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German Pages 247 [252] Year 1990
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Schleiermacher-Archiv Herausgegeben von Hermann Fischer und Hans-Joachim Birkner, Gerhard Ebeling, Heinz Kimmerle, Kurt-Victor Selge
Band 8
Walter de Gruyter · Berlin · New York 1990
Maureen Junker
Das Urbild des Gottesbewußtseins Zur Entwicklung der Religionstheorie und Christologie Schleiermachers von der ersten zur zweiten Auflage der Glaubenslehre
Walter de Gruyter · Berlin · New York 1990
CIPTitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Junker, Maureen: Das Urbild des Gottesbewußtseins : zur Entwicklung der Religionstheorie und Christologie Schleiermachers von der ersten zur zweiten Auflage der Glaubenslehre / Maureen Junker. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1990 (Schleiermacher-Archiv ; Bd. 8) Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1989 ISBN 3-11-012312-6 NE: GT
© 1990 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30 Printed in Germany. Alle Rechte, insbesondere das der Ubersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Druck: Werner Hildebrand, Berlin 65 Einband: Lüderitz Sc Bauer, Berlin 61
Meiner Mutter und dem Andenken meines Vaters
Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde am 20. Januar 1989 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung wurde sie an einigen Stellen überarbeitet; die neuerschienene Literatur wurde in Text und Literaturverzeichnis einbezogen. Betreut hat die Arbeit Prof. DDr. Johann Baptist Metz, für dessen inspirierende Perspektiven, kritisches Interesse und geduldiges Wohlwollen ich von Herzen danke. Angeregt wurde die Themenstellung von Prof. Dr. Thomas Pröpper, dessen Zuspruch und Anspruch den Fortgang der Arbeit ermutigend und vertiefend begleiteten. Auch für die Übernahme des Zweitgutachtens gilt ihm mein herzlicher Dank. Den Hinweis auf die Möglichkeit eines Vergleichs von erster und zweiter Auflage der Glaubenslehre erhielt ich von Prof. Dr. Hans-Joachim Birkner, Kiel, dem ich, wie auch Prof. Dr. Hermann Fischer, Hamburg, und den anderen Herausgebern des "Schleiermacher-Archivs" für die Aufnahme der Albeit in diese Reihe danke. Die Veröffentlichung wurde unterstützt durch großzügige Zuschüsse des Bischofs von Rottenburg-Stuttgart, des Bischofs von Münster und der Universität Münster. Das Cusanuswerk hat die Entstehung der Arbeit durch ein Promotionsstipendium gefördert. Ihnen allen gilt mein besonderer Dank. Prof. Dr. Norbert Greinacher, als dessen Assistentin an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen ich die Arbeit durchführen konnte, möchte ich für seine stete Förderung und die durch ihn von Motivation und Vertrauen geprägte Arbeitsatmosphäre an seinem Lehrstuhl danken. Karin Schlauch und Benno Dittrich habe ich für die unverdrossene Hilfe bei der Fertigstellung des Manuskripts zu danken. Birgitta Hamann, Gabriele Gayet und Dr. Roseleen Junker-Bittner gilt darüber hinaus mein Dank für ihr Verständnis, ihre Geduld und Bestärkung durch alle Windungen des Weges einer Promotion. Ich widme dies Buch meiner Mutter und dem Andenken meines Vaters. Tübingen, im September 1990
Maureen Junker
Inhaltsverzeichnis Vorwort Einführung I. Die Neufassung der Einleitung als Reaktion auf die Rezeption der ersten Auflage 1. Zur Rezeption der ersten Auflage a) Die rationalistische Kritik b) Die supranaturalistische Kritik c) Die philosophische Kritik 2. Die Sendschreiben als erste Replik 3. Die Neukonzeption der Einleitung a) Der ursprüngliche Aufbau b) Die Neuorganisation c) Zur Beurteilung der Unterschiede II. Der Aufweis des Gottesbewußtseins 1. Die Wesensbestimmung der Frömmigkeit nach der ersten Auflage a) Die Zuordnung der Frömmigkeit zum Gefühl b) Das Gefühl absoluter Abhängigkeit als Wesen der Frömmigkeit 2. Die revidierte Wesensbestimmung a) Präzisierungen der Ortsangabe b) Präzisierungen im Aufweis des Gottesbewußtseins 3. Anfragen an die transzendentale Explikation des Gottesbewußtseins a) Zum Befund der absoluten Abhängigkeit der Freiheit b) Zur Identifizierung des absoluten Abhängigkeitsgefühls mit dem Bewußtsein der Beziehung zu Gott c) Zur impliziten Weiterbestimmung des Gottesgedankens d) Zum Standpunkt der Freiheitsanalyse
χ
Inhaltsverzeichnis
III. Die Wesensbestimmung des Christentums 1. Die Ermittlung des Wesens des Christentums nach der ersten Auflage a) Zum Ansatz der Erfassung der geschichtlichen Religionen (1) Die allgemeinen Prinzipien der Verwirklichung der Frömmigkeit (2) Die individualitätsbestimmenden Prinzipien b) Die Wesensformel: Das Bewußtsein der Erlösung durch Jesus von Nazaret (1) Der Ermittlungsgang (2) Die Explikation des Erlösungsbegriffs c) Die Abgrenzung von Anthropologie und Christologie (1) Die natürlichen Häresien (2) Natur, Vernunft und Offenbarung 2. Die Korrekturen der zweiten Auflage a) Zum hermeneutischen Verfahren b) Zum Verhältnis von sinnlichem und höherem Selbstbewußtsein c) Erlösung - Geschichte oder Konstruktion? (1) Zur Grenze religionsphilosophischer Konstruktion (2) Vernunft und geschichtlich vermittelter göttlicher Geist IV. Bilanz und Kritik der Einleitung als Rahmen für die materiale Dogmatik 1. Änderungstendenzen der zweiten Einleitung a) Die Aufnahme der Freiheitsthematik b) Die Geschichtsbezogenheit des christlichen Selbstbewußtseins 2. Zur bleibenden Bedeutung des Erlösers 3. Anfragen im Blick auf die Dogmatik a) Zur theologischen Anthropologie b) Zur Christologie
91 92 92 93 94 96 96 99 102 102 105 110 110 114 116 116 118
121 121 122 123 124 128 129 130
Inhaltsverzeichnis
Exkurs: Zur exemplarischen Kritik der Christologie durch F. C. Baur 1. Die frühe Form (1823-1828) 2. Ihre abschließende Gestalt seit Baurs Hegel-Rezeption (1835-1862) a) Zum Rückschlußverfahren b) Zur individuellen Urbildlichkeit Jesu c) Zur inhaltlichen Bestimmung der Erlösung 3. Zur Beurteilung der Baurschen Kritik
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133 135 141 142 143 146 147
V. Zur Entfaltung der Erlösungslehre A. Die theologische Anthropologie 1. Die ursprüngliche Fassung der Sündenlehre 2. Die Neubestimmungen der zweiten Auflage a) Die subjekttheoretische Vertiefung der anthropologischen Aussagen (1) Das Verhältnis von Sinnlichkeit und Gottesbewußtsein (2) Inhalt und Stellenwert der menschlichen Freiheit b) Konsequenzen für den Ansatz der Christologie (1) Zur Konstruierbarkeit einer sündlosen Existenz (2) Jesus als „zweiter Adam" 3. Bilanz der Sündenlehre B. Die Christologie 1. Der christologische Grundentwurf 2. Die abschließende Fassung der Christologie a) Zur Geschichtlichkeit des urbildlichen Jesus b) Christus als Vollender der Schöpfung c) Zur Vermittlung der Erlösung 3. Bilanz der Christologie
151 154 154 155
166 169 170 173 174 176 177 180 187 189
Schluß
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Abkürzungsverzeichnis Literaturverzeichnis Personenregister Sachregister
217 218 231 233
155 156 159 166
Einführung
Mit der ersten Auflage der Glaubenslehre Friedrich Schleiermachers trat 1821 zum ersten Mal in Erscheinung, was sich dann als der Prototyp einer neuzeitlichen, anthropologisch gewendeten Theologie herausstellen sollte1: eine Dogmatik, die die vernunftkritische Begrenzung menschlicher Erkenntnis auf den Bereich sinnlicher Erfahrung respektierte und ihre Rede von Gott unter den damit gegebenen Bedingungen zu verantworten suchte. Die Wende zum Subjekt vollzieht sich mit der Einführung des (christlich bestimmten) frommen Selbstbewußtseins als Erkenntnisprinzip der Dogmatik. Nur, was aus ihm entwickelt wird, gilt Schleiermacher als dogmatische Einsicht über Gott, Welt und Mensch. Der Ausgang von diesem Prinzip unterscheidet seine Glaubenslehre von den zeitgenössischen Wegen spekulativer Theologie. Seine christliche Bestimmtheit gewinnt das (in der Einleitung als Wesenselement des Menschen aufgewiesene) Gottesbewußtsein durch die Person, die die geschichtliche Gemeinschaft der christlichen Kirche und ihre innere Eigenart begründet hat, Jesus von Nazaret. Als universaler Erlöser, als der er im Christentum bezeugt wird, ist er die Wende der Menschheitsgeschichte: Mit dem wirklichen Auf-
1
Vgl. Th. Pröpper, Schleiermachers Bestimmung des Christentums und der Erlösung. Zur Problematik der transzendentalanthropologischen Hermeneutik des Glaubens. In: Theologische Quartalschrift 168 (1988) 193214,194.
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Einführung
treten eines urbildlich kräftigen Gottesbewußtseins ist die Epoche seiner Trübung und Schwäche prinzipiell überwunden. In ihm, dem existierenden Urbild, ist „die Vollendung des Begriffs des Menschen als Subjekt des Gottesbewußtseins" ( 2 § 93,2) realisiert. Diesen Inhalt des christlichen Selbstbewußtseins sucht die Glaubenslehre in allen Aspekten zu entfalten. Schleiermachers nachkritischer Neuentwurf einer Dogmatik ist auf kontroverse Resonanz gestoßen. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung um sein Modell einer anthropologisch vermittelten Theologie standen von Anfang an das Verhältnis von Philosophie und Theologie, Anthropologie und Christologie, Apriorischem und Geschichtlichem, Religion und Offenbarung. Dabei bezogen sich die Anfragen vor allem auf die Bestimmungen der Einleitung, in denen der Schlüssel zum Ganzen gesehen wurde. Für die Neuausgabe von 1830/31 hat Schleiermacher an ihr und der Christologie die meisten Änderungen vorgenommen. Da die Einleitung die für Inhalt und Anordnung der Dogmatik maßgeblichen Bestimmungen aufstellt, zumal die Wesensbestimmung des Christentums, kann die Entwicklung seines christologischen Denkens nicht für sich, unabhängig von dieser Grundlegung, verfolgt werden. Schon der christologische Titel des „Urbildes" weist auf das in der Einleitung aufgewiesene Gottesbewußtsein zurück. Ein Vergleich beider Ausführungen von Schleiermachers dogmatischem Spätwerk scheint nicht nur deshalb aufschlußreich, weil er noch nie zusammenhängend und ausführlich im Blick auf ein zentrales Thema durchgeführt worden ist2, sondern auch deshalb, weil ge2
Die Erstauflage der Glaubenslehre wird zwar des öfteren in einzelnen Bestimmungen, Paragraphen oder Themen zur besseren Kontrastierung der späteren Aussagen herangezogen, aber nicht ausführlich unter einem Leitgesichtspunkt in ihrer Stellung zur Zweitfassung untersucht. Vgl. u.a. E. Huber, Die Entwicklung des Religionsbegriffs bei Schleiermacher, Leipzig 1901, 226-252. Beide Einleitungen vergleicht G. Wehrung, Die philosophisch-theologische Methode Schleiermachers, Göttingen 1915, 30-91. Die Neuakzentuierungen der Christologie behandelt H. Gerdes, Anmerkungen zur Christologie der Glaubenslehre Schleiermachers. In: NZSThR 25 (1983) 112-125.
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rade er mit Schleiermachers Neubestimmungen die endgültige Fassung des Verhältnisses von wissenschaftlicher Form und theologischem Inhalt der Dogmatik freilegen kann, mit der dieser die Kritik, das Christliche in Philosophie verwandelt zu haben, widerlegen wollte. Die Untersuchung der Differenzen von Erst- und Endfassung stellt somit einen Beitrag zur anhaltenden Debatte um Theologie und Philosophie bei Schleiermacher dar3, und zwar unter dem Gesichtspunkt der Auswirkung der in der Einleitung entwickelten Begrifflichkeit auf den dogmatischen Inhalt. Die Überlegungen, die ich im folgenden in Auseinandersetzung mit dem Schleiermacherschen Modell anthropologisch vermittelter Theologie anstelle, verstehen sich als Klärungen auf dem Weg zu einer Subjekt-Theologie. Da der Auflagen-Vergleich selber unvermeidlich ins Detail gehen muß und die Zielperspektive somit zwar voraussetzt, aber nicht auch ausarbeiten kann, möchte ich sie hier, zu Anfang, benennen und am Schluß wiederaufnehmen. Theologie kann heute, so meine ich, nicht von der Stellung absehen, die der Mensch in seinem Verhältnis zur Welt inzwischen bezogen hat. Angesichts „der ihm epochal zugefallenen Rolle, Subjekt seiner geschichtlich-gesellschaftlichen Prozesse zu sein" 4 , muß eine Theologie des Subjekts sich zugleich „als Theorie der Geschichte und der Gesellschaft"5 entfalten. Im Blick auf gegenwärtige philosophische, die kulturelle Gesamtlage kennzeichnende Debatten scheint es dringend geboten, „gerade angesichts dessen, was gegenwärtig unter dem Stichwort 'Tod des Subjekts' und 'Tod der Geschichte' verhan-
3
Die Typen und Aspekte der Kritik sowie die Akzentverschiebungen in den Etappen dieser Debatte analysiert präzise und kritisch E. Schrofner: Theologie als positive Wissenschaft. Prinzipien und Methoden der Dogmatik bei Schleiermacher, Frankfurt 1980, 15-58 (I. Teil: Schleiermachers Theologie als Zeichen des Widerspruchs - Überblick über 150 Jahre Schleiermacher-Forschung).
4
J.B. Metz, Glaube in Geschichte und Gesellschaft, Mainz 19844, 60.
5
a.a.O., 61.
4
Einführung
delt wird..., einen positiven Begriff des Subjekts zu verteidigen und zu entfalten"6. Sofern Schleiermachers Theologie entschieden beim Subjekt einsetzt und es als religiöses erweist, indem sie sein Selbstbewußtsein auf das in ihm gesetzte Gottesverhältnis hin analysiert, können ihre Bestimmungen für die Entwicklung des geforderten „positiven Begriffs des Subjekts" aufschlußreich sein: Zum einen, weil die Aufgabe, den Verächtern der Religion gegenüber den „Gottesgedanken als subjektkonstituierend" zu erweisen7 und die „Authentizität von Religion (zu) 'verteidigen'"8, durch Schleiermacher ihre klassische Ausführung erfahren hat9. Zum anderen aber, weil in dieser Ausgestaltung zugleich die Gefahren eines solchen Ansatzes, die schon die Zeitgenossen und später die Dialektische Theologie in aller Schärfe formuliert haben, greifbar werden. In beiden Hinsichten kann, so meine ich, die Ausarbeitung einer Theologie des Subjekts vom Vorgang Schleiermachers nur profitieren.
6
F.X. Kaufmann/J.B. Metz, Zukunftsfähigkeit. Suchbewegungen im Christentum, Freiburg 1987,2. Teil (J.B. Metz), 93-165,151, Anm. 7.
7
Vgl. J.B. Metz, Glaube, 57 Im Blick auf die „Versuche zur entwicklungslogischen Rekonstruktion bzw. zur totalen gesellschaftlichen Konditionierung von Religion" bestimmt Metz die Aufgabe einer „praktischen Fundamentaltheologie" so: Sie „arbeitet sich aporetisch an diesen Ansätzen ab und sucht ihrerseits zu zeigen, daß diese umgreifenden Theoriesysteme ihre metatheoretischen Erklärungsansprüche gegenüber Religion nicht einlösen können bzw. ihrerseits mit unausgewiesenen Voraussetzungen operieren" (a.a.O., 8f.). Demnach genügt es gerade nicht, die christliche Überzeugung anderen nur positionell entgegenzusetzen; gefordert ist vielmehr auch eine argumentierende Vermittlung des christlichen Glaubens, die mit Gründen „zeigen" kann, inwiefern er im unabgeschlossenen Streit um die Bestimmung des Menschen eine nicht zu übergehende Position darstellt.
8
a.a.O., 8.
9
Von seinem Erstlingswerk „Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern" (1799) bis hin zur Einleitung der Glaubenslehre läßt sich diese Intention als grundlegend erkennen.
Einführung
5
Daß ein theologischer Ansatz, dem es auf die Ausweisbarkeit seines Anspruchs auf anthropologische Relevanz ankommt, ein stärkeres Gefälle zur Reduktion der Glaubenswahrheit auf das allgemeine Wesen des Menschen besitzt als einer, der auf die Explikation der anthropologischen Voraussetzungen der Offenbarung Gottes überhaupt verzichtet, ist von vornherein zu erwarten. Erliegt christliche Theologie dieser Gefahr, dann ist ihr Vermittlungsversuch gescheitert und das spannungsvolle Bestimmungsverhältnis von Vernunft und Glaubenswahrheit durch die einseitige Reduktion des Christlichen auf das Allgemeine der Vernunft ersetzt. Theologie, die „den Erlösungslogos einfach dem Logos emanzipatorischer Vernunft unterwirft" 10 , gibt mit der ihr anvertrauten Botschaft auch die Möglichkeit der Kritik preis: „Das Christliche besteht in der Affirmation der neuzeitlichen Prozesse selbst". Sein „Credo beruht auf der Kanonisierung der faktischen Entwicklung und der tatsächlichen Tendenzen der neuzeitlichen Aufklärungsgeschichte. Die theologische Bewältigung der Aufklärung scheint hier in nichts anderem zu bestehen als in dem nun endlich zugelassenen Triumph der Aufklärung über das kirchliche Christentum, d.h. seiner Ersetzung durch sie"11. Schleiermachers Entwurf einer anthropologisch gewendeten Dogmatik wäre also daraufhin zu überprüfen, ob auch für ihn die Kritik gilt, wie sie Metz an der Vernunftreligion und (mit Einschränkungen) in analoger Weise auch an K. Rahner geübt hat: daß die „sog. natürliche oder Vernunftreligion... noch das (überhöht), was ohne sie sowieso schon gilt" 12 und daß die Erlösungsbotschaft des christlichen Glaubens in einer Theologie, in der „der Mensch 'immer schon' - nolens, volens - bei Gott ist" 13 , Gefahr läuft, „tautologisch"14 zu werden. Die-
10
J.B. Metz, Glaube, 108.
11
a.a.O., 25.
12
a.a.O., 41.
13
a.a.O., 142.
14
Vgl. a.a.O., 144 u.a. Vgl. zu diesem Stichwort die Schleiermacher-Kritik O. Bayers, s.u., S. 84f.
6
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se Frage dürfte sich daran entscheiden, ob es der Glaubenslehre gelingt, den geschichtlich gegebenen Inhalt des christlichen Glaubens so darzustellen, daß seine Aneignung durch die Vernunft ausgeschlossen bleibt. Sofern die Einleitung das Auswahl- und Gestaltungsprinzip der dogmatischen Lehre aufstellt, nämlich die Wesensbestimmung des Christentums, hat sie für die Entfaltung der Dogmatik maßgebende Bedeutung. Die Fragen nach dem Charakter der Einleitung, ob sie eine „Begründung" der Dogmatik darstellt und welche Rolle sie für den Wahrheitsanspruch des Christentums spielt, fordern als erstes eine genaue Untersuchung des Verfahrens und der Begrifflichkeit der Wesensbestimmung des Christentums. Zuvor ist jedoch dem Einwand zu begegnen, daß schon die Aufgabenstellung der Einleitung als solche, einen Wesensbegriff des Christentums zu eruieren, dem dann als der Richtlinie für Form und Inhalt der Dogmatik alle Gestaltungskompetenz zufällt, die Besonderheit des Christlichen einer unzulässigen Kontrolle durch die Philosophie unterwirft: „Die einzelnen Glaubenssätze werden der Reihe nach an diesem Wesensbegriff gemessen, korrigiert, in einigen Fällen auch eliminiert... Hat Schleiermacher damit die Theologie an die Philosophie verraten? Hat er der Philosophie eine normative Funktion gegenüber dem kirchlichen Dogma zugebilligt?"15 Zweifel an einer 15
Vgl. E. Schrofner, Theologie, 198. K. Barth, Die Theologie Schleiermachers. Vorlesung Göttingen Wintersemester 1923/24, hg. v. D. Ritsehl, Zürich 1978, stellt zwar zunächst fest, „daß sich über Recht oder Unrecht des Schleiermacheischen Vorgehens in Form eines Prestige-Streites zwischen Theologie und Philosophie schwerlich etwas ausmachen lassen wird. Ob eine philosophische Kontrolle der Wesensbestimmung des Christentums diesem heilsam oder fatal gewesen ist, das läßt sich nur auf Grund der inhaltlichen Ausführung im einzelnen beantworten" (267). Auch das hermeneutische Prinzip der Wesensbestimmung lehnt er nicht ab: „Natürlich muß der historische Theologe ein Wissen haben um die Idee des Christentums, deren Verhältnis zu den verschiedenen Zeiten er in seiner Disziplin zu behandeln hat. Und natürlich muß der philosophische Theologe aus der historischen Theologie eine Anschauung haben vom Wesen des Christentums und von den Formen frommer Gemeinschaft" (263). Seine Kritik richtet sich erst gegen die „in
Einführung
7
durch allgemeine Begriffe geleiteten Erfassung des Wesens des Christentums sind auch nicht durch den Hinweis auszuräumen, daß Schleiermacher diese Aufgabe einer gerade zu diesem Zweck neueingeführten Disziplin anvertraut hat, der „Philosophischen Theologie". In ihr sollen „alle theologischen Prinzipien... ihren Ort" haben (2§ 67 Anm.; ed. Scholz 29) 16 . Sie setzt „den Stoff der Historischen Theologie voraus, begründet aber - indem sie die Verstehenskategorien bereitstellt - selbst erst 'die eigentlich geschichtliche Anschauung des Christentums'... In diesem Sinne wird die philosophische Theologie bei Schleiermacher in der Tat die theologische Grunddisziplin und verdrängt die Dogmatik von diesem Platz"17. So deutlich es ist, daß solche „Verstehenskategorien" den „Stoff" der Dogmatik in irgendeiner Weise präformieren, so unabweisbar erscheint mir jedoch auch die Einsicht, daß in der Frage der dogmatischen Methode kein anderer Weg gangbar ist18. Wer diese Kategorien
diesem Schematismus (von Spekulativem und Empirischem) offen zu Tage liegende, durch die 'philosophische Theologie' genannte Leihwissenschaft vermittelte schlechthinnige Abhängigkeit der Theologie von der Ethik... Ist es so sicher, daß unter dem Schutzpatronat von Ethik und Religionsphilosophie aus der sogenannten 'Idee der Christentums' nicht etwas werden könnte, das die Theologie veranlassen müßte, Gott zu bitten, er möge sie vor ihren Freunden behüten...?" (263f.) Sofern die 'Idee' oder das 'Wesen' des Christentums für seine Bestimmung jedoch allgemeine Begriffe (eben aus der von Schleiermacher sogenannten 'Ethik') benötigt, ist Barths anfängliches Zugeständnis durch seine folgenden Aussagen wieder zurückgenommen. 16
F. Schleiermacher, Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen, hg. v. H. Scholz, 4. unveränderter Nachdruck der 3., krit. Ausgabe Leipzig 1910, Darmstadt o.J.
17
H.-J. Birkner, Beobachtungen zu Schleiermacheis Programm der Dogmatik. In: NZSThR 5 (1963) 119-131,124f.
18
Vgl. die Erörterung der diesbezüglichen Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen Schleiermacher und Barth durch S.W. Sykes, Schleiermacher and Barth on the Essence of Christianity - An Instructive Disagreement. In: J.O. Duke/R.F Streetman (Hg.), Barth and Schleiermacher, 88-108, bes. 92-98.
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also gar nicht erst inhaltlich überprüfen will, sondern das Recht der Einbeziehung nichttheologischer Denkmittel zur Wesensbestimmung des Christentums grundsätzlich bestreitet, dessen Bedenken tragen, wie Schrofner zu Recht argumentiert, in dieser Pauschalität nicht weit: „Der Vorwurf... wäre in dieser undifferenzierten Form schon durch die einfache Gegenfrage zu widerlegen, woher denn die Theologie die von ihr benötigten allgemeinen Begriffe beziehen soll, wenn nicht aus dem Bereich des philosophisch-wissenschaftlichen Denkens. Die einzige Alternative wäre, konsequent zu Ende gedacht, die positivistische Beschränkung der Theologie auf die wiederholende Tradierung der biblischen Schriften und der kirchlichen Bekenntnisse. Überschreitet sie diese Grenze, so muß sie, zumindest grundsätzlich, über jedes Wort Rechenschaft ablegen können,... was ohne Rückgriff auf das philosophisch-wissenschaftliche Denken kaum möglich sein dürfte. Ist aber die Berechtigung und Notwendigkeit des wissenschaftlichen Denkens in der christlichen Theologie grundsätzlich anerkannt, so dürfte es kaum möglich sein, den Einsatz dieses Denkens in der Theologie nach rein quantitativen Gesichtspunkten zu regeln bzw. das theologische Heil von einer quantitativen Beschränkung der Philosophie in der Theologie zu erwarten" 19 . Der Verdacht einer „schlechthinnige(n) Abhängigkeit der Theologie von der Ethik" Schleiermachers müßte folglich am Detail der philosophischen Bestimmungen selbst erwiesen werden. Dazu sind zunächst die Rechenschaft vom Verfahren der Wesensbestimmung und die Begründung ihrer Notwendigkeit, die Schleiermacher in den Ausführungen der Kurzen Darstellung gibt, zur Kenntnis zu nehmen und auszuwerten. „Da das eigentümliche Wesen des Christentums sich ebensowenig rein wissenschaftlich konstruieren läßt, als es bloß empirisch aufgefaßt werden kann: so läßt es sich nur kritisch bestimmen... durch Gegeneinanderhalten dessen, was im Christentum geschichtlich gegeben ist, und der Gegensätze, vermöge deren fromme Gemeinschaften können voneinander verschieden sein" ( 2 § 32; ed.
19
E. Schrofner, Theologie, 198.
Ginführung
9
Scholz 13) 20 . Die kritische Bestimmung geschieht „vermittelst Aufstellung und Gebrauchs der Wechselbegriffe des Natürlichen und Positiven" ( 2 § 43; ed. Scholz 18f.), wobei sich das „Natürliche" auf den „Begriff" der real voneinander verschiedenen frommen Gemeinschaften bezieht, das „Positive" hingegen auf die „Differenz" jeder einzelnen Religion21. Als letzten Schritt gibt das Verfahren an: „Auf den Begriff des Positiven zurückgehend, muß dann für das eigentümliche Wesen des Christentums eine Formel aufgestellt und mit Beziehung auf das Eigentümliche anderer frommen [!] Gemeinschaften unter jenen Begriff subsumiert werden" ( 2 § 44; a.a.O.). Damit hat die philosophische Theologie das zuvor nur „geschichtlich Gegebene" nunmehr „eigentlich geschichtlich" erfaßt: „Die philosophische Theologie setzt zwar den Stoff der historischen als bekannt voraus, begründet aber selbst erst die eigentlich geschichtliche Anschauung des Christentums... Jener Stoff ist das Gegebene (vgl. 2 § 32)... Das Resultat dieser
20
In seiner Vorlesung über Theologische Enzyklopädie gibt Schleiermacher Erläuterungen zu den kompakten Definitionen der Zweitauflage der Kurzen Darstellung. Zur Unmöglichkeit einer rein begrifflichen Konstruktion wie einer rein empirischen Auffassung führt er bezüglich des „allgemein e ^ ) Begriff(s) des Individuellen im Gebiete des Lebens" aus: Wir können „durch das Herabsteigen von allgemeinen Begriffen zu untergeordneten niemals zu dem wirklich Einzelnen kommen. Das Einzelne ist immer irrational gegen das Allgemeine und Besondere... Wo nun das Wissenschaftliche (sc. allgemeine Begriffe, Classen) aufhört, da fängt das Empirische an, aber doch läßt sich das einzelne Wesen nicht blos empirisch auffassen... durch die Vorstellung... haben wir... nur die Totalität der äussern Erscheinung. Aber die Subsumption dieser mit andern... unter ein Allgemeines, woraus allein ihr Verhältniß zu andern sich ergiebt, haben wir damit nicht, und so auch nicht das eigenthümliche Wesen" (F. Schleiermacher, Theologische Enzyklopädie (1831/32) Nachschrift D.F. Strauß, hg. v. W. Sachs, Berlin 1987, 34.
21
Zu 2 § 43 vgl. Enzyklopädie, 50: „Dieses Verhältniß also vermöge dessen das Religionsgesellige aus der Natur des Geistes zu begreifen ist, ist das Natürliche daran, das aber, daß es überall ein Bestimmtes ist, ist das Positive. Damit ist aber der Begriff des Positiven nur formell bestimmt, der Inhalt dieses Positiven im Christenthum ist hier nicht gegeben".
10
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Untersuchungen bestimmt aber erst den Entwicklungswert der einzelnen Momente, mithin die geschichtliche Anschauung des ganzen Verlaufs" ( 2 § 65; ed. Scholz 28) 2 2 . Mit diesen Angaben zum hermeneutischen Verfahren der Wesensbestimmung stellt Schleiermacher in seiner Enzyklopädie klar, daß das Christentum einerseits in seiner geschichtlichen Gegebenheit vorausgesetzt werden muß, andererseits in seinem Wesen nur durch einen begriffsgeleiteten Vergleich mit anderen Religionen zu erfassen ist. Für den von der Dogmatik zu entfaltenden Inhalt des Christentums bedeutet diese Einsicht, daß er nicht allein durch sein Gegebensein als Geschichtstatsache (das allerdings eine spekulative Ableitung ausschließt) bestimmt wird, sondern auch durch die Kategorien, in denen er expliziert wird. Wenn das Wesen also gegeben ist, aber als Wesen erst durch den Rekurs auf allgemeine Begriffe erkannt werden kann, dann haben diese durchaus mitbestimmende Funktion: Als Denkform der Wahrheit des Christentums gestalten sie diese mit 2 3 . 22
Die Vorlesung erläutert zu 2 § 65: „Die philosophische Theologie begründet aber erst die historische Anschauung des Christenthums, weil sie den Maßstab an die Hand giebt zu der Abschätzung der einzelnen Momente. Unter historischer Anschauung ist aber nicht blos der pragmatische Zusammenhang,... die causale Verbindung zu verstehen, sondern das Wesentliche ist der Entwicklungswerth der einzelnen Momente, d.h. wie sie sich verhalten zu dem richtig erkannten Wesen des Christenthums" (Enzyklopädie, 69).
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Eine so eindeutige Unterscheidung, wie H.-J. Birkner sie vornimmt, scheint mir demnach nicht möglich: So „ergibt sich für die wissenschaftssystematische Einordnung der Lehnsätze insgesamt, daß sie anzusprechen sind als eine partielle, auf die Bedürfnisse einer Dogmatikeinleitung begrenzte Ausführung des Programms, das die 'Kurze Darstellung' unter dem Titel philosophische Theologie entwickelt hatte. Nicht um eine Fundierung der Theologie in der Philosophie handelt es sich also, sondern um die Fundierung der von Schleiermacher als historisch-theologische Disziplin verstandenen Glaubenslehre in der philosophischen Theologie" (33f.). Das sachliche Problem, daß die Wahrheit des Glaubens zu ihrer Explikation philosophische Denkmittel braucht, ist auch durch seine Klarstellung, daß Schleiermachers Erklärungen, „seiner Philosophie 'keinen Einfluß auf den Inhalt der Glaubenslehre gestattet zu haben',... sich samt und sonders auf das Verhältnis von Philosophie und Dogmatik, nicht auf das Verhältnis von Philosophie und Theologie überhaupt (beziehen)" (38),
Einführung
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Umso notwendiger wird es, angesichts der Unvermeidlichkeit philosophischer Denkmittel, die immer schon mehr als 'Mittel' sind, die nähere Bestimmung der das Wesen des Christentums mitkonstituierenden Begriffe, vor allem des Religionsbegriffs, kritisch zu verfolgen. H. Süskind hat präzise formuliert, worauf dabei zu achten ist: „Wie bestimmt Schleiermacher das Verhältnis der 'Wechselbegriffe des Natürlichen und Positiven' in der Religion? Wie verhält sich die Geltung, die er für das Historische in der Religion behauptet, zu seinem allgemeinen Religionsbegriff? Wie ist dieser Religionsbegriff selbst gewonnen? auf historischem Weg, d.h. durch Abstraktion von den geschichtlichen Religionen, genauer von den höchsten unter ihnen, oder aber auf philosophischem Weg, d.h. genauer auf dem Weg des kritischen Idealismus, nämlich durch Analyse des Bewußtseins; in letzterer Hinsicht ist dann wieder aufs genaueste zu unterscheiden, inwieweit seine Methode als psychologisch, inwieweit sie als erkenntniskritisch zu gelten hat, d.h. ob sie nur die Feststellung des erfahrungsmäßigen Wesens der Religion oder zugleich den Erweis der Wahrheit der Religion zum Ziele hat, der dann in der Aufzeigung eines spezifischen Gültigkeitsgesetzes für das religóse Bewußtsein, des sogenannten religiösen Apriori, zu gipfeln hätte. Die Hauptfrage, die sich aus alledem ergibt, ist dann die Frage nach dem Verhältnis des Historischen und des Apriorischen bei Schleiermacher, speziell in seiner Christologie; oder anders ausgedrückt, es fragt sich: was bedeutet nach ihm die geschichtliche Person Jesu für den Glauben, und was bedeutet sie für die Begründung der Wahrheit des Glaubens?"24
noch nicht erledigt (Theologie und Philosophie. Einführung in Probleme der Schleiermacher-Interpretation (ThExh 178), München 1974). 24
H. Süskind, Christentum und Geschichte bei Schleiermacher. Die geschichtsphilosophischen Grundlagen der Schleiermacherschen Theologie. I. Teil: Die Absolutheit des Christentums und die Religionsphilosophie, Tübingen 1911, 6. Diese Fragen waren für den geplanten zweiten Teil der Untersuchung formuliert, der unter dem Titel stehen sollte: „Die geschichtsphilosophischen Grundlagen der Schleiermacherschen Christologie" (6). Da Süskind 1914 im Krieg umkam, konnte dieser Teil nicht mehr ausgeführt werden.
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Einführung Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind demnach in ihrer
ursprünglichen und ihrer endgültigen Fassung die Kategorien der Einleitung und die durch sie bestimmte Christologie. Als Maßstab der Beurteilung der Letztfassung soll ihr dabei das eigene Kriterium der Glaubenslehre dienen: die wesentliche und bleibende Gebundenheit des christlichen Glaubens an seinen Stifter Jesus, dessen „Selbstverkündigung" die„eine Quelle" darstellt, „aus welcher alle christliche Lehre abgeleitet wird" ( 2 § 19 Zus. 1,124). Es gehört zur Intention dieser Arbeit, die theologisch und philosophisch motivierte Kritik an Schleiermacher auf dem Wege der immanenten, aporetisierenden Kritik zu vermitteln 2 5 . Die Gründe, aus denen Schleiermacher die Überarbeitung seines Erstentwurfs in Angriff nahm, zeichnet das I. Kapitel nach. Die Entwicklung dieser letzten Phase seines dogmatischen Denkens suchen
25
Vgl. E. Günther, Die Entwicklung der Lehre von der Person Christi im XIX. Jahrhundert, Tübingen 1911, 49: „Es gibt eine Art von Kritik, die ich als windschiefe Kritik bezeichnen möchte, weil sie notwendig an ihrem Objekt vorbeikritisiert. Es ist die Kritik derjenigen, welche die zu Grund liegenden Intentionen des andern zu wenig beachten, statt dessen sich lediglich an konkrete Resultate halten und diese an einem bereits feststehenden Kanon messen, und zwar meist an dem der eigenen Ansichten". Vgl. auch W. Brandt, Der Heilige Geist und die Kirche bei Schleiermacher, Zürich 1968, 306f.: „Nur wer erkennt, daß Schleiermacher in der christlichen Glaubenslehre... alles, was über Gott und die Welt zu sagen ist, dem Kriterium des Glaubens an Christus aussetzt, und wer darüber nicht als über ein Tarnmanöver hinweggeht, sondern darin eine theologisch relevante Entscheidung der Glaubenslehre anerkennt, - nur der hat das Recht und überhaupt die Möglichkeit, das Ergebnis dieses Bemühens Schleiermachers sachgemäß zu kritisieren... Schleiermacher selbst weist diesen Weg zur sachgemäßen Kritik an seiner Glaubenslehre: Sie ist nicht einfach danach zu fragen, ob sie Theologie oder Philosophie enthält, sondern danach, ob sie rechte Theologie enthält; und das entscheidet sich daran, ob sie das 'Eigentümliche' des christlichen Glaubens, seine 'Grundtatsache', das Christusereignis, das sie sich zum Kriterium aller christlichen Glaubensvorstellungen gewählt hat, auch wirklich nicht 'verfehlt' hat."
Einführung
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die folgenden Kapitel durch den Vergleich beider Auflagen zu bestimmen und im Blick auf die Sachthematik zu beurteilen. Das II. Kapitel geht in der Untersuchung der Wesensbestimmung der Frömmigkeit dem Wandel der Argumentation im Aufweis des natürlichen Gottesbewußtseins nach, die in der Neufassung zur transzendentalen Begründungsform durchstößt. Das III. Kapitel analysiert die Wesensbestimmung des Christentums und die zu ihrer Explikation entwickelten Kategorien. Die Tendenz der Korrekturen an der Erstauflage und die Vorgaben der Einleitung für die Ausführung der Dogmatik resümiert das IV. Kapitel. Das V. untersucht, wie die das Wesen des Christentums explizierenden Kategorien in der Entfaltung der Erlösungslehre zur Durchführung kommen und welche Neuakzentuierungen diese der Kritik an der Erstauflage entgegensetzt. Der Schluß sucht einige der wichtigsten Anknüpfungs- und Kritikpunkte für heutige theologische Arbeit zu benennen.
I. Die Neufassung der Einleitung als Reaktion auf die Rezeption der ersten Auflage
Die Notwendigkeit einer Überarbeitung der Erstfassung ergab sich aus ihrer Rezeption, in der Schleiermacher sein Werk oft nicht mehr wiedererkannte (vgl. u.a. Sendschr 261; KG A 1/10, 315) 2 6 . In ihr 26
Über die Aufnahme, die die Erstauflage fand, informieren: F.W. Geß, Deutliche und möglichst vollständige Übersicht über das theologische System Dr. Friedrich Schleiermachers, und über die Beurtheilungen, welche dasselbe theils nach seinen eigenen Grundsätzen, theils aus den Standpunkten des Supranaturalism, des Rationalism, der Fries'schen und der Hegel'schen Philosophie erhalten hat, Reutlingen 18372, 177-349; E. Günther, Entwicklung, 49-54; H. Mulert, Die Aufnahme der Glaubenslehre Schleiermachers. In: ZThK 18 (1908) 107-139; ders., Nachlese zu dem Artikel: Die Aufnahme der Glaubenslehre Schleiermacheis. In: ZThK 19 (1909) 243-246; H. Pater, Einleitung. In: Der christliche Glaube 1821-1822, KGA 1/7.1, XXXV-LVIII; M. Redeker, Einleitung. In: Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, 2 Bde., Kritische Ausgabe auf Grund des Textes der 2. Auflage, Berlin I9607, Bd. I, XXXIII-XL; H. Scholz, Analekta zu Schleiermacher. In: ZThK 21 (1911) 293-314; E. Schrofner, Theologie, 15-20. Die englische Übersetzung der Sendschreiben (F. D. E. Schleiermacher, On the Glaubenslehre. Two Letters to Dr. Lücke, trans, by J. Duke and F. Fiorenza, Ann Arbor 1981) bietet in ihrer Einleitung (1-32) und ihrem Anmerkungsteil (91-130) nicht nur eine Zusammenfassung der Haupteinwände, sondern darüber hinaus die Zuordnung und Erläuterung der einzelnen Kritikpunkte, auf die Schleiermacher teils nur anspielt, teils auch eingeht. Inzwischen ist auch die kritische Edition der Sendschreiben in KGA 1/10, Theologisch-dogmatische Abhandlungen und Gelegenheitsschriften, hg. von H.-F. Trauisen u. Mitw. v. M. Ohst, Berlin 1990, 307-394, erschienen.
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Neufassung der Einleitung
spiegeln sich die zeitgenössischen theologischen Fronten27. Im folgenden möchte ich zunächst die Kritikpunkte, die sich in der Neugestaltung der Christologie und der Einleitung niedergeschlagen haben, im Rahmen des zeitgenössischen theologischen Spektrums nachzeichnen (1) und sodann auf die von Schleiermacher selbst gesetzten Ziele der Neubearbeitung eingehen (2). Über sie geben zum einen die Marginalien28 Aufschlug, die er für seine drei Dogmatik-Vorlesungen zwischen 1822 und 1829 29 am Rand der Erstauflage angebracht hat, zum anderen außerhalb der Glaubenslehre die Sendschreiben an Lücke30, die explizit die Gründe für die geplanten Änderungen benennen und die Auseinandersetzung mit den Kritikern führen. Schleiermacher will in ihnen „nur Rechenschaft ablegen, was ich bei dieser zweiten Ausgabe zu thun denke, und was nicht, und warum, damit, was ich nicht kann, für mich abgemacht sey, und ich es mir bei der Arbeit selbst ganz aus dem Sinn schlagen könne" (Sendschr 257, KG A 1/10, 310). Die Ausführung dieser Absichten werde ich sodann
Sie klärt nicht nur in ihrem kritischen Kommentar Schleiermachers Andeutungen und Bezüge auf seine Rezensenten, sondern behandelt auch in der Historischen Einführung (LXIX-LXXXVIII) die durch die Sendschreiben ausgelöste Debatte zwischen den Gegnern und Verteidigern der Glaubenslehre. 27
Sie werden anschaulich charakterisiert von D. Lange, Neugestaltung christlicher Glaubenslehre. In: ders. (Hg.), Friedrich Schleiermacher (17681834). Theologe - Philosoph - Pädagoge, Göttingen 1984, 85-105, 87-91.
28
KG A 1/7.3 Marginalien und Anhang. Unter Verwendung vorbereitender Arbeiten von H. Genfes u. H. Peiter hg. von Li. Barth, Berlin 1983,1-207. Sie geben die handschriftlichen Eintragungen Schleiermachers in das Handexemplar der ersten Auflage wieder, das er für die Dogmatik-Vorlesungen des WS 1823/24, SS 1825 und WS 1827/28 benutzte.
29
Vom ersten der in 10 Wochenstunden gelesenen Kollegs existiert eine Nachschrift des Hörers L.A. Heegewaldt (=NH), die in KGA 1/7.3 im Apparat zu den Marginalien z.T. abgedruckt ist.
30
Über die Glaubenslehre. Zwei Sendschreiben an Lücke, KGA 1/10, 307394.
Rezeption der ersten Auflage
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im Vergleich von erster und zweiter Fassung der Einleitung mit Blick auf das Verhältnis von Einleitung und Dogmatik untersuchen (3).
1. Zur Rezeption der ersten Auflage
In den Sendschreiben geht Schleiermacher auf die theologischen Hauptströmungen der Zeit ein: den Rationalismus, den Supranaturalismus, in den er mit der älteren Tübinger Schule auch F.C. Baur einordnet, und die spekulative Theologie im Gefolge Hegels. Obgleich aus entgegengesetzten theologischen Richtungen ζ. T. die gleichen Anfragen vorgebracht wurden (was die Notwendigkeit der Präzisierung der angesprochenen Themen nur deutlicher machte), tauchten doch auch für die jeweiligen Grundpositionen typische Kritikpunkte auf. Sie mußten Schleiermacher um so mehr interessieren, als er versucht hatte, den Gegensatz von Rationalismus und Supranaturalismus, die Anliegen beider Seiten wahrend, auf höherer Ebene zu vermitteln und gegenüber der spekulativen Theologie auf der Nichtaufhebbarkeit der Religion in den Begriff oder das Wissen zu bestehen. Welche Aufnahme sein Vermittlungsversuch einer anthropologisch gewendeten Theologie bei den zeitgenössischen Gegnern finden würde, war somit für ihn, auch wenn er sich bewußt war, vor allem für die Zukunft gearbeitet zu haben, ein Testfall für die Deutlichkeit, mit der er seine Neugestaltung christlicher Dogmatik hatte vorbringen können.
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Neufassung der Einleitung
a) Die rationalistische Kritik
In der Kritik des Vertreters eines entschiedenen Rationalismus31, J.F. Röhr32, schon die Einleitung zeige die „Neigung, das Christliche als speci/üsc/i-verschieden, aus dem Naturzusammenhang mit allem übrigen Geschichtlichen abzulösen"33, mußte Schleiermacher Grundansatz und -aussagen seiner Dogmatik völlig verkannt finden. Durch die Angabe der spezifischen Differenz, die eine Religion zu einer positiven, d.h. durchgängig individualisierten geschichtlichen Gestalt macht, wollte er ihren Ort innerhalb der Religionsgeschichte bestimmen und sie gerade nicht aus ihr ablösen. Für Röhr verlaufen die Trennungslinien jedoch zwischen der „frei-philosophischen" und der „positiv-theologischen Ansicht", die er dadurch kennzeichnet, daß sie eine bestimmte „religiöse Geschichte aus aller Gleichartigkeit und allem Zusammenhange mit den übrigen historischen Erscheinungen hervorheb(t)" und ihren Stifter als „von allen übrigen Menschen, nicht dem Grade, sondern der Art nach oder specifisch verschieden"34
31
E. Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, Gütersloh 1968 4 , repr. Münster 1984, Bd. V, 17.19, charakterisiert die Position Röhrs wie folgt: „Das Christentum hat zu seinem Gehalte die allgemeinen sittlich-religiösen Vernunftwahrheiten, die Jesus, der Weise von Nazareth, zuerst rein und vollständig den Menschen dargeboten hat. Es ist insofern nicht positive, sondern universale Religion... Röhr hält Jesus Christus für einen Menschen, der von der Vorsehung mit der geschichtlichen Aufgabe betraut ist, durch Stiftung einer universalen Religion die sittlich-religiösen Wahrheiten, die an Vernunft und Gewissen sich bezeugen, in der Menschheit zu erhalten und auszubreiten."
32
].F. Röhr, Rezension. In: Kritische Prediger-Bibliothek 4 (1823) 371-394. 555-579 sowie KGA 1/7.3, 505-533.
33
a.a.O., 555; KGA 1/7.3, 519.
34
a.a.O., 374f.; KGA 1/7.3,507.
Rezeption der ersten Auflage
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ansieht. Der Fehler Schleiermachers scheint nach Röhr also schon darin zu liegen, überhaupt ein Spezifikum der Person Jesu anzugeben. So kann erst recht die Bestimmung dieser Besonderheit als wesentliche Unsündlichkeit und als Einheit von Urbildlichkeit und Geschichtlichkeit, für Schleiermacher nun tatsächlich eine nicht nur graduelle Verschiedenheit, nicht Röhrs Zustimmung finden. Die grundsätzliche Differenz zu Schleiermacher wird endgültig klar an der Aussage, daß man die Frage, ob man „über Christus hinausgehen könne, ... wohl am Beßten unentschieden läßt" 35 . Damit ist der versuchte Brückenschlag der Glaubenslehre vom kompromißlosen Rationalismus zurückgewiesen als ein Versuch, der, „so stark" er auch „in vielen Lehren von der als orthodox angenommenen Norm abweicht, doch nur zu deutlich eine eigene orthodoxe beschränkende Norm aufzustellen bemüht ist" 36 . Aus anderen Gründen und mit entgegengesetzten Schlußfolgerungen fällt die Beurteilung durch den gemäßigten Rationalisten37 K.G. Bretschneider ebenso abweisend aus 38 . Für Röhr war die Glaubenslehre, obwohl „von philosophischem Geiste beseelt", in ihrer „tiefstein) Grundlage von der Art, daß... jedes (philosophische System) sich ihr entgegenstellen muß, welches sich nicht einem positiven Glauben gefangen gibt" 39 . Bretschneider hingegen lehnt sie mit der Be-
35
a.a.O., 563; KGA 1/7.3,523.
36
a.a.O., 374; KGA 1/7.3,506f.
37
E. Hirsch, Geschichte, 63-70, bezeichnet Bretschneider als „Rationalisten vom halben Wege" (63), der „einen supranaturalistischen Unterbau", nämlich die Bestimmung des Gott-Welt-Verhältnisses, mit rationalistischen Einstellungen verbindet: „Das Recht der Vernunft, sich durch inhaltliche Prüfung gemäß den ihr innewohnenden sittlich-religiösen Ideen von Wahrheit und Göttlichkeit der neutestamentlichen Religionslehre zu überzeugen..., wird unumwunden festgestellt" (65).
38
K.G. Bretschneider, Ueber das Princip der christlichen Glaubenslehre des Herrn Prof. Dr. Schleiermacher. In: Journal für Prediger 66 (1825) 1-28 sowie KGA 1/7.3, 369-383.
39
J.F. Röhr, Rezension, 374; KGA 1/7.3,506.
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Neufassung der Einleitung
gründung ab, daß sie „eigentlich keine Dogmatik, sondern eine Philosophie über das Christenthum oder eine Verarbeitung des christlichen Glaubens zu einer Philosophie" 40 sei, in ihr also gerade nicht, wie „(der Verf.) von seinem System selbst urtheilt, Philosophie von Christenthum getrennt, sondern vielmehr das Christenthum ganz zur Philosophie gemacht" werde. Diese Philosophie wiederum gehe „von einer Analyse des sinnlichen und moralischen Bewußtseyns aus" und scheine „daher ganz auf psychologischem Grunde zu ruhen" 4 1 . Schuld an dieser Verwandlung des Christentums in Philosophie trage das der Religion und damit auch dem Christentum unangemessene „Grundprincip", das „Abhängigkeitsgefühl... von Gott" 42 . Bretschneiders eingehende Besprechung des Prinzips schließt mit dem Urteil, daß „das Abhängigkeitsgefühl weder das Wesen der Religion oder der Frömmigkeit, noch das Erste und der Grundton der Frömmigkeit" sein könne „und mit Unrecht zur Grundlage eines Systems der Religionswahrheiten genommen"43 worden sei. In ihrer Beurteilung der Wesensbestimmung der Frömmigkeit sind Röhr und Bretschneider sich somit weitgehend einig: einmal darin, daß eine ausschließliche Zuordnung der Frömmigkeit zum Gefühl nicht möglich ist und eine solche ihre erkennenden und praktischen Züge herunterspielt44; zum anderen darin, daß erst das Bezogenwer40
K.G. Bretschneider, Princip, 1; KGA 1/7.3, 369.
41
a.a.O., 28; KGA 1/7.3, 383.
42
a.a.O., 2; KGA 1/7.3, 370.
43
a.a.O., 22f.; KGA 1/7.3, 380.
44
Vgl. J.F. Röhr, a.a.O., 380; KGA 1/7.3, 510: „Aber wenn doch das Wesen des Religiösen nur als eine gewisse Gefii/i/beschaffenheit gefaßt werden kann (wie man schwerlich wird leugnen können, wenn man sich nur von dem Vorurtheile losgemacht hat, als könne das Fühlen nicht auch zugleich Wissen und Thun seyn), so ist ja wohl offenbar, daß man eben nach ihrem Gtfühlscharakter, nicht nach dem speculativen, in der Religionsphilosophie und in der Glaubenslehre die religiösen Vorstellungen beurtheilen und ordnen muß. Zwar sind sie eben auch Vorstellungen und Erkenntnisse, und dieß werden diese Wissenschaften keineswegs übersehen dürfen, sondern vielmehr jeder Vorstellung einem [!] doppelten Werth zutheilen müssen, als Gefühl und als Erkenntniß". Ebenso K.G. Bretschneider, Princip, 12; KGA 1/7.3, 375: „Die Frömmigkeit ist mir daher ein solches
Rezeption der ersten Auflage
21
den der Frömmigkeit auf die Idee Gottes sie zum Gottesbewußtsein macht und dem Aspekt der absoluten Abhängigkeit das Furchterregende nimmt: „Wenn ich auch zugeben wollte, daß Frömmigkeit ein Gefühl, und zwar ein Gefühl der Abhängigkeit von der einfachen absoluten Unendlichkeit sei; so sehe ich nicht ein, was dieses Gefühl anders enthalten könne, als Furcht und Grauen vor solcher Macht, und Trauer über die gänzliche Abhängigkeit von ihr. Denn um sie zu lieben als eine gute, und ihr zu vertrauen, als einer weisen, muß ich erst aus der Vernunft erkennen: daß sie gut und weise ist, d.h. es muß erst in der Vernunft die Idee der Gottheit entwickelt werden, wenn ich sie lieben und ihr vertrauen soll. Außerdem ist die absolute Unendlichkeit entweder ein leerer Gedanke, oder ein
schreckliches
E t w a s " . Die Kennzeichnung der Religion als Bewußtsein der 45
Wissen von Gott, das mit dem lebhaftesten Gefühle unserer Abhängigkeit, und mit dem Willen, dem gemäß zu leben, verbunden ist; und ich weiß daher im Wesentlichen an der eilten Definition: religio est modus cognoscendi colendique Deum, nichts Wichtiges auszusetzen." 45
K.G. Bretschneider, a.a.O., 22f.; KG A 1/7.3, 379f. In bezug auf den Gottesbegriff des grundlegenden § 9 fragt er weiter: „Was soll denn die 'einfache, absolute Unendlichkeit' seyn? Diese kann nicht die ewige Weisheit, Güte und Gerechtigkeit des Schöpfers seyn, da der Vf. behauptet, das Wissen von Gott werde erst aus dem Abhängigkeitsgefühle abgeleitet. Was bleibt denn nun übrig? - Nichts als der Begriff einer unendlichen, formlosen Macht oder Gewalt, die ja wohl eben so gut Natur als Gott seyn könnte, und nicht Liebe und Vertrauen, sondern nur Schrecken und Angst einflößen müßte... Wie aber die einfache, absolute Unendlichkeit auch das höchste Gut seyn, wie das Gefühl absoluter Abhängigkeit zu dem Begriffe einer absoluten Güte führen müsse, ist mir nicht offenbar." Im Ergebnis ähnlich urteilt J.F. Röhr, Rezension, 393; KGA 1/7.3, 517f.: „Das absolute Abhängigkeitsgefühl kann Ree. überhaupt nicht für religiös anerkennen, da es ja mit der Furcht zusammenhängt, welche die Liebe austreibt und insofern dem Religiösen sogar entgegensteht. Denn nicht in einem Niedergedrücktseyn... besteht das Wesen des Religiösen, sondern im Gegentheile in einem Erhoben- und Belebtseyrt. Wenn wir die Idee des Allgütigen, Allweisen, Allheiligen, entweder in stiller Andacht anschauen, oder ihr in edler Begeisterung... als dem Zielpuncte alles unseres Thuns entgegenstreben: so ist in diesen Gefühlen (doch unbezweifelt religiösen) von dem Gefühle einer absoluten Abhängigkeit auch nicht die geringste Spur. Wenn auch unvollkommen, wachsen wir vielmehr
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Neufassung der Einleitung
schlechthinnigen Abhängigkeit wird dabei von beiden zunächst im Namen der Religion, noch nicht im Namen des Christentums kritisiert. Darüber hinaus sieht Bretschneider durch das verfehlte, auf psychologischem Weg gewonnene Grundprinzip aber auch die Auffassung des Christentums betroffen: Denn Schleiermacher erläutert seinen Begriff von Erlösung eben durch den Bezug auf das in seinen näheren Bestimmungen umstrittene Gottesbewußtsein. Speziell seine Theorie der Einigung von sinnlichem und Gottesbewußtsein lehnt Bretschneider ab, weil er die Forderung einer „ununterbrochene(n) Reihe frommer Erregungen", die er in ihr zu erkennen meint, für „naturwidrigO"46 hält. Somit ist für ihn auch die Bestimmung von Erlösung als Aufhebung der Hemmung dieser Einigung verfehlt. Die im weiteren Sinne rationalistische Seite lehnt den Erlösungsbegriff der Einleitung also einerseits als zu enge „beschränkende orthodoxe Norm" 4 7 , andererseits als Ergebnis des philosophisch-psychologischen, dem wahren Gehalt der Religion und dann auch des Christentums nicht entsprechenden Grundprinzips der Glaubenslehre ab.
durch sie gleichsam selber in das Göttliche hinein (393; KGA 1/7.3,517f.). 46
a.a.O., 25; KGA 1/7.3, 381. Im zweiten Teil der Rezension, „Ueber den Begriff der Erlösung und die damit zusammenhängenden Vorstellungen von Sünde und Eibsünde in der christlichen Glaubenslehre des Hrn. Prof. Dr. Schleiermacher", bemerkt er, „daß die Forderung, daß das Gottesbewußtsein jeden Lebensmoment bestimmen solle, eine unmögliche und schlechthin nicht zu machende sei, wodurch natürlich auch das Bedürfnis der Erlösung oder der Herstellung eines für unmöglich erkannten Zustandes, und diese selbst dahin fallen" (K.G. Bretschneider, Journal für Prediger 67 (1825) 1-33, 6).
47
J.F. RÖhr, Rezension, 374; KGA 1/7.3,507.
Rezeption der ersten Auflage
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b) Die supranaturalistische Kritik
Auf Seiten des Supranaturalismus kennzeichnet der Tübinger Theologe J.C.F. Steudel die Glaubenslehre nach dem Kriterium, ob in ihr die Autorität der göttlichen Offenbarung hinreichend zu Geltung komme, als rationalistisch48. Zur Verdeutlichung der Unvereinbarkeit beider Standpunkte stellt Steudel eingangs als Entscheidungskriterium die Alternative auf: „Erkennst du außerhalb des dem Menschen Mitgegebenen, in ihm selbst Liegenden, aus ihm selbst Entwickelbaren noch eine geschichtlich dargebotene, glaubwürdige Quelle von Belehrung über göttliche Dinge an: so daß der Inhalt dieser Belehrung als wahr angenommen wird - nicht deßwegen, weil sie zu den von der menschlichen Vernunft durch sich selbst auffindbaren Wahrheiten gehört, sondern weil sie von Gott als Gegenstand des Glaubens befriedigende geglaubt [!] ward? - Supranaturaliste ist, wer diese Frage bejaht; Rationaliste, wer sie vereint [!]" (I., 78). Schleiermacher gebe sich als Rationalist zu erkennen, wenn er „Christum und das Christenthum nur als Anregung des in Christo dargestellten und von den übrigen anzueignenden Lebens, nicht aber als eine Anstalt der Belehrung über göttliche Dinge" (I., 108f.) erscheinen lasse. Daß er den Engelsglauben Jesu nicht als zu glaubende Wahrheit, sondern als zeitbedingte Vorstellung Jesu auffaßt, dient Steudel als Beleg dafür, daß Schleiermachers Ansicht „sich selbst höher setzt, als wie die Geschichte uns Jesum Christum gibt" (I., 113). Daraus schließt Steudel, wohl in Aufnahme der Kritik Baurs,
J.C.F. Steudel, Die Frage über die Ausführbarkeit einer Annäherung zwischen der rationalistischen und supranaturalistischen Ansicht, mit besonderer Rücksicht auf den Standpunkt der Schleiermacher'schen Glaubenslehre. In: Tübinger ZfTh 1828, I. Stück, 74-199; 1828, II. Stück, 74-120. Seitenangaben im Text.
24
Neufassung der Einleitung
daß die Schleiermachersche Ansicht „aus sich selbst einen Christus schafft, nach welchem der historische Christus sich umgestalten muß, wenn er als Offenbarer der Gottheit gelten soll". Mit diesem Schluß ist für ihn die Ausgangsfrage beantwortet: „Auch diese Glaubensdarstellung also, wiesehr sie das Gepräge eines kalträsonnirenden Rationalismus von sich wegweise, trifft in dem Wesentlichen mit ihm zusammen, - darin nämlich, daß sie sich sträubt, ein Ansehen anzuerkennen, durch welches dem Menschen etwas weiteres glaubwürdiges gegeben würde - neben dem, was er sich selbst zu geben, aus sich selbst, seiner Vernunft oder seinem geistigen Wesen zu schöpfen hat" (I., 113). Steudels weitere Kritik an Schleiermachers Bestimmung der Frömmigkeit als Gefühl absoluter Abhängigkeit bietet neben bekannten Einwänden auch neue: die Frage nach der Freiheit und moralischen Zurechenbarkeit des „schlechthin abhängigen" Menschen, die Notwendigkeit der Idee Gottes für die nähere Bestimmung des Gottesbewußtseins, die Bedeutung der wechselseitigen Beziehung von Gott und Mensch sowie des Anteils der menschlichen Entscheidung am Gottesglauben. So heißt für Steudel schlechthin abhängig sein, „das Bewußtsein seiner selbst als Person aufgeben"49. Es sei nötig, „uns als in Wechselwirkung mit dem Lenker jener Ordnung stehend denken" zu können50, sofern wir „als freie Wesen seine Ordnung zu verwirkli-
49
a.a.O., I., 103. Zwar gibt Steudel durchaus zu, daß „unserem Seyn und Wirken und Werden gewisse Grenzen gesteckt sind", ja sogar, daß unser Sein „etwas mit uns selbst und mit Allem, was ist... uns Gegebenes ist" (I., 97). Den Begriff der schlechthinnigen Abhängigkeit aber lehnt er ab. Denn es könne sich bei einem „Schlechthin-abhängig-seyn... ja eben das Bewußtseyn des Selbst gar nicht mehr regen, indem das Selbst eben auf etwas für sich Bestehendes" hinweise, also nicht nur in bezug auf ein Anderes existiere. Deshalb könne es sich seiner „gar nicht als blos schlechthin abhängig bewußt seyn" (I., 102). In Reaktion auf diesen Einwand arbeitet Schleiermacher daraufhin in der zweiten Fassung deutlich heraus, inwiefern das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit das Bewußtsein des Selbst von sich nicht auslöscht, sondern gerade voraussetzt.
50
a.a.O., I., lOlf.
Rezeption der ersten Auflage
25
chen haben". Dabei müsse dem Gefühl die Vorstellung Gottes vorausgehen, damit es überhaupt ein religiöses Gefühl werde: Ohne daß „die Idee... von Gott in dem geistigen Wesen des Menschen niedergelegt ist, mag gar kein religiöses Gefühl im Menschen angeregt werden" 51 . Steudels neuer und grundlegender Einwand aber besteht in der Feststellung, daß wir selbst erst das Gefühl der Abhängigkeit zur religiösen Orientierung bestimmen. Zur Frömmigkeit wird es erst durch unsere Aneignung: „Das Bewußtseyn unser [!] selbst als abhängiger... ist noch gar nicht Frömmigkeit; sondern zur Religion, Frömmigkeit gehört die Anerkennung der Gültigkeit dieser Abhängigkeit. Eben damit ist die Frömmigkeit nicht ein bloßes Vorfinden unser selbst, sondern eine Bestimmung unser selbst - eine Richtung, welche wir kraft unsrer Selbstthütigkeit uns geben" 52 . In grundsätzlicher Weise wird das eigentliche Anliegen des Supranaturalismus, nämlich die Überordnung der geschichtlichen Offenbarung über die Vernunft, von F.C. Baur formuliert. Seine mit manchen gewaltsamen Umdeutungen versetzte und insofern, was die Beweisführung betrifft, von Schleiermacher in den Sendschreiben mit Recht als Unterstellung zurückgewiesene53, aber dennoch scharfsichtige Kritik 54 macht, schon im Blick auf die Glaubenslehre, zwischen Su51
a.a.O., I., 106.
52
a.a.O., I., 99.
53
Vgl. Sendschr 259-262, KGA 1/10, 313-315; Sendschr 273-276, KGA 1/10, 325-327; Sendschr 483, KGA 1/10, 339; Sendschr 502, KGA 1/10, 358f.; Sendschr 505-507, KGA 1/10, 362-364; Sendschr 513-515, KGA 1/10, 370372; Sendschr 525, KGA 1/10,385; Sendschr 531f., KGA 1/10, 393.
54
F.C. Baur, Primae Rationalismi et Supranaturalismi historiae capita potiora, Pars II: Comparatur Gnosticismus cum Schleiermacherianae theologiae indole (Tübinger Osterprogramm), Tübingen 1827. Oers., Selbstanzeige des vorigen Titels. In: Tübinger ZfTh 1828, I. Stück, 220-264. Vgl. zum folgenden den Exkurs: Zur exemplarischen Kritik der Christologie durch F.C. Baur, s.u., S. 133 ff. F.W. Geß, Übersicht, ordnet Baurs Kritik noch 1837, also auch ihre spätere Fassung, weder dem Supranaturalismus (191-282) noch dem „Standpunkt der hegel'schen Philosophie" (326-349) zu, sondern widmet ihr (wie auch der Kritik von Braniß) ein eigenes Kapitel unter dem Titel: „Beurtheilung der Schleiermacher'sehen Glaubenslehre nach ihren eige-
26
Neufassung der Einleitung
pranaturalismus und gewöhnlichem Rationalismus eine dritte theologische Ansicht aus: den „ideellen Rationalismus", der „die dem Supranaturalismus eigene historische Form auf die Thatsachen des Bewußtseyns und die Vernunftideen so überträgt, daß sie... ohne die zeitliche Form nicht gedacht werden können"55. Rationalismus sei er durch die inhaltliche Bestimmung des eigentümlich Christlichen, indem er „bei allem Schein, die historische Realität des Christenthums zu behaupten, Christus doch für nichts anderes halten kann, als für eine Vemunftidee. Der historische Christus wird zum idealen... Die in Christus ausgedrückte Idee ist die höchste Entwicklungsstufe des menschlichen Bewußtseyns, welche nur nach allen vorangegangenen Stufen erreicht werden kann" 56 . Den Beweis für diesen Befund sieht Baur zum einen in der Wesensbestimmung des Christentums, die bei der Aufstellung des Begriffs eines Erlösers ohne Bezug auf das Neue Testament auskomme; zum anderen aber erscheint ihm der Vorrang der Grundform dogmatischer Sätze verräterisch: „aus dem unmittelbaren Selbstbewußtseyn" 57 geschöpft lassen sie jedes geschichtliche Gepräge vermissen. Wenn Baur auch, um zu seinem Ergebnis zu kommen, über die Anlage des Werks hinwegsehen muß, wenn er somit, wie Schleiermacher mit Recht bemerkt, in der Einleitung sucht, was in die materiale Christologie gehört und zudem die Formen dogmatischer Lehrsätze mißversteht oder anders bestimmt, so hat er doch als erster58 das eigentlinen Principien" (177-191). Dabei zitiert er jedoch aus der 1835 erschienenen „Christlichen Gnosis", in der Baur schon die Wende vom Supranaturalismus zu Hegel vollzogen hat. Gleichzeitig erkennt er die Kritik von D. F. Strauß, obwohl inhaltlich dieselbe wie die Baurs (vgl. z.B. 188 und 344), als der Hegeischen Position zugehörig an (341-345). 55
Selbstanzeige, 223.
56
a.a.O., 224.
57
a.a.O., 246.
58
Vgl. die „Urform" seiner Kritik im Brief an seinen Bruder Friedrich August v. 26.7.1823, ed. v. H. Liebing, ZThK 54 (1957) 238-243 und v. E. Barnikol, Das ideengeschichtliche Erbe Hegels bei und seit Strauß und Baur im 19. Jahrhundert. In: Wiss. Zeitschr. d. M. - Luther-Univ. HalleWittenberg X (1961) 316-318. 327f.
Rezeption der eisten Auflage
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che Problem von Schleiermachers Neuentwurf der Dogmatik im Verhältnis der Wesensbestimmung der Religion zu der des Christentums erkannt.
c) Die philosophische Kritik
Die Kritik der Glaubenslehre aus philosophischer Sicht, wie sie von G.F.W. Hegel 5 9 und C.J. Braniß 60 geäußert wurde, offenbarte unüberbrückbare Gegensätze in den anthropologischen Grundannahmen. Sie sei nur erwähnt wegen ihrer Bedeutung für die Klärung des Freiheitsbegriffs. Für Hegel konnte die Behauptung einer absoluten Abhängigkeit weder zur Kennzeichnung der Religion noch des Menschen 61 dienen; Braniß setzte ihr eine Darlegung der „absoluten Freiheit" 6 2 des Menschen entgegen. In der Auseinandersetzung mit ihnen expliziert Schleiermacher seinen Ansatz in bezug auf den Freiheitsbe-
59
G.F.W. Hegel, Vorwort zu H.F.W. Hinrichs, Die Religion im innern Verhältnisse zur Wissenschaft, Heidelberg 1822. In: SW 20, 3-28.
60
C.J. Braniß, Ueber Schleiermachers Glaubenslehre. Ein kritischer Versuch, Berlin 1824; KG A 1/7.3, 286-365. Zur Interpretation und Wirkung der Rezension G. Scholtz, „Historismus" als spekulative Geschichtsphilosophie: Christlieb Julius Braniß (1792-1873), Frankfurt 1973,22-41.
61
„Gründet sich die Religion im Menschen nur auf ein Gefühl, so hat solches richtig keine weitere Bestimmung, als das Gefühl seiner Abhängigkeit zu seyn, und so wäre der Hund der beste Christ, denn er trägt dieses am stärksten in sich, und lebt vornehmlich in diesem Gefühle. Auch Erlösungsgefühle hat der Hund, wenn seinem Hunger durch einen Knochen Befriedigung wird. Der Geist hat aber in der Religion vielmehr seine Befreiung, und das Gefühl seiner göttlichen Freiheit; nur der freie Geist hat Religion, und kann Religion haben" (G.F.W. Hegel, Vorwort, XVIIIf.; SW 20,19).
62
C.J. Braniß, Versuch, 290f„ 298 u.a.
28
Neufassung der Einleitung
griff. In diesem Thema kamen mit unterschiedlichen Interessen und Bestimmungen die rationalistische, supranaturalistische und philosophische Kritik überein.
2. Die Sendschreiben als erste Replik
Die Sendschreiben geben Schleiermacher Gelegenheit, auf die ihm wichtigen Punkte der Kritik einzugehen und die ins Auge gefaßten Änderungen zu begründen. Obwohl die Auseinandersetzung bereits damit als abgeschlossen erscheint, daß er Mißverständnisse und grundlegende Differenzen herausstellt, zeigt ein Vergleich der dabei herangezogenen Paragraphen, daß er über die angekündigten Maßnahmen hinaus durch neue oder präzisierte Argumentationen den Anfragen zu begegnen sucht. Sie sind also nicht, wie die Sendschreiben vermuten lassen, durch seine Replik schon erledigt, sondern bilden den Hinteigrund für die Neugestaltung der Zweitfassung. Für Schleiermacher beruhen die Einwände teils auf Mißverständnissen, teils auf Unterstellungen, jedenfalls aber auf der Verkennung seiner Grundintention und -aussagen. Die explizite Absicht seiner Neukonzeption von Dogmatik war es, mit der Entwicklung ihres Inhalts aus dem christlich frommen Selbstbewußtsein die bisherige Vermengung der genuin christlich bestimmten mit philosophisch gewonnenen Aussagen zu beenden. Insofern kann Schleiermacher das Urteil, auf das die verschiedensten Kritiken hinauslaufen, daß nämlich die „Glaubenslehre eine spekulative Tendenz habe, und auf einem spekulativen Grunde ruhe", nur als das ,,schlimmste() und grellsteO Mißverständniß" (Sendschr 486; KG A 1/10, 342) empfinden. Den Grund für die Möglichkeit einer so gravierenden Fehlinterpretation sieht er darin, daß der unterschiedliche Charakter der Einleitung so-
Sendschreiben
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wie des ersten und zweiten Hauptteils übersehen und schon die Einleitung die mit der Dogmatik-Definition einsetzt, als Anfang der materialen Glaubenslehre aufgefaßt werden konnte. Erleichtert wurde diese falsche Orientierung durch die Tatsache, daß die Einleitung „ohne irgend eine sichtbare innere Organisation" (Sendschr 518; KGA 1/10, 377) fortging und die materiale Dogmatik dann mit noch nicht als christlich erkennbaren, sondern von dieser spezifischen Bestimmtheit des frommen Selbstbewußtseins noch abstrahierenden Aussagen über Gott und sein Verhältnis zur Welt einsetzte. Der Neuauflage mußte also vor allem eins gelingen: die Differenz zwischen der sich aus mehreren Wissenschaften speisenden Einleitung und der philosophieunabhängigen Dogmatik sichtbar zu machen. Der an sich durchaus naheliegenden Lösung, durch die Umstellung der beiden Hauptteile den Bezug auf das christlich bestimmte Selbstbewußtsein in den Vordergrund zu rücken, zieht Schleiermacher den direkten Eingriff in die Einleitung vor, durch den er sie in ihrer Eigenart als Prolegomena zur Sache von der Sache selbst deutlich abgrenzen will. Verschiedenen Mißverständnissen sollte so der Boden entzogen werden. So hatten Baur, Bretschneider, Schwarz und andere die Wesensbestimmung des Christentums, die die Einleitung vornahm, um mit ihr eine Regel für die Stoffausgrenzung der Dogmatik zu gewinnen, als „Begründung" oder „philosophische Construction" der Glaubenslehre (vgl. Sendschr 271, KGA 1/10, 323; Sendschr 485, KGA 1/10, 341; Sendschr 514, KGA 1/10, 371; Sendschr 516, KGA 1/10, 373) aufgefaßt. Für Schleiermacher ist damit nicht nur die Funktion der Wesensfrage, sondern zugleich der Status der konkreten geschichtlichen Religionen wie ihres lehrmäßigen Ausdrucks verkannt, die wohl näher zu bestimmen, nicht aber spekulativ zu begründen sind. Die Zuspitzung dieser Fehldeutung sieht Schleiermacher in der Kritik F.C. Baurs, daß „der Begriff Erlöser gar nicht ein geschichtlich gegebener sei, sondern mit dem Begriff der Erlösung zusammenfalle", so daß das „Christentum nicht auf jener Tatsache wesentlich be-
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ruhe, sondern ganz im Begriff gegründet sei". Schleiermacher faßt die Beurteilung Baurs dahingehend zusammen, daß ihm zufolge die Einleitung mit ihrer Bestimmung des Wesens des Christentums als Bewußtsein der Erlösung durch Jesus von Nazaret das Christentum „a priori demonstriren" (Sendschr 514; KGA 1/10, 371) wolle. Vor allem der Baurschen Kritik gegenüber, die seine Christologie zur Funktion der Anthropologie herabsetzte, ruft Schleiermacher deshalb in Erinnerung, daß „(in der Einleitung) nur zu zeigen war, wie der Begriff der Erlösung müsse gefaßt sein, wenn er solle... den Centralpunct einer besonderen Glaubensweise bilden... Alle weitere Ausführung dessen, was die Person anbetrifft, gehört natürlich eben deshalb in die Dogmatik, weil sich Alles im Christenthum auf diese Person bezieht" (a.a.O.). Aber noch ein weiterer frontenübergreifender Kritikpunkt der Debatte um das Verhältnis von Theologie und Philosophie, der „Pantheismus" der Gotteslehre des ersten Hauptteils (vgl. Sendschr 275-284; KGA 1/10, 327-335), weist zurück auf die Eingangsbestimmungen: Da alle Prädikationen Gottes nur aus dem Gottesbewußtsein des absoluten Abhängigkeitsgefühls entwickelt werden können, liegt auch in diesem Punkt der Schlüssel zur Beseitigung der Mißverständnisse an einer Verdeutlichung der Bestimmungen wie des Charakters der Einleitung.
3. Die Neukonzeption der Einleitung
Welche inhaltlichen Korrekturen die Kritik zur Folge hatte, ist bezüglich des Begriffs der Frömmigkeit Gegenstand des zweiten, bezüglich der spezifischen Differenz des Christentums sowie des (aus der Weiterbestimmung des allgemeinen Gottesbewußtseins zum christlichen
Neukonzeption
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Erlösungsbewußtsein resultierenden) Verhältnisses von Natürlichem und Übernatürlichem Thema des dritten Kapitels. Die Auswirkung der Eingriffe in Aufbau und Argumentation auf den Charakter der Einleitung und ihre Stellung zur Dogmatik faßt das vierte Kapitel zusammen. Unabhängig von der inhaltlichen Umarbeitung kann im folgenden zunächst nur ihre Anlage betrachtet werden. Schleiermachers Kunstgriff, der „gefähriiche(n) Einleitung" (Sendschr 486; KGA 1/10, 342) durch Umstellung und Untergliederung in betitelte Paragraphengruppen ein neues Gesicht zu geben, werde ich anhand der ursprünglichen (a) und der revidierten Fassung (b) beschreiben und zu beurteilen suchen (c).
a) Der ursprüngliche Aufbau
Der „ohne irgend eine sichtbare innere Organisation" (Sendschr 518; KGA 1/10, 377) fortlaufenden Paragraphenfolge liegt eine vierteilige Gliederung63 zugrunde: Teil 1 erläutert die das Werk einleitende Dogmatik-Definition in bezug auf den Ursprung der kirchlichen Leh-
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Vgl. Marg. 9, S. 4: „Einleitung Darlegung ihres Schematismus 1.) In der Erklärving § 1-4 wird die Lehre als Ausdruk und Wort zurükgeführt auf ein inneres nämlich die fromme Gemüthsverfassung des Christen. Daher muß nun 2.) diese charakterisirt werden § 5-18. Aber weil die christliche nur Art oder Modification ist so muß man auf das allgemeine zurükgehn § 5-11 und dann auf die Principien wodurch sich dieses vermannigfaltigt § 12-17 3.) Nach der Erklärung in § 18 folgen § 19-22 Zusäze welche das Verhältniß des Christenthums seinem Inhalt nach zu andern Glaubensweisen bestimmen, [über] einige bedeutende Begriffe. 4.) Nach diesen kommen nun aus 18 und 1 die Dogmatik § 23 Erklärung der dogmatischen Vollkommenheit im einzelnen; so auch § 24 die Kirchlichkeit. Jenes formell dieses material § 25 Kezer § 26 Protestantisch: Katholisch - § 28, § 29 Manigfaltigkeit im protestantischen. § 30 Beweisunterlagen § 31. Anderes Element die Vollkommenheit des wissenschaftlichen."
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ren in den christlich frommen Gemütserregungen und in bezug auf den vom Dogmatiker zu stiftenden Zusammenhang zwischen den Lehraussagen (§§ 1-4). Teil 2 sucht die christliche Frömmigkeit zu charakterisieren, indem er zunächst den Begriff der Religion überhaupt und dann die christliche Modifikation ihrer Verwirklichungsgestalten bestimmt (§§ 5-18). Teil 3 expliziert die sich aus dem in § 18 festgestellten Wesen des Christentums ergebende Stellung zu anderen Religionen (§§ 19-22). Teil 4 zieht die Konsequenzen für die Gestaltung der Dogmatik nach den Maßstäben der Kirchlichkeit und der Wissenschaftlichkeit (§§ 23-35). Die organisierende Mitte der ersten Einleitung ist somit die Wesensbestimmung des Christentums: Was die Dogmatik als „Abbild" (§ 4 LS; 1,17) der christlichen Gemütszustände in allen Aspekten darstellen soll, ist, wie die §§ 5-18 ermitteln, das christliche Bewußtsein der Erlösung durch Jesus von Nazaret; welches Konstruktionsprinzip für den mit ihm festliegenden Stoff der Dogmatik sich aus diesem Inhalt ergibt, nämlich die Grundeinteilung der Dogmatik in den Gegensatz von Sünde und Gnade, arbeiten die folgenden, zur materialen Dogmatik hinführenden §§ 19-35 aus. Bestimmt wird dieser Gang der Einleitung durch die sie eröffnende Dogmatik-Erklärung: „Dogmatische Theologie ist die Wissenschaft von dem Zusammenhange der in einer christlichen Kirchengesellschaft zu einer bestimmten Zeit geltenden Lehre" (§ 1; 1,9). Die Gründe für ihre Voranstellung liegen in einem Problem der Architektonik 64 . Die näherliegende Reihenfolge, mit dem Begriff der Religion 64
Welche Schwierigkeit in systematischer Hinsicht der Anfang darstellt, verraten Marg. 11 und die Vorlesungsnachschrift, die den gewählten Einstieg wie folgt erläutern: „Lieber das Anfangen mit der Definition. Nothwendigkeit und Schwierigkeit. Bedeutung des Zurükgehns auf meine Darstellung. Auch dort darauf zurük daß man wisse was Religion und Kirche ist" (S. 5f.). NH 2f. (a.a.O.) führt aus: „Manche erklären zuerst Dogmatik wie hier, Andere eret Theologie, andere erst Religion und leiten davon ab zuerst Theologie und davon Dogmatik - Es scheint der einzig richtige Weg der zu sein, mit Erklärung der Religion zu beginnen: Docent beginnt aber nicht so, sondern kommt erst von unten herauf auf den Begriff der Religion; zwischen den Begriffen der Religion und Dogmatik liegt der der Theologie, wo erst der wissenschaftliche Begriff der Religion beginnt. Damit aber kommt man auf etwas nicht zu den Prolegomenen der Dogmatik
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einzusetzen und über den der Theologie als ihrem „wissenschaftlichein) Begriff" zu dem der Dogmatik zu gelangen, verwirft Schleiermacher deshalb, weil ihm dieser letzte Schritt nicht ohne weiteres möglich erscheint: Um die Dogmatik als eine theologische Disziplin innerhalb der übrigen zu bestimmen, wäre eine vollständige Übersicht und Einteilung der theologischen Wissenschaft erforderlich. Für diese übergreifende Aufgabe aber sei nicht die Einleitung zur Dogmatik zuständig. Da sich weder der Religions- noch der Theologiebegriff als Eingangsbestimmung eignen, bleibe nur der Weg, mit dem Begriff der Dogmatik selbst einzusetzen und so „von unten herauf" zu dem der Religion zu gelangen. In dieser Position könne die Dogmatik jedoch nicht als „besondere Disciplin" innerhalb der theologischen Enzyklopädie, sondern nur durch ihren „Gegenstand" (a.a.O.) vorgestellt werden. Indem § 1 den Begriff der Dogmatik so durch ihren Inhalt, die Glaubensaussagen des christlich frommen Selbstbewußtseins, bestimmt, macht er den Übergang zum Thema der christlichen Frömmigkeit, deren Ausdruck sie nur ist, möglich und nötig.
b) Die Neuorganisation
Die Lösung des Problems, das sich der Erstauflage bezüglich ihres Einsatzpunktes stellte, hatte ein unvorhergesehenes neues zu Folge: Sofern „die Einleitung gleich mit einer vollständigen Erklärung der
gehöriges - Man müßte die ganze Theologie eist eintheilen um zu zeigen was Dogmatik sei, was dann stets mangelhaft geschieht... aber in der Einleitung zur Dogmatik ist nicht der Ort hier zu entscheiden... Nur indem Schleiermacher mit Erklärung der Dogmatischen Theologie anfing, nicht als besonderer Disciplin, sondern gleich als Gegenstand, konnte er es vermeiden, eine hier nicht hingehörige Entscheidung über Eintheilung der theologischen Wissenschaft zu geben".
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Dogmatik" einsetzte, „konnte man leicht denken, nachdem diese gegeben worden, hebe auch die Dogmatik an und bedachte nicht, daß das Folgende eigentlich der Erklärung hätte vorangehen sollen, als welche ohne diese Erörterungen ... von ganz unbestimmtem Gehalt (wäre)" (Sendschr. 518; KGA 1/10, 377). Diese Mängel beseitigt die Zweitauflage, indem sie durch Verschieben des ersten Aussageblocks hinter die Wesensbestimmung des Christentums der Dogmatik-Erklärung den bestimmten Gehalt verschafft und auf dem Weg dorthin den besonderen Charakter der Einleitung herausarbeitet. Die Absicht der Neugestaltung ist, „der Erklärung selbst alles das voran(zu)schicken, was zur näheren Bestimmung der darin vorkommenden Ausdrücke gehört, und dabei... durch die Ueberschriften der kleineren Abschnitte (zu) zeigen, wo diejenigen Sätze, die der Constituirung des Begriffs der Dogmatik vorangehen müssen, eigentlich ihre Heimath haben. Dann tritt von selbst Alles, was den Schematismus des Werkes vorbereiten und bestimmen soll, näher an die Erklärung heran, und die Einleitung wird sich dann mehr in sich selbst als ein Ganzes abrunden" (a.a.O.). Es ergibt sich damit eine Zweigliederung: Das erste Kapitel dient der „Erklärung der Dogmatik", mit deren Definition, die nun durch das Vorhergehende vollständig bestimmt ist, es in 2 § 19 schließt; das zweite erläutert ihre „Methode", d.h. die „Aussonderung des dogmatischen Stoffs" und seine „Gestaltung" (2I,6), was dem vierten Teil der ersten Einleitung entspricht65. Der ehemals erste Teil ist aus der gefährlichen Eingangsposition verschoben; er schließt sich nun unter dem Titel „Vom Verhältnis der Dogmatik zur christlichen Frömmigkeit" an die Lehnsätze aus der Apologetik an und kann sich auf sie
65
M. Riemer, Bildung und Christentum. Der Bildungsgedanke Schleiermachers, Göttingen 1989, 261, weist darauf hin, daß die Gegenstände, die unter dem Titel „Aussonderung des dogmatischen Stoffs" (§§ 21-26) verhandelt werden, der in Schleiermachers Enzyklopädie der „Apologetik" zur Seite gestellten „Polemik" entsprechen, deren Aufgabe es ist, die „krankhaften Abweichungen" in der Gemeinschaft bewußt zu machen (KD § 39f.; ed. Scholz 17).
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zurückbeziehen. Der zweite und dritte Teil wird durch die Zuordnung zu den Bezugswissenschaften der „Ethik", der „Religionsphilosophie" und der „Apologetik" neu aufgeteilt. Darüber hinaus ist Schleiermacher bemüht, den Einfluß der wissenschaftlichen Form auf die Gestaltung der Dogmatik herabzusetzen. Dabei kann er zugleich, wohl in Antwort auf die Fries'sehe Kritik (vgl. Sendschr 519-523; KG A 1/10, 378-382), das Thema der religiösen Sprachbildung weiter ausarbeiteten. Nach der ersten Fassung beruhte die Glaubenslehre auf zwei Bestrebungen, nämlich der kirchlichen, „die Erregungen des christlich frommen Gemüthes in Lehre darzustellen", und der wissenschaftlichen, „was als Lehre ausgedrückt ist, in genauen Zusammenhang zu bringen" (§ 3 LS. 1,16). In 2 § 18 hingegen wird die „Zusammenstellung dogmatischer Sätze", durch die „sie miteinander zu verknüpfen und aufeinander zu beziehen" sind, auf das „nämlicheO Bedürfnis... wie die dogmatische Satzbildung selbst" zurückgeführt und als „natürliche Folge von dieser" (2I, 115) hingestellt. Die zweite Auflage gibt somit die Stiftung des Zusammenhangs der Lehren klar als dogmatische, nicht philosophische Tätigkeit aus. Was die dogmatischen Lehren nunmehr von den ursprünglichen christlichen Gemütserregungen unterscheidet, ist nicht ihr „Zusammenhang" bzw. ihr „wissenschaftlicher Vortrag", sondern die „Bestimmtheit" ihres „darstellend-belehrenden" Charakters ( 2 § 16). Als die „eine Quelle, aus welcher alle christliche Lehre abgeleitet wird", wird die „Selbstverkündigung Christi" von der „eine(n) Art, wie die Lehre, vollkommner oder unvollkommner, aus dem frommen Bewußtsein selbst und dem unmittelbaren Ausdruck desselben entsteht" ( 2 § 19 Zus. 1,124), deutlich abgehoben. Die erste Auflage hingegen hatte die Lehren der Dogmatik mit den Lehren Christi noch gleichgestellt: In „dem Gebiet des Christenthums kann es nicht zweierlei sondern nur einerlei Art geben, wie die Lehre als Ausdruk der Frömmigkeit und des Glaubens entsteht: und die kirchlichen Lehren sind auch ihrer Entstehung nach den Lehren Christi und der Apostel ganz gleichartig, nur durch den wissenschaftlichen Vortrag verschieden" (§ 1,4.1,12)60. 66
Zu diesen Korrekturen vgl. G. Wehrung, Die Dialektik Schleiermachers, Tübingen 1920, 239f.: Um dem Vorwurf entgegenzuwirken, „er habe seine Glaubenslehre ganz der Weltweisheit überantwortet", ist Schleiermacher
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§ 1 thematisiert den Zweck der Einleitung, nämlich im ersten Kapitel „die dem Werke selbst zum Grunde liegende Erklärung der Dogmatik aufzustellen" sowie im zweiten die in ihm „befolgte Methode und Anordnung zu bevorworten" (2I,8), und grenzt die Einleitung so deutlich genug von der eigentlichen Glaubenslehre ab. § 2 eröffnet das erste Kapitel und ordnet die Dogmatik als theologische Disziplin in Schleiermachers Begriff der Theologie ein: Sie wird nicht durch Abgrenzung von den übrigen Disziplinen, sondern nur durch ihren funktionalen Bezug auf die Kirche bestimmt und ihre weitere Erklärung an die des Begriffs der christlichen Kirche verwiesen. „Da die Dogmatik eine theologische Disziplin ist, und also lediglich auf die christliche Kirche ihre Beziehung hat: so kann auch nur erklärt werden, was sie ist, wenn man sich über den Begriff der christlichen Kirche verständiget hat" ( 2 § 2. 1,10). War es in der Erstauflage das Eigentümliche der christlich frommen Erregungen, das es zu bestimmen galt, so jetzt das der christlichen Kirche67. 2
Das Verfahren, in dem das Wesen des Christentums ermittelt werden soll, greift nacheinander auf drei Wissenschaften zurück: Zum „Begriff der Kirche" im allgemeinen äußert sich die spekulative „Ethik", die „Verschiedenheiten der frommen Gemeinschaften überhaupt" entwickelt die „Religionsphilosophie". Die „Darstellung des
nun „bemüht, in der zweiten Auflage jenes Werkes den früher wohl zu offenherzigen Bemerkungen über den Anteil des dialektischen Denkens am Aufbau der Dogmatik Zäume anzulegen: die gefährlichsten Stellen werden bald umgestaltet, bald abgeschwächt (vgl. 2. A. § 28 mit 1. A. § 31); nur logisch-formale und architektonische Mitwirkung des reinen Wissenstriebes an der theologischen Arbeit wird äußerlich zugegeben (vgl. § 16 Zus., § 19 Zusatz); sogar die Prägung dogmatischer Sätze wird möglichst (freilich bloß: möglichst) als Vollendung der religiösen Sprachbildung gefaßt (§ 16,3)". 67
Die Bedeutung des Begriffs der Kirche für die Verbindung der drei Lehnsatzgruppen sowie für die Wesensbestimmungen der Frömmigkeit und des Christentums stellt M. Riemer heraus: Bildung, 264f. 278-294.
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Christentums seinem eigentümlichen Wesen nach", d.h. die Aufgabe, vom empirischen Befund her seinen Begriff zu bestimmen, übernimmt die „Apologetik" (2I,6).
c) Zur Beurteilung der Unterschiede
Für Schleiermacher lag der Vorteil der Neuorganisation zum einen darin, daß die Verwechslung von Einleitung und Dogmatik nun ausgeschlossen schien; zum anderen darin, daß nunmehr, „so, wie dies auch eigentlich für die Einleitung gehört, der Zusammenhang dieser besonderen theologischen Disciplin mit denjenigen allgemeinen Wissenschaften, an welche sie sich ihrer wissenschaftlichen Form wegen vorzüglich zu halten hat, unmittelbar hervortreten" (Sendschr 519; KGA 1/10, 377) konnte. Tatsächlich macht die Zuordnung der Ermittlungsschritte zu ihren Herkunftsfächern die Einleitung in Gegenstand und Methode durchsichtiger und kontrollierbarer. Die Abfolge von spekulativer, kritischer und hermeneutischer Erörterung vollzieht sich in expliziter Reflexion ihrer jeweiligen Grenze und der Notwendigkeit des Übergangs zum anschließenden Verfahren. Ob aber die im zweiten Sendschreiben geäußerte und im Aufbau der Einleitung erkennbare Absicht, durch das erste Kapitel die Erklärung und durch das zweite das Konstruktionsprinzip der Dogmatik aufzustellen, nicht durch das Eigengewicht der zentralen inhaltlichen Bestimmungen aus dem Blick gerät, bleibt dennoch zu fragen. Zumindest äußerlich gesehen findet eine Schwerpunktverlagerung statt: Wenn die erste Fassung im Ausgang von der Dogmatik-Definition in § 1 das Wesen der frommen Gemütszustände der Christen (§ 18) ermitteln wollte 68 und von dorther den Schematismus der Dogmatik 68
Die Beschreibung des Ermittlungsverfahrens in § 7 der ersten Auflage geht davon aus, daß beide Wesensbestimmungen „unbekannte Größen" sind und das einzig Gegebene „die Seelen, in welchen wir die frommen Erregungen antreffen". Sie sollen „einmal einzeln, dann aber in der
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(§§ 33-35) entwarf, dann waren die organisierenden Spitzenparagraphen 1, 18 und 33-35 an den Beginn, in die Mitte und ans Ende der Einleitung piaziert. Durch die Umstellung, aber auch durch die Bedeutung der verhandelten Themen (die Wesensbestimmungen der Religion und des Christentums) liegt in der zweiten Einleitung das Schwergewicht faktisch in ihrem ersten Drittel. Dabei weist der Aufbau diesen Wesensbestimmungen eindeutig dienende Funktion für die Erklärung der Dogmatik zu. Ob die 2§§ 3,4 und 11 tatsächlich nur als Schritte zu ihrer Definition in 2§ 19 erscheinen oder nicht vielmehr diese vom eigenständigen sachlichen Argumentationsgewicht der Bestimmungen der Religion und des Christentums überschattet wird, kann erst ihre inhaltliche Untersuchung zeigen. Aus der Betrachtung des bloßen Gangs der Darstellung aber legt sich der Eindruck nahe: Zwar scheint durch den neuen Aufbau der Einleitung deren Charakter nunmehr so deutlich herausgearbeitet zu sein, daß sie nicht mehr mit der Dogmatik zu verwechseln ist. Dafür hat sie als Einleitung jedoch mehr als nur hinführende Funktion erlangt. Der Aufweis des Gottesbewußtseins in 2§§ 3,4 bekommt durch seine Eingangsposition eine Bedeutung, die sich gegen alle Absichtserklärungen Schleiermachers leicht als spekulative Begründung der Dogmatik in der Einleitung auffassen läßt.
Gemeinschaft" betrachtet werden: einmal daraufhin, „wodurch sich die fromme Gemüthserregung, wenn wir sie in mehreren solchen Einzelnen betrachten, die nicht zur gleichen kirchlichen Gemeinschaft gehören, und also als unähnlich hierin erscheinen, von andern Gemüthszuständen unterscheidet, in Beziehung auf welche vielleicht jene nicht verschiedenen sondern derselben Gemeinschaft angehören". Diese Betrachtung stößt auf das Wesen der Frömmigkeit. Achtet man hingegen auf das, „wodurch diejenigen, welche zu derselben kirchlichen Gemeinschaft der Christen gehören, unter sich verbunden, und wodurch von den übrigen, die in andern kirchlichen Gemeinschaften stehen, getrennt sind", so ergibt sich das der „christlichen Glaubensweise... eigentümliche" (1,25). Der Unterschied der zweiten Auflage zu dieser phänomenologisch orientierten Anweisung ist augenfällig: Indem die zweite Auflage jeweils eine wissenschaftliche Disziplin mit einem der Ermittlungsschritte betraut, wird das Verfahren kontrollierbar und im Ergebnis unabweisbarer.
II. Der Aufweis des Gottesbewußtseins
Das Verfahren zur Wesensbestimmung des Christentums beginnt nach den Eingangsüberlegungen beider Auflagen mit der Feststellung des Rahmenbegriffs für alle geschichtlichen Ausformungen von Religion. Schleiermacher gewinnt den Begriff der Frömmigkeit durch eine Analyse des zeitlichen Selbstbewußtseins. Diese werde ich im folgenden in ihrer ursprünglichen (1) und ihrer revidierten Gestalt nachzeichnen und die Präzisierung in der Argumentation aufzeigen (2). Abschließend möchte ich die endgültige Fassung des Aufweises ihrerseits auf ihre Stichhaltigkeit hin untersuchen (3).
1. Die Wesensbestimmung der Frömmigkeit nach der ersten Auflage
Sie erfolgt in zwei Schritten: § 8 untersucht die Zuordnung der Frömmigkeit zu den Grundvollzügen der Subjektivität und findet ihren Ort im Gefühl (a); § 9 erörtert ihr Spezifikum, welche Bestimmtheit des Gefühls sie ausmacht (b).
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Aufweis des Gottesbewußtseins
a) Die Zuordnung der Frömmigkeit zum Gefühl
Den Leitsatz, „Die Frömmigkeit an sich ist weder ein Wissen noch ein Thun, sondern eine Neigung und Bestimmtheit des Gefühls" ( § 8 LS. 1,26), erweist und erläutert Schleiermacher in einer Anmerkung und drei Abschnitten: Die Anmerkung erklärt den Begriff des „Gefühls" durch den des „unmittelbaren Selbstbewußtseins", das als zeitliches und vom sinnlichen Gegensatz des Angenehmen und Unangenehmen geprägtes andere Vollzüge sowohl begleiten als auch dominieren, mithin auch für sich bestehen kann. § 8,1 stellt fest, daß die Möglichkeit einer vierten Grundfunktion, die Ort der Frömmigkeit sein könnte, hinreichend ausgeschlossen scheint durch die Tatsache, daß sich Gemeinschaftsbildungen nur in Bezug auf die drei genannten beobachten lassen. § 8,2 leistet die Zuordnung der Frömmigkeit zum Gefühl, indem er zunächst ihre Erklärung als Mischung aus allen drei Vollzügen, sodann als Verbindung nur von Wissen und Tun abweist und im Anschluß daran ihre Gleichsetzung sowohl mit dem Wissen als auch mit der Praxis des Glaubens widerlegt. Dem Beweis der Ortsangabe im Gefühl folgt in § 8,3, also noch vor der näheren Bestimmung des Spezifikums von Frömmigkeit überhaupt in § 9, die Darstellung eines nicht für sich bestehenden, sondern Akte des Erkennens und Handelns nur begleitenden frommen Gefühls und des Gehalts, der ihnen von ihm her zuwächst. Das Ziel des Beweisgangs, die Frömmigkeit „in ihrem Anfang und eigentlichen Wesen" (§ 8 Anm. 1,26) als Bestimmtheit des Gefühls zu begreifen, wäre, da nur drei Grundfunktionen angesetzt werden, erreicht, wenn ihre Unabhängigkeit von Wissen und Tun begründet werden kann. § 8,2 beginnt jedoch nicht mit diesem Aufweis, sondern mit der Widerlegung ihrer Auffassung als Mischform. Wer die Frömmigkeit als Zusammensetzung
aus Wissen, Tun und Gefühl erklären
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wollte, müßte bei der Angabe der jeweiligen Anteile doch das Gefühl „als den Grundton... und das ursprüngliche" (1,27) zugeben. Sollte sie nur aus Wissen und Tun bestehen, dann wäre noch die Möglichkeit der Verbindung beider zu klären: Wieder würde sich als das „dritte... eben das innerste unmittelbare Selbstbewußtsein des Wissenden und Thuenden" herausstellen, durch das der Begriff des Gefühls eingangs bestimmt wurde69. Ebenso ergeht es den anderen Zuordnungsversuchen. Identifiziert man die Frömmigkeit mit dem gewußten Inhalt des Glaubens, bleibt zu ihrer Kennzeichnung, da weder der Grad des Wissens noch die Klarheit der Überzeugung Maß und Wesen der Frömmigkeit sein können70, nur die „Zusammenstimmung des eigenen Selbstbewußtseins mit dem, was in der Lehre ausgesprochen ist" (1,28), also (als Instanz zur Verifizierung des frommen Inhalts der Lehrinhalte) doch wieder nur das Gefühl. Die Reduktion auf die religiöse Praxis aber scheitert daran, daß die Frömmigkeit sich weder auf den „Inhalt" noch den „Erfolg"71, sondern einzig auf den „Antrieb" beziehen läßt, der selbst 69
Diese Antwort auf die Frage, „wie andere doch das Wissen und das Thun, welche die Frömmigkeit ausmachen, eins sein sollen, als in einem dritten, und welches denn eben dieses dritte sei, wenn nicht eben das innerste unmittelbare Selbstbewußtsein des Wissenden und Thuenden" (§ 8,2.1,27), wird in der Vorlesung differenzierter erläutert: Wir „wollen uns Zustände denken wo das Denken und Andere [wo] das Handeln das Ueberwiegende sind, wie geht dann der Mensch von einem Zustand in den anderen über? Wir werden wieder auf die Selbstbeobachtung zurükgewiesen, und hier finden wir daß eine Bestimmtheit des Gefühls vorhergeht - will einer von Thun zum Denken übergehen, da muß das Thun doch eret beruhigt werden, also ein Anfangen des Denkens und diesem muß ein besonderes vorhergehen. Dies kann nur im Selbstbewußtsein geschehen, und dies muß wieder das Gefühl zum Vorgänger haben, es muß ein im Selbstbewußtsein Ursprüngliches vorhanden sein" (Marg. 82, NH 35f., S. 24f.).
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In diesem Fall wäre „der beste Inhaber der Glaubenslehre, der sich auch am meisten an das wesentliche hielte,... zugleich der frömmste Christ" (§8,2.1,27).
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Als Beispiel für die Mehrdeutigkeit und Heterogenität frommer Inhalte führt Schleiermacher „Menschenopfer, indische Selbstmorde, Gebärden" (Marg. 95, S. 27) an. Daß der Erfolg einer Handlung kein Kriterium für ihre Frömmigkeit sein kann, setzt er voraus.
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Aufweis des Gottesbewußtseins
erst aus einer „Bestimmtheit des Selbstbewußtseins" (a.a.O.) erwächst. Der Durchgang durch die möglichen Ortsangaben der Frömmigkeit kommt zu folgendem Ergebnis: Die Grundfunktionen Wissen und Tun sind, wenn sie religiös bestimmt sind, „ihrem frommen Gehalt nach vom Gefühl abhängig" und verhalten sich zu ihm „wie der äußere Umfang zu dem innern Mittelpunkt und Heerd des Lebens" (1,29). Damit ist das Gefühl nicht nur als Ort der Frömmigkeit, sondern zugleich als Möglichkeitsbedingung der Verbindung von Wissen und Tun sowie der Einheit des Subjekts im Wechsel dieser Vollzüge ausgezeichnet72. Über den Nachweis hinaus, daß „alles auf diesen Punkt", nämlich „das innerste unmittelbare Selbstbewußtsein des Wissenden und Thuenden... zurükführt" (1,27), sucht § 8,3 nun auch noch ein „begleitendes" frommes Gefühl aufzuzeigen, das einzelne Akte des Wissens und Wollens in seinem Sinne bestimmt. E>er fromme Gehalt, den es dem Wissen hinzufügt, besteht darin, daß es „die Beziehung jedes Erkenntnißkreises auf das ganze und auf die höchste Einheit alles Erkennens ausdrükt", beim Tun entsprechend die seines jeweiligen Bereichs „auf die Allheit des Handelns und auf dessen höchste Einheit" (1,29). Diese stellt für Schleiermacher offensichtlich nicht mehr nur die zusammenfassende Konstruktion der Idee der Totalität der Grundvollzüge dar, sondern „die höchste und allgemeinste Ordnung und Zusammenstimmung". Den teleologischen Bezug aller Einzelakte von Wissen und Wollen auf eine letzte Ordnung, in der sich ihr Sinn erfüllt, stiftet demnach das sie „aneignend begleitende" (vgl. 1,30) fromme Gefühl. Was § 8,1 mit seinem Verzicht darauf, die drei Grundfunktionen als nicht aufeinander rückführbare, wesentliche Vollzüge des durch sie vollständig beschriebenen Subjekts auch nachzuweisen, schon
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Zur Frage, ob dieser Aufweis transzendental genannt werden kann, s.u., S. 58ff.
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vermuten ließ und was der Beweisgang von § 8,2 bestätigte, indem er noch vor der näheren Bestimmung des Verhältnisses von Wissen, Tun und Gefühl letzteres in jedem Fall als „den Grundton... und das ursprüngliche" (1,27) herausstellen konnte, macht der Vorgriff von § 8,3 noch offensichtlicher: Was Frömmigkeit ist, wird in § 8 nicht so sehr ermittelt als vorausgesetzt; die noch ungeklärte Bestimmtheit des Gefühls, die sie auszeichnet, ist schon in Anspruch genommen 73 . Eine Ortsbestimmung als alleiniges Ziel hätte methodisch strenger und vollständiger entwickelt werden müssen. Zugleich drängt sich der Eindruck auf, daß § 8 in anderer Hinsicht nicht nur mehr leistet, als er aufgrund seiner ausdrücklichen Aufgabenstellung eigentlich soll, sondern auch schon mehr intendiert: Die nichtreligiösen Grundvollzüge sollen in letzter Instanz als von der frommen Bestimmtheit des Gefühls, das ihnen die Leitideen liefert, abhängig erklärt werden. Nicht die Unabhängigkeit der Frömmigkeit von Wissen und Tun, sondern deren Abhängigkeit von der Frömmigkeit ist faktisch das Ergebnis. Als Bestätigung dieser These läßt sich der nicht datierbare, aber erste bisher bekannte Entwurf der Grundgedanken von §§ 8,9 lesen: „Es giebt nur Gefühl, Wissen und Thun, diese 3 Arten durch welche sich das Dasein des Menschlichen Geistes manifestili Die Frömmigkeit hat ihre Quelle, ihren Sitz in dem Gefühl. Das Gefühl ist auch das Ursprüngliche im Wissen und Thun, aller Anfang des Denkens oder Handelns, oder aller Uebergang aus einem zum andern kann nur im Selbstbewußtsein geschehen, dessen Ursprüngliches nur eine Bestimmtheit des Geßhls ist. Nur das ist wahres Wissen, was in Beziehung auf ein höchstes Wesen gedacht ist.
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Vgl. auch G. Wehrung, der die Näheibestimmung des „begleitenden frommen Gefühls" an dieser Stelle ebenso als eine Frage beurteilt, die „einzig und allein aus der nachfolgenden Deduktion zu beantworten (ist). Unsere Stelle ist gleichsam eine Vorwegnahme des späteren Ergebnisses" (Methode Schleiermachers, 34).
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Nur das Thun ist ein vollkommenes und nur dann ein wahres Thun, wenn es seine Beziehung auf das höchste Wesen hat. Die Frömmigkeit welche ihren Sitz hat in dem Gefìlhl ist ein von der Sittlichkeit und der Speculation, welche es mit dem Thun, und dem Wissen zu thun haben, an sich, völlig Verschiedenes.— Wenn mit der Vollendung der Frömmigkeit auch alle Philosophie erlöschen müßte, oder umgekehrt, in der höchsten Philosophie alle Frömmigkeit, wie dies behauptet worden ist, so müßte dann auch alle Sittlichkeit aufhören, und in jene untergehen, was niemand wird behaupten wollen—" 74 .
b) Das Gefühl absoluter Abhängigkeit als Wesen der Frömmigkeit
Die Bestimmung der spezifischen Differenz der Frömmigkeit von anderen Gefühlen und ihren Aufweis als Gottesbewußtsein faßt der Leitsatz von § 9 folgendermaßen zusammen: „Das gemeinsame aller frommen Erregungen, also das Wesen der Frömmigkeit ist dieses, daß wir uns unsrer selbst als schlechthin abhängig bewußt sind, das heißt, daß wir uns abhängig fühlen von Gott" (1,31). Er wird in vier Abschnitten erläutert: § 9,1 weist in jedem Vorkommen des zeitlichen Selbstbewußtseins die zwei Elemente des „Fürsichseins" und des „Zusammenseins ... mit anderen" auf. § 9,2 schreitet in der Analyse des Selbstbewußtseins fort und unterscheidet in ihm ein Gefühl absoluter von einem Gefühl partieller Abhängigkeit. Daß die Frömmigkeit zu ersterem gehört, setzt § 9,3 anschließend voraus, begründet jedoch, wieso das Mitbestimmende in ihm nicht die Welt sein kann, und identifiziert sodann die Abhängigkeit von der „einfache(n) und
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Diese „Geburtsurkunde" von Schleiermachers Prinzip der Dogmatik ist in KG A 1/7.3, 656f. im Faksimile und transkribiert abgedruckt.
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absolute(n) Unendlichkeit" (1,32) mit der von Gott. Ein Zusatz thematisiert das Verhältnis des Gedankens und des Gefühls von Gott. § 9,4 zieht die Konsequenz daß ein äußeres Erscheinen Gottes unmöglich, aber auch überflüssig ist. Die Darlegung der Frömmigkeit als Gefühl absoluter Abhängigkeit von Gott geschieht durch eine Analyse des existierenden Selbstbewußtseins75. Sie setzt ein mit der Feststellung, daß es sich nie allein als „reine(s) Ich an sich", sondern als immer schon „in Beziehung auf etwas" befindlich erfährt. Weiter verdeutlicht sie, daß ein Bewußtsein unserer selbst als „sich immer gleichbleibenden" sowie von uns als „veränderlichen" jeweils nur als „Bestandteile jedes bestimmten Selbstbewußtseins" gelten können, indem „jedes... ein unmittelbares Bewußtsein des Menschen von sich als verändertem ist". Die Erfahrung seines „Soseins" kann das Selbstbewußtsein nicht auf sich zurückführen, sondern nur auf eine von ihm unterschiedene „mitwirkende Ursache" seiner wechselnden Bestimmtheiten. Sofern es darin
75
Wenn im folgenden vom zeitlichen, wirklichen, bestimmten Selbstbewußtsein bzw. der existierenden oder realen Freiheit die Rede ist, dann im Unterschied zum apriorischen, reinen Ich an sich bzw. der formellen oder abstrakten Freiheit. Zu dem mit diesen Begriffen bezeichneten Gegensatz vgl. Th. Pröpper, Erlösungsglaube und Freiheitsgeschichte. Eine Skizze zur Soteriologie, München 19882, 183f.: „Statt von formeller könnte man, entsprechend dem leitenden Gesichtspunkt, auch von formaler, abstrakter oder transzendentaler, statt von existierender auch von materialer, wirklicher oder inhaltsvoller Freiheit sprechen. Von formaler insofern, als sie das wirkliche Handeln und seinen Gehalt zwar bestimmt, doch für sein Dasein nicht aufkommen kann; von abstrakter, wenn sie von allem anderen sich lösend, sich ihrer selbst vergewissert; von transzendentaler, weil sie, obwohl Implikat menschlichen Handelns, ihm doch transzendentallogisch vorausliegt. Formell kann sie heißen, sofern sie das Tun des Menschen zum 'eigenen' und sein Handeln zum sittlichen qualifiziert... Sie wird bewußt als das schlechthin ursprüngliche und vom Menschsein unabtrennbare Vermögen, zu jeder Gegebenheit und Bestimmtheit, zu den Systemen der Notwendigkeit und noch der Vorfindlichkeit des eigenen Daseins sich verhalten, d.h. sie distanzieren, reflektieren und affirmieren (oder negieren) zu können."
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Aufweis des Gottesbewußtseins
jedoch Selbstbewußtsein bleibt, sich also als das in diesem Wechsel Bleibende erfährt, erfaßt es in sich zwei Elemente, das „für sich sein des Einzelnen" und das „Zusammensein desselben mit anderen". Der folgende Abschnitt unterscheidet (mit Bezug auf die Empfänglichkeit und Selbsttätigkeit) in diesem Bewußtsein des Bestimmtseins zwei Gefühle: zum einen ein sich gleichbleibendes, zum anderen ein abbrechendes, in neuer Selbsttätigkeit endendes. Das erste zeigt ein Verhältnis reiner Abhängigkeit vom Mitbestimmenden an, das zweite eins der Wechselwirkung. Der letzte Schritt zum Erweis des zeitlichen Selbstbewußtseins als Gottesbewußtsein besteht in der Unterscheidung des in beiden Gefühlen jeweils Mitbestimmenden. Nicht nur einzelnem, auch der Welt als ganzer gegenüber besteht die Möglichkeit der Gegenwirkung. Bezüglich der „Gesammtheit alles leiblichen und geistigen endlichen Seins" hat der Mensch also das „Bewußtsein der Freiheit". Ihre Unendlichkeit ist „in sich getheilt() und endlich gestaltet()"(I,32). Wenn dagegen das fromme Gefühl von einer reinen, nämlich „vollkommnen, stetigen, also auf keine Art von einer Wechselwirkung begrenzten oder durchschnittenen Abhängigkeit" zeugt, dann impliziert dies eine ebenso „einfache und absolute Unendlichkeit" des Mitbestimmenden. Daß diese wiederum Gott genannt werden kann, begründet die erste Auflage nicht eigens, sondern konstatiert nur noch zum Schluß: „Und dies ist der Sinn des obigen Ausdruks, daß sich schlechthin abhängig fühlen und sich abhängig fühlen von Gott einerlei ist" (a.a.O.). Die Analyse des Selbstbewußtseins hinsichtlich seiner Bestimmtheit als Gefühl absoluter Abhängigkeit führt zu dem Ergebnis, daß in diesem Gefühl Gott „auf eine innerliche Weise als die hervorbringende Kraft selbst gegeben ist" (§ 9,4.1,33), das „höchste Wesen also als eingeboren... und als immer mitlebend (angesehen werden)" muß. Ob der Gedanke oder dieses Gefühl von Gott Priorität haben, läßt der erste Aufweis mit dem Hinweis offen, daß der Gottesgedanke sich ohnehin infolge der Reflexion auf die frommen Erregungen ergeben würde.
Erete Auflage
47
2. Die revidierte Wesensbestimmung der Frömmigkeit
Die Überschrift der 2§§ 3-6, „Zum Begriff der Kirche. Lehnsätze aus der Ethik" (2I,14), leistet den Rückbezug auf § 2: Sie ordnet die folgenden Ausführungen in die Aufgabenstellung des ersten Kapitels ein, den Begriff der auf die christliche Kirche bezogenen Dogmatik zu erstellen und unterstellt sie der als „spekulative Darstellung der Vernunft in ihrer Gesamtwirksamkeit" verstandenen „Ethik" (2§ 2, Zus. 2.1,14).
a) Präzisierungen der Ortsangabe
Die Ortsangabe der Frömmigkeit greift in ihrem Leitsatz und im ersten Abschnitt den Bezug von Frömmigkeit und Kirche auf: „Die Frömmigkeit, welche die Basis aller kirchlichen Gemeinschaften ausmacht, ist rein für sich betrachtet weder ein Wissen noch ein Tun, sondern eine Bestimmtheit des Gefühls oder des unmittelbaren Selbstbewußtseins" (2§ 3 LS. a.a.O.). Weiter sind Aufbau und Inhalt der zweiten Ortsbestimmung in folgenden Punkten verändert: Die Bestimmung des Begriffs „Gefühl" durch den des „unmittelbaren Selbstbewußtseins" ist zu einem eigenen Abschnitt ausgeweitet (2§ 3,2); die drei Grundfunktionen Wissen, Tun und Gefühl werden nunmehr als vollständige Beschreibung des Subjekts erwiesen (2§ 3,3); die Zuordnung der Frömmigkeit zum Gefühl geschieht so,
48
Aufweis des Gottesbewußtseins
daß zuerst ihre Identifizierung mit Wissen und Tun ( 2 § 3,4) und aufgrund ihrer Zuweisung zum Gefühl sodann ihre Auffassung als Mischform aller drei oder der zwei anderen Grundvollzüge abgewiesen wird ( 2 § 3,5). Von einem begleitenden frommen Gefühl, das die Idee einer als höchste Ordnung verstandenen Totalität beiträgt, ist nicht mehr die Rede. Die wesentliche Differenz zur ersten Auflage liegt in der Absicht, die Ergebnisse der Analyse durch einen strengeren Argumentationsgang philosophisch zwingend zu machen. Dazu dienen die ausführlicheren subjektivitätstheoretischen Bestimmungen, die sowohl die Ortsanweisung der Frömmigkeit als auch den Aufweis des zeitlichen Selbstbewußtseins als Gottesbewußtsein statt durch Beanspruchung gefühlter Evidenzen durch gedanklichen Nachvollzug einsichtig zu machen suchen76. So arbeitet 2 § 3,2 die Bestimmung des Gefühls als „unmittelbares Selbstbewußtsein" aus und erläutert beide Begriffe durcheinander: als nicht „bewußtlose(s)" (2I,16) ist das Gefühl „Selbstbewußtsein", dieses hingegen „unmittelbar", d.h. nicht durch „eine Vorstellung von sich selbst... vermittelt" (a.a.O.), also nicht durch die Reflexion auf sich selbst als Gegenstand erzeugt. Zuvor hatte Schleiermacher
76
Zu diesem Urteil kommt auch G. Wéhrung, Methode Schleiermachers, 45f. Für ihn übertrifft die zweite Fassung die erste an „Klarheit und Vollkommenheit des Gedankengangs", weil sie versucht, eine „transzendentallogische" und eine „psychologisch-erkenntnistheoretische... Erörterung genau auseinanderzuhalten. Diese spätere Redaktion beruft sich... nach der Fixierung des ausschlaggebenden Faktums nicht weiter auf unsere eigene Erfahrung, sondern will gerade durch seine logische Zergliederung, auf dem Weg des Schlusses ermitteln, welche sicheren Momente daraus zum Verständnis des Phänomens zu gewinnen sind; eben soweit geht die Überlegung, daß das tatsächliche Verhalten des Bewußtseins erklärt erscheint ('In diesem Unterscheiden liegt aber schon'...)". Im ersten Entwurf hingegen drängte sich noch „die Aussage des Bewußtseins, die nachmals selbst erst kritisch gerechtfertigt wird, in den Vordergrund ('Des letzteren Bestandteiles sind wir uns nicht als eines von uns selbst Hervorgebrachten... bewußt...')."
Revidierte Wesensbestimmung
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„unmittelbar" nur in jenem Sinn von „ursprünglich" verstanden, „daß es nämlich nicht an einem Wissen oder Thun haftet" (Marg. 80, S. 24). Eine weitere Erörterung des Gefühls in seiner einzigartigen Stellung beginnt 2 § 3,3 mit dem Rekurs auf eine neue subjekttheoretische Bestimmung, mit der er die Möglichkeit einer vierten Grundfunktion ausschließt: Indem er den Begriff des „Lebens" als „Wechsel von Insichbleiben und Aussichheraustreten des Subjekts" (2I,18) definiert, zeigt sich, daß allein das Gefühl in der grundsätzlichen Empfänglichkeit seines „Bewegtwerden(s)" den Begriff des „Insichbleibens" erfüllt, während das Erkennen auch als „Erkannthaben" von einer ursprünglichen Eigenaktivität geprägt ist und mit dem Tun zusammen die Seite des „Aussichherausgehens" ausmacht. Diese neuen Kennzeichnungen bezieht 2 § 3,3 sodann auf das Subjekt, um dessen Mißverständnis als vierte bzw. dritte gleichgeordnete Größe auszuschließen: Das „Wesen des Subjekts" stellt die „Einheit" der drei Grundvollzüge und den „gemeinschaftliche(n) Grund" beider Vollzugsformen dar. Auf der Basis der geklärten Begriffe des Gefühls und des Subjekts verhandeln die letzten beiden Abschnitte nun erst kritisch die möglichen Zuordnungen der Frömmigkeit, indem sie die nunmehr definierten Größen auch in Anspruch nehmen (2§ 3,4.5). Indem 2 § 3 den Ausgangspunkt für die Bestimmung des Spezifikums der Frömmigkeit, das Gefühl, nicht mehr nur aufgreift, sondern als zum Wesen des Menschen gehörig nachweist, hat der Beweis der Zuordnung der Frömmigkeit zum Gefühl allgemeine Geltung erlangt. Für das Beweisziel von 2 § 4, den Aufweis des Gottesbewußtseins, kann es noch weniger genügen, vom faktischen Vorkommen eines Gefühls der Abhängigkeit und dessen zwei Ausformungen auszugehen; die Beweisbasis muß als unbestreitbar einleuchten, die vorgenommene Differenzierung als notwendige. Nicht im Rekurs auf faktische Evidenzen, sondern nur als Einsicht des Selbstbewußtseins in seine wesentliche Bestimmtheit kann der Beweisgang gelingen. Nur dann wird auch eine andere Schwäche vermieden, die der phänomenologisch-deskriptive Charakter des ersten Aufweises begün-
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Aufweis des Gottesbewußtseins
stigt und verdeckt hatte: die Vermischung von theologischen Voraussetzungen und philosophischen Erkenntnissen. So zehrte die Identifizierung des jeweils „Mitgesetzten" einmal als „Welt", das andere Mal als „Gott" davon, daß zumindest schon die Entsprechung des Gottesgedankens zum Begriff einer „einfache(n) und absolute(n) Unendlichkeit" (§ 9,3.1,32) bekannt war. Um beim letzten, entscheidenden Schritt des Nachweises gerade ohne solche Anleihen beim spekulativen Gottesbegriff auszukommen, muß schon die ganze Analyse tiefer ansetzen: Wenn der Sinn des Wortes „Gott" erst aus dem Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit hervorgehen und durch es ursprünglich bestimmt sein soll, dann müssen die Ausführungen von 2
§ 4 zeigen, inwiefern im Aufweis des Gottesbewußtseins die tiefste
Einsicht des zeitlichen Selbstbewußtseins in sein Wesen erreicht ist. Die Eigenständigkeit der religiösen Gottesgewißheit gegenüber Metaphysik und Moral ist erst gesichert, wenn die Selbstbewußtseinsanalyse als in sich notwendig vorgeführt wird. Die Entscheidung, den Aufweis des Gottesbewußtseins im zeitlichen Selbstbewußtsein der 2 §§ 3,4 im folgenden als eigenständigen aufzufassen, ihn in sich zu interpretieren und zu prüfen, also nicht von vornherein auf anderweitige Analysen Schleiermachers zurückzugreifen, kann sich auf dessen eigene Bekundungen berufen. Die Formulierungen von 2 § 4,4 und die Marginalien bringen seine Intention unmißverständlich zum Ausdruck: Ein „ursprüngliches Wissen" von Gott will Schleiermacher „keinesweges bestreiten, sondern es nur beiseite stellen als etwas, womit wir es in der christlichen Glaubenslehre niemals können zu tun haben, weil es selbst offenbar genug nichts unmittelbar mit der Frömmigkeit zu tun hat". Die Gottesvorstellung, die „nichts anders ist als nur das Aussprechen des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls, die unmittelbarste Reflexion über dasselbe", aber ist „ganz unabhängig von jenem ursprünglichen eigentlichen Wissen, und nur bedingt durch unser schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl, so daß Gott uns zunächst nur das bedeutet, was in diesem Gefühl das Mitbestimmende ist,... jeder anderweitige Inhalt dieser Vorstellung aber erst aus dem angegebenen Grundgehalt entwickelt werden muß"
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(21,29t.). Ebenso stellt Schleiermacher gegen die von Braniß vorgetragene „Identität von Philosophie und Theologie" klar: „Allein die philosophische Gotteslehre ist immer in bezug auf das System des endlichen Seins, die religiöse Gotteslehre nur Analyse der Subjectivität" (Marg. 121, S. 33). Gegen die von Schwarz vorgebrachte Bestimmung des Glaubens als „untrennbare Einheit von Fühlen Wissen und Thun" betont er: Das „Wissen des Göttlichen als ursprünglich kann man nicht jedem frommen Christen zugeben; denn er weiß nur sein Fühlen des göttlichen. Schwarz scheint mir das zu übersehen daß man auch eines Ursprunges der Wissenschaft aus dem Gottesgedanken bedarf, und daß dieser von Anfang an ein anderer sein muß" (Marg. 76, S. 22). Die Erstauflage hatte die Differenz zwischen philosophischem Gottesgedanken und religiösem Gottesbewußtsein in ihrem Argumentationsgang verwischt. Für die von ihnen rezensierte erste Auflage trifft also zu, was Bretschnríder, Röhr und Steudel Schleiermacher vorwerfen: daß sein Aufweis einer Gottesgewißheit im Gefühl nur funktioniert, wenn die zuvor schon bekannte Idee Gottes das „Mitgesetzte" identifizieren hilft. Sofern die Pointe des Nachweises aber gerade die Selbstsuffizienz der subjektiven Funktion bezüglich eines ihr innewohnenden Bewußtseins von Gott sein sollte, ist er als mißglückt anzusehen. Dies ist - bei aller Anerkennung des Interesses, die Kohärenz und Konsistenz von Schleiermachers theologischem und philosophischem Denken aufzuzeigen - denjenigen Interpreten gegenüber einzuwenden, die die grundlegenden Analysen der 2 §§ 3,4 der Glaubenslehre nur mit Hilfe von Schleiermachers Dialektik deuten zu können meinen. Für die zweite Auflage gilt der Rückgriff auf ihren Gottesgedanken, wie zu zeigen sein wird, nicht mehr. Die auf beide Fassungen bezogene These M. Ekkerts trifft nur auf die erste Auflage zu: daß die philosophische Theologie Schleiermachers „für ihre Thematisierung des Verhältnisses von Glauben an Gott und Wissen von Gott vom philosophischen Gottesbegriff der Dialektik und seiner Begründung im Begriff des 'Gefühls' her argumentiert"77. Zu ihrem § 9 bemerkt Eckert richtig: „Die Einheit alles Endlichen... meint die Welt als die 'getheilte Einheit,
77
M. Eckert, Gott - Glauben und Wissen. Friedrich Schleiermachers philosophische Theologie (Schleiermacher-Archiv Bd. 3), Berlin 1987, 79.
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Aufweis des Gottesbewußtseins
welche zugleich die Gesammtheit aller Gegensätze und Differenzen ist' (§ 36,2.1,124). Das Woher schlechthinniger Abhängigkeit kann dann aber nur Gott als 'ungetheilte absolute Einheit' sein. Nur vor dem Hintergrund unserer Interpretation der Dialektik kann folglich der Begriff schlechthinniger Abhängigkeit verstanden werden. Schleiermachers philosophische Gotteslehre, so bestätigt sich nun, stellt die unabdingbare Voraussetzung fllr das Verständnis des Entwurfs seiner philosophischen Theologie dar"76. Eckert meint jedoch auch für die zweite Auflage auf den Gefühls- und den Gottesbegriff der Dialektik zurückgreifen zu müssen, um „eine gegenüber religionskritischen Vorwürfen anthropologischer Projektionsinhalte der Gottesvorstellungen ganz entscheidende Differenz" zu begründen. Erst die aus der Dialektik stammende Bestimmung des „religiösen Gefühls" als „Repräsentation des transzendenten Grundes" erlaube es, das Menschenähnliche der Gottesvorstellungen auf die Ebene des Sprechens zu beschränken und das unmittelbare Selbstbewußtsein von dieser Vermischung auszunehmen: „Unzweifelhaft kann Schleiermacher nur aufgrund seiner philosophischen Theorie des unmittelbaren Selbstbewußtseins und dessen Analogie mit dem transzendenten Grund behaupten, Gott sei 'nicht menschenähnlich'. Denn die Dialektik hatte in der Unterscheidung der Idee der Welt und der Idee Gottes Identität und Differenz von Endlichem und Unendlichem deutlich gemacht. Von daher kann Schleiermacher für die ontologische Vermittlungsebene von Gott, Welt und Mensch im 'religiösen Gefühl' der Menschen beanspruchen, Göttliches und Menschliches unterscheiden zu können"79. Neben Schleiermachers expliziten Absichtserklärungen mahnen jedoch noch weitere Gründe zur vorsichtigen Anwendung des in der Schleiermacher-Forschung oft geübten Verfahrens, der Argumentation der Glaubenslehre mit Bestimmungen der Dialektik zu sekundieren. Zunächst die Feststellung, daß der Untersuchungskontext beide Male ein anderer ist80: Die Dialektik fragt nach der
78
a.a.O., 164.
79
a.a.O., 177. Zum entscheidenden Argument gegen den Projektionsverdacht s.u., S. 74ff.
80
Zu den Differenzen beider Untersuchungen vgl. D. Offermann, Schleiermachers Einleitung in die Glaubenslehre, Berlin 1969, 38-108, bes. 66ff.
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Bedingung der Möglichkeit von Denken und Wollen und kommt zur Voraussetzung eines transzendenten Grundes. Die Glaubenslehre sucht in dem unmittelbaren Selbstbewußtsein des Subjekts die Gewißheit Gottes als Woher seines Daseins aufzuweisen 81 . Darüber hinaus könnte man es als ein schlechtes Zeugnis für die in den „Lehnsätzen" entwickelten Argumentationen werten, wenn man den Schlüssel zu ihnen erst in anderweitigen Ausführungen Schleiermachers zum Thema suchen müßte. Zudem ist der Aufweis der 2 §§ 3,4, wenn er auf eigenen Füßen steht, vom Streit um die Subjektivitätsanalyse der Dialektik nicht betroffen 82 . Das wesentliche Argument dafür, die Stichhaltigkeit der Analysen der 2 §§ 3,4 der Glaubenslehre nicht von der Dialektik her, sondern in sich zu beurteilen, ist jedoch ihr Anspruch, notwendige Einsichten des Selbstbewußtseins in sein Wesen vorzutragen.
81
Vgl. das Urteil K. Cramers, Die subjektivitätstheoretischen Prämissen von Schleiermachers Bestimmung des religiösen Bewußtseins. In: D. Lange (Hg.), Friedrich Schleiermacher, 129-162, 159: Der „anders verlaufende Argumentationsgang in der Konstruktion des religiösen Bewußtseins als Bewußtsein der schlechthinnigen Abhängigkeit..., den Schleiermacher in seinen Vorlesungen zur 'Dialektik' vorgelegt hat", hat, soweit „der bisherige, durchaus unbefriedigende Editionsstand der hier einschlägigen Texte ein Urteil erlaubt,... keine größere Überzeugungskraft als der der Glaubenslehre."
82
Ein Beispiel wäre die Frage der Beweisbarkeit der These, daß die subjektive und die objektive Funktion zusammenstimmen müssen (vgl. Th. Lehnerer, Die Kunsttheorie F. Schleiermachere, Stuttgart 1987, 84f.). Die Unabhängigkeit beider Argumentationsgänge schließt nicht aus, daß manche Frage, z.B. die nach der Unmittelbarkeit oder Vermitteltheit des Selbstbewußtseins mit gleichem Recht an die Dialektik in ihrem Argumentationskontext gestellt werden kann (vgl. F. Wagner, Schleiermachers Dialektik. Eine kritische Interpretation, Gütersloh 1974, 137-168; Th. Lehnerer, a.a.O., 66-75), doch wäre das ein anderes Thema. S.u., S. 68ff.
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b) Präzisierungen im Aufweis des Gottesbewußtseins
Der Aufbau von 2 § 4 läßt einen veränderten Argumentationsgang erkennen: 2 § 4,1 analysiert das wirkliche Selbstbewußtsein hinsichtlich der zwei Elemente des „Sichselbstsetzens" und des „Sichselbstnichtsogesetzthabens" und bestimmt das Subjekt durch die allem Getroffensein zugrundeliegende „Empfänglichkeit" (2I,25). 2 § 4,2 erschließt als Bezugspunkt eines partiellen, mit dem Gefühl der Freiheit durchsetzten Gefühls der Abhängigkeit die Welt. 2 § 4,3 zeigt, daß die Behauptung eines schlechthinnigen Freiheitsgefühls in allen Instanzen scheitert und begründet darauf die subjektivitätstheoretische Kernthese, daß das zeitliche Selbstbewußtsein als solches ein Bewußtsein der schlechthinnigen Abhängigkeit ist. 2 § 4,4 erklärt dessen Gleichsetzung mit dem Bewußtsein der Beziehung zu Gott. Eine Akzentverschiebung im Beweisziel kündigt sich schon in der neuen Fassung des Leitsatzes an: „Das Gemeinsame aller noch so verschiedenen Äußerungen der Frömmigkeit, wodurch sich diese zugleich von allen anderen Gefühlen unterscheiden, also das sich selbst gleiche Wesen der Frömmigkeit, ist dieses, daß wir uns unsrer selbst als schlechthin abhängig, oder, was dasselbe sagen will, als in Beziehung mit Gott bewußt sind" ( 2 § 4 LS. 1,23). Wenn die erste Auflage das „Wesen der Frömmigkeit" darin setzte, daß „wir uns unsrer selbst als schlechthin abhängig bewußt sind, das heißt, daß wir uns abhängig fühlen von Gott" (§ 9 LS. 1,31), dann nahm sie dabei das Wort „Gott" als bekannt in Anspruch. Die zweite Fassung hingegen setzt nicht voraus, sondern erläutert erst, daß der letzte Ausdruck „dasselbe sagen will" wie der erste. Was es heißt, „in Beziehung mit Gott" zu sein, wird durch das Bewußtsein „unsrer selbst als schlechthin abhängig" geklärt. Der Nachweis gilt diesem Bewußtsein, nicht dem, daß „wir uns abhängig fühlen von Gott" 83 . 83
Vgl. K. Cramer, Prämissen, 137, Anm. 11: „Während die 1. Auflage das Bewußtsein der schlechthinnigen Abhängigkeit mit dem Gefühl der Abhän-
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Der erste Schritt, die Analyse des zeitlichen Selbstbewußtseins, gibt dessen zwei Elementen neue Namen und neuen Inhalt. Das „Fürsichsein des Einzelnen" wird zum „Sichselbstsetzen", das „Zusammensein desselben mit anderen" zum „Sichselbstnichtsogesetzthaben". Sie werden weiter erläutert als „Sein" und als „Irgendwiegewordensein". Was sich in der neuen Entgegensetzung schon abzeichnet, bestätigt sich in der Bestimmung der Funktion des ersten Elements: Während in der Erstauflage sowohl das Bewußtsein unserer selbst als „sich immer gleichbleibenden" als auch das Bewußtsein von uns als „veränderlichen... nur Bestandteile jedes bestimmten Selbstbewußtseins" waren und jedes von beiden „ein unmittelbares Bewußtsein des Menschen von sich als verändertem", gilt der zweiten das Bewußtsein von sich als „gleichbleibend" gerade nicht nur als ein Element des bestimmten Selbstbewußtseins, sondern als Bedingung der Möglichkeit, die wechselnden Bewußtseinszustände als seine eigenen zu identifizieren84. Daß die spontane einheitsstiftende Funktion des gigkeit 'von Gott' identifiziert und damit diesem Gefühl einen bestimmten intentionalen Gegenstand zuordnet, nämlich Gott, verzichtet die 2. Auflage nicht nur auf eine solche Zuordnung, sondern gibt als das unterscheidende Merkmal des Gefühls der Frömmigkeit von allen anderen Gefühlen das Bewußtsein unsrer schlechthinnigen Abhängigkeit als solches an und identifiziert dieses Bewußtsein mit demjenigen, in dem wir uns unsrer selbst als 'in Beziehung mit Gott' bewußt sind. Die 2. Auflage schlägt also eine Korrektur der Formulierung der ersten vor, in der die intentionale Struktur des Bewußtseins der schlechthinnigen Abhängigkeit so weit abgeschwächt wird, daß ihre Identifikation mit so etwas wie einem Gefühl der Abhängigkeit von Gott nicht mehr erlaubt ist. In dieser Korrektur muß man einen entscheidenden Fortschritt in der Artikulation eines Grundgedankens sehen, den Schleiermacher zwar in der 1. Auflage schon gehabt hat, den er in ihr aber noch nicht angemessen zu formulieren wußte. Die Vagheit der Formulierung der 2. Auflage gegenüber der eindeutigen Bestimmtheit der Formulierung in der 1. Auflage ist nicht als Verunklärung, sondern als Präzisierung des ins Licht zu rückenden Sachverhalts anzusehen." 84
Vgl. K. Cramer, Prämissen, 140: Das „Bewußtsein der Identität des Subjekts mit Bezug auf wechselnde Bewußtseinszustände, die es sich als die seinen zuschreibt, (kann) nicht selber als einer dieser Zustände aufgefaßt werden... Denn jeder solche Zustand ist der eines Subjekts unter der
56
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Ich Voraussetzung der weiteren Selbstanalyse ist, kommt in der Formulierung und der Argumentation der Einleitungssätze zum Ausdruck 85 . Dementsprechend ist der Grund für die „Zurükschiebung unseres Soseins auf ein etwas als mitwirkende Ursache" nicht mehr das „bestimmte() Selbstbewußtsein" (§ 9,1), sondern „die Duplizität des Selbstbewußtseins" ( 2 § 4,1) 86 . Bedingung des Bewußtseins der Identität desselben... Indem ein Subjekt sich solcher gegebener Inhalte des Bewußtseins aber als der eigenen bewußt ist, erkennt es, daß ihm das darin implizierte Bewußtsein seiner Identität nicht gegeben ist, sondern auf einem Aktus der Spontaneität des Subjekts, einem 'Sichselbstsetzen', wie Schleiermacher hier im Anschluß an Fichte sagt, beruht". 85
Vgl. 2 § 4,1 (1,24) (Hervorhebungen von mir, M.J.): „In keinem wirklichen Selbstbewußtsein, gleichviel ob es nur ein Denken oder Tun begleitet, oder ob es einen Moment für sich selbst erfüllt, sind wir uns unsres Selbst an und für sich, wie es immer dasselbe ist, allein bewußt, sondern immer zugleich einer wechselnden Bestimmtheit desselben. Das Ich an sich kann gegenständlich vorgestellt werden; aber jedes Selbstbewußtsein ist zugleich das eines veränderlichen Soseins. In diesem Unterscheiden des letzteren von dem ersteren liegt aber schon, daß das Veränderliche nicht aus dem sich selbst Gleichen allein hervorgeht, in welchem Falle es nicht von ihm zu unterscheiden wäre". Die Konsequenz dieser veränderten Analyse ist die präzisere Benennung der zwei Elemente im Folgesatz: „In jedem Selbstbewußtsein sind also zwei Elemente, ein - um so zu sagen Sichselbstsetzen und ein Sichselbstnichtsogesetzthaben, oder ein Sein, und ein Iigendwiegewordensein".
86
Daß die Duplizität des Selbstbewußtseins den Ausgangspunkt der weiteren Analyse bildet, gilt es gegen Mißverständnisse festzuhalten. Vor allem trifft es nicht zu, daß schon das Element des „Irgendwiegewordenseins" sich direkt auf das „Woher" allen Daseins beziehen ließe. Der Befund, daß das Selbstbewußtsein sich als immer schon bestimmtes vorfindet, erschließt die Welt als Grund dieses Abhängigseins. Auch der ersten Auflage gilt es nur als partielles. T.N. Tice scheint mir deshalb Gang und Gehalt von Schleiermachers Argumentation nicht genügend zu beachten, wenn er das Element des „Irgendwiegewordenseins" folgendermaßen auswertet: One „is aware that what one now is, at any given moment, is the product of not merely one's own self-assertion but more fundamentally still of another factor, a relatively external factor which has enabled any given determination of the self to come to be what it is and which has made self-consciousness itself possible. These two elements... elicit the attempt to find objective correlates: both an objectivizing of the self and of the
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Während diese Differenzen schon deutliche Korrekturen der Ursprungsfassung darstellen, bewirkt die nächste eine Transposition der Argumentation auf eine neue Ebene: Die Begriffe der „Selbsttätigkeit" und „Empfänglichkeit" dienen nun zur Kennzeichnung des „Subjekts" des Selbstbewußtseins 87 . Die Einführung dieses Begriffs leistet jedoch mehr als nur den Bezug auf den wirklichen Träger aller Wesensvollzüge. Der Charakter der Analyse wandelt sich: Indem sie bis zum Möglichkeitsgrund dieser Wesensvollzüge im Subjekt durchstößt, wird sie transzendental. Daß Subjektivität überhaupt sich in der Weise von Selbsttätigkeit und Empfänglichkeit vollzieht, ist eine Auskunft über ihre Struktur*8. Die erste Darstellung des philosophi-
' other' that causes us to be" (Schleiermacher's Conception of Religion: 1799-1831. In: Archivio di Filosofia 52 (1984) 333-356, 355f.). Demselben Fehler verfallen Κ. Barth und W. Schultz, wenn sie schreiben: „Also als das 'etwas Anderes' von 4,1 entpuppt sich jetzt, ebenso ungescheut als ein Neutrum charakterisiert, Gott: das Woher unseres Daseins" (Κ. Barth, Theologie Schleiermachers, 386). Ähnlich W. Schultz: Auf „der höchsten Stufe des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls... weiß das Selbst nur noch um ein 'Sichselbstnichtsogesetzthaben', 'um ein Irgendwiegewordensein' (§4,1). Hier ist der Mensch in der unbedingten Hingabe an Gott nur der empfangende" (Schleiermacher und der Protestantismus, Hamburg 1957,25). 87
Die Formulierung läßt den phänomenologisch-deskriptiven Charakter des ersten Aufweises erkennen: „Indem wir nun unsrer selbst als in unserm Sosein durch etwas bestimmt inne werden, und denken dabei an das Zusammensein von Empfänglichkeit und Selbstthätigkeit: so bleibt entweder das Gefühl sich hierin ganz gleich..., und dann bezeichnet das Selbstbewußtsein ein Verhältniß der Abhängigkeit; oder es schlägt um in einen Reiz zur Gegenwirkung" (§ 9,2.1,31).
88
Die Aufgabe, die 2 § 2 in bezug auf die Kirche mit Hinweis auf Schleiermachers Enzyklopädie der Ethik zuwies, „die Stiftung und das Bestehen solcher Vereine" (der Frömmigkeit, d.h. „Kirchen") „als ein notwendiges Element in der Entwicklung des Menschen" nachzuweisen (KD § 23) ( 2 § 2 Anm. 1,10), ist hier nunmehr subjekttheoretisch erfüllt.
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sehen Grundprinzips der Dogma ti k (der Frömmigkeit überhaupt) hatte sich ohne den Bezug auf die Wesensverfassung des Subjekts auf einer Ebene bewegt: der Beschreibung und Bestimmung der Implikate des aus dem „Sosein", also dem Bestimmtsein des Ich folgenden „reinen" und des in Gegenwirkung umschlagenden Abhängigkeitsgefühls (I, 31 f.) 89 . Indem die zweite Auflage von den wirklichen Manifestationen den Möglichkeitsgrund der Selbstvollzüge des Subjekts unterscheidet und ihn in seiner als Einheit von Selbsttätigkeit und Empfänglichkeit bestimmten Struktur findet, erreicht sie die Notwendigkeit einer transzendentalen Analyse. Daß ich den Aufweis des Gottesbewußtseins in der ersten Auflage nicht als transzendentalen einstufen möchte, obwohl auch er von der Grundbefindlichkeit des Menschen (als von anderem immer schon bestimmtem) auf die absolute Abhängigkeit alles Endlichen führt und hierin den Gedanken absoluter Kontingenz erreicht (vgl. § 10,2.1,35), liegt zunächst schon an seinem phänomenologischen Duktus, der weitgehend (bis auf § 9,1) auf Notwendigkeit verzichtet; insbesondere aber scheint mir diese Kennzeichnung deshalb nicht zutreffend, weil der erste Aufweis noch nicht zwischen den empirischen Vollzügen und der sie ermöglichenden apriorischen Struktur von Subjektivität unterscheidet. Beiden Auflagen mag durchaus dieselbe anthropologische Einsicht zugrundeliegen. Aber nicht das Ergebnis, sondern die Durchführung macht eine Argumentation transzendental. Somit ist die „transzendentale Wende" neuzeitlicher Theologie erst in der zweiten Auflage vollzogen. Schleiermacher selbst verwendet den Begriff allerdings nicht streng, sondern abwechselnd mit dem Begriff des Transzen-
89
Im Unterschied zur ersten Auflage stellt überdies die zweite den nicht nur faktischen, sondern prinzipiellen Charakter der von den beiden Grunderfahrungen des Bestimmtseins und des Einwirkenkönnens ausgehenden Gefühle heraus: „Jenes (Abhängigkeitsgefühl) nicht nur, weil wir von anderwärts her so geworden sind, sondern vornehmlich, weil wir nicht anders als nur durch ein anderes so werden konnten. Dieses (Freiheitsgefühl) weil anderes durch uns bestimmt wird, und ohne unsere Selbsttätigkeit nicht so bestimmt werden könnte" ( 2 § 4,2.1,25).
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denten, der selbst auf „etwas über das gewöhnliche Denken Hinausgehendes" (Dial O, 304) bzw. auf die „Voraussetzung des Denkens" p i a l O,186) abhebt 90 . Daß in eben diesem Ergebnis die Gefahr begründet liegt, die Christologie um ihr Eigenes zu bringen, ist die kritische Ausgangsvermutung der vorliegenden Arbeit. Aber nicht aus der in der Einleitung befolgten Methode der transzendentalen Reflexion als solcher rühren die systematischen Probleme der Glaubenslehre (Philosophie - Theologie; Anthropologie - Christologie), sondern weil Schleiermacher „das Resultat seiner Analyse in der Auswertung überzieht" 9 1 . Die transzendentale Argumentationsweise selbst verdient es, gegen ihre Verkennung oder Disqualifizierung als „psychologisch" 92 und gegen fragwürdige Kennzeichnungen verteidigt zu werden. So beurteilt W. Dilthey93 Schleiermachers Verfahren ab den 'Reden' als „transzendental", und zwar vornehmlich im Sinne der Verabschiedung einer 'objektiven' Gotteserkenntnis. Dabei kommt er jedoch zu teilweise problematischen Deutungen. Er sieht die 'Reden' als den Versuch Schleiermachers, „im Zeitalter der Transzendentalphilosophie... für die religiösen Erscheinungen die Bedingungen in unserem Bewußtsein aufzusuchen" (6). Auch die Glaubenslehre sei von diesem Standpunkt entworfen: „Schleiermacher ist der Kant der Theologie. Er erfaßt nämlich
den transzendentalen Standpunkt, auf dem die Unmöglichkeit der Erkenntnis der großen Gegenstände der Religiosität begriffen und so an die Stelle dieser äußeren Gegenstände der Religiosität deren
90
Vgl. dazu und zum Unterschied zur kantischen Bestimmung beider Begriffe M. Eckert, Gott - Glauben und Wissen, 48f. und H. Stephan: Da Schleiermacher „Gott und Welt, Unendliches und Endliches in einer weit engeren Veibindung denkt als Kant, dehnt er die Erkenntnis in transzendentaler Weise auch auf Größen aus, die für Kant transzendent und daher nur durch die Postulate der praktischen Vernunft irgendwie bestimmbar sind" (Die Lehre Schleiermacheis von der Erlösung, Tübingen 1901,162).
91
Jh. Pröpper, Bestimmung, 210, Anm. 43.
92
Vgl. die Auswertung der Rezeptionsgeschichte unter dieser Alternative bei U. Barth, Christentum und Selbstbewußtsein, Göttingen 1983, 7-50.
93
Leben Schleiermachers, hg. v. M. Redeker, Berlin 1966, Bd. II. Seitenzahlen im Text.
60
Aufweis des Gottesbewußtseins
Prozeß selbst als einziges Erkenntnisobjekt auf dem religiösen Gebiete zurückbleibt. Eine objektive Erkenntnis der Eigenschaften Gottes oder der Art unseres Fortlebens überschreitet die Grenzen unserer Vernunft. So kann Religionswissenschaft und Theologie nur den Prozeß, in dem Gottheit und Unsterblichkeit der Seele aufgehen, die Stufen und Formen... zur Erkenntnis bringen" (535). Wenn man den „Prozeß der Religiosität" seinerseits noch auf die Bedingungen seiner Möglichkeit in der Wesensverfassung des Selbstbewußtseins zurückführte, wäre Schleiermachers tatsächliches Vorgehen zutreffend charakterisiert. Jedoch zeigen Diltheys weitere Aussagen zum „Inhalt der Religion", daß seine Auslegung der Glaubenslehre von den 'Reden' her der Bestimmung Gottes, die in Schleiermachers Analyse der schlechthinnigen Abhängigkeit impliziert ist, nicht gerecht wird: In ihr wird Gott als Grund vom Begründeten, der Welt, unterschieden. Dilthey zufolge gilt aber in den 'Reden' und „späterhin": „(I)mmer wird Gott und Welt als zusammengehörig und ewig unzertrennlich behandelt". Die Glaubenslehre vermag „besonders in der ersten Auflage den Gedanken der 'Reden' nicht ganz abzustreifen: Religion ist neue Erweiterung des Selbstbewußtsein zum Weltbewußtsein, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit mit allem Endlichen. Nur bleiben die 'Reden' bei diesem Gedanken stehen; die Glaubenslehre... häng(t) noch den Gedanken der schlechthinnigen Abhängigkeit daran an" (586). Aus dieser Rekonstruktion ergibt sich das Urteil: „Das religiöse Leben ist für Schleiermacher nicht ein Leben für sich; das Ewige und Göttliche kann man nach der Glaubenslehre nur am Endlichen und an der Welt haben. Gott ist für uns nicht bloß in der Spekulation, sondern auch in der Frömmigkeit von der Welt nicht zu trennen" (584) 94 . Wiederum anders bestimmt er94
Auf andere Weise unterschätzt wird die Argumentationskraft einer transzendentalen Reflexion von Kritikern wie O. Ritsehl, der die „Constructionen", „Abstractionen" und Formalismen Schleiermachers für entbehrlich hält. Schleiermacher und Hegel, so Ritsehl, „arbeiten beide in der zu ihrer Zeit üblichen Art mit Abstractionen und mit möglichst reinen formalen Begriffen, wie Einheit, Gegensätzlichkeit und dgl., und übersehen es, daß den auf solchen Grundlagen beruhenden Constructionen für die richtige Deutung der wirklichen Dinge irgendwelche Beweiskraft niemals zukommen kann. Wenn also Schleiermacher das schlechthinige Abhängigkeitsgefühl allein schon deshalb für die höchste Form des menschlichen Selbstbewußtseins gehalten wissen will, weil in ihm angeblich aller Gegensatz
Revidierte Wesensbestimmung
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scheint die „transzendentale Fragestellung" in W. Anz' sorgfältigem Vergleich von Schleiermacher und Kierkegaard, wenn er es als Verdienst beider herausstellt, „entgegen der Position des absoluten Subjektes auf der Endlichkeit des Menschen" bestanden, „die Phänomene, die den Menschen auf seine Endlichkeit begrenzen, als die eigentlich aufschließenden und fundamentalen beschrieben und sie als Korrektiv der transzendentalen Fragestellung zur Geltung gebracht" zu haben 95 . Anders als Anz versteht die vorliegende Arbeit den Standpunkt der transzendentalen Reflexion als Gegensatz zur „Position des absoluten Subjektes": Gerade, „weil sie 'nur' Reflexion auf 'Bedingungen der Möglichkeit', 'reine' Transzendentalphilosophie sein will,... bewahrt sie den Sinn für die Unableitbarkeit jeden Freiheitsgeschehens und der kontingenten Wirklichkeit überhaupt, während eine philosophische Spekulation, die von der Dominanz ihrer Vernunft über alle Wirklichkeit schon ausgeht, zumeist dazu neigt, nicht nur die Möglichkeit und die Sinnbezüge des wirklichen Geschehens zu thematisieren, sondern seine Notwendigkeit zu insinuieren und dabei das Risiko einzugehen, sich mit der Rolle der Vergewisse-
verschwinde..., so werden solche Argumentationen heutzutage schwerlich jemandem, der in diesen Dingen arbeitet, überzeugend sein... Alle solche rein begrifflichen Constructionen, durch welche Schleiermachers eigentliche Einsicht in die wirklichen Verhältnisse des Lebens überwuchert ist, gehören zu den vergänglichen äußeren Formen seiner Denkund Darstellungsweise. Man muß sie mit in Kauf nehmen, wenn man in das Verständnis Schleiermachers eindringen will, man muß aber zugleich von ihnen abstrahiren lernen, wenn mein einen richtigen Eindruck davon gewinnen will, durch welche Erkenntnisse Schleiermacher thatsächlich die Einsicht in das Wesen der Religion nicht nur gefördert, sondern auf eine ganz neue Grundlage gestellt hat" (Schleiermachers Theorie von der Frömmigkeit. In: Theologische Studien. FS f. B. Weiß z. 70. Geb., Göttingen 1897, 129-164, 160). Daß Schleiermacher „die Einsicht in das Wesen der Religion auf eine ganz neue Grundlage" stellen konnte, hängt m.E. eben mit dem Fortschritt der Zweitfassung, zu einer transzendentalen Argumentation durchgedrungen zu sein, zusammen. 95
Schleiermacher und Kierkegaard. Übereinstimmung und Differenz. In: ZThK 82 (1985) 408-429, 413.
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rungs- und Sicherungsinstanz auch noch des Unverfügbaren...selber zu überschätzen"96. Mit der Einsicht in die Struktur des existierenden Selbstbewußtseins ist die These, daß Schleiermachers Theorie der Frömmigkeit nichts anderes ist als eine durchgeführte Theorie der menschlichen Subjektivität, an ihrer Methode verifiziert. Nur deshalb gilt nicht nur von der Intention, sondern auch von der Durchführung der Wesensbestimmung der Frömmigkeit, daß „die Bestimmung ihres Begriffs mit ihrem Nachweis als Wesenselement des Menschen in eins fällt" 97 . Mittels welcher Schritte dies geschieht, ist im folgenden nachzuzeichnen. Aus der „Duplizität" des Selbstbewußtseins, in der die spontane einheitsstiftende Funktion des „Sichselbstsetzens" auf die nicht selbstbewirkten, sondern anzueignenden Bestimmtheiten des „Sichselbstnichtsogesetzthabens" stößt, erhellt schon, daß das Verhältnis beider Vollzugsformen von Subjektivität nicht symmetrisch sein kann: Sofern das Subjekt sich als immer schon bestimmte Bestimmbarkeit vorfindet, ist die Empfänglichkeit immer schon realisiert und ihr Getroffensein „das erste" (2I,25), alle Selbsttätigkeit aber nur eine Folge. Das Abhängigkeitsgefühl, das aus ersterem, und das Freiheitsgefühl, das aus letzterem folgt, beschränken sich gegenseitig und ergeben als „Gesamtselbstbewußtsein das der Wechselwirkung" ( 2 § 4.2. 1,26) und als in ihm Mitgesetztes und Eröffnetes die Welt: „Demnach ist unser Selbstbewußtsein als Bewußtsein unseres Seins in der Welt...
96
Th. Pröpper, Erlösungsglaube, 274.
97
Th. Pröpper, Bestimmung, 200. Mit Bezug auf § 22 der KD erklärt auch G. Ebeling, Schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl als Gottesbewußtsein. In: ders., Wort und Glaube, Bd. 3, Tübingen 1975,116-136,117: Daß sich „die Frage nach dem Wesen von Frömmigkeit und die Frage nach deren Notwendigkeit zu einer einzigen verbinden, ist sinnvoll. Denn Frömmigkeit erhebt einen Anspruch, der dazu herausfordert, ihr Wesen nach Maßgabe ihrer Notwendigkeit zu bestimmen... Dürfte Frömmigkeit nicht als wesentliches menschliches Lebenselement gelten, so müßte sie als Verirrung angesehen werden. Auf diese Alternative spitzt Schleiermacher die Frage nach dem Sitz im Leben zu."
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eine Reihe von geteiltem Freiheitsgefühl und Abhängigkeitsgefühl; schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl aber, d.h. ohne ein auf dasselbe Mitbestimmende bezügliches Freiheitsgefühl gibt es in diesem ganzen Gebiete nicht" (a.a.O.). Die Einsicht, daß es zur Welt kein Verhältnis der absoluten Abhängigkeit geben kann, hatte auch schon die erste Auflage vorgetragen. Daß aber weder der Welt gegenüber noch überhaupt ein Gefühl der schlechthinnigen Freiheit möglich ist, erweist die zweite nun zusätzlich, einmal für das Weltverhältnis, sodann aber auch bezüglich der inneren Struktur des Subjekts98. Alle spontane, nach außen gehende Selbsttätigkeit braucht, um sich realisieren zu können, „einen Gegenstand", der ihr „irgendwie gegeben worden ist" ( 2 § 4,3.1,27), der also vor und unabhängig von der eigenen Initiative besteht. In unserem für die Realität unseres Wesens notwendigen Selbstausdruck erfahren wir unsere Angewiesenheit auf nicht von uns selbst geschaffene Bedingungen, „an denen sich unsere Macht (bricht)" ( 2 § 4,3, Anm. c (Th). 1,27). Grundlegender noch aber gilt die Abhängigkeit des Selbstbewußtseins von Vorgegebenem, das nicht aus seiner Selbstbestimmung erwachsen ist, in bezug auf sein eigenes inneres Wesen. Nicht nur, daß jede einzelne Regung seiner Spontaneität eine Erregung seiner Empfänglichkeit voraussetzt: Gerade im Blick auf die gegebene
98
Den Anstoß zu dieser Klärung und damit zum entscheidenden argumentativen Fortschritt im Aufweis des zeitlichen Selbstbewußtseins als Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit hat, den Marginalien zufolge, Braniß gegeben, mit ihm aber, obwohl dort nicht erwähnt, sicherlich auch der andere philosophische Kritiker, G.F.W. Hegel. Vgl. Schleiermachers Zusammenfassung von 2 § 4,2 in den Marginalien: „2. Th. Jedes Selbstbewußtsein als bestirntes Bewußtsein ist absolute Abhängigkeit oder partielle Anm. Es giebt auch Selbstthätigkeitsbewußtsein und dies ist Freiheitsbewußtsein aber nicht absolut - Hauptgegensaz gegen Braniß" (Marg. 109, S. 30). Etwas später merkt Schleiermacher an: „Hiervon (dem Freiheitsgefühl) ist Braniß ausgegangen; aber nicht absolut. Auch eigentlich nur sofern die Gegenwirkung als Selbstthätigkeit erscheint. Eigentlich ist Freiheitsbewußtsein Selbstthätigkeitsbewußtsein" (Marg. 115, S. 31).
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Aufweis des Gottesbewußtseins
Wesensverfassung geht ihm vielmehr auch auf, daß sein „ganzes Dasein" nicht aus seiner „Selbsttätigkeit hervorgegangen" (2I,28) ist. Indem Schleiermacher gegen ein schlechthinniges Gefühl der Freiheit die Kontingenz ihrer Existenz geltend macht, ist dessen Selbstgewißheit nicht von außen, sondern von innen erschüttert. Seine Widerlegung aber ist schon der Erweis der schlechthinnigen Abhängigkeit. Sie ist nicht schon mit der faktischen Abhängigkeit des Selbstbewußtseins von Gegenständlichem, sondern eigentlich erst mit der Einsicht in die Unverfügbarkeit der eigenen Struktur erreicht und zeigt sich somit als unentrinnbar: „Allein eben das unsere gesamte Selbsttätigkeit, also auch, weil diese niemals Null ist, unser ganzes Dasein begleitende, schlechthinnige Freiheit verneinende Selbstbewußtsein ist schon an und für sich ein Bewußtsein schlechthinniger Abhängigkeit; denn es ist das Bewußtsein, daß unsere ganze Selbsttätigkeit ebenso von anderwärts her ist, wie dasjenige ganz von uns her sein müßte, in Bezug worauf wir ein schlechthinniges Freiheitsgefühl haben sollten". Da aber nur im Vollzug der selbsttätigen Freiheit und unter Voraussetzung ihrer Aktualität das Bewußtsein der Faktizität ihres Daseins aufgeht, ist ohne „alles Freiheitsgefühl... ein schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl nicht möglich" (21,28). Diese letzte Zuspitzung der These auf die strukturelle Verfassung des Selbstbewußtseins übersieht F. Wagner", wenn er Schleiermacher vorwirft, daß ihm die Widerlegung eines schlechthinnigen Freiheitsgefühls nur gelingt, weil er „das Freiheitsgefühl auf die auf einen Gegenstand zielende Selbsttätigkeit einschränk(t), um zeigen zu können, daß diese freie Selbsttätigkeit durch Bestimmbarkeit und Empfänglichkeit mitbestimmt und insofern auch vom Gegenstand abhängig ist... Die Selbsttätigkeit aber könnte auch im Sinne des selbst setzenden Selbstbewußtseins so gefaßt werden, daß sie nicht aus sich heraus, sondern auf sich selbst geht". Dadurch würde „der Kreisprozeß der causa sui konstituiert, und auf dem Boden dieser absoluten Selbstbestimmung, die sich als be-
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stimmt Bestimmtes mit sich selbst zusammenschließt, könnte dann auch ein absolutes Freiheitsgefühl wurzeln" (192t.). Zwar ist Wagner mit seiner Kritik an Schleiermachers Freiheitsbegriff rechtzugeben: Wenn Schleiermacher ein schlechthinniges Freiheitsgefühl mit dem Hinweis darauf ablehnt, daß dazu nötig wäre, daß „der Gegenstand überhaupt durch unsere Tätigkeit erst würde" ( 2 § 4,3.1,28), wenn er somit Freiheit als „aus uns herausgehende Selbsttätigkeit" bestimmt (I, 27) und dementsprechend die Möglichkeit des reinen Selbstbewußtseins mit Verweis auf dessen „unbestimmte Agilität" ( 2 § 4,1.1,24) abtut, dann unterschlägt er mit beidem in der Tat das Moment der formellen Unbedingtheit der Freiheit. In dieser Hinsicht bedarf Schleiermachers Analyse unbedingt der Ergänzung. Jedoch würde sich ihr Ergebnis, sofern es - wie im folgenden deutlicher werden soll - die materielle Bedingtheit und Faktizität des existierenden Selbstbewußtseins thematisiert, dadurch nicht ändern. Dies ist der Punkt, an dem Wagner seinen Einwand überzieht: Er ignoriert eben die Faktizität des Selbstbewußtseins, das sich seine Wesensverfassung nicht gibt, sondern in ihr sich vorfindet, wenn er fortfährt: „Aber Schleiermacher muß, da er das Selbstbewußtsein im Kontext seines empirischen Vorkommens entwickelt, das schlechthinnige Freiheitsgefühl eskamotieren". Jedoch könne dessen „Negation... um des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls willen... nur abstrakt genannt werden. Denn sie bezieht sich auf die auf äußerliche Gegenstände bezogene Selbsttätigkeit und abstrahiert von der Selbsttätigkeit des setzenden Selbstbewußtseins, vermittels dessen 'unser ganzes Dasein uns... als aus unserer Selbsttätigkeit hervorgegangen zu Bewußtsein kommt'". Somit könne sein Versuch, „den Begriff des selbst setzenden Selbstbewußtseins und damit zugleich das absolute Freiheitsgefühl unter allen Umständen als indiskutabel zu erweisen, in systematisch-philosophischer Hinsicht nicht überzeugen" (192f.). Als springenden Punkt der Freiheitsanalyse stellt Th. Horst100 demgegenüber nicht die äußere Angewiesenheit auf einen 'Stoff'
100
Konfigurationen des unglücklichen Bewußtseins. Zur Theorie der Subjektivität bei Jacobi und Schleiermacher. In: H. Bachmair/Th. Rentsch (Hg.), Poetische Autonomie? Zur Wechselwirkung von Dichtung und Philosophie in der Epoche Goethes und Hölderlins, Stuttgart 1987,185-206, 203f.
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bzw. einen 'Gegenstand' der Selbsttätigkeit heraus, sondern die Frage nach dem „SeinO" des „Selbstverhältnisses": „Nicht besteht die Pointe der Argumentation darin, daß etwa die durch das Bestimmtheitsdefizit des Selbstbewußtseins erzwungene Angewiesenheit des Subjekts auf den in der Rezeptivität dargebotenen 'Stoff' den Transzendenzbezug begründete. Denn... das Subjekt kompensiert sein Bestimmtheitsdefizit unter den Bedingungen seines freien Selbstverhältnisses: die Empfänglichkeit für das Erfahrungsmaterial setzt ein Minimum an Selbsttätigkeit voraus. Es könnte, in Cramerscher Terminologie, davon gesprochen werden, daß noch die Determination durch 'Äußeres' vom Subjekt unter die Bedingungen des Sichbestimmens gestellt wird. Dies ist das transzendentale Moment einer Ontologie des Subjekts. Die Einsicht aber, daß das Subjekt, gerade wo es von Externem sich bestimmen läßt, sich selbst bestimmt, daß also die Gegenstandsbeziehung des Bewußtseins in der Dimension eines Selbstverhältnisses sich vollzieht, führt zu dem Gedanken der Bedingungen des Seins dieser Dimension"101. Mit diesem Gedanken scheint mir die Einsicht in die Unmöglichkeit der Selbstbegründung des Daseins des Selbstbewußtseins eröffnet. Die Bestimmung des Begriffs der Religion als das unmittelbare Selbstbewußtsein der schlechthinnigen Abhängigkeit ist mit dem Aufweis der Unverfügbarkeit der Struktur endlicher Freiheit geleistet. Inwiefern die Religion auch Gottesbewußtsein ist, erklärt 2 § 4,4. „Beziehung mit Gott" (a.a.O.) ist sie, sofern in diesem Selbstbewußtsein das „Woher unseres empfänglichen und selbsttätigen Daseins" mitgesetzt ist. Dieses „Woher" ist die „wahrhaft ursprüngliche Bedeutung" (2I,29) des Wortes Gott. „Gott" ist im genauen Sinn der „Ausdruck", den das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit findet, wenn es „klares Selbstbewußtsein" wird. Denn das wird es nur, „indem zugleich diese Vorstellung wird". Nach Schleiermacher ist es „die unmittelbarste Reflexion" des unmittelbaren Selbstbewußtseins
101
Zur angeschnittenen Problematik absoluter Kontingenz s.u., S. 74ff; zu Schleiermachers Verzicht auf die Explikation der formellen Unbedingtheit der Freiheit s.u., S. 86ff.
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auf sich, aus der die Vorstellung Gott entsteht, ihr „Grundgehalt", aus dem „jeder anderweitige Inhalt... entwickelt werden muß". Was nachträglich als Gottesgedanke gefaßt wird, beruht auf dem „zum Gottesbewußtsein werdenden unmittelbaren Selbstbewußtsein". Dies Gottesbewußtsein kennzeichnet Schleiermacher auch als eine „ursprüngliche Offenbarung Gottes an den Menschen" ( 2 I,30) 1 0 2 . Die durchgeführte Analyse des existierenden Selbstbewußtseins erreicht ihr Ziel im Nachweis einer im menschlichen Selbstvollzug ursprünglich gegebenen Gewißheit Gottes. Dessen Begriff ist nunmehr dem Befund entsprechend gefaßt und so nicht von außen herangetragen, sondern ursprünglich bestimmt: als das im Begriff der Abhängigkeit implizierte „Woher unseres empfänglichen und selbsttätigen Daseins" ( 2 § 4,4.1,28) 1 0 3 . Wenn die erste Auflage Gott nur durch eine 1°2 Nur im folgenden, sehr zurückgenommenen Sinn hält auch die zweite Auflage die Behauptung aufrecht, daß Gott uns „im Gefühl auf eine ursprüngliche Weise (gegeben)" ( 2 § 4,4.1,30) sei: sofern nämlich „dem Menschen mit der allem endlichen Sein nicht minder als ihm anhaftenden schlechthinnigen Abhängigkeit auch das zum Gottesbewußtsein werdende unmittelbare Selbstbewußtsein derselben gegeben ist". Vom „Einzelnen" realisierte Frömmigkeit ist sie nur in dem „Maß", in dem dies „während des zeitlichen Verlaufs einer Persönlichkeit... wirklich vorkommt" (a.a.O.). Die in mehrfachem, vor allem aber im Feuerbachschen Sinn mißverständliche Behauptung, daß „in den frommen Erregungen Gott nur auf eine innerliche Weise als die hervorbringende Kraft selbst gegeben ist" (§ 9,4. 1,33), ist gestrichen, ebenso die nicht minder projektionsverdächtige Aussage, daß „das höchste Wesen" dem frommen Selbstbewußtsein „eingeboren" und „immer mitlebend" (§ 10,4. 1,36) sei. Es scheint mir daher kein Zufall zu sein, daß N. Groot sich in seiner Untersuchung der Berechtigung der von Feuerbach aus der Glaubenslehre gezogenen Konsequenzen auf die erste Auflage und ihre oben zitierten Aussagen bezieht: Schleiermacher en Feuerbach. Een confrontatie van Das Wesen des Christentums met de Glaubenslehre. In: Nederlands Theologisch Tijdschrift 43 (199) 294-312. Zum selben Vorwurf an die zweite Auflage s.u., S. 74ff. 103
Was den Argumentationsgang des eisten Aufweises betrifft, scheint mir das Urteil G. Wehrungs über § 9 gerechtfertigt: „Nach einer Zergliederung des Bewußtseins, die erkenntnistheoretisch sein soll, aber dabei ins Empirisch-psychologische verfällt (Nr. 2), tritt sie plötzlich mit ihrer Definition heraus und verbietet sogleich jede Widerrede (Nr. 3)" (Dialektik, 205).
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Unterscheidung im Gefühl selbst vom ebenfalls das Selbstbewußtsein mitbestimmenden Faktor der Welt abheben konnte, so ist er nun nicht mehr als „einfache und absolute Unendlichkeit" (§ 9,3.1,31) der endlich verfaßten Unendlichkeit der Welt entgegen-, sondern als ihr Grund vorausgesetzt. Als solcher offenbar aber wird er nur in dem „unmittelbare(n) Existentialverhältniß" (Sendschr 265; KG A 1 / 1 0 , 318), das dem Subjekt in der Erfahrung der nicht selbstbewirkten und uneinholbaren Bedingtheit seiner Existenz aufgeht. Die hermeneutisch entscheidende These, daß der Gottesbegriff von der anthropologischen Erfahrung der schlechthinnigen Abhängigkeit her auszuweisen ist, erläutert G. Ebeling als „Rückführung auf seinen Erfahrungsursprung": „Diese Bewegung des unmittelbaren Selbstbewußtseins zum Gottesbewußtsein hin ist eine Bewegung in die Sprachlichkeit hinein. Sie stellt für Schleierma-
„ Sollte denn nicht laut früherer Verabredung die Frömmigkeit aus dem Wesen des Menschen hergeleitet werden, galt sie nicht als 'unbekannte Größe'..., die erat aus anderem Gegebenem zu entwickeln sei? Hier dagegen gilt sie von vornherein als in ihrem Kern aller Welt wohl vertraut, empfiehlt sie sich gleich dem unmittelbaren Erlebnis und setzt im übrigen auseinander, wie sie zu beurteilen ist" (Methode Schleiermachers , 46f.). Die Kritik R.F. Thiemanns am Aufweis der zweiten Auflage hingegen scheint mir deren argumentative Fortschritte und den Anspruch ihrer Selbstbewußtseinsanalyse auf allgemeine Geltung zu übersehen. Thiemann wirft Schleiermachers Aufweis des Gottesbewußtseins vor „that the foundational belief is established by an appeal to religious intuition, a self-authenticating claim to immediate self-consciousness. The immediacy of the feeling of absolute dependence establishes its extra-ordinary character, its divine origin" (Revelation and Theology. The Gospel as Narrative Promise, Notre Dame/Indiana 1985, 29; vgl. auch deis., On Speaking of God - the Divisive Issue for Schleiermacher and Barth: A Response to Frei and Sykes. In: J.O. Duke/R.F. Streetman (Hg.), Barth and Schleiermacher, 108-113, 110). Auch wenn man das Ergebnis der Analyse (s.u., Anfragen, S. 71) und die Unmittelbarkeit dieses Selbst- und Gottesbewußtseins in Frage stellen kann, so bietet ihr Vorgehen doch mehr als einen sich selbst authentisierenden Anspruch und Appell an die religiöse Intuition.
Revidierte Wesensbestimmung
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cher den Grundvorgang dar, auf den sich die Verifikation des Redens von Gott zu beziehen hat" 1 0 4 . Th. Pröpper sieht in der „Verdeutlichung dieses hermeneutischen Sachverhalts, die schon in der Formulierung der Leitsätze (§ 9 der ersten und § 4 der zweiten Auflage) zum Ausdruck kommt,... ein(en) wichtige(n) Fortschritt der zweiten Auflage" 105 . Für F. Wagner und M. Eckert, hierin einig, ist es jedoch nicht der Gottesgedanke, der der hermeneutischen Verifizierung, sondern umgekehrt die Bestimmung des 'Woher' der Abhängigkeit als 'Gott', die der begrifflichen Identifizierung bedarf. Der „an die Reflexion über das Abhängigkeitsgefühl gebundene Rückgriff auf den Ausdruck 'Gott' (ist) nicht nur durch die Reflexion, sondern auch durch die an die Sprache geknüpfte theologische und philosophische Tradition vermittelt". Da das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl wegen dieser Verknüpfung „nur vermittelt in Erscheinung tritt, ist der Konsequenz nicht zu entgehen", daß es „durch 'ein vorheriges Wissen um Gott bedingf (§ 4,4) ist. Wie in der Dialektik, so wird auch in der Glaubenslehre eklatant, daß... das Abhängigkeitsgefühl auf das Denken unabdingbar zurückweist" 106 . Schleiermachers Bestimmung des Wortes 'Gott' als das „unmittelbare innere Aussprechen des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls" ( 2 § 5,5.1,40) stellt auch M. Eckert in Frage: „Kann man wirklich voraussetzen, Schleiermacher sei entgangen, daß es eine unmittelbare sprachliche Reflexion nicht geben kann" 1 0 7 , daß diese vielmehr durch „sprachliche theologische und philosophische Tradition—vermittelt sein" müsse? 108 In diesem Einwand werden, wie mir scheint, zwei Probleme vermischt. Vom hermeneutischen Vorrang des Bewußtseins schlechthinniger Abhängigkeit abzuheben ist die Frage, ob ein Bewußtsein, „dessen Bestimmtheit allein im Ausgang vom vermittelten und durch Negation eines schlechthinnigen Freiheitsbewußtseins eruiert werden kann" 1 0 9 , tatsächlich, wie Schleiermacher es
104
Gottesbewußtsein, 123.
105
Bestimmung, 201, Anm. 23.
106
F. Wagner, Dialektik, 201f.
107
Gott - Glauben und Wissen, 175.
108
a.a.O., Anm. 61.
109
Th. Pröpper, Bestimmung, 211 f., Anm. 45.
70
Aufweis des Gottesbewußtseins
behauptet, als unmittelbar gelten kann. Sofern Wagner und Eckert also darauf abheben, daß Schleiermacher den philosophisch eruierbaren Befund überzieht und daß in seiner Weiterbestimmung der Grunderfahrung zur „Beziehung mit Gott" (s.u., S. 79ff.) sprachliche und traditionelle Vorgaben im Spiel sind, stimme ich ihren Einwänden zu. Davon unbetroffen aber ist die entscheidende Einsicht Schleiermachers, daß man auf diesen hermeneutischen Ort der Verifizierung in der Erfahrung der schlechthinnigen Abhängigkeit (bzw. der Faktizität des Selbstbewußtseins) rekurrieren muß, um überhaupt den Gottesgedanken zu bestimmen. So besteht auch M. Frank110 darauf, daß „dieses Wissen als etwas sich ankündigt, das seine Evidenz der vorgängigen 'Gewißheit' der Erfahrung des Gefühls verdankt (Gl § 4,4): Nicht bringt das Wissen das Gefühl in die ihm eigene Wahrheit, sondern es ist unter der nicht umkehrbaren Voraussetzung der Wahrheit des Gefühls als thetisches Wissen von sich und von anderen möglich (vgl. Dial J 152)" (107). Die den Begriff 'Gotf verifizierende Erfahrung ist die der Unfähigkeit, „den Grund seiner Bestimmtheit ab sich
selbst einholen" zu können (108). Entsprechend dieser im Ergebnis zurückhaltenden Deutung ergibt sich für Frank hieraus allerdings nicht das positive „Bewußtsein der Beziehung mit Gott" (vgl. 2 § 4 LS. 1,23) der Glaubenslehre, sondern unter Betonung der Transzendenz des Grundes ein „unbewußt" bleibender Gott: „In dem Maße..., wie es (das Gefühl) nicht selbst das ist, was ihm mangelt (Gott), entdeckt es eine Verneinung in sich, die der Erkenntnisgrund
ist
für die Wirkung des Signifikanten" (108f.). Das absolute Abhängigkeitsgefühl „weiß sich als Nicht-Real-Grund seiner Einheit. Die Reflexion, die das vorreflexive Gefühl 'ausspricht', richtet sich mithin genau auf das Nichtwissen und Nichtkönnen im unmittelbaren Selbstbewußtsein, und nicht etwa auf das in ihm rätselhaft repräsentierte 'transzendente Sein'" (106f., Anm. 65). Der „in der Bestimmtheit des höchsten möglichen Bewußtseins mangelnde selbsteigene Bestimmungsgrund" (110) Gott ist „unbewußt... in dem Sinne, daß das am Phantasma autonomer Selbstbegründung scheiternde Subjekt in diesem Ausdruck die Erfahrung einer Re-
110
Das individuelle Allgemeine. Textstrukturierung und -interpretation nach Schleiermacher, Frankfurt 1977. Seitenzahlen im Text.
Revidierte Wesensbestimmung
71
flexion auf sein eigenes Nichtwissen und Nichtkönnen niederlegt: 'Gott' ist Resultat einer Reflexion auf dies doppelte 'Nicht' im Herzen des Bewußtseins" (114). Der hermeneutische Ausgangspunkt, auf den Schleiermacher den Gottesgedanken zurückführt, scheint mir in diesen Aussagen sehr genau bezeichnet.
3. Anfragen an die transzendentale Explikation des Gottesbewußtseins
Auch die erste Fassung der Wesensbestimmung der Religion war mit dem Anspruch einer „wissenschaftlichen Auskunft" (§6,1.1,21) aufgetreten und hatte ihren Standpunkt „über" dem Christentum genommen (a.a.O.), um „das gemeinsame und das eigentümliche der Glaubensweisen" erklärtermaßen „in allgemeinem Zusammenhang auszumitteln" (§ 7,2.1,24), wenn sie auch faktisch nur die im christlichen Glauben mitgesetzten Voraussetzungen deskriptiv erhellt hatte. Indem die zweite diesen Anspruch einlöst und mit dem Ausweis des Gottesbewußtseins als Implikat des ursprünglichsten und wesentlichsten Selbstvollzugs des Menschen ein philosophisches Prinzip der Glaubenslehre aufstellt, das der Bestreitung der Möglichkeit einer Rede von Gott gedanklich gewachsen ist, tritt sie anderen Theorien der Subjektivität auf derselben subjektivitätstheoretischen Ebene entgegen. Noch weniger als beim Erstentwurf wäre die Zuständigkeit der philosophischen Kritik also mit dem Argument zu bestreiten, daß es sich hier um eine eigentümliche, nur dem Frommen gegebene Bestimmtheit des Selbstbewußtseins handle; denn schon der (in der zweiten Auflage tatsächlich durchgeführte) Nachweis der Nichtreduzierbarkeit der Frömmigkeit auf Wissen oder Tun hatte ja gerade die Pointe, sie als eigenständige Wesewsmöglichkeit des Menschen zu be-
72
Aufweis des Gottesbewußtseins
gründen. Sie und die ihr zugeschriebenen Bestimmungen müssen also allgemeingültig und auch daraufhin überprüfbar sein. Bei näherer Betrachtung aber fallen einige nicht thematisierte und ungeklärte Voraussetzungen auf. Ich möchte sie im folgenden nicht in allen diskussionswürdigen Punkten, sondern unter der für das Gesamtthema dieser Arbeit relevanten Hinsicht kritisch betrachten: im Blick auf den von den Kategorien der Einleitung vorbereiteten Entwurf der Christologie. Denn sofern das „reine allgemeine Abhängigkeitsgefühl" das Fundament und die Grenze für alle in der Dogmatik zu entwickelnden Aussagen bildet, die ihrerseits nur die „Näherbestimmung des in dieser Grundlage Enthaltenen" 111 darstellen, sind mit ihm inhaltliche Vorentscheidungen für die Dogmatik getroffen. Speziell in bezug auf die Christologie aber sollte ein Zusammenhang klar sein: „Je weitergehend die Aussagen sind, die man der Philosophie über die Wirklichkeit und das Wesen Gottes und sein Verhältnis zum Menschen zutraut, desto schwieriger muß es werden, die inhaltliche Besonderheit seiner geschichtlichen Offenbarung zu bestimmen und ihre bleibende Bedeutung für das Gottesverhältnis des Menschen begreifen und festhalten zu können. Umso sorgfältiger ist allerdings auch jeweils zu prüfen, ob die philosophische Argumentation nicht Prämissen enthält, für die menschliche Vernunft als solche nicht aufkommen kann" 112 . So werde ich zunächst untersuchen, inwieweit Schleiermachers Befund der „absoluten Abhängigkeit" des Menschen (a) sowie deren Identifizierung mit der „Beziehung zu Gott" (b) philosophischer Nachprüfung standhalten. Sodann möchte ich, bereits im Blick auf die spezifische Differenz des Christentums, die das folgende Kapitel entwickelt, die weiteren in die Bestimmung dieses Gottes eingegangenen Voraussetzungen beleuchten (c). Zuletzt wird sich zeigen, daß der Grund für die aufgezeigten Fehlbestimmungen im Ansatz der Analyse liegt (d).
111
E. Hirsch, Geschichte, V, 303.
112
Th. Pröpper, Erlösungsglaube, 121, Anm. 229.
Anfragen
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a) Zum Befund der absoluten Abhängigkeit der Freiheit
Es war der Fortschritt der zweiten Auflage, das Subjekt gerade im Vollzug seiner Freiheit, in seiner „aus sich herausgehende(n) Selbsttätigkeit" ( 2 § 4,3.1,27) als „schlechthin abhängig" zu erweisen: Indem es seine Selbsttätigkeit nur an anderem betätigen konnte, zeigte es sich von Bedingungen abhängig, über die es nicht verfügte. Und wenn es sich statt nach außen auf sich selbst wandte, stieß es erst recht auf die prinzipielle, durch keine Einzelakte wegzuschaffende, da diese selbst bedingende Grenze seiner Autonomie: daß „unsere ganze Selbsttätigkeit... von anderwärts her ist" ( 2 § 4,3.1,28), unser selbsttätiges Wesen sich also die Bestimmtheiten seiner Verfassung nicht selber gegeben hat, sondern in ihr sich immer schon vorfindet. Daß alle Selbstgesetzgebung unter einem ursprünglichen Wesensgesetz der Subjektivität steht, dem sie nicht entgehen, sondern das sie nur ausagieren kann, macht die Abhängigkeit zur absoluten113. Wenn es aber die Crux der Freiheit ist, an ein Wesensgesetz gebunden zu sein, das sie nicht hervorgebracht hat, dann ist sie als Freiheit nicht sich selbst verfügbar. „Um es in einem scheinbaren Paradox zu formulieren: Es steht nicht nur nicht in unserer Macht, in bestimmten Zuständen der Empfänglichkeit zu sein, sondern es steht auch nicht in unserer Macht, die Macht zu sein, die wir sind, insofern wir mit Bezug auf diese Zustände in theoretischer und praktischer Absicht
113
Th. Pröpper, Bestimmung, 201: Wäre die Freiheit „aus sich selber, wäre sie nicht an die Struktur der Empfänglichkeit gebunden. Gerade als Freie wissen wir uns unfrei, die Einheit von Selbsttätigkeit und Empfänglichkeit zu sein. Schlechthinnig ist diese Abhängigkeit, weil sie auf nichts beziehbar ist, das in den Bereich des Gegebenen fallen könnte und insofern Selbsttätigkeit zuließe".
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Aufweis des Gottesbewußtseins
selbsttätig, d.h. frei sind" 114 . Was uns ausmacht, die „Freiheit, ohne die wir nicht sind, was wir sind", ist ohne, daß wir sie hätten wollen können, sich selber gegeben. Was Schleiermacher als Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit thematisiert, rekonstruiert die durchgeführte Reflexion als Einsicht in die Faktizität der Freiheit. Auf der ontischen Ebene ist es ihre Vorfindlichkeit, ihr Immer-schon-angefangen-Haben, das sie nicht verfügt; transzendentallogisch ist es ihr Wesensgesetz, das sie, um gerade als Freiheit wirklich zu werden, erfüllen muß. Vermittels dieser Verfassung ist sie von der Welt abhängig, in dieser Verfassung ist sie schlechthin abhängig. Sofern die Analysen Schleiermachers auf die unabweisbare Einsicht führen, daß der terminus a quo der Freiheit nur faktisch, ihr Dasein also kontingent ist, sind sie als eigenständige subjektivitätstheoretische Reformulierung der Kontingenzthematik anzuerkennen und als präzise neuzeitliche Lozierung des Gottesproblems im Rahmen der Konstitutionsanalyse wirklichen Subjektseins aufzugreifen. Daß das „Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit" auf die Kontingenzthematik zu beziehen ist, hat die Schleiermacher-Literatur erstaunlich selten explizit konstatiert. Entsprechende Rekonstruktionen (wie die K. Cramers und Th. Pröppers) stellen eher die Ausnahme dar. Zu ihnen zählt auch Van A. Harvey, der das Ergebnis der „analysis of the self-consciousness" als „the feeling of absolute
114
K. Cramer, Prämissen, 148. Auch Th. Horst, Konfigurationen, sieht die antinomische Struktur der unbedingt-bedingten Freiheit darin gegeben, daß das Prinzip der Erklärung, das Selbstbewußtsein, sich in seinem Dasein an etwas gebunden erfährt, das es nicht auf sich als Prinzip zurückführen kann: Das „Wissen des Subjekts von sich, von seiner Selbsttätigkeit, kann nur im Empirischen, in der Differenz des Bewußtseins statthaben; qua Selbsttätigkeit aber ist es auf Korrelativität verwiesen, deren Grund im Prinzip der Selbsttätigkeit liegt. Deshalb findet sich im Subjekt ein für
Wissen konstitutives Moment, das gleichwohl von Wissen nicht 'gesetzt' werden kann. Das Wissen des Subjekts von sich, seinem Prinzip, Selbsttätigkeit zu sein, ist am selben Ort Nicht-Wissen" (205f.).
Anfragen
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contingency" identifiziert 115 . Für G. Wenz ist es „das allen Selbstbewußtseinsvollzügen uneinholbar zuvorkommende, singulär faktische Daß von Selbst und Welt", das sich in der „Anwesenheit Gottes im Gefühl... Geltung verschafft" 116 . Diese Reflexionsebene zu benennen, scheint mir deshalb wichtig, weil sie die entscheidende Instanz in der Auseinandersetzung mit Hegel, den theologischen Kritikern (F.C. Baur, K. Barth, W. Flückiger, u.a.) und allen ist, die Schleiermacher die Identifizierung des menschlichen Selbstbewußtseins mit Gott selbst vorwerfen und darin den Weg zu Feuerbach gebahnt sehen. Sofern aber „mit der Einsicht in die Kontingenz der Vernunft auch die Transzendenz Gottes feststeht),... läßt sich gerade mit ihm gegen Feuerbach argumentier e n " 1 1 7 . Dazu muß Gott allerdings unzweideutig als Woher des menschlichen Daseins, nicht nur des Abhängigkeitsge/öWs bestimmt werden 1 1 8 . Solange Gott nach der ersten Auflage nur das
115
A Word in Defense of Schleiermacher's Theological Method. In: Journal of Religion XLII (1962) 151-170,161.165.
116
Geschichte der Versöhnungslehre in der evangelischen Theologie der Neuzeit, München 1984, 343-395, 357. Vgl. auch ders., Verständigungsorientierte Subjektivität. Eine Erinnerung an den Kommunikationstheoretiker F.D.E. Schleiermacher. In: E. Arens (Hg.), Habermas und die Theologie, Düsseldorf 19892, 224-240, 238f.: „Im Bewußtsein ursprünglicher Faktizität von Subjektivität, welches Schleiermachers Begriff des Gefühls schlechthinniger Abhängigkeit bzw. des unmittelbaren Selbstbewußtseins bezeichnet, ist das Bewußtsein mitgesetzt, daß das Subjekt nicht Grund seiner selbst, aber eben auch nicht auf gegebene Ursächlichkeiten zurückzuführen ist, für deren Wahrnehmung es vielmehr immer schon vorausgesetzt werden muß."
117
Th. Pröpper, Bestimmung, 209f., Anm. 41. 43.
118
Letzteres geschieht u.a. bei K. Barth, Die christliche Dogmatik im Entwurf, hg. v. G. Sauter, Zürich 1982, 407; F. Siegmund-Schulze, Schleiermachers Psychologie in ihrer Bedeutung für die Glaubenslehre, Tübingen 1913, 201; W. Thimme, Gottesgedanke und schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl in Schleiermachers Glaubenslehre. In: ZThK 8 (1927) 365-375, 366; C. Greco, La teologia nella controversia berlinese tra Hegel e Schleiermacher. In: Rassegna di Teologia 48 (1987) 451-470. Den Unterschied betonen G. Ebding, Gottesbewußtsein, 119 und M. Trowitzsch, Zeit zur Ewigkeit. Beiträge zum Zeitverständnis in der 'Glaubenslehre' Schleiermachers, München 1976, 30, Anm. 32 und 131, Anm. 4.
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im menschlichen Selbstbewußtsein „Mitgesetzte" war, gab es kein Argument, das seine Aneignung durch die Vernunft ausschließen und seine Kennzeichnung als „absolute Unendlichkeit" (§ 9,3. 1,32) als wesenskonstitutive Differenz von Gott und Mensch diskursiv legitimieren konnte. Für M. Eckert119 bieten hingegen gerade die Formulierungen der zweiten Auflage Anlaß zum Projektionsverdacht: „In der 1. Auflage der Glaubenslehre findet sich nicht die in der 2. Auflage (1830) bewußtseinstheoretisch mißverständliche Bestimmung Gottes als 'eben das in diesem Selbstbewußtsein mitgesetzte Woher unseres empfänglichen und selbsttätigen Daseins'... Geht man demgegenüber vom Begriff des 'Mitgesetztseins Gottes' aus, dann ist die ontologische Bedeutung auch in der 2. Auflage offensichtlich" (165, Anm. 37). Gleichzeitig scheint er jedoch schon § 9 vom erst in 2 § 4 erreichten Ergebnis her zu interpretieren, wenn er mit Verweis auf § 9,1 schreibt: „Abhängigkeit und Empfänglichkeit gehen daher selbsttätiger Freiheit immer schon voraus, d.h. unseres In-der-Welt-Seins 'sind wir uns aber nicht als eines von uns selbst hervorgebrachten und vorgebildeten bewußt'" (186). Die zitierte Aussage von § 9,1 ist jedoch nicht auf unser Dasein in der Welt, sondern auf das „unmittelbare() Bewußtsein des Menschen von sich als verändertem" bezogen, das nicht auf unsere Aktivität zurückgeht; die Radikalität der späteren Fragestellung von 2 § 4 nach dem Grund nicht des „Soseins", sondern des Seins überhaupt ist hier also gerade noch nicht erreicht. Die spezifische Gestalt des Arguments der zweiten Auflage hat auch bei E. Biser120 ihren strengen Ausdruck verloren: „In ihrem Bestreben, das Ganze zu sein,... stößt die Selbsttätigkeit jedoch unvermeidlich auf eine Grenze, die sie das erreichte Ziel zunächst nur im Modus des Mangels erfahren läßt. Da die Selbsttätigkeit jedoch mit dem Moment der 'Empfänglichkeit' gepaart ist, kommt es in dieser Grenzerfahrung zum mystischen Umschlag, der die Entbehrung zum Gefäß des Empfangens werden läßt"
119
Gott - Glauben und Wissen. Seitenzahlen im Text.
120
Abhängigkeit und Kontingenzbewältigung. Zur Aktualität F. Schleiermachers. In: Forum Kath. Theologie, Bd. 2, 1986, 268-280. Seitenzahlen im Text.
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(273). Aus „der Erfahrung der absoluten Abhängigkeit leitet sich letztlich die Einsicht in die Wirklichkeit Gottes her. Kontingentes Dasein, wie es dem Menschen gegeben ist, erklärt sich nicht aus sich selbst, sondern aus seiner Rückbezüglichkeit (276)... Erschien dieses zunächst als die schmerzlichste, weil ins Fleisch des menschlichen Freiheitswillens einschneidende Form der Transzendenzerfahrung, so stellt es sich jetzt als Inbegriff des bergenden Ergriffenseins durch die göttliche Übermacht dar, die jetzt jedoch, in dieser mystischen Gegensicht, nicht mehr als repressive Allgewalt, sondern als Inbegriff jener Wirklichkeit erscheint, in der das geängstete Menschenherz vor Anker geht" (280). Problematisch an dieser Beschreibung der Funktion Gottes erscheint mir vor allem Bisers mangelnde Unterscheidung von absoluter und partieller, aufhebbarer Abhängigkeit, die sich z.B. in seiner Erwartung zeigt, das Kontingenzproblem lösen zu können, „wenn es gelingt, im Brennpunkt der übermächtigen Strukturen wieder deren Inbegriff, den Gott der undurchschauten Übermacht, sichtbar zu machen" (275). Zunächst scheint mir schon die Kennzeichnung Gottes als ,,undurchschaute() Übermacht" fragwürdig, es sei denn, sie bezöge sich auf einen noch unbestimmten, noch nicht als Liebe offenbar gewordenen Gott. (Zu einer solchen Gottesvorstellung bieten, so meine ich, die frühen Einwände von Röhr und bes. Bretschneider den besten Kommentar: s.o., S. 21). Andernfalls scheint mir diese Gottesvorstellung weder mit Schleiermachers noch mit der allgemein für die christliche Tradition grundlegenden Bestimmung Gottes übereinzustimmen. Für bedenklich und gefährlich aber halte ich es vor allem, die Abhängigkeit pauschal auf „übermächtige() Strukturen" zu beziehen. Dies läßt es gerade unklar, ob sich dahinter nur faktisch-geschichtliche Strukturen verbergen, die aus menschlichem Handeln hervorgegangen und entsprechend reversibel sind, oder ob die unaufhebbare Gebundenheit an die eigene faktizitäre, nicht in sich selbst begründete Wesensverfassung endlicher Freiheit gemeint ist. Beispiele dafür, wie hier begriffliche Unschärfen die Hypostasierung durchaus veränderbarer Bedingungen zu Instanzen absoluter Abhängigkeit zugleich ermöglichen und verschleiern, sind in der religionssoziologisch-philosophischen Debatte um die Bestimmung der Religion als „Kon-
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tingenzbewältigungspraxis" zu finden 121 . Am Befund der Faktizität der Vernunft sind auch F. Wagners Rekonstruktionen und Schlußfolgerungen zu bemessen: „Insofern die freie Selbsttätigkeit sich in ihrem Sich-Gegebensein als schlechthin abhängig weiß, wird sie sich ihrer Freiheit gewiß. Das Abhängigkeitsgefühl ist also die Bedingung, unter der sich die freie Selbsttätigkeit ihrer Freiheit vergewissert". Diese „ist daher die ratio essendi der Abhängigkeit... Das Abhängigkeitsgefühl ist jedoch insofern die ratio cognoscendi der freien Selbsttätigkeit, als diese sich mittels des Abhängigkeitsgefühl als sich gegeben bewußt wird... Wird... das Woher der Abhängigkeit als Gott bezeichnet, so ist deutlich, daß Gott ein auf dem Boden der sich in ihrem Sich-Gegebensein erfassenden freien Selbsttätigkeit entworfenes funktionales Konstrukt darstellt" 122 . Gegenüber dieser Umkehrung der Begründungsverhältnisse, daß „dem Abhängigkeitsbewußtsein - als 'funktionalem Konstrukt der Reflexion' - lediglich die Rolle des Grunds für die Erkenntnis der freien Selbsttätigkeit zufiele", entgegnet M. Frank: „Schleiermachers Bescheid, was in dem Subjekt zustandekomme und von ihm bezeugt werde (ratio cognoscendi), sei darum noch nicht von dem Subjekt (qua ratio essendi) bewirkt (Gl § 3,3), verlangt gerade die entgegengesetzte Deutung: Die Reflexion ist nur das negativ Allgemeine, das, ohne welches das Gefühl der Abhängigkeit nicht bestünde; nicht aber
121 Ygj ff Lßbbe^ Religion nach der Aufklärung. In: ders., Philosophie nach der Aufklärung. Von der Notwendigkeit pragmatischer Vernunft, Düsseldorf 1980, 59-86 und die Kritik von H. Peukert, Kontingenzerfahrung und Identitätsfindung. Bemerkungen zu einer Theorie der Religion und zur Analytik religiös dimensionierter Lernprozesse. In: J. Blank/G. Hasenhüttl (Hg.), Erfahrung, Glaube und Moral, Düsseldorf 1982, 76-102. 122
Dialektik, 2Q2f. Die gleiche Argumentationsfigur kehrt 1984 folgendermaßen wieder: Als „Gottesbewußtsein spricht das Gefühl seine Abhängigkeit von einem Gott aus, der seinerseits vom Bewußtsein der Abhängigkeit abhängig und durch dieses bedingt ist... Gott als Grund des frommen Selbstbewußtseins wird zugleich durch dieses, das zu Begründende, begründet." (Gefühl und Gottesbewußtsein. Zum Problem des Theologischen in Schleiermachers philosophischem und theologischem Denken. In: Archivio di Filosofia 52 (1984) 271-297, 290f.) Auch hier gilt Franks Einwand analog.
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auch positiv das, wodurch es besteht (vgl. Schelling, WW I, 10, 214)"123 Indem 2 § 4 den Befund der Faktizität des Daseins der Freiheit aber als „AbMngigkeit" deutet, überschreitet er ihn auch schon. Ihre absolute Kontingenz als „Abhängigkeit" zu bezeichnen, setzt ihr schon einen Grund voraus. Welches Recht und welcher Erkenntnisstatus kommt seiner Setzung zu?
b) Zur Identifizierung des absoluten Abhängigkeitsgefühls mit dem Bewußtsein der Beziehung zu Gott
Mit der Bezeichnung „Abhängigkeit" ist schon die Brücke geschlagen, die vom Endpunkt der Analyse, der radikalsten Erfahrung der Freiheit mit sich selbst, auf einen Grund jenseits ihrer selbst hinleitet. Schleiermacher vollzieht den Schritt zu einer vom Subjekt unterschiedenen Wirklichkeit, indem er, statt beim Bewußtsein der abgründigen Faktizität stehenzubleiben, aus ihm als den Ausdruck seiner „unmittelbarstein) Reflexion" das Wort „Gott" ( 2 § 4,4. 1,30) hervorgehen läßt. Zwar wird dies Gottesbewußtsein von einer Gotteserkenntnis und vom Gottesgedanken der objektiven Funktion der Vernunft streng unterschieden, aber spätestens in der Reflexion auf seine unmittelbare Bestimmtheit wird dem Selbstbewußtsein das, was als nicht intentionales, aber doch relationales Gegenüber im Gefühl gewiß ist, als das den „ursprünglichen Gehalt des Wortes Gott" (a.a.O.)
123
Das individuelle Allgemeine, 106f., Anm. 65. Frank weist zuvor auf die „Nähe Schleiermachers zur Spätphilosophie Schelling»" hin, dessen Einfluß nur bezüglich der „sog. Identitätsphilosophie", nicht aber der „Selbstkritik der negativen Philosophie" untersucht worden sei (104, Anm. 60).
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Erfüllende klar. Welche nicht thematisierten Prämissen wirken hier mit? Der Punkt, bis zu dem die Reflexion der Freiheit auf sich selbst gelangen konnte, war mit dem „Bewußtsein eines dem Subjekt selber nicht verfügbaren Ursprungs seiner Struktur zugleich das Bewußtsein der schlechthinnigen Unbestimmbarkeit dieses Ursprungs selber" bzw. „dasjenige Bewußtsein des Selbst von sich, in welchem es sich aufgrund des Wissens von seiner Struktur den Ungrund dieser Struktur in ihr selbst und in allem, dessen es aufgrund ihrer mächtig ist, zu Bewußtsein" bringen konnte 124 . Wenn Schleiermacher nun aus dem negativen Befund des Ungrundes in uns selbst positiv einen absoluten Grund erschließt 125 , so folgt er damit dem Bedürfnis der Ver-
124
K. Cramer, Prämissen, 156.
125 yj Pannenberg weist darauf hin, daß „die Behauptung schlechthinniger Abhängigkeit in § 4,3 denn auch nicht als 'durch irgendein vorheriges Wissen um Gott bedingt' (§ 4,4) eingeführt, sondern allein aus dem Bewußtsein der Negation schlechthinniger Freiheit begründet (wird). Dennoch bleibt die Interpretation dieser Negation durch die positive Vorstellung einer Abhängigkeit eine Eintragung endlicher Verhältnisse und Vorstellungen in das 'unmittelbare Selbstbewußtsein', dessen Auffassung als Gottesbewußtsein nach so viel reflektierender Bemühung auch kaum noch 'unmittelbar' genannt werden kann." (Anthropologie in theologischer Perspektive, Göttingen 1983, 246, Anm. 33). G. Wehrung zufolge gibt Schleiermacher in seinem Dialektik-Entwurf von 1828 an einer Stelle diesen Sachverhalt der Interpretation auch zu: „In den abschließenden Bemerkungen entschlüpft Schleiermacher femer ein Satz, der seine einfache Uebertragung des erwähnten primär negativen Urteils in ein positives religiöses als viel zu voreilig Lügen straft: 'Die positive Voraussetzung, daß etwas sei, worin sie [die Selbsttätigkeit] gesetzt wird, ist nur indirekt gegeben.' In diesen Worten steckt doch, daß jene Umwandlung im Grunde nur zu einer Frage nach dem nicht mehr der Welt der Immanenz angehörenden Unbedingten führen kann; dazu, daß allen Menschen schlechthin gemeinsam nicht sowohl die Religion in ihrem Vollgehalt, als die bloße Möglichkeit der Religion, ihre an sich unwirkliche untere Stufe ist; zuletzt, daß zwischen ihr und der wahren Erfüllung der Religion noch ein weiter Weg liegt und daß die Bewegung zum Ziel geradezu von neueingreifenden Vermittlungen abhängt" (Dialektik, 238).
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nunft, über den faktischen Vollzug der Freiheit hinaus die absolute Begründung, die ihr Dasein erst rechtfertigt, zu suchen. Die „Prämisse, daß das Faktum der Freiheit, um sinnvoll zu sein, nicht als unbegründet hinnehmbar sei" 1 2 6 , ist als Option durchaus als vernünftig zu qualifizieren, da sie ohne solche Begründung eben auch ohne den ihr entsprechenden, sie erfüllenden Sinn bleiben müßte 1 2 7 . Dennoch ist der Vollzug dieser Option ebensowenig zwingend wie der des Verbleibens auf dem Standpunkt der in ihrer unbedingt-bedingten Verfassung antinomischen Freiheit 128 .
c) Zur impliziten Weiterbestimmung des Gottesgedankens
Eine weitere stillschweigende Annahme liegt in der insinuierten Weiterbestimmung des schon gesetzten Grundes zu einem befreienden,
Th. Pröpper, Bestimmung, 211f., Anm. 45.
126 127
Vgl. ders., Erlösungsglaube, 277: „In der Gottesidee denkt sie, was sich endliche Freiheit voraussetzen muß, wenn sie sich zu sich selber entschließt und dabei ihrer unbedingten Sinnintention traut (und damit auch ihrem Bedürfnis, dem eigenen und allem Dasein einen absoluten Grund vorauszusetzen, ohne den ja das von ihr für sich selbst und andere Freiheit intendierte unbedingte Seinsollen nicht als begründet gedacht werden könnte). Daß sie dies aber tut, ist eben der Akt und das 'Wagnis' der Freiheit."
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Bis zu diesem Punkt alternativer Optionen kann die philosophische Reflexion geführt und als zwingend begründet werden. Mehr als der Sinn der Rede von Gott und die praktische Relevanz seiner Annahme kann aber nicht allgemein aufgewiesen werden; die Entscheidung zwischen dieser Option und z.b. der Position Sartres ist eine besondere, nicht nezessitierbare, die noch unter anderen Gesichtspunkten als nur theoretischen zu verantworten sein dürfte. Die unvertretbare Qualität der persönlichen Stellungnahme zum Angebot des Gottesglaubens geht Schleiermacher verloren.
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vielleicht sogar liebenden, jedenfalls aber veriäßlichen „Woher". Dem schon in den ersten Besprechungen von Röhr und Bretschneider geäußerten Einwand, daß ein absolutes Abhängigkeitsgefühl „Furcht und Grauen" 129 erzeugen müsse und deshalb nicht einmal als religiös, geschweige denn als Basis auch der christlichen Gotteserfahrung gelten könne, widerspricht Schleiermacher mit der bezeichnenden Bemerkung: „Das Abhängigkeitsgefühl müsse Furcht und Grauen sein Gewiß nicht wenn man sich abhängig fühlt mit allem was man ist" (Marg. 101, S. 28). Einer solchen vollständigen Abhängigkeit aber galt ja eben die Anfrage. Offensichtlich ist für Schleiermacher der vorausgesetzte Grund so positiv bestimmt, daß er die Bedenken der Rezensenten erst gar nicht begreift. Tatsächlich verharmlost er so jedoch die Ambivalenz der Grunderfahrung und führt sie einer Eindeutigkeit zu, die sie nicht aus sich selbst haben kann. Mit der Setzung des „Woher" geschieht folglich ein Doppeltes: Allem Sein wird ein absoluter Grund vorausgesetzt, und dieser wird als positiver Sinn ausgelegt. Indem Schleiermacher so das wirkliche Resultat der Selbstbewußtseinsanalyse überstrapaziert, verletzt er aber nicht allein die Grenzen philosophisch ergründbaren Wissens. Ebensosehr berührt es die Dogmatik, wenn eine Be-
129
Vgl. J.F. Röhr, Rezension 393; KGA 1/7.3, 517f. Für K. G. Bretschneider ist die Bestimmung des Grundes der Abhängigkeit Sache der Vernunft und ihrer Gottesidee: „Der Grund absoluter Abhängigkeit kann nur von der reflectirenden Vernunft, nicht aber von dem Gefühle in einem Gotte gesucht werden. Das Gefühl leitet nur auf die Empfindung vom Daseyn absoluter Hindemisse, aber weder auf den Gedanken, daß sie in der Einheit eines Wesens begriffen seien, noch auf die Vorstellung, daß die Hindernisse etwas Absolutes sind, die nie überwältigt werden könnten... Es giebt aber von dem Gefühl der Abhängigkeit entweder gar keine Brücke zu Gott, oder nur eine, die der Vernunftthätigkeit, welche die Hemmungen, die das Abhängigkeitsgefühl hervorbringen, erst unter der Einheit der Gottesidee befaßt, und dadurch, daß sie Gott als etwas Absolutes a priori erkennt, auch erst zu der Idee einer absoluten Abhängigkeit von Gott führt. Ohne die Idee der Gottheit" könnte es „auch zum Materialismus leiten, oder zum Gefühle einer absoluten Abhängigkeit von Naturkräften" (Princip, 377f.). Zur Fortführung des Zitats s.o., S. 21.
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Stimmung, die erst sie mit ihrer Begründung im historisch Gegebenen vorbringen kann, nämlich die positive Näherbestimmung des absoluten Grundes, dem apriorischen Gottesbewußtsein vindiziert wird. Bezüglich der dogmatischen Gotteslehre ergibt sich daraus die Frage, wie sich deren erster und zweiter Teil zueinander verhalten: Was können die Eigenschaften Gottes, die im zweiten, christlich bestimmten Teil zu den im ersten, allgemeinen Teil erschlossenen noch hinzukommen, nämlich seine „Liebe" und seine „Weisheit", über seine Allursächlichkeit hinaus inhaltlich noch besagen? Die Grenze und den Schritt über die philosophische Analyse hinaus bringt H. Knudsen gut zum Ausdruck: „Die für das philosophische Bewußtsein leere Stelle des Seins der Subjektivität in der Unmittelbarkeit des Gefühls, die allenfalls den Ausblick auf die allgemeine Abhängigkeit und den formalen Transzendenzcharakter eines wie immer gearteten Wohers erlaubt, ist für den Glauben mit der Transzendenz Gottes in Christus erfüllt... Für die Vernunft bleibt die Gegebenheit als Sich-Vorgegebensein qualitativ neutral; die Vernunft vermag nur bis zu dem allgemeinen Begriff der Gegebenheit vorzudringen, in dem sie sich in ihrer Selbst- und ihrer Weltbeziehung weiß. Der Glaube aber kann das Woher seiner Gegebenheit qualifizieren"130. Daß auch die Einleitung, trotz Schleiermachers Methodenangabe, „über dem Christenthum" (§ 6.1,20-23) ansetzen zu wollen, um dessen Wesen „in allgemeinem Zusammenhang auszumitteln" (§ 7,2. 1,24), nicht rein philosophisch, sondern schon vom Boden des Christentums aus argumentiert, wird oft zugestanden: So stellt E. Herms fest, daß die „philosophische Ethik selber unter dieser Bedingung der Christlichkeit (eben des Lebens ihres Autors) entwickelt worden ist" 131 . Ebenso urteilt M. Eckert: „Dieser 'Standpunkt über dem Christenthum' erschließt sich von unseren Über-
130
Subjektivität und Transzendenz. Theologische Überlegungen zu einer Theorie der Letztbegründung des Ichs, Frankfurt 1987,154.171f.
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Reich Gottes und menschliches Handeln. In: D. Lange (Hg.), Schleiermacher, 161-192, 180. Vgl. auch F. Jacob, Geschichte und Welt in Schleiermachers Theologie, Berlin 1967,102.139, Anm. 159.
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legungen her als kritisch-vergleichende Rückführung des historisch gegebenen christlichen Glaubens auf Grundstrukturen einer Religionsphilosophie, von der her auch das unterscheidend Christliche aufgewiesen werden soll. Als philosophisch-natürliche Bestimmungen begründen sie nach Schleiermacher nicht von außen das Wesen der Frömmigkeit und schließlich des christlichen Glaubens, sondern gewinnen dieses aus der geschichtlichen Wirklichkeit des Glaubens reduktiv" 132 . Soweit dieser Befund die heuristischen Zusammenhänge aufdeckt, stimme ich ihm zu. Die Rekonstruktion der philosophischen Voraussetzungen des christlichen Glaubens wird in der Tat erst post festum, nach schon vollzogenem Glauben an die faktisch ergangene Offenbarung erfolgen. Diese zeitliche Bedingtheit aber ändert nichts an den logischen Begründungszusammenhängen, die unabhängig vom historischen, durch den Glauben bestimmten Entdeckungszusammenhang zu explizieren sind. Was nun Schleiermachers Aufweis der Frömmigkeit als Wesenselement des Menschen und ihre Bestimmung als Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit betrifft, so hat sie ihren methodischen Ausgangspunkt und ihre Argumentationsbasis im existierenden Selbstbewußtsein: Von ihm aus gewinnt Schleiermacher reduktiv (über eine Strukturanalyse des Subjekts) die Einsicht in das Gottesbewußtsein als menschliche Wesensmöglichkeit. Ob dieser Aufweis als gelungen gelten kann, kann nur philosophisch beurteilt werden. Der Ausgangspunkt und die Schritte der Ermittlung sind in philosophischer Instanz zu prüfen. Die Frage, ob Schleiermacher zu einem Ergebnis gelangt, das es offenläßt, in der Christologie die wesentliche und bleibende Bedeutung der Person Jesu zu explizieren, ist dann natürlich auch für die theologische Beurteilung von Interesse. Zu einer solchen im Interesse des Glaubens kritischen Bewertung kommt O. Bayer, wenn er Schleiermachers philosophische Grundlegung der Dogmatik im Religionsbegriff als Transzendentalisierung des christlichen Schöpfungsglaubens beurteilt: Der ,,christliche() Schöpfungsglaube()... ist jedoch, ins Allgemeine ausgeweitet, in eine formale anthropologische Grundbestimmung
132
Gott - Glauben und Wissen, 154.
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umgesetzt. Wenn Schleiermacher aufgrund dieser formalen Bestimmung, für die er Allgemeinheit beansprucht, und mit dem Hinweis auf sie den christlichen Glauben darzustellen versucht, dann macht er, zugespitzt formuliert, aufgrund des christlichen Glaubens den christlichen Glauben verständlich. Dieses Verfahren ist nur darum nicht tautologisch, weil das Kriterium der Verstehbarkeit des zu Verstehenden das formalisierte Merkmal des zu Verstehenden ist" 1 3 3 . „In dieser Verabsolutierung" (des Kommens Gottes zur Welt) „kann er nicht mehr vom konkreten Kommen Gottes in seinem zusagenden Wort reden"134. Mit einer nur quantitativen Differenz von Sünde und Gnade aufgrund einer „Ontologisierung der Gnade... bezahlt Schleiermacher für sein Verfahren, bestimmte theologische Daten so zu formalisieren, daß sie zu einem philosophischen Vorfeld der Theologie zu werden scheinen, als das sie plausibler sein sollen als erklärte Theologie... Die faktisch herrschende Ungewißheit und die konkret im bestimmtem Christuswort als Zuspruch vermittelte Gewißheit lassen sich nicht als im Ontologischen konvergent entdecken bzw. zu einer einzigen ontologischen Gewißheit formalisieren, die der ontischen Ungewißheit und der ontischen Gewißheit, der Sünde und der Gnade immer schon voraus liege und deshalb in beiden bleibend mitgesetzt sei" 1 3 5 . Was Schleiermacher als ontologische Gewißheit im unmittelbaren Selbstbewußtseins aufzudecken suchte, wäre dann auf die historische Vorgabe des Christentums zurückzuführen: „Es war der Geschichtsoptimismus einer Epoche, die aus der eigenen Vernunft zu schöpfen meinte, wo sie in Wahrheit ein historisches Erbe aufzehrte"136. Es scheint also, daß auch die Theologie Grund hat, die Grenzen des vernünftig zu Vergewissernden zu respektieren. Der gedankliche Ge-
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O. Bayer, Auseinandersetzung mit Schleiermachers transzendentalem Denken. In: Was ist das: Theologie? Eine Skizze, Stuttgart 1973, 40-51, 43f. Vgl. auch Th. Pröpper, Bestimmung, 209, Anm. 39.
134
Schleiermacher und Luther. In: Internationaler Schleiermacher-Kongreß Berlin 1984, Bd. 2,1005-1016,1011.
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Auseinandersetzung, 50.48.
136
Th. Pröpper, Bestimmung, 212.
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halt und die praktische Relevanz des Redens von Gott können immer noch hinreichend bestimmt werden, wenn man philosophisch bei der Einsicht der Freiheit in ihre Faktizität stehen bleibt und darauf verzichtet, sie auf die Feststellung einer „ursprünglichen Offenbarung Gottes" ( 2 § 4,4. 1,30) im Selbstbewußtsein auszudehnen. Dem geschichtlichen Selbsterweis Gottes würde dann nicht vorgegriffen. Das geschichtliche Auftreten Jesu bekäme eine andere, entscheidendere Bedeutung als ihm nach dem, was von Schleiermachers Entwurf bisher sichtbar geworden ist, zukommen kann. Wenn auch die Funktion, die die Person Jesu für die Bestimmung des allgemeinen Gottesbewußtseins hat, erst am Begriff der Erlösung genauer untersucht werden kann, so zeichnet sich doch jetzt schon ab, daß die transzendentale Explikation dieses Gottesbewußtseins der Christologie in einem Maße vorarbeitet, das diese wohl einholen, aber kaum mehr überbieten kann.
d) Zum Standpunkt der Freiheitsanalyse
Schleiermachers Untersuchung ging vom existierenden Selbstbewußtsein aus und zielte darauf, durch den Nachweis der aller Selbstsetzung vorgängigen Bedingtheit den Standpunkt einer absoluten Freiheit ad absurdum zu führen. In dieser Hinsicht ist sie erschöpfend. Indem er aber darauf verzichtet, sie ebenso in bezug auf das unbedingte Moment der Freiheit auszuführen, bleibt die Analyse nicht nur in einer Richtung unvollständig, sondern wird gerade um dasjenige Element gekürzt, das sich bei zu Ende geführter Reflexion als Ausgangspunkt empfohlen und die in die Analyse eingeflossenen Prämissen als solche bewußt gemacht hätte. Zwar nimmt Schleiermacher die Selbsttätigkeit und die einheitsstiftende Funktion des Ich in Anspruch und gewinnt so erst die Basis, auf der, anders als beim er-
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sten, gescheiterten Nachweis eines vom Gottesgedanken unabhängigen Gottesbewußtseins, die vom unmittelbaren Selbstbewußtsein vollzogene Differenz von Gott und Welt einsichtig gemacht werden kann. Dennoch wird der im Argumentationsverlauf beanspruchte Gedanke eines „Ich an sich" nicht weiter expliziert: Er wird, „obwohl für die Vergewisserung der Identität des Ich in seinem 'veränderlichen Sosein' durchaus in Anschlag gebracht, nur noch erwähnt, um mit dem Hinweis auf die 'unbestimmte Agilität' reinen Selbstbewußtseins und seine realiter unlösbare Zusammengehörigkeit mit einem Moment der 'erregten Empfänglichkeit' fortan unbeachtet zu bleiben" 137 . Die Tatsache, daß „Schleiermacher die Möglichkeit der Analyse, sofern sie bereits auf einem Akt freier Reflexion beruht und nichts durch die Empfänglichkeit Gegebenes betrifft, nicht eigens bedenkt, geschweige denn... die Selbstgewißheit des Ich zu ihrem evidenten Ausgangs- und Bezugspunkt" wählt, erklärt ihrerseits wohl
137
Th. Pröpper, Bestimmung, 210f., Anm. 44. Die Überlegungen von Marg. 100 und die Vorformulierungen zum ersten Abschnitt von 2 § 4 in Marg. 104 geben Anhaltspunkte für eine Unterscheidung zwischen materialer Bedingtheit und formeller Absolutheit der Freiheit bei Schleiermacher selbst. Bei aller Faktizität der existierenden Freiheit erkennt er dort nämlich ein „(unmittelbares) Selbstbewußtsein der Selbstthätigkeit" an, „welches eben Bewußtsein der Freiheit giebt" und fährt nur kritisch fort: „Ist aber dieses nicht durch das Abhängigkeitsgefühl begrenzt und diesem untergeordnet, so schlägt es um in akolasta" (Zügellosigkeit) (S. 27f.). Aus Marg. 104 läßt sich entnehmen, daß die Duplizität des Selbstbewußtseins keines gegenständlichen Prinzips, d.h. nicht erst der faktischen, realen Bestimmung bedarf, sondern ein apriori konstruierbares Merkmal ist: Das Ich an sich ist betreffbar durch ein mögliches Bestimmendes. „1. jedes wirkliche Selbstbewußtsein ist Sosein. Das begleitet [,] wirklich [,] das für sich Moment erfüllende auch. Ich an sich kann gedacht werden als Abstraction aber im Selbstbewußtsein sind wir verändert Zwei Elemente das uns selbst sezen das uns selbst nicht so gesezthaben. So komt kein gegenständliches Princip [ein] aber wol der Gegensaz von Selbstthätigkeit und Empfänglichkeit - Selbstbewußtsein ohne Sosein würde Selbstthätigkeit sein aber als bloße unbestimte Agilität Aber im wirklichen ist Empfänglichkeit das erste" (S. 29).
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Aufweis des Gottesbewußtseins
auch die „Täuschung über den tatsächlichen Anteil der freien Reflexion (und Entscheidung) am Kontingenz- und erst recht am Gottesbewußtsein" 138 . Da der Glaubenslehre an der (wenn auch nur formalen) Unbedingtheit der Freiheit nichts gelegen ist, sondern sie sich durchweg nur an der Abweisung einer absoluten Freiheit interessiert zeigt 139 , bleiben nicht nur die mit der Einsicht in den formalen Charakter dieser Unbedingtheit möglichen Differenzierungen und Denkmöglichkeiten ungenutzt, sondern auch die Beteiligung der Freiheit an der Setzung des „Woher" unbeachtet. Mit ihr entspricht sie dem Interesse der Vernunft, sich die Bedingung ihrer sinnvollen Realisierung, einen sie tragenden Grund, vorauszusetzen. Indem Schleiermacher mit seiner Selbstbewußtseinsanalyse den philosophisch nur möglichen absoluten Grund als wirklich setzt, sind weitreichende Vorentscheidungen getroffen. Da er die Gewißheit eines von Welt und Mensch verschiedenen und positiv bestimmten Gottes nicht dessen geschichtlichem Selbsterweis vorbehält, sondern als „ursprüngliche Offenbarung" dem Wesen des Menschen apriori einschreibt, muß er den Atheismus als ursprüngliche Möglichkeit 138 139
ebd. C. Sigwart führt in seiner eingehenden Analyse der Erkenntnistheorie Schleiermachers dessen „Läugnung der Freiheit" und das Fehlen des „Begriffs) der freien Persönlichkeit" darauf zurück, daß „ein seine Stelle eine Differenzierung der allgemeinen Vernunft gesetzt wird, deren Grund einzig und allein in der Natur, in der räumlich und zeitlich verschiedenen Basis liegt, auf der die intellektuelle Potenz erscheint" (Schleiermachers Erkenntnistheorie und ihre Bedeutung für die Grundbegriffe der Glaubenslehre. In: Jahrbücher f. Dt. Theol., Bd. II, 267-325, 315f.). Während Kant im Wollen „eine Selbstbestimmung des Willens nach Maximen und Gesetzen" erkennt, „reducirt Schleiermacher das Wollen auf dasselbe bloße Causalitätsverhältniß von Intellectuellem und Organischem, von Denken und Seyn, das auch im Wissen hervortritt" (Schleiermachers psychologische Voraussetzungen, insbesondere die Begriffe des Gefühls und der Individualität. In: Jahrbücher Bd. II, 829-864, 835). Zur Auffassung der menschlichen Gattung als „Produkt unpersönlicher Größen, der Vernunftkraft und der Naturmasse" und des Einzelnen als „Vernunftpunkties)" in Schleiermachers philosophischer Ethik vgl. auch H. Stephan, Erlösung, 150.
Anfragen
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und bewußte Wahl des menschlichen Geistes leugnen und als „Krankheitszustand des Verstandes" (§ 37,3.1,126; vgl. 2 § 33,2. 1,177) ins Pathologische abdrängen. Im selben Maß wie die Möglichkeit der Ablehnung spielt er damit auch die der freien Entscheidung zum Glauben herunter140. Wie es sich auf die Christologie auswirkt, daß Schleiermachers transzendental-anthropologische Grundlegung der Religion sich die Einsicht entgehen läßt, daß „die Sinngewißheit der Freiheit, ihr selbst unverfügbar, nur geschenkt" Hi, d.h. nur geschichtlich vermittelt werden kann, wird sich schon in der Bestimmung der spezifischen Differenz des Christentums vom Wesen der Religion zeigen.
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Das Moment der Stellungnahme kommt in Schleiermachers Definition des Glaubens, die der Transponierung der vermittelten Gottesgewißheit ins Innere des Menschen entspricht, nicht zum Ausdruck: „Das Außer uns kommt in der Folge unter dem Ausdruk 'Das Mitbestimmende' vor" (Marg. 106, S. 29). Dem entspricht: „Glaube ist besondere die im Selbstbewußtsein gesezte Gewißheit von dem Mitgesezten" (Marg. 92, S. 26). Demgegenüber scheinen mir Steudels Formulierungen, die sich nur auf die Frömmigkeit allgemein, nicht auf den Glauben beziehen, erinnemswert: Zur „Religion, Frömmigkeit gehört die Anerkennung der Gültigkeit dieser Abhängigkeit. Eben damit ist die Frömmigkeit nicht ein bloßes Vorfinden unser [!] selbst, sondern eine Bestimmung unser selbst - eine Richtung, welche wir kraft unsrer Selbstthätigkeit uns geben" (s.o., S. 24f. ). Die Notwendigkeit freier Zustimmung betont auch G. Wehrung, wenn er das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl „in seiner natürlichen Entwicklungsgestalt" als „vorreligiöses Verhältnis des Menschen... vor einer geheimnisvollen Wirklichkeit, die durch das Weltganze hindurch uns in ihrer Hand hat" bezeichnet. Dagegen werde „Religion... erst wirklich in diesem Ja, also in einem geschichtlichen Akt, worin der Mensch zu der geheimnisvollen Wirklichkeit, die ihn umgibt und trägt, ganz eigentlich Stellung nimmt, worin er sich ihr frei unterwirft" (Religion als Bewußtsein schlechthinniger Abhängigkeit. In: Luther, Kant und Schleiermacher in ihrer Bedeutung für den Protestantismus. FS z. 70. Geb. v. G. Wobbermin, Berlin 1939, 506-529, 513). W. Schultz spricht von einem „selbstgewollte(n) Abhängigkeitsgefühl als Hingabe an den Gott der Liebe" (Protestantismus, 29).
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Th. Pröpper, Bestimmung, 212.
III. Die Wesensbestimmung des Christentums
Nach dem philosophischen Prinzip der Glaubenslehre, der Bestimmung der Religion als Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit, entwickelt Schleiermacher nunmehr das Prinzip der Dogmatik: Mit der Wesensbestimmung des Christentums sucht er das Kriterium zu gewinnen, nach dem die dogmatischen Lehrsätze auf ihre Christlichkeit hin, d.h. ihre Angemessenheit gegenüber dem christlich frommen Selbstbewußtsein, das sie wissenschaftlich reflektiert ausdrücken sollen, zu beurteilen sind. Die Veränderungen in der Ermittlung und Explikation dieses Grundprinzips, die die Zweitauflage (2) an der ersten (1) vornimmt, werfen ein Licht auf die neuen Tendenzen der ausgeführten Anthropologie und Christologie (vgl. Kap V) voraus. Die Anfragen, die ich abschließend an Schleiermachers Wesensbestimmung des Christentums richten möchte (3), werden dort widerlegt oder bestätigt werden.
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Wesensbestimmung des Christentums
1. Die Ermittlung des Wesens des Christentums nach der ersten Auflage
Wie kommt die Einleitung vom Aufweis der Frömmigkeit als Wesensmöglichkeit des Menschen auf die geschichtliche Ebene der konkreten Religionen? Bevor ich auf die Wesensbestimmung des Christentums selbst eingehen kann (b), ist es nötig, den Ansatz zu untersuchen, den Schleiermacher in der Weiterbestimmung des Religionsbegriffs für das Verständnis der geschichtlichen Religionen bereitstellt (a). Die Wesensformel des Christentums bietet dann die Möglichkeit einer ersten Abgrenzung von Anthropologie und Christologie: Schleiermacher gewinnt mit ihr die Grundbestimmungen für den wesensgemäßen Inhalt der Dogmatik, indem er aus ihr die wesensaufhebenden Häresien konstruiert und sie bezüglich des in ihr vorausgesetzten Gefüges von Vernunft und Offenbarung auswertet
(c).
a) Zum Ansatz der Erfassung der geschichtlichen Religionen
Um vom Wesen der Religion zu ihren individuellen Ausgestaltungen zu gelangen, stellt Schleiermacher allgemeine, d.h. aus den Verhältnissen des Selbstbewußtseins ableitbare (1) und besondere, für ihre spezifische Differenz verantwortliche Prinzipien (2) auf.
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(1) Die allgemeinen Prinzipien der Verwirklichung der Frömmigkeit Den Wesensbegriff der Religion vermittelt die Einleitung mit den realen Erscheinungen der Religionsgeschichte, indem sie die folgenden Bestimmungen und Differenzierungen einführt: Um explizit und erfahrbar zu werden, muß sich das an sich unveränderliche Gottesbewußtsein mit den Bestimmtheiten des sinnlichen Selbstbewußtseins einigen. Da es als die höchste, das endliche Sein insgesamt einschließende Stufe des Selbstbewußtseins der sinnlichen die Richtung vorgibt, ist sie es, die deren Eigengehalte neu qualifiziert. Je nach der Durchlässigkeit der Momente des sinnlichen Selbstbewußtseins für den Gottesbezug ist das Ergebnis der „Verschmelzung... eine erfreuliche (oder eine schmerzlich i) fromme Erregung" (§ 11,2.1,39). Durch die „mittheilende Kraft der Aeußerung" (§ 12,2. 1,42) kommt es zur Bildung frommer Gemeinschaften, die dann als „Kirchen" zu bezeichnen sind, wenn sie durch die Gleichheit der frommen Erregungen und die geordnete Form ihrer Weitervermittlung bestimmt abzugrenzen sind. Zu ihrer allgemeinen Ortsangabe entwirft Schleiermacher ein System der Klassifikation, das nicht durch empirische Differenzen, sondern „in den innersten Verhältnissen des Selbstbewußtseins begründet()" (§ 16,3.1,57) ist. Die jeweils mögliche Gottesvorstellung hängt von der Entwicklungsstufe des Selbstbewußtseins ab, die sich an der Klarheit der Trennung von „höherem" (d.h. verwirklichtem Gottes-) und rein sinnlichem Selbstbewußtsein bemißt: Solange beide noch nicht unterschieden werden, ergibt sich die Stufe des Fetischismus mit Götzen, die jeweils nur ein endliches Gebiet vertreten; überwiegt bei vollzogener Unterscheidung beider Ebenen und Einsicht in die Abhängigkeit alles Endlichen dennoch die Vielfalt der sinnlichen Gefühlsgehalte, so folgt daraus die Stufe des Polytheismus, d.h. eine Mehrzahl von transzendenten, aber noch sinnlich bestimmten Göttern. Das Ziel der geistigen Entwicklung ist dort erreicht, wo das höhere Selbstbewußtsein sich vom sinnlichen so deutlich getrennt hat, daß es das Gefühl absoluter Abhängigkeit auf
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Wesensbestimmung des Christentums
„Eine(n) Höchsten und Unendlichen" (§ 15 LS. 1,49) beziehen kann: Dies ist erst im Monotheismus der Fall. Eine Querteilung der Entwicklungsskala in zwei entgegengesetzte Arten gewinnt Schleiermacher aus der zweifachen Unterordnungsmöglichkeit der selbsttätigen und empfänglich-leidentlichen Zustände. Verbindet eine Religion die Erfahrungen des Bestimmtseins des sinnlichen Bewußtseins mit ihrem Gottesbewußtsein nur in der Weise, daß sie ihr Anlaß zu neuer Selbsttätigkeit geben, führt in ihr also das „Bewußtsein sittlicher Zwekke" über das jeweils Faktische hinaus, dann handelt es sich nach Schleiermacher um den Typ der zielgerichteten, „teleologischen" Frömmigkeit (§ 16,2.1,56). Funktioniert umgekehrt die Einigung des sinnlichen Selbstbewußtseins mit dem Gottesbewußtsein nur, wenn die Zustände der Selbsttätigkeit ihrerseits als Ergebnis äußerer Verhältnisse und Ergebung in sie aufgefaßt werden, wenn also die bestehende Ordnung der Dinge außerhalb und im Menschen als göttliche Schickung erscheint, so liegt der „ästhetische" Typ der Frömmigkeit vor. Schleiermacher sieht ihn in den schicksalsgläubigen Religionen der Griechen und des Islam, den teleologischen hingegen in Judentum und Christentum verwirklicht142.
(2) Die individualitätsbestimmenden Prinzipien Mit der Einordnung in das erstellte Begriffsgerüst ist wohl der Ort, aber noch nicht das je eigentümliche Wesen der historischen Religi-
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Λί. Riemer, Bildung, 285, sieht den Gegensatz des ästhetischen vom teleologischen Typus der Frömmigkeit zunächst auf die Polarität von „schöner Seele" und „Reich Gottes" bezogen. So aber diene die Unterscheidung mehr dazu, „das Verhältnis von Christentum und hellenischem Polytheismus zu bestimmen" als zum ebenfalls monotheistischen Islam. „Die Identifikation der ästhetischen Frömmigkeit auf der Stufe des Monotheismus mit dem durch Fatalismus gekennzeichneten Islam ist weniger deutlich. Es ist nicht sofort einsichtig, wie dieses Merkmal mit der Schönheit der Seele zusammenstimmt."
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onen erfaßbar geworden. Denn diese sind außer durch Stufe und Art nicht durch zufällig angeeignetes positives Sondergut voneinander unterschieden, sondern, jedenfalls auf der höchsten Stufe, durchgängig durch die Weise geprägt, in der sich die (teleologisch oder ästhetisch ausgerichteten) monotheistischen Momente zu einer in sich durchgebildeten Ganzheit organisieren. Indem die Einleitung die allgemeinen Kategorien durch Prinzipien des Besonderen ergänzt, macht sie deutlich, daß sie nicht meint, das Wesen geschichtlicher Religionsgemeinschaften aus dem Begriff der Frömmigkeit deduzieren zu können: Stufe und Art sind nur „Mittelglieder)" (§ 16,3.1,57) zur Wesensbestimmung und selbst durch das Prinzip der Differenz geprägt. Zwei Merkmale konstituieren die nicht absehbare Eigenart einer Religion: der eigene geschichtliche Anfang und ein inneres Prinzip der Individuierung des (für die betreffende Stufe und Art) gemeinsamen Stoffs der Frömmigkeit. Jedoch reicht die erste äußere Differenz der durch Raum, Zeit und Stifter bestimmten Gründung nicht aus, um für die bleibende Unterschiedenheit und fortschreitende Ausdifferenzierung einer Religion aufzukommen. Der innere Grund der Besonderheit aber muß, da er das Gottesbewußtsein betrifft, im unmittelbaren Selbstbewußtsein liegen. Dieses individuelle Wesensgesetz ist für Schleiermacher in einer grundlegenden „Beziehung" beschlossen, die „eine solch überwiegende Stellung" hat, „daß alle anderen (frommen Erregungen) dieser untergeordnet sind, und sie allen ihre Farbe und ihren Ton mittheilt" (§ 17,3.1,60). Aus diesem Ansatz zur Erfassung der geschichtlichen Religionen folgt auch der Maßstab ihrer Vollkommenheit. Sie stellen nicht nur die Realisierung des allgemeinen Gottesbewußtseins in bestimmter Art und Stufe, sondern seine (durch einen hinzukommenden unvorhersehbaren Faktor insgesamt anders bestimmten) Konkretionen dar. Deshalb gilt, was Schleiermacher eingangs in seiner Beschreibung des Verfahrens zur Wesensbestimmung des Christentums angekündigt hatte: Wie „das geschichtlich gegebene sich in diese (Theilung des all-
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Wesensbestimmung des Christentums
gemeinen Begriffes) einfügt, das kann nur gefunden werden" (§ 6,3. 1,21). Indem jede historische Religion „alles das (hat), was d(ie) andere, aber alles anders" (§ 17,3.1,60), ist jede einheitlich und individuell, unerschöpflich, doch bestimmbar - ein irreduzibel besonderes, dem Verstehen jedoch zugängliches konkretes Allgemeines. Dementsprechend besteht das Maß ihrer Vollkommenheit nicht nur darin, die höchste Stufe und die jeweilige Art am reinsten und entschiedensten zu realisieren und so nur das im Begriff des Monotheismus Gesetzte zu erfüllen, sondern im Grad der Durchdringung von äußerer und innerer Einheit (vgl. § 17,1. 1,58), von Ursprung und Inhalt zu einem singulären Wesen.
b) Die Wesensformel: Das Bewußtsein der Erlösung durch Jesus von Nazaret
Wenn somit das Christentum wie jede bestimmte Religion als ein schlechthin Besonderes angesetzt ist, wo liegt dann der Schlüssel zu seiner (die monotheistische Stufe und teleologische Ausrichtung prägenden) Grundbeziehung? Wie kommt Schleiermacher zu seiner Wesensformel (1), und wie legt er sie aus (2)?
(1) Der Ermittlungsgang Schleiermachers Versuch setzt mit dem wesensentscheidenden Merkmal ein, das zweifelsfrei feststeht: der äußeren Einheit, die mit der geschichtlichen Person Jesu von Nazaret beginnt und sich in der von ihr ausgehenden Tradition fortsetzt. In der Beobachtung, daß das Christentum ein anderes Verhältnis zu seinem Stifter besitzt als Judentum und Islam zu den ihren, erkennt er sodann den Schlüssel zu dessen
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innerer Besonderheit: Das Christentum bezeichnet die geschichtliche Leistung Jesu nämlich nicht nur als Stiftung, sondern als „vollendete Erlösung" (§ 18,1. 1,61). Damit scheint die Ermittlung schon am Ziel zu sein: Das gesuchte Hauptmoment, das „allem christlichen seine eigenthümliche Farbe und Ton giebt", ist das „Bezogenwerden aller religiösen Erregungen auf die Erlösung". Da die Erlösung unmittelbar mit dem Stifter selbst identifiziert wird, ist er der einzige, von dem gesagt werden kann, daß in seiner Person äußeres und inneres Unterscheidungsmerkmal ineinander aufgehen: Daß „die Erlösung selbst in die Person Jesu gesezt wird, ist das vollständige Band zwischen der innern und äußern abschließenden Einheit des Christenthums" (§ 18 LS, Anm. 1,61). Dieses Ergebnis bedarf, so die Argumentation der ersten Auflage, jedoch noch der Bestätigung. So setzt die Untersuchung der inneren Einheit „von einem andern Punkt aus" (§ 18,2.1,63) erneut ein. Vom Boden der christlichen Lehre zu beginnen, um den gemeinsamen Nenner für die vielfältigen christlichen Gemütszustände zu finden, erweist sich jedoch deshalb als schwierig, weil die Lehren, in denen sie erscheinen, nicht nur voneinander abweichen, sondern auch in ihrer Zugehörigkeit zum Christentum selbst umstritten sind. Deshalb kommt es auf den „Ort" der Untersuchung an: „Denn wenn wir von solchen mannigfaltigen Bestimmungen desselben Gefühls und derselben Lehre eine herausgreifen um an ihr das Wesen des christlichen kennen zu lernen, die andern aber übersehen oder gar verwerfen: so würden wir die Streitigkeiten, die wir noch gar keinen Grund haben zu entscheiden, im voraus als entschieden annehmen; und würden nicht ohne Schein beschuldigt werden, partheiisch zu sein... Hätten wir aber gar keine solche Vorliebe: so könnten wir eben so gut auch das wirklich unchristliche greifen statt des christlichen und könnten durch einen solchen Irrweg unser ganzes Unternehmen verderben" (I, 63f.). Was Schleiermacher andeutet, wenn er das Dilemma beschreibt, das sich bei der Auszeichnung einer Lehre als wesentlich zwischen
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innerem und äußerem Standpunkt ergibt, ist das Problem des hermeneutischen Zirkels: In ihn gerät jeder Versuch der Bestimmung des Begriffs eines geschichtlich Gegebenen, dessen Umfang zugleich unbekannt bzw. „nach verschiedenen Seiten sehr streitig" (§ 18,2.1,63) ist. Das innere Spezifikum des Christentums zu benennen, verlangt, zugleich empirisch und doch auch kritisch den Standpunkt in und über ihm zu beziehen: in ihm, um den Bestand, den die gesuchte Formel abdecken soll, aufzunehmen; über ihm, um den Umfang des in Frage kommenden Materials abgrenzen zu können, wozu aber schon die Formel gebraucht wird. Angesichts der Unvermeidlichkeit des hermeneutischen Zirkels zwischen der empirischen und der kritischen Perspektive auf das Wesen kehrt Schleiermacher zum ersten Ergebnis zurück und bestimmt die besondere Funktion Jesu zu seinem Mittelpunkt. Sofern „schon an sich und voraus wahrscheinlich ist, daß dasjenige, was dem Stifter des Christenthums ausschließlich zukommt, das Band der äußeren und inneren Einheit, nicht im unsichern Umkreise liege, sondern vielmehr den Mittelpunkt treffe" (1,64), kann er das Wesen des Christentums nunmehr in die Formel fassen: „Das Christenthum ist eine eigenthümliche Gestaltung der Frömmigkeit in ihrer teleologischen Richtung, welche Gestaltung sich dadurch von allen andern unterscheidet, daß alles einzelne in ihr bezogen wird auf das Bewußtsein der Erlösung durch die Person Jesu von Nazareth" (§ 18 LS. 1,61). Das dogmatische Prinzip der Glaubenslehre, das die Einleitung hiermit vorschlägt, kann für sich in Anspruch nehmen, „durch die allgemeine Stimme der christlichen Kirche" (§ 18,3.1,64) bezeugt zu sein. Normativ für die Gestaltung christlicher Dogmatik ist somit das Erlösungszeugnis des christlichen Glaubens. Mit der Wesensformel selbst aber ist noch nicht viel entschieden; ausschlaggebend ist, wie Schleiermacher den maßgeblichen Begriff, „Erlösung", inhaltlich bestimmt. § 18,3 erläutert zunächst seine allgemein-religiöse, sodann seine spezifisch christliche Bedeutung; aus ihr zieht § 18,4 die Konsequenzen für die Auffassung der Person Jesu und für die Stellung des
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Christentums unter den Religionen. Der Schlußabschnitt reflektiert, inwiefern es zur durchgeführten „geschichtliche(n) Betrachtung" (§ 18,5.1,68) eine methodische Alternative gegeben hätte: die religionsphilosophische Konstruktion.
(2) Die Explikation des Erlösungsbegriffs Als allgemeinen Sinn von „Erlösung" gibt Schleiermacher an, daß „eine Hemmung des Lebens aufgehoben und ein besserer Zustand herbeigeführt werden soll" (§ 18,3.1,64). Die angezeigte „Hemmung" bezieht er im Kontext des teleologischen Monotheismus auf die Einigung von sinnlichem und höherem Selbstbewußtsein und erörtert sie sodann auf dem Hintergrund seiner bisherigen Ausführungen zur menschlichen Wesensmöglichkeit der Frömmigkeit: Die im Erlösungsbegriff implizierte „Hemmung" kann keine „gänzliche Unfähigkeit" (1,65) der Aktualisierbarkeit des Gottesbewußtseins sein, da dies die völlige „Umschaffung" des Subjekts erfordern und das Bewußtsein von seiner Erlösungsbedürftigkeit ausschließen würde. Deshalb beschreibt er sie als „nicht vorhandene Leichtigkeit in der Erhebung des sinnlichen Selbstbewußtseins zum frommen" und bestimmt sie als den „(beziehungsweise(n) Gegensaz) zwischen dem Fürsichgeseztsein des Menschen - im sinnlichen Selbstbewußtsein - und dem Mitgeseztsein Gottes in ihm - in seinem frommen" (a.a.O.). Erlösung im allgemein teleologisch-monotheistischen Sinn ist die Aufhebung dieses Gegensatzes. Was nun die christliche Verwendung des Begriffs betrifft, so ist deren Besonderheit, daß sie ihn allein auf den Stifter beschränkt: Erlösung gilt im Christentum als die „unmittelbar(e) und persönlich(e)" Tätigkeit Jesu. Diese Differenz, ob einer allein oder alle untereinander die Erlösung bewirken, stellt Schleiermacher als nicht nur zahlenmäßige, sondern prinzipielle heraus: Während durch gegenseitige Förderung der Gegensatz zwischen dem für sich seienden und dem hö-
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heren Selbstbewußtsein wohl anzugleichen, aber nicht aufzuheben sei, werde er durch die Person Jesu ein für allemal überwunden. Daraus zieht die erste Auflage inhaltliche Rückschlüsse auf das Selbstbewußtsein Jesu: Wer die Hemmung des Gottesbewußtseins für alle aufhebt, also den im Begriff der Erlösung gesetzten Gegensatz grundlegend versöhnt, muß selbst von diesem Zwiespalt frei und somit der einzige nicht erlösungsbedürftige Mensch sein. Dann aber müssen sein sinnliches Selbst- und sein Gottesbewußtsein nicht nur ohne Spannung zueinander, sondern „völlig dasselbe" sein: Denn, so die Begründung, „wo noch Verschiedenheit ist, da ist auch noch gegenseitige Hemmung". Somit gilt für die Person Jesu, daß sie die Erscheinung einer „schlechthin vollendeten Frömmigkeit" (§ 18,4.1,66) ist. Diese (als Implikat des Erlösungszeugnisses entwickelten) Aussagen über das innere Wesen Jesu entfaltet § 18,4 weiter bezüglich dessen Stellung in der Religions- und Menschheitsgeschichte. Indem die Person Jesu den Umschlag von der universalen Erlösungsbedürftigkeit zur tatsächlichen Erlösung bringt, ist sie der „Wendepunkt... für das ganze menschliche Geschlecht" (1,67). Das Christentum ist dementsprechend die vollkommenste Religion und das endgültige Ziel der übrigen in ihrem Gottesbezug noch erlösungsbedürftigen Religionen. Zusammengefaßt läßt sich die in der Analyse von § 18 erhobene Funktion Jesu folgendermaßen charakterisieren: Die Bestimmung des Christentums ist eindeutig christologisch orientiert. Indem äußeres und inneres Merkmal in ihm zusammenfallen, der geschichtliche Stifter also das Prinzip der inneren Differenz verkörpert und das Prinzip der äußeren Einheit restlos in dem der inneren aufgeht, ist er schlechthin wesensentscheidend: Er stellt den Einzelfaktor dar, von dem schlechterdings nicht abstrahiert werden kann. Der originär mit ihm in die Welt getretene Wesensinhalt wird als „Erlösung" eingeführt und so erläutert, daß er der Bedeutung Jesu Rechnung trägt, als Erlöser aller der erlösungsbedürftigen Menschheit gegenübergestellt zu sein.
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Diese Bestimmungen gelangen in den folgenden Paragraphen, die die eigentlichen, nämlich wesensaufhebenden Häresien aufstellen und das Verhältnis der göttlichen Offenbarung zum Wesen des Menschen erörtern, zur Ausführung. Ich möchte sie in zwei Hinsichten verfolgen: — Die völlige Durchdringung von geschichtlichem Anfang und Inhalt des Christentums in der Person des Stifters zeigt, daß der Ansatz für die Erfassung des Historischen im Fall des Christentums in einer Weise durchgeführt ist, wie sie konkreter, unableitbarer nicht gedacht werden kann: Das innere Spezifikum des Christentums ist von der Person des Stifters nicht ablösbar; sofern es erst mit ihm in die Welt getreten ist, ist es so wenig deduzierbar wie die Tatsache seines geschichtlichen Erscheinens. Wie löst die weitere inhaltliche Bestimmung der Implikate des Erlösungsbegriffs die wesentliche Gebundenheit dieses Inhalts an die Person Jesu ein? Von den Aussagen, die Schleiermacher hier trifft, hängt es ab, ob das Historische, der geschichtliche Erlöser, tatsächlich die bleibende Geltung bekommt, die der christliche Glaube ihm nach Schleiermacher zuschreibt. — Um diese Frage beantworten zu können, ist es nötig, zunächst die innere Struktur des Erlösungsbewußtseins selbst zu beleuchten. Seine beiden Pole sind zum einen die Erlösungsbedürftigkeit, die als relativer Gegensatz zwischen dem „Fürsichgesetztsein des Menschen" und dem „Mitgesetztsein Gottes" erklärt wurde, zum anderen das Bewußtsein von dieser Bedürftigkeit, das die Hemmung von einer „gänzlichen Unfähigkeit" (vgl. § 18,3. 1,65) unterscheidet. Welches Verhältnis zwischen beiden Anteilen tritt in den folgenden Erörterungen der Beziehung von Anthropologie und Christologie zutage?
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c) Die Abgrenzung von Anthropologie und Christologie
Mit der Wesensformel steht nunmehr eine Richtlinie zur Abgrenzung des umstrittenen Umfangs des Christentums zur Verfügung: Aus ihr lassen sich unmittelbar Grundtypen seiner Verfehlung konstruieren. Als Umschlagpunkte vom Christlichen ins Häretische kommen analytisch nur die beiden Pole in Frage, zwischen denen sich das Erlösungsgeschehen abspielt, nämlich die Bestimmungen der Person Jesu und der zu erlösenden Menschen (1). Ihre Zuordnung schlägt sich sodann im Gefüge von Natur und Offenbarung nieder, das die §§ 19,20 ausarbeiten (2).
(1) Die natürlichen Häresien Weis die Einleitung bezüglich der Grenzen des Christlichen ausführt, ist eine Konstruktion möglicher Häresien. Sie kann und will keinen Durchgang durch die im Lauf der Lehrtradition aufgetretenen als häretisch verurteilten Lehren geben, sondern im Voraus zu allen tatsächlichen Lehrentscheidungen angeben, wie der Bereich des Christlichen überschritten werden kann und wann dies der Fall ist. Nach Schleiermacher geschieht dies immer dann, wenn die im Begriff der Erlösung implizierten Momente in ein Verhältnis gesetzt werden, das ihren Vollzug undenkbar macht. Alle eigentlichen, das Zentrum des christlichen Glaubens betreffenden Häresien entstehen demnach aus einer Verzerrung des Gleichgewichts der zu vereinbarenden Momente: von Erlösungsbedürftigkeit und -fähigkeit bei den anthropologischen, von Differenz und Identität Jesu mit den zu Erlösenden bei den christologischen Bestimmungen. Weil sie sich aus dem Begriff der Erlösung ergeben, indem sie jeweils eines der komplementären Momente einseitig akzentuieren, bezeichnet Schleiermacher sie als
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„natürliche Kezereien" (§ 25.1,93-98). Wenn er sie mit den Namen geschichtlich aufgetretener Bewegungen versieht, dann nicht im Interesse des Faktischen, sondern des Typischen, das sie wiedergeben143. Wenn in den anthropologischen Bestimmungen die Erlösungsbedürftigkeit auf Kosten der Erlösungsfähigkeit so überbetont wird, daß erst eine ,,gänzliche() Umschaffung" (§ 25,3.1,94) zu einem neuen Subjekt gefordert wäre, spricht Schleiermacher von „Manichäismus". Die andere Möglichkeit der Aufhebung des Erlösungsbegriffs besteht darin, den anderen Pol, die Erlösungsfähigkeit des Menschen, zu verabsolutieren: Dann realisiert sich Erlösung durch die wechselseitige Aufrichtung und Bestärkung der Erlösungsbedürftigen und ersetzt die Aufhebung des Gegensatzes durch sein Abschleifen. Diese Irrlehre, die auf die eigene Kraft der menschlichen Natur baut und Erlösung überflüssig macht, qualifiziert Schleiermacher als „Pelagianismus". Entsprechend konstruiert er die christologischen Verzerrungen: Den Anteil Jesu an der menschlichen Natur zu bestreiten, macht Erlösung unmöglich, weil es die Möglichkeit der „Aufhebung des Widerstreites in uns", die „in der Gleichheit mit ihm gefunden werden" muß, zerstört. Dem Streben nach „allmählige(r) Annäherung an ihn" (I, 94f.) wäre der gemeinsame Boden entzogen. Das Gegenstück zu sol-
143 Ygj £ Beckmann, Der Begriff der Häresie bei Schleiermacher, München 1959: „Es gehört zur vollen Überzeugungskraft der Konstruktion, daß sich alles Häretische, also alles Fremdartige, was dennoch Anspruch auf Christlichkeit erhebt, nun auch wirklich in das Schema einordnen lassen muß. Eine solche umfassende Einordnung muß aber an der zugrundeliegenden Wesensbestimmung des Christentums ausgerichtet sein, um dann in der Wechselbeziehung zwischen Konstruktion und Empirie die Konstruktion erhärten zu können" (15). „Es handelt sich bei den vier genannten Häresien um ideal-typologische Begriffe, die Schleiermacher zur Sachbezeichnung herangezogen und in gewissem Sinne umgedeutet hat. Sie sollen als Typen nur formal gelten. Das Positive einer solchen Geschichtsschau... ist... ihre inhaltliche Fülle und systematische Brauchbarkeit... Schleiermacher greift nur aus der Geschichte vier Typen heraus, die er nun so bestimmt, daß sie zusammengenommen für jeden geschichtlichen Fall echter Häresie gelten sollen" (85f.).
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c h e m „Doketismus" bildet die „nazoräische" o d e r „ebionitische" H ä r e -
sie, die den „eigenthümlichen Vorzug" Jesu seiner wesentlichen Gleichheit mit der menschlichen Natur so sehr unterordnet, daß in ihm „dieselbe Differenz zwischen dem sinnlichen und dem höheren Selbstbewußtsein wie in Allen" (§ 25,4. 1,95) herrscht und er selbst der Erlösung bedarf. So wird zugleich deutlich, daß ein Zusammenhang zwischen den Tendenzen der anthropologischen und christologischen Häresien besteht: Die„pelagianische" Verzerrung zieht die „ebionitische" nach sich; eine „manichäische" Anthropologie des Urbösen läßt es nicht zu, einen Anteil des Erlösers am so gearteten Menschenwesen zu konzipieren und verfällt in „Doketismus". Nachdem die Wesensbestimmung durch die Kennzeichnung der Extreme an Randschärfe gewonnen hat, ist ein erstes Resümee des Verhältnisses von Christologie und Anthropologie nach den §§18 und 24 möglich. Obwohl die erste Auflage in ihrer Erläuterung der häretischen Grundtypen kaum über das schon in der Wesensbestimmung Erklärte hinausgeht, so sind doch die Grenzlinien nunmehr gezogen: Erlösung wird als die vollständige Überwindung des Gegensatzes von sinnlichem und frommem Selbstbewußtsein explizit von einer nur graduellen Aufwärtsentwicklung der Frömmigkeit abgehoben. Zu einem solchen Neuanfang, der das Kapitel der Erlösungsbedürftigkeit in der Menschheitsgeschichte definitiv abschließt, ist die Menschheit aus eigenen Kräften nicht fähig und deshalb auf einen „eigentliche(n) Anfangspunkt" in Gestalt eines ihr gegenübertretenden „absoluten" Erlösers (§ 25,4.1,94) angewiesen. Den Gegensatz für alle grundsätzlich versöhnt zu haben, macht den uneinholbaren Vorrang Jesu aus. Andererseits wird zugleich die Erlösungsfähigkeit des Menschen systematisch in Anspruch genommen. Wenn Erlösung keine „Umschaffung" sein soll, dann muß in beiden Epochen etwas Identisches im menschlichen Wesen gewahrt bleiben. Weiteren Aufschluß in dieser Hinsicht bietet Schleiermachers Stellungnahme zur Kennzeichnung der Mitteilung Gottes als „Offenbarung".
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(2) Natur, Vernunft und Offenbarung Mit einer Neubestimmung dessen, worin das „Übernatürliche" und das „Übervernünftige" an der göttlichen Offenbarung in der Person Jesu bestehen, gibt Schleiermacher die bisher differenzierteste Auskunft über Gipfel und Grenzen des menschlichen Wesens in der Realisierung seines Gottesbezugs. Zunächst gliedert er die Begriffe des geschichtlich Positiven und der Offenbarung in seine Rekonstruktion der geschichtlichen Religionen ein, indem er sie an die beiden individualitätsbestimmenden Faktoren anschließt: Das „Positive" einer Religion bezeichnet das generierende Prinzip der inneren Besonderheit; da somit nicht einzelne Gehalte, sondern jede geschichtliche Religion als solche „positiv" ist, ist der bisherige Gegenbegriff, das von der Aufklärung sogenannte „Natürliche", ortlos geworden. Es kann sich lediglich auf das Allgemeine beziehen, das durch Absehen von der jeweiligen durchgängigen Bestimmtheit einer Religion gewonnen wurde, ein Abstraktionsprodukt, dem in der Wirklichkeit keine bestimmte Religionsgemeinschaft entspricht. Diese begriffliche Klarstellung zeigt erneut, wie sehr Schleiermacher am schlechthin individuellen Wesen der geschichtlichen Religionen gelegen ist. Für seine Erläuterung des Wesens der christlichen Frömmigkeit ist nun aber entscheidend, wie er den Begriff der Offenbarung expliziert. Für diesen bleibt das erste wesensentscheidende Merkmal übrig: Schleiermacher bezieht ihn auf „die ursprüngliche Entstehung des wesentlichen der frommen Gemeinschaft" (§ 19,2. 1,73), nämlich darauf, wie er präzisiert, daß diese Gemeinschaft „in ihrem ersten Ursprung aus der natürlichen Entwiklung durch die gegenseitige Einwirkung der Menschen auf einander nicht begriffen werden kann" (§ 19,3.1,76). Damit scheint der Begriff, obwohl zunächst nur negativ bestimmt, doch zumindest ein pelagianisches Abgleiten des Erlösungsverständnisses auszuschließen. Zu seiner positiven Bestimmung entwickelt Schleier-
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macher ausgefeilte Unterscheidungen im Natur- und Vernunftkonzept, mittels derer er das Göttliche an dieser Entstehung mit dem Beitrag der gleichfalls beteiligten Entwicklungskraft der Menschheit zu vermitteln sucht. Seine These, daß die Offenbarung nur als relativ übernatürlich anzusehen ist, begründet Schleiermacher mit folgendem Begriff der menschlichen Natur: Daß der Inhalt der Offenbarung nicht aus dem unmittelbaren geschichtlichen Kontext, in dem sie erscheint, zu erklären ist, heißt nicht, daß er nicht auf die „Entwicklungskraft der menschlichen Natur" überhaupt (vgl. § 20,1.1,78) zurückgehen könnte. Diese auf einen gegebenen Zustand zu fixieren, hieße das ignorieren, was sie wesentlich ausmacht: ihre Produktivität, mit der sie den jeweils erreichten Stand überschreitet. Exemplarisch wird sie in denjenigen Existenzen sichtbar, die aufgrund der Neuentwicklungen, die sie in verschiedenen geistigen Gebieten einleiten, als „Heroen" und „ausgezeichnete Förderer" der Menschheit gelten. Die „Idee von einer menschlichen Natur" ist also erst hinreichend eifaßt, wenn man solche Entwicklungssprünge einbezieht. Als - auf den gegenwärtigen Stand bezogen - relativ übernatürliche Erscheinungen sind sie offenbarungsanalog: Aufbrüche, die von ihrem geschichtlichen Kontext zwar bedingt, aber nicht die Fortschreibung eines schon erreichten Niveaus, sondern der Beginn einer neuen Entwicklungsreihe sind. Sie entstehen ursprünglich, außer der Reihe geschichtlich aufzeigbarer Tendenzen und somit, sucht man einen Grund für sie, „auf eine unmittelbare Weise aus dem allgemeinen Lebensquell" (a.a.O.). Nach diesen Ausführungen zur genuin menschlichen Fähigkeit zur Selbsttranszendierung kommt es nun darauf an, das Besondere der Offenbarung in der Person Jesu festzustellen. Schleiermacher sieht es zum einen darin begründet, daß sie den Fortschritt des Gottesbewußtseins betrifft, also ein Gebiet, „wo Productivität nicht das ursprüngliche ist" (Marg. 313, S. 63); zum anderen im Anspruch christlicher Offenbarung, nicht auf Kulturkreise und Zeitalter beschränkt, sondern dazu bestimmt zu sein, „das ganze menschliche Geschlecht
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zu erleuchten" (1,78). Dennoch besteht Schleiermacher darauf, sie auch in ihrer deutlichsten Auszeichnung als „Menschwerdung des Sohnes Gottes" (1,79) als Äußerung der ursprünglichen Fähigkeit menschlicher Freiheit zu Neuanfängen verstehen zu können: So „gewiß als Christus ein Mensch war", komme der Natur des Menschen die Aufnahmefähigkeit für das Göttliche zu. Selbst daran, daß aus der bloßen Möglichkeit die Wirklichkeit des Erlösers wird, sind Schleiermacher zufolge beide beteiligt, die vorzeitliche Initiative Gottes und die geistige Natur des Menschen, die in dieser Tat eben ihre äußerste Realisierung erreicht: Wenn „in der menschlichen Natur nur die Möglichkeit liegt, das göttliche so aufzunehmen, die wirkliche Einpflanzung desselben aber ein göttlicher also ewiger Akt sein muß", so muß „dennoch das zeitliche Hervortreten desselben in einer bestimmten einzelnen Person zugleich als eine in der ursprünglichen dem göttlichen Rathschluß gemäßen Einrichtung der menschlichen Natur begründete und durch alles frühere vorbereitete That derselben, und als höchste Entwicklung ihrer geistigen Kraft... angesehen werden, wenn auch uns selbst diese tiefsten Geheimnisse des inneren allgemeinen geistigen Lebens niemals aufgedekt werden". Seine Neubestimmung von Offenbarung als Äußerung menschlicher Entwicklungskraft begründet Schleiermacher theologisch, nämlich durch den ewigen „göttlichen Rathschluß", die menschliche Natur von vornherein mit diesem Vermögen auszustatten. Denen, die meinen, auf einem „schlechthin übernatürliche(n)" insistieren zu müssen, also darauf, daß die Fähigkeit, „das wiederherstellende göttliche in sich aufzunehmen", erst in die menschliche Natur „hineingeschaffen werden (müsse)", wirft er vor, Widersprüche im Gottesgedanken selbst in Kauf zu nehmen: zum einen, daß Schöpfungs- und Erlösungsratschluß auseinanderfallen und sich sogar widersprechen; zum anderen, daß ein besonderer Ratschluß Gottes, „grade in Jesu und in keinem andern das wiederherstellende göttliche zur Erscheinung" zu bringen, einen Akt „göttlicher Willkühr" darstellte. Beides vermeidet seine Konzeption, indem sie Offenbarung als eine (in ei-
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nem allgemeinen Entschluß Gottes zum Menschen) von Ewigkeit her vorgesehene und zu einem Termin, „als die Zeit erfüllt war" (a.a.O.), durch Jesus realisierte eigene Tat der menschlichen Natur begreift. Nach dem Entwurf der Glaubenslehre greifen demnach in der Erscheinung des Erlösers göttliche und menschliche Kausalität wie folgt ineinander: Der menschlichen Natur wird grundsätzlich die Aufnahmefähigkeit für das Göttliche zuerkannt und der Zeitpunkt seiner Aktualisierung ihrer Entwicklungsdynamik zugeschrieben. Sie ist die Trägerin der Kontinuität im (aus Schöpfung und Erlösung bestehenden) Heilsgeschehen. Für die wirkliche „Einpflanzung" des Göttlichen in sie ist jedoch ein vorzeitlicher Akt Gottes erforderlich: ohne diesen gäbe es nichts, was sie zeitlich zur Erscheinung bringen könnte. Zur vollständigen Bestimmung des Offenbarungsbegriffs fehlt noch ihre Zuordnung zur Vernunft. Die Ursprungsfassung bezieht das Übervernünftige der Offenbarung auf das Verhältnis der dogmatischen Lehren zum christlichen Selbstbewußtsein, dessen Inhalt sie darstellen sollen. Sie sind übervernünftig, sofern sie das, was sie im Medium des Allgemeinen, in vernunftgeleiteter Rede, wiedelgeben, nicht selbst erzeugt, sondern vorgefunden haben: eine „rein innere Erfahrung" (§ 20,2. 1,80). Diese unterscheidet sich von anderen Erfahrungen durch die Art ihrer Aneignung, die auf persönlicher Beteiligung beruht: Denn im Gegensatz zur „bloß logischen Richtung (der Naturforschung)", der „das individuelle das zufällige (wird)" (Marg. 373, S. 71f.) geht es hier um ein „einzelnes und eigenthümliches", das nicht „mit der Vernunft begriffen, sondern nur durch die Liebe aufgefaßt werden kann" (§ 20,2. 1,80). „In diesem Sinn", sofern es also nicht dem Wesen der Vernunft, sondern einer als „Anschauen wollen" definierten Liebe (Marg. 373, S. 71) entspricht, auf ein Individuelles eingehen zu wollen, „ist die ganze christliche Lehre in jedem nicht durch die Vernunft" (§ 20,2.1,80). „Übervernünftig" sind die christlichen Lehren demnach aus dem Grund, daß sie aus solch engagierter Erfahrung hervorgehen. In wel-
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cher Weise die Empfänglichkeit der Gläubigen an ihr mitbeteiligt ist, formuliert die Vorlesung deutlichen „Christus, das Christenthum ist offenbar etwas erfahrungsmäßiges; der Eindruk gerade ist es, der den Begriff producirt, nicht das Gegebensein der Person allein, sondern das einer Erfahrung, d.i. Receptibilitaet in höchster Potenz. Daß ursprünglich die Offenbarung in Christo durch solch innere Erfahrung aufgefaßt ist, ist klar, indem die Jünger sagten, wir haben den Messias gefunden, Das Bedürfnis war, es fand die Befriedigung und das ist die Erfahrung, uns [!] so bei allen Christen" (Marg. 372, NH 77, S. 71). Die ursprüngliche Abgrenzung von Offenbarung und Vernunft zielt somit darauf, die Rolle der Vernunft auf den beschreibenden Nachvollzug des Erfahrenen zu beschränken und damit klarzustellen, daß die christlichen Lehrsätze ihre Entstehung nicht der „Ableitung oder Zusammensezung aus allgemein anerkannten und mittheilbaren Säzen" durch die Vernunft verdanken. Daß diese Wiedergabe gelingt, ist allerdings der Test, ob die Dogmatik ihrer Aufgabe gerecht wird, die Erregungen des unmittelbaren Selbstbewußtseins in Gedanken zu fassen. Die Zutat der Vernunft, die dazu gehört, entfaltet oder problematisiert Schleiermacher nicht weiter. Daß dennoch die Vernunft dem zu vermittelnden christlichen Gehalt nicht fremd gegenübersteht, erhellt aus der knappen Begründung, mit der er die Auffassung des Übervernünftigen als „widervernünftig" abweist: „weil das (betrachtete) Selbstbewußtsein und das gegenständliche Bewußtsein d.h., die Gesammtheit alles Vernünftigen rein ineinander aufgehn" (1,81).
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2. Die Korrekturen der zweiten Auflage
Die Eingriffe in die Ursprungsfassung betreffen zum einen den hermeneutischen Gang und den Geltungsbereich der Wesensbestimmung selbst (a), zum anderen grundlegende, für die Ausarbeitung der dogmatischen Anthropologie und Christologie folgenreiche Bestimmungen: die Bewertung des sinnlichen Selbstbewußtseins im Verhältnis zum höheren (b) und die Frage der apriorischen Konstruierbarkeit von Erlösung als möglicher Hauptbeziehung einer Religion (c). Daß Schleiermacher hier Änderungen vornimmt, ist nach F.C. Baurs Vorwurf, die Glaubenslehre konstruiere aus dem frommen Selbstbewußtsein einen „idealen" Erlöser, der dem geschichtlichen den Rang ablaufe, nicht erstaunlich.
a) Zum hermeneutischen Verfahren
Den Übergang in eine neue Disziplin und Methode zeigt die zweite Auflage schon durch den Titel an, unter den sie die 2 §§ 11-14 setzt: Nachdem die „Lehnsätze aus der Religionsphilosophie" das Raster zur Ortsangabe der verschiedenen Religionen entwickelt haben, sollen nunmehr die „Lehnsätze aus der Apologetik" die „Darstellung des Christentums seinem eigentümlichen Wesen nach" (2I,74) leisten. Nach dem Begriff von Apologetik, den Schleiermachers Enzyklopädie aufstellt, ergibt sich damit die Zielsetzung, nach der allgemeinen Einordnung des Christentums nunmehr seine „innere Gültigkeit auch äußerlich geltend zu machen" (KD § 14; ed. Scholz 17) bzw., wie ihre zweite Auflage formuliert, die „Überzeugung von der Wahrheit" der christlichen Glaubensweise „durch Mitteilung zur Anerkenntnis zu
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bringen" (KD 2 § 39; ed. Scholz 16). Da die Glaubenslehre selbst die damit angezeigte Aufgabe nicht weiter ausführt, sondern auf die Kurze Darstellung verweist ( 2 § 2.1,10f.), möchte ich das Nötige aus ihr entwickeln. Nach den Bestimmungen der Enzyklopädie nimmt die Apologetik ihren Standpunkt im Christentum und rechtfertigt seinen besonderen Inhalt als einen, der von der Vernunft anerkannt werden kann. Eben dies leistet die Wesensbestimmung, indem sie das unableitbar Spezifische des Christentums in eine „Formel" faßt und „mit Beziehung auf das Eigentümliche anderer frommen [!] Gemeinschaften unter jenen Begriff (des Positiven) subsumiert" (KD 2 § 44; ed. Scholz 19) 144 . Der methodische Unterschied zur Wesensbestimmung der Frömmigkeit überhaupt besteht also darin, daß dieses in einer Reflexion der menschlichen Subjektivität auf sich selbst, mithin subjekttheoretisch, zu erschließen war. Das Wesen einer geschichtlichen Individualität hingegen ist nur in einem zwischen allgemeinem Begriff und geschichtlichem Bestand vermittelnden „kritische(n) Verfahren" (a.a.O.) zu bestimmen: „durch Gegeneinanderhalten dessen, was im Christentum geschichtlich gegeben ist, und der Gegensätze, vermöge deren fromme Gemeinschaften können voneinander verschieden sein" (KD 2 § 32; ed. Scholz 13). Das Verfahren des kritischen „Gegeneinanderhaltens" bewegt sich somit im hermeneutischen Zirkel von begrifflicher Inhalts- und empirischer Umfangsbestimmung, der auch der ersten Auflage schon bewußt war: Einerseits muß der Begriff dem
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In seiner Vorlesung über Theologische Enzyklopädie erklärt Schleiermacher zu 2 § 44 der KD, wieso er gerade im geschichtlichen Bereich von „Formel" redet: „Der Ausdruck Formel hat ursprünglich seinen Siz in der Mathematik. Der Ausdruck Definition war hier zu erwarten Aber das Individuelle kann nicht definirt werden, und es ist nur ein Schein, wenn man einen Saz, der das Individuelle darstellen soll, eine Definition nennt, er kann nur ein Allgemeines geben, kein Individuelles. Wenn man nun aber doch diese Erklärung überall mitdenken soll, wo vom Christenthum die Rede ist, so ist eben der Ausdruck Formel das Zweckmäßigste, weil er dasselbe besagt" (F. Schleiermacher, Enzyklopädie (1831/32), 50).
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historisch Gegebenen, das die nicht konstruierbare Konkretion des allgemeinen Wesens der Religion darstellt, Rechnung tragen; andererseits bleibt er als Begriff eines Empirischen dennoch Begriff, eine am Historischen zu verifizierende, aber im voraus gebildete Leitkategorie. Angesichts dieser Problemlage setzt die zweite Auflage sogleich beim geschichtlichen Zeugnis der christlichen Kirche ein, die ihr Wesen im „Grundbegriff" Erlösung ( 2 § 11,2, Anm. (Th). 1,76) zusammenfaßt. Die neue Formel lautet: „Das Christentum ist eine der teleologischen Richtung der Frömmigkeit angehörige monotheistische Glaubensweise, und unterscheidet sich von andern solchen wesentlich dadurch, daß alles in derselben bezogen wird auf die durch Jesum von Nazareth vollbrachte Erlösung" ( 2 § 11 LS. 1,74). Den (an den Spaltungen der christlichen Lehrtradition scheiternden) Versuch der ersten Auflage, in einem zweiten Zugang zu prüfen, ob die innere Einheit unabhängig von der äußeren zu erfassen sei (§ 18,2), wiederholt sie nicht. Natürlich ist auch in der zweiten Auflage die möglicherweise einebnende Macht des Begriffs nicht schon dadurch gebrochen, daß er aus dem geschichtlichen Selbstzeugnis erhoben wird. Ausschlaggebend bleibt die inhaltliche Bestimmung145 von Erlösung. Die Zweitfassung unterscheidet eine „passive" und eine „aktive Seite" in ihn „Der Ausdruck selbst... bedeutet im allgemeinen einen Übergang aus einem schlechten Zustande, der als Gebundensein vorgestellt wird, in
145 Ygj 77, pröpper, Bestimmung, 203: „Man darf also gespannt sein, ob es der inhaltlichen Entfaltung des Erlösungsbewußtseins gelingt, diesen wesentlichen Bezug auf Christus einsehen zu lassen." Ebenso K.-M. Beckmann, Häresie, 51: „Wenn man nun auch zugestehen mag, daß der Begriff der Erlösung in seiner Anwendung auf den Menschen dessen Erläsungsbedürftigkeit und Erlösungsfähigkeit in gewissem Sinne umschließt, so kommt doch auf die Interpretation alles an. Es muß vom Begriff der Erlösung her durchaus nicht so sein, daß der Mensch diese Bedingungen in seinem Selbstbewußtsein vorfindet". Ob seine Erlösungsbedürftigkeit „aber wirklich in der Hemmung des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls besteht oder nicht vielmehr mit der ganzen menschlichen Existenz verklammert ist, bleibt zu fragen."
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einen bessern, und dies ist die passive Seite desselben; dann aber auch die dazu von einem andern geleistete Hülfe, und dies ist die aktive Seite desselben" ( 2 § 11,2.1, 76). Die methodische Selbstkontrolle der zweiten Auflage wird auch daran sichtbar, daß ihre Erläuterung der Implikate des Erlösungsbegriffs auf Anleihen aus der Dogmatik verzichtet. Sie respektiert damit die Differenz von Einleitung und Dogmatik, die den ersten Rezensenten nicht klar geworden war. Die Sendschreiben hatten diese Korrektur angekündigt, indem sie feststellten, „daß (in der Einleitung) nur zu zeigen war, wie der Begriff der Erlösung müsse gefaßt seyn, wenn er solle... den Centralpunct einer besonderen Glaubensweise bilden... Alle weitere Ausführung dessen, was die Person anbetrifft, gehört natürlich eben deshalb in die Dogmatik, weil sich Alles im Christenthum auf diese Person bezieht" (Sendschr 514; KGA 1/10, 371). Indem die erste Auflage aus dem Erlösungsbegriff schon Konsequenzen für das Selbstbewußtsein Jesu zog (vgl. § 18,4), hatte sie die Grenze zur Dogmatik überschritten146. Die zweite Fassung beschränkt sich nunmehr auf die Bestimmung, daß er „allen andern gegenübergestellt,... auf keine Weise selbst irgendwann als erlösungsbedürftig gedacht..., ursprünglich von allen andern Menschen unterschieden und mit der erlösenden Kraft von seiner Geburt an ausgestattet" ist
146 Vgl M Ohst, Schleiermacher und die Bekenntnisschriften. Eine Untersuchung zu seiner Reformations- und Protestantismusdeutung, Tübingen 1989, 203: „In der Erläuterung wird der Begriff der Erlösung nach seinem allgemein religiösen und christlichen Gehalt reflektiert und so im Hinblick auf den Erlöser das Wesen des Christentums in Gestalt einer Christologie in nuce expliziert." Den Unterschied der zweiten Auflage sieht Ohst nicht in ihrer Beschränkung auf die innerhalb der Grenzen der Einleitung möglichen Aussagen, sondern darin, daß wegen der „gehässigen Kämpfe() gegen die Exponenten des kirchlichen Rationalismus... zwischen dem Erscheinen der ersten und zweiten Auflage... der Inhalt der Erläuterung auf größere Weite hin modifiziert" wurde. Wesentlicher scheint mir jedoch die neue Unterscheidung einer aktiven von einer passiven Rolle im Erlösungsprozeß zu sein, die gegen eine rationalistische Relativierung den Vorrang Christi betont.
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( 2 § 11,2.1,81). Diese Aussagen zur Person Jesu lassen sich streng auf die beiden Merkmale der Erlösung im Christentum zurückführen: die „Zentralität" der „Unfähigkeit und d(er) Erlösung" und ihre „Realisierung in Christo" (2§ 11,3. und Anm. (Th). 1,78).
b) Zum Verhältnis von sinnlichem und höherem Selbstbewußtsein
Mit der folgenden Korrektur reagiert Schleiermacher auf den wichtigen Einwand der Kritik, daß die Glaubenslehre das sinnliche Selbstbewußtsein an sich schon als Sünde auffaßt. Er ändert daraufhin die Theorie der Einigung von Selbst- und Gottesbewußtsein. Ursprünglich hatte er als Ziel die „Verschmelzung jener (höheren Richtung auf das sich Gottes bewußt werden) mit der gegebenen oder werdenden sinnlichen Bestimmtheit" (§ 11,2. I, 39) angegeben. Die zweite Fassung distanziert sich von dieser Bestimmung: Nach ihr handelt es sich um „ein Zugleichsein beider in demselben Moment... Natürlich aber kann dieses Zugleichgesetztsein nicht als ein Verschmelzen beider gedacht werden, welches völlig gegen den aufgestellten Begriff von beiden sein würde" ( 2 § 5,3.1,35). Das Ziel ist nunmehr, „als ein im Gebiet des Gegensatzes für diesen Moment schon auf eine gewisse Weise bestimmter... sich seiner schlechthinnigen Abhängigkeit bewußt" zu werden. „Dieses Bezogenwerden des sinnlich bestimmten auf das höhere Selbstbewußtsein in der Einheit des Momentes ist der Vollendungspunkt des Selbstbewußtseins" (a.a.O.). Die Zweitauflage kennzeichnet die Beziehung von beiden also deutlich als Dominanzverhältnis. Daß Schleiermacher die Verschmelzungstheorie aufgibt, hat wichtige Konsequenzen für den Erlösungsbegriff und für die Frage der Konstruierbarkeit des Christentums. Die beiden Fassungen haben
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beide Möglichkeiten der Verhältnisbestimmung vorgeführt: Entweder ist das Ziel das Verschwinden des sinnlichen Selbstbewußtseins im frommen. Dies scheint für den ursprünglichen Entwurf zuzutreffen, wenn er bezüglich des Selbstbewußtseins Jesu ausführt, daß „in ihm das Fürsichgeseztsein oder das sinnliche Selbstbewußtsein und das Mitgeseztsein Gottes oder das höhere Selbstbewußtsein völlig dasselbe sein (muß); denn wo noch Verschiedenheit ist, da ist noch gegenseitige Hemmung" (§ 18,4.1,66). Oder, wie die zweite Fassung vorschlägt, das sinnliche, das Weltverhältnis vermittelnde Selbstbewußtsein behält sein Eigenrecht und läßt nur seine Gehalte vom frommen bestimmen. An dieser Frage, ob die Differenz beider Ebenen anerkannt ist, entscheidet sich nun aber auch die Konstruierbarkeit von Erlösung. Bei zugestandener Differenz ist die Möglichkeit einer unsündlichen Entwicklung denkbar; die Hemmung, auf die die Erlösung sich bezieht, und diese selbst müssen dann faktisch-geschichtlich sein. Die erste Fassung hingegen hat mit dem Ziel der Verschmelzung die Aufhebung der Differenz schon a priori aufgestellt, wenn auch im Widerspruch zum anthropologischen Befund, daß wir unausweichlich sinnliches Selbstbewußtsein sind. Zugleich beschränkt sie damit, was das unableitbar Individuelle des Christentums sein sollte, die Erlösung, auf das bloße Eintreffen eines a priori Konstruierbaren. Die Formel vom ,,Gegensaz() und seiner Aufhebung" (§ 18,5.1,68), die beides in einem Atemzug nannte, bringt tatsächlich beides auf eine, nämlich die apriorische Ebene. Die neue Einigungstheorie der Dominanz von sinnlichem oder höherem Selbstbewußtsein bewirkt also zweierlei: Sie tilgt einerseits den Widerspruch in der anthropologischen Theorie und wahrt andererseits mit dem Faktizitätscharakter der Sünde auch die Geschichtlichkeit der Erlösung. Wenn diese Beobachtungen stimmen, dann müßten sich die entsprechenden Differenzen im Sündenbegriff beider Auflagen wiederfinden.
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c) Erlösung — Geschichte oder Konstruktion?
Dem Verdacht, daß sich der Wesensbegriff der Erlösung nicht der geschichtlichen Erfahrung, sondern einer apriorischen Konstruktion verdankt, sucht Schleiermacher an zwei weiteren Stellen durch Änderungen zu begegnen: in seiner Rechenschaft vom Verfahren der Wesensbestimmung (1) und in einer neuen, geschichtsbezogenen Fassung des Verhältnisses von Vernunft und Offenbarung (2).
(1) Zur Grenze religionsphilosophischer Konstruktion Die Begründung, die Schleiermacher in der Erstauflage für den Abbruch des religionsphilosophischen Verfahrens gegeben hatte, schien die Unableitbarkeit des Historischen vom Apriorischen, oder, in Baurscher Terminologie, des Geschichtlichen vom Idealen, mehr in Frage zu stellen als zu unterstreichen. Dort hatte Schleiermacher die Möglichkeit einer noch weitergehenden Systematisierung der möglichen Beziehungen geschichtlicher Religionen eingeräumt und erklärt, daß der „innere Charakter des Christenthums... so dargestellt" werden könne, „daß dadurch dem Christenthum sein bestimmter Ort gesichert wird", indem nämlich „die Hauptmomente alles frommen Bewußtseins systematisiert werden, und... aus ihrem Verhältniß gezeigt wird, welche darunter solche sind, auf die vorzüglich die andern bezogen werden können; und wenn sich dann zeigt, daß das Gefühl jenes Gegensazes und seiner Aufhebung unter diese gehört, so ist dadurch das Christenthum neben allen übrigen sicher gestellt, und man kann also sagen in einem gewissen Sinn construirt" (§ 18,5.1,68). Die zweite Auflage hingegen stellt in ihrer Formulierung klar, daß die Konstruktion von Erlösung als möglichem Grundmoment nur a posteriori möglich ist, indem sie die projektive Formel vom „Gegensaz
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und seiner Aufhebung" durch eine zeitlich differenzierte Umschreibung ersetzt: Das Christentum wäre „konstruiert", wenn sich zeigte, „daß dasjenige, welches wir durch den Ausdruck Erlösung bezeichnen, ein solches (Hauptmoment) wird, sobald in eine Region, wo das Gottesbewußtsein gebunden ist, eine es befreiende Tatsache eintritt" ( 2 § 11,5. 1,82). Damit ist der kontingente Charakter des geschichtlichen Anfangs und mit ihm die Konkretheit bzw. Nichtdeduzierbarkeit des durch ihn gestifteten Wesensmerkmals festgehalten. Die erste Fassung hatte die Konstruieibarkeit eines solchen Ereignisses hingegen zumindest nicht grundsätzlich ausgeschlossen: „Indem wir aber diesen innern Charakter desselben in einem nothwendigen Zusammenhang darstellen mit seinem geschichtlichen Anfang, so verzichten wir selbst darauf soviel auf diesem Wege zu leisten, als auf jenem vielleicht geleistet werden kann. Denn Termine zu großen geschichtlichen Wendepunkten lassen sich, wenigstens bei dem gegenwärtigen Zustand des menschlichen Erkennens, auch nicht in jenem Sinn construiren" (§ 18,5. 1,68). Die zweite Auflage streicht diesen Satz und gibt als prinzipielle Grenze des religionsphilosophischen Verfahrens nur an, daß es „problematisch bleibt" ( 2 § 11,5, Anm. (Th). 1,82), also keine Aussagen über die Existenz des Aufgestellten trifft. Ob dieses eintrifft, kann nicht vorweggenommen werden147.
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Insofern trifft K. Barths Kommentierung von 2 § 11,5 nur auf den entsprechenden Abschnitt der ersten Auflage, nicht aber auf die Formulierung der zweiten zu, die das geschichtliche Eingetretensein der befreienden Tatsache voraussetzt:,, § 11,5 ist ein Rückblick von dem nun festgestellten Wesen des Christentums aus auf die Aufgabe der Religionsphilosophie. Schleiermacher denkt sich einen Ausbau dieser Disziplin, in dem die hier von der theologischen Apologetik geleistete Wesensbestimmung des Christentums schon vorweggenommen, in einem System der 'Hauptmomente des frommen Bewußtseins' der Begriff der Erlösung, aber auch der zum Vollzug der Erlösung notwendige Eintritt einer befreienden Tatsache als grundlegend erkannt und so 'das Christentum als eine eigentümliche Glaubensform sichergestellt und in gewissem Sinn konstruiert' würde" p i e Theologie Schleiermachere 1923/24,423).
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(2) Vernunft und geschichtlich vermittelter göttlicher Geist Die Zweitfassung verschärft die Aussagen der ersten über die Zusammenstimmung des erlösungsbestimmten christlichen Selbstbewußtseins mit der Gesamtwirksamkeit der Vernunft, indem sie sie zur Hauptthese über das Verhältnis von Vernunft und göttlichem Geist ausbaut; sie stellt aber zugleich klar, daß die „rein innere Erfahrung" (§ 20,2.1,80) der Erlösung keine apriorische, sondern eine geschichtlich vermittelte ist, die entsprechenden dogmatischen Aussagen also „auf einem Gegebenen beruhen" ( 2 § 13 Zus. 1,93). Sie bezieht den Begriff der göttlichen Offenbarung und seine übernatürlichen und übervernünftigen Implikationen auf die „Erscheinung des Erlösers in der Geschichte" ( 2 § 13 LS. 1,86). Sie betreffen somit das Verhältnis des „Sein(s) des Erlösers und der Erlösten" ( 2 § 13 Zus. I, 91f.). Damit steht unter dem Begriff des Übervernünftigen unmittelbar das Verhältnis von Christologie und Anthropologie zur Debatte und erst in zweiter Linie das der christlichen Grunderfahrung zu ihrer dogmatischen Reflexion. Die neuen Spitzenthesen zur Zuordnung von göttlichem Geist und menschlicher Vernunft begründet Schleiermacher wie folgt: Um den absoluten Vorrang Christi zu wahren und das Christentum nicht nur als Übergangsstufe, sondern als bleibende Erscheinung festzuhalten, gilt weiterhin, daß die erlösende Kraft Christi und ihr Niederschlag im frommen Selbstbewußtsein der Christen keine Wirkungen der Vernunft sein können. Ebensowenig aber seien sie schlechthin übervernünftig: Mit den Hinweisen auf das menschliche Bewußtsein der Erlösungsbedürftigkeit und die Tatsache, daß die Erlösung diese Sehnsucht wirklich erfüllt, begründet Schleiermacher seine These, daß „in der menschlichen Vernunft selbst schon auf gewisse Weise das gesetzt" ist, „was durch den göttlichen Geist hervorgebracht wird" und dieser „wenigstens in dieser Beziehung nicht über dieselbe hinaus(geht)" ( 2 § 13,2.1,91). Sofern im Ziel der Erlösung
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seine und ihre Wirkungen im einzelnen Christen nicht mehr zu unterscheiden seien, sei es gerechtfertigt, den „göttliche(n) Geist selbst als die höchste Steigerung der menschlichen Vernunft... und die Differenz zwischen beiden als aufgehoben" zu betrachten148. Nicht mehr im Endergebnis, wohl aber im Ursprung ist die Unterscheidung von Vernunft und göttlichem Geist demnach festzuhalten. Denn obwohl die Vernunft „unumgänglich notwendig" zum Erlösungsgeschehen gehört, „da an einer vernunftlosen Seele solche Zustände niemals sein können" ( 2 § 13,2.1,90), kommen diese doch nicht durch sie, sondern dadurch zustande, daß das fromme Selbstbewußtsein „von dem Erlöser... affiziert ist" ( 2 § 13, Zus. I, 92). So sind auch die dogmatischen Sätze, die aus dieser „innere(n) Erfahrung" hervorgehen, bleibend davon geprägt, daß sie „auf einem Gegebenen beruhen" (1,93). Gleichzeitig stellt auch die zweite Fassung heraus, daß das Affiziertwerden eine motivierte Offenheit voraussetzt. Im Gegensatz zur Naturerfahrung kommt die christliche nur zustande, wenn sie angeeignet wird: Sie „erfolgt nur, sofern jeder selbst hat wollen die Erfahrung machen" (2I,93). Es scheint also, daß auch hier Voraussetzungen im Spiel sind, die noch expliziert werden müssen.
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Angesichts der von 2 § 13,2 deutlich konstatierten inhaltlichen Identität von göttlichem Geist und menschlicher Vernunft bleibt als einzige Differenz die initiierende Funktion des göttlichen Geistes. Vgl. Th. H. Jergertsen, Das religionsphilosophische Offenbarungsverständnis des späteren Schleiermacher, Tübingen 1977: „Unter Anwendung einer Begrifflichkeit, die den Streit um den Rationalismus berücksichtigt, aber ohne sich auf die Prämissen des Rationalismus einzulassen, sagt Schleiermacher hier nichts anderes aus, als was er sonst als Vollendungspunkt des unmittelbaren Selbstbewußtseins beschrieben hat: Die Herrschaft des Gottesbewußtseins über jegliche Modifikation des sinnlichen Selbstbewußtseins in der Einheit des Moments. Auf diese Herrschaft ist das unmittelbare Selbstbewußtsein angelegt, und insofern 'ist also in der menschlichen Vernunft selbst schon auf gewisse Weise das gesetzt, was durch den göttlichen Geist hervorgebracht wird'. Aber es wird eben durch den göttlichen Geist, d.h. durch Offenbarung hervorgebracht. Und daran ändert sich nichts, wenn Schleiermacher hinzufügt, daß der göttliche Geist 'wenigstens in dieser Beziehung nicht über dieselbe... hinausfgeht]'" (326f.).
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An diesen Aussagen zum Zusammenspiel von göttlicher und menschlicher Ursächlichkeit im Erlösungsgeschehen findet die Wesensbestimmung des Christentums ihre Grenze. Wie die Dogmatik den von der Einleitung gesteckten Rahmen ausfüllt, ist - nach einer Bilanz der getroffenen Vorentscheidungen - Thema des V. Kapitels.
IV. Bilanz und Kritik der Einleitung als Rahmen für die materiale Dogmatik
Welche Tendenzen lassen sich hinter den vielen Eingriffen in Text und Gestalt der ersten Einleitung erkennen (1)? Wie sind sie in bezug auf das erklärte Anliegen von Schleiermachers Dogmatik-Entwurf, die Wahrung der Unabhängigkeit ihres Inhalts von der Philosophie, zu beurteilen? Als Testfall bietet sich das dogmatische Prinzip der Glaubenslehre an, das zu entwickeln die Hauptaufgabe der Einleitung war: Gelingt es der Explikation des Erlösungsbegriffs, die wesentliche Gebundenheit der Erlösung an die Person Jesu zu verdeutlichen (2)? Aus dieser Überprüfung lassen sich Anfragen an die materiale Dogmatik formulieren (3).
1. Änderungstendenzen der zweiten Einleitung
Die Hauptbedenken und -mißverständnisse der Rezensenten und die Motive Schleiermachers zur Überarbeitung hat das I. Kapitel dargelegt. Welche neuen Linien der Argumentation hat er eingeschlagen, um seine Neufassung der Dogmatik hieb- und stichfester zu machen? Zwei Haupttendenzen lassen sich ausmachen: die bewußte Anknüp-
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Bilanz und Kritik der Einleitung
fung an das Freiheitsthema (a) und die durchgängige Hervorhebung des geschichtlichen Charakters der christlichen Erlösungserfahrung (b).
a) Die Aufnahme der Freiheitsthematik
Die Zweifel der Kritiker, ob der Grundbegriff von Schleiermachers Religionstheorie, das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl, mit der menschlichen Freiheit vereinbar sei, fordern ihn dazu heraus, in dieser Frage Stellung zu beziehen. Der Hauptertrag ist der Übergang zu einer transzendentalphilosophischen Argumentation, in der 2 § 4 den Zusammenhang von realer Freiheit und schlechthinniger Abhängigkeit aufweist und somit inhaltlich und methodisch, auf dem Weg der Selbstreflexion, vorführt, daß Freiheit schon aktualisiert sein muß, um sich als schlechthin abhängig erfahren und dieses Bewußtsein auf Gott beziehen zu können. Mit der Anerkennung der menschlichen Freiheit einher geht die konsistentere Fassung des Verhältnisses von sinnlichem und höherem Selbstbewußtsein, das die bleibende Geltung der (die Interaktionsmöglichkeit mit der Welt vermittelnden) Sinnlichkeit anerkennt. Der strengere Argumentationsmodus, der auf die Notwendigkeit der getroffenen Bestimmungen Wert legt, bringt aber durch die Verwissenschaftlichung der subjektivitätstheoretischen Aussagen auch ein verändertes Verhältnis der Einleitung zur Dogmatik mit sich, das zur zweiten Änderungstendenz in Spannung steht.
Änderungstendenzen
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b) Die Geschichtsbezogenheit des christlichen Selbstbewußtseins Daß der Glaube, den die Dogmatik wissenschaftlich reflektiert wiedergeben will, geschichtlich konstituiert ist, hebt die Zweitfassung durch inhaltliche Korrekturen und Umformulierungen hervor. Sie sollen klarstellen, daß sich der Begriff des Erlösers auf eine geschichtliche Persönlichkeit bezieht und nicht als „persönlich gedachte Idee der Erlösung" 149 sich eigentlich einer Projektion des frommen Selbstbewußtseins der Christen verdankt. Alle Aussagen, die als Konstruktion von Erlösung auszulegen waren, wie vor allem § 18,5, hat die Überarbeitung bereinigt. Auch daß sie als die „eine Quelle, aus welcher alle christliche Lehre abgeleitet wird", die „Selbstverkündigung Christi" ( 2 § 19 Zus. 1,124) herausstellt, dient dieser Vereindeutigung. Aus demselben Grund erklärt sich die gesamte Umgestaltung der Einleitung, die sie von der eigentlichen Glaubenslehre abheben soll: An den Anfang stellt sie statt der Dogmatik-Definition den Bezug auf die geschichtliche Gemeinschaft der christlichen Kirche, deren Wesensbestimmung die Voraussetzung für die Erklärung der Dogmatik bildet. Der Respektierung des Christentums als Geschichtstatsache dient letztlich auch die Einführung der Lehnsätze, weil sie durch die unterschiedlichen Disziplinen, die sie vertreten, seine Erfassung mit allgemeinen Kategorien überprüfbarer machen: Sie bieten die Gelegenheit, im Gang der Näherbestimmung einzuhalten und die Angemessenheit der Methoden und Begriffe am untersuchten geschichtlichen Phänomen zu kontrollieren. Wenn aber auch die deutlichere Abgrenzung der Einleitung darauf zielte, den Charakter der Dogmatik als historischer Disziplin zu untermauern, so geht der Nebeneffekt der Ausarbeitung doch auf ihre Kosten. Indem die zweite Auflage von der Erläuterung des frommen
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Vgl. F.C. Baur, Selbstanzeige, 241.
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Bilanz und Kritik der Einleitung
Gefühls zu seiner argumentativen Rechtfertigung übergeht, wandelt sich der Charakter der Einleitung und zugleich ihr Stellenwert gegenüber der Dogmatik. Indem sie faktisch die philosophische Begründung der Möglichkeit der Dogmatik leistet, tritt sie nicht länger als Funktion für sie, sondern als selbständiges und - aller Betonung ihres instrumentellen Status' zum Trotz - von der christlichen Glaubensgewißheit getrennt zu bewertendes Ganzes auf. Damit tritt die zweite Fassung der Einleitung stärker in Konkurrenz zur Dogmatik als die erste: Wenn sie das Gottesbewußtsein nicht allein als das in der christlichen Religion vorausgesetzte Grundelement einführt, sondern transzendentalphilosophisch zwingend im Rahmen einer Theorie der existierenden Freiheit erhebt, dann ist damit auch das Verhältnis von apriorischem und geschichtlich bestimmtem Gottesbewußtsein betroffen. Ist das Gottesverhältnis nicht nur faktisch aufzeigbar, sondern nunmehr transzendental gesichert, dann kann auch die geschichtliche Verkörperung dieser Gewißheit in der Person eines Erlösers sie zwar faktisch auslösen und bekräftigen, aber kaum als ihr unaufhebbarer geschichtlicher Grund gelten. Absicht und Auswirkung der Revision stehen somit in Konflikt zueinander. Ob und inwieweit die von der Einleitung eingeführten Kategorien den theologischen Intentionen der Dogmatik zuwiderlaufen und ihren Inhalt prädominieren, entscheidet sich daran, welche Bestimmung des Erlösungsbegriffs sie noch offenlassen.
2. Zur bleibenden Bedeutung des Erlösers
Ob der Begriff der Erlösung, wie Schleiermacher ihn entfaltet, dem religiösen Inhalt, den er ausdrücken soll, gerecht wird, läßt sich überprüfen: Das Kriterium des christlich frommen Selbstbewußtseins
Bedeutung des Erlösers
125
war ja gerade seine wesentliche und bleibende Bezogenheit auf die Person Jesu. Also kommt es darauf an, die Nichtablösbarkeit des Erlösungsprozesses von ihr deutlich und ihren Vorrang vor der übrigen Menschheit einsichtig zu machen. Folgende Schnittstellen von Christologie und Anthropologie hatten sich gezeigt: Mit dem theologischen Argument, daß Schöpfungs- und Erlösungsratschluß nicht auseinanderfallen dürfen und daß die Wirklichkeit der Erlösung in der Person Jesu nicht durch eine willkürliche Wahl Gottes, sondern durch einen die ganze Menschheitsgeschichte umfassenden Heilsplan begründet sein muß, ist die für die Christologie entscheidende Differenz von menschlichem und göttlichem Geist grundsätzlich als die von Möglichkeit und Wirklichkeit gefaßt worden: „(A)lles wirkliche", nämlich „das Göttliche, so wie es in Christo gedacht wird,... muß möglich sein" (§ 20,1.1,79). Sofern die Wirklichkeit des versöhnten Gottesbewußtseins in den Erlösten aber wesentlich eine mitgeteilte sein soll, bleibt die Möglichkeit auf die menschliche Aufnahmefähigkeit beschränkt. Dies gilt in zeitlich-geschichtlicher Perspektive. Von der Gesamtperspektive der Schöpfung her bietet sich jedoch auch die Möglichkeit, die Erscheinung des Erlösers in den Prozeß der „übernatürlichen" Selbstüberschreitungen der menschlichen Natur einzuordnen150. Seinem vorzeitlichen Ratschluß entsprechend hat Gott sie schon so eingerichtet, daß sie das in ihr an-
150
Die Dogmatik-Vorlesung von 1811 bringt in ihrer Einleitung diesen Zielpunkt der menschlichen Entwicklung sehr deutlich zum Ausdruck: „Das menschliche Geschlecht kann nicht dasein, ohne daß auch in irgendeinem Punkte die Herrschaft des sinnlichen Prinzips aufgehoben wäre. Die Erlösung ist also mit dem Dasein des menschlichen Geschlechts gesetzt. Selbst der Begriff der Erlösung beruht darauf, daß das höhere Prinzip schon in irgendeinem Grade zur Erscheinung gekommen ist. Der Anfang der Erlösung in der Zeit kann also kein absoluter, sondern nur ein relativer sein" (H. Zimmermann-Stock, Anhang: Das Manuskript Twestens, 307. In: Schleiermachers Christologie nach seiner Vorlesung aus dem Jahre 1811. Dargestellt anhand einer neuaufgefundenen 'Nachschrift' und 'Ausarbeitung' zu dieser Vorlesung von D. A. Twesten, Diss, theol. Kiel 1973, 307).
126
Bilanz und Kritik der Einleitung
gelegte Göttliche als eigene Tat realisieren kann. Die zeitliche Kausalität für seinen Durchbruch in der Person Jesu kommt ihr zu. Die kritische anthropologische Bestimmung in diesem Entwurf scheint mir das nicht weiter explizierte Identische vor und nach der Erlösung zu sein, das ihr Verständnis als „Umschaffung" ausschließt 151 . Worin es besteht, wird zwar nicht erwähnt, doch liegt es nahe, es in der allen zukommenden Bestimmtheit des unmittelbaren Selbstbewußtseins zu sehen. Allerdings müßte dieses dann zumindest faktisch unfähig sein, sich als Möglichkeit selbst zu realisieren: ein Befund, bei dem sich die Frage erhebt, worauf sich ein transzendentaler Aufweis denn beziehen soll, wenn nicht auf eine Möglichkeit, die als wesentliche jedenfalls im Prinzip auch realisierbar sein müßte? Damit erweisen sich die Eckdaten der Anthropologie, die Erlösungsfähigkeit und die Erlösungsbedürftigkeit, als Differenz zwischen transzendentaler Anlage des Gottesbewußtseins und seinem wirklichen Vorkommen152. Den Vorrang Christi scheint die Einleitung also nur auf Kosten einer Spannung von philosophischer und theologischer Anthropologie etablieren und wahren zu können. Um das unpräzediert Neue, das
151
Der Versuch, Erlösung überhaupt anders denn als grundlegende „Umschaffung" des Wesens des Menschen zu erklären, ist als solcher schon auf entschiedene Kritik gestoßen. K. Barth sieht in der Ansicht Schleiermachers, daß die Vorstellung der Umschaffung „'in dem Begriff der Erlösung nicht enthalten (ist)'", ein „weitere(s) Attentat auf den neutestamentlichen Erlösungsbegriff" und in 2 § 11,2, der diese Bestimmung vornimmt, eine „greuliche Irrlehre" und Erläuterung, die „für sich allein genügen würde, die ganze Schleiermachersche Glaubenslehre schlechterdings unannehmbar zu machen" (Theologie Schleiermachers 1923/24, 348.425).
152
Allerdings ist für manche Kritiker die Tatsache, daß Schleiermacher dem Menschen überhaupt Erlösungsfähigkeit zugesteht, schon zuviel des Guten. Vgl. K.-M. Beckmann, Häresie: „Die Erlösungsbedürftigkeit kann im Rahmen der Christologie gar nicht zu absolut gesetzt werden, und die Erlösungsfähigkeit darf als ureigene Möglichkeit des gefallenen Menschen überhaupt nicht gefordert werden, das wäre nämlich der Ansatz des Pelagianismus" (55).
Bedeutung des Erlösers
127
durch ihn in die Geschichte kommt, herauszustellen, muß sie am zuvor als allgemeine Möglichkeit aufgewiesenen Gottesbewußtsein 'faktische' Abstriche machen. Der Grund aller Probleme in der Verhältnisbestimmung von Christologie und Anthropologie scheint in der Bestimmung des Erlösungsbegriffs zu liegen: Mit der „schlechthin vollendete(n) Frömmigkeit Christi" (§ 18,4.1,66) bringt er keinen unvorhersehbaren, die Anthropologie neu bestimmenden Inhalt, sondern nur die erste und vollkommene Verwirklichung des Gottesbewußtseins überhaupt. Daß Schleiermacher den Inhalt der Erlösung nur als die (schlechthin kräftige) Wirklichkeit der allen eingepflanzten Möglichkeit des Gottesbewußtseins bestimmt, ist schon früh gegen ihn eingewandt worden. So setzt G. Weißenborns153 Darstellung schon voraus, daß das philosophische und das dogmatische Prinzip der Glaubenslehre sich voneinander nur wie Möglichkeit und Wirklichkeit unterscheiden: Vom schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl hat Schleiermacher „aufgezeigt, daß es zum Wesen des Menschen gehöre, des Wesens höchste Entwicklungsstufe constituiré. Was zum Wesen des Menschen gehört, muß auch wirklich werden können. Unmittelbar liegt also im Begriffe des schlechthinigen Abhängigkeitsgefühls seine Wirklichkeit mit eingeschlossen" (327). Weißenborn schließt daraus, daß das Prinzip der Dogmatik nicht „das schlechthinige Abhängigkeitsgefühl als solches" sein kann, sondern „das christlich bestimmte oder, was dasselbe ist, das unter dem Einflüsse und der Macht der Erlösung stehende, kurz das erlöste schlechthinige Abhängigkeitsgefühl. Aus diesem lassen sich alle Theile der Dogmatik ableiten, der erste, dessen Gegenstand das schlechthinige Abhängigkeitsgefühl nach seiner Möglichkeit ist, der zweite, dessen Gegenstand die Aufhebung oder Unwirklichkeit desselben ist und der dritte, dessen Gegenstand die absolute Wirklichkeit desselben ist" (328). Ebenso scharfsichtig weist Weißenborn auf die Folgen für die Bestimmung der Differenz des Erlösers von den Erlösten hin: „Aus dem, was wir über den mate-
153
Darstellung und Kritik der Schleiermacherschen Dogmatik, Leipzig 1849 Seitenzahlen im Text.
128
Bilanz und Kritik der Einleitung
riellen Charakter des Schleiermacherschen Principes gesagt haben, geht hervor, daß es, betreffend sein Verhältniß zum Geiste, zu diesem theils eine innerliche, theils eine äußerliche und empirische Seite habe... Das schlechthinige Abhängigkeitsgefühl als solches ist im Wesen des Geistes begründet; aber wiefern es erlöstes ist, setzt es außerhalb des menschlichen Geistes eine erlösende Causalità t, den Erlöser, voraus... die Wirklichkeit des schlechthinigen Abhängigkeitsgefühls in dem Erlöser kann sich nur dadurch in dem menschlichen Selbstbewußtsein hervorbringen, daß sie in diesem einen Anknüpfungspunkt, einen Zündstoff findet. Ja, das Verhältniß der Möglichkeit zur Wirklichkeit ist, ungeachtet diese an jene von außen herantritt, doch das allerinnigste. Sobald die Wirklichkeit des schlechthinigen Abhängigkeitsgefühls in das menschliche Selbstbewußtsein übergeht und hier mit der innerlich begründeten Möglichkeit zusammentrifft, schließen sich beide so eng zusammen, daß nicht mehr unterschieden werden kann, ob die Wirklichkeit von außen vermittelt oder aus der innern Möglichkeit als ihrem Grunde hervorgegangen ist" (334-336).
3. Anfragen im Blick auf die Dogmatik
Aus der Bilanz der beiden Einleitungsversionen ergeben sich konkrete Fragen an die in der Dogmatik zu entfaltende theologische Anthropologie und Christologie. Zum einen sind in ihnen infolge der bisherigen Veränderungen analoge Differenzen zwischen Erst- und Zweitfassung zu erwarten; zum anderen ist es die Frage, ob es Schleiermacher gelingt, in der Endgestalt der Christologie über die bisher erkennbare „stillschweigende Restriktion des Eriösungsgedankens auf die Frömmigkeit" 154 noch hinauszukommen.
154
K. Barth, Theologie Schleiermachers 1923/24, 348.
Anfragen an die Dogmatik
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a) Zur theologischen Anthropologie
1. Bezüglich der Erlösungsfähigkeit scheint es mir nötig, die folgenden Punkte zu klären: Sie besteht in der menschlichen Aufnahmefähigkeit für das Göttliche und der Aufnahmewilligkeit für die Erlösung, die eben nur erfährt, wer sich auf die Wirkung Jesu einlassen will. Da als Anknüpfungspunkt aber nur das Gottesbewußtsein in Frage kommt, ist Schleiermachers Behauptung der reinen Empfänglichkeit nachzuprüfen. Die Formulierung der Vorlesung, „Receptibilitaet in höchster Potenz" (Marg. 372, NH 77, S. 71) scheint mir für dieses Problem bezeichnend, da sie, kritisch betrachtet, eher auf eine Alternative hinweist: Entweder geht es um eine Offenheit, deren Erfüllung ihr nur von außerhalb ihrer selbst zukommen kann, oder um eine Potentialität, die genug Bestand hat, daß sie sich selbst aktivieren, d.h. einen Rest an Gottesbewußtsein, der sich dann auch von sich aus zur vollen Verwirklichung steigern kann. 2. Bezüglich der universalen Erlösungsbedürftigkeit, die dem Gottesbewußtsein in seiner aktiven Aufnahmebereitschaft vorausgeht und die Notwendigkeit eines absoluten Erlösers begründet, läßt sich folgende Frage an die Dogmatik stellen: Wie erklärt sie, daß es vom Vermögen zur faktischen Unfähigkeit, vom Wesenselement zur Nichtaktualisierbarkeit kommt? Welchen Inhalt und welchen systematischen Stellenwert hat in Schleiermachers heilsgeschichtlichem Entwurf die Sünde?
130
Bilanz und Kritik der Einleitung
b) Zur Christologie
1. An die Christologie, deren Ausführung Schleiermachers Kriterium der bleibenden Gebundenheit an Jesus sicherstellen soll, ergeben sich folgende kritische Anfragen: Hat die Einleitung sie in der Weise als restitutive vorprogrammiert, daß sie die Bedeutung Jesu nur noch darin setzen kann, das gestörte bzw. das unentwickelte Gottesbewußtsein neu zu beleben und den ursprünglichen Stand wiederherzustellen? Damit hätte sie das, was die Person Jesu für die Menschheit überhaupt sein kann, vom faktischen Vorkommen der Sünde abhängig gemacht. Wenn sie aber noch andere Bestimmungen für Christus als die des Erlösers im restitutiven Sinn entwickelt, wie bestimmt sie dann deren Verhältnis? 2. Mit der soeben skizzierten Argumentation wäre es der Christologie immerhin gelungen, die faktische Bedeutung Jesu (im Blick auf die wie auch immer bestimmte - Erlösungsbedürftigkeit der Menschheit) unbestreitbar zu machen. Seine bleibende Bedeutung aber wäre auf diesem Weg nicht zu sichern. Denn wenn seine Auszeichnung vor allen übrigen Menschen tatsächlich nur darin besteht, den sonst unterdrückten Gottesbezug als erster in aller Stärke verwirklicht zu haben, dann wäre sein Vorrang nur ein Vorsprung, nicht prinzipiell und uneinholbar, sondern faktisch und vorübergehend. Als eine solche Initialzündung würde er der Menschheit vorhergehen, aber nicht, wie behauptet, gegenüberstehen. Denn seine vollkommene Verwirklichung des höheren Selbstbewußtseins ist von einer ansatzweisen nur quantitativ unterschieden: Die Höchstform der Frömmigkeit ist keine neue qualitative Bestimmung. Wenn also der Inhalt der göttlichen Offenbarung nur in der kräftigen Realität des im menschlichen Wesen Angelegten besteht, dann wäre die Aufhebung des Christentums in Religion überhaupt durch
Anfragen an die Dogmatik
131
nichts abzuwehren: Nach der Aneignung dieser Kräftigkeit gäbe es keinen Gehalt, der die Notwendigkeit des Rückbezugs auf die geschichtliche Person Jesu noch begründen könnte. Dann aber beruht ihre Geltung grundsätzlich nicht auf einem nur mit ihr gegebenen besonderen Inhalt, der das Menschsein neu bestimmt, sondern auf ihrer Erfüllung des schon feststehenden Ideals des menschlichen Wesens, einer religiös verankerten Vernunft155. Die singuläre Tatsache, daß in einem bestimmten menschlichen Leben Gottes Selbstzuwendung zu den Menschen sich realisierte, wäre damit in den Entwicklungsgang der Menschheit aufgehoben. In jedem Fall aber kann man auf die Kategorien gespannt sein, die die Glaubenslehre in ihrer Gratwanderung zwischen rationalistischer Vorbild-Christologie und supranaturalistischem Offenbarungsextrinsezismus entwickelt. Als ein Hauptziel von Schleiermachers Überarbeitung der Einleitungsparagraphen hat sich gezeigt, daß es ihm darauf ankam, der Kritik F.C. Baurs am idealen Christus der Einleitung den Boden zu entziehen. Deshalb erscheint es mir sinnvoll, sie eingehender darzustellen, und zwar nicht nur ihre erste von Schleiermacher rezipierte Fassung, sondern auch die spätere, in der sich die Intention des Einwands umkehrt. Nur so, indem man dem Wandel der Interessen und Begründungen und damit des Gehalts in den sich wiederholenden Formulierungen der Kritik nachgeht, kann ihre Wirkungsgeschichte, die so entgegengesetzte Positionen wie die von D.F. Strauß und K. Barth umfaßt, verständlich werden.
155
So stellt K. Barth am Ende seiner Kritik des Erlösungsbegriffs der Einleitung zu Recht die Frage an Schleiermachers Christologie: „In was besteht die Originalität des Stifters, wenn die Stiftung nicht origineller ist als so?" (Theologie Schleiermachen» 1923/24, 426).
Exkurs: Zur exemplarischen Kritik der Christologie durch F. C. Baur
Den Einwand, daß die Christologie gegenüber dem allgemeinen Gottesbewußtsein nichts inhaltlich Neues bringt, hat als erster F.C. Baur vorgebracht und ihn dann in unterschiedlichen Zusammenhängen wiederholt. Dabei ändert sich jedoch die Zielrichtung der Kritik durch seine Hegel-Rezeption, die sich erstmals in der „Christlichen Gnosis" (1835) geltend macht. Dem Urteil Liebings, daß Baurs „Übernahme des Hegeischen Geschichtsschemas ohne Einfluß auf die Beurteilung der Glaubenslehre" blieb, da seine Kritik in ihrem „materialen Gehalt... sich durchgehend gegen ein und dieselben Punkte (richtet)" 156 , hat Lange zu Recht widersprochen: Baur habe 1835 die „Tendenz seines Vorwurfs gegen Schleiermacher in ihr genaues Gegenteil verkehrt." Seine ursprüngliche Kritik sei nicht, daß Schleiermacher „an der Person Jesu festhalte, sondern... daß er sie preisgebe" 157 , in156
H. Liebing, Ferdinand Christian Baurs Kritik an Schleiermachers Glaubenslehre. In: ZThK 54 (1957) 225-243, 229.
157
D. Lunge, Historischer Jesus oder mythischer Christus. Untersuchungen zu dem Gegensatz zwischen F. Schleiermacher und D.F. Strauß, Gütersloh 1975, 200. Lange untersucht dort (196-205) die Frage, auf wen die „entscheidenden Einwände(), daß der Schleiermachersche Christus nichts anderes als eine durch subjektiven Rückschluß gewonnene Idee und daß die behauptete Einheit des urbildlichen Christus und des historischen Jesus wissenschaftlich unhaltbar sei" (197), zurückgehen: auf Baur oder auf Strauß. Er kommt zu der Antwort, daß zwar in Straußens Schleierma-
134
Exkurs: Kritik durch F. C. Baur
dem er den historischen Jesus, wie er aus der Schrift zu erkennen wäre, dem idealen Christus, den das christliche Selbstbewußtsein in sich findet, unterordne. Lange sieht in dieser ersten Zielrichtung „Restbestände der früheren supranaturalistischen Position Baurs" 1 5 8 . Wie also hat Baur die Christologie innerhalb der Glaubenslehre verstanden, und welche Defizite wirft er ihr vor und seit seiner Hegel-Rezeption vor? Dazu ist zunächst der Skopus der Kritik von 1823 1 5 9 , 1827 1 6 0 und 1828 1 6 1 zu untersuchen und zu beurteilen (1), sodann der von 1835 1 6 2 , 1838 1 6 3 , 1843 1 6 4 , 1847 1 6 5 und 1862 1 6 6 (2). cher-Kritik der Schlußabhandlung des Leben Jesu (1836) Baurs Gnosis (1835) eingeflossen sei; Baur selbst aber könnte „den letzten Anstoß" zur Revision seiner Wertung des historischen Jesus durch Strauß bekommen haben, der somit im Grundgedanken seines Leben Jesu doch nicht von Baur abhängig sei (204). Er könne nämlich die Einwände des Osterprogramms und mehr noch seiner deutschen Zusammenfassung schon im Sinne der späteren Kritik von 1835 verstanden haben: Ein produktives Mißverständnis, das Baur (im weiteren Kontakt mit Strauß) wohl überzeugte, dem die Tendenzwende der Kritik jedenfalls entsprach. 158
a.a.O., 201. Darauf deutet in der Tat der wohl als programmatisch zu verstehende Satz im Schlußteil des Osterprogramms hin, der in der deutschen Fassung ein Jahr später allerdings so abgeschwächt ist, daß die Entscheidung zwischen Rationalismus und Supranaturalismus offenbleibt: Er rät dem Leser, „retundas ante omnia idealismum realismo, et tum demum solido superstruas fundamento supranaturalismum christianae religioni, quae tota est in pístei non in gnosei convenientem". (Vgl. auch D. Lange, Historischer Jesus, 202f.)
159
F.C. Baur, Brief an seinen Bruder Friedrich August v. 26.7.1823.
160 primae (Osterprogramm). 161
Selbstanzeige.
162
Die christliche Gnosis oder die christliche Religions-Philosophie in ihrer geschichtlichen Entwiklung, Tübingen 1835, 626-668.
163
Die christliche Lehre von der Versöhnung in ihrer geschichtlichen Entwicklung von der ältesten Zeit bis auf die neueste, Tübingen 1838, 614648. 688-691.
164
Die christliche Lehre von der Dreieinigkeit und Menschwerdung Gottes in ihrer geschichtlichen Entwicklung, Bd. III, Tübingen 1843, 842-886.
165
Lehrbuch der christlichen Dogmengeschichte, Tübingen 1847, Leipzig 18673, repr. Darmstadt 1979, 351-396.
Frühe Form
135
1. Die frühe Form (1823-1828)
1323167 gibt Baur seinem Bruder folgenden Aufriß des Gedankengangs der Glaubenslehre: „(D)as Selbstbewußtsein spricht sich als frommes Abhängigkeitsgefühl überhaupt aus, dann aber bestimmter mit dem Gegensatz zwischen Natur und Gnade, eigener Unfähigkeit und mitgeteilter Fähigkeit, Sünde und Erlösung. Aus dem Begriff des natürlichen Unvermögens des Menschen, sich selbst von der Sünde zu erlösen, geht unmittelbar der Begriff einer übernatürlichen göttlichen Erlösung hervor, und die Person des Erlösers wird mit allen denjenigen Eigenschaften gesetzt, vermöge welcher ihm eine ihn von allen Menschen wesentlich unterscheidende Würde zugeschrieben werden muß. Von diesem Punkte aus wird nun alles übrige in konsequenter Folge entwickelt. Auf diese Art also werden die Hauptmomente des Christentums als Entwicklung und Tatsachen des religiösen Selbstbewußtseins aufgestellt, dabei bleibt aber das Historische, wie es im N.T. gegeben ist, in seiner vollen Gültigkeit stehen, nur soll daraus das Christliche nicht erst bewiesen, sondern nur darin nachgewiesen werden" (240f.). Den problematischen Status der Christologie führt er auf diesen Ansatz der Dogmatik zurück: „Wenn die Hauptmomente, die die Person des Erlösers betreffen, selbst auch aus dem religiösen Selbst-
166
Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts (= Geschichte der christlichen Kirche V), hg. v. E. Zeller, Tübingen 1862 (2. Aufl. Leipzig 1877; hier jedoch nach der 1. zitiert), 88-101.191-231.
167
H. Liebing, Brief. Seitenzahlen im Text.
136
Exkurs: Kritik durch F. C. Baur
bewußtsein abgeleitet werden, somit die äußere Geschichte Jesu als eine Geschichte der innern Entwicklungen des religiösen Selbstbewußtseins genommen werden (sie!), so kann ich mir die Person Christi als des Erlösers nur als eine gewisse Form und Potenz des Selbstbewußtseins denken, die nur darum in einer äußeren Geschichte erschien, weil die natürliche Entwicklung des Selbstbewußtseins in ihrer höchsten Vollendung sich notwendig einmal so gestalten muß. Christus ist also in jedem Menschen, und die äußere Erscheinung Jesu ist auch hier nicht das Ursprüngliche, sondern in dem Geschichtlichen soll nur das Urbildliche, Ideale nachgewiesen, und das innere Bewußtsein zur klaren Anschauung gebracht werden" (242f.). Baurs Grundverständnis bzw. -mißverständnis der Glaubenslehre wird in diesen Sätzen deutlich: Was Schleiermacher voneinander abhebt, das noch unbestimmte Gottesbewußtsein des absoluten Abhängigkeitsgefühls und seine reale Bestimmung zur Religionsindividualität des Christentums durch die historische Person Jesu von Nazaret, versteht Baur von vornherein als eine Ebene: die des „religiösen Selbstbewußtsein(s)..., aus dessen Entwicklung sich die Hauptmomente des Christentums ergeben" (240). Damit tritt für Baur das christlich bestimmte fromme Selbstbewußtsein, das nur aufgrund seiner geschichtlichen Prägung zum Erkenntnisprinzip der christlichen Dogmatik werden konnte, in Konkurrenz zur historischen Quelle der Christologie, dem Neuen Testament: Da er die Notwendigkeit einer geschichtlichen Konkretion des allgemeinen Gottesbewußtseins nicht veranschlagt, ist es für ihn schon die Frömmigkeit überhaupt, die als „religiöses Selbstbewußtsein" mit dem Begriff des Unvermögens zur Selbsterlösung den Begriff der Erlösung in sich trägt und, unabhängig von aller äußeren Wirklichkeit, einen entsprechenden Erlöser setzt. Daß Baur bei dieser (von nun an feststehenden) Grundauffassung alsbald der Unterschied zwischen Einleitung und Dogmatik fragwürdig erschien, leuchtet ein. Die Kritik, daß „die Person Christi als eine gewisse Form und Potenz des Selbstbewußtseins" (242) erscheint, beruht also in einer Hin-
Frühe Form
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sieht auf falschen Voraussetzungen: dem Übersehen der für die Einleitung und die Anlage der Dogmatik entscheidenden Differenz zwischen dem apriorischen und dem empirischen Gottesbewußtsein. Im Befund mag Baur, wie noch an der Christologie zu untersuchen sein wird, mit seiner Beobachtung zwar recht haben: damit, daß der Aufweis der natürlichen Gottesgewißheit eine Apriorisierung der christlichen Gotteserfahrung darstellt. Indem er aber zwischen Programm und Durchführung nicht unterscheidet, sondern vom Ergebnis her den Argumentationsgang exponiert, entgeht ihm die Möglichkeit der Einsicht in den Grund der monierten Maßregelung und Mäßigung der Christologie durch und auf die Bestimmungen der Anthropologie. Er bemerkt zwar, „wie genau" die Tatsache, daß „die äußere Erscheinung Jesu... nicht das Ursprüngliche (ist)" und nur „das innere Bewußtsein zur klaren Anschauung gebracht werden" soll, „mit der pantheistisch-idealistischen Grundansicht des ganzen Systems zusammenhängt" (243), geht dem aber hier nicht weiter nach. Im Osterprogramm von 1827, auf das Schleiermacher in den Sendschreiben eingeht, und seiner deutschen Fassung von 1828 168 ordnet Baur die Gnosis dem „ideellen Rationalismus" zu, den er, das ,,Schleiermachersche() System()... schon... vor Augen" (239), dadurch vom gewöhnlichen unterscheidet, daß der ideelle „die dem Supranaturalismus ... eigene historische Form auf die Thatsachen des Bewußtseyns und die Vernunftideen so überträgt, daß sie... ohne die zeitliche Form nicht gedacht werden können" (223). Inhaltlich erweist sich der ideelle Rationalismus aber dadurch als Rationalismus, daß er „bei allem Schein, die historische Realität des Christenthums zu behaupten, Christus doch für nichts anderes halten kann, als für eine Vernunftidee. Der historische Christus wird zum idealen... Die in Christus ausgedrückte Idee ist die höchste Entwicklungsstufe des menschlichen Bewußtseyns, welche nur nach allen vorangegangenen Stufen erreicht werden kann" (224).
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Selbstanzeige. Seitenzahlen im Text.
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Exkurs: Kritik durch F. C. Baur
Die Testfrage an die Glaubenslehre, die über die Analogie mit der Gnosis entscheidet, ist also die nach dem Ansatz und Status der Christologie in ihr. Kommt Jesus in ihr als reale geschichtliche Gestalt oder als Schöpfung der Vernunft vor? Ist der Erlöser ein historisch gegebener, oder fällt er „mit dem Begriff der Erlösung völlig zusammen, so daß er eigentlich nur die persönlich gedachte Idee der Erlösung ist" (241)? Im Leitsatz von Schleiermachers Wesensbestimmung des Christentums, so gibt Baur zu, scheint es tatsächlich auf die geschichtliche Existenz des Erlösers anzukommen; in der Ausführung ihrer Implikationen jedoch findet er den historischen Jesus zugunsten eines idealen Christus der schlechthin vollendeten Frömmigkeit verlassen (242). Die Schlußfolgerungen auf die Person Jesu, die Schleiermacher dort aus dem Erlösungsbewußtsein zieht, sind für Baur schon der Einbruch des Urbildlichen in das Geschichtliche; fortan ziehen beide Ebenen sich in undurchschaubarer Verbindung durch Einleitung und Dogmatik. Die Wesensbestimmung hätte ihren Begriff des Erlösers vielmehr an den neutestamentlichen Urkunden verifizieren müssen 169 . Da diese als Erkenntnisquelle keine Rolle spielen, bleibt unklar, welche Bedeutung der ,,eigene() geschichtliche() Anfangspunkt" des christlichen Erlösungsbewußtseins für Schleiermacher hat (242). Den endgültigen Beweis für die Idealität des Erlösers in der Glaubenslehre aber findet Baur an einer anderen Stelle im System. Er sieht es als aus zwei Elementen konstruiert an, die er als „die beiden
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Zwischen lateinischer und deutscher Fassung läßt sich hier ein kritischer Fortschritt feststellen. Vgl. D. Lange: „Und was die Frage angeht, ob die von Schleiermacher dem historischen Jesus zugeschriebenen Eigenschaften diesem wirklich zukommen, so ist dafür nicht auf die 'vera religionis christianae, qualis ex sacris Uteris cognoscitur, historia', sondern - eine Nuance anders - auf eine historische Untersuchung der neutestamentlichen Urkunden verwiesen. Von dieser erwartet er... wohl ganz zuversichtlich für die Dogmatik positive Ergebnisse, denn die Gegenüberstellung von pistis und gnosis muß sicherlich auch hier im Sinne einer Stellungnahme für die pistis verstanden werden" (Historischer Jesus, 202f.).
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Grundformen des religiösen Gefühls" (243) bezeichnet: die empirisch-objektive der christlichen Religionsgemeinschaft und die nur subjektive des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls. Aus welcher von beiden die Dogmatik entwickelt wird, dient ihm als Schlüssel für die Frage, ob der Ursprung der Person Jesu aus der Vernunft geschöpft oder in der Geschichte gegeben ist. Durch den Vorrang der ersten der drei Formen dogmatischer Sätze hält Baur es für erwiesen, daß die Person des Erlösers aus dem unmittelbaren Selbstbewußtsein hergeleitet wird: Wenn sie, die ihre Lehrgehalte „aus dem unmittelbaren Selbstbewußtsein" (246) nimmt, die Basisform der christlichen Dogmatik bilden soll, dann zählt die Geschichte, die in der zweiten Form zu ihrem Recht käme 170 , offenkundig nicht: „Bilden nur solche Sätze den eigentlichen Inhalt der christlichen Dogmatik, welche die innern Gemüthszustände beschreiben, und aus dem unmittelbaren Selbstbewußtseyn genommen sind, so ist der historische und kirchliche Character wenigstens keine nothwendige und wesentliche Eigenschaft der Glaubenslehre" (246). Die Untersuchung, welcher Instanz sie verpflichtet ist, der Geschichte oder der Vernunft, ist damit für ihn zu einer eindeutigen Auskunft gelangt.
170 Ygj ßaurs Formulierung des Verhältnisses der ersten beiden Formen: „Unter der ersten dogmatischen Form kann von Christus nur unter der Voraussetzung die Rede seyn, daß in ihm ein innerer Gemüthszustand, eine dem unmittelbaren Bewußtseyn angehörende Idee beschrieben wird. Der eigentliche historische Christus gehört in die Sätze der zweiten Form, in welchen auf ein Bestimmendes außer dem Bewußtseyn zurückgewiesen wird, hier also in den zweiten Abschnitt von der Beschaffenheit der Welt in Beziehung auf die Erlösung, oder in die Lehre von der Kirche, d.h. derjenigen religiösen Gemeinschaft, welche Christus als historische Person gestiftet hat" (253). Hier zeigt sich, wie die Schlußfolgerung, die er aus dieser Rekonstruktion zieht, ihr in Wirklichkeit als petitio principii vorausliegt: „Somit trennt sich entweder der geschichtliche Christus vom urbildlichen, und der geschichtliche gehört in den zweiten Abschnitt, oder der geschichtliche hat im ersten Abschnitt in seiner Verbindung mit dem urbildlichen keine eigentlich historische Bedeutung" (246).
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Exkurs: Kritik durch F. C. Baur
Die Summe der Mißverständnisse und Umdeutungen auf dem Weg zu diesem Ergebnis soll hier nicht im einzelnen nachgerechnet werden. Wesentlich ist die grundsätzliche Fassung des inhaltlichen Arguments: „Der historische Jesus kann nur derjenige seyn, der die mit dem idealen Christus rein aufgehende Idee der Erlösung, wie sie sich aus dem religiösen Bewußtsein des Menschen auf eine bestimmte Weise von selbst entwickelt, ausgesprochen und dadurch eine religiöse Gemeinschaft gestiftet hat" (251). 1827 benutzt Baur diese Einsicht noch zur Verteidigung der Autorität der Schrift, damit aber auch der geschichtlichen Zeugnisse über die Lebensgestalt Jesu: „Ad quo plus tribuitur innatae humanae naturae sensui, tanto minus relinquitur sacrarum literarum auctoritati" 171 , d.h.: „Je mehr dem der menschlichen Natur eingeborenen Gefühl zugewiesen wird, desto weniger wird der Autorität der Heiligen Schrift zurückgelassen." Mit dieser Bemerkung zur Rolle der Schrift ist zugleich das grundsätzliche Verhältnis von Einleitung und Glaubenslehre, Fundamentaltheologie und Dogmatik angesprochen: Angesichts des Tributs, den die Christologie der anthropologischen Grundlegung entrichten muß, stellt Baur beide in Frage. Dies ist der Stand der Kritik, auf den Schleiermacher sich explizit in den Sendschreiben und implizit in den Korrekturen der zweiten Auflage bezieht. An diesem Haupteinwand kehrt sich aber auch im folgenden das Gefälle der (von nun an gleichbleibenden) Kritik um: Sieht Baur 1828 mit der Bibel die Bedeutung der geschichtlichen Offenbarung Gottes im historischen Jesus gefährdet, so bedauert er 1835 die falsche Anhänglichkeit an ihn. Wenn der Inhalt der Offenbarung dem Menschen schon ursprünglich einwohnt, wozu ihm dann noch ein anderes Subjekt gegenüberstellen, das ihm mitteilen soll, was er schon hat? Die Auflösung des historischen Jesus in die Vernunftidee des Erlösers wird von ihm nunmehr nicht mehr an-, sondern eingeklagt; daß Schleiermacher sie nicht selbst vollzieht, ihm nun als Inkonsequenz vorgehalten.
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Primae, 252.
Frühe Form
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2. Ihre abschließende Gestalt seit Baurs Hegel-Rezeption (1835-1862)
Ab 1835 sucht Baur die Glaubenslehre mit Hegeischen Kategorien zu entschlüsseln 172 . Seine Rekonstruktion setzt bei ihrem Gottesbegriff ein. Anders als bei Schelling sei bei Schleiermacher keine Unterscheidung von Besonderheiten im Wesen Gottes zugelassen. So sei es das subjektive Bewußtsein von Gott, das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit, das „sich mit sich selbst vermittelt" (634) und sich über die als seine „Momente" aufgefaßten Unterschiede von Stufen, Arten, Stifter, Sünde und Erlösung als absolute Religion realisiere (633-637). Obwohl die Glaubenslehre damit bezüglich des Wesens Gottes an sich auf dem Standpunkt der Subjektivität verbleibe, sei ihr Bewußtsein von Gott dennoch objektiv vermittelt durch die geschichtliche Gemeinschaft der Kirche. Die Anfrage an die Christologie lautet nun, ob sie zwingend begründen kann, daß der christlichen Gemeinschaft die Mitteilung eines vollkommenen Gottesbewußtseins nur geschichtlich, in Gestalt ihres urbildlichen Stifters Jesus, hat zukommen können oder ob sie als Idee der Erlösung von ihr selbst verfaßt und ihrer geistigen Produktivität zuzurechnen sei. In Baurs Auseinandersetzung mit Schleiermachers Begründung der Einheit von Urbildlichkeit und Geschichtlichkeit lassen sich drei Hauptbedenken erken-
172
Ich beziehe mich im folgenden auf die Wiedergabe der Glaubenslehre in der „Christlichen Gnosis" (Seitenzahlen im Text), die auch derjenigen der „Lehre von der Dreieinigkeit und Menschwerdung Gottes" von 1843 zugrundeliegt.
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Ich folge hier der systematischen Rekonstruktion von Th. Pröpper, Bestim-
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Exkurs: Kritik durch F. C. Baur
— gegen das Verfahren des Rückschlusses vom christlich bestimmten Selbstbewußtsein auf die Person Jesu (1) — gegen die Verschränkung von Urbildlichkeit und Geschichtlichkeit in ihr (2) und — gegen die inhaltliche Bestimmung des Mitgeteilten, der Erlösung (3).
a) Zum Rückschlußverfahren
Folgende Einwände bringt Baur 174 gegen die Methode des fortgesetzten Rückschlusses „von der Wirkung auf die Wirksamkeit" und von ihr „auf die Person Christi" (1862, 209) vor. Als Ursache lasse sich nur das „Daseyn eines der Menschheit eingepflanzten neuen Lebensprincips", eine „Idee,... keineswegs aber... eine urbildliche Persönlichkeit" (1838, 624) erschließen. Daß das Erlösungsbewußtsein „auf irgendeine Weise durch Christus vermittelt" sei, heiße noch nicht, daß „die Person Christi die concrete Darstellung" der vermittelten „absoluten Unsündlichkeit und Vollkommenheit" (1843, 863) sein müsse. „Mit welchem Rechte wird... angenommen, dass das, was in allen Einzelnen, die zur christlichen Gemeinschaft gehören, nur auf relative Weise ist, in dem Stifter derselben auf absolute Weise ist" (1862,210)? Der Rückschluß reicht also nicht so weit, wie er vorgibt: er führt nicht auf einen eindeutigen historischen Grund. Die Urbildlichkeit, die der Person Jesu aufgrund ihrer Wirkung attribuiert wird, ist historisch nicht ausweisbar. Und dies umso weniger, als Schleierma-
mung, 204f. 174
Vgl. F.C. Baur, Versöhnung, 620-625. Dreieinigkeit, 861-863, 867. Lehrbuch, 379. Kirchengeschichte, 208-210. Jahres- und Seitenangaben im Text.
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cher selbst zwischen Wesen und Erscheinung Jesu differenziert, an der geschichtlichen Anschauung des Urbilds also Abstriche macht: „Wäre dieses Wesen das historische Wesen Christi, so müsste es in der Erscheinung Christi, d.i. in seinen Lehren und Handlungen erkannt werden können, es müsste das Bleibende und Bestimmende in den Erscheinungen oder einzelnen Lebensmomenten Christi sein. Aber", so fährt Baur in überspitzter Kritik fort, „hier soll das Wesen etwas sein, das nicht in der Erscheinung erkannt werden kann, was mehr ist als seine Erscheinung, mithin kann es nicht das Wesen des historischen Christus sein, sondern ein Begriff oder ein Ideal, das unabhängig von seiner Erscheinung ist, also jenseits der Geschichte, durch Denken oder Phantasie gebildet ist" (1862,208). Alles, was von der Person Jesu über ihre Existenz hinaus behauptet wird, stellt für Baur demnach eine Projektion von Ideen oder Postulaten auf sie dar.
b) Zur individuellen Urbildlichkeit Jesu
Schon die Methode der Christologie, aus den endlich gebrochenen Wirkungen eine unbedingte Ursache zu erheben, ist für Baur folglich zweifelhaft. Daß sie ihr Ziel, die Einheit von Geschichtlichkeit und Urbildlichkeit, d.h. die Verwirklichung der Idee in einem Individuum, aufzuweisen, nicht erreichen kann, hat aber noch einen anderen Grund: Seit Baur Hegels Distanzierung der Idee von der bloß individuellen Geschichte mitvollzieht, steht die Inkompatibilität des Zusammengezwungenen für ihn von vornherein fest. Die behauptete Einheit beider war Baur schon in seinen ersten Stellungnahmen angesichts der fehlenden Verifizierung am Neuen Testament und des Primats der ersten, „idealen" Form dogmatischer Sätze über die zweite, „historische", fragwürdig erschienen. Nun aber behauptet er die „Inoongruenz des Uibildlichen und Geschichtlichen in
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Exkurs: Kritik durch F. C. Baur
der Schleiermacherschen Christologie... aus dem Grunde, weil überhaupt zwischen der Idee und der Wirklichkeit, der Natur der Sache nach, ein Verhältniß der Incongruenz stattfindet" (1838, 621, Anm. 1). Dabei bezieht er „die Idee, oder die Urbildlichkeit" nicht auf die absolute Kraft des Gottesbewußtseins, sondern nimmt sie „in ihrem rein absoluten Sinn" als „dem absoluten Wesen Gottes selbst gleich(ge)setz(t)" (a.a.O.). Im Verhältnis von Urbildlichkeit und Geschichtlichkeit geht es bei Baur folglich nicht mehr um die mögliche Existenz eines schlechthin kräftigen Gottesbezugs, sondern um die menschliche Realisierung des ganzen Wesens Gottes. Es liegt an dieser Identifizierung von absolutem Gottesbewußtsein und Gott, daß Baur die Möglichkeit der Koinzidenz von Idee und Realität in einem Individuum bestreiten muß. Aus der Tatsache, daß für ihn nun die Idee mit dem Absoluten zusammenfällt, erklärt sich auch sein Verzicht auf ihr geschichtliches Dasein. Während Schleiermacher darauf insistiert, daß die Vollendung des Gottesbewußtseins erst in einem menschlichen Leben angeschaut werden mußte, um als vermittelte eigene Möglichkeit ergriffen werden zu können, bedarf sie für Baur dieses historischen Ursprungs nicht. So sucht er die Unabhängigkeit der Idee von der Geschichte in Schleiermachers eigener Begründung für die Notwendigkeit der geschichtlichen Existenz des Erlösers nachzuweisen: Daß die Schöpfung des Menschen entweder in einer realen Person oder nie vollendet sei, nimmt er geradezu als Beweis für die Selbstgenügsamkeit der Idee. Denn wenn die Notwendigkeit eines geschichtlichen Erlösers behauptet werde, dann impliziere dies die Notwendigkeit der Vollendung der Schöpfung. Wenn es aber zu ihrem Begriff gehört, daß sie vollendet werden muß, so ist die Wirklichkeit dieser Vollendung schon ontologisch bewiesen 175 und damit real entbehrlich. Die ge175
„Der absolut vollkommenste Mensch muß... wirklich, d.h. als einzelnes Individuum existiren, weil, wenn er nicht als solches existirte, die Schöpfung der menschlichen Natur nicht vollendet wäre, es wäre immer noch eine bloße Möglichkeit, die noch nicht zur realen Wirklichkeit geworden ist. In logischer Form würde also geschlossen: Alles, was als das Vollkommenste gedacht werden muß, muß auch wirklich existiren, nun muß ein absolut vollkommenster Mensch gedacht werden, also muß
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schichtliche Existenz eines urbildlichen Erlösers wird so nicht nur nicht erreicht (vgl. 1843, 864), sondern überflüssig gemacht: „Der urbildliche Mensch, der Gottmensch, hat seine objective Realität in sich selbst, in seinem Begriff, wird sie aber in die historische Existenz eines bestimmten einzelnen Individuums gesetzt, so wird sie dadurch subjectiv an ein endliches vergängliches Seyn geknüpft, wovon die natürliche Folge ist, daß das Urbildliche sich immer wieder davon lostrennt, weil es nie in eine vollkommene Einheit mit ihm zusammengehen kann, ohne daß deßwegen zu behaupten ist, das Urbildliche verliere dadurch seine objective Realität, sondern... nur..., daß seine Realität nicht diese sinnliche empirische Existenz ist. Wir bleiben somit auch hier nur bei der Idee stehen, bei dem Uibildlichen, wie es an sich ist, daß es aber als solches auch ein geschichtlich existirendes seyn müsse, ist nicht nachgewiesen" (1843,864f.; vgl. 1835,646). Die Stichhaltigkeit des zweiten Kritikpunktes hängt zum einen davon ab, ob er auf einer korrekten Rekonstruktion beruht; zum anderen davon, wie man die Hegeischen Vorentscheidungen bewertet, die er einbringt. Anders dagegen ist, meine ich, die Valenz des dritten Einwandes zu beurteilen, der die ersten beiden stützt und oft mit ihnen vermischt erscheint.
der absolut vollkommenste Mensch auch wirklich existiren... Gehört es nun zum Begriff Gottes, daß er nur als existirend gedacht werden kann, sein Begriff auch das Sein in sich schließt, so muß dieß vom Absoluten in jeder Beziehung gelten. Fällt daher der Begriff des Urbildlichen mit dem Begriff des Absoluten zusammen, so kann die Existenz nicht bloß transitorisch mit ihm verbunden seyn,... sondern der Begriff schließt an sich schon das Seyn in sich. Das Urbildliche hat unabhängig von der äußern historischen Realität seine Realität in sich selbst..., und die Schöpfung des Menschen ist ebendadurch vollendet, daß das Urbildliche nur in einer das Wesen des Menschen darstellenden Form zum Bewußtseyn kommen kann" (1843, 864f.; vgl. 1835, 646).
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Exkure: Kritik durch F. C. Baur
c) Zur inhaltlichen Bestimmung der Erlösung
Der Ausgangspunkt der Kritik an der inhaltlichen Bestimmung des Mitgeteilten ist derselbe wie in Baurs vorhegelscher Phase: Als das einzige, das in der Christologie Schleiermachers historisch verursacht ist, wertet er die Vermitteltheit des Erlösungsbewußtseins durch die christliche Gemeinschaft (vgl. 1847, 353). Auf dieser Basis kann er die Weiterbestimmung des unspezifischen Gottesbewußtseins zum konkreten christlichen Erlösungsbewußtsein, die für Schleiermacher nur durch einen äußeren Bestimmungsgrund erfolgen kann, der eigenen Potenz des Selbstbewußtseins zuschreiben. Die Glaubenslehre „betrachtet den Inhalt des Christenthums als die unmittelbare Aussage des frommen Bewußtseins..., das sich in sich selbst vertiefend von selbst zum christlichen wird" (ebd.). Der „ganze Inhalt des christlichen Glaubens" sei so „sein ursprüngliches Eigenthum" (1843, 856f.). Gegenüber dem Supranaturalismus bedeute das zwar den Fortschritt, daß das „Positive in seiner abstrakten Übernatürlichkeit und Äußerlichkeit als wesentliche Bestimmtheit des Bewußtseins selbst begriffen wird" (1847, 355); und selbst gegenüber dem Rationalismus gesteht er Schleiermacher zu, daß er das „Wesen des Glaubens als vom Denken unabhängigen und wesentlich verschiedenen Inhalt" (1843, 872) darstellen will; dennoch lautet das Schlußurteil, daß er „die Inhalte des geschichtlich gegebenen Christenthums in Thatsachen des Selbstbewußtseyns auflöst" (1843, 872), da das angeblich „(Empfangene und (M)itgetheilte" in Wirklichkeit eben „selbsterzeugt" sei (1843, 860). Die fehlende inhaltliche Differenz von möglicher und vermittelter Kraft des Gottesbewußtseins sei auch durch die Betonung der Sündhaftigkeit des Menschen nicht zu kompensieren: Da der Gottesbezug eingestandenermaßen nie Null sei, sei der Inhalt der zugekommenen Offenbarung nur graduell der allen gemeinsam gegebenen Anlage
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überlegen: „Gehört es... zur ursprünglichen Vollkommenheit des Menchen, zu denjenigen Zuständen des Selbstbewusstseins zu gelangen, in welchen sich das Gottesbewusstsein verwirklichen kann, so ist es in der Natur des Menschen selbst begründet, daß das Gottesbewusstsein in seiner Kräftigkeit hervortritt, und es ist nur Folge der menschlichen Entwicklung, daß das Gottesbewusstsein... erst befreit werden muß. Aber ebendesswegen kann man auch nicht behaupten, daß dieses Freiwerden... oder diese Leichtigkeit... nur eine mitgetheilte sei,... da die äussern Thatsachen der durch Jesus geschehenen Erlösung nichts mittheilen können, was nicht ursprünglich in der Natur des Menschen gegründet ist, also diese durch sie nur geweckt und zur thatkräftigen Aeusserung gebracht wird" (1862, 204). Baurs Fazit der Christologie Schleiermachers lautet demnach: „Es ist eine blosse Illusion, wenn dem in den Gegensatz des Gottesbewusstseins und des sinnlichen Bewusstseins hineingestellten Subjekt des Selbstbewusstseins ein anderes von ihm verschiedenes Subjekt gegenübergestellt wird, durch dessen Thätigkeit ihm allein mitgetheilt werden soll, was doch an sich zur Natur des Selbstbewusstseins gehört" (1862,203).
3. Zur Beurteilung der Baurschen Kritik
Schon die Problemexpositionen Baurs haben gezeigt, daß seine Kritik nicht immer auf einer genauen Erfassung von Schleiermachers Argumentation und Intentionen beruht. So zeigen seine Einwände gegen das Rückschlußverfahren, daß er etwas anderes von ihm erwartet als Schleiermacher mit ihm beabsichtigt: Dieser will die Erlösungserfahrung des christlichen Selbstbewußtseins hinsichtlich ihres Grundes in der Person Jesu explizieren, jener sucht Beweise für den Zusammen-
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Exkurs: Kritik durch F. C. Baur
fall von Geschichtlichkeit und Urbildlichkeit in ihr. Die Voraussetzung des Glaubens, auf die Schleiermacher sich bezieht und die er nur entfalten will, steht für Baur gerade in Frage. Was Baur zwingend aufgewiesen haben möchte, ist für Schleiermacher nicht demonstrabel. Auch was die Art der Durchführung der Methode angeht, trifft die Kritik Schleiermacher nicht: „Denn er hat ja nicht nur die Wirklichkeit Jesu als Grund vom Erlösungsbewußtsein als Begründetem unterschieden, sondern immerhin auch - wie unzulänglich auch immer - seine Christologie im Neuen Testament 'nachzuweisen' gesucht" 176 . Zum anderen hängt es mit Baurs Begriff der Idee zusammen, daß der Nachweis ihrer geschichtlichen Existenz gar nicht gelingen darf. Schon die Kritik an der Methode läuft ja sogleich auf das Argument hinaus, daß die Idee in einem Individuum überhaupt nicht realisiert sein kann. Einerseits, weil ihr „Wesen... darin besteht, sich dann erst empirisch zu verwirklichen, wenn sie zuvor in ihrer von allem empirischen Ursprung unabhängigen Macht und Bedeutung sich kund gethan hat" (1843, 867); andererseits, weil, auch wenn sie sich realisiert, angesichts ihres Inhalts kein „Grund... zu der Annahme vorhanden ist, diese Urkräftigkeit des Gottesbewußtseins habe sich in ihm dem Einen so erschöpft, daß er mit ihr völlig identisch ist... Kann das Gottesbewußtsein nur als eine der menschlichen Natur überhaupt eingepflanzte Kraft und Anlage gedacht werden, so gehört es zur Natur desselben, daß es in der größten Mannigfaltigkeit der Formen und Abstufungen sich entwickelt,... und es ist daher nur eine unberechtigte Identificirung eines bestimmten Individuums mit der Menschheit im Ganzen oder der geistigen Anlage derselben, wenn gesagt wird, die Kräftigkeit des Gottesbewußtseins, die in allen andern Menschen eine bloß relative sei, sei in Christus eine absolute" (1862,21Of.). Die ersten beiden Kritikpunkte erscheinen also nur unter Hegelschen Voraussetzungen als zwingend 177 . Zur Debatte steht jedoch Th. Pröpper, Bestimmung, 205. 177 V gi iy Trillhaas, Der Mittelpunkt der Glaubenslehre Schleiermacheis. In: 176
NZSThR 10 (1968) 294. Ebenso Th. Pröpper, Bestimmung, 204: „Wenn etwa Ferdinand Christian Baur jede individuelle Verwirklichung der Idee für
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nach wie vor der dritte, in seiner Zielrichtung auch umkehrbare Einwand, den Baur in schlagender Weise formuliert hat. Die Mitteilung von etwas schon Bekanntem und Besessenem kann den prinzipiellen Vorrang, den Schleiermacher Jesu sichern will, nicht begründen und keine bleibende Bedeutung gewährleisten, da „die Persönlichkeit, in welcher ein solches Princip zuerst wohnte, an sich schon ihre Bedeutung verliert, sobald sich dasselbe auf andere fortgepflanzt hat" (1838, 625). Baur hat aber auch den Grund dieser inhaltlichen Schwäche bemerkt: Ein Gottesgedanke, der keine Besonderungen in sich zuläßt, bleibt tatsächlich in die Sphäre des ewigen Ratschlusses gebannt. Ein über die allgemeine absolute Selbsttätigkeit hinausgehendes spezifisches Handeln Gottes, in dem Gott sich selbst erst mitteilen könnte, lehnt Schleiermacher ab. Die veränderte Einführung des Gottesbewußtseins in der zweiten Auflage bemerkt Baur zwar nicht; für ihn sind Gott und Welt bei Schleiermacher nach wie vor nur wie natura naturans und natura naturata unterschieden178. Es wäre wohl auch zuviel verlangt, nach seiner Annäherung an Hegel von ihm Sinn für einen Kontingenzaufweis zu erwarten. Richtig gesehen aber ist der Zusammenhang zwischen der Anthropologie der schlechthinnigen Abhängigkeit und dem Gottesbegriff der absoluten Kausalität, der nur allgemeine, aber keine qualifizierten Beziehungen zuläßt. Wie das ganze Verhältnis Gottes zur Welt darf auch die Beziehung zu Jesus keine neue Bestimmung und dessen Gottesbewußtsein nur "schlechthin kräftig", aber nichts inhaltlich Besonderes sein: „Das Göttliche in Christus ist nichts Besonderes in Gott, sondern die absolute göttliche Causalität selbst... es stellt sich... auch in ihm (sc. Chri-
unmöglich erklärte und David Friedrich Strauß die Konsequenz zog, als das Subjekt der christologischen Prädikate komme allein die menschliche Gattung in Frage, dann war dies doch nur unter Hegeischen Voraussetzungen einleuchtend." 178
Vgl. u.a. Brief, 239; Dreieinigkeit, 850; Kirchengeschichte, 194.
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Exkurs: Kritik durch F. C. Baur
stus) nur eine bestimmte Beziehung des absoluten Abhängigkeitsgefühls auf sie dar" (1835, 630f.). Schleiermacher selbst würde sich in dieser Kennzeichnung des Verhältnisses von Jesus und Gott vielleicht nicht fehlinterpretiert finden und in ihr nichts vermissen; sein Gottesbegriff der absoluten Kausalität ist ja schon mit dem der Liebe vermittelt, sofern er die Ungewißheit der Faktizitätserfahrung zur Gewißheit Gottes im Gefühl optimiert. Wenn die Einheit von Geschichtlichkeit und Uibildlichkeit, Form und Inhalt der Offenbarung Gottes aber tatsächlich auf eine Weise bestimmt werden soll, die sie so unableitbar wie unaufhebbar macht, dann durch die Entfaltung eines Mitteilungsverhältnisses, in dem das Wesen des Initiators nur durch das einstimmende Zeugnis Jesu als Liebe bekannt werden konnte 179 . Wie Schleiermacher auf die grundsätzliche Kritik Baurs an seiner Christologie reagiert hat bzw. wie er im Rahmen seines Ansatzes überhaupt noch auf sie reagieren konnte, wird sich in der materialen Entfaltung der Erlösungslehre verfolgen lassen.
179
Zur Entfaltung eines christologischen Ansatzes, der von der Entsprechung des Inhalts der Offenbarung (des Wesens Gottes als Liebe) zu ihrer Form (der Geschichte Jesu) ausgeht, vgl. Th. Pröpper, Der Jesus der Philosophen und der Jesus des Glaubens. Ein theologisches Gespräch mit Jaspers - Bloch - Kolakowski - Gardavsky - Machovec - Fromm - Ben-Chorin, Mainz 1976, 97-148, bes. 110-125. Ders., Erlösungsglaube, 194-220. 236238; 246-249.
V. Zur Entfaltung der Erlösungslehre
Die Kategorien, mit denen die Einleitung die Wesensbestimmung des Christentums expliziert hat, kommen nun in der Ausarbeitung der theologischen Anthropologie (A) und Christologie (B) zum Tragen. Sofern sich die Erlösungsbedürftigkeit als identitätsentscheidende Grenzlinie gegen den Pelagianismus erwiesen hat, muß die theologische Anthropologie als Sündenlehre durchgeführt werden. Dabei muß sie einerseits mit der auf sie folgenden Entfaltung des Erlösungsbewußtseins in der Christologie vereinbar sein; andererseits wird sie aber mit dieser unter den Prämissen des ersten allgemeinen Hauptteils der Dogmatik stehen. Wie sind diese Prämissen begründet, und welche Vorgaben bringen sie für beide Teile der Erlösungslehre mit sich? Aus dem Erkenntnisprinzip der Dogmatik hatte die Einleitung ein dreigliedriges Schema der Stoffbehandlung abgeleitet: Da das christliche Selbstbewußtsein vom Gegensatz der Sünde und Gnade geprägt ist, stellt dieser den Einteilungsgrund für jenen Teil der Dogmatik dar, der den Inhalt des christlich konkretisierten Gottesbewußtseins in Lehrsätzen ausdrückt. Der getrennten Betrachtung beider Seiten voran aber geht die Darstellung derjenigen Momente, die in der christlichen Bestimmung schon vorausgesetzt sind. Es sind die dogmatischen Aussagen, die übrig bleiben, wenn man von der wirklichen, geschichtlich-individuellen Ausprägung des Gottesbewußtseins abstra-
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Entfaltung der Erlösungslehre
hiert. Aber gerade in ihrer Allgemeinheit, die ihren Gehalt als rudimentär und künstlich isoliert erweist, bilden sie den Rahmen für jede mögliche Bestimmung. Indem der erste allgemeine Teil der Dogmatik so das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit unter Ausblendung seiner christlichen Besonderungen bezüglich der in ihm implizierten Eigenschaften von Gott, Mensch und Welt auslegt, ist er die Entfaltung der schlechthinnigen Ursächlichkeit Gottes. Als göttliche Schöpfung kann er Mensch und Welt dann nicht anders als „ursprünglich vollkommen" (§§ 7274, 2 §§ 59,60) ansetzen. Was auch immer über die Sünde zu sagen sein mag, wird diesen Schlüssen nicht widersprechen, sondern sie nur weiterbestimmen dürfen. Wie aber kann aus der festgestellten Allkausalität Gottes und ursprünglichen Vollkommenheit des Menschen die Tatsache der Sünde hervorgehen? Schleiermacher löst das Problem des Anschlusses an den ersten Hauptteil so: Was sich abstrakt zu widersprechen scheint, ist doch unbezweifelbar im Faktum des christlichen Selbstbewußtseins zusammen gegeben. Seine lehrmäßige Reflexion darf deshalb nicht bei einer direkten Entgegensetzung stehenbleiben, sondern muß versuchen, beide Inhalte einander zuzuordnen. Dann aber kann die Sünde, für sich gesehen das Gott Widersprechende, nicht dieselbe Valenz wie die göttliche Ursächlichkeit haben; ihr gegenüber ist sie nichts Selbständiges, sondern Teil des göttlichen Gesamtplans, der ihr nur eine konditionale Geltung in bezug auf die Erlösung beläßt. Die Sünde erscheint somit in zwei Perspektiven: im Rückblick auf den allgemeinen Teil als „das was nicht sein würde, wenn nicht die Erlösung wäre", im Vorblick auf die Christologie als „das was nur durch die Erlösung verschwinden kann" (§ 85,2.1,263). Die Gefahr des Widerspruchs zwischen den aus dem allgemeinen und den aus dem christlich bestimmten Gottesbewußtsein gezogenen Aussagen beseitigt die Glaubenslehre, indem sie auf die göttliche Ordnung rekurriert, in der (unbeschadet der ursprünglichen Vollkommenheit) die Entwicklung zur Sünde und von ihr zur Erlösung immer schon vorgesehen war.
Entfaltung der Erlösungslehre
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Wie der Rahmen der allgemeinen Gotteslehre und Anthropologie die Sündenlehre im einzelnen prägt, wird ihre inhaltliche Fassung zeigen. Dabei sollte jedoch eins von vornherein deutlich sein: Je plausibler die Sünde aufgrund dieses Rahmens gemacht und je mehr sie als vorgesehene Stufe zur Erlösung in Gottes Heilsplan eingeordnet wird, desto schwerer muß es werden, das Spezifische des Neuanfangs in Christus zur Geltung zu bringen. Die Schwierigkeiten, die Schleiermachers Bestimmung der Sünde zum ersten Hauptteil hin schlichtet, werden am anderen Ende als Probleme der Unabhängigkeit und inhaltlichen Unableitbarkeit des christologischen Teils und der Aufhebung von Gottes Heilshandeln in seinen vorzeitlichen Ratschluß wiederkehren. Wie also gelingt es ihm, diesen und den „natürlichen" ersten Teil durch die dazwischentretende Anthropologie der Sünde zu vermitteln?
154
Entfaltung der Anthropologie
A. Die theologische Anthropologie
Auch hier sind zunächst die grundlegenden Bestimmungen des Erstentwurfs kurz zu skizzieren (1), um dann zu zeigen, wie die Zweitauflage den 1821 sichtbar werdenden Grundduktus durch den Bezug auf die Subjektivitätstheorie der Einleitung absichert und korrigiert (2). Abschließend ist Bilanz zu ziehen, welche Ausgangsbasis die endgültige Fassung der Sündenlehre für die Christologie bereitstellt (3).
1. Die ursprüngliche Fassung der Sündenlehre
Als die zwei Extreme, die die Sündenlehre zu vermeiden habe, hatte Schleiermacher den Manichäismus und den Pelagianismus genannt. „Manichäisch" wäre es, die Sünde als eigenständiges Prinzip anzusetzen und so „ganz aus dem Gebiet der Abhängigkeit von Gott aus(zu)schließen", „pelagianisch" hingegen, sie so zu explizieren, daß sie mit der ursprünglichen Vollkommenheit des Menschen vereinbar erschiene (§ 85,2.1,263). Demnach muß sie der ursprünglichen Anlage der menschlichen Natur einerseits entsprechen, andererseits widersprechen. Schleiermacher bestimmt sie daraufhin als „Gegensaz von Fleisch und Geist", in dem die Sinnlichkeit ihre Hinordung auf das Gottesbewußtsein negiert und die Lebensmomente für sich zu erfüllen sucht (§ 86). Da sie sich dieser ursprünglich angelegten Ausrich-
Erete Fassung der Sündenlehre
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tung versperrt, ist die Sünde eine „Störung der Natur" (§ 89), und zwar eine so gravierende, daß sie den Menschen in eine „vollkomne Unfähigkeit zum Guten" (§ 91 LS. 1,273) versetzt, die nur die Erlösung aufheben kann (§ 93). Wenn auch durch den menschlichen Entwicklungsgang erklärbar als Ergebnis der „ungleich(en) Fortschreitung des Verstandes und Willens" (§ 88), so ist sie doch jeweils dem Einzelnen als seine „That" (§ 90) zuzurechnen.
2. Die Neubestimmungen der zweiten Auflage
Die Korrekturen der zweiten Auflage betreffen, wie nach den entsprechenden Änderungen im Erlösungsbegriff (§ 18; 2 § 11) zu erwarten war, die der Sündenlehre zugrundeliegende Theorie der Subjektivität (a). Die neuen Akzente der Sündenlehre führen wiederum zu veränderten Ausgangsbedingungen der Christologie (b).
a) Die subjekttheoretische Vertiefung der anthropologischen Aussagen
Neu durchdacht hat Schleiermacher vor allem zwei grundlegende Bestimmungen: die Zuordnung von Gottes- und sinnlichem Selbstbewußtsein (1) und, als Konsequenz, die Wertung der menschlichen Freiheit in bezug auf die Realisierung des Gottesbewußtseins (2).
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Entfaltung der Anthropologie
(1) Das Verhältnis von Sinnlichkeit und Gottesbewußtsein Schon ein Vergleich der Leitsätze über das Wesen der Sünde zeigt die Umorientierung von einer naturalistischen zu einer handlungsorientierten Auffassung an: Bestand sie zunächst in dem „GegensazO zwischen dem Fleisch oder demjenigen in uns was Lust und Unlust hervorbringt und dem Geist oder demjenigen in uns was Gottesbewußtsein hervorbringt" (§ 86 LS. 1,264), so nun in einem „positiven Widerstreit des Fleisches gegen den Geist" ( 2 § 66 LS. 1,355), d.h. der „Gesamtheit der sogenannten niedern Seelenkräfte" gegen das Gottesbewußtsein 66,2. 1,356). Obwohl beide Auflagen darin übereinstimmen, daß die sinnliche Funktion nur dann sündhaft ist, wenn sie sich gegenüber dem Geist verschließt und darin eine „Selbständigkeit" (§ 90,3.1,271; vgl. 2 § 66,2.1,357 u.a.) behauptet, die ihrer Ausrichtung widerspricht, so liegen dieser Bestimmung doch zwei verschiedene Koordinationsmodelle zugrunde. Sie werden sichtbar in den jeweiligen Bestimmungen der „natürlichen Vollkommenheit", d.h. des von Gott ursprünglich eingerichteten Idealzustandes der menschlichen Natur im Vergleich mit dem Zustand der Sünde. Für die erste Auflage stand fest, „daß, wenn nicht das Bewußtsein der Sünde ein durchgehendes Element unseres Lebens wäre, wir auch dort jenen Unterschied (sc. zwischen Fleisch und Geist) gar nicht würden gemacht haben" (§ 86,1.1,265). Denn mit ihm sei schon „die Möglichkeit einer Gegenwirkung gesezt" (1,264). Zwar beschreibt auch die erste Fassung ihr mögliches Einswerden so, daß „jeder Moment im Geist anfinge und endete, und die Sinnlichkeit ohne je etwas nicht vom Geist begonnenes und geleitetes anzustreben überall nur Organ und lebendiges Zwischenglied wäre" (1,265; vgl. 2 § 66,2.1,357), also durchaus als Bestimmungsverhältnis und nicht als Auflösung der Sinnlichkeit im Gottesbewußtsein. Dennoch bleibt bestehen, daß die für die menschliche Verfassung schlechthin konstitutive Differenz von Geist und Leib, von Gottesbewußtsein und sinnlicher Gebundenheit der menschlichen Selbstvollzüge im ersten Ent-
Neubestimmungen
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wurf keine ursprüngliche Geltung hat: Fleisch und Geist werden im Lehrstück über die natürliche Vollkommenheit nur im Vorblick auf die in der Sünde realisierte „Möglichkeit einer Gegenwirkung" (1,264) als möglicherweise konkurrierende Funktionen unterschieden. Dieser Zeichnung des anthropologischen Ideals entspricht die schon in der Einleitung getroffene Aussage über die Struktur des Selbstbewußtseins des Erlösers: In ihm muß „das Fürsichgeseztsein oder das sinnliche Selbstbewußtsein und das Mitgeseztsein Gottes oder das höhere Selbstbewußtsein völlig dasselbe sein; denn wo noch Verschiedenheit ist, da ist auch noch gegenseitige Hemmung" (§ 18,4. 1,66). Die Bestreitung der bleibenden Bedeutung der sinnlichen Funktion kommt auch in der Lehre von der Wiedergeburt zum Ausdruck. Mit der „schöpferischen Thätigkeit", die für den „Anfang des neuen Lebens"nötig ist, muß zugleich „ein gänzlich verändertes Verhältniß der menschlichen Natur in dem Einzelnen (eintreten), indem die sinnliche Lebenseinheit als solche zerstört wird, und also sowol die überwiegend leidentlichen als auch die überwiegend thätigen Zustände sich in einer andern und entgegengesezten Richtung entwikkeln" (§ 128,1.11,106). Diese unterschiedlichen Bewertungen der Konstitution des menschlichen Selbstbewußtseins, aus der die Sünde hervorgeht, wirken sich, wie im folgenden noch zu zeigen sein wird, nicht nur auf Einzelaussagen, sondern auch auf den Ansatz der Christologie selbst aus. Die zweite Auflage läßt keinen Zweifel daran, daß es bei der „den ganzen Prozeß der Erregung des Gottesbewußtseins vermittelnde(n) Beziehung des höheren und niederen Selbstbewußtseins aufeinander" (2§ 58,1.1,311) um ein Problem der Dominanz des Geistes oder des höheren Selbstbewußtseins180 über die - als von jeher bestehend 180
Den in der ersten Fassung vorherrschenden Begriff „Geist" ersetzt die zweite meist durch den des „Gottesbewußtseins" und verstärkt auch sonst den religiösen Bezug: So erläutert 2 § 70,2 den Begriff des „Gute(n)" (§ 91,1. 1,275) durch den Zusatz: „sofern nämlich unter dem Guten nur das durch das Gottesbewußtseins Bestimmte verstanden wird" (2I, 371). Ebenso macht sie das „praktische Interesse" (§ 102,4.1, 330) an der Idee des reinen Guten im Gegensatz zum Bösen, das den Manichäismus kenn-
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Entfaltung der Anthropologie
und als regulär anerkannte - sinnliche Funktion geht. Die ursprüngliche Vollkommenheit besteht (in Ausführung der 2 §§ 4 und 6 der Einleitung) darin, daß die menschliche Natur sich als „zulänglich zur Erfüllung" der geforderten „Stetigkeit" und „Allgemeinheit", d.h. der gegenseitigen Erweckbarkeit des Gottesbewußtseins erweist" ( 2 § 60,3. 1,324). Dabei systematisiert die zweite Auflage die vier Aspekte der ersten Fassung so, daß sie in den zwei neuformulierten mitenthalten sind. Zunächst bestand die ursprüngliche Vollkommenheit des Menschen „in der Belebungsfähigkeit seiner Organisation durch den Geist, oder in der Zusammengehörigkeit von Leib und Seele; zweitens in der Erregbarkeit seines Erkenntnißvermögens durch die umgebende Welt, oder in der Zusammengehörigkeit der Vernunft und der Natur; drittens in der Beweglichkeit des persönlichen Gefühls durch das Gemeingefühl oder in der Zusammengehörigkeit des Einzelnen und der Gattung; endlich in der Vereinbarkeit jedes Zustandes mit dem Bewußtsein des höchsten Wesens oder in der Zusammengehörigkeit des niedern und des höheren Selbstbewußtseins" (§ 74 LS. 1,236). Die neue, genauer, wenngleich weniger eingängig formulierte Bestimmung lautet: „Die Richtung auf das Gottesbewußtsein schließt als innerer Trieb das Bewußtsein des Vermögens in sich, mittelst des menschlichen Organismus zu denjenigen Zuständen des Selbstbewußtseins zu gelangen, an welchen sich das Gottesbewußtsein verwirklichen kann; und der davon unzertrennliche Trieb, das Gottesbewußtsein zu äußern, schließt ebenso den Zusammenhang des Gattungsbewußtseins mit dem persönlichen Selbstbewußtsein in sich, und beides zusammen ist die ursprüngliche Vollkommenheit des Menschen" ( 2 § 60.1,321).
zeichnet, zum „praktischen frommen Interesse" ( 2 § 80,4.1, 430). Auch die eindeutige Bestimmung des praktischen Interesses als Selbstgesetzgebung praktischer Vernunft wird so nicht stehengelassen: Ursprünglich bestand es darin, „die Idee des reinen Guten als ein leitendes und bildendes Princip in der sittlichen Welt in uns selbst zu sezen" (I, 320); nachher sehr viel unbestimmter darin, daß es „einen vollkommen reinen Impuls irgendwo postuliert" (2I, 430).
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Die Korrektur, daß nicht schon die naturmäßige Kluft den Anfangsgrund der Sünde bildet, macht den Weg frei dafür, daß nun alles darauf ankommt, in welches Verhältnis sich der Geist zum sinnlichen Selbstbewußtsein stellt 181 . Dies wird ausgeführt in der Verhältnisbestimmung von göttlichem und menschlichem Anteil an der Sünde (§ 103; 2 § 81) und in der Näherbestimmung der Faktoren, deren Interaktion im Sieg oder in der Niederlage des Gottesbewußtseins endet: von „Willen" und „Verstand" (§ 88) oder, wie die zweite Auflage weniger aus der Perspektive der theoretischen Vermögen als aus dem Bestimmungsprozeß selbst formuliert, von „Willenskraft" und „Einsicht" ( 2 § 68). Der stärkeren Betonung des Handlungsaspekts entspricht der deutlichere Einsatz bei der menschlichen Freiheit, der nun, soweit der Gesamtrahmen es zuläßt, die Schlüsselrolle zufällt.
(2) Inhalt und Stellenwert der menschlichen Freiheit Beide Auflagen lösen das Problem, wie die menschliche Urheberschaft an der Sünde und die göttliche Allkausalität zu vereinbaren sind, in der Weise, daß Gott nur die Tatsache des sinnlichen Naturtriebs und die im Gottesbewußtsein inbegriffene Vorstellung des göttlichen Gebotes bewirkt, nicht aber die Sünde selbst, die erst durch „die verneinende Zusammenfassung und Ineinsbildung jener beiden Glieder in unser Bewußtsein" entsteht (§ 103. 1,336), also durch die Art, wie der Mensch sich zu seiner von Naturtrieb und göttlichem Gebot bestimmten Situation verhält. Die Auffassung der
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Daß es um eine Stellungnahme zum Gottesbewußtsein und damit um die Sünde als Tat geht, bringt die neue Beschreibung zum Ausdruck- Sündhaft ist nun das „Hineilen einer sinnlichen Erregung zu ihrem Ziel, ohne sich dem höheren Selbstbewußtsein zu stellen" ( 2 § 69,1.1,365), statt dem „Fortschreiten einer sinnlichen Erregung zu ihrem Ziel ohne sich mit dem höheren Bewußtsein zu vereinigen" (§ 90,1.1,270).
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hierin mitbeteiligten Freiheit unterscheidet sich jedoch beträchtlich. In der ersten Auflage bezeichnet sie „vorzüglich das schwankende und wählende in dem Werden unserer Zustände" (§ 103,3.1,336) und ist insofern „Grund" der Sünde, als „erst Schwanken und Wählen überhaupt gesezt sein muß, damit auch ein solches in Verbindung mit einem noch unkräftigen Gottesbewußtsein vorkommen könne". Aber auch als schwankende wird die Wahl als eine Art von Selbstbestimmung verstanden, jedenfalls nicht äußeren Faktoren angelastet: Es liegt im Begriff der „Willensfreiheit" und im „Wesen des bewußten Lebens selbst, daß... keine äußere Einwirkung schon an und für sich auch die Gegenwirkung bestimmt, sondern jede Erregung erst in den innersten Mittelpunkt des Lebens aufgenommen wird und aus diesem auch die Gegenwirkung hervorgeht". Deshalb kann die Sünde dem Einzelnen zugerechnet werden: „so gewiß als sie in der Freiheit des Menschen gegründet ist, so gewiß (ist die Sünde) auch seine That" (1,337). Diese Andeutung einer (für die Frage der Vermeidbarkeit der Sünde entscheidenden) im „innersten Mittelpunkt des Lebens" gegebenen Instanz der Wahl führt die erste Auflage nicht weiter aus. Dort, wo der Ort dafür wäre, in der Einstellung von Willen und Verstand, deutet sie die Diskrepanz beider sogar eindeutig naturalistisch: „Ueberwiegend erscheint das Zurükbleiben des Willens hinter dem Verstände in dem Zusammenleben der Jugend mit den Erwachsenen", das Umgekehrte mehr „in dem Zusammenleben der Ungebildeten mit den Gebildeten" (§ 88,1.1,267f.). Das fromme Bewußtsein ist von dem Mißverhältnis eher als passives betroffen: Es wird durch diese „Ungleichheit... auch in sich selbst getrübt und verunreinigt". Eigentlich müßte es mit unserem Selbstbewußtsein, dem es „eingepflanzt" ist, „eben so gut in den Willen Übergehn als in den Verstand", was „aber nur ungleichmäßig (geschieht)" (§ 88,2.1,268). Im zweiten Zugang hingegen expliziert Schleiermacher die Sünde nicht mehr nur als schwankendes und mißratendes Wählen, sondern als praktische Widersetzung gegen den zuvor als gebietend anerkannten
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Vorrang des Gottesbewußtseins. Den Vorgang dieser verfehlten Selbstbestimmung erklärt er unter Rückgriff auf das „unmittelbare Selbstbewußtsein", das für Verstand und Willen „das Maß der Ungleichmäßigkeit ihrer Entwicklung" (2§ 68,1.1,361) abgibt, folgendermaßen: Die grundsätzliche Erkenntnis des Verstandes, daß das höhere Selbstbewußtsein dem niederen immer vorzuziehen sei, muß jeweils aktuell „Einsicht", d.h. ,,an(ge)eignet()" werden. Dies erfordert einen „Akt des Selbstbewußtseins", in dem „unter der Form der Billigung und Anerkennung diese Einsicht nun Gebot wird". Zur konkreten Realisierung des Gottesbezugs aber bedarf es überdies eines besonderen Impulses, der die höhere Orientierung gegen die Schwerfälligkeit des Fleisches durchzusetzen sucht. Eben diese Tatsache, daß jedesmal ein besonderer Anlauf des Willens nötig ist, wertet Schleiermacher als eine der (zuvor als möglich erklärten) Stetigkeit des Gottesbewußtseins widersprechende „Störung der Natur" (2§ 68.1,360f.) und Sünde. Hat die zweite Analyse des Sündenbewußtseins damit, daß sie die zwischen Anerkennung und Realisierung des Gottesbewußtseins vermittelnden Schritte nunmehr entfaltet hat, in ihrer Bestimmung der glückenden oder scheiternden - Beziehung von Mensch und Gott die Ebene der Natur verlassen und die der Freiheit erreicht? Dem widerspricht die beibehaltene terminologische Fixierung der Sünde als ,,ungleichmäßige() Entwicklung" (2§ 68 LS. 1,360) von Einsicht und Willenskraft und ihre (angesichts der Feinheiten der Bestimmung des Entscheidungsprozesses im Subjekt selbst umso enttäuschendere) Erklärung als bloße zeitliche Diskrepanz: „Daß nun diese Aufregung des Selbstbewußtseins schneller auf die Einsicht folgt, als sie imstande ist, die Willenserregungen zu bestimmen, ist eben die Ungleichmäßigkeit, mit welcher die Sünde und das Bewußtsein derselben gegeben ist" (1,361). Zwar entspricht der subjekttheoretischen Vertiefung das Schwergewicht, das nun dem „Gesamtleben" in der Befestigung der Sündhaftigkeit zufällt182. Aber letztlich ist es auch in der 182
Die zweite Auflage versteht damit die Erbsünde als eine wesentlich aus geschichtlichen Interaktionen hervorgehende und durch sie immer weiter
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Zweitfassung nur das „Fleisch", das sich widersetzt: Der Geist ist zwar schwach, aber doch willig. Daß er gegenüber der alteingesessenen Macht des Fleisches immer zu spät kommt, ist sein konstitutiver Nachteil, der im faktischen Entwicklungsgang der Menschheit begründet liegt. Aber läßt sich ein solches Verständnis der Sünde als einer „zu den Bedingungen der Existenzstufe..., auf welcher das menschliche Geschlecht steht" ( 2 § 81,4.1,440) gehörenden Diskrepanz denn ernsthaft, wie Schleiermacher es möchte, mit ihrer Bestimmung als freier „Tat" vereinbaren? Die faktische Unvermeidlichkeit der Sünde ist denn auch - neben dem Bedenken gegen die nur graduelle Entgegensetzung des Bösen und Guten - einer der Haupteinwände, die gegen Schleiermachers Umformung der Sündenlehre vorgebracht worden sind. E. Schrofner resümiert treffend: „Sünde als Entwicklungsstörung ist bloße Negation und steht auf einer Stufe mit den aus der Endlichkeit des Menschen resultierenden Beschränkungen. Nur weil sie - im Gegensatz zur Endlichkeit - eine Störung der Natur oder eine Beeinträchtigung der gleichmäßigen Entwicklung der geistigen Funktionen des Menschen und deswegen etwas Nichtseinsollendes darstellt, erhält sie die negative Qualifikation von Sünde und Schuld" (200). Der „Eindruck eines gewissen Naturalismus dieser Sündentheorie... geht offensichtlich auf die Erklärung des materialen Elements der Sünde zurück(,)... einer ungleichmäßigen Entwicklung der geistigen Funktionen... Erst nachträglich wird diese Störung der Natur auf die verantwortliche Tat des Einzelnen zurückgeführt und als schuldhaft bezeichnet... Zur formellen Sünde wird diese allgemeine Sündhaftigkeit des Menschen erst dadurch, daß aufgrund des nie ganz fehlenden Gottesbewußtseins und des mit diesem verbundenen Gewissens der mangelhafte Zu-
befestigte strukturelle Größe: Die „Stärke des Widerstandes aber, den das Fleisch leistet, und der sich im Bewußtsein der Sünde ausdrückt, hängt ab von dem Vorsprung, welchen das Fleisch zu jener Zeit schon gewonnen hatte, allerdings aber auch im Zusammenhang mit dem Gesamtleben, in welchem das Maß jenes Vorsprunges seinen Grund hat" ( 2 § 67,2.1, 359f.). Entsprechend bezieht sie die Erlösung verstärkt auf das Gesamtleben.
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stand als nicht-seinsollend bewußt wird". Erst dann „kann Gott als der diesen Zustand verneinende bzw. als der Urheber des Gewissens und damit auch der Sünde im menschlichen Gesamtleben ausgesagt werden. Die menschliche Freiheit im Sinne eines verantwortlichen Tuns oder Verhaltens spielt in diesem Sündenbegriff so gut wie keine Rolle"183. Aus dem Vergleich mit dem Sündenbegriff Kierkegaards kommt H. Fischer zu dem Urteil: „Man wird... nicht umhin können zu sagen, daß Schleiermacher die Sünde in ein notwendiges Glied der natürlichen menschlichen Entwicklung umgedeutet hat. Sie bezeichnet die noch nicht voll entwickelte Kraft des Gottesbewußtseins" und insofern nur eine „Negation", keinen „voll verantwortliche(n) Widerstreit des durch die Offenbarung um sich selbst wissenden Menschen wider Gott" 184 . Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt D. lange: Indem Schleiermacher „die Sünde dem Schema des Entwicklungsgedankens einordnet)", werden „sowohl der Verhängnischarakter als auch die Verantwortlichkeit auf einer höheren Ebene vermittelt und so letztlich aufgehoben". Deshalb, so räumt auch Lange ein, „besteht die Kritik zu Recht, daß er hier der Einheit des Gottesbegriffs zuliebe der Sünde letztlich ihren Emst genommen hat" 185 . 183
Theologie, 165f.
184
H. Fischer, Subjektivität und Sünde. Kierkegaards Begriff der Sünde mit ständiger Rücksicht auf Schleiermachers Lehre von der Sünde, Itzehoe 1963,116.
185
D. Lange, Historischer Jesus, 142. Fischer sieht darüber hinaus in den zwei Perspektiven, unter denen die Sünde erscheint, eine mit dem aufgestellten Prinzip dogmatischer Erkenntnis unvereinbare Doppelgleisigkeit: „Es wird auf zwei Ebenen argumentiert; auf der Ebene des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls, das Gottes schlechthinnige Ursächlichkeit aussagt, und auf der Ebene des durch den Gegensatz bestimmten frommen Selbstbewußtseins, das den unmittelbar empfundenen Gegensatz von Sünde und Gnade nicht auf Gott übertragen kann. Mithin: das fromme Selbstbewußtsein sagt einen widersprüchlichen Tatbestand aus. Schleiermacher gleicht diesen Widerspruch aus, indem er entgegen seiner prinzipiellen Voraussetzung [,] nur vom frommen Selbstbewußtsein her zu argumentieren, zum göttlichen Denken, zu einer Argumentation sub specie dei seine Zuflucht nimmt, und hier zu Aussagen kommt, die, streng genommen, die Aussagen des unter dem Gegensatz stehenden Bewußtseins auf einer höheren Ebene aufheben" (Subjektivität, 80). Fischer beanstandet demnach nicht nur den
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Wie aber hätte Schleiermacher die Sünde bestimmen müssen, um die kritisierte Rücknahme ihres Tatcharakters in ein unvermeidliches Entwicklungsproblem der Natur zu vermeiden? Das Grundsymptom der Problematik seiner Sündenlehre scheint mir zu sein, daß sie den Konflikt zwischen Geist und Fleisch und nicht in den Geist selbst setzt186. Erst dann wäre der Widerstreit „positiv", d.h. nicht nur eine Inhalt der Sündenlehre, daß „die Sünde sich in einen - wenn man so sagen darf - spekulativen Entwicklungsbegriff verwandelt hat", sondern auch ihr Verfahren: Für ihn ist zugleich das Erkenntnisprinzip der Glaubenlehre getroffen, wenn dem „im frommen Selbstbewußtsein erlebten Gegensatz von Sünde und Gnade... die Tiefe und der Ernst genommen (wird)" (81). D. Lange weist diesen Vorwurf zurück: „(N)icht im Widerspruch zu der Forderung, vom religiösen Selbstbewußtsein auszugehen, sondern gerade um ihrer Erfüllung, nämlich um der Zentralität des Erlösungsbewußtseins willen" habe Schleiermacher „die Grenzen des menschlichen Denkens, die Kant unwiderruflich gezogen hat, an dieser Stelle überschritten" (Historischer Jesus, 143). Abgesehen davon, daß die von Kant gezogenen Grenzen des menschlichen Denkens eigentlich schon mit 2 § 4 überschritten waren, scheint mir die Frage, ob er mit dem Erkenntnisprinzip des christlich bestimmten Selbstbewußtseins zu solchen Aussagen über Gott vorstoßen kann, ein für dais Verhältnis des allgemeinen Gottesbewußtseins von Teil I und des christlichen von Teil II symptomatisches Problem anzusprechen. Schleiermachers Lösung, den im christlichen Selbstbewußtsein unmittelbar empfundenen Gegensatz durch Transponierung auf die höhere Ebene des ewigen göttlichen Ratschlusses zu versöhnen, ist das beste Beispiel dafür, wie sich bei ihm das im allgemeinen Bewußtsein Implizierte gegen das zweite, christlich bestimmte Moment durchsetzt. Gerade die spezifischen Bestimmungen, die den für das christliche Bewußtsein konstitutiven Gegensatz ausmachen, werden zurückgenommen und zu zeitlichen Modifikationen im göttlichen Ratschluß umfunktioniert. Auf der Strecke bleiben dabei die Bestimmung der Sünde als Tat der Freiheit, die über seine Funktion als zweiten Anfang hinausgehende Bedeutung Jesu und die Differenz von Gottes Schöpfungs- und Heilshandeln. Die Frage an Lange angesichts dieses Preises ist, ob die von ihm richtig skizzierte Lösung Schleiermachers inhaltlich überzeugt. 186
Schon Bret Schneider hat dies gegen die erste Fassung der Sündenlehre vorgebracht: Es „lehrt die Erfahrung, daß nicht die Sinnlichkeit Differenzen habe, sondern das geistige Princip in dem Menschen. Der Grund also, warum das Gottesbewußtseyn nicht alle Lebensmomente unbedingt er-
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Schwäche der Willenskraft gegenüber dem Eigensinn der Sinnlichkeit, sondern eine entschiedene, in ihrer Verfehltheit „trotzig" bejahte Selbstwahl 1 8 7 . Die Differenzen, die Fischer in seinem Vergleich des Sündenbegriffs bei Schleiermacher und Kierkegaard anführt 1 8 8 , scheinen mir in ihrem unterschiedlichen Freiheitsbegriff begründet zu sein: Kierkegaard setzt der existierenden, an endliche Vermittlun-
füllt, ist gewiß weit mehr in der ungleichen Entwickelung und Thätigkeit der Vernunft, als in der sinnlichen Natur zu suchen" (Begriff der Erlösung 21). 187 vgl. H. Fischers Kennzeichnung der Erlösung bei Kierkegaard: „Dieser Prozeß hat nicht die Form einer allmählich ansteigenden Linie, sondern die einer gebrochenen Linie. Glaube ist zerbrochener Trotz" (Subjektivität, 115). 188
a.a.O., 113-117. Er sieht sie einmal in den „verschiedenen Perspektiven" des „akademische(n) Lehrer(s)" und des „existierende(n) Denker(s)" begründet, der seine „Aussagen nicht unter dem Aspekt eines wissenschaftlichen Zusammenhangs auf Aussagen anderer Lehrstücke abzustimmen braucht" (114). Die Wurzel aller sachlichen Unterschiede setzt Fischer in den Gegensatz einer „quantitive(n)" und einer „qualitative(n) Dialektik", die sich in der Zuordnung von Gut und Böse, Sünde und Gnade niederschlägt. Ihre qualitative Fassung schließt jede Rückführung auf Gott aus: „Die Sünde setzt sich selbst voraus. Sie ist, wenn man auf das Selbstbewußtsein des sündigen Menschen zurückgeht, ein unergründlicher Freiheitsakt, aus dem jede erklärbare Ursache ausgeschlossen wird" (115). Daraus folgt die dritte Hauptdifferenz: „Sünde als Zustand (Entwicklungsmangel) und Sünde als Tat (Widerstand gegen Gott)". Fischer fragt zu Recht, „welchen Wert" die Betonung von Tat, Wille, positivem Widerstreit bei Schleiermacher haben, „wenn solcher Wille und solche Tat nur verstanden werden können als Außerungsformen eines noch nicht voll entwickelten Selbstbewußtseins" (116). Fischer faßt diese Unterschiede darin zusammen, daß „für Schleiermacher die Sünde primär ein Faktum des Bewußtseins ist", während sie für Kierkegaard „wie für Paulus und Luther coram deo (geschieht)" und so „aus der reformatorischen Dialektik von Wort und Glaube heraus verstanden" wird. Dies ist folglich die Perspektive seiner Kritik die als theologische allerdings noch philosophisch einzulösen wäre und dabei von der Freiheit ihren Ausgangspunkt nehmen müßte.
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gen gebundenen Freiheit das Moment ihrer formellen Unbedingtheit voraus und kann so die Sünde als eine Position, als Verhältnis des Menschen zu sich selbst, d.h. zu der Synthese, als die er existiert, begreifen. Erst so ist sie im Sinne einer Tat begeh- und vermeidbar. Aber diese Möglichkeit, sie mit Kierkegaard als „eine 'Krankheit im Geisf selbst" anzusetzen, als „das verzweifelte 'Selbstseinwollen' der vom Bewußtsein ihrer Kontingenz geängstigten und im Endlichen sich behauptenden Freiheit" steht Schleiermacher gerade nicht mehr offen. Er hat sie sich „schon im Ansatz verstellt"189.
b) Konsequenzen für den Ansatz der Christologie
Die durchreflektierten und mit den Vorgaben des Rahmens aufs genaueste abgestimmten Aussagen der verbesserten Sündenlehre haben neue Bestimmungen auch im positiven Teil der Erlösungslehre, der Christologie, zur Folge. Auch wenn sie erst dort im einzelnen diskutiert werden können, so erscheint es doch sinnvoll, sie hier schon, im Anschluß an den Zusammenhang darzustellen, aus dem sie sich ergeben. Sie bestehen in der Betonung der geschichtlichen Vermitteltheit der christlichen Erlösungserfahrung (1) und der Neuorientierung der Christologie am Titel des zweiten Adam (2).
(1) Zur Konstruierbarkeit einer sündlosen Existenz Die unterschiedliche Fassung der Sünde, zunächst als Kluft von Geist und Fleisch naturhaft, sodann als jeweiliges Unterliegen des Gottes-
189
Th. Pröpper, Bestimmung, 212. Zu Schleiermachers Freiheitsverständnis und dessen Auswirkung auf seinen Entwurf der Philosophischen Ethik vgl. 210-212. Anm. 44.46. Zur Explikation der geforderten „radikalere(n) Freiheitsauffassung" vgl. 210-214.
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bewußtseins geschichtlich bestimmt, läßt Differenzen im Ansatz der Erlösung erwarten. Sie zeigen sich erstmals dort, wo es darum geht, die Sünde durch den Nachweis der Möglichkeit einer unsündlichen Entwicklung als vermeidbare Störung der eigentlichen Natur des Menschen aufzuweisen (§ 89; 2 § 68). Die erste Auflage beschränkt sich hier darauf, die Denkmöglichkeit festzustellen: Wir können „die Möglichkeit einer vollkommen gleichmäßigen Entwiklung, die also auch unsündlich wäre, nicht an und für sich abläugnen" (1,269). Auf dieser „Annahme... und auf der Möglichkeit einer vollkommen reinen Erscheinung des Bewußtseins Gottes in der menschlichen Seele beruht die Möglichkeit einer Erlösung; und wir können also der Sünde als solcher nur inne werden in Bezug auf die Erlösung, so daß eines nur mit dem andern zugleich Wahrheit für uns haben kann" (§ 89,2.1,269). Die zweite Fassung dieser Stelle verdeutlicht, daß der „Bezug auf die Erlösung" eine Geschichtstatsache meint. Statt die für die Denkbarkeit der Erlösung vorauszusetzenden Hypothesen anzugeben, bezieht sie sich auf die Erfahrung, der sich diese Einsichten verdanken: „(U)m eine gänzliche Vermeidlichkeit des positiven Widerstandes, den das Fleisch leistet, als etwas Mögliches zu setzen, dazu gehört die Gewißheit einer seit dem ersten Hervortreten des Gottesbewußtseins stetig fortgegangenen Entwicklung seiner Gewalt bis zu einer absoluten Stärke, d.h. einer unsündlich entwickelten menschlichen Vollkommenheit. Auf dieser Gewißheit beruht also beides gleichmäßig, das volle Bewußtsein der Sünde als einer Störung der Natur und der Glaube an die Möglichkeit einer Erlösung durch die Mitteilung der so bewährten geistigen Kraft" ( 2 § 68,3.1,365). Es bedurfte somit der Anschauung der vollkommenen Unsündlichkeit in der Gestalt eines Lebens, um sie begrifflich nachbilden und die gewohnte Sündhaftigkeit sowohl als Störung der eigentlichen Natur des Menschen als auch als besiegbar erkennen zu können. Diese angesichts der Existenz der Person Jesu einsetzende Selbsterkenntnis hätte eine gegen die Sündhaftigkeit verbindlich gemachte Selbstgesetzgebung nicht bewirken können: „Das Bewußtsein der Sünde...
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kommt freilich aus dem Gesetz; aber wie dieses selbst in der Mannigfaltigkeit einzelner Vorschriften nur eine unvollkommne Darstellung des Guten ist und auch in der Einheit einer allumfassenden Formel die Möglichkeit seiner Befolgung nicht mit darlegt, so bleibt auch die hieraus entstehende Erkenntnis der Sünde teils unvollständig, teils zweifelhaft, und nur in der völligen Unsündlichkeit und der absoluten Geisteskräftigkeit des Erlösers wird uns die vollkommne Erkenntnis der Sünde. Und sie kann uns nur als Störung der Natur erscheinen, da die Möglichkeit vorliegt, daß das Gottesbewußtsein sich bis zu der Reinheit und Heiligkeit, die es in dem Erlöser hat, von dem ersten Menschen an stetig hätte entwickeln können" (a.a.O.). So bestimmt die Zweitauflage darauf besteht, daß das tatsächliche Auftreten eines unsündlichen Erlösers nicht menschlich projizierbar, sondern göttlich gegeben ist, so offen spricht sie sodann die anthropologische Relevanz der Erscheinung Jesu aus: die Erfüllung der Anthropologie in der Christologie, das Naturwerden des Übernatürlichen, die Möglichkeit der rückblickenden Beurteilung der Sünde als Unvollkommenheit. Das Brückenstück zwischen Anthropologie und Christologie, das die Kontinuität sichert und die Notwendigkeit einer „Umschaffung" ausschließt, wird nun benannt: Die „lebendige menschliche Empfänglichkeit, vermöge deren erst jenes Übernatürliche (sc. eine anfangende göttliche Tätigkeit) ein geschichtlich Natürliches werden kann", ist „das verbindende Glied zwischen dem Gesamtleben vor der Erscheinung des Erlösers und in der Gemeinschaft mit dem Erlöser" und bringt „die Selbigkeit der menschlichen Natur in beiden zur Anerkenntnis" 190 . Vom Gesamtablauf her gesehen ist 190
Dabei will die zweite Auflage dennoch die „lebendige Empfänglichkeit" der menschlichen Natur nicht zu sehr in Selbsttätigkeit übergehen lassen. So wird die frühere Unterscheidung zwischen aufnehmendem Wesen bzw. Grund und selbsttätiger Etscheinung bzw. Folge getilgt: „Sowol die Sendung des Erlösers... als auch die Verbindung der Einzelnen zur Lebensgemeinschaft mit ihm ist auf der einen Seite nur als göttliche Thätigkeit zu sezen, bei der sich die menschliche Natur nur aufnehmend verhält; das Resultat derselben aber, oder die erscheinende Seite jener göttlichen Thätigkeit ist die höchste menschliche Selbstthätigkeit, indem ein neues thätiges Lebenselement in der menschlichen Natur und in den Ein-
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deshalb „auch die Erscheinung des Erlösers mitten in diesem Naturverlauf nicht mehr ein übernatürliches, sondern ein durch das Vorherige bedingtes Hervortreten einer neuen Entwicklungsstufe, deren Zusammenhang mit dem Vorigen freilich nur in der Einheit des göttlichen Gedankens liegt" (2§ 88,4.11,23).
(2) Jesus als „zweiter Adam" Was die erste Auflage schon aussprach, arbeitet die zweite zum neuen Grundkonzept aus: daß „die Erscheinung Christi... die vollendete Schöpfung der menschlichen Natur" darstellt (§ 110 LS. II,10f.; 2 § 89 LS. 11,23) und deshalb im Blick auf die „Gesamtwirkung" des göttlichen Ratschlusses der „Anfänger und Urheber dieses vollkommneren menschlichen Lebens" angemessener mit dem Titel des „zweiten Adam" zu bezeichnen ist ( 2 § 89,1. II,23f.). Das Recht, das Zwischenstadium der Sünde durch das Licht aufzuhellen, das von der Erscheinung Christi her auf es fällt, ergibt sich aus dem Blick auf den göttlichen Ratschluß. Die Zurückhaltung der ersten Auflage, von ihm her zu argumentieren, läßt die zweite fallen. Die erste hatte die Interpretation der Erlösung als „Vollendung der Schöpfung" als einen der „erläuternden combinatorischen Säze()" ausgewiesen, „die ihren Werth nur im Lehrgebäude haben und für dasselbe, also auch gar nicht auf irgend ein anderes Gebiet religiöser Mittheilung können übertragen werden." So stand für sie fest, daß die neue Lehrformel „niemals als Analyse eines unmittelbaren Selbstbewußtseins... dargestellt werden" kann, da sie nur „die Verbindung" angeben sollte „zwischen dem Gedanken, daß das Böse in Gott auch nicht gedacht und also auch nichts um seinetwillen geordnet sein kann, mit dem Gedanken, daß wegen der eignen Unfähigkeit des Menschen die Unseligkeit der Sünde nur durch göttliches Zuthun
zelnen aufgeht" (§ 109,4.11,10).
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Entfaltung der Anthropologie
von ihm genommen werden kann" (§ 110,1.2. Hilf.). Für die zweite Auflage ist die neue Überschrift über das gesamte Heilswerk hingegen durchaus, „genauer betrachtet, ein ebenso richtiger und unmittelbarer Ausdruck unsers christlichen Selbstbewußtseins als die erste", sofern dieses in der Gemeinschaft mit Christus das Bewußtsein der Sünde nicht mehr als „Erlösungsbedürftigkeit", sondern als „Unvermögen der noch jungen Gegenwart" empfindet und nicht nur kombinierend erschließt ( 2 § 89,2. II,25) 191 .
3. Bilanz der Sündenlehre
Obwohl Schleiermacher die „Vollendung der Schöpfung der menschlichen Natur" als neue Phase akzentuieren möchte, erscheint in den Leitbegriffen der Zweitfassung die Sünde im Rückblick doch weniger als eine „Störung" denn als eine nunmehr auf den Weg der Besserung gebrachte Schwäche des Gottesbewußtseins. Bei allem Nachdruck, mit dem die Zweitauflage gegenüber der eisten die Notwendigkeit eines geschichtlichen Neueinsatzes zur Durchsetzung des Gottesbewußtseins im menschlichen Entwicklungsgang herausstellt, legt die Neubewertung der Erlösung als „Vollendung der Schöpfung" den Inhalt der Christologie nun umso bestimmter auf die Realisierung des immer schon angelegten Wesens des Menschen fest.
191
Daß sich nach der zweiten Auflage die theologische Aussage von der Vollendung der Schöpfung auf eine Erfahrungsbasis im christlichen Selbstbewußtsein berufen kann, macht £. Günther gegen Baurs Vorwurf des „doppelten Christus" der Glaubenslehre geltend. Die „Grundlage des Postulats (d(er) Vereinigung von Urbildlichem und Geschichtlichem) ist eben nicht wieder eine Idee, sondern die erfahrbare Realität des neuen Gesamtlebens; so kann man zwar von spekulativen Elementen, nicht aber von einer spekulativen Grundtendenz reden" (Entwicklung, 50).
Bilanz der Sündenlehre
171
Zwar hat die Neufassung die Einheit des Gottesgedankens angesichts der Tatsache der Sünde und der Erlösung gerettet und die gefürchtete „Willkür" vermieden: Nicht Gottes besonderer Akt der Erwählung konstituiert den Anfang der Heilsgeschichte, sondern die Selbstfestlegung auf die zweiteilige Gesamtstiftung von Schöpfung und Erlösung, die, einmal in Gang gesetzt, mit Notwendigkeit abläuft. Doch begrenzt dieser Ausgangsrahmen die Aussagemöglichkeiten der Christologie. Sie hat nur noch zu entfalten, daß es zur Begründung der zweiten Heilsphase des Menschen Jesus bedurfte und daß es auch nach ihrer Auslösung noch bleibend seiner bedarf. Auf ihn kommt es als Urbild der realisierten Einheit von Gottes- und Selbstbewußtsein an. Zu untersuchen ist nun, ob dabei zutrifft, was A. Sierscyn feststellt: Christus kann „nicht mehr als Person interessieren, sondern lediglich als derjenige Punkt des sittlichen Gesamtprozesses, durch den hindurch das Naturereignis der neuen Schöpfung sich urbildlich und epochemachend vollzieht, wobei diese zudem nicht als der Ertrag seiner freien Tat und seines eigenen, persönlichen Werkes, sondern als das Ergebnis der durch ihn hindurch tätigen Ursächlichkeit, d.h. als 'Naturtat' erscheint"192. Dabei ist schon jetzt zu vermuten, daß die zweite Auflage wiederum größeren Wert auf den Aspekt der Freiheit legen und die 'Naturtaf in dieser Hinsicht explizieren wird, und zwar sowohl im Blick auf die Ausgestaltung des Gottesbewußtseins durch Jesus als auch auf die Aufnahmebereitschaft der Gläubigen. Diese Aufmerksamkeit beruht ihrerseits natürlich auf der als Scharnier zwischen Anthropologie und Christologie nunmehr ausgewiesenen „Empfänglichkeit". Auch wenn die zweite Auflage anmerkt, daß sie „eigentlich kein Mitwirken, sondern ein Sich-der-Wirkung-Hingeben" ( 2 § 70,2.1,372) ist, so bleibt doch zu bezweifeln, ob diese Abschwächung hilft, wenn, mit Baur zu reden, „die äussern Thatsachen der durch Jesus geschehenen
192
A. Sierscyn, Das Sünde- und Schuldproblem im dogmatischen Denken Schleiermachers, Diss, theol. Erlangen-Nürnberg 1973,159.
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Entfaltung der Anthropologie
Erlösung nichts mittheilen können, was nicht ursprünglich in der Natur des Menschen gegründet ist, also diese durch sie nur geweckt und zur thatkräftigen Aeusserung gebracht wird" 193 . Aber selbst wenn von Schleiermachers Ausführung der Sündenlehre her schon absehbar erscheint, daß die Ausarbeitung der Lehre von „Person und Geschäft Jesu" nur seine faktische Bedeutung als Erstverwirklicher des ganzen Wesens des Menschen begründen kann, so ist die Entwicklung von der ersten zur zweiten Fassung doch umso mehr von Interesse, als Schleiermacher mit ihr dem für ihn ernstesten Einwand der Kritik begegnen mußte: daß auch für diesen der Person Jesu zugewiesenen Zweck ihre geschichtliche Gestalt überflüssig sei.
193
F.C. Baur, Kirchengeschichte, 204.
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B. Die Christologie
Die Wesensbestimmung des Christentums hat in der Dogmatik, die die christlichen Lehrsätze „im Zusammenhang", und somit auch in ihrer Abstimmung aufeinander, darstellen soll194, durch den Rahmen der allgemeinen Gotteslehre und die Ausführung der Sündenlehre eine folgenreiche Transformation erfahren: Was von seiner Wirkung auf das christliche Selbstbewußtsein her als „Erlösung" des Menschen erschien, stellte sich im Blick auf die Handlungsabsicht Gottes als Vollendung seiner Schöpfung heraus. Wie Schleiermachers christologischer Grundentwurf sich zwischen Erst- und Zweitfassung entwickelt, möchte ich anhand der folgenden Fragen untersuchen: Mit welchen Kategorien sucht die ursprüngliche Fassung die in der Wesensbestimmung und der Sündenlehre festgestellte einzigartige Bedeutung Jesu auszudrücken (1)? Nachdem aber gerade die erste Ausführung der Christologie den von der Einleitung geweckten Verdacht Baurs, der Schleiermachersche Christus stelle nur die personifizierte Idee der Erlösung dar, nicht ausräumen konnte, darf man auf die neue Fassung und Begründung seines Grundgedankens gespannt sein. Es ist zu erwarten, daß die bisherigen Neuakzentuierungen und Korrekturen hier, in ihrem Zielpunkt, ihre reflektierteste Zuspitzung erfahren werden (2). Abschließend möchte ich die endgültige Durchführung nach Schleiermachers eigenem, schon genannten Kriterium beurteilen: Wie ist die neue Kennzeichnung der Funktion Jesu, die sich nunmehr als tragendes Konzept des Gesamtwerks herausstellt, gegenüber der ersten, der erlösenden, zu bewerten? Kann sie den wesentlichen Rückbezug des christlichen Selbstbewußtseins auf ihn und
194
Vgl. H. Fischer, Subjektivität, 114.
174
Entfaltung der Christologie
seine bleibende Bedeutung für die von ihm eingeleitete Entwicklung gewährleisten (3)?
1. Der christologische Grundentwurf
Die Aufgabe der Christologie besteht darin, die christliche Erlösungserfahrung eines neuen, dem der Sünde entgegengesetzten Gesamtlebens bezüglich der Person des Erlösers zu explizieren. Den zureichenden Grund für diese Wirkung erkennt sie in der Einheit von Urbildlichkeit und Geschichtlichkeit, die seine Person realisierte. Der Leitsatz, deren rückschließende Form den Bezug auf das Erkenntnisprinzip der Dogmatik, das christlich fromme Selbstbewußtsein, ausweisen soll, lautet: „Indem die Förderung des höheren Lebens in dem Bewußtsein des Christen auf den Erlöser zurückgeführt wird, so bezieht sich dieses auf das geschichtliche und urbildliche in seiner Person als unzertrennlich vereint" (§ 114 LS. 11,19). In der Begründung dieser christologischen Kernthese nimmt Schleiermacher spätere Einwände vorweg: einmal, daß die erlösende Wirkung auch ohne die Existenz einer uibildlichen Person aus ihrer bloßen Darstellung erklärbar sei; zum anderen, daß aus einer so unvollkommenen Wirkung, wie das neue Gesamtleben der christlichen Kirche sie darstelle, zwar auf eine geschichtliche, nicht aber auf eine urbildliche Stifterperson zu schließen sei. Die erste Auflage macht gegen diese Argumente geschichtliche Gründe geltend: daß nämlich die Entstehung der Kirche einen Grund haben müsse, der allen Darstellungen vorausliege; und daß überdies das ursprüngliche Zeugnis von der Urbildlichkeit Christi dann ebenso unerklärt bliebe wie die Tatsache, daß die gestiftete Kirche nicht über ihn fortgeschritten sei.
Christologischer Grundentwurf
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Wie aber lassen sich beide als unverzichtbar aufgewiesenen Momente positiv zusammendenken? Seine These, daß die Einheit von beiden in einem Einzelnen eben „das Wunderbare... in der Person des Erlösers" (§ 114,2. 11,20) ausmache, verteidigt Schleiermacher zunächst gegen drei andere Erklärungsversuche und entfaltet sodann im nächsten Paragraphen ihre reale Durchdringung. Gegen die Reduktion auf den geschichtlichen Kontext, die Projektion eines Ideals und gegen eine Kombination aus beiden, die den allzu geschichtlich bedingten Anfang eine Läuterung durch die Zeiten erfahren läßt, wendet er ein, daß sie Anspruch und Inhalt des Christentums widersprechen: seinem Selbstverständnis, sowohl eine eigenständige als auch die höchste Verwirklichungsgestalt von Religion zu sein. Gegen die Kantische Auflösung der Urbildlichkeit Jesu in eine selbsterzeugte und auf ihn nur übertragene Idee 195 beruft er sich auf die Macht der Sünde, die mit dem Willen zugleich den Verstand binde und an der selbsttätigen Konzeption reiner Ideen hindere. Wenn damit beide Momente als gleich notwendig aufgewiesen sind, dann gilt
195 Vgl J foifi^ Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. In: Werke in zehn Bänden, hg. v. W. Weischedel, Darmstadt 19755, Bd. 7, 649879: Die Idee des guten Prinzips „hat ihre Realität in praktischer Beziehung vollständig in sich selbst. Denn sie liegt in unserer moralisch gesetzgebenden Vernunft... Es bedarf also keines Beispiels der Erfahrung, um die Idee eines Gott moralisch wohlgefälligen Menschen für uns zum Vorbilde zu machen... Wäre nun ein solcher wahrhaftig göttlich gesinnter Mensch zu einer gewissen Zeit gleichsam vom Himmel auf die Erde herabgekommen, der durch Lehre, Lebenswandel und Leiden das Beispiel eines Gott wohlgefälligen Menschen an sich gegeben hätte, so weit als man von äußerer Erfahrung nur verlangen kann (indessen, daß das Urbild eines solchen immer doch nirgend cinders, als in unserer Vernunft zu suchen ist),... so würden wir doch nicht Ursache haben, an ihm etwas anders, als einen natürlich gezeugten Menschen anzunehmen (,)... weil das Urbild, welches wir dieser Erscheinung unterlegen, doch immer in uns... selbst gesucht werden muß, dessen Dasein in der menschlichen Seele schon für sich selbst unbegreiflich genug ist, daß man nicht eben nötig hat, außer seinem übernatürlichen Ursprünge ihn noch in einem besondern Menschen hypostasiert anzunehmen" (714-717).
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Entfaltung der Christologie
für die Ausführung der Christologie: Das „urbildliche (muß) in der Form des geschichtlichen erscheinen, d.h. der Erlöser muß sich zeitlich entwikkeln; aber jeder geschichtliche Augenblik muß zugleich das Wesen des urbildlichen ausdrükken, also das zeitlich unbedingte" (§ 115 LS. 11,23). Wenn der Begriff der Urbildlichkeit demnach auch die Entwicklung und die geschichtliche Bedingtheit der Person Jesu in sich einbegreifen kann, worin besteht dann ihr Inhalt? Schleiermacher bestimmt ihn als die kampflose und stetige Überlegenheit des Gottesbewußtseins über das sinnliche Selbstbewußtsein Jesu. Sofern seine Erscheinung damit die zuvor „nur als möglich vorgestellte rein unsündliche Entwiklung in ihrer Wirklichkeit darstellt)" (§115, 2.11,25), ist in ihr die Schöpfung der menschlichen Natur vollendet. Da die Unsündlichkeit positiv als die „reine Thätigkeit Gottes" gefaßt wird, gilt von Jesu Gottesbewußtsein, daß es ein „wahres Sein Gottes in ihm" darstellt und dieses Sein Gottes „sein innerstes Selbst" (§ 116,3.4.1,29f.) ausmacht.
2. Die abschließende Fassung der Christologie
In der Neufassung sucht Schleiermacher vor allem die Seite der notwendigen Geschichtlichkeit des Urbildes gegen die Baursche Kritik hervorzuheben. So formuliert er die in der Tat als Konstruktion mißverständlichen Leitsätze um und verschränkt die Paragraphen 114 und 115 miteinander. Der Leitsatz und der erste Abschnitt von 2 § 93, der die Einheit von Geschichtlichkeit und Urbildlichkeit in der Person Jesu feststellt, verweisen sogleich auf die Gestalt seines Lebens, in der diese Einheit sich ausdrückt: „Soll die Selbsttätigkeit des neuen Gesamtlebens ursprünglich in dem Erlöser sein und von ihm allein ausgehen: so mußte er als geschichtliches Einzelwesen zugleich ur-
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bildlich sein, d.h. das Urbildliche mußte in ihm vollkommen geschichtlich werden, und jeder geschichtliche Moment desselben zugleich das Urbildliche an sich tragen" ( 2 § 93 LS. 11,34). Die „wahre mit der gemeinschaftsstiftenden Wirksamkeit identische Manifestation seiner Würde (ist) nicht in einzelnen Momenten, sondern in dem Gesamtverlauf seines Lebens" ( 2 § 93,1. a.a.O.) zu finden. Gegen die Kritik Baurs an der Übermacht der Idee des Erlösers über seine geschichtliche Gestalt begründet Schleiermacher, inwiefern die Existenz des Urbildes nicht durch seine Idee zu ersetzen ist (a). Das Konzept der Vollendung der Schöpfung, das so zum Nachweis der Geschichtlichkeit des urbildlichen Erlösers avanciert ist, arbeitet er sodann aus (b). Schließlich bezieht er die Vermittlung der Erlösung verstärkt auf die Freiheit des Menschen (c).
a) Zur Geschichtlichkeit des urbildlichen Jesus
Auf die Zweifel an der Einheit von Urbildlichkeit und Geschichtlichkeit in der Person Jesu antwortet Schleiermacher nun mit grundsätzlichen Überlegungen, die die zuvor bemühten geschichtlichen Plausibilitätsgründe (das sonst unerklärte Zeugnis von der Urbildlichkeit Christi und die schlichte Tatsache, daß die Kirche nicht über ihn hinausgegangen ist) ersetzen. Zunächst rekonstruiert er den Einwand, daß die Urbildlichkeit Christi nicht wirklich in diesem begründet sei. Vielmehr stelle das Prädikat der Uibildlichkeit die auf Jesus projizierte Vollkommenheitsidee der menschlichen Seele dar: eine „ursprüngliche Hyperbel der Gläubigen, wenn sie Christum in dem Spiegel ihrer eignen Unvollkommenheit betrachten" ( 2 § 93,2. 11,35), die, wie man ergänzen kann, umso steiler ausfallen muß, je tiefer der Ansatzpunkt in der Erfahrung der eigenen Sündhaftigkeit genommen wird.
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Entfaltung der Christologje
Diesem Erklärungsversuch stellt Schleiermacher die Aussage entgegen, daß hiermit in doppelter Weise die „Grenze des christlichen Glaubens" (a.a.O.) überschritten werde: Zum einen impliziere die Rückstufung Jesu vom Urbild zum bloßen Vorbild die Perfektibilität des Christentums über Jesus hinaus; zum anderen stünde dann die Vollendung der Schöpfung immer noch aus. Eine „immer nur als möglich gesetzt(e)... Vollkommenheit" aber bleibt schließlich hypothetisch. Schleiermachers Begründung zeigt zum einen, welcher Unterschied im Ansatz zwischen ihm und Kritikern wie Baur besteht: Was Baur 1828 als „eine rein historische Frage" bezeichnet hat, „die nur durch eine historische Untersuchung der schriftlichen Urkunden der evangelischen Geschichte... beantwortet werden kann", nämlich ob „die Person Jesu von Nazareth wirklich die Eigenschaften habe, die in dem hier aufgestellten Begriffe des Erlösers angenommen werden" 196 , erklärt Schleiermacher zur Voraussetzung, mit der die Gläubigen an die Erforschung des geschichtlichen Lebens Jesu schon herantreten: daß es die endliche Darstellung eines Gottesbewußtseins ist, das als „eigentliches Sein Gottes" in ihm (§ 116,3.11,29; 2 § 94 LS. 11,43) erfahren wird 197 . Darüber hinaus aber zeigen die Argumente, die er gegen die Hypothetisierung der Erlösung bzw. der Vollendung der Schöpfung entwickelt, eine solche Scharfsichtigkeit und Durchschlagskraft, daß sie nicht nur die schon geäußerte Kritik, sondern auch die späteren berühmten Schlußfolgerungen v.a. von Strauß und Feuerbach antizipierend als Denkfehler widerlegen. Der These, daß nicht in einem einzel-
196
F.C. Baur, Selbstanzeige (s. Anm. 28), 242.
197
Ob der Verweis auf die Grenze der gemeinsamen christlichen Überzeugung als Antwort auf eine solche geschichtsbezogene Frage heute ausreichen würde, zieht Th. Pröpper allerdings in Zweifel: „Daß diese Auskunft der Begründungsproblematik der Christologie nicht genügt, wird man freilich - seit der durch die Bultmann-Schule aufgeworfenen 'neuen Frage nach dem historischen Jesus' und der Diskussion über ihre 'theologische Relevanz' - kaum noch bestreiten" (Bestimmung, 205, Anm. 30).
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nen, sondern „in der sich einander ergänzenden Gesamtheit der Einzelwesen" ( 2 § 93,2.11,36) das Ziel der Vollendung der Schöpfung der menschlichen Natur schließlich erreichbar sei, setzt Schleiermacher die Einsicht entgegen: Das „Unvollkommne kann sich nicht untereinander ergänzen zur Vollkommenheit" (a.a.O.). In ihr sind Voraussetzungen impliziert, die man in Schleiermachers Argumentationsgang eingelöst sehen kann. So folgt aus der Tatsache, daß die Addierung unvollkommener Äußerungen kein Vollkommenes ergibt, daß es nicht um die endlichen Äußerungen, sondern allein um die ihnen zugrundeliegende Kraft gehen kann; diese aber ist entweder gegeben oder nicht gegeben. Wenn überhaupt, muß sie also in einem Einzelwesen da sein. Wenn dagegen „in der beständigen Fortschreitung die Vollkommenheit immer nur als möglich gesetzt bleibt,... aber in keinem einzelnen gegeben ist", dann rückt sie nicht näher, sondern wird geradezu chronisch verfehlt. Diesen Überlegungen entspricht, daß Schleiermacher eingangs die Urbildlichkeit Jesu nicht auf sämtliche geistige Funktionen ausgedehnt, sondern auf die singuläre Kraft seines Gottesbewußtseins eingeschränkt und diese wiederum als die Kraft, „zu allen Lebensmomenten den Impuls zu geben und sie zu bestimmen" ( 2 § 93,2. 11,35), von ihren endlichen Äußerungen unterschieden hat 198 . Wenn also die Schöpfung des Menschen überhaupt vollendet werden soll, dann bedarf es dazu der produktiven Kraft eines geschichtli-
198 v g i jh pröpper, Bestimmung, 204, Anm. 29: „Indessen hat schon die Glaubenslehre das Unsinnige des Vorschlags durchschaut, bei 'einer freien sich entwickelnden Gattung' von einer gegenseitigen Ergänzung der Individuen zur Vollkommenheit zu sprechen, wenn dabei 'die Vollkommenheit einer wesentlichen Lebensfunktion im Begriff gesetzt..., aber in keinem einzelnen gegeben' sei (II, 36) - eine Einsicht, die ein helles Licht auf die Aporien und Defizite der Anthropologie Feuerbachs vorauswirft... Schleiermacher selbst hat Jesu Urbildlichkeit nicht auf die endlichen Äußerungen, sondern auf die sich äußernde Kraft seines Gottesbewußtseins, die im einzelnen oder gar nicht real ist, bezogen (11,35) und insofern den Weg zu Strauss (und Feuerbach) abgeschnitten" (204).
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Entfaltung der Christologie
chen Individuums, „jede mögliche Steigerung in der Gesamtheit zu bewirken" (a.a.O.). Damit ist der definitive Charakter der Erlösung als einer geschichtlichen Wende betont, die geschichtlich, nicht gedanklich initiiert sein muß. Mir scheint es somit alles andere als eine „bodenlose metaphysische Behauptung"199 zu sein, nämlich das entscheidende Argument gegen die Ablösung Christi durch die Idee einer sich selbst zur Vollkommenheit ergänzenden Menschheit, wozu Schleiermacher in der zweiten Auflage durchstößt: Wenn es überhaupt ein fortschreitendes Zusichselbstkommen der gottesbewußten Menschheit geben soll, dann nur, indem es von der einmal, in Jesus, gegebenen Existenz einer urbildlichen Gottesbestimmtheit zehrt. Indem die zweite Auflage die Unübertragbarkeit der Idee auf eine andere Instanz als den Einzelnen so unabweisbar aufstellt, verstärkt sie zugleich die Bedeutung desjenigen geschichtlichen Individuums, das diesen Gipfel in seiner Person realisiert. Mit dieser Begründung aber hat das Konzept der Vollendung der Schöpfung die tragende Rolle übernommen, die nach weiterer Vertiefung verlangte.
b) Christus als Vollender der Schöpfung
Die Korrekturen sind an diesem Punkt von einem doppelten, latent spannungsvollen Anliegen gekennzeichnet: Vom Gesamtrahmen her
199
W. Dilthey, Leben Schleiermachers Bd. 2, 489. D. Lange bezieht sich auf Dilthey, wenn er urteilt: „Das andere in diesem Zusammenhang ins Spiel gebrachte Argument, daß dann die Schöpfung des Menschen noch nicht vollendet wäre, so daß er unter den anderen Lebewesen stünde (§ 93,2), sei hier nur der Vollständigkeit halber angeführt; die Kritik hat es mit Recht als wenig durchschlagend bezeichnet" (Historischer Jesus, 153). Auch für H. Stephan ist der ,,logische() Beweis, den Schleiermacher für die Notwendigkeit, eine solche Verwirklichung anzunehmen,... beibringt (§ 93,2),... von ziemlich spitzfindiger Natur". Er „kann nur den überzeugen, der überzeugt werden möchte" (Erlösung, 47, Anm. 1).
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steht in der Christologie nun die Ausarbeitung des Konzepts der Vollendung der Schöpfung an. Gleichzeitig gilt es aber gegen Baur die Bedeutung Christi als geschichtlicher Wende zu betonen. Um die Diskontinuität der Erscheinung Christi zu unterstreichen, arbeitet Schleiermacher ihre einzigartige Funktion der Mittlerschaft des Seins Gottes in der Welt neu heraus. Da die Vorstellung der stufenweisen Schaffung der menschlichen Natur aber leitend bleibt, mündet die besondere Stellung Christi in die Kontinuität mit der bisherigen Schöpfung ein. So ist „die Erscheinung Christi selbst anzusehen als Erhaltung, nämlich der von Anbeginn der menschlichen Natur eingepflanzten und sich fortwährend entwickelnden Empfänglichkeit der menschlichen Natur, eine solche schlechthinnige Kräftigkeit des Gottesbewußtseins in sich aufzunehmen" ( 2 § 89,3.11,26). Diese Perspektive wird als die umfassendere gerechtfertigt: In ihr sei nicht nur die „Wirkung", sondern auch die „Absicht" des göttlichen Ratschlusses und nicht nur der „Anfang", sondern das „Ganze" des Heilsgeschehens ausgedrückt ( 2 § 89,1. 11,24). Für den Titel „Zweiter Adam" macht Schleiermacher zugleich geltend, daß in ihm auch der Einbruch des Neuen festgehalten sei: daß nämlich „durch den von Adam aus sich entwickelnden Naturzusammenhang zu diesem höheren Leben nicht zu gelangen war" (a.a.O.). Entgegen dem entwicklungsorientierten Sog des Gesamtkonzepts sucht Schleiermacher so eindrücklich wie nur möglich die Erscheinung des Gottesbewußtseins Christi als Bruch mit dem Bisherigen herauszustellen. Was zunächst als unwesentlicher Unterschied in der Terminologie der Leitsätze oder gar als Abschwächung erscheint, ob das Gottesbewußtsein Jesu nun als ein „wahres" (§ 116.11,27) oder als ein „eigentliches" ( 2 § 94.11,43) Sein Gottes in ihm bezeichnet wird, erweist sich in seiner Ausführung als völlige Neufassung des Verhältnisses von Gott und Welt und der kosmologischen Einordnung Jesu. Auch wenn sich beide Fassungen in der Spitzenbestimmung, daß das Sein Gottes „sein innerstes Selbst" (§ 116,3.11,30; 2 § 94,2.11,46) ausmache, nicht unterscheiden, so liegt dem doch beide Male ein anderer
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Entfaltung der Christologie
Aufriß zugrunde. In der ersten Auflage ist es nur das relative Maximum des Seins Gottes, das Jesus realisiert. Wenn „schon jedes auch nur vergleichungsweise und theilweise neue Leben mit recht insofern eine göttliche Offenbarung genannt wird, und jede Offenbarung Gottes in einem Endlichen nichts anderes ist als das sich kundgebende Sein Gottes in diesem Endlichen: so ist unstreitig die Erlösung die absolute Offenbarung, und also in dem Erlöser ein vollkomnes Sein Gottes gesezt" (11,29). „Wahr" ist es insofern, als es in Inhalt und Intensität anders als unser Gottesbewußtsein rein und kräftig ist. Aber auch in dieser absoluten Steigerung bleibt es ein Sonderfall des allgegenwärtigen Seins Gottes, also letztlich im Verhältnis des Besonderen zum Allgemeinen. Die zweite Auflage kehrt das Gefälle um: Von einem Sein Gottes in einem Endlichen ist vor der Erscheinung Jesu gar nicht die Rede, sondern nur von der Allgegenwart Gottes überhaupt, die sich in der Welt als ganzer vollzieht. Nur sofern ein Einzelnes in sich die Welt repräsentiert, wäre auch in ihm ein Sein Gottes denkbar. Mit diesem Einschub ist der Bannkreis der Idee eines allgemein-unbestimmten Seins Gottes in der Welt aufgebrochen: Wenn es ein besonderes Sein Gottes nur in einem Selbstbewußtsein geben kann, nämlich einem solchen, das die Beziehung seiner selbst und alles Endlichen auf Gott ungehindert zum Ausdruck kommen läßt, dann geht es nicht mehr um eine naturhaft gedachte Präsenz Gottes in allem und dann auch jedem, sondern eben um deren Brechung in der Selbstreflexivität des Menschen. Also hängt die Möglichkeit eines besonderen Seins Gottes in der Welt an der menschlichen Freiheit200. Umso mehr kommt es 200
H. Scheel sieht demgegenüber das Sein Gottes außer in Gott zunächst in der Welt und dann erst in einem Einzelnen verwirklicht: „Was heißt Sein Gottes in einem Menschen? Sein Gottes ist, als Gegenstück zum schlechthinigen Abhängigkeitsgefühl, reine Tätigkeit. Weil nun aber jedes vereinzelte Sein aus Tätigkeit und Leiden besteht, so kann von Rechts wegen also nur von einem Sein Gottes in der Welt, nicht aber vom Sein Gottes im einzelnen Sein geredet werden. Nun aber kann der Mensch als vernünftiges Wesen in sich mittels seiner lebendigen Empfänglichkeit die Welt repräsentieren, es wäre also in ihm ein Sein Gottes möglich. Weil er aber stets sein reines Gottesbewußtsein vom sinnlichen Selbstbewußtsein über-
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dann auf ihre tatsächliche Realisierung an. Wenn sie eintritt, verdient sie es, „ein eigentliches Sein Gottes" ( 2 § 94,2.11,46) genannt zu werden. Welche geschichtliche Wende mit der Person Jesu erreicht ist, ist damit erst endgültig bestimmt: Als schlechthin kräftiges ist ihr Gottesbewußtsein in seiner Einmaligkeit „der einzige ursprüngliche Ort" außer Gott selbst, „in welchem es ein eigentliches Sein Gottes gibt" (2II,46). Sie erst bestimmt das apriorische Gottesbewußtsein zu einem „wirklichen Sein Gottes in der menschlichen Natur", das nunmehr allen eröffnet ist und sich durch sie auch auf das übrige Sein erstreckt. Die Hierarchie ist somit umgekehrt worden: Sie verläuft jetzt von Gott und dem Menschen Jesus als dem einzigen „andere(n) (Ort)" eines eigentlichen Seins Gottes an der Spitze zu den Erlösten, die ihrerseits zu Weitervermittlern an die unterste Stufe, das vernunftlose Sein, werden. Da der gesamte Prozeß der Einführung des Seins Gottes in die Wirklichkeit Jesus zuzuschreiben ist, wird nun vollständig einsichtig, wieso er die Vollendung der Schöpfung in ihrem ursprünglichen Gehalt, Ausdruck der Tätigkeit Gottes zu sein, darstellt: Wenn „erst durch ihn das menschliche Gottesbewußtsein ein Sein
wältigt werden läßt, das sinnliche Selbstbewußtsein also tätig werden läßt, so kommt nun doch kein Sein Gottes in ihm zustande, und so ist Christus, dessen Gottesbewußtsein reine Tätigkeit und dessen sinnliches Bewußtsein, sein Organismus, reine Empfänglichkeit ist, der einzige, in dem sich das Sein Gottes repräsentiert" (Die Theorie von Christus als dem zweiten Adam bei Schleiermacher, Naumburg 1913, 70). Gegen diese Darstellung spricht, daß ihr zufolge die Welt als ganze reine Tätigkeit sein müßte. Für Schleiermacher bleibt sie aber ein System der Wechselwirkung, also der Interdependenz von Wirken und Leiden. Von einem „Sein Gottes" kann hier somit keine Rede sein. Einen Bezug zur göttlichen Tätigkeit bekommt sie nach der zweiten Auflage erst dadurch, daß das menschliche Selbstbewußtsein die Abhängigkeit seiner Existenz und alles Endlichen von Gott, dem Woher allen Daseins, erfaßt. Sofern Jesus dies Bewußtsein in seiner Reinheit realisiert, vermittelt er das tätige Sein Gottes allen Menschen und durch sie der zur Einigung mit der Vernunft bestimmten Natur.
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Entfaltung der Christologie
Gottes in der menschlichen Natur wird, und erst durch die vernünftige Natur die Gesamtheit der endlichen Kräfte ein Sein Gottes in der Welt werden kann", ist er es, der „allein alles Sein Gottes in der Welt und alle Offenbarung Gottes durch die Welt in Wahrheit vermittelt, insofern er die ganze neue eine Kräftigkeit des Gottesbewußtseins enthaltende und entwickelnde Schöpfung in sich trägt" (a.a.O.). Damit wird Christus statt als Spezialfall eines immer schon Gegebenen nunmehr als Vermittler eines unendlich Werdenden begreifbar: ein Einzelner, der Gottes tätiges Sein dadurch vermittelt, daß er es ungehemmt in sich tätig sein läßt. In diesem neuen Aufriß des Verhältnisses von Gott, Welt und Erlöser hat Schleiermacher seine Grundbestimmungen bis ins Äußerste ausgearbeitet und so der geschichtlichen Person Jesu eine so unübertreffbare Funktion gesichert, wie sie in seinem Ansatz nur möglich ist. Der Wechsel von der bisherigen Leitkategorie der Erlösung zur übergreifenden Perspektive der Vollendung der Schöpfung ist in der Schleiermacher-Forschung teils verteidigt, teils relativiert worden. H. Scheel201 sucht den Aspekt der Neuheit herauszustellen, die er gegenüber dem christlichen Bewußtsein der Erlösung in dem des „Besitzes der Seligkeit" begründet sieht. Die neue Bestimmung gehe in zwei Punkten über das Erlösungskonzept hinaus: „Einmal hebt der Begriff des zweiten Adam oder der Vollendung der Schöpfung das durch Christus gebrachte Leben in seinem ganzen Umfang hervor, und zweitens ist der Begriff des zweiten Adam oder der Neuschöpfung besonders dazu geeignet, das Neue in der Person Christi und an seinem Werk deutlich herauszuheben und zu betonen" (51). Während sich „vom Begriff der Erlösung aus auf keine Art von der Vollendung der Vollkommenheit eines Menschen reden" lasse, bringe der Begriff der Neuschöpfung zum Ausdruck, „daß unser frommes Selbstbewußtsein nicht nur das Bewußtsein eines Unvollkommenen und Werdenden ist, sondern daß es... auch das von Christus gewirkte neue Gesamtleben in seinem ganzen Umfang umfaßt und ausdrückt" (74f.). Seine Untersu-
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Zweiter Adam. Seitenzahlen im Text.
Abschließende Fassung
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chung der „Eigentümlichkeit des Begriffs der Vollendung der Schöpfung... in dem Abschnitt über die Versöhnung" ergibt, daß in der Versöhnung „ein ganz anderer Standpunkt" als der der Erlösung erreicht ist, sofern uns mit ihr ein „absolutes, unüberbietbares Neues (entgegen)tritt". Bestand in der „Sündenvergebung der Anfang der Versöhnung, so stellt der volle Zustand der Vereinigung mit Christus die Versöhnung in ihrer ganzen Fülle so dar, daß Christus völlig Mittelpunkt des Lebens ist. Der versöhnte Christ weiß sich im wirklichen Besitz der Seligkeit" (75-77). F. Jacob sieht bei aller Kritik in dem Gedanken der Vollendung der Schöpfung der Welt die „Objektivität des Heilswerks" gesichert: „Schleiermachers Argumentation kehrt immer wieder zu der 'allgemeinen Formel der durch Christum vollendeten Schöpfung' zurück (§ 101,4), um an ihr die einzelnen Lehraussagen zu messen. Dies gilt sowohl für die 'versöhnende Tätigkeit Christi' als auch für die Rechtfertigungslehre (§ 109)... Schleiermacher weicht der Erkenntnis aus, daß in Christus die Gnade und das Gericht der Welt geschieht. Weil seine Theologie von dem Bewußtsein einer letzten Versöhnung der Gegensätze aus gestaltet ist, deshalb wird die Vollendung der Welt zum Schlüsselbegriff für das Verständnis des Heilswerks, der auch die Christologie und die Rechtfertigungslehre beherrscht... Aber trotz aller hier notwendigen Kritik sollte auch dies bedacht werden: Die Vorstellung von der Vollendung der Schöpfung sichert, indem sie auf die Welt zurückweist, die Objektivität des Heilswerkes... die Aussage, daß in Christus die Schöpfung der Menschheit vollendet ist, bedeutet zugleich, daß dem vollkommenen Gottesbewußtsein, das von ihm ausgehend die Kirche und jeden Christen erfüllt, tatsächlich eine außerhalb und unabhängig von uns bestehende Wirklichkeit entspricht. Die Beschreibung des Werkes Christi als Vollendung der Welt bewahrt die Glaubenslehre davor, daß die Erlösung lediglich als eine Tat des Menschen erscheint. Denn wir erlösen uns nicht selbst, indem wir das christliche Bewußtsein übernehmen, sondern in Christus ist die Erlösung bereits geschehen. Wir brauchen uns nur noch hineinzustellen in die Wirklichkeit des Geistes Christi, durch die die Menschheit und damit die Welt bereits jetzt zur Vollkommenheit gelangt" 202 . 202
Geschichte und Welt, 108-110.
186
Entfaltung der Christologje
Auch H. Stephan203 sieht die „Lehre vom neuen Heilsbesitz als tragendes Rückgrat", ordnet sie aber dem Grundbegriff der Erlösung wieder unter. Für ihn stellen die Lehren vom neuen Heilsbesitz und die „von Sünde und Werk Christi als spezielle, von Gott als allgemeine Voraussetzung des Heils" die „Hauptmomente einer auf die Erlösung gegründeten Dogmatik" dar. Schleiermacher habe „thatsächlich den Beweis erbracht, wie alle übrigen Abschnitte der Dogmatik sich aus der Erlösung entwickeln. In ihr liegt der eigentliche Einheitspunkt der Glaubenslehre" (95). Stephan stellt zwar auch fest, daß „der Name Erlösung (in dem engeren Sinne von 'Hinwegnahme der Sünde/ also als negatives Ziel im bewegten Selbstbewußtsein)... unpassend (wird)" und daß Schleiermacher „eines neuen Erlösungszieles (bedarf), das mit der Sünde in keinem direkten logischen Zusammenhange steht, in das er aber gleichwohl die aus der Analyse des christlichen Bewußtseins geschöpften Ziele hinüberretten kann." Aber auch wenn Schleiermacher in 2 § 89 „'die vollendete Schöpfung der menschlichen Natur' zum Gipfelpunkt der Erlösung erhebt" (41), sieht Stephan weiterhin gute Gründe dafür, „die Erlösung gemäß dem ursprünglichen Sprachgebrauch der Glaubenslehre überall als Oberbegriff festzuhalten und jene anderen Bedeutungen diesem unterzuordnen". Einmal liege „keine sachliche Aenderung" vor: „derselbe Inhalt soll nur unter den verschiedensten Gesichtspunkten betrachtet und so besser gewürdigt werden. Zweitens bleibt die Erlösung doch der beherrschende Begriff, ja er wird es nach der Erledigung der eigentlichen Lehre von Person und Werk Jesu (z.B. § 113 oder am Schluß, § 166) wieder in demselben Maße wie anfangs. Christus heißt überall der Erlöser, auch dann, wenn von seiner versöhnenden Thätigkeit oder der vollendeten Schöpfung der menschlichen Natur die Rede ist; es wird immer nur auf das Erlösungsbedürfnis des Menschen verwiesen, nie auf sein Versöhnungs- oder Vollendungsbedürfnis" (9).
203
Erlösung. Seitenzahlen im Text.
Abschließende Fassung
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c) Zur Vermittlung der Erlösung
Nachdem die Zweitfassung das wesentliche Kennzeichen Jesu, die Bestimmung seines Gottesbewußtseins als „eigentliches Sein Gottes in ihm", verstärkt in seiner Bedeutung als Wende der Menschheitsgeschichte ausgearbeitet hat, expliziert sie von ihm her nun auch die Vermittlung der Erlösung. Wie die Tätigkeit Gottes überhaupt in bezug auf die Welt in Schöpfung und Erhaltung bestand, so auch, zum innersten Prinzip des Wesens Jesu geworden, in bezug auf die Menschheit. Beiden Aspekten sucht Schleiermacher gerecht zu werden, indem er Neuanfang und Anknüpfung an das Bestehende positiv in Kategorien der Freiheit formuliert: die ,,schöpferische() Tätigkeit Christi... (hat) es ganz und gar mit dem Gebiet der Freiheit zu tun" ( 2 § 100,2.11,91). Die erste Auflage hatte den Inhalt der erlösenden Wirksamkeit Jesu als „Mittheilung seiner Unsündlichkeit und Vollkommenheit" (§ 121 LS. 11,66) vorgestellt, diese Mitteilung aber durch den Gegensatz von göttlicher und menschlicher Natur, nämlich als „Fortsezung der personbildenden Thätigkeit der göttlichen Natur in Christo", erläutert: Wie „die ursprüngliche vereinigende Thätigkeit der göttlichen Natur personbildend war, indem die menschliche Natur nicht wäre die Person Christi geworden ohne die wunderbare und in dem bisherigen Verlauf der Natur nicht gegründete Einwirkung der göttlichen Natur: so ist auch die erlösende Thätigkeit Christi personbildend, indem ohne sie das höhere auf der Kraft des Gottesbewußtseins ruhende Leben nicht wäre persönlich geworden in uns" (§ 121,3. II,68f.). Wie sich die Mitteilung seines Gottesbewußtseins in den Erlösungsempfängern auswirkt, bestimmt sie jedoch nur negativ: Wie „der Erlöser nur Christus ist, sofern ihm in keinem Augenblik seines Lebens ein menschliches Bewußtsein aus sich selbst entstand, sondern immer durch die Beseelung und den Impuls der göttlichen Natur bestimmt: so sind auch wir nur insofern Erlöste, als wir kein persönliches Selbstbewußt-
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Entfaltung der Christologie
sein haben aus uns selbst, sondern es uns immer nur wird aus der Gemeinschaft mit dem Erlöser, in welcher Er der ursprünglich thätige, also beseelende ist". Die Darstellung des Erlösungsgeschehens unter dem Aspekt der Personbildung, die ihrerseits in den Kategorien von göttlicher und menschlicher Natur ausgelegt wird, gipfelt in der Aussage, daß wir „mit Ertödtung der früheren Persönlichkeit in die Gemeinschaft des Lebens Christi" aufgenommen „und so zu Personen im Sinne des höheren Lebens, d.h. zu selbständigen Organen der göttlichen Natur in Christo" (11,69) gebildet werden. Indem die Zweitauflage beim „Sein Gottes" ansetzt, um die „Aufnahme in die Kräftigkeit seines Gottesbewußtseins" weiter auszuführen, in die sie die Erlösungstat zusammenfaßt ( 2 § 100 LS. 11,90), ist sie vom Zuordnungs- und Abgrenzungszwang von göttlicher und menschlicher Natur befreit und kann den schöpferischen und erhaltenden Aspekt des Handelns Gottes positiv und mit neuem Nachdruck auf der menschlichen Freiheit ausarbeiten. Was nur ein Neuanfang stiften kann, begreift sie als „schöpferisch"; was auf Kontinuität mit der bisherigen Verfassung des Menschen Anspruch erheben kann, als „erhaltend". Was die „aufnehmende Tätigkeit" des Erlösers hervorbringt, sei „durchaus Freies" (2II,91), nämlich ein „Ihn-in-sich-Aufnehmen-Wollen()"; ein „Wollen", das allerdings „nur Empfänglichkeit für seine in der Mitteilung begriffene Tätigkeit" und also genau genommen „nur die Zustimmung zu der Wirkung von dieser" sein soll (2II,92). Trotz der Abschwächung zur „Zustimmung" ist deutlich, daß die Wende in einer Bewegung des Willens geschieht. Seine Neubestimmung ist es, die der Erlöser hervorbringt. Was die ursprüngliche Fassung nur als ein so abrupt Neues vorstellen konnte, daß sie in unerwünschte Nähe zu einem magischen Verständnis der Erlösung geriet, rückt die zweite somit in den Kontext der Kontinuität. Die „personbildende Tätigkeit" am Einzelnen besteht nun darin, daß „alle seine Tätigkeiten nun durch das Wirken Christi in ihm anders bestimmt, ja auch alle Eindrücke anders aufgenommen werden, mithin auch das persönliche
Abschließende Fassung
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Selbstbewußtsein ein anderes wird". Diese Neufassung des Erlösungsvorgangs ergibt sich aus Schleiermachers Erläuterung der Leitkategorie des „Seins Gottes" in Jesus: Seine Äußerung wird an die „Form des menschlichen Lebens" gebunden, einer zwar endlichen, in einem „Lebenskreis" existierenden, aber wesentlichen Freiheit. „Wie nun das Sein Gottes in ihm selbst als tätiges Prinzip zeitlos ist und ewig, alle Äußerungen desselben aber durch die Form des menschlichen Lebens bedingt: so kann er auch auf das Freie nur wirken nach der Ordnung, wie es in seinen Lebenskreis eintritt, und nur nach der Natur der Freien" (2II, 91). Die Notwendigkeit, in einer neuzeitlichen Dogmatik das Erlösungszeugnis des christlichen Glaubens nicht auf Kosten, sondern nach Maßgabe des historisch erreichten Freiheitsbewußtseins zu entfalten, scheint in den entschiedenen Zuspitzungen der zweiten Auflage eingesehen und eingelöst zu sein: Je entschlossener sie bei der Selbstmitteilung Gottes einsetzt, desto konsequenter kann sie ihr die Freiheit des Menschen als ihren Adressaten gegenüberstellen und mit beidem die vermittelnde Funktion Jesu bereichern. Vom systematischen Ansatz beim „Sein Gottes" in Jesus und der Neuakzentuierung der Freiheit der Erlösungsbereiten profitiert auch die Darstellung der Wirksamkeit Jesu, seiner lehrenden und lernenden Selbstmitteilung. Alle Korrekturen in dieser Richtung sind aber doch nur konsequentere Ausführungen der Bestimmungen des Grundansatzes. Wie ist er im Blick auf die Funktion Jesu nunmehr zu beurteilen?
3. Bilanz der Christologie
In der zweiten Auflage hat Schleiermacher zeigen können, daß es auf die geschichtliche Existenz des Urbildes Jesus ankommt. Inhaltlich ist
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Entfaltung der Christologje
seine Besonderheit damit aber endgültig auf die Vollendung der Schöpfung des Menschen festgelegt. Als tragendes Konzept hat sich das der stufenweisen Schaffung der menschlichen Natur erwiesen. Es sichert die faktische Bedeutung Jesu und erweitert den Sinn der Heilsgeschichte: Sie ist nicht mehr nur durch die Beseitigung der Sünde bestimmt. Der Satz der ersten Fassung, der sie darauf beschränkte, ist gestrichen: „ohne Sünde aber wäre auch die Erlösung nichts" (§ 114,2. II,22) 204 . Wie sucht Schleiermacher nun aber zu verhindern, daß die Bedeutung der Person Jesu sich im Durchbruch des eigentlichen Wesens des Menschen erschöpft und an das neugegründete Gesamtleben verliert? Die zweite Auflage arbeitet verstärkt den prinzipiellen Bezug der Kirche auf ihren Stifter heraus. So ersetzt sie die (in der ersten Aufla-
204
Diltheys Bemerkung trifft also noch sehr viel mehr für die Erstfassung zu: „Man sieht förmlich, wie er ringt, seine Christologie durch eine verstärkte Lehre von der Sünde zu begründen" (Leben Schleiermachers, Bd. 2, 488). Auf die theologische Fragwürdigkeit und Gefahr einer exklusiven Begründung der Bedeutung Jesu durch das Ereignis der Sünde weisen Th. Pröpper und H. Frei hin: „Aber ist es nicht immer mißlich für eine Dogmatil«, wenn sie die Heilsbedeutung Jesu von Tatsache und Ausmaß der Sünde abhängig machen muß? Allerdings bedeutet Gottes offenbare Liebe Vergebung der Sünde und Befreiung aus ihrer tötenden Macht - aber erschöpft sich ihr Sinn denn darin? Doch immerhin: nimmt mein Schleiermachers Voraussetzungen an, leuchtet die faktische Angewiesenheit auf Erlösung wohl ein." (Bestimmung, 205f.) Das Problem ist, „whether the experience of sin, or something like it, is a universal phenomenon that is at least to some extent, even if not wholly, intelligible apart from the understanding of particular historical redemption in Christ. Here the meaningfulness of the concept of Christ is (again, to some extent at least) logically dependent on the meaningfulness of sin as a universal rather than a specifically Christian concept." (H. Frei, Barth and Schleiermacher: Divergence and Convergence. In: J.O. Duke/R.F. Streetman (Hg.), Barth and Schleiermacher, 65-88, 71.) Für die Anlage beider Auflagen entscheidend scheint mir der Befund Schrofners zu sein: „Der Erlösungsbegriff der Glaubenslehre ist letztlich nichts anderes als die Kehrseite ihres Sündenbegriffs. Als neues Element kommt lediglich hinzu, daß die Erlösung auf die Person Jesu zurückgeführt wird" (Theologie, 200).
Bilanz der Christologie
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ge gegen Schrift- und andere Beweise der Wahrheit des Christentums gerichtete) Aussage, daß „der Glaube schlechthin anfängt durch die unmittelbare Kraft, die sein Gegenstand ausübt" (§ 109,2.11,8), durch die Regel, „die Entstehungsweise des Glaubens mit seinem Inhalt zugleich zu entwickeln" ( 2 § 88,2.11,19). Damit ist der Verdacht einer von Erlösungssehnsucht gespeisten Übertragung, der sich bei einem angesichts seiner Person „schlechthin" anfangenden Glaubens erheben könnte, unterlaufen: Er ist das Werk Jesu. Nicht der Glaube bringt ihn erst als Erlöser, sondern dieser den Glauben an sich hervor. Seine unsündliche Vollkommenheit ist keine Projektion, sondern eine Erfahrung. Zudem wird das neue Gesamtleben enger an ihn geknüpft als zuvor. Es entsteht aus der Zustimmung zur Mitteilung seines vollkommenen Gottesbewußtseins und ist so von ihm nicht mehr ablösbar 2 0 5 . Daß die Identität des Glaubens getroffen ist, wenn die neue Gemeinschaft des gekräftigten Gottesbewußtseins sich von ihrem Stifter emanzipiert, hat Schleiermacher so jedenfalls eindeutig herausgestellt. Als Spitzensatz der Christologie erscheint somit das Bekenntnis des christlichen Selbstbewußtseins, über seinen Stifter nicht hinausgehen zu können. Die Weichenstellung, die über die bleibende oder vorübergehende Geltung Jesu entscheidet, hat jedoch schon vorher stattgefunden. Seitdem mit 2 § 4 die Gottesgewißheit schon in die Natur des Menschen gelegt ist, ist das, was der Erlöser vermitteln soll, in den Erlösungsbedürftigen materialiter schon vorhanden. Da es keinen Gehalt gibt, der den wesentlichen Unterschied Jesu noch begründen könnte, be-
205
Vgl. Th. Siegfried, Zur Christologie Schleiermachers. In: ZThK (NF) 13 (1932) 223-235: „Die Christologie Schleiermachers ist von Grund auf dynamisch. Das Urbild ist wirkende Kraft. Nur zusammen mit der Gemeinde kann es als Urbild angeschaut werden... Die Überwindung von Supranaturalismus und Rationalismus liegt in dieser lebendigen Dynamik selbst: Nicht von einem Werk noch einer Person Christi an und für sich ist die Rede. Sondern das konkret-lebendige Wirken wird angeschaut und ausgelegt. Erst aus diesem Wirken bestimmen sich Stifter und Stiftung, Urbild und Gemeinde" (235).
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schränkt sich seine Funktion auf die bloße Anregung. Nur im Vergleich mit dem alten Gesamtleben der Sünde ist das Vermittelte neu. Ansonsten aber besteht die Neuheit darin, daß der menschlichen Erkenntnis der Zusammenhang der beiden Momente des „einen ungeteilten ewigen göttlichen Ratschluss(es)" nur „unerreichbar()" (2II,48) ist und die „Gesetze" der Entwicklung, die er der menschlichen Natur eingestiftet hat, ihrer „Einsicht unzugänglich" sind. Den Einwand, daß die Erlösung keinen neuen Inhalt vermittelt, haben nach F.C. Baur auch die späteren Epochen der Schleiermacher-Kritik vorgebracht, allerdings mit sehr unterschiedlichen näheren Bestimmungen. So sieht auch W. Bender206, daß das Christentum nur die Verwirklichung des allgemeinen Wesens der Religion darstellt, bestimmt letzteres aber so, daß es den beabsichtigten „exacten Beweis" für seine Ausgangsthese schon vorwegnimmt: „daß Schleiermacher auch das Christenthum lediglich als Mittel zum Zwecke der Lösung des kosmologischen Problems: wie die gegensätzliche Welt als Ganzes verstanden und organisirt werden
könne, gedeutet hat" (Bd. 2, Illf.). Bei der Erlösung handle es sich „einfach um die Beseitigung der Hemmnisse, welche das sinnliche Selbstbewußtsein dem absoluten Gottesbewußtsein bereitet, eine Beseitigung, die so gewiß in der geradlinigen naturgemäßen Entwickelung des Menschen liegt, als eben die Besinnung auf die absolute weltumfassende Einheit, in der alle Weltgegensätze aufgelöst, alle sinnlichen Unebenheiten geebnet erscheinen, ihm selbst zugleich die Harmonie des Daseins, das bessere Ich, zurückgibt... Ueberall ist daher Erlösungsbedürfnis, d.h. Streben nach einer die Gegensätze und Widersprüche in sich versöhnenden Einheit... Als Erlösungsreligion entspricht also das Christenthum lediglich der allgemeinen Tendenz des religiösen Bewußtseins, es behauptet den Gattungscharakter der Religion, es vertritt die Stufe, auf welcher die religiöse Einheitstendenz am reinsten hervortritt - aber was mehr ist, wodurch es sich von allen anderen Religionen unterscheidet, es befriedigt dieselbe zugleich auf vollkommene Weise".
206
Schleiermachers Theologie mit ihren philosophischen Grundlagen dargestellt, 2 Bde., Nördlingen 1876/1878. Seitenzahlen im Text.
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In diesem Plus, die Herrschaft des Gottesbewußtseins über das in sich zerrissene Weltbewußtsein realisiert und die „Idee der Erlösung... als Culturmacht in die Geschichte" eingeführt zu haben, erkennt Bender sogar eine „specifischen", nicht nur „graduellen... Unterschied zwischen dem Christenthum und den übrigen Religionen" (Bd. 2, 363f.). Gegen diese Bestimmung des Religionsbegriffs wendet E. Schrofner zu Recht ein, daß bei Schleiermacher das „Bewußtsein der Einheit mit der Welt... nicht der Inhalt, sondern wesentliche Voraussetzung des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls" sei 207 . M. Schulze208 faßt seine Untersuchung darin zusammen, „dass es sich auch bei der in Christo gegebenen Offenbarung nicht um einen neuen Inhalt des Gottesbewusstseins handelt, sondern nur um dessen schlechthinnige Stärke und Stetigkeit und seine dadurch bedingte völlige Einigung mit den wechselnden sinnlichen Beziehungen... Nicht die Mitteilung eines neuen,... bisher unerreichten und auf anderem Wege überhaupt unerreichbaren Verständnisses Gottes und seines Verhältnisses zu uns ist es, was bei Christo gesucht und gefunden wird, sondern nur die Befähigung zu wirklicher Anerkennung der jedem Bewusstsein sich aufdrängenden höchsten Bezogenheit in jedem Momente... Die Mitteilung Christi besteht in der höchstmöglichen Steigerung des religiösen Gefühlslebens" (29). Wenn es auch „keines weiteren Nachweises (bedarf), wie die so aufgefasste Thatsache der Erlösung mit dem Begriffe der Frömmigkeit als etwas mit dem Wesen des Menschen Zusammenhängenden und aus ihm heraus sich von selbst, wenn auch erst allmählich, sich Entwickelnden wohl vereinbar ist", so bleibt ihm doch „die Annahme der Absolutheit des Erlösers... bei dieser Entwickelungstheorie vorläufig noch ein Rätsel" (25). Bei diesem Urteil bleibt er, wie der Schlußsatz zeigt: „Es ist nicht anders wie bei Hegel; nur dass bei ihm die Gottheit im begrifflich denkenden Geiste zu sich kommt, bei Schleiermacher dagegen im unmittelbaren Selbstbewußtsein" (38).
207
E. Schrofner, Theologie, 213, Anm. 53.
208
Das Wesen und die Bedeutung der besonderen Offenbarung in Schleiermachers Glaubenslehre, Niesky 1893. Seitenzahlen im Text.
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H. Stephan begrüßt es, daß die Erlösung „nicht in einer Extravaganz (besteht), die sich das ausgeprägte religiöse Gefühl einzelner Christen leistet", sondern daß sie „ein notwendiges Glied in der geistigen Entfaltung jedes Menschen (bleibt)", erkennt damit aber die inhaltliche Identität an: „Die christliche Erlösung bietet nur das allein wirksame Mittel, das Ziel der allgemein menschlichen Entwicklung zu erreichen, sie bringt nichts Andersartiges hinzu. Sie erhebt dadurch das Christentum zu seiner absoluten Höhe als Gipfel und Erfüllung aller Religion" 209 . S. Faut kommt zu dem Urteil: „Nach Schleiermachers eigenen Voraussetzungen müsste das Wesen der christlichen Religion aus ihr selbst bezw. aus ihrem geschichtlichen, in der Person des Stifters und der von ihm gestifteten Gemeinde gegebenen Charakter abgeleitet werden... In Wirklichkeit wurde es von Schleiermacher auf psychologisch-spekulativem Weg aus dem Wesen der Religion, bezw. des menschlichen Geisteslebens, abgeleitet". Schon in den Reden „(gilt) die christliche Religion als identisch... mit einem wesentlich philosophischen Religionsbegriff. Das gilt auch für die Glaubenslehre... Die Folge des nichtchristlichen Religionsbegriffs ist, dass es Schleiermacher nicht gelingen konnte, die bleibende Bedeutung des Erlösers für den Glauben nachzuweisen. Er kann sie nur behaupten... aus der philosophischen Erlösungsreligion ist die Notwendigkeit des Anschlusses an die Person des Erlösers schlechterdings nicht abzuleiten. Die Ueberwindung des bloss sinnlichen Selbstbewusstseins durch das Welt- bezw. Gottesbewusstsein ist ein psychologischer, naturhafter Prozess, dessen Verlauf durch die Person Jesu in keiner Weise bedingt ist" 2 1 0 . E. Flöel konstatiert: „Das ursprüngliche Gottesbewußtsein und das aus der Gemeinschaft mit dem Erlöser hervorgehende unterscheiden sich nach der Glaubenslehre nicht nach ihrem Inhalte, sondern nur der Form nach. Ersteres ist immer mit Ohnmacht behaftet, letzteres dagegen tritt mit bestimmter Kraft auf. Abgesehen davon aber ist das ursprüngliche Gottesbewußtsein und das von dem Erlöser mitgeteilte das gleiche" 211 . 209
H. Stephan, Erlösung, 106.
210
S. Faut, Die Christologie seit Schleiermacher. Ihre Geschichte und ihre Begründung, Tübingen 1907, 44-46.
211
E. Flöel, Der Entwicklungsgedanke in Schleiermacheis Lehre von der Sünde, Darmstadt 1913, 48.
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F. Flückiger212 sieht die von Schleiermacher „erstrebte höhere Synthese von Dogmatik und Philosophie" in einer Christologie verwirklicht, in der die Erlösung „ein kosmischer Vorgang (ist), der sich im Laufe der Weltentwicklung notwendig aus dem allgemeinen Naturverlauf ergeben mußte" (141). Es sei „das gattungsmäßige, das was er im Prinzip mit allen Erlösten gemeinsam hat, was ihn zum Erlöser macht. Seine Urbildlichkeit, die ihn von allen Menschen unterscheidet, besagt nur, daß das gemeinsame Prinzip in ihm vollkommen zur Darstellung kam, während es in allen andern Einzelnen immer nur annähernd so rein wie in ihm zum Ausdruck kommt. Es ist eine allgemein menschliche Möglichkeit, welche sich in Christus nur erstmals und auf vollkommene Weise verwirklichte" (139). Auch F. Jacob, dessen Untersuchung nicht wie die Flückigers grundsätzlich ablehnend ist, stellt fest: „Entscheidend ist..., daß auch der Begriff der Erlösung vom schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl her bestimmt wird... So wird auf dem Umweg über den Erlösungsbegriff das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl zum eigentlichen Inhalt der Glaubenslehre überhaupt, auch dann, wenn der Begriff selbst, wie das im zweiten Teil weithin der Fall ist, gar nicht auftaucht. Überall, wo von der Erlösung die Rede ist, geht es zuletzt um das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl. Am Erlösungsbegriff aber orientiert sich der Aufbau des gesamten Werkes... Christus bringt dem Menschen nichts vollkommen Neues, vielmehr aktiviert und vollendet er nur, was in der Welt und im Menschen bereits angelegt ist. Mit anderen Worten, Christus bringt im Menschen diejenigen Töne zum Klingen, auf die er immer schon gestimmt ist" 213 . In dieselbe Richtung geht die „Conclusion" des SchleiermacherTeils der Arbeit von M. Michel: „Le Christ est le modèle de la conscience religieuse et c'est par la communion avec lui que le chrétien, en accédant à la constance progressive du sentiment de la dépendance absolue, accède au salut. Mais ce salut est étrangement l'exacte et parfaite réalisation du postulat de départ" 214 . 212
Philosophie und Theologie bei Schleiermacher, Zürich 1947. Seitenzahlen im Text.
213
F. Jacob, Geschichte und Welt, 95f. 100.
214
M. Michel, La Théologie aux prises avec la culture. De Schleiermacher à Tillich, Paris 1982,25-77, 77.
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Im Blick auf der Problem der Begründung der Christologie gibt F. V/agner zu bedenken: Fällt „das Sein Gottes in Christo mit seinem schlechthin kräftigen Gottesbewußtsein zusammen, so unterscheidet sich sein Gottesbewußtsein von dem des frommen Selbstbewußtseins allein dadurch, daß es ins Vortreffliche und Urbildliche gesteigert wird. Somit bleibt das Sein Gottes in Christo von der einseitigen Beziehung Christi zu Gott abhängig, so daß der Unterschied zwischen der begründenden Christologie und dem zu begründenden frommen Selbstbewußtsein auf die Differenz zwischen einem vollkommenen und einem unvollkommenen Gottesbewußtsein zusammenschrumpft"215. Eine positive Auswertung des nur den Begriff der Religion realisierenden Inhalts der Erlösung gibt H. Knudsen216: Der Glaube „weiß sich selbst als der Vorbegriff jener Subjektivität, die sich in Christus urbildhaft bereits vollkommen gezeigt hat. Christlicher Subjektivität liegt somit das Urbild Christi zugrunde, nach dem es [!] sich zunehmend entwickelt. Der Struktur nach ist ihm dieses Urbild schon inhärent. Der abbildhafte Charakter der glaubenden Subjektivität ist vorläufig; sie ist vorlaufendes Abbild auf die schließlich sich ereignende Identität mit dem Urbild selbst... Der Glaube wird vollkommenes Wissen sein, wenn er seine abbildliche Struktur abgestreift hat" (142). In dieser Zielsetzung sieht er einen Unterschied zur Vernunft: „In und durch Christus wird offenbar, daß diese Subjektivität nicht das Ziel hat, bloß vernünftiges Selbstbewußtsein zu werden, das etwa im Konflikt zwischen sinnlichen Antrieben und höheren geistigen Motiven obsiegt, sondern das zum selbstbewußten Sein einer christusförmigen Subjektivität bestimmt ist" (152). In zugespitzter Weise formuliert W. Brandt das Ergebnis der Christologie Schleiermachers: „Tritt nun - nach dem Bekenntnis des christlichen Glaubens - in Christus die höchste menschliche Anlage, das Gottesbewußtsein in Erscheinung, so hat in seiner Person diese Kraft ihr Ziel erreicht. Die Differenz zwischen der ermöglichenden Kraft und dem Ermöglichten ist in ihm Null gewor-
215
F. Wagner, Gefühl, 293.
216
Subjektivität. Seitenzahlen im Text.
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den. Weit entfernt, etwas Übernatürliches in die menschliche Natur hineinzubringen, ist Christus sozusagen das natürlichste Glied der Menschheit, der Repräsentant des Natürlichen in ihr. In ihm hat die Natur sich vollkommen selbst produziert. Er ist die letzte, nicht mehr überbietbare 'Entwicklungsstufe' der menschlichen Natur" 2 1 7 . Was in Jesus erscheint, ist somit das Ideal des menschlichen Wesens, d.h. der menschlichen Vernunft. Wenn auch nur durch ihn als Mittler, so gelangt sie im Erlösungsgeschehen doch letztlich nur zu sich selbst. So bedarf es zwar des Christentums, damit Geschichte vernünftig werde; aber sie wird damit eben auch nur vernünftig. Der Christentumsprozeß mündet in den Kulturprozeß ein und begründet nur das Vertrauen auf die Wirksamkeit der zu sich gebrachten, durch die Erlösung affirmierten Vernunft 218 . 217
VV. Brandt, Der Heilige Geist und die Kirche bei Schleiermacher, Zürich 1968, 324.
218
W. Gräbs „Untersuchung zum Geschichtsbegriff im Spätwerk Schleiermachers" (Untertitel zu „Humanität und Christentumsgeschichte", Göttingen 1980) endet mit der These einer bleibenden produktiven Spannung von Vernunft- und Christentumsprozeß: Die „Doppelentfaltung der Geschichtsthematik verhindert die Ineinssetzung der anthropologischethisch begründeten Kulturtheorie mit der Theologie des Christentums" (178). Der „restriktiven Entfaltung des Vernunftbegriffs" der philosophischen Ethik „korrespondiert... eine Theorie der Christentumsgeschichte, die zeigt, daß Schleiermacher erst mit dem Eintritt des Christentums in die Geschichte den Prozeß der Verwirklichung jener Vernunft anheben sah, die die ethische Konstruktion im strukturellen Gefüge ihrer allgemeinen Möglichkeiten beschreibt" (175). Eine bleibende, den unabschließbaren Verwirklichungsprozeß vorwärtstreibende Unterschiedenheit müßte aber, so meine ich, in einem Inhalt begründet sein, der sich nicht von der Vernunft aneignen ließe, ohne sein Wesen zu verlieren. Ein solcher Inhalt ist jedoch gerade nicht in der Kräftigkeit des latenten Gottesbewußtseins, sondern nur in der nicht ohne Verlust säkularisierbaren Liebe Gottes gegeben. Im übrigen scheint es mir keine Stärke von Schleiermachers theologischem, sondern die Schwäche seines philosophischen Geschichtsbegriffs zu sein, daß in ihm „unausdrücklich (bleibt), wie das vorausgesetzte Handeln der Vernunft unter irdisch-humanen Bedingungen diese Möglichkeiten für sich selbst aktualisieren und im Aufbau der kulturellen Lebenswelt erfüllen kann" und so verhindert wird, „daß die
198
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Trifft also zu, was Sierscyn Schleiermacher vorgeworfen hat, daß es nicht auf die Person Jesu, ihre freie Tat und ihr eigenes, persönliches Werk, sondern nur auf den zwar durch ihn, aber als 'Naturtat' sich vollziehenden sittlichen Gesamtprozeß ankomme219? Und daß, wie Brandt resümiert, „dies Erlösungswerk nichts anderes ist als die Selbst-Korrektur der menschlichen Natur", indem „die von Gott ge-
Theorie des humanen Vernunfthandelns zugleich als die Theorie der Geschichte auftritt, in deren Verlauf die Menschheit die ihr eigene Bestimmung verfehlen oder der Verwirklichung entgegenführen kann" (174). 219
Vgl. A. Sierscyn, Sünde, 159. Vgl. auch R. Slenczka, Geschichtlichkeit und Personsein Jesu Christi. Studien zur christologischen Problematik der historischen Jesusfrage, Göttingen 1967: „Freilich ist die Grenze gegenüber einer Auflösung der Person Jesu Christi in eine anonyme Kausalität bei der engen Verbindung von Christologie und Soteriologie nur ein ganz schmaler Grat... Es ist charakteristisch, wie die auf das fromme Bewußtsein gerichtete Kausalität einerseits soteriologisch als 'Erlösungsbewußtsein', 'Gesamtleben',... beschrieben wird, wenn von der Wirkung gesprochen wird. Die Beziehung auf Christus erscheint dann oft nur als ein rein mechanisches Verhältnis von Ursache und Wirkung. Fast unverbunden stehen dann daneben die Ausdrücke, in denen diese Wirkung als eine Tätigkeit der Person Christi dargestellt wird. Schleiermacher verwendet hierfür Begriffe wie 'Selbstverkündigung', 'Selbstmitteilung', 'Selbstdarstellung', 'Selbstoffenbarung'. Die 'Tätigkeit' ist nicht Tat der Person. Sie besteht nicht in einem Vollmachtsanspruch, in einem Ruf zur Nachfolge, einem verkündigenden Wort... Die Tätigkeit ist vielmehr Persönlichkeitswirkung, in der es 'kein empirisches Hervortreten göttlicher Eigenschaften gibt' (§ 96,3). Die durch das Sein Gottes bestimmte Person Jesu Christi ist... der Keim, aus dem sich die neue Schöpfung organisch entwickelt... Wiewohl Jesus Christus als geschichtliche Person an eine bestimmte Zeit gebunden ist und seine Wirkungen auch in den Vorstellungen einer bestimmten Zeit dargestellt werden, sind die von dem Sein Gottes in ihm ausgehenden Wirkungen überzeitlich, so daß es keinen Unterschied der Zeiten gibt. So betrachtet ist die geschichtliche Person nur der Durchgangspunkt für das wirkende Sein Gottes, sein Träger und Vermittler. Sie ist der Punkt, auf den die Wirkung in ihrer Ursache zurückgeführt und in dem sie angeschaut werden kann. Doch sie ist Subjekt nur in einem uneigentlichen Sinne" (216f.).
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wollte menschliche Natur... die von den Menschen verwirklichte menschliche Natur (korrigiert)"220? Das Desinteresse an der wirklichen Person Jesu, das Sierscyn Schleiermacher unterstellt, läßt sich vor allem an einem Punkt erschreckend gut belegen: in seiner Deutung von Jesu Tod und Auferstehung. Schleiermachers Deutung des Todes Jesu und seine Ansicht, die „Tatsachen der Auferstehung und der Himmelfahrt Christi sowie die Vorhersage von seiner Wiederkunft zum Gericht... nicht als eigentliche Bestandteile der Lehre von seiner Person" aufstellen zu können (2§ 99. II, 82-89), sieht F. Flückiger in der Unterordnung der Theologie unter die philosophische Weltanschauung Schleiermachers begründet: „Christus (konnte) nur vollkommen sein, wenn das neugestiftete höhere Leben in ihm keinem Widerstand wich, auch nicht demjenigen, welcher den Untergang seiner Person herbeizuführen vermochte. Im Leiden wird die ungebrochene Kräftigkeit seines Gottesbewußtseins erst recht bestätigt, und insofern ist dieses Leiden der Höhepunkt seines Daseins... Es ist nicht das Leiden, sondern das Bewußtsein ungetrübter Seligkeit, worin hier der Sinn der Passion gesehen wird. Christi Tod am Kreuz, und die Bedeutung, welche die Kirche diesem beilegt, sind für Schleiermacher ein sichtliches Ärgernis. Er will vor allem die Erlösung von jeder speziellen Beziehung auf den Tod Christi lösen und sie allein nur auf die höhere Natur Christi begründen, welche dieser mit der ganzen Gattung gemeinsam hat (wenn auch in einzigartiger Vollkommenheit bei ihm). Denn nur auf diese Weise läßt sich die Erlösung mit der philosophischen Weltanschauung vereinigen"221. H. Stephans Kritik zielt auf die Unteibestimmung der im Leiden sichtbar werdenden Liebe Christi: „Allerdings zeigt das Leiden des Herrn deutlicher als manche andere Situation seines Lebens die Kräftigkeit seines Gottesbewußtseins... Und auch die Seligkeit Christi erscheint erst dadurch in ihrer ganzen Tiefe, daß sie nicht einmal von der Fülle des Leidens überwunden wird. Damit sucht Schleiermacher die erlösende Kraft der sich selbst hingebenden
220
W. Brandt, Der Heilige Geist, 335.
221
F. Flückiger, Philosophie und Theologie, 153.
200
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Liebe in sein Schema einzugliedern... Aber sie ist kein selbständiges ethisches oder religiöses Motiv, sondern nur ein Gradmesser für die Stärke und Seligkeit des Gottesbewußtseins"222. Auch D. Lange bemerkt kritisch, daß Schleiermacher „damit mindestens in die Nähe einer theologia gloriae (gerät)". Den Grund dafür erkennt er darin, daß er, um die „ungebrochene kontinuierliche Entwicklung Jesu" zu gewährleisten, „Tod und Auferstehung als bruchlose(n) Übergang aus der leiblichen in die geistige Gegenwart Jesu" deutet. Dabei sei „das Kriterium der Kontinuität insofern problematisch, als es die Wirklichkeit des menschlichen Lebens Jesu gefährdet und diejenige seines Todes verschleiert. Es war aber für Schleiermacher ein notwendiges Kriterium, um das Sein des zeitlosen Gottes in einem geschichtlichen Menschen denkmöglich zu machen". Die Kontinuität bedrohe die Geschichtlichkeit Jesu, „insofern diese nämlich zum maßgeblichen Kriterium seiner Urbildlichkeit wird und in dieser Funktion die Angefochtenheit Jesu eliminieren und das Kreuz verdecken muß" 223 . Den „Seelenkampf in Gethsemane" hatte schon Bretschneider gegen eine kampflose Kräftigkeit des Gottesbewußtseins in Jesus angeführt 224 . X. Tilliette benennt die Folgen für das christliche Bewußtsein: „Rien ne marque mieux le contraste avec Hegel que le sous-emploi du mystère de mort et de résurrection, cette clef de la Révélation divine. Au Christ historique de Schleiermacher il ne peut foncièrement rien arriver, immunisé qu'il est par sa vie intérieure; son historicité est toute individuelle, un continuum d'existence. La dignité sereine, l'hiératisme de la figure, inspirent le respect plus que l'amour, malgré l'analogon de la conscience pieuse" 225 . Trotz dieser Wahrnehmungsschwächen, die Schleiermachers Darstellung der Leidensgeschichte Jesu den Vorwurf des Doketismus eintru-
222
H. Stephan, Erlösung, 51.
223
D. Lange, Historischer Jesus, 170-172.
224
Begriff der Erlösung, 28f.
225
Le Christ historique de Schleiermacher. In: Archivio di Filosofia 52 (1984), 387-407, 407.
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gen 2 2 6 , erscheint mir Sierscyns Vorwurf aufs ganze gesehen als unberechtigt: Schleiermacher selbst fand seine Grundformel des schlechthin kräftigen Gottesbewußtseins Jesu, die seine Wahrnehmung des Lebens Jesu prägte und dessen Maßgabe er alle Einzelereignisse unterwarf, vom Neuen Testament im Johannesevangelium beglaubigt 2 2 7 . Seine Auslegung galt der geschichtlichen Person Jesu 2 2 8 . Wenn er dem singulären Gehalt des Wesens Jesu dennoch nicht gerecht wird, dann ist dies auf die in der Einleitung grundgelegten Kategorien zurückzuführen, die die Christologie nur noch ausführen konnte. In der Bewertung ihrer Auswirkung möchte ich dem frühen Urteil I.A. Dorners zustimmen. Sie bewirken, „daß die ganze Bedeutung der Persönlichkeit Christi ihm in der Einsenkung eines neuen Lebensprincips in die Menschheit aufgeht, ohne daß hinreichend fest-
226
Vgl. z.B. G. Wenz, Versöhnungslehre, 385f., Aran. 49.
227
Vgl. H. Stephan: „Weit häufiger und lieber als ein die synoptische Zeichnung der Person Jesu mit ihrer Betonung der äußeren Ereignisse hält Schleiermacher sich... an das vierte Evangelium. Denn in ihm dienen die Lebensschicksale des Herrn eigentlich nur als fruchtbarer Anlaß, die innere Fülle mit immer neuer Kraft zu offenbaren. Die eindrucksvolle, aber notwendig mit einer gewissen Einförmigkeit verbundene Tiefe des Johanneischen Christusbildes lebt geradezu in Schleiermacher wieder auf" (Erlösung, 51).
228 V g i ρ Jacobs Abwägung der Defizite und Intentionen von Schleiermachers Christologie: „Es ist deutlich: Der Schleiermachersche Individualitätsbegriff reicht nicht aus, um die in den Evangelien berichteten Ereignisse aufzunehmen und zu verstehen. Zu guter Letzt steht Schleiermacher vor der Wahl, das Wunderbare radikal zu streichen oder zuzugeben, daß er als Historiker am Ende seiner Verstehensmöglichkeiten ist... Es gibt für ihn nur ein Heilsereignis, und das ist die Person Jesu selbst. Alles andere ist nur Äußerung und Folge... Weil seine Soteriologie auf die Individualität Jesu hin orientiert ist, muß er diese auch in ihrer geschichtlichen Wirklichkeit erklären und einsichtig machen. Dabei mag vieles spekulativ und konstruiert erscheinen, aber es darf nicht vergessen werden, daß Schleiermacher sich gerade hierin um die Einheit von historischem und geglaubtem Christus, um das heilsgeschichtliche Fundament seiner Theologie bemüht" (Geschichte und Welt, 66f.).
202
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gehalten oder nachgewiesen wäre, wie wesentlich zur ursprünglichen Einpflanzung und zur Fortpflanzung desselben die Persönlichkeit gehört, in der es erschien und fortgehend sein Bestehen hat. Es ist klar, daß dies neue Lebensprincip, nicht in sich selbst persönlich, sondern bloß als Kraft gedacht, die Bedeutung der Persönlichkeit Christi nicht genügend garantirt... Daß aber die persönliche Wirksamkeit Christi bei Schleiermacher zurückgesetzt wird, das hängt selbst wieder damit zusammen, daß ihm Christus nur das vollendete Gottesbewußtseyn ist. Besteht nämlich Christi Dignität einzig darin, so kann er freilich nur als sich fortpflanzendes Princip, nicht aber als Persönlichkeit Bedeutung behalten: und seine Persönlichkeit ist nur so lange von Werth, bis das gekräftigte Gottesbewußtseyn durch ihr Vehikel der Menschheit eingepflanzt ist... Suchen wir aber für Christus die specifische Dignität, die allerdings das christliche Bewußtseyn fordert und an der auch Schleiermacher festhält, ohne sie mit ewiger Zurückhaltung seiner Brüder auf unvollkommenen Stufen des Gottesbewußtseyns zu erkaufen..., durch welche er immer gleich erhaben bleibt über alle Menschenkinder, so glücklich sie im Uebrigen auch in der Kräftigkeit des Gottesbewußtseyns voranschreiten: so... werden (wir) genöthigt seyn, entweder weniger von Christus auszusagen, oder mehr als Schleiermacher that, wenn er ihn sich vorherrschend nur als neues Lebensprincip und als vollendetes Gottesbewußtseyn faßt" 229 . Daß also, anders ausgedrückt, „das Apriorische an Christus unbedingt im Übergewicht"230 bleibt, liegt daran, daß das Sein Gottes im geschichtlichen Jesus nur in der Bekräftigung des mit der menschlichen Natur schon gesetzten Gottesbezugs besteht.
229
I.A. Dorner, Entwicklungsgeschichte der Lehre von der Person Christi, Stuttgart 1839, 522-525. Vgl. auch H. Stephan: Es „hätte gegolten, das Innenleben Christi auszuschöpfen und als Offenbarung Gottes oder als Erkenntnisprinzip Gott gegenüber zu nutzen. Mit einem Schlage hätte sich dadurch so manche Lücke geschlossen: das Bewußtsein der Sündenvergebung wäre erklärt... und der Vorwurf des formalen Charakters würde wenigstens zu einem guten Teil dahinfallen" (Erlösung, 156).
230
H. Scheel, Zweiter Adam, 68.
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W. Anz und Th. Pröpper, die beide das Verhältnis von Christologie und Anthropologie als „Zirkel" identifiziert haben, bewerten diesen allerdings unterschiedlich: „Wir bewegen uns in dem für die Glaubenslehre konstitutiven Zirkel. Die im Erlöser gegenwärtige Kraft 'des vollkommenen Gottesbewußtseins' ist die Bedingung dafür, daß das Gefühl der 'schlechthinnigen' Abhängigkeit allererst als das Grundverhältnis erkannt werden kann, in dem der Mensch steht... Der Begriff der Einleitung erhält eine methodische Funktion: Glaubenslehre bedarf der Aufschließung des ihren Vollzug tragenden Zirkels... welche Denkschritte vollzogen sein müssen, wenn Offenbarungsglaube möglich sein" soll, das „ist genau die Frage, die Schleiermacher in der Einleitung mit der Antizipation der vorauszusetzenden Christologie formulierte und durch den 'Zirkel' beantwortete"231. Das Problem an dieser Rekonstruktion der Begründungsverhältnisse scheint mir zu sein, daß sie über der methodischen Funktion die inhaltliche „Geschlossenheit dieses Zirkels" übersieht, die jedem eigenen Inhalt der Christologie den Zugang verschließt. So resümiert Th. Pröpper: „Daß Schleiermachers Erlösungslehre und Christologie nur die Realisierung dessen thematisieren, was bereits die Anthropologie als Wesensbestand sichert, oder daß - umgekehrt formuliert - die Anthropologie inhaltlich schon enthält, was doch erst durch Jesus gegeben sein soll - in der Geschlossenheit dieses Zirkels sehe ich die Problematik seiner Hermeneutik des Glaubens" 232 .
231
W. Anz, Schleiermacher und Kierkegaard, 427-429.
232
Th. Pröpper, Bestimmung, 209. Vgl. auch die Bemerkung Diltheys zur Bestimmung von Schleiermachers Christlicher Sitte, daß alles Handeln in der christlichen Kirche nur die Ausführung der von Christus vorgezeichneten Grundzüge sei: „Der Zusammenhang dieser Religiosität vollendet sich, der Ring kehrt in sich zurück in der Einsicht: die christliche Gemeinschaft kann sonach kein anderes sittliches Gut, keine anderen Normen und Pflichten besitzen, als in dem Menschlichen, dem menschlich Idealen enthalten sind, da Christus selbst eben nur der ideale Mensch, zugleich aber nur die letzte Kraft und Norm dieses Gemeinschaftslebens ist. So folgt, daß zwischen christlicher und philosophischer Sittenlehre im Zustand der Vollendung kein Widerspruch sein kann" (Leben Schleiermachers, Bd. II, 494).
204
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Wäre der Inhalt seines Gottesbewußtseins die Liebe Gottes zu den Menschen, die sich nicht spekulativ, sondern nur aus einer von ihr bestimmten Lebensgestalt erschließen läßt 233 , dann hätte er in geschichtlichen statt natürlichen Kategorien ausgelegt werden können. Aber dazu hätte Schleiermacher seinen Gottesbegriff, der die besondere Identifikation Gottes mit der Person Jesu ausschließt, grundlegend neu konzipieren müssen234. Die Untersuchung, in welcher Weise der erste Vorschlag und die endgültige Ausformulierung von Schleiermachers Dogmatik es unternehmen, die christliche Gottesrede im Ausgang von der Selbsterfassung des Subjekts neu zu verantworten, geht zuletzt über in die Frage an gegenwärtige Theologie und ihren Versuch, das Evangelium in kritischer Zeitgenossenschaft zu vertreten: Wie kann sie Schleiermachers Einsichten und Absicht der anthropologischen Vermittlung und philosophischen Rechenschaft der Option des Gottesglaubens respektieren, die Geschlossenheit des Zirkels von Christologie und Anthropologie aber aufbrechen und zu Bestimmungen kommen, die
233
Vgl. Th. Pröpper, Erlösungsglaube, 194-220.236-238.246-249.
234
Vgl. die Kritik von Th. H. Jorgensen: „Trotz der schwerwiegenderen Bedeutung, die der Geschichte in dem religionsphilosophischen Offenbarungsverständnis Schleiermachers zuerkannt wird, ist die Geschichte in ihrer Kontingenz und geschichtlichen Konkretheit nicht ernst genommen. Die Geschichte Jesu als erfüllte Zeitspanne ist nicht Inhalt, sondern nur Medium der Christusoffenbarung. Die Einmaligkeit dieser Geschichte besteht in ihrem idealen Gehalt und nicht in demjenigen, was Gott durch Jesus an und für Menschen geschehen läßt. Daß Gott sich mit dieser Geschichte Jesu in besonderer Weise identifiziert und in ihr geschichtlich wird, um durch sie das Geschick der Menschen zu teilen und zu verändern, ist für Schleiermacher ein unnachvollziehbarer Gedanke. Eine solche Identifikation Gottes mit einer bestimmten Geschichte ist Schleiermacher zufolge 'nur als göttliche Willkür zu erklären', d.h. 'eine anthropopathische Ansicht' (§ 13,1) und als solche unannehmbar. Einer Ansicht dieser Art meint Schleiermacher nur entgehen zu können, indem er die zeitliche Erscheinung Jesu in den ewigen Ratschluß Gottes aufhebt" (Offenbarungsverständnis, 333f.).
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205
Gott nicht nur als Allursächlichkeit, sondern als Freiheit explizieren 2 3 5 , die ihr Wesen darin offenbart, daß sie, um „Mitliebende zu bekommen" 2 3 6 , eine unabsehbare Geschichte mit den Menschen eingeht?
235
Vgl. H. Krings, System und Freiheit, Freiburg 1980, 161-184. Vgl. ders.jE. Simons, Art. Gott. In: Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Bd. 3, München 1973, 614-641.
236
Zum Grund der Schöpfung vgl. Duns Sicotus, Opus Oxoniense III d. 32 q. 1 n.6: „vult habere alios condiligentes".
Schluß
Die Glaubenslehre hat die neuzeitliche Wende zum Subjekt dadurch vollzogen, daß sie das fromme Selbstbewußtsein der Christen (und die als seine Äußerung verstandenen kirchlichen Lehrsätze) zu ihrem Ausgangspunkt nahm und aus ihm den dogmatischen Lehrbegriff entwickelte. Sie versteht sich damit als die wissenschaftlich reflektierte Explikation der im christlichen Glaubensbewußtsein implizierten Gehalte. Sie will also nichts weiter als der Ausdruck der Erlösungserfahrung der Christen sein und ist so im konkreten Sinn Subjekt-Theologie: Ohne den Bezug auf den gegenwärtig gelebten Glauben und seine Träger hätte sie weder Inhalt noch Aufgabe. Indem sie auf christlicher Praxis basiert und deren Selbstverständnis reflektiert, bestimmt und zusammenhängend darstellt, ist sie Otgan des wesentlich teleologischen, auf die Verwirklichung des Reiches Gottes hin orientierten Christusglaubens. Die Auffassung der Dogmatik als reflektierter Ausdruck der christlichen Erlösungserfahrung und die Betonung ihres geschichtlichen Charakters in ihrer Orientierung auf das jeweils gegebene Glaubensbewußtsein (vgl. § 1; 2 § 19) scheinen mir einerseits notwendige Konsequenzen der anthropologischen Wende zu sein. Im Rückbezug dieses Bewußtseins auf die Person Jesu läßt sich überdies die Einsicht in die erinnernd-erzählende Grundstruktur des christlichen Glaubens wiederfinden. Jedoch liegt im
208
Schluß
Bezug auf das gegenwärtige Glaubensbewußtsein auch eine Gefahr, die ebenso deutlich gemacht werden sollte. Die von J. B. Metz herausgestellte narrative Dimension des christlichen Glaubens scheint in Schleiermachers Dogmatikauffassung grundsätzlich eröffnet zu sein 237 . Sofern „das Christentum nicht primär eine Argumentations- und Interpretationsgemeinschaft, sondern eine Erinnerungs- und Erzählgemeinschaft in praktischer Absicht", nämlich „erzählend-anrufende Erinnerung der Passion, des Todes und der Auferstehung Jesu" (189f.) sei, besitze christliche Theologie eine „narrative Tiefenstruktur" (187), die „schließlich auch noch aller kritischen Argumentation der Theologie... als vermittelndes Moment ihrer Inhalte" innewohne (190). Diese Nähe Schleiermachers zu zentralen Bestimmungen und Intentionen der Konzeption einer narrativen Theologie sucht B. Hinze aufzuzeigen. Wie Metz (vgl. 186) bezieht er die narrative Dimension auf die Bildung christlicher Identität: nämlich auf den geschichtlichen Charakter des Christentums „both in its identity forming function for the individual and the community and in its dynamic relation to Christian praxis in the world" (1). Den „narrative character of Schleiermacher's theology" (4) sucht er in den Hauptbegriffen der dogmatischen Darstellung der Glaubenslehre selbst wiederzufinden und weist ihn in der Entfaltung der Schlüsselmetapher des Reiches Gottes auf: „The kingdom of God provides the overarching narrative configuration for the redemption of the individual person, the Christian community, and ultimately the entire human race. This redemptive narrative is one of grace and freedom wrought by Christ... (6) Schleiermacher employs the kingdom of God as the narrative link between the person and mission of Christ and the nature and mission of the Church" (8). In seinem abschließenden Urteil differenziert er zwischen dem bleibenden Beitrag Schleiermachers zur narrativen Identitätsvergewisserung und Praxis der einzelnen Christen und Gemeinden und der heute fragwürdig gewordenen organischen Interpretation der Reich-Gottes-Metaphen „Schleiermacher contributes an important narrative construal of Christianity. Few would wish nor do I advocate an uncritical return to his narrative depiction; in our day an
/.
237
B. Metz, Glaube, 181-194. Seitenzahlen im Text.
Schluß
209
organic understanding of the kingdom has been fruitfully superseded by more prophetic and apocalyptic interpretations. Yet in criticizing Schleiermacher's vision from our present vantage point we ought to appreciate his lasting contribution. Schleiermacher recognized full well that a narrative portrayal of Christian faith serves the Church's mission of individual and communal identity formation and moral action in the world" (12)238. Demgegenüber sieht Th. H. Jergensen zwischen dem von ihm begrüßten „Bemühen um eine narrative Theologie" und dem Ansatz der Glaubenslehre folgende Differenz: Die „Wiederholung der Offenbarung Gottes... geschieht primär in der Erzählung der Geschichte Jesu und nicht im Innern des Selbstbewußtseins... Nicht das Zeugnis der eigenen Erfahrung von anfangender Erlösung steht im Mittelpunkt, unterstützt durch die Darstellung der Geschichte Jesu, sondern umgekehrt die Erzählung der Geschichte Jesu, unterstützt und ausgelegt durch die eigene Erfahrung, die der Zeuge mit dieser Geschichte gemacht hat" 239 . j0rgensens Hinweis auf eine mögliche Spannung zwischen der Instanz des eigenen Erlösungsbewußtseins und der Instanz der Geschichte Jesu lenkt den Blick auf einen kritischen Punkt: Es bleibt die Frage an Schleiermachers Entwurf, ob der Rückbezug des christlichen Bewußtseins auf Jesus so gedacht wird, daß sowohl die historische Rückfrage als auch die erzählende Erinnerung an ihn als Kritik des gegenwärtigen Glaubensbewußtseins und als „gefährliche Erinnerung" geltend gemacht werden können. Sofern der Ursprung vom gegenwärtigen Glaubensbewußtsein her, das selbst durch das von Jesus gestiftete neue Gesamtleben vermittelt ist, zugänglich wird, scheint mir die Möglichkeit einer für es selbst „gefährlichen Erinnerung" an diesen Ursprung ausgeschlossen zu sein. Die Überbetonung der Vermitteltheit birgt somit zugleich die Gefahr der Unterordnung der Christologie unter die Ekklesiologie, auf die auch E. Herms' Versuch der systematischen Einordnung der Eschatologie Schleiermachers hindeutet:
238
B. Hinze, Schleiermacher and Narrative Theology. In: American Academy of Religion - Schleiermacher Seminar Newsletter Vol. 2, No. 1 (May 1987) 1-12.
239
Offenbarungsverständnis, 350.
210
Schluß
Das Geschäft Christi mit „allen seinen Implikationen (für die Person Jesu und für die Person der an ihn Glaubenden)... vollzieht sich der Sache nach ausschließlich innerhalb des neuen Gesamtlebens der Kirche... Alles, was in der Christologie und Soteriologie gesagt wird, muß der Sache nach als Implikat der Ekklesiologie verstanden werden" 240 . Die anthropologische Wende hat der Theologie neue Kategorien eröffnet: Subjekt, Geschichte, Christusbestimmtheit, Glaubensgemeinschaft, Praxis des Reiches Gottes, Dogmatik als Klärung des gläubigen Selbstausdrucks. Mit der Absage an metaphysische und spekulative Begründungen des Gottesglaubens scheint die Theologie auf den eigenen Grund zurückgefunden zu haben: der geschichtlichen, von der Vernunft nicht ableitbaren Selbsterschließung Gottes in Jesus. Daß diese grundsätzlich eröffneten, aussichtsreichen Kategorien jedoch noch nicht ihre Angemessenheit für die darzustellende Sache verbürgen, haben die vorhergehenden Kapitel zu zeigen versucht: Schon die Zeitgenossen haben, wie Kapitel I dokumentiert, den Einsatzpunkt beim frommen Selbstbewußtsein in Frage gestellt. Speziell Schleiermachers Aufweis der Religion als Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit und Gottesbewußtsein im Sinne einer menschlichen Wesensanlage verdankt sich, wie Kapitel II erörtert, einer Überdehnung der Ergebnisse seiner Selbstbewußtseinsanalyse. Für die Wesensbestimmung des Christentums als Bewußtsein der Erlösung durch den Stifter Jesus von Nazareth ergibt sich daraus (vgl. Kapitel III) das Problem, daß das Zeugnis der Erlösung in bezug auf das als anthropologisches Wesenselement eruierte Gottesbewußtsein auszulegen und folglich nur noch als Aufhebung dessen, was seine Verwirklichung hemmt, zu fassen ist. Mit den Kategorien, die die Einleitung mit beiden Wesensbestimmungen (die eine philosophisch über-, die andere theologisch unterbestimmt) vorgab, ist, wie Kapitel IV resümiert, schon entschieden, welcher Gehalt für die Christologie übrig
240
E. Herms, Schleiermachers Eschatologie nach der zweiten Auflage der 'Glaubenslehre'. In: ThZ 46 (1990) 97-123,107.105.
Schluß
211
bleibt, um sie von der Anthropologie zu unterscheiden. Daß im frommen Selbstbewußtsein schon gesetzt sei, was angeblich erst die Erlösung verwirkliche, kritisiert F.C. Baur (vgl. Exkurs) und stellt so exemplarisch die Schwäche dieses transzendentalanthropologischen Ansatzes heraus: das Aufgehen des unableitbar Christlichen im allgemeinen Wesen des Menschen. Demgegenüber sucht die zweite Fassung der Christologie, wie Kapitel V zeigt, die Notwendigkeit einer geschichtlichen Vermittlung der Erlösung, der konkreten Existenz des urbildlichen Erlösers und der bleibenden Bezogenheit der Gläubigen auf ihn zu begründen. Als das den Gesamtentwurf tragende Konzept arbeitet sie zugleich den Begriff der Vollendung der Schöpfung aus, der die eher negative Bestimmung der Funktion Jesu als Erlösung ergänzt. Umso klarer aber zeigt sich als Sinn der Heilsgeschichte die endgültige Realisierung des Wesens des Menschen. Was sind die unaufgebbaren Einsichten dieses Entwurfs, und in welchen Punkten ist es nötig, ihm zu widersprechen und andere Bestimmungen einzusetzen? Mit dem Modell einer transzendentalphilosophischen Vermittlung der Dogmatik ist Schleiermacher, so meine ich, ein Durchbruch gelungen, hinter den heutige Theologie nur um den Preis des Kommunikationsverlusts und des Verzichts auf die philosophische Rechenschaft und die Darstellung der anthropologischen Relevanz ihres Gottesglaubens zurückfallen könnte. Sofern ihr daran liegt, die Überzeugung vom universalen Heilsangebot Gottes in der Person Jesu nicht nur zu besitzen, sondern sie auch zu vertreten und sie im Streit um die Bestimmung des Menschen zur Geltung zu bringen, muß sie ihr Bekenntnis in philosophischen Kategorien explizieren können. Für diese Aufgabe scheint mir eine transzendentalphilosophische Analyse, die sich mit dem Aufweis der anthropologischen Voraussetzungen des Glaubens bescheidet, das geeignetste Denkmodell zu bieten: weil sie weder den Inhalt der Offenbarung vorgreifend festlegt oder nachträglich aufhebt noch die Entscheidung des Glaubens verdrängt241. Dagegen muß sie ihre Funktion für die 241
Vgl. Th. Pröpper, Erlösungsglaube, 274-277 (Transzendentales Denken und theologisches Erkennen); Bestimmung, 213f.
212
Schluß
Vermittlung des Glaubens verfehlen, wenn sie, wie bei Schleiermacher gezeigt (und in analoger Weise für K. Rahners religionsphilosophische Begründung der Theologie in „Hörer des Wortes" zu zeigen wäre), von der Frage absoluter Begründung, die sie in aller Deutlichkeit auszuarbeiten hätte, in eigener Instanz auch zu ihrer Beantwortung übergeht. Denn damit untergräbt sie nicht nur die Bedeutung der Person Jesu für die Eröffnung des Glaubens an Gott (zumal den Gott der Liebe zu den Menschen) und zugleich den Stellenwert der Geschichte für die Zielbestimmung menschlicher Vernunft, sondern verkürzt überdies sowohl den Gottesgedanken als auch den Begriff des Subjekts. In welchen Bestimmungen diese Begriffe anders auszuarbeiten wären, als Schleiermacher es tut, möchte ich abschließend noch kurz andeuten. Die besprochenen Probleme der Glaubenslehre weisen zurück auf Schleiermachers Gottesbegriff. In der Christologie wirkte er sich, wie dargestellt, in der Weise aus, daß eine besondere Identifikation Gottes mit der Geschichte Jesu und der Gedanke, daß „die Verkündigung Jesu in der Einheit mit seinem Geschick Gottes Selbstzeugnis sei" 242 , ausgeschlossen blieben. Ebenso aber ist der Geschichtsbegriff betroffen, wenn der ewige Ratschluß Gottes so sehr die vermittelnde Klammer von Schöpfung und Erlösung bildet, wie es bei Schleiermacher der Fall ist. Damit wird im Prinzip das gesamte Heilsgeschehen in ihn aufgehoben und das, was Heiisgeschichte sein sollte, ins Vorzeitliche zurückverlagert. Daraus erklärt sich auch, meine ich, der Standpunkt, von dem aus die Glaubenslehre ihre Aussagen über Mensch, Welt und Geschichte entfaltet: Daß sie, wie vor allem die Zweitauflage zeigt und wie es die Schleiermacher-Literatur wiederholt bemerkt hat, von einem im Besitz der Seligkeit befindlichen christlichen Selbstbewußtsein aus argumentiert, gründet darin, daß für Schleiermacher „alles göttliche Tun unter dem Gesichtspunkt des Vollbrachten steht" 2 4 3 . In der Tat muß hier die Frage „allen Ernstes gestellt 242
Th. H. Jergensen, Offenbarungsverständnis, 345.
243
H.W. Schütte, Die Ausscheidung der Lehre vom Zorn Gottes in der Theologie Schleiermachers und Ritschis. In: NZSThR 10 (1968) 387-397, 391. Für Schütte ist dies die Folge von Schleiermachers Christentumsverständ-
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213
werden, ob dieser Standpunkt des christlichen Selbstbewußtseins als Stand im Geist - auch dem Standort des Christen in der Welt und damit der Welterfahrung im Ganzen entspricht. Kann er sich mit der Antwort Schleiermachers zufriedengeben, der die Erfahrung der Zerrissenheit, des Leidens und des Widerspruchs in die Einheit des göttlichen Erlösungsratschlusses... aufgehoben hat? Wenn diese Erfahrungen als dauernder Widerspruch bleiben und nicht aufhebbar sind, dann kann der Glaube nicht ohne Verheißung für das Leben und Leiden in, mit und an der Welt sein. Dann kann es keinen direkten Weg vom Bestehenden zum Vollendeten geben, wie ihn Schleiermachers Werk nahelegt... Für Schleiermacher wird alles von der Zusage der Vollendung dominiert" 2 4 4 . Demgegenüber sollte es gerade das christliche Bewußtsein und seine theologische Reflexion kennzeichnen, daß
nis, in dem das „göttliche Handeln mit der Menschheit... als das sie aus der Welt der Gespaltenheit zu der vollendeten Gemeinschaft mit Gott hinführende gnadenhafte Handeln in Christus" gedeutet werde (a.a.O., 391). Es scheint mir eben das Christentumsverständnis zu sein, das übrig bleibt, wenn die reale Differenz von Schöpfungshandeln und Erlösungshandeln im Gedanken der ewigen Allwirksamkeit verschwindet. 244
E. Saxer, Vorsehung und Verheißung Gottes: Vier theologische Modelle (Calvin, Schleiermacher, Barth, Solle), Zürich 1980, 49-79, 77f. Ähnlich fallen die Urteile D. Langes über die Glaubenslehre aus: „Ihre harmonische Grundstimmung gehört wohl endgültig einer vergangenen Zeit an, in der man trotz mancher Krisenzeichen am Horizont noch an eine fortschreitende Verchristlichung der Welt glauben konnte. Wir werden über die Entfremdung des Menschen von seiner Bestimmung heute drastischer reden müssen, als es Schleiermacher tat." (Neugestaltung. In: ders. (Hg.), Friedrich Schleiermacher, 85-105, 103f.) Daß Schleiermacher sich „genötigt (sieht), sowohl der Biographie des einzelnen Menschen als auch trotz aller epochalen Neueinsätze - der Geschichte als ganzer eine Kontinuität zu unterlegen, welche die Negativität des Widerständigen weniger zu integrieren als vielmehr zu nivellieren droht..., läßt sich an seiner Lehre von der Sünde als bloßer Potentialität des Gottesbewußtseins ebenso ablesen wie an seiner letztlich auf eine apokatastasis panton zielenden Geschichtstheorie" (Die Kontroverse Hegels und Schleiermachers um das Verständnis der Religion. In: Hegel-Studien 18 (1983) 201-224, 223).
214
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sie „eine Erinnerung wagen (können), die nicht nur das Gelungene, sondern das Zerstörte, nicht nur das Verwirklichte, sondern das Verlorene erinnert und die sich so - als gefährliche Erinnerung - gegen die Identifizierung von Sinn und Wahrheit mit der Sieghaftigkeit des Gewordenen und Bestehenden wendet". Die Möglichkeit, Geschichte als locus theologicus zu begreifen, in ihr den „konstitutionell gefährdeten Ort theologischer Wahrheitsfindung und Wahrheitsbezeugung" 245 zu sehen und ihren Begriff als theologische Kategorie auszuarbeiten, hat Schleiermacher sich jedoch durch eine Gotteslehre, für die das Zeitliche nur die Ausführung des vorzeitlichen Heilsplans darstellt, versperrt. Der Befund, daß Schleiermachers Gottesbegriff für den Gedanken eines wirklichen, d.h. unvorgreiflichen Geschichtshandelns des Menschen, der auch die Möglichkeit des Scheiterns einschließt, keinen Platz läßt, wirft zugleich ein Licht auf den Subjektbegriff der Glaubenslehre. Sie konnte, wie Kapitel II gezeigt hat, das Bewußtsein der Faktizität nur deshalb als Gottesbewußtsein auslegen (und damit den Grund für die inhaltliche Schwäche der geschichtlichen Offenbarung Gottes in Jesus legen), weil ihre Selbstbewußtseinsanalyse das Moment der formellen Unbedingtheit der Freiheit unterschlug. Demgegenüber müßte ein heutiger theologischer Entwurf, der sich „in Subjektbegriffen mit einem praktischen Fundament" 246 zu entfalten sucht, statt der nur scheinbar rein empfänglichen „Empfänglichkeit" einen zureichenden Begriff der Freiheit und mit ihm ihre Ansprechbarkeit auf absolute Sinnerfüllung explizieren. Mit der Erfassung der antinomischen Struktur endlicher Freiheit würde auch ihre prekäre Situation begreifbar. Erst in einer entsprechenden „Hermeneutik der agonalen Freiheitssituation des Menschen"247 wäre das für die Realisierung der Freiheit entscheidende Problem unbedingter Anerken-
245
J.B. Metz, Unterwegs zu einer nachidealistischen Theologie. In: J.B. Bauer (Hg.), Entwürfe der Theologie, Graz 1985,209-233,218.
246
a.a.O., 218.
247
J.B. Metz, Glaube, 179.
Schluß
215
nung und mit ihm die Relevanz des Gedankens eines Gottes der zuvorkommenden absoluten Liebe zu entfalten248. Die grundlegende Aufgabe einer solchen Theologie des Subjekts wäre es, „die fordernde Autorität der Freiheit und der Gerechtigkeit und die einklagende Autorität des Leidens..., in deren Bejahung Menschen ihr eigenes Subjektsein bzw. das Subjektsein-Können anderer bejahen"249, zur Geltung zu bringen und als Grund ihrer Hoffnung den erst in der Geschichte Jesu offenbar werdenden Gott der Liebe darzulegen. Das in der Glaubenslehre als Mitte des Christentums erfaßte Zeugnis der durch Jesus bewirkten Erlösung erwartet demnach eine andere Ausführung, als die von Schleiermacher gewählten Kategorien sie zulassen: eine subjektbezogene Rede von Gott, die seiner Einsicht besser entspricht, daß „die Befriedigung unserer Sehnsucht nach Erlösung" nicht etwas ist, auf das die Menschheit „als auf etwas dem Menschen zu hoch liegendes Verzicht... leisten" (§ 121,1. II, 67) könnte.
248 249
Vgl. Th. Pröpper, Erlösungsglaube, 185-220.
J.B.Metz,
Glaube,37.
Abkürzungen Grundsätzlich folge ich dem Neuen Handbuch theologischer Grundbegriffe (NHThG), 4 Bde., hg. v. P. Eicher, München 1984/85. Außerdem verwende ich folgende Abkürzungen: KGA
Kritische Gesamtausgabe
§
Der christliche Glaube, 1. Auflage (1821 /22): Paragraph, Abschnitt, Teilband, Seite, z.B. §9,1.1,31.
2
§
Der christliche Glaube, 2. Auflage (1830/31): Paragraph, Abschnitt, Teilband, Seite, z.B. 2 § 4,1.1,24.
2
1,2II
Der christliche Glaube, 2. Auflage (1830/31): Teilband, Seite
LS
Leitsatz
Marg., S.
Der christliche Glaube, 1. Auflage (1821 /22), Marginalien und Anhang (KGA 1/7.3): Marginalie, Seite
Anm. (Th)
Der christliche Glaube, 2. Auflage (1830/31): Anmerkungen Schleiermachers zur 2. Auflage, hg. v. C. Thönes, abgedruckt im 1. Apparat der Kritischen Ausgabe hg. v. M. Redeker, Berlin I9607
Sendschr
Über die Glaubenslehre. Zwei Sendschreiben an Lücke (KGA 1/10,307-394)
KD
Kurze Darstellung des theologischen Studiums, hg. v. H. Scholz
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Personenregister
Anz 61,203 Barth, K. 6f., 57, 68, 75,117,126, 128,131,190,213 Barth, U.
16, 59 17,23,25-27, 29f., 75,110, 116,123,131,133-150,170173,176-178,181,192,211 Bayer 5,84f. Beckmann 103,112,126 Bender 192f., Birkner 7,10 Biser 76f. Brandt 12,196-199 Braniß 25, 27, 51, 63 Bretschneider 19-22,29,51,82, 164,200
Baur
Cramer Dilthey
Dorner
Duke
Ebeling Eckert Faut
Feuerbach Fichte Fiorenza Fischer Flöel
Flückiger Frank Frei Gerdes Geß Grab Greco Groot Günther Harvey
75,195,199 70, 78f. 190 2,16 15,25 197 76 67 12,15,170
75 Hegel 15,17,25-27, 60, 63, 75f., 133f., 141,143,145f., 148f„ 193,200, 213 Herms 83,209f Hinze 208f., Hirsch 18f„ 72 53-55, 66, 74f., 80 Horst 65,74 Huber 2 59f„ 180,190, 203 201f. Jacob 65, 84,185,195, 201 7,15, 68,190 Jorgensen 119,204, 209, 212 62, 69, 76 Kant 59, 88f., 164,175 51f., 59, 69f., 76, 84 Kierkegaard 61,163-166,203 Knudsen 83,196 194 Krings 205 67, 75,178f. 56 Lange 16, 53, 83,133f„ 138,163f„ 15 180,200,213 163,165,173 Lehnerer 53 194 Liebing 26,133,135
232
Personenregister
Lübbe
78
Metz Michel
3-5,208,214f. 195
Offermann Ohst
52 15,113
Pannenberg 80 Peiter 25/ Peukert 78 Pröpper 1,45, 59, 62, 69f., 72/., 75, 81, 85-87, 89,112,141,148, 150,166,178f., 190,203f., 211, 215 Redeker Riemer Ritsehl, O. Röhr Scheel Scholtz Schrofner 3, 6, Schultz Schulze Schütte Schwarz
15,59 34, 36, 94
ω
18-22, 51, 77, 82
182,184,202 27 8,15,162,190,193 57,89 193 212 29,51
Scotus 205 Siegfried 191 Siegmund-Schulze 75 Sierscyn 171,198f„ 201 Sigwart 88 Slenczka 198 Stephan 59, 88,180,186,193f., 199202 Steudel 23-25, 51, 89 Strauß 9,26,131,133f., 149,178 Streetman 7, 68,190 Süskind 11 Sykes 7,68 Thiemann Thimme Tice Tilliette Trillhaas Trowitzsch
68 75 56 200 148 76
Wagner 53, 64/., 69f., 196 Wehrung 2, 35, 43, 48, 68, 80, 89 Weißenborn 127 Wenζ 75, 201 Zimmermann-Stock
125
Sachregister
Anthropologie 1-3, 5,27, 30,52, 58f., 68, 80, 85, 91f., 101-104, 110,114f., 118,125-129,137, 140,149,151-172,179,197, 203f, 207, 2lOf. Apriori 2,11, 45f., 58, 82f., 87-89, 110,115-118,124,137,183, 202 Atheismus 89 Aufklärung 5, 78,105 Aufweis des Gottesbewußtseins 13, 38-92,122,137,220/ Bibel/Neues Testament 8,19,26, 126,136,138,140,143,148, 201 Christentum, Wesensbestimmung 2, 6-11,13,26f., 29, 32,34, 3638, 91-120,127/., 210 Christologie 2,11-13,16-19,2226,29f., 35, 59, 72, 84-86, 8992, 96-110,112-155,157,166212 Dogmatik 1-3, 5-7,10,12f„ 15-18, 20,26-38, 44, 47,58, 72, 75, 83, 85, 91f., 98,108-110,113, 118-131,135-140,143,151f., 163,171,173f., 186,189f., 195, 204,207-211 eigentümlich/individuell 8f., 12,
18, 26,36-38, 70-72, 79, 88, 92, 94-98,104f„ 108,110f„ 115, 117,136,143-145,148,151, 179f., 185,200f., 208f. Einleitung 1-4, 6,10,12f., 15-38, 52, 56,59, 72, 83, 92f„ 95, 98, 102,113,120-131,136-138, 140,151,154,157f., 173,201, 203,210 Empfänglichkeit 46, 49,54,57f., 62, 64, 66, 73f., 76f., 87f., 109, 129,168,171,181-183,188, 214 empirisch 7-9,37, 58, 65, 68, 74, 93, 98,103, lllf., 128,137, 139,145,148,198 Entwicklung 5, 26,57, 93f., 104108,115,125-128,131,135137,140f., 146f., 152f„ 155, 161-172,174,176,180-182, 192-199,201f., 214 Erlöser 1,26,29, lOOf., 104,107f., 110,113,118f., 123-130,135f., 138-140,144f., 157,168f„ 174178,182,184,186-188,191, 193-195, 203,211 Erlösung 1,22, 29/, 32/., 45,59, 62, 72,81, 86,88, 96-129,135142,146-153,155,162-173, 177-205, 209-212, 215 Existenz/Dasein 43, 45, 53,56f., 64-68, 74-77, 79, 81,106,112,
234
Sachregister 117,125,138,143-145,148, 162,167,174f., 177,180,183, 189,192,199,211
Fortschritt 106,178,180 Freiheit 24/., 27/., 45-89,107,122, 124,155,159-166,171,177, 182,187-189, 205, 214f.
- formelle 45, 65/., 86-89,166, 214 - existierende /endliche 45-89, 124,165f.,
189,214
Frömmigkeit 20f., 24/., 30, 32f., 35-95, 98-100,104f., 127-130,136,138,193
lllf.,
Frömmigkeit/Religion, Wesensbestimmung
13,20,
24,27,36-89
Gefühl absoluter/schlechthinniger Abhängigkeit 7/., 2022, 24/., 2 7 , 30,44-46, 49-89, 91, 93,112,114,122,127f., 130,134-136,139,141,149f., 152,154,163,182f., 190,193, 195f., 203,210
Geist
9,12,19, 24f., 27, 43, 46, 89, 93,106f„ 118f., 125,128,141, 148,154,156-159,162,164, 166-168,179,185,193f., 196f„ 199f., 213
Gemeinschaft
1, 6, 8 f . , 34, 36,38, 40, 47, 49, 93, 95,105,111, 123,139-142,146,168,170, 177,188,191,194,203,210, 213
Geschichte
1, 3 f . , 11,18f„ 23, 72, 75, 84,100,103f„ 116,118, 125,127,135f., 139,143f., 150, 171,178,185,187,190,193195,197f„ 201,204f„ 209/., 211-215
Geschichtlichkeit 141-144,148,150,174,176180,198, 200
19,115,123f.,
Glaube
5 , 1 1 , 5 1 , 5 9 , 62, 69, 71, 76, 78, 83-85, 89,101,123f., 165,
Gott
167,191,194,196,207/.,
213
1, 5, 7,12,19-25, 29f., 44-46, 50-55, 57, 59f„ 66-73, 75-87, 89, 93f., 99,101,104,107f., 114f., 122,125,131,134,140f., 144f., 149f., 152-157,159,161, 163-167,169,171,173,175f., 178,181-184,186-190,193, 196-198,200, 202, 204/., 212215
Gottesbewußtsein 1/., 13,21/., 24, 30/., 38-100,106,114,117, 119,124-127,129f., 133,136f., 141,144,146,148-164,167f., 170f., 176,178f., 181-185, 187f„ 191-204,210, 213/.
Gotteslehre
30, 51f.,
83,153,173,
214
Häresie
92,101-104,112,126, 200 Hermeneutik 1,6,10,37,68-71, 96-98,110-114,203,214 151,154f.,
Idealer Christus/Idee der Erlösung 26,29f., 123,131,133f., 173,175,177,180,192
110,116, 136-143,170,
Jesus Christus 1,11/., 18f., 23/., 26, 30, 32,35, 83-86, 121,123-150,153,164,166-
96-115,118,
215
Kirche/Ekklesiologie 1, 5/., 8,12, 15, 31f., 35f„ 38,47,57,
93,
98,
112/., 1 2 3 , 1 3 5 , 1 3 9 , 1 4 1 f . , 149, 172,174,177,185,190,197, 199,203,207,209f.
Kontingenz
58, 61-66,
73-83,
149,166
88,
Konstruktion 9,29,32,37,42, 53, 60/., 78, 99,102f., 110,115117,123,166-169,176,197
Sachregister Liebe 21, 77, 82f., 89,108,150, 190,197,199,204,212, 215 Metaphysik 50,180,210 Monotheismus 93-96, 99,112 Natur 9,21, 88,102-108,125, 135,140,144,147f., 154-172, 176,179-181,183f, 186-199, 202 natürlich 5 f , 9,11,13,22,30f., 35, 84,89,102f., 105,112-114, 135-137,145,153,156f., 163, 168,171,175,197,204 Offenbarung 2,5, 23, 25, 67, 72, 84, 86, 89, 92, lOlf, 104-109, 116,118-120,130f., 140,146, 150,163,182,184,193,198, 202-204, 209, 211f., 214 Philosophie 2/., 6-12,15,18-20, 22, 25,27-30, 35, 37, 44,48, 50-52, 57, 59, 61, 63, 66, 69-79, 81, 83-86, 88, 91, 99, U6f., 119,121f., 124,126f., 134, 165f, 192,194f., 197,199, 203205, 210-212 Projektion 52, 67, 74-79,117,123, 143,168,175,177,191 Rationalismus 15,17-26,28,113, 119,131,134,137,146,191 Ratschluß, göttlicher 107,125, 149,153,164,169,181,192, 204, 212f. Reich Gottes 94, 207/., 210 Religion/religiös 2 , 4 f . , 7, 9-11, 17-22,25,27, 29, 32/., 35-39, 41f„ 50-53, 57, 59-61, 66, 68, 71, 75, 78, 80-82, 84f„ 89-100, 105,110,122/., U€f., 119,122, 124,130f, 134-136,138-141, 157,164,169,175,192-196, 200, 203f, 209f, 212f. - positiv 9,11, 95,105,111,146
235
- Stufen 26, 6 0 , 1 3 7 , 1 4 1 , 2 0 2 - Arten 94,141 Rückbezug/Rückschluß auf Jesus 100,131,133,142f, 147,173f, 207,209 Schöpfung 85,108,125,138, 144f, 152,169-187,190,198, 2ß5, 211f. Selbstbewußtsein 1/., 4, 26,28/., 33, 39-89, 91-95, 99/., 104, 108-110,112-115,118f, 122124,126,128,130,134-136, 139,142,146f, 151-171,173f, 176,182-184,186-188,191193,196,207,209-214 - unmittelbares 26,40-70, 75f, 79f, 83, 85, 87, 95,109,119, 126,139,146,161,169,170, 193 - sinnliches 20, 22, 40, 93f, 99101,104,110,114f, 119,122, 125,147,154-166,176,182f, 192-194,196 Spekulation 1, 7,10,17,20,2729, 36-38, 44, 47, 50, 60f, 164, 170,194, 201,204, 210 Subjekt 1-4, 49, 54, 56f, 62, 66, 68, 71, 73f., 79f, 103,140,147, 149,161,198,207, 210 Subjektivität 39, 48, 53f, 57f, 62, 65, 71, 73-75, 83,111,122, 141,154f, 163,165,173,196 Sünde 22, 32, 85,114f, 129f, 135, 141,151-175,185f., 190,192, 194,198, 202,213 Sündenlehre 115,151-173 Supranaturalismus 15,19,23-28, 131,134,137,146,191 Theologie 1-26, 30, 32/., 36/., 5061, 67, 69, 75f, 78, 80, 83-86, 107,111,117,124-129,131, 150f, 154,163,165,170,178,
236
Sachregister
185,190,192f., 195,197,199201,204,207-215 transzendental 1,13, 42,45,48, 55-89,122,124,126,211 Transzendenz 59, 66, 70, 75, 77, 83 übernatürlich 31,105-107,118, 125,135,146,168f., 175,197 Urbild 2,19,133,136,138f., 141145,148,150,170f., 174-180, 189,191,195f., 200,211 Vernunft 1,5f., 18f., 21,23-26, 47, 59-61, 72, 75f„ 78f„ 82f., 85, 88, 92,105f„ 108f., 111,116, 118f., 131,137-140,158,165, 175,183,196-198,210,212 Vollendung 2, 36, 44, 97,100, 114,119,127,136,138,144f„
169f., 173,176-186,189,195, 202f., 211,213 Vollkommenheit 44, 95f., 100, 127,130,141f., 144f., 147,152, 154-159,167,177-185,187, 191f., 195-197,199,203 Vorbild 131,175,178 Wahrheit 5f., 10f., 18f., 23, 70, 85, 110,167,184,190,214 Welt 1,3,12,19,29,36,44,46,50, 52, 54,56, 59f., 63, 68, 74-76, 80, 83-85, 87, 89, lOOf., 115, 122,139,149,152,158,181185,187,192-195,199,201, 212f. Zweiter Adam 183f„ 202
166,169-172,181,
w DE
G
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