen, das die Dienstroutine stört – das drückt die Subsummierung eines solchen Ereignisses unter die Formel »besonderes Vorkommnis«3 aus. Die Zentrale Dienstvorschrift ZDv 10/13 »Besondere Vorkommnisse« definiert diese als »Ereignisse, die für die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr, für die Einsatzbereitschaft der Truppe oder wegen ihrer Wirkung oder ihrer voraussichtlichen Wirkung in der Öffent­lichkeit von besonderer Bedeutung sind«4. Meldepflichtige »besondere Vorkommnisse« sind unter anderen materielle Verluste und schwerwiegende Sachschäden sowie lobenswerte Aktionen, Straftaten und unzulässige politische Beteiligungen von Angehörigen der Streitkräfte. Ebenso zählen »personelle Verluste« dazu, d.h.: alle Todesfälle im Zusammenhang mit Soldaten der Bundeswehr im und außer Dienst.5 Für das Totengedenken der Bundeswehr sind ausschließlich die Todesfälle im Dienst relevant. Durch den Überbegriff »besondere Vorkommnisse« werden die Toten zunächst mit all den anderen Ereignissen gleichgesetzt, die ebenfalls von der Routine des militärischen Alltages abweichen. In der Regel wird die Art eines »besonderen Vorkommnisses« vor allem durch die Darstellung nach außen und durch die interne Kommunikation konkretisiert, wenn sie offiziellen Charakter hat. Sowohl die Akten mit der Kommunikation nach außen wie die Unterlagen mit der offiziellen internen Darstellung sind bei den ersten Toten der Bundeswehr aus dem Jahr 1956 allerdings nicht auffindbar. Mangels dieser Quellen lassen sich daher keine belegbaren Aussagen über die damals verwendeten Begrifflichkeiten im Zusammenhang mit dem Soldatentod machen. Es ist aber wohl davon auszugehen, dass auch 1956 ähnliche Termini verwendet wurden, wie sie dann später gebräuchlich sind. Tragfähige und verlässliche Angaben des BMVg hinsichtlich seines Sprachgebrauchs zur Beschreibung des Todes von Soldaten in Friedenszeiten sind jedoch erst seit dem Iller-Unglück möglich.6 2

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BMVg, ZDv 10/13 »Besondere Vorkommnisse«, Dezember 1992 (Neudruck Dezember 1997), Anlage 10/1 (Nr. 305). Mit der Neuordnung des Meldewesens der Bundeswehr wurde die ZDv 10/13 außer Kraft gesetzt. Am 1. März 2015 wurden die ZDv A-200/5 »Meldewesen der Bundes­ wehr« und A-2640/34 »Meldewesen Innere und Soziale Lage der Bundeswehr« erlassen. Da sie nur für den Dienstgebrauch bestimmt sind, konnten sie im Rahmen dieser Untersuchung nicht eingesehen werden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich an dem hierarchisierten Meldeverfahren im Fall des Todes eines Bundeswehrsoldaten und auch an der im Folgenden dargestellten Definition von meldepflichtigen besonderen Vorkommnissen nicht grundsätzlich etwas geändert hat. Die Marine verwendet eigene Begrifflichkeiten. Unfälle jeglicher Art, vom Blech- bis zum Per­ so­nen­schaden, werden als Havarien bezeichnet. Vgl. z.B. Schreiben der Marinedivision Nordsee an den Inspekteur der Marine, Betr.: Havarie AO »Frankenland« am 1.1.1971, 5.4.1971, BArch, BM 1/1318a. BMVg, ZDv 10/13 »Besondere Vorkommnisse«, Dezember 1992 (Neudruck Dezember 1997), Ziff. 101. Vgl. ebd., Inhaltsverzeichnis, Ziff. 305: Personelle Verluste, Personenschäden und personelle Ge­fähr­dungen. Vgl. die Sprachregelungen von BMVg und Bundeswehr im Zusammenhang mit den 15 Rekruten, die im Juni 1957 in der Iller ertrunken sind: BArch, BH 1/2338.



VI. Sprachlicher und ritueller Umgang mit den Toten

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Insgesamt lässt sich daher konstatieren: Eine einheitliche Formel existierte dafür nicht. Stattdessen ist ein breites Spektrum an Begrifflichkeiten feststellbar, etwa tödlicher (Personen-)Unfall, »bei einem Unfall ums Leben gekommen«7, »tödlicher Arbeitsunfall«, »Arbeitsunfall mit tödlichem Ausgang«8, »(tragisches) Unglück«9, »Blitzschlag mit Todesfolge«10 und dergleichen Wendungen mehr. Diese Formulierungen deuteten nicht nur die Art und Weise des »besonderen Vorkommnisses« an, sondern belegen auch, dass die Soldaten der Bundeswehr, die bis 1990 im Dienst ihr Leben verloren, so gut wie ausschließlich durch Unfälle starben. Diese Tatsache hat darüber hinaus zur Folge, dass sich der Soldatenberuf in Bezug auf den Tod bis zum Ende des Kalten Krieges kaum von zivilen Professionen unterschied. Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch den fast schon obligatorischen Gebrauch der Formel »in Ausübung ihres Dienstes«, wie sie etwa in den offiziellen Traueransprachen und Nachrufen des BMVg verwendet wurde.11 Ein besonders eindrückliches Beispiel für diesen Sprachgebrauch im Zusammen­ hang mit dem Tod von Soldaten lieferte der Tagesbefehl, den Generalinspekteur Zimmermann anlässlich des Absturzes der Transall über Kreta ausgab: »Am 9. Februar 1975 hat die Bundeswehr 41 Soldaten der Luftwaffe und einen Feuerwehrmann bei einem tragischen Flugzeugunfall auf Kreta verloren. Diese Männer haben ihr Leben in Ausübung ihres Dienstes gelassen.«12 Um welchen Dienst es sich handelte, wurde dabei nicht näher präzisiert. Da die Formel, gestorben »in Ausübung des Dienstes«, auch im zivilen Bereich bei Polizisten, Feuerwehrmännern, Angehörigen der Bergwacht oder Rettungssanitätern verwendet wird und zugleich nur von einem Unfall die Rede war, blieb nicht nur im Unklaren, welche Art von soldatischen Dienst die Toten verrichteten, sondern auch, auf welche Weise ihr Dienst im Interesse der Bundesrepublik Deutschland war. Durch diese sprachliche Gleichstellung mit zivilen Unglücksfällen verschwand die Tatsache, dass es sich bei den Toten des Flugzeugabsturzes auf Kreta um Soldaten handelte, die im Auftrag des BMVg und damit der Bundesrepublik Deutschland im Einsatz waren. Eine solche sprachliche Darstellung prägte das Selbstverständnis der Bundeswehrsoldaten und insinuierte, dass sich ihr Beruf kaum oder nur wenig von zivilen Berufen unterscheide.

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Vgl. Schreiben Katholisches Militärbischofsamt an den BM der Verteidigung, Betr.: Tödlicher Unfall des Gefreiten Ulrich Czenia, 1.  Fallschirmjägerbataillon 261 am 20.12.1961 in Lebach, 18.11.1963, BArch, BW 1/7313490. Vgl. 2. Versorgungsbataillon, Troßschiff »Wangerooge«, Kapitänsbericht über den Arbeitsunfall mit tödlichem Ausgang am 14.5.1980, 23.5.1980, BArch, BM 39/12a. Vgl. Manuskript, 6.6.1957, BArch, BH 1/2338; Ansprache des Herrn Ministers an die Trauer­ver­ sammlung am 13.4.1964 in Munsterlager, BArch, BW 1/21691. Vgl. Schreiben Versorgungsbataillon 326 an BMVg (FüB I 3), Betr.: Blitzschlag mit Todesfolge, Ausführlicher Bericht, hier: Gefr. Groth, Klaus, 3.8.1963, BArch, BW 1/374648. Vgl. Ansprache des Bundesministers der Verteidigung Dr. Gerhard Schröder bei der Trauerfeier am 23.1.1969 für die Soldaten, die beim Überfall auf das Munitionsdepot in Lebach/Saar ihr Leben verloren, BArch, BW 1/25310. Vgl. Jagdbombergeschwader 34, Geschwaderbefehl 6/63, Nachruf, 24.4.1963, BArch, BL 23/408. Tagesbefehl zum 14.2.1975, BArch, BW 1/49802.

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VI. Sprachlicher und ritueller Umgang mit den Toten

Neben der Standortbeschreibung des Selbstverständnisses der Bundeswehr im Sinne einer »Armee ohne Pathos«13 nach der Konzeption des Reformers Baudissin resultierten diese Formulierungen auch aus der Einsatzlage der deutschen Nach­kriegs­ streitkräfte im Kalten Krieg. Durch die verbale Abgrenzung zum Kriegstod setzte die Bundeswehr grundsätzlich die diesbezügliche Tradition ihrer Vorgänger­armeen fort. In der Militärgeschichte wurde eine strikte Trennung zwischen Friedens- und Kriegs­ zeit vorgenommen. Wer als Soldat im Krieg starb, der »fiel«. Und wer als Soldat in Friedenszeiten im Dienst starb, der »verunglückte«.14 Allerdings unterschied sich die Bundeswehr in einem zentralen Aspekt von ihren militärgeschichtlichen Vorgängern. Denn die Bundeswehr, deren erklärtes Ziel im Kalten Krieg die unbedingte Verhinderung einer militärischen Konfrontation war, verfügte über keine offizielle Sprachregelung für den theoretischen Fall des gewaltsamen Todes im Kampf, den Baudissin ohnehin zur reinen »Nebenfolge«15 des soldatischen Auftrages erklärte. Die Bundeswehr negierte durch die fehlende Bezeichnung für den Soldatentod, wie Lepsius konstatiert, die jedem Militär natürlich innewohnende »institutionalisierte Leitidee«16 des Sterbens  – ein für eine Armee sehr ungewöhnlicher Vorgang. Doch so hielt die deutsche Nachkriegsarmee ihre eigenen Toten auf Distanz, da sich ihre toten Soldaten im Grunde nicht von zivilen Toten unterschieden. Und dadurch entfiel auch die Notwendigkeit zur Entwicklung einer elaborierten militärischen und öffentlichen Totenehrungs- und Gedenkkultur. Nach außen verwendeten die Bürokratie des BMVg sowie die Führungsebene der Bundeswehr im Zusammenhang mit toten Soldaten in ihren Presseerklärungen, offiziellen Nachrufen und Trauerreden eine nüchterne und formelhafte Sprache. Die Kommunikation nach innen allerdings, an Angehörige und Kameraden also, wich deutlich vom offiziellen Sprachgebrauch ab und verwies oft auf die Besonderheit des Todes eines Soldaten, auf den speziellen Zusammenhang zwischen Pflichterfüllung und Tod und drückte häufig Emotionen aus. Typisch für diese Kommunikation nach innen war das Beileidstelegramm von Verteidigungsminister Schröder im Zu­ sam­menhang mit dem Überfall auf das Munitionsdepot in Lebach, bei dem am 20.  Januar 1969 vier Bundeswehrsoldaten ermordet wurden. Schröder schrieb an die Hinterbliebenen: »Der schreckliche Überfall, der zu dem in soldatischer Pflicht­ erfüllung erlittenen Tode Ihres Mannes/Sohnes führte, hat mich tief empört.«17

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Vgl. Weinstein, Armee ohne Pathos. Vgl. Libero, Einsatzarmee und Erinnerung, S. 280 f. Zählkarten für die Erfassung von Verlusten – beispielsweise während des Zweiten Weltkrieges – unterscheiden bei der Art des Verlustes u.a. zwischen »Gefallen« und »an Unfallfolgen gestorben«. Vgl. Overmans, Deutsche militärische Verluste, S. 341. Baudissin, Beitrag des Soldaten zum Dienst am Frieden, S. 41. Lepsius, Militärwesen, S. 366. Telegramm des Verteidigungsministers an Hinterbliebene vom 20.1.1969, BArch, BW 1/21319. Zwei bewaffnete Männer drangen in der Nacht zum 20. Januar 1969 in das Munitionsdepot des Fallschirmjägerbataillons 261 in Lebach ein und erbeuteten Waffen und Munition. Dabei töteten sie drei der insgesamt fünf Wachsoldaten. Ein weiterer erlag einige Wochen später seinen Ver­ letzungen. Vgl. Informations- und Pressezentrum, Ein Sprecher des Bundesministeriums der Ver­ teidigung gibt bekannt, 20.1.1969, BArch, BW 1/21319.



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Formulierungen, wie sie bei der Kommunikation nach innen gebräuchlich waren, betonten oft die Besonderheit des soldatischen Todes. Auf diese Weise fand ein Soldat, der bei einem Flugunfall ums Leben kam, »den Fliegertod«18 oder ein Soldat, der im Dienst ertrank, ruhte in seinem »nassen Grab«19. Diese Redewendungen entstammen der traditionellen Sprache des militärischen Gedenkens. Auch verweisen sie auf den Soldatentod im Sinne eines positiven Opfers und sind Ausdruck soldatischer Treue. Insbesondere bei der Begrifflichkeit »Fliegertod« handelte es sich um eine exklusive und traditionell ehrenvoll konnotierte Bezeichnung für den Tod von Angehörigen der Luftwaffe, die sich aus dem Selbstverständnis dieser Teilstreitkraft etabliert hatte, etwas Besonderes zu sein und eine ganz eigene Identität zu besitzen, und den Luftwaffensoldaten von allen anderen Angehörigen der Bundeswehr abhob.20 Ganz im Gegensatz zur offiziellen Linie von BMVg und Bundeswehr, welche die prinzipielle Gleichwertigkeit aller Soldaten propagierte.

b) »Tod durch Fremdeinwirkung«: Neue militärische Realitäten – neue Sprachregelungen Humanitäre Auslandseinsätze in Konfliktgebieten gibt es bei der Bundeswehr seit 1992, an Kampfeinsätzen ist sie seit 1999 beteiligt. Doch erst seit dem 24. Oktober 2008 werden Soldaten der Bundeswehr, die nicht durch einen Unfall, sondern durch »Fremdeinwirkung« ihr Leben verloren haben, auch offiziell als »Gefallene« bezeichnet.21 Denn Verteidigungsminister Jung sprach auf der Trauerfeier für die beiden Soldaten, die am 20.  Oktober 2008 in Afghanistan getötet wurden, zum ersten

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Vgl. z.B. Jagdbombergeschwader  34, Geschwaderbefehl Nr.  16/59, Nachruf, 1.9.1959, BArch, BL 23/408. Vgl. Manuskript, 6.6.1957, BArch, BH 1/2338. Vgl. zum Begriff »Fliegertod«: Düsterberg, Soldat und Kriegserlebnis, S. 90. Das Sonderbewusstsein der Luftwaffe spiegelte sich auch in den Aussagen der Inspekteure der Luftwaffe Kammhuber und Steinhoff wider, welche die Soldaten der Luftwaffe zur »kleine[n] Elite der Männer, deren Leben der Luftwaffe [...] gehört« (Kammhuber) erhoben oder zur »winzige[n] Gemeinschaft Gleichgesinnter«, die den »männlichsten aller Berufe« ausüben (Steinhoff). Ansprache des Inspekteurs der Luftwaffe zu Ehren von Captain John Speer, Oberleutnant Bernd Kuebart, Oberleutnant Heinz Frye und Oberleutnant Wolfgang von Stürmer bei der Trauerfeier in Nörvenich am 22.6.1962, BArch, BL  1/14697; Ansprache GenLt Steinhoff anlässlich der Trauerfeier am 18.10.1965 für Major Geissler und Major Wiese, BArch, N  885/6 (2v2). Bereits im Ersten Weltkrieg erwarb sich die junge Teilstreitkraft durch Piloten wie Richthofen, Immelmann und Boelcke, die sich durch eine hohe Anzahl von Abschüssen auszeichneten, selbst bei den Kriegsgegnern hohes Ansehen. Der erste Inspekteur der Bundesluftwaffe Kammhuber stellte diese in eine »Ahnenreihe« mit den »Fliegerhelden« und begründete auch darauf deren Elitebewusstsein. Ein Ausdruck dieser Erbfolge war die Ernennung Erich Hartmanns, des erfolgreichsten Jagdfliegers des Zweiten Weltkrieges, zum Kommodore des Jagdgeschwaders  71 »Richthofen«. Vgl. Möllers, Die Luftwaffe und ihr Umgang mit »Tradition«, S. 24 f.; Schöbel, Am Anfang war der Held, S. 44. Vgl. Rauch, Auslandseinsätze der Bundeswehr. Vgl. Todesfälle in der Bundeswehr im Auslandseinsatz und in anerkannten Missionen, Stand: 21.10.2019, (letzter Zugriff 6.9.2021).

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VI. Sprachlicher und ritueller Umgang mit den Toten

Mal davon, dass diese Angehörigen der Bundeswehr »im Einsatz für den Frieden gefallen«22 seien. Der Ausdruck »gefallen« wurde zwar bereits 1975 von einem deutschen Ver­tei­ di­gungsminister im Rahmen einer Traueransprache verwendet, aber in einem anderen Zusammenhang. So betonte Georg Leber in seiner Grabrede für den während der Besetzung der westdeutschen Botschaft in Stockholm von RAF-Terroristen am 24. April 1975 erschossenen Militärattaché Oberstleutnant Andreas Baron von Mirbach, dass dieser »gefallen«23 sei. Der Rekurs auf diesen traditionellen Begriff für den Soldatentod, der in dieser Zeit nicht unbedingt zum offiziellen Repertoire gehörte, ist durch mehrere Gründe erklärbar. Mirbach war nicht durch einen Unfall ums Leben gekommen, sondern durch Fremdeinwirkung: Er wurde ermordet. Dadurch erfüllte er zunächst eine grundlegende Bedingung für den Gebrauch des Verbs »fallen«. Allerdings ist er weder in seiner Funktion als Militär noch in einem Kriegsoder Kampfeinsatz gestorben. Stattdessen haben wohl sein Status als Militärattaché sowie innenpolitische Gründe zu der verbalen Aufrüstung und der martialischen Sprachsymbolik geführt. Denn zum einen wollte die bundesdeutsche Regierung demonstrieren, dass man sich gewissermaßen im Krieg mit dem Terrorismus befinde, und zum anderen wollte man einen hochrangigen Repräsentanten des Staates, dessen Tod man nicht verhindern konnte, auf besondere Weise ehren. Als dann im Oktober 2001 im Rahmen der UNOMIG-Mission im Kaukasus tatsächlich zum ersten Mal ein deutscher Soldat im Ausland durch Fremdeinwirkung starb, war von »gefallen sein« nicht die Rede. Auch als am 7.  Juni 2003 bei dem Sprengstoffanschlag auf einen Bundeswehrbus in Kabul vier Soldaten getötet wurden, sprach offiziell niemand von »Gefallenen«. Dies und die Tatsache, dass der Einsatz in Afghanistan gemäß ministerieller Doktrin als reine »Friedensmission« deklariert wurde, führte bei vielen Angehörigen der Bundeswehr zu Unmut. Besonders deutlich brachte diese Gemengelage ein Leserbrief von Oberst i.G. Jürgen Hübschen in der Oktober-Ausgabe 2003 von Y.  Magazin der Bundeswehr zum Ausdruck, dessen Inhalt exemplarisch eine unter Einsatzsoldaten weit verbreitete Meinung wider­spiegelte24: »Aus meiner Sicht sind wir alle noch nicht in der Lage oder – aus welchen Überlegungen heraus auch immer – noch nicht gewillt, die Dinge beim Namen zu nennen. Begriffe wie ›Krieg‹, ›Kriegsgefallene‹, ›Kriegsgefangene‹, ›Fallen‹ oder ›Verwundet werden‹ tauchen in unserem Sprachgebrauch nicht auf, weil wir vor der Realität die Augen verschließen, beziehungsweise die letzte Konsequenz daraus, dass die Bundeswehr zu einer Armee im

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»Im Einsatz für den Frieden gefallen«. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr.  Franz Josef Jung anlässlich der Trauerfeier für die am 20.10.2008 in Afghanistan getöteten Soldaten der Bundeswehr am 24.10.2008 in Zweibrücken, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privatarchiv Julia Nordmann. Leber gebrauchte das Verb »fallen« in diesem Rede-Manuskript insgesamt dreimal. Vgl. Traueransprache des Bundesministers der Verteidigung Georg Leber bei der Beerdigung von Andreas Baron von Mirbach am 30.4.1975 in Eckernförde, BArch, BW 1/49784. Siehe Kap. V.2.b. Vgl. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Peter Struck anlässlich der Trauerfeier für die am 7.6.2003 in Kabul getöteten Soldaten der Bundeswehr, 10.6.2003, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privatarchiv Julia Nordmann; Dörfler-Dierken, Von »Krieg« und »Frieden«, S. 232; Timmermann-Levanas/Richter, Die reden – Wir sterben.



VI. Sprachlicher und ritueller Umgang mit den Toten

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Einsatz geworden ist, nicht ziehen wollen. Was hindert uns daran, den Tatsachen ins Auge zu sehen? Die Amerikaner nennen es ›Killed in Action‹ und wir sollten das Wort ›gefallen‹ gebrauchen, weil es genau das trifft, was sich ereignet hat.«25

Die von Gründung der Bundeswehr an gültigen Sprachregelungen für den Todesfall konnten nach Meinung vieler Soldaten die Wirklichkeit der Auslandsmissionen nicht mehr abbilden. Denn in der Regel starben Bundeswehrangehörige in Afghanistan weder eines natürlichen Todes noch »kommen sie ums Leben«26, wie Verteidigungsminister Struck es in seiner Traueransprache für die vier am 7.  Juni 2003 getöteten Soldaten noch formulierte. Doch die veränderte Realität ging auch an den politisch Verantwortlichen nicht spurlos vorbei. Spätestens Ende 2005 tauchte eine neue Wendung für den gewaltsamen Tod von Bundeswehrsoldaten bei Auslandsmissionen auf. So kam Oberstleutnant d.R. Armin Franz laut veränderter ministerieller Sprachregelung am 14. November 2005 in Afghanistan »einsatzbedingt ums Leben«27. Für mehrere Jahre war dies die offizielle Sprachregelung des BMVg zur Beschreibung des Soldatentodes bei Auslandsmissionen. Durch den Zusatz »einsatzbedingt« wurde der gewaltsame Tod z.B. vom Unfalltod abgegrenzt.28 Seit Ende Oktober 2008 ist dann eben auch offiziell von »Gefallenen« die Rede.29 Unter Soldaten allerdings zählte das Verb »fallen« bereits deutlich früher zum verbreiteten Sprachrepertoire. Daher war für Oberstleutnant i.G. Tim Richardt, stellvertretender Kommandeur der Panzergrenadierbrigade 30, Armin Franz nicht einsatzbedingt ums Leben gekommen. Wie Richardt auf der privaten Beisetzung von Franz am 21. November 2005 in Redwitz an der Rodach sagte: »Wir sind hier zusammengekommen, um unseres Kameraden [...] Armin Franz zu gedenken, der wenige Tage vor seiner Heimkehr aus dem Einsatz in Afghanistan gefallen ist.«30 Was die Soldaten klar und deutlich aussprachen, fiel der Bundeswehr bis 2008 aus historischen und politischen Gründen sehr viel schwerer. Denn die Seman­tik des »Fallens« ist im kollektiven Gedächtnis der Deutschen fest konnotiert mit den Weltkriegen und mit der Ideologie des heroischen Selbstopfers.31 Oder, wie es die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Oktober 2008 formulierte: »Das Verteidigungs­ 25 26

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Leserbrief von Oberst i.G. Jürgen Hübschen, S. 7. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Peter Struck anlässlich der Trauerfeier für die am 7.6.2003 in Kabul getöteten Soldaten der Bundeswehr, 10.6.2003, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Käßner, Wofür wir kämpfen, S. 200; Seils, Gefallen fürs Vaterland. Vgl. Kremp, Tod in Afghanistan. In: Die Welt, 26.11.2005. Am 27. Oktober 2008 erklärte das BMVg die Bezeichnung »Gefallener« zur offiziellen Sprachregelung für im Einsatz getötete Bundeswehrsoldaten. Vgl. Libero, Rache und Triumph, S. 17, Anm. 92. Trauerrede für OTL Armin Franz, BArch, BH 30/1198. Die Medien kehrten noch schneller zum Gebrauch traditioneller Begrifflichkeiten zurück als Teile der Bundeswehr. Die FAZ gab ihrem Artikel über den Tod von Feldwebel Alexander Arndt, der am 16.10.1993 erschienen ist, die Überschrift »Im Friedensdienst gefallen«; vgl. Fax von Oberstleutnant i.G. Richard an Oberst Hasen­pusch, 21.11.2005, BArch, BH 30/1198; Verteidigungsbezirkskommando 67 Ober- und Unter­ franken, Befehl für die Bestattungsfeierlichkeiten am 21.11.2005, 17.11.2005, BArch, BH 30/1198. Vgl. Dörfler-Dierken, Identitätspolitik der Bundeswehr, S. 140; Münkler, Ein Historiker wird einen anderen Kriegsbegriff haben als ein Völkerrechtler (Interview), S. 9.

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ministerium hatte es bisher vermieden, von ›Gefallenen‹ zu sprechen, weil das Wort üblicherweise dem Krieg zugeordnet werde und die Bundeswehr sich nicht im Krieg befinde.«32 Neben den historischen und politischen Bedenken spiegelte die Vermeidung des Terminus »Gefallene« auch eine Distanz gegenüber den Toten der Bundeswehr. Eine grundsätzliche Reserviertheit, die verhinderte, im gewaltsamen Tod dieser Soldaten auch ein Opfer für die Interessen der Bundesrepublik zu erkennen, und die damit entscheidend dazu beitrug, dass die deutsche Politik und die Gesellschaft über ein halbes Jahrhundert den Aufbau einer offiziellen und öffentlichen militärischen Trauer- und Gedenkkultur vernachlässigen konnten. »Im Einsatz für den Frieden gefallen«33 – so lautet nun seit Ende 2008 die offizielle Sprachregelung. Doch sie wird nicht nur wie im traditionellen Verständnis für die unmittelbar in einem Gefecht oder durch andere »Fremdeinwirkung« getöteten Soldaten verwendet, sondern das BMVg ist häufig nicht sehr präzise bei ihrem Gebrauch. So wurden teilweise auch jene Soldaten als »Gefallene« bezeichnet, die erst später den Folgen ihrer Verwundung erlagen und damit nach strenger Auslegung der Sprachregelung als »tödlich verwundet« zu bezeichnen gewesen wären.34 Warum aber rangen sich Regierungspolitiker und BMVg nach Jahren der Verweigerung 2008 dann doch zur Sprachformel »Gefallene« durch? Was hatte sich in der offiziellen und in der öffentlichen Wahrnehmung verändert? Die größte Wirkmacht in diesem Zusammenhang entfaltete wohl der zunehmend kämpferischere Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. In seinem Rahmen verloren die meisten der bei Auslandsmissionen getöteten Bundeswehrangehörigen ihr Leben. Darüber hinaus war beim ISAF-Einsatz in Afghanistan lange auch kaum abzusehen, wann genau oder ob er überhaupt in absehbarer Zeit enden würde. Das hieß: Die Bundeswehr hätte dort vermutlich zahlreiche weitere Opfer zu beklagen. Und in Soldatenkreisen sah man schon bald nach Beginn der Afghanistan32 33

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Jung: Ich verneige mich vor den gefallenen Soldaten. In: FAZ, 25.10.2008. »Im Einsatz für den Frieden gefallen«. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Franz Josef Jung anlässlich der Trauerfeier für die am 20.10.2008 in Afghanistan getöteten Soldaten der Bundeswehr am 24.10.2008 in Zweibrücken, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privatarchiv Julia Nordmann. Als »tödlich verwundet« bezeichnet das BMVg Soldaten, die nach Ankunft in einer Sanitäts­ einrichtung infolge ihrer Verwundungen sterben. Vgl. Anlage zu: BMVg FüS I 3 vom 13.5.2011, Ausfälle von Personen, die an einer besonderen Auslandsverwendung i.S.V. § 63b SVG teilnehmen, Privatarchiv Julia Nordmann. Jedoch unterschieden die Minister bisher nicht immer zwischen »gefallen« und »tödlich verwundet«. Auf diese Weise wollten sie das Opfer der Getöteten wohl sprachlich erhöhen. Ein Beispiel: Am 18. Februar 2011 eröffnete ein Soldat der Afghanischen Nationalarmee innerhalb des Außenpostens OP-North (Provinz Baghlan) mit einer Kalaschnikow das Feuer auf mehrere deutsche Soldaten. Hauptfeldwebel Georg Missulia war sofort tot. Stabsgefreiter Konstantin Menz und Hauptgefreiter Georg Kurat erlagen kurze Zeit später ihren schweren Verletzungen. Auf der gemeinsamen Trauerfeier bezeichnete Verteidigungsminister zu Gutten­berg in seiner Ansprache unterschiedslos alle drei Soldaten als Gefallene. Vgl. Rede des Bundes­ministers der Verteidigung Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg anlässlich der Trauerfeier für die am 18.2.2011 gefallenen Soldaten in der Stadtpfarrkirche St.  Michael am 25.2.2011, (letzter Zugriff 8.4.2016), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Seliger, Sterben für Kabul, S. 190‑193.



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Mission den gewaltsamen Tod von Kameraden im Einsatz nicht mehr ausreichend gewürdigt und repräsentiert durch verharmlosende Formulierungen wie »besonderes Vorkommnis« und »Unfalltod«.35 Die Forderung nach einer Anpassung der Sprache an die gewandelte Einsatzrealität nahm ab Sommer 2007 deutlich an Druck und Dynamik zu.36 Im Rahmen einer Mitgliederbefragung stellte der DBwV fest, dass sich seine Mitglieder mehrheitlich durch Öffentlichkeit und Politik nicht angemessen in ihrer Arbeit unterstützt fühlten. Wesentlich für diese Auffassung war, dass die Auslandseinsätze, insbesondere der in Afghanistan, seitens des BMVg und der Regierungspolitik nicht angemessen kommuniziert würden.37 Ein erstes Zugeständnis erfolgte zwar mit der Neuformulierung der ZDv  10/1 »Innere Führung, Selbstverständnis und Führungskultur« am 28.  Januar 2008. Diese wies erstmals öffentlich zugänglich38 darauf hin, dass der militärische Dienst in der Bundeswehr auch »den Einsatz der eigenen Gesundheit und des eigenen Lebens« mit einschließe und daher »Themen wie Verwundung und Tod [...] nicht verdrängt oder heruntergespielt werden«39 dürften. Allerdings wurden diese Themen anschließend sogleich an die Militärseelsorge delegiert und somit aus dem unmittelbaren Verantwortungsbereich des Ministeriums ausgelagert. Der vom DBwV geforderten Auseinandersetzung mit Krieg, Gefecht, Kampf oder Töten stellte sich das BMVg nicht.40 Dies beklagte auch Oberst Bernhard Gertz, im Jahr 2008 Vorsitzender des DBwV. Auf der Feier zum 50.  Geburtstag des Beirats für Fragen der Inneren Führung, eines 1958 gegründeten unabhängigen und persönlichen Organs, das die Verteidigungsminister im Bereich Innere Führung gutachterlich berät, warf er am

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Vgl. Todesfälle in der Bundeswehr im Auslandseinsatz und in anerkannten Missionen, Stand: 21.10.2019, (letzter Zugriff 6.9.2021). Die ISAF-Mission endete am 31.12.2014. Vom 1.1.2015 bis 29.6.2021 war die Bundeswehr im Rahmen der Mission Resolute Support in Afgha­ nistan engagiert, deren Auftrag es war, afghanische Sicherheitskräfte auszubilden. Vgl. Afghanistan – Resolute Support, (letzter Zugriff 6.9.2021); Leserbrief von Oberst i.G. Jürgen Hübschen, S. 7. Im Folgenden stütze ich mich auf Dörfler-Dierken, Identitätspolitik der Bundeswehr, S. 141‑146. Am 11. Dezember 2006 startete der Bundeswehrverband die Mitgliederbefragung zur Berufs­zu­ friedenheit unter dem Motto »Jetzt reden Sie«. Die Befragung endete am 28. Februar 2007. Vgl. Stolze, Mitglieder-Umfrage, S. 5; Kirsch, Verteidigungspolitik, S. 11. Die Neufassung der ZDv 10/1 »Innere Führung, Selbstverständnis und Führungskultur« vom Januar 2008 war erstmals öffentlich auf der Homepage des BMVg abrufbar. Vgl. BMVg, ZDv 10/1 »Innere Führung«, Januar 2008, (letzter Zugriff 6.9.2021). Die zuvor erschienenen Fassungen waren ausschließlich für den Dienstgebrauch bestimmt. Aktuell liegt diese Dienst­ vorschrift in folgender Fassung vor: BMVg, Zentrale Dienstvorschrift A-2600/1 »Innere Führung, Selbstverständnis und Führungskultur«, November 2017, (letzter Zugriff 6.9.2021). BMVg, A-2600/1 »Innere Führung, Selbstverständnis und Führungskultur«, November 2017, Ziff. 105, 609. Ebd., Ziff. 672. Vgl. Dörfler-Dierken, Identitätspolitik der Bundeswehr, S. 142.

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9. Juni 2008 dem BMVg vor, es »verbräme [...] die harte Wahrheit, indem es nicht von ›Gefallenen‹ und ›Verwundeten‹ berichte«41. Soldaten, präzisierte Gertz am 17. Oktober 2008 seine Kritik, seien die einzige Berufsgruppe, der befohlen werden könne, nach Afghanistan zu gehen. Daher müsse ihr Dienst auch eine besondere sprachliche Würdigung erfahren. Denn wer als Kämpfer im Krieg gegen Terroristen tätig sei, erleide auch einen besonderen Tod.42 In der Fernsehsendung »Menschen bei Maischberger« vom 21. Oktober 2008, drei Tage vor der offiziellen Trauerfeier für die beiden am 20. Oktober in Afghanistan getöteten Soldaten, griff der ehemalige Verteidigungsminister Struck die bereits im Juni des Jahres von Oberst Gertz verwendete Bezeichnung auf und nannte die beiden toten Bundeswehrangehörigen ebenfalls »Gefallene«43. Am 23. Oktober schloss sich auch der katholische Militärbischof Walter Mixa beim Abschlussgottesdienst der 53.  Jahrestagung der katholischen Militärseelsorger dieser Auffassung an und betonte, dass die beiden Männer »durch einen Terroranschlag der Taliban gefallen«44 seien. Auch das BMVg erkannte nun – wohl nicht zuletzt aufgrund des Drucks von Soldaten, DBwV, Politikern, Militärseelsorgern und Öffentlichkeit – die neue Realität an und verwendete das Verb »fallen«, allerdings mit dem Zusatz: »gefallen im Einsatz für den Frieden«45. Damit sollte einerseits dem Bedürfnis der Soldaten nach angemessener Würdigung Rechnung getragen werden und andererseits der enge Zusam­men­hang zwischen »Krieg« und »Gefallenen« aufgebrochen werden. Zugleich wollte das Ministerium ein demokratisches Ziel des soldatischen Selbstopfers formulieren, das mit dem Ideal des »Staatsbürgers in Uniform« und dem Auftrag der Friedensarmee Bundeswehr vereinbar ist.46 Vom aktiven Kampf der Bundeswehrsoldaten allerdings sprach das BMVg nicht. Das Verb »fallen«, darauf machte bereits Oberst Hübschen aufmerksam, verweist zwar auf den genuinen Tod von Soldaten – und verschweigt doch wesentliche Elemente, die diesen ausmachen. Denn wörtlich verstanden ist es eine Art Euphemismus, da es den Tod im Kampf unterschlägt und stattdessen ein bloßes Dahinsinken und Niederfallen suggeriert.47 41

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Zit. bei: Ness, Klares Bekenntnis zum demokratischen Führungsprinzip. In: Die Bundeswehr, 7/2008, S.  15. Vgl. Bernhard Gertz wird neuer Bundesvorsitzender. In: Deutscher Bundeswehrverband, (letzter Zugriff 6.9.2021); Schmitz, Das soldatische Selbstverständnis im Wandel, S. 56. Intern gebrauchte der Bundeswehrverband seit 2003 – im Mai und Juni fielen die ersten Soldaten in Afghanistan – den Terminus »Gefallener«. Vgl. Telefongespräch mit Hauptmann d.R. Alexander Sanne, Referatsleiter für Betreuung und Fürsorge beim Deutschen Bundeswehrverband, am 19.7.2010. Zit. bei: Dörfler-Dierken, Identitätspolitik der Bundeswehr, S. 145. Dank gilt den Soldaten. In: aktuell. Zeitschrift für die Bundeswehr, 3.11.2008, S. 3. Vgl. »Im Einsatz für den Frieden gefallen«. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Franz Josef Jung anlässlich der Trauerfeier für die am 20.10.2008 in Afghanistan getöteten Soldaten der Bundeswehr am 24.10.2008 in Zweibrücken, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Dörfler-Dierken, Identitätspolitik der Bundeswehr, S. 146. Vgl. Leserbrief von Oberst i.G. Jürgen Hübschen, S. 7; Latzel, Deutsche Soldaten, S. 234; Gefallen. In: FAZ, 25.10.2008.



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Zunächst fand das Wort in seiner wörtlichen Bedeutung von »hinfallen« und »stürzen« Verwendung. Das Deutsche Wörterbuch von Jakob und Wilhelm Grimm weist den Gebrauch des Begriffs bis ins Mittelhochdeutsche nach und definiert »fallen« wie folgt: »Das stehende, hängende, getragene fällt, sinkt, stürzt.«48 Wenn ein Soldat im Kampf – das Verb geht von einem aufrecht im Kampf stehenden Soldaten aus – von einem Schwert oder einer Kugel getroffen wird, dann sinkt dieser zu Boden, er fällt.49 Wann genau das Wort die übertragene Bedeutung im Sinne des soldatischen Sterbens im Krieg annahm, ist wohl kaum mehr mit absoluter Sicherheit zu ergründen. Fest steht allerdings, dass bereits der altgriechische Dichter Homer in seiner Ilias, die er vermutlich im 7. oder 8. Jahrhundert v.Chr. verfasste, das Verb in genau diesem Sinne verwendet: »Als erster erschlug Antilochos einen behelmten Mann der Troer, / einen Tüchtigen unter den Vorkämpfern: des Thalysios Sohn Echepolos. / Den traf er als erster am Bügel des Helmes, des roßmähnigen / Und durchbohrte die Stirn, und die eherne Spitze / Drang in den Knochen, und ihm umhüllte Dunkel die Augen, / Und er fiel wie ein Turm in dem starken Kampf.«50

Zunächst bezeichnete das Verb ganz im Sinne der Gebrüder Grimm lediglich das Dahinsinken, Hinfallen, Stürzen des Sterbens. Weil das auch auf Soldaten zutrifft, die im Kampf sterben, bot sich die übertragende Verwendung des Verbs »fallen« schon früh als Kurzformel für die Bezeichnung des Kriegstodes an.51 Bis zur Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert war es ein Verb, mit dem sich das Sterben von Soldaten im Kampf bildlich verbalisieren ließ. Doch der Soldat fiel in dieser Zeit nicht nur, sondern er kam um, wurde erlegt und erschlagen. Er wurde getötet, vernichtet, niedergemetzelt oder ist einfach im Krieg geblieben. Ähnlich wie diese Bezeichnungen des Kriegstodes hatte auch »fallen« noch keine über die Beschreibung des reinen Todes hinausgehende sinnstiftende, heroisierende oder ehrende Konnotation. Auch in seiner substantivierten Form »Gefallener« wurde es noch nicht verwendet.52 Doch mit der Zeit der Befreiungskriege erfuhr der Begriff ab etwa 1813 nach und nach einen Bedeutungswandel. Eindringlich spiegeln diesen Zeitgeist auch patriotische Gedichte wie Friedrich Hölderlins Ode »Der Tod fürs Vaterland« von 1798:

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Deutsches Wörterbuch, Bd 3, Art. »Fallen«, Sp. 1277‑1284, Zitat Sp. 1278. Vgl. Latzel, Deutsche Soldaten, S. 234. Homer, Ilias, Vierter Gesang, Strophe 457‑462. Hervorhebung durch die Verf. Für den Gebrauch des Verbs »fallen« zur Beschreibung des Kriegstodes von Soldaten gibt es neben der bereits erwähnten Rede des Perikles an die Gefallenen (siehe Kap.  II) seit der Antike noch zahlreiche weitere Beispiele. In seinem Geschichtswerk verwendete Thukydides einige Male das Verb »fallen« im Sinne des Sterbens in der Schlacht. Auch in Caesars »De bello Gallico« wurden einige Verben – auch im Zusammenhang mit dem Tod von Soldaten – mit »fallen« ins Deutsche übersetzt, wie »cadere« oder »occidere«. Und im mittelhochdeutschen Nibelungenlied findet sich an zwei Stellen das Verb »vallen«. Vgl. Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges, 3, II, 34, sowie III, 109, 113; Caesar, Der Gallische Krieg, I, 24.3, V, 37.5; Das Nibelungenlied, Bd 1, Strophen 206 und 246. Vgl. Latzel, Deutsche Soldaten, S. 235. Vgl. Latzel, ›Gefallen für Deutschland‹, S. 98.

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»Umsonst zu sterben, lieb ich nicht, doch / Lieb ich, zu fallen am Opferhügel. [...] Und Siegesboten kommen herab: Die Schlacht / ist unser! Lebe droben, o Vaterland, / Und zähle nicht die Toten! Dir ist, / Liebes! Nicht Einer zu viel gefallen.«53

Hölderlin gebraucht so bereits Ende des 18. Jahrhunderts das Verb »fallen« im Sinne des Sich-Opferns und verknüpft mit dem Märtyrertod. Im Zuge der nationalstaatlichen Freiheitsbewegungen und der damit einhergehenden Ideologisierung des Krieges wurde das »Fallen« dauerhaft ideologisch aufgeladen. Im deutsch-französischen Krieg war es bereits fester Teil der Trauerrhetorik. Und durch die Formel »für das Vaterland fallen«54 erhielt es zusätzlich eine übergeordnete Bedeutungsebene, in der es dann praktisch ausschließlich gebraucht wurde. Fiel der Soldat bis ins frühe 19. Jahrhundert hinein noch passiv durch äußere Einwirkungen, so stellte sein Tod nun ein aktives Opfer für das Vaterland dar. Der Soldat, auch der einfache, da er ja seit Einführung der allgemeinen Wehrpflicht allen Bevölkerungsgruppen entstammen konnte, wurde so zum Helden und auch zum Märtyrer für die Befreiung seiner Nation.55 Darüber hinaus bot die universale Kompatibilität des Verbs »fallen« mit so gut wie allen denkbaren Sinnstiftungen (fallen für die Freiheit, das Vaterland oder die Nation, für Gott, König und Kaiser oder auch den Führer ...) die ideale Voraussetzung dafür, dass es auch zu einer allgemein gültigen und anerkannten Bezeichnung für den massenhaften Tod von Soldaten werden konnte.56 Und indem sich das Verb in Verbindung mit einer positiven Sinnstiftung etablierte, wurde es schließlich sogar zur Abbreviatur für diese. Seinen Höhepunkt erlebte das Verb »fallen« während der beiden Weltkriege. Insbesondere im Ersten Weltkrieg avancierte die Formel zur sprachlichen Bewältigung des Massentodes. Kein anderer Ausdruck besaß einen so herausragenden Stellenwert wie »der Gefallene«. Denn seine Verschleierung des gewaltsamen und oft anonymen Todes, seine Vernetzbarkeit mit jeglicher Sinnstiftung sowie seine Substantivierbarkeit prädestinierten es zur perfekten Formel, um der Massenhaftigkeit des Todes im modernen Krieg zu begegnen. Ebenfalls fungierte es als Abkürzung, denn es war bereits per se mit Sinn aufgeladen, mit dem es den Soldatentod verband. Sein Gebrauch wies den Kriegstod ohne jede weitere Erklärung zum Opfertod für eine patriotische, für eine geradezu heilige Sache aus. Auf diese Weise bezeugten die »Gefallenen« die Legitimität des Krieges, weil ihr Tod ein Wert an sich war. Dies bedeutete im Umkehrschluss, dass sich jegliche Kritik am Krieg an der Opferbereitschaft der Soldaten versündigte. Genau diese Aura, die nun »fallen« und »Gefallene« umgab, erstrahlte noch im Zweiten Weltkrieg.57 In den frühen Jahren der Bundesrepublik wurde der Begriff dann häufig unter­ schiedslos für im Krieg getötete Soldaten und Zivilisten verwendet. Jenseits des Kontextes des Zweiten Weltkriegs und des sich anschließenden Prozesses der Delegi­53 54 55 56 57

Ebd., S. 99; Albert, Nationalsozialismus und Exilrezeption, S. 444. Vgl. Latzel, Deutsche Soldaten, S. 236; Latzel, ›Gefallen für Deutschland‹, S. 99. Vgl. Latzel, Deutsche Soldaten, S. 236 f. Vgl. ebd., S. 238. Vgl. ebd. und Latzel, ›Gefallen für Deutschland‹, S. 97, 100 f.



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ti­ mierung des Kriegerisch-Militärischen und des Kämpferisch-Heroischen verlor er aber außerhalb von Veteranenkreisen seine genuin sinnstiftende Kraft und verschwand im Lauf der Zeit beinahe vollständig aus dem allgemeinen Sprach­ gebrauch.58 Bis zum Ende des Kalten Krieges wurden das Verb »fallen« und seine Substan­tivierung »Gefallene« in der Bundesrepublik aufgrund des Fehlens militärischer Auseinandersetzungen kaum vermisst. Erst mit den Auslandseinsätzen der Bundes­wehr und den ersten getöteten deutschen Soldaten machte sich eine Lücke im Sprach­gebrauch bemerkbar. Diese Fehlstelle besetzte dann ab Ende 2008 auch offiziell wieder der Begriff »fallen«, weil sich herausstellte, dass es zu ihm keine ernsthafte Alternative gibt.59 Denn die zwischenzeitlich verwendete ministerielle Sprachregelung »einsatzbedingt ums Leben gekommen« war viel zu unpräzise, da sie jeden Todesfall im Auslands­ einsatz, egal ob durch ein Unglück oder im Kampf, unterschiedslos als »besonderes Vorkommnis« verallgemeinerte. Die militärische Wirklichkeit und die Umstände des Soldatentodes in Afghanistan jedoch konnte eine derart generalisierende Begriff­ lichkeit weder zutreffend ausdrücken noch angemessen würdigen. Sie negierte vollständig die Tatsache, dass die getöteten Soldaten ihr Leben de facto unter den Bedingungen eines Krieges verloren. Auch andere, etwa in Traueransprachen verwendete Formeln wie »ums Leben gekommen«60, »im Dienst gestorben«61 oder einfach nur »getötet«62, unterschieden letztlich nicht zwischen im Kampf Getöteten und zivilen Todesfällen. Neben einer Renaissance der Begriffe »fallen« und »Gefallener« gab es wohl auch erste Versuche, die Akzeptanz der Idee des militärischen Helden neu zu prüfen. Als ein Beleg dafür mag Verteidigungsminister zu Guttenberg gelten, der anlässlich der Trauerfeier vom 9. April 2010 bezüglich der drei am Karfreitag in Afghanistan gefallenen Bundeswehrsoldaten sagte: »Eine meiner kleinen Töchter [...] fragte mich, ob die drei jungen Männer tapfere Helden unseres Landes gewesen seien und ob sie stolz auf die sein dürfte. Und ich habe beide Fragen, nicht politisch, sondern einfach mit ›Ja‹ beantwortet.«63 Der Begriff »Held« ist ein traditioneller militärischer Topos zur Deutung und Würdigung des Soldatentodes, der in der Neuzeit mit den Befreiungskriegen eine zeitgemäße Ideologisierung und durch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht eine Art der Demokratisierung erfuhr. Ursprünglich geht er auf das Konzept des

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Vgl. Hettling, Nationale Weichenstellungen, S. 34; Latzel, ›Gefallen für Deutschland‹, S. 102. Vgl. auch: Latzel, Deutsche Soldaten, S. 241. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Peter Struck anlässlich der Trauerfeier für die am 7.6.2003 in Kabul getöteten Soldaten der Bundeswehr, 10.6.2003, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privatarchiv Julia Nordmann. Ebd. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr.  Franz Josef Jung anlässlich der Trauerfeier für die am 19.5.2007 in Kunduz getöteten Soldaten der Bundeswehr am 23.5.2007 in Köln-Wahn, (letzter Zugriff 12.5.2012), Privatarchiv Julia Nordmann. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg anlässlich der Trauerfeier für die drei am 2.4. gefallenen Soldaten in der Sankt-Lamberti-Kirche am 9.4. in Selsingen, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privatarchiv Julia Nordmann.

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antiken »Heros« zurück und erscheint sowohl im zivilen wie auch im militärischen Kontext.64 Das Etikett »Heldentod« im militärischen Sinn war eine besondere Würdigung für jenen Soldaten, der für das Gemeinwesen im Krieg selbstlos kämpfte und starb und sich somit in gewisser Weise selbst opferte. Dieser »Held« stand damit im selben Kontext wie der »Gefallene«. Und zwischen 1813 und 1945 war der »Helden­tod« praktisch ein Synonym für den Soldatentod. Das Ende des Zweiten Welt­kriegs und der NS-Diktatur markierten auch den Abschied von der Ideologie und den Werten des Kriegshelden.65 Den heroischen Vorstoß Guttenbergs als grundsätzliche Bereitschaft zur Reakti­ vie­rung des Heldenbegriffs zu interpretieren, wie es z.B. Hettling und Echtern­kamp tun, geht wohl zu weit. Auch in der Bundeswehr ist die Kategorie »Held« mehrheitlich keine Referenzgröße mehr.66 Guttenberg wollte vermutlich zum einen die öffentlichen und politischen Reaktionen auf seine Begriffswahl testen und zum anderen im Rahmen seiner Traueransprache eine der besonderen Dramatik der Situation adäquate Form der verbalen Würdigung für die gefallenen Bundeswehrsoldaten finden. In Ermangelung von Alternativen griff der Verteidigungsminister dann auf den umstrittenen Begriff zurück. Zugleich distanzierte er sich vom politischen Gebrauch des Terminus und legte ihn noch in ›unschuldigen Kindermund‹. Mit der Sprachregelung »im Einsatz für den Frieden gefallen« hat die Bun­ des­wehr ihre Formel gefunden, um den gewaltsamen Tod ihrer Soldaten bei Aus­ landsmissionen eindeutig zu kennzeichnen. Allerdings haben offensichtlich weder Vertreter der Bundeswehr noch des BMVg ernsthaft darüber diskutiert, ob es vielleicht nicht doch angemessener wäre, einen neuen Begriff einzuführen – statt auf die deutlich belasteten Wörter »fallen« und »Gefallene« zurückzugreifen. So plädierte

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Die Figur des (militärischen) Helden hat ihren Ursprung im antiken Heros, dessen Prägekraft bis in die Gegenwart reicht. Der Grieche Homer verfasste mit der »Ilias« und der »Odysee« die ersten Heldenepen und definierte über die Hauptfiguren Achill (Ilias) und Odysseus (Odyssee) wesentliche Merkmale eines Helden. Insbesondere das Heldentum Achills war an seine Kampfkraft gebunden. Vgl. Patzek, Homer und seine Zeit, S. 78; Hoff [u.a.], Helden – Heroisierungen – Heroismen (Konzeptionelle Ausgangspunkte des Sonderforschungsbereichs 948, 2013), (letzter Zugriff 6.9.2021); Schilling, »Kriegshelden«, S. 53 f. Vgl. Düsterberg, Soldat und Kriegserlebnis, S.  90; Schilling, »Kriegshelden«, S.  25  f.; Hettling/ Echternkamp, Heroisierung, S. 147. Die Schriftstellerin Thea Dorn hat eine neue Auslegung des Heldenbegriffs vorgeschlagen, die auch Anknüpfungspunkte in den aktuellen Traditionsrichtlinien der Bundeswehr von 2018 finden würde, die militärisches Handeln der Menschlichkeit verpflichten: »Und wenn es ihnen [den Soldaten, sic] gelingt, trotz der Gräuel, die sie im Krieg erleben, und trotz der Tötungen, die sie im Ernstfall selbst zu verantworten haben, sich vom Sog der Gewalt nicht erfassen zu lassen, sondern im Herzen jene Zivilität zu wahren, die zu verteidigen sie aufgebrochen sind, dann dürfen wir sie getrost als das bezeichnen, was sie sind: Helden.« Dorn, Nennen wir sie Helden. In: Die Zeit, 6.11.2014; vgl. Erlass »Die Tradition der Bundeswehr«. Abgedr. in: Tradition in der Bundeswehr, S. 282‑295, hier Ziff. 3.1, S. 286. Nach Guttenbergs Testballon verwendete die Führung der Bundeswehr den Begriff des »Helden« nicht mehr. Eine Auswertung verschiedener Truppenzeitschriften und soldatischer Selbstzeugnisse bis Anfang 2020 zeigte zudem, dass der Terminus auch in der militärischen Binnenöffentlichkeit nicht verbreitet ist. Daraus lässt sich schließen, dass der Heldenbegriff für die Mehrheit der Bundes­ wehrsoldaten keine Referenzgröße mehr ist. Vgl. Hettling/Echternkamp, Heroisierung, S. 148.



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z.B. der Publizist und Holocaust-Überlebende Ralph Giordano dafür, bei im Einsatz getöteten Soldaten schlicht von »umgebracht« zu sprechen.67 Viele Soldaten der Bundeswehr allerdings, das legen Interviews mit Vertretern der Bundeswehrsoldaten nahe, präferieren die Termini »fallen« und »Gefallene«. Der Begriff »Gefallene« – in klarer Abgrenzung zu »Getötete« – besitzt für die Soldaten offensichtlich noch immer einen außerordentlich hohen Symbolcharakter. Seine spezifische Aufladung und Konnotation müssen sich erst mit der Zeit austarieren. Münkler spricht von der »Aura des Sakralen«, denn der »Gefallene« bewahre sich die »Opferqualität des Sakrifiziellen«68, und dadurch erhalte sein Tod eine besondere Weihe, da er ein aktives und ehrenhaftes Opfer für die Bundesrepublik impliziere.69 Bei der Verwendung dieser Begriffe geht es jedoch nicht um eine einfache, unkritische Übernahme alter Deutungsebenen. Daraus, wie zumindest die offizielle Bundeswehr diese Begrifflichkeit verwendet, ergeben sich entscheidende Unter­ schiede zur Zeit vor 1945: Der Soldatentod per se gibt nicht mehr eine gültige Ant­ wort auf die Frage nach dem Sinn eines Einsatzes, sondern dieser muss nachträglich mit Sinn aufgeladen werden. Dies geschieht etwa durch die Formel: »Im Einsatz für den Frieden gefallen«. Außerdem wird das Verb »fallen« im Rahmen der Bundes­ wehr nicht zur Verklärung des Kriegstodes verwendet. Für den Politologen Marc Lindemann repräsentiert es vor allem einen illusionslosen Realismus im öffentlichen Sprechen über die Kampfeinsätze der Bundeswehr und den kriegsähnlichen Tod, den die Soldaten dabei sterben.70 Auf diese Weise zeigt sich, dass die Verwendung der Begrifflichkeiten »fallen« und »Gefallene« ein wesentliches und kaum durch Alternativen zu ersetzendes Element ist, um den gewaltsamen Tod im Kampfeinsatz im Bewusstsein der Öffentlichkeit und der Bundeswehrsoldaten zu verankern. Giordanos Vorschlag z.B. muss da versagen. Denn er beschreibt keinen genuin militärischen Tod und verwässert so diesen zentralen Unterschied. Das aber kommt einer Negierung der Opferbereitschaft gleich, welche die Gesellschaft aber von ihren Soldaten einfordert, indem sie diese in Kampfeinsätze im Ausland schickt. Diese Opferbereitschaft sollte auch sprachlich als solche eindeutig gekennzeichnet werden.71 67

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Trotz intensiver Recherche ließen sich Überlegungen für eine alternative Umschreibung des Soldatentodes jenseits des Verbs »fallen« nicht nachweisen. Die kurzfristige sprachliche Übergangs­ lösung »einsatzbedingt ums Leben gekommen« stellt den einzigen bekannten Versuch dar. Dem Verb »fallen«, so der Publizist Ralph Giordano, sei jedoch immanent, dass es jegliche Fragen von Verantwortung für den Tod von Soldaten verdränge. Daher machten Regierungen den Missbrauch von Soldaten für ihre machtpolitischen Interessen häufig mit einem heroisierenden Vokabular unkenntlich. Anders sehe dies bei Begriffen aus, die dem Bedeutungsfeld des Mordes entstammen, da diese sprachlich zwischen den Kategorien von Schuld und Unschuld trennen würden. Giordano plädierte daher für eine Umschreibung des Soldatentodes, die dies stärker berücksichtigt. Vgl. Giordano, Die zweite Schuld, S. 53. Münkler, Militärisches Totengedenken in der postheroischen Gesellschaft, S. 30. Vgl. Telefongespräch mit Hauptmann d.R. Alexander Sanne, Referatsleiter für Betreuung und Fürsorge beim Deutschen Bundeswehrverband, am 19.7.2010; Gespräch mit Bernd Kästner, Koordinator für die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr in der Bundesgeschäftsstelle des VDK, am 20.6.2011. Vgl. Latzel, ›Gefallen für Deutschland‹, S. 103, 107; Linnemann, Unter Beschuss, S. 124. Vgl. Münkler, Ein Historiker wird einen anderen Kriegsbegriff haben als ein Völkerrechtler (Interview), S. 9.

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2. Der Wandel militärischer Trauerformen in der Bundeswehr a) Anfänge einer militärischen Trauerkultur In seinem Arbeitspapier »Auseinandersetzung mit Verwundung und Tod« fasste das Zentrum Innere Führung im Jahr 2010 Absicht und Funktion der militärischen Trauerfeier folgendermaßen zusammen:

»Die Trauerfeier als militärisches Ritual ermöglicht die Kontrolle von Gefühlen und schafft Raum diese auszuleben, ohne dass der Trauernde befürchten muss, seinen Gefühlen völlig ausgeliefert zu sein [...] Das militärische Trauerritual stellt einen würdevollen Abschied dar, der auch von den hinterbliebenen Kameradinnen/Kameraden erwartet wird. Sie wird als Wertschätzung gegenüber den Gefallenen/Verstorbenen angesehen.«72

Die Notwendigkeit eines militärischen Trauerrituals wurde zur Zeit der Aufstellung der Bundeswehr vernachlässigt bzw. nicht gesehen.73 Überlegungen hinsichtlich der Entwicklung von Trauerformen bzw. der Ausarbeitung von Dienstanweisungen, die der verbindlichen Regelung von militärisch ausgestalteten Trauerfeiern, Beerdigungen und Totenehrungen dienten, können vor dem Unglück an der Iller anhand der verfügbaren Unterlagen aus der Abteilung für Innere Führung und dem Militärischen Führungsrat im Amt Blank bzw. dem BMVg sowie dem Evangelischen Kirchenamt für die Bundeswehr und dem Katholischen Militärbischofsamt zwischen Herbst 1950 und Juni 1957 nur sehr rudimentär nachgewiesen werden.74 Diese Lücke ist zum einen durch den übereilten Aufbau der Bundeswehr zu erklären, zum anderen durch die Intention insbesondere des Militärreformers Baudissin, der für die neue deutsche Armee ein militärisches Zeremoniell plante – ohne Pathos, schlicht und möglichst wenig an der belasteten Vergangenheit orientiert.75 Mit diesem Ansatz folgte Baudissin der Vorgabe der Bonner Republik, die insgesamt auf starke und emotionsgeladene Bilder durch große Inszenierungen verzichtete, mit denen etwa die Nationalsozialisten ihre Herrschaft zelebriert hatten. Dazu zählte vor allem auch der militärische Heldenkult, der in gigantischen Aufmärschen und heroischen Totenfeiern seinen Ausdruck fand, etwa im Innenhof des Tannenbergdenkmals.76 72 73

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Auseinandersetzung mit Verwundung, Tod und Trauer, S. 26. Das bestätigt auch eine Recherche im Bestand BW 9 des BArch, in dem die Unterlagen aus dem Amt Blank zusammengefasst sind. Hier ließen sich keine Hinweise auf Anläufe aus der Planungsphase der Bundeswehr finden, das militärische Trauerzeremoniell verbindlich zu regeln. Nur im AKMB wurden einzelne Hinweise auf die Regelung und die Praxis militärischer Trauerfeiern in der Bundeswehr vor 1957 gefunden. Vgl. AKMB, AR 315,36-15-01-59; Pfarrchronik »St. Georg« Sonthofen, Angelegt am 19. Juli 1956 von Milit. Pfr. A. Krautwurst, beendet am 30. Juni 1968 von Milit. Ob. Pfr. P. Joh. Uhr SAC, Eintrag vom 28. März 1957, S. 5, AKMB, IV, E.2.1 Nr. 268. Vgl. Kroener, Militär, Staat und Gesellschaft, S. 44; Baudissin, Soldatische Tradition; Rink, Die Bundeswehr 1950/55‑1989, S. 93 f. Im Gegensatz zur DDR, die ihre Staatlichkeit nicht nur durch die Symbolik des Staatswappens (Hammer und Sichel umrahmt von einem Ährenkranz) und die Nationalhymne inszenierte, sondern auch durch Paraden, Aufmärsche und Massenspektakel öffentlichkeitswirksam starke Bilder schaffte, beschränkte sich die Bundesrepublik zur selben Zeit auf Staatsakte und Gedenkstunden. Die schwarz-rot-goldene Fahne, der Bundesadler und die Nationalhymne sind bis heute die wesentlichen Bestandteile der politischen Symbolik der Bundesrepublik. Vgl. Stölzl, Die Inszenierung



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Vor Einführung der Wehrhoheit im Jahr 1935 dagegen war eine Bestattung mit militärischen Ehren ausschließlich Kriegsgefallenen vorbehalten.77 Baudissin plädierte zunächst für eine kompromisslose Lösung: völlige Enthalt­ sam­keit bezüglich jeglicher nationaler und soldatischer Symbole – darin eingeschlossen waren auch die militärisch geprägten Trauer- und Gedenkformen. Die damit verbundene Emotionalisierung widersprach dem Leitbild des neuen Soldaten. Mit dem Verzicht wollten die Initiatoren der Inneren Führung in der Bundeswehr auch äußerlich eine deutliche Abgrenzung von Nationalsozialismus und Wehrmacht dokumentieren.78 Mangels Praktikabilität aber revidierte Baudissin diesen radikalen Ansatz sukzessive. Denn die soldatische Praxis zeigte, dass jede Armee zumindest ein Minimum an Symbolik benötigt. So empfanden auch die Bundeswehrangehörigen die frühen militärischen Trauerfeiern von 1956 als unzureichend und nicht befriedigend.79 Als Kompromiss einigte man sich auf strenge Schlichtheit, die durch eine gezielte Reduzierung der Symbolik erreicht werden sollte. Baudissin weichte sein Postulat nun mit der Option auf, die Gebräuche, Riten und Zeremonien – auch die der Trauer – kontrolliert und nach und nach gewissermaßen »wachsen zu lassen«. Dabei solle die Bundeswehr das »Wagnis neuer Gestaltung« auf sich nehmen, anstatt sich an »alte Zeichen und Formen« zu klammern, von deren »Gültigkeit und Aussagekraft« sie »in Wahrheit gar nicht mehr überzeugt«80 sein konnte. Die erste Trauerfeier der Bundeswehr für einen toten Soldaten, die weitgehend der Idee der Schlichtheit folgte, fand am 4. Juni 1956 statt. Auf Anordnung des BMVg, das Weisungen hinsichtlich der Durchführung gab, wurde das Wehrbereichskommando V mit Sitz in Böblingen mit der Organisation der Trauerfeier beauftragt. Das Ergebnis dieser Planungen wurde in einer Standortdienstvorschrift festgehalten. Auf dieser Grundlage entwickelte die Bundeswehr später das Kapitel »Trauerfeiern« in der ZDv 10/8.81

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der Demokratie. In: Der Tagesspiegel, 2.10.2004; Tietz, Tannenberg-Nationaldenkmal, S. 85‑90, 123‑126. Zur Wehrhoheit des deutschen Reichs nach dem Ersten Weltkrieg vgl. Müller, Hitlers Wehrmacht 1935‑1945, S. 13‑15; Stein, Symbole, S. 277. Die »Standortdienstvorschrift 131« in der Ausgabe von 1939 ordnete militärische Begräbnisse für Wehrmachtangehörige an, die in Friedens­zeiten durch Unfälle, Krankheiten oder eines natürlichen Todes gestorben waren. Vgl. OKW, Stand­ ortdienstvorschrift Nr. 131, Berlin 1939; Janz, Deutsche Soldatengräber des Zweiten Weltkrieges, S.  133  f., (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Harder/Wiggershaus, Tradition und Reform in den Aufbaujahren der Bundeswehr, S.  66; Pauli, Wehrmachtsoffiziere in der Bundeswehr, S. 205. Vgl. Schreiben des Militärdekans Martin Zeil an das BMVg, Verwaltungsstelle für katholische Militärseelsorge (Kathol. Militärbischofsamt) am 6. Juni 1956, Betr.: Beerdigung des General­ma­jors Josef von Radowitz am 4.6.1956 in Kleiningersheim bei Ludwigsburg, AKMB, AR 315,36-15-01-59. Baudissin, Soldatische Tradition, S. 437. Diese Gedanken Baudissins wurden 1960 wörtlich in die 2. Auflage des Handbuchs Innere Führung aufgenommen. So bekamen sie – zumindest offiziell – einen verbindlichen Charakter. Vgl. BMVg, Handbuch Innere Führung (1960), S. 74. Vgl. Schreiben des Militärdekans Martin Zeil an das BMVg, Verwaltungsstelle für katholische Militärseelsorge (Kathol. Militärbischofsamt) am 6. Juni 1956, Betr.: Beerdigung des Generalmajors Josef von Radowitz am 4.6.1956 in Kleiningersheim bei Ludwigsburg, AKMB, AR 315,36-15-01-

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Spätestens durch das Unglück an der Iller vom 3. Juni 1957 aber setzte sich auch bei Baudissin die Erkenntnis durch, dass Bundeswehrsoldaten selbst in Friedens­ zeiten im Dienst ums Leben kommen. Und mit diesen toten Soldaten musste die Bundeswehr angemessen umgehen. Sowohl bei Baudissin als auch im BMVg entstand dadurch ein explizites Bewusstsein für die Notwendigkeit der Etablierung eines einheitlichen und für alle Teilstreitkräfte der Bundeswehr gültigen militärischen Trauerzeremoniells, das auch unter Krisenbedingungen funktionierte.82 Baudissins Sinneswandel belegt auch ein Eintrag in seinem dienstlichen Tagebuch vom 24.  Juni 1957: » [Major] Schütz kommt von der Besprechung mit den G  1 [Abteilung Personal/Innere Führung, sic] der Wehrbereiche. Besonderes Ärgernis bereitet unser Befehl mit den geringen Abordnungen zu Beerdigungen.«83 Auch wurde an Baudissin herangetragen, dass das Soldatische Würdigungen wie »Ehrenzug« und »Präsentieren« erwarte und verlange. Der Reformer musste feststellen, dass in manchen Wehrbereichen bereits Beerdigungen »mit Präsentiergriff, langsamem Schritt und Ehrenzug stattfanden«84. Baudissin musste anerkennen, dass es in der Bundeswehr ein starkes Bedürfnis nach militärischen Trauerformen gab und, da verbindliche Regeln fehlten, diesbezüglich eine Art Wildwuchs herrschte. Ganz ohne einen militärischen Trauerkult, realisierte Baudissin, kam wohl auch seine Reformarmee nicht aus. Doch wenn es diesen schon geben musste, dann wollte er ihn kontrollieren und dessen Formen bestimmen. Dieser Eintrag belegt erstens eindeutig, dass schon vor dem Iller-Unglück militärische Trauerfeiern in der Bundeswehr durchgeführt wurden.85 Zweitens liefert er den Nachweis, dass die betroffenen Einheiten im Todesfall eines Soldaten individuelle Regelungen bei den Trauerfeiern praktizierten. Mangels verbindlicher Richtlinien der Bundeswehr orientierten sie sich dabei häufig an historischen Vorbildern. Insbesondere traditionalistisch eingestellte Soldaten wollten auch bei den Trauerfeiern im Rahmen der Bundeswehr das alte Brauchtum fortsetzen und machten so Anleihen etwa bei dem reichen Fundus der Wehrmacht. In seinem Tagebuch nennt Baudissin zwei Beispiele dafür. Auf die Frage, ob für die noch nicht geborgenen Leichen auf der Trauerfeier in Kempten symbolisch Kränze oder Kreuze aufgestellt werden sollten, ordnete Baudissin die Verwendung von Kränzen an, allerdings unter der Maßgabe, »dass nicht wieder Wagenräder bestellt werden, wie sie im 3.  Reich üblich waren«86. Bis 1945 war es bei militä-

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59; Wehrbereichskommando V, 10 Jahre Wehrbereichskommando V 1956‑1966, S. 6; Vermerk des Katholischen Militärbischofsamt, 4.7.1956, Betr.: Beerdigung von Angehörigen der Bundeswehr in Friedenszeiten, AKMB, AR 315, 36-15-01-59. Hier wird die Standortdienstvorschrift lediglich erwähnt, ohne Angabe genauerer Hintergründe. Vgl. Militärischer Führungsrat, Abschrift: Protokollauszug, undatiert, BArch, BW 2/20286. Wolf Graf von Baudissin, Tagebuchaufzeichnungen 1.1957‑6.1957, Eintrag vom 24.6.1957, BArch, N 717/8. Ebd. Vgl. Militärischer Führungsrat, Abschrift, Protokoll – Auszug, undatiert, BArch, BW  2/20286. Pfarr­chronik »St.  Georg« Sonthofen, Angelegt am 19. Juli 1956 von Milit. Pfr. A. Krautwurst, beendet am 30. Juni 1968 von Milit. Ob. Pfr. P. Joh. Uhr SAC, Eintrag vom 28. März 1957, S. 5, AKMB, IV, E.2.1 Nr. 268. Vgl. Wolf Graf von Baudissin, Tagebuchaufzeichnungen 1.1957‑6.1957, Eintrag vom 4.6.1957, BArch, N 717/8.



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rischen Begräbnissen ferner Usus, eine dreifache Salve über dem Grab des toten Soldaten abzufeuern. Oberstleutnant Heinrich Bucksch, persönlicher Referent von Ver­teidigungsminister Strauß, plante die Beibehaltung dieser Ehrerweisung. Doch der Militärische Führungsrat – das höchste militärische Gremium – beschloss am 15.  Juli 1957, diesen Brauch nicht für die Bundeswehr zu übernehmen87 – ganz im Sinne von Baudissins verordneter Schlichtheit der Trauersymbolik, die in der Bundes­wehr zur Leitlinie wurde. Im Gegensatz zu früheren Trauerfeiern und Beisetzungen im Rahmen der Bun­ des­wehr, die allenfalls binnenmilitärisch und lokal Beachtung fanden, stand der Kemptener Trauerakt für die Toten des Iller-Unglücks ganz im Fokus allgemeiner und bundesweiter Aufmerksamkeit. Die Tatsache, dass die Bundeswehr wegen der Umstände des dramatischen Unglücks ohnehin bereits im Zentrum öffentlicher Kritik und Beobachtung stand,88 zeigte Baudissin die Notwendigkeit auf, die Trauerzeremonie besonders sorgfältig zu planen und zu choreografieren und heikle Rituale der Wehrmacht zu vermeiden. Spätestens das Unglück an der Iller führte daher das Vorgehen Baudissins, militärische Trauerformen zu marginalisieren und ihre Regelung im Vagen zu belassen, an seine Grenzen. Viele Führungspersönlichkeiten aus Bundeswehr und Politik fühlten sich berufen, den Trauerakt von Kempten auszugestalten. Baudissin schildert das Kompetenzdurcheinander am 4. Juni 1957 in seinem dienstlichen Tagebuch wie folgt:

»Es entsteht der Eindruck, als ob wir wie im Krieg wild durcheinander befehlen. Der Minister, Heusinger, Röttiger, alle möglichen Leute befehlen von dem Platz aus, an dem sie sich gerade befinden. Ich bespreche mit Schütz die weiteren Schritte für Kempten, vor allem eine Weisung über die Formen der Beerdigung. Dieser Befehl ist notwendig, um wieder eine gemeinsame Linie zu finden. Andersfalls ufert das Ganze aus.«89

In den drei Tagen vom Unglück bis zur eilig veranstalteten Trauerfeier am 6. Juni entwickelte der FüH in Zusammenarbeit mit dem Referat Innere Führung unter Baudissins Leitung eine verbindliche Weisung für die Gestaltung der Zeremonie von Kempten, die zunächst nur für diese Trauerfeier Gültigkeit besitzen sollte.90 Doch letztlich war diese Anordnung Anstoß und zugleich Grundlage für den sich anschlie87

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Vgl. Stein, Symbole, S. 279; Deisenroth, Der Alte Friedhof zu Potsdam, S. 77. Deisenroth bringt ein Beispiel für ein militärisches Begräbnis im Oktober 1813, bei dem Ehrensalven abgefeuert wurden. Auch auf der Trauerfeier mit anschließender Beisetzung der Opfer des Untergangs des Segelschulschiffes »Niobe« im August 1932 schoss man drei Ehrensalven über die beiden Gräber, in denen die Toten bestattet wurden. Vgl. Melms, »Niobe«, S. 54; Strauß, Die Erinnerungen, S. 374; Rink, Die Bundeswehr 1950/55‑1989, S. 50; Wolf Graf von Baudissin, Tagebuchaufzeichnungen 1.1957‑6.1957, Eintrag vom 22.6.1957, BArch, N 717/8; IV C Inland, Betr.: Beitrag zur Weisung »Beerdigung von aktiven Soldaten der Bundeswehr und von ehemaligen Soldaten«, 15.7.1957, BArch, BW 2/20286. Schmückle, Ohne Pauken und Trompeten, S. 146‑153. Wolf Graf von Baudissin, Tagebuchaufzeichnungen 1.1957‑6.1957, Eintrag vom 4.6.1957, BArch, N 717/8. Weder das Protokoll der Stabsbesprechung noch die Weisung für die Gestaltung der Kemptener Trauerfeier haben sich erhalten. Auf ihre Existenz deuten lediglich ein Hinweis im Tagebuch von Baudissin und der Bericht des Katholischen Standortpfarrers Alois Krautwurst hin. Vgl. Wolf Graf von Baudissin, Tagebuchaufzeichnungen 1.1957‑6.1957, Eintrag vom 4.6.1957, BArch, N 717/8; Bericht des katholischen Standortpfarrers über seine Tätigkeit und Erfahrungen aus Anlaß des IllerUnglücks, 27.6.1957, AKMB, PA-MPfr 228.

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ßenden Prozess der Normierung des militärischen Trauerzeremoniells für aktive und ehemalige Soldaten der Bundeswehr. Bereits ab Juli 1957 arbeitete der Militärische Führungsrat unter Vorsitz von Heusinger an einer obligatorischen Dienstvorschrift für Trauerfeiern und Beerdi­ gungen im Rahmen der Bundeswehr. Im BMVg waren daran die Abteilungen Streit­ kräfte Inland und Innere Führung beteiligt, ebenso das Evangelische Kirchenamt für die Bundeswehr sowie das Katholische Militärbischofsamt. Die Abteilung Innere Führung unter Baudissins Leitung beschäftigte sich dabei mit der Anordnung für aktive Soldaten, die Abteilung Streitkräfte Inland mit den Instruktionen für ehemalige Soldaten.91 Am 29. September 1959 erließ Heusinger erstmals die verpflichtenden »Richt­ linien für Trauerfeiern und Beerdigungen«, die für die gesamte Bundeswehr galten. Diese besaßen bis zum August 1967 Gültigkeit. Zu diesem Zeitpunkt überführte man sie als eigenes Kapitel »Trauerfeiern« in die ZDv 10/8. 1983 sowie 1991 wurde dieses Kapitel jeweils modifiziert.92 Der Geltungsbereich der ZDv  10/8 definierte dabei folgende Personengruppen, denen militärische Ehren zu erweisen waren: 1. Im und außerhalb des Dienstes verstorbenen oder tödlich verunglückten aktiven Soldaten bzw. ehemaligen Berufssoldaten der Bundeswehr. 2. Personen, die durch im Dienst befindliche Soldaten der Bundeswehr oder durch Wehrmaterial der Bundeswehr ums Leben gekommen sind. 3. Angehörigen der Vorgängerarmeen wie ehemalige Berufssoldaten der Wehrmacht, der Reichswehr und der Armee und der Marine des Kaiserreiches. 4. Trägern von militärischen Orden sowie von Verdienst- und Tapfer­keits­auszeich­nungen.93 91

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Vgl. IV C 6, Major Schulz, Vermerk, Betr.: Beitrag zur Weisung »Beerdigung von aktiven Soldaten der Bundeswehr und von ehemaligen Soldaten«, 3.8.1957, BArch, BW 2/20286; IV C 6, Betr.: Beitrag zur Weisung »Beerdigung von aktiven Soldaten der Bundeswehr und von ehemaligen Soldaten«, 15.7.1957, BArch, BW 2/20286. Vgl. Der BM für Verteidigung, Richtlinien für Trauerfeiern und Beerdigungen, 29.9.1959, BArch, BWD 3/123; BMVg, ZDv 10/8 »Militärische Formen und Feiern der Bundeswehr«, Juni 1983, Kapitel 3: Trauerfeiern, Juni 1991. BMVg, ZDv 10/8 »Militärische Formen und Feiern der Bundeswehr«, Juni 1983, Kapitel  3: Trauerfeiern, Juni 1991, Ziff. 304. Im Falle eines Suizids musste der nächste Disziplinarvorgesetzte über eine militärische Ehrerweisung entscheiden (Ziff. 307). Kam ein Soldat im Zusammenhang mit einer von ihm begangenen Straftat zu Tode bzw. wenn der hinreichende Verdacht auf ein Verbrechen bestand, erlosch der Anspruch auf militärische Ehren (Ziff.  308). Ebenfalls keinen Anspruch auf militärische Ehren hatten ehemalige NVA-Soldaten im Fall ihres Todes. Die auch nach der Vereinigung von Bundeswehr und NVA beibehaltene Begründung dafür findet sich im An­hang der Dienstvorschrift: »In der Bundeswehr ist der Kreis derer, für die ein militärisches Trauer­zeremoniell in Betracht kommt, gegenüber der Wehrmacht prinzipiell gleichgeblieben« (Anlage  1/3 zum Kapitel  3). Kritiker sehen in dieser Regelung eine Herabstufung ehemaliger NVA-Soldaten gegenüber ehemaligen Wehrmachtsoldaten. Vgl. Dahn, Die Braunlage. In: Zeit online, 6.2.2008. In der aktuell gültigen Zentralrichtlinie A2/2630/0-0-3 »Militärische Formen und Feiern der Bundeswehr« vom 31.10.2016 sind die Personengruppen, denen militärische Ehren zu erweisen sind, nahezu gleichgeblieben. Mit einer Ausnahme: Von militärischen Ehrerweisungen ausgenommen sind nun Ritterkreuzträger. Stattdessen wurden die Träger des Ehrenkreuzes der Bundes­wehr für Tapferkeit aufgenommen. Ihnen steht im Todesfall ein großes Ehrengeleit zu. Vgl. Fachgespräch im BMVg mit Oberstleutnant Ralf Kimmerle, FüSK III 2 – Referat Betreuung und Fürsorge, Stabshauptmann Michael Rothmeier, Büro für Angelegenheiten für Hinterbliebene, und



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Vor allem bis in die 1980er-Jahre beteiligte sich die Bundeswehr an den Begräbnissen verstorbener Wehrmachtgenerale. Diese militärische Ehrung durch eine staatliche Institution, die auch verurteilten Kriegsverbrechern gewährt wurde, war in gewisser Weise Teil der Traditionspflege der Bundeswehr in dieser Zeit. Grundsätzlich bestanden keine institutionellen Vorbehalte. Die ZDv 10/8 gestattete diese Praxis ebenso wie der erste Traditionserlass von 1965. Mit ihrem zweiten Traditionserlass von 1982 distanzierte sich die Bundeswehr zwar offiziell vom NS-Regime, zu deren Repräsentanten auch die einstige Wehrmachtgeneralität zählte. Aber erst die Debatte um die Wehrmachtausstellungen der 1990er-Jahre und die vermehrte öffentliche Kritik an der Traditionspflege der Bundeswehr beendeten diese Praxis. Ohnehin waren die meisten Repräsentanten der Wehrmachtgeneralität längst verstorben.94 Die Formen der Würdigung und der Beteiligung der Bundeswehr an diesen Be­gräbnissen waren im Einzelfall durchaus unterschiedlich. Sie hingen zum einen von der Schwere der NS-Belastung des Verstorbenen ab und zum anderen davon, wann und in welcher Phase der bundeswehrinternen Debatte über zulässige oder erwünschte Traditionspflege sich die Todesfälle ereigneten. Waren die Verstor­ be­ne­nen offensichtlich stark belastet oder zeigten allzu geringe Distanz zu totalitären und nationalsozialistischen Einstellungen, dann lehnte die Bundeswehr ein mili­tärisches Ehrengeleit und eine Teilnahme offizieller Repräsentanten ab. In anderen Fällen wie dem des 1972 verstorbenen Feldmarschalls a.D. Erhard Milch versuchte die Bundeswehr bereits im Vorfeld der Bestattung, die Angehörigen von einem Verzicht auf die Beantragung militärischer Ehren zu überzeugen.95 In dieser Frage gab es also kein prinzipiell einheitliches Vorgehen der Bundeswehrführung. Stattdessen entschied sie im Einzelfall über die Art ihrer Beteiligung an Begräbnissen von Wehrmachtgeneralen. In manchen Fällen hielten hohe Repräsentanten der Bundeswehr Ansprachen, zusätzlich zur militärischen Ehrerweisung. Auf diese Weise trug die Bundeswehr zumindest ein Stück dazu bei, die Toten posthum zu rehabilitieren und das Bild von der »sauberen Wehrmacht« fortzuschreiben. Und auch für manche Veteranen war die Teilnahme an diesen Begräbnissen so nicht nur Ausdruck der Kameradschaft und der Verbundenheit, sondern auch eine Art nachträglicher persönlicher Absolution, erteilt von Vertretern der Bundeswehr und der Bundesrepublik. Als Feldmarschall a.D. Kesselring am 15. Juli 1960 starb, hielt zwar der amtierende Luftwaffeninspekteur Kammhuber die Grabrede, die Bundeswehr selbst aber gewährte dem verurteilten Kriegsverbrecher, der 1952 aus der Haft entlassen wurde, offiziell keine militärischen Ehrbezeugungen. Kammhuber allerdings pries uneingeschränkt Kesselrings einwandfreie Integrität.96 Neben dem Inspekteur der Luftwaffe nahmen weitere hohe Bundeswehroffiziere an Kesselrings Trauerfeier teil. Das BMVg schickte einen Kranz. Vertreter von Stahlhelm, DLWB und RdS beschwerten sich später gemeinsam bei Verteidigungsminister

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Oberstleutnant Gerhard Schlaffer, Abteilung Personal/Zentrale Angelegenheiten – Ehrenmal, am 27.5.2020. Vgl. Epkenhans/Zimmermann, Die Wehrmacht, S. 141. Vgl. Zimmermann, Ulrich de Maizière, S. 377, Anm. 1117. Vgl. Generalfeldmarschall Albert Kesselring zur großen Armee abberufen.

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Strauß darüber, dass die Bundeswehr offiziell der Beisetzung des Feldmarschalls ferngeblieben war.97 Zur Vermeidung politisch heikler Situationen entschieden sich Bundeswehr und BMVg auch im Fall von Erich Raeder gegen offizielle militärische Ehren. Marine­ inspekteur Ruge durfte jedoch bei der Beisetzung des am 6. November 1960 verstorbenen Großadmirals sprechen und Offiziere der Marine konnten in Uniform daran teilnehmen.98 In seiner Ansprache nutzte Ruge die Verurteilung Raeders durch den Nürnberger Gerichtshof dazu, den Großadmiral zum Märtyrer der Marine zu stilisieren, »der hohe Verantwortung übernommen und getragen hat und der ein schweres Schicksal für die ganze von ihm geliebte Marine klaglos und würdig erduldet hat«. Ruge konzentrierte sich ganz auf den »Menschen Raeder«, wohl um auf diese Weise den Spagat zu ermöglichen, den die Ehrung eines im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess verurteilten Repräsentanten des NS-Regimes durch einen herausgehobenen Vertreter der Bundeswehr zumindest offiziell bedeuten musste. Persönlich hatte Ruge damit allerdings offensichtlich keine Probleme, er zeichnete den Großadmiral sogar als Vorbild für die Bundesmarine: »Er sah im Untergebenen den Menschen, für den er sorgte und vor den er sich stellte, wenn es nottat. Bei Verletzungen der Menschenwürde hat er hart durchgegriffen.« Mit der Würdigung Raeders versuchte Ruge darüber hinaus in gewisser Weise auch die Rehabilitierung der gesamten Kriegsmarine: »Ihm ist es zu verdanken, dass die Marine geschlossen und sauber blieb und dass die amoralischen Einflüsse der Gewaltherrschaft ihr gegenüber weitgehend abgedämmt wurden.«99 Die Trauerfeier für den am 2. April 1972 gestorbenen Generaloberst a.D. Halder, einen der Strategen der »Blitzfeldzüge« der Wehrmacht, fand hingegen mit offiziellen militärischen Ehren der Bundeswehr statt.100 Und Generalfeldmarschall a.D. von Manstein wurde nach seinem Tod am 10. Juni 1973 sogar von Generalinspekteur Zimmermann offiziell gewürdigt und mit militärischen Ehren zu Grabe getragen.101 Ganz anders verhielt sich die Bundeswehr wenig später im Fall von General­ feld­marschall a.D. Ferdinand Schörner, den Hitler in seinem Testament noch zum 97

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Vgl. ebd.; auch: Lingen, Kesselrings letzte Schlacht, S. 297‑299; FüS, Beteiligung der Bundeswehr an der Beisetzung von Generalfeldmarschall Albert Kesselring, 1960, BArch, BW 2/20286; DLWB, Protokoll über die 2.  ordentliche Mitgliederversammlung des Vereins »Deutscher Luftwaffen­ block e.V.« am 28. April 1962, 23.5.1962, BArch, N 667/12. Vgl. Fischer, Großadmiral Dr. phil. h.c. Erich Raeder, S. 193. Ansprache des Inspekteurs der Bundesmarine Vizeadmiral Ruge gelegentlich der Beisetzung des Großadmirals Erich Raeder, Kiel, am 11.  November 1960, BArch, N  379/88. Vgl. Nägler, Baudissin, die Innere Führung und das Beharrungsvermögen der Marine, S. 605 f.; Fischer, Groß­ admiral Dr. phil. h.c. Erich Raeder, S. 193; auch: BArch, BW 2/20183. Wie viele Angehörige der militärischen Führungselite der Wehrmacht bestritt Halder jede persönliche Schuld oder Mitschuld an Hitlers verbrecherischer Politik. Er, der nicht als Kriegsverbrecher angeklagt wurde, besaß in den 1950er- und 1960er-Jahren großen Einfluss auf die deutsche Kriegs­ ge­schichtsschreibung über den Zweiten Weltkrieg. Vgl. Ueberschär, Generaloberst Franz Halder, S. 82, 84 f.; Klee, Personenlexikon zum Dritten Reich, S. 220. Vgl. Boll, Generalfeldmarschall Erich von Lewinski, gen. von Manstein, S.  421; Verhalten der Bundeswehr im Falle des Ablebens der Generalfeldmarschälle Erich von Manstein (geb. Fritz Erich von Lewinski) und Erhard Milch, BArch, BW 2/25144.



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Oberbefehlshaber des Heeres beförderte und der am 2. Juli 1973 starb. Schörner war zeitlebens ein unbelehrbarer und überzeugter Nationalsozialist. Selbst innerhalb der ehemaligen Wehrmachtgeneralität blieb Schörner eine Persona non grata, denn seine Loyalität galt ausschließlich dem NS-Regime und seinen Machthabern. Gegen die ihm unterstellten Soldaten ging er dafür mit beispielloser Härte vor. Scharf distanzierte sich Strauß von dem Generalfeldmarschall. Schörner, so der Verteidigungsminister, sei ein »Ungeheuer in Uniform«102. Und: »Nie wieder Schörners in einer deutschen Armee.«103 Folgerichtig verwehrte die Bundeswehr Schörner jedwede offizielle Würdigung und keine ihrer hohen militärischen Repräsentanten waren zugegen. Die Teilnahme in Zivil war ebenfalls nicht erwünscht.104 Auch Erhard Milch, der am 25. Januar 1972 starb, verweigerte die Bundeswehr bei dessen Bestattung offizielle militärische Ehren. Milch war im April 1947 wegen Zwangsverschleppung ausländischer Arbeiter sowie Verbrechen gegen die Mensch­ lichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Bereits im Juni 1954 wurde er vorzeitig entlassen.105 An der Trauerfeier für den Oberst a.D. und bekennenden Rechtsradikalen HansUlrich Rudel nahm die Bundeswehr ebenfalls nicht offiziell teil, wohl aus ähnlichen Gründen wie in den Fällen Schörner und Milch. Allerdings hielten sich nicht alle Bundeswehrangehörigen an die offizielle Linie. So überflogen während der Beisetzung Phantom-Jäger der Bundesluftwaffe den Friedhof in Dornhausen und bezeugten Rudel auf diese Weise ihre Ehre.106 Mit dem Begräbnis von Großadmiral a.D. Karl Dönitz setzte sich die Führung der Bundeswehr schon zu dessen Lebzeiten auseinander. Bereits Generalinspekteur Ulrich de Maizière machte sich über ein Jahrzehnt vor dem Ableben des Großadmirals darüber ernsthafte Gedanken. Als Dönitz schließlich am 24. Dezember 1980 starb, trat Verteidigungsminister Apel für einen Kompromiss im Umgang mit dem einstigen Hitler-Nachfolger ein. »Keine Teilnahme der Bundeswehr«, ordnete er an, »keine Uniformen!« Auch das militärische Ehrengeleit wurde untersagt. Dafür aber durften Bundeswehrsoldaten der Beerdigung in Zivil beiwohnen.107 Als Hubert Lanz am 12.  Mai 1982 starb, verweigerte die Bundeswehr dem General der Gebirgstruppe das vom Kameradenkreis Gebirgstruppe für seinen Ehren­vorsitzenden eingeforderte Begräbnis mit militärischen Ehren zunächst mit Ver­weis auf dessen Verurteilung als Kriegsverbrecher. Denn Lanz war 1948 in Nürn­berg im sogenannten Geiselmord-Prozess wegen seiner Verantwortung für die Ermor­dung von mindestens 2000 italienischen Soldaten zu zwölf Jahren Haft verurteilt, aber bereits 1951 entlassen worden. Die Ablehnung jeder offiziellen Würdigung 102 103 104 105 106 107

Zit. bei: Müller, Reinhard Gehlen (Teil 1), S. 870. Steinkamp, Generalfeldmarschall Ferdinand Schörner, S. 507. Vgl. ebd., S. 509 f., 513. Vgl. Hümmelchen, Generalfeldmarschall Erhard Milch, S.  176; Zimmermann, Zwischen Reformern und Traditionalisten?, S. 309, Anm. 68. Vgl. Neitzel, Rudel, Hans-Ulrich, S. 160 f., hier S. 161. Vgl. Hartwig, Großadmiral Karl Dönitz, S. 235‑266. Hartwig beschreibt das jahrelange Ringen der Bundeswehr um die Form ihrer Teilnahme an Dönitz’ Begräbnis. Dokumentiert ist dieser Ent­ scheidungsprozess in BArch, BM 1/4783.

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führte zu anhaltenden Protesten in der Bundeswehr. Erst nach Vermittlung prominenter Persönlichkeiten wie des früheren Verteidigungsministers Leber gestattete es die Bundeswehr ihren Soldaten immerhin, in Uniform an der Beerdigung teilzunehmen.108 In den 1980er-Jahren und mit dem mittlerweile großen Abstand zur NS-Diktatur traten die für die Bundeswehr politisch oft so prekären Begräbniszeremonien für führende Wehrmachtoffiziere aus biologischen Gründen in den Hintergrund. Und durch ihre Teilnahme an bewaffneten Missionen im internationalen Rahmen ab den 1990er-Jahren stand die Bundeswehr, gerade was ihren Umgang mit toten Soldaten, Trauerritualen und Gedenkzeremonien angeht, vor neuen Herausforderungen. Trotz des neuen Aufgabenspektrums der Bundeswehr – Auslandseinsätze ab 1992 bzw. Kampfeinsätze ab 1999 – gelten auch gegenwärtig immer noch wesentliche Teile der 1967 verfassten ZDv 10/8 (»Richtlinien für Trauerfeiern und Beerdigungen«), auch wenn diese nach mehreren Modifizierungen (1983, 1991) im Oktober 2016 formal außer Kraft gesetzt und durch die Zentralrichtlinie A2/2630/0-0-3 (»Militärische Formen und Feiern der Bundeswehr«) ersetzt wurde. Im März 2017 erfuhr diese neue Zentralrichtlinie überdies eine Ergänzung durch das »Trauerzeremoniell für gefallene Soldatinnen und Soldaten« (B-2642/22).109 Durch diese an die neue militärische Realität angepasste Ergänzung erfasst man nun auch die bei Auslandseinsätzen getöteten und gefallenen Bundeswehrsoldaten. Schon vor all diesen Modifizierungen und Ergänzungen entwickelten Bun­des­ wehrsoldaten für ihre toten Kameraden der Auslandseinsätze zunächst eigene binnenmilitärische und von der Bundeswehrführung tolerierte Trauer- und Gedenk­ rituale.110 Nach und nach entstand aber auch eine Art öffentlicher militärischer Totenkult, wie die Zeremonien ab 2008 unter Anwesenheit hochrangiger Repräsen­ tanten von Staat und Bundeswehr belegen. Auch wenn die erste Fassung der »Richtlinien für Trauerfeiern und Beerdigungen« aus dem Jahr 1959 stammt, bedeutete dies nicht, dass sich damit ein militärischer Totenkult etabliert hätte. So lehnte z.B. das Kommando der U-Boote nach dem Untergang des U-Bootes »Hai« im September 1966 zunächst eine offizielle militärische Trauerfeier mit der Begründung ab, dass die Toten »in erster Linie ihren Angehörigen«111 gehörten. Auch bei der Beisetzung der 19  toten Marinesoldaten in ihren Heimatorten verweigerte man zunächst Ehrengeleite der Bundeswehr. Als Begründung führte man an, dass es »nicht möglich sei, zu allen Orten eine Abordnung zu entsenden, da sie [die Marine] nicht über so viele Offiziere verfüge«112. 108 109

110 111 112

Vgl. Meyer, Blutiges Edelweiß, S. 316‑327, 415, 674 f. Vgl. Fachgespräch im BMVg mit Oberstleutnant Ralf Kimmerle, FüSK III 2 – Referat Betreuung und Fürsorge, Stabshauptmann Michael Rothmeier, Büro für Angelegenheiten für Hinterbliebene, und Oberstleutnant Gerhard Schlaffer, Abteilung Personal/Zentrale Angelegenheiten – Ehrenmal, am 27.5.2020. Da es sich sowohl bei der Zentralrichtlinie als auch bei ihrer Ergänzung um Ver­ schlusssachen handelt, konnten sie im Rahmen dieser Untersuchung nicht eingesehen werden. Siehe Kap. VII.2. Schreiben des Verteidigungskreiskommandos 452 Mainz, Der Kommandeur, an das Wehr­bereichs­ kommando IV, Abteilung G 1, Mainz, GFZ-Kaserne, 19.9.1966, BArch, BM 22/53. Ebd.



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Das angeführte Beispiel mag ein deutlicher Beleg dafür sein, dass die Führung der Bundeswehr über lange Zeiträume hinweg offiziellen und öffentlichen militärischen Trauer- und Gedenkzeremonien für ihre eigenen Soldaten kaum Bedeutung beimaß. Im Fall der Havarie des U-Bootes wollte sie aber wohl auch vermeiden, durch eine prominente Trauerzeremonie mit 19 Särgen das Bild einer Pannen- und Unfallarmee in die breite Öffentlichkeit zu kommunizieren. Doch aufgrund des Drucks aus der Bundeswehr (beispielsweise durch das involvierte Wehrbereichskommando  I und das Verteidigungskreiskommando 452) organisierte die Marine schließlich eine zentrale binnenmilitärische Trauer- und Gedenkfeier, die am 23. September 1966 in der Trauerhalle Neustadt stattfand.113

b) Der militärische Totenkult während des Kalten Krieges und seine historischen Ursprünge Die militärische Feier vom 6.  Juni 1957 für die Toten des Iller-Unglücks kann gewisser­maßen als Blaupause für alle späteren Trauerfeiern der Bundeswehr verstanden werden, denn sie lieferte sowohl den Anstoß als auch die Grundlage für die suk­zes­sive erfolgende Etablierung eines verbindlichen offiziellen militärischen Trauer­zeremoniells.114 Die Gedenkfeier für die Opfer des Iller-Unglücks war schlicht. Dies belegen Fotos115 und ein Bericht aus dem Nachlass von Alois Krautwurst, dem Katholischen Standortpfarrer für den Seelsorgebezirk Sonthofen. Die Fotografien zeigen vier zum Karree angetretene Kompanien auf dem Hof der Prinz-Franz-Kaserne des Luft­lande­ jägerbataillons 19 in Kempten, in deren Mitte der Sarg des bis zu diesem Zeitpunkt einzigen geborgenen Toten aufgebahrt ist. Er stand stellvertretend für die 14 noch vermissten toten Kameraden. Auf Befehl des FüH bedeckt die Bundesdienstfahne den Sarg, vor dem ein Kranz mit Stahlhelm zu sehen ist. Links und rechts flankieren den Sarg zusätzlich jeweils sieben Kränze. Auch an jedem von ihnen ist ein Stahlhelm 113

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Ebd. Vgl. Der BM der Verteidigung, Ablauf der Trauerfeierlichkeiten für die Toten des Lehr- und U-Bootes »Hai« am 23. September 1966 in Neustadt/Holstein, 20.9.1966, BArch, BM  22/53; Sieck, U-Bootfahrer und das Ehrenmal in Möltenort, S. 140 f. Gewissermaßen als Vorläufer für die Kemptener Zeremonie kann die militärische Trauerfeier für Generalmajor Josef von Radowitz gesehen werden, die in ihrem Ablauf (Ehrenwache, Trauermarsch, Ansprachen, das Lied vom guten Kameraden) detailliert überliefert ist. Von Radowitz starb allerdings nicht in Ausübung seines Dienstes, sondern eines natürlichen Todes. Daher fand die Trauerfeier auch nicht in einer militärischen Einrichtung statt. Vgl. Der BM für Verteidigung, Vorauspersonal, Wehrbereichskommando V, 3.6.1956, Ablauf der Trauerfeier für den Verstorbenen Generalmajor Josef von Radowitz am 4.6.1956, und Befehl für die Beisetzung des Generalmajors von Radowitz, 3.6.1956, beide: AKMB, AR  315, 36-15-01-59. Ein weiterer Vorläufer für die Zeremonie in Kempten ist die Trauerfeier auf dem Fliegerhorst Memmingen für den tödlich verunglückten Stabsfeldwebel Josef Haas am 28. März 1957. Die in der Pfarrchronik Sonthofen des Katholischen Standortpfarrers Alois Krautwurst überlieferte Fotografie zeigt zentrale Details wie den mit der Bundesdienstflagge bedeckten und von einer Ehrenwache flankierten Sarg. Vgl. Pfarrchronik »St.  Georg« Sonthofen, Angelegt am 19. Juli 1956 von Milit. Pfr. A. Krautwurst, beendet am 30. Juni 1968 von Milit. Ob. Pfr. P. Joh. Uhr SAC, Eintrag vom 28. März 1957, S. 5, AKMB, IV, E.2.1 Nr. 268. Ein Foto des Arrangements auf dem Kasernenhof findet sich beispielsweise in: Kindlmann, Gedenkfeier wird erstmals von Altenstadt aus organisiert. In: Merkur, 31.5.2016.

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befestigt – Symbol für die 14 weiteren Opfer. Hinter dem Sarg ragen ein christliches Kreuz sowie eine Feuerschale auf.116 Ein Musikkorps der Bundeswehr spielte einen Trauermarsch. Dann hielt Max Pemsel, Generalleutnant und kommandierender General des II. Korps des Heeres der Bundeswehr in Ulm, die Gedenkrede. Sie wurde ergänzt durch Ansprachen der örtlichen Militärgeistlichen beider Konfessionen. Mit dem Lied »Der gute Kamerad« endete die Zeremonie.117 Die Trauerfeier von Kempten gab exemplarisch wesentliche Elemente jenes militärischen Totenzeremoniells vor – die Verwendung von Bundesdienstfahne und Stahlhelm, die musikalische Ausgestaltung und die durch Kreuz und Flammen dargestellte christliche Symbolik –, wie es bis heute grundlegend für die Bundeswehr ist. Insbesondere während des Kalten Krieges wurde die Trauerfeier in der Regel in einer militärischen Einrichtung abgehalten. Anders als bei der Kemptener Zeremonie beziehen nach den »Richtlinien für Trauerfeiern und Beerdigungen« von 1959 nicht mehr vier Ehrenkompanien Aufstellung, sondern der Sarg wird seitdem von einer Totenwache flankiert, die sich traditionellerweise aus Kameraden des gleichen Dienstgrades rekrutiert. Doch wie schon beim Kemptener Modell bedeckt auch nun die Bundesdienstfahne den Sarg, der als Schmuck den Stahlhelm bzw. bei der Marine die Mütze trägt. Am Fußende des Sarges wird gegebenfalls das Ordenskissen platziert.118 Sind wie in Kempten nicht alle Opfer geborgen, so werden die fehlenden Toten durch Stahlhelme repräsentiert. Auf diese Weise verfuhr man auch bei der militärischen Trauerzeremonie für die 42  Opfer der Transall, die am 9.  Februar 1975 über Kreta abstürzte. Bei dieser Totenehrung mit über 3000 Teilnehmern am 14.  Februar 1975 auf dem Fliegerhorst Hohn bei Rendsburg handelt es sich um die bisher größte militärische Trauerzeremonie in der Geschichte der Bundeswehr. Da die Opfer des Absturzes zum Zeitpunkt der Trauerfeier noch nicht geborgen waren, präsentierte man die 116

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Vgl. Bericht des katholischen Standortpfarrers über seine Tätigkeit und Erfahrungen aus Anlaß des Iller-Unglücks, 27.6.1957, AKMB, PA-MPfr 228. Die Homepage des Soldatenhilfswerks, das als Reaktion auf das Iller-Unglück im Oktober 1957 gegründet wurde, zeigt diverse Fotos rund um das Unglück. Zu sehen sind Bilder von der Bergung der Toten, aber auch von der Gedenkstätte an der Unglücksstelle oder der Gedenktafel der betroffenen Einheit. Vgl. Soldatenhilfswerk der Bundeswehr e. V., Über uns, (letzter Zugriff 6.9.2021). Eine Anfrage an das Soldatenhilfswerk der Bundeswehr, einen zentralen Akteur bei der jährlichen Gedenkfeier für die Toten, vom 31. Januar 2017 nach Informationen über die Ausgestaltung der Trauerfeier und das anschließende Gedenken blieb unbeantwortet. Im BArch ist zudem keine entsprechende Überlieferung des Luftlandejägerbataillons  19 vorhanden. Vgl. Schmückle, Ohne Pauken und Trompeten, S. 151; Schreiben FüH an das II. Korps Ulm/Donau, 1. LL.-Div. Esslingen, Betr.: Unglücksfall in Kempten, 5.6.1957, BArch, BH 1/2338; Kindlmann, Gedenkfeier wird erstmals von Altenstadt aus organisiert. In: Merkur, 31.5.2016. Vgl. Schreiben FüH an das II. Korps Ulm/Donau, 1. LL.-Div. Esslingen, Betr.: Unglücksfall in Kempten, 5.6.1957, BArch, BH 1/2338; Manuskript, 6.6.1957, BArch, BH 1/2338; Bericht des katholischen Standortpfarrers über seine Tätigkeit und Erfahrungen aus Anlaß des Iller-Unglücks, 27.6.1957, AKMB, PA-MPfr 228. Vgl. BMVg, ZDv 10/8 »Militärische Formen und Feiern der Bundeswehr«, Juni 1983, Kapitel 3: Trauerfeiern, Juni 1991, Ziff. 326, 347; Schmidt, Die Toten der Bundeswehr, S. 63; Stein, Symbole, S. 280.



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42  Stahlhelme nebeneinander auf zwei Katafalken, geschmückt mit Blumen und Kränzen.119 Die Gebräuche und die Riten, die religiösen und soldatischen Symbole und die zeremoniellen Elemente abendländisch militärischer Trauerkultur gründen sich auf Traditionen, die zum Teil bis in die griechisch-römische Antike zurückreichen. In dieser Zeit haben sich aufgrund der Besonderheit des Todes im Kampf spezifische Muster und Symbole tradiert sowie rituelle und zeremonielle Formen herausgebildet, die sich teilweise noch heute im militärischen Trauer- und Begräbniszeremoniell zahlreicher Staaten, so auch Deutschlands, wiederfinden.120 Ein eindrückliches Beispiel dafür ist der Helm des Soldaten, dem eine herausragende symbolische Kraft zugeschrieben wird. An dieser Stelle kann die militärgeschichtliche Bedeutung des Helms und seiner sich wandelnden Konnotationen nur summarisch und skizzenhaft dargestellt werden. Bereits der römische Dichter Vergil erwähnte im elften Gesang seines Heldenepos »Aeneis«, dass dem im Kampf getöteten Pallas zum Zeichen der militärischen Ehrerbietung dessen Helm, Waffen und Rüstung von Kameraden nachgetragen wurden. Diese tief in der Antike wurzelnde Helm-Tradition behielt ihre Gültigkeit über Jahrtausende. Auch später im Mittelalter und in der Neuzeit behielt der Helm seine hohe symbolische Bedeutung. Das Grab von Gahmuret, Ritter und Vater Parzivals, wurde mit einem Kreuz geschmückt, an dem sein Helm befestigt wurde. Eine andere übliche Variante war es, den Helm des Ritters auf dessen Grabplatte abzubilden. Fiel ein Ritter jedoch nicht im Kampf, sondern starb eines natürlichen Todes, war sein Helm ausdrücklich nicht Teil des Bestattungszeremoniells. Beim Begräbnis des preußischen Feldmarschalls Dubislav Gneomar von Natzmer 1739 z.B. wurde sein Helm auf dem Sarg mitgetragen. Der Helm wurde so zum Symbol militärischer Stärke, männlichen Kriegertums sowie zur Verkörperung des Helden/Soldaten.121 Nach der Einführung des Stahlhelms im Sommer 1915 avancierte dieser im Lauf des Ersten Weltkriegs zum Sinnbild des Kämpferischen. Er wurde zum Synonym schlechthin, zum Emblem und zur Metapher für das Frontsoldatentum, das sich durch Mut, Tapferkeit und Opferbereitschaft auszeichnete. Ebenso stand der Stahlhelm – mit ähnlich emotionaler Wirkmacht wie das Soldatenlied »Der gute Kamerad« – für das starke Band soldatischer Kameradschaft auch über den Tod hinaus sowie für das gemeinsam im Krieg Er- und Durchlebte. Aus diesem Grund 119

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Siehe Kap. V.2.a. Vgl. Trauerfeier für die Opfer des Flugzeugabsturzes auf Kreta, undatiert, BArch, BW 1/49802; Abschied von den 42 Soldaten. In: Landeszeitung 15.2.1975; Ihr Opfer für das Vaterland. In: Bundesmarine, S. 4; Bericht über Trauerfeierlichkeiten in Hohn, undatiert, Privatarchiv Julia Nordmann. Die Autorin dankt Walter Linkmann vom Evangelischen Kirchenamt für die Bundeswehr, dass er ihr diesen Bericht zugänglich gemacht hat. Allerdings wurden nicht auf jeder Trauerfeier die Särge der Verstorbenen mit einem Stahlhelm dekoriert. Auf der Trauerfeier für die im Januar 1959 mit dem »Vertol H 21« über dem Knüllgebirge abgestürzten Flieger in Fritzlar verzichtete man beispielsweise auf diese Geste. Vgl. Jägerblatt, 2/1959. Vgl. Deisenroth, Der Alte Friedhof zu Potsdam, S. 372; Deisenroth, Leichenbegräbnis, S. 81. Vgl. Stein, Symbole, S. 273 f.; Vergilius, Aeneis, Elfter Gesang, Strophe 5‑11, 91‑93; Eschenbach, Parzival, II, 3197; Annegarn, Allgemeine Weltgeschichte, Bd 4, S. 232. Auch bei der Beisetzung des bereits im Juli 1639 während des Dreißigjährigen Krieges getöteten Herzogs Bernhard von SachsenWeimar im September 1655 in seiner Heimat trägt man vor seinem Sarg u.a. seinen Helm. Vgl. Brückner, Roß und Reiter im Leichenzeremoniell, S. 203; Libero, Rache und Triumph, S. 121.

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diente er sowohl im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg häufig zur Kennzeichnung von Soldatengräbern, wobei seine Form zugleich die Nationalität des Toten verriet. Nach 1933 wurde der Stahlhelm vor allem zum Ausdruck des Stolzes auf die neue ›WehrMacht‹, zum Zeichen von Abwehr- und Angriffsbereitschaft, kurz: zum Symbol militärischer Entschlossenheit.122 Nach 1945 erfuhr das Bild des Stahlhelms zunächst einen dramatischen Be­deu­ tungswandel. Er wurde zur Mahnung, denn er versinnbildlichte nun in erster Linie den massenhaften und anonymen Soldatentod sowie die Gräuel des Krieges insgesamt. Erst in der Bundeswehr wurde der Stahlhelm wieder zum Symbol der Kamerad­ schaft, und mit den Kampfeinsätzen der Bundeswehr nach 1999 wird er auch im Zusammenhang mit militärischen Gedenkveranstaltungen und Soldatengräbern wieder zur Metapher für das soldatische Opfer, erbracht für die Nation.123 Durch das Bedecken des Sarges mit der Staatsfahne greift die Bundeswehr ebenfalls auf altes militärisches Brauchtum zurück; diese Praxis ist bereits vor Gründung des deutschen Nationalstaates nachweisbar. Insbesondere bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts allerdings wiesen andere Elemente auf die Stellung des Toten und seine Zugehörigkeit zu einem Herrschaftsbereich hin. Die Zurschaustellung herrscherlicher und militärischer Insignien wie Wappen, Orden, Ehrenabzeichen, Sporen oder Degen diente als Standes- und Rangausweis, aber auch, gemäß der Logik einer hierarchischen Gesellschaft, als letzte Demonstration des einstigen irdischen Platzes des Toten.124 Nach der Gründung von (National-)Staaten wurde die Einordnung des Toten in diesen staatlichen Zusammenhang zunehmend wichtig. Dem trug auch die Symbolik Rechnung. So wurde z.B. der Sarg des bereits erwähnten Feldmarschalls von Natzmer 1739 mit einer Platte bedeckt, welche die preußischen Insignien seines Kommandostabes trug.125 Dadurch wurde der Tod Natzmers auch zu einer Inszenierung des Bekenntnisses zu seinem Staat, zum Königreich Preußen. Die Reichswehr führte in der Regel keine entsprechenden Trauerfeiern für Soldaten der Mannschaftsdienstgrade in Friedenszeiten durch. Lediglich Generale, Admirale sowie Träger höchster Kriegsauszeichnungen wurden auch außerhalb von Kriegszeiten im Todesfall militärisch geehrt. Das änderte sich erst bei Aufstellung der Wehrmacht. Seitdem wurden alle im Dienst verstorbenen Soldaten und auch 122

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Die ersten Stahlhelme führten die französische und die britische Armee ein. Bereits Ende 1914 entwickelte Frankreich die Stahlkappe, die ab Juli 1915 im Ersten Weltkrieg an der Front zum Einsatz kam. Diesem Beispiel folgten die anderen Kriegsparteien mit jeweils eigenen Varianten der stählernen Kopfbedeckung. Ab November 1915 setzte die britische Armee den Stahlhelm flächendeckend an der Front ein. Im Januar 1916 wurden schließlich auch die deutschen Soldaten sukzessive mit Stahlhelmen ausgestattet. Vgl. Stahlhelme vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart, S. 31 f., 39‑41, 82, 84‑86; Janz, Totenhügel und Waldfriedhöfe. Vgl. Stahlhelme vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart, S. 88. Auf dem Ehrengrab von Sergej Motz, dem ersten Gefechtsgefallenen der Bundeswehr, präsentieren dessen Angehörige seinen Stahlhelm unter Plexiglas. Dieses Arrangement ist ein Beleg für den Zusammenhang zwischen dem soldatischen Opfer und dem Tod. Für ein Bild des Grabes vgl. Möllers, Auch Sergej Motz’ Grab mahnt zum Frieden. In: Schwäbische Zeitung, 6.11.2013. Vgl. Stein, Symbole, S. 274; Deisenroth, Leichenbegräbnis, S. 82. Vgl. Stein, Symbole, S. 274.



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Rekruten, die während einer Übung tödlich verunglückten, in Friedenszeiten militärisch geehrt.126 Unter bestimmten Umständen wich die Reichswehr allerdings von dieser Praxis ab, etwa als Reaktion auf die zwei schwersten Unglücke in der Geschichte der Weimarer Streitkräfte. Am 31. März 1925 ertranken 80 Rekruten während einer Übung in der Weser. Für sie fand auf Veranlassung des Reichswehrministeriums am 3. April 1925 eine Trauer­ feier auf dem Kasernenhof des Detmolder Ausbildungsbataillons statt. Anschließend wurden die bis dahin geborgenen Toten mit militärischen Ehren am Ehrenhain des städtischen Friedhofs in Detmold beigesetzt.127 Sieben Jahre später, am 26. Juli 1932, starben 69 Besatzungsmitglieder beim Untergang des Segelschulschiffes »Niobe« in der Ostsee vor Fehmarn. Am 23. August 1932 fand auf dem Kieler Garnisonsfriedhof (heute: Nordfriedhof ) eine Trauerfeier mit anschließender Bestattung statt. Die Särge der ertrunkenen Soldaten waren mit der Fahne der Reichsmarine bedeckt. Dadurch rückte der ausschließliche Bezug zum Weimarer Staat in den Hintergrund. Stattdessen betonte die Fahnenwahl in erster Linie die Verbindung zwischen den Toten und der Reichswehr. Auf diese Weise deutete sich die zumindest ambivalente Beziehung zwischen den Streitkräften und dem Weimarer Staat an.128 Ihre eigene Fahne präsentierte auch die 1935 gegründete Wehrmacht im Rahmen ihrer militärischen Toten- und Gedenkfeiern. Diese basierte in ihrem Grunddesign auf der Reichskriegsfahne des Kaiserreichs mit dem Eisernen Kreuz, zeigte aber anstelle des preußischen Adlers ein schwarzes Hakenkreuz und ist im Gegensatz zur weiß dominierten Kaiserfahne vorwiegend in Rot gehalten. Ende 1937 modifizierten die Nationalsozialisten ihre Reichskriegsfahne leicht. Auch in der Wehrmacht fand das Bedecken des Sarges mit der Reichskriegsfahne und dem Stahlhelm des Toten seine Fortsetzung.129 Auf diese Weise vereinnahmten die Nationalsozialisten bei militärischen Trauerzeremonien die toten Wehrmachtsoldaten durch ihre Fahne mit dem Hakenkreuz für ihre Partei und für die militärischen Ziele des Dritten Reiches, für das diese ihr Leben opferten. Die Bundeswehr bedeckt die Särge zu ehrender toter Soldaten – wie bei Staats­ begräbnissen üblich – mit der Bundesdienstfahne, die das Adlerwappen in der Mitte trägt.130 Das Schwarz-Rot-Gold verweist dabei nicht nur auf die Bundes­republik und 126 127 128

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Vgl. ebd., S. 277. Vgl. Ruppert, Das Infanterie-/Grenadier-Regiment Nr. 18, S. 6; Mundt, Das 18. Infanterie-Re­gi­ ment von 1921 bis 1932, S. 104. Vgl. Melms, »Niobe«, S. 5‑8, 48‑54; Peter, Der Untergang der Niobe, S. 59. Reichswehrminister Hans von Seeckt setzte Schwarz-Weiß-Rot, die Farben der Monarchie, als Reichskriegsflagge durch. Die öffentliche Vertretung eines Staates durch zweierlei Symbole ist ein Unikum. Vgl. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd 4, S. 418 f. Vgl. Stein, Symbole, S. 166. Die Modifikation der Reichskriegsfahne durch die Nationalsozialisten betraf einige Details, vgl. Hormann/Plaschke, Deutsche Flaggen, S.  145; Deisenroth, Der Alte Fried­hof zu Potsdam, S. 408. Im Folgenden wird der Ablauf einer militärischen Trauerfeier beschrieben, wie er – von einigen Variationen abgesehen – im Rahmen der Bundeswehr üblich war und ist. Vgl. dazu Beispiele wie: Kommando der U-Boote an Kommando der Flotte, Betr.: Trauerfeier U-Hai, 19.9.1966, BArch, BM  22/53; BArch, BW  1/49802 (undatiert); BMVg, Protokollstab, Betr.: Ablauf der Trauerfeierlichkeiten im Standort Lebach am 23.1.1969, undatiert, BArch, BW 1/181665; BMVg,

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den Soldaten als deren Staatsbürger in Uniform, sondern auch auf die frühdemokratischen Freiheitsbewegungen des 19. Jahrhunderts und die bürgerliche Revolution von 1848. Denn in Berlin und Frankfurt schwangen bereits die Revolutionäre von 1848 schwarz-rot-goldene Fahnen und bedeckten damit die Särge ihrer Gefallenen. So brachten sie eindrücklich zum Ausdruck, dass diese Toten ihr Leben für die demokratische Freiheitsbewegung ließen. Auch Theodor Blank wies in seiner Ansprache vom 16. Januar 1956 anlässlich der Aufstellung der Marinelehrkompanie in Wilhelmshaven auf die große identitätsstiftende Kraft der Nationalfarben hin: »Ihre Verpflichtung [gemeint sind: die Soldaten] vollzieht sich unter dem Symbol unseres Staates, der Bundesdienstflagge schwarz-rot-gold. Unter diesem Zeichen werden Sie Ihre Dienstpflicht redlich, treu und gewissenhaft erfüllen.«131 Auf diese Weise ordnet die Fahne mit ihren Farben und Symbolen bei militärischen Trauerzeremonien den Tod eines Soldaten zunächst politisch ein und schreibt ihm einen ersten Sinn zu. Dann folgen im Rahmen der militärischen Gedenkfeier in der Regel ein Trauermarsch und die Ansprachen geistlicher, militärischer und gelegentlich auch staatlicher Repräsentanten. Die militärischen Vertreter sind dabei üblicherweise die Disziplinarvorgesetzten des Stammtruppenteils, dem der Tote angehörte. Mit dem Soldatenlied »Der gute Kamerad« findet der erste Teil der militärischen Trauerfeier üblicherweise sein Ende.132 Die neuen Traditionsrichtlinien von 2018 halten die hohe emotionale Bedeutung des Liedes als letzten »Abschiedsgruß« fest und erklären es zum »Herzstück jeder militärischen Trauerfeier«133. Die Rezeptionsgeschichte des Liedes vom guten Kameraden ist zwiespältig. 1809 von Ludwig Uhland anlässlich der Tiroler Freiheitskämpfe geschrieben, wurde es als Gedicht 1811 veröffentlicht. Nach seiner Vertonung durch den Komponisten Friedrich Silcher 1827 wurde es rasch ins Repertoire bürgerlich-liberaler Gesangsund Turnvereine sowie demokratisch gesonnener Handwerksburschen des deutschen Vormärz aufgenommen. Das Volkslied, welches das Ideal der Kameradschaft preist, entstand also in einem freiheitlichen Kontext und war ursprünglich Ausdruck einer bürgerlich-demokratischen Grundhaltung. Nach der Reichsgründung von 1871 änderte sich dies dramatisch. Zunehmend wurde »Der gute Kamerad« von nationalistischen und militaristischen Ideologen und Organisationen vereinnahmt und bei militärischen Trauer- und Gedenkfeiern auch zur Verherrlichung des Heldentodes instrumentalisiert.134 Mit dem Ersten Weltkrieg etablierte sich das Soldatenlied endgültig als fester Bestandteil militärischer Trauerfeiern. Doch vor allem in der Zeit des National­ sozialismus musste das Lied bevorzugt der Glorifizierung des Heldentods und einer als Kameradschaft getarnten militaristischen Gemeinschaftsideologie dienen. Einen 131 132 133 134

ZDv 10/8 »Militärische Formen und Feiern der Bundeswehr«, Juni 1983, Kapitel 3: Trauerfeiern, Juni 1991, Ziff. 326, 401. Zit. bei: Krohne, Neubeginn unserer Marine, S. 229. Vgl. Hettling, Totenkult statt Revolution, S. 17‑51; Hachtmann, Berlin 1848, S. 214‑222. Vgl. BMVg, ZDv 10/8 »Militärische Formen und Feiern der Bundeswehr«, Juni 1983, Kapitel 3: Trauerfeiern, Juni 1991, Ziff. 348, 349. Erlass »Die Tradition der Bundeswehr«, 28.3.2018. Abgedr. in: Tradition in der Bundeswehr, S. 282‑295, hier Ziff. 4.6, S.‑291. Vgl. Zimmermann, Der gute Kamerad, S. 249; Schmidt, Die Toten der Bundeswehr, S. 63.



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nicht unerheblichen Anteil daran hatte die Militärseelsorge, denn sie pervertierte den Gedanken menschlicher und sittlicher Kameradschaft, indem sie diese apodiktisch als Treue über den Tod hinaus und als Kraftquelle propagierte, die im Krieg zu heroischer Selbstvergessenheit befähigte.135 Die Bundeswehr will sich mit ihrer Übernahme des Liedes dessen ursprünglicher Traditionslinie nähern und den Gedanken einer menschlichen Kameradschaft, wie er auch im Soldatengesetz als zentrales Bindeglied der Streitkräfte gefordert wird, in den Vordergrund stellen. Dabei folgt sie der freiheitlichen Tradition des Liedes, die von Uhland intendiert und vom Mündigkeitsbegriff der Aufklärung und dem kritischen Pragmatismus Immanuel Kants geprägt ist. Dieser Linie fühlte sich auch Baudissin mit seiner Idee der Inneren Führung und dem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform verpflichtet.136 Nachdem »Der gute Kamerad« verklungen ist,137 beginnt die eigentliche Beiset­ zung. Der Sarg wird nun von den Soldaten der Totenwache unter Trommelwirbeln zum Leichenwagen getragen und zum Friedhof überführt, wo die Beerdigung stattfindet. Die militärische Trauergemeinde und die Angehörigen folgen dem Sarg in einem Ehrenzug. Doch im Unterschied zur Trauerfeier ist die unmittelbare Beisetzung eines toten Bundeswehrsoldaten stets privat organisiert. Die Bundeswehr nimmt nur in Form des Ehrengeleits teil. Dabei wird bei Bundeswehrsoldaten, die während ihrer aktiven Dienstzeit ums Leben kommen, zwischen dem kleinen und dem großen Ehrengeleit unterschieden.138 Das kleine Ehrengeleit steht jedem Soldaten zu, das große ist ausschließlich kommandierenden Generalen vorbehalten. Der Unterschied liegt dabei weniger in der Form als im protokollarischen Aufwand. Das kleine Ehrengeleit besteht aus einer Abord­nung, die sich aus einem Offizier (möglichst der Disziplinarvorgesetzte des Toten), einem Unteroffizier, einem Mannschaftsdienstgrad und zwei Soldaten als Kranz­träger zusammensetzt. Zusätzlich zu dieser Abordnung umfasst das kleine Ehren­geleit sechs Soldaten als Totenwache am Sarg (möglichst mit demselben Dienst­grad wie der Tote), einen Trommler, einen Trompeter und eventuell einen Soldaten als Ordenskissenträger. Die Abordnung des großen Ehrengeleits wird durch 135 136 137

138

Vgl. Schramm, Musik und Truppenzeremoniell in Deutschland, S. 17; Zimmermann, Der gute Kamerad, S. 256; Schmidt, Die Toten der Bundeswehr, S. 63. Vgl. Hettling, Historische Traditionen des Gefallenengedenkens, S. 31; Soldatengesetz (30.5.2005), § 12: Kameradschaft; Schmidt, Die Toten der Bundeswehr, S. 64. Einige Trauerfeiern, etwa für die Opfer des Transallabsturzes im Februar 1975, wurden auch während des Kalten Krieges durch die Nationalhymne abgeschlossen. Dies war jedoch nicht obligatorisch. Vgl. Trauerfeier für die Opfer des Flugzeugabsturzes auf Kreta, undatiert, BArch, BW 1/49802; BMVg, ZDv 10/8 »Militärische Formen und Feiern der Bundeswehr«, Juni 1983, Kapitel 3: Trauerfeiern, Juni 1991, Ziff. 349. Erst auf den Trauerfeiern für die Gefallenen der internationalen Auslandseinsätze wurde die Nationalhymne zu einem obligatorischen Element. Siehe Kap. VI.2.c. Vgl. BMVg, ZDv 10/8 »Militärische Formen und Feiern der Bundeswehr«, Juni 1983, Kapitel 3: Trauerfeiern, Juni 1991, Ziff. 317, 320, 321, 348, 349; Pfarrchronik »St.  Georg« Sonthofen, Angelegt am 19. Juli 1956 von Milit. Pfr. A. Krautwurst, beendet am 30. Juni 1968 von Milit. Ob. Pfr. P. Joh. Uhr SAC, Eintrag vom 28. März 1957, S. 6, 17 f., AKMB, IV, E.2.1 Nr. 268. Diese Seiten beziehen sich jeweils auf die Trauerfeiern für den Stabsfeldwebel Josef Haas, die am 28. März 1957 auf dem Fliegerhorst in Memmingen stattgefunden hat, und für die Toten des Iller-Unglücks am 6. Juni 1957 auf dem Hof der Prinz-Franz-Kaserne in Kempten.

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die Teilnahme eines Generals erheblich protokollarisch aufgewertet. Des Weiteren nehmen ein Unteroffizier als Träger der Truppenfahne und zwei Begleitoffiziere teil. Ferner sind ein Ehrenzug mit Offizier, der zugleich Führer des großen militärischen Ehrengeleits ist, drei Unteroffiziere und 27  Mannschaften Teil des großen Ehrengeleits, außerdem ein Musikkorps, die sechs Totenwachen sowie mehrere Kranz- und Ordenskissenträger.139 Vorbilder für das Ehrengeleit lassen sich bereits in der griechisch-römischen Antike nachweisen. Vergil z.B. beschrieb im elften Gesang der »Aeneis« ausführlich ein militärisches Toten- und Ehrengeleit: »Die Lanze des Pallas und seinen Schild tragen andere, denn alles übrige hat ja Turnus, der ihn besiegte. Dann folgte das Trauergeleit, Trojaner, Etrusker, alle zusammen und Arkader mit gesenkten Speeren.«140 Neben dem Streitross des Pallas, das im Trauerzug mitgeführt wurde, hielten die Kameraden ihre Waffen verkehrt herum, die Spitzen zu Boden gerichtet.141 Der Trauerbrauch der zu Boden gesenkten Waffen oder Schilde setzte sich über die Zeiten fort. Zusammen mit dem langsamen Schritt zeigte die verkehrte Tragweise der Waffen die Trauerhaltung der Truppe an, kann aber auch als Verlust der militärischen Macht des Toten gedeutet werden. Anfang des 13. Jahrhunderts beschrieb Wolfgang von Eschenbach die Tradition der zur Erde gekehrten Schilde in seinem Versroman »Parzival«: »Nun wollen Fürsten, die ihm waren / Genossen, keine Klage sparen. / Sie haben ihres Schildes Breite, / Als zum Trauergeleite, / Zu der Erden gekehrt, / Wie sie großer Kummer lehrt.«142 Auch im Reglement der Königlich Preußischen Armee von 1734 fand sich der Brauch der zum Zeichen der Trauer gesenkten Waffen eindrücklich beschrieben, dazu traten die gedämpften Trommeln: »sobald die Leiche heraus kommt, wird das Gewehr praesentiret; hernach, wann die Leiche auf dem Trauer-Wagen, oder sonst ausser dem Hause nieder gesetzet ist, so lässet der commandirende Officier das Gewehr verkehrt unter dem lincken Arm nehmen, und marchiret ab, wie gebräuchlich; Wobey die Hautbois und Pfeiffers den Todten-Marche blasen, und die Tambours mit gedämpfften Trommeln den Todten-Marche schlagen.«143

Zudem differenzierte das Reglement von 1734 das Trauerzeremoniell streng nach den Rangunterschieden der Toten. Einem General der Infanterie standen demnach zwei Bataillone und neun Kanonen zu, ein Obrist dagegen wurde mit der Präsenz von 400 Mann geehrt, und einen toten Musketier begleiteten nur 20 Mann. Doch ob General, Obrist oder Musketier – jeder von ihnen wurde mit einer dreifachen Salve gewürdigt.144 Auch der sächsische Militärschriftsteller Hannß Friedrich von Fleming beschrieb 1726 die Differenzierung des Trauerrituals entsprechend dem Dienstgrad des Toten.145 139 140 141 142 143 144 145

Vgl. BMVg, ZDv 10/8 »Militärische Formen und Feiern der Bundeswehr«, Juni 1983, Kapitel 3: Trauerfeiern, Juni 1991, Ziff. 320, 321. Vergilius, Aeneis, Elfter Gesang, Strophe 91‑93. Vgl. ebd., Strophe 93. Eschenbach, Parzival, II 2721‑2725. Vgl. Deisenroth, Leichenbegräbnis, S. 82, 84. Reglement vor die Königl. Preußische Infanterie, XIV Titul., XIV. Artic., S. 392. Vgl. ebd., XIV Titul., XV. Artic; Stein, Symbole, S. 274. Fleming, Der Vollkommene Teutsche Soldat, S. 76.



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Die verkehrte Tragweise der Gewehre kam zwar Anfang des 19.  Jahrhunderts aus der Mode, andere Elemente aber wie das bei Vergil beschriebene Mitführen des Helms oder das Trauergeleit behielt man in der ein oder anderen Form bei. Selbst in den Zeiten des Zweiten Weltkrieges, in denen aufgrund der gewaltigen Verluste oft jegliches Totenzeremoniell unterblieb und die toten Soldaten der unteren Dienstgrade häufig einfach dort, wo sie gerade gefallen waren, in rasch ausgehobenen Einzel- oder Massengräbern verscharrt wurden146, versuchte die Wehrmacht dennoch, einzelne Bestandteile des Trauerzeremoniells wie die Ehrenwache, das Einhüllen des Sarges in die Reichskriegsfahne oder die Platzierung des Stahlhelms auf dem Sarg beizubehalten, wenn es die Umstände des Krieges zuließen. Bei hochrangigen toten Militärs vollzog man, wenn es möglich war, auch das vollständige Trauerzeremoniell. So z.B. im Fall des Generals der Infanterie und Oberbefehlshabers der 16.  Armee Paul Laux, der am 2.  September 1944 im lettischen Riga seinen Verwundungen erlag.147 Der General wurde in der Waldkirche in Oger an der Düna (Lettland) aufgebahrt. Sechs Offiziere, die wie der Verstorbene das Ritterkreuz trugen, verrichteten die Totenwache. Der Sarg war mit der Reichskriegsfahne umhüllt und mit dem Stahlhelm des Toten und einem Ordenskissen geschmückt.148 Nach der Aussegnung durch den Armeepfarrer wurde der Sarg von sechs Unter­ offizieren aus der Kirche getragen, auf eine Geschützlafette gestellt und auf dieser zum Soldatenfriedhof von Oger überführt. Sechs Rappen zogen das Gefährt mit dem aufgebahrten Sarg. Der Zug passierte ein Spalier von Soldaten, die ihre Waffen zum Zeichen der Trauer senkten. Nach den Trauerreden von Vorgesetzten und Kameraden erfolgte die eigentliche Beisetzung des Generals. Das Lied vom guten Kameraden begleitete das Absenken des Sarges ins Grab. Die Trauerfeier endete mit dem gemeinsamen Singen der Nationalhymne und einer dreifachen Salve des Ehren­ zuges (Ehrengeleits).149 In ihrer Grundstruktur und im Gebrauch der Symbolik ähnlich verliefen auch die militärischen Trauerfeiern und Beisetzungen der Bundeswehr in den Zeiten des Kalten Krieges. Hier wie dort wurde der Sarg des toten Soldaten jeweils mit dem Stahlhelm und der Reichskriegsfahne bzw. im Fall der Bundeswehr mit der 146

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»Ehrenpflicht« der Wehrmacht und Ideal im Sinne des nationalsozialistischen Toten- und Heldenkultes war es, die Gefallenen in Einzelgräbern auf extra dafür angelegten Gräberanlagen zu bestatten. Massengräber sollten unbedingt vermieden werden. Die Aufgabe der Bergung und Bestattung der Kriegstoten oblag den Gräberoffizieren (später: Stabsoffiziere für das Wehr­machts­ verlustwesen). Diese waren der Wehrmachtsauskunftsstelle für Kriegsverluste und Kriegsgefangene unterstellt und wurden von jeder Einheit berufen. Ihre Aufgabe bestand in der Einhaltung der »Richtlinien für die Beisetzung der gefallenen Wehrmachtsangehörigen durch die Truppe« (BArch, RW 6/522). Die Wirklichkeit des Krieges mit über 10 000 toten Soldaten pro Tag durchkreuzte den Anspruch einer individuellen Totenfürsorge. Es konnten nicht mehr alle Gefallenen geborgen, identifiziert und bestattet werden. Zunehmend wurden die Begräbnisse – sofern sie denn möglich waren – provisorischer und fanden ohne Zeremoniell statt. Die Gräber markierte man notdürftig mit eilig gezimmerten Holzkreuzen. Vgl. Janz, Totenhügel und Waldfriedhöfe. Vgl. Stein, Symbole, S.  279; Jeggle, In stolzer Trauer, S.  257; Bradley [u.a.], Die Generale des Heeres 1921‑1945, Bd 7, S. 408. Vgl. Stein, Symbole, S. 277 f. Vgl. ebd., S. 279.

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Bundesdienstfahne geschmückt. Ebenso bestand in der Bundeswehr die Totenwache aus sechs Soldaten des gleichen Dienstgrades wie der Tote. Die Soldaten der Totenwache trugen im Anschluss an die Trauerfeier den Sarg, vor dem die Träger von Ordenskissen und Kränzen marschierten, zum Grab.150 Auf diese Weise behält die Bundeswehr das Ehrengeleit bei, zu dem neben der Totenwache und den Trägern der Ordenskissen und Kränze noch ein Offizier, ein Unteroffizier, ein Mannschaftsdienstgrad, ein Musikkorps bzw. ein Trommler oder ein Trompeter zählen.151 Dabei treten die Männer des Ehrengeleits im »Großen Dienstanzug«152 und mit geschultertem Gewehr auf. Während sich der Zug in Gang setzt, wird ein Trauerchoral intoniert, alternativ kann auch der Trommler verhaltene Wirbel schlagen. Während der Musik wird die Truppenfahne zum Zeichen der Trauer gesenkt. Die Musik endet, wenn der Sarg seinen Platz im Trauerzug erreicht. Auch die Truppenfahne wird nun wieder »aufgenommen«.153 Mit »Marschtempo 72«154 bringt das Ehrengeleit den Sarg zum Grab, wo bereits das Musikkorps, der Trompeter oder Trommler Aufstellung bezogen haben. Dort präsentieren die Ehrenbegleiter noch einmal ihre Waffen. Mit dem Lied vom guten Kameraden, bei dessen Intonation die Truppenfahne erneut gesenkt wird, endet das militärische Trauerzeremoniell. Auf die dreifache Salve dagegen wird, wie bereits im Zusammenhang mit dem Iller-Unglück erwähnt, verzichtet. Das Ehrengeleit marschiert nun mit »Tempo 114« ab.155 Der Vergleich des militärischen Trauerzeremoniells von Wehrmacht und Bundes­ wehr bis 1990 zeigt deutlich, dass sich beide Armeen jenseits ihrer politischen und strategischen Unterschiede im Wesentlichen auf ein und dieselbe militärische Überlieferung bezogen: das Reglement der Königlich Preußischen Armee von 1734. Das preußische Reglement wiederum übernahm viele Bräuche und Rituale aus der Antike. So steht auch die Bundeswehr via preußisches Heer und Wehrmacht mehr oder weniger direkt in der griechisch-römischen Tradition militärischer Trauerriten.

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Vgl. BMVg, ZDv 10/8 »Militärische Formen und Feiern der Bundeswehr«, Juni 1983, Kapitel 3: Trauerfeiern, Juni 1991, Ziff. 340. Vgl. ebd, Ziff. 320, 321. Das große Ehrengeleit setzt sich zusammen aus dem Führer der Ab­ ord­nung – das kann der Stellvertreter des Generalinspekteurs oder des Inspekteurs der jeweiligen Teilstreitkraft sein –, jeweils einem Offizier, einem Unteroffizier, einem Mannschaftsdienstgrad, ggf. einer Fahnenabordnung, einem Ehrenzug, einem Musikkorps, der Totenwache, dem Kranzund dem Ordenskissenträger. Vgl. ebd., Ziff. 321. Einen »großen Dienstanzug« besitzen lediglich Soldaten von Heer und Luftwaffe. Es handelt sich um eine Abwandlung der Grundform des Dienstanzuges, die nur zu besonderen Anlässen getragen wird. Vgl. BMVg, ZDv 37/10 »Anzugordnung für die Soldaten der Bundeswehr«, Juli 1996 (Neudruck Oktober 2008), Kapitel IV, d, Ziff. 241. Vgl. BMVg, ZDv 10/8 »Militärische Formen und Feiern der Bundeswehr«, Juni 1983, Kapitel 3: Trauerfeiern, Juni 1991, Ziff. 341. Das Auftreten des linken Beins pro Minute bildet die Messeinheit für das Marschtempo. Vgl. BMVg, ZDv 10/8 »Militärische Formen und Feiern der Bundeswehr«, Juni 1983, Kapitel 3: Trauerfeiern, Juni 1991, Ziff. 342, 343, 344; IV C Inland, Betr.: Beitrag zur Weisung »Beerdigung von aktiven Soldaten der Bundeswehr und von ehemaligen Soldaten«, 15.  Juli 1957, BArch, BW 2/20286.



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c) Nach 1990: Wandel des Totenkults Das Trauerzeremoniell für die Toten und Gefallenen der Auslandseinsätze der Bundeswehr erfuhr zunächst weder in seinem formalen Ablauf noch in der Verwendung der rituellen und symbolischen Mittel grundsätzliche Änderungen. Doch dass der rudimentäre Totenkult der Bundeswehr durch potenzielle Todes­opfer der Auslandseinsätze an seine Grenzen stoßen musste, erkannte auch die Bundes­ wehr­führung früh. Von Anfang an und bereits vor dem ersten Todesfall eines Bundes­ wehr­soldaten im Ausland befassten sich der FüS und der Protokollstab im BMVg – beide sind für die Regelung und Organisation von militärischen Trauerfeiern zuständig – mit der Konzeption von Trauerzeremonien, die der veränderten Einsatzlage der Bundeswehr Rechnung trug. Als Beginn dieser Entwicklung lässt sich vermutlich der Frühsommer 1992 identifizieren, als der Auslandseinsatz der Bundeswehr in Kambodscha seinen Anfang nahm.156 Allerdings war es ein langer Weg, bis die Bundeswehr die Durchführung militärischer Trauerfeiern für ihre Gefallenen standardisiert und an die Erfordernisse einer Armee im Einsatz angepasst hatte. Am 31. Oktober 2016 setzte das BMVg die ZDv 10/8 außer Kraft und ersetzte sie durch die Zentralrichtlinie A-2/2630/0‑0-3: »Militärische Formen und Feiern der Bundeswehr«. Am 28.  März 2017 trat zudem die ergänzende Zentralrichtlinie B-2642/22 in Kraft: »Trauerzeremonien für gefallene Soldatinnen und Soldaten«. Diese regelt die Besonderheiten einer zentralen Trauerfeier für einen Bundeswehrsoldaten, der durch Fremdeinwirkung getötet wird.157 Bereits im Sommer 1992 erarbeitete der FüS einen Maßnahmenkatalog, der auf Grundlage der ZDv  10/8 und 10/13 die erforderlichen Schritte im Todesfall eines Bundeswehrsoldaten während eines Auslandseinsatzes festlegte. So regelte der Katalog die Überführung des toten Soldaten nach Deutschland und ordnete die Durchführung eines Gedenkappells im Einsatzland sowie einer Trauerzeremonie im Heimatland an. Eine Neuformulierung bestehender Vorschriften aber wurde nicht für nötig befunden. Die Begründung: »Die Erlasslage sollte die Basis aller Maßnahmen sein; sie ist geübte Praxis und gibt Verhaltenssicherheit.«158 Aus diesem Grund wurden die Maßnahmen der ZDv 10/8 nun analog vom Inland einfach auf das Einsatzland und auf potenzielle Todesfälle durch Fremdeinwirkung im Ausland übertragen: »Die ZDv 10/8, Kap 3 ›Trauerfeiern‹ regelt die Formen der militärischen Ehrungen bei Trauerfeiern für in und außer Dienst verstorbene oder tödlich verunglückte Soldaten;

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Vgl. FüS I 4, Betr.: Todesfälle von Soldaten der Bundeswehr im Rahmen von UN-/humanitären Einsätzen, hier: Maßnahmenkatalog, 26.8.1992, BArch, BW 2/36695. Vgl. Fachgespräch im BMVg mit Oberstleutnant Ralf Kimmerle, FüSK III 2 – Referat Betreuung und Fürsorge, Stabshauptmann Michael Rothmeier, Büro für Angelegenheiten für Hinterbliebene, und Oberstleutnant Gerhard Schlaffer, Abteilung Personal/Zentrale Angelegenheiten – Ehrenmal, am 27.5.2020; E-Mail von Oberstleutnant Ralf Kimmerle an die Autorin am 29.5.2020. FüS I 4, Betr.: Todesfälle von Soldaten der Bundeswehr im Rahmen von UN-/humanitären Ein­ sätzen, hier: Maßnahmenkatalog, 26.8.1992, BArch, BW 2/36695.

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dies schließt auch die Soldaten ein, die im Rahmen von UN-/humanitären Einsätzen durch Kampfmittel/Kampfeinwirkung ums Leben kommen.«159

Die bloße Übertragung der in der Bundeswehr bis 1990 für Unfalltote üblichen Symbole, religiösen Riten, kultischen Handlungen und militärischen Traditionen auf potenziell bei Auslandseinsätzen getötete bzw. gefallene Soldaten war ein deutliches Indiz dafür, dass die Führungsebene der Bundeswehr den Tod des Soldaten auch weiterhin eher als Nebenfolge des soldatischen Auftrags verstand. Dennoch: Durch den erwartbaren Tod während des Auslandseinsatzes ergab sich die Notwendigkeit, das Trauerritual zumindest um eine Abschiedszeremonie im Einsatzland zu erweitern. Da die ZDv 10/8 aufgrund ihrer Ausrichtung auf die Sachlage während des Kalten Krieges keine Vorgaben für eine Trauerzeremonie im Ausland festlegte, bedurfte die Dienstvorschrift einer Ergänzung. Bis zum 26. August 1992 erarbeitete der FüS deshalb auf Grundlage der ZDv 10/8 die Vorlage »Checkliste anlässlich der Rückführung von im Rahmen von UN-/humanitären Einsätzen verstorbenen Soldaten der Bundeswehr«.160 Der Katalog ordnet im Einsatzland folgende Rituale der Trauer an, die im Wesentlichen bis heute Bestand haben: Am Tag, an dem ein Bundeswehrsoldat beim Auslandseinsatz ums Leben kommt bzw. fällt, sollen die deutschen Fahnen des Stütz­ punktes oder Feldlagers, wo er stationiert war, auf Halbmast gesetzt werden. Des Weiteren soll am Tag der Überführung des Toten in die Heimat noch im Einsatzland ein Gedenk­appell stattfinden. Dann soll der mit der Bundesdienstfahne bedeckte Sarg zum Flughafen transportiert werden. Zeichen der besonderen Würdigung und Betrauerung des Toten sind dabei: ein Ehrenspalier, ein Begleitkommando und ein Ehren­zug. Die Soldaten des Ehrenspaliers salutieren dabei dem vorbeifahrenden Sarg.161 Sowohl das Ehrenspalier wie auch den Ehrenzug sah die ZDv  10/8 ursprünglich nicht vor. Bei diesen Ergänzungen griff man wiederum auf militärische Trauer­ traditionen zurück, die auch in der Wehrmacht obligatorisch waren.162 Neben den neuen Trauerelementen – dem Gedenkappell und den Ehrungen im Ausland – erfuhren darüber hinaus auch die Trauerfeiern in der Heimat Modifikationen. Diese führten z.B. zum Wechsel der Zuständigkeit für die Planung der Trauerfeiern, und auch der Ort, an dem diese Zeremonien stattfinden, änderte sich: Die internen Feierlichkeiten auf Kasernenhöfen oder Flugplätzen rückten sukzessive in den öffentlichen Raum. Und anders als im Fall von Bundeswehrsoldaten, die bei Unfällen im Inland getötet 159 160 161

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Ebd. Vgl. Anlage 4 zu FüS I 4 vom 26.8.1992, Checkliste anlässlich der Rückführung von im Rahmen von UN-/humanitären Einsätzen verstorbenen Soldaten der Bundeswehr, BArch, BW 2/36695. Vgl. ebd. Nach dem ersten Todesfall im Rahmen eines UN-Auslandseinsatzes bereitete man diese Maßnahmen in tabellarischer Form und unter Angabe der jeweils zuständigen Stellen auf. An der Ausgestaltung des Trauerzeremoniells im Einsatzland hat sich nicht wesentlich etwas geändert. Vgl. FüS I 4, Checkliste anläßlich der im Rahmen von UN-/humanitären Einsätzen erforderlichen Maßnahmen bei Todesfällen von Soldaten der Bundeswehr, 15.4.1994, BArch, BW 2/36695. Vgl. BMVg, ZDv 10/8 »Militärische Formen und Feiern der Bundeswehr«, Juni 1983, Kapitel 3: Trauerfeiern, Juni 1991. Im Zusammenhang mit Trauer sieht die ZDv  10/8 den Ehrenzug lediglich bei Gedenkveranstaltungen und Kranzniederlegungen etwa im Zusammenhang mit dem Volkstrauertag vor. Vgl. ebd., VII, Ziff. 359; Stein, Symbole, S. 278 f.



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werden, obliegt die Organisation der Trauerfeiern für die Auslandstoten nun auch nicht mehr der ursprünglich zuständigen militärischen Dienststelle. Verantwortlich für die Ausgestaltung und Organisation dieser Trauerzeremonien ist jetzt grundsätzlich der Protokollstab des BMVg. Die Behandlung des Todesfalles wird damit von der rein militärischen Ebene auf eine politische verlagert und gewissermaßen zur »Chefsache« des Verteidigungsministers erklärt. Zwar wurden auch während des Kalten Kriegs vom BMVg Trauerfeiern organisiert, doch blieb diese Praxis auf wenige Ausnahmefälle beschränkt.163 Bevor die Trauerfeiern gewissermaßen öffentlich wurden, fanden sie ausschließlich auf abgesondertem militärischem Terrain statt. Denn nach Ankunft der Särge aus den Einsatzgebieten fanden die Zeremonien zeitnah auf dem militärischen Teil des Flughafens Köln-Wahn statt. Eine Ausnahme bildete die Trauerfeier für Feldwebel Arndt, die auf dem Gelände des Fliegerhorstes Wunstorf abgehalten wurde.164 Bei all diesen »internen« Zeremonien geriet der rein technische Akt des Entladens des Sarges aus dem Flugzeug zu einem Teil der eigentlichen Trauerfeier. Diese Praxis resultierte wohl aus einer zweifachen Unsicherheit. Denn mangels expliziter Regelungen ergab sich zum einen eine Art protokollarischer Grauzone. Zwar kehrten auch während des Kalten Krieges vereinzelt tote Bundeswehrsoldaten aus dem Ausland heim, etwa nach dem Absturz der deutschen Noratlas 1959 über dem türkischen Kizikdere. Doch die Trauerfeiern für diese Auslandstoten gestaltete man nach den Vorgaben der alten, unmodifizierten ZDv 10/8, die ausschließlich das Prozedere bei Unfalltoten regelte – eine Praxis, die dann mit den Toten und Gefallenen der Auslandseinsätze nach 1990 an ihre Grenzen stieß. Der andere Grund für die interne Ausrichtung der Trauerfeiern lag wohl vor allem in der bereits erwähnten casualty shyness, denn Unfalltote sind weder gut für die allgemeine Akzeptanz der Auslandseinsätze noch für das Ansehen der Bundeswehr. Je weniger Öffentlichkeit also, desto besser. Im Lauf der 1990er-Jahre band man eine zunehmend größere Öffentlichkeit in die Trauerfeiern für die Auslandstoten der Bundeswehr ein.165 Und durch die nun163

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Vgl. BMVg, ZDv 10/8 »Militärische Formen und Feiern der Bundeswehr«, Juni 1983, Kapitel 3: Trauerfeiern, Juni 1991, Ziff. 355; Fachgespräch im BMVg mit Oberstleutnant Ralf Kimmerle, FüSK  III  2 – Referat Betreuung und Fürsorge, Stabshauptmann Michael Rothmeier, Büro für Angelegenheiten für Hinterbliebene, und Oberstleutnant Gerhard Schlaffer, Abteilung Personal/ Zentrale Ange­legenheiten – Ehrenmal, am 27.5.2020. Während des Kalten Krieges beteiligte sich das BMVg an der Organisation verschiedener Trauerfeiern, etwa für die Opfer des Iller-Unglücks, für die Toten des Schießunglücks von Bergen-Hohne sowie für die Opfer des Transallabsturzes über Kreta. Siehe Kap.  VI.2.b. Vgl. Interne Mitteilung des Pressereferats des BMVtdg »nur für Presse­offiziere«, KpfTrS Roem 2 legt für die Trauerfeier am 13.4.64 nachstehenden Zeitplan vor, BArch, BW 1/21691; Trauerfeier für die Opfer des Flugzeugabsturzes auf Kreta, undatiert, BArch, BW 1/49802. Vgl. beispielsweise Presse-/Informationszentrum der Luftwaffe, Mitteilungen an die Presse Nr. 07/2007, Trauerfeier für durch den Anschlag in Afghanistan getötete Soldaten, Köln 22.5.2007; Dietrich, Den Sinn im Leben suchen. In: FAZ, 23.11.1993. Unmittelbar nach dem Tod von Arndt in Phnom Penh im Oktober 1993 erkannte Generalinspekteur Naumann die Notwendigkeit und die Verantwortung von Bundeswehr und Politik, den Feldwebel, der im Rahmen eines politischen Auftrages getötet wurde, öffentlich zu würdigen. Er riet Minister Rühe daher zu einer öffentlich sichtbaren und würdigen Trauerfeier. Vgl. Naumann, Der Wandel des Einsatzes, S. 485.

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mehr generelle Zuständigkeit des Ministeriums166 sollte der im Ausland getötete Bundeswehrsoldat zum einen wohl ohne missverständliche Untertöne und ohne unerwünschte historische Reminiszenzen »politisch korrekt« geehrt und betrauert werden. Zum anderen sollte diese Trauerehrung durch protokollarisch exakt festgelegte Zeremonien und Rituale sowie durch ihre Verlagerung an einen öffentlichen Ort klare Zeichen der hohen Wertschätzung des Bundeswehrsoldaten nach innen für die Kameraden, aber auch nach außen für die Angehörigen und für die breite Öffentlichkeit vermitteln. Überdies sollten dadurch wohl auch die humanitären und an den Werten des Grundgesetzes orientierten Ziele der Auslandseinsätze möglichst breit kommuniziert und erklärt werden, um so für den soldatischen (Opfer-)Tod politischen und ethischen Sinn zu stiften. Ein weiterer Anstoß für die Wende in der militärischen Trauerkultur der Bundes­ republik – die Ehrung toter Bundeswehrsoldaten im öffentlichen Raum – ereignete sich am 18. August 2007: die große öffentliche Trauerfeier im Berliner Dom für drei deutsche Polizisten, die acht Tage zuvor in Kabul bei einem Terroranschlag getötet worden waren. Die Zeremonie, an der die höchsten Repräsentanten des Staates teil­ nahmen – unter anderen auch die Kanzlerin –, stieß auf gewaltige öffentliche An­teil­ nahme.167 In der Bundeswehr registrierte man das hohe öffentliche Interesse und das kollektive Mitgefühl für die deutschen Polizisten, die im Auslandseinsatz ihr Leben ließen. Viele Führungskräfte, Offiziere und Soldaten der Bundeswehr empfanden nun einen rein internen militärischen Trauerakt zunehmend als unzureichend, kläglich, ja sogar als unwürdig.168 Generalinspekteur Schneiderhan brachte die Kritik auf den Punkt: »Da habe ich zum Minister Jung gesagt: Moment, Herr Minister, jetzt müssen wir aufpassen. Wir gehen mit unseren Soldaten in die Halle und die drei Polizisten mit der Kanzlerin in den Dom.«169 Darüber hinaus wandten sich auch Soldaten der Bundeswehr mit ihrer Kritik der internen Trauerkultur direkt an den Verteidigungsminister sowie den Wehrbeauftragten Robbe.170 Das Jahr 2008 stellt dann die Zäsur schlechthin für die Verlagerung der Trauer­ feiern für im Ausland getötete Bundeswehrsoldaten aus dem militärischen in den öffentlichen Raum dar. Denn in diesem Jahr fand zum ersten Mal eine zentrale Trauerfeier nicht in ausschließlich militärischem Zusammenhang und auf mili166

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Sofern eine Anordnung des Ministers für eine zentrale Trauerfeier vorliegt, zeichnet das BMVg für die Organisation der Zeremonie verantwortlich. Vgl. FüS I 4, Checkliste anläßlich der im Rahmen von UN-/humanitären Einsätzen erforderlichen Maßnahmen bei Todesfällen von Soldaten der Bundeswehr, 15.4.1994, BArch, BW 2/36695. Für die sieben Bundeswehrsoldaten, die am 21.12.2002 im Rahmen der ISAF-Mission bei einem Hubschrauberabsturz in Kabul getötet wurden, veranstaltete die Bundeswehr wenige Tage später in Köln-Wahn eine militärische Trauerfeier. Verteidigungsminister Struck sprach zu den Trauergästen. Vgl. Entsetzte Soldaten. In: Focus, 1/2003. Am 29. Dezember 2002 fand im Bonner Münster zusätzlich eine öffentliche Zeremonie statt. In diesem Rahmen hielt Bundespräsident Johannes Rau (SPD) die zentrale Rede. Auch diese Trauerfeier in einer Kirche und unter Anwesenheit hoher Repräsentanten des Staates kann als Vorbild für die Ausgestaltung offizieller und öffentlicher Trauerfeiern für im Einsatz getötete Bundeswehrsoldaten gesehen werden. Vgl. Rau würdigt tote Soldaten. In: FAZ, 29.12.2002; »Sie werden nicht die letzten sein«. In: FAZ, 18.8.2007. Vgl. Siegle, Der Engel an ihrer Seite, S. 252. Zit. bei: Hammer, Wie der Staat trauert, S. 172. Vgl. ebd.



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tärischem Gelände statt. So betrauerte und ehrte man am 24.  Juni 2008 in einer Zeremonie, die in der Alexanderskirche in Zweibrücken abgehalten wurde, zwei im Ausland ums Leben gekommene Bundeswehrsoldaten. Die beiden starben fünf Tage zuvor in Bosnien-Herzegowina beim Absturz eines Helikopters.171 Zweibrücken markiert den Wendepunkt. Seitdem hält die Bundeswehr die Trauerfeiern für ihre Auslandstoten in ausgewählten Kirchen an den Standorten der getöteten Soldaten ab – im öffentlichen Raum also. Auf diese Weise bekundet die Bundeswehr für alle sichtbar ihre Zusammengehörigkeit und ihre Verbundenheit mit den Toten, die nun nicht länger und geradezu hermetisch abgeschottet von der Gesellschaft – zugespitzt gesagt – beinahe mehr »vergraben« als »begraben« werden. Darüber hinaus soll durch die Wahl eines öffentlichen Ortes wohl ein deutliches Signal an die Gesellschaft gesendet werden: Die Auslandstoten der Bundeswehr starben und sterben auch und vor allem für die Belange und die Werte der Bundesrepublik Deutschland. Die Verlagerung der Trauerfeiern für die im Ausland getöteten deutschen Soldaten vom internen in den öffentlichen Raum kennzeichnet die fundamentale Zäsur der Bundeswehr im Umgang mit ihren Toten. Durch die Einweihung des Berliner Ehrenmals der Bundeswehr im Jahr 2009 fand dieser neue Umgang mit den toten und gefallenen deutschen Soldaten seine Bekräftigung und Erweiterung. Heute gliedert sich die Trauer- und Gedenkzeremonie für im Auslandseinsatz getötete Bundeswehrsoldaten in drei klar voneinander getrennte Einzelrituale. Das erste findet in Form einer Trauerfeier am Auslandseinsatzort des getöteten Soldaten statt. Bereits 1993 zelebrierte die Bundeswehr eine solche Abschiedszeremonie in Kambodscha. Das zweite Ritual umfasst die Ankunft des Sarges auf dem Militär­flug­ hafen in der Heimat und die Gedenkfeier im kleinen Rahmen für die Angehörigen. Den Abschluss bildet als Drittes die zentrale Trauerfeier in einer Kirche am Standort des Toten, an der neben Angehörigen und Kameraden auch Vertreter von Staat, Gesellschaft und Medien sowie – zumindest via Funk, Fernsehen und Internet – auch die breite Öffentlichkeit partizipieren kann.172 Im Folgenden werden die Elemente, aus denen sich die Trauer- und Gedenk­ zeremonie für im Auslandseinsatz getötete Bundeswehrsoldaten am Einsatz- und am Standort des Toten zusammensetzt, im Einzelnen dargestellt. Die Beschreibung der Trauerfeier am Auslandseinsatzort des getöteten Soldaten orientiert sich dabei primär am Vorgehen der Bundeswehr in Afghanistan, wo die weitaus meisten deutschen Toten und Gefallenen zu beklagen waren.173 Die Zeremonie der Entladung 171

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Vgl. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Franz Josef Jung anlässlich der Trauerfeier für die am 19.6.2008 in Bosnien-Herzegowina ums Leben gekommenen Soldaten der Bundeswehr am 24.6.2008 in der Alexanderskirche in Zweibrücken, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Anlage 4 zu FüS I 4 vom 26.8.1992, Checkliste anlässlich der Rückführung von im Rahmen von UN-/humanitären Einsätzen verstorbenen Soldaten der Bundeswehr, BArch, BW  2/36695; Libero, Tod im Einsatz, S. 24; Hammer, Wie der Staat trauert, S. 167. Vgl. Todesfälle in der Bundeswehr im Auslandseinsatz und in anerkannten Missionen, Stand: 21.10.2019, (letzter Zugriff 6.9.2021).

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des Sarges wird nicht ausführlich dargestellt, da ihre wesentlichen Elemente bereits früher in diesem Abschnitt behandelt wurden. Zunächst wird der Sarg mit dem toten Soldaten in einem Kühlcontainer im Feldlager des Einsatzlandes aufbewahrt. Vor dem Container nehmen je zwei Kameraden, die sich im Rhythmus von 30 Minuten abwechseln, als Totenwachen rund um die Uhr Aufstellung. Gelegentlich halten sie dabei den Gefechtshelm des Toten in ihren Händen. Vor dem Container liegt ein Kondolenzbuch für die Kameraden des Getöteten aus. Später wird das Buch den Angehörigen übergeben.174 Zu einem bestimmten Zeitpunkt und in festgelegter Reihenfolge treten die Kompanien des Feldlagers – die Kompanie des Gefallenen als letzte – zum sogenannten Gedenkappell an. Im Rahmen dieses Rituals tragen die Soldaten ihre Gewehre mit dem Lauf nach unten, die Fahnen des Militärcamps wehen auf Halb­mast. In Afghanistan, aber auch auf dem Balkan findet der Gedenkappell am Ehrenhain des jeweiligen Feldlagers statt. Eine Fotografie des Toten, die dessen biografischer Inszenierung sowie seiner individuellen Würdigung dient, wird neben dem Redner­pult oder neben dem Sarg platziert, gegebenenfalls ebenso das Kissen mit seinen Orden. Ansprachen halten der Kommandeur sowie der Militärgeistliche des Feldlagers. Nach den Reden ertönt das Lied vom guten Kameraden. Mit der Nationalhymne endet der Gedenkappell.175 Anschließend wird der Sarg, den die Bundesdienstfahne bedeckt, unter Trommel­ schlag in der sogenannten Line-up-Zeremonie zum Flugfeld geleitet. Vor dem Gefährt mit dem Sarg marschieren Soldaten, die den Helm und das Ordenskissen des Toten tragen. Das gesamte Camp sowie Soldaten der anderen Nationen, die an der Mission teilnehmen, bilden dabei das Ehrenspalier für den Toten. Auf dem Flugfeld wird der Sarg in eine Maschine der Luftwaffe eingeladen. Den Toten begleiten oftmals ein Militärgeistlicher und ein oder mehrere Kameraden auf seiner Überführung in die Heimat.176 Wie bereits angeklungen, trägt der Gedenkappell im Einsatzland des toten Bundes­wehrsoldaten auch supranationale Züge. Dies zeigt sich zum einen in der Zusam­mensetzung des Ehrenspaliers und zum anderen durch die Tatsache, dass sich der Gedenkappell in Afghanistan für die Toten der übrigen ISAF-Nationen im Wesentlichen sehr ähnlich gestaltete.177 Dass die Bundeswehr integraler Teil einer multinationalen Mission im Rahmen der Vereinten Nationen ist, will sie auch durch die Trauerfeiern im Inland zum Ausdruck bringen. So wurden z.B. bei der Zeremonie für Alexander Arndt neben 174

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Diese Praxis existierte praktisch von Anfang an. Bereits im Oktober 1993 bahrten Kameraden Arndts Sarg, der mit der Bundesdienstflagge umhüllt war, in einem Kühlcontainer auf. Zwei Kränze flankierten den Container, zwei Soldaten stellten die Ehrenwache. In ihrer rechten Hand hielten sie jeweils ein Gewehr, dessen Lauf zum Himmel gerichtet war. Vgl. Spiegel TV Magazin, Tod in Kambodscha. In: Spiegel Panorama, 11.11.2013; Tränen beim Abschied, S. 10. Vgl. Libero, Tod im Einsatz, S.  24; Bewegender Moment in Kunduz. In: Bundeswehr aktuell, 12.4.2010, S. 10. Vgl. Wenn man die Vögel hört. In: Bundeswehr aktuell, 6.6.2011, S. 3; Libero, Tod im Einsatz, S. 23 f.; Feldpost, S. 152‑155 (Brief von Oberstabsarzt Jens Weimer, 35, Kunduz 2009); Petersen, Interview mit Pastor Michael Groothues; Elßner, Der Tod kennt keine Uniform, S. 89. Vgl. Löwenstein, »Wir werden weiter kämpfen«. In: FAZ, 18.4.2010.



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den üblichen nationalen Symbolen (Bundesdienstfahne, Nationalhymne) und den militärischen Zeichen (Stahlhelm, Eisernes Kreuz) auch Embleme der UNO präsentiert. Auf dem Sarg des Getöteten war ein blauer UN-Helm platziert und an der Wand hinter dem Sarg hing die UN-Fahne. Dadurch ordnete man Arndt symbolisch zwei Gemeinschaften zu: der nationalstaatlichen und der internationalen.178 Auch im Fall der im Rahmen der UN-Mission in Mali abgestürzten deutschen Piloten präsentierte man UN-Embleme auf der Trauerfeier im Feldlager und bei der Line-up-Zeremonie. Dabei lag auf den mit der Bundesdienstfahne umhüllten Särgen jeweils ein UN-Helm.179 Diese Vorgehensweise spiegelt die neue Einsatzwirklichkeit der Bundeswehr: Auslandseinsätze im Rahmen übernationaler Bündnisse wie NATO oder UNO. So verloren die Toten ihr Leben nicht nur im Namen der Bundesrepublik, sondern auch im Dienst des entsprechenden Bündnisses. Da die Bundesrepublik schon am 8. Mai 1955 der NATO beitrat, vor Auf­stellung der Bundeswehr, ist diese von Anfang an Teil des nordatlantischen Verteidi­gungs­ bündnisses. Aus diesem Grund waren übernationale Symbole gelegentlich schon auf militärischen Trauerfeiern der Bundeswehr während des Kalten Krieges präsent. Ein Beispiel dafür mag die Zeremonie für den tödlich verunglückten Starfighter-Piloten rleutnant Karl-Oskar Klenk vom Jagdbombergeschwader  34 sein. Das in Obe­ Memmingen stationierte Geschwader, das am 1. Oktober 1959 »NATO-assigniert« wurde, trug daher das Symbol des Bündnisses in seinem Wappen. Die Trauerfeier für Klenk, auf der sowohl die Bundesdienstfahne wie die Fahne der NATO gezeigt wurden, fand am 13. Juni 1968 auf dem Fliegerhorst Memmingen statt.180 Die Trauerfeier für Alexander Arndt war die erste, an der neben den Vertretern der Bundeswehr auch hochrangige Regierungsvertreter teilnahmen. In diesem Fall waren neben Generalinspekteur Naumann auch Verteidigungsminister Rühe sowie Außenminister Klaus Kinkel (FDP) dabei; Rühe und Naumann hielten jeweils eine Ansprache. Seitdem ist die Anwesenheit des Ministers und häufig auch die des Generalinspekteurs bei Trauerfeiern für getötete deutsche Soldaten der Auslandseinsätze so gut wie obligatorisch.181 178 179

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Siehe Kap. V.2.b. Vgl. Letztes Geleit für UN-Soldat Feldwebel Arndt. In: aktuell. Zeitung für die Bundeswehr, 26.10.1993, S. 1; Hammer, Wie der Staat trauert, S. 186 f. Vgl. Wiegold, Abgestürzte Tiger-Piloten aus Mali nach Deutschland überführt, 29.7.2017, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Rink, Die Bundeswehr 1950/55‑1989, S. 34; Rebhan, Aufbau und Organisation der Luft­ waffe 1955 bis 1971, S. 579 f.; Jagdbombergeschwader 34, Kommodore, Geschwaderbefehl 19/68, 13.6.1968, BArch, BL 23/408; Jagdbomber zerschellt in den Bergen, BArch, BL 23/408. Vgl. Letztes Geleit für UN-Soldat Feldwebel Arndt. In: aktuell. Zeitung für die Bundeswehr, 26.10.1993, S. 1. Neben den noch zu nennenden Trauerfeiern, die während des Kalten Krieges unter Anwesenheit des jeweiligen Ministers stattfanden, war auch die Trauerfeier für Feldwebel Arndt ein Vorbild für die folgenden Zeremonien. Bei den Trauerfeiern für die Soldaten, die im Rahmen der ISAF-Mission in Afghanistan getötet wurden, war die Teilnahme des Ministers und ggf. auch die des Generalinspekteurs – auch vor Zweibrücken – obligatorisch. Vgl. exemplarisch dafür: Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Peter Struck anlässlich der Trauerfeier für die am 7.6.2003 in Kabul getöteten Soldaten der Bundeswehr, 10.6.2003, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privatarchiv Julia Nordmann; Presse- und Informationszentrum der Streitkräftebasis, Mitteilungen an die Presse, Militärische Ehren für den in Afghanistan getöteten Soldaten, 15. November 2005, BArch, BH 30/1198; Rede des Bundesministers der Verteidigung

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Einen weiteren bedeutenden Schritt in Richtung öffentliche militärische Trauer­kultur vollzog die Bundesrepublik mit der Zeremonie für die vier Bundes­ wehr­soldaten, die während des Karfreitagsgefechts in Afghanistan fielen. Auf der Trauerfeier, die am 9. April 2010 in der Sankt-Lamberti-Kirche in Selsingen stattfand, war mit Bundeskanzlerin Merkel zum ersten Mal ein deutscher Regierungschef bei einer offiziellen militärischen Trauerzeremonie anwesend. Gut zwei Wochen später nahm Merkel zusammen mit Außenminister Westerwelle sowie Generalinspekteur Wieker an der Trauerfeier für die vier in der nordafghanischen Provinz Baghlan gefallenen Bundeswehrsoldaten teil. Die Zeremonie wurde am 24. April 2010 im Liebfrauenmünster in Ingolstadt abgehalten. Ebenso war die Kanzlerin bei der militärischen Feier am 25. Februar 2011 in der Stadtpfarrkirche St. Michael in Regen anwesend, mit der man von drei deutschen Soldaten Abschied nahm, die ebenfalls im nordafghanischen Baghlan gefallen waren.182 Die Anwesenheit der Kanzlerin bedeutet eine besondere Anerkennung und Würdigung der Bundeswehr und ihrer neuen Aufgaben. Und sie gibt auch eine klare Antwort auf die Frage: »Wie viel Staat gehört zu einer Trauerfeier für gefallene Soldaten?«183 Denn durch ihre Teilnahme ehrte die Kanzlerin die Gefallenen der Bundeswehr gewissermaßen im Namen der ganzen Gesellschaft, indem sich die Bundesrepublik, für deren Ziele und Ideale die Soldaten gestorben sind, offiziell, öffentlich und repräsentiert durch ihre mächtigste Amtsträgerin zu ihnen bekennt und die politische Verantwortung für ihren (Opfer-)Tod übernimmt. Auf diese Weise ist der Auftritt der Kanzlerin – und auch jener der Minister für Verteidigung und für Auswärtiges – bei militärischen Trauerfeiern für die im Aus­ land gefallenen Toten der Bundeswehr elementar dafür, »eine Kultur des Trauerns neu zu lernen und zu entwickeln, die auf Symbole und rituelle Formen nun einmal angewiesen bleibt«184. Denn in der ZDv 10/8, die 2011 noch gültig war und sich inhaltlich auf die Sachlage des Kalten Krieges bezog, war eigentlich – und ganz im Sinne des Reformers Baudissin185 – weder die Anwesenheit des Kanzlers noch die von Ministern, ja nicht einmal die des Generalinspekteurs der Bundeswehr verbindlich geplant. In ihrer Ziffer  321 sah die ZDv  10/8 im Zusammenhang mit dem

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Dr. Franz Josef Jung anlässlich der Trauerfeier für die am 19.5.2007 in Kunduz getöteten Soldaten der Bundeswehr am 23.5.2007 in Köln-Wahn, (letzter Zugriff 12.5.2012), Privatarchiv Julia Nordmann. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg anlässlich der Trauerfeier für die drei am 2.4. gefallenen Soldaten in der Sankt-Lamberti-Kirche am 9.4. in Selsingen, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privat­archiv Julia Nordmann. Vgl. Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich der Trauerfeier für die am 2.4. in Kundus gefallenen Soldaten, Selsingen, 9.4.2010, (letzter Zugriff 6.9.2021); Presse- und Informationszentrum des Heeres, Pressemitteilung, 8/2010, 22.4.2010; Rede des Bundesministers der Verteidigung Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg anlässlich der Trauerfeier für die am 18.2.2011 gefallenen Soldaten in der Stadtpfarrkirche St.  Michael am 25.2.2011, (letzter Zugriff 8.4.2016), Privatarchiv Julia Nordmann. Fried, Trauerfeier mit Kanzlerin. In: SZ, 9.4.2010. Encke, Ganz in Schwarz. In: FAS, 11.4.2010. Vgl. Baudissin, Soldatische Tradition.



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großen militärischen Ehrengeleit lediglich eine Abordnung vor, die sich aus dem Stellvertreter des Generalinspekteurs und dem Inspekteur der jeweiligen Teilstreit­ kraft bzw. dessen Stellvertreter zusammensetzte. Auch bezüglich der Reden gab die ZDv 10/8 in Ziffer 348 eine genaue Vorgabe: Die Gedenkansprache hält der nächste Disziplinarvorgesetzte des Stammtruppenteils.186 Redebeiträge anderer Personen waren üblicherweise nicht vorgesehen. Dennoch gab es auch während des Kalten Krieges schon eine gewisse Flexibilität in Sachen protokollarischer Trauer – wenn es der Anlass zu erfordern schien. Dies war bei der Trauerfeier vom 23.  September 1966 für die 19  Unfalltoten beim Untergang des U-Bootes »Hai« der Fall. Bei der Zeremonie im schleswig-holsteinischen Neustadt, die in einer Trauerhalle stattfand, da das Kasernengelände für die zahlreichen Trauergäste nicht ausreichend Platz bot, hielt neben dem Befehlshaber des Kommandos der U-Boote, Kapitän zur See Gustav-Adolf Janssen, auch Marine­ inspekteur Zenker eine Ansprache. Hohe politische Vertreter waren nicht anwesend, jedoch stifteten der Bundespräsident und die Bundesregierung Kränze und erwiesen den Toten damit die letzte Ehre.187 Weitere Beispiele für derartige Ausnahmen waren die militärische Trauerfeier vom 23. Januar 1969 für die vier Bundeswehrsoldaten, die beim Überfall auf das Munitionsdepot in Lebach starben, auf der Verteidigungsminister Schröder sprach, sowie die Zeremonie vom 13. April 1964 für die zehn Opfer der Bundeswehr durch das Schießunglück in Bergen-Hohne. In Bergen-Hohne waren Verteidigungsminister von Hassel und der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfred Zerbel, anwesend. Eine Rede allerdings hielt lediglich der Minister.188 Als besonders markante Ausnahme ist die Trauerfeier vom 14. Februar 1975 in Hohn für die 42 Toten der Bundeswehr im Zusammenhang mit dem Absturz der Transall über Kreta zu sehen. Dies hängt wohl zum einen mit der hohen Opferzahl zusammen und zum anderen mit dem NATO-Bezug des Kretafluges. Bei der Zeremonie in Hohn sprach neben dem Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Gerhard Limberg, auch Verteidigungsminister Leber in Begleitung seiner Staatssekretäre. Darüber hinaus erschienen alle in Bonn akkreditierten Militärattachés der NATO. Ebenso waren hochrangige politische Vertreter wie Annemarie Renger (SPD), Präsidentin des Deutschen Bundestages, oder Gerhard Stoltenberg, zu dieser Zeit Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, anwesend. Mit Bundespräsident Walter

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Vgl. BMVg, ZDv 10/8 »Militärische Formen und Feiern der Bundeswehr«, Juni 1983, Kapitel 3: Trauerfeiern, Juni 1991, Ziff. 321, 348. Unter den zahlreichen Blumengebinden für die Toten von U-Hai war auch ein Kranz von Großadmiral a.D. Dönitz. Vgl. Kommando der U-Boote an Kommando der Flotte, Betr.: Trauer­ feier U-Hai, 19. September 1966, BArch, BM 22/53; Sieck, U-Bootfahrer und das Ehrenmal in Möltenort, S. 141. Vgl. Ansprache des Bundesministers der Verteidigung Dr. Gerhard Schröder bei der Trauerfeier am 23.1.1969 für die Soldaten, die beim Überfall auf das Munitionsdepot in Lebach/Saar ihr Leben verloren, BArch, BW 1/25310; Interne Mitteilung des Pressereferats des BMVtdg »nur für Presseoffiziere«, KPFTRS Roem 2 legt für die Trauerfeier am 13.4.64 nachstehenden Zeitplan vor, BArch, BW 1/21691; Trauerfeier für die Opfer des Flugzeugabsturzes auf Kreta, undatiert, BArch, BW 1/49802; Bundeswehr nahm Abschied. In: FAZ, 14.4.1964.

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Scheel (FDP), der ebenfalls eine Rede hielt, war sogar der protokollarisch höchste Vertreter des Staates zugegen.189 Spätestens seit sich die Bundeswehr an Auslandseinsätzen im UN-Rahmen beteiligt, ist die Nationalhymne – im Anschluss an das Lied vom guten Kameraden – fester Bestandteil militärischer Trauerfeiern. Die Hymne erklingt nicht nur bei der zentralen Zeremonie in der Heimat des getöteten Bundeswehrsoldaten, sondern auch beim Gedenkappell in dessen Einsatzland. Auf diese Weise greift die Bundeswehr eine Praxis auf, wie sie bereits in der Wehrmacht und in der Reichswehr üblich war. Zwar brachte die Bundeswehr bereits während des Kalten Krieges die Nationalhymne bei militärischen Trauerfeiern zu Gehör. Aber dies waren Ausnahmen, etwa die Zeremonie für die Opfer der Transallkatastrophe.190 Auf der Ebene der im Auslandseinsatz ums Leben gekommenen Soldaten hat sich also seit 2008 einiges geändert. Nahezu gleich geblieben ist hingegen der zeremonielle Rahmen für die Unfalltoten der Bundeswehr. Die Trauerfeiern auf der Grundlage der neuen Zentralrichtlinie A2/2630/0-0-3 »Militärische Formen und Feiern der Bundeswehr« von 2016 finden weiterhin intern an den Standorten der tödlich verunglückten Soldaten statt. In ihrer Symbolik und auch im Zeremoniell ähneln sie denen des Kalten Krieges. Der Sarg des Toten ist mit der Bundesdienstflagge bedeckt und der Helm liegt auf ihm.191 Ein Beispiel soll den heutigen Umgang der Bundeswehr mit ihren Unfalltoten skizzieren und konkretisieren: Am 11. Juli 2019 versammelten sich rund 600 Soldaten und Angehörige auf dem Gelände des Internationalen Hubschrauberausbildungszentrums in Bückeburg. Sie nahmen Abschied von Leutnant Saskia Heinz. Die 25-jährige Luftfahrzeugführerin war am 1.  Juli bei einem Weiterbildungsflug mit einem Hubschrauber vom Typ »Eurocopter EC 135« in der Nähe von Aerzen im Kreis Hameln abgestürzt und ums Leben gekommen. In seiner Trauerrede würdigte der Brigadegeneral und Kom­man­ deur des Hubschrauberausbildungszentrums Ulrich Werner Ott das »herausragende fliegerische Talent« der getöteten Soldatin. Ihr Name wurde auf der Ehrentafel der tödlich verunglückten Flieger des Standortes Bückeburg verzeichnet. Diese Tafel, 189 190

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Vgl. Trauerfeier für die Opfer des Flugzeugabsturzes auf Kreta, undatiert, BArch, BW 1/49802. Vgl. Elßner, Der Tod kennt keine Uniform, S. 89; bau, Wenn man die Vögel hört. In: Bundeswehr aktuell, 6.6.2011, S.  3; Würdevolle Trauerfeier für unseren gefallenen Kameraden im Feldlager Kunduz, 28.5.2011, (letzter Zugriff 26.4.2016), Privatarchiv Julia Nordmann; Gestorben für den Frieden. In: Domradio.de, 23.5.2007; Stein, Symbole, S. 279; Melms, »Niobe«, S. 54. Bis 1922 gab es in Deutschland keine offizielle Nationalhymne. Erst mit der Erklärung des Reichspräsidenten Friedrich Ebert am 10. August 1922 erklärte man das »Lied der Deutschen« in allen drei Strophen zur Nationalhymne des Deutschen Reiches. Sieben Tage später wies Ebert auch die Reichswehr an, das Lied als Hymne zu führen. Vgl. Jeismann, Die Nationalhymne, S.  492; Trauerfeier für die Opfer des Flugzeugabsturzes auf Kreta, undatiert, BArch, BW 1/49802. Vgl. Fachgespräch im BMVg mit Oberstleutnant Ralf Kimmerle, FüSK III 2 – Referat Betreuung und Fürsorge, Stabshauptmann Michael Rothmeier, Büro für Angelegenheiten für Hinterbliebene, und Oberstleutnant Gerhard Schlaffer, Abteilung Personal/Zentrale Angelegenheiten – Ehrenmal, am 27.5.2020. Vgl. Bilder von der Trauerfeier für toten Eurofighter-Piloten in Laage. In: OstseeZeitung, 10.7.2019.



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so Ott, solle immer daran erinnern, »dass der Beruf, den wir alle lieben, bei all der Professionalität, mit der wir ihn betreiben, bei all der Begeisterung, mit der wir ihn ausbilden, letztlich auch das Leben kosten kann – im Frieden, wie auch im Einsatz«.192 Repräsentanten des Staates nehmen in der Regel nur selten an Trauerfeiern für tödlich verunglückte Soldaten teil. Hochrangige Vertreter der Bundeswehr allerdings sind im Einzelfall durchaus anwesend. So würdigte der Inspekteur der Luftwaffe Generalleutnant Ingo Gerhartz am 9. Juli 2019 den bei einer Luftkampfübung über der Müritzregion tödlich verunglückten Piloten Oberleutnant Lukas Walter bei dessen Trauerfeier. Diese fand am Standort des Luftwaffen-Geschwaders 73 Steinhoff in Laage bei Rostock statt. Teilnehmer waren die Kameraden von Walter, Soldaten des Standortes und die Angehörigen des Toten.193

d) Das Ehrengrab der Bundeswehr und die Plakette »Ehrendes Gedenken der Bundeswehr« Viele Nationen ehren ihre toten Soldaten mit aufwendigen militärischen Trauer­ zeremonien und der Bestattung auf eigenen Soldaten- und Nationalfriedhöfen. In den USA etwa setzt man die Gefallenen aller US-amerikanischen Kriege seit 1945 auf den »United States National Cemeteries« bei, den Nationalfriedhöfen der Vereinigten Staaten. Die wohl weltweit bekannteste dieser militärischen Gedenkstätten ist die von Arlington im Bundesstaat Virginia, unweit der Hauptstadt Washington, D.C.194 Gegründet wurde der Nationalfriedhof von Arlington bereits während des amerikanischen Bürgerkriegs im Jahr 1864. Heute umfasst das Gelände knapp 253  Hektar. In Arlington werden nicht nur gefallene Soldaten beerdigt, sondern auch amerikanische Generale und sogar Präsidenten.195 Auf diese Weise stellt man auch die einfachen Soldaten gewissermaßen in eine Reihe mit den höchsten militärischen und politischen Würdenträgern der Vereinigten Staaten. Ausdrücklich soll die imposante Anlage von Arlington der Ehrung aller Soldaten und der Wertschätzung ihrer Pflichterfüllung und ihres Opfers dienen: »The grounds of Arlington National Cemetery honor those who have served our nation [...] This impressive landscape 192

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Ott, Editorial, S.  3; vgl. Soldaten nehmen Abschied von verunglückter Hubschrauber-Pilotin, 11.7.2019, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Trauerfeier für verunglückten Eurofighter-Piloten, 9.7.2019, (letzter Zu­griff 6.9.2021); Fachgespräch im BMVg mit Oberstleutnant Ralf Kimmerle, FüSK III 2 – Referat Betreuung und Fürsorge, Stabshauptmann Michael Rothmeier, Büro für Angelegenheiten für Hinterbliebene, und Oberstleutnant Gerhard Schlaffer, Abteilung Personal/Zentrale Ange­le­gen­hei­ ten – Ehrenmal, am 27.5.2020. Vgl. Geyer, Amerikanisches Totengendenken, S.  493. Eine mit Arlington vergleichbare Er­in­ne­ rungs­stätte von nationaler Bedeutung ist das National Memorial Arboretum in Groß­bri­tannien. Vgl. Goebel, Brüchige Kontinuität, S. 220‑222. Vgl. About Arlington National Cemetery, (letzter Zugriff 6.9.2021); Geyer, Amerikanisches Totengendenken, S. 493 f.; Notable Graves, (letzter Zugriff 6.9.2021).

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serves as a tribute to the service and sacrifice of every individual laid to rest within the hallowed grounds of Arlington National Cemetery.«196 Auch in Deutschland existieren Soldatenfriedhöfe, allerdings nur für die Toten der Weltkriege, und keiner dieser eher schlicht gehaltenen Militärfriedhöfe ist auch nur im Ansatz mit Arlington vergleichbar. Für getötete oder gefallene Bundeswehrsoldaten aber gibt es keinen Soldatenfriedhof. Sie werden in der Regel auf allgemeinen Friedhöfen beigesetzt. Denn die Exklusivität, die ein Soldatenfriedhof vermittelt, widerspricht der Philosophie der Inneren Führung, wie sie von den Reformern der Bundeswehr vertreten wurde. Deutsche Soldaten, so deren Argument, sind ganz und gar integraler Teil der Gesellschaft, Staatsbürger in Uniform, auch posthum, und deshalb sollen sie auch auf einem öffentlichen Friedhof beigesetzt werden.197 Solange die Bundeswehr nur Unfalltote zu beklagen hatte, war diese Praxis weitgehend akzeptiert. Doch mit den Auslandsmissionen begann sich das zu ändern. Spätestens mit dem Einsatz in Afghanistan äußerten aktive Soldaten, Angehörige getöteter Soldaten und Interessenvertreter zunehmend ihren Unmut über die Gleichsetzung des soldatischen mit dem zivilen Tod bei Beerdigungen. Dies gilt insbesondere für den Anspruch auf ein dauerhaftes Ruherecht, also über die ortsüblichen Liegezeiten von 20 oder 25 Jahren hinaus. Die aktuelle Rechtslage, kritisierte etwa der VDK, degradiere die Gefallenen der Bundeswehr praktisch zu Toten zweiter Klasse. Denn das gültige Gräbergesetz vom 1. Juli 1965 definiert als Personenkreis mit Anspruch auf ein Grab mit dauerhaftem Ruherecht ausschließlich die Opfer der beiden Weltkriege und der Gewaltherrschaft der NS- und der SED-Diktaturen – die Gefallenen der Bundeswehr gehören also nicht dazu. Damit werde ihr Soldatentod rechtlich zu einer Art Arbeitsunfall degradiert.198 Im Frühjahr 2006 setzte sich Reinhard Führer, Präsident des Volkbundes, erstmals beim BMVg für ein Kriegsgrab mit dauerhaftem Ruherecht für die Gefallenen der Bundeswehr ein. Nur durch die Gewährung eines solchen Kriegsgrabes, argumentierte Führer, könnten die rechtliche und auch die symbolische Gleichstellung der gefallenen Bundeswehrsoldaten mit den Gefallenen der Weltkriege erreicht werden. Darüber hinaus forderte er, den Kreis der Berechtigten für ein Kriegsgrab grundsätzlich um die im Ausland bei einem Einsatz gefallenen Soldaten der Bundeswehr zu erweitern. Denn aus Sicht des VDK sei die dauerhafte Erinnerung an die Opfer der Auslandseinsätze und deren Würdigung eine öffentliche Aufgabe, die in ihrer Notwendigkeit der Erinnerung an die Weltkriegstoten gleichkomme.199 196 197 198

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About Arlington National Cemetery, (letzter Zugriff 6.9.2021). Siehe Kap.  IV.3.b. Vgl. Müller, Frieden finden, (letzter Zugriff 4.8.2016), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Seliger, Sterben für Kabul, S. 92 f.; Gespräch mit Bernd Kästner, Koordinator für die Zu­sam­ menarbeit mit der Bundeswehr von der Bundesgeschäftsstelle des VDK am 20.6.2011; Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft (Gräbergesetz) vom 1.7.1965, § 1, BGBl. I, ausgegeben am 8.7.1965, S. 589‑592; Führer, Ehrengräber für deutsche Soldaten. In: Der Tagesspiegel, 3.7.2009. Vgl. Gespräch mit Bernd Kästner, Koordinator für die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr in der Bundesgeschäftsstelle des VDK, am 20.6.2011; Billerbeck, Grabstätte auf Zeit. In: Die Zeit, 16.11.2006; Kein dauerndes Ruherecht?, S. 8.



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Die implizite Anerkennung der Gefallenen der Bundeswehr als Kriegstote, wie sie durch die Erweiterung des Gräbergesetzes oder eine gesonderte Regelung für die im Ausland getöteten Bundeswehrsoldaten geschehen würde, war aus Sicht des BMVg 2006 und auch in den folgenden Jahren öffentlich nicht durchsetzbar. Denn in der offiziellen Darstellung der deutschen Regierungspolitik firmierten die Auslandsmissionen als »Stabilisierungs-« und »Friedenseinsätze«.200 Die Ausdehnung des Personenkreises im Sinne des Gesetzes auf die Gefallenen der Bundeswehr aber hätte bedeutet, praktisch direkt einzugestehen, dass sich die deutsche Armee in einem Krieg befindet, auch wenn dieser offiziell nicht erklärt wurde. Doch nicht zuletzt Planung und Bau des Ehrenmals der Bundeswehr ab dem Jahr 2006 führten dazu, dass man die im Ausland getöteten Bundeswehrsoldaten nach und nach offiziell als »Gefallene« bezeichnete.201 Damit trug die Idee des Ehrenmals zu einer Übereinkunft bei, die letztlich zu einer Änderung der Bestattungspraxis getöteter Bundeswehrsoldaten führte. Dieser Kompromiss wurde im Sommer 2009 gefunden, ohne die vom VDK geforderte Erweiterung des Gräbergesetzes. Die Übereinkunft sieht die Möglichkeit vor, dass Bundeswehrsoldaten, die im Auslandseinsatz ihr Leben verlieren, prinzipiell in einer als »Ehrengrab der Bundeswehr« gekennzeichneten Grabstelle bestattet werden können.202 Aus Sicht der Bundeswehr stellt diese Neuerung »ein besonderes Zeichen des Respekts«203 dar und erkennt öffentlich das durch den Soldaten erbrachte Opfer an. Zudem soll jeweils am Todestag des Gefallenen am Ehrengrab eine Gedenk­ver­ anstaltung mit Angehörigen und Repräsentanten der Bundeswehr statt­finden,204 um so die Erinnerung an den Gefallenen auch innerhalb dessen ehemaliger Einheit in der Bundeswehr wachzuhalten. Anstatt das Gräbergesetz auf Bundeswehrsoldaten auszudehnen oder eine gesonderte Regelung für diese zu formulieren, wie es etwa der VDK forderte und immer noch fordert,205 ging Verteidigungsminister Jung bei der Suche nach dem Kompromiss einen anderen Weg. Denn er entschied sich stattdessen, den Erlass 200 201

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Vgl. »In Afghanistan ist kein Krieg.« (Interview mit Franz Josef Jung). In: FR, 12.5.2009. Verteidigungsminister Jung sprach auf der militärischen Trauerfeier am 24. Oktober 2008 das erste Mal öffentlich aus, dass die beiden Soldaten in Afghanistan »im Einsatz für den Frieden gefallen« seien. Vgl. »Im Einsatz für den Frieden gefallen«. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr.  Franz Josef Jung anlässlich der Trauerfeier für die am 20.10.2008 in Afghanistan getöteten Soldaten der Bundeswehr am 24.10.2008 in Zweibrücken, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Schreiben des BMVg Dr. Franz Josef Jung an den Präsidenten des VDK Reinhard Führer am 13. Oktober 2009, Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Müller, Frieden finden, (letzter Zugriff 4.8.2016), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. beispielsweise Vitas, In stillem Gedenken und nie vergessen, (letzter Zugriff 9.8.2016), Privatarchiv Julia Nordmann. Der VDK spricht sich nicht ausdrücklich für eine Ergänzung des Gräbergesetzes aus. Vielmehr setzt er sich für eine gesonderte Regelung des dauerhaften Ruherechts ein. Diese soll außerdem nicht nur die getöteten Bundeswehrsoldaten einschließen. Laut VDK, dessen Totengedenken sich seit 1945 nicht mehr ausschließlich auf Soldaten konzentriert, sollen darüber hinaus auch die Gräber sämtlicher Personen, die im Dienst für die Bundesrepublik Deutschland durch Fremdeinwirkung getötet wurden, unter diese Regelung fallen und so dauerhaft erhalten bleiben. Dazu zählt der VDK neben den Soldaten auch Polizisten, Entwicklungshelfer oder Mitarbeiter des Nachrichtendienstes.

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VI. Sprachlicher und ritueller Umgang mit den Toten

»Fürsorge in Todesfällen von Soldaten« aus dem Jahr 1985 zu erweitern. Gemäß dem Erlass übernimmt die Bundeswehr die Aufwendungen für Überführung und Bestattung eines getöteten Soldaten. Darüber hinaus trägt sie die Kosten für die Grabstätte während der ortsüblichen Liegezeit. Die Ausgaben für den Grabstein hingegen wurden nicht übernommen.206 Jungs Neuregelung vom 14. Januar 2010, die den Titel »Fürsorge in Todesfällen in einer besonderen Auslandsverwendung« trägt und inzwischen weitgehend – wie später gezeigt wird – in eine andere Dienstvorschrift übernommen wurde, sah für einen Todesfall im Auslandseinsatz vor, dass die Bundeswehr nun auch die Kosten für den Grabstein und dessen Instandhaltung während der ortsüblichen Liegezeit übernimmt. Diese Leistungserweiterung galt und gilt auch weiterhin, sofern »die Hinterbliebenen der Kennzeichnung als ›Ehrengrab der Bundeswehr‹ zugestimmt haben«207. Einer der ersten Bundeswehrsoldaten, der nachträglich ein Ehrengrab erhielt, war der bereits im April 2009 in Afghanistan gefallene Hauptgefreite Sergej Motz.208 Ein »Ehrengrab der Bundeswehr« ist durch eine Plakette oder eine Gravur auf dem Grabmal bzw. auf einem entsprechenden Kissenstein markiert. Unterhalb der Kennzeichnung »Ehrengrab der Bundeswehr« ist zusätzlich das Eiserne Kreuz als Hoheitszeichen der Bundeswehr eingraviert. Insbesondere während des Ersten Weltkrieges avancierte das Eiserne Kreuz zum integralen Bestandteil des Soldatengrabes.209 Mit der Verwendung des Eisernen Kreues auf ihrem Ehrengrab schloss sich die Bundeswehr dieser soldatischen Tradition an. Dieses Zeichen soll den »Geist der soldatischen Einfachheit«210 und den soldatischen Opfertod symbolisieren – ohne Pathos, ohne heldische Pose. Und die Tatsache, dass sich das Ehrengrab auf einem öffentlichen Friedhof befindet, bettet den Gefallenen zunächst in die Gemeinschaft aller Bürger ein – ein Staatsbürger in Uniform. Zugleich aber hebt das Ehrengrab den Gefallenen heraus, entrückt ihn seiner Privatheit und würdigt seinen Tod als Opfer für die Interessen und die Ideale der Gemeinschaft. Ein weiteres Instrument, um auch die Unfalltoten der Bundeswehr, die ihr Leben in Ausübung ihres Dienstes im Inland verloren, angemessen zu würdigen, ist die Plakette »Ehrendes Gedenken der Bundeswehr«. Sie wurde auf Initiative von Brigitt Heidinger und Thomas von Waldenfels eingeführt, den Beauftragten für Angelegen­ heiten für Hinterbliebene im BMVg. Seitdem besteht für die Angehörigen die

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Vgl. E-Mail von Arne Schrader, Hauptamtlicher Mitarbeiter beim VDK für die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr, an die Autorin am 8.3.2018. Vgl. Schreiben BMVg Dr.  Franz Josef Jung an den Präsidenten des VDK Reinhard Führer, 13.10.2009; BMVg, S I 1, Fürsorge in Todesfällen von Soldaten, 1.10.1985, A 2 und A 13/1 und 2, Privatarchiv Julia Nordmann. Schreiben des BMVg Dr. Franz Josef Jung an den Präsidenten des VDK Reinhard Führer am 13.10.2009; BMVg, PSZ III/1, Fürsorge in Todesfällen in einer besonderen Auslandsverwendung, 14.1.2010, Punkt 3, Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Fotos von Sergej Motz’ Grab, Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. BMVg, PSZ  III/1, Fürsorge in Todesfällen in einer besonderen Auslandsverwendung, 14.1.2010, Punkt 4, Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Seeck, Grabzeichen, S. 25; Janz, Totenhügel und Waldfriedhöfe. Vgl. Mosse, Soldatenfriedhöfe, S. 251.



VI. Sprachlicher und ritueller Umgang mit den Toten

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Mög­lich­keit, den Grabstein eines im Inland tödlich verunfallten Soldaten mit der Plakette »Ehrendes Gedenken der Bundeswehr« zu kennzeichnen. Die Verleihung der Ehrenplakette ist – ebenso wie die Auszeichnung Ehrengrab – prinzipiell rückwirkend für alle Todesfälle der Bundeswehr seit 1956 möglich.211 Ebenso wie die Zuweisung des ersten Ehrengrabes erfolgte auch die Vergabe der ersten Ehrenplakette am 4. September 2014 nachträglich. Sie wurde der Kadettin Jenny Böken, die am 4. September 2008 unter bis heute wohl nicht vollständig aufgeklärten Umständen auf dem Segelschulschiff Gorch Fock zu Tode kam,212 durch Carsten Stawitzki verliehen, Flottillenadmiral und Kommandeur der Marineschule Mürwik in Flensburg.213 Auch die Plakette »Ehrendes Gedenken der Bundeswehr« erscheint grundsätzlich in zwei Formen: entweder als Gravur auf dem Grabstein oder als darauf applizierte Plakette. Neben dem Eisernen Kreuz findet sich auf der Plakette der Schriftzug: »Ehrendes Gedenken«. Bis heute tragen neben dem Grab der Kadettin Böken noch fünf weitere Gräber die Plakette »Ehrendes Gedenken der Bundeswehr«, während bereits 28 Grabstätten von Gefallenen als Ehrengrab gekennzeichnet sind.214 Bisher sind diese Formen des Gedenkens in Deutschland allerdings zeitlich befristet, mit Ausnahme des Freistaates Sachsen, wo neben den Opfern der Weltkriege auch die getöteten Soldaten der Bundeswehr seit 2013 das dauerhafte Ruherecht erhalten.215 Die Ausweitung des Gräbergesetzes um das dauerhafte Ruherecht auch für die Toten der Bundeswehr ist von Seiten des BMVg auch heute nicht intendiert. Das Gesetz sei, so die Auffassung des Ministeriums, an einen ganz besonderen historischen Kontext gebunden: das mahnende Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Eine Ausdehnung des Gräbergesetzes auf die im Rahmen der Auslandseinsätze der Vereinten Nationen und der NATO getöteten 211

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Vgl. Koch, Ehrendes Gedenken, (letzter Zugriff 8.8.2016), Privatarchiv Julia Nordmann; Verleihung der Ehrenplakette der Bundeswehr an Jennys Grab, (letzter Zugriff 8.8.2016), Privatarchiv Julia Nordmann. Die Kadettin Jenny Böken ging in der Nacht vom 3. auf den 4. September 2008 während ihres Dienstes als Segelwache auf der Gorch Fock nördlich der Insel Norderney unter nicht abschließend geklärten Umständen über Bord. Elf Tage später fand man ihre Leiche in der Nähe von Helgoland. Bökens Eltern glauben nicht an einen Unfall. Sie werfen der Bundeswehr fahrlässige Tötung vor. Denn diese habe ihre Tochter trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen nicht vom Dienst befreit. Auch sei Böken angesichts der hohen Windstärke, die in dieser Nacht herrschte, nicht das Tragen einer Rettungsweste bzw. eines Toppsgurtes befohlen worden. Vgl. Pressemitteilung des SchleswigHolsteinischen Oberlandesgerichts 11/2012, 13.6.2012, (letzter Zugriff 6.9.2021); Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungen im Fall Böken wieder ein. In: Der Spiegel, 26.11.2019. Vgl. Verleihung der Ehrenplakette der Bundeswehr an Jennys Grab, (letzter Zugriff 8.8.2016), Privatarchiv Julia Nordmann; Ehrendes Gedenken der Bundeswehr, 5.9.2014, (letzter Zugriff 8.8.2016), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Fachgespräch im BMVg mit Oberstleutnant Ralf Kimmerle, FüSK III 2 – Referat Betreuung und Fürsorge, Stabshauptmann Michael Rothmeier, Büro für Angelegenheiten für Hinterbliebene, und Oberstleutnant Gerhard Schlaffer, Abteilung Personal/Zentrale Angelegenheiten – Ehrenmal, am 27.5.2020. Vgl. Sächsisches Bestattungsgesetz vom 8.  Juli 1994 (SächsGVBl. S.  1321), das zuletzt durch Artikel 16 des Gesetzes vom 26.4.2018 (SächsGVBl. S. 198) geändert worden ist, § 6a/1, (letzter Zugriff 6.9.2020).

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VI. Sprachlicher und ritueller Umgang mit den Toten

Bundeswehrsoldaten, die ja keine Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft darstellen würden, sei daher nicht mit der mahnenden Intention des Gesetzes vereinbar.216 Denn die Bundeswehr verbindet mit dem Gedenken an ihre Toten eine ehrende Absicht. Dieser wesentliche Unterschied in der Gedenkpraxis erschwere aus Sicht des BMVg eine rechtliche Gleichbehandlung dieser beiden Gruppen erheblich. Auch an der Konstruktion einer alternativen juristischen Form, auf deren Basis ein dauerhaftes Ruherecht für Bundeswehrsoldaten geregelt werden könnte, besteht seitens des Ministeriums kein Interesse. Allerdings näherte man sich dem Wunsch nach dem dauerhaften Erhalt des Grabes eines gefallenen Bundeswehrsoldaten an. Das Ministerium hob den Erlass vom 14. Januar 2010 »Fürsorge in Todesfällen in einer besonderen Auslandsverwendung« auf und überführte ihn mit leichten Modi­ fi­zierungen in die neue Richtlinie »Fürsorge in Todesfällen von Soldatinnen und Soldaten«. Diese ist gegenwärtig in der Fassung vom 20.  November 2015 gültig. Nun haben die Hinterbliebenen die Möglichkeit, die Liegezeit eines Ehrengrabes bei dessen Ablauf beliebig oft zu verlängern. Die Bundeswehr übernimmt die dadurch entstehenden Kosten. Aus Sicht des BMVg ist auf diese Weise quasi ein dauerhaftes Ruherecht gegeben.217 Man muss wohl davon ausgehen, dass der politische Wille für ein dauerhaftes Ruherecht getöteter Bundeswehrsoldaten zur Zeit fehlt.218 Für das BMVg ist die Diskussion gegenwärtig abgeschlossen. Die Debatte ruht wohl nicht zuletzt auch deshalb, weil die Bundeswehr im Augenblick keine Gefallenen zu beklagen hat, die der Diskussion um ein dauerhaftes Ruherecht einen aktuellen Anlass liefern würden.219 Anstatt also eine für alle Kriegstoten – egal, ob aus Kaiserlicher Armee, Wehr­ macht oder Bundeswehr – gemeinsame gesetzliche Regelung zu schaffen, kreierte die deutsche Politik für die gefallenen Soldaten der Bundeswehr ein gesondertes Recht. 216

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Vgl. E-Mail von Arne Schrader, Hauptamtlicher Mitarbeiter beim VDK für die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr, an die Autorin am 8.3.2018; Fachgespräch im BMVg mit Oberstleutnant Ralf Kimmerle, FüSK III 2 – Referat Betreuung und Fürsorge, Stabshauptmann Michael Rothmeier, Büro für Angelegenheiten für Hinterbliebene, und Oberstleutnant Gerhard Schlaffer, Abteilung Personal/Zentrale Angelegenheiten – Ehrenmal, am 27.5.2020. Vgl. Fachgespräch im BMVg mit Oberstleutnant Ralf Kimmerle, FüSK III 2 – Referat Betreuung und Fürsorge, Stabshauptmann Michael Rothmeier, Büro für Angelegenheiten für Hinterbliebene, und Oberstleutnant Gerhard Schlaffer, Abteilung Personal/Zentrale Angelegenheiten – Ehrenmal, am 27.5.2020; ZDv  A-2641/4 »Fürsorge in Todesfällen von Soldatinnen und Soldaten«, 20. November 2015. Da diese ZDv nur für den internen Dienstgebrauch vorgesehen ist, konnte sie im Rahmen dieser Untersuchung nicht herangezogen werden. Laut VDK konnten die an der Gesetzgebung beteiligten Ministerien – das sind neben dem BMVg noch das Innen- und das Familienministerium – wohl aus finanziellen Gründen bisher nicht zu einer Einigung finden. Denn die Regelung eines dauerhaften Ruherechts würde neben den Bundeswehrsoldaten auch für einen breiten Kreis ziviler Personen gelten, die im staatlichen Auftrag in Ausübung ihres Dienstes durch Fremdeinwirkung getötet werden. Dadurch entstünden höhere Kosten. Vgl. E-Mail von Arne Schrader, Hauptamtlicher Mitarbeiter beim VDK für die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr, an die Autorin am 8.3.2018. Der VDK verfolgt den Plan zur Schaffung eines dauerhaften Ruherechts für getötete Bundes­wehr­ soldaten weiter. Im Hintergrund führt er Gespräche mit den Verantwortlichen auf den entsprechenden ministeriellen Ebenen. Vgl. ebd.; auch: Fachgespräch im BMVg mit Oberstleutnant Ralf Kimmerle, FüSK III 2 – Referat Betreuung und Fürsorge, Stabshauptmann Michael Rothmeier, Büro für Angelegenheiten für Hinterbliebene, und Oberstleutnant Gerhard Schlaffer, Abteilung Personal/Zentrale Angelegenheiten – Ehrenmal, am 27.5.2020.



VI. Sprachlicher und ritueller Umgang mit den Toten

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Ein Recht, dass diesen Soldaten kein dauerhaftes, sondern letztlich nur ein zeitlich begrenztes Gedenken zugesteht. Wie lange das Grab eines gefallenen Bundes­wehr­ soldaten erhalten bleibt, legt das Ministerium durch die aktuelle Regelung ganz in die Hände der Hinterbliebenen. Was vordergründig nach einem dauerhaften Ruherecht aussieht, verleiht den Gefallenen der Bundeswehr mit der aktuell gültigen Regelung aber weiterhin nur einen geringeren Status. Das Ehrengrab der Bundeswehr und die Plakette »Ehrendes Gedenken der Bundeswehr« sind so eher als eine Art von Provisorium und Notlösung zu sehen denn als dauerhaft tragfähige Elemente einer angemessenen militärischen Trauer- und Gedenkkultur. Die Frage, wie die Gräber von gefallenen Bundeswehrsoldaten und damit ein zentraler Teil der Erinnerung an sie bewahrt werden können, bleibt offen.

3. Deutung und Sinnstiftung des Todes von Soldaten Der Tod des Soldaten ist immer – in Friedens- wie in Kriegszeiten – ein Tod, der in einem direkten staatlichen Zusammenhang steht. Daher verlangt er nach Legitimation und nach Sinnstiftung, nach einer Deutung, die ihn in den Kontext politisch erwünschter Ideale und Werte sowie erstrebenswerter Ziele setzt. Verteidigungsminister Leber formulierte es anlässlich der Trauerfeier für die Opfer des Absturzes der Transall über Kreta im Februar 1975 so: »Die Frage heißt: Sind die Männer [...] umsonst gestorben? Ist ihr Tod ohne Sinn? Die Antwort heißt nein!«220 Darüber hinaus bedeuten die Legitimation und die Sinnstiftung bereits die erste Würdigung des Soldatentodes, wie sie sich etwa in Traueransprachen, Tagesbefehlen und Presseerklärungen sowie in den Chroniken einzelner militärischer Einheiten findet. Diese Quellen – die offiziellen wie Trauerreden oder Presseerklärungen ebenso wie interne Tagesbefehle und Chroniken – liefern Antworten auf die Frage nach der Legi­ti­mierung, dem Sinn und der Deutung des Soldatentodes. Und darüber hinaus auf die Frage nach der Bedeutung des Todes für den Soldatenberuf und das Selbstverständnis des Soldaten insgesamt. Darüber, wie der Tod eines Soldaten verbal zu würdigen ist, gab es in der Bundeswehr keine verbindliche Regelung analog zur ZDv 10/8. Auch Empfehlungen fehlten lange. Erst mit der Broschüre »Umgang mit Verwundung und Tod im Einsatz« von 1996, die das Zentrum Innere Führung herausgab, wurden für Traueransprachen verschiedene Bausteine vorgeschlagen. Allerdings veränderte sich im Lauf der nächsten Jahre, vor allem mit der UN-Mission in Afghanistan, die Einsatzwirklichkeit der Bundeswehr so entscheidend, dass die auch Anfang 2020 noch aktuelle Version der Broschüre von 2010 mit dem Namen »Auseinandersetzung mit Verwundung, Tod und Trauer im Einsatz« nicht nur einen veränderten Titel trägt, sondern auch inhaltlich grundlegend umgearbeitet wurde.221 220 221

Traueransprache des Bundesministers der Verteidigung Georg Leber, BArch, BW 1/49802. Vgl. Umgang mit Verwundung und Tod im Einsatz (1996), S. 79; Auseinandersetzung mit Ver­ wundung, Tod und Trauer, S.  5; auch: Birta, Ein Stück Einsatzrealität. In: Bundeswehr aktuell, 19.7.2010, S. 3.

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VI. Sprachlicher und ritueller Umgang mit den Toten

»Patentlösungen«222 lehnt die Broschüre ab. Sie schlägt vielmehr vor, kurze, individuelle und ehrliche Würdigungen des Getöteten vorzunehmen, seine Rolle als Kamerad und Freund hervorzuheben und so Trost für die Angehörigen zu spenden. Ferner soll der Redner neben dem Ausdruck von Schmerz und Trauer auch betonen, dass die Erinnerung an den Getöteten dauerhaft weiterleben werde und seine Kameraden sich der Fortsetzung seiner Leistung verpflichtet fühlten.223 Mit welchen Interpretationen aber warten nun die Reden im Rahmen militärischer Trauer- und Gedenkfeiern auf? Liefern sie Vorlagen, Muster und Ideen, welche die Sinnhaftigkeit des Soldatentodes mit der Verteidigung der politischen und ethischen Grundlagen der Bundesrepublik und/oder des Westens verknüpft? Lassen sich Veränderungen des Berufs- und Soldatenbildes aufzeigen, die den Wandel der Bundeswehr von einer Armee der reinen Landesverteidigung hin zu einer weltweit agierenden Einsatztruppe spiegeln? Und wie hat sich angesichts dieses fundamentalen Wandels das Bild des Soldatentodes in der Bundeswehr verändert? Was den militärischen Trauer- und Gedenkreden aller Zeiten gemeinsam ist: Der Redner versucht, eine starke persönliche Beziehung zwischen dem Getöteten und der Trauergemeinde herzustellen. Dazu vermittelt er ein gemeinsames Narrativ, das den Getöteten und die Gemeinde eng verbindet. Dabei bemüht er sich um die Schaffung einer geradezu sakralen Aura, in deren Rahmen er die Bedeutsamkeit des Sol­da­ tenberufes und die Sinnhaftigkeit des Soldatentodes einbettet. Der Tod wird auf diese Weise zu einem zentralen Beitrag für ein erhabenes ethisches Ziel: die Ver­tei­digung der Werte und Ideale der Bundesrepublik Deutschland und damit des Westens. Im Folgenden sollen zunächst das Soldatenbild und die Aufgaben des Soldaten­ berufs im Spiegel der Deutungen des Soldatentodes in Trauer- und Gedenkreden während des Kalten Krieges analysiert werden. Anschließend wird die identische Themen­stellung in Trauer- und Gedenkreden nach 1990 untersucht. Dabei soll der Fokus insbesondere auf Veränderungen gelegt werden, die den Wandel der Bun­des­ wehr in den Zeiten ihrer Teilnahme an UN-Missionen abbilden.

a) Deutungen des Todes von Bundeswehrsoldaten während des Kalten Krieges Auf geradezu paradoxe Weise tauchten in den Trauerreden für Bundeswehrsoldaten, die während des Kalten Krieges durch Unfälle ihr Leben verloren, auch Sprachbilder und rhetorische Wendungen auf, wie sie zur Schilderung des Gefallenentodes in Zeiten des Krieges dienten. Ruft man sich jedoch die militärische Prägung der Redner ins Gedächtnis – einerlei ob Militärs oder Politiker der Bundesrepublik –, die in den ersten Jahrzehnten der Bundeswehr die Trauerreden hielten, so löst sich das Paradoxon leicht auf. Denn diese durchliefen ihre militärische Sozialisation zumeist in der Wehrmacht. Für manche dieser Redner verunfallte ein Soldat nicht einfach, er starb oder fiel heldenhaft im Kampf. Und dabei war der (Opfer-)Tod des Soldaten, für den der Krieg idealerweise das Feld für die Bewährung der Mannestugenden war, 222 223

Umgang mit Verwundung und Tod im Einsatz, S. 79. Vgl. ebd.



VI. Sprachlicher und ritueller Umgang mit den Toten

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mit den höchsten Ehren verbunden.224 Kein Wunder also, dass diese Trauerredner immer dann, wenn die Umstände des Todes eines Bundeswehrsoldaten nach besonderer Symbolik zur Überhöhung des Todes verlangten, auf die alte Rhetorik zurückgriffen. Auf diese Weise ließen sie die Tatsache, dass es sich bei den Toten der Bundeswehr während des Kalten Krieges so gut wie ausschließlich um Unfallopfer handelte, in den Hintergrund treten. Das heißt: Sie rüsteten oft den Tod, der durch zufällige Verkettung, durch Nach- oder Fahrlässigkeit verursacht war, auf zum soldatischen Tod. Im Rahmen der Trauerfeier für die 42  Bundeswehropfer des Absturzes über Kreta erklärte etwa Verteidigungsminister Leber deren Unfalltod zum soldatischen Kriegstod: »So wie sie gestorben sind, so fällt der Soldat im Felde.«225 Anlässlich der Trauerfeier für die drei im Januar 1969 beim Überfall auf das Munitionsdepot von Lebach getöteten Bundeswehrsoldaten beschrieb Oberstleutnant Peter Holm, Kommandeur des Fallschirmjägerbataillons 261, deren Tod sogar als gewalttätiger und brutaler als den Kriegstod im Zweiten Weltkrieg:

»Ich weiß nur, dass selbst in härtesten Kämpfen während des Krieges das Leben eines Wehrlosen und nicht zum Kampf vorbereiteten Gegners geschont wurde. Unsere drei Soldaten aber wurden im Frieden heimtückisch ermordet und mussten aus dem Leben abtreten.«226

Verteidigungsminister von Hassel erhob in gleicher Intention den Truppenübungsplatz Bergen-Hohne zum »Felde von Bergen-Hohne«227 und erklärte ihn so gewissermaßen zum Kriegsschauplatz. Auf der dortigen Trauerfeier vom 13. April 1964 für die neun Opfer des Schießunglücks wandte er sich an »das stumme Mitgefühl Unzähliger in unserem Volk, die einst in Kriegszeit das gleiche Leid durchstehen mussten, das sie nun mitten im Frieden doppelt hart betroffen hat«228. Insbesondere bei Reden und Ansprachen innerhalb der militärischen Teilöffent­ lichkeit griff man im Zusammenhang mit der Sinnstiftung für den Soldaten­tod auf ein traditionalistisches Verständnis des Soldaten und seines Berufes zurück. Greifbar wurde dies nicht zuletzt durch die Überbetonung einschlägiger Besonderheiten des Soldatenberufes, zumeist jener, die nicht unbedingt den Staatsbürger in Uniform und die Ideale der Inneren Führung im Blick hatten, sondern den möglichst bedingungslos gehorsamen Soldaten alter Schule, wie er dem Bild der Wehrmacht entsprach. Belegen lässt sich dies durch viele Beispiele von Trauerreden, in denen der Soldat zum Angehörigen eines Berufes sui generis erklärt wurde, zum Mitglied eines exklu224 225 226

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Vgl. Pauli, Wehrmachtssoldaten in der Bundeswehr. Siehe Kap. II.1. und III.1. Traueransprache des Bundesministers der Verteidigung Georg Leber, BArch, BW 1/49802. Traueransprache des Kommandeurs des Fallschirmjägerbataillons 261, Oberstleutnant Holm, am 23.1.1969 in Lebach, BArch, BW 1/21319. Zu dem Zeitpunkt der Trauerfeier kämpfte das vierte Opfer noch um sein Leben. Vgl. Beileidstelegramm des Bundesministers der Verteidigung Dr. Gerhard Schröder an den Vater des Soldaten, 5. März 1969, BArch, BW 1/21319. Ansprache des Herrn Ministers an die Trauerversammlung am 13.4.1964 in Munsterlager, BArch, BW 1/21691. Ebd. Insgesamt wurden bei dem Schießunglück zehn Soldaten getötet und zehn weitere Soldaten verletzt. Zwei der zehn Todesopfer stammten aus dem Ausland, die anderen acht waren Soldaten der Bundeswehr. Sieben von ihnen waren sofort tot, einer erlag später seinen Verletzungen. Vgl. Kilian, Kai-Uwe von Hassel, S. 267.

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VI. Sprachlicher und ritueller Umgang mit den Toten

siven Männerordens, zum Teil einer Elite, einer Werte- und Bekenntnisgemeinschaft mit soldatischen Tugenden der Vergangenheit. Generalleutnant Pemsel warnte in seiner Trauerrede vom 6.  Juni 1957 für die Opfer des Iller-Unglücks nicht etwa vor jugendlichem Überschwang, vor Leichtsinn oder Fahrlässigkeit. Er lobte stattdessen den »männlichen Mut« der Toten und betonte, dass »das Soldatenleben, Ausbildung und Einsatz auf Befehl und Gehorsam«229 fußen würden. Überdies konstruierte man militärische Gemeinschaften – z.B. die Gemeinschaft der Flieger oder der Panzerfahrer –, die sich von der übrigen Gesellschaft abgrenzen und wohl auch über ihr stehen sollten. Luftwaffeninspekteur Kammhuber formulierte es im Rahmen der Trauerfeier am 22. Juni 1962 für die vier auf dem Fliegerhorst von Nörvenich tödlich verunglückten Starfighter-Piloten folgendermaßen: »Die vier jungen Offiziere, um die wir trauern, [...] gehörten zu der kleinen Elite der Männer, deren Leben der Luftwaffe, dem Fliegen von Hochleistungsflugzeugen, gehörte.«230 Gelegentlich verband man den Gedanken der Elite noch mit militärischen Männlichkeitskonzepten. So sprach Johannes Steinhoff, Generalleutnant und Chef des Stabes der Alliierten Luftstreitkräfte Europa-Mitte (AIRCENT), auf der Trauer­ feier am 18. Oktober 1965 für zwei tödlich verunglückte Starfighter-Piloten auf dem Fliegerhorst Wittmundhafen von einer »winzigen Gemeinschaft Gleichgesinnter«, die »nicht über den Terror oder die Angst« sprächen und daher den »männlichsten aller Berufe«231 ausüben würden. Im Gegensatz zu den Ideen Baudissins und seiner »Inneren Führung«, die den Tod des Soldaten zur bloßen »Nebenfolge«232 seines Auftrags degradierten, überhöhten die Redner bei internen militärischen Trauerfeiern häufig den Soldatentod, auch den in Friedenszeiten, zum zentralen Bezugspunkt allen soldatischen Seins. Denn vor allem durch die Bereitschaft zum Tod hob sich der Soldatenberuf für diese Redner von allen anderen Professionen ab. Ganz in diesem Sinne äußerte sich auch Ulrich de Maizière als Kommandeur der Führungsakademie der Bundeswehr. In seiner Trauerrede am 13. April 1964 für die Opfer des Schießunglücks von BergenHohne klang das so: »Auch die Ausbildung im Frieden an modernen Waffen und Waffensystemen, mit ihrem Umgang mit Munition und Sprengstoffen, bringt den Soldaten in eine engere Berührung mit dem Tode als die meisten Berufe. Daraus erwächst dem Soldatenberuf Würde und Achtung. Dadurch werden Denken, Stil und Ethos seines Dienstes geprägt.«233

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Manuskript, 6.6.1957, BArch, BH 1/2338. Ansprache des Inspekteurs der Luftwaffe zu Ehren von Captain John Speer, Oberleutnant Bernd Kuebart, Oberleutnant Heinz Frye und Oberleutnant Wolfgang von Stürmer bei der Trauerfeier in Nörvenich am 22.6.1962, BArch, BL 1/14697. Ein Foto der Trauerfeier auf dem Fliegerhorst findet sich in: Chronik Jagdbombergeschwader 31 »Boelcke«, S. 43. Ansprache GenLt Steinhoff anlässlich der Trauerfeier am 18.10.1965 für Major Geissler und Major Wiese, BArch, N 885/6 (2v2). Vgl. Zur obersten Stufe. In: Der Spiegel, 5.9.1966; Kilian, Führungseliten, S. 357. Baudissin, Beitrag des Soldaten zum Dienst am Frieden, S. 41. Ansprache Kdr FüAkBw, GM de Maizière, auf der militärischen Trauerfeier in Munster-Lager für die tödlich Verunglückten des Schießunglücks am 9.4.1964, 13.4.1964, BArch, N  673/58; Zimmermann, Ulrich de Maizière, S. 218.



VI. Sprachlicher und ritueller Umgang mit den Toten

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Auch den Ursprung der soldatischen Kameradschaft – sie ist einer der zentralen soldatischen Werte überhaupt – verortete de Maizière im Tod, mit dem der Soldat stets konfrontiert sei: »Aus der Nähe zum Tod [...] wächst aber auch die besondere Verbundenheit der Soldaten untereinander, die sich uns in dem Begriff und dem Erlebnis der Kameradschaft zeigt, und die die Soldaten über alle nationalen Grenzen miteinander verbindet.«234 Auch der Unfalltod des Bundeswehrsoldaten in Friedenszeiten galt als »Opfer­ tod«235. So verband der Inspekteur der Luftwaffe Kammhuber in seiner Nörvenicher Ansprache vom 22. Juni 1962 den Unfalltod der Starfighter-Piloten mit den traditionellen Deutungskategorien von Opfer und Ehre: »Wenn die Bundeswehr ihre besondere Ehre hat, dann liegt sie darin, dass von ihr auch im Frieden immer wieder besondere Opfer gefordert werden, und diese Opfer fast ausschließlich von jungen Menschen in der Blüte der Jahre gebracht werden müssen.«236 Diese Beispiele zeigen eine Überbetonung der Vorstellungen von soldatischer Ge­ mein­schaft und soldatischen Werten und eine Marginalisierung des politischen Auf­ trags des Soldaten und seiner Bindung an die Gesellschaft im Sinne des uniformierten Staatsbürgers. Die einseitige Beschwörung einer militärisch-männlichen Elite sowie die weitgehende Reduktion des Soldatischen auf Werte wie Opferbereitschaft, Tapferkeit, Treue, Kameradschaft und Pflichterfüllung dienten dem Trauerredner vermutlich primär dazu, Kontinuität und Integrität der eigenen Biografie zu wahren und traditionalistische Vorstellungen von Soldatentum, denen sich der Redner aufgrund seiner eigenen Sozialisation in der Wehrmacht verpflichtet fühlte, in die Bundeswehr zu implementieren. Durch die Zementierung eines jeder Kritik enthobenen bzw. die Propagierung eines geradezu sakrosankten Soldatentums wurden militärische Tugenden wie Elitebewusstsein, Männlichkeit, Gehorsam, Tapferkeit und Treue in den Rang absoluter Werte des Soldatischen erhoben. Auf diese Weise und ganz dem Geist der Elite verpflichtet, erhob Luftwaffeninspekteur Kammhuber auf der Trauerfeier in Nörve­nich selbst das reine Fliegen zum Wert an sich, das keiner tieferen Sinnstiftung bedurfte: »Die vier Offiziere [...] waren sich dessen bewusst, dass das große Erlebnis des fliegerischen Einsatzes nicht ohne die Bereitschaft auch zum letzten Opfer zu haben ist. Sie sind ganz sicher nicht leichtsinnig und blind in den Tod geflogen, sondern als Männer, die von der Notwendigkeit und dem Sinn ihrer großen und schönen Aufgabe erfüllt waren und durchaus den Preis kannten, der einmal von ihnen gefordert werden könnte. Sie wussten auch, dass nicht die Zahl der Jahre über den Wert eines Lebens entscheidet, sondern die Intensität des Erlebens und die Möglichkeit, sich für eine große und sinnvolle Aufgabe einzusetzen.«237

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Ansprache Kdr FüAkBw, GM de Maizière, auf der militärischen Trauerfeier in Munster-Lager für die tödlich Verunglückten des Schießunglücks am 9.4.1964, 13.4.1964, BArch, N 673/58. Trauerfeier für abgestürzten Piloten. In: Schwäbische Landeszeitung, 3.9.1959. Vgl. Ansprache des Inspekteurs der Luftwaffe zu Ehren von Captain John Speer, Oberleutnant Bernd Kuebart, Oberleutnant Heinz Frye und Oberleutnant Wolfgang von Stürmer bei der Trauer­ feier in Nörvenich am 22.6.1962, BArch, BL 1/14697. Ebd.

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VI. Sprachlicher und ritueller Umgang mit den Toten

Am 18. Oktober 1965 äußerte sich auch AIRCENT-Stabschef Steinhoff anlässlich der Trauerfeier für zwei weitere tödlich verunglückte Starfighter-Piloten ganz im Sinne eines solch geradezu geheiligten Soldatentums:

»Dann ist plötzlich der Platz neben einem leer – und die Pflicht verlangt, dass man weitermacht [...] Es gibt keine umfassende Antwort auf die Frage, warum diese Männer wieder ihre Pflicht erfüllen, warum sie gewillt sind, in dem politischen Zustand, den wir Frieden nennen, an der Front zu stehen und bereit sind, [ein] Wagnis einzugehen, dessen Größe nicht im entferntesten gewürdigt wird.«238

Steinhoff glaubte, diese beiden Männer seien »ausschließlich dem hingegeben gewesen, was sie tun mussten, der gefahrvollen Aufgabe, deren Erfüllung allein ihnen Beruhigung und Glück verhieß«239. Auch das Opfer, und zwar primär das Opfer für die militärische Gemeinschaft, stellten die internen Trauerbekundungen oft ins Zentrum ihrer Sinnstiftung für den Sol­da­ten­tod. So ist in der Chronik des Jagdbombergeschwaders  34 anlässlich des Todes eines Offiziers, der in der Nacht vom 6. zum 7.  September 1962 tödlich ver­unfallte, zu lesen: Er starb »mitten in aufopferungsvoller Arbeit für das Ge­schwa­der 34«240. Auf der verteidigungspolitischen, öffentlichen Ebene hingegen deutete man den Tod von Soldaten stets in einem umfassenderen Kontext: im Zusammenhang mit dem gesellschaftspolitischen Auftrag der Bundeswehr und der Erhaltung des Friedens sowie den demokratischen Werten, denen die Soldaten mit ihrer Arbeit gemäß der Verfassung zu dienen haben. In seiner Presseerklärung anlässlich des Iller-Unglücks deutete das BMVg deren Tod noch allgemein als »Dienst zum Schutze unserer Heimat«241. In den folgenden Jahren rückte es dabei explizit die Bedeutung der Bundeswehr als Instrument zur Verteidigung und Sicherung des Friedens in den Vordergrund. Auf diese Weise – der Soldat als Bewahrer des Friedens – lud die Politik den Dienst des Soldaten und die zur Erfüllung seiner Aufgaben unabdingbaren Tugenden wie Tapferkeit, Pflichterfüllung oder Opferbereitschaft mit neuem Ethos und damit neuem Sinn auf. So wurde der Unfalltod in Friedenszeiten mit gesellschaftlich erwünschten Werten verbunden und als Opfer für diese interpretiert. Und im Gegensatz zu den internen militärischen und zumeist selbstreferenziellen Begründungen und Sinnstiftungen des Soldatentodes fanden sich auf der verteidigungspolitischen Ebene ab den späten 1950er-Jahren weit gefasste Legitimationen, die den Soldatentod mit zentralen Werten der Verfassung wie Frieden, Freiheit, Demokratie oder Menschenwürde verknüpften.242 Außerdem nahmen sie Bezug auf den Soldateneid, den die Bundeswehrsoldaten auf die Verfassung 238 239 240 241 242

Ansprache GenLt Steinhoff anlässlich der Trauerfeier am 18.10.1965 für Major Geissler und Major Wiese, BArch, N 885/6 (2v2). Ebd. Jabo-Geschwader 34, Nachruf, 7.9.1962, BArch, BL 23/408. Vgl. Schmidt, Die Toten der Bundes­ wehr, S. 66. Erklärung des Bundesministers für Verteidigung zu dem Unglücksfall beim Luftlandejägerbataillon 19 in Kempten am 3. Juni 1957 (4.6.1957), BArch, BW 1/21637. Ansprache des Herrn Ministers an die Trauerversammlung am 13.4.1964 in Munsterlager, BArch, BW  1/21691. Vgl. Ansprache des Bundesministers der Verteidigung Dr. Gerhard Schröder bei der Trauerfeier am 23.1.1969 für die Soldaten, die beim Überfall auf das Munitionsdepot in



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der Bundesrepublik Deutschland ablegten. Genau in diesem Sinne äußerte sich Verteidigungsminister Schröder in seiner Trauerrede vom 23. Januar 1969 für die beim Überfall auf das Munitionsdepot von Lebach getöteten Bundeswehrsoldaten: »Diese jungen Soldaten [...] hatten ihren Anteil an der Aufgabe und dem Auftrag aller Soldaten der Bundeswehr: das Recht zu schützen, die Freiheit zu sichern und den Frieden zu bewahren.«243 Neben den Werten des Grundgesetzes diente auch der Kalte Krieg, der die Koordinaten des Auftrags der Bundeswehr bestimmte, als Folie für Deutungen und Sinn­stiftungen des Soldatentodes. Sogar in Trauerreden für eine militärische Teil­öffentlichkeit, die ja ansonsten zumeist selbstreferenziell geprägt waren, fanden sich bereits Ende der 1950er-Jahre politisch vergleichsweise breit angelegte Sinnstiftungen. So sprach z.B. Karl-Heinz Greve, Oberstleutnant und Kommodore des Jagdbombergeschwaders  34, anlässlich der Trauerfeier für den am 31.  August 1959 beim Absturz einer Bundeswehrmaschine getöteten Oberleutnant Joachim Czechowski von einem »Opfertod«244, erbracht für die Sicherung von Frieden und Freiheit. Vor allem aber in den öffentlichen Traueransprachen von Militärs und Politikern waren Frieden und Freiheit zentrale Schlüsselbegriffe, wobei die Betonung des soldatischen Opfers allerdings in den Hintergrund trat. Bei der Einweihung des Denkmals für die Toten des Iller-Unglücks in Kempten am 11. August 1957 definierte Verteidigungsminister Strauß den Auftrag der Bundeswehr und damit indirekt die Sinnstiftung für den Soldatentod als »die Notwendigkeit den Frieden zu sichern« und »den Krieg zu verhindern«. Und weiter: »Hierfür dient der Soldat, hierfür muss er ständig bereit sein.«245 In ähnlicher Weise äußerte sich später auch Ulrich de Maizière, für den die toten Bundeswehrsoldaten »zu ernstem und verantwortungsvollem Dienst zur Erhaltung des Friedens in einer freien Welt« mahnten. Überdies erwachse aus dem Tod der Soldaten die »Verpflichtung«, »Tod und Grauen von all den Menschen fernzuhalten, deren Verteidigung und Sicherheit uns anvertraut ist«246. Das Vermächtnis der Toten, das die überlebenden Kameraden zur Fortsetzung und Erfüllung ihres soldatischen Dienstes und ihrer soldatischen Pflicht anspornen sollte, war ein zentraler militärischer Leitgedanke. In früheren Zeiten wurde der Soldatentod der Kameraden oftmals instrumentalisiert, um unter den Überlebenden den Gedanken der Rache, der militärischen Revanche zu verbreiten. In der Bundeswehr ersetzte die Sicherung des Friedens das Motiv der Rache.

243

244 245 246

Lebach/Saar ihr Leben verloren, BArch, BW 1/25310; Traueransprache des Bundesministers der Verteidigung Georg Leber, BArch, BW 1/49802; Schmidt, Die Toten der Bundeswehr, S. 68. Ansprache des Bundesministers der Verteidigung Dr. Gerhard Schröder bei der Trauerfeier am 23.1.1969 für die Soldaten, die beim Überfall auf das Munitionsdepot in Lebach/Saar ihr Leben verloren, BArch, BW 1/25310. Trauerfeier für abgestürzten Piloten. In: Schwäbische Landeszeitung, 3.9.1959. Sprechzettel für die Rede des Herrn Ministers zur Einweihung eines Denkmals für die Toten des Iller-Unglücks am 11.8.1957 im Kreis Kempten, ACSP, NL Strauß, BMVG 1013. Ansprache Kdr FüAkBw, GM de Maizière, auf der militärischen Trauerfeier in Munster-Lager für die tödlich Verunglückten des Schießunglücks am 9.4.1964, 13.4.1964, BArch, N 673/58.

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Verteidigungsminister von Hassel formulierte dies in seiner Trauerrede für die Opfer des Schießunglücks von Bergen-Hohne im April 1964 so: »Diese Männer wussten, dass in unserer zerrissenen und heimgesuchten Welt heute leider nur Waffen und ihre Beherrschung Frieden und Freiheit wirklich sichern können.«247 Die gleiche politische Linie vertrat später auch Verteidigungsminister Schröder in der Trauerfeier für die Opfer des Überfalls von Lebach im Januar 1969:

»Wir erkennen, dass wir der Gewalttätigkeit und dem Friedensbruch immer wieder und auch unerwartet begegnen können. Es bleibt daher unsere Aufgabe, alles zu tun, was uns den Frieden und das Recht bewahren kann. Jedes Unglück, jede Gewalttat, muss uns in unserem Mühen und Sorgen anspornen, den Frieden zu sichern und Wachsamkeit zu üben.«248

Manche Trauerredner wie Ulrich de Maizière verwiesen neben dem Auftrag der Friedenssicherung auch auf die Notwendigkeit der westdeutschen Mitgliedschaft in der NATO, da zur Verteidigung des Friedens »unsere nationalen Kräfte [...] allein«249 nicht ausreichten. Auch Luftwaffeninspekteur Limberg stellte in seiner Trauerrede vom Februar 1975 die Sinnstiftung für die 42  Opfer der Bundeswehr auf Kreta in den transatlantischen Zusammenhang der NATO. Denn für Limberg waren die deutschen Soldaten im »selbstlosen Einsatz für die Luftverteidigung Westeuropas«250 gestorben. Eine ähnliche Position vertrat bereits Limbergs Vorgänger Kammhuber in seiner Nörvenicher Ansprache im Juni 1962: »Vielleicht darf ich noch diesen Gedanken anfügen, dass ich einen tiefen symbolischen Sinn darin sehe, dass in engster Kameradschaft auf dem Höhepunkt fliegerischer Aktion drei deutsche Piloten zusammen mit ihrem amerikanischen Fliegerkameraden und Fluglehrer das Opfer des Lebens gebracht haben. Ich kann nur wünschen, dass das als ein Zeichen engster Schicksalsverbundenheit angesehen wird und uns immer mahnt, auch in Zukunft in unverbrüchlicher Verbundenheit mit den Kameraden der amerikanischen Luftwaffe der gemeinsamen Aufgabe unserer verbündeten Luftwaffen zu dienen.«251

Grundsätzlich zeichneten sich die Traueransprachen während des Kalten Krieges durch die Verwendung eines aktiven Opferbegriffs aus: Der Bundeswehrsoldat fiel nicht einfach einem Unfall zum Opfer, sondern durch die Erfüllung seines Dienstes und seiner Pflicht nahm er bewusst letztlich seine Aufopferung aktiv in Kauf. Verteidigungsminister Strauß forderte anlässlich des Iller-Unglücks im August 1957 das aktive Opfer des Bundeswehrsoldaten für die Nation geradezu ein: »Denn in der Verantwortung für Frieden, Freiheit und Sicherheit – immer ist und bleibt der 247 248

249 250 251

Ansprache des Herrn Ministers an die Trauerversammlung am 13.4.1964 in Munsterlager, BArch, BW 1/21691. Ansprache des Bundesministers der Verteidigung Dr. Gerhard Schröder bei der Trauerfeier am 23.1.1969 für die Soldaten, die beim Überfall auf das Munitionsdepot in Lebach/Saar ihr Leben verloren, BArch, BW 1/25310. Ansprache Kdr FüAkBw, GM de Maizière, auf der militärischen Trauerfeier in Munster-Lager für die tödlich Verunglückten des Schießunglücks am 9.4.1964, 13.4.1964, BArch, N 673/58. Trauerworte des Inspekteurs der Luftwaffe, Genlt Gerhard Limberg, BArch, BW 1/49802. Ansprache des Inspekteurs der Luftwaffe zu Ehren von Captain John Speer, Oberleutnant Bernd Kuebart, Oberleutnant Heinz Frye und Oberleutnant Wolfgang von Stürmer bei der Trauerfeier in Nörvenich am 22.6.1962, BArch, BL 1/14697.



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Soldat ein Teil seines Volkes, in dem er lebt, für das er lebt, und für das er auch bereit sein muss, sein Leben hinzugeben.«252 Beispielhaft formulierte Luftwaffeninspekteur Kammhuber im Zusammenhang mit dem Unglück von Nörvenich im Juni 1962 dieses Opferverständnis:

»So bleiben als die eigentlichen Säulen unserer westlichen Freiheit die verspotteten opferbringenden Menschen [gemeint sind Soldaten] übrig, die meist auf großen Verdienst und Erfolg verzichten und ihr Leben in den Dienst einer gemeinsamen Sache stellen [...] Wir werden bei dieser Aufgabe Opfer bringen wie jeder gute Bürger, und in diesem und keinem andern Sinne ist auch der Tod unserer vier Kameraden zu verstehen, die als Säulen für eine Sache mitstanden, bereit ihr Leben zu geben.«253

Ein ähnliches Opferverständnis zeigte auch Verteidigungsminister von Hassel. An­ läss­lich der Trauerfeier für die beim Schießunglück von Bergen-Hohne im April 1964 getöteten Bundeswehrsoldaten erklärte er den Auftrag der Soldaten zur »Berufung« und die Soldaten zu Wächtern in Reih und Glied an »unserer« Seite, »jederzeit bereit, zur Wahrung dieses Friedens, zur Verteidigung der Freiheit alles, auch das Leben, einzusetzen«.254 Denn die Sicherung des Friedens sei die »Lebensaufgabe«, »der Sinn ihres Soldatentums«.255 Auch Generalleutnant Ernst-Dieter Bernhard teilte diese Sicht des Opfers. Der Amtschef des Luftwaffenamtes erinnerte anlässlich einer Gedenkfeier für die Opfer des Absturzes der Transall von 1975 daran, »welch hoher Einsatz von dem Soldaten in seinem Dienst für die Erhaltung des Friedens gefordert wird; ein Einsatz, der letzten Endes sogar die Hingabe des eigenen Lebens einschließen kann, denn ein wesentlicher Teil soldatischen Dienstes ist auch die Bereitschaft zum Sterben«.256

Ebenso betonte Verteidigungsminister Leber in seiner Trauerrede im Zusammenhang mit dem Transall-Absturz das aktive Opfer der getöteten Bundeswehrsoldaten:

»[Weil die] Erfüllung der Aufgabe: Freiheit und Frieden zu schützen, nicht ohne die Tapferkeit – das ist die Tuchfühlung mit Risiko und Gefahr – denkbar ist, weil sich die Gefahr auch im Frieden nicht völlig abkoppeln lässt und weil die, die Soldaten sind, das wissen, daher lautet die Antwort auf die Frage nach dem Sinn dieses Sterbens: Es war ihr Opfer im Dienst für das Vaterland.«257

Bei der Sinnstiftung für den Soldatentod wurde der Begriff des aktiven Opfers aber nicht nur in einem primär militärischen Zusammenhang gebraucht. Er fand auch in einem weitaus breiteren, allgemein humanitären Verständnis Anwendung. Im Nachruf des Jagdbombergeschwaders 31 auf Oberleutnant Erik Bedarf, der am 3.  September 1962 seinen brennenden Starfighter noch über den Ort Krekel 252 253 254 255 256

257

Sprechzettel für die Rede des Herrn Ministers zur Einweihung eines Denkmals für die Toten des Iller-Unglücks am 11.8.1957 im Kreis Kempten, ACSP, NL Strauß, BMVG 1013. Bedarf, Opfer Opfer Opfer ... In: Echo 31, 6/1962, S. 4. Ansprache des Herrn Ministers an die Trauerversammlung am 13.4.1964 in Munsterlager, BArch, BW 1/21691. Ebd. Entwurf für eine kurze Ansprache des Amtschef des Luftwaffenamtes, Genlt Bernhard, die anläßlich der Einweihung von zwei Gedenkstätten für die Opfer des Flugzeugabsturzes auf Kreta gehalten wird, 8.12.1975, BArch, BL 1/29081. Traueransprache des Bundesministers der Verteidigung Georg Leber, BArch, BW 1/49802.

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hinwegmanövrierte und so eine Katastrophe verhinderte, indem er auf die für ihn lebensrettende, frühzeitige Auslösung des Schleudersitzes verzichtete, hieß es: »Sein Tod hat uns bestürzt, denn er ist das größte Opfer, das Olt. Bedarf bringen konnte, – aber es ist zugleich das Opfer, das von uns allen verlangt wird, und zu dem wir bereit sein müssen, wie er es war.«258 Hier zeigt sich die Selbstaufopferung zur Rettung Vieler als ein Ethos überragender Verantwortlichkeit, das sogar den Trieb der Selbsterhaltung bezwingen kann. Ähnlich vorbildhaft verhielt sich auch Oberleutnant Ludger Hölker, dessen Düsentrainer vom Typ T-33 am 15.  September 1964 dramatisch an Schub verlor. Doch der Pilot wartete mit der Betätigung des Schleudersitzes und überflog noch die Ortschaft Straßberg. So opferte Hölker zwar sein Leben, verhinderte aber die Katastrophe für Straßberg, wo das Flugzeug ansonsten abgestürzt wäre.259 Erst 13  Jahre später, am 18.  Oktober 1977, ehrte die Bundeswehr den opferbereiten Piloten, indem sie an der Offizierschule der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck einen großen Versammlungsraum auf den Namen »Ludger-Hölker-Saal« taufte. Anlässlich des Festaktes würdigte Luftwaffeninspekteur Limberg den Piloten als vorbildlichen Flug­zeug­führer, »der im Dienst für unseren freiheitlichen Staat bewusst sein Leben opferte, um andere Menschenleben zu retten«260. Die Luftwaffenpiloten Bedarf und Hölker mögen exemplarisch auch für zahlreiche weitere Bundeswehrsoldaten stehen, die ihr Leben zur Rettung anderer opferten. Sie alle stellten ihre Bereitschaft zum aktiven Opfer unter Beweis – zu einem heroischen Opfer, das nicht nur für militärische, bündnispolitische oder nationale Belange erfolgte, sondern darüber hinaus sowohl den staatsbürgerlichen Grundsätzen der Inneren Führung ebenso verpflichtet war wie christlichen Werten und universell gültigen Prinzipien der Humanität.261

b) Deutungen des Todes von Bundeswehrsoldaten in den Auslandsmissionen Anlässlich des Gedenkappells am 22. Oktober 1993 in Wunstorf bei Hannover für Alexander Arndt bereitete Verteidigungsminister Rühe sowohl die Bundeswehr wie die deutsche Bevölkerung darauf vor, dass mit weiteren Opfern zu rechnen sei: »In unserer Trauer sind wir verbunden mit all den anderen Nationen, die auch Opfer im Dienst für die Vereinten Nationen, im Einsatz für Frieden und Wohlfahrt anderer Völker

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261

Oberleutnant Erik Bedarf, 29.3.1936‑3.9.1962, S. 2. Vgl. Chronik Jagdbombergeschwader 31 »Boelcke«, S. 44; Züll, Fast 300 Starfighter abgestürzt. In: Kölner Stadt-Anzeiger, 2.9.2012. Vgl. Bischler/Hager, 50 Jahre Jagdbombergeschwader 32, S. 208 f.; Meyer, Oberleutnant Ludger Hölker, S. 39. Die Ansprache ist abgedruckt bei: Meyer, Ludger Hölker – ein Vorbild für uns alle, 2010, S. 8 f., Zitat S.  8, (letzter Zugriff 6.9.2021). Die Luftwaffe interpretierte den Tod als einen »Opfertod«. Vgl. Lenke, 50  Jahre Opfertod, (letzter Zugriff 4.4.2016), Privatarchiv Julia Nordmann; Meyer, Oberleutnant Ludger Hölker, S. 39. Weitere Beispiele von Bundeswehrsoldaten, die ihr Leben zur Rettung anderer opferten, stellt das Kapitel VII.3 vor.



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beklagen. Wir machen jetzt diese bittere Erfahrung und hatten doch gehofft, sie bliebe uns erspart.«262

Fast zwanzig Jahre und zahlreiche UN-Auslandsmissionen später bestätigte Verteidi­ gungs­minister zu Guttenberg auf der Trauerfeier für die vier am 15. April 2010 in Afghanistan gefallenen Soldaten die Befürchtungen seines Vorgängers Rühe: »Nach den Gefechten vom 15. April und vom Karfreitag ist deutlich geworden, was wir vielleicht zu lange nicht wahr haben wollten. Tod und Verwundung sind Begleiter unserer Einsätze geworden. Und sie werden es auch in den nächsten Jahren sein. Wohl nicht nur in Afghanistan.«263

Damit bestätigte Guttenberg endgültig und offiziell die neue Rolle der Bundeswehr als globaler militärischer Akteur im Rahmen der UNO. Der Tod im Auslandseinsatz als aktiv von Bundeswehrsoldaten erbrachtes Opfer konfrontierte die Trauerredner aus Bundeswehr und Politik auf ganz neue Weise mit der Frage nach der Sinnstiftung dieses Opfers. Und zugleich mit der Notwendigkeit, auf diese Fragestellung Antworten zu finden, die mit den Grundsätzen einer demokratisch verfassten Gesellschaft und den Prinzipien der Inneren Führung vereinbar sind. Besonders auffällig war in den Trauer- und Gedenkansprachen nach 1993 die Änderung des Bezugsrahmens. Denn der Tod des Bundeswehrsoldaten stand nun nicht mehr ausschließlich im Zusammenhang mit nationalen Interessen. In den Trauerreden wurde er nun zunehmend in einen internationalen Kontext – denjenigen der UNO, des Westens oder der NATO – gestellt. Auf diese Weise lobte z.B. Rühe den Tod von Feldwebel Arndt nicht nur als »Pflichterfüllung im Auftrag seines Vaterlandes«, sondern auch als Opfer im »Dienst für die Vereinten Nationen, im Einsatz für Frieden und Wohlfahrt anderer Völker«264. Im Lauf der Jahre verfestigte sich die Betonung des internationalen Bezugs mehr und mehr und trat in Trauerreden für Bundeswehrsoldaten sogar in den Vordergrund. Ein aussagekräftiges Beispiel dafür ist die Ansprache, mit der Verteidigungsminister Jung am 23.  Mai 2007 in Köln-Wahn die wenige Tage zuvor im nordafghanischen Kunduz getöteten deutschen Soldaten würdigte: »Die Bundeswehr leistet in Afghanistan einen wichtigen Beitrag für Sicherheit und Frieden im Auftrag der internationalen Staatengemeinschaft und sie leistet damit auch einen Beitrag zur Sicherheit unseres Landes.«265 262 263

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BMVg, Der BM an Innenverteiler III, Tagesbefehl anlässlich der Beisetzung des in Kambodscha getöteten Feldwebels Alexander Arndt am 22.10.1993, 20.10.1993, BArch, BW 1/490835. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr.  Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg anlässlich der Trauerfeier für die vier am 15.4. gefallenen Soldaten im Liebfrauenmünster in Ingolstadt am 24.4.2010, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privatarchiv Julia Nordmann. BMVg, Der BM an Innenverteiler III, Tagesbefehl anlässlich der Beisetzung des in Kambodscha getöteten Feldwebels Alexander Arndt anlässlich der Beisetzung am 22.10.1993, 20.10.1993, BArch, BW 1/490835. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Franz Josef Jung anlässlich der Trauerfeier für die am 19.5.2007 in Kunduz getöteten Soldaten der Bundeswehr am 23.5.2007 in Köln-Wahn, (letzter Zugriff 12.5.2012), Privatarchiv Julia Nordmann. Am 19.  Mai 2007 sprengte sich auf einem Markt in Kunduz ein Selbstmordattentäter neben einer Gruppe von Bundeswehrsoldaten in die Luft. Die Explosion des Sprengsatzes tötete insgesamt zehn Menschen, darunter drei Soldaten der Bundeswehr. Fünf weitere deutsche Soldaten wurden verletzt. Vgl. Seliger, Sterben für Kabul, S. 74 f.

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So wurden die Auslandseinsätze als Garanten für die Gewährleistung der internationalen Sicherheit präsentiert, ohne die es letztlich keine nationale Sicherheit geben könne. Insbesondere in der frühen Phase des Auslandsengagements der Bundeswehr, die kritische Diskussionen in der deutschen Öffentlichkeit begleiteten, stand die internationale Sicherheit noch an zweiter Stelle. Vielmehr wurde mit Begrifflichkeiten wie »peacebuilding« oder »peacekeeping«266 primär der humanitäre Friedenscharakter der Einsätze betont. So hob Rühe in seiner Würdigung für Arndt hervor: »Menschen in Not hat er geholfen«,267 denn er habe

»sein Können und seine ganze Kraft dem Wohle der Menschen gewidmet. Mit seinem selbstlosen Einsatz hat Feldwebel Arndt gelebt, was die Maxime der Politik unseres Staates ist – Verantwortung wahrzunehmen, wo Schwächere auf unsere Hilfe angewiesen sind. Solidarität, Menschenliebe und den Einsatz für den Frieden hat er nicht nur im Munde geführt. Dafür hat er gearbeitet«268.

Verteidigungsminister Struck verwies auf der Trauerfeier vom 10. Juni 2003 für die drei kurz zuvor bei einem Anschlag in Kabul getöteten deutschen Soldaten bereits auf die Gleichwertigkeit beider Sinnstiftungsmuster für den Soldatentod: sowohl auf die humanitäre Rolle der Bundeswehr als auch auf die Bedeutung dieses internationalen Einsatzes für die nationale Sicherheit. Struck betonte die »herausragende Rolle Deutschlands und der Bundeswehr für die Zukunft Afghanistans«. Und er interpretierte die Formel »im Dienst gestorben« nun folgendermaßen: »Sie sind im Dienst für uns alle gestorben. Sie sind für den Frieden gestorben, für unsere Sicherheit und damit für unser Land. Sie sind auch für die Menschen gestorben, denen sie vor Ort, unter gefährlichen Bedingungen, Tag für Tag den Weg zurück zu einem Leben in Normalität ebnen wollten.«269

Die Position Strucks, die Sicherheit Deutschlands werde auch am Hindukusch verteidigt,270 findet sich in abgewandelter Form auch in dieser Trauerrede. Gut sechs Jahre später griff auch Verteidigungsminister Jung die Position Strucks auf. Im Rahmen der Trauerfeier vom 12. Oktober 2009 für den in Afghanistan getöteten Bundeswehrangehörigen Patric Sauer würdigte Jung summarisch alle deutschen Soldaten, die in Afghanistan gestorben waren. Diese Männer, so der Minister, hätten ihr »Leben im Einsatz für den Schutz Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger« gelassen: »[Denn] Afghanistan war der Rückzugsraum und das Ausbildungscamp des internationalen Terrorismus. Hier wurden die Anschläge des 11. Septembers geplant und maßgeblich vorbereitet. Wir haben als Teil der internationalen Staatengemeinschaft Afghanistan von

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270

Biehl, Die neue Bundeswehr, S. 12. BMVg, Der BM an Innenverteiler III, Tagesbefehl anlässlich der Beisetzung des in Kambodscha getöteten Feldwebels Alexander Arndt am 22.10.1993, 20.10.1993, BArch, BW 1/490835. Ebd. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Peter Struck anlässlich der Trauerfeier für die am 7.6.2003 in Kabul getöteten Soldaten der Bundeswehr, 10.6.2003, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privatarchiv Julia Nordmann. Siehe Kap. V.2.b. Vgl. Schmitz, Das soldatische Selbstverständnis im Wandel, S. 13.



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dem terroristischen Regime der Taliban befreit. Wir helfen den Afghanen dabei, Stabilität und Sicherheit selbst zu garantieren, um solche Zustände in Zukunft zu verhindern.«271

Beide Minister erhoben das Sicherheitsbedürfnis der Bundesrepublik zum zentralen Motiv der Sinnstiftung des Todes von Bundeswehrsoldaten im Ausland. Auf diese Weise gerieten die internationalen Einsätze deutscher Soldaten zum Instrument nationaler Sicherheitspolitik. In den Jahren 2008, 2009 und 2010 wandelte sich durch Kämpfe, Gefechts­ situa­tionen, Anschläge und Selbstmordattentate die öffentliche Wahrnehmung des ISAF-Einsatzes der Bundeswehr dramatisch. Insbesondere den Ministern Jung und Gutten­berg oblag daher angesichts der wenig opferbereiten und von einer ausgeprägten casualty shyness gezeichneten Gesellschaft die Aufgabe, der Öffentlichkeit den Sinn des deutschen Engagements vor dem Hintergrund einer zunehmend kriegerischen Lage plausibel zu erklären und auf diese Weise die neuen Opfer zu rechtfertigen. Auf der Trauerfeier vom 9. April 2010 für die während des Karfreitagsgefechts in Afghanistan gefallenen Bundeswehrsoldaten erhob Guttenberg ganz allgemein die Verteidigung deutscher Interessen zur Sinnstiftung für deren Tod: »Sie haben ihr Leben verloren, als und weil sie im Namen ihres Vaterlandes, der Bundesrepublik Deutschland, weil sie in unserem Namen und weil sie für uns, überaus tapfer und mutig ihren Dienst in Afghanistan geleistet haben.«272 Auf einer anderen Trauerfeier für in Afghanistan gefallene Bundeswehrsoldaten gut zwei Wochen später wurde Guttenberg deutlicher: »Es mögen im 21. Jahrhundert immer noch Viele nicht hören, aber es stimmt: Dass in Afghanistan für unser Land, für dessen Menschen, also für jeden von uns, gekämpft und gestorben wird.«273 Mit einem ähnlichen deutschen Schutz- und Sicherheitsinteresse begründete auch Guttenbergs Vorgänger Jung auf der Trauerfeier für Sergej Motz den Einsatz des Hauptgefreiten und würdigte dessen Opfer: »Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr tragen aus der tiefen Überzeugung, dass ihr Engagement dem Schutz und der Sicherheit der Menschen in Deutschland dient, ein hohes Risiko. Auch Hauptgefreiter Sergej Motz hat sich mit seinem Einsatz in Afghanistan für die Würde des Menschen, für Frieden, für Freiheit und Recht eingesetzt

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Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Franz Josef Jung anlässlich der Trauerfeier für den Stabsgefreiten Patric Sauer am 12.10.2009 in der Christkönig Kirche Fulda, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privatarchiv Julia Nordmann. Am 6. August 2008 blieb ein Transportfahrzeug vom Typ »Dingo« nahe des Feldlagers im nordafghanischen Kunduz liegen. Die Bundeswehrsoldaten sperrten die Straße, um das Fahrzeug zu reparieren. Patric Sauer und sein Kamerad bewachten eine Seite der Absperrung. Ein Motorradfahrer nährte sich ihnen und zündete einen Sprengstoffgürtel. Sauer und sein Kamerad überlebten schwer verwundet. In der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober 2008 erlag Sauer den Spätfolgen seiner Verwundung. Vgl. Seliger, Leben und Sterben für Deutschland. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr.  Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg anlässlich der Trauerfeier für die drei am 2.4. gefallenen Soldaten in der Sankt-Lamberti-Kirche am 9.4. in Selsingen, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privatarchiv Julia Nordmann. Siehe Kap. V.2.b. Vgl. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg anlässlich der Trauerfeier für die vier am 15.4. gefallenen Soldaten im Liebfrauenmünster in Ingolstadt am 24.4.2010, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privatarchiv Julia Nordmann.

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und ist mit seinem Leben für diese Werte und Normen eingetreten. Er verdient deshalb Achtung, Respekt und Dankbarkeit – Achtung vor seinem Mut, sich dem gefährlichen Einsatz zu stellen. Und Respekt und Dankbarkeit für seinen Dienst, den er zu unserem Schutz auf sich genommen hat.«274

Daraus ergebe sich, wie wiederum Guttenberg bekannte, dass er selbst die »politische Verantwortung« für die Einsätze in Afghanistan und durch sein Amt daher auch »persönlich, als Verteidigungsminister, als Regierungsmitglied und Parlamentarier, Verantwortung«275 für die Trauer der Angehörigen trage. Guttenbergs Nachfolger im Amt des Verteidigungsministers, Thomas de Maizière, unterstrich ebenfalls den Gedanken der politischen Verantwortung. So sagte er auf der Trauerfeier vom 10.  Juni 2011 für den in Afghanistan gefallenen Ober­stabs­ gefreiten Alexej Kobelew: »Ich bin heute nicht alleine gekommen. Ich spreche als Bundesminister der Ver­tei­di­ gung. Mit mir ist der Außenminister gekommen, der Generalinspekteur, viele Bun­des­ tagsabgeordnete, der Wehrbeauftragte. Wir alle haben über den Einsatz in Afghanistan mit entschieden. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst.«276

Neben der politischen Verantwortung, zu der sich die Verteidigungspolitiker nun direkt bekannten, wurden jetzt auch die Nutznießer der Auslandseinsätze klar benannt. Sprach Jung noch abstrakt von »Frieden, Freiheit und Recht«277, für die deutsche Soldaten in Afghanistan stürben, so konkretisierte Guttenberg, sie hätten ihr Leben für die Bundesrepublik Deutschland, für alle Bürger verloren.278 Auf diese Weise erkannten deutsche Verteidigungsminister im Gefolge der Afghanistaneinsätze nun die im Ausland getöteten Bundeswehrsoldaten explizit als Kämpfer an, die für und im Auftrag der Bundesrepublik starben. In seiner Trauerrede vom 9. April 2010 sprach Guttenberg im Zusammenhang mit Afghanistan erstmals uneingeschränkt von »Krieg«279. Fünf Tage zuvor hatte er auf einer Pressekonferenz den Begriff »Krieg« noch durch den Zusatz: »um­ gangs­sprachlich«280 relativiert. Vergleicht man die Wortwahl Guttenbergs mit den Trauerreden seiner Vorgänger, die weder von Kampf noch von Krieg sprachen, son274

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Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr.  Franz Josef Jung anlässlich der Trauerfeier für Hauptgefreiten Sergej Motz am 7.5.2009 in Bad Saulgau, Privatarchiv Julia Nordmann. Die Autorin dankt Dr. Ulrich Pohlmann, Referatsleiter Vernetzte Sicherheit, Wissenschaft und Gesellschaft im BMVg, dass er ihr dieses Manuskript zur Verfügung gestellt hat. Bei dem Manuskript handelt es sich um einen Entwurf. Daher ist es möglich, dass die Rede geringfügig davon abweicht. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg anlässlich der Trauerfeier für die vier am 15.4. gefallenen Soldaten im Liebfrauenmünster in Ingolstadt am 24.4.2010, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privatarchiv Julia Nordmann. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Thomas de Maizière anlässlich der Trauerfeier für den am 2.6.2011 in Afghanistan gefallenen Oberstabsgefreiten Alexej Kobelew am 10.6.2011, (letzter Zugriff 14.8.2012), Privatarchiv Julia Nordmann. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Franz Josef Jung anlässlich der Trauerfeier für den Stabsgefreiten Patric Sauer am 12.10.2009 in der Christkönig Kirche Fulda, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg anlässlich der Trauerfeier für die drei am 2.4. gefallenen Soldaten in der Sankt-Lamberti-Kirche am 9.4. in Selsingen, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privatarchiv Julia Nordmann. Ebd. Tabu-Bruch. In: Spiegel online, 4.4.2010.



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dern von »Friedensmission«281 (Struck) und »Stabilisierungseinsatz«282 (Jung), so ergibt sich ein überraschendes Fazit: Die Traueransprachen der Verteidigungspolitiker dienen nicht nur der Würdigung der getöteten und gefallenen Bundeswehrsoldaten. Sie waren offensichtlich auch dazu gedacht, die Deutschen mittels eindeutiger Begrifflichkeiten (»Kampf«, »Gefecht«, »Gefallene«, »Krieg« usw.) nach und nach zu einem Verständnis der tatsächlichen militärischen Situation in Afghanistan zu bringen. Im Zusammenhang mit dem Tod von Sergej Motz sprach Jung etwa von einem der »schwersten Feuergefechte, das die Bundeswehr in Afghanistan zu bestehen hatte«.283 Der Tod von Motz, so der Minister weiter, habe »uns mit brutaler Klarheit den hohen Preis dafür vor Augen geführt, dass wir in Deutschland in Frieden und Freiheit leben können«284. Anschließend widmete sich Jung der Sinnstiftung für das Opfer des Bundeswehrsoldaten: »Der Tod von Sergej Motz wirft Fragen auf, denen sich die Mitglieder der Bundesregierung und die Mitglieder des Bundestages, die diesem Einsatz mit großer Mehrheit zugestimmt haben, stellen müssen: Fragen nach dem Sinn und Zweck unseres Engagements in Afghanistan. Die Antwort auf diese Frage ist eindeutig: Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan dient in erster Linie unserer Sicherheit – der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland.«285

Die Trauerreden besagen also: Auch die Bundesrepublik Deutschland ist im Rahmen ihrer UN- und ihrer NATO-Auslandseinsätze zugegebenermaßen in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt. Bundeswehrsoldaten starben und sterben bzw. fielen und fallen für die Interessen der Bundesrepublik, weil sie »für eine friedlichere Zukunft«286 im entsprechenden Einsatzland kämpften – und damit zugleich für die Sicherheit der Deutschen287 – oder weil sie sich »für das Leben ihrer Kameraden«288 opferten. Häufig kam es in den Trauerreden zu einer Verquickung beider Opferbegriffe, sacri­ ficium und victima. Wenn Guttenberg anlässlich des Todes eines Bundeswehrsoldaten durch ein Selbstmordattentat in Afghanistan sagte, dieser habe »sein Leben [...]

281 282 283 284 285 286

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Struck, Rede vor dem Deutschen Bundestag am 28. September 2005. In: Stenographische Berichte, 28.9.2005, Ziff. 17574B. Vgl. Vom »Stabilisierungseinsatz« zum »Krieg«. In: Focus online, 22.4.2010. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Franz Josef Jung anlässlich der Trauerfeier für Hauptgefreiten Sergej Motz am 7.5.2009 in Bad Saulgau, Privatarchiv Julia Nordmann. Ebd. Ebd. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Franz Josef Jung anlässlich der Trauerfeier für die am 19.6.2008 in Bosnien-Herzegowina ums Leben gekommenen Soldaten der Bundeswehr am 24.6.2008 in der Alexanderskirche in Zweibrücken, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Franz Josef Jung anlässlich der Trauerfeier für die am 19.5.2007 in Kunduz getöteten Soldaten der Bundeswehr am 23.5.2007 in Köln-Wahn, (letzter Zugriff 12.5.2012), Privatarchiv Julia Nordmann. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg anlässlich der Trauerfeier für die drei am 2.4. gefallenen Soldaten in der Sankt-Lamberti-Kirche am 9.4. in Selsingen, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privatarchiv Julia Nordmann.

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verloren«289, dann kennzeichnet das Verb »verlieren« das passive Opferverständnis sacrificium. Die Verwendung des Opfers im Sinne von victima erfolgte oftmals auch, um den aktiven und historisch belasteten Opferbegriff »gefallen für das Vaterland« zu vermeiden.290 Erfordert es aber die Situation, das Opfer im Sinne von sacrificium zu verwenden, dann wird es oft in einen gewissermaßen demokratisch legitimierten Auftrag eingebunden. »Im Dienst für unser Land gefallen«291, ist dann z.B. zu hören. Auch hinsichtlich der Bezugnahme auf den Soldateneid lässt sich beim Ver­gleich von Traueransprachen während des Kalten Krieges und in den Zeiten der Aus­lands­ einsätze ein signifikanter Unterschied feststellen. Bei entsprechenden Reden während des Kalten Krieges erfolgte der Verweis auf den soldatischen Eid auf eine eher allgemeine und formale Weise. Die Treue zum Eid wurde eingefordert, primär um der Treue wegen und weniger in Verbindung zu konkreten Werten und Leitbildern. Vor allem die ISAF-Mission in Afghanistan führte zu einer Veränderung: die Bezugnahme auf den Soldateneid wurde nun auf direkte, unmittelbare, konkrete Weise vollzogen. Zum ersten Mal geschah dies am 24. Oktober 2008 in der Rede von Verteidigungsminister Jung, in der auch erstmals offiziell das Verb »gefallen« gebraucht wurde: »Der Einsatz von Stabsunteroffizier Patrick Behlke und Stabsgefreiter Roman Schmidt in Afghanistan hatte einen direkten Bezug zu ihrem Eid, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen, das Recht und die Freiheit des Deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Weder die außenpolitische Verantwortung der Bundesrepublik, noch das Recht und die Freiheit des Deutschen Volkes existieren nur in der Theorie.«292

Spätestens seit dem Einsatz in Afghanistan ist der Eid nicht nur eine abstrakte Formel, sondern eine konkrete Handlungsanweisung für den Bundeswehrsoldaten. In der Praxis beinhaltet der Eid nun auch die Pflicht, für die Belange der Bundesrepublik Deutschland zu töten und zu sterben. Und genau dies forderte letztlich auch Jung in seiner Rede. Während des gesamten Kalten Kriegs war der Eid zwar ein bindendes Versprechen des Bundeswehrsoldaten, dessen letzte Konsequenzen – zu töten und zu sterben – aber nie eingefordert wurden. Jetzt muss der Eid in seiner ganzen Tragweite in der 289

290 291

292

Trauerrede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg anlässlich der Trauerfeier für den am 7.10.2010 gefallenen Oberfeldwebel Florian Pauli am 15.10.2010 in der St.-Lamberti-Kirche in Selsingen, (letzter Zugriff 18.12.2012), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Hammer, Die Rede des Verteidigungsministers, S. 44. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Thomas de Maizière anlässlich der Trauerfeier für den am 2.6.2011 in Afghanistan gefallenen Oberstabsgefreiten Alexej Kobelew am 10.6.2011 in Detmold. (letzter Zugriff 14.8.2012), Privatarchiv Julia Nordmann. »Im Einsatz für den Frieden gefallen«. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Franz Josef Jung anlässlich der Trauerfeier für die am 20.10.2008 in Afghanistan getöteten Soldaten der Bundeswehr am 24.10.2008 in Zweibrücken, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privatarchiv Julia Nordmann. Stabsunteroffizier Patrick Behlke und Stabsgefreiter Roman Schmidt fielen am 20. Oktober 2008 in der Nähe von Kunduz. Die Soldaten der Bundeswehr hatten im Rahmen der »Operation Rosegard« den Auftrag, zusammen mit afghanischen Soldaten einen Kom­ mandeur der Taliban festzunehmen, der sich in dem Dorf Haji Amanullah aufhalten sollte. Eine Gruppe von Soldaten, zu der auch Behlke und Schmidt gehörten, sollte einen Zufahrtsweg in das Dorf abriegeln. Dabei wurde ein Selbstmordanschlag auf sie verübt. Neben Behlke und Schmidt wurden dabei auch fünf afghanische Kinder getötet. Vgl. Seliger, Sterben für Kabul, S. 96‑98.



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Praxis erfüllt werden, und dies hat weitreichende Folgen für das Verständnis des Soldatenberufes insgesamt. Dadurch treten traditionelle soldatische Werte und militärische Fähigkeiten, die lange in der Bundeswehr eher eine Nebenrolle spielten, klar in den Vordergrund. Vor allem die Beherrschung des militärischen Handwerks, Kameradschaft, Tapferkeit und letztlich auch Opferbereitschaft sind hier zu nennen. Auch das Bild des Soldaten erfuhr durch die Kampfeinsätze im Ausland eine weitreichende Veränderung. Dies lässt sich in den Trauer- und Gedenkreden für getötete und gefallene Bundeswehrsoldaten feststellen. Auf der Trauerfeier für Alexander Arndt zeichnete Generalinspekteur Naumann noch das Bild eines Soldaten in rein humanitärer Mission. Durch den unermüdlichen Einsatz, so Naumann, habe Arndt gezeigt, »dass er für das Ziel lebte, dem wir Soldaten uns verpflichtet fühlen: Schutz der Wehrlosen und Hilfe für bedrohtes Leben«293. Im Zug der ISAF-Mission in Afghanistan vollzog sich dann in der Bundeswehr wie in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit ein Wandel des Soldatenbildes. Auch die Erfüllung des Eides in seiner ultimativen Konsequenz wird nun eingefordert und der Eid zu einem Wert an sich erklärt. Verteidigungsminister zu Guttenberg formulierte dies am 25. Februar 2011 anlässlich der Trauerfeier für drei bei einem Selbstmordattentat in Afghanistan getötete Bundeswehrsoldaten so: »Sie haben in ihrem Eid geschworen, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Sie haben diesen Eid erfüllt. Sie haben dafür das denkbar Größte, ihr Leben, gegeben.«294 Wenige Monate später, am 10. Juni 2011, verwies Guttenbergs Nachfolger auf die zentrale Bedeutung des Eids als Alleinstellungsmerkmal des Soldatenberufes. Im Rah­men der Trauerfeier für einen ebenfalls durch ein Selbstmordattentat in Afghanis­tan getöteten Bundeswehrsoldaten sagte de Maizière:

»Er war Soldat – mit ganzer Kraft und mit ganzem Herzen. Er war mutig, und er war tapfer. Er hatte seinen Eid geleistet, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit tapfer zu verteidigen. Niemand sonst als Soldaten leisten diesen Eid, und niemandem sonst verlangen wir diesen Eid ab. Er war bereit, dafür das Äußerste zu geben: sein Leben.«295

Die Fokussierung auf den Eid als soldatisches Alleinstellungsmerkmal bedeutet in gewisser Weise auch eine deutliche Abschwächung des Leitbildes vom Staatsbürger in Uniform zugunsten eines weitaus traditionelleren Verständnisses des Soldatenberufes. Auch die besondere Bedeutung des soldatischen Todes wird nun wieder stärker hervorgehoben, da Soldaten die Einzigen sind, denen aufgrund ihres Eides ein potenziell tödlicher Einsatz im Ausland befohlen werden kann. In den Trauer- und Gedenkansprachen während des Kalten Krieges stellten die politischen und militärinternen Redner die Vorbildhaftigkeit getöteter 293 294

295

Zit. bei: Dietrich, Den Sinn im Leben suchen. In: FAZ, 23.11.1993. Rede des Bundesministers der Verteidigung Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg anlässlich der Trauerfeier für die am 18.2.2011 gefallenen Soldaten in der Stadtpfarrkirche St.  Michael am 25.2.2011, (letzter Zugriff 8.4.2016), Privatarchiv Julia Nordmann. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Thomas de Maizière anlässlich der Trauerfeier für den am 2.6.2011 in Afghanistan gefallenen Oberstabsgefreiten Alexej Kobelew am 10.6.2011 in Detmold, (letzter Zugriff 14.8.2012), Privatarchiv Julia Nordmann.

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Bundeswehrsoldaten nur vereinzelt dar. In den Trauerreden für die Toten und die Gefallenen der Auslandseinsätze erfolgt diese Art der Würdigung häufig und in grundsätzlicher Weise, da die Betonung dieser Vorbildhaftigkeit eine Identifikation der ganzen Bundeswehr mit den getöteten Soldaten zum Ausdruck bringt. Belastbare Aussagen dafür finden sich z.B. in der Ansprache von Verteidigungsminister Jung vom 24. Oktober 2008 für zwei deutsche Opfer in Afghanistan: »Stabsunteroffizier Patrick Behlke und Stabsgefreiter Roman Schmidt waren von der Richtigkeit unseres Einsatzes überzeugt. Sie gehörten zu jenen Soldaten, die der Bundeswehr in Afghanistan ein Gesicht geben, die das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland mehren.«296

Der Bundeswehrsoldat erfährt auf diese Weise eine Stilisierung zur idealtypischen Figur, die weit über die konkrete Person des Toten hinausweist. Er wird zum Leitbild: eidestreu, tapfer, mutig und opferbereit,297 da er von der völkerrechtlichen Legitimität und der militärischen Notwendigkeit seiner Mission überzeugt ist. Und so – und gewissermaßen noch aus dem Grab heraus – erhebt er sich zum überzeugenden Botschafter, um die öffentlichen Bedenken gegen den jeweiligen Auslandseinsatz wirkungsvoll zu zerstreuen. Dieser Soldat soll sowohl für die Bundeswehr als auch für die Bundesrepublik Deutschland als Ideal der Identifizierung dienen. Auf der Trauerfeier vom 10. Juni 2011 für ein anderes Afghanistanopfer der Bun­ des­wehr äußerte sich Verteidigungsminister de Maizière in ähnlicher Weise: »Ober­ stabs­gefreiter Alexej Kobelew hat seinen Auftrag erfüllt. Er war und ist ein Vorbild. Wir können als Bundesrepublik stolz sein auf ihn, dankbar für den Dienst, den er unserem Land geleistet hat.«298 Im Zusammenhang mit Afghanistan erklären die führenden Verteidigungspolitiker die Toten und Gefallenen der Mission oftmals allein aufgrund ihrer bloßen Teil­ nahme an Kampfeinsätzen oder nur wegen der Erfüllung ihres soldatischen Eides zu Vorbildern. Auf diese Weise sollen Kampf- und Opferbereitschaft der Soldaten als vorbildlich in der Bundeswehr zumindest gewürdigt, vielleicht auch verankert werden. Hierbei soll aber kein Heldenkult alter Schule heraufbeschworen werden. Viel­mehr geht es um eine Anerkennung von persönlicher Einsatz- und Opfer­ bereit­schaft der Soldaten in einem Kampfeinsatz. Im Kalten Krieg dagegen stand noch die Opfer­bereitschaft aus humanitären Gründen als zentrales Kriterium jedweder Vorbildfunktion im Vordergrund. Die offizielle Würdigung vorbildhafter toter Bundes­wehr­soldaten betonte dabei vor allem die außerordentliche Form der Pflichterfüllung, durch die Soldaten ihr Leben zur Rettung anderer opferten, wie sie es z.B. im Rahmen der Katastrophenhilfe bei der Hamburger Sturmflut im Februar 1962 taten.299 296

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299

»Im Einsatz für den Frieden gefallen«. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Franz Josef Jung anlässlich der Trauerfeier für die am 20.10.2008 in Afghanistan getöteten Soldaten der Bundeswehr am 24.10.2008 in Zweibrücken, (letzter Zugriff 12.5.2010), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Hammer/Herold, Zivilreligion in Deutschland?, S. 123. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Thomas de Maizière anlässlich der Trauerfeier für den am 2.6.2011 in Afghanistan gefallenen Oberstabsgefreiten Alexej Kobelew am 10.6.2011 in Detmold. (letzter Zugriff 14.8.2012), Privatarchiv Julia Nordmann. Siehe Kap. VII.3.



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Eine andere Art militärischer Vorbildhaftigkeit postulierte Verteidigungsminis­ terin von der Leyen für die beiden in Mali tödlich verunglückten Piloten. Angesichts des Unfalltodes von Major Jan Färber und Stabshauptmann Thomas Müller bezog sie diese Vorbildhaftigkeit nicht primär auf das Kämpferische, Militärische, sondern mehr auf die allgemein beruflichen, die persönlichen und vor allem die kameradschaftlichen Qualitäten. Auf der Trauerfeier für die beiden Piloten am 3.  August 2017 in Fritzlar betonte von der Leyen: Sie waren »Vorbilder in ihrer professionellen Einstellung als Piloten. Und auch als Menschen.« An anderer Stelle: Müller »war einer, zu dem man gern ging, wenn man Rat brauchte – als Vorgesetzter genauso wie als Kamerad«. Und auch bei Färber hob sie dessen kameradschaftliche Eigenschaften – »hoch anerkannt und beliebt im Kameradenkreis«300 – hervor. Das Soldatengesetz definiert Kameradschaft als eine Art inneren Kitt der Bundeswehr. Denn Kameradschaft ist integraler Teil des traditionellen militärischen Deutungsrahmens, zu dem ebenso Pflichterfüllung, Tapferkeit oder Opfer­ bereit­schaft gehören. Als Vorbild für die Truppe gilt daher auch ein Soldat, der sich besonders kameradschaftlich verhält. Das zeigen u.a. jene Soldaten, die für ihren Einsatz unter Lebensgefahr zur Bergung und Rettung ihrer Kameraden während des Kar­freitagsgefechts posthum ausgezeichnet wurden: Hauptgefreiter Martin Kadir Augustyniak und Stabsgefreiter Robert Hartert mit dem Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit, Hauptfeldwebel Nils Bruns mit dem Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold in besonderer Ausführung.301 Über den zentralen Aspekt der Kameradschaft versuchte die Ministerin militärische Professionalität, menschliche Verbundenheit und Opferbereitschaft miteinander zum Ideal des vorbildhaften Soldaten zu vereinen: »Es waren Kameradinnen und Kameraden, die als erste zur Unglücksstelle kamen; Kameradinnen und Kameraden, die den Familien die bittere Nachricht überbrachten; Kameradinnen und Kameraden, die diese Trauerfeier vorbereitet haben. Kameraden, die heute die Särge tragen. Kameradschaft unter Soldatinnen und Soldaten trägt – über den Tod hinaus.«302

Zusammengefasst lässt sich also sagen: Der Vergleich der Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr vor und nach 1990 verdeutlicht einen Wertewandel innerhalb der deutschen Armee. Rein humanitäre Werte, die die Bundeswehr im Kalten Krieg zum 300

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Rede der Bundesministerin der Verteidigung Dr. Ursula von der Leyen bei der Trauerfeier für die beiden in Mali gestorbenen Soldaten Major Jan Färber und Stabshauptmann Thomas Müller am 3.8.2017 im Dom zu Fritzlar, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten (Soldatengesetz), § 12, (letzter Zugriff 6.9.2021); Barth/Schaal, Deutsch­land dienen, S. 229 f.; Libero, Tradition 3.0., 19.6.2018, (letzter Zugriff 6.9.2021). Rede der Bundesministerin der Verteidigung Dr. Ursula von der Leyen bei der Trauerfeier für die beiden in Mali gestorbenen Soldaten Major Jan Färber und Stabshauptmann Thomas Müller am 3.8.2017 im Dom zu Fritzlar, (letzter Zugriff 6.9.2021).

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Vorbild nahm, traten eindeutig in den Hintergrund, und primär soldatische Werte rückten sukzessive an deren Stelle. Nicht mehr begründet nur die besondere (humanitäre) Leistung im Sinne des Wertbezugs der Inneren Führung die Vorbildfunktion, sondern oftmals bereits die bloße Erfüllung des soldatischen Eids. Die Tatsache, dass rein soldatische Tugenden wieder für sich allein zur Begründung des Vorbilds taugen, lässt zunächst inhaltliche Parallelen zum traditionellen militärischen Totenkult und dessen Sinnstiftungsmustern erkennen, bei denen die Vorbildhaftigkeit des Soldaten auf die Erfüllung alter militärischer Tugenden wie Gehorsam, (Eides-) Treue, Tapferkeit oder Opferbereitschaft für Volk und Vaterland ausgerichtet ist. Ein übermäßiges Rekurrieren auf Elemente des traditionellen militärischen Totenkults und auf rein nationale Sinnstiftungen ist allerdings trotzdem nicht feststellbar. Denn seit 1949 haben sich zentrale Rahmenbedingungen für die Bundesrepublik Deutschland (und ab Oktober 1990 auch für das wiedervereinigte Deutschland) entscheidend verändert. Zu nennen sind hier u.a. die Mitgliedschaften in der Europäischen Union (EU) und in ihren Institutionen, die Schengen-Abkommen, das Bündnis für Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP), die NATO und bis zu deren Auflösung im Jahr 2011 auch die Westeuropäische Union (WEU).303 Ausschließlich nationale Begründungszusammenhänge haben daher deutlich an Bedeutung verloren. Das Kämpfen und Sterben der Bundeswehrsoldaten erfolgt also nicht mehr nur für die Bundesrepublik, für deren Werte und nationale Interessen, sondern auch für größere, übernationale sicherheitspolitische Belange und Ziele.304 Auch der Soldatentod ist kein Wert an sich, sondern der Bundeswehrsoldat kämpft und stirbt keineswegs nur für seine soldatischen Tugenden und wegen seines soldatischen Eides. Als Staatsbürger in Uniform kämpft und stirbt er auch für die demokratischen Werte und die Sicherheit seiner Nation, der EU oder der NATO.

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Die GSVP ist Teil der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Sie bündelt zivilmilitärische, militärische und polizeiliche Maßnahmen. Zur WEU vgl. Die Bundesregierung, Westeuropäische Union (WEU), (letzter Zugriff 6.9.2021). Kümmel/Leonhard, Tod, Militär und Gesellschaft, S. 142.

VII. Binnenmilitärische Formen des Trauerns und des Gedenkens für getötete Soldaten Von der Aufstellung einer westdeutschen Armee im Herbst 1955 an bis zu den UNAuslandsmissionen ab 1992 entwickelte sich in der Bundeswehr nur eine so gut wie ausschließlich binnenmilitärische Trauer- und Gedenkkultur. »Keep on low profile« – Trauern im überschaubaren Rahmen gewissermaßen, im nicht öffentlichen Raum, Gedenken in der Nische des Binnenmilitärischen und Kameradschaftlichen. Diese Trauer- und Gedenkkultur fand ihren Ausdruck z.B. in Namenspatronagen für militärische Lehreinrichtungen oder in bundeswehrinternen Gedenktafeln und -steinen. Erst mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr setzte die Entwicklung hin zu einer offiziellen und öffentlichen militärischen Memorialkultur ein, die ihre vorläufigen Höhepunkte mit der Einweihung des Berliner Ehrenmals der Bundeswehr im September 2009 und dem Wald der Erinnerung in Potsdam-Schwielowsee im November 2014 fand.1 Vor allem in den beiden ersten Jahrzehnten nach Gründung der Bundeswehr ist eine deutliche Zweiteilung der binnenmilitärischen Trauer- und Gedenkkultur zu erkennen, die sich dadurch erklären lässt, dass in der neuen deutschen Armee junge Soldaten ohne militärische Vergangenheit dienten und zugleich ehemalige Soldaten der Wehrmacht. So stellten praktisch nur die Bundeswehrsoldaten ohne Wehr­ machtbezug Zeichen der Erinnerung für ihre bei Unfällen ums Leben gekommenen Kameraden auf. Dabei handelte es sich vor allem um Tafeln, Steine und Kreuze.2 Diese Praxis wurde im Zuge der Auslandseinsätze fortgesetzt und erweitert. Zu denken ist dabei an Gedenksteine und Ehrenhaine, die für die getöteten Bun­des­ wehrsoldaten von ihren Kameraden in den Einsatzgebieten – z.B. in den Feldlagern in Afghanistan, aber auch an anderen Orten – errichtet wurden. Auf diese Weise entstand eine Erinnerungslandschaft aus Denkmälern en miniature. Diese Zeichen der Erinnerung verfügen weder über einen offiziellen Status noch über eine protokollarische Bedeutung.3 Sie dienen ausschließlich der persönlichen Erinnerung und sind 1 2 3

Siehe Kap VIII. Siehe Kap. VII.1.a‑c. Die Ehrenhaine aus Afghanistan (Feyzabad, Kabul, Kunduz, Mazar-e Sharif und der des OPNorth), aus Bosnien-Herzegowina (Rajlovac) sowie aus Prizren (Kosovo) wurden im Potsdamer Wald der Erinnerung wieder aufgestellt. Vgl. BMVg, Der Wald der Erinnerung, S.  50‑71; E-Mail von Hauptmann Stefan Gierke, Sachgebietsleiter Wald der Erinnerung an die Autorin am 6.7.2020; Lenz/Tiedke, 27 Tonnen voller Erinnerungen, (letzter Zugriff 6.9.2021); Libero, Tod im Einsatz, S. 52.

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Teil der kameradschaftlichen Traditionspflege der Einheit des Toten, die an diesen Gedenkstätten anlässlich der Jahrestage des Todes etwa interne Zeremonien abhält. Die ehemaligen Soldaten der Wehrmacht, die nun in der Bundeswehr dienten, gedachten auf andere Weise ihrer gefallenen Kameraden aus Kriegszeiten. Sie errichteten in Zusammenarbeit mit den Soldaten- und Veteranenverbänden repräsentativere Denkmäler.4 Diese Denkmäler dienten allerdings nicht nur als Stätten der Erinnerung, sie verfolgten weitreichendere politische und ideologische Absichten. Denn durch sie sollten auch die vor 1945 gültigen Vorstellungen von Soldatentum und Soldatentod, von Ehre und Eidestreue propagiert werden und auf diese Weise die Traditionen der Wehr­macht in den Wertekanon der Bundeswehr implementiert werden. Diesen Zweck erfüllten sie durchaus. Denn innerhalb der Bundeswehr wurden diese Ehren­ male als »Brückenschlag von einst zur Gegenwart in Gedenken an die Toten«5, wie Generalinspekteur de Maizière im September 1966 betonte, zu bedeutenden Orten der militärischen Traditionspflege. Ihre Relevanz für das Gedenken an tote Bun­des­ wehrsoldaten hingegen war gering. An dieser Stelle sind insbesondere die zentralen Ehrenmale von Marine, Luftwaffe und Heer zu nennen. Durch ihre Aufwertung zu Gedenkstätten der Teilstreitkräfte der Bundeswehr, die in den 1990er-Jahren erfolgte, stieg ihre Bedeutung noch erheblich. Nun dienen sie offiziell auch dem Andenken toter Bundeswehrsoldaten.6 Damit endete zumindest formal die Zeit der »institutionellen Amnesie«7, in der das BMVg die im Dienst getöteten Bundeswehrsoldaten zu einer beinahe vergessenen Gruppe von Toten degradierte, indem es deren Unfalltod gegenüber dem Gefallenentod der Wehrmachtsoldaten systematisch marginalisierte.

1. Kameradschaftliche Gedenkformen für im Dienst tödlich verunfallte Bundeswehrangehörige Kameradschaftliche Erinnerung an die Toten, das zeigt ein Blick in die Militär­ge­ schich­te, ist zentraler Teil soldatischen Brauchtums, in Friedenszeiten für Unfall­tote8 4 5 6 7

8

Siehe Kap. III.2.a, III.2.b, VII.3.b. Entwurf für die Rede des Herrn Generalinspekteurs anlässlich der Einweihung des FallschirmjägerEhrenmals in Schongau/Altenstadt, 9.9.1966, BArch, N 667/59. Siehe Kap. VII.3.b. Rack, Die Unmöglichkeit zu trauern. In: SZ, 15.10.2009; vgl. Schreiben der Personalabteilung (P/Z Zmob) an den Sonderbeauftragten 40 Jahre Bundeswehr Herrn Oberst Günter Kruse, Betr.: 40  Jahre Bundeswehr, hier: Totengedenken anlässlich 40  Jahre Bundeswehr, 5.4.1995, BArch, BW 2/25478. Ein Beispiel dafür ist das Gedenken an die 80 Soldaten, die am 31. März 1925 bei einem ManöverUnfall bei Veltheim in der Weser ertranken. Direkt an der Unfallstelle errichteten Kameraden im November 1926 ein Mahnmal. Auch in Hameln, einem der von dem Unglück betroffenen Standorte, errichteten Kameraden einen Gedenkstein. Der Findling erinnert bis heute an die verunglückten Soldaten. Vgl. (letzter Zugriff 10.7.2017), Privatarchiv Julia Nordmann. Zudem erinnerte eine Ehrentafel mit den Porträts, Dienstgraden und Namen der Toten an sie. Vgl. (letzter



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wie auch in Zeiten des Krieges für Gefallene.9 Die Bundeswehr setzte diese Ge­denk­ tradition fort, in der Regel auf Initiative von Kameraden des Toten. Die Füh­rungs­ ebene der Bundeswehr war an dieser vielfältigen Kultur des Gedenkens, die seit den späten 1950er-Jahren entstand, kaum beteiligt. Bis zur Einweihung des Ehrenmals der Bundeswehr in Berlin im Jahr 2009 war diese soldatische Memorialkultur nicht nur die früheste Form des Totengedenkens im Rahmen der Bundeswehr, sondern auch die einzige, die ausschließlich an deren eigene Soldaten erinnerte. Ab Mitte der 1990er-Jahre wurden zwar die Ehrenmale der Teilstreitkräfte sukzessiv zu offiziellen Gedenkstätten, allerdings behielten sie darüber hinaus ihren klaren Hauptbezug zu den Gefallenen beider Weltkriege. Aufgrund ihrer langen soldatischen Tradition und der tiefen Verwurzelung in der Bundeswehr haben die zumeist rein kameradschaftlichen binnenmilitärischen Gedenkformen bis in die Gegenwart hinein ihre prägende Rolle behalten, auch nach Beginn der UN-Auslandseinsätze. Hinsichtlich Formensprache und Inschriften unterscheiden sich die im Inland errichteten Erinnerungszeichen zwar deutlich von denen, die im Ausland entstehen. Aber im Vordergrund stehen hier wie dort kameradschaftliche Verbundenheit und kameradschaftliches Gedenken. Die Aufstellung einiger dieser Erinnerungszeichen erfolgte zeitnah zum Anlass. In anderen Fällen geschah sie erst Jahre, manchmal sogar erst Jahrzehnte danach. Insbesondere seit sich ab Mitte der 1990er-Jahre innerhalb der Bundeswehr erst gewissermaßen eine offiziöse und später dann offizielle Gedenkkultur für die eigenen Toten herausbildete, stellte man derartige Zeichen vermehrt nachträglich auf. Ebenso restaurierte man nun auch jene, die toten Bundeswehrangehörigen aus der Zeit des Kalten Krieges gewidmet waren. Auf diese Weise belebte man die Erinnerung an diese Bundeswehrsoldaten wieder und integrierte sie dauerhaft in die Gedenkkultur ihrer ehemaligen Einheiten. In bestimmten Fällen – wie etwa bei den Opfern des Transall-Absturzes über Kreta im Februar 1975 – gestaltet sich die Erinnerung dezen­tral: Es finden sich an mehreren Orten Gedenkzeichen, also sowohl an der Absturz­stelle als auch in den verschiedenen Standorten der betroffenen Soldaten.10 In der Regel sind solche Erinnerungszeichen fest in die jeweilige Gedenktradition einer bestimmten Einheit eingebunden. Weder besitzen diese Formen der Erinnerung eine übergreifende Bedeutung für die ganze Waffengattung oder Teil­ streit­kraft, noch sind sie in das offizielle Totengedenken der Bundeswehr etwa an-

9

10

Zugriff 10.7.2017), Privatarchiv Julia Nordmann. Optisch gleicht diese Tafel jener Tafel, mit der Angehörige des Luftlandejägerbataillons 19 in Kempten die Toten des Iller-Unglücks würdigten, siehe Kap. VII.1.b. Vgl. Janz, Totenhügel und Waldfriedhöfe. Tatsächlich erinnerten Kameraden auch in Kriegszeiten an Unfalltote. So stellten Kameraden in Bauhofen ein Gedenkkreuz an der Stelle auf, an der am 28.  Juni 1943 bei einem Luftzusammenstoß von sechs Bombern 18  Flieger ihr Leben verloren hatten. Vgl. Bosch, Eine Tragödie, über die nichts geschrieben wurde. In: Augsburger Allgemeine, 21.6.2013. Es lässt sich nur ungefähr datieren, wann der Prozess der Entstehung eines offiziellen und öffentlichen Totengedenkens in der Bundeswehr begann. Nachweisbar sind erste Diskussionen auf der Führungsebene darüber erstmals im Frühjahr 1995 im Zusammenhang mit den Vorbereitungen für den 40. Geburtstag der Bundeswehr. Vgl. die entsprechenden Dokumente in folgender Akten­ gruppe: BArch, BW 2/25478. Siehe Kap. VII.1.b, VII.1.c.

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lässlich des Volkstrauertages eingebunden. Vor allem diese Abkopplung von der offiziellen Totenehrung erlaubt eine weitgehend individuelle Gestaltung der binnenmilitärischen Gedenkzeichen durch die Kameraden oder die Einheit. Bis heute existiert daher auch keine Verordnung, die Richtlinien und Maßgaben hinsichtlich der an den Erinnerungsstätten verwendeten Elemente und Symbole vorgibt. Der Standortälteste oder der Kasernenkommandant trägt die Verantwortung für die Errichtung solcher Gedenkstätten. Orientierung geben ihm dabei die aktuell gültigen Traditionsrichtlinien der Bundeswehr sowie die Dienstvorschrift A 1 – 250/0-1 »Aufgaben im Standortbereich«.11 Auf diese Weise sind die binnenmilitärischen Gedenkzeichen originärer Ausdruck individueller Würdigung und Trauer sowie weitgehend authentische Äußerung kameradschaftlicher Verbundenheit. Doch zugleich spiegeln sie auch die bereits monierte »institutionelle Amnesie« der Bundeswehr im Zusammenhang mit der Würdigung der eigenen Toten. Denn diese von Amts wegen ignorierten Gedenkzeichen zeigen auch, dass die toten Bundeswehrsoldaten, für die sie ja stehen, für die offizielle und öffentliche Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr sehr lange Zeit praktisch keine Rolle spielten.12

a) Namenspatronagen Namenspatronagen sollen Orte der Erinnerung für im Dienst getötete Kameraden schaffen. Dabei geht ihre Funktion über das reine Totengedenken hinaus, denn sie kommunizieren ein bestimmtes Soldatenbild, festigen das Verständnis von militärischer Vorbildhaftigkeit, verleihen einer militärischen Einheit eine besondere Identität nach innen und demonstrieren diese nach außen. Die Benennung militärischer Infrastruktur (Gebäude und Räume in Kasernen, Straßen, Wege und Plätze auf militärischen Liegenschaften etc.) nach toten Bundes­ wehrsoldaten erfolgte bis in die 1990er-Jahre vergleichsweise selten. In diesem Zeitrahmen dominierte ein kämpferisches Verständnis von Soldatentum die Vor­ stellungen von militärischer Vorbildhaftigkeit, das die Soldaten der Bundeswehr so gut wie ausschloss. Vor allem das Erbe der Wehrmacht bestimmte die Traditionsbildung und die Auswahl militärischer Vorbilder in der Bundeswehr. Kriterien waren dabei Gehorsam, Heldenhaftigkeit und Kampfesmut bzw. unbedingte Tapferkeit, uneingeschränkte Gefolgschaft und bedingungslose Opferbereitschaft. Auch militärische Erfolge und militärische Auszeichnungen der Wehrmacht waren von entscheidender Bedeutung. Kaum Beachtung hingegen fanden in diesem Zeitraum die Gesamtpersönlichkeit 11

12

Siehe Kap. VII.3. Vgl. Telefongespräch mit Oberstleutnant Georg Küpper, Presseoffizier im Aus­ bildungszentrum Munster, am 28.5.2015; Fachgespräch im BMVg mit Oberstleutnant Ralf Kimmerle, FüSK III 2 – Referat Betreuung und Fürsorge, Stabshauptmann Michael Rothmeier, Büro für Angelegenheiten für Hinterbliebene, und Oberstleutnant Gerhard Schlaffer, Abteilung Personal/Zentrale Angelegenheiten – Ehrenmal, am 27.5.2020. Erst ab der Planungs- und Bauphase des zentralen Ehrenmals der Bundeswehr in Berlin maß die Führung der Streitkräfte den binnenmilitärischen und kameradschaftlichen Gedenkzeichen sowie den darin erinnerten Toten sukzessive eine größere Bedeutung bei.



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des vorbildhaften Soldaten, sein Umgang mit dem Leben von Untergeben oder die moralisch-ethischen Bindungen seines Gewissens. Auf diese Weise rückte – vom BMVg toleriert, teilweise auch bestärkt – ein Ideal, das den Soldaten sui generis propagierte, in den Mittelpunkt. Trotz der beiden Traditionserlasse von 1965 und 1982, die das Bild des Soldaten fest an die Werte des Grundgesetzes und an die Prinzipien der Inneren Führung und des Staatsbürgers in Uniform gebunden wissen wollten.13 So wurden ab den 1960er-Jahren zunehmend hochdekorierte Wehrmachtoffiziere traditionsbildend. Genau wie beim binnenmilitärischen und kameradschaftlichen Totengedenken im Rahmen der Bundeswehr bildeten dabei vor allem die Rechtfertigung der Wehrmachtvergangenheit sowie die persönliche Rehabilitation den Hintergrund.14 Die ehemaligen Wehrmachtoffiziere, die als Vorbilder z.B. in Form von Namenspatronagen für Kasernen, Truppeneinheiten oder Geschwader ver­mittelt wurden, sollten identitätsstiftend und traditionsbildend für die militärische Erin­nerungskultur des betreffenden Standortes sein. So besuchten Angehörige des Jagd­geschwaders  74 in Neuburg an der Donau, das seit 1973 den Beinamen »Mölders« trug, regelmäßig das Grab ihres Namenspatrons auf dem Berliner In­ validen­friedhof: des Jagdfliegers Werner Mölders, der einst der berüchtigten Legion Condor angehörte.15 Diese Ausrichtung der Traditionspflege führte im Ergebnis dazu, dass sich bis Mitte der 1990er-Jahre nur zwei Fälle dokumentieren lassen, in denen Soldaten der Bundeswehr zu Namenspatronen für Einrichtungen der Bundeswehr wurden: Feldwebel Erich Boldt und Oberleutnant Ludger Hölker. Beide haben in Ausübung ihres Dienstes ihr Leben zur Rettung anderer geopfert. Neben Boldt und Hölker hat es in der Geschichte der frühen Bundeswehr ähnliche potenzielle Vorbilder für persönlichen Mut, Tapferkeit, Pflichterfüllung und soldatische Opferbereitschaft gegeben. Und so bleibt die Frage offen, warum z.B. Oberleutnant Josef Sachsenhauser, der sich 1959 zum Schutz eines ihm anvertrauten Soldaten auf eine detonierende Handgranate warf und dabei sein Leben ließ, so gut wie vergessen ist, während Boldt mit einer ganz ähnlichen Tat im Jahr 1961 als Vorbild für die Bundeswehr dient16. Und warum gilt Hölker, der zu spät den Schleudersitz seiner Maschine betätigte und sich damit zum Schutz anderer opferte, bis heute in den Streitkäften als Held, während Leutnant Günter Schottenhammer, der zwei Monate nach Hölker sein Leben auf ähnliche Weise opferte, kaum in Erinnerung geblieben ist?17 13

14 15 16 17

Vgl. Libero, Tradition in Zeiten der Transformation, S. 137 f.; Erlass, »Bundeswehr und Tradition«, 1.7.1965. Abgedr. in: Abenheim, Bundeswehr und Tradition, S. 225‑229, hier Ziff. I.2, S. 225; Erlass »Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundeswehr«, 20.9.1982. Abgedr. in: ebd., S. 230‑234, hier Ziff. I.2, I.4, S. 230. Vgl. Libero, Tradition in Zeiten der Transformation, S. 138. Vgl. Ernst, NS-Flieger Mölders wird ausgemustert. Siehe unten. Vgl. 10 Jahre Bundeswehr, o.S. (»Sie opferten ihr Leben«); John, Diese Heldentat bleibt unvergessen. In: Augsburger Allgemeine, 26.11.2014; Wust, Bundeswehr und Tradition, S. 192; Naumann, Reden (Kommandeurtagung der Bundeswehr 1995), S. 15. Vgl. Libero, Tradition in Zeiten der Transformation, S. 146.

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Boldt verlor sein Leben im November 1961, Hölker im September 1964. Die Ehrung erfolgte in beiden Fällen mit beträchtlicher zeitlicher Verzögerung, im Fall Hölker nach 13 Jahren. Erst am 18. Oktober 1977 benannte die Bundeswehr das Audimax der Offizierschule der Luft­waffe in Fürstenfeldbruck in »Ludger-HölkerSaal« um.18 In seiner Ansprache anläss­lich dieser Namenspatronage betonte Luft­ waffeninspekteur Limberg, dass Hölker »in Ausübung des Auftrages für die Erhaltung des Friedens bewusst sein Leben opferte, um andere zu retten. Wir wissen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass auch andere so wie Ludger Hölker in ähnlicher Lage gehandelt haben. Aber nur in den seltenen Fällen wird überliefert, was den verantwortlichen Flugzeugführer in den Sekunden vor dem Absturz bewegte. So soll der Name Ludger Hölker zugleich für die anderen und alle Toten der Luftwaffe stehen, die seit Beginn der Luftwaffe unserer Bundesrepublik Deutschland ihr Leben in Erfüllung ihrer Pflicht verloren.«19

Mit Hölker als Namenspatron sollten also zugleich stellvertretend all jene Piloten, die sich selbst opferten, gewürdigt werden. Und darüber hinaus sogar alle im Dienst getöteten Angehörigen der Luftwaffe. Das Argument für die singuläre Ehrung Hölkers, man habe jene, die sich wie dieser opferten, schlicht nicht ermitteln können, ist sicherlich kaum haltbar, da es bereits 1977 weitere Beispiele von Piloten gab, bei denen belegt ist, dass sie bewusst so lange in ihren abstürzenden Flugzeugen ausharrten, bis sie bewohntes Gebiet sicher überflogen hatten. Wahrscheinlicher ist wohl die Annahme, dass der Oberleutnant als eine Art Feigenblatt für eine Luftwaffe diente, die letztlich anderen Idealen und Leitbildern nacheifern wollte.20 Die Gelegenheit für Hölkers Ehrung durch eine Namenspatronage war sicher die Verlegung der Offizierschule der Luftwaffe von Neubiberg bei München nach Fürstenfeldbruck.21 Und der äußere Anlass dafür lag wohl in der sogenannten RudelAffäre im Jahr zuvor. Hans-Ulrich Rudel nahm auf Einladung ranghoher Bundeswehroffiziere im Oktober 1976 an einem Traditionstreffen von Wehrmachtveteranen des Schlacht­ geschwaders  2 »Immelmann« teil, das auf dem Bundeswehr-Fliegerhorst Brem­ garten stattfand. Die Anwesenheit des sich bei öffentlichen Auftritten oftmals zu rechtsextremen, ja rechtsradikalen Positionen bekennenden Oberst  a.D. löste in 18 19 20

21

Vgl. Meyer, Ludger Hölker – ein Vorbild für uns alle, 2010, S.  7, (letzter Zugriff 6.9.2021). Zit. ebd., S. 9. Neben Hölker war der Bundeswehr mit Hauptmann Günther Lorentz (Waffenschule der Luftwaffe 10) bereits 1965 mindestens ein weiterer Name eines Luftwaffensoldaten bekannt, der sein Leben zum Schutz anderer geopfert hatte. Darüber hinaus werden in Kap. VII.3 noch neun weitere Beispiele von Piloten der Luftwaffe beschrieben, die bis zum Jahr 1977 ihr Leben opferten, um zu verhindern, dass ihre Maschinen über bewohntem Gebiet abstürzten. Untersuchungsberichte und Zeugen­aussagen zum Unfallhergang bestätigten häufig den gezielten Überflug einer Ortschaft in Ver­bindung mit der zu späten Betätigung des Schleudersitzes. Die meisten der betroffenen Gemeinden ehrten sie dafür und erinnerten an dieses Opfer. Daher ist Limbergs Aussage, dass sich beides nicht verifizieren lasse, zumindest für die im Kap. VII.3 beschriebenen Fällen nicht haltbar, siehe dort. Vgl. 10 Jahre Bundeswehr, o.S. (»Sie opferten ihr Leben«). Vgl. Möllers, Die Luftwaffe und ihr Umgang mit Tradition; Kropf, Deutsche Starfighter, S. 107. Vgl. Immer im Einsatz, S. 280.



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der Bundesrepublik eine scharfe öffentliche und politische Debatte über die Not­ wen­dig­keit einer grundsätzlich anderen Traditionspflege in der Bundeswehr aus.22 Zusätzlichen politischen Sprengstoff erhielt die Causa Rudel durch ein PresseStatement des Kommandierenden Generals Luftflotte Generalleutnant Walter Krupinski. Dieser verglich Rudel, der sich nie vom Nationalsozialismus distanzierte und immer noch ähnliche Positionen vertrat, mit dem SPD-Politiker Herbert Wehner, der nach 1946 deutlich von seiner früheren Mitgliedschaft in der KPD abgerückt war: »Solange wir akzeptieren, dass auch Herr Wehner geläutert ist und er heute im Bundestag sitzt, müssen wir doch auch einem Oberst a.D. Rudel zugestehen, dass er sich geläutert haben könnte.«23 Limberg, um Schadensbegrenzung bemüht, deutete einige Tage später auf einer Generalstagung der Luftwaffe ein vorsichtiges, überaus zaghaftes Einlenken an: »Ich glaube sagen zu können, wenn Traditionspflege in dieser Luftwaffe behandelt und praktiziert wird, dass es sich lohnt, sich mehr als bisher auf die Jahre des Bestehens dieser Bundeswehr zu konzentrieren, in denen unsere Luftwaffe in vorbildlicher Weise ihren Anteil zur Friedenssicherung beigetragen hat.«24

Mit der Ehrung Hölkers setzte Limberg ein öffentlich sichtbares Zeichen für ein anderes, auf die Bundeswehrgeschichte bezogenes Verständnis von militärischer Vorbildhaftigkeit. Zugleich wurde so ein erster Schritt in Richtung der Begründung eines neuen, von der Wehrmacht unabhängigen Traditionsgutes in der Luftwaffe getan. »Vielleicht haben wir zu lange mit einer solchen Ehrung gewartet«25, ­merkte Limberg rückblickend selbstkritisch an. 1984 ehrte man Hölker erneut, wie­derum mit einer Namenspatronage. Der Kommandeur des Jagd­bomberge­schwa­ders  32 in Lechfeld taufte eine Straße des Fliegerhorstes auf den Namen »Ludger-HölkerStraße«.26 Anlässlich des 25.  Jubiläums der Fürstenfeldbrucker Offizierschule der Luft­waffe im Juli 2002 würdigte Eberhard Birk, Militärhistoriker und Dozent in Fürsten­feldbruck, Hölker mit folgenden Worten: »In vollem Bewusstsein dessen, was er tat, opferte er sein Leben für das anderer Menschen. Damit setzte er auch ein Beispiel dafür, was Pflichterfüllung und soldatisches Selbstverständnis in Friedenszeiten bedeuten konnten. Er verkörperte damit letztlich

22

23 24 25

26

Möllers, Die Luftwaffe und ihr Umgang mit Tradition, S. 29. Eine ausführliche Darstellung der Debatte, die nicht nur in der Bundeswehr, sondern auch in Gesellschaft und Politik geführt wurde, findet sich bei Abenheim, Bundeswehr und Tradition, Dritter Teil. Zit. bei: Möllers, Die Luftwaffe und ihr Umgang mit Tradition, S.  27  f. Vgl. Meyer, Herbert Wehner, S. 106, 109, 121, 137, 429 f. Zit. bei Möllers, Die Luftwaffe und ihr Umgang mit Tradition, S. 28. Völlig abgeschaltet. In: Der Spiegel, 31.10.1977. Auch Generalinspekteur Wust plädierte in seinem Vortrag anlässlich der Verabschiedung von Teilnehmern der General- und Admiralstabslehrgänge an der Führungsakademie der Bundeswehr am 30.  Juni 1978 dafür, die eigene Geschichte der Bundeswehr zum Bezugspunkt von Tradition zu machen: »Die Bundeswehr ist immer dort zur Stelle, wo es zu helfen, zu bewahren, Leben zu erhalten gilt. In dieser Tradition – ihrer eigenen Tradition – lebt sie.« Vor allem der Name Hölker, so Wust, stehe für die Tradition der Bundeswehr. Wust, Bundeswehr und Tradition, S. 92. Vgl. Die Luftwaffe und ihre Traditionen, S. 9 f. Vgl. Meyer, Ludger Hölker – ein Vorbild für uns alle, 2010, S. 7, (letzter Zugriff 6.9.2021); Bischler/Hager, 50 Jahre Jagdbombergeschwader 32, S. 212.

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auch den von Anfang an die OSLw [Offizierschule der Luftwaffe] prägenden Auftrag – Aus­bildung und Erziehung orientiert sich am Ideal der Streitkräfte in der Demokratie.«27

Hans-Werner Jarosch, ehemaliger Kommandeur der Offizierschule in Fürsten­feld­ bruck, erklärte Hölker anlässlich des 50. Jahrestages der Aufstellung der Luftwaffe im Jahr 2005 auch zum gültigen Vorbild für die Bundeswehr in den Zeiten der internationalen Auslandseinsätze mit ihren militärischen Extrem- und Ausnahmesituationen: »Der Offizier und Flugzeugführer Ludger Hölker hat in einer kritischen Situation Verant­ wortung übernommen und sein eigenes Leben vorbehaltlos hinter das anderer gestellt. Für diese schwerwiegende Entscheidung blieben ihm nur wenige Sekunden. Sein selbstloses Handeln erfolgte im Cockpit eines militärischen Flugzeugs, seine Opferbereitschaft und die Entscheidung zur Rettung vieler Menschen sind beispielgebend für alle, die in Ausnahmesituationen Verantwortung tragen.«28

Ähnliche Probleme in Sachen Traditionsbildung und -pflege wie in der Luftwaffe fanden sich im Heer. Auch hier würdigte man im Rahmen der Bundeswehr die im Zweiten Weltkrieg gefallenen Kameraden, deren militärische Exzellenz sowie das Soldatenbild und die Werte der Wehrmacht.29 Von einer Neuorientierung in Sachen Traditionsbildung wollte man jahrzehntelang nichts wissen. Dies zeigt auch die bis 1992 aufgeschobene Ehrung von Erich Boldt. Der Feldwebel aus der Panzerpionierkompanie  70 starb am 16. November 1961. Bei einer Übung mit Wehrpflichtigen warf er sich auf einen bereits gezündeten Sprengsatz, der in den Deckungsgraben zurückgerollt war. Indem er mit seinem Körper die Explosion abfing, rettete er das Leben der ihm anvertrauten Soldaten. Belegt sind der mangelnde Wille und die daraus resultierende Verzögerung bei seiner Ehrung etwa durch eine Notitz des FüH von 1985 für Generalleutnant Hans-Henning von Sandrart, den Inspekteur des Heeres. Während Sandrarts Mitarbeiter in der Notiz z.B. eine schnelle Benennung der Infanterieschule in Hammelburg nach dem ehemaligen Generalinspekteur und Wehrmachtoffizier Adolf Heusinger forderten – sie erfolgte schließlich im Herbst 1986 –, kam für sie im Fall Boldt schließlich zwar eine Ehrung infrage, »allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt«30. 27 28 29

30

Birk, »25 Jahre OSLw am Standort Fürstenfeldbruck«, S. 22 f., Zitat S. 22. Immer im Einsatz, S. 281. Im Dezember 1999 sah sich Helmut Willmann, Generalleutnant und Inspekteur des Heeres, angesichts der teilweise problematischen Traditionspflege innerhalb der ihm unterstellten Teilstreitkraft wohl dazu genötigt, einen »Wegweiser« für die Traditionspflege im Heer auf den Weg zu bringen. Im Vorwort zu dieser Bereichsanweisung deutete sich die Problematik zaghaft an: »Aus einer Untersuchung im Heer geht hervor, dass sich viele Truppenteile seit langem mit dem Tra­ditionsthema auseinander setzen. Dennoch bestehen mancherorts Unsicherheiten im Umgang mit der Traditionspflege, wenn nicht genügend zwischen Militärgeschichte einerseits und Tradition andererseits unterschieden wird.« Dies gelte insbesondere für die Epoche der Wehr­ macht. Der Wegweiser stellte noch einmal klar, dass die zum Zeitpunkt seiner Entstehung gültigen Traditionsrichtlinien vom September 1982 nach wie vor auch verbindliche Grundlage für die Traditionspflege im Heer seien. Potenzielle Ideale und Vorbilder für die Angehörigen des Heeres könnten daher nur Personen sein, die »als Gesamtpersönlichkeit unangreifbar« seien. Bereichs­ anweisung D1-2650/0-1350, »Traditionspflege im Heer«, März 2015, Ziff.  203, 204, 745. Der »Wegweiser für die Traditionspflege im Heer« vom 1. Dezember 1999 wurde nahezu wörtlich in diese Anweisung überführt. FüH I 3, Oberst i.G. Noack, Vorlagenotiz für InspH, Betr.: Benennung von Kasernen nach General Heusinger, Oberstleutnant Freiherr von Mirbach, Feldwebel Boldt, Bezug: Weisung InspH,



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Auf diese Weise vergingen mehr als 30 Jahre nach dem Opfertod von Boldt, bis am 26. November 1992 die Unteroffizierschule des Heeres in Delitzsch-Benndorf in »Feldwebel-Boldt-Kaserne« umbenannt werden konnte. Es war das erste Mal, dass ein Bundeswehrangehöriger, ein Soldat ohne Wehrmachthintergrund, Namens­ geber für eine Kaserne der Bundeswehr wurde. Auch die Straße, an der die Unter­ offizierschule steht, wurde später nach Boldt benannt.31 1994, im Zusammenhang mit den Vorbereitungen zum 40.  Geburtstag der Bundeswehr, tauchten im FüH Überlegungen auf, vorbildlichen Soldaten, die sich um »ihren Standort oder durch eine herausragende Einzeltat in besonders herausragender Weise verdient gemacht haben«, eine »besondere Ehrung« zukommen zu lassen. Etwa indem man Liegenschaften oder Einrichtungen der Bundeswehr nach ihnen benennt. Denn »damit bietet sich die Chance, ein an der Bundeswehr selbst ausgerichtetes Traditionsverständnis zu entwickeln, zu dem auch junge Soldaten einen inneren Bezug herstellen können«32. Bis zur Erfüllung dieses Wunsches verging fast ein Vierteljahrhundert. Erst 2018 und mit der Verabschiedung der aktuell gültigen Traditionsrichtlinien rückten die Geschichte der Bundeswehr und die Leistungen ihrer Soldaten offiziell in den Mittelpunkt eines sich verändernden Traditionsverständnisses.33 Mit der Beteiligung der Bundeswehr an internationalen Auslandseinsätzen von UNO und NATO etablierten sich allerdings bereits ab den 1990er-Jahren im Rahmen des binnenmilitärischen und kameradschaftlichen Totengedenkens Namens­ patronagen in der Truppe. Diese öffiziösen, amtlich geduldeten Ehrungen trugen wohl entscheidend dazu bei, den Weg für die heute gültigen Traditionsrichtlinien zu bereiten. Inzwischen lassen sich zahlreiche Beispiele binnenmilitärischer und kamerad­ schaftlicher Namenspatronagen finden, für die bei Auslandseinsätzen getötete Bundes­wehr­soldaten Pate gestanden haben. Im Kosovo, in Afghanistan oder in Litauen, aber auch in Deutschland widmete man vergleichsweise zeitnah Brücken, Straßen, Krankenstationen oder Unterrichtsräume gefallenen bzw. durch Unfälle getöteten Bundeswehrsoldaten. 1999 verunglückte der erste deutsche Soldat beim Einsatz im Kosovo tödlich. 2005 benannten seine Kameraden eine Straße im Feldlager der Bundeswehr in Prizren nach dem getöteten Oberstabsarzt. Seitdem gab es in dem Camp, das die Bundeswehr bis 2018 nutzte, eine »Dr. Sven Eckelmann-Straße«.34 Bereits ein Jahr nach dem Tod des Stabsgefreiten Stefan Kamins 2003, dem ersten Gefallenen der Bundeswehr in Afghanistan, trug eine Straße, die westlich vom 31

32 33 34

2.9.1985, BArch, BH 1/7394. Vgl. Heinemann, Kasernennamen, S. 165. Vgl. Libero, Tradition in Zeiten der Transformation, S. 145; Kasernennamen unter der Lupe (6): Erich Boldt, 18.9.2019, (letzter Zugriff 6.9.2021). Schreiben FüH I 3 an den Generalinspekteur der Bundeswehr, Betr.: Feierlichkeiten 1995 anlässlich »40 Jahre Bundeswehr«, 12.1.1994, BArch, BW 2/25478. Vgl. Erlass »Die Tradition der Bundeswehr«, 28.3.2018. Abgedr. in: Tradition in der Bundeswehr, S. 282‑295, hier Ziff. 3.2, S. 286. Hettling/Echternkamp, Heroisierung, S.  150. Vgl. Die Bundeswehr im Kosovo, (letzter Zugriff 6.9.2021).

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Feldlager Kunduz nach Norden führt, den Namen »LOC Kamins«. Die Kameraden von Oberfeldwebel Florian Pauli benannten wenige Monate nach dessen Tod einen combat outpost in der nordafghanischen Provinz Baghlan in »Outpost Pauli«. Darüber hinaus taufte man die Brücke bei Pol-e Khumri nahe der Ortschaft AkaKhel, wo Pauli 2010 getötet wurde, auf den Namen »Pauli-Bridge«. Ebenfalls eine Brücke benannte man nach dem 2008 gefallenen Hauptfeldwebel Mischa Meier. Sie wurde zwischen 2009 und 2011 fertiggestellt und führte bis zu ihrer Sprengung durch die Taliban im Jahr 2015 über den Kunduz-Fluss. Darüber hinaus erhielt ein Lazarett im Camp Marmal bei Mazar-e Sharif in Nordafghanistan den Namen des Oberstabsarztes Thomas Broer, der im April 2010 bei Kämpfen in der Provinz Baghlan fiel, als er verwundeten Kameraden zu Hilfe kommen wollte.35 Ein Jahr nach dem Unfalltod von Adrian Rohn im Jahr 2018 benannten seine Kameraden das Feldlager auf dem Übungsplatz Pabrade (Litauen) nach dem Oberstabsgefreiten »Camp Adrian Rohn«. Und im Juli 2019 enthüllte man auf dem Gelände einen Gedenkstein mit Rohns Namen.36 Diese Namenspatronagen in den Einsatzgebieten sind manchmal nicht von Dauer. Einige von ihren verschwanden mit dem Abzug der Bundeswehr, da sie von den Einheimischen nicht übernommen wurden, die Einrichtungen nicht länger benötigt bzw. von Gegnern erobert oder zerstört wurden.37 Auch in Deutschland gibt es aber mittlerweile Beispiele von Namenspatronagen für in Afghanistan getötete Soldaten. Bereits ein Jahr nachdem Thomas Tholi im Mai 2011 im Rahmen der ISAF-Mission in Afghanistan gefallen war, benannten seine Kameraden den Exerzierplatz in der Hunsrück-Kaserne in Kastellaun im Mai 2012 nach dem Major. Auch Feldjäger Tobias Lagenstein fiel im Mai 2011 in Afghanistan, am selben Tag wie Tholi. Verteidigungsministerin von der Leyen benannte im März 2018 auf Vorschlag der dort stationierten Soldaten die Emmich-Cambrai-Kaserne in Hannover in »Hauptfeldwebel-Lagenstein-Kaserne« um. Es ist die erste deutsche Kaserne, die den Namen eines Gefallenen der Bundeswehr trägt.38 35

36

37 38

Siehe Kap. V.2.b. Vgl. Libero, Tod im Einsatz, S.  51; Seliger, »Manchmal ist das schon ein Scheißjob«. In: FAZ, 14.2.2011; Meyer, Der traurige Jahrestag der Bundeswehr. In: Die Welt, 9.10.2011; Seliger, Sterben für Kabul, S.  87  f.; Taliban sprengen Wiederaufbau-Symbol der Bundeswehr in Kunduz. In: Spiegel online, 24.10.2015; Wittig, Die Frau, der die Ärzte vertrauen, (letzter Zugriff 6.4.2017), Privatarchiv Julia Nordmann. Siehe Kap. V.2.b. Vgl. BW, Iron Wolf: Höhepunkt jeder EFP-Rotation, 1.7.2019, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Libero, Nationale militärische Erinnerungskultur, Privatarchiv Julia Nordmann. Lagenstein und Tholi waren Teil des Personenschutzteams für Generalmajor Markus Kneip, Kontingentführer der deutschen ISAF-Soldaten. Am 28.  Mai 2011 begleiteten sie Kneip zu einem Termin im Gouverneurspalast der Provinz Tachar in der nordafghanischen Stadt Taloqan. Beim Verlassen des Palastes zündete ein Selbstmordattentäter einen Sprengsatz. Kneip überlebte den Anschlag schwer verwundet, Lagenstein und Tholi wurden getötet. Vgl. 5. Todestag von Major Tholi und Hauptfeldwebel Lagenstein, 27.5.2016, (letzter Zugriff 6.9.2021); Eckhardt, Hunsrücker Soldaten vermissen ihren Major. In: Rhein-Zeitung, 27.5.2012; Kasernennamen unter der Lupe (3): Feldjäger Tobias Lagenstein, 29.8.2019, (letzter Zugriff 6.9.2021). Zit. in: Kasernennamen unter der Lupe (3): Feldjäger Tobias Lagenstein, 29.8.2019, (letzter Zugriff 6.9.2021); Erlass »Die Tradition der Bundeswehr«. Abgedr. in: Tradition in der Bundeswehr, S. 282‑295, hier Ziff. 3.2, S. 286. Vgl. Hammerich, Mit Stolz Tradition stiften, S. 254. Für Martin Kadir Augustyniak, gefallen während des Karfreitagsgefechtes 2010, wurde im Juni 2019 im Bielefelder Stadtteil Quelle ein Gedenkplatz eingerichtet. Die Initiative für diese Namenspatronage im öffentlichen Raum ergriffen Volker Lehmann von der Reservistenkameradschaft Gütersloh und Ursula Wolf, die Mutter des Gefallenen. Zahlreiche Bundeswehr-Veteranenverbände wie Veteranen-Kultur, Combat Veteran und der Reservistenverband der Bundeswehr unterstützten das Vorhaben. Vgl. Biestmann, »Jetzt wird man Martin nie vergessen«. In: Westfalen-Blatt, 28.6.2019; Hammerich, Tradition und Brauchtum verankern, S. 84 f. Zit. in: Stadtallendorf: Ehrung eines gefallenen Bundeswehroffizier. Vgl. Hammerich, Tradition und Brauchtum verankern, S. 84 f.

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Im Mai 2020 weihte man zudem auf dem Gelände der Julius-Leber-Kaserne in Berlin den »Hauptmann-Matthes-Weg« ein.43 Mit einer Namenspatronage im Rahmen der Bundeswehr ehrten die Angehörigen der Panzerbrigade 21 in Augustdorf ihren ebenfalls 2011 in Afghanistan bei einem Sprengstoffanschlag getöteten Kameraden Alexej Kobelew. Im November 2019 tauften sie ein Lehrsaalgebäude auf dem Gelände der dortigen GeneralfeldmarschallRommel-Kaserne auf den Namen »Oberstabsgefreiter Alexej Kobelew Gebäude«. Ein Aus­stellungskasten im Eingangsbereich des Gebäudes dokumentiert die Namens­pa­ tro­nage und zeigt das Namensschild Kobelew, den Tagesbefehl des Verteidi­gungs­ ministers an dessen Todestag sowie ein Fragment jenes Schützenpanzers »Marder«, mit dem der Oberstabsgefreite und fünf weitere Kameraden in der Nähe von Kunduz in eine Sprengfalle geraten waren. Alexej Kobelew solle »im kollektiven Gedächtnis bleiben«, begründete Hauptmann Martin Waltemathe von der Panzerbrigade 21 die Namensgebung. Denn sein Einsatz sei »ein Beispiel für tapfere Pflichterfüllung«. Sein Tod aber müsse eine Mahnung sein, »Soldaten bestmöglich auf den Einsatz vor­ zu­bereiten und Risiken zu minimieren«44. Diese Beispiele von Namenspatronage, insbesondere jene in Afghanistan, werden von den Einsatzsoldaten von Kontingent zu Kontingent und von Generation zu Generation weitergegeben. Auf diese Weise wird quasi von unten her eine eigene Tradition des militärischen Gedenkens in der Bundeswehr etabliert. De Libero spricht in diesem Zusammenhang von einem »Erinnerungspakt«45 unter den Soldaten. So sollen diese in Afghanistan gefallenen deutschen Soldaten zu den ersten kämpfenden Vorbildern werden, welche die Bundeswehr selbst hervorbringt. Darüber hinaus stehen Soldaten wie Tobias Lagenstein, Martin Kadir Augustyniak und Robert Hartert auch für das aktive soldatische Opfer zur Rettung anderer.46 So reihen sich diese Gefallenen ein in die Tradition jener Bundeswehrsoldaten, die zu Zeiten des Kalten Krieges ihr Leben zum Schutz anderer gaben, und setzen diese fort, auch unter den Bedingungen des Kampfeinsatzes im Ausland. Mit diesen Namenspatronagen aus den eigenen Reihen können sich Bundes­wehr­ soldaten in der Regel gut identifizieren. Denn Vorbilder aus den eigenen Reihen, so die Expertin für militärische Tradition und Erinnerungskultur de Libero, würden anschaulich das vielfältige soldatische Anforderungsprofil von Bundeswehrsoldaten widerspiegeln, das sich im Spannungsfeld zwischen Retten, Helfen und Kämpfen bewege. Und sie würden präzisere und zeitgemäßere Antworten auf die Heraus­for­ de­rungen heutigen Soldatentums liefern als die alten Vorbilder aus den Reihen der Wehrmacht.47

43 44 45 46 47

Vgl.Tod in Afghanistan, 25.5.2020, (letzter Zugriff 6.9.2021). Zit. in: »Damit Alexej Kobelew im Gedächtnis bleibt«. In: Westfalen-Blatt, 23.11.2019. Vgl. Libero, Tod im Einsatz, S. 52. Siehe Kap. VII.3. Vgl. Libero, Tradition 3.0., 19.6.2018, (letzter Zugriff 6.9.2021); Libero, Tradition in Zeiten der Transformation, S. 138.



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Namenspatronagen stiften Gemeinsamkeit und Identität. Auf diese Weise verleihen sie, eingebunden in die Gedenk- und Erinnerungskultur eines Standortes, nicht nur der eigenen Geschichte, sondern auch den damit verbundenen Werten Leben. Denn Erinnerung und Tradition brauchen Akteure. Doch die Suche nach militärischen Vorbildern aus den eigenen Reihen ist, wie de Libero zu bedenken gibt, ein durchaus diffiziles Unterfangen. Über eine isolierte Tat oder die konkreten Todesumstände hinaus sei es deshalb von entscheidender Bedeutung, die Gesamtpersönlichkeit eines potenziellen Namenspatrons in den Blick zu nehmen. Nicht nur die militärische Leistung ist zu bewerten oder die persönliche, gegebenenfalls sind auch ethische und politische Umstände zu prüfen.48

b) Gedenktafeln Häufig erfolgt das binnenmilitärische Totengedenken in Gestalt von Gedenktafeln. Größe und Form unterliegen dabei prinzipiell keinerlei anderen Beschränkungen als denen von Würde und Pietät. Oft bringt man die Tafeln an geeigneten Wänden der jeweiligen Kaserne an, zumeist in Sichthöhe. Die Größe der Platten variiert beträchtlich, an Materialien finden meist Stein, Metall oder Holz Verwendung.49 Das – soweit nachweisbar – älteste Beispiel einer solchen Tafel an einem militärischen Standort der Bundeswehr war jene für die Toten des Unglücks an der Iller 1957. Die Prinz-Franz-Kaserne in Kempten, wo sich die Tafel ursprünglich befand, wird seit 1992 nicht mehr von der Bundeswehr genutzt.50 Wo sich die Gedenkplatte gegenwärtig befindet, war im Rahmen dieser Arbeit nicht zu klären. Auf einem Foto der Gedenktafel sind aber namentlich gekennzeichnete Porträts aller 15 in der Iller ertrunkenen Rekruten zu sehen. Die Inschrift ist knapp und nüchtern gehalten: »Unseren toten Kameraden ... / LL.Jg.Btl. 19 / Wir werden euch nicht vergessen!«51 Im Vordergrund stand die individuelle Würdigung eines jeden Einzelnen mit Bild und Namen. Die Tafel verriet hingegen nichts über die Umstände des Todes. Auch fehlten eine religiöse Konnotation sowie jeglicher Bezug zwischen Dienst und Tod der Rekruten, ebenso der Versuch einer Sinnstiftung. Im Lauf der Jahre nahmen die binnenmilitärischen Gedenktafeln sowohl inhaltlich wie auch gestalterisch vielfältige Formen an. 48

49

50 51

Vgl. Gespräch mit Prof. Dr. Loretana de Libero, Wissenschaftliche Direktorin an der Fakultät Politik, Strategie und Gesellschaftswissenschaften der Führungsakademie der Bundeswehr in Ham­ burg am 4.12.2019. Wegen der Vielzahl von Gedenktafeln und ihrer erschwerten Zugänglichkeit – sie befinden sich auf Kasernengelände – war es weder möglich, alle Gedenktafeln zu ermitteln und zu sichten, noch, ihre exakte Zahl zu eruieren. Zudem wurden viele Standorte mittlerweile aufgelöst, sodass es im Einzelfall schwierig ist, nachträglich zu ermitteln, ob es dort Gedenktafeln gegeben hat und wo diese nach der Auflösung verblieben sind. Die hier angeführten Beispiele bilden daher einen Querschnitt dieser binnenmilitärischen Gedenkform. Siehe Kap. V.2.a.; vgl. Das Prinz-Franz-Gelände, 18.10.2000, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. 50 Jahre Soldatenhilfswerk der Bundeswehr e.V., 2007, S. 8, (letzter Zugriff 6.9.2021).

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VII. Binnenmilitärische Formen des Trauerns

Die Tafel in Gestalt eines gerahmten Bildes, die im Jahr 1969 für die Opfer des »Lebacher Soldatenmordes« von Kameraden der Toten gestaltet wurde, verzichtet auf Porträts und baut mehr auf die Wirkung von Symbolen. Angebracht wurde sie in der Kaserne von Lebach, an der Außenmauer des Stabsgebäudes des Fall­schirm­ jäger­bataillons 261. Die Tafel nennt Dienstgrade, Vor- und Nachnamen sowie die Geburtsdaten der Toten. Daneben versinnbildlichen vier erhaben gestaltete und in der Größe variierende Kreuze die Toten und setzen sie in einen christlichen Zusammenhang. Die Widmung lautet: »Den Toten zum Gedenken / Den Lebenden zur Mahnung / Lebach, den 20. Januar 1969 / Fallschirmjägerbataillon 261.«52 Im Zusammenhang mit den Toten des Transall-Absturzes auf Kreta im Jahr 1975 ist die Verfasserin dieser Arbeit nur auf eine Gedenktafel gestoßen. Sie findet sich in einer Gedenkecke im Staffelgebäude des Lufttransportgeschwaders  63 auf dem Fliegerhorst in Hohn, wo damals sieben der insgesamt 42 Opfer stationiert waren.53 Die gestalterische Freiheit, derer sich die Kameraden bei der Ehrung für die sieben Toten des Standortes bedienten, sprengt den Rahmen der eigentlichen Gedenktafel. Denn die einfach gehaltene Holztafel, welche die mit Namen versehenen Porträtfotos der toten Bundeswehrsoldaten zeigt, tritt ganz in den Hintergrund. Ins Zentrum der Würdigung und Erinnerung rückt dagegen das unmittelbar daneben präsentierte, originale Propellerblatt der abgestürzten Transall. Darauf sind in Schwarz die Namen der Toten mit Dienstgraden zu sehen, die Kennung der Maschine, der Ort und das Datum des Absturzes sowie ein Eisernes Kreuz.54 Kameradschaftliche Gedenktafeln finden sich auch jenseits von Kasernen im öffentlichen Raum, häufig an Unfallstellen. So etwa auf der Reiter Alpe bei Berchtesgaden, wo am 9. September 1970 das Rotorblatt eines Hubschraubers bei einem Erkundungsflug die Felswand streifte. Die Maschine stürzte ab. Dabei kamen der Pilot des Hubschraubers Stabsunteroffizier Hans-Jürgen Engmann und der Kommandeur des Gebirgsjägerbataillons 231 Oberstleutnant Werner Otte ums Leben. An der Absturzstelle brachten Kameraden unmittelbar nach dem Unglück eine Gedenktafel an der Felswand an. Da diese durch die Witterung im Lauf der Jahrzehnte stark in Mitleidenschaft gezogen wurde, erneuerten Soldaten des Gebirgs­ jäger­bataillons 231 im November 2019 das Gedenkzeichen. Auf der schlichten Tafel findet sich folgende Widmung: »Zum Gedenken an die beim Hub­schrau­ber­absturz verunglückten Soldaten / 9.9.1970 / OTL Werner Otte KDR GEBJGBTL 231 / SU Hans-J. Engmann GEBHFLGSTFF 8«. 52

53 54

Ebd. Heute trägt ein Stein auf dem Gelände der Graf-Haesseler-Kaserne in Lebach diese Gedenktafel. Vgl. Lorenz, Ein Trompetensolo und mahnende Worte. In: Saarbrücker Zeitung, 21.1.2019; Schmidt, Der Lebacher Soldatenmord, 13.3.2009, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Scholz, 9. Februar 1975, S. 11. Siehe Kap. V.2.a. Vgl. Bewusstes Erinnern auf Kreta, S. 13. Auf ähnliche Weise gestalteten Kameraden des Luft­trans­ port­geschwaders 61 das Gedenken an die sieben Soldaten, die am 22. Oktober 1996 auf der Azoren­ insel São Miguel ebenfalls bei einem Transall-Absturz getötet wurden. Im Haus der Fliegenden Staffel auf dem Fliegerhorst Penzing erinnert das Endstück des Propellers der Unglücksmaschine an die Toten, indem es ihre Namen und ihre Dienstgrade präsentiert. Vgl. Schöndorfer, Ein besonderer Beruf. In: Augsburger Allgemeine, 22.10.2015.



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Durch die Instandsetzung der Gedenktafel wollen die Soldaten des Gebirgs­jäger­ bataillons 231 die Erinnerung an ihre tödlich verunglückten Kameraden dauerhaft bewahren. In dieser Geste zeigt sich die tiefe Verbundenheit mit den Toten, die bereits ein halbes Jahrhundert überdauert hat. Und immer noch werden die toten Kameraden als Vorbilder gesehen.55 Diese Beispiele mögen für die zahlreichen Gedenktafeln stehen, die einen weit verbreiteten Ausdruck kameradschaftlicher Erinnerung und individueller Würdigung für im Dienst getötete Bundeswehrsoldaten repräsentieren. Mit einfachen Mitteln und ohne ministerielle oder bürokratische Vorgaben.

c) Gedenkzeichen für die Unfalltoten der Bundeswehr Die Formensprache freistehender kameradschaftlicher Gedenkzeichen unterliegt, wie die folgenden Beispiele zeigen, trotz der prinzipiell uneingeschränkten gestalterischen Freiheit vergleichsweise engen Begrenzungen.56 Im Wesentlichen adaptiert sie traditionelle Formen der militärischen Erinnerungskultur sowie christliche Symbole. Eine häufige und zeitlose Form ist die des Findlings. Das namentliche Gedenken an den Toten erfolgt in der Regel mittels einer Tafel oder einer Gravur im Stein, wie die folgenden Beispiele zeigen. Am 14.  Januar 1959 kollidierte ein Transporthubschrauber des Typs »Vertol H 21« bei dichtem Nebel mit einem Berghang des nordhessischen Knüllgebirges. Alle acht Angehörigen der Heeresfliegertransportstaffel 822 an Bord des Helikopters, der vom Flugplatz Fritzlar bei Kassel startete, kamen dabei ums Leben. Ende Mai 1959 weihten Kameraden an der Unglücksstelle einen ca. einen Meter großen, weitgehend unbearbeiteten Findling zum Gedenken an die toten Flieger ein. Er ist aus jenem Felsbrocken geschlagen, an dem der Hubschrauber zerschellte.57 Die Vorderseite des grauen Steins bedeckt eine Granitplatte, darauf eingraviert ein Eisernes Kreuz sowie folgende Inschrift: »Hier starben am 14.1.1959 den Fliegertod« – gefolgt von den Namen der Verunglückten, ihrem jeweiligen Dienstgrad und ihrem Alter. Im Jahr 1981 restaurierte die Gemeinschaft der Heeresflieger Fritzlar den Findling und beseitigte die Spuren der Verwitterung.58 Anlässlich des 56. Jahrestages des Unglücks erweiterten Reservisten der Bundes­ wehr Anfang 2016 den Aufstellungsort des Steins zu einer Art Gedenkstätte. Zier­ hecken umgeben nun den Findling, ebenso errichtete man ein großes Holz­kreuz und legte einen ca. 100 Meter langen Zugangsweg an. In regelmäßigen Abständen pfle55

56

57 58

Vgl. Gedenktafel auf der Reiter Alpe für verunglückte Kameraden eingeweiht, 13.11.2019, (letzter Zugriff 6.9.2021). Es ist nicht auszuschließen, dass sich die Gestalt der hier beschriebenen Gedenkzeichen verändert hat, etwa weil sie verwittert sind oder nachträglich restauriert wurden. Da es sich um kameradschaftliche Gedenkzeichen handelt, werden solche Veränderungen nicht immer dokumentiert. Vgl. Gedenkstein für die acht am Knüllköpfchen tödlich verunglückten Soldaten enthüllt. In: Hessische Nachrichten, 29.5.1959; Haaß, Ein Hubschrauber flog in den Tod. In: HNA, 14.1.2014. Vgl. Gemeinschaft der Heeresflieger Fritzlar e.V., (letzter Zugriff 6.9.2021).

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gen jetzt Reservisten in Zusammenarbeit mit Mitarbeitern des Bundes­wehr­dienst­ leistungszentrums die Gedenkstätte für die toten Kameraden.59 An die Toten der Havarie des U-Bootes »Hai« vom 14. September 1966 erinnert ebenfalls ein Findling. Auch dessen Aufstellung erfolgte durch Kameraden am ersten Jahrestag des Unglücks, auf dem Gelände der Marinekaserne auf dem Wieksberg in Neustadt. Der hellgraue und wohl einseitig abgeschrägte Findling von gut anderthalb Metern Höhe trägt nur eine schlichte, allgemeine Widmungsgravur: »Zum Gedenken / 14.9.1966 / U-Hai«.60 Namen, Dienstgrade und Alter der toten Marineangehörigen fehlen, ebenso militärische oder christliche Symbole. Im Jahr 1990 erfolgte die Verlegung der U-Boot-Lehrgruppe von Neustadt nach Eckernförde. Auch der Gedenkstein für die Toten des U-Bootes »Hai« wurde an den neuen Standort umgesetzt.61 Nicht an einen konkreten Unglücksfall, sondern an alle toten Bundeswehrsoldaten des Standortes soll der Findling erinnern, der im Jahr 1990 von Kameraden auf dem Gelände der Werratal-Kaserne in Bad Salzungen errichtet wurde. Den Findling in Grabsteingröße dominiert das Hoheitszeichen der Bundeswehr: das Eiserne Kreuz. »Zum Gedenken an unsere Kameraden« ist in goldbronzierten Buchstaben zu lesen. Unter der Widmung ist eine Platte angebracht, auf der schwarze Täfelchen fixiert sind. Sie tragen die Namen, die Lebensdaten, die Dienstgrade und die Angaben zu den jeweiligen Einheiten der Toten.62 Eindeutig christliche Symbole fehlen. Auch an die Opfer der Kollision zweier Tornados des Fliegerhorstes Schleswig erinnert ein Findling. Bei dem Zusammenstoß, der sich während eines Übungsfluges am 21. April 2004 im Bereich der Gemeinde Poppenbüll ereignete, kamen die beiden Flugzeugführer ums Leben. Sie gehörten dem Aufklärungsgeschwader 51 »Immel­ mann« an. Anlässlich des dritten Jahrestages des Unglücks enthüllten Kameraden der Toten an der Absturzstelle den Findling zur Erinnerung an die Opfer. Dieser trägt eine rechteckige Bronzeplatte mit Panther, dem internen Verbandsabzeichen, sowie folgende Widmung für die beiden toten Piloten: »Zum Gedenken an unsere Fliegerkameraden Arndt Freiberger, Sebastian Schulz, 21. April 2004.«63 Auch hier wurden keine christlichen Symbole verwendet. Neben weitgehend naturbelassenen Findlingen greift man im Rahmen des binnenmilitärischen Totengedenkens oft auch – ebenso wie in der zivilen Sepulkralkultur – auf bearbeitete Steine aus Granit, Marmor oder Sandstein zurück. Besonders häufig ist bei diesen freistehenden Erinnerungszeichen Granit anzutreffen. Im Folgenden werden einige ausgewählte Beispiele kameradschaftlicher Gedenk­ kultur beschrieben, wie sie durch bearbeitete Steine unterschiedlicher Provenienz, gelegentlich kombiniert mit anderen Materialien wie z.B. Holz oder Metall, ihren 59 60 61 62 63

Vgl. Reservisten richteten Gedenkstätte am Knüllköpfchen wieder her. In: HNA, 12.1.2016. Vgl. BMVg, Der Raum der Information, S. 39; Gedenken an U-Hai, (letzter Zugriff 6.9.2021). Siehe Kap. V.2.a. Vgl. Sieck, U-Bootfahrer und das Ehrenmal in Möltenort, S. 141. Vgl. Schmidt, Versprechen will ein Halten haben, 22.4.2010, (letzter Zugriff 20.5.2016), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Neas, Gedenkstein enthüllt, 25.4.2007, (letzter Zugriff 3.7.2013), Pri­vat­ archiv Julia Nordmann.



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Ausdruck findet. Die Symbolik dieser Erinnerungszeichen ist dabei oft sowohl unmittelbar militärisch wie christlich konnotiert. Die Darstellung der ausgewählten Erinnerungszeichen folgt dabei nicht zwingend der Chronologie ihrer Errichtung, sondern auch anderen Zusammenhängen wie der gemeinsamen Formensprache oder dem Ort ihrer Aufstellung im In- und Ausland. Am Rand eines Waldstückes an der Erpftingerstraße in Landsberg am Lech erinnert seit 1962 ein kameradschaftliches Gedenkzeichen an sechs tödlich verunfallte Bundeswehrsoldaten. Die Angehörigen der Flakausbildungsbatterie des Flug­ab­ wehr­regiments  34, stationiert in der Saarburg-Kaserne zu Landsberg, starben am 15. August 1962 auf dem Rückweg zu ihrer Kaserne bei einem Autounfall. Bereits zwölf Tage später stellten Kameraden der Toten an der Unglücksstelle ihr persönliches Erinnerungszeichen auf. Bei genauer Betrachtung des grauen Granitsteins ist die teils unbearbeitete Rückseite zu erkennen, die ihm zugleich auch die Anmutung eines Findlings verleiht. Die in schwarzen Lettern gehaltene Widmung lautet: »Unseren am 15.8.1962 tödlich verunglückten Kameraden.« Darunter – etwa im optischen Zentrum des Steins – findet sich ein schlichtes christliches Balkenkreuz. Die untere Hälfte des Granits füllen die Namen der Toten mit Dienstgradbezeichnungen und dem Hinweis auf die Einheit.64 Insgesamt ist dieses kameradschaftliche Erinnerungszeichen recht konventionell gehalten und erinnert in Form und Größe sowie durch sein Kreuz an Grabsteine, wie sie auf Friedhöfen in Deutschland weit verbreitet sind. Direkte militärische Symbole fehlen. Ähnlich konzipierte kameradschaftliche Gedenkzeichen finden sich auch Jahr­ zehnte später noch, etwa jenes, das am 19. Juli 1996 am Heeresflieger-Standort in Fritzlar auf Initiative der Gemeinschaft der Heeresflieger Fritzlar eingeweiht wurde. Der graue Granitstein ist abgeschrägt und trägt eine schwarze Platte aus Marmor, sodass das Arrangement in Form und Größe an ein Pult erinnert. Auch diese Form ist auf deutschen Friedhöfen nicht selten. Auf der Marmorplatte ist die Widmung zu lesen, die nicht den Opfern eines konkreten Unglücksfalls zugedacht ist, sondern eine kollektive Würdigung ausdrückt: »Zum Gedenken aller im Dienst ums Leben ge­ kommenen Soldaten des Standortes Fritzlar.«65 Dieses Mal fehlen christliche Symbole, während ein direkter militärischer Bezug durch die Gravur des Eisernen Kreuzes auf der Frontseite des Granits hergestellt wird. Eine weitere verbreitete Form des kameradschaftlichen Gedenkzeichens, die sich ebenfalls sowohl in der binnenmilitärischen wie auch in der zivilen Trauerkultur fin­det, ist die steinerne Stele. Exemplarisch dafür möge jene stehen, die sich im Waldgebiet Westerholz nahe des Flugplatzes Lechfeld findet. Sie wurde am 9. Dezember 2005 von Kameraden jener beiden Piloten des Jagdbombergeschwaders 32 aufgestellt, die 64

65

Vgl. Traditionsverein Rottenburger 34er e.V., Chronik, Kapitel 3: Münchener Jahre 1962‑1965, S.  16‑19, (letzter Zugriff 6.9.2021); Gedenksteinpflege ist auch Kameradschaftsdienst, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Gemeinschaft der Heeresflieger Fritzlar e.V., (letzter Zugriff 6.9.2021).

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genau ein Jahr zuvor mit ihrem Tornado »ECR 46+42« in dem genannten Waldgebiet abgestürzt waren.66 Die miniaturisierte Granitstele von ca. 1,5  Metern Höhe ist oben abgeschrägt und die Schnittfläche glatt und blank geschliffen. Etwa in ihrer Mitte ist eine Kerbe angebracht, welche die ganze Schnittfläche wie ein Riss durchzieht und die wohl den tiefen Einschnitt symbolisieren soll, den der Tod der beiden Bundeswehrsoldaten in der Gemeinschaft der Kameraden hinterlassen hat. An der Stirnseite der Stele ist die Widmung angebracht: »Unseren Fliegerkameraden Eik von Zehmen, Konrad Connie’ Huf, † 9. Dezember 2004.«67 Explizit militärische oder christliche Symbole fehlen. Neben der Gestalt von weitgehend naturbelassenen Findlingen, bearbeiteten (Grab-)Steinen und Stelen nimmt das kameradschaftliche Erinnerungszeichen am häufigsten die Form des Kreuzes an, und zwar in beiden Hauptkonnotierungen: als Kreuz des Leidens und des Opfertodes Jesu – und als Hoheitszeichen der Bundes­ wehr, das sich in seiner Erinnerung sowohl auf die Tradition des Eisernen Kreuzes wie auf die christliche und soldatische Symbolik der Aufopferung für die Gemeinschaft bezieht. In der kameradschaftlichen Erinnerungskultur der Bundeswehr fand das christliche Kreuz, verbunden mit militärischen Elementen, bereits früh Verwendung. Eines der ersten Beispiele stammt aus dem Jahr 1958. Der Anlass dafür war der Absturz am 15. Juli 1958 bei Berchtesgaden, bei dem eine Noratlas der Flugzeugführerschule S des Fliegerhorstes Memmingen zerschellte. Alle sechs Mitglieder der Besatzung kamen dabei ums Leben.68 Am Absturzort stellten bald nach dem Unglück Kameraden der toten Soldaten ein Holzkreuz auf. Vier kleine Findlinge, verbunden durch eine eiserne Kette, schaffen einen quadratischen Raum um das Kreuz, an das sich ein Propellerblatt der Unglücksmaschine lehnt. Es hält das Kennzeichen der verunglückten Noratlas fest. Neben dem Eisernen Kreuz sind Datum und Ort des Absturzes sowie Dienstgrade und Namen der Opfer vermerkt. »Unseren Fliegerkameraden«69 – das ist die schlichte Widmung, die das Kreuz trägt. Auch auf dem Truppenübungsplatz Bergen-Hohne verbindet das kameradschaftliche Gedenken an die zehn Toten des Schießunglücks vom 9. April 1964 christliches Kreuz und Findling miteinander. Das etwa mannshohe und sehr schlicht gehaltene Holzkreuz, das sich am Rand eines Waldstückes des Truppenübungsplatzes erhebt, scheint unmittelbar aus dem Findling zu seinen Füßen zu wachsen. Der Naturstein trägt auch die rechteckige Metallplatte, auf der die Namen der toten Soldaten sowie das Datum des Unglücks vermerkt sind. Die eigentliche Widmung dagegen ist auf dem Querbalken des Kreuzes zu lesen: »Den Toten des Schießunglücks, 9.4.1964.«70 66 67 68 69 70

Vgl. Chronik des JaboG 32, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Gedenkstein Eik von Zehmen, Konrad Connie’ Huf, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Deutsches Militärflugzeug abgestürzt. In: FAZ, 16.7.1958. Vgl. Flugzeugführerschule »S«, Ehrenmal in Berchtesgaden, BArch, BL 13/491. Vgl. Baumann, Die Heidmark, S. 620; Gedenken an Schießunfall von Bergen-Hohne. In: Cellesche Zeitung, 14.4.2014.



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Einer ähnlichen Grundgestaltung und Symbolik folgt auch das kameradschaftliche Gedenkzeichen, das in Berchtesgaden an den Hubschrauberabsturz vom 7. Juli 1970 erinnert und zeitnah aufgestellt wurde. Bei dem Unglück mit einer Maschine vom Typ »Bell UH 1D« verloren vier Bundeswehrangehörige und acht französische Soldaten ihr Leben. Das monumentale Holzkreuz, das einem Entwurf des damaligen Bataillonskommandeurs des Gebirgsjägerbataillons  232 folgt, erhebt sich an der Absturzstelle, inmitten gebirgigen Terrains. Auch dieses Kreuz ruht auf einem Sockel aus Feldsteinen, in dem die Tafel mit den Namen und Dienstgraden der zwölf Toten verankert ist. Die Inschrift in großen weißen Lettern bedeckt den Längsund Querbalken des Kreuzes. Sie lautet: »Am 07.07.70 / Gemeinsam dienten und / starben.« Den Schnittpunkt der Balken markiert ein goldbronziertes Edelweiß, das Symbol der Gebirgsjäger der Bundeswehr.71 In vielen Varianten dominiert das christliche Kreuz von Beginn der Bundeswehr an die Symbolik der kameradschaftlichen Erinnerungszeichen. Die Gesamtzahl dieser Zeichen ist nicht bekannt, doch es handelt sich mit Sicherheit um mehrere hundert solcher binnenmilitärischer Mahnungen zum Gedenken.72 Das christliche Kreuz herrscht dabei bis in die unmittelbare Gegenwart als zentrales Symbol vor. Ein markantes Beispiel für die ungebrochene Verwendung dieses Kreuzes mag das binnenmilitärische Erinnerungszeichen sein, das die Teilnehmer des 52. Lehrgangs der Heeresbergführer der Gebirgs- und Winterkampfschule Mittenwald am 7. Sep­tem­ ber 2010 im Karwendel aufstellten. Das Kreuz aus Lärchenholz mit dem Edelweiß am Schnittpunkt der Balken erinnert in seiner Gestaltung an die traditionellen, christlichen Gipfelkreuze des Karwendelgebirges. Gewidmet ist es allen im Dienst getöteten Heeresbergführern der Bundeswehr.73 Neben dem christlich konnotierten findet im Zusammenhang mit dem binnenmilitärischen Gedenken auch jenes Kreuz häufig Verwendung, das primär an die Erscheinung sowie die militärische Symbolik des Eisernen Kreuzes gebunden ist, das als Hoheitszeichen der Bundeswehr fungiert. Ja, es existieren sogar kameradschaftliche Gedenkstätten ganz in der Gestalt eines monumentalen Hoheitszeichens der Bundeswehr. Unweit des Ortes Overath-Vilkerath erinnert ein solches Monument an die vier Besatzungsmitglieder des 1.  Lufttransportgeschwaders  62 aus KölnWahn, die am 23. Januar 1961 beim Absturz einer Noratlas 2501 bei Vilkerath ums Leben kamen.74 Eine Tafel am Sockel der Gedenkstätte würdigt die Toten: »Unseren Kameraden, die hier am 23. Januar 1961 den Fliegertod fanden.« Das Bild eines Adlers mit ausgebreiteten Schwingen trennt die Widmung von den persönlichen Angaben zu den toten Soldaten, ihren militärischen Funktionen 71 72

73 74

Vgl. Gebirgsjägerkameradschaft 232 Berchtesgaden e.V., (letzter Zugriff 6.9.2021). Bis Ende des Jahres 1990 starben 2568 Soldaten in Ausübung ihres Dienstes. Es ist nicht davon auszugehen, dass Kameraden für jeden dieser Toten ein Gedenkzeichen errichteten. Die Zahl der Todesfälle legt jedoch nahe, dass es mehrere hundert solcher Gedenkzeichen gibt. Vgl. Todesfälle in der Bundeswehr im Auslandseinsatz und in anerkannten Missionen, Stand: 21.10.2019, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Ein Ort des Gedenkens. In: Bundeswehr aktuell, 20.9.2010, S. 12. Vgl. Pommerin, Auf dem Weg zur europäischen Rüstungskooperation, S. 341.

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und ihrer Geschwaderzugehörigkeit. Zur Linken und zur Rechten flankiert je ein steinerner Sockel mit Blumendekor das monumentale Eiserne Kreuz, das aus der offenen Landschaft aufragt.75 Bereits während des Kalten Krieges errichteten Bundeswehrsoldaten vereinzelt auch im Ausland Erinnerungszeichen für Kameraden, die etwa im Rahmen von NATO-Übungen jenseits der Grenzen der Bundesrepublik ums Leben kamen. Auch hier findet das (christliche) Kreuz Verwendung. Ein bemerkenswertes Beispiel hierfür ist das binnenmilitärische Gedenkzeichen, das deutsche Soldaten auf der Otterburn Firing Range unweit von Newcastle upon Tyne in England für ihre beiden Kameraden vom Jagdbombergeschwader 32 errichteten. Die beiden Piloten starben am 24. Oktober 1985 beim Absturz ihres Tornados »IDS 44+45« bei Otterburn. Das kurz nach dem Unglück aufgestellte kameradschaftliche Erinnerungszeichen ist als eine Art von Kreuzhybrid gestaltet und steht sowohl für das christliche Kreuz wie auch – durch die Verbreiterung und leichte Abrundung seiner Enden – für das an das Eiserne Kreuz angelehnte Hoheitszeichen der Bundeswehr. Den Raum in der Mitte des Kreuzes füllt eine Tafel, die deutsch und englisch folgende Inschrift trägt: »Zum Andenken an unsere Kameraden Hauptmann Hans-Joachim Schimpf und Hauptmann Holger Zacharias, die nicht weit von hier, im Dienst der Deutschen Luftwaffe ihr Leben ließen.«76 Auch der bislang dramatischste und opferreichste Unfall der Bundeswehr ereignete sich – wie bereits dargestellt77 – im Rahmen einer NATO-Übung und im Ausland: der Transall-Absturz vom 9. Februar 1975 auf Kreta, bei dem 42 Soldaten der Bundeswehr ums Leben kamen. Die deutschen Soldaten starben beim Anflug auf die NATO Missile Firing Installation (NAMFI) von Souda, den die Bundeswehr seit 1968 intensiv für ballistische Übungen nutzt. Im Auftrag der NATO wurde zeitnah eine repräsentative Gedenkstätte auf dem Gelände des Raketenschießplatzes angelegt. Das Monument, das auf einem ausgedehnten Plateau errichtet wurde, ist von felsigen Hügeln umgeben und weitgehend in weißem Stein gehalten. Es vereint eine Art stilisierter Abschussrampe, die einen Raketenflugkörper trägt, mit einer langen Mauer des Gedenkens zu einer Einheit. Auf der Mauer sind die 42  Namen der Toten verzeichnet. An der Stirnseite der Rampe tragen zwei Platten ein schwarzes christliches Kreuz sowie die Widmung der Gedenkstätte für die deutschen Opfer.78 An der Absturzstelle der Transall-Maschine platzierten Angehörige jener Einhei­ ten, denen die Toten entstammten ihr kameradschaftliches Erinnerungszeichen: einen grauen Gedenkstein in rechteckiger Form, ohne religiöse oder militärische Symbole. Die Widmung ist eingemeißelt: »Zum Gedenken an die Angehörigen der

75 76 77 78

Vgl. Kunze, Erinnerung an einen tragischen Absturz; Willi Fritzen, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Chronik des JaboG 32, (letzter Zugriff 6.9.2021). Siehe Kap. V.2.a. Vgl. NAMFI – Gedenkstätte, (letzter Zugriff 6.9.2021).



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Deutschen Luftwaffe die bei dem Flugunfall am 9. Februar 1975 auf Kreta ihr Leben verloren haben«79. Heute befindet sich dieser schlichte Gedenkstein auf dem Soldatenfriedhof im nordkretischen Maleme. Im September 2015 ergänzte man den Stein auf Initiative von Oberstleutnant Ralf Heßmann um zwei weitere Steine. Sie präsentieren wie Buchseiten die Namen und die Dienstgrade der Verunglückten und bewahren die Opfer so vor dem Vergessen. Die Ergänzung, 40 Jahre nach dem Absturz der Transall, beweist, dass das Gedenken an diese Toten in der Bundeswehr immer noch aktiv gepflegt wird.80 Die große Verbundenheit zwischen den Soldaten einer bestimmten militärischen Einheit und den Erinnerungszeichen für ihre toten Kameraden überdauert oft nicht nur eine überschaubare Zeitspanne unter den Soldaten eines Standortes, sondern häufig sogar die aktive Dienstzeit der Überlebenden. Denn manche ehemaligen Kameraden kümmern sich auch über ihre Zugehörigkeit zur Bundeswehr hinaus noch Jahrzehnte später um den Erhalt dieser Gedenkzeichen. Spätestens seit 196681 erinnert ein Findling mit Kreuz an Hans Wild, Angehöriger der ABC-Abwehrkompanie des Standortes Donauwörth. Der Gefreite verunglückte am 7. Juli 1964 während einer Dienstfahrt unweit seiner Kaserne tödlich mit seinem Unimog vom Typ 404S. Den namentlich gewidmeten Findling stellten seine Kameraden am Unfallort auf. Viele Jahre lang schmückten sie ihn regelmäßig mit Blumen, bis nach und nach aufgrund der Fluktuation innerhalb der Kompanie die Erinnerung an den Verunglückten verblasste und das Gedenkzeichen für lange Zeit in Vergessenheit geriet. Doch im Jahr 2004, 40 Jahre nach dem Tod des Gefreiten, legten Mitglieder des Veteranen-, Reservisten- und Kameradenvereins Zirgesheim den überwachsenen Naturstein wieder frei, der seitdem durch ehemalige Kameraden geschmückt und erhalten wird.82 Manche kameradschaftlichen Erinnerungszeichen wiederum sind für die Truppe so identitätsstiftend, dass sie beim Standortwechsel der Einheit ebenfalls an den neuen Dienstort umgesetzt werden, wie das schon genannte Beispiel des Gedenksteins für die Toten des U-Bootes »Hai« zeigt. 79

80

81 82

Vgl. Lufttransportgeschwader 63, Geschichte Lufttransportgeschwader 63, S. 22. Auf dem Eh­ren­ friedhof Süderbrarup erinnert seit dem Volkstrauertag 1975 ein Findling an die Toten des Trans­ allabsturzes. Der Findling trägt die Widmung »Unseren Kameraden zum Gedenken.« Darunter hält eine Metalltafel die Namen und das Datum des Absturzes fest. Vgl. Bewusstes Erinnern auf Kreta, S.  13. Am Jahrestag des Absturzes finden dort und auch auf der NATO Missile Firing Installation immer noch Gedenkveranstaltungen statt. Vgl. Gedenken an 45 Jahre Transall-Absturz auf Kreta, 9.2.2020, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Inschrift Gedenktafel NAMFI, (letzter Zugriff 6.9.2021); Ehrung für Oberstleutnant Ralf Heßmann, 7.12.2017, (letzter Zugriff 11.6.2020), Privatarchiv Julia Nordmann; Gedenken an 45 Jahre Transall-Absturz auf Kreta, 9.2.2020, (letzter Zugriff 6.9.2021). Möglicherweise wurde der Gedenkstein bereits 1965 aufgestellt. Das genaue Jahr lässt sich nicht mehr feststellen. Vgl. Eine Fahrt in den Tod. In: Augsburger Allgemeine, 7.7.2010.

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d) Gedenkzeichen für die Toten und Gefallenen der Auslandseinsätze Der Zeitpunkt, an dem die binnenmilitärische und kameradschaftliche Erinnerungsund Gedenkkultur für tote Bundeswehrsoldaten entscheidende und richtungsweisende Impulse erhielt, lässt sich genau festlegen. Es war das Jahr 1992, in dem die Bundeswehr erstmals im Rahmen der UNO an einer internationalen Auslandsmission teilnahm, der UNTAC in Kamboscha. Diesem Einsatz folgten bald zahlreiche weitere deutsche Auslandsmissionen. Der erste, nach dem Ende des Kalten Krieges im Ausland getötete Bundeswehrsoldat war, wie bereits erwähnt, Alexander Arndt.83 Innerhalb der zehn bis 15 Jahre nach dem Tod von Arndt entwickelte sich im Rahmen der Bundeswehr eine vielfältige kameradschaftliche Gedenkkultur, die zum einen traditionelle Momente des militärischen Trauerns und Erinnerns aufgegriffen hat, wie sie auch bereits seit den späten 1950er-Jahren für die Unfallopfer der Bundeswehr üblich waren.84 Diese etablierten Elemente verband die nun entstehende kameradschaftliche Gedenkkultur zum anderen mit neuen Formen und Inhalten. Denn die veränderte Einsatzwirklichkeit der Bundeswehr führte auch zu einer Veränderung der Kultur des binnenmilitärischen Trauerns und Erinnerns. Im Folgenden sollen einige Beispiele Schritte dieser Entwicklung illustrieren. Den Anfang macht dabei der kameradschaftliche Gedenkstein für Alexander Arndt. Dieser Stein ist ein nahezu unbearbeiteter Findling von deutlich über einem Meter Größe. Seine Einweihung erfolgte am 12. Oktober 2007 in der Blücher-Kaserne in Berlin-Kladow. Den Findling, der auf den Rasen der Kaserne gelegt ist, flankieren zwei Lebensbäume. Der Stein zeigt im oberen linken Bereich das Hoheitszeichen der Bundeswehr. Daneben – etwa in der Mitte des Findlings – ist eine Messingtafel aufgesetzt. Sie trägt die Widmung: »Zum Gedenken / Feldwebel Alexander Arndt / * 30. September 1967, Hildesheim / † 14. Oktober 1993, Phnom Penh«.85 Nur Rang, Name, Lebensdaten, Geburts- und Todesort sind zu lesen. Christliche Symbole oder persönliche Bezüge fehlen. Und so steht durch das exponiert angebrachte und in prominenter Größe ausgeführte Hoheitszeichen der Bundeswehr ganz der Soldat und Kamerad Arndt im Mittelpunkt des Gedenkens. Betrachtet man den Findling aus einiger Entfernung, dann tritt die Messingtafel in den Hintergrund, verschwimmt, und nur das militärische Kreuz ist zu erkennen. Dieser Effekt ist wohl beabsichtigt, denn auf diese Weise steht der Stein des ersten Bundeswehrsoldaten, der während einer UN-Auslandsmission getötet wird, nicht mehr nur für eine konkrete Person, sondern symbolisch auch für alle anderen deutschen Soldaten, die im Rahmen eines internationalen Einsatzes ihr Leben verloren und noch verlieren werden. Der kameradschaftliche Gedenkstein in der Burgwald-Kaserne von Frankenberg für die vier deutschen Soldaten des Bataillons für Elektronische Kampfführung 932, die am 7. Juni 2003 einem Selbstmordanschlag in Kabul zum Opfer fielen, folgt ei83 84 85

Siehe Kapitel V.2.b. Vgl. BMVg, Die Bundeswehr im Einsatz, S. 64. Vgl. Libero, Tod im Einsatz, S. 53 f.; Hettling/Echternkamp, Heroisierung, S. 150 f. Vgl. Einweihung eines Gedenksteins, (letzter Zugriff 16.5.2016), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Vollmuth, 25 Jahre Auslandseinsätze, S. 7.



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ner ähnlichen Gestaltung wie der für Arndt. Auch in Frankenberg fehlen christliche Symbole und explizit sinnstiftende Elemente. Stattdessen steht hier ebenfalls der militärische Bezug im Mittelpunkt: Neben dem Eisernen Kreuz dominiert das interne Verbandsabzeichen des Bataillons den Stein.86 Auch wenn diese beiden Beispiele auf die Deutung des Soldatentodes verzichten, so zeichnet sich dennoch mit Beginn der 2000er-Jahre nach und nach eine Veränderung ab. Denn im Unterschied zur binnenmilitärischen Erinnerungskultur des Kalten Krieges erweitern einige kameradschaftliche Gedenkzeichen nun den rein militärischen Bezugsrahmen und stellen explizit einen nationalen und politischen Sinnzusammenhang her, ähnlich, wie dies in den Traueransprachen für die bei Auslandseinsätzen getöteten und gefallenen Bundeswehrsoldaten üblich ist. Oder wie die Widmung des Ehrenmals der Bundeswehr.87 Insbesondere mit ihren Gedenkzeichen für die Toten und Gefallenen des ISAFEinsatzes legen die trauernden Kameraden Wert auf den Zusammenhang zwischen dem Tod im Einsatz und dem politischen Auftrag der Mission. Denn diese Form der Sinnstiftung erhebt den soldatischen Tod zum Opfer für eine größere, eine humanitäre, eine bündnis- und verteidigungspolitische oder eine nationale Pflicht. Seit 2003 erinnert auf diese Weise ein kameradschaftlicher Gedenkstein in der Kurt-Georg-Kiesinger-Kaserne in Laupheim an die sieben Soldaten des Heeres­ flieger­regiments Nr. 25, die im Dezember 2002 beim Absturz eines Helikopters vom Typ »CH-53« über Kabul starben. Bei diesem Gedenkstein handelt es sich um einen freistehenden Findling mit dem an das Eiserne Kreuz angelehnten Hoheitszeichen der Bundeswehr. Die Widmung für die mit Namen und Dienstgrad genannten Toten allerdings geht über das im Kalten Krieg Gewohnte hinaus und stellt einen allgemeinen nationalen Sinnzusammenhang her. Sie lautet: »Zum Gedenken an unsere Kameraden, die für die Bundesrepublik Deutschland im ISAF-Einsatz am 21. Dezember 2002 in Kabul ihr Leben ließen.«88 Deutlicher, konkreter formuliert der beinahe mannshohe kameradschaftliche Gedenkstein in Form eines Findlings auf dem Gelände der Wettiner Kaserne in Frankenberg die Sinnstiftung. Er wurde am 1. Juli 2011 von trauernden Soldaten der Panzergrenadierbrigade  37 für ihre vier im Jahr 2009 in Afghanistan getöteten Kameraden aufgestellt. Unter dem Hoheitszeichen der Bundeswehr trägt der Findling folgende Widmung, die den Soldatentod mit jenen übergeordneten Werten verbindet, die auch das 2009 eingeweihte Ehrenmal der Bundeswehr nennt: »Den Toten unserer Panzergrenadierbrigade 37 zum Gedenken. Für Frieden, Recht und Freiheit.«89 86 87 88

89

Vgl. Schmitz, Unser Ohr am Feind In: Y-punkt, 19.2.2013, (letzter Zugriff 12.5.2016), Privatarchiv Julia Nordmann. Die Widmung des Ehrenmals der Bundeswehr lautet: »Den Toten unserer Bundeswehr für Frieden, Recht und Freiheit.« Vgl. BMVg, Ehrenmal der Bundeswehr, S. 39. Siehe Kap. VI.3.b. Vgl. Entsetzte Soldaten. In: Focus, 1/2003; Besuch beim Heeresfliegerregiment Laupheim, 13.9.2012, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl.Panzergrenadierbrigade 37 »Freistaat Sachsen«, Chronik 1991-2021, S. 97, 160, (letzter Zugriff 6.9.2021).

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VII. Binnenmilitärische Formen des Trauerns

Auch die Formensprache der kameradschaftlichen Erinnerungszeichen durchläuft mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr eine deutliche Entwicklung und greift zunehmend Bilder und Materialien aus kämpferischen Zusammenhängen der UNMissionen auf. Ein prägnantes Beispiel dafür ist das Gedenkzeichen, das Angehörige des Fallschirmjägerbataillons  373 für ihre während des Karfreitagsgefechts im Jahr 2010 in Afghanistan gefallenen drei Kameraden 2014 am Standort Seedorf aufstellten.90 Hauptelement dieses Erinnerungszeichens ist eine übermannshohe Wand aus weißen Klinkersteinen. Die weiße Fläche trägt drei große, christlich konnotierte Holz­ kreuze mit jeweils einer Namenstafel, die im Schnittpunkt der Balken befestigt ist. Die Kreuze waren ursprünglich Teil des inoffiziellen Ehrenhains, den 2011 deutsche Infanteristen zur Erinnerung an ihre gefallenen Kameraden im Feldlager in Kunduz errichtet hatten. Eine Beschreibung dieses Hains findet sich in Kapitel VII.2. Oben wird die weiße Mauer an beiden Enden von je einem steinernen Adler begrenzt. Rechts und links flankieren metallene Fahrzeugtüren, die deutliche Kampfspuren zeigen, den Klinkerwall. Sie stammen von dem Transportfahrzeug des Typs »Dingo«, in dem die drei Bundeswehrsoldaten während des Gefechts am Karfreitag 2010 ihr Leben verloren.91 Auch sie waren Teil der Gedenkstätte im Feldlager Kunduz. Das Karfreitagsgefecht hat nicht nur innerhalb der Fallschirmjägertruppe das Verständnis der militärischen Aufgaben verändert sowie das soldatische Selbstbild und die kameradschaftliche Erinnerungskultur entscheidend geprägt,92 sondern es hat weit über die betroffene Kampfgemeinschaft hinaus großen Einfluss entfaltet. Ja, die identitätsstiftende Kraft der Erinnerung an dieses Gefecht wirkt vielleicht sogar in die gesamte Bundeswehr hinein. Materieller Ausdruck der Erinnerung an das Karfreitagsgefecht ist der »Dingo«. Er steht für soldatischen Kampf und soldatischen Tod. Und er steht für Mut, Tapferkeit, Kameradschaft. Denn die am Gefecht beteiligten Soldaten der Bundeswehr bargen unter großer Lebensgefahr ihre zum Teil schwer verwundeten Kameraden und retteten sie. Sieben Bundeswehrsoldaten wurden dafür im November 2010 durch Verteidigungsminister zu Guttenberg ausgezeichnet. Sechs Soldaten erhielten das Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit, zwei von ihnen posthum. Ein Soldat wurde, ebenfalls posthum, mit dem Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold gewürdigt.93 Im Bild des mit Kampfspuren übersäten »Dingos« verdichtet sich die gesamte Dramatik der ISAF-Mission, eines Kampfeinsatzes unter Kriegsbedingungen. Manche Soldaten sehen in seinen Trümmern und Fragmenten beinahe eine Art von Reliquien. Und im Rahmen der »Operation Tür«, die erst im September 2011 erfolg­reich abgeschlossen werden konnte, bargen deutsche Soldaten die Türen des 90 91

92 93

Vgl. Helmecke, Gefallen, S.  9; Foto der Gedenkstätte, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Foto der Gedenkstätte, (letzter Zugriff 6.9.2021); Helmecke, Gefallen, S.  9; Teile von Unglücksmaschinen und -fahrzeugen sind kein neues Element des binnenmilitärischen Erin­ nerns, vgl. die Gedenkecke für den Transall-Absturz auf Kreta in Hohn, siehe Kap. VII.1.b. Vgl. Walther, Tradition und Kampf, S. 196. Vgl. Libero, Nationale militärische Erinnerungskultur, Privatarchiv Julia Nordmann; Helmecke, Gefallen, S. 9; Barth/Schaal, Deutschland dienen, S. 230.



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Fahrzeugs – auch um zu verhindern, dass diese den Kämpfern der Taliban als Sieges­ symbol dienen könnten.94 Heute steht der zerstörte »Dingo« ikonografisch für einen Kampfeinsatz, der sich tief in das Gedächtnis und dauerhaft in die Erinnerung der Bundeswehr eingegraben hat.95 In seiner Gesamtheit erinnert das kameradschaftliche Gedenkzeichen von Seedorf an die moderne Variante eines Triptychons. Und das martialische Gestaltungselement der von Projektilen gezeichneten Türen führt dem Betrachter eindringlich die neue, kämpferische Einsatzwirklichkeit der Bundeswehr in Afghanistan vor Augen. Auf diese Weise und durch die Übernahme von wesentlichen Elementen des Ehrenhains aus Kunduz rückt die Gedenkstätte diese neue kriegerische Realität der Bundeswehr in den Mittelpunkt des Erinnerns und verleiht ihr einen identitätsstiftenden Rang. Ähnlich in seiner Betonung des Militärisch-Kämpferischen zeigt sich auch das kameradschaftliche Erinnerungszeichen auf dem Gelände der Niederauerbach-Kaserne in Zweibrücken, dem Standort des Fallschirmjägerbataillons 263. Es ist den sieben 2008 und 2009 in Afghanistan Gefallenen des Bataillons gewidmet und erinnert deutlich an Kriegerdenkmäler vergangener Zeiten.96 Die aufwändig gestaltete, freistehende schwarze Marmorsäule ist abgeschrägt. Sie erhebt sich im Mittelpunkt einer achteckig angelegten Bodenfläche aus hellem und dunklem grauen Stein. Die dunklen Elemente formen das Hoheitszeichen der Bundeswehr. Im unteren Drittel der Säule durchbricht ein Halbkreis den Stein, sodass man durch ihn hindurchblicken kann. Im Hohlraum ist ein Stahlhelm aus schwarzem Marmor platziert. Darüber ist auf der Säule und in vergoldeten Buchstaben die knappe Inschrift zu lesen: »In Gedenken an unsere Kameraden«. Die Namen, Dienstgrade und Sterbedaten präsentiert ein Kissenstein vor der Säule.97 Christliche Symbole fehlen. Neben dem ästhetischen Rekurs auf Denkmäler der Weltkriege ist teils auch eine Rückkehr zu »emphatischen Botschaften vergangener Zeiten«98 feststellbar, wie de Libero konstatiert. Ein aussagekräftiges Beispiel hierfür ist der am 5. Dezember 2011 in der General-Olbricht-Kaserne zu Leipzig eingeweihte kameradschaftliche Gedenkstein. Er ist den fünf Panzergrenadieren der Division gewidmet, die 2009 in Afghanistan getötet wurden. Der Findling trägt eine Metallplatte mit Widmung: »Den Gefallenen der 13.  Panzergrenadierdivision zum Gedenken. Ihr Tod ist uns Mahnung / ihre Tapferkeit Ansporn.«99 Dieses Gedenkzeichen zählt zu den ersten, auf denen die Opfer der Bundeswehr als »Gefallene« bezeichnet werden.100 94 95 96 97 98 99 100

Vgl. Libero, Nationale militärische Erinnerungskultur, Privatarchiv Julia Nordmann; Bohnert/ Neumann, Panzergrenadiere, S. 43; Helmecke, Gefallen, S. 9. Vgl. Libero, Nationale militärische Erinnerungskultur, Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Soldaten erinnern an tote Kameraden. In: Pfälzischer Merkur, 16.11.2008. Vgl. Roth, Im Gedenken, 30.6.2009, (letzter Zugriff 6.9.2021). Libero, Tod im Einsatz, S. 53. Vgl. ebd. Ein weiteres Beispiel für eine solche Widmung ist der Gedenkstein, den die Reservistenkameradschaft Sitterswald am Volkstrauertag 2009 auf dem dortigen Friedhof eingeweiht hat. Unter dem Hoheitszeichen der Bundeswehr trägt eine goldbronzierte Tafel folgende Inschrift: »Unseren im

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Jenseits der ästhetischen und sprachlichen Rückbezüge erfolgt nun auch die räumliche Annäherung an die Toten und Gefallenen der Weltkriege. Ein anschauliches Exempel dafür ist der kameradschaftliche Gedenkstein in Leer. Der Findling wurde am Volkstrauertag 2009 eingeweiht. Gewidmet und mit Sinnstiftung versehen, ist er vom Kommando Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst kollektiv allen Soldaten der Bundeswehr zugedacht, die bis zu diesem Zeitpunkt ihr Leben bei Auslandseinsätzen der UNO verloren hatten. Die Widmung lautet: »Den Toten zu Ehre, den Lebenden zum Trost – Den Toten unser Bundeswehr. Für Frieden, Recht und Freiheit.«101 Bemerkenswert ist allerdings vor allem der Ort, an dem der Findling platziert wurde, denn er befindet sich unmittelbar bei einem Ehrenmal für Soldaten, die im Ersten Weltkrieg gefallen sind.102 Auf diese Weise werden die Bundeswehrsoldaten gewissermaßen zum Teil einer Kampfgemeinschaft, die weit über den zeitlichen Rahmen der Bundesrepublik hinausreicht. Resümierend lässt sich festhalten, dass die Entwicklung der binnenmilitärischen Trauer- und Gedenkkultur, die mit den deutschen Auslandseinsätzen ihren Anfang nahm, sukzessiv auch erst zur Wahrnehmung und dann zur Würdigung der Todesfälle von Bundeswehrsoldaten während des Kalten Krieges führte. Nach und nach werden diese Kameraden so, wie auch die Nennung ihrer Namen im Rahmen des Ehrenmals der Bundeswehr zeigt, oft viele Jahre nach ihrem Tod sowohl in das kameradschaftliche als auch in das binnenmilitärische Totengedenken der Bundeswehr einbezogen. Ein prägnantes Beispiel dafür ist Oberfeldwebel Gerhard Knon. Der Panzerkommandant des Aufklärungsbataillons 8 verunglückte am 19. Ok­ to­ber 1989 mit einem Spähpanzer vom Typ »Luchs« auf dem Standortübungsplatz Kohlholz bei Freyung tödlich. Nach dem Unfall errichteten die Kameraden des Standorts an der Unglücksstelle ein Holzkreuz zur Erinnerung an Knon. Doch im Lauf der Jahre geriet das kameradschaftliche Erinnerungszeichen in Vergessenheit – bis zum Jahr 2011, 22 Jahre nach dem Tod des Oberfeldwebels. Der Anlass für die »Wiedererinnerung« des vor so langer Zeit verunglückten Kameraden waren explizit die in Afghanistan getöteten Bundeswehrsoldaten, wie Oberstleutnant Markus Vollmann, 2011 Kommandeur von Kohlholz, erklärte: »Wir müssen in einer Zeit, in der in Afghanistan tote Soldaten zu beklagen sind, eine andere Kultur im Umgang mit toten Kameraden pflegen.«103 Auf Anregung Vollmanns wurde das verwitterte und vergessene Holzkreuz durch einen Gedenkstein mit christlicher Kreuzsymbolik ersetzt. Dieser trägt folgende Widmung: »Zum Gedenken an unseren Kameraden Oberfeldwebel Gerhard Knon,

101 102 103

Auslandseinsatz gefallenen Bundeswehrkameraden zur Ehre«. Vgl. Gedenkstein für Gefallene der Bundeswehr enthüllt, S. 83. Vgl. Libero, Einsatzarmee und Erinnerung, S. 285; Hettling/Echternkamp, Heroisierung, S. 150. Vgl. Hettling/Echternkamp, Heroisierung, S. 150. Zit. bei: Heisl, Gedenkstein für Oberfeldwebel Gerhard Knon auf dem Standortübungsplatz geweiht, (letzter Zugriff 21.5.2016), Privat­ archiv Julia Nordmann.



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der am 19.10.1989 mit einem Spähpanzer Luchs im Alter von 27 Jahren hier tödlich verunglückte.«104 Auf diese Weise wollte Vollmann nicht nur ganz allgemein auf die Gefahren des soldatischen Dienstes verweisen, sondern zugleich auch ein enges Band zwischen der Bundeswehr der Auslandsmissionen und den getöteten Soldaten des Kalten Krieges knüpfen.105 Ein bemerkenswertes Beispiel in diesem Zusammenhang ist die neugestaltete Gedenkstätte, die am Volkstrauertag 2014 auf dem Gelände des Panzeraus­bil­ dungs­zentrums in Munster eingeweiht wurde. Die Stätte stellt im Rahmen des Totengedenkens der Bundeswehr in jeglicher Beziehung eine Art Zwitter dar. Denn zum einen fungiert sie weder als rein kameradschaftliches Erinnerungszeichen noch als offizielles Ehrenmal von Bundeswehr und Politik. Und zum anderen ist sie weder konkreten Kameraden noch einer bestimmten Truppe oder Waffengattung gewidmet. Stattdessen dient sie als eine Art Sammelstätte des militärischen Totengedenkens mit religiösem Bezug, die verschiedenen Ausgestaltungen der Erinnerung eine gemeinsame Form verleiht. Sie soll alle Toten der Bundeswehr ehren sowie an die Gefallenen der Panzertruppen des Zweiten Weltkriegs erinnern, da die nunmehrige Gedenkstätte den Ort des ehemaligen Ehrenhains für diese Einheiten einnimmt. Auch der gefallenen Soldaten des Ersten Weltkriegs soll in Munster gedacht werden. Und offiziell – und wohl um den Verdacht eines glorifizierenden Wehrmachtgedenkens zu vermeiden – erklärten die Verantwortlichen des Standorts Munster die Erinnerungsstätte sogar zum Ort des Gedenkens an alle Opfer von Krieg und Gewalt.106 Georg Küpper, Oberstleutnant und Presseoffizier an der Panzertruppenschule in Munster, formulierte dies so: »Diese Trauer hebt keine Epoche hervor, dennoch hat natürlich der Tod unserer Kameraden der Bundeswehr in Afghanistan oder dem Kosovo für uns aktive Soldaten eine größere Bedeutung [...] Das ist für die Trauernden der älteren Generationen verständlicherweise anders. Und die Gedenkstätte soll gerade dies ermöglichen. Jede Generation soll das betrauern können, was ihr am Herzen liegt.«107

Die Vielfalt der Widmungen korrespondiert mit der Vielzahl der an Planung, Konzeption und Ausgestaltung Beteiligten. Involviert waren unter anderen Soldaten und Führungsoffiziere des Standortes Munster, Beamte des BMVg und Vertreter der

104 105 106 107

Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. E-Mail von Oberstleutnant Georg Küpper, Presseoffizier im Ausbildungszentrum Munster, an die Autorin am 6.11.2015. Siehe Kap. VII.3.a. Ebd. Die nahezu universale Widmung der Gedenkstätte sollte einen Kompromiss zwischen den verschiedenen Interessengruppen schließen. Die Weisung de Maizières, dass eine Traditionslinie zur Wehrmacht zu vermeiden sei, war insbesondere bei ehemaligen Soldaten umstritten, die der ersten in der Bundeswehr sozialisierten Generation angehörten. Sie sahen sich durch die Umgestaltung der Gedenkstätte um ihr soldatisches Erbe betrogen. Um den Frieden zu wahren, kappte man daher vordergründig alle Bezüge zur Wehrmacht und zur alten Gedenkstätte, inklusive ihrer Bezeichnung als »Ehrenhain«. Außerdem schloss man keine Gruppe, auch nicht die Gefallenen der Wehrmacht, von dem Gedenken aus. Vgl. Telefongespräch mit Oberstleutnant Georg Küpper, Presseoffizier im Ausbildungszentrum Munster, am 28.5.2015.

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Traditionsvereine gepanzerter Verbände.108 »Zentrales Element der Gedenkstätte«, so die Initiatoren von Munster,

»ist der Obelisk, der dem ehemaligen Ehrenhain entnommen wurde. Er fungiert als Bindeglied zwischen den militärischen Truppengattungen und deren Gedenken und symbolisiert gleichzeitig den Einsatz der Bundeswehr [...] zur Wahrung von Frieden und zur Verteidigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung unseres Vaterlandes.«109

Die Ästhetik und ihre ambitionierte trauerpädagogische Intention fassten die Verantwortlichen wie folgt:

»Die runde, begehbare Konstruktion der Gedenkstätte erlaubt es jedem Besucher, aktiv mit der Geschichte zu verschmelzen und sich mit der individuellen Trauer zu befassen. Ebenso erlaubt diese Art der baulichen Umsetzung die metaphorische Darstellung des Zyklusses von Tod, Endlichkeit und dem ewigen Leben [...] Durch den zentralen Ort, inmitten der Kaserne Panzertruppenschule, rückt die Gedenkstätte in den Fokus und in das aktuelle Geschehen im Ausbildungsbetrieb. Ein entscheidender Aspekt, wenn es um das aktive Gedenken und gegen das Vergessen der Opfer von Krieg und Gewalt, vor allem für die jüngere Generationen, geht. Die unterschiedliche Gestaltung der Mauerstücke in Höhe und Anordnung mit der Aufschrift ›Unseren Toten zum Gedenken‹ übernehmen hierbei eine wichtige Rolle. Sie symbolisieren, in Verbindung mit den sich kreuzenden Weglinien, die Brüche der deutschen Geschichte und die Schicksale der von Krieg und Gewalt betroffenen Menschen.«110

Schwerpunktmäßig soll die Gedenkstätte, so Küpper, aber vor allem zeigen,

»dass unsere gefallenen Kameraden unverändert Teil unseres soldatischen Lebens sind, sie nicht in Vergessenheit geraten und wir uns täglich mit dem möglichen Sterben für das deutsche Volk als einem wesentlichen Bestandteil unseres Dienens für Deutschland auseinandersetzen.«111

Insbesondere der Afghanistan-Einsatz war nicht nur für die Bundeswehr im All­ge­ meinen der Katalysator dafür, ihre Toten ins Zentrum einer eigenen Erinne­rungs­ kultur zu rücken. Auch einzelne Standorte empfanden diese Not­wen­dig­keit. Diesen Zusammenhang zeigen bereits viele der exemplarisch beschriebenen kamerad­schaft­ lichen und binnenmilitärischen Erinnerungszeichen. Spätestens seit den ersten Todesfällen im Rahmen der ISAF-Mission 2003 wurden Verwundung und Tod für Bundeswehrsoldaten zur Realität. Sie begannen, sich ganz konkret mit dieser Ultima Ratio ihres Berufes auseinanderzusetzen. Und sie suchten nach anschaulichen Bildern, wirkmächtigen Symbolen und sinnhaften Zeichen, um dieser neuen Wirklichkeit einen angemessenen Ausdruck zu verleihen – vor allem im Rahmen eines würdigen und ehrenden Totengedenkens für ihre gefallenen Kameraden. Denn

108 109

110 111

Vgl. E-Mail von Oberstleutnant Georg Küpper, Presseoffizier im Ausbildungszentrum Munster, an die Autorin am 6.11.2015. Erläuterungspapier, Gedenkstätte Kaserne Panzertruppenschule, Privatarchiv Julia Nordmann. Die Autorin dankt Oberstleutnant Georg Küpper, Presseoffizier im Ausbildungszentrum Munster, dass er ihr dieses und weitere Dokumente zugänglich gemacht hat. Ebd. E-Mail von Oberstleutnant Georg Küpper, Presseoffizier im Ausbildungszentrum Munster, an die Autorin am 6.11.2015.



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das Erleben von Kampf, Lebensgefahr und Tod schweißt zusammen, schafft ein Gefühl der Gemeinschaft und stiftet Identität. Jürgen Weigt, General und Kommandeur der Panzerbrigade 21, beschrieb 2007 das Gedenken an die Toten seines Standortes in Augustdorf als Ausdruck von Dank­ barkeit, vor allem aber als Zeugnis einer dauerhaften Kameradschaft. Mit diesem Gedenken, so der General, werde nicht nur die Leistung der Toten anerkannt, sondern auch »unsere Verbundenheit und Kameradschaft über den Tod hinaus« bewiesen. Denn »für die Soldaten der Panzerbrigade  21« sei es »selbstverständlich [...], keinen Kameraden zurückzulassen«. Außerdem stellten die Gedenksteine »jeden Morgen, wenn wir in die Kaserne einfahren, stumm die Frage, ob wir alles in unserer Macht stehende getan haben, um zu verhindern, dass weitere Soldaten der Brigade ihr Leben oder ihre Gesundheit in Einsatz, aber auch bei der alltäglichen Ausbildung verlieren oder gefährden«.112

Bereits seit 2006 erinnern Soldaten gelegentlich mit ein paar vereinzelt aufgestellten Gedenksteinen an ihre getöteten und gefallenen Kameraden. Diese Steine liegen auf einer Grasfläche, gleich am Eingang der Kaserne. Jeder von ihnen trägt eine bronzene Tafel. »In stillem Gedenken an« lautet jeweils ihre Widmung. Es folgen Dienst­ grad und Name des Getöteten, seine Einheit sowie der Tag und die Umstände des Todes.113 Mittlerweile fasst ein Ehrenhain die lose verstreuten Gedenkzeichen zu einer gemeinsamen Erinnerungsstätte zusammen. Diese schließt wohl alle bekannten toten Soldaten des Standortes ein, auch die tödlich verunglückten. Umrahmt von einem kniehohen Steinwall, ragt in der Mitte des Rasens ein Findling mit der Inschrift »Unseren toten Kameraden« auf. Flankiert wird der Stein an beiden Seiten von je einem Kissenstein aus Mamor. Die Kissen tragen schwarze Täfelchen mit den Namen der Toten des Standortes. Im Hintergrund des Ehrenhains erhebt sich ein über­ mannshohes christliches Kreuz.114 Dafür, dass das Totengedenken wohl einen selbstverständlichen und dauerhaften Platz in der Erinnerungskultur eines Standortes erhält, sprechen nicht zuletzt jüngst geschaffene Gedenkstätten wie das Ehrenmal in Regen, der Ehrenhain in Hammelburg oder die Gedenkstätte des Kommandos Spezialkräfte (KSK) in Calw. Anlass für die Errichtung des Ehrenmals auf dem Gelände der Regener BayerwaldKaserne waren drei 2011 in Afghanistan gefallene Soldaten des Standortes. Sie wurden von einem eigentlich mit den Deutschen verbündeten Soldaten der afghanischen Armee im Observation Post North (OP-North) in der Provinz Baghlan erschossen. Das Ehrenmal, das nun an diese Toten und auch an alle Soldaten des Standortes erinnern soll, die seit 1959 im Dienst ihr Leben verloren haben, weist in seiner Gestaltung eine deutliche Ähnlichkeit zum Ehrenhain des OP-North auf. Diesen 112

113 114

Vgl. Ehrenhain in der Kaserne musste um zwei Steine vergrößert werden. In: Lippe aktuell, 24.11.2007, (letzter Zugriff 11.6.2020), Privatarchiv Julia Nord­mann. Vgl. ebd. und Biestmann, Getöteter Bielefelder Soldat erhält besondere Ehrung. In: WestfalenBlatt, 24.10.2018. Leider blieb eine Anfrage an den Standort Augustdorf vom 18.2.2020 zu weiteren Details der Ge­ denk­stätte und auch zu ihrem Einweihungsdatum unbeantwortet.

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haben Kameraden für die gefallenen Panzergrenadiere aus Regen und für zwei weitere getötete Bundeswehrsoldaten errichtet. Wesentliche Elemente – mit Schotter befüllte Drahtkörbe, Antriebskränze des Schützenpanzers »Marder« oder das Eiserne Kreuz – hat man in Regen en miniature adaptiert.115 Die drei Drahtkörbe verbinden zwei gläserne Platten. An jedem der Körbe sind die Nachbildung eines Antriebskranzes und je eine Tafel mit dem Namen eines Gefallenen befestigt. Die Vorderseite der einen Glasplatte trägt das Eiserne Kreuz mit der Widmung »Den Toten zur Ehr«. Auf der anderen Glasplatte liest man den Text des Liedes »Guter Kamerad«. Auf den Rückseiten sind die Dienstgrade, Namen und Sterbedaten der Toten vermerkt. Das Ehrenmal der Bayerwald-Kaserne zu Regen mag man als deutliches Zeichen dafür lesen, dass insbesondere die Erfahrungen der ISAF-Mission in der Bundeswehr das Bewusstsein für die Notwendigkeit geschaffen haben, endlich der eigenen Toten würdig, ehrend und dauerhaft zu gedenken. Ebenso ist die Erinnerungsstätte am Standort Hammelburg zu verstehen. Der Ehrenhain der Saaleck-Kaserne auf dem Lagerberg in Hammelburg wurde im Juni 2018 eingeweiht. Er ist Teil eines Vorhabens, das ihn unmittelbar mit einer Dauerausstellung verbindet, welche die über 60-jährige Geschichte des Bundes­wehr­ stand­ortes Hammelburg dokumentiert. Durch diese prominente Platzierung werden die Toten integraler und dauerhafter Teil der Geschichte des Standortes und so vor dem potenziellen Vergessen bewahrt. Bäume umschließen den Gedenkstättenbereich, der zwischen der Kapelle und dem Antreteplatz Fähnrichwiese gelegen ist. In seiner Mitte erhebt sich ein tafelartiger Stein. Er präsentiert das Eiserne Kreuz und die schlichte Inschrift: »Im stillen Gedenken«. Diese Widmung schließt alle Soldaten des Standortes ein, die seit 1957 in Ausübung ihres Dienstes getötet wurden, die Gefallenen der Auslandseinsätze ebenso wie die Unfalltoten. Umgeben wird die zentrale Steintafel an den Seiten von jeweils zwei kleineren Steintafeln, an denen über 60 goldfarbene Plaketten befestigt sind. Jede von ihnen trägt ein christliches Kreuz, den Namen eines Toten, seinen Dienstgrad, die Einheit sowie das Sterbedatum. Zwei separate, herausgehobene Plaketten erinnern allgemein an sämtliche im Dienst getöteten Soldaten des Standortes.116 Die Erinnerungsstätte in Calw ist ebenfalls ein Beleg für dieses Bewusstsein der Notwendigkeit einer Trauerkultur, die sich den Toten der Bundeswehr widmet. Sie liegt auf dem Gelände der Graf-Zeppelin-Kaserne am südöstlichen Rand von Calw und hat einen rein binnenmilitärischen Charakter – und sogar im Rahmen der Bundeswehr ist sie eigentlich nur einem kleinen Kreis von Soldaten zugänglich. Denn das KSK macht den Tod seiner Angehörigen bis auf seltene Ausnahmen nicht öffentlich.117 115 116

117

Vgl. BMVg, Der Wald der Erinnerung, S. 62 f. Vgl. Volkmann, Bundeswehr weiht Ehrenhain ein, 20.6.2018, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Deutscher KSK-Kämpfer rechnet ab. In: Focus, 8/2015. Eine Ausnahme ist Hauptfeldwebel Daniel Wirth, der am 4. Mai 2013 nahe der nordafghanischen Ortschaft Zaman Khel in einem



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Ein kantiger, grob beschlagener Felszacken bildet das Zentrum der Gedenkstätte. Das grau-gelbliche Objekt ragt gut drei Meter auf. Den unteren Bereich des Steins nimmt ein Relief ein. Darüber prangen zwei Embleme: das Barettabzeichen und eines der internen Verbandsabzeichen des KSK. Das Relief zeigt einen KSK-Soldaten in Kampfmontur, aber barhäuptig. Sein Gesicht spiegelt Trauer, und über die Schultern gelegt trägt er einen toten Kameraden. In gewisser Weise wirkt dieses Bild auch wie eine ganz eigene Art von Pieta. Neben dem Felszacken präsentiert ein Steinblock eine schwarze Platte aus Marmor. Auf ihr sind in weißer Schrift die Namen der getöteten Soldaten des KSK verzeichnet, mit Lebensdaten und Dienstgrad. Manchmal ist auch der Spitzname eines Toten zu lesen. Die vorgestellten kameradschaftlichen Gedenkstätten belegen exemplarisch, dass das binnenmilitärische Totengedenken für die eigenen Toten in vielen Standorten der Bundeswehr durchaus und zum Teil auch bereits seit den Anfängen der Bundeswehr Teil der gelebten Militärkultur ist. Der entscheidende Impuls aber, der die Notwendigkeit eines kameradschaftlichen Totengedenkens für die eigenen Opfer ins Bewusstsein rückte, ging von den internationalen Auslandseinsätzen aus, insbesondere von der ISAF-Mission. In einigen Niederlassungen der Bundeswehr hat man die eigenen Toten zudem untrennbar mit der Standortgeschichte verbunden und ihnen auf diese Weise Dauerhaftigkeit verliehen. Darüber hinaus legte dieses binnenmilitärische Erinnern letztlich auch den Grundstein für die öffentliche und offizielle Trauer- und Gedenkkultur, die sich im Rahmen der Bundeswehr entwickelt hat und entwickelt.

2. Binnenmilitärisches Gedenken in den ausländischen Einsatzgebieten Auch während ihrer UN-Missionen im Ausland setzen Bundeswehrsoldaten die binnenmilitärische Tradition des kameradschaftlichen Gedenkens für ihre getöteten und gefallenen Kameraden fort und errichten in den Feldlagern der Einsatzgebiete Stätten der Erinnerung. Insbesondere die ersten kameradschaftlichen Gedenkzeichen auf dem Balkan (Bosnien-Herzegowina und Kosovo)118 sind einfach gestaltet und ähneln weitgehend denen, wie sie im Inland bis heute üblich sind. Die späteren Erinnerungszeichen, wie sie etwa in Afghanistan entstanden, zeichnet hingegen eine deutlich vielfältigere, repräsentativere und die Umstände des Einsatzes aufgreifende Gestaltung aus. Zudem erfahren sie durch die Bezeichnung »Ehrenhain« auch eine semantische Aufwertung gegenüber den kameradschaftlichen Gedenkformen im Inland, denn der Gefallenentod von Soldaten legt eine besondere Würdigung nahe. Darüber hinaus ist diese Aufwertung auch eine klare Annäherung an inter-

118

Gefecht durch einen Kämpfer der Taliban getötet wurde. Wirth ist der erste KSK-Soldat, der in Afghanistan gefallen ist. Vgl. DBwV-Chef Wüstner warnt vor Scheitern in Afghanistan. Siehe unten.

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nationale Gepflogenheiten binnenmilitärischer Trauer: In einigen Feldlagern, die sich die Bundeswehr mit ihren Alliierten im Ausland teilt, erinnern die Ehrenhaine nicht nur an die getöteten Deutschen. Sie sind auch den Toten der Bündnispartner gewidmet, die oft aus Ländern stammen, wo Begrifflichkeiten wie »Ehrenhain« oder »Heldenfriedhof« üblich sind und breite gesellschaftliche Akzeptanz besitzen.119 Dadurch verliert das binnenmilitärische Totengedenken seine rein nationale Bindung und die getöteten Bundeswehrsoldaten werden Teil einer übernationalen Erinnerungsgemeinschaft. Im Gegensatz zu den binnenmilitärischen Orten des Gedenkens im Inland dienten insbesondere die Ehrenhaine in Afghanistan vor allem auch als demonstrative Kulisse für die Auftritte hochrangiger Repräsentanten Deutschlands, um die am Hindukusch eingesetzten Bundeswehrsoldaten öffentlich und nachdrücklich der Solidarität und der Unterstützung der deutschen Regierungspolitik zu versichern. So war zum Beispiel bei einem Truppenbesuch in Afghanistan durch den Wehrbeauftragten, den Verteidigungsminister oder die Bundeskanzlerin eine würdigende Ansprache an einem der Ehrenhaine praktisch obligatorisch.120 Angesichts dieser Tatsache kann von einer rein binnenmilitärischen Funktion der meisten dieser Ehrenhaine nicht mehr gesprochen werden. Aber auch im binnenmilitärischen Verständnis erweitern die kameradschaftlichen Erinnerungsstätten im Ausland ihre Funktion. Denn sie dienen nicht nur als Orte für Gedenkriten, wie sie etwa am Volkstrauertag oder an den rhythmisch wiederkehrenden Trauertagen üblich sind. Vielmehr schaffen sie darüber hinaus auch Raum für ein soldatisches Ritual der Sammlung, das darin besteht, vor und nach einer militärischen Operation bewusst an einem Ehrenhain innezuhalten und sich Gefahren und Folgen des Auftrags in Erinnerung zu rufen.121 Ganz in diesem Sinn äußert sich auch Rainer Glatz, Generalleutnant und ehemaliger Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, der den Ehrenhain nicht zuletzt »als Mahnmal für uns selbst«122 versteht. Auf diese Weise üben die Auslandseinsätze ab 1990 einen ganz entscheidenden Einfluss auf die binnenmilitärische Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr aus, modifizieren sie und verleihen ihr neue Impulse, deren Wirkung noch – wie Verteidigungsminister Jung bereits 2006 bestätigte123 – im Berliner Ehrenmal der Bundeswehr erkennbar ist.

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In Kanada benannte man beispielsweise einen Abschnitt des Ontario Highway 401 um in »Highway of Heroes«. Dieses Teilstück passieren die Särge gefallener Soldaten bei ihrer Überführung in die Leichenhalle der kanadischen Streitkräfte. Vgl. Vance, Stahl und Stein, S. 353. Für England und die USA vgl. Kap. VI.2.d. Vgl. BMVg, Der Wald der Erinnerung, S. 17, 50; exemplarisch: Truppenbesuch in Afghanistan. In: Bundeswehr aktuell, 13.5.2013. Am Volkstrauertag gedachten die Soldaten in Afghanistan sowohl der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft als auch der eigenen gefallenen Kameraden. Vgl. beispielsweise: Zum Gedenken. In: Bundeswehr aktuell, 21.11.2011; BMVg, Der Wald der Erinnerung, S. 50. Glatz, Ehrenhaine nach Deutschland. In: FAZ, 22.4.2013. Vgl. ebd. und Bedürfnis nach Trauer. In: aktuell. Zeitung für die Bundeswehr, 31.8.2009, S. 3.



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Bisher sind elf binnenmilitärische Gedenkstätten der Bundeswehr124 bei vier UNMis­sionen und bei einem Einsatz im Rahmen der NATO in folgenden Ländern entstanden: Afghanistan, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mali und Litauen. Es handelt sich dabei um fünf Ehrenhaine, drei Erinnerungszeichen in Form von Findlingen, eine Erinnerungsstätte in Gestalt eines steinernen Walls, einen polierten Stein und eine Tafel aus massivem Stahl. Mit Ausnahme der Gedenkstätten in Mali und Litauen wurden sie in den Wald der Erinnerung überführt. Entweder weil die Bundeswehr ihre Einsätze dort beendet beziehungsweise die Feldlager verlassen hat. Oder weil es sich um die exklusive Erinnerungsstätte eines einzelnen Regiments handelt. Auch bei anderen UN-Missionen wie in Kambodscha, Georgien oder auf der Adria hatte die Bundeswehr Todesfälle zu beklagen. Doch an diesen Einsatzorten fehlen kameradschaftliche Erinnerungszeichen. Der Grund: die Präsenz des jeweils ohnehin kleinen Bundeswehrkontingents währte insgesamt nur kurz oder endete zeitnah nach dem Todesfall. Es gab also bald keine deutschen Soldaten mehr vor Ort, die ihrer toten Kameraden hätten gedenken können. Das erste kameradschaftliche Gedenkzeichen im Rahmen einer UN-Mission stammt aus dem Jahr 1998. Ursprünglich wurde es auf dem Appellplatz im deutschen Feldlager Rajlovac aufgestellt, unweit von Sarajevo. Gewidmet ist es den 19 Bundeswehrsoldaten, die im Rahmen des SFOR-Einsatzes ihr Leben verloren.125 Bei diesem ersten Gedenkzeichen handelt es sich um einen großen Findling, der das Hoheitszeichen der Bundeswehr als Emblem trägt. Christliche Symbole fehlen. Die ursprüngliche Widmung – sie wurde geändert – lautete: »Zum Gedenken unserer Toten. Deutsches Heereskontingent Bosnien-Herzegowina.« Unter der Inschrift trugen Plaketten die Namen und die Lebensdaten der Toten.126 Im August 2007, nach dem Abzug der Bundeswehr aus dem Feldlager Rajlovac, verlegte man den Findling übergangsweise auf das Gelände der deutschen Botschaft in Sarajevo. Der neue Standort, der den binnenmilitärischen Rahmen sprengte, erforderte auch eine neue Widmung. Explizit stellte das BMVg durch sie die Verbindung zwischen dem politischen Auftrag und dem Tod der Bundeswehrsoldaten her: »Zum Gedenken an unsere Kameradinnen und Kameraden, die zur Wahrung des Friedens und der Freiheit in Bosnien-Herzegowina ihr Leben geopfert haben«.127 124

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Auf dem Flughafen in Kabul International erinnert seit 2003 ein Obelisk an die Toten des Hubschrauberabsturzes vom 21.  Dezember 2002. Er trägt eine Tafel mit einem Eisernen Kreuz und folgender Inschrift: »Hier starben bei einem Hubschrauberabsturz 7 deutsche Soldaten im Dienst für ISAF.« Eigentlich ist er die zwölfte Erinnerungsstätte der Bundeswehr in Afghanistan. Allerdings – und deswegen wird der Obelisk auch nicht ausführlicher behandelt – handelt es sich hierbei um keine reine Gedenkstätte. Von der Spitze des Denkmals erhebt sich der Berliner Bär, der eine Tafel trägt, welche die Entfernung zur deutschen Hauptstadt anzeigt. Vgl. Kabul, Afghanistan, (letzter Zugriff 6.9.2021); auch: Libero, Einsatzarmee und Erinnerung, S. 284. Vgl. BMVg, Der Wald der Erinnerung, S. 64 f.; Todesfälle in der Bundeswehr im Auslandseinsatz und in anerkannten Missionen, Stand: 21.10.2019, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Sarajevo (ehem. Deutsches Feldlager Rajlovac), Bosnien und Herzegowina. In: Denkmalprojekt, (letzter Zugriff 6.9.2021). BMVg, Der Wald der Erinnerung, S. 65.

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2013 wurde der Findling erneut umgesetzt, und seit dem Volkstrauertag 2014 be­findet er sich im Wald der Erinnerung auf dem Gelände des Einsatz­führungs­ kommandos der Bundeswehr in Potsdam-Schwielowsee.128 Im Findling, dem geologischen Zeugen vergangener Epochen der Erdgeschichte, findet das kameradschaftliche Gedenken häufig seinen Ausdruck. Auch im deutschen Camp Prizren im Süden des Kosovo erinnerte ein Findling an die Toten, die im Rahmen des KFOR-Einsatzes ihr Leben verloren. Gemeinsam mit ihren alliierten Kameraden errichteten ihn die Bundeswehrsoldaten für alle 48 Toten dieser UNMission, die aus sechs Nationen stammen. Die Bundeswehr hat 29 tote Kameraden zu beklagen.129 Drei Tafeln, fixiert auf einer Metallplatte, präsentieren die Namen und Lebensdaten der Toten. Den Findling umgibt eine treppenartige Mauer, aufgebaut aus Feldsteinen. Sie grenzt den Stein ab, verleiht ihm Raum und somit den Charakter einer Gedenkstätte. Durch die übernationale Kooperation stieg die Gedenkstätte im Camp Prizren zum zentralen Ehrenhain des KFOR-Einsatzes auf. Ihre englische Widmung lautet: »In memory of the soldiers who gave their lives for the mission in Kosovo.«130 Im Herbst 2018 verließ die Bundeswehr nach fast 20  Jahren das Feldlager in Prizren. An der Mission im Kosovo nimmt sie jedoch weiterhin teil. Damit ist die KFOR-Mission der bislang längste Einsatz in der Geschichte der Bundeswehr. Noch vor dem Engagement in Afghanistan leitete die KFOR-Mission den Wandel der Bundeswehr zu einer Armee ein, die an Kampfeinsätzen im Ausland beteiligt ist. Auch dafür ist diese Gedenkstätte ein Symbol. Im Frühjahr 2020 wurde der Findling schließlich im Wald der Erinnerung aufgestellt und am 17.  November des Jahres eingeweiht.131 Umgebende Mauer, zentral platzierter Stein (oft Findling) – dies sind bereits tragende gestalterische Elemente der Ehrenhaine, wie sie wenig später auch an den verschiedenen Bundeswehrstandorten in Afghanistan Verwendung fanden. Am Hindukusch entstand zwischen 2002 und 2014, wie Hettling und Echternkamp konstatieren, eine »vergleichsweise komplexe Gedenklandschaft«132. Und die ka128

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Rede der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen anlässlich der Einweihung des Waldes der Erinnerung am 15.11.2014, (letzter Zugriff 13.7.2016), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Der Ort des Nichtvergessens, 15.11.2014, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. BMVg, Der Wald der Erinnerung, S. 70 f.; Todesfälle in der Bundeswehr im Auslandseinsatz und in anerkannten Missionen, Stand: 21.10.2019, (letzter Zugriff 6.9.2021); 48 Namen, 2.12.2020, (letzter Zugriff 6.9.2021). BMVg, Der Wald der Erinnerung, S. 71. Vgl. Einsatzführungskommando der Bundeswehr, Der Einsatz im Kosovo (KFOR) (Stand: Januar 2020), (letzter Zugriff 6.9.2021); Bundeswehreinsätze im Kosovo und im Libanon verlängert. In: FAZ, 25.6.2021; E-Mail von Hauptmann Stefan Gierke, Sachgebietsleiter Wald der Erinnerung, an die Autorin am 6.7.2020; 48 Namen, vier Kränze und ein neuer Ehrenhain KFOR im Wald der Erinnerung, 2.12.2020, (letzter Zugriff 6.9.2021). Hettling/Echternkamp, Heroisierung, S. 151.



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meradschaftlichen Gedenkzeichen nahmen monumentalere Ausmaße an, ihre Formensprache wurde vielfältiger. 2005, drei Jahre nach Beginn der deutschen Teilnahme an der UN-Mission ISAF, errichteten Soldaten der Bundeswehr im multinationalen Feldlager Camp Warehouse in Kabul den ersten Ehrenhain für ihre toten Kameraden. Neben den Deutschen waren in Camp Warehouse Soldaten aus sieben weiteren Nationen stationiert, darunter Frankreich, Italien, Neuseeland und die Türkei.133 Auch Soldaten der anderen Nationen beteiligten sich an der von den Deutschen initiierten Gedenkstätte und erinnerten dort an ihre getöteten und gefallenen Kameraden. Den Mittelpunkt der von einer Ziegelmauer umgebenen Anlage bildet ein Steinpult. Es trägt die von Lorbeerkränzen umrankte knappe Inschrift, die den Toten aller acht Nationen gemeinsam gewidmet ist: »Den Toten zu Ehren«. An der Ziegelmauer befestigte Marmortafeln präsentieren Namen, Lebensdaten und die Nationalität der Toten. Eine strikte nationale Trennung erfolgt dabei nicht, denn auf einer der Tafeln wird z.B. deutscher und dänischer Toten gemeinsam gedacht. Darüber hinaus erinnert eine Tafel auch an jene drei deutschen Wachpolizisten der deutschen Botschaft, die im August 2007 bei einem Sprengstoffattentat getötet wurden. Religiöse Symbole zeigt der Ehrenhain von Camp Warehouse nicht, aus Rücksicht auf die unterschiedlichen religiösen Bekenntnisse der Toten. Die Inschrift, die explizit den deutschen Toten auf den Namenstafeln gewidmet ist, lautet: »In remembrance of [those] who gave their lives in the service of the Federal Republic of Germany.«134 Wie im Fall des Ehrenhains im Kosovo betont man auch hier das aktive Opfer der Soldaten. Im zentralafghanischen Feyzabad, dem Standort des Regionalen Wieder­ auf­ bau­teams der Bundeswehr, errichteten deutsche Soldaten im Jahr 2004 für ihre gefallenen Kameraden des Wiederaufbauteams einen Findling. Die Rückseite des Monoliths begrenzt eine Natursteinwand, an der Tafeln namentlich an vier deutsche und einen tschechischen Soldaten erinnern.135 Die gemeinsame Präsentation von Soldaten verschiedener Nationen auf einer Tafel soll wohl zum einen die soldatische Kameradschaft auch jenseits nationaler Grenzen zum Ausdruck bringen und zum anderen nachdrücklich betonen: ISAF ist eine vereinte Truppe, verbunden durch gemeinsame Werte und Ziele. In den Findling von Feyzabad selbst ist folgende römische Maxime eingemeißelt: »Vigilia Pretium Libertatis – Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit«136. Dieser Leitgedanke ist dem Wappen von SHAPE entnommen, dem Obersten Hauptquartier der NATO in Europa. Auch auf diese Weise enthebt man die Toten und Gefallenen

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Vgl. BMVg, Der Wald der Erinnerung, S. 55‑57. In Camp Warehouse waren folgende Nationen stationiert: Deutschland, Dänemark, Frankreich, Italien, Neuseeland, Portugal, Spanien und die Türkei. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 55‑57; Hettling/Echternkamp, Heroisierung, S. 151; Ottersbach, Gedenkandacht für drei getötete Polizisten im Camp Warehouse, 16.9.2007, (letzter Zugriff 23.8.2016), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. BMVg, Der Wald der Erinnerung, S. 60 f. Vgl. ebd.

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der einzelnen Länder ihres nationalen Kontextes und stellt sie in einen größeren Zusammenhang: den von NATO und ISAF. Nahe der nordafghanischen Stadt Mazar-e Sharif befand sich in Camp Marmal, dem größten Feldlager der Bundeswehr im Ausland überhaupt, ein weiterer bedeutender Ehrenhain. Er ist nicht nur den getöteten und gefallenen Kameraden der Bundeswehr, sondern auch den Opfern aller anderen Alliierten im gesamten Verantwortungsbereich Regional Command North (RC North) zugeeignet. Dieser multinationale Bezug stellt sich in Mazar-e Sharif bereits durch die Präsentation der Fahnen von allen dort stationierten Nationen ein. Neben Deutschland sind das etwa Ungarn, Norwegen und Schweden.137 Der Ehrenhain von Mazar-e Sharif, im Jahr 2007 eingeweiht, zeigt nach klassischem Muster einen Findling als Zentrum, den eine an der Stirnseite durchbrochene und abgestufte Steinmauer umgibt. Beinahe 100  Namenstafeln sind an der Mauer angebracht. Sie repräsentieren die ISAF-Soldaten, die im Bereich des Regional Command North im Auftrag der UNO ihr Leben verloren. Bei manchen Namenstafeln hatten Soldaten Gegenstände persönlicher Erinnerung abgelegt. Für die Kameraden der Bundeswehr ist der Ehrenhain von Mazar-e Sharif darüber hinaus auch der zentrale Erinnerungsort für alle deutschen Soldaten, die im Rahmen der ISAF-Mission starben.138 Der Findling selbst trägt eine Marmortafel mit einer deutschen und einer englischen Widmung. Die deutsche Inschrift, die eine christliche Konnotation aufweist, lautet: »Zum Gedenken an unsere toten Kameraden / In Deine Hände befehle ich meinen Geist«. »Lest we forget« ist die schlichte englische Aufschrift.139 Der zweite Teil der deutschen Widmung entstammt dem Lukas-Evangelium und zitiert die letzten sieben Worte Jesu am Kreuz. Eine geläufige Reminiszenz an den Opfertod Christi, der traditionell im Rahmen sowohl der öffentlichen wie auch der binnenmilitärischen Trauer- und Gedenkkultur mit dem Lebensopfer des Soldaten assoziiert wird.140 Für Hauptfeldwebel Tobias Lagenstein, der im Mai 2011 bei Taloqan getötet wurde, gestalteten Bundeswehrsoldaten im Camp Marmal eine eigene, kleine Erinnerungsstätte. Ein Wall, aufgeschichtet aus etwa faustgroßen Steinen, schafft eine kreisrunde Fläche. Sie umgibt einen unbearbeiteten Steinbrocken, der Lagenstein gewidmet ist. Ein Rosenkranz, ein Kreuz und eine Tafel, wohl aus dünnem Metall, verzieren ihn. Die Tafel trägt folgende Widmung: »Im Gedenken an unseren gefallenen Kameraden Hauptfeldwebel Tobias Lagenstein / 5. FJGBTL 152 / *28.04.1980 – + 28.05.2011«. Blumentöpfe mit Kakteen, die dem ariden Klima angepasst sind, und eine eiserne Laterne ergänzen die Anlage. Auffällig ist, dass jegliche militärische Symbolik fehlt.141 137 138 139 140 141

Vgl. Bild der Woche. In: Bundeswehr aktuell, 28.2.2011, S. 2. Vgl. BMVg, Der Wald der Erinnerung, S. 69. Ebd. Vgl. Lukas 23,46. Siehe Kap. II.1 und III.1. Vgl. E-Mail von Winfried Nachtwei, von 1994 bis 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages und Verteidigungspolitiker von Bündnis 90/Die Grünen, an die Autorin am 9.4.2020.



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2008 weihten Bundeswehrsoldaten auch im Feldlager Kunduz einen Ehrenhain ein. Den unmittelbaren Anlass dafür lieferte der Selbstmordanschlag mutmaßlicher Talibankämpfer vom 19. Mai 2007 auf einem Markt im Stadtzentrum von Kunduz. Dabei verloren drei Angehörige der Bundeswehr ihr Leben.142 Den Mittelpunkt des Ehrenhains von Kunduz bildet ein stattlicher Findling. Er trägt das Hoheitszeichen der Bundeswehr, und eine weit geschwungene, halbrunde und stufenförmig strukturierte Wand aus Ziegeln bettet ihn in die Landschaft ein. Die Mauer säumen Masten mit den Fahnen aller an der ISAF-Mission beteiligten Nationen sowie von NATO, EU und Afghanistan. Im zentralen Abschnitt der Mauer findet sich auf einer Messingplatte die Inschrift des Ehrenmals: »Unseren Kameraden zum Gedenken«. Unter der Widmung sind 20  Täfelchen angebracht, die jeweils Namen, Dienstgrad und Einheit des gefallenen Bundeswehrsoldaten nennen.143 Fiel ein im Feldlager von Kunduz stationierter deutscher Soldat, so sah das kameradschaftliche Protokoll eine Gedenkzeremonie im Ehrenhain vor, in deren Rahmen ein neues Täfelchen mit den Daten des toten Kameraden an der Ziegelmauer enthüllt und die Fahne der Bundesrepublik auf Halbmast gesenkt wurde.144 Im Gegensatz zur gewissermaßen offiziellen Gedenkstätte, der Politiker bei Truppenbesuchen ihre Aufwartung machten, existierte im Feldlager Kunduz bis zu dessen Auflösung noch ein weiterer, kameradschaftlicher Ehrenhain. Er lag beim Hubschrauberlandeplatz und wurde über mehrere Jahre von Infanteristen verschiedener Einsatzverbände errichtet und am 6. Dezember 2011 fertiggestellt. Er sollte an alle Gefallenen erinnern, die dieser Truppengattung der Bundeswehr angehörten. Kernelement des Ehrenhaines war eine abgestufte Mauer, übermannshoch und vollständig von einem Tarnnetz umhüllt. An der Mauer waren sieben schlichte Holzkreuze angebracht. Sie erinnerten an die sieben in Afghanistan gefallenen Infanteristen der Bundeswehr. Kleine, rechteckige Metalltafeln im Schnittpunkt der Kreuzbalken vermerkten die Namen, Dienstgrade und Sterbetage der Toten. Die gemeinsame Widmung: »In Treue vereint«, trug eine weitere Tafel, die über den Kreuzen befestigt war. Die Türen des »Dingos« des Karfreitagsgefechts flankierten die Mauer zu beiden Seiten.145 Ein bemerkenswertes, ganz individuelles Moment dieser Gedenkstätte war das angrenzende Gehege, in dem sieben Schildkröten lebten. Jedes der Tiere stand symbolisch für einen der Gefallenen. Auf einem Schild hatten Kameraden Folgendes dazu vermerkt: »Schildkröten symbolisieren in diesem Land ›ewiges Leben‹. Damit unsere gefallenen Kameraden in unseren Gedanken immer weiter leben, halten wir für jeden gefallenen Kameraden eine Schildkröte.« Nach Beendigung der ISAF-Mission zum 31.  Dezember 2014 verließ die Bundeswehr das Feldlager in Kunduz. Der Ehrenhain wurde nicht erhalten. 142

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Vgl. BMVg, Der Wald der Erinnerung, S. 59; Drei deutsche Soldaten bei Anschlag in Afghanistan getötet, 19.5.2007, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. BMVg, Der Wald der Erinnerung, S. 59. Vgl. Wenn man die Vögel hört. In: Bundeswehr aktuell, 6.6.2011, S. 3. Vgl. E-Mail von Winfried Nachtwei, von 1994 bis 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages und Verteidigungspolitiker von Bündnis 90/Die Grünen, an die Autorin am 27.3.2020.

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Vermutlich erhielten die Kreuze in den jeweiligen Heimatstandorten der Gefallenen einen Platz. In der Kaserne der Fallschirmjäger in Seedorf erinnern heute drei dieser Kreuze sowie die Türen des »Dingos« an die Gefallenen. Auch der Außenposten der Bundeswehr OP North, er liegt unweit der Provinz­ hauptstadt Pol-e Chomri im nordafghanischen Bezirk Baghlan, verfügte seit 2011 über einen Ehrenhain. Dieses kameradschaftliche Erinnerungsmal weicht in seiner Gestaltung deutlich von anderen Gedenkstätten der Bundeswehr in Afghanistan ab. Denn im Fokus der Anlage findet sich nicht ein Findling, sondern für jeden der fünf im Bereich von OP-North gefallenen Bundeswehrsoldaten steht dort ein großes, christlich konnotiertes Holzkreuz, das im Schnittpunkt der Balken jeweils die Daten des Toten trägt. Die gemeinsame Widmung – »Den Toten zur Ehr« – präsentiert ein großes, aus Metall gefertigtes Hoheitszeichen der Bundeswehr.146 Auf diese Weise verbindet der Ehrenhain von OP-North christliche und militärische Symbolik miteinander. Hinter dem Eisernen Kreuz erhebt sich ein Teil eines Hesco-Walls. Diese weit verbreitete Art des militärischen Schutzwalls aus Drahtgeflecht und Schotter betont den Zusammenhang von Kampf und Tod der Soldaten. Am Wall selbst sind drei Antriebszahnkränze eines Schützenpanzers »Marder« angebracht. Diese umkränzen jeweils die Namenstafel eines jener drei Bundeswehrsoldaten, die am 18.  Februar 2011 von einem afghanischen Wachsoldaten erschossen wurden – während sie auf einem »Marder« sitzend ihre Waffen reinigten.147 Kurz vor Beendigung der ISAF-Mission 2014 baute die Bundeswehr die Ehren­ haine von Kabul, Kunduz, Feyzabad und vom OP-North ab. Im Potsdamer Wald der Erinnerung, wo man sie anschließend aufstellte, bewahren sie nun die Erinnerung an die Toten. Der Ehrenhain von Mazar-e Sharif dagegen verblieb bis zum endgültigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan am Hindukusch und steht erst seit Mai 2021 im Wald der Erinnerung.148 Im November 2017 enthüllten Soldaten in Camp Castor im westafrikanischen Mali eine Gedenktafel für ihre beiden Kameraden, die im Juli des Jahres bei einem Einsatzflug mit ihrem Hubschrauber »Tiger« abgestürzt waren. Als das Kampfhubschrauberregiment 36, dem die Toten angehörten, im September 2018 seinen Einsatz in Mali beendete, nahmen Angehörige dieser Truppe die Tafel mit. Heute steht sie auf dem Gelände der Georg-Friedrich-Kaserne in Fritzlar, dem Heimatstandort des Regiments.149 Die Tafel in Form der Umrisse Malis ist aus massivem Stahl gefertigt. Sie erhebt sich schräg vom Boden, getragen von drei stählernen Füßen. Ausfräsungen auf ihrer 146

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Vgl. BMVg, Der Wald der Erinnerung, S. 63; Operationsbasis »Observation Post-North«, 7.3.2012, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Seliger, Sterben für Kabul, S. 190‑193. Vgl. BMVg, Der Wald der Erinnerung; Lenz/Tiedke, 27 Tonnen voller Erinnerungen, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. BMVg, Denkmal für verunglückte Piloten, 23.11.17, (letzter Zugriff 6.9.2021); Laumann, Einsatz in Mali: Fritzlarer Soldaten sind zurück. In: HNA, 18.9.2018.



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Oberseite markieren den Fluss Niger sowie die Städte Bamako, Timbuktu, Gao und Kidal. Diese Städte stehen nicht nur für Feldlager in Mali, sondern es sind auch Regionen, in denen Teilnehmer anderer Nationen im Rahmen der »Mission multidemensionelle intégrée des Nations Unies pour la stabilisation au Mali« (MINUSMA) Tote zu beklagen hatten.150 Auf diese Weise beziehen die Bundeswehrsoldaten die Opfer ihrer Verbündeten in einem kameradschaftlichen Sinne in das eigene Gedenken ein und setzten eine multinationale Gedenkpraxis fort, die in Afghanistan oder im Kosovo begonnen hat. In Mali allerdings hoben die Bundeswehrsoldaten das Gedenken an die eigenen Kameraden deutlich hervor. So kennzeichnet ein Stern in der Tafel die Absturzstelle des Hubschraubers, zwei weitere Sterne tragen Abbreviaturen der Nachnamen der Toten: »MLR« für Stabshauptmann Thomas Müller, »FAR« für Major Jan Färber. Ein Heckrotorblatt repräsentiert den verunglückten Hubschrauber, und dort, wo es sich gewissermaßen durch den Stahl der Tafel bohrt, sind die exakten Koordinaten des Absturzortes, das Rufzeichen der Maschine GISMO 01 und das Motto des deutschen Heeresfliegereinsatzverbandes in Mali: »Brothers in Arms« eingraviert.151 Durch die Integration authentischer Objekte, die mit dem Tod der Soldaten eng verbunden sind, greift man eine Form des binnenmilitärischen Erinnerns auf, wie sie von Bundeswehrsoldaten z.B. bereits in Afghanistan praktiziert wurde. Die Widmung des kameradschaftlichen Erinnerungszeichens aus Mali ist schlicht gehalten: »In ehrendem Gedenken / Kampfhubschrauberregiment 36.« Zwei eingravierte Hubschrauber des Typs »Tiger« flankieren die Inschrift.152 Ein unmittelbarer oder offizieller Bezug zur Bundeswehr, wie ihn z.B. das Eiserne Kreuz als Hoheitszeichen herstellen würde, fehlt. Das Gedenken verbleibt so in seinem eingegrenzten, binnenmilitärischen Zusammenhang, der lediglich die Kameraden der Einheit einschließt und den Einsatz und das Unglück in Mali als Rahmen definiert. Auch die Entscheidung der Einheit, das Denkmal nach Been­di­ gung des Mali-Einsatzes nicht in den Wald der Erinnerung zu überführen, sondern dauerhaft am eigenen Standort zu präsentieren, unterstreicht den primär kameradschaftlichen Charakter.153 Die deutsche Gedenktafel in Mali stand in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem niederländischen Erinnerungszeichen, das zwei Piloten würdigt, die im März 2015 mit ihrem Apache-Hubschrauber abgestürzt waren. Diese enge räumliche 150

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Vgl. BMVg, Denkmal für verunglückte Piloten, 23.11.17, (letzter Zugriff 6.9.2021). Besonders viele UN-Blauhelmsoldaten wurden bis zur Einweihung der Gedenkstätte in der Region Kidal und in Timbuktu getötet. Drei Beispiele: Terrorgruppe, 13.2.2016, (letzter Zugriff 6.9.2021); UN News, Security Council, UN Mission Condemn Attack on Kidal Base that Kills One ›Blue Helmet‹, Mali, 24.1.2017, (letzter Zugriff 6.9.2021); UN News, ›Blue Helmet‹ Killed in Attack on UN Mission Camp in Timbuktu, Mali, 4.5.2017, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. BMVg, Denkmal für verunglückte Piloten, 23.11.17, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. ebd. Vgl. ebd.; Laumann, Einsatz in Mali: Fritzlarer Soldaten sind zurück. In: HNA, 18.9.2018.

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Nähe des kameradschaftlichen Totengedenkens verbündeter Nationen ist charakteristisch für multinationale Einsätze im Rahmen von UNO oder NATO. Sie findet sich auch in Afghanistan, im Kosovo oder in Litauen. So bezieht der Gedenkstein auf dem Gelände der litauischen Kaserne in Rukla, dem Hauptquartier der Battlegroup Lithuania, der ursprünglich zur Würdigung eines 2017 getöteten kroatischen Soldaten errichtet wurde, nun auch Adrian Rohn ein. Der Oberstabsgefreite der Bundes­wehr verunglückte 2018 tödlich in Litauen.154 Der Stein aus schwarzem Granit in Rukla, den die kroatischen und die deutschen Nationalfarben zieren, wird durch eine Wolfsskulptur gekrönt. Sie spielt auf den Namen der litauischen Iron Wolf Brigade an, die mit den NATO-Partnern im Land zusammenarbeitet und in Rukla stationiert ist.155 Bemerkenswert an diesem kameradschaftlichen Erinnerungszeichen ist der übernationale Charakter des Gedenkens. Symbole, die auf die Bundeswehr hinweisen, fehlen. Auf diese Weise wird der Soldat der Bundeswehr nicht mehr nur als Angehöriger einer nationalen Streitkraft erinnert, sondern als NATO-Soldat aus Deutschland. Das rein Nationalstaatliche tritt in den Hintergrund. Diese Einbindung in multinationale Strukturen bewirkt, dass sich Bundeswehrsoldaten im Einsatz vor allem als Teil eines Einsatzkontingentes verstehen und z.B. den Tod eines verbündeten Soldaten anderer Nationalität als den Verlust eines Kameraden wahrnehmen. Das binnenmilitärische Totengedenken im Rahmen der Bundeswehr trägt entscheidend dazu bei, Identität und Zusammengehörigkeit in einem Einsatz­kon­tin­ gent zu stiften. Denn was schweißt Soldaten enger zusammen als kollektiv erlebte Kampf­situationen und gemeinsam erfahrene Lebensgefahr? Wann sind Kamerad­ schaft und Verlässlichkeit existenzieller als im Gefecht? Und fällt ein Kamerad, so hält das binnenmilitärische Totengedenken nicht nur die Erinnerung an diesen möglichst dauerhaft fest, sondern auch an die soldatischen und identitätsstiftenden Werte eines Einsatzkontingents.156 Den kameradschaftlichen Ehrenhainen der Bundeswehr im Zusammenhang mit den UN- und NATO-Auslandsmissionen ist gemeinsam, dass es sich bei ihnen zumeist um sehr schlichte, oft improvisierte Gedenkstätten handelt, die jedes aufdringliche Pathos vermeiden und bei deren Errichtung überall und sofort verfügbare Materialien wie Stein, Holz oder Metall Verwendung finden. Die große Bedeutung des Improvisatorischen erklärt sich daraus, dass viele der Ehrenhaine praktisch spontan entstanden, wenn plötzlich der Tod eines Kameraden zu beklagen war. Primäre Funktion dieser Ehrenhaine ist das kameradschaftliche Gedenken und die Ehrung der Toten zu bestimmten Anlässen wie dem Volkstrauertag oder den rhythmisch wiederkehrenden Todestagen der getöteten Kameraden. In der Regel – eine Ausnahme ist z.B. der kameradschaftliche Gedenkstein in Sarajevo – entbehren sie daher der offiziellen politischen Sinnstiftung. Das heißt: Die kameradschaftlichen 154

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Vgl. ebd. und Iron Wolf: Höhepunkt jeder EFP-Rotation, 1.7.2019, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Wiegold, Kommandowechsel in Litauen, 4.2.2019, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Libero, Nationale militärische Erinnerungskultur, Privatarchiv Julia Nordmann.



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Ehrenhaine sind Orte des persönlichen Gedenkens und Erinnerns und nicht der politischen Legitimation.157 Generalleutnant Erich Pfeffer, Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, formuliert deren Bestimmung so: »Die Ehrenhaine sind nicht prunkvoll, sie sind nicht prätentiös – aber sie sagen unmissverständlich und unwiderruflich: Ihr seid nicht vergessen. Ihr werdet nicht vergessen.«158

3. Gemeinsame Ehrenmale von Wehrmacht und Bundeswehr: Die Rolle der Veteranen Mit ihrer Aufstellung am 12. November 1955159 trat die Bundeswehr ein schwieriges Erbe an. Denn in gewisser Weise wurde sie auch zur Nachlassverwalterin ihrer Vorgängerarmeen. Und dadurch, dass Soldaten die neue Armee aufbauten, die ihre militärische und politische Sozialisation in Wehrmacht und Reichswehr erhielten, übertrugen diese Veteranen nicht nur ihre militärische Erfahrung und ihr waffentechnisches Know-how auf die Bundeswehr, sondern auch ihr berufliches Selbstverständnis des Soldaten, ihre soldatischen Werte, ihr Menschenbild und ihre Traditionen. Insbesondere die in der Bundesrepublik gesellschaftlich umstrittenen Traditionen der Wehrmacht wurden wohl nirgends so offensichtlich wie im Rahmen der monumentalen Gedenkkultur der Veteranen, die in der Bundeswehr bereits früh entstand.160 Diese Erinnerungskultur ehemaliger Wehrmachtsoldaten wurde zum wohl entscheidenden und wirkmächtigsten Medium, um die Vorbildhaftigkeit vergangener Soldatengenerationen zu postulieren und deren Werte und Traditionen in der Bundeswehr zu verankern. Im Zusammenhang mit dem offiziellen militärischen Totengedenken, wie es z.B. am Volkstrauertag zelebriert wird, sind für die drei Teilstreitkräfte Marine, Luftwaffe und Heer insbesondere folgende Orte zu nennen: Laboe, wo das Ehrenmal der Marine steht; Fürstenfeldbruck, Standort des Luftwaffenehrenmals; die Festung Ehrenbreitstein bei Koblenz, wo sich das Ehrenmal des Heeres befindet. Diese drei zentralen Ehrenmale der Teilstreitkräfte waren ursprünglich den toten Soldaten der Weltkriege gewidmet.161 Im Gegensatz zum bereits 1936 eingeweihten Marine-Ehrenmal wurden die Ehrenmale von Luftwaffe und Heer vor allem durch Spendensammlungen unter Soldaten der Bundeswehr finanziert. Auch wenn diese beiden Gedenkstätten somit durch Soldaten der Bundeswehr entstanden, waren sie ebenso wie Laboe so gut wie 157 158

159 160 161

Vgl. Libero, Einsatzarmee und Erinnerung, S. 282; BMVg, Der Wald der Erinnerung, S. 65. Rede Befehlshaber Einsatzführungskommando der Bundeswehr Generalleutnant Pfeffer anlässlich der Einweihungs- und Gedenkveranstaltung des Ehrenhains KFOR und des Totengedenkens am 17.11.2020, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Rink, Die Bundeswehr 1950/55‑1989, S. 9. Siehe Kap. III und VII.3. Siehe Kap. VII.3.b.

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ausschließlich der Erinnerung an die Gefallenen der Weltkriege und nicht den Toten der Bundeswehr gewidmet. Dieser Zustand dauerte bis in die Mitte der 1990er-Jahre an.162 So ist es nicht verwunderlich, dass nicht nur Laboe, sondern auch die beiden anderen Ehrenmale in ihrer Gestaltung im Wesentlichen der militärischen Formensprache und Symbolik vor 1945 verpflichtet sind. Darüber hinaus ist auch eine starke Verbindung zu den Zeremonien militärischer Erinnerung vor 1945 festzustellen. Auf diese Weise wurden die Toten von Wehrmacht und Kaiserlicher Armee, da sie sich als Kämpfer bereits im Krieg bewährt hatten, über das Totengedenken in den Rang von Vorbildern für die Soldaten der Bundeswehr erhoben. Ganz entscheidend war dabei das Verständnis des Soldatentodes, wie es führende Vertreter des VDK, der Veteranenverbände und manche Historiker und Publizisten in den 1950er- und 1960er-Jahren vertraten. Im Kern lösten die Protagonisten dieser Interpretation den Soldatentod aus seinem jeweiligen historischen und politischen Kontext und erklärten ihn zum überzeitlichen und sakrosankten Wert an sich, legitimiert durch das Leiden und die Opferbereitschaft des Soldaten.163 Eine prominente und einflussreiche Stimme war in diesem Zusammenhang die von Erich von Manstein, Generalfeldmarschall a.D. und bis 1960 inoffizieller Berater der Bundeswehr, der in Soldatenkreisen hohes Ansehen genoss. In seinem autobiografischen Werk Verlorene Siege von 1955 – es erschien 2009 in der 18. Auflage – versuchte er eine ideelle Brücke zwischen den Soldaten der Wehrmacht und denen der Bundeswehr zu schlagen, eine nahezu ungebrochene Kontinuität zwischen beiden Armeen herzustellen und die Wehrmacht weitgehend zu exkulpieren: »Das Leiden und Sterben der deutschen Soldaten sollte aber zu heilig sein, um daraus eine Sensation des Grauens, eine Quelle fragwürdiger Enthüllungen oder eine Gelegenheit zu politischer Kontroverse zu machen.«164 Und weiter: Hätten dieses »Heldentum [...] diese Tapferkeit [...] diese Treue [...] diese Pflichterfüllung auch in den Tod oder in die Gefangenschaft geführt, so bleibt [sic] doch diese Tapferkeit, diese Treue, diese Pflichterfüllung ein Hohelied des deutschen Soldatentums!« Und dieses »Heldentum« sei daher »trotzdem der Überlieferung [...] wert«165. Mansteins traditionalistisches Verständnis von Soldaten- und Heldentum prägte die große Mehrheit der ehemaligen Wehrmachtangehörigen in der Bundeswehr und damit auch große Teile der neuen Armee. Diesen Veteranen gelang es in erheblichem Maße, ihre Vorstellungen von militärischer Vorbildhaftigkeit in der Bundeswehr zu verankern. Bei der Auswahl dieser Leitbilder rückten sie vor allem technische und militärische Parameter wie die Effektivität eines Angriffs, die Kampfkraft oder die strategische Überlegenheit in den Vordergrund. Die Bedeutung von soldatischen Gewissensentscheidungen oder von humanistischen und ethischen Prinzipien, wie 162 163 164 165

Vgl. ebd. Vgl. Echternkamp, Kein stilles Gedenken, S. 49 f.; Schöbel, Am Anfang war der Held, S. 46. Siehe Kap. II.2 und III.2. Manstein, Verlorene Siege, S. 320; Boll, Generalfeldmarschall Erich von Lewinski, gen. von Man­ stein, S. 421. Manstein, Verlorene Siege, S. 320.



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sie das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform einfordert, stärkten sie dabei nicht.166 Die in der Bundeswehr jahrzehntelang betrauerten und zu militärischen Vorbildern erklärten Gefallenen der Wehrmacht waren kämpfend gestorben. Daher erfüllten sie die Maßstäbe der traditionalistisch Ausgerichteten. Den Reformorientierten gelang es dagegen weitgehend nicht, den soldatischen Opfertod mit neuen Werten im Geist der Inneren Führung aufzuladen. Einen Ansatzpunkt dafür hätten beispielsweise all jene Bundeswehrsoldaten geboten, die sich seit Januar 1959167 selbst geopfert hatten, um das Leben von Kameraden oder von Zivilisten zu retten. Diese soldatischen Vorbilder der Bundeswehr, die so ihre ultimative Pflicht­ erfüllung und Opferbereitschaft unter Beweis stellten, hätten für die Reformer als Aus­gangs­punkt für eine Art Gegenentwurf und/oder Ergänzung zum Soldatenbild der Wehrmacht und als Grundlage beim Aufbau einer eigenen Tradition von Leitbildern der Bundeswehr dienen können. Zu dieser Überlieferungskette hätte beispiels­weise auch die Teilnahme der Bundeswehr an internationalen Hilfseinsätzen zählen können, die als explizit »traditionswürdige Leistung« Aufnahme in den Tradi­ tions­erlass von 1982 fand. 1991 bestätigte Generalinspekteur Wellershoff diese Sichtweise, indem er den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen humanitärer Einsätze als eine der besten Traditionen bezeichnete, die Streitkräfte in Friedenszeiten begründen können.168 Wie bereits an anderer Stelle dargelegt, beschäftigte sich im Rahmen der Bundeswehr vor allem der Reformer Baudissin mit einer modifizierten Wertbindung des soldatischen Opfers,169 das mit dem Konstrukt des Staatsbürgers in Uniform vereinbar war. In seinen Gedanken über den Tod von Soldaten – wie er sie in Reden und Aufsätzen äußerte – lässt sich Baudissins diesbezüglicher zentraler Ansatzpunkt erkennen. Der Reformer löste dabei das Konzept des Heldentodes aus seinem rein kriegerisch-kämpferischen Handlungskontext und übertrug es grundsätzlich auch auf humanitäre, lebensrettende Handlungen, mit denen der sich opfernde Soldat selbstlos der Gemeinschaft diente. Diese Neubewertung des soldatischen Opfers im Geiste der Inneren Führung konnte sich jedoch nicht grundsätzlich durchsetzen. Vereinzelt allerdings gab es von offizieller Seite durchaus Versuche, das soldatische Opfer in Friedenszeiten zu würdigen. Anlässlich des 10.  Geburtstages der Bundeswehr 1965 z.B. veröffentlichte 166 167

168

169

Vgl. Kutz, Militär und Gesellschaft, S.  282  f.; Libero, Tradition in Zeiten der Transformation, S. 159. Das erste Beispiel für das aktive Opfer eines Bundeswehrsoldaten während des Kalten Krieges konnte 1959 ermittelt werden. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass es bereits frühere Fälle gibt. Vgl. BMVg, 10 Jahre Bundeswehr, o.S. (»Sie opferten ihr Leben«). Vgl. Erlass »Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundeswehr«, 20.9.1982. Abgedr. in: Abenheim, Bundeswehr und Tradition, S. 230‑234, hier Ziff. II. 20, S. 232; Libero, Soldatische Identität, Tradition und Einsatz, S. 51. Im November 1965 würdigte Ulrich de Maizère vor Wehrmachtsveteranen die Bundeswehrsoldaten, die im Februar 1962 während der Flutkatastrophe im Dienst und »bei der Hilfeleistung für andere ihr Leben gelassen« hatten. Vgl. Maizière, Pflege der Tradition, S. 56; Wellershoff, Streitkräfte als Helfer in Not und Katastrophe, S. 256. Wellershoff, von 1986 bis 1991 im Amt, war der erste Generalinspekteur der Bundeswehr, der nicht in der Wehrmacht gedient hatte. Vgl. Kilian, Führungseliten, S. 404. Siehe Kap. IV.3.c.

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die Schriftenreihe Innere Führung eine – wenn auch unvollständige – Liste jener Soldaten, die aktiv ihr Leben zur Rettung anderer geopfert hatten, und erklärte diese damit zu einem bedeutenden Teil der Bundeswehr.170 Bereits vier Jahre zuvor erklärte Verteidigungsminister Strauß Erich Boldt in einem Kondolenzschreiben an dessen Witwe zum Vorbild für die Bundeswehr: »Ihr Mann gab sein Leben in vorbildlicher Pflichterfüllung als Soldat und Vorgesetzter, um das Leben seiner Kameraden zu schützen. Aufgrund dieses Verhaltens wird er für die Soldaten der Bundeswehr als Vorbild weiterleben und in steter Erinnerung bleiben.«171 Dem schließt sich die Zeitschrift Information für die Truppe an: Obwohl Boldt den »Einsatz des Lebens für die Kameraden nicht in der harten Schule der Front gelernt« habe, habe er dennoch »aus dem Pflichtgefühl und dem Opfersinn des alten Soldaten« gehandelt. Dadurch reihe er sich in die beste »Tradition des deutschen Soldatentums [ein] – einer Tradition, die in der Bundeswehr weiterlebt«.172 An der Führungsakademie der Bundeswehr reihte Generalinspekteur Harald Wust 1978 Ludger Hölker explizit in die Reihe der traditionswürdigen Vorbilder der Bundeswehr ein und damit indirekt auch all jene Soldaten, die wie Hölker ihr Leben zum Schutz anderer geopfert hatten: »Wir wissen, dass sich in ähnlichen Situationen auch andere Soldaten geopfert haben. Der Name Hölker steht für die Soldaten der Bundeswehr, die ihre Verpflichtung zum Schutz ihrer Mitbürger über die eigene Person stellten, für jene, die sich opferten.«173 1995, zum 40. Geburtstag der Bundeswehr, erinnerte auch Generalinspekteur Naumann an Ludger Hölker und Erich Boldt.174 Einige prägnante Fälle dieser Form des Selbstopfers sollen verdeutlichen, dass die Bundeswehr zahlreiche solcher potenziellen Vorbilder aufzuweisen hat. Ihre Geschichte reicht bis in die Anfangszeit der Bundeswehr während des Kalten Krieges zurück und lässt sich bis in die Gegenwart der internationalen Kampfeinsätze fortschreiben.175 Diese Beispiele, die zeigen, dass tapferes und vorbildhaftes Handeln nicht an einen Kampfeinsatz gebunden sein muss, sind knapp gehalten. Zusätzliche Details und die näheren Umstände der Ereignisse lassen sich den entsprechenden Fußnoten bzw. den genannten Quellen entnehmen. 1959: Bei einer Übung brachte ein Rekrut vom Panzergrenadierbataillon  112 (stationiert in Regensburg) eine Handgranate vorzeitig zur Explosion. Sein Ausbilder, 170 171 172 173 174 175

Vgl. BMVg, 10 Jahre Bundeswehr, o.S. (»Sie opferten ihr Leben«). Zit. in: Das soldatische Vorbild, S. 794. Ebd. Wust, Bundeswehr und Tradition, S. 192. Vgl. Naumann, Reden (Kommandeurtagung der Bundeswehr 1995), S. 15. Vereinzelt lassen sich in der Militärgeschichte Beispiele für diesen Aspekt militärischer Vor­bild­ haftig­keit finden. Bereits die Kriegsartikel der Preußischen Armee von 1905 erkannten auch humanitäre Hilfeleistungen als Formen von soldatischer Tapferkeit und Opferbereitschaft an. Die Kriegs­artikel verbanden soldatische Tugenden daher nicht zwangsläufig mit der Bewährung im Kampf. Im Frieden könne sich der soldatische Mut auch darin zeigen, »Mitmenschen aus Gefahr, z.B. bei Feuersbrunst, vor dem Ertrinken zu retten«. Das stehe dem Soldaten gut an. »Fast jedes Jahr haben bei Eissprengungen und Überschwemmungen unsere Soldaten hervorragende Beispiele von ent­schlossenem Einsetzen des eigenen Lebens für andere gegeben.« Kriegsartikel und Fahneneid, S. 42.



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Oberleutnant Josef Sachsenhauser, rettete dem jungen Soldaten im letzten Moment das Leben, indem er sich mit seinem Körper auf die detonierende Granate warf.176 8. Juli 1959: Bei einer Übung des in Holzminden stationierten Pionierbataillons 8 am Fluss Leine ereignete sich ein Unfall mit einem Hochspannungsmasten. Beim vergeblichen Versuch, einen Kameraden zu retten, opferte Hans-Jürgen Bahr, Major und stellvertretender Kommandeur, sein Leben.177 Februar 1962: Während der verheerenden Sturmflut von 1962 opferten neun Bundeswehrsoldaten ihr Leben, als sie versuchten, Anwohner vor dem Ertrinken im Hochwasser zu retten: Leutnant Ulrich Karl Czwalina, Unteroffizier Gerhard Gowitzke, die Gefreiten Udo Bartling, Manfred Bahstan, Klaus Hinz, Jost-Andreas Sommermeyer und Adelbert Fischer, der Pionier Wilhelm Hermanns sowie der Schütze Klaus-Dieter Schmidt.178 13.  Juni 1965: An diesem Tag verlor der Gefreite Ernst H. Meisriemler vom Schweren Pionierlehrbataillon 210 (stationiert in München) sein Leben, als er mit einem Motorboot während eines Hochwassers im Donautal Anwohner aus ihren von den Fluten bedrohten Häusern barg.179 Zahlreiche Fälle des soldatischen Selbstopfers ereigneten sich bei Flugunfällen180: 26. November 1964: Bei einem Übungsflug erlitt die Maschine des Typs RF-84F »Thunderflash« von Leutnant Günter Schottenhammer einen Triebwerksschaden. Der Pilot »stieg nicht aus«, sondern opferte sein Leben, indem er die Maschine hochzog, um einen Absturz über dem Ort Zillenberg zu verhindern.181 Die überwältigende Mehrzahl der militärischen Flugzeugabstürze aber ereignete sich im Zusammenhang mit dem umstrittenen Jagdbomber des Typs »Starfighter« F-104. Hier opferten die Piloten in Notsituationen ihr Leben, indem sie Ortschaften oder bewohnte Gebiete erst überflogen, bevor sie in ihren abstürzenden Maschinen den Schleudersitz betätigten. Dadurch verhinderten sie eine Katastrophe, verloren jedoch selbst ihr Leben: 3. September 1962: Oberleutnant Erik Edgar Bedarf vom Jagdbombergeschwader 31 (stationiert in Nörvenich).182

176 177 178 179

180

181 182

Vgl. BMVg, 10 Jahre Bundeswehr, o.S. (»Sie opferten ihr Leben«). Vgl. 56 Jahre, S. 6, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. BMVg, 10 Jahre Bundeswehr, o.S. (»Sie opferten ihr Leben«); Kilian, Helmut Schmidt, S. 38 f. Vgl. BMVg, 10 Jahre Bundeswehr, o.S. (»Sie opferten ihr Leben«) und Zwei Meter Heimatge­ schich­te für das Stadtarchiv Vohburg. In: Vohburger Nach­richten, Historische Beilage Nr. 2/2014, S. 22. Weniger eindeutig fügt sich folgendes Beispiel in diese Aufzählung ein: Am 22. November 1976 stießen zwei Militärmaschinen der Bundeswehr, ein Düsenjet vom Typ »Fiat G  91« und ein Messflugzeug vom Typ »Hansa-Jet«, über dem Ort Bauhofen zusammen. Fünf Soldaten verloren dabei ihr Leben. Die Bewohner der Ortschaft errichteten eine Gedenkstätte für die Toten. Sie waren davon überzeugt, dass die Besatzung des Hansa-Jets ihre beim Zusammenprall beschädigte Maschine noch über die Häuser hinweg gelenkt und sie erst auf einer Wiese hatte abstürzen lassen. Vgl. Bosch/Voh, Knapp einer Katastrophe entgangen. In: Augsburger Allgemeine, 26.11.2016. Vgl. John, Diese Heldentat bleibt unvergessen. In: Augsburger Allgemeine, 26.11.2014. Vgl. Oberleutnant Erik Bedarf, 29.3.1936‑3.9.1962, S. 2.

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29.  September 1965: Hauptmann Wolfgang Willam vom Jagd­bom­ber­ geschwader 31 (stationiert in Nörvenich).183 17. April 1968: Hauptmann Ferdinand Eckert vom Jagdbombergeschwader 32 (stationiert in Lechfeld).184 9. Oktober 1968: Hauptmann Reinhard Prinz vom Jagdbombergeschwader 31 (stationiert in Nörvenich).185 27. August 1969: Hauptmann Werner Dietrich vom Jagdgeschwader 72 (stationiert in Hopsten).186 18. Februar 1972: Oberleutnant Gerhard Schwab von der Waffenschule 10 (stationiert in Upjever).187 11. April 1972: Oberstleutnant Horst Matischak vom Jagdgeschwader 74 (stationiert in Neuburg an der Donau).188 1. Februar 1973: Oberstleutnant Johannes Schiller vom Jagdbombergeschwader 34 (stationiert in Memmingerberg).189 20. Dezember 1979: Major Helmut Broddam und Leutnant Erich Wiessler vom Jagdbombergeschwader 35 (stationiert in Bad Sobernheim).190 24. Juni 1982: Hauptmann Berend Reefmann vom Jagdbombergeschwader 34 (stationiert in Memmingerberg).191 11.  Dezember 1984: Major Hans-Dieter Kerstan, ebenfalls vom Jagdbomber­ geschwader 34 (stationiert in Memmingerberg).192 Beispiele, die für herausragende Tapferkeit eines Einzelnen stehen, finden sich auch in der jüngeren Geschichte der Bundeswehr. Während des ISAF-Einsatzes in Afghanistan etwa opferten sich Soldaten in Kampfsituationen, um das Leben ihrer Kameraden zu retten. Stabsgefreiter Robert Hartert und Hauptgefreiter Martin Kadir Augustyniak, beide vom Fallschirmjägerbataillon  373 aus Seedorf, ermöglichten während des Karfreitagsgefechts 2010 unter Einsatz des eigenen Lebens die Bergung verwundeter Kameraden. Beide verloren bei der Rettungsaktion ihr Leben und wurden posthum von Verteidigungsminister zu Guttenberg mit dem Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit ausgezeichnet.193 183 184 185 186 187 188 189 190 191 192 193

Vgl. Sterben nach A12. In: Der Spiegel, 6.6.1966. Vgl. Fritscher, Der Held von Königswiesen. In: SZ, 18.4.2018. Vgl. Widera, 50 Jahre Jagdbombergeschwader 31 »Boelcke«, S. 72. Vgl. Heimatverein Recke, 7.  September 2019, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Schönborn, Knapp an Katastrophe vorbei. In: Nordwest-Zeitung, 17.2.2012. Vgl. E-Mail von Julia Freiberger, Verwaltungsgemeinschaft Mainburg, an die Autorin am 17.7.2018. Vgl. Pilot in letzter Entscheidung, 1.8.2012, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Klein, Ein Wimpernschlag an der Katastrophe vorbei. In: Wochenblatt, 24.12.2019. Vgl. Geiring, Vor 30  Jahren schrammte Malgersdorf an Katastrophe vorbei. In: Wochenblatt, 20.6.2012. Vgl. Starfighter als Schicksal. In: Alsfelder Allgemeine, 24.10.2014. Vgl. »Er ist immer noch da«, 21.1.2019, (letzter Zugriff 11.6.2020), Privatarchiv Julia Nordmann; Das Karfreitagsgefecht, 13.3.2020, (letzter Zugriff 6.9.2021); Barth/Schaal, Deutschland dienen, S. 229 f.



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Auch Hauptfeldwebel Daniel Wirth erhielt im September 2014 und ebenfalls posthum das Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit. Der Soldat des KSK fiel am 4. Mai 2013 bei einem Gefecht südlich von Kunduz. Auch er hat unter Einsatz seines Lebens das Leben seiner Kameraden beschützt.194 Die Bundeswehr würdigt diese opferbereiten Soldaten seit 2008 mit dem Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit. Seit 2015 ehrt außerdem das Kommando Heer die 28 Träger dieser Tapferkeitsauszeichnung aus den Reihen des Heeres. Nur einmal wurde die Auszeichnung außerhalb dieser Teilstreitkraft vergeben. An herausgehobener Stelle im Hauptgebäude der von-Hardenberg-Kaserne in Strausberg bei Berlin, dem Sitz des Kommandos Heer, präsentiert man ihre Namen auf einer Ehrentafel. In seiner Ansprache anlässlich der Enthüllung der Tafel betonte der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Bruno Kasdorf, die Bedeutung dieser Soldaten für die Erinnerungskultur und die Traditionspflege des Heeres:

»Dies geschieht ganz bewusst hier, in der höchsten Kommandobehörde des Deutschen Heeres. Jeder Soldat des Kommandos, aber gerade auch unsere hochrangigen Besucher aus Gesellschaft, Politik und Militär [...] können so erkennen, welche Wertschätzung wir unseren Soldaten entgegenbringen – wir sind stolz auf ihre Leistungen.«195

Die Träger des Ehrenkreuzes der Bundeswehr für Tapferkeit, das besagt ihre Auszeichnung, haben sich vorbildhaft im Gefecht bewiesen. Ihr Einsatz veranschaulicht zentrale soldatische Tugenden wie Tapferkeit, Opferbereitschaft oder Kameradschaft. Die vor allem durch den Afghanistan-Einsatz gewonnene Kampferfahrung bringt nach und nach eigene kämpfende Vorbilder aus den Reihen der Bundeswehr hervor: Soldaten ohne Heldenkult, Soldaten, die ihren Eid auf eine Demokratie und deren Verfassung abgelegt haben und nicht auf einen Führer und eine Diktatur. Zunehmend verdrängen diese kämpfenden Vorbilder der Bundeswehr die alten Kameraden der Wehrmacht.196 Im Gegensatz zu den vergleichsweise wenigen Bundeswehrsoldaten, die offiziell dafür geehrt wurden, dass sie ihr Leben zur Rettung anderer opferten und in der Bundeswehr gewissermaßen paradigmatisch für diese Form des soldatischen Heldentums erinnert werden, sind viele andere Bundeswehrsoldaten, die ebenfalls ihr Leben für andere gaben, oft weitgehend in Vergessenheit geraten. Manchmal erinnern nur noch ein Eintrag in der Chronik ihrer Einheit und die Namensnennung am Ehrenmal der Bundeswehr an sie. In einigen Fällen – wie etwa dem des Schützen Carl-Heinrich Dieth vom Versorgungsbataillon  156 (stationiert in Rennerod) – erwähnt nicht einmal das Ehrenmal der Bundeswehr ihre Namen.197 Die genauen 194 195

196 197

Vgl. Hufelschulte, Eine Frage der Ehre. In: Focus, 4.6.2016. Ehrung für herausragende Soldaten, S. 59. Neben der Tafel, auf der die Träger des Ehrenkreuzes der Bundeswehr für Tapferkeit geehrt werden, erinnert eine zweite Tafel an alle Toten des Heeres der Bundeswehr, die im Dienst ums Leben gekommen sind. Eine dritte Tafel würdigt Feldwebel Erich Boldt; ebd.; Libero, Tradition 3.0, 19.6.2018, (letzter Zugriff 6.9.2021); BMVg, Ehrenzeichen und Einsatzmedaillen der Bundeswehr, S. 8‑18. Vgl. Fritz, Die Einsatzkultur der Bundeswehr, S. 192‑195. Bereits die 1965 vom BMVg veröffentlichte Auflistung von Bundeswehrsoldaten, die ihr Leben für andere geopfert hatten, wies Lücken auf. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass es noch weitere Beispiele für diese Form des soldatischen Opfers gibt. Vgl. BMVg, 10 Jahre Bundeswehr,

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Gründe dafür, sei es ein Versagen der Verwaltung oder der Verlust entsprechender Akten, sind nicht bekannt. Auch in der Bundeswehrgeschichte des Kalten Krieges lassen sich viele Soldaten identifizieren, die den Aufbau einer Erinnerungskultur begründen und zu Vorbildern avancieren könnten. Dies ist allerdings ein komplexer Prozess, der von unten, aus den Reihen der Soldaten angestoßen werden muss. Denn die Entscheidung, ob sie in Kameraden, die während des Kalten Krieges ihr Leben opferten, Vorbilder sehen können oder wollen, obliegt den Bundeswehrsoldaten selbst. Diese Entscheidung muss zudem die gesamte Lebensführung eines potenziellen Vorbilds berücksichtigen und im Einklang mit den jeweils geltenden Traditionsrichtlinien stehen.198 Es werden nicht alle Soldaten, die ihr Leben zum Schutz anderer geopfert haben, einen dauerhaften Platz in der Erinnerungskultur der Bundeswehr erhalten. Manchmal sprechen Gründe gegen diese Ehrung, die in der Persönlichkeit des Soldaten liegen. Manchmal werden Einheiten aufgelöst, und es gibt niemanden mehr, der das Gedenken im militärischen Rahmen fortführen könnte. Auch muss z.B. die Frage geklärt werden, ob Bundeswehrsoldaten in den Zeiten der internationalen Auslandsmissionen und der Kampfeinsätze in den zumeist Unfalltoten des Kalten Krieges überhaupt noch Vorbilder und Identifikationsmodelle sehen können und wollen. Darüber hinaus fordern die neuen Richtlinien für das Traditionsverständnis von 2018 eine weitere Voraussetzung zur Begründung der Vorbildhaftigkeit: die Bewahrung der Humanität auch in Extremsituationen. »Die Angehörigen der Bundeswehr sind [...] der Menschlichkeit verpflichtet, auch unter Belastung und im Gefecht.«199 Dass so viele potenziell gut geeignete Vorbilder soldatischen Handelns praktisch dem Vergessen überantwortet wurden, verdeutlicht und bestätigt in eindringlicher Weise den Vorwurf der »institutionellen Amnesie«, welcher der Bundeswehr im Zusammenhang mit ihren Toten oft gemacht wurde. Und es zeigt auch, dass

198

199

o.S. (»Sie opferten ihr Leben«); Im Ehrenmal der Bundeswehr namentlich genannte verstorbene Bundeswehrangehörige Stand: 3.8.2021, (letzter Zugriff 6.9.2021); außerdem: Schreiben der Personalabteilung (P/Z Zmob) an den Sonderbeauftragten 40  Jahre Bundeswehr Herrn Oberst Günter Kruse, Betr.: 40  Jahre Bundeswehr, hier: Totengedenken anlässlich 40  Jahre Bundeswehr, 5.4.1995, BArch, BW 2/25478. Einige dieser Soldaten, hauptsächlich Piloten, werden vor allem außerhalb der Bundeswehr gewürdigt, vgl. Züll, Fast 300 Starfighter abgestürzt. In: Kölner Stadt-Anzeiger, 2.9.2012; Meyer, Ludger Hölker – ein Vorbild für uns alle, 2010, S. 7 f., (letzter Zugriff 6.9.2021); E-Mail von Julia Freiberger, Verwaltungsgemeinschaft Mainburg, an die Autorin am 17.7.2018; Kropf, Deutsche Starfighter, S. 107; Geiring, Vor 30 Jahren schrammte Malgersdorf an Katastrophe vorbei. In: Wochenblatt, 26.6.2012. Vgl. Gespräch mit Prof. Dr. Loretana de Libero, Wissenschaftliche Direktorin an der Fakultät Politik, Strategie und Gesellschaftswissenschaften der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, am 4.12.2019; Walle, Tradition, S. 28. Erlass »Die Tradition der Bundeswehr«. Abgedr. in: Tradition in der Bun­des­wehr, S. 282‑295, hier Ziff. 3.1, S.  286. Diese Wertbindung formulierte bereits der Traditionserlass von 1982: »Menschlichkeit hat nach unserem Grundgesetz einen hohen Rang. Das Selbstverständnis der Bundeswehr ist dem verpflichtet.« Erlass »Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Tra­ ditionspflege in der Bundeswehr«, 20.9.1982. Abgedr. in: ebd., S. 230‑234, hier Ziff. II.18, S. 232.



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der Vorbildcharakter eines Soldaten seine Wertigkeit auch innerhalb der über keinerlei Kampferfahrung verfügenden Bundeswehr weitgehend durch eine militärische Leistung erhielt und sogar das soldatische Selbstopfer aus humanitären Gründen deutlich in den Hintergrund verbannt wurde. Dieser Sachverhalt lässt sich auch durch die kameradschaftlichen Ehrenmale der Waffengattungen und der Teilstreitkräfte von Wehrmacht und Bundeswehr belegen. Bis heute besitzen diese einen hohen Stellenwert innerhalb der binnenmilitärischen Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr und bis mindestens zur Mitte der 1990er-Jahre waren sie so gut wie ausschließlich den Toten der Weltkriege gewidmet. Als Zäsur für eine Änderung in diesem Zusammenhang kann der 40. Jahrestag der Aufstellung der Bundeswehr im Jahr 1995 gelten. Runde Jahrestage sind stets auch Tage der Bilanz, und dieses Mal zeigte das Fazit eine deutliche Veränderung im Rahmen der Bundeswehr an. Denn da die Bundeswehr seit 1992 an militärischen Auslandsmissionen im Rahmen der UNO teilnahm, hatte die Truppe nun erstmals in ihrer Geschichte Tote durch Fremdeinwirkung im Einsatz zu beklagen. Doch offiziell waren weder die Bundeswehr noch die Politik oder die deutsche Öffentlichkeit auf den Umgang mit diesen Toten vorbereitet. Denn zur Zeit des 40.  Jahrestages der Bundeswehr existierte lediglich das kameradschaftliche, binnenmilitärische Totengedenken, das zumeist innerhalb der Kasernen seinen Ort besaß. Die Toten der Auslandseinsätze seit 1992 waren nun wohl der Anlass dafür, dass man sich zum 40.  Jahrestag innerhalb der Führungsebene der Bundeswehr eingestehen musste, dass man die eigenen Toten vernachlässigt hatte. Man hatte sie weder zentral erfasst noch ihrer offiziell und öffentlich gedacht.200 Die erste wegweisende Maßnahme in Richtung eines offiziellen Erinnerns toter Bundeswehrsoldaten betraf die drei Ehrenmale der Teilstreitkräfte, die nun auch den toten Soldaten der Bundeswehr zugeeignet wurden, den verunglückten ebenso wie den im Auslandseinsatz getöteten. Zugleich hob man diese Ehrenmale in den Rang offizieller Gedenkstätten der Bundeswehr.201 Doch trotz dieser Maßnahme dominierte ihre ursprüngliche Widmung die Ehrenmale, und die Bundeswehrsoldaten wurden dort lediglich am Rande »mit­ ge­dacht«202. Dennoch: Durch ihre erweiterte Dedikation erwiesen sich nicht zuletzt die Ehrenmale der Teilstreitkräfte als bewusstseinsbildende Kraft für die Notwendigkeit eines offiziellen und öffentlichen Totengedenkens für die Soldaten der Bundesrepublik und darüber hinaus als eine Art Wegbereiter für das Ehrenmal der Bundeswehr in Berlin. Trotz der politisch heiklen Nachbarschaft, in welche die toten Bundeswehrsoldaten auf den Ehrenmalen der Teilstreitkräfte gerieten – insbesondere die Toten der Wehrmacht waren ja für die NS-Diktatur und deren aggressive und expansive Ziele gestorben – und trotz des Diktums von Verteidigungsminister Apel, demzufolge keine militärische Pflichterfüllung von den politischen Zielen getrennt werden könne, 200 201 202

Vgl. den Schriftwechsel zwischen dem Sonderbeauftragten 40 Jahre Bundeswehr, Oberst Günter Kruse, und den Führungsstäben der Teilstreitkräfte: BArch, BW 2/25478. Siehe Kap. VII.3.b. Libero, Einsatzarmee und Erinnerung, S. 285.

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denen sie dient,203 sind die Gedenkstätten integraler Bestandteil der Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr geworden. Auch nach Einweihung des Ehrenmals der Bundeswehr haben die Gedenkstätten der Teilstreitkräfte nichts von ihrer Bedeutung für die Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr eingebüßt. Denn sie besitzen im Gegensatz zum Ehrenmal der Bundeswehr eine lange Tradition und sind vor allem auf lokaler Ebene tief in der Bundeswehr verwurzelt.

a) Gemeinsame Ehrenmale der Waffengattungen Neben den großen Stiftungen von Ehrenmalen, die jeweils eine Teilstreitkraft repräsentieren und die in der Regel von mehreren großen Soldatenvereinen und Teilen der Bundeswehr getragen wurden, errichteten auch Wehrmachtveteranen einzelner Waffengattungen ihren gefallenen Kameraden Orte und Stätten der Erinnerung. Nicht nur in den Liegenschaften der Bundeswehr, sondern an vielen Plätzen in der Bundesrepublik entstanden so zwischen den 1950er- und den 1970er-Jahren eigene Formen des kameradschaftlichen Gedenkens. Gelegentlich geschah dies auch an Orten, die selbst keinen direkten Bezug zur entsprechenden Waffengattung aufwiesen, aber z.B. wegen ihrer zentralen Lage gut für die Ausrichtung entsprechender Zeremonien geeignet waren, an denen Kameraden aus der ganzen Republik teilnahmen.204 Einzelne Ehrenmale der Waffengattungen datieren schon vor 1945. Dazu gehören das U-Boot-Ehrenmal in Möltenort, einem Ortsteil von Heikendorf, das in seiner heutigen Form aus dem Jahr 1938 stammt, oder das Ehrenmal der Flakartillerie in Berlin-Steglitz aus dem Jahr 1934/1957. Das Steglitzer Denkmal, ein bronzener Bogenschütze, der nackt und halb kniend den Pfeil gegen den Himmel richtet, wurde im September 1957 auf dem Friedhof Bergstraße von der Kameradschaft des ehemaligen Flakregiments 12 Berlin-Lankwitz eingeweiht. Auf dem steinernen Sockel, der die Figur des Schützen trägt, formen bronzene Lettern die Widmung: »Den Gefallenen der Flakartillerie / 1914‑1918 / 1939‑1945.« Die Bronze, ein Werk des Berliner Bildhauers Felix Kupsch, krönte bereits das 1934 errichtete und im Zweiten Weltkrieg zerstörte Denkmal für die Gefallenen der Flakwaffe des I. Weltkrieges in einer Lankwitzer Kaserne.205 Bei den Einweihungsfeierlichkeiten 1957 waren auch zahlreiche Wehrmacht­vete­ ranen der Flakartillerie anwesend, die nun in der Bundeswehr dienten, und eine offizielle Abordnung von Verteidigungsminister Strauß. 1995 ging das Denkmal wehr, in das Eigentum des Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundes­ Reservistenkameradschaft Berlin-Südwest über, die dort seit 1994 die Gedenk­ zeremonie am Volkstrauertag ausrichtet. Aufgrund der Entwicklung moderner Raketen­technik fand die Waffengattung der Flakartillerie nach 1945 keine Ver­wen­ 203 204

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Vgl. Apel, Der Abstieg, S. 175. Zur Diskussion über den Aufstellungsort des Ehrenmals der Jagdflieger vgl. Mathias, Die Geschichte des Jagdfliegerehrenmals, S.  7  f., (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Das Flakregiment 12, Geschichte – Tradition – Ehrenmale (Festschrift 14.11.1997), (letzter Zugriff 6.9.2021).



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dung mehr. Daher gibt es auch keine Berührungspunkte zu einem binnenmilitärischen Totengedenken in der Bundeswehr. Pflege und Erhalt der Gedenkstätte aber erfolgt im Rahmen der Truppe.206 Das U-Boot-Ehrenmal liegt direkt am Wasser, an der Möltenorter Schanze, der engsten Stelle der Kieler Förde. Die Anlage hat die Form eines zum Wasser hin offenen Halbkreises mit einem Durchmesser von 38  Metern. An den Enden des Halbkreises steht je eine quadratische Ehrenhalle. Ein mit Kopfstein gepflasterter Weg, dreieinhalb Meter breit, gut zwei Meter abgesenkt in den Boden, folgt der Halbkreislinie und verbindet die beiden Quadrate. An der Wasserseite und exakt in der Mitte zwischen den Ehrenhallen erhebt sich ein 16  Meter hoher turmartiger Steinbau. Ein (heute) bronzener Adler, der die Schwingen öffnet, als würde er zum Flug ansetzen, krönt den Turm des Ehrenmals. Am 12.  Juni 1938 weihten die Nationalsozialisten die Gedenkstätte ein, um die getöteten U-Boot-Fahrer des Ersten Weltkrieges mit Pomp und Pathos als Helden zu inszenieren.207 An den Wänden des abgesenkten Rundganges nennen 117 Tafeln aus Bronze die Namen der mehr als 35 000 getöteten U-Bootfahrer der Weltkriege, die Bezeich­ nungen der gesunkenen Boote, den Ort und die Ursache des Untergangs. Vor der Gedenkstätte dokumentieren Standvitrinen mittels Positionsplänen die exakten Orte, an denen die U-Boote in den Weltkriegen verloren gingen.208 In einer der beiden Ehrenhallen würdigt eine Bronzetafel alle deutschen U-BootFahrer, die in Friedenszeiten in Ausübung ihres Dienstes getötet wurden. Auch der 19  Toten des am 14.  September 1966 gesunkenen U-Bootes »Hai« wird hier gedacht. In der anderen Ehrenhalle erinnert man an die Toten des U-Bootkrieges und ebenso an all jene, die Opfer der See wurden, sei es durch Schiffshavarien oder durch Flutkatastrophen.209 Seit September 2000 ist das U-Boot-Ehrenmal unmittelbar mit der U-Boot-Flottille der Bundesmarine verbunden. Damals erweiterte die Stiftung U-Boot-Ehrenmal auf Wunsch der Marineführung und in Übereinstimmung mit dem VDK, dem Eigentümer der Anlage, die Widmung der Gedenkstätte um die im Dienst getöteten U-Boot-Fahrer der Bundesmarine. Erste Anregungen in diese Richtung datieren vom Februar 1983. Bereits damals bat Hannes Ewerth, Kapitän zur See und Kommandeur der U-Boot-Flottille, die Stiftung um eine entsprechende Erweiterung der Widmung. Auf diese Weise sollte auch die Bundesmarine eine »innere Verbundenheit« zum U-Boot-Ehrenmal aufbauen können – damals jedoch ohne Resonanz.210 206

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Vgl. ebd. und Den Gefallenen der Flakartillerie 1914‑18 und 1939‑45, S.  1  f.; Lemke, Die Luftwaffe 1950 bis 1970, S. 257 f. Das Wappen der 2012 aufgelösten Heeresflugabwehrschule in Rendsburg – halb kniender Bogenschütze – hatte seinen Ursprung in dem Motiv des Ehrenmals für die Gefallenen der Flakartillerie. Vgl. Erinnerungsorte der Bundeswehr, S. 268, Anm. 187. Vgl. Sieck, U-Bootfahrer und das Ehrenmal in Möltenort, S. 59‑72. Vgl. ebd., S. 177‑182, 186; auch: Stiftung U-Boot-Ehrenmal Möltenort, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Sieck, U-Bootfahrer und das Ehrenmal in Möltenort, S. 196 f.; Stiftung U-Boot-Ehrenmal Möltenort,

(letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Sieck, U-Bootfahrer und das Ehrenmal in Möltenort, S. 195‑202.

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Nicht nur die Ehrenmale der einzelnen Waffengattungen aus den 1930er-Jahren, auch die späteren ab den 1950er-Jahren knüpften oft weitgehend ungebrochen an die Traditionen der Gefallenenehrung vor 1945 an. Insbesondere ist das bei der Formensprache der Monumente sowie der Auslegung des soldatischen Opfers der Fall. Diese Kontinuität gelang den Veteranen, indem sie die Ehrung der Toten ganz und gar abspalteten von den oftmals verbrecherischen Zielen des Krieges. Dabei griffen sie Deutungsmuster auf, die den soldatischen Opfertod und die traditionellen soldatischen Tugenden kritiklos verabsolutierten und ins Zentrum ihres Soldatenbildes rückten. Gelegentlich allerdings – und vermutlich wohl aufgrund politischen Drucks – mahnten diese Ehrenmale explizit zum Frieden, und in Ansprachen etwa am Volkstrauertag forderten Redner dann auch freiheitlich-demokratische Werte ein.211 Wie diejenigen der Teilstreitkräfte bildeten auch die Ehrenmale für die toten Soldaten der einzelnen Waffengattungen in gewisser Weise die Grundlage der Trauerund Gedenkkultur der Bundeswehr. Bereits der erste Traditionserlass der Bundeswehr vom Juli 1965 verlieh diesen Formen kameradschaftlichen Gedenkens eine Art offiziösen Charakter, indem er ihnen eine tragende Funktion für die Bundeswehr zugestand: »Die ehemaligen Soldaten sollen erkennen, dass die Bundeswehr ihre soldatische Leistung und ihr Opfer würdigt.«212 Erst die modifizierten Traditionsrichtlinien vom März 2018 ziehen eine eindeutige Grenze. Sie stellen die Gedenkorte der Bundeswehr für ihre eigenen Toten als zentrale Bezugspunkte der Erinnerung heraus und trennen dieses Totengedenken eindeutig und inhaltlich von dem Gedenken an die Toten vergangener Kriege, initiiert von den Wehrmachtsoldaten. Dieses verliert seine heroische Konnotation und besitzt keine traditionsstiftende Funktion mehr, sondern dient in Anlehnung an den bundesrepublikanischen Gedenkkanon der Erinnerung an die Opfer von Krieg und Gewalt.213 Durch ihre Ästhetik und ihre Deutungsmuster erscheinen die kameradschaftlichen Ehrenmale häufig wie eine Gegenwelt zur offiziellen Toten- und Gedenkkultur der Bundesrepublik Deutschland, die sich zeitgleich und parallel entwickelte. Den konträren Ansatz spiegelte bereits die Terminologie. Während die einen die heroisch konnotierte Bezeichnung »Ehrenmal« reaktivierten und dieses ausschließlich gefallenen Soldaten widmeten, operierten die anderen mit dem Begriff des »Mahnmals«, das sie ausdrücklich allen Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft widmeten: den 211

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Direkte Belege für die Annahme, dass einige Ehrenmale aufgrund politischen Drucks zum Frieden mahnten und freiheitlich-demokratische Werte einforderten, konnten nicht gefunden werden. Allerdings liegt die Vermutung aus zwei Gründen nahe: Zum einen verpflichtete die teilweise direkte Beteiligung der Bundeswehr an der Errichtung der Gedenkstätten zu dieser gedenkpolitischen Ausrichtung. Zum anderen deuteten manche mündliche Aussagen aus den Reihen der Kameradschaften in diese Richtung. Vgl. Ansprache Oberst a.D. Hans-Jürgen Stumpff, 18.11.1962, BArch, N 667/27; Ansprache zur Einweihung des Ehrenmals des Deutschen Heeres auf der Festung Ehrenbreitstein bei Koblenz am 29.10.1972 von General der Kavallerie a.D. Westphal, Präsident des Kuratoriums e.V., BArch, BH 1/3883. Erlass, »Bundeswehr und Tradition«, 1.7.1965. Abgedr. in: Abenheim, Bundeswehr und Tradition, S. 225‑229, Zitat Ziff. III.29, S. 229. Vgl. Erlass »Die Tradition der Bundeswehr«. Abgedr. in: Tradition in der Bundeswehr, S. 282‑295, hier Ziff. 4.7, S. 292.



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gefallenen Soldaten ebenso wie den getöteten Zivilisten und allen anderen Opfern, die aus rassischen, religiösen oder politischen Gründen ermordet wurden.214 Insbesondere an zwei kameradschaftlichen Ehrenmalen für Gefallene der Welt­ kriege, die sich allein schon durch ihre Größe von den meisten anderen abheben, lässt sich zeigen, wie spürbar vordemokratische und elitäre Vorstellungen, Werte und Ideale des Soldatischen viele Weltkriegsveteranen prägten. Eines der beiden ist das Ehrenmal der Jagdflieger in den Rheinauen in Geisenheim. Der Grundentwurf dieses Monuments, das am 17. Oktober 1959 eingeweiht wurde, stammt von dem Bildhauer und Kunstpädagogen Klaus Seelenmeyer. Stifterin war die heutige Gemeinschaft der Flieger Deutscher Streitkräfte, der ehemalige Jagdflieger der Wehrmacht angehörten. Ursprünglich trug sie den Namen Gemeinschaft ehemaliger Jagdflieger. Bereits seit 1946 trafen sich diese Veteranen inoffiziell in losen Abständen in Geisenheim. Am 3. Juli 1952 ließen sie ihre Gemeinschaft in München ins Vereinsregister eintragen.215 Zwei gewaltige Betonkeile bilden die Grundstruktur des frei in der Landschaft stehenden Ehrenmals. Sie erheben sich zwölf Meter hoch und verjüngen sich rasch von oben nach unten, sodass sie – obwohl sie beide auf einem gemeinsamen, runden Unterbau enden – gleichsam wie in den Boden gerammt wirken. An ihren höchsten Punkten, wo die Keile die größte Breite aufweisen, reckt sich je ein Adler aus Kupfer dynamisch und entschlossen in die Luft. Die stark stilisierten Raubvögel lassen in ihrer Erscheinung an zum Start drängende Kampfflugzeuge denken. Ihre Krallen haben die Adler jeweils in ein ebenfalls kupfernes Eisernes Kreuz geschlagen, das in den Keilen verankert ist.216 Die Widmung, die umlaufend in den runden Betonsockel am Fuß des Ehrenmals gemeißelt ist, ist ganz allgemein gehalten und lautet: »Den toten 214

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Der Begriff »Ehrenmal« war typisch für die Weimarer Republik, vor allem aber für das Dritte Reich. Er ist eng verbunden mit dem aktiven soldatischen Opfer und sollte dessen besondere Würde unterstreichen. Zugleich sollte er zur Nachahmung dieses Opfers auffordern. In den 1950er-Jahren verwendete man die Bezeichnung »Ehrenmal« zunächst weiter. Parallel dazu etablierte sich der Begriff »Kriegsopfermal«. So sollten eine christliche Interpretation des Opfers und die Betonung von dessen aktivem Charakter möglich werden. Von einem »Mahnmal« sprach man erst später. Vgl. Hettling, Militärisches Ehrenmal oder politisches Denkmal?, S. 139. Siehe Kap. II.2. Die Fliegergemeinschaft wechselte mehrfach ihren Namen. Sie gründete sich als Gemeinschaft ehemaliger Jagdflieger. Nach Aufstellung der Bundeswehr traten zunehmend auch aktive Soldaten bei. Um ihre neuen Mitglieder auch namentlich zu repräsentieren, benannte sie sich um in Gemeinschaft der Jagdflieger. Allerdings schränkte auch die Spezialisierung auf Jagdflieger die Möglichkeiten bei der Nachwuchsgewinnung stark ein. Das erwies sich wohl zunehmend als existenzielles Problem. Abhilfe schaffte die dritte Änderung des Namens: Mit Gemeinschaft der Flieger Deutscher Streitkräfte lässt sich ein deutlich breiterer Kreis potenzieller Mitglieder ansprechen. Vgl. Mathias, Die Geschichte des Jagdfliegerehrenmals, S. 2, 4, (letzter Zugriff 6.9.2021). Auch die von der Gemeinschaft herausgegebene Zeitschrift wechselte mehrfach ihren Namen. Von der ersten Ausgabe, Nr. 1/1952, bis zur Ausgabe Nr. 5/2005 erschien sie unter dem Titel Jägerblatt. Seit der Nummer 6/2005 heißt sie Fliegerblatt. Vgl. Gemeinschaft der Flieger Deutscher Streitkräfte e.V. (Broschüre), S. 3 f., 6. Es waren neben dem Entwurf von Klaus Seelenmeyer noch zwei weitere Skizzen für ein Ehrenmal der Jagdflieger im Gespräch. 1956 debattierte die Gemeinschaft auch über einen Entwurf des Münchener Bildhauers Michael Düx. Dieser sah eine zwölf Meter hohe Dreier-Gruppierung aus sich nach oben bzw. nach unten verjüngenden Säulen vor, gewidmet »Den Jagdfliegern 1939‑1945«. Der zweite 1958 vorgestellte Entwurf nahm durch eine 12 Meter hochlaufende Pfeilspitze und einen gen Himmel gereckten Adler das für die Jagdflieger typische Aufwärtsstreben auf. Vgl. Mathias,

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Jagdfliegern«. Die Worte sind dabei jeweils durch ein in den Beton geschlagenes Eisernes Kreuz getrennt. Jahreszahlen, die das Ehrenmal einem der Weltkriege oder beiden zuordnen würden, fehlen. Ebenso ein Hinweis auf die Nationalität der toten Jagdflieger.217 Das Emporgereckte, Energetische, Kraftstrotzende, das die Gestalt, der Ausdruck und die Monumentalität des Ehrenmals demonstrieren, vermitteln kaum ein Ge­ denken des würdigenden Innehaltens und des Trauerns. Das Ehrenmal der Jagd­ flieger spricht vielmehr die Sprache der Bereitschaft zum Kampf, des Willens zum Sieg und einer ungebrochenen Überhöhung des Soldaten- und Heldentodes. Die militärische und machtpolitische Symbolik des Adlers, die sich vom römischen Gottkaisertum über die europäischen Monarchien bis hin zu den Nationalstaaten des 19. und 20. Jahrhunderts spannt, ist ausgiebig untersucht.218 Daneben repräsentiert er auch in seinen verschiedenen Erscheinungen in mehreren nationalen Armeen die Luftstreitkräfte oder Teile davon – auch in der Bundeswehr. Gemeinhin steht der Adler dabei für Stärke, Souveränität, Präzision, scharfe Sinne, Jagd- und Angriffslust. Innehalten und sich besinnen, Gedenken, Trauer oder Mahnung – diese Tätigkeiten verbindet man nicht unbedingt mit dem Raubvogel. Und so bildeten der beinahe schon triumphale Gestus des Ehrenmals sowie die Symbolik des Adlers auch das Selbstverständnis einer Waffengattung und ihrer Angehörigen ab, das noch 1959 weitgehend die soldatischen Werte und Intentionen spiegelte, wie sie vor 1945 gültig waren. Die Überzeugung, dass das Ehrenmal der Jagdflieger einen bewussten Bruch mit traditionellen Ausdrucksformen militärischer Denkmäler darstelle, wie sie Peter Schelzig, Generalleutnant und Befehlshaber des Führungskommandos der Luftwaffe, im Jahr 2009 zum 50. Jahrestag der Einweihung des Ehrenmals äußerte, ist daher kaum nachzuvollziehen.219 Ähnlich sah es wohl bereits 1959 JoachimFriedrich Huth, Generalmajor und Befehlshaber der Luftwaffengruppe Süd. In seiner Ansprache anlässlich der Einweihung des Ehrenmals betonte er explizit die Kontinuität zwischen Wehrmacht und Bundeswehr: »Unsere jungen Flieger wollen wir im Geiste der Alten erziehen – dazu aber brauchen wir die Hilfe und moralische Unterstützung der alten Flieger.«220 Und viele der Kriegsveteranen aus dem Umfeld der Gemeinschaft der Flieger deutscher Streitkräfte waren der Bundeswehr bzw. der Luftwaffe eng verbunden. Etwa Generalleutnant Steinhoff, ein hochdekorierter Jagdflieger des Zweiten Weltkriegs,

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Die Geschichte des Jagdfliegerehrenmals, S. 4‑9, (letzter Zugriff 6.9.2021). Werner Andres, Oberstleutnant a.D. und Vorsitzender der Gemeinschaft, widmete in seiner Ein­ wei­hungs-Ansprache das Ehrenmal den »gefallenen Jagdflieger[n] aller Völker [...], gleichgültig, ob sie im Krieg mit uns oder gegen uns gekämpft haben«. Zit. bei: Mathias, Die Geschichte des Jagdfliegerehrenmals, S.  12, (letzter Zu­ griff 6.9.2021). Die nicht näher spezifizierte Widmung des Ehrenmals schließt auch die gefallenen Jagdflieger des Ersten Weltkrieges in das Gedenken ein. Vgl. ebd., S.  16, und Den toten Jagdfliegern, S. 5 f. Vgl. Diederich, Der deutsche Adler. Vgl. Internationales Fliegertreffen 2010, S. 12. Den toten Jagdfliegern, S. 5.



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der 1966 Inspekteur der Luftwaffe wurde. Schon 1951 fungierte er auf Bundesebene als Sprecher der ehemaligen Jagdflieger. Ein Jahr später war er Gründungsmitglied der Gemeinschaft ehemaliger Jagdflieger und dann ihr stellvertretender Vorsitzender. Neben Steinhoff hielten auch andere Inspekteure der Luftwaffe wie Kammhuber, Panitzki, Rall und Limberg engen Kontakt zur Gemeinschaft der Jagdflieger und gaben ihr nach eigener Aussage wichtige Impulse. Und auch Generalleutnant Johannes Trautloft, ehemaliger Jagdflieger der Wehrmacht und von Ende 1952 bis Herbst 1957 Erster Vorsitzender der Jagdfliegergemeinschaft sowie ab 1961 stellvertretender Inspekteur der Luftwaffe, stand für die enge Verbindung zwischen Teilen der Bundeswehrführung und der Gemeinschaft der Jagdflieger.221 Im Lauf der Jahre und Jahrzehnte traten Bundeswehrsoldaten aller Geschwader sowie aus den Reihen der Transport-, Marine- und Heeresflieger der Gemeinschaft bei. Diese enge Verbindung zwischen der Gemeinschaft und der Luftwaffe der Bun­deswehr besteht bis in die Gegenwart. Seit 20 Jahren, als Hans-Jörg Kuebart, General­ leutnant a.D. und ehemaliger Inspekteur der Luftwaffe, im September 2000 das Amt des Präsidenten übernahm, führen zudem Bundeswehrveteranen die Fliegergemeinschaft. Er war der Erste an der Spitze der Gemeinschaft, der ausschließlich in der Luftwaffe der Bundeswehr gedient hatte. Auf ihn folgte 2006 Peter Vogler, Generalleutnant a.D. und bis zu seinem Ruhestand Befehlshaber des Luft­ waffen­führungskommandos. Seit 2014 steht Generalmajor a.D. Volker Zimmer an der Spitze der Gemeinschaft.222 Das Ehrenmal ist in der Gedenk- und Erinnerungskultur vor allem der Bundes­ luftwaffe fest verwurzelt. Zur Einweihung im Oktober 1959 überflogen zwölf Kampfflugzeuge vom Typ F-84 in geschlossener Formation das Ehrenmal, vor allem zur Würdigung von gefallenen Fliegern der Wehrmacht. Längst jedoch ist das »Fliegerehrenmal«, wie es heute heißt,223 weniger eine Stätte des Wehrmachtgedenkens und der Traditionspflege denn ein fest verankerter Ort der Erinnerung und der Ehrung für die in Ausübung ihres Dienstes getöteten Angehörigen der Bundeswehr. Zur Feier ihres 60-jährigen Bestehens im Jahr 2016 veranstaltete die Luftwaffe im Beisein von Inspekteur Generalleutnant Karl Müllner eine Gedenkfeier in 221

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Vgl. Gemeinschaft der Flieger Deutscher Streitkräfte e.V., Wie es 1951 begann ..., (letzter Zugriff 6.9.2021); Kilian, Führungseliten, S. 321, 355‑358; Gemeinschaft der Flieger Deutscher Streitkräfte e.V. (Broschüre), S. 5, 7. Vgl. Gemeinschaft der Flieger Deutscher Streitkräfte e.V. (Broschüre), S.  8. Die Autorin dankt Oberst a.D. Wilhelm Göbel, Referent für Geschichte, Tradition/Suchdienst bei der Gemeinschaft der Flieger Deutscher Streitkräfte, dass er ihr diese Broschüre und weitere Materialien zugänglich gemacht hat; Unser erster »junger« Präsident und Ehrenvorsitzender musste uns verlassen, S. 6‑13; Gemeinschaft der Flieger Deutscher Streitkräfte e.V., Namhafte Persönlichkeiten, (letzter Zugriff 6.9.2021); 40  Jahre für die Luftwaffe. In: Kölner Stadt-Anzeiger, 29.3.2002; Gemeinschaft der Flieger Deutscher Streitkräfte e.V., Vorstand, (letzter Zugriff 6.9.2021). 2013 wurde die Gedenkstätte im Fliegerblatt noch als »Jagdflieger-Ehrenmal« bezeichnet. Vgl. Strohm, Geisenheim wieder ein Erlebnis, S. 12. Seit 2016 nannte man sie dort »Fliegerehrenmal«; Gedenkfeier an unserem Denkmal, S. 22. Der exakte Zeitpunkt der Umbenennung des Ehrenmals konnte nicht rekonstruiert werden. Vgl. E-Mail von Oberst a.D. Wilhelm Göbel, Referent für Geschichte, Tradition/Suchdienst bei der Gemeinschaft der Flieger Deutscher Streitkräfte, an die Autorin am 26.6.2020.

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Geisenheim. In seiner Jubiläumsansprache würdigte Günter Katz, Generalmajor und Chef des Luftfahrtamtes der Bundeswehr, besonders die Angehörigen der Luftwaffe, »die in Ausübung ihres Dienstes ihr Leben gegeben« hatten. Und zwar sowohl alle, »die in der Aufbauphase und in der Zeit des Kalten Krieges ihr Leben gaben«, als auch jene, die »während ihres Auslandseinsatzes oder in Vorbereitung auf einen solchen ihr Leben gaben«. All diese Toten hätten im Zeichen der Pflicht gestanden, »den Schutz des Friedens im Einklang des Grundgesetzes zu gewährleisten und zu verteidigen«. Und dafür gebühre denen, »die in der Bundeswehr für die Sicherheit unseres Landes Opfer gebracht haben«, tiefer Respekt.224 Auch für die Angehörigen der anderen Waffengattungen der Luftwaffe ist das Fliegerehrenmal zum Ort der Erinnerung, des Gedenkens und der Identifikation geworden. Doch die ursprüngliche und in den Sockel des Ehrenmals eingelassene Widmung: »Den toten Jagdfliegern« blieb unverändert bestehen.225 Das Fliegerblatt, Verbandsorgan der Gemeinschaft der Flieger deutscher Streitkräfte, hielt auch 2019, 60  Jahre nach Einweihung der Gedenkstätte, unkritisch an der Legende vom ausschließlich missbrauchten, praktisch unpolitischen Wehrmachtsoldaten fest: »Langsam erfuhr man immer mehr über die Verbrechen, die während der Zeit des Nationalsozialismus begangen wurden und man fühlte sich betrogen.«226 Eine aufrichtige Auseinandersetzung mit der Geschichte der Wehrmacht und des Nationalsozialismus sieht anders aus. Auch die Luftwaffe der Bundeswehr stellt sich in eine ungebrochene Kontinuität zur Gemeinschaft der Flieger deutscher Streitkräfte, insbesondere zu jenen der Wehrmacht. Anlässlich des 60-jährigen Bestehens des Geisenheimer Ehrenmals lobte Luftwaffeninspekteur Gerhartz in seiner Festrede vom Oktober 2019 vor allem die Jagdflieger der Wehrmacht als »verdiente [...] Veteranen« und als Vorbilder für die Bundeswehr. Auf die NS-Diktatur und die Verstrickung der Wehrmacht in deren Angriffskriege ging der Inspekteur nicht ein. »Der Dialog über Generationen«, betonte Gerhartz vielmehr, »wird auch in Zukunft die Gemeinschaft der Flieger deutscher Streitkräfte kennzeichnen und ist zudem Teil der Identität unserer Luftwaffe«. Denn die aktive Truppe baue »mit Respekt und großer Anerkennung auf der Geschichte« auf.227 Das zweite herausstechende Beispiel, das soldatische Werte und Ideale zeigt, wie sie viele Weltkriegsveteranen prägten, ist das Gebirgsjäger-Ehrenmal. 1957 errich­ teten es Mitglieder vom heutigen Kameradenkreis der Gebirgstruppe auf

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Zit. in: Gedenkfeier an unserem Denkmal, S. 22 f.; Luftfahrtamt der Bundeswehr, Vita Günter Katz, Generalmajor, (letzter Zugriff 11.6.2020), Privatarchiv Julia Nordmann; Unser Fliegerehrenmal in Geisenheim steht 60 Jahre, S. 9; Gedenkfeier an unserem Denkmal. Vgl. Gemeinschaft der Flieger Deutscher Streitkräfte e.V. (Broschüre), S.  5  f., 10; E-Mail von Oberst a.D. Wilhelm Göbel, Referent für Geschichte, Tradition/Suchdienst bei der Gemeinschaft der Flieger Deutscher Streitkräfte e.V., an die Autorin am 26.6.2020; Strohm, Geisenheim wieder ein Erlebnis, S. 15 f. Unser Fliegerehrenmal in Geisenheim steht 60 Jahre, S. 4. Rede von Ingo Gerhartz, Generalleutnant und Inspekteur der Luftwaffe, S. 28, 30.



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dem Hohen Brendten, einer Anhöhe bei Mittenwald.228 Dieser Verein wurde auf Initiative von Rudolf Konrad, General der Gebirgstruppe a.D.229, und August Witt­ mann, General­leutnant a.D., zur Jahreswende 1951/52 als Dachverband für alle Kameraden­gruppen ehemaliger Angehöriger der Gebirgstruppe der Wehrmacht unter dem Namen Münchener Kameradenkreis ehemaliger Gebirgsjäger230 gegründet. Der »Kameradenkreis« sollte, wie Wittmann 1952 forderte, ganz den Idealen der Wehrmacht verpflichtet sein und »ausschließlich im Geiste des ehrenvollen deutschen Soldatentums, der Pflege des Gedächtnisses unserer tapferen Gefallenen«231 agieren. Eine ähnliche Zielsetzung hielt bereits das Protokoll der Gründungstagung des Kameradenkreises im Dezember 1951 fest: »die Erhaltung des guten Rufes der Ge­birgs­truppe, [...] die Bewahrung des Geistes der Gemeinschaft und [die] Hin­ gabe an Heimat, Volk und Vaterland.« Ebenso sollte der »Schmähung des deutschen Soldatentums und der Zersetzung unseres Volkes als wehrbereite Lebens­ gemeinschaft« entgegnet werden.232 Darüber hinaus war es Aufgabe des Kreises, »das Andenken an die Gefallenen und Toten in Ehre«233 zu halten. Ein im Einzelfall durchaus problematisches Unterfangen, da Gefallene, Tote und im Kameradenkreis aktive Mitglieder dieser Truppe nachweislich in Kriegsverbrechen verwickelt waren. Dies galt z.B. für Josef Scheungraber, ehemaliger Chef der 1.  Kom­panie des Gebirgspionierbataillons  818 und verantwortlich für den Mord an Zivilis­ten im italienischen Falzano di Cortona am 27.  Juni 1944. Noch 1988 erhielt er vom Kameradenkreis die Goldene Ehrennadel für seine Verdienste. Im August 2009 wurde er vom Schwurgericht München zu lebenslanger Haft verurteilt.234 228 229

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Vgl. Die Gebirgstruppe, Denkmalsweihe und Totenehrung auf dem Hohen Brendten, 10.6.1957 (Sonderheft), S. 15, BArch, N 60/104. Die Bundeswehr benannte im Juni 1966 ihre Kaserne in Bad Reichenhall nach Konrad, was in späteren Jahren wegen seiner absolut loyalen Haltung zum NS-Regime häufig kritisiert wurde. Seit 2012 ist die Kaserne in »Hochstaufen-Kaserne« umbenannt. Vgl. Knab, »Zeitlose soldatische Tugenden«. In: Die Zeit, 10.11.2005; Deutscher Bundestag, Drucksache 17/5877, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Ulla Jelpke und der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 17/5747, 20.5.2011. Vgl. Konrad/Wittmann, Werdegang und Ziele des Kameradenkreises, S.  223. Am ersten JuniWochen­ende 1951 versammelten sich 800 ehemalige Angehörige der zwölf deutschen Gebirgs­di­ visionen zu einem ersten größeren Treffen in Gmund am Tegernsee. Organisiert hatten diese Ver­an­ stal­tung Konrad und Wittmann. Vgl. Meyer, Blutiges Edelweiß, S. 668. Aus dieser Zusam­menkunft ging der Kameradenkreis hervor, der im November 1952 in das Vereinsregister eingetragen wurde. Vgl. Hipp, Geschichte des Kameradenkreises der Gebirgstruppe, S. 13. Der Kameradenkreis wechselte mehrfach seinen Namen. Ursprünglich bezeichnete er sich als Münchener Kameradenkreis ehemaliger Gebirgsjäger. 1953 erfolgte die Umbenennung in Kame­raden­kreis der ehemaligen Gebirgstruppe. Damit sich auch potenzielle Mitglieder aus der Ge­birgs­truppe der Bundeswehr repräsentiert fühlen können, änderte er ein weiteres und bis heute letztes Mal seinen Namen in Kameradenkreis der Gebirgstruppe. Vgl. Wittmann, Sinn und Ziel unserer Kameradschaft, S. 12; Konrad, Willkomm- u. Gedenkworte zum Münchener Treffen 1953, S. 32. Wittmann, Sinn und Ziel unserer Kameradschaft, S. 13. Zit. in: Konrad/Wittmann, Werdegang und Ziele des Kameradenkreises, S. 223‑225. Kameradenkreis der Gebirgstruppe e.V., (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Bauerkämper, Das umstrittene Gedächtnis, S. 147; Wittmann, Er ließ Rache üben an Bauern. In: FAZ, 11.8.2009; Die goldene Ehrennadel des Kameradenkreises; Fall Josef Scheungraber. In: Spiegel online, 11.8.2009.

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Imagepflege, Stärkung von Wehrmachttraditionen und Wehrkraft sowie Toten­ ehrung – dies waren die wichtigsten Vorgaben für das Gebirgsjäger-Ehrenmal bei Mittenwald. Hinzu kam noch eine christliche Akzentuierung, da das Denkmal in einer tief katholisch geprägten Region aufgestellt wurde.235 Zwei 14 Meter hoch in den Himmel ragende Pfeiler aus Muschelkalk, die sich nach oben hin verjüngen und eng beieinander stehen, dominieren das Ehrenmal, das sich in der freien Landschaft auf dem Hohen Brendten in 1193 Metern Höhe erhebt. Vor den Pfeilern steht ein schlichtes, neun Meter hohes Holzkreuz, das deutlich an die Gipfelkreuze der Region erinnert. Es fußt auf einem gepflasterten Rechteck mit einem aus Steinen gelegten Eisernen Kreuz, wirft je nach Sonnenstand seinen Schatten auf die Pfeiler und verleiht dem Ehrenmal die christliche Konnotation. Die gepflasterte Fläche mit dem Kreuz soll offenbar symbolisch für eine Art von Altar stehen, auf dem der Gebirgsjäger sein Leben gleich einem Märtyrer dem Vaterland opfert. Diese Deutung legte zumindest Kreisdekan Arnold Schabert in seiner Rede anlässlich der Einweihung des Ehrenmals zu Pfingsten 1957 nahe. Mit Nachdruck verwies er auf die Metaphorik des Kreuzes Christi, das für den freiwilligen Opfer- und Märtyrertod steht. Denn »an diesem Kreuz ist alles durchlitten worden, was Menschen je durchleiden mussten und müssen und doch nicht durchleiden können«236. In dieselbe Richtung wies auch die Publikation Die Gebirgstruppe, die bis heute vom Kameradenkreis herausgegeben wird. Im Sonderheft zur Einweihung des Ehrenmals war zu lesen: »Wir werden diese Stätte hüten und hegen in Treue zu unseren Gefallenen und stolz als ein Bekenntnis unseres Glaubens an den ewigen Wert ihres soldatischen Opfers.«237 Auch das Pfingstfest war vermutlich als Zeitpunkt der Einweihung keineswegs zufällig gewählt. An Pfingsten feiern Christen die Entsendung des Heiligen Geistes in die Welt. Ganz in dieser Tradition sah sich wohl auch der Kameradenkreis, der mit dem Ehrenmal die soldatischen Werte der Wehrmacht, für welche die Gefallenen standen, gewissermaßen ebenfalls in der Welt verbreiten wollte: »Und so sollen diese Pfeiler mit dem Kreuz hinausleuchten in die geliebte Heimat und über die Grenzen zu unseren Brüdern in Österreich und Südtirol.«238 Das Ehrenmal trägt keine Widmung. Lediglich die Daten der beiden Weltkriege sowie der Hinweis auf die Spender – »Errichtet von den heimgekehrten Kameraden der Gebirgstruppe 1957«239 – sind in die Pfeiler eingemeißelt. Das Ehrenmal der Gebirgsjäger ist zwar keine offizielle Gedenkstätte der Bundes­ wehr, aber es existieren enge Beziehungen zu ihr. Dies belegt bereits der Standort des Ehrenmals auf dem Hohen Brendten, der zum Truppenübungsplatz der Gebirgs- und Winterkampfschule Mittenwald zählt.240 Darüber hinaus bestanden 235 236 237 238 239 240

Vgl. Gronau, Auf blinde Flecken zeigen, S. 13. Schabert, Gott hat uns gegeben den Geist der Zucht, S. 15. Denkmalsweihe und Totenehrung auf dem Hohen Brendten, S. 11. Ebd., S. 9, 15. Vgl. ebd., S. 14. Das Gelände in Mittenwald dient bereits seit 1937 als Ausbildungsstätte für Gebirgsjäger. Die Bundeswehr ist also nicht die Erstnutzerin des Geländes. Vgl. Gonau, Auf blinde Flecken zei-



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nahe personelle Verbindungen zwischen den Veteranen des Kameradenkreises und Soldaten der Gebirgstruppe der Bundeswehr, gelegentlich auch in Personalunion. So waren etwa Hellmut Grashey und Generalleutnant Karl Wilhelm Thilo beide nicht nur Führungsoffiziere in Mittenwald – Grashey war zwischen 1957 und 1959 Kommandeur der Gebirgskampftruppe B 8, Thilo von 1965 bis 1967 Kommandeur der 1. Gebirgsdivision – und jeweils stellvertretende Inspekteure des Heeres, sondern ebenso Mitglieder im Kameradenkreis.241 Anlässlich des Pfingsttreffens von 1987 hielt auch Verteidigungsminister Wörner am Ehrenmal auf dem Hohen Brendten eine Gedenkrede.242 Klaus Naumann teilte in seiner Zeit als Generalinspekteur ebenfalls den Geist des Kameradenkreises. 1992 äußerte er sich im Rahmen der Feierstunde am Ehrenmal über die Wehrmacht. Diese sei von Hitler »missbraucht« worden und stehe vor allem für »Bewährung in äußerster Not, für Erinnerung an und Verehrung von vorbildlichen Vorgesetzten, für Kameraden und Opfertod« sowie für »jene vorzügliche Truppe, die unvorstellbares im Krieg zu leisten und zu erleiden hatte«.243 Die enge Beziehung zwischen der Bundeswehr und dem Kameradenkreis besteht bis heute. Die Gebirgsjäger, die einstige Elitetruppe der Wehrmacht, resümierte General a.D. Klaus Reinhardt, der zu Pfingsten 2000 anlässlich der jährlichen Gedenkfeier am Hohen Brendten sprach, seien eine Art Maßstab für die Bundeswehr, »um uns, der nachfolgenden Generation, das Koordinatensystem ihrer Werteordnung«244 weiterzugeben. Auf diese Weise waren die Gebirgsjäger der Wehrmacht eine entscheidende Referenzgröße für die Bundeswehr, und ihr Ehrenmal war nicht nur ein Ort des Totengedenkens, sondern vor allem auch der Traditionspflege. Zwar ließ Verteidi­ gungs­minister Strauß am 19. Mai 1957 die Rekruten der Gebirgsjäger ihr Gelöbnis noch in Mittenwald ablegen. Spätere Vereidigungen fanden zum Teil aber auch direkt vor dem Ehrenmal statt.245 Im September 2015 bezog die Bundeswehr das Ehrenmal der Gebirgsjäger ganz offiziell in das Gedenken für ihre eigenen toten Soldaten aus der Gebirgstruppe ein, indem sie das Monument um einen altarartigen Schrein erweiterte und Denkmal und Schrein so in gewisser Weise zu einem gemeinsamen Ehrenmal vereinigte. Auch eine Art familiärer Kontinuität blieb hierbei gewahrt: Architekt des Schreins

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gen, S.  50, 72. Für die vielfältigen Kontakte zwischen der Bundeswehr und den ehemaligen Gebirgssoldaten der Wehrmacht vgl. Meyer, Blutiges Edelweiß, S. 670‑679. Vgl. Kaltenegger, Die Geschichte der deutschen Gebirgstruppe 1915 bis heute, S. 284. Als Erster Ge­ne­ralstabsoffizier der 1. Gebirgs-Division befahl Thilo u.a. im Sommer 1943 in Griechenland und Montenegro die Erschießung mutmaßlicher Partisanen. Vgl. Meyer, Blutiges Edelweiß, S.  120‑123, 157‑159, 207, 671; Bradley [u.a.], Generale und Admirale der Bundeswehr 1955‑1999, Bd 2,1, S. 105. Vgl. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Manfred Wörner bei der Gedenkfeier am Ehrenmal der Gebirgstruppe auf dem Hohen Brendten am 7. Juni 1987, BArch, MSG 223/30. Zit. bei: Prior, Hoher Brendten 1992 – ein Höhepunkt, S. 6. Ansprache des Oberkommandierenden der Landstreitkräfte Europa Mitte, S. 10. Vgl. Mohr, Sondermentalität mit Tradition; 25 Jahre 1. Gebirgsdivision, Bildteil, S. 22; Vereidigung der Rekruten der Gebirgsjägerbrigade 22.

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war Hermann Norkauer. Sein Vater Sebastian hatte das Ehrenmal der Gebirgsjäger entworfen.246 Der etwa fünf Meter lange und ca. einen Meter hohe, feldgraue Stein, der 2015 etwas abgesetzt vom Ehrenmal auf der Hügelkuppe platziert wurde, zeigt ein stilisiertes, in den Granit geschlagenes Edelweiß und trägt folgende Inschrift: »Den Gebirgssoldaten / der Bundeswehr, / die für Frieden, / Recht und Freiheit / ihr Leben ließen.«247 Einige frühe und zum Teil weniger prominente Denkmalsstiftungen für die Toten und Gefallenen der Wehrmacht können gewissermaßen zunächst als Keimzellen für die binnenmilitärische und später für die öffentliche und offizielle Trauerkultur der Bundeswehr gelten, mit der diese ihrer eigenen Toten gedenkt. Dazu sollen hier drei Beispiele genannt werden. Das Ehrenmal der Transportflieger in Lohr am Main wurde am 17. Juni 1955 von Mitgliedern der am 31. Dezember 2013 aufgelösten Kameradschaft ehemaliger Transportflieger eingeweiht, die seitdem Teil der Gemeinschaft deutscher Transport­ flieger ist. Das Denkmal ist in die historische Stadtmauer von Lohr integriert und nutzt einen rundturmartigen Vorsprung des Walls sowie ein zur Rechten an die Rundung angrenzendes Areal der Mauer.248 Das Ehrenmal setzt sich aus zwei deutlich getrennten Segmenten zusammen. Auf dem Vorsprung ist die Gedenktafel befestigt, darüber und darunter hat man stilisierte Metallmodelle verschiedener Flugzeuge und Hubschrauber angebracht. Oberhalb der Tafel erkennt man die Silhouetten von drei Ju-52Transportflugzeugen, welche die Luftwaffe der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg nutzte. Auf dem Areal rechts davon sind die Umrisse Europas und Nordafrikas zu erkennen, die zentrale Kriegsschauplätze der Transportflieger wie Narvik (Norwegen), Stalingrad (Sowjetunion), Tripolis (Libyen) und Brest (Frankreich) verorten. Der 50. Breitengrad und der Nullmeridian durchkreuzen das Bild. Über der Darstellung schwebend hat man den Propeller einer Junckers Ju 52 aufgehängt. Bis Anfang 2010 – im Mai dieses Jahres wurde die Tafel ergänzt um ein Modell des Transportflugzeuges Transall C-160 und des Hubschraubers Bell UH 1-D der Bundeswehr – lautete die Widmung: »Unseren Gefallenen und Vermissten zum Gedenken. / Kameradschaft ehemaliger Transportflieger 1939‑1945.«249 246

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Vgl. Tradition und Identität der Gebirgsjägerbrigade 23 »Bayern«, o.J., o.S., (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Brendtenfeier 2015. Das Edelweiß ist das traditionelle Emblem der Gebirgsjäger. Vgl. Kamera­ den­ kreis der Gebirgstruppe e.V., (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Chronologie: Kameradschaft ehemaliger Transportflieger. In: Main-Echo, 7.4.2010. Die Gemeinschaft deutscher Transportflieger wurde im Dezember 2007 gegründet. Vgl. Gemeinschaft deutscher Transportflieger e.V., (letzter Zugriff 6.9.2021). Generalmajor a.D. Fritz Morzik gründete die Kameradschaft ehemaliger Transportflieger im Jahr 1953. Vgl. Ahrens, Die Transportflieger der Luftwaffe, S. 65, Anm. 196; Strohm, Lohr war eine Reise wert!, S. 16. Zit. in: Ehrenmal der Flieger bleibt in Lohr. In: Main-Echo, 7.4.2010; Strohm, Lohr war eine Reise wert!, S. 17.



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Anlage, Gestaltung und Widmung des Ehrenmals unterstreichen dessen primäre Intention des Gedenkens und Erinnerns. Eine Heroisierung und Überhöhung des soldatischen Tods vermeidet die Erinnerungsstätte. Auch das Ehrenmal der Transportflieger wurde bereits früh zum festen Bestandteil der Traditionspflege der Transportflieger der Bundeswehr. Seit 1957 nehmen Vertreter der neuen Luftwaffe regelmäßig an den Treffen der Gemeinschaft deutscher Transportflieger am Ehrenmal teil. Aber erst im Mai 2010 erhielt das gemeinsame Gedenken auch eine gewissermaßen offizielle Bestätigung. Durch den Austausch der Tafel, die nun ein Eisernes Kreuz und eine geänderte Widmung aufweist: »Den deutschen Transportfliegern zum Gedenken.«250 Indem man das Hoheitszeichen der Bundeswehr verwendete, die Jahreszahlen tilgte und das Ehrenmal ganz allgemein den »deutschen Transportfliegern« zueignete, bezog man auch die Transportflieger der Bundeswehr in das Gedenken ein. Explizit bezeichnete Oberst a.D. Jürgen Reiss, zum Zeitpunkt der Widmungs­än­ de­rung Vorsitzender der Kameradschaft ehemaliger Transportflieger, die Erweiterung des Gedenkens als »Brückenschlag zwischen der Generation der Transportflieger des Zweiten Weltkrieges und den Generationen der Transportflieger der Bundeswehr«.251 Eine solche Kontinuität zwischen Wehrmacht und Bundeswehr drückte der Ehrenhain der deutschen Panzertruppen in Munster aus. Er wurde auf Initiative von Wehrmachtveteran und Generalmajor der Bundeswehr Günther Pape auf dem Gelände der Panzertruppenschule errichtet. Am 1. Juli 1961 weihten ihn Vertreter von Veteranen und Bundeswehr wie Manstein, Westphal und Kielmansegg sowie der Kommandeur der Panzertruppenschule Brigadegeneral Anton Detlev von Plato feierlich ein.252 Kielmanseggs Anwesenheit verwundert auf den ersten Blick, da er doch von der Forschung – und auch in dieser Untersuchung - mehrheitlich als deutlich reformorientiert wahrgenommen wird. Erklärbar ist seine Teilnahme an dieser Veranstaltung, die bruchlos an die Militärtradition vor 1945 anknüpfte, mit seiner persönlichen und dienstlichen Verwurzelung in der Panzertruppe sowohl der Wehrmacht als auch der Bundeswehr. Von November 1944 bis April 1945 hatte er etwa das Kommando über das Panzergrenadierregiment 111 der 11. Panzerdivision inne und zur Zeit der Einweihung des Ehrenhains war er der Kommandeur der 10. Panzergrenadierdivision der Bundeswehr in Sigmaringen.253 Der ungebrochene Geist, der den Ehrenhain 1961 umschwebte, fand seinen Ausdruck in den Worten von Generalmajor a.D. Max Lemke: »Wir ehemaligen Soldaten können der Bundeswehr und den Schöpfern des Ehrenhains nur aus tiefsten Herzen dafür danken, dass sich die jungen Soldaten durch diese Ehrung

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Vgl. Gemeinschaft deutscher Transportflieger e.V., Chronik in Zahlen, (letzter Zugriff 6.10.2011), Privatarchiv Julia Nordmann; Strohm, Lohr war eine Reise wert!, S. 17. Zit. bei: Möhler, Ehrenmal für alle Transportflieger. Vgl. Zur Erinnerung an alle verstorbenen Transportflieger. In: Mainpost, 11.5.2010. Vgl. Ehrenhain der deutschen Panzertruppen, S.  263; E-Mail von Oberstleutnant Georg Küpper, Presseoffizier im Ausbildungszentrum Munster, an die Autorin am 11.11.2015; Kilian, Führungseliten, S. 35; Schmidt, Einweihung des Ehrenhains der Panzertruppenschule, S. 36. Vgl. Kilian, Führungseliten, S. 277 f.

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für alle Zeiten des Heldenmuts, der Einsatzbereitschaft und der ruhmvollen Taten der alten Panzertruppe erinnern wollen.«254

Die Anlage des Ehrenhains umfasste ein weitläufiges Gelände, bestanden mit lichtem Wald. In ihrem Zentrum erhob sich ein ca. fünf Meter hoher und dreieckig geformter Obelisk aus Stein mit Eisernem Kreuz. Lose um den Mittelpunkt des Obelisken herum gruppierten sich im parkartigen Wald 31 Findlinge, die die taktischen Zeichen der alten Divisionen in Bronze trugen, zu Kreisen. Ein jeder dieser Steinblöcke stand jeweils für die Gefallenen einer gepanzerten Division, einer der »Tiger-«255 und Panzerjägerabteilungen der Wehrmacht oder für die Gefallenen der Kavallerie- und Kampfwagenabteilungen des Ersten Weltkrieges. Auch Standarten von Regimentern Friedrichs des Großen, die bis 1945 im Tannenberg-Ehrenmal aufbewahrt wurden, versammelte man »als Zeichen zeitloser Pflichterfüllung der Soldaten im Dienst des Vaterlandes über die Jahrhunderte hinweg« um den Obelisken.256 Die ursprüngliche Anlage des Ehrenhains der deutschen Panzertruppen trug keine explizite Widmung. 1977 ergänzte man die Gedenkstätte um einen Findling der Bundeswehr. Er ist »Den Toten der gepanzerten Kampftruppen der Bundeswehr« gewidmet, die ihr Leben in Ausübung ihres Dienstes verloren. 61 Findlinge zählte die Anlage 2012.257 Neben der Gedenkfunktion für die gepanzerten Einheiten vor 1945 erfüllte der Ehrenhain darüber hinaus seit 1963 auch eine zentrale Erinnerungsaufgabe für die gesamte Teilstreitkraft Heer der Bundeswehr. Denn bis zur Fertigstellung des Ehrenmals des Deutschen Heeres im Oktober 1972 diente er auch als Ort des Totengedenkens für das gesamte aktive Heer.258 Unproblematisch war diese Verknüpfung allerdings nicht: Am Gedenkstein der 16. Panzerdivision, die im Januar 1943 im Kessel von Stalingrad nahezu vollständig vernichtet wurde, häuften Angehörige am 8. Mai 1991 Erde aus Stalingrad auf. Mit dieser Geste ausgerechnet am Tag der bedingungslosen Kapitulation wollten sie weder der Befreiung vom Nationalsozialismus gedenken noch an die Millionen von Opfern des deutschen Vernichtungskrieges in der Sowjetunion erinnern. Sie bedauerten die militärische Niederlage in Stalingrad und betrauerten nur die eigenen Opfer.259 Im Jahr 2013 wurde der Ehrenhain der Panzertruppe aufgrund politischen Drucks in der bis dahin bestehenden Form aufgegeben. Ursache war der Auftritt eines Veteranen der Wehrmacht, der am Volkstrauertag 2012 an einem der Gedenksteine 254 255 256

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Zit. bei: Hillek, Mörder oder Helden?, S. 321. Der Tiger war ein Kampfpanzer der Wehrmacht, der ab Herbst 1942 eingesetzt wurde. Vgl. Schneider, Tiger im Kampf, Bd 1, S. 4. Zit. bei: Knab, Verklärung und Aufklärung, S.  111; Schmidt, Einweihung des Ehrenhains der Panzertruppenschule, S. 38‑47. Auf S. 39 ist eine Lageskizze des Ehrenhains abgebildet, die folgenden Seiten präsentieren die einzelnen Gedenksteine. Vgl. Roggenbau, »Unselige Traditionspflege bei der Bundeswehr?«, S. 41; Telefongespräch mit Oberstleutnant Georg Küpper, Presseoffizier im Ausbildungszentrum Munster, am 28.5.2015. Vgl. Recke, Volkstrauertag 1977 in Munster, S. 70; Roggenbau, »Unselige Traditionspflege bei der Bundeswehr?«, S. 41. Vgl. Telefongespräch mit Oberstleutnant a.D. Ekkehard Herrmann, Vorsitzender Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres, am 6.9.2010. Vgl. Giordano, Die Traditionslüge, S. 427; Tessin, Verbände und Truppen der deutschen Wehr­ macht und Waffen-SS, Bd 4, S. 35.



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das Treuelied der Waffen-SS auf der Mundharmonika intonierte. Zufällig war dabei ein TV-Team des öffentlich-rechtlichen Senders Radio Berlin Brandenburg (RBB) anwesend. Verteidigungsminister de Maizière ordnete unter Hinweis auf einen eklatanten Verstoß gegen den Traditionserlass von 1982 die Entfernung der Gedenksteine für die gepanzerten Divisionen und die »Tiger«- und Panzerjägerabteilungen der Wehrmacht an.260 Seit 2014 beherbergt das Gelände des ehemaligen Ehrenhains zwei verschiedene Gedenkstätten: zum einen die seit 1977 bestehende für die gepanzerten Kampftruppen der Bundeswehr, zum anderen einen insgesamt neu konzipierten und breit angedachten Erinnerungsort für alle Toten und Gefallenen der Bundeswehr, für die Gefallenen der Panzertruppen der Wehrmacht und für alle toten Soldaten des Ersten Weltkriegs. Darüber hinaus soll an dieser Stelle auch aller Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft gedacht werden.261 Auf dem Gelände der Luftlande- und Transportschule in Altenstadt gedenkt man der Toten der Fallschirmjäger, einer weiteren Eliteeinheit der Wehrmacht. Das Ehrenmal der Fallschirmjäger wurde am 9. September 1966 anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Schule und des 30. Jahrestages seit Gründung der Fallschirmtruppe eingeweiht. Die Stiftung des Ehrenmals erfolgte durch den BDF, dessen Präsident 1966 Kurt Student war. Auch zwischen den Veteranen der Fallschirmtruppe der Wehrmacht und Angehörigen der Bundeswehr bestanden bereits früh enge Verbindungen. Sein symbolisches Bild fand dieser Brückenschlag im gemeinsamen Abschreiten der Ehrenformation der Bundeswehr durch Student und Ulrich de Maizière bei der Einweihung des Ehrenmals. Der Generaloberst a.D. vertrat die Veteranen der Wehrmacht, der frisch ernannte Generalinspekteur der Bundeswehr die Soldaten der Bundesrepublik.262 Die Teilnahme de Maizières an der Einweihungszeremonie war eine seiner ersten Amtshandlungen als höchster Repräsentant der Bundeswehr. Bei Veranstaltungen von Veteranen wog de Maizière, der stets um eine reformnahe Außenwirkung bemüht war, seine Teilnahme genau ab. Über die konkreten Gründe für seine Anwesenheit in Altenstadt kann nur spekuliert werden. Zur Entscheidung für die Teilnahme dürfte aber wohl seine Loyalität und Verbundenheit zu General Heinz Trettner beigetragen haben, seinem Vorgänger im Amt des Generalinspekteurs. Und Trettner, der 260

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Im Januar 2013 hatte sich der Verteidigungsausschuss des Bundestages mit dem Vorfall beschäftigt. Daraufhin erteilte de Maizière dem Kommandeur des Ausbildungszentrums, Brigadegeneral Bernd Schütt, den Auftrag zur Umgestaltung der Gedenkstätte. Vgl. E-Mails von Oberstleutnant Georg Küpper, Presseoffizier im Ausbildungszentrum Munster, an die Autorin am 10. und 11.11.2015; Telefongespräch mit Oberstleutnant Georg Küpper, Presseoffizier im Ausbildungszentrum Munster, am 28.5.2015; Tag der Panzertruppen, 15.11.2013, S.  6‑10; Roggenbau, »Unselige Traditionspflege bei der Bundeswehr?«, S. 41‑44. Siehe Kap. VII.1.d. Vgl. Unseren toten Fallschirmjägern, S. 7; Bund Deutscher Fallschirmjäger e.V., Geschichte des Bundes Deutscher Fallschirmjäger, (letzter Zugriff 6.9.2021). Eine ähnliche Szene wiederholte sich ein Jahr später am Volkstrauertag 1967. Bei der Gedenkveranstaltung am Ehrenhain in Munster nahm de Maizière zusammen mit dem verurteilten Kriegsverbrecher Erich von Manstein den Zapfenstreich ab. Vgl. Möllers, Ein schwieriges Erbe, S. 66.

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in der Fallschirmtruppe der Wehrmacht verschiedene Funktionen bekleidete, hätte der Denkmalsweihe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beigewohnt.263 Das Ehrenmal erhebt sich inmitten einer Rasenfläche auf dem Bundeswehrgelände. Im Mittelpunkt steht ein ca. sechs Meter hohes, keilartiges Viereck aus Stein, das sich nach unten hin verjüngt und sich mit seiner Spitze in eine mit Plattenfragmenten gepflasterte Fläche rammt. Im unteren Bereich umfasst eine Steinmanschette den Keil. Sie ist mit stilisierten Lorbeerzweigen verziert und trägt in Bronzelettern die knapp und allgemein gehaltene Widmung, die sich auf die toten und gefallenen Fallschirmjäger beider Weltkriege bezieht: »Unseren toten Fallschirmjägern«. Unterhalb der Manschette ist das Eiserne Kreuz zu sehen. Der obere Teil des Keils zeigt einen herabstürzenden Adler und landende Fallschirmjäger, Embleme, wie sie auch die Barette der Fallschirmjäger bis heute schmücken.264 In seiner Ansprache während der Einweihungsfeier betonte Generalinspekteur de Maizière den Vorbildcharakter der Fallschirmtruppe der Wehrmacht für die Bun­des­wehr: »Ich meine vor allem die Verpflichtung, die Einsatzbereitschaft, den Mannesmut, den Korpsgeist und die im Frieden und Krieg bewährte Kameradschaft der alten Fallschirmjäger der Bundeswehr zu nutzen und auf dieser Grundlage eine Luftlandetruppe auf- und weiterzubauen.«265

Student zog in seiner Ansprache noch darüber hinaus eine bruchlose Linie von Hitlers Wehrmacht zur neuen Armee der Bundesrepublik:

»Sie [die gefallenen und vermissten Kameraden] gaben ihr Leben hin für die Heimat und für unser Vaterland, mit reinem Herzen und im festen Glauben an eine gute Sache. Wir waren bei ihnen, als sich ihr Leben erfüllte, ein Leben voller Pflichterfüllung und Treue bis zum Tode. Ich meine, solche Opfer sind immer gut und ehrenvoll.«266

Auch das bei der Einweihung intonierte Fallschirmjägerlied der Wehrmacht weist auf diese distanzlos inszenierte Verbindung von Wehrmacht und Bundeswehr hin. Darüber hinaus wird fanatische Opferbereitschaft veherrlicht: »Klein unser Häuflein, wild unser Blut / Wir fürchten den Feind nicht und auch nicht den Tod / Wir wissen nur eines, wenn Deutschland in Not / Zu kämpfen, zu siegen, zu sterben den Tod.«267 Dies spiegelt eine Sichtweise, die nach 1945 so kaum haltbar ist. Darüber hinaus widerspricht der Geist des Liedes – »Startet los, flieget an, heute geht es zum Feind / In die Maschinen, in die Maschinen« oder: »Wir schweben zum Feind, zünden dort das Fanal« oder: »An die Gewehre! an die Gewehre! / Kamerad, da gibt es kein Zurück«268 – der Grundidee der Bundeswehr als Verteidigungsarmee. 263 264

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Vgl. Zimmermann, Ulrich de Maizière, S. 285, 325, Anm. 825; Kilian, Führungseliten, S. 336 f.; Zimmermann, Wahrnehmung und Nachleben der Fallschirmtruppe, S. 115f. Vgl. Foto »Ehrenmal, LL_LTS, Tag der FschJg 2008«; Foto »Ehrenmal, LL_LTS, 2«, Privatarchiv Julia Nordmann. Die Autorin dankt Hans Oehler, Redakteur von Der deutsche Fallschirmjäger, dass er ihr diese und weitere Fotos zugänglich gemacht hat. Zit. in: Unseren toten Fallschirmjägern, S. 8. Zit. in ebd. Lied der Fallschirmjäger, abgedruckt bei: Leonhardt, Lieder aus dem Krieg, S. 62. Vgl. Unseren toten Fallschirmjägern, S. 7. Lied der Fallschirmjäger, abgedruckt bei: Leonhardt, Lieder aus dem Krieg, S. 62.



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Damit war das Ehrenmal praktisch von Anfang an Ausgangspunkt und später auch fester Bestandteil einer gemeinsamen Traditionspflege von Wehrmacht und Bundeswehr. So erhob man den jeweils am 20. Mai begangenen Kreta-Tag auch für die Bundeswehr in den Rang eines traditionsstiftenden Jahrestags.269 Für Student war dieser Tag mit einer »Kette von Höhepunkten an Opferbereitschaft, Mannesmut und Kameradschaft«270 verbunden. Gefeiert wurde er von Wehrmachtveteranen und Bundeswehrsoldaten mit einer gemeinsamen Gedenkfeier am Ehrenmal der Fallschirmjäger. 1999 verbot Oberst Frank-Detlef Doerr, Kommandeur der Luftlande- und Transportschule, die Feier am 20. Mai.271 Seit dem Jahr 2000 gedenken am Ehrenmal Wehrmachtveteranen und Bundes­ wehr­ soldaten gemeinsam am Tag der Fallschirmjäger im September ihrer toten Kameraden: der Wehrmacht und der Bundeswehr. Im September 2008 ergänzte die Bundeswehr das Ehrenmal um einen Gedenkstein, der ausschließlich die getöteten und gefallenen Fallschirmjäger der Bundeswehr seit 1958 ehrt. Der rednerpultartige, eineinhalb Meter hohe graue und abgeschrägte Stein trägt an den Seiten die Namen, die Dienstgrade und die Sterbedaten der getöteten und gefallenen Fallschirmjäger der Bundeswehr. Auf der Schräge des Steins ist der Erzengel Michael (er gilt als Schutz­patron der Fallschirmjäger) zu sehen, darunter die Flagge der Bundesrepublik Deutschland.272 Am 1. Juni 1984 weihten Veteranen der Wehrmacht und Bundeswehrsoldaten auf dem Gelände der Winkelmann-Kaserne in Iserlohn eine weitere Gedenkstätte für gefallene Fallschirmjäger der Wehrmacht ein. Angehörige der »Traditionsgemeinschaft Fallschirm-Panzer-Jäger-Abteilung 1« haben sie gestiftet.273 Bei dem Monument handelt es sich im Wesentlichen um einen ca. drei Ton­nen schweren Findling. Dieser stammt aus Kreta – jener griechischen Insel, die Fall­ schirmjäger der Wehrmacht im Mai 1941 im Rahmen des »Unternehmens Merkur« überfallen haben. Der Findling ruht nach seiner Umsetzung im Jahr 2007 heute auf einem Postament aus Ziegelstein, das an einen Sarkophag erinnert. Auf der Frontseite ist Vgl. Virchow, Gegen den Zivilismus, S. 360; Giordano, Die Traditionslüge, S. 301. In Altenstadt feierten die dort stationierten Fallschirmjäger der Bundeswehr zudem noch 1993 Hitlers Geburtstag oder den Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges. In ihrem Bericht für das Jahr 1997 erwähnte die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages Claire Marienfeld (CDU) Fotos, auf denen Soldaten aus Altenstadt zu sehen sind, die den rechten Arm zum Hitlergruß heben. Auch nationalsozialistische Symbolik identifizierte die Wehrbeauftragte auf diesen Bildern. Marienfeld vermutete, dass die Fotos auf das Jahr 1993 zu datieren sind. Auch auf zwei aus den Jahren 1990 und 1991 stammenden Videos, aufgenommen ebenfalls in Altenstadt, waren u.a. rechtsextremistische Inhalte zu sehen. Vgl. Wette, Brisante Tradition. In: Die Zeit, 19.12.1997; Die schwarze Serie. In: Der Spiegel, 14.12.1997; Deutscher Bundestag, 13.  Wahlperiode, Unterrichtung durch die Wehrbeauftragte, Jahresbericht 1997 (Drucksache 13/10000), 3.3.1998, S. 7. 270 Unseren toten Fallschirmjägern, S. 8. 271 Vgl. E-Mail von Hans Oehler, Redakteur von Der Deutsche Fallschirmjäger, an die Autorin am 16.11.2016; Kreta-Tag. In: Merkur, 7.4.2009. 272 Vgl. E-Mail von Hans Oehler, Redakteur von Der Deutsche Fallschirmjäger, an die Autorin am 16.11.2016; Libero, Einsatzarmee und Erinnerung, S. 287. 273 Vgl. Schröder, Die »Traditionsgemeinschaft Fallschirm-Panzer-Jäger-Abteilung 1«, S. 102. 269

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auf einer Tafel die Widmung zu lesen: »Unseren toten Fallschirmjägern«. Rasen umgibt das Denkmal.274 Hans-Günther Segendorf, Gründungsmitglied des BDF und Vorsitzender der Traditionsgemeinschaft, schwärmte kurz nach der Einweihung des Denkmals 1984 vom Geist und von der Kameradschaft der Wehrmacht, die er in »unserem alten Springerabzeichen«275, das den Findling ziert, symbolisiert sehe. In einem Tagesbefehl würdigte später auch Brigadegeneral Günter Roth, Kom­ man­deur der Luftlandebrigade 27 und Amtschef des MGFA in spe, die Veteranen: »Dieses Ehrenmal erinnert an die große Leistung der Fallschirmjäger der Deutschen Wehr­macht.« Ebenso betonte er die bruchlose Verbindung zur Fall­schirm­trup­pe der Bundeswehr. Das Denkmal, so Roth, sei auch ein »äußerer Ausdruck der Ver­bundenheit der Fallschirmjäger der Bundeswehr mit den ehemaligen Fall­schirm­jägern«276. Nach der Verlegung des Findlings von Iserlohn nach Seedorf 2007 ergänzte man das Denkmal um eine Steinplatte. Sie soll an jene Soldaten des Standortes Seedorf erinnern, die in Afghanistan gefallen sind.277

b) Gemeinsame Ehrenmale der Teilstreitkräfte Die großen Stiftungen von Ehrenmalen, die jeweils eine Teilstreitkraft repräsentieren, sind: 1. Das Marine-Ehrenmal in Laboe von 1936. 2. Das Ehrenmal der Luftwaffe und der Luftfahrt in Fürstenfeldbruck von 1966. 3. Das Ehrenmal des Deutschen Heeres auf der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz von 1972. Im Unterschied zu den Ehrenmalen von Luftwaffe und Heer, für welche die Bundeswehr Grundstücke bereitstellte oder sich spürbar an deren Unterhalt und Pflege beteiligte, engagierte sich die Marine der Bundeswehr sehr lange (bis etwa Mitte der 1990er-Jahre) in weitaus geringerem Maß finanziell und personell für das Marine-Ehrenmal.278 Auf diesen Sachverhalt wies 1971 bereits Gert Jeschonnek, Veteran von Reichs­ marine und Kriegsmarine und 1971 Vizeadmiral sowie Inspekteur der Marine, auf dem Abgeordnetentag des DMB am 5. Juni in Würzburg hin: »Das ist die Arbeit, die der Marinebund getan hat für die Herrichtung und Wieder­herstellung des Marine-

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Vgl. ebd., S. 102 f.; Gedenkstein für tote Fallschirmjäger abtransportiert. In: Nordwest Zeitung, 30.3.2007. Zit. bei: Schröder, Die »Traditionsgemeinschaft Fallschirm-Panzer-Jäger-Abteilung 1«, S. 102. Vgl. und zit. bei: ebd. Vgl. Mader, Karfreitagsgefecht, 2.4.2020, (letzter Zugriff 6.9.2020). Siehe Kap. VII.3.b. Bis in die späten 1960er-Jahre beteiligte sich die Marine der Bundeswehr finanziell nicht an Pflege und Unterhalt des Marine-Ehrenmals. Vgl. FüH I 3, Vermerk für Herrn Stellvertreter über Herrn UAL I, Betr.: Ehrenmal des Heeres, 21.3.1968, BH 1/3883. Der DMB finanzierte bis in die 1990er-Jahre notwendige Sanierungsmaßnahmen hauptsächlich durch Spenden und durch Vermögen, das Mitglieder der Marineszene dem DMB vererbten. Vgl. Keil, Nazis raus. In: Die Zeit, 24.9.2015.



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Ehrenmals, die wir [die Marine der Bundeswehr] dringend unterstützt haben; meiner Ansicht nach materiell hätten noch besser unterstützen können.«279 Die Tatsache, dass die Führung der Marine unter den Teilstreitkräften der Bundeswehr die größte Distanz zu ihrem Veteranenverein (dem DMB) und zu dessen Ehrenmal hielt, lässt sich wohl plausibel auf die Befürchtung eines politischen Imageschadens zurückführen. Insbesondere ist an dieser Stelle die hohe Wertschätzung zu nennen, die der DMB Karl Dönitz entgegenbrachte. Die Führung der Marine der Bundeswehr teilte diese ungebrochene Verehrung von Hitlers Nachfolger nicht.280 Darüber hinaus lassen sich allerdings weitere Konfliktfelder benennen, die das Verhältnis von DMB und Bundeswehr problematisch gestalteten, siehe unten. Ein Vergleich mit den Ehrenmalen von Heer und Luftwaffe und den sie tragenden Vereinen zeigt, dass diese Veteranenverbände im Vergleich zu dem der Marine einfacher durch die Bundeswehr zu kontrollieren waren. Denn die Vereinigungen von Heer und Luftwaffe gründeten zur Realisierung ihrer Ehrenmale Stiftungen, die finanziell erheblich vom Wohlwollen der Bundeswehr abhängig waren.281 Der DMB jedoch war gegenüber der Bundeswehr in einer deutlich stärkeren Position, da sein Ehrenmal ja bereits seit 1936 existierte. Nicht zuletzt diese Tatsache trug zur größeren Unabhängigkeit der Marineveteranen bei. Das Marine-Ehrenmal in Laboe Obwohl es äußerlich nahezu unberührt blieb, durchlief das Marine-Ehrenmal in Laboe einige »innere« Metamorphosen. Seine Geschichte nahm im Jahr 1925 ihren Anfang: mit der Idee von Wilhelm Lammertz, Mitglied im BDM-V und ehemaliger Obermaat der Kaiserlichen Marine, »für die im Weltkriege gebliebenen Kameraden der Marine ein würdiges Ehrenmal zu schaffen«282. Träger des Denkmals sollte der BDM-V sein. Dieser formulierte in einer Art Gründungsurkunde des Denkmals auch eines der Hauptanliegen des Bundes: dass die Jugend durch das Ehrenmal und die damit verbundene Erinnerung an die Toten und deren Taten zu »deutschen Männern und Frauen, die deutsch denken, deutsch fühlen und deutsch handeln«283, heranwachse. 279

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DMB, Protokoll über den Abgeordnetentag des DMB am 5. Juni 1971 in Würzburg, S. 6, DMBArchiv, Akte Nr. 15, Abgeordnetentag 1971; Bradley/Brockmann, Die Generale und Admirale der Bundeswehr 1955‑1999, Bd 2,2, S. 517 f. Vgl. Protokoll über den Abgeordnetentag des DMB am 7. Juni 1969 in Bremerhaven, S. 6, DMBArchiv, Akte Nr. 13, Abgeordnetentage 1961‑1969. Siehe Kap. III.1.e. Die Führungsstäbe von Heer und Luftwaffe führten unter den Soldaten der Bundeswehr Samm­ lungen durch oder gestatten deren Durchführung. Siehe Kap.  III.2.a, III.2.b. Vertreter beider Teilstreitkräfte waren auch in die Ehrenmal-Planungen involviert und konnten diese beeinflussen. Ein Beleg dafür ist etwa ein Kommandeurbrief des Luftwaffeninspekteurs Panitzki, der zur Spendensammlung für das Ehrenmal aufrief: »Meine Auffassungen sind in allen Stadien der Planung voll berücksichtigt worden. In dieser Hinsicht lassen sich Planung und Durchführung des Baues durch die Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal nicht beanstanden.« Inspekteur der Luftwaffe, Kommandeur-Brief Nr. 1/64, 26. August 1964, BArch, BH 1/3883. Das deutsche Marine-Ehrenmal, S. 4; Erinnerungsorte der Bundeswehr, S. 52 f. Das deutsche Marine-Ehrenmal, S. 19.

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Das Ehrenmal basiert auf einem Entwurf des Düsseldorfer Architekten Gustav August Munzer, einem Schüler von Wilhelm Kreis. Kreis war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein bekannter und stilbildender Architekt, der insbesondere in der Zeit des Nationalsozialismus – 1941 ernannte ihn Hitler zum Generalbaurat für die deutschen Kriegerfriedhöfe – durch seine Arbeiten das Gesicht des monumentalen Gefallenengedenkens prägte. Er entwarf nicht nur die Pläne der Soldatenhalle für die »Welthauptstadt Germania«, sondern realisierte auch zahlreiche Totenburgen wie das Ehrenmal der Panzerarmee in Afrika oder die Totenburg am Fluss Dnepr in der Sowjetunion.284 Entsprechend seiner Entstehungszeit – die Grundsteinlegung erfolgte am 8. August 1927285 – verkörpert das Marine-Ehrenmal einen ausdrucksstark wuchtigen, expressionistischen Baustil. Dabei bezieht es sich auf das zwischen 1924 und 1927 fertiggestellte und 1945 gesprengte Tannenberg-Denkmal in Ostpreußen. Beiden Monumenten war eine Art spätexpressionistischer Baustil gemeinsam. Auch verkörperten beide Anlagen, wie der Architekturexperte Jürgen Tietz analysiert, »ein auf Standort, Stifter und Funktion zugeschnittenes breites Assoziationsfeld«: Die Gestaltung des Umfelds (Versammlungsplatz und Ehrenhallen) sowie das Interieur und die Exponate der Monumente lenken die Besucher so, dass deren Wahr­nehmung und Interpretation der Ehrenmale den soldatischen, den militärischen und den gedenkpolitischen Intentionen und Werten der Erbauer möglichst nahekommt. Ebenso verbindet beide Anlagen die Tatsache, dass sie nicht einfach nur Kriegerdenkmal sein wollen, sondern darüber hinaus den Anspruch erheben, nationale Gedenkstätten zu sein.286 Das Marine-Ehrenmal erhebt sich auf einem ca. 13 Meter hohen Plateau über der Ostsee und ragt von dort weitere 72 Meter steil auf in den Himmel. Ein Monument aus gegossenem Beton und rötlichem Klinkerstein, ein gewaltiger Turm, der zur Landseite hin in einer Rundung ausschwingt und so, wie der Architekt erklärt, an eine aufstrebende Flamme erinnern soll. Darüber hinaus soll das Denkmal gemäß der Intention Munzers Land und Meer vereinen.287 Die enge Beziehung zur See ergibt sich bereits durch den Standort des Ehrenmals am Ausgang der Kieler Förde, während die Verbindung zur Erde durch den runden, weitläufigen und von Arkaden umschlossenen Innenhof – er fasst etwa 10 000 Menschen – architektonisch gestaltet wird. Durch die Ausrichtung auf das Meer, das Offene, das Expansive einerseits und durch das Geschlossene und die Menschen im Arkadenhof Versammelnde der kraftstrotzenden Architektur andererseits wollten Munzer und der BDM-V eine Stimmung der nationalen Einheit und Stärke und der militärischen Wiedergeburt Deutschlands evozieren.288 284 285 286 287 288

Vgl. Stephan, Wilhelm Kreis, S. 75; Lurz, Die Kriegerdenkmalsentwürfe von Wilhelm Kreis; Tietz, Das Tannenberg-National-Denkmal, S. 157. Vgl. Das deutsche Marine-Ehrenmal, S. 9, 15. Vgl. Tietz, Das Tannenberg-National-Denkmal, S. 155‑159. Vgl. Hartwig/Scheiblich, »Für die Ewigkeit, zeitlos, klar ...«, S. 22, 32 f.; Nationalsozialistischer Deutscher Marine-Bund, Das Deutsche Marine-Ehrenmal, S. 12. Vgl. Hartwig/Scheiblich, »Für die Ewigkeit, zeitlos, klar ...«, S. 65; Scharf, Kleine Kunstgeschichte des deutschen Denkmals, S. 278.



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Anlässlich der Grundsteinlegung des Ehrenmals äußerte Reinhard Scheer, Admiral im Ersten Weltkrieg und Befehlshaber der deutschen Hochseeflotte während der Skagerrakschlacht im Frühjahr 1916, einen ähnlichen Gedanken: »Für deutsche Seemanns-Ehr / Für Deutschlands schwimmende Wehr / Für beider Wiederkehr.«289 Nach der von vielen Deutschen empfundenen Demütigung durch den Versailler Vertrag und der mit diesem verbundenen radikalen Reduzierung der deutschen Streitkräfte290 sollte das Marine-Ehrenmal in zeittypischer Weise die Trauer um die Gefallenen auch für den Gedanken der Rache und für das Wiedererstarken des Militärs instrumentalisieren.291 Die Sonderausgabe der Deutschen Marine-Zeitung vom Juni 1936, die der BDM-V anlässlich der Einweihung des Ehrenmals am 30. Mai 1936 herausgab, nannte drei Maximen des Ehrenmals: 1. Es sollte eine »Weihestätte für die Gefallenen der Marine im Weltkriege« sein. 2. Es sollte »die Hoffnung auf eine ehrenvolle Zukunft des deutschen Volkes« wecken. 3. Es sollte einen »würdigen Rahmen für vaterländische Kundgebungen«292 schaffen. Pate für das Marine-Ehrenmal war wohl vor allem die Schlacht im Skagerrak. Zeitgenössische Publikationen bezeichneten es sogar explizit als »Skagerrakdenkmal«. Auch die Tatsache, dass das Ehrenmal am 20. Jahrestag der Skagerrak-Schlacht von Erich Raeder, Generaladmiral und Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, eingeweiht wurde, bestärkt diese Patenschaft. Reichskanzler Hitler nahm zwar persönlich an der Einweihungsfeier teil, aber für den Totenkult der Nationalsozialisten besaß das Denkmal kaum Relevanz. Hitler kritisierte es sogar als »Kitschprodukt sondersgleichen«293, auch wenn der durch das Ehrenmal transportierte Geist militärischer Stärke und Heldenverehrung durchaus auf große Zustimmung bei den Nationalsozialisten stieß.294 Die Historische Halle (bis 1961/62 »Ehrenhalle« genannt), einen bogenförmigen Anbau an den Arkaden, nutzt der DMB seit 1936 für Dauerausstellungen, die dessen jeweiliges Geschichtsbild einer breiteren Öffentlichkeit vermitteln sollen. Die Halle verkörpert somit das geschichtspolitische Zentrum des Ehrenmals. Anfangs sollte dort an den »Ruhm« und die »Großtaten« der Kaiserlichen Marine erinnert werden.295 289 290 291

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Diese Widmung ist noch heute unkommentiert in der Eingangshalle des Ehrenmals zu lesen. Vgl. Hartwig/Scheiblich, »Für die Ewigkeit, zeitlos, klar ...«, S. 54 f.; Herwig, Scheer, S. 817. Der Versailler Vertrag sah eine Begrenzung der Streitkräfte auf 115 000 Soldaten vor, davon 100 000 für das Heer und 15 000 für die Marine. Vgl. Wohlfeil, Heer und Republik, S. 93. Insbesondere ab der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre drückten zahlreiche Kriegerdenkmäler diese Emotionen aus. Ein weit verbreitetes Motiv dafür war die geballte Faust. Aber auch andere Symboliken, Inschriften oder die gesamte Gestalt eines Denkmals huldigten dem Verlangen nach Rache. Vgl. Koselleck, Zur politischen Ikonologie des gewaltsamen Todes, S.  56; Sieck, U-Bootfahrer und das Ehrenmal in Möltenort, S. 31 f., 40 f. Rösing, Ein Rundgang durch das Marine-Ehrenmal, S. 7. Zit. bei: Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier (29. Juli 1942), S. 478. Vgl. Ergebnisprotokoll des Abgeordnetentages 1996 am 8. Juni 1996 in Koblenz, Top 6 »80 Jahre Skagerrak-Schlacht = 60 Jahre Marine-Ehrenmal« (Dr. Dieter Hartwig), DMB-Archiv, Akte Nr. 43, Abgeordnetentag 1996; Das deutsche Marine-Ehrenmal, S. 43; Hartwig, Das Marine-Ehrenmal in Laboe, S. 421. Im Protokoll des Abgeordnetentages von 1962 wird erstmals die Bezeichnung »Historische Halle« gebraucht. Vgl. DMB, Protokoll über den Abgeordnetentag des DMB am 2.  Juni 1962 in der

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Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges würdigte man in der »Ehrenhalle« auch die »großen Opfer der deutschen Wehrmacht zur See während des langen Krieges«296. Von 1954 bis 2010 zeigte man dort eine Dauerausstellung, konzipiert von Paul Reibisch, der bis 1945 am Museum der Kriegsmarine tätig war. Reibisch widmete sich der Geschichte des Ehrenmals und selektiv dem Ersten Weltkrieg, den er mit der Skagerrakschlacht enden ließ. Danach setzte die Ausstellung erst wieder mit dem Jahr 1939 ein. Die politischen Hintergründe, die 1914 und 1939 zum Kriegsausbruch geführt hatten, ließ er außen vor. Einen weiteren Schwerpunkt setzte Reibisch mit der »Rettung über die Ostsee 1945«, der massenhaften Flucht von Zivilisten aus Ostpreußen und Pommern, die im Frühjahr 1945 versuchten, vor allem auf Schiffen der deutschen Kriegsmarine in der Danziger Bucht nach Westen zu gelangen. Seine Ausstellung stilisierte dabei insbesondere den Oberbefehlshaber der Kriegsmarine Dönitz zum »Retter von Millionen«. 2010 nahm Jann M. Witt, beratender Historiker beim DMB, eine vorsichtige Modifizierung der Ausstellung vor.297 Unter dem von den Arkaden gesäumten Rundhof erstreckt sich eine unterirdische Halle von 27  Metern Durchmesser und sechs Metern Höhe. Sie bietet Platz für bis zu 3000 Menschen, dient der Totenehrung und der Andacht und ist das eigentliche Zentrum des Ehrenmals. Von 1936 bis 1996 trug sie den Namen »Weihehalle«, danach wurde sie in »Gedenkhalle« umbenannt, wohl vor allem, um die Verbindung zum heroisierenden Totengedenken der Wehrmacht abzuschwächen. Den Mittelpunkt der Halle bildet ein aus Mosaiksteinen gelegtes, flaches Becken, in dem sich ein fünfeckiger Säulenstumpf erhebt. Genau über dem Becken lässt ein Rundfenster aus blauen Glasfragmenten das Licht einfallen und verleiht so dem ganzen unterirdischen Raum einen mystisch-sakralen Charakter. Das Fünfeck trägt die Jahreszahlen beider Weltkriege sowie die Inschrift: »Den auf See Gebliebenen«.298 Nach der Rückübertragung des Marine-Ehrenmals an den DMB – es wurde 1945 durch die britische Besatzungsmacht beschlagnahmt – weihte dieser es am 30. Mai 1954 feierlich zum zweiten Mal ein.299 Bis dahin stand das Ehrenmal weitgehend im Zeichen der Heldenverehrung, der militärischen Wiedergeburt und des nationalen

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Stadthalle in Coesfeld, S. 12, DMB-Archiv, Akte Nr. 13, Abgeordnetentage 1961‑1969; Hartwig/ Scheiblich, »Für die Ewigkeit, zeitlos, klar ...«, S. 73. Rösing, Ein Rundgang durch das Marine-Ehrenmal, S. 7. Vgl. Hartwig/Scheiblich, »Für die Ewigkeit, zeitlos, klar ...«, S.  79; Witt, 125 Jahre Deutscher Marinebund, S.  95; Hartwig, 50  Jahre deutscher Marinebund, S.  202  f.; Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd 10/1, S. 267‑273 (Beitrag Rahn); Keil, Nazis raus. In: Die Zeit, 24.9.2015; auch: Witt, Erinnern und Gedenken, S. 174‑179. Siehe Kap. III.1.e. Vgl. Ergebnisprotokoll des Abgeordnetentages 1996 am 8. Juni 1996 in Koblenz, Top 6 »80 Jahre Skagerrak-Schlacht =  60  Jahre Marine-Ehrenmal« (Dr.  Dieter Hartwig), DMB-Archiv, Akte Nr. 13, Abgeordnetentag 1996. Die Jahreszahlen auf dem Fünfeck wurden nachträglich ergänzt. 1996 tauschte der DMB zudem die ursprüngliche Inschrift »Wir starben für Dich« gegen die aktuelle aus. Vgl. Hartwig/Scheiblich, »Für die Ewigkeit, zeitlos, klar ...«, S. 65‑68. Vgl. Bericht über die Tagung der Marine-Kameradschafts- bzw. Vereinsführer am 22./23. November 1952 in Hann-Münden, DMB-Archiv, Akte Nr.  12, Abgeordnetentage 1952‑1960; Reibisch, Das Marine-Ehrenmal des DMB, S. 2. Witt erwähnt eine Unterstützung seitens des VdS bei der Rückübertragung, ohne deren Umfang näher auszuführen. Vgl. Witt, 125 Jahre Deutscher Marinebund, S. 91.



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Totengedenkens. Dies änderte sich nun. Die neue politische Linie gab Kretschmer in seiner Ansprache während der zweiten Einweihungsfeier vor:

»Wir weihen dieses Ehrenmal dem Gedenken aller toten deutschen Seefahrer beider Weltkriege, ganz gleich, ob sie an Bord von Kriegs- oder Handelsschiffen, von Flugzeugen oder an Land gefallen sind. Dabei verneigen wir uns auch vor den Gefallenen unserer Bundesgenossen zur See und vor unseren toten Gegnern, in der Hoffnung, dass den Völkern keine neuen Kriegsopfer mehr auferlegt werden.«300

Die Erweiterung der Widmung des Ehrenmals auf die toten Gegner erfolgte wohl nicht zuletzt aus pragmatischen Gründen. Im Zuge des Aufbaus der Bundeswehr und der Planung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft wollte man sich auch das Wohlwollen der einstigen Kriegsgegner und damit die politische Rückendeckung der am Westen orientierten deutschen Politik sichern. Bereits auf dem ersten Abgeordnetentag des neu gegründeten DMB 1953 führte der kommissarische Bundesführer Karl Beutz diese Erweiterung des Totengedenkens ein: »Zu Beginn der heutigen Tagung gedenken wir der gefallenen Kameraden beider Kriege, gedenken der Gefallenen unserer Gegner, wir gedenken ferner der Kameraden, die im Verlaufe der letzten Monate zur großen Armee abberufen sind.«301 Ein ähnliches Bekenntnis zur Ausweitung des Totengedenkens findet sich auch in der Eingangshalle des Turms: »Dem Gedenken aller toten deutschen Seefahrer beider Weltkriege und unserer toten Gegner.«302 Fortan steht das Marine-Ehrenmal offiziell nicht nur im Geist einer Mahnung zum Frieden, sondern auch für mehr Distanz zur Wehrmacht sowie die Ent­natio­ na­lisierung und »Universalisierung des Gedenkens«303. Intern allerdings waren im DMB, dessen Kurs entscheidend von Wehrmachtveteranen geprägt war, auch andere Stoßrichtungen festzustellen. Wohl nicht zuletzt deshalb zählten verurteilte Kriegs­ verbrecher wie Raeder und Dönitz zu seinen Ehrenmitgliedern.304 300

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Zit. bei: Hartwig, 50  Jahre deutscher Marinebund, S.  196. In den 1990er-Jahren widerrief Kretschmer diese Widmung. Er drohte dem DMB mit juristischen Konsequenzen, falls dieser sie weiter verbreite. Anlass dafür und für den folgenden Streit zwischen dem DMB und seinem ersten ordentlichen Nachkriegspräsidenten war eine Würdigung Kretschmers zu dessen 85. Geburtstag im Mai 1997 in Leinen los. Zitiert wurde dieser Teil von Kretschmers Ansprache. Daraufhin distanzierte sich der Jubilar von seiner Aussage und warf dem DMB vor, sie aus dem Zusammenhang gerissen zu haben. Er drohte dem DMB zudem mit einer Klage, wenn dieser nicht auch seinen Namen von der Gedenktafel in der Eingangshalle des Ehrenmals lösche, auf der das Zitat Kretschmer zugeordnet wird. Im Dezember 1997 einigten sich beide Seiten auf die Tilgung von Kretschmers Namen auf der Tafel. Der Streit zwischen Kretschmer und dem DMB ist durch zahlreiche Schreiben dokumentiert, die in folgenden Ordnern im DMB-Archiv aufbewahrt werden: DMB-Archiv, Akte o. Nr. Otto Kretschmer – MEM; DMB-Archiv, Vorgang Otto Kretschmer; DMB-Archiv, Akte 131, Vorgang Otto Kretschmer, Betr.: Streit um Widmung Marine-Ehrenmal Laboe. Protokoll der Abgeordnetentagung des Deutschen Marine-Bundes e.V. am 28.11.1953 in den Stadtsälen zu Marburg an der Lahn, S. 1, DMB-Archiv, Akte Nr. 12, Abgeordnetentage 1952‑1960; DMB, Niederschrift über das Gespräch mit FltAdm. a.D. Otto Kretschmer, 1. Nachkriegspräsident des DMB e.V., 30. Mai 1997, 17. August 1997, S. 4, in DMB-Archiv, Akte 131, Vorgang Otto Kretschmer. Vgl. Hartwig/Scheiblich, »Für die Ewigkeit, zeitlos, klar ...«, S. 54. Hettling, Gefallenengedenken – aber wie?, S. 71. Vgl. Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, S. 114, 476. Siehe Kap. III.1.e.

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Für die Bundeswehr war nicht nur die Nähe des DMB zu Dönitz heikel. Auch das Ehrenmal selbst war problematisch: Wegen seiner Entstehung in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur, wegen der Einweihung durch Hitler und wegen der bei der Gründung des Ehrenmals einseitigen Festlegung auf die militärische Wiedergeburt Deutschlands. Auch Angehörige der Bundeswehrführung wie KarlAdolf Zenker, der am 16. Januar 1956 in einer Rede anlässlich der Begrüßung neuer Rekruten in Wilhelmshaven Dönitz uneingeschränkt und ganz im Sinne des DMB als Vorbild pries und damit eine heftige Kontroverse hervorrief, veranlassten die politische Führung der Bundeswehr und die Marineführung unter Inspekteur Ruge, auf Distanz zu Zenkers Äußerungen und zum Veteranenverein der Marine zu gehen.305 Insbesondere in der Zeit der Studentenproteste in Westdeutschland um das Jahr 1968 geriet das Marine-Ehrenmal als Symbol des Militarismus in die Kritik.306 Der spektakuläre Höhepunkt des Protestes war wohl das Vorhaben des Kieler Journalisten Hannes Hansen im Frühjahr 1986, der vorschlug, das Marine-Ehrenmal durch den international anerkannten Künstler Christo verhüllen zu lassen. Hansen schrieb: »Warum nicht der enormen Erektion am Ausgang der Kieler Förde, dieser steingewordenen Potenzgeste einer sich entmannt fühlenden Marine [...] eine Schutzhaut überstreifen, ein gewaltiges, der Gewalt des Gebäudes angemessenes Präservativ überziehen?«307 Mittels »verwitterungsfester Plastikfolie, die, mit guten, etwa armdicken Trossen fest verschnürt ist«, sollte so gewissermaßen symbolisch verhindert werden, »dass der überdimensionale Marinephallus die deutsche Seele mit den Ejakulationen militaristischen Ungeistes schwängert«308. Der Anlass für diese Idee war der 30. Mai 1986, der 50. Jahrestag der Einweihung des Ehrenmals durch Hitler. 1986 feierte der DMB dieses umstrittene Jubiläum zum letzten Mal.309 Eine weitere wegweisende Zäsur leitete 1995 der damalige Abgeordnetentag des DMB in Mannheim ein. Begünstigt wurde dies durch den personellen Wechsel in der Führungsebene des Bundes. Zuvor prägten vor allem Wehrmachtveteranen den 305

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Brisanz erhielt die sogenannte Zenker-Rede vor allem durch die Würdigung von Raeder und Dönitz als hervorragende Soldaten, an denen kein Makel hafte. Sie hätten, so Zenker, im Krieg nur ihre Pflicht getan und trügen ihr Schicksal für alle. Diese Aussagen deckten sich mit der offiziellen Linie des DMB. Vgl. Rosenträger, Die NS-Zeit im Geschichts- und Traditionsverständnis der Bundeswehr, S.  51‑58; Krüger, Das schwierige Erbe, S.  560  f. Siehe Kap.  III.1.e; Kilian, Führungseliten, S. 300. Auch in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre formierte sich verstärkt Protest gegen das MarineEhrenmal. Vor allem Jungsozialisten des Kreises Plön und die Evangelische Studentengemeinde der Universität Kiel kritisierten – wie die Studenten von 1968 –, dass das Ehrenmal eine Stätte der Kriegsverherrlichung und der Heldenverehrung sei. Sie forderten eine Umgestaltung des Monuments zu einem Mahnmal für den Frieden. Vgl. Prange, Das Marine-Ehrenmal in Laboe, S. 197‑200. Hansen, Vorschlag, S. 6; auch: Prange, Das Marine-Ehrenmal in Laboe, S. 201‑208. Hansen, Vorschlag, S. 6. Statt einer großen Feier beging der DMB den Jahrestag der Einweihung des Ehrenmals zwischen 1996 und 2015 nur noch mit einer Kranzniederlegung unter Anwesenheit der DMB-Spitze, des Inspekteurs der Marine und Abordnungen von lokalen Politikern. 2016, zum 80.  Jahrestag der Einweihung der Gedenkstätte, legte der DMB stattdessen den Schwerpunkt auf sein 125-jähriges Bestehen. Vgl. Keil, Nazis raus. In: Die Zeit, 24.9.2015; Hartwig, 50 Jahre deutscher Marinebund, S. 132.



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Kurs. Nun traten verstärkt Pensionäre der Marine der Bundeswehr an die Spitze der Vereinigung. Sie beschlossen eine Modifizierung des Denkmals von Laboe und dessen vorsichtige Neuausrichtung. Das Marine-Ehrenmal sollte nun nicht nur Gedenkstätte für die Toten der Kriege auf See sein, sondern zugleich auch Mahnmal für den Frieden. Diese Funktionserweiterung sollte wohl die gesellschaftliche Akzeptanz und damit die Zukunftsfähigkeit der Gedenkstätte langfristig sichern.310 Am 13.  Februar 1996 trug der Inspekteur der Bundesmarine den Wunsch an die Geschäftsführung des DMB heran, dass auch die Marine der Bundeswehr durch einen eigenen Ort des Gedenkens innerhalb des Ehrenmals repräsentiert sein solle.311 Am Volkstrauertag 1996 präsentierte der Bund in der Eingangshalle im Turm seine veränderte Widmungstafel für das Ehrenmal. In prominenten Lettern – weitaus größer als jene der Widmungstafeln von 1927 und 1954, welche die neue rechts und links flankieren – bekräftigt sie die übernationale Aussage von 1954 und mahnt darüber hinaus zum Frieden: »Gedenkstätte für die auf See Gebliebenen aller Nationen / Mahnmal für eine friedliche Seefahrt auf freien Meeren«.312 In diesem Zusammenhang verwirklichte man auch Teile der ebenfalls auf dem Abgeordnetentag 1995 beschlossenen Maxime: »Mehr Ehrenmal – weniger Museum«.313 So benannte man die »Weihehalle« in »Gedenkhalle« um, und von den Fahnen in der Halle – u.a. die der Kaiserlichen Marine und der Reichsmarine – entfernte man die Reichskriegsfahne der Kriegsmarine. Neu stellte man dafür die Fahnen der Bundesrepublik, der NATO sowie der damals 15 weiteren NATOMitglieder auf.314 310

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Für diese Bedeutungsverschiebung änderte der DMB seine Satzung. Wurde die Aufgabe des DMB zuvor in § 2, Absatz 6.1 wie folgt definiert: »Die Unterhaltung von Ehrenmalen und Gedenkstätten für Kriegsopfer und Förderung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge«, hieß es nun in der Fassung von 1995: »Pflege, Erhalt und Ausbau des DMB-eigenen Marine-Ehrenmals als Gedenkstätte für alle auf See gebliebenen Seeleute aller Nationen und als Mahnmal für eine friedliche Seefahrt auf freien Meeren.« Inhaltlich übernahm die aktuell gültige Satzung von 2014 diese Aufgabe. Vgl. Ergebnisprotokoll des Abgeordnetentages 1995 vom 10. Juni 1995 in Mannheim, S. 27, DMB-Archiv, Akte Nr. 41, Abgeordnetentag 1995; DMB, Satzung, Stand: 24. Mai 2014, 2.6.1, (letzter Zugriff 6.9.2021); Ergebnisprotokoll des Abgeordnetentages 1995 vom 10. Juni 1995 in Mannheim, S. 15, DMB-Archiv, Akte Nr. 41, Abgeordnetentag 1995. Siehe Kap. III.1.e. Vgl. Ergebnisprotokoll des Abgeordnetentages 1996 am 8. Juni 1996 in Koblenz, Top 4, DMBArchiv, Akte Nr.  13, Abgeordnetentag 1996. Im Rahmen des Streitgespräches mit Kretschmer, das im Mai 1997 stattfand, nannte DMB-Präsident Christmann das Datum »Sommer 1995«. Vielleicht war die Anfrage in diesem Jahr noch informeller Natur. In jedem Fall belegen beide Daten den Zusammenhang zwischen dem ministeriellen Auftrag an die Teilstreitkräfte, ihre Toten der vergangenen 40 Jahre zu ehren, und dem Wunsch des Inspekteurs der Marine nach einer eigenen Gedenkstätte im Ehrenmal für die Toten seiner Teilstreitkraft. Vgl. DMB, Niederschrift über das Gespräch mit FltAdm. a.D. Otto Kretschmer, 1. Nachkriegspräsident des DMB e.V., 30. Mai 1997, 17. August 1997, S. 11, in DMB-Archiv, Akte 131, Vorgang Otto Kretschmer. Hartwig/Scheiblich, »Für die Ewigkeit, zeitlos, klar ...«, S. 55. Eine Abbildung der Widmungstafel findet sich auf S. 54. Ergebnisprotokoll des Abgeordnetentages 1995 vom 10. Juni 1995 in Mannheim, S. 15, DMBArchiv, Akte Nr. 41, Abgeordnetentag 1995. Vgl. Hartwig/Scheiblich, »Für die Ewigkeit, zeitlos, klar ...«, S. 69. Siehe auch die Diskussion auf dem Abgeordnetentag 1995 über die Flaggenfrage im Zuge der Neugestaltung; Ergebnisprotokoll des Abgeordnetentages 1995 vom 10. Juni 1995 in Mannheim, S. 14 f., DMB-Archiv, Akte Nr. 41, Abgeordnetentag 1995.

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Im Zuge der Neugestaltung der Eingangshalle im Turm von 1996 berücksichtigte man auch den Wunsch der Bundesmarine nach einem eigenen Ort für ihre Toten. Denn bislang war die Bundeswehr im Ehrenmal nur mit einer kleinen Gedenktafel vertreten: »U-Hai, gesunken am 14.9.1966 bei WSW-Sturm auf der Doggerbank. Von der aus 20  Soldaten bestehenden Besatzung wurde nur ein Mann gerettet.« Über der Tafel ist die Schiffsglocke des U-Bootes zu sehen.315 Am Volkstrauertag 1996 weihte Hans-Rudolf Boehmer, Vizeadmiral und Inspekteur der Marine der Bundeswehr, die offizielle und allgemeine Gedenktafel der Bundeswehr ein, die einen erheblichen Teil der linken Seitenwand der Eingangshalle einnimmt. Ihre Widmung: »In ehrendem Gedenken den Angehörigen der deutschen Marine, die seit 1955 in Ausübung ihres Dienstes ihr Leben ließen«.316 Bevor die Marine der Bundeswehr ihre Repräsentanz im Marine-Ehrenmal erhielt, fand das Gedenken an deren Tote von etwa 1970 an direkt im Rahmen der Abgeordnetentage des DMB statt. 1971 z.B. lautete die entsprechende (Sammel-) Gedenkformel wie folgt: »Wir gedenken ferner der Kameraden der Marine, der Handelsschifffahrt und der Fischerei, die in treuer Pflichterfüllung auf See geblieben sind oder in Ausübung ihres Dienstes den Tod gefunden haben.«317 Erst am Volkstrauertag 1994 fand im Ehrenmal ein erstes gemeinsames Gedenken an die Gefallenen und Toten von Wehrmacht und Bundeswehr statt. In seiner Ansprache anlässlich des Ereignisses äußerte sich Marineinspekteur Boehmer: »Und eigentlich frage ich unsere Vorgänger, warum wir dies gemeinsam nicht schon viel früher getan haben. Es gehört zu unserer Tradition, dass die Besatzungen aller ein- und auslaufenden Schiffe der Marine durch Front und Flaggengruß bei Laboe der auf See Gebliebenen gedenken. Ich halte es für richtig, dass wir diese Tradition ergänzen durch die jährlich wiederkehrende öffentliche Gedenkveranstaltung.«318

Dieses gemeinsame Gedenken am Volkstrauertag praktizieren der DMB und die Marine der Bundeswehr bis heute.319 Doch auch trotz ihrer offiziellen Aufnahme in das Ehrenmal im Jahr 1996 blieben die Toten der Marine der Bundeswehr bei manchen der Wehrmachtveteranen Tote 315

316

317 318 319

Der DMB ersetzte die 1976 gestohlene Originalglocke durch eine Replik. Vgl. Hartwig/Scheiblich, »Für die Ewigkeit, zeitlos, klar ...«, S. 38, 69. Siehe auch die Diskussion auf dem Abgeordnetentag 1995 über die Flaggenfrage im Zuge der Neugestaltung; Ergebnisprotokoll des Abgeordnetentages 1995 vom 10. Juni 1995 in Mannheim, S. 14, DMB-Archiv, Akte Nr. 41, Abgeordnetentag 1995. Hartwig, 50 Jahre deutscher Marinebund, S.  201. Für eine Abbildung der Gedenktafel vgl. Hartwig/Scheiblich, »Für die Ewigkeit, zeitlos, klar ...«, S. 52; Kilian, Führungseliten, S. 622. Die unspezifische Formulierung »Deutsche Marine« lässt Raum, um die Toten der Volksmarine miteinzubeziehen. Die Widmung sollte den zwei deutschen Marinen, die es zwischen 1955 und 1990 gab, Rechnung tragen. Auf Anregung des Vaters eines Soldaten der Volksmarine, der am 31. August 1968 beim Untergang des Torpedoschnellbootes »Willi Bänsch« ums Leben kam, erinnert darüber hinaus seit dem Volkstrauertag 1999 eine Gedenktafel im Turm des Ehrenmals an das Unglück. Vgl. Keil, »Öffnung ist ein großer Schritt«. In: taz, 13.6.2006; Hartwig, Das Marine-Ehrenmal in Laboe, S. 435; Hartwig/Scheiblich, »Für die Ewigkeit, zeitlos, klar ...«, S. 39, 53. DMB, Protokoll über den Abgeordnetentag des DMB am 5. Juni 1971 in Würzburg, S. 4, DMBArchiv, Akte Nr. 15, Abgeordnetentag 1971. Hogrebe, Marine-Ehrenmal Laboe, S. 11. Vgl. DMB, Volkstrauertag im Marine-Ehrenmal, (letzter Zugriff 6.9.2021).



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zweiter Klasse.320 Ein Blick auf ein für diesen Sachverhalt bedeutsames Streitgespräch zeigt dies. Es fand am 17.  August 1997 zwischen Otto Kretschmer, dem ersten Präsidenten des 1953 wiedergegründeten DMB, und Hansdieter Christmann statt, dem amtierenden Präsidenten der Vereinigung. Es spiegelt exemplarisch den Generationenkonflikt wider, der den Bund prägte: »Adm. Kretschmer: Sie hatten doch keine Gefallenen. Präsident: Wir haben aber Tote! Adm. Kretschmer: Tote, was heißt Tote? Das sind doch Betriebsunfälle. Die gehören doch nicht in ein Gefallenen-Ehrenmal. Präsident: Da haben wir allerdings ein völlig unterschiedliches Verständnis über die Bedeutung unseres Marine-Ehrenmals, Kamerad Kretschmer.«321

Erst durch den allmählichen Generationswechsel in der Führungsspitze des Bundes und die zunehmende Einsicht auch unter den Wehrmachtveteranen, dass zur langfristigen Sicherung des Ehrenmals sowohl die finanziellen Mittel wie auch der Marinenachwuchs der Bundeswehr unverzichtbar seien, rückte dieses Denken in verschiedenen Klassen toter Marinesoldaten langsam in den Hintergrund. Durch seinen neuen Status als offizielle Gedenkstätte der Marine der Bundeswehr etabliert sich das Marine-Ehrenmal seit 1996 zunehmend als anerkannter Ort in der binnenmilitärischen Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr, während sich der Wehrmachtbezug abzuschwächen scheint. So stand das gemeinsame Gedenken von Veteranen und aktiven Marinesoldaten am Volkstrauertag 1997 vor allem im Zeichen der Bundeswehr, denn man ehrte und gedachte in erster Linie der zwölf Soldaten, die am 13. September 1997 beim Absturz eines Marinefliegers der Bundeswehr vom Typ »Tupolew-154-M« vor der Küste Namibias starben. Ebenso enthüllte man im Marine-Ehrenmal – in der Eingangshalle des Turms – eine Gedenktafel mit den Namen und Dienstgraden der Verstorbenen und folgender Inschrift: »Den Opfern des Flugzeugabsturzes am 13. Sept. 1997 im Südatlantik«.322 Es war Dirk Horten, Vizeadmiral und Befehlshaber der Flotte, der die Tafel für die Opfer von Namibia unter Anwesenheit vieler Angehöriger der Toten enthüllte. 1998 setzte man diese Tafel zusammen mit allen anderen Gedenktafeln, die bis dahin in der Eingangshalle des Turms präsentiert wurden, ins Herz des Marine-Ehrenmals um: die unterirdische Gedenkhalle. Auf diese Weise etablierte sich das Ehrenmal von Laboe für die Marine der Bundeswehr nach und nach zu einem festen Ort des Totengedenkens. Denn auch für die gesamte Bundeswehr wird die Bedeutung von Laboe durch die allgemeine Gedenktafel für alle Gefallenen der Auslandseinsätze der Bundeswehr verstärkt. Am Volkstrauertag 2010 enthüllte der DMB diese Ehrung in der Eingangshalle des Turms.323 320 321

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323

Vgl. Gespräch mit Jann M. Witt, Historiker des DMB, am 21.5.2012. DMB, Niederschrift über das Gespräch mit FltAdm. a.D. Otto Kretschmer, 1. Nachkriegspräsident des DMB e.V., 30. Mai 1997, 17. August 1997, S. 8 f., DMB-Archiv, Akte 131, Vorgang Otto Kretschmer (Hervorhebungen im Original). Vgl. Kein Geld für Sicherheit. In: Der Spiegel, 22.9.1997; Hartwig/Scheiblich, »Für die Ewigkeit, zeitlos, klar ...«, S.  49; Schreiben DMB, Der Präsident, an alle Ehrenmitglieder des Deutschen Marinebundes e.V., 3. Dezember 1997, DMB-Archiv, Akte Nr. 4, Geschichte DMB 1902‑2002. Vgl. Schreiben DMB, Der Präsident, an alle Ehrenmitglieder des Deutschen Marinebundes e.V., 3.  Dezember 1997, DMB-Archiv, Akte Nr.  4, Geschichte DMB 1902‑2002; Kilian,

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Nur wenige Wochen später, am 11.  Januar 2011, konstatierte Alex Schimpf, Vizeadmiral und Inspekteur der Marine, dass Laboe für die Marine der Bundes­ wehr »der Ort des maritimen Gedenkens und der Ort unserer eigenen maritimen Erinnerungskultur mit all ihren Sinndeutungen und Brüchen in unserer Marine­ geschichte«324 geworden sei. Am selben Tag hinterlegte die Führung der Marine der Bundeswehr ihr »Ehrenbuch der Marine« in der Eingangshalle des Ehrenmals. Es hat innerhalb der Gedenkkultur der Marine hohe symbolische Bedeutung, weil es das Verzeichnis aller im Marinedienst getöteten Soldaten seit ihrer Neuaufstellung in der Bundeswehr ist.325 Seit seiner Grundsteinlegung im Jahr 1927 hat das Marine-Ehrenmal in Laboe mehrere Metamorphosen durchlaufen. Erdacht und initiiert in der Weimarer Republik, errichtet in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur und eingeweiht von Hitler, war das Ehrenmal nach 1945 zunächst ein Ort der Wehrmachtveteranen, des Heldengedenkens, der politisch hochbelasteten Ehrenmitglieder und geschichtsklitternder Reden und legendenbildender Mythen. Dann – und vor allem ab Mitte der 1960er-Jahre – polarisierte es zunehmend, sorgte für Irritationen und politische Kontroversen in der westdeutschen Gesellschaft, aber auch zwischen DMB und Bundeswehr. Nach und nach und nicht zuletzt der sinkenden Bedeutung der Wehrmachtveteranen wegen, kam es sukzessive zu einer Annäherung zwischen DMB und Bundeswehr. Bis im Jahr 2011 ein Vizeadmiral und Inspekteur der Marine das Ehrenmal von Amts wegen zum Ort der Erinnerungskultur der Bundeswehr erklärte. Damit wird das Marine-Ehrenmal von Laboe wohl endgültig Teil der sich entwickelnden öffentlichen und offiziellen Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr. De jure allerdings ging das Marine-Ehrenmal nicht in den Verantwortungsbereich des Inspekteurs der Marine bzw. des BMVg über. Und der DMB versteht sich nun weniger als Interessenvertretung der Veteranen denn als »Gedenkdienstleister« für die Marine.326 Das Ehrenmal der Luftwaffe und der Luftfahrt in Fürstenfeldbruck »Wir glauben, dass die Irrtümer unserer jüngsten Geschichte keineswegs einen völlig beziehungslosen Neubeginn einfordern.«327 So lakonisch fiel der Schlussstrich unter die nationalsozialistische Diktatur und den Zweiten Weltkrieg aus, den das Programmheft zum Großflugtag am 24.  September 1961 zog. Die Veranstaltung fand anlässlich des 5.  Jahrestages der Gründung der Luftwaffe der Bundeswehr

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327

Führungseliten, S. 485; Gespräch mit Jann M. Witt, Historiker des DMB, am 12.11.2010; Witt, 125 Jahre Deutscher Marinebund, S. 179. Paulsen, Für das ehrende Gedenken, (letzter Zugriff 2.6.2016), Privat­ archiv Julia Nordmann. Vgl. ebd. Vgl. Satzung des DMB, Stand: 24. Mai 2014, (letzter Zugriff 6.9.2021); Telefongespräch mit Jann M. Witt, Historiker des DMB, am 12.7.2010. Programmheft zum Großflugtag am 5. Jahrestag der deutschen Luftwaffe. Fürstenfeldbruck, 24. Sep­tember 1961, Straßen, denen Sie im Fliegerhorst begegnen, S. 18‑20, hier S. 18, BArch, BL 1/14692.



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auf dem Fliegerhorst Fürstenfeldbruck statt, wo im Rahmen dieses Tages auch der Grundstein für das Ehrenmal der Luftwaffe und der Luftfahrt gelegt wurde.328 Der Brückenschlag in die Zeit der Wehrmacht erfolgte ganz bewusst und sollte wohl vor allem zeigen, dass die militärischen und soldatischen Werte und Ideale der Wehrmacht, auch wenn diese ganz im Dienst der nationalsozialistischen Diktatur stand und auf die Person Hitler vereidigt war, dennoch Gültigkeit bewahrten. Kammhuber war der wohl prominenteste und wirkmächtigste Vertreter dieser Traditionslinie. Er trat ein für eine direkte Kontinuität zwischen Kaiserlicher Armee bzw. Wehrmacht einerseits und der Bundeswehr andererseits. Auf diese Weise wollte Kammhuber das Soldaten- und Heldenverständnis der Wehrmacht – wie es der Historiker René Schilling im Rahmen seiner Dissertation »›Kriegshelden‹. Deutungs­ muster heroischer Männlichkeit in Deutschland 1813 bis 1945« darstellt und analysiert – bruchlos auf die Teilstreitkraft Luftwaffe der Bundeswehr übertragen.329 Anfang der 1960er-Jahre begann Kammhuber systematisch, Straßen auf Flieger­ horsten oder Geschwader der Bundeswehr nach »Fliegerhelden« oder Ritter­kreuz­ trägern von Kaiserlicher Armee und Wehrmacht zu benennen. Geschwader taufte er bevorzugt auf die Namen von legendären Heroen des Ersten Weltkriegs wie Immelmann, Boelcke oder Richthofen. Straßen verlieh er die Namen von besonders erfolgreichen Fliegern und Ritterkreuzträgern der Wehrmacht wie Hans Joachim Marseille, Werner Mölders, Helmut Lent oder Hermann Ritter von Mann, Edler von Tiechler.330 Kammhuber präsentierte die Idole dabei nicht nur wegen des herausragenden fliegerischen Könnens oder der großen militärischen Erfahrung. Er wollte vor allem deren Opfertod unter den Angehörigen der Luftwaffe der Bundeswehr als paradigmatisches und vorbildhaftes soldatisches Verhalten verankern.331 Mit der Idee des Staatsbürgers in Uniform hatten die Vorstellungen Kammhubers wenig zu tun. 328 329 330

331

Vgl. ebd., S. 21; Erinnerungsorte der Bundeswehr, S. 98 f. Vgl. Schmidt, »Seines Wertes bewußt«, S. 374; Schilling, »Kriegshelden«; Schöbel, Am Anfang war der Held, S. 42 f. Vgl. Schöbel, Am Anfang war der Held, S. 42 f. Kammhuber stellte sich mit diesen Namenspatronagen in die Tradition der Wehrmacht. Zwischen 1937 und 1938 benannte die Wehrmacht im Zuge einer Traditionsoffensive etwa 200 Kasernen nach Schlachten und »Helden« des Ersten Weltkriegs. Der Schwerpunkt lag dabei auf Namen, die im Zusammenhang mit den Flandernschlachten stehen. Dort hatte Hitler als Gefreiter und Meldegänger »den Ruhm der Nation gemehrt«. Knab, Falsche Glorie, S. 56‑59. Dem Programmheft zum Großflugtag lassen sich mit Ausnahme von Werner Mölders die Namen weniger belasteter Soldaten als Beispiel für Straßennamen entnehmen, etwa General Henry Harley Arnold, Generalleutnant Walther Arnold Martin Wever, Generalmajor Günter Schwartzkopff und Oberst Werner Baumbach. Vgl. Programmheft zum Großflugtag am 5. Jahrestag der deutschen Luftwaffe. Fürstenfeldbruck, 24. September 1961, Straßen, denen Sie im Fliegerhorst begegnen, S. 18‑20, hier S. 19 f., BArch, BL 1/14692. Auch Kammhubers Nachfolger verliehen Luftwaffengeschwadern bis in die 1970er-Jahre Traditionsnamen. Am 23.  November 1973 verlieh Luftwaffeninspekteur Rall den Traditionsnamen »Mölders« an das Jagdgeschwader 74. Vgl. Aders/Held, Jagdgeschwader  51 »Mölders«, S.  188; Gundelach, Traditionsgeschwader der Luftwaffe, S. 122‑129; Bierl, Nazinamen raus. In: Die Zeit, 23.3.2006. Vgl. Programmheft zum Großflugtag am 5. Jahrestag der deutschen Luftwaffe. Fürstenfeldbruck, 24. September 1961, Straßen, denen Sie im Fliegerhorst begegnen, S. 18‑20, hier S. 18, BArch, BL 1/14692.

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Die Pläne der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal – diese war eine Gründung des DLWR und des DLWB – schienen Inspekteur Kammhuber bestens geeignet, um z.B. durch Formensprache und Inhalte des Denkmals auch sein eigenes Verständnis des deutschen Soldaten und des Opfertodes der nächsten Soldatengeneration zu vermitteln. Ebenso ideal erschien der geplante Standort für das Luftwaffenehrenmal, denn der Fliegerhorst Fürstenfeldbruck sollte für Kammhuber die »Keimzelle der neuen deutschen Luftwaffe« sein. Energisch und wiederholt trat er daher für das Luftwaffenehrenmal in Fürstenfeldbruck ein, um auf diese Weise »den alten und jungen Luftwaffensoldaten eine Traditionsstätte« zu schaffen, vergleichbar mit jener der Marine in Laboe.332 In seiner Ansprache bei der Grundsteinlegung des Ehrenmals, in der Kammhuber – an seine militärische Tradition anknüpfend – den Tod aller »gefallenen LuftwaffenSoldaten des 1. und 2. Weltkrieges«, aber auch den Tod »aller Soldaten der neuen deutschen Luftwaffe« kategorisch zum »Opfertod« erklärte, entwarf er darüber hinaus ein vielfältiges Spektrum der Aufgaben des Ehrenmals. So sollte es zum einen zur »Heimstatt« werden für die Toten (gemeint waren wohl vor allem die Gefallenen der Wehrmacht) und zum anderen »den Angehörigen zum Trost« dienen. Darüber hinaus sollte das Ehrenmal der Luftwaffe den »Opfergang der gefallenen LuftwaffenSoldaten« sichtbar machen und daran erinnern, »dass die Werte menschlicher Opferbereitschaft, die allein den Bestand unseres Volkes vor der Geschichte sichern, auch künftigen Generationen als mahnendes Erbe überliefert werden.« Das Leben und Sterben der Luftwaffensoldaten, so Kammhuber, könne als »Maßstab« dafür gelten, »was Gültigkeit haben wird. Sie kämpften und starben unter dem ewigen Gesetz, das die Besten eines Volkes aufruft zum Opfer des Lebens, für den Bestand der Nation, sie kämpften und fielen in hingebendem Dienen und selbstverständlicher Pflichterfüllung.« Auch sollte es den jungen Soldaten der Bundeswehr als stete Mahnung dienen, »es den toten Kameraden gleich zu tun in ihrer treuen Hingabe an die unvergänglichen Tugenden echten Soldatentums, wenn es sein muss bis zum Tod.« Und schließlich, so Kammhuber, stehe das Denkmal für zentrale Überzeugungen der Bundesrepublik und damit dafür, dass es »noch Werte gibt, für die sich der höchste Einsatz lohnt, nämlich die Sicherung unserer Heimat und unseres Volkes, die Freiheit und die Bewahrung der Menschenwürde«.333 Kammhuber versuchte über das Mittel des Ehrenmals eine verbindende und politisch korrekte Traditionslinie zwischen der Luftwaffe der Wehrmacht und jener der Bundeswehr zu konstruieren. Und um die alten Tugenden hinüberzuretten in die neue Zeit, ergänzte er traditionalistische soldatische Vorstellungen – Tapferkeit, Mannesmut, Opferbereitschaft oder (bedingungslosen) Gehorsam – um einige Werte des Grundgesetzes. Ganz in diesem Sinne äußerte sich auch sein Nachfolger Panitzki:

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Vgl. Schreiben des BMVg, Inspekteur der Luftwaffe, an Herrn Generaloberst a.D. Kurt Student, DLWB, 11.4.1962, BArch, N 667/27; siehe Kap. III.1.c, III.1.d. und III.2.a. Ansprache des Inspekteurs der Luftwaffe am 24.9.61 in Fürstenfeldbruck aus Anlaß der Grund­ stein­legung des Ehrenmals der Luftwaffe, BArch, N 667/27.



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»Das Luftwaffen-Ehrenmal soll einmal an die opferbereiten Einsätze unserer Luftwaffe [der Bundeswehr] erinnern und verpflichten, getreu dem Beispiel dieser Toten [der beiden Weltkriege] für unsere Ideale einzustehen. Ihr Beispiel kann auch uns Kraft und Selbstvertrauen für die Erfüllung unseres eigenen Auftrages geben.«334

Viele Vertreter der Veteranenvereine der Luftwaffe sahen eine enge Verbindung des Ehrenmals mit der Bundeswehr sehr kritisch. Auch der Fliegerhorst Fürstenfeldbruck galt Führungspersonen der Veteranen wie Kurt Student als die »falsche Stelle«335. Daher diskutierten die Veteranen von 1956 bis 1960 nicht nur über unterschiedliche Entwürfe und Konzepte des Ehrenmals, sondern auch über verschiedene Standorte. Im Gespräch waren dabei die Gegend um die Schaumburg im Weserbergland oder die Lüneburger Heide bei Fallingbostel.336 Durch einen besonders herausgehobenen Standort und eine möglichst monumentale Ausführung sollte die zukünftige Gedenkstätte der Luftwaffe dem Marine-Ehrenmal in Laboe oder dem einstigen Tannenberg-Ehrenmal des Heeres in Ostpreußen vergleichbar sein und beim Besucher »Ehrfurcht vor dem Opfertod« und der »Unsterblichkeit« der Gefallenen evozieren.337 Die Stiftung LuftwaffenEhrenmal präferierte daher ursprünglich einen erhabeneren Standort als das »reizlose Gelände«338 einer Bundeswehrliegenschaft. Da die Pläne der Veteranen jedoch nicht finanzierbar waren339, setzte sich letztlich der Inspekteur der Luftwaffe Kammhuber mit seinen Ambitionen durch. Er bot der Stiftung nicht nur ein kostenloses Gelände für das Ehrenmal auf dem Fliegerhorst Fürstenfeldbruck an. Er stellte den Veteranen der Wehrmacht auch Unterstützung durch die Luftwaffe der Bundeswehr – z.B. durch Genehmigung von Spendensammlungen in der Truppe – in Aussicht. Auf diese Weise könne mutmaßlich »ein Großteil der so wichtigen Finanzierung [...] sichergestellt werden«340. Überdies könne die Bundeswehr mannigfache Hilfe leisten: mit Luft- und Erdaufnahmen des Geländes, durch Stellung von Arbeitskräften und Sicherung des Ehrenmals während der Bauphase oder durch Übernahme des Personentransports zur Baustelle. Darüber hinaus könne die Bundeswehr die Veteranen der Wehrmacht auch bei der

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Inspekteur der Luftwaffe, Kommandeur-Brief Nr.  1/64, 26.8.1964, BArch, BH  1/3883. Vgl. Kilian, Führungseliten, S. 621. Tagung des Deutschen Luftwaffenblocks am 15.7.1961 im Hotel »Schaper Siedenburg« Bremen, BArch, N 667/27. Vgl. Wortlaut der Urkunde für die Grundsteinlegung des Luftwaffen-Ehrenmals am 24.9.1961, BArch, N 667/27. So soll das Ehrenmal für Luftfahrt und Luftwaffe aussehen. Vortrag in Bad Godesberg am 2. Mai 1963, gehalten vermutlich von Wilke, BArch, N 667/27. Siehe Kap. III.2.a. Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Der Vorstand, Betr.: Errichtung eines Luftwaffen-Ehrenmals, hier Zwischenbescheid, 7.1.61, BArch, N 667/27; Schreiben von Oberst a.D. F.K. Knust an den Vorstand der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., 23.1.61, BArch, B 482/1; Schreiben der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Der Vorstand, an Generaloberst a.D. K. Student, 16. Juli 1961, BArch, N  667/27; Schreiben der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal an den Präsidenten des DLWB, Herrn Oberst a.D. Student, 21.4.62, BArch, N 667/27.

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anschließenden Pflege und Instandhaltung des Ehrenmals und bei den jährlichen Gedenkfeiern aktiv unterstützen.341 Das schließlich auf dem Fliegerhorst Fürstenfeldbruck realisierte Ehrenmal, das auf einem Entwurf Ernst Zinssers beruht, war für viele Veteranen der Wehrmacht ein unbefriedigender Kompromiss, akzeptabel wohl nur durch die Tatsache, dass ein verwirklichtes Ehrenmal der Luftwaffe immer noch besser war als gar kein Ehrenmal. Und so entstand nach Zinssers Plänen zwischen 1961 und 1966 in drei Bauabschnitten auf dem Gelände des Fliegerhorstes das Ehrenmal der Luftwaffe und der Luftfahrt. Typologisch ist es in seiner Formgebung vor allem einer oftmals archaisierenden Architektur verpflichtet, wie sie seit den 1920er-Jahren viele militärische Memorialbauten prägt.342 Das Monument auf einer ausgedehnten Freifläche ist mit einem sechs Meter hohen Betonring mit einem Durchmesser von ca. 30  Metern umfasst, der im Süden durchbrochen ist. Um den Betonkreis herum ist eine mit Hecken umkränzte Böschung angelegt worden, sodass nun der Eindruck entsteht, die Mauer sei in einen sanften Hügel eingelassen. Im Süden, wo der Ring aufgebrochen ist, flankieren zwei etwa fünf Meter hohe Pylonen den Zugang, der über acht Treppenstufen hinunter ins Innere der Anlage führt. Der Rundraum, den der Betonring formt, umschließt ebenfalls einen Kreis, zehn Meter im Durchmesser und wiederum knapp einen Meter abgesenkt. Vier Stufen führen hinunter zu der kleineren Rundfläche, die das Zentrum des Ehrenmals bildet und mit Flusskieseln gepflastert ist.343 Die beiden Kreise sind nicht konzentrisch, der kleinere ist ein Stück in nördlicher Richtung verschoben, und in seiner Mitte thront das Herzstück des Ehrenmals:

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Vgl. Schreiben der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal an »Vater Seibt« 18.12.60, BArch, N 667/27; Vortrag in Bad Godesberg am 2. Mai 1963, gehalten vermutlich von Wilke, BArch, N 667/27; Schreiben der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal an den Präsidenten des DLWB, Herrn Oberst a.D. Student, 21.4.62, BArch, N  667/27. Neben den Spenden aus der Luftwaffe erhielt die Stiftung auch noch Spenden aus der Industrie, insbesondere der Luftfahrtindustrie. Am 7.  Juli 1965 übermittelte der Vorsitzende der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal Wilke dem Inspekteur der Luftwaffe Panitzki eine Gesamtübersicht über die einzelnen Posten der Finanzierung des Projektes. Demnach betrugen die Kosten für das Ehrenmal 483 000 DM. Insgesamt sammelte die Stiftung 491 695 DM an Spenden. Davon kamen mehr als die Hälfte (270 626 DM) aus der Luftwaffe der Bundeswehr. Vgl. Schreiben des Bundesministers der Verteidigung, FüL II 6, (Werner Panitzki) an Außenverteiler IV C, Betr.: Luftwaffen-Ehrenmal, 15.7.1965, BArch, BH 1/3883; Schreiben der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V. an die Herren des Vorstandes der Stiftung Lw.-Ehrenmal e.V., Betr.: Vorstandssitzung am 28. Oktober 1960, 15.10.1960, BArch, N 667/27. Vgl. Tagung des Deutschen Luftwaffenblocks am 15. Juli 1961 in Bremen, BArch, N 667/27; auch Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Der Vorstand, an Herrn Oberst a.D. Student, 4. Juni 1961, BArch, N 667/27; Karl-Eduard Wilke, Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Kleine Übersicht über die Geschichte der Errichtung des Ehrenmals der Luftwaffe und der Luftfahrt zu Fürstenfeldbruck, September 1984, BArch, B  482/1. Zinssers Entwurf weist Ähnlichkeiten zu Robert Tischlers Freikorps-Ehrenmal auf, das zwischen 1921 und 1933 auf dem Annaberg in Schlesien errichtet wurde. Auch ähnelt es dem Düsseldorfer Schlageter-Nationaldenkmal, das Clemens Holzmeister 1931 baute, und dem Entwurf von Wilhelm Kreis für ein Ehrenmal am Dnjepr von 1939‑45. Bei allen Monumenten handelt es sich um zentral organisierte Rundbauten. Vgl. Becker, Architek­tur­ historische Anmerkungen, S. 81. Vgl. Becker, Architekturhistorische Anmerkungen, S. 81.



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ein fünf Meter langer und breiter sowie etwas über einen Meter hoher Block aus Beton. Auf der Oberseite ist ein Eisernes Kreuz aus Stahlblech eingelassen, ansonsten ist der Quader nackt. Geschaffen hat die altarartige Installation der Bildhauer Kurt Lehmann.344 In einiger Entfernung, ungefähr 200  Meter südlich des Betonrings, schmiegen sich die Stufen einer breiten Treppe – sie wird von flachen Mauern eingefasst und an ihrem Rand erhebt sich ein Kreuz – in die Landschaft. Die Treppe ist gewissermaßen das Eingangsportal des Ehrenmalgeländes, und an ihrem Ende nimmt ein mit Schotter bestreuter »Prozessionsweg« seinen Anfang. Er führt in direkter Flucht auf das Ehrenmal zu und endet unmittelbar vor den Pylonen, an einem stilisierten monumentalen Rednerpult aus Beton.345 Der Kunsthistoriker und Spezialist für Architekturgeschichte Oliver Becker sieht eine direkte Verbindungslinie zwischen dem Gestus antiker, ja sogar vorgeschichtlicher Tumulus- bzw. Hügelgräber und dem Ehrenmal in Fürstenfeldbruck. Beiden, so Becker, lägen eine ähnliche Haltung und ein ähnliches Bekenntnis zum Einfachen zugrunde: »Die klare, einfache Formensprache, die mit geometrischen Grundformen des Quadrats, des Kreises und des Dreiecks arbeitet, und die Verwendung des gleichen Materials für Mauern, Bodenbelag und Gedenkstein, die durchgängig aus grobem, nachträglich mit Spitzeisen bearbeitetem Beton bestehen, erzeugt ein durchaus gewolltes Pathos der Schlichtheit.«346

Im Herbst 1962 war der erste Bauabschnitt im Wesentlichen abgeschlossen, sodass Teile des Zentrums der Anlage fertiggestellt waren und am Volkstrauertag dieses Jahres feierlich eingeweiht werden konnten. Hans-Jürgen Stumpff, Generaloberst  a.D. und Mitinitiator des Ehrenmals, trennte in seiner Rede die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs vollständig von der Leistung der Wehrmacht ab: »Mag auch das Geschehen des 2. Weltkrieges überschattet sein von politischer Schuld – bestehen bleibt unangetastet die soldatische Bewährung, die niemand dem deutschen Soldaten streitig macht.«347 Im Oktober 1963 endete mit der Aufstellung von Lehmanns Installation der zweite Bauabschnitt. Die Arbeiten am Ehrenmal fanden zweieinhalb Jahre später ihren Abschluss.348 Am 20. Mai 1966 wurde das Ehrenmal im Rahmen einer feierlichen Veranstaltung und mit Großem Zapfenstreich in die Obhut der Luftwaffe übergeben. Kurt Student 344 345 346 347

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Vgl. ebd. und Prof. Ernst Zinsser, Das Ehrenmal für die Toten der Luftwaffe, 8.6.1961, BArch, B 482/1. Vgl. Becker, Architekturhistorische Anmerkungen, S. 81. Ebd. Ansprache Oberst a.D. Hans-Jürgen Stumpff, 18.11.1962, BArch, N 667/27. Vgl. Karl-Eduard Wilke, Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Kleine Übersicht über die Geschichte der Errichtung des Ehrenmals der Luftwaffe und der Luftfahrt zu Fürstenfeldbruck, September 1984, BArch, B 482/1. Vgl. Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Luftwaffen-Ehrenmal Fürstenfeldbruck. Den Toten der Luftwaffe und der Luftfahrt, November 1987 (Broschüre), S. 15, BArch, B 482/3; Karl-Eduard Wilke, Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Kleine Übersicht über die Geschichte der Errichtung des Ehrenmals der Luftwaffe und der Luftfahrt zu Fürstenfeldbruck, September 1984, BArch, B 482/1.

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äußerte sich anlässlich dieses Ehrenaktes ähnlich, wie Stumpff es bereits dreieinhalb Jahre zuvor bei der Einweihung des ersten Bauabschnitts getan hatte. Student ging allerdings über die Haltung Stumpffs noch weit hinaus und pries die Sinnhaftigkeit des reinen Opfers um des Opfers Willen – unabhängig davon, ob das Opfer nun tatsächlich zum Nutzen einer Nation oder für ein verbrecherisches Regime erbracht wurde. »Ich meine, solche Opfer sind immer gut, gleich unter welcher Fahne!«349 Die Symbolik des Ehrenmals ist eine viele soldatische Memorialbauten kennzeichnende Mischung militärischer und sakraler Elemente. Ihren typischen Ausdruck findet sie in der Gegenüberstellung von christlichem und Eisernem Kreuz, die beide – wie ein führender Vertreter der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal bereits 1961 hervorhob – die »Gedenkstätte als einen heiligen Ort«350 kennzeichnen sollen. Zinsser aber hob die Sakralität seines Ehrenmals auf besonders deutliche Weise hervor. So bezeichnete er das Pult am Eingang der Pylonen als »Rednerkanzel«, und diese habe »eine ähnliche Funktion wie der Lettner in der Klosterkirche, nämlich die Trennung des Laienschiffes vom Allerheiligsten«351. Der Lettner ist im Wesentlichen eine Art hoher Schranke mit mehreren Durch­ gängen und einer Empore für liturgische Lesungen, die insbesondere in mittelalterlichen Klosterkirchen ab dem 12./13.  Jahrhundert den Chor vom Langhaus trennt. Dem Laienschiff der Klosterkirche entspricht in Zinssers Ehrenmal die Waldwiese, dem Allerheiligsten der Kirche der kleine Kreis mit dem altarähnlichen Betonquader im Herzen des Ehrenmals. Zu nennen wäre hier auch noch die topografische Einbettung des Ehrenmals, dem sich die Besucher wie Pilger auf einem »Prozessionsweg« nähern.352 Durch die Verwendung architektonischer Stilmittel aus dem Bereich des christlichen Kirchenbaus evozierte Zinsser eine Atmosphäre, die den Soldatentod sakralisiert und zum heldischen Opfer kultisch überhöht. Sakralisierung und Überhöhung rücken dabei auch die militärischen Biografien der Wehrmachtsoldaten insgesamt in eine Sphäre hoher ethischer Leistung.353 Auf diese Weise erfüllte Zinsser in geradezu vollkommener Weise die ideellideologische Vorgabe seiner Auftraggeber, wie sie Alfred Mahnke auch anlässlich der Grundsteinlegung des Ehrenmals 1961 andeutete: Der Opfertod »aber steht als ethische Leistung erhaben im Raum der Geschichte. Sie [die Gefallenen] haben 349

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Übergabe des Luftwaffen-Ehrenmals am 20. Mai 66, S.  104. Siehe Kap.  III.1.d. Der jeweilige Kommandeur der Offizierschule der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck nimmt das Ehrenmal in seine Obhut. Vgl. Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Liquiditationsvorstand, Informationsblatt 5/87, 23. November 1987, BArch, B 482/3. Vortrag in Bad Godesberg am 2. Mai 1963, gehalten vermutlich von Wilke, BArch, N 667/27. Besonders Kammhuber wünschte sich ein christliches Kreuz am Ehrenmal, um auf diese Weise einer ›kommunistisch-atheistisch eingestellten Welt‹ ein Zeichen des Glaubens entgegenzustellen. In der Hochphase des Kalten Krieges besaß das christliche Kreuz offensichtlich auch diese politische Implikation. Prof. Ernst Zinsser, Das Ehrenmal für die Toten der Luftwaffe, 8. Juni 1961, BArch, B 482/1. Vgl. Untermann, Chorschranken und Lettner in südwestdeutschen Stadtkirchen, S.  73‑90; Becker, Architekturhistorische Anmerkungen, S.  82; Prof. Ernst Zinsser, Das Ehrenmal für die Toten der Luftwaffe, 8. Juni 1961, BArch, B 482/1. Vgl. Prof. Ernst Zinsser, Das Ehrenmal für die Toten der Luftwaffe, 8. Juni 1961, BArch, B 482/1; Becker, Architekturhistorische Anmerkungen, S. 82; Kap. III.2.



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Opfermut und Idealismus bewiesen, die auch dadurch nicht entwertet werden können, dass sie einmal missbraucht worden sind«354. Ähnlich hatte Kammhuber in seiner Ansprache anlässlich der Einweihung des ersten Bauabschnitts betont, dass es beim Ehrenmal der Luftwaffe darum gehe, unter den jungen Soldaten den »Opfersinn wach [zu] erhalten«355. In den 1970er- und 1980er-Jahren erhielt das Ehrenmal einige Ergänzungen. Im Bereich der Anlage, wo der Prozessionsweg beginnt, brachte man 1977 einen Bronzeadler mit ausgebreiteten Schwingen an sowie an der »Rednerkanzel« mit Bronzelettern die Inschrift: »Ihr seid unvergessen«. 1979 ergänzte man die »Redner­ kanzel« um einen eisernen Lorbeerkranz und das Ehrenmal um die Widmung »Den Toten der Luftwaffe und der Luftfahrt«. 1986 erfolgte der bislang letzte Nachtrag: Eine Plakette mit dem Porträt von Generalmajor a.D. Karl-Eduard Wilke, dem Spiritus Rector des Ehrenmals, wurde in der Anlage angebracht.356 Der soldatische Tod, nicht als mögliche Folge des Soldatenberufs und für bestimmte militärische Ziele, sondern der soldatische Tod als sakrales Opfer und als Wert an sich – das ist eine zentrale Botschaft des Ehrenmals der Luftwaffe und der Luftfahrt. Eine Botschaft, die deutlich im Widerspruch zum offiziellen Verständnis des Soldatentodes in der Bundeswehr steht. Denn bereits die Führungsfigur der Reformer Wolf Graf von Baudissin forderte für die Bundeswehr, dass deren Ausbilder von dem »Unsinn einer Erziehung zum Sterben«357 abzulassen hätten. Auch die Vorstellung, dass das Ehrenmal vor allem als richtungsweisender »Beitrag lebendiger Tradition«358 (Zinsser) und als Begegnungsstätte von Soldaten der Wehrmacht und der Bundeswehr zu verstehen sei, stieß bei Baudissin gewiss nicht unbedingt auf Zustimmung.359 Auch wenn mit dem Inspekteur der Luftwaffe Kammhuber ein Vertreter der Bundeswehr, der den Veteranen weitaus näher stand als Baudissin, mit den Repräsen­ tanten der ehemaligen Luftwaffenangehörigen verhandelte, kam es dennoch bereits in der Planungsphase des Ehrenmals immer wieder zu Konflikten mit der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal und den Vereinigungen der Wehrmachtveteranen: vor allem, wenn es um zentrale Fragen der Ausgestaltung einer gemeinsamen Gedenkpraxis von Veteranenvereinigungen und Bundeswehr ging. Schon der Versuch, einen bestimmten Tag für eine gemeinsame Gedenkveranstaltung festzulegen, verursachte zusammen mit der Ausweitung der Denkmalswidmung langwierige Auseinandersetzungen, die schon vor der Grundsteinlegung im Jahr 1961 begonnen hatten und mit der Fertigstellung des Ehrenmals 1966 nicht zu Ende waren. Die Traditionsverbände der Luftwaffe der Wehrmacht unter Führung von Student setzten sich für ein Datum ein, das Kampf und Opfertod in den Vordergrund rückte, 354 355 356 357 358 359

Ansprache General d. Fl. a.D. A. Mahnke, 24.9.1961, BArch, N 667/27. Übergabe des Luftwaffen-Ehrenmals am 20. Mai 66, S. 100. Vgl. Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Luftwaffen-Ehrenmal Fürstenfeldbruck. Den Toten der Luftwaffe und der Luftfahrt, November 1987 (Broschüre), S. 18‑20, BArch, B 482/3. Baudissin, Das Bild des zukünftigen Soldaten, undatiert, S. 10, BArch N 690/185. Prof. Ernst Zinsser, Das Ehrenmal für die Toten der Luftwaffe, 8. Juni 1961, BArch, B 482/1. Vgl. ebd. und Ansprache des Inspekteurs der Luftwaffe am 24.9.61 in Fürstenfeldbruck aus Anlaß der Grundsteinlegung des Ehrenmals der Luftwaffe, BArch, N  667/27; Baudissin, Soldatische Tradition; Rink, Die Bundeswehr 1950/55‑1989, S. 93 f.

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etwa den 21. April, den Todestag des »Fliegerhelden« Manfred von Richthofen.360 Kammhuber hingegen forderte mit Nachdruck eine Entscheidung zugunsten des Volkstrauertages,361 ein Datum, das eben das Trauergedenken und nicht die Glorifizierung des Kampfes und den Mythos des heldenhaften Opfers betont und das bereits fest und dauerhaft in der Trauer- und Gedenkkultur der Bundesrepublik Deutschland verankert war:

»Kein anderer Tag, als der Volkstrauertag, kann so geeignet sein, die Gedanken aller ehemaligen und aller aktiven Luftwaffen-Soldaten gemeinsam auf das Gedenken der Toten zu richten. Darüber hinaus liegt mir daran, mit der Einweihungsfeier am Volkstrauertag eine Tradition zu beginnen, die sich in jährlichen Gedenkfeiern fortsetzen und jedes Jahr dem gemeinsamen Gedächtnis der Toten sichtbaren Ausdruck geben soll.«362

Kammhubers Vorschlag war durchdachter und weitsichtiger als jener der Veteranenverbände. Denn mittels eines gemeinsamen Gedenktages, der seit langem über eine unbestrittene und hohe Anerkennung in der deutschen Gesellschaft verfügte, ließ sich zuverlässiger und eleganter eine bruchlose Kontinuitätslinie zwischen den Toten der Weltkriege und denen der Luftwaffe der Bundeswehr ziehen und somit auch die politische Akzeptanz für die Angehörigen der Wehrmacht erhöhen. Der Inspekteur der Luftwaffe – der neben seinen Argumenten ja auch einen konkreten Standort sowie Möglichkeiten zur Finanzierung des Ehrenmals offerieren konnte – entschied die Kontroverse für sich. Zum einen schloss das Ehrenmal der Luftwaffe daher fast von Anfang an und klarer als bei den Ehrenmalen von Marine und Heer neben den gefallenen Kameraden von Wehrmacht und Kaiserlicher Armee auch die Toten der Bundeswehr ein. Zum anderen setzte sich Kammhuber mit der Entscheidung für den Volkstrauertag auch in der Frage des gemeinsamen Gedenktages durch. Bereits in ihrem Rundschreiben vom 27.  November 1960 wies die Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal die Veteranen der Wehrmacht darauf hin, dass das geplante Ehrenmal nicht nur die Toten der Weltkriege miteinschließen würde, »sondern ebenso die in treuer Erfüllung ihrer Pflicht gebliebenen jungen Soldaten unserer Bundesluftwaffe«. Und weiter: »Die Stiftung glaubt, erst dann ihren Zweck erfüllt zu haben, wenn es gelungen sein wird, die unendlich vielen Toten der Luftwaffen beider Weltkriege und die unserer neuen Luftwaffe in einer Gedenkstätte zu vereinen.«363

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Vgl. Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Der Vorstand, Betr.: Niederschrift zur »Seminartagung« am 2. Mai 1963 bei Bad Godesberg, veranstaltet vom BMdV, FüB VII 7, BArch, N 667/27. Vordergründig und offiziell überließ es Kammhuber der Stiftung und den Traditionsverbänden, an welchem Tag sie das Ehrenmal einweihen wollten. Zugleich wies er aber darauf hin, dass die fehlende Summe von 90 000 DM für den nächsten Bauabschnitt nur dann durch eine Spendensammlung innerhalb der Luftwaffe akquiriert werden könne, wenn die Anlage für die Soldaten sichtbar und lebendig sei, was etwa bei der Durchführung einer feierlichen Zeremonie am Volkstrauertag der Fall wäre. Vgl. Schreiben des BMVg, Inspekteur der Luftwaffe an Herrn Generaloberst a.D. Kurt Student, Präsident des DLWB, 11. April 1962, BArch, N 667/27. Schreiben des BMVg, InspLw, an den Präsidenten des Deutschen Luftwaffen-Blocks e.V., Herrn Generaloberst a.D. Student, 29.5.1962, BArch, N 667/27. Schreiben der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V. an den Verteiler, Betr.: Errichtung unseres Luftwaffen-Ehrenmals, 27.11.1960, BArch, N 667/27.



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Wenig später – Anfang 1961 – bezeichneten die Repräsentanten der Stiftung das übergreifende Totengedenken, wahrscheinlich auf deutlichen Druck von Kammhuber und Bundeswehr hin, sogar als das »eigentliche Ziel«364 ihrer Stiftung. Doch das war wohl eher ein Lippenbekenntnis angesichts der Abhängigkeit der Veteranen von der Bundeswehr in Sachen Ehrenmal. Und noch die handgeschriebene Pergamenturkunde, welche die Veteranen bei der Grundsteinlegung verwendeten und die unter anderem über die Bestimmung des Ehrenmals Auskunft gibt, nennt ausschließlich die »Ehrung der Toten in den beiden großen Kriegen 1914‑18 und 1939‑45«365 als dessen Zweck. Schon im Vorfeld des Volkstrauertags 1977 geriet das Ehrenmal der Luftwaffe zum Auslöser einer politisch hochbrisanten Situation zwischen der Führung der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal und der Bundeswehr, in deren Verlauf es zum Bruch zwischen der Stiftung und den Veteranenvereinen der Luftwaffe einerseits sowie der Bundeswehr andererseits kam. Der Anlass für den Bruch war die provokative Einla­ dung zur gemeinsamen Volkstrauertag-Gedenkstunde von Wehrmachtveteranen und Bundeswehrsoldaten am Ehrenmal, die der Stiftungsvorsitzende Wilke für Hans-Ulrich Rudel aussprach.366 Rudel war ein hochdekorierter Kampfflieger der Wehrmacht und Oberst a.D., der allerdings enge Kontakte in rechtsextreme Kreise pflegte. Wilkes Einladung war politisch deshalb so explosiv, weil bereits knapp ein Jahr zuvor eine Einladung Rudels im Rahmen der Bundeswehr eine heftige Kontroverse um dessen Person und die Art der Traditionspflege der Bundeswehr entzündet hatte. Im Februar 1977 befasste sich auch der Deutsche Bundestag mit dem Vorfall vom Herbst 1976, der als »Rudel-Affäre« in die Annalen der Bundesrepublik Deutschland einging und zur Entlassung zweier Generale der Bundeswehr (die Rudel eingeladen hatten) und eines Parlamentarischen Staatssekretärs im BMVg (der die Einladung genehmigt hatte) führte.367 Anlässlich der Einladung Rudels zum Volkstrauertag entschied sich die Luftwaffe der Bundeswehr unter Führung von Luftwaffeninspekteur Limberg, von der gemeinsamen Veranstaltung mit den Traditionsvereinen und Rudel Abstand zu nehmen. Stattdessen ehrte die Bundeswehr ihre Toten bereits einen Tag zuvor.368

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Vgl. Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Der Vorstand, Betr.: Errichtung eines LuftwaffenEhrenmals, hier Zwischenbescheid, 7.1.1961, BArch, N 667/27. Vgl. Wortlaut der Urkunde für die Grundsteinlegung des Luftwaffen-Ehrenmals am 24. September 1961, BArch, N 667/27. Vgl. Brief von Karl-Eduard Wilke an Herrn Generalmajor a.D. Franz Reuss, 3.6.1978, BArch, B  482/3; Schreiben des BMVg, InspLw, an Herrn Generalleutnant a.D. Dr.  Konrad Stangl, 1.8.1978, BArch, B  482/3; auch Brief eines unbekannten Verfassers an Karl-Eduard Wilke, 22.1.1978, BArch, B 482/3; Schreiben des Inspekteurs der Luftwaffe an den Generalinspekteur der Bundeswehr, Betr.: Totenehrung am Volkstrauertag 1977 in Fürstenfeldbruck, 26.10.1977, BArch, BW 24/36418. Vgl. Neitzel, Rudel, Hans-Ulrich, S. 160 f.; Abenheim, Bundeswehr und Tradition, S. 188‑211. Vgl. Schreiben des BMVg, InspLw, an den Vorsitzenden der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V. Herrn Generalmajor a.D. Karl-Eduard Wilke, 21.10.1977, BArch, BW 24/36418; Becker, Archi­ tek­turhistorische Anmerkungen, S. 84; Kilian, Führungseliten, S. 621.

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Limberg wollte eine »bewusst schlicht gehaltene Feierstunde«369. Im Mittel­punkt standen Kranzniederlegungen von Verteidigungsminister Leber, Limberg selbst, von den Kommandierenden Generalen der Luftflotte und des Luft­waffen­unter­stüt­zungs­ kommandos sowie vom Amtschef des Luftwaffenamtes sowie von Teil­neh­mern aus Luftwaffenkreisen. Ansprachen wurden nicht gehalten.370 Obwohl die vorgezogene Feier am 12. November 1977 zunächst als Ausnahme geplant war, sind der Vortag des Volkstrauertages als Termin und die schlichte Form bis heute für die Gestaltung der Gedenkfeier der Luftwaffe am Ehrenmal geblieben. In einem Grundsatzbefehl des Kommandeurs der Offizierschule in Fürstenfeldbruck hieß es wenig später dazu: »Der geplante Verlauf der Feierstunde hat dem Ablauf der Feier am 12. November 1977 zu entsprechen.«371 Die Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal und die Traditionsverbände führten ihre Totenehrung am Ehrenmal weiterhin am Volkstrauertag durch. Ganz ohne Unter­ stützung aus der Luftwaffe der Bundeswehr waren sie allerdings nicht.372 Für die Luftwaffe der Bundeswehr geriet die Situation nach dem Volkstrauertag 1977 zum Drahtseilakt. Denn einerseits musste sie sich, »um Schaden von der Bundeswehr abzuwehren«373, glaubwürdig von der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal und den Veteranenverbänden distanzieren. Andererseits aber wollten einflussreiche Gruppen der Luftwaffe den völligen »Bruch mit den Traditionsverbänden«374 vermeiden. Ein solcher Bruch mit den Dachverbänden DLWB und DLWR, die hinter der Stiftung standen, hätte wohl vor allem den persönlichen Beziehungen – zwischen dem Inspekteur und anderen Offizieren der Luftwaffe, die wie dieser noch selbst in der Wehrmacht gedient hatten, sowie ihren Kameraden in den Veteranenverbänden – irreparablen Schaden zugefügt. Ihr Dilemma – Distanz zum Ehrenmal zu demonstrieren, aber gleichzeitig die Veteranenverbände nicht vor den Kopf zu stoßen – versuchte die Luftwaffe der Bundeswehr durch eine Doppelstrategie zu lösen. Nach außen marginalisierte sie ihre Beziehungen zum Ehrenmal, intern jedoch pflegte sie weiterhin enge Verbindungen zu den alten Kameraden und unterstützte diese bei deren Gedenkveranstaltungen am Volkstrauertag.375 369 370 371

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Vgl. Schreiben des BMVg, InspLw, an Herrn Generalleutnant a.D. Dr. Konrad Stangl, 1.8.1978, BArch, B 482/3. Vgl. ebd. und Undatierter Entwurf eines Schreibens des BMVg, InspLw, BArch, BW 24/36418. Zit. bei: Becker, Architekturhistorische Anmerkungen, S. 85. Vgl. Grebl, Gedenkfeier am Ehren­ mal der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck, 12.11.2016, (letzter Zugriff 4.10.2018), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. beispielsweise Schreiben des BMVg, InspLw, an Herrn Generalleutnant a.D. Dr.  Konrad Stangl, 31.7.1978, BArch, B 482/3. Schreiben des BMVg, InspLw, an den Vorsitzenden der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V. Herrn Generalmajor a.D. Karl-Eduard Wilke, 21.10.1977, BArch, BW 24/36418. Undatierter Entwurf eines Schreibens des BMVg, InspLw, BArch, BW 24/36418. Die Luftwaffe unterstützte die von den Luftwaffentraditionsverbänden organisierten Gedenk­ver­ anstaltungen am Ehrenmal beispielsweise durch die Bereitstellung von Ehrenposten oder durch Soldaten für den Musikdienst. Schreiben des BMVg, InspLw, an Herrn Generalleutnant a.D. Dr. Konrad Stangl, 1.8.1978, BArch, B 482/3.



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Schon die formale Übergabe des Ehrenmals in ihre Obhut im Jahr 1966 wollte die Bundeswehr lediglich als symbolische Geste verstanden wissen, zumal die Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal ja rein formal bis zu ihrer Auflösung am 31. Dezember 1987 Eigentümerin des Ehrenmals blieb. Und auch 1985 – die Stiftung dachte wohl bereits damals über ihre Auflösung nach – teilte Eberhard Eimler, Generalleutnant und damals Inspekteur der Luftwaffe, in seinem Schreiben vom 15. März der Stiftung mit, dass die Luftwaffe eine Übernahme des Ehrenmals ablehne.376 Ursachen für diese Zurückweisung waren wohl vor allem die Rudel-Affäre von 1976, die Neuformulierung des Traditionserlasses im September 1982 und das sich ändernde Wehrmachtbild in Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik.377 Angesichts dieser gewandelten Rahmenbedingungen wollte die Führung der Luft­ waffe wohl eine deutliche Distanz zum Ehrenmal ausdrücken, um öffentliche Kritik zu vermeiden. Am 1. Januar 1988 ging das Ehrenmal an den Freundeskreis Luftwaffe über, dessen Gründung Eimler mitinitiiert hatte und dessen Vorstandsmitglied er war.378 Auf diese Weise behielt man für das Ehrenmal eine juristische Konstruktion bei, die jener des Marine-Ehrenmals oder des Ehrenmals des Deutschen Heeres vergleichbar ist. Die Toten und Gefallenen der Luftwaffe der Weltkriege bleiben, da ja auch die Luftwaffe der Bundeswehr der Toten am Ehrenmal gedenkt, zwar bis heute integrale Subjekte der binnenmilitärischen Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr, weil – wie es Luftwaffeninspekteur Limberg formulierte – die Totenehrung stets

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Vgl. Schreiben Generaloberst a.D. Kurt Student an Generalmajor a.D. Karl-Eduard Wilke, 22.8.1963, BArch, N 667/27. Siehe Kap. III.2.a. Vgl. Kilian, Führungseliten, S. 435 f.; Niederschrift zur alljährlichen Mitgliederversammlung am 20.2.1987 der Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal  e.V. Fürsten­feldbruck, April 1987, BArch, B 482/3. Vgl. Erlass »Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundeswehr«, 20.9.1982. Abgedr. in: Abenheim, Bundeswehr und Tradition, S. 230‑234, hier Ziff. I.6, S. 230. Die Rudel-Affäre legte die Gefahren einer militärischen Traditionspflege, die sich auf die Reinheit der soldatischen Werte und Leistungen berief, offen. Der öffentliche Skandal um die Teilnahme Rudels am Kameradschaftstreffen des Aufklärungsgeschwaders 51 »Immelmann« im Oktober 1976 und die Praxis einer Brauchtumspflege innerhalb der Bundeswehr, die dafür den Rahmen bot, führte schließlich zur Neuformulierung der Traditionsrichtlinien im September 1982. Vgl. Rink, Die Bundeswehr 1950/55‑1989, S. 103 f. Der Freundeskreis Luftwaffe ist eine gemeinnützige Organisation. Er wurde am 19.  September 1984 in Bonn gegründet und hat gegenwärtig seinen Sitz in Köln. Zur Luftwaffe der Bundeswehr besteht formal Unabhängigkeit. In der Praxis stehen beide Seiten jedoch in engem Kontakt miteinander. Auch zu personellen Überschneidungen kommt es. Beispielsweise ist Botho Engelien, Generalmajor a.D. und zuletzt Chef des Luftwaffenamtes, aktuell Ehrenpräsident des Vereins. Der Freundeskreis hat es sich zur Aufgabe gemacht, allgemein das Interesse an der Luftfahrt zu wecken sowie das Verständnis und die Aufgeschlossenheit für die Luftwaffe zu fördern. Er zählt, wie etwa der DMB, zu den »begünstigten Vereinen der Bundeswehr«. Das bedeutet, dass Angehörigen der Bundeswehr etwa das Tragen von Uniform zu Veranstaltungen des Freundeskreises genehmigt werden kann. Vgl. Freundeskreis Luftwaffe, (letzter Zugriff 6.9.2021); Wer zählt zu den begünstigten Vereinigungen?, Stand: 3.8.2020, (letzter Zugriff 6.9.2021); Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V., Liquidationsvorstand, Informationsblatt 5/87, 23.11.1987, BArch, B  482/3; Freundeskreis Luftwaffe, Mitgliederversammlung 2014, S. 64.

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»Vergangenheit und Gegenwart«379 umfasse. Aber im Lauf der Jahre verschob sich die Totenehrung innerhalb der Luftwaffe der Bundeswehr nach und nach in Richtung des Gedenkens der eigenen Toten, die im Dienst für die Bundesrepublik und deren Werte ihr Leben verloren. Ein besonders prominentes Beispiel dafür ist Ober­leutnant Hölker, der – wie bereits an anderer Stelle beschrieben – sein eigenes Leben opfert, um das Leben vieler anderer zu retten.380 Im Lauf der Jahrzehnte und aufgrund des Generationenwechsels entwickelte sich das Ehrenmal so sukzessive und primär zur zentralen Trauer- und Gedenkstätte für die Toten der Luftwaffe, »die in der Bundeswehr für die Erhaltung des Friedens ihr Leben gelassen haben«. Darüber hinaus würdigt man dort aber auch die Toten der beiden Weltkriege sowie alle Opfer der Luftfahrt. Zwischen 2008 und 2012 nutzte die Offizierschule der Luftwaffe das Ehrenmal zudem als Kulisse für die öffentlichen Gelöbnisse und Vereidigungen ihrer Offizieranwärter.381 Während die beiden anderen Ehrenmale der Teilstreitkräfte Heer und Marine sowie einige Erinnerungsstätten der Waffengattungen mit Ergänzungen (Tafeln, Pulte, Stelen) dem Gedenken an im Dienst getötete Bundeswehrsoldaten einen eigenen Raum verliehen, geschah dies beim Ehrenmal der Luftwaffe bisher nicht. Es verharrt in einem Entwurf, der ursprünglich für andere Tote gedacht war und der das heldische Opfer mystifiziert und den Soldatentod glorifiziert. Das Ehrenmal des Deutschen Heeres in Koblenz Das Ehrenmal des Deutschen Heeres ist die jüngste der gemeinsamen kameradschaftlichen Trauer- und Gedenkstätten der Teilstreitkräfte von Wehrmacht und Bundeswehr. Aufgrund dieser Tatsache flossen bei der Planung und beim Bau des Monuments sowie bei der Ausgestaltung gemeinsamer Zeremonien von Bundeswehr und Veteranenverbänden am Ehrenmal des Heeres viele Erfahrungen von Laboe und Fürstenfeldbruck mit ein. Heftige politische Kontroversen und scharfe Konflikte, wie sie in den Fällen der Ehrenmale von Marine und Luftwaffe wiederholt auftraten, konnten auf diese Weise weitgehend vermieden oder abgemildert werden. Treibende Kraft für die neue Trauer- und Gedenkstätte war ab 1969 das Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres, ein Zusammenschluss der Veteranendachorganisationen VdS und RdS.382 Ende der 1960er-Jahre waren Pläne, wie sie VdS und RdS noch wenige Jahre zuvor favorisierten – ihnen schwebte z.B. ein Heldenmonument vor wie das durch die 379 380 381

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Schreiben des BMVg, InspLw, an Herrn Generalleutnant a.D. Dr.  Konrad Stangl, 1.8.1978, BArch, B 482/3. Vgl. Becker, Architekturhistorische Anmerkungen, S. 85. Vgl. Meyer, Oberleutnant Ludger Hölker, S. 39. Auf das Opfer Hölkers geht die Untersuchung an mehreren Stellen ein: siehe etwa Kap. VI.3.a oder VII.1.a. Schrank, Die Ehre gebührt den Tapferen auch nach ihrem Tod, 16.11.2019, (letzter Zugriff 6.9.2021); Schreiben des BMVg, InspLw, an Herrn Generalleut­ nant a.D. Dr. Konrad Stangl, 1.8.1978, BArch, B 482/3; Schreiben FüL 1 3 an den Sonder­beauf­ tragten 40 Jahre Bundeswehr, Herr Oberst Günter Kruse, 5.5.1995, BArch, BW 2/25478; Lindner, Vereidigung am Luftwaffenehrenmal. Vgl. Erinnerungsorte der Bundeswehr, S. 114 f. Siehe Kap. III.2.b.



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Wehrmacht 1945 gesprengte Tannenberg-Denkmal in Ostpreußen –, politisch in Bundeswehr und Gesellschaft kaum mehr durchsetzbar. Denn seit dem 1. Juli 1965 regelte aufgrund der Debatten über ein zeitgemäßes Bild des Bundeswehrsoldaten und über das »richtige« soldatische Erbe und das »richtige« soldatische Brauchtum zum einen der erste Traditionserlass, was in der Bundeswehr überlieferungswürdig sein konnte und was nicht. Und zum anderen nahm ab den frühen 1960er-Jahren ein gesellschaftspolitischer Wandel seinen Anfang, der nach und nach nicht nur die NS-Diktatur und ihre Staatsdiener, sondern auch die Wehrmacht und ihre Rolle im Krieg kritischer bewertete.383 Das Schreiben vom 23.  November 1970, mit dem sich Siegfried Westphal, Präsident des Kuratoriums Ehrenmal des Deutschen Heeres, an Verteidigungsminister Schmidt wandte, spiegelt den veränderten Zeitgeist deutlich: »Das Ehrenmal des Deutschen Heeres soll der Tatsache, dass wir beide Kriege verloren haben, und der Lage unserer gespaltenen Nation gerecht werden. Es muss daher zeitgemäß und einfach sein, soll aber einprägsam gestaltet werden [...] Dieses Ehrenmal wird frei von Pathos in schlichter Würde an die gewaltigen Opfer des Deutschen Heeres erinnern.«384

Darüber hinaus versprach Westphal dem Minister explizit, dass das Ehrenmal zu keiner »politischen Belastung«385 führen werde. Der Entwurf für das Ehrenmal des Heeres stammt von dem Künstler Hans Wimmer, der damals in München lebte und an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg lehrte. Das Kuratorium einigte sich am 29. Oktober 1970 auf Wimmers Konzept und beschloss es durch seine Mitgliederversammlung.386 Das wohl zentrale Anliegen des Künstlers ist es, das gewaltige Opfer ganz in den Vordergrund zu stellen, das die Soldaten des Heeres während zweier Weltkriege erbrachten. Auch das Kuratorium verstand Wimmers Entwurf auf diese Weise.387 Am 29. Oktober 1972 wurde das Ehrenmal des Deutschen Heeres feierlich eingeweiht. Zugegen waren u.a. Präsident Westphal und weitere Mitglieder des Kura­ toriums Ehrenmal des Deutschen Heeres, Repräsentanten der Dach­or­gani­sa­tionen der Veteranenverbände, politische Vertreter des Landes Rheinland-Pfalz, Ab­ge­ord­ nete des Heeres der Bundeswehr sowie Generalinspekteur Zimmermann und Ver­tei­ di­gungs­minister Leber.388 Das in seinen Ausmaßen bescheiden gehaltene Ehrenmal wurde in die gewaltige Mauer im Hauptgraben der Festung Ehrenbreitstein hineingebaut. Die Festung 383

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Vgl. Tietz, Das Tannenberg-Nationaldenkmal; Erlass, »Bundeswehr und Tradition«, 1.7.1965. Abgedr. in: Abenheim, Bundeswehr und Tradition, S. 225‑229, hier Ziff. II.8, III.27, III.29, S. 226, 229. Vgl. zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« in Deutschland, S. 70‑72, 139‑142, 188‑193, 195‑197, 199‑201, 201‑303. Schreiben Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V., General der Kavallerie a.D. Westphal, an den BM der Verteidigung Helmut Schmidt, 23.11.1970, BArch, BH 1/3883. Ebd. Vgl. Kuhl, Hans Wimmer, S. 28; Schreiben Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V., Der Vorstand, an Hans Wimmer, 31.10.1970, DKA, NL Hans Wimmer, I, C. Vgl. Schreiben Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres  e.V., General der Kavallerie a.D. Westphal, an den BM der Verteidigung Helmut Schmidt, 23.11.1970, BArch, BH 1/3883. Vgl. Niederschrift über die Mitgliederversammlung des Kuratoriums Ehrenmal des Deutschen Heeres in München am 16.10.1971, DKA, NL Hans Wimmer, I, C; FüH I 3, Betr.: Einweihung des Ehrenmals des Heeres am 29.10.1972, 25.10.1972, BH 1/3883.

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selbst wurde ursprünglich im 16.  Jahrhundert auf eine Anhöhe gegenüber der Mosel­mündung in Koblenz gebaut. Für die Gedenkstätte hat man ebenerdig eine Art Ehrenhalle in die Mauer gegraben, wie ein Felsengrab, an der Oberseite abgerundet, ca. vier Meter breit, knapp drei Meter hoch und etwa eineinhalb Meter tief. Die Grabnische, in Szene gesetzt von einer stark verbreiterten Fassade, ist ganz in Weiß gehalten und bildet so einen demonstrativen Kontrast zur Festungsmauer, in die sie eingebettet ist. In der Nische ruht auf einer flachen Bahre ein Soldat aus grauem Stein. Seine Augen sind geschlossen. Das Gesicht ist einem Jugendporträt des Sohnes von Hans Wimmer nachempfunden. Der naturalistisch ausgeführte Krieger ist überlebensgroß gestaltet und mit einem Waffenrock bekleidet, dessen Kragen geöffnet ist. Er trägt Kampfstiefel in der sogenannten Knobelbecherform, wie sie 1866 in der Preußischen Armee eingeführt wurde. Seine Füße bettet er auf ein steinernes Kissen aus Eichenlaub und Eicheln. Etwa in Höhe der Hüfte ist der Stahlhelm abgelegt, dargestellt in seiner Urform, wie er 1915 eingeführt wurde.389 Auf diese Weise verbindet sich das Ehrenmal mit den Toten des Heeres des Ersten Weltkrieges, aber auch mit denen der Einigungskriege. Heute prangt exakt in der Mitte der die Nische umfassenden Fassade ein großes Eisernes Kreuz aus Bronze in der Urform, wie es der preußische Baumeister und Architekt Karl Friedrich Schinkel 1813 geschaffen hat. Die innere Rückwand der Nische schmückt seit Oktober 1977 ein bronzener Eichenkranz. Darüber ist in Bronzemajuskeln seit 1994 auch die Widmung zu lesen, welche die Toten der Bundeswehr mit einschließt: »Den Toten des Deutschen Heeres«. 1978 brachte man überdies vier Kranzhalter in Form von Eichenblättern in der Nische an. Wie der bronzene Eichenkranz stammen auch sie aus der Werkstatt des Kölner Künstlers Fritz Rademacher.390 Auf einem Mauerabschnitt, der dem Ehrenmal gegenüber liegt, findet sich auf einer Tafel aus Muschelkalk und mit der Titulatur »Ehrenmal des Deutschen Heeres«391 die ursprüngliche Widmung, die sich nur an die Gefallenen und die Toten der beiden Weltkriege richtet. Sie lautet: »Dieses Mal wurde zur Erinnerung an die Gefallenen der beiden Großen Kriege 1914‑1918 und 1939‑1945 von Kameraden, Hinterbliebenen und Soldaten der Bun­ des­wehr errichtet. Allein aus den Reihen des Heeres gaben im Ersten Weltkrieg zwei

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Vgl. Schreiben Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V. an alle Mitglieder, 12.10.1970, DKA, NL Wimmer, Hans, I, C; Schreiben Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V., Der Vorstand, an Hans Wimmer, 31.10.1970, DKA, NL Hans Wimmer, I, C; Stahlhelme, S. 31 f., 39‑41. Vgl. Schautafel: Das Ehrenmal des Deutschen Heeres, Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Veltzke, Die Stiftung des Eisernen Kreuzes 1813, S. 14; Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V. an die Mitglieder des Präsidiums des Kuratoriums »Ehrenmal des Deutschen Heeres«, Bericht über die Mitgliederversammlung des »Kuratorium« am 2.12.1977 im Schloßpark-Hotel, Bonn, Venusberg 27/31, 19.12.1977, BArch, BH  1/3883; auch: RdS, Mitteilungen Nr.  12/77, 9.11.1977, BArch, BH  1/3883; Schreiben Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres, Der Vorsitzende, an Uta Kuhl, 20.12.1994, BArch, B 497/2; RdS, Mitteilungen Nr. 6/78, 19.7.1978, BArch, BH 1/3883. Vgl. Das Ehrenmal des Deutschen Heeres, (letzter Zugriff 6.9.2021).



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Mil­lionen und im Zweiten Weltkrieg dreieinhalb Millionen Soldaten ihr Leben für Deutsch­land. Ihr Opfer, ihre Tapferkeit und ihr Leiden sollen unvergessen bleiben. Das Mahnmal wurde am 29. Oktober 1972 feierlich eingeweiht und der Obhut des neuen deutschen Heeres übergeben.«392

Im Einklang mit dem Schreiben, das Kuratoriumspräsident Westphal an Ver­tei­di­ gungs­minister Schmidt schickte, legte das Ehrenmal des Heeres seinen Schwerpunkt auf das Grauen der Weltkriege und ihre Millionen von Opfern. Dieses Verständnis des Ehrenmals unterstrich Westphal auch in seiner Einweihungsansprache, in der er die Erhaltung des Friedens als das eigentliche »Vermächtnis der Gefallenen«393 und als das höchste Gut eines Volkes bezeichnete. Ebenso nannte Verteidigungsminister Leber bei der Einweihung das Ehrenmal eine »Stätte der Mahnung«394 für den Frieden. Ähnlich äußerte sich auch Verteidigungsminister Stoltenberg in seiner Ansprache anlässlich des Totengedenkens am Volkstrauertag 1989: »Die Soldaten der Bundeswehr und wir alle glorifizieren nicht den Tod derer, deren wir hier gedenken. Wir nehmen ihn als Mahnung.«395 Obwohl ursprünglich ausschließlich den Gefallenen und Toten der Weltkriege gewidmet, wurde das Ehrenmal des Heeres nicht zu einem zentralen Ort des Trauerns und Gedenkens für die entsprechenden Veteranenverbände. Dies lag erstens an der vergleichsweise späten Entstehungszeit, zweitens wohl an der jede Glorifizierung vermeidenden Grundintention und drittens an der starken Zersplitterung der Trauerund Gedenklandschaft für die Toten des Heeres der Wehrmacht. So würdigten z.B. die Veteranen der gepanzerten Einheiten ihre Toten im Ehrenhain in Munster, die ehemaligen Gebirgsjäger ihre Toten am Ehrenmal in Mittenwald oder die einstigen Flaksoldaten die Opfer in ihren Reihen am Ehrenmal in Berlin.396 Seit sich das Ehrenmal des Heeres im Jahr 1994 für die Toten der Bundeswehr öffnete, nimmt es dafür vor allem auch im Gefolge der UN-Auslandseinsätze zunehmend mehr Raum in der sich entwickelnden Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr ein. Dieser Widmungserweiterung gingen Debatten voraus, die in den späten 1980er-Jahren begannen: zum einen innerhalb der Veteranenverbände selbst und zum anderen zwischen dem Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres und der Führungsebene des Heeres der Bundeswehr. Die Motive, warum das Kuratorium und Repräsentanten der Veteranenverbände der Widmungserweiterung zustimmten, sind naheliegend: geringe Identifikation mit 392 393

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Ebd. Ansprache zur Einweihung des Ehrenmals des Deutschen Heeres auf der Festung Ehrenbreitstein bei Koblenz am 29.10.1972 von General der Kavallerie a.D. Westphal, Präsident des Kuratoriums e.V., BArch, BH 1/3883. Rede des Bundesministers der Verteidigung Georg Leber bei der Einweihung des Ehrenmals des Heeres am 29.10.1972 in Koblenz auf der Festung Ehrenbreitstein, BArch, B 497/11. Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Gerhard Stoltenberg beim Totengedenken am Ehren­mal des Heeres am 23.11.1989 in Koblenz, ACDP, 01-626-019/1. Vgl. Telefongespräch mit Ekkehard Herrmann, Vorsitzender Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres, am 6.9.2010; E-Mail von Oberstleutnant Georg Küpper, Presseoffizier im Ausbildungs­ zentrum Munster, an die Autorin am 6.11.2015. Siehe Kap. VII.3.a.

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der Grundintention des Ehrenmals und geringe Akzeptanz unter vielen Veteranen, aber auch nicht unbeträchtliche Kosten, die von den Veteranen für Unterhalt und Instandhaltung aufzubringen waren.397 Darüber hinaus dachte man Ende der 1980er-Jahre auf Seiten der Veteranenverbände gewiss schon seit vielen Jahren darüber nach, wer nach den ehemaligen Wehrmachtangehörigen wohl am Ehrenmal den Trauer- und Gedenkdienst verrichten würde. Auch innerhalb der Bundeswehr bzw. in der Führungsebene des Heeres hegte man keine prinzipiellen Bedenken gegen die Widmungserweiterung und den Traditions­ brückenschlag – Aussage und Ästhetik des Ehrenmals stehen nicht im Widerspruch zu den Maximen der Bundesrepublik und Auslöser für politische Skandale war das Denkmal in der Vergangenheit nie. Schon am 13. Oktober 1987, gut zwei Wochen nach seinem Amtsantritt als Inspekteur des Heeres, versicherte Generalleutnant Henning von Ondarza dem Kuratorium in einem Schreiben, dass er – und damit das Heer der Bundeswehr – in der Betreuung des Ehrenmals einen wichtigen Beitrag zur Vertiefung des Selbstverständnisses und der Traditionsbildung des Heeres sehe, den zu unterstützen er als seine Verpflichtung betrachte. Im April 1988 beschloss der FüH bei einer Tagung in Waldbröl, das Ehrenmal auf der Festung Ehrenbreitstein stärker in das Bewusstsein der Soldaten und in die aktive Gedenkkultur des Heeres zu integrieren.398 In seinem Papier »Gedanken zum Ehrenmal des Deutschen Heeres« vom Januar 1988 machte sich auch Eberhard Burandt, Präsident des Kuratoriums und von 1979 bis 1983 stellvertretender Inspekteur des Heeres, Gedanken über den künftigen Trauer- und Gedenkdienst am Ehrenmal. Er beklagte, dass sich am Volkstrauertag »nicht etwa Vertreter der Bundespolitik, des gesamten Heeres, der Vereinigungen ehemaliger Heeresverbände, der alliierten und befreundeten Landstreitkräfte sowie überregionaler Medien, sondern ein kleiner Kreis aktiver und ehemaliger Soldaten des Standorts mit Angehörigen sowie einige Vertreter des örtlichen öffentlichen Lebens [am Ehrenmal versammeln]«.399

Dies stehe, so Burandt weiter, im Missverhältnis zu einer angemessenen Repräsentanz, die das »Selbstverständnis des Heeres« und die »Bedeutung seines Ehrenmals« erfordere. Auch warf er grundsätzliche Fragen hinsichtlich der Zukunft des Ehrenmals auf: Wie konnte die Gedenkstätte »dem Andenken der Toten des Deutschen Heeres 397

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Für eine Renovierung des Ehrenmals benötigte das Kuratorium eine Summe von 40 000  DM. Diesen Betrag konnte es aus eigener Kraft nicht aufbringen. Eine Erweiterung der Widmung, welche die Heeressoldaten der Bundeswehr miteinschließt, legitimierte eine erneute Spendensammlung innerhalb des Heeres, die 1994 erfolgreich durchgeführt wurde. Vgl. Ergebnisniederschrift der Mitgliederversammlung des Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres  e.V. vom 6.12.1990, BArch, B 497/9; Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V., Spendenaufruf, 1994, BArch, B 497/2. Vgl. Kilian, Führungseliten, S. 431. Vgl. Schreiben des BMVg, InspH, an das Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V., 13.10.1987, BArch, B 497/1; BMVg, InspH, Betr.: Totengedenken am Ehrenmal des Deutschen Heeres aus Anlass des Volkstrauertages 1988 am 18.11.1988, 5.10.1988, BArch, B 497/1. Generalleutnant a.D. Eberhard Burandt, Gedanken zum Ehrenmal des Deutschen Heeres, 10.1.1988, BArch, B  497/11. Vgl. Bradley [u.a.], Die Generale und Admirale der Bundeswehr 1955‑1997, Bd 1, S. 293.



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in der Zukunft angemessen gerecht werden?« Auf welche Weise konnte das »mit dem Ehrenmal verfolgte Anliegen auf die nach 1945 im Dienst des Heeres umgekommenen Soldaten« ausgedehnt werden? Und reichten die derzeitige Anlage und Widmung des Ehrenmals »für die zentrale Würdigung aller Opfer des Deutschen Heeres«400 überhaupt aus? In seiner Ansprache zum Volkstrauertag 1989 wurde Burandt deutlicher und appellierte an das Verantwortungsgefühl der Heeresführung der Bundeswehr. Denn indem diese von ihren Soldaten einerseits unbedingte Pflichterfüllung verlange, habe sie andererseits »auch die moralische Pflicht, für die gebührende Anerkennung der Leistungen und Opfer der Soldaten einzutreten«401. Damit forderte Burandt geradezu die Erweiterung der Widmung des Ehrenmals auf das Heer der Bundeswehr. Burandt, der aktiv sowohl dem Kreis der Veteranen wie auch der Bundeswehr angehörte, war damit eine der frühen Führungsfiguren, vielleicht sogar die erste, die nachdrücklich für den Aufbau einer offiziellen Trauer- und Gedenkkultur in der Bundeswehr eintrat. Die meisten anderen Repräsentanten der Bundeswehr nahmen die eigenen Toten und einen angemessenen Umgang mit ihrem Gedenken erst in der Zeit der zunehmenden UN-Missionen der Bundeswehr etwa ab der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre in den Blick.402 Kurz nach der Entscheidung für die Teilnahme der Bundeswehr an der UNMission »United Nations Advance Mission in Cambodia« (UNAMIC), fasste die Mitgliederversammlung des Kuratoriums Ehrenmal des Deutschen Heeres im Dezember 1991 einen ersten Beschluss, das Ehrenmal für das Gedenken an tote Bundeswehrsoldaten des Heeres zu öffnen.403 Im Herbst 1992 ergriff Generalleutnant Helge Hansen, der Anfang des Jahres das Amt des Inspekteurs des Heeres antrat, die Initiative, um Veteranen des Heeres der Wehrmacht und aktive Heeressoldaten der Bundeswehr einander näher zu bringen. Dies sollte vor allem durch eine Neugestaltung der Traditionspflege im Heer geschehen. Gemeinsam mit dem FüH arbeitete er im Oktober 1992 an einem »neuen erweiterten Ansatz zur Traditionspflege im Heer«. Diese – so Hansen in einem Brief an Burandt – sollte »auf eine viel breitere Basis«404 gestellt werden. Hansen meinte damit wohl vor allem, dass sich das Heer der Bundeswehr in Zeiten weltpolitischer 400 401

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Generalleutnant a.D. Eberhard Burandt, Gedanken zum Ehrenmal des Deutschen Heeres, 10.1.1988, BArch, B 497/11. Ansprache des Präsidenten des Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres, Generalleutnant a.D. Eberhard Burandt, beim Empfang nach dem Totengedenken am 23.11.1989 auf dem Ehren­ breitstein, Koblenz, BArch, B 497/11. Vgl. den Schriftwechsel zwischen dem Sonderbeauftragten 40 Jahre Bundeswehr, Oberst Günter Kruse, und den Führungsstäben der Teilstreitkräfte, der im BArch unter der Signatur BW 2/25478 zu finden ist. Vgl. Geschäfts- und Tätigkeitsbericht zur Bilanz 1990/1991/1992 des Kuratoriums Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V. (undatiert); Protokoll über die Mitgliederversammlung des Kuratoriums Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V. am 10.12.1991 in Bonn-Bad Godesberg, beide: BArch, B 497/9; Gründe für die Satzungsänderung des Kuratoriums und die Neugestaltung des Ehrenmals des Heeres (undatiert), BArch, B 497/2. Schreiben BMVg, InspH, an Generalleutnant a.D. Eberhard Burandt, 26.10.1992, BArch, B 497/2. Vgl. Kilian, Führungseliten, S. 433.

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und einsatztechnischer Veränderungen wieder stärker auf seine militärisch-kämpferischen Traditionen und waffentechnischen Fähigkeiten besinnen sollte.405 Außerdem wollte Hansen eine »Dachorganisation für die Traditionspflege im Heer« ins Leben rufen und auf diese Weise eine gemeinsame inhaltliche Linie zwischen den Traditionsverbänden und dem Heer der Bundeswehr schaffen. In diesem Zusammenhang plante Hansen, einen »Tag des Heeres« einzuführen. In diesem Rahmen sollten u.a. Veteranen und Bundeswehrsoldaten in einer gemeinsamen Feierstunde am Ehrenmal aller Toten des Heeres gedenken.406 Um auch formal die Soldaten der Bundeswehr in das Gedenken aufzunehmen, änderte das Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres am 13. Mai 1993 seine Satzung und erklärte das Ehrenmal zur Erinnerungsstätte für »die Opfer und Leistungen der Soldaten des Deutschen Heeres«407. Bald danach begann im Einvernehmen mit dem Land Rheinland-Pfalz – das für die Festung Ehrenbreitstein zuständig und seit 1973 Eigentümer des Ehrenmals ist – und dem Inspekteur des Heeres – in dessen Obhut sich das Ehrenmal befindet – dessen Sanierung. Es wurde umgestaltet, die Widmung erweitert. 1994 waren die Arbeiten abgeschlossen.408 Am Volkstrauertag 1994 und im Beisein von Heeresinspekteur Hansen vollzog sich ein weiterer Schritt hin zu einer offiziellen Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr, die zum ersten Mal amtlich ihrer eigenen Toten am Ehrenmal des Heeres gedachte. Das Ehrenmal verkörperte nun »epochenübergreifend«409 stärker den Akzent der militärischen Institution und der Tradition des Heeres, als dies bestimmte Gruppen von Veteranen bzw. Heeressoldaten taten. Auf diese Weise sollte es zur »zentralen Gedenkstätte des Heeres«410 werden, wie Burandt bereits 1992 gefordert hatte, ohne dabei jedoch die Toten der Bundeswehr in eine Sonderstellung zu rücken.411 405

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Auf den Kommandeurtagungen der Bundeswehr 1992 in Leipzig und 1993 in Mainz etwa rückte man das kämpferische Moment des Soldatenberufes zunehmend in den Mittelpunkt des Berufs­ verständnisses. Siehe Kap. IV.3.b. Schreiben BMVg, InspH, an Generalleutnant a.D. Eberhard Burandt, 26.10.1992, BArch, B 497/2. Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V., Satzung, 13.5.1993, § 1,1, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V., Protokoll über die Mitgliederversammlung des Kuratoriums Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V. am 24.9.1980 in Bad Honnef, 20.10.1980, BArch, BH 1/3883; Schautafel: Das Ehrenmal des Deutschen Heeres, Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. Schreiben Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres, Der Vorsitzende, an Uta Kuhl, 20.12.1994, BArch, B 497/2. Vgl. Hettling, Gefallenengedenken – aber wie?, S. 71. Eberhard Burandt, Vermerk zum Fortbestehen des Kuratoriums Ehrenmal des Deutschen Heeres nach Abtreten der Traditionsverbände der Wehrmacht, 3.4.1992, BArch, B 497/2. Dass sich das Ehrenmal tatsächlich als zentrale Gedenkstätte des Heeres etabliert hat, belegt eine Aussage aus dem FüH: »Das Heer gedenkt seiner Toten in einer Feierstunde am Ehrenmal des Heeres in Koblenz, Ehrenbreitstein jährlich am Donnerstag in der Woche zwischen Volkstrauertag und Totensonntag« (Schreiben FüH I 3 an den Sonderbeauftragten 40 Jahre Bundeswehr, Betr.: Überlegungen zum Totengedenken anl. 40 Jahre Bw, 26.4.1995, BArch, BW 2/25478). Vier Jahre später erklärt der »Wegweiser für die Traditionspflege im Heer« das Ehrenmal verbindlich zur zentralen Gedenkstätte des Heeres: BMVg, Wegweiser für die Traditionspflege im Heer, 1.12.1999, S. 85. Vgl. Ansprache des Generals a.D. Ulrich de Maizière anläßlich der zentralen Gedenkfeier am Ehrenmal des Deutschen Heeres auf der Festung Ehrenbreitstein am 17.11.1994, BArch, B 497/2;



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Darüber hinaus sollte das Ehrenmal auch dem – sich gerade mit der Teilnahme der Bundeswehr an UN-Auslandsmissionen abzeichnenden – neuen Aufgabenbereich gerecht werden. Wohl deshalb verfügte Hansen im Zuge der Umgestaltung, den ursprünglichen Widmungszusatz am Ehrenmal – »Ihr Vermächtnis: Frieden« – zu tilgen. Angesichts des neuen Auftrages der Bundeswehr als Einsatzarmee sollten dadurch »Missverständnisse (wie Frieden um jeden Preis)«412 ausgeschlossen werden. Gemeint war damit wohl vor allem, was General a.D. Ulrich de Maizière in seiner Gedenkansprache am Volkstrauertag 1994 am Ehrenmal des Heeres als »Friedhofsfriede[n] der Gewalt«413 bezeichnete, gemäß der römischen Maxime »si vis pacem para bellum«. Auch dem Missverständnis, dass die neue Auftragslage der Bundeswehr ausschließlich Soldaten für den Frieden vorsah, wollte er so vermutlich vorbeugen. Denn zur Erfüllung der UN-Auslandsmissionen waren und sind vor allem bewaffnete Soldaten nötig. Wie de Maizière sagte: »Aber – und das darf auch nicht verschwiegen werden – selbst der Dienst für den Frieden fordert Opfer. Nicht nur Opfer an Geld und Material, auch Opfer an Gesundheit und Leben. Wir gedenken daher heute mit Dankbarkeit und Trauer auch der Soldaten des Heeres, die seit Bestehen der Bundeswehr in Ausübung ihres Dienstes den Tod gefunden haben [...] Auch ihr Opfer steht im Zeichen des Vermächtnisses, das dieses Ehrenmal uns zuruft [...] den Frieden in Freiheit.«414

Als die Bundeswehr dann vor allem mit dem Einsatz in Afghanistan ab 2002 Gefallene zu beklagen hatte, dachte man in der Führungsebene der Bundeswehr über die Notwendigkeit eines Ehrenmals des Heeres nach, das deutlich stärker die eigenen Toten in den Fokus des Gedenkens rückt. Denn die Totenehrung im Rahmen eines epochenübergreifenden, historisch unspezifischen Heeres am Ehrenmal in Koblenz repräsentierte nur unzureichend die Gefallenen und Toten der Bundeswehr, deren Opfertod im Zusammenhang mit deutlich anderen Werten und veränderten militärischen Aufgaben steht als jener der Angehörigen von Kaiserlicher Armee oder Wehrmacht. So symbolisiert etwa der liegende Steinsoldat eher einen Krieg, der weitgehend auf klassischen Schlachtfeldern geführt wird. Die Heeressoldaten der Bundeswehr sehen sich dagegen zumeist mit sogenannten asymmetrischen Konflikten der unklaren Fronten und wechselnden Gegner, mit Terroranschlägen oder Selbstmordattentaten konfrontiert. Den Anstoß, das Ehrenmal auf der Festung Ehrenbreitstein den Bedürfnissen der Bundeswehr anzupassen, gab im Jahr 2004 Robert Bergmann von der Führungsebene des Heeres der Bundeswehr. Der General übte zu diesem Zeitpunkt das Kommando über das Zentrum Innere Führung in Koblenz aus. 2003 nahm er als Kommandeur an der UN-Mission »Kosovo Force« teil.415 Wohl nicht zuletzt die persönlichen 412 413 414 415

Schreiben Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres, Der Vorsitzende, an Uta Kuhl, 20.12.1994, BArch, B 497/2. Gründe für die Satzungsänderung des Kuratoriums und die Neugestaltung des Ehrenmals des Heeres (anonym, undatiert), BArch, B 497/2. Ansprache des Generals a.D. Ulrich de Maizière anläßlich der zentralen Gedenkfeier am Ehrenmal des Deutschen Heeres auf der Festung Ehrenbreitstein am 17.11.1994, BArch, B 497/2. Ebd. Vgl. Telefongespräch mit Ekkehard Herrmann, Vorsitzender Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres, am 6.9.2010.

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Erfahrungen des Generals im Kosovo und die zunehmende Zahl an toten und gefallenen Bundeswehrsoldaten in Afghanistan bewegten Bergmann zu seinem Schritt, ein Überdenken des Ehrenmals des Heeres zu fordern. Ganz im Sinne Bergmanns nahmen im Oktober 2004 Heeresinspekteur Budde und der Präsident des Ehrenmal-Kuratoriums Rüdiger Drews Gespräche auf. Beide Seiten einigten sich auf eine Modifizierung des Ehrenmals im Sinne der Bundeswehr. Die jährliche Mitgliederversammlung des Kuratoriums beschloss am 18. November 2004, das Ehrenmal durch eine Tafel zu ergänzen. Doch damit gab sich die Führung des Heeres der Bundeswehr nicht zufrieden. Denn auf diese Weise würde der Soldatentod im Rahmen des von der Wehrmacht geführten Angriffskrieges nahezu gleichgesetzt mit dem Tod von Bundeswehrsoldaten, die in einem völkerrechtlich legitimierten, bündnispolitischen Stabilisierungseinsatz der NATO in Afghanistan gefallen sind. Und so fasste die Mitgliederversammlung des Kuratoriums am 17. November 2005 den Beschluss, das Ehrenmal des Heeres zu erweitern.416 Gedacht war an eine Stele aus Stein, die etwas abgesetzt vom Ehrenmal errichtet werden sollte. Erklärtes Ziel war, zum einen durch die räumliche Trennung die Wehrmacht von der Bundeswehr symbolisch abzugrenzen und zum anderen den »Angehörigen und Kameraden Gefallener des Heeres der Bundeswehr im Rahmen des Ehrenmals einen Ort des Gedenkens, Besinnens und der Identifikation zu schaffen«417. Am Volkstrauertag 2006 wurde die pultartige, knapp einen Meter hohe Stele aus grauem Naturstein, die rechts vor dem eigentlichen Denkmal platziert ist, am Ehrenmal in Koblenz eingeweiht. Bei der Zeremonie war nicht nur Verteidigungs­ minister Jung anwesend; sogar Bundeskanzler a.D. Helmut Kohl (CDU) nahm teil und sprach zu den Versammelten.418 Die Stele, so äußerte sich Kuratoriumspräsident Drews noch am 14. November und damit wenige Tage vor ihrer Einweihung, sei zwar getrennt vom Ehrenmal, aber dennoch auf dieses bezogen, womit die »Gemeinsamkeit der Pflichterfüllung« und »die innere Verbundenheit aller Heeressoldaten über die Generationen«419 hinweg versinnbildlicht werden sollten. Auf ihrer angeschrägten Oberseite trägt die Stele in Lettern aus Bronze ihre Widmung: »Den Heeressoldaten / der Bundeswehr / die für Frieden, Recht und Freiheit / ihr Leben ließen.«420 416

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Vgl. E-Mail von Generalleutnant a.D. Rüdiger Drews an Oberstleutnant a.D. Konrad Gasper, 18.11.2004, BArch, B 497/3; Ergebnisniederschrift über die ordentliche Mitgliederversammlung des Kuratoriums Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V. am 18.11.2004, BArch, B 497/7; Ergebnis­ nieder­schrift über die ordentliche Mitgliederversammlung des Kuratoriums Ehrenmal des Deut­ schen Heeres e.V. am 17.11.2005, 9.1.2006, BArch, B 497/7. Ergebnisniederschrift über die ordentliche Mitgliederversammlung des Kuratoriums Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V. am 17.11.2005, 9.1.2006, BArch, B 497/7. Vgl. E-Mail von Generalleutnant a.D. Rüdiger Drews an Oberstleutnant a.D. Ekkehard Herrmann, 30.10.2005, BArch, B 497/3; Telefongespräch mit Ekkehard Herrmann, Vorsitzender Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres, am 6.9.2010; Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V., Das Ehrenmal des Deutschen Heeres, 14.2.2017, (letzter Zugriff 31.8.2018), Privatarchiv Julia Nordmann. E-Mail von Rüdiger Drews an Ekkehard Herrmann, 14.11.2006, BArch, B 497/4. Vgl. Ergebnisniederschrift über die ordentliche Mitgliederversammlung des Kuratoriums Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V. am 17.11.2005, 9.1.2006, BArch, B 497/7.



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Frieden, Recht und Freiheit – diese Grundwerte, wie sie auch die Eidesformel und das Soldatengesetz für den Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland nennen, waren für Heeresinspekteur Budde zentral bei der Auswahl der Widmung. Dieser Brückenschlag zum Wertekanon der Bundesrepublik schloss darüber hinaus nicht nur die Gefallenen der Bundeswehr, sondern auch ihre Unfalltoten mit ein.421 Altbundeskanzler Kohl würdigte in seiner Gedenkansprache zur Einweihung der Stele die Toten und Gefallenen des Heeres der Bundeswehr und wies darauf hin, dass auch künftig mit Opfern der Bundeswehr durch die UN-Missionen zu rechnen sei: »ihr Tod schmerzt uns und führt uns vor Augen, wie gefährlich Einsätze sind«422. Die Erwartungen der Bundeswehr, die mit der Modifizierung des Ehrenmals des Heeres und mit der Aufstellung der Stele verbunden waren, erfüllten sich. Ab dem Volkstrauertag 2006 verschoben sich das Gedenken und das Trauern am Ehrenmal des Heeres sukzessive in Richtung der Toten der Bundeswehr. Die Opfer der beiden Weltkriege bleiben allerdings prominenter Bestandteil der Zeremonien und Ehrungen. Besonders deutlich lässt sich diese Verschiebung in Richtung Bundeswehr z.B. anhand der Ansprache zeigen, die Heeresinspekteur Kasdorf anlässlich des Volkstrauertages 2014 vortrug. Kasdorf forderte, die Bundeswehr müsse aktiv »für Freiheit und Recht«, »für Gerechtigkeit und Humanität« eintreten. Und darum sei es richtig, »dass wir heute am Ehrenmal des Heeres auch an jene erinnern, die seit dem Bestehen der Bundeswehr genau für diese Werte ihr Leben gelassen haben – in Ausbildung und Einsatz. Ihrer zu gedenken steht zunehmend im Mittelpunkt unseres Traditionsverständnisses, denn wir verfügen nach fast sechs Jahrzehnten unseres Bestehens über eine eigene Geschichte.«423

Anlässlich des Volkstrauertages 2015 ging der evangelische Militärbischof Sigurt Rink in seiner Rede noch einen Schritt weiter und regte eine prinzipielle gesellschaftliche Neuerschließung des Volkstrauertages an. Das historische Gedenken, so Rink, solle einem Gedenken an die Toten aktueller Konflikte weichen, unter besonderer Berücksichtigung der Opfer der Bundeswehr.424 Heute scheint sich anlässlich des Volkstrauertages – die Gedenkfeier findet traditionell am Donnerstag nach dem Volkstrauertag statt und wird gemeinsam vom Inspekteur des Heeres und dem Präsidenten des Ehrenmal-Kuratoriums geleitet – eine Art Zweiteilung des Gedenkens am Ehrenmal des Heeres zu etablieren: Die Soldaten der Bundeswehr, die Befehlshaber von Heeresführungskommando 421

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Vgl. Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten (Soldatengesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 30. Mai 2005 (BGBL. I, S. 1484), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 8. Juni 2017 (BGBL. I, S. 1570) geändert worden ist, § 9 Eid und feierliches Gelöbnis, (letzter Zugriff 6.9.2021); E-Mail von Generalleutnant a.D. Rüdiger Drews an Oberstleutnant a.D. Konrad Gasper, 18.10.2004, BArch, B 497/3. Das Ehrenmal des Deutschen Heeres, 14.2.2017, (letzter Zugriff 31.8.2018), Privatarchiv Julia Nordmann. Rede des Inspekteurs des Heeres anlässlich der Feierstunde am Ehrenmal des Deutschen Heeres am 20.11.2014, (letzter Zugriff 20.6.2016), Privatarchiv Julia Nord­mann. Vgl. Schwendel, Gedenkfeier zum Volkstrauertag am Ehrenmal des Heeres, 3.12.2015, (letzter Zugriff 20.6.2016), Privatarchiv Julia Nordmann.

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und Heeresamt legen ihre Kränze an der Stele ab, der Inspekteur des Heeres, der Kuratoriumspräsident sowie der Bürgermeister von Koblenz platzieren die ihren in der Nische des Ehrenmals. So möchte man allen Gruppen von soldatischen Opfern gerecht werden.425 Durch die Widmungserweiterung von 1994 und die separate Stele wurde das ursprünglich nur für die Toten und Gefallenen der Weltkriege gedachte Ehrenmal des Deutschen Heeres zum Wegweiser hin zu einer eigenständigen offiziellen Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr. Darüber hinaus besaß es trotz seiner zurückgenommenen und wenig monumentalen Ausführung unzweifelhaft eine Art Vorbildcharakter für das Ehrenmal der Bundeswehr in Berlin.426 Seit dem 22.  März 2019 ergänzt ein »Raum der Information. Ehrenmal des Deutschen Heeres« die Gedenkstätte. Eingerichtet in einem ehemaligen Quartier für Wachsoldaten, liegt er in einiger Entfernung zum Ehrenmal, am Hauptweg der Festung Ehrenbreitstein. Die Idee zu dieser Erweiterung stammt von Thomas Metz, dem Leiter der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz. Im Herbst 2014 konnte er das Kuratorium von seinen Vorstellungen überzeugen, und man einigte sich auf eine Teilung der Kosten: Das Land Rheinland-Pfalz finanziert Umbau und Renovierung des Raumes, das Kuratorium dessen Ausgestaltung. Darüber hinaus übernahm das Kuratorium die Konzeption der Ausstellung. Für ein entsprechendes Curriculum beauftragte es eine Arbeitsgruppe aus Historikern und Angehörigen vom Zentrum Innere Führung. Im April 2015 billigte Budde, Präsident des Kuratoriums, die Konzeption, und Oberstleutnant a.D. Werner Hinrichs, Vorsitzender des Kuratoriums, setzte sie um.427 Inhaltlich beschäftigt sich die Ausstellung mit dem Wandel des militärischen Totengedenkens, seinen Erscheinungsformen wie Monumenten und Zeremonien sowie seinen Sinngebungen. Ihren zeitlichen Anfang nimmt sie bei den Eini­gungs­ kriegen, widmet sich dann den Weltkriegen und schließlich dem Toten­gedenken im Rahmen der Bundeswehr. Die Ausstellung folgt einer Dreiteilung und setzt einen deutlichen Schwerpunkt auf die Region von Koblenz. Der erste Teil thematisiert die militärische Gedenkkultur der Bundeswehr, ihre zentralen Stätten der Würdigung wie das Ehrenmal der Bundeswehr und den Wald der Erinnerung sowie die Gedenkstätten von Luftwaffe und Marine. Den Mittelpunkt der Ausstellung bildet im zweiten Teil die Erörterung des Ehrenmals des Deutschen Heeres. Beleuchtet werden die Entstehungsgeschichte, die Ausgestaltung und die Wandlungen seit seiner Einweihung 1972. Der dritte und regional geprägte Teil prä425

426

427

Vgl. Telefongespräch mit Ekkehard Herrmann, Vorsitzender Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres, am 6.9.2010; Müller, Deutsches Heer ehrt auf Ehrenbreitstein Gefallene, 22.11.2019, (letzter Zugriff 6.9.2021); Hettling, Gefallenengedenken – aber wie?, S. 71. Die Widmung der Stele am Ehrenmal des Deutschen Heeres war Vorbild für die Inschrift des Ehren­mals der Bundeswehr. Vgl. Telefongespräch mit Ekkehard Herrmann, Vorsitzender Kura­to­ rium Ehrenmal des Deutschen Heeres, am 6.9.2010. Vgl. E-Mail von Oberstleutnant a.D. Werner Hinrichs, Vorsitzender Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres, an die Autorin am 6.3.2020.



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sentiert ausgewählte militärische Gedenkorte – Denkmäler und Monumente, aber auch einzelne Findlinge, Steinplatten oder Statuen – in der Garnison und im Raum Koblenz. Errichtet wurden diese in einem Zeitraum von mehr als 100 Jahren zwischen den 1860er- und den 1970er-Jahren. Auftraggeber waren einzelne Regimenter, Kriegervereine, das Offizierkorps des VIII. Korps der Preußischen Armee, aber auch einige Gemeinden und Kameradschaften.428 Auf diese Weise setzt die Ausstellung das Ehrenmal des Deutschen Heeres nicht nur in Beziehung zu den Kriegerdenkmälern der Region, sondern verbindet es darüber hinaus mit dem Totenkult der Veteranen nach 1949 und dem militärischen Totengedenken der Bundeswehr. Im Rahmen dieser Ausstellung präsentiert das Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres zugleich aber auch ein reduziertes Geschichtsbild, das die Rolle der Wehrmachtveteranen bei Entstehung des Ehrenmals und deren Verständnis von Heldentum und Opfertod deutlich marginalisiert. Die folgende Betrachtung der Ausstellung rückt die Tafeln über die Ehrenmale der Teilstreitkräfte in den Mittelpunkt, insbesondere diejenige des Ehrenmals des Heeres. Dadurch lässt sich umreißen, auf welche Weise das Kuratorium die eigene Vergangenheit wahrnimmt und wie es den historischen Kontext des Gefallenengedenkens der Wehrmachtveteranen reflektiert – oder ob es diesem überhaupt Raum widmet. Vier gläserne und illuminierte Schautafeln präsentieren Bilder, Beschreibungen und die jeweilige Geschichte des Ausstellungsgegenstandes. Der Beitrag über das Marine-Ehrenmal wurde nicht von den Ausstellungsmachern verfasst, sondern von Jann M. Witt, Historiker beim DMB. Auch der Beitrag zum Ehrenmal der Bundeswehr ist eine Übernahme. Verantwortlich zeichnet der Presse- und Infor­ma­ tions­stab des BMVg.429 Bei näherer Betrachtung der Texte über die Ehrenmale von Luftwaffe und Heer fällt auf, dass diese den Begriff »Wehrmacht« vermeiden. Die Initiatoren dieser Ehrenmale – Wehrmachtveteranen allesamt – werden als »Kriegsheimkehrer der deutschen Luftwaffe«430 bzw. im Falle des Heeres als »Kriegsteilnehmer«431 verklausuliert. Auf diese Weise werden der historische und der politische Kontext sowie wesentliche Motive für die Entstehung dieser Anlagen verwässert. Denn auch sie dienten, wie be428

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430 431

Vgl. ebd. und Auszug Ausstellungskonzept Raum der Information; Schautafel Bundeswehr: Das Ehrenmal der Bundeswehr (Text: BMVg, Presse- und Informationsstab, Oktober 2014), Der Wald der Erinnerung; Schautafel Teilstreitkräfte: Das Marine-Ehrenmal: Von der Heldengedenkstätte zum Friedensmahnmal im Raum der Information am Ehrenmal (Text: Jann M. Witt), Das Ehrenmal der Luftwaffe; Schautafel: Das Ehrenmal des Deutschen Heeres; Schautafel: Denkmäler Koblenz, Privatarchiv Julia Nordmann. Die Autorin dankt Oberstleutnant a.D. Werner Hinrichs, Vorsitzender des Kuratoriums Ehrenmal des Deutschen Heeres, dass er ihr diese Materialien sowie die Abbildungen und Texte der im Folgenden genannten Schautafeln zugänglich gemacht hat. Vgl. Schautafel Teilstreitkräfte: Das Marine-Ehrenmal: Von der Heldengedenkstätte zum Friedens­ mahn­mal im Raum der Information am Ehrenmal (Text: Jann M. Witt), Das Ehrenmal der Luft­waffe; Schautafel Bundeswehr: Das Ehrenmal der Bundeswehr (Text: BMVg, Presse- und Informationsstab, Oktober 2014), Der Wald der Erinnerung. Schautafel Teilstreitkräfte: Das Marine-Ehrenmal: Von der Heldengedenkstätte zum Friedens­mahn­ mal im Raum der Information am Ehrenmal (Text: Jann M. Witt), Das Ehrenmal der Luftwaffe. Vgl. Schautafel: Das Ehrenmal des Deutschen Heeres.

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reits an anderer Stelle beschrieben, nicht nur dem reinen Gedenken, der Erinnerung und der Würdigung der Gefallenen der Wehrmacht, sondern nicht zuletzt auch dem Versuch, die Biografien der Stifter in der NS-Diktatur und im Krieg zu bereinigen. Hier hätte die Ausstellung mehr auf die Initiatoren und Schirmherren der Ehrenmale eingehen und deren Rolle im Zweiten Weltkrieg darstellen müssen. Denn jede dieser Stätten war und ist keineswegs nur als »Denkmal der Kameradschaft«432 zu lesen, wie es etwa der Text über das Ehrenmal der Luftwaffe nahelegt. Das Marine-Ehrenmal versucht zwar, sich von dieser eingeschränkten Sichtweise mit dem Hinweis abzuheben, das Ehrenmal setze sich als »Lern-und Erinnerungsort [...] mit der deutschen Geschichte bewusst«433 auseinander. Jedoch reflektiert auch dieser Text weder die Rolle der Kriegsmarine und ihrer Führung noch die mit dem Totengedenken am Ehrenmal verbundenen erinnerungspolitischen Absichten. Längst wird das Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres von Soldaten geleitet, die ausschließlich in der Bundeswehr gedient haben. Gerade sie könnten, da das Ehrenmal einen herausgehobenen Platz in der Erinnerungskultur der Bundeswehr innehat, der Gedenkstätte mittels des Raumes der Information Impulse für eine kritischere Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte verleihen.

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Schautafel Teilstreitkräfte: Das Marine-Ehrenmal: Von der Heldengedenkstätte zum Friedens­mahn­ mal im Raum der Information am Ehrenmal (Text: Jann M. Witt), Das Ehrenmal der Luftwaffe. Vgl. Schautafel: Das Ehrenmal des Deutschen Heeres.

VIII. Das Fundament einer militärischen Gedenkkultur: Das Ehrenmal der Bundeswehr und der Wald der Erinnerung »Staat und Gesellschaft haben eine Verpflichtung, alle, die infolge der Ausübung ihrer Dienstpflichten für die Bundesrepublik Deutschland ihr Leben verloren haben, in würdiger Erinnerung zu behalten.«1

Dieses Ansinnen, das Verteidigungsminister Jung am 27. November 2008 bei der Grundsteinlegung für das Ehrenmal der Bundeswehr im Berliner Bendlerblock erhob, war nicht nur Ausdruck eines vorsichtigen Paradigmenwechsels hinsichtlich der Würdigung getöteter und gefallener Bundeswehrsoldaten. Jung forderte nicht weniger ein als den Aufbau einer offiziellen und öffentlichen Trauer- und Gedenkkultur für die Bundeswehr und die Bundesrepublik Deutschland. Im Mai 1995, anlässlich der Vorbereitungen zur Feier des 40. Geburtstages der Bundeswehr (12.  November 1995), führte Oberst Günther Kruse – der Sonder­ beauf­tragte 40 Jahre Bundeswehr – in den Führungsstäben der Teilstreitkräfte eine Befragung zum Umgang der Bundeswehr mit ihren Toten durch. Im Gespräch war ein zentraler Gedenkstein auf dem Gelände des BMVg in Bonn.2 »Die Notwendigkeit eines Gedenksteins im BMVg«, berichtete Kruse in einem Schreiben an Verteidi­ gungs­minister Rühe, »wird überwiegend nicht gesehen«.3 Die Führungs­stäbe, so Kruses Begründung, sähen das nach Teilstreitkräften getrennte Gedenken an den Ehrenmalen von Heer, Luftwaffe und Marine als hinreichend an. Darüber hinaus warnten sie auch vor der »Außen- und Binnenwirkung«4 eines solchen zentralen Gedenksteins. Kruse bezog sich dabei u.a. wohl auf Aussagen wie die aus dem FüL. Denn dessen Angehörige gaben zu bedenken, dass aufgrund der historisch bedingten Diskreditierung deutscher Militäreinsätze eine solche zentrale Würdigung toter 1

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Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Franz Josef Jung anlässlich der Grundsteinlegung für das Ehrenmal der Bundeswehr am 27.11.2008 in Berlin, (letzter Zugriff 28.6.2016), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. den Schriftwechsel zwischen dem Sonderbeauftragten 40 Jahre Bundeswehr, Oberst Günter Kruse, und den Führungsstäben der Teilstreitkräfte, BArch, BW 2/25478; Schreiben des Sonder­ beauftragten 40 Jahre Bundeswehr an den BM der Verteidigung Volker Rühe, Betr.: Überlegungen zum Totengedenken anläßlich 40 Jahre Bundeswehr, 22.5.1995, BArch, BW 2/25478. Schreiben des Sonderbeauftragten 40 Jahre Bundeswehr an den BM der Verteidigung Volker Rühe, Betr.: Überlegungen zum Totengedenken anläßlich 40  Jahre Bundeswehr, 22.5.1995, BArch, BW 2/25478. Ebd.

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Bundeswehrsoldaten leicht in den Geruch eines neuen »Heldengedenkens«5 geraten könne. Zehn Jahre später hatte sich die Ausgangssituation für einen zentralen Ort des öffentlichen und offiziellen Gedenkens für getötete Bundeswehrsoldaten grundlegend geändert. Vor allem die UN-Missionen auf dem Balkan, an denen die Bundeswehr teilnahm, sowie der deutsche Einsatz in Afghanistan bedingten diesen Wandel.6 Nun standen die Bundeswehr und die Bundesrepublik ganz konkret vor der Frage, wie mit den deutschen Opfern dieser Missionen und der Erinnerung an sie umgegangen werden sollte. Denn die bestehenden kameradschaftlichen und binnenmilitärischen Gedenkformen erwiesen sich zunehmend als unzureichend. Insbesondere die deutschen Gefallenen des Einsatzes in Afghanistan, die in einem, wenn auch nicht erklärten Krieg starben, machten die »Leerstelle in den Gedenkformen an militärische Tote«7 deutlich, wie Hettling konstatierte. Im Sommer 2006 kündigte Jung in der Wochenzeitung Die Zeit erstmals öffentlich seine Absicht an, auf dem Gelände des zweiten Dienstsitzes des BMVg in Berlin nicht nur einen Gedenkstein, sondern ein zentrales Ehrenmal für jene Soldaten der Bundeswehr zu errichten, die im Dienst sterben: »Gewiss, über mangelnde öffentliche Anteilnahme können sich die Angehörigen nach Unglücks­fällen nicht beklagen. Doch bald darauf folgt die Routine, und es fällt auf, dass ein zentraler Gedenkort fehlt [...] Aus diesen Gründen habe ich entschieden, ein zentrales, öffentlich zugängliches Ehrenmal der Bundeswehr errichten zu lassen. Es wird dem Gedenken an alle getöteten Soldaten und zivilen Angehörigen der Bundeswehr gewidmet.«8

Diese Ankündigung des Verteidigungsministers in der Presse markierte nicht weniger als den wohl entscheidenden Paradigmenwechsel im Zusammenhang mit dem Totengedenken in der Bundeswehr und darüber hinaus auch in der deutschen Gesellschaft. Denn erstmals wollte ein Verteidigungsminister und Regierungsvertreter die Toten der Bundeswehr offiziell ins Zentrum staatlichen und öffentlichen Gedenkens und damit in den Mittelpunkt der Gesellschaft rücken. Um so wohl auch zu betonen: Diese Soldaten sind für Deutschland gestorben. Wegbereiter für diese Zäsur waren nicht zuletzt die Kameraden der deutschen Opfer. Denn sie waren es, die in den Feldlagern der Auslandseinsätze für die Toten und Gefallenen aus ihren Reihen erste, sehr persönliche Erinnerungsorte schufen und auf diese Weise das existenzielle Bedürfnis der Soldaten offenbarten, ihren to5 6 7 8

Schreiben FüL  I  3 an den Sonderbeauftragten 40 Jahre Bundeswehr Oberst Günter Kruse, 5.5.1995, BArch, BW 2/25478. Siehe Kap. V.2.b. Hettling, Militärisches Ehrenmal oder politisches Denkmal?, S. 132. »Nicht vergessen«. In: Die Zeit, 29.6.2006. Nach eigener Aussage hatte Verteidigungsminister Jung bei seiner ersten Reise im Amt zu den in Afghanistan stationierten Bundeswehrsoldaten im Dezem­ ber 2005 die Idee für die Errichtung eines zentralen Ehrenmals. Während des Besuches der kameradschaftlichen Gedenkstätte in Camp Warehouse in Kabul erkannte der Minister das Bedürfnis der Soldaten, ihrer getöteten Kameraden zu gedenken. Ferner sah er die dringende Notwendigkeit eines offiziellen und öffentlichen Totengedenkens für die gesamte Bundeswehr. Vgl. auch: Bedürfnis nach Trauer. In: aktuell. Zeitung für die Bundeswehr, 31.8.2009, S. 3; BMVg, Das Ehrenmal der Bundeswehr, S. 47‑49.



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ten Kameraden ein würdiges und möglichst dauerhaftes Andenken zu bewahren. Ein aussagekräftiges Beispiel für dieses Bedürfnis gab Unteroffizier Boris Schmuda, der am Auslandseinsatz in Afghanistan teilnahm und den Selbstmordanschlag vom 19.  Mai 2007 auf dem Marktplatz von Kunduz überlebte. Er kritisierte, dass alle anderen am UN-Einsatz teilnehmenden Nationen ihre Toten dauerhaft und offiziell ehrten. »Aber wir? Eine Trauerfeier, eine Flagge über den Sarg und dann?«9 Wiederholt trugen Soldaten im Auslandseinsatz ihren Wunsch nach einem zentralen Gedenkort für die toten Kameraden in Deutschland an Generalinspekteur Schneiderhan heran, der das Amt von 2002 bis 2009 bekleidete.10 Auch der Wehr­ beauftragte Robbe forderte bereits in seinem Jahresbericht 2005, »den mit Gefahr für Leib und Leben verbundenen Dienst der Soldatinnen und Soldaten stärker als bisher in den Fokus des gesellschaftlichen Interesses zu stellen. Es geht darum, den Soldatenberuf nicht wie ›irgendeinen Job‹ zu betrachten, sondern vielmehr jede Gelegenheit der öffentlichen Würdigung und Anerkennung zu nutzen, ideell und materiell.«11

Eine ähnliche Forderung erhob auch Horst Schuh, Oberst der Reserve, Truppen­ psycho­loge und Fachmann für Trauerarbeit, der sich der Trauerbegleitung von Soldaten im Kosovo, in Bosnien und in Afghanistan widmete. In einem Interview betonte er, einen Soldatenfriedhof wie Arlington brauche man nicht. Wohl aber eine zentrale Gedenkstätte. Diese sei durch nichts zu ersetzen, weil nicht nur die Bundes­ wehr, sondern die gesamte Gesellschaft über eine öffentliche Form des Trauerns, des Gedenkens und des Erinnerns nachdenken müsse.12 Dadurch, dass die Bundeswehr bis in die 1990er-Jahre hinein zwar eine Armee in Bereitschaft, aber nie im Einsatz war, trat das Fehlen einer zentralen Gedenkstätte für ihre Toten über Jahrzehnte in den Hintergrund. Erst die Toten und Gefallenen der UN-Auslandseinsätze offenbarten diese militär- und gesellschaftspolitische Lücke. Denn sowohl für die Bundeswehr als auch für die Bundesrepublik begründet es einen fundamentalen Unterschied, ob einer ihrer Soldaten etwa beim Dienst im Inland tödlich verunglückt oder ob er während einer UN-Mission im Ausland stirbt. Im Rahmen eines Auftrags also, den der Soldat im Namen der Nation freiwillig übernimmt und für den er sich dadurch als aktiv Handelnder im Fall seines Todes auch aktiv opfert. Auf diese Weise wird sein Sterben zur öffentlichen Angelegenheit, das auch einer öffentlichen, politischen Rechtfertigung und Sinnstiftung, einer offiziellen und öffentlichen Würdigung und eines offiziellen und öffentlichen Trauerns und Gedenkens bedarf. Ein zentrales Denkmal für die Toten der Bundeswehr ist damit nicht nur ein Ort des Trauerns und Gedenkens, sondern auch der Versuch einer Sinnstiftung.13 9 10 11 12 13

Schmuda, Trauma, Ehre, Anerkennung?, S.  197  f. Vgl. Gramann, Gedenken für die Zukunft, S. 68. Vgl. Spangenberg, »Aus dem öffentlichen Gedächtnis getilgt«. In: Main-Echo, 4.1.2006. Vgl. Deutscher Bundestag, 16.  Wahlperiode, Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten, Jahresbericht 2005 (Drucksache 16/850), 14.3.2006, S. 4. Vgl. Spangenberg, »Aus dem öffentlichen Gedächtnis getilgt«. In: Main-Echo, 4.1.2006. Vgl. Leonhard, Die zivil-militärischen Beziehungen, S. 128‑130.

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Darüber hinaus übt ein zentrales Denkmal entscheidenden Einfluss auf die Wahrnehmung des Soldatenberufs aus. Und es verändert ihn. Denn es zeigt, dass der mögliche Tod im Einsatz untrennbar mit der militärischen Arbeit verbunden ist und die Tätigkeit des Soldaten daher keineswegs – wie Baudissin einst behauptete – ein Beruf wie jeder andere sei und der Soldatentod nur eine »Nebenfolge«14 des Auftrages. Verwundung und Tod sind spätestens seit Afghanistan keine abstrakten Begriffe mehr in der Bundeswehr, sondern gehören mittlerweile zur Identität des Soldaten und zur Wahrnehmung seines Berufes. Dieses veränderte professionelle Selbstbild muss sich aber auch in der Erinnerungskultur der Bundeswehr widerspiegeln. Denn: »Wer mit dem Tod rechnen muss, möchte Gedenken.«15 Dieses von der Publizistin Cora Stephan auf den Punkt gebrachte Statement formuliert das Bedürfnis nach Würdigung und im schlimmsten Fall auch nach dauerhafter Erinnerung, das wohl jeder Soldat verspürt, der sich in einen lebensgefährlichen Einsatz begibt. Das binnenmilitärische, das kameradschaftliche Erinnern, verbunden mit einem offiziellen und öffentlichen Totengedenken, kann dieses Bedürfnis erfüllen.16 Auf diesen Wunsch nach einem militärischen und in der Gesellschaft der Bundesrepublik verankerten Totengedenken reagierte 2018 schließlich auch das BMVg. Es modifizierte die Traditionsrichtlinien per Erlass und erklärte sowohl das binnenmilitärische wie das offizielle und öffentliche Gedenken an die Toten der Bundeswehr zum elementaren Bestandteil der Traditionspflege. Zudem grenzt sich die Bundeswehr mit der nun deutlicher als im Erlass von 1982 formulierten Aussage, dass sie keine Traditionen früherer deutscher Streitkräfte pflegen wolle, nun auch deutlich vom Totenkult für die Gefallenen der Wehrmacht ab. Die neuen Richtlinien erklären zwar vor allem die Pflege von Denkmälern und Monumenten für die Gefallenen vergangener Kriege zum Teil der Traditionspflege. Dabei aber sei darauf zu achten, dass dieses Würdigen und Erinnern ohne übertriebenes Heldenpathos und im Rahmen der in der Bundesrepublik üblichen Gedenkformel: »Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft« zu erfolgen habe.17 Der Erlass erklärt das Ehrenmal der Bundeswehr in Berlin zum zentralen Ort für das offizielle und öffentliche Gedenken an alle militärischen und zivilen Angehörigen der Bundeswehr, die in Ausübung ihrer Dienstpflichten ihr Leben verloren haben. Darüber hinaus stellt er dem Ehrenmal den Wald der Erinnerung in Potsdam als Ort individueller Trauer ergänzend zur Seite. Und die Ehrenmale von Heer, Marine und Luftwaffe, aber auch binnenmilitärische Ehrenhaine, kameradschaftliche Stelen oder Gedenksteine sowie Namenspatronagen schließt der Erlass ebenso in die neue Gedenkkultur der Bundeswehr ein.18

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Vgl. Baudissin, Beitrag des Soldaten zum Dienst am Frieden, S. 41. Siehe Kap. IV.3. Stephan, Militärische Tradition als gesellschaftliche Frage, S. 30. Vgl. Hartmann, Der gute Soldat, S. 87 f. Vgl. Erlass »Die Tradition der Bundeswehr«, 28.3.2018. Abgedr. in: Tradition in der Bundeswehr, S. 282‑295, hier Ziff. 4.7, S. 292. Vgl. ebd.



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Teile der deutschen Öffentlichkeit betrachten das Totengedenken der Bundeswehr mit Argwohn, weil sie darin auch eine Sakralisierung, eine Heroisierung des Soldatentodes zu erkennen glauben. Diese Sorge teilen noch heute manche Politiker. Die entschiedene Reserviertheit gegenüber der Gleichsetzung von Gräbern gefallener Bundeswehrsoldaten mit denen von Weltkriegstoten, wie sie auch das Bundesministerium der Verteidigung offiziell teilt, mag ein Beispiel dafür sein. Diese Distanz zeigt sich zum Beispiel auch in der ursprünglichen Ablehnung der SPD-Fraktion in Brackwede, den in Afghanistan gefallenen Bundeswehrsoldaten Martin Kadir Augustyniak mit einer Namenspatronage im öffentlichen Raum zu ehren. Und die Tatsache, dass sich der Bundestag erst Ende 2020 durchringen konnte, eine Gedenkstele für die im Ausland getöteten Soldaten vor dem Sitzungssaal des Verteidigungsausschusses einzuweihen, unterstreicht diesen Sachverhalt ebenso.19 Auch die bisher gelebte Erinnerungskultur der Bundeswehr für ihre Toten, die weder eine Heroisierung noch eine Sakralisierung des soldatischen Opfers praktizierte, konnte die offenbar gesellschaftlich tief verwurzelte Skepsis gegen jedwedes militärische Totengedenken bislang nicht beseitigen. Daran änderte auch die öffentliche Beteuerung der Bundeswehr, beim Ehrenmal und beim Wald der Erinnerung gehe es eben »nicht um Heldenverehrung, sondern vor allem um Respekt«20, nur wenig. Ende 2020 resümierte Generalleutnant Pfeffer, es sei für die Bundeswehr immer noch nicht einfach, eine Erinnerungskultur einzuführen, »die grundlegenden gesellschaftlichen Rückhalt findet«. Denn zu groß sei die Sorge, so Pfeffer, eine Gedenkkultur zu etablieren, »die Viele mit Unrechtsregimen vergangener Zeiten verbinden«21. Im Folgenden sollen als wegweisende Beispiele der neuen militärischen Memorial­ kultur der Bundesrepublik das Ehrenmal der Bundeswehr in Berlin-Tiergarten und der Wald der Erinnerung in Potsdam-Schwielowsee dargestellt werden. Ersteres dient heute, wie im neuen Traditionserlass festgelegt, als offizieller und öffentlicher Mittelpunkt des Trauerns und Gedenkens für die Toten der Bundeswehr. Der »Wald« ist zwar ebenso öffentlich zugänglich, fungiert jedoch mehr als binnenmilitärische Stätte der Erinnerung.

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Vgl. Kap. VI.2.d; Weiz, Tote, 16.2.2017, (letzter Zugriff 6.9.2021); Vieth, Gefallen in Afghanistan, 26.8.2020, (letzter Zu­ griff 6.9.2020); Gedenkstele, 19.11.2020, (letzter Zugriff 6.9.2020). Im Gedenken an dieToten der Bundeswehr, (letzter Zugriff 6.9.2021); vgl. auch: Fachgespräch im BMVg mit Oberstleutnant Ralf Kimmerle, FüSK III 2 – Referat Betreuung und Fürsorge, und Oberst i.G. Walter Schulte, Leiter des Referats Betreuung und Fürsorge, am 27.5.2020. Rede Befehlshaber Einsatzführungskommando der Bundeswehr Generalleutnant Pfeffer anlässlich der Einweihungs- und Gedenkveranstaltung des Ehrenhains KFOR und des Totengedenkens am 17.11.2020, (letzter Zugriff 6.9.2021).

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1. Das Ehrenmal der Bundeswehr in Berlin-Tiergarten Das Ehrenmal der Bundeswehr im Berliner Bendlerblock ist formal allen Angehörigen der Bundeswehr – den Soldaten und den zivilen Mitarbeitern – gewidmet, die seit Aufstellung der Streitkräfte im November 1955 im Dienst ihr Leben verloren haben. Bis heute sind dies mehr als 3300  militärische und zivile Angehörige der Bundeswehr. Die Einweihung des Ehrenmals erfolgte am 8. September 2009.22 Bei der Zeremonie waren Bundespräsident Köhler als höchster Repräsentant der Bun­ des­republik, Verteidigungsminister Jung, führende Vertreter der Bundeswehr, die beiden Militärbischöfe sowie Personen »aus dem parlamentarischen Raum und des öffentlichen Lebens«23 anwesend. Neben Köhler und Jung hielt unter anderen auch der Vater eines im Dienst getöteten Bundeswehrsoldaten eine Ansprache.24 In seiner Rede zur Einweihung des Ehrenmals betonte Jung – beinahe so, als wolle er zum einen Baudissins Diktum vom Tod als »Nebenfolge«25 des Soldatenberufs noch einmal ausdrücklich widersprechen und zum anderen auf den Wandel der Bundeswehr zu einer Einsatzarmee hinweisen – ausdrücklich den potenziell stets lebensgefährlichen Militärdienst: »Vielmehr kommt es darauf an zu verdeutlichen, wie Soldatinnen und Soldaten das in der Gelöbnis- und Eidesformel geforderte treue Dienen nicht selten mit dem Leben bezahlen.«26 Mit dem Ehrenmal in Berlin verfügt die Bundeswehr erstmals über einen zentralen Ort des Trauerns und des Gedenkens, der ausschließlich den eigenen Opfern – und zwar den Unfalltoten ebenso wie den Gefallenen, den im Inland ebenso wie den im Ausland gestorbenen Soldaten – gewidmet ist. Zum entscheidenden Kriterium wurde daher der Zusammenhang zwischen Pflichterfüllung und Tod.27 Die ursprünglichen Pläne für das Berliner Ehrenmal aus dem Jahr 2006 sahen vor, es ausschließlich den Toten der Auslandseinsätze zuzueignen. Davon allerdings nahmen BMVg und Bundeswehr Abstand. Denn zum einen würde ein solches Vorgehen erneut die überwältigende Mehrheit der Toten der Bundeswehr – weniger als vier Prozent aller Opfer der Bundeswehr starben im Einsatz – übergehen, und es würden Tote erster und zweiter Klasse geschaffen. Zum anderen könnte ein Denkmal nur für die Toten der UN-Missionen leicht den Eindruck erwecken, dass der Bundeswehrdienst nur im Ausland gefährlich sei oder dass die Bundeswehr möglicherweise nur unzureichend auf die UN-Einsätze vorbereitet sei.28 Vgl. BMVg, Das Ehrenmal der Bundeswehr, S. 5, 55; Erinnerungsorte der Bundeswehr, S. 134 f.; Todesfälle in der Bundeswehr infolge der Ausübung des Dienstes, Stand: 30.8.2021, (letzter Zugriff 6.9.2021). 23 BMVg, Das Ehrenmal der Bundeswehr, S. 55. 24 Vgl. Umstrittenes Ehrenmal der Bundeswehr eingeweiht. In: Die Welt, 8.9.2009. 25 Vgl. Baudissin, Beitrag des Soldaten zum Dienst am Frieden, S. 41. 26 Jung, Wir sind es unseren Soldaten schuldig, S. 5. 27 Vgl. BMVg, Das Ehrenmal der Bundeswehr, S. 5. 28 Vgl. Lehming, In unserem Namen. In: Der Tagesspiegel, 21.2.2006. Bei insgesamt mehr als 3300 Bundeswehrtoten sind 115 Todesfälle im Auslandseinsatz weniger als vier Prozent; Libero, Tod im Einsatz, S. 56; Naumann, Soldatentod, S. 73. 22



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Mit seiner kollektiven Widmung holte das Ehrenmal der Bundeswehr auch formal und öffentlich und offiziell die Würdigung all jener Soldaten nach, die während des Kalten Krieges bei Unfällen im Dienst ihr Leben verloren. Das Ehrenmal der Bundeswehr erhebt sich am hinteren Rand des weiträumigen Außenhofes des sogenannten Bendlerblocks im Berliner Ortsteil Tiergarten an der Stauffenbergstraße 18. Im Innenhof des Bendlerblocks richteten die National­ sozialisten nach dem fehlgeschlagenen Attentat auf Hitler und dem missglückten Staatsstreich in der Nacht vom 20. auf den 21. Juli 1944 herausragende An­führer des Widerstandes hin: Oberst i.G. Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seinen Adjutanten Oberleutnant Werner von Haeften, General der Infanterie Friedrich Olbricht sowie Oberst i.G. Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim. Heute befindet sich im Innenhof des Bendlerblocks die Gedenkstätte Deutscher Wider­stand.29 Das Ehrenmal der Bundeswehr ist ein rechteckiger, aufgrund seiner Maße von acht Metern Breite und 32 Metern Länge riegelartig wirkender Körper, etwa zehn Meter hoch und zusammengesetzt aus Stahlbeton-Segmenten. Den Bau umhüllt eine Art filigrane Haut aus Bronze. In diese Metallschicht sind Aussparungen gestanzt, die sich gleich den Zeichen einer Schrift zu Zeilen reihen und die Hülle durchbrechen. Die gelochten Zeichen – sie ähneln ganzen oder halben (abgetrennten) Erkennungsmarken von Soldaten – entsprechen dem Strich bzw. dem Punkt des Morsealphabets und codieren den Text des Soldatengelöbnisses, den Eid der Zeitund Berufssoldaten und den Amtseid der Wehrverwaltung.30 Die Architektur des Ehrenmals spielt mit Licht und Raum, mit Grenzen, Sinnbildern, metaphysischen und religiösen Erfahrungen. All diese Beziehungen und ihre jeweilige architektonische Umsetzung darzustellen, würde den Raum dieser Arbeit sprengen. Daher soll nur auf einige zentrale Funktionen des Trauerns und Gedenkens hingedeutet werden. Anschließend folgen einige grundsätzliche und kritische Anmerkungen zum Denkmal. Der Baukörper, dessen bronzene Außenwände verschiebbar sind, ist begehbar und geteilt in eine Art Pfeilerhalle – sie nimmt den weitaus größten Teil des Inneren ein – und einen monochrom gehaltenen und abgeschlossenen Raum der Andacht und der Stille: die Cella. Der lateinische Begriff steht dabei nicht nur für den eng umschlossenen Raum, sondern vor allem auch für die sakrale Bedeutung des Wortes als Teil des Tempels, wo das Götterbild steht.31 Die Decke der Cella durchbricht ein Oberlicht. Sie ist die einzige Stelle, durch die Licht in den anthrazitfarbenen Raum eindringen kann. Das Spiel des von oben einfallenden Lichts und seine Metamorphosen im Lauf eines Tages verleihen der Cella eine geradezu transzendente, eine religiöse Aura. Darüber hinaus öffnet die Deckenluke die Cella nach oben, zum Himmel: »ein zeitloses Symbol für das Überschreiten der erfahrbaren Grenzen und der sinnlich erkennbaren Welt.«32 Verlässt man die Cella, fällt der Blick auf eine horizontale, schwarze Fläche, wo ein Band aus Licht in endloser Abfolge die zu gedenkenden und zu ehrenden Toten 29 30 31 32

Vgl. BMVg, Das Ehrenmal der Bundeswehr, S. 9‑11, 60. Vgl. ebd., S. 15, 21. Vgl. Haas/Kienle, Lateinisch-Deutsches Wörterbuch, S. 74. BMVg, Das Ehrenmal der Bundeswehr, S. 25.

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nennt. Wie schwebend erscheinen ihre Namen im Raum. Name um Name, gleichberechtigt, sodass die Unterscheidung zwischen Unfall- und Einsatztoten im Ehrenmal zunächst aufgehoben ist. Allerdings fehlen einige tote Bundeswehrsoldaten, die während des Kalten Krieges im Dienst starben. Ihre Namen sind wohl verloren, und so setzt sich zumindest in Spuren die »institutionelle Amnesie«33 der Frühzeit der Bundeswehr noch im Ehrenmal fort. Integraler Teil der Metallhaut des Ehrenmals ist das »Buch des Gedenkens«: 20  Bronzeplatten mit den Namen der »mehr als 3200  militärischen und zivilen Bundeswehrangehörigen, die seit 1955 im Dienst ihr Leben verloren haben [nach Druck der Broschüre um weitere ergänzt]«34. Die Cella begrenzt die Südseite des Ehrenmals, die Nordseite eine goldschimmernde Wand. Die leuchtende Fläche präsentiert in erhabenen Majuskeln die Widmung des Ehrenmals: »Den Toten unserer Bundeswehr für Frieden, Recht und Freiheit«35. Die Widmung wendet sich noch einmal formal an alle Opfer der Bundeswehr. Darüber hinaus formuliert sie den Wertekanon, für dessen Verteidigung die Opfer der Bundeswehr sowohl im Frieden wie im UN-Auslandseinsatz erbracht werden. Diese unmittelbare Verbindung von universalen Idealen mit dem Soldatentod bricht mit alten Überzeugungen der Bundesrepublik, deren politische Repräsentanten und gesellschaftliche Eliten bis über das Ende des Kalten Krieges hinaus eine positive Deutung des Soldatentodes weitgehend vermieden.36 Manche Sozial- und Gesellschaftswissenschaftler sowie Historiker sehen im zentralen Ehrenmal allerdings keineswegs die unterschiedslose Würdigung aller Opfer der Bundeswehr gewährleistet, da es zumindest indirekt durch seine Bezeichnung ›Ehrenmal‹ und seine starke Betonung der Beziehung zwischen Soldateneid und Tod den gefallenen Kämpfer in den Vordergrund rücke, auch wenn dieser nur einen sehr geringen Teil der toten Bundeswehrsoldaten repräsentiere. Darüber hinaus lade es geradezu dazu ein, das gesellschaftliche vom militärischen Gedenken abzutrennen. Auch Teile des Soldatenbildes, welches das Ehrenmal der Bundeswehr implizit transportiert, erfahren eine durchaus kritische Würdigung.37 Die verschiebbaren bronzenen Außenwände ermöglichen es, das Ehrenmal von verschiedenen Seiten zu betreten: vom Innenhof des Bendlerblocks her, dem Zugang für Vertreter des Militärs, aus der Hildebrandtstraße, dem Zugang für die allgemeine Öffentlichkeit. Auf diese Weise schafft das Ehrenmal statt einer »Schnitt­ stelle von Streitkräften und Gesellschaft«38 – wie es in der entsprechenden In­for­ma­ tions­broschüre des BMVg heißt – eine räumliche Trennung zwischen Soldaten und Zivilisten. Münkler vergleicht diesen architektonischen Ansatz mit dem klassischen Konzept der Garnisonkirchen. Als Versammlungs- und Gedenkort richten sich diese 33

Rack, Die Unmöglichkeit zu trauern. In: SZ, 15.10.2009.

34 35 36 37 38

BMVg, Das Ehrenmal der Bundeswehr, S. 35. Ebd., S. 39. Vgl. Naumann, Soldatentod, S. 85. Vgl. ebd., S. 73, und Leonhard, Die zivil-militärischen Beziehungen, S. 134‑136; Hettling, Mili­ tä­risches Ehrenmal oder politisches Denkmal?, S. 150 f. BMVg, Das Ehrenmal der Bundeswehr, S. 11.



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vorwiegend an eine geschlossene militärische Gemeinschaft und nur zu außergewöhnlichen Anlässen öffnen sie sich für die Allgemeinheit.39 Es ist vor allem die grafische Gestaltung der Zeichen des Morsecodes, die den gefallenen Krieger im Rahmen des Ehrenmals ganz in den Vordergrund rücken. Denn ihr Design erinnert deutlich an stilisierte soldatische Erkennungsmarken, wie sie ab 1870 in Deutschland eingeführt wurden. Auf ihnen sind u.a. die Nationalität, der Truppenteil sowie persönliche und medizinische Daten vermerkt.40 Diese Erkennungsmarken dienen vor allem einem Zweck: der Identifikation des Soldaten im Fall seines Todes. Die eine Hälfte der Marke wird nach dem Tod abgebrochen und mitgenommen, um den Tod zu dokumentieren. Die andere Hälfte verbleibt bei der Leiche, um sie dauerhaft identifizieren zu können. Daher symbolisiert wohl kaum ein anderes Zeichen den Soldatentod im Krieg mehr als eine durchbrochene Erkennungsmarke. Auch international dient die Erkennungsmarke häufig als Stilmittel zur Sym­bo­ lisierung des Soldatentodes im Kampf. So zeigt z.B. das 1998 eingeweihte Korean War Memorial in Atlantic City im Rahmen eines umfänglichen Ensembles eine überlebensgroße Plastik. Sie trägt den Namen: »The Mourning Soldier«. »Der trauernde Soldat« umklammert mit seiner Linken ein ganzes Bündel von Er­ken­nungs­ marken. Dadurch weist er zum einen auf die hohe Zahl der Opfer hin und drückt zum anderen seine Trauer über die im Krieg gefallenen Kameraden aus. Ebenso erinnern im Boston Memorial Garden in Boston Erkennungsmarken an die gefallenen amerikanischen Soldaten der Kriege im Irak und in Afghanistan. Die Marken hängen an Schnüren, die dicht an dicht Wände formen.41 Das BMVg war sich der eindeutigen Konnotation von Erkennungsmarken und Gefallenen und der sich daraus zwangsläufig ergebenden Problematik für die Repräsentanz von Soldaten und zivilen Mitarbeitern der Bundeswehr, die bei Unfällen im Dienst ums Leben kamen, durchaus bewusst. In seiner bereits erwähnten Ehrenmal-Broschüre versucht es daher nahezulegen, dass durch die besondere Gestaltung der Marken auch die Unfalltoten der Bundeswehr und deren Zivilangestellte im Ehrenmal vertreten seien: »Die halbovale Form wird damit zu einem metaphorischen Ausdruck für den Tod und steht allumfassend für Soldaten und Nichtsoldaten.«42 Eine Erklärung, die gewiss nicht alle zufrieden stellt. Der Soldat als Krieger, dieses verkürzte Ideal findet sich nicht nur betont im Design der Morsezeichen. Auch Verteidigungsminister Jung definierte bereits in seiner Ankündigung der Errichtung eines zentralen Ehrenmals der Bundeswehr im Jahr 2006 den Kreis der zu Ehrenden durch seine Wortwahl so, dass wohl viele zuerst an

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Vgl. Wefing, Pavillon der Erinnerung, S. 105. Vgl. Meinlschmidt, Die deutschen Erkennungsmarken des 1.  Weltkrieges; Meinlschmidt, Die deutschen Erkennungsmarken des II. Weltkrieges; Höidal, Deutsche Erkennungsmarken. Vgl. Libero, Aus den Trümmern der Alten, S. 2; Korean War Veterans Association, Inc., Korean War Memorials, State of New Jersey, (letzter Zugriff 6.9.2021); The Old North Church & Historic Site, The Memorial Garden, (letzter Zugriff 6.9.2021). BMVg, Das Ehrenmal der Bundeswehr, S. 21.

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den Kämpfer dachten. Alle Soldaten, so Jung, »denen persönliche Pflichterfüllung das höchste Opfer abrang, haben ein ehrendes Andenken verdient«43. Auf diese Weise, wandten Kritiker wie Hettling ein, transportiere das Ehrenmal der Bundeswehr ein Soldatenbild und eine berufsständische Auffassung von soldatischer Ehre, die sich ganz auf die nackte Funktionslogik von Befehl und Gehorsam, von Treue, Dienst und Pflichtbewusstsein berufe.44 Folgt man dieser Kritik, dann bezieht sich das Ehrenmal der Bundeswehr auf einen militärischen Ehrbegriff, der sich ab den Befreiungskriegen in Deutschland herausgebildet hat und der den Soldatentod als aktives Opfer sieht, dem deshalb Ehre gebührt, weil der Soldat dabei sein Leben auf Befehl hingibt. Dadurch wird das Ehrenmal, wie Jung konstatierte, zum »sichtbaren Zeichen«45 für ein neues Bild des Soldaten und seines Berufsverständnisses. Denn wie in kaum einem anderen Beruf, stellte der Minister in der Wochenzeitung Die Zeit fest, werde von den Soldaten der Einsatz des Lebens gefordert.46 Baudissins Ideal des Soldaten und seine Ablehnung eines Sonderstatus für den Soldatenberuf, die beide ihre Gültigkeit vor allem aus der politischen Konstellation des Kalten Kriegs bezogen, waren obsolet geworden. Die Ehrenmal-Broschüre des BMVg unterstreicht diesen Wandel: »Mit dem Ehrenmal wird deutlich, dass die Verteidigung von Frieden, Recht und Freiheit nicht mit einer anderen Berufstätigkeit vergleichbar ist.«47 So steht das Ehrenmal der Bundeswehr ästhetisch und programmatisch für das neue Berufsverständnis des Soldaten, das sich durch die UN-Auslandsmissionen der Bundeswehr, insbesondere aber durch den Einsatz in Afghanistan nach und nach entwickelte. In gewisser Weise markierte es daher auch die Abkehr von der »Sekuri­ täts­landschaft des Kalten Krieges«48. Es bedeutet auch den Abschied von der alten, westdeutschen Bundeswehr, deren alles dominierender Auftrag die Abschreckung und die Verhinderung eines (Nuklear-)Krieges zwischen Ost und West war und die deshalb den Tod des Soldaten im Einsatz ausblenden und den Aufbau einer militärischen Trauer- und Gedenkkultur vernachlässigen konnte. Im Juni 2018 ergänzte man das Ehrenmal der Bundeswehr durch den »Raum der Information«. Die Pläne dafür waren so alt wie das Ehrenmal selbst. Denn seit seiner Einweihung äußerten insbesondere Angehörige, aber auch das BMVg, über das Gedenken an die Toten hinaus den Wunsch nach einer Dokumentation der Umstände, unter denen die Soldaten der Bundeswehr zu Tode gekommen sind. Die Intention: Der Raum der Information soll »mit der Schönrednerei aufräumen und geradeheraus sagen: Solange die Bundeswehr an Einsätzen teilnimmt, wird es unter Umständen Leben kosten.«49 In dieser Aussage sehen die Initiatoren die Chance zu 43

Jung, Wir sind es unseren Soldaten schuldig, S. 5.

Vgl. Hettling, Militärisches Ehrenmal oder politisches Denkmal?, S.  151; Leonhard, Die zivilmilitärischen Beziehungen, S. 134 f. 45 Jung, Wir sind es unseren Soldaten schuldig, S. 5. 46 Vgl. »Nicht vergessen«. In: Die Zeit, 29.6.2006. 47 BMVg, Das Ehrenmal der Bundeswehr, S. 5. 48 Vgl. Naumann, Soldatentod, S. 74. 49 Das Ehrenmal der Bundeswehr bekommt einen Raum der Information, 15.2.2016, (letzter Zugriff 6.9.2021). 44



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einer gesellschaftlichen Debatte über das in Deutschland so unpopuläre und heikle Thema des militärischen Tötens und Sterbens. Im Jahr 2016 nahm das Vorhaben schließlich Gestalt an. Der Raum der Information ist ein eigenständiges Gebäude, schlicht und zurückgenommen in seiner Gestaltung, mit Außenwänden aus glattem, hellgrauem Sichtbeton und gedeckt mit einem weißen Scheddach. Trotz seiner Autonomie präsentiert sich der ebenfalls riegelartige Bau zusammen mit dem Ehrenmal als architektonische Einheit. Denn in seiner Wirkung auf den Beschauer erscheint er wie ein Segment, das aus dem Körper des Ehrenmals ausgeschnitten ist. Und ebenso wie das Ehrenmal kann auch der Raum der Information entweder von der Hildebrandstraße aus betreten werden oder vom Protokollplatz des BMVg her.50 In ihrer Ansprache anlässlich der Einweihung betonte Verteidigungsministerin von der Leyen, dass der neue Ausstellungsraum vor allem von jenen Soldaten berichte, die ihr Leben im Dienst für die Bundesrepublik verloren haben: »Der Raum der Information erzählt viele dieser Geschichten, eingebettet in die Geschichte der Bundeswehr. Die Entwicklung dieser Gedenkkultur in der Bundeswehr wird im Raum der Information hörbar und sichtbar [...] An diesem Ort wird offenbar, wie unser Land als Ganzes und Einzelne ganz persönlich mit Tod, Trauer und Gedenken umgehen – wie Traditionen sich entwickeln und im Laufe der Zeit neue Ausdrucksformen finden.«51

Der Raum der Information erzählt chronologisch die Geschichte der Bundeswehr, ihre Kernaufträge im Wandel der Zeit und ihr sicherheits- und bündnispolitisches Umfeld. Besonders in den Fokus rücken dabei die Toten der Bundeswehr und die binnenmilitärischen und kameradschaftlichen Formen des Gedenkens. Gleichsam wie Zäsuren sind exemplarisch dramatische Havarien, Unglücke und Todesfälle in der Geschichte der Bundeswehr bis zum Ende des Kalten Krieges herausgehoben, z.B. das Iller-Unglück von 1957, das Schießunglück von Bergen-Hohne 1964, der Untergang des U-Boots »Hai« von 1966 oder der Absturz der Transall über Kreta 1975.52 Ebenso widmet sich die Ausstellung der Zeit nach dem Ende des Kalten Kriegs und dokumentiert die Geschichte der internationalen Auslandsmissionen, an denen die Bundeswehr im Rahmen von NATO und UNO teilgenommen hat. Vom Engagement in Kambodscha 1992/93 bis hin zur Teilnahme an der Afghanistan­ mission ab 2002. Auch hier liegt der Schwerpunkt auf jenen deutschen Soldaten, die bei diesen Einsätzen in Ausübung ihrer Dienstpflichten getötet wurden. Darüber

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Vgl. BMVg, Der Raum der Information, S. 17; BMVg, Raum der Information, 12.6.2018, (letzter Zugriff 6.9.2021). Rede der Bundesministerin der Verteidigung Dr. Ursula von der Leyen anlässlich der feierlichen Eröffnung des Raumes der Information am Ehrenmal der Bundeswehr am 11.6.2018 in Berlin, (letzter Zugriff 6.9.2021). Die Texte der Ausstellung sind abgedr. in der oben genannten Begleitbroschüre des BMVg auf den S. 29‑65. Vgl. hier: BMVg, Der Raum der Information, S. 11, 29‑43, 50 f.

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hinaus zeichnet die Ausstellung die Grundlinien der sich entwickelnden militärischen Trauer- und Gedenkkultur in der Bundesrepublik nach. Und zwar sowohl jene der binnenmilitärisch-kameradschaftlichen innerhalb der Bundeswehr wie auch die der öffentlichen und offiziellen Memorialkultur der Gesellschaft.53 Bei der Dokumentation des binnenmilitärischen Totengedenkens zeigt sich die Ausstellung gelegentlich unscharf. So wird kaum deutlich, dass es zumindest in den ersten Jahrzehnten der Bundeswehr von offizieller Seite so gut wie keinen Toten­kult gab. Unbeantwortet bleibt ebenso die entscheidende Frage, warum sich die Bundeswehr und die Bundesrepublik über einen so langen Zeitraum jedwedem offiziellen und öffentlichen Totengedenken für ihre im Dienst getöteten Soldaten verweigerten. Auch ihrem Anspruch, die Geschichten bisher eher wenig bekannter oder vergessener Todesfälle im Rahmen der Bundeswehr zu erzählen, wird die Ausstellung nicht unbedingt gerecht. Denn anstatt auch von den vielen »alltäglichen« zumeist Unfalltoten der Bundeswehr zu berichten, konzentriert sie sich weitgehend auf die spektakulären Unfälle, die außergewöhnlichen Katastrophen oder die hervorstechenden Havarien. Gläserne Vitrinen, die sehr persönliche Gegenstände zeigen, verleihen dem Raum der Information einen individuellen und intimen Charakter. Abgelegt wurden diese Abschiedsbriefe, Kinderbilder, Erkennungsmarken, Schulterklappen, Hoheits­abzeichen oder einfach Steine von Angehörigen und Kameraden der Toten am Ehrenmal der Bundeswehr. Die Objekte der Vitrinen werden regelmäßig ausgetauscht. Hörstationen, durch die Angehörige und Kameraden von ihren eigenen Erfahrungen mit dem Soldatentod berichten, von ihrem Verlust und ihrer Trauer, verstärken dieses sehr private Moment der Ausstellung.54 Gerade diese Ebene vermittelt ein sehr persönliches Bild der Getöteten, das in der medialen Berichterstattung häufig untergeht. Auf diese Weise dient das Ehrenmal der Bundeswehr nicht nur dem institutionellen Gedenken für militärische Funktionsträger, sondern eröffnet darüber hinaus auch einen Raum für Ehepartner, Eltern, Kinder, Kameraden und Freunde, an dem sie von ihren schmerzlich vermissten Toten Abschied nehmen können. Den Übergang vom Raum der Information ins Freie gestaltet ein Lichthof, in dem eine mehrstämmige Hainbuche wächst. Der laubwerfende Baum ist oft auf Friedhöfen anzutreffen und kann selbst unter schwierigsten Bedingungen gedeihen. Daher gilt er als Symbol der Wiedergeburt und als Sinnbild für die Macht menschlicher Hoffnung. Und darüber hinaus als Ausdruck einer Lebenskraft, die sich auch existenziellen Verlusten und tiefster menschlicher Trauer zu stellen vermag.55

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Vgl. ebd., S. 44‑47, 52‑65. Vgl. ebd., S. 11, 18. Vgl. ebd., S. 18 f.; Georg-August-Universität Göttingen, Mythologie, (letzter Zugriff 6.9.2021).



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2. Der Wald der Erinnerung in Potsdam-Schwielowsee Der Wald der Erinnerung ist zuerst der Ort, der die binnenmilitärischen Gedenkstätten und Ehrenhaine der Feldlager und darüber hinaus die sehr persönlichen Zeichen und Symbole kameradschaftlicher Erinnerung in einer naturbelassenen Umgebung auf einem zentralen Gelände versammelt. Er liegt etwa fünf Kilometer westlich des Potsdamer Zentrums in einem ausgedehnten Waldgebiet, eingefasst von Seen. Er dient dem persönlichen Trauern von Kameraden und Angehörigen der Getöteten. Denn der Wald der Erinnerung – der auf eine Idee von Marlies Böken zurückgeht, der Mutter von Jenny Böken, jener Offizieranwärterin, die am 4. September 2008 auf dem Segelschulschiff Gorch Fock ihr Leben verlor – ist kein Ort der offiziellen Zeremonien und der staatlichen Feiern.56 Das knapp einen halben Hektar große Gelände gehört zu den Liegenschaften der Bundeswehr und ist im Besitz des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr in der Schwielower Henning-von-Tresckow-Kaserne. Dieses Kommando ist für Planung und Organisation der Auslandseinsätze verantwortlich. Ergänzt wird die Memorialstätte, die eine zentrale Achse erschließt, durch ein Empfangs- und Informationsgebäude sowie eigens gestaltete Orte des persönlichen Gedenkens und Trauerns. »Der Wald der Erinnerung. Ein Ort der Stille mit wiedererrichteten Ehrenhainen« – so nennt das BMVg in seiner Dokumentationsbroschüre die Anlage.57 Ohne Ideengeber und Vorbilder in der deutschen Militärgeschichte ist der Wald der Erinnerung nicht. Legt man zugrunde, dass es sich bei einem Heldenhain bzw. Ehrenhain, dessen Spuren bis in die Antike reichen, um einen von Bäumen umfriedeten und strukturierten Ort des Gedenkens mit einem klaren Mittelpunkt handelt, dann lässt sich die Idee dieser Form der Gedenkstätte bis in die Zeit der Befreiungskriege ab 1813 zurückverfolgen. So skizzierte z.B. der Dichter Ernst Moritz Arndt 1814, kurz nach der Völkerschlacht bei Leipzig, eine Stätte des Gedenkens für die Kriegstoten auf der Grundlage eines natürlichen Hügels, unweit des Schlachtfelds, wo die Gefallenen bestattet waren. Auf seiner Spitze erhob sich zwischen Feldsteinen ein Kreuz, und ein heiliger Hain aus Eichen fasste die Hügelkuppe ein.58 Bäume bzw. ein Wald und die Umgebung der Landschaft als lebendes Denkmal und Projektionsort nationaler Erhabenheit, das ist die Grundidee der Heldenund Ehrenhaine. Dazu der nationale Mythos vom deutschen Wald, auf den sich nicht zuletzt auch die zahllosen »Kaisereichen« gründeten, die nach dem Deutsch-

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Vgl. den Lageplan des »Waldes der Erinnerung«. Abgedr. in: BMVg, Der Wald der Erinnerung, S. 78 f.; Erinnerungsorte der Bundeswehr, S. 140 f.; Jenssen/Bötel, Das Projekt, 15.11.2014, (letzter Zugriff 13.7.2016), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. BMVg, Der Wald der Erinnerung, S. 29; Das Einsatzführungskommando der Bundeswehr, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. Hoffmann-Curtius, Das Kreuz als Nationaldenkmal, S. 77‑79; Kuberek, Die Kriegs­gräber­ stätten, S. 76.

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Französischen Krieg von 1870/71 gepflanzt wurden. Die Form der Haine, die oftmals an natürliche Zitadellen erinnert, ist nicht zuletzt auch »Sinnbild der einheitlichen, geschlossenen Abwehr aller Angriffe von außen«59. Im Zuge des Ersten Weltkrieges erlebten Helden- und Ehrenhaine als Form des militärischen Totenkultes einen Höhepunkt. In seinem Aufsatz »Heldeneichen und Friedenslinden«, den der Königliche Gartenbaudirektor Willy Lange am 8. Dezember 1914 in der Berliner Tageszeitung Tägliche Rundschau veröffentlichte, schlug der Autor erstmals die Gestaltung von Heldenhainen vor. Den preußischen Innenminister überzeugte diese Idee. Die ersten bescheidenden Heldenhaine waren – wie z.B. jener, den man bereits 1915 in Mühlhausen anlegte – kaum mehr als einzelne Eichen, an denen man die Namensschilder aller Gefallenen eines Ortes anbrachte. Auf Lange ging auch Idee zurück, Findlinge durch die Namen von Gefallenen in Gedenksteine zu verwandeln und zwischen den Bäumen eines Hains aufzustellen. Nach seiner Gründung im Jahr 1919 versuchte der VDK, deutschen Soldatenfriedhöfen im In- und Ausland durch landschaftsarchitektonische Maß­ nahmen das Aussehen von Ehrenhainen zu verleihen.60 Wie seine historischen Vorbilder steht auch der Wald der Erinnerung für die Idee einer Art Wiederauferstehung, verkörpert im ewigen Kreislauf der Natur – ein Gedanke, den auch Verteidigungsministerin von der Leyen in ihrer Rede anlässlich der Einweihung des Waldes der Erinnerung äußerte: »Laubbäume [...] stehen hier als Symbole für die den Tod aufs Neue besiegende Wiedergeburt des Lebens und der immergrüne Nadelbaum steht hier auch als Sinnbild der Unsterblichkeit.«61 Im Frühjahr 2012 begann man mit den Überlegungen für mögliche Standorte des Vorhabens. Im November des Jahres erfolgte die Genehmigung durch den Militärischen Führungsrat. Im März 2013 fiel die Entscheidung für PotsdamSchwielowsee. Im Oktober eröffnete man das Ausschreibungsverfahren, und bereits im November nahmen die ersten Baupflegemaßnahmen ihren Anfang. Die Tiefbau­ arbeiten begannen im Frühjahr 2014.62 Am 15.  November 2014, dem Samstag vor dem Volkstrauertag, weihte die Vertei­di­gungsministerin in Anwesenheit von Bundespräsident Joachim Gauck (parteilos) und führenden Vertretern der Bundeswehr den Wald der Erinnerung offiziell ein. Versammelt hatten sich zu der feierlichen Zeremonie vor allem zahlreiche Familienangehörige, Freunde und Kameraden von im Dienst getöteten und gefallenen Soldaten der Bundeswehr.63 In ihrer Ansprache zur Einweihung wandte sich von der Leyen vor allem auch an die Kameradinnen und Kameraden der Toten: 59 60

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Lurz, Kriegerdenkmäler in Deutschland, Bd 3, S. 99. Vgl. Mosse, Soldatenfriedhöfe, S. 254. Vgl. Lange, Heldeneichen und Friedenslinden. In: Tägliche Rundschau, 8.12.1914. Um 1914/15 entwickelte Lange ein Konzept für die Ausgestaltung von Heldenhainen. Vgl. Deutsche Heldenhaine; Lurz, Kriegerdenkmäler in Deutschland, Bd 3, S. 98‑106; Mosse, Soldatenfriedhöfe, S. 254; Kuberek, Die Kriegsgräberstätten, S. 76. Rede der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen anlässlich der Einweihung des Waldes der Erinnerung am 15.11.2014, (letzter Zugriff 13.7.2016), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. BMVg, Wald der Erinnerung, S. 21‑27. Vgl. »Wald der Erinnerung«. In: Der Tagesspiegel, 15.11.2014.



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»Für die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz sind diese Ehrenhaine das emotionale Herzstück eines jeden Camps. Sie stehen da, um Lebwohl zu sagen, sie gehen dahin, wenn sie irgendwo hin müssen mit ihrer Trauer über den Tod ihrer Kameraden [...] Orte wie dieser, an denen sich so starke, so authentische Erinnerungen ballen, kann man nicht einfach abbauen wie ein Feldlager. Sie müssen bleiben, sichtbar und anfassbar.«64

Die Ministerin würdigte ausgiebig die hohe emotionale Bedeutung der ursprünglich in den Feldlagern der Auslandseinsätze von Kameraden errichteten Ehrenhaine. Daher versammelt auch der Wald der Erinnerung sämtliche dieser persönlichen Gedenkstätten der aufgelösten Camps. Bislang sind es sieben: die fünf Ehrenhaine aus Afghanistan – Kabul, Kunduz, Feyzabad, OP-North und Mazar-e Sharif – sowie Rajlovac aus Bosnien-Herzegowina und Prizren im Kosovo.65 Diese Ehrenhaine sind der Mittelpunkt – das »Herzstück«, wie es die Ministerin nannte – einer lebendigen binnenmilitärischen Memorialkultur. In ihrem Rahmen entwickelten die Kameraden sehr persönliche Riten und eigene Rituale des Trauerns und des Gedenkens. Auf diese Weise rückten die Ehrenhaine ins Zentrum kameradschaftlicher Erinnerung. Deshalb entwarfen ab Frühjahr 2012 sowohl die Abteilung »Führung Streitkräfte« im BMVg als auch die Arbeitsgruppe »Angebote und Möglichkeiten zur Unterstützung von Hinterbliebenen« konkrete Pläne, um diese Ehrenhaine im Einsatzland zu sichern, abzubauen, nach Deutschland zu transportieren und später im Wald der Erinnerung wiederzuerrichten.66 Prinzipiell ist der Wald der Erinnerung allen Soldaten gewidmet, die in Ausübung ihres Dienstes ihr Leben verloren. Dennoch legt die Anlage – damit in gewisser Weise dem Ehrenmal der Bundeswehr vergleichbar – durch den prominenten Raum, den sie den Ehrenhainen der Auslandseinsätze gewährt, ihren Schwerpunkt erkennbar auf die Toten und Gefallenen der UN-Missionen. Die Unfalltoten der Bundeswehr treten dabei deutlich in den Hintergrund. Auch die Informationstafeln, die das Empfangs- und Informationsgebäude am Eingang zum Wald der Erinnerung präsentiert, nennen zwar alle bisherigen Toten der Bundeswehr, verraten durch ihre Betonung der Auslandseinsätze aber ebenfalls diese Fokussierung auf deren Tote. Der Auftrag der Bundeswehr in den Zeiten des Kalten Krieges dagegen wird lediglich skizziert.67 Die zentrale Achse bildet der etwa 120 Meter lange »Weg der Erinnerung«, der alle Elemente der Gedenkstätte verbindet und ihr einen einheitlichen, »monolithi-

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Rede der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen anlässlich der Einweihung des Waldes der Erinnerung am 15.11.2014, (letzter Zugriff 13.7.2016), Privatarchiv Julia Nordmann. Vgl. BMVg, Der Wald der Erinnerung, S. 50‑52. Siehe Kap. VII.2. Vgl. Rede der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen anlässlich der Einweihung des Waldes der Erinnerung am 15.11.2014, (letzter Zugriff 13.7.2016), Privatarchiv Julia Nordmann; Müller-Sönksen, Diskussionspapier »Die Ehrenhaine der Bundeswehr in den Einsatzgebieten«, 23.4.2013, S. 2, (letzter Zugriff 13.7.2016), Privat­ archiv Julia Nordmann; BMVg, Der Wald der Erinnerung, S.  21, 23; Glatz, Ehrenhaine nach Deutschland. In: FAZ, 22.4.2013; Alwardt, 104 Namen. In: SZ, 17.11.2014. Vgl. BMVg, Der Wald der Erinnerung, S. 30‑33.

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schen Charakter«68 verleiht. Der Weg, der nicht streng geradlinig verläuft, als wolle er auf die Brüche in der deutschen Militärgeschichte verweisen, nimmt seinen Anfang am Eingangsbereich des Empfangs- und Informationsgebäudes im Westen und führt etwa in östliche Richtung. Nördlich und südlich des »Weges der Erinnerung« reihen sich die Ehrenhaine auf, verstreut im parkähnlichen Wald. Nach einem Drittel des Weges etwa erheben sich sieben steinerne Stelen auf der zentralen Achse und zwingen den Besucher zum Innehalten. Die Dokumentationsbroschüre »Der Wald der Erinnerung« beschreibt ihre Funktion so: »Auf diesen Stelen sind die 106 Namen [nach Druck der Broschüre um weitere ergänzt] der Toten der Auslandseinsätze chronologisch aufgeführt. Neben der jeweiligen Jahreszahl sind in bronzenen Lettern mit hervorgehobenen Buchstaben in einem Namensband der Vorname, Name und der jeweilige Einsatz aufgeführt.«69

Der »Weg der Erinnerung« endet am »Ort der Stille«, einem überdachten, nach zwei Seiten offenen Raum aus erdfarbenen Ziegeln, »in dem verweilt werden kann und im Gedenken an die Verstorbenen in der Mitte des Raumes in einer Mulde Kerzen angezündet oder Blumen abgelegt werden können«70. Auf diese Weise ist insbesondere der »Ort der Stille« eine Stätte der Besinnung, der persönlichen Trauer, der Erinnerung. An seiner Rückwand prangt ein stilisiertes und bronzefarbenes Eisernes Kreuz, das »identitätsstiftende Hoheitszeichen«71 der Bundeswehr. Jenseits des »Ortes der Stille« endet die zentrale Achse und der »Weg der Erinnerung« setzt sich als naturbelassener Waldweg fort. Die sieben Ehrenhaine im Wald der Erinnerung, die wie bereits erwähnt das Zentrum der Anlage bilden, erzählen und belegen die Entstehung sowie die junge Geschichte eines kameradschaftlichen Trauerns und Gedenkens, einer binnenmilitärischen Memorialkultur der Bundeswehr, die ihre Impulse, ihre Motive und ihre Formen des Ausdrucks vor allem durch die Kampfeinsätze im Rahmen der UNAuslandsmissionen erhält. Deshalb baut man die Ehrenhaine maßstabsgetreu und möglichst detailgenau im Wald der Erinnerung wieder auf.72 Auf diese Weise wird auch ein entscheidendes Stück Bundeswehrgeschichte erhalten und dokumentiert. Eine Zäsur, die den bislang wohl dramatischsten Wandel der Bundeswehr markiert. Der ausgedehnte Forst, der den Wald der Erinnerung auf allen Seiten umgibt, formt in seiner Gesamtheit zusätzlich nach dem Vorbild der Fried- und Ruhewälder einen Hain des Trauerns und des Gedenkens und bietet den Angehörigen von im Dienst getöteten Bundeswehrsoldaten die Möglichkeit, an markanten Bäumen z.B. selbst gestaltete Tafeln der Erinnerung und der Ehrung anzubringen.73 Auf diese Weise können Orte des Gedenkens entstehen, die durchaus mit einem Grab auf 68 69 70 71 72 73

Rüthnick Architekten, Wald der Erinnerung, (letzter Zugriff 6.9.2021). Vgl. BMVg, Der Wald der Erinnerung, S. 37 f. BMVg, Der Wald der Erinnerung, S. 37 f. Ebd., S. 35. Ebd. Vgl. ebd., S. 50‑52. Vgl. Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Herausforderungen evangelischer Bestattungskultur (Diskussionspapier), März 2004, (letzter Zugriff 6.9.2021); BMVg, Der Wald der Erinnerung, S. 6, 72‑77.



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einem Soldatenfriedhof, den es für Soldaten der Bundeswehr bislang nicht gibt, vergleichbar sind. Darüber hinaus könnte dieses Waldgebiet – im Gegensatz zu den wiederaufgebauten Ehrenhainen der Auslandseinsätze – auch eine tragfähige Brücke zu allen Toten der Bundeswehr schlagen. Dazu allerdings, und um dem Eindruck zu begegnen, man hätte die Unfalltoten der Bundeswehr einfach ausgelagert ins Periphere des Naturwaldes, wären zusätzliche Maßnahmen angezeigt. Um auch diese Toten angemessen zu ehren, könnte man z.B. alte, noch vorhandene Gedenksteine für Unfalltote aus der Zeit des Kalten Krieges und auch danach restaurieren und in diesem Waldareal aufstellen. Denn diese kameradschaftlichen Erinnerungszeichen sind ein unabtrennbarer Teil der binnenmilitärischen Trauer- und Gedenkkultur. Sie gingen den Ehrenhainen der Auslandseinsätze nicht nur voraus, sondern bildeten gewissermaßen das Wurzelgeflecht, auf dem diese wachsen konnten.

IX. Fazit und Ausblick »Kein Leben, das im Dienst für unser Land verloren wurde, ist vergessen.«1 In ihrem Tagesbefehl vom 2.  April 2020 erinnerte Verteidigungsministerin KrampKarrenbauer an das Karfreitagsgefecht, das zehn Jahre zuvor nicht nur zur Zäsur für die Afghanistan-Mission der Bundeswehr, sondern in gewisser Weise auch zum Wendepunkt in der Geschichte der deutschen Streitkräfte wurde. Die Ministerin nahm das Gedenken an die drei Soldaten, die in diesem Gefecht gefallen sind, außerdem zum Anlass für das Versprechen zum dauerhaften Erinnern. Die drei Gefallenen vom Karfreitag 2010, stehen für den ersten Kampfeinsatz der Bundeswehr. Dafür, dass aktiver Kampf, Töten und Getötetwerden spätestens von nun an und unwiderruflich zur soldatischen Erfahrungswelt der Bundeswehr gehören. Darüber hinaus beschleunigten diese Gefallenen die Entwicklung offizieller und öffentlicher Formen des militärischen Gedenkens. Und nicht zuletzt die Toten des Karfreitagsgefechts haben entscheidend dazu beigetragen, dass die Würdigung und das Erinnern der eigenen getöteten Soldaten zunehmend mehr zur Normalität, zur Selbstverständlichkeit im Rahmen der Bundeswehr werden konnten. Ausgangspunkt dieser Untersuchung war die Sachlage, dass die Bundeswehr jahrzehntelang und eigentlich bis zum ISAF-Einsatz große Distanz zu ihren Soldaten pflegte, die in Ausübung der Dienstpflichten getötet wurden. Manche Todesfälle vor allem in den späten 1950er- und 1960er-Jahren wurden – wie bereits dargelegt – nicht einmal dauerhaft erfasst und die Toten schlicht vergessen. Im Grunde markiert erst die Einweihung des zentralen Ehrenmals in Berlin im Jahr 2009 den Beginn einer dauerhaften gedenk- und erinnerungspolitischen Kehrtwende der Bundeswehr, mit offiziellen und öffentlichen Zeremonien und Ritualhandlungen des Trauerns und des Gedenkens und unter Anwesenheit höchster Repräsentanten von Staat und Gesellschaft. Mit religiösen und gesellschaftspolitischen Sinnstiftungen und Opferdeutungen. Mit posthumen Würdigungen und Ehrungen, mit Ehrengräbern, mit dem Wald der Erinnerung. Im Zentrum der Untersuchung standen die sich entwickelnde Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr seit 1955 und die Frage, warum es über etwa vier Jahrzehnte hinweg so gut wie keine offiziellen und öffentlichen Formen des Trauerns und des Gedenkens für die Toten der Bundeswehr gab. Stattdessen entstand – praktisch unsichtbar für die Gesellschaft der Bundesrepublik – ein kameradschaftliches 1

BMVg, Tagesbefehl zur Erinnerung an das »Karfreitagsgefecht« 2010, 2.4.2020, (letzter Zugriff 6.9.2021).



IX. Fazit und Ausblick

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und bundeswehrinternes Totengedenken für im Dienst ums Leben gekommene Bundeswehrsoldaten. Dieses Gedenken trug, wie die Untersuchung gezeigt hat, letztlich auch entscheidend zur Entwicklung einer offiziellen und öffentlichen militärischen Memorialkultur in der Bundeswehr bei. Es ging dieser voraus und verlieh ihr wegweisende Impulse. Auch dieses kameradschaftliche und binnenmilitärische Totengedenken stand im Mittelpunkt der Untersuchung. Ebenso wie das Gedenken der Veteranen der Wehrmacht für ihre im Zweiten Weltkrieg gefallenen Kameraden, das häufig und ungebrochen das Soldatenbild und den Heldenmythos vergangener Zeiten propagierte und dabei oft von einer Distanzlosigkeit zur NS-Diktatur geprägt war. Der Wandel des Soldatenbildes und der Vorstellungen, Bewertungen und Deutungen des Soldaten- bzw. Opfertodes sowie die Veränderungen des militärischen Totengedenkens seit Ende der Aufklärung – Zeremonien, Ehrenmale, Monumente, Ansprachen – gaben den historischen Rahmen vor, der die Untersuchung in einen größeren geschichtlichen Zusammenhang einbetten soll. Dieser spannte sich von den Befreiungskriegen des frühen 19. Jahrhunderts zu den Einigungskriegen, von der Kaiserlichen Armee des Ersten Weltkrieges über die Reichswehr und die Wehrmacht bis hin zur Bundeswehr und ansatzweise auch zur NVA. Die historischen Abstecher der Untersuchung zeigten religiöse Symbole, sprachliche Topoi, Deutungen des Opfers und Muster der Heroisierung auf, die ihre prägende und formgebende Wirkung auf das militärische Trauern und Gedenken bis in die Gegenwart ausüben. Ihren bisherigen Höhepunkt und ihren zentralen Ort – dies belegte die Untersuchung – findet die sich noch im Aufbau befindende offizielle und öffentliche militärische Trauer- und Gedenkkultur mit dem Ehrenmal der Bundeswehr. Es ist der Gedenkort für die gesamte Bundeswehr. Analog dazu steht der Wald der Erinnerung für das kameradschaftliche und binnenmilitärische Trauern und Erinnern. Im Jahr 2020 existiert innerhalb der Bundeswehr darüber hinaus – wie ausgiebig beschrieben – eine vielgestaltige kameradschaftliche Gedenklandschaft zur Würdigung der in Ausübung ihres Dienstes getöteten Soldaten. Ohne Heldenpathos, ohne Sakralisierung des Todes ehrt dieses binnenmilitärische Erinnern vor allem die persönlichen und professionellen Qualitäten sowie die Einsatz- und Opferbereitschaft der Soldaten. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Das offizielle Totengedenken, ergänzt und erweitert um das kameradschaftliche, das binnenmilitärische Würdigen und Erinnern, entfaltet eine starke und identitätsstiftende Wirkung auf die Bundeswehr. Und zwar sowohl auf die Truppe in ihrer Gesamtheit wie auf Einheiten einzelner Standorte und auf Erinnerungsgemeinschaften aus Einsatzkontingenten. Welche offiziellen und öffentlichen, welche kameradschaftlichen Formen des Gedenkens und Würdigens sind nur ephemerer Natur? Welche dagegen von Dauer? Erinnerung jedenfalls ist nichts Statisches. Und das militärische Erinnern unterliegt der historischen Dynamik des Soldatenbildes, seiner Werte und Ideale sowie den Veränderungen der politischen und gesellschaftlichen Umstände und den Entwicklungen der militärischen Anforderungen und Aufgaben. Und nicht zuletzt muss es sich auch dem Zufall beugen.

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IX. Fazit und Ausblick

Wer also wird einen dauerhaften Platz im Gedächtnis der Bundeswehr und der Bundesrepublik Deutschland erhalten? Die Antwort darauf kann nur die Zukunft zeigen. In der Regel setzen sich historische Arbeiten mit Ereignissen und prozesshaften Geschehnissen auseinander, die deutlich, meist wenigstens 30  Jahre, in der Vergangenheit liegen. Diese Untersuchung ging aus guten Gründen anders vor. Denn die Beendigung des Untersuchungszeitraumes in den späten 1980er-Jahren zum Beispiel hätte zum einen eine organische Entwicklung abrupt und beinahe willkürlich unterbrochen. Zum anderen wären auf diese Weise die UN-Auslandseinsätze, die von nicht zu überschätzender Bedeutung für die Entwicklung der offiziellen und öffentlichen militärischen Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr sowie für deren binnenmilitärisches Pendant gewesen sind, vollständig ausgeblendet worden. Ohne die deutsche Teilnahme an UN-Missionen würde man sowohl in der Bundeswehr wie auch in der Bundesrepublik wohl kaum über den binnenmilitärischen sowie den gesellschaftlichen Umgang mit toten Bundeswehrsoldaten und über die Notwendigkeit einer militärischen Trauer- und Gedenkkultur diskutieren. Und ohne diese Auslandseinsätze sind sowohl das Ehrenmal der Bundeswehr als auch der Wald der Erinnerung kaum vorstellbar. Die Untersuchung widmete sich insbesondere auch der Frage, welche historischen und institutionellen Umstände sowie ideologischen Konzepte dazu führten, dass die Bundeswehr bis zum Ende des Kalten Krieges so gut wie keine offiziellen und öffentlichen Formen des Trauerns und des Gedenkens für ihre eigenen im Dienst getöteten Soldaten fand, sondern sich lediglich mit rudimentären und durch Provisorien geprägten internen Trauerformen behalf. Auch zur Beantwortung dieser Frage ist der Blick – wie die Untersuchung zeigte – auf die Entwicklung nach 1989 nicht nur hilfreich, sondern nötig. Weil nur dadurch erkennbar wird, wie und warum es zu den ersten Ausprägungen einer amtlichen und öffentlichen Trauer- und Gedenkkultur für die Toten der Bundeswehr kommen konnte. Hauptsächlich zwei Erklärungsansätze (im Folgenden 1. und 2. genannt) belegen die These der Untersuchung, dass es vor allem systemimmanente Gründe sind, die zu der erwähnten »institutionellen Amnesie« führten. Ironischerweise stehen die beiden Erklärungsansätze für zwei politisch weit auseinanderliegende Lager, deren ganz unterschiedliche Überzeugungen und Argumentationslinien letztlich aber dennoch zum gleichen Ergebnis führten. 1. Das Fehlen einer Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr geriet zunächst kaum in den Blick, da die Veteranen der Wehrmacht, die am Aufbau der Bundeswehr maßgeblich beteiligt waren, der neuen Armee ihre vor 1945 geprägte Memorialkultur für gefallene Kameraden der Wehrmacht gewissermaßen überstülpten. Auch dies untermauerte die Untersuchung. Hinzu kommt, dass diese Veteranen durch ihr oftmals von Heldenmythos und Opfertod geprägtes Soldatenbild die Unfalltoten der Bundeswehr als reine »Betriebsunfälle« verstanden. Subjekte des militärischen Gedenkens, des Betrauerns und der Verehrung konnten für sie aber nur Soldaten sein, die im Kampf gefallen waren und denen der »Glanz« des Soldatentodes an-



IX. Fazit und Ausblick

429

haftete.2 So besetzte das oft aufwändig inszenierte militärische Totengedenken der Veteranen für ihre gefallenen Wehrmachtkameraden jahrzehntelang die Lücke in der Bundeswehr, die eigentlich das Gedenken an die im Dienst ums Leben gekommenen Bundeswehrsoldaten hätte füllen müssen. Zwischen den 1950er- und den 1970er-Jahren entstand auf diese Weise durch die Kooperation von einflussreichen externen Veteranenverbänden mit Veteranen in Führungspositionen innerhalb der Bundeswehr eine Vielzahl von Ehrenmalen, die entweder an die Gefallenen einer Waffengattung oder einer Teilstreitkraft der Wehrmacht erinnern. Daher wäre es für die ersten Jahrzehnte der Bundeswehr durchaus präziser gewesen, wie die Untersuchung nahelegt, von einer Trauer- und Gedenkkultur der Wehrmacht im Rahmen der Bundeswehr zu sprechen. Die Veteranen verfolgten damit auch eine elementare gesellschaftspolitische Absicht, denn die Ehrung ihrer Toten an den Gedenkstätten war auch der Versuch, auf diese Weise die Wehrmacht in ihrer Gesamtheit ein Stück weit zu rehabilitieren. Darüber hinaus ließen sich so ihre militärischen Rituale und Traditionen, ihre soldatischen Werte, ihr soldatisches Berufsverständnis und ihre Vorbilder – ganz im Sinne einer ungebrochenen Kontinuitätslinie – in die Bundeswehr hineintragen. Erst spät, vor allem ab den 1990er-Jahren, wurden Tote der Bundeswehr vereinzelt in das Gedenken an Ehrenmalen der Wehrmacht mit einbezogen. 2. Auch das bereits ausführlich dargestellte Bild des Soldaten und das Verständnis seines Berufs, wie es die eher reformorientierten Militärs um Wolf Graf von Baudissin vertraten, trugen entscheidend dazu bei, die Notwendigkeit einer Trauerund Gedenkkultur für die Toten der Bundeswehr ganz in den Hintergrund treten zu lassen. Vor allem manche Vorstellungen im Leitbild des Staatsbürgers in Uniform und die Marginalisierung des Todes zur reinen »Nebenfolge« des soldatischen Berufs als Reaktion auf den militärischen Helden- und Opferkult vor 1945 führten zu einer grundsätzlichen Distanz gegenüber den Toten der Bundeswehr. Der Aufbau einer offiziellen und öffentlichen Trauer- und Gedenkkultur besaß so kaum Priorität, ja, Baudissins Überzeugungen verhinderten sie sogar. Auch dies zeigt die Untersuchung. Die beiden Ansätze erklären im Wesentlichen das Fehlen einer entsprechenden amtlichen Trauer- und Gedenkkultur. An ihre Stelle traten stattdessen von Gründung der Bundeswehr an kameradschaftliche und binnenmilitärische Formen des Trauerns und des Gedenkens. Diese fanden in den Einsatzgebieten, in denen die Bundeswehr im Rahmen von UN-Missionen ab den 1990er-Jahren stationiert war, ihre Fortsetzung und ihre Weiterentwicklung. Bis zu den Einweihungen der zentralen Bundeswehrgedenkstätten in Berlin und in Potsdam-Schwielowsee, die den vielleicht bedeutendsten Schritt in Richtung einer offiziellen und öffentlichen Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr markieren, war diese binnenmilitärische Memorialkultur nicht nur die früheste Form des Gedenkens für die eigenen Toten im Rahmen der Bundeswehr. Sie war im Wesentlichen, wie die Untersuchung belegt, auch die einzige, die ausschließlich an die eigenen im Dienst getöteten Soldaten erinnerte. 2

Siehe Kap. VII.3.a‑b.

430

IX. Fazit und Ausblick

Aber es gab noch andere Gründe, die zur Verhinderung einer offiziellen und öffentlichen Ehrung getöteter Bundeswehrsoldaten beitrugen. Vor allem in der Aufbauphase und bis zum Ende ihres ersten Jahrzehnts kam es in der Bundeswehr zu besonders vielen Todesfällen (Höchststand im Jahr 1962 mit 166  Toten) wegen diverser Missstände in der Menschenführung (z.B. durch unerfahrene Ausbilder oder »Schleifer-Methoden«) und aufgrund unausgereifter, mangelhafter oder sogar untauglicher Ausrüstung (z.B. Noratlas, Starfighter, Schützenpanzer HS-30). In dieser Situation und angesichts einer kritischen, durch casuality shyness geprägten bundesrepublikanischen Öffentlichkeit war ein offizielles und publikumswirksames Totengedenken für die Bundeswehr, die jede öffentliche Auseinandersetzung um die Ursachen für diese Todesfälle scheute, nicht von Interesse. Die »institutionelle Amnesie«, die Lücken bei der Erfassung der entsprechenden Todesfälle und letztlich das Fehlen eines amtlichen Totengedenkens für tödlich verunglückte Bundes­wehr­ soldaten hatten gewiss ebenfalls hier eine ihrer Quellen. Am 14. Oktober 1993 verlor Feldwebel Alexander Arndt in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh sein Leben. Sein Tod – es ist der erste Todesfall eines deutschen Soldaten im Auslandseinsatz seit dem Zweiten Weltkrieg – kennzeichnete den Beginn eines neuen Kapitels in der Geschichte der Bundeswehr. Und darüber hinaus war er wohl auch der entscheidende Anlass, wie die Untersuchung nahelegt, der die bis heute keineswegs abgeschlossene Debatte über die Notwendigkeit einer angemessenen Trauer- und Gedenkkultur beförderte. Die Beteiligung der Bundeswehr an der von der NATO geführten Mission in Afghanistan ab 2002 forcierte diese Auseinandersetzung auf eindringliche Weise. Denn mit Guttenberg sprach 2010 erstmals auch ein deutscher Verteidigungsminister im Zusammenhang mit einem Auslandseinsatz der Bundeswehr von »Krieg«. Jeder Krieg aber hinterlässt tote Soldaten, die im Auftrag ihres Staates gefallen sind und die nun ein Anrecht darauf besitzen, von diesem im Rahmen einer würdigen Memorialkultur auch offiziell und öffentlich betrauert, geehrt und erinnert zu werden. Diese neuen Einsatzrealitäten konfrontierten den Soldaten der Bundeswehr mit einer militärischen Wirklichkeit, durch die der Kampf zur Handlungsoption und zum Teil seines soldatischen Selbstverständnisses wurde. Und damit, dass Töten und Sterben – von Baudissin einst marginalisiert bis an den Rand der Leugnung – vom Soldatenberuf nicht abzutrennende Momente sind. In gewisser Weise begann mit den UN-Auslandseinsätzen, vor allem aber mit dem Einsatz in Afghanistan, für die Bundeswehr, die so lange – was kämpfende Vorbilder und Kampferfahrung angeht – im Schatten der Wehrmacht stand, die militärische Emanzipation. Die Bundeswehr wurde quasi erwachsen und fand sich in der Realität einer kämpfenden Berufsarmee wieder, deren Soldaten töten und sterben. Auf diese Weise wird sie sich nach und nach ihre eigenen militärischen Traditionen schaffen, ihre eigenen kämpfenden Vorbilder, ihre eigene Gedenkwürdigkeit. Maßgeblich ist hierbei vor allem der Afghanistan-Einsatz. Auch zehn Jahre nach dem Karfreitagsgefecht von 2010 besitzen das Gedenken und die Erinnerung an die Gefallenen prägende Wirkung in der Bundeswehr. Der Tagesbefehl von Ver­tei­di­ gungs­ministerin Kramp-Karrenbauer anlässlich des zehnten Jahrestages verdeutlicht



IX. Fazit und Ausblick

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dies: »Heute denken wir mit Trauer an unsere Gefallenen vor zehn Jahren [...] Wir denken aber auch mit Stolz an die Tapferkeit, Kameradschaft und Disziplin, die unsere Soldaten in jedem Gefecht auszeichnete, an ihre Standhaftigkeit, Besonnenheit und Hilfsbereitschaft.«3 Die Soldaten der Bundeswehr erfüllen ihren militärischen Auftrag, befohlen und legitimiert durch die Bundesrepublik Deutschland, eine demokratisch verfasste und in übernationale Militärbündnisse eingebundene Gesellschaft. Nicht nur die Bundeswehr – auch diese Gesellschaft muss nun ihrerseits bereit sein, sich zu ihren Soldaten und deren Todesopfern zu bekennen. Das bedeutet auch, dass sie diesen Opfern unter Führung der Bundeswehr im Rahmen einer würdigen und ehrenden Trauer- und Gedenkkultur ihren Respekt, ihre Achtung und ihre Wertschätzung zollen muss. Vor allem seit der deutschen Teilnahme an UN-Auslandsmissionen entwickelt sich diese offizielle und öffentliche Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr. Dieser Prozess wird wohl noch, wie die Untersuchung verdeutlicht, einen längeren Zeitraum beanspruchen. Denn Traditionen müssen wachsen, vor allem auch von unten, von der Basis her. Dies zeigten bereits die Ansätze der kameradschaftlichen und binnenmilitärischen Trauer- und Gedenkkultur während des Kalten Kriegs. Und diese persönlichen Zeichen des Abschiednehmens und der Würdigung lassen sich fortschreiben bis zu den Ehrenhainen in den deutschen Feldlagern in Afghanistan. Welche Art von Vorbildern aber soll diese entstehende Trauer- und Gedenkkultur propagieren? Auf welche Traditionen zurückgreifen? Und wessen soll überhaupt gedacht werden? Können die Toten und Gefallenen der Bundeswehr dabei zu neuen, tauglichen militärischen Vorbildern werden? Was den Kreis der zu Gedenkenden betrifft, so muss die amtliche Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr all ihre Soldaten, die in Ausübung des Dienstes starben und sterben werden, gleichermaßen einschließen: die im Einsatz getöteten bzw. gefallenen Bundeswehrsoldaten ebenso wie die tödlich Verunglückten und jene Soldaten, die – wie z.B. früher manche Starfighterpiloten oder in jüngster Vergangenheit Träger des Ehrenkreuzes der Bundeswehr für Tapferkeit – ihr Leben opferten, um das Leben anderer zu retten. Analog dazu könnten auch Einzelpersonen der NVA, die durch ihr Selbstopfer ein Unglück verhinderten, in das amtliche Gedenken aufgenommen werden. Bereits anlässlich der Eröffnung des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden am 14. Oktober 2011 äußerte sich Verteidigungsminister de Maizière in diese Richtung: »Lassen Sie mich heute [...] die Frage aufwerfen, ob man auch in der NVA Traditionswerte finden kann?«4 Auch die Neufassung des sogenannten Traditionserlasses »Die Tradition der Bundeswehr. Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege« von 3

4

Wiegold, Zehn Jahre nach dem Karfreitagsgefecht, 2.4.2020, (letzter Zugriff 6.9.2021); BMVg, Tagesbefehl zur Erinnerung an das »Kar­frei­ tagsgefecht« 2010, 2.4.2020, (letzter Zu­ griff 6.9.2021). Maizière, Das Ganze im Blick, Das Gute als Vorbild (Vortrag 14.10.2011), S. 217.

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IX. Fazit und Ausblick

Anfang 2018 verneint zwar für die NVA in ihrer Gesamtheit die Traditionswürdigkeit, nicht aber für Einzelpersonen.5 Bleibt die Frage, wer ein Vorbild im Rahmen dieser amtlichen Memorialkultur sein kann, sein darf. Sollen ausschließlich Soldaten Vorbildcharakter besitzen, die im Einsatz, im Kampf fallen? Oder können dies darüber hinaus nicht auch Soldaten sein, die sich durch andere Taten auszeichnen? Humanitäre, selbstlose zum Beispiel? Vorbilder sollten stets von unten, aus den Reihen der Soldaten benannt werden. Idealerweise übt der Bundeswehrsoldat sein Handwerk in einem moralischethischen Kontext aus. Eine offizielle und öffentliche Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr muss nicht zuletzt auch darauf großes Gewicht legen. Daher sollten sich die Bundeswehrsoldaten bei der Suche nach militärischen Vorbildern nicht nur auf das Idol des Kämpfers festlegen, sondern die gesamte Persönlichkeit in den Blick nehmen und gleichermaßen den Bundeswehrsoldaten als gedenkwürdig hervorheben, der sich durch militärische Fähigkeiten, menschliches Handeln oder ein selbstloses Opfer auszeichnet. Vieles deutet heute darauf hin, dass in naher Zukunft kämpfende »Avatare« bzw. hochgerüstete Roboter, autonome Drohnen und intelligente Software entscheidende Elemente der Kriegführung sein dürften. Angesichts dieser wahrscheinlichen und im Wortsinn »ent-menschlichten« Kriegswirklichkeit wächst einer offiziellen und öffentlichen Trauer- und Gedenkkultur herausragende Bedeutung zu. Eine Memorialkultur, die Vergänglichkeit und Tod, Trauer, Mitgefühl und Menschlichkeit auch im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz wieder ganz in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit rückt.

5

Vgl. Erlass »Die Tradition der Bundeswehr«. Abgedr. in: Tradition in der Bundeswehr, S. 282‑295, hier Ziff. 3.4.2, S. 288 f.

Abkürzungen ABC ACDP ACSP a.D. AdsD AfD AIRCENT

Atomar, Biologisch, Chemisch Archiv für Christlich-Demokratische Politik Archiv für Christlich-Soziale Politik außer Dienst Archiv der sozialen Demokratie Alternative für Deutschland Allied Air Forces Central Europe (Alliierte Luftstreitkräfte Europa-Mitte) AKMB Archiv des Katholischen Militärbischofs für die Deutsche Bundeswehr Anm. Anmerkung AO Artillerieoffizier ARD Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland Art. Artikel BArch Bundesarchiv (-Militärarchiv) Bd Band BDF Bund Deutscher Fallschirmjäger e.V. BDM-V Bund Deutscher Marinevereine Betr. Betreff BGBl. Bundesgesetzblatt BGS Bundesgrenzschutz BHV Bundeshauptversammlung BM Bundesminister BMVg/BMdV/BMVtdg Bundesministerium der Verteidigung BV Bundesvorsitzender BVerfG Bundesverfassungsgericht BW Bundeswehr bzw. beziehungsweise CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands CSU Christlich-Soziale Union in Bayern ČSSR Tschechoslowakische Sozialistische Republik DBwV Deutscher Bundeswehrverband e. V. DDR Deutsche Demokratische Republik d.h. das heißt

434 Abkürzungen

DKA Deutsches Kunstarchiv DLWB Deutscher Lufwaffenblock e.V. DLWR Deutscher Luftwaffenring e.V. DM Deutsche Mark DMB Deutscher Marinebund e.V. DMB-Archiv Archiv des Deutschen Marinebundes dpa Deutsche Presse-Agentur d.R. der Reserve Dr. Doktor DtEinsKtgt ISAF Deutsches Einsatzkontingent ISAF ebd. Ebenda NATO Enhanced Forward Presence EFP Europäische Union EU eingetragener Verein e.V. f. folgende FAS Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FDP Freie Demokratische Partei FEDAC Fédération Européenne des Associations de Combattants FltAdm Flottillenadmiral FR Frankfurter Rundschau FschJg Fallschirmjäger FüAkBw Führungsakademie der Bundeswehr FüB Führungsstab Bundeswehr Führungsstab Heer FüH FüL Führungsstab Luftwaffe FüM Führungsstab Marine FüS Führungsstab Streitkräfte G 1 Abteilung Personal/Innere Führung GEBHFLGSTFF Gebirgsflugstaffel GEBJGBTL Gebirgsjägerbataillon Gefr Gefreiter General d. Fl. General der Flieger GenLt Generalleutnant GeoInfoForum Mitteilungen des Geoinformationsdienstes der Bundeswehr GFZ-Kaserne Generalfeldzeugmeister-Kaserne GM Generalmajor GPS Global Positioning System GSVP Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik h.c. Honoris causa HIAG Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS e.V. HDv Heeresdienstvorschrift

Abkürzungen 435

Hl. Heilig HNA Hessische/Niedersächsische Allgemeine Zeitung HSFK Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung HUS Heeresunteroffizierschule if Zeitschrift für Innere Führung i.G. im Generalstab insbes. insbesondere Insp.d.H./InspH Inspekteur des Heeres InspL/InspLw Inspekteur der Luftwaffe Internationale Politik IP IPStab Presse Informations- und Pressestab International Security Assistance Force ISAF IV: Abteilung Streitkräfte, IV C C: Unterabteilung Ausland/Inland Jabo Jagdbomber JaboG Jagdbombergeschwader Jg. Jahrgang Kap. Kapitel Kathol. Katholisch KDR Kommandeur Kdr FüAkBw Kommandeur der Führungsakademie der Bundeswehr Kosovo Force KFOR KPD Kommunistische Partei Deutschlands KPdSU Kommunistische Partei der Sowjetunion KpfTrS Kampftruppenschule KSK Kommando Spezialkräfte KSZE Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa KZ Konzentrationslager LG Lehrgeschwader Lkw Lastkraftwagen LL.-Div. Luftlande-Division LLJg.Btl Luftlandejägerbataillon LL/LTS Luftlande/Lufttransportschule LOC Line of Communication LSK/LV Luftstreitkräfte/Luftverteidigung LW Luftwaffe LWR Deutscher Luftwaffenring e.V. MfNV Ministerium für Nationale Verteidigung MG Maschinengewehr MGFA Militärgeschichtliches Forschungsamt MGM Militärgeschichtliche Mitteilungen Militärgeschichtliche Zeitschrift MGZ MiG Mikojan-Gurewitsch Milit. Pfr. Militärpfarrer

436 Abkürzungen

Milit. Ob. Pfr. Militär Oberpfarrer MINUSMA Mission multidemensionelle intégrée des Nations Unies pour la stabilisation au Mali mot. motorisiert N/NL Nachlass NATO North Atlantic Treaty Organization NAMFI NATO Missile Firing Installation ND Neues Deutschland NDR Norddeutscher Rundfunk Nr. Nummer NS nationalsozialistisch NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistischer Deutscher Marinebund NS-DMB Nationale Volksarmee NVA ohne Jahr o.J. OKH Oberkommando des Heeres OKK Oberkommando der Kriegsmarine OKW Oberkommando der Wehrmacht OLT Oberleutnant o.O. ohne Ort OP North Observation Post North o.S. ohne Seite OSLw Offizierschule der Luftwaffe OSTA Oberstabsarzt OTL Oberstleutnant Parlament- und Kabinettreferat ParlKab PDS Partei des Demokratischen Sozialismus PIZLw Presse- und Informationszentrum Luftwaffe Pkw Personenkraftwagen Prof. Professor Abteilung Personal-, Sozial- und Zentralangelegenheiten im PSZ Bundesministerium der Verteidigung Abteilung Personal/Zentrale Angelegenheiten P/Z Rundfunk Berlin Brandenburg Rbb RC North Regional Command North Ring deutscher Soldatenverbände e.V. RdS RIHA Journal Journal of the International Association of Research Institutes in the History of Art roem. römisch s. siehe S. Seite SanGefr Sanitätsgefreiter Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SED SFOR Stabilisation Force SG Soldatengesetz

Abkürzungen 437

SHAPE Supreme Headquarters Allied Powers Europe sog. sogenannt SOWI Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr Sp. Spalte SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SS Schutzstaffel Stellv. Stellvertreter SU Stabsunteroffizier SVG Soldatenversorgungsgesetz SZ Süddeutsche Zeitung Tactical Air Navigation Tacan u.a. unter anderem UAL Unterabteilungsleiter Uffz Unteroffizier United Nations UN UNAMIC United Nations Advance Mission in Cambodia UNO United Nations Organisation UNOMIG United Nations Observer Mission in Georgia UNOSOM II United Nations Operation in Somalia UNPF United Nations Protection Force UNSOM United Nations Assistance Mission in Somalia UNTAC United Nations Transitional Authority in Cambodia United States US USA United States of America v. Chr. vor Christus VDK Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. VdS Verband deutscher Soldaten e.V. VfZ Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte vgl. vergleiche Vorg. Vorgang VR Vereinsregister VS Verschlusssache VW Volkswagen Westeuropäische Union WEU WP Wahlperiode zum Beispiel z.B. Zentrale Dienstvorschrift ZDv z.Hd. zu Händen Ziff. Ziffer ZMSBw Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr z.S. zur See

Quellen und Literatur Die im Folgenden genannten Internetlinks sind, wenn nicht anders angegeben, zuletzt am 6.9.2021 aufgerufen worden.

1. Ungedruckte Quellen Archiv der sozialen Demokratie, Bonn (AdsD) Depositum Dieter Heistermann Depositum Heinz-Alfred Steiner Nachlass Werner Buchstaller Archiv des Deutschen Marinebundes e.V., Laboe (DMB-Archiv) Ordner: Abgeordnetentage 1952‑1960 Ordner: Abgeordnetentag 1961 Ordner: Abgeordnetentag 1962 Ordner: Abgeordnetentag 1967 Ordner: Abgeordnetentag 1969 Ordner: Abgeordnetentag 1970 Ordner: Abgeordnetentag 1971 Ordner: Abgeordnetentag 1982 Ordner: Abgeordnetentag 1984 Ordner: Abgeordnetentag 1995 Ordner: Abgeordnetentag 1996 Ordner: DMB-Bundeswehr Ordner: Geschichte DMB Ordner: Otto Kretschmer – MEM Ordner: Vorgang Otto Kretschmer Archiv des Katholischen Militärbischofs für die Deutsche Bundeswehr, Berlin (AKMB) AR 315,36 IV, E.2.1 Pfarrchronik Rendsburg Archiv für Christlich-Demokratische Politik, Sankt Augustin (ACDP) 0/054/24-0 01-098 Nachlass Theodor Blank



Quellen und Literatur

439

01-483 Nachlass Gerhard Schröder 01-626 Nachlass Gerhard Stoltenberg Archiv für Christlich-Soziale Politik, München (ACSP)

NL Richard Jaeger NL Franz Josef Strauß

Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv, Freiburg i.Br. (BArch) B 469 Verband Deutsches Afrikakorps e.V. Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V. B 482 B 497 Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V. Bundesministerium der Verteidigung – Führungsstab des Heeres BH 1 BH 7-2 II. Korps BH 9-5 Panzergrenadierbrigade 5 BH 30 Verteidigungsbezirkskommandos BHD 1 Heer Amtsdrucksachen BL 1 Bundesministerium der Verteidigung – Führungsstab der Luftwaffe BL 13 Schulen der Luftwaffe BL 23 Jagdbomberverbände BL 32 Generalarzt der Luftwaffe Bundesministerium der Verteidigung – Führungsstab der Marine BM 1 BM 11 Befehlshaber der Seestreitkräfte der Nordsee BM 22 Ubootflottille BM 39 Versorgungsgeschwader BW 1 Bundesministerium der Verteidigung – Leitung, zentrale Stäbe und zivile Abteilungen BW 2 Bundesministerium der Verteidigung – Generalinspekteur und Führungsstab der Streitkräfte BW9 Deutsche Dienststellen zur Vorbereitung der mit den Europäischen Verteidigungsgemeinschaften zusammenhängenden Fragen BW 24 Bundesministerium der Verteidigung – Inspektion des Sanitäts- und Gesundheitswesens der Bundeswehr BWD 3 Zentrale Dienstvorschriften der Bundeswehr DVW 1 Ministerium für Nationale Verteidigung MSG 3 Sammlung Drucksachen militärischer Einrichtungen und Interessensverbände MSG 223 Traditionsverband der Ehemaligen der 6. SS-Gebirgs-Division »Nord« N 667 Nachlass Kurt Student N 673 Nachlass Ulrich de Maizière N 690 Nachlass Heinz Karst N 717 Nachlass Wolf Graf von Baudissin RW 6 Oberkommando der Wehrmacht/Allgemeines Wehrmachtsamt mit nachgeordnetem Bereich

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Quellen und Literatur

Deutsches Kunstarchiv des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg (DKA) Nachlass Hans Wimmer

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Soldat sein heute. Leitgedanken zur Neuausrichtung der Bundeswehr, Berlin 2012



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Drucksache 16/3963, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Monika Knoche, Inge Höger-Neuling, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 16/3742, 22.12.2006,

Drucksache 16/7258, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen, Inge Höger, Paul Schäfer (Köln) und der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 16/6919, 21.11.2007, Drucksache 16/11006, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Inge Höger, Paul Schäfer (Köln) und der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 16/10780, 21.11.2008, Drucksache 17/5877, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Ulla Jelpke und der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 17/5747, 20.5.2011,



Quellen und Literatur

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Drucksache 17/8720, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katja Keul, Omid Nouripour, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 17/8559, 23.2.2012,

Gedenkstele für im Auslandseinsatz gestorbene Bundeswehrangehörige, 19.11.2020, Protokoll der 122. Kabinettssitzung am 21. September 1960, Stenographische Berichte des Deutschen Bundestages, 240. Sitzung, 3.12.1952,

Stenographische Berichte des Deutschen Bundestages, 132. Sitzung, 6.3.1956,

Stenographische Berichte des Deutschen Bundestages, 187. Sitzung, 28.9.2005,

4. Reden (Bundeskanzlerin, Bundespräsident, Bundesminister/ Bundesministerin der Verteidigung) Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Peter Struck, anlässlich der Trauer­feier für die am 7.6.2003 in Kabul getöteten Soldaten der Bundeswehr, 10.6.2003, (letzter Zugriff 12.5.2010) Rede von Bundespräsident Horst Köhler bei der Kommandeurtagung der Bundes­wehr in Bonn, 10.10.2005, Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr.  Franz Josef Jung, anlässlich des XXXII.  Internationalen Militärhistorikerkongresses am 21.8.2006 in Potsdam, (letzter Zugriff 2.12.2015) Rede des Bundesministers der Verteidigung Dr. Franz Josef Jung anlässlich der Trauer­feier für die am 19.5.2007 in Kunduz getöteten Soldaten der Bundes­ wehr am 23.5.2007 in Köln-Wahn, (letzter Zugriff 12.5.2012) Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, anlässlich der Trauerfeier für die am 19.6.2008 in Bosnien-Herzegowina ums Leben gekommenen Soldaten der Bundeswehr am 24.6.2008 in der Alexanderskirche in Zweibrücken, http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/ministerium/geschichte_bmvg/verteidi gungsminister_seit_1955/drfranzjosefjung%3Fyw_contentURL=%2FC1256F1 200608B1B%2FW27FWGMQ582INFODE%2Fcontent.jsp.html (letzter Zu­ griff 12.05.2010) »Im Einsatz für den Frieden gefallen«. Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, anlässlich der Trauerfeier für die am 20.10.2008 in Afghanistan getöteten Soldaten der Bundeswehr am 24.10.2008 in Zweibrücken, (letzter Zugriff 12.5.2010) Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr.  Franz Josef Jung, anlässlich der Grundsteinlegung für das Ehrenmal der Bundeswehr am 27.11.2008 in Berlin, (letzter Zugriff 28.6.2016) Rede des Bundesministers der Verteidigung anlässlich der Trauerfeier in der Evangelischen Stadtkirche Bad Salzungen, 2.7.2009, (letzter Zugriff 15.5.2010) Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, anlässlich der Trauerfeier für den Stabsgefreiten Patric Sauer am 12.10.2009 in der Christkönig Kirche Fulda, (letzter Zugriff 12.5.2010) Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich der Trauerfeier für die am 2. April in Kundus gefallenen Soldaten, Selsingen, 9. April 2010, Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr.  Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, anlässlich der Trauerfeier für die drei am 2. April gefallenen Soldaten in der Sankt-Lamberti-Kirche am 9.4.2010 in Selsingen, (letzter Zugriff 12.5.2010) Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, anlässlich der Trauerfeier für die vier am 15.  April gefallenen Soldaten im Liebfrauenmünster in Ingolstadt am 24.4.2010, (letzter Zugriff 12.5.2010) Trauerrede des Bundesministers der Verteidigung, Dr.  Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, anlässlich der Trauerfeier für den am 7.10.2010 gefallenen Oberfeldwebel Florian Pauli am 15.10.2010 in der St. Lamberti-Kirche in Selsingen, (letzter Zugriff 18.12.2012) Rede des Bundesministers der Verteidigung, Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, anlässlich der Trauerfeier für die am 18.2.2011 gefallenen Soldaten in der Stadt­ pfarrkirche St. Michael am 25.2.2011 [Da das Manuskript nicht mehr auf der Home­page des Bundesministeriums der Verteidigung zu finden ist, kann kein Link angegeben werden.] Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière, anlässlich der Trauerfeier für den am 2.6.2011 in Afghanistan gefallenen Oberstabsgefreiten Alexej Kobelew am 10.6.2011 in Detmold, (letzter Zugriff 14.8.2012) Das Ganze im Blick, Das Gute als Vorbild – Das ist der Sinn von Traditionspflege der Bundeswehr. Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr.  Thomas de Maizière, anlässlich der Neueröffnung des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr am 14. Oktober 2011 in Dresden. In: Tradition für die Bundeswehr, S. 211‑220 Rede der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen anlässlich der Einweihung des Waldes der Erinnerung am 15.11.2014, (letzter Zugriff 13.7.2016) Rede der Bundesministerin der Verteidigung Dr.  Ursula von der Leyen bei der Trauerfeier für die beiden in Mali gestorbenen Soldaten Major Jan Färber und Stabshauptmann Thomas Müller, am 3.8.2017 im Dom zu Fritzlar, Rede der Bundesministerin der Verteidigung Dr. Ursula von der Leyen anlässlich der feierlichen Eröffnung des Raumes der Information am Ehrenmal der Bundeswehr am 11.6.2018 in Berlin,

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Quellen und Literatur

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Quellen und Literatur

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Rau würdigt tote Soldaten. In: FAZ, 29.12.2002, Ray, Roland, Zehn Jahre nach dem Hubschrauberabsturz über Kabul. Soldaten sind nicht vergessen. In: Schwäbische Zeitung, 21.12.2012, Rede des Inspekteurs des Heeres anlässlich der Feierstunde am Ehrenmal des Deutschen Heeres am 20.11.2014, (letzter Zugriff 20.6.2016) Reservisten richteten Gedenkstätte am Knüllköpfchen wieder her. In: HNA, 12.1.2016,

Rost, Alexander, »U Hai« – narrensicher und doch gesunken. Jetzt wird die Krise der Marine offenbar – Mangelhafte Seemannschaft und altes Material. In: Die Zeit, 23.9.1966 Roth, Franz, Im Gedenken, 30.6.2009, Rüthnick Architekten, Wald der Erinnerung, Sächsisches Bestattungsgesetz vom 8.  Juli 1994 (SächsGVBl. S.  1321), das zuletzt durch Artikel  16 des Gesetzes vom 26.4.2018 (SächsGVBl. S.  198) geändert worden ist, Satzung Kuratorium Ehrenmal des Deutschen Heeres e.V., 13.5.1993, Scharping plant Truppenstärke von 255 000 Soldaten. In: Spiegel online, 1.6.2000,

Scheller, Wolf, Der heilige Antonius bleibt. Die Bundeswehr nannte es Hysterie. In: Die Zeit, 29.9.1967 Schiermeyer, Matthias, Sergej Motz gibt dem Tod in Afghanistan ein Gesicht. Trauerfeier für den von den Taliban umgebrachten 21-jährigen Soldaten – Verteidigungsminister Jung meidet den Begriff Krieg. In: Stuttgarter Zeitung, 8.5.2009 Schmidt, Lothar, Der Lebacher Soldatenmord, 13.3.2009, Schmidt, Wolfram, Versprechen will ein Halten haben. Der Evangelische Militärbischof hat ein Versprechen eingelöst und besuchte Soldaten in der Bad Salzunger Werratal-Kaserne, 22.4.2010, (letzter Zu­ griff 20.5.2016) Schmitz, Colla, Unser Ohr am Feind. In: Y-punkt, 19.2.2013, (letzter Zugriff 12.5.2016) Die Schnellboot-Seite, Schönborn, Ulrich, Knapp an Katastrophe vorbei. In Nordwest-Zeitung, 17.2.2012,

Schöndorfer, Dieter, Transall C-160: Ein besonderer Beruf, der das Leben kosten kann. In: Augsburger Allgemeine, 22.10.2015 Schrank, Michael, Die Ehre gebührt den Tapferen auch nach ihrem Tod, 16.11.2019,

Schulz, Dieter, und Kathrin Emse, Starfighter. Das Leben mit dem Drama. In: Flensburger Tageblatt, 8.11.2015 Die schwarze Serie. In: Der Spiegel, 14.12.1997 Schwendel, Bernd, Gedenkfeier zum Volkstrauertag am Ehrenmal des Heeres. »Grund zur Trauer gibt es auch heute noch genug,« 3.12.15, Schwere Unfälle/Totalverluste F/RF/TF-104F/G der Luftwaffe, Seliger, Marco, »Manchmal ist das schon ein Scheißjob«. In: FAZ, 14.2.2011,

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Quellen und Literatur

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Taliban sprengen Wiederaufbau-Symbol der Bundeswehr in Kunduz. In: Spiegel online, 24.10.2015, Tauglich II. In: Der Spiegel, 21.8.1963 Terrorgruppe: Anschlag in Mali Reaktion auf Gauck-Besuch, 13.2.2016, The Old North Church & Historic Site, The Memorial Garden, Der Tod fürs Vaterland. In: Der Spiegel, 7.10.1964 Tod in Afghanistan, 25.5.2020, Todesfälle in der Bundeswehr infolge des Dienstes (Stand: 30.8.2021). In: bundeswehr.de, Todesfälle in der Bundeswehr im Auslandseinsatz und in anerkannten Missionen (Stand: 21.10.2019). In: bundeswehr.de,

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Die Unvollendete. Affäre/HS 30. In: Der Spiegel, 13.11.1967 Verband Deutsches Afrika-Korps e. V., (letzter Zugriff 11.6.2020) Verleihung der Ehrenplakette der Bundeswehr an Jennys Grab, (letzter Zugriff 8.8.2016) Verluste, Verluste im JG-2, Vermächtnis von Langemarck. In: Namslauer Stadtblatt, 14.11.1934 Vitas, Mark, In stillem Gedenken und nie vergessen, (letzter Zugriff 9.8.2016)



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Personenregister Abbt, Thomas   25 f. Adenauer, Konrad   44, 65, 69, 70, 75, 80, 112 Ahlhorn, Wilhelm   46 Annuß, Gottfried   137 Apel, Hans   14, 68, 92, 122, 261, 357 Arndt, Alexander   2, 14, 20, 187, 190, 228‑230, 275, 278 f., 298‑300, 305, 330 f., 430 Arndt, Ernst Moritz   196, 422 Arnstadt, Rudi   57 Assmann, Heinz   73 Augustyniak, Martin Kadir   1, 236, 307, 320, 354 Baer, Bern Oskar von   99 Bahr, Hans-Jürgen   353 Bahstan, Manfred   353 Bartling, Udo   353 Baudissin, Wolf Graf von   8, 15, 19, 76, 141, 149‑153, 156, 165‑170, 173‑175, 177‑179, 193, 195‑201, 204, 242, 254‑257, 269, 280, 351, 391, 413, 429 f. Beck, Hans-Christian   192 Bedarf, Erik Edgar   100, 297 f., 353 Behlke, Patrick   304 Bergmann, Robert   403 f. Bernhard, Ernst-Dieter   297 Beumelburg, Werner   81 Beutz, Karl   108, 110, 379 Biehle, Alfred   190 Birk, Eberhard   315 Blank, Theodor   14, 83, 176, 198, 268 Bleyer, Eugen   142 Bliesener, Günter   58 Blomberg, Werner von   36 Boehmer, Hans-Rudolf   382 Boelcke, Oswald   131, 385 Böken, Jenny   287, 422 Böken, Marlies   422 Boldt, Erich   14, 22, 313 f., 316 f., 352 Bornheim, Werner   143

Boyen, Ludwig Leopold Gottlieb Hermann von   27 Brandenburg, Adolf   32 Brauchitsch, Walther von   60 Brenker, Armin   90 Broddam, Helmut   354 Broer, Thomas   237, 318 Bruns, Nils   1, 236, 307 Bucksch, Heinrich   257 Budde, Hans-Otto   147, 148, 185, 404‑406 Burandt, Eberhard   147, 400‑402 Christmann, Hansdieter   383 Christo   380 Churchill, Winston S.   99 Clausewitz, Carl von   27, 174 Crüwell, Ludwig   72 Czechowski, Joachim   295 Czwalina, Ulrich Karl   353 Deininger, Friedrich   232 Dethleffsen, Erich   73 Dettmann, Joachim   , 137 Dieth, Carl-Heinrich   355 Dietrich, Werner   354 Dönitz, Karl   43, 60, 66, 70, 92, 112‑116, 123, 126, 261, 375, 378‑380 Doerr, Frank-Detlef   373 Dohrmann, Franz   160 Drews, Rüdiger   404 Dubnicki, Marius   237 Eckelmann, Sven   317 Eckert, Ferdinand   354 Eggers, Kurt   38 Ehlers, Hermann   46 Eimler, Eberhard   395 Eisenhower, Dwight D.   65, 70, 75 Eißing, Dieter   14, 187, 227, 230 f. Encke, Eberhard   36 Engmann, Hans-Jürgen   322 Esebeck, Hans-Karl von   72 Ewerth, Hannes   359

512 Personenregister

Färber, Jan   307, 347 Fellgiebel, Walther-Peer   142 Ferber, Ernst   181 Fischbacher, Georg   143 Fischer, Adelbert   353 Fleming, Hannß Friedrich von   270 Foertsch, Friedrich   156 Foertsch, Hermann   159 f. Franz, Armin   14, 234, 245 Freiberger, Arndt   324 Frevert-Niedermein, Alexander   144 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen   16, 27, 28 Frießner, Johannes   72‑74, 80 Führer, Reinhard   284 Gauck, Joachim   423 Genz, Alfred   210 Gerhartz, Ingo   283, 364 Gertz, Bernhard   247 f. Gille, Herbert Otto   72 Glatz, Rainer   340 Göring, Hermann   82, 105 Gowitzke, Gerhard   353 Grashey, Hellmut   154, 156, 367 Greve, Karl-Heinz   295 Guderian, Heinz   73 Gümbel, Ludwig   72 Guttenberg, Karl-Theodor zu   1, 20, 187, 227, 237 f., 251 f., 299, 301‑303, 305, 332, 354, 430 Haeften, Werner von   416 Halder, Franz   60, 260 Hansen, Gottfried   71 f., 74 f. Hansen, Hannes   380 Hansen, Helge   401‑403 Harlinghausen, Martin   94 Hartert, Robert   1, 236, 307, 320, 354 Hassel, Joachim von   218 f. Hassel, Kai-Uwe von   14, 137, 218, 281, 291, 296 f. Hausser, Paul   72 Heidinger, Brigitt   286 Heimpel, Hermann   47 Heinz, Saskia   282 Hepp, Leo   221

Herhudt von Rhoden, Hans-Detlev   94 Hermanns, Wilhelm   353 Herpel, Otto   32 Heßmann, Ralf   329 Heuser, Richard   97 Heusinger, Adolf   6 f., 13, 127, 151, 153 f., 156, 167 f., 170, 178 f., 181, 257 f., 316 Heuss, Theodor   80 Heye, Hellmuth Guido   73, 221 f. Hildebrand, Erich   180 Hindenburg, Paul von   160 Hinrichs, Werner   406 Hinz, Klaus   353 Hitler, Adolf   36 f., 43, 61 f., 64, 72, 78, 95, 105, 114 f., 123, 149, 167, 260, 367, 376 f., 380, 384 f., 416 Hölker, Ludger   14, 298, 313‑316, 352, 396 Holm, Peter   291 Homer   249 Honecker, Erich   59 Hoppe, Erich   77 Horten, Dirk   383 Hübschen, Jürgen   244, 248 Huhn, Reinhold   53 f., 58 f. Hunzinger, Wilhelm   38 Huth, Joachim-Friedrich   362 Immelmann, Max   131, 385 Janssen, Gustav-Adolf   281 Jarosch, Hans-Werner   316 Jaspers, Karl   122 Jeschonnek, Gert   374 Johannsen, Norbert   225 Jünger, Ernst   81, 196 Julitz, Dieter   210,‑212 Jung, Franz Josef   3, 10, 186 f., 235, 243, 276, 285, 299‑304, 306, 340, 404, 410 f., 415, 418 f. Kämpf, Michael   118 Kamins, Stefan   232, 317 Kammerer, Reinhard   147 Kammhuber, Josef   95, 105, 130 f., 133‑135, 156, 163‑165, 259, 292 f., 296 f., 363, 385‑387, 391‑393

Personenregister 513

Kant, Immanuel   176, 269 Karst, Heinz   149, 150 f., 156, 162 f. Kasdorf, Bruno   355, 405 Katz, Günter   364 Kellein, Peter   222 f. Kerstan, Hans-Dieter   354 Kesselring, Albert   66, 75, 94 f., 97, 99, 101, 103 f., 125 f., 129, 259 Kielmansegg, Johann Adolf Graf von   15, 150‑153, 156, 167 f., 170, 183, 369 Kinkel, Klaus   279 Klaar, Max   77, 80 Klenk, Karl-Oskar   279 Knon, Gerhard   334 Kobelew, Alexej   201, 302, 306, 320 Köhler, Horst   3, 173, 236, 415 Kohl, Helmut   404 f. Kollwitz, Käthe   35 Konrad, Rudolf   365 Krakau, August   72 Kramp-Karrenbauer, Annegret   236, 426, 430 Kreis, Wilhelm   376 Kretschmer, Otto   108, 116, 379, 383 Krohne, Rudolf   114 Kronawitter, Josef   237 Krumm, John Carsten   192 Krupinski, Walter   315 Kruse, Günter   204, 206, 410 Kuebart, Hans-Jörg   363 Küpper, Georg   335 f. Kupsch, Felix   358 Lagenstein, Tobias   5, 318‑320, 344 Lammertz, Wilhelm   375 Lange, Willy   423 Lanz, Hubert   261 Laux, Paul   271 Leber, Georg   14, 146, 244, 262, 281, 289, 291, 297, 394, 397, 399 Lehmann, Kurt   132, 133, 389 Lemke, Max   369 Lemm, Heinz-Georg   91 Lent, Helmut   385 Lersch, Heinrich   34

Leyen, Ursula von der   4, 6, 69, 307, 318 f., 420, 423 f., 426 Liebknecht, Karl   55 Limberg, Gerhard   281, 296, 298, 314 f., 363, 393‑395 Linde, Kurt   86, 88 Lübke, Heinrich   46, 89 Lucke, Claus von   142 Luttwak, Edward N.   42 Luxemburg, Rosa   55 Mahnke, Alfred   125, 130, 390 Maizière, Thomas de   6, 200, 302, 305 f., 371, 431 Maizière, Ulrich de   15, 82, 137‑139, 141, 150, 152 f., 156, 168, 170, 175, 179, 181, 197, 261, 292 f., 295 f., 310, 371 f., 403 Manstein, Erich von   60, 66, 75, 126, 143, 260, 350, 369 Manteuffel, Hasso von   72 Marholz, Hans-Gert   213 Marienfeld, Claire   190 Marlow, Andreas   319 Marseille, Hans Joachim   385 Martinsen, Kåre Dahl   11 Matischak, Horst   354 Matthes, Markus   319 Matzky, Gerhard   82, 140, 142 Maurus, Heinz   110 Meier, Lutz   57 Meier, Mischa   318 Meinecke, Friedrich   41 Meisriemler, Ernst H.   353 Menk, Adolf   29 Merkel, Angela   1, 238, 276, 280 Mertz von Quirnheim, Albrecht Ritter    416 Messerschmidt, Manfred   77 f. Metz, Thomas   406 Milch, Erhard   131, 259, 261 Mirbach, Andreas Baron von   244 Mixa, Walter   248 Mölders, Werner   313, 385 Moll, Josef   140 f. Motz, Sergej   235, 286, 301, 303

514 Personenregister

Müller, Johannes (Generalmajor)   68 Müller, Johannes (Theologe)   33 Müller, Thomas   307, 347 Müllner, Karl   363 Munzer, Gustav August   376 Natzmer, Dubislav Gneomar   265 f. Naumann, Klaus (General)   184 f., 190, 279, 305, 352, 367 Neidhardt von Gneisenau, August Graf    27, 174 Niemack, Horst   91‑93 Norkauer, Hermann   368 Norkauer, Sebastian   368 Olbricht, Friedrich   416 Ondarza, Henning von   400 Ortlieb, Roman   222 f. Otte, Werner   322 Ott, Ulrich Werner   282 f. Panitzki, Werner   130, 156, 363, 386 Pape, Günther   369 Pauli, Florian   318 Pawlas, Andreas   189 Pemsel, Max   264 Perikles   23, 26 Picht, Werner   199 f. Plato, Anton Detlev von   369 Poppe, Helmut   58 Prinz, Reinhard   354 Rademacher, Fritz   398 Radloff, Jörn   237 Raeder, Erich   66, 112, 114, 116, 260, 377, 379 Rall, Günther   156, 363 Ramcke, Hermann-Bernhard   72 Raub, Hans Dieter   222 Rausch, Wolf Werner   194 Rech, Heribert   235 Reefmann, Berend   354 Reibisch, Paul   378 Reinhardt, Klaus   367 Reiss, Jürgen   369 Renger, Annemarie   281 Rexhausen, Gerd Sophus   131 Ribbentrop, Joachim von   39 Richardt, Tim   245

Richthofen, Manfred von   131, 385, 392 Rindfleisch, Heinrich   31 Rink, Sigurt   405 Ritter, Gerhard   45‑47 Robbe, Reinhold   234 f., 276, 412 Roeder, Manfred   98 Röttiger, Hans   151, 156, 212, 257 Rohlfing, Friedrich   117 Rohn, Adrian   318, 348 Rosen, Claus Freiherr von   193 Rudel, Hans-Ulrich   106, 261, 314 f., 393 Rühe, Volker   14, 185, 204, 206, 279, 298‑300 Ruge, Friedrich   111, 116, 156, 260, 380 Rühe, Volker   410 Sachsenhauser, Josef   313, 353 Sandrart, Hans-Henning von   316 Schabert, Arnold   366 Schacht, Karl Heinz   215 Scharnhorst, Gerhard Johann David von   27, 174 Scheel, Walter   282 Scheer, Reinhard   377 Schelzig, Peter   362 Schenk von Stauffenberg, Claus Graf   416 Scheungraber, Josef   365 Schick-Deininger, Doris   232 Schiller, Friedrich   190 Schiller, Johannes   354 Schimpf, Alex   384 Schimpf, Hans-Joachim   328 Schinkel, Karl Friedrich   398 Schlottmann, Elmar   215 Schmidt, Helmut   14, 145, 154, 397, 399 Schmidt, Klaus-Dieter   353 Schmidt, Roman   304, 306 Schmuda, Boris   412 Schnaars, Hans   101 Schneiderhan, Wolfgang   234 f., 276, 412 Schnez, Albert   141‑143, 145 f., 151, 156, 162 f.

Personenregister 515

Schörner, Ferdinand   260 f. Scholz, Rupert   91 Schottenhammer, Günter   313, 353 Schreiber, Jürgen   77 f. Schröder, Gerhard (Verteidigungs­ minister)   14, 171, 242, 281, 295 f. Schütz (Major)   256 f. Schuh, Horst   412 Schultz, Egon   56 Schultze-Rohnhof, Gerd   80 Schulz, Harald   147 Schulz, Sebastian   324 Schwab, Gerhard   354 Seeckt, Hans von   157 f. Seelenmeyer, Klaus   361 Seibt, Conrad   129 Siems, Fritz   35 Silbernagel, Peter   214 Sommermeyer, Jost-Andreas   353 Speck, William   143 Speidel, Hans   151, 156, 170 Stawitzki, Carsten   287 Steinhoff, Johannes   15, 156, 292, 294, 362 f. Stoltenberg, Gerhard   14, 180, 189, 281, 399 Strauß, Franz Josef   14, 100, 133, 154, 178, 208, 210, 219, 257, 260 f., 295 f., 352, 358, 367 Struck, Peter   82, 188, 234, 245, 300, 303 Student, Kurt   16, 72, 85, 97‑99, 101, 104‑106, 124, 130, 371‑373, 387, 389‑391 Stumpff, Hans-Jürgen   389 f. Tedor, Richard   82 Thilo, Karl Wilhelm   367 Tholi, Thomas   318 Tiechler, Hermann Ritter von Mann, Edler von   385 Trautloft, Johannes   363 Trettner, Heinz   371 Trimborn, Gert   220‑222 Tzschirner, Heinrich Gottlieb   29 Uhland, Ludwig   120, 268 f.

Ulbricht, Walter   59 Vergil   265, 270 f. Vogler, Peter   363 Vollmann, Markus   334 f. Wagner, Gerhard   110 f., 116 Waldenfels, Thomas von   286 Waltemathe, Martin   320 Walter, Lukas   283 Warlimont, Walter   60 Weber, Arthur   123 Wechmar, Irnfried von   72 Wehner, Herbert   315 Weigt, Jürgen   337 Weinstein, Adelbert   209 Wellershoff, Dieter   91, 189, 351 Wessel, Ludwig   33 Westerwelle, Guido   238, 280 Westphal, Siegfried   60, 84‑88, 140, 142 f., 145, 153, 369, 397, 399 Weyher, Kurt   117 Wiedersheim, Joachim-Peter   214 Wieker, Volker   186, 193, 280 Wiessler, Erich   354 Wild, Hans   329 Wilhelm I., Dt. Kaiser   30, 157 Wilhelm II., Dt. Kaiser   34, 157 Wilke, Karl-Eduard   90, 96, 124 f., 128‑130, 132, 136, 391, 393 Willam, Wolfgang   354 Wimmer, Hans   16, 143‑145, 148, 397 f. Wirth, Daniel   355 Witt, Jann M.   378, 407 Wittmann, August   365 Wörner, Manfred   14, 68 f., 91‑93, 367 Wolfgang von Eschenbach   270 Wust, Harald   352 Zacharias, Holger   328 Zenker, Karl-Adolf   156, 281, 380 Zerbel, Alfred   156, 281 Zerkaulen, Heinrich   37 Zimmermann, Armin   146, 156, 241, 260, 397 Zimmer, Volker   363 Zinsser, Ernst   132 f., 135, 390 f.