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German Pages 492 [494] Year 2010
Röder Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht
Rechtsordnung und Steuerwesen Band 41 Schriftenreihe begründet von Brigitte Knobbe-Keuk herausgegeben von Wolfgang Schön und Rainer Hüttemann
Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht Verfassungsrechtliche Vorgaben und Ausgestaltung de lege ferenda
von
Dr. jur. Erik Räder
2010
Ver1~
Dr.OftoSchmidt Köln
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrofbar.
Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 0221/93738-01, Fax 0221/93738-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-64240-2 ©2010 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für V ervielfältigungen, Bearbeitungen. Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Druckund Verarbeitung: Be1z, Darmstadt Printed in Germany
Geleitwort Zu dieser Schriftenreihe Seit Brigitte Knobbe-Keuk im Jahre 1986 diese Schriftenreihe in der Nachfolge von Werner Flume begründet hat, sind mehr als 30 Bände erschienen, in deren thematischen Mittelpunkt die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Steuerrecht und der allgemeinen Rechtsordnung gestellt ist. Die Entwicklung der Reihe hat gezeigt, dass die vielfältigen Verflechtungen des Steuerrechts mit anderen Rechtsgebieten den gewählten Zuschnitt eindrucksvoll gerechtfertigt haben. Die publizierten Arbeiten nehmen Bezüge zum allgemeinen Zivilrecht, zum Gesellschaftsrecht, zum Bilanzrecht und zu den Wirtschaftswissenschaften ebenso in den Blick wie die Rahmenbedingungen des Verfassungsrechts, des Europarechts und des Internationalen Rechts. Strafrechtliche Zusammenhänge unserer Steuerrechtsordnung werden ebenso beleuchtet wie verfahrensrechtliche Implikationen der Besteuerungspraxis. Der Erkenntnis der Begründerin der Schriftenreihe, dass in den juristischen Fragestellungen aus dem Bereich des Steuerwesens Fragestellungen aus den Teilgebieten der allgemeinen Rechtsordnung zusammentreffen, muss besonders Nachdruck in einer Zeit verliehen werden, in der die innere Stabilität unserer Besteuerungsordnung in hohem Maße gefährdet ist und der Wunsch, aus der eigenen Systematik des Steuerrechts heraus feste Leitlinien für Rechtspolitik und Rechtsanwendung zu gewinnen, hinter den fiskalischen Zwängen der öffentlichen Hand und dem Gestaltungswillen der Steuerpolitik immer weiter zurücktritt. Die Verankerung des Steuerrechts in der allgemeinen Rechtsordnung dient daher auch den Anliegen der Rechtssicherheit und Rationalität unseres Steuerrechts. Darüber hinaus kann durch die Anlehnung an die der Privatautonomie verpflichtete Zivilrechtsordnung sowie durch die Verwirklichung verfassungsrechtlicher und europarechtlicher Freiheitsgewährungen dem Steuerwesen ein Stück rechtsstaatlicher Liberalität zurückgegeben werden. Die Herausgeber wünschen daher, dass die Schriftenreihe in ihrer Gesamtheit einen Beitrag zur Kultur unserer Steuerrechtsordnung zu leisten vermag. München und Osnabrück, im März 2004 Wolfgang Schön
Rainer Hüttemann
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Geleitwort
Zu dieser Schrift Die steuerwirksame Verrechnung von Verlusten mit positiven Einkünften ist in den vergangenen Jahren in den Mittelpunkt der steuerpolitischen Diskussion gerückt. Getrieben von der Absicht, reale oder scheinbare Missbräuche zu bekämpfen, und unter dem Druck der Notwendigkeit, „Gegenfinanzierungen“ für Steuersatzsenkungen bereitzustellen, hat der deutsche Steuergesetzgeber seit den 90er Jahren Stück für Stück das traditionelle Instrumentarium der intraperiodischen und interperiodischen Verlustverrechnung abgebaut. Damit ist nicht nur ein gutes Stück Steuersystematik verloren gegangen. Die Verlustverrechnung fehlt heute vielfach als natürlicher Anpassungsmechanismus für individuelle Unternehmenskrisen oder weitreichende Konjunktureinbrüche. Zugleich vermag nur die Aussicht auf eine symmetrische Berücksichtigung von Gewinnen und Verlusten ökonomische Anreize für innovative und damit risikogeneigte Neuinvestitionen zu bieten. Es kann daher nicht verwundern, dass die im Herbst 2009 ins Amt gewählte Bundesregierung eine Neuordnung der Verlustregeln des deutschen Ertragsteuerrechts auf ihre Fahnen geschrieben hat. Die Arbeit von Erik Röder bietet dem Gesetzgeber, aber auch der Praxis in Verwaltung, Gerichtsbarkeit und Beratung, klare Leitlinien bei der Suche nach einer Neugestaltung von Verlustausgleich und Verlustabzug im Einkommensteuerrecht, Körperschaftsteuerrecht und Gewerbesteuerrecht. Vor dem Hintergrund einer systematischen Bestandsaufnahme der gesetzlichen Grundregeln der Verlustverrechnung sowie ihrer positivistischen Ausnahmen und auf der Grundlage einer breit angelegten Analyse der verfassungsrechtlichen (vor allem grundrechtlichen) Vorgaben für die gesetzliche Ausgestaltung der ertragsteuerlichen Einkünfteermittlung geht der Verfasser seine Hauptaufgabe an: eine Klärung der verfassungsrechtlich gebotenen Untergrenzen für den Verlustausgleich und den Verlustabzug. Dabei erkennt er nicht nur in den gleichheitsrechtlichen Geboten der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und der folgerichtigen Ausgestaltung gesetzlicher Grundentscheidungen, sondern auch in den Freiheitsrechten – namentlich dem Gebot des steuerlichen Schutzes des Existenzminimums – wichtige Schranken für die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Wie differenziert er hierbei vorgeht (etwa bei der Frage, ob eine schedulare Ausgestaltung des Einkommensteuerrechts größere Freiheiten bietet als das traditionelle Konzept einer globalen Einkommensteuer, oder bei der Übertragbarkeit von Erkenntnissen zum Einkommensteuerrecht auf das Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuerrecht), wird auch den fachkundigen Leser beeindrucken und dem Gesetzgeber präzise Handreichungen bieten. Dabei erstreckt er seine Untersuchung auch auf intersubjektive (Erbfall, Unternehmensübertragung) sowie internationale Aspekte der Verlustberücksichtigung. Vor allem erkennt der Verfasser, dass Verlustausgleich und Verlustabzug nicht nur ein verfassungsrechtliches, sondern auch ein ökonomisches Desiderat bilden und damit auch jenseits der Verfassungswidrigkeit dem Gesetzgeber steuerpolitisch aufgegeben sind. Es gehört zu den Verdiensten dieser Dissertation, dass sie ihre präzise Analyse mit einem ebenso präzisen Gesetzgebungsvorschlag abschließt, dessen Grundtendenz einer Revitalisierung der klassischen Regeln zur Verlustverrechnung in der aktuellen rechtspolitischen Diskussion Beachtung und Zustimmung verdient. München, im März 2010
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Wolfgang Schön
Vorwort Die Verlustverrechnung ist ein zentrales Element der Ertragsbesteuerung und spielt eine wichtige Rolle für die Verteilung steuerlicher Lasten. Die vorliegende Arbeit zeigt die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Verlustverrechnung und die sich daraus ergebenden Perspektiven für die Ausgestaltung des Systems der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht auf. Die Arbeit wurde von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth im Sommersemester 2009 als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung konnten Gesetzesänderungen, Rechtsprechung und Literatur bis Dezember 2009 berücksichtigt werden. Mein Dank gilt an erster Stelle meinem akademischen Lehrer Herrn Professor Dr. Karl-Georg Loritz, der die Arbeit in konstruktiver Weise betreut und mein Dissertationsvorhaben stets überaus wohlwollend unterstützt und gefördert hat. Herrn Professor Dr. Markus Möstl danke ich für die zeitnahe Erstellung des Zweitgutachtens. Zu besonderem Dank bin ich Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Wolfgang Schön für die Begutachtung des Promotionsvorhabens für die Studienstiftung des deutschen Volkes und für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe „Rechtsordnung und Steuerwesen“ verpflichtet. Mein Dank gilt ferner Herrn Professor Dr. Stefan Leible, der mir während meiner Tätigkeit an seinem Lehrstuhl die Freude am wissenschaftlichen Arbeiten vermittelt und zugleich den nötigen Freiraum für die Erstellung der vorliegenden Arbeit gelassen hat. Der Studienstiftung des deutschen Volkes danke ich für die großzügige ideelle und finanzielle Förderung durch ein Promotionsstipendium. Schließlich möchte ich mich bei meiner Familie und meinen Freunden herzlich für die in vielfältiger Weise gewährte Unterstützung bedanken. Insbesondere danke ich meinem Kollegen Herrn Michael Müller für das Korrekturlesen der Arbeit. Meiner Freundin Anna Gumpert bin ich besonders dafür dankbar, dass sie während der gesamten Promotion an mich geglaubt hat und an meiner Seite stand. Ich widme die Arbeit meinen Eltern, Dr.-Ing. Gerd Röder und Erdmute Röder, die mich während Ausbildung, Studium und Promotion stets in jeder erdenklichen Form ermutigt und unterstützt haben. München/Chemnitz, im Dezember 2009
Erik Röder
VII
Inhaltsübersicht Seite Vorwort ...................................................................................................... VII Inhaltsverzeichnis........................................................................................ XI Abkürzungsverzeichnis ..........................................................................XXIII Einleitung ..................................................................................................... 1 1. Teil: Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata ................................................................. 5 A.
Grundlagen............................................................................................ 5
I.
Verlust…............................................................................................... 5
II.
Verlustverrechnung............................................................................. 14
III. Verlustverrechnungsbeschränkung..................................................... 15 B.
Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten.................................... 18
I.
Intraperiodische Verlustverrechnung ................................................. 18
II.
Interperiodische Verlustverrechnung ................................................. 55
III. Intersubjektive Verlustverrechnung.................................................... 80 C.
Verlustverrechnung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten.......... 93
I.
Auslandsverluste von Steuerinländern ............................................... 93
II.
Inlandsverluste von Steuerausländern .............................................. 105
2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung .................................................................. 109 A.
Allgemeiner verfassungsrechtlicher Rahmen ................................... 110
I.
Einkommensteuer ............................................................................. 110
II.
Körperschaftsteuer ............................................................................ 169
III. Gewerbesteuer .................................................................................. 173 B.
Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben.................... 176 IX
Inhaltsübersicht
I.
Intraperiodische Verlustverrechnung ............................................... 176
II.
Interperiodische Verlustverrechnung ............................................... 229
III. Intersubjektive Verlustverrechnung.................................................. 283 IV. Zusammenfassung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Verlustverrechnung ............................................................... 313 3. Teil: Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege ferenda....................................................... 317 A.
Anpassungsbedarf an die verfassungsrechtlichen Vorgaben ........... 317
I.
Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten.................................. 318
II.
Verlustverrechnung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten........ 388
B.
Vorgaben für ein ökonomisch rationales Verlustverrechnungssystem.............................................................. 400
I.
Das Kriterium der Entscheidungsneutralität..................................... 401
II.
Entscheidungsneutrale Ausgestaltung der Verlustverrechnung ....... 405
III. Zusammenfassung ............................................................................ 419 C.
Vorschlag für die Ausgestaltung der Verlustverrechnung ............... 420
I.
Intraperiodische Verlustverrechnung ............................................... 420
II.
Interperiodische Verlustverrechnung ............................................... 423
III. Intersubjektive Verlustverrechnung.................................................. 426 IV. Grenzüberschreitende Verlustverrechnung ...................................... 426 Zusammenfassung der Ergebnisse ........................................................ 429 Literaturverzeichnis .................................................................................. 433 Stichwortverzeichnis ................................................................................. 459
X
Inhaltsverzeichnis Seite Vorwort ...................................................................................................... VII Inhaltsübersicht ........................................................................................... IX Abkürzungsverzeichnis ..........................................................................XXIII Einleitung ..................................................................................................... 1 1. Teil: Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata ................................................................. 5 A.
Grundlagen.......................................................................................... 5
I.
Verlust................................................................................................... 5 1. Verlust als Saldogröße.................................................................. 5 2. Steuerliche Verluste ..................................................................... 7 3. Die Problematik der sog. „unechten“ Verluste ............................ 8 a) Definition von „unechten“ Verlusten ..................................... 9 b) Ursachen für „unechte“ Verluste .......................................... 10 aa) Sonderabschreibungen auf Immobilien........................ 10 bb) Prinzipien der Gewinnermittlung ................................. 11 c) Kein Steuerausfall, sondern nur Steuerstundung.................. 12 d) Verlustzuweisungsgesellschaften als Katalysator ................ 13 II. Verlustverrechnung............................................................................. 14 III. Verlustverrechnungsbeschränkung..................................................... 15 1. Spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen ......................... 16 2. Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen..................... 16
B.
Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten .............................. 18
I.
Intraperiodische Verlustverrechnung ................................................. 18 1. Einkommensteuer ....................................................................... 18 a) Spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen ................... 20 aa) Beschränkung der Verlustverrechnung auf eine Einkunftsquelle............................................................. 20 (1) Verluste aus stillen Gesellschaften, Unterbeteiligungen oder sonstigen Innengesellschaften an Kapitalgesellschaften ........ 20 (a) Tatbestand ............................................................... 20 (b) Hintergrund ............................................................. 21 (2) Verluste bei beschränkter Haftung.......................... 22 XI
Inhaltsverzeichnis
II.
XII
(a) Tatbestand ............................................................... 22 (b) Hintergrund ............................................................. 27 (3) Verluste im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen ....................................... 28 (a) Tatbestand ............................................................... 28 (b) Hintergrund ............................................................. 31 bb) Beschränkung der Verlustverrechnung auf eine Einkunftsunterart .......................................................... 32 (1) Verluste aus gewerblicher Tierzucht und Tierhaltung ....................................................... 32 (2) Verluste aus Termingeschäften im Betriebsvermögen .............................................. 33 (a) Tatbestand ............................................................... 33 (b) Hintergrund ............................................................. 33 (3) Vermögensverluste bei Kapitalgesellschaftsanteilen im Privatvermögen .................................... 34 (a) Tatbestand ............................................................... 34 (b) Hintergrund ............................................................. 38 (4) Verluste aus gelegentlicher Leistung ...................... 42 (5) Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften...... 43 cc) Beschränkung der Verlustverrechnung auf eine Schedule................................................................ 44 (1) Tatbestand ............................................................... 44 (2) Hintergrund ............................................................. 45 dd) Ausschluss positiver Einkünfte vom Verlustausgleich, § 34a Abs. 8 EStG ........................... 46 b) Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen ............... 48 aa) Tatbestand..................................................................... 48 bb) Hintergrund................................................................... 49 c) Konkurrenzen........................................................................ 50 2. Körperschaftsteuer...................................................................... 51 a) Unbeachtlichkeit von Veräußerungsverlusten nach § 8b Abs. 3 S. 3 KStG .................................................. 51 b) Verlustausgleich bei Körperschaften gemäß § 8c KStG ...... 52 3. Gewerbesteuer ............................................................................ 53 Interperiodische Verlustverrechnung ................................................. 55 1. Einkommensteuer ....................................................................... 55 a) Verlustrücktrag, § 10d Abs. 1 EStG ..................................... 56 b) Verlustvortrag mit Mindestbesteuerung, § 10d Abs. 2 EStG ................................................................ 56
Inhaltsverzeichnis
c) Spezielle Tatbestände der interperiodischen Verlustverrechnung ........................................................................... 58 2. Körperschaftsteuer...................................................................... 60 a) Überblick über den Tatbestand von § 8c KStG .................... 61 aa) Schädlicher Beteiligungserwerb................................... 61 (1) Erwerber.................................................................. 61 (2) Übertragungsgegenstand......................................... 62 (3) Übertragungsvorgang.............................................. 63 (4) Mittelbar oder unmittelbar ...................................... 64 (5) Innerhalb von 5 Jahren............................................ 65 bb) Rechtsfolgen eines schädlichen Anteilserwerbs........... 67 cc) Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 8c KStG ..................................................................... 69 (1) Konzernklausel ....................................................... 69 (2) Sanierungsklausel ................................................... 71 (3) Kein Verlustuntergang in Höhe der stillen Reserven ....................................................... 73 b) Hintergrund von § 8c KStG .................................................. 74 3. Gewerbesteuer ............................................................................ 78 a) Unternehmensidentität .......................................................... 79 b) Unternehmeridentität ............................................................ 79 III. Intersubjektive Verlustverrechnung.................................................... 80 1. Intersubjektive Verlustverrechnung ohne Rechtsnachfolge....... 80 a) Zusammenveranlagung von Ehegatten................................. 81 b) Körperschaftsteuerliche Organschaft.................................... 83 aa) Personale Voraussetzungen .......................................... 83 bb) Sachliche Voraussetzungen .......................................... 84 cc) Rechtsfolgen der Organschaft ...................................... 85 c) Gewerbesteuerliche Organschaft .......................................... 86 2. Intersubjektive Verlustverrechnung bei Rechtsnachfolge.......... 87 a) Gesamtrechtsnachfolge ......................................................... 87 aa) Gesamtrechtsnachfolge nach einer natürlichen Person ........................................................ 87 bb) Gesamtrechtsnachfolge nach einer Kapitalgesellschaft ....................................................... 89 b) Einzelrechtsnachfolge ........................................................... 92 C.
Verlustverrechnung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten.. 93
I.
Auslandsverluste von Steuerinländern ............................................... 93 1. Intraperiodische Verlustverrechnung ......................................... 94
XIII
Inhaltsverzeichnis
II.
a) Verlustverrechnung im Anwendungsbereich der Anrechnungsmethode ..................................................... 94 aa) Tatbestand des § 2a EStG............................................. 95 bb) Hintergrund des § 2a EStG........................................... 98 b) Verlustverrechnung im Anwendungsbereich der Freistellungsmethode...................................................... 98 2. Interperiodische Verlustverrechnung ....................................... 102 3. Intersubjektive Verlustverrechnung ......................................... 103 a) Zusammenveranlagung von Ehegatten............................... 103 b) Organschaft ......................................................................... 104 Inlandsverluste von Steuerausländern .............................................. 105 1. Intraperiodisch.......................................................................... 106 2. Interperiodisch.......................................................................... 107 3. Intersubjektiv............................................................................ 108 a) Zusammenveranlagung von Ehegatten............................... 108 b) Organschaft ......................................................................... 108
2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung .................................................................. 109 A.
Allgemeiner verfassungsrechtlicher Rahmen .............................. 110
I.
Einkommensteuer ............................................................................. 110 1. Gleichheitsrechtliche Vorgaben ............................................... 111 a) Ungleichbehandlung ........................................................... 111 aa) Das Leistungsfähigkeitsprinzip .................................. 112 (1) Die Diskussion um den „Verfassungsrang“ des Leistungsfähigkeitsprinzips .................................. 113 (2) Konkretisierungsbedürftigkeit des Leistungsfähigkeitsprinzips .................................. 114 bb) Das Gebot der Folgerichtigkeit .................................. 116 cc) Das objektive Nettoprinzip......................................... 119 (1) Die Diskussion um den „Verfassungsrang“ des objektiven Nettoprinzips....................................... 120 (2) Gleichheitsrechtliche Relevanz eines einfachgesetzlichen Nettoprinzips ........................ 121 (3) Ersetzbarkeit des objektiven Nettoprinzips .......... 123 (4) Konkretisierungsbedürftigkeit des objektiven Nettoprinzips......................................................... 127 dd) Die gleichheitsrechtliche Dimension der Steuerfreiheit des Existenzminimums ........................ 129 b) Rechtfertigung .................................................................... 134
XIV
Inhaltsverzeichnis
aa) Bereichsspezifische Rechtfertigungsanforderungen im Ertragsteuerrecht ................................................... 135 bb) Mögliche „besondere“ sachliche Gründe ................... 137 (1) Fiskalzweck........................................................... 137 (2) Lenkungsziele ....................................................... 139 (3) Typisierung ........................................................... 140 (4) Missbrauchsvermeidung ....................................... 141 cc) Keine freiheitsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung........................................................................ 143 2. Freiheitsrechtliche Vorgaben ................................................... 147 a) Eigentumsgarantie .............................................................. 147 aa) Schutzbereich und Eingriff......................................... 148 (1) Traditionelle Dogmatik ......................................... 148 (2) Die Entscheidung des 2. Senats des BVerfG vom 18.01.2006 .................................................... 149 bb) Rechtfertigung ............................................................ 151 (1) Belastungsgrundentscheidung............................... 152 (2) Durchbrechungen der Belastungsgrundentscheidung ......................................................... 156 (a) Differenzierung zwischen Steuervergünstigungen und Steuerverschärfungen.......................... 158 (b) Freiheitsrechtliche Dimension des objektiven Nettoprinzips......................................................... 162 b) Freiheitsrechtliche Dimension der Steuerfreiheit des Existenzminimums ....................................................... 165 c) Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG .............. 167 3. Zusammenfassung .................................................................... 169 II. Körperschaftsteuer ............................................................................ 169 III. Gewerbesteuer .................................................................................. 173 B.
Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben ............. 176
I.
Intraperiodische Verlustverrechnung ............................................... 176 1. Gleichheitsrechtliche Vorgaben für die intraperiodische Verlustverrechnung .................................................................. 176 a) Rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung ................ 177 aa) Vorgaben des objektiven Nettoprinzips für die intraperiodische Verlustverrechnung ......................... 177 (1) Verlustverrechnungsbeschränkung auf die Einkunftsquelle ......................................... 178 (2) Verlustverrechnungsbeschränkung auf eine Einkunfts(unter)art .................................. 184 XV
Inhaltsverzeichnis
2.
XVI
bb) Ausschluss der intraperiodischen Verlustverrechnung im Rahmen einer Schedulenbesteuerung .......... 188 cc) Gleichheitsrechtliche Relevanz sog. „unechter“ Verluste....................................................................... 195 dd) Gleichheitsrechtliche Dimension der Steuerfreiheit des Existenzminimums ............................................... 197 ee) Keine gleichheitsrechtliche Notwendigkeit einer Steuererstattung ................................................. 199 b) Gleichheitsrechtliche Rechtfertigung ................................. 200 aa) Spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen ......... 201 (1) Vorliegen eines „besonderen sachlichen Grundes“ ............................................................... 201 (2) Grenzen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ................................................... 202 (a) Mindestmaß an zweckgerechter Ausgestaltung des Tatbestandes ................................................... 203 (b) Grenzen der Typisierungsbefugnis ....................... 204 bb) Allgemeine Verlustausgleichsbeschränkungen .......... 205 (1) Keine Rechtfertigung durch Lenkungs- bzw. Typisierungszwecke.............................................. 205 (2) Keine Rechtfertigung durch die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung................................. 206 cc) Rechtfertigung von Verlustverrechnungsbeschränkungen im Rahmen eines Schedulensteuerkonzepts .... 210 c) Zusammenfassung: Gleichheitsrechtliche Vorgaben für die intraperiodische Verlustverrechnung ...................... 211 Freiheitsrechtliche Vorgaben für die intraperiodische Verlustverrechnung .................................................................. 212 a) Eigentumsgarantie .............................................................. 212 aa) Schutzbereichseröffnung und Eingriff ....................... 213 bb) Rechtfertigung ............................................................ 214 (1) Spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen ... 215 (2) Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen..................................................... 217 (3) Verlustverrechnungsbeschränkung im Rahmen eines Schedulensteuerkonzepts............................. 218 b) Steuerfreiheit des Existenzminimums, Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG.................................................... 220 aa) Erwerbssichernder Aufwand und Steuerfreiheit des Existenzminimums ............................................... 220
Inhaltsverzeichnis
II.
bb) Einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage und Existenzminimum................................................ 222 cc) Keine Relativierung des Gebots der Steuerfreiheit des Existenzminimums ............................................... 225 dd) Konsequenzen für die intraperiodische Verlustverrechnung .................................................... 228 3. Zusammenfassung: Verfassungsrechtliche Vorgaben für die intraperiodische Verlustverrechnung ....................................... 229 Interperiodische Verlustverrechnung ............................................... 229 1. Gleichheitsrechtliche Vorgaben für die interperiodische Verlustverrechnung .................................................................. 229 a) Ungleichbehandlung ........................................................... 230 aa) Die zeitliche Dimension des Gebots der Belastungsgleichheit................................................... 230 (1) Die zeitliche Dimension des objektiven Nettoprinzips......................................................... 230 (a) Das Periodeneinkommen als Leistungsfähigkeitsindikator................................. 236 (b) Das Totaleinkommen als Leistungsfähigkeitsindikator................................. 240 (c) Verhältnis von Gleichbehandlung in der Zeit und Gleichbelastung des Totaleinkommens ......... 244 (2) Die zeitliche Dimension des Gebots der Steuerfreiheit des Existenzminimums .................. 248 (3) Zusammenfassung: Die zeitliche Dimension des Gebots der Belastungsgleichheit .................... 253 bb) Vorgaben für die Verlustverrechnung ........................ 254 (1) Intraperiodische Verlustverrechnung.................... 254 (2) Interperiodische Verlustverrechnung.................... 258 (a) Zeitliche Beschränkung der interperiodischen Verlustverrechnung............................................... 258 (b) Betragsmäßige Beschränkung der interperiodischen Verlustverrechnung ......................... 260 (c) Beschränkung der interperiodischen Verlustverrechnung auf besondere Verlustverrechnungskreise.................................... 262 b) Rechtfertigung .................................................................... 263 aa) Rechtssicherheit.......................................................... 264 (1) Verlustvortrag ....................................................... 265 (2) Verlustrücktrag ..................................................... 267 bb) Typisierung................................................................. 268 XVII
Inhaltsverzeichnis
cc) Erfordernisse einer geordneten Finanzund Haushaltsplanung ................................................ 269 (1) Verlustvortrag ....................................................... 270 (2) Verlustrücktrag ..................................................... 272 dd) Verstetigung des Steueraufkommens ......................... 273 c) Zusammenfassung: Gleichheitsrechtliche Vorgaben für die interperiodische Verlustverrechnung ...................... 276 2. Freiheitsrechtliche Vorgaben für die interperiodische Verlustverrechnung .................................................................. 277 a) Eigentumsgarantie .............................................................. 277 aa) Schutzbereichseröffnung und Eingriff ....................... 277 bb) Rechtfertigung ............................................................ 277 (1) Legitimer Zweck ................................................... 277 (2) Geeignetheit .......................................................... 278 (a) Rechtssicherheit und Typisierung......................... 278 (b) Erfordernisse einer geordneten Finanzund Haushaltsplanung ........................................... 278 (3) Erforderlichkeit ..................................................... 279 (a) Rechtssicherheit und Typisierung......................... 279 (b) Erfordernisse einer geordneten Finanzund Haushaltsplanung ........................................... 280 (4) Angemessenheit .................................................... 280 b) Steuerfreiheit des Existenzminimums ................................ 281 3. Zusammenfassung: Verfassungsrechtliche Vorgaben für die interperiodische Verlustverrechnung............................ 282 III. Intersubjektive Verlustverrechnung.................................................. 283 1. Gleichheitsrechtliche Vorgaben ............................................... 283 a) Der Bezugspunkt des Gleichbehandlungsgebots................ 284 b) Einkommensteuerliche Verluste ......................................... 284 aa) Intersubjektive Verlustverrechnung ohne Rechtsnachfolge................................................. 285 bb) Intersubjektive Verlustverrechnung bei Rechtsnachfolge.................................................... 285 (1) Gesamtrechtsnachfolge ......................................... 285 (a) Perspektive des Erblassers .................................... 286 (b) Perspektive des/der Erben..................................... 290 (2) Einzelrechtsnachfolge ........................................... 295 c) Körperschaftsteuerliche Verluste........................................ 295 aa) Perspektive der Kapitalgesellschaft............................ 296 bb) Perspektive der Anteilseigner..................................... 297 cc) Verlustverrechnung im Konzern ................................ 302 XVIII
Inhaltsverzeichnis
(1) Verlustverrechnung im faktischen Konzern ......... 302 (2) Verlustverrechnung im Vertragskonzern.............. 302 d) Gewerbesteuerliche Verluste .............................................. 304 2. Freiheitsrechtliche Vorgaben ................................................... 306 a) „Verlustvortrag“ als Eigentum i.S.v. Art. 14 GG? ............. 306 b) Freiheitsrechtliche Dimension der Rechtsformneutralität .. 310 c) Schutz von Ehe und Familie, Art. 6 Abs. 1 GG ................. 311 3. Zusammenfassung: Verfassungsrechtliche Vorgaben für die intersubjektive Verlustverrechnung.............................. 313 IV. Zusammenfassung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Verlustverrechnung ............................................................... 313 3. Teil: Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege ferenda....................................................... 317 A.
Anpassungsbedarf an die verfassungsrechtlichen Vorgaben ..... 317
I.
Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten.................................. 318 1. Intraperiodische Verlustverrechnung ....................................... 318 a) Einkommensteuer ............................................................... 318 aa) Spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen ......... 318 (1) Verluste aus stillen Gesellschaften, Unterbeteiligungen oder sonstigen Innengesellschaften an Kapitalgesellschaften ...... 319 (a) Gleichheitsrechtliche Würdigung ......................... 320 (b) Freiheitsrechtliche Würdigung.............................. 322 (2) Verluste bei beschränkter Haftung........................ 323 (a) Nichtberücksichtigung des negativen Kapitalkontos ........................................................ 323 (b) Ausschluss der Verlustberücksichtigung bei Haftungserweiterung und nachträglicher Einlage. 326 (3) Beschränkung der Verlustverrechnung bei Steuerstundungsmodellen ..................................... 329 (a) Gleichheitsrechtliche Würdigung ......................... 329 (b) Freiheitsrechtliche Würdigung.............................. 332 (4) Verluste aus gewerblicher Tierhaltung ................. 334 (5) Vermögensverluste bei Kapitalgesellschaftsanteilen im Privatvermögen .................................. 335 (a) § 17 Abs. 2 S. 6 EStG ........................................... 335 (b) § 20 Abs. 6 S. 5 EStG ........................................... 336 (6) Verluste im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen................................................... 339 XIX
Inhaltsverzeichnis
2.
XX
(7) Verluste aus Termingeschäften im Betriebsvermögen ............................................ 341 (8) Verluste aus gelegentlicher Leistung .................... 343 (9) Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften.... 344 bb) Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen ..... 345 cc) Sicherung der Steuerfreiheit des Existenzminimums. 348 b) Körperschaftsteuer .............................................................. 352 c) Gewerbesteuer .................................................................... 353 d) Zusammenfassung: Notwendige Anpassung der intraperiodischen Verlustverrechnung an die verfassungsrechtlichen Vorgaben ....................................... 353 Interperiodische Verlustverrechnung ....................................... 354 a) Einkommensteuer ............................................................... 354 aa) Allgemeine Beschränkungen der interperiodischen Verlustverrechnung .................................................... 354 (1) Verlustvortrag ....................................................... 355 (2) Verlustrücktrag ..................................................... 358 bb) Spezielle Beschränkungen der interperiodischen Verlustverrechnung .................................................... 360 (1) Verluste aus stillen Gesellschaften, Unterbeteiligungen oder sonstigen Innengesellschaften an Kapitalgesellschaften ...... 362 (2) Verluste bei beschränkter Haftung........................ 363 (3) Beschränkung der Verlustverrechnung bei Steuerstundungsmodellen ..................................... 364 (4) Verluste aus gewerblicher Tierhaltung und Tierzucht ........................................................ 366 (5) Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften.... 367 (6) Sonstige spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen..................................................... 368 b) Körperschaftsteuer .............................................................. 368 aa) Verfassungsrechtliche Würdigung von § 8c KStG .... 369 (1) Durchbrechung der Belastungsgleichheit ............. 369 (2) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung .................. 372 (a) Ambivalenz des Gesetzeszwecks.......................... 372 (b) Keine Rechtfertigung durch die Zielsetzung der Missbrauchsvermeidung ....................................... 373 (c) Keine Rechtfertigung durch die Zielsetzung der Rechts- bzw. Verwaltungsvereinfachung ............. 374 (d) Keine Positivierung des Kriteriums der „wirtschaftlichen Identität“................................... 374
Inhaltsverzeichnis
II.
(3) Zwischenergebnis ................................................. 375 bb) Die „Mantelkaufproblematik“ de lege ferenda .......... 376 (1) Wirtschaftliche Identität als Voraussetzung für den Verlustabzug? ........................................... 376 (2) Mantelkaufregelung als spezieller Missbrauchstatbestand .......................................... 379 (3) Ergebnis ................................................................ 383 c) Gewerbesteuer .................................................................... 384 aa) Verlustvortrag............................................................. 384 (1) Mindestbesteuerung .............................................. 384 (2) Wegfall der Unternehmensidentität ...................... 385 bb) Verlustrücktrag ........................................................... 386 d) Zusammenfassung: Notwendige Anpassung der interperiodischen Verlustverrechnung an die verfassungsrechtlichen Vorgaben ....................................... 386 3. Intersubjektive Verlustverrechnung ......................................... 387 Verlustverrechnung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten........ 388 1. Auslandsverluste von Steuerinländern ..................................... 388 a) Einkommen- und Körperschaftsteuer ................................. 388 aa) Verlustverrechnungsbeschränkung für negative Einkünfte mit Auslandsbezug, § 2a EStG .................. 390 bb) Nichtberücksichtigung von Auslandsverlusten bei DBA mit Freistellungsmethode ............................ 393 b) Gewerbesteuer .................................................................... 398 2. Inlandsverluste von Steuerausländern ...................................... 398 3. Zusammenfassung: Notwendige Anpassung der grenzüberschreitenden Verlustverrechnung an die verfassungsrechtlichen Vorgaben ............................................................... 399
B.
Vorgaben für ein ökonomisch rationales Verlustverrechnungssystem........................................................... 400
I. II.
Das Kriterium der Entscheidungsneutralität..................................... 401 Entscheidungsneutrale Ausgestaltung der Verlustverrechnung ....... 405 1. Anforderungen an eine entscheidungsneutrale Verlustbehandlung.................................................................... 406 2. Schlussfolgerungen für die Ausgestaltung der Verlustverrechnung .................................................................. 408 a) Intraperiodische Verlustverrechnung.................................. 408 b) Interperiodische Verlustverrechnung.................................. 410 aa) Verlustrücktrag ........................................................... 410 bb) Verlustvortrag............................................................. 411 XXI
Inhaltsverzeichnis
3. Intersubjektive Verlustverrechnung ......................................... 414 4. Grenzüberschreitende Verlustverrechnung .............................. 418 III. Zusammenfassung ............................................................................ 419 C.
Vorschlag für die Ausgestaltung der Verlustverrechnung ......... 420
I. II.
Intraperiodische Verlustverrechnung ............................................... 420 Interperiodische Verlustverrechnung ............................................... 423 1. Verlustvortrag........................................................................... 424 2. Verlustrücktrag ......................................................................... 425 III. Intersubjektive Verlustverrechnung.................................................. 426 IV. Grenzüberschreitende Verlustverrechnung ...................................... 426 Zusammenfassung der Ergebnisse ........................................................ 429
Literaturverzeichnis .................................................................................. 433 Stichwortverzeichnis ................................................................................. 459
XXII
Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. Abs. AEUV a.F. AfA AG AktG AO Art. AStG Az. BayVBl. BB Bd. BFH BFHE BFH/NV BGB BGBl. BHO BilMoG BMF BR BR-Drs. BStBl. BT BT-Drs. BVerfG BVerfGE bzw.
anderer Ansicht am angegebenen Ort Absatz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Absetzung für Abnutzung Aktiengesellschaft; auch Zeitschrift „Die Aktiengesellschaft“; mit Ortsbezeichnung Amtsgericht Aktiengesetz Abgabenordnung Artikel Gesetz über die Besteuerung bei Auslandsbeziehungen (Außensteuergesetz) Aktenzeichen Bayerische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) Betriebs-Berater (Zeitschrift) Band Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundeshaushaltsordnung Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts; Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Bundesministerium der Finanzen Bundesrat Bundesrats-Drucksache Bundessteuerblatt Bundestag Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung von Entscheidungen des BVerfG beziehungsweise
XXIII
Abkürzungsverzeichnis
ca.
circa
DB DBA DBW ders. d.h. DÖV Drs. DStR DStZ DVBl.
Der Betrieb (Zeitschrift) Doppelbesteuerungsabkommen Die Betriebswirtschaft (Zeitschrift) derselbe das heißt Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Drucksache Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsche Steuerzeitung Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift)
EFG EG ErbStG ESt EStDV EStG EStR EU EuGH EWR
Entscheidungen der Finanzgerichte Europäische Gemeinschaft Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz Einkommensteuer Einkommensteuer-Durchführungsverordnung Einkommensteuergesetz Einkommensteuer-Richtlinien Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europäischer Wirtschaftsraum
f., ff. FG FGO FinArch FMStFG Fn. FR FS
folgend, folgende Finanzgericht Finanzgerichtsordnung FinanzArchiv (Zeitschrift) Gesetz zur Errichtung eines Finanzmarktstabilisierungsfonds Fußnote Finanz-Rundschau (Zeitschrift) Festschrift
GAV GbR GewSt GewStG GewStR GG ggf.
Gewinnabführungsvertrag Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gewerbesteuer Gewerbesteuergesetz Gewerbesteuer-Richtlinien Grundgesetz gegebenenfalls
XXIV
Abkürzungsverzeichnis
GmbH GmbHG GmbHR GrS
Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die GmbH GmbH-Rundschau (Zeitschrift) Großer Senat
Hervorh. d. Verf. HGrG HFR HGB h.L. h.M. Hrsg. Hs.
Hervorhebung durch den Verfasser Haushaltsgrundsätzegesetz Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung Handelsgesetzbuch herrschende Lehre herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz
IAS IFRS i.H.v. INF IStR i.S.v. i.V.m. IWB
International Accounting Standards International Financial Reporting Standards in Höhe von Information über Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift) Internationales Steuerrecht (Zeitschrift) im Sinne von in Verbindung mit Internationale Wirtschaftsbriefe
Jura JuS JZ
Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristenzeitung
KapESt KG KSt KStG
Kapitalertragsteuer Kommanditgesellschaft Körperschaftsteuer Körperschaftsteuergesetz
lit.
littera (Buchstabe)
MA m.w.N.
Musterabkommen mit weiteren Nachweisen
Nachsteuererg. n.F. NJW Nr.
Nachsteuerergebnis neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Nummer XXV
Abkürzungsverzeichnis
NVwZ NWB
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Wirtschaftsbriefe
OECD
Organisation for Economic Co-operation and Development
RFH Rn.
Reichsfinanzhof Randnummer
S. SEStEG
sog. StB Stbg SteuStud StuB StuW
Seite, Satz Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs Gesetz zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen; Steuervergünstigungsabbaugesetz sogenannte(r/s) Der Steuerberater (Zeitschrift) Die Steuerberatung (Zeitschrift) Steuer und Studium (Zeitschrift) Steuern und Bilanzen (Zeitschrift) Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift)
T€ Tz.
Tausend Euro Trennziffer, Textziffer
u.a. UmwG UmwStG US-GAAP
unter anderem; und andere Umwandlungsgesetz Umwandlungssteuergesetz United States Generally Principles unter Umständen
Slg. StVergAbG
u.U. v. VVDStRL vgl. VwGH
XXVI
Accepted
Accounting
vom (von) Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer vergleiche Verwaltungsgerichtshof
Abkürzungsverzeichnis
z.B. ZHR
zum Beispiel Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht
XXVII
Einleitung Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, Perspektiven für ein verfassungskonformes und ökonomisch rationales System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht aufzuzeigen. Verluste sind eine unvermeidliche Begleiterscheinung wirtschaftlicher Betätigung, obwohl in der Regel ihr genaues Gegenteil – nämlich Gewinne – angestrebt werden. Das liegt zum einen daran, dass Unternehmungen fehlschlagen können, so dass sich statt des erhofften Gewinns ein Verlust einstellt. Zum anderen können auch bei einem insgesamt erfolgreichen Unternehmen aufgrund der jährlichen Erfolgsperiodisierung zwischenzeitlich Verluste auftreten. Für das Steuerrecht werden Verluste im Rahmen der Ertragsbesteuerung relevant. Unter anderem mittels der Einkommensteuer, der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer partizipiert der Staat am Ergebnis der wirtschaftlichen Betätigung der Steuerpflichtigen. Da dieses Ergebnis sowohl positiv als auch negativ ausfallen kann, müssen beide Fälle im Ertragsteuerrecht geregelt werden. Für den Gewinnfall fällt die Regelung strukturell immer gleich aus: mittels der Steuer wird ein Teil des Erfolges der Steuerpflichtigen abgeschöpft. Das Spektrum möglicher Reaktionen des Steuerrechts auf Verluste ist hingegen sehr weit. Es reicht von der völligen Unbeachtlichkeit von Verlusten für die Ertragsbesteuerung bis hin zu einer finanziellen Beteiligung des Staates an den Verlusten mittels einer Steuererstattung. Zwischen diesen beiden Extrempunkten steht die Verlustverrechnung, bei der Verluste mit Gewinnen verrechnet werden können und so die Steuerlast mindern. Im deutschen Steuerrecht hat die Verlustverrechnung eine sehr wechselhafte Entwicklung durchlaufen.1 Im Rahmen dieser Arbeit soll der Blick jedoch nicht in die Vergangenheit, sondern auf die Gegenwart und in die Zukunft gerichtet werden. Momentan befindet sich das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht – sofern man überhaupt von einem System sprechen kann – in einem unbefriedigenden Zustand. Eine überhand nehmende Zahl an Verlustverrechnungsbeschränkungen trägt maßgeblich zur viel beklagten Verkomplizierung des Steuerrechts bei. Allein im Einkommensteuerrecht gilt es, elf spezielle Einschränkungen der Verlustverrechnung zu beachten. Ein Großteil dieser Vorschriften hat sich in der Praxis als streitanfällig und schwer handhabbar erwiesen. Ein vorläufiger Höhepunkt 1
Vgl. zur historischen Entwicklung der Verlustverrechnung die sehr ausführliche Darstellung bei Stockmann, Verluste ausländischer Tochtergesellschaften im deutschen internationalen Steuerrecht (2000).
1
Einleitung
wurde in dieser Hinsicht fraglos mit § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. erreicht. Der BFH, der nicht dafür bekannt ist, überzogene Anforderungen an die Normenklarheit zu stellen, hat diese Vorschrift als „sprachlich unverständlich, widersprüchlich, irreführend, unsystematisch aufgebaut und damit in höchstem Maße fehleranfällig“ charakterisiert.2 Auch im Körperschaftsteuerrecht erweisen sich komplizierte Regelungen zur Verlustverrechnung zunehmend als eine Belastung für die Unternehmen. Dieser Zustand ist aus verfassungsrechtlichen und wirtschaftspolitischen Gründen dringend verbesserungsbedürftig. Eine komplizierte und restriktive Regelung der Verlustverrechnung ist nicht nur aus steuertechnischer Sicht ein Ärgernis, sondern auch im Hinblick auf die gerechte Verteilung der Steuerlasten problematisch. Einschränkungen der Verlustverrechnung haben bei der Gegenfinanzierung der Senkung der nominalen Steuersätze durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 und das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 eine wichtige Rolle gespielt. Eine aufkommensneutrale „Senkung“ der Steuersätze bedeutet, dass die gleiche Steuerlast anders verteilt wird. Die Entlastung für die Steuerpflichtigen, die von den niedrigeren Steuersätzen profitieren, wird von Steuerpflichtigen finanziert, die von den Gegenfinanzierungsmaßnahmen betroffen sind. Im Falle von Verlustverrechnungsbeschränkungen sind dies Steuerpflichtige mit Verlusten. Dies wirft die Frage auf, inwieweit der Gesetzgeber bei der Einschränkung der Verlustverrechnung verfassungsrechtlichen Bindungen unterliegt. Darüber hinaus ist die Ausgestaltung der Verlustverrechnung auch ein wichtiger Parameter der Wirtschaftspolitik. Durch eine restriktive Handhabung der Verlustverrechnung werden Anreize für risikoarme, wenig verlustträchtige Aktivitäten gesetzt. Für eine Volkswirtschaft wie die deutsche, die für ihr Bestehen auf den Weltmärkten auf Innovation und die Risikobereitschaft ihrer Unternehmer angewiesen ist, ist es im Gegenteil ein Gebot ökonomischer Vernunft, risikobehaftete unternehmerische Tätigkeiten durch eine großzügige Ausgestaltung der Verlustverrechnung zu fördern. Damit sind die zentralen Punkte angesprochen, die im Rahmen dieser Untersuchung behandelt werden sollen. Angesichts der Komplexität der gegenwärtigen Regelungen zur Verlustverrechnung ist der erste Teil der Arbeit einer Bestandsaufnahme gewidmet. Dabei sollen die grundlegenden Strukturen der Verlustverrechnung sichtbar gemacht und die existierenden Verlustverrechnungsbeschränkungen kurz beschrieben und systematisiert werden. Durch die systematische Erfassung des Ist-Zustands wird die Grundlage dafür geschaffen, Perspektiven für eine 2
2
BFH v. 06.09.2006 - XI R 26/04, BStBl. II 2007, S. 174.
Einleitung
Weiterentwicklung des Systems der Verlustverrechnung aufzeigen zu können. Im zweiten Teil der Arbeit werden die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Verlustverrechnung untersucht und dargestellt. Es wird also nicht rückwärtsgewandt jede einzelne bestehende Verlustverrechnungsregelung umfassend auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft. Denn angesichts der Dynamik der Materie wäre mit einer rein vergangenheitsbezogenen juristischen Dogmatik wenig gewonnen.3 Vielmehr soll der abstrakte verfassungsrechtliche Rahmen ermittelt werden, den der Gesetzgeber auch zukünftig bei der Gestaltung der Verlustverrechnung zu beachten hat. Da der Konkretisierung steuerverfassungsrechtlicher Prinzipien im Wege der abstrakten Deduktion Grenzen gesetzt sind,4 wird bei der Herleitung der verfassungsrechtlichen Vorgaben mit Hilfe von Beispielen immer wieder der Bezug zur Verlustverrechnung hergestellt. Diese Vorgehensweise erlaubt es, die im Rahmen der Untersuchung ermittelten abstrakten Verlustverrechnungsgrundsätze anhand ihrer konkreten Auswirkungen zu beurteilen und auf ihre Plausibilität zu prüfen. Im dritten Teil der Arbeit werden Perspektiven für die Weiterentwicklung des Systems der Verlustverrechnung aufgezeigt. Zu diesem Zweck werden zunächst die bestehenden Verlustverrechnungsregelungen auf ihre Vereinbarkeit mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben hin untersucht. So wird sichtbar gemacht, an welchen Punkten eine Reform des Systems der Verlustverrechnung schon verfassungsrechtlich zwingend geboten ist. Da das Verfassungsrecht zwar einen äußeren Rahmen vorgibt, der Gesetzgeber aber einen beträchtlichen Gestaltungsspielraum bei der Ausfüllung dieses Rahmens hat, werden abschließend mittels des ökonomischen Kriteriums der Entscheidungsneutralität Perspektiven für eine ökonomisch rationale Ausgestaltung des Systems der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht aufgezeigt.
3
4
Ein gutes Beispiel hierfür ist § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. Man kann diese Vorschrift aus vielen Gründen für verfassungswidrig halten, unter anderem wie der BFH wegen eines Verstoßes gegen das Gebot der Normenklarheit, vgl. BFH v. 06.09.2006 - XI R 26/04, BStBl. II 2007, S. 174. Im Rahmen dieser Arbeit wird lediglich untersucht, ob das hinter § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. stehende Konzept einer Mindestbesteuerung durch eine allgemeine Einschränkung der intraperiodischen Verlustverrechnung mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Verfassungsrechtliche Mängel der Vorschrift, die sich aus ihrer konkreten Ausgestaltung ergaben und die deshalb durch eine Neufassung überwunden werden könnten – wie etwa der Verstoß gegen die Normenklarheit – sind hingegen nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Vgl. Waldhoff, Verw 2008, S. 264.
3
1. Teil: Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata A. Grundlagen Eine Darstellung des Systems der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht setzt eine inhaltliche Konkretisierung der grundlegenden Begriffe „Verlust“, „Verlustverrechnung“ und „Verlustverrechnungsbeschränkung“ voraus.
I. Verlust Im allgemeinen Sprachgebrauch hat der Begriff „Verlust“ ein sehr breites Bedeutungsspektrum. Auch im steuerrechtlichen Kontext ist er keineswegs klar umrissen. Insbesondere kennt das deutsche Steuerrecht keinen allgemeinen, „vor die Klammer gezogenen“ Verlustbegriff. Daher wird nachfolgend zunächst der der vorliegenden Arbeit zugrunde liegende Verlustbegriff definiert. Zugleich wird dadurch der Untersuchungsgegenstand konkretisiert. 1. Verlust als Saldogröße Gegenstand der Untersuchung ist das System der Verlustverrechnung im Rahmen der Ertragsbesteuerung, genauer der Ist-Ertragsbesteuerung. Die Bemessungsgrundlage einer Ist-Ertragsteuer ist grundsätzlich eine Nettogröße, nämlich der Saldo von Erwerbseinnahmen und Erwerbsausgaben. Trotz zahlreicher Einschränkungen im Detail halten die drei Ertragsteuerarten Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer an dieser Grundstruktur fest. Ist der Saldo von Erwerbseinnahmen und –ausgaben positiv, so spricht man gemeinhin von einem „Gewinn“. Fällt der Saldo hingegen negativ aus, weil die Erwerbsaufwendungen die Erwerbseinnahmen übersteigen, so liegt ein „Verlust“ vor.1 Im deutschen Steuerrecht werden für die so definierten allgemeinen Gewinn- und Verlustbegriffe zum Teil abweichende Termini gebraucht. Gemäß § 2 Abs. 2 EStG unterliegt bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung und bei sonstigen Einkünften nicht der Gewinn, sondern der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten der Einkommensteuer. Korrespondierend ist für den negativen Saldo auch der Begriff „Werbungskostenüberschuss“
1
Vgl. Lang in: Tipke/Lang, Steuerrecht (2009), S. 247; Eckhoff in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 15.
5
Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
gebräuchlich.2 Synonym für Verlust und Werbungskostenüberschuss ist im EStG zudem von „negativen Einkünften“ die Rede. Auch das KStG verwendet den Begriff der negativen Einkünfte. Das GewStG spricht wiederum von Gewerbeertrag und Gewerbeverlust. Im Rahmen dieser Arbeit wird der Begriff „Verlust“ grundsätzlich in dem allgemeinen Sinne eines negativen Saldos von Erwerbseinnahmen und Erwerbsausgaben gebraucht. Mit der Definition des Verlusts als Saldogröße ist eine bedeutende Einschränkung des Untersuchungsgegenstandes verbunden. Ausgeschlossen sind dadurch Regelungen, die die Berücksichtigung einzelner negativer Wertkomponenten im Rahmen der Ermittlung der ertragsteuerlichen Bemessungsgrundlage betreffen. Hierbei handelt es sich um Fragen des Betriebsausgaben- bzw. Werbungskostenabzugs, deren Darstellung den Rahmen dieser Arbeit sprengen und zudem vom eigentlichen Untersuchungsgegenstand ablenken würde. Nicht von einem als Saldogröße verstandenen Verlustbegriff erfasst ist insbesondere die Bildung von Rückstellungen. Das Steuerrecht hat sich in dieser Frage über eine Reihe von Rückstellungsverboten in § 5 Abs. 2 bis 4b EStG zunehmend vom Handelsrecht gelöst. Zu nennen ist insbesondere das Verbot der Rückstellungsbildung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften gemäß § 5 Abs. 4a EStG. Drohverlustrückstellungen können in ihrer Wirkung mit einem antizipierten Verlustrücktrag verglichen werden.3 Dennoch ist der Ausschluss der Rückstellungsproblematik vor dem Hintergrund des hier verwendeten Verlustbegriffs konsequent. Denn eine Rückstellung ist nichts anderes als eine einzelne negative Wertkomponente im Rahmen der Gewinnermittlung, an deren Ende sich erst ergibt, ob ein Gewinn oder ein Verlust vorliegt. Ebenfalls nicht unter den der Untersuchung zugrunde liegenden Verlustbegriff fällt die Möglichkeit der indirekten Berücksichtigung von Verlusten einer Kapitalgesellschaft beim Anteilseigner im Wege der Teilwertabschreibung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG. Aufgrund des körperschaftlichen Trennungsprinzips bleiben Verluste einer Kapitalgesellschaft auf der Gesellschaftsebene eingeschlossen und können nicht mit Gewinnen der Gesellschafter verrechnet werden.4 Ein Verlust der Gesellschaft kann sich auf der Ebene der Gesellschafter jedoch bei in einem Betriebsvermögen gehaltenen Anteilen reflexhaft durch eine Abschreibung der Anteile auf den niedrigeren Teilwert auswirken.5 Allerdings wird dadurch die grundsätzliche Trennung 2 3 4 5
6
Vgl. Bieber, Die Verfassungsmäßigkeit der Einschränkung des steuerrechtlichen Verlustausgleichs und Verlustabzugs (2006), S. 7 f. Vgl. Kempermann in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 106. Vgl. Herzig in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 187. Vgl. Herzig in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 188.
Grundlagen
beider Ebenen nicht durchbrochen. Mittels der Teilwertabschreibung wird in erster Linie eine originäre Werteinbuße des Gesellschafters berücksichtigt. Insofern handelt es sich bei einer Teilwertabschreibung nur um eine isolierte negative Wertkomponente, die nicht unter den hier verwendeten Verlustbegriff fällt. Auch der Umstand, dass die Werteinbuße des Gesellschafters einen Verlust der Gesellschaft reflektiert, ändert daran nichts. Dieser Zusammenhang ist zudem keineswegs zwingend. Er greift beispielsweise dann nicht, wenn in der Beteiligung hohe stille Reserven ruhen. In diesem Fall führen selbst langfristige Verluste der Tochtergesellschaft nicht unbedingt dazu, dass der Wert der Beteiligung die Anschaffungskosten des Gesellschafters unterschreitet, was Voraussetzung für eine Teilwertabschreibung wäre. Umgekehrt ist es möglich, dass eine Tochtergesellschaft auch dann noch weitere Verluste erleidet, nachdem der Beteiligungswert schon auf „Null“ abgeschrieben worden ist.6 2. Steuerliche Verluste Ein Verlust kann bei jeder Tätigkeit entstehen, bei der im weitesten Sinne Ausgaben zur Erzielung von Einnahmen getätigt werden, unabhängig davon, ob und wie diese Betätigung steuerlich erfasst wird. Gegenstand dieser Untersuchung sind jedoch nur solche Verluste, die im Rahmen einer steuerlich relevanten Tätigkeit anfallen. Dass heißt, dass ein Verlust – genau wie ein korrespondierender Gewinn – steuerbar sein muss. Dies setzt im Rahmen der Einkommensteuer voraus, dass die verlustbringende Tätigkeit unter einen der Tatbestände des § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 7 EStG zu fassen ist. Dazu muss zunächst der objektive Tatbestand einer der sieben Einkunftsarten erfüllt sein. Beispielsweise lässt sich die Teilnahme an einer staatlichen Lotterie unter keine Einkunftsart subsumieren.7 Aus der fehlenden – objektiven – Steuerbarkeit dieser Tätigkeit folgt einerseits die steuerliche Irrelevanz eines eventuellen Lotteriegewinns. Andererseits ergibt sich daraus, dass ein negativer Saldo aus Lotteriegewinn und Ausgaben für Lotterielose steuerlich unbeachtlich ist. Ferner setzt Steuerbarkeit in subjektiver Hinsicht eine Gewinnerzielungsabsicht voraus.8 Fehlt es hieran, so spricht man von Liebhaberei, weil die ent-
6 7 8
Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Muttergesellschaft die laufende Verluste ausgleicht. Vgl. Ratschow in: Blümich, EStG, § 2 Rn. 48. Vgl. BFH Großer Senat v. 25.06.1984 - GrS 4/82, BStBl. II 1984, S. 766 f.; Eckhoff in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 20.
7
Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
sprechende Tätigkeit dann aus persönlicher Neigung ausgeübt wird.9 Wie bei jeder inneren Tatsache besteht auch bei der Gewinnerzielungsabsicht die Schwierigkeit, dass ihr Vorliegen anhand äußerer Merkmale beurteilt werden muss.10 Die hierfür von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien sind naturgemäß streitanfällig. Wird das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht verneint, so hat dies zur Konsequenz, dass Verluste aus einer objektiv steuerbaren Tätigkeit steuerlich nicht anerkannt werden. Dennoch handelt es sich hierbei nicht um eine Beschränkung der Verlustverrechnung, sondern um eine allgemeine Frage der Steuerbarkeit. Auch die Art der Einkünfteermittlung hat Auswirkungen auf die Steuerbarkeit und damit die steuerliche Beachtlichkeit von Verlusten. Bei den Überschusseinkunftsarten sind gemäß § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG Wertänderungen am Vermögensstamm nicht steuerbar. Folglich können Vermögensmehrungen grundsätzlich steuerfrei vereinnahmt werden. Spiegelbildlich können Vermögensminderungen nicht steuerentlastend berücksichtigt werden.11 Die steuerliche Unbeachtlichkeit eines privaten Veräußerungsverlustes außerhalb der Fristen des § 23 EStG ist somit nicht Ausdruck einer Verlustverrechnungsbeschränkung, sondern Konsequenz der fehlenden Steuerbarkeit.12 3. Die Problematik der sog. „unechten“ Verluste Anders als nicht steuerbare Verluste gehören sog. „unechte“13 Verluste sehr wohl zum Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit. Wie nachfolgend gezeigt wird, handelt es sich dabei trotz der irreführenden Bezeichnung um „normale“, sich aus der korrekten Anwendung der einkommensteuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften ergebende Verluste.14 Die sich hinter diesem Schlagwort verbergende Problematik spielt allerdings für die einkommensteuerliche Verlustverrechnung eine zentrale Rolle. Zahlreiche historische und aktuelle Verlustverrechnungsbeschränkungen15 verdanken ihre Existenz der Befürchtung des Gesetzgebers, dass sich insbesondere Besser9 Vgl. BFH Großer Senat v. 25.06.1984 - GrS 4/82, BStBl. II 1984, S. 766 f.; BFH v. 25.06.1996 - VIII R 28/94, BStBl. II 1997, 202 ff.; BFH v. 21.01.1999 - IV R 27/97, BStBl. II 1999, 638 ff.; BFH v. 14.04.2000 - X B 118/99, BFH/NV 2000, S. 1333 f.; Weber-Grellet in: Schmidt, EStG (2008), § 2 Rn. 22. 10 Vgl. Stuhrmann in: Blümich, EStG, § 15 Rn. 45. 11 Vgl. in diesem Sinne auch Hey, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 111 12 Vgl. Bieber, Die Verfassungsmäßigkeit der Einschränkung des steuerrechtlichen Verlustausgleichs und Verlustabzugs (2006), S. 8. 13 Alternativ, aber inhaltsgleich, wird auch von fiktiven oder künstlichen Verlusten gesprochen. 14 Vgl. Eckhoff in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 39. 15 Vgl. beispielsweise § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F.; § 2b EStG; § 15b EStG.
8
Grundlagen
verdiener mittels „unechter“ Verluste ungerechtfertigte Steuervorteile verschaffen könnten.16 Da es sich somit um ein normübergreifendes Problem handelt, soll es vorab erläutert werden. a) Definition von „unechten“ Verlusten Obwohl das Konzept des „unechten“ Verlusts insbesondere in der Debatte um die Mindestbesteuerung nach § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. von Rechtsprechung17 und Literatur18 sehr häufig aufgegriffen wurde, ist der Begriff inhaltlich nur schwer zu fassen. Meist wird er nur vage umschrieben und mehr vorausgesetzt als definiert. Bei einer Zusammenschau der diskutierten Gesichtspunkte ergibt sich, dass sog. „unechte“ Verluste durch ein objektives und ein subjektives Element gekennzeichnet sein sollen. Das objektive Element basiert auf dem Aspekt der wirtschaftlichen Belastung. „Echte“ Verluste sollen nur Verluste sein, durch die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit desjenigen, dem sie zuzurechnen sind, rechnerisch und tatsächlich gemindert wird.19 Voraussetzung hierfür sei ein tatsächlicher Abfluss von Mitteln20 oder Wertverzehr.21 Um „künstliche“, „fiktive“ bzw. „unechte“ Verluste soll es sich hingegen bei Verlusten handeln, welche die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zwar rechnerisch mindern, diese aber tatsächlich unberührt lassen.22 „Unechte“ Verluste in diesem Sinne werden häufig auch als „Buchverluste“ bezeichnet. 23
16 Vgl. dazu Gerhard Schröder, Aus Verantwortung für unser Land: Deutschlands Kräfte stärken (Regierungserklärung v. 17.03.2005), Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 15/166, S. 15489.: „Schließlich glaube ich, dass wir beim Abbau von Steuersubventionen, den wir nicht so weit geschafft haben, wie es objektiv notwendig ist, endlich Ernst machen müssen. Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, dass wir bei den Steuersparmodellen die Verlustverrechnungen deutlich beschränken und auf diese Weise Raum für das schaffen, was aus Wettbewerbsgründen für unsere Unternehmen notwendig ist – was wir also machen müssen, was wir aber im Interesse der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte aufkommensneutral gestalten müssen.“ 17 Vgl. BFH v. 09.05.2001 - XI B 151/00, BFH/NV 2001, 1078. 18 Vgl. Kempermann in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 105 f.; Lehner in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 9; Verführt, Verlustausgleichsverbote im Einkommensteuerrecht (2002), S. 9 f.; Birk, StuW 2000, S. 331. 19 Vgl. Verführt, Verlustausgleichsverbote im Einkommensteuerrecht (2002), S. 9. 20 Vgl. BFH v. 06.03.2003 - XI B 7/02, BStBl. II 2003, S. 518. 21 Vgl. Lehner in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 9. 22 Vgl. Verführt, Verlustausgleichsverbote im Einkommensteuerrecht (2002), S. 9 f. 23 Vgl. Kohlhaas, BB 2002, S. 2527.
9
Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
Als subjektives Element soll hinzukommen, dass „unechte“ Verluste durch gezielte Maßnahmen planvoll und bewusst zur Verrechnung mit positiven Einkünften und damit zur Minderung der Steuerlast herbeigeführt werden.24 b) Ursachen für „unechte“ Verluste Steuertechnisch können „unechte“ Verluste durch eine unvollständige Erfassung von Erwerbseinnahmen oder durch den Ansatz überhöhter Erwerbsaufwendungen entstehen.25 Eine derartige Verzerrung bei der Ermittlung der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage kann auf einer bewussten Lenkungsentscheidung des Gesetzgebers beruhen. Dann handelt es sich um eine Steuersubvention. Teilweise ergeben sich derartige Effekte aber auch als eine unbeabsichtigte Nebenfolge steuerlicher Gewinnermittlungsvorschriften. aa) Sonderabschreibungen auf Immobilien Als Steuersubvention konzipierte Sonderabschreibungen auf Immobilien sind ein Beispiel für die Entstehung „unechter“ Verluste durch den Ansatz überhöhter Erwerbsaufwendungen. Das bislang prominenteste Beispiel waren die Abschreibungsvergünstigungen nach dem Fördergebietsgesetz.26 Danach wurden für Immobilieninvestitionen in den neuen Bundesländern Sonderabschreibungen von bis zu 50 % der Anschaffungs- und Herstellungskosten, also das Fünfundzwanzigfache der Regel-AfA nach § 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 a EStG, gewährt.27 Den mit dieser Steuerbegünstigung verfolgten Zweck – die Mobilisierung privaten Kapitals für den Aufbau Ost – hat der Gesetzgeber offensichtlich erreicht. Denn unter anderem als eine Folge des Fördergebietsgesetzes ging das Aufkommen der veranlagten Einkommensteuer von 41 Milliarden DM 1992 auf 11 Milliarden DM 1996 zurück.28 Seit dem Auslaufen des Fördergebietsgesetzes werden verstärkt Investitionen in denkmal-
24 Vgl. BFH v. 09.05.2001 - XI B 151/00, BStBl. II 2001, S. 554; Kohlhaas, BB 2002, S. 2529. 25 Vgl. Kempermann in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 105 f. 26 Gesetz über Sonderabschreibungen und Abzugsbeträge im Fördergebiet in der Fassung der Bekanntmachung v. 23.09.1993, BGBl. I 1993, S. 1654. 27 Vgl. § 4 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 3 FöGbG. Gefördert wurden daneben auch Investitionen in bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, § 2 FöGbG. 28 Nachweis bei Stapperfend in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 331 f.
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Grundlagen
geschützte Immobilien getätigt.29 Hintergrund ist die Sonder-AfA nach § 7i EStG. bb) Prinzipien der Gewinnermittlung Neben der Inanspruchnahme von Steuersubventionstatbeständen können „unechte“ Verluste insbesondere durch das Ausnutzen spezieller Gewinnermittlungsvorschriften ohne Lenkungszweck generiert werden. Es wäre aber zu kurz gegriffen, dies – wie es gelegentlich geschieht – vor allem der Maßgeblichkeit30 der Handelsbilanz für die Steuerbilanz gemäß § 5 EStG zuzuschreiben.31 Soweit ersichtlich basierte mit den sog. Film- bzw. Medienfonds nur ein praktisch bedeutsames Verlustzuweisungsmodell auf einer ursprünglich handelsrechtlichen Gewinnermittlungsvorschrift: dem handelsrechtlichen Aktivierungsverbot für selbst geschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter nach § 248 Abs. 2 HGB a.F.32 Da sich infolge dessen die gesamten Produktionskosten auf einen Schlag gewinnmindernd auswirkten, konnten hohe Verlustzuweisungen generiert werden. Andere Verlustzuweisungsmodelle basierten hingegen auf spezifisch steuerrechtlichen Gewinnermittlungsvorschriften. So beruhten Gestaltungen, bei denen Verluste aus gewerblicher Tierzucht generiert wurden, auf der Vereinfachungsvorschrift für die Bewertung geringwertiger Wirtschaftsgüter in § 6 Abs. 2 EStG.33 Ein weiteres Beispiel sind Verlustzuweisungsmodelle, die die vereinfachte Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG nutzten, insbesondere sog. Wertpapierhandelsfonds. Im Rahmen dieses Modells erwarb eine nicht 29 Seit der Einführung von § 15b EStG kann mittels entsprechender Investitionen ein Steuerstundungseffekt nur noch dann erzielt werden, wenn keine modellhafte Gestaltung vorliegt. Vgl. dazu unter 1. Teil B. I. 1. a) aa) (3). 30 Vgl. Herzig/Briesemeister, DB 2009, S. 927 ff. zur Neujustierung der Maßgeblichkeit durch das Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG) v. 25.05.2009, BGBl. I 2009, S. 1102. 31 Vgl. Kempermann in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 105 f. 32 Vor Inkraftreten des BilMoG hatte § 248 Abs. 2 HGB folgenden Wortlaut: „Für immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens, die nicht entgeltliche erworben wurden, darf ein Aktivposten nicht angesetzt werden.“ Für die Steuerbilanz wurde dieses Aktivierungsverbot – bislang deklaratorisch, vgl. Schreiber in: Blümich, EStG, § 5 Rn. 521 – durch § 5 Abs. 2 EStG wiederholt. Nach § 248 Abs. 2 HGB n.F. besteht nunmehr grundsätzlich ein Wahlrecht zur Aktivierung selbst geschaffener immaterieller Wirtschaftsgüter. Auf die Steuerbilanz wirkt sich dies jedoch nicht aus, da § 5 Abs. 2 EStG nicht geändert wurde und weiterhin die Aktivierung verbietet. 33 Vgl. Verführt, Verlustausgleichsverbote im Einkommensteuerrecht (2002), S. 174; Werz, Verlustverrechnungsbeschränkungen im Lichte der Verfassung unter besonderer Berücksichtigung der Verlustregeln des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (2003), S. 56.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
bilanzierende Personengesellschaft Wertpapiere, die dem Umlaufvermögen zugeordnet wurden. Nach § 4 Abs. 3 EStG a.F. konnten die gesamten Anschaffungskosten als Betriebssausgaben abgezogen werden, was zu hohen steuerlichen Verlusten führte.34 Untypischerweise ist der Gesetzgeber dieser Gestaltung nicht mit einer Verlustverrechnungsbeschränkung entgegengetreten, sondern hat das Problem durch eine Modifikation der Gewinnermittlungsvorschrift an der Wurzel beseitigt.35 c) Kein Steuerausfall, sondern nur Steuerstundung Unechte Verluste führen im Normalfall nicht zu endgültigen Steuerausfällen, sondern nur zu einer Steuerstundung. Der negative Effekt für den Fiskus besteht in Zins- und möglicherweise Progressionsnachteilen.36 Dies ergibt sich daraus, dass „unechte“ Verluste nur im Rahmen einer mit Gewinnerzielungsabsicht vorgenommenen Tätigkeit anfallen können, wobei Steuervorteile gemäß § 15 Abs. 2 S. 2 EStG nicht zu berücksichtigen sind. Fehlt es daran, so liegt Liebhaberei vor und die Verluste sind schon nicht steuerbar. Wenn aber die Tätigkeit auf die Erzielung eines Totalerfolges gerichtet sein muss, so ergibt sich daraus, dass zumindest dann, wenn sich die Investition wie geplant entwickelt,37 die Verluste früher oder später durch steuerbare38 Gewinne überkompensiert werden. Die Besonderheit von „unechten“ Verlusten ist, dass Verluste bzw. Gewinnminderungen früher anfallen, als dies normalerweise der Fall wäre. Ein gutes Beispiel hierfür sind überhöhte Absetzungen für Abnutzungen. Diese ermöglichen zunächst, die Steuerbelastung der konkreten Investition zu senken, eventuell sogar Verluste zu generieren, die mit sonstigen positiven Einkünften verrechnet werden können. In späteren Jahren fehlt hingegen das durch die Sonderabschreibungen verbrauchte Abschreibungspotential, so dass die Gewinne dann umso höher ausfallen.
34 Vgl. BR-Drs. 45/05, S. 6; Wied in: Blümich, EStG, § 4 Rn. 2. 35 Vgl. § 4 Abs. 3 S. 4-5 EStG, eingeführt durch das Gesetz zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen v. 28.04.2006, BGBl. I 2006, S. 1095. 36 Vgl. Raupach/Böckstiegel, FR 1999, S. 560; Kohlhaas, DStR 2008, S. 484. 37 Schlägt die Investition fehl, so können sich auch dauerhafte Verluste ergeben. Spätestens dann aber verwandeln sich die „unechten“ Verluste ohnehin in echte Verluste. Die Problematik der ostdeutschen „Schrottimmobilien“ liefert hierfür ein anschauliches Beispiel. 38 Nicht steuerbare Vermögensmehrungen bleiben bei der Beurteilung, ob die Tätigkeit auf einen Totalerfolg gerichtet ist, unberücksichtigt, vgl. BFH Großer Senat v. 25.06.1984 - GrS 4/82, BStBl. II 1984, S. 766 f.
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Grundlagen
d) Verlustzuweisungsgesellschaften als Katalysator Zu einem fiskalischen Problem wurden „unechte“ Verluste dadurch, dass sie von einer regelrechten Steuersparindustrie im großen Stil mittels sog. Verlustzuweisungsgesellschaften vermarktet wurden.39 Auch wenn Verlustzuweisungsgesellschaften sehr unterschiedlich ausgestaltet sein konnten, wiesen sie doch stets die gleiche Grundstruktur auf. Zunächst musste es sich um eine steuerlich transparente Struktur handeln, um eine Zurechnung der Verluste an die Anleger zu ermöglichen. Üblicherweise waren Verlustzuweisungsgesellschaften daher in der Rechtsform der Personengesellschaft organisiert. Das Geschäftsmodell von Verlustzuweisungsgesellschaften war zudem typischerweise darauf ausgelegt, einen Steuerstundungseffekt durch die Kombination früher Verluste mit späten Gewinnen zu erzielen. Durch einen hohen Fremdfinanzierungsanteil wurde hierbei eine Hebelwirkung erreicht.40
Strukturelle Merkmale von Verlustzuweisungsgesellschaften
Steuerliche Transparenz
Abbildung 1
Kombination früher Verluste mit späten Gewinnen
Hoher Fremdfinanzierungsanteil
Strukturelle Merkmale von Verlustzuweisungsgesellschaften
Für einen Anleger war die Beteiligung an einer Verlustzuweisungsgesellschaft sinnvoll, wenn er über positive Einkünfte verfügte, die er mit den ihm zugewiesenen Verlusten verrechnen und so den Steuerstundungseffekt realisieren konnte. Verlustzuweisungsgesellschaften waren zur Generierung von Verlustzuweisungen allerdings nicht zwingend auf unechte Verluste angewiesen. Ein beträchtlicher Teil der Anlaufverluste entstand typischerweise durch die Inanspruchnahme von Serviceleistungen im Finanzierungs-, Treuhand-, und Vermittlungsbereich und sonstige – meist sehr hohe – Spesen.41 Dabei handelt es sich um echte Verluste, die von den Steuerpflichtigen im Streben nach einer Steuerersparnis in Kauf genommen wurden. 39 Vgl. dazu Loritz, BB 1997, S. 1281. Durch die Einführung von § 15b EStG wurde dem Geschäftsmodell der Verlustzuweisungsgesellschaften weitgehend die Grundlage entzogen, vgl. 1. Teil B. I. 1. a) aa) (3). 40 Vgl. Raupach/Böckstiegel, FR 1999, S. 558; Werner, Die Mindestbesteuerung im deutschen und im US-amerikanischen Einkommensteuerrecht (2001), S. 201. 41 Vgl. Voß, Auswirkungen steuerlicher Verlustbehandlung auf betriebswirtschaftliche Entscheidungen (1989), S. 56; Schneider, DB 1999, S. 110.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
II. Verlustverrechnung Ausgehend von der Definition des Verlusts als negative Saldogröße ist unter Verlustverrechnung der Transfer des negativen Saldos einer kleineren Saldeneinheit in eine größere Saldeneinheit zu verstehen.42 Die kleinste Saldeneinheit im Ertragsteuerrecht ist die Einkunftsquelle.43 Werden die Ergebnisse der einzelnen Einkunftsquellen innerhalb einer Besteuerungsperiode zusammengefasst, kommt es zu einer intraperiodischen Verlustverrechnung. Der in einer Einkunftsquelle angefallene Verlust wird in die größere Saldeneinheit „Periodenerfolg“ überführt. A verfügt über zwei Einkunftsquellen, einen Gewerbebetrieb und eine vermietete Immobilie. Im Rahmen des Gewerbebetriebs verzeichnete A im Veranlagungszeitraum Betriebseinnahmen (BE) von 50.000 € und Betriebsausgaben (BA) von 100.000 €. Bei der Immobilie standen Mieteinnahmen (ME) von 50.000 € Werbungskosten (WK) von 25.000 € gegenüber. Nach Saldierung des Überschusses (Ü) aus Vermietung und Verpachtung mit dem Verlust (V) aus Gewerbebetrieb ergibt sich ein Periodenverlust (PV) von 25.000 €. S
H
Immobilie
ME 50 T€
S
WK 25 T€ Ü 25 T€
BE 50 T€
S
Periodenerfolg
Ü 25 T€
Abbildung 2
H
BA 100 T€
Saldo Saldo
Saldo
Gewerbebetrieb
V 50 T€
H
V 50 T€
PV 25 T€
Verlustverrechnung als Saldentransfer
Sofern sich bei der Saldierung der Ergebnisse der einzelnen Einkunftsquellen intraperiodisch ein negativer Saldo ergibt, kann dieser gegebenenfalls im Wege der interperiodischen Verlustverrechnung in die nächstgrößere Saldeneinheit des Totalerfolgs überführt werden. Im Einkommensteuerrecht folgt aus dem Grundsatz der Individualbesteuerung44, dass die Zuordnungseinheit des Totalerfolgs das Steuersubjekt ist.45 Das Steuersubjekt bildet da42 Vgl. Körner, Verrechnungsbeschränkte Verluste im Ertragsteuerrecht (1986), S. 153. 43 Vgl. zum Begriff der Einkunftsquelle Ruppe in: Tipke, Klaus, Übertragung von Einkunftsquellen (1979), S. 15 f.; Steinberg, DStZ 1988, S. 315 ff. 44 Vgl. dazu ausführlich 2. Teil B. III. 1. b). 45 Der Totalerfolg umfasst dementsprechend das gesamte von einem Steuersubjekt während seiner rechtlichen Existenz erzielte Einkommen.
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Grundlagen
her grundsätzlich die äußerste Verrechnungsschranke und bezeichnet die äußerste Saldensphäre, innerhalb derer sich die Verlustverrechnung vollzieht.46 Vereinzelt wird dieser Grundsatz jedoch durchbrochen und eine intersubjektive Verlustverrechnung ermöglicht. In diesem Fall tritt an die Stelle des Totalerfolgs des Steuersubjekts der Totalerfolg mehrere Steuersubjekte.47 Es können somit insgesamt drei Dimensionen der Verlustverrechnung unterschieden werden: die intraperiodische, die interperiodische und die intersubjektive Verlustverrechnung.
Totalerfolg mehrerer Steuersubjekte Totalerfolg Steuersubjekt Periodenerfolg
Intersubjektive Verlustverrechnung Interperiodische Verlustverrechnung Intraperiodische Verlustverrechnung
Erfolg Einkunftsquelle
Abbildung 3
III.
Dimensionen der Verlustverrechnung
Verlustverrechnungsbeschränkung
Ausgehend von dem zugrunde gelegten Verständnis von Verlustverrechnung ist unter einer Verlustverrechnungsbeschränkung eine Regelung zu verstehen, durch die der Transfer eines Verlusts in eine größere Saldeneinheit eingeschränkt oder verhindert wird. Grundlegend kann zwischen speziellen und allgemeinen Verlustverrechnungsbeschränkungen unterschieden werden.48 46 Vgl. Körner, Verrechnungsbeschränkte Verluste im Ertragsteuerrecht (1986), S. 155. 47 Dies gilt uneingeschränkt bei Gesamtrechtsnachfolge. Bei einem laufenden intersubjektiven Verlustausgleich (Zusammenveranlagung, Organschaft) ist der gemeinsame Erfolg nur so lange maßgeblich, wie die Voraussetzungen vorliegen. 48 Vgl. Werz, Verlustverrechnungsbeschränkungen im Lichte der Verfassung unter besonderer Berücksichtigung der Verlustregeln des Steuerentlastungsgesetzes
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
1. Spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen Spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie eine Kategorie von negativen Einkünften definieren, die sich durch spezifische Merkmale von sonstigen negativen Einkünften unterscheiden. Diese aus dem allgemeinen Verlustbegriff ausgegrenzten Verluste werden gezielt von der allgemeinen Verlustverrechnung ausgeschlossen und einer Sonderbehandlung unterworfen.49 2. Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen Demgegenüber beschränken allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen die Verrechnung von Verlusten generell, ohne auf die Eigenart der betroffenen Verluste abzustellen. Hierfür existieren verschiedene Techniken. Zunächst kann die Verlustverrechnung schlicht auf einen starren Höchstbetrag beschränkt werden. Dies ist gegenwärtig beim Verlustrücktrag nach § 10d Abs. 1 EStG der Fall, der nur bis maximal 511.500 € zulässig ist. Eine weitere Möglichkeit zur allgemeinen Beschränkung der Verlustverrechnung besteht darin, jeweils nur einen bestimmten Anteil des Verlusts zur Verlustverrechnung zuzulassen. Beispielsweise ist nach § 8c Abs. 2 KStG ein von dieser Vorschrift erfasster Verlust zunächst nur zu einem Fünftel nutzbar. In den folgenden vier Jahren wird jeweils ein weiteres Fünftel des Verlusts zur Verrechnung freigegeben, so dass eine vollständige Verlustverrechnung frühestens nach fünf Jahren erfolgt.50 Die bedeutsamste Erscheinungsform allgemeiner Verlustverrechnungsbeschränkungen waren in jüngster Zeit Regelungen, durch die die Verlustverrechnung auf einen bestimmten Prozentsatz der positiven Einkünfte beschränkt wird. Verwirklicht wurden solche Konzepte zunächst, von 1999 bis 2003, in § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. und im Anschluss daran, seit 2004, in § 10d Abs. 2 EStG. 51 Der Grund hierfür ist der mit dieser Regelungstechnik 1999/2000/2002 (2003), S. 20; Schmehl, Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen mit Mindestbesteuerungseffekt – ein tragfähiges Konzept für das Einkommensteuerrecht? (2004), S. 2; Mönikes, Die Verlustverrechnungsbeschränkungen des Einkommensteuergesetzes im Lichte der Verfassung (2006), S. 12 f. 49 Beispielsweise schließt § 20 Abs. 6 S. 5 EStG Verluste aus der Veräußerung von Aktien intraperiodisch sowohl von einer Verrechnung mit anderen Kapitaleinkünften als auch mit positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten aus. Auch interperiodisch nehmen die Verluste aus der Veräußerung von Aktien nicht an der allgemeinen Verlustverrechnung teil. Vgl. ausführlich zur Behandlung von Verlusten aus der Veräußerung von Aktien 1. Teil B. I. 1. a) bb) (3). 50 Vgl. zu § 8c Abs. 2 KStG 1. Teil B. II. 2. a). 51 Vgl. Schmehl, Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen mit Mindestbesteuerungseffekt – ein tragfähiges Konzept für das Einkommensteuerrecht? (2004), S. 2.
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Grundlagen
einhergehende Mindestbesteuerungseffekt. Unabhängig davon, wie hoch der zur Verrechnung anstehende Verlust ist, kann der von der Verlustverrechnung ausgeschlossene Teil der positiven Einkünfte der Besteuerung unterworfen werden. Somit ist – sofern keine Sockel- oder Freibeträge gewährt werden – bei jedem Steuerpflichtigen, der überhaupt über positive Einkünfte verfügt, die Entstehung einer Steuerschuld garantiert. Einzelunternehmer A erzielt mit seinem Unternehmen einen Gewinn i.H.v. 2 Million Euro. Aus einer fehlgeschlagenen Beteiligung erleidet er einen Verlust i.H.v. 4 Millionen Euro. Im Ausgangsfall ist die Verlustverrechnung unbeschränkt möglich. In der Abwandlung ist die Verlustverrechnung auf 50 % der positiven Einkünfte beschränkt. Der Steuersatz beträgt 40 %. Ausgangsfall: Verlust (4 Millionen €) Verlustvortrag (2 Millionen €)
Gewinn (2 Millionen €) Verlustverrechnung (2 Millionen €)
Abwandlung:
Bemessungsgrundlage (1 Millionen €)
Verlust (4 Millionen €) Verlustvortrag (3 Millionen €)
Gewinn (2 Millionen €) Verlustverrechnung (1 Millionen €)
Abbildung 4
Steuerschuld (0,4 Millionen €)
Verlustverrechnungsbeschränkung mit Mindestbesteuerungseffekt
Daher eignen sich Regelungen, durch die die Verlustverrechnung auf einen bestimmten Prozentsatz der positiven Einkünfte beschränkt wird, hervorragend zur Steigerung des Steueraufkommens, was sie angesichts der angespannten Haushaltslage für den Gesetzgeber offenbar äußerst attraktiv macht. Demgegenüber wirkt sich eine Deckelung der Verlustverrechnung auf einen Höchstbetrag nur bei den Steuerpflichtigen aus, bei denen sowohl die positiven als auch die zu verrechnenden negativen Einkünfte den Höchstbetrag übersteigen. Die Beschränkung der Verlustverrechnung auf einen bestimmten Anteil der Verluste läuft hingegen leer, wenn die positiven Einkünfte den für die Verlustverrechnung zur Verfügung stehenden Teil der Verluste nicht übersteigen.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
B. Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten Eine Verlustverrechnung findet in drei Dimensionen statt: intraperiodisch, interperiodisch und intersubjektiv. Die intraperiodische Verlustverrechnung wird in Anlehnung an den Wortlaut des § 2 Abs. 2 EStG 1975 auch als Verlustausgleich bezeichnet. Dies geschieht in Abgrenzung zum Begriff des Verlustabzugs, den das Gesetz in § 10d EStG als Bezeichnung für die interperiodische Verlustverrechnung verwendet.
I. Intraperiodische Verlustverrechnung 1. Einkommensteuer Die intraperiodische Verlustverrechnung ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Sie ergibt sich daraus, dass nach § 2 Abs. 3 EStG die Ergebnisse aller Einkunftsquellen zur Summe der Einkünfte zusammengefasst werden. Infolgedessen gleichen sich positive und negative Ergebnisse einzelner Einkunftsquellen automatisch aus. Der automatische intraperiodische Verlustausgleich war bis zur Einführung der Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge52 ein Ausdruck des synthetischen Charakters der Einkommensteuer. Als synthetisch wird eine Einkommensteuer bezeichnet, die die Gesamtheit der Einkünfte zu einer einheitlichen Bemessungsgrundlage zusammenfasst und einem einheitlichen Tarif unterwirft.53 Die Einführung der Abgeltungsteuer bedeutet zwar den Bruch mit dem Konzept einer synthetischen Einkommensteuer.54 Kapitaleinkünfte werden zukünftig faktisch in einer Schedule zusammengefasst und sowohl hinsichtlich der Einkünfteermittlung55 als auch des Steuertarifs56 einer Sonderbehandlung unterworfen. Gesetzestechnisch ist die schedulare Besteuerung von Kapitaleinkünften jedoch nicht als Systemwechsel ausgestaltet. § 2 EStG bleibt in seiner Grundstruktur unberührt. Nach wie vor sind die Einkünfte aus Kapitalvermögen formal in die Bildung der Summe der Einkünfte nach § 2 Abs. 3 EStG einbezogen. Lediglich ein Teil der Einkünfte aus Kapitalvermögen – wenn auch faktisch der Großteil – wird durch die §§ 32d Abs. 1, 43 Abs. 5 EStG einer Sonderbehandlung un52 Durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 v. 14.08.2007, BGBl. I 2007, S. 1912. 53 Vgl. Lang in: Tipke/Lang, Steuerrecht (2009), S. 234. Die Einkommensteuer verwirklichte dieses Konzept zwar nie in Reinform (vgl. zu den Durchbrechungen Kanzler, FR 1999, S. 365 f.), war aber dennoch vom Grundsatz der synthetischen Einkommensteuer geprägt, vgl. Birk, Steuerrecht (2009), S. 177 f. 54 Vgl. Englisch, StuW 2007, S. 222. 55 Nach § 20 Abs. 9 S. 1 EStG ist der Abzug der tatsächlichen Werbungskosten ausgeschlossen. Gewährt wird lediglich ein Sparer-Pauschbetrag von 801 €. 56 Nach § 32d Abs. 1 S. 1 EStG beträgt die Einkommensteuer für Einkünfte aus Kapitalvermögen 25 %.
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Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten
terworfen. Folge dieser Regelungstechnik ist, dass der Ausschluss der Verluste aus Kapitalvermögen von der intraperiodischen Verlustverrechnung in § 20 Abs. 6 EStG spezialgesetzlich angeordnet werden musste. Auch wenn der Abgeltungsteuer tatsächlich eine andere Qualität zukommt als den schon bisher bestehenden Durchbrechungen des Konzepts der synthetischen Einkommensteuer, so führt sie doch zumindest im Hinblick auf die intraperiodische Verlustverrechnung nicht zu einem Systemwechsel, sondern nur zu einer weiteren Verlustausgleichsbeschränkung. Aufgrund der Gliederung des Einkommens in Einkunftsarten vollzieht sich die automatische intraperiodische Verlustverrechnung in zwei Stufen. Zunächst werden im Rahmen des horizontalen Verlustausgleichs die Einkunftsquellenergebnisse innerhalb der einzelnen Einkunftsarten zusammengefasst. In einem zweiten Schritt, dem vertikalen Verlustausgleich, werden die Ergebnisse der Einkunftsarten zur Summe der Einkünfte saldiert.
Einkunftsart
§ 13 EStG
§ 15 EStG
§ 19 EStG
§ 20 EStG
§ 21 EStG
§ 22 EStG
Q1 13
+
Q1 13
+
Q1 13
+
Q1 13
+
Q1 13
+
Q1 13
+
Q1 13
+
Q2 13
+
Q2 13
+
Q2 13
+
Q2 13
+
Q2 13
+
Q2 13
+
Q2 13
+
Q3 13
+
Q3 13
+
Q3 13
+
Q3 13
+
Q3 13
+
Q3 13
+
Q3 13
+
Einkünfte
Qn 13
=
Qn 13
=
Qn 13
=
Qn 13
=
Qn 13
=
Qn 13
=
Qn 13
=
Horizontaler Verlustausgleich
Abbildung 5
Σ Einkunftsart + Σ Einkunftsart + Σ Einkunftsart + Σ Einkunftsart + Σ Einkunftsart +
Vertikaler Verlustausgleich
§ 18 EStG
Einkunftsquellenergebnisse
Σ Einkunftsart + Σ Einkunftsart = Summe der Einkünfte
Horizontaler und vertikaler Verlustausgleich
Die intraperiodische Verlustverrechnung wird durch zahlreiche Verlustverrechnungsbeschränkungen eingeschränkt. Diese sollen nachfolgend kurz 19
Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
vorgestellt und systematisiert werden, wobei in einem ersten Schritt eine Differenzierung zwischen speziellen und allgemeinen Verlustverrechnungsbeschränkungen erfolgt.57 Dabei kann nicht erschöpfend auf alle Probleme und Zweifelsfragen der einzelnen Verlustverrechnungsbeschränkungen eingegangen werden. Da einige der zu erläuternden Vorschriften zu den schwierigsten und umstrittensten des EStG gehören, würde dies den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Ziel ist es vielmehr, dass Regelungskonzept der jeweiligen Verlustverrechnungsbeschränkung darzustellen und die Hintergründe für ihre Einführung zu erläutern. a) Spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen Spezielle Beschränkungen der intraperiodischen Verlustverrechnung sind im EStG überwiegend als Verlustverrechnungsbeschränkung auf eine Einkunftsquelle oder auf eine bestimmte Einkunftsunterart ausgestaltet. Besondere Formen der Verlustverrechnungsbeschränkung ergeben sich aus der schedulenartigen Ausgestaltung der Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen sowie aus der Thesaurierungsbegünstigung für nicht entnommene Gewinne nach § 34a EStG. aa) Beschränkung der Verlustverrechnung auf eine Einkunftsquelle Durch eine einkunftsquellenbezogene Verlustverrechnungsbeschränkung werden Verluste aus einer bestimmten Einkunftsquelle komplett von der intraperiodischen Verlustverrechnung ausgeschlossen. Die Verluste werden gleichsam unter „Quarantäne“ gestellt. Genutzt werden können die Verluste nur durch eine interperiodische Verrechnung mit positiven Einkünften aus derselben Einkunftsquelle. (1) Verluste aus stillen Gesellschaften, Unterbeteiligungen oder sonstigen Innengesellschaften an Kapitalgesellschaften (a) Tatbestand § 15 Abs. 4 S. 6 EStG schließt Verluste aus stillen Gesellschaften, Unterbeteiligungen oder sonstigen Innengesellschaften an Kapitalgesellschaften vom Verlustausgleich aus, die ein als Mitunternehmer anzusehender Gesellschafter oder Beteiligter erzielt, der keine natürliche Person ist. Über § 20 Abs. 1 Nr. 4 S. 2 EStG werden auch nicht als Mitunternehmer zu qualifizierende 57 Eine alternative Möglichkeit zur Systematisierung besteht darin, die Verlustverrechnungsbeschränkungen danach zu unterscheiden, ob sie den horizontalen oder vertikalen Verlustausgleich einschränken. Die nachfolgend vorgenommene Differenzierung zwischen allgemeinen und speziellen Verlustverrechnungsbeschränkungen erlaubt jedoch eine aussagekräftigere Charakterisierung der jeweiligen Vorschrift.
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Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten
typische stille Gesellschafter in den Anwendungsbereich der Vorschrift einbezogen. Obwohl dies aus dem Gesetzeswortlaut nicht eindeutig hervorgeht, ist die Vorschrift teleologisch so auszulegen, dass die Verlustverrechnungsbeschränkung nur den Verlustanteil der im Innenverhältnis still beteiligten Kapitalgesellschaft betrifft. Die hauptbeteiligte Kapitalgesellschaft kann ihren Verlustanteil uneingeschränkt verrechnen.58 Bislang noch nicht geklärt ist, ob im Falle einer atypisch stillen Beteiligung auch Verluste im Sonderbereich des stillen Gesellschafters erfasst sind. Nach der wohl überwiegenden Ansicht in der Literatur ist das wegen des Telos der Vorschrift zu verneinen.59 Ebenfalls strittig ist, ob Verluste aus der Veräußerung einer stillen Beteiligung unter die Verlustverrechnungsbeschränkung fallen.60 Die Finanzverwaltung hat sich in dieser Frage mittlerweile auf den Standpunkt gestellt, dass es sich bei einem Verlust i.S.v. § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG nur um den laufenden Verlust aus der Beteiligung handle, nicht jedoch um den Verlust der Beteiligung selbst. Ein Veräußerungsverlust stehe daher grundsätzlich für einen uneingeschränkten Verlustausgleich zur Verfügung.61 (b) Hintergrund Mit der komplizierten Regelung des § 15 Abs. 4 S. 6 EStG bezweckt der Gesetzgeber, die Abschaffung der Mehrmütterorganschaft ab dem Veranlagungszeitraum 2003 gegenüber möglichen Umgehungsstrategien abzusichern.62 Die Begründung eines Organschaftsverhältnisses setzt die finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft in den Organträger voraus. Dies ist der Fall, wenn dem Organträger die Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft zusteht, § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KStG. Die lange gewohnheitsrechtlich anerkannte Mehrmütterorganschaft, die erst 200163 in § 14 Abs. 2 KStG gesetzlich verankert worden war, ermöglichte es mehreren Unternehmen, die dieses Kriterium einzeln nicht erfüllten, sich zu einer GbR zusammenzuschließen und ein Organschaftsverhältnis zu einer gemeinsamen 58 Vgl. Reiß in: Kirchhof, EStG Kompaktkommentar (2008), § 15 Rn. 621. 59 Vgl. Intemann/Nacke, DStR 2004, S. 1153; Wacker in: Schmidt, EStG (2009), § 15 Rn. 909 m.w.N.; a.A.: Reiß in: Kirchhof, EStG Kompaktkommentar (2008), § 15 Rn. 621. 60 Dagegen, mit der Begründung, dass dieses Verluste nicht aus der stillen Beteiligung stammen: Haisch/Danz, DStZ 2005, S. 853; Wacker in: Schmidt, EStG (2009), § 15 Rn. 909. Dafür: Reiß in: Kirchhof, EStG Kompaktkommentar (2008), § 15 Rn. 622. 61 Vgl. BMF v. 19.11.2008 - IV C 6 - S 2119/07/10001, DB 2008, S. 2679. 62 Vgl. BT-Drs. 15/119, S. 38; Herzig in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 39. 63 Durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts v. 20.12.2001, BGBl. I 2001, S. 3922.
21
Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
Tochter zu begründen. Dies begünstigte vor allem die Vereinbarung von Joint-Ventures.
A-AG
B-AG 50 %
50 %
WillensbildungsGbR Gewinnabführungsvertrag
C-AG 30 %
Abbildung 6
40 %
Mehrmütterorganschaft nach § 14 Abs. 2 KStG a.F.
Mit § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG will der Gesetzgeber verhindern, dass über eine stille Beteiligung das gleiche wirtschaftliche Ergebnis erreicht werden kann wie im Rahmen einer Organschaft, nämlich die steuerliche Berücksichtigung von Verlusten einer Kapitalgesellschaft bei einer anderen Kapitalgesellschaft.64
A-AG
C-AG 30 %
Atypisch stille Beteiligung
Abbildung 7
B-AG 40 %
Atypisch stille Beteiligung
Von § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG erfasste Beteiligungskonstellation
(2) Verluste bei beschränkter Haftung (a) Tatbestand Nach § 15a Abs. 1 S. 1 EStG darf der einem Kommanditisten zuzurechnende Anteil am Verlust einer Kommanditgesellschaft nicht mit im gleichen Veranlagungszeitraum erzielten sonstigen positiven Einkünften ausgeglichen werden, soweit ein negatives Kapitalkonto entsteht oder sich erhöht. Eine 64 Vgl. BT-Drs. 15/1518, S. 14.
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Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten
Ausnahme stellt der sog. erweiterte Verlustausgleich nach § 15a Abs. 1 S. 2 EStG dar. Danach kann ein Verlust unbeschränkt ausgeglichen werden, soweit der Kommanditist gemäß § 171 Abs. 1 HGB für ein negatives Kapitalkonto persönlich haftet. Andere Fälle der persönlichen Innen-65 oder Außenhaftung66 des Kommanditisten bewirken hingegen keine Ausnahme von der Verlustverrechnungsbeschränkung des § 15a Abs. 1 S. 1 EStG.67 § 15a Abs. 5 EStG erweitert den Anwendungsbereich der Vorschrift auf Unternehmer, deren Haftung mit der eines Kommanditisten vergleichbar ist, insbesondere den als Mitunternehmer anzusehenden atypisch stillen Gesellschafter. Darüber hinaus wird nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 S. 2 EStG auch der typische stille Gesellschafter von § 15a EStG erfasst.68 Im Unterschied zu allen sonstigen Verlustverrechnungsbeschränkungen auf die Einkunftsquelle ist bei § 15a EStG nur ein Teil des Verlusts von der Verrechnungsbeschränkung betroffen. Bis zur Höhe des Kapitalanteils des Kommanditisten fließen Verluste unbeschränkt in den horizontalen Verlustausgleich ein.69 Beispiel: An der AB-KG sind A als Komplementär und B als Kommanditist jeweils mit 200.000 € beteiligt. Das Gesellschaftsvermögen besteht in einer Forderung i.H.v. 1.000.000 €. In 01 ergibt sich ein Wertberichtigungsbedarf i.H.v. 600.000 €. Es entsteht ein negatives Kapitalkonto i.H.v. 200.000 €, das A und B je zur Hälfte zuzurechnen ist. A und B erzielen jeweils sonstige Einkünfte i.H.v. 300.000 € pro Kalenderjahr.
65 § 167 Abs. 3 HGB ist disponibel. Gesellschaftsvertraglich kann also eine unbeschränkte Haftung des Kommanditisten im Innenverhältnis vereinbart werden. 66 Beispielsweise nach § 172 Abs. 2 HGB. 67 Vgl. Heuermann in: Blümich, EStG, § 15a Rn. 71 f. 68 Allerdings ist umstritten, ob die Regelung für die typisch stille Gesellschaft überhaupt Wirkung entfaltet. Nach einer Ansicht geht die Verweisung ins Leere, weil nach Aufzehrung der Einlage der Verlust in voller Höhe dem Geschäftsinhaber zuzurechnen sei. Vgl. zu diesem Spezialproblem BFH v. 23.07.2002 - VIII R 36/01, BStBl. II 2002, S. 858; Groh, DB 2004, S. 670 f.; Stuhrmann in: Blümich, EStG, § 20 Rn. 255. Über Verweisungen in den §§ 13 Abs. 7, 18 Abs. 4 S. 2 und § 21 Abs. 1 S. 2 EStG findet § 15a EStG zudem bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, aus selbständiger Arbeit und aus Vermietung und Verpachtung Anwendung. Von der Verweisung in § 21 Abs. 1 S. 2 EStG sind vor allem geschlossene Immobilienfonds in der Rechtsform der KG betroffen. 69 Das ändert aber nichts daran, dass ab diesem Punkt eine Verlustverrechnung nur innerhalb der gleichen Einkunftsquelle erfolgen kann, weshalb die Vorschrift systematisch in die Kategorie der Verlustverrechnungsbeschränkungen auf die Einkunftsquelle gehört; A.A. insofern: Kempermann in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 113.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata Bilanz der AB-KG zum 31.12.01 Aktiva Forderung Kapital
A B
Summe
400.000 € Verbindlichkeiten 100.000 € 100.000 € 600.000 € Summe
Passiva 600.000 €
600.000 €
A kann seinen Verlustanteil von 300.000 € voll mit sonstigen positiven Einkünften verrechnen. Der Verlustanteil des B beträgt ebenfalls 300.000 €. Da allerdings i.H.v. 100.000 € ein negatives Kapitalkonto entsteht, kann B gemäß § 15a Abs. 1 S. 1 EStG nur Verluste i.H.v. 200.000 € ausgleichen. In 02 erzielt die AB-KG einen Gewinn i.H.v. 200.000 €. B kann seinen Gewinnanteil i.H.v. 100.000 € gemäß § 15a Abs. 2 EStG mit dem im Vorjahr unberücksichtigt gebliebenen Verlustanteil von 100.000 € verrechnen.
Einkünfte aus AB-KG § 15a EStG Sonstige Einkünfte Bemessungsgrundlage
A 01 -300.000 € 0€ 300.000 € 0€
B 02 01 02 100.000 € -200.000 € 100.000 € 0 € (-100.000 €) -100.000 € 300.000 € 300.000 € 300.000 € 400.000 € 100.000 € 300.000 €
Dafür, ob und inwieweit bei einem Kommanditisten ein negatives Kapitalkonto entsteht, sollte nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers neben der Steuerbilanz der KG auch das Sonderbetriebsvermögen des Kommanditisten maßgebend sein.70 Darüber hat sich die Rechtsprechung jedoch hinweggesetzt. Der BFH geht in ständiger Rechtsprechung, der sich auch die Finanzverwaltung angeschlossen hat, davon aus, dass allein die Steuerbilanz der KG einschließlich eventueller Ergänzungsbilanzen des Gesellschafters für die Anwendung des § 15a EStG maßgeblich ist.71 Das Sonderbetriebsvermögen wird in die Betrachtung nicht mit einbezogen. Verluste, die der Gesellschafter im Bereich seines Sonderbetriebsvermögens erleidet, können daher unbeschränkt mit sonstigen positiven Einkünften verrechnet werden.72 Nicht umfassend in § 15a EStG geregelt waren bis zum Jahressteuergesetz 200973 die Folgen nachträglicher Einlagen in ein negatives Kapitalkonto. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH kam es hierdurch nicht zu einer Umwandlung von in der Vergangenheit von § 15a EStG erfassten und 70 Vgl. BT-Drucks. 8/3648, S. 16. 71 Vgl. BFH v. 14.05.1991 - VIII R 31/88, BStBl. II 1992, S. 167; BFH v. 07.04.2005 - IV R 24/03, BStBl. II 2005, S. 598; BMF v. 15.12.1993 - IV B 2 - S 2241 a - 57/93; BStBl. I 1993, S. 976; EStR 2005, R 15a. 72 Vgl. EStR 2005, R 15a Abs. 2. 73 BGBl. I 2008, S. 2794.
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Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten
damit verrechnungsbeschränkten Verlusten in unbeschränkt ausgleichsfähige Verluste,74 obwohl umgekehrt nachträgliche Haftungs- bzw. Einlageminderungen gemäß § 15a Abs. 3 EStG zur Umwandlung ausgleichsfähiger in nur nach § 15a Abs. 2 EStG verrechenbare Verluste führen. Großzügiger war der BFH jedoch in der Frage der Ausgleichsfähigkeit von Verlusten, die nach einer Einlage in ein negatives Kapitalkonto angefallen sind. Unmittelbar aus dem Wortlaut des § 15a Abs. 1 S. 1 folgt lediglich, dass Verluste im Jahr der Einlage in Höhe der Einlage nicht von § 15a EStG erfasst werden und unbeschränkt ausgleichbar sind. Denn es fehlt insofern schlicht an einer Entstehung oder Erhöhung eines negativen Kapitalkontos. Etwas anderes gilt jedoch, wenn die Einlage nicht zeitkongruent, sondern vorzeitig zu einem Verlust geleistet wird. Auch wenn im Jahr der Einlage kein Verlust entsteht oder zumindest nicht die Höhe der Einlage erreicht, so unterfällt ein Verlust im Folgejahr der Rechtsfolge des § 15a EStG, soweit er zur Entstehung oder Erhöhung eines negativen Kapitalkontos i.S.v. § 15a Abs. 1 S. 1 EStG führt. Der Umstand, dass eine nachträgliche Einlage aus dem Vorjahr noch nicht verbraucht ist, ändert daran nach dem Wortlaut der Vorschrift nichts. Allerdings sah sich der BFH dazu genötigt, § 15a Abs. 1 EStG insofern zunächst teleologisch zu reduzieren und anschließend die so geschaffene Regelungslücke im Wege eines „Analogieschlusses entsprechend dem Regelungsplan und der Entstehungsgeschichte des § 15a EStG zu schließen.“75 Nach der Rechtsprechung war der im Jahr der Einlage nicht durch laufende Verluste „verbrauchte“ Teil der Einlage in einem außerbilanziellen Korrekturposten zu erfassen. Verluste in den Folgejahren waren in Höhe dieses Korrekturpostens entgegen § 15a Abs. 1 EStG intraperiodisch unbeschränkt verrechenbar.76 Dieses Vorgehen begründete der BFH maßgeblich mit einem Vergleich zur Rechtslage bei einer Haftungserweiterung. Im Falle einer nachträglichen Erweiterung der Außenhaftung gemäß § 171 Abs. 1 HGB können sowohl Verluste im Jahr der Haftungserweiterung als auch in Folgejahren bis zur Höhe der Haftungserweiterung unbeschränkt ausgeglichen werden.77 Dies ergibt sich daraus, dass nach dem Wortlaut § 15a EStG Abs. 1 S. 2 EStG Verluste ausgleichsfähig sind, wenn und soweit der Kommanditist den Gläubigern „am Bilanzstichtag“ nach § 171 Abs. 1 HGB haftet. 74 Vgl. BFH v. 14.12.1995 - IV R 106/94, BStBl. II 1996, S. 229; BFH v. 14.10.2003 VIII R 32/01, BStBl. II 2004, S. 360 f.; BFH v. 14.10.2003 - VIII R 38/02, BStBl. II 2004, S. 117 f. 75 Vgl. BFH v. 14.10.2003 - VIII R 32/01, BStBl. II 2004, S. 360. 76 Vgl. BFH v. 14.10.2003 - VIII R 32/01, BStBl. II 2004, S. 360. 77 Vgl. BFH v. 14.10.2003 - VIII R 32/01, BStBl. II 2004, S. 361.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
Diese Argumentation des BFH überzeugt. Es ist in der Tat kein Grund ersichtlich, warum die bloße Eintragung einer Haftungserweiterung zur sofortigen Verlustnutzung berechtigen soll, die tatsächliche Leistung einer Einlage in gleicher Höhe trotz aktueller wirtschaftlicher Belastung hingegen nicht.78 Die Finanzverwaltung reagierte auf die Entscheidung zunächst mit einem Nichtanwendungserlass.79 Sie gab ihre ablehnende Haltung jedoch auf,80 nachdem der BFH seine Rechtsprechung bestätigt hatte.81 Stattdessen reagierte nun der Gesetzgeber und schrieb durch das Jahressteuergesetz 200982 die ursprüngliche Position der Finanzverwaltung in § 15a Abs. 1a EStG fest. Nunmehr ist ausdrücklich gesetzlich geregelt, dass nur eine zeitkongruente Einlage in ein negatives Kapitalkonto zu ausgleichsfähigen Verlusten führt. Ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs dient die Neuregelung der Einschränkung von Gestaltungsspielräumen in Form „willkürlicher“ Einlagen zur Schaffung von Verlustausgleichsvolumina.83 Warum es willkürlich sein soll, wenn ein Kommanditist eine Einlage zeitlich vor der Verlustentstehung leistet, anstatt mit der Einlage bis zum Verlustjahr zu warten, ist allerdings nicht nachvollziehbar.84 Ebenfalls nicht ausdrücklich in § 15a EStG geregelt waren bis zum Jahressteuergesetz 2009 die Rechtsfolgen eines Wegfalls des negativen Kapitalkontos bei Veräußerung des Kommanditanteils oder Liquidation der Kommanditgesellschaft. Der Wegfall des negativen Kapitalkontos führte nach der Rechtsprechung des BFH zu einer Erhöhung des Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinns gemäß § 16 EStG, mit dem die verrechenbaren Verluste nach § 15a Abs. 2 EStG ausgeglichen werden konnten. Soweit nachträgliche Einlagen des Kommanditisten auf diese Weise nicht berücksichtigt werden konnten, waren sie ungeachtet des § 15a Abs. 2 EStG als unbeschränkt ausgleichsfähiger Verlust anzuerkennen.85 Diese Rechtsprechung wurde durch das Jahresteuergesetz 2009 in § 15a Abs. 2 S. 2 EStG kodifiziert. 78 79 80 81 82 83
Vgl. Wendt, Stbg 2009, S. 4. Vgl. BMF v. 14.04.2004 - IV A 6 - S 2241-10/04, BStBl. I 2004, S. 463. Vgl. BMF v. 19.11.2007 - IV B 2 - S 2241-a/07/0004, BStBl. I 2007, S. 823. Vgl. BFH v. 26.06.2007 - IV R 28/06, BStBl. II 2007, S. 934. BGBl. I 2008, S. 2794. Vgl. Regierungsentwurf Jahressteuergesetz 2009, S. 74; abrufbar unter: http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_4138/DE/Wirschaft__und__Verwaltung/St euern/Steuerreform/005__Jahressteuergesetz__kabinett__anl,templateId=raw,property =publicationFile.pdf. 84 So auch Kempermann, DStR 2008, S. 1920; Wendt, Stbg 2009, S. 4. 85 BFH v. 14.12.1995 - IV R 106/94, BStBl. II 1996, S. 230 f.; BFH v. 28.03.2000 - VIII R 28/98, BStBl. II 2000, S. 349 f.; BFH v. 14.10.2003 - VIII R 32/01, BStBl. II 2004, S. 361 f.; BFH v. 14.10.2003 - VIII R 38/02, BStBl. II 2004, S. 116.
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(b) Hintergrund Die Einführung des § 15a EStG wurde 1980 mit dem Ziel der Bekämpfung unerwünschter Steuergestaltung in Form von sog. „Verlustzuweisungsgesellschaften“ begründet.86 Allerdings war dieser Ansatz von vornherein zum Scheitern verurteilt, da § 15a EStG nicht Verlustverrechnungsgesellschaften an sich bzw. die Grundlagen ihres Geschäftsmodells – zumeist vom Gesetzgeber gezielt gesetzte Steueranreize87 – in den Blick nimmt. Vielmehr versucht § 15a EStG lediglich die Rechtsform der Kommanditgesellschaft für Verlustzuweisungsgesellschaften unattraktiv zu machen. Auch dies gelingt nur sehr eingeschränkt, weil § 15a Abs. 1 EStG leicht umgangen werden kann.88 Der Grund dafür, dass sich die Kommanditgesellschaft als Rechtsform für Verlustzuweisungsgesellschaften großer Beliebtheit erfreute, ist die Kombination von steuerlicher Transparenz und Haftungsbeschränkung.89 Gemäß § 167 Abs. 3 HGB haftet ein Kommanditist nur mit dem Betrag seiner Einlage. Darüber hinaus gehende Verluste begründen keine Haftung, weder im Innen- noch im Außenverhältnis. Allerdings bleibt der Kommanditist insoweit belastet, als er gemäß § 169 Abs. 1 S. 2 HGB die Auszahlung der ihm zustehenden Gewinnanteile nicht fordern darf, solange sein Kapitalanteil infolge von Verlusten unter der Pflichteinlage liegt oder durch die Auszahlung diesen Betrag unterschreiten würde. Daher muss ein negatives Kapitalkonto erst wieder durch Gewinnanteile aufgefüllt werden, bevor es zu einer Gewinnausschüttung an den Kommanditisten kommen kann.90 Die Haftung mit zukünftigen Gewinnanteilen sowie mit dem Anteil an den stillen Reserven machte nach Ansicht des Großen Senats des BFH die steuerliche Anerkennung des negativen Kapitalkontos des Kommanditisten erforderlich.91 Etwas anderes sollte nur dann gelten, wenn bei Aufstellung der Bilanz nach den Verhältnissen am Bilanzstichtag feststand, dass ein Ausgleich des negativen Kapitalkontos mit künftigen Gewinnanteilen des Kommanditisten nicht mehr möglich ist, da dann der rechtliche und wirtschaftliche Gehalt des Verlustanteils des Kommanditisten zur Bedeutungslosigkeit 86 BT-Drucks. 8/3648, S. 16. 87 Vgl. Loritz, BB 1997, S. 1281. 88 Beispielsweise durch eine fremdfinanzierte Erhöhung der Kommanditeinlage, vgl. Raupach/Böckstiegel, FR 1999, S. 559 f. Da das entsprechende Darlehen dem Sonderbetriebsvermögen II zuzurechnen ist, bleibt es bei der Anwendung von § 15a EStG unberücksichtigt. Erforderlich ist lediglich eine Erhöhung der Haftung in dem Umfang, in dem Verluste verrechnet werden sollen. Dagegen gewährt die Rechtsform der KG weiterhin Schutz vor einer unbeschränkten persönlichen Haftung. 89 Vgl. Raupach/Böckstiegel, FR 1999, S. 558. 90 Vgl. Hopt in: Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch (2008), § 167 Rn. 6. 91 BFH Großer Senat v. 10.11.1980, BStBl. II 1981, S. 168.
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herabsinke.92 Der Gesetzgeber stellte sich jedoch auf den Standpunkt, dass der Kommanditist durch ein negatives Kapitalkonto nur eine aufschiebend bedingte Belastung erfährt. Die Belastung realisiere sich erst, wenn und soweit ihm später Gewinne zugerechnet werden.93 Als Grundgedanken der Regelung kann man daher ausmachen, dass ein Verlustausgleich nur dann zugelassen werden soll, wenn der Steuerpflichtige eine gegenwärtige wirtschaftliche Belastung erfährt.94 Diesen Ansatz setzt der Gesetzgeber aber nicht konsequent in der Vorschrift um.95 Zum einen wurde der erweiterte Verlustausgleich nach § 15a Abs. 1 S. 2 EStG aus Gründen der Missbrauchsvermeidung auf den leicht zu kontrollierenden Fall des § 171 Abs. 1 HGB beschränkt. Zum anderen bewirken nachträgliche Einlagen- oder Haftungserhöhungen nicht, dass einmal verrechnungsbeschränkte Verluste aus der Verlustverrechnungsbeschränkung entlassen werden.96 (3) Verluste im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen (a) Tatbestand Nach § 15b Abs. 1 EStG können Verluste aus einem sog. Steuerstundungsmodell nur mit späteren positiven Einkünften aus derselben Einkunftsquelle verrechnet werden. Eine Verlustverrechnung mit sonstigen positiven Einkünften ist ausgeschlossen. § 15b EStG betrifft originär nur gewerbliche Einkünfte, findet aber über entsprechende Verweisungen97 auf alle Einkunftsarten mit Ausnahme der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit Anwendung. Ein Steuerstundungsmodell wird gemäß § 15b Abs. 2 S. 1 EStG durch zwei Merkmale definiert: es muss sich erstens um eine modellhafte Gestaltung handeln, durch die zweitens steuerliche Vorteile in Form negativer Einkünfte erzielt werden sollen. Dies ist nach § 15b Abs. 2 S. 2 EStG dann der Fall, wenn dem Steuerpflichtigen aufgrund eines vorgefertigten Konzepts die Möglichkeit geboten werden soll, zumindest in der Anfangsphase der Investition Verluste mit seinen übrigen Einkünften zu verrechnen. § 15b Abs. 3 EStG enthält eine Nichtaufgriffsgrenze. Danach dürfen Verluste aus Steuer92 BFH Großer Senat v. 10.11.1980, BStBl. II 1981, S. 169. 93 Vgl. BT-Drucks. 8/3648, S. 16. 94 Vgl. BFH v. 14.10.2003 - VIII R 32/01, BStBl. II 2004, S. 360; BFH v. 14.10.2003 VIII R 38/02, BStBl. II 2004, S. 117. 95 Vgl. von Beckerath in: Kirchhof, EStG Kompaktkommentar (2006), § 15a EStG, Rn. 11. 96 Vgl. 1. Teil B. I. a) aa) (2) (a). 97 §§ 13 Abs. 7, 18 Abs. 4 S. 2, § 20 Abs. 7 S. 1, 21 Abs. 1 S. 2, 22 Nr. 1 S. 1 EStG.
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stundungsmodellen ausnahmsweise unbeschränkt verrechnet werden, wenn innerhalb der Anfangsphase die prognostizierten Verluste 10 % des vom Investor aufzubringenden Eigenkapitals nicht übersteigen. „Anfangsphase“ ist nach der Gesetzesbegründung der Zeitraum, in dem nach dem Konzept keine nachhaltig positiven Einkünfte erzielt werden.98 Der Abschluss der Investitionsphase ist zur Bestimmung der Anfangsphase ohne Bedeutung.99 Auch wenn § 15b EStG wesentlich präziser gefasst ist als die Vorgängerregelung in § 2b EStG,100 enthält die Vorschrift dennoch eine Fülle unbestimmter Rechtsbegriffe. Zu einer Erhöhung der Rechtssicherheit soll das Anwendungsschreiben des Bundesfinanzministeriums (BMF) zu § 15b EStG vom 17.07.2007101 beitragen. Von einer modellhaften Gestaltung ist danach auszugehen, wenn entweder ein vorgefertigtes Konzept oder gleichgerichtete, im Wesentlichen identische Leistungsbeziehungen vorliegen.102 Ein vorgefertigtes Konzept ist insbesondere auch bei sog. „Blindpools“ anzunehmen, bei denen zum Zeitpunkt des Beitritts der Anleger zu der Gesellschaft das konkrete Investitionsobjekt noch nicht bestimmt ist.103 Liegen sog. gleichgerichtete Leistungsbeziehungen vor, so ist selbst bei Einzelinvestoren außerhalb einer Gesellschaft oder Gemeinschaft von einer modellhaften Gestaltung auszugehen. Dies ist laut dem BMF insbesondere der Fall, wenn gleichartige Verträge mit mehreren identischen Vertragsparteien abgeschlossen werden, z.B. mit derselben Finanzierungsbank, oder wenn der Modellinitiator Nebenleistungen anbietet, für die ein gesondertes Entgelt vereinbart wird und die den sofortabziehbaren Aufwand erhöhen.104 Die Prüfung des § 15b EStG ist bei Gesellschaften und Gemeinschaften anlegerbezogen vorzunehmen.105 Von zentraler Bedeutung für die Anwendung des § 15b EStG ist die Konkretisierung des Begriffs der Einkunftsquelle. Auf der Tatbestandsseite entscheidet die genaue Abgrenzung der Einkunftsquelle darüber, welche Einkünfte bei der Anwendung der Nichtaufgriffsgrenze zu berücksichtigen sind. Auf der Rechtsfolgenseite bestimmt sich danach, welche Einkünfte in den nach § 15b EStG einzurichtenden Sonderverlustverrechnungstopf einzubeziehen sind. Daher widmet sich das BMF-Schreiben zu § 15b EStG ausführ98 99 100 101 102 103 104 105
BT-Drs. 16/107, S. 6 BMF v. 17.07.2007 - IV B 2 - S 2241-b/07/0001, BStBl. I 2007, S. 542 Tz. 15. So auch Brandtner/Lechner/Schmidt, BB 2007, S. 1922. BMF v. 17.07.2007 - IV B 2 - S 2241-b/07/0001, BStBl. I 2007, S. 542. BMF v. 17.07.2007 - IV B 2 - S 2241-b/07/0001, BStBl. I 2007, S. 542 Tz. 8. BMF v. 17.07.2007 - IV B 2 - S 2241-b/07/0001, BStBl. I 2007, S. 542 Tz. 10. BMF v. 17.07.2007 - IV B 2 - S 2241-b/07/0001, BStBl. I 2007, S. 542 Tz. 11. BMF v. 17.07.2007 - IV B 2 - S 2241-b/07/0001, BStBl. I 2007, S. 542 Tz. 6.
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lich dieser Frage. Einkunftsquelle ist danach grundsätzlich die Beteiligung am jeweiligen Steuerstundungsmodell. Bei einer gewerblichen oder gewerblich geprägten Personengesellschaft bildet der Mitunternehmeranteil die Einkunftsquelle.106 Nach Auffassung der Finanzverwaltung erfasst die Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 15b EStG auch Verluste im Bereich des Sonderbetriebsvermögens. Dies soll sogar dann gelten, wenn insofern keine modellhafte Gestaltung vorliegt.107 Auch bei vermögensverwaltenden Personengesellschaften sind die Sondereinnahmen und Sonderwerbungskosten der einzelnen Gesellschafter einzubeziehen. Dies hat zur Konsequenz, dass der Steuerpflichtige innerhalb einer Einkunftsquelle unter Umständen nebeneinander Einkünfte aus verschiedenen Einkunftsarten bezieht.108 Handelt es sich bei dem Steuerstundungsmodell um eine modellhafte Einzelinvestition, stellt die jeweilige Einzelinvestition die Einkunftsquelle dar. Bei der Berechnung der 10-%-Grenze des § 15b Abs. 3 EStG sind die prognostizierten Verluste maßgebend, nicht die letztlich tatsächlich erzielten Verluste. Aufwendungen, die im Zeitpunkt der Prognose nicht vorhersehbar sind, sind nicht in die Berechnung einzubeziehen.109 Da auch das Sonderbetriebsvermögen Teil der Einkunftsquelle ist, sind auch modellhafte Sonderbetriebsausgaben oder Sonderwerbungskosten Teil der prognostizierten Verluste.110 Eine weitere Konsequenz der Einbeziehung des Sonderbetriebsvermögens ist, dass das maßgebende Kapital um Fremdkapital aus einer modellhaften Finanzierung zu kürzen ist. Es ist daher unerheblich, ob die Fremdfinanzierung auf der Ebene der Gesellschaft vorgenommen wird oder der Gesellschafter seine Einlage modellhaft finanziert.111 Eine modellhafte Anteilsfinanzierung wird somit zweimal relevant. Zum einen werden die zugewiesenen Verluste durch die Fremdfinanzierungsaufwendungen erhöht und zum anderen mindert sich das maßgebende Kapital für die Ermittlung der Nichtaufgriffsgrenze.112 Besonders strittig war die Anwendung von § 15b EStG auf mehrstöckige Personengesellschaften. Das BMF-Schreiben stellte klar, dass § 15b EStG auf jede Beteiligungsebene getrennt anzuwenden ist. Ist § 15b EStG bereits auf der Ebene der Untergesellschaften einschlägig, so ist ein Verlustausgleich mit anderen Einkünften auf Ebene der Obergesellschaft nicht mög106 107 108 109 110 111 112
30
BMF v. 17.07.2007 - IV B 2 - S 2241-b/07/0001, BStBl. I 2007, S. 542 Tz. 13. BMF v. 17.07.2007 - IV B 2 - S 2241-b/07/0001, BStBl. I 2007, S. 542 Tz. 19. BMF v. 17.07.2007 - IV B 2 - S 2241-b/07/0001, BStBl. I 2007, S. 542 Tz. 13. BMF v. 17.07.2007 - IV B 2 - S 2241-b/07/0001, BStBl. I 2007, S. 542 Tz. 16. BMF v. 17.07.2007 - IV B 2 - S 2241-b/07/0001, BStBl. I 2007, S. 542 Tz. 18. BMF v. 17.07.2007 - IV B 2 - S 2241-b/07/0001, BStBl. I 2007, S. 542 Tz. 17. Vgl. Brandtner/Lechner/Schmidt, BB 2007, S. 1925.
Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten
lich.113 Die Verluste werden für den Gesellschafter „Obergesellschaft“ gemäß § 15b Abs. 4 EStG festgestellt und von der Obergesellschaft an ihre Gesellschafter weitergereicht. Sonstige Verluste der Obergesellschaft werden aber nicht automatisch infiziert. Allerdings ist auf der Ebene der Obergesellschaft gesondert zu prüfen, ob es sich um ein Steuerstundungsmodell handelt. Bei der Prüfung der Nichtaufgriffsgrenze, § 15b Abs. 3 EStG sind die unter § 15b EStG fallenden Verluste einer Untergesellschaft nicht einzubeziehen. Sofern die Untergesellschaft nicht unter § 15b EStG fällt, wird die Prüfung auf der Ebene der Obergesellschaft auf der Basis der saldierten Einkünfte von Ober- und Untergesellschaft vorgenommen.114 (b) Hintergrund Mit der Einführung von § 15b EStG115 hat der Gesetzgeber ein neues Kapitel im anscheinend endlosen Ringen mit der „Verlustzuweisungsindustrie“ aufgeschlagen.116 Die Notwendigkeit zur Einführung von § 15b EStG ergab sich letztlich daraus, dass seine unmittelbaren Vorgängervorschriften den Praxistest nicht bestanden haben. Im Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002117 waren mit § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG und § 2b EStG gleich zwei im Vorfeld diskutierte Modelle zur Bekämpfung von Verlustzuweisungsgesellschaften realisiert worden.118 Beide Vorschriften waren wegen ihrer Unbestimmtheit und schwerer technischer Mängel aber praktisch nicht vollziehbar.119 Nachdem der Gesetzgeber daraus hinsichtlich § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. bereits
113 BMF v. 17.07.2007 - IV B 2 - S 2241-b/07/0001, BStBl. I 2007, S. 542 Tz. 21. 114 BMF v. 17.07.2007 - IV B 2 - S 2241-b/07/0001, BStBl. I 2007, S. 542 Tz. 21. 115 Durch das Gesetz zur Beschränkung der Verlustverrechnung im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen v. 22.12.2005, BGBl. I 2005, S. 3683. 116 Nach der Gesetzesbegründung soll § 15b EStG einen Anreiz zu mehr Rentabilität setzen und die Förderung volkswirtschaftlich fragwürdiger Steuersparmodelle beenden, vgl. BT-Drs. 16/107, S. 4. 117 Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 v. 24.03.1999, BGBl. I 1999, S. 402. 118 § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. ging auf das sog. „Hamburger Modell“, § 2b EStG a.F. auf das sog. „Nordrhein-Westfälische Modell“ zurück, vgl. Werz, Verlustverrechnungsbeschränkungen im Lichte der Verfassung unter besonderer Berücksichtigung der Verlustregeln des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (2003), S. 76. 119 Vgl. zu § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. BFH v. 06.09.2006 - XI R 26/04, BStBl. II 2007, S. 174; Werz, Verlustverrechnungsbeschränkungen im Lichte der Verfassung unter besonderer Berücksichtigung der Verlustregeln des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (2003), S. 207 und zu § 2b EStG a.F. BFH v. 02.08.2007 - IX B 92/07, BFH/NV 2007, S. 2271; Kohlhaas, DStR 2008, S. 480.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
2003 die Konsequenz der ersatzlosen Streichung gezogen hatte,120 wurde § 2b EStG a.F. ab dem Stichtag 11.11.2005 durch § 15b EStG ersetzt.121 Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll § 15b EStG nun endlich das leisten, woran seine Vorgängervorschriften gescheitert sind: eine wirkungsvolle Einschränkung der Attraktivität sog. Steuerstundungsmodelle.122 bb) Beschränkung der Verlustverrechnung auf eine Einkunftsunterart Verlustverrechnungsbeschränkungen auf eine Einkunftsunterart sind dadurch gekennzeichnet, dass die erfassten Verluste zwar einerseits vom allgemeinen horizontalen Verlustausgleich ausgeschlossen sind, andererseits aber mit positiven Einkünften aus gleichartigen Einkunftsquellen verrechnet werden können. Dies bedeutet, dass jeweils speziell für die Verlustverrechnung eine eigene Einkunftsunterart definiert wird. (1) Verluste aus gewerblicher Tierzucht und Tierhaltung Nach § 15 Abs. 4 S. 1-2 EStG dürfen Verluste aus gewerblicher Tierzucht und Tierhaltung nur mit positiven Einkünften aus gewerblicher Tierzucht oder Tierhaltung ausgeglichen werden. Die Vorschrift wurde bei ihrer Einführung 1971 mit der Notwendigkeit begründet, „die Landwirtschaft“ vor dem Eindringen landwirtschaftsfremder Unternehmer in den Bereich der tierischen Veredelungsproduktion zu schützen.123 Durch die Verlustverrechnungsbeschränkung sollte der Wettbewerbsnachteil ausgeglichen werden, der Vollerwerbslandwirten daraus erwuchs, dass sie Verluste in der Regel nicht mit anderen positiven Einkünften verrechnen konnten.124 Die Vorschrift war somit scheinbar primär (land-)wirtschaftspolitisch motiviert. Faktisch handelt es sich jedoch um den Prototyp der legislativen Bekämpfung von Verlustzuweisungsgesellschaften mittels Verlustverrechnungsbeschränkung und somit um einen Vorläufer der §§ 15a, 2b und 15b EStG. Denn die gewerbliche Tierhaltung war nicht etwa wegen der dort zu erzielenden Renditen für Investoren interessant, sondern wegen der Möglichkeit, hohe Buchverluste für die Verrechnung mit sonstigen positiven Einkünften zu generieren.125 Dieses Modell wurde durch die Bewertungsfreiheit für geringwertige
120 Durch das Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz (Korb II), BGBl. I 2003, S. 2840. 121 BT-Drucks. 16/107, S. 6. 122 BT-Drucks. 16/107, S. 4. 123 BT-Drucks. VI/1934. 124 BT-Drucks. VI/1934. 125 BT-Drucks. VI/1934.
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Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten
Wirtschaftsgüter gemäß § 6 Abs. 2 EStG ermöglicht.126 Da jedes Tier als einzelnes Wirtschaftsgut anzusehen ist, konnte über diese Vorschrift der gesamte Tierbestand sofort abgeschrieben werden. (2) Verluste aus Termingeschäften im Betriebsvermögen (a) Tatbestand Durch § 15 Abs. 4 S. 3 EStG werden Verluste aus Termingeschäften im Betriebsvermögen vom allgemeinen Verlustausgleich und Verlustabzug ausgeschlossen. Entsprechende Verluste können nur mit spiegelbildlichen Gewinnen aus Termingeschäften im Betriebsvermögen verrechnet werden. § 15 Abs. 4 S. 4 EStG macht hiervon zwei Ausnahmen. Vom personalen Anwendungsbereich des § 15 Abs. 4 S. 3 EStG werden Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsinstitute und Finanzunternehmen im Sinne des KWG ausgenommen. Allgemein gilt § 15 Abs. 4 S. 3 EStG nicht für Termingeschäfte, die der Absicherung von Geschäften dienen, die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören. § 15 Abs. 4 S. 5 EStG enthält eine Gegenausnahme zu § 15 Abs. 4 S. 4 EStG für Verluste aus Termingeschäften, die zur Absicherung von Aktiengeschäften dienen. Hier greift wieder das Verlustverrechnungsverbot. (b) Hintergrund Die Verlustverrechnungsbeschränkung für Verluste aus Termingeschäften im Betriebsvermögen wurde durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 eingeführt. Hintergrund war, dass der BFH Termingeschäfte in Gestalt von Differenzgeschäften nicht als private Veräußerungsgeschäfte qualifizierte.127 Diese Besteuerungslücke wurde mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 durch § 23 Abs. 1 Nr. 4 EStG a.F.128 geschlossen. Flankierend dazu wurde § 15 Abs. 4 S. 3 EStG eingeführt, um zu verhindern, dass die Verlustverrechnungsbeschränkung des § 23 Abs. 3 S. 8-9 EStG a.F. dadurch umgangen werden konnte, dass die Termingeschäfte dem gewillkürten Betriebsvermögen zugeordnet wurden.129 Entsprechend dieses 126 Vgl. Verführt, Verlustausgleichsverbote im Einkommensteuerrecht (2002), S. 174; Werz, Verlustverrechnungsbeschränkungen im Lichte der Verfassung unter besonderer Berücksichtigung der Verlustregeln des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (2003), S. 56. 127 Vgl. BFH v. 08.12.1981 - VIII R 125/79, BStBl. II 1982, S. 618. 128 Durch die Unternehmensteuerreform 2008 wurden die Gewinne aus Termingeschäften in die Einkünfte aus Kapitalvermögen einbezogen, weshalb sich die Regelung mittlerweile in § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 EStG befindet. 129 BT-Drs. 14/23, S. 178; BT-Dr. 14/443, S. 27. Vgl. dazu auch Glaser, SteuStud 2001, S. 582.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
Regelungszweckes soll durch die Ausnahmeregelung in § 15 Abs. 4 S. 4 EStG sichergestellt werden, dass Verluste aus Termingeschäften, die dem notwendigen Betriebsvermögen zuzuordnen sind, nicht erfasst werden. Dies gilt zum einen für Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute sowie Finanzunternehmen. Für diese Unternehmen sind Termingeschäfte per Definition Teil des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs. Es muss sich nicht um die Haupttätigkeit der betreffenden Unternehmen handeln.130 Für sonstige Unternehmen gilt dies hingegen nur für sog. Hedgegeschäfte, mit denen die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehörenden Geschäfte abgesichert werden. Der Grund für die Gegenausnahme in § 15 Abs. 4 S. 5 EStG für Verluste aus der Absicherung von Aktiengeschäften ist, dass Gewinne aus solchen Geschäften im Betriebsvermögen von Einzel- und Personenunternehmen zu 40 %131 und im Betriebsvermögen von Kapitalgesellschaften zu 95 %132 steuerbefreit sind. Diesen Umstand hat der Gesetzgeber zum Anlass genommen, um den Verlustausgleich bei Geschäften zur Absicherung von Aktiengeschäften komplett zu untersagen.133 (3) Vermögensverluste bei Kapitalgesellschaftsanteilen im Privatvermögen Die Behandlung von Veräußerungs- und sonstigen Vermögensverlusten bei Kapitalgesellschaftsanteilen im Privatvermögen wird seit der Unternehmensteuerreform 2008 durch ein kompliziertes Zusammenspiel der §§ 17 Abs. 2 S. 6 und 20 Abs. 6 EStG bestimmt. (a) Tatbestand Durch § 17 Abs. 1 S. 1 EStG werden Veräußerungsgewinne aus Anteilen an Kapitalgesellschaften im Privatvermögen zu Einkünften aus Gewerbebetrieb umqualifiziert, sofern der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft zu mindestens 1 % beteiligt war. Umgekehrt folgt daraus, dass grundsätzlich auch Veräußerungsverluste steuerverstrickt sind, sofern zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung eine entsprechende Beteiligung bestanden hat. Hier greift jedoch § 17 Abs. 2 S. 6 EStG beschränkend ein. Nach dieser Vorschrift dürfen Veräußerungsverluste nur dann in den horizontalen Verlustausgleich der gewerblichen Einkünfte einbezogen werden, wenn sie auf Anteile entfallen:
130 131 132 133
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Vgl. Reiß in: Kirchhof, EStG Kompaktkommentar (2008), § 15 Rn. 610. § 3 Nr. 40 S. 1 lit. a oder b EStG. § 8b Abs. 2 i.V.m. § 8b Abs. 3 KStG. Vgl. Reiß in: Kirchhof, EStG Kompaktkommentar (2008), § 15 Rn. 611.
Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten
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die entgeltlich erworben wurden und während der gesamten fünf Jahre vor dem Veräußerungszeitpunkt zu einer mindestens einprozentigen Beteiligung gehört haben, § 17 Abs. 2 S. 6 lit. b S. 1 EStG,
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durch deren entgeltlichen Erwerb eine mehr als einprozentige Beteiligung begründet wurde134 oder die nach der Begründung einer mehr als einprozentige Beteiligung entgeltlich erworben wurden, § 17 Abs. 2 S. 6 lit. b S. 2 EStG,
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die mehr als fünf Jahre vor der Veräußerung unentgeltlich erworben wurden, § 17 Abs. 2 S. 6 lit. a S. 1 EStG,
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innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung135 unentgeltlich erworben wurden, sofern der Rechtsvorgänger im Zeitpunkt der Veräußerung den Veräußerungsverlust hätte geltend machen können.
Gemäß § 17 Abs. 4 S. 1 EStG gilt als Veräußerung auch die Auflösung einer Kapitalgesellschaft sowie eine Kapitalherabsetzung. Einkünfte nach § 17 EStG unterliegen dem Teileinkünfteverfahren. Dies bedeutet, dass gemäß § 3 Nr. 40 lit. c EStG der Veräußerungspreis und gemäß § 3c Abs. 2 S. 1 EStG die Anschaffungs- und Veräußerungskosten nur zu 60 % berücksichtigt werden. Die Bezeichnung Teileinkünfteverfahren ist daher im Grunde nicht ganz zutreffend. Faktisch handelt es sich um ein kombiniertes Teileinnahmen- und Teilausgabenverfahren.136 Im Ergebnis kann somit – zumindest nach dem Gesetzeswortlaut – ein Veräußerungsverlust, dessen Abzug nicht an § 17 Abs. 2 S. 6 EStG scheitert, nur in Höhe von 60 % mit anderen positiven Einkünften verrechnet werden.137
134 Nach der Rechtsprechung des BFH sind auch Anteile erfasst, durch deren Erwerb von vornherein eine qualifizierte Beteiligung begründert wird. Es ist also nicht erforderlich, dass zunächst eine unwesentliche Beteiligung besteht, die durch den Erwerb weiterer Anteile über die Schwelle von 1 % gehoben wird. Hat ein Steuerpflichtiger von vornherein eine Beteiligung von mindestens 1 % erworben, so kann er einen Veräußerungsverlust daher selbst dann geltend machen, wenn die Beteiligung im Zeitpunkt der Anteilsveräußerung wieder unter 1 % gesunken ist. Vgl. BFH v. 01.04.2009 - IX R 31/08, DStR 2009, S. 1580. 135 Vgl. Gosch in: Kirchhof, EStG Kompaktkommentar (2008), §17 Rn. 262. 136 Vgl. Intemann in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 3 Nr. 40 EStG, Rn. 12. 137 Vgl. Forst/Frings, ESTB 2004, S. 260; Weber-Grellet in: Schmidt, EStG (2009), § 17 Rn. 197.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata Beispiel: A erwirbt in 01 0,5 % der Anteile an der B-AG für 200.000 €. In 02 erwirbt er weitere 0,5 % zum Preis von 100.000 €. In 03 wird die B-AG insolvent und wird aufgelöst. A erleidet einen Totalverlust. Die Auflösung einer Kapitalgesellschaft steht gemäß § 17 Abs. 4 S. 1 EStG der Veräußerung der Anteile gleich. Insgesamt erleidet A einen Verlust von 300.000 €, wovon 200.000 € auf die in 01 und 100.000 € auf die in 02 erworbenen Anteile entfallen. Da A nicht während der gesamten 5 Jahre vor der Auflösung der B-AG an dieser zu mindestens 1 % beteiligt war, kann er den Verlust, der auf die in 01 erworbenen Anteile entfällt, gemäß § 17 Abs. 2 S. 6 lit. b S. 1 EStG nicht geltend machen. Hingegen ist gemäß § 17 Abs. 2 S. 6 lit. b S. 2 EStG der Verlust, der auf die in 02 erworbenen Anteile entfällt, zu berücksichtigen, da der Erwerb dieser Anteile zur Begründung einer Beteiligung von 1 % geführt hatte. Gemäß § 3c Abs. 2 S. 1 EStG sind jedoch nur 60 % der Anschaffungskosten von 100.000 € zu berücksichtigen. Somit ist A ein ausgleichsfähiger Verlust i.H.v. 60.000 € entstanden.
In der Literatur werden im Hinblick auf § 3c Abs. 2 EStG schwere systematische und verfassungsrechtliche Bedenken geäußert.138 Diese lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Dass nach § 3 Nr. 40 lit. c EStG 40 % der Dividenden sowie der Veräußerungsgewinne aus Kapitalgesellschaftsanteilen139 steuerfrei gestellt werden, ist keine Steuerbegünstigung. Vielmehr soll dadurch der Vorbelastung der Erträge mit Körperschaftsteuer Rechnung getragen und in der Zusammenschau von Kapitalgesellschaft und Anteilseigner eine Einmalbelastung hergestellt werden.140 Die von § 3c Abs. 2 S. 1 EStG erfassten Aufwendungen stehen daher bei wirtschaftlicher Betrachtung gar nicht mit anteilig steuerfreien Einnahmen in Zusammenhang, weshalb sie in voller Höhe zum Abzug zuzulassen seien.141 Der BFH hat sich dieser Kritik jedoch nicht angeschlossen und § 3c Abs. 2 EStG sowohl als system- als auch als verfassungskonform angesehen.142 Dies soll nach Ansicht des BFH insbesondere für die nur anteilige Berücksichtigung eines Veräußerungsverlustes gelten.143 Das FG Düsseldorf kam in dieser Frage zu einer gegenteili138 Vgl. Intemann in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 3 Nr. 40 EStG, Rn. 13; von Beckerath in: Kirchhof, EStG Kompaktkommentar (2008), § 3c Rn. 2, m.w.N. 139 Die Gleichstellung von Veräußerungsgewinnen mit Dividenden wird damit begründet, dass im Veräußerungsgewinn einer natürlichen Person die bei der Kapitalgesellschaft mit 25 % versteuerten offenen Rücklagen und die von ihr künftig mit 25 % zu versteuernden stillen Reserven im Veräußerungsgewinn enthalten seien, vgl. BT-Drs 14/2683, S. 96. 140 Vgl. BT-Drs. 14/2683, S. 94. 141 Vgl. Intemann in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 3 Nr. 40 EStG, Rn. 13. 142 BFH v. 27.10.2005 - IX R 15/05, BStBl. II 2006, S. 171; BFH v. 19.06.2007 - VIII R 69/05, BStBl. II 2008, S. 551; BFH v. 16.10.2007 - VIII R 51/06. 143 BFH v. 19.06.2007 - VIII R 69/05, BStBl. II 2008, S. 551.
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Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten
gen Bewertung und ging davon aus, dass die Anwendung von § 3c Abs. 2 S. 1 EStG auf Veräußerungs- und Aufgabeverluste gegen das Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und das Gebot der Folgerichtigkeit verstoße.144 Da gegen § 3c Abs. 2 EStG zwei Verfassungsbeschwerden anhängig sind,145 wird erst die Entscheidung des BVerfG in dieser Frage letzte Klarheit bringen. Zumindest für den Fall, dass der Steuerpflichtige keinerlei durch die Beteiligung vermittelte Einnahmen erzielt hat, lehnt auch der BFH eine Anwendung des § 3c Abs. 2 S. 1 EStG ab. Zur Begründung verweist der BFH darauf, dass die Vorschrift einen Zusammenhang von Aufwendungen mit nach § 3 Nr. 40 lit. c EStG anteilig steuerfreien Einnahmen voraussetze. Fließen keine Einnahmen zu, komme § 3c Abs. 2 S. 1 EStG nicht zur Anwendung, so dass der Erwerbsaufwand in vollem Umfang abziehbar sei.146 Sofern Kapitalgesellschaftsanteile im Privatvermögen nicht zu einer Beteiligung im Sinne des § 17 Abs. 1 S. 1 EStG gehörten, konnten Veräußerungsgewinne außerhalb der Fristen nach § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG a.F. bis einschließlich zum 31.12.2008 steuerfrei vereinnahmt werden. Ab dem Veranlagungszeitraum 2009 sind derartige Gewinne jedoch gemäß § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG unabhängig von ihrer Haltedauer als Einkünfte aus Kapitalvermögen steuerbar. Entsprechend sind Vermögensverluste im Zusammenhang mit diesen Anteilen bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen. Zwar fehlt eine § 17 Abs. 4 S. 1 EStG entsprechende Vorschrift, durch die klargestellt würde, dass auch der Kapitalverlust im Fall der Auflösung einer Kapitalgesellschaft erfasst ist. Allerdings hat der Gesetzgeber in § 20 Abs. 2 S. 2 EStG den Veräußerungsbegriff auf wirtschaftlich gleichwertige Vorgänge erstreckt. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll dadurch eine vollständige steuerliche Erfassung aller Wertzuwächse im Zusammenhang mit Kapitalanlagen erreicht werden.147 Nach der allgemeinen Systematik des EStG sind damit auch alle Vermögensverluste steuerver144 FG Düsseldorf v. 10.05.2007 - 11 K 2363/05 E, EFG 2007, S. 1241. Genau genommen muss dann, wenn der Veräußerungs- oder Liquidationserlös nicht Null beträgt, auch § 3 Nr. 40 lit. c EStG unangewendet bleiben. 145 2 BvR 2221/07 und 2 BvR 2659/07. 146 BFH v. 25.06.2009 - IX R 42/08, DStR 2009, S. 1845. Die Argumentation mit dem Wortlaut des § 3 Abs. 2 EStG ist nicht überzeugend, da dann auch ein minialer Veräußerungserlös eine nur anteilige Berücksichtigung des Veräußerungsverlusts nach sich zöge. Soweit der BFH darüber hinaus auf den telos von § 3 Abs. 2 EStG abstellt, eine Doppelbegünstigung durch das Teileinkünfteverfahren zu verhindern, dürfte die Abzugsbeschränkung des § 3c Abs. 2 EStG konsequenterweise generell dann nicht mehr angewendet werden, wenn die Aufwendungen die Einnahmen aus der Beteiligung übersteigen. Vgl. zu der Problematik auch Naujok, BB 2009, 2128 ff. 147 BT-Drs. 16/4841, S. 56.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
strickt. Verluste aus Kapitalvermögen dürfen gemäß § 20 Abs. 6 S. 2 EStG generell nicht mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden. Insofern handelt es sich um eine Einschränkung des vertikalen Verlustausgleichs. Speziell für Verluste aus der Veräußerung von Aktien wird innerhalb der Einkünfte aus Kapitalvermögen nochmals ein besonderer Verlustverrechnungskreis geschaffen. Sie dürfen gemäß § 20 Abs. 6 S. 5 EStG nur mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien verrechnet werden. Bei dieser Verlustverrechnungsbeschränkung handelt es sich insofern um eine Besonderheit, als eine horizontale Verlustverrechnungsbeschränkung auf eine Einkunftsunterart in eine Einschränkung des vertikalen Verlustausgleichs eingebaut wurde. (b) Hintergrund § 17 Abs. 2 S. 6 EStG war ursprünglich eine durch den Dualismus der Einkunftsarten motivierte Missbrauchsvermeidungsvorschrift.148 Bis zur Unternehmensteuerreform 2008 waren bei den Einkünften aus Kapitalvermögen Wertveränderungen am Vermögensstamm steuerlich grundsätzlich unbeachtlich. Gewinne aus der Veräußerung von Wertpapieren konnten außerhalb der einjährigen „Spekulationsfrist“ des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG und außerhalb des Anwendungsbereichs von § 17 EStG steuerfrei vereinnahmt werden. Diesen Grundsatz konsequent durchzuhalten, hätte jedoch eine Ungleichbehandlung von Einzel-/Mitunternehmern und Anteilseignern einer Kapitalgesellschaft im Hinblick auf die stillen Reserven bedeutet. Während bei ersteren die stillen Reserven bei Betriebsveräußerung bzw. –aufgabe grundsätzlich voll steuerpflichtig sind,149 hätten letztere die in den Kapitalgesellschaftsanteilen enthaltenen stillen Reserven steuerfrei vereinnahmen können. Wegen der Vergleichbarkeit zu Mitunternehmeranteilen wurden daher durch § 17 EStG ursprünglich Veräußerungsgewinne bei wesentlicher Beteiligung zu Einkünften aus Gewerbebetrieb umqualifiziert. Nachdem die Beteiligungsgrenze durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 bereits von 25 % bis auf 10 % gesenkt worden war, wurde das Konzept der wesentlichen Beteiligung kurz darauf endgültig aufgegeben und die Beteiligungsgrenze durch das Steuersenkungsgesetz 2000150 auf 1 % gesenkt.
148 Vgl. Werz, Verlustverrechnungsbeschränkungen im Lichte der Verfassung unter besonderer Berücksichtigung der Verlustregeln des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (2003), S. 242 f. 149 Abgesehen von dem Freibetrag gemäß § 16 Abs. 4 und den Tarifvergünstigungen gemäß § 34 Abs. 1 und 3 EStG. 150 Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung v. 23.10.2000, BGBl. I 2000, S. 1433.
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Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten
Die Beteiligungsgrenze des § 17 EStG war somit bis zur Unternehmensteuerreform 2008 die Trennlinie zwischen Steuerfreiheit und – wenn auch nur anteiliger151 – Steuerpflicht. Kehrseite der Steuerverhaftung von Veräußerungsgewinnen nach § 17 Abs. 1 S. 1 EStG war die steuerliche Beachtlichkeit entsprechender Veräußerungsverluste. Dagegen sind Verluste steuerlich unbeachtlich, wenn spiegelbildliche Gewinne nicht steuerbar sind. Das ist keine Verlustverrechnungsbeschränkung, sondern dem System der Ertragsbesteuerung immanent.152 § 17 Abs. 2 S. 6 EStG geht jedoch darüber hinaus und schließt auch solche Verluste von der Verrechnung aus, die nach den Grundsätzen des § 17 Abs. 1 S. 1 EStG steuerverstrickt sind. Die Vorschrift soll verhindern, dass zuvor nicht steuerverhaftete Verluste gezielt in den steuerlich relevanten Bereich verlagert werden können.153 Durch § 17 Abs. 2 S. 6 lit. a EStG wird ausgeschlossen, dass ein Verlustabzug dadurch erreicht werden kann, dass ein nicht wesentlich Beteiligter seine Beteiligung einem wesentlich Beteiligten schenkt. Noch naheliegender ist es, bei Wertminderungen in einer nicht steuerverstrickten Beteiligung diese durch den Hinzuerwerb von Anteilen kurzfristig über die Schwelle des § 17 Abs. 1 S. 1 EStG zu heben und anschließend zu veräußern. Diese Gestaltung wird durch § 17 Abs. 2 S. 6 lit. b EStG unmöglich gemacht, der nur den Abzug aus dem Verlust der hinzuerworbenen Anteile erlaubt.154 Infolge der Unternehmensteuerreform 2008 sind seit dem 01.01.2009 positive und negative Wertänderungen am Kapitalstamm generell steuerverhaftet. Nach dem ursprünglichen Gesetzentwurf zur Unternehmensteuerreform 2008 konnten dementsprechend Verluste aus der Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen unbeschränkt mit sonstigen Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden. Erst sehr spät im Gesetzgebungsverfahren wurde mit dem Hinweis auf die fiskalischen Gefahren eines „Kurssturzes der Börse“ innerhalb des besonderen Verlustverrechnungskreises „Einkünfte aus Kapitalvermögen“ ein weiterer besonderer Verlustverrechnungskreis „Einkünfte aus der Veräußerung von Aktien“ geschaffen.155 Auffällig und widersprüchlich ist, dass nur Verluste aus der Veräußerung von Aktien einer Sonderbehandlung unterzogen werden. Demgegenüber können Verluste aus der Veräußerung von GmbH-Anteilen, Hochrisikoanleihen oder aus Optionsscheinen unbeschränkt mit sonstigen Kapitaleinkünften verrechnet werden. 151 152 153 154
§ 3 Nr. 40 lit. c EStG. Vgl. 1. Teil A. I. 2. Vgl. BT-Drs. 14/23, S. 179. Vgl. Eilers/R. Schmidt in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 17 EStG Rn. 240 f. 155 Vgl. BT-Drs. 16/5491, S. 19.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
Nach der Einbeziehung von Wertveränderungen am Vermögensstamm in die Einkünfte aus Kapitalvermögen bildet die Beteiligungsgrenze des § 17 Abs. 1 EStG nicht mehr die Trennlinie zwischen Steuerbarkeit und Nichtsteuerbarkeit. Relevant ist die Beteiligungsgrenze nur noch für die Frage, ob ein Veräußerungsgewinn zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb oder aus Kapitalvermögen zählt und dementsprechend nach dem Teileinkünfteverfahren zu versteuern ist oder der Abgeltungsteuer unterliegt. Daher ist die Rechtsfolge der völligen Unbeachtlichkeit des Veräußerungsverlustes gemäß § 17 Abs. 2 S. 6 EStG nicht mehr gerechtfertigt.156 Verluste, die nach § 17 Abs. 2 S. 6 EStG nicht berücksichtigt werden können, müssen zumindest im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen verrechnet werden können.157 Dem könnte entgegenstehen, dass § 20 Abs. 8 EStG die Subsidiarität der Einkünfte aus Kapitalvermögen gegenüber den Einkünften aus Gewerbebetrieb anordnet. Aus systematischen Gründen ist § 20 Abs. 8 EStG jedoch so auszulegen, dass Verluste aus der Veräußerung von Anteilen, die zwar die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 S. 1 EStG, nicht aber des § 17 Abs. 2 S. 6 EStG erfüllen, nicht zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb zählen. Denn würde die Beteiligung nicht die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 EStG erfüllen, so könnte der Verlust gemäß § 20 Abs. 6 EStG mit anderen Einkünften aus Kapitalvermögen ausgeglichen werden. Beispiel: A erwirbt in 01 für 1.050.000 € Anteile der B-AG, die 0,5 % des Kapitals entsprechen. Aufgrund eines ungünstigen Geschäftsverlaufs bei der B-AG sinkt der Wert der Anteile um 50 %. Da A an eine Erholung glaubt, stockt er seinen Anteil in 02 für 550.000 € auf 1 % auf. Da sich die Lage der B-AG jedoch weiter verschlechtert, verkauft er sein gesamtes Aktienpaket schließlich in 03 für 100.000 €. A hat einen Verlust aus der Veräußerung einer Beteiligung i.S.v. § 17 Abs. 1 S. 1 EStG i.H.v. 1.500.000 € erlitten. Ohne § 17 Abs. 2 S. 6 EStG könnte er diesen Verlust i.H.v. 900.000 € (§§ 3 Nr. 40 lit. c, 3c Abs. 2 S. 1 EStG) mit sonstigen positiven Einkünften verrechnen. Dies scheitert vorliegend allerdings hinsichtlich der in 01 erworbenen Anteile daran, dass sie nicht während der gesamten vergangenen fünf Jahre zu einer Beteiligung i.S.v. § 17 Abs. 1 S. 1 EStG gehört haben, § 17 Abs. 2 S. 6 lit. b S. 2 EStG. Nur der Verlust aus der Veräußerung der in 02 hinzu erworbenen Anteile i.H.v. 300.000 € (60 % von 50.000 €, § 3 Nr. 40 lit. c EStG, abzüglich 60 % von 550.000 €, § 3c Abs. 2 S. 1 EStG) kann geltend gemacht werden. Den Verlust aus der Veräußerung der in 01 erworbenen Aktien i.H.v. 1.000.000 € (50.000 € ./. 1.050.000 €) kann A jedoch zumindest ge156 So auch Dinkelbach, DB 2009, S. 874. 157 Der Wortlaut der Vorschrift steht dem nicht entgegen. Die Formulierung in § 17 Abs. 2. S. 6 EStG, wonach ein Veräußerungsverlust unter bestimmten Bedingungen nicht zu berücksichtigen ist, kann durchaus dahingehend ausgelegt werden, dass nur eine Berücksichtigung im Rahmen von § 17 EStG ausgeschlossen ist. Vgl. in diesem Sinne auch Dinkelbach, DB 2009, S. 874.
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Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten mäß § 20 Abs. 6 S. 5 EStG mit späteren Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien, die nicht § 17 EStG unterfallen, verrechnen. Diese Möglichkeit hätte auch bestanden, wenn die Beteiligung des A nie die Schwelle von 1 % erreicht hätte. Es ist daher nicht ersichtlich, warum die Verlustverrechnung infolge des Hinzuerwerbs in 02 versagt werden sollte. Eine Missbrauchsgefahr besteht nicht.
Überblicksartig zusammengefasst stellt sich die Behandlung von Vermögensverlusten bei Anteilen an Kapitalgesellschaften nach der Unternehmensteuerreform 2008 folgendermaßen dar: Behandlung von Vermögensverlusten bei Kapitalgesellschaftsanteilen im Privatvermögen
§ 17 Abs. 1 S. 1 EStG (+)
§ 17 Abs. 2 S. 6 EStG (+)
§ 17 Abs. 1 S. 1 EStG (-)
§ 17 Abs. 2 S. 6 EStG (-)
Negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb
Verlust unbeschränkt ausgleichbar; Teileinkünfteverfahren, §§ 3 Nr. 40 lit. c, 3 Abs. 2
Abbildung 8
Negative Kapitaleinkünfte
Anteile sind Aktien
Anteile sind keine Aktien
Verrechnung nur mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien, § 20 Abs. 6 S. 5 EStG
Verrechnung nur mit positiven Einkünften aus Kapitalvermögen, § 20 Abs. 6 S. 2 und 3 EStG
Behandlung von Vermögensverlusten bei Kapitalgesellschaftsanteilen im Privatvermögen
Oberhalb der Beteiligungsgrenze von § 17 Abs. 1 S. 1 EStG sind Verluste aus Anteilen, die die Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 S. 6 EStG erfüllen, nach dem Teileinkünfteverfahren, §§ 3 Nr. 40 lit. c, 3 Abs. 2 S. 1 EStG zu ermitteln. Sie nehmen uneingeschränkt am horizontalen und vertikalen Verlustausgleich teil. Bei Anteilen, die nicht von § 17 Abs. 1 S. 1 EStG erfasst sind bzw. nicht die Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 S. 6 EStG erfüllen, muss unterschieden werden. Handelt es sich bei der Kapitalgesellschaft um 41
Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
eine Aktiengesellschaft, so kann der Verlust nur mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien verrechnet werden, § 20 Abs. 6 S. 5 EStG. Handelt es sich um eine GmbH, können die Verluste hingegen mit sämtlichen Einkünften aus Kapitalvermögen ausgeglichen werden, § 20 Abs. 6 S. 2 EStG, nicht hingegen mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten. (4) Verluste aus gelegentlicher Leistung Durch § 22 Nr. 3 S. 3 EStG werden Verluste aus gelegentlicher Leistung von der intraperiodischen Verlustverrechnung ausgeschlossen. Sie können gemäß § 22 Nr. 3 S. 4 EStG lediglich interperiodisch mit Gewinnen aus der gleichen Einkunftsunterart verrechnet werden. Die Regelung wurde erst durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 in das EStG aufgenommen. Vorher war seit 1934 jegliche überperiodische Verlustverrechnung bei Verlusten aus sonstiger Leistung ausgeschlossen gewesen, und zwar ohne dass dies vom Gesetzgeber jemals in irgendeiner Form begründet oder hinterfragt worden wäre.158 Diese Rechtslage ist vom BVerfG mit Beschluss vom 30.09.1998 für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt worden.159 Daraufhin hat der Gesetzgeber die Möglichkeit einer interperiodischen Verrechnung der Verluste aus gelegentlicher Leistung geschaffen. Eine Begründung für die fortbestehende Beschränkung der intraperiodischen Verlustverrechnung ist er aber wiederum schuldig geblieben. Stattdessen findet sich in der Gesetzesbegründung lediglich ein knapper Verweis auf die Entscheidung des BVerfG.160 Allerdings hatte das BVerfG selbst in seiner Entscheidung vom 30.09.1998 auf die Möglichkeit einer Beschränkung der Verrechnung von Verlusten aus gelegentlicher Leistung mit Gewinnen aus gelegentlicher Leistung hingewiesen und dies mit der tatbestandsmäßigen Unbestimmtheit des § 22 Nr. 3 EStG begründet.161 Nach Ansicht des BVerfG ergibt sich daraus nicht die Verpflichtung des Gesetzgebers, den Tatbestand präziser zu fassen. Vielmehr sei der Gesetzgeber im Gegenteil berechtigt, die Unschärfe der Vorschrift typisierend durch eine Begrenzung der Verlustverrechnung zu kompensieren, um nicht auf Überschüsse angelegte Tätigkeiten verlässlich vom Tatbestand auszunehmen.162
158 159 160 161 162
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Vgl. dazu BVerfG v. 30.09.1998 - 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, S. 97 f. BVerfG v. 30.09.1998 - 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, S. 97. Vgl. BT-Drs. 14/265, S. 180. BVerfG v. 30.09.1998 - 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, S. 99. BVerfG v. 30.09.1998 - 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, S. 99.
Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten
Geht man davon aus, dass sich der Gesetzgeber bei der Neugestaltung der Verlustverrechnungsbeschränkung diesen Begründungsansatz des BVerfG zu Eigen machen wollte, so ist die Verlustverrechnungsbeschränkung für Verluste aus gelegentlicher Leistung als Missbrauchsvermeidungsvorschrift zu qualifizieren. Zweck der Vorschrift ist es demnach, die Verlagerung von nicht steuerbaren Verlusten in den steuerbaren Bereich zu verhindern. (5) Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften im Sinne des § 23 Abs. 1 EStG werden durch § 23 Abs. 3 S. 7 EStG vom Verlustausgleich mit anderen Einkünften ausgeschlossen. Sie können gemäß § 23 Abs. 3 S. 7 und 8 EStG intra- und interperiodisch nur mit Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften verrechnet werden. Die Möglichkeit zum Verlustvortrag wurde wie bei den Verlusten aus gelegentlicher Leistung erst aufgrund der Entscheidung des BVerfG vom 30.09.1998163 durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 geschaffen.164 Durch § 23 Abs. 3 EStG sollen Manipulationsmöglichkeiten begrenzt werden, die sich aus der Eigenart des Steuertatbestandes der privaten Veräußerungsgeschäfte ergeben.165 Bis zur Unternehmensteuerreform 2008 waren bei den Überschusseinkünften Wertänderungen am Vermögensstamm – sowohl positive als auch negative – grundsätzlich steuerlich unbeachtlich. Nur bei innerhalb der Fristen des § 23 Abs. 1 EStG getätigten privaten Veräußerungsgeschäften und im Rahmen von § 17 EStG waren sie ausnahmsweise steuerbar und steuerpflichtig. Angesichts der Einbeziehung der Gewinne aus der Veräußerung von Wertpapieren in die Einkünfte aus Kapitalvermögen, § 20 Abs. 2 EStG, kann von einem solchen Grundsatz nicht mehr gesprochen werden.166 Private Veräußerungsgeschäfte im Sinne des § 23 Abs. 1 sind nunmehr nur noch Grundstücksgeschäfte und Geschäfte mit sonstigen beweglichen Wirtschaftsgütern außer Finanzinstrumenten. Da die Steuerbarkeit von privaten Veräußerungsgeschäften durch den Fristablauf bestimmt wird, kann der Steuerpflichtige – durch die Steuerung des Veräußerungszeitpunktes – Gewinne steuerfrei vereinnahmen und Verluste in den steuerverhafteten Bereich verlagern. Um derartigen Strategien entgegenzuwirken, hat der Gesetzgeber Verluste aus priva-
163 164 165 166
BVerfG v. 30.09.1998 - 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, S. 88. BT-Drs. 14/23, S. 180. Vgl. Haarmann, Stbg 2001, S. 152. Vielmehr bildet die Steuerfreiheit des „Vermögensstamms“ bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung mittlerweile die Ausnahme. Gleichsinnig auch Ratschow in: Blümich, EStG, § 2 Rn. 4. Bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit ist dieser Aspekt naturgemäß kaum relevant..
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ten Veräußerungsgeschäften vom horizontalen Verlustausgleich ausgeschlossen.167 cc) Beschränkung der Verlustverrechnung auf eine Schedule Mit der Einführung der Abgeltungsteuer werden Kapitaleinkünfte in einer eigenen Schedule zusammengefasst und neben den sonstigen Einkünften nach eigenen Regeln versteuert. In der Konsequenz des Schedulenkonzepts liegt eine doppelte Einschränkung der Verlustverrechnung. Zum einen können gemäß § 20 Abs. 6 EStG negative Kapitaleinkünfte nicht mit positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten verrechnet werden. Zum anderen werden positive Kapitaleinkünfte, die der Abgeltungsteuer unterlegen haben, vom vertikalen Verlustausgleich mit negativen Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeschlossen. (1) Tatbestand Gemäß § 20 Abs. 6 S. 2 EStG dürfen Verluste aus Kapitalvermögen intraperiodisch nicht mit positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten verrechnet werden.168 Umgekehrt können Verluste aus anderen Einkunftsarten nicht mit positiven Kapitaleinkünften verrechnet werden, die der Abgeltungsteuer unterlegen haben. Dies ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Gesetz. Nach § 2 Abs. 2, 3 EStG nehmen Einkünfte aus Kapitalvermögen grundsätzlich weiterhin am Verlustausgleich teil.169 Der Ausschluss positiver Kapital-
167 Vgl. BFH v. 18.10.2006 - IX R 28/05, BB 2007, S. 142; Haarmann, Stbg 2001, S. 152; Englisch, StuW 2007, S. 236. 168 Eine weitere faktische Erschwerung der Verlustnutzung ergibt sich aus steuertechnischen Gründen aus der Erhebung der Kapitalertragsteuer. Grundsätzlich haben die Kreditinstitute bei der Einbehaltung der Kapitalertragsteuer negative Einkünfte des Steuerpflichtigen steuermindernd zu berücksichtigen. Da ein Kreditinstitut nicht die Verluste kennt, die ein Steuerpflichtiger bei einem anderen Kreditinstitut erlitten hat, erfolgt die Verlustverrechnung jeweils nur institutsbezogen. Hierfür hat gemäß § 43a Abs. 3 S. 2 und 3 EStG jede auszahlende Stelle einen gesonderten Verlustverrechnungstopf zu führen. Um einen vollständigen Verlustausgleich zu erreichen, muss sich der Steuerpflichtige von der jeweiligen auszahlenden Stelle gemäß § 43a Abs. 3 S. 4 EStG eine Bescheinigung über die negativen Kapitalerträge erteilen lassen und eine Antragsveranlagung nach § 32d Abs. 4 EStG anstrengen. 169 Durch § 2 Abs. 5b S. 1 EStG werden zwar Kapitaleinkünfte, die der Abgeltungsteuer unterlegen haben, aus der Summe der Einkünfte ausgegrenzt. Dies bezieht sich aber nur auf Rechtsnormen, die an die in § 2 Abs. 1 bis 5 EStG genannten Begriffe, unter anderem die Summe der Einkünfte, anknüpfen. Die intraperiodische Verlustverrechnung ist aber gerade ein Schritt auf dem Weg zur Ermittlung der Summe der Einkünfte nach § 2 Abs. 3 EStG und knüpft nicht hieran an. Anders als für Verluste aus Kapi-
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Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten
einkünfte von der Verrechnung mit sonstigen Verlusten folgt jedoch schlicht daraus, dass Kapitalerträge, die mit abgeltender Wirkung der Kapitalertragsteuer unterlegen haben, § 43 Abs. 5 EStG, grundsätzlich nicht in die Veranlagung einbezogen werden. Gemäß § 32d Abs. 3 S. 1 EStG muss der Steuerpflichtige in seiner Einkommensteuererklärung nur Kapitalerträge angeben, die nicht der Kapitalertragsteuer unterlegen haben. Allerdings kann der Steuerpflichtige gemäß § 32d Abs. 6 EStG eine Einbeziehung seiner positiven Einkünfte aus Kapitalvermögen in die allgemeine Veranlagung und somit auch in den vertikalen Verlustausgleich erreichen.170 Im Rahmen der sog. „Günstigerprüfung“ werden Einkünfte aus Kapitalvermögen den Einkünften i.S.v. § 2 hinzugerechnet und der tariflichen Einkommensteuer unterworfen, wenn dies zu einer niedrigeren Einkommensteuer führt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Einkünfte i.S.v. § 2 negativ sind und folglich in Höhe der Verlustverrechnung die Abgeltungsteuer auf die Kapitalerträge komplett entfällt. (2) Hintergrund Die Verlustverrechnungsbeschränkung für Verluste aus Kapitalvermögen ist ein Reflex der mit dem Unternehmensteuerreform 2008 eingeführten Abgeltungsteuer. Einkünfte aus Kapitalvermögen unterliegen ab dem Veranlagungszeitraum 2009 einem proportionalen Tarif von 25 %, § 32d Abs. 1 EStG. Könnten Verluste aus Kapitalvermögen uneingeschränkt mit Einkünften ausgeglichen werden, die dem progressiven Tarif gemäß § 32a EStG unterliegen, wäre eine überproportionale Steuerentlastung möglich. Negative Einkünfte aus Kapitalvermögen würden zu einer Steuerminderung von bis zu 45 % führen, während positive Einkünfte aus Kapitalvermögen einer maximalen Belastung von 25 % unterlägen. Der Hintergrund der Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 20 Abs. 6 EStG ist somit die durch die Abgeltungsteuer bewirkte Tarifspreizung zwischen Einkünften aus Kapitalvermögen und sonstigen Einkünften.171 Dementsprechend gilt § 20 Abs. 6 nicht für Kapitaleinkünfte, die von der Abgeltungsbesteuerung ausgenommen sind, § 32d Abs. 2 Nr. 1 S. 2 EStG. Diese Einkünfte nehmen auch zukünftig am talvermögen fehlt zudem eine Vorschrift, die ausdrücklich anordnet, dass positive Kapitaleinkünfte nicht mit sonstigen Verlusten verrechnet werden können. 170 Vgl. Hechtner/Hundsdoerfer, StuW 2009, S. 35 f. 171 Vgl. BT-Drs. 16/4841, S. 58; Stellungnahme von Univ.-Prof. Dr. jur. habil. KarlGeorg Loritz für die öffentliche Anhörung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages zu dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen „Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 (Drucksache 16/4841)“ und zu weiteren Anträgen am Montag, dem 7. Mai 2007, S. 9. Abrufbar unter: http://www.bundestag.de/ ausschuesse/a07/anhoerungen/057/stellungnahmen/22-prof__ d r__loritz.pdf.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
vertikalen Verlustausgleich teil. Allerdings erfordert der Sondertarif der Abgeltungsteuer keineswegs zwingend eine Verlustverrechnungsbeschränkung für negative Einkünfte aus Kapitalvermögen. Als unbillig erachtete Tarifeffekte könnten auch über ein System von Steuergutschriften vermieden werden.172 Gegen einen vollständigen Ausschluss negativer Einkünfte aus Kapitalvermögen vom vertikalen Verlustausgleich spricht auch, dass der Gesetzgeber umgekehrt bei positiven Einkünften die Möglichkeit eröffnet, im Wege der Antragsveranlagung nach § 32d EStG die Schedule zu durchbrechen und einen vertikalen Verlustausgleich herbeizuführen. Hier können Tarifeffekte nur zu Ungunsten des Steuerpflichtigen entstehen. Er muss in Kauf nehmen, dass die linear besteuerten positiven Einkünfte aus Kapitalvermögen mit negativen Einkünften verrechnet werden, die das Potential zur Verrechnung mit progressiv besteuerten Einkünften haben. Dieser Weg ist daher nur dann sinnvoll, wenn der Steuerpflichtige die negativen Einkünfte nicht alternativ im Wege des Verlustvortrags oder des Verlustrücktrags mit positiven Einkünften verrechnen kann, die einer über der Abgeltungsteuer liegenden Grenzbelastung unterliegen. dd) Ausschluss positiver Einkünfte vom Verlustausgleich, § 34a Abs. 8 EStG Eine besondere Technik der Einschränkung der Verlustverrechnung wurde durch das Jahressteuergesetz 2008 in Gestalt von § 34a Abs. 8 in das EStG eingefügt. Nach § 34a Abs. 1 EStG werden nicht entnommene Gewinne aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbständiger Arbeit auf Antrag des Steuerpflichtigen mit einem linearen Steuersatz von 28,25 % belastet. Spätere Entnahmen werden zusätzlich mit 25 % nachversteuert. Hintergrund dieser Maßnahme ist die erhebliche Spreizung der Steuerbelastung auf thesaurierte Gewinne zwischen Kapitalgesellschaften und Einzelunternehmen/Personengesellschaften infolge der Unternehmensteuerreform 2008. Durch die Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG soll die Steuerbelastung von Einkommensteuerpflichtigen derjenigen von Körperschaftsteuerpflichtigen angenähert werden.173 Die Relevanz dieser Vorschrift für die Verlustverrechnung folgt daraus, dass Gewinne, für die die Begünstigung nach § 34a Abs. 1 S. 1 EStG in Anspruch genommen wurde, gemäß § 34a Abs. 8 EStG nicht im Rahmen des Verlustausgleichs mit negativen Einkünf172 Vgl. Englisch, StuW 2007, S. 236. Stellungnahme von Univ.-Prof. Dr. jur. habil. KarlGeorg Loritz zum Unternehmenssteuerreformgesetz (Fn. 171), S. 10. Zur verfassungsrechtlichen Gebotenheit einer Verlustberücksichtigung auch im Rahmen einer Schedulenbesteuerung siehe 2. Teil B. I. 1. a) bb); b) cc); 2) a) bb) (3) sowie 3. Teil A. I. 1. a) aa) (6). 173 BT-Drs. 16/4841, S. 62.
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ten verrechnet werden dürfen. Es werden also nicht Verluste vom horizontalen Verlustausgleich ausgeschlossen, sondern Gewinne. Gemäß § 10d Abs. 1 S. 2 EStG stehen diese positiven Einkünfte auch interperiodisch nicht für eine Verrechnung mit Verlusten aus einem späteren Veranlagungszeitraum im Wege des Verlustrücktrags zur Verfügung. Problematisch ist jedoch bei genauer Betrachtung, dass nach § 34a Abs. 1 S. 1 EStG die Thesaurierungsbegünstigung nur für nicht entnommene Gewinne in Anspruch genommen werden kann, die in dem zu versteuernden Einkommen enthalten sind. Bei einer strikten Orientierung am Wortlaut hat § 34a Abs. 8 EStG damit keinen Anwendungsbereich,174 da horizontaler und vertikaler Verlustausgleich bereits im Rahmen der Ermittlung der Summe der Einkünfte, § 2 Abs. 3 EStG, und somit auf einer der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens, § 2 Abs. 5 EStG, vorgelagerten Stufe erfolgen. Auch der Verlustabzug nach § 10d EStG erfolgt vor der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens. Diese Sichtweise findet sich auch im BMFSchreiben zu § 34a EStG:175 „Die Ermittlung des zu versteuernden Einkommens (§ 2 Abs. 5 EStG) bleibt durch § 34a EStG unberührt. Damit sind insbesondere die Regelungen über den Verlustausgleich und abzug vorrangig zu beachten. Der Verlustausgleich und -abzug ist auch dann vorzunehmen, wenn für nicht entnommene Gewinne die Tarifbegünstigung nach § 34a EStG in Anspruch genommen wird. Durch § 34a EStG kann daher kein Verlustvortrag nach § 10d EStG generiert werden.“176
Nach dieser wortlautgetreuen Interpretation ist § 34a Abs. 8 EStG überflüssig und kann ersatzlos gestrichen werden. Dies gilt auch für den Verweis auf § 10d EStG in § 34a Abs. 8 Hs. 2 EStG. Dass nach § 34a Abs. 1 EStG begünstigte Gewinne nicht interperiodisch mit Verlusten aus dem nachfolgenden Veranlagungszeitraum im Wege des Verlustrücktrag verrechnet werden können, ergibt sich bereits ausdrücklich aus § 10d Abs. 1 S. 2 EStG. Einen Anwendungsbereich hätte § 34a Abs. 8 EStG nur, wenn man die Vorschrift entgegen dem Wortlaut so interpretiert, dass die Begünstigungsbeträge an der Einkommensermittlung nicht teilnehmen und selbst von ihr unberührt bleiben.177 Doch selbst bei einem solchen Normverständnis passte § 34a Abs. 8 EStG nicht in den Kanon der klassischen Verlustausgleichsbeschränkungen. Der Steuerpflichtige würde nicht belastet, da es genügt, den Antrag auf Thesaurierungsbegünstigung nicht zu stellen, um die Verlustverrechnungsbeschränkung zu vermeiden. Auch die Einschränkung des Verlustrücktrags nach § 10d Abs. 1 S. 2 EStG – für die unabhängig von 174 175 176 177
Vgl. Ratschow in: Blümich, EStG, § 34a Rn. 85. BMF v. 11.08.2008 - IV C 6 - S 2290-a/07/10001, BStBl. I 2008, S. 838 Rn. 1. BMF v. 11.08.2008 - IV C 6 - S 2290-a/07/10001, BStBl. I 2008, S. 838 Rn. 1. So Bäumer, DStR 2007, S. 2091.
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der Interpretation von § 34a Abs. 1 EStG ein Anwendungsbereich besteht – tritt nur ein, wenn der Steuerpflichtige den Antrag auf Thesaurierungsbegünstigung nicht rechtzeitig zurücknimmt. Da somit die Handlungsmöglichkeiten der Steuerpflichtigen nicht beschränkt, sondern lediglich erweitert werden, sind die Verlustverrechnungsbeschränkungen nach §§ 34a Abs. 8 und § 10d Abs. 1 S. 2 EStG im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit dem vom Gesetzgeber zu beachtenden verfassungsrechtlichen Rahmen unproblematisch. Sie werden im Folgenden nicht weiter untersucht. b) Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen Derzeit existiert im deutschen Steuerrecht keine allgemeine Einschränkung der intraperiodischen Verlustverrechnung. Das einzige historische Beispiel für eine derartige Vorschrift ist die Mindestbesteuerung nach § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. Die durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1999 eingeführte Regelung wurde bereits nach kurzer Zeit durch das Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz 2003 vom 22.12.2003178 wieder aufgehoben. Sie soll nachfolgend dennoch kurz dargestellt werden, da es sich um eine konzeptionell bemerkenswerte Vorschrift handelte. aa) Tatbestand Durch § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. wurde der vertikale Verlustausgleich nur bis zu einem Betrag von 51.500 € unbeschränkt zugelassen. Bei zusammen veranlagten Ehegatten verdoppelte sich der Betrag auf 103.000 €. Verluste, die diese sog. „Bagatellgrenze“ überstiegen, konnten nur bis zur Hälfte der übersteigenden positiven Einkünfte ausgeglichen werden. Beispiel: Der alleinstehende A erzielt positive Einkünfte aus gewerblicher Tätigkeit i.H.v. 80.000 € und sonstige Einkünfte i.H.v. 20.000 €. Aus Land- und Forstwirtschaft sowie aus Vermietung und Verpachtung erzielt A negative Einkünfte i.H.v. 30.000 € bzw. 100.000 €. Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nach geltendem Recht: Land- und Forstwirtschaft Vermietung und Verpachtung Einkünfte aus Gewerbebetrieb Sonstige Einkünfte Gesamtbetrag der Einkünfte 178 BGBl. I 2003, S. 2840.
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+ + + =
-30.000 € -100.000 € 80.000 € 20.000 € -30.000 €
Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten
Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nach § 2 Abs. 3 EStG a.F.: Land- und Forstwirtschaft Vermietung und Verpachtung + Summe der negativen Einkünfte =
-30.000 € -100.000 € -130.000 €
Einkünfte aus Gewerbebetrieb Einkünfte aus Kapitalvermögen Summe der positiven Einkünfte:
80.000 € 20.000 € 100.000 €
Verlustausgleich: Unbeschränkt 50 % der übersteigenden pos. Einkünfte ([100.000 € ./. 51.500 €] * 1/2)
-51.500 € -24.250 €
Gesamtbetrag der Einkünfte: Nicht ausgeglichene negative Einkünfte:
24.250 € -54.250 €
bb) Hintergrund Im Vorfeld der Verabschiedung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 wurden zwei Modelle zur Bekämpfung der – vermeintlich – missbräuchlichen Nutzung von Verlusten zur Erlangung von Steuervorteilen diskutiert, die schließlich kumulativ umgesetzt wurden. Durch das sog. „Nordrhein-Westfälische Modell“, auf das § 2b EStG a.F. zurückgeht, sollten gezielt sog. „Verlustzuweisungsgesellschaften“ bekämpft werden. Die Vorschrift hat sich nicht bewährt und wurde mittlerweile durch § 15b EStG ersetzt.179 Demgegenüber sah das sog. „Hamburger Modell“ eine generelle Einschränkung des vertikalen Verlustausgleichs vor.180 Aus diesem Ansatz hat sich die Mindestbesteuerung nach § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. entwickelt. § 2 Abs. 3. S. 3-8 EStG a.F. ist nicht nur das erste Beispiel für eine allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkung im Rahmen der intraperiodischen Verlustverrechnung. Mit der Vorschrift wurde auch zum ersten Mal ein Mindestbesteuerungskonzept181 im deutschen Steuerrecht verwirklicht. Un179 Vgl. Werz, Verlustverrechnungsbeschränkungen im sonderer Berücksichtigung der Verlustregeln 1999/2000/2002 (2003), S. 76. 180 Vgl. Werz, Verlustverrechnungsbeschränkungen im sonderer Berücksichtigung der Verlustregeln 1999/2000/2002 (2003), S. 76. 181 Vgl. dazu 1. Teil A. III. 2.
Lichte der Verfassung unter bedes Steuerentlastungsgesetzes Lichte der Verfassung unter bedes Steuerentlastungsgesetzes
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abhängig von den Kontroversen um die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines solchen Besteuerungskonzepts hat sich die Vorschrift wegen zu großer Komplexität als faktisch unanwendbar erwiesen und wurde deshalb bereits mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2004 wieder abgeschafft. c) Konkurrenzen Da mittlerweile eine beträchtliche Zahl intraperiodischer Verlustverrechnungsbeschränkungen existiert, muss auch der Frage nach ihrem Verhältnis zueinander nachgegangen werden. Ausdrücklich geregelt ist in § 15b Abs. 1 S. 3 EStG, dass die Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 15b EStG derjenigen nach § 15a EStG vorgeht. Eine kumulative Anwendung beider Vorschriften würde in der Tat keinen Sinn ergeben. § 15b EStG beschränkt die Verlustverrechnung unabhängig davon auf die Einkunftsquelle, ob ein negatives Kapitalkonto entsteht oder nicht. Wegen dieser weiter reichenden Rechtsfolge würde § 15a EStG daneben leer laufen. Gemäß § 20 Abs. 7 EStG hat § 15b EStG zudem Vorrang vor den Verlustverrechnungsbeschränkungen aus § 20 Abs. 6 EStG. Als speziellere Norm soll § 15b EStG schließlich den Verlustverrechnungsbeschränkungen des § 15 Abs. 4 EStG vorgehen.182 Die Verlustverrechnungsbeschränkungen nach § 15 Abs. 4 EStG und § 15a EStG sind hingegen kumulativ anzuwenden.183 Bis zur Entstehung eines negativen Kapitalkontos können Verluste aus gewerblicher Tierzucht und aus Termingeschäften im Betriebsvermögen innerhalb derselben Einkunftsunterart verrechnet werden. Ab dem Zeitpunkt des Entstehens eines negativen Kapitalkontos ist § 15a EStG einschlägig, was zu einer Verlustverrechnungsbeschränkung auf die Einkunftsquelle führt. Auch bei Verlusten aus stillen Gesellschaften nach § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG greift mit dem Entstehen eines negativen Kapitalkontos § 15a EStG.184 Zwar sieht bereits § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG eine Verlustverrechnungsbeschränkung auf die Einkunftsquelle vor. Die Unterscheidung ist aber dennoch erforderlich, da im Rahmen des Anwendungsbereichs von § 15a EStG unter anderem keine Möglichkeit für einen Verlustrücktrag besteht. § 20 Abs. 6 EStG ist gemäß § 20 Abs. 8 EStG subsidiär gegenüber § 17 Abs. 2 S. 6 EStG. Sofern bei einem typischen stillen Gesellschafter ein negatives Kapitalkonto entsteht, geht gemäß § 20
182 BMF v. 17.07.2007 - IV B 2 - S 2241-b/07/0001, BStBl. I 2007, S. 542 Tz. 22. 183 Vgl. Wacker in: Schmidt, EStG (2009), § 15a Rn. 35. Für das Verhältnis von § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG zu § 15a EStG so auch ausdrücklich BMF v. 19.11.2008 - IV C 6 S 2119/07/10001, DB 2008, S. 2679. 184 Vgl. BMF v. 19.11.2008 - IV C 6 - S 2119/07/10001, DB 2008, S. 2679.
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Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten
Abs. 1 Nr. 4 S. 2 EStG der speziellere § 15a EStG der Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 20 Abs. 6 S. 2 EStG vor. 2. Körperschaftsteuer Die intraperiodische Verlustverrechnung ist im KStG nicht eigenständig geregelt. Maßgeblich sind daher gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 KStG die Vorschriften des EStG. Grundsätzlich ist somit auch im Rahmen der körperschaftsteuerlichen Veranlagung ein horizontaler und vertikaler Verlustausgleich durchzuführen. Für die Kapitalgesellschaften als praktisch bedeutsamste Gruppe der Körperschaftsteuersubjekte185 entfällt jedoch der vertikale Verlustausgleich, da nach § 8 Abs. 2 KStG bei ihnen alle Einkünfte als Einkünfte aus Gewerbebetrieb gelten. Im Rahmen des horizontalen Verlustausgleichs sind nur diejenigen Verlustausgleichsbeschränkungen anwendbar, die sich auf Einkünfte aus Gewerbebetrieb beziehen.186 Spezifisch körperschaftsteuerliche Regelungen zum intraperiodischen Verlustausgleich sind in den §§ 8b und 8c KStG enthalten. a) Unbeachtlichkeit von Veräußerungsverlusten nach § 8b Abs. 3 S. 3 KStG Gemäß § 8b Abs. 2 S. 1 KStG bleiben Gewinne aus der Veräußerung eines Anteils an einer Körperschaft oder Personenvereinigung außer Ansatz, deren Leistungen beim Empfänger zu Einnahmen i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 lit. a EStG gehören.187 § 8b Abs. 3 S. 3 KStG untersagt korrespondierend zu dieser Steuerfreistellung die Berücksichtigung von Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit Anteilen i.S.v. § 8b Abs. 2 KStG stehen. Durch die §§ 4 Abs. 6, 12 Abs. 2 UmwStG wird diesem Grundsatz auch im Umwandlungsteuerrecht Geltung verschafft. Hauptanwendungsfälle von § 8b Abs. 3 S. 3 KStG sind Veräußerungsverluste, Teilwertabschreibungen und Liquidationsverluste.188 Das Verlustnutzungsverbot des § 8b Abs. 3 S. 3 KStG lässt sich nicht mit dem abstrakten Hinweis auf die Nichtberücksichtigung eventueller Veräuße185 Kapitalgesellschaften machen mehr als 90 % aller Körperschaftsteuersubjekte aus, vgl. Körperschaftsteuerstatistik 2001, S. 20 ff., abrufbar unter: https://www.ec. destatis.de/csp/shop/sfg/bpm.html.cms.cBroker.cls?cmspath=struktur,vollanzeige.c sp&ID=1017415. 186 §§ 15 Abs. 4, 15a, 15b EStG 187 Gleiches gilt für Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an einer Organgesellschaft im Sinne der §§ 14, 17 oder 18 KStG. 188 Vgl. Watermeyer in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8b KStG Rn. 85. Da Teilwertabschreibungen nicht Untersuchungsgegenstand sind (siehe 1. Teil A. I. 1.), wird im Folgenden nur auf Veräußerungs- und Liquidationsverluste eingegangen.
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rungsgewinne rechtfertigen.189 § 8b Abs. 2 KStG ergänzt die Steuerbefreiung von Gewinnausschüttungen zwischen Körperschaftsteuersubjekten gemäß § 8b Abs. 1 KStG. Bezweckt wird dadurch bei wirtschaftlicher Betrachtung keine Steuerfreistellung, sondern vielmehr die Vermeidung einer körperschaftsteuerlichen Mehrfachbelastung des gleichen Gewinns.190 Der Grundsatz der symmetrischen Behandlung von positiven und negativen Einkünften ist bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht einschlägig. Die steuersystematische Rechtfertigung von § 8b Abs. 3 S. 3 KStG wird zum Teil in der Verhinderung einer mehrfachen Nutzung des gleichen Verlusts gesehen.191 Teilwertabschreibungen oder Veräußerungsverluste bei Beteiligungen bildeten regelmäßig solche Vorgänge ab, die sich primär bei der Beteiligungsgesellschaft selbst abspielten – z.B. eine dauerhafte Verluststrecke – und daher auf der Ebene des Tochterunternehmens steuerliche Wirkung erlangen könnten. Daher sei es nicht erforderlich, dieselben Geschäftsvorfälle ein zweites Mal – bei dem Mutterunternehmen – steuerlich anzusetzen.192 Problematisch ist § 8b Abs. 3 S. 3 KStG nach dieser Ansicht nur dann, wenn Verluste auf der Ebene der Tochtergesellschaft, beispielsweise im Fall einer Liquidation, nicht genutzt werden können. Dann verhindert die Vorschrift nicht nur eine doppelte Verlustnutzung, sondern auch eine einfache Verlustberücksichtigung.193 Nach der Gegenansicht ist hingegen – entgegen der Regelung des § 8b Abs. 3 S. 3 EStG – eine Berücksichtigung von Veräußerungsverlusten wegen des fehlenden direkten Zusammenhangs mit Verlusten der Tochtergesellschaft generell geboten.194 b) Verlustausgleich bei Körperschaften gemäß § 8c KStG Nach § 8c KStG gehen im Falle eines schädlichen Beteiligungserwerbs nicht genutzte Verluste einer Körperschaft unter. Obwohl § 8c KStG mit „Verlustabzug bei Körperschaften“ überschrieben ist, erfasst die Vorschrift auch laufende Verluste im Veranlagungszeitraum bis zum Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungserwerbs. Insofern beschränkt § 8c KStG nicht nur die interperiodische, sondern auch die intraperiodische Verlustverrechnung.195 Bei genauerer Betrachtung hat § 8c KStG jedoch nichts mit sonstigen Verlustaus189 190 191 192 193 194
Vgl. Herzig in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 201. Vgl. Menck in: Blümich, KStG, § 8b Rn. 106 Vgl. Herzig in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 201. Vgl. Schön, FR 2001, 386. Vgl. Herzig in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 202. So beispielsweise Beck, Die Besteuerung von Beteiligungen an körperschaftsteuerlichen Steuersubjekten im Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht (2004), S. 229; Watermeyer in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8b KStG Rn. 86. 195 Vgl. Dörr, NWB 2007, S. 2658.
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gleichsbeschränkungen gemein. Diese sind stets auf einen bestimmten Einkunftsquellentyp oder eine Einkunftsunterart bezogen und erfassen die Verluste des gesamten Veranlagungszeitraums aus dem von ihnen definierten besonderen Verlustverrechnungskreis. Demgegenüber steht bei § 8c KStG – auch soweit laufende Verluste betroffen sind – allein das Zeitmoment im Vordergrund. Bis zum Stichtag des schädlichen Beteiligungserwerbes angefallene Verluste gehen unter. Danach entstehende Verluste können hingegen genutzt werden. Daher wird die Vorschrift im Rahmen der interperiodischen Verlustverrechnung dargestellt. 3. Gewerbesteuer Die Gewerbesteuer unterscheidet sich strukturell deutlich von der Einkommen- und Körperschaftsteuer. Die drei Steuerarten verbindet, dass es sich um Ertragsteuern handelt. Denn nach dem Wegfall der Gewerbekapitalsteuer belastet die Gewerbesteuer mit dem Gewerbeertrag ausschließlich den – durch Hinzurechnungen und Kürzungen – modifizierten Ist-Ertrag.196 Im Unterschied zur Einkommen- und Körperschaftsteuer ist die Gewerbesteuer jedoch keine Personen- sondern eine Objektsteuer.197 Ihr Steuergegenstand ist nicht das Einkommen einer natürlichen oder juristischen Person, sondern gemäß § 2 Abs. 1 GewStG der Gewerbebetrieb198 selbst, gleichgültig in welcher Rechtsform er betrieben wird und wem die Erträge zufließen.199 Der Objektsteuercharakter hat auch Auswirkungen auf die Verlustverrechnung. Ausgangspunkt für die Ermittlung des Gewerbeertrags ist gemäß § 7 S. 1 GewStG der nach den Vorschriften des EStG und des KStG ermittelte Gewinn aus Gewerbebetrieb. Dieser wird jedoch durch Hinzurechnungen gemäß § 8 GewStG und Kürzungen gemäß § 9 GewStG modifiziert. Hierdurch soll – entsprechend des Objektsteuercharakters der Gewerbesteuer – die objektive Ertragskraft des Betriebs unabhängig von der Finanzierung des Betriebs und unabhängig davon, ob das benötigte Betriebsvermögen erworben oder gemietet bzw. gepachtet wird, ermittelt werden.200 Infolge dieser Modifikationen kann sich trotz eines einkommen- bzw. körperschaftsteuerlichen Gewinns ein gewerbesteuerlicher Fehlbetrag ergeben und umgekehrt.201
196 Vgl. Montag in: Tipke/Lang, Steuerrecht (2009), S. 468, 475 f. 197 Vgl. Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer (2008), S. 243. 198 Der Begriff des Gewerbebetriebs wird nicht im GewStG selbst definiert. Vielmehr verweist § 2 Abs. 1 S. 2 GewStG insofern auf § 15 EStG. 199 Vgl. Knobbe-Keuk, StuW 1978, S. 269. 200 Vgl. Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer (2008), S. 263. 201 GewStR 1998, R 66 Abs. 3 S. 3.
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Für die Verlustverrechnung relevant ist insbesondere § 8 Nr. 8 GewStG, der anordnet, dass die Anteile am Verlust einer Personengesellschaft dem Gewerbeertrag hinzuzurechnen sind. Korrespondierend wird nach § 9 Nr. 2 GewStG der Gewerbeertrag um den Anteil am Gewinn einer Personengesellschaft gekürzt. Durch diese Vorschrift wird dem Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer Rechnung getragen und eine Doppelerfassung von Gewinnen und Verlusten verhindert. Jede Personengesellschaft ist gewerbesteuerlich ein eigenständiger Steuergegenstand. Im Einkommensteuerrecht sind Personengesellschaften hingegen transparent, d.h. ihr Gewinn bzw. Verlust wird unmittelbar den Gesellschaftern zugerechnet. Wird der Anteil im Betriebsvermögen eines Gewerbebetriebs gehalten, so ist daher im Gewerbeertrag nach § 7 S. 1 GewStG zunächst auch der Gewerbeertrag bzw. Gewerbeverlust eines anderen, selbständigen Gewerbebetriebs enthalten. Dies wird durch die §§ 8 Nr. 8 und 9 Nr. 2 GewStG korrigiert. Da die Gewerbesteuer die objektive Ertragskraft der Sachgesamtheit Gewerbebetrieb ohne Rücksicht auf den dahinter stehenden Unternehmer belasten soll, müssen konsequenterweise mehrere selbständige Gewerbebetriebe eines Unternehmers getrennt besteuert werden.202 Mehrere Gewerbebetriebe werden nur dann als ein Besteuerungsgegenstand qualifiziert, wenn sie gleichartig sind. Kriterien für die Beurteilung der Gleichartigkeit sind beispielsweise die Art der gewerblichen Tätigkeit, die Arbeitnehmerschaft, die Geschäftsleitung, die Betriebsstätten sowie der Umfang und die Zusammensetzung des Aktivvermögens.203 Ein intraperiodischer Verlustausgleich zwischen verschiedenen Gewerbebetrieben des gleichen Steuerpflichtigen ist steuersystematisch nicht vorgesehen. Denn dadurch würde die Ertragskraft mehrerer Gewerbebetriebe vermengt, die jeweils einen eigenständigen Steuergegenstand bilden. Praktisch relevant wird diese Frage jedoch nur bei natürlichen Personen als Unternehmern. Bei Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften bildet die gesamte Tätigkeit, unabhängig von der Gleichartigkeit der verschiedenen Tätigkeiten, einen einheitlichen Betrieb.204 Eine intraperiodische Verlustverrechnung findet jedoch automatisch zwischen verschiedenen, in einem Gewerbebetrieb zusammengefassten Einkunftsquellen statt. Da der Ausgangspunkt bei der Ermittlung des Gewerbe202 Vgl. BFH v. 12.11.1991 - VIII R 4/88, BFH/NV 1992, S. 545 ff.; GewStR 1998, R 16 Abs. 1; Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer (2008), S. 250. 203 Vgl. Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer (2008), S. 250. 204 Für Kapitalgesellschaften folgt dies aus § 2 Abs. 2 S. 1 GewStG. Bei Personengegesellschaften entspricht es der h.M., vgl. Montag in: Tipke/Lang, Steuerrecht (2009), S. 473 f.; Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer (2008), S. 250. Birk, Steuerrecht (2009), S. 375.
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ertrags der Gewinn aus Gewerbebetrieb ist, könnten daher theoretisch zumindest die auf gewerbliche Einkünfte bezogenen einkommensteuerlichen Verlustausgleichsbeschränkungen in den §§ 15 Abs. 4, 15a und 15b EStG auch im Rahmen der Gewerbesteuer relevant werden. Bezüglich der Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 15 Abs. 4 EStG ist dies jedoch zu verneinen,205 da die Vorschrift ausschließlich auf den im Rahmen der Gewerbesteuer unanwendbaren § 10d EStG Bezug nimmt.206 Gleiches gilt für § 15b EStG. Die Verlustverrechnungsbeschränkungen nach § 15a EStG schränkt die einkommensteuerliche Wirksamkeit der Verlustzuweisung bei den einzelnen Mitunternehmern ein. Es handelt sich somit nicht um eine Gewinnermittlungsvorschrift i.S.v. § 7 Abs. 1 GewStG, sondern um eine bei der Ermittlung des Gewerbeertrags der betreffenden Personengesellschaft grundsätzlich unanwendbare Verlustzurechnungsvorschrift.207 Somit sind nur die körperschaftsteuerlichen Verlustausgleichsbeschränkungen gemäß § 8b Abs. 3 S. 3 KStG und § 8c KStG im Rahmen der Gewerbesteuer zu berücksichtigen. Für § 8b Abs. 3 S. 3 KStG folgt dies aus § 7 S. 4 GewStG und für § 8c KStG aus § 10a S. 10 GewStG.
II. Interperiodische Verlustverrechnung 1. Einkommensteuer Für Verluste, die innerhalb eines Veranlagungszeitraums nicht verrechnet werden können, bestehen mehrere Möglichkeiten der interperiodischen Verlustnutzung. Der allgemeine Verlustabzug ist in § 10d EStG normiert. Er betrifft Verluste, die uneingeschränkt am intraperiodischen Verlustausgleich teilgenommen haben und hierbei nicht verrechnet werden konnten. Der Verlustabzug nach § 10d EStG wird vom Gesamtbetrag der Einkünfte vorgenommen und ist somit nachrangig gegenüber dem intraperiodischen Verlustausgleich. Vorrangig ist der Verlustabzug hingegen gegenüber Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen, § 10d Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 EStG. Steuersystematisch ist der Verlustabzug ebenso wie der Verlustausgleich Bestandteil der Einkünfteermittlung. Seine Stellung im Gesetz bei den Sonderausgaben ist historisch bedingt.208 Gegenwärtig stehen für die interperio205 GewStR 1998, R 39 Abs. 1 Nr. 4 206 Vgl. von Twickel in: Blümich, GewStG, § 10a Rn. 37. 207 BFH v. 28.05.1997 - VIII R 39/97, BFH/NV 1997, S. 857; von Twickel in: Blümich, GewStG, § 10a Rn. 38; GewStR 1998, 39 Abs. 1 Nr. 5. 208 Vgl. Eckhoff in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 26.
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dische Verlustverrechnung ein zeitlich und betragsmäßig beschränkter Verlustrücktrag und ein betragsmäßig, nicht jedoch zeitlich beschränkter Verlustvortrag zur Verfügung. Darüber hinaus bestehen spezielle Regelungen für die interperiodische Verrechnung von Verlusten, die aufgrund einer speziellen Verlustverrechnungsbeschränkung nicht an der allgemeinen interperiodischen Verlustverrechnung teilnehmen können. a) Verlustrücktrag, § 10d Abs. 1 EStG Die Regelung zum Verlustrücktrag wurde seit ihrer Einführung 1976209 häufig geändert. Unverändert geblieben ist jedoch die Grundstruktur der sowohl zeitlichen als auch betragsmäßigen Begrenzung des Verlustrücktrags. Gegenwärtig ist der Verlustrücktrag zeitlich auf ein Jahr und betragsmäßig auf 511.500 €, bei Zusammenveranlagung auf 1.023.000 €, beschränkt. Der Verlustrücktrag ist grundsätzlich vorrangig vor dem Verlustvortrag. Nur auf Antrag des Steuerpflichtigen ist gemäß § 10d Abs. 1 S. 5 EStG von einem Verlustrücktrag zugunsten des Verlustvortrags abzusehen. Dies kann z.B. aufgrund von Progressionseffekten sinnvoll sein, wenn die positiven Einkünfte des Steuerpflichtigen im Folgejahr der Verlustentstehung höher sind als im Vorjahr. Von einer Verrechnung mit rückgetragenen Verlusten ausgeschlossen sind gemäß § 10d Abs. 1 S. 2 EStG positive Einkünfte, für die die Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG in Anspruch genommen wurde, da diese einem besonderen Steuersatz unterlegen haben. Allerdings kann der Antrag auf die Sonderbesteuerung des nicht entnommenen Gewinns nach § 34a Abs. 1 S. 4 EStG vom Steuerpflichtigen bis zur Unanfechtbarkeit des Einkommensteuerbescheids für den folgenden Veranlagungszeitraum ganz oder teilweise zurückgenommen werden. Sofern im auf die Inanspruchnahme der Thesaurierungsbegünstigung folgenden Veranlagungszeitraum ein Verlust eintritt, kann der Steuerpflichtige somit selbst die Möglichkeit eines Verlustrücktrags wiederherstellen.210 b) Verlustvortrag mit Mindestbesteuerung, § 10d Abs. 2 EStG Ein alle Einkunftsarten umfassender Verlustvortrag wurde – gemeinsam mit dem Verlustrücktrag – erstmals 1976 im EStG verankert.211 In zeitlicher Hinsicht war der Verlustvortrag zunächst auf fünf Veranlagungszeiträume 209 Durch das Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes v. 20.04.1976, BGBl. I 1976, S. 1054. 210 Vgl. BT-Drs. 16/4841, S. 54. 211 Durch das Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes v. 20.04.1976, BGBl. I 1976, S. 1054. Zuvor war ein Verlustvortrag nur bei den Gewinneinkunftsarten möglich, vgl. BT-Drs. 7/4604, S. 3.
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beschränkt. Verluste, die innerhalb dieser Zeitspanne nicht mit positiven Einkünften verrechnet werden konnten, gingen unter. Diese zeitliche Beschränkung wurde durch das Steuerreformgesetz 1990212 aufgehoben. Seit dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 unterliegt der Verlustvortrag jedoch betragsmäßigen Restriktionen. Von 1999 bis 2003 war der Verlustabzug entsprechend der Regelung des § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. beschränkt. Seit dem Veranlagungszeitraum 2004 findet das geltende Mindestbesteuerungskonzept gemäß § 10d Abs. 2 EStG Anwendung. Der Verlustvortrag ist bis zur Höhe von einer Million Euro unbeschränkt möglich. Vom Gesamtbetrag der Einkünfte, der diesen sog. Sockelbetrag übersteigt, dürfen nur 60 % mit vorgetragenen Verlusten verrechnet werden. So wird erreicht, dass mindestens 40 % der eine Million Euro übersteigenden Einkünfte der Besteuerung unterliegen. Bei zusammen veranlagten Ehegatten beträgt der Sockelbetrag zwei Millionen Euro. Die Regelung wird mit den gewaltigen Verlustvorträgen begründet, die die Unternehmen vor sich herschieben. Um das Steueraufkommen zu verstetigen, sei es nötig, die Verlustvorträge zeitlich zu strecken.213 Der fiskalische Effekt der Verlängerung des Verlustnutzungszeitraums ist eine zeitliche Vorverlagerung der Steuerzahlung.214 Es werden Gewinne besteuert, die der Steuerpflichtige bei einer periodenübergreifenden Betrachtung noch gar nicht erzielt hat. Beispiel: A gründet ein Unternehmen und erleidet in 01 einen Anlaufverlust i.H.v. 6.000.000 €. In den Folgejahren erwirtschaftet er jeweils einen Gewinn von 2.000.000 €. Vereinfachend wird von einem Durchschnittssteuersatz von 40 % ausgegangen. Bei einer periodenübergreifenden Betrachtung erreicht A erst in 05 die Gewinnzone. Die Gewinne in 02 bis 04 kompensieren lediglich den Anlaufverlust aus 01. Bei einem betragsmäßig unbegrenzten Verlustvortrag würde die Besteuerung der laufenden Gewinne ebenfalls erst in 05 einsetzen. t1 t2 t3 t4 t5 Ergebnis -6.000.000 € 2.000.000 € 2.000.000 € 2.000.000 € 2.000.000 € Verlustabzug -2.000.000 € -2.000.000 € -2.000.000 € 0€ BMG ESt 0€ 0€ 0€ 0 € 2.000.000 € ESt 0€ 0€ 0€ 0 € -800.000 € Verlustvortrag -6.000.000 € -4.000.000 € -2.000.000 € 0€ 0€
212 Steuerreformgesetz 1990 v. 25.07.1988, BGBl. I 1988, S. 1093, 2074. 213 BT-Drs. 15/1518, S. 13 214 Vgl. Hahne, FR 2008, S. 898.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata Die Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG führt jedoch dazu, dass A den laufenden Gewinn von 2.000.000 € nur mit Verlusten in Höhe des Sockelbetrags von 1.000.000 € sowie 60 % des 1.000.000 € übersteigenden Gewinns (600.000 €) verrechnen kann. Es ergibt sich somit bereits ab 02 eine positive Bemessungsgrundlage i.H.v. 400.000 € und eine entsprechende Steuerlast. t1 t2 t3 t4 t5 Ergebnis -6.000.000 € 2.000.000 € 2.000.000 € 2.000.000 € 2.000.000 € Verlustabzug -1.600.000 € -1.600.000 € -1.600.000 € -1.200.000 € BMG ESt 0€ 400.000 € 400.000 € 400.000 € 800.000 € ESt 0 € -160.000 € -160.000 € -160.000 € -320.000 € Verlustvortrag -6.000.000 € -4.400.000 € -2.800.000 € -1.200.000 € 0€
Gegenwärtig werden die Auswirkungen der Mindestbesteuerung im Bereich der Einkommensteuer durch den relativ hohen Sockelbetrag von einer Million Euro gemildert. Ursprünglich war eine wesentliche restriktivere Regelung vorgesehen. Geplant waren ein Sockelbetrag von lediglich 100.000 € und eine Mindestbesteuerungsquote von 50 %.215 Es ist nicht auszuschließen, dass zur Generierung von Steueraufkommen die Mindestbesteuerung zukünftig in diesem Sinne verschärft wird. c) Spezielle Tatbestände der interperiodischen Verlustverrechnung Von der allgemeinen interperiodischen Verlustverrechnung nach § 10d EStG sind Verluste ausgeschlossen, für die durch die Einschränkung des horizontalen oder vertikalen Verlustausgleichs eigene Verrechnungskreise geschaffen wurden. Diese Verluste können auch interperiodisch nur innerhalb derselben Einkunftsquelle, Einkunftsunterart bzw. Schedule verrechnet werden.216 Nachdem das BVerfG entschieden hat, dass der völlige Ausschluss der interperiodischen Verlustverrechnung bei Verlusten aus gelegentlicher Leistung gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt,217 ist mittlerweile bei allen Beschränkungen des intraperiodischen Verlustausgleichs ein interperiodischer Verlustabzug innerhalb des jeweiligen besonderen Verlustverrechnungskreises möglich. Hiefür finden sich im EStG momentan zwei Regelungstechniken. Für Verluste aus beschränkter Haftung, im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen, aus Kapitalvermögen und aus der Veräußerung von Aktien wird die Möglichkeit eines zeitlich und betragsmäßig unbegrenzten Verlust215 BT-Drs. 15/1518, S. 5. 216 Dies wird bei der jeweiligen intraperiodischen Verlustverrechnungsbeschränkung jeweils spezialgesetzlich angeordnet. 217 BVerfG v. 30.09.1998 - 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, S. 97.
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Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten
vortrags innerhalb des jeweiligen Verlustverrechnungskreises eigenständig geregelt. Ein Verlustrücktrag ist nicht vorgesehen. Bei allen übrigen speziellen Verlustverrechnungsbeschränkungen erfolgt hinsichtlich der interperiodischen Verlustverrechnung eine pauschale Verweisung auf § 10d EStG. Daraus folgt zum einen, dass innerhalb dieser speziellen Verlustverrechnungskreise jeweils ein Verlustrücktrag nach Maßgabe des § 10d Abs. 1 EStG möglich ist. Zum anderen kommt nach dieser Regelungstechnik grundsätzlich die Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG auch innerhalb der besonderen Verlustverrechnungskreise zum Tragen. Die Anwendbarkeit der Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG innerhalb besonderer Verlustverrechnungskreise wird in der Literatur zum Teil mit teleologischen Argumenten verneint.218 Wenn man bedenkt, dass die Einführung der Mindestbesteuerung mit dem gewaltigen Verlustvortragspotential von Unternehmen begründet wurde, so erscheint es in der Tat überraschend, dass sie über die Verweise in den §§ 22 Nr. 3 S. 4 EStG und 23 Abs. 3 S. 8 EStG im Bereich der Überschusseinkunftsarten anwendbar sein soll. Darüber hinaus führt die Einkapselung von Verlusten innerhalb besonderer Verlustverrechnungskreise in der Regel ohnehin zu einer massiven Verlängerung der Verlustverrechnungsphase. Einer zusätzlichen Anwendung der Mindestbesteuerung zur Verstetigung des Steueraufkommens bedarf es insoweit nicht. Schließlich soll die Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG grundsätzlich nur zu einer zeitlichen Streckung der Verlustverrechnung führen. Gerade bei einer Anwendung innerhalb besonderer Verlustverrechnungskreise ist aber die Gefahr besonders groß, dass es mangels ausreichender positiver Einkünfte – etwa nach einem Wegfall der Einkunftsquelle – zu einem endgültigen Verlustuntergang kommt. Da sich auch aus der Gesetzesbegründung keinerlei Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass die Mindestbesteuerung innerhalb besonderer Verlustverrechnungskreise zur Anwendung gelangen sollte, sprechen gute Gründe für eine entsprechende teleologische Reduktion der Verweisungen auf § 10d EStG. Die Finanzverwaltung orientiert sich jedoch streng am Wortlaut und wendet § 10d EStG auch innerhalb besonderer Verlustverrechnungskreise an.219
218 Vgl. Hahne, FR 2008, S. 902 ff. 219 Vgl. BMF v. 29.11.2004 - IV C 8 - S 2225 - 5/04, BStBl. I 2004, S. 1097.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
Interperiodische Verlustverrechnung innerhalb spezieller Verlustverrechnungskreise
Eigenständige Regelung
Verweisung auf § 10d EStG
Verluste: - bei beschränkter Haftung, § 15a EStG - im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen, § 15b EStG - aus Kapitalvermögen, § 20 Abs. 6 S. 2-4 EStG - aus der Veräußerung von Aktien, § 20 Abs. 6 S. 5 EStG
Verluste: - aus gewerblicher Tierzucht, § 15 Abs. 4 S. 1-2 EStG - aus Termingeschäften im Betriebsvermögen, § 15 Abs. 4 S. 3-5 EStG - aus stillen Ges. mit Kapitalges., § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG - aus gelegentlicher Leistung, § 22 Nr. 3 S. 3-4 EStG - aus privaten Veräußerungsgeschäften, § 23 Abs. 3 S. 7-8 EStG
Verlustrücktrag
Verlustvortrag
Verlustrücktrag
Verlustvortrag
./.
Verlustvortrag ohne zeitliche/ betragsmäßige Begrenzung
§ 10d Abs. 1 EStG
Mindestbesteuerung: § 10d Abs. 2 EStG
Abbildung 9
Interperiodische Verlustverrechnung innerhalb spezieller Verlustverrechnungskreise
2. Körperschaftsteuer Die interperiodische Verlustverrechnung richtet sich im Körperschaftsteuerrecht über den Verweis in § 8 Abs. 1 S. 1 KStG nach § 10d EStG. Körperschaftsteuersubjekten steht daher grundsätzlich ein einjähriger Verlustrücktrag in Höhe von 511.500 € sowie ein zeitlich unbeschränkter Verlustvortrag zur Verfügung. Dieser ist wie für Einkommensteuersubjekte betragsmäßig durch die Mindestbesteuerungsregelung in § 10d Abs. 2 EStG beschränkt. Aufgrund des hohen Sockelbetrags von einer Million Euro sind von der Mindestbesteuerung sogar in erster Linie Körperschaftsteuersubjekte betroffen.220 Eine originär körperschaftsteuerliche Beschränkung der interperiodischen Verlustverrechnung enthält nur § 8c KStG.
220 Vgl. Fischer, FR 2007, S. 282.
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Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten
a) Überblick über den Tatbestand von § 8c KStG Durch § 8c Abs. 1 KStG wird der Verlustabzug vom Nichtvorliegen eines schädlichen Beteiligungserwerbs abhängig gemacht. Rechtsfolge eines schädlichen Beteiligungserwerbs ist eine zweistufig ausgestaltete Verlustabzugsbeschränkung. Bei einer Anteilsübertragung von mehr als 25 % und maximal 50 % kommt es gemäß § 8c Abs. 1 S. 1 KStG zu einem quotalen Untergang der nicht genutzten Verluste entsprechend der Höhe der Anteilsübertragung. Bei einer Anteilsübertragung von mehr als 50 % sind die nicht genutzten Verluste vollständig nicht mehr abziehbar. aa) Schädlicher Beteiligungserwerb Ein schädlicher Beteiligungserwerb setzt voraus, dass innerhalb von fünf Jahren mehr als 25 % bzw. 50 % des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte, Beteiligungsrechte oder Stimmrechte auf einen Erwerber oder einen Erwerberkreis übertragen werden oder dass ein vergleichbarer Sachverhalt vorliegt. (1) Erwerber Konzeptionell knüpft § 8c KStG nicht an die Anteilsübertragung, sondern an den Anteilserwerb an. Selbst eine Übertragung von 100 % der Anteile an einer Körperschaft ist unschädlich, solange auf keinen getrennt zu betrachtenden Erwerber oder Erwerberkreis mehr als 25 % entfallen. Erwerber kann zunächst jede natürliche oder juristische Person sein. Auch Personengesellschaften werden als Erwerber qualifiziert. Dies bedeutet, dass für die Berechnung der Quoten des § 8c Abs. 1 KStG auf den Erwerb durch die Persongesellschaft abgestellt wird und keine Aufteilung auf die Gesellschafter erfolgt. Eine Ausnahme gilt insofern nur für vermögensverwaltende Personengesellschaften, bei denen eine anteilige Zurechnung nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO erfolgt.221 Um eine Umgehung von § 8c KStG zu erschweren, werden Anteilsübertragungen an den Erwerber und ihm nahe stehende Personen zusammengerechnet. Es war zunächst strittig, ob bezüglich des Tatbestandsmerkmals „nahe stehende Person“ auf die Legaldefinition in § 1 Abs. 2 AStG222 oder auf die – wesentlich weiter gefassten – Grundsätze zur verdeckten Gewinnausschüt-
221 Vgl. BMF v. 04.07.2008 - IV C 7 - S 2745 - a/08/10001, BStBl. I 2008, S. 736 Tz. 24; Brandis in: Blümich, KStG, § 8c Rn. 51. 222 So Zerwas/Fröhlich, DStR 2007, S. 1934.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
tung abzustellen ist.223 Die Finanzverwaltung hat sich für letztgenannte Lösung entschieden, was bedeutet, dass zur Begründung des „Nahe Stehens“ jede „rechtliche oder tatsächliche“ Beziehung zu einer anderen Person ausreicht.224 Darüber hinaus werden gemäß § 8c Abs. 1 S. 3 KStG auch Anteilsübertragungen an eine Gruppe von Erwerbern mit gleichgerichteten Interessen zusammengerechnet. Dadurch soll verhindert werden, dass sich ein „Erwerberquartett“ zur gemeinsamen Nutzung eines Verlustmantels zusammenschließt.225 Auch insofern hat sich das BMF für eine extensive Auslegung entschieden. Von einer Erwerbergruppe mit gleichgerichteten Interessen sei regelmäßig auszugehen, wenn „eine Abstimmung“ zwischen den Erwerbern stattgefunden hat. Gegenstand des gleichgerichteten Interesses muss nicht der Erhalt des Verlustvortrags der Körperschaft sein. In Betracht kommt vielmehr jeder beliebige Umstand.226 (2) Übertragungsgegenstand Als Übertragungsgegenstand kommen das gezeichnete Kapital,227 Mitgliedschaftsrechte, Beteiligungsrechte und Stimmrechte in Betracht. Nach der Konzeption von § 8c KStG soll der Verlustuntergang eintreten, wenn „ein neuer Anteilseigner maßgebend auf die Geschicke der Kapitalgesellschaft einwirken kann und es so prinzipiell in der Hand hat, die Verwertung der Verluste zu steuern.“228 Dies spräche eigentlich dafür, den Erwerb stimmrechtsloser Vorzugsaktien aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift auszunehmen. Dies ist jedoch nicht geschehen. Zum „gezeichneten Kapital“, auf 223 Vgl. H 36 KStH: „Zur Begründung des ‚Nahe Stehens’ reicht jede Beziehung eines Gesellschafters der Kapitalgesellschaft zu einer anderen Person aus, die den Schluss zulässt, sie habe die Vorteilszuwendung der Kapitalgesellschaft an die andere Person beeinflusst. Ehegatten können als nahe stehende Personen angesehen werden (BFH vom 2.3.1988 - BStBl II S. 786). Beziehungen, die ein Nahestehen begründen, können familienrechtlicher, gesellschaftsrechtlicher, schuldrechtlicher oder auch rein tatsächlicher Art sein (BFH vom 18.12.1996 - BStBl 1997 II S. 301). Zum Kreis der dem Gesellschafter nahe stehenden Personen zählen sowohl natürliche als auch juristische Personen, unter Umständen auch Personenhandelsgesellschaften (BFH vom 6.12.1967 - BStBl 1968 II S. 322, vom 23.10.1985 - BStBl 1986 II S. 195 und vom 1.10.1986 - BStBl 1987 II S. 459).“ 224 BMF v. 04.07.2008 - IV C 7 - S 2745 - a/08/10001, BStBl. I 2008, S. 736 Tz. 25; Brandis in: Blümich, KStG, § 8c Rn. 51. 225 Vgl. BT-Drs. 16/5377, S. 18. 226 BMF v. 04.07.2008 - IV C 7 - S 2745 - a/08/10001, BStBl. I 2008, S. 736 Tz. 27. 227 Das gezeichnete Kapital ist gemäß § 272 Abs. 1 S. 1 HGB das Kapital, auf das die Haftung der Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft für Verbindlichkeiten der Gesellschaft beschränkt ist. 228 Vgl. BT-Drs. 16/5377, S. 18.
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Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten
das § 8c Abs. 1 KStG abstellt, gehören auch Vorzugsaktien. Der Wortlaut ist insofern zwingend. Nicht ganz unproblematisch ist bei einem Zusammentreffen von Stammaktien und stimmrechtslosen Vorzugsaktien die Ermittlung der für den schädlichen Beteiligungserwerb maßgeblichen Quoten. Nach Ansicht der Finanzverwaltung ist hinsichtlich der Stammaktien im Regelfall auf das Stimmkapital und hinsichtlich der Vorzugsaktien auf das gesamte Stammkapital abzustellen.229 Da nicht nur Kapitalgesellschaften, sondern alle Körperschaftsteuersubjekte in den Anwendungsbereich von § 8c Abs. 1 KStG einbezogen sind, werden neben dem gezeichneten Kapital auch Mitgliedschafts- und Beteiligungsrechte als möglicher Übertragungsgegenstand angeführt. Durch die Einbeziehung von Stimmrechten soll einer Umgehung von § 8c Abs. 1 KStG durch eine Trennung von Verwaltungs- und Vermögensrechten vorgebeugt werden.230 Angesichts der Vielzahl möglicher Übertragungsgegenstände soll im Folgenden als Oberbegriff von Körperschaftsanteilen gesprochen werden. (3) Übertragungsvorgang Grundfall des schädlichen Beteiligungserwerbs ist die Übertragung von Körperschaftsanteilen von einem Rechtssubjekt auf ein anderes Rechtssubjekt. Soweit es für den Erwerb auf den Übergang einer Eigentumsposition ankommt, ist auf den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums i.S.v. § 39 AO abzustellen.231 Daran fehlt es, wenn im Rahmen eines Börsengangs das zivilrechtliche Eigentum an den zu emittierenden Anteilsscheinen auf die Emissionsbank übertragen wird.232 Denn dabei handelt es sich um einen reinen Durchgangserwerb im Rahmen der technischen Abwicklung der Emission. § 8c Abs. 1 KStG differenziert nicht zwischen entgeltlichen und unentgeltlichen Vorgängen. Neben Schenkungen sind daher grundsätzlich auch Anteilsübertragungen im Erbgang oder im Rahmen der Erbauseinandersetzung tatbestandlich. Allerdings gingen die Fraktionen der Regierungskoalition im Gesetzgebungsverfahren vom Fortbestand der bisherigen Verwaltungspraxis zu § 8 Abs. 4 KStG aus,233 wonach zur Vermeidung von Härtefällen Erbfall und Erbauseinandersetzung vom Anwendungsbereich der Vorschrift ausgenommen werden.234 Dem ist die Finanzverwaltung mittlerweile gefolgt.235 229 Vgl. BMF v. 04.07.2008 - IV C 7 - S 2745 - a/08/10001, BStBl. I 2008, S. 736 Tz. 8. mit einem Beispiel zur Berechnung. 230 Vgl. Adrian, FR 2007, S. 775. 231 BMF v. 04.07.2008 - IV C 7 - S 2745 - a/08/10001, BStBl. I 2008, S. 736 Tz. 6. 232 BMF v. 04.07.2008 - IV C 7 - S 2745 - a/08/10001, BStBl. I 2008, S. 736 Tz. 6. 233 Vgl. BT-Drs. 16/5491, S. 16. 234 BMF v. 16. 4. 1999 - IV C 6 - S 2745 - 12/99, BStBl. I 1999, 455, Tz. 04.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
Über die bisherige Rechtslage hinaus werden zudem Anteilsübertragungen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge vom Anwendungsbereich des § 8c KStG ausgenommen. Erforderlich ist aber vollständige Unentgeltlichkeit. Jedes noch so geringe Teilentgelt führt zur Anwendung von § 8c KStG.236 Möglich ist aber die Vereinbarung von Versorgungsleistungen i.S.v. § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG. § 8c KStG erfasst neben der Anteilsübertragung auch Vorgänge, die einer Anteilsübertragung „vergleichbar“ sind, d.h. die ihr im wirtschaftlichen Ergebnis entsprechen. Ausdrücklich genannt wird in § 8c KStG die disquotale Kapitalerhöhung. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass jeder Vorgang, der zu einer Veränderung der Beteiligungsquote führt, die Rechtsfolgen des § 8c KStG auslösen kann.237 Einer Anteilsübertragung vergleichbar können beispielsweise die Verschmelzung einer Gesellschaft auf die Verlustgesellschaft, die Einbringung eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils in eine Verlustgesellschaft sowie der Erwerb eigener Anteile durch die Verlustgesellschaft sein.238 (4) Mittelbar oder unmittelbar Im Unterschied zu § 8 Abs. 4 KStG a.F. stellt § 8c KStG ausdrücklich klar, dass auch mittelbare Anteilsübertragungen zu einem schädlichen Beteiligungserwerb führen können. Dies ist eine Reaktion auf die Rechtsprechung des BFH, der den Anwendungsbereich des § 8 Abs. 4 KStG a.F. auf unmittelbare Änderungen der Beteiligungsstruktur beschränkt hatte.239 Maßgeblich ist die auf die Verlustgesellschaft durchgerechnete Beteiligungsquote:240
235 236 237 238
BMF v. 04.07.2008 - IV C 7 - S 2745 - a/08/10001, BStBl. I 2008, S. 736 Tz. 4. BMF v. 04.07.2008 - IV C 7 - S 2745 - a/08/10001, BStBl. I 2008, S. 736 Tz. 4. Vgl. Zerwas/Fröhlich, DStR 2007, S. 1934. Vgl. Dörr, NWB 2007, S. 2652. sowie BMF v. 04.07.2008 - IV C 7 - S 2745 a/08/10001, BStBl. I 2008, S. 736 Tz. 7 mit weiteren Beispielen. 239 Vgl. BFH v. 20.08.2003 - I R 61/01, BStBl. II 2004, S. 616. 240 BMF v. 04.07.2008 - IV C 7 - S 2745 - a/08/10001, BStBl. I 2008, S. 736 Tz. 11.
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Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten
E überträgt seinen Anteil von 75 % an der D-AG an F. Die D-AG ist zu 80 % an der C-GmbH beteiligt. Die C-GmbH hält 50 % an der B-GmbH. Die B-GmbH ist zu 90 % an der A-Ltd. beteiligt. Die CGmbH hat Verlustvorträge i.H.v. 2.000.000 €, die A-Ltd. i.H.v. 1.000.000 €. Veräußerung der Beteiligung an der D-AG E
F
75 %
Anteilsübertragung: unmittelbar 75 %
D-AG 80 % mittelbar 60 % C-GmbH
Rechtsfolge:
50 %
vollständiger Untergang des Verlustvortrags der C-GmbH (2.000.000 €) mittelbar 30 %
B-GmbH 90 % mittelbar 27 % A-Ltd.
Rechtsfolge:
quotaler Untergang des Verlustvortrags der A-Ltd. (27 % von 1.000.000 € = 270.000 €)
Abbildung 10 Anwendung von § 8c KStG auf mittelbare Anteilsübertragungen
(5) Innerhalb von 5 Jahren Als zeitliche Komponente setzt ein schädlicher Beteiligungserwerb voraus, dass sich der Anteilseignerwechsel innerhalb von fünf Jahren vollzieht. Es kommt nicht darauf an, auf wie viele Erwerbsvorgänge die Anteilsübertragung aufgeteilt wird.241 Bei der Prüfung, ob die Schwellenwerte von 25 % bzw. 50 % überschritten wurden, ist eine retrospektive Betrachtung vorzunehmen.242 Zu der aktuellen Anteilsübertragung werden alle Übertragungen an den gleichen Erwerber addiert, die innerhalb der letzten fünf Jahre erfolgt sind. Dabei ist es nicht erforderlich, dass die zu addierenden Einzelerwerbe zu einer Zeit erfolgten, zu der die Körperschaft nicht genutzte Verluste auswies.243
241 Vgl. Dörr, NWB 2007, S. 2653. 242 BT-Drs. 16/4841, S. 76. 243 BMF v. 04.07.2008 - IV C 7 - S 2745 - a/08/10001, BStBl. I 2008, S. 736 Tz. 23. Für eine einschränkende Auslegung des § 8c KStG in dieser Frage sprechen sich bei-
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
Sobald die Schwelle zu einem schädlichen Beteiligungserwerb überschritten wird, beginnt eine neue Zeitrechnung. Da zwei getrennte Schwellenwerte mit unterschiedlichen Rechtsfolgen zu beachten sind, sind auch zwei getrennte zeitliche Rechnungen zu führen. Sobald die 25-%-Schwelle überschritten wird, beginnt ein neuer Fünfjahreszeitraum für den quotalen Verlustuntergang gemäß § 8c Abs. 1 S. 1 KStG. Hingegen läuft die Frist für den vollständigen Verlustuntergang gemäß § 8c Abs. 1 S. 2 KStG weiter. Wird innerhalb von fünf Jahren ab dem ersten Anteilserwerb die 50-%-Schwelle überschritten, so tritt die Rechtsfolge des § 8c Abs. 1 S. 2 KStG unabhängig davon ein, ob zuvor schon ein schädlicher Beteiligungserwerb nach § 8c Abs. 1 S. 1 KStG vorlag.244 Sofern ein Anteil von mehr als 25 % und weniger als 50 % übertragen werden soll, ermöglicht es diese Regelungstechnik – zumindest nach dem Gesetzeswortlaut – den Verlustuntergang durch eine Aufteilung des Übertragungsvorgangs auf knapp über 25 % zu begrenzen. Beispiel: Die A-GmbH verfügt über Verlustvorträge i.H.v. 10.000.000 €. In 01 und 02 ist ihr Ergebnis ausgeglichen. Alleiniger Anteilseigner ist die B-AG. Diese möchte die C-AG mit 49 % beteiligen. a) Bei einer Übertragung von 49 % in 01 gehen gemäß § 8c Abs. 1 S. 1 KStG 49 % bzw. 4.900.000 € des Verlustvortrags in 01 unter. b) Bei einer Übertragung von 20 % der Anteile in 01 und 29 % der Anteile in 02 werden beide Erwerbe zusammengerechnet. In 02 liegt somit ein schädlicher Beteiligungserwerb nach § 8c Abs. 1 S. 1 KStG i.H.v. 49 % vor. c) Bei einer Übertragung von 26 % in 01 wird unmittelbar die Rechtsfolge des § 8c Abs. 1 S. 1 KStG ausgelöst. Verlustvortragsvolumen i.H.v. 2.600.000 € geht verloren. Für die Betrachtung nach § 8c Abs. 1 S. 1 KStG ist dieser Anteilserwerb somit verbraucht und wird nur noch für § 8c Abs. 1 S. 2 KStG relevant. Werden in 02 weitere 23 % der Anteile übertragen, löst dies weder die Rechtsfolgen von § 8c Abs. 1 S. 1 noch von S. 2 KStG aus, da die maßgeblichen Beteiligungsgrenzen mit 23 % bzw. 49 % nicht überschritten werden.
Trotz des insofern eindeutigen Wortlauts des Gesetzes sieht die Verwaltung in einem solchen Vorgehen einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten und behandelt eine Mehrzahl von Erwerben, die auf einem Gesamtplan beruhen, als einen einzigen Erwerb. Ein schädlicher Gesamtplan in diesem
spielsweise aus Benz/Rosenberg in: Blumenberg/Benz (Hrsg.), Die Unternehmensteuerreform 2008 (2007), S. 188. 244 BMF v. 04.07.2008 - IV C 7 - S 2745 - a/08/10001, BStBl. I 2008, S. 736 Tz. 20.
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Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten
Sinne wird widerleglich vermutet, wenn die Erwerbe innerhalb eines Jahres erfolgen.245 bb) Rechtsfolgen eines schädlichen Anteilserwerbs Vom Verlustuntergang nach § 8c Abs. 1 KStG sind alle im Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungserwerbs nicht verrechneten negativen Einkünfte betroffen. Neben dem allgemeinen Verlustvortrag nach § 10d Abs. 2 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG erfasst der Verlustuntergang daher auch die Verlustvorträge im Rahmen der durch die §§ 2a, 15 Abs. 4, 15a und 15b EStG definierten speziellen Verlustverrechnungskreise.246 Bei einem unterjährigen schädlichen Beteiligungserwerb gehen auch die intraperiodisch bis zum Zeitpunkt des Erwerbs angefallenen Verluste unter.247 Erfolgt ein schädlicher Beteiligungserwerb an einem Organträger, so sind auch die noch nicht zugerechneten anteiligen Verluste der Organgesellschaften betroffen. Sie müssen auf der Ebene der Organgesellschaften zeitanteilig gekürzt werden.248 Um die Höhe des unterjährigen Verlusts bis zum Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungserwerbs exakt ermitteln zu können, wäre an sich stets die Aufstellung einer Zwischenbilanz erforderlich.249 Stattdessen will die Verwaltung grundsätzlich eine zeitanteilige Aufteilung des Verlusts des gesamten Veranlagungszeitraums vornehmen.250 Dies hat jedoch zur Folge, dass auch Verluste untergehen, die erst nach dem Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungserwerbs erzielt wurden. Umgekehrt bleibt ein eigentlich von § 8c Abs. 1 KStG erfasster Verlust verschont, wenn sich im Veranlagungszeitraum insgesamt ein positives Ergebnis ergibt. Beispiel: A hält je 51 % der Anteile an der B-GmbH und an der C-AG. Zum 30.06. überträgt er seine Anteile an beiden Gesellschaften an D. Die B-GmbH wies in den beiden ersten Quartalen (Q) jeweils einen Gewinn aus, erleidet im Gesamtgeschäftsjahr jedoch einen Verlust i.H.v. 200.000 €. Bei der C-AG ist der Geschäftsverlauf genau entgegengesetzt.
245 BMF v. 04.07.2008 - IV C 7 - S 2745 - a/08/10001, BStBl. I 2008, S. 736 Tz. 19. Vgl. auch die kritische Stellungnahme von Pohl, GmbHR 2009, S. 132 ff. 246 BMF v. 04.07.2008 - IV C 7 - S 2745 - a/08/10001, BStBl. I 2008, S. 736 Tz. 2. 247 BMF v. 04.07.2008 - IV C 7 - S 2745 - a/08/10001, BStBl. I 2008, S. 736 Tz. 31. 248 BMF v. 04.07.2008 - IV C 7 - S 2745 - a/08/10001, BStBl. I 2008, S. 736 Tz. 33. 249 Vgl. auch Brandis in: Blümich, KStG, § 8c Rn. 56, der insofern eine Schätzung genügen lassen will. 250 BMF v. 04.07.2008 - IV C 7 - S 2745 - a/08/10001, BStBl. I 2008, S. 736 Tz. 32.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata Nach Verlusten in den ersten beiden Quartalen weist sie im Gesamtjahr einen Gewinn i.H.v. 100.000 € aus. B-GmbH Ergebnis kumuliert 8c KStG Zeitanteilig 8c KStG
Q1 100.000 € 100.000 €
C-GmbH Ergebnis kumuliert 8c KStG Zeitanteilig 8c KStG
Q1 -200.000 € -200.000 €
-50.000 €
25.000 €
Q2 100.000 € 200.000 € 0€ -50.000 € -100.000 €
Q3 -100.000 € 100.000 €
Q4 -300.000 € -200.000 €
Gesamt -200.000 €
-50.000 €
-50.000 €
-200.000 €
Q2 -100.000 € -300.000 € -300.000 € 25.000 € 0€
Q3 100.000 € -200.000 €
Q4 300.000 € 100.000 €
Gesamt 100.000 €
25.000 €
25.000 €
100.000 €
Die zeitanteilige Aufteilung trägt zweifelsohne zur Verwaltungsvereinfachung bei, ist aber mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu vereinbaren. Laut § 8c KStG sind ausdrücklich nur die „bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht ausgeglichenen oder abgezogenen negativen Einkünfte“ nicht abziehbar. Daher ist es unerlässlich, dass dem Steuerpflichtigen zumindest die Möglichkeit gewährt wird, mittels einer Zwischenbilanz nachzuweisen, dass bis zum Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungserwerbs tatsächlich keine bzw. geringere Verluste angefallen sind.251 Problematisch ist das Verhältnis von § 8c Abs. 1 KStG und Verlustrücktrag. Relativ eindeutig ergibt sich aus dem Gesetz, dass unterjährig bis zum Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungserwerbs angefallene Verluste nicht in den vorangegangenen Veranlagungszeitraum zurückgetragen werden können. Denn insofern fehlt es schon an einer Rechtsgrundlage. Die Regelung zum Verlustrücktrag in § 10d Abs. 1 EStG knüpft an den gesamten Veranlagungszeitraum an und kann nicht ohne weiteres auf den Zeitraum bis zum schädlichen Beteiligungserwerb im Sinne des § 8c Abs. 1 KStG angewendet werden. Anders verhält es sich jedoch mit Verlusten, die bis zum Ablauf des dem schädlichen Beteiligungserwerb vorangegangenen Veranlagungszeitraums 251 So nun auch BMF v. 04.07.2008 - IV C 7 - S 2745 - a/08/10001, BStBl. I 2008, S. 736 Tz. 32. Im Entwurf zum BMF-Schreiben v. 20.02.2008 war diese Möglichkeit jedoch noch nicht vorgesehen. Der Entwurf ist abrufbar unter: http://www. haufe.de/Auftritte/ShopData/media/attachmentlibraries/rp/Auftritte/ShopData/media/ attachmentlibraries/rp/Steuern/Finanzverwaltung/EntwurfAnwendungserlasszurVerl ustabzugsbeschraenkung.pdf.
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Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten
festgestellt werden. Diese könnten grundsätzlich im Rahmen der Veranlagung des Vorjahres zurückgetragen werden. Etwas anderes ergibt sich jedenfalls nicht zwingend aus dem Wortlaut des § 8c Abs. 1 KStG.252 Nach Ansicht der Finanzverwaltung schließt § 8c Abs. 1 S. 1 KStG jedoch auch den Rücktrag von Verlusten des dem schädlichen Anteilserwerb vorausgegangenen Veranlagungszeitraums aus.253 Danach hängt die Möglichkeit eines Verlustrücktrags von der Zufälligkeit ab, ob der schädliche Beteiligungserwerb vor oder nach der Veranlagung für das abgelaufene Wirtschaftsjahr erfolgt. Denn nach erfolgter Veranlagung inklusive Verlustrücktrag handelt es sich bei dem rückgetragenen Verlust eindeutig nicht mehr um einen „nicht genutzten“ Verlust i.S.v. § 8 Abs. 1 S. 1 KStG. cc) Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 8c KStG Dem sehr weiten Grundtatbestand des § 8c Abs. 1 KStG stehen mehrere Ausnahmeregelungen gegenüber, die den Anwendungsbereich der Vorschrift einschränken. (1) Konzernklausel Angesichts der Einbeziehung mittelbarer Anteilsübertragungen hätte es von vornherein nahegelegen, einen schädlichen Beteiligungserwerb zu verneinen, wenn zwar mehr als 25 % bzw. 50 % der Anteile an einer Kapitalgesellschaft übertragen werden, sich aber an den mittelbaren Beteiligungsverhältnissen – bezogen auf die Konzernspitze – nichts ändert. Eine solche Konzernbetrachtung lehnte der Gesetzgeber jedoch zunächst ausdrücklich als zu verwaltungsaufwendig und gestaltungsanfällig ab.254 Dies hatte zur Folge, dass selbst das bloße „Umhängen“ von Beteiligungen im Konzern die Rechtsfolgen des § 8c KStG auslöste, was konzerninterne Umstrukturierungen erschwerte.
252 So auch Dötsch/Pung, DB 2008, S. 1709. 253 Vgl. BMF v. 04.07.2008 - IV C 7 - S 2745 - a/08/10001, BStBl. I 2008, S. 736 Tz. 30; ablehnend Brandis in: Blümich, KStG, § 8c Rn. 58. 254 Vgl. BT-Drs. 16/4841, S. 76: „Eine Veränderung der unmittelbaren Beteiligungsverhältnisse bleibt allerdings nicht deswegen unberücksichtigt, weil sich eine mittelbare Beteiligung dadurch nicht ändert (Konzernbetrachtung). Eine solche Konzernbetrachtung wäre zu verwaltungsaufwändig und gestaltungsanfällig.“ So mittlerweile auch BMF v. 04.07.2008 - IV C 7 - S 2745 - a/08/10001, BStBl. I 2008, S. 736 Tz. 11.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
Die M-AG ist je zu 100 % an der T1-GmbH und der T2-GmbH beteiligt. Im Zuge einer konzerninternen Umstrukturierung wird die E-GmbH, bislang eine 100%ige Tochter der T1-GmbH, der T2-GmbH zugeordnet. Die E-GmbH verfügt über Verlustvorträge i.H.v. 5.000.000 €. M-AG 100 %
T1-GmbH
100 %
Übertragung sämtlicher Anteile an der E-GmbH
T2-GmbH
100 % Anteilserwerb: E-GmbH
mittelbar 0 % unmittelbar 100 %
Rechtsfolge:
vollständiger Untergang des Verlustvortrags der EGmbH (5.000.000 €)
Abbildung 11 Anwendung von § 8c KStG auf konzerninterne Umstrukturierungen
Der Bundesrat hatte dieses Problem bereits im Gesetzgebungsverfahren erkannt und in einer Stellungnahme angeregt, mittelbare Anteilserwerbe zumindest dann nicht als schädlichen Beteiligungserwerb zu qualifizieren, wenn der Wert der Körperschaft, deren Anteile übertragen werden, deutlich höher ist als der gemeine Wert der Verlustgesellschaft.255 Dieser Vorschlag wurde von der Bundesregierung unter Verweis auf den mit der Unternehmensbewertung verbundenen Verwaltungsaufwand zurückgewiesen.256 Erst nach dem Regierungswechsel im Jahr 2009 und unter dem Eindruck der zu diesem Zeitpunkt herrschenden Finanz- und Wirtschaftskrise war der politische Wille zur Einführung einer Konzernklausel vorhanden. Bereits im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP wurde eine entsprechende Regelung als Teil des Sofortprogramms der neuen Regierung gegen krisenverschärfende Maßnahmen im Steuerrecht angekündigt.257 Die Umsetzung erfolgte durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz258 zum 01.01.2010. Für konzerninterne Umstrukturierungen vor diesem Stichtag bleibt es hingegen bei der Anwendbarkeit des § 8c KStG. 255 BT-Drs. 16/5377, S. 19. 256 BT-Drs. 16/5377, S. 27. 257 Vgl. Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP, S. 11 unter 1.2 (abrufbar unter: http://www.cdu.de/doc/pdfc/091026-koal itionsvertrag-cducsu-fdp.pdf). 258 Gesetz zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums (Wachstumsbeschleunigungsgesetz).
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Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten
Nach § 8c Abs. 1 S. 5 KStG liegt ein schädlicher Beteiligungserwerb nicht vor, wenn an dem übertragenden und an dem übernehmenden Rechtsträger dieselbe Person zu jeweils 100 % mittelbar oder unmittelbar beteiligt ist. Damit ist die Konzernklausel sehr restriktiv gefasst.259 Selbst eine noch so geringe Beteiligung eines konzernfremden Gesellschafters an der veräußernden Gesellschaft, der erwerbenden Gesellschaft oder einer Zwischengesellschaft ist schädlich und führt zur Versagung des Konzernprivilegs. Unschädlich ist es hingegen, wenn an der Verlustgesellschaft selbst ein fremder Gesellschafter beteiligt ist. (2) Sanierungsklausel Anders als § 8 Abs. 4 KStG a.F. enthielt § 8c KStG in seiner ursprünglichen Fassung keine Privilegierung für Unternehmenssanierungen. Derartige Fälle sollten ausschließlich im Verwaltungsweg geregelt werden.260 Maßgeblich war insofern das BMF-Schreiben vom 27.03.2003.261 Danach ist unter gewissen Voraussetzungen die Steuer auf den Sanierungsgewinn, der durch einen Schuldenerlass zum Zwecke der Sanierung entsteht, zu erlassen. Auch bei einem Anteilserwerb im Rahmen einer Unternehmenssanierung bleibt es somit zunächst bei der Rechtsfolge des § 8c Abs. 1 KStG, dem Untergang der noch nicht verrechneten Verluste. Ohne effektive Sanierungsklausel stellt § 8c Abs. 1 KStG ein gravierendes Restrukturierungshindernis dar. Die Vorschrift kann dazu führen, dass grundsätzlich aussichtsreiche Sanierungsmaßnahmen unterbleiben, weil sie entweder vom Alteigentümer verschleppt werden oder für einen außenstehenden Investor aufgrund des Verlustuntergangs nicht mehr profitabel sind. Sofern dennoch Restrukturierungsbemühungen unternommen werden, gefährdet § 8c Abs. 1 KStG deren Erfolg. Denn nach dem Wegfall der Verluste setzt die Besteuerung sofort ein, wenn sich erste Sanierungserfolge zeigen und ein betroffenes Unternehmen wieder in die Gewinnzone zurückkehrt. In dieser Phase wird die durch Steuerzahlungen entzogene Liquidität jedoch häufig noch dringend zur endgültigen Bewältigung der Unternehmenskrise benötigt. Besonders problematisch ist der restrukturierungshemmende Effekt des § 8c KStG in einer tiefen Rezession. Die Vorschrift kann sich dann krisenverschärfend auswirken.262 259 Kritisch insofern auch Herzig/Bohn, DStR 2009, S. 2343, die eine Absenkung der notwendigen Beteiligungshöhe auf 95 % vorschlagen. 260 BT-Drs. 16/4841, S. 35. 261 BMF v. 27.03.2003 - IV A 6-S 2140-8/03, BStBl. I 2003, S. 240; vgl. BMF v. 04.07.2008 - IV C 7 - S 2745 - a/08/10001, BStBl. I 2008, S. 736 Tz. 34. 262 Vgl. BR-Drs. 168/09 (Beschluss), S. 29 ff.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
Die im Jahr 2008 ausgebrochene weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise hat diese krisenverschärfende Wirkung von § 8c Abs. 1 KStG auch dem deutschen Gesetzgeber bewusst gemacht. Um die Bemühungen zur Stabilisierung des Bankensektors nicht durch § 8c Abs. 1 KStG zu konterkarieren, wurden bereits im Oktober 2008 Stützungsmaßnahmen des Finanzmarktstabilisierungsfonds durch § 14 Abs. 3 FMStFG263 dem Anwendungsbereich der Vorschrift entzogen. Damit auch außerhalb des Bankensektors Restrukturierungsbemühungen nicht an § 8c Abs. 1 KStG scheitern, wurde auf Initiative des Bundesrats264 durch das Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung vom 16.07.2009265 zudem eine allgemeine Sanierungsklausel geschaffen. Die als § 8c Abs. 1a KStG in das Gesetz eingefügte Vorschrift galt zunächst nur für Anteilserwerbe bis zum 31.12.2009. Diese zeitliche Beschränkung des Anwendungsbereichs wurde durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz gestrichen. Nach § 8c Abs. 1a S. 1 KStG ist ein Beteiligungserwerb zum Zweck der Sanierung des Geschäftsbetriebs der Körperschaft für die Anwendung von § 8c Abs. 1 KStG unbeachtlich.266 Der Begriff der Sanierung ist in § 8c Abs. 1a S. 2 KStG definiert als eine Maßnahme, die darauf gerichtet ist, die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zu verhindern oder zu beseitigen und zugleich die wesentlichen Betriebsstrukturen zu erhalten. Daraus folgt, dass nur solche Anteilserwerbe privilegiert sind, die zum Zeitpunkt der drohenden oder bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung erfolgen.267 Ein zu früher Beteiligungserwerb ist auch bei anschließender Sanierungsbedürftigkeit schädlich und kann zum Verlustuntergang nach § 8c Abs. 1 KStG führen.268 Die ebenfalls vorausgesetzte Erhaltung der wesentlichen Betriebsstrukturen liegt nur vor, wenn eines von drei abschließend vorgegebenen Kriterien erfüllt ist: -
der Abbau von Arbeitsplätzen erfolgt im Rahmen einer Betriebsvereinbarung mit Arbeitsplatzregelung;
263 Gesetz zur Errichtung eines Finanzmarktstabilisierungsfonds v. 17.10.2008, BGBl. I 2008, S. 1982. 264 BR-Drs. 168/09 (Beschluss), S. 28 ff. 265 Gesetz zur verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen, BGBl. I 2009, S. 1959. 266 Vgl. eingehend zu den Tatbestandsmerkmalen der Sanierungsklausel und zu den absehbaren Problemfeldern Fey/Neyer, DB 2009, S. 1368 ff.; Mückl/Remplik, FR 2009, S. 689 ff.; Ziegenhagen/Thewes, BB 2009, S. 2116 ff. 267 Vgl. Ziegenhagen/Thewes, BB 2009, S. 2117 ; Herzig/Bohn, DStR 2009, S. 2342. 268 Kritisch im Hinblick auf die dadurch hervorgerufene Planungs- und Rechtsunsicherheit Herzig/Bohn, DStR 2009, S. 2342.
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-
die Summe der maßgeblichen jährlichen Lohnsummen innerhalb von fünf Jahren nach Beteiligungserwerb unterschreitet nicht 400 % der Ausgangslohnsumme;
-
der Körperschaft wird durch Einlagen nach dem Beteiligungserwerb wesentliches Betriebsvermögen zugeführt.
Schließlich wird der Anwendungsbereich der Sanierungsklausel zur Missbrauchsvermeidung dahin eingeschränkt, dass die Körperschaft ihren Geschäftsbetrieb im Zeitpunkt des Beteiligungserwerbs nicht bereits im Wesentlichen eingestellt haben darf und dass kein Branchenwechsel innerhalb von fünf Jahren nach dem Beteiligungserwerb erfolgen darf. (3) Kein Verlustuntergang in Höhe der stillen Reserven Durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz wurde § 8c Abs. 1 KStG um eine Regelung ergänzt, durch die trotz eines schädlichen Beteiligungserwerbs die Nutzung vorhandener Verluste in dem Umfang zugelassen wird, in dem sie durch stille Reserven im inländischen Betriebsvermögen gedeckt sind. Dadurch erübrigt es sich zukünftig, im Vorfeld eines schädlichen Beteiligungserwerbs gezielt stille Reserven zu heben, um die anderenfalls untergehenden Verluste mit den aufgedeckten Gewinnen verrechnen zu können.269 § 8c Abs. 1 S. 6 KStG bestimmt, dass ein nicht genutzter Verlust abgezogen werden kann, soweit er bei einem schädlichen Beteiligungserwerb i.S.v. § 8c Abs. 1 S. 1 KStG die anteiligen und bei einem schädlichen Beteiligungserwerb i.S.v. § 8c Abs. 1 S. 2 KStG die gesamten stillen Reserven des inländischen Betriebsvermögens der Körperschaft nicht übersteigt. § 8c Abs. 1 S. 7 KStG definiert stille Reserven für die Zwecke der Vorschrift als den im Inland steuerpflichtigen Unterschiedsbetrag zwischen dem in der steuerlichen Gewinnermittlung ausgewiesenen Eigenkapital und dem auf dieses Eigenkapital entfallenden gemeinen Wert der Anteile an der Körperschaft. Unberücksichtigt bleiben danach stille Reserven in Kapitalgesellschaftsanteilen, da diese bei ihrer Realisierung gemäß § 8b Abs. 2 KStG bei der Einkommensermittlung außer Acht gelassen werden.270 Nach § 8c Abs. 1 S. 8 KStG wird bei der Ermittlung der stillen Reserven nur Betriebsvermögen berücksichtigt, das der Körperschaft ohne steuerrechtliche Rückwirkung, insbesondere ohne Anwendung des § 2 Abs. 1 des UmwStG zuzurechnen ist. Dadurch soll offenbar verhindert werden, dass erst nach 269 Vgl. Herzig/Bohn, DStR 2009, S. 2344. 270 BT-Drs. 17/15, S. 19.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
einem schädlichen Beteiligungserwerb gezielt stille Reserven im Wege der Verschmelzung auf die Verlustgesellschaft übertragen werden, um in den Genuss der „Verlusterhaltungsregelung“ in § 8c Abs. 1 S. 6 KStG zu kommen. § 2 Abs. 1 S. 1 UmwStG besagt, dass das Einkommen der übertragenden Körperschaft und des übernehmenden Rechtsträgers so zu ermitteln ist, als ob das Vermögen der Körperschaft mit Ablauf des Stichtags der Bilanz, die dem Vermögensübergang zugrunde liegt, ganz oder teilweise auf den übernehmenden Rechtsträger übergegangen wäre. Da es nach § 17 Abs. 2 S. 4 UmwG möglich ist, der Umwandlung eine auf einen maximal acht Monate vor der Anmeldung zum Handelsregister liegenden Stichtag aufgestellte Schlussbilanz zugrunde zu legen, führt die unwiderlegliche Fiktion des § 2 Abs. 1 UmwStG zu einer steuerlichen Rückwirkung für diesen Zeitraum. Wenn der Übertragungsstichtag auf einen Zeitpunkt vor dem schädlichen Beteiligungserwerb festgelegt wird, müssten daher ohne die Regelung des § 8c Abs. 1 S. 8 KStG bei der Anwendung des § 8c Abs. 1 S. 6 KStG grundsätzlich auch die im Wege einer „nachträglichen“ Verschmelzung einer anderen Kapitalgesellschaft auf die Verlustgesellschaft übergegangenen stillen Reserven berücksichtigt werden. b) Hintergrund von § 8c KStG Hintergrund für die Einführung des § 8c Abs. 1 KStG ist die sog. Mantelkaufproblematik. Eine Mantelgesellschaft ist eine Kapitalgesellschaft, die weder über einen Geschäftsbetrieb noch über nennenswertes Betriebsvermögen verfügt, und der deshalb keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zukommt.271 Im steuerrechtlichen Kontext wird unter einem Mantelkauf der Erwerb der Anteile an einer Mantelgesellschaft mit dem Ziel verstanden, nach der Zuführung neuer Mittel bestehende Verlustvorträge der Mantelgesellschaft auszunutzen.272 Streitpunkt ist beim Mantelkauf die Nutzung von Verlusten, die vor dem Anteilseignerwechsel entstanden sind. Nach dem Grundsatz der Personenidentität setzt eine Verlustverrechnung grundsätzlich Personengleichheit voraus zwischen der Person, die den Verlust erlitten hat und derjenigen, die ihn geltend macht.273 Daraus folgt zudem, dass Verluste nicht rechtsgeschäftlich von einem Steuersubjekt auf ein anderes Steuersubjekt übertragen werden können.
271 Vgl. Schmitz-Herscheidt, Beschränkung der Verlustberücksichtigung bei der Umstrukturierung von Körperschaften (2004), S. 143 f. 272 Vgl. Schmitz-Herscheidt, Beschränkung der Verlustberücksichtigung bei der Umstrukturierung von Körperschaften (2004), S. 176. 273 Vgl. von Groll in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz – Kommentar, § 10d Rn. A 82.
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Stellt man nur auf die rechtliche Identität der Mantelgesellschaft ab, so ist die Bedingung der Personengleichheit erfüllt. Die Körperschaftsteuersubjektfähigkeit einer Kapitalgesellschaft knüpft an deren Zivilrechtsfähigkeit an,274 die durch den Mantelkauf nicht in Frage gestellt wird. Ließe man die rechtliche Identität genügen, so hätte dies jedoch zur Folge, dass im wirtschaftlichen Ergebnis ein „Handel mit Verlusten“ möglich wäre, indem nicht der Verlust sondern das Rechtssubjekt Mantelgesellschaft als Träger der Verluste rechtsgeschäftlich übertragen wird. Ursache für die Mantelkaufproblematik ist somit letztlich die steuerrechtliche Anerkennung der Figur der juristischen Person.275 Beispiel: A ist Alleingesellschafter der M-GmbH. Nachdem sie mehrere Jahre hohe Verluste erlitten hat, stellt die mittlerweile nahezu vermögenslose M-GmbH den Geschäftsbetrieb ein. Die steuerlichen Verlustvorträge belaufen sich auf 1.000.000 €. B erwirbt sämtliche Anteile an der M-GmbH und bringt sein Einzelunternehmen in die Gesellschaft ein. Infolgedessen erzielt die M-GmbH noch im gleichen Veranlagungszeitraum einen Gewinn i.H.v. 1.000.000 €. Unterstellt man die steuerliche Anerkennung des Mantelkaufs, so könnte die M-GmbH diesen Gewinn mit den Altverlusten verrechnen und dadurch eine Steuerentlastung erzielen. Da die M-GmbH vermögenslos ist, ist das einzige Motiv für den Erwerb der aus der Nutzung des Verlustvortrags resultierende Steuervorteil. Der Kaufpreis für die Anteile an der M-GmbH würde sich an dem durch B zu realisierenden Steuervorteil orientieren. Bei wirtschaftlicher Betrachtung ist somit nicht die M-GmbH, sondern der Verlustvortrag Gegenstand der Transaktion.
Erstmals in einer Entscheidung aus dem Jahr 1958 hat sich der BFH dahingehend geäußert, dass rechtliche Identität für den Verlustabzug nicht genüge, sondern dass zusätzlich geprüft werden müsse, ob auch bei wirtschaftlicher Betrachtung Personengleichheit vorliegt.276 Letztlich wird somit schon in dieser Entscheidung die wirtschaftliche Identität als Voraussetzung für den Verlustabzug nach § 10d EStG formuliert.277 Allerdings verwies der BFH 274 Vgl. BFH Großer Senat v. 25.06.1984 - GrS 4/82, BStBl. II 1984, S. 757 f. 275 Vgl. Crezelius, DB 2002, S. 2616. 276 BFH v. 08.01.1958 - I 131/57 U, BFHE 66, S. 250. Ironischerweise hat sich die betroffene Gesellschaft, bevor sie selbst zum Mantel wurde, mit der Mantelproduktion befasst. 277 Die häufig anzutreffende Aussage, es habe „zwei Phasen“ in der Rechtsprechung des BFH gegeben, vgl. insofern beispielsweise Schmitz-Herscheidt, Beschränkung der Verlustberücksichtigung bei der Umstrukturierung von Körperschaften (2004), S. 144, ist daher nicht ganz zutreffend. Der BFH hat von Anfang an auch den Gedanken der wirtschaftlichen Identität angeführt.
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zugleich darauf, dass die Bestimmung der Kriterien für einen Wegfall der wirtschaftlichen Identität „schwierig und zweifelhaft“ sei.278 Die Versagung des Verlustabzugs wurde daher im konkreten Fall gleichsam hilfsweise damit begründet, der Mantelkauf stelle einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten dar.279 Eine Weiterentwicklung der Rechtsprechung erfolgte in einer Entscheidung aus dem Jahr 1966, in der der BFH erstmals die Versagung des Verlustabzugs mit dem Fehlen der wirtschaftlichen Identität begründete, so dass sich fortan ein Abstellen auf den Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten erübrigte. 1986 gab der BFH das Kriterium der wirtschaftlichen Identität wieder auf, da es sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck von § 10d EStG ergäbe.280 Fortan sollte die beim Mantelkauf in aller Regel gewahrte rechtliche Identität als Voraussetzung für den Verlustabzug nach § 10d EStG genügen. Der Gesetzgeber war jedoch nicht bereit, diesen Umschwung in der Rechtsprechung hinzunehmen. Durch das Steuerreformgesetz 1990 vom 25.07.1988281 wurde das Kriterium der wirtschaftlichen Identität in § 8 Abs. 4 KStG a.F. positiviert. Damit wurde bezweckt, einen Handel mit Verlusten zu verhindern.282 Als Regelbeispiel für den Wegfall der wirtschaftlichen Identität nannte das Gesetz die Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs mit überwiegend neuem Betriebsvermögen nach einem mehr als fünfundsiebzigprozentigen Anteilseignerwechsel. Damit wurde an die Rechtsprechung des BFH angeknüpft, der die wirtschaftliche Identität einer Kapitalgesellschaft bei einer Änderung des sog. „persönlichen und sachlichen Substrats“ verneint hatte.283 Erheblich verschärft wurde § 8 Abs. 4 KStG a.F. durch das Gesetz zur Fortführung der Unternehmensteuerreform vom 29.10.1997.284 Bezüglich des „persönlichen Substrats“ wurde die Schwelle für einen schädlichen Anteilseignerwechsel von 75 % auf 50 % gesenkt. Für eine Änderung des „sachlichen Substrats“ genügte es nach der Neufassung des § 8 Abs. 4 KStG, wenn der Betrieb mit überwiegend neuem Betriebsvermögen „fortgeführt“ wurde. Eine Einstellung und anschließende Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs war nicht mehr erforderlich. Damit wurde bezweckt, eine Umgehung von § 8 278 BFH v. 08.01.1958 - I 131/57 U, BFHE 66, S. 250. 279 BFH v. 08.01.1958 - I 131/57 U, BFHE 66, S. 250. 280 BFH v. 29.10.1986 - I R 202/82, BStBl. II 1987, S. 309; BFH v. 29.10.1986 - I R 318/83, I R 319/83, BStBl. II 1987, S. 312. 281 BGBl. I 1988, S. 1093. 282 BT-Drs. 11/2157, 171. 283 BFH v. 15.02.1966 - I 112/63, BB 1966, S. 569. 284 BGBl. I 1997, S. 2590.
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Abs. 4 KStG a.F. durch ein Weiterführen des Geschäftsbetriebs in einem geringen Umfang zu verhindern. Um negative wirtschaftliche Auswirkungen durch die Verschärfung zu vermeiden, wurde eine Sanierungsklausel in das Gesetz aufgenommen, vgl. § 8 Abs. 4 S. 3 KStG a.F. Als Konsequenz dieser Verschärfung ging der Anwendungsbereich von § 8 Abs. 4 KStG a.F. fortan weit über den klassischen Mantelkauf hinaus, auf den die Rechtsprechung des BFH abzielte.285 Charakteristisch für eine Mantelgesellschaft war danach, dass sie weder über nennenswerte Vermögenswerte noch über einen Geschäftbetrieb verfügte.286 Die Rechtsfolgen des § 8 Abs. 4 KStG 1997 konnten auch Körperschaften treffen, die in keiner Weise dem Bild einer Mantelgesellschaft als abwicklungsreifer, leerer Hülle entsprechen. § 8 Abs. 4 KStG a.F. hat sich als eine der am schwierigsten zu handhabenden Vorschriften des Steuerrechts überhaupt erwiesen. Hierfür war insbesondere die Vielzahl der in der Norm verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe verantwortlich. Als besonders streitanfällig hat sich dabei das Tatbestandsmerkmal der Betriebsvermögenszuführung erwiesen. Bereits im Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für das Steuervergünstigungsabbaugesetz (StVergAbG) 2002287 wurde ein Vorstoß zur Streichung des Tatbestandsmerkmals der Betriebsvermögenszuführung unternommen, der unter anderem der Rechtsvereinfachung dienen sollte.288 Vorgesehen war, § 8 Abs. 4 S. 2-4 KStG a.F. durch folgende Formulierung zu ersetzen: „Wirtschaftliche Identität liegt insbesondere dann nicht vor, wenn Anteile an einer Kapitalgesellschaft erworben werden und dem Erwerber dadurch allein oder zusammen mit nahestehenden Personen im Sinne von § 1 Abs. 2 des Außensteuergesetzes die Mehrheit der Stimmrechte an der Gesellschaft zusteht. […]“
Dadurch wäre für den Wegfall der wirtschaftlichen Identität das Entstehen einer – neuen – Mehrheitsbeteiligung maßgeblich gewesen. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass eine Nutzung der Verluste einen maßgebenden Einfluss auf die Gesellschaft voraussetzt.289 Das Vorhaben wurde im Gesetzgebungsverfahren aufgrund der erheblichen „Kritik von sachverständiger Seite“ aufgegeben.290 Auch am Entwurf zu § 8c KStG hat es nicht an Kritik gefehlt, ohne dass sich der Gesetzgeber davon beeindrucken ließ. Als Ursache kann vermutet wer285 286 287 288 289 290
Vgl. Crezelius, DB 2002, S. 2614. Vgl. BFH v. 15.02.1966 - I 112/63, BB 1966, S. 569. BT-Drs. 15/119. BT-Drs. 15/119, S. 10. BT-Drs. 15/119, S. 43. BT-Drs. 15/481, S. 9.
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den, dass § 8c KStG einen erheblichen Beitrag zur Gegenfinanzierung der Steuersatzsenkung im Rahmen der Unternehmensteuerreform 2008 leisten sollte. Während die im StVergAbG vorgesehene Verschärfung von § 8 Abs. 4 KStG vergleichsweise bescheidene Steuermehreinnahmen von 140 Millionen Euro jährlich bedeutet hätte,291 werden die Mehreinnahmen durch § 8c KStG auf 1,485 Milliarden Euro veranschlagt.292 § 8c KStG kommt damit die gleiche fiskalische Bedeutung zu wie der ebenfalls durch die Unternehmensteuerreform 2008 eingeführten „Zinsschranke“.293 Die Gesetzesbegründung enthält jedoch keinen Hinweis auf diese offensichtliche fiskalische Motivation. Die Neuregelung wird einzig und allein mit dem Gedanken der Rechtsvereinfachung begründet.294 Noch problematischer ist, dass der Eindruck erweckt wird, es handle sich bei § 8c KStG – nur – um eine Weiterentwicklung von § 8 Abs. 4 KStG a.F. So wird das alleinige Abstellen auf einen qualifizierten Anteilseignerwechsel als neues Konzept zur Bestimmung der „wirtschaftlichen Identität“ bezeichnet.295 Dadurch wird verschleiert, dass sich durch die Aufgabe des Tatbestandsmerkmals der Betriebsvermögenszuführung der Charakter der Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 8 Abs. 4 KStG a.F. komplett ändert. § 8c ist keine Weiterentwicklung des § 8 Abs. 4 KStG, sondern qualitativ etwas völlig Neues. Nach § 8c KStG genügen für den Wegfall der wirtschaftlichen Identität einer Kapitalgesellschaft ausschließlich Umstände, die auf der Ebene der Anteilseigner liegen. Demgegenüber wurde durch das Tatbestandsmerkmal der Betriebsvermögenszuführung die Ebene der Gesellschaft zumindest mit in den Blick genommen. Nachdem bereits § 8 Abs. 4 KStG 1997 keine reine Mantelkaufregelung darstellte, löst sich § 8c KStG endgültig von der Mantelkaufproblematik. 3. Gewerbesteuer Die interperiodische Verlustverrechnung im Rahmen der Gewerbesteuer ist in § 10a GewStG geregelt. Nach § 10a S. 1 und 2 GewStG ist der Verlustvortrag unbeschränkt nur bis zu einem Sockelbetrag von einer Million Euro möglich. Darüber hinaus ist eine Verlustverrechnung im Wege des Verlustvortrags nur bis zu 60 % des eine Million Euro übersteigenden positiven Gewerbeertrags möglich. Im Ergebnis bedeutet dies, dass das Mindestbesteuerungskonzept aus § 10d Abs. 2 EStG vollständig auf die Gewerbesteuer 291 292 293 294 295
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BT-Drs. 15/119, S. 30. BT-Drs. 16/4841, S. 43. BT-Drs. 16/4841, S. 42. BT-Drs. 16/4841, S. 34 f., 74 ff. BT-Drs. 16/4841, S. 76.
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übertragen wurde. Ein Verlustrücktrag ist bei der Gewerbesteuer hingegen nicht möglich. Damit wird auf die beschränkten finanzplanerischen Möglichkeiten der Gemeinden als Empfängerinnen der Gewerbesteuer Rücksicht genommen.296 Insbesondere kleine Gemeinden mit wenigen großen Gewerbesteuerzahlern sollen vor den haushaltspolitischen Risiken hoher Gewerbesteuerrückzahlungen infolge von Verlustrückträgen geschützt werden.297 Über § 10a GewStG hinaus setzt der gewerbesteuerliche Verlustabzug nach der Rechtsprechung des BFH sowohl Unternehmens- als auch Unternehmeridentität voraus.298 a) Unternehmensidentität Gemäß dem Grundsatz der Unternehmensidentität muss der Gewerbebetrieb, der den Verlust geltend macht, mit dem Gewerbebetrieb identisch sein, der den Verlust erlitten hat.299 Dieses Kriterium wird aus dem Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer abgeleitet.300 Die Unternehmensidentität ist nicht nach rechtlichen, sondern nach wirtschaftlichen Maßstäben zu beurteilen.301 Die Kriterien für die Beurteilung, ob die gewerbliche Tätigkeit nach dem Gesamtbild gleich geblieben ist, sind die gleichen, nach denen auch die Frage der Einheit oder Mehrheit von Gewerbebetrieben beurteilt wird.302 Relevant sind insbesondere die Art der Betätigung, der Kunden- und Lieferantenkreis, die Arbeitnehmerschaft, die Geschäftsleitung, die Betriebsstätten sowie der Umfang und die Zusammensetzung des Aktivvermögens.303 b) Unternehmeridentität Neben der Unternehmensidentität setzt die interperiodische Geltendmachung gewerbesteuerlicher Verluste auch Unternehmeridentität voraus. Unternehmeridentität bedeutet, dass der Unternehmer, der im Rahmen seines Unternehmens die Gewerbeverluste abziehen will, dieselbe Person sein muss, die
296 Vgl. Haarmann, Stbg 2001, S. 147. 297 Vgl. Montag in: Tipke/Lang, Steuerrecht (2009), S. 484. 298 Vgl. BFH Großer Senat v. 03.05.1993 - GrS 3/92, BStBl. II 1993, S. 619; GewStR 1998, R 66 Abs. 1 S. 3; Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer (2008), S. 283. 299 GewStR 1998, R 67 Abs. 1 S. 1. 300 Vgl. BFH v. 12.11.1991 - VIII R 4/88, BFH/NV 1992, S. 545 ff.; Birk, Steuerrecht (2009), S. 385; Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer (2008), S. 284; Wehrheim/Haussmann, StuW 2008, S. 318. 301 Vgl. Reichert, Lehrbuch der Gewerbesteuer (2003), S. 129. 302 Vgl. Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer (2008), S. 284. 303 GewStR 1998, R 67 Abs. 1 S. 3.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
das Unternehmen betrieben hat, als die Verluste entstanden sind.304 Ein Unternehmerwechsel führt zum Untergang der noch nicht genutzten gewerbesteuerlichen Verluste. Dabei ist gleichgültig, ob der Unternehmerwechsel auf einer entgeltlichen oder unentgeltlichen Übertragung beruht. Schädlich ist somit auch der Übergang eines Gewerbebetriebs im Erbgang bzw. im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge.305 Ausdrücklich gesetzlich geregelt ist nur, dass im Fall der Übertragung eines Gewerbebetriebs im Ganzen vorhandene Verlustvorträge untergehen, §§ 10a S. 7, 2 Abs. 5 GewStG. Die Rechtsprechung des BFH geht jedoch darüber hinaus und versagt den Verlustabzug anteilig auch im Falle eines Wechsels im Gesellschafterbestand einer Personengesellschaft.306 Dies ist im Hinblick auf den Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer problematisch, denn ein Gesellschafterwechsel berührt die Identität des Gewerbesteuerobjekts Personengesellschaft nicht.307 Anders als bei Personengesellschaften führt ein Anteilseignerwechsel bei einer Kapitalgesellschaft nicht zu einem Entfallen der Unternehmeridentität.308 Stattdessen ist auf gewerbesteuerliche Fehlbeträge gemäß § 10a S. 10 GewStG die Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 8c KStG entsprechend anwendbar.309
III.
Intersubjektive Verlustverrechnung
Die intersubjektive Verlustverrechnung wurde in letzter Zeit sowohl durch gesetzliche Maßnahmen, als auch durch Änderungen in der Rechtsprechung stark eingeschränkt. Dennoch ist es nach wie vor in bestimmten Konstellationen möglich, Verluste zwischen zwei Steuersubjekten zu übertragen. 1. Intersubjektive Verlustverrechnung ohne Rechtsnachfolge Eine intersubjektive Verlustverrechnung ohne Rechtsnachfolge findet bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten sowie ihm Rahmen der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft statt.
304 Vgl. BFH Großer Senat v. 03.05.1993 - GrS 3/92, BStBl. II 1993, S. 619; Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer (2008), S. 284. 305 GewStR 1998, R 68 Abs. 1 S. 3. 306 Vgl. BFH Großer Senat v. 03.05.1993 - GrS 3/92, BStBl. II 1993, S. 616. 307 Vgl. BFH v. 12.11.1991 - VIII R 4/88, BFH/NV 1992, S. 545 ff.; Knobbe-Keuk, StuW 1978, S. 268; Reichert, Lehrbuch der Gewerbesteuer (2003), S. 130. 308 BFH v. 29.10.1986 - I R 318/83, I R 319/83, BStBl. II 1987, S. 313. 309 Vgl. von Twickel in: Blümich, GewStG, § 10a Rn. 93 ff.
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Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten
a) Zusammenveranlagung von Ehegatten Bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten, § 26 EStG, werden nach § 26b EStG die von den Ehegatten erzielten Einkünfte zusammengerechnet. Da durch die Zusammenveranlagung die Rechtssubjektseigenschaft der Ehegatten nicht aufgehoben wird,310 ergibt sich dadurch automatisch eine intersubjektive Verlustverrechnung für den Fall, dass ein Ehegatte über positive, der andere jedoch über negative Einkünfte verfügt. Das Gesetz regelt nicht eindeutig, auf welcher Stufe die Einkünfte der Ehegatten zusammenzurechnen sind.311 Dies ist jedoch von entscheidender Bedeutung für die Durchführung des Verlustausgleichs. In der Literatur wird zum Teil die Ansicht vertreten, im Rahmen der Zusammenveranlagung seien gleichartige Einkünfte der Ehegatten zusammenzurechnen.312 Damit wäre bereits auf der Ebene des horizontalen Verlustausgleichs eine intersubjektive Verlustverrechnung zwischen den Ehegatten möglich. Nach der Gegenansicht ist die Zusammenrechnung erst auf der Ebene der Summe der Einkünfte vorzunehmen.313 Dies würde bedeuten, dass zunächst für jeden Ehegatten getrennt der horizontale und vertikale Verlustausgleich durchzuführen wäre. Für die Ermittlung des verbleibenden Verlustvortrags, § 10d Abs. 4 EStG, wird diese Berechnungsweise in R 10d Abs. 7 EStR 2005 angeordnet. Relevant ist die Zusammenrechnungstechnik vor allem für das Schicksal der vom allgemeinen intraperiodischen Verlustausgleich ausgeschlossenen Verluste. Wäre die Zusammenveranlagung bereits auf der Stufe des horizontalen Verlustausgleichs vorzunehmen, so spräche dies dafür, dass auch Verluste, für die intraperiodisch besondere Verlustverrechnungskreise definiert werden, automatisch intersubjektiv ausgeglichen werden. Bei einer Zusammenrechnung nach getrenntem Verlustausgleich wären diese Verluste hingegen von einer intersubjektiven Verlustverrechnung ausgeschlossen. Die Rechtsprechung des BFH folgt in dieser Frage einem pragmatischen Mittelweg. Einerseits betont der BFH, dass die Ehegatten auch bei Zusammenveranlagung individuelle Träger sowohl der intra- als auch der interperiodischen Verlustverrechnung bleiben,314 was für eine getrennte Durchführung des horizontalen und vertikalen Verlustausgleichs spricht. Andererseits soll aber im Rahmen der Zusammenveranlagung der Ausgleich von positiven und negativen Einkünften der Ehegatten in der für die Steuerpflichtigen
310 311 312 313 314
Vgl. Lang in: Tipke/Lang, Steuerrecht (2009), S. 413. Vgl. Seiler in: Kirchhof, EStG Kompaktkommentar (2008), § 26b Rn. 6. Vgl. Seeger in: Schmidt, Einkommensteuergesetz (2008), § 26b Rn. 3. Vgl. Seiler in: Kirchhof, EStG Kompaktkommentar (2008), § 26b Rn. 6. BFH v. 22.02.2005 - VIII R 89/00, BStBl. II 2005, S. 624.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
günstigsten Weise erfolgen.315 Dementsprechend hat der BFH bei verrechnungsbeschränkten Verlusten aus gewerblicher Tierhaltung einen eheinternen horizontalen Verlustausgleich zugelassen.316 Diese Rechtsprechung kann auf alle Beschränkungen des Verlustausgleichs auf eine Einkunftsunterart317 übertragen werden. Dagegen können Verlustverrechnungsbeschränkungen auf die Einkunftsquelle naturgemäß auch nicht im Rahmen der Zusammenveranlagung überwunden werden. Die Eheleute A und B werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. A erzielte einen Gewinn aus selbständiger Tätigkeit (100.000 €), einen Verlust aus Gewerbebetrieb (50.000 €) sowie einen Verlust aus gewerblicher Tierhaltung (20.000 €). B erzielte einen Gewinn aus Gewerbebetrieb (200.000 €), aus gewerblicher Tierhaltung (30.000 €) sowie einen Verlust aus Vermietung und Verpachtung (100.000 €). Einkünfte A
§ 15 IV EStG
Einkünfte B
-20.000 €
§ 15 IV EStG
Zusammenveranlagung: 30.000 € 10.000 €
§ 15 EStG
-50.000 €
§ 15 EStG
200.000 €
§ 18 EStG
100.000 €
§ 21 EStG
-100.000 €
Summe der Einkünfte:
50.000 €
Summe der Einkünfte:
100.000 €
Gesamtbetrag der Einkünfte:
160.000 €
Abbildung 12 Intersubjektive Verlustverrechnung bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten
Auch im Rahmen der interperiodischen Verlustverrechnung bleibt grundsätzlich jeder Ehegatte individueller Träger des Verlustabzugs gemäß § 10d EStG.318 Obwohl durch die Zusammenveranlagung die Steuersubjektseigenschaft der Ehegatten somit auch beim Verlustabzug nicht aufgehoben wird, stehen den Ehegatten pauschal doppelte Höchst- bzw. Sockelbeträge für den Verlustrücktrag, § 10d Abs. 1 S. 1 EStG, und – im Rahmen der Mindestbesteuerung – für den Verlustvortrag, § 10d Abs. 2 S. 2 EStG, zur Verfügung. Darauf, welcher Ehegatte den Verlust erlitten hat, kommt es insoweit nicht 315 316 317 318
82
BFH v. 23.08.1977 - VIII R 120/74, BStBl. II 1978, S. 9. BFH v. 06.07.1989 - IV R 116/87, BStBl. II 1989, S. 787. Vgl. 1. Teil B. I. a) bb). BFH v. 22.02.2005 - VIII R 89/00, BStBl. II 2005, S. 624.
Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten
an. Eine Verlustaufteilung erfolgt nur bei einem Wechsel der Veranlagungsart gemäß § 26a Abs. 3 EStG i.V.m § 62d EStDV. b) Körperschaftsteuerliche Organschaft Das Rechtsinstitut der körperschaftsteuerlichen Organschaft ist die Antwort des deutschen Steuerrechts auf die Organisationsform des Konzerns. Ein Konzern ist eine wirtschaftliche Einheit, die aus mehreren rechtlich selbständigen Unternehmen besteht.319 Während das Handelsrecht der wirtschaftlichen Betrachtung den Vorrang einräumt und in den §§ 290 ff. HGB die Ermittlung eines einheitlichen Konzerngewinns auf der Basis einer konsolidierten Konzernbilanz vorschreibt, folgt das Steuerrecht im Ausgangspunkt der juristischen Sichtweise. Der Konzern ist selbst kein Steuersubjekt. Zur Besteuerung werden vielmehr grundsätzlich die einzelnen Konzerngesellschaften mit ihren jeweiligen Ergebnissen herangezogen. Jedoch nimmt das Steuerrecht auf die wirtschaftliche Einheit des Konzerns insofern Rücksicht, als es die Möglichkeit zur Bildung einer Organschaft eröffnet. Innerhalb einer Organschaft werden gemäß § 14 KStG die – positiven und negativen – Ergebnisse der einzelnen Konzerngesellschaften der Konzernspitze zugerechnet. Die wesentliche Wirkung der körperschaftsteuerlichen Organschaft besteht in der wechselseitigen Verrechnung von Verlusten zwischen den Gesellschaften eines Organkreises.320 Da die Organschaft an der Steuersubjektsqualität der einzelnen Konzerngesellschaften nichts ändert,321 handelt es sich um eine Form der intersubjektiven Verlustverrechnung. aa) Personale Voraussetzungen Gemäß §§ 14 Abs. 1 S. 1, 17 KStG kommen als Organgesellschaften nur Kapitalgesellschaften sowie Unternehmen in der Rechtsform der KGaA in Betracht. Eine Organgesellschaft muss zudem einen sog. doppelten Inlandsbezug aufweisen, d.h. sowohl der Sitz als auch die Geschäftsleitung der Organgesellschaft müssen sich im Inland befinden. Auch die Einbeziehung nur der inländischen Betriebsstätte einer ausländischen Tochtergesellschaft in den Organkreis ist nicht möglich.322 Organträger können hingegen auch natürliche Personen und Personengesellschaften sein, § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 KStG. Das Erfordernis eines doppelten Inlandsbezugs wurde für den Organträger durch das Unternehmenssteuer319 Vgl. Fußbroich, Verlustverrechnung und Verlustverwertung in der Konzernunternehmung (2001), S. 6. 320 Vgl. Schön, ZHR 2007, S. 420. 321 Vgl. Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer (2008), S. 93. 322 Vgl. Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer (2008), S. 141.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
fortentwicklungsgesetz vom 20.12.2001323 abgeschafft. Seither muss sich lediglich die Geschäftsleitung im Inland befinden. Somit kann eine doppelt ansässige – d.h. in zwei Staaten unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaft – Organträger sein.324 Allerdings ist erforderlich, dass der ausländische Rechtsträger einen Gewinnabführungsvertrag abschließen kann, der zumindest den Voraussetzungen des § 17 KStG entspricht.325 Umgekehrt genügt es jedoch nicht, dass sich nur der Sitz in Deutschland befindet, obwohl auch in diesem Fall unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland besteht.326 Beim Organträger muss es sich gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 KStG um ein gewerbliches Unternehmen handeln. Kapitalgesellschaften erfüllen diese Bedingung wegen der Fiktion in § 8 Abs. 2 KStG qua Rechtsform. § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 2 KStG stellt klar, dass Personengesellschaften über einen originären Gewerbebetrieb verfügen müssen und eine gewerbliche Prägung gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG nicht genügt. Durch diese Regelung wird die sog. „Mehrmütterorganschaft“ ausgeschlossen. Wäre eine reine „HoldingPersonengesellschaft“ als Organträger zulässig, könnte wegen der steuerlichen Transparenz der Personengesellschaft das zunächst beim Organträger gebündelte Ergebnis der Organgesellschaften mehreren an der Personengesellschaft beteiligten „Müttern“ zugerechnet werden. bb) Sachliche Voraussetzungen Eine Organschaft setzt eine finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft in den Organträger sowie den Abschluss eines Gewinnabführungsvertrags voraus. Finanzielle Eingliederung ist gegeben, wenn der Organträger über die Mehrheit der Stimmrechte an der Organsgesellschaft verfügt, § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KStG. Durch dieses Tatbestandsmerkmal wird die Fähigkeit des Organträgers zur Willensdurchsetzung in der Organgesellschaft sichergestellt.327 Gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 2 KStG genügt für die finanzielle Eingliederung eine mittelbare Beteiligung, sofern die Beteiligung an jeder vermittelnden Gesellschaft die Mehrheit der Stimmrechte gewährt. Zur finanziellen Eingliederung muss hinzukommen, dass sich die Organgesellschaft verpflichtet, ihren gesamten Gewinn an den Organträger abzuführen, § 14 Abs. 1 S. 1 KStG. Somit ist der Abschluss eines Gewinnabführungsvertrags Voraussetzung einer körperschaftsteuerlichen Organschaft. Gesetzlich geregelt ist der Gewinnabführungsvertrag nur für die Aktienge323 324 325 326 327
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BGBl. I 2001, S. 3858. Vgl. Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer (2008), S. 97. BT-Drs. 14/6882, S. 37. Vgl. Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer (2008), S. 98. Vgl. Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer (2008), S. 104.
Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten
sellschaft in § 291 Abs. 1 AktG. Eine GmbH kann jedoch einen Vertrag mit einem entsprechenden Inhalt abschließen.328 Der Gewinnabführungsvertrag muss gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG auf mindestens fünf Jahre abgeschlossen und während seiner gesamten Geltungsdauer durchgeführt werden. In einem mehrstufigen Konzern können Gewinnabführungsverträge zum einen zwischen den jeweils unmittelbar aneinander beteiligten Gesellschaften geschlossen werden. Dies hat zur Folge, dass mehrere sich überlappende Organkreise entstehen. Man spricht dann von einer Organschaftskette.329 Da es gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 2 KStG für die finanzielle Eingliederung genügt, wenn die Mehrheit der Stimmrechte über eine mittelbare Beteiligung gehalten wird, können die Gewinnabführungsverträge zum anderen aber auch über die Beteiligungsstufen hinweg direkt mit der Gesellschaft an der Konzernspitze abgeschlossen werden, also beispielsweise direkt zwischen Mutter- und Enkelgesellschaft.330 Hintergrund für das Erfordernis eines Gewinnabführungsvertrags ist die Wertung, dass eine Zurechnung von Verlusten der Organgesellschaft zum Organträger nur dann gerechtfertigt ist, wenn der Organträger für diese Verluste auch zivilrechtlich haftet.331 Diese Rechtsfolge ergibt sich bei einer AG als Organgesellschaft unmittelbar aus § 302 Abs. 1 AktG. Bei einer sonstigen Kapitalgesellschaft ist die Vereinbarung einer Verlustübernahme entsprechend § 302 AktG gemäß § 17 S. 2 Nr. 2 KStG Voraussetzung für die steuerliche Anerkennung. cc) Rechtsfolgen der Organschaft Die Einkommensermittlung im Organkreis erfolgt – vereinfacht – in einem zweistufigen Verfahren. In einem ersten Schritt ermitteln die Organgesellschaften und der Organträger ihr jeweiliges Einkommen nach den allgemeinen Vorschriften. In einem zweiten Schritt werden die Ergebnisse der Organgesellschaften dem Organträger zugerechnet. Unabhängig davon, ob eine Organgesellschaft einen Gewinn oder einen Verlust erzielt hat, beträgt ihr Ergebnis steuerrechtlich immer Null. Durch die Zurechnung der Ergebnisse der Organgesellschaften kommt es innerhalb des Organkreises zu einem intersubjektiven Verlustausgleich:
328 Vgl. Altmeppen in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz (2000), § 291 AktG Rn. 4. 329 Vgl. Danelsing in: Blümich, KStG, § 14 Rn. 83. 330 Vgl. Scheidle/Koch, DB 2005, S. 2656. 331 Vgl. Grotherr, FR 1995, S. 1; Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer (2008), S. 108.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
Die M-AG als Organträger bildet mit der T1-GmbH, der T2-GmbH und der E1-GmbH als Organgesellschaften einen Organkreis. Die E2-GmbH steht mangels eines wirksamen Gewinnabführungsvertrags (GAV) außerhalb des Organkreises. M-AG (+ 2.000.000 €)
100 %
100 %
T1-GmbH: (+ 1.000.000 €)
T2-GmbH (+3.000.000 €) GAV
GAV
100 % E1-GmbH (- 5.000.000 €)
100 % E2-GmbH (-2.000.000 €)
GAV Einkommensermittlung bei Organträger M-AG: + + ./. =
2.000.000 € 1.000.000 € 3.000.000 € 5.000.000 € 1.000.000 €
(Jahresüberschuss M-AG) (Jahresüberschuss T1-GmbH) (Jahresüberschuss T2-GmbH) (Jahresfehlbetrag E1-GmbH)
Abbildung 13 Verlustverrechnung im Organkreis
Ein Verlustabzug gemäß § 10d EStG ist bei Organgesellschaften nicht zulässig, § 15 S. 1 Nr. 1 KStG. Dadurch wird verhindert, dass vororganschaftliche Verluste im Rahmen der Organschaft verrechnet werden können. Verlustvorträge, die bei Eintritt in die Organschaft vorhanden sind, kann die Organgesellschaft erst wieder nach ihrem Ausscheiden aus der Organschaft nutzen. c) Gewerbesteuerliche Organschaft Das Gewerbesteuerrecht regelt die Voraussetzungen der Organschaft nicht eigenständig, sondern verweist insofern auf das KStG, so dass auf der Tatbestandsseite kein Unterschied zwischen körperschaftsteuerlicher und gewerbesteuerlicher Organschaft besteht.332 Unterschiede bestehen jedoch hinsichtlich der Rechtsfolgen. Nach § 2 Abs. 2 S. 2 GewStG werden Organgesellschaften einer körperschaftsteuerlichen Organschaft gewerbesteuerlich als Betriebsstätten des Organträgers fingiert. Während die Organgesellschaft körperschaftsteuerlich eigenständiges Steuersubjekt bleibt, verliert sie infolge der Betriebsstättenfiktion ihre gewerbesteuerliche Steuersubjektseigenschaft und wird zum unselbständigen Teil des Organträgers.333 Von einer 332 Vgl. Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer (2008), S. 280. 333 Vgl. Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer (2008), S. 281.
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Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten
intersubjektiven Verlustverrechrechnung kann somit nur im Hinblick auf die zivilrechtliche Selbständigkeit der Organgesellschaften gesprochen werden. Diese Rechtsfolge wird jedoch in der Praxis nicht konsequent verwirklicht,334 da Rechtsprechung und Verwaltung der sog. eingeschränkten Einheitstheorie folgen.335 Organgesellschaft und Organträger werden auch gewerbesteuerlich nicht als ein einheitliches Unternehmen angesehen. Dem Organträger wird lediglich die persönliche Gewerbesteuerpflicht der Organgesellschaft zugerechnet, während die objektive Steuerpflicht bei dieser verbleibt.336 Dementsprechend sind die jeweiligen Gewerbeerträge der einzelnen Gewerbebetriebe im Organkreis getrennt zu ermitteln und dem Organträger zuzurechnen. Organträger und Organgesellschaften stellen keine einheitliche Bilanz auf und auch Zwischenerfolge werden nicht eliminiert.337 Über die Zurechnung zum Organträger ermöglicht die gewerbesteuerliche Organschaft analog zur körperschaftsteuerlichen Organschaft innerhalb des Organkreises einen unbegrenzten Verlustausgleich bezüglich der während der Organschaft erzielten Verluste.338 2. Intersubjektive Verlustverrechnung bei Rechtsnachfolge Im Hinblick auf die intersubjektive Verlustverrechnung bei Rechtsnachfolge muss nochmals zwischen Gesamt- und Einzelrechtsnachfolge differenziert werden. a) Gesamtrechtsnachfolge aa) Gesamtrechtsnachfolge nach einer natürlichen Person Der wichtigste Fall der Gesamtrechtsnachfolge nach einer natürlichen Person ist der Erbfall gemäß § 1922 BGB.339 Eine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung zum Schicksal von Verlusten, die der Erblasser im Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht mit positiven Einkünften verrechnen konnte, existiert nicht. Daher blieb die Beantwortung dieser Frage seit jeher der Rechtsprechung vorbehalten. 334 335 336 337
Vgl. Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer (2008), S. 282. Vgl. Montag in: Tipke/Lang, Steuerrecht (2009), S. 887 f.. Vgl. Montag in: Tipke/Lang, Steuerrecht (2009), S. 888. Vgl. Montag in: Tipke/Lang, Steuerrecht (2009), S. 888; Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer (2008), S. 282. 338 Vgl. Reichert, Lehrbuch der Gewerbesteuer (2003), S. 130. 339 Weitere Beispiele sind die Universalsukzession bei Begründung einer Gütergemeinschaft gemäß § 1416 Abs. 2 BGB sowie die partielle Gesamtrechtsnachfolge bei der Ausgliederung eines von einem Einzelkaufmann betriebenen Unternehmens, §§ 123 Abs. 3, 131, 152 UmwG.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
Der RFH hatte einen Übergang von Verlusten im Erbfall abgelehnt.340 Demgegenüber hat der BFH in einer über mehrere Jahrzehnte bestehenden Rechtsprechung einen Verlustabzug durch den Erben zugelassen.341 Sofern mehrere Erben vorhanden waren, wurden die Verluste des Erblassers ohne Rücksicht auf die Vermögensverteilung entsprechend der Erbquote aufgeteilt.342 Der Übergang der Verluste war also nicht an die Einkunftsquelle der Verlustentstehung gebunden. Selbst wenn die Verluste lediglich aus einer bestimmten Einkunftsquelle – beispielsweise einem Gewerbebetrieb – stammten und lediglich einer der Erben diese Einkunftsquelle fortführte, erfolgte eine Aufteilung der beim Erblasser noch nicht ausgeglichenen Verluste. Voraussetzung für den Übergang der Verluste im Erbfall war, dass der Erbe durch die vom Erblasser erlittenen Verluste wirtschaftlich belastet war. Dadurch sollte die Nutzung von Verlusten durch den Erben im Falle der Nachlassinsolvenz verhindert werden.343 Der Erbe konnte die Verluste des Erblassers sowohl intraperiodisch im Rahmen des Verlustausgleichs als auch interperiodisch im Wege des Verlustabzugs nutzen.344 Diese Rechtsprechung geriet durch eine Divergenzanfrage des 1. Senats des BFH345 ins Wanken. Nachdem sämtliche angefragten Senate zugestimmt hatten, die Nutzung der vom Erblasser nicht ausgeglichenen Verluste durch den Erben zukünftig nicht mehr zuzulassen,346 hielt der 1. Senat überraschend doch an der bisherigen Rechtsprechung fest.347 Daraufhin ergriff der 11. Senat die Initiative und stellte seinerseits eine Divergenzanfrage mit dem Ziel, den 1. und den 8. Senat zu einer Aufgabe ihrer Rechtsprechung zu bewegen.348 Nachdem der 1. und der 8. Senat ihre Zustimmung zu einer Änderung der Rechtsprechung verweigert hatten,349 legte der 11. Senat die Frage
340 RFH v. 07.11.1934 - VI A 875/34, StuW 1935, Teil II, Sp. 47. 341 Den Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung bilden zwei Entscheidungen aus dem Jahr 1962: BFH v. 15.03.1962 - IV 177/60, HFR 1963, S. 8 f.; BFH v. 22.06.1962 - VI 49/61 S, BFHE 75, S. 328. 342 Vgl. BFH v. 29.03.2000 - I R 76/99, BStBl. II 2000, S. 625; Heinrich in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 143. 343 Vgl. Heinrich in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 128. 344 Vgl. von Groll in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz – Kommentar, § 10d Rn. B 191. 345 BFH v. 29.03.2000 - I R 76/99, BStBl. II 2000, S. 622 ff. 346 BFH v. 24.08.2000 - IV ER -S- 1/00, ZEV 2000, 468; BFH v. 24.10.2000 - VIII ER S- 1/00, BFH/NV 2001, 162; BFH v. 06.09.2000 - XI ER -S- 3/00. 347 BFH v. 16.05.2001 - I R 76/99, BStBl. II 2002, S. 487 ff. 348 BFH v. 10.04.2003 - XI R 54/99, BStBl. II 2004, S. 400 ff. 349 BFH v. 14.10.2003 - VIII ER - S 2/03, BFH/NV 2004, 311; BFH v. 22.10.2003 - I ER -S- 1/03 (XI R 54/99), I ER -S- 1/03, BStBl. II 2004, S. 414 ff.
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Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten
schließlich dem Großen Senat des BFH vor.350 Mit seiner Entscheidung vom 17.12.2007 hat der Große Senat mehr als sieben Jahre der Rechtsunsicherheit beendet und abschließend entschieden, dass der Erbe einen vom Erblasser nicht ausgenutzten Verlustabzug nach § 10d EStG nicht bei seiner eigenen Veranlagung zur Einkommensteuer geltend machen kann.351 bb) Gesamtrechtsnachfolge nach einer Kapitalgesellschaft Die Problematik der Verlustverrechnung bei Gesamtrechtsnachfolge nach einer Kapitalgesellschaft352 wird vor allem bei der Verschmelzung, bei der Spaltung oder beim Formwechsel einer Kapitalgesellschaft nach dem UmwG relevant. Bei der Verschmelzung einer Kapitalgesellschaft auf eine Personengesellschaft tritt letztere nach § 4 Abs. 2 S. 1 UmwStG in die steuerliche Rechtsstellung der übertragenden Körperschaft ein. Verrechenbare Verluste, verbleibende Verlustabzüge und nicht ausgeglichene negative Einkünfte werden jedoch durch § 4 Abs. 2 S. 2 UmwStG ausdrücklich von einem Übergang auf den übernehmenden Rechtsträger ausgeschlossen.353 Im Falle des Formwechsels bzw. der Spaltung ergibt sich diese Rechtsfolge aus § 9 UmwStG bzw. § 16 UmwStG, die jeweils auf § 4 UmwStG verweisen. Ihre jetzige Gestalt erhielt die Vorschrift durch das Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) vom 07.12.2006354, durch das die Nichtberücksichtigung von Verlusten zu einem allgemeinen Prinzip des Umwandlungsteuerrechts geworden ist.355 Vorher wurden die nicht übergehenden Verlustpositionen in § 4 Abs. 2 UmwStG a.F. noch einzeln aufgezählt. Ob in den nicht ausdrücklich genannten Fällen, beispielsweise § 15b EStG, ein Verlustübergang möglich war, war strittig.356
350 BFH v. 28.07.2004 - XI R 54/99, BStBl. II 2005, S. 262 ff. 351 BFH Großer Senat v. 17.12.2007 - GrS 2/04, BFH/NV 2008, S. 651 ff. 352 Zur Vereinfachung werden nachfolgend nur Kapitalgesellschaften als steuerlich bedeutsamste Erscheinungsform der juristischen Person untersucht. 353 Unmittelbar erfasst § 4 Abs. 2 S. 2 UmwStG nur körperschaftsteuerliche Verluste. Der Untergang auch der gewerbesteuerlichen Verluste der übertragenden Körperschaft ergibt sich aus § 18 Abs. 1 S. 2 UmwStG, der auf § 4 UmwStG verweist. 354 BGBl. I 2006, S. 2782. 355 Vgl. Birkemeister in: Rödder/Herrlinghaus/van Lishaut, Umwandlungsteuergesetz (2008), § 4 Rn. 57. 356 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung des Meinungsstreits bei Schmitz-Herscheidt, Beschränkung der Verlustberücksichtigung bei der Umstrukturierung von Körperschaften (2004), S. 83 ff.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege lata
Begründet wird das Verlustverrechnungsverbot gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 UmwStG bei Verschmelzung auf eine Personengesellschaft mit der Aufrechterhaltung der Trennung der Besteuerungssysteme von KStG und EStG. § 4 Abs. 2 S. 2 UmwStG soll verhindern, dass nicht genutzte Verluste von der Ebene Körperschaft auf die Ebene der Mitunternehmer der Personengesellschaft gelangen können.357 Nach Vorstellung des Gesetzgebers sollen sich Verluste der Kapitalgesellschaft bei den Gesellschaftern der Personengesellschaft nur indirekt im Rahmen der Ermittlung ihres Übernahmeergebnisses nach § 4 Abs. 4 UmwStG auswirken können.358 Dieser mittelbare Weg der Verlustberücksichtigung steht mittlerweile nur noch natürlichen Personen uneingeschränkt offen, da ein Übernahmeverlust, soweit er auf ein Körperschaftsteuersubjekt entfällt, außer Ansatz bleibt, § 4 Abs. 6 S. 1 UmwStG.359 Während die intersubjektive Verlustnutzung im Falle einer Personengesellschaft als Gesamtrechtsnachfolgerin seit jeher restriktiv gehandhabt wurde, gingen nicht genutzte Verluste bis zum Inkrafttreten des SEStEG bei Verschmelzung oder Spaltung nach den §§ 12 Abs. 3 S. 2, 15 Abs. 4 UmwStG a.F auf eine Kapitalgesellschaft als Rechtsnachfolgerin über.360 Voraussetzung war, dass der Betrieb oder Betriebsteil, der den Verlust verursacht hatte, in einem nach dem Gesamtbild der wirtschaftlichen Verhältnisse vergleichbaren Umfang fünf Jahre fortgeführt wurde. Mittlerweile schließt hingegen § 4 Abs. 2 S. 2 UmwStG i.V.m. §§ 12 Abs. 3 Hs. 2, 15 Abs. 1 S. 1 UmwStG den Übergang der körperschaftsteuerlichen Verluste bei Verschmelzung und Aufspaltung ausdrücklich aus. Im Fall der Abspaltung ordnet § 15 Abs. 3 UmwStG einen anteiligen Verlustuntergang an.
357 Vgl. BT-Drs. 12/6885, S. 17 f.; Klingebiel/Patt/Rasche/Wehrmann, Umwandlungsteuerrecht (2008), S. 93. 358 Vgl. BT-Drs. 12/6885, S. 18. 359 Die Norm ist im Zusammenhang mit § 8b Abs. 3 S. 3 KStG zu lesen, vgl. dazu BTDrs. 16/2710, S. 39. 360 Für den Verlustvortrag nach § 10d EstG ergab sich dies ausdrücklich aus dem Gesetz. Aus dem Sinn und Zweck des § 12 Abs. 3 S. 2 UmwStG hatte der BFH zudem geschlussfolgert, dass ein laufender Verlust, den die übertragende Gesellschaft im Verschmelzungsjahr erlitten hat, über den Wortlaut der Vorschrift hinaus erst recht auf die übernehmende Gesellschaft übergehen muss und unmittelbar ausgleichsfähig ist. BFH v. 31.05.2005 - I R 68/03, BStBl. II 2006, S. 383 sowie vertiefend Behrens, BB 2006.
90
Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten
Die M-AG ist je zu 100 % an der T1-GmbH und der T2-GmbH beteiligt. Die T1-GmbH, die über Verlustvorträge verfügt, wird auf die T2-GmbH verschmolzen. M-AG 100 %
T1-GmbH
100 %
Verschmelzung der T1-GmbH auf die T2-GmbH
T2-GmbH
Rechtslage vor dem SEStEG: Verlustvortrag
Übergang auf die T2-GmbH, § 12 Abs. 3 S. 2 UmwStG
Verlustvortrag
Rechtslage seit dem SEStEG: Verlustvortrag
Untergang der Verlustvorträge der T2 GmbH, §§ 12 Abs. 3 i.V.m. 4 Abs. 2 S. 2 UmwStG
Abbildung 14 Einschränkung der Verlustverrechnung bei Verschmelzungen durch das SEStEG
Normzweck des § 12 Abs. 3 S. 2 UmwStG a.F. war die Vermeidung einer steuerlichen Determinierung der Verschmelzungsrichtung.361 Die Rechtsfolge des § 4 Abs. 2 S. 2 UmwStG i.V.m. § 12 Abs. 3 UmwStG lässt sich nämlich dadurch vermeiden, dass nicht die Verlustgesellschaft auf die Gewinngesellschaft verschmolzen wird, sondern umgekehrt die Verlustgesellschaft die Rolle der übernehmenden Körperschaft einnimmt. Allerdings wird diese Möglichkeit seit der Unternehmensteuerreform 2008 durch § 8c KStG eingeschränkt, sofern mit der Verschmelzung oder Maßnahmen im Vorfeld eine Veränderung der Beteiligungsverhältnisse an der Verlustgesellschaft verbunden ist. Durch die Abschaffung des Verlustübergangs soll ein „Import“ von Verlusten im Zuge der Öffnung des UmwStG für grenzüberschreitende Umwandlungen verhindert werden.362 Die Gesetzesbegründung zum SEStEG verweist die Überträgerin zur Nutzung bestehender Verlustvorträge auf die Aufdeckung stiller Reserven in ihrer steuerlichen Schlussbilanz.363 Dies ist aber kein gleichwertiger Ersatz für die intersubjektive Verlustverrechnung nach § 12 Abs. 3 S. 2 UmwStG a.F. Eine Verlustberücksichtigung scheitert, wenn die Überträgerin über keine ausreichenden stillen Reserven verfügt. Aber selbst wenn entsprechendes Aufstockungspotential zur Verfügung steht, steht einer vollständigen Nutzung vorhandener Verlustvorträge 361 Vgl. Herzig in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 199. 362 Vgl. Dörfler/Rautenstrauch/Adrian, BB 2006, S. 1657. 363 BT-Drs. 16/2710, S. 35.
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regelmäßig die Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG, § 8 Abs. 1 KStG entgegen.364 Im Zusammenspiel bewirken die §§ 12 Abs. 3 UmwStG, 8c KStG und 10d EStG somit eine massive Einschränkung der körperschaftsteuerlichen Verlustnutzung. Ein unbeschränkter Übergang nicht genutzter Verluste findet nur im Falle des Formwechsels einer Kapitalgesellschaft in eine andere Kapitalgesellschaftsform statt. Der Formwechsel von einer Körperschaft in eine andere, beispielsweise einer GmbH in eine AG, ist im UmwStG nicht geregelt.365 Es handelt sich hierbei faktisch nur um eine qualifizierte Satzungsänderung, die aus systematischen Gründen, insbesondere mangels Vermögensübergangs, keine besonderen steuerlichen Folgen auslöst.366 b) Einzelrechtsnachfolge Während die intersubjektive Verlustverrechnung in der Vergangenheit sowohl bei der Rechtsnachfolge nach einer natürlichen Person als auch nach einer Kapitalgesellschaft in relativ weitem Umfang zulässig war, war die intersubjektive Verlustverrechnung bei Einzelrechtsnachfolge schon vor Inkrafttreten des SEStEG bzw. vor dem Beschluss des Großen Senats des BFH vom 17.12.2007 die absolute Ausnahme. Auch als die Rechtsprechung noch den Übergang nicht genutzter Verluste des Erblassers auf den oder die Erben zuließ, lehnte sie dies im Falle der vorweggenommenen Erbfolge ab. Bei der lebzeitigen unentgeltlichen Übertragung einer Einkunftsquelle im Wege der vorweggenommenen Erbfolge bleiben aus dieser Einkunftsquelle stammende und noch nicht ausgeglichene Verluste seit jeher unstreitig beim Übergeber.367 Dies gilt erst Recht im Falle der entgeltlichen Einzelrechtsnachfolge. Ausnahmsweise möglich ist ein Verlustübergang auf den Rechtsnachfolger jedoch nach derzeitiger Praxis im Falle einer Verlustverrechnungsbeschränkung auf die Einkunftsquelle bei unentgeltlicher Übertragung der Einkunftsquelle. Dies gilt sowohl bei Einzel- als auch bei Gesamtrechtsnachfolge. Die Finanzverwaltung gestattet ausdrücklich eine intersubjektive Verlustverrechnung bei der Übertragung von Einkunftsquellen im Sinne der §§ 15a, 15b
364 Vgl. Dörfler/Rautenstrauch/Adrian, BB 2006, S. 1660. 365 Vgl. Trossen in: Rödder/Herrlinghaus/van Lishaut, Umwandlungsteuergesetz (2008), § 1 Rn. 111. 366 Vgl. Hahn, IStR 2005, S. 668. 367 Vgl. Heinrich in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 134.
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Verlustverrechnung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten
EStG.368 Bei § 15 Abs. 4 S. 6-8 ist diese Frage im Fall der unentgeltlichen Rechtsnachfolge bisher offen.369
C. Verlustverrechnung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten Die Frage der Verlustverrechnung wird bei grenzüberschreitenden Sachverhalten in zwei entgegengesetzten Konstellationen relevant: bei Verlusten von Steuerinländern im Ausland sowie bei Verlusten von Steuerausländern im Inland. Für grenzüberschreitende Konstellationen existiert kein eigenständiges Verlustverrechnungsregime. Vielmehr werden die auch bei einem reinen Inlandssachverhalt anzuwendenden Regeln punktuell modifiziert. Dementsprechend ist es nachfolgend nur erforderlich, die Abweichungen vom System der Verlustverrechnung bei reinen Inlandssachverhalten darzustellen.
I. Auslandsverluste von Steuerinländern Im Rahmen des Einkommen- und Körperschaftsteuerrechts gilt das sog. Welteinkommensprinzip.370 Steuerinländer371 unterliegen danach grundsätzlich mit ihrem gesamten weltweit erzielten Einkommen in Deutschland der Besteuerung. Für den Bereich der Einkommensteuer folgt dies aus einem Umkehrschluss zu den Regelungen über die beschränkte Steuerpflicht und für die Körperschaftsteuer zudem ausdrücklich aus § 1 Abs. 2 KStG.372 Grundlegend anders ist die Situation hingegen bei der Gewerbesteuer, die nicht auf dem Welteinkommensprinzip, sondern auf dem Territorialitätsprinzip basiert.373 Steuerbar sind im Rahmen der Gewerbesteuer grundsätzlich nur „inländische“ Gewerbeerträge. Dies ergibt sich aus § 2 Abs. 1 S. 1 GewStG, wonach die sachliche Steuerpflicht ausdrücklich auf Gewerbebetriebe beschränkt ist, soweit sie im Inland betrieben werden. Dies setzt nach § 2 Abs. 1 S. 3 GewStG eine inländische Betriebsstätte voraus. § 9 Nr. 3 GewStG, der anordnet, dass der Gewerbeertrag um das Ergebnis ausländischer Betriebsstätten zu kürzen ist, wiederholt lediglich die Aussage des § 2
368 Vgl. Koblenzer, ZEV 2006, S. 401; BMF v. 17.07.2007 - IV B 2 - S 2241-b/07/0001, BStBl. I 2007, S. 542 Tz. 25. 369 Vgl. Heinrich in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 132. 370 Vgl. Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht (2007), S. 57. 371 Gemäß § 1 Abs. 1 EStG bzw. § 1 Abs. 1 KStG. 372 Vgl. Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht (2007), S. 57, 60. 373 Vgl. Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht (2007), S. 85; Kollruss, BB 2008, S. 1375.
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EStG.368 Bei § 15 Abs. 4 S. 6-8 ist diese Frage im Fall der unentgeltlichen Rechtsnachfolge bisher offen.369
C. Verlustverrechnung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten Die Frage der Verlustverrechnung wird bei grenzüberschreitenden Sachverhalten in zwei entgegengesetzten Konstellationen relevant: bei Verlusten von Steuerinländern im Ausland sowie bei Verlusten von Steuerausländern im Inland. Für grenzüberschreitende Konstellationen existiert kein eigenständiges Verlustverrechnungsregime. Vielmehr werden die auch bei einem reinen Inlandssachverhalt anzuwendenden Regeln punktuell modifiziert. Dementsprechend ist es nachfolgend nur erforderlich, die Abweichungen vom System der Verlustverrechnung bei reinen Inlandssachverhalten darzustellen.
I. Auslandsverluste von Steuerinländern Im Rahmen des Einkommen- und Körperschaftsteuerrechts gilt das sog. Welteinkommensprinzip.370 Steuerinländer371 unterliegen danach grundsätzlich mit ihrem gesamten weltweit erzielten Einkommen in Deutschland der Besteuerung. Für den Bereich der Einkommensteuer folgt dies aus einem Umkehrschluss zu den Regelungen über die beschränkte Steuerpflicht und für die Körperschaftsteuer zudem ausdrücklich aus § 1 Abs. 2 KStG.372 Grundlegend anders ist die Situation hingegen bei der Gewerbesteuer, die nicht auf dem Welteinkommensprinzip, sondern auf dem Territorialitätsprinzip basiert.373 Steuerbar sind im Rahmen der Gewerbesteuer grundsätzlich nur „inländische“ Gewerbeerträge. Dies ergibt sich aus § 2 Abs. 1 S. 1 GewStG, wonach die sachliche Steuerpflicht ausdrücklich auf Gewerbebetriebe beschränkt ist, soweit sie im Inland betrieben werden. Dies setzt nach § 2 Abs. 1 S. 3 GewStG eine inländische Betriebsstätte voraus. § 9 Nr. 3 GewStG, der anordnet, dass der Gewerbeertrag um das Ergebnis ausländischer Betriebsstätten zu kürzen ist, wiederholt lediglich die Aussage des § 2
368 Vgl. Koblenzer, ZEV 2006, S. 401; BMF v. 17.07.2007 - IV B 2 - S 2241-b/07/0001, BStBl. I 2007, S. 542 Tz. 25. 369 Vgl. Heinrich in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 132. 370 Vgl. Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht (2007), S. 57. 371 Gemäß § 1 Abs. 1 EStG bzw. § 1 Abs. 1 KStG. 372 Vgl. Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht (2007), S. 57, 60. 373 Vgl. Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht (2007), S. 85; Kollruss, BB 2008, S. 1375.
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Abs. 1 S. 1 GewStG und hat insofern nur deklaratorische Bedeutung.374 Für Anteile an ausländischen Personengesellschaften wird dem Territorialitätsprinzip durch die §§ 8 Nr. 8 und 9 Nr. 2 GewStG Geltung verschafft und so eine Gleichbehandlung im Verhältnis zu ausländischen Betriebsstätten hergestellt.375 Nach § 8 Nr. 8 GewStG ist der Anteil am Verlust einer ausländischen Personengesellschaft dem Gewerbeertrag hinzuzurechnen und dieser nach § 9 Nr. 2 GewStG um einen entsprechenden Gewinnanteil zu kürzen. Da die Steuerbarkeit im Rahmen der Gewerbesteuer somit von vornherein auf Erträge beschränkt ist, die dem Inland zuzuordnen sind, besteht steuersystematisch kein Ansatzpunkt und keine Notwendigkeit für eine grenzüberschreitende Verrechnung gewerbesteuerlicher Verluste.376 Demgegenüber müssten im Rahmen der Einkommen- und Körperschaftsteuer Auslandsverluste von Steuerinländern als Folge des Welteinkommensprinzips grundsätzlich im gleichen Umfang verrechenbar sein wie im reinen Inlandssachverhalt.377 Faktisch unterliegt die grenzüberschreitende Verlustverrechnung aber spezifischen Restriktionen, die nachfolgend dargestellt werden sollen. 1. Intraperiodische Verlustverrechnung Zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten stehen zwei Regelungstechniken zur Verfügung, die Anrechnungsund die Freistellungsmethode. Nach der Anrechnungsmethode wird gemäß dem Welteinkommensprinzip das Gesamteinkommen eines Steuerinländers im Ansässigkeitsstaat der Besteuerung unterworfen und eine Doppelbelastung durch die Anrechnung ausländischer Steuern verhindert. Demgegenüber werden nach der Freistellungsmethode im Ausland erzielte Einkommensbestandteile von der Besteuerung im Ansässigkeitsstaat befreit.378 Die grenzüberschreitende Verlustverrechnung unterliegt unterschiedlichen Restriktionen, je nachdem welche Methode anwendbar ist. a) Verlustverrechnung im Anwendungsbereich der Anrechnungsmethode Deutschland hat im Rahmen der Einkommen- und Körperschaftsteuer unilateral für die Anrechnungsmethode optiert, indem es einerseits vom Weltein374 Vgl. Gosch in: Blümich, GewStG, § 9 Rn. 212. 375 Vgl. Hofmeister in: Blümich, GewStG, § 8 Rn. 650. 376 Vgl. Höreth/Schiegl, ZSteu 2004, S. 176 und zum Erfordernis der Steuerbarkeit von Verlusten 1. Teil A. I. 2. 377 Vgl. Paetsch, Grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung im Europäischen Binnenmarkt (2004), S. 48. 378 Vgl. Frotscher, Internationales Steuerrecht (2009), S. 82.
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Verlustverrechnung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten
kommensprinzip ausgeht und andererseits in § 34c EStG ein Verfahren zur Anrechnung ausländischer Steuern vorsieht. Darüber hinaus wurde die Anrechnungsmethode von Deutschland in einigen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) vereinbart, beispielsweise in den DBA mit der Schweiz, Argentinien, Brasilien, Bolivien, Uruguay und Ecuador.379 Gleichzeitig war der deutsche Gesetzgeber jedoch nicht bereit, die sich aus der Entscheidung für die Anrechnungsmethode ergebenden steuersystematischen Konsequenzen im Hinblick auf die Verlustverrechnung zu akzeptieren und die Verrechnung ausländischer Verluste mit inländischen Gewinnen nach den gleichen Grundsätzen wie im Inlandssachverhalt zuzulassen. Stattdessen unterstellte er ausländische Verluste von Steuerinländern in § 2a EStG punktuell einem Sonderregime. § 2a EStG gilt sowohl für ausländische Verluste aus Staaten, mit denen kein DBA besteht, als auch dann, wenn sich die Anwendung der Anrechnungsmethode aus einem DBA ergibt.380 aa) Tatbestand des § 2a EStG § 2a EStG ist eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass ausländische positive und negative Einkünfte gleich zu behandeln sind.381 Die Vorschrift betrifft unmittelbar nur einkommensteuerliche Verluste, ist aber über § 8 Abs. 1 KStG auch im Körperschaftsteuerrecht zu beachten. § 2a Abs. 1 EStG enthält zunächst einen Katalog negativer Einkünfte aus ganz bestimmten Quellen und Tätigkeiten im Ausland, die von der Berücksichtigung im Inland ausgeschlossen werden. Diese Verluste dürfen intraperiodisch lediglich mit positiven Einkünften derselben Art aus demselben Staat ausgeglichen werden. Positive Einkünfte derselben Art sind solche, die derselben Nummer des § 2a EStG zuzuordnen sind.382 Eine Ausnahme vom Grundsatz der „ProStaat-Begrenzung“ (“per country limitation“) besteht lediglich für Verluste aus der entgeltlichen Überlassung von Schiffen, da diese üblicherweise in mehreren Staaten eingesetzt werden.383 1992 wurde § 2a EStG auf Teilwertabschreibungen – und somit im Grunde auf inländischen Aufwand – erwei-
379 Nachweis bei Wilk, Die einkommensteuerliche Behandlung von Auslandsverlusten (2000), S. 21. 380 Vgl. Wagner in: Blümich, EStG, § 2a Rn. 18; Wilk, Die einkommensteuerliche Behandlung von Auslandsverlusten (2000), S. 131; Paetsch, Grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung im Europäischen Binnenmarkt (2004), S. 56. 381 Vgl. Frotscher, Internationales Steuerrecht (2009), S. 246; Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht (2007), S. 77. 382 Vgl. Probst, Abziehbare und nicht abziehbare Auslandsverluste (1999), S. 26; Wilk, Die einkommensteuerliche Behandlung von Auslandsverlusten (2000), S. 29. 383 Vgl. Wagner in: Blümich, EStG, § 2a Rn. 85.
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tert.384 Dadurch sollte die nahe liegende Umgehung der Vorschrift durch die Zwischenschaltung einer Körperschaft unterbunden werden.385 Nach der sog. „Aktivitätsklausel“ in § 2a Abs. 2 S. 1 Hs. 1 EStG ist die Verlustverrechnungsbeschränkung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 EStG nicht anzuwenden auf negative gewerbliche Einkünfte aus einer Betriebsstätte, die ausschließlich oder fast ausschließlich die Herstellung oder Lieferung von Waren, die Gewinnung von Bodenschätzen sowie die Bewirkung gewerblicher Leistungen zum Gegenstand hat. Dies setzt voraus, dass das Ergebnis der Betriebsstätte zu mindestens 90 % auf diese Tätigkeiten zurückzuführen ist und das Betriebsvermögen zu mindestens 90 % diesen Tätigkeiten gewidmet ist.386 Die Aktivitätsklausel bewirkt eine partielle Gegenausnahme zu § 2a Abs. 1 EStG. Rechtsfolge ist, dass derartige Verluste unbeschränkt intraperiodisch mit sonstigen positiven Einkünften ausgeglichen werden können. Ob umgekehrt positive Einkünfte aus Betriebsstätten, die unter die Aktivitätsklausel des § 2a Abs. 2 EStG fallen, mit von § 2a Abs. 1 Nr. 2 EStG erfassten Verlusten aus gewerblichen Betriebsstätten aus demselben Staat ausgeglichen werden können, ist strittig.387 Durch § 2a Abs. 2 S. 1 Hs. 2 EStG wird das Aktivitätsprivileg unter bestimmten Voraussetzungen auf reine Holdingaktivitäten einer ausländischen Betriebsstätte ausgedehnt.388 Auch für die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft, die diese Voraussetzungen seit ihrer Gründung oder in den letzten fünf Veranlagungszeiträumen vor der Verlustentstehung erfüllt hat, gelten die Verlustverrechnungsbeschränkungen nach § 2a Abs. 1 Nr. 3 und 4 EStG gemäß § 2a Abs. 2 S. 2 EStG nicht. Eine Gegenausnahme zur Gegenausnahme besteht für die Produktion von Waffen, für Fremdenverkehrsbetriebe und für die Vermietung oder Verpachtung von Wirtschaftsgütern einschließlich der Überlassung von Rechten, Plänen, Mustern, Verfahren, Erfahrungen und Kenntnissen. Hier bleibt es bei der Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 2a Abs. 1 EStG. Bis zum Jahressteuergesetz 2009389 erfasste § 2a EStG auch Verluste, die aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union bzw. des Europäischen Wirtschaftsraums stammten. Da § 2a EStG zielgerichtet grenzüberschreitende Aktivitäten von Steuerinländern behinderte, wurden gegen die Vorschrift 384 Vgl. Krabbe, Aufwand und Verluste bei grenzüberschreitenden Sachverhalten (1999), S. 2 ff. 385 Vgl. Probst, Abziehbare und nicht abziehbare Auslandsverluste (1999), S. 17. 386 Vgl. Wagner in: Blümich, EStG, § 2a Rn. 96. 387 Dafür: Paetsch, Grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung im Europäischen Binnenmarkt (2004), S. 55; dagegen: Wagner in: Blümich, EStG, § 2a Rn. 88. 388 Vgl. Wagner in: Blümich, EStG, § 2a Rn. 106 f. 389 BGBl. I 2008, S. 2794.
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schon seit langem europarechtliche Bedenken geäußert.390 Der EuGH hat sich in zwei Entscheidungen mit § 2a EStG befasst, die aber beide nicht unmittelbar die grenzüberschreitende Verlustverrechnung betrafen. Gegenstand der Entscheidung in der Rechtssache C-152/03 „Ritter-Coulais“391 war die Anwendung des § 2a EStG im Rahmen des negativen Progressionsvorbehalts nach § 32b EStG. In der Entscheidung in der Rechtssache C-347/04 „Rewe Zentralfinanz“392 musste der EuGH über die Europarechtskonformität von § 2a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. a befinden, der die Nichtberücksichtigung von Teilwertabschreibungen auf die zu einem Betriebsvermögen gehörenden Anteile an einer ausländischen Körperschaft vorschreibt. In beiden Fällen hat der EuGH die konkrete Anwendung des § 2a EStG wegen Verstoßes gegen die Grundfreiheiten für gemeinschaftsrechtswidrig erklärt. Die Finanzverwaltung reagierte auf die Entscheidungen des EuGH jedoch zunächst sehr zurückhaltend und ordnete eine Nichtanwendung des § 2a EStG lediglich in dem Umfang an, in dem der EuGH die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit ausdrücklich festgestellt hatte.393 Die Europäische Kommission verlangte jedoch von Deutschland, § 2a Abs. 1 EStG auf innergemeinschaftliche Sachverhalte generell nicht mehr anzuwenden. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, leitete die Kommission in dieser Sache im Oktober 2007 die zweite Stufe des Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland ein.394 Dieser Druck zeigte schließlich Wirkung. Zunächst ordnete die Finanzverwaltung an, dass § 2a EStG auf negative Einkünfte mit Bezug zu Mitgliedstaaten der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums, mit Ausnahme Lichtensteins, nicht weiter anzuwenden ist.395 Durch das Jahresteuergesetz 2009 wurde § 2a EStG schließlich auch tatbestandlich europarechtskonform ausgestaltet, indem sein Anwendungsbereich generell auf Drittstaaten beschränkt wurde. Die praktischen Auswirkungen sind aber gering, da Deutschland mit allen EU- und EWR-Staaten, abgesehen von Lichtenstein,
390 Vgl. beispielsweise Loritz/Wagner, BB 1991. 391 EuGH v. 21.02.2006 - C-152/03 (Hans-Jürgen Ritter-Coulais und Monique RitterCoulais ./. Finanzamt Germersheim), Slg. 2006 I-01711. 392 EuGH v. 29. 3. 2007 - C-347/04 (Rewe Zentralfinanz eG ./. Finanzamt Köln-Mitte), Slg. 2007 I-02647. 393 Vgl. BMF v. 24.11.2006 - IV B 3 - S 2118 a - 63/06 (zu „Ritter-Coulais“) und BMF v. 11.06.2007 - IV B 3 - S 2118-a/07/0003 (zu „Rewe Zentralfinanz“). Demgegenüber war § 2a EStG nach der überwiegenden Auffassung in der Literatur insgesamt als europarechtswidrig zu qualifizieren, vgl. Rehm/Nagler, IStR 2008, S. 130. 394 Vgl. EU-Kommission v. 18. 10. 2007, IP 07/1547, Az. der Kommission 1998/4684; Presserklärung abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?refere nce=IP/07/1547&format=HTML&aged=0&language=DE&guiLanguage=en. 395 Vgl. BMF v. 30.07.2008 - IV B 5 - S 2118-a/07/10014, Tz. 1.
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Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen hat und die Anwendbarkeit der Anrechnungsmethode nach diesen DBA die absolute Ausnahme ist.396 bb) Hintergrund des § 2a EStG § 2a Abs. 1 und 2 EStG wurden durch das Haushaltsbegleitgesetz 1982 vom 20.12.1982397 in das EStG eingefügt. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist der Zweck der Regelung, den Abzug von Verlusten aus volkswirtschaftlich nicht sinnvollen – weil im Ausland belegenen – Investitionen zu verhindern.398 Da der Gesetzgeber davon ausging, dass solche Investitionen insbesondere im Rahmen von Verlustzuweisungsmodellen getätigt werden,399 ist § 2a EStG zugleich eine der zahlreichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Verlustzuweisungsindustrie.400 Daneben wurde § 2a EStG auch mit dem Gedanken der Gleichstellung von Verlusten im Anwendungsbereich der Anrechnungsmethode mit Verlusten aus DBA-Staaten, mit denen Deutschland die Freistellungsmethode vereinbart hat, begründet.401 Dieser Ansatz ist jedoch aus zwei Gründen nicht überzeugend. Zum einen wird in Doppelbesteuerungsabkommen, anders als in § 2a EStG, in der Regel nicht zwischen aktiven und passiven Tätigkeiten unterschieden. Zum anderen ist die Situation insofern nicht vergleichbar, als in einem DBA mit Freistellungsmethode sowohl Gewinne als auch Verluste freigestellt werden.402 § 2a bewirkt hingegen, dass für passive Einkünfte im Gewinnfall das Welteinkommensprinzip und im Verlustfall das Territorialitätsprinzip gilt.403 b) Verlustverrechnung im Anwendungsbereich der Freistellungsmethode Deutschland hat in den meisten seiner DBA zur Vermeidung der Doppelbesteuerung die Freistellungsmethode vereinbart. Unmittelbar ergibt sich dar396 Vgl. Wittkowski/Lindscheid, IStR 2009, S. 227. 397 BGBl. I 1982, S. 1857. 398 BT-Drs. 9/2074, S. 62: z.B. Plantagen, Tierfarmen oder Beteiligungen an Tourismusvorhaben; Probst, Abziehbare und nicht abziehbare Auslandsverluste (1999), S. 14 f. ff. 399 BT-Drs. 9/2074, S. 62. 400 Vgl. Probst, Abziehbare und nicht abziehbare Auslandsverluste (1999), S. 15. 401 Vgl. Wilk, Die einkommensteuerliche Behandlung von Auslandsverlusten (2000), S. 21; Werz, Verlustverrechnungsbeschränkungen im Lichte der Verfassung unter besonderer Berücksichtigung der Verlustregeln des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (2003), S. 63. 402 Vgl. Mössner in: Wassermeyer (Hrsg.), Grundfragen der Unternehmensbesteuerung (1994), S. 254. 403 Vgl. Prokisch in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 234.
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aus nur, dass positive Einkünfte einer in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen Person aus dem betreffenden Staat bei der Ermittlung der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage in Deutschland nicht berücksichtigt werden. Der BFH geht jedoch in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Freistellung – unmittelbar durch das DBA404 – neben positiven Einkünften auch ausländische Verluste erfasst.405 Im Schrifttum ist diese sog. „Symmetriethese“406 des BFH zum Teil auf Kritik gestoßen. Einige Autoren folgen dem BFH zwar im Ergebnis, sehen die Rechtsgrundlage für die Nichtberücksichtigung der ausländischen Verluste aber nicht in dem jeweils einschlägigen DBA, sondern im nationalen Recht, insbesondere im Rechtsgedanken des § 3c Abs. 1 EStG.407 Hierfür spricht, dass der OECD-Kommentar zu Art. 23 A OECD-Musterabkommen die Frage, ob die Freistellung auch Verluste umfasst, ausdrücklich den Vertragsstaaten überlässt.408 Allerdings erfolgt die Freistellung der Auslandseinkünfte in den meisten deutschen DBA abweichend von Art. 23 A Abs. 1 OECD404 Vgl. Paetsch, Grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung im Europäischen Binnenmarkt (2004), S. 57. 405 Vgl. zuletzt BFH v. 28.06.2006 - I R 84/04, BStBl. II 2006, S. 861; BFH v. 22.08.2006 - I R 116/04, BStBl. II 2006, S. 864. 406 Vgl. Kollruss, BB 2008, S. 1376. 407 Vgl. Paetsch, Grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung im Europäischen Binnenmarkt (2004), S. 63; Frotscher, DStR 2001, S. 2052 f; Frotscher, Internationales Steuerrecht (2009), S. 245; daneben stellt Paetsch auch auf einen Umkehrschluss zu § 2a Abs. 3 EStG a.F. sowie auf § 32b Abs. 1 Nr. 3 Fall 1; Abs. 2 Nr. 2 EStG ab. 408 Vgl. Kommentar zu Art. 23 OECD-MA, Tz. 44: „Several States in applying Article 23 A treat losses incurred in the other State in the same manner as they treat income arising in that State: as State of residence (State R), they do not allow deduction of a loss in-curred from immovable property or a permanent establishment situated in the other State (E or S). Provided that this other State allows carry-over of such loss, the taxpayer will not be at any disadvantage as he is merely pre-vented from claiming a double deduction of the same loss namely in State E (or S) and in State R. Other States may, as State of residence R, allow a loss incurred in State E (or S) as a deduction from the income they assess. In such a case State R should be free to restrict the exemption under paragraph 1 of Article 23 A for profits or income which are made subsequently in the other State E (or S) by deducting from such subsequent profits or income the amount of earlier losses which the taxpayer can carry over in State E (or S). As the solution depends primarily on the domestic laws of the Contracting States and as the laws of the OECD Member countries differ from each other substantially, no solution can be proposed in the Article itself, it being left to the Contracting States, if they find it necessary, to clarify the above-mentioned question and other problems connected with losses (cf. paragraph 62 below for the credit method) bilaterally, either in the Article itself or by way of a mutual agreement procedure (paragraph 3 of Article 25)“.
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MA dadurch, dass die Auslandseinkünfte von der „inländischen Bemessungsgrundlage“ ausgenommen werden.409 Dieser Wortlaut spricht eher dafür, dass die Freistellung auch Verluste erfasst.410 Ein Teil der Literatur lehnt die Rechtsprechung des BFH ganz ab und fordert eine Berücksichtigung ausländischer Verluste auch dann, wenn korrespondierende Gewinne durch ein DBA mit Freistellungsmethode von der inländischen Besteuerung ausgenommen sind. Die Vertreter dieser Ansicht berufen sich vor allem auf den Sinn und Zweck von Doppelbesteuerungsabkommen, Doppelbesteuerung zu vermeiden und nicht Steueransprüche zu begründen oder zu erhöhen.411 Denn durch die Nichtberücksichtigung ausländischer Verluste kann sich bei Geltung eines DBA mit Freistellungsmethode gegenüber der Anwendung des Welteinkommensprinzips im Nicht-DBA-Fall eine höhere Steuerbelastung ergeben. Diese Ansicht erhielt Auftrieb durch eine entsprechende Argumentation des Österreichischen Verwaltungsgerichtshofs.412 Dieser hatte 2001 entschieden, dass Verluste einer deutschen Betriebsstätte in Österreich zu berücksichtigen sind, obwohl korrespondierende Betriebsstättengewinne nach dem DBA Deutschland-Österreich in Österreich freigestellt sind.413 Allerdings hält der BFH auch nach der Entscheidung des Österreichischen Verwaltungsgerichtshofs ausdrücklich an seiner Rechtsprechung fest.414 Da vom deutschen Gesetzgeber in dieser Frage keine Intervention zu erwarten ist,415 muss die Unbeachtlichkeit ausländischer Verluste bei Anwendbarkeit eines DBA mit Freistellungsmethode gemäß der Symmetriethese vom Rechtsanwender als geltendes Recht akzeptiert werden. Von der DBA-Freistellung erfasste Auslandsverluste können sich in Deutschland daher nur indirekt, im Rahmen des negativen Progressionsvorbehalts nach § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG auswirken.416 Dabei handelt es sich jedoch um keine Verlustverrechnungs- sondern um eine Tarifvorschrift. 409 Vgl. Paetsch, Grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung im Europäischen Binnenmarkt (2004), S. 59. 410 Vgl. Wilk, Die einkommensteuerliche Behandlung von Auslandsverlusten (2000), S. 73. 411 So beispielsweise Prokisch in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 240 m.w.N. 412 Österreichischer VwGH v. 25.9.2001 - 99/14/0217 E, IStR 2001, S. 754 ff. 413 Österreichischer VwGH v. 25.9.2001 - 99/14/0217 E, IStR 2001, S. 754 ff. 414 Vgl. BFH v. 28.06.2006 - I R 84/04, BStBl. II 2006, S. 862; BFH v. 17.07.2008 - I R 84/04, DStR 2008, S. 1870. 415 Vgl. Pressemitteilung des BMF Nr. 17/2008 v. 15.05.2008, abrufbar unter: http://www.bundesfinanzministerum.de/nn_54270/DE/Presse/Pressemitteilungen/Fina nzpolitik/2008/05/20081505__PM17.html. 416 Vgl. Wagner in: Blümich, EStG, § 32b Rn. 61.
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Verlustverrechnung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten
Die Berücksichtigung ausländischer Verluste bei der Ermittlung des Einkommensteuertarifs führt in der Regel nur zu einem niedrigeren Grenzsteuersatz. Eine Reduzierung der Steuerlast auf Null bewirkt der negative Progressionsvorbehalt nur dann, wenn die ausländischen negativen Einkünfte die positiven inländischen Einkünfte übersteigen, da der sich ergebende Steuersatz in diesem Fall Null beträgt.417 Voraussetzung ist allerdings, dass überhaupt der Anwendungsbereich des negativen Progressionsvorbehalts eröffnet ist. Für körperschaftsteuerliche Verluste ist dies generell nicht der Fall. Denn als Tarifvorschrift wird § 32b EStG nicht von der Verweisung in § 8 Abs. 1 KStG erfasst und findet somit im Körperschaftsteuerrecht keine Anwendung.418 Auch im Rahmen von § 32b EStG ist zudem § 2a EStG zu beachten. Negative Einkünfte, die unter einen der Tatbestände des § 2a Abs. 1 EStG fallen, werden beim negativen Progressionsvorbehalt nicht berücksichtigt.419 Für Verluste, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums angefallen sind, gilt § 2a EStG zwar nicht mehr. Insofern wird der negative Progressionsvorbehalt jedoch nunmehr in entsprechender Weise durch § 32b Abs.1 S. 2 EStG beschränkt, der durch das Jahressteuergesetz 2009 in das Gesetz eingefügt worden ist.420 Anders als im Falle des § 2a EStG ist auch vom Europarecht kein Anstoß zu einer grundlegenden Änderung dieser Rechtslage zu erwarten, da der EuGH in seiner Entscheidung in der Rechtssache C-414/06 „Lidl Belgium“ die Rechtsprechung des BFH im Grundsatz für gemeinschaftsrechtskonform erachtet hat: „Art. 43 EG steht dem nicht entgegen, dass eine in einem Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft von ihrer Steuerbemessungsgrundlage nicht die Verluste einer Betriebsstätte abziehen kann, die ihr gehört und in einem anderen Mitgliedstaat belegen ist, sofern nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung die Einkünfte dieser Betriebsstätte im letztgenannten Mitgliedstaat besteuert werden, in dem diese Verluste bei der Besteuerung der Einkünfte dieser Betriebsstätte für künftige Steuerzeiträume berücksichtigt werden können.“421
417 Vgl. Wilk, Die einkommensteuerliche Behandlung von Auslandsverlusten (2000), S. 71. 418 Vgl. Paetsch, Grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung im Europäischen Binnenmarkt (2004), S. 71 f.; Frotscher, Internationales Steuerrecht (2009), S. 86; Tiedtke/Mohr, DStZ 2008, S. 434; Wittkowski/Lindscheid, IStR 2009, S. 227. 419 Vgl. Wilk, Die einkommensteuerliche Behandlung von Auslandsverlusten (2000), S. 128; Wagner in: Blümich, EStG, § 2a Rn. 28. 420 Vgl. Wittkowski/Lindscheid, IStR 2009, S. 227 f. 421 EuGH v. 15. 5. 2008 - C-414/06 (Lidl Belgium GmbH & Co. KG ./. Finanzamt Heilbronn), HFR 2008, S. 772 ff.
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Eine Berücksichtigung von freigestellten ausländischen Verlusten ist nach dieser Entscheidung abweichend zur bisherigen Rechtslage europarechtlich aber zumindest immer dann geboten, wenn feststeht, dass die Verluste im Ausland nicht mehr verrechnet werden können.422 Der EuGH beschränkt sich insofern in seiner Entscheidung auf einen Verweis auf die entsprechenden Ausführungen in der Entscheidung zur Rechtssache C-446/03 („Marks & Spencer“)423, die allerdings erstens selbst nicht sonderlich präzise waren und zweitens die grenzüberschreitende Berücksichtigung von Verlusten ausländischer Tochtergesellschaften betrafen. Eine Konkretisierung der Kriterien dafür, wann eine Verlustnutzung der freigestellten Verluste einer Betriebsstätte im Betriebsstättenstaat endgültig nicht mehr möglich ist, steht daher noch aus.424 Unklar ist bislang auch, ob eine ggf. erforderliche Berücksichtigung definitiver Verluste in dem Veranlagungszeitraum erfolgen muss, in dem feststeht, dass eine Nutzung im Betriebsstättenstaat nicht mehr möglich ist, oder ob die Verluste rückwirkend dem Veranlagungszeitraum zuzuordnen sind, in dem sie entstanden sind. Für eine solche phasengleiche Verlustberücksichtigung müsste die Finalität eines ausländischen Betriebsstättenverlustes als rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO qualifiziert werden.425 Der Entscheidung des BFH vom 17.07.2008 kann tendenziell eine Aussage zugunsten der letztgenannten Alternative entnommen werden,426 auch wenn diese Interpretation nicht zwingend ist.427 Jedenfalls hat die Andeutung des BFH zur Frage des phasengleichen Verlustabzugs das BMF veranlasst, auf die Entscheidung mit einem Nichtanwendungserlass zu reagieren.428 2. Interperiodische Verlustverrechnung Da im Fall eines Doppelbesteuerungsabkommens mit Freistellungsmethode Verluste im Inland nur dann berücksichtigt werden, wenn eine Verlustbe422 EuGH v. 15. 5. 2008 - C-414/06 (Lidl Belgium GmbH & Co. KG ./. Finanzamt Heilbronn), HFR 2008, S. 772 ff. 423 EuGH v. 13.12.2005 - C-446/03 (Marks & Spencer plc ./. David Halsey [Her Majesty's Inspector of Taxes]), Slg. 2005 I-10837. 424 Vgl. Kessler/Eicke, IStR 2008, S. 583 f.; Sedemund/Wegner, DB 2008, S. 2567. Neue Impulse erhielt die Diskussion durch die Entscheidung des EuGH v. 23.10.2008 - C157/07 (Finanzamt für Körperschaften III in Berlin ./. Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt GmbH), DStRE 2009, S. 556 ff. Vgl. dazu ausführlich Breuninger/Ernst, DStR 2009, S. 1981 ff. m.w.N. 425 Vgl. Sedemund/Wegner, DB 2008, S. 2566. 426 Vgl. Sedemund/Wegner, DB 2008, S. 2566; von Brocke, DStR 2008, S. 2203. 427 So auch Gosch, BFH-PR 2008, S. 491 f. 428 BMF v. 13.07.2009 - IV B 5 - S 2118-a/07/10004.
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rücksichtigung im Ausland definitiv ausscheidet, stellt sich die Frage einer interperiodischen Verlustverrechnung schon gar nicht. Denn im Fall der Finalität der Verluste erfolgt ihre Berücksichtigung im Inland auf jeden Fall intraperiodisch, entweder im Zeitpunkt, zu dem die Finalität feststeht oder aber – nach der Gegenauffassung – rückwirkend in den Veranlagungszeiträumen der Verlustentstehung.429 Im Nicht-DBA-Fall und im Fall eines DBA mit Anrechnungsmethode gilt grundsätzlich nichts anderes als bei einem reinen Inlandsfall. Verluste können im Rahmen des § 10d EStG vor- bzw. rückgetragen werden.430 Für Verluste, die von § 2a EStG erfasst werden, steht ein Verlustrücktrag nicht zur Verfügung. Derartige Verluste können jedoch unbeschränkt vorgetragen und mit späteren positiven Einkünften derselben Art und aus demselben Staat verrechnet werden. Insoweit gelten für die positiven Einkünfte, von denen die Verluste abgezogen werden können, die gleichen Einschränkungen wie für den intraperiodischen Verlustausgleich gemäß § 2a Abs. 1 S. 1 EStG.431 Die Beschränkungen der Mindestbesteuerung gemäß § 10d Abs. 2 EStG sind nicht entsprechend anwendbar, da § 2a Abs. 1 S. 3 EStG den Verlustvortrag eigenständig regelt und nicht auf § 10d EStG verweist. 3. Intersubjektive Verlustverrechnung Anders als die intersubjektive Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten wird die grenzüberschreitende intersubjektive Verlustverrechnung seit jeher sehr restriktiv gehandhabt und findet quasi überhaupt nicht statt. Seit auch bei Inlandssachverhalten die intersubjektive Verlustverrechnung immer stärker eingeschränkt wurde, hat sich die Rechtslage insofern weitgehend angeglichen. a) Zusammenveranlagung von Ehegatten Die intersubjektive Verlustverrechnung im Rahmen der Zusammenveranlagung von Ehegatten setzt gemäß § 26 Abs. 1 S. 1 EStG voraus, dass beide Ehegatten in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig sind. Die fiktive unbeschränkte Steuerpflicht, die ebenfalls zur Anwendbarkeit des Ehegattensplittings führen kann, ist auf inländische Einkünfte beschränkt. Das Welteinkommensprinzip gilt insofern nicht.432 Sofern einer der Ehegatten in einem anderen Staat unbeschränkt steuerpflichtig ist, ist es deshalb nicht möglich, über die Zusammenveranlagung ausländische Verluste nach Deutsch429 430 431 432
Vgl. 1. Teil C. I. 1. b). Vgl. Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht (2007), S. 76. Vgl. Wagner in: Blümich, EStG, § 2a Rn. 92. Vgl. Ebling in: Blümich, EStG, § 1 Rn. 277.
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land zu importieren. Sofern beide Ehegatten im Inland unbeschränkt steuerpflichtig sind und ausländische Verluste haben, gilt für die Anwendung von § 2a EStG, dass Verluste derselben Art aus demselben Staat bei zusammen veranlagten Ehegatten intersubjektiv ausgeglichen werden können.433 b) Organschaft Gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 KStG können nur Kapitalgesellschaften mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland als Organgesellschaft in einen Organkreis einbezogen werden. Ein deutscher Organträger kann somit mit einer ausländischen Tochtergesellschaft keine grenzüberschreitende Organschaft begründen. Hiergegen werden europarechtliche Bedenken erhoben. Der EuGH kam in seiner Entscheidung in der Rechtssache C-446/03 („Marks & Spencer“)434, die die Gruppenbesteuerung nach dem Recht des Vereinigten Königreichs betraf, zu dem Ergebnis, dass aus europarechtlicher Perspektive Verluste einer ausländischen Tochtergesellschaft grundsätzlich nicht in die inländische Gruppenbesteuerung einbezogen werden müssen.435 Etwas anderes soll nach Ansicht des EuGH jedoch dann gelten, wenn die Verluste im Ausland endgültig nicht mehr berücksichtigungsfähig sind. In diesem Fall muss zwingend eine Berücksichtigung der Verluste der ausländischen Tochtergesellschaft im Inland erfolgen.436 Daraus folgt für das deutsche Recht zum einen, dass europarechtlich zumindest keine generelle Ausdehnung der Organschaft auf innereuropäische Sachverhalte geboten ist.437 Ob und unter welchen Voraussetzungen Definitivverluste ausländischer Tochtergesellschaften entsprechend der Grundsätze der „Marks & Spencer“-Entscheidung in Deutschland berücksichtigt werden müssen, ist bislang ungeklärt.438 Eine spezielle Regelung zur organschaftlichen Verlustverrechnung in grenzüberschreitenden Sachverhalten findet sich in § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG. Nach dieser Vorschrift darf der Verlust eines Organträgers bei der inländischen Besteuerung nicht berücksichtigt werden, soweit derselbe Verlust in einem anderen Staat im Rahmen einer organschaftsähnlichen Besteuerung 433 Vgl. Frotscher, Internationales Steuerrecht (2009), S. 248. 434 EuGH v. 13.12.2005 - C-446/03 (Marks & Spencer plc ./. David Halsey [Her Majesty's Inspector of Taxes]), Slg. 2005 I-10837. 435 EuGH v. 13.12.2005 - C-446/03 (Marks & Spencer plc ./. David Halsey [Her Majesty's Inspector of Taxes]), Slg. 2005 I-10837, Rn. 59. 436 EuGH v. 13.12.2005 - C-446/03 (Marks & Spencer plc ./. David Halsey [Her Majesty's Inspector of Taxes]), Slg. 2005 I-10837, Rn. 55. 437 Vgl. Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer (2008), S. 142. 438 Für eine europarechtliche Verpflichtung zur Berücksichtigung von Definitivverlusten sprechen sich beispielsweise aus: Pache/Englert, IStR 2007, S. 49; Kußmaul/Niehren, IStR 2008, S. 86.
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erfasst wird. Rechtsfolge ist somit offenbar ein endgültiger Ausschluss der betroffenen Verluste von der inländischen Verlustverrechnung. Die Vorschrift wurde durch das Unternehmensteuerfortentwicklungsgesetz439 mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2001 in das KStG eingefügt. Sie sollte die Zulassung von doppelt ansässigen Körperschaften als Organträger flankieren.440 Ausweislich der Gesetzesbegründung ist der Zweck von § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG zu verhindern, dass bei doppelt ansässigen Gesellschaften Verluste im In- und Ausland doppelt oder aufgrund entsprechender nationaler Regelungen ausländischer Staaten stets zu Lasten der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigt werden.441 Obwohl dies aus dem Wortlaut nicht eindeutig hervorgeht, muss die Vorschrift daher so ausgelegt werden, dass § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG nur Anwendung findet, wenn ein und dieselbe juristische Person steuerlich sowohl in Deutschland als auch in einem anderen Staat unbeschränkt steuerpflichtig ist, es sich also um eine sog. doppelt ansässige Gesellschaft handelt.442 Nicht erfasst werden als Organträger fungierende Zweigniederlassungen, § 18 KStG, und Personengesellschaften sowie deutsche Gesellschaften, die lediglich auf Grund nationaler Regelungen ausländischer Steuerrechtsordnungen als transparent behandelt werden.443 Darüber hinaus ist die Vorschrift nach überwiegender Ansicht in der Literatur hinsichtlich Regelungsgrund, Tatbestand und Rechtsfolgen unverständlich und daher kaum anwendbar.444
II. Inlandsverluste von Steuerausländern Die Konzeption der beschränkten Steuerpflicht basiert auf dem Territorialitätsprinzip.445 Der beschränkten Steuerpflicht unterliegen nur inländische Einkünfte von Steuerausländern. Korrespondierend wird nachfolgend auch nur die Behandlung inländischer Verluste dargestellt. Die grundsätzliche Unbeachtlichkeit ausländischer Verluste beschränkt Steuerpflichtiger im In439 Gesetz zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts v. 20.12.2001, BGBl. I 2001, S. 3858. 440 Vgl. Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer (2008), S. 142. 441 BT-Drs. 14/6882, S. 37. 442 Vgl. Hey, BB 2002, S. 915; Töben/Schulte-Rummel, FR 2002, S. 425 f. 443 Vgl. Hey, BB 2002, S. 916. 444 Vgl. Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer (2008), S. 142 m.w.N. Eine Darstellung aller mit § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG verbundener Zweifelsfragen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Insofern wird auf die Monographie von Remplik verwiesen: Remplik, Die grenzüberschreitende Organschaftsbesteuerung in Deutschland (2007). 445 Vgl. Hey, IWB 2004/1 Fach 3, Gruppe 1, 2004.
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land ergibt sich schon aus der fehlenden Steuerbarkeit der korrespondierenden Gewinne.446 1. Intraperiodisch Beschränkt Steuerpflichtigen steht grundsätzlich der intraperiodische Verlustausgleich gemäß § 2 Abs. 3 EStG bezüglich ihrer inländischen Einkünfte offen. Bezieht ein beschränkt Steuerpflichtiger Einkünfte aus verschiedenen Quellen, so kann er Verluste einer Quelle mit Gewinnen einer anderen Quelle verrechnen.447 Eine Sonderregelung für die Verlustverrechnung bei beschränkter Steuerpflicht enthielt der durch das Jahresteuergesetz 2009448 abgeschaffte § 50 Abs. 2 EStG a.F. Nach dieser Vorschrift durften positive Einkünfte nach § 20 Abs. 1 Nr. 5 und 7 EStG sowie Einkünfte, die gemäß § 50 Abs. 5 S. 1 EStG a.F.449 mit abgeltender Wirkung dem Steuerabzug unterlegen haben, nicht mit sonstigen negativen inländischen Einkünften ausgeglichen werden. Bei der zweitgenannten Fallgruppe handelt es sich um Einkünfte, die dem Lohnsteuerabzug unterliegen, steuerabzugspflichtige Kapitalerträge sowie um gemäß § 50a EStG steuerabzugspflichtige Einkünfte. Der Sinn- und Zweck der Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 50 Abs. 2 EStG a.F. bestand darin, die Abgeltungswirkung des pauschalen Steuerabzugs auch dann zu erhalten, wenn sonstige negative Einkünfte für einen intraperiodischen Verlustausgleich zur Verfügung standen. Die Vorschrift war somit teleologisch dahin auszulegen, dass sie nur Anwendung fand, wenn dem Steuerabzug tatsächlich eine abgeltende Wirkung zukam.450 In diesem Fall ergibt sich das Ausgleichsverbot jedoch bereits unmittelbar aus der abgeltenden Wirkung des Steuerabzugs. Soweit die Abgeltungswirkung reicht, stehen positive Einkünfte nicht für eine interperiodische Verlustverrechnung zur Verfügung. Deshalb hatte § 50 Abs. 2 EStG a.F. insofern nur deklaratorische Wirkung.451 Seine ersatzlose Streichung hat daher 446 Vgl. 1. Teil A. I. 2. Zwar kann Art. 45 AEUV (Art. 39 EGV) ausnahmsweise dazu zwingen, Auslandsverluste von beschränkt Steuerpflichtigen zu berücksichtigen, wenn diese im Beschäftigungsstaat ihr gesamtes oder nahezu ihr gesamtes zu versteuerndes Einkommen erzielen, vgl. EuGH v. 16.10.2008 - C-527/06 (R. H. H. Renneberg ./. Staatssecretaris van Financiën), IStR 2008, S. 805 ff. Dies ist aber letztlich der Besonderheit geschuldet, dass die Stitutation dieser Steuerpflichtigen mit der von unbeschränkt Steuerpflichtigen vergleichbar ist und sie deshalb so behandelt werden müssen, als ob sie unbeschränkt steuerpflichtig wären. 447 Vgl. Frotscher, Internationales Steuerrecht (2009), S. 244. 448 BGBl. I 2008, S. 2794. 449 Jetzt § 50 Abs. 2 EStG. 450 Vgl. Wied in: Blümich, EStG, § 50 Rn. 44. 451 Vgl. Wied in: Blümich, EStG, § 50 Rn. 43.
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nur Auswirkungen für positive Einkünfte nach § 20 Abs. 1 Nr. 5 und 7 EStG, die nunmehr mit Verlusten des beschränkt Steuerpflichtigen verrechnet werden können.452 2. Interperiodisch Inländische Verluste eines beschränkt Steuerpflichtigen können gemäß § 10d EStG interperiodisch mit inländischen positiven Einkünften verrechnet werden. Bezüglich der Einkünfte, die mit abgeltender Wirkung dem Steuerabzug unterliegen, gelten die gleichen Einschränkungen wie bei der intraperiodischen Verlustverrechnung. Bis zum Jahressteuergesetz 2009 machte § 50 Abs. 1 S. 2 EStG a.F. den Verlustabzug von dem zusätzlichen Erfordernis abhängig, dass sich die Verluste aus Unterlagen ergeben, die im Inland aufbewahrt werden. Dieses Erfordernis verstieß gegen die Grundfreiheiten453 und durfte auf Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums nicht angewendet werden. Es genügte insofern, dass sich die Verluste aus Unterlagen ergaben, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums aufbewahrt wurden.454 Durch das Jahressteuergesetz 2009 wurde § 50 Abs. 1 S. 2 EStG schließlich ersatzlos gestrichen und so auch tatbestandlich eine gemeinschaftsrechtskonforme Rechtslage hergestellt. Im Rahmen der Körperschaftsteuer ist zu beachten, dass § 8c Abs. 1 KStG auch beschränkt steuerpflichtige Körperschaften erfasst.455 Dies bedeutet, dass im Falle einer qualifizierten Anteilsübertragung bei einer ausländischen Körperschaft die Verluste einer Betriebsstätte dieser Körperschaft in Deutschland verfallen. Insofern stellt sich allerdings die Frage nach der Administrierbarkeit der Regelung. Sowohl die auf der Seite der beschränkt steuerpflichtigen Gesellschaft für die Steuererklärung verantwortlichen Personen als auch die Finanzverwaltung dürften beispielsweise erhebliche Schwierigkeiten haben nachzuvollziehen, ob es bei einer ausländischen Kapitalgesellschaft mit Betriebsstätte in Deutschland, die zu einem chinesischen Konzern gehört, aufgrund einer Umstrukturierung auf einer weit entfernten Beteiligungsstufe in China zu einem schädlichen Beteiligungserwerb i.S.v. § 8c Abs. 1 KStG gekommen ist.
452 Vgl. Regierungsentwurf Jahressteuergesetz 2009 (Fn. 83), S. 93. 453 Vgl. EuGH v. 15.05.1997 - C-250/95 (Futura Participations SA und Singer ./. Administration des contributions), Slg. 1997, I-02471. 454 Vgl. EStR 2005, R 50.1. 455 Vgl. Dörr, NWB 2007, S. 2653.
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3. Intersubjektiv a) Zusammenveranlagung von Ehegatten Grundsätzlich steht die Zusammenveranlagung nach § 26 EStG nur in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen Ehegatten offen. Beschränkt steuerpflichtige Staatsangehörige eines EU- oder EWR-Staates – worin natürlich auch deutsche Staatsangehörige inbegriffen sind – können jedoch in den Genuss der Zusammenveranlagung und der damit verbundenen intersubjektiven Verlustverrechnung für ihre inländischen Verluste kommen, sofern sie die Voraussetzungen der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht erfüllen, § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG, ggf. i.V.m § 1 Abs. 3 EStG. b) Organschaft Ob ein ausländischer Organträger eine deutsche Tochtergesellschaft in eine Gruppenbesteuerung in seinem Ansässigkeitsstaat einbeziehen darf, ist keine Frage, die das deutsche Steuerrecht regeln kann. Vielmehr muss der Ansässigkeitsstaat entscheiden, ob er sein Gruppenbesteuerungssystem für ausländische Tochtergesellschaften öffnet, wie dies zum Beispiel in Österreich der Fall ist. Allerdings berücksichtigt das deutsche Steuerrecht diese Konstellation insofern, als nach § 18 KStG eine beschränkt steuerpflichtige – natürliche oder juristische – Person unter bestimmten Voraussetzungen als Organträger fungieren kann. Dazu ist erforderlich, dass es sich um ein gewerbliches Unternehmen handelt, das im Inland eine ins Handelsregister eingetragene Zweigniederlassung unterhält. Der Gewinnabführungsvertrag muss unter der Firma der Zweigniederlassung abgeschlossen sein und die Beteiligung an der Tochtergesellschaft zum Betriebsvermögen der Betriebsstätte gehören. Problematisch ist insofern, ob der ausländische Rechtsträger nach seinem Recht überhaupt in der Lage ist, einen den Anforderungen des § 17 KStG entsprechenden Gewinnabführungsvertrag zu schließen. Die meisten Rechtsordnungen kennen keinen Vertragskonzern.456 Sind die Voraussetzungen des § 18 KStG erfüllt, so werden die Ergebnisse der Organgesellschaften dem Betriebsstättenergebnis zugerechnet. Dadurch ist sichergestellt, dass trotz der beschränkten Steuerpflicht des Organträgers die Gewinne der deutschen Tochtergesellschaften in Deutschland besteuert werden.
456 Vgl. Pache/Englert, IStR 2007, S. 49.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung Nachdem im ersten Teil der Untersuchung eine Bestandsaufnahme des Systems der Verlustverrechnung de lege lata erfolgt ist, sollen nun die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Ausgestaltung der Verlustverrechnung ermittelt werden. Insofern bewegt sich die Untersuchung in einem Spannungsfeld zwischen der Notwendigkeit, einerseits gesetzliche Willkür auszuschließen und andererseits dem Gesetzgeber den nötigen Spielraum zur Gestaltung der Steuerpolitik zu belassen.1 Keinesfalls darf das Steuerverfassungsrecht dazu missbraucht werden, rechtspolitische Wunschvorstellungen als einzig rechtlich zulässige Besteuerungsmöglichkeit darzustellen.2 Man darf aber auch nicht umgekehrt im Steuerrecht in einen vorkonstitutionellen Rechtspositivismus verfallen. Gesetzliche Regelungen zur Verlustverrechnung müssen, um verfassungskonform zu sein, allen Anforderungen genügen, die generell an die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gestellt werden. Entsprechend der Zielsetzung, zukunftsgerichtet den verfassungsrechtlichen Rahmen zu bestimmen, den der Gesetzgeber de lege ferenda bei der Ausgestaltung der Verlustverrechnung berücksichtigen muss, beschränkt sich die Untersuchung auf verfassungsrechtliche Aspekte, aus denen sich spezifische Vorgaben für die Verlustverrechnung ableiten lassen. Dies sind in erster Linie die Grundrechte des Grundgesetzes, wobei insbesondere der allgemeine Gleichheitssatz von zentraler Bedeutung ist. Punktuell sind auch finanzverfassungsrechtliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Nicht eingegangen wird demgegenüber auf verfassungsrechtliche Vorgaben, die der Gesetzgeber zwar allgemein bei der (Steuer-)Gesetzgebung berücksichtigen muss, die jedoch keinen besonderen Bezug zur Verlustverrechnung aufweisen, wie beispielsweise der Bestimmtheitsgrundsatz.3 Eine Verlustverrechnungsvor1 2
3
Vgl. Loritz, StuW 1986, S. 20; Möstl, DStR 2003, S. 722. Vgl. Loritz, StuW 1986, S. 15; Möstl, DStR 2003, S. 722. In diesem Sinne auch Steger, Die außergewöhnliche Belastung im Steuerrecht (2008), S. 92 f., der sich für eine klare Trennung zwischen dem verfassungsrechtlich „Notwendigen“ und dem nach der Verfassung lediglich „Wünschenswerten“ ausspricht. Weitere Beispiele sind Kompetenzverstöße oder Verstöße gegen das Gebot unzulässiger Rückwirkung. Vgl. zum Bestimmtheitsgrundsatz und zur Rückwirkungsproblematik Schulze-Fielitz in: Dreier (Hrsg.), GG Bd. 2 (2006), Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 129 ff. und 151 ff.; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG (2009), Art. 20 Rn. 67 ff.; Huster/Rux in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 20 Rn. 153 ff.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
schrift, die dem Bestimmtheitsgrundsatz nicht genügt, ist verfassungswidrig. Nichts hindert jedoch den Gesetzgeber, eine hinreichend bestimmt gefasste Vorschrift mit dem gleichen materiellen Regelungsgehalt zu erlassen. Nachfolgend werden in einem ersten Schritt überblicksartig die allgemeinen verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für das Steuerrecht dargestellt, um die anschließende Erörterung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Verlustverrechnung von Ausführungen allgemeiner Natur zu entlasten.
A. Allgemeiner verfassungsrechtlicher Rahmen Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer sind zwar Ist-Ertragsteuern, unterscheiden sich jedoch sowohl hinsichtlich des Steuersubjekts als auch hinsichtlich des Steuergegenstandes. Da diese Unterschiede auch für die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen relevant sein können, erfolgt deren Darstellung nachfolgend jeweils gesondert für Einkommen-, Körperschaftund Gewerbesteuer.
I. Einkommensteuer Die Diskussion um das Steuerverfassungsrecht wird von Schlagwörtern wie „Leistungsfähigkeitsprinzip“, „Nettoprinzip“ und „Existenzminimum“ geprägt. Eine Rückkoppelung der diskutierten Rechtsinstitute an das Grundgesetz findet häufig nur pauschal und unpräzise statt. Dies birgt die Gefahr, dass sich die steuerverfassungsrechtliche Argumentation verselbständigt und sich die „steuerrechtlichen Spezialisten“ von „verfassungsrechtlichen Generalisten“ „Wunschdenken“ attestieren lassen müssen.4 Sofern eine tiefere Auseinandersetzung mit den verfassungsrechtlichen Grundlagen erfolgt, besteht momentan eine Tendenz dazu, steuerverfassungsrechtliche Prinzipien aus einer Vielzahl unterschiedlichster Verfassungsnormen abzuleiten. So wird beispielsweise der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verfassungsrechtlich aus einem Zusammenwirken des Demokratieprinzips, der Freiheitsrechte, der Gleichheitsrechte und des Sozialstaatsgedankens abgeleitet.5 Es ist zwar unbestreitbar, dass gerade im Steuerverfassungsrecht gleichheits- und freiheitsrechtliche Elemente eng miteinander verzahnt sind und sich gegenseitig beeinflussen.6 Allerdings ist auch mit einer Vermischung verschiedener verfas4 5 6
So Heintzen in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 174. Vgl. beispielsweise BFH v. 09.05.2001 - XI B 151/00, BStBl. II 2001, S. 553; Lehner in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 5. Vgl. z.B. Osterloh, EuGRZ 2002, S. 311; Di Fabio, JZ 2007, S. 753; Waldhoff, Verw 2008, S. 260.
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Allgemeiner verfassungsrechtlicher Rahmen
sungsrechtlicher Begründungsansätze die Gefahr verbunden, dass sich die steuerverfassungsrechtliche Diskussion zu sehr von der allgemeinen verfassungsrechtlichen Dogmatik löst, um Maßstäbe für die verfassungsrechtliche Beurteilung konkreter Steuernormen liefern zu können, die auch Nichtsteuerrechtler überzeugen. Ohne den Zusammenhang zwischen Freiheit und Gleichheit aus den Augen zu verlieren, soll daher aus Gründen der besseren systematischen Handhabbarkeit zwischen gleichheitsrechtlichen und freiheitsrechtlichen Vorgaben für die Verlustverrechnung differenziert werden.7 1. Gleichheitsrechtliche Vorgaben Der allgemeine Gleichheitssatz ist seiner Struktur nach zweigliedrig. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung8 vorliegt. Ist dies zu bejahen, so muss in einem zweiten Schritt untersucht werden, ob die festgestellte Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.9 Nur wenn dies zu verneinen ist, liegt ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz vor. Beide Elemente, Ungleichbehandlung und Rechtfertigung, haben eine steuerrechtsspezifische Ausprägung erfahren. a) Ungleichbehandlung Nach Art. 3 Abs. 1 GG sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Unmittelbar ergibt sich aus dieser Formulierung nur das Erfordernis der Rechtsan7
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In diesem Sinne auch Di Fabio, JZ 2007, S. 753. Kritisch gegenüber einer Vermischung verschiedener verfassungsrechtlicher Einzelwertungen in einem verselbstständigten Leistungsfähigkeitsprinzip auch Steger, Die außergewöhnliche Belastung im Steuerrecht (2008), S. 102 f. Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG verbietet der allgemeine Gleichheitssatz auch die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem, vgl. BVerfG v. 16.03.2005 - 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, S. 279. Da aber letztlich jede Gleichbehandlung von Ungleichem bei entsprechender Wahl der Vergleichsgruppe auch als Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem aufgefasst werden kann (vgl. Rüfner in: Dolzer/Waldhoff/Graßhof (Hrsg.), BK, Art. 3 Rn. 10; Pieroth/Schlink, Grundrechte (2009), Rn. 468; a.A. z.B. Kischel in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 3 Rn. 16), wird aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung nachfolgend auf diese Differenzierung verzichtet. Vgl. Heun in: Dreier (Hrsg.), GG Bd. 1 (2004), Art. 3 Rn. 23 und 25; Gubelt in: von Münch/Kunig, GG (2000), Art. 3 Rn. 11; Bryde/Kleindiek, Jura 1999, S. 37 ff. Teilweise wird auch die Übertragung der von den Freiheitsrechten her bekannten dreigliedrigen Prüfung (Schutzbereich, Eingriff und Schranke) auf den Gleichheitssatz vertreten, vgl. dazu Kischel in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 3 Rn. 14 m.w.N. sowie Albers, JuS 2008, S. 947.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
wendungsgleichheit. In Verbindung mit Art. 1 Abs. 3 GG bindet der allgemeine Gleichheitssatz jedoch auch den Gesetzgeber, fordert also Rechtssetzungsgleichheit.10 Für das Steuerrecht folgt aus dem allgemeinen Gleichheitssatz nach der Rechtsprechung des BVerfG, dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet werden müssen.11 Ohne einen Maßstab dafür, wann Belastungsgleichheit hergestellt ist, handelt es sich bei dieser Aussage jedoch um eine Leerformel.12 Der allgemeine Gleichheitssatz bedarf zu seiner Anwendung eines Maßstabes, anhand dessen beurteilt werden kann, ob eine Ungleichbehandlung vorliegt oder nicht. Für das Steuerrecht ist der Maßstab das Leistungsfähigkeitsprinzip.13 Es dient bei der Anwendung des Gleichheitssatzes als tertium comparationis.14 aa) Das Leistungsfähigkeitsprinzip Die Steuererhebung dient der Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs des Staates.15 Traditionelle Konzepte steuerlicher Lastenverteilung sind das Leistungsfähigkeitsprinzip, das Äquivalenzprinzip und das Kopfsteuerprinzip. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG folgt aus Art. 3 Abs. 1 GG, dass die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen ausgerichtet sein muss.16 Ausdrücklich als gleichheitssatzwidrig verworfen hat das BVerfG das Konzept einer Kopfsteuer, nach dem jeder Steu-
10 Vgl. Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 292; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG (2009), Art. 3 Rn. 1a. 11 Ständige Rechtsprechung, vgl. beispielsweise BVerfG v. 22.06.1995 - 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, S. 134; BVerfG v. 05.02.2002 - 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, BVerfGE 105, S. 46. 12 Vgl. Tipke, StuW 2007, S. 203. 13 Vgl. Uelner in: Raupach/Uelner (Hrsg.), Ertragsbesteuerung (Zurechnung - Ermittlung - Gestaltung) (1993), S. 22; Tipke in: Kirchhof/K. Schmidt/Schön/Vogel (Hrsg.), Festschrift Raupach (2006), S. 192. 14 Vgl. Lang, StuW 2007, S. 4. 15 Dies ist zumindest die originäre Funktion der Steuererhebung. Daneben können mit der Hilfe von Steuertatbeständen auch Lenkungszwecke verfolgt werden. 16 Vgl. beispielsweise BVerfG v. 23.01.1990 - 1 BvL 4/87, 1 BvL 5/87, 1 BvL 6/87, 1 BvL 7/87, BVerfGE 81, S. 236; BVerfG v. 29.05.1990 - 1 BvL 20, 26, 184 und 4/86, BVerfGE 82, S. 87 f.; BVerfG v. 22.07.1991 - 1 BvR 313/88, NJW 1992, S. 169; BVerfG v. 22.06.1995 - 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, S. 135; BVerfG v. 10.11.1998 - 2 BvR 1057/91, 2 BvR 1226/91, 2 BvR 980/91, BVerfGE 99, S. 232; BVerfG v. 06.03.2002 - 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, S. 126; BVerfG v. 16.03.2005 - 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, S. 279; BVerfG v. 21.06.2006 - 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, S. 180; BVerfG v. 07.11.2006 - 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, S. 95; BVerfG v. 09.12.2008 - 2 BvL 1/07; 2BvL 2/07; 2 BvL 1/08; 2 BvL 2/08, NJW 2009, S. 49 f.
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erpflichtige einen gleichen absoluten Beitrag zur Finanzierung der Gemeinlasten zu leisten hat.17 (1) Die Diskussion um den „Verfassungsrang“ des Leistungsfähigkeitsprinzips Dennoch wird der Stellenwert des Leistungsfähigkeitsprinzips immer wieder kontrovers diskutiert.18 Einige Autoren sprechen ihm jede verfassungsrechtliche Relevanz ab.19 Nach der h.M. soll dem Leistungsfähigkeitsprinzip hingegen verfassungsrechtliche Verbindlichkeit zukommen, wobei aber hinsichtlich der Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Stellenwerts eine große sprachliche Vielfalt besteht. So wird das Leistungsfähigkeitsprinzip beispielsweise als im allgemeinen Gleichheitssatz „verankert“20 oder aus ihm „abgeleitet“21 angesehen. Andere Autoren formulieren, dem Leistungsfähigkeitsprinzip komme aufgrund seiner „Einbettung“ in den allgemeinen Gleichheitssatz „verfassungsrechtliche Wirkkraft“22 zu. Für die verfassungsrechtliche Bedeutung und Wirkkraft des Leistungsfähigkeitsprinzips ist seine terminologische Einordnung letztlich unerheblich. Die hierfür entscheidende Frage ist vielmehr, ob das Leistungsfähigkeitsprinzip lediglich eine einfachgesetzliche Grundentscheidung ist, die durch einen anderen geeigneten Vergleichsmaßstab ersetzt werden könnte, oder ob es als Maßstab für die Gleichbehandlung im Steuerrecht letztlich alternativlos ist. Von einer „Konkurrenzlosigkeit“ des Leistungsfähigkeitsprinzips als Gleichheitsmaßstab ist zumindest für die Einkommensteuer auszugehen. Wie das BVerfG in ständiger Rechtsprechung betont, ist die Einkommensteuer schon konzeptionell auf die Erfassung der individuellen Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerpflichtigen ausgerichtet.23 Unabhängig von verfassungsrechtlichen Aspekten sind das Kopfsteuer- und das Äquivalenzprinzip als alternative Lastenverteilungsmechanismen mit dem Konzept einer Einkommensteuer schon denklogisch unvereinbar. Eine Einkommensteuer ist dadurch gekennzeichnet, dass die Steuerlast dem einzelnen in Abhängigkeit 17 BVerfG v. 22.06.1995 - 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, S. 135. 18 Für einen Überblick über die verschiedenen Auffassungen vgl. Steger, Die außergewöhnliche Belastung im Steuerrecht (2008), S. 96 ff. 19 Vgl. beispielsweise Gassner/Lang, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Einkommenund Körperschaftsteuerrecht (2000), S. 72. 20 Vgl. Kirchhof, StuW 1985, S. 323. 21 Vgl. Schuppert in: Fürst/Herzog/Umbach (Hrsg.), Festschrift Zeidler (1987), S. 711. 22 Vgl. Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer (1988), S. 125. 23 BVerfG v. 29.05.1990 - 1 BvL 20, 26, 184 und 4/86, BVerfGE 82, S. 87 f.; BVerfG v. 06.03.2002 - 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, S. 126; BVerfG v. 04.12.2002 - 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00, BVerfGE 107, S. 47.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
von seinem individuellen Einkommen zugemessen wird. Bei einer Kopfsteuer wird die individuelle Steuerlast hingegen ermittelt, indem das zu erzielende Steueraufkommen durch die Zahl der Steuerpflichtigen geteilt wird. Nach dem Äquivalenzprinzip bestimmt sich die Steuerlast nach dem individuellen oder gruppenmäßigen Sondernutzen,24 der dem Steuerpflichtigen aus der Verwendung des Steueraufkommens erwächst. Zwar können einige Steuerarten, beispielsweise die Mineralölsteuer, teilweise äquivalenztheoretisch begründet werden.25 Bei der Einkommensteuer fehlt es jedoch an einem quantifizierbaren Sondernutzen für den einzelnen Steuerpflichtigen, der Voraussetzung für die Anwendung des Äquivalenzprinzips als Lastenverteilungsinstrument ist. Die Einkommensteuer wird nicht zweckgebunden erhoben, sondern trägt maßgeblich zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs des Staates bei. Zwar nimmt zumindest jeder Steuerinländer zur Erzielung von Einkommen in irgendeiner Form die allgemeine staatliche Infrastruktur in Anspruch. Die Höhe des Einkommens lässt aber nicht einmal einen typisierenden Schluss auf die Intensität der Inanspruchnahme staatlicher Leistungen zu. Daran scheitert eine Anwendung des Äquivalenzprinzips im Einkommensteuerrecht.26 Als Ergebnis bleibt somit festzuhalten: Solange der Staat zur Deckung seines Finanzbedarfs eine Einkommensteuer erhebt, gebietet es der allgemeine Gleichheitssatz, die Steuerlast nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip zu bemessen. (2) Konkretisierungsbedürftigkeit des Leistungsfähigkeitsprinzips Bezüglich der Anforderungen, die das Leistungsfähigkeitsprinzip an die Ausgestaltung des Einkommensteuerrechts stellt, differenziert das BVerfG zwischen zwei Dimensionen. In horizontaler Richtung verlangt das Leistungsfähigkeitsprinzip, dass Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit gleich hoch zu besteuern sind. Demgegenüber muss in vertikaler Richtung die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich zur Besteuerung niedri24 Stellte man im Sinne einer globalen Äquivalenz auf den Nutzen, den die Gesamtheit der Steuerpflichtigen aus der Gesamttätigkeit des Staates zieht, so wäre damit auf der Suche nach einem Maßstab für die Verteilung der Steuerlasten nichts gewonnen. Letztlich würde man so wieder zum Kopfsteuerprinzip gelangen. 25 Vgl. Schön, StuW 2004, S. 65. 26 So auch Jachmann, Steuergesetzgebung zwischen Gleichheit und wirtschaftlicher Freiheit (2000), S. 12; Di Fabio, JZ 2007, S. 752; Waldhoff, Verw 2008, S. 265. Durchaus relevant ist ein global verstandenes Äquivalenzprinzip jedoch im internationalen Steuerrecht bei der Diskussion um die zwischenstaatliche Aufteilung der Besteuerungsbefugnis; vgl. dazu beispielsweise Lehner in: Schön (Hrsg.), Einkommen aus Kapital (2007), S. 74; Lehner in: Pitschas/Uhle (Hrsg.), Wege gelebter Verfassung in Recht und Politik (2007), S. 1061.
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gerer Einkommen lediglich angemessen ausgestaltet sein und dem Gerechtigkeitsgebot genügen.27 Hierbei handelt es sich immer noch um sehr abstrakte Vorgaben. Dies ist jedoch eine zwangsläufige Begleiterscheinung des hohen Rangs, den das Leistungsfähigkeitsprinzip in der steuerrechtlichen Prinzipienhierarchie einnimmt.28 Um als Prüfungsmaßstab für einzelne Steuernormen dienen zu können, muss das Leistungsfähigkeitsprinzip durch weitere Prinzipien konkretisiert werden.29 Es müssen so viele weitere Rechtsgrundsätze, Unterprinzipien und modifizierende Prinzipien vorhanden sein, dass sich jeder Fall rechtssystematisch folgerichtig lösen lässt.30 Ausgangspunkt des Prozesses der Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips muss die Überlegung sein, dass sich die steuerliche Belastung als Produkt von Bemessungsgrundlage und Steuersatz ergibt. Dies bedeutet, dass sowohl die Bemessungsgrundlage als auch der Steuertarif, aus dem sich der auf eine bestimmte Bemessungsgrundlage anzuwendende Steuersatz ergibt, dem Gebot einer leistungsfähigkeitsgerechten Besteuerung genügen müssen. Bezüglich des Steuertarifs ist die Konkretisierung relativ unproblematisch. Aus dem Gebot der horizontalen Steuergerechtigkeit ergibt sich, dass auf eine gleich hohe und nach einheitlichen Kriterien ermittelte Bemessungsgrundlage der gleiche Steuersatz zur Anwendung kommen muss. Abweichungen bedürfen einer gleichheitsrechtlichen Rechtfertigung. Nur so ist der Vorgabe des BVerfG genüge getan, dass sich gleiche Leistungsfähigkeit in einer gleichen Belastung widerspiegeln muss. Würde man diesen strengen Maßstab auf die vertikale Dimension des Leistungsfähigkeitsprinzips übertragen, so wäre nur ein proportionaler Steuertarif gleichheitsrechtlich unbedenklich. Da aber die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich zur Besteuerung niedrigerer Einkommen lediglich angemessen ausgestaltet sein muss, hat der Gesetzgeber hier einen größeren Spielraum.31 Insbesondere kann er auch einen progressiven Tarif wählen, ohne dass dadurch gleichheitsrechtlicher Rechtfertigungsbedarf ausgelöst würde. Unzulässig sind lediglich degressive Tarifverläufe und willkürliche Tarifsprünge.32 Darüber 27 BVerfG v. 29.05.1990 - 1 BvL 20, 26, 184 und 4/86, BVerfGE 82, S. 89; BVerfG v. 05.02.2002 - 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, BVerfGE 105, S. 46; BVerfG v. 06.03.2002 - 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, S. 126; BVerfG v. 16.03.2005 - 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, S. 279; BVerfG v. 21.06.2006 - 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, S. 180; BVerfG v. 14.07.2006 - 2 BvR 375/00, BVerfGK 8, S. 390 f.; BVerfG v. 09.12.2008 - 2 BvL 1/07; 2BvL 2/07; 2 BvL 1/08; 2 BvL 2/08, NJW 2009, S. 49 f. 28 Vgl. Reiff, DStZ 1998, S. 858. 29 Vgl. Kirchhof, StuW 1985, S. 327; Waldhoff, Verw 2008, S. 264. 30 Vgl. Lang, StuW 1981, S. 226. 31 Vgl. Hey, FR 2008, S. 1034. 32 Vgl. Waldhoff, Verw 2008, S. 265.
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hinaus kann ein konkreter Tarifverlauf aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip jedoch nicht abgeleitet werden.33 Schwieriger ist die Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips im Hinblick auf die Ausgestaltung der Bemessungsgrundlage. Hier fehlt oft schon das verfassungsrechtliche Problembewusstsein. Gute Steuerpolitik wird vielfach auf die einfache Formel „Senkung der Steuersätze bei gleichzeitiger Verbreiterung der Bemessungsgrundlage“ gebracht.34 Dadurch wird der Eindruck erweckt, bei der Bemessungsgrundlage handle es sich um eine Stellschraube, die beliebig manipulierbar sei. Aber natürlich muss auch die Bemessungsgrundlage so ausgestaltet sein, dass bei Anwendung eines einheitlichen Steuertarifs Belastungsgleichheit hergestellt wird. Dass eine nicht gleichheitssatzkonforme Ausgestaltung der Bemessungsgrundlage zur Verfassungswidrigkeit der Steuererhebung führt, hat das BVerfG im Erbschaftsteuer-Beschluss von 07.11.2006 noch einmal ausdrücklich klargestellt.35 Bezüglich der Ausgestaltung der Bemessungsgrundlage wird das Leistungsfähigkeitsprinzip vor allem durch das objektive Nettoprinzip in Verbindung mit dem Folgerichtigkeitsgebot konkretisiert. bb) Das Gebot der Folgerichtigkeit Das Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit würde den Gesetzgeber in seiner Gestaltungsfreiheit nur wenig einschränken, wenn er bei der Ausgestaltung eines Steuertatbestandes den Maßstab der Leistungsfähigkeit frei definieren könnte. Denn dann könnte der Gesetzgeber einfachgesetzlich diejenigen Sachverhalte bestimmen, die eine gleiche Leistungsfähigkeit repräsentieren. Insofern setzt jedoch das Gebot der Folgerichtigkeit der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit Grenzen. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG hat der Gesetzgeber zwar einen großen Spielraum bei der Auswahl des Steuergegenstandes, muss aber bei der Ausgestaltung des Ausgangstatbestandes die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umsetzen.36
33 34 35 36
BVerfG v. 18.01.2006 - 2 BVR 2194/99, BVerfGE 115, S. 117. Vgl. Hey, BB 2007, S. 1303 m.w.N. BVerfG v. 07.11.2006 - 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, S. 1 ff. BVerfG v. 27.06.1991 - 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, S. 271; BVerfG v. 22.06.1995 - 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, S. 136; BVerfG v. 30.09.1998 - 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, S. 95; BVerfG v. 04.12.2002 - 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00, BVerfGE 107, S. 47; BVerfG v. 14.07.2006 - 2 BvR 375/00, BVerfGK 8, S. 390 f.; BVerfG v. 07.11.2006 - 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, S. 31; BVerfG v. 13.02.2008 - 2 BvL 1/06, NJW 2008, S. 1872; BVerfG v. 09.12.2008 - 2 BvL 1/07; 2BvL 2/07; 2 BvL 1/08; 2 BvL 2/08, NJW 2009, S. 49 f.
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Mit der Entscheidung für einen bestimmten Steuergegenstand entscheidet sich der Gesetzgeber zugleich für die Belastung eines bestimmten Leistungsfähigkeitsindikators. Traditionell werden drei Indikatoren wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit unterschieden: Einkommen, Vermögen und Konsum.37 Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist der Gesetzgeber weitgehend frei darin, wie er die Belastung der verschiedenen Leistungsfähigkeitsindikatoren zueinander gewichtet und welche Sachverhalte überhaupt mit einer Steuer belastet werden.38 Hat sich der Gesetzgeber aber für die Erhebung einer bestimmten Steuer und damit die Anknüpfung an einen bestimmten Leistungsfähigkeitsindikator entschieden, so unterliegt er zumindest im Binnenbereich dieser Steuer einer Selbstbindung hinsichtlich der Ausgestaltung des Steuertatbestandes.39 Insbesondere muss die Grundentscheidung in der Bemessungsgrundlage der Steuer folgerichtig umgesetzt werden. Wegen des Gebots der Folgerichtigkeit ist der Gesetzgeber gewissermaßen „Gefangener der eigenen Entscheidung“40. Wählt der Gesetzgeber beispielsweise in Ausübung seines weiten Gestaltungsspielraums als Steuergegenstand und Leistungsfähigkeitsindikator den Wert der unentgeltlichen Bereicherung bei Erbfall und Schenkung, so muss sich diese Belastungsgrundentscheidung folgerichtig in der Bemessungsgrundlage der Erbschaft- und Schenkungsteuer widerspiegeln. Deshalb ist es dem Gesetzgeber verwehrt, bei der Ermittlung der erbschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage ohne sachlichen Grund für verschiedene Vermögensklassen unterschiedliche Wertansätze festzulegen.41 In der Rechtsprechung des BVerfG besteht eine Tendenz zu einer stärkeren Betonung des Folgerichtigkeitsprinzips.42 Einen wichtigen Schritt in dieser
37 Vgl. beispielsweise Birk, StuW 1989, S. 214; Englisch, Die Duale Einkommensteuer ein Reformmodell für Deutschland? (2005), S. 97; Schön in: Kirchhof/Graf Lambsdorff/Pinkwart (Hrsg.), Perspektiven eines modernen Steuerrechts (2005), S. 267; Lang in: Tipke/Lang, Steuerrecht (2009), S. 94. Alternativ wird auch von Einkommensentstehung, Vermögensbestand und Einkommensverwendung gesprochen, vgl. Homburg, Allgemeine Steuerlehre (2007), S. 15. 38 Vgl. Hey, FR 2008, S. 1034, die eine weitergehende Bindung des Gesetzgebers bereits bei der Wahl des Steuergegenstandes befürwortet. 39 Vgl. Hey, FR 2008, S. 1034. 40 Vgl. Di Fabio, JZ 2007, S. 754. 41 Vgl. BVerfG v. 07.11.2006 - 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, S. 33. 42 Vgl. BVerfG v. 07.11.2006 - 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, S. 1 ff.; BVerfG v. 09.12.2008 - 2 BvL 1/07; 2BvL 2/07; 2 BvL 1/08; 2 BvL 2/08, NJW 2009, S. 49 ff. So auch Mellinghoff, Stbg 2005, S. 5, der dies auf eine abnehmende Qualität der Steuergesetzgebung zurückführt. Für eine Anwendung des Folgerichtigkeitsgebots außer-
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Entwicklung stellt der Erbschaftsteuer-Beschluss43 vom 07.11.2006 dar. In dieser Entscheidung hat das BVerfG eine bisher unbekannte Strenge bei der Konkretisierung der gleichheitsrechtlichen Vorgaben mit Hilfe des Folgerichtigkeitsgebotes gezeigt und einen einheitlichen Maßstab für die Ermittlung der erbschaft- und schenkungsteuerlichen Bemessungsgrundlage verbindlich vorgeschrieben.44 Hans-Jürgen Papier will den ErbschaftsteuerBeschluss über den Bereich der Erbschaft- und Schenkungsteuer hinaus als einen Beitrag zur Gesetzgebungskultur im Steuerrecht verstanden wissen, durch den der Gesetzgeber zu mehr Systemgerechtigkeit, Folgerichtigkeit und Transparenz bei der Umsetzung von Belastungsentscheidungen angehalten werden soll.45 Ganz auf dieser Linie bewegt sich die Entscheidung des BVerfG zur Entfernungspauschale, die dem Gesetzgeber nunmehr auch im Bereich der Ertragsteuern die Einschränkung seiner Gestaltungsfreiheit durch das Gebot der Folgerichtigkeit vor Augen geführt hat.46 Allerdings hat das BVerfG mittlerweile wohl erkannt, dass mit einer zu starken Betonung des Folgerichtigkeitsgebots die Gefahr einer Überstrapazierung der Gleichheitsdogmatik verbunden ist. Jedenfalls kann man die Entscheidung zum Ansatzverbot für Jubiläumsrückstellungen47 als einen Versuch des BVerfG verstehen, einer solchen Entwicklung einen Riegel vorzuschieben. In der besagten Entscheidung kam das BVerfG zu dem Ergebnis, dass Abweichungen vom Grundsatz der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz lediglich den zurückhaltend zu kontrollierenden Anforderungen des Willkürverbots unterliegen.48 Angesichts der grundsätzlichen Entscheidung des Gesetzgebers für die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz wäre es zwar durchaus folgerichtig, auch Jubiläumsrückstellungen zu berücksichtigen. Da es sich hierbei jedoch um eine komplexe Einzelfrage auf der Ebene der Ausgestaltung des Steuertatbestandes handelt, sei das Folgerichtigkeitsgebot nur im Falle einer willkürlichen Sonderregelung für Jubiläumsrückstellungen verletzt.49 Dies begründete das BVerfG insbe-
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halb des Steuerrechts vgl. BVerfG v. 30.07.2008 - 1 BvR 3262/07, 1 BvR 402/08, 1 BvR, NJW 2008, S. 2415 ff. BVerfG v. 07.11.2006 - 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, S. 1 ff. BVerfG v. 07.11.2006 - 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, S. 33. Vgl. Papier, DStR 2007, S. 976, 978. BVerfG v. 09.12.2008 - 2 BvL 1/07; 2BvL 2/07; 2 BvL 1/08; 2 BvL 2/08, NJW 2009, S. 49 ff. BVerfG v. 12.05.2009 - 2 BvL 1/00, DStRE 2009, S. 922 ff. BVerfG v. 12.05.2009 - 2 BvL 1/00, DStRE 2009, S. 924. BVerfG v. 12.05.2009 - 2 BvL 1/00, DStRE 2009, S. 924 f. Das BVerfG reduziert also die Anforderungen an die gleichheitsrechtliche Rechtfertigung einer Durchbrechung
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sondere damit, dass sich die belastungsrelevanten Grundentscheidungen für das Leistungsfähigkeitsprinzip und das objektive Nettoprinzip gegenüber dem untergeordneten allgemeinen Grundsatz der Maßgeblichkeit regelmäßig neutral verhielten.50 Gleichzeitig hielt das BVerfG aber ausdrücklich an der bestehenden Folgerichtigkeitsdogmatik fest. Der Entscheidung lassen sich keine Hinweise entnehmen, dass das BVerfG die sich aus dem Folgerichtigkeitsgebot ergebenden Bindungen des Gesetzgebers generell lockern wollte.51 Als Folge der Entscheidung erweitert sich vielmehr der Handlungsspielraum des BVerfG beim Umgang mit dem Folgerichtigkeitsgebot. Die entscheidende Frage wird zukünftig lauten, ob eine bestimmte Regelung die belastungsrelevanten Grundentscheidungen für das Leistungsfähigkeitsprinzip und das objektive Nettoprinzip unmittelbar betrifft oder ob es sich um eine untergeordnete Einzelfallregelung handelt. Da sich kaum allgemeine Kriterien für die Abgrenzung finden lassen, obliegt die Beantwortung dieser Frage dem BVerfG im Einzelfall. Dadurch erhält es ein zusätzliches Steuerungsinstrument. Es ist auch zukünftig nicht zu erwarten, dass die breite Öffentlichkeit bewegende Fragestellungen wie etwa das Abzugsverbot für Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte lediglich einer Willkürkontrolle unterzogen werden. Anders mag sich dies im Hinblick auf spezielle Fragestellungen aus dem Unternehmenssteuerrecht darstellen.52 cc) Das objektive Nettoprinzip Das objektive Nettoprinzip besagt, dass erwerbssichernder Aufwand bei der Ermittlung der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen ist.53 Als Konsequenz des objektiven Nettoprinzips darf der Einkommensteuer grundsätzlich nur das Nettoeinkommen in Gestalt des positi-
50 51
52 53
des Folgerichtigkeitsgebots. Siehe dazu sogleich unter 2. Teil A. I. 1. b). Vgl. auch die Kritik von Hey, DStR 2009, S. 2565 ff. BVerfG v. 12.05.2009 - 2 BvL 1/00, DStRE 2009, S. 925. BVerfG v. 12.05.2009 - 2 BvL 1/00, DStRE 2009, S. 924: „Bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands muss die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes.“ Vgl. in diesem Sinne auch Hey, DStR 2009, S. 2562, die eine geringere Schutzwirkung des Verfassungsrechts für die Unternehmensbesteuerung konstatiert. BVerfG v. 11.11.1998 - 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, S. 290 f.; Lehner in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 1; Lang, StuW 2007, S. 4.
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ven Saldos von Erwerbseinnahmen und Erwerbsausgaben unterworfen werden.54 (1) Die Diskussion um den „Verfassungsrang“ des objektiven Nettoprinzips Ähnlich wie beim Leistungsfähigkeitsprinzip wird auch um den „Verfassungsrang“ des objektiven Nettoprinzips gestritten.55 Nach der wohl h.L. ist das objektive Nettoprinzip ein „Verfassungsprinzip“.56 Demgegenüber lässt das BVerfG in seiner Rechtsprechung ausdrücklich offen, ob das objektive Nettoprinzip verfassungsrechtlich verankert ist.57 Bei genauer Betrachtung ergibt sich, dass sich in der Debatte um den Verfassungsrang des objektiven Nettoprinzips zwei zwar eng zusammenhängende, gedanklich aber zu trennende Problemkreise vermengen. Der erste Problemkreis betrifft die Frage, ob im Rahmen einer einfachgesetzlich am objektiven Nettoprinzip ausgerichteten Einkommensteuer eine Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG indiziert. Im Mittelpunkt des zweiten Problemkreises steht die Frage, ob der Gesetzgeber das objektive Nettoprinzip ganz oder teilweise durch einen anderen Grundsatz ersetzen kann. Konkret geht es darum, ob im Rahmen einer Ist-ErtragsEinkommensbesteuerung das Leistungsfähigkeitsprinzip durch ein alternatives sachgerechtes Prinzip konkretisiert werden kann oder ob das objektive Nettoprinzip insofern alternativlos ist. Wenn letzteres zuträfe, so könnte man von einem „Verfassungsrang“ des Prinzips sprechen.58
54 BVerfG v. 04.12.2002 - 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00, BVerfGE 107, S. 47; BFH v. 10.01.2008 - VI R 17/07, BStBl. II 2008, S. 244. 55 Vgl. Fischer, Zur Systematik der Verrechnung inländischer Verluste im deutschen Steuerrecht (2004), S. 653 m.w.N. 56 Vgl. Schön in: Herzig/Günkel/Niemann (Hrsg.), Steuerberater-Jahrbuch 1998/99 (1999), S. 65 m.w.N. Zum aktuellen Stand der Disskussion vgl. Lehner, DStR 2009, S. 185 ff.; Schneider, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 87 ff.; Englisch, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 92 ff. 57 BVerfG v. 23.01.1990 - 1 BvL 4/87, 1 BvL 5/87, 1 BvL 6/87, 1 BvL 7/87, BVerfGE 81, S. 237; BVerfG v. 04.12.2002 - 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00, BVerfGE 107, S. 48; BVerfG v. 09.12.2008 - 2 BvL 1/07; 2BvL 2/07; 2 BvL 1/08; 2 BvL 2/08, NJW 2009, S. 50 f. 58 Gleichsinnig Englisch, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 96. Im Ergebnis ändert sich aber nichts, wenn man das objektive Nettoprinzip – ohne im ausdrücklich Verfassungsrang einzuräumen – schlicht als einzig mögliche einfachgesetzliche Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips im Einkommensteuerrecht begreift. In beiden Fäl-
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(2) Gleichheitsrechtliche Relevanz eines einfachgesetzlichen Nettoprinzips Gemäß § 2 Abs. 1 EStG unterliegen der Einkommensteuer Einkünfte, die in § 2 Abs. 2 EStG als Gewinn bzw. Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten definiert werden. Allgemein formuliert ist der Besteuerungsgegenstand der Einkommensteuer der positive Saldo von Erwerbseinnahmen und Erwerbsaufwendungen. Das objektive Nettoprinzip ist in seiner Grundstruktur somit einfachgesetzlich in § 2 Abs. 2 EStG angelegt.59 Gleichheitsrechtliche Relevanz kann dieses einfachgesetzliche objektive Nettoprinzip nur über das Gebot der Folgerichtigkeit entfalten. Das Begründungsmuster lautet folgendermaßen: Mit der Einkommensteuer hat sich der Gesetzgeber für das Einkommen als Indikator wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit entschieden. Einkommen wiederum ist definiert als Saldo von Erwerbseinnahmen und Erwerbsausgaben. Es ist daher folgerichtig, wenn der Gesetzgeber bei der Ermittlung der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage den Abzug von Erwerbsaufwendungen zulässt.60 Der Gesetzgeber unterliegt durch die einfachgesetzliche Ausrichtung der Einkommensteuer am objektiven Nettoprinzip über das Gebot der Folgerichtigkeit einer Selbstbindung. Daher stellt jedenfalls eine schlichte Durchbrechung61 des objektiven Nettoprinzips eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung i.S.v. Art. 3 Abs. 1 GG dar. Wer diesen Zusammenhang bestreiten will, muss darlegen, dass der Einkommensteuer in Wahrheit einfachgesetzlich gar nicht das objektive Nettoprinzip als Strukturprinzip zugrunde liegt. Dies hat das BVerfG 1972 ausdrücklich so entschieden.62 Ein Nettoprinzip „in dem strikten Sinn, daß der Gesetzgeber jegliche Durchbrechung, für die kein besonderer sachlicher Grund vorliegt, unterlassen müsste“ existiere nicht.63 Der Grundsatz der Ab-
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len stellt jede Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG dar. Vgl. Lehner in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 2; Schneider, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 88. Vgl. BFH v. 10.01.2008 - VI R 17/07, BStBl. II 2008, S. 244; Mössner in: Wassermeyer (Hrsg.), Grundfragen der Unternehmensbesteuerung (1994), S. 239; Lang, StuW 2007, S. 8; Brenner, DAR 2007, S. 442. Ob es einen Unterschied macht, wenn eine Durchbrechung des Nettoprinzips mit einem Systemwechsel hin zu einem alternativen Prinzip zur folgerichtigen Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips im Steuerrecht begründet wird, wird nachfolgend untersucht. BVerfG v. 07.11.1972 - 1 BvR 338/68, BVerfGE 34, S. 103 ff.; Gegenstand der Entscheidung war das körperschaftsteuerliche Abzugsverbot für Aufsichtsratsvergütungen. BVerfG v. 07.11.1972 - 1 BvR 338/68, BVerfGE 34, S. 115.
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ziehbarkeit von Erwerbsaufwendungen und spezielle Abzugsverbote für bestimmte Erwerbsaufwendungen stünden nicht im Verhältnis von Regel und Ausnahme, sondern gleichwertig nebeneinander.64 Folglich stellte eine Regelung, die dem objektiven Nettoprinzip zuwider lief, keine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung dar. Das BVerfG ging in dieser Entscheidung weder auf das Leistungsfähigkeitsprinzip noch auf die Problematik seiner folgerichtigen Umsetzung ein. Es prüfte vielmehr, ob das objektive Nettoprinzip eine vom Gesetz selbst statuierte Sachgesetzlichkeit darstellt, was einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz indiziert hätte.65 Dies verneinte das BVerfG mit der Begründung, dass neben dem Nettoprinzip in § 2 Abs. 2 im EStG auch zahlreiche Durchbrechungen des Nettoprinzips, etwa in § 4 Abs. 5 EStG, normiert sind.66 Mittlerweile ist diese Entscheidung jedoch überholt. Das BVerfG berücksichtigte in seiner Argumentation noch nicht, dass das objektive Nettoprinzip über das Gebot der Folgerichtigkeit mit der höherrangigen Vorgabe einer leistungsfähigkeitsgerechten Besteuerung verknüpft ist. In der Entscheidung, ob der Gesetzgeber selbst eine Sachgesetzlichkeit setzt, ist er frei. An das Gebot einer leistungsfähigkeitsgerechten Besteuerung ist er hingegen gebunden. Da das objektive Nettoprinzip eine folgerichtige Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips ist,67 stehen das einfachgesetzliche Nettoprinzip und seine Durchbrechungen in einem RegelAusnahme-Verhältnis. Das Folgerichtigkeitsprinzip bewirkt somit, dass Abweichungen vom einfachgesetzlichen Nettoprinzip gleichheitsrechtlich rechtfertigungsbedürftig sind.68 Diese Sichtweise findet sich mittlerweile auch in der Rechtsprechung des BVerfG.69 Besonders aufschlussreich sind die Ausführungen zum objektiven Nettoprinzip in der Entscheidung zur doppelten Haushaltsführung aus dem Jahr 2002: „Die für die Lastengleichheit im Einkommensteuerrecht maßgebliche finanzielle Leistungsfähigkeit bemisst der einfache Gesetzgeber nach dem objektiven und dem subjektiven Nettoprinzip. […] Zum objektiven Nettoprinzip hat das Bundesverfassungsgericht bisher offen gelassen, ob die Geltung dieses Prinzips des Einkommensteuerrechts auch verfassungsrechtlich geboten ist; jedenfalls aber kann es der Gesetzgeber beim Vorliegen gewichtiger Gründe durchbrechen und darf sich generalisierender, typisierender und pau64 65 66 67
BVerfG v. 07.11.1972 - 1 BvR 338/68, BVerfGE 34, S. 117. BVerfG v. 07.11.1972 - 1 BvR 338/68, BVerfGE 34, S. 115. BVerfG v. 07.11.1972 - 1 BvR 338/68, BVerfGE 34, S. 116. Vgl. BFH v. 10.01.2008 - VI R 17/07, BStBl. II 2008, S. 244; Mössner in: Wassermeyer (Hrsg.), Grundfragen der Unternehmensbesteuerung (1994), S. 239; Lang, StuW 2007, S. 8. 68 Vgl. BFH v. 10.01.2008 - VI R 17/07, BStBl. II 2008, S. 244. 69 BVerfG v. 23.01.1990 - 1 BvL 4/87, 1 BvL 5/87, 1 BvL 6/87, 1 BvL 7/87, BVerfGE 81, S. 237; BVerfG v. 11.11.1998 - 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, S. 295; BVerfG v. 09.12.2008 - 2 BvL 1/07; 2BvL 2/07; 2 BvL 1/08; 2 BvL 2/08, NJW 2009, S. 51.
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Allgemeiner verfassungsrechtlicher Rahmen schalierender Regelungen bedienen […] Hiernach entfaltet das objektive Nettoprinzip Bedeutung vor allem im Zusammenhang mit den Anforderungen an hinreichende Folgerichtigkeit bei der näheren Ausgestaltung der gesetzgeberischen Grundentscheidungen: Zu ihnen gehört die Beschränkung des steuerlichen Zugriffs nach Maßgabe des objektiven Nettoprinzips als Ausgangstatbestand der Einkommensteuer […]; Ausnahmen von der folgerichtigen Umsetzung der mit dem objektiven Nettoprinzip getroffenen Belastungsentscheidung bedürfen eines besonderen, sachlich rechtfertigenden Grundes.“70
Indirekt erkannte das BVerfG auch schon in der Entscheidung aus dem Jahr 1972 die Höherrangigkeit des objektiven Nettoprinzips an. Das BVerfG ging zwar einerseits davon aus, dass der Gesetzgeber das objektive Nettoprinzip nach Belieben einschränken dürfe, ohne gleichheitsrechtlichen Rechtfertigungsbedarf auszulösen. Andererseits sollte die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ihre Grenze darin finden, dass „die Grundstruktur der Einkommen- und Körperschaftsteuer als einer Steuer, die auf den von einem bestimmten Steuersubjekt bezogenen Gewinn ausgerichtet ist, nicht verändert wird.“71 Eine solche Abgrenzung nach der Intensität der Gesamtbeeinträchtigung des objektiven Nettoprinzips kann nicht überzeugen. Es wäre nicht möglich, überzeugend zu begründen, welche punktuelle Einschränkung des objektiven Nettoprinzips genau bei einer Gesamtbetrachtung zu der Beurteilung führt, dass die Grundstruktur der Einkommensteuer als Einkommensteuer bedroht ist. Wollte man aber von vornherein nur auf die Intensität jeder einzelnen Maßnahme abstellen und nur besonders schwerwiegende Beeinträchtigungen des objektiven Nettoprinzips unter einen gleichheitsrechtlichen Rechtfertigungsvorbehalt stellen, so hätte es der Gesetzgeber in der Hand, durch viele punktuelle Maßnahmen das gleiche Ergebnis zu erreichen, das bei einer Umsetzung auf einen Schlag eine Rechtfertigungspflicht auslöste. Die einzige sachgerechte Lösung ist, jede Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips als rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung im Sinn des Art. 3 Abs. 1 GG zu qualifizieren und die unterschiedliche Intensität des Eingriffs auf der Ebene der Rechtfertigung zu berücksichtigen. (3) Ersetzbarkeit des objektiven Nettoprinzips Der Umstand, dass das einfachgesetzliche Nettoprinzip über das Gebot der Folgerichtigkeit Maßstab für das Vorliegen einer rechtfertigungsbedürftigen Ungleichbehandlung i.S.v. Art. 3 Abs. 1 GG ist, bedeutet noch nicht, dass eine Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips zwingend gleichheitsrechtlich rechtfertigungsbedürftig ist. Dies wäre nur dann der Fall, wenn das objektive Nettoprinzip als folgerichtige Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips alternativlos wäre und nicht ganz oder teilweise durch andere 70 BVerfG v. 04.12.2002 - 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00, BVerfGE 107, S. 47. 71 BVerfG v. 07.11.1972 - 1 BvR 338/68, BVerfGE 34, S. 117.
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sachgerechte Prinzipien ersetzt werden könnte. Anderenfalls müsste vorrangig geprüft werden, ob eine folgerichtige Ausgestaltung des Leistungsfähigkeitsprinzips nach einem alternativen Prinzip vorliegt.72 Ausgangspunkt muss die Überlegung sein, dass das objektive Nettoprinzip ein identitätskonstituierendes Strukturmerkmal jeder Ist-Ertrags-Einkommensbesteuerung ist.73 Ohne objektives Nettoprinzip hört die Einkommensteuer auf Einkommensteuer zu sein.74 Unabhängig von verfassungsrechtlichen Aspekten wäre eine Einkommensteuer ohne jede Abzugsmöglichkeit für Erwerbsaufwendungen schon per Definition keine Einkommensteuer, sondern eine Umsatzsteuer auf die Bruttoeinnahmen.75 Die korrekte Bezeichnung für eine derartige Steuer würde nicht Einkommen- sondern Einnahmensteuer lauten. Insofern ist das objektive Nettoprinzip auch finanzverfassungsrechtlich verbürgt.76 Da durch eine Abschaffung des Nettoprinzips der finanzverfassungsrechtliche Typus der Einkommensteuer im Sinne der Art. 105 ff. GG verlassen würde, wäre für diesen Schritt eine Änderung der finanzverfassungsrechtlichen Kompetenzgrundlagen erforderlich.77 Dass das objektive Nettoprinzip jeder Form einer Ist-Ertrags-Einkommensbesteuerung schon strukturell immanent ist, hat das BVerfG selbst in der Entscheidung vom 07.11.1972 anerkannt, in der es dem Nettoprinzip gleichheitsrechtliche Relevanz absprach.78 Aber auch wenn man nur den Aspekt der Leistungsfähigkeit in den Blick nimmt, sind keine Alternativen zum objektiven Nettoprinzip ersichtlich. Es ist unmittelbar einsichtig, dass Leistungsfähigkeit nicht durch Bruttoeinnahmen, sondern durch Nettoeinnahmen vermittelt wird:79
72 Vgl. Schmehl, Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen mit Mindestbesteuerungseffekt – ein tragfähiges Konzept für das Einkommensteuerrecht? (2004), S. 6. 73 Vgl. Beschluss der steuerrechtlichen Abteilung des 57. Deutschen Juristentags 1988 in Mainz: „Das Nettoprinzip gehört zu den identitätskonstituierenden Merkmalen der Einkommensteuer. Als solches steht es nicht zur Disposition des Gesetzgebers“ in: Verhandlungen des 57. Deutschen Juristentags, Mainz 1988, Bd. 2 N 214. 74 Vgl. Tipke, BB 2007, S. 1527. 75 Vgl. Schön in: Herzig/Günkel/Niemann (Hrsg.), Steuerberater-Jahrbuch 1998/99 (1999), S. 58 f.; Wernsmann, DStR 2007, S. 1151; Drüen, StuW 2008, S. 7; Schneider, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 88. 76 Vgl. Englisch, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 92. 77 Vgl. Schön, FR 2001, S. 382; Wernsmann, DStR 2007, S. 1151; Drüen, StuW 2008, S. 7; Drüen, Ubg 2009, S. 27; Englisch, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 92. 78 BVerfG v. 07.11.1972 - 1 BvR 338/68, BVerfGE 34, S. 117. 79 Vgl. Birk, StuW 2000, S. 331; Tipke in: Kirchhof/K. Schmidt/Schön/Vogel (Hrsg.), Festschrift Raupach (2006), S. 178.
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Rechtsanwalt R erzielt Einnahmen i.H.v. 1.000.000 €. Seine Kosten belaufen sich auf 200.000 €. Einzelhändler H erzielt eine Umsatz i.H.v. ebenfalls 1.000.000 €. Allerdings belaufen sich seine Aufwendungen auf 800.000 €. Einnahmen 1.000 T€
R
Ausgaben 200 T€
Einnahmen
H
1.000 T€
Ausgaben 800 T€
Gewinn 800 T€
Gewinn 200 T€
Abbildung 15 Nettoeinkommen als Leistungsfähigkeitsindikator
Eine gänzliche Abschaffung des objektiven Nettoprinzips wäre folglich nicht nur finanzverfassungsrechtlich unzulässig. Darin läge wegen Verstoßes gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip zugleich eine Ungleichbehandlung i.S.v. Art. 3 Abs. 1 GG. Somit steht fest, dass – solange eine Einkommensteuer überhaupt erhoben wird – das objektive Nettoprinzip niemals vollständig abgeschafft werden kann. Gleiches gilt für eine Beeinträchtigung des objektiven Nettoprinzips, die so schwerwiegend ist, dass dadurch die Grundstruktur der Einkommensteuer als einer Steuer auf den Ist-Ertrag verändert wird. Zu prüfen bleibt daher nur noch, inwieweit das objektive Nettoprinzip partiell durch abweichende Prinzipien in gleichheitsrechtlich nicht rechtfertigungsbedürftiger Weise relativiert werden kann.80 Die Problematik kann sehr gut am Beispiel des sog. „Werkstorprinzips“ veranschaulicht werden. Durch das Steueränderungsgesetz 2007 vom 19.06.200681 wurde der Betriebsausgaben- bzw. Werbungskostenabzug für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ausgeschlossen.82 Ausweislich der Gesetzesbegründung verfolgte der Gesetzgeber damit keinen verkehrs- oder umweltpolitischen Lenkungszweck. Hintergrund der Maßnahme war ausschließlich die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung,83 letztlich also die Generierung von Einnahmen. Von Interesse für die vorliegende Untersuchung ist, dass das Bundesfi80 81 82 83
Vgl. Drüen, StuW 2008, S. 10. BGBl. I 2006, S. 1652. Vgl. §§ 4 Abs. 5a, 9 Abs. 2 EStG a.F. BT-Drs. 16/1545, S. 8, 13.
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nanzministerium (BMF) einen gleichheitsrechtlichen Rechtfertigungsbedarf mit der Begründung ablehnte, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des Werkstorprinzips seinen weiten Spielraum bei der Bestimmung des Steuergegenstandes genutzt habe.84 Der Übergang zum Werkstorprinzip war nach Ansicht des BMF nicht am Grundsatz der folgerichtigen Ausgestaltung der Grundentscheidung zu messen, sondern sollte vielmehr selbst eine neue Grundentscheidung darstellen. Das Abzugsverbot für Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sei daher keine „Durchbrechung“ des objektiven Nettoprinzips gewesen, sondern habe dessen Anwendungsbereich neu definiert.85 Nach diesem Begründungsansatz würde dem Gesetzgeber die Freiheit zukommen, das objektive Nettoprinzip partiell – für den Bereich der Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte – durch das Werkstorprinzip zu ersetzen, ohne dass eine gleichheitsrechtliche Rechtfertigung erforderlich wäre. BFH und BVerfG sind dieser Auffassung zu Recht nicht gefolgt.86 Das objektive Nettoprinzip und das „Werkstorprinzip“ stehen dogmatisch nicht auf einer Stufe. Das objektive Nettoprinzip steht vielmehr eine Abstraktionsstufe höher. Es konkretisiert das Leistungsfähigkeitsprinzip für den Bereich der Ertragsbesteuerung. Das objektive Nettoprinzip ist somit eine den Detailfragen voraus liegende Grundentscheidung.87 Wie der BFH zutreffend ausgeführt hat, hat sich daran durch die Einführung des Werkstorprinzips nichts geändert: „Im Übrigen ist das Nettoprinzip dem Werkstorprinzip auch in seiner Bedeutung als ‚Grundentscheidung’ vorrangig. Das Werkstorprinzip kann nicht den Inhalt des objektiven Nettoprinzips bestimmen oder diesem seine Gestalt geben. Zu prüfen ist vielmehr, ob das Werkstorprinzip mit dem objektiven Nettoprinzip vereinbar ist.“88
Das BVerfG hat jedoch erneut offen gelassen, ob dem objektiven Nettoprinzip „Verfassungsrang“ in dem Sinne zukommt, dass es als folgerichtige Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips im Bereich der IstEinkommensbesteuerung alternativlos ist. Vielmehr betont das BVerfG die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, neue Regeln einzuführen, ohne durch das Gebot der Folgerichtigkeit an frühere Grundentscheidungen ge84 Vgl. Stellungnahme des BMF im Revisionsverfahren, BFH v. 10.01.2008 - VI R 17/07, BStBl. II 2008, S. 238. 85 Vgl. Stellungnahme des BMF im Revisionsverfahren, BFH v. 10.01.2008 - VI R 17/07, BStBl. II 2008, S. 238. 86 BFH v. 10.01.2008 - VI R 17/07, BStBl. II 2008, S. 245; BVerfG v. 09.12.2008 - 2 BvL 1/07; 2BvL 2/07; 2 BvL 1/08; 2 BvL 2/08, NJW 2009, S. 53. 87 Vgl. Drüen, StuW 2008, S. 10. Ablehnend gegenüber einer Automisierung der Grundentscheidung durch sog. Subprinzipien für einzelne Abzugsposten auch Jachmann, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 130. 88 BFH v. 10.01.2008 - VI R 17/07, BStBl. II 2008, S. 245.
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bunden zu sein.89 Immerhin präzisiert das BVerfG allerdings in diesem Zusammenhang die Mindestanforderungen an einen zulässigen Systemwechsel: „Einen zulässigen Systemwechsel kann es ohne ein Mindestmaß an neuer Systemorientierung nicht geben. Insbesondere dann, wenn bei im Übrigen unveränderten Grundentscheidungen eine von diesen abweichende Belastungsentscheidung lediglich in einem schmalen Teilbereich mit der Behauptung eines Systemwechsels begründet wird, bedarf es greifbarer Anhaltspunkte - etwa die Einbettung in ein nach und nach zu verwirklichendes Grundkonzept -, die die resultierende Ungleichbehandlung vor Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen können.“90
Nimmt man diese Anforderungen ernst, so kann die Schlussfolgerung nur lauten, dass das objektive Nettoprinzip als folgerichtige Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips im Bereich der Ist-Ertragsbesteuerung alternativlos ist. Eine partielle Ersetzung des objektiven Nettoprinzips durch andere Grundsätze stellt auch nach Ansicht des BVerfG eine Abweichung von der weiter bestehenden Grundentscheidung für eine Nettobesteuerung dar und ist daher gleichheitsrechtlich rechtfertigungsbedürftig. Darüber hinaus kann eine partielle Abschaffung des objektiven Nettoprinzips aber auch nicht – wie vom BVerfG angedacht – als Teil eines nach und nach zu verwirklichenden Grundkonzepts begründet werden, denn das Endziel eines solchen Konzepts müsste die vollständige Abschaffung des objektiven Nettoprinzips sein, was wiederum schon aus finanzverfassungsrechtlichen Gründen unzulässig wäre. Im Ergebnis wäre es daher zwar wünschenswert gewesen, wenn sich das BVerfG ausdrücklich zum „Verfassungsrang“ des objektiven Nettoprinzips im dargestellten Sinne bekannt hätte. An dem Befund, dass eine Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips auch nach der Rechtsprechung des BVerfG stets eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung darstellt, ändert diese sprachliche Zurückhaltung jedoch nichts. Es gibt kein alternatives sachgerechtes Prinzip, das im Bereich der Ertragsbesteuerung das objektive Nettoprinzip als Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips ersetzen könnte.91 (4) Konkretisierungsbedürftigkeit des objektiven Nettoprinzips Mit der Aussage, es gebiete den Abzug der Erwerbsaufwendungen von den Erwerbserträgen, ist das objektive Nettoprinzip nur sehr abstrakt beschrieben. Um seine Funktion als Maßstab ertragsteuerlicher Gleichbehandlung erfüllen zu können, muss es seinerseits konkretisiert werden. Im Einzelfall 89 BVerfG v. 09.12.2008 - 2 BvL 1/07; 2BvL 2/07; 2 BvL 1/08; 2 BvL 2/08, NJW 2009, S. 53. 90 BVerfG v. 09.12.2008 - 2 BvL 1/07; 2BvL 2/07; 2 BvL 1/08; 2 BvL 2/08, NJW 2009, S. 53. 91 So auch Englisch, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 96.
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kann es schwierig sein zu entscheiden, ob eine bestimmte Maßnahme das objektive Nettoprinzip konkretisiert oder es in rechtfertigungsbedürftiger Weise durchbricht. Das maßgebliche Kriterium zu Beurteilung dieser Frage ist, ob sich die konkrete Maßnahme noch als eine folgerichtige Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips darstellt.92 Problematisch ist insbesondere, ob und inwieweit bestimmte Aufwendungen als Erwerbsaufwendungen qualifiziert werden können oder müssen. Ob eine bestimmte Ausgabenkategorie als erwerbssichernder Aufwand zu qualifizieren ist, bestimmt sich de lege lata nach dem Veranlassungsprinzip, das insofern das objektive Nettoprinzip konkretisiert.93 Auch hinsichtlich des Veranlassungsprinzips stellt sich die Frage, ob es in folgerichtiger Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips und des objektiven Nettoprinzips durch ein anderes Prinzip ersetzt werden könnte. Theoretisch denkbar wäre beispielsweise, nur solche Aufwendungen als Erwerbsausgaben anzuerkennen, die zur Einkünfteerzielung nach einem objektiven Maßstab notwendig sind.94 Bislang bewirkt das Veranlassungsprinzip, dass sich die Abziehbarkeit der Erwerbsaufwendungen an den tatsächlichen Kosten orientieren muss: „Es bleibt grundsätzlich dem Steuerpflichtigen überlassen, über die Geeignetheit, Notwendigkeit, Vernünftigkeit und Angemessenheit einer Erwerbshandlung zu entscheiden. Das Einkommensteuerrecht verpflichtet die Steuerpflichtigen nicht zu möglichst sparsamen Erwerbsaufwendungen und kennt auch keine Obliegenheit, sparsam zu sein.“95
Würde hingegen auf die Notwendigkeit von Erwerbsaufwendungen abgestellt, so müsste eine streitanfällige „Betriebsausgabennotwendigkeitszensur“ stattfinden. Der Steuerpflichtige müsste bei jedem Aufwandsposten darlegen, dass er nicht sparsamer handeln konnte.96
92 Vgl. Schmehl, Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen mit Mindestbesteuerungseffekt – ein tragfähiges Konzept für das Einkommensteuerrecht? (2004), S. 8. 93 BFH v. 10.01.2008 - VI R 17/07, BStBl. II 2008, S. 245. 94 So beispielsweise Birk, StuW 1989, S. 216; Jachmann, Steuergesetzgebung zwischen Gleichheit und wirtschaftlicher Freiheit (2000), S. 12; Drenseck in: Tipke (Hrsg.), Gedächtnisschrift Trzaskalik (2005), S. 287 f.; Schneider, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 91. Vgl. auch Wiedergabe der Stellungnahme des BMF in BVerfG v. 18.01.2006 - 2 BVR 2194/99, BVerfGE 115, S. 103. A.A. beispielsweise Englisch, der davon ausgeht, dass Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG dem Steuerpflichtigen die Freiheit gewährleisten, selbst über die Organisation und Ausgestaltung seiner Erwerbstätigkeit zu entscheiden; vgl. Englisch, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 94 f. 95 BFH v. 10.01.2008 - VI R 17/07, BStBl. II 2008, S. 246. 96 Vgl. Wiedergabe der Stellungnahme des BMF in BVerfG v. 18.01.2006 - 2 BVR 2194/99, BVerfGE 115, S. 103. Zu Recht weist Englisch darauf hin, dass eine durchgängige Erforderlichkeitskontrolle durch die Finanzverwaltung im Massenvollzug des
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Allgemeiner verfassungsrechtlicher Rahmen
Für die Anwendung des objektiven Nettoprinzips auf die Verlustverrechnung spielt diese Problematik jedoch keine Rolle, da Verluste im Prozess der Einkommensermittlung eine Stufe über der Frage der steuerlichen Relevanz einzelner Einnahme- und Ausgabeposten angesiedelt sind. Ein Verlust ist der negative Saldo aus Erwerbseinnahmen und Erwerbsausgaben.97 Im Verlust sind somit die einzelnen Einnahme- und Ausgabeposten aggregiert. Unabhängig davon, nach welchen Kriterien die Erwerbsausgaben ermittelt werden, entsteht ein Verlust, sobald die Erwerbsausgaben die Erwerbseinnahmen übersteigen. Selbst wenn das Veranlassungsprinzip durch das „Notwendigkeitsprinzip“ ersetzt werden könnte, bestünde daher die Notwendigkeit einer Verlustverrechnung. dd) Die gleichheitsrechtliche Dimension der Steuerfreiheit des Existenzminimums Der Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG98 und besagt, dass der Staat dem Steuerpflichtigen sein Einkommen insoweit steuerfrei belassen muss, als dieser es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein benötigt.99 Durch Art. 6 Abs. 1 GG wird das Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums auf die Perspektive der Familie erweitert. Bei
Einkommensteuerrechts nicht gleichheitskonform umsetzbar wäre; vgl. Englisch, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 94 f. 97 Vgl. 1. Teil A. I. 1. 98 BVerfG v. 29.05.1990 - 1 BvL 20, 26, 184 und 4/86, BVerfGE 82, S. 85; Tipke, Die Steuerrechtsordnung 2 (2003), S. 798; Mellinghoff, Stbg 2005, S. 4. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Herleitung des Gebots der Steuerfreiheit des Existenzminimums bestand zunächst eine Divergenz innerhalb des BVerfG. Während der 1. Senat von Beginn an auf die Menschenwürdegarantie, Art. 1 Abs. 1 GG, i.V.m. dem Sozialstaatsgrundsatz des Art. 20 Abs. 1 GG abstellte (vgl. BVerfG v. 29.05.1990 - 1 BvL 20, 26, 184 und 4/86, BVerfGE 82, S. 85), leitete der 2. Senat die Forderung nach steuerlicher Schonung des Existenzminimums zunächst aus dem aus Art. 2 Abs. 1 GG folgenden Grundsatz ab, dass ein Steuergesetz keine „erdrosselnde“ Wirkung haben dürfe (vgl. BVerfG v. 25.09.1992 - 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91, BVerfGE 87, S. 169). Mittlerweile hat aber der 2. Senat die Herleitung des 1. Senats übernommen (vgl. beispielsweise BVerfG v. 13.02.2008 - 2 BvL 1/06, NJW 2008, S. 1871 f.). 99 BVerfG v. 29.05.1990 - 1 BvL 20, 26, 184 und 4/86, BVerfGE 82, S. 85; BVerfG v. 10.11.1998 - 2 BvR 1057/91, 2 BvR 1226/91, 2 BvR 980/91, BVerfGE 99, S. 233; BVerfG v. 10.11.1998 - 2 BvL 42/93, BVerfGE 99, S. 259; BVerfG v. 13.02.2008 - 2 BvL 1/06, NJW 2008, S. 1871 f.
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der Besteuerung einer Familie muss das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei bleiben.100 Hinter dem Gebot der steuerlichen Schonung des Existenzminimums steht der allgemeine Grundsatz, dass der Staat die Freiheit des Einzelnen nicht unnötig einschränken soll. Würde der Staat das Existenzminimum besteuern, wäre er aufgrund von Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG im Gegenzug verpflichtet, das Existenzminimum des Steuerpflichtigen durch Sozialtransfers zu sichern.101 Zwar würden sich Steuerzahlung und staatlicher Leistungstransfer per Saldo ausgleichen. Mit der Inanspruchnahme von staatlichen Transferzahlungen wäre jedoch ein Verlust an Freiheit verbunden, da diese beantragt, die Bedürftigkeit nachgewiesen und staatliche Kontrollen hingenommen werden müssten.102 Im Interesse des Freiheitsschutzes muss daher die Eigenversorgung Vorrang vor staatlicher Fürsorge haben.103 Was der Staat dem Einzelnen voraussetzungslos aus allgemeinen Haushaltsmitteln zur Verfügung zu stellen hat, das darf er ihm nicht durch Besteuerung seines Einkommens entziehen.104 Der Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums ist insoweit freiheitsrechtlicher Natur,105 als er dem Steuerpflichtigen einen absoluten Abwehranspruch gegen den Steueranspruch des Staates gewährt. Unabhängig davon, wie hoch sein Einkommen ist, muss ihm nach Steuern mindestens ein Betrag in Höhe des Existenzminimums verbleiben. Darüber hinaus hat der Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums aber auch eine gleichheitsrechtliche Dimension.106 Da der für existenzsichernde Aufwendungen
100 BVerfG v. 29.05.1990 - 1 BvL 20, 26, 184 und 4/86, BVerfGE 82, S. 85; BVerfG v. 10.11.1998 - 2 BvR 1057/91, 2 BvR 1226/91, 2 BvR 980/91, BVerfGE 99, S. 233; BVerfG v. 16.03.2005 - 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, S. 281. 101 BVerfG v. 29.05.1990 - 1 BvL 20, 26, 184 und 4/86, BVerfGE 82, S. 85; Birk/Wernsmann, JZ 2001, S. 218. 102 Vgl. Kirchhof, StuW 1985, S. 326, der diesen Umstand folgendermaßen auf den Punkt bringt: „Eine eigenständig erworbene DM ist qualitativ mehr wert als die vom Staat gewährte DM“. 103 BVerfG v. 13.02.2008 - 2 BvL 1/06, NJW 2008, S. 1871 f.; Tipke, Die Steuerrechtsordnung 2 (2003), S. 789. 104 BVerfG v. 29.05.1990 - 1 BvL 20, 26, 184 und 4/86, BVerfGE 82, S. 85; BVerfG v. 13.02.2008 - 2 BvL 1/06, NJW 2008, S. 1871 f.; Birk/Wernsmann, JZ 2001, S. 218. 105 Vgl. dazu ausführlich 2. Teil A. I. 2. b). 106 Vgl. dazu zuletzt BVerfG v. 13.02.2008 - 2 BvL 1/06, NJW 2008, S. 1871 f.: „Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Beurteilung ist das aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 [Hervorh. d. Verf.] und Art. 6 Abs. 1 GG abzuleitende Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums.“ So auch Englisch, Die Duale Einkommensteuer - ein Reformmodell für Deutschland? (2005), S. 157; Tipke
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erforderliche Teil des Einkommens keine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit begründet,107 würde durch eine Nichtberücksichtigung des existenzsichernden Aufwands der Grundsatz der Belastungsgleichheit durchbrochen. Beispiel: A erzielt ein Einkommen i.H.v. 40.000 €. Im gleichen Veranlagungszeitraum hat er existenzsichernde, unvermeidbare Aufwendungen i.H.v. 20.000 €. Der Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums in seiner freiheitsrechtlichen Dimension fordert nur, dass der Steuerzugriff durch die Einkommensteuer 20.000 € nicht übersteigt, dem A also mindestens 20.000 € verbleiben. So ist sichergestellt, dass er seinen Lebensunterhalt aus seinem Einkommen bestreiten kann und nicht auf Sozialhilfe angewiesen ist. Gleichheitsrechtlich muss zudem der existenzsichernde Aufwand bei der Ermittlung der Steuerschuld nach dem allgemeinen Tarif berücksichtigt werden. Dies kann durch einen Abzug von der Bemessungsgrundlage und/oder durch den Grundfreibetrag im Rahmen des Tarifs geschehen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die Leistungsfähigkeit des A wegen der existenzsichernden Aufwendungen lediglich 20.000 € beträgt. A ist folglich genauso leistungsfähig wie ein Steuerpflichtiger mit einem Einkommen von 30.000 € und existenzsicherndem Aufwand von 10.000 €. Es ist daher ein Gebot der horizontalen Belastungsgleichheit, dass die Steuerschuld in beiden Fällen gleich hoch ausfällt.
Gleichheitsrechtlich ergibt sich daher im Hinblick auf das Leistungsfähigkeitsprinzip die Notwendigkeit, nur den das Existenzminimum übersteigenden Teil des Einkommens des Steuerpflichtigen der Besteuerung zu unterwerfen: „Die Steuerfreiheit des Familienexistenzminimums wirkt sich auch auf die Besteuerung eines Einkommens aus, das dieses Existenzminimum übersteigt. Das Existenzminimum muß dem Steuerpflichtigen nicht nur nach Abzug der Steuern erhalten bleiben. Der Gesetzgeber darf auch nur das darüber hinausgehende Einkommen der Besteuerung unterwerfen, weil andernfalls Familien mit unterhaltsbedürftigen Kindern gegenüber den sonstigen Familien, gegenüber kinderlosen Ehepaaren und gegenüber kinderlosen Alleinstehenden benachteiligt werden würden. Prüfungsmaßstab ist insoweit Art. 3 Abs. 1 GG [Hervorh. d. Verf.], wobei die in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltene Grundsatzentscheidung für den Schutz der Familie mit zu beachten ist.“108
Die Unterscheidung zwischen der freiheitsrechtlichen und der gleichheitsrechtlichen Dimension des Grundsatzes der Steuerfreiheit des Existenzminimums ist somit eine Frage der Perspektive. Während die freiheitsrechtliche Dimension den Bürger im Verhältnis zum Staat vor einer Besteuerung schützt, die ihm das zum Leben Notwendige nimmt, wird durch die gleichin: Kirchhof/K. Schmidt/Schön/Vogel (Hrsg.), Festschrift Raupach (2006), S. 192; Steger, Die außergewöhnliche Belastung im Steuerrecht (2008), S. 111 und 115 f. 107 Vgl. Lang/Englisch, StuW 2005, S. 12. 108 BVerfG v. 29.05.1990 - 1 BvL 20, 26, 184 und 4/86, BVerfGE 82, S. 86.
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heitsrechtliche Dimension die Minderung der Leistungsfähigkeit durch existenzsichernden Aufwand im Verhältnis zu einem Steuerpflichtigen mit geringerem entsprechenden Aufwand berücksichtigt. Eine steuertechnische Möglichkeit zur Freistellung des Existenzminimums von der Besteuerung ist der Abzug des existenzsichernden Aufwands von der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer. Dies bezeichnet man in Anlehnung an das objektive Nettoprinzip, das den Abzug der erwerbssichernden Aufwendungen gebietet, als subjektives Nettoprinzip.109 Nach einer verbreiteten Ansicht in der Literatur ist das subjektive Nettoprinzip die einzige sachgerechte Möglichkeit zur Umsetzung des Gebots der Steuerfreiheit des Existenzminimums.110 Als Hauptargument wird dabei auf die Notwendigkeit verwiesen, die Messfunktion der Bemessungsgrundlage und die Belastungsfunktion des Tarifs klar voneinander abzugrenzen.111 Dem hat sich das BVerfG bislang jedoch nicht angeschlossen. Es lässt dem Gesetzgeber ausdrücklich die Wahl, in welcher Weise er dem verfassungsrechtlichen Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums Rechnung trägt.112 Erforderlich ist grundsätzlich nur, dass im Ergebnis der existenznotwendige Bedarf in angemessener und realitätsgerechter Höhe von der Einkommensteuer freigestellt wird.113 Wird die Einkommensteuerschuld anhand eines einheitlichen Tarifs ermittelt, so müssen zur Herstellung von Belastungsgleichheit nur solche Aufwendungen von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden, die nicht alle Steuerpflichtigen in gleicher Weise betreffen.114 Im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG wird die Steuerfreiheit des Existenzminimums de lege lata über die Kombination eines als tarifliche Nullzone ausgestalteten Grundfreibetrags und der Möglichkeit, bestimmte privat
109 Vgl. Lang, StuW 2007, S. 4; Mellinghoff, Stbg 2005, S. 3. 110 Vgl. Kirchhof, StuW 1985, S. 328; Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer (1988), S. 196; Birk, StuW 1989, S. 215; Tipke, Die Steuerrechtsordnung 2 (2003), S. 801. 111 Vgl. Lang in: Tipke/Lang, Steuerrecht (2009), S. 257. 112 BVerfG v. 25.09.1992 - 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91, BVerfGE 87, S. 169 f. 113 BVerfG v. 16.03.2005 - 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, S. 281. 114 BVerfG v. 25.09.1992 - 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91, BVerfGE 87, S. 170; BVerfG v. 14.06.1994 - 1 BvR 1022/88, BVerfGE 91, S. 109. Ein Beispiel ist die Berücksichtigung des Familienexistenzminimums bei Steuerpflichtigen mit Kindern. Da Kinderlose und Steuerpflichtige mit Kindern nach einem einheitlichen Tarif besteuert werden, würden letztere benachteiligt, wenn das Existenzminimum der Kinder nicht in der einkommensteuerlichen Bemessungsrundlage berücksichtigt würde, vgl. BVerfG v. 29.05.1990 - 1 BvL 20, 26, 184 und 4/86, BVerfGE 82, S. 89 f. Demgegenüber betrifft die Notwendigkeit, die Ausgaben zur Sicherung der eigenen Existenz zu tätigen, alle Steuerpflichtigen in gleicher Weise.
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veranlasste Aufwendungen als Sonderausgaben bzw. außergewöhnliche Belastungen von der Bemessungsgrundlage abzuziehen, verwirklicht.115 Inwieweit jenseits der Grenze des zu verschonenden Existenzminimums zwangsläufiger, pflichtbestimmter Aufwand von der Einkommensteuer freizustellen ist, hat das BVerfG bislang noch nicht abschließend geklärt.116 Fest steht lediglich, dass die Berücksichtigung privat veranlassten Aufwands nicht ohne weiteres zur Disposition des Gesetzgebers steht, da es nach Ansicht des BVerfG für die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit nicht nur auf die Unterscheidung zwischen beruflicher und privater Veranlassung, sondern auch auf die zwischen freier oder beliebiger Einkommensverwendung einerseits und zwangsläufigem, pflichtbestimmtem Aufwand andererseits ankommt.117 Die in der Literatur häufig getroffene Aussage, es dürfe nur das „disponible“ Einkommen der Besteuerung unterworfen werden118 bzw. es müsse „unvermeidbarer“ Privataufwand von der Besteuerung freigestellt werden,119 hilft nicht weiter. Denn fraglich ist ja gerade, welcher Teil des Einkommens „disponibel“ bzw. welche Privataufwendungen „unvermeidlich“ sind. Um den Charakter der Einkommensteuer als einer Steuer, die an die Einkommenserzielung anknüpft, nicht zu untergraben, muss die Berücksichtigung von Privataufwendungen, die eine Einkommensverwendung darstellen, restriktiv gehandhabt werden. Es ist daher davon auszugehen, dass sich eine Pflicht des Gesetzgebers zur steuerlichen Berücksichtigung privater Aufwendungen nicht aus dem Gleichheitssatz allein, sondern nur aus dem Zusammenspiel mit anderen Verfassungsnormen, insbesondere Art. 1 Abs. 1, 6 und 20 Abs. 1 GG, ergeben kann.120
115 Vgl. § 32 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG und §§ 10, 33 EStG sowie Lehner in: Brenner/Huber/Möstl (Hrsg.), Der Staat des Grundgesetzes - Kontinuität und Wandel (2004), S. 332; Steger, Die außergewöhnliche Belastung im Steuerrecht (2008), S. 106 f. 116 BVerfG v. 04.12.2002 - 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00, BVerfGE 107, S. 48 f.; Englisch, NJW 2006, S. 1025. 117 BVerfG v. 04.12.2002 - 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00, BVerfGE 107, S. 49; BVerfG v. 16.03.2005 - 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, S. 280. 118 Vgl. beispielsweise Tipke, Die Steuerrechtsordnung 2 (2003), S. 795; Englisch, NJW 2006, S. 1025. 119 Vgl. beispielsweise Tipke, Die Steuerrechtsordnung 2 (2003), S. 785; Englisch, NJW 2006, S. 1025. 120 Kischel in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 3 Rn. 122. Vgl. auch Heun in: Dreier (Hrsg.), GG Bd. 1 (2004), Art. 3 Rn. 78.
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b) Rechtfertigung Der Grundsatz einer bereichsspezifischen Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes erstreckt sich auch auf die Rechtfertigungsebene. Die Anforderungen an die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG sind nicht einheitlich, sondern reichen je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen von einem bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitsgrundsätze.121 Bezüglich der verfassungsrechtlichen Kontrolldichte ergibt sich somit ein Kontinuum von einer sehr großzügigen hin zu einer sehr strengen Prüfung.122 Im Rahmen einer reinen Willkürprüfung hat der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Das BVerfG prüft nur, ob der Gesetzgeber die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten hat, weil für die Differenzierung ein vernünftiger, sachlich einleuchtender Grund nicht erkennbar ist.123 Was konkret unter einer „strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse“ zu verstehen ist, ist strittig und muss als nicht abschließend geklärt angesehen werden.124 Genaue Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen das Willkürverbot oder das Gebot verhältnismäßiger Gleichbehandlung zum Tragen kommt, lassen sich nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht abstrakt herleiten.125 Es kommt vielmehr maßgeblich auf den jeweils betroffenen Sach- und Regelungsbereich an. Das Willkürverbot bildet als Mindestanforderung den Ausgangspunkt. Eine Verschärfung des Prüfungsmaßstabes bedarf einer besonderen Begründung.126 Ein strengerer Prüfungsmaßstab kann sich beispielsweise aus der Beeinträchtigung anderer Grundrechte ergeben. Im Einzelnen kommt es darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann.127 Ferner 121 BVerfG v. 06.03.2002 - 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, S. 110; BVerfG v. 04.12.2002 - 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00, BVerfGE 107, S. 45; BVerfG v. 16.03.2005 - 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, S. 279; BVerfG v. 21.06.2006 - 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, S. 180; BVerfG v. 07.11.2006 - 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, S. 30; Bryde/Kleindiek, Jura 1999, S. 37; Mellinghoff, Stbg 2005, S. 2 f.; Naujok, BB 2007, S. 1366. 122 Vgl. Jarass in: Jarass/Pieroth, GG (2009), Art. 3 Rn. 17; Albers, JuS 2008, S. 945. 123 BVerfG v. 02.10.1969 - 1 BvL 12/68, BVerfGE 27, S. 67; BVerfG v. 04.12.2002 - 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00, BVerfGE 107, S. 46. 124 Vgl. Kischel in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 3 Rn. 23; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG (2009), Art. 3 Rn. 27. 125 Vgl. BVerfG v. 06.03.2002 - 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, S. 111. 126 Vgl. Bryde/Kleindiek, Jura 1999, S. 38. 127 BVerfG v. 06.03.2002 - 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, S. 110; BVerfG v. 04.12.2002 - 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00, BVerfGE 107, S. 46.
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ist der Gleichheitssatz umso strikter, je mehr er den Einzelnen als Person betrifft und umso mehr für gesetzgeberische Gestaltungen offen, als allgemeine, für rechtliche Gestaltungen zugängliche Lebensverhältnisse geregelt werden.128 Das Maß der Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitssatz hängt also davon ab, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Unterscheidungsmerkmale zu beeinflussen.129 aa) Bereichsspezifische Rechtfertigungsanforderungen im Ertragsteuerrecht Auch innerhalb des Einkommensteuerrechts gibt es nicht einen allgemeingültigen Prüfungsmaßstab. Eine entscheidende Rolle bei der Bestimmung der Kontrolldichte spielt das Gebot der Folgerichtigkeit.130 Wie bereits dargelegt wurde, hat der Gesetzgeber nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG einen weiten Spielraum bei der Bestimmung des Steuergegenstandes.131 Dementsprechend wird seine Entscheidung für einen bestimmten Leistungsfähigkeitsindikator nur durch das Willkürverbot begrenzt.132 Will der Gesetzgeber eine bestimmte Steuerquelle erschließen, eine andere hingegen nicht, so ist es ausreichend, dass die Differenzierung auf einer sachgerechten Erwägung, insbesondere finanzpolitischer, volkswirtschaftlicher, sozialpolitischer oder steuertechnischer Natur beruht.133 Sobald er sich aber auf einen Steuergegenstand festgelegt hat, muss er die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umsetzen.134 Dem entspricht spiegelbildlich ein erhöhter Rechtfertigungsaufwand für eine Durchbrechung der Folgerichtigkeit im Vergleich zur grundlegenden Belastungsentscheidung. Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG muss eine Durchbrechung der folgerichtigen Umsetzung der Belastungsentscheidung – und damit des Leistungsfähigkeitsprinzips und des objektiven 128 BVerfG v. 30.09.1998 - 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, S. 94. 129 Vgl. Raupach/Böckstiegel, FR 1999, S. 618 f.; Bryde/Kleindiek, Jura 1999, S. 41. 130 Das Gebot der Folgerichtigkeit ist somit nicht nur für die Feststellung einer rechtfertigungsbedürftigen Ungleichbehandlung von Bedeutung, vgl. 2. Teil A. I. 1. a) bb) und cc), sondern wirkt sich auch auf Anforderungen an die gleichheitsrechtliche Rechtfertigung aus. 131 Vgl. 2. Teil A. I. 1. a) bb). 132 BVerfG v. 22.06.1995 - 2 BvR 552/91, BVerfGE 93, S. 177 f.; Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 43. 133 BVerfG v. 02.10.1969 - 1 BvL 12/68, BVerfGE 27, S. 66; BVerfG v. 22.06.1995 - 2 BvR 552/91, BVerfGE 93, S. 177 f. 134 Vgl. Schön in: Kirchhof/Graf Lambsdorff/Pinkwart (Hrsg.), Perspektiven eines modernen Steuerrechts (2005), S. 266.
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Nettoprinzips – durch besondere sachliche Gründe gerechtfertigt sein.135 Allerdings nimmt die Kontrolldichte im Hinblick auf vom Gesetzgeber zu treffende Einzelregelungen bei der Ausgestaltung des Steuertatbestandes wieder ab. Wie das BVerfG in der Entscheidung zur steuerlichen Berücksichtigung von Jubiläumsrückstellungen klargestellt hat, gelten insofern lediglich die zurückhaltend zu kontrollierenden Anforderungen des Willkürverbots.136 Durch die Erhöhung der Kontrolldichte bei der Durchbrechung belastungsrelevanter Grundentscheidungen gegenüber der Willkürprüfung trägt das BVerfG der Eigenart der Steuer als Gemeinlast Rechnung. Durch die Steuer werden alle Inländer ohne individuelle Gegenleistung zur Finanzierung der allgemeinen Staatsaufgaben herangezogen. Der darin liegende Eingriff in die Vermögens- und Rechtssphäre des Steuerpflichtigen gewinnt seine Rechtfertigung auch und gerade aus der Gleichheit der Lastenzuteilung.137 Indem das BVerfG für die Rechtfertigung von Durchbrechungen der Belastungsgrundentscheidung nur besondere sachliche Gründe genügen lässt, hält sich das Gericht letztlich alle Optionen offen. Einerseits stellt es so klar, dass die Kontrolldichte höher ist als im Rahmen einer reinen Willkürprüfung.138 Andererseits legt es sich aber auch auf keinen strengen Prüfungsmaßstab, etwa eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, fest und kann so im Einzelfall flexibel reagieren. Die Kehrseite dieser Dogmatik ist, dass die Entscheidungen des BVerfG zum Steuerrecht kaum vorhersehbar sind. Ein strenger Prüfungsmaßstab gilt lediglich für Durchbrechungen der gleichheitsrechtlichen Dimension des Gebots der Steuerfreiheit des Existenzminimums. Da insofern der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG durch die Wertung des Art. 1 Abs. 1 GG verstärkt wird, sind Abweichungen von dem Gebot, existenzsichernden Aufwand steuerfrei zu stellen, gleichheitsrechtlich so gut wie gar nicht zu rechtfertigen.139 135 Vgl. BVerfG v. 29.05.1990 - 1 BvL 20, 26, 184 und 4/86, BVerfGE 82, S. 89; BVerfG v. 30.09.1998 - 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, S. 95; BVerfG v. 11.11.1998 - 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, S. 290; BVerfG v. 06.03.2002 - 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, S. 126; BVerfG v. 04.12.2002 - 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00, BVerfGE 107, S. 47; BVerfG v. 21.06.2006 - 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, S. 180; BVerfG v. 07.11.2006 - 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, S. 31; BVerfG v. 09.12.2008 - 2 BvL 1/07; 2BvL 2/07; 2 BvL 1/08; 2 BvL 2/08, NJW 2009, S. 49 f.; Osterloh, EuGRZ 2002, S. 311 f. 136 BVerfG v. 12.05.2009 - 2 BvL 1/00, DStRE 2009, S. 922 ff. 137 BVerfG v. 27.06.1991 - 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, S. 268 f.; BVerfG v. 22.06.1995 - 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, S. 134. 138 So auch Osterloh in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 400 f. 139 Hier setzt das BVerfG sogar der sonst im Steuerrecht hoch gehaltenen Typisierungsbefugnis (vgl. dazu 2. Teil A. 1 b) bb) (3)) des Gesetzgebers Grenzen. Er darf zwar typisieren, aber möglichst nur zugunsten der Steuerpflichtigen. Sofern der Gesetzge-
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bb) Mögliche „besondere“ sachliche Gründe (1) Fiskalzweck Nach der Rechtsprechung des BVerfG und der ganz überwiegenden Ansicht im Schrifttum kann eine Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG, die auf einer Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips und damit des Leistungsfähigkeitsprinzips beruht, nicht durch den Finanzbedarf des Staates gerechtfertigt werden.140 Finanzpolitische Erwägungen sind lediglich bei der Auswahl des Steuergegenstandes zulässig, nicht jedoch bei der folgerichtigen Ausgestaltung der Belastungsentscheidung unter Beachtung des Leistungsfähigkeitsprinzips. Dies folgt zwingend daraus, dass der staatliche Finanzbedarf gerade der Bezugspunkt materiell-gleichheitsrechtlicher Vorgaben zur sachgerechten Lastenverteilung ist.141 Jeder Versuch, eine Durchbrechung des Grundsatzes der Belastungsgleichheit mit dem Finanzbedarf des Staates zu begründen, würde einen Zirkelschluss darstellen: Steuern werden erhoben, um den Finanzbedarf des Staates zu decken. Um die Belastung gleichmäßig im Sinne der Belastungsgleichheit auf die Steuerpflichtigen zu verteilen, erfolgt die Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip. Würde man eine Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips mit dem Finanzbedarf des Staates begründen, so stünde man wieder am Anfang. Für die gleichmäßige Verteilung von Mehrbelastungen der Steuerpflichtigen nach dem Maßstab finanzieller Leistungsfähigkeit enthält der Einnahmenerzielungszweck somit kein Richtmaß.142 Würde man den Fiskalzweck gleichwohl als Rechtfertigungsgrund
ber aus Gründen der Praktikabilität das sächliche Existenzminimum trotz regionaler Unterschiede in einem einheitlichen Betrag ausdrückt, so muss dieser Betrag so bemessen sein, dass möglichst in allen Fällen der entsprechende Bedarf abgedeckt ist, vgl. BVerfG v. 29.05.1990 - 1 BvL 20, 26, 184 und 4/86, BVerfGE 82, S. 91. 140 BVerfG v. 29.05.1990 - 1 BvL 20, 26, 184 und 4/86, BVerfGE 82, S. 89; BVerfG v. 25.09.1992 - 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91, BVerfGE 87, S. 172 f.; BVerfG v. 21.06.2006 - 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, S. 182; BVerfG v. 09.12.2008 - 2 BvL 1/07; 2BvL 2/07; 2 BvL 1/08; 2 BvL 2/08, NJW 2009, S. 51 f.; Arndt/Jenzen, DStR 1998, S. 1822; Tipke, Die Steuerrechtsordnung 1 (2000), S. 329; Lang/Englisch, StuW 2005, S. 11; Heintzen in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 184; Eckhoff in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 34; Hey, BB 2007, S. 1304; Tipke, BB 2007, S. 1528; Lang, StuW 2007, S. 6; Wernsmann, DStR 2007, S. 1152; Hey, FR 2008, S. 1036. 141 Vgl. Englisch, StuW 2007, S. 225. 142 BVerfG v. 09.12.2008 - 2 BvL 1/07; 2BvL 2/07; 2 BvL 1/08; 2 BvL 2/08, NJW 2009, S. 51 f.
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für eine Abweichung vom Grundsatz der Belastungsgleichheit ansehen, so stünde dessen Beachtung im freien Belieben des Gesetzgebers.143 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Steuergesetzgeber fiskalische Ziele durch den Abbau von Steuerbegünstigungen144 und die gleichmäßige Zusatzbelastung aller Steuerpflichtiger mittels einer Anhebung des Tarifs, nicht aber gleichheitswidrig durch die Sonderbelastung bestimmter Gruppen von Steuerpflichtigen verfolgen darf.145 Dabei spielt es keine Rolle, ob das Sonderopfer auf einem Sondertarif oder auf einer Verfälschung der Bemessungsgrundlage beruht: Beispiel: Steuerpflichtiger A erzielt als Handelsvertreter Einnahmen von 100.000 €. Seine Ausgaben belaufen sich auf 50.000 €, wovon 25.000 € auf Fahrtkosten entfallen, da A im Rahmen seiner Tätigkeit sehr viele Dienstreisen absolvieren muss. Der Steuersatz beträgt 40 %. Zur Steigerung des Steueraufkommens beschließt der Gesetzgeber, dass Fahrtkosten bei der Einkommensermittlung generell nicht mehr abgezogen werden dürfen. Bei einer Besteuerung nach dem objektiven Nettoprinzip beliefe sich die Steuerlast des A bei einer Bemessungsgrundlage von 50.000 € und einem Steuersatz von 40 % auf 20.000 € ([100.000 € ./. 50.000 €]*40 %). Infolge des Abzugsverbots erhöhen sich die Bemessungsgrundlage auf 75.000 € und die Steuerlast auf 30.000 € ([100.000 € ./. 25.000 €] x 40 %). Das Abzugsverbot für Fahrtkosten hat somit den gleichen Effekt wie eine Erhöhung des Steuersatzes auf 60 % bei unveränderter Bemessungsgrundlage (50.000 € x 60 % = 30.000 €).
Aufgrund des internationalen Steuerwettbewerbs, der keine hohen nominalen Steuersätze erlaubt, ist momentan die Tendenz zu beobachten, die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer so stark zu verbreitern, dass ihre 143 So auch FG des Saarlandes v. 22.03.2007 - 2 K 2442/06, EFG 2007, S. 857. 144 Unter einer Steuervergünstigung ist in diesem Zusammenhang eine Regelung zu verstehen, die gegenüber einer folgerichtigen Umsetzung der Belastungsgrundentscheidung zu einer niedrigeren Steuerlast führt. Auf der Ebene der Bemessungsgrundlage ergibt sich dieser Effekt sowohl durch eine unvollständige Erfassung von Erwerbseinnahmen als auch durch den Ansatz überhöhter Erwerbsausgaben. Auch wenn sich im Einzelfall schwierige Abgrenzungsfragen stellen können, so erlaubt doch der Vergleich mit der sich bei einer folgerichtigen Umsetzung der Belastungsgrundentscheidung ergebenden Belastung grundsätzlich eine Differenzierung zwischen Steuerbegünstigung und Sonderbelastung. Vgl. zu dieser Problematik auch unten 2. Teil A. I. 2. a) bb) (2) (a). 145 Vgl. Tipke in: Kirchhof/K. Schmidt/Schön/Vogel (Hrsg.), Festschrift Raupach (2006), S. 193; Tipke, BB 2007, S. 1531; Wernsmann, DStR 2007, S. 1152; Drüen, StuW 2008, S. 12; Tipke, DB 2008, S. 263. Die Unzulässigkeit des Fiskalzwecks relativiert hingegen Orth, FR 2005, S. 528.
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Funktion, Leistungsfähigkeit zu messen, verfälscht wird.146 Im Beispiel sind von der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage durch das Abzugsverbot für Fahrtkosten nur Steuerpflichtige betroffen, denen auch tatsächlich Fahrtkosten entstehen. Diese Gruppe von Steuerpflichtigen trägt allein die zusätzliche Belastung aus der Steigerung des Steueraufkommens. Der darin liegende Verstoß gegen das Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit könnte genauso wenig allein fiskalisch gerechtfertigt werden wie eine willkürliche Erhöhung der Steuersätze nur für bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen. Die Bemessungsgrundlage ist keine beliebige Manövriermasse. Eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage ist gleichheitsrechtlich nur unproblematisch, wenn dadurch eine vollständigere Erfassung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erreicht wird. Dies ist der Fall bei der Streichung von in die Bemessungsgrundlage eingebauten Steuervergünstigungen und der Schließung systemwidriger Besteuerungslücken. Sobald die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage so weit geht, dass eine fiktive Leistungsfähigkeit gemessen wird, muss die dadurch bedingte Durchbrechung der Belastungsgleichheit gleichheitsrechtlich gerechtfertigt sein. Rein fiskalische Erwägungen reichen hierfür nicht aus.147 (2) Lenkungsziele Steuernormen können in Fiskalzweck- und Lenkungsnormen unterteilt werden. Während Fiskalzwecknormen dazu dienen, den Finanzbedarf des Staates zu decken, sind Lenkungsnormen nicht primär fiskalisch motiviert, sondern zielen darauf ab, das Verhalten des Steuerpflichtigen zu beeinflussen.148 Zu diesem Zweck durchbrechen sie die Belastungsgleichheit und machen ein vom Gesetzgeber erwünschtes Verhalten durch eine niedrigere Steuerbelastung steuerlich attraktiver oder ein unerwünschtes Verhalten durch eine höhere Steuerbelastung weniger attraktiv. Das BVerfG billigt dem Gesetzgeber ausdrücklich die Befugnis zu, mit Hilfe des Steuerrechts auch nichtfiskalische Förderungs- und Lenkungsziele aus Gründen des Gemeinwohls zu verfolgen.149 Er darf nicht nur durch Ge- und Verbote, sondern ebenso durch mittelbare Verhaltenssteuerung auf Wirtschaft und Gesellschaft gestaltend Einfluss nehmen.150 Der Gesetzgeber ver146 Vgl. Lang, StuW 2007, S. 7; Hey, FR 2008, S. 1035. Kritisch im Hinblick auf diese Entwicklung auch Englisch, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 92. 147 Vgl. Arndt/Jenzen, DStR 1998, S. 1822; Hey, FR 2008, S. 1035. 148 Vgl. dazu statt aller Osterloh in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 386. 149 BVerfG v. 21.06.2006 - 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, S. 182. 150 BVerfG v. 20.04.2004 - 1 BvR 905/00, BVerfGE 110, S. 292.
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pflichtet dann den Bürger zwar nicht rechtsverbindlich zu einem bestimmten Verhalten, gibt ihm aber durch die Sonderbelastung eines unerwünschten oder durch die steuerliche Verschonung eines erwünschten Verhaltens ein finanzielles Motiv, sich für ein bestimmtes Tun oder Unterlassen zu entscheiden. Dabei nimmt die steuerliche Lenkung in Kauf, dass das Lenkungsziel nicht verlässlich erreicht wird.151 Allerdings muss der Förderungs- und Lenkungszweck auf einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung beruhen und gleichheitsgerecht umgesetzt werden.152 Zudem ist erforderlich, dass der Lenkungstatbestand ein Mindestmaß an zweckgerechter Ausgestaltung aufweist.153 (3) Typisierung Typisierung bedeutet, bestimmte in wesentlichen Elementen gleich geartete Lebenssachverhalte normativ zusammenzufassen.154 Steuergesetze betreffen in der Regel Massenvorgänge des Wirtschaftslebens. Um deren Bewältigung durch die Verwaltung zu gewährleisten, billigt das BVerfG dem Gesetzgeber unabhängig davon, ob mit einer Steuernorm allein Fiskalzwecke oder auch Förderungs- und Lenkungsziele verfolgt werden, eine weit reichende Befugnis zur Typisierung zu.155 Die Typisierung ist also kein Selbstzweck, sondern dient der Verwaltungsvereinfachung. Steuergesetze können nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen enthalten und in weitem Umfang Besonderheiten des einzelnen Falles vernachlässigen, ohne wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen.156 Der Gesetzgeber darf sich grundsätzlich am 151 BVerfG v. 20.04.2004 - 1 BvR 905/00, BVerfGE 110, S. 292. Steuerliche Lenkungsnormen sind ein Instrument zur Annäherung an ein Ziel. 152 BVerfG v. 20.04.2004 - 1 BvR 905/00, BVerfGE 110, S. 293; BVerfG v. 21.06.2006 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, S. 182. 153 BVerfG v. 07.11.2006 - 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, S. 33; BVerfG v. 09.12.2008 - 2 BvL 1/07; 2BvL 2/07; 2 BvL 1/08; 2 BvL 2/08, NJW 2009, S. 50. 154 BVerfG v. 09.12.2008 - 2 BvL 1/07; 2BvL 2/07; 2 BvL 1/08; 2 BvL 2/08, NJW 2009, S. 50. 155 BVerfG v. 29.05.1990 - 1 BvL 20, 26, 184 und 4/86, BVerfGE 82, S. 102; BVerfG v. 07.12.1999 - 2 BvR 301/98, BVerfGE 101, S. 37; BVerfG v. 16.03.2005 - 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, S. 280; BVerfG v. 06.03.2002 - 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, S. 127; BVerfG v. 21.06.2006 - 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, S. 182; BVerfG v. 07.11.2006 - 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, S. 31; BVerfG v. 08.10.1991 - 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, S. 359 f. 156 BVerfG v. 08.10.1991 - 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, S. 359 f.; BVerfG v. 06.03.2002 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, S. 127; BVerfG v. 16.03.2005 - 2 BvL 7/00, BVerf-
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Regelfall orientieren und ist nicht verpflichtet, allen Besonderheiten durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen.157 Grenzen zieht das BVerfG der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers insoweit, als die Vorteile der Typisierung im rechten Verhältnis zu der mit der Typisierung notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen müssen.158 In der Regel dürfen die eintretenden Härten und Ungerechtigkeiten nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz darf nicht sehr intensiv sein.159 Nur sofern die Belastung gering ist, können Gründe der Praktikabilität und der Verwaltungsökonomie auch die Benachteiligung größerer Gruppen rechtfertigen.160 Außerdem betont das BVerfG, dass sich der Gesetzgeber – was eigentlich selbstverständlich ist – bei der Typisierung am typischen Fall orientieren muss und keinen atypischen Fall als Leitbild für eine Vereinfachungsvorschrift wählen darf.161 (4) Missbrauchsvermeidung Neben Lenkungsnormen sind spezialgesetzliche Missbrauchsvermeidungsnormen die Hauptursache für Durchbrechungen der Belastungsgleichheit im Ertragsteuerrecht. Dies erscheint auf den ersten Blick paradox, denn im Ausgangspunkt sollen sie oftmals nicht zu einer Durchbrechung, sondern – wie die Generalklausel in § 42 AO – im Gegenteil zur Verwirklichung des Leistungsfähigkeitsprinzips führen.162 Nach § 42 Abs. 2 AO liegt ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten vor, wenn der Steuerpflichtige durch eine unangemessene rechtliche Gestaltung, für die er keine erheblichen außersteuerlichen Gründe nachweisen kann, einen gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil erlangt. Als Rechtsfolge ordnet § 42 Abs. 1 S. 3 AO an, dass der Steueranspruch wie bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. § 42 AO hat somit keine steuerverschärfende Wirkung, sondern setzt unabhängig von der gewählten Gestaltung die Belastungsentscheidung und
157 158 159 160 161
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GE 112, S. 280; BVerfG v. 21.06.2006 - 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, S. 182 f.; BVerfG v. 07.11.2006 - 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, S. 31. BVerfG v. 07.12.1999 - 2 BvR 301/98, BVerfGE 101, S. 309. BVerfG v. 07.11.2006 - 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, S. 31. BVerfG v. 08.10.1991 - 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, S. 359 f.; Koblenzer, SteuStud 1999, S. 392. BVerfG v. 29.05.1990 - 1 BvL 20, 26, 184 und 4/86, BVerfGE 82, S. 102. BVerfG v. 16.03.2005 - 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, S. 280 f.; BVerfG v. 21.06.2006 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, S. 182 f.; BVerfG v. 07.11.2006 - 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, S. 31. Vgl. Hey, StuW 2008, S. 174.
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somit eine leistungsfähigkeitsgerechte Besteuerung durch.163 In gleicher Weise können auch spezialgesetzliche Missbrauchsvermeidungsvorschriften dazu bestimmt sein, der Verwirklichung der in der umgangenen Grundnorm getroffenen Belastungsentscheidung zu dienen,164 indem sie rechtlich unterschiedlich ausgestaltete Sachverhalte gleichstellen, die bei wirtschaftlicher Betrachtung eine identische Leistungsfähigkeit repräsentieren.165 Eine spezialgesetzliche Missbrauchsvermeidungsvorschrift, die sich in diesem Rahmen hält, durchbricht nicht den Grundsatz gleichmäßiger Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, sondern verwirklicht ihn im Gegenteil und bedarf daher keiner gleichheitsrechtlichen Rechtfertigung.166 Diesem theoretischen Ideal werden spezielle Missbrauchstatbestände in der Regel aber nicht gerecht, sondern erfassen auch Sachverhalte, die nicht von der Belastungsentscheidung der Grundnorm abgedeckt sind. Infolge dieser überschießenden Tendenz führen spezielle Missbrauchsvermeidungsnormen in der Praxis häufig nicht zur Verwirklichung des Leistungsfähigkeitsprinzips, sondern durchbrechen es in steuerverschärfender Weise.167 Dies ist verfassungsrechtlich nur dann unproblematisch, wenn der Gesetzgeber bei der Formulierung des Tatbestandes der Missbrauchsvermeidungsnorm die Grenzen einer zulässigen Typisierung nicht überschritten hat.168 Von speziellen Missbrauchsvermeidungsvorschriften, die auf die Verwirklichung der Belastungsentscheidung der umgangenen Norm gerichtet sind,169 sind solche Vorschriften zu unterscheiden, die zwar der Bekämpfung einer missbräuchlichen Gestaltung dienen, als Rechtsfolge aber von vornherein eine Sanktion anordnen, durch die nicht der wahre wirtschaftliche Gehalt der unangemessenen Gestaltung erfasst wird, sondern schlicht das missbräuchliche Verhalten durch eine Sonderbelastung weniger attraktiv gemacht werden soll. Derartige Missbrauchsvermeidungsvorschriften sind belastende Lenkungsnormen. Ihre Besonderheit gegenüber normalen Lenkungsnormen besteht darin, dass sie gewissermaßen eine „Gegenlenkung“ bezwecken.170 Dies illustriert sehr gut die Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 15 Abs. 4 S. 1-2 EStG. Mit § 6 Abs. 2 EStG bezweckte der Gesetzgeber keine 163 Vgl. Koenig in: Pahlke/Koenig, Abgabenordnung (2009), § 42 Rn. 30; Hey, StuW 2008, S. 174. 164 Vgl. Hey, StuW 2008, S. 174. 165 Vgl. Hey, StuW 2008, S. 171. 166 Vgl. Hey, StuW 2008, S. 174. 167 Vgl. Hey, StuW 2008, S. 176. 168 Vgl. Hey, StuW 2008, S. 176. 169 Beispielsweise §§ 6 Abs. 3 S. 2 EStG, 16 Abs. 3 S. 3 EStG; vgl. Roser, FR 2005, S. 179 ff. 170 So auch Osterloh in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 394.
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Förderung der gewerblichen Tierzucht, sondern eine Vereinfachung der betrieblichen Rechnungslegung.171 Er ging dabei mit großer Sicherheit davon aus, dass typischerweise die unter § 6 Abs. 2 EStG fallenden Wirtschaftsgüter nur einen kleinen Teil des Betriebsvermögens ausmachen. Wie bereits dargelegt wurde, ging von dieser Vorschrift ein vom Gesetzgeber nicht bezweckter Anreiz für Investitionen in die gewerbliche Tierzucht mittels sog. Verlustzuweisungsgesellschaften aus.172 Eine Regelung, die den wahren wirtschaftlichen Gehalt einer derartigen Gestaltung abbilden wollte, müsste bei § 6 Abs. 2 EStG ansetzen und eine realitätsgerechte Bewertung des Viehbestands vorschreiben. Stattdessen schränkt § 15 Abs. 4 S. 1-2 EStG die Verlustverrechnung für Einkünfte aus gewerblicher Tierzucht generell ein, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, ob diese Verluste tatsächlich mittels § 6 Abs. 2 EStG generiert wurden. Die Durchbrechung der Belastungsgleichheit wird hier nicht im Rahmen einer Typisierung in Kauf genommen, sondern bewusst als Mittel eingesetzt, um derartige Modelle unattraktiv zu machen.173 Auch für als Sanktionsnorm ausgestaltete spezielle Missbrauchsvermeidungsvorschriften stellt das Ziel der Bekämpfung missbräuchlicher Gestaltungen einen legitimen Rechtfertigungsgrund dar.174 Allerdings darf der Gesetzgeber bei der Erfassung des als missbräuchlich empfundenen Sachverhalts wiederum die Grenzen einer zulässigen Typisierung nicht überschreiten. Die Zwecksetzung der Missbrauchsbekämpfung kann eine Durchbrechung der Belastungsgleichheit nur rechtfertigen, wenn der Gesetzgeber einen typischen Missbrauchsfall zum Anlass für eine typisierende Regelung nimmt.175 Insofern sind die Rechtfertigungsgründe der Missbrauchsabwehr und der Typisierung eng miteinander verbunden.176 cc) Keine freiheitsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung In der Literatur wird darüber hinaus vielfach gefordert, Durchbrechungen des Grundsatzes der Belastungsgleichheit im Steuerrecht und speziell des objektiven Nettoprinzips einer Verhältnismäßigkeitskontrolle zu unterziehen und zu prüfen, ob die die Durchbrechung bewirkende Norm zur Erreichung
171 Vgl. Ehmcke in: Blümich, EStG, § 6 Rn. 1100. 172 Vgl. 1. Teil B. I. 1. a) bb) (1). 173 Gleichsinnig auch Birk/Kulosa, FR 1999, S. 440, der § 2b EStG a.F. als eine Lenkungsnorm qualifiziert, die sich des Mittels der Verlustverrechnungsbeschränkung bedient. 174 In diesem Sinne auch Drüen, StuW 2008, S. 13. 175 Vgl. Drüen, StuW 2008, S. 13. 176 Vgl. Drüen, StuW 2008, S. 13.
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des mit ihr verfolgten Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen ist.177 Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung soll die erzeugte Ungleichbehandlung gegen den verfolgten Zweck abgewogen werden.178 Schon die Prämisse dieser Ansicht, die Übertragbarkeit der klassischen freiheitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung auf den allgemeinen Gleichheitssatz, ist problematisch. Dagegen spricht, dass zwischen der freiheitsrechtlichen und der gleichheitsrechtlichen Perspektive gravierende strukturelle Unterschiede bestehen. Die freiheitsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung ist in ihrer Ausrichtung auf das Verhältnis Bürger – Staat „zweidimensional“.179 Es wird danach gefragt, unter welchen Voraussetzungen der Staat wie tief in die Freiheitsrechte des Bürgers eingreifen kann. Insofern gewähren die Freiheitsrechte einen absoluten Schutz. Dagegen ist die gleichheitsrechtliche Problematik „dreidimensional“, da zusätzlich ein Dritter als Referenz in den Vergleich einzubeziehen ist. Die Beschwer liegt nicht in der Intensität des Eingriffs, sondern in der unterschiedlichen Behandlung im Hinblick auf den Dritten.180 Bei einer Anwendung der freiheitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen der gleichheitsrechtlichen Prüfung verursachen diese strukturellen Unterschiede erhebliche Probleme. So setzt die Anwendbarkeit der Verhältnismäßigkeitsprüfung das Vorliegen einer Zweck-Mittel-Relation voraus. Im Rahmen einer gleichheitsrechtlichen Prüfung ist diese Bedingung nur dann erfüllt, wenn eine Ungleichbehandlung final als Mittel zur Erreichung eines bestimmten Zwecks eingesetzt wird. Unanwendbar ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung jedoch dann, wenn sich eine Ungleichbehandlung als bloße Nebenfolge einer Regelung ergibt.181 Ein solcher Sachverhalt lag der Entscheidung des BVerfG vom 07.10.1980 zugrunde,182 in der das Gericht die sog. „neue Formel“ geprägt hat, mit der Verhältnismäßigkeitsaspekte in die Prüfung des allgemeinen Gleichheitssatzes eingeführt wurden. Nach der neuen Formel ist der allgemeine Gleichheitssatz verletzt, „wenn eine Gruppe 177 Vgl. beispielsweise Raupach/Böckstiegel, FR 1999, S. 621; Tipke, Die Steuerrechtsordnung 1 (2000), S. 332; Heintzen in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 178 f.; Englisch, StuW 2007, S. 224; Fischer, FR 2007, S. 284 f. 178 Vgl. Raupach/Böckstiegel, FR 1999, S. 621. 179 Vgl. Kischel in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 3 Rn. 31.4; Albers, JuS 2008, S. 947. 180 Vgl. Heun in: Dreier (Hrsg.), GG Bd. 1 (2004), Art. 3 Rn. 30; Kischel in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 3 Rn. 31.4; Albers, JuS 2008, S. 947. 181 Vgl. Heun in: Dreier (Hrsg.), GG Bd. 1 (2004), Art. 3 Rn. 27; Kischel in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 3 Rn. 31.1. 182 BVerfG v. 07.10.1980 - 1 BvL 50/79, 1 BvL 89/79, 1 BvR 240/79, BVerfGE 55, S. 72 ff. Gegenstand des Verfahrens war die Präklusionsregelung in § 528 Abs. 3 ZPO a.F.
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von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten.“183 Gegenstand der „neuen Formel“ ist also gerade keine Zweck-Mittel-Relation. Vielmehr wird eine Beziehung zwischen der Ungleichbehandlung und der Verschiedenheit der ungleich behandelten Sachverhalte hergestellt.184 Ob eine sinnvolle Abgrenzung von Fällen, in denen bezüglich der Ungleichbehandlung eine Zweck-Mittel-Relation vorliegt, von den sonstigen Fallkonstellationen im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes möglich ist, ist strittig.185 Selbst wenn man dies bejahte, ergäbe sich sofort das nächste strukturelle Problem beim Kriterium der Erforderlichkeit. In Fällen, in denen der Gesetzgeber in Verfolgung von Förderungszwecken ungleich behandelt, sind regelmäßig sehr viele verschiedene Förderungskonzepte denkbar. Daher würde der Nachweis des Fehlens milderer, schonenderer Alternativen nur selten gelingen.186 Übertragen auf das Steuerrecht bedeutet dies, dass die meisten als Steuervergünstigung ausgestalteten Lenkungsnormen am Kriterium der Erforderlichkeit scheitern würden, da der Förderungszweck ebenso gut über eine offene Subvention zu erreichen wäre. In der Regel dürfte eine direkte Transferzahlung zur Verfolgung des angestrebten Zwecks sogar besser geeignet sein als Steuervergünstigungen.187 Beispiel: Durch § 7i EStG werden Investitionen in im Inland belegene Baudenkmale durch eine Sonderabschreibungsmöglichkeit gefördert, die um bis zu 7 % über der jährlichen Regelabschreibungsrate gemäß § 7 Abs. 4, 5 EStG liegt. Anstelle der mit der Sonderabschreibung verbundenen Steuerstundung könnten entsprechende Investitionen genauso gut durch ein zinsloses Darlehen gefördert werden, was den Vorteil hätte, dass es nicht zu einer Durchbrechung der Belastungsgleichheit käme.
183 Vgl. BVerfG v. 07.10.1980 - 1 BvL 50/79, 1 BvL 89/79, 1 BvR 240/79, BVerfGE 55, S. 88. 184 Vgl. Rüfner in: Dolzer/Waldhoff/Graßhof (Hrsg.), BK, Art. 3 Rn. 25 und 96; Kischel in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 3 Rn. 33. Insofern wird auch von einer „Entsprechungsprüfung“ gesprochen. 185 Die Darstellung der Problematik würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Vgl. dazu Heun in: Dreier (Hrsg.), GG Bd. 1 (2004), Art. 3 Rn. 28 f.; Kischel in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 3 Rn. 34.1 jeweils m.w.N. 186 Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte (2009), Rn. 475. 187 Vgl. Tipke, Die Steuerrechtsordnung 1 (2000), S. 344.
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Wenig überzeugend ist der Vorschlag, zur Vermeidung dieses Problems auf das Kriterium der Erforderlichkeit ganz zu verzichten, wenn der Gesetzgeber zur Verfolgung von Förderungszwecken ungleich behandelt.188 Dies spricht vielmehr dafür, dass die freiheitsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung aufgrund struktureller Unterschiede auf den allgemeinen Gleichheitssatz schlicht nicht übertragbar ist.189 Es ist sicherlich möglich, die Elemente der Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beibehaltung ihrer ursprünglichen Bezeichnungen so lange zu modifizieren, bis sie in etwa auf die anders gelagerte Situation der Gleichheitsprüfung passen.190 Dadurch würden jedoch die strukturellen Unterschiede lediglich verschleiert. Daher erscheint es sachgerechter, für eigenständige Strukturen auch eigenständige Begrifflichkeiten zu verwenden.191 Auch eine bereichsspezifische Betrachtung spricht gegen eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung im Steuerrecht. Die Gründe für eine Abweichung vom Grundsatz der Belastungsgleichheit sind so vielfältig und die konkreten Fälle strukturell so verschieden, dass eine generelle Verhältnismäßigkeitsprüfung unangebracht wäre. Es würde einen massiven Eingriff in die Gestaltungsmöglichkeit des Gesetzgebers bedeuten, jede Differenzierung im Steuerrecht einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterziehen. Wer eine Verhältnismäßigkeitskontrolle im Rahmen der gleichheitsrechtlichen Kontrolle von Steuernormen fordert, der sollte auch offen aussprechen, dass dann weite Teile des EStG verfassungswidrig wären.192 Letztlich müsste das Steuerrecht von nahezu allen die Besteuerungsgleichheit durchbrechenden Lenkungsnormen gesäubert werden. Dafür mögen gute und vernünftige Gründe sprechen. Man darf jedoch nicht den Fehler begehen, das Wünschenswerte mit dem verfassungsrechtlich Gebotenen gleichzusetzen. Politik darf nicht mittels einer zu strengen Verhältnismäßigkeitskontrolle durch Gleichheitsdogmatik ersetzt werden.193 Dementsprechend lehnt es das BVerfG in ständiger Rechtsprechung ab, im Rahmen der gleichheitsrechtlichen Prüfung von Steuernormen zu untersuchen, ob der Gesetzgeber die gerechteste oder zweckmäßigste Lösung gefunden hat.194 188 So aber Pieroth/Schlink, Grundrechte (2009), Rn. 475. Kritisch gegenüber Modifikationen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Anpassung an Art. 3 Abs. 1 GG auch Heun in: Dreier (Hrsg.), GG Bd. 1 (2004), Art. 3 Rn. 29. 189 Vgl. Heun in: Dreier (Hrsg.), GG Bd. 1 (2004), Art. 3 Rn. 29; Kischel in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 3 Rn. 32; Albers, JuS 2008, S. 948 f. 190 Vgl. dazu insbesondere Brüning, JZ 2001, S. 669 f. 191 So auch Kischel in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 3 Rn. 32.1. 192 Vgl. dazu Loritz, StuW 1986, S. 20; Loritz, NJW 1986, S. 6. 193 Vgl. Bryde/Kleindiek, Jura 1999, S. 37. 194 Vgl. beispielsweise BVerfG v. 08.10.1991 - 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, S. 359.
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2. Freiheitsrechtliche Vorgaben Die Erhebung von Steuern belastet die Steuerpflichtigen nicht nur finanziell, sondern beeinflusst stets auch in irgendeiner Form ihr Verhalten. Insofern kann zwischen einer Belastungs- und einer Gestaltungswirkung von Steuern differenziert werden.195 Bezüglich beider Steuerwirkungen setzen die Freiheitsgrundrechte der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers Grenzen. Freiheitsrechtliche Schranken hinsichtlich der Belastungswirkung ergeben sich insbesondere aus der Eigentumsgarantie, Art. 14 Abs. 1 GG, sowie aus der allgemeinen Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG. Ferner setzt auch der Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums, Art. 1 GG i.V.m. Art. 20 GG, der Steuerbelastung Grenzen. Durch die Gestaltungswirkung einer Steuer kann potentiell der Schutzbereich jedes Freiheitsgrundrechts berührt sein. Allerdings ist zu beachten, dass der Steuerpflichtige durch die Gestaltungswirkung nicht zu einem bestimmten Verhalten gezwungen wird. Vielmehr wird auf seine Willensbildung dadurch Einfluss genommen, dass ein bestimmtes Verhalten mit einer niedrigeren Steuerlast verbunden ist als ein anderes. In Betracht kommt somit nur ein mittelbarer bzw. faktischer Grundrechtseingriff.196 Nicht jede von einer Gestaltungswirkung ausgehende Willensbeeinflussung erreicht die Intensität eines Freiheitseingriffs.197 Allgemeine Kriterien dafür, ab welchem Punkt der von einer Lenkungsnorm auf die Willensentschließung des Einzelnen ausgehende Einfluss Eingriffscharakter hat, existieren bislang nicht.198 Insofern sind abstrakte Aussagen losgelöst von einer konkreten Norm nicht möglich. Die nachfolgende Untersuchung beschränkt sich daher auf die freiheitsrechtlichen Vorgaben für die steuerliche Belastungswirkung. a) Eigentumsgarantie Der Eigentumsgarantie, Art. 14 Abs. 1 GG, kommt nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG im Gesamtgefüge der Grundrechte die Aufgabe zu, dem Träger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich zu sichern und ihm damit eine eigenverantwortliche Gestaltung
195 Vgl. dazu insbesondere Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen (1983), S. 68 ff. sowie Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem (2005), S. 350. 196 Vgl. Osterloh in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 388; Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem (2005), S. 353. 197 Vgl. Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem (2005), S. 350. 198 Vgl. Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem (2005), S. 350.
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des Lebens zu ermöglichen.199 Angesichts des Ausmaßes, in dem der Staat mittels der Besteuerung auf die Vermögensverhältnisse der Steuerpflichtigen Einfluss nimmt, liegt es daher nahe, dass Art. 14 Abs. 1 GG auch der Besteuerungsgewalt Schranken setzt. aa) Schutzbereich und Eingriff Die Eigentumsgarantie hat als Maßstab von Steuernormen lange Zeit praktisch keine Rolle gespielt, da regelmäßig bereits eine Schutzbereichseröffnung verneint wurde. (1) Traditionelle Dogmatik Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG berührt die Auferlegung von allgemeinen Geldleistungspflichten die Eigentumsgarantie grundsätzlich nicht, da Art. 14 Abs. 1 GG zwar konkrete Vermögenspositionen, nicht aber das Vermögen als Ganzes schützt.200 Dementsprechend fiel nach traditioneller Sichtweise auch die Pflicht zur Zahlung von Steuern grundsätzlich nicht in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie. Etwas anderes sollte ausnahmsweise nur dann gelten, wenn die Steuerlast eine „erdrosselnde“ oder konfiskatorische Wirkung entfaltet, indem sie den Steuerpflichtigen übermäßig belastet und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigt.201 Diese Rechtsprechung des BVerfG führte im Ergebnis zur praktischen Bedeutungslosigkeit des Eigentumsgrundrechts als Kontrollmaßstab von Steuernormen.202 Das BVerfG hat bislang in keinem einzigen Fall eine Steuernorm wegen ihrer „erdrosselnden“ Wirkung für verfassungswidrig erklärt.203 Dementsprechend wurden die Voraussetzungen eines erdrosselnden oder konfiskatorischen Steuereingriffs bis heute nicht konkretisiert.
199 Vgl. beispielsweise BVerfG v. 18.12.1968 - 1 BvR 638/64, 1 BvR 673/64, 1 BvR 200/56, 1 BvR 238/56, 1 BvR 249/56, BVerfGE 24, S. 389; BVerfG v. 18.01.2006 - 2 BVR 2194/99, BVerfGE 115, S. 110. 200 BVerfG v. 20.07.1954 - 1 BvR 459/52, BVerfGE 4, S. 17; BVerfG v. 03.07.1985 - 1 BvL 55/81, BVerfGE 70, S. 230; BVerfG v. 31.05.1988 - 1 BvR 520/83, BVerfGE 78, S. 243; BVerfG v. 05.02.2002 - 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, BVerfGE 105, S. 32. 201 BVerfG v. 03.07.1985 - 1 BvL 55/81, BVerfGE 70, S. 230; BVerfG v. 31.05.1988 - 1 BvR 520/83, BVerfGE 78, S. 243; BVerfG v. 31.05.1990 - 2 BvL 12/88, 2 BvL 13/88, 2 BvR 1436/87, BVerfGE 82, S. 190; BVerfG v. 25.09.1992 - 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91, BVerfGE 87, S. 169; BVerfG v. 05.02.2002 - 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, BVerfGE 105, S. 32; BVerfG v. 25.07.2007 - 1 BvR 1031/07, NVwZ 2007, S. 1168. 202 Vgl. Loritz, BB 1993, S. 228. 203 Vgl. Wieland, Stbg 2006, S. 574; Seer, FR 1999, S. 1282.
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Eine erste Erschütterung dieser traditionellen Sichtweise stellte der Vermögensteuerbeschluss204 vom 22.06.1995 dar. In dieser Entscheidung deutete der 2. Senat an, dass die Steuerbelastung einen Eingriff in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie darstellen könnte: „Die Vermögensteuer [...] greift in die in der Verfügungsgewalt und Nutzungsbefugnis über ein Vermögen angelegte allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) gerade in deren Ausprägung als persönliche Entfaltung im vermögensrechtlichen Bereich ein (Art. 14 GG)“205
Die Entscheidung lässt zwar die genaue Abgrenzung zwischen den Schutzbereichen von Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG offen. Die Ableitung des sog. Halbteilungsgrundsatzes206 aus Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG kann jedoch zumindest dahingehend interpretiert werden, dass nach Auffassung des Senats die Vermögensteuer in den Schutzbereich des Art. 14 GG eingreift.207 Allerdings kehrte der 2. Senat in späteren Entscheidungen zur Einkommensteuer wieder zur traditionellen „Erdrosselungs-Dogmatik“ zurück.208 (2) Die Entscheidung des 2. Senats des BVerfG vom 18.01.2006 Umso überraschender war es daher, dass der 2. Senat des BVerfG im Beschluss vom 18.01.2006209 einen partiellen Bruch mit der bisherigen Dogmatik vollzog und die Belastung durch Ertragsteuern als Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 GG in Form einer Inhalts- und Schrankenbestimmung qualifizierte.210 Um einen nur partiellen Bruch handelt es sich insofern, als der 2. Senat nicht in Frage stellt, dass der Gewährleistungsgehalt der Eigentumsgarantie nicht das Vermögen als Ganzes umfasst und grundsätzlich nicht vor der Auferlegung von Geldleistungspflichten schützt.211 Vielmehr qualifizierte der 2. Senat die Belastung mit Einkommen- und Gewerbesteuer
204 205 206 207
208 209 210 211
BVerfG v. 22.06.1995 - 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, S. 121 ff. BVerfG v. 22.06.1995 - 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, S. 137. Vgl. 2. Teil A. I. 2. a) bb) (1). Vgl. dazu Beyer, Die Freiheitsrechte, insbesondere die Eigentumsfreiheit, als Kontrollmaßstab für die Einkommensbesteuerung (2004), S. 51; a.A. Möstl, DStR 2003, S. 725 f., der den Steuerzugriff nicht als Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG qualifiziert und den Halbteilungsgrundsatz daher nicht als Ausprägung des Übermaßverbotes, sondern der Institutsgarantie des Eigentums versteht. BVerfG v. 05.02.2002 - 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, BVerfGE 105, S. 32. BVerfG v. 18.01.2006 - 2 BVR 2194/99, BVerfGE 115, S. 97 ff. BVerfG v. 18.01.2006 - 2 BVR 2194/99, BVerfGE 115, S. 111. BVerfG v. 18.01.2006 - 2 BVR 2194/99, BVerfGE 115, S. 111 f.
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deshalb als Eingriff in Art. 14 GG, weil bei beiden Steuerarten die Steuerpflicht an den Bestand des hinzuerworbenen Eigentums anknüpft.212 Die Neueinschätzung des 2. Senats beruht auf einem Perspektivenwechsel. Nach der traditionellen Dogmatik steht die Steuerschuld im Mittelpunkt. Auch eine Ertragsteuerschuld wurde lediglich als eine unspezifische Geldleistungspflicht qualifiziert, die aus beliebigen Einnahmequellen erbracht werden kann.213 In der Entscheidung des 2. Senats rückt nunmehr der Steuergegenstand in das Zentrum der Betrachtung: Der Einkommensteuer unterliegen die vom Steuerpflichtigen im Veranlagungszeitraum erzielten Einkünfte. Bei den Einkünften handelt es sich um dasjenige, was der Steuerpflichtige im Veranlagungszeitraum erworben hat. Nach Ansicht des 2. Senats ist es dieser Bestand des (Hinzu-)Erworbenen, der von Art. 14 GG geschützt wird.214 Zur Begründung verweist er darauf, dass die einzelnen Positionen, aus denen sich die Einkünfte zusammensetzen – bilanzierungsfähige Wirtschaftsgüter, Lohnansprüche – für sich genommen jeweils von Art. 14 GG geschützt seien. Folglich sei der Hinzuerwerb von Eigentum im Sinne des Art. 14 GG tatbestandliche Voraussetzung für die belastende Rechtsfolgenanordnung des EStG.215 Die Einkommensteuer wird als ein nachträglicher Eingriff in das hinzuerworbene Eigentum qualifiziert: „Ist es der Sinn der Eigentumsgarantie, das private Innehaben und Nutzen vermögenswerter Rechtspositionen zu schützen, greift auch ein Steuergesetz als rechtfertigungsbedürftige Inhalts- und Schrankenbestimmung (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie ein, wenn der Steuerzugriff tatbestandlich an das Innehaben von vermögenswerten Rechtspositionen anknüpft und so den privaten Nutzen der erworbenen Rechtspositionen zugunsten der Allgemeinheit einschränkt.“ 216
Daher bedeutet die Entscheidung des 2. Senats auch keinen Bruch mit der traditionellen Sichtweise, wonach das Eigentumsgrundrecht nicht den Erwerb, sondern den Bestand des Erworbenen schützt.217 Nicht der Vorgang des Erwerbs von Einkommen eröffnet den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1
212 BVerfG v. 18.01.2006 - 2 BVR 2194/99, BVerfGE 115, S. 111. Schon früh für eine Qualifikation von Einkommen als Eigentum haben sich beispielsweise Kirchhof und Loritz ausgesprochen, vgl. Kirchhof, StuW 1985, S. 327; Loritz, BB 1993, S. 228; Loritz in: Dichmann/Fels (Hrsg.), Gesellschaftliche und ökonomische Funktio-nen des Privateigentums (1993), S. 127. 213 BVerfG v. 22.06.1995 - 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, S. 153. 214 BVerfG v. 18.01.2006 - 2 BVR 2194/99, BVerfGE 115, S. 112; Di Fabio, JZ 2007, S. 753. 215 BVerfG v. 18.01.2006 - 2 BVR 2194/99, BVerfGE 115, S. 112. 216 BVerfG v. 18.01.2006 - 2 BVR 2194/99, BVerfGE 115, S. 111. 217 So ausdrücklich BVerfG v. 18.01.2006 - 2 BVR 2194/99, BVerfGE 115, S. 112; a.A. Wernsmann, NJW 2006, S. 1170.
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GG. Vielmehr qualifiziert der 2. Senat den Bestand des durch die Erzielung von Einkommen Hinzuerworbenen als Eigentum i.S.v. Art. 14 Abs. 1 GG.218 Da der 2. Senat auf eine Anrufung des Plenums des BVerfG wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit verzichtet hat, ist gegenwärtig offen, wie der 1. Senat auf die geänderte Rechtsprechung des 2. Senats reagieren wird. In der Biokraftstoff-Entscheidung vom 25.07.2007 hat er am Rande zur geänderten Rechtsprechung des 2. Senats Stellung genommen, letztlich aber eine klare Positionierung vermieden.219 In der Literatur ist die neue Rechtsprechung des 2. Senats bislang auf ein geteiltes Echo gestoßen.220 Momentan ist daher noch völlig offen, ob sie sich durchsetzen wird. Für die neue Rechtsprechungslinie des 2. Senats spricht, dass sie überzeugend begründet, warum der Steuerzugriff durch Ertragsteuern in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie fällt, ohne auf eine radikale Änderung der traditionellen Eigentumsdogmatik zurückgreifen zu müssen. Daher soll in der weiteren Untersuchung der neuen Rechtsprechung des 2. Senats gefolgt werden. Sollte sich diese nicht durchsetzen, so hätte dies im Übrigen auf die Ergebnisse dieser Untersuchung keinen wesentlichen Einfluss. Denn wie noch zu zeigen ist, liegt die eigentliche Problematik der Entfaltung eines freiheitsrechtlichen Schutzniveaus gegenüber der staatlichen Besteuerungsgewalt nicht in der Frage des einschlägigen Grundrechts. Entscheidend ist vielmehr, inwieweit der Besteuerungsgewalt durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Grenzen gezogen werden können.221 bb) Rechtfertigung Um verfassungsrechtlich gerechtfertigt zu sein, muss der durch die Ertragsteuerbelastung bewirkte Eingriff in den Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 GG insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Dies ist der Fall, wenn der Eingriff einem legitimen Zweck dient und zur Erreichung dieses Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen ist.222 Gemeinhin wird angenommen, dass eine Verhältnismäßigkeitsprüfung von Steuernormen bereits im Ansatz versagt, da das allgemeine Einnahmeinteresse des Staates im Verhältnis zur Belastung des Steuerpflichtigen nicht
218 Vgl. Di Fabio, JZ 2007, S. 753. 219 BVerfG v. 25.07.2007 - 1 BvR 1031/07, NVwZ S. 1169. 220 Zustimmend beispielsweise Wieland, Stbg 2006, S. 574; Weber-Grellet, DStR 2009, S. 350. Ablehnend insbesondere Wernsmann, NJW 2006, S. 1172. 221 Vgl. dazu sogleich 2. Teil A. I. 2. a) bb) (1). 222 BVerfG v. 18.01.2006 - 2 BVR 2194/99, BVerfGE 115, S. 113.
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relativierbar sei.223 Diese Position ist zwar in ihrer Grundannahme richtig, letztlich aber zu pauschal. Bezüglich der Einkommensbesteuerung trifft sie nur auf die mit der Erhebung der Einkommensteuer getroffene Belastungsgrundentscheidung zu. Den Grundsatz der Belastungsgleichheit durchbrechende Steuerverschärfungen für bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen bieten dagegen sehr wohl einen Ansatzpunkt für eine klassische Verhältnismäßigkeitsprüfung.224 (1) Belastungsgrundentscheidung Die Belastungsgrundentscheidung ergibt sich aus der folgerichtigen Konkretisierung des vom Gesetzgeber in Ausübung seines weiten Ermessens bestimmten Steuergegenstandes. Bei einer Besteuerung entsprechend der Belastungsgrundentscheidung herrscht vollständige Belastungsgleichheit. Im Rahmen der Einkommensteuer entspricht der Belastungsgrundentscheidung die Anwendung eines einheitlichen Tarifs auf eine mittels des objektiven und subjektiven Nettoprinzips ermittelte Bemessungsgrundlage. Bezüglich der einkommensteuerlichen Belastungsgrundentscheidung kann der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Tat keinen effektiven Kontrollmaßstab darstellen.225 Der Grund hierfür ist, dass die freiheitsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung auf der Herstellung einer Zweck-Mittel-Relation basiert. Der Freiheitseingriff als Mittel wird zu dem mit ihm verfolgten Zweck ins Verhältnis gesetzt. Bezüglich der Belastungsgrundentscheidung versagt dieser Mechanismus aufgrund der Eigenart des Fiskalzwecks.226 Steuern dienen der Deckung des Finanzbedarfs des Staates. Der Fiskalzweck ist legitim, da das Gemeinwesen Staat zu seinem Funktionieren auf finanzielle Mittel angewiesen ist. Eine Spezifizierung des Fiskalzwecks könnte nur durch eine Verknüpfung mit den zu finanzierenden Ausgaben erreicht werden.227 Ein solcher Durchblick auf die Mittelverwendung scheitert jedoch
223 So beispielsweise Seer, FR 1999, S. 1285; Tipke, Die Steuerrechtsordnung 1 (2000), S. 418; Wieland in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 43; Möstl, DStR 2003, S. 724; Di Fabio, JZ 2007, S. 752. 224 Ähnlich auch Vogel in: Geis/Lorenz, Staat Kirche Verwaltung (2001), S. 305, der bei „lenkenden“ Steuergesetzen eine Verhältnismäßigkeitsprüfung für möglich hält. 225 Vgl. Schuppert in: Fürst/Herzog/Umbach (Hrsg.), Festschrift Zeidler (1987), S. 701; Wieland in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 43; Möstl, DStR 2003, S. 724. 226 Vgl. Schuppert in: Fürst/Herzog/Umbach (Hrsg.), Festschrift Zeidler (1987), S. 701; Seer, FR 1999, S. 1285. 227 Dies vertreten beispielsweise Elicker, DVBl. 2006, S. 483 ff. und Frenz, GewArch 2006, S. 284 ff.
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am haushaltsrechtlichen Non-Affektationsprinzip,228 wonach grundsätzlich alle Einnahmen zur Deckung aller Ausgaben dienen. Wegen der fehlenden Zweckbindung der Steuereinnahmen kann die Legitimität des Fiskalzwecks daher nicht unter Verweis auf bestimmte Ausgabenposten angezweifelt werden.229 Darüber hinaus ist der Versuch, für die Verhältnismäßigkeitsprüfung auf eine konkret zu finanzierende Staatsausgabe abzustellen, auch deshalb abzulehnen, weil dadurch zu tief in die politische Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers eingegriffen würde.230 Die Unabhängigkeit bestimmter Einnahmen von bestimmten Ausgaben gewährleistet demokratische Entscheidungsfreiheit, weshalb die Zweckfreiheit der Steuereinnahmen von zentraler Bedeutung für die Budgethoheit des Parlaments ist.231 Die Kriterien der Geeignetheit und Erforderlichkeit laufen hinsichtlich des Fiskalzwecks ebenfalls weitgehend leer. Gemessen an dem Zweck, den Finanzbedarf des Staates zu decken, ist die Verpflichtung der Bürger zur Zahlung von Steuern grundsätzlich stets geeignet und erforderlich.232 Entscheidend ist auch hier wieder die fehlende Zweckbindung von Steuereinnahmen. Da der Fiskalzweck ganz banal auf die Beschaffung von Geld gerichtet ist, wären letztlich auch willkürliche Enteignungen grundsätzlich dazu geeignet, diesen Zweck zu erreichen. Lediglich Steuern mit erdrosselnder Wirkung, die die Steuerquelle vernichten und so per Saldo dem Einnahmeinteresse des Staates schaden, kann die Geeignetheit abgesprochen werden.233 Ein milderes Mittel zur Befriedigung des staatlichen Finanzbedarfs als die Erhebung von Steuern ist ebenfalls nicht ersichtlich. Schließlich können der Steuerbelastung entsprechend der Belastungsgrundentscheidung aufgrund der Eigenart des Fiskalzwecks auch im Rahmen der Angemessenheitsprüfung nur sehr bedingt Grenzen gesetzt werden.234 Es ist nicht möglich, das individuelle Interesse an einer möglichst eigentumsscho228 Vgl. §§ 7 HGrG, 8 BHO. 229 BVerfG v. 26.08.1992 - 2 BVR 478/92, DStR 1993, S. 507; FG Baden-Württemberg v. 01.06.1989 - III K 326/85 (juris). 230 Vgl. Waldhoff, Verw 2008, S. 279; ders. in: Schön/Beck (Hrsg.), Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts (2009), S. 135. 231 Vgl. Schön, StuW 2004, S. 66; Heintzen in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Band V, § 120 Rn. 47. 232 Vgl. Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen (1983), S. 189. 233 Vgl. BVerfG v. 18.01.2006 - 2 BVR 2194/99, BVerfGE 115, S. 115; Klein in: Haller/Kullmer/Shoup/Timm (Hrsg.), Theorie und Praxis des finanzpolitischen Interventionismus (1970), S. 231. 234 BVerfG v. 18.01.2006 - 2 BVR 2194/99, BVerfGE 115, S. 115; Tipke, Die Steuerrechtsordnung 1 (2000), S. 418.
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nenden Besteuerung sinnvoll gegen das staatliche Finanzierungsinteresse abzuwägen. Eine Effektuierung der Angemessenheitsprüfung setzte die Entwicklung steuerrechtsspezifischer Maßstäbe für das Vorliegen einer übermäßigen Belastung voraus. Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass jedenfalls eine erdrosselnd wirkende Besteuerung als unangemessen zu qualifizieren ist.235 Darüber hinaus verleiht auch der Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums der freiheitsrechtlichen Angemessenheitsprüfung Konturen. Ein Steuereingriff, durch den dem Steuerpflichtigen das für die Bestreitung seines Lebensunterhalts benötigte Einkommen entzogen wird, kann unproblematisch als unverhältnismäßig qualifiziert werden.236 Einen Versuch, das steuerrechtliche Belastungsübermaß konkret zu quantifizieren, stellte der auf Paul Kirchhof zurückgehende sog. Halbteilungsgrundsatz dar.237 Im Vermögensteuer-Beschluss hatte das BVerfG ausgesprochen, dass die Vermögensteuer zu den übrigen Ertragsteuern nur hinzutreten darf, soweit die steuerliche Gesamtbelastung des Sollertrags in der Nähe einer hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand verbleibt.238 Nach dem Verständnis von Kirchhof, der am Vermögensteuerbeschluss selbst maßgeblich beteiligt war, postulierte das BVerfG mit dieser Entscheidung eine verbindliche Obergrenze für die Gesamtsteuerlast aus allen direkten Steuern.239 Dadurch wären im Vergleich zu der allgemein anerkannten Belastungsgrenze des erdrosselnden bzw. existenzvernichtenden Eingriffs wesentlich strengere Anforderungen an die Angemessenheit der Steuerbelastung gestellt worden.240 In der Literatur ist der Halbteilungsgrundsatz teils auf Zustimmung, teils aber auch auf massive Ablehnung gestoßen. Einer der Hauptkritikpunkte war die Herleitung aus der Formulierung des Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG, wonach der Gebrauch des Eigentums „zugleich“ dem Wohle der Allgemeinheit dienen solle. Das Wort „zugleich“ drücke in diesem Zusammenhang nur aus, dass der Gebrauch des Eigentums sowohl privat- als 235 Vgl. Werz, Verlustverrechnungsbeschränkungen im Lichte der Verfassung unter besonderer Berücksichtigung der Verlustregeln des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (2003), S. 155; Lang/Englisch, StuW 2005, S. 5. 236 Vgl. Mellinghoff, Stbg 2005, S. 6; Papier, DStR 2007, S. 974. 237 Nach wohl überwiegender Auffassung wurde der Halbteilungsgrundsatz als zahlenmäßige Konkretisierung des Übermaßverbots verstanden, vgl. dazu Kirchhof in: Kichhof /Papier/Schäffer (Hrsg.), Rechtsstaat und Grundrechte - Festschrift für Detlef Merten (Heidelberg 2007), S. 159 ff.; a.A. Möstl, DStR 2003, S. 725 f., der den Halbteilungsgrundsatz nicht als Ausprägung des Übermaßverbotes ansieht, sondern aus der Institutsgarantie des Eigentums ableitet. 238 BVerfG v. 22.06.1995 - 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, S. 138. 239 Vgl. Kirchhof, Besteuerung im Verfassungsstaat (2000), S. 58. 240 Vgl. Lang/Englisch, StuW 2005, S. 15.
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gemeinnützig erfolgen soll, nicht jedoch, wie beide Aspekte zueinander zu gewichten sind.241 Darüber hinaus warf der Halbteilungsgrundsatz hinsichtlich seiner konkreten Anwendung zahlreiche Zweifelsfragen auf.242 Dem stand allerdings die Chance auf eine Effektuierung der freiheitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitskontrolle im Steuerrecht gegenüber. Angesichts dessen war sicher die Schwäche des Wortlautarguments allein kein ausreichender Grund, um den Halbteilungsgrundsatz zu verwerfen. Stattdessen hätte es die Mühe gelohnt, die Zweifelsfragen genau zu untersuchen und zu prüfen, ob der Halbteilungsgrundsatz in der Lage gewesen wäre, die in ihn gesetzten Hoffnungen zu erfüllen.243 Allerdings ist der Halbteilungsgrundsatz mittlerweile von der Rechtsprechung wieder ad acta gelegt worden. Der 1. Senat des BVerfG und der BFH haben ihn nie übernommen. Schließlich hat auch der 2. Senat den Halbteilungsgrundsatz faktisch aufgegeben, indem er im Beschluss vom 18.01.2006 klargestellt hat, dass sich die Ausführungen im Vermögensteuerbeschluss allein auf das Zusammentreffen der Vermögensteuer mit den übrigen Steuern bezogen und nicht auf die Belastungswirkung durch die Einkommen- und Gewerbesteuer oder die Einkommensteuer allein übertragbar seien.244 Immerhin versucht der 2. Senat im Beschluss vom 18.01.2006 im Rahmen der Angemessenheitsprüfung nicht wieder auf die Grenze des erdrosselnden,245 existenzvernichtenden Eingriffs zurückzufallen. Allerdings ist das Ergebnis dieser Bemühungen eher bescheiden. Zum einen darf die steuerliche Belastung höherer Einkommen für den Regelfall nicht so weit gehen, dass der wirtschaftliche Erfolg grundlegend beeinträchtigt wird und sich nicht mehr angemessen im Einkommen nach Steuern widerspiegelt.246 Zum anderen kann vom Gesetzgeber die Darlegung besonderer rechtfertigender Gründe verlangt werden, wenn die Höhe der Steuerbelastung im internationalen Vergleich als bedrohliche Sonderentwicklung gekennzeichnet werden kann.247 Damit wird die Bedeutung der Eigentumsgarantie als Schranke der
241 Vgl. Tipke, Die Steuerrechtsordnung 1 (2000), S. 452. 242 Vgl. dazu im Einzelnen Beyer, Die Freiheitsrechte, insbesondere die Eigentumsfreiheit, als Kontrollmaßstab für die Einkommensbesteuerung (2004), S. 52 ff. 243 Vgl. Möstl, DStR 2003, S. 724 ff. für einen Versuch, den Halbteilungsgrundsatz auf eine tragfähige Grundlage zu stellen. 244 BVerfG v. 18.01.2006 - 2 BVR 2194/99, BVerfGE 115, S. 109. 245 Für eine dogmatische Verankerung des Verbots der Erdrosselungssteuer in der Angemessenheit auch Jachmann, Verfassungsrechtliche Grenzen der Besteuerung (1996), S. 57. 246 BVerfG v. 18.01.2006 - 2 BVR 2194/99, BVerfGE 115, S. 117. 247 BVerfG v. 18.01.2006 - 2 BVR 2194/99, BVerfGE 115, S. 116.
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Steuerbelastung durch die Belastungsgrundentscheidung auch in Zukunft beschränkt bleiben. (2) Durchbrechungen der Belastungsgrundentscheidung Bezüglich der Belastungsgrundentscheidung der Einkommensteuer scheitert eine effektive Verhältnismäßigkeitsprüfung somit an der Eigenart des Fiskalzwecks. Anders fällt die Beurteilung jedoch im Hinblick auf eine steuerverschärfend wirkende Durchbrechung der Belastungsgrundentscheidung aus, da insofern – wie nachfolgend gezeigt werden soll – zur Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs nicht auf den Fiskalzweck abgestellt werden kann. Ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts kann nur dann verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden, wenn er zur Erreichung eines legitimen Zwecks erfolgt. Insofern hat der Gesetzgeber einen weiten Spielraum. In Betracht kommt grundsätzlich jeder Gemeinwohlbelang. Grenzen setzen dem Gesetzgeber jedoch die Bestimmungen des Grundgesetzes, insbesondere die Grundrechte.248 Ein Grundrechtseingriff ist von vornherein unzulässig, wenn der mit dem Eingriff verfolgte Zweck verfassungsrechtlich unzulässig ist.249 Eine Durchbrechung der Belastungsgrundentscheidung und damit des Grundsatzes der Belastungsgleichheit, die allein auf den Fiskalzweck gestützt würde, stellte – wie bereits gezeigt wurde – einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar.250 Dieser Befund kann für eine Effektuierung der freiheitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitskontrolle von Steuernormen nutzbar gemacht werden, die zu einer Sonderbelastung bestimmter Steuerpflichtiger führen. Denn eine Zwecksetzung, die zwingend mit einer Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes verbunden ist, kann auch im Rahmen der Prüfung eines Eingriffs in das Eigentumsgrundrecht schwerlich als legitim bezeichnet werden. Speziell im Hinblick auf Art. 14 GG wird dieser Befund durch die Rechtsprechung des BVerfG untermauert, wonach der Gesetzgeber bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums i.S.v. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG an den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden ist.251 Somit kann der allgemeine Fiskalzweck den durch die Belastung mit Einkommensteuer bedingten Eingriff in das Eigentumsgrundrecht nur insoweit legitimieren, als sich dieser im Rahmen der Belastungsgrundentscheidung hält. Eine darüber hinausgehende Belastung ist hingegen nur zur Förderung 248 Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte (2009), Rn. 290. 249 Vgl. Sommermann in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. 2 (2005), Art. 20 Rn. 314; Schulze-Fielitz in: Dreier (Hrsg.), GG Bd. 2 (2006), Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 181; Huster/Rux in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 20 Rn. 180. 250 Vgl. 2. Teil A. I. 1. b) bb) (1). 251 BVerfG v. 02.03.1999 - 1 BvL 7/91, BVerfGE 100, S. 241.
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eines spezifischen Gemeinwohlbelangs jenseits des Fiskalzwecks zulässig. Im Hinblick auf diese Zwecksetzung kann der durch die steuerliche Sonderbelastung bewirkte Grundrechtseingriff ohne Weiteres einer Verhältnismäßigkeitskontrolle unterzogen werden. Die freiheitsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung ist Ausdruck eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses: die Freiheit ist die Regel – der Eingriff ist die Ausnahme.252 Dieses RegelAusnahme-Verhältnis lässt sich problemlos auf steuerverschärfend wirkende Durchbrechungen der Belastungsgrundentscheidung übertragen. Die einzige Besonderheit ist, dass der Freiheitseingriff nicht isoliert erfolgt, sondern zu der Grundbelastung hinzutritt. Die steuerliche Sonderbelastung als Mittel zur Erreichung eines über den Fiskalzweck hinausgehenden legitimen Zwecks kann auf ihre Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit zur Erreichung dieses Zwecks geprüft werden. In Betracht kommen alle Gründe, die im Rahmen der gleichheitsrechtlichen Prüfung als „besonderer sachlicher Grund“ eine Abweichung vom allgemeinen Gleichheitssatz legitimieren können, also insbesondere spezifische Lenkungszwecke, die Missbrauchsbekämpfung sowie die Zielsetzung der Typisierung zur Verwaltungsvereinfachung.253 Einzelunternehmer A erzielt einen Gewinn i.H.v. 100.000 €. Die Bemessungsgrundlage beträgt jedoch 120.000 €, da A die Kosten für den Firmenwagen steuerlich nicht ansetzen darf. Aus Klimaschutzgründen werden nur noch Kosten für öffentliche Verkehrsmittel anerkannt. Der Steuersatz beträgt 50 %. Gewinn (100.000 €) Gewinn nach Steuern (40.000 €)
Einkommensteuerlast (120.000 € x 50% = 60.000 €)
Sonderbelastung (10.000 €)
Belastungsgrundentscheidung (100.000 € x 50% = 50.000 €)
⇒ Fiskalzweck scheidet aus; evt. Rechtfertigung durch Zwecksetzung „Klimaschutz“
⇒ Rechtfertigung durch den Fiskalzweck
Abbildung 16 Steuerverschärfende Durchbrechung der Belastungsgrundentscheidung
Selbst wenn man jedoch der hier vertretenen Ansicht nicht folgt und im Hinblick auf die Legitimität des Fiskalzwecks eine Differenzierung zwischen der Belastungsgrundentscheidung und einer darüber hinausgehenden Sonderbe252 Vgl. Bryde/Kleindiek, Jura 1999, S. 37. 253 Vgl. 2. Teil A. I. 1. b) bb).
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lastung ablehnt, scheiterte die Rechtfertigung ungleicher Mehrbelastungen durch den Fiskalzweck jedenfalls am Kriterium der Erforderlichkeit.254 Denn zur Erzielung eines bestimmten Steueraufkommens wäre die gleichmäßige Belastung aller Steuerpflichtigen ein gleich effektives, für die von der Mehrbelastung betroffenen Steuerpflichtigen aber milderes Mittel.255 Eine steuerverschärfend wirkende Durchbrechung der Belastungsgrundentscheidung kann somit auch freiheitsrechtlich nur mit einem über den Fiskalzweck hinausgehenden Zweck gerechtfertigt werden.256 (a) Differenzierung zwischen Steuervergünstigungen und Steuerverschärfungen Eine Durchbrechung der Belastungsgrundentscheidung kann für die betroffenen Steuerpflichtigen gegenüber der sich aus der Belastungsgrundentscheidung ergebenden Steuerlast sowohl zu einer Minderbelastung als auch zu einer Zusatzbelastung führen. Eine Steuervergünstigung kann freiheitsrechtlich keiner eigenständigen Verhältnismäßigkeitskontrolle unterzogen werden. Denn sie bewirkt im Vergleich zur Belastungsgrundentscheidung einen weniger intensiven Freiheitseingriff. Die Rechtfertigung für die sich aus der Kombination von Belastungsgrundentscheidung und Steuervergünstigung ergebende Steuerbelastung ist in der Rechtfertigung der Belastungsgrundentscheidung enthalten. Beispiel: Einzelunternehmer A erzielt - zunächst - einen Gewinn aus Gewerbebetrieb i.H.v. 100.000 €. Durch die Inanspruchnahme des Investitionsabzugsbetrags nach § 7g EStG reduziert sich die Bemessungsgrundlage auf 80.000 €. Der Steuersatz beträgt 50 %. Nach der Belastungsgrundentscheidung würde A vorliegend eine Steuerlast i.H.v. 50.000 € treffen. Infolge der Inanspruchnahme der Steuervergünstigung nach § 7g EStG beläuft sich seine tatsächliche Steuerlast jedoch nur auf 40.000 €. Ein eigenständiger freiheitsrechtlicher Rechtfertigungsbedarf besteht insofern nicht, da eine Steuerbelastung bis 50.000 € durch die Belastungsgrundentscheidung gerechtfertigt ist.
Gleiches gilt auch für die Aufhebung einer Steuervergünstigung. Da insofern nur die Regelbelastung im Sinne der Belastungsgleichheit wieder hergestellt wird, scheidet eine eigenständige Verhältnismäßigkeitsprüfung aus. Dies hat 254 So auch Lang, NJW 2000, S. 459; Beyer, Die Freiheitsrechte, insbesondere die Eigentumsfreiheit, als Kontrollmaßstab für die Einkommensbesteuerung (2004), S. 164. 255 Vgl. Lang, NJW 2000, S. 459. 256 Vgl. Beyer, Die Freiheitsrechte, insbesondere die Eigentumsfreiheit, als Kontrollmaßstab für die Einkommensbesteuerung (2004), S. 164.
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das BVerfG in der Entscheidung vom 05.02.2002 zur Aufhebung der Steuerfreiheit für Sozialpfandbriefe257 ausdrücklich festgestellt: „Hebt der Gesetzgeber im Einkommensteuerrecht eine steuerbefreiende Ausnahmeregelung auf, dann ist diese Entscheidung in der Regel nicht neben der Belastungsgrundentscheidung auf ihre Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Entschließt sich der Steuergesetzgeber zur Streichung einer wirtschafts- oder sozialpolitisch motivierten begünstigenden Lenkungsnorm […] so ist die dadurch für die Zukunft wiederhergestellte Regelbelastung der betroffenen Adressatengruppe für sich genommen grundsätzlich mit Art. 2 Abs. 1 GG, insbesondere mit den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit vereinbar. […] Genügt die Belastungsgrundentscheidung den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, dann kann für die Entscheidung, einen Steuerpflichtigen durch Aufhebung einer Steuerbefreiung nach den grundsätzlich gleichen Belastungsprinzipien zu besteuern, in der Regel nichts anderes gelten.“258
Aus den Ausführungen des BVerfG ergibt sich im Umkehrschluss, dass eine steuerverschärfend wirkende Durchbrechung der Belastungsgrundentscheidung einer eigenständigen Verhältnismäßigkeitskontrolle zu unterziehen ist. Denn die sich daraus für den betroffenen Steuerpflichtigen ergebende Sonderbelastung ist in der Belastungsgrundentscheidung gerade noch nicht enthalten und bedarf daher einer gesonderten Rechtfertigung, die konsequenterweise eine eigenständige Verhältnismäßigkeitskontrolle umfassen muss. Der Umstand, dass nur steuerverschärfende Durchbrechungen der Belastungsgrundentscheidung einer eigenständigen Verhältnismäßigkeitskontrolle unterzogen werden, macht zugleich deutlich, dass der hier vorgeschlagene Ansatz keine unzulässige Vermengung von gleichheits- und freiheitsrechtlichen Aspekten bedeutet. Es wurde in der Tat die Ansicht vertreten, dass die Gewährleistung steuerlicher Lastengleichheit und Lastengerechtigkeit in den Schutzbereich des Art. 14 GG falle259 und dass deshalb eine ungleiche Last stets eine – gemessen an Art. 14 GG – unverhältnismäßige Last sei.260 Als Konsequenz dieser Ansicht würden nicht nur steuerliche Sonderbelastungen sondern auch Steuervergünstigungen den Schutzbereich des Art. 14 GG berühren.261 Diese Sichtweise wird jedoch der freiheitsrechtlichen Struktur der Eigentumsgarantie nicht gerecht. Gegenüber dem hoheitlichen Steuerzugriff ist Art. 14 GG primär als Abwehrrecht gegen den Staat angesprochen. Der Vergleich mit anderen Steuerpflichtigen spielt insofern keine Rolle. Der steuerbedingte Freiheitseingriff wird nicht dadurch verschlimmert, dass er anderen erspart bleibt.262 Deshalb kann sich ein Steuerpflichtiger, dessen 257 258 259 260 261 262
BVerfG v. 05.02.2002 - 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, BVerfGE 105, S. 17 ff. BVerfG v. 05.02.2002 - 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, BVerfGE 105, S. 34. Vgl. Vogel, BayVBl. 1980, S. 527; von Arnim, VVDStRL 1980, S. 318. Vgl. von Arnim, VVDStRL 1980, S. 319; Wendt, DÖV 1988, S. 713. Vgl. von Arnim, VVDStRL 1980, S. 325. Vgl. Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem (2005), S. 362.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
Steuerschuld sich nach der Belastungsgrundentscheidung bemisst, nicht im Hinblick auf die einem anderen Steuerpflichtigen gewährte Steuersubvention auf Art. 14 GG berufen. Die Grundsätze der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit sollten nicht in Art. 14 GG hineininterpretiert werden.263 Für die Ableitung der Einzelmaßstäbe der Steuergerechtigkeit ist Art. 3 GG die zutreffende Norm.264 Der hier vorgeschlagene Ansatz respektiert diese Grundsätze. In den Blick genommen wird ausschließlich das Verhältnis Bürger – Staat. Es wird lediglich verlangt, dass der Staat den Freiheitseingriff durch die Auferlegung einer bestimmten Einkommensteuerlast in seiner ganzen Intensität rechtfertigt. Allerdings könnte man gegen die Differenzierung zwischen Steuervergünstigung und Steuerverschärfung einwenden, dass eine begünstigend wirkende Lenkungsnorm zugleich eine zusätzliche Belastung der nicht begünstigten Steuerpflichtigen darstelle.265 Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass die durch die Steuervergünstigung ausgelöste Minderung des Steueraufkommens eine Senkung des Steuersatzes für alle Steuerpflichtigen verhindert und somit für nicht begünstigte Steuerpflichtige zu einer erhöhten Steuerlast führt. Es ist jedoch nicht zwingend, die Haushaltslage mit und ohne Steuervergünstigung zu vergleichen. Denn auch beim Verzicht auf eine Steuersubvention ist der Staat berechtigt, einem bestimmten Adressatenkreis eine finanzielle Zuwendung mittels einer direkten Transferzahlung zukommen zu lassen. Im Rahmen der freiheitsrechtlichen Betrachtung kann daher unterstellt werden, dass der Staat bei einem Verzicht auf die Steuersubvention den Förderungszweck mit einer direkten Subvention verfolgen würde. An der Haushaltslage würde sich dann nichts ändern, so dass die Steuervergünstigung für die übrigen Steuerpflichtigen keine Belastung darstellt. Voraussetzung für eine Differenzierung zwischen steuerverschärfend und steuervergünstigend wirkenden Lenkungsnormen ist natürlich, dass man überhaupt klar zwischen beiden unterscheiden kann. Wie die jüngste Vergangenheit zeigt, tendiert der Gesetzgeber dazu, jede Steuerverschärfung als die „Rücknahme einer Steuervergünstigung“ oder das „Stopfen von Steuerschlupflöchern“ zu etikettieren.266 Dieser gesetzgeberische Relativismus ist 263 Vgl. Jachmann, Steuergesetzgebung zwischen Gleichheit und wirtschaftlicher Freiheit (2000), S. 14. 264 Vgl. Loritz, NJW 1986, S. 9. 265 So beispielsweise von Arnim, VVDStRL 1980, S. 319; Kirchhof, StuW 2002, S. 7. 266 Ein aktuelles Beispiel ist die Debatte um die Einschränkung des „Dienstwagenprivilegs“ (Vgl. Handelsblatt Nr. 171 v. 05.09.2007 Seite 5, Der Tagesspiegel Nr. 19933 v. 14.06.2008 S. 2), wodurch suggeriert wird, dass es sich bei der Absetzbarkeit der Kosten für einen Firmenwagen im Rahmen der Gewinnermittlung nicht um eine fol-
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ein Produkt der politischen Auseinandersetzung und darf die juristische Beurteilung einer steuergesetzgeberischen Maßnahme nicht beeinflussen. Insofern ist zwischen der Bemessungsgrundlage und dem Steuertarif zu differenzieren. Bezüglich der Bemessungsgrundlage wurde bereits gezeigt, dass es – ausgehend von der Belastungsgrundentscheidung – bei einem konsequenten und folgerichtigen zu Ende Denken der gleichheitsrechtlichen Vorgaben sehr wohl möglich ist, relativ genau zu beurteilen, ob eine bestimmte Steuernorm Belastungsgleichheit verwirklicht oder diese steuerverschärfend oder steuervergünstigend durchbricht.267 Ein gutes Beispiel ist die Streichung der Absetzbarkeit von Fahrtkosten für die ersten zwanzig Kilometer zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, die das BVerfG trotz aller Relativierungsversuche klar als gleichheitsrechtlich rechtfertigungsbedürftige Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips qualifiziert hat.268 Das schließt nicht aus, dass es im Einzelfall zu schwierigen Abgrenzungsfragen kommen kann. Dadurch wird die prinzipielle Tauglichkeit der vorgeschlagenen Lösung jedoch nicht in Frage gestellt. Eine Einschränkung ergibt sich allerdings aus der Lockerung der gleichheitsrechtlichen Rechtfertigungsanforderungen durch die Entscheidung des BVerfG zur Berücksichtigung von Jubiläumsrückstellungen.269 Soweit das BVerfG bezüglich komplexer Einzelfragen bei der Ausgestaltung des Steuertatbestandes bereits die gleichheitsrechtliche Kontrolldichte auf eine Willkürprüfung zurücknimmt, kann mit Hilfe eines gleichheitsrechtlichen Maßstabs offensichtlich keine freiheitsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung begründet werden.270 Ein weiterer Einwand gegen die Praktikabilität einer gesonderten Verhältnismäßigkeitskontrolle von steuerlichen Sonderbelastungen könnte darin bestehen, dass überhaupt nicht beurteilt werden kann, ob es im konkreten Fall zu einer Belastung kommt, die über der Belastungsgrundentscheidung liegt. So hat das BMF gegen eine freiheitsrechtliche Kontrolle von Steuer-
267 268 269 270
gerichtige Konsequenz des objektiven Nettoprinzips, sondern um eine Steuervergünstigung handle. Vgl. 2. Teil. A. I. 1. a) cc). Vgl. BVerfG v. 09.12.2008 - 2 BvL 1/07; 2BvL 2/07; 2 BvL 1/08; 2 BvL 2/08, NJW 2009, S. 49 ff. BVerfG v. 12.05.2009 - 2 BvL 1/00, DStRE 2009, S. 922 ff. Vgl. auch 1. Teil A. I. 1. a) bb). Es bleibt abzuwarten, welche Auswirkungen diese Entscheidung haben wird. Angesichts des Umstandes, dass das BVerfG grundsätzlich an der Bindung des Gesetzgebers an das Gebot der Folgerichtigkeit festgehalten hat, bleibt zu hoffen, dass die Entscheidung keine Trendwende hin zu einer generellen Reduzierung der verfassungsrechtlichen Kontrolldichte im Steuerrecht bedeutet.
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normen argumentiert, es könne nicht unberücksichtigt bleiben, dass in den steuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften zahlreiche Interventions- und Subventionsnormen enthalten seien, die die Grundgedanken des Gesetzes so überlagerten, dass die Regelbelastung kaum noch eindeutig ermittelbar sei.271 Ausgehend von dieser Logik müsste dem Gesetzgeber geraten werden, die noch verbliebenen Eckpfeiler eines systematischen Einkommensteuerrechts zu schleifen, da er dafür mit verfassungsrechtlicher Ungebundenheit belohnt würde. Bezüglich der eigenständigen Verhältnismäßigkeitskontrolle von steuerlichen Sonderlasten geht dieses Argument jedoch ins Leere. Denn eine Steuernorm muss nicht nur im konkreten Fall, sondern generell verfassungsmäßig sein. Es ist stets ein betroffener Steuerpflichtiger denkbar, der keinerlei Steuervergünstigung in Anspruch genommen hat. (b) Freiheitsrechtliche Dimension des objektiven Nettoprinzips Die hier vorgeschlagene gesonderte Verhältnismäßigkeitsprüfung von Durchbrechungen der Belastungsgrundentscheidung ist gleichbedeutend mit einer freiheitsrechtlichen Absicherung des objektiven Nettoprinzips und verstärkt so dessen verfassungsrechtliche Durchsetzungskraft erheblich. Betrachtet man die traditionelle steuerrechtliche Grundrechtsdogmatik, so ergibt sich ein ernüchternder Befund. Auf gleichheitsrechtlicher Ebene werden zwar aus Art. 3 Abs. 1 GG – insbesondere über die Konkretisierung des Gleichheitsmaßstabs im objektiven Nettoprinzip – strenge Vorgaben für den Gesetzgeber hergeleitet. Diese sind jedoch insofern durchsetzungsschwach, als ein besonderer sachlicher Grund eine Durchbrechung rechtfertigen kann, ohne dass dieser Grund und die Durchbrechung konsequent zueinander gewichtet würden.272 Das Schutzniveau ist zwar höher als bei einer reinen Willkürprüfung. Letztlich lässt sich jedoch nicht voraussehen, in welchen Fällen das BVerfG eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung wegen fehlender „Besonderheit“ eines sachlichen Grundes verneinen würde. Der freiheitsrechtliche Schutz hingegen ist zwar potentiell durchsetzungsstärker. Allerdings läuft die freiheitsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung aufgrund der Besonderheiten des Fiskalzwecks weitgehend leer.273 Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich in der Literatur die Stimmen mehren, die sich neben der gleichheitsrechtlichen und finanzverfassungsrechtlichen für eine frei-
271 Vgl. Widergabe der Stellungnahme des BMF in BVerfG v. 18.01.2006 - 2 BVR 2194/99, BVerfGE 115, S. 103. 272 Vgl. zur unzureichenden allein gleichheitsrechtlichen Verankerung des objektiven Nettoprinzips auch Lehner, DStR 2009, S. 185. 273 Vgl. 2. Teil B. I. 2. a) bb) (1).
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heitsrechtliche Verankerung des objektiven Nettoprinzips aussprechen.274 Dahinter steht das Bestreben, dem objektiven Nettoprinzip zu einer größeren Durchsetzungskraft zu verhelfen. So führt beispielsweise Lehner die flexible Handhabung des objektiven Nettoprinzips durch den Gesetzgeber im Hinblick auf die Verlustverrechnung auf dessen – nur – gleichheitsrechtliche Verankerung zurück, während der Gesetzgeber im Bereich des stärker freiheitsrechtlich verankerten subjektiven Nettoprinzips kaum noch Handlungsspielraum habe.275 Dieser Analyse ist zuzustimmen. Allerdings genügt es nicht, die freiheitsrechtliche Verankerung des objektiven Nettoprinzips lediglich abstrakt zu postulieren. Prüfungsmaßstab von Steuernormen sind die Grundrechte, nicht steuerrechtliche Prinzipien. Entscheidend für eine wirksame Entfaltung einer freiheitsrechtlichen Dimension des objektiven Nettoprinzips ist daher, es in der traditionellen freiheitsrechtlichen Dogmatik zu verankern. Einen ersten Anhaltspunkt dafür, dass das objektive Nettoprinzip auch eine freiheitsrechtliche Natur haben muss, bietet bereits die traditionelle Rechtsprechung des BVerfG zum Verbot einer „erdrosselnd“276 wirkenden Besteuerung. Denn im Rahmen der Einkommensbesteuerung kann eine erdrosselnde, existenzvernichtende Wirkung praktisch nur aus einer Missachtung des objektiven Nettoprinzips resultieren. Selbst bei einem Steuersatz auf den Gewinn von beispielsweise 95 % bliebe bei einer strikten Beachtung des objektiven Nettoprinzips die Substanz der Erwerbsgrundlage unangetastet. Beispiel: Einzelunternehmer U betreibt ein Handelsunternehmen. Er erzielt einen Umsatz von 1.000.000 €. Sein Aufwand beläuft sich auf 800.000 €, so dass sich ein Gewinn von 200.000 € ergibt. Bei einem Steuersatz von 95 % träfe U eine Einkommensteuerlast i.H.v. 190.000 €. Ihm verblieben lediglich 10.000 € zur Bestreitung seines Lebensunterhalts. Dennoch käme es
274 Vgl. beispielsweise Lehner in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 7; Schmehl, Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen mit Mindestbesteuerungseffekt – ein tragfähiges Konzept für das Einkommensteuerrecht? (2004), S. 6; Mellinghoff, Stbg 2005, S. 3 f.; Wendt in: Rautenberg (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen der Besteuerung (2006), S. 167; Fischer, FR 2007, S. 284; Lehner, DStR 2009, S. 191. 275 Vgl. Lehner in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 2 f. 276 Vgl. beispielsweise BVerfG v. 31.05.1990 - 2 BvL 12/88, 2 BvL 13/88, 2 BvR 1436/87, BVerfGE 82, S. 190; BVerfG v. 25.09.1992 - 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91, BVerfGE 87, S. 169; BVerfG v. 25.07.2007 - 1 BvR 1031/07, NVwZ S. 1168.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung nicht zu einer Substanzbesteuerung. Seine Erwerbsgrundlage, der Gewerbebetrieb, wäre nicht gefährdet.
Hingegen käme es bei einer Umgestaltung der Einkommensteuer zu einer Bruttoeinnahmensteuer mit einem „niedrigen“ Steuersatz von beispielsweise 25 % immer dann zu einer Substanzbesteuerung, wenn der Anteil der Erwerbsaufwendungen an den Erwerbseinnahmen 75 % übersteigt. Beispiel: Einzelunternehmer U betreibt ein Handelsunternehmen. Er erzielt einen Umsatz von 1.000.000 €. Sein Aufwand beläuft sich auf 800.000 €, so dass sich ein Gewinn von 200.000 € ergibt. Bei einem Steuersatz von 25 % auf die Bruttoeinnahmen träfe U eine Einkommensteuerlast i.H.v. 250.000 €. Da sich sein Gewinn lediglich auf 200.000 € beläuft, käme es zu einer Substanzbesteuerung i.H.v. 50.000 €. Sofern er nicht in der Lage ist, diesen Betrag aus seinem sonstigen Vermögen zu begleichen, wäre er gezwungen, den Betrieb einzustellen. Bei unveränderter Relation von Gewinn und Aufwendungen wäre dies aber auch unabhängig von der Vermögenslage des U auf Dauer unvermeidlich. Die Besteuerung würde somit eine „erdrosselnde“ Wirkung entfalten.
Eine Substanzbesteuerung und somit eine „erdrosselnde“ Wirkung der Einkommensteuer ist nur bei Beachtung des objektiven Nettoprinzips sicher auszuschließen. Allerdings ergibt sich daraus kein strenges Nettoprinzip.277 Erforderlich ist nur, dass nicht so weit vom objektiven Nettoprinzip abgewichen wird, dass das Besteuerungsniveau eine erdrosselnde Wirkung entfaltet. Lehner hat darüber hinaus mit überzeugenden Argumenten dargelegt, dass die Privatnützigkeitsgarantie des Art. 14 GG zumindest den Teil des Erwerbseinkommens schützen muss, der unverzichtbar ist, um die Einkommensquelle zu sichern bzw. zu erhalten.278 Von einer echten freiheitsrechtlichen Absicherung des objektiven Nettoprinzips könnte jedoch nur gesprochen werden, wenn jede den Steuerpflichtigen belastende Abweichung vom Nettoprinzip einer freiheitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitskontrolle unterzogen würde. Genau dies gewährleistet die hier vorgeschlagene eigenständige Verhältnismäßigkeitsprüfung von Durchbrechungen der Belastungsgrundentscheidung. Denn jede den Steuerpflichtigen 277 So auch Palm, DStR 2002, S. 155, sowie Schmehl, Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen mit Mindestbesteuerungseffekt – ein tragfähiges Konzept für das Einkommensteuerrecht? (2004), S. 6 f. 278 Vgl. Lehner in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 7.
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Allgemeiner verfassungsrechtlicher Rahmen
belastende Durchbrechung des gleichheitsrechtlich verankerten objektiven Nettoprinzips ist gleichbedeutend mit einer steuerverschärfend wirkenden Durchbrechung der Belastungsgrundentscheidung. Eine derartige freiheitsrechtliche Absicherung des objektiven Nettoprinzips kombiniert die Stärken des gleichheitsrechtlichen und des freiheitsrechtlichen Prüfungsmaßstabs, ohne sich von der tradierten Grundrechtsdogmatik zu lösen. Die relativ genauen – wenn auch durchsetzungsschwachen – Vorgaben des gleichheitsrechtlich verankerten objektiven Nettoprinzips dienen im Rahmen der freiheitsrechtlichen Prüfung als „Nulllinie“ für die Identifizierung des eigenständig rechtfertigungsbedürftigen Teils der Steuerbelastung. Da insofern nur ein über den reinen Fiskalzweck hinausgehender Zweck in Frage kommt, bietet sich – anders als bezüglich der Belastungsgrundentscheidung – ein Ansatzpunkt für eine originäre freiheitsrechtliche Prüfung am Maßstab der Verhältnismäßigkeit (Geeignetheit, Erforderlichkeit, Angemessenheit). Dennoch wird eine Vermengung von gleich- und freiheitsrechtlichen Aspekten vermieden und klar zwischen der gleichheits- und der freiheitsrechtlichen Prüfung unterschieden. Gegenüber einer strengen Verhältnismäßigkeitskontrolle im Rahmen der gleichheitsrechtlichen Prüfung hat der vorgeschlagene Ansatz zudem den Vorteil, die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers zu schonen. Denn im Rahmen der freiheitsrechtlichen Prüfung greift die eigenständige Verhältnismäßigkeitskontrolle anhand eines über den Fiskalzwecks hinausgehenden Gemeinwohlbelangs nur bei steuerverschärfenden Abweichungen von der Belastungsgleichheit. Die Möglichkeit, das Steuerrecht durch den Erlass steuervergünstigender Lenkungsnormen zur Verfolgung politischer Ziele zu instrumentalisieren, bleibt hiervon unberührt. Steuervergünstigungen bilden den bedeutendsten Teil einkommensteuerlicher Lenkungsnormen,279 während belastende Lenkungsnormen im Einkommensteuerrecht die seltene Ausnahme sind.280 b) Freiheitsrechtliche Dimension der Steuerfreiheit des Existenzminimums In seiner freiheitsrechtlichen Dimension setzt der Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums dem staatlichen Steuerzugriff eine absolute Grenze. Einem Steuerpflichtigen, dessen Einkommen vor Steuern ausreicht, um seine existenznotwendigen Aufwendungen zu decken, muss nach Steuern unabhängig von Fragen der Gleichbelastung mindestens sein Existenzminimum belassen werden. Sofern das Einkommen eines Steuerpflichtigen 279 Vgl. Osterloh in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 390. 280 Vgl. Osterloh in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 392.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
schon vor Steuern nicht zur Bestreitung des Existenzminimums ausreicht, so darf er durch eine Besteuerung zumindest nicht noch tiefer in die staatliche Abhängigkeit getrieben werden. Das Existenzminimum bildet die Untergrenze für den Zugriff durch die Einkommensteuer.281 Andererseits schützt der Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums in seiner freiheitsrechtlichen Dimension nicht davor, dass das Einkommen bis zur Höhe des Existenzminimums abgeschöpft wird.282
Einkommen
Die Steuerpflichtigen A, B, C und D haben jeweils existenzsichernden Aufwand i.H.v. 10.000 €. Das Einkommen des A beläuft sich auf 40.000 €, das des B auf 20.000 € und das des C auf 10.000 €. D verdient nur 5.000 € und ist auf Sozialhilfe angewiesen.
Maximaler Steuerzugriff
30 T€ Sozialhilfe
10 T€
Existenzminimum
5 T€ 10 T€
10 T€
10 T€
A
B
C
5 T€ D
Abbildung 17 Freiheitsrechtliche Dimension des Grundsatzes der Steuerfreiheit des Existenzminimums
Die Bemessung des einkommensteuerrechtlich maßgeblichen Existenzminimums richtet sich nach dem im Sozialhilferecht niedergelegten Leistungsniveau: „Das Sozialhilferecht bietet eine das Existenzminimum quantifizierende Vergleichsebene: Das von der Einkommensteuer zu verschonende Existenzminimum darf den Betrag, den der Staat einem Bedürftigen im Rahmen staatlicher Fürsorge gewährt, jedenfalls nicht unterschreiten.“283
Eine Verletzung des Grundsatzes der Steuerfreiheit des Existenzminimums ist aufgrund seiner Verankerung in der Menschenwürdegarantie, Art. 1 Abs. 1 GG, kaum zu rechtfertigen. Ein zielgerichteter Eingriff – etwa mittels einer Lenkungsnorm – ist generell unzulässig. Auch für die Befugnis des Gesetzgebers zur Typisierung und Pauschalierung gelten verschärfte Anfor281 BVerfG v. 25.09.1992 - 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91, BVerfGE 87, S. 169 f.; BVerfG v. 16.03.2005 - 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, S. 281. 282 Vgl. Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer (1988), S. 195. 283 BVerfG v. 10.11.1998 - 2 BvL 42/93, BVerfGE 99, S. 259.
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Allgemeiner verfassungsrechtlicher Rahmen
derungen. Es bleibt dem Gesetzgeber zwar grundsätzlich überlassen, auf welche Weise er den existenzsichernden Grundbedarf berücksichtigt. Er kann beispielsweise das sächliche Existenzminimum verallgemeinernd in einem einheitlichen Betrag ausdrücken,284 wie dies gegenwärtig im Grundfreibetrag des Einkommensteuertarifs geschieht. Wenn der Gesetzgeber aus Gründen der Praktikabilität auf eine solche vergröbernde Lösung zurückgreift, hat er allerdings dafür Sorge zu tragen, dass möglichst in allen Fällen der existenzsichernde Bedarf abgedeckt ist.285 Das bedeutet, dass bei einer typisierenden Regelung, die das Existenzminimum betrifft, der Spielraum für eine Streuungenauigkeit bei der Erfassung des typischen Falls gegenüber der allgemeinen Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers drastisch reduziert ist. Angesichts der regional sehr unterschiedlichen Lebenshaltungskosten hat es das BVerfG beispielsweise ausdrücklich ausgeschlossen, dass sich der Gesetzgeber bei der Bemessung des Existenzminimums an einem Durchschnittswert orientiert, der in einer größeren Zahl von Fällen nicht ausreichen würde.286 c) Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG Es ist unstrittig, dass die Auferlegung von Geldleistungspflichten einen Freiheitseingriff darstellt.287 Das BVerfG hat die freiheitsrechtliche Relevanz des Entzugs von Geld mit einem literarischen Zitat beschrieben: „Geld ist geprägte Freiheit“.288 Sofern man entgegen der neuen Rechtsprechung des 2. Senats des BVerfG eine Eröffnung des Schutzbereiches des Art. 14 GG weiterhin ablehnt,289 stellt die Belastung mit der Verpflichtung zur Zahlung von Einkommensteuer zumindest einen Eingriff in den Schutzbereich der
284 BVerfG v. 29.05.1990 - 1 BvL 20, 26, 184 und 4/86, BVerfGE 82, S. 91; BVerfG v. 25.09.1992 - 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91, BVerfGE 87, S. 169 f. 285 BVerfG v. 29.05.1990 - 1 BvL 20, 26, 184 und 4/86, BVerfGE 82, S. 91; BVerfG v. 25.09.1992 - 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91, BVerfGE 87, S. 172. Demgegenüber ging BVerfG v. 14.06.1994 - 1 BvR 1022/88, BVerfGE 91, S. 114 f. hinsichtlich der Unterschreitung des Existenzminimums im Rahmen einer pauschalierenden Regelung von einem Toleranzwert von 15 % aus. Diese Entscheidung relativiert jedoch ausdrücklich BVerfG v. 10.11.1998 - 2 BvL 42/93, BVerfGE 99, S. 262 f. 286 BVerfG v. 29.05.1990 - 1 BvL 20, 26, 184 und 4/86, BVerfGE 82, S. 91. 287 Vgl. beispielsweise Vogel in: Geis/Lorenz, Staat Kirche Verwaltung (2001), S. 299; Mellinghoff, Stbg 2005, S. 6; Kirchhof in: Merten (Hrsg.), Grundfragen der Grundrechtsdogmatik (2007), S. 52. 288 BVerfG v. 31.03.1998, 2 BvR 1877/97, 2 BvR 50/98, BVerfGE 350, 371. Das Zitat stammt aus der Erzählung „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“ von Fjodor Michailowitsch Dostojewski. 289 So beispielsweise Wernsmann, NJW 2006, S. 1172.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
allgemeinen Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG, dar.290 Folgt man hingegen der neuen Linie des 2. Senats des BVerfG, so tritt Art. 2 GG als subsidiäres Grundrecht hinter die Eigentumsgarantie zurück.291 Wie bereits oben dargelegt, wird in dieser Untersuchung der Ansicht des 2. Senats des BVerfG gefolgt, weshalb zur Konkretisierung der freiheitsrechtlichen Vorgaben für die Verlustverrechnung nachfolgend auf die Eigentumsgarantie abgestellt wird. Am Ergebnis würde sich aber auch bei einem Abstellen auf Art. 2 Abs. 1 GG nichts ändern. Der Streit um die Abgrenzung des Schutzbereichs wäre nur dann relevant, wenn sich der Rechtfertigungsaufwand für einen Eingriff in Art. 14 GG von demjenigen für einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit unterscheiden würde. Dies ist jedoch nach der Aufgabe des Halbteilungsgrundsatzes, der maßgeblich aus Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG abgeleitet wurde und damit der Kontrolle am Maßstab der Eigentumsgarantie eigen war,292 nicht der Fall. In beiden Fällen erfolgt daher eine klassische freiheitsrechtliche Verhältnismäßigkeitskontrolle nach den gleichen Kriterien. Allein der Umstand, dass Art. 14 GG ein spezielleres Grundrecht ist, bedeutet nicht, dass dem Grundrechtseingriff im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ein höheres Gewicht beizumessen wäre.293 Die praktische Bedeutung der im Urteil vom 18.01.2006 angesprochenen Schutzbereichsfragen ist daher begrenzt.294 Mit einem Abstellen auf Art. 2 Abs. 1 GG anstelle von Art. 14 Abs. 1 GG wäre keine Verkürzung verfassungsrechtlicher Freiheitsgarantien verbunden.295
290 BVerfG v. 05.02.2002 - 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, BVerfGE 105, S. 32. 291 Vgl. Starck in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. 1 (2005), Art. 2 Rn. 79; Lang in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 2 Rn. 30. 292 Dies gilt zumindest dann, wenn man den Halbteilungsgrundsatz als Ausprägung des Übermaßverbots ansieht. Bei einer Ableitung aus der Institutsgarantie des Eigentums wäre ein Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG hingegen keine Voraussetzung für die Anwendung des Halbteilungsgrundsatzes gewesen, vgl. Möstl, DStR 2003, S. 725 f. 293 Vgl. BVerfG v. 05.02.2002 - 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, BVerfGE 105, S. 32; BVerfG v. 18.01.2006 - 2 BVR 2194/99, BVerfGE 115, S. 114 f.; Vogel in: Geis/Lorenz, Staat Kirche Verwaltung (2001), S. 299. A.A. ohne nähere Begründung Beyer, Die Freiheitsrechte, insbesondere die Eigentumsfreiheit, als Kontrollmaßstab für die Einkommensbesteuerung (2004), S. 79. 294 Vgl. Papier, DStR 2007, S. 974. 295 So ausdrücklich BVerfG v. 05.02.2002 - 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, BVerfGE 105, S. 32.
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Allgemeiner verfassungsrechtlicher Rahmen
3. Zusammenfassung Der allgemeine Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG, wird im Steuerrecht durch den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit konkretisiert. Im Hinblick auf die Ausgestaltung der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage wird das Leistungsfähigkeitsprinzip wiederum durch das Gebot der Folgerichtigkeit und das objektive Nettoprinzip konkretisiert. Das objektive Nettoprinzip besagt, dass als Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer nur der positive Saldo der Erwerbseinnahmen und Erwerbsausgaben dienen darf. Durchbrechungen des objektiven Nettoprinzips sind gleichheitsrechtlich rechtfertigungsbedürftig. Hierfür ist erforderlich, dass die Abweichung vom objektiven Nettoprinzip auf einem besonderen sachlichen Grund beruht. Eine freiheitsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung ist nicht durchzuführen. Die Belastung mit Einkommensteuer stellt eine Inhalts- und Schrankenbestimmung i.S.v. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG dar. Soweit die Steuerbelastung die Belastungsgrundentscheidung nicht übersteigt, ist der Eingriff in Art. 14 GG durch den Fiskalzweck legitimiert. Aufgrund der Eigenart des Fiskalzwecks setzt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Besteuerungsgewalt des Staates insofern zumindest nach dem derzeitigen Stand der verfassungsrechtlichen Dogmatik nur äußert weite Grenzen. Steuerverschärfende Abweichungen von der Belastungsgrundentscheidung können hingegen nur durch einen über den Fiskalzweck hinausgehenden legitimen Zweck gerechtfertigt werden. Insofern ist eine effektive Verhältnismäßigkeitskontrolle möglich. Das Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums hat eine gleichheitsund eine freiheitsrechtliche Dimension. In seiner gleichheitsrechtlichen Dimension gebietet es, existenzsichernden Aufwand von der Besteuerung freizustellen. Die freiheitsrechtliche Dimension des Grundsatzes der Steuerfreiheit des Existenzminimums besagt demgegenüber, dass dem Steuerpflichtigen, der vor Steuern seinen Lebensunterhalt aus seinem Einkommen bestreiten kann, auch nach Steuern das für ein menschenwürdiges Dasein Notwendige als absoluter Betrag verbleiben muss.
II. Körperschaftsteuer Der bei der Ausgestaltung der Einkommensteuer zu beachtende verfassungsrechtliche Rahmen kann zu einem großen Teil auf die Körperschaftsteuer übertragen werden. Allerdings sind einige Modifikationen erforderlich, die den Besonderheiten des Körperschaftsteuerrechts Rechnung tragen. Dass im Ausgangspunkt auf die für die Einkommensteuer gewonnenen Ergebnisse zurückgegriffen werden kann, beruht auf der strukturellen Identität von Ein169
Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
kommen- und Körperschaftsteuer in zwei zentralen Punkten. Erstens belasten beide Steuern den Ist-Ertrag. Dass es sich bei der Körperschaftsteuer um die „Einkommensteuer der Körperschaften“296 und nicht um eine eigenständige Steuerart handelt, zeigt sich insbesondere daran, dass das Körperschaftsteuerrecht keinen eigenständigen Einkommensbegriff kennt. Vielmehr verweist § 8 Abs. 1 KStG insofern auf die entsprechenden Vorschriften des Einkommensteuerrechts, die im KStG lediglich durch einige Sondervorschriften ergänzt werden, ohne den Einkommensbegriff inhaltlich zu ändern.297 Zweitens sind sowohl die Einkommen- als auch die Körperschaftsteuer als Personen- bzw. Subjektsteuern ausgestaltet.298 Personensteuern sind dadurch gekennzeichnet, dass die Person des Steuerpflichtigen im Mittelpunkt der Besteuerung steht.299 Der Steuergegenstand wird dem Steuersubjekt zugerechnet und bei diesem unter Berücksichtigung seiner individuellen Verhältnisse besteuert.300 Demgegenüber belasten Objektsteuern ihren Steuergegenstand ohne Ansehen des Steuersubjekts.301 Übertragen auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer bedeutet dies, dass sich deren Charakterisierung als Personensteuern daraus ergibt, dass beide Steuern das Einkommen des Steuerpflichtigen belasten, §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 EStG sowie § 1 Abs. 1-2, 7 Abs. 1 KStG, und nicht etwa die Ertragskraft einer bestimmten Einkunftsquelle. Der entscheidende Unterschied zwischen Einkommen- und Körperschaftsteuer liegt beim Steuersubjekt: Der Einkommensteuer unterliegt das Einkommen der natürlichen Personen, der Körperschaftsteuer – im Wesentlichen302 – dasjenige der juristischen Personen. Daraus folgt, dass die Übertragbarkeit des für die Einkommensteuer geltenden verfassungsrechtlichen Rahmens auf die Körperschaftsteuer maßgeblich anhand von Art. 19 Abs. 3 GG beurteilt werden muss. Nach dieser Vorschrift gelten die Grundrechte für inländische juristische Personen, sofern sie ihrem Wesen nach auf sie anwendbar sind. Anerkanntermaßen können sich auch juristische Personen auf den allgemeinen Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG, sowie auf die Eigen-
296 Vgl. BVerfG v. 24.06.1986 - 2 BvF 1/83, 2 BvF 5/83, 2 BvF 6/83, 2 BvF 1/85, 2 BvF 2/85, BVerfGE 72, S. 407. 297 BVerfG v. 07.11.1972 - 1 BvR 338/68, BVerfGE 34, S. 116. 298 Vgl. Jakob, Einkommensteuer (2008), S. 1; Scheffler, Besteuerung von Unternehmen I: Ertrag-, Substanz- und Verkehrsteuern (2007), S. 32; Hey in: Tipke (Hrsg.), Gedächtnisschrift Trzaskalik (2005), S. 223. 299 Vgl. Loritz, Einkommensteuerrecht (1988), S. 5. 300 Vgl. Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer (2008), S. 9. 301 Vgl. Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer (2008), S. 9. 302 Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 KStG.
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Allgemeiner verfassungsrechtlicher Rahmen
tumsgarantie, Art. 14 Abs. 1 GG, berufen.303 Offensichtlich nicht entsprechend anwendbar sind hingegen Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG. Daraus folgt, dass nur solche verfassungsrechtlichen Schranken der Einkommensbesteuerung nicht auf die Körperschaftsteuer übertragen werden können, die sich aus der Menschenwürdegarantie sowie dem Schutz von Ehe und Familie ableiten. Konkret kann sich eine juristische Person nicht auf die Steuerfreiheit des Existenzminimums berufen.304 Insbesondere das Leistungsfähigkeitsprinzip und das objektive Nettoprinzip als Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes, Art. 3 Abs. 1 GG, sind jedoch auch bei der Ausgestaltung der Körperschaftsteuer zu beachten.305 Dieser Befund ist – auch wenn dies zunächst paradox erscheint – unabhängig von der kontrovers diskutierten Frage, ob juristischen Personen in Gestalt von Kapitalgesellschaften eine eigenständige, von ihren Gesellschaftern unabhängige Leistungsfähigkeit zukommt.306 Im Kern geht es bei dieser Debatte nämlich um die Frage, ob eine Doppelbelastung ausgeschütteter Gewinne mit Körperschaft- und Einkommensteuer zulässig ist. Selbst wenn man dies verneint,307 muss man aber nicht zwingend zu dem Ergebnis kommen, dass Kapitalgesellschaften im Sinne einer Teilhabersteuer – wie heute schon Personengesellschaften – als steuerlich transparent zu behandeln sind und eine Besteuerung nur noch bei den Teilhabern erfolgen darf. Eine Doppelbelastung ausgeschütteter Gewinne kann beispielsweise auch durch eine Anrechnung der Körperschaftsteuer auf die Einkommensteuer vermieden werden.308 In diesem Fall bleibt die Kapitalgesellschaft eigenständiges Steuersubjekt und wird zunächst mit ihrem Einkommen zur Körperschaftsteuer herangezo303 Vgl. Lang/Englisch, StuW 2005, S. 6; Witt, Die Konzernbesteuerung (2006), S. 414; Fischer, FR 2007, S. 284; Hey, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 110. 304 Vgl. Eckhoff in: Kirchhof/Graf Lambsdorff/Pinkwart (Hrsg.), Perspektiven eines modernen Steuerrechts (2005), S. 31; Lang/Englisch, StuW 2005, S. 6; Fischer, FR 2007, S. 284. 305 Vgl. BVerfG v. 07.11.1972 - 1 BvR 338/68, BVerfGE 34, S. 116; Lang in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 58; Crezelius, DB 2002, S. 2614 f.; Lehner in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 22; Hennrichs, StuW 2002, S. 205; Lang/Englisch, StuW 2005, S. 6; Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 42 f.; Witt, Die Konzernbesteuerung (2006), S. 415; Tipke, StuW 2007, S. 210; Heger, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 118. 306 Nachweis bei Hey in: Tipke (Hrsg.), Gedächtnisschrift Trzaskalik (2005), S. 223. Vgl. dazu auch 2. Teil B. III. 1. c). 307 Gegen eine ungeminderte Doppelbelastung spricht insbesondere, dass aus ökonomischer Sicht Kapitalgesellschaften lediglich ein Instrument der Unternehmenseigner zur Einkommenserzielung darstellen, vgl. Maiterth/Müller, DStR 2006, S. 1862. 308 Vgl. Hey, Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung in Europa (1997), S. 291 ff.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
gen. Dies macht deutlich, dass zwei getrennte Problemkreise vorliegen. Der erste Problemkreis betrifft die Anwendbarkeit des Leistungsfähigkeitsprinzips und des objektiven Nettoprinzips als Maßstab für eine gleichmäßige Besteuerung i.S.v. Art. 3 Abs. 1 GG auf Gesellschaftsebene. Im Mittelpunkt des zweiten Problemkreises steht die Frage, ob Kapitalgesellschaften über eine eigenständige, gegenüber ihren Gesellschaftern abgeschirmte Leistungsfähigkeit verfügen, die eine doppelte steuerliche Belastung von Kapitalgesellschaftsgewinnen bei der Gesellschaft und den Anteilseignern rechtfertigt, oder ob vielmehr die Vorbelastung mit Körperschaftsteuer bei der Besteuerung der Anteilseigner berücksichtigt werden muss. Beide Fragestellungen sind strikt zu trennen.309 Die Antwort auf die Frage, welche verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Ausgestaltung der Verlustverrechnung auf Gesellschaftsebene bestehen, ist dem ersten Problemkreis zu entnehmen. Da Kapitalgesellschaften de lege lata als eigenständige Grundrechtsträger, Art. 19 Abs. 3 GG, selbst zur Besteuerung herangezogen werden, § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG, müssen sie sich auch selbst auf den allgemeinen Gleichheitssatz und die Freiheitsrechte berufen können.310 Anderenfalls käme es zu einer Lücke im Grundrechtsschutz, da es den Gesellschaftern wegen des Verbots der Prozessstandschaft nicht möglich ist, Grundrechtsverstöße bei der Besteuerung auf Gesellschaftsebene zu rügen.311 Daraus folgt, dass insofern auch das Leistungsfähigkeitsprinzip und das objektive Nettoprinzip im Körperschaftsteuerrecht Beachtung finden müssen. Dass eine Kapitalgesellschaft kein Zuordnungsobjekt subjektiver Leistungsfähigkeit sein kann, steht diesem Befund nicht entgegen. Auf der Ebene der Kapitalgesellschaft wird in einem ersten Schritt ausschließlich objektive Leistungsfähigkeit nach objektiven Kriterien erfasst. Insofern muss hinsichtlich der Wahrung von Belastungsgleichheit auf die Kapitalgesellschaft und nicht auf die Anteilseigner abgestellt werden.312 Sobald die Gewinne der Kapitalgesellschaft an natürliche Personen als Anteilseigner ausgeschüttet werden, kann in einem zweiten Schritt deren subjektive Leis309 Vgl. Hey, Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung in Europa (1997), S. 119. 310 Vgl. Sieker in: Seeger (Hrsg.), Perspektiven der Unternehmensbesteuerung (2002), S. 155; Witt, Die Konzernbesteuerung (2006), S. 414. Eine abweichende Beurteilung würde sich dann ergeben, wenn ein Systemwechsel in der Besteuerung von Kapitalgesellschaften hin zum Modell der sog. Teilhabersteuer erfolgen würde, vgl. dazu 2. Teil B. III. 1. c) bb). Da dann Kapitalgesellschaften steuerlich transparent wären, würden sie als Träger objektiver Leistungsfähigkeit ausscheiden. 311 Vgl. beispielsweise BVerfG v. 30.05.2007 - 1 BvR 1267/06, 1 BvR 1280/06, NJW 2007, 3266, 3267. 312 Vgl. Jachmann, Steuergesetzgebung zwischen Gleichheit und wirtschaftlicher Freiheit (2000), S. 17; Fischer, FR 2007, S. 284; Drüen, GmbHR 2008, S. 397.
172
Allgemeiner verfassungsrechtlicher Rahmen
tungsfähigkeit berücksichtigt werden.313 Mittlerweile hat auch das BVerfG ausdrücklich klargestellt, dass infolge der vom Steuerrecht anerkannten zivilrechtlichen Abschirmung der Vermögenssphäre gegenüber den Anteilseignern der Kapitalgesellschaft eine eigenständige, objektive Leistungsfähigkeit zukommt.314
III.
Gewerbesteuer
Der Gewerbesteuer wird von vielen Seiten bereits die Existenzberechtigung abgesprochen. Zahlreiche Stimmen in der Literatur halten ihre Erhebung neben der Einkommen- und Körperschaftsteuer für verfassungswidrig.315 Darüber hinaus wird die Abschaffung der Gewerbesteuer auch aus wirtschaftspolitischen Gründen befürwortet.316 Da aber das BVerfG die Erhebung der Gewerbesteuer wiederholt für verfassungskonform erklärt hat317 und auch ein politischer Wille zu ihrer Abschaffung nicht erkennbar ist, muss die Existenz der Gewerbesteuer auf absehbare Zeit als steuerliche Realität akzeptiert werden. Die Herausarbeitung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Gewerbesteuer wird dadurch erschwert, dass der Gesetzgeber ihre Struktur in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend verändert hat, ohne sie auch konzeptionell auf eine neue Grundlage zu stellen. Die Gewerbesteuer ist als Objektsteuer konzipiert und wurde ursprünglich äquivalenztheoretisch begründet.318 Sie sollte die Lasten ausgleichen, die den Gemeinden aus der Präsenz von Gewerbebetrieben auf ihrem Gebiet erwuchsen.319 Zu diesem Zweck wurde das Steuerobjekt „Gewerbebetrieb“ mittels der Besteuerungsmerkma313 Hey spricht insofern von einer zumindest vorläufigen objektiven Leistungsfähigkeit der Kapitalgesellschaft bis zum Zeitpunkt der Gewinnausschüttung, vgl. Hey, Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung in Europa (1997), S. 256. Gleichsinnig Drüen, GmbHR 2008, S. 395. 314 Vgl. BVerfG v. 21.06.2006 - 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, S. 199. 315 Vgl. beispielsweise Jachmann, BB 2000, S. 1433; Montag in: Tipke/Lang, Steuerrecht (2009), S. 468 f. Ausführlicher Nachweis zudem bei Tipke, Die Steuerrechtsordnung 2 (2003), S. 1139 f. 316 Vgl. beispielsweise Stellungnahme von Univ.-Prof. Dr. jur. habil. Karl-Georg Loritz für die öffentliche Anhörung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages zu dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen „Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 (Drucksache 16/4841)“ und zu weiteren Anträgen am Montag, dem 25. April 2007, S. 9 f. Abrufbar unter: http://www.bundestag.de/ausschues se/a07/anhoerun gen/056/ste llungnahmen/45-prof__dr__loritz.pdf. 317 Vgl. zuletzt BVerfG v. 15.01.2008 - 1 BvL 2/04, DStRE 2008, 1003 ff. 318 Vgl. BT-Drs. VI/3418, S. 51. 319 Vgl. BVerfG v. 15.01.2008 - 1 BvL 2/04, DStRE 2008, S. 1006.
173
Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
le Ertrag, Kapital und Lohnsumme erfasst. Nach dem Wegfall der Lohnsumme320 und des Gewerbekapitals321 ist Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer mittlerweile allerdings nur noch der Gewerbeertrag gemäß § 6 GewStG. Dabei handelt es sich um den einkommen- bzw. körperschaftsteuerlichen Gewinn aus Gewerbebetrieb, § 7 Abs. 1 GewStG, der durch spezielle gewerbesteuerliche Hinzurechnungen und Kürzungen modifiziert wird, §§ 8, 9 GewStG. Infolge dieser Veränderungen wird die Gewerbesteuer nunmehr vom BVerfG als eine „objektivierte Ertragsteuer“ qualifiziert.322 Die Gewerbesteuer ist folglich mit der Einkommen- und Körperschaftsteuer strukturell insofern identisch, als es sich im Ausgangspunkt ebenfalls um eine Steuer auf den Ist-Ertrag handelt. Was die Gewerbesteuer von den beiden anderen Ertragsteuern grundlegend unterscheidet, ist ihre Ausgestaltung als Objektsteuer. Steuergegenstand ist der modifizierte Ist-Ertrag des Steuerobjekts Gewerbebetrieb, der unabhängig von den individuellen Verhältnissen des Unternehmers belastet wird, dem der Gewerbebetrieb zuzuordnen ist. Nach einer Ansicht in der Literatur hat der Wandel der Gewerbesteuer hin zu einer Sonderertragsteuer für gewerbliche Einkünfte in Verbindung mit der Beteiligung des Bundes und der Länder am Gewerbesteueraufkommen323 der ohnehin problematischen äquivalenztheoretischen Rechtfertigung der Gewerbesteuer die Grundlage entzogen.324 Als Konsequenz müsse die Gewerbesteuer ebenfalls am Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ausgerichtet sein.325 Dem könne die Steuer aber nicht genügen, da sie gewerbliche Einkünfte ohne sachliche Rechtfertigung einer Sonderbelastung unterwerfe.326 Das BVerfG ist dieser Ansicht in seiner Entscheidung vom 15.01.2008 zwar nicht gefolgt, kam aber nicht umhin, dem strukturellen Wandel der Gewerbesteuer Rechnung zu tragen. Die vermittelnde Lösung des BVerfG bestand darin, einerseits an der äquivalenztheoretischen Rechtfertigung der Gewerbesteuer festzuhalten, andererseits aber den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit zum Maßstab für die Gleichbelastung innerhalb der Gruppe der Gewerbesteuerpflichtigen zu erklären. Äquivalenztheoretische Gesichtspunkte erachtete das BVerfG nach wie vor 320 Durch das Steueränderungsgesetz 1979 v. 30.11.1978, BGBl. I 1979, S. 1849. 321 Durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmensteuerreform v. 29.10.1997, BGBl. I 1997, S. 2590. 322 BVerfG v. 15.01.2008 - 1 BvL 2/04, DStRE 2008, S. 1007. 323 Durch die Einführung der Gewerbesteuerumlage 1969. 324 Vgl. Gosch, DStZ 1998, S. 328 f. Montag in: Tipke/Lang, Steuerrecht (2009), S. 468. 325 Vgl. Gosch, DStZ 1998, S. 328 f.; Jachmann, BB 2000, S. 1433; Montag in: Tipke/Lang, Steuerrecht (2009), S. 468. 326 Vgl. Jachmann, BB 2000, S. 1433; Montag in: Tipke/Lang, Steuerrecht (2009), S. 468 f.
174
Allgemeiner verfassungsrechtlicher Rahmen
als tragfähige Begründung für die Sonderbelastung von Gewerbetreibenden durch die Nichteinbeziehung der freien Berufe und der Land- und Forstwirte in die Gewerbesteuer.327 Allerdings kommt das Äquivalenzprinzip auch nach Ansicht des BVerfG als Maßstab für die gleichmäßige Belastung der Gewerbesteuersubjekte nicht mehr in Betracht. Stattdessen hat das Gericht ausdrücklich den im Einkommensteuerrecht entwickelten Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit auch im Gewerbesteuerrecht für anwendbar erklärt: „Im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit ist der Gesetzgeber gehalten, die gesetzliche Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne von Belastungsgleichheit umzusetzen […]. Steuerpflichtige sind bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern […]. Diese Grundsätze wurden vom Bundesverfassungsgericht aus dem Gebot der Steuergerechtigkeit vornehmlich für das Recht der Einkommensteuer entwickelt […] und auf die Bereiche der Vermögen- und Erbschaftsteuer übertragen […]. Sie gelten in gleicher Weise für die Gewerbesteuer, die nach ihrer gesetzlichen Ausgestaltung die objektivierte Ertragskraft der Gewerbebetriebe erfasst“ [Hervorh. d. Verf.].328
Daraus folgt, dass der für die Einkommensteuer verbindliche verfassungsrechtliche Rahmen im gleichen Umfang auf die Gewerbesteuer übertragbar ist wie im Fall der Körperschaftsteuer. Steuersubjekt der Gewerbesteuer ist gemäß § 5 Abs. 1 GewStG der Unternehmer. Dabei kommt als möglicher Grundrechtsträger eine natürliche Person, eine juristische Person und – als gewerbesteuerliche Besonderheit – eine Personengesellschaft329 in Frage. Insbesondere dem objektiven Nettoprinzip ist auch im Gewerbesteuerrecht Rechnung zu tragen.330 Hingegen sind Vorgaben, die sich auf die persönlichen Verhältnisse der Steuerpflichtigen beziehen, nicht auf die Gewerbe327 BVerfG v. 15.01.2008 - 1 BvL 2/04, DStRE 2008, S. 1006: „Die beschriebenen Unterschiede zwischen dem Typus des freien Berufs und dem des Gewerbetreibenden stehen in sachlichem Bezug zu der äquivalenztheoretischen Begründung der Gewerbesteuer. Dieser Gedanke vermag auch heute noch zur Rechtfertigung der Gewerbesteuer beizutragen. Die gewerbesteuerliche Unterscheidung zwischen freien Berufen und Gewerbebetrieben erweist sich auch mit Blick hierauf als nicht willkürlich. […] Als allgemeiner Ausgangspunkt für die innere Rechtfertigung der Gewerbesteuer hat der Gedanke, dass die Gewerbesteuer einen pauschalen Ausgleich für die besonderen Infrastrukturlasten bietet, die durch die Ansiedlung von Gewerbebetrieben verursacht werden, nach wie vor Bestand.“ 328 BVerfG v. 15.01.2008 - 1 BvL 2/04, DStRE 2008, S. 1008. 329 Da Personengesellschaften als juristische Personen i.S.v. Art. 19 Abs. 3 GG qualifiziert werden können (vgl. Huber in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. 1 (2005), Art. 19 Rn. 248; Enders in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 19 Rn. 35 m.w.N.), können sie auch im Rahmen der Gewerbesteuer als Grundrechtsträger fungieren. 330 Vgl. BFH v. 27.01.2006 - VIII B 179/05, BFH/NV 2006, S. 1151; FG München v. 31.07.2008 - 8 V 1588/08, DStRE 2009, S. 101; Lang/Englisch, StuW 2005, S. 14.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
steuer übertragbar, da sich die Leistungsfähigkeit im Rahmen der Gewerbesteuer ausschließlich in der objektivierten Ertragskraft des Gewerbebetriebs konkretisiert.331
B. Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben Nach der Darstellung des allgemeinen verfassungsrechtlichen Rahmens sollen im Folgenden daraus spezifische Vorgaben für die Ausgestaltung der Verlustverrechnung abgeleitet werden. Wie im ersten Teil der Untersuchung gezeigt wurde, können drei Dimensionen der Verlustverrechnung unterschieden werden: die intraperiodische, die interperiodische und die intersubjektive Verlustverrechnung.332 Da sich für jede Verlustverrechnungsdimension spezifische verfassungsrechtliche Fragestellungen ergeben, wird diese Einteilung auch der nachfolgenden Untersuchung zugrunde gelegt. In einem ersten Schritt werden die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die intraperiodische Verlustverrechnung konkretisiert. Auf der Grundlage der dabei gefundenen Ergebnisse werden anschließend die Besonderheiten der interperiodischen und intersubjektiven Verlustverrechnung in den Blick genommen. Keine Differenzierung erfolgt demgegenüber hinsichtlich der drei untersuchten Ertragsteuerarten. Da die gleichheitsrechtlichen und – abgesehen von der Steuerfreiheit des Existenzminimums – auch die freiheitsrechtlichen Rahmenbedingungen für Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer identisch sind, können die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Verlustverrechnung steuerartenübergreifend erörtert werden. Nur dort, wo steuerartspezifische Besonderheiten bestehen, wird auf die einzelnen Steuerarten gesondert eingegangen.
I. Intraperiodische Verlustverrechnung 1. Gleichheitsrechtliche Vorgaben für die intraperiodische Verlustverrechnung Entsprechend der zweigliedrigen Struktur des allgemeinen Gleichheitssatzes ist zunächst zu untersuchen, inwieweit Beschränkungen der intraperiodischen Verlustverrechnung als rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung zu qualifizieren sind. In einem zweiten Schritt wird der Frage nachgegangen, unter welchen Voraussetzungen etwaige Ungleichbehandlungen im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG als gerechtfertigt angesehen werden können.
331 BVerfG v. 21.06.2006 - 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, S. 185. 332 Vgl. 1. Teil A. II.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
steuer übertragbar, da sich die Leistungsfähigkeit im Rahmen der Gewerbesteuer ausschließlich in der objektivierten Ertragskraft des Gewerbebetriebs konkretisiert.331
B. Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben Nach der Darstellung des allgemeinen verfassungsrechtlichen Rahmens sollen im Folgenden daraus spezifische Vorgaben für die Ausgestaltung der Verlustverrechnung abgeleitet werden. Wie im ersten Teil der Untersuchung gezeigt wurde, können drei Dimensionen der Verlustverrechnung unterschieden werden: die intraperiodische, die interperiodische und die intersubjektive Verlustverrechnung.332 Da sich für jede Verlustverrechnungsdimension spezifische verfassungsrechtliche Fragestellungen ergeben, wird diese Einteilung auch der nachfolgenden Untersuchung zugrunde gelegt. In einem ersten Schritt werden die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die intraperiodische Verlustverrechnung konkretisiert. Auf der Grundlage der dabei gefundenen Ergebnisse werden anschließend die Besonderheiten der interperiodischen und intersubjektiven Verlustverrechnung in den Blick genommen. Keine Differenzierung erfolgt demgegenüber hinsichtlich der drei untersuchten Ertragsteuerarten. Da die gleichheitsrechtlichen und – abgesehen von der Steuerfreiheit des Existenzminimums – auch die freiheitsrechtlichen Rahmenbedingungen für Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer identisch sind, können die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Verlustverrechnung steuerartenübergreifend erörtert werden. Nur dort, wo steuerartspezifische Besonderheiten bestehen, wird auf die einzelnen Steuerarten gesondert eingegangen.
I. Intraperiodische Verlustverrechnung 1. Gleichheitsrechtliche Vorgaben für die intraperiodische Verlustverrechnung Entsprechend der zweigliedrigen Struktur des allgemeinen Gleichheitssatzes ist zunächst zu untersuchen, inwieweit Beschränkungen der intraperiodischen Verlustverrechnung als rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung zu qualifizieren sind. In einem zweiten Schritt wird der Frage nachgegangen, unter welchen Voraussetzungen etwaige Ungleichbehandlungen im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG als gerechtfertigt angesehen werden können.
331 BVerfG v. 21.06.2006 - 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, S. 185. 332 Vgl. 1. Teil A. II.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
a) Rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung Auf den ersten Blick scheint es evident zu sein, dass Verlustverrechnungsbeschränkungen Rechtfertigungsbedarf vor Art. 3 Abs. 1 GG auslösen. Steuerpflichtige, die einen Verlust erlitten haben, werden gemeinhin als weniger leistungsfähig angesehen werden müssen als Steuerpflichtige ohne Verluste.333 Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass im Einzelnen heftig umstritten ist, wann eine Beschränkung der intraperiodischen Verlustverrechnung im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigungsbedürftig ist. Ein weitgehender Konsens besteht lediglich dahingehend, dass der Komplettausschluss sog. „echter“ Verluste von der Verlustverrechnung ohne sachlichen Grund gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.334 Bei Verlustverrechnungsbeschränkungen auf eine Einkunftsquelle, auf eine Einkunfts(unter-)art, im Rahmen einer Schedulenbesteuerung sowie bei sog. „unechten“ Verlusten gehen die Meinungen jedoch weit auseinander. Zur Klärung dieser Frage soll zunächst untersucht werden, inwiefern das objektive Nettoprinzip eine Verlustverrechnung gebietet. Anschließend wird auf die Verlustverrechnung im Rahmen einer Schedulensteuer, die Problematik der unechten Verluste sowie auf die Relevanz des Gebots der Steuerfreiheit des Existenzminimums für die intraperiodische Verlustverrechnung eingegangen. Zum Abschluss wird dargelegt, warum eine sofortige Kompensation intraperiodischer Verluste durch eine Steuererstattung gleichheitsrechtlich nicht erforderlich ist. Die nachfolgenden Ausführungen beruhen dabei auf der Prämisse, dass das innerhalb eines Veranlagungszeitraums erzielte Einkommen Maßstab für die steuerliche Gleichbehandlung ist. Ob diese Annahme bei Einbeziehung einer überperiodischen Betrachtung modifiziert werden muss, wird bei der Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für die interperiodische Verlustverrechnung untersucht.335 aa) Vorgaben des objektiven Nettoprinzips für die intraperiodische Verlustverrechnung Die Verlustverrechnung betrifft die Ermittlung der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage. Insofern wird das Leistungsfähigkeitsprinzip als be333 Vgl. Werz, Verlustverrechnungsbeschränkungen im Lichte der Verfassung unter besonderer Berücksichtigung der Verlustregeln des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (2003), S. 132; Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 42; Tipke in: Kirchhof/K. Schmidt/Schön/Vogel (Hrsg.), Festschrift Raupach (2006), S. 179. 334 Dies folgt zwingend aus der Entscheidung des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit von § 22 Nr. 3 EStG a.F., BVerfG v. 30.09.1998 - 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, S. 88 ff. 335 Vgl. 2. Teil B. II. 1.a) bb) (1).
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
reichsspezifische Konkretisierung des Gleichheitssatzes seinerseits durch das objektive Nettoprinzip konkretisiert.336 Anders ausgedrückt indizierte eine Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips eine Durchbrechung des Grundsatzes der Belastungsgleichheit und damit eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung i.S.v. Art. 3 Abs. 1 GG. Um beurteilen zu können, ob eine Verlustverrechnungsbeschränkung gleichheitsrechtlich rechtfertigungsbedürftig ist, müssen daher die Vorgaben des objektiven Nettoprinzips für die Verlustverrechnung herausgearbeitet werden. (1) Verlustverrechnungsbeschränkung auf die Einkunftsquelle Nach dem Komplettausschluss der Verlustverrechnung ist die Beschränkung der Verlustverrechnung auf die Einkunftsquelle, in der der Verlust angefallen ist, die stärkste Einschränkung der intraperiodischen Verlustverrechnung. Sie ist bislang vor allem ein einkommensteuerrechtliches Phänomen.337 Denkbar sind Verlustverrechnungsbeschränkungen auf die Einkunftsquelle aber auch im Rahmen der Körperschaft- und Gewerbesteuer.338 Ein Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip und damit eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung ergibt sich daraus jedoch nur, wenn das objektive Nettoprinzip nicht nur auf die einzelne Einkunftsquelle bezogen ist, sondern einen intraperiodischen Ausgleich von positiven und negativen Ergebnissen der einzelnen Einkunftsquellen gebietet. Unmittelbar folgt aus dem objektiven Nettoprinzip, dass innerhalb einer Einkunftsquelle der entstandene Erwerbsaufwand von den Erwerbseinnahmen abgezogen werden kann.339 Auf dieser Ebene ergibt sich aus dem objektiven Nettoprinzip, dass Abzugsverbote für bestimmte Betriebsausgaben oder Werbungskosten eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung darstellen. Sofern innerhalb einer Einkunftsquelle die Erwerbsaufwendungen die Erwerbseinnahmen übersteigen, entsteht ein Verlust. Durch eine Verlustverrechnungsbeschränkung auf die Einkunftsquelle wird der Verlust in der Einkunftsquelle „eingekapselt“ und kann intraperiodisch nicht mit Gewinnen aus anderen Einkunftsquellen verrechnet werden. Ob dem objektiven Nettoprinzip eine einkunftsquellenübergreifende Dimension zukommt, ist strittig. Nach einer Ansicht soll das objektive Nettoprinzip lediglich innerhalb einer Einkunftsquelle eine Bruttobesteuerung verhindern. Verluste seien daher grundsätzlich in der Erwerbsgrundlage gebunden.340 336 337 338 339 340
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Vgl. 2. Teil A. I. 1. a) cc). Vgl. 1. Teil B. I. 1. a) aa). Vgl. 1. Teil B. I. 2. und 3. Vgl. 2. Teil A. I. 1. a) cc). Vgl. Kirchhof, Einkommensteuergesetzbuch (2004), S. 178.
Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
Ausgehend von dieser Prämisse lässt sich aus dem objektiven Nettoprinzip die Notwendigkeit eines intraperiodischen Ausgleichs der positiven und negativen Einkunftsquellenergebnisse nicht herleiten.341 Vielmehr müsste im Gegenteil ein intraperiodischer Verlustausgleich seinerseits als Durchbrechung der Belastungsgleichheit qualifiziert werden, der nur bei Vorliegen eines rechtfertigenden Grundes zulässig wäre.342 Konsequenterweise rechtfertigen Anhänger dieser Auffassung den intraperiodischen Verlustausgleich als ein Zugeständnis im Hinblick auf die Praktikabilität des Besteuerungsverfahrens.343 Nach der Gegenauffassung ist das objektive Nettoprinzip hingegen als Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips einkunftsquellenund einkunftsartenübergreifend zu verstehen.344 Das objektive Nettoprinzip sei darauf angelegt, das Leistungsfähigkeitsprinzip über die formale Trennung der Einkunftsarten hinweg zu verwirklichen und das Einkommen des Steuersubjekts in seiner Gesamtheit in den Blick zu nehmen.345 Die Notwendigkeit eines intraperiodischen Verlustausgleichs folgt nach dieser Ansicht somit unmittelbar aus dem objektiven Nettoprinzip.346 Auch der BFH geht in seiner Rechtsprechung von einem einkunftsquellenübergreifenden Verständnis des objektiven Nettoprinzips aus.347 Die Lösung dieses Problems ergibt sich für die Einkommen- und Körperschaftsteuer aus der personalen Struktur beider Steuerarten. Einkommenund Körperschaftsteuer stellen als Personensteuern die natürliche bzw. die 341 So Palm, DStR 2002, S. 158; Kirchhof, Einkommensteuergesetzbuch (2004), S. 168; Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 53; Wendt in: Rautenberg (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen der Besteuerung (2006), S. 168. Ablehnend Englisch, StuW 2007, S. 235 in Fn. 128. 342 So ausdrücklich Kirchhof, Einkommensteuergesetzbuch (2004), S. 178. 343 Vgl. Palm, DStR 2002, S. 157 f. 344 Vgl. Werz, Verlustverrechnungsbeschränkungen im Lichte der Verfassung unter besonderer Berücksichtigung der Verlustregeln des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (2003), S. 139; Kohlhaas, DStR 2003, S. 1143; Tipke in: Kirchhof/K. Schmidt/Schön/Vogel (Hrsg.), Festschrift Raupach (2006), S. 179. 345 Vgl. Schön in: Herzig/Günkel/Niemann (Hrsg.), Steuerberater-Jahrbuch 1998/99 (1999), S. 66; Karrenbrock, DB 2004, S. 560. 346 Vgl. Weber-Grellet, Steuern im modernen Verfassungsstaat (2001), S. 277; Tipke, Die Steuerrechtsordnung 2 (2003), S. 764; Karrenbrock, DB 2004, S. 560. 347 Vgl. etwa BFH v. 09.05.2001 - XI B 151/00, BStBl. II 2001, S. 554 zur Mindestbesteuerung nach § 2 Abs. 3 EStG a.F.: „Der Gesetzgeber respektiert in § 2 Abs. 3 EStG das objektive Nettoprinzip, indem er die grundsätzliche Abziehbarkeit der entstandenen Verluste nicht in Frage stellt. Er schränkt das Prinzip allerdings dadurch ein, dass er den sofortigen Ausgleich von positiven und negativen Einkünften verschiedener Einkunftsarten (vertikaler Verlustausgleich) von einer bestimmten Höhe an nicht mehr zulässt [Hervorh. d. Verf.].“
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
juristische Person in den Mittelpunkt des Steuertatbestands. Steuersubjekt der Einkommensteuer ist der Mensch, § 1 Abs. 1 EStG, Steuerobjekt das von einem Menschen erzielte Einkommen, § 2 Abs. 1 EStG. Bei der Körperschaftsteuer gilt dies entsprechend für die juristische Person, § 1 KStG. Konsequenterweise muss sich deshalb auch das Gebot der steuerlichen Gleichbelastung auf die natürliche bzw. juristische Person mit ihrem gesamten steuerpflichtigen Einkommen beziehen. Leistungsfähigkeitsindikator ist nicht das Ergebnis einer einzelnen Einkunftsquelle, sondern das Einkommen einer natürlichen bzw. juristischen Person als Summe der Einzelergebnisse der einem Steuersubjekt zuzuordnenden Einkunftsquellen. Daraus folgt, dass im Rahmen der Einkommen- und Körperschaftsteuer auch das objektive Nettoprinzip nicht auf die einzelne Einkunftsquelle beschränkt, sondern im Gegenteil einkunftsquellenübergreifend zu verwirklichen ist. Der Leistungsfähigkeitsindikator „Einkommen“ würde unzutreffend ermittelt, wenn negative Einkunftsquellenergebnisse unberücksichtigt blieben. Die Leistungsfähigkeit eines Steuerpflichtigen in einem Veranlagungszeitraum wird durch den Saldo der Einkünfte bestimmt, die er aus allen ihm zuzurechnenden Einkunftsquellen bezieht, nicht dadurch, ob und wie sich das Einkommen über mehrere Einkunftsquellen verteilt.348 Dies übersehen diejenigen, die das objektive Nettoprinzip in seiner gleichheitsrechtlichen Dimension auf die Einkunftsquelle beschränken wollen. So geht beispielsweise Palm bei der Begründung seiner Aussage, das objektive Nettoprinzip fordere keinen Verlustausgleich zwischen den Einkunftsquellen, auf die Notwendigkeit einer Gleichbelastung des Leistungsfähigkeitsindikators Einkommen gar nicht ein. Er begnügt sich vielmehr mit der Feststellung, dass bei einem einkunftsquellenbezogenen Verständnis des objektiven Nettoprinzips alle Einkunftsquellen gleich behandelt würden.349 Ähnlich argumentiert Kirchhof, der davon ausgeht, dass eine Beschränkung der Verlustverrechnung auf die Einkunftsquelle gleichheitsrechtlich dann unproblematisch ist, wenn sie „für alle Einkunftsquellen und damit für alle Steuerpflichtigen gleichermaßen gelten“ würde.350 Nach der Ansicht von Kirchhof sind die Verluste aus einer Erwerbsgrundlage und das Steuersubjekt, dem die Einkunftsquelle zuzuordnen ist, nur lose und indirekt miteinander verknüpft.351 Die Einkunftsquellen stehen für ihn im Grunde beziehungslos nebeneinander, „wie etwa zwei vermietete Eigentumswohnungen verschiede-
348 349 350 351
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Vgl. Tipke, Die Steuerrechtsordnung 2 (2003), S. 764; Karrenbrock, DB 2004, S. 560. Vgl. Palm, DStR 2002, S. 158. Vgl. Kirchhof, Einkommensteuergesetzbuch (2004), S. 169. Vgl. Kirchhof, Einkommensteuergesetzbuch (2004), S. 177 f.
Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
ner Eigentümer“.352 Gleichheitsrechtlich rechtfertigungsbedürftig wären nach dieser Sichtweise allenfalls noch spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen für bestimmte Kategorien von Einkunftsquellen. Eine Vorschrift, durch die die intraperiodische Verlustverrechnung zwischen Einkunftsquellen generell ausgeschlossen wird und die insofern eine Gleichbehandlung der Einkunftsquellen gewährleistet, wäre jedoch von vornherein über jeden gleichheitsrechtlichen Zweifel erhaben.353 Diese Argumentation greift jedoch zu kurz. Sie ignoriert, dass der Verlustausgleich zwischen den Einkunftsquellen als folgerichtige Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips nicht beliebig zur Disposition des Gesetzgebers steht. Der Umstand, dass Einkunftsquellen gleich behandelt werden, sagt nichts über die Wahrung der Belastungsgleichheit zwischen den Steuerpflichtigen aus. Erforderlich ist nicht die Gleichbehandlung von Einkunftsquellen, sondern von Menschen bzw. juristischen Personen. Der Grundsatz der Belastungsgleichheit verlangt nicht, dass Einkunftsquelle eins und Einkunftsquelle zwei des Steuerpflichtigen A gleich belastet werden. Gleichbelastung muss vielmehr im Verhältnis zum Steuerpflichtigen B hergestellt werden. Schmehl versucht diesem Einwand zu begegnen, indem er den generellen Ausschluss der Verlustverrechnung zwischen Einkunftsquellen als eine alternative folgerichtige Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips qualifiziert.354 Die neue Folgerichtigkeit besteht für Schmehl offenbar darin, die steuerliche Leistungsfähigkeit in eine Abhängigkeit davon zu bringen, ob sich Gewinn und Verlust in unterschiedlichen oder innerhalb derselben Einkunftsquelle gegenüber stehen.355 Dieser Ansicht kann nicht gefolgt 352 Vgl. Kirchhof, Einkommensteuergesetzbuch (2004), S. 168. 353 Vgl. für diese Sichtweise beispielsweise Schmehl, Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen mit Mindestbesteuerungseffekt – ein tragfähiges Konzept für das Einkommensteuerrecht? (2004), S. 12 ff., der § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG verfassungsrechtlich vor allem deshalb für problematisch hält, weil die Regelung „nur“ die Verlustverrechnung zwischen Einkunftsarten beschränkt. Anschaulich macht die Sichtweise Schmehls insbesondere folgende Passage: „Die Differenzierung zwischen aktiven und passiven Einkunftsarten wurde somit angesichts der mit ihr verbundenen Probleme fallen gelassen. Wie ein Rudiment davon blieb jedoch erhalten, allein den Verlustausgleich zwischen verschiedenen Einkunftsarten zu beschränken. Diese somit nur unvollkommen verwirklichte Richtungsänderung im Gesetzgebungsverfahren erweist sich als ausschlaggebend für einige der entscheidenden Schwachstellen der Regelung […].“ 354 Vgl. Schmehl, Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen mit Mindestbesteuerungseffekt – ein tragfähiges Konzept für das Einkommensteuerrecht? (2004), S. 7 f. 355 Vgl. dazu Schmehl, Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen mit Mindestbesteuerungseffekt – ein tragfähiges Konzept für das Einkommensteuerrecht? (2004), S. 7 f. sowie S. 13.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
werden, denn eine Differenzierung danach, wie sich das Einkommen auf mehrere Einkunftsquellen verteilt, ist gerade keine folgerichtige Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips: Leistungsfähigkeitsindikator ist im Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht das Einkommen des Steuersubjekts. Die einzelnen Einkunftsquellen sind hingegen keine Zuordnungseinheiten von Leistungsfähigkeit. Die Einkunftsquellenergebnisse stellen lediglich Zwischenschritte auf dem Weg zur Ermittlung des Einkommens dar. Daher kann auch die Verteilung des Einkommens auf einzelne Einkunftsquellen nichts über die im Gesamteinkommen ausgedrückte Leistungsfähigkeit eines Steuerpflichtigen aussagen. Beschränkte man das Gebot der Belastungsgleichheit auf die Einkunftsquelle, so würde dies die personale Struktur der Einkommen- und Körperschaftsteuer sprengen. Ein solches Verständnis wäre angemessen für eine Objektsteuer mit der einzelnen Einkunftsquelle als Steuerobjekt. Man dürfte dann aber konsequenterweise nicht mehr von einer Einkommensteuer, sondern müsste von einer Einkunftsquellensteuer sprechen. Im Rahmen einer Einkommen- und Körperschaftsteuer muss aber dem Steuersubjekt natürliche bzw. juristische Person das Primat über die Einkommenszurechnungseinheit Einkunftsquelle zukommen. Dieser Umstand wird sehr gut durch eine Erweiterung der Perspektive von der Einkommen- und Körperschaftsteuer auf die Gewerbesteuer verdeutlicht. Die Gewerbesteuer ist tatsächlich eine Objektsteuer. Leistungsfähigkeitsindikator ist der Gewerbeertrag eines einzelnen Gewerbebetriebs und nicht die Summe der Gewerbeerträge aller einer natürlichen oder juristischen Person zuzuordnenden Gewerbebetriebe. Daraus folgt einerseits, dass zur Ermittlung der „objektiven Ertragskraft“356 eines Gewerbebetriebs ein Verlustausgleich zwischen den verschiedenen Einkunftsquellen erforderlich ist, die einem Gewerbebetrieb zuzuordnen sind. Andererseits ist ein intraperiodischer Verlustausgleich zwischen verschiedenen Gewerbebetrieben eines Steuerpflichtigen gleichheitsrechtlich nicht geboten. Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass das objektive Nettoprinzip einkunftsquellenübergreifend zu verstehen ist. Es bezieht sich im Rahmen der Einkommen- und Körperschaftsteuer auf die Person des Steuerpflichtigen und im Rahmen der Gewerbesteuer auf den Gewerbebetrieb. Daraus folgt, dass eine einkunftsquellenbezogene Verlustverrechnungsbeschränkung gegen das Gebot steuerlicher Lastengleichheit gemäß der ständigen Rechtsprechung des BVerfG verstößt. Danach setzt horizontale Steuergerechtigkeit voraus, dass Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit gleich hoch be356 BVerfG v. 21.06.2006 - 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, S. 185.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
steuert werden, während die vertikale Steuergerechtigkeit gebietet, Steuerpflichtige mit höherer Leistungsfähigkeit höher zu besteuern als Steuerpflichtige mit niedrigerer Leistungsfähigkeit.357 A, B und C verfügen über je zwei Einkunftsquellen (Q1 und Q2). Im Veranlagungszeitraum erzielt A aus Q1 und Q2 einen Gewinn von je 100 T€. B erzielt mit Q1 einen Gewinn von 200 T€ und mit Q2 einen Verlust von 100 T€. C erwirtschaftet in Q1 einen Gewinn von 100 T€, das Ergebnis von Q2 ist ausgeglichen. Die Verlustverrechnung ist auf die Einkunftsquelle beschränkt. Der Steuersatz beträgt 50 %. A B C Einkunftsquelle 1 Einkunftsquelle 2 Bemessungsgrundlage Einkommensteuer Leistungsfähigkeit
100 T€ EStG 100 T€ EStG 200 T€ EStG 100 T€ EStG 200 T€ EStG
= >
Verstoß gegen die vertikale Steuergerechtigkeit
200 T€ EStG -100 T€ EStG 200 T€ EStG 100 T€ EStG 100 T€ EStG
100 T€ EStG 0€
> =
100 T€ EStG 50 T€ EStG 100 T€ EStG
Verstoß gegen die horizontale Steuergerechtigkeit
Abbildung 18 Verlustverrechnungsbeschränkung auf die Einkunftsquelle und Belastungsgleichheit
Beschränkungen der Verlustverrechnung auf die Einkunftsquelle widersprechen dem objektiven Nettoprinzip, damit zugleich dem Leistungsfähigkeitsprinzip und letztlich Art. 3 Abs. 1 GG und sind folglich gleichheitsrechtlich rechtfertigungsbedürftig. Speziell für die Einkommensteuer wird dieser Befund zudem durch die Vorgaben des Gebots der Steuerfreiheit des Existenzminimums abgesichert. Das steuerlich zu verschonende Existenzminimum kann nicht einer einzelnen Einkunftsquelle zugeordnet werden. Ob das Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums gewahrt ist, kann nur mittels einer Saldierung von Einnahmen und Ausgaben und damit letztlich anhand der nach dem objektiven Nettoprinzip ermittelten Einkünfte beurteilt werden.358 Daher räumen auch die Anhänger eines einkunftsquellenbezogenen Verständnisses des objektiven Nettoprinzips ausdrücklich ein, dass es insofern auf den Saldo der Ein357 BVerfG v. 29.05.1990 - 1 BvL 20, 26, 184 und 4/86, BVerfGE 82, S. 89; BVerfG v. 06.03.2002 - 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, S. 126; BVerfG v. 16.03.2005 - 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, S. 279; BVerfG v. 21.06.2006 - 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, S. 180. 358 BFH v. 06.03.2003 - XI B 7/02, BStBl. II 2003, S. 517; BFH v. 06.03.2003 - XI B 76/02, BStBl. II 2003, S. 525.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
künfte aller Einkunftsquellen einer natürlichen Person ankommt.359 So führt etwa Palm aus: „Ein Steuerpflichtiger mit zwei Einkunftsquellen, der aus einer Einkunftsquelle positive Einkünfte bezieht und aus der zweiten negative Einkünfte mit gleichem Betrag, hat kein Einkommen mit dem er das Existenzminimum bestreiten könnte.“360
Genauso gilt aber auch, dass die Leistungsfähigkeit dieses Steuerpflichtigen derjenigen eines Steuerpflichtigen ohne Einkünfte entspricht. Es würde folglich einen rechtfertigungsbedürftigen Verstoß gegen das Gebot steuerlicher Belastungsgleichheit darstellen, würde der besagte Steuerpflichtige allein deshalb zur Einkommensteuer herangezogen, weil seine Einkünfte aus zwei verschiedenen Einkunftsquellen stammen. (2) Verlustverrechnungsbeschränkung auf eine Einkunfts(unter)art Eine Untergliederung des Einkommens in Einkunftsarten wäre zwar auch im Rahmen der Körperschaft- und Gewerbesteuer theoretisch möglich, ist aber de lege lata faktisch nur bei der Einkommensteuer relevant.361 Dementsprechend sind auch an die Einkunftsart anknüpfende Verlustverrechnungsbeschränkungen bislang nur bei dieser Steuerart verwirklicht worden.362 Demgegenüber finden Verlustverrechnungsbeschränkungen, die an eine eigens definierte Einkunftsunterart anknüpfen, auch im Körperschaftsteuerrecht Anwendung.363 Da das objektive Nettoprinzip eine intraperiodische Konsolidierung der Ergebnisse aller Einkunftsquellen auf Ebene des Steuersubjekts bzw. – im Rahmen der Gewerbesteuer – des Gewerbebetriebs gebietet,364 wird es auch durch eine Beschränkung der Verlustverrechnung auf eine Untereinkunftsart oder eine Einkunftsart durchbrochen.365 Der Gliederung der Einkommensermittlung in Einkunftsarten sowie der Ausdifferenzierung von Einkunftsun359 Vgl. Palm, DStR 2002, S. 158; Kirchhof, Einkommensteuergesetzbuch (2004), S. 169. 360 Vgl. Palm, DStR 2002, S. 158. Bei Kirchhof, Einkommensteuergesetzbuch (2004), S. 169, findet sich folgende – teilweise wortgleiche – Formulierung: „Ein Steuerpflichtiger mit zwei Einkunftsquellen, der aus einer Einkunftsquelle positive Einkünfte bezieht und aus der zweiten negative Einkünfte in gleicher Höhe, hat kein Einkommen, mit dem er zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen könnte.“ 361 Eine Ausnahme gilt für Körperschaftsteuersubjekte gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 bis 6 KStG, für die die pauschale Umqualifikation aller Einkünfte in Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 8 Abs. 2 KStG keine Anwendung findet. 362 Vgl. EStG § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F.; § 20 Abs. 6 EStG. 363 Vgl. § 15 Abs. 4 S. 1-2 und S. 3-4. 364 Vgl. 1. Teil B. I. 3 und 2. Teil A. III. 365 Vgl. Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 65 f.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
terarten innerhalb einer Einkunftsart ist kein eigener Rechtsgehalt beizumessen. Es handelt sich lediglich um Zwischenschritte auf dem Weg der Zurechnung der Einkunftsquellenergebnisse zum Steuersubjekt366 bzw. – im Rahmen der Gewerbesteuer – zum Steuerobjekt Gewerbebetrieb. Zum Teil wird die Notwendigkeit eines Verlustausgleichs zwischen den Einkunftsarten nicht aus dem objektiven Nettoprinzip, sondern aus dem Grundsatz der synthetischen Einkommensteuer abgeleitet.367 Es ist zwar zutreffend, dass einer synthetischen Einkommensbesteuerung ein automatischer Verlustausgleich immanent ist. Kennzeichnend für eine synthetische Einkommensteuer ist, dass es sich um eine Steuer auf das Gesamteinkommen handelt. Die Gesamtheit der unterschiedlichen Einkünfte wird synthetisch zu einer einheitlichen Bemessungsgrundlage zusammengefasst, so dass sich automatisch ein Ausgleich positiver und negativer Teileinkünfte ergibt.368 Auch sofern das Einkommen in verschiedene Einkunftsarten aufgeteilt wird, ergibt sich ein vertikaler Verlustausgleich als logische Konsequenz des synthetischen Einkommensbegriffs.369 Beschränkungen des Verlustausgleichs müssen als Ausnahme ausdrücklich angeordnet werden. Dies stellt die Herleitung der Notwendigkeit eines intraperiodischen Verlustausgleichs aus dem objektiven Nettoprinzip jedoch nicht in Frage. Es handelt sich vielmehr um einen zusätzlichen Begründungsansatz für die Notwendigkeit einer intraperiodischen Verlustverrechnung.
366 Vgl. Palm, DStR 2002, S. 154. 367 Vgl. Fischer, Zur Systematik der Verrechnung inländischer Verluste im deutschen Steuerrecht (2004), S. 660; Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 46; Kempermann in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 112. 368 Vgl. dazu 1. Teil B. I. 1. 369 Vgl. Fischer, Zur Systematik der Verrechnung inländischer Verluste im deutschen Steuerrecht (2004), S. 660; Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 46; Kempermann in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 112.
185
Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung A erzielt im Veranlagungszeitraum 01 aus zwei Einzelunternehmen einen Gewinn aus Gewerbebetrieb i.H.v. 100.000 € bzw. 200.000 €. Aus einer Beteiligung an einer KG erhält A eine Verlustzuweisung i.H.v. 50.000 €. Zudem vermietet er zwei Immobilien (Ergebnisse: 50.000 € bzw. -150.000 €). Horizontaler Verlustausgleich +
-50 T€
200 T€
+
100 T€
=
250 T€ +
§ 21 EStG
-150 T€
+
50 T€
=
-100 T€ =
Vertikaler Verlustausgleich
§ 15 EStG
150 T€
Abbildung 19 Automatischer Verlustausgleich bei synthetischem Einkommensbegriff
Wie das Beispiel verdeutlicht, werden im Rahmen einer synthetischen Einkommensbesteuerung die Einkünfte aus den verschiedenen Quellen im Rahmen der Ermittlung des einheitlichen Periodeneinkommens automatisch saldiert, beispielsweise nach der Systematik des § 2 Abs. 3 EStG im Wege des horizontalen und vertikalen Verlustausgleichs. Sollen bestimmte Ergebnisteile von der allgemeinen Saldierung ausgenommen werden, muss dies im Rahmen einer synthetischen Einkommensteuer spezialgesetzlich angeordnet werden, wie beispielsweise durch § 15b EStG: Sachverhalt wie in Abbildung 19. Abweichend ist die Beteiligung an der KG als Steuerstundungsmodell i.S.v. § 15b EStG zu qualifizieren, was zu einer entsprechenden Verlustverrechnungsbeschränkung führt. Horizontaler Verlustausgleich
§ 21 EStG
-50 T€ EStG § 15b EStG
-50 T€
200 T€ EStG
+
100 T€ EStG
=
300 T€ EStG +
-150 T€ EStG
+
50 T€ EStG
=
-100 T€ =
Vertikaler Verlustausgleich
§ 15 EStG
200 T€
Abbildung 20 Verlustverrechnungsbeschränkung bei synthetischem Einkommensbegriff
Demgegenüber wird das Einkommen im Rahmen einer analytischen Schedulenbesteuerung in mehrere Kategorien aufgeteilt, getrennt erfasst und unter186
Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
schiedlich – insbesondere unterschiedlich hoch – besteuert.370 Eine automatische intraperiodische Verlustverrechnung erfolgt nur noch zwischen den Einkunftsquellen der gleichen Schedule. Innerhalb der Schedule müsste daher, wie im Rahmen einer synthetischen Besteuerung, Verlustverrechnungsbeschränkungen als Ausnahme ausdrücklich angeordnet werden. Zwischen den einzelnen Schedulen ist hingegen der Ausschluss der Verlustverrechnung systembedingt die Regel371 und ein Verlustausgleich müsste ausdrücklich angeordnet werden. Sachverhalt wie in Abbildung 19. Es wird unterstellt, dass die Einkommensbesteuerung getrennt nach zwei Schedulen vorgenommen wird: Gewinn- und Überschusseinkünfte.
Schedule „G“
Schedule „Ü“
-50 T€ EStG
+
200 T€ EStG
+
100 T€ EStG
=
250 T€ EStG
-150 T€ EStG +
+
50 T€ EStG
=
-100 T€
Abbildung 21 Systemimmanente Verlustverrechnungsbeschränkung bei Schedulenbesteuerung
Auch bei einer Schedulenbesteuerung können innerhalb der einzelnen Schedulen nochmals verschiedene Einkunftsarten unterschieden werden. Beispielsweise könnten im bestehenden System die Einkünfte aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung zur Schedule „Vermögenseinkünfte“ zusammengefasst und einem Sondertarif unterworfen werden. In der Schedule „Vermögenseinkünfte“ existierten dann zwei Einkunftsarten, zwischen denen ein „vertikaler“ Verlustausgleich durchzuführen wäre. Denn nur weil der Einkommensbesteuerung kein synthetischer Einkommensbegriff mehr zugrunde liegt, entfällt nicht die Notwendigkeit eines scheduleninternen Verlustausgleichs. Auch innerhalb der einzelnen Schedulen folgt aus der folgerichtigen Umsetzung des Grundsatzes der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, dass die Ergebnisse einzelner Einkunftsquellen zu einem Scheduleneinkommen zu saldieren sind.
370 Vgl. Tipke, Die Steuerrechtsordnung 2 (2003), S. 668; Eckhoff in: Kirchhof/Graf Lambsdorff/Pinkwart (Hrsg.), Perspektiven eines modernen Steuerrechts (2005), S. 27. 371 Vgl. Tipke, Die Steuerrechtsordnung 2 (2003), S. 668; Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 46 f.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
Dies verdeutlicht, dass die Aussage, der vertikale Verlustausgleich folge aus dem Grundsatz der synthetischen Einkommensteuer,372 zu kurz greift. Die Frage, ob sich das objektive Nettoprinzip auf eine Einkunftsquelle oder die Person des Steuerpflichtigen bzw. den Gewerbebetrieb bezieht, ist der Debatte um die Vorzugswürdigkeit einer synthetischen oder analytischen Besteuerung vorgelagert. Sowohl die einkunftsquellen- als auch die einkunftsartenübergreifende Verlustverrechnung ergibt sich primär daraus, dass das objektive Nettoprinzip eine Saldierung der Ergebnisse aller Einkunftsquellen auf Ebene des Steuersubjekts bzw. – im Rahmen der Gewerbesteuer – des Gewerbebetriebs gebietet. Im Rahmen eines synthetischen Einkommensteuerkonzepts ergibt sich dieses Ergebnis lediglich zusätzlich aus dem synthetischen Einkommensbegriff. Es kommt also zu einer Überschneidung zwischen beiden Prinzipien.373 bb) Ausschluss der intraperiodischen Verlustverrechnung im Rahmen einer Schedulenbesteuerung Die Umstellung der Einkommensteuer von einem synthetischen hin zu einem schedularen System wird als Reaktion auf den härter werdenden internationalen Steuerwettbewerb intensiv diskutiert374 und wurde mittlerweile mit der Einführung der Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge durch das Unternehmensteuerreformgesetz – wenn auch nur in einem Teilbereich375 – umgesetzt. Wie bereits gezeigt wurde, ist im Rahmen einer Schedulenbesteuerung der Ausschluss der Verlustverrechnung zwischen den Schedulen systembedingt die Regel, und nicht wie im Rahmen einer synthetischen Besteuerung 372 Vgl. Fischer, Zur Systematik der Verrechnung inländischer Verluste im deutschen Steuerrecht (2004), S. 660; Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 46; Kempermann in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 112. 373 Vgl. Werner, Die Mindestbesteuerung im deutschen und im US-amerikanischen Einkommensteuerrecht (2001), S. 60. Deshalb kann selbst wer das objektive Nettoprinzip als auf die Einkunftsquelle beschränkt ansieht, die Notwendigkeit eines intraperiodischen Verlustausgleichs aus dem Grundsatz der synthetischen Einkommensbesteuerung herleiten, wie beispielsweise Verführt, Verlustausgleichsverbote im Einkommensteuerrecht (2002), S. 12 f. 374 Vgl. insbesondere den Entwurf des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage, des Max-Planck-Instituts für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht sowie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH: „Reform der Einkommens- und Unternehmensbesteuerung durch die Duale Einkommensteuer“, Stand 13.02.2006. Abrufbar unter: http://www.sachverstaen digenrat-wirtschaft.de/downlo ad/press/dit_gesamt.pdf. 375 Für die übrigen Einkunftsarten bleibt es bei der „synthetischen“ Besteuerung, vgl. 1. Teil B. I. 1.
188
Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
des Gesamteinkommens die Ausnahme.376 In welchem Maße diese Beschränkung der intraperiodischen Verlustverrechnung gleichheitsrechtlich rechtfertigungsbedürftig ist, hängt davon ab, ob der Übergang zu einer Schedulenbesteuerung eine eigenständige Belastungsentscheidung darstellt oder ob auch im Rahmen einer Schedulenbesteuerung dem Gebot der folgerichtigen Umsetzung einer vorgelagerten Belastungsentscheidung für den Leistungsfähigkeitsindikator Einkommen Rechnung zu tragen ist. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG hat der Gesetzgeber sowohl bei der Auswahl des Steuergegenstandes als auch bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weiten Spielraum. Die einzige Einschränkung stellt insofern das Willkürverbot dar. Die mit der Wahl des Steuergegenstandes einmal getroffene Belastungsentscheidung muss der Gesetzgeber allerdings bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands folgerichtig umsetzen. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes.377 Wäre die Entscheidung, das Einkommen nicht mehr insgesamt, sondern getrennt nach Schedulen zu besteuern, als eine freie Bestimmung eines neuen Steuergegenstandes zu qualifizieren, so wäre der Ausschluss der interschedulären Verlustverrechnung die folgerichtige Umsetzung dieser neuen Belastungsentscheidung. Gleichheitsrechtlich rechtfertigungsbedürftig wäre nicht die Beschränkung der intraperiodischen Verlustverrechnung zwischen den Schedulen, sondern im Gegenteil ihre Ermöglichung. Betrachtet man hingegen die Entscheidung, den Leistungsfähigkeitsindikator Einkommen zu belasten, als die vorgelagerte Belastungsentscheidung, dann wäre der Übergang zu einer Schedulenbesteuerung keine Neubestimmung des Steuergegenstandes, sondern eine Durchbrechung der Folgerichtigkeit in Bezug auf die gleichmäßige Belastung des Leistungsfähigkeitsindikators Einkommen, die nur bei Vorliegen besonderer sachlicher Gründe gleichheitsrechtlich gerechtfertigt ist. Auch der Ausschluss der interschedulären Verlustverrechnung wäre dann, wie im Rahmen einer synthetischen Einkommensbesteuerung,378 gleichheitsrechtlich rechtfertigungsbedürftig. Nach einer restriktiven Ansicht erschöpft sich die Freiheit des Gesetzgebers bei Bestimmung des Steuergegenstandes auf die Wahl zwischen den drei Leistungsfähigkeitsindikatoren Einkommen, Vermögen und Konsum. Alle weiteren Differenzierungen sollen einer besonderen Legitimation vor dem
376 Vgl. 2. Teil B. I. 1. a) aa) (2). 377 Vgl. beispielsweise BVerfG v. 15.01.2008 - 1 BvL 2/04, DStRE 2008, S. 1004. 378 Vgl. 2. Teil B. I. 1. a) aa).
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
Gleichheitssatz bedürfen.379 Folgt man dieser Ansicht, so würde schon durch die Entscheidung für eine „Einkommensteuer“ der synthetische Charakter dieser Steuer betont, so dass eine Differenzierung zwischen verschiedenen „Schedulen“ vor Art. 3 Abs. 1 GG gerechtfertigt werden müsste.380 Nach der Gegenansicht umfasst die Freiheit des Steuergesetzgebers bei der Bestimmung des Steuergegenstandes hingegen auch den Übergang zu einer Schedulenbesteuerung.381 Als frei wählbarer Besteuerungsgegenstand wäre dann nicht das Einkommen als solches, sondern das jeweilige Scheduleneinkommen anzusehen, so dass der Gesetzgeber nur innerhalb der einzelnen Schedulen an die einmal getroffene Belastungsentscheidung gebunden und zu einer folgerichtigen Umsetzung verpflichtet wäre.382 Die Konsequenz dieser Ansicht wäre, dass Gleichbehandlung – also konkret Belastungsgleichheit – verfassungsgerichtlich nur noch innerhalb der einzelnen Schedulen bzw. „Kästchen“383 eingefordert werden könnte. Das BVerfG hat sich zur Zulässigkeit einer Schedulenbesteuerung bereits 1991 in einem obiter dictum zur Zinsbesteuerungsentscheidung geäußert.384 In dieser Entscheidung spricht das Gericht einerseits davon, dass der gesetzgeberische Einschätzungsspielraum die Einführung einer Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge umfasse, was für eine weitgehende Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers zu sprechen scheint. Gleichzeitig rechtfertigt das BVerfG aber 379 Vgl. Jachmann, Steuergesetzgebung zwischen Gleichheit und wirtschaftlicher Freiheit (2000), S. 109 f.; Kirchhof, Besteuerung im Verfassungsstaat (2000), S. 33; Englisch, Die Duale Einkommensteuer - ein Reformmodell für Deutschland? (2005), S. 95. 380 Vgl. Jachmann, Steuergesetzgebung zwischen Gleichheit und wirtschaftlicher Freiheit (2000), S. 110; Schön in: Kirchhof/Graf Lambsdorff/Pinkwart (Hrsg.), Perspektiven eines modernen Steuerrechts (2005), S. 267. 381 In diesem Sinne Werner, Die Mindestbesteuerung im deutschen und im USamerikanischen Einkommensteuerrecht (2001), S. 63. 382 Nach Ansicht von Werner war sogar dem Mindestbesteuerungskonzept nach § 2 Abs. 3 S. 2 bis 8 EStG a.F. eine systemverändernde Wirkung beizumessen (trotz der nur eine partiellen Schedularisierung), weshalb das objektive Nettoprinzip nur noch innerhalb der dadurch gezogenen Grenzen Geltung beanspruchen könne, vgl. Werner, Die Mindestbesteuerung im deutschen und im US-amerikanischen Einkommensteuerrecht (2001), S. 63.. 383 Vgl. Hey, BB 2007, S. 1308. 384 BVerfG v. 27.06.1991 - 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, S. 282.: „Es bliebe auch im Rahmen des gesetzgeberischen Einschätzungsspielraums, wenn der Gesetzgeber die ihrer Natur nach nicht einer bestimmten Person zugeordnete und geographisch nicht gebundene Erwerbsgrundlage ‚Finanzkapital’ dadurch erfaßte, daß er alle Kapitaleinkünfte - unabhängig von ihrer Anlageform und buchungstechnischen Erfassung - an der Quelle besteuert und mit einer Definitivsteuer belastet, die in einem linearen Satz den absetzbaren Aufwand und den Progressionssatz in Durchschnittswerten typisiert.“
190
Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
eine entsprechende Schedularisierung durch besondere sachliche Gründe, insbesondere die geographische Ungebundenheit von Kapital, was wiederum darauf hindeutet, dass die Einführung einer Abgeltungsteuer doch nicht in den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Wahl des Steuergegenstandes fällt. Wo genau die Grenze zwischen der politisch weitgehend freien Belastungsentscheidung des Gesetzgebers und der auf Folgerichtigkeit verpflichteten Ausgestaltung des Belastungsgrundes verläuft, ist der Entscheidung nicht zu entnehmen. Gleiches gilt für die ständige Rechtsprechung des BVerfG zur Zulässigkeit von Differenzierungen zwischen verschiedenen Einkunftsarten. Danach ist es zwar grundsätzlich zulässig, dass das Einkommensteuerrecht mehrere Einkunftsarten unterscheidet und daran auch unterschiedliche Rechtsfolgen knüpft. Die daraus resultierende Ungleichbehandlung muss jedoch durch besondere sachliche Gründe gerechtfertigt sein. Die systematische Unterscheidung der Einkunftsarten durch den Gesetzgeber allein genügt hierfür nicht.385 Man kann dies als eine klare Aussage zugunsten einer Rechtfertigungsbedürftigkeit jeder Form von Schedularisierung interpretieren. Möglich ist es aber auch, die Aussagen des BVerfG nur auf das bestehende System zu beziehen. Dann wäre die Forderung nach Gleichbehandlung der Einkunftsarten obsolet, sobald der Gesetzgeber einen Systemwechsel hin zu einer Schedulenbesteuerung vollzieht.386 Welche Ansicht vorzugswürdig ist, ergibt sich für die Einkommen- und Körperschaftsteuer387 aus der personalen Struktur beider Steuerarten.388 Da Leistungsfähigkeitsindikator das Einkommen des jeweiligen Steuersubjekts ist, widerspricht seine Untergliederung in einzelne Schedulen dem Gebot der folgerichtigen Umsetzung der Belastungsgrundentscheidung und ist daher gleichheitsrechtlich rechtfertigungsbedürftig.389 Mittlerweile hat sich auch das BVerfG in seiner Entscheidung vom 21.06.2006 zu § 32c EStG a.F. ausdrücklich für die gleichheitsrechtliche Rechtfertigungsbedürftigkeit der Einführung einer Schedulenbesteuerung ausgesprochen: „Wählt der Gesetzgeber für verschiedene Arten von Einkünften unterschiedliche Tarifverläufe, obwohl die Einkünfte nach der gesetzgeberischen Ausgangsentscheidung die gleiche 385 BVerfG v. 08.10.1991 - 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, S. 363 f.; BVerfG v. 10.04.1997 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, S. 6; BVerfG v. 30.09.1998 - 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, S. 95; BVerfG v. 06.03.2002 - 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, S. 126. 386 So Weber-Grellet, Stbg 2004, S. 83. 387 Für die Gewerbesteuer, die ohnehin nur Einkünfte aus Gewerbebetrieb erfasst, ist die Problematik der Schedularisierung praktisch nicht relevant. 388 Vgl. 2. Teil B. I. 1. a) aa). 389 Der Bindung an das Gebot der Folgerichtigkeit könnte sich der Gesetzgeber allenfalls dadurch entziehen, dass er die Besteuerung der einzelnen Schedulen – ähnlich wie die Gewerbesteuer – objektsteuerartig ausgestaltet.
191
Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung Leistungsfähigkeit repräsentieren (sog. Schedulenbesteuerung), muss diese Ungleichbehandlung besonderen Rechtfertigungsanforderungen genügen. Allein die systematische Unterscheidung zwischen verschiedenen Einkunftsarten (vgl. § 2 Abs. 1 EStG) genügt dafür nicht […]. Vielmehr gelten für Sondertarife keine geringeren Rechtfertigungsanforderungen als für Durchbrechungen des objektiven Nettoprinzips, die durch besondere sachliche Gründe gerechtfertigt werden müssen […]. Im Hinblick auf die Belastungsgleichheit macht es keinen Unterschied, ob Einkünfte, die die gleiche Leistungsfähigkeit repräsentieren, in unterschiedlicher Höhe in die Bemessungsgrundlage einfließen oder ob sie einem unterschiedlichen Tarif unterworfen werden.“390
Das BVerfG stellt somit eine Schedulenbesteuerung von Einkünften, die die „gleiche“ Leistungsfähigkeit repräsentieren, unter einen gleichheitsrechtlichen Rechtfertigungsvorbehalt. Die besondere Rechtfertigungsbedürftigkeit des Übergangs zu einer Schedulenbesteuerung könnte vor dem Hintergrund dieser klaren Aussage des BVerfG allenfalls noch mit dem Argument angezweifelt werden, dass die in den einzelnen Schedulen zusammengefassten Einkünfte von vornherein eine unterschiedliche Leistungsfähigkeit repräsentieren.391 Dies würde bedeuten, nominal gleich hohe Einkünfte als Ausdruck unterschiedlicher Leistungsfähigkeit anzusehen. Bisher gilt im deutschen Einkommensteuerrecht der Grundsatz, dass ein verdienter Euro die gleiche Leistungsfähigkeit repräsentiert, unabhängig davon, wie er verdient wurde. Zum Teil wird dieser Grundsatz jedoch als relativierbar angesehen, da Leistungsfähigkeit normativ bzw. wertend zu bestimmen sei.392 Würde man diesem Ansatz folgen, müsste man jeden Anspruch auf eine belastungsgleiche Besteuerung von vornherein aufgeben. Denn wollte man Leistungsfähigkeit nicht finanziell, sondern normativ bestimmen, würde eine Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes im Steuerrecht schon am Fehlen einer objektivierbaren Vergleichsbasis scheitern. Bei einer wertenden Bestimmung der Leistungsfähigkeit müsste man letztlich darauf abstellen, wie das Einkommen erzielt wurde. Als Kriterien kämen beispielsweise die persönliche Mühewaltung zur Erzielung der Einkünfte sowie das mit der Einkünfteerzielung verbundene Risiko in Betracht.393 Eine konkrete Erfassung der Leistungsfä390 BVerfG v. 21.06.2006 - 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, S. 181. 391 Dies hält beispielsweise Schmehl, Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen mit Mindestbesteuerungseffekt – ein tragfähiges Konzept für das Einkommensteuerrecht? (2004), S. 15. für möglich. 392 Vgl. BFH v. 09.05.2001 - XI B 151/00, BStBl. II 2001, S. 554; Palm, DStR 2002, S. 158 f.; Schmehl, Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen mit Mindestbesteuerungseffekt – ein tragfähiges Konzept für das Einkommensteuerrecht? (2004), S. 15. 393 Vgl. BVerfG v. 21.06.2006 - 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, S. 189; Hey, Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung in Europa (1997), S. 116.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
higkeit im Einzelfall ist anhand dieser Kriterien nicht möglich, da sich weder die „Mühe“ noch das „Risiko“ eines Steuerpflichtigen bei der Einkünfteerzielung in einem Maße objektivieren lassen, dass ein Vergleich mit anderen Steuerpflichtigen möglich wäre. Gleiches gilt für sonstige denkbare „normative“ Leistungsfähigkeitskriterien. Auch die Aussage, dass bestimmte Einkunftsarten zumindest in der Regel eine höhere Leistungsfähigkeit als andere Einkunftsarten repräsentieren, weil sie mit weniger Mühe oder Risiko verbunden sind als andere, ist nicht möglich.394 Eine pauschale Aussage über das mit der Erzielung von Einkünften verbundene Risiko ist nicht möglich. Insofern kann auch auf die Ausführungen des BVerfG in der Entscheidung vom 22.06.2006 zur Tarifbegünstigung für Einkünfte aus Gewerbebetrieb verwiesen werden: „Das spezifische Unternehmerrisiko des Gewerbetreibenden bietet auch keine Anhaltspunkte für die Annahme, die Erwirtschaftung gleicher Zahlungsfähigkeit sei Ausdruck einer geringeren Leistungsfähigkeit [Hervorh. d. Verf.]. Risiken bei der Einkünfteerzielung können gleichermaßen bei allen Einkunftsarten entstehen, etwa bei den übrigen Gewinneinkünften, aber auch bei Kapital- oder Vermietungseinkünften und – aufgrund unsicherer Arbeitsmarktlage – selbst bei Lohneinkünften.“395
Gleiches gilt für das Kriterium der „Mühewaltung“. Sofern man ein solches Kriterium überhaupt irgendwie inhaltlich konkretisieren könnte, wären dennoch keine pauschalen Aussagen über die mit der Erzielung von Einkünften aus einer bestimmten Einkunftsart verbundene „Mühe“ möglich. Beispielsweise ist mit vermögensverwaltenden Tätigkeiten nicht generell weniger „Mühe“ verbunden als mit einer selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit.396 Doch selbst wenn man annähme, dass die Einkünfte aus bestimmten Einkunftsquellen trotz nominal gleicher Höhe eine höhere Leistungsfähigkeit widerspiegeln als Einkünfte aus anderen Quellen,397 so sprä394 So auch Lehner in: Schön (Hrsg.), Einkommen aus Kapital (2007), S. 64, der betont, dass es sich bei dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit um ein homogenes Prinzip handelt. Die gegenteilige Auffassung wird zum Teil im Hinblick auf Erwerbs- und Kapitaleinkommen vertreten, da die Erzielung von Kapitaleinkommen mit weniger Risiko und Mühe verbunden sei (vgl. Nachweis bei Tipke, Die Steuerrechtsordnung 2 (2003), S. 670). 395 BVerfG v. 21.06.2006 - 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, S. 189. 396 So aber beispielsweise Weber-Grellet, NJW 2008, S. 548. der bei Kapitaleinkünften eine „gewisse Mühelosigkeit“ annimmt. 397 In diesem Sinne beispielsweise Schmehl, Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen mit Mindestbesteuerungseffekt – ein tragfähiges Konzept für das Einkommensteuerrecht? (2004), S. 15.: „Eine zulässige Differenzierung könnte zwar grundsätzlich daran anknüpfen, dass Einkunftsarten auch bei einem nominell gleichen steuerrechtlichen Ergebnis nicht immer das Gleiche über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aussagen.“.
193
Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
che dies erst recht für die gleichheitsrechtliche Rechtfertigungsbedürftigkeit von Differenzierungen zwischen den Einkunftsarten.398 Anderenfalls gelangte man zu einem widersinnigen Ergebnis: Differenzierungen innerhalb von Schedulen, in denen die gleiche Leistungsfähigkeit repräsentierende Einkünfte zusammengefasst sind, wären gleichheitsrechtlich rechtfertigungsbedürftig. Hingegen könnte zwischen den strukturell verschiedenen Schedulen das durch Leistungsfähigkeitsaspekte vorgezeichnete Besteuerungsniveau sanktionslos ins Gegenteil verkehrt werden. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Abgeltungsteuer auf Kapitaleinkünfte. Sofern man die Ansicht vertritt, dass Kapitaleinkünfte eine höhere Leistungsfähigkeit widerspiegeln als sonstige Erwerbseinkünfte, weil sie gleichsam „mühelos“ erzielt werden, so müssten sie konsequenterweise höher besteuert werden.399 Da der lineare Steuersatz der Abgeltungsteuer weit unter dem Spitzensteuersatz des progressiven Tarifs liegt, bewirkt sie jedoch gerade bei besonders leistungsfähigen Steuerpflichtigen genau das Gegenteil. Es muss daher an einem finanziellen Leistungsfähigkeitskonzept festgehalten werden. Daraus folgt, dass alle Arten von Einkommen die gleiche Leistungsfähigkeit repräsentieren, unabhängig davon, wie sie erzielt wurden.400 Der Übergang zu einer Schedulenbesteuerung kann somit nicht als eine neue „Belastungsentscheidung“ qualifiziert werden. Die Grundentscheidung für eine Besteuerung des Leistungsfähigkeitsindikators Einkommen wird durch ein Schedulensteuerkonzept nicht ersetzt, sondern in rechtfertigungsbedürftiger Weise durchbrochen.401 Damit ist keineswegs gesagt, dass der Gesetzgeber nicht zwischen verschiedenen Einkunftsarten differenzieren und eine Schedulenbesteuerung einführen dürfte. Die Konsequenz ist vielmehr, dass der Systemwechsel hin zu einer Schedulenbesteuerung nicht in den weiten Spielraum des Gesetzgebers bei der Bestimmung des Steuergegenstandes fällt, sondern im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG durch einen besonderen sachlichen Grund gerechtfertigt sein muss.402 Speziell für die intraperiodi398 Zusätzlich müsste ein Rechtfertigungsbedarf für die Gleichbehandlung von als strukturell unterschiedlich erkannten Einkunftsarten angenommen werden. 399 Vgl. Tipke, Die Steuerrechtsordnung 2 (2003), S. 670. 400 Vgl. Hey, Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung in Europa (1997), S. 116; Tipke, Die Steuerrechtsordnung 2 (2003), S. 860. 401 Vgl. Hey, Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung in Europa (1997), S. 116; Englisch, Die Duale Einkommensteuer - ein Reformmodell für Deutschland? (2005), S. 95; Englisch, StuW 2007, S. 236. 402 Vgl. Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 45. Folgte man der Gegenansicht, so gäbe man dem Gesetzgeber die Möglichkeit, das Leistungsfähigkeitsprinzip durch eine immer stärkere Ausdifferenzierung der Schedulen zu atomisieren und so letztlich den allgemeinen Gleichheitssatz im Ertragsteuerrecht weit-
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
sche Verlustverrechnung folgt daraus, dass auch bei einem Übergang zu einer Schedulenbesteuerung ein Verlustausgleich zwischen den Schedulen gleichheitsrechtlich geboten wäre. cc) Gleichheitsrechtliche Relevanz sog. „unechter“ Verluste Da sich die Bekämpfung von sog. „unechten“ Verlusten403 und Verlustzuweisungsgesellschaften zumindest im Bereich der Einkommensteuer als das zentrale Motiv zur Einführung spezieller Verlustverrechnungsbeschränkungen erwiesen hat,404 soll nachfolgend die gleichheitsrechtliche Relevanz des Konzepts der „unechten“ Verluste untersucht werden. Nach einer Ansicht verstößt der Ausschluss „unechter“ Verluste von der Verlustverrechnung nicht gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip405 und führt dementsprechend nicht zu einer Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG, sondern stellt im Gegenteil erst eine belastungsgleiche Besteuerung sicher.406 Wäre dies zutreffend, so wären Verlustverrechnungsbeschränkungen zur Bekämpfung von „unechten“ Verlusten per se legitim, eine gleichheitsrechtliche Rechtfertigung also nicht erforderlich.407 Zur Begründung dieser Position wird sowohl das objektive Element der – angeblich – fehlenden wirtschaftlichen Belastung durch „unechte“ Verluste, als auch das subjektive Element der bewussten Verlustherbeiführung angeführt.408 Ausgehend von der Annahme, dass „unechte“ Verluste keine wirtschaftliche Belastung für den Steuerpflichtigen darstellen und daher seine Leistungsfähigkeit unberührt lassen, kann man in der Tat zu der Schlussfolgerung gelangen, dass Verlustverrechnungsbeschränkungen, die nur „unechte“ Verluste betreffen, keine Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips darstellen.409 Allerdings ist die Prämisse der fehlenden wirtschaftlichen Belastung nicht zutreffend. Auch hinter sog. „unechten“ Verlusten steht eine echte
403 404 405 406 407 408 409
gehend auszuhebeln. Vgl. dazu Eckhoff in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 85 (in der Diskussion zu den Referaten von Eckhoff und Wendt). Allgemein zur Problematik der „unechten Verluste“ vgl. 1. Teil A. I. 3.. Vgl. 1. Teil B. I. 1. a). Vgl. Birk, StuW 2000, S. 331. Vgl. Stapperfend in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 364; Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 46 in Fn. 29. Vgl. Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 46 in Fn. 29. Vgl. dazu 1. Teil A. I. 3. Vgl. Mönikes, Die Verlustverrechnungsbeschränkungen des Einkommensteuergesetzes im Lichte der Verfassung (2006), S. 22. Das BVerfG hat die gleichheitsrechtliche Relevanz von Vorschriften, die nicht die Geltendmachung von wirtschaftlich entstandenen, sondern durch Steuervergünstigungen generierten Aufwand verhindern, offen gelassen: BVerfG v. 14.07.2006 - 2 BvR 375/00, BVerfGK 8, S. 391.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
wirtschaftliche Belastung für den Steuerpflichtigen. Wird beispielsweise für ein Wirtschaftsgut mit einer Nutzungsdauer von fünf Jahren eine SonderAfA von 100 % gewährt, so ändert dies nichts daran, dass die Anschaffungskosten des Wirtschaftsguts finanziert werden müssen und dass das Wirtschaftsgut am Ende seiner Nutzungsdauer nach fünf Jahren im Regelfall wertlos ist. Ein Steuerpflichtiger, der eine Sonderabschreibung in Anspruch nimmt und infolgedessen möglicherweise einen Verlust ausweist, kann nicht die wirtschaftliche Belastung durch die Anschaffung des Wirtschaftsguts vermeiden, sondern maximal einen Steuerstundungseffekt erzielen.410 Insofern könnte man allenfalls von „verfrühten“ Verlusten sprechen. Dem durch die Generierung „unechter“ Verluste erzielbaren Steuerstundungseffekt kann zwar mittels spezieller intraperiodischer Verlustverrechnungsbeschränkungen wie beispielsweise § 15b EStG411 entgegengewirkt werden. Denn indem die beispielsweise durch die Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen entstehenden Verluste von der Verrechnung mit positiven Einkünften ausgeschlossen werden, können sie ihr Steuerminderungspotential nicht entfalten. Das bedeutet jedoch nicht, dass spezielle intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkungen die Belastungsgleichheit nicht durchbrechen. Gleichheitsrechtlich unbedenklich wäre nur eine Regelung, die nicht über eine Rückgängigmachung des Steuerstundungseffekts hinausgeht. Dies ist mit einer Verlustverrechnungsbeschränkung nur zufällig zu erreichen. Der Grund hierfür ist, dass Verlustverrechnungsbeschränkungen an die aggregierte Größe Verlust anknüpfen: Der Verlust ist das Ergebnis der Zusammenfassung verschiedenster Aufwands- und Ertragsposten.412 Die Durchbrechungen der Belastungsgleichheit, die den zu kompensierenden Steuerstundungseffekt begründen, sind jedoch auf der Ebene dieser einzelnen Aufwands- und Ertragsposten angesiedelt. Es ist keine Einkunftsquelle denkbar, in der ausschließlich Aufwand entsteht, der eine Durchbrechung der Belastungsgleichheit bedeutet. Dies gilt insbesondere für die sog. Verlustzuweisungsgesellschaften. Hier fallen in Form von Finanzierungskosten und üppigen Spesen sehr reale Aufwandsposten an, deren Berücksichtigung für eine gleichmäßige Besteuerung nach der individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit geboten ist. Da die erfassten Verluste stets zumindest teilweise auf derartigen Aufwendungen beruhen, bewirkt eine Verlustverrechnungsbeschränkung ihrerseits eine Abweichung von der Belastungsgleichheit und ist daher gleichheitsrechtlich rechtfertigungsbedürftig. Das bedeutet, dass Verlustverrechnungsbeschränkungen zur exakten Kompensation von 410 Vgl. 1. Teil A. I. 3. c). 411 Vgl. 1 Teil B. I. 1. a) aa) (3). 412 Vgl. 1. Teil A. I. 1.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
Durchbrechungen der Belastungsgleichheit, die der Verlustermittlung vorgelagert sind, strukturell ungeeignet sind. Da somit das objektive Element der angeblich fehlenden wirtschaftlichen Belastung nichts daran ändert, dass Verlustverrechnungsbeschränkungen zur Bekämpfung „unechter“ Verluste die Belastungsgleichheit durchbrechen, könnten derartige Vorschriften allenfalls noch im Hinblick auf das subjektive Element der bewussten Verlustherbeiführung als gleichheitsrechtlich nicht rechtfertigungsbedürftig angesehen werden. Diese Ansicht vertritt unter anderem Birk, für den ein Steuerpflichtiger, der eine Einkunftsart zur Minderung seiner vorhandenen Leistungsfähigkeit durch die Erzielung „unechter“ Verluste instrumentalisiert, die Gleichwertigkeit der Einkunftsarten selbst aufhebt.413 Die steuerliche Verlustberücksichtigung auf unterstellte Motive der Steuerpflichtigen gründen zu wollen, ist jedoch höchst problematisch. Wie bereits dargestellt,414 würde ein solches normatives Leistungsfähigkeitsverständnis der Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes im Steuerrecht die Grundlage entziehen. Zur Wahrung eines Mindestmaßes an Objektivität und Vorhersehbarkeit im Steuerrecht müssen steuerbare Verluste – dass heißt jenseits der Liebhaberei415 – unabhängig von den Motiven, die zu ihrer Entstehung geführt haben, berücksichtigt werden. Eine Vergleichsbasis für die Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes im Steuerrecht liefert nur die numerische Höhe der Einkünfte. Sonstige Elemente können nur auf der Ebene der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung berücksichtigt werden. Daher ist der Umstand der bewussten Herbeiführung von Verlusten für die Frage, ob eine Verlustverrechnungsbeschränkung die Belastungsgleichheit durchbricht, irrelevant. Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass der Umstand, dass mit einer Verlustverrechnungsbeschränkung lediglich der Ausschluss „unechter“ Verluste von der Bemessungsgrundlage bezweckt ist, die gleichheitsrechtliche Rechtfertigungsbedürftigkeit einer solchen Regelung nicht entfallen lässt. dd) Gleichheitsrechtliche Dimension der Steuerfreiheit des Existenzminimums Der Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums fordert in seiner gleichheitsrechtlichen Dimension, dass neben den erwerbssichernden Aufwendungen auch die existenzsichernden Aufwendungen bei der Bestimmung der steuerlichen Leistungsfähigkeit berücksichtigt werden. In der Regel ge413 Vgl. Birk, StuW 2000, S. 331. Deshalb sollen laut Birk Gegenmaßnahmen des Gesetzgebers nicht gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip verstoßen. 414 Vgl. 2. Teil B. I. 1. a) bb). 415 Vgl. 1. Teil A. I. 2.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
schieht dies durch einen Abzug von der Bemessungsgrundlage gemäß dem subjektiven Nettoprinzip.416 Eine gleichmäßige Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist nur gewährleistet, wenn weder das objektive Nettoprinzip noch das subjektive Nettoprinzip durch Abzugsverbote durchbrochen werden. Beide Prinzipien bauen aufeinander auf. Beispiel: S erzielt Erwerbseinnahmen i.H.v. 100.000 €. Seine Erwerbsaufwendungen belaufen sich auf 40.000 €. Zudem leistet S Unterhalt i.S.v. § 10 Nr. 1 EStG i.H.v. 10.000 €. Um die Leistungsfähigkeit des S zutreffend zu ermitteln, müssen von den Erwerbseinnahmen zunächst die Erwerbsaufwendungen abgezogen werden (objektives Nettoprinzip). Von dem verbleibenden Saldo von 60.000 € (100.000 € ./. 40.000 €) müssen in einem zweiten Schritt die Unterhaltsleistungen abgezogen werden, da auch diese die Leistungsfähigkeit des S mindern (subjektives Nettoprinzip). Es ergibt sich eine einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage von 50.000 € (60.000 € ./. 10.000 €).
Die steuerliche Berücksichtigung existenzsichernden Aufwandes wird durch intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkungen nicht berührt. Die Nichtberücksichtigung von Verlusten kann zwar dazu führen, dass dem Steuerpflichtigen nach Zahlung der Steuern weniger als das Existenzminimum verbleibt. Insofern ist jedoch der Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums in seiner freiheitsrechtlichen Dimension betroffen.417 Dass existenzsichernder Aufwand nach dem subjektiven Nettoprinzip steuermindernd berücksichtigt werden kann, beispielsweise durch einen Abzug von der Bemessungsgrundlage als Sonderausgabe gemäß § 10 EStG, wird hingegen durch Beschränkungen der intraperiodischen Verlustverrechnung unter Umständen erst ermöglicht. Wenn nämlich die negativen Einkünfte den positiven Einkünften entsprechen oder diese übersteigen, so könnte bei einer unbeschränkten intraperiodischen Verlustverrechnung der existenzsichernde Aufwand nicht geltend gemacht werden. Ergibt sich jedoch in einer solchen Situation infolge einer Verlustverrechnungsbeschränkung eine positive Bemessungsgrundlage, so wird dadurch die Möglichkeit für eine Berücksichtigung des existenzsichernden Aufwands eröffnet. Beispiel: S erzielt positive Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit i.H.v. 100.000 € sowie einen gemäß § 15 Abs. 4 EStG von der intraperiodischen Verlustverrechnung ausgeschlosse-
416 Vgl. 2. Teil A. I. 1. a) dd) 417 Vgl. 2. Teil A. I. 2. b).
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben nen Verlust aus gewerblicher Tierhaltung i.H.v. ebenfalls 100.000 €. Zudem leistet S Unterhalt i.S.v. § 10 Nr. 1 EStG i.H.v. 10.000 €. Ohne Verlustverrechnungsbeschränkung würde sich eine einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage von 0 € ergeben. Eine Einkommensteuerschuld würde nicht entstehen. Die Unterhaltsaufwendungen blieben unberücksichtigt. Infolge der Verlustverrechnungsbeschränkung in § 15 Abs. 4 EStG ergibt sich jedoch eine positive einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage i.H.v. 100.000 €. Hiervon können die Unterhaltsaufwendungen gemäß § 10 Nr. 1 EStG abgesetzt werden. Infolgedessen wird der Einkommensteuertarif nicht auf eine Bemessungsgrundlage von 100.000 €, sondern nur von 90.000 € (100.000 € ./. 10.000 €) angewendet.
Wie das Beispiel verdeutlicht, beeinträchtigen intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkungen das subjektive Nettoprinzip nicht, sondern ermöglichen zum Teil erst seine Verwirklichung. Ein Konflikt mit dem Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums in seiner gleichheitsrechtlichen Dimension ist daher ausgeschlossen. Denn erforderlich ist insofern nur, dass der existenzsichernde Aufwand leistungsfähigkeitsmindernd berücksichtigt wird.418 Davon strikt zu trennen ist die Frage, ob eine intraperiodische Verlustverrechnung zu einer Durchbrechung der Belastungsgleichheit bzw. zu einem Verstoß gegen den Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums in seiner freiheitsrechtlichen Dimension führt. Beide Gebote würden im Beispiel verletzt. Denn obwohl die Leistungsfähigkeit des S bei der durch das objektive Nettoprinzip gebotenen Saldierung der positiven und negativen Einkunftsbestandteile Null beträgt, ergibt sich eine positive Bemessungsgrundlage von 90.000 € und eine entsprechende Einkommensteuerschuld. Die Ursache hierfür ist jedoch allein die Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips durch das Verlustverrechnungsverbot. ee) Keine gleichheitsrechtliche Notwendigkeit einer Steuererstattung Die bisherige Untersuchung hat ergeben, dass gleichheitsrechtlich grundsätzlich eine uneingeschränkte intraperiodische Verlustverrechnung geboten ist. Dadurch kann die Bemessungsgrundlage jedoch maximal bis auf Null reduziert werden. Verluste, welche der Höhe nach die positiven Einkünfte der Besteuerungsperiode übersteigen, können im Wege der Verlustverrechnung nicht intraperiodisch, sondern bestenfalls interperiodisch berücksichtigt werden. Die einzige Möglichkeit, nicht ausgeglichene Verluste intraperiodisch
418 Vgl. 2. Teil A. I. 1. a) dd).
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
zu berücksichtigen bestünde darin, sie mit einer Steuererstattung in Höhe des Produkts von Grenzsteuersatz und Verlust abzugelten.419 Ein solches Steuererstattungsmodell ist zwar sicherlich zulässig, gleichheitsrechtlich aber nicht geboten. Zwar wird der Staat gelegentlich mit einem stillen Teilhaber verglichen, da er über die Steuererhebung am wirtschaftlichen Erfolg aller Steuerpflichtigen beteiligt ist.420 Allerdings darf dieses Bild nicht zu der Annahme verleiten, aus der Beteiligung des Staates an den Gewinnen folge eine Verpflichtung des Staates, sich an den Verlusten durch einen unmittelbaren finanziellen Beitrag zu beteiligen. Dies würde der Finanzierungsfunktion der Steuer widersprechen.421 Steuern werden in erster Linie erhoben, um den Finanzbedarf des Staates zu decken. Gleichheitsrechtlich geboten ist lediglich eine gleichmäßige Verteilung der Steuerlast. Mehr als eine Steuerfestsetzung auf Null kann vor diesem Hintergrund nicht gefordert werden. Über das Gebot steuerlicher Gleichbelastung hinaus ist der Staat zumindest bei einer rein intraperiodischen Betrachtung nicht gehalten, sich an Verlusten der Steuerpflichtigen durch Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln zu beteiligen. Lediglich das Existenzminimum eines Steuerpflichtigen mit Verlusten muss gegebenenfalls über die Sozialhilfe abgesichert werden. Wenn man das Bild des stillen Teilhabers verwenden möchte, so muss man präzisieren, dass der Staat ein stiller Teilhaber ohne Kapitalbeteiligung und ohne Nachschusspflicht ist. Ob bei einer überperiodischen Betrachtung gegebenenfalls etwas anderes gilt, wenn ein Steuerpflichtiger am Ende der Totalperiode über nicht verrechnete Verluste verfügt, wird im Rahmen der intersubjektiven Verlustverrechnung untersucht.422 b) Gleichheitsrechtliche Rechtfertigung Eine Durchbrechung der Belastungsgleichheit ist gerechtfertigt, wenn sie einem besonderen sachlichen Grund dient. Eine Einschränkung gilt gemäß der Entscheidung des BVerfG zur steuerlichen Berücksichtigung von Jubiläumsrückstellungen für Einzelregelungen bei der Ausgestaltung des Steuertatbestands. Sofern diese nicht das Leistungsfähigkeitsprinzip oder das objektive Nettoprinzip betreffen, sondern lediglich untergeordnete Grundsätze 419 Vgl. Prokisch in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 229 f. sowie zu den Argumenten, die aus ökonomischer Sicht für eine Steuererstattung sprechen Schreiber, Besteuerung der Unternehmen (2005), S. 557. 420 Vgl. Eckhoff in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 14. 421 Vgl. Eckhoff in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 14; Mössner in: Wassermeyer (Hrsg.), Grundfragen der Unternehmensbesteuerung (1994), S. 243. 422 Vgl. 2. Teil B. III. 1. b) bb) (1) (a).
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
tangieren, gilt nur das Willkürverbot.423 Damit hat das BVerfG eine schwierige Abgrenzungsfrage aufgeworfen. Für die Verlustverrechnung stellt sich diese Frage jedoch nicht. Denn die Verlustverrechnung ist kein untergeordneter technischer Aspekt bei der Ausgestaltung der Ertragsbesteuerung. Wie gezeigt wurde, ergibt sich ihre Notwendigkeit unmittelbar aus dem objektiven Nettoprinzip.424 Verlustverrechnungsbeschränkungen durchbrechen das objektive Nettoprinzip und damit die Belastungsgleichheit und sind daher nur bei Vorliegen eines besonderen sachlichen Grundes gleichheitsrechtlich gerechtfertigt. Bei speziellen Verlustverrechnungsbeschränkungen425 bereitet die Ermittlung des Gesetzeszwecks in der Regel aufgrund der Ausrichtung des Tatbestandes auf eine ganz bestimmte Kategorie von Verlusten keine Schwierigkeiten. Anders verhält es sich bei allgemeinen Verlustverrechnungsbeschränkungen,426 deren Kennzeichen gerade ihre unspezifische Wirkungsweise ist. Nachfolgend soll daher bezüglich der Anforderungen an eine gleichheitsrechtliche Rechtfertigung zwischen diesen beiden Kategorien von Verlustverrechnungsbeschränkungen differenziert werden. aa) Spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen (1) Vorliegen eines „besonderen sachlichen Grundes“ Wie bereits gezeigt wurde, können Durchbrechungen der Belastungsgleichheit insbesondere mit der Verfolgung von Lenkungszwecken sowie der Zielsetzung der Vereinfachung und Typisierung gerechtfertigt werden.427 Für die Rechtfertigung spezieller Verlustverrechnungsbeschränkungen kommen jedoch nur Lenkungszwecke in Betracht. Auf die Befugnis des Gesetzgebers zur Typisierung allein können spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen hingegen nicht gestützt werden, da diese gezielt in das normale Gefüge der Verlustverrechnung eingreifen und somit im Ausgangspunkt gerade keine typisierende Regelung treffen. Sie vereinfachen das Steuerrecht nicht, sondern machen es komplizierter. Lenkungszwecke werden im Steuerrecht zumeist über das Setzen von Anreizen verfolgt. Für eine bestimmte, staatlich erwünschte Betätigung der Steuerpflichtigen werden steuerliche Vorteile in Aussicht gestellt, wie etwa Son423 BVerfG v. 12.05.2009 - 2 BvL 1/00, DStRE 2009, S. 924 f. Vgl. auch 2. Teil A. I. 1. a) bb). 424 Vgl. 2. Teil B. I. 1. a) aa). 425 Vgl. zum Begriff der „speziellen Verlustverrechnungsbeschränkung“ 1. Teil A. III. 1. 426 Vgl. zum Begriff der „allgemeinen Verlustverrechnungsbeschränkung“ 1. Teil A. III. 2. 427 Vgl. 2. Teil A. I. 1. b) bb).
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
derabschreibungen für Investitionen in denkmalgeschützte Immobilien nach § 7i EStG. Mit speziellen Verlustverrechnungsbeschränkungen kann umgekehrt ein unerwünschtes Verhalten steuerlich weniger attraktiv gemacht werden. Theoretisch kann mit speziellen Verlustverrechnungsbeschränkungen jedes Lenkungsziel verfolgt werden, das in irgendeiner Form in einen Bezug zu steuerlichen Verlusten gebracht werden kann. Denkbar wäre es zum Beispiel, Investitionen in unerwünschte Technologien, die typischerweise mit hohen Anlaufverlusten verbunden sind, mit einer speziellen Verlustverrechnungsbeschränkung zu belegen. Besondere Bedeutung bei der Rechtfertigung spezieller Beschränkungen der intraperiodischen Verlustverrechnung kommt der Zwecksetzung der Bekämpfung von vom Gesetzgeber als missbräuchlich empfundenen Gestaltungen zu. Die Mehrzahl der derzeit existierenden Tatbestände kann als spezielle Missbrauchsvermeidungsvorschrift qualifiziert werden.428 Da das BVerfG dem Gesetzgeber ausdrücklich zubilligt, der missbräuchlichen Umgehung einer Steuernorm bereits präventiv auf Tatbestandsebene entgegenzuwirken,429 handelt es sich insofern im Ausgangspunkt zweifelsfrei um eine zulässige Zwecksetzung. (2) Grenzen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers Steuernormen sind im Rahmen der gleichheitsrechtlichen Rechtfertigung keiner Verhältnismäßigkeitskontrolle nach dem von den Freiheitsrechten her bekannten Schema (legitimer Zweck, Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit) zu unterwerfen.430 Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich die gleichheitsrechtliche Rechtfertigung von Durchbrechungen der Belastungsgleichheit auf die Feststellung beschränkt, dass die Maßnahme einem legitimen Zweck dient. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG kann ein Lenkungsziel nur dann gleichheitsrechtlich rechtfertigend wirken, wenn es von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen wird.431 Dazu ist erforderlich, dass der Gesetzgeber Ziel und Grenze der Lenkung mit hinreichender Bestimmtheit tatbestandlich vorgezeichnet und gleichheitsgerecht ausgestaltet hat.432 428 429 430 431
Vgl. 1. Teil B. I. 1. a). BVerfG v. 14.07.2006 - 2 BvR 375/00, BVerfGK 8, S. 391. Vgl. 2. Teil A. I. 1. b) cc). BVerfG v. 22.06.1995 - 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, S. 148; BVerfG v. 11.11.1998 - 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, S. 296; BVerfG v. 06.03.2002 - 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, S. 112; BVerfG v. 20.04.2004 - 1 BvR 905/00, BVerfGE 110, S. 293; BVerfG v. 07.11.2006 - 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, S. 32. 432 BVerfG v. 11.11.1998 - 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, S. 296.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
Hierbei handelt es sich um den Mindeststandard an gesetzgeberischer Qualität, den das BVerfG dem Gesetzgeber abverlangt. Konkrete Erkenntnisse für die Ausgestaltung der Verlustverrechnung lassen sich daraus allerdings nicht ableiten. Darüber hinaus stellt das BVerfG noch das Erfordernis auf, dass der Lenkungstatbestand ein Mindestmaß an zweckgerechter Ausgestaltung aufweisen muss.433 Zudem dürfen auch bei der Ausgestaltung von Lenkungstatbeständen die Grenzen zulässiger Typisierung und Pauschalierung nicht überschritten werden. Aus beiden Vorgaben lassen sich allgemeine Maßstäbe für die Rechtfertigung spezieller Verlustverrechnungsbeschränkungen ableiten. (a) Mindestmaß an zweckgerechter Ausgestaltung des Tatbestandes Nach der Rechtsprechung des BVerfG kann ein Lenkungsziel nur dann gleichheitsrechtlich rechtfertigend wirken, wenn der Lenkungstatbestand ein Mindestmaß an zweckgerechter Ausgestaltung aufweist.434 Erforderlich ist hierfür ein Mindestmaß an Abstimmung zwischen dem Zweck, zu dem die Durchbrechung der Belastungsgleichheit erfolgt und dem Tatbestand der Durchbrechung.435 Für die gleichheitsrechtliche Rechtfertigung spezieller Verlustverrechnungsbeschränkungen bedeutet dies, dass es nicht genügt, dass der Gesetzgeber ihre Einführung mit einem zulässigen Lenkungszweck begründet. Erforderlich ist darüber hinaus, dass sie aufgrund ihrer tatbestandlichen Ausgestaltung zur Erreichung dieses Zwecks nicht völlig ungeeignet sind.436 Allerdings hat der Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des BVerfG insofern insbesondere im Steuerrecht einen weiten Einschätzungsspielraum. Er darf bei der Lenkung mit Hilfe des Steuerrechts in Kauf nehmen, dass das Lenkungsziel nicht in jedem Fall erreicht wird.437 Danach kann einer speziellen Verlustverrechnungsbeschränkung nur dann ein Mindestmaß an zweckgerechter tatbestandlicher Ausgestaltung abgesprochen werden, wenn sie offensichtlich nicht der Erreichung der vom Gesetzgeber intendierten Lenkungswirkung dient oder ihr sogar zuwider läuft.
433 434 435 436
BVerfG v. 07.11.2006 - 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, S. 32. BVerfG v. 07.11.2006 - 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, S. 32. BVerfG v. 06.03.2002 - 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, S. 113. Das Erfordernis eines Mindestmaßes an zweckmäßiger Ausgestaltung erinnert an das Kriterium der Geeignetheit im Rahmen der freiheitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Vgl. dazu BVerfG v. 06.03.2002 - 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, S. 112: „Von diesen Maßstäben ausgehend erweist sich die Ertragsanteilsbesteuerung der Rentenbezüge als ein offensichtlich ungeeignetes [Hervorh. d. Verf.] Instrument.“ 437 BVerfG v. 07.11.2006 - 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, S. 32 f.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
Darüber hinaus lehnt es das BVerfG in ständiger Rechtsprechung ab, im Rahmen der gleichheitsrechtlichen Prüfung von Steuernormen zu untersuchen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat.438 Dies bedeutet insbesondere eine Absage an das Kriterium der „Erforderlichkeit“ aus der freiheitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Die gleichheitsrechtliche Rechtfertigung einer speziellen Verlustverrechnungsbeschränkung kann daher nicht mit der Begründung verneint werden, dass das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel auch mit einer die Belastungsgleichheit wahrenden oder weniger stark beeinträchtigenden Maßnahme hätte erreicht werden können. (b) Grenzen der Typisierungsbefugnis Die Befugnis des Gesetzgebers zur Vereinfachung und Typisierung kann Durchbrechungen des Grundsatzes der Belastungsgleichheit rechtfertigen.439 Aber auch bei der Ausgestaltung von Lenkungsnormen darf der Gesetzgeber den praktischen Erfordernissen der Verwaltung durch typisierende Regelungen Rechnung tragen.440 Bei der Verfolgung von Lenkungszwecken mittels spezieller Verlustverrechnungsbeschränkungen ist der Gesetzgeber somit berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in dem Gesamtbild zu erfassen, das nach den ihm vorliegenden Erfahrungen die regelungsbedürftigen Sachverhalte zutreffend wiedergibt. Sofern der Gesetzgeber im Rahmen einer speziellen Verlustverrechnungsbeschränkung auf eine typisierende Regelung zurückgreift, muss er jedoch zugleich die Grenzen zulässiger Typisierung beachten.441 Relevant werden diese insbesondere dann, wenn der Gesetzgeber mittels einer speziellen Verlustverrechnungsbeschränkung eine missbräuchliche Steuergestaltung bekämpfen will. Hier ist genau zu prüfen, ob der Gesetzgeber tatsächlich einen typischen Missbrauchsfall zum Anlass für eine Typisierung nimmt.442 Ausgehend von dem Zweck, den der Gesetzgeber mit einer Verlustverrechnungsbeschränkung verfolgt, kann beurteilt werden, ob sich der konkrete Tatbestand noch im Rahmen einer zulässigen Typisierung bewegt oder zu weit bzw. nicht ausreichend zielgenau gefasst ist. 438 BVerfG v. 02.10.1969 - 1 BvL 12/68, BVerfGE 27, S. 67; BVerfG v. 08.10.1991 - 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, S. 359; BVerfG v. 05.02.2002 - 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, BVerfGE 105, S. 47; BVerfG v. 07.11.2006 - 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, S. 32 f. 439 Vgl. 2. Teil A. I. 1. b) bb) (3). 440 BVerfG v. 21.06.2006 - 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, S. 182 f. 441 Vgl. 2. Teil A. I. 1. b) bb) (3). 442 Vgl. Drüen, StuW 2008, S. 13.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
bb)
Allgemeine Verlustausgleichsbeschränkungen
Auch allgemeine Beschränkungen der intraperiodischen Verlustverrechnung durchbrechen die Belastungsgleichheit. Gleichheitsrechtlich zulässig ist dies – wie im Fall von speziellen Verlustverrechnungsbeschränkungen – nur dann, wenn für die Abweichung von der folgerichtigen Umsetzung der Belastungsentscheidung ein besonderer sachlicher Grund vorliegt. Genau hieran fehlt es aber bei allgemeinen Verlustverrechnungsbeschränkungen. Sie können weder mit der Verfolgung von Lenkungszwecken noch mit dem Gedanken der Typisierung gerechtfertigt werden. Auch die Zielsetzung der Haushaltskonsolidierung kann allgemeine Beschränkungen der intraperiodischen Verlustverrechnung nicht rechtfertigen. (1) Keine Rechtfertigung durch Lenkungs- bzw. Typisierungszwecke Allgemeine Beschränkungen der intraperiodischen Verlustverrechnung können theoretisch sehr verschieden ausgestaltet sein.443 Alle Spielarten allgemeiner Verlustverrechnungsbeschränkungen haben eines gemeinsam: sie sind aufgrund ihrer unspezifischen Wirkung als Instrument einer zielgerichteten Verhaltenslenkung ungeeignet. Mittels einer speziellen Verlustverrechnungsbeschränkung kann der Gesetzgeber spezifische Signale an die Steuerpflichtigen senden. Durch § 15b EStG teilt er ihnen mit, dass sie nicht in Steuerstundungsmodelle investieren sollen, und durch § 15 Abs. 4 S. 6 EStG, dass sie die Abschaffung der Mehrmütterorganschaft nicht umgehen sollen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Die einzige Botschaft, die eine allgemeine Beschränkung der intraperiodischen Verlustverrechnung enthält ist, dass diejenigen bestraft werden, die Verluste erleiden. Man könnte argumentieren, der Gesetzgeber lege den Steuerpflichtigen damit nahe, keine Verluste auszuweisen. Als Adressaten einer solchen Verhaltensanweisung scheiden jedoch von vornherein die Steuerpflichtigen aus, die Verluste nicht freiwillig „erzielen“, sondern unfreiwillig hinnehmen müssen und die auch nicht in der Lage sind, den Ausweis von Verlusten durch gestalterische Maßnahmen wie das Heben stiller Reserven zu vermeiden. Empfänglich für eine Verhaltenslenkung mittels einer Verlustverrechnungsbeschränkung sind überhaupt nur Steuerpflichtige, die eine mit einer Verlustphase verbundene Investition planen und daher die Entstehung von Verlusten bewusst in Kauf nehmen. Wenn allerdings der Gesetzgeber aus wirtschaftspolitischen Gründen auf die Auswahl des Investitionsvorhabens Einfluss nehmen will, so ist dies nur mit einer speziellen Verlustverrechnungsbeschränkung möglich. Eine allgemeine Verlustver443 Vgl. 1. Teil A. III. 2.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
rechnungsbeschränkung kommt hierfür wegen ihrer unspezifischen Wirkung nicht in Frage. Beispielsweise will der Gesetzgeber durch § 15 Abs. 4 S. 1-2 EStG Investitionen in gewerbliche Tierzucht weniger attraktiv manchen, indem er die Verlustverrechnung einschränkt. Wenn aber infolge einer allgemeinen Verlustverrechnungsbeschränkung eine Verlustverrechnung generell nicht mehr möglich ist, so geht diese negative Anreizwirkung verloren, da alle mit Anlaufverlusten verbundenen Investitionsvorhaben gleich behandelt werden. Unvermeidlich mit erfasst von einer allgemeinen Verlustverrechnungsbeschränkung sind natürlich Steuerpflichtige, deren verlustträchtiges Investitionsvorhaben der Gesetzgeber als eine missbräuchliche Steuergestaltung qualifiziert. Auch dieser Umstand ist jedoch nicht geeignet, die von allgemeinen intraperiodischen Verlustverrechnungsbeschränkungen ausgehende Durchbrechung der Belastungsgleichheit zu rechtfertigen. Denn bezüglich der Lenkungszwecke, deren Verwirklichung durch eine allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkung möglicherweise gefördert wird, wäre jedenfalls der Rahmen einer zulässigen Typisierung verlassen. Wenn der Gesetzgeber nur bestimmte Steuerpflichtige treffen will, zu diesem Zweck aber allen Steuerpflichtigen pauschal die Verlustverrechnung verweigert, dann orientiert er sich offensichtlich gerade nicht am „typischen“ Fall. Zudem nimmt er in Kauf, dass durch die mit der Typisierung verbundenen Härten und Ungerechtigkeiten mehr als nur eine kleine Zahl von Steuerpflichtigen betroffen ist. Wird eine allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkung für spezifische Lenkungszwecke eingesetzt, ist die Relation vielmehr genau umgekehrt. Die Zahl der zu Recht von der Norm erfassten Steuerpflichtigen ist im Verhältnis zu den fälschlicherweise Erfassten sehr gering. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen generell nicht mit der Verfolgung von Lenkungs- oder Typisierungszwecken gerechtfertigt werden können. (2) Keine Rechtfertigung durch die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen sind fiskalisch sehr effektiv.444 Der Fiskalzweck allein kann zwar eine Durchbrechung der Belastungsgleichheit nicht rechtfertigen.445 Angesichts der angespannten Lage der öffentlichen Haushalte bestand von Seiten der Politik und des Gesetzgebers jedoch zumindest eine Tendenz, die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidie444 Vgl. 1. Teil A. III. 2. 445 Vgl. 2. Teil A. I. 1. b) bb) (1).
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
rung bzw. des Schuldenabbaus als einen gegenüber dem bloßen Fiskalzweck selbständigen Gemeinwohlbelang zu etablieren.446 Würde dies zutreffen, so könnten auch allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen als effektives Instrument zur Erhöhung des Steueraufkommens gleichheitsrechtlich gerechtfertigt werden.447 Bei genauer Betrachtung kann das Ziel der Haushaltskonsolidierung jedoch nicht als über den Fiskalzweck hinausgehender Gemeinwohlbelang qualifiziert werden. Eine Haushaltskonsolidierung kann nur auf zwei Wegen erreicht werden: Durch eine Senkung der Ausgaben bzw. durch eine Steigerung der Einnahmen. Wählt der Staat den Weg über die Steigerung der Einnahmen, so darf er das Steueraufkommen grundsätzlich nur unter Wahrung der Belastungsgleichheit steigern.448 Wenn es nicht möglich oder nicht gewollt ist, in ausreichendem Maße Steuervergünstigungen zu streichen, ist hierzu eine gleichmäßige Anhebung der Steuersätze erforderlich. Wenn der Gesetzgeber stattdessen zur Steigerung der Einnahmen die Bemessungsgrundlage manipuliert, bedeutet dies zwangsläufig eine Durchbrechung der Belastungsgleichheit. Besonders eklatant ist dies bei allgemeinen intraperiodischen Verlustverrechnungsbeschränkungen, die grundlegend in die Erfassung steuerlicher Leistungsfähigkeit eingreifen. Die anteilige Tragung der Steuerlast wird generell – und nicht nur punktuell wie bei speziellen Verlustverrechnungsbeschränkungen – von Steuerpflichtigen ohne Verluste hin zu Steuerpflichtigen mit Verlusten verschoben.449 Beispiel: In einem Gemeinwesen existieren zwei Gruppen von Steuerpflichtigen. Die Mitglieder der Gruppe A erzielen ausschließlich positive Einkünfte i.H.v. insgesamt 100.000.000 €. Die Mitglieder der Gruppe B verfügen jeweils über mehrere Einkunftsquellen mit positiven und negativen Ergebnissen. Die Summe aller positiven Einkunftsquellenergebnisse beträgt 150.000.000 €, die Summe aller negativen Einkunftsquellenergebnisse 50.000.000 €. Eine intraperiodische Verlustverrechnung ist bei jedem einzelnen Steuer446 Diese Tendenz wurde besonders in der Kontroverse um die Begrenzung der Abzugsfähigkeit für Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnort und Arbeitsstätte deutlich. Vgl. BT-Drs. 16/1545, S. 13: „Bereits heute sind deswegen die Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nur begrenzt abziehbar. Es ist dem Gesetzgeber darüber hinaus aber auch möglich, die Aufwendungen grundsätzlich als nicht abzugsfähige Ausgaben zu qualifizieren. Die notwendige Haushaltskonsolidierung [Hervorh. d. Verf.] erfordert eine derartige Einordnung.“ 447 Vgl. Kempermann in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 114 f. 448 FG des Saarlandes v. 22.03.2007 - 2 K 2442/06, EFG 2007, S. 857; Hey, FR 2008, S. 1036. 449 Vgl. Schmehl, Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen mit Mindestbesteuerungseffekt – ein tragfähiges Konzept für das Einkommensteuerrecht? (2004), S. 2.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung pflichtigen vollständig möglich, so dass sich per Saldo positive Einkünfte i.H.v. 100.000.000 € ergeben. Der Steuersatz beträgt 40 %. Bei dieser Ausgangslage steht dem Gemeinwesen ein Steueraufkommen von 80.000.000 € zur Verfügung: Ausgangsfall Bemessungsgrundlage Steueraufkommen (s = 40 %) Anteil am Steueraufkommen
Gruppe A 100.000.000 € 40.000.000 € 50 %
Gruppe B 100.000.000 € 40.000.000 € 50 %
Summe 200.000.000 € 80.000.000 € 100 %
Soll das Steueraufkommen auf 100.000.000 € gesteigert werden, so kann dies unter Wahrung der Belastungsgleichheit durch eine Anhebung des Steuersatzes auf 50 % erreicht werden: Variante 1 (Anhebung des Steuersatzes) Gruppe A Bemessungsgrundlage 100.000.000 € Steueraufkommen (s = 50 %) 50.000.000 € Anteil am Steueraufkommen 50 %
Gruppe B 100.000.000 € 50.000.000 € 50 %
Summe 200.000.000 € 100.000.000 € 100 %
Die gleiche Steigerung des Steueraufkommens lässt sich vorliegend auch durch ein generelles Verbot der intraperiodischen Verlustverrechnung erreichen. Dadurch wird die Belastungsrelation zwischen der Gruppe der Steuerpflichtigen ohne Verluste und der Gruppe der Steuerpflichtigen mit Verlusten verschoben: Variante 2 (Einführung einer allgemeinen Verlustverrechnungsbeschränkung) Gruppe A Gruppe B Summe Nicht verrechenbare Verluste -50.000.000 € -50.000.000 € Bemessungsgrundlage 100.000.000 € 150.000.000 € 250.000.000 € Steueraufkommen (s = 40 %) 40.000.000 € 60.000.000 € 100.000.000 € Anteil am Steueraufkommen 40 % 60 % 100 %
Das Beispiel zeigt deutlich die von einer allgemeinen Verlustverrechnungsbeschränkung bewirkte Verschiebung in der Verteilung der Steuerlast. Im Ausgangsfall tragen beide Gruppen entsprechend ihrer gleichen Leistungsfähigkeit jeweils 50 % zum Steueraufkommen bei. Bei einer Anhebung des Steuersatzes bleibt es auch nach der Steuererhöhung bei dieser Relation. Wird hingegen das Steueraufkommen erhöht, indem die intraperiodische Verlustverrechnung allgemein beschränkt wird, so führt dies zu einer Verschiebung der anteiligen Steuerlast hin zu den Steuerpflichtigen mit Verlusten in Gruppe B. Trotz gleicher Leistungsfähigkeit tragen sie nunmehr 60 % der Steuerlast, während die Angehörigen der Gruppe A nur noch mit 40 % an der Deckung des Finanzbedarfs des Gemeinwesens beteiligt sind.450 Auch 450 Wenn ein Verlustvortrag möglich ist und man unterstellt, dass keine Verluste endgültig verloren gehen, gleicht sich die intraperiodische Mehrbelastung des einzelnen
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
die Herstellung eines ausgeglichenen Haushalts ohne Neuverschuldung und – in einem nächsten Schritt – der Einstieg in den Abbau der Staatsverschuldung dürfen auf der Einnahmenseite nur durch eine gleichmäßige Zusatzbelastung aller Steuerpflichtigen angestrebt werden. Das Ziel, zukünftige Steuerzahler durch eine Begrenzung der Staatsverschuldung zu entlasten, rechtfertigt keine ungleiche Belastung der aktuellen Steuerzahler.451 Dieser Befund wird zusätzlich durch folgende Überlegung gestützt: Würde man den Gedanken der Haushaltskonsolidierung vom allgemeinen Fiskalzweck abschichten, so könnte der Grundsatz, dass der allgemeine Finanzbedarf keine Belastungsungleichheit legitimiert, sehr leicht umgangen werden. Anstatt Mehrausgaben unzulässigerweise über eine ungleich belastende Steuererhöhung zu finanzieren, müsste der Gesetzgeber nur den Umweg über eine vorübergehende Erhöhung der Neuverschuldung wählen. Ungleich belastende Steuererhöhungen zum Abbau der Neuverschuldung könnte er dann mit dem Gedanken der Haushaltskonsolidierung rechtfertigen. Die Verwirklichung von Belastungsgleichheit wäre letztlich ins freie Belieben des Gesetzgebers gestellt.452 Vor diesem Hintergrund ist es sehr zu begrüßen, dass das BVerfG in seiner Entscheidung zur Entfernungspauschale dem Versuch, das Gebot der Belastungsgleichheit unter Berufung auf die verfassungs- und europarechtlichen Anforderungen an die Begrenzung der Staatsverschuldung zu relativieren, eine klare Absage erteilt hat.453 Lediglich hinsichtlich des Abbaus von Steuervergünstigungen gewährt das BVerfG dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Insofern darf sich der Gesetzgeber auch auf finanzpolitische und steuertechnische Erwägungen berufen. Dies soll insbesondere dann gelten, wenn der Abbau im Rahmen eines Gesamtprogramms erfolgt, dessen Ziel die Herstellung eines ausgeglichenen Haushalts ist.454 Hierbei handelt es sich eigentlich um eine Selbstverständlichkeit. Denn durch die Aufhebung von Steuervergünstigungen wird keine Ungleichheit herbeigeführt, sondern im Gegenteil größere Belastungsgleich-
451 452 453 454
Steuerpflichtigen mit Verlusten interperiodisch aus. Die Belastung der betroffenen Steuerpflichtigen beschränkt sich dann auf den Zins- und Liquiditätsnachteil sowie – eventuell – auf einen Progressionsnachteil. Doch selbst unter der nicht realistischen Annahme der vollständigen interperiodischen Verlustverrechnung bleibt es intraperiodisch bei der beschriebenen Steuerlastverschiebung zwischen den Gruppen der Steuerpflichtigen mit und ohne Verluste. Vgl. Drüen, StuW 2008, S. 12. FG des Saarlandes v. 22.03.2007 - 2 K 2442/06, EFG 2007, S. 857. BVerfG v. 09.12.2008 - 2 BvL 1/07; 2BvL 2/07; 2 BvL 1/08; 2 BvL 2/08, NJW 2009, S. 51 f. Vgl. auch Drüen, Ubg 2009, S. 26. BVerfG v. 02.10.1969 - 1 BvL 12/68, BVerfGE 27, S. 66; BVerfG v. 05.02.2002 - 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, BVerfGE 105, S. 46.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
heit hergestellt.455 Eine solche Maßnahme löst somit schon gar keinen gleichheitsrechtlichen Rechtfertigungsbedarf aus. Die intraperiodische Verlustverrechnung stellt jedoch gerade keine Steuervergünstigung dar, sondern verwirklicht Belastungsgleichheit. Bezüglich konkreter Ausgabenposten kann es durchaus zweifelhaft sein, ob das objektive Nettoprinzip die steuerliche Abziehbarkeit gebietet oder ob es sich um eine Steuersubvention handelt. Für die Verlustverrechnung stellt sich diese Problematik nicht, da hier das objektive Nettoprinzip gewissermaßen in Reinform betroffen ist.456 Selbst wenn man alle Streitfälle über die Absetzbarkeit bestimmter Aufwendungen als Steuersubventionen qualifizierte, so blieben doch Abzugsposten übrig, die zweifelsfrei der Verwirklichung des objektiven Nettoprinzips dienen und die daher die steuerliche Bemessungsgrundlage mindern müssen. Für die hier zu beantwortende Frage der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Verlustverrechnung muss unterstellt werden, dass die Verluste auf solchen zweifelsfreien Aufwandsposten beruhen. cc) Rechtfertigung von Verlustverrechnungsbeschränkungen im Rahmen eines Schedulensteuerkonzepts Die bisherige Untersuchung hat ergeben, dass allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen um ihrer selbst willen gleichheitsrechtlich nicht gerechtfertigt werden können. Anders stellt sich die Situation im Rahmen eines Schedulensteuerkonzepts dar. Hier ergibt sich eine allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkung zwischen den einzelnen Schedulen als systembedingte Nebenfolge.457 Wenn eine schedulare Einkommensteuer in ihrer konkreten Ausgestaltung insgesamt gleichheitsrechtlich gerechtfertigt ist, dann umfasst die Rechtfertigungswirkung auch die systembedingte allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkung. Zwar kann auch im Rahmen einer Schedulenbesteuerung ein Verlustausgleich über ein System von Steuergutschriften hergestellt werden. Die Notwendigkeit einer derartigen Modifikation des Systems der Schedulenbesteuerung könnte verfassungsrechtlich aber nur über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung begründet werden. Das Argumentationsmuster würde dann lauten, dass eine Schedulenbesteuerung zwar zulässig, ein Komplettausschluss der Verlustverrechnung jedoch nicht erforderlich bzw. nicht angemessen ist. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung findet aber bei der Anwendung des Gleichheitssatzes im Steuerrecht gerade nicht statt. 455 BVerfG v. 05.02.2002 - 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, BVerfGE 105, S. 47. 456 Vgl. 2. Teil A. I. 1. a) cc) (4). 457 Vgl. 2. Teil B. I. 1. a) aa) (2) und bb).
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
Im Rahmen dieser Arbeit kann nicht jede potentielle Form der Schedulenbesteuerung auf ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit hin untersucht werden. Aus der Rechtsprechung des BVerfG geht jedoch hervor, dass die Einführung einer Schedulenbesteuerung gleichheitsrechtlich gerechtfertigt werden kann.458 Bereits in seiner Entscheidung zur Zinsbesteuerung vom 27.06.1991 hatte das BVerfG darauf hingewiesen, dass es dem Gesetzgeber frei stehe, eine Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge einzuführen.459 Eine derartige Abgeltungsteuer bedeutet nichts anderes als einen Bruch mit der synthetischen Einkommensteuer und den Übergang zu einer analytischen Schedulenbesteuerung.460 Ausdrücklich zur Schedulenbesteuerung hat sich das BVerfG in seiner Entscheidung zu § 32c EStG vom 21.06.2006 geäußert.461 Dabei hat das BVerfG einerseits klargestellt, dass eine Schedulenbesteuerung im Hinblick auf die durch sie bewirkte Durchbrechung des Grundsatzes der Belastungsgleichheit gleichheitsrechtlich rechtfertigungsbedürftig ist. Andererseits ergibt sich aus der Entscheidung aber auch eindeutig, dass die Durchbrechung der Belastungsgleichheit durch eine Schedulenbesteuerung gerechtfertigt sein kann. Insofern gelten die gleichen Anforderungen, die ganz allgemein an die Rechtfertigung einer Durchbrechung der Belastungsgleichheit zu stellen sind. Erforderlich ist somit, dass der Gesetzgeber für die Einführung der Schedulenbesteuerung besondere sachliche Gründe anführen kann.462 c) Zusammenfassung: Gleichheitsrechtliche Vorgaben für die intraperiodische Verlustverrechnung Die gleichheitsrechtlichen Vorgaben für die intraperiodische Verlustverrechnung können folgendermaßen zusammengefasst werden: Gleichheitsrechtlich ist im Ausgangspunkt eine umfassende intraperiodische Verlustverrechnung geboten. Dies ergibt sich in erster Linie daraus, dass das objektive Nettoprinzip als steuerrechtsspezifische Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips und damit des allgemeinen Gleichheitssatzes einkunftsquellenübergreifend zu verstehen ist. Das objektive Nettoprinzip ist im Rahmen der Einkommen- und Körperschaftsteuer auf die Person des Steuerpflichtigen und im Rahmen der Gewerbesteuer auf den Gewerbebetrieb bezogen. Auch bei einer generellen Umstellung der Ertragsbesteuerung auf ein schedulares
458 459 460 461 462
So auch Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 45. BVerfG v. 27.06.1991 - 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, S. 282. Vgl. Englisch, StuW 2007, S. 222. BVerfG v. 21.06.2006 - 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, S. 181. So auch Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 45.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
Besteuerungssystem ist gleichheitsrechtlich eine Verlustverrechnung zwischen den einzelnen Schedulen geboten. Aus dem Umstand, dass zur Verwirklichung von Belastungsgleichheit eine unbeschränkte intraperiodische Verlustverrechnung erforderlich ist, ergibt sich im Umkehrschluss, dass Beschränkungen der intraperiodischen Verlustverrechnung eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung darstellen. Der Umstand, dass mit einer Verlustverrechnungsbeschränkung lediglich der Ausschluss „unechter“ Verluste463 von der Bemessungsgrundlage bezweckt ist, lässt die gleichheitsrechtliche Rechtfertigungsbedürftigkeit nicht entfallen. Die durch eine spezielle Verlustverrechnungsbeschränkung464 bewirkte Durchbrechung des Grundsatzes der Belastungsgleichheit ist gerechtfertigt, wenn die Vorschrift einem besonderen sachlichen Grund dient, ein Mindestmaß an zweckgerechter Ausgestaltung aufweist und sich im Rahmen einer zulässigen Typisierung hält. Demgegenüber sind allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen465 einer gleichheitsrechtlichen Rechtfertigung nicht zugänglich und daher stets mit dem allgemeinen Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG, unvereinbar. 2. Freiheitsrechtliche Vorgaben für die intraperiodische Verlustverrechnung Freiheitsrechtliche Vorgaben für die intraperiodische Verlustverrechnung ergeben sich zum einen aus der Eigentumsgarantie und zum anderen aus der freiheitsrechtlichen Dimension des Gebots der Steuerfreiheit des Existenzminimums. a) Eigentumsgarantie Die Belastung der Steuersubjekte mit Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer stellt angesichts des staatlichen Finanzbedarfs einen unvermeidlichen Freiheitseingriff dar. Entscheidend für die Vereinbarkeit der Steuerbelastung mit Art. 14 GG ist daher, inwieweit der Eingriff in die von Art. 14 GG geschützten Eigentumspositionen der Steuerpflichtigen gerechtfertigt ist. Die Eigentumsgarantie kann den Freiheitseingriff durch Besteuerung nicht verhindern, sondern nur seiner Intensität Grenzen setzen. Dementsprechend ist auch für die Konkretisierung der Anforderungen, die sich aus Art. 14 GG für die intraperiodische Verlustverrechnung ergeben, nicht so sehr die Frage
463 Vgl. zum Begriff des „unechten Verlusts“ 1. Teil A. I. 3. 464 Vgl. zum Begriff der „speziellen Verlustverrechnungsbeschränkung“ 1. Teil A. III. 1. 465 Vgl. zum Begriff der „allgemeinen Verlustverrechnungsbeschränkung“ 1. Teil A. III. 2.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
der Schutzbereichseröffnung und des Eingriffs, als vielmehr die Ebene der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung relevant. aa) Schutzbereichseröffnung und Eingriff Im Jahr 1991 hat das BVerfG in einem Nichtannahmebeschluss festgestellt, dass sich aus Art. 14 GG keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Beschränkung der Verlustverrechnung ergäben.466 Zur Begründung verwies die Kammer darauf, dass Art. 14 GG grundsätzlich nicht gegen die Auferlegung von Geldleistungspflichten schütze. Nur wenn eine solche Pflicht den Betroffenen übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigen würde, käme eine Grundrechtsverletzung in Betracht.467 Diese Position ist – wie bereits gezeigt wurde468 – seit der Entscheidung des 2. Senats des BVerfG vom 18.01.2006469 überholt. Was der Steuerpflichtige in der Besteuerungsperiode durch die Einkommenserzielung hinzuerwirbt, fällt in den Schutzbereich von Art. 14 GG. In diese geschützte Position greift die Belastung mit Ertragsteuern in Gestalt einer Inhalts- und Schrankenbestimmung ein. Regelungen zur intraperiodischen Verlustverrechnung sind ein zentraler Bestandteil des Normengefüges im EStG, KStG und GewStG, aus dem sich für den einzelnen Steuerpflichtigen die konkrete Steuerbelastung und damit eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums i.S.v. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG ergibt. Vor allem aber führen Verlustverrechnungsbeschränkungen grundsätzlich zu einer Erhöhung der Steuerbelastung und damit zu einer Intensivierung des Eingriffs in die geschützte Eigentumsposition.470 Aus diesem Grund sind intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkungen in die Prüfung, ob der Steuereingriff am Maßstab des Art. 14 GG verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist, mit einzubeziehen. Der BFH hat in seinem § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. betreffenden Vorlagebeschluss gemäß Art. 100 Abs. 1 GG bereits die Konsequenzen aus der geänderten Rechtsprechung des 2. Senats des BVerfG gezogen und festgestellt, dass die Regelung vor Art. 14 GG rechtfertigungsbedürftig sei.471
466 467 468 469 470 471
BVerfG v. 22.07.1991 - 1 BvR 313/88, NJW 1992, S. 169. BVerfG v. 22.07.1991 - 1 BvR 313/88, NJW 1992, S. 169. Vgl. 2. Teil A. I. 2. a) aa) (2). BVerfG v. 18.01.2006 - 2 BVR 2194/99, BVerfGE 115, S. 97 ff. Dies gilt zumindest bezogen auf die konkrete Besteuerungsperiode. BFH v. 06.09.2006 - XI R 26/04, BStBl. II 2007, S. 170 f.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
bb)
Rechtfertigung
Um als Inhalts- und Schrankenbestimmung i.S.v. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG verfassungsgemäß zu sein, muss die Belastung durch Einkommen-, Körperschaft- oder Gewerbesteuer insbesondere einer Verhältnismäßigkeitskontrolle standhalten. Es wurde bereits gezeigt, dass für die Effektivität dieser Verhältnismäßigkeitskontrolle entscheidend ist, ob sich die Steuerbelastung im Rahmen der Belastungsgrundentscheidung hält oder steuerverschärfend über diese hinausgeht.472 Im ersten Fall wird die Steuerbelastung durch den Fiskalzweck legitimiert, weshalb – zumindest nach der Aufgabe des Halbteilungsgrundsatzes durch das BVerfG – der Steuerbelastung nur äußerst weite Grenzen gesetzt sind. Dagegen können steuerverschärfende Durchbrechungen der Belastungsgrundentscheidung nur durch einen über den Fiskalzweck hinausgehenden Zweck legitimiert werden, weshalb eine effektive Verhältnismäßigkeitsprüfung möglich ist.473 Insofern kommt dem aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Gebot steuerlicher Gleichbelastung auch im Rahmen des Art. 14 GG eine zentrale Bedeutung zu, da es den Maßstab für das Vorliegen einer steuerverschärfenden Durchbrechung der Belastungsgrundentscheidung liefert.474 Im Hinblick auf die Verlustverrechnung wird Art. 3 Abs. 1 GG im Ertragsteuerrecht durch das objektive Nettoprinzip konkretisiert. Steuerverschärfend wirkende Durchbrechungen des objektiven Nettoprinzips sind gleichbedeutend mit einer steuerverschärfenden Durchbrechung der Belastungsgrundentscheidung und müssen daher im Rahmen von Art. 14 GG bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung durch eine über den Fiskalzweck hinausgehende Zielsetzung legitimiert sein. Darin kommt die freiheitsrechtliche Dimension des objektiven Nettoprinzips zum Ausdruck.475 Wie bei der Darstellung der gleichheitsrechtlichen Vorgaben für die intraperiodische Verlustverrechnung gezeigt wurde, durchbrechen intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkungen das objektive Nettoprinzip in steuerverschärfender Weise.476 Daraus folgt, dass intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkungen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung einem über den Fiskalzweck hinausgehenden Zweck dienen müssen, um verfassungsrechtlich gerechtfertigt zu sein. Der Beitrag der Eigentumsgarantie zum verfassungsrechtlichen Rahmen, der bei der Ausgestaltung der Verlustverrechnung zu beachten ist, besteht somit darin, den Rechtfertigungsaufwand
472 473 474 475 476
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Vgl. 2. Teil A. I. 2. a) bb). Vgl. 2. Teil A. I. 2. a) bb) (1) und (2). Vgl. 2. Teil A. I. 2. a) bb) (2) (a). Vgl. 2. Teil A. I. 2. a) bb) (2) (b). Vgl. 2. Teil B. I. 1. a) aa).
Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
für Durchbrechungen der Belastungsgleichheit mittels Verlustverrechnungsbeschränkungen zu erhöhen. Unternehmer A verfügt über zwei Gewerbebetriebe. Mit Betrieb 1 erzielt er einen Gewinn von 120.000 €, mit Betrieb 2 einen Verlust von 30.000 €. Aufgrund einer Verlustverrechnungsbeschränkung darf A den Verlust aus Betrieb 2 nicht mit dem Gewinn aus Betrieb 1 verrechnen. Der Steuersatz beträgt 50 %. Nach dem objektiven Nettoprinzip müssten die Ergebnisse beider Einkunftsquellen des A saldiert werden. Es ergäbe sich eine Bemessungsgrundlage von 90.000 € (120.000 € ./. 30.000 €) und eine Steuerlast von 45.000 € (90.000 € x 50 %). Diese Steuerlast entspricht der Belastungsgrundentscheidung. Infolge der Verlustverrechnungsbeschränkung ist Bemessungsgrundlage jedoch der volle Gewinn aus Betrieb 1 (120.000 €). Es ergibt sich eine Steuerlast von 60.000 € (120.000 € x 50 %). Das Nettoeinkommen des A beträgt 30.000 € (90.000 € ./. 60.000 €). Die Sonderbelastung gegenüber der Belastungsgrundentscheidung in Höhe von 15.000 € (60.000 € ./. 45.000 €) ist nicht durch den Fiskalzweck legitimiert. Gewinn Betrieb 1 (zugleich einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage) (120.000 €) = Einkommen des A (90.000 €) Nettoeinkommen (30.000 €)
Sonderbelastung (15.000 €)
./. Verlust Betrieb 2 (30.000 €)
./. Einkommensteuerlast (120.000 € x 50% = 60.000 €)
Belastungsgrundentscheidung (90.000 € x 50% = 45.000 €)
Abbildung 22 Nicht fiskalisch legitimierte Sonderbelastung durch Verlustverrechnungsbeschränkung
(1) Spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen Spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen entsprechen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn sie einem legitimen Zweck dienen und zur Erreichung dieses Ziels geeignet, erforderlich und angemessen sind. Als Zwecksetzung für spezielle intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkungen kommen die gleichen Umstände in Betracht, die im Rahmen der gleichheitsrechtlichen Prüfung als besondere sachliche Gründe eine Durchbrechung der Belastungsgleichheit rechtfertigen können. Neben allgemeinen wirtschaftspolitischen Lenkungszielen ist hier insbesondere die Bekämpfung von vom Gesetzgeber als missbräuchlich angesehenen Gestaltungen zu nennen.477 Als belastende Lenkungsnormen sollen spezielle intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkungen ein bestimmtes Verhalten für die Steuerpflichtigen weniger attraktiv machen. Um zur Erreichung dieses Ziels geeignet zu 477 Vgl. 2. Teil A. I. 1. b) bb).
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
sein, müssen sie zu einer steuerlichen Mehrbelastung führen. Dies ist unter der doppelten Voraussetzung der Fall, dass eine Investition eine Verlustphase aufweist und sonstige positive Einkünfte vorhanden sind, mit denen prinzipiell eine Verlustverrechnung möglich wäre. Dann bewirkt der Ausschluss von Verlusten vom intraperiodischen Verlustausgleich eine steuerliche Mehrbelastung gegenüber einer sonst vergleichbaren, aber nicht von einer Verlustverrechnungsbeschränkung betroffenen Investition. Selbst wenn die Verluste nicht endgültig verloren gehen, sondern interperiodisch mit positiven Einkünften aus der gleichen Quelle verrechnet werden können, erleidet der Steuerpflichtige einen Zins- und Liquiditätsnachteil, da ein Teil der Einkommensteuerbelastung zeitlich früher anfällt. Daraus folgt, dass spezielle intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkungen dann ein geeignetes Mittel sind, wenn der Gesetzgeber ein bestimmtes Verhalten, dass typischerweise mit der Entstehung steuerlicher Verluste verbunden ist, für unerwünscht erachtet und deshalb steuerlich weniger attraktiv machen möchte. Zur Zweckerreichung erforderlich sind spezielle intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkungen, wenn dem Gesetzgeber kein anderes, aus Sicht des Steuerpflichtigen milderes, aber gleich wirksames Mittel zur Verfügung steht, um den angestrebten Zweck zu erreichen.478 Diese Frage kann nicht abstrakt und losgelöst von einer konkreten Norm beurteilt werden. Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung ist schließlich danach zu fragen, ob der durch eine intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkung bewirkte Freiheitseingriff in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit ihr verfolgten Zweck steht. Bezüglich der sich aus der Belastungsgrundentscheidung der Einkommensteuer ergebenden Steuerlast hat es das BVerfG ausdrücklich abgelehnt, eine zahlenmäßig zu konkretisierende, allgemeine Obergrenze der Besteuerung festzulegen. Immerhin hat das BVerfG jedoch festgehalten, dass es zur Wahrung der Angemessenheit erforderlich ist, dass beim betroffenen Steuerpflichtigen nach Abzug der Steuerbelastung ein – absolut und im Vergleich zu anderen Einkommensgruppen betrachtet – hohes, frei verfügbares Einkommen bleibt, das die Privatnützigkeit des Einkommens sichtbar macht. Die steuerliche Belastung auch höherer Einkommen darf für den Regelfall nicht so weit gehen, dass der wirtschaftliche Erfolg grundlegend beeinträchtigt wird und damit nicht mehr angemessen zum Ausdruck kommt.479 Diese Ausführungen des BVerfG können jedoch nicht auf die Angemessenheitsprüfung von Normen übertragen werden, die die Belastungsgrundentscheidung in steuerverschärfender Weise durchbrechen. Denn diesbezüglich stützt sich der Gesetzgeber gerade nicht auf den Fiskal478 Vgl. Heintzen in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 180. 479 BVerfG v. 18.01.2006 - 2 BVR 2194/99, BVerfGE 115, S. 117.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
zweck, sondern auf einen sonstigen Gemeinwohlbelang. Ob dieser in einem angemessenen Verhältnis zur durch eine intraperiodische Verlustverrechnung verursachten Steuermehrbelastung steht, kann nur im konkreten Einzelfall beurteilt werden. Es muss eine Folgenabwägung zwischen den positiven Folgen für den jeweils in Rede stehenden Gemeinwohlbelang und den beeinträchtigenden Folgen für den grundrechtlich geschützten Belang, konkret also für die von Art. 14 GG geschützten Eigentumsposition, erfolgen.480 (2) Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen Auch allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen müssen einer Überprüfung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit standhalten. Da allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen eine Durchbrechung der Belastungsgrundentscheidung darstellen, können sie nur durch eine über den Fiskalzweck hinausgehende Zwecksetzung legitimiert werden. Sofern allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen mit einem spezifischen Lenkungszweck begründet würden, fehlte es ihnen in der Regel schon an der Geeignetheit zur Zweckerreichung, da eine allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkung naturgemäß keine spezifischen Lenkungswirkungen entfaltet. Anders verhält es sich nur mit der Zwecksetzung der Missbrauchsbekämpfung.481 Sofern der Gesetzgeber eine allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkung als pauschale Missbrauchsbekämpfungsvorschrift zu legitimieren versuchte, würde es jedoch schon an der Erforderlichkeit fehlen. Denn missbräuchliche Gestaltungen können durch spezielle Missbrauchsvermeidungstatbestände bekämpft werden. Für unvorhergesehene Fälle und neu auftretende Gestaltungen erlaubt der allgemeine Tatbestand des § 42 AO eine angemessene Reaktion, bis eventuell ein neuer spezieller Missbrauchsvermeidungstatbestand eingeführt werden kann. Selbst wenn man die Erforderlichkeit bejahte, würde es einer solchen Regelung aber jedenfalls an der Angemessenheit fehlen. Denn bei einer Maßnahme, die – um einen relativ geringen Anteil an Missbrauchsfällen zu treffen – die intraperiodische Verlustverrechnung generell einschränkt, stehen Ziel und eingesetztes Mittel offensichtlich in keinem angemessenen Verhältnis.
480 Vgl. dazu Albers, JuS 2008, S. 947. 481 Vgl. 2. Teil B. I. 1. b) bb) (1).
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
(3) Verlustverrechnungsbeschränkung im Rahmen eines Schedulensteuerkonzepts Bei einem Schedulensteuerkonzept ist der Ausschluss der Verlustverrechnung zwischen den Schedulen kein Mittel, dass zur Erreichung eines bestimmten Zwecks eingesetzt wird, sondern eine systembedingte Nebenfolge.482 Hinsichtlich der Prüfung, ob ein legitimer Zweck für den Freiheitseingriff vorliegt, muss daher auf das Konzept der Schedulenbesteuerung selbst abgestellt werden. Unterstellt man, dass das jeweils in Rede stehende Steuerkonzept einem legitimen Zweck dient, so erweist sich der Ausschluss der intraperiodischen Verlustverrechnung zwischen den Schedulen insbesondere im Hinblick auf das Kriterium der Erforderlichkeit als problematisch. Im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung ist zu fragen, ob eine Schedulenbesteuerung ohne Verlustverrechnungsmöglichkeit tatsächlich das mildeste Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks ist. Diesbezüglich ist zu unterscheiden, ob sich die unterschiedliche Behandlung des in den verschiedenen Schedulen erfassten Einkommens auf die Anwendung unterschiedlicher Tarife beschränkt, oder ob auch die Bemessungsgrundlage nach abweichenden Grundsätzen ermittelt wird. Sofern zwischen den verschiedenen Schedulen grundlegende Unterschiede hinsichtlich der Bemessungsgrundlage bestehen, ist ein Verlustausgleich in der Regel aus rein steuertechnischen Gründen nicht möglich. So wird beispielsweise im niederländischen „Boxensystem“ in den Boxen 1 und 2 für die Einkommensbesteuerung auf den Ist-Ertrag abgestellt, während im Rahmen der Box 3 die Bemessungsgrundlage durch den auf einen bestimmten Zinssatz festgelegten Soll-Ertrag des Nettovermögens gebildet wird.483 Aufgrund dieses konzeptionellen Unterschieds bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage ist eine intraperiodische Verlustverrechnung zwischen den Boxen 1 und 2 und der Box 3 von vornherein ausgeschlossen. Sofern jedoch in allen Schedulen die Bemessungsgrundlage einheitlich nach einem Ist-Ertrags-Konzept ermittelt wird, ist ein Ausschluss des intraperiodischen Verlustausgleichs zur Umsetzung des Schedulensteuerkonzepts nicht erforderlich.484 Es muss lediglich sichergestellt werden,
482 Vgl. 2. Teil B. I. 1. a) aa) (2) und bb). 483 Vgl. van den Tillaart/Lohuis/Stevens, IStR 2001, S. 173. 484 Speziell für das Konzept einer dualen Einkommensteuer geht auch Englisch, Die Duale Einkommensteuer - ein Reformmodell für Deutschland? (2005), S. 154 von der verfassungsrechtlichen Gebotenheit einer indirekten Verlustverrechnung zwischen den Schedulen für Kapital- und Arbeitseinkommen aus.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
dass es durch die intraperiodische Verlustverrechnung nicht zu Steuerarbitrage zwischen den einzelnen Schedulen kommt:485 Beispiel: Es existieren zwei Schedulen. Einkünfte in Schedule 1 werden mit einem Steuersatz von 50 % belastet. Der Steuersatz in Schedule 2 beträgt hingegen lediglich 25 %. Der Steuerpflichtige A hat im Veranlagungszeitraum 01 Einkünfte in Schedule 1 i.H.v. 100.000 €. Mittels einer Steuergestaltung kann er in Schedule 2 im Veranlagungszeitraum 01 zunächst einen Verlust von 100.000 € und im Veranlagungszeitraum 02 einen korrespondierenden Gewinn von 100.000 € erzielen. Unterstellt man, dass ein intraperiodischer Verlustausgleich zwischen den Schedulen uneingeschränkt möglich ist, so könnte A mittels dieser Gestaltung seine Steuerlast von 50.000 € auf 25.000 € verringern und zudem zeitlich um ein Jahr verschieben. Im Veranlagungszeitraum 01 hätte er nach Verlustverrechnung per Saldo ein Einkommen von 0 €, eine Einkommensteuerschuld würde nicht entstehen. Im Veranlagungszeitraum 02 würde er stattdessen Einkünfte in Schedule 2 i.H.v. 100.000 € erzielen, die mit einem Steuersatz von lediglich 25 % belastet wären.
Um der Gefahr vorzubeugen, dass Steuerpflichtige mit der gezielten Generierung von Verlusten die Steuersatzdifferenzen zwischen den einzelnen Schedulen ausnutzen, könnten anstelle einer direkten Verlustverrechnung eine Steuergutschrift gewährt werden, die dem Produkt von Verlust und Schedulensteuersatz entspricht. Diese Gutschrift gelangte nicht zur Auszahlung an den Steuerpflichtigen, sondern würde lediglich die Steuerbelastung der positiven Einkünfte in anderen Schedulen mindern. Sofern keine ausreichenden positiven Einkünfte vorhanden sind, könnte ein Vor- bzw. Rücktrag der Steuergutschrift gewährt werden. Zum gleichen wirtschaftlichen Ergebnis würde man gelangen, wenn man im Rahmen der Verlustverrechnung die positiven bzw. negativen Einkünfte jeweils so umrechnete, dass die Entlastungswirkung von Verlusten immer genau der Steuerbelastung in der Schedule der Verlustentstehung entspräche.486 Im Ergebnis ist somit auch im Rahmen einer Schedulenbesteuerung eine intraperiodische Verlustverrechnung zwischen Schedulen mit einer Ist-Ertrags-Bemessungsgrundlage geboten.
485 Vgl. Englisch, Die Duale Einkommensteuer - ein Reformmodell für Deutschland? (2005), S. 152. 486 Vgl. Stellungnahme von Univ.-Prof. Dr. jur. habil. Karl-Georg Loritz zum Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 (1. Teil, Fn. 171), S. 9.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
b) Steuerfreiheit des Existenzminimums, Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG In seiner freiheitsrechtlichen Dimension fordert der Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums, dass dem Steuerpflichtigen durch die Besteuerung nicht entzogen werden darf, was er für ein menschenwürdiges Dasein benötigt.487 Aufgrund seiner Herleitung aus dem Schutz der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG, und dem Sozialstaatsgebot, Art. 20 Abs. 1 GG, gilt der Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums nur für natürliche Personen und kann daher nur Vorgaben für die einkommensteuerliche Verlustverrechnung entfalten. aa) Erwerbssichernder Aufwand und Steuerfreiheit des Existenzminimums Die intraperiodische Verlustverrechnung ist ein Ausfluss des objektiven Nettoprinzips, betrifft also die Berücksichtigung erwerbssichernden Aufwands. Das BVerfG hat seine Rechtsprechung zur Steuerfreiheit des Existenzminimums jedoch anhand von Fällen entwickelt, in denen es um die Abziehbarkeit von existenzsicherndem Aufwand von der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage ging.488 Zu der Frage, welche Restriktionen sich aus dem Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums für Durchbrechungen des objektiven Nettoprinzips ergeben, hat sich das BVerfG bislang nicht ausdrücklich geäußert. Im Ausgangspunkt scheint es keinen Unterschied machen zu können, ob eine Besteuerung des Existenzminimums auf einer unzureichenden Berücksichtigung von erwerbs- oder des existenzsichernden Aufwand beruht: Beispiel: A hat Erwerbseinnahmen i.H.v. 30.000 € und Erwerbsausgaben i.H.v. 20.000 €. Zudem entsteht A existenzsichernder Aufwand i.H.v. 10.000 €. B hat Erwerbseinnahmen i.H.v. 20.000 € und keine Erwerbsausgaben. Sein existenzsichernder Aufwand beläuft sich auf 20.000 €. Der Steuersatz beträgt 50 %. Erwerbsaufwendungen werden pauschal nur zu 50 % anerkannt. Existenzsichernder Aufwand wird ausschließlich über einen Freibetrag i.H.v. 10.000 € berücksichtigt. 487 Vgl. 2. Teil A. I. 1. a) dd) und 2. b). 488 BVerfG v. 29.05.1990 - 1 BvL 20, 26, 184 und 4/86, BVerfGE 82, S. 60 ff. (Familienexistenzminimum); BVerfG v. 25.09.1992 - 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91, BVerfGE 87, S. 153 ff. (Existenzminimum); BVerfG v. 10.11.1998 - 2 BvR 1057/91, 2 BvR 1226/91, 2 BvR 980/91, BVerfGE 99, S. 216 ff. (Kinderbetreuungskosten); BVerfG v. 16.03.2005 - 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, S. 268 ff. (Kinderbetreuungskosten Alleinerziehender); BVerfG v. 13.02.2008 - 2 BvL 1/06, NJW 2008, S. 1868 ff. (Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung).
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben Situation vor Steuern A Erwerbseinnahmen Erwerbssichernder Aufwand Existenzsichernder Aufwand Saldo
B 30.000 € -20.000 € -10.000 € 0€
20.000 € 0€ -20.000 € 0€
Situation nach Steuern A Erwerbseinnahmen Erwerbssichernder Aufwand Existenzsichernder Aufwand Bemessungsgrundlage ESt Einkommensteuerschuld (s=50 %) Saldo
B 30.000 € -20.000 € -10.000 € 10.000 € -5.000 € -5.000 €
20.000 € 0€ -20.000 € 10.000 € -5.000 € -5.000 €
Bei voller Berücksichtigung des erwerbs- bzw. existenzsichernden Aufwands gelänge es im Beispiel sowohl A als auch B gerade noch, ihren Lebensunterhalt aus ihrem laufenden Einkommen zu bestreiten. In dieser Situation verbietet der Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums eigentlich jede Belastung mit Einkommensteuer. Aufgrund der unvollständigen Abzugsmöglichkeit ergibt sich jedoch in beiden Fällen eine positive Bemessungsgrundlage in Höhe von 10.000 € und damit eine Steuerlast von 5.000 €. Sofern A und B diese Steuerlast nicht aus ihrem Vermögen oder durch die Aufnahme eines Darlehens begleichen können, sind sie infolge der Besteuerung auf die Inanspruchnahme von Sozialtransfers angewiesen. Das Beispiel verdeutlicht, dass eine Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips potentiell in gleicher Weise zu einer Besteuerung des Existenzminimums führt wie eine Durchbrechung des subjektiven Nettoprinzips.489 Dies gilt auch für Beschränkungen der intraperiodischen Verlustverrechnung. Nach der hier vertretenen Ansicht bezieht sich das objektive Nettoprinzip auf das Gesamteinkommen eines Steuerpflichtigen, weshalb sich die Notwendigkeit einer intraperiodischen Verlustverrechnung unmittelbar aus dem objektiven Nettoprinzip selbst ergibt.490 Bezüglich der Sicherung der Steuerfreiheit des Existenzminimums kommt auch die Gegenansicht, für die das objektive Nettoprinzip auf die Einkunftsquelle beschränkt ist, zu dem Ergebnis, dass ein grundsätzlich unbeschränkter intraperiodischer Verlustausgleich geboten ist.491 Denn natürlich muss das für ein menschenwürdiges 489 So auch Englisch, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 93. 490 Vgl. 2. Teil B. I. 1. a) aa) (1). 491 Vgl. Palm, DStR 2002, S. 158; Kirchhof, Einkommensteuergesetzbuch (2004), S. 169.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
Dasein Notwendige dem Steuersubjekt Mensch belassen werden, und nicht einer Einkunftsquelle. Diese Position wird auch vom BFH geteilt: „Das steuerlich zu verschonende Existenzminimum kann nicht einer einzelnen Einkunftsquelle zugeordnet werden. Die Feststellung der Sicherung des Existenzminimums lässt sich nur an Hand einer Saldierung von Einnahmen und Ausgaben und damit letztlich der nach dem objektiven Nettoprinzip [Hervorh. d. Verf.] ermittelten Einkünfte treffen.“492
Dies würde bedeuten, dass eine Einschränkung der intraperiodischen Verlustverrechnung immer dann zu einer Besteuerung des Existenzminimums führt, wenn der Betrag, der nach Abzug der verrechnungsbeschränkten Verluste und der Steuerschuld von den positiven Einkünften verbleibt, nicht ausreicht, um den existenzsichernden Aufwand zu decken. Beispiel: Unternehmer A verfügt über zwei Gewerbebetriebe. Mit Betrieb 1 erzielt er einen Gewinn von 120.000 €, mit Betrieb 2 einen Verlust von 60.000 €. Eine Verlustverrechnung ist nicht möglich. Für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen entsteht ihm existenzsichernder Aufwand i.H.v. 30.000 €. Der Steuersatz beträgt 50 %. Bei einer nach dem objektiven Nettoprinzip gebotenen Saldierung der Einkunftsquellenergebnisse sowie nach Abzug des existenzsichernden Aufwands ergibt sich ein frei disponibles Einkommen des A von 30.000 € (120.000 € ./. 60.000 € ./. 30.000 €). Nur in dieser Höhe ist A leistungsfähig. Durch den Ausschluss der Verlustverrechnung beträgt die steuerliche Bemessungsgrundlage jedoch 90.000 € (120.000 € ./. 30.000 €), was zu einer Steuerlast von 45.000 € (90.000 € x 50 %) führt. Diese Steuerlast kann A nicht aus seinem frei disponiblen Einkommen von 30.000 € bestreiten. Vielmehr wird ihm i.H.v. 15.000 € Einkommen entzogen, das er zur Bestreitung des Existenzminimums seiner Familie benötigt. Die Verlustverrechnungsbeschränkung bewirkt somit einen Verstoß gegen den Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums.
bb) Einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage und Existenzminimum Im Beispiel wurde unterstellt, dass für die Beurteilung der Frage, ob das Existenzminimum des Steuerpflichtigen gesichert ist, die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage maßgeblich ist. Den Ausgangspunkt der Berechnung bildete das Ergebnis der einkommensteuerlichen Gewinnermittlung für die beiden Gewerbebetriebe des Steuerpflichtigen. Problematisch an diesem Vorgehen ist, dass das nach den Vorschriften des EStG ermittelte Einkommen nur sehr bedingt die Mittel widerspiegelt, die dem Steuerpflichtigen zur Bestreitung des Existenzminimums tatsächlich zur Verfügung ste492 BFH v. 06.03.2003 - XI B 7/02, BStBl. II 2003, S. 517; BFH v. 07.07.2004 - XI B 231/02, BFH/NV 2005, S. 180.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
hen. Für die Befriedigung seines lebensnotwendigen Bedarfs kann ein Steuerpflichtiger nur Einkommensbestandteile einsetzen, die ihm tatsächlich zugeflossen sind und über die er auch tatsächlich verfügen konnte. Am regelmäßigsten dürften sich einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage und liquide Einkommensbestandteile noch bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, § 19 EStG, entsprechen. Im Rahmen eines Betriebsvermögensvergleichs nach § 4 Abs. 1 EStG wird auf Liquiditätsaspekte jedoch keine Rücksicht genommen.493 Die Rechtsprechung musste sich mit dieser Problematik im Hinblick auf § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. befassen. Der BFH berücksichtigte bei der Beurteilung, ob es durch die Vorschrift im konkreten Fall zu einer Besteuerung des Existenzminimums kommt, nur solche Verluste, die durch „den tatsächlichen Abfluss von Mitteln“ entstanden waren.494 Veränderungen auf der Vermögensebene sollten hingegen unbeachtlich sein.495 Zu einer echten Liquiditätsbetrachtung konnte sich der BFH jedoch auch nicht entschließen. So berücksichtigte er auch die Regel-AfA,496 obwohl sie keine Aussage über einen tatsächlichen Abfluss von Mitteln zulässt. Eine abweichende Betrachtung würde sich nach Ansicht des BFH zu weit „von den das Steuerrecht bestimmenden Grundsätzen“497 entfernen. Auch die Liquiditätsbelastung infolge der Tilgung eines Darlehens darf nach Ansicht des BFH keine Beachtung finden, da es sich um einen einkommensteuerlich irrelevanten Vorgang handelt.498 Im Ergebnis modifizierte der BFH die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage somit lediglich geringfügig. Faktisch wurden bei der Prüfung, ob es durch § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. zu einer Besteuerung des Exis-
493 Beispielsweise führt das Entstehen einer Forderung auch ohne Mittelzufluss zu einer Gewinnerhöhung, die Bildung einer Rückstellung umgekehrt auch ohne Beeinträchtigung der Liquidität zu einer Gewinnminderung. Eine Loslösung des einkommensteuerrechtlichen Einkommensbegriffs von der Entwicklung der Liquidität bewirken zudem die AfA-Vorschriften, § 7 ff. EStG, die für alle Einkommensermittlungsmethoden gelten, §§ 4 Abs. 3 S. 3, 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 EStG. 494 BFH v. 06.03.2003 - XI B 7/02, BStBl. II 2003, S. 518; BFH v. 06.03.2003 - XI B 76/02, BStBl. II 2003, S. 525; BFH v. 25.02.2005 - XI B 78/02, BFH/NV 2005, S. 1280. 495 BFH v. 25.06.2004 - XI B 20/03, BFH/NV 2005, S. 176; BFH v. 05.10.2005 - XI B 39/04, BFH/NV 2006, S. 287. Im Anschluss daran stellte das FG Köln v. 26.02.2004 15 V 6362/03, EFG 2004, S. 911 ausdrücklich auf die Liquidität des Steuerpflichtigen ab. 496 BFH v. 07.07.2004 - XI B 231/02, BFH/NV 2005, S. 180. So auch Hessisches FG v. 07.03.2006 - 11 K 1266/04, EFG 2006, S. 1591. 497 BFH v. 07.07.2004 - XI B 231/02, BFH/NV 2005, S. 180. 498 BFH v. 29.04.2005 - XI B 127/04, BStBl. II 2005, S. 611.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
tenzminimums kam, nur solche Verluste nicht berücksichtigt, die in irgendeiner Form mit Sonderabschreibungen in Verbindung standen. Diese Rechtsprechung des BFH ist in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung auf Kritik gestoßen. Sowohl das Finanzgericht Baden-Württemberg als auch das Finanzgericht München hielten die Vorgehensweise des BFH für nicht überzeugend,499 gelangten jedoch ausgehend von dieser Prämisse zu genau entgegengesetzten Ergebnissen. Das Finanzgericht BadenWürttemberg kritisierte den BFH für seine nur halbherzige Modifikation des einkommensteuerlichen Einkommensbegriffs. Da es für die Sicherung des Existenzminimums nur auf den tatsächliche Zu- und Abfluss von Mitteln ankomme, müsse vielmehr eine vollständige Lösung von der einkommensteuerlichen Einkommensermittlung zugunsten einer reinen Liquiditätsbetrachtung erfolgen. Ein Abstellen auf die nach dem objektiven Nettoprinzip ermittelten Einkünfte lehnte es ausdrücklich ab.500 Umgekehrt hielt das FG München eine Liquiditätsbetrachtung für nicht praktikabel. Es beurteilte die Frage der Sicherung des Existenzminimums ausschließlich anhand der nach steuerlichen Vorschriften ermittelten Einkünfte und lehnte eine Korrektur unter dem Gesichtspunkt tatsächlicher Zahlungsflüsse ausdrücklich ab.501 Im konkreten Fall setzte es im Verfahren nach § 69 Abs. 2 und 3 FGO den Steuerbescheid außer Vollzug, weil sich nach Abzug der Verluste und der festgesetzten Steuer von den positiven Einkünften ein negativer Betrag ergab.502 In einem parallel gelagerten Sachverhalt hatte ein anderer Senat des FG München ein Jahr später im Hauptsacheverfahren jedoch keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. Auch in dieser Entscheidung lehnte das Gericht eine Liquiditätsbetrachtung ab. Es sah es im Hinblick auf das Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums aber als ausreichend an, dass der Steuerpflichtige im Einzelfall eine abweichende 499 FG München v. 12.10.2004 - 15 V 2431/04, EFG 2005, S. 175 ff.; FG BadenWürttemberg v. 05.07.2006 - 2 K 444/01, EFG 2007, S. 47 ff. Skeptisch bezüglich einer Liquiditätsbetrachtung auch FG Düsseldorf v. 29.09.2005 - 16 K 1482/03 E, EFG 2006, S. 489. 500 FG Baden-Württemberg v. 05.07.2006 - 2 K 444/01, EFG 2007, S. 48: „Das steuerlich zu verschonende Existenzminimum kann zwar nur anhand einer Saldierung von Einnahmen und Ausgaben ermittelt werden […]. Diese Ermittlung muss nach Auffassung des Senats aber mittels einer Liquiditätsrechnung und nicht anhand der nach dem objektiven Nettoprinzip ermittelten Einkünften erfolgen [Hervorh. d. Verf.]. Denn solange das Existenzminimum des Steuerpflichtigen durch den tatsächlich vorhandenen Zufluss von Geldmitteln im Streitjahr gesichert ist, kann das verfassungsrechtliche Fundament des individuellen Nettoprinzips nicht verletzt sein […].“ 501 FG München v. 12.10.2004 - 15 V 2431/04, EFG 2005, S. 178. 502 FG München v. 12.10.2004 - 15 V 2431/04, EFG 2005, S. 175.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
Steuerfestsetzung aus sachlichen Billigkeitsgründen erreichen kann, wenn er darlegt, dass ihm aufgrund der Anwendung des § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. keine ausreichenden liquiden Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhalts verblieben sind.503 Wie dieser Nachweis gegebenenfalls zu führen sei, ließ das Gericht offen.504 cc) Keine Relativierung des Gebots der Steuerfreiheit des Existenzminimums Dieser kurze Überblick über die Rechtsprechung zu § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. verdeutlicht, dass zu der Frage, welche Anforderungen sich aus dem Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums für die intraperiodische Verlustverrechnung ergeben, momentan fast jede denkbare Lösung vertreten wird. Und für jede Position lassen sich durchaus plausible Argumente anführen. Den Anhängern einer Liquiditätsbetrachtung ist zuzugeben, dass für die Bestreitung des existenzsichernden Aufwands liquide Mittel erforderlich sind. Allerdings kann dem im Rahmen des geltenden Einkommensteuerrechts kaum angemessen Rechnung getragen werden, da die Regelungen zur Einkommensermittlung auf Liquiditätsaspekte keine Rücksicht nehmen. De lege lata ist daher im Ausgangspunkt der Einschätzung des FG München in der Entscheidung vom 12.10.2004 zuzustimmen. Die Einkommensermittlung nach dem EStG hinsichtlich der Frage der Sicherung des Existenzminimums durch eine Liquiditätsbetrachtung zu ersetzen, ist zumindest für die Finanzverwaltung im Massenverfahren nicht praktikabel. Die hierfür erforderlichen Daten werden gegenwärtig im Rahmen der Veranlagung überhaupt nicht erhoben. Ebenfalls nicht überzeugend ist es, die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage – wie vom BFH vertreten505 – lediglich um Sonderabschreibungen zu bereinigen. Hierdurch wird keine Annäherung an die Liquiditätslage der Steuerpflichtigen erreicht. Die Regel-AfA, auf die der BFH ersatzweise abstellt, spiegelt Zahlungsströme genauso wenig wider wie Sonder-AfA. Auch die bessere Abbildung der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen rechtfertigt dieses Vorgehen nicht. Hinter Sonderabschreibungen
503 FG München v. 26.10.2005 - 9 K 4175/02, EFG 2006, S. 201. 504 Mit Sicherheit überzeugen ließe sich die Finanzverwaltung wahrscheinlich nur durch die Vorlage des Sozialhilfebescheids. Letztlich läuft diese Lösung des FG München darauf hinaus, dass das Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums Durchbrechungen des objektiven Nettoprinzips keinerlei Schranken setzt. 505 BFH v. 07.07.2004 - XI B 231/02, BFH/NV 2005, S. 180. So auch Hessisches FG v. 07.03.2006 - 11 K 1266/04, EFG 2006, S. 1591.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
steht ebenfalls realer Aufwand, der lediglich zeitlich anders erfasst wird als im Fall der Regel-AfA.506 Angesichts des beschränkten Aussagegehalts der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage für die Frage der Wahrung des Existenzminimums einerseits und den mit einer liquiditätsorientierten Betrachtung verbundenen praktischen Schwierigkeiten andererseits, scheint eine Relativierung des Gebots der Steuerfreiheit des Existenzminimums nahe zu liegen. Man könnte zu dem Schluss kommen, dass das Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums nur die Freistellung des typischerweise benötigten existenznotwendigen Bedarfs gebietet und sonst keine Vorgaben für die Ermittlung der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage enthält.507 Dadurch würde jedoch die Reichweite und die Schutzwirkung des Gebots der Steuerfreiheit des Existenzminimums drastisch geschmälert. Der bloße Umstand, dass existenzsichernder Aufwand von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden kann, sagt nichts darüber aus, ob dem Steuerpflichtigen nach Steuern tatsächlich das zur Bestreitung seines Lebensunterhalts unabdingbar Notwendige verbleibt. Um sich dies zu verdeutlichen, muss man sich nur das Beispiel eines Steuerpflichtigen vor Augen führen, dessen Einkommen vor Steuern gerade ausreicht, um den für ein menschenwürdiges Dasein notwendigen Bedarf abzudecken. Wenn in dieser Situation das Existenzminimum nicht in ausreichender Höhe von der Steuer freigestellt wird, beispielsweise weil der Grundfrei506 Mit der Regel-AfA gibt der Gesetzgeber den Maßstab für eine gleichmäßige Belastung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit vor. Gewährt er für eine bestimmte Kategorie von Investitionen eine höhere Sonder-AfA, so führt dies in den Veranlagungszeiträumen, in denen die Sonder-AfA über der Regel-AfA liegt, zunächst zu einer für den Steuerpflichtigen günstigen Durchbrechung der Belastungsgleichheit. Sobald aber das AfA-Volumen im Rahmen der Sonderabschreibung zur Neige geht und die jährliche Abschreibungsrate unter den Betrag der Regel-AfA sinkt, kehren sich die Verhältnisse um. Nunmehr wird der Steuerpflichtige im konkreten Veranlagungszeitraum höher besteuert, als es der Grundsatz der Belastungsgleichheit gebietet. Gleichheitsrechtlich unbedenklich kann nur eine Maßnahme sein, durch die Durchbrechungen der Belastungsgleichheit im Rahmen der Einkommensermittlung korrigiert werden, vgl. dazu auch 2. Teil B. I. 1. a) cc). 507 Vgl. in diesem Sinne Schmehl, Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen mit Mindestbesteuerungseffekt – ein tragfähiges Konzept für das Einkommensteuerrecht? (2004), S. 8 ff. Schmehl geht davon aus, dass allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen ggf. „im Zusammenwirken mit dem Recht der sozialen Hilfe“ den Anforderungen an den Schutz des Existenzminimums gerecht werden können (Schmehl, a.a.O., S. 9 f.). Das bedeutet nichts anderes, als dass Schmehl Steuerpflichtige, denen durch den Steuerzugriff infolge einer Verlustverrechnungsbeschränkung das zum Leben Notwendige entzogen wird, auf die Sozialhilfe verweisen will.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
betrag nach § 32a Abs. 1 Nr. 1 EStG zu niedrig bemessen ist, so wäre der Steuerpflichtige aufgrund des Steuerzugriffs unter Umständen auf Sozialhilfe angewiesen. Das gleiche Ergebnis würde sich einstellen, wenn sich trotz Steuerfreistellung des Existenzminimums deshalb eine Steuerschuld ergäbe, weil der Steuerpflichtige seine Erwerbsaufwendungen nicht in voller Höhe steuermindernd geltend machen kann. Wie dieses Beispiel noch einmal deutlich macht, kann es nicht richtig sein, dass Durchbrechungen des objektiven Nettoprinzips für die Wahrung des Gebots der Steuerfreiheit des Existenzminimums keinerlei Rolle spielen sollen. Blieben Durchbrechungen des objektiven Nettoprinzips im großen Stil sanktionslos, würde die Rechtsprechung des BVerfG zur Steuerfreiheit des Existenzminimums im Ergebnis ad absurdum geführt. Folglich wird die geschilderte relativistische Sichtweise dem hohen Stellenwert des Gebots der Steuerfreiheit des Existenzminimums in seiner freiheitlichen Dimension,508 insbesondere im Hinblick auf die Verankerung in der Garantie der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG, nicht gerecht. Vielmehr müssen alle denkbaren Anstrengungen unternommen werden, um dem Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums trotz praktischer Schwierigkeiten zu einer bestmöglichen Durchsetzung zu verhelfen. Dazu ist es de lege lata mangels Verfügbarkeit besserer Daten im Ausgangspunkt erforderlich, auf die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage abzustellen. Das ist der einzige gangbare Weg, um dem Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums in seiner freiheitsrechtlichen Dimension im steuerlichen Massenverfahren überhaupt Geltung verschaffen zu können.509 Al508 Vgl. 2. Teil A. I. 2. b). 509 Für die Zulässigkeit eines solchen Vorgehens trotz der beschriebenen Unzulänglichkeiten der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage spricht insbesondere, dass das gesamte Konzept der Steuerfreiheit des Existenzminimums, so wie es vom BVerfG entwickelt wurde, auf einem sehr hohen Maß an Abstraktion und typisierender Betrachtung beruht. Das BVerfG begründet seine Rechtsprechung zwar mit dem unmittelbar einleuchtenden Gedanken, dass niemand durch die Einkommensteuer in die Sozialhilfe getrieben werden darf. Es begnügt sich aber bezüglich der Berücksichtigung existenzsichernden Aufwands schon mit der abstrakten Gefahr einer solchen staatlich generierten Abhängigkeit. Beispielsweise hat das BVerfG das Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums nicht unter den Vorbehalt gestellt, dass der Steuerpflichtige sein Existenzminimum nicht aus seinem Vermögen bestreiten kann. Nur wenn dies der Fall wäre, bestünde überhaupt ein Anspruch auf Sozialhilfe (vgl. § 2 Abs. 1 SGB XII: „Sozialhilfe erhält nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens [Hervorh. d. Verf.] selbst helfen kann […]“). Keine Rolle scheint nach der Rechtsprechung des BVerfG auch der Zeitpunkt der Steuerzahlung zu spielen. Für die Frage, ob dem Steuerpflichtigen infolge der Besteuerung weniger als sein Existenzminimum verbleibt, werden die Steuern in dem Jahr berücksichtigt, für das sie festgesetzt werden (vgl. Korezkij,
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
lerdings muss dem Steuerpflichtigen in einem zweiten Schritt der Nachweis ermöglicht werden, dass ihm – losgelöst von der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage – bei einer liquiditätsorientierten Betrachtung durch den Steuerzugriff die zur Bestreitung des Existenzminimums notwendigen finanziellen Mittel entzogen würden. Bei der gegebenen Ausgangslage einer liquiditätsfernen Bemessungsgrundlage wird dem Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums in seiner freiheitsrechtlichen Dimension durch einen solchen kombinierten Ansatz am besten zur Durchsetzung verholfen. dd) Konsequenzen für die intraperiodische Verlustverrechnung Damit bleibt es bei dem bereits geschilderten Befund, dass intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkungen zu einer Verletzung des Gebots der Steuerfreiheit des Existenzminimums führen können. Aus dem Umstand, dass eine Einschränkung der intraperiodischen Verlustverrechnung das Potential hat, zu einer Besteuerung des Existenzminimums zu führen, folgt aber nicht im Umkehrschluss, dass der Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums positiv eine uneingeschränkte intraperiodische Verlustverrechnung gebietet.510 Wie bereits gezeigt wurde, verlangt der Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums in seiner freiheitsrechtlichen Dimension lediglich, dass dem Steuerpflichtigen durch die Besteuerung nicht die Mittel genommen werden, die er zur Bestreitung seines Lebensunterhalts benötigt.511 Es genügt also, wenn dem Steuerpflichtigen nach Steuern ein entsprechender Betrag verbleibt. Intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkungen können beibehalten werden. Sie müssen lediglich in ihrer Reichweite dahingehend beschränkt werden, dass sie nicht zu einer Besteuerung des Existenzminimums führen. Konkret muss dem Steuerpflichtigen nach Abzug der unter Berücksichtung der Verlustverrechnungsbeschränkungen festgesetzten Steuerschuld von seinem per Saldo tatsächlichen erzielten Einkommen – also nach Abzug auch der verrechnungsbeschränkten Verluste – ein absoluter Betrag verbleiben, der den existenzsichernden Aufwand abdeckt.
DStR 2006, S. 1779). Vor allem aber können, wie bereits erwähnt, aus der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage schon konzeptionell nur sehr bedingt Rückschlüsse auf eine sozialhilferechtliche Bedürftigkeit gezogen werden (vgl. Wernsmann, DStR 2007, S. 1153). 510 So aber beispielsweise Palm, DStR 2002, S. 155; Kirchhof, Einkommensteuergesetzbuch (2004), S. 169 f. 511 Vgl. 2. Teil A. I. 2. b).
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
3. Zusammenfassung: Verfassungsrechtliche Vorgaben für die intraperiodische Verlustverrechnung Die bisherige Untersuchung hat ergeben, dass verfassungsrechtlich eine umfassende intraperiodische Verlustverrechnung geboten ist. Im Rahmen der Einkommen- und Körperschaftsteuer bezieht sich dieses Gebot auf die Gesamteinkünfte eines Steuersubjekts, im Rahmen der Gewerbesteuer auf den Ertrag eines Gewerbebetriebs. Im Fall einer generellen Umstellung der Ertragsbesteuerung auf ein schedulares Besteuerungssystem müsste grundsätzlich auch zwischen den Schedulen ein Verlustausgleich ermöglicht werden. Beschränkungen der intraperiodischen Verlustverrechnung sind nur durch spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen zulässig. Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen sind wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich generell unzulässig. Im Rahmen der Einkommensteuer folgt aus dem Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums zudem, dass intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkungen nicht dazu führen dürfen, dass dem Steuerpflichtigen nach Saldierung aller positiven und negativen Einkunftsquellenergebnisse und dem Abzug der Steuerlast weniger als das Existenzminimum verbleibt.
II. Interperiodische Verlustverrechnung Nach der Darstellung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für die intraperiodische Verlustverrechnung soll die Untersuchung nunmehr auf die zeitliche Dimension der Verlustverrechnung ausgeweitet werden. Auch bei einem völligen Fehlen von Verlustverrechnungsbeschränkungen ist ein Verlustausgleich nur soweit möglich, als intraperiodisch positive Einkünfte für eine Verrechnung zur Verfügung stehen. Im Übrigen ist eine Verrechnung nur interperiodisch mit positiven Einkünften vorangegangener bzw. nachfolgender Besteuerungsperioden möglich. Nachfolgend soll untersucht werden, welchen verfassungsrechtlichen Bindungen der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der interperiodischen Verlustverrechnung unterliegt. 1. Gleichheitsrechtliche Vorgaben für die interperiodische Verlustverrechnung Um beurteilen zu können, welche Anforderungen der allgemeine Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG, in seiner bereichsspezifischen Ausprägung im Steuerrecht an die interperiodische Verlustverrechnung stellt, muss in einem ersten Schritt der Frage nachgegangen werden, ob und inwieweit ein Ausschluss oder eine Einschränkung der interperiodischen Verlustverrechnung eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung darstellt. Nur wenn dies zu bejahen ist, muss in einem zweiten Schritt untersucht werden, unter wel229
Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
chen Voraussetzungen eine derartige Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann. a) Ungleichbehandlung Welche gleichheitsrechtlichen Vorgaben für die interperiodische Verlustverrechnung bestehen, hängt von der Definition des Zeitraums ab, innerhalb dessen Belastungsgleichheit verwirklicht werden muss. Reichte dieser Zeitraum über die konkrete Besteuerungsperiode hinaus, dann durchbrächen interperiodische Verlustverrechnungsbeschränkungen die Belastungsgleichheit und bedürften einer gleichheitsrechtlichen Rechtfertigung. Bezöge sich das Gebot steuerlicher Gleichbelastung jedoch nur auf die innerhalb einer Besteuerungsperiode erzielten Einkünfte, so führte umgekehrt jede Form der interperiodischen Verlustverrechnung zu einer rechtfertigungsbedürftigen Ungleichbehandlung. Nachfolgend wird daher zunächst die zeitliche Dimension des Gebots steuerlicher Gleichbelastung untersucht. Aus den Ergebnissen werden anschließend konkrete gleichheitsrechtliche Vorgaben für die interperiodische Verlustverrechnung abgeleitet. aa) Die zeitliche Dimension des Gebots der Belastungsgleichheit In der bisherigen Untersuchung wurde gezeigt, dass das objektive Nettoprinzip und das Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums in seiner gleichheitsrechtlichen Dimension den allgemeinen Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG, im Steuerrecht konkretisieren.512 Der Zeitfaktor wurde dabei ausgeblendet. Nachfolgend wird nunmehr – aufbauend auf die bisherigen Ergebnisse – die zeitliche Dimension des objektiven Nettoprinzips und des Gebots der Steuerfreiheit des Existenzminimums in seiner gleichheitsrechtlichen Dimension untersucht. (1) Die zeitliche Dimension des objektiven Nettoprinzips Das nach dem objektiven Nettoprinzip ermittelte Einkommen ist eine Stromgröße.513 Anders als eine zeitpunktbezogene Bestandsgröße, wie beispielsweise das Vermögen, ist Einkommen notwendig auf einen Zeitraum bezogen. Das bedeutet, dass der Leistungsfähigkeitsindikators Einkommen erst dann komplett beschrieben ist, wenn der ihm zugrunde liegende Zeit512 Vgl. 2. Teil A. I. 1. a) cc) und dd). 513 Vgl. Hackmann, Die Besteuerung des Lebenseinkommens (1979), S. 44; Drüen, Periodengewinn und Totalgewinn (1999), S. 22; Eckhoff in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 28. sowie allgemein zur Unterscheidung von Strom- und Bestandsgrößen Birtel, Der Zeitfaktor in der Einkommensbesteuerung (1982), S. 63.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
raum feststeht.514 Bei der Herausarbeitung der gleichheitsrechtlichen Vorgaben für die Verlustverrechnung wurde unterstellt,515 dass dieser Zeitraum der grundsätzlich einjährige Veranlagungszeitraum der Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer ist.516 Dies ist insofern nahe liegend, als das Leistungsfähigkeitsprinzip einfachgesetzlich tatsächlich weitgehend periodenbezogen konkretisiert ist.517 Allerdings kann die Ausgestaltung der Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer als Jahressteuer die verfassungsrechtliche Wertung nicht ersetzen. Der für die Herstellung von Belastungsgleichheit maßgebliche Zeitraum muss vielmehr aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitet werden. Hinsichtlich der Frage, in Bezug auf welchen Zeitraum steuerliche Belastungsgleichheit herzustellen ist, stehen sich in der Literatur zwei Extrempositionen gegenüber. Die Anhänger des Abschnittsprinzips leiten aus dem allgemeinen Gleichheitssatz das Gebot der „Belastungsgleichheit in der Zeit“ ab.518 Da sich eine gleichmäßige Belastung im Zeitablauf nur bei einer gegenwartsnahen Besteuerung in überschaubaren Zeiträumen verwirklichen lasse, sei das Leistungsfähigkeitsprinzip in zeitlicher Hinsicht auf die Besteuerungsperiode bezogen. Dabei müsse es sich nicht notwendigerweise um das Kalenderjahr handeln.519 Auch ein längerer Besteuerungszeitraum, beispielsweise von zwei oder drei Jahren, sei möglich.520 Die Festlegung des konkreten Zeitraums liege im Ermessen des Gesetzesgebers. Belastungsgleichheit müsste somit nur in Bezug auf das während einer Besteuerungsperiode erzielte Einkommen verwirklicht werden. Das Abschnittsprinzip ist nach dieser Ansicht nicht nur eine Technik der Steuererhebung, sondern ein „materielles“ Prinzip.521 Nach der Gegenansicht bezieht sich das Leistungsfähigkeitsprinzip hingegen in zeitlicher Hinsicht auf die Totalperiode. Nur aus Gründen der Praktikabilität unterteile das Steuerrecht die Totalperiode in 514 515 516 517 518
519 520 521
Vgl. von Groll in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 339. Vgl. 2. Teil B. I. 1. a). §§ 2 Abs. 7 EStG, 7 Abs. 3 KStG; 14 S. 2 GewStG. Vgl. Lehner in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 11. Vgl. Schick, Der Verlustrücktrag (1976), S. 13; Kirchhof, StuW 1985, S. 329; Drüen, Periodengewinn und Totalgewinn (1999), S. 90; Kirchhof, Besteuerung im Verfassungsstaat (2000), S. 41; Kirchhof in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 17; Kirchhof, StuW 2002, S. 9; Kirchhof, DStR 2003, S. 12; Müller-Franken, StuW 2004, S. 122; Kirchhof, BB 2006, S. 73; Dötsch, DStR 2008, S. 642. Vgl. Schick, Der Verlustrücktrag (1976), S. 15; Kirchhof, DStR 2003, S. 12. Vgl. Schick, Der Verlustrücktrag (1976), S. 15. Vgl. Kirchhof, § 2 Rn. A 136.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
Teilperioden, weshalb das Abschnittsprinzip lediglich als ein „technisches“ Prinzip anzusehen sei.522 Aufermann hat 1959 sehr anschaulich formuliert, die Periodenrechnung zerteile rechnungsmäßige Zusammenhänge mit der „Rücksichtslosigkeit einer Guillotine“523. Belastungsgleichheit muss nach dieser Ansicht folglich in Bezug auf das Totaleinkommen hergestellt werden. Die dargestellte Debatte wird nahezu ausschließlich im Hinblick auf die Einkommensteuer geführt. Deshalb werden oftmals anstelle von Totalperiode und Totaleinkommen die einkommensteuerspezifischen Begriffe Lebensspanne und Lebenseinkommen verwendet.524 Das gleichheitsrechtliche Problem der zeitlichen Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsindikators Einkommen bzw. objektive Ertragskraft eines Gewerbebetriebs stellt sich aber ebenso im Rahmen der Körperschaft- und Gewerbesteuer. Insofern gilt für alle drei Ertragsteuerarten der gleiche verfassungsrechtliche Rahmen.525 Bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer ist die Totalperiode die Spanne der rechtlichen Existenz des Steuersubjekts. Bei der Gewerbesteuer folgt aus der objektsteuerlichen Logik, dass als Totalperiode der Zeitraum der Existenz des Steuerobjekts Gewerbebetrieb gelten muss. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Prämissen gelangen die Anhänger eines periodenbezogenen bzw. periodenübergreifenden Leistungsfähigkeitsverständnisses zu diametral entgegengesetzten Schlussfolgerungen hinsichtlich der gleichheitsrechtlichen Relevanz der interperiodischen Verlustverrechnung. Für die Anhänger eines periodenbezogenen Leistungsfähigkeitsverständnisses lässt sich Gleichbehandlung im Ertragsteuerrecht nur durch eine strikte Periodisierung verwirklichen. Jede Form der interperiodischen Verlustverrechnung bewirkt eine rechtfertigungsbedürftige Durchbrechung der Belastungsgleichheit.526 Die Konsequenz ist, dass der Gesetzgeber eine interperiodische Verlustverrechnung ermöglichen kann. Er ist hierzu jedoch gleichheitsrechtlich nicht gehalten. Wenn er sich dazu entschließt, handelt es sich um eine Steuersubvention, die ohne besonderen Rechtfertigungsaufwand wieder zurückgenommen werden kann. Ausgehend von dieser Prämisse stünde es dem Gesetzgeber auch frei, die interperiodische Verlustverrech-
522 Vgl. Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer (1988), S. 187; Herzig in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 38; Karrenbrock, DB 2004, S. 560. 523 Vgl. Aufermann, Einkommensteuerbilanz und Verlust-Kompensation (1959), S. 30. 524 Vgl. Karrenbrock, DB 2004, S. 560. 525 Vgl. 2. Teil A. II. und III. 526 Vgl. Schick, Der Verlustrücktrag (1976), S. 16.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
nung ganz auszuschließen.527 Vor dem Hintergrund eines überperiodischen Leistungsfähigkeitsverständnisses ist für die Herstellung von Gleichbehandlung hingegen im Ausgangspunkt eine zeitlich unbeschränkte interperiodische Verlustverrechnung erforderlich. Nur so kann dem Postulat des Totalitätsprinzips entsprochen werden, dass die Summe der Periodeneinkommen nicht das Totaleinkommen übersteigen darf.528 Jede Einschränkung der interperiodischen Verlustverrechnung stellte dementsprechend eine vor Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigungsbedürftige Durchbrechung der Belastungsgleichheit dar. Zudem hat ein strikt lebenszeitliches Leistungsfähigkeitsverständnis Rückwirkungen auf die intraperiodische Verlustverrechnung. Da es nur darauf ankommt, dass das Totaleinkommen gleichmäßig belastet wird, ist eine intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkung gleichheitsrechtlich irrelevant, solange eine interperiodische Verlustverrechnung möglich bleibt.529 Auf dem geschilderten Stand verharrt die wissenschaftliche Debatte im Kern unverändert seit Jahrzehnten. Auch in der Rechtsprechung zeichnet sich kein einheitliches Bild ab. Das BVerfG hat in mehreren Nichtannahmebeschlüssen aus den siebziger und achtziger Jahren dem Abschnittsprinzip zunächst klare Priorität eingeräumt.530 Eine deutlich gewandelte Sichtweise offenbarte das BVerfG in einem Nichtannahmebeschluss aus dem Jahr 1991, in dem es von einem „Spannungsverhältnis“ zwischen „dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung und dem Grundsatz des abschnittsübergreifenden Nettoprinzips als Ausfluß des Leistungsfähigkeitsprinzips“ sprach.531 Ganz offensichtlich ging das BVerfG in dieser Entscheidung von einem periodenübergreifenden – wenn auch nicht notwendigerweise lebenszeitlichen – Leistungsfähigkeitsverständnis aus. Wiederum einen anderen Akzent setzte das BVerfG 1997, als es aussprach, dass die Einkommensteuer „in ihrer Ausgestaltung als Jahressteuer und in ihrer kontinuierlichen Erhebung auch auf eine
527 Vgl. in diesem Sinne Schick, Der Verlustrücktrag (1976), S. 16. Dagegen ergibt sich die Notwendigkeit einer intraperiodischen Verlustverrechnung zwanglos aus den Prämissen des Abschnittsprinzips: Der Maßstab für die steuerliche Gleichbelastung ist das intraperiodische Gesamteinkommen. Um dieses zu ermitteln, müssen positive und negative Einkunftsquellenergebnisse saldiert werden. 528 Vgl. Karrenbrock, DB 2004, S. 560. 529 Diese Position vertritt der BFH, vgl. dazu ausführlich 2. Teil B. II. bb) (1). 530 BVerfG v. 10.07.1970 - 1 BvR 434/70, HFR 1970, S. 454; BVerfG v. 08.03.1978 - 1 BvR 117/78, HFR 1978, S. 294; BVerfG v. 20.12.1989 - 1 BvR 1269/89, HFR 1990, S. 517. In der Entscheidung v. 08.03.1978 gelangte das BVerfG sogar zu dem Ergebnis, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht verpflichtet sei, überhaupt eine interperiodische Verlustverrechnung zuzulassen. 531 BVerfG v. 22.07.1991 - 1 BvR 313/88, NJW 1992, S. 169.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
Belastungsgleichheit in der Zeit angelegt“ sei532 und sich so eine zentrale Position der Anhänger eines materiellen Abschnittsprinzips zueigen machte. In der Entscheidung zur steuerlichen Berücksichtigung von Jubiläumsrückstellungen findet sich – allerdings in einem sehr speziellen Kontext – die Aussage, der Zeitpunkt der einkommensteuerlichen Berücksichtigung eines gewinnmindernden Aufwands lasse sich nicht mit Hilfe des Maßstabs wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit oder des objektiven Nettoprinzips bestimmen.533 Anders als das BVerfG schien der BFH lange Zeit dem Totalitätsprinzip zuzuneigen, da er in seiner ständigen Rechtsprechung zum formellen Bilanzzusammenhang534 der zutreffenden Erfassung des Totalgewinns Vorrang vor der periodengerechten Abschnittsbesteuerung einräumt.535 Im Rahmen der Kontroverse um die Vererblichkeit des Verlustvortrags ist in dieser Frage jedoch ein offener Konflikt zwischen dem 1. Senat und dem 11. Senat des BFH entbrannt. Der 1. Senat geht von einem periodenübergreifenden Leistungsfähigkeitsverständnis aus und räumt dem Totalitätsprinzip Vorrang vor dem Prinzip der Abschnittsbesteuerung ein.536 Der 11. Senat hat sich hingegen offen der Position der Anhänger des Abschnittsprinzips angeschlossen und lehnt eine Ausrichtung der Besteuerung am Totaleinkommen ausdrücklich ab.537 Kurioserweise handelt es sich dabei nicht nur um einen Konflikt zwischen den Senaten. Vielmehr scheint der 11. Senat selbst innerlich gespalten zu sein, da er im gleichen Zeitraum bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Mindestbesteuerung nach § 2 Abs. 3 S. 3-8 EStG a.F. von einer überperiodischen Betrachtung ausging und die Bedeutung des Abschnittsprinzips relativierte.538 Den Widerspruch in der Rechtsprechung des 11. Senats verdeutlichen beispielhaft die folgenden Passagen:
532 BVerfG v. 10.04.1997 - 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, S. 7. 533 BVerfG v. 12.05.2009 - 2 BvL 1/00, DStRE 2009, S. 925. 534 Nach der Rechtsprechung zum formellen Bilanzzusammenhang müssen Bilanzen für Zwecke der Veranlagung und der Gewinnfeststellung zwar grundsätzlich im Fehlerjahr und in den Folgejahren berichtigt werden. Ist eine solche Berichtigung aber nicht mehr möglich, weil die Feststellungs- oder Veranlagungsbescheide bestandskräftig sind, und greift keine Änderungsvorschrift für diese Bescheide ein, ist die Korrektur in der Schlussbilanz des ersten Jahres nachzuholen, in dem dies mit steuerlicher Wirkung möglich ist (vgl. BFH v. 30.03.2006 - IV R 25/04, BFHE 213, S. 320 m.w.N.). 535 So ausdrücklich BFH v. 30.03.2006 - IV R 25/04, BFHE 213, S. 321. 536 BFH v. 16.05.2001 - I R 76/99, BStBl. II 2002, S. 489; BFH v. 22.10.2003 - I ER -S1/03 (XI R 54/99), I ER -S- 1/03, BStBl. II 2004, S. 415. 537 BFH v. 28.07.2004 - XI R 54/99, BStBl. II 2005, S. 265; BFH v. 17.02.2005 - XI B 138/03, BFH/NV 2005, S. 1265. 538 BFH v. 29.04.2005 - XI B 127/04, BStBl. II 2005, S. 610.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben „Eine Ausprägung des Leistungsfähigkeitsprinzips ist das sog. Nettoprinzip […]. Es ist von Verfassungs wegen nicht notwendigerweise in jedem einzelnen -aus rein erhebungstechnischen Gründen gewählten- Veranlagungszeitraum zu verwirklichen [Hervorh. d. Verf.].“539 „das Periodizitätsprinzip des § 2 Abs. 7 EStG ist nur einfachgesetzlicher Natur [Hervorh. d. Verf.] (vgl. Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. I, 2000, S. 503; […]).“540
Mit dieser Argumentation begründete der 11. Senat, warum aus seiner Sicht die Einschränkung der intraperiodischen Verlustverrechnung nach § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. nicht gegen das objektive Nettoprinzip verstieß.541 Bezüglich der interperiodischen Verlustverrechnung zeigt sich der 11. Senat hingegen als ein Anhänger des Abschnittsprinzips: „Der Einkommensteuer liegt weiter das Prinzip der Abschnittsbesteuerung zu Grunde […]. Das Jahressteuerprinzip entspricht nicht nur erhebungstechnischen Notwendigkeiten [Hervorh. d. Verf.], sondern drückt ein materielles Prinzip der Einkommensbesteuerung aus (Kirchhof, Einkommensteuergesetz, Kompakt-Kommentar, 3. Aufl., § 2 Rz. 17); es verfolgt eine gleichmäßige Heranziehung der Steuerpflichtigen zur Sicherstellung der aktuellen staatlichen Finanzierungsbedürfnisse und gewährleistet insoweit ‚Gleichbehandlung in der Zeit’.“542
Dass es sich um einen echten Widerspruch und nicht nur um eine missverständliche Formulierung handelt, ergibt sich insbesondere daraus, dass sich der Senat mit Tipke und Kirchhof jeweils auf prominente Vertreter sowohl des Totalitäts- als auch des Abschnittsprinzips beruft. Wenn man davon absieht, dass der 11. Senat jeweils die Position einnimmt, die im konkret zu beurteilenden Sachverhalt eine Einschränkung der Verlustverrechnung erlaubt, ist keine Erklärung für diese Diskrepanz ersichtlich. Eine Besonderheit der Kontroverse um Abschnitts- und Totalitätsprinzip ist, dass eigentlich niemand eine der beiden Ansichten in Reinform verwirklicht sehen will. Die Anhänger des Abschnittsprinzips räumen – soweit ersichtlich – durchweg die Notwendigkeit ein, in einem gewissen Umfang überperiodische Aspekte bei der Einkommensbesteuerung zu berücksichtigen.543 Umgekehrt bestreitet kein Vertreter eines lebenszeitlichen Leistungsfähigkeitsver-
539 BFH v. 09.05.2001 - XI B 151/00, BStBl. II 2001, S. 554. 540 BFH v. 06.03.2003 - XI B 7/02, BStBl. II 2003, S. 517. sowie wortgleich BFH v. 06.03.2003 - XI B 76/02, BStBl. II 2003, S. 524. 541 Vgl. dazu ausführlich 2. Teil B. II. bb) (1). 542 BFH v. 28.07.2004 - XI R 54/99, BStBl. II 2005, S. 265. 543 Vgl. Schick, Der Verlustrücktrag (1976), S. 16..Kirchhof, DStR 2003, S. 12 begründet die Notwendigkeit eines Verlustvortrags damit, dass für Besteuerungsgleichheit in der Zeit nicht das Kalenderjahr, sondern die jeweilige „Periode des Wirtschaftens“ maßgeblich sei, die zwar meist dem Kalenderjahr entspräche, aber auch länger sein kann.
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ständnisses die Notwendigkeit einer periodischen Steuererhebung.544 Dies spricht dafür, dass beide Positionen zwar berechtigte Anliegen aufgreifen, in der Radikalität ihrer Prämissen jedoch nicht zu überzeugen vermögen. Nachfolgend soll daher der Versuch einer Synthese unternommen und gezeigt werden, dass sowohl das Perioden- als auch das Totaleinkommen als Maßstab für die steuerliche Gleichbelastung herangezogen werden müssen. (a) Das Periodeneinkommen als Leistungsfähigkeitsindikator Dass das Periodeneinkommen Maßstab für die gleichmäßige Verteilung der Steuerlast ist, ergibt sich für die Anhänger eines periodenbezogenen Leistungsfähigkeitsverständnisses schon aus den Prämissen ihres Konzepts und muss daher nicht gesondert begründet werden. Aber auch wenn man davon ausgeht, dass Belastungsgleichheit primär in Bezug auf das Totaleinkommen gewährleistet werden muss, ist das Periodeneinkommen als eigenständiger Leistungsfähigkeitsindikator unverzichtbar. Dies folgt daraus, dass es nicht genügt, Belastungsgleichheit nur in Bezug auf das Totaleinkommen herzustellen. Vielmehr muss auch der Prozess der Steuererhebung während der Totalperiode gleichheitssatzkonform ausgestaltet werden. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet im Einkommensteuerrecht – auch – eine Gleichbelastung in der Zeit.545 Die Steuerpflichtigen müssen nicht nur der Höhe nach, sondern auch im Zeitablauf nach ihrer individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gleichmäßig belastet werden.546 Nur wenn der Steuerpflichtige während der gesamten Totalperiode keinerlei Steuerbelastung – auch nicht in Form von Steuervorauszahlungen – ausgesetzt wäre, wäre das Abschnittsprinzip bei einem lebenszeitlichen Leistungsfähigkeitsverständnis gleichheitsrechtlich irrelevant. Ein lebenszeitliches Leistungsfähigkeitsverständnis darf jedoch nicht mit einer postmortalen 544 Vgl. beispielsweise Lang in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 65.: „Die lebenszeitliche Indikation steuerlicher Leistungsfähigkeit hat die den stetigen Finanzbedarf und damit die Notwendigkeit einer periodischen Besteuerung anzuerkennen.“ sowie Englisch, Die Duale Einkommensteuer - ein Reformmodell für Deutschland? (2005), S. 137. 545 BVerfG v. 10.04.1997 - 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, S. 7. 546 Vgl. Kirchhof, Besteuerung im Verfassungsstaat (2000), S. 41; Kirchhof in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 17; Kirchhof, StuW 2002, S. 9; Lehner in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 15. Dies erkennen auch Lang und Englisch als dezidierte Vertreter eines lebenszeitlichen Leistungsfähigkeitsverständnisses an, vgl. Lang/Englisch, Rechtsgutachten (Kurzfassung) zur Verfassungsmäßigkeit der Mindestbesteuerung nach den §§ 10d Abs. 2 EStG; 10a GewStG in der ab 01.01.2004 geltenden Fassung (2004), S. 6; Lang/Englisch, StuW 2005, S. 8.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
Schlussbelastung des gesamten Lebenseinkommens gleichgestellt werden. Soweit ersichtlich existiert kein einziges ernstzunehmendes Einkommensteuerkonzept, das einen vollständigen Besteuerungsaufschub während der Totalperiode vorsieht.547 Würde man hinsichtlich der laufenden Einkommensteuerbelastung als Maßstab für die Gleichbelastung lediglich das Totaleinkommen heranziehen, so könnte der Besteuerungszugriff zu jedem beliebigen Zeitpunkt während der Totalperiode erfolgen, ohne dass der Grundsatz der Belastungsgleichheit berührt wäre. Theoretisch denkbar wäre es beispielsweise, das prognostizierte Totaleinkommen gleichmäßig auf die Totalperiode zu verteilen und laufende Steuerzahlungen als Vorauszahlungen zu gestalten, die im Rahmen einer Schlussbesteuerung auf die endgültige Einkommensteuer anzurechnen wären.548 Unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten käme es nur darauf an, dass ein gleiches Totaleinkommen zu einer gleichen Gesamtsteuerlast führt. Beispiel: Die Totalperiode besteht aus vier Veranlagungszeiträumen. Der Steuersatz beträgt 50 %. Die Steuerpflichtigen A und B erzielen ein Totaleinkommen von je 1.000.000 €, das sich bei A ungleichmäßig und bei B gleichmäßig auf die Totalperiode verteilt. Verglichen werden die Belastungswirkungen einer abschnittsweisen Besteuerung und einer Besteuerung des Totaleinkommens mit gleichmäßiger Steuervorauszahlung. Besteuerung des Periodeneinkommens A t1 t2 t3 t4 Einkommen 100.000 € 0 € 300.000 € 600.000 € ESt (s=50 %) -50.000 € 0 € -150.000 € -300.000 € Nachsteuerergebnis 50.000 € 0 € 150.000 € 300.000 €
Summe 1.000.000 € -500.000 € 500.000 €
547 Zeitlich am weitesten nach hinten verlagert wird der Besteuerungszugriff bei einer sog. sparbereinigten Einkommensteuer. Nach diesem auch als „nachgelagerte Besteuerung“ bezeichneten Konzept wird das Einkommen erst bei seiner konsumtiven Verwendung besteuert. Gesparte Einkünfte mindern die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage, die im Gegenzug die Auflösung von Ersparnissen aus unversteuertem Einkommen erfasst; vgl. Dorenkamp, StuW 2000, S. 122. In dieser Phase handelt es sich faktisch nicht um eine Einkommensteuer, sondern um eine direkte Konsumsteuer. Von einer Konsumsteuer zu einer Steuer auf das „Lebenseinkommen“ wandelt sich die nachgelagerte Besteuerung durch die postmortale Belastung des Lebensendvermögens, also des zu Lebzeiten nicht konsumierten Vermögens; vgl. Dorenkamp, StuW 2000, S. 122; Dorenkamp, Nachgelagerte Besteuerung von Einkommen (2004), S. 264. Aber selbst eine sparbereinigte, nachgelagerte Einkommensbesteuerung verzichtet nicht auf eine laufende Besteuerung des konsumierten Einkommens. 548 So ausdrücklich Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer (1988), S. 187, der darin eine „zweifellos gerecht[e]“ Umsetzung eines lebenszeitlichen Leistungsfähigkeitsprinzips sieht.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung B Einkommen ESt (s=50 %) Nachsteuerergebnis
t1 t2 t3 t4 250.000 € 250.000 € 250.000 € 250.000 € -125.000 € -125.000 € -125.000 € -125.000 € 125.000 € 125.000 € 125.000 € 125.000 €
Summe 1.000.000 € -500.000 € 500.000 €
Besteuerung des Totaleinkommens mit Steuervorauszahlung A t1 t2 t3 t4 Einkommen 100.000 € 0 € 300.000 € 600.000 € ESt-Vorauszahlung -125.000 € -125.000 € -125.000 € -125.000 € Nachsteuerergebnis -25.000 € -125.000 € 175.000 € 475.000 € B t1 t2 t3 t4 Einkommen 250.000 € 250.000 € 250.000 € 250.000 € ESt-Vorauszahlung -125.000 € -125.000 € -125.000 € -125.000 € Nachsteuerergebnis 125.000 € 125.000 € 125.000 € 125.000 €
Summe 1.000.000 € -500.000 € 500.000 € Summe 1.000.000 € -500.000 € 500.000 €
Wie das Beispiel zeigt, ist es für die Gleichbelastung des Totaleinkommens nicht entscheidend, wie sich die Steuerzahlung auf die Steuerperiode verteilt. Die für eine Besteuerungsperiode festgesetzte Steuerzahlung kann komplett vom intraperiodischen Einkommen entkoppelt werden.549 Eine alleinige Orientierung am Totaleinkommen als Maßstab für Gleichbelastung ermöglicht somit eine extreme Ungleichbelastung innerhalb der einzelnen Besteuerungsperioden und zumindest eine zeitweilige Besteuerung der Vermögenssubstanz. Diese ungleiche Steuerbelastung der Leistungsfähigkeit im Zeitablauf kann nicht einfach mit dem Hinweis darauf ausgeblendet werden, es komme nur auf die Gleichbelastung des Lebenseinkommens an. Es ist ein großer Unterschied, ob ein Steuerpflichtiger die Einkommensteuer bequem aus seinem laufenden Einkommen bestreiten kann oder dazu auf sein Vermögen zurückgreifen oder sich gar verschulden muss, weil sich Einkommen und Einkommensteuerzahllast unabhängig voneinander entwickeln. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die in der Entscheidung des BVerfG zur steuerlichen Berücksichtigung von Jubiläumsrückstellungen zu findende Aussage, der Zeitpunkt der steuerlichen Aufwandsberücksichtigung lasse sich nicht mit Hilfe des Maßstabs wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit oder des objektiven Nettoprinzips bestimmen,550 so allgemein nicht richtig sein kann. Ein zeitlich nur durch das Willkürverbot begrenzter Steuerzugriff
549 Lediglich Zinseffekte müssten berücksichtigt werden, um die laufenden Steuerzahlungen in der Zeit vergleichbar zu machen und tatsächlich eine gleiche Totalbelastung zu erreichen. Dies ist im Beispiel aus Vereinfachungsgründen unterblieben. 550 BVerfG v. 12.05.2009 - 2 BvL 1/00, DStRE 2009, S. 925.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
ist mit dem Konzept einer an der Leistungsfähigkeit ausgerichteten Besteuerung nicht zu vereinbaren.551 Es spricht vieles dafür, dass sich die Aussage des BVerfG nur auf den speziellen Kontext der Rückstellungsproblematik bezog und nicht verallgemeinert werden kann. In der betreffenden Passage befasst sich das BVerfG zunächst mit dem handelsrechtlichen Vorsichtsprinzip und zieht in Zweifel, ob die Bildung von Rückstellungen überhaupt mit einer Leistungsfähigkeitsminderung einhergeht.552 Im Anschluss daran zieht das Gericht einen Vergleich zu den Überschusseinkunftsarten, bei denen es grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Zu- und Abflusses von Einnahmen ankommt.553 Es ist daher möglich, dass sich die Aussage zum Zeitpunkt der Berücksichtigung gewinnmindernden Aufwands lediglich auf die Frage bezog, inwieweit die Aufwandsberücksichtigung durch die Bildung von Rückstellungen gegenüber dem bei den Überschusseinkünften relevanten Zeitpunkt vorverlagert werden kann. Dann wäre der Passage die Aussage zu entnehmen, dass es dem Gesetzgeber freisteht, zu einer reinen Überschuss- bzw. CashflowBesteuerung überzugehen oder aber – wie bislang – im Rahmen der Gewinnund Überschusseinkünfte unterschiedliche Maßstäbe für die zeitliche Erfassung von Aufwand und Ertrag zu verwenden und von diesen zudem im Einzelfall abzuweichen. Dass das BVerfG eine Berücksichtigung von Aufwand erst nach dem tatsächlichen Abfluss für gleichheitsrechtlich unbedenklich erklären wollte, ist jedenfalls nicht plausibel. Zur Wahrung der Besteuerungsgleichheit in der Zeit ist es erforderlich, dass Steuerpflichtige zu laufenden Einkommensteuerzahlungen grundsätzlich nur entsprechend ihres in einer Besteuerungsperiode erzielten Einkommens herangezogen werden. Das laufende Einkommen und die laufende Einkommensteuerbelastung müssen sich möglichst parallel entwickeln. Hierin liegt die gleichheitsrechtliche Relevanz des Abschnittsprinzips. Dadurch, dass Belastungsgleichheit auch in Bezug auf das Periodeneinkommen hergestellt werden muss, ist im Regelfall gewährleistet, dass zwischen der laufenden Steuerbelastung und dem laufenden Einkommen ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht und somit die Belastungsgleichheit in der Zeit gewahrt ist. Als Ergebnis ist somit festzuhalten, dass das Periodeneinkommen unabhängig von der Kontroverse um Abschnitts- und Totalitätsprinzip als Maßstab für die steuerliche Gleichbelastung heranzuziehen ist. Das objektive Nettoprinzip ist insofern zunächst auf den Besteuerungsabschnitt bezogen. 551 Vor dem Hintergrund der Entscheidung gegen eine Abkehr von der Folgerichtigkeit in zeitlicher Hinsicht auch Schlotter, BB 2009, S. 1412. 552 BVerfG v. 12.05.2009 - 2 BvL 1/00, DStRE 2009, S. 925. 553 BVerfG v. 12.05.2009 - 2 BvL 1/00, DStRE 2009, S. 925.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
(b) Das Totaleinkommen als Leistungsfähigkeitsindikator Der Umstand, dass das Periodeneinkommen Maßstab für die Herstellung von Belastungsgleichheit in der Zeit ist, bedeutet nicht, dass das Totaleinkommen als Leistungsfähigkeitsindikator ausscheidet. Würde man ausschließlich auf das Periodeneinkommen abstellen, so wäre Gleichbehandlung „nur“ in der Zeit gewährleistet.554 Eine solche zeitliche Restriktion ist Art. 3 Abs. 1 GG nicht immanent und müsste sich daher aus der Eigenart des Besteuerungsgegenstandes ergeben. Für die Einkommen- und Körperschaftsteuer folgt aus deren personaler Struktur genau das Gegenteil. Leistungsfähigkeitsindikator beider Steuerarten ist das von einer natürlichen bzw. juristischen Person erzielte Einkommen. Die Einkünfteerzielung endet jedoch nicht am 31.12. eines Jahres, um am 01.01. des Folgejahres neu zu beginnen. Es handelt sich vielmehr um einen kontinuierlichen Prozess, der sich über die gesamte Periode der rechtlichen Existenz des Steuersubjekts erstreckt. Daraus folgt, dass im Rahmen der Einkommen- und Körperschaftsteuer das Totaleinkommen die natürliche Einheit ist, an der die Herstellung steuerlicher Belastungsgleichheit zu messen ist.555 Für die Gewerbesteuer ist wegen ihres Objektsteuercharakters hingegen eine differenzierte Betrachtung erforderlich. Leistungsfähigkeitsindikator ist die objektivierte Ertragskraft eines gewerblichen Unternehmens.556 Auch diese Größe lässt sich letztlich nicht allein aus den Ergebnissen einzelner Besteuerungsabschnitte herleiten. Die Ertragskraft eines Unternehmens mit stark schwankenden Gewinnen ist nicht größer als diejenige eines Unternehmens mit konstanten Gewinnen. Auch im Rahmen der Gewerbesteuer gebietet der Grundsatz der Belastungsgleichheit somit eine überperiodische Betrachtung. Die Totalperiode eines Gewerbebetriebs ist jedoch – anders als im Rahmen der Einkommen- und Körperschaftsteuer – unabhängig von der rechtlichen Existenz des Steuersubjekts, also des Unternehmers. Entscheidend ist vielmehr der unveränderte Fortbestand der Sachgesamtheit Gewerbebetrieb, also das Kriterium der Unternehmensidentität.557 In Bezug auf das Totaleinkommen kann ein nur abschnittsbezogenes Leistungsfähigkeitsverständnis zu erheblichen Ungleichbelastungen führen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Totalperiode Verlustphasen enthält. 554 Vgl. Paus, DStZ 2005, S. 827. 555 So im Ergebnis auch Englisch, Die Duale Einkommensteuer - ein Reformmodell für Deutschland? (2005), S. 137, der etwas missverständlich von der Lebensspanne des Steuerpflichtigen als Maßstab für die Fähigkeit zur Steuerzahlung spricht. Gemeint ist aber zweifelsfrei das Lebenseinkommen. 556 Vgl. 2. Teil A. III. 557 Vgl. zum Kriterium der Unternehmensidentität 1. Teil B. II. 3 a).
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben Beispiel: Die Totalperiode besteht aus vier Besteuerungsperioden. Der Steuersatz beträgt 50 %. Die Steuerpflichtigen A und B erzielen ein Totaleinkommen von je 1.000.000 €, das sich bei A ungleichmäßig und bei B gleichmäßig auf die Totalperiode verteilt. A Einkommen ESt (s=50 %) Nachsteuererg. B Einkommen ESt (s=50 %) Nachsteuererg.
t1 -500.000 € 0€ -500.000 € t1 250.000 € -125.000 € 125.000 €
t2 t3 t4 Summe -500.000 € 1.000.000 € 1.000.000 € 1.000.000 € 0 € -500.000 € -500.000 € -1.000.000 € -500.000 € 500.000 € 500.000 € 0€ t2 t3 t4 Summe 250.000 € 250.000 € 250.000 € 1.000.000 € -125.000 € -125.000 € -125.000 € -500.000 € 125.000 € 125.000 € 125.000 € 500.000 €
Es fällt intuitiv schwer, den Anhängern des Abschnittsprinzips darin zu folgen, dass die sich aus einer strikten Periodisierung ergebende offensichtliche Ungleichbehandlung der Steuerpflichtigen im Hinblick auf das Totaleinkommen gleichheitsrechtlich völlig unbeachtlich sein soll. Als Anhänger eines strikt abschnittsbezogenen Leistungsfähigkeitsverständnisses müsste man sogar noch weiter gehen und jeden Versuch, Belastungsgleichheit in Bezug auf das Totaleinkommen herzustellen, als rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung qualifizieren. Diese Sichtweise könnte nur dann zutreffend sein, wenn das Totaleinkommen aus spezifisch gleichheitsrechtlichen Gründen als Maßstab für die Herstellung von Belastungsgleichheit im Ertragsteuerrecht nicht in Betracht kommt. Es müsste also dargelegt werden, warum sich das Totaleinkommen nicht dazu eignet, die Steuerpflichtigen558 untereinander im Hinblick auf ihre Leistungsfähigkeit zu vergleichen bzw. warum der allgemeine Gleichheitssatz eine Gleichbelastung „nur“ in der Zeit fordern sollte. Oftmals bezieht sich die Kritik am Totaleinkommen als Leistungsfähigkeitsindikator jedoch nicht auf die Frage der Gleichbehandlung, sondern auf die Konsequenzen, die sich aus einer auf die gleichmäßige Belastung des Totaleinkommens ausgerichteten Besteuerung ergeben würden. Dies trifft beispielsweise auf den Einwand Kirchhofs zu, durch eine Besteuerung des Totaleinkommens würde dem Staat die Gegenwartsfinanzierung verweigert.559 Dass der Staat auf eine laufende Deckung seines Finanzbedarfs angewiesen ist, ist für die Frage der Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen irrelevant.
558 Bzw. bei der Gewerbesteuer die Gewerbebetriebe hinsichtlich ihrer objektivierten Ertragskraft, vgl. 2. Teil A. III. 559 Vgl. Kirchhof, BB 2006, S. 73.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
Dieser Gesichtspunkt kann daher nicht grundsätzlich als Einwand gegen das Totaleinkommen als Leistungsfähigkeitsindikator angeführt werden. Vielmehr könnte die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Finanzierung des Staates auf der Rechtfertigungsebene Durchbrechungen der lebenszeitlichen Belastungsgleichheit legitimieren. Darüber hinaus ist der Einwand auch in der Sache falsch, da sich die laufende Finanzierung der Staatsausgaben auch bei einer auf die Erfassung des Totaleinkommens ausgerichteten Einkommensbesteuerung verwirklichen lässt.560 Wie bereits dargelegt wurde, darf ein lebenszeitliches Leistungsfähigkeitsverständnis nicht mit einer postmortalen Schlussbelastung des gesamten Lebenseinkommens verwechselt werden.561 Selbstverständlich kann auch im Rahmen einer lebenszeitlich ausgerichteten Besteuerung eine periodische Steuererhebung erfolgen.562 Auf das Verhältnis der Steuerpflichtigen zueinander und damit in der Tat auf eine Frage der Gleichbehandlung zielt hingegen die Kritik Schicks am Totalitätsprinzip ab. Schick begründet seine Ablehnung eines periodenübergreifenden Leistungsfähigkeitsverständnisses mit der fehlenden Vergleichbarkeit in der Zeit. Für ihn scheitert eine Gleichbelastung des Lebenseinkommens daran, dass nur kurze und gleich lange Vergleichszeiträume überhaupt wertend zueinander in Beziehung gesetzt werden könnten. In Bezug auf die Totalperiode schlössen Geldentwertung und Änderungen der Rechtslage eine 560 Vgl. Lang/Englisch, StuW 2005, S. 12. 561 Aus dem gleichen Grund geht auch Kirchhofs freiheitsrechtliche Kritik an einem lebenszeitlichen Leistungsfähigkeitsverständnis ins Leere. Kirchhof versucht das Konzept einer Ausrichtung der steuerlichen Lastenverteilung am Totaleinkommen mit der Behauptung ad absurdum zu führen, der Steuerpflichtige wäre dann gezwungen, sich seine Zahlungsfähigkeit für Zwecke der Besteuerung unter Umständen über Jahrzehnte zu erhalten (vgl. Kirchhof, StuW 1985, S. 322; Kirchhof, BB 2006, S. 73). Eine solche Konsequenz wäre zwar wiederum gleichheitsrechtlich irrelevant, würde aber in der Tat einen erheblichen Freiheitseingriff bedeuten. Zur Illustration verweist Kirchhof darauf, dass man einem Steuerpflichtigen faktisch verbieten müsste, ins Kasino zu gehen (vgl. Kirchhof in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 88 f. (in der Diskussion zu den Referaten von Eckhoff und Wendt). Dieses sehr anschauliche Beispiel ist in seiner Absurdität unmittelbar überzeugend. Das Problem ist nur, dass die Kritik auf der unzutreffenden Prämisse beruht, ein lebenszeitliches Leistungsfähigkeitsverständnis sei mit einer einmaligen postmortalen Belastung des Lebenseinkommens gleichzusetzen. 562 Vgl. Lang in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 64. Die Kritik Kirchhofs trifft partiell nur auf die sog. sparbereinigte „Einkommensteuer“ zu, bei der neben dem kontinuierlich besteuerten konsumierten Einkommen das gesparte Einkommen erst am Ende der Totalperiode der Besteuerung unterworfen wird; so auch Schön in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 95 (in der Diskussion zu den Referaten von Eckhoff und Wendt).
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
Vergleichbarkeit aus.563 Diesen Bedenken wird weitgehend bereits dadurch Rechnung getragen, dass auch bei einer Besteuerung des Totaleinkommens eine periodische Steuererhebung erfolgt. Einige Kritikpunkte erweisen sich zudem bei genauer Betrachtung als haltlos. So ist die Totalperiode selbstverständlich ein abgeschlossener Zeitraum. Der Umstand, dass die Länge der Totalperiode einzelner Steuerpflichtiger in der Regel nicht identisch ist, berührt die Vergleichbarkeit nicht, da es lediglich auf den Vergleich von Gesamteinkommen und Gesamtsteuerbelastung ankommt.564 Auch die Problematik der Geldentwertung spricht nicht gegen ein lebenszeitliches Leistungsfähigkeitsverständnis. Vor den Verwerfungen, die sich daraus ergeben, dass dem geltenden Einkommensteuerrecht das Nominalwertprinzip565 zugrunde liegt, schützt auch ein nur periodenbezogenes Leistungsfähigkeitsverständnis nicht.566 Allerdings ist es richtig, dass die Herstellung einer exakten Belastungsgleichheit in Bezug auf das Totaleinkommen in der Regel faktisch nicht möglich ist. So führen Änderungen der Rechtslage bei langen Totalperioden unweigerlich zu gewissen Abweichungen in der Steuerbelastung. Besonders deutlich tritt dieser Effekt bei Veränderungen des Steuertarifs zu Tage. Daraus allerdings die Schlussfolgerung zu ziehen, es sei unzulässig, die Herstellung von Belastungsgleichheit in der Zeit auch nur anzustreben,567 geht zu weit. Dass bei der Umsetzung eines Prinzips Einschränkungen in Kauf genommen werden müssen, ist nichts Ungewöhnliches. Ebenso wie Schick, jedoch mit einem anderen Begründungsansatz, beruft sich auch Kirchhof bei seiner Ablehnung eines lebenszeitlichen Leistungsfähigkeitsverständnisses auf den Gedanken der Besteuerungsgleichheit in der Zeit. Für Kirchhof ist eine gegenwartsnahe Besteuerung deshalb ein Gebot materieller Gleichheit, weil derjenige, der den Markt erfolgreich genutzt hat, zeitnah zur Finanzierung der diesen Erwerb ermöglichenden Rechts- und Marktgemeinschaft beitragen müsse.568 Das Problem an dieser Argumentation ist, dass sie sich nicht auf dem Boden des Leistungsfähigkeitsprinzips bewegt, sondern vielmehr auf einem global verstandenen Äquivalenzprinzip
563 Vgl. Schick, Der Verlustrücktrag (1976), S. 13 f. 564 A.A.: Drüen, Periodengewinn und Totalgewinn (1999), S. 90. 565 Das Nominalwertprinzip besagt, dass bei der Ermittlung der Einkünfte die Geldwertentwicklung nicht berücksichtigt wird, vgl. Ratschow in: Blümich, EStG, § 2 Rn. 79. 566 Beispielsweise wenn ein steuerverstricktes Wirtschaftsgut nach langer Zeit veräußert wird und der „Veräußerungsgewinn“ allein auf der Geldentwertung beruht. 567 Schick, Der Verlustrücktrag (1976), S. 15; Eckhoff in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 32 f. 568 Vgl. Kirchhof, StuW 2002, S. 9.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
basiert.569 Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer muss sich jedoch an der Leistungsfähigkeit des Einzelnen orientieren, nicht an der zur Einkommenserzielung in Anspruch genommenen Staatsleistung.570 Solange das Äquivalenzprinzip das Leistungsfähigkeitsprinzip nicht als steuerrechtsspezifische Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes abgelöst hat, geht diese Argumentation daher ins Leere. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass neben dem Periodeneinkommen auch das Totaleinkommen ein Indikator steuerlicher Gleichbelastung ist. Das objektive Nettoprinzip hat insofern eine überperiodische, nämlich auf die Totalperiode bezogene Dimension (c) Verhältnis von Gleichbehandlung in der Zeit und Gleichbelastung des Totaleinkommens Da Belastungsgleichheit sowohl im Hinblick auf das Periodeneinkommen als auch das Totaleinkommen angestrebt werden muss, stellt sich abschließend die Frage, in welchem Verhältnis diese beiden auf unterschiedliche Zeithorizonte bezogenen Gleichbehandlungsgebote zueinander stehen. Eine gleichmäßige Belastung des Periodeneinkommens setzt voraus, dass die Steuerpflichtigen in einer bestimmten Besteuerungsperiode ausschließlich mit dem in diesem Zeitabschnitt erzielten Einkommen zur Besteuerung herangezogen werden. Demgegenüber erfordert eine gleichmäßige Belastung des Totaleinkommens, dass unabhängig von der Verteilung des Einkommens über die einzelnen Besteuerungsperioden insgesamt nur das Einkommen besteuert wird, das in der Totalperiode tatsächlich erzielt wurde. Im Idealfall harmonieren beide Gleichbehandlungsgebote und können daher parallel verwirklicht werden.571 In vielen Fällen geraten Periodizitäts- und Totalitätsprinzip jedoch miteinander in Konflikt. Das wohl anschaulichste Beispiel ist die interperiodische Verlustverrechnung: Sie ist für eine gleich569 So auch Tipke, Die Steuerrechtsordnung 2 (2003), S. 757; Englisch, Die Duale Einkommensteuer - ein Reformmodell für Deutschland? (2005), S. 137; Birnbaum, Leistungsfähigkeitsprinzip und ErbStG (2007), S. 69. 570 Vgl. 2. Teil A. I. 1. a) aa) (1). 571 Dies ist beispielsweise bei einem linearen Steuertarif und einer Totalperiode ohne Verlustphase gegeben. Dann entspricht die Summe der Periodeneinkommen genau dem Totaleinkommen. Da sich Schwankungen des Periodeneinkommens wegen des linearen Tarifs nicht auswirken, gilt zudem, dass die auf das Totaleinkommen entfallende Steuer der Summe der in den einzelnen Besteuerungsperioden festgesetzten Steuer entspricht. Somit wird bezüglich des Totaleinkommens die Belastungsgleichheit gewahrt. Aber auch die Bedingung der Belastungsgleichheit in der Zeit ist erfüllt, da die Steuerfestsetzung auf das Periodeneinkommen nicht zugunsten einer überperiodischen Betrachtung durchbrochen werden muss.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
mäßige Belastung des Totaleinkommens unentbehrlich. Denn würden die intraperiodisch nicht verrechenbaren Verluste ungenutzt verfallen, so würde die Summe der besteuerten Periodeneinkommen das tatsächlich erzielte Totaleinkommen übersteigen. Um dieses Ergebnis zu vermeiden, müssen die Verluste interperiodisch mit positiven Einkünften aus anderen Besteuerungsabschnitten verrechnet werden. Dadurch kommt es aber zwangsläufig zu einer Durchbrechung der intraperiodischen Belastungsgleichheit. Denn in der Besteuerungsperiode, in der die Verlustverrechnung stattfindet, wird der Steuerpflichtige nicht nur gemäß seiner in diesem Zeitabschnitt erzielten positiven Einkünfte besteuert. Vielmehr werden zusätzlich aus einer anderen Besteuerungsperiode stammende negative Einkünfte berücksichtigt. Beispiel: Die Totalperiode der Steuerpflichtigen A und B umfasst zwei Veranlagungszeiträume. Der Steuersatz beträgt 50 %. A verfügt in beiden Veranlagungszeiträumen über keinerlei Einkommen; eine Steuerlast entsteht nicht. B erzielt in 01 einen Gewinn von 100.000 €, so dass sich eine Steuerlast von 50.000 € ergibt. In 02 erleidet B hingegen einen Verlust i.H.v. 100.000 €. Sein Totaleinkommen beträgt somit Null, seine Gesamtsteuerlast hingegen 50.000 €. Um Belastungsgleichheit zwischen A und B in Bezug auf das Totaleinkommen herzustellen, muss B ein Verlustrücktrag gewährt und die gezahlte Einkommensteuer erstattet werden. Dadurch wird jedoch die Belastungsgleichheit in Bezug auf das Periodeneinkommen durchbrochen. Denn infolge des Verlustrücktrags zahlt B in 01 keine Steuern, obwohl seine intraperiodische Leistungsfähigkeit 100.000 € beträgt. Er wird somit in 01 genauso hoch besteuert wie der nicht leistungsfähige A.
Sofern Belastungsgleichheit in der Zeit und in Bezug auf das Totaleinkommen nicht zeitgleich zu verwirklichen sind, muss ein Ausgleich zwischen beiden Prinzipien hergestellt werden.572 Notwendigerweise kommt dem Gesetzgeber dabei ein gewisser Gestaltungsspielraum zu. Wie groß dieser Spielraum ist, hängt von dem Verhältnis ab, in dem die Gleichbehandlungsmaßstäbe Periodeneinkommen und Totaleinkommen zueinander stehen. Bei Gleichrangigkeit läge die Auflösung der Prinzipienkollision weitgehend im Ermessen des Gesetzgebers.573 Die von ihm gewählte Lösung wäre gleichheitsrechtlich nicht überprüfbar, sondern würde selbst den Maßstab für das Vorliegen einer Ungleichbehandlung bilden. Der Ausgleich zwischen beiden Prinzipien würde schon auf der Ebene der Gleichbehandlung erfolgen. 572 So auch Drüen, Periodengewinn und Totalgewinn (1999), S. 96; Weber-Grellet, Steuern im modernen Verfassungsstaat (2001), S. 278. 573 Vgl. FG Münster v. 21.11.1996 - 12 K 2481/94 F, EFG 1997, S. 354; Reiff, DStZ 1998, S. 859.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
Das BVerfG hat sich in einer Entscheidung vom 22.07.1991574 scheinbar in diesem Sinne geäußert. In dieser – die Begrenzung des Verlustvortrags auf fünf Jahre nach § 10d EStG a.F. betreffenden Entscheidung – ist das BVerfG von einem Spannungsverhältnis zwischen dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung und dem Grundsatz des abschnittsübergreifenden Nettoprinzips als Ausfluss des Leistungsfähigkeitsprinzips ausgegangen.575 Nach Ansicht des BVerfG repräsentieren das Abschnittsprinzip und das Nettoprinzip mit der Rechtssicherheit und der materiellen Richtigkeit der Besteuerung widerstreitende Ausprägungen des Rechtsstaatsgebots, die der Gesetzgeber zu einem Ausgleich zu bringen habe. Diese Formulierung wurde zum Teil dahingehend gedeutet, dass der Gegensatz zwischen Abschnitts- und Totalitätsprinzip im Wege der praktischen Konkordanz durch die Abwägung der Verfassungsprinzipien Rechtssicherheit und materielle Gerechtigkeit zu lösen sei.576 Dabei soll es dem Gesetzgeber freistehen, sich primär für das Periodizitätsprinzip zu entscheiden und der materiellen Gerechtigkeit durch einige Abmilderungen Rechnung getragen.577 Übertragen auf die Verlustverrechnung würde dies bedeuten, dass der Gesetzgeber die zeitlichen Grenzen der interperiodischen Verlustverrechnung bei seiner Abwägungsentscheidung frei festsetzen könnte, ohne dass dies gleichheitsrechtlich rechtfertigungsbedürftig wäre. Wählte er beispielsweise einen Zeitraum von sieben Jahren, so wäre das Einkommen dieses Zeitraums der gleichheitsrechtliche Maßstab. Dieser Ansicht kann jedoch nicht gefolgt werden, da sie die Frage des Vorliegens einer Ungleichbehandlung und die Frage, ob diese Ungleichbehandlung gleichheitsrechtlich zu rechtfertigen ist, vermengt. Die Wahrung der Rechtssicherheit betrifft nicht das Verhältnis der Steuerpflichtigen untereinander, ist für die Frage der Gleichbehandlung also unerheblich. Die Notwendigkeit, Rechtssicherheit herzustellen, kann vielmehr eine eventuelle Ungleichbehandlung rechtfertigen. Bei genauer Lektüre zeigt sich, dass sich auch aus der Entscheidung des BVerfG nichts anderes ergibt. Das BVerfG differenziert genau zwischen seinen Ausführungen zum Rechtsstaatsprinzip und der Gleichheitsprüfung. Es stellt zunächst fest, dass das Rechtsstaatsprinzip gebietet, Rechtssicherheit und materielle Gerechtigkeit zum Ausgleich zu bringen. Erst in einem zweiten Schritt spricht es davon, dass diese
574 575 576 577
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BVerfG v. 22.07.1991 - 1 BvR 313/88, NJW 1992, S. 168 f. BVerfG v. 22.07.1991 - 1 BvR 313/88, NJW 1992, S. 169. Vgl. Drüen, Periodengewinn und Totalgewinn (1999), S. 96 ff. Vgl. Drüen, Periodengewinn und Totalgewinn (1999), S. 101.
Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
Abwägung auch im Rahmen der Willkürprüfung, also auf der Ebene der gleichheitsrechtlichen Rechtfertigung, heranzuziehen ist.578 Da mit dem Periodeneinkommen und dem Totaleinkommen zwei konkurrierende gleichheitsrechtliche Maßstäbe aufeinander treffen, muss sich die Lösung der Rangfrage konsequenterweise ebenfalls aus einer gleichheitsrechtlichen Wertung ergeben. Insofern ist von einem Vorrang des Totaleinkommens auszugehen, da es als originärer Leistungsfähigkeitsindikator anzusehen ist. Die Zerlegung der Totalperiode in Besteuerungsabschnitte ist im Ausgangspunkt eine rein pragmatische Entscheidung, durch die ein periodischer Steuerzugriff ermöglicht wird. Dadurch entsteht erst die Notwendigkeit, die Belastungsgleichheit in der Zeit zu wahren. Wenn die gesamte Steuerbelastung hingegen auf einem Schlag am Ende der Totalperiode erfolgte, würde sich die Frage der Belastungsgleichheit in der Zeit gar nicht stellen. Erst die Notwendigkeit, angesichts der periodischen Steuererhebung die Belastungsgleichheit in der Zeit zu wahren, macht das intraperiodische Einkommen zu einem eigenständigen Leistungsfähigkeitsindikator. Deshalb muss sich im Zweifelsfall das Gebot der gleichmäßigen Belastung des Totaleinkommens durchsetzen. Das bedeutet, dass Durchbrechungen der Belastungsgleichheit in Bezug auf das Totaleinkommen stets gleichheitsrechtlich rechtfertigungsbedürftig sind.579 Daneben bleibt es bei der gleichheitsrechtlichen Rechtfertigungsbedürftigkeit von Durchbrechungen der intraperiodischen Belastungsgleichheit, es sei denn, diese sind erforderlich, um Belastungsgleichheit in Bezug auf das Totaleinkommen herzustellen.580 Daher bedarf eine Maßnahme, durch die Belastungsgleichheit in Bezug auf das Periodeneinkommen durchbrochen wird, dann keiner gleichheitsrechtlichen Rechtfertigung, wenn sie ausschließlich dazu dient, Belastungsgleichheit in Bezug auf das Totaleinkommen zu verwirklichen. Dabei muss allerdings die Beeinträchtigung des Gebots der gleichmäßigen steuerlichen Belastung im Zeitablauf so gering wie möglich gehalten werden. Auch wenn zugunsten der korrekten Besteuerung des Totaleinkommens von der gleichmäßigen Be578 BVerfG v. 22.07.1991 - 1 BvR 313/88, NJW 1992, S. 169. Daraus folgt erstens, dass die vorgenommene Prinzipienabwägung der Gleichheitsprüfung nicht immanent ist, denn sonst müsste sie nicht auf diese übertragen werden. Zweitens ergibt sich daraus, dass die Beschränkung des Verlustvortrags auf fünf Jahre eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung darstellt, da das BVerfG sonst die Notwendigkeit eines Ausgleiches zwischen materieller Gerechtigkeit und Rechtssicherheit nicht heranziehen müsste, um die Willkürfreiheit der gesetzgeberischen Differenzierung zu begründen. 579 Selbstverständlich bleibt es dem Gesetzgeber unbenommen, vom Maßstab des Totalseinkommens abzuweichen, wenn ein besonderer sachlicher Grund dies erfordert. 580 So im Ergebnis auch Reiff, DStZ 1998, S. 859; Lehner in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 16.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
lastung des Periodeneinkommens abgewichen wird, so muss die steuerliche Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht doch zumindest so zutreffend wie möglich erfasst werden. (2) Die zeitliche Dimension des Gebots der Steuerfreiheit des Existenzminimums Aus dem Umstand, dass Maßstab für die Herstellung von Belastungsgleichheit auch das Totaleinkommen ist, leitet ein Teil der Literatur ab, dass auch das Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums in seiner gleichheitsrechtlichen Dimension581 überperiodisch zu verwirklichen sei.582 Die dieser Annahme zugrunde liegende Überlegung erscheint vordergründig einleuchtend: Wenn Belastungsgleichheit überperiodisch zu verwirklichen ist und existenzsichernder Aufwand die Leistungsfähigkeit mindert, dann fordere der allgemeine Gleichheitssatz, dass auch solcher Aufwand überperiodisch berücksichtigt wird. Anderenfalls würden sich dann, wenn der existenzsichernde Aufwand wegen Schwankungen in der Bemessungsgrundlage nicht voll berücksichtigt werden kann, für gleiche Totaleinkommen unterschiedlich hohe Steuerbelastungen ergeben:583 Beispiel: Ein Steuerpflichtiger erzielt in der Totalperiode ein Totaleinkommen i.H.v. 80.000 €. In Variante 1 verteilt sich das Einkommen gleichmäßig auf die Totalperiode, in Variante 2 fällt es im letzten Besteuerungsabschnitt an. Der existenzsichernde Aufwand beträgt 20.000 € p.a. und kann von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden, jedoch maximal in Höhe des positiven Einkommens. Der Steuersatz beträgt 40 %. Variante 1 t1 t2 Einkommen* 20.000 € 20.000 € existenzsichernder Aufw. -20.000 € -20.000 € subj. Leistungsfähigkeit 0€ 0€ Bemessungsgrundlage 0€ 0€ ESt 0€ 0€ Variante 2 t1 t2 Einkommen* 0€ 0€ existenzsichernder Aufw. -20.000 € -20.000 € subj. Leistungsfähigkeit -20.000 € -20.000 € Bemessungsgrundlage 0€ 0€ ESt 0€ 0€ *ermittelt nach dem objektiven Nettoprinzip
t3 20.000 € -20.000 € 0€ 0€ 0€ t3 0€ -20.000 € -20.000 € 0€ 0€
t4 20.000 € -20.000 € 0€ 0€ 0€ t4 80.000 € -20.000 € 60.000 € 60.000 € 24.000 €
Summe 80.000 € -80.000 € 0€ 0€ 0€ Summe 80.000 € -80.000 € 0€ 60.000 € 24.000 €
581 Vgl. 2. Teil A. I. 1. a) dd). 582 Vgl. Paus, BB 1988, S. 185; Homburg, FinArch. N. F. 1995, S. 192; Schneider/Hoffmann, INF 2003, S. 183; Paus, DStZ 2005, S. 827. 583 Vgl. Treisch, Existenzminimum und Einkommensbesteuerung (1999), S. 407.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
In Variante 2 kann sich der existenzsichernde Aufwand in den Besteuerungsperioden, in denen der Steuerpflichtige kein Einkommen erzielt, nicht auswirken. Wegen der fehlenden Übertragbarkeit ergibt sich deshalb in Bezug auf das Totaleinkommen eine Steuerbelastung in Höhe von 24.000 €, während in Variante 1 aufgrund der gleichmäßigen Einkommensverteilung und der daraus folgenden Möglichkeit zur Geltendmachung des existenzsichernden Aufwands überhaupt keine Steuerschuld entsteht. Für eine überperiodische Verwirklichung des Gebots der Steuerfreiheit des Existenzminimums wird vorgeschlagen, den existenzsichernden Aufwand von der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage abzuziehen und, sofern er die positiven Einkünfte übersteigt, wie einen Verlust in andere Besteuerungsperioden rück- bzw. vorzutragen.584 Jedoch übersehen die Vertreter dieser Ansicht, dass die Berücksichtigung des erwerbssichernden Aufwands nach dem objektiven Nettoprinzip und die Berücksichtigung des existenzsichernden Aufwands nach dem Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums auf unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Wertungen beruhen. Die Einkommensteuer belastet den Leistungsfähigkeitsindikator Einkommen. Folglich ist das nach dem objektiven Nettoprinzip ermittelte Einkommen der originäre Maßstab für die Herstellung von steuerlicher Belastungsgleichheit. Die Notwendigkeit, erwerbssichernden Aufwand zu berücksichtigen, ist primär gleichheitsrechtlich begründet. Demgegenüber fällt existenzsichernder Aufwand nicht in die Sphäre der Einkommenserzielung, sondern der Einkommensverwendung.585 Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass es sich um indisponiblen Aufwand handelt. Ein gleichheitsrechtliches Gebot, existenzsichernden Aufwand ebenso wie erwerbssichernden Aufwand überperiodisch zu berücksichtigen, lässt sich somit zumindest nicht aus dem Gebot der Folgerichtigkeit ableiten.586
584 Vgl. Homburg, FinArch. N. F. 1995, S. 192; Schneider/Hoffmann, INF 2003, S. 183; Paus, DStZ 2005, S. 827. 585 Vgl. Treisch, Existenzminimum und Einkommensbesteuerung (1999), S. 300; Tipke, Die Steuerrechtsordnung 2 (2003), S. 785; Niedersächsisches FG v. 03.07.2003 - 16 K 444/02, juris Rn. 33. 586 Vgl. Niedersächsisches FG v. 03.07.2003 - 16 K 444/02, juris Rn. 34.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
Einkommen
Disponible Einkommensverwendung: Sparen, Konsum
Leistungsfähigkeit
Indisponible Einkommensverwendung: Existenzsichernder Konsum Einkommenserzielung
Einkommensverwendung
Abbildung 23 Existenzsichernder Aufwand als Einkommensverwendung
Dass das Existenzminimum bei der Einkommensbesteuerung steuerfrei bleiben muss, ergibt sich primär aus Art. 1 Abs. 1 und 20 Abs. 1 GG. Aus der Menschwürdegarantie und dem Sozialstaatsgebot folgt für den Staat die Verpflichtung, jedem Bürger die Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein zu gewährleisten. Die Steuerfreiheit des Existenzminimums ist eine Ausprägung dieses Gebots. Erst in einem zweiten Schritt ergibt sich daraus die Notwendigkeit, dem im Rahmen der Einkommensbesteuerung auch gleichheitsrechtlich Rechnung zu tragen.587 Wäre das Existenzminimum unabhängig von der Einkommensbesteuerung auf eine freiheitsschonende Art und Weise sichergestellt – beispielsweise durch ein voraussetzungslos gewährtes „Bürgergeld“588 – so müssten existenzsichernde Aufwendungen im Rahmen der Einkommensbesteuerung überhaupt nicht berücksichtigt werden. Die Frage nach der zeitlichen Dimension des Gebots der Steuerfreiheit des Existenzminimums muss vor diesem spezifischen verfassungsrechtlichen Hintergrund beurteilt werden. Sofern das Einkommen eines Steuerpflichtigen vor Steuern nicht ausreicht, um den existenznotwendigen Aufwand zu decken, so genügt der Staat seinem Auftrag aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG nicht allein dadurch, dass er von einer Besteuerung absieht. Vielmehr muss er in diesem Fall das Einkommen durch Transferzahlungen589 entsprechend anheben.590 Zu diesem Zweck gewährt 587 Vgl. 2. Teil A. I. 1. a) dd) und 2. b). 588 Vgl. zum Konzept ein „Solidarischen Bürgergelds“ unter http://www.thuer ingen.de/de/buergergeld/. 589 Alternativ kann der Staat das Existenzminimum unmittelbar durch Dienst-, Geld-, oder Sachleistung sicherstellen, § 10 Abs. 1 SGB XII.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
der Staat Sozialhilfe nach dem SGB XII. Dabei gilt der Grundsatz, dass rechtmäßig erbrachte Leistungen vom Leistungsempfänger nicht erstattet werden müssen.591 Das heißt, dass der Steuerpflichtige die Sozialleistungen dauerhaft vereinnahmen kann, auch wenn er bezogen auf die Totalperiode nur auf einen Kredit angewiesen gewesen wäre.592 Bezieht man diese Abstimmung des Steuer- und Transfersystems in die Betrachtung mit ein, so zeigt sich, dass eine überperiodische Berücksichtigung existenzsichernden Aufwands nicht zu einer gleichmäßigen Steuerbelastung, sondern im Gegenteil für Steuerpflichtige mit schwankendem Einkommen zu einem ungerechtfertigten Vorteil führen würde: Beispiel: Ein Steuerpflichtiger erzielt in einer Totalperiode ein Totaleinkommen i.H.v. 80.000 €, das im letzten Besteuerungsabschnitt anfällt. Der existenzsichernde Aufwand beträgt 20.000 € p.a.. Er kann von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden; in Veranlagungszeiträumen ohne ausreichende Einkünfte wird das Existenzminimum durch staatliche Transferzahlungen gedeckt. Der Steuersatz beträgt 40 %. In Variante 1 ist eine interperiodische Berücksichtigung existenzsichernden Aufwands nicht möglich. In Variante 2 kann der steuerlich nicht berücksichtigte existenzsichernde Aufwand vorgetragen werden. Variante 1 t1 t2 Einkommen* 0€ 0€ existenzsich. Aufw. -20.000 € -20.000 € Transferzahlung 20.000 € 20.000 € subj. Leistungsfähigkeit 0€ 0€ Bemessungsgrundlage 0€ 0€ ESt 0€ 0€ Variante 2 t1 t2 Einkommen* 0€ 0€ existenzsich. Aufw. -20.000 € -20.000 € Transferzahlung 20.000 € 20.000 € subj. Leistungsfähigkeit 0€ 0€ Verrechnung Bemessungsgrundlage 0€ 0€ Vortrag -20.000 € -40.000 € ESt 0€ 0€ *ermittelt nach dem objektiven Nettoprinzip
t3 0€ -20.000 € 20.000 € 0€ 0€ 0€ t3 0€ -20.000 € 20.000 € 0€ 0€ -60.000 € 0€
t4 80.000 € -20.000 € 0€ 60.000 € 60.000 € 24.000 € t4 80.000 € -20.000 € 0€ 60.000 € -60.000 € 0€ 0€ 0€
Summe 80.000 € -80.000 € 60.000 € 60.000 € 24.000 € Summe 80.000 € -80.000 € 60.000 € 0€ 0€
Wie das Beispiel zeigt, macht die Aufstockung des Einkommens durch Transferzahlungen eine periodenübergreifende Berücksichtigung des exis590 Vgl. Treisch, Existenzminimum und Einkommensbesteuerung (1999), S. 378. 591 Vgl. Streichsbier in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, (2008), § 38 Rn. 3. 592 Vgl. Treisch, Existenzminimum und Einkommensbesteuerung (1999), S. 424.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
tenzsichernden Aufwands zur Herstellung von steuerlicher Belastungsgleichheit überflüssig.593 Eine vortragsfähige Last kann so gar nicht erst entstehen.594 In Variante 1 entsprechen sich die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer und die subjektive Leistungsfähigkeit in jeder einzelnen Besteuerungsperiode und in Bezug auf die Totalperiode. Demgegenüber führt die Kombination von Transferzahlungen und einer überperiodischen Berücksichtigung des nicht ausgenutzten existenzsichernden Aufwands in Variante 2 dazu, dass der Steuerpflichtige trotz vorhandener Leistungsfähigkeit keine Steuern zahlen muss, was den Grundsatz der Belastungsgleichheit durchbricht. Stefan Homburg hält dennoch eine überperiodische Berücksichtigung des Existenzminimums für erforderlich, um zu vermeiden, dass Steuerpflichtige mit schwankendem Einkommen abwechselnd Steuern zahlen und Sozialleistungen in Anspruch nehmen müssen.595 Durch die Möglichkeit, das Existenzminimum im Wege einer Verlustverrechnung überperiodisch geltend zu machen, erhielte der Steuerpflichtige nach Homburgs Vorstellung die Wahlmöglichkeit, sich statt der Sozialhilfe für die staatsferne Option zu entscheiden, die Überschüsse in guten Jahren für die eigene Bedarfsdeckung in schlechten Jahren einzusetzen.596 Allerdings besteht diese Wahlmöglichkeit nicht, wenn die Jahre ohne ausreichendes Einkommen zur Existenzsicherung zeitlich zuerst kommen. Dann kann auch ein „Verlustvortrag“ des Existenzminimums die Notwendigkeit, Transferleistungen in Anspruch zu nehmen, nicht verhindern.597 Ein Verzicht auf Transferzahlungen zugunsten einer überperiodischen Berücksichtigung des existenzsichernden Aufwands wäre zudem vor dem Hintergrund von Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich unzulässig. Denn die Deckung des Existenzminimums muss immer gegenwartsnah gewährleistet werden. Durch die Steuerfreistellung des existenzsichernden Aufwands soll verhindert werden, dass Steuerpflichtige infolge der Einkommensbesteuerung die Fähigkeit verlieren, ihren gegenwärtigen Bedarf aus ihrem Einkommen zu befriedigen und deshalb auf Sozialhilfe angewiesen sind. Dementsprechend hat das BVerfG festgestellt, dass die steuerliche Entlastung ihren Zweck verfehlte, wenn sie nicht zeitnah 593 594 595 596 597
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Vgl. Treisch, Existenzminimum und Einkommensbesteuerung (1999), S. 410. Vgl. Kirchhof, Einkommensteuergesetzbuch (2004), S. 158. Vgl. Homburg, FinArch. N. F. 1995, S. 192. Vgl. Homburg, FinArch. N. F. 1995, S. 193. Aber auch durch einen Rücktrag des in einer Besteuerungsperiode nicht verdienten Existenzminimums kann die Inanspruchnahme von Sozialleistungen nicht sicher ausgeschlossen werden. Denn dadurch lässt sich nur eine Steuererstattung in Höhe des Produktes von Steuersatz und Existenzminimum erreichen. Die Differenz müsste wiederum mit Transferzahlungen aufgefüllt werden.
Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
zu dem jeweiligen Bedarf gewährt würde.598 Verwiese man den Steuerpflichtigen auf die Geltendmachung des existenzsichernden Aufwands im Wege des „Verlustvortrags“, würde man ihm das für ein menschenwürdiges Dasein aktuell Nötige gerade verweigern. Mittlerweile hat das BVerfG zudem ausdrücklich klargestellt, dass die Steuerfreiheit des Existenzminimums auf die Periodizität der Einkommensbesteuerung bezogen ist und verhindern soll, dass die Besteuerung dem Steuerpflichtigen die Mittel entzieht, die zur Bestreitung des Existenzminimums „im jeweiligen Kalenderjahr“ erforderlich sind.599 Als Ergebnis ist festzuhalten, dass es gleichheitsrechtlich nicht geboten ist, für existenzsichernden Aufwand, der intraperiodisch mangels ausreichender positiver Einkünfte nicht geltend gemacht werden konnte, eine interperiodische Verrechnungsmöglichkeit zu eröffnen.600 (3) Zusammenfassung: Die zeitliche Dimension des Gebots der Belastungsgleichheit Zusammenfassend kann die zeitliche Dimension des Gebots der Belastungsgleichheit folgendermaßen beschrieben werden: Belastungsgleichheit ist primär in Bezug auf das Totaleinkommen herzustellen. Daraus folgt, dass das objektive Nettoprinzip periodenübergreifend zu verwirklichen ist. Demgegenüber ist eine periodenübergreifende Berücksichtigung existenzsichernden Aufwands gleichheitsrechtlich nicht geboten, da das Existenzminimum immer gegenwartsnah gewährleistet werden muss. Zusätzlich zur gleichmäßigen Belastung des Totaleinkommens muss gewährleistet sein, dass die Leistungsfähigkeit auch im Zeitablauf zutreffend erfasst wird. Die Steuerbelastung muss möglichst zeitnah zur tatsächlichen Erzielung des Einkommens erfolgen. Daher ist neben dem Totaleinkommen auch das Periodeneinkommen als Leistungsfähigkeitsindikator zu berücksichtigen. Lassen sich eine gleichmäßige Belastung des Total- und des Peri598 BVerfG v. 25.09.1992 - 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91, BVerfGE 87, S. 179. 599 BVerfG v. 13.02.2008 - 2 BvL 1/06, NJW 2008, S. 1872. 600 So auch Reiff, DStZ 1998, S. 861; Treisch, Existenzminimum und Einkommensbesteuerung (1999), S. 433; Kirchhof, Einkommensteuergesetzbuch (2004), S. 158. Auch die Rechtsprechung vertritt diese Position. Das Niedersächsisches FG v. 03.07.2003 - 16 K 444/02, juris Rn. . 30-36. hat unlängst ausdrücklich die überperiodische Berücksichtigung existenzsichernden Aufwands im Rahmen des Verlustvortrags abgelehnt. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wurde vom BFH abgelehnt, BFH v. 17.02.2005 - XI B 138/03, BFH/NV 2005, S. 1265. Die im Anschluss erhobene Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG v. 27.04.2006 - 2 BvR 603/05, StEd 2006.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
odeneinkommens nicht parallel verwirklichen, so hat die korrekte Erfassung des Totaleinkommens den Vorrang. Auch dabei muss aber der Grundsatz der Gleichbelastung in der Zeit so weit wie möglich gewahrt werden. bb) Vorgaben für die Verlustverrechnung Aus der dargestellten doppelten zeitlichen Dimension des Leistungsfähigkeitsprinzips und damit auch des objektiven Nettoprinzips ergeben sich Konsequenzen sowohl für die intraperiodische als auch für die interperiodische Verlustverrechnung. (1) Intraperiodische Verlustverrechnung Bei der Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für die intraperiodische Verlustverrechnung war die Annahme zugrunde gelegt worden, dass das Periodeneinkommen Maßstab für die steuerliche Gleichbelastung ist.601 Diese Annahme hat sich bei der Untersuchung der zeitlichen Dimension des Gebots der Belastungsgleichheit bestätigt. Neben dem Totaleinkommen ist auch das Periodeneinkommen Maßstab steuerlicher Leistungsfähigkeit. Vom Grundsatz der gleichmäßigen Belastung des Periodeneinkommens darf zwar abgewichen werden, wenn dies für eine zutreffende Erfassung des Totaleinkommens erforderlich ist. Im Übrigen muss jedoch der Grundsatz der steuerlichen Gleichbelastung in der Zeit beachtet werden. Daraus folgt ein grundsätzlicher Vorrang der intraperiodischen Verlustverrechnung vor der interperiodischen Verlustverrechnung.602 Wenn eine Verrechnung von Verlusten sowohl intraperiodisch als auch interperiodisch möglich ist, so gebietet es der Grundsatz der Gleichbelastung in der Zeit, die Verluste vorrangig intraperiodisch zu berücksichtigen. Denn anderenfalls würde weder das Periodeneinkommen im Jahr der Verlustentstehung noch im Jahr der Verlustverrechnung zutreffend ermittelt. Beispiel: Steuerpflichtiger A verfügt über zwei Gewerbebetriebe. Die Totalperiode umfasst zwei Veranlagungszeiträume. In 01 erzielt A mit Gewerbebetrieb 1 einen Gewinn von 100.000 € und mit Gewerbebetrieb 2 einen Verlust von 100.000 €. In 02 ist das Ergebnis des Geberbebetriebs 1 ausgeglichen; mit Gewerbebetrieb 2 erzielt A einen Gewinn von 100.000 €. Der in 01 entstandene Verlust (-100.000 €) kann theoretisch sowohl intraperiodisch ausgeglichen als auch interperiodisch geltend gemacht werden. Eine zutreffende steuerliche 601 Vgl. 2. Teil B. I. 1. a). 602 So im Ergebnis auch Lehner in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 16.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben Belastung des Periodeneinkommens ist jedoch nur bei einer intraperiodischen Verlustverrechnung möglich. In 01 hat A per Saldo nichts verdient. Würde der Verlust aus Gewerbebetrieb 2 jedoch nicht intraperiodisch mit dem Gewinn aus Gewerbebetrieb 1 verrechnet, sondern vorgetragen, so ergäbe sich eine positive einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage von 100.000 €. Demgegenüber hat A in 02 tatsächlich ein Einkommen i.H.v. 100.000 € erzielt und ist entsprechend leistungsfähig. Im Falle eines Verlustvortrags würde die steuerliche Bemessungsgrundlage jedoch auf Null reduziert.
Welche Konsequenzen sich aus einem einseitigen Abstellen auf das Totaleinkommen als Leistungsfähigkeitsindikator für die intraperiodische Verlustverrechnung ergeben würden, verdeutlicht die Rechtsprechung des 11. Senats des BFH zum Verhältnis von objektivem Nettoprinzip und Verlustvortrag. Nach Ansicht des 11. Senats gebietet das objektive Nettoprinzip als eine Ausprägung des Leistungsfähigkeitsprinzips zwar den Abzug erwerbssichernden Aufwands von der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage. Es sei jedoch von Verfassungs wegen nicht notwendigerweise in jedem einzelnen – aus rein erhebungstechnischen Gründen gewählten – Veranlagungszeitraum zu verwirklichen.603 Intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkungen stellten demnach keine rechtfertigungsbedürftige Durchbrechung des aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Grundsatzes der Belastungsgleichheit dar, solange die Verluste überhaupt, sei es auch in einem anderen Veranlagungszeitraum, berücksichtigt werden können.604 Denn dann werde der Verlustausgleich lediglich zeitlich gestreckt.605 Ausgehend von dieser Prämisse kommt der 11. Senat zu dem Ergebnis, dass der Gesetzgeber durch eine Beschränkung der intraperiodischen Verlustverrechnung, die eine interperiodische Verlustverrechnung zulässt, das objektive Nettoprinzip „respektiere“.606
603 BFH v. 09.05.2001 - XI B 151/00, BStBl. II 2001, S. 554; BFH v. 18.10.2006 - IX R 28/05, BB 2007, S. 142. 604 BFH v. 09.05.2001 - XI B 151/00, BStBl. II 2001, S. 554; BFH v. 06.03.2003 - XI B 7/02, BStBl. II 2003, S. 517; BFH v. 06.03.2003 - XI B 76/02, BStBl. II 2003, S. 524; BFH v. 29.04.2005 - XI B 127/04, BStBl. II 2005, S. 610; BFH v. 27.01.2006 - VIII B 179/05, BFH/NV 2006, S. 1151. In diesem Sinne auch Wernsmann, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 103. 605 BFH v. 06.03.2003 - XI B 7/02, BStBl. II 2003, S. 517; BFH v. 06.03.2003 - XI B 76/02, BStBl. II 2003, S. 524; BFH v. 29.04.2005 - XI B 127/04, BStBl. II 2005, S. 610; BFH v. 27.01.2006 - VIII B 179/05, BFH/NV 2006, S. 1151. 606 BFH v. 09.05.2001 - XI B 151/00, BStBl. II 2001, S. 554. Zu dieser Sichtweise scheint mittlerweile auch das BVerfG zu tendieren. In einem § 15a EStG betreffenden Nichtannahmebeschluss kommt es zu dem Ergebnis, dass trotz einer Verschiebung der Verlustverrechnung in spätere Veranlagungszeiträume das objektive Nettoprinzip „in seinem Kern“ beachtet werde, solange die Verluste nicht endgültig von der Ver-
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
Diese Rechtsprechung des 11. Senats des BFH ist in der Literatur überwiegend auf Ablehnung gestoßen.607 Ein Hauptkritikpunkt besteht darin, dass durch eine Verlustvortragsmöglichkeit keineswegs sichergestellt ist, dass eine intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkung lediglich zu einer „Streckung“ der Verlustverrechnung führt. Ob in Zukunft eine Verlustverrechnung möglich sein wird, ist naturgemäß ungewiss.608 Zu einem endgültigen Untergang der Verluste kommt es beispielsweise trotz Verlustvortrags immer dann, wenn der Steuerpflichtige – bzw. der Gewerbebetrieb – bis zum Ende der Totalperiode keine oder keine ausreichenden positiven verrechnungsfähigen Einkünfte mehr erzielt. Denn da eine intersubjektive Verlustverrechnung in den meisten Fällen nicht möglich und – wie noch zu zeigen sein wird609 – auch nicht verfassungsrechtlich geboten ist, ist die Möglichkeit zur Verlustverrechnung grundsätzlich auf die Totalperiode begrenzt. In diesem Fall käme es bezogen auf die Totalperiode zu einer höheren Steuerbelastung als bei sofortiger intraperiodischen Verlustverrechnung. Der Grundsatz der Belastungsgleichheit wäre also auch in Bezug auf das Totaleinkommen durchbrochen. Problematisch ist die Rechtsprechung des 11. Senats des BFH zudem aufgrund des sich für den Steuerpflichtigen ergebenden Zinsnachteils. Denn selbst wenn die Verlustverrechnung lediglich zeitlich gestreckt und somit das Totaleinkommen zutreffend erfasst wird, so beeinflusst eine Verlustverrechnungsbeschränkung doch zumindest den Zeitpunkt der Steuerzahlung. Die Verluste wirken sich später steuermindernd aus, als sie es bei unbeschränkter Verlustverrechnung getan hätten.610 Allerdings treffen die genannten Argumente die Rechtsprechung des 11. Senats des BFH noch nicht in ihrem Kern. Denn zumindest theoretisch kann eine intraperiodische Ver-
607
608 609 610
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rechnung ausgeschlossen würden, vgl. BVerfG v. 14.07.2006 - 2 BvR 375/00, BVerfGK 8, S. 394. Vgl. Korezkij, DStR 2005, S. 1116; Karrenbrock, DB 2004, S. 563; Hergarten, DStR 2001, S. 1876; Holdorf, BB 2001, S. 2085; Hallerbach, FR 2001, S. 780. Zustimmend äußerten sich hingegen: Werner, StB 2001, S. 379; Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 75. Vgl. BFH v. 28.07.2004 - XI R 54/99, BStBl. II 2005, S. 268; Karrenbrock, DB 2004, S. 563; Korezkij, DStR 2005, S. 1116. Vgl. 2. Teil B. III. Der sich daraus ergebende Zinsnachteil genügt an sich, um auch bezogen auf das Totaleinkommen eine echtfertigungsbedürftige Durchbrechung des Grundsatzes der Belastungsgleichheit zu begründen. Stehen zwei gleichwertige Investitionsalternativen zur Verfügung, so ist es in der Regel rational, die nicht von einer Verlustverrechnungsbeschränkung betroffene Alternative zu wählen. Trotz interperiodischer Verlustverrechnung wirkt die intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkung somit als eine belastende Lenkungsnorm, durch die eine bestimmte Tätigkeit steuerlich weniger attraktiv gemacht wird.
Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
lustverrechnungsbeschränkung so ausgestaltet werden, dass eine höhere Steuerbelastung des Lebenseinkommens ausgeschlossen ist.611 Auch der gegenüber einer zeitnahen Verlustverrechnung entstehende Zinsnachteil könnte beispielsweise durch eine Verzinsung der Steuererstattung kompensiert werden.612 Der entscheidende Schwachpunkt in der Argumentation des 11. Senats BFH liegt nicht in der Belastungswirkung in Bezug auf das Totaleinkommen, sondern in Bezug auf das Periodeneinkommen. Durch eine zeitliche „Streckung“ der Verlustverrechnung wird der Grundsatz der Belastungsgleichheit in der Zeit durchbrochen. Wenn durch eine intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkung mit Verlustvortragsmöglichkeit die Verlustverrechnung zeitlich in die Zukunft verschoben wird, wird intraperiodisch zunächst eine Leistungsfähigkeit besteuert, die der Steuerpflichtige noch gar nicht erzielt hat. Es werden zukünftige Einkünfte der Besteuerung unterworfen.613 Dies ist eine Durchbrechung des Gebots der gleichmäßigen Belastung wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit im Zeitablauf. Gegenüber einer sofortigen Verlustverrechnung ergibt sich für den Steuerpflichtigen ein Liquiditätsnachteil.614 Selbst wenn man den Zinsnachteil außer Acht lässt, so kann man nicht ernsthaft behaupten, dass ein Steuerpflichtiger, der eine bestimmte Steuerzahlung sofort leisten muss, verglichen mit einem Steuerpflichtigen, der den gleichen Betrag unter Umständen erst Jahre später zu zahlen hat, gleich belastet wird. Denn in dieser Zeit steht der Betrag dem Steuerpflichtigen für Investitionen oder zum Konsum nicht zur Verfügung.615 Denkt man den Ansatz des 11. Senats zu Ende, so würde aus dem lebenszeitlichen Ansatz folgen, dass der Zeitpunkt des Steuerzugriffs beliebig ist.616 Damit würden alle Grundsätze zur periodengerechten Erfolgsabgrenzung in Frage gestellt.617 Der Ansatz des 11. Senats ist insbesondere deshalb unverständlich, weil der Senat in an611 So könnte beispielsweise eine endgültige Nichtverrechenbarkeit von vorgetragenen Verlusten durch einen zeitlich und betragsmäßig unbeschränkten Verlustrücktrag ausgeschlossen werden, der gewährt wird, wenn eine Verrechnung im Wege des Verlustvortrags nicht mehr möglich ist. 612 Vgl. Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 69. 613 Vgl. Lang/Englisch, StuW 2005, S. 7. 614 Vgl. Hey, BB 2007, S. 1305. 615 Man kann den Bürger insofern auch nicht auf eine Kreditaufnahme verweisen. Selbst wenn er dafür die zukünftige Steuerermäßigung aus den noch zu verrechnenden Verlusten als Sicherheit einsetzen könnte, ist auf einem nicht perfekten Kapitalmarkt ungewiss, ob und zu welchen Konditionen er ein Darlehen erhält. Zudem stellt allein der damit verbundene Aufwand eine gleichheitsrechtlich relevante Benachteiligung dar. 616 Vgl. Lang/Englisch, StuW 2005, S. 7. 617 Vgl. Karrenbrock, DB 2004, S. 563.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
deren Zusammenhängen dem Abschnittsprinzip materiellen Gehalt zumisst.618 Gerade das Abschnittsprinzip gebietet aber eine möglichst periodengerechte Berücksichtigung von Erwerbseinnahmen und -ausgaben sowie der aggregierten Größen Gewinn und Verlust. Im Ergebnis kann somit festgehalten werden, dass die Möglichkeit einer interperiodischen Verlustverrechnung die durch eine intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkung bewirkte Durchbrechung der Belastungsgleichheit nicht zu kompensieren vermag. Sofern eine intraperiodische Verlustverrechnung möglich ist, muss diese zur Wahrung der Belastungsgleichheit in der Zeit vielmehr stets vorrangig vor einer eventuellen interperiodischen Verlustverrechnung erfolgen. Im Beschluss vom 06.09.2006 zu § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. hat der BFH zu erkennen gegeben, dass er die gegen seine Rechtsprechung geäußerte Kritik zumindest für bedenkenswert hält.619 (2) Interperiodische Verlustverrechnung Es existieren zwei grundlegende Techniken zur Beschränkungen der interperiodischen Verlustverrechnung. Zum einen kann die Beschränkung am Zeitmoment ansetzen. Dann ist eine interperiodische Verlustverrechnung nur in einer beschränkten Zahl von Besteuerungsperioden vor und nach der Besteuerungsperiode der Verlustentstehung möglich. Die zweite Möglichkeit zur Beschränkung der interperiodischen Verlustbeschränkungen besteht darin, die Verlustverrechnung betragsmäßig zu beschränken. Für die Untersuchung ihrer gleichheitsrechtlichen Implikationen sollen beide Techniken nachfolgend getrennt betrachtet werden. Abschließend wird auf den Sonderfall der Beschränkung der interperiodischen Verlustverrechnung auf besondere Verlustverrechnungskreise eingegangen. (a) Zeitliche Beschränkung der interperiodischen Verlustverrechnung Die gleichheitsrechtliche Notwendigkeit einer interperiodischen Verlustverrechnung folgt aus der periodenübergreifenden Dimension des objektiven Nettoprinzips. Verluste mindern nicht nur die intraperiodische, sondern auch die interperiodische Leistungsfähigkeit.620 Eine gleichmäßige Belastung des Totaleinkommens setzt voraus, dass das in den einzelnen Besteuerungsperioden jeweils besteuerte Einkommen in der Summe das Totaleinkommen nicht übersteigt.621 Dies ist nur gewährleistet, wenn Verluste, die intraperiodisch mangels ausreichender positiver Einkünfte nicht ausgeglichen werden 618 619 620 621
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Vgl. 2. Teil B. II. 1. a) aa) (1) m.w.N. BFH v. 06.09.2006 - XI R 26/04, BStBl. II 2007, S. 170. Vgl. Arndt/Jenzen, DStR 1998, S. 1820. Vgl. Karrenbrock, DB 2004, S. 560.
Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
konnten, interperiodisch mit positiven Einkünften aus anderen Besteuerungsabschnitten verrechnet werden können. Eine interperiodische Verlustverrechnung kann zeitlich in zwei Dimensionen erfolgen. Intraperiodische nicht ausgeglichene Verluste können zum einen im Wege des Verlustrücktrags mit positiven Einkünften aus vergangenen Besteuerungsperioden, zum anderen im Wege des Verlustvortrags mit zukünftigen positiven Einkünften verrechnet werden. Zum Teil wird es gleichheitsrechtlich für ausreichend erachtet, wenn der Gesetzgeber einen Verlustvortrag ermöglicht. Eine Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips in seiner gleichheitsrechtlichen Dimension durch die zeitliche und betragsmäßige Beschränkung des Verlustrücktrags soll wegen der Möglichkeit des Verlustvortrags ausscheiden.622 Dem ist nicht zuzustimmen. Gleichheitsrechtlich ist kein Grund ersichtlich, aus dem eine Dimension der zeitlichen Verlustverrechnung der anderen vorgehen sollte. Für die Wahrung von Belastungsgleichheit in Bezug auf das Totaleinkommen sind grundsätzlich sowohl ein zeitlich unbeschränkter Verlustvortrag als auch ein zeitlich unbeschränkter Verlustrücktrag erforderlich. Denn je nachdem, zu welchem Zeitpunkt innerhalb der Totalperiode der Verlust eintritt, kann das Nettoprinzip in seiner abschnittsübergreifenden Dimension durch Verlustrücktrag und Verlustvortrag, nur durch einen Verlustrücktrag oder nur durch einen Verlustvortrag realisiert werden. Tritt etwa ein Verlust in der ersten Periode der Totalperiode ein, ist nur ein Verlustvortrag möglich. Umgekehrt kann ein Verlust am Ende der Totalperiode nur im Wege des Verlustrücktrags interperiodisch verrechnet werden. Bezüglich der Verwirklichung eines abschnittsübergreifenden Nettoprinzips stehen Verlustrücktrag und Verlustvortrag somit gleichberechtigt nebeneinander. Da die Möglichkeit zur Verlustverrechnung im Wege des Verlustvortrags wegen ihrer Zukunftsbezogenheit naturgemäß ungewiss ist, spricht der Grundsatz der Vorsicht sogar für einen Vorrang des Verlustrücktrags. Eine zeitliche Beschränkung bzw. ein Ausschluss des Verlustrücktrags stellt in gleicher Weise eine Durchbrechung des Grundsatzes der Belastungsgleichheit dar wie eine entsprechende Maßnahme in Bezug auf den Verlustvortrag.623
622 So Werz, Verlustverrechnungsbeschränkungen im Lichte der Verfassung unter besonderer Berücksichtigung der Verlustregeln des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (2003), S. 219. 623 An dieser Beurteilung ändert sich auch nichts dadurch, dass ein nach dem abschnittsübergreifenden Nettoprinzip gebotener zeitlich unbeschränkter Verlustrücktrag mit dem Erfordernis der Planbarkeit der Steuereinnahmen der öffentlichen Hand kollidiert (vgl. Fischer, Zur Systematik der Verrechnung inländischer Verluste im deutschen Steuerrecht (2004), S. 672). Denn die Planbarkeit der Steuereinnahmen berührt nicht
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Schließlich wird gegen die gleichheitsrechtliche Relevanz eines Verlustrücktrags auch noch vorgebracht, dass die Leistungsfähigkeit vergangener Besteuerungsabschnitte durch laufende Verluste nicht tangiert werde.624 Diese Ansicht basiert jedoch auf einem strikt abschnittsbezogenen Leistungsfähigkeitsverständnis. Die abschnittsbezogene Leistungsfähigkeit einer Besteuerungsperiode wird durch einen in einem anderen Besteuerungsabschnitt anfallenden Verlust in der Tat nicht berührt, die periodenübergreifende Leistungsfähigkeit hingegen schon. Daher ist nicht nur der Verlustvortrag, sondern auch der Verlustrücktrag gleichheitsrechtlich geboten und gerade keine Steuersubvention.625 (b) Betragsmäßige Beschränkung der interperiodischen Verlustverrechnung Betragsmäßige Beschränkungen der interperiodischen Verlustverrechnung können auf verschiedene Art und Weise ausgestaltet sein. Die einfachste Variante ist die Deckelung durch einen fixen Höchstbetrag. Zudem kann die interperiodische Verlustverrechnung auf einen bestimmten Anteil der zu verrechnenden Verluste oder auf einen bestimmten Anteil der zur Verrechnung zur Verfügung stehenden positiven Einkünfte beschränkt werden.626 Die Notwendigkeit einer gleichheitsrechtlichen Rechtfertigung von betragsmäßigen Beschränkungen der Verlustverrechnung ergibt sich primär aus dem Gebot der Wahrung der Belastungsgleichheit in der Zeit. Für eine gleichmäßige Belastung steuerlicher Leistungsfähigkeit im Zeitablauf ist die Besteuerung am Periodeneinkommen als Leistungsfähigkeitsindikator auszurichten. Wie gezeigt wurde, folgt daraus, dass Verluste zunächst vorrangig intraperiodisch verrechnet werden müssen.627 Ist dies nicht möglich, weil intraperiodisch keine ausreichenden positiven Einkünfte für eine Verrechnung zur Verfügung stehen, so folgt aus dem Gebot der Gleichbelastung in der Zeit, dass die Verlustverrechnung so zeitnah wie möglich zur Periode der
624 625 626 627
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die gleichmäßige Belastung der Steuerpflichtigen im Verhältnis zueinander. Dass Verlustrückträge vor dem Hintergrund der kameralistischen Wirtschaftsweise des Staates zu problematischen Liquiditätsabflüssen führen können, kann jedoch unter Umständen auf der Ebene der gleichheitsrechtlichen Rechtfertigung eine Beschränkung des Verlustrücktrags legitimieren (vgl. Haarmann, Stbg 2001, S. 147. sowie 2. Teil B. II. 1. b) cc)). Vgl. Eckhoff in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 34. A.A.: Eckhoff in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 35. Vgl. dazu allgemein 1. Teil A. III. 2. Vgl. 2. Teil B. II. 1. a) bb) (1).
Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
Verlustentstehung erfolgen muss.628 Nur so kann die Abweichung vom Grundsatz der zeitgerechten steuerlichen Erfassung wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit möglichst gering gehalten werden. Jede betragsmäßige Beschränkung führte zu einer zeitlichen Streckung der Verlustverrechnung. Dadurch würde der Zeitraum verlängert, in dem der Steuerpflichtige nicht entsprechend seiner intraperiodischen Leistungsfähigkeit besteuert wird. Betragsmäßige Beschränkungen der Verlustverrechnung durchbrechen potentiell auch das Gebot der gleichmäßigen Belastung des Totaleinkommens. Denn durch die zeitliche Streckung der Verlustverrechnung steigt die Gefahr, dass Verluste endgültig untergehen und somit die Belastungsgleichheit in Bezug auf das Totaleinkommen nicht mehr gewahrt ist.629 Davon, dass durch eine zeitliche Streckung der Verlustverrechnung keine Verlustvorträge verloren gehen,630 könnte man nur bei einer unbegrenzten Lebensdauer von Einkommensteuersubjekten bzw. einer zeitlich unbegrenzten Existenz von Körperschaftsteuersubjekten und Gewerbebetrieben ausgehen. Eine solche Annahme ist für natürliche Personen offensichtlich unzutreffend. Aber auch im Hinblick auf juristische Personen ist sie unzulässig, denn die zeitliche Existenz einer juristischen Person ist zwar theoretisch, nicht aber praktisch unbegrenzt.631 Dass auch ein Gewerbebetrieb in der Regel nicht zeitlich unbegrenzt besteht, bedarf ebenfalls keiner besonderen Begründung. 628 Vgl. Drüen, Periodengewinn und Totalgewinn (1999), S. 92. So im Ergebnis auch Eckhoff in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 94 (in der Diskussion zu den Referaten von Eckhoff und Wendt), für den sich aus der Entscheidung für die Periodizität ergibt, dass Verluste so zeitnah wie möglich verrechnet werden müssen. 629 Allerdings besteht zumindest theoretisch die Möglichkeit, diese Gefahr durch spezielle Mechanismen auszuschließen. Ein Beispiel ist die Gewährung eines unbeschränkten Verlustrücktrags für den Fall, dass die Totalperiode endet, bevor alle Verluste verrechnet werden konnten. Würde man daher nur auf das Totaleinkommen als Leistungsfähigkeitsindikator abstellen, so wären betragsmäßige Beschränkungen der interperiodischen Verlustverrechnung nicht zwingend gleichheitsrechtlich rechtfertigungsbedürftig. Zu diesem Ergebnis gelangt Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 75. Vgl. zu den Argumenten, die gegen diese Position sprechen 2. Teil B. II. 1. a) bb) (1). 630 Davon geht die Bundesregierung bei ihrer Rechtfertigung der Einführung der Mindestbesteuerung gemäß § 10d Abs. 2 EStG aus, vgl. BT-Drs. 15/1665, S. 4. 631 Vgl. Fischer, Zur Systematik der Verrechnung inländischer Verluste im deutschen Steuerrecht (2004), S. 663. Die Totalperiode einer Kapitalgesellschaft endet beispielsweise, wenn sie wegen Zweckerreichung liquidiert oder auf eine andere Kapitalgesellschaft verschmolzen wird. Dagegen könnte man einwenden, dass in diesen Fällen das Ende der Totalperiode in der Hand der Gesellschafter liegt, so dass sie einen endgültigen Untergang der Verluste theoretisch selbst vermeiden könnten. Dieses Argument greift aber jedenfalls nicht im Falle einer Insolvenz, da die Liquidation
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
(c) Beschränkung der interperiodischen Verlustverrechnung auf besondere Verlustverrechnungskreise Werden Verluste aus bestimmten Einkunftsquellen oder einer bestimmten Einkunftsart von der intraperiodischen Verlustverrechnung ausgeschlossen, so erfordert es die Zwecksetzung der entsprechenden Norm in der Regel, die Beschränkung auch auf die interperiodische Verlustverrechnung zu erstrecken. Denn der Effekt einer intraperiodischen Verlustverrechnungsbeschränkung wäre stark beeinträchtigt, wenn die erfassten Verluste im vorherigen oder im folgenden Veranlagungszeitraum unbegrenzt mit sonstigen positiven Einkünften verrechnet werden könnten. Beispielsweise würde es kaum Sinn ergeben, die Verluste aus Steuerstundungsmodellen nach § 15b EStG nur intraperiodisch von der Verlustverrechnung auszuschließen. Dadurch würde – selbst wenn man den Verlustrücktrag außer Acht lässt – die Steuerstundung nur um einen Veranlagungszeitraum hinausgezögert, was die Attraktivität derartiger Gestaltungen nicht grundlegend beeinträchtigte. Daher ordnete der Gesetzgeber in § 15b Abs. 1 S. 2 Hs. 2, S. 3 EStG an, dass die Verluste auch interperiodisch nur mit positiven Einkünften aus dem konkreten Steuerstundungsmodell verrechnet werden dürfen. Die interperiodische Fortführung von Verlustausgleichsbeschränkungen bedeutet aus den gleichen Gründen eine Durchbrechung der Belastungsgleichheit wie im Fall der intraperiodischen Verlustverrechnung. Ausschlaggebend dafür, dass im Rahmen der Einkommen- und Körperschaftsteuer gleichheitsrechtlich eine umfassende intraperiodische Verlustverrechnung geboten ist, ist die personale Struktur beider Steuerarten. Leistungsfähigkeitsindikator ist das Einkommen der natürlichen bzw. juristischen Person, nicht die Ertragskraft einer Einkunftsquelle. Dementsprechend ist die intraperiodische Verlustverrechnung im Rahmen der Gewerbesteuer auf den Gewerbebetrieb als Steuerobjekt beschränkt.632 Diese strukturellen Merkmale gelten genauso im Rahmen der interperiodischen Verlustverrechnung und führen daher im Hinblick auf die Wahrung der Belastungsgleichheit zum gleichen Ergebnis: Das objektive Nettoprinzip gebietet auch interperiodisch eine einkunftsquellenübergreifende Verlustverrechnungen. Der abweichenden Ansicht von Paul Kirchhof kann nicht gefolgt werden. Für Kirchhof verliert die Verknüpfung der einzelnen Einkunftsquellenergebnisse an Bedeutung, je länger der Veranlagungszeitraum der Verlustentstehung zurückliegt. Er hält deshalb eine interperiodische Verdann zwangsweise erfolgt, vgl. §§ 60 Abs. 1 Nr. 4, 5 GmbHG, 262 Abs. 1 Nr. 3, 4 AktG. 632 Vgl. 1. Teil B. I. 3. und 2. Teil A. III.
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lustverrechnung nur innerhalb einer Einkunftsquelle für erforderlich.633 Dabei handelt es sich letztlich nur um eine weitere Ausprägung des schon im Rahmen der intraperiodischen Verlustverrechnung dargestellten einkunftsquellenbezogenen Leistungsfähigkeitsverständnisses.634 Dieses gewinnt auch interperiodisch nicht an Überzeugungskraft. Einkommensteuer und Körperschaftsteuer sind auch interperiodisch Personen- und keine Objektsteuern. Warum sich die Verbindung zwischen den Einkunftsquellenergebnissen und dem Steuersubjekt, dem sie zuzurechnen sind, im Zeitablauf lockern sollte, ist daher nicht einleuchtend. Eine Durchbrechung des einkunftsquellenübergreifenden objektiven Nettoprinzips ist daher auch interperiodisch nur bei Vorliegen eines besonderen sachlichen Grundes zulässig. Bei interperiodischer Fortführung einer intraperiodischen Verlustverrechnungsbeschränkung besteht aber insofern kein über die Begründung der intraperiodischen Verlustverrechnungsbeschränkung hinausgehender Rechtfertigungsbedarf, da die Rechtfertigungsvoraussetzungen identisch sind. Innerhalb eines besonderen Verrechnungskreises ist gleichheitsrechtlich eine interperiodische Verlustverrechnung nach den oben dargestellten Grundsätzen geboten, d.h. grundsätzlich mittels eines zeitlich und betragsmäßig unbeschränkten Verlustrücktrags und Verlustvortrags. b) Rechtfertigung Für die gleichheitsrechtliche Rechtfertigung interperiodischer Verlustverrechnungsbeschränkungen gelten im Ausgangspunkt die gleichen Voraussetzungen wie für intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkungen.635 Die durch eine spezielle Beschränkung der interperiodischen Verlustverrechnung bewirkte Durchbrechung der Belastungsgleichheit kann danach unter bestimmten Vorraussetzung zur Verfolgung eines Lenkungszwecks gerechtfertigt sein. Allgemeine Beschränkungen der interperiodischen Verlustverrechnung können jedoch – wie allgemeine intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkungen636 – nicht mit der Verfolgung von Lenkungszielen und insbesondere nicht mit der Zielsetzung der Missbrauchsvermeidung gerechtfertigt werden. Von einer allgemeinen Beschränkung des Verlustrücktrags oder Verlustvortrags geht allenfalls der Anreiz aus, Tätigkeiten, die mit einem Verlust verbunden sein könnten, zu meiden. Diese Lenkungswirkung ist zu pauschal und hält sich nicht in den Grenzen einer zulässigen Typisie-
633 634 635 636
Vgl. Kirchhof, Einkommensteuergesetzbuch (2004), S. 177 f. Vgl. 2. Teil B. I. 1. a) aa) (1). Vgl. 2. Teil B. I. 1 b). Vgl. 2. Teil B. I. 1 b) bb) (1).
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
rung.637 Als besondere sachliche Gründe, die eine allgemeine Beschränkung der interperiodischen Rechtfertigung rechtfertigen könnten, kommen jedoch die Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und der Typisierung zur Verwaltungsvereinfachung, die Erfordernisse einer geordneten Finanz- und Haushaltsplanung sowie die Verstetigung des Steueraufkommens in Betracht. aa) Rechtssicherheit Das BVerfG ist in seiner Entscheidung vom 22.07.1991 zur zeitlichen Beschränkung des Verlustvortrags nach § 10d EStG 1976 davon ausgegangen, dass eine Beschränkung der interperiodischen Verlustverrechnung auf einen Zeitraum von insgesamt 7 Jahren638 nicht als willkürliche Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG angesehen werden könne.639 Als maßgebliches Argument für eine Einschränkung der interperiodischen Verlustverrechnung hat das Gericht dabei den Gedanken der Rechtssicherheit herangezogen.640 Welche Bedeutung dieser Entscheidung heute noch beizumessen ist, ist fraglich. Zum einen hat sich die Rechtsprechung des BVerfG im Bereich des Steuerrechts seither weiter entwickelt, wobei sich der Prüfungsmaßstab tendenziell verschärft hat und sich zumindest nicht mehr auf eine reine Willkürprüfung beschränkt.641 Zum anderen hat sich die Rechtslage im Bereich der interperiodischen Verlustverrechnung insofern grundlegend geändert, als der verbleibende Verlustabzug mittlerweile gesondert festgestellt wird, § 10d Abs. 4 S. 1 EStG. Daher soll nachfolgend das Potential des Gesichtspunkts der Rechtssicherheit für die gleichheitsrechtliche Rechtfertigung von Beschränkungen der interperiodischen Verlustverrechnung einer Neubewertung unterzogen werden. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Wahrung der Rechtssicherheit als Ausprägung des Rechtsstaatsgebots, Art. 20 Abs. 3 GG, grundsätzlich ein besonderer sachlicher Grund ist, der eine Durchbrechung der Belastungsgleichheit im Hinblick auf das Totaleinkommen rechtfertigen kann.642 Allerdings muss berücksichtigt werden, dass dem Erfordernis der Rechtssicherheit bei der Besteuerung bereits sehr weitgehend durch die Zerlegung der 637 Vgl. 2. Teil B. I. 1 b) bb) (1). 638 Jahr der Verlustentstehung plus Verlustrücktrag (1 Jahr) und Verlustvortrag (5 Jahre), vgl. § 10d EStG 1976. 639 BVerfG v. 22.07.1991 - 1 BvR 313/88, NJW 1992, S. 168 f. 640 Vgl. 2. Teil B. II. 1. a) aa) (c). 641 Vgl. 2. Teil A. I. 1. b) aa). 642 Beispielsweise wäre eine Schlussbesteuerung am Ende der unter Umständen jahrzehntelangen Totalperiode mit dem Gebot der Rechtssicherheit nur schwer zu vereinbaren. So bliebe der Steuerpflichtige bis zu seinem Tode über die endgültige Höhe seiner Steuerlast im Ungewissen, um nur einen Problempunkt zu nennen.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
Totalperiode in einjährige Besteuerungsabschnitte Rechnung getragen wird. Das Abschnittsprinzip ist Ausdruck des Gedankens der Rechtssicherheit.643 Wie das BVerfG zutreffend ausführt, schafft es „Überschaubarkeit und Klarheit bezüglich des Sachverhalts und der anzuwendenden steuerlichen Vorschriften.“644 Eine interperiodische Verlustverrechnung ändert nichts an der grundsätzlich abschnittsweisen Besteuerung. Fraglich ist somit, ob der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit dennoch eine Einschränkung der interperiodischen Verlustverrechnung rechtfertigen kann. Nach Ansicht des BVerfG berührt die interperiodische Verlustverrechnung sowohl das Rechtssicherheitsinteresse der Steuerpflichtigen als auch der Verwaltung. Für den Steuerpflichtigen müsse staatliches Verhalten messbar und vorhersehbar sein, die Verwaltung benötige angesichts der umfassenden rechtlichen Kontrolle, der sie unterstellt ist, alsbald bestandskräftige Entscheidungen, um nicht handlungsunfähig zu werden.645 Nachfolgend soll untersucht werden, inwieweit diese Argumentation aus heutiger Sicht zu überzeugen vermag, wobei zur Verbesserung der Übersichtlichkeit zwischen Verlustvortrag und Verlustrücktrag differenziert wird. (1) Verlustvortrag Aus heutiger Sicht fällt es schwer nachzuvollziehen, warum das BVerfG insbesondere eine Begrenzung des Verlustvortrags auf fünf Jahre als eine angemessene Regelung zur Wahrung der Rechtssicherheit qualifiziert hat. Die intraperiodisch nicht ausgeglichenen und auch nicht im Wege des Verlustrücktrags berücksichtigten Verluste werden gemäß einem in § 10d Abs. 4 EStG geregelten Verfahren gesondert festgestellt. Dadurch wird eine sichere Grundlage dafür geschaffen, auch noch in weit in der Zukunft liegenden Veranlagungszeiträumen einen Verlustabzug durchführen zu können. Verständlich wird die Entscheidung des BVerfG jedoch, wenn man sich die frühere Rechtslage zur interperiodischen Verlustverrechnung vergegenwärtigt. Dem vom BVerfG zu entscheidenden Fall lag noch § 10d EStG 1976 zugrunde, der keine gesonderte Feststellung des Verlustvortrags vorsah. Das bedeutet, dass in dem Jahr, in dem der Verlustvortrag geltend gemacht wurde, erneut geprüft werden musste, ob – unter Umständen vor Jahren – überhaupt ein Verlust entstanden war. Insofern kann eine zeitliche Beschränkung des Verlustvortrags in der Tat aus dem Gedanken der Rechtssicherheit heraus gerechtfertigt werden. Denn im Interesse der Rechtssicherheit müssen Sachverhalte zeitnah ermittelt werden, weil die anspruchsbegründenden Tat643 Vgl. Arndt/Jenzen, DStR 1998, S. 1821. 644 BVerfG v. 22.07.1991 - 1 BvR 313/88, NJW 1992, S. 169. 645 BVerfG v. 22.07.1991 - 1 BvR 313/88, NJW 1992, S. 169.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
sachen im Laufe der Zeit aus dem Gedächtnis verschwinden und Bücher und Belege nicht unbegrenzt aufbewahrt werden.646 Die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags wurde zusammen mit der Abschaffung der zeitlichen Befristung des Verlustvortrags durch das Steuerreformgesetz 1990647 vom 25.07.1988 eingeführt. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll das Feststellungsverfahren genau jenen Bedenken begegnen, die das BVerfG für die zeitliche Befristung des Verlustvortrags anführte: „Um Rechtsstreitigkeiten über die Höhe des für die Zukunft verbleibenden Verlustabzugs zu begrenzen und eine für den Steuerpflichtigen und die Verwaltung bindende Entscheidung über den zukünftig verbleibenden Verlustabzug zeitnah zu treffen, ist er durch Bescheid gesondert festzustellen; dies dient der Steuervereinfachung und dem Rechtsfrieden für den Steuerpflichtigen und die Verwaltung [Hervorh. d. Verf.].“648
Ausgehend von der heutigen Rechtslage ist der Begründung einer zeitlichen Beschränkung des Verlustvortrags mit dem Argument der Rechtssicherheit daher weitgehend die Grundlage entzogen. Da vorliegend aber die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Verlustverrechnung abstrakt und losgelöst von der konkreten Rechtslage dargestellt werden sollen, muss das Gebot der Rechtssicherheit dennoch als gleichheitsrechtliche Rechtfertigung für eine zeitliche Beschränkung des Verlustvortrags anerkannt werden. Denn gleichheitsrechtlich könnte es dem Gesetzgeber nicht untersagt werden, das Feststellungsverfahren wieder abzuschaffen. Hier zeigt sich deutlich die Durchsetzungsschwäche der steuerrechtsspezifischen Ausprägung der gleichheitsrechtlichen Rechtfertigungsprüfung. Da die Durchbrechung der Belastungsgleichheit und der damit verfolgte Zweck nicht im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung gegeneinander abgewogen werden, kann der Gesetzgeber über das Gleichbehandlungsgebot in Art. 3 Abs. 1 GG nicht dazu gezwungen werden, ein gleich wirksames Mittel zu ergreifen, durch das die Belastungsgleichheit nicht bzw. weniger intensiv durchbrochen würde. Keinesfalls mit dem Gebot der Rechtssicherheit können jedoch betragsmäßige Beschränkungen des Verlustvortrags gerechtfertigt werden. Denn betragsmäßige Beschränkungen der Verlustverrechnung bewirken eine zeitliche Streckung der Verlustverrechnung. Damit laufen sie dem Gebot der Rechtssicherheit, das die Durchführung der Verlustverrechnung in einem möglichst kurzen und überschaubaren Zeitraum fordert, gerade entgegen.649 Durch eine zeitliche Streckung der Verlustverrechnung werden nicht, wie vom BVerfG in der Entscheidung vom 22.07.1991 gefordert, Rechtssicher646 647 648 649
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Vgl. Drüen, Periodengewinn und Totalgewinn (1999), S. 99. BGBl. I 1988, S. 1093. BT-Drs. 11/2536, S. 78. Vgl. Eckhoff in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 34.
Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
heit und materielle Richtigkeit des Steueranspruchs zu einem Ausgleich gebracht, sondern im Gegenteil beide Prinzipien verletzt.650 (2) Verlustrücktrag Bedenken werden unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit auch gegen einen zeitlich unbeschränkten Verlustrücktrag erhoben.651 Zumindest aus Perspektive des Steuerpflichtigen ist dem jedoch nicht zuzustimmen. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern ein unbegrenzter Verlustrücktrag – soweit die Modalitäten hinreichend genau gesetzlich fixiert sind – aus Sicht des Steuerpflichtigen die Messbarkeit und Vorhersehbarkeit des staatlichen Verhaltens negativ beeinflussen könnte. Sobald ein Steuerpflichtiger einen intraperiodischen Verlust erleidet, kann er feststellen, ob die Voraussetzungen für einen Verlustrücktrag vorliegen und wie hoch die Steuerrückerstattung ausfallen wird. Problematisch kann ein zeitlich unbegrenzter Verlustrücktrag jedoch aus Sicht der Finanzverwaltung sein.652 Zwar wurden Besteuerungsgrundlagen der vergangenen Veranlagungszeiträume bereits verbindlich festgestellt und bedürfen keiner erneuten Überprüfung. Lediglich die Steuerschuld muss im Falle des Verlustrücktrags neu ermittelt werden. Allerdings muss bedacht werden, dass sich ein Verlustrücktrag unter Umständen über sehr lange Zeiträume erstrecken kann, in Extremfällen sogar über Jahrzehnte.653 Es handelt sich somit um Zeiträume, die die üblichen Aufbewahrungsfristen für Steuerunterlagen bei weitem übersteigen können. Insofern kommt das Rechtssicherheitsinteresse der Finanzverwaltung durchaus als besonderer sachliche Grund in Betracht, der eine zeitliche Beschränkung des Verlustrücktrags rechtfertigen kann. 650 Vgl. Arndt/Jenzen, DStR 1998, S. 1821. 651 Vgl. beispielsweise Mönikes, Die Verlustverrechnungsbeschränkungen des Einkommensteuergesetzes im Lichte der Verfassung (2006), S. 206 f., die davon ausgeht, dass Steuerbescheide bei einem zeitlich unbegrenzten Verlustrücktrag zu Lebzeiten des Steuerpflichtigen niemals bestandskräftig würden. Dies ist jedoch nicht zutreffend. Der Verlustrücktrag erlaubt lediglich eine Änderung bereits bestandskräftiger Steuerbescheide, vgl. Schlenker in: Blümich, EStG, § 10d Rn. 138. 652 Ausweislich der Entscheidung des BVerfG v. 22.07.1991 kann ausdrücklich auch das Bedürfnis der Verwaltung nach Rechtssicherheit eine Beschränkung der interperiodischen Verlustverrechnung legitimieren, vgl. BVerfG v. 22.07.1991 - 1 BvR 313/88, NJW 1992, S. 169. 653 Dies ist denkbar, wenn ein Steuerpflichtiger am Ende seines Berufslebens einen sehr hohen Verlust erleidet, der einen Großteil seiner bis zu diesem Zeitpunkt erzielten positiven Einkünfte ausmacht. Dies im unternehmerischen Bereich durchaus möglich, etwa bei einem sehr teueren Haftungsfall.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
Demgegenüber kann der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit nicht für die Rechtfertigung einer betragsmäßigen Beschränkung des Verlustrücktrags angeführt werden. Denn die Rechtssicherheit kann nur durch eine zeitliche Beschränkung der Verlustverrechnung erhöht werden. Wird der Verlustrücktrag betragsmäßig beschränkt, so kann dies jedoch allenfalls zu einer Verlängerung des Zeitraums des Verlustrücktrags führen, niemals zu einer Verkürzung. Erzielt beispielsweise ein Steuerpflichtiger in 01 und 02 jeweils positive Einkünfte in Höhe von 1.500.000 € und in 03 einen Verlust von 1.000.000 €, so ist bei einem betragsmäßig unbeschränkten Verlustrücktrag lediglich ein Rücktrag um ein Jahr nach 02 erforderlich, um den Verlust aus 03 vollständig zu verrechnen. Ist der Verlustrücktrag jedoch beispielsweise auf maximal 500.000 € beschränkt, so muss der Verlust sowohl nach 02, als auch nach 01 zurückgetragen werden, um eine vollständige Verrechnung zu ermöglichen. bb) Typisierung Der Gesetzgeber darf zur Verwaltungsvereinfachung typisierende Regelungen treffen.654 Insbesondere ein zeitlich und betragsmäßig unbeschränkter Verlustrücktrag wäre für die Verwaltung – über den Gesichtspunkt der Rechtssicherheit hinaus – nur schwer zu bewältigen. Bei allen Steuerpflichtigen mit einem negativen Gesamtbetrag der Einkünfte müsste zunächst geprüft werden, wie weit der jeweilige Verlustrücktrag in die Vergangenheit zurückreicht. Anschließend müsste für jeden betroffenen Veranlagungszeitraum eine Änderung des Steuerbescheids vorgenommen werden. Die Fallzahlen für diese Prüfung wären erheblich. Beispielsweise ergab sich im Bereich der Einkommensteuer im Jahr 2004 bei 416.550 Steuerpflichtigen655 und im Bereich der Körperschaftsteuer im Jahr 2001 bei 192.805 Steuerpflichtigen656 ein negativer Gesamtbetrag der Einkünfte. Vor diesem Hintergrund kann eine zeitliche Einschränkung des Verlustrücktrags auch mit dem Gesichtspunkt der Verwaltungsvereinfachung begründet werden. Für eine betragsmäßige Beschränkung des Verlustvortrags gilt dies nicht, da hierdurch keine Senkung der Fallzahl und auch sonst keine nennenswerte Vereinfachung erzielt werden kann.
654 Vgl. 2. Teil A. I. 1. b) bb) (3) sowie ausdrücklich zur Verwaltungsvereinfachung BVerfG v. 07.11.2006 - 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, S. 44. 655 Vgl. Einkommensteuerstatistik 2004, S. 5. Abrufbar unter: https://www.ec. destatis.de/csp/shop/sfg/bpm.html.cms.cBrker.cls?cmspath=struktur,sfgsuchergebn is.csp&action=newsearch&op_EVASNr=startswith &search_EVAS Nr=7995. 656 Vgl. Körperschaftsteuerstatistik 2001 (1. Teil, Fn. 185), S. 19.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
Allerdings fällt es auf den ersten Blick schwer, die zeitliche Beschränkung des Verlustrücktrags bis hin zu seinem vollständigen Ausschluss als eine typisierende Regelung zu verstehen. Dies ändert sich jedoch, wenn man den Verlustrücktrag nicht isoliert betrachtet. Zumindest dann, wenn ein zeitlich und betragsmäßig unbeschränkter Verlustvortrag möglich ist, kann der Gesetzgeber durchaus typisierend davon ausgehen, dass in einer Vielzahl von Fällen den Steuerpflichtigen eine Nutzung ihrer Verluste auch im Wege des Verlustvortrags möglich sein wird. Da die Möglichkeit zur interperiodischen Verlustberücksichtigung im Wege des Verlustvortrags mit dem Tod des Steuerpflichtigen endet,657 kann jedoch auch ein vollständig unbeschränkter Verlustvortrag den völligen Ausschluss des Verlustrücktrags nicht kompensieren. Die Grenzen einer zulässigen Typisierung würden überschritten, da es am Ende der Totalperiode nicht nur in seltenen und atypischen Fällen zu einem endgültigen Verlustuntergang und damit zu einer Überbesteuerung des Erblassers käme. Dem könnte jedoch dadurch begegnet werden, dass in diesen Fällen ein außerordentlicher Verlustrücktrag zugelassen wird. Die konkrete verfassungsrechtliche Beurteilung einer zeitlichen Beschränkung des Verlustrücktrags kann somit nur vor dem Hintergrund des Gesamtsystems der interperiodischen Verlustverrechnung erfolgen. Festzuhalten ist, dass die Zielsetzung der Typisierung zur Verwaltungsvereinfachung grundsätzlich als besonderer sachlicher Grund für die gleichheitsrechtliche Rechtfertigung zeitlicher Beschränkungen des Verlustrücktrags in Betracht kommt. cc) Erfordernisse einer geordneten Finanz- und Haushaltsplanung Das öffentliche Haushaltsrecht wird vom Grundsatz der Periodizität geprägt. Haushaltsplanung und Haushaltsbewilligung erfolgen periodenbezogen auf der Grundlage des Jährlichkeitsprinzips. Gemäß Art. 110 Abs. 2 GG ist der Haushaltsplan des Bundes für ein Rechnungsjahr bzw. für mehrere Rechnungsjahre nach Jahren getrennt vor Beginn des ersten Rechnungsjahres durch Gesetz festzustellen.658 In jedem Haushaltsjahr ist der Haushaltsplan in Einnahmen und Ausgaben auszugleichen, Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG, § 106 BHO. In der Literatur wird insbesondere der Verlustrücktrag im Hinblick auf
657 Vgl. zur geltenden Rechtslage 1. Teil B. III. 2. a) aa); eine generationenübergreifende intersubjektive Verlustverrechnung ist auch verfassungsrechtlich nicht geboten, vgl. 2. Teil B. III. 1. b) bb) (1). 658 Gemäß § 4 Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG) sind auch Länder verpflichtet, ihrem Haushaltsrecht das Kalenderjahr als Rechnungsjahr zugrunde zu legen.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
die Funktionsfähigkeit einer periodischen -bewilligung als problematisch erachtet.659
Haushaltsplanung
und
Ausgangspunkt der Haushaltsplanung ist die Schätzung der Steuereinnahmen im Planungszeitraum, da von ihnen die Höhe der möglichen Ausgaben abhängt.660 Der Haushalt kann zwar wegen der formalen Natur des Ausgleichsgebots in § 110 Abs. 1 S. 2 GG auch durch die Aufnahme von Krediten ausgeglichen werden.661 Die Kreditaufnahme unterliegt jedoch sowohl verfassungsrechtlichen als auch europarechtlichen Restriktionen. Daher müssen für den Ausgleich des Haushalts die regulären Steuereinnahmen so realistisch wie möglich geschätzt werden.662 Im Rahmen der Steuerschätzung kommt wiederum der Schätzung der Steuereinnahmen aus Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer zentrale Bedeutung zu, da diese drei Steuerarten allein für fast 50 % der gesamten Steuereinnahmen der öffentlichen Hand stehen.663 Entscheidend für die Funktionsfähigkeit dieses Systems ist die Planbarkeit der Steuereinnahmen. Maßnahmen, die die Planbarkeit der Steuereinnahmen sicherstellen, sind daher grundsätzlich als ein wichtiger Gemeinwohlbelang anzusehen, der eine Durchbrechung der Belastungsgleichheit rechtfertigen kann. (1) Verlustvortrag Durch die Möglichkeit eines Verlustvortrags wird die Haushaltsplanung nicht beeinträchtigt.664 Denn da die Höhe der in der Vergangenheit für Zwecke des Verlustvortrags festgestellten Verluste bekannt ist, kann die Minderung des Steueraufkommens durch Verlustvorträge bei der Steuerschätzung berücksichtigt werden. Dass von der Möglichkeit eines Verlustvortrags keine unkalkulierbaren Risiken für die Haushaltsplanung ausgehen, zeigt sich auch an den absoluten Zahlen. Im Bereich der Einkommensteuer entspricht der gesamte Verlustabzug – also Verlustrücktrag und Verlustvortrag – nie mehr als 1 % des aggregierten Gesamtbetrags der Einkünfte aller Steuerpflichti-
659 Vgl. beispielsweise Drüen, Periodengewinn und Totalgewinn (1999), S. 103; Kirchhof, DStR 2003, S. 12; Kirchhof, Einkommensteuergesetzbuch (2004), S. 179 f.; Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 60. 660 Vgl. Isensee, JZ 2005, S. 974. 661 Vgl. dazu Heun in: Dreier (Hrsg.), GG Bd. 3 (2008), Art. 110 Rn. 25; Reimer in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 110 Rn. 34 m.w.N. 662 Vgl. Birk in: Erbguth/Oebbecke/Rengeling/Schulte (Hrsg.), Planung (2000), S. 293. 663 Vgl. Statistisches Jahrbuch 2007 für die Bundesrepublik Deutschland, S. 574 (Überschicht über Struktur der Steuereinnahmen von 2000 bis 2006). 664 So auch Drüen, Periodengewinn und Totalgewinn (1999), S. 103 in Fn. 567.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
gen.665 Im Jahr 2004 betrug der Verlustabzug beispielsweise 7 Milliarden Euro bei einem Gesamtbetrag der Einkünfte von insgesamt 946,8 Milliarden Euro.666 Selbst bei großzügiger Schätzung dürfte dadurch das Steueraufkommen in Höhe von 167,2 Milliarden Euro667 nur um 2,5 Milliarden Euro niedriger ausgefallen sein als ohne interperiodische Verlustverrechnung.668 Im Rahmen der Körperschaftsteuer betrug der Verlustabzug 2001 ca. 18 Milliarden Euro,669 was bei einer aktuellen Belastung mit Körperschaftund Gewerbesteuer von knapp 30 % einer Minderung des Körperschaft- und Gewerbesteueraufkommens um ca. 6 Milliarden Euro entspräche. Darüber hinaus offenbart die Statistik, dass die fiskalischen Auswirkungen des Verlustabzugs relativ stabil sind. Sie betrugen beispielsweise im Bereich der Einkommensteuer 1995 ca. 2 Milliarden Euro und 1998 ca. 2,2 Milliarden Euro.670 Von 2001 bis 2003 pendelte dieser Wert stets um geschätzte 2,5 Milliarden Euro.671 Im Bereich der Körperschaftsteuer sind die Veränderungen beim Verlustabzug etwas dynamischer. Die Entwicklung des Körperschaftsteueraufkommens ist jedoch ohnehin – unabhängig von der interperiodischen Verlustverrechnung – relativ starken Schwankungen unterworfen.672 Aus dem Verlustvortrag ergeben sich somit keine über die allgemeinen Unwägbarkeiten der Steuerschätzung hinausgehenden Schwierigkeiten für die periodische Finanz- und Haushaltsplanung.
665 Vgl. Müller, DBW 2007, S. 194 für den Zeitraum 1989 bis 2001 sowie ab 2002 die Jährliche Einkommensteuerstatistik des Statistischen Bundesamts, abrufbar unter: https://www-ec.destatis.de/csp/shop/sfg/bpm.html.cms.cBroker.cls?cmspath=struk tur,sfgsuchergebnis.csp&action=newsearch&op_EVASNr=startswith&search_EVAS Nr=7995. 666 Vgl. Einkommensteuerstatistik 2004 (Fn. 655), S. 2. 667 Vgl. Einkommensteuerstatistik 2004 (Fn. 655), S. 2. 668 Laut Müller, DBW 2007, S. 195 betrug die Steuerwirkung 1995 und 1998, also zu einer Zeit, in der der Spitzensteuersatz wesentlich höher lag, ca. 37 %. Überträgt man diesen Wert auf den Verlustabzug im Jahr 2004 in Höhe von 7 Milliarden Euro, so ergibt sich eine Steuerwirkung in Höhe von 2,59 Milliarden Euro. 669 Vgl. Körperschaftsteuerstatistik 2001 (1. Teil, Fn. 185), S. 19. 670 Vgl. Müller, DBW 2007, S. 195. 671 Der Verlustabzug betrug 2001 7,0 Milliarden Euro, 2002 7,3 Milliarden Euro und 2003 6,7 Milliarden Euro; vgl. Jährliche Einkommensteuerstatistik des Statistischen Bundesamts (Fn. 665). Die Mindestbesteuerung nach § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. kann diesen Wert in den Jahren 2000 bis 2003 nur geringfügig beeinflusst haben, da ihr Aufkommenseffekt nur bei ca. 400 Millionen Euro pro Jahr lag, vgl. Müller, DBW 2007, S. 193, wovon ein Großteil auf die Einschränkung der intraperiodischen Verlustverrechnung entfallen sein dürfte. 672 Vgl. Körperschaftsteuerstatistik 2001 (1. Teil, Fn. 185), S. 19.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
(2) Verlustrücktrag Eine wesentlich größere Herausforderung für die periodische Haushaltsplanung würde sich jedoch aus einem zeitlich und betragsmäßig unbeschränkten Verlustrücktrag ergeben.673 Denn ein Verlustrücktrag führt im Regelfall zu einer Erstattung von Ertragsteuern, die bereits in einem anderen Haushaltsjahr vereinnahmt und verwendet wurden. Da es nicht möglich ist, das Haushaltsvolumen früherer Haushaltsjahre rückwirkend neu zu bemessen,674 müssen die dadurch bedingten Liquiditätsabflüsse aus dem laufenden Haushalt finanziert werden. Anders ausgedrückt bewirkt ein Verlustrücktrag, dass dem Staat ein Teil der periodisch erhobenen Einkommen- und Körperschaftsteuer nicht dauerhaft verbleibt. Dieser Anteil des Steueraufkommens hat den Charakter eines Kredits, den die Steuerpflichtigen dem Staat gewähren und dessen Tilgung fällig wird, sobald sie Verlustrückträge geltend machen. Die oben genannten Daten zur interperiodischen Verlustverrechnung beruhen auf einer Rechtslage, bei der der Verlustrücktrag stark eingeschränkt ist.675 Würde er freigegeben, dürfte sich die fiskalische Bedeutung der interperiodischen Verlustverrechnung erheblich erhöhen. Noch relativ unproblematisch ist es, den im Planungszeitraum voraussichtlich entstehenden Liquiditätsabfluss aufgrund von Verlustrückträgen im Rahmen der Steuerschätzung zu berücksichtigen. Da Verlustrückträge erst bei der Veranlagung geltend gemacht werden können,676 handelt es sich um Verluste, die vor dem aktuellen Planungszeitraum entstanden sind.677 Insofern verursacht der Verlustrücktrag für die Steuerschätzung keine über die normalen Unwägbarkeiten einer derartigen volkswirtschaftlichen Prognose hinausgehenden Schwierigkeiten. Im Gegenteil sind die Daten zum Verlustrücktrag sogar „sicherer“ als die Schätzung der Steuereinnahmen, da diese zu einem erheblichen Teil durch Vorauszahlung vom laufenden Einkommen der Steuerpflichtigen im Planungszeitraum erhoben werden. Für die Prognose der Steuereinnahmen muss daher weiter in die Zukunft geschaut werden als für die Abschätzung der Steuererstattungen infolge von Verlustrückträgen. 673 Vgl. Fischer, Zur Systematik der Verrechnung inländischer Verluste im deutschen Steuerrecht (2004), S. 672. 674 BVerfG v. 25.09.1992 - 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91, BVerfGE 87, S. 179. 675 Vgl. 1. Teil B. II. 1 a). 676 Es gibt zwar eine Einkommensteuervorauszahlung, § 37 EStG, aber keine „Vorauserstattungen“. 677 Beispiel: Im Wirtschaftsjahr 2007 wird ein Gewinn erzielt, im Wirtschaftsjahr 2008 ein Verlust. Der Rücktrag des Verlustes aus 2008 nach 2007 wird im Rahmen der Veranlagung für das Wirtschaftsjahr 2008 im Laufe des Jahres 2009 geltend gemacht und führt daher führt daher für den Fiskus im Haushaltsjahr 2009 zu einer Belastung.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
Die eigentliche Problematik eines unbeschränkten Verlustrücktrags für die Haushaltsplanung besteht darin, dass im Zeitpunkt der Steuerschätzung kaum kalkulierbar ist, welcher Anteil der Steuereinnahmen in der Zukunft über den Verlustrücktrag an die Steuerpflichtigen erstattet werden muss. Denn dazu müssten auf Jahre hinaus die zukünftigen Verluste geschätzt werden können. In Extremfällen ist ein Verlustrücktrag über Jahrzehnte denkbar. Je weiter eine Steuerschätzung in die Zukunft reicht, desto ungenauer fällt sie zwangsläufig aus. Darüber hinaus müsste geschätzt werden, inwiefern diese zukünftigen Verluste ausgerechnet in den Veranlagungszeitraum zurückgetragen werden können, der dem aktuellen Planungszeitraum entspricht. Bei einem zeitlich unbeschränkten Verlustrücktrag wird der Prognosehorizont somit unbeschränkt in die Zukunft verschoben. Die aus den zukünftigen Verlustrückträgen resultierenden Liquiditätsabflüsse betreffen zwar erst künftige Haushaltsjahre. Dennoch ist diese Information bereits für die laufende Haushaltsplanung relevant. Denn eine verantwortungsvolle Fiskalpolitik ist nur möglich, wenn bekannt ist, in welcher Höhe die Einnahmen dem Staat dauerhaft verbleiben.678 Um dies zu gewährleisten, kann es gleichheitsrechtlich gerechtfertigt sein, den Verlustrücktrag zeitlich und betragsmäßig einzuschränken. Dadurch wird sichergestellt, dass ein bereits vereinnahmtes Steueraufkommen nicht rückwirkend erstattet werden muss.679 dd) Verstetigung des Steueraufkommens Die Einführung der Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG wurde mit der Notwendigkeit begründet, das Steueraufkommen zu verstetigen.680 Schwankende Einnahmen stellen die öffentliche Haushaltswirtschaft in der Tat vor Herausforderungen, da sie dazu zwingen, entweder die Ausgaben anzupassen oder die Schwankungen durch Kreditaufnahme und –tilgung zu kompensieren. Dennoch kann die Durchbrechung der Belastungsgleichheit durch eine Beschränkung der interperiodischen Verlustverrechnung nicht mit der Zielsetzung einer „Verstetigung“ der Steuereinnahmen gerechtfertigt werden. Bei einer stabilen wirtschaftlichen Entwicklung fehlt es schon an einem nennenswerten Verstetigungseffekt. Eine Beschränkung der interperiodischen Verlustverrechnung führt dann lediglich zu mehr, nicht aber zu stabileren 678 Vgl. Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 60. 679 Wird der Verlustrücktrag ganz ausgeschlossen, können die durch die Steuerschätzung prognostizierten Einnahmen in voller Höhe als dauerhafte Einnahmen angesetzt werden. 680 BT-Drs. 15/1518, S. 10.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
Steuereinnahmen. Zwar bewirkt etwa die Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG, dass jenseits des Sockelbetrags trotz Verlustvortrags eine positive Bemessungsgrundlage verbleibt und ein Steuerpflichtiger somit zur Zahlung von Einkommensteuer herangezogen werden kann.681 Bezüglich der Steuerzahlung durch den konkret betroffenen Steuerpflichtigen kann daher durchaus von einer „Verstetigung“ gesprochen werden. Die Einschätzung ändert sich jedoch, wenn man die Perspektive wechselt und auf die Gesamtheit der Steuerpflichtigen abstellt. Bei einer solchen übergreifenden Betrachtung führt eine Streckung des Verlustvortrags zu keiner nennenswerten Verstetigung der Steuereinnahmen, weil der Staat über die Steuer gleichsam an der Gesamtheit aller Unternehmen beteiligt ist und sich über die große Zahl der Unternehmen Schwankungen im Steueraufkommen infolge der Verlustverrechnung ausgleichen.682 Eine Streckung des Verlustvortrags führt insofern nicht zu einer Verstetigung, sondern lediglich zu einer Erhöhung des Steueraufkommens. Aber auch bei konjunkturellen Schwankungen vermag die Zielsetzung der „Verstetigung“ der Steuereinnahmen die durch eine Beschränkung der interperiodischen Verlustverrechnung bedingte Durchbrechung der Belastungsgleichheit nicht zu legitimieren. Denn über die bereits dargestellte Notwendigkeit hinaus, die Funktionsfähigkeit der Finanz- und Haushaltsplanung sicherzustellen, handelt es sich hierbei lediglich um eine Ausprägung des allgemeinen Fiskalzwecks.683 Dies soll nachfolgend anhand der Mindestbesteuerung gemäß § 10d Abs. 2 EStG verdeutlicht werden. Zunächst verhindert § 10d Abs. 2 EStG nicht, dass das Steueraufkommen in einem konjunkturellen Abschwung wegen sinkender Unternehmensgewinne zurückgeht. Durch die zeitliche Streckung des Verlustvortrags kann eine gewisse „Verstetigung“ der Steuereinnahmen nur während einer sich an eine wirtschaftliche Schwächephase anschließenden konjunkturellen Erholung erreicht werden. Infolge der Mindestbesteuerung zahlen zahlreiche Unternehmen in dieser Phase bereits wieder Steuern, bevor sie die erlittenen Verluste vollständig verrechnen konnten. In späteren Veranlagungszeiträumen, in denen ohne Mindestbesteuerung nach § 10d EStG das Verlustvortragspotential bereits verbraucht gewesen wäre, fällt das Steueraufkommen hingegen geringer aus. Der Staat kann also das Steueraufkommen, das ihm bezogen auf die Totalpe-
681 Vgl. 1 Teil B. II. 1. b). 682 So im Ergebnis auch Weber-Grellet, Stbg 2004, S. 82. 683 Ausschließlich fiskalische Gründe können eine Durchbrechung der Belastungsgleichheit aber gerade nicht rechtfertigen. Vgl. 2. Teil A. I. b) bb) (1).
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
riode zusteht, lediglich zeitlich früher vereinnahmen.684 Hierzu wird eine Leistungsfähigkeit besteuert, die die betroffenen Steuerpflichtigen bei einer überperiodischen Betrachtung noch nicht erwirtschaftet haben.685 Eine „Verstetigung“ der Steuereinnahmen durch eine Einschränkung der interperiodischen Verlustverrechnung bedeutet somit, dass der Staat die überperiodische Belastungsgleichheit durchbricht, weil er Einnahmen zu einem anderen Zeitpunkt erzielen will, als sie ihm bei einer gleichheitssatzkonformen Besteuerung zustünden. Wenn man den Zeitaspekt ausblendet, so ist unstrittig, dass der Fiskalzweck eine Durchbrechung der Belastungsgleichheit nicht legitimieren kann. Denn es ist gerade die Notwendigkeit, die zur Befriedigung des staatlichen Finanzbedarfs erforderliche Steuerbelastung gleichmäßig auf die Steuerpflichtigen zu verteilen, aus der sich das Gebot der gleichmäßigen Belastung der Steuerpflichtigen nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ergibt.686 Bezieht man das Zeitmoment mit ein, so kann aus dem gleichen Grund die Zwecksetzung der „Verstetigung“ der Staatseinnahmen eine Durchbrechung der Belastungsgleichheit nicht rechtfertigen. Wenn allgemein die gleichmäßige Verteilung der Steuerlasten nicht durchbrochen werden darf, um höhere Steuereinnahmen zu erzielen, dann darf auch von der gleichmäßigen Verteilung der Steuerlasten im Zeitablauf nicht nur deshalb abgewichen werden, um Einnahmen zu einem anderen Zeitpunkt zu erzielen, als dies bei einer leistungsfähigkeitsgerechten Besteuerung der Fall wäre. Die Zielsetzung der „Verstetigung“ der Steuereinnahmen ist lediglich eine auf den Zeitpunkt der Einnahmeerzielung bezogene Ausprägung des Fiskalzwecks, die eine Durchbrechung der Belastungsgleichheit nicht rechtfertigen kann.
684 Vgl. Heintzen in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 168. Bei wirtschaftlicher Betrachtung handelt es sich bei Steuermehreinnahmen durch die Mindestbesteuerung somit um die Aufnahme eines Kredites bei den betroffenen Steuerpflichtigen, der in späteren Jahren durch Steuermindereinnahmen getilgt wird. Es ist nicht ersichtlich, dass dieses Vorgehen Vorteile gegenüber einer ordnungsgemäßen Kreditaufnahme am Kapitalmarkt aufweist. Im Gegenteil ist diese Form der Mittelbeschaffung wesentlich intransparenter. 685 Vgl. Eckhoff in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 34; Lang/Englisch, StuW 2005, S. 7. Demgegenüber ist mit einer bloßen „Streckung“ des Verlustvortrags grundsätzlich keine Erhöhung der Gesamtsteuerlast auf das Totaleinkommen intendiert (vgl. Fischer, FR 2007, S. 282). Dazu führt eine Mindestbesteuerung aber faktisch, wenn am Ende der Totalperiode nicht verrechnete Verluste endgültig untergehen, die ohne Mindestbesteuerung während der Totalperiode hätten berücksichtigt werden können. 686 Vgl. 2. Teil A. I. 1. b) bb) (1).
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
Jenseits der bereits dargestellten Restriktionen, die sich aus den Erfordernissen einer geordneten periodischen Finanz- und Haushaltsplanung ergeben, darf das Problem der im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung schwankenden Steuereinnahmen somit nicht mittels einer Durchbrechung der Belastungsgleichheit den Steuerpflichtigen aufgebürdet werden. Wenn der Gesetzgeber die Steuerpflicht an eine naturgemäß schwankende Bemessungsgrundlage wie etwa Unternehmensgewinne anknüpft, dann muss er es als folgerichtige Konsequenz seiner Belastungsentscheidung akzeptieren, dass das Steueraufkommen entsprechend der gewählten Bemessungsgrundlage schwankt. Es ist die Aufgabe einer verantwortungsvollen Fiskalpolitik, hierauf angemessen zu reagieren.687 c) Zusammenfassung: Gleichheitsrechtliche Vorgaben für die interperiodische Verlustverrechnung Die gleichheitsrechtlichen Vorgaben für die Ausgestaltung der interperiodischen Verlustverrechnung lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Die intraperiodische Verlustverrechnung hat grundsätzlich Vorrang vor der interperiodischen Verlustverrechnung. Können Verluste intraperiodisch nicht berücksichtigt werden, so sind zur Herstellung von Belastungsgleichheit in Bezug auf das Totaleinkommen ein zeitlich und betragsmäßig unbeschränkter Verlustrücktrag und Verlustvortrag geboten.688 Eine Beschränkung der interperiodischen Verlustverrechnung stellt dementsprechend eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung dar. Zeitliche Beschränkungen des Verlustrücktrags können gleichheitsrechtlich mit den Belangen der Rechtssicherheit und der typisierenden Verwaltungsvereinfachung gerechtfertigt werden. Zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der periodischen Haushaltsplanung sind auch betragsmäßige Beschränkungen des Verlustrücktrags möglich. Demgegenüber sind betragsmäßige Beschränkungen des Verlustvortrags gleichheitsrechtlich generell unzulässig. Lediglich eine zeitliche Beschränkung des Verlustvortrags mit der Zielsetzung der Erhöhung der Rechtssicherheit kann gleichheitsrechtlich gerechtfertigt werden.
687 Beispielsweise, indem in Phasen wirtschaftlichen Aufschwungs Haushaltsüberschüsse erzielt werden, mit deren Hilfe Schwächephasen überbrückt werden können. 688 Eine unbeschränkte interperiodische Verlustverrechnung erachtet beispielsweise auch Hey, BB 2007, S. 1305 als Voraussetzung für eine leistungsfähigkeitsgerechte Besteuerung. Vgl. auch Lang/Englisch, StuW 2005, S. 7, die sich allerdings nur auf den Verlustvortrag beziehen.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
2. Freiheitsrechtliche Vorgaben für die interperiodische Verlustverrechnung Nach der Darstellung der gleichheitsrechtlichen Vorgaben für die interperiodische Verlustverrechnung soll nunmehr untersucht werden, inwieweit sich aus der Eigentumsgarantie und dem Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums darüber hinausgehende Restriktionen für den Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der interperiodischen Verlustverrechnung ergeben. a) Eigentumsgarantie aa) Schutzbereichseröffnung und Eingriff Bezüglich der Schutzbereichseröffnung und des Eingriffs in Art. 14 GG ergeben sich hinsichtlich interperiodischer Verlustverrechnungsbeschränkungen keine Besonderheiten gegenüber intraperiodischen Verlustverrechnungsbeschränkungen, so dass insofern auf die entsprechenden Ausführungen verwiesen werden kann.689 bb) Rechtfertigung Verfassungsrechtliche Vorgaben ergeben sich aus der Eigentumsgarantie, Art. 14 GG, für die interperiodische Verlustverrechnung insofern, als Verlustverrechnungsbeschränkungen einer freiheitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitskontrolle standhalten müssen. (1) Legitimer Zweck Interperiodische Verlustverrechnungsbeschränkungen können nicht auf den Fiskalzweck gestützt werden, da sie die Belastungsgrundentscheidung in steuerverschärfender Weise durchbrechen.690 Um einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standzuhalten, müssen sie einem über den Fiskalzweck hinausgehenden legitimen Zweck dienen. Für spezielle Beschränkungen der interperiodischen Verlustverrechnung gelten insofern die gleichen Maßstäbe wie im Rahmen der intraperiodischen Verlustverrechnung: Spezielle Beschränkungen der interperiodischen Verlustverrechnung sind nur legitim, wenn sie vom Gesetzgeber zur Verfolgung besonderer Lenkungszwecke eingesetzt werden.691 Demgegenüber können allgemeine Beschränkungen der interperiodischen Verlustverrechnung nicht mit der Verfolgung von Lenkungszwecken begründet werden.692 Wie sich bei der Untersuchung der gleichheits689 690 691 692
Vgl. 2. Teil B. I. 2. a) aa). Vgl. 2. Teil A. I. 2. a) bb) (2). Vgl. 2. Teil B. I. 2. a) bb) (1). Vgl. 2. Teil B. I. 2. a) bb) (2).
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
rechtlichen Vorgaben für die interperiodische Verlustverrechnung ergeben hat, kommen insofern jedoch die Zwecksetzungen der Wahrung der Rechtssicherheit, der Typisierung zur Verwaltungsvereinfachung sowie die Erfordernisse einer geordneten Finanz- und Haushaltsplanung in Frage.693 (2) Geeignetheit Die durch eine interperiodische Verlustverrechnungsbeschränkung bewirkte Steuerbelastung ist nur dann verhältnismäßig, wenn die Verlustverrechnungsbeschränkung geeignet ist, um den mit ihr angestrebten Zweck zu erreichen. (a) Rechtssicherheit und Typisierung Zur Wahrung der Rechtssicherheit ist eine zeitliche Beschränkung der interperiodischen Verlustverrechnung prinzipiell geeignet, da sie den Zeitraum der Verlustverrechnung begrenzt und somit schneller Klarheit über das Schicksal der Verluste schafft, als dies im Falle einer zeitlich unbeschränkten Verlustverrechnung der Fall wäre.694 Eine zeitliche Beschränkung des Verlustrücktrags ist zudem eine geeignete typisierende Maßnahme zur Verwaltungsvereinfachung.695 Hingegen sind betragsmäßige Beschränkungen der interperiodischen Verlustverrechnung insofern kontraproduktiv. Denn sie führen zu einer Streckung, also zu einer zeitlichen Verlängerung der Phase der Verlustverrechnung.696 Daher fehlt es bei betragsmäßigen Beschränkungen der interperiodischen Verlustverrechnung bezüglich der Zwecksetzungen der Erhöhung der Rechtssicherheit und der Typisierung zur Verwaltungsvereinfachung schon an der Geeignetheit zur Zweckerreichung. (b) Erfordernisse einer geordneten Finanz- und Haushaltsplanung Wie schon bei der Darstellung der gleichheitsrechtlichen Vorgaben für die interperiodische Verlustverrechnung gezeigt wurde, ist zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der periodischen Finanz- und Haushaltsplanung insbesondere eine – zeitliche und ggf. betragsmäßige – Einschränkung des Verlustrücktrags geeignet.697 Eine Einschränkung des Verlustvortrags ist hingegen nicht geeignet, die Rahmenbedingungen für die Haushaltsplanung zu
693 694 695 696 697
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Vgl. 2. Teil B. II. 1. b). Vgl. 2. Teil B. II. 1. b) aa) (2). Vgl. 2. Teil B. II. 1. b) bb). Vgl. 2. Teil B. II. 1. b) aa) (1). Vgl. 2. Teil B. II. 1. b) cc) (2).
Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
verbessern. Hierdurch käme es nicht zu einer besseren Planbarkeit, sondern lediglich zu einer Erhöhung der Steuereinnahmen.698 (3) Erforderlichkeit Ferner müsste eine Einschränkung der interperiodischen Verlustverrechnung zur Erreichung des mit ihr verfolgten Zweckes auch erforderlich sein. (a) Rechtssicherheit und Typisierung Am Kriterium der Erforderlichkeit scheitert die Rechtfertigung von zeitlichen Beschränkungen des Verlustvortrags zur Wahrung der Rechtssicherheit. Zwar kann es in der Tat zu Beweisschwierigkeiten und damit zu einer Beeinträchtigung der Rechtssicherheit kommen, wenn ein Verlust erst viele Jahre nach seiner Entstehung geltend gemacht wird. Insofern erweist sich aber die verbindliche Feststellung des intraperiodisch nicht verrechneten Verlusts als das eindeutig mildere, im Hinblick auf die Wahrung der Rechtssicherheit jedoch gleich wirksame Mittel. Ein entsprechendes Verfahren ist gegenwärtig in § 10d Abs. 4 EStG geregelt. Nach § 10d Abs. 4 S. 1 EStG ist der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustvortrag gesondert festzustellen. Der hierzu ergehende Feststellungsbescheid stellt einen Grundlagenbescheid i.S.v. § 171 Abs. 10 AO dar, der für später ergehende Folgebescheide bindend ist.699 Eine Beeinträchtigung der Rechtssicherheit ist durch dieses Verfahren auch bei einem Verlustvortrag aus einem weit zurückliegenden Veranlagungszeitraum sicher ausgeschlossen. Einer zeitlichen Beschränkung des Verlustvortrags auf eine bestimmte Zahl von Veranlagungszeiträumen, die zu einer starken Belastung der betroffenen Steuerpflichtigen führen kann, bedarf es daher nicht. Insofern werden dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der interperiodischen Verlustverrechnung durch die Eigentumsgarantie, Art. 14 GG, engere Grenzen gesetzt als durch die gleichheitsrechtlichen Vorgaben für die interperiodische Verlustverrechnung.700 Eine gewisse zeitliche Beschränkung des Verlustrücktrags ist demgegenüber zur Wahrung der Rechtssicherheit erforderlich. Verwaltungstechnisch ergeben sich aus einem Verlustrücktrag so lange keine besonderen Schwierigkei698 Vgl. 2. Teil B. II. 1. b) cc) (1). 699 Vgl. Schlenker in: Blümich, EStG, § 10d Rn. 231 ff. 700 Da im Rahmen der gleichheitsrechtlichen Rechtfertigung von Durchbrechungen der Belastungsgleichheit das Kriterium der Erforderlichkeit keine Rolle spielt, wäre es dem Gesetzgeber bei einer rein gleichheitsrechtlichen Betrachtung nicht verwehrt, zur Wahrung der Rechtssicherheit den Verlustvortrag zeitlich zu beschränken (vgl. 2. Teil B. II. 1) b) aa) (2)).
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
ten, wie die Unterlagen der Veranlagungszeiträume, in die zurückgetragen werden soll, noch vorhanden sind. Eine zeitliche Begrenzung des Verlustrücktrags aus dem Gebote der Rechtssicherheit ist daher zumindest ab dem Zeitpunkt erforderlich, ab dem eine Aufbewahrung der Unterlagen vernünftigerweise nicht mehr gefordert werden kann. Aber auch bei kürzeren Zeitspannen kann eine typisierende zeitliche Beschränkung des Verlustrücktrags zur Verwaltungsvereinfachung erforderlich sein. Ein milderes, aber gleich wirksames Mittel, durch das verhindert wird, dass das Finanzamt bei jedem Verlustfall eine Änderung der Steuerbescheide mehrerer zurückliegender Veranlagungszeiträume prüfen und ggf. auch durchführen muss, ist nicht ersichtlich. (b) Erfordernisse einer geordneten Finanz- und Haushaltsplanung Eine Einschränkung des Verlustrücktrags ist – mangels eines gleich effektiven milderen Mittels – auch im Hinblick auf die Erfordernisse einer geordneten Haushaltsplanung erforderlich.701 Da es für die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Finanz- und Haushaltsplanung maßgeblich darauf ankommt, mögliche Steuererstattungen infolge von Verlustrückträgen dem Volumen nach zu begrenzen, sind insofern neben zeitlichen auch betragsmäßige Beschränkungen des Verlustrücktrags zulässig. Natürlich können zeitliche und betragsmäßige Beschränkungen des Verlustrücktrags auch kombiniert werden, wie dies gegenwärtig bei § 10d Abs. 1 EStG der Fall ist.702 Insofern hat der Gesetzgeber einen großen Gestaltungsspielraum. (4) Angemessenheit Ob die durch eine Beschränkung der interperiodischen Verlustverrechnung bewirkte Steuermehrbelastung gegenüber der Belastungsgrundentscheidung in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit der Verlustverrechnungsbeschränkung verfolgten Zweck steht, kann grundsätzlich nicht abstrakt, sondern nur in Bezug auf eine konkrete Norm beurteilt werden. Dies gilt insbesondere für das Zusammenspiel von Verlustrück- und Vortrag. Als eindeutig unangemessen können Beschränkungen der interperiodischen Verlustverrechnung dann qualifiziert werden, wenn sie – bezogen auf das überperiodische Einkommen – eine erdrosselnde bzw. konfiskatorische Wirkung entfalten:
701 Vgl. dazu 2. Teil B. II. 1. b) cc) (2). 702 Vgl. 1. Teil B. II. 1. a): zeitliche Beschränkung auf einen Veranlagungszeitraum, betragsmäßige Beschränkung auf 511.500 €.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben Beispiel: Die B-AG wird speziell für die Entwicklung eines neuartigen Medikaments gegründet. Der Geschäftsplan sieht vor, dass in den ersten vier Jahren wegen hoher Kosten für Forschung und Entwicklung Verluste i.H.v. 25.000.000 € anfallen. In den folgenden fünf Jahren soll die B-AG ein ausgeglichenes Ergebnis erzielen. Für das zehnte Jahr ist geplant, die Patentrechte für 30.000.000 € zu veräußern und die B-AG anschließend wegen Zweckerreichung zu liquidieren. Bezogen auf die Totalperiode wird die B-AG bei planmäßiger Geschäftsentwicklung einen Vorsteuergewinn von 5.000.000 € erzielen. Bei einem Steuersatz von 25 % ergäbe sich eine Steuerbelastung von 1.250.000 €. Würde hingegen kurz nach Unternehmensgründung der Verlustvortrag zeitlich auf fünf Jahre befristet, so verfielen die Verluste noch bevor sie verrechnet werden könnten. Es müsste ein Gewinn i.H.v. 30.000.000 € versteuert werden. Die Steuerlast würde 7.500.000 € betragen, so dass sich nach Steuern ein Verlust i.H.v. 2.500.000 € ergäbe. Die B-AG müsste ggf. sofort abgewickelt werden, um die anfallenden Verluste zu begrenzen. Der Beschränkung des Verlustvortrags käme somit eine „erdrosselnde“ Wirkung zu.
Bezüglich der Beschränkung des Verlustrücktrags ist danach zu differenzieren, ob noch eine Verlustverrechnung im Wege des Verlustvortrags in Betracht kommt oder nicht. Ist dies der Fall, so kann eine Beschränkung des Verlustrücktrags in der Regel als angemessen angesehen werden. Ist hingegen am Ende der Totalperiode der Verlustrücktrag der einzige Weg, um einen noch nicht verrechneten Verlust zu berücksichtigen, so kann in dieser speziellen Situation die Anwendung einer Verlustrücktragsbeschränkung unangemessen sein. Gegebenenfalls ist dann ein außerordentlicher Verlustrücktrag zu gewähren. b) Steuerfreiheit des Existenzminimums Das Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums ist periodenbezogen.703 Es soll in seiner freiheitsrechtlichen Dimension gewährleisten, dass durch die Besteuerung dem Steuerpflichtigen nicht die Mittel entzogen werden, die zur Bestreitung des Existenzminimums im jeweiligen Kalenderjahr erforderlich sind.704 Verfügt ein Steuerpflichtiger in einer Besteuerungsperiode über ausreichende Einkünfte zur Bestreitung seines persönlichen Existenzminimums sowie desjenigen seiner unterhaltsberechtigten Familie, so muss schon bei der intraperiodischen Besteuerung – ohne Berücksichtigung einer interperiodischen Verlustverrechnung – sichergestellt werden, dass der existenzsichernde Aufwand von der Besteuerung freigestellt wird.705 Eine Besteuerung muss unterbleiben, soweit sie dem Steuerpflichtigen von seinem intra703 Vgl. schon 2. Teil B. II. 1. a) aa) (2). 704 BVerfG v. 13.02.2008 - 2 BvL 1/06, NJW 2008, S. 1872. 705 Vgl. 2. Teil B. II. 1. a) aa) (2).
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
periodischen Einkommen dasjenige entziehen würde, das er zur Bestreitung des Familienexistenzminimums benötigt. Decken intraperiodische Einkünfte hingegen auch ohne Besteuerung das Familienexistenzminimum nicht ab und verfügt der Steuerpflichtige auch nicht über Rücklagen, so ist er auf Sozialhilfe angewiesen. Ob eine interperiodische Verlustverrechnung möglich ist oder nicht, ist insofern irrelevant. Denn da die Steuerbelastung ohnehin Null beträgt, könnte sie zu keiner zusätzlichen Entlastung des Steuerpflichtigen führen. Daraus ergibt sich, dass Beschränkungen der interperiodischen Verlustverrechnung das Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums in seiner freiheitsrechtlichen Dimension nicht berühren können.706 3. Zusammenfassung: Verfassungsrechtliche Vorgaben für die interperiodische Verlustverrechnung Die gleichheits- und freiheitsrechtlichen Vorgaben für die interperiodische Verlustverrechnung lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Verfassungsrechtlich ist im Ausgangspunkt bei allen drei Ertragsteuerarten eine umfassende interperiodische Verlustverrechnung sowohl im Wege des Verlustrücktrags als auch des Verlustvortrags geboten.707 Bezüglich der Zulässigkeit von Einschränkungen der interperiodischen Verlustverrechnung muss zwischen allgemeinen und speziellen Verlustverrechnungsbeschränkungen differenziert werden. Spezielle Beschränkungen der interperiodischen Verlustverrechnung sind unter den gleichen Voraussetzungen zulässig wie im Rahmen der intraperiodischen Verlustverrechnung. Erforderlich ist insbesondere, dass die Beschränkung der Verlustverrechnung einem legitimen Lenkungszweck dient und zur Erreichung des Lenkungsziels geeignet, erforderlich und angemessen ist. Allgemeine zeitliche oder betragsmäßige Beschränkungen des Verlustvortrags können verfassungsrechtlich nicht gerechtfertig werden und sind daher generell unzulässig. Demgegenüber kann der allgemeine Verlustrücktrag sowohl in zeitlicher als auch in betraglicher Hinsicht zur Wahrung der Rechtssicherheit, zur typisierenden Verwaltungsvereinfachung sowie im Hinblick auf die Erfordernisse einer geordneten Haushaltsplanung beschränkt werden.
706 So auch Niedersächsisches FG v. 03.07.2003 - 16 K 444/02, juris Rn. . 28-29; FG Düsseldorf v. 19.07.2004 - 18 V 2127/04 A (E), EFG 2004, S. 1680; BFH v. 29.04.2005 - XI B 127/04, BStBl. II 2005, S. 611. 707 Für die Gewerbesteuer so ausdrücklich auch BFH v. 27.01.2006 - VIII B 179/05, BFH/NV 2006, S. 1151.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
Beschränkungen der interperiodischen Verlustverrechnung
Spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen
Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen
Beschränkungen des Verlustrücktrags
Zeitlich
Betraglich
Grundsätzlich zulässig
Beschränkungen des Verlustvortrags
Zeitlich
Betraglich
Generell unzulässig
Abbildung 24 Zulässigkeit von Einschränkungen der interperiodischen Verlustverrechnung
III.
Intersubjektive Verlustverrechnung
Auch wenn Verluste intra- und interperiodisch unbeschränkt verrechenbar sind, kann es dazu kommen, dass am Ende der Totalperiode eines Steuersubjekts nicht genutzte Verluste vorhanden sind. In dieser Situation könnte eine intersubjektive Verlustverrechnung eine weitere Verlustnutzung ermöglichen. Nachfolgend soll daher untersucht werden, welche verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Ausgestaltung der intersubjektiven Verlustverrechnung bestehen. 1. Gleichheitsrechtliche Vorgaben Da eine intersubjektive Verlustverrechnung denknotwendig mindestens zwei Steuerrechtssubjekte betrifft, stellt sich zunächst die Frage nach dem Bezugspunkt des Gleichbehandlungsgebots. Anschließend werden die gleichheitsrechtlichen Vorgaben für die intersubjektive Verlustverrechnung getrennt nach Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer dargestellt. Denn anders als bei der intra- und interperiodischen Verlustverrechnung, bei der die strukturellen Gemeinsamkeiten der Ertragsbesteuerung überwiegen,
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
müssen bei der intersubjektiven Verlustverrechnung die jeweiligen Besonderheiten der Ertragsteuerarten stärker berücksichtigt werden. a) Der Bezugspunkt des Gleichbehandlungsgebots Bei der Konkretisierung der gleichheitsrechtlichen Vorgaben für die intersubjektive Verlustverrechnung müssen die involvierten Steuerrechtssubjekte jeweils getrennt betrachtet werden. Eine intersubjektive Verlustverrechnung ist nur dann gleichheitsrechtlich geboten, wenn ihr Ausschluss für eines der beiden beteiligten Steuerrechtssubjekte eine Durchbrechung des Gebots der Belastungsgleichheit bedeuten würde. Dagegen ist es trotz der intersubjektiven Perspektive grundsätzlich nicht möglich, für die gleichheitsrechtliche Betrachtung mehrere Steuersubjekte zu einer Einheit zusammenzufassen. Dies ergibt sich aus der Struktur des allgemeinen Gleichheitssatzes. Träger des Grundrechts aus Art. 3 Abs. 1 GG ist zunächst der Mensch, über Art. 19 Abs. 3 GG auch die inländische juristische Person.708 Anspruch auf Gleichbehandlung hat somit der einzelne Grundrechtsträger. Der allgemeine Gleichheitssatz würde missachtet, wenn mehrere Grundrechtsträger zu einer Einheit zusammengefasst und nur noch als Kollektiv gleich, individuell jedoch ungleich behandelt würden.709 b) Einkommensteuerliche Verluste Das Einkommensteuerrecht ist vom Grundsatz der Individualbesteuerung geprägt,710 der besagt, dass jede natürliche Person mit ihren Einkünften gesondert zur Einkommensteuer heranzuziehen ist.711 Daraus folgt, dass nur das Einkommen eines Individuums und nicht dasjenige eines Kollektivs als Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer dienen darf.712 Der Grundsatz der Individualbesteuerung ist für die Untersuchung der gleichheitsrechtlichen Aspekte der intersubjektiven Verlustverrechnung im Einkommensteuerrecht von entscheidender Bedeutung, denn er ist nicht nur ein Struktur708 Vgl. Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 285, 289. 709 Beispielsweise läge ein offensichtlicher Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor, wenn mehrere Steuerpflichtige mit unterschiedlich hohem Einkommen zu einem „Besteuerungskollektiv“ zusammengefasst würden und die auf das Gesamteinkommen der Gruppe entfallende Steuerlast nach Köpfen auf die Gruppenmitglieder verteilt würde. 710 BFH v. 28.07.2004 - XI R 54/99, BStBl. II 2005, S. 264; BFH Großer Senat v. 17.12.2007 - GrS 2/04, BFH/NV 2008, S. 654. 711 Vgl. Lehner, Einkommensteuerrecht und Sozialhilferecht (1993), S. 156; Könemann, Der Grundsatz der Individualbesteuerung im Einkommensteuerrecht (2001), S. 33; Lang in: Tipke/Lang, Steuerrecht (2009), S. 237. 712 Vgl. Lehner, Einkommensteuerrecht und Sozialhilferecht (1993), S. 156; Tipke, Die Steuerrechtsordnung 1 (2000), S. 497.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
merkmal der Einkommensteuer, sondern konkretisiert zugleich das Leistungsfähigkeitsprinzip.713 Steuergerechtigkeit ist individuelle Gerechtigkeit, nicht Gruppengerechtigkeit.714 Insofern ist der Grundsatz der Individualbesteuerung das technische Mittel zur Umsetzung des Gebots der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit im Einkommensteuerrecht.715 Als Leistungsfähigkeitsindikator kommt nur das Einkommen eines Individuums in Frage. Wie nachfolgend gezeigt werden soll, steht der Grundsatz der Individualbesteuerung einer intersubjektiven Verlustverrechnung entgegen. Dabei wird zwischen der intersubjektiven Verlustverrechnung mit und ohne Rechtsnachfolge differenziert.716 aa) Intersubjektive Verlustverrechnung ohne Rechtsnachfolge Eine gleichheitsrechtliche Notwendigkeit, die von einer natürlichen Person in einer Besteuerungsperiode erzielten Verluste mit den positiven Einkünften einer anderen natürlichen Person zu verrechnen, besteht nicht. Im Gegenteil durchbräche eine solche Kollektivbesteuerung gerade das Gebot der Belastungsgleichheit, da die Besteuerung dann nicht auf der Grundlage der individuellen Leistungsfähigkeit erfolgen würde. Die Nichtabziehbarkeit fremder Verluste ist letztlich nur ein Spezialfall des allgemein anerkannten Belastungsprinzips, wonach nur der selbst getragene Aufwand geltend gemacht werden kann und die Berücksichtigung von Drittaufwand ausgeschlossen ist.717 bb) Intersubjektive Verlustverrechnung bei Rechtsnachfolge Eine intersubjektive Verlustverrechnung ist sowohl bei Gesamtrechtsnachfolge, als auch bei Einzelrechtsnachfolge denkbar.718 (1) Gesamtrechtsnachfolge Nachfolgend soll die Problematik der intersubjektiven Verrechnung einkommensteuerlicher Verluste exemplarisch anhand des Erbfalls gemäß § 1922 BGB als des praktisch bedeutsamsten Falls der Gesamtrechtsnach713 Vgl. Müller-Franken, StuW 2004, S. 117; Schmitz-Herscheidt, Beschränkung der Verlustberücksichtigung bei der Umstrukturierung von Körperschaften (2004), S. 28; Hey in: Tipke (Hrsg.), Gedächtnisschrift Trzaskalik (2005), S. 221. 714 Vgl. Tipke, Die Steuerrechtsordnung 1 (2000), S. 497. 715 BFH v. 28.07.2004 - XI R 54/99, BStBl. II 2005, S. 264 f.; BFH Großer Senat v. 17.12.2007 - GrS 2/04, BFH/NV 2008, S. 654; Lehner/Waldhoff in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz – Kommentar, § 1 Rz. A 6. 716 Vgl. dazu 1. Teil B. III. 1. und 2. 717 BFH v. 28.07.2004 - XI R 54/99, BStBl. II 2005, S. 265. 718 Vgl. 1. Teil B. III. 2.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
folge nach einer natürlichen Person verdeutlicht werden.719 Die Frage nach der Zulässigkeit einer intersubjektiven Verlustverrechnung im Erbfall wird akut, wenn dem Erblasser im Zeitpunkt seines Todes noch nicht verrechnete Verluste zuzuordnen sind. Das Schicksal dieser Verluste war mehrere Jahre lang Gegenstand einer Kontroverse zwischen dem 1. und dem 11. Senat des BFH, die erst durch die Entscheidung des Großen Senats vom 17.12.2007 beendet worden ist.720 Im Rahmen dieser Debatte wurde eine Vielzahl von Argumenten ausgetauscht, die überwiegend die Auslegung des einfachen Rechts betrafen.721 Nachfolgend soll dagegen nur untersucht werden, welche Vorgaben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz für den Verlustübergang vom Erblasser auf den oder die Erben ableiten lassen. Dabei muss zwischen der Perspektive des Erblassers und der Perspektive des bzw. der Erben unterschieden werden. (a) Perspektive des Erblassers Sind im Zeitpunkt des Erbfalls nicht verrechnete Verluste vorhanden, die auch nicht im Wege des normalen Verlustrücktrags geltend gemacht werden können, so bestehen drei Möglichkeiten für den Umgang mit diesen Verlusten. Erstens könnte ein Übergang der Verluste auf den oder die Erben zugelassen werden. Dies hätte zur Folge, dass die Erben die übergegangenen Verluste mit eigenen positiven Einkünften verrechnen könnten. Zweitens könnten die Verluste schlicht verfallen. Drittens könnten die Verluste durch über die allgemeine Verlustverrechnung hinausgehende Maßnahmen beim Erblasser selbst berücksichtigt werden. Zu denken ist insofern beispielsweise an eine Aufdeckung der stillen Reserven des Erblassers oder an einen außerordentlichen Verlustrücktrag, der eine Verlustverrechnung mit positiven Einkünften in zeitlich weiter zurück liegenden Veranlagungszeiträumen gestatten würde. Eine weitere Möglichkeit bestünde darin, die Verluste beim Erblasser durch eine Steuererstattung in Höhe des Produkts von Grenzsteuersatz und Verlust abzugelten.
719 Weitere Beispiele sind Universalsukzession bei Begründung einer Gütergemeinschaft gemäß § 1416 Abs. 2 BGB sowie die partielle Gesamtrechtsnachfolge bei der Ausgliederung eines von einem Einzelkaufmann betriebenen Unternehmens, §§ 123 Abs. 3, 131, 152 UmwG. 720 Vgl. dazu 1. Teil. B. III. 2. a) aa). 721 Vgl. Müller-Franken, StuW 2004, S. 110 ff. m.w.N.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
Möglichkeiten des Umgangs mit nicht genutzten Verlusten am Ende der Totalperiode
Berücksichtigung der Verluste beim Erblasser
Untergang der Verluste
Übergang der Verluste auf den oder die Erben
- Aufdeckung stiller Reserven - außerordentlicher Verlustrücktrag - Abgeltung durch Steuererstattung
Abbildung 25 Umgang mit nicht genutzten Verlusten am Ende der Totalperiode
Damit von diesen drei möglichen Lösungen aus Sicht des Erblassers der Übergang seiner Verluste auf seine Erben gleichheitsrechtlich geboten ist, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein. Erstens müsste es durch den Untergang der Verluste zu einer Durchbrechung des Gebots der Belastungsgleichheit in Bezug auf den Erblasser kommen und zweitens müsste sich dieser Gleichheitsverstoß nicht durch eine Berücksichtigung der Verluste beim Erblasser, sondern nur durch einen Übergang der Verluste auf den oder die Erben kompensieren lassen. Wenn schon der Untergang der Verluste beim Erblasser nicht zu einem Verstoß gegen den Grundsatz der Belastungsgleichheit führt, so ist eine intersubjektive Verlustverrechnung offensichtlich gleichheitsrechtlich nicht geboten. Hiervon ist auszugehen, wenn der Erblasser während der Totalperiode keine Einkommensteuer gezahlt hat. Ein außerordentlicher Verlustrücktrag hätte keinen Effekt, da er mangels gezahlter Einkommensteuer nicht zu einer Reduzierung der Steuerlast führen könnte. Auch eine Abgeltung der Verluste durch eine Steuererstattung ist in dieser Situation gleichheitsrechtlich nicht geboten. Der Staat ist nicht per se verpflichtet, sich an Verlusten der Steuerpflichtigen zu beteiligen, da dies dem Finanzierungszweck der Steuer zuwiderliefe. Der Staat ist kein stiller Teilhaber mit Nachschusspflicht.722 Jede Form der Verlustberücksichtigung ist gleichheitsrechtlich nur zur Herstellung von Belastungsgleichheit geboten. Erforderlich ist daher, dass überhaupt eine Belastung stattgefunden hat. Eine geringere Steuerbelastung als Null kann gleichheitsrechtlich nicht gefordert werden. Die Notwendigkeit eines Übergangs der Verluste an den oder die Erben scheitert somit schon an der fehlenden Ungleichbelastung des Erblassers.
722 Vgl. 2. Teil B. I. 1. a) ee).
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
Zu einer Überbelastung bezogen auf das Totaleinkommen723 führt der Untergang der im Zeitpunkt des Erbfalls nicht verrechneten Verluste jedoch dann, wenn der Erblasser während der Totalperiode bereits Steuern gezahlt hat. Dies ergibt sich aus folgender Überlegung: Verluste mindern das Totaleinkommen. Wenn am Ende der Totalperiode Verluste vorhanden sind, die steuerlich nicht berücksichtigt wurden, obwohl der Steuerpflichtige in der Vergangenheit zu Steuerzahlungen herangezogen worden ist, so folgt daraus zwingend, dass das Totaleinkommen steuerlich nicht zutreffend erfasst worden ist. Denn die noch nicht verrechneten Verluste haben die steuerliche Bemessungsgrundlage nicht gemindert. Ihre Nichtberücksichtigung führt zu einem Verstoß gegen den Grundsatz der Belastungsgleichheit. Beispiel: Die Totalperiode umfasst zwei Veranlagungszeiträume. Der Erblasser (E) erzielt in Veranlagungszeitraum 01 einen Gewinn i.H.v. 1.000.000 € und in Veranlagungszeitraum 02 einen Verlust i.H.v. 1.000.000 €. Es wird unterstellt, dass keine Möglichkeit zum Verlustrücktrag besteht. Der Steuersatz beträgt 50 %. In 01 muss E Einkommensteuer i.H.v. 500.000 € zahlen (1.000.000 € x 50 %). Den in 02 erlittenen Verlust kann er nicht steuermindernd gelten machen. Im Ergebnis wird E durch die Nichtberücksichtigung der im Erbfall vorhandenen Verluste zur Steuerzahlung herangezogen, obwohl sein Totaleinkommen Null Euro beträgt. Dies stellt einen offensichtlichen Verstoß gegen das Gebot der gleichmäßigen Belastung des Totaleinkommens dar.
Damit ist zwar die Voraussetzung erfüllt, dass der Untergang der im Zeitpunkt des Erbfalls vorhandenen Verluste beim Erblasser zu einer Durchbrechung des Gebots der Belastungsgleichheit führt. Allerdings lässt sich dieser Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG wegen des Grundsatzes der Individualbesteuerung nicht durch einen Übergang der Verluste auf den oder die Erben bereinigen.724 Denn dadurch würde sich an der steuerlichen Überbelastung des Erblassers nichts ändern. Stattdessen würden die Erben gleichheitswidrig privilegiert,725 so dass zur Durchbrechung der Belastungsgleichheit in Bezug 723 Zum Totaleinkommen als Leistungsfähigkeitsindikator vgl. 2. Teil B. II. 1. a) aa) (1) (b). 724 BFH v. 28.07.2004 - XI R 54/99, BStBl. II 2005, S. 269; Strnad, Zur Vererbung des Verlustabzugs (§ 10d EStG) (1998), S. 140; Strnad, FR 1998, S. 937; Heinz, BB 2003, S. 338; Müller-Franken, StuW 2004, S. 116; Lang/Englisch, StuW 2005, S. 8; Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 66; Birnbaum, Leistungsfähigkeitsprinzip und ErbStG (2007), S. 70. A.A. offenbar Lang in: Tipke/Lang, Steuerrecht (2009), S. 238. 725 So auch Strnad, FR 1998, S. 936.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
auf den Erblasser eine weitere Ungleichbehandlung auf der Ebene der Erben hinzuträte:726 Beispiel: Die Totalperiode von Erblasser (E) und Erbe (S) umfasst je zwei Veranlagungszeiträume. E erzielt in 01 einen Gewinn i.H.v. 30.000 € und in 02 einen Verlust i.H.v. 10.000 €. S erzielt in 03 und in 04 jeweils positive Einkünfte i.H.v. 10.000 €. Es wird unterstellt, dass keine Möglichkeit zum Verlustrücktrag besteht. Der Steuersatz beträgt 50 %. E und S erzielen jeweils ein Totaleinkommen von 20.000 € (E: 30.000 € ./. 10.000 €; S: 10.000 € + 10.000 €). Mangels Möglichkeit einer Verrechnung der in 02 erlittenen Verluste muss E jedoch Einkommsteuer auf eine Einkommen von 30.000 € zahlen. Daran würde sich auch durch einen Übergang der Verluste auf S nichts ändern. Dies hätte nur zur Folge, dass S sein in 03 erzieltes Einkommen mit den von E stammenden Verlusten verrechnen könnte. Per Saldo müsste er in der gesamten Totalperiode daher nur ein Einkommen von 10.000 € versteuern. S würde also in Bezug auf sein Totaleinkommen zu gering belastet.
Ergebnis Verlustverr. BMG ESt Verlustvortrag
Erblasser (E) 01 02 Summe 30.000 € -10.000 € 20.000 € 30.000 € 15.000 €
0€ 0€ -10.000 €
03 10.000 € -10.000 € 30.000 € 0€ 15.000 € 0€
Erbe (S) 04 10.000 €
Summe 20.000 €
10.000 € 5.000 €
10.000 € 5.000 €
Wenn der 1. Senat des BFH davon spricht, der Übergang der Verluste auf den Erben sei zur „Restituierung“ des Totalitätsprinzips erforderlich, so übersieht er, dass auch dieses Prinzip wegen des Grundsatzes der Individualbesteuerung an ein konkretes Steuerrechtssubjekt gebunden ist. Nach dem Totalitätsprinzip ist das Totaleinkommen eines Steuerpflichtigen Maßstab für die steuerliche Gleichbelastung. Die Notwendigkeit einer intersubjektiven Verlustverrechnung lässt sich daher aus diesem Prinzip gerade nicht ableiten.727 Eine generationenübergreifende Verwirklichung des Totalitätsprinzips wäre gleichheitsrechtlich nur dann geboten, wenn das zusammengefasste Totaleinkommen des Erblassers und des Erben Maßstab für die Gleichbelastung wäre. Dem steht jedoch das Gebot der Besteuerung nach der individuellen – und nicht nach einer kollektiven – Leistungsfähigkeit entgegen. Erblasser und Erbe sind selbständige Steuersubjekte. Der Begriff der Rechtsnachfolge setzt die Nichtidentität von Rechtsvorgänger und Rechts-
726 BFH Großer Senat v. 17.12.2007 - GrS 2/04, BFH/NV 2008, S. 655. 727 Vgl. Müller-Franken, StuW 2004, S. 118 f; Birnbaum, DB 2008, S. 780.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
nachfolger voraus.728 Die individuelle Leistungsfähigkeit ist mit der Person des Steuerpflichtigen unlösbar verknüpft und geht mit dessen Tod unter.729 Die einzige sachgerechte Lösung des Problems besteht daher darin, die im Erbfall noch vorhandenen Verluste beim Erblasser selbst zu entsteuern. Dazu könnten in einem ersten Schritt alle noch nicht realisierten positiven Einkünfte des Erblassers aufgedeckt und mit vorhandenen Verlusten verrechnet werden.730 Sind keine stillen Reserven vorhanden oder reichen sie nicht zur Deckung der noch nicht verrechneten Verluste aus, so müsste in einem zweiten Schritt ein außerordentlicher, zeitlich und betragsmäßig unbeschränkter Verlustrücktrag gewährt werden.731 Der daraus resultierende Steuererstattungsanspruch würde zum Nachlass gehören und unterläge – systematisch korrekt – der Erbschaftsteuer. Demgegenüber wäre eine Steuererstattung auf die noch vorhandenen Verluste ohne Rücksicht auf die vom Erblasser in der Vergangenheit gezahlten Steuern der falsche Weg, da es dadurch zu einer Überkompensation kommen könnte.732 Von einer derartigen Steuererstattung würde beispielsweise auch ein Steuerpflichtiger profitieren, der während seiner Totalperiode keine Einkommensteuer gezahlt hat und für den folglich der Untergang der noch nicht verrechneten Verluste keine Durchbrechung der Belastungsgleichheit bedeuten würde.733 (b) Perspektive des/der Erben Aus der Perspektive des Erben ließe sich die gleichheitsrechtliche Notwendigkeit eines Übergangs der Verluste des Erblassers dann begründen, wenn nur so eine Besteuerung des Erben nach seiner individuellen Leistungsfähigkeit erreicht werden könnte. Nach der früheren Rechtsprechung des BFH, wonach Verluste des Erblassers vom Erben genutzt werden konnten, war Voraussetzung für den Verlustübergang, dass der Erbe durch die Verluste des Erblassers wirtschaftlich be-
728 729 730 731
BFH v. 28.07.2004 - XI R 54/99, BStBl. II 2005, S. 264 f. BFH v. 28.07.2004 - XI R 54/99, BStBl. II 2005, S. 265. Vgl. Heinz, BB 2003, S. 339; Koblenzer, ZEV 2006, S. 402. BFH v. 22.10.2003 - I ER -S- 1/03 (XI R 54/99), I ER -S- 1/03, BStBl. II 2004, S. 415; Strnad, FR 1998, S. 937; Weber-Grellet, Steuern im modernen Verfassungsstaat (2001), S. 278; Heinz, BB 2003, S. 339; von Groll in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 33; Laule, DStR 2005, S. 498; Koblenzer, ZEV 2006, S. 402; Birnbaum, Leistungsfähigkeitsprinzip und ErbStG (2007), S. 70; Birnbaum, DB 2008, S. 781; Wernsmann, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 104. 732 So auch Strnad, Zur Vererbung des Verlustabzugs (§ 10d EStG) (1998), S. 143. 733 Vgl. 2. Teil B. I. 1. a) ee).
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
lastet war.734 An einer wirtschaftlichen Belastung in diesem Sinne sollte es dann fehlen, wenn der Erbe für die Nachlassverbindlichkeiten entweder gar nicht oder nur beschränkt haftet.735 Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung scheint eine Überbelastung des Erben nahe zu liegen, wenn er zwar für die Nachlassverbindlichkeiten haftet, ihm aber die Nutzung der Verluste des Erblassers versagt wird. Bei genauer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass eine solche Sichtweise nicht haltbar ist. Sie beruht auf der Vermengung der Ebene der Einkünfteerzielung mit der Vermögensebene.736 Leitungsfähigkeitsindikator der Einkommensteuer ist das Einkommen. Erzielt der Erblasser Verluste, so mindern sie dessen individuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Aufgrund des Grundsatzes der Individualbesteuerung bleibt die einkommensteuerliche Leistungsfähigkeit des Erben hiervon unberührt.737 Denn diese bestimmt sich ausschließlich nach den vom Erben selbst erzielten Einkünften.738 Davon strikt zu trennen ist die Frage, welche Auswirkungen die Verluste des Erblassers auf sein Vermögen haben. Im Regelfall – sofern die verlustbringende Tätigkeit nicht zur Bildung stiller Reserven in mindestens gleicher Höhe führt – bedeuten einkommensteuerliche Verluste des Erblassers eine Minderung seines Vermögens. Die Folge ist, dass der Erbe im Erbfall weniger erbt. Dies hat in der Tat negative Auswirkungen auf die steuerliche Leistungsfähigkeit des Erben. Allerdings betrifft die Leistungsfähigkeitsminderung nicht die Einkommensteuer, sondern die Erbschaftsteuer.739 Die Erbschaft- und Schenkungsteuer erfasst in Ergänzung zur Einkommensteuer den Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, der vom Steuerpflichtigen nicht am Markt erwirtschaftet wird, sondern der ihm unentgeltlich durch Erbschaft oder Schenkung zufließt.740 Sofern die Verluste des Erblassers dessen Vermögen geschmälert haben, schlägt sich 734 BFH v. 16.05.2001 - I R 76/99, BStBl. II 2002, S. 487 m.w.N. 735 BFH v. 29.03.2000 - I R 76/99, BStBl. II 2000, S. 623; BFH v. 16.05.2001 - I R 76/99, BStBl. II 2002, S. 487 m.w.N. Praktisch bedeutsam dürfte in diesem Zusammenhang vor allem die Möglichkeit der Nachlassinsolvenz, §§ 1975 ff. BGB, gewesen sein (vgl. Heinrich in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 128) 736 BFH Großer Senat v. 17.12.2007 - GrS 2/04, BFH/NV 2008, S. 654. 737 Einkommensteuerliche Verluste können nur einmal berücksichtigt werden – und zwar bei demjenigen, der sie erzielt hat (vgl. von Groll in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 31). Sind sie dem Erblasser zuzuordnen, so kann der Erbe sie nicht geltend machen. 738 BFH v. 29.03.2000 - I R 76/99, BStBl. II 2000, S. 624; Werz, Verlustverrechnungsbeschränkungen im Lichte der Verfassung unter besonderer Berücksichtigung der Verlustregeln des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (2003), S. 32 f. 739 So auch Strnad, FR 1998, S. 936; BFH v. 29.03.2000 - I R 76/99, BStBl. II 2000, S. 624; Eckhoff in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 23 f. 740 Vgl. Seer in: Tipke/Lang, Steuerrecht (2009), S. 510 f.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
dies folgerichtig in einer geminderten erbschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage des Erben nieder. Beispiel: A verfügt über ein in Bundeswertpapieren angelegtes Vermögen i.H.v. 5.000.000 €. Davon investiert er 1.000.000 € in ein Biotech-Startup, an dem er sich als Kommanditist beteiligt. Er erleidet einen Totalverlust und stirb kurz darauf, bevor der erlittene Verlust aus Gewerbebetrieb, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG, mit anderen positiven Einkünften verrechnet werden konnte. Alleinerbe ist sein Großneffe B. Ohne die verlustbringende Investition hätte der Nachlass des A einen Wert von 5.000.000 € gehabt und wäre in dieser Höhe bei B als steuerpflichtiger Erwerb gemäß § 10 Abs. 1 ErbStG erfasst worden. Als angehöriger der Steuerklasse III, § 15 Abs. 1 ErbStG, mit einem Steuersatz von 30 %, § 19 Abs. 1 ErbStG, hätte B einer Erbschaftsteuerbelastung i.H.v. 1.500.000 € tragen müssen (5.000.000 € x 30 %). Wegen der fehlgeschlagenen Investition hat sich der Wert des Nachlasses jedoch auf 4.000.000 € verringert. Dementsprechend verringert sich auch der erbschaftsteuerliche Bemessungsgrundlage. Die Erbschaftsteuerbelastung des B beträgt infolgedessen nur noch 1.200.000 € (4.000.000 € x 30 %).
Eine erbschaftsteuerliche Entlastung scheitert lediglich dann, wenn der Nachlass überschuldet ist. Denn das Erbschaftsteuerrecht kennt keine negative Bemessungsgrundlage und auch keine „Verlustverrechnung“ mit der Bereicherung aus einem anderen unentgeltlichen Erwerb. Allerdings bietet das Erbrecht jenseits der Ausschlagung der Erbschaft dem Erben ausreichende Möglichkeiten, die Haftung auf den Nachlass zu beschränken.741 Eine Belastung durch die Nachlassverbindlichkeiten ist nur denkbar, wenn der Erbe von diesen Möglichkeiten keinen Gebrauch macht.742 Es ist verfassungsrechtlich wohl nicht zu beanstanden, wenn dieses Versäumnis steuerrechtlich nicht berücksichtigt wird. Allerdings kann diese Frage im Rahmen dieser Untersuchung letztlich offen bleiben, da sie die Vermögensebene betrifft und die Ausgestaltung der Erbschaft- und Schenkungsteuer nicht Untersuchungsgegenstand ist. Weiterhin wird eine Überbesteuerung des Erben durch die Nichtübertragbarkeit der Verluste des Erblassers für den Fall diskutiert, dass nicht realisierte positive Einkünfte des Erblassers von Erben versteuert werden müssen.743 Hauptanwendungsfall ist insofern der Übergang stiller Reserven infolge der Buchwertverknüpfung gemäß § 6 Abs. 3 EStG. Nach dieser Vorschrift ist im Fall der unentgeltlichen Übertragung eines (Teil-)Betriebs oder Mitunter741 Vgl. §§ 1975 ff. BGB. 742 Vgl. Eckhoff in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 23 f. 743 Vgl. Heinrich in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 141.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
nehmeranteils der Rechtsnachfolger gezwungen, die Buchwerte des Rechtsvorgängers fortzuführen. Für den Fall, dass in dem Betriebsvermögen stille Reserven ruhen, bewirkt die Vorschrift eine Durchbrechung des Grundsatzes der Individualbesteuerung,744 da der Rechtsnachfolger im Fall der Realisierung der stillen Reserven Einkünfte versteuern muss, die genau genommen dem Erblasser zuzurechnen sind und von diesem hätten versteuert werden müssen. Die gleiche Problematik tritt auch beim unentgeltlichen Übergang von steuerverstricktem Privatvermögen, insbesondere von Immobilien, auf.745 Unter diesen besonderen Umständen würde ein Übergang von Verlusten genau in der Höhe der nicht realisierten positiven Einkünfte zu einer gleichheitssatzkonformen Steuerbelastung sowohl des Erblassers als auch des Erben führen. Denn dann würden sich die nicht verrechneten Verluste und die nicht realisierten Einkünfte sowohl beim Erblasser als auch beim Erben neutralisieren: Beispiel: Erblasser A verfügt im Zeitpunkt seines Todes über einen Verlustvortrag i.H.v. 1.000.000 €, der auf seinen Erben B übergeht. In seinem Einzelunternehmen ruhen stille Reserven i.H.v. ebenfalls 1.000.000 €, die gemäß § 6 Abs. 3 EStG unaufgedeckt auf B übergehen. B verkauft das Unternehmen kurz nach dem Erbfall. Denn Gewinn aus der Aufdeckung der stillen Reserven verrechnet er mit dem von A übernommenen Verlustvortrag. Obwohl sich der Verlustvortrag des A bei diesem nicht steuermindernd ausgewirkt hat, liegt keine ungleichmäßige Belastung seines Totaleinkommens vor. Denn bei der Ermittlung des Totaleinkommens sind neben einen Verlust i.H.v. 1.000.000 € auch nicht realisierte positive Einkünfte i.H.v. 1.000.000 € unberücksichtigt geblieben. Gleiches gilt für B. Zwar muss er von A stammende Einkünfte versteuern, kann diese jedoch mit ebenfalls von A stammenden Verlusten in gleicher Höhe verrechnen.
Allerdings ist diese Fallkonstellation nicht dazu geeignet, die generelle gleichheitsrechtliche Notwendigkeit einer intersubjektiven Verlustverrechnung aus Sicht des Erben zu begründen. Es handelt sich lediglich um die zu744 BFH Großer Senat v. 17.12.2007 - GrS 2/04, BFH/NV 2008, S. 656. 745 Nach § 23 Abs. 1 S. 3 EStG wird bei unentgeltlichem Erwerb einer Immobilie im Privatvermögen dem Rechtsnachfolger die Anschaffung durch den Rechtsvorgängers zugerechnet. Sofern er die Immobilie innerhalb der Zehnjahresfrist nach § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG veräußert, muss er die Wertsteigerung auch insofern versteuern, als sie auf die Zeit entfällt, in der die Immobilie im Eigentum des Rechtsvorgängers stand. Für Anteile an Kapitalgesellschaften enthält § 17 Abs. 2 S. 5 EStG eine entsprechende Regelung.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
fällige Kompensation einer Durchbrechung der Belastungsgleichheit (infolge der Buchwertverknüpfung) durch eine andere Durchbrechung der Belastungsgleichheit (infolge des Übergangs der Verluste auf den Erben). Wenn sich beim Erblasser stille Reserven und nicht verrechnete Verluste hingegen nicht genau entsprechen, so würde dieser bei einem Übergang der stillen Reserven und der Verluste in Bezug auf sein Totaleinkommen entweder zu hoch oder zu niedrig besteuert.746 Auf der Ebene des Erben würde der gleiche Effekt spiegelverkehrt auftreten. Zudem dürften die Verluste nicht entsprechend der gesetzlichen Erbfolge übergehen, sondern müssten demjenigen zugeordnet werden, der als Erbe oder Vermächtnisnehmer die stillen Reserven zu versteuern hat.747 Beispiel: Erblasser A hat während seines Lebens positive Einkünfte i.H.v. 5.000.000 € versteuert. Im Zeitpunkt seines Todes verfügt er über einen bei ihm nicht berücksichtigungsfähigen Verlustvortrag i.H.v. 1.000.000 €. In seinem Einzelunternehmen ruhen stille Reserven i.H.v. 2.000.000 €. Sein Erbe B verkauft das Unternehmen und realisiert die stillen Reserven. Im Übrigen erzielt B während der Totalperiode Einkünfte i.H.v. 3.000.000 €. Der Steuersatz beträgt 50 %. Variante1: Auflösung der stillen Reserven beim Erblasser Erblasser (A) Erbe (B) Aufl. stille Reserven des A 2.000.000 € Aufl. stille Reserven des A Verlustverrechnung -1.000.000 € Verluste des A Sonstige Einkünfte des A 5.000.000 € Sonstige Einkünfte B Totaleinkommen A 6.000.000 € Totaleinkommen B Bemessungsgrundlage A 6.000.000 € Bemessungsgrundlage B Steuerlast 3.000.000 € Steuerlast
0€ 0€ 3.000.000 € 3.000.000 € 3.000.000 € 1.500.000 €
Variante 2: Übergang der stillen Reserven und der Verluste Erblasser (A) Erbe (B) stille Reserven 2.000.000 € Aufl. stille Reserven des A nicht verrechnete Verluste -1.000.000 € Verluste des A Sonstige Einkünfte des A 5.000.000 € Sonstige Einkünfte B Totaleinkommen A 6.000.000 € Totaleinkommen B Bemessungsgrundlage A 5.000.000 € Bemessungsgrundlage B Steuerlast 2.500.000 € Steuerlast
2.000.000 € -1.000.000 € 3.000.000 € 3.000.000 € 4.000.000 € 2.000.000 €
746 Zu hoch, wenn die Verluste die stillen Reserven übersteigen und zu niedrig, wenn die stillen Reserven die Verluste übersteigen. 747 Zu diesem Problemkreis auch BFH v. 16.05.2001 - I R 76/99, BStBl. II 2002, S. 489 f.; BFH v. 28.07.2004 - XI R 54/99, BStBl. II 2005, S. 270; BFH Großer Senat v. 17.12.2007 - GrS 2/04, BFH/NV 2008, S. 656.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
Wie das Beispiel verdeutlicht, führt nur die Entsteuerung der im Erbfall noch nicht verrechneten Verluste beim Erblasser zu einer Besteuerung sowohl des Erblassers als auch des Erben nach ihrer jeweiligen Leistungsfähigkeit. (2) Einzelrechtsnachfolge Wird eine Einkunftsquelle im Wege der Einzelrechtsnachfolge entgeltlich oder unentgeltlich übertragen, so scheitert ein Übergang der noch nicht verrechneten Verluste, die dem Rechtsvorgänger aus dieser Einkunftsquelle erwachsen sind, oftmals schon an einem rein faktischen Hindernis. Verluste werden – abgesehen vom Sonderfall einer Verlustverrechnungsbeschränkung auf die Einkunftsquelle – nicht gegenstandsbezogen ermittelt. Nach dem intraperiodischen Ausgleich positiver und negativer Einkunftsquellenergebnisse kann ein verbleibender Verlust kaum noch einer bestimmten Einkunftsquelle klar zugeordnet werden. Die fehlende „Gegenstandsbezogenheit“748 von Verlusten ist eine Konsequenz der personalen Struktur der Einkommensteuer. Steuergegenstand ist nicht der Ertrag einer bestimmten Einkunftsquelle, sondern das gesamte Einkommen einer natürlichen Person.749 Wird die verlustbringende Einkunftsquelle im Wege der Einzelrechtsnachfolge750 entgeltlich oder unentgeltlich übertragen, so verbleiben die Verluste grundsätzlich beim Rechtsvorgänger.751 Gleichheitsrechtlich kann im Übrigen im Rahmen der Einzelrechtsnachfolge nichts anderes gelten als bei Gesamtrechtsnachfolge. Der Übergang von Verlusten gemeinsam mit der Einkunftsquelle, die sie verursacht hat, ist nicht nur gleichheitsrechtlich nicht geboten, sondern wäre sogar als Durchbrechung des Grundsatzes der Belastungsgleichheit seinerseits gleichheitsrechtlich rechtfertigungsbedürftig. c) Körperschaftsteuerliche Verluste Für die Besteuerung von Körperschaftsteuersubjekten gilt grundsätzlich derselbe gleichheitsrechtliche Rahmen wie für natürliche Personen im Rahmen 748 Vgl. dazu BFH v. 28.07.2004 - XI R 54/99, BStBl. II 2005, S. 268 f.; BFH Großer Senat v. 17.12.2007 - GrS 2/04, BFH/NV 2008, S. 655. 749 Vgl. 2. Teil B. I. 1. a) aa) (1). 750 Ist die Einkunftsquelle ein von einem Einzelkaufmann betriebenes Unternehmen, so kommt auch eine Übertragung durch Ausgliederung gemäß §§ 123 Abs. 3, 131, 152 UmwG und somit im Wege der partiellen Gesamtrechtsnachfolge in Betracht. Für die Belange der vorliegenden Untersuchung ergeben sich aus dieser Übertragungsform jedoch keine relevanten Unterschiede gegenüber der Übertragung einer Einkunftsquelle im Wege der Einzelrechtsnachfolge. 751 BFH Großer Senat v. 17.12.2007 - GrS 2/04, BFH/NV 2008, S. 654; Heinz, BB 2003, S. 337; Heinrich in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 134.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
der Einkommensteuer.752 Daher könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass auch die gleichheitsrechtlichen Vorgaben für die intersubjektive Verlustverrechnung direkt von der Einkommensteuer auf die Körperschaftsteuer übertragen werden können. Allerdings würde eine solche Sichtweise den strukturellen Besonderheiten der Körperschaftsteuersubjekte, insbesondere der Kapitalgesellschaften,753 nicht ausreichend Rechnung tragen. Anders als eine natürliche Person hat eine Kapitalgesellschaft eine Anteilseignerebene, also Eigentümer. Daraus folgt unter anderem, dass juristische Personen unter Wahrung ihrer rechtlichen Selbständigkeit als eine funktionale Einheit, d.h. als ein Konzern, organisiert werden können. Ferner unterscheiden sich natürliche Personen und Kapitalgesellschaften auch grundlegend hinsichtlich der Beendigung ihrer rechtlichen Existenz. Die Rechtsubjektivität eines Menschen ist grundsätzlich unteilbar und endet zwangsläufig früher oder später durch den Tod. Demgegenüber können Kapitalgesellschaften theoretisch zeitlich unbegrenzt bestehen. Andererseits kann ihre rechtliche Existenz auch jederzeit enden, da sie – die Erfüllung der gesellschaftsrechtlichen Bedingungen vorausgesetzt – von ihren Anteileignern nach Belieben gespalten, mit anderen Rechtsträgern verschmolzen oder schlicht aufgelöst werden können. Diese Besonderheiten hinsichtlich der Rechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften machen eine gesonderte Untersuchung der gleichheitsrechtlichen Vorgaben für die intersubjektive Verrechnung von körperschaftsteuerlichen Verlusten erforderlich. Dabei soll zwischen der Perspektive der Kapitalgesellschaft und der Anteilseigner unterschieden werden. Abschließend wird auf die intersubjektive Verlustverrechnung im Konzern eingegangen. aa) Perspektive der Kapitalgesellschaft Der Grundsatz der Individualbesteuerung gilt auch im Körperschaftsteuerrecht.754 Dem steht nicht entgegen, dass eine Kapitalgesellschaft nur über eine objektive Leistungsfähigkeit verfügt. Denn das Individualsteuerprinzip dient nicht nur der Erfassung der subjektiven Leistungsfähigkeit natürlicher Personen, sondern vor allem auch der korrekten interpersonellen Zuordnung der Bemessungsgrundlage.755 Daraus folgt, dass sich aus der Perspektive einer Kapitalgesellschaft die gleichheitsrechtliche Notwendigkeit einer inter752 Vgl. 2. Teil A. II. 753 Die Untersuchung konzentriert sich nachfolgend auf Kapitalgesellschaften als praktisch relevantester Erscheinungsform von Körperschaftsteuersubjekten, vgl. dazu schon 1. Teil, Fn. 185. 754 Vgl. Hey in: Tipke (Hrsg.), Gedächtnisschrift Trzaskalik (2005), S. 223. 755 Vgl. Hey in: Tipke (Hrsg.), Gedächtnisschrift Trzaskalik (2005), S. 223.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
subjektiven Verlustverrechnung genauso wenig begründen lässt wie aus der Perspektive einer natürlichen Person. Der Gleichheitssatz stößt an die gleichen strukturellen Grenzen: Trägerin des Grundrechts aus Art. 3 Abs. 1 GG ist – in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG – die einzelne Kapitalgesellschaft. Gleichheitsrechtlich hat die Kapitalgesellschaft daher lediglich einen Anspruch darauf, gleichmäßig gemäß der von ihr erzielten objektiven Leistungsfähigkeit besteuert zu werden. Wegen der damit verbundenen Durchbrechung des Grundsatzes der Individualbesteuerung lässt sich somit intraperiodisch weder die Notwendigkeit begründen, Verluste der Kapitalgesellschaft an eine anderes Steuersubjekt zu übertragen noch umgekehrt, Verluste eines anderen Steuersubjekts in Empfang zu nehmen. Genauso wenig besteht aus Sicht der beteiligten Kapitalgesellschaften eine gleichheitsrechtliche Notwendigkeit für eine intersubjektive Verlustverrechnung im Fall der Rechtsnachfolge durch Verschmelzung oder Spaltung.756 bb) Perspektive der Anteilseigner Ein spezifisch körperschaftsteuerlicher Aspekt der Problematik der intersubjektiven Verlustverrechnung ist der Ausschluss der Verlustverrechnung zwischen der Gesellschafts- und der Anteilseignerebene. Kapitalgesellschaften sind eigenständige (Körperschaft-)Steuersubjekte, § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG. Daraus ergibt sich, dass steuerrechtlich gemäß dem sog. Trennungsprinzip strikt zwischen der Gesellschafts- und der Anteilseignerebene zu differenzieren ist.757 Bezüglich der Verlustverrechnung folgt aus dem Trennungsprinzip, dass weder Gewinne der Gesellschafter mit Verlusten der Gesellschaft noch umgekehrt Verluste der Gesellschafter unmittelbar mit Gewinnen der Gesellschaft verrechnet werden können.758 Dies entspricht dem Grundsatz der Individualbesteuerung und ist insofern gleichheitsrechtlich nicht angreifbar. Einen möglichen Ansatzpunkt für die gleichheitsrechtliche Gebotenheit einer intersubjektiven Verlustverrechnung zwischen Gesellschafts- und Anteilseignerebene bietet hingegen der Grundsatz der Rechtsformneutralität der Unternehmensbesteuerung. Danach soll eine unternehmerische Tätigkeit steuerlich möglichst gleich belastet werden, unabhängig davon, ob sie im
756 Vgl. dazu Schmitz-Herscheidt, Beschränkung der Verlustberücksichtigung bei der Umstrukturierung von Körperschaften (2004), S. 137; Hey, BB 2007, S. 1307. 757 Vgl. Drüen, GmbHR 2008, S. 395. 758 Vgl. Herzig in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 187.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
Rahmen eines Einzelunternehmens, einer Personengesellschaft oder über eine Kapitalgesellschaft ausgeübt wird.759 Von einem wirtschaftswissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, ist Rechtsformneutralität ein Teilaspekt des Konzepts einer entscheidungsneutralen Besteuerung.760 Insofern handelt es sich um ein Postulat ökonomischer Vernunft. Ob dem Gebot der Rechtsformneutralität der Besteuerung darüber hinaus auch rechtliche Relevanz zukommt, ist umstritten.761 Das BVerfG hat dies in seiner Entscheidung zur Tarifbegrenzung für gewerbliche Einkünfte vom 21.06.2006 verneint und entschieden, dass Art. 3 Abs. 1 GG kein allgemeines Gebot der Rechtsformneutralität enthält.762 Nach einer in der Literatur weit verbreiteten Ansicht ergibt sich die Notwendigkeit einer rechtsformneutralen Besteuerung hingegen unmittelbar aus dem Gebot einer gleichmäßigen Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.763 Folglich würde das Gebot der Rechtsformneutralität an der gleichheitsrechtlichen Fundierung des Leistungsfähigkeitsprinzips teilnehmen. Zur Begründung verweisen die Anhänger dieser Ansicht darauf, dass Leistungsfähigkeit unabhängig von der Rechtsform sei, in der sie erzielt wird.764 Für den Leistungsfähigkeitsindikator Einkommen, der sowohl von der Einkommen- als auch der Körperschaftsteuer belastet wird, sei allein der wirtschaftliche Erfolg, nicht die Art der Betätigung ausschlaggebend.765 Die Höhe des Einkommens weise keinen Bezug zur Rechtsform auf.766 Deshalb sei nicht einzusehen, warum gleiche wirtschaftliche Sachverhalte in Abhängigkeit von der Unternehmensform unterschiedlich besteuert werden sollten.767 Aus der Annahme, dass Leistungsfähigkeit unabhängig von der Rechtsform gleichmäßig zu belasten sei, ergeben sich zahlreiche Implikationen für die 759 Vgl. Treisch, Europataugliche Ausgestaltung der Unternehmensbesteuerung (2004), S. 54 m.w.N. 760 Vgl. Hey in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 157; Sieker in: Seeger (Hrsg.), Perspektiven der Unternehmensbesteuerung (2002), S. 149. 761 Ablehnend bzw. zweifelnd beispielsweise Pelka, StuW 2000, S. 396; Sieker in: Seeger (Hrsg.), Perspektiven der Unternehmensbesteuerung (2002), S. 151 f. Vgl. dazu auch Drüen, GmbHR 2008, S. 396 f. m.w.N. 762 BVerfG v. 21.06.2006 - 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, S. 197. 763 Vgl. Englisch, DStZ 1997, S. 779; Hey in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 168; Hennrichs/Lehmann, StuW 2007, S. 17; Drüen, GmbHR 2008, S. 396 f. Diese Position wurde auch von der Rechtsprechung aufgegriffen, vgl. BFH v. 24.02.1999 - X R 171/96, BStBl. II 1999, S. 461. 764 Vgl. Hey in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 164. 765 Vgl. Hey in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 164. 766 Vgl. Hey in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 164. 767 Vgl. Englisch, DStZ 1997, S. 779.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
Besteuerung von Kapitalgesellschaften und ihrer Anteilseigner. Vorliegend interessiert aber nur, welche Konsequenzen sich aus einer gleichheitsrechtlichen Verbindlichkeit des Gebots einer rechtsformneutralen Besteuerung für die intersubjektive Verlustverrechnung zwischen diesen beiden Ebenen ergeben würden. Dazu soll folgende Überlegung angestellt werden: Ein Steuerpflichtiger, der eine gewerbliche Tätigkeit aufnehmen will, steht vor der Wahl, ob er als Einzelunternehmer selbst als Träger des zu gründenden Unternehmens in Erscheinung treten will, oder ob er eine juristische Person, beispielsweise eine GmbH, zwischenschaltet. In diesem Fall ist die Kapitalgesellschaft Unternehmensträger, der Steuerpflichtige wiederum alleiniger Eigentümer der Kapitalgesellschaft. Wenn der Steuerpflichtige als Einzelunternehmer tätig wird, so ist es gleichheitsrechtlich geboten, dass er Verluste aus der gewerblichen Tätigkeit sowohl intra- als auch interperiodisch mit anderen positiven Einkünften verrechnen kann.768 Aus dem Gedanken der Rechtsformneutralität folgt daher auf den ersten Blick, dass diese Wertung auch dann gelten muss, wenn sich der Steuerpflichtige zur Erzielung der Leistungsfähigkeit einer Kapitalgesellschaft bedient. Demnach wäre es gleichheitsrechtlich geboten, dem Anteilseigner Verluste der Kapitalgesellschaft unmittelbar zuzurechnen und umgekehrt Verluste des Anteilseigners unmittelbar mit Gewinnen der Kapitalgesellschaft auszugleichen. Das Trennungsprinzip wäre, soweit es einer intersubjektiven Verlustverrechnung entgegensteht, als eine Durchbrechung des Grundsatzes der gleichmäßigen Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit anzusehen und daher gleichheitsrechtlich rechtfertigungsbedürftig. Eine solche Betrachtung griffe jedoch zu kurz. Wie die Anhänger des Gebots einer rechtsformneutralen Besteuerung einhellig betonen, verstoßen nur Belastungsunterschiede allein aufgrund der Rechtsform gegen Art. 3 Abs. 1 GG.769 Belastungsdifferenzen, die durch relevante zivilrechtliche Unterschiede der Rechtsformen begründet sind, stehen nicht in Widerspruch zur Forderung nach Rechtsformneutralität.770 Richtig verstanden müssen nach dem Grundsatz der Rechtsformneutralität vielmehr relevante Unterschiede zwischen den Rechtsformen auch steuerrechtlich abgebildet werden.771 Da768 Vgl. 2. Teil B. I. 1. a) aa) und II. 1. a) bb). 769 Vgl. Englisch, DStZ 1997, S. 782; Jachmann in: Pelka (Hrsg.), Europa- und verfassungsrechtliche Grenzen der Unternehmensbesteuerung (2000), S. 18 f.; Hey in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 166; Hennrichs/Lehmann, StuW 2007, S. 17. 770 Vgl. Hey in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 169; Hennrichs, StuW 2002, S. 202; Hüttemann in: Seeger (Hrsg.), Perspektiven der Unternehmensbesteuerung (2002), S. 139. 771 Vgl. Hey in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 181.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
her sei es zutreffender, statt von Rechtsformneutralität von Rechtsformgerechtigkeit zu sprechen.772 Eine rechtsformbezogene Ungleichbehandlung verstößt folglich nicht gegen das Gebot einer gleichmäßigen Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, wenn sie an einen für die Rechtsform typischen Sachverhalt anknüpft, der Ausdruck einer gesteigerten oder geminderten Leistungsfähigkeit ist.773 Dann liegt grundrechtsdogmatisch schon keine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung vor.774 Bezüglich des Ausschlusses der intersubjektiven Verlustverrechnung zwischen der Gesellschafts- und der Anteilseignerebene besteht große Einigkeit darüber, dass es sich nicht um eine Durchbrechung des Gebots der Rechtsformneutralität handelt, sondern die zutreffende – „rechtsformgerechte“ – steuerrechtliche Abbildung einer rechtsformtypischen Besonderheit.775 Als maßgebliches Kriterium wird dabei die fehlende persönliche Haftung des Anteilseigners für Verbindlichkeiten der Kapitalgesellschaften angeführt. Infolgedessen würden Verluste im Unternehmen, anders als im Falle einer unternehmerischen Tätigkeit mittels eines Einzelunternehmers oder einer Personengesellschaft, nicht zu einer Minderung der Leistungsfähigkeit der Anteilseigner führen. Deshalb sei die Beschränkung der Verlustverrechnung auf die Ebene der Kapitalgesellschaft Ausdruck einer gleichmäßigen Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und keine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung.776 Das einzige Modell einer rechtsformneutralen Besteuerung, das eine direkte Zurechnung von Gesellschaftsverlusten bei den Anteilseignern vorsieht, ist die sog. Teilhabersteuer. Nach diesem Konzept werden Kapitalgesellschaften wie Personengesellschaften als steuerlich transparent behandelt. Die Gewinne und Verluste auf Gesellschaftsebene werden unmittelbar dem Anteilseigner zugerechnet und bei diesem in die einkommensteuerliche Veranlagung 772 Vgl. Hey in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 169. 773 Vgl. Englisch, DStZ 1997, S. 782; Jachmann in: Pelka (Hrsg.), Europa- und verfassungsrechtliche Grenzen der Unternehmensbesteuerung (2000), S. 19 f.; Hey in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 168; Sieker in: Seeger (Hrsg.), Perspektiven der Unternehmensbesteuerung (2002), S. 153; Hennrichs, StuW 2002, S. 202; Hennrichs/Lehmann, StuW 2007, S. 17. 774 Vgl. Jachmann in: Pelka (Hrsg.), Europa- und verfassungsrechtliche Grenzen der Unternehmensbesteuerung (2000), S. 19 f. 775 Vgl. Englisch, DStZ 1997, S. 782; Jachmann in: Pelka (Hrsg.), Europa- und verfassungsrechtliche Grenzen der Unternehmensbesteuerung (2000), S. 36; Hey in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 193; Sieker in: Seeger (Hrsg.), Perspektiven der Unternehmensbesteuerung (2002), S. 174; Drüen, GmbHR 2008, S. 401. 776 Hey in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 193.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
einbezogen. Auf Gesellschaftsebene wird lediglich eine Quellensteuer erhoben, die auf die Einkommensteuerschuld des Anteilseigners angerechnet wird. Die Körperschaftsteuer wäre nach diesem Konzept somit in die Einkommensteuer integriert.777 Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Teilhabersteuer ist strittig. Nach der wohl überwiegenden Ansicht in der Literatur ist die Einführung einer Teilhaberbesteuerung nicht möglich, weil die auf der Ebene der Gesellschaft erzielten Gewinne vor ihrer Ausschüttung nicht zu einer Steigerung der Leistungsfähigkeit der Anteilseigner, sondern nur der Kapitalgesellschaft führen. Eine Teilhabersteuer würde daher auf der Ebene des Anteilseigners den Grundsatz der Belastungsgleichheit durchbrechen, indem sie beim Anteilseigner auf eine zum Zeitpunkt der Besteuerung – noch – nicht vorhandene Leistungsfähigkeit zugriffe.778 Auf diese Problematik muss jedoch hier nicht weiter eingegangen werden. Denn eines steht nach dem gegenwärtigen Stand der Grundrechtsdogmatik fest: selbst wenn man entgegen der Rechtsprechung des BVerfG davon ausgeht, dass sich aus Art. 3 Abs. 1 GG das Gebot der Rechtsformneutralität der Besteuerung ergibt, so wäre der Gesetzgeber verfassungsrechtlich jedenfalls nicht gezwungen, die Besteuerung von Kapitalgesellschaften auf das Modell einer Teilhaberbesteuerung umzustellen. Das ergibt sich schon daraus, dass auch noch andere Alternativen für die Verwirklichung von Rechtsformneutralität zur Verfügung stehen.779 Somit bleibt festzuhalten, dass auch aus der Perspektive der Anteilseigner keine gleichheitsrechtliche Notwendigkeit für eine intersubjektive Verlustverrechnung besteht.
777 Vgl. zum Konzept der Teilhabersteuer Hey in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 217 f.; Sieker in: Seeger (Hrsg.), Perspektiven der Unternehmensbesteuerung (2002), S. 158. 778 Vgl. Jachmann in: Pelka (Hrsg.), Europa- und verfassungsrechtliche Grenzen der Unternehmensbesteuerung (2000), S. 24; Hey in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 217 f.; Sieker in: Seeger (Hrsg.), Perspektiven der Unternehmensbesteuerung (2002), S. 163; Hennrichs, StuW 2002, S. 210. Von der Zulässigkeit einer Teilhabersteuer geht jedoch BFH v. 24.02.1999 - X R 171/96, BStBl. II 1999, S. 462 f. aus. 779 Beispielsweise eine Betriebsteuer, d.h. die Einbeziehung von Einzelunternehmen und Personengesellschaften in die Körperschaftsteuer, vgl. Hennrichs/Lehmann, StuW 2007, S. 21.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
cc) Verlustverrechnung im Konzern Unter einem Konzern versteht man den Zusammenschluss mehrerer rechtlich selbständiger Unternehmen zu einer wirtschaftlichen Einheit.780 Das deutsche Steuerrecht nimmt die wirtschaftliche Einheit Konzern nicht als Ganzes in den Blick. Ein Konzernsteuerrecht im eigentlichen Sinne existiert nicht. Steuerrechtssubjekte sind die einzelnen Kapitalgesellschaften,781 aus denen der Konzern aufgebaut ist. Insofern gilt entsprechend dem bisherigen Stand der Untersuchung, dass gleichheitsrechtlich auch innerhalb eines Konzerns eine intersubjektive Verlustverrechnung zwischen den Konzernunternehmen weder intraperiodisch noch im Fall der Rechtsnachfolge geboten ist. Die gleichheitsrechtliche Notwendigkeit einer intersubjektiven Verlustverrechnung im Konzern ließe sich nur dann begründen, wenn der Gesetzgeber dazu verpflichtet wäre, die juristische Betrachtung durch eine wirtschaftliche zu ersetzen, d.h. die wirtschaftliche Einheit des Konzerns höher zu gewichten als die rechtliche Selbständigkeit der einzelnen Konzerngesellschaften. (1) Verlustverrechnung im faktischen Konzern Dies ist zumindest für den faktischen Konzern zu verneinen. In einem faktischen Konzern wird die wirtschaftliche Einheit allein über Mehrheitsbeteiligungen hergestellt. Insofern unterscheidet sich der Konzernsachverhalt von der bereits untersuchten allgemeinen Frage der intersubjektiven Verlustverrechnung zwischen Gesellschafts- und Anteilseignerebene allenfalls durch eine größere Zahl an Beteiligungsebenen. Zum Teil wird sogar vertreten, dass aufgrund der Haftungssegmentierung im faktischen Konzern eine intersubjektive Verlustverrechnung nicht nur nicht geboten, sondern sogar unzulässig wäre.782 Dies erscheint zweifelhaft, bedarf aber vorliegend keiner näheren Untersuchung. Denn jedenfalls besteht im faktischen Konzern keine gleichheitsrechtliche Notwendigkeit für eine Durchbrechung des Grundsatzes der Individualbesteuerung durch eine intersubjektive Verlustverrechnung zwischen den Konzerngesellschaften. (2) Verlustverrechnung im Vertragskonzern Eine differenzierte Betrachtung ist hingegen im Falle eines Vertragskonzerns angebracht. Detaillierte Regelungen kennt das deutsche Recht insofern nur
780 Vgl. Komarek, Verlustberücksichtigung im nationalen und internationalen Konzern (1998), S. 9. 781 Personengesellschaften in der Konzernstruktur sind steuerlich transparent. 782 Vgl. Grotherr, FR 1995, S. 4.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
für den AG-Konzern. Entsprechende Gestaltungen sind jedoch auch im GmbH-Konzern möglich.783 Nach § 291 Abs. 1 S. 1 AktG kann eine Aktiengesellschaft durch den Abschluss eines Beherrschungsvertrags die Leitung ihrer Gesellschaft einem anderen Unternehmen unterstellen und sich durch einen Gewinnabführungsvertrag verpflichten, ihren ganzen Gewinn an ein anderes Unternehmen abzuführen. Aus dem Abschluss eines derartigen Unternehmensvertrags, der als gesellschaftsrechtlicher Organisationsvertrag mit satzungsgleicher Wirkung qualifiziert wird,784 folgt für den anderen Vertragsteil gemäß § 302 Abs. 1 AktG die Verpflichtung, jeden während der Vertragsdauer sonst entstehenden Jahresfehlbetrag auszugleichen. Durch die Verpflichtung zur Verlustübernahme wird die Haftungssegmentierung im Konzern aufgehoben. Die Verluste der Tochtergesellschaften schlagen auf die Muttergesellschaft durch. Somit kann gegen eine Zurechnung der Verluste der Tochtergesellschaften zur Muttergesellschaft nicht mehr eingewendet werden, die Leistungsfähigkeit der Muttergesellschaft wäre hierdurch nicht geschmälert. Besteht zudem auch noch ein Gewinnabführungsvertrag, so erscheint ein Abrücken von der juristischen Betrachtungsweise zwingend. Denn dies bedeutet, dass die beherrschte Gesellschaft verpflichtet ist, die gesamte von ihr erwirtschaftete Leistungsfähigkeit an ein anderes Unternehmen abzuführen. Die Kombination von Verpflichtung zur Gewinnabführung und Verlustübernahme führt dazu, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit komplett von einem Steuersubjekt zu einem anderen Steuersubjekt verlagert wird. Wenn der Gesetzgeber eine solche Möglichkeit gesellschaftsrechtlich zulässt, so muss er dem auch steuerrechtlich Rechnung tragen. Anderenfalls würde das Gebot einer leistungsfähigkeitsgerechten Besteuerung verfehlt. Der Grundsatz der Individualbesteuerung steht insofern jedenfalls nicht entgegen, da durch eine Ignorierung der wirtschaftlichen Realität im Vertragskonzern eine zutreffende Erfassung der individuellen Leistungsfähigkeit der Konzerngesellschaften gerade nicht gewährleistet würde. Allerdings ergibt sich auch aus diesem Befund letztlich keine gleichheitsrechtliche Notwendigkeit für eine intersubjektive Verlustverrechnung im Konzern. Zwar verlangt der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, dass den wirtschaftlichen Realitäten im Vertragskonzern auch steuerlich Rechnung zu tragen ist. Der verfassungsrechtliche Bogen würde jedoch 783 Vgl. Altmeppen in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz (2000), § 291 AktG Rn. 4 784 Bei derartigen Unternehmensverträgen handelt es sich um gesellschaftsrechtliche Organisationsverträge, die satzungsgleich den rechtlichen Status der beherrschten Gesellschaft ändern, vgl. Grotherr, FR 1995, S. 1.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
überspannt, wollte man aus Art. 3 Abs. 1 GG konkrete Vorgaben für die Ausgestaltung der Konzernbesteuerung ableiten wollen. Am vollständigsten würde der wirtschaftlichen Einheit des Konzerns dadurch Rechnung getragen, wenn der Gesetzgeber von der juristischen Betrachtungsweise abrückte und den Konzern selbst als Steuersubjekt qualifizierte.785 Die Konzernbemessungsgrundlage könnte dann aufgrund einer konzerninternen Ergebniskonsolidierung ermittelt werden, wodurch sich Gewinne und Verluste einzelner Konzerngesellschaften automatisch ausgleichen würden. Verschmelzungen und Spaltungen von Konzerngesellschaften könnten vorgenommen werden, ohne dass wegen des Endes der rechtlichen Existenz eines Steuersubjekts der Untergang von Verlusten drohte.786 Die damit verbundene Durchbrechung des Trennungsprinzips wäre aufgrund der aufgehobenen Haftungssegmentierung gerechtfertigt.787 Allerdings ist dies eben nur eine, und keineswegs eine gleichheitsrechtlich zwingende Möglichkeit für die Besteuerung von Konzernen.788 Eine leistungsfähigkeitskonforme Alternative, durch die den Gegebenheiten im Vertragskonzern Rechnung getragen würde, bestünde beispielsweise darin, die im Vertragskonzern erfolgenden Gewinnabführungen und Verlustübernahmen steuerlich anzuerkennen und jeweils als Betriebseinnahme des Empfängers und Betriebsausgabe des Leistenden zu erfassen.789 Dadurch würde der wirtschaftlichen Realität im Vertragskonzern Rechnung getragen, ohne dass der Grundsatz der Individualbesteuerung durchbrochen werden müsste. Als Ergebnis ist daher festzuhalten, dass auch im Konzern keine gleichheitsrechtliche Notwendigkeit einer intersubjektiven Verlustverrechnung besteht. d) Gewerbesteuerliche Verluste Im Gewerbesteuerrecht ist die Problematik der intersubjektiven Verlustverrechnung grundlegend anders gelagert als im Einkommen- und Körper785 Vgl. Krebühl, DStR 2001, S. 1733. 786 Vgl. dazu Rödder in: Seeger (Hrsg.), Perspektiven der Unternehmensbesteuerung (2002), S. 257. 787 Vgl. Grotherr, FR 1995, S. 4. 788 Gleichsinnig Schön, ZHR 2007, S. 417, der auch eine Konzernbesteuerung nach dem klassisches Körperschaftsteuersystem, d.h. mit strikter Trennung zwischen den Ebenen und Mehrfachbelastung des Gewinns, für mit dem Grundgesetz vereinbar hält. 789 Abweichend von den handelsrechtlichen Vorschriften, § 277 Abs. 3 S. 2 HGB, qualifiziert das Steuerrecht Gewinnabführung und Verlustübernahme als gesellschaftsrechtliche Vorgänge. Dementsprechend wird eine Gewinnabführung als Einkommensverwendung i. S. d. § 8 Abs. 3 KStG und eine Verlustübernahme als steuerlich unbeachtliche Einlage angesehen, vgl. Danelsing in: Blümich, KStG, § 14 Rn. 210.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
schaftsteuerrecht. Auch im Gewerbesteuerrecht ist Inhaber des Anspruchs auf gleichmäßige Belastung der jeweilige Grundrechtsträger, konkret die als Unternehmer zu qualifizierende natürliche Person, Personengesellschaft oder Kapitalgesellschaft. Steuergegenstand der Gewerbesteuer ist jedoch nicht der Gewinn aus Gewerbebetrieb des jeweiligen Unternehmers, sondern die objektivierte Ertragskraft des Gewerbebetriebs als Steuerobjekt.790 Bei der auch im Gewerbesteuerrecht gebotenen überperiodischen Betrachtung791 müssen zur Ermittlung der objektivierten Ertragskraft eines Gewerbebetriebs Verluste innerhalb der Totalperiode interperiodisch verrechnet werden können.792 Aufgrund des Objektsteuercharakters der Gewerbesteuer ist die Totalperiode eines Gewerbebetriebs jedoch unabhängig von der rechtlichen Existenz des Unternehmers als Steuersubjekt. Entscheidend ist vielmehr der unveränderte Fortbestand der Sachgesamtheit Gewerbebetrieb. Solange bei einem Wechsel des Unternehmensträgers die Unternehmensidentität gewahrt bleibt, wenn der Gewerbebetrieb also im Wesentlichen unverändert fortgeführt wird,793 ändert sich die objektivierte Ertragskraft der Sachgesamtheit Gewerbebetrieb nicht. Die interperiodische Verlustverrechnung im Wege des Verlustvortrags muss daher weiter möglich sein.794 Unabhängig davon ist die Frage zu beurteilen, ob es durch den Unternehmerwechsel gleichzeitig zu einem Fortfall der Unternehmensidentität kommt. Dies kann jedenfalls nicht generell unterstellt werden. Allenfalls bei sehr kleinen und vom Geschäftsmodell her auf die Person des Unternehmers zugeschnittenen Gewerbebetrieben kann ausnahmsweise davon ausgegangen werden, dass allein der Wechsel des Unternehmers die Unternehmensidentität entfallen lässt. Die gleichheitsrechtliche Notwendigkeit einer Fortführung des gewerbesteuerlichen Verlustvortrags bei Unternehmensidentität im Falle des Wechsels des Unternehmensträgers ergibt sich konkret daraus, dass es anderenfalls zu einer gleichheitssatzwidrigen Überbesteuerung des Rechtsnachfolgers käme. Da sich durch den Rechtsträgerwechsel nichts an der objektivierten Ertragskraft des Gewerbebetriebs ändert, wird die Gewerbesteuerbelastung des Rechtsnachfolgers aufgrund einer fiktiven, überhöhten Ertragskraft des Betriebs ermittelt, wenn der Rechtsträgerwechsel zu einem Untergang der Verlustvorträge führt.
790 791 792 793 794
Vgl. 1. Teil B. I. 3. und 2. Teil A. III: Vgl. 2. Teil B. II. 1. a) aa) (1). Vgl. 2. Teil B. II. 1. a) bb (2). Vgl. zum Erfordernis der Unternehmensidentität 1. Teil B. II. 3. a). In diesem Sinne auch Hey, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 117.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung Beispiel: A und B eröffnen jeweils ein Ladengeschäft mit fünf Angestellten. Am operativen Geschäft beteiligen sie sich nicht selbst. Fünf Jahre später verstirbt B plötzlich. Sein Ladengeschäft wird von seinem Alleinerben C unverändert fortgeführt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten beide Ladengeschäfte jeweils einen gewerbesteuerlichen (Anlauf-)Verlust i.H.v. 1.000.000 € erwirtschaftet. Da sie sich jedoch mittlerweile im Markt etabliert haben, erwirtschaften beide Ladengeschäfte in den folgenden drei Jahren jeweils einen Gewinn von 1.000.000 €. Bei überperiodischer Betrachtung beträgt die objektivierte Ertragskraft beider Gewerbebetriebe nach 8 Jahren Null Euro. Beim Ladengeschäfte des A wird dies auch zutreffend in der gewerbesteuerlichen Bemessungsgrundlage abgebildet, da der gewerbesteuerliche Verlust nach § 10a GewStG vorgetragen und mit den späteren Gewinnen verrechnet werden kann. Anders ist die Rechtslage de lege lata hinsichtlich des Ladengeschäfts des C. Obwohl die Unternehmensidentität beim Übergang des Ladengeschäfts von B auf C gewahrt bleibt und obwohl die objektive Ertragskraft derjenigen des Ladengeschäfts des A entspricht, wird der Gewinn der Gewerbesteuer unterworfen. Denn nach § 10a S. 7 i.V.m. § 2 Abs. 5 GewStG können die Verlustvorträge nicht berücksichtigt werden. Dadurch wird C in Durchbrechung der Belastungsgleichheit zu hoch besteuert.
Gleichheitsrechtlich ist es somit geboten, dass im Falle der Übertragung eines Gewerbebetriebs von einem Steuersubjekt auf ein anderes Steuersubjekt die dem Betrieb zuzuordnenden Verluste mit übergehen, sofern die Unternehmensidentität gewahrt bleibt. Wird dies nicht ermöglicht, so ist die daraus resultierende Durchbrechung der Belastungsgleichheit nur dann zulässig, wenn eine gleichheitsrechtliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlung möglich ist. 2. Freiheitsrechtliche Vorgaben Aus freiheitsrechtlicher Perspektive bestünde unter Umständen dann ein Gebot zur intersubjektiven Verlustverrechnung, wenn der Verlustvortrag bzw. das durch den Verlustvortrag verkörperte Steuerminderungspotential eine von Art. 14 GG geschützte Eigentumsposition wäre. Weiterhin könnte sich die Notwendigkeit einer intersubjektiven Verlustverrechnung aus der freiheitsrechtlichen Dimension des Gebots der Rechtsformneutralität sowie aus dem Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG ergeben. a) „Verlustvortrag“ als Eigentum i.S.v. Art. 14 GG? Die Notwendigkeit einer intersubjektiven Verlustverrechnung im Fall der Gesamtrechtsnachfolge wird zum Teil damit begründet, dass das in einem Verlustvortrag verkörperte Steuerminderungspotential in den Schutzbereich
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
des Art. 14 GG falle.795 Würden daher die Verluste des Erblassers im Erbfall nicht auf den Erben übergehen, so drohe ein enteignungsgleicher Eingriff in eine grundrechtlich geschützte Eigentumsposition.796 Der Eigentumsgarantie nach Art. 14 Abs. 1 GG kommt nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG im Gesamtgefüge der Grundrechte die Aufgabe zu, dem Träger des Grundrechts einen Freiraum im vermögensrechtlichen Bereich zu sichern und ihm dadurch eine eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens zu ermöglichen.797 Dementsprechend schützt die Eigentumsgarantie nicht nur das zivilrechtliche Sacheigentum, sondern grundsätzlich alle vermögenswerten Rechte, die dem Berechtigten von der Rechtsordnung in der Weise zugeordnet sind, dass dieser die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben darf.798 Als Begründung dafür, dass das durch einen Verlustvortrag verkörperte Steuerminderungspotential in den Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 GG fallen soll, wird vor allem angeführt, dass nach internationalen Rechnungslegungsstandards die aus einem Verlustvortrag voraussichtlich resultierende Minderung der Steuerlast in der Handelbilanz aktiviert werden kann.799 Nach US-GAAP müssen latente Steuern auf Verlustvorträge gemäß SFAS 109 als sog. „deferred tax assets“ aktiviert werden.800 Im Rahmen der 795 Vgl. Haarmann, Stbg 2001, S. 152; BFH v. 22.10.2003 - I ER -S- 1/03 (XI R 54/99), I ER -S- 1/03, BStBl. II 2004, S. 415. Dafür, dass das Steuerrecht den ökonomischen Wert des Verlusts anerkennen und deshalb einen Übergang auf den Erben zulassen sollte spricht sich auch Marx, DB 2001, S. 2365; Marx, FR 2005, S. 626. aus. Vgl für die Gegenansicht, wonach ein steuerlicher Verlust nicht als eine durch Art. 14 GG geschützte Position anzusehen ist beispielsweise BFH v. 11.02.1998 - I R 81/97, BStBl. II 1998, S. 485; BFH v. 27.01.2006 - VIII B 179/05, BFH/NV 2006, S. 1151; Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 61. 796 BFH v. 22.10.2003 - I ER -S- 1/03 (XI R 54/99), I ER -S- 1/03, BStBl. II 2004, S. 415. 797 Vgl. beispielsweise BVerfG v. 18.12.1968 - 1 BvR 638/64, 1 BvR 673/64, 1 BvR 200/56, 1 BvR 238/56, 1 BvR 249/56, BVerfGE 24, S. 389; BVerfG v. 18.01.2006 - 2 BvR 2194/99, BVerfGE 115, S. 110. 798 Vgl. BVerfG v. 08.06.1977 - 2 BvR 499/74, 2 BvR 1042/75, BVerfGE 45, S. 179; BVerfG v. 08.06.1977 - 2 BvR 499/74, 2 BvR 1042/75, BVerfGE 69, S. 300; BVerfG v. 08.10.1985 - 1 BvL 17/83, 1 BvL 19/83, BVerfGE 70, S. 285; BVerfG v. 31.03.1998 - 2 BvR 1877/97, 2 BvR 50/98, BVerfGE 97, S. 370 f.; BVerfG v. 18.01.2006 - 2 BvR 2194/99, BVerfGE 115, S. 110. 799 Vgl. dazu Kaeser in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 116 f.; Herzig in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 50. 800 FAS 109-4: „A deferred tax asset is recognized for temporary differences that will result in deductible amounts in future years and for carryforwards [Hervorh. d. Verf.]“.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
IFRS ergibt sich das Gebot zur Aktivierung des Steuerminderungspotentials von Verlustvorträgen aus IAS 12.34.801 Ob auch § 274 Abs. 2 HGB a.F. in diesem Fall den Ansatz einer Bilanzierungshilfe für aktive latente Steuern erlaubt, war hingegen strittig.802 Nach dem BilMoG ergibt sich nunmehr ausdrücklich aus § 274 Abs. 1 S. 4 HGB, dass Verlustvorträge bei der Berechnung der aktiven latenten Steuern zu berücksichtigen sind. Zutreffend ist, dass dem in einem Verlustvortrag verkörperten Steuerminderungspotential ein ökonomischer Wert zukommen kann.803 Wer aus diesem Umstand Vorgaben für die Verlustverrechnung ableiten will, übersieht jedoch, dass der ökonomische Wert des Verlustvortrags seinerseits von der konkreten Ausgestaltung der Verlustverrechnung abhängt. Es liegt also ein klassischer Zirkelschluss vor.804 Der 1. Senat des BFH unterliegt insofern einem Irrtum, wenn er dem Verlustvortrag ungeachtet seiner steuerlichen Abzugsfähigkeit einen wirtschaftlichen Wert beimessen will und eine handelsrechtliche Aktivierbarkeit für möglich hält.805 Sowohl nach FAS 109-4 als auch nach IAS 12.34 und nach § 274 HGB darf eine Aktivierung nur soweit erfolgen, als eine künftige Steuerminderung infolge der Verlustvorträge wahrscheinlich ist.806 Ändern sich die Umstände dahingehend, dass eine Verlustnutzung unwahrscheinlich wird, müssen die entsprechenden Bilanzposten aufgelöst werden.807 Dieser Zusammenhang gilt auch für die Frage der Vererblichkeit von Verlusten. Wie der 11. Senat des BFH zutreffend ausge801 IAS 12.34: „Ein latenter Steueranspruch für den Vortrag noch nicht genutzter steuerlicher Verluste und noch nicht genutzter Steuergutschriften ist in dem Umfang zu bilanzieren, in dem es wahrscheinlich ist, dass zukünftiges zu versteuerndes Ergebnis zur Verfügung stehen wird, gegen das die noch nicht genutzten steuerlichen Verluste und noch nicht genutzten Steuergutschriften verwendet werden können.“ 802 Vgl. dazu Reiner in: Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch (2008), § 274 Rn. 36 m.w.N. 803 Vgl. dazu Kußmaul/Zabel, BB 2007, S. 971. So auch BFH Großer Senat v. 17.12.2007 - GrS 2/04, BFH/NV 2008, S. 654. 804 So auch BFH Großer Senat v. 17.12.2007 - GrS 2/04, BFH/NV 2008, S. 654; Heinrich in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 145; Dötsch, DStR 2008, S. 641. 805 Vgl. BFH v. 22.10.2003 - I ER -S- 1/03 (XI R 54/99), I ER -S- 1/03, BStBl. II 2004, S. 414: „Denn wirtschaftlich gesehen tritt der eingetretene Verlust in Gestalt der Minderung künftiger Steuerzahlungen (= Steuereffekte aus Verlustvorträgen; latente Erstattungsansprüche) ungeachtet seiner steuerlichen Abzugsfähigkeit [Hervorh. d. Verf.] in künftigen Jahren nach Maßgabe der anzuwendenden steuerlichen Vorschriften (§ 10d EStG) durchaus als selbständige quantifizierbare Größe in Erscheinung. Er erfüllt u.U. sogar die Voraussetzungen für eine (handels-)bilanzielle Aktivierung der durch ihn ausgelösten latenten Steuern beim Erblasser“. 806 Nach § 274 Abs. 1 S. 4 HGB ist der Prognosezeitraum auf 5 Jahre begrenzt. 807 Vgl. Zwirner/Künkele, IRZ 2009, S. 183 f.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
führt hat, ist der ökonomische Wert von nicht genutzten Verlusten des Erblassers im Zeitpunkt des Erbfalls ohne Vererblichkeit gleich Null.808 Dass aus der handelsrechtlichen Aktivierbarkeit latenter Steuern keine Vorgaben für die Ausgestaltung des Steuerrechts abgeleitet werden können, verdeutlicht auch folgendes Gedankenexperiment: Der Wert des in einem Verlustvortrag verkörperten Steuerminderungspotentials hängt nicht nur von der rechtlichen Möglichkeit zur Verwertung und der Wahrscheinlichkeit künftiger Gewinne ab. Für den Entlastungseffekt ist auch maßgeblich, wie hoch der Steuersatz ist, mit dem die künftigen Gewinne ohne Verlustverrechnung belastet würden. Je höher der Steuersatz, desto höher ist auch das Steuerminderungspotential der Verluste.809 Unterstellte man, der Steuersatz würde auf 0 % gesenkt, so käme den Verlustvorträgen keinerlei Steuerminderungspotential mehr zu. Diejenigen, die in den Verlustvorträgen eine von Art. 14 GG geschützte Rechtsposition erblicken, müssten dann konsequenterweise eine Entschädigungspflicht des Staates annehmen, weil er durch die Steuersenkung einen enteignungsgleichen Eingriff vorgenommen und die Vermögensposition „Steuerminderungspotential“ zerstört hat. Auch der Umstand, dass das BVerfG den Anspruch auf Erstattung zuviel gezahlter Steuern als von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentumsposition qualifiziert hat,810 führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Wenn ein Steuerpflichtiger eine zu hohe Steuervorauszahlung leistet, so hat er mit Entstehung des Steueranspruchs einen unbedingten Anspruch auf Erstattung der Differenz. Wird dem Steuerpflichtigen diese sichere Position entzogen, so liegt in der Tat ein Eingriff in eine von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition vor. Demgegenüber kann ein Verlustvortrag als aufschiebend bedingter Einkommensteuerminderungsanspruch charakterisiert werden.811 Aufschiebende Bedingung ist zumindest de lege lata die Entstehung positiver Einkünfte bis zum Ende der Totalperiode. Da diese Eigenschaft dem Verlustvortrag von vornherein anhaftet, bedeutet es keine Beeinträchtigung des Schutzbereichs von Art. 14 Abs. 1 GG, wenn die Bedingung nicht eintritt und sich Verlustvortrag letztendlich als wertlos erweist. Im Ergebnis ergibt sich aus der Eigentumsgarantie, Art. 14 Abs. 1 GG, somit kein verfassungsrechtliches Gebot, am Ende der Totalperiode nicht genutzte Verluste auf den Rechtsnachfolger übergehen zu lassen.
808 BFH v. 28.07.2004 - XI R 54/99, BStBl. II 2005, S. 267 f. 809 Vgl. Kaeser in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 117. 810 Vgl. BVerfG v. 08.10.1985 - 1 BvL 17/83, 1 BvL 19/83, BVerfGE 70, S. 285. 811 BFH Großer Senat v. 17.12.2007 - GrS 2/04, BFH/NV 2008, S. 654
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
b) Freiheitsrechtliche Dimension der Rechtsformneutralität Der Grundsatz einer rechtsformneutralen Besteuerung wird nicht nur aus Art. 3 Abs. 1 GG, sondern daneben auch aus Art. 12 bzw. 14 GG hergeleitet. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass diese Grundrechte die Freiheit des Unternehmers schützen, die Rechtsform eines Unternehmens autonom zu wählen und zu ändern.812 Belastungsunterschiede zwischen verschiedenen Rechtsformen sollen diese Freiheit beeinträchtigen, indem sie die Rechtsformentscheidung verzerren und so die ökonomische Handlungsfreiheit reduzieren.813 Nach einer anderen Ansicht soll sich das Gebot der Rechtsformneutralität zudem aus Art. 9 Abs. 1 GG ergeben, da die negative Vereinigungsfreiheit davor schütze, vom Steuerrecht in eine bestimmte Rechtsform gedrängt zu werden.814 Übertragen auf die Verlustverrechnung würde dies bedeuten, dass unterschiedliche Verlustverrechnungsregelungen freiheitsrechtlich dann problematisch sein könnten, wenn sie die Freiheit der Rechtsformwahl zu stark beeinflussen. Insofern läge allerdings allenfalls ein mittelbarer Grundrechtseingriff vor, da auf die Freiheit des Grundrechtsträgers nicht mit Gebot oder Zwang, sondern nur durch das Setzen von Anreizen eingewirkt wird. Daher stellt sich die wohl nur im konkreten Einzelfall zu beantwortende Frage, ab wann die Willensbeeinflussung so stark ist, dass die Schwelle zu einem Freiheitseingriff überschritten wird.815 Insgesamt ist dieser Ansatz für die Ableitung verbindlicher Vorgaben für die intersubjektive Verlustverrechnung daher nicht ergiebig. Denn eine Rechtsformentscheidung ist neben den Verlustverrechnungsmöglichkeiten von einer Vielzahl steuerlicher und außersteuerlicher Faktoren abhängig. Das lässt es sehr fraglich erscheinen, ob allein von Verlustverrechnungsbeschränkungen eine Willensbeeinflussung ausgehen kann, die als Freiheitseingriff angesehen werden kann. Dies könnte man wohl nur im Hinblick auf die Konzernbesteuerung ernsthaft in Erwägung ziehen, da hier das Fehlen einer konzerninternen Verlustverrechnungsmöglichkeit einen starken Anreiz zur Konzentration bedeutet.816 812 Vgl. Drüen, GmbHR 2008, S. 397. 813 Vgl. Drüen, GmbHR 2008, S. 397. 814 So Kirchhof, Besteuerung im Verfassungsstaat (2000), S. 62. Diese Ansicht ist jedoch überwiegend auf Ablehnung gestoßen, vgl. beispielsweise Drüen, GmbHR 2008, S. 397. 815 Vgl. zu dieser Problematik bereits 2. Teil A. I. 2. 816 Vgl. Sigloch, StuW 1990, S. 234. Im Übrigen wurde bereits dargelegt, dass die Differenzierungen hinsichtlich der Verlustverrechnung zwischen Einzelunternehmen und Personengesellschaften auf der einen und Kapitalgesellschaften auf der anderen Seite sachgerecht sind, da sie an rechtsformspezifische Besonderheiten anknüpfen. Daher
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
c) Schutz von Ehe und Familie, Art. 6 Abs. 1 GG Laut Art. 6 Abs. 1 GG stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Diese Schutzwirkung entfaltet sich auf mehreren Ebenen. Als klassisches Abwehrrecht schützt Art. 6 Abs. 1 GG freiheitsrechtlich vor staatlichen Eingriffen in die Ehe.817 Mit umfasst von dieser Schutzwirkung ist das Recht zur autonomen Ausgestaltung des Zusammenlebens in der Ehe.818 Als „wertentscheidende Grundsatznorm“819 verbietet Art. 6 Abs. 1 GG darüber hinaus Benachteiligungen von Ehe und Familie, enthält also einen besonderen Gleichheitssatz.820 Zugleich folgt aus der grundgesetzlichen Wertentscheidung, dass Ehe und Familie zu schützen und zu fördern sind.821 Schließlich sichert Art. 6 Abs. 1 GG als Institutsgarantie den Bestand der Ehe als Institution.822 Welche Vorgaben sich diesem äußerst vielschichtigen Grundrecht für die Besteuerung von Ehe und Familie ableiten lassen, ist umstritten. Fest steht lediglich, dass der Gesetzgeber an die Existenz von Ehe und Familie keine steuerlich nachteiligen Rechtsfolgen knüpfen darf.823 Im Mittelpunkt der teilweise ideologisch aufgeladenen Debatte steht dabei die Frage, ob das Ehegattensplitting in seiner gegenwärtigen Form verfassungsrechtlich geboten, nur verfassungsrechtlich zulässig oder sogar verfassungswidrig ist.824 Im Rahmen dieser Untersuchung ist diese Frage deshalb von Interesse, weil das Ehegattensplitting das einzige relevante Beispiel einer gesetzlich geregelten intersubjektiven Verlustverrechnung im EStG darstellt. An dieser Stelle muss nicht auf alle Aspekte der Debatte sowie auf die Vielzahl der diskutierten Modelle für eine Reform der Familienbesteuerung ein-
817 818 819 820
821 822 823 824
würde im Gegenteil das Ignorieren dieser Besonderheiten die Rechtsformneutralität verletzen, vgl. 2. Teil B. III. c). Vgl. Mellinghoff in: Lang (Hrsg.), Grundrechtsschutz im Steuerrecht (2001), S. 42; Di Fabio, NJW 2003, S. 994. BVerfG v. 03.11.1982 - 1 BvR 620/78, 1 BvR 1335/78, 1 BvR 1104/79, 1 BvR 363/80, BVerfGE 61, S. 347; Winhard, DStR 2006, S. 1730. BVerfG v. 17.01.1957 - 1 BvL 4/54, BVerfGE 6, S. 71; BVerfG v. 03.11.1982 - 1 BvR 620/78, 1 BvR 1335/78, 1 BvR 1104/79, 1 BvR 363/80, BVerfGE 61, S. 343. Vgl. Schön in: Herzig/Günkel/Niemann (Hrsg.), Steuerberater-Jahrbuch 1998/99 (1999), S. 59; Kirchhof, Besteuerung im Verfassungsstaat (2000), S. 63; Di Fabio, NJW 2003, S. 994; Waldhoff, Verw 2008, S. 262. Vgl. Mellinghoff in: Lang (Hrsg.), Grundrechtsschutz im Steuerrecht (2001), S. 42; Di Fabio, NJW 2003, S. 994; Winhard, DStR 2006, S. 1730. Vgl. Mellinghoff in: Lang (Hrsg.), Grundrechtsschutz im Steuerrecht (2001), S. 42; Winhard, DStR 2006, S. 1730. Bley/Heße, JA 2001, S. 907. Vgl. zum Meinungsstand Kirchhof, ZRP 2003, S. 75 m.w.N.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
gegangen werden. Denn die Problematik der intersubjektiven Verlustverrechnung zwischen den Ehegatten lässt sich auf eine relativ einfache Formel bringen. Wenn Art. 6 Abs. 1 GG die Ehe als eine Erwerbsgemeinschaft der Ehegatten schützt, dann ist es verfassungsrechtlich geboten, für die Besteuerung das Gesamteinkommen beider Ehegatten in den Blick zu nehmen. Daraus ergäbe sich wie bisher ein automatischer intersubjektiver Verlustausgleich zwischen den Ehegatten. Dem steht nicht entgegen, dass eine Haushaltsbesteuerung, bei der das zusammengefasste Einkommen der Ehegatten unmittelbar dem progressiven Tarif unterworfen wird, wegen der damit verbundenen Progressionsnachteile unzulässig ist.825 Es muss lediglich sichergestellt werden, dass dieser Effekt durch geeignete Maßnahmen wie den gegenwärtigen Splittingtarif kompensiert wird. Versteht man dagegen die Ehe, ebenso wie die Beziehung der Eltern zu ihren Kindern,826 als eine Unterhaltsgemeinschaft, dann ist eine Zusammenfassung der Ehegatteneinkünfte und damit ein intersubjektiver Verlustausgleich verfassungsrechtlich nicht geboten. Lediglich die Unterhaltsbeziehungen zwischen den Ehegatten müssten steuerlich nachvollzogen werden, beispielsweise indem der eheinterne Unterhalt beim Leistenden die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage mindert und beim Empfänger der Einkommensteuer unterworfen wird.827 In Anbetracht der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse innerhalb der Ehe sprechen die besseren Gründe dafür, mit dem BVerfG und der wohl h.M. in der Literatur die Ehe als eine Erwerbsgemeinschaft zu qualifizieren828 und damit einen intersubjektiven Verlustausgleich als verfassungsrechtlich geboten anzusehen. Dies folgt vor allem aus der abwehrrechtlichen Dimension des Art. 6 Abs. 1 GG. Nur wenn die Besteuerung der Eheleute unabhängig davon ist, wie sich das Einkommen auf beide Ehegatten verteilt, wird ihre durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Freiheit, die Rollenverteilung innerhalb der Ehe autonom festzulegen, nicht durch steuerliche Anreize verzerrt.829 Dies setzt voraus, dass die von den Ehegatten erzielten Einkünfte
825 Vgl. BVerfG v. 17.01.1957 - 1 BvL 4/54, BVerfGE 6, 55. 826 BVerfG v. 03.11.1982 - 1 BvR 620/78, 1 BvR 1335/78, 1 BvR 1104/79, 1 BvR 363/80, BVerfGE 61, S. 348. 827 Vgl. dazu Winhard, DStR 2006, S. 1731 m.w.N. 828 Vgl. Kirchhof, StuW 2002, S. 9; Kirchhof, BB 2006, S. 75; Jachmann, BB 2008, S. 591. 829 BVerfG v. 03.11.1982 - 1 BvR 620/78, 1 BvR 1335/78, 1 BvR 1104/79, 1 BvR 363/80, BVerfGE 61, S. 347; Müller-Franken, StuW 2004, S. 117; Winhard, DStR 2006, S. 1731; Jachmann, BB 2008, S. 591.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
nicht einzeln, sondern in ihrer Gesamtheit – unter Vermeidung von Progressionsnachteilen – der Besteuerung unterworfen werden.830 3. Zusammenfassung: Verfassungsrechtliche Vorgaben für die intersubjektive Verlustverrechnung Eine intersubjektive Verlustverrechnung ist im Bereich der Einkommensteuer nur zwischen Ehegatten aufgrund der Wertung des Art. 6 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geboten. Für die Körperschaftsteuer lässt sich die Notwendigkeit einer intersubjektiven Verlustverrechnung verfassungsrechtlich nicht begründen. Der Gesetzgeber muss zwar den wirtschaftlichen Verhältnissen in einem Vertragskonzern Rechnung tragen. Eine intersubjektive Verlustverrechnung ist hierfür jedoch verfassungsrechtlich nicht zwingend erforderlich. Im Gewerbesteuerrecht ist eine intersubjektive Verlustverrechnung aufgrund des Objektsteuercharakters der Gewerbesteuer verfassungsrechtlich dann geboten, wenn lediglich der Unternehmensträger wechselt, die Unternehmensidentität jedoch gewahrt bleibt.
IV.
Zusammenfassung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Verlustverrechnung
Die Untersuchung hat ergeben, dass für die einzelnen Dimensionen der Verlustverrechnung und zum Teil auch für die einzelnen untersuchten Steuerarten unterschiedliche verfassungsrechtliche Vorgaben für die Ausgestaltung der Verlustverrechnung bestehen. Intra- und interperiodisch ist bei den drei untersuchten Ertragsteuerarten im Ausgangspunkt eine unbeschränkte Verlustverrechnung geboten. Im Rahmen der Einkommen- und Körperschaftsteuer bezieht sich das Gebot der unbeschränkten Verlustverrechnung auf die Gesamteinkünfte eines Steuersubjekts, im Rahmen der Gewerbesteuer auf den Ertrag eines Gewerbebetriebs. Sollte im Rahmen der Einkommensteuer über die bestehenden Ansätze hinaus ein genereller Systemwechsel hin zu einer Schedulenbesteuerung erfolgen, so müsste grundsätzlich auch zwischen den Schedulen ein Verlustausgleich ermöglicht werden. Durch Beschränkungen der intra- und interperiodischen Verlustverrechnung wird vom Grundsatz der gleichmäßigen Belastung aller Steuerpflichtigen nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit abgewichen. Entsprechende Vorschriften sind nur dann mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie einem besonderen sachlichen Grund dienen, ein Min830 So beispielsweise auch Mellinghoff in: Lang (Hrsg.), Grundrechtsschutz im Steuerrecht (2001), S. 63; Wendt in: Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion (1995), S. 63.
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Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
destmaß an zweckgerechter Ausgestaltung aufweisen und sich im Rahmen einer zulässigen Typisierung halten. Im Hinblick auf den durch die Ertragsbesteuerung bewirkten Eingriff in Art. 14 GG müssen Verlustverrechnungsbeschränklungen zudem einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten. Bezogen auf die intraperiodische Verlustverrechnung können nur spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen831 den verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht werden. Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen832 sind hingegen wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich generell unzulässig. Im Rahmen der Einkommensteuer folgt aus dem Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums zudem, dass intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkungen nicht dazu führen dürfen, dass dem Steuerpflichtigen nach Saldierung aller positiven und negativen Einkunftsquellenergebnisse und dem Abzug der Steuerlast weniger als das Existenzminimum verbleibt. Im Rahmen der interperiodischen Verlustverrechnung sind dagegen neben speziellen Verlustverrechnungsbeschränkungen unter bestimmten Voraussetzungen auch allgemeine Einschränkungen der Verlustverrechnung verfassungsrechtlich zulässig. Insofern muss zwischen Verlustvortrag und Verlustrücktrag differenziert werden. Zeitliche oder betragsmäßige Beschränkungen des Verlustvortrags können verfassungsrechtlich nicht gerechtfertig werden und sind daher generell unzulässig. Demgegenüber kann der Verlustrücktrag sowohl in zeitlicher als auch in betraglicher Hinsicht zur Wahrung der Rechtssicherheit, zur typisierenden Verwaltungsvereinfachung sowie im Hinblick auf die Erfordernisse einer geordneten Haushaltsplanung beschränkt werden. Eine intersubjektive Verlustverrechnung ist verfassungsrechtlich hingegen grundsätzlich nicht geboten. Eine Ausnahme bildet die Verlustverrechnung zwischen Ehegatten bei Zusammenveranlagung, die sich aus der der Wertung des Art. 6 Abs. 1 GG ergibt. Ferner sind gewerbesteuerliche Verluste aufgrund des Objektsteuercharakters der Gewerbesteuer dann intersubjektiv zu berücksichtigen, wenn bei einem Wechsel des Unternehmensträgers die Unternehmensidentität gewahrt bleibt.
831 Vgl. zum Begriff der „speziellen Verlustverrechnungsbeschränkung“ 1. Teil A. III. 1. 832 Vgl. zum Begriff der „allgemeinen Verlustverrechnungsbeschränkung“ 1. Teil A. III. 2.
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Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
Intraperiodische Verlustverrechnung
Interperiodische Verlustverrechnung
- Ausgangspunkt: verfassungs- - Ausgangspunkt: verfassungs- rechtliches Gebot einer umfasrechtliches Gebot einer umfassenden Verlustverrechnung senden Verlustverrechnung - Spezielle Verlustverrechungs- - Spezielle Verlustverrechnungs- beschränkungen können zur beschr.: unter gleichen Vss. zuVerfolgung legitimer Lenlässig wie intraperiodisch kungszwecke zulässig sein - Allgemeine Verlustverrech- Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen: nungsbeschränkungen sind o Verlustrücktrag: Zeitliche und/oder betragsmäßige Begenerell unzulässig schränkung zulässig o Verlustvortrag: Zeitliche und betragsmäßige Beschränkung generell unzulässig
Intersubjektive Verlustverrechnung Grundsätzlich keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer Verlustverrechnung Ausnahmen: o Intersubj. Verlustverrechnung zwischen Ehegatten bei Zusammenveranlagung wegen Art. 6 Abs. 1 GG o Intersubj. Berücksichtigung gewst. Verluste bei Wechsel des Unternehmensträgers unter Wahrung der Unternehmensidentität
Abbildung 26 Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Verlustverrechnung
315
3. Teil: Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege ferenda Im ersten und zweiten Teil der Untersuchung wurden der Ist-Zustand des Verlustverrechnungssystems im deutschen Steuerrecht skizziert und die verfassungsrechtlichen Vorgaben für seine Ausgestaltung konkretisiert. Darauf aufbauend ist der abschließende dritte Teil der Arbeit der Frage gewidmet, wie das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege ferenda ausgestaltet werden sollte. Hierfür ist es zunächst erforderlich, die Konsequenzen aus den ermittelten verfassungsrechtlichen Restriktionen zu ziehen. Die geltenden Regelungen zur Verlustverrechnung können nur Bestand haben, wenn und soweit sie mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben in Einklang stehen. Daher wird zunächst untersucht, welche Modifikationen des bestehenden Verlustverrechnungssystems erforderlich sind, damit dessen Verfassungskonformität gewährleistet ist. Das Verfassungsrecht bildet zwar einen zwingenden Rahmen. Es ist aber nicht das einzige Kriterium, das bei Ausgestaltung der Verlustverrechnung berücksichtigt werden sollte. Bei der Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben verbleibt dem Gesetzgeber ein beachtlicher Spielraum. Dieser sollte in einer Weise genutzt werden, der der deutschen Volkswirtschaft zum größtmöglichen Nutzen gereicht. Daher wird im Anschluss an die verfassungsrechtliche Würdigung der bestehenden Verlustverrechnungsregelungen dargestellt, wie innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens ein ökonomisch möglichst rationales System der Verlustverrechnung verwirklicht werden könnte. Zum Abschluss der Untersuchung sollen die verfassungsrechtlichen und ökonomischen Vorgaben für die Verlustverrechnung in einem Vorschlag für eine Neugestaltung des Systems der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht zusammengefasst werden.
A. Anpassungsbedarf an die verfassungsrechtlichen Vorgaben Zur Darstellung der notwendigen Modifikationen des Systems der Verlustverrechnung zur Anpassung an die verfassungsrechtlichen Vorgaben wird an die im ersten Teil der Untersuchung herausgearbeitete Struktur angeknüpft. Es wird daher zunächst auf die Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten eingegangen, wobei zwischen der intra- und interperiodischen sowie der in317
Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege ferenda
tersubjektiven Verlustverrechnung differenziert wird. Im Anschluss daran werden die Besonderheiten im Rahmen der grenzüberschreitenden Verlustverrechnung dargestellt. I. Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten 1. Intraperiodische Verlustverrechnung Im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die intraperiodische Verlustverrechnung besteht de lege ferenda vor allem bei der einkommensteuerlichen Verlustverrechnung Anpassungsbedarf. Demgegenüber steht die Ausgestaltung der intraperiodischen Verlustverrechnung im Rahmen der Körperschaft- und Gewerbesteuer bereits de lege lata mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben in Einklang. a) Einkommensteuer Entsprechend dem Ziel der Untersuchung, zukunftsgerichtet die Perspektiven für eine Weiterentwicklung des Systems der Verlustverrechnung aufzuzeigen, werden nachfolgend die bestehenden Verlustverrechnungsbeschränkungen daraufhin untersucht, ob sie grundsätzlich mit den im zweiten Teil erörterten verfassungsrechtlichen Vorgaben in Einklang stehen. Eine umfassende verfassungsrechtliche Würdigung der Vorschriften im Hinblick auf sonstige Aspekte, die eine Verfassungswidrigkeit begründen könnten,1 erfolgt nicht. In einem ersten Schritt wird geprüft, inwieweit die einzelnen Verlustverrechnungsbeschränkungen mit den verlustverrechnungsspezifischen Vorgaben des allgemeinen Gleichheitssatzes, Art. 3 Abs. 1 GG, sowie der Eigentumsgarantie, Art. 14 Abs. 1 GG, vereinbar sind. Anschließend wird normübergreifend untersucht, wie sichergestellt werden kann, dass intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkungen nicht zu einer Besteuerung des Existenzminimums führen. aa) Spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen Wie sich bei der Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Verlustverrechnung ergeben hat, ist grundsätzlich eine unbeschränkte intraperiodische Verlustverrechnung geboten.2 Allerdings konnte auch gezeigt werden, dass spezielle Beschränkungen der intraperiodischen Verlustverrechnung einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung zugänglich sind.3 1 2 3
Beispielsweise formelle Verfassungsmäßigkeit, Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgrundsatz, etc. Vgl. 2. Teil B. I. 1. a). Vgl. 2. Teil B. I. 1. b) aa).
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Anpassungsbedarf an die verfassungsrechtlichen Vorgaben
Gleichheitsrechtlich genügt es insofern, wenn sich der Gesetzgeber auf einen besonderen sachlichen Grund berufen kann, die Regelung ein Mindestmaß an zweckgerechter Ausgestaltung aufweist und die Grenzen zulässiger Typisierung nicht überschreitet. Im Hinblick auf den Eingriff in Art. 14 GG müssen Beschränkungen der intraperiodischen Verlustverrechnung zudem einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten.4 Ein Zwang zur Anpassung der bestehenden Regelungen zur intraperiodischen Verlustverrechnung an die verfassungsrechtsrechtlichen Vorgaben besteht nur, soweit eine Rechtfertigung nicht gelingt. Nachfolgend wird überprüft, inwieweit die existierenden speziellen Verlustverrechnungsbeschränkungen diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen. (1) Verluste aus stillen Gesellschaften, Unterbeteiligungen oder sonstigen Innengesellschaften an Kapitalgesellschaften5 Mit der Einführung der Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG bezweckte der Gesetzgeber, die Abschaffung der Mehrmütterorganschaft gegen mögliche Umgehungsstrategien abzusichern. Es handelt sich somit um eine spezielle Missbauchsvermeidungsvorschrift. Wie bereits gezeigt wurde,6 stellen derartige Vorschriften nicht per se eine Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips dar. Wenn sie sich darauf beschränken, die Belastungsentscheidung der umgangenen Norm durchzusetzen, verwirklichen sie das Leistungsfähigkeitsprinzip im Gegenteil erst. § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG fällt jedoch ganz eindeutig nicht in diese Kategorie. Mittels einer Mehrmütterorganschaft konnten Verluste einer Kapitalgesellschaft einer anderen – nicht mehrheitlich beteiligten – Kapitalgesellschaft anteilig zugerechnet werden. Eine Regelung, die lediglich die Rechtslage ohne die befürchtete missbräuchliche Gestaltung wieder herstellen wollte, müsste daher den Verlustanteil der still beteiligten Kapitalgesellschaft der hauptbeteiligten Kapitalgesellschaft zurechnen. Denn wäre nicht der Versuch unternommen worden, diese Verluste mittels einer Innengesellschaft auf eine andere Gesellschaft zu verlagern, so wären sie bei der hauptbeteiligten Kapitalgesellschaft verblieben und hätten von dieser genutzt werden können. Stattdessen ordnet § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG die Verluste zwar der still beteiligten Kapitalgesellschaft zu, unterwirft sie bei dieser jedoch einer Verlustverrechnungsbeschränkung auf die Einkunftsquelle. Hierdurch wird vom Grundsatz der Belastungsgleichheit in rechtfertigungsbedürftiger Weise abgewichen.
4 5 6
Vgl. 2. Teil B. I. 1. b) aa) (2) und 2. a) bb) (1) Vgl. 1. Teil B. 1. a) aa) (1). Vgl. 2. Teil A. 1. b) bb) (4).
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege ferenda
(a) Gleichheitsrechtliche Würdigung § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG durchbricht das objektive Nettoprinzip und führt zu einer rechtfertigungsbedürftigen Ungleichbehandlung.7 Die Norm ist als Lenkungsnorm mit der Zielsetzung der Missbrauchsbekämpfung zu qualifizieren. Sie macht ein Verhalten, dass nach Ansicht des Gesetzgebers anfällig für missbräuchliche Gestaltungen ist, steuerlich weniger attraktiv. Grundsätzlich stellt die Bekämpfung missbräuchlicher Gestaltungen einen besonderen sachlichen Grund dar, der eine Durchbrechung der Belastungsgleichheit rechtfertigen kann.8 Ob dies auch bei § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG der Fall ist, ist in zweifacher Hinsicht zweifelhaft. Zum einen stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber bei der Schaffung der Vorschrift das erforderliche Mindestmaß an zweckgerechter Ausgestaltung des Tatbestandes gewahrt hat.9 Zum anderen könnte § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG die Grenzen einer zulässigen Typisierung überschreiten.10 Ein Mindestmaß an zweckgerechter Ausgestaltung des Tatbestandes wäre dann zu verneinen, wenn eine Innengesellschaft an einer Kapitalgesellschaft nicht für eine Umgehung der Abschaffung der Mehrmütterorganschaft in Frage kommt und somit die vom Gesetzgeber befürchtete Missbrauchsgefahr gar nicht besteht. In der Literatur werden tatsächlich Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG damit begründet, dass mittels einer stillen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft kein der Mehrmütterorganschaft vergleichbares steuerliches Ergebnis zu erreichen sei.11 Dies ist im Ausgangspunkt zutreffend. Es besteht ein erheblicher qualitativer Unterschied zwischen einer Organschaft und der von § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG erfassten stillen Beteiligung. Im Rahmen einer Organschaft werden dem Organträger fremde Gewinne oder Verluste in unbegrenzter Höhe zugerechnet. Stille Gesellschafter erzielen hingegen eigene Gewinne bzw. Verluste. Vor allem aber könnten Verluste aus der stillen Beteiligung auch ohne § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG nur bis zur Höhe der Einlage der still beteiligten Kapitalgesellschaft verrechnet werden. Ein darüber hinausgehender Verlust ließe ein negatives Kapitalkonto entstehen, so dass § 15a Abs. 1 S. 1 EStG12 einem 7 8 9 10 11
So auch Kessler/Reitsam, DStR 2003, S. 319; Intemann/Nacke, DStR 2004, S. 1152. Vgl. 2. Teil A. 1. b) bb) (4). Vgl. dazu 2. Teil B. 1. b) aa) (2) (a). Vgl. dazu 2. Teil B. 1. b) aa) (2) (b). Vgl. Groh, DB 2004, S. 672; Intemann/Nacke, DStR 2004, S. 1152. Intemann in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 15 EStG, Rn. 1581; Reiß in: Kirchhof, EStG Kompaktkommentar (2008), § 15 Rn. 624. 12 Über die §§ 15a Abs. 5 Nr. 1 und § 20 Abs. 1 Nr. 4 S. 2 EStG findet § 15a Abs. 1 EStG auch auf die stille Gesellschaft Anwendung.
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Anpassungsbedarf an die verfassungsrechtlichen Vorgaben
Verlustausgleich entgegenstünde. Allerdings lassen diese Umstände bei genauer Betrachtung die Eignung der Vorschrift zur Umgehung der Abschaffung der Mehrmütterorganschaft nicht entfallen. Dass sich eine stille Beteiligung einer Kapitalgesellschaft an einer anderen Kapitalgesellschaft von einer Mehrmütterorganschaft strukturell unterscheidet, schließt dies nicht aus. Erforderlich ist lediglich, dass sich die Ergebnisse bei wirtschaftlicher Betrachtung entsprechen können. Dafür spricht, dass die stille Gesellschaft nach Abschaffung der Mehrmütterorganschaft in der Literatur ausdrücklich als „alternatives Konsolidierungsinstrument“ empfohlen wurde.13 Die Grundannahme des Gesetzgebers, dass mittels einer stillen Beteiligung zumindest im wirtschaftlichen Ergebnis ein Verlusttransfer von einer Kapitalgesellschaft zu einer anderen Kapitalgesellschaft möglich ist, ist zutreffend. Davon ist insbesondere dann auszugehen, wenn zwar zunächst eine hohe Kapitalbeteiligung des stillen Gesellschafters vereinbart wird, diese aber nur auf Anforderung tatsächlich gezahlt wird, wenn ein Verlustanteil ausgeglichen werden muss.14 Fraglich ist jedoch, ob sich im Tatbestand des § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG der verfolgte Zweck hinreichend deutlich widerspiegelt, um noch von einer zulässigen Missbrauchstypisierung sprechen zu können. Zunächst hat der Gesetzgeber mit § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG keinen atypischen Fall als Leitbild gewählt, da Innengesellschaften grundsätzlich für eine Umgehung der Abschaffung der Mehrmütterorganschaft geeignet sind. Problematisch ist jedoch die Weite des Tatbestands. § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG erfasste jede Form der Innenbeteiligung einer Kapitalgesellschaft an einer anderen Kapitalgesellschaft.15 Der Gesetzgeber hat keinerlei Versuch unternommen, den Tatbestand auf Gestaltungen zuzuschneiden, die eine Umgehung der Mehrmütterorganschaft bezwecken. Kennzeichnend für eine typische Mehrmütterorganschaft war, dass mehrere Kapitalgesellschaften eine andere Kapitalgesellschaft gemeinschaftlich beherrschten.16 § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG ist hingegen
13 Vgl. Kessler/Reitsam, DStR 2003, S. 317 ff. 14 Ein solcher Sachverhalt lag der Entscheidung des FG Baden-Württemberg v. 20.10.2004 zugrunde, vgl. FG Baden-Württemberg v. 20.10.2004 - 6 V 32/04, EFG 2005, S. 140 f. 15 Vgl. Herzig in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 41; Intemann/Nacke, DStR 2004, S. 1152. 16 Vgl. § 14 Abs. 2 KStG a.F.: „Schließen sich mehrere gewerbliche Unternehmen im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2, die gemeinsam im Verhältnis zur Organgesellschaft die Voraussetzungen des Absatzes 1 Nr. 1 erfüllen, in der Rechtsform einer Personengesellschaft lediglich zum Zwecke der einheitlichen Willensbildung gegenüber der Organgesellschaft zusammen, ist die Personengesellschaft als gewerbliches Unternehmen
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege ferenda
auch dann einschlägig, wenn nur eine Kapitalgesellschaft im Innenverhältnis beteiligt ist. Hinzu kommt, dass die Missbrauchsvermutung durch § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG unwiderleglich ist. Dem Steuerpflichtigen wird nicht ermöglicht, den Gegenbeweis anzutreten und darzulegen, dass im konkreten Fall keine missbräuchliche Gestaltung vorliegt. Diese Kombination eines Tatbestandes, der weit über den zu erfassenden Missbrauchsfall hinaus greift, mit der Unwiderleglichkeit der Missbrauchsvermutung führt dazu, dass die Vorschrift nicht mehr als zulässige Typisierung angesehen werden kann.17 In ihrer gegenwärtigen Gestalt verstößt § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG daher gegen Art. 3 Abs. 1 GG. De lege ferenda muss die Vorschrift – sofern sie beibehalten werden soll – so umgestaltet werden, dass sie sich im Rahmen einer zulässigen Typisierung hält. Dazu ist zumindest erforderlich, dass eine Widerlegung der Missbrauchsvermutung ermöglicht wird. Noch besser wäre es, den Tatbestand insgesamt präziser zu fassen und auf die Umgehung der Abschaffung der Mehrmütterorganschaft zuzuschneiden. (b) Freiheitsrechtliche Würdigung Soweit sich die Steuerbelastung infolge von § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG erhöht, ist der durch die Steuerbelastung bewirkte Eingriff in Art. 14 GG nur dann verhältnismäßig, wenn er einem über den Fiskalzweck hinausgehenden Gemeinwohlbelang dient und zu dessen Erreichung geeignet, erforderlich und angemessen ist. Die Bekämpfung der missbräuchlichen Umgehung der Abschaffung der Mehrmütterorganschaft stellt zunächst einen legitimen Zweck dar, zu dessen Erreichung die Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG auch geeignet war. Der Umstand, dass auch andere Wege denkbar sind, um das gleiche wirtschaftliche Ergebnis wie mit einer Mehrmütterorganschaft zu erreichen,18 steht dem nicht entgegen. Denn jedenfalls ist die Vorschrift zur Unterbindung einer nahe liegenden Umgehungsstrategie geeignet. Ferner kann der Vorschrift auch nicht deshalb die Erforderlichkeit abgesprochen werden, weil Verluste, durch die ein negatives Kapitalanzusehen, wenn jeder Gesellschafter der Personengesellschaft ein gewerbliches Unternehmen unterhält. […].“ 17 So auch Kessler/Reitsam, DStR 2003, S. 319; Intemann/Nacke, DStR 2004, S. 1152; Mönikes, Die Verlustverrechnungsbeschränkungen des Einkommensteuergesetzes im Lichte der Verfassung (2006), S. 224. Intemann in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 15 EStG, Rn. 1581; Reiß in: Kirchhof, EStG Kompaktkommentar (2008), § 15 Rn. 624. 18 Vgl. dazu Kessler/Reitsam, DStR 2003, S. 319; Herzig in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 41; Mönikes, Die Verlustverrechnungsbeschränkungen des Einkommensteuergesetzes im Lichte der Verfassung (2006), S. 224, jeweils m.w.N.
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Anpassungsbedarf an die verfassungsrechtlichen Vorgaben
konto entsteht oder sich erhöht, von der Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 15a EStG erfasst werden.19 Denn daraus folgt unmittelbar, dass § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG bis zum Entstehen eines negativen Kapitalkontos erforderlich ist, um eine Verlustzurechnung zu verhindern. Die Erforderlichkeit zur Zweckereichung ist der Vorschrift jedoch aus einem anderen Grund abzusprechen. Der weit gefasste Tatbestand in Kombination mit der Unwiderleglichkeit der Missbrauchsvermutung geht über das hinaus, was für eine effektive Bekämpfung einer Umgehung der Abschaffung der Mehrmütterorganschaft notwendig ist. Zumindest ist die Vorschrift insofern als unangemessen zu qualifizieren. Auch freiheitsrechtlich ist somit de lege ferenda eine Anpassung der Vorschrift in der schon beschriebenen Art und Weise erforderlich. (2) Verluste bei beschränkter Haftung20 Die zentrale Frage für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 15a EStG ist, ob der Ausschluss von Verlusten von der intraperiodischen Verlustverrechnung, durch die ein negatives Kapitalkonto entsteht oder sich erhöht, zu einer rechtfertigungsbedürftigen Ungleichbehandlung führt. Denn wäre dies der Fall, so käme eine gleichheitsrechtliche Rechtfertigung offensichtlich nicht in Betracht. Der Gesetzgeber hat die Regelung zwar eingeführt, um Verlustzuweisungsgesellschaften zu bekämpfen.21 Im Tatbestand hat sich diese Zwecksetzung jedoch nicht niedergeschlagen. Vielmehr erfasst die Verlustverrechnungsbeschränkung haftungsbeschränkte Verluste generell – völlig unabhängig davon, wie sie zustande gekommen sind.22 Als Missbrauchsvermeidungsvorschrift wäre § 15a EStG daher wegen der Überschreitung der Grenzen zulässiger Typisierung verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen.23 Ein sonstiger legitimer Gesetzeszweck ist nicht ersichtlich. (a) Nichtberücksichtigung des negativen Kapitalkontos Nach der Grundkonzeption von § 15a EStG werden Verluste, die zur Entstehung oder Erhöhung eines negativen Kapitalkontos führen, erst dann berücksichtigt, wenn wieder Gewinne anfallen, die den negativen Saldo des Kapitalkontos verringern. Insofern stellt § 15a EStG keine rechtfertigungsbedürftige Durchbrechung der Belastungsgleichheit dar. Der Grund hierfür ist aber 19 20 21 22 23
A.A. offenbar Intemann/Nacke, DStR 2004, S. 1152. Vgl. 1. Teil B. I. 1. a) aa) (2). Vgl. 1. Teil B. I. 1. a) aa) (2) (b). Davon geht auch BVerfG v. 14.07.2006 - 2 BvR 375/00, BVerfGK 8, S. 391. aus. So auch Kessler/Reitsam, DStR 2003, S. 318.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege ferenda
nicht etwa, dass Verluste, für die der Kommanditist24 nicht im Außenverhältnis haftet, für ihn keine wirtschaftliche Belastung darstellen würden. Denn zukünftige Gewinnanteile müssen zunächst zur Auffüllung des Kapitalkontos verwendet werden und stehen nicht für eine Auszahlung zur Verfügung, § 169 Abs. 1 HGB.25 Darüber hinaus haftet der Kommanditist für das negative Kapitalkonto – falls vorhanden – mit seinem Anteil an den stillen Reserven. Auch diese Haftung ist Teil des Unternehmerrisikos des Kommanditisten.26 Entscheidend für die Beurteilung von § 15a EStG ist vielmehr der Zeitpunkt, zu dem sich die Belastung auswirkt. Im Jahr der Entstehung oder Erhöhung des negativen Kapitalkontos steht aufgrund der Haftungsbeschränkung im Außen- und Innenverhältnis noch nicht fest, ob und wann die Leistungsfähigkeit des Kommanditisten durch den Verlust geschmälert wird. Wenn überhaupt keine Gewinne mehr anfallen und die Gesellschaft schließlich liquidiert wird, so verringern Verluste, die zur Entstehung oder Erhöhung eines negativen Kapitalkontos geführt haben, die Leistungsfähigkeit des Kommanditisten nie. Zu einer Minderung der Leistungsfähigkeit des Kommanditisten führen derartige Verluste hingegen dann – aber auch erst dann – wenn sich die potentielle Haftung mit zukünftigen Gewinnanteilen realisiert, wenn also tatsächlich Gewinne anfallen und dem negativen Kapitalkonto des Kommanditisten gutgeschrieben werden. Der Umstand, dass der Kommanditist für das negative Kapitalkonto mit seinen Anteil an den stillen Reserven haftet, führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Denn auch insofern handelt es sich um noch nicht realisierte Einkünfte, deren Ausschüttung der Kommanditist nicht verlangen kann. Daher führt die Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 15a EStG – wenn man sich auf den Grundgedanken der Vorschrift beschränkt und die konkrete Umsetzung außer Betracht lässt – nicht zu einer Durchbrechung der Belastungsgleichheit, sondern zu einer leistungsfähigkeitsgerechten Besteuerung.27
24 Obwohl der Anwendungsbereich des § 15a EStG weiter reicht, wird zur sprachlichen Vereinfachung vom Grundfall der Kommanditgesellschaft ausgegangen. 25 Vgl. Grunewald in: Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch (2007), § 169 Rn. 3. 26 Vgl. BFH Großer Senat v. 10.11.1980, BStBl. II 1981, S. 168. 27 So auch: Vogel in: Wendt/Höfling/Karpen/Oldiges (Hrsg.), Staat, Wirtschaft, Steuern (1996), S. 829; Lüdemann, Verluste bei beschränkter Haftung eine steuer- und verfassungsrechtliche Studie am Beispiel des §15a EStG (1998), S. 279; Englisch, Die Duale Einkommensteuer - ein Reformmodell für Deutschland? (2005), S. 151; Mönikes, Die Verlustverrechnungsbeschränkungen des Einkommensteuergesetzes im Lichte der Verfassung (2006), S. 181; A.A.: Werz, Verlustverrechnungsbeschränkungen im Lichte der Verfassung unter besonderer Berücksichtigung der Verlustregeln des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (2003), S. 251.
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Anpassungsbedarf an die verfassungsrechtlichen Vorgaben
Dass § 15a EStG im Vergleich zu sonstigen speziellen Verlustverrechnungsbeschränkungen eine Sonderstellung zukommt, zeigt sich auch daran, dass die Vorschrift grundsätzlich nicht zu einem endgültigen Verlustuntergang führen kann. Sollten bis zur Liquidation der Kommanditgesellschaft keine positiven Einkünfte mehr entstehen, so führt der Wegfall des negativen Kapitalkontos nach einer Ansicht zu einem Aufgabegewinn in Höhe des negativen Kapitalkontos, mit dem die von § 15a EStG erfassten Verluste verrechnet werden können. Nach anderer Ansicht ist der Wegfall des negativen Kapitalkontos, dass lediglich durch verrechenbare Verluste nach § 15a Abs. 2 EStG entstanden ist, steuerlich unbeachtlich.28 Sofern sich die verrechenbaren Verluste nach § 15a Abs. 2 EStG und das negative Kapitalkonto der Höhe nach entsprechen, führen beide Ansichten zum selben Ergebnis. Unabhängig von diesem Meinungsstreit besteht jedoch Einigkeit darüber, dass in entsprechender Anwendung von § 52 Abs. 33 S. 4 EStG29 bei den persönlich haftenden Gesellschaftern Verlustanteile in Höhe der nur verrechenbaren Verluste der beschränkt haftenden Gesellschafter anzusetzen sind, da sie den Verlust letztlich wirtschaftlich tragen müssen.30 Folglich führt § 15a EStG im Grundtatbestand lediglich zu einer abweichenden Erfolgsperiodisierung. Auch darin kann zwar eine Durchbrechung der Belastungsgleichheit liegen. Das objektive Nettoprinzip verlangt grundsätzlich eine zeitnahe Verlustverrechnung, da nur so dem Grundsatz der Belastungsgleichheit in der Zeit entsprochen werden kann.31 Genau hier liegt aber die Besonderheit von Verlusten i.S.v. § 15a EStG. Aufgrund der grundsätzlichen Beschränkung der Haftung auf zukünftige Gewinnanteile und den An28 Vgl. FG Rheinland-Pfalz v. 23.02.2007 - 4 K 2345/02, EFG 2007, S. 1019; Heuermann in: Blümich, EStG, § 15a Rn. 110; Wacker in: Schmidt, EStG (2009), § 15a Rn. 243 m.w.N. 29 § 52 Abs. 33 S. 3-4 betrifft unmittelbar den Fall des Ausscheidens eines beschränkt haftenden Gesellschafters, dessen negatives Kapitalkonto durch uneingeschränkt ausgleichs- und abzugsfähige Verluste entstanden ist, beispielsweise aufgrund der erweiterten Außenhaftung nach § 15a Abs. 1 S. 2 EStG. 30 Vgl. Stuhrmann in: Blümich, EStG, § 15a Rn. 118. Auch die entgeltliche oder unentgeltliche Übertragung eines Kommanditanteils mit negativem Kapitalkonto führt nicht dazu, dass die nach § 15a Abs. 2 EStG nur verrechenbare Verluste nicht mehr genutzt werden können. Wird ein Kommanditanteil entgeltlich übertragen, so gehört die Übernahme des negativen Kapitalkontos zum Veräußerungspreis und erhöht so den Veräußerungsgewinn des Kommanditisten, so dass genügend Verlustverrechnungspotential für eine Verrechnung der Verluste nach § 15a Abs. 2 EStG besteht, vgl. Stuhrmann in: Blümich, EStG, § 15a Rn. 110. Wird der Kommanditanteil unentgeltlich übertragen, so kann der Übernehmer die nach § 15a Abs. 2 EStG verrechenbaren Verluste des Übergebers nutzen (vgl. 1. Teil B. III. 2. b). 31 Vgl. 2. Teil B. II. 1. a) bb) (1).
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege ferenda
teil an den stillen Reserven bewirken die von § 15a Abs. 1 EStG erfassten Verluste im Zeitpunkt der Zurechnung noch keine Minderung der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen. Die Leistungsfähigkeitsminderung tritt vielmehr erst zu dem Zeitpunkt ein, zu dem sich diese Haftung realisiert. Daher gebietet in diesem Fall das objektive Nettoprinzip ausnahmsweise keine sofortige Verlustverrechnung.32 (b) Ausschluss der Verlustberücksichtigung bei Haftungserweiterung und nachträglicher Einlage Natürlich trägt diese Argumentation nur dann, wenn die Haftung des betroffenen Steuerpflichtigen tatsächlich entsprechend beschränkt ist. Insofern ist es folgerichtig, dass Verluste nach § 15a Abs.1 S. 2 EStG ungeachtet der Entstehung eines negativen Kapitalkontos unbeschränkt intraperiodisch verrechnet werden können, soweit ein Kommanditist nach § 171 Abs. 1 HGB den Gläubigern der Gesellschaft im Außenverhältnis haftet. Gleichzeitig folgt daraus, dass § 15a EStG die Belastungsgleichheit durchbricht, soweit sonstige Fälle der Außen- und Innenhaftung unberücksichtigt bleiben und nicht zu einer Ausnahme von der Verlustverrechnungsbeschränkung führen.33 Das BVerfG hat darin jedoch – entgegen verbreiteter Kritik in der Literatur34 – ausdrücklich keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG gesehen.35 Dass stichhaltigste Argument des BVerfG ist die mit einer generellen Berücksichtigung sonstiger Fälle der Außen- und Innenhaftung verbundene größere Gestaltungs- und Missbrauchsanfälligkeit.36 Die Durchbrechung der Belastungsgleichheit infolge der Beschränkung des erweiterten Verlustausgleichs nach § 15a Abs. 1 S. 2-3 EStG auf den von der Finanzverwaltung leicht zu überprüfenden und wegen der erforderlichen Handelsregistereintragung kaum manipulierbaren Fall des § 171 Abs. 1 HBG ist somit als durch die Zielsetzung der Missbrauchsbekämpfung gerechtfertigt anzusehen. 32 Dies hat auch Auswirkungen auf die Sicherung der Steuerfreiheit des Existenzminimums. Da Verluste, die zur Entstehung eines negativen Kapitalkontos führen, die Leistungsfähigkeit des Kommanditisten noch nicht aktuell mindern, müssen sie konsequenterweise nicht als Minderung des zur Befriedigung des Existenzminimums zur Verfügung stehenden Einkommens berücksichtigt werden. Umgekehrt führen aber Gewinne, die mit verrechenbaren Verlusten nach § 15a Abs. 2 EStG ausgeglichen werden, nicht zu einer Erhöhung der Leistungsfähigkeit. Sie sind daher ebenfalls bei Prüfung, ob der Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums gewahrt ist, auszuklammern (vgl. auch Hessisches FG v. 07.03.2006 - 11 K 1266/04, EFG 2006, S. 1590). 33 Vgl. Lüdemann in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 15a EStG, Rn. 31. 34 Vgl. Lüdemann in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 15a EStG, Rn. 31. 35 Vgl. BVerfG v. 14.07.2006 - 2 BvR 375/00, BVerfGK 8, S. 393. 36 Vgl. BVerfG v. 14.07.2006 - 2 BvR 375/00, BVerfGK 8, S. 393.
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Anpassungsbedarf an die verfassungsrechtlichen Vorgaben
Zu einer Durchbrechung der Belastungsgleichheit führt § 15a EStG auch insoweit, als nachträgliche Einlagen in ein negatives Kapitalkonto nicht zur Ausgleichsfähigkeit verrechnungsbeschränkter Verluste führen. Dies zeigt sich am augenfälligsten daran, dass der Gleichlauf von negativem Kapitalkonto und nur verrechenbaren Verlusten nach § 15a Abs. 2 EStG durchbrochen wird. Der Steuerpflichtige ist nur in Höhe des negativen Kapitalkontos noch nicht wirtschaftlich belastet. Daher dürften die verrechenbaren Verluste nach § 15a Abs. 2 EStG theoretisch niemals höher sein als der Negativsaldo des Kapitalkontos.37 Zwar gehen dem Steuerpflichtigen in Höhe der nachträglichen Einlage die nur verrechenbaren Verluste nicht endgültig verloren. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH sind nur verrechenbare Verluste in der Höhe nachträglicher Einlagen zumindest dann in ausgleichs- und abzugsfähige Verluste umzuqualifizieren, wenn feststeht, dass eine Verrechnung mit zukünftigen positiven Einkünften aus der Beteiligung nicht möglich sein wird.38 Dies ändert jedoch nichts daran, dass sich die wirtschaftliche Belastung durch die bislang nur verrechenbaren Verluste bereits im Zeitpunkt der nachträglichen Einlage realisiert. Im Gesetzgebungsverfahren zu § 15a EStG wurde deshalb erwogen, einen Verlustausgleich zuzulassen, soweit ein Kommanditist der KG nachträglich finanzielle Mittel über den Betrag seiner Kommanditeinlage hinaus zur Verfügung stellt. Letztlich wurde diese Möglichkeit mit einer in sich widersprüchlichen Begründung verworfen. Zum einen sollte diese Möglichkeit verzichtbar sein, da die Höhe eines Verlusts häufig vor Ende des Geschäftsjahres absehbar sei. Insofern hätten es die Steuerpflichtigen in der Hand, durch eine zeitkongruente Einlage die Ausgleichsfähigkeit der Verluste zu erreichen. Würden hingegen nachträgliche Einlagen zur Ausgleichsfähigkeit zunächst nur verrechenbarer Verluste führen, so wäre § 15a EStG nach Ansicht des Gesetzgebers wegen der sich ergebenden „Manipulationsmöglichkeiten“ weitgehend wirkungslos.39 Nicht nachvollziehbar ist an dieser Argumentation zunächst, warum eine zeitkongruente Einlage weniger gestaltungsanfällig sein soll als eine Einlage, die vor oder nach dem Eintritt des Verlusts erfolgt.40 Eine zeitkongruente Einlage setzt voraus, dass der Kommanditist ständig ausreichend liquide Mittel vorhält, den zu erwartenden Verlust kalkuliert und dann zielgerichtet eine Einlage leistet, um den Verlust 37 Umgekehrt ist es wegen § 15a Abs. 1 S. 2 EStG aber möglich, dass das negative Kapitalkonto größer ist als die verrechenbaren Verluste nach § 15a Abs. 2 EStG. 38 Vgl. beispielsweise BFH v. 14.12.1995 - IV R 106/94, BStBl. II 1996, S. 230 f.; BFH v. 14.10.2003 - VIII R 38/02, BStBl. II 2004, S. 116. Dem folgt auch die Finanzverwaltung, vgl. EStR 2005, R 15a Abs. 4. 39 BT-Drs. 8/4157, S. 3. 40 Vgl. auch Kempermann, DStR 2008, S. 1920.
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verrechnen zu können. Erfolgt die Einlage in ein negatives Kapitalkonto zeitlich vor oder nach der Verlustentstehung, so deutet dies entweder darauf hin, dass der Steuerpflichtige steuerlich weniger gut beraten war oder aber dass er im Veranlagungszeitraum der Verlustentstehung schlicht über keine ausreichenden liquiden Mittel verfügte, um eine zeitkongruente Einlage zu leisten. Beide Möglichkeiten liefern kein Indiz für eine erhöhte Manipulationsgefahr. Anders sah dies jedoch der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages, der sich zur Möglichkeit einer Verlustverrechnung im Fall der nachträglichen Einlage wie folgt geäußert hat: „Würde hingegen nach der Anregung des Wirtschaftsausschusses auch auf die künftige Höhe des Haftungsbetrages abgestellt, wäre die systematische Grundlage des § 15a EStG (Verlustverrechnung nach Maßgabe des Haftungsbetrags am Bilanzstichtag) verlassen. Dadurch würde bei beschränkt haftenden Unternehmern wieder die Möglichkeit eröffnet, die durch das Gesetz verschlossen werden soll, nämlich Verluste, die über den Haftungsbetrag am Bilanzstichtag hinausgehen und die den Steuerpflichtigen im Jahr der Entstehung des Verlusts im Regelfall weder rechtlich noch wirtschaftlich belasten, steuermindernd geltend zu machen.“41
Die Parallele zum Grundtatbestand des § 15a Abs. 1 EStG, die der Finanzausschuss zieht, ist nicht nachvollziehbar. Sofern der Steuerpflichtige nachträglich eine Einlage in ein negatives Kapitalkonto tatsächlich geleistet hat, dann ist er in dieser Höhe wirtschaftlich belastet. Dies unterscheidet ihn grundlegend von einem Steuerpflichtigen, der keine nachträgliche Einlage geleistet hat. Würde man in diesem Fall die Verlustverrechnung zulassen, so verließe man nicht die systematischen Grundlagen des § 15a EStG, sondern würde im Gegenteil das Grundkonzept der Norm – Verlustverrechnung erst im Zeitpunkt der wirtschaftlichen Belastung – exakt umsetzen.42 Im Ergebnis ist somit kein besonderer sachlicher Grund ersichtlich, der die Durchbrechung der Belastungsgleichheit rechtfertigt, die daraus resultiert, dass nachträgliche Einlagen nicht zur Umqualifikation nur verrechenbarer Verluste in ausgleichs- und abzugsfähige Verluste führen. Dennoch hielt das BVerfG im Nichtannahmebeschluss vom 14.07.2006 § 15a EStG auch insofern für gleichheitsrechtlich unbedenklich.43 Während es der Problematik der unterschiedlichen Behandlung verschiedener Formen der Innen- und Außenhaftung durch § 15a EStG noch eine ausführliche gleichheitsrechtliche Argu41 BT-Drs. 8/4157, S. 3. 42 Im Hinblick auf unerwünschte Gestaltungen könnte man es höchstens als problematisch ansehen, dass der Steuerpflichtige die Verlustentstehung bei dieser Lösung zielgerichtet steuern kann. So könnte er beispielsweise die Einlage in einem Veranlagungszeitraum leisten, in dem sein Grenzsteuersatz besonders hoch liegt, um die Entlastungswirkung der Verluste zu maximieren. Dies ist jedoch keine missbräuchliche Gestaltung, sondern in der inneren Logik der Regelung des § 15a EStG begründet. 43 Vgl. BVerfG v. 14.07.2006 - 2 BvR 375/00, BVerfGK 8, S. 394.
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mentation widmete, blieb es in dieser Frage jedoch sehr knapp und griff auf die Argumentation zurück, mit der der BFH die gleichheitsrechtliche Unbedenklichkeit von § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG zu begründen versucht hat: „Es ist nämlich zu beachten, dass lediglich verrechenbare Verluste nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu § 15 a EStG bei der Liquidation der Gesellschaft jedenfalls dann ausgleichsfähig werden, wenn feststeht, dass der Steuerpflichtige sie wirtschaftlich endgültig zu tragen hat […]. Damit wird das objektive Nettoprinzip in seinem Kern beachtet [Hervorh. d. Verf.].“44
Wie im zweiten Teil der Untersuchung ausführlich dargelegt wurde, ist es zur Wahrung der Belastungsgleichheit in der Zeit jedoch geboten, das objektive Nettoprinzip zeitgerecht und damit insbesondere zeitnah zu verwirklichen. Auch eine willkürliche zeitliche Verschiebung der Verlustverrechnung durchbricht das objektive Nettoprinzip.45 Vor dem Hintergrund dieses Untersuchungsergebnisses kann dem BVerfG daher nicht zugestimmt werden. Hinsichtlich der Behandlung nachträglicher Einlagen verstößt § 15a EStG gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Was die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Ausgestaltung des § 15a EStG de lege ferenda anbelangt, ist aber letztlich nur die Meinung des BVerfG maßgeblich. Da das BVerfG § 15a EStG mit dem Nichtannahmebeschluss vom 14.07.2006 für die absehbare Zukunft eine verfassungsrechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestellt hat, besteht bei § 15a EStG de lege ferenda für den Gesetzgeber kein Änderungszwang. (3) Beschränkung der Verlustverrechnung bei Steuerstundungsmodellen46 (a) Gleichheitsrechtliche Würdigung Durch § 15b EStG werden Verluste, die im Zusammenhang mit einem sog. Steuerstundungsmodell stehen, von der intraperiodischen Verlustverrechnung ausgeschlossen. Hierdurch werden das objektive Nettoprinzip und damit der Grundsatz der Belastungsgleichheit durchbrochen. Dies ist nur dann gleichheitsrechtlich gerechtfertigt, wenn der Gesetzgeber hierfür einen besonderen sachlichen Grund anführen kann. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist § 15b EStG dazu bestimmt, die Attraktivität sog. Steuerstundungsmodelle wirkungsvoll einzuschränken. Explizit genannt werden in diesem Zusammenhang Medienfonds, Schiffsbeteiligungen, New Energy Fonds, Leasingfonds, Wertpapierhandelsfonds und Videogamefonds.47 Dies wird 44 45 46 47
BVerfG v. 14.07.2006 - 2 BvR 375/00, BVerfGK 8, S. 394. Vgl. 2. Teil B. II. 1. a) bb) (1). Vgl. 1. Teil B. I. 1. a) aa) (3). BT-Drs. 16/109, S. 4.
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damit begründet, dass Investitionen in derartige Modelle häufig nur wegen des damit verbundenen steuerlichen Vorteils erfolgten und daher zu einer Fehlallokation des Kapitals und zu erheblichen Steuerausfällen führen.48 Diese Begründung ist ambivalent. Dass die Vorschrift Steuerausfällen vorbeugen soll, scheint dafür zu sprechen, dass § 15b als spezieller Missbrauchsvermeidungstatbestand konzipiert ist. Soweit § 15b hingegen Fehlallokationen des Kapitals vorbeugen soll, erscheint er als eine klassische, wirtschaftspolitische Lenkungsvorschrift. Dies ist jedoch insofern unproblematisch, als der Gesetzgeber mit einer Norm durchaus mehrere, ineinander greifende Zwecksetzungen verfolgen darf.49 Bei genauer Betrachtung zeigt sich aber, dass die Zielsetzung der Missbrauchsbekämpfung zur Rechtfertigung des § 15b EStG nichts beitragen kann. Denn es ist nicht ersichtlich, dass die Vorschrift im Ausgangspunkt einen Missbrauchsfall aufgreift und typisiert. Erfasst werden alle modellhaften Gestaltungen, die über hohe Anlaufverluste einen Steuerstundungseffekt vermitteln. Wie diese Verluste genau generiert werden, ist gleichgültig. Diese Information wäre aber unverzichtbar, um beurteilen zu können, ob eine missbräuchliche Gestaltung vorliegt oder nicht. Allein der Umstand, dass über eine modellhafte Gestaltung ein Steuerstundungseffekt erzielt werden soll, ist für die Annahme einer missbräuchlichen Gestaltung nicht ausreichend. Wie im ersten Teil gezeigt wurde, fungieren Verlustzuweisungsgesellschaften lediglich als Katalysatoren für im Steuerrecht angelegte Belastungsdifferenzen.50 Diese können zufälliger Natur sein, so dass ihre zielgerichtete Ausnutzung zur Generierung von Steuerstundungseffekten tatsächlich als eine missbräuchliche Gestaltung qualifiziert werden kann.51 Häufig aber beruhen die Belastungsdifferenzen, die von Verlustzuweisungsgesellschaften ausgenutzt werden, auf vom Gesetzgeber bewusst geschaffenen Lenkungsnormen. Wenn deren Inanspruchnahme zu Verlusten führt, kann schwerlich von einer missbräuchlichen Gestaltung gesprochen werden. Denn nach § 42 Abs. 2 S. 1 AO setzt ein Missbrauch voraus, dass der Steuerpflichtige einen „gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil“ erlangt. Wenn dieser Vorteil aber auf vom Gesetzgeber bewusst gesetzten Lenkungsnormen beruht, mit denen der Staat die Steuerpflichtigen zu einem bestimmten Verhalten animieren will, dann ist er eindeutig gesetzlich vorgesehen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass er im Rahmen einer modellhaften Gestaltung genutzt wird. Da § 15b EStG insofern von vornherein keine Diffe48 49 50 51
BT-Drs. 16/109, S. 2 Vgl. Drüen, StuW 2008, S. 12. Vgl. 1. Teil A. I. 3. d). Vgl. 1. Teil A. I. 3. b).
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renzierung trifft, ist die Vorschrift offenkundig nicht zur Bekämpfung missbräuchlicher Gestaltungen bestimmt.52 Somit kann § 15b EStG gleichheitsrechtlich nur als wirtschaftspolitische Lenkungsnorm gerechtfertigt werden. Insofern billigt das BVerfG dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber einen weiten Spielraum zu. Wie insbesondere die Entscheidung des BVerfG vom 20.04.2004 zur so genannten „Ökosteuer“53 gezeigt hat, ist er weitgehend frei darin, das Steuerrecht als Instrument zur Umsetzung seines wirtschaftspolitischen Konzepts einzusetzen. Über den Umweg des Verfassungsrechts darf keine „Zweckmäßigkeitskontrolle“ politischer Entscheidungen erfolgen. Insofern ist nicht ersichtlich, warum es nicht in der Freiheit des Gesetzgebers liegen sollte, Steuerstundungsmodelle aus wirtschaftspolitischen Gründen zu bekämpfen. In der Literatur wird die Legitimität dieses Lenkungsziels zum Teil mit der Begründung angezweifelt, der Gesetzgeber verletze dadurch das rechtsstaatliche Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung. Konkret lautet der Vorwurf, der Gesetzgeber verhalte sich widersprüchlich, wenn er erst Steuersubventionen anbiete und anschließend die sich aus deren Inanspruchnahme ergebenden Verluste mit einer Verrechnungsbeschränkung belege.54 Diese Kritik ist aber so pauschal nicht richtig, da das Geschäftsmodell einer Verlustzuweisungsgesellschaft nicht zwingend auf der Inanspruchnahme einer Steuersubvention beruhen muss.55 Aber auch sofern dies der Fall ist, kann dem Gesetzgeber nicht generell ein gegen das Rechtsstaatsgebot verstoßendes widersprüchliches Verhalten vorgeworfen werden. Man kann zwar zu Recht in Frage stellen, ob es überhaupt sinnvoll ist, wirtschaftspolitische Ziele mittels des Steuerrechts zu verfolgen. Unabhängig davon ist es aber vor dem Hintergrund des Rechtsstaatsgebotes nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber beispielsweise einerseits in § 7i EStG Sonderabschreibungen für Investitionen in denkmalgeschützte Immobilien gewährt und andererseits in § 15b EStG der Inanspruchnahme dieser Steuervergünstigung insofern Grenzen setzt, als er im Rahmen einer modellhaften Gestaltung erziel-
52 Selbst wenn man dies annähme, wären jedenfalls die Grenzen einer zulässigen Typisierung überschritten. 53 BVerfG v. 20.04.2004 - 1 BvR 905/00, BVerfGE 110, S. 274 ff. 54 So beispielsweise Birk/Kulosa, FR 1999, S. 440; Verführt, Verlustausgleichsverbote im Einkommensteuerrecht (2002), S. 196; Fischer, Zur Systematik der Verrechnung inländischer Verluste im deutschen Steuerrecht (2004), S. 662; von Groll in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 35; Eckhoff in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 38; Naujok, BB 2007, S. 1371. 55 Vgl. 1. Teil A. I. 1. 3. b) bb); vgl. auch Birk/Kulosa, FR 1999, S. 436.
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te Verluste vom intraperiodischen Verlustausgleich ausschließt.56 Voraussetzung ist allerdings, dass der Steuerpflichtige diese Rahmenbedingungen vor der Tätigung einer Investition kennt. Anderenfalls muss sich der Gesetzgeber nicht ganz zu Unrecht den Vorwurf gefallen lassen, es grenze an „Betrug“, die in Aussicht gestellte Steuervergünstigung durch die Hintertür mittels einer Verlustverrechnungsbeschränkung wieder „einzukassieren“.57 Da § 15b EStG somit einem legitimen Lenkungszweck dient,58 könnte die gleichheitsrechtliche Rechtfertigung allenfalls noch daran scheitern, dass die Vorschrift die Grenzen zulässiger Typisierung überschreitet. Insofern könnten sich Bedenken gegen § 15b EStG allenfalls daraus ergeben, dass die Vorschrift nicht zwischen volkswirtschaftlich sinnvollen und unsinnigen Investitionen unterscheidet.59 Müsste der Tatbestand tatsächlich derart präzise ausgestaltet sein, könnte aber kaum noch von einer Typisierung gesprochen werden. Dadurch würden die Anforderungen an eine zulässige Typisierung überspannt. Zudem dürfte es kaum möglich sein, die volkswirtschaftliche Sinnhaftigkeit eines konkreten Investitionsvorhabens objektiv zu beurteilen. Die Einschätzung, dass Steuerstundungsmodelle generell zu einer volkswirtschaftlich nicht sinnvollen Kapitalallokation führen, liegt in der nicht justiziablen Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers. Die durch § 15b EStG bewirkte Durchbrechung des Grundsatzes der Belastungsgleichheit ist somit gerechtfertigt. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor. Aus gleichheitsrechtlicher Perspektive ist de lege ferenda eine Änderung des § 15b EStG nicht erforderlich. (b) Freiheitsrechtliche Würdigung Soweit sich infolge von § 15b EStG eine Steuerlast ergibt, die über die Belastungsgrundentscheidung hinausgeht, muss diese Sonderbelastung einem legitimen Zweck dienen, der über den Fiskalzweck hinausgeht und zur Erreichung dieses Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sein. Die Bekämpfung von Steuerstundungsmodellen ist zumindest aus verfassungsrechtlicher Perspektive eine legitime wirtschaftspolitische Zielsetzung. Eine 56 So auch Werner, Die Mindestbesteuerung im deutschen und im US-amerikanischen Einkommensteuerrecht (2001), S. 193. 57 So Fischer, Zur Systematik der Verrechnung inländischer Verluste im deutschen Steuerrecht (2004), S. 662. Dieser Problemkreis ist jedoch nicht Gegenstand dieser Untersuchung. 58 A.A. Söffing, BB 2005, S. 1250, der davon ausgeht, dass Zwecksetzung der Bekämpfung von Steuerstundungsmodellen nur vorgeschoben sei und die Einführung des § 15b EStG in Wahrheit zur Gegenfinanzierung einer Körperschaftsteuersenkung dienen soll und somit rein fiskalisch motiviert sei. 59 So Naujok, BB 2007, S. 1367.
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intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkungen auf die Einkunftsquelle ist dazu geeignet, einen etwaigen Steuerstundungseffekt weitgehend aufzuheben und die Investition in derartige Modelle so steuerlich weniger attraktiv zu machen.60 Zweifel wurden in der Literatur speziell an der Erforderlichkeit von Maßnahmen zur Bekämpfung von Verlustzuweisungsgesellschaften geäußert. Die Argumentation lautet, es sei ein milderes Mittel, schlicht die Steuersubventionen zu beseitigen, die dem Geschäftsmodell der Verlustzuweisungsgesellschaften zugrunde liegen.61 Es ist zwar zutreffend, dass durch Verlustverrechnungsbeschränkungen zum Teil Gestaltungswirkungen entgegengewirkt wird, die der Gesetzgeber selbst zuvor bewusst gesetzt hat. Jenseits der Vertrauensschutzproblematik liegt ein solches Vorgehen jedoch grundsätzlich im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. So kann er über Verlustverrechnungsbeschränkungen das Ausmaß und die Modalitäten der Inanspruchnahme einer Steuervergünstigung steuern. Sofern sich der Gesetzgeber bewusst für eine derartige Kombination aus „Lenkung“ und „Gegenlenkung“ entscheidet, kann der Gegenlenkungsmaßnahme die Erforderlichkeit nicht mit der Begründung abgesprochen werden, schon die Lenkungsmaßnahme könne unterbleiben. Als ein milderes Mittel gegenüber der Rechtsfolge des § 15b EStG, der die Verluste in dem konkreten Steuerstundungsmodell einkapselt, käme allenfalls in Betracht, einen Ausgleich zumindest zwischen mehreren Steuerstundungsmodellen zuzulassen. Allerdings würde dadurch die Effektivität der Vorschrift stark beeinträchtigt. Denn bei einem Steuerstundungsmodell folgt – zumindest wenn sich die Investition nach Plan entwickelt – auf eine Phase mit hohen Verlusten eine Phase mit hohen Gewinnen. Hinsichtlich dieser Gewinne könnte dann durch Zeichnung eines weiteren Steuerstundungsmodells eine Stundung der Steuerzahlung erreicht werden. Diese Strategie ließe sich beliebig fortsetzen, so dass § 15b EStG letztlich nur noch die erstmalige Beteiligung an einem Steuerstundungsmodell weniger attraktiv machte. Somit ist die Erweiterung des Verlustverrechnungskreises zwar ein milderes, aber kein gleich effektives Mittel. Schließlich ist die Beschränkung der intraperiodischen Verlustverrechnung durch § 15b EStG auch ein angemessenes Mittel zur Bekämpfung von Steuerstundungsmodellen, da die Verluste im Regelfall interperiodisch genutzt werden können. Wie Fälle zu beurteilen
60 Vgl. 2. Teil B. I. 1. a) cc). 61 Vgl. beispielsweise Heintzen in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 179.
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sind, in denen dies nicht gelingt, wird im Rahmen der interperiodischen Verlustverrechnung untersucht.62 (4) Verluste aus gewerblicher Tierhaltung63 Die Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 15 Abs. 4 S. 1-2 EStG wurde bei ihrer Einführung 1971 mit einer agrarpolitischen Zielsetzung begründet. Vollerwerbslandwirte sollten vor der Konkurrenz durch landwirtschaftsfremde Unternehmen im Bereich der tierischen Veredelungsproduktion geschützt werden.64 Damit verquickt war – unausgesprochen – auch die Zielsetzung, Verlustzuweisungsgesellschaften zu bekämpfen.65 § 15 Abs. 4 S. 1-2 EStG ist ein klassisches Beispiel für eine Lenkungsnorm, die durch die Setzung eines negativen Anreizes die Steuerpflichtigen von einem unerwünschten Verhalten abhalten soll. Der vom Gesetzgeber verfolgte agrarpolitische Lenkungszweck stellt unproblematisch einen besonderen sachlichen Grund dar, der die Durchbrechung der Belastungsgleichheit rechtfertigt. Auch mit den Vorgaben der Eigentumsgarantie, Art. 14 Abs. 1 GG, ist die Norm vereinbar. Die Vorschrift dient einem legitimen Zweck, zu dessen Erreichung sie auch geeignet ist. Denn die Konkurrenz, vor der die Vollerwerbslandwirte geschützt werden sollten, waren in erster Linie Verlustzuweisungsgesellschaften. Da diese konzeptionell auf der Verrechenbarkeit der Verluste basieren, wurde ihnen durch § 15 Abs. 4 S. 1-2 EStG für den Bereich der gewerblichen Tierzucht- und Tierhaltung die Geschäftsgrundlage entzogen. Zweifel könnten wegen § 15b EStG allenfalls an der Erforderlichkeit der Vorschrift aufkommen. Verlustzuweisungsgesellschaften, die auf der Generierung von Verlusten aus gewerblicher Tierzucht basierten, werden de lege lata von dem spezielleren Verlustverrechnungstatbestand des § 15b EStG erfasst. Die Rechtsfolge – Einkapselung der Verluste in der Einkunftsquelle – ist sogar noch strenger als bei § 15 Abs. 4 S. 1-2 EStG, der eine intraperiodische Verlustverrechnung innerhalb der Einkunftsunterart „Einkünfte aus gewerblicher Tierzucht und Tierhaltung“ zulässt. Allerdings reicht § 15 Abs. 4 S. 1-2 EStG insofern weiter als § 15b EStG, als die Vorschrift auch Verluste aus gewerblicher Tierzucht außerhalb modellhafter Gestaltungen erfasst. Auch wenn dies ursprünglich nicht die Hauptintention der Vorschrift war, so schützt sie Vollerwerbslandwirte, die den überwiegenden Teil ihrer Wertschöpfung mit gewerblicher Tierhaltung erzielen, 62 63 64 65
Vgl. 3. Teil A. I. 2. a) cc). Vgl. 1. Teil B. I. 1. a) bb) (1). BT-Drucks. VI/1934. Vgl. 1. Teil B. I. 1. a) bb) (1) (b) sowie Kanzler in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 15 EStG, Rn. 1504.
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auch unabhängig von der Problematik der Verlustzuweisungsgesellschaften vor branchenfremder Konkurrenz. Folglich lässt § 15b EStG die Erforderlichkeit von § 15 Abs. 4 S. 1-2 EStG nicht entfallen. Schließlich ist die Regelung auch angemessen, da eine interperiodische Verlustverrechnung möglich bleibt. (5) Vermögensverluste bei Kapitalgesellschaftsanteilen im Privatvermögen66 Bei der verfassungsrechtlichen Würdigung der geltenden Rechtslage im Hinblick auf Vermögensverluste im Zusammenhang mit im Privatvermögen gehaltenen Kapitalgesellschaftsanteilen muss zwischen der Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 17 Abs. 2 S. 6 EStG und der Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 20 Abs. 6 S. 5 EStG differenziert werden. (a) § 17 Abs. 2 S. 6 EStG Bei der Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 17 Abs. 2 S. 6 EStG handelt es sich um eine klassische spezielle Missbrauchsvermeidungsvorschrift. Die Regelung ist zwar sehr kompliziert, konzeptionell aber aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.67 § 17 Abs. 2 S. 6 EStG soll verhindern, dass Verluste aus Anteilen, die nicht zu einer von § 17 Abs. 1 EStG erfassten Beteiligung gehören, durch den gezielten Hinzuerwerb von Anteilen in den Bereich der gewerblichen Einkünfte verlagert werden können.68 Dieser realen Umgehungsgefahr wird durch § 17 Abs. 2 S. 6 EStG auf zielgerichtete Art und Weise begegnet. Zum einen sind Verluste aus Anteilen, durch deren Hinzuerwerb die Beteiligungsschwelle nach § 17 Abs. 1 EStG erreicht oder überschritten wurde, von der Verlustverrechnungsbeschränkung ausgenommen, da insofern die beschriebene Missbrauchsgefahr nicht besteht. Zum anderen ist die Rechtsfolge der Vorschrift nicht etwa der Untergang der erfassten Verluste oder ihre Einkapselung in einem besonderen Verlustverrechnungskreis. Vielmehr tritt – wie es einer Missbrauchsvermeidungsvorschrift konzeptionell entspricht69 – die Rechtsfolge ein, die auch ohne den Umgehungsversuch eingetreten wäre: Die Verluste sind den Ein66 Vgl. 1. Teil B. I. 1. a) bb) (3). 67 Die Problematik, ob die Verluste in voller Höhe oder gemäß dem Teileinkünfteverfahren zu 60 % zu berücksichtigen sind, vgl. 1. Teil B. I. 1. a) bb) (3) (a), wird nicht untersucht. Ob ersteres verfassungsrechtlich geboten ist oder nicht, lässt sich nur vor dem Hintergrund einer verfassungsrechtlichen Einordnung des Teileinkünfteverfahrens insgesamt diskutieren. Dies ist nicht Bestandteil der Untersuchung. 68 Vgl. 1. Teil B. I. 1. a) bb) (3) (b). Dies hätte sowohl Auswirkungen auf die Verlustermittlung als auch auf die intraperiodische Verlustverrechnung. 69 Vgl. 2. Teil A. I. 1. a) bb) (4).
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künften aus Kapitalvermögen zuzuordnen und nach den für Verluste aus Kapitalvermögen geltenden Regeln zu berücksichtigen.70 Zu einer Durchbrechung der Belastungsgleichheit führt § 17 Abs. 2 S. 6 EStG nur insofern, als die Vorschrift den Missbrauch unwiderleglich typisiert und somit auch nicht als missbräuchlich einzustufende Fälle erfasst. Da die Verluste jedoch nur einem anderen Verlustverrechnungsregime unterstellt werden, ist dies im Hinblick auf die dadurch zu erreichende Verwaltungsvereinfachung als eine zulässige Typisierung anzusehen, so dass kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vorliegt. Auch im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG ist § 17 Abs. 2 S. 6 EStG unproblematisch als verhältnismäßig einzustufen. Im Ergebnis besteht somit de lege ferenda bezüglich § 17 Abs. 2 S. 6 EStG aus verfassungsrechtlicher Sicht kein Handlungsbedarf. (b) § 20 Abs. 6 S. 5 EStG Während § 17 Abs. 2 S. 6 EStG als Muster für eine spezielle Missbrauchsvermeidungsvorschrift dienen kann, ist § 20 Abs. 5 S. 6 EStG ein anschauliches Beispiel für eine ausschließlich fiskalisch motivierte Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips. Einziger Zweck der Vorschrift ist es, das Steueraufkommen gegenüber Steuerausfällen abzusichern: „Sinn und Zweck der Einschränkung der Verlustverrechnung ist die Verhinderung von durch Spekulationsgeschäfte bedingten abstrakt drohenden qualifizierten Haushaltsrisiken [Hervorh. d. Verf.]. Die Erfahrung der Vergangenheit hat gezeigt, dass Kursstürze an den Aktienmärkten zu einem erheblichen Verlustpotential bei den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften mit Aktien führen. Denn viele Steuerpflichtige veräußerten während des Börsencrashs 2000 bis 2002 ihre Aktien unter Verlust, so dass […] nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes bis Ende 2002 Verluste in Höhe von 11,2 Mrd. Euro festgestellt wurden.“71
Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Ins Leere geht zunächst der Versuch des Gesetzgebers, die Verlustverrechnungsbeschränkung als eine Maßnahme darzustellen, die vor allem Spekulationsverluste trifft. Offenbar sollte § 20 Abs. 6 S. 5 EStG dadurch in ein besseres Licht gerückt werden. Der Begriff der Spekulation ist negativ besetzt und in der Öffentlichkeit ist sicher keine allzu große Sympathie für „Spekulanten“ vorhanden. Im Tatbestand der Norm hat sich der Gedanke der Bekämpfung speziell von
70 Vgl. 1. Teil B. I. 1. a) bb) (3). Dieses steuersystematisch zwingende Ergebnis lässt sich – wie im 1. Teil gezeigt wurde – zwar bereits im Rahmen des geltenden Rechts verwirklichen. Dennoch wäre eine ausdrückliche Klarstellung in § 17 Abs. 2 S. 6 EStG wünschenswert. Vgl. in diesem Sinne auch Dinkelbach, DB 2008, S. 874. 71 Vgl. BT-Drs. 16/5491, S. 19.
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Spekulationsverlusten jedoch nicht niedergeschlagen.72 Zum einen werden Verluste aus der Veräußerung von Aktien völlig unabhängig von der Haltedauer der Aktien erfasst.73 Zum anderen hat der Gesetzgeber ausdrücklich darauf verzichtet, Verluste aus wesentlich spekulativeren Derivaten einzubeziehen, weil deren fiskalisches Gewicht relativ gering ist.74 Als Begründungsansatz bleibt somit nur die Schwankung des Steueraufkommens aus Veräußerungsgeschäften mit Aktien. 75 Insofern ist zu prüfen, ob die Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 20 Abs. 6 S. 5 EStG durch die Erfordernisse einer geordneten Finanz- und Haushaltsplanung legitimiert werden kann.76 Dies ist jedoch bei genauer Betrachtung zu verneinen. Um die Funktionsfähigkeit der Haushaltsplanung sicherzustellen, ist es zwar möglich, den Verlustrücktrag einzuschränken. Dies liegt jedoch in den spezifischen Schwierigkeiten begründet, die sich aus dem Verlustrücktrag im Hinblick auf die Periodizität der Haushaltswirtschaft ergeben.77 Bezüglich der intraperiodischen Verlustverrechnung bestehen solche Schwierigkeiten grundsätzlich nicht. Die im Rahmen der Haushaltsplanung zu prognostizierenden Gewinne und Verluste fallen hier im gleichen Veranlagungszeitraum an, so dass sich keine über die allgemeinen Unwägbarkeiten der Steuerschätzung hinausreichenden Probleme ergeben.78 Der bloße Verweis auf Haushaltsrisiken ist ähnlich wie die Zielsetzung der Haushaltskonsolidierung bzw. des Schuldenabbaus letztlich nur eine Ausprägung des Fiskalzwecks,79 der eine Durchbrechung der Belastungsgleichheit nicht rechtfertigen kann.
72 Aus diesem Grund eine Rechtfertigung mit der Zielsetzung der Spekulationsbekämpfung ablehnend auch Wernsmann, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 104. 73 Betroffen wäre – die zeitliche Anwendbarkeit der Vorschrift unterstellt – beispielsweise auch ein Kleinanleger, der dem Staat im Jahr 2000 Telekom-Aktien im Zuge des 3. Börsengangs für 66,50 € abgekauft und im Jahr 2008 zu einem Kurs von 9 € an der Börse verkauft hat. 74 Vgl. BT-Drs. 16/5491, S. 19. 75 Der Umstand, dass Veräußerungsgewinne aus Aktiengeschäften nur einer linearen Besteuerung unterliegen, kann zumindest nicht den Ausschluss der Verrechnung mit sonstigen positiven Kapitaleinkünften rechtfertigen, vgl. Wernsmann, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 104. Vgl. zu dieser Problematik sogleich unter 3. Teil A. I. 1. a) aa) (6). 76 Vgl. dazu 2. Teil B. II. 1. b) cc). Demgegenüber kann eine Durchbrechung der Belastungsgleichheit nicht allein mit dem Gedanken der „Verstetigung“ der Steuereinnahmen gerechtfertigt werden, da es sich insofern nur um eine Ausprägung des allgemeinen Fiskalzwecks handelt (vgl. 2. Teil B. II. 1. b) dd)). 77 Vgl. dazu 2. Teil B. II. 1. b) cc) (2). 78 Vgl. insofern auch die Ausführungen zum Verlustvortrag: 2. Teil B. II. 1. b) cc) (1). 79 Vgl. 2. Teil B. I. 1. b) bb) (2).
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Dies gilt auch im Hinblick auf die Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 20 Abs. 6 S. 5 EStG. Zwar ist es zutreffend, dass das Steueraufkommen aus Veräußerungsgeschäften mit Aktien stärkeren Schwankungen unterworfen ist als das allgemeine Einkommensteueraufkommen. Bei der verfassungsrechtlichen Würdigung muss jedoch berücksichtigt werden, dass sich der Gesetzgeber bewusst für diesen volatilen Steuergegenstand entschieden hat. In der Konsequenz dieser Belastungsentscheidung liegt es, dass der Fiskus in einer Hausse an den sprunghaft steigenden Veräußerungsgewinnen partizipieren kann und während einer Baisse einen entsprechenden Rückgang des Steueraufkommens hinnehmen muss. Es wäre nicht folgerichtig, wenn sich der Staat darauf beschränken könnte, die Vorteile des von ihm gewählten Steuergegenstands in Anspruch zu nehmen, während er die Nachteile unter Durchbrechung des Grundsatzes der Belastungsgleichheit allein den Steuerpflichtigen aufbürdet. Da die Schwankung des Steueraufkommens aus Veräußerungsgeschäften mit Aktien die unvermeidliche Konsequenz der gesetzgeberischen Belastungsentscheidung ist, kann dieser Gesichtspunkt nicht gleichzeitig als Legitimation für eine Durchbrechung dieser Belastungsentscheidung angeführt werden. Vielmehr sollte der besonderen Volatilität des Steuergegenstandes im Rahmen der Finanz- und Haushaltsplanung durch eine besonders vorsichtige Steuerschätzung Rechnung getragen werden. Bei genauer Betrachtung erscheinen die vom Gesetzgeber angeführten Haushaltsrisiken zudem als durchaus beherrschbar. Auf den ersten Blick wirkt die vom Gesetzgeber genannte Zahl von 11,2 Milliarden Euro zwar gewaltig. Es muss aber beachtet werden, dass sich diese Verluste auf drei Veranlagungszeiträume verteilten. Selbst wenn man unterstellt, dass sie vollständig aus der Veräußerung von Aktien herrührten, dass sie sofort in voller Höhe verrechnet werden könnten und dass sie durchweg zu einer Steuerentlastung in Höhe des Spitzensteuersatzes von 45 % führten, beliefe sich die jährliche Belastung für den Haushalt maximal auf ca. 1,7 Milliarden Euro. Geht man entsprechend § 20 Abs. 6 EStG von einer Verrechnung lediglich mit Einkünften aus Kapitalvermögen aus, so beträgt die Entlastungswirkung nur 25 %, was einer Minderung des Steueraufkommens um weniger als 1 Milliarde Euro entspräche. Angesichts eines Einkommensteueraufkommens von 177,3 Milliarden Euro im Jahr 200180 ist daher nicht anzunehmen, dass die Haushaltsplanung nachhaltig erschwert würde. Dafür spricht auch, dass das Steueraufkommen zwischen 2001 und 2004 um 10 Milliarden Euro 80 Vgl. Einkommensteuerstatistik 2001, S. 5. Abrufbar unter: https://www-ec.de statis.de/csp/shop/sfg/bpm. html.cms.cBroker.cls?cmspath=struktur,vollanzeige.csp&ID=1017363.
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schwankte, ohne dass dadurch die Haushaltsplanung zusammengebrochen ist.81 Der Verweis auf mögliche Haushaltsrisiken im Zusammenhang mit Veräußerungsverlusten aus Aktiengeschäften ist somit nur eine andere Umschreibung für den Fiskalzweck, der die von § 20 Abs. 6 S. 5 EStG bewirkte Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips nicht zu rechtfertigen vermag.82 Da keine sonstigen legitimen Gründe dafür ersichtlich sind, warum die Verlustverrechnung ausgerechnet für Verluste aus Aktien eingeschränkt werden sollte, ist die durch § 20 Abs. 6 S. 5 EStG bewirkte Durchbrechung der Belastungsgleichheit nicht gerechtfertigt. Gleiches gilt für den Eingriff in das Eigentumsgrundrecht. § 20 Abs. 6 S. 5 EStG ist daher wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG verfassungswidrig und muss de lege ferenda gestrichen werden.83 (6) Verluste im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen84 Mit der Einführung der Abgeltungsteuer wurden die Kapitaleinkünfte faktisch aus dem System der synthetischen Einkommensteuer herausgebrochen. Sie werden nunmehr in einer eigenen Schedule nach eigenen Regeln besteuert.85 Als Konsequenz der schedularen Besteuerung ist die intraperiodische Verlustverrechnung für Kapitaleinkünfte in doppelter Weise beschränkt. Zum einen können positive Einkünfte aus Kapitalvermögen, die mit abgeltender Wirkung der Kapitalertragsteuer unterlegen haben, nicht mit sonstigen negativen Einkünften verrechnet werden. Zum anderen sind Verluste aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 6 S. 2 EStG vom intraperiodischen Verlustausgleich mit sonstigen positiven Einkünften ausgeschlossen. Im ersten Fall steht es dem Steuerpflichtigen jedoch frei, über eine „Günstigerprüfung“ nach § 32d Abs. 6 EStG eine intraperiodische Verlustverrechnung herbeizuführen.86 Insofern ergeben sich daher keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Anders fällt die Beurteilung hinsichtlich § 20 Abs. 6 S. 2 EStG aus. Durch die Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 20 Abs. 6 S. 2 EStG soll verhindert werden, dass Verluste aus Kapitalvermögen mit progressiv besteuerten Einkünften verrechnet werden können.87 Anderenfalls könnte die Steuersatzspreizung zwischen den progressiv belasteten Einkünften mit einer Spitzenbelastung von 45 % und den Kapitaleinkünften, die nur mit 25 % be81 82 83 84 85 86 87
Vgl. Jährliche Einkommensteuerstatistik des Statistischen Bundesamtes (Fn. 665). Vgl. Wernsmann, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 104. So auch Wernsmann, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 104. Vgl. 1. Teil B. I. 1. a) cc). Vgl. Schmitt, Stbg 2009, S. 55. Vgl. 1. Teil B. I. 1. a) cc) (1). Vgl. 1. Teil B. I. 1. a) cc) (2).
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lastet werden, zur Steuerarbitrage genutzt werden.88 Die Verhinderung der Ausnutzung von Steuersatzdifferenzen stellt zwar einen besonderen sachlichen Grund dar, der die Durchbrechung der Belastungsgleichheit gleichheitsrechtlich rechtfertigen kann. Hinsichtlich des Eingriffs in die Eigentumsgarantie erweist sich der Komplettausschluss der Verlustverrechnung jedoch als unverhältnismäßig. Zwar ist die Maßnahme dazu geeignet, eine symmetrische Behandlung von Gewinnen und Verlusten aus Kapitalvermögen sicherzustellen. Sie ist zur Erreichung dieses Zwecks jedoch schon nicht erforderlich, da dies ebenso effektiv durch eine indirekte Verlustverrechnung mittels Steuergutschriften sichergestellt werden könnte.89 Beispiel: Es bestehen zwei Schedulen. Schedule 1 wird mit 45 % belastet, Schedule 2 mit 25 %. Steuerpflichtiger A erzielt ausschließlich Einkünfte, die in Schedule 1 fallen. Es besteht die Möglichkeit, durch eine Steuergestaltung in Schedule 2 zunächst negative und in der folgenden Besteuerungsperiode gleich hohe positive Einkünfte zu erzielen. Ausgangsfall Schedule 1 Steuer (s = 45 %)
t1 100.000 € -45.000 €
t2 100.000 € -45.000 €
Einbeziehung der Steuergestaltung bei direktem Verlustausgleich t1 t2 Schedule 1 100.000 € 100.000 € Schedule 2 -100.000 € 100.000 € Bemessungsgrundlage Schedule 1 0€ 100.000 € Steuer (s = 45 %) 0€ -45.000 € Bemessungsgrundlage Schedule 2 0€ 100.000 € Steuer (s = 25 %) 0€ -25.000 € Gesamtsteuerlast 0€ -70.000 €
Summe 200.000 € -90.000 €
Summe 200.000 € 0€ 100.000 € -45.000 € 100.000 € -25.000 € -70.000 €
Schedulenbesteuerung mit indirektem Verlustausgleich über Gutschriften t1 t2 Summe Schedule 1 100.000 € 100.000 € 200.000 € Schedule 2 -100.000 € 100.000 € 0€ Bemessungsgrundlage Schedule 1 100.000 € 100.000 € 200.000 € Steuer (s = 45 %) -45.000 € -45.000 € -90.000 € Bemessungsgrundlage Schedule 2 -100.000 € 100.000 € 0€ Steuer (s = 25 %) 25.000 € -25.000 € 0€ Gesamtsteuerlast -20.000 € -70.000 € -90.000 €
88 Jeweils zuzüglich Solidaritätszuschlag und ggf. Kirchensteuer. 89 Vgl. dazu bereits 2. Teil B. I. 2. a) bb) (3).
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Anpassungsbedarf an die verfassungsrechtlichen Vorgaben
Wie das Beispiel verdeutlicht, ist die Ausnutzung einer Steuersatzspreizung zwischen verschiedenen Schedulen bei einem indirekten Verlustausgleich mittels Steuergutschriften ausgeschlossen. Der Betrag der Steuergutschrift wird ermittelt, indem das negative Ergebnis einer Schedule mit dem für die Schedule geltenden Steuersatz multipliziert wird.90 Alternativ könnten im Rahmen der Verlustverrechnung die positiven bzw. negativen Einkünfte jeweils so umgerechnet werden, dass die Entlastungswirkung von Verlusten immer genau der Steuerbelastung in der Schedule der Verlustentstehung entspricht.91 Da somit ein milderes, gleich effektives Mittel zur Verhinderung der Ausnutzung von Steuersatzdifferenzen im Rahmen einer Schedulenbesteuerung existiert, ist ein Komplettausschluss der intraperiodischen Verlustverrechnung nicht erforderlich und stellt folglich einen unverhältnismäßigen Eingriff in Art. 14 GG dar. De lege ferenda muss daher die Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 20 Abs. 6 S. 2 EStG durch einen Mechanismus ersetzt werden, der eine indirekte intraperiodische Verrechnung von Verlusten aus Kapitalvermögen mit sonstigen positiven Einkünften ermöglicht. (7) Verluste aus Termingeschäften im Betriebsvermögen92 § 15 Abs. 4 S. 3-5 EStG wurde ursprünglich eingeführt, um die Umgehung der Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte im Privatvermögen nach § 23 Abs. 3 S. 8-9 EStG a.F. zu verhindern.93 Dieser Gesetzeszweck ist mittlerweile offenkundig entfallen, da private Termingeschäfte durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 in die Einkünfte aus Kapitalvermögen einbezogen wurden, § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 EStG, und folglich nicht mehr von der Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 23 Abs. 3 EStG erfasst werden. Durch die Gesetzesänderung hat sich zugleich auch die Diskussion um einen alternativen Gesetzeszweck der Vorschrift erledigt. Nach einer Ansicht dienten § 15 Abs. 4 S. 3-5 EStG und § 23 Abs. 3 S. 8-9 90 In einem solchen System kann sich auch eine Steuererstattung für den Steuerpflichtigen ergeben, wenn der Betrag der Steuergutschrift die sonstige Steuerschuld übersteigt. Der Steuerpflichtige wäre dann besser gestellt als in einem synthetischen System mit direktem Verlustausgleich, in dem die Steuerschuld maximal bis auf Null sinken kann. Um dies zu vermeiden, könnte das Gutschriftmodell dahingehend eingeschränkt werden, dass es nicht zu einer Steuererstattung führen darf. Bei progressiv besteuerten Einkünften ist zur Vereinfachung denkbar, den anzuwendenden Steuersatz zu typisieren. Englisch, Die Duale Einkommensteuer - ein Reformmodell für Deutschland? (2005), S. 155 schlägt insofern eine Orientierung an der Durchschnittsbelastung vor. 91 Vgl. 2. Teil B. I. 2. a) bb) (3). 92 Vgl. 1. Teil B. I. 1. a) bb) (2). 93 Vgl. 1. Teil B. I. 1. a) bb) (2) (b).
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EStG a.F. der Eindämmung der Spekulation zu Lasten der Allgemeinheit.94 Nach der Gegenansicht verfolgte der Gesetzgeber mit § 15 Abs. 4 S. 3-5 EStG neben der Missbrauchsbekämpfung keinerlei sonstige Zwecksetzung, insbesondere keine Lenkungszwecke.95 Die besseren Argumente sprachen schon bisher für die letztgenannte Ansicht, da sich der Lenkungszweck der Bekämpfung der Spekulation weder aus der Gesetzesbegründung, noch eindeutig aus dem Wortlaut der Vorschriften ergab. Durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 hat sich diese Sichtweise zweifelsfrei bestätigt. Anders als Verluste aus der Veräußerung von Aktien sind Verluste aus Termingeschäften im Privatvermögen uneingeschränkt mit sonstigen Kapitaleinkünften, beispielsweise Zinsen auf Spareinlagen, verrechenbar. Der Gesetzgeber hat bei der Schaffung der Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 20 Abs. 6 S. 5 EStG die Einbeziehung von Termingeschäften ausdrücklich erwogen, wegen der geringen fiskalischen Relevanz jedoch verworfen.96 Dies macht deutlich, dass ihm der Aspekt der Spekulationsbekämpfung gleichgültig ist. Es ist zudem auch nicht ersichtlich, dass Termingeschäfte im Betriebsvermögen in stärkerem Maße Ausdruck der „schädlichen Spekulation“ sind als Termingeschäfte im Privatvermögen. Somit ist fraglich, worin der besondere sachliche Grund bestehen könnte, der für eine Rechtfertigung der durch die Vorschrift bewirkten Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips erforderlich wäre. Zwar unterliegen auch die Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 6 S. 2 EStG einer intraperiodischen Verlustverrechnungsbeschränkung. Jedoch ist der Verlustverrechnungskreis viel weiter, als im Falle des § 23 Abs. 3 S. 8-9 EStG a.F. Er umfasst sämtliche Einkünfte aus Kapitalvermögen und nicht nur Gewinne aus privaten Veräußerungsgeschäften. Insofern ist schon fraglich, ob überhaupt noch ein Anreiz besteht, Verluste aus Termingeschäften in die betriebliche Sphäre zu verlagern. Dies würde erst recht gelten, falls der Gesetzgeber § 20 Abs. 6 EStG de lege ferenda verfassungskonform ausgestaltete.97 Eine missbrauchsanfällige Belastungsdifferenz ergibt sich nunmehr jedoch daraus, dass Gewinne aus Termingeschäften im Privatvermögen der Abgeltungsteuer unterliegen. Dies schafft einen Anreiz, Verluste in den betrieblichen Bereich zu verlagern, wo sie eine Entlastungswirkung von maximal 45 % entfalten können, und Gewinne im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen anfallen zu lassen, um von der niedrigen Belastung durch die Ab94 So beispielsweise Mönikes, Die Verlustverrechnungsbeschränkungen des Einkommensteuergesetzes im Lichte der Verfassung (2006), S. 149. 95 Vgl. Intemann in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 15 EStG, Rn. 1530. 96 Vgl. BT-Drs. 16/5491, S. 19. 97 Vgl. 3. Teil A. I. 1. a) dd) (6).
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geltungsteuer in Höhe von 25 % zu profitieren. Die Missbrauchsbekämpfung stellt somit weiterhin einen besonderen sachlichen Grund dar, der eine Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips rechtfertigen kann. Die Regelung nach § 15 Abs. 4 S. 3-5 EStG hält sich auch im Rahmen einer zulässigen Typisierung. Sie spricht zwar eine unwiderlegliche Missbrauchsvermutung aus, nimmt aber insbesondere Termingeschäfte, die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören aus und schränkt den Tatbestand so auf Sachverhalte ein, die für eine missbräuchliche Gestaltung in Betracht kommen. Daher kann die Vorschrift als gleichheitssatzkonform angesehen werden. Allerdings bewirkt § 15 Abs. 4 S. 3-5 EStG einen unverhältnismäßigen Eingriff in Art. 14 GG. Die Missbrauchsbekämpfung stellt zwar ein legitimes Ziel dar, zu dessen Erreichung die Regelung auch geeignet ist. Hinsichtlich der Rechtsfolge der Einkapselung der Verluste in einer eigenen Einkunftsunterart fehlt es jedoch an der Erforderlichkeit. Der einzige Zweck der Vorschrift besteht darin, die Verlagerung von Verlusten von den Einkünften aus Kapitalvermögen in den Bereich der gewerblichen Einkünfte zu verhindern. Ein gleich effektives, aber wesentlich milderes Mittel zur Erreichung dieses Zwecks ist es, die Verluste aus Termingeschäften im Betriebsvermögen den Einkünften aus Kapitalvermögen zuzuordnen und dort zu verrechnen. Zumindest müsste dem Steuerpflichtigen ein entsprechendes Wahlrecht eingeräumt werden.98 Im Ergebnis steht die Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 15 Abs. 4 S. 3-5 EStG somit mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Ausgestaltung der intraperiodischen Verlustverrechnung nicht im Einklang. De lege ferenda muss den Steuerpflichtigen zumindest die Option eröffnet werden, die Verluste mit positiven Einkünften aus Kapitalvermögen zu verrechnen. (8) Verluste aus gelegentlicher Leistung99 Obwohl die Verlustverrechnungsbeschränkung für Verluste aus gelegentlicher Leistung seit 1934 existiert und durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 grundlegend geändert wurde, hat sich der Gesetzgeber nie eindeutig zu dem mit der Regelung verfolgten Zweck geäußert. Die einzige mögliche Begründung für die Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 22 Nr. 3 S. 3-4 EStG ist, dass sich bei Einkünften aus gelegentlicher Leistung das Vorliegen einer Einkünfteerzielungsabsicht häufig nur schwer feststellen 98 Durch die Einräumung eines Wahlrechts würde dem Umstand Rechnung getragen, dass der Steuerpflichtige bei einer späteren Verrechnung mit Gewinnen aus Termingeschäften im Betriebsvermögen möglicherweise eine höhere Entlastungswirkung erreichen könnte und daher eventuell gar kein Interesse an einem sofortigen Verlustausgleich mit den positiven Einkünften aus Kapitalvermögen hat. 99 Vgl. 1. Teil B. I. 1. a) bb) (4).
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lässt.100 Die Verlustverrechnungsbeschränkung wäre dann als eine spezielle Missbrauchsvermeidungsvorschrift zur Bekämpfung der Liebhaberei zu qualifizieren. Diese Zwecksetzung stellt grundsätzlich einen besonderen sachlichen Grund dar, der die durch § 22 Nr. 3 S. 3-4 EStG bewirkte Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips gleichheitsrechtlich rechtfertigen kann. Allerdings müsste die Vorschrift bezüglich des Eingriffs in Art. 14 GG auch einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten. Hier erweist sich insbesondere der Umstand als problematisch, dass die Vorschrift den Missbrauch unwiderleglich typisiert. Eine solche strikte Regelung ist nicht erforderlich, um auszuschließen, dass Steuerpflichtige Liebhabereiverluste in den steuerbaren Bereich verlagern. Hierfür würde es beispielsweise genügen, eine Freigabe der Verlustverrechnung von der Glaubhaftmachung der Gewinnerzielungsabsicht durch den Steuerpflichtigen abhängig zu machen. Zumindest ist die unwiderlegliche Typisierung einer missbräuchlichen Gestaltung im Hinblick auf den Gesetzeszweck unangemessen. § 22 Nr. 3 S. 3-4 EStG steht somit mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht in Einklang. Die Vorschrift muss de lege ferenda dahingehend modifiziert werden, dass zumindest bei Nachweis der Gewinnerzielungsabsicht durch den Steuerpflichtigen eine unbeschränkte intraperiodische Verlustverrechnung möglich ist. (9) Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften101 Die Beschränkung der intraperiodischen Verlustverrechnung aus privaten Veräußerungsgeschäften nach § 23 Abs. 3 S. 7-8 EStG geht auf eine Regelung aus dem Jahr 1921 zurück102 und wurde lange Zeit gemeinhin als Lenkungsnorm zur Eindämmung der Spekulation verstanden.103 Diese Zweckbestimmung wurde bereits seit der erheblichen Verlängerung der Fristen des § 23 Abs. 1 EStG104 durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 in Zweifel gezogen.105 Seit der Unternehmensteuerreform 2008 scheidet die Spekulationsbekämpfung als Gesetzeszweck endgültig aus. Spekuliert werden kann zwar auch mit Immobilien.106 Wesentlich bedeutsamer als Spekula100 101 102 103
Vgl. 1. Teil B. I. 1. a) bb) (4) (b). Vgl. 1. Teil B. I. 1. a) bb) (5). Vgl. § 13 Nr. 8 S. 2 EStG 1920, RGBl. 1921, 313. Vgl. Mönikes, Die Verlustverrechnungsbeschränkungen des Einkommensteuergesetzes im Lichte der Verfassung (2006), S. 139 m.w.N. sowie Balliet, SteuStud 2007, S. 439. 104 Von 2 Jahren auf zehn Jahre für Immobilien und von 6 Monaten auf 1 Jahr für sonstige Wirtschaftsgüter. 105 Vgl. Strahl/Fuhrmann, FR 2003, S. 389. 106 Bzw. mit sonstigen beweglichen Gegenständen außer Wertpapieren, vgl. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG.
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tionsobjekt sind jedoch Wertpapiere aller Art, da für sie mit den Wertpapierbörsen hoch liquide Marktplätze zur Verfügung stehen, die ein schnelles – spekulatives – Kaufen und Verkaufen ermöglichen. Ausgerechnet für Wertpapiere hat der Gesetzgeber aber – mit einer rein fiskalisch motivierten Ausnahme für Aktien – die Möglichkeit einer Verrechnung mit sonstigen Kapitalerträgen eröffnet.107 Daran wird deutlich, dass es dem Gesetzgeber bei der Verlustverrechnungsbeschränkung nicht um die Spekulationsbekämpfung gehen kann. Die einzige tragfähige Begründung für § 23 Abs. 3 S. 7-8 EStG liegt in der Besonderheit, dass bei privaten Veräußerungsgeschäften der Fristablauf über die Steuerbarkeit entscheidet. Ein rationaler Steuerpflichtiger wird daher bestrebt sein, verlustträchtige Engagements kurz vor Ende der Spekulationsfrist zu beenden und so im steuerbaren Bereich zu halten. Umgekehrt wird er im Gewinnfall den Ablauf der Spekulationsfrist abwarten, um den Veräußerungsgewinn im nichtsteuerbaren Bereich anfallen zu lassen. Derartigen Gestaltungen beugt § 23 Abs. 3 S. 7-8 EStG vor.108 Es handelt sich somit um eine spezielle Missbrauchsvermeidungsvorschrift. Durch die legitime Zwecksetzung der Missbrauchsbekämpfung wird die von der Vorschrift bewirkte Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips und damit der Belastungsgleichheit gerechtfertigt. Gleiches gilt für den Eingriff in Art. 14 GG. Die Vorschrift dient einem legitimen Zweck und ist zur Erreichung dieses Zwecks geeignet. Auch die Erforderlichkeit ist zu bejahen, da ein milderes, gleich effektives Mittel nicht ersichtlich ist. Aufgrund der Verlustvortragsmöglichkeit kann die Beschränkung der intraperiodischen Verlustverrechnung durch § 23 Abs. 3 S. 7 EStG zudem nicht als unangemessen angesehen werden. bb) Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen Im zweiten Teil der Untersuchung wurde gezeigt, dass allgemeine Beschränkungen der intraperiodischen Verlustverrechnung unabhängig von der konkreten Ausgestaltung aufgrund ihrer Struktur generell verfassungsrechtlich unzulässig sind.109 Das deutsche Steuerrecht weist derzeit keine derartige Vorschrift auf und steht insofern in Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Gesetzgeber auch in Zukunft auf die Einführung allgemeiner Beschränkungen der intraperiodischen Verlustverrechnung verzichten wird. Mit § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. hat er be107 Vgl. 1 Teil B. I. 1. a) cc). 108 So auch BFH v. 18.10.2006 - IX R 28/05, BB 2007, S. 142; Haarmann, Stbg 2001, S. 152; Englisch, StuW 2007, S. 236. 109 Vgl. 2. Teil B. I. 1. b) bb).
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reits einmal versucht, eine allgemeine Beschränkung der intraperiodischen Verlustverrechnung im Steuerrecht zu installieren.110 Dass er dieses Experiment nach nur vier Veranlagungszeiträumen wieder beendete, war nicht den in Literatur und Rechtsprechung geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken geschuldet. Die Vorschrift wurde vielmehr aufgehoben, weil sie faktisch nicht vollziehbar war.111 Insofern muss jederzeit mit einem neuen gesetzgeberischen Anlauf zur Schaffung einer allgemeinen Beschränkung der intraperiodischen Verlustverrechnung gerechnet werden. Daher wäre es wünschenswert, wenn das BVerfG die sich durch den Vorlagebeschluss des BFH vom 06.09.2006112 bietende Gelegenheit für eine umfassende verfassungsrechtliche Würdigung der Vorschrift nutzte und sich nicht – wie vom BFH angeregt113 – auf die Frage des Verstoßes von § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. gegen das Gebot der Normenklarheit beschränkte. Denn § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. illustriert hervorragend die generelle verfassungsrechtliche Problematik allgemeiner Verlustverrechnungsbeschränkungen. Nach § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. war ein unbeschränkter intraperiodischer Verlustausgleich nur noch innerhalb einer Einkunftsart möglich. Eine derartige Beschränkung der Verlustverrechnung stellt keine neue Belastungsentscheidung mit „systemverändernder“ Wirkung dar,114 sondern verletzt das objektive Nettoprinzip und führt somit zu einer rechtfertigungsbedürftigen Ungleichbehandlung i.S.v. Art. 3 Abs. 1 GG. Denn indem er die Verlustverrechnung zwischen den Einkunftsarten einschränkte, durchbrach der Gesetzgeber die vorgelagerte Grundentscheidung, mittels der Einkommensteuer das Einkommen einer natürlichen Person und nicht – im Sinne einer Objektsteuer – die Ertragskraft einzelner Einkunftsquellen zu belasten.115 Die durch § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. bewirkte Ungleichbehandlung i.S.v. Art. 3 Abs. 1 GG sowie der Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG könnten nur mit der Verfolgung eines über den Fiskalzweck hinausgehenden, legitimen Zweckes gerechtfer-
110 Vgl. zu § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. 1. Teil B. I. 1. b). 111 Vgl. 1. Teil B. I. 1. b) bb). Der Gesetzgeber begründet die Abschaffung der Vorschrift damit, dass sie sich als „schwer handhabbar“ erwiesen habe. Darüber hinaus wird angeführt, dass sie infolge des Auslaufens des Fördergebietsgesetzes an Bedeutung verloren habe, vgl. BT-Drs. 15/1518, S. 13. 112 BFH v. 06.09.2006 - XI R 26/04, BStBl. II 2007, S. 167 ff. 113 BFH v. 06.09.2006 - XI R 26/04, BStBl. II 2007, S. 177. 114 So aber Werner, Die Mindestbesteuerung im deutschen und im US-amerikanischen Einkommensteuerrecht (2001), S. 73 f. 115 Vgl. 2. Teil B. I. 1. a. aa) (1). Durch § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. wurde daher nicht der Maßstab für die steuerliche Gleichbehandlung verschoben, sondern von diesem Maßstab in rechtfertigungsbedürftiger Weise abgewichen.
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tigt werden.116 Sofern man die Einführung der Mindestbesteuerung als rein fiskalisch motiviert ansieht,117 ist diese Bedingung offensichtlich nicht erfüllt. Doch selbst wenn man unterstellt, dass § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F., wie dies zumindest ursprünglich geplant war,118 der Bekämpfung unerwünschter Verlustzuweisungsgesellschaften diente, ändert dies nichts an der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift. Gleichheitsrechtlich stellt die Bekämpfung missbräuchlicher Steuergestaltungen zwar einen besonderen sachlichen Grund dar, der eine Durchbrechung der Belastungsgleichheit rechtfertigen kann.119 Doch sind selbst die Grenzen einer großzügig bemessenen Typisierungsbefugnis überschritten, wenn – wie im Falle des § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. – der verfolgte Zweck im Tatbestand keinerlei Niederschlag gefunden hat.120 Wie dies bei einer allgemeinen Verlustverrechnungsbeschränkung definitionsgemäß121 nicht anders sein kann, beschränkte die Vorschrift die Verlustverrechnung völlig unabhängig davon, wie die Verluste zustande gekommen waren. Zu einer zulässigen Typisierung von missbräuchlichen Gestaltungen wurde die Vorschrift auch nicht durch den Sockelbetrag in Höhe von 51.500 €, unterhalb dessen eine unbeschränkte Verlustverrechnung möglich war. Der Sockelbetrag führte dazu, dass die Vorschrift nur auf Steuerpflichtige Anwendung fand, bei denen sich relativ hohe negative und positive Einkünfte gegenüberstanden. Der BFH nahm insofern an, dass der Gesetzgeber typisierend berücksichtigen dürfe, dass Steuerpflichtige mit Gewinnen und Verlusten diese Verluste häufig gezielt selbst herbeigeführt hätten, um ihre Steuerlast zu mindern.122 Dieser Ansicht muss entschieden widersprochen werden. Denn dies würde bedeuten, ab einer bestimmten Höhe der positiven und negativen Einkünfte davon auszugehen, dass typischerweise eine missbräuchliche Gestaltung vorliegt. Allein die Höhe der positiven und negativen Einkünfte – ohne ein zusätzliches Merkmal – ist jedoch kein zuverlässiges Indiz für einen Missbrauch. Der Gesetzgeber nähme in Kauf, dass eine große Zahl von Steuerpflichtigen zu Unrecht erfasst würde.123
116 Vgl. 2. Teil A. I. 1. b) bb) und 2. bb). 117 So beispielsweise BFH v. 06.09.2006 - XI R 26/04, BStBl. II 2007, S. 170; Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 71. 118 Vgl. BT-Drs. 14/23, S. 167. 119 Vgl. 2. Teil A. I. 1. b) bb) (4). 120 Vgl. 1. Teil B. I. 1. b) sowie Hey, StuW 2008, S. 171. 121 Vgl. 1. Teil A. III. 2. 122 BFH v. 09.05.2001 - XI B 151/00, BStBl. II 2001, S. 554. 123 Vgl. Herzig/Briesemeister, DStR 1999, S. 1383.
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Genau dies war bei § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. der Fall. Nach einer empirischen Untersuchung waren Steuerpflichtige mit Verlusten aus Gewerbebetrieb von § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. überproportional stark getroffen.124 Wie insbesondere die ursprünglich geplante Unterscheidung nach aktiven und passiven Einkünften zeigt,125 sollte die Vorschrift aber de facto vor allem Steuerpflichtigen mit Verlusten aus Vermietung und Verpachtung die Verlustverrechnung mit positiven „aktiven“ Einkünften versagen. Die Zwecksetzung der Bekämpfung von Verlustzuweisungsgesellschaften konnte somit die von § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. ausgehende Durchbrechung der Belastungsgleichheit nicht rechtfertigen. § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. verstieß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Auch im Rahmen einer freiheitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung ergibt sich kein anderes Ergebnis. Legitimer Zweck und Geeignetheit liegen zwar vor. Die Vorschrift scheitert aber am Kriterium der Erforderlichkeit, da zielgenaue, spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen ein wesentlich milderes und nicht notwendigerweise weniger effektives Mittel zur Bekämpfung von Verlustzuweisungsgesellschaften darstellen. Darüber hinaus ist die Angemessenheit zu verneinen, wenn ein so spezieller Zweck mit einer so breit und undifferenziert wirkenden Maßnahme verfolgt wird. § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. führte somit auch zu einer Verletzung der Eigentumsgarantie, Art. 14 Abs. 1 GG. Die Verfassungswidrigkeit von § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F.126 verdeutlicht beispielhaft, dass die Einführung allgemeiner Beschränkungen der intraperiodischen Verlustverrechnung aus verfassungsrechtlicher Sicht generell keine zulässige Option ist. cc) Sicherung der Steuerfreiheit des Existenzminimums Intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkungen im Rahmen des EStG können den Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums in seiner freiheitsrechtlichen Dimension verletzen. Das Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums verlangt insofern, dass dem Steuerpflichtigen nach Steu-
124 Vgl. Müller, DBW 2007, S. 193. Die Analyse basierte auf einer hypothetischen Anwendung des § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. in den Jahren 1995 und 1998. 125 BT-Drs. 14/23, S. 3. 126 So beispielsweise auch Werz, Verlustverrechnungsbeschränkungen im Lichte der Verfassung unter besonderer Berücksichtigung der Verlustregeln des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (2003), S. 212; Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 73 f.; Korezkij, DStR 2006, S. 1783; Kohlhaas, DStR 2006, S. 2243. A.A. Werner, Die Mindestbesteuerung im deutschen und im USamerikanischen Einkommensteuerrecht (2001), S. 73 f. und offenbar Birk, StuW 2000, S. 331.
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ern das für ein menschenwürdiges Dasein Notwendige verbleibt.127 Es steht daher Beschränkungen der intraperiodischen Verlustverrechnung nicht per se entgegen. Erforderlich ist lediglich, dass derartige Vorschriften in ihrer Reichweite dahingehend eingeschränkt werden, dass sie nicht zu einer Besteuerung des Existenzminimums führen können. Unproblematisch sind zunächst Fälle, in denen keine Einkommensteuerzahllast entsteht. Durch den Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums kann nicht gewährleistet werden, dass der Steuerpflichtige über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Existenzminimums verfügt. Es soll lediglich verhindert werden, dass ihm diese Mittel durch die Einkommensteuer entzogen werden. Diese Gefahr besteht offensichtlich nicht, wenn trotz einer intraperiodischen Verlustverrechnungsbeschränkung keine Einkommensteuer zu zahlen ist.128 Das ist vor allem dann der Fall, wenn keine sonstigen positiven Einkünfte vorhanden sind und eine Verlustausgleichsbeschränkung somit ohnehin leer läuft.129 Die Frage, ob trotz intraperiodischer Verlustverrechnungsbeschränkung die Steuerfreiheit des Existenzminimums gewährleistet ist, wird akut, wenn eine Einkommensteuerschuld entsteht. Die Gefahr einer Besteuerung des Existenzminimums ergibt sich daraus, dass infolge der intraperiodischen Verlustverrechnungsbeschränkung die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage nicht das tatsächliche Einkommen des Steuerpflichtigen widerspiegelt, sondern ein fiktives, überhöhtes Einkommen.130 Um auszuschließen, dass die Festsetzung einer Steuerschuld im Zusammentreffen mit einer intraperiodischen Verlustverrechnungsbeschränkung zu einer Besteuerung des Existenzminimums führt, muss geprüft werden, ob dem Steuerpflichtigen nach Abzug der Einkommensteuer und der verlustverrechnungsbe127 Vgl. 2. Teil B. I. 2. b). Da dies auf alle Beschränkungen der intraperiodischen Verlustverrechnung zutrifft, soll die sich daraus ergebende verfassungsrechtliche Problematik vorab erörtert werden. 128 Vgl. Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 55. 129 Eine Beschränkung der intraperiodische Verlustverrechnung kann darüber hinaus dann nicht mit dem Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums in Konflikt geraten, wenn die sonstigen positiven Einkünfte den abziehbaren existenzsichernden Aufwand nicht übersteigen, da auch dann keine Einkommensteuerschuld entsteht. In diesem Fall wirkt sich die Verlustverrechnungsbeschränkung für den Steuerpflichtigen sogar vorteilhaft aus, da ein größeres Verlustvortragsvolumen erhalten bleibt, vgl. 2. Teil B. I. 1. a) dd). 130 Erzielt beispielsweise ein Steuerpflichtiger positive Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von 100.000 € sowie einen Verlust aus gewerblicher Tierhaltung in Höhe von ebenfalls 100.000 €, so hat er per Saldo nichts verdient. Wegen § 15 Abs. 4 S. 1 EStG bleiben die Verluste aus gewerblicher Tierhaltung jedoch intraperiodisch unberücksichtigt, so dass sich eine positive Bemessungsgrundlage in Höhe von 100.000 € ergibt.
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schränkten Verluste von der steuerlichen Bemessungsgrundlage mindestens das Existenzminimum verbleibt. Ist dies der Fall, so wird der Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums durch die Verlustverrechnungsbeschränkung nicht verletzt und die Verlustverrechnungsbeschränkung bleibt uneingeschränkt anwendbar. Ist dies jedoch nicht gewährleistet, so folgt aus dem Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums, dass die Verlustverrechnungsbeschränkung insoweit nicht angewendet werden darf. Die eigentlich verlustverrechnungsbeschränkten Verluste müssen dann ganz oder teilweise mit den sonstigen positiven Einkünften verrechnet werden. Beispiel: S erzielt im Veranlagungszeitraum 01 positive Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit i.H.v. 100.000 € sowie einen Verlust aus gewerblicher Tierhaltung i.H.v. 50.000 €. Aufgrund der Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 15 Abs. 4 S. 1 EStG beträgt die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage 100.000 €. Vereinfachend wird davon ausgegangen, dass der Steuersatz 40 % und das Existenzminimum 20.000 € beträgt. Per Saldo hat S ein Einkommen von 50.000 € (100.000 € - 50.000 €) erzielt. Zieht man hiervon die Einkommensteuerschuld von 40.000 € ab, so verbleiben S nach Steuern 10.000 €, was nicht zur Bestreitung des Existenzminimums von 20.000 € ausreicht. Um die Besteuerung des Existenzminimums zu beseitigen, muss die Steuerlast um 10.000 € reduziert werden. Hierfür müssen Verluste aus gewerblicher Tierzucht i.H.v. 25.000 € zur Verlustverrechnung zugelassen werden. Dadurch ermäßigen sich die Bemessungsgrundlage auf 75.000 € (100.000 € - 25.000 €) und die Einkommensteuerbelastung auf 30.000 € (75.000 € x 40 %), so dass S nach Steuern genau 20.000 € verbleiben. Im Übrigen bleibt die Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 15 Abs. 4 S. 1 EStG anwendbar. Die noch nicht verrechneten Verluste aus gewerblicher Tierhaltung (25.000 €) können nur interperiodisch mit positiven Einkünften aus gewerblicher Tierhaltung verrechnet werden.
Im Ergebnis ist somit bei Steuerpflichtigen, die von einer intraperiodischen Verlustverrechnungsbeschränkung betroffen sind, stets zu prüfen, ob der Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums in seiner freiheitsrechtlichen Dimension gewahrt ist. Das ist der Fall, wenn den Steuerpflichtigen nach Abzug der Steuerlast von ihrem per Saldo erzielten Einkommen, d.h. unter Einbeziehung der verrechnungsbeschränkten Verluste, das Existenzminimum verbleibt. Würden den Steuerpflichtigen hingegen durch die Besteuerung finanzielle Mittel entzogen, die sie zur Bestreitung des Existenzminimums benötigen, so dürfen Beschränkungen der intraperiodischen Verlustverrechnung insoweit nicht angewendet werden. Es muss dann der Anteil der verrechnungsbeschränkten Verluste zur Verlustverrechnung freigegeben werden, der nötig ist, um die Steuerlast so weit zu reduzieren, dass der
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Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums gewahrt ist. Im Übrigen bleiben die Verlustverrechnungsbeschränkungen anwendbar. Damit ist zunächst das Verfahren beschrieben, mit dessen Hilfe ausgeschlossen werden kann, dass intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkungen das Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums verletzen. Noch nicht geklärt ist, auf welche Weise der Kontrollmechanismus zu implementieren ist. Hierfür bestehen zwei Möglichkeiten. Zum einen könnte de lege ferenda ausdrücklich gesetzlich geregelt werden, dass es durch Beschränkungen der intraperiodischen Verlustverrechnung nicht zu einer Besteuerung des Existenzminimums kommen darf. Problematisch wäre an einem solchen Vorgehen, dass eine entsprechende Regelung notwendigerweise einen hohen Komplexitätsgrad aufweisen würde und daher nur schwer in eine gesetzestechnisch akzeptable Form zu bringen wäre.131 Die Alternative bestünde darin, es der Finanzverwaltung bzw. der Finanzgerichtsbarkeit zu überlassen, im Einzelfall eine Besteuerung des Existenzminimums zu verhindern. Wenn eine Steuernorm nur in atypischen Einzelfällen zu einer Verletzung der Grundrechte führt, so soll es grundsätzlich genügen, dass in diesen Fällen eine Abhilfe durch Billigkeitsmaßnahmen nach der Abgabenordnung möglich ist.132 Hierfür käme insbesondere eine abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 AO in Betracht.133 Zudem kann die Finanzgerichtsbarkeit auf Grundrechtsverstöße in atypischen Fällen durch eine verfassungskon131 Komplikationen würden sich unter anderem daraus ergeben, dass eine entsprechende Vorschrift auch eine Regelung für das Zusammentreffen mehrerer intraperiodischer Verlustverrechnungsbeschränkungen vorsehen müsste. Gegebenenfalls müssten dann anteilig Verluste zur Verlustverrechnung zugelassen werden. Zu einer weiteren Erhöhung des Komplexitätsniveaus würde es schließlich bei einem generellen Übergang zu einer Schedulenbesteuerung kommen. Die einzige praktikable Möglichkeit zur Sicherung der Steuerfreiheit des Existenzminimums bestünde wohl darin, die direkte intraperiodische Verlustverrechnung zwischen den Schedulen freizugeben und die Ausnutzung von Steuersatzdifferenzen im Rahmen der interperiodischen Verlustverrechnung auszuschließen. Einen derartigen Mechanismus haben der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage, das Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht sowie das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH im Rahmen ihres gemeinsamen Modells für eine duale Einkommensteuer entwickelt, vgl. „Reform der Einkommens- und Unternehmensbesteuerung durch die Duale Einkommensteuer“, Stand 13.02.2006 (2. Teil, Fn. 374), S. 145 f. 132 Vgl. beispielsweise BVerfG v. 22.07.1991 - 1 BvR 313/88, NJW 1992, S. 169 zur Beschränkung des Verlustvortrags auf fünf Jahre sowie allgemein Drüen, Periodengewinn und Totalgewinn (1999), S. 102; Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 78. 133 Vgl. Heintzen in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 181.
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forme Auslegung der betreffenden Vorschrift reagieren.134 Die Verfassungsmäßigkeit der Norm insgesamt wäre dann nicht in Frage gestellt. Sofern sich die Verfassungsverstöße jedoch nicht auf atypische Einzelfälle beschränken, so ist die Norm grundsätzlich insgesamt verfassungswidrig.135 Im Hinblick auf einzelne spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen kann man möglicherweise davon ausgehen, dass sie nur in atypischen Einzelfällen zu einer Besteuerung des Existenzminimums führen. Allerdings müssen bei der Beurteilung dieser Frage alle intraperiodischen Verlustverrechnungsbeschränkungen gemeinsam betrachtet werden. Da der Gesetzgeber den Grundsatz des unbeschränkten einkommensteuerlichen Verlustausgleichs nach und nach durch eine Vielzahl spezieller Beschränkungstatbestände ausgehöhlt hat,136 ist es keineswegs eine Selbstverständlichkeit, dass es im Zusammenspiel dieser Vorschriften nur in seltenen, atypischen Ausnahmefällen zu einer Besteuerung des Existenzminimums kommt. Solange sich diese Situation nicht grundlegend ändert, ist einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung der Vorzug zu geben. b) Körperschaftsteuer Auch im Bereich der Körperschaftsteuer ist verfassungsrechtlich im Ausgangspunkt eine unbeschränkte intraperiodische Verlustverrechnung geboten.137 Bezüglich der verfassungsrechtlichen Beurteilung der einkommensteuerlichen Verlustverrechnungsbeschränkungen, die über § 8 Abs. 1 KStG auf Körperschaftsteuersubjekte Anwendung finden, wird auf die Ausführungen zur verfassungskonformen Ausgestaltung der einkommensteuerlichen intraperiodischen Verlustverrechnung verwiesen.138 Die einzigen originär körperschaftsteuerlichen Beschränkungen der intraperiodischen Verlustverrechnung sind die §§ 8b Abs. 3 S. 3 und 8c KStG. Eine Würdigung von § 8b Abs. 3 S. 3 KStG ist nur auf der Basis einer umfassenden verfassungsrechtlichen Bewertung des Halbeinkünfteverfahrens möglich. Dies würde 134 Vgl. dazu BVerfG v. 14.07.2006 - 2 BvR 375/00, BVerfGK 8, S. 394 f. Die Entscheidung betrifft § 15a EStG. Das BVerfG äußerte sich zwar nicht direkt zur Steuerfreiheit des Existenzminimums. Zum Gebot der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit führte es jedoch aus, dass Fälle, in denen § 15a EStG gegen dieses Gebot verstoßen sollte, von der Finanzgerichtsbarkeit im Wege einer Analogie oder einer teleologischen Reduktion zu bewältigen wären. 135 Vgl. Drüen, Periodengewinn und Totalgewinn (1999), S. 102; Fischer, FR 2007, S. 285 f. In diesem Sinn auch Heintzen in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 181. 136 Vgl. 1. Teil B. I. 1. a). Gegenwärtig existieren elf spezielle Beschränkungen der intraperiodischen Verlustverrechnung. 137 Vgl. 2. Teil B. I. 1. und 2. 138 Vgl. 3. Teil A. I. a) dd) (1), (2), (3), (4), (7).
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den Rahmen dieser Untersuchung sprengen. Insofern wird auf die Monographie von Karin Beck verwiesen,139 in der die Verfasserin auch zur verfassungsrechtlichen Beurteilung von § 8b Abs. 3 S. 3 KStG Stellung nimmt.140 Auf § 8c KStG wird im Rahmen der interperiodischen Verlustverrechnung eingegangen.141 c) Gewerbesteuer Gewerbesteuerlich ist eine intraperiodische Verlustverrechnung bezüglich des Gewinns eines Gewerbebetriebs geboten.142 Insofern bestehen derzeit, abgesehen von § 10a GewStG i.V.m. § 8c KStG, der im Rahmen der interperiodischen Verlustverrechnung erörtert wird, keine Einschränkungen. Eine Änderung der Rechtslage ist somit aus verfassungsrechtlicher Sicht de lege ferenda nicht erforderlich. d) Zusammenfassung: Notwendige Anpassung der intraperiodischen Verlustverrechnung an die verfassungsrechtlichen Vorgaben Die derzeit existierenden intraperiodischen Verlustverrechnungsbeschränkungen im EStG lassen sich in drei Kategorien einteilen. Einige Vorschriften sind de lege lata verfassungskonform, so dass insofern zumindest aus verfassungsrechtlicher Perspektive kein Änderungsbedarf besteht. Andere Vorschriften sind hingegen bereits konzeptionell verfassungswidrig und müssen daher de lege ferenda ersatzlos gestrichen werden. Die größte Gruppe bilden hingegen Vorschriften, die zwar de lege lata verfassungsrechtlich zu beanstanden sind, die jedoch vom Gesetzgeber de lege ferenda verfassungskonform ausgestaltet werden könnten. Einen Überblick vermittelte die nachfolgende Abbildung:
139 Vgl. Beck, Die Besteuerung von Beteiligungen an körperschaftsteuerlichen Steuersubjekten im Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht (2004). 140 Vgl. Beck, Die Besteuerung von Beteiligungen an körperschaftsteuerlichen Steuersubjekten im Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht (2004), S. 228 f. 141 Vgl. 3. Teil .A. I. 2. b). 142 Vgl. 2. Teil B. I.
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Ergebnis der verfassungsrechtlichen Würdigung der intraperiodischen Verlustverrechnungsbeschränkungen im EStG
Verfassungskonform -
Verfassungswidrig
§ 15 Abs. 4 S. 1-2 EStG § 15b EStG § 17 Abs. 2 S. 6 EStG § 23 Abs. 3 S. 7-8 EStG
Verfassungskonforme Ausgestaltung mgl. -
§ 15 Abs. 4 S. 3-5 EStG § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG § 15a EStG § 22 Nr. 3 S. 3-4 EStG
Verfassungskonforme Ausgestaltung nicht mgl. - § 20 Abs. 6 S. 5 EStG - § 20 Abs. 6 S. 2-4 EStG
Abbildung 27 Verfassungsrechtliche Würdigung der intraperiodischen Verlustverrechnungsbeschränkungen im EStG
Die gewerbesteuerlichen und körperschaftsteuerlichen Regelungen zur intraperiodischen Verlustverrechnung sind hingegen bereits de lege lata verfassungskonform. 2. Interperiodische Verlustverrechnung Nach der Darstellung des Änderungsbedarfs im Rahmen der intraperiodischen Verlustverrechnung wird nachfolgend untersucht, inwieweit die Ausgestaltung der interperiodischen Verlustverrechnung de lege ferenda an die verfassungsrechtlichen Vorgaben angepasst werden muss. Dabei wird zwischen der interperiodischen Verlustverrechnung im Rahmen der Einkommensteuer, der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer differenziert. a) Einkommensteuer Verfassungsrechtlich ist im Ausgangspunkt sowohl ein zeitlich und betragsmäßig unbegrenzter Verlustrücktrag als auch ein zeitlich und betragsmäßig unbegrenzter Verlustvortrag geboten. Unter bestimmten Voraussetzungen ist jedoch eine Beschränkung der interperiodischen Verlustverrechnung möglich.143 aa) Allgemeine Beschränkungen der interperiodischen Verlustverrechnung Wie sich bei der Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für die interperiodische Verlustverrechnung gezeigt hat, bestehen erhebliche 143 Vgl. 2 Teil B. II.
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Anpassungsbedarf an die verfassungsrechtlichen Vorgaben
Unterschiede hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit allgemeiner Beschränkungen des Verlustrücktrags bzw. des Verlustvortrags.144 (1) Verlustvortrag Bei der Herausarbeitung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für die interperiodische Verlustverrechnung hat sich ergeben, dass zeitliche und betragsmäßige Beschränkungen des allgemeinen Verlustvortrags verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden können.145 Zeitlich ist der Verlustvortrag momentan unbeschränkt möglich. Insofern erweist sich die geltende Rechtslage als verfassungskonform. De lege ferenda wäre die Wiedereinführung einer zeitlichen Beschränkung des Verlustvortrags auf fünf Jahre, wie es der Rechtslage vor dem Steuerreformgesetz 1990 entsprach, nicht zulässig.146 Allerdings wird der Verlustvortrag de lege lata betragsmäßig durch die sog. Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG beschränkt. Diese Regelung ist verfassungswidrig und muss daher de lege ferenda aufgehoben werden. Zum einen verstößt § 10d Abs. 2 EStG gegen das Gebot der Belastungsgleichheit in der Zeit,147 da die Vorschrift eine zeitnahe Verlustverrechnung verhindert. Zum anderen bewirkt die Mindestbesteuerung immer dann eine Durchbrechung der Belastungsgleichheit in Bezug auf das Totaleinkommen,148 wenn infolge der zeitlichen Streckung der Verlustverrechnung am Ende der Totalperiode noch nicht verrechnete Verluste vorhanden sind. Angesichts dessen ist es eine Fehleinschätzung, wenn Gesetzgeber und Rechtsprechung davon ausgehen, durch die Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG gingen keine Verluste verloren, sondern die Verlustverrechnungsbeschränkung würde lediglich „zeitlich gestreckt“.149 Denn dies setzte voraus, dass der Steuerpflichtige seine Lebensspanne und damit die Totalperiode genauso beliebig strecken könnte wie der Gesetzgeber die Verlustverrechnung. Diesen Wettlauf kann der Steuerpflichtige nur verlieren. Insofern mehreren sich auch in der Rechtsprechung die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Mindestbesteuerung. Während der BFH diese Frage noch offen ließ,150 hält das FG München die gewerbesteuerliche Mindestbesteuerung nach § 10a S. 1-2 GewStG wegen Verstoßes gegen das objektive Nettoprinzip für verfassungswidrig, soweit die Vorschrift entgegen dem der gesetzge-
144 145 146 147 148 149 150
Vgl. 2. Teil B. II. 1. b). Vgl. 2. Teil B. II. 1. b). Vgl. 2. Teil B. II. 1. b) aa) (1) und 2. a) bb) (3) (a). Vgl. 2. Teil B. II. 1. a) aa) (1) (a) und bb) (1). Vgl. 2. Teil B. II. 1. a) aa) (1) (b) und bb) (2) (b). BT-Drs. 15/1665, S. 4. BFH v. 27.01.2006 - VIII B 179/05, BFH/NV 2006, S. 1151
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berischen Intention nicht nur zu einer zeitlichen Streckung, sondern zu einem endgültigen Verlustuntergang führt.151 Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Mindestbesteuerung nach § 10d EStG Abs. 2 ist nicht möglich. Als allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkung ist die Wirkung der Mindestbesteuerung zu unspezifisch, um – wie spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen – mit der Verfolgung eines Lenkungszieles gerechtfertigt werden zu können. Der einzige Zweck, dem eine Mindestbesteuerung durch die Streckung der Verlustverrechnung wirklich dient, ist der Fiskalzweck.152 Der Fiskalzweck allein kann aber eine Durchbrechung der Belastungsgleichheit sowie einen über die Belastungsgrundentscheidung hinausgehenden Eingriff in Art. 14 GG nicht rechtfertigen. Auch die im Zusammenhang mit § 10d EStG angeführten Gesichtspunkte der „Verstetigung der Staatseinnahmen“ und der Haushaltskonsolidierung153 sind, wie gezeigt wurde, kein über den Fiskalzweck hinausgehender Gemeinwohlbelang.154 Zum Teil wird jedoch vertreten, die Mindestbesteuerung nach § 10d EStG sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, da in der Vergangenheit sogar eine zeitliche Beschränkung des Verlustvortrags auf fünf Jahre zulässig gewesen sei.155 Diese Argumentation trägt aus zwei Gründen nicht. Ersten beruht es auf der falschen Prämisse, eine zeitliche Beschränkung des Verlustvortrags sei verfassungsrechtlich zulässig.156 Zweitens ist schon der Schluss a maiore ad minus in diesem Fall unzulässig. Denn bei der betragsmäßigen Beschränkung des Verlustvortrags nach § 10d Abs. 2 EStG handelt es sich nicht um ein wesensgleiches Minus zur zeitlichen Kappung des Verlustvor151 FG München v. 31.07.2008 - 8 V 1588/08, DStRE 2009, S. 101. Für die parallel ausgestaltet einkommensteuerliche Mindestbesteuerung kann grundsätzlich nichts anderes gelten. 152 So auch Eckhoff in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 34; Ewald, DStR 2005, S. 1557; Lang/Englisch, StuW 2005, S. 10; Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 77. 153 Vgl. Kempermann in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 114 f.; Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 77. 154 Vgl. 2. Teil B. I. 1. b) bb) (2) sowie 2. Teil B. II. 1. b) dd). 155 Vgl. Weber-Grellet, Stbg 2004, S. 82. 156 Wie gezeigt wurde, ist die anders lautende Entscheidung des BVerfG v. 22.07.1991, 1 BvR 313/88, NJW 1992, S. 168 f., mittlerweile infolge der Einführung des Feststellungsverfahrens nach § 10d Abs. 4 EStG überholt, vgl. 2. Teil B. II. 1. b) aa) (1) und 2. a) bb) (3) (a). Infolge dessen ist der Konflikt zwischen materieller Gerechtigkeit und Rechtssicherheit, der nach Ansicht des BVerfG eine zeitliche Kappung des Verlustvortrags rechtfertigte, entfallen. Nunmehr stellt auch ein zeitlich unbeschränkter Verlustvortrag keine Gefahr für die Rechtssicherheit mehr dar.
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trags, sondern um ein Aliud. Nichts bringt dies besser zum Ausdruck, als die diametral entgegengesetzten Auswirkungen beider Techniken zur Beschränkung des Verlustvortrags. Durch die zeitliche Kappung wird der Verlustvortrag auf einen überschaubaren Zeitraum beschränkt, durch die betragsmäßige Beschränkung nach § 10d EStG auf unüberschaubare Zeit „gestreckt“. In der Literatur findet sich ferner die Auffassung, die gegen § 10d Abs. 2 EStG vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken könnten im Wege einer verfassungskonformen Auslegung ausgeräumt werden.157 Der Tatbestand sei um das ungeschriebene negative Tatbestandsmerkmal zu ergänzen, dass die Mindestbesteuerung nur greift, wenn sie nicht zu einer Definitivbesteuerung führt.158 Sofern es lediglich bei einer Streckung der Verlustverrechnung bleibt, könnte § 10d Abs. 2 EStG demnach als verfassungskonform angesehen werden. Dieser Ansicht ist aus zwei Gründen nicht zuzustimmen. Erstens bewirkt die Mindestbesteuerung nicht nur eine Durchbrechung der Belastungsgleichheit, wenn am Ende der Totalperiode Verluste ungenutzt verfallen. Selbst dann, wenn die Mindestbesteuerung tatsächlich „nur“ zu einer Streckung der Verlustverrechnung führt, liegt darin eine rechtfertigungsbedürftige Durchbrechung des Gebots der gleichmäßigen Belastung in der Zeit, das eine möglichst zeitnahe Verlustverrechnung gebietet.159 An dieser Rechtfertigung fehlt es gerade. Die tatbestandliche Reduktion der Vorschrift scheitert somit daran, dass die Norm keinen verfassungskonformen Kern hat, auf den sie reduziert werden könnte. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 10d EStG ist nicht möglich.160 Darüber hinaus ließe sich die vorgeschlagene teleologische Reduktion praktisch nur äußert schwer realisieren. Denn in dem Veranlagungszeitraum, in dem sich die Mindestbesteuerung auswirkt, wird in der Regel noch nicht absehbar sein, ob es dadurch unter Umständen Jahre oder Jahrzehnte später am Ende der Totalperiode zum Wegfall nicht genutzter Verluste und damit zu einer Überbesteuerung kommt. Dies lässt sich nur in einer retrospektiven Betrachtung beurteilen.161 Schließlich ändern auch die großzügig bemessenen Sockelbeträge von 1 Million Euro bzw. von 2 Millionen Euro bei Zusammenveranlagung nichts an der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift.162 Die hohen Sockelbeträge 157 So beispielsweise Orth, FR 2005, S. 530; Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 78; Fischer, FR 2007, S. 285 f. 158 Vgl. Fischer, FR 2007, S. 285 f. 159 Vgl. 2. Teil B. II. 1. a) aa) (1) (a) und bb) (1). 160 So auch Lang/Englisch, StuW 2005, S. 14. 161 Fischer, FR 2007, S. 285 f. will dies verfahrensrechtlich über § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO bewerkstelligen, was mit enormen Aufwand verbunden wäre. 162 Für Raupach in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 61. hingegen verringern die Sockelbeträge zumindest die verfas-
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führen zwar dazu, dass sich die Regelung – wie vom Gesetzgeber offenbar auch beabsichtigt – vor allem im Körperschaftsteuerrecht auswirkt, wo § 10d Abs. 2 EStG über § 8 Abs. 1 KStG ebenfalls Anwendung findet. Dessen ungeachtet ist die Zahl der Einkommensteuersubjekte mit Verlustvorträgen oberhalb der Sockelbeträge nicht zu vernachlässigen.163 Hätte der Gesetzgeber den Anwendungsbereich der Vorschrift auf das Körperschaftsteuerrecht beschränken wollen, hätte er diese im KStG ansiedeln müssen. (2) Verlustrücktrag Anders als eine Einschränkung des Verlustvortrags kann eine Einschränkung des Verlustrücktrags grundsätzlich verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden.164 Fraglich ist jedoch, ob auch die konkrete Beschränkung des Verlustrücktrags auf einen Veranlagungszeitraum und 511.500 € bzw. 1.023.000 € bei Zusammenveranlagung nach § 10d Abs. 1 EStG verfassungskonform ist. Die zeitliche Einschränkung des Verlustrücktrags nach § 10d Abs. 1 EStG auf ein Jahr kann mit den Zielsetzungen der Wahrung der Rechtssicherheit, der typisierenden Verwaltungsvereinfachung sowie der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Finanz- und Haushaltsplanung begründet werden. Hinsichtlich der betragsmäßigen Beschränkung des Verlustrücktrags kommt nur der letztgenannte Aspekt als Rechtfertigungsgrund in Frage.165 Hierbei handelt es sich jeweils um besondere sachliche Gründe, die die Durchbrechung der Belastungsgleichheit rechtfertigen.166 Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt daher im Ergebnis nicht vor. Darüber hinaus muss die zeitliche und betragsmäßige Einschränkung des Verlustrücktrags im Hinblick auf den Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten. Wie bereits bei der Darstellung
163
164 165 166
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sungsrechtlichen Bedenken. Letztlich ändert dies aber nichts an der Bewertung der Norm als verfassungswidrig. Denn die verfassungsrechtlichen Bedenken auszuräumen vermögen die Sockelbeträge auch bei Raupach offenbar nicht. Beispielswiese erzielten im Veranlagungszeitraum 2004 1.437 Steuerpflichtige einen negativen Gesamtbetrag der Einkünfte von mehr als 500.000 €, vgl. Einkommensteuerstatistik 2004 (Fn. 655), S. 6. Eine genauere Aufschlüsselung der Daten erfolgt nicht. Allerdings beträgt der kumulierte Verlust dieser Gruppe über 2 Milliarden Euro, was einem durchschnittlichen Verlust pro Steuerpflichtigem von fast 1,4 Millionen Euro entspricht. Vgl. 2. Teil B. II. 1. b) und 2. a) bb). Vgl. 2. Teil B. II. 1. b) cc) (2) und 2. a) bb). Lediglich in Hinblick auf die Verwaltungsvereinfachung sind die Grenzen einer zulässigen Typisierung insofern überschritten, als der Gesetzgeber die allgemeine zeitliche Beschränkung des Verlustrücktrags auf ein Jahr nicht um einen außerordentlichen Verlustrücktrag für den Fall ergänzt, dass eine Verlustnutzung im Wege des Verlustvortrags nicht mehr in Betracht kommt, vgl. 2. Teil B. II. 1. b) bb).
Anpassungsbedarf an die verfassungsrechtlichen Vorgaben
der verfassungsrechtlichen Vorgaben für die interperiodische Verlustverrechnung gezeigt wurde, hat der Gesetzgeber bei der zeitlichen und betragsmäßigen Beschränkung des Verlustrücktrags einen weiten Gestaltungsspielraum, ohne dass einer entsprechenden Regelung die Geeignetheit oder Erforderlichkeit zur Wahrung der Rechtssicherheit, zur Verwaltungsvereinfachung bzw. zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Finanz- und Haushaltsplanung abgesprochen werden könnte.167 Zweifel bestehen jedoch hinsichtlich der Angemessenheit der geltenden Beschränkungen des Verlustrücktrags. Bei der notwendigen Abwägung muss die zentrale Rolle des Verlustrücktrags für eine gleichmäßige interperiodische Verlustverrechnung beachtet werden. Ein zeitlich und betragsmäßig unbeschränkter Verlustvortrag bleibt wirkungslos, wenn ein Steuerpflichtiger innerhalb der Totalperiode zuerst Gewinne erzielt und dann Verluste erleidet. Andererseits muss aber auch der hohe Stellenwert der Gemeinwohlbelange der Rechtssicherheit, der Verwaltungsvereinfachung und der Funktionsfähigkeit der Haushaltsplanung berücksichtigt werden. Dem würde eine Freigabe oder starke Ausweitung der Verlustrücktragsmöglichkeit zuwider laufen. Ein angemessener Ausgleich zwischen diesen beiden widerstreitenden Interessen besteht darin, zwar den generellen Verlustrücktrag zu beschränken, andererseits aber dann einen außerordentlichen Verlustrücktrag zu ermöglichen, wenn aufgrund des Endes der Totalperiode eine Verlustverrechnung im Wege des Verlustvortrags nicht mehr möglich ist. Übertragen auf die geltende Rechtslage bedeutet dies, dass die generelle Beschränkung des Verlustrücktrags auf ein Jahr und 511.500 € verfassungsrechtlich unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden ist. Unverhältnismäßig ist die Einschränkung des Verlustrücktrags jedoch, wenn am Ende der Totalperiode eine Verlustverrechnung im Wege des Verlustvortrags nicht mehr möglich ist.168 De lege lata gehen in diesem Fall die beim Erblasser noch nicht verrechneten Verluste unter, was zu einer Verletzung der Belastungsgleichheit in Bezug auf das Totaleinkommen führen kann. Um dies zu verhindern, muss de lege ferenda zunächst zumindest optional die Möglichkeit eröffnet werden, nicht realisierte Einkünfte des Erblassers aufzudecken und mit seinen nicht genutzten Verlusten zu verrechnen.169 Insbesondere müsste die obligatorische Buchwertverknüpfung nach § 6 Abs. 3 EStG durch ein Wahlrecht zur Aufdeckung der stillen Reserven ersetzt werden. In einem zweiten Schritt ist eine interperiodische Ver167 Vgl. 2. Teil B. II. 2. a) bb) (1) (2) und (3). 168 So im Ergebnis auch Mönikes, Die Verlustverrechnungsbeschränkungen des Einkommensteuergesetzes im Lichte der Verfassung (2006), S. 209. 169 Vgl. 2. Teil B. III. 1. b) bb).
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege ferenda
lustverrechnung über einen außerordentlichen Verlustrücktrag zu ermöglichen.170 Damit es in einer signifikanten Zahl von Fällen doch noch zu einer gleichmäßigen Belastung des Totaleinkommens kommt, sollte der außerordentliche Verlustrücktrag mindestens zehn Veranlagungszeiträume umfassen. Eine Beeinträchtigung der Funktionstüchtigkeit der Haushaltsplanung ist durch eine solche Maßnahme nicht zu befürchten. Im Regelfall können Verluste bereits im Rahmen der intra- und interperiodischen Verlustverrechnung berücksichtigt werden. Der außerordentliche Verlustrücktrag würde nur die Fälle erfassen, in denen dies ausnahmsweise nicht möglich ist. Entsprechend niedrig wären die Verlustverrechnungsvolumina. Zudem handelt es sich bei zehn Jahren um einen auch verwaltungstechnisch und im Hinblick auf die Wahrung der Rechtssicherheit noch praktikablen Zeitraum.171 Durch die Fortschritte im Bereich der elektronischen Datenverarbeitung sind zukünftig auch noch längere Zeiträume denkbar. Ganz neue Perspektiven eröffnet insofern die Einführung der lebenszeitlich unveränderlichen Steueridentifikationsnummer, §§ 139a ff. AO. Dadurch wird es zukünftig einem Finanzamt möglich sein, per Knopfdruck die gesamte Steuerhistorie eines Steuerpflichtigen abzurufen, selbst wenn dieser im Laufe seines Lebens mehrfach den Wohnort gewechselt hat. Man kann die Datensammelwut des Staates aus guten Gründen freiheitsrechtlich für bedenklich halten. Wenn aber der Staat nun einmal daran geht, den „gläsernen Steuerpflichtigen“ Realität werden zu lassen, so darf dies nicht nur zu Lasten des Steuerpflichtigen gehen. Vielmehr muss der Staat den Steuerpflichtigen auch an den Vorteilen der Transparenz teilhaben lassen und kann ihm – sofern er die Daten ohnehin vorhält – materielle Gerechtigkeit nicht mit Hinweis auf die Verwaltungseffizienz verweigern. bb) Spezielle Beschränkungen der interperiodischen Verlustverrechnung Spezielle Beschränkungen der interperiodischen Verlustverrechnung ergeben sich im Rahmen der Einkommensteuer de lege lata aus der interperiodischen Fortsetzung intraperiodischer Verlustverrechnungsbeschränkungen.172 Innerhalb der speziellen Verlustverrechnungskreise gelten für die interperiodische Verlustverrechnung im Ausgangspunkt die gleichen verfassungsrechtlichen Vorgaben wie im Rahmen der allgemeinen interperiodischen Verlustverrechnung. Geboten sind sowohl ein zeitlich und betragsmäßig unbegrenzter 170 Vgl. 2. Teil B. III. 1. b) bb). 171 Rose schlägt sogar einen generellen Verlustrücktrag von zehn Jahren vor, vgl. Rose in: Rose (Hrsg.), Reform der Einkommensbesteuerung in Deutschland (2002), S. 172. 172 Vgl. 1. Teil B. II. 1. c).
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Anpassungsbedarf an die verfassungsrechtlichen Vorgaben
Verlustrücktrag als auch ein ebensolcher Verlustvortrag. Beschränkungen des Verlustvortrags sind nicht möglich. Insbesondere die Anwendung der Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG innerhalb spezieller Verlustverrechnungskreise ist insofern als verfassungswidrig zu qualifizieren. Der Verlustrücktrag kann hingegen zur Verwaltungsvereinfachung und zur Wahrung der Rechtssicherheit eingeschränkt werden.173 Besonderheiten ergeben sich im Hinblick auf die Angemessenheit der Regelung zur interperiodischen Verlustverrechnung innerhalb spezieller Verrechnungskreise. Grundsätzlich bedarf es für die interperiodische Aufrechterhaltung intraperiodischer Verlustverrechnungsbeschränkungen gegenüber der originären intraperiodischen Verlustverrechnungsbeschränkung keiner eigenständigen Rechtfertigung. Allerdings wird es durch die Einkapselung der Verluste in sehr spezifischen Verlustverrechnungskreisen wahrscheinlicher, dass im Rahmen der normalen interperiodischen Verlustverrechnung eine vollständige Verlustnutzung nicht gelingt. Bei Verlustverrechnungsbeschränkungen auf eine Einkunftsunterart steht dies erst am Ende der Totalperiode fest,174 bei Verlustverrechnungsbeschränkungen auf die Einkunftsquelle bereits dann, wenn aus der konkreten Einkunftsquelle keine positiven Einkünfte mehr zu erwarten sind. Gleichheitsrechtlich ist der endgültige Untergang der Verluste innerhalb besonderer Verrechnungskreise regelmäßig nicht zu beanstanden, da im Rahmen der Rechtfertigung von Verstößen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG, im Steuerrecht keine Gewichtung von Zweck und Mittel erfolgt. Allerdings ist im Hinblick auf den Eingriff in Art. 14 GG auch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen. Im Rahmen dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung muss insbesondere problematisiert werden, ob der endgültige Verlustuntergang im Hinblick auf den mit der speziellen Verlustverrechnungsbeschränkung verfolgten Zweck erforderlich und angemessen ist.
173 Dagegen kann die Zielsetzung der Sicherung der Funktionsfähigkeit der periodischen Haushaltswirtschaft innerhalb spezieller Verlustverrechnungskreise aufgrund der jeweils geringen fiskalischen Relevanz keine legitimierende Kraft entfalten. 174 Wenn sich beispielsweise ein Steuerpflichtiger aus der gewerblichen Tierzucht und Tierhaltung ganz zurückzieht, so werden seine bislang nicht genutzten Verluste zwar bis an sein Lebensende vorgetragen. Nutzen kann er sie jedoch mangels passender positiver Einkünfte nicht. Auch durch die Aufdeckung stiller Reserven oder einen erweiterten Verlustrücktrag wird es in derartigen Fällen oft nicht möglich sein, eine vollständige Verlustnutzung zu verwirklichen, so dass der endgültige Untergang der Verluste droht.
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(1) Verluste aus stillen Gesellschaften, Unterbeteiligungen oder sonstigen Innengesellschaften an Kapitalgesellschaften Wie gezeigt wurde, ist die Beschränkung der intraperiodischen Verlustverrechnung § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG in ihrer gegenwärtigen Form wegen der zu groben Missbrauchstypisierung verfassungswidrig.175 Dies gilt natürlich in gleicher Weise für die interperiodische Fortsetzung der Verlustverrechnungsbeschränkung. Es wäre aber durchaus denkbar, sie durch eine Verengung des Tatbestandes auf typische Missbrauchsfälle sowie durch die Möglichkeit zur Widerlegung der Missbrauchsvermutung de lege ferenda so umzugestalten, dass sie den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht. Dann würde sich die Frage stellen, wie mit den von § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG erfassten Verlusten zu verfahren ist, wenn feststeht, dass aus der stillen Beteiligung keine positiven Einkünfte mehr erzielt werden können. De lege lata sind diese Verluste endgültig verloren.176 Diese Rechtsfolge wäre unverhältnismäßig, wenn sie zur Erreichung des Zwecks der Vorschrift nicht erforderlich wäre. Als milderes Mittel ist zu erwägen, die Verlustverrechnungsbeschränkung aufzuheben, wenn eine Verrechnung mit Gewinnen aus der stillen Beteiligung nicht mehr in Betracht kommt. Dadurch würde jedoch die Effektivität der Vorschrift als Missbrauchsvermeidungsvorschrift entscheidend geschwächt. Denn die beteiligten Kapitalgesellschaften könnten diesen Fall mittels verschiedener Gestaltungen gezielt herbeiführen. Beispielsweise könnten sie die Innengesellschaft schlicht beenden. Daher würde eine Freigabe der Verlustverrechnung ein milderes, aber kein gleich effektives Mittel im Vergleich zu einem Untergang der Verluste darstellen. Fraglich ist jedoch, ob diese Rechtsfolge auch angemessen ist. Damit ist wiederum die Problematik der zulässigen Weite des Tatbestandes angesprochen. In echten Missbrauchsfällen muss auch eine harte Sanktion ausgesprochen werden können, um der Maßnahme eine abschreckende Wirkung zu verleihen. Erforderlich ist dann eine umso präzisere Fassung des Tatbestandes. Fälle, die keinen Missbrauch darstellen, dürfen nur in seltenen, atypischen Ausnahmefällen betroffen sein.177 Dies bestätigt den Befund, dass § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG in seiner gegenwärtigen, tatbestandlich sehr weiten Fassung gegen die verfassungsrechtlichen Vorgaben verstößt. Will der Gesetzgeber an der Regelung de lege ferenda festhalten, muss er den Tatbestand wesentlich enger
175 Vgl. 3. Teil I. 1. a) aa) (1). 176 Vgl. Intemann in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 15 EStG, Rn. 1601 i.V.m. Rn. 1520; Mönikes, Die Verlustverrechnungsbeschränkungen des Einkommensteuergesetzes im Lichte der Verfassung (2006), S. 204. 177 Vgl. 2. Teil A. I. 1.b) bb) (4).
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Anpassungsbedarf an die verfassungsrechtlichen Vorgaben
fassen und zugleich den Steuerpflichtigen die Möglichkeit zur Widerlegung der Missbrauchsvermutung einräumen. (2) Verluste bei beschränkter Haftung Die Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 15a EStG kann de lege lata nicht zu einem endgültigen Verlustuntergang führen.178 Insofern ergeben sich auch im Hinblick auf die interperiodische Verlustverrechnung keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Regelung. Wenn die Kommanditgesellschaft liquidiert wird oder der Kommanditist seinen Anteil veräußert oder aufgibt, kann er den noch nicht berücksichtigten Verlust, soweit er wirtschaftlich belastet ist, mit seinen sonstigen positiven Einkünften verrechnen. Im Übrigen wird der Verlust den persönlich haftenden Gesellschaftern zugerechnet.179 Als gleichheitsrechtlich problematisch kann sich lediglich der Fall der unentgeltlichen Übertragung des Kommanditanteils erweisen. Nach bisheriger Praxis gehen bei unentgeltlicher Einzel- und Gesamtrechtsnachfolge in einen Kommanditanteil sowohl das negative Kapitalkonto gemäß § 6 Abs. 3 EStG als auch die verrechenbaren Verluste des Übergebers, § 15a Abs. 2 EStG, auf den Übernehmer über, der spätere Gewinnanteile mit diesen Verlusten verrechnen kann.180 Wie gezeigt wurde, führt der intersubjektive Verlustübergang bei Rechtsnachfolge grundsätzlich zu einem doppelten Verstoß gegen den Grundsatz der Belastungsgleichheit. Der Rechtsvorgänger wird zu hoch, der Rechtsnachfolger hingegen zu niedrig belastet.181 Anders stellt sich der Sachverhalt jedoch bei § 15a EStG dar. Wie gezeigt wurde, wird die Leistungsfähigkeit eines Steuerpflichtigen durch Verluste bei beschränkter Haftung, die zur Entstehung eines negativen Kapitalkontos führen, erst ist in dem Zeitpunkt gemindert, indem ihm wieder Gewinnanteile zugerechnet werden.182 Wenn ein Kommanditanteil mit negativem Kapitalkonto unentgeltlich übertragen wird, so bedeutet dies, dass der Rechtsvorgänger in Höhe der nur verrechenbaren Verluste nach § 15a Abs. 2 EStG noch gar nicht in seiner Leistungsfähigkeit berührt war. Folglich führt der Übergang der Verluste auf den Rechtsnachfolger bei ihm auch nicht zu einer Überbelastung. Umgekehrt 178 Vgl. 3. Teil A. I. 1. a) dd) (2) (a). 179 Vgl. 3. Teil A. I. 1. a) dd) (2) (a). 180 Vgl. BFH v. 11.05.1995 - IV R 44/93, BFHE 177, S. 467; BFH v. 10.03.1998 - VIII R 76/96, BStBl. II 1999, S. 269. Wacker in: Schmidt, EStG (2009), § 15a Rn. 234; Heuermann in: Blümich, EStG, § 15a Rn. 114; von Beckerath in: Kirchhof, EStG (2008), § 15a Rn. 77. 181 Vgl. 2. Teil B. III. 182 Vgl. 3. Teil A. I. 1. a) dd) (2) (a).
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wird die Leistungsfähigkeit des Rechtsnachfolgers durch Gewinnanteile bis zum Ausgleich des negativen Kapitalkontos des Rechtsvorgängers nicht erhöht.183 Er wird somit nur dann gleichmäßig belastet, wenn er die verrechenbaren Verluste des Rechtsvorgängers nach § 15a Abs. 2 EStG nutzen kann. Darin kommt zum Ausdruck, dass § 15a EStG seiner Grundkonzeption nach letztlich nur eine leistungsfähigkeitsgerechte Erfolgsperiodisierung bewirkt. Als Alternative zur Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 15a EStG wäre auch eine Regelung denkbar, nach der durch Verluste, die zur Entstehung eines negativen Kapitalkontos führen, kein steuerlicher Verlust und durch Gewinne bis zum Ausgleich des Kapitalkontos kein steuerlicher Gewinn entsteht.184 Eine solche Regelung würde – anders als § 15a EStG – nicht die Verlustverrechnung, sondern bereits die Verlustentstehung verschieben.185 Das Ergebnis wäre mit § 15a EStG identisch: wie aus dem Beispiel hervorgeht, entwickelt sich die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage in beiden Fällen genau gleich. Da somit im Falle des § 15a EStG der Übergang der nur verrechenbaren Verluste für eine leistungsfähigkeitsgerechte Besteuerung sowohl des Übergebers als auch des Übernehmers erforderlich ist, ist auch nach der Entscheidung des Großen Senats zur Unvererblichkeit des Verlustvortrags nach § 10d Abs. 2 EStG vom 17.12.2007186 im Falle der unentgeltlichen Rechtsnachfolge grundsätzlich am Übergang der nur verrechenbaren Verluste nach § 15a Abs. 2 festzuhalten.187 (3) Beschränkung der Verlustverrechnung bei Steuerstundungsmodellen Wie mit nach § 15b EStG verrechnungsbeschränkten Verlusten zu verfahren ist, wenn der Steuerpflichtige aus dem Steuerstundungsmodell keine positiven Einkünfte mehr erzielen kann, ist gesetzlich nicht eindeutig geregelt. Es
183 Vgl. 3. Teil A. I. 1. a) dd) (2) (a). 184 Vgl. Strnad, Zur Vererbung des Verlustabzugs (§ 10d EStG) (1998), S. 193; Strnad, FR 1998, S. 937; Strnad, BB 2000, S. 596. 185 Vgl. Strnad, Zur Vererbung des Verlustabzugs (§ 10d EStG) (1998), S. 195. 186 BFH Großer Senat v. 17.12.2007 - GrS 2/04, BFH/NV 2008, S. 651 ff. 187 So auch Wacker in: Schmidt, EStG (2009), § 15a Rn. 234; Dötsch, DStR 2008, S. 646. Eine abweichende Beurteilung ergibt sich für den Fall, dass der Übergeber – beispielsweise infolge einer nachträglichen Einlage in das negative Kapitalkonto – durch die verrechenbaren Verluste bereits selbst wirtschaftlich belastet war. Verrechenbare Verluste nach § 15a Abs. 2 EStG, die das negative Kapitalkonto übersteigen, müssen im Fall der unentgeltlichen Rechtsnachfolge beim Übergeber im Rahmen der allgemeinen Verlustverrechnung berücksichtigt werden. Denn in dieser Höhe wurde er durch die Verluste selbst wirtschaftliche belastet. Ein Übergang auf den Übernehmer kommt nur für Verluste bis zur Höhe des negativen Kapitalkontos in Betracht.
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wird vertreten, dass die Verluste in diesem Fall endgültig untergehen.188 Im BMF-Schreiben zu § 15b EStG fand lediglich der Fall der unentgeltlichen Übertragung des Steuerstundungsmodells Erwähnung. Nach Vorstellung der Finanzverwaltung sollen die nach § 15b EStG verrechenbaren Verluste analog der bisherigen Praxis bei § 15a EStG auf den Rechtsnachfolger übergehen.189 Diese Lösung ist vor dem Hintergrund der Entscheidung des Großen Senats zur Unvererblichkeit des Verlustvortrags vom 17.12.2007190 nicht haltbar. Für die intersubjektive Verlustverrechnung besteht bei Verlusten nach § 15b EStG ebenso wenig eine Grundlage wie bei Verlusten nach § 10d Abs. 2 EStG. Anders als im Fall des § 15a EStG handelt es sich bei den von § 15b EStG erfassten Verlusten grundsätzlich um Verluste, die bereits die Leistungsfähigkeit des Übergebers gemindert haben.191 Ein Übergang der Verluste bewirkt somit eine doppelte Durchbrechung der Belastungsgleichheit. Der Übergeber wird zu hoch besteuert, der Übernehmer zu niedrig.192 Es ist deshalb nicht ersichtlich, warum die Entscheidung des Großen Senats, dass Verlustvorträge nach § 10d Abs. 2 EStG nicht auf den Erben übergehen, nicht auf Verluste nach § 15b EStG übertragbar sein sollte.193 Für eine gleichmäßige Belastung sowohl des Übergebers als auch des Übernehmers müsste eine Verrechnung der Verluste beim Übergeber ermöglicht werden. Die hierfür grundsätzlich zur Verfügung stehenden Instrumente wurden bereits erläutert: Aufgabe der obligatorischen Buchwertverknüpfung nach § 6 Abs. 3 EStG um eine Aufdeckung der stillen Reserven zu ermöglichen sowie ein erweiterter Verlustrücktrag.194 Ein erweiterter Verlustrücktrag dürfte im Fall eines Steuerstundungsmodells aber regelmäßig ineffektiv sein, da deren Ergebnisverläufe normalerweise nicht zwischen Gewinn- und Verlustphasen hin- und herschwanken, sondern nach einer anfänglichen Verlustphase in eine dauerhafte Gewinnphase übergehen. Stattdessen sollten Verluste, die nicht durch stille Reserven gedeckt sind, in die allgemeine Verlustverrechnung einbezogen werden. Sofern die stillen Reserven nicht ausreichen, um die nach § 15b EStG verrechnungsbe188 189 190 191
Vgl. beispielsweise Brandtner/Raffel, BB 2006, S. 639. Vgl. BMF v. 17.07.2007 - IV B 2 - S 2241-b/07/0001, BStBl. I 2007, S. 542 Tz. 25. BFH Großer Senat v. 17.12.2007 - GrS 2/04, BFH/NV 2008, S. 651 ff. Etwas anderes gilt nur dann, wenn es sich bei dem Steuerstundungsmodell um eine Kommanditgesellschaft oder eine andere Beteiligungsform handelt, die unter § 15a EStG fällt. Die Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 15b EStG erfasst dann als speziellere Norm auch Verluste, die sonst in den Anwendungsbereich von § 15a EStG fallen würden. Vgl. zum Verhältnis von § 15a EStG und § 15b EStG 1. Teil B. I. 1. c). 192 Vgl. 2. Teil B. III. 1. b) bb). 193 So auch Seeger in: Schmidt, EStG (2009), § 15b Rn. 14; Dötsch, DStR 2008, S. 646. 194 Vgl. 2. Teil B. III. 1. b) bb) (1).
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schränkten Verluste zu decken, so bedeutet dies, dass sich das Steuerstundungsmodell nicht so entwickelt hat wie geplant. Anstelle einer bloßen Steuerstundung ist ein definitiver Verlust eingetreten. Da der Zweck der Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 15b EStG lediglich darin besteht, Steuerstundungsmodelle weniger attraktiv zu machen, ist es nicht erforderlich, auch solche Verluste von der Verlustverrechnung auszuschließen, die nicht nur zu einer Steuerstundung führen, sondern die Leistungsfähigkeit des betroffenen Steuerpflichtigen dauerhaft mindern. Das Ziel der Bekämpfung von Steuerstundungsmodellen würde dadurch nicht beeinträchtigt. Denn durch die Aufdeckung der stillen Reserven entfällt der Steuerstundungseffekt gerade. Dann ist eine weitere Beschränkung der Verlustverrechnung nicht mehr erforderlich und die nicht durch stille Reserven gedeckten Verluste müssen wieder in die allgemeine Verlustverrechnung einbezogen werden.195 Nach den gleichen Grundsätzen ist auch dann zu verfahren, wenn das Steuerstundungsmodell liquidiert wird, wenn der Steuerpflichtige seine Beteiligung aufgibt oder wenn er im Falle einer Veräußerung einen Gewinn erzielt, der hinter den angelaufenen Verlusten zurückbleibt. In allen diesen Fällen steht fest, dass die Verluste nicht nur zu einer Steuerstundung führen, sondern die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen dauerhaft gemindert ist. De lege ferenda sollte dies ausdrücklich im Gesetz klargestellt werden. (4) Verluste aus gewerblicher Tierhaltung und Tierzucht Da § 15 Abs. 4 S. 1-2 EStG die Verlustverrechnung nicht auf die Einkunftsquelle, sondern auf eine Einkunftsunterart beschränkt, steht – anders als bei den §§ 15 Abs. 4 S. 6-8, 15a, 15b EStG – erst im Zeitpunkt des Todes des Steuerpflichtigen fest, dass eine Verlustverrechnung mit entsprechenden positiven Einkünften nicht möglich ist. Dann muss zunächst versucht werden, eine Verlustverrechnung über eine Aufdeckung der stillen Reserven und einen erweiterten Verlustrücktrag innerhalb der Einkunftsunterart zu ermöglich. Gelingt dies nicht, so verbleiben nur zwei Alternativen: entweder die Verluste gehen endgültig unter, wie dies de lege lata der Fall ist,196 oder aber die Verluste werden aus der Verlustverrechnungsbeschränkung entlassen und können im Rahmen der allgemeinen Verlustverrechnung berücksichtigt werden. Fraglich ist, ob der Untergang der Verluste zur Erreichung der Lenkungswirkung erforderlich ist. § 15 Abs. 4 S. 1-2 EStG soll primär Vollerwerbslandwirte vor unliebsamer Konkurrenz schützen. Steuertechnisch geschieht dies, indem der Steuerstundungseffekt, der sich über § 6 Abs. 2 EStG bei den Einkünften aus gewerblicher Tierzucht und Tierhaltung erzielen 195 So auch Reiß in: Kirchhof, EStG (2008), § 15b Rn. 18. 196 Vgl. Kanzler in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 15 EStG, Rn. 1520.
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lässt, beschränkt wird. Wenn aber am Ende der Totalperiode nach Aufdeckung der stillen Reserven noch nicht verrechnete Verluste verbleiben, so bedeutet dies wie bei § 15b EStG, dass kein Steuerstundungseffekt, sondern ein dauerhafter Verlust eingetreten ist. Die Beschränkung der Verlustverrechnung ist insoweit zur Erreichung des Gesetzeszwecks des § 15 Abs. 4 S. 1-2 EStG nicht erforderlich. Daher sind Verluste aus gewerblicher Tierhaltung in die allgemeine Verlustverrechnung einzubeziehen, sobald eine Verrechnung mit positiven Einkünften aus gewerblicher Tierhaltung nicht mehr in Betracht kommt. (5) Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften Sofern am Ende der Totalperiode noch unverrechnete Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften vorhanden sind, kommt eine Nutzung durch die Verrechnung mit steuerbaren unrealisierten Wertsteigerungen im Privatvermögen in Betracht. Verfügt der Erblasser beispielsweise über ein Grundstück, das er weniger als zehn Jahre vor seinem Tod angeschafft hat und das seither im Wert gestiegen ist, so kann diese Wertsteigerung im Todeszeitpunkt mit den noch vorhandenen Verlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften verrechnet werden. Für den Erben hätte dies den Vorteil, dass er das betreffende Wirtschaftsgut innerhalb der Fristen des § 23 Abs. 1 EStG veräußern könnte, ohne die Differenz zwischen den Anschaffungskosten des Erben und dem Wert zum Zeitpunkt des Erbfalls versteuern zu müssen.197 Steuerpflichtig wäre bei ihm nur eine weitere Wertsteigerung im Zeitraum seit dem Erbfall. Darüber hinaus wäre auch wiederum ein erweiterter Verlustrücktrag zu gewähren. Sind danach noch unverrechnete Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften vorhanden, so gebietet es die Zwecksetzung der Vorschrift, dass diese endgültig untergehen. Eine Freigabe der Verlustverrechnung kommt nicht in Betracht, da dadurch das Gestaltungspotential, dem die Verlustverrechnungsbeschränkung entgegen wirken soll, wieder zum Tragen käme. Nach wie vor wäre es dann lukrativ, Verluste durch einen gezielten Verkauf kurz vor dem Ablauf der Fristen des § 23 Abs. 1 EStG steuerbar zu machen. Spätestens am Ende der Totalperiode könnte der Steuerpflichtige so eine Minderung seiner Steuerlast erreichen.198
197 Gemäß § 23 Abs. 1 S. 3 EStG ist dem Erwerber bei einem unentgeltlichen Erwerb die Anschaffung des Wirtschaftsguts durch den Rechtsvorgänger zuzurechnen. Der Erwerber muss bei einer Veräußerung innerhalb der Fristen des § 23 Abs. 1 EStG daher grundsätzlich auch einen Veräußerungsgewinn versteuern, der auf einer schon beim Rechtsvorgänger eingetretenen Wertsteigerung beruht. 198 Vgl. 3. Teil A. I. 1. a) dd) (6).
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(6) Sonstige spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen Durch § 17 Abs. 2 S. 6 EStG werden Verluste aus der Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen lediglich von gewerblichen Verlusten in Verluste aus Kapitalvermögen umqualifiziert.199 Die Frage nach einer interperiodischen Verlustverrechnungsbeschränkung stellt sich daher im Hinblick auf die Vorschrift nicht. Die Verrechnungsbeschränkung für Verluste aus der Veräußerung von Aktien nach § 20 Abs. 6. S. 5 EStG ist verfassungswidrig und muss de lege ferenda gestrichen werden. Insofern erübrigt sich ein Eingehen auf die Frage der interperiodischen Verlustverrechnung. Gleiches gilt für die Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 20 Abs. 6 S. 1-4 EStG. Wie gezeigt wurde, muss de lege ferenda für Verluste aus Kapitalvermögen eine indirekte intraperiodische Verrechnung ermöglicht werden.200 Auch die Verlustverrechnungsbeschränkung für Verluste aus Termingeschäften im Betriebsvermögen nach § 15 Abs. 4 S. 3-5 EStG ist in ihrer gegenwärtigen Form verfassungswidrig. Sofern der Gesetzgeber sie als Missbrauchsvermeidungsvorschrift beibehalten will, muss er de lege ferenda als Rechtsfolge vorsehen, dass die Verluste aus Gewerbebetrieb in Verluste aus Kapitalvermögen umqualifiziert werden. Die Problematik eines endgültigen Verlustuntergangs stellt sich dann nicht mehr. Anders fällt die Beurteilung der Verrechnungsbeschränkung nach § 22 Nr. 3 S. 3-4 EStG für Verluste aus gelegentlicher Leistung aus. Auch insofern gilt zwar, dass die Verlustverrechnungsbeschränkung in ihrer gegenwärtigen Gestalt verfassungswidrig ist. Soll sie de lege ferenda beibehalten werden, muss den Steuerpflichtigen die Gelegenheit eröffnet werden, über den Nachweis der Gewinnerzielungsabsicht eine unbeschränkte Verlustverrechnung zu erreichen. Gelingt ihnen dies nicht, so ist es sachgerecht, wenn die nicht genutzten Verluste am Ende der Totalperiode verfallen. b) Körperschaftsteuer Für die Körperschaftsteuer gelten hinsichtlich der interperiodischen Verlustverrechnung die gleichen verfassungsrechtlichen Vorgaben wie für die Einkommensteuer. Die Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG ist auch verfassungswidrig, soweit sie über § 8 Abs. 1 KStG Anwendung auf Körperschaftsteuersubjekte findet.201 Ebenso wie im Rahmen der Einkommensteuer ist es zudem verfassungsrechtlich geboten, de lege ferenda einen außerordentlichen Verlustrücktrag zu ermöglich, wenn am Ende der Totalperiode
199 Vgl. 1. Teil B. I. 1. a) bb) (3). 200 Vgl. 3. Teil A. I. 1. a) dd) (9). 201 Vgl. 1. Teil B. II. 2.
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Anpassungsbedarf an die verfassungsrechtlichen Vorgaben
eine anderweitige Verlustberücksichtigung sonst nicht möglich wäre.202 Eine körperschaftsteuerspezifische Beschränkung der interperiodischen Verlustverrechnung stellt hingegen § 8c KStG dar, der im Kontext der sog. Mantelkaufproblematik steht.203 Nachfolgend soll zunächst § 8c KStG einer verfassungsrechtlichen Bewertung unterzogen werden. Anschließend soll dargelegt werden, wie eine Mantelkaufregelung unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben de lege ferenda ausgestaltet werden könnte. aa) Verfassungsrechtliche Würdigung von § 8c KStG (1) Durchbrechung der Belastungsgleichheit Nach § 8c KStG gehen nicht genutzte körperschaftsteuerliche Verluste allein aufgrund eines Wechsels in der Beteiligungsstruktur unter. Darin liegt grundsätzlich eine Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips.204 Den Verlustuntergang nicht als rechtfertigungsbedürftige Durchbrechung der Belastungsgleichheit zu qualifizieren, wäre nur denkbar, wenn § 8c KStG Ausdruck eines generellen Systemwechsels wäre, durch den die Besteuerung von Kapitalgesellschaften an diejenige von Personengesellschaften angenähert wird. Hierfür könnte sprechen, dass der Gesetzgeber, indem er für den Wegfall von Verlusten auf Gesellschaftsebene einen Wechsel im Gesellschafterbestand genügen lässt, punktuell das im Körperschaftsteuerrecht systemprägende Trennungsprinzip negiert.205 Ein Gesellschafter, der sich neu an einer Kapitalgesellschaft beteiligt, soll ausweislich der Gesetzesbegründung nicht von Verlusten profitieren, die vor dem Zeitpunkt seiner Beteiligung entstanden sind: „Der Neuregelung des § 8c KStG liegt der Gedanke zugrunde, dass sich die wirtschaftliche Identität einer Gesellschaft durch das wirtschaftliche Engagement eines anderen Anteilseigners (oder Anteilseignerkreises) ändert. Die in früherer Zeit erwirtschafteten Verluste
202 Vgl. 3. Teil A. 2. a) bb). Auch bezüglich der im Rahmen der Körperschaftsteuer anwendbaren speziellen Beschränkungen der intraperiodischen Verlustverrechnung kann nach oben verwiesen werden, vgl. 3. Teil A. 2. a) bb) (1), (2), (3), (4). 203 Vgl. 1. Teil B. II. 2 b). 204 Vgl. 1. Teil B. II. 2 a) bb). Da § 8c Abs. 1 KStG nicht nur zum Wegfall des Verlustvortrags führt, sondern auch intraperiodisch bis zum Zeitpunkt der schädlichen Anteilsübertragung angefallene Verluste erfasst, gilt dies nicht nur periodenübergreifend, sondern auch dann, wenn man nur eine einzelne Besteuerungsperiode betrachtet. Auch Anhänger des Abschnittsprinzips müssen § 8c KStG daher als Durchbrechung der Belastungsgleichheit qualifizieren. 205 Vgl. Crezelius, DB 2002, S. 2615; Hey, BB 2007, S. 1306; Suchanek/Herbst, FR 2007, S. 870; Schwedhelm, GmbHR 2008, S. 406.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege ferenda bleiben unberücksichtigt, soweit sie auf dieses neue wirtschaftliche Engagement entfallen.“206
Allein aufgrund eines Anteilseignerwechsels in Höhe von beispielsweise 26 % ändert sich aber – entgegen der Auffassung des Gesetzgebers – nichts an der wirtschaftlichen Identität der betroffenen Kapitalgesellschaft.207 Dies gilt erst recht, wenn sich die Anteilseignerstruktur nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar ändert. Es kann vorkommen, dass die nach § 8c Abs. 1 KStG vom Verlustuntergang betroffene Kapitalgesellschaft hiervon noch nicht einmal Kenntnis erlangt.208 Vielmehr spricht das exklusive Abstellen auf den Anteilseignerwechsel dafür, dass es dem Gesetzgeber darauf ankam, die Rechtsform der Kapitalgesellschaft partiell – im Hinblick auf die Verluste – steuerlich transparent zu machen.209 Der Anteilseigner soll nur Verluste nutzen können, die zu einer Zeit entstehen, zu der er bereits wirtschaftlich in der Gesellschaft engagiert ist. Ob der Gesetzgeber generell berechtigt wäre, das Trennungsprinzip zu lockern und auch bei der Besteuerung von Kapitalgesellschaften die Anteilseignerebene stärker in den Blick zu nehmen, muss an dieser Stelle nicht entschieden werden.210 Denn von einem solchen Systemwechsel kann im Hinblick auf § 8c KStG weder generell noch in Bezug auf die Frage der Verlustnutzung gesprochen werden. Im Gegenteil hat der Gesetzgeber durch die Streichung von § 12 Abs. 3 S. 2 UmwStG durch das SEStEG211 gerade die Bedeutung der rechtlichen Identität der Kapitalgesellschaft und deren Selbständigkeit als maßgebliches Kriterium für die Verlustnutzung gestärkt.212 Nach § 12 Abs. 3 S. 2 UmwStG a.F. konnte im Fall einer Verschmelzung von Kapitalgesellschaften unter bestimmten Voraussetzungen die übernehmende Gesellschaft den Verlustvortrag der übertragenden Gesellschaft nutzen.213 Wollte der Gesetzgeber für die Frage der körperschaftsteuerlichen 206 Vgl. BT-Drs. 16/4841, S. 76 und BR-Drs. 220/07, S. 126. 207 So auch Kaeser in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 121; Adrian, FR 2007, S. 780; Neyer, BB 2007, S. 1415. 208 Vgl. dazu Dieterlen/Winkler, GmbHR 2007, S. 816. die die Einbeziehungen mittelbarer Anteilsübertragungen als überschießend bezeichnen. 209 Vgl. dazu auch van Lishaut, FR 2008, S. 790. Van Lishaut geht davon aus, dass der Gesetzgeber mit § 8c KStG einen Pradigmenwechsel vom Trennungsprinzip hin zu einem auf der „Unternehmeridentität“ basierenden Konzpt vollzogen habe. 210 Vgl. speziell zur Problematik der sog. Teilhaberbesteuerung 2. Teil. B. III. 1. c) bb). 211 Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften v. 07.12.2006, BGBl. I 2006, S. 2782. 212 Vgl. Fischer, FR 2007, S. 285. 213 Vgl. 1. Teil B. III. 2 a) bb) (2).
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Verlustnutzung generell zum Transparenzprinzip übergehen, so müsste er auch im Fall der Verschmelzung einen Verlustübergang zumindest dann zulassen, wenn beide Gesellschaften über eine identische Beteiligungsstruktur verfügen. Zudem trägt § 8c Abs. 1 KStG dem Transparenzgedanken selbst nicht konsequent Rechnung. Durch die Einbeziehung mittelbarer Anteilsübertragungen führen unmittelbare Anteilseignerwechsel auch dann zu einem Verlustuntergang, wenn bezogen auf die mittelbare Beteiligungsstruktur und somit das maßgebliche wirtschaftlichen Engagement die Schwellenwerte von 25 % bzw. 50 % nicht überschritten werden.214 Des Weiteren richtet sich der Untergang der Verluste zwar nach der Höhe des Anteils, den ein neuer Gesellschafter erwirbt. Der quotale Verlustuntergang belastet jedoch nicht nur den Neugesellschafter, sonder Alt- und Neugesellschafter gleichermaßen.215 Vor allem aber würde eine Ausrichtung der körperschaftlichen Verlustnutzung am Transparenzprinzip voraussetzen, dass die Verluste im Falle eines Gesellschafterwechsel zumindest auf der Ebene der Gesellschafter berücksichtigt werden können.216 Dies ist jedoch nicht der Fall. Anders als ein Gesellschafter, der aus einer Personengesellschaft ausscheidet, kann der Anteilseigner einer Kapitalgesellschaft Verluste, die während der Zeit seiner Beteiligung entstanden sind, nicht weiter nutzen. Diese Verluste fallen vielmehr nach § 8c KStG bei der Kapitalgesellschaft ersatzlos weg. Dies ist steuersystematisch nicht zu begründen.217 § 8c KStG stellt somit eine punktuelle, systemwidrige und auch in sich inkonsistente Abweichung vom Trennungsprinzip dar.218 Daher ist die Vorschrift nicht als Ausdruck eines Systemwechsels im Körperschaftsteuerrecht anzusehen. Vielmehr handelt es sich um eine rechtfertigungsbedürftige Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips.219
214 Vgl. 1. Teil B. II. 2 a) aa) (4). Durch die nachträgliche Einführung einer restriktiven Konzernklausel wird dieses Ergebnis lediglich in einem Teilbereich korrigiert. 215 Vgl. Schwedhelm, GmbHR 2008, S. 406 f.; gleichsinnig Crezelius, DB 2002, S. 2615 zur geplanten Neuregelung des § 8 Abs. 4 KStG nach dem Entwurf eines Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen, der § 8c KStG konzeptionell ähnelte, vgl. BT-Drs. 15/119, S. 10. 216 Vgl. Kaeser in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 121; Hey, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 113. 217 Vgl. Schwedhelm, GmbHR 2008, S. 406 f.; Hey, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 113. 218 So auch Drüen, StuW 2008, S. 13; Sedemund/Fischenich, BB 2008, S. 537; Drüen, Ubg 2009, S. 29. 219 So beispielsweise auch Adrian, FR 2007, S. 779; Lenz/Ribbrock, BB 2007, S. 589; Zerwas/Fröhlich, DStR 2007, S. 1936; Schwedhelm, GmbHR 2008, S. 405.
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(2) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung § 8c KStG verstößt nur dann nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG, wenn der Gesetzgeber mit der Vorschrift einen legitimen, über den Fiskalzweck hinausgehenden Zweck verfolgt. Im Hinblick auf den Eingriff in Art. 14 GG müsste die Vorschrift zudem zur Erreichung des angestrebten Zweckes geeignet, erforderlich und angemessen sein. (a) Ambivalenz des Gesetzeszwecks Problematisch ist schon, für § 8c Abs. 1 KStG einen klaren Gesetzeszweck zu ermitteln. Die Gesetzesbegründung ist insofern ambivalent. Einerseits wird § 8c KStG als Nachfolgereglung zu § 8 Abs. 4 KStG a.F. präsentiert und die Gesetzesänderung ausschließlich mit dem Gedanken der Rechtsvereinfachung begründet: „§ 8 Abs. 4 KStG ist in der Praxis schwierig zu handhaben. Zahlreiche Zweifelsfragen zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen […] sind Gegenstand von Gerichtsverfahren. § 8 Abs. 4 KStG wird aus den geschilderten Gründen gestrichen und durch eine einfachere und zielgenauere Verlustabzugsbeschränkung für Körperschaften in § 8c KStG ersetzt.“ 220 „Die Neuregelung des § 8c über den Verlustabzug nach § 10d EStG bei einer Körperschaft vereinfacht die Rechtsanwendung. […] Die streitige Tatbestandsvoraussetzung ‚Zuführung überwiegend neuen Betriebsvermögens’ wird aufgegeben.“221
Da § 8c KStG demnach offensichtlich nur die Rechtsanwendung vereinfachen soll, liegt die Annahme nahe, dass die Vorschrift nach dem Willen des Gesetzgebers dem gleichen Zweck dient wie § 8 Abs. 4 KStG a.F., der vom Gesetzgeber als ein spezieller Missbrauchstatbestand angesehen wird.222 Andererseits deutet der Gesetzgeber aber auch selbst an, dass mit § 8c KStG im Vergleich zu § 8 Abs. 4 KStG a.F. qualitativ etwas Neues geschaffen wird, was wiederum an einer schlichten Übertragung des Gesetzeszweckes von der Vorgängerregelung zweifeln lässt: „Für den vollständigen oder teilweisen Wegfall des Verlustvortrags wird […] künftig nur noch darauf abgestellt, ob ein neuer Anteilseigner maßgebend auf die Geschicke der Kapitalgesellschaft einwirken kann und es so prinzipiell in der Hand hat, die Verwertung der Verluste zu steuern“223
220 Vgl. BT-Drs. 16/4841, S. 74 und BR-Drs. 220/07, S. 123. 221 Vgl. BT-Drs. 16/4841, S. 75 und BR-Drs. 220/07, S. 125. 222 Vgl. BT-Drs. 16/4841, S. 34: „Die geltende Mantelkaufregelung, die die ungerechtfertigte Nutzung und den Handel mit Verlustvorträgen verhindern soll, [Hervorh. d. Verf.] ist kompliziert und gestaltungsanfällig.“ 223 Vgl. BT-Drs. 16/4841, S. 34 f. und BR-Drs. 220/07, S. 60.
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Anpassungsbedarf an die verfassungsrechtlichen Vorgaben
Da somit mehrere Deutungen möglich sind, werden nachfolgend alle möglichen Zwecksetzungen des § 8c KStG daraufhin überprüft, ob sie zu einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Vorschrift führen. (b) Keine Rechtfertigung durch die Zielsetzung der Missbrauchsvermeidung Am wahrscheinlichsten ist, dass § 8c KStG wie seine Vorgängervorschrift dazu bestimmt ist, die vom Gesetzgeber als missbräuchlich empfundene Nutzung von Verlusten im Wege des Mantelkaufs zu unterbinden.224 An dieser Stelle muss nicht darauf eingegangen werden, ob der typische Mantelkauf überhaupt als Missbrauch angesehen werden kann. Denn selbst wenn man dies bejaht, ließe sich § 8c KStG auf diesem Wege weder gleichheitsnoch freiheitsrechtlich rechtfertigen.225 Zwar wäre die Bekämpfung missbräuchlicher Steuergestaltung als ein besonderer sachlicher Grund anzusehen, der grundsätzlich eine Ungleichbehandlung i.S.v. Art. 3 Abs. 1 GG legitimieren kann. Jedoch überschreitet der Gesetzgeber offensichtlich die Grenzen zulässiger Typisierung, wenn er zur Bekämpfung des Mantelkaufs den Untergang von Verlusten allein wegen einer Änderung in der Beteiligungsstruktur einer Kapitalgesellschaft entfallen lässt.226 Der Mantelkauf ist dadurch charakterisiert, dass eine Kapitalgesellschaft, die zwar noch über Verlustvorträge verfügt, aber sonst nur noch eine „leere Hülle“ darstellt, von einem Erwerber mit einer neuen, gewinnträchtigen Aktivität „gefüllt“ wird, um die Verluste nutzen zu können.227 Der Missbrauchsgedanke hat im Tatbestand des § 8c KStG jedoch keinerlei Niederschlag gefunden.228 Nach § 8c Abs. 1 KStG führt allein die Begründung einer (Minderheits-)Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft dazu, dass diese ihre Verluste aus einer ununterbrochen ausgeübten Aktivität nicht mehr mit Gewinnen aus der gleichen Aktivität verrechnen kann. Mit § 8c Abs. 1 KStG hat der Gesetzgeber somit nicht ausgehend von einem typischen Missbrauchsfall eine typisierende Regelung getroffen, sondern er hat vielmehr eine abstrakte Missbrauchsgefahr zum Anlass für eine generel224 So auch Suchanek/Herbst, FR 2007, S. 864. 225 So auch Adrian, FR 2007, S. 780; Lenz/Ribbrock, BB 2007, S. 589; Hey, BB 2007, S. 1306; Suchanek/Herbst, FR 2007, S. 864; Drüen, StuW 2008, S. 13; Hey, FR 2008, S. 1039. 226 So auch Schwedhelm, GmbHR 2008, S. 406. 227 Vgl. Kudert/Saakel, DB 1988, S. 1230. 228 Eine Qualifikation von § 8c KStG als Missbrauchsvorschrift lehnen beispielswiese auch ab: Adrian, FR 2007, S. 780; Hey, BB 2007, S. 1306; Lenz/Ribbrock, BB 2007, S. 589; Suchanek/Herbst, FR 2007, S. 864; Frotscher, Der Konzern 2008, S. 548; Kußmaul/Richter/Tcherveniachki, GmbHR 2008, S. 1017.
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le, vom typischen Missbrauchsfall völlig unabhängige Regelung genommen.229 Auch einer Verhältnismäßigkeitskontrolle hält die Vorschrift mit der Zwecksetzung der Missbrauchsbekämpfung nicht stand. Zwar ist § 8c KStG durchaus geeignet, Mantelkaufgestaltungen zu unterbinden. Allerdings ist schon die Erforderlichkeit zu verneinen, weil als milderes Mittel zielgenauere Vorschriften in Betracht kämen. Selbst wenn man unterstellt, dass speziellere Vorschriften wegen der Schwierigkeiten bei der Rechtsanwendung kein gleich wirksames Mittel darstellen, wäre § 8c KStG als Maßnahme zur Missbrauchbekämpfung jedenfalls völlig unangemessen.230 Denn in der überwältigenden Mehrzahl der Fälle ist die Begründung einer Mehrheitsoder Minderheitsbeteiligung an einer Kapitalgesellschaft nicht durch missbräuchliche Nutzung der Verluste der Zielgesellschaft motiviert. (c) Keine Rechtfertigung durch die Zielsetzung der Rechts- bzw. Verwaltungsvereinfachung Auch die in der Gesetzesbegründung angeführte Zielsetzung der Rechtsbzw. Verwaltungsvereinfachung kann die durch § 8c Abs. 1 KStG bewirkte Durchbrechung der Belastungsgleichheit und den Eingriff in Art. 14 GG allein nicht rechtfertigen. Der Gedanke der Rechts- bzw. Verwaltungsvereinfachung kann zwar Grundrechtsbeeinträchtigungen durch Typisierung und Pauschalierung rechtfertigen.231 Das setzt aber eine im Kern verfassungskonforme Regelung voraus. Bei § 8c Abs. 1 KStG handelt es sich jedoch um einen zielgerichteten und sehr tiefen Eingriff in grundrechtliche geschützte Positionen der Steuerpflichtigen und nicht nur um die Nebenfolge einer typisierenden Maßnahme. Eine solche Vorschrift muss durch eine originäre Zwecksetzung legitimiert werden und kann nicht einfach damit begründet werden, dass eine andere Vorschrift, mit der sie konzeptionell nichts gemein hat (§ 8 Abs. 4 KStG a.F.), schwer zu handhaben gewesen sei. (d) Keine Positivierung des Kriteriums der „wirtschaftlichen Identität“ Ausweislich der Gesetzesbegründung soll zukünftig eine Änderung der Beteiligungsstruktur zum Wegfall der wirtschaftlichen Identität der Kapitalgesellschaft führen. Hierin könnte ein alternativer Begründungsansatz für § 8c KStG liegen. Denn § 8 Abs. 4 KStG a.F. wurde zum Teil nicht als spezieller Missbrauchstatbestand angesehen, sondern schlicht als Positivierung des Tatbestandsmerkmals „wirtschaftliche Identität“ als Voraussetzung für den 229 Vgl. Hey, StuW 2008, S. 171. 230 So auch Dieterlen/Winkler, GmbHR 2007, S. 816; Crezelius, DB 2002, S. 2616 zur 2002 geplanten Neuregelung des § 8 Abs. 4 KStG (Vgl. Fn. 215). 231 Vgl. 2. Teil A. I. 1. b) bb) (3).
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körperschaftsteuerlichen Verlustabzug.232 An dieser Stelle muss nicht darauf eingegangen werden, ob dieser Ansicht zuzustimmen ist oder nicht. Denn jedenfalls führt allein eine Übertragung von Anteilen an einer Gesellschaft, ohne dass es zur geringsten Änderung in der Organisation oder der Tätigkeit der Gesellschaft kommt, nicht zu einer Änderung der wirtschaftlichen Identität. Wenn der Gesetzgeber etwas anderes annimmt, handelt es sich um eine reine Fiktion, die nicht zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung von § 8c Abs. 1 KStG führen kann. (3) Zwischenergebnis § 8c KStG ist damit unter keinem in Betracht kommenden Gesichtspunkt verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. Der einzige Zweck, dem § 8c KStG wirklich dient, ist der Fiskalzweck.233 Allein der Umstand, dass der Gesetzgeber eine Gegenfinanzierung der körperschaftsteuerlichen Steuersatzsenkungen im Zuge der Unternehmensteuerreform 2008 für erforderlich erachtet hat, kann keine willkürlichen Verstöße gegen Art. 3 Abs. 1 GG und Eingriffe in die Eigentumsgarantie, Art 14 Abs. 1 GG, rechtfertigen. Faktisch bedeutet die Senkung der körperschaftsteuerlichen Steuersätze bei gleichzeitiger Einführung von § 8c Abs. 1 KStG, dass die Unternehmen mit Verlusten die Steuersatzsenkung für Unternehmen mit Gewinnen finanzieren müssen. Dies ist nicht nur ungerecht, sondern verfassungswidrig. Der Finanzbedarf des Staates darf auch über die Körperschaftsteuer nur durch eine gleichmäßige Belastung der Steuersubjekte entsprechend ihrer individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gedeckt werden. Eine größere Leistungsfähigkeit muss sich demnach auch in einer höheren Steuerlast widerspiegeln. Die Unternehmensteuerreform 2008 stellt diese verfassungsrechtliche Vorgabe auf den Kopf, indem sie Unternehmen mit geringerer Leistungsfähigkeit höher belastet, um Unternehmen mit größerer Leistungsfähigkeit zu entlasten. Besonders problematisch sind die Auswirkungen von § 8c KStG im Zusammenspiel mit der Mindestbesteuerung nach §§ 10d Abs. 2 EStG, 8 Abs. 1 KStG. Indem § 10d Abs. 2 EStG den Verlustvortrag betragsmäßig beschränkt, bewirkt er vor allem bei Unternehmen mit schwankender Ertragslage ein Aufstauen von Verlustvorträgen.234 Dies versucht der Gesetzgeber damit zu rechtfertigen, dass die Verluste nicht endgültig verloren gin-
232 Vgl. Wiesemann, § 8 Abs. 4 KStG im Regelungssystem des Verlustausgleichs (2004), S. 27. 233 So auch Drüen, StuW 2008, S. 13. sowie Crezelius, DB 2002, S. 2616 zur 2002 geplanten Neuregelung des § 8 Abs. 4 KStG (Vgl. Fn. 215). 234 Vgl. Hey, BB 2007, S. 1306.
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gen, sondern ihre Verrechnung nur zeitlich gestreckt würde.235 Doch sobald sich die Beteiligungsstruktur der Gesellschaft ändert, führt § 8c KStG genau zu diesem Ergebnis: die infolge von § 10d Abs. 2 EStG noch nicht verrechneten Verluste gehen endgültig unter. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass § 8c KStG verfassungswidrig ist und de lege ferenda gestrichen werden muss. bb)
Die „Mantelkaufproblematik“ de lege ferenda
Da § 8c KStG verfassungswidrig ist, stellt sich die Frage wie die Mantelkaufproblematik de lege ferenda sachgerecht gelöst werden könnte. Für die Beantwortung dieser Frage ist entscheidend, ob die „wirtschaftliche Identität“ bei Körperschaftsteuersubjekten ein ungeschriebenes, systemimmanentes Tatbestandsmerkmal des Verlustabzugs ist, oder ob es sich um ein Mittel zur Bekämpfung der missbräuchlichen Gestaltung des Mantelkaufs handelt. Bereits die Rechtsprechung des BFH war in dieser Frage ambivalent236 und auch über den Regelungscharakter des § 8 Abs. 4 KStG konnte insofern nie Einigkeit hergestellt werden.237 (1) Wirtschaftliche Identität als Voraussetzung für den Verlustabzug? Wäre die wirtschaftliche Identität bei Körperschaftsteuersubjekten – ähnlich wie die Unternehmensidentität bei der Gewerbesteuer – ein generelles, systemimmanentes Tatbestandsmerkmal für die Verlustverrechnung, wäre verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Mantelkaufregelung weitgehend die Grundlage entzogen. Denn dann wäre die Versagung der Verlustnutzung bei Fortfall der wirtschaftlichen Identität keine Durchbrechung der Belastungsgleichheit, sondern würde sie im Gegenteil erst verwirklichen. Dass die Verlustverrechnung sowohl im Einkommen- als auch im Körperschaftsteuerrecht grundsätzlich eine rechtliche Identität zwischen dem Steuersubjekt, das den Verlust erlitten hat und dem Steuersubjekt, das den Verlust geltend macht, voraussetzt, ist ein Ausdruck des Grundsatzes der Individualbesteuerung. Der Grundsatz der Individualbesteuerung wiederum ergibt sich aus der 235 Vgl. 1. Teil B. II. 1 b). 236 Vgl. 1. Teil B. II. 2 b). 237 Für die Einordnung des § 8 Abs. 4 KStG a.F. als Missbrauchsvermeidungstatbestand beispielsweise Wacke, Verlustabzug beim Mantelkauf (2004), S. 95; Kaeser in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 122; Hey, BB 2007, S. 1306. A.A. beispielsweise Schmitz-Herscheidt, Beschränkung der Verlustberücksichtigung bei der Umstrukturierung von Körperschaften (2004), S. 149; Wiesemann, § 8 Abs. 4 KStG im Regelungssystem des Verlustausgleichs (2004), S. 27.
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Anpassungsbedarf an die verfassungsrechtlichen Vorgaben
Grundrechtsträgerschaft der Einkommen- und Körperschaftsteuersubjekte und der Ausgestaltung beider Steuern als Personensteuern.238 Den Verlustabzug bei einer Körperschaft neben der rechtlichen auch von der „wirtschaftlichen“ Identität abhängig zu machen, bedeutet im Ergebnis, dass für die Verwirklichung des Grundsatzes der Individualbesteuerung auf eine „wirtschaftliche Betrachtungsweise“ zurückgegriffen wird. Die Steuersubjektseigenschaft wird nicht allein zivilrechtlich, sondern wirtschaftlich bestimmt.239 Dieser Betrachtungsweise liegt die Vorstellung zugrunde, dass Träger von Leistungsfähigkeit und damit auch Zuordnungseinheit von Verlusten nicht der Rechtsträger, sondern die im Kleide des Rechtsträgers steckende organisatorische Einheit „Unternehmen“ ist:240 „Der Verlustabzug gebührt nicht dem Rechtskleid, sondern dem verlusttragenden Unternehmen.“241
Konsequenz dieser Sichtweise ist jedoch, dass Grundrechtsträger und Steuerpflichtiger – die juristische Person bzw. „das Rechtskleid“ – und die Zuordnungseinheit wirtschaftliche Leistungsfähigkeit – „das Unternehmen“ – auseinander fallen. Die Körperschaftsteuer wäre dann keine Personensteuer mehr, die an das Einkommen einer juristischen Person anknüpft, sondern eine Objektsteuer auf die Ertragskraft der organisatorischen Einheit „Unternehmen“. Eine solche Umgestaltung der Körperschaftsteuer wäre sicherlich verfassungsrechtlich zulässig, müsste jedoch konsequent umgesetzt werden. Die Ausgestaltung einer Steuer als Personen- oder Objektsteuer ist eine Belastungsgrundentscheidung, die nach einer – jeweils unterschiedlichen – folgerichtigen Umsetzung verlangt. Bezogen auf die Verlustnutzung würde eine konsequente Ausgestaltung der Körperschaftsteuer als Objektsteuer bedeuten, dass entgegen der Rechtsprechung des BFH vor 1986242 und entgegen § 8 Abs. 4 KStG a.F. der Verlustabzug nicht nur dann versagt werden dürfte, wenn sich das „personale“ und „sachliche“ Substrat kumulativ ändern.243
238 Vgl. 2. Teil A. II. und B. III. 1. a). 239 Vgl. Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 67. 240 Vgl. Wiesemann, § 8 Abs. 4 KStG im Regelungssystem des Verlustausgleichs (2004), S. 127. 241 BFH v. 15.02.1966 - I 112/63, BB 1966, S. 569. 242 Vgl. beispielsweise BFH v. 15.02.1966 - I 112/63, BB 1966, S. 569; BFH v. 19.12.1973 - I R 137/71, BStBl. II 1974, S. 181. 243 Obwohl sich dies nicht zwingend aus dem Wortlaut ergab, entsprach dieses Verständnis von § 8 Abs. 4 KStG der h.M., vgl. Wiesemann, § 8 Abs. 4 KStG im Regelungssystem des Verlustausgleichs (2004), S. 81 m.w.N.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege ferenda
Denn für eine Änderung der wirtschaftlichen Identität eines Unternehmens genügt auch eine Änderung des sachlichen Substrats.244 Beispiel: A ist Geschäftsführer und einziger Gesellschafter der B-GmbH, die ein schlecht gehendes Ladengeschäft betreibt. Schließlich gibt A auf und wickelt den Geschäftsbetrieb ab. Die B-GmbH ist danach vermögenslos. Sie verfügt aber noch über Verlustvorträge i.H.v. 1.000.000 €. Nach einem Jahr „Denkpause“ hat A eine neue Geschäftsidee. Er betreibt unter der GmbH nunmehr einen florierendes Restaurant. Die Gewinne, die die GmbH aus dieser Tätigkeit erzielt, verrechnet sie mit den Verlusten, die noch aus dem Betrieb des Ladengeschäfts herrühren. Offensichtlich ist in diesem Beispiel die Organisationseinheit „Restaurant“ nicht mehr der Organisationseinheit „Ladengeschäft“ identisch. Stellt man für den Verlustabzug auf die wirtschaftliche Identität ab, müsste der Verlustabzug daher versagt werden. Nach der h.M. zu § 8 Abs. 4 KStG a.F. wäre der Verlustabzug aber mangels Änderung in der Beteiligungsstruktur, also des „personalen Substrats“ möglich gewesen.
Sehr klar bringt die für die Änderung der wirtschaftlichen Identität maßgeblichen Kriterien auch der BFH in seiner Entscheidung vom 20.08.2003 zum Ausdruck: „Die wirtschaftliche Identität einer Körperschaft als Rechtsperson bestimmt sich indes durch ihren Unternehmensgegenstand und ihr verfügbares Betriebsvermögen, nicht durch ihre Gesellschafter [Hervorh. d. Verf.]. Die wirtschaftliche Identität der betreffenden Körperschaft kann deshalb auch dann gewahrt bleiben, wenn sich die Beteiligungsverhältnisse an der Körperschaft ändern. Indem das Gesetz in § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1991 dennoch auf derartige Veränderungen abstellt, dadurch die Unternehmensidentität um eine ‚personelle Komponente anreichert’ […] und dem besagten eigentlichen Gesetzesziel –der Unterbindung des Handels mit ‚GmbH-Mänteln’– Ausdruck verleiht, verlässt es den Persönlichkeitsbereich der Körperschaft.“245
Nimmt man den Gedanken der wirtschaftlichen Identität ernst und setzt ihn konsequent um, so muss man sogar noch weiter gehen und auch bei einem Wechsel der rechtlichen Identität unter Wahrung der wirtschaftlichen Identität den Verlustabzug beim neuen Rechtsträger zulassen.246 Daran zeigt sich, 244 Gleichsinnig Kaeser in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 122. 245 BFH v. 20.08.2003 - I R 61/01, BStBl. II 2004, S. 619. 246 Um dies zu verdeutlichen, soll das obige Beispiel folgendermaßen abgewandelt werden: A gelingt es, dass Ladengeschäft zu sanieren und die B-GmbH wieder in die Gewinnzone zu führen. Nach dieser Anstrengung möchte er sich zur Ruhe setzen und veranlasst daher den Verkauf des Ladengeschäfts durch die B-GmbH an die C-GmbH im Wege des „asset deals“, also unter Übertragung aller einzelner Wirtschaftsgüter. Die C-GmbH, die sonst keinerlei Geschäftstätigkeit entfaltet, führt das Ladengeschäft in identischer Struktur (Ladenlokal, Personal, Lieferanten, Kundenkreis, etc.) fort. Da
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dass es zwar grundsätzlich möglich ist, den Verlustabzug im Körperschaftsteuerrecht vom Vorliegen wirtschaftlicher Identität abhängig zu machen. Dies setzt aber eine konsequente Umgestaltung der Körperschaftsteuer zu einer Objektsteuer voraus. Hält man hingegen prinzipiell an der personalen Struktur der Körperschaftsteuer fest, so stellt das Erfordernis der „wirtschaftlichen Identität“ einen Fremdkörper dar. Da nach der Belastungsgrundentscheidung im Rahmen einer Personensteuer die Berechtigung zum Verlustabzug grundsätzlich nur von der rechtlichen Identität abhängt, stellt das zusätzliche Erfordernis der wirtschaftlichen Identität eine rechtfertigungsbedürftige Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips dar.247 (2) Mantelkaufregelung als spezieller Missbrauchstatbestand Das Kriterium der „wirtschaftlichen Identität“ als Voraussetzung war bei genauer Betrachtung sowohl in der Rechtsprechung als auch später in § 8 Abs. 4 KStG a.F. nie Selbstzweck. Sowohl dem BFH248 als auch dem Gesetzgeber ging es stets darum zu verhindern, dass im wirtschaftlichen Ergebnis mit körperschaftsteuerlichen Verlusten im Wege des Mantelkaufs Handel getrieben werden konnte.249 Die tiefere Ursache für die Mantelkaufproblesich im Beispiel trotz des Rechtsträgerwechsels an der Organisationseinheit „Ladengeschäft“ nichts ändert, müsste bei einer Maßgeblichkeit der wirtschaftlichen Identität für den Verlustabzug der Verlustvortrag der B-GmbH konsequenterweise auf die CGmbH übergehen. 247 Dies galt auch für § 8 Abs. 4 KStG a.F. (vgl. Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 67), und zwar selbst dann, wenn man ihn mit einer Ansicht im Schrifttum nicht als spezielle Missbrauchsvermeidungsvorschrift qualifiziert, sondern annimmt, der Gesetzgeber habe mit dem Erfordernis der „wirtschaftlichen Identität“ ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal für den Verlustabzug konstituiert (vgl. Wiesemann, § 8 Abs. 4 KStG im Regelungssystem des Verlustausgleichs (2004), S. 127). Auch Tatbestandsmerkmale, die das objektive Nettoprinzip und damit die Belastungsgleichheit durchbrechen, bedürfen einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Ein Rechtfertigungsgrund für das Kriterium der wirtschaftlichen Identität könnte höchstens in der Bekämpfung missbräuchlicher Mantelkaufgestaltungen liegen. 248 BFH v. 08.01.1958 - I 131/57 U, BFHE 66, S. 250. 249 Vgl. BT-Drs. 11/2157, S. 171: „Um zu verhindern, daß Verlustvorträge entgegen der Zielsetzung des § 10d EStG durch Veräußerung der Geschäftsanteile im wirtschaftlichen Ergebnis verkauft werden (sog. Mantelkauf), haben Rechtsprechung und Verwaltung den Verlustvortrag bei Kapitalgesellschaften bisher vom Vorliegen einer nicht nur rechtlichen, sondern auch wirtschaftlichen Identität abhängig gemacht. […] In den Urteilen vom 29. Oktober 1986 […] hat der BFH seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben. […] Die geänderte BFH-Rechtsprechung hat dazu geführt, daß die Verlustvorträge von Körperschaften – insbesondere von Kapitalgesellschaften – veräußerbar sind. Der Verlustvortrag eines Einzelunternehmers ist dagegen – vom Erbfall abgesehen nicht übertragbar. […] Durch den neuen § 8 Abs. 4 KStG wird sicherge-
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matik ist, dass Kapitalgesellschaften Eigentümer haben und es deshalb möglich ist, dass gesamte Steuersubjekt mitsamt seinen Verlusten zu übertragen. Bei natürlichen Personen ist dies naturgemäß nicht denkbar. Das erklärt, warum das Kriterium der wirtschaftlichen Identität im Einkommensteuerrecht keine Rolle spielt.250 Dort ist nahezu jeder Form der Nutzung von Verlusten durch Dritte und erst Recht der mittelbare Handel mit Verlusten systembedingt so gut wie ausgeschlossen. Eine natürliche Person kann daher grundsätzlich Verluste aus einer Tätigkeit beliebig mit Gewinnen aus einer anderen Tätigkeit verrechnen. Darin kommt gerade der Charakter der Einkommensteuer als Personensteuer zum Ausdruck. Für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer „Mantelkaufregelung“ kommt es entscheidend darauf an, ob und inwieweit der mittelbare Handel mit Verlusten im Wege des Mantelkaufs als missbräuchlich qualifiziert werden kann. Denn danach bestimmt sich, wie weit der Tatbestand einer Mantelkaufregelung gefasst werden darf, ohne die Grenzen einer zulässigen Typisierung bzw. der Verhältnismäßigkeit zu überschreiten. Der Grund, aus dem der Gesetzgeber den Mantelkauf als missbräuchlich eingestuft hat, ist eine Parallelwertung zum Einkommensteuerrecht.251 Weder im Einkommennoch im Körperschaftsteuerrecht können Verluste selbst der Gegenstand rechtsgeschäftliche Transaktionen sein. Anders als im Körperschaftsteuerrecht ist im Einkommensteuerrecht auch ein mittelbarer Handel mit Verlusten mangels Übertragbarkeit des Steuersubjekts ausgeschlossen. Insofern ist § 8c KStG, der den Verlustuntergang allein von der Übertragung von Anteilen an einer Körperschaft abhängig macht, durchaus von einer inneren Logik getragen. Die Vorschrift löst die Mantelkaufproblematik radikal dadurch, dass schlicht der Handel mit Gesellschaftsanteilen steuerrechtlich pönalisiert wird. Das Problem ist nur, dass allein die Übertragung von Anteilen – auch der vollständige Anteilseignerwechsel – weder einen Missbrauch darstellt noch einen solchen signalisiert. Dass die Anteile an einer Kapitalgesellschaft übertragen werden können, ohne dass dies Auswirkung auf ihren Status als Körperschaftsteuersubjekt und ihre Besteuerung hat, ist eine systemkonsequente Folge des Trennungsprinzips.252 Auch der Verlustabzug auf Gesellschaftsebene muss bei einem Anteilseignerwechsel aufgrund des Trennungsstellt, daß eine Körperschaft einen nicht ausgeglichenen Verlust nur dann mit steuerlicher Wirkung vortragen kann, wenn sie auch wirtschaftlich mit derjenigen identisch ist, die den Verlust erlitten hat.“. Vgl. auch Nawrath, DStR 2009, S. 4. 250 BFH v. 29.10.1986 - I R 318/83, I R 319/83, BStBl. II 1987, S. 313; SchmitzHerscheidt, Beschränkung der Verlustberücksichtigung bei der Umstrukturierung von Körperschaften (2004), S. 178 f. 251 Vgl. BT-Drs. 11/2157, S. 171. 252 Vgl. Crezelius, DB 2002, S. 2616.
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prinzips grundsätzlich weiterhin möglich bleiben. 253 Von einer missbräuchlichen Gestaltung könnte allenfalls dann gesprochen werden, wenn bei der Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen die Nutzung ihrer Verlustvorträge durch den Erwerber das absolut dominierende Motiv für die Transaktion ist. Nur dann wird nicht mit einem Unternehmen mit Verlusten gehandelt, sondern nur mit Verlusten. Damit gelangt man wieder beim klassischen Fall des Mantelkaufs an, wie er der ursprünglichen Rechtsprechung des BFH zugrunde lag: „Die für die Anwendung des § 6 StAnpG notwendige Feststellung, daß die Beteiligten mit dem Verkauf der Anteile ein von der Rechtsordnung mißbilligtes und mit den Grundsätzen der steuerlichen Gleichbehandlung gleichliegender Tatbestände nicht zu vereinbarendes Ziel erstreben, ist nicht schon dann gerechtfertigt, wenn der Verlustabzug bei der Neugestaltung der betrieblichen Verhältnisse der GmbH oder bei der Veräußerung der Anteile eine ins Gewicht fallende Bedeutung hat. Die Anwendung des § 6 StAnpG muß vielmehr bei bürgerlichrechtlicher Wirksamkeit des Verkaufs der Anteile auf solche Ausnahmefälle beschränkt werden, in denen die Umstände des Falles eindeutig ergeben, daß bei wirtschaftlicher Betrachtung Gegenstand des Verkauf nicht die Anteile, sondern der steuerliche und damit wirtschaftliche Wert des Verlustabzugs ist [Hervorh. d. Verf.] und daß deshalb der Erwerber der Anteile keine anderen einleuchtenden Gründe für den Erwerb der Anteile gehabt haben kann, als den bei der GmbH wertlos gewordenen Verlustabzug für andere ertragreiche wirtschaftliche Unternehmen auszuwerten.“254
Eine „Mantelgesellschaft“ ist, wie sich schon aus dem Namen ergibt, ein inhaltsleerer Mantel, ein bloßes „Rechtskleid“. Dies setzt voraus, dass die Gesellschaft weder über einen Geschäftsbetrieb noch über nennenswertes Vermögen verfügt.255 Eine solche Mantelgesellschaft ist der Rohstoff für die eigentliche Mantelkaufgestaltung, die zwei Komponenten hat. Erstens müssen nahezu sämtliche Anteile an der Gesellschaft an einen neuen Anteilseigner übertragen werden. Zweitens muss dieser neue Gesellschafter, um eine Verlustverrechnung zu ermöglichen, die Übertragung einer Gewinnquelle in das Rechtskleid veranlassen.256 Um einen solchen klassischen Mantelkauf zu unterbinden, kann man an zwei Punkten ansetzen: bei der Existenz der Mantelgesellschaft und beim Mantelkauf selbst. Es ist offensichtlich, dass ohne Mantelgesellschaften im oben beschriebenen Sinne dem Mantelkauf die Grundlage entzogen wäre. Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, die Steuerrechtsfähigkeit einer Kapitalgesell253 Vgl. Crezelius, DB 2002, S. 2616. 254 BFH v. 27.09.1961 - I 6/60 U, BFHE 73, S. 755. Vgl. als Beispiel für eine restriktive Handhabung der Kriterien der „Mantelkauf“-Rechtsprechung auch BFH v. 19.12.1973 - I R 137/71, BStBl. II 1974, S. 181. 255 Vgl. BFH v. 15.02.1966 - I 112/63, BB 1966, S. 569; Crezelius, StuW 1995, S. 316. 256 Vgl. Schmitz-Herscheidt, Beschränkung der Verlustberücksichtigung bei der Umstrukturierung von Körperschaften (2004), S. 176.
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schaft erst dann enden zu lassen, wenn auch ihre Zivilrechtsfähigkeit erlischt.257 Mit dem Gedanken der Missbrauchsbekämpfung ließe es sich durchaus vereinbaren, bei einer Gesellschaft, die über keinen Geschäftsbetrieb und über kein nennenswertes Vermögen verfügt, einen körperschaftsteuerrechtlichen „Tod“ zu fingieren. Als Vorbild könnte § 14 Abs. 3 KStG dienen. Nach dieser Vorschrift gilt eine Körperschaft bei Sitzverlegung ins Ausland als aufgelöst und § 11 KStG findet entsprechende Anwendung. Allerdings ließe sich eine solche Regelung leicht umgehen, indem man verhindert, dass die Gesellschaft komplett vermögenslos wird. Alternativ kann man versuchen, die Mantelkaufgestaltung selbst in einem Tatbestand zu erfassen. Dieser müsste – wie bisher § 8 Abs. 4 KStG – sowohl an eine Änderung des personalen als auch des sachlichen Substrats anknüpfen. Denn der Handel mit Verlusten im Wege des Mantelkaufs setzt beide Elemente voraus: Übertragung der Anteile an einen neuen Anteilseigner sowie die Zuführung einer neuen Einkunftsquelle. Beide Elemente isoliert betrachtet können nicht als missbräuchlich eingestuft werden. Für die Anteilsübertragung folgt dies – wie bereits erwähnt – aus dem Trennungsprinzip. Dass sich auch allein durch eine Änderung des sachlichen Substrats, etwa durch die Zuführung neuen Betriebsvermögens, keine steuerlichen Konsequenzen ergeben können, folgt aus der Ausgestaltung der Körperschaftsteuer als Personensteuer.258 Dies kommt sehr gut in folgender Passage aus der Entscheidung des BFH vom 29.10.1986 zum Ausdruck: „Der Verlustabzug ist nicht an den Fortbestand einer bestimmten steuerpflichtigen Tätigkeit geknüpft [Hervorh. d. Verf.], aus der der abzuziehende Verlust herrührt. […] Eine Kapitalgesellschaft ist danach nicht gehindert, ein verlustreiches Engagement aufzugeben und sich einem anderen einträglicheren Gesellschaftszweck zuzuwenden.“259
In der konkreten Ausgestaltung müsste sich der Tatbestand einer verfassungskonformen Mantelkaufregelung am klassischen Leitbild des Mantelkaufs orientieren. Dass heißt, es müssten nahezu sämtliche Anteile an der Mantelgesellschaft übertragen werden und auch das sachliche Substrat müsste sich grundlegend ändern. Um den Tatbestand auf echte Missbrauchsfälle zu beschränken, müssen eine Sanierungs- und eine Konzernklausel vorgesehen werden. Die Rechtsfolge dürfte sich zudem nicht in einem schlichten Wegfall des vorhandenen steuerlichen Verlustverrechnungspotentials erschöpfen. Vielmehr müssten Verluste in Höhe vorhandener stiller Reserven geschont werden. Alternativ könnte der Gesellschaft die Möglichkeit eingeräumt werden, die stillen Reserven gewinnerhöhend aufzulösen und mit den 257 So auch Wendt in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 67. 258 Vgl. 2. Teil A. II. 259 BFH v. 29.10.1986 - I R 318/83, I R 319/83, BStBl. II 1987, S. 313.
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vom Verfall bedrohten Verlusten zu verrechnen. Denn soweit die Verlustvorträge durch unversteuerte Einkünfte gedeckt sind, geht es bei der Transaktion ganz offensichtlich nicht um den Handel mit Verlusten.260 Die restriktive Fassung der beiden zentralen Tatbestandsmerkmale des Anteilseignerwechsels und der Zuführung neuen Betriebsvermögens ist von entscheidender Bedeutung für die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift. Jenseits der klassischen Mantelkaufgestaltung liegt keine Missbräuchlichkeit vor. Paradoxerweise verlassen auch Steuerpflichtige, die bewusst versuchen, eine eng gefasste Mantelkaufregelung zu umgehen, damit automatisch den Bereich der missbräuchlichen Gestaltung. Wenn beispielsweise ein Steuerpflichtiger, um § 8 Abs. 4 KStG a.F. 1990 zu umgehen, statt 100 % nur 70 % der Anteile an einer Kapitalgesellschaft erwarb und das sachliche Substrat nicht komplett, sondern nur teilweise austauschte, so kann sein Verhalten nicht als Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten angesehen werden. Denn wer einen Minderheitsgesellschafter mit einem Anteil von 30 % akzeptiert und wer zudem einen substanziellen Teil des bisherigen Betriebsvermögens weiter nutzt, dem ging es bei dem Erwerb des Anteils in aller Regel nicht allein um den Erwerb der Verluste. Ein Tatbestand, der sich zu weit vom klassischen Leitbild des Mantelkaufs entfernt, führt gleichheitsrechtlich zu einer zu groben Typisierung und ist im Hinblick auf den Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG unverhältnismäßig. Wie der Erfahrung mit § 8 Abs. 4 KStG a.F. zeigt, neigt der Gesetzgeber aus Furcht vor tatsächlichen oder vermeintlichen Umgehungsstrategien dazu, den Tatbestand zu weit zu fassen. § 8 Abs. 4 KStG a.F. griff weit über den klassischen Mantelkauf hinaus und erfasste überwiegend Fälle, die nicht als Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten angesehen werden konnten. (3) Ergebnis Als Konsequenz der verfassungsrechtlichen Würdigung der Mantelkaufproblematik ergibt sich, dass es zwar prinzipiell zulässig ist, den Handel mit Verlusten im Wege des Mantelkaufs mittels eines speziellen Missbrauchstatbestands zu bekämpfen. Da dadurch die Belastungsgleichheit in rechtfertigungsbedürftiger Weise durchbrochen würde, müsste eine solche Regelung aber sehr restriktiv gefasst sein und dürfte nur Fälle erfassen, in denen das Motiv des Handeltreibens mit Verlusten eindeutig dominiert.
260 Diese Wertung liegt auch der Ausnahmeregelung in § 8c Abs. 2 KStG zugrunde, vgl. 1. Teil B. II. 2. a) dd).
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege ferenda
c) Gewerbesteuer Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die interperiodische Berücksichtigung gewerbesteuerlicher Verluste entsprechen im Wesentlichen den Vorgaben für die interperiodische Verlustverrechnung im Rahmen von Einkommen- und Körperschaftsteuer. Zur Wahrung der Belastungsgleichheit ist im Ausgangspunkt eine unbeschränkte interperiodische Verlustverrechnung geboten. Besonderheiten ergeben sich allerdings aufgrund des Objektsteuercharakters der Gewerbesteuer.261 aa) Verlustvortrag (1) Mindestbesteuerung Die betragsmäßige Beschränkung des gewerbesteuerlichen Verlustvortrags nach § 10a S. 1-2 GewStG, die die Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG kopiert, ist aus den gleichen Gründen verfassungswidrig wie das Original.262 Es handelt sich – auch soweit es tatsächlich nur zu einer Streckung der Verlustverrechnung und nicht zu einer Überbesteuerung durch den Untergang von Verlustvorträgen kommt – um eine Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips und damit des Gebots der Belastungsgleichheit, Art. 3 Abs. 1 GG. Denn für eine gleichmäßige Belastung der Steuerpflichtigen entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist es nicht ausreichend, dass überhaupt eine Verlustverrechnung möglich ist. Die Verlustverrechnung muss darüber hinaus so zeitnah wie möglich erfolgen.263 Mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben wäre die gewerbesteuerliche Mindestbesteuerung daher nur dann zu vereinbaren, wenn sie einem über den Fiskalzweck hinausgehenden, besonderen sachlichen Grund diente. Für die Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG wurde bereits gezeigt, dass dies nicht der Fall ist.264 Zu prüfen ist daher nur, ob sich aus den Besonderheiten des Gewerbesteuerrechts eine abweichende Beurteilung ergibt. Der Gesetzgeber hat die Übertragung der Mindestbesteuerung auf die Gewerbesteuer mit der dadurch zu erreichenden Verstetigung und Stabilisierung der kommunalen Einnahmen begründet. Gerade bei großen Verlustvorträgen werde so erreicht, dass jeweils zumindest ein Teil des jährlichen Gewinns der Gewerbesteuer unterliegt.265 Es stellt sich die Frage, ob der „Verstetigungseffekt“ der Mindestbesteuerung bei der Gewerbesteuer – anders als bei Ein261 262 263 264 265
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Vgl. 2. Teil B. II. 3. So auch Fischer, FR 2007, S. 285. Vgl. 2. Teil B. II. 1. a) aa) (1) (a) und bb) (1). Vgl. 3. Teil A. I. 2. a) aa) (1). Vgl. BT-Drs. 15/1517, S. 12.
Anpassungsbedarf an die verfassungsrechtlichen Vorgaben
kommen- und Körperschaftsteuer – eine Streckung des Verlustvortrags rechtfertigen kann. Man könnte argumentieren, dass Gemeinden mit wenigen großen Gewerbesteuerzahlern von Schwankungen in der Ertragslage dieser Unternehmen in ihrer Finanzplanung stärker betroffen sind als der Gesamtstaat, der über die Einkommen- und Körperschaftsteuer an der Ertragsentwicklung aller Unternehmer partizipiert. Einer solchen Sichtweise kann jedoch nicht zugestimmt werden. Wenn der Gesetzgeber die Steuerpflicht an eine naturgemäß schwankende Bemessungsgrundlage wie den Gewinn gewerblicher Unternehmen anknüpft, dann muss er es grundsätzlich als folgerichtige Konsequenz seiner Belastungsgrundentscheidung akzeptieren, dass das Steueraufkommen entsprechend der gewählten Bemessungsgrundlage schwankt.266 Wenn dies bei der Gemeindefinanzierung zu besonderen Problemen führt, so bedeutet dies schlicht, dass die Gewerbesteuer eine ungeeignete Ertragsquelle für die Deckung des kommunalen Finanzbedarfs ist. Dieser Umstand darf nicht durch eine ungleichmäßige Belastung der Steuerpflichtigen kompensiert werden. Somit ist auch im Rahmen der Gewerbesteuer keine Rechtfertigung für die Mindestbesteuerung ersichtlich. Die betragsmäßige Beschränkung des Verlustvortrags gemäß § 10a S. 1-2 GewStG ist verfassungswidrig und muss de lege ferenda aufgehoben werden.267 (2) Wegfall der Unternehmensidentität Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist es hingegen, dass die Totalperiode und damit die interperiodische Verlustverrechnung im Rahmen der Gewerbesteuer nicht mit der rechtlichen Existenz des Gewerbesteuersubjekts endet, sondern über das Merkmal der Unternehmensidentität an die Existenz der Organisationseinheit Gewerbebetrieb als Gegenstand der Gewerbesteuer geknüpft ist. Das ist die logische Konsequenz der Belastungsgrundentscheidung, die Gewerbesteuer als Objektsteuer auszugestalten.268 Wenn die Gewerbesteuer die objektive Ertragskraft eines konkreten Unternehmens erfasst, dann ist eine interperiodische Verlustverrechnung auch nur so lange geboten, wie dieses Unternehmen existiert.
266 Vgl. dazu 2. Teil B. II. 1. b) dd) und 3. Teil A. I. 1. a) aa) (5) (b). 267 A.A.: BFH v. 27.01.2006 - VIII B 179/05, BFH/NV 2006, S. 1151. Zumindest für den Fall, dass § 10a S. 1-2 GewStG zu einem endgütligen Verlustuntergang führt, geht mittlerweile auch das FG München von einer Verfassungswidrigkeit der Vorschrift aus, vgl. FG München v. 31.07.2008 - 8 V 1588/08, DStRE 2009, S. 101 f. 268 Vgl. 1. Teil B. I. 3. und 2. Teil A. III.
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bb) Verlustrücktrag Anders als bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer existiert im Rahmen der Gewerbesteuer keinerlei Verlustrücktragsmöglichkeit. Dadurch sollen die Gemeinden, für deren Finanzplanung die Gewerbesteuer eine herausragende Rolle spielt, davor geschützt werden, bereits verbrauchte Steuereinnahmen erstatten zu müssen.269 Diese Regelung ist für den allgemeinen Verlustrücktrag verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Wie bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer können auch im Rahmen der Gewerbesteuer die Belange der Rechtssicherheit, der typisierenden Verwaltungsvereinfachung sowie die Erfordernisse einer geordneten Finanz- und Haushaltsplanung eine allgemeine Beschränkung des Verlustrücktrags rechtfertigen. Sobald aber eine Nutzung nicht verrechneter Verluste im Wege des Verlustvortrags nicht mehr in Betracht kommt, müsste auch im Rahmen der Gewerbesteuer eine außerordentliche Verlustverrechnungsmöglichkeit vorgesehen werden. Hierzu gehört insbesondere ein Verlustrücktrag, der zeitlich mindestens zehn Jahre umfassen und betragsmäßig unbeschränkt sein sollte. Wenn im Extremfall einem bedeutenden Gewerbesteuerzahler aufgrund eines derartigen erweiterten Verlustrücktrags auf einen Schlag die gesamte während der vergangenen zehn Jahre entrichtete Gewerbesteuer erstattet werden muss, so kann dies eine Gemeinde durchaus in finanzielle Bedrängnis bringen. Dies offenbart aber nur, dass die Gewerbesteuer als Instrument zur Gemeindefinanzierung ungeeignet ist und durch eine stabilere Einnahmequelle ersetzt werden sollte. Das staatliche Versäumnis, die Gemeindefinanzierung auf eine solide Grundlage zu stellen, kann willkürliche Belastungsfolgen für die Steuerpflichtigen nicht legitimieren. d) Zusammenfassung: Notwendige Anpassung der interperiodischen Verlustverrechnung an die verfassungsrechtlichen Vorgaben Für die Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer gilt gleichermaßen, dass die betragsmäßige Beschränkung des Verlustvortrags nach § 10d Abs. 2 EStG (i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG) bzw. § 10a S. 1-2 GewStG verfassungswidrig ist und de lege ferenda beseitigt werden muss. Die zeitliche und betragsmäßige Beschränkung des Verlustrücktrags nach § 10d Abs. 1 EStG (i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG) bzw. der gewerbesteuerliche Ausschluss des Verlustrücktrags sind hingegen grundsätzlich verfassungskonform. Lediglich dann, wenn eine Verlustberücksichtigung anderweitig nicht mehr möglich ist, ist über die geltende Rechtslage hinaus ein außerordentlicher Verlustrücktrag verfassungsrechtlich geboten. Insofern stimmt das geltende 269 Vgl. Haarmann, Stbg 2001, S. 147; Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer (2008), S. 285.
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Anpassungsbedarf an die verfassungsrechtlichen Vorgaben
Recht nicht mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben für die interperiodische Verlustverrechnung überein. De lege ferenda muss ein entsprechender außerordentlicher Verlustrücktrag ausdrücklich gesetzlich geregelt werden. § 8c KStG ist verfassungswidrig und muss de lege ferenda aufgehoben werden. Sofern der Gesetzgeber an einer gesetzlichen Regelung der Mantelkaufproblematik festhalten möchte, müsste eine entsprechende Vorschrift sehr zielgenau ausgestaltet sein und dürfte grundsätzlich nur Fälle erfassen, in denen das Motiv des „Handeltreibens mit Verlusten“ eindeutig dominant ist. 3. Intersubjektive Verlustverrechnung Eine intersubjektive Verlustverrechnung ist im Einkommensteuerrecht lediglich zwischen Ehegatten wegen des Charakters der Ehe als Erwerbs- und Wirtschaftsgemeinschaft geboten.270 Dem entspricht das deutsche Steuerrecht bereits de lege lata über die Regelungen zur Zusammenveranlagung von Ehegatten, §§ 26 ff. EStG. Im Bereich der Körperschaftsteuer besteht grundsätzlich keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit für eine intersubjektive Verlustverrechnung. Insofern ist der de lege lata bestehende Ausschluss der intersubjektiven Verlustverrechnung im Fall von Verschmelzung, Spaltung und Umwandlung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Durch die intersubjektive Verlustverrechnung im Rahmen der Organschaft nimmt der Gesetzgeber in sachgerechter Weise auf die wirtschaftliche Einheit des Konzerns Rücksicht.271 Die geltende Rechtslage steht somit mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben in Einklang. Im Gewerbesteuerrecht muss eine interperiodische Verlustverrechnung – solange die Unternehmensidentität gewahrt bleibt – auch möglich bleiben, wenn der Unternehmer, dem der Gewerbebetrieb zuzurechnen ist, wechselt. Insofern ist im Rahmen der Gewerbesteuer eine intersubjektive Verlustverrechnung geboten.272 Die geltende Rechtslage, die die interperiodische Verlustverrechnung vom Fortbestand der Unternehmeridentität abhängig macht, steht mit diesem Erfordernis nicht in Einklang. Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung hierfür ist nicht ersichtlich. Die §§ 10a S. 7 und 2 Abs. 5 GewStG müssen de lege ferenda aufgehoben werden. Stattdessen sollte ausdrücklich gesetzlich geregelt werden, dass bei einem Unternehmerwechsel der Verlustvortrag fortgeführt wird.
270 Vgl. 2. Teil B. III. 2. c). 271 Vgl. 2. Teil B. III. 1. c) cc) (2). 272 Vgl. 2. Teil B. III. 1. d).
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege ferenda
II. Verlustverrechnung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten Für die Verlustverrechnung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten gelten grundsätzlich die gleichen verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen wie für die Verlustverrechnung bei Inlandssachverhalten. Eine Einschränkung besteht im Grundrechtsschutz lediglich für ausländische juristische Personen, da diese, wie sich im Umkehrschluss aus Art. 19 Abs. 3 GG ergibt, in Deutschland nicht grundrechtsfähig sind. Jedoch wird das sich daraus ergebende Grundrechtsdefizit für juristische Personen aus Mitgliedstaaten der EU durch die gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbote und darüber hinaus zum Teil durch in Doppelbesteuerungsabkommen vereinbarte Diskriminierungsverbote ausgeglichen.273 Nachfolgend wird zunächst untersucht, welche Konsequenzen aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Berücksichtigung von Auslandsverlusten von Steuerinländern zu ziehen sind. Anschließend wird auf die Situation bei Inlandsverlusten von Steuerausländern eingegangen. 1. Auslandsverluste von Steuerinländern a) Einkommen- und Körperschaftsteuer Für die Besteuerung von Steuerinländern knüpfen die Einkommen- und Körperschaftsteuer an das Welteinkommen des Steuerpflichtigen als Leistungsfähigkeitsindikator an. In der Literatur wird zwar diskutiert, ob eine Unterscheidung zwischen in- und ausländischer Leistungsfähigkeit angezeigt ist.274 Vertreten wird insbesondere, dass die Einkommensbesteuerung insgesamt stärker am Territorialitätsprinzip ausgerichtet werden sollte.275 Im Rahmen dieser Untersuchung muss aber von der aktuellen Belastungsentscheidung ausgegangen werden, wonach eine Differenzierung nach der geographischen Herkunft der Leistungsfähigkeit nicht stattfindet. In die Bemessungsgrundlage der Einkommen- und Körperschaftsteuer fließen im Ausgangspunkt sowohl inländische als auch ausländische Einkünfte gleichberechtigt ein.
273 Vgl. Zoll, Grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung bei gewerblichen Betriebsstätten und Tochterkapitalgesellschaften (2001), S. 10 f. 274 So beispielsweise Schaumburg in: Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion (1995), S. 127. Vgl. dazu auch Elicker, Die Zukunft des deutschen internationale Steuerrechts (2006), S. 27 m.w.N. 275 Vgl. dazu Schaumburg in: Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion (1995), S. 127 und Lehner in: Schön (Hrsg.), Einkommen aus Kapital (2007), S. 74 jeweils m.w.N.
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Anpassungsbedarf an die verfassungsrechtlichen Vorgaben
Die Grundentscheidung, im Rahmen der Einkommen- und Körperschaftsteuer an das Welteinkommen anzuknüpfen, muss folgerichtig umgesetzt werden.276 Daraus folgt unmittelbar, dass Auslandsverluste grundsätzlich genauso behandelt werden müssen wie Inlandsverluste. Verfassungsrechtlich ist es im Hinblick auf eine gleichmäßige Belastung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit geboten, sie in gleichem Maße in die intra- und interperiodische Verlustverrechnung einzubeziehen wie Inlandsverluste.277 Über das Welteinkommensprinzip wird somit das objektive Nettoprinzip auf das weltweit erzielte Einkommen erweitert.278 Besonderheiten, die sich aus dem grenzüberschreitenden Bezug ergeben können, rechtfertigen möglicherweise eine Durchbrechung des Grundsatzes der Belastungsgleichheit. Sie bewirken jedoch keine Modifikation des Leistungsfähigkeitsprinzips und des objektiven Nettoprinzips als Maßstab steuerlicher Gleichbehandlung. Spezifische Verlustverrechnungsbeschränkungen für Auslandsverluste von Steuerinländern durchbrechen demnach das objektive Nettoprinzip und sind folglich nur dann mit dem allgemeinen Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG, vereinbar, wenn sie einem besonderen sachlichen Grund dienen. Im Hinblick auf den durch die Besteuerung bewirkten Eingriff in Art. 14 GG müssen sie zudem einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten. Handelt es sich bei den konkret betroffenen Steuerpflichtigen um natürliche Personen, ist ferner das Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums, Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, in seiner freiheitsrechtlichen Dimension zu beachten. Wie im ersten Teil der Untersuchung gezeigt wurde, folgt die Berücksichtigung von Auslandsverlusten unterschiedlichen Regeln in Abhängigkeit von der einschlägigen Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung. De lege lata wird die grenzüberschreitende Verlustverrechnung im Nicht-DBA-Fall durch § 2a EStG beschränkt. Gleiches gilt, soweit in einem DBA die Anrechnungsmethode vereinbart wurde.279 Sieht ein DBA hingegen die Freistellungsmethode vor, so ergibt sich eine Einschränkung der Verlustverrechnung aus der vom BFH vertretenen „Symmetriethese“.280
276 Vgl. Schaumburg in: Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion (1995), S. 133. 277 Vgl. Loritz, Einkommensteuerrecht (1988), S. 237; Loritz/Wagner, BB 1991, S. 2269; Schaumburg in: Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion (1995), S. 133; Prokisch in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 234. 278 So auch Prokisch in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 247 f. 279 Vgl. 1. Teil C. I. 1. a). 280 Vgl. 1. Teil C. I. 1. b).
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aa) Verlustverrechnungsbeschränkung für negative Einkünfte mit Auslandsbezug, § 2a EStG Der BFH hat § 2a EStG wiederholt für verfassungskonform erklärt und insbesondere einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG verneint.281 Dabei hat sich der BFH jedoch faktisch auf eine reine Willkürprüfung beschränkt und ignorierte, dass der Gesetzgeber jenseits der weitestgehend freien Belastungsgrundentscheidung über das Gebot der Folgerichtigkeit einer Selbstbindung unterliegt, deren Durchbrechung einen strengeren Rechtfertigungsmaßstab auslöst als eine reine Willkürprüfung.282 Aus diesem Grund kann die Rechtsprechung des BFH nicht überzeugen. Das BVerfG ist einer umfassenden verfassungsrechtlichen Würdigung des § 2a EStG aus dem Weg gegangen, indem es trotz der in der Literatur geäußerten erheblichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift283 mehrere § 2a EStG betreffende Verfassungsbeschwerden ohne Begründung nicht zur Entscheidung angenommen hat.284 Daher kann die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Norm noch nicht als abschließend geklärt angesehen werden.285 § 2a EStG durchbricht das objektive Nettoprinzip und damit den Grundsatz der gleichmäßigen Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.286 Darin liegt nur dann kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wenn die Vorschrift einem besonderen sachlichen Grund dient. Auch § 2a EStG verdankt seine Existenz – wie zahlreiche weitere spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen – dem Ringen des Gesetzgebers mit der „Verlustzuweisungsindustrie“. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist die Zwecksetzung der Regelung weitgehend identisch mit derjenigen von § 15b EStG. Wie mit der Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 15b EStG will der Gesetzgeber mit § 2a EStG vor allem aus steuerlichen Motiven getätigte, 281 BFH v. 17.10.1990 - I R 182/87, BStBl. II 1991, S. 139; BFH v. 26.03.1991 - IX R 162/85, BStBl. II 1991, S. 709; BFH v. 29.05.2001 - VIII R 43/00, BFH/NV 2002, S. 15. 282 Vgl. dazu Loritz/Wagner, BB 1991, S. 2268 sowie 2. Teil A. I. 1. b) aa). 283 Vgl. beispielsweise Loritz, Einkommensteuerrecht (1988), S. 237; Loritz/Wagner, BB 1991, S. 2268; Schaumburg in: Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion (1995), S. 133. 284 BVerfG v. 27.03.1998 - 2 BvR 1986/93; BVerfG v. 27.03.1998 - 2 BvR 2058/92; BVerfG v. 27.03.1998 - 2 BvR 220/92; BVerfG v. 17.04.1998 - 2 BvR 374/91; BVerfG v. 20.04.1998 - 2 BvR 62/92. 285 So auch Mössner in: Wassermeyer (Hrsg.), Grundfragen der Unternehmensbesteuerung (1994), S. 239. 286 Vgl. beispielsweise Loritz, Einkommensteuerrecht (1988), S. 237; Schaumburg in: Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion (1995), S. 127; Prokisch in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 234.
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volkswirtschaftlich jedoch wenig sinnvolle Investitionen verhindern.287 § 2a EStG ist somit, wie § 15b EStG, eine wirtschaftspolitisch motivierte Lenkungsvorschrift. Die Zielsetzung, volkswirtschaftliche nicht sinnvolle Investitionen steuerlich weniger attraktiv zu machen, ist ein besonderer sachlicher Grund, der die durch § 2a EStG bewirkte Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips gleichheitsrechtlich rechtfertigen kann. Ob es aus wirtschaftspolitischer Sicht für Deutschland tatsächlich opportun ist, Auslandsverluste steuerlich zu diskriminieren, kann zwar zu Recht bezweifelt werden.288 Zumindest aus verfassungsrechtlicher Sicht ist aber insofern die Einschätzung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers zu akzeptieren. Außerhalb der Europäischen Union, im Verhältnis zu Drittstaaten, ist der Gesetzgeber grundsätzlich auch nicht durch europarechtliche Vorgaben, insbesondere die Grundfreiheiten, daran gehindert, aus wirtschaftspolitischen Gründen bestimmte Auslandsinvestitionen steuerlich zu diskriminieren.289 Die Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 2a EStG würde daher nur dann gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, wenn die Vorschrift die Grenzen zulässiger Typisierung überschritte. Wenn man den Gesetzeszweck allein in der Bekämpfung von Steuerstundungsmodellen sieht, so ist dies zu bejahen.290 Denn der Tatbestand des § 2a EStG enthält in dieser Hinsicht keinerlei Einschränkungen. § 2a EStG erfasst negative Einkünfte völlig unabhängig davon, ob sie im Rahmen einer Verlustzuweisungsgesellschaft erzielt wurden oder nicht. Allerdings kann man der Gesetzesbegründung entnehmen, dass § 2a EStG zwar insbesondere, aber nicht exklusiv zur Bekämpfung von Verlustzuweisungsgesellschaften bzw. von primär durch eine Steuerersparnis motivierten Investitionen bestimmt war: „Auf diese Weise können zu Lasten des inländischen Steueraufkommens volkswirtschaftlich nicht sinnvolle Verwendungszwecke verfolgt werden. Insbesondere [Hervorh. d. Verf.] Initiatoren von Verlustzuweisungsmodellen machen sich diese Situation zunutze.“291
Daraus kann man ableiten, dass der Gesetzgeber die in § 2a Abs. 1 EStG erfassten Auslandsaktivitäten generell und nicht nur im Rahmen von Verlustzuweisungsgesellschaften aus wirtschaftspolitischer Sicht für unerwünscht hielt. Ausgehend von diesem weiter gefassten Gesetzeszweck werden die
287 Vgl. 1. Teil C. I. 1. a) bb). 288 Vgl. dazu Loritz, Einkommensteuerrecht (1988), S. 237. 289 Vgl. zur Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 2a EStG auf das Verhältnis zu Drittstaaten 1. Teil C. I. 1. a) aa). Vorgaben können sich insofern allenfalls aus der Kapitalverkehrsfreiheit ergeben. 290 So beispielsweise Friauf, StuW 1985, S. 317; Loritz/Wagner, BB 1991, S. 2270; Wilk, Die einkommensteuerliche Behandlung von Auslandsverlusten (2000), S. 183. 291 BT-Drs. 9/2074, S. 62.
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Grenzen einer zulässigen Typisierung von § 2a EStG noch nicht überschritten. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt daher nicht vor. Im Hinblick auf den Eingriff in Art. 14 GG muss die Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 2a EStG jedoch auch einer Verhältnismäßigkeitskontrolle standhalten. Die Vorschrift ist sicherlich dazu geeignet, mit hohen Anlaufverlusten verbundene Investitionen aus steuerlicher Sicht weniger attraktiv zu machen. Darüber hinaus müsste die Regelung zur Erreichung dieses Zwecks aber auch erforderlich sein. Dies ist insbesondere wegen der Existenz von § 15b EStG fraglich. Von dieser Regelung werden auch im Ausland investierende Steuerstundungsmodelle erfasst.292 Die Rechtsfolge ist zudem strenger, da nach § 15b EStG die Verluste nur mit späteren Gewinnen aus derselben Einkunftsquelle ausgeglichen werden können, während bei § 2a EStG hierfür positive Einkünfte der gleichen Art aus dem gleichen Staat in Frage kommen. Allerdings ist § 2a EStG insofern weiter als § 15b EStG, als die Vorschrift nicht nur modellhafte Gestaltungen, sondern auch vollständig individuell durchgeführte Investitionsvorhaben erfasst. Da § 2a EStG somit ein eigenständiger Anwendungsbereich verbleibt, lässt § 15b EStG die Erforderlichkeit der Vorschrift nicht entfallen.293 Auch der Rechtsfolge der Einkapselung der Verluste im Verlustentstehungsstaat („per country limitation“) kann die Erforderlichkeit nicht abgesprochen werden. Denn eine weniger restriktive Rechtsfolge würde die abschreckende Wirkung der Vorschrift schmälern und so ihre Lenkungswirkung beeinträchtigen. Nicht erforderlich zur Erreichung des mit § 2a EStG verfolgten Gesetzeszwecks ist es jedoch, dass de lege lata Verluste, die nicht mit anderen positiven Einkünften der gleichen Art aus dem gleichen Staat intra- oder interperiodisch verrechnet werden können, endgültig untergehen. Bei dem Bestreben, bestimmte Auslandsinvestitionen weniger attraktiv zu machen, ging es dem Gesetzgeber darum, den Steuerstundungseffekt zu bekämpfen, der sich mit einer Investition mit hohen Anlaufverlusten erreichen lässt.294 Sobald feststeht, dass der Steuerpflichtige die Verluste nicht mit ausländischen Gewinnen verrechnen kann, ist offenkundig, dass statt des erhofften Steuerstundungseffekts ein definitiver Verlust eingetreten ist. Dann ist eine weitere Verlustverrechnungsbeschränkung nicht mehr erforderlich. Jedenfalls ist ein 292 Vgl. Wagner in: Blümich, EStG, § 2a Rn. 23. 293 A.A.: Loritz/Wagner, BB 1991, S. 2269, die schon 1991 davon ausgingen, dass es der Regelung wegen sonstiger Maßnahmen zur Bekämpfung von Verlustzuweisungsgesellschafen an der Erforderlichkeit fehle. 294 Hätte er Auslandsinvestitionen generell weniger attraktiv machen wollen, dann hätte eine weniger spezielle Maßnahme wie etwa eine Anhebung des Steuersatzes auf ausländische Gewinne nahe gelegen.
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endgültiger Verlustuntergang im Hinblick auf den vom Gesetzgeber verfolgten Zweck, bestimmte Auslandsinvestitionen unattraktiv zu machen, unangemessen. Die Verluste sind in die allgemeine Verlustverrechnung einzubeziehen. Soll an § 2a EStG de lege ferenda festgehalten werden, so muss die Vorschrift in diesem Punkt den verfassungsrechtlichen Vorgaben angepasst werden. Ein endgültiger Verlustuntergang muss ausgeschlossen werden. bb) Nichtberücksichtigung von Auslandsverlusten bei DBA mit Freistellungsmethode Nach der vom BFH in ständiger Rechtsprechung vertretenen Symmetriethese erfasst die Freistellung ausländischer Einkünfte durch ein DBA sowohl positive als auch negative Einkünfte. In der Literatur wird das gleiche Ergebnis aus § 3c Abs. 1 EStG abgeleitet.295 Auf diesen dogmatischen Streit muss nicht näher eingegangen werden. Fraglich ist vielmehr, ob die sich nach beiden Ansichten ergebende Konsequenz, dass sich Auslandsverluste von Steuerinländern im Rahmen der Besteuerung im Inland generell nicht auswirken können, mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Verlustverrechnung in Einklang steht. Würde Deutschland bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer das Welteinkommensprinzip aufgeben und seinen Steueranspruch entsprechend dem Territorialitätsprinzip generell auf das inländische Einkommen der Steuerpflichtigen zurücknehmen, so wären die Auslandsverluste bereits nicht steuerbar. Da Leistungsfähigkeitsindikator in diesem Fall nur das inländische Einkommen wäre, würde ihre Nichtberücksichtigung die Belastungsgleichheit nicht durchbrechen,296 sondern wäre im Gegenteil sogar Voraussetzung für eine gleichmäßige Belastung der Steuerpflichtigen nach ihrer inländischen Leistungsfähigkeit. Auf den ersten Blick scheint es möglich zu sein, diese Wertung auf den Fall eines DBA mit Freistellungsmethode zu übertragen. Denn durch die Freistellungsmethode wird das Welteinkommensprinzip faktisch partiell durch das Territorialitätsprinzip ersetzt.297 Allerdings ist die Freistellung der Auslandseinkünfte in einem von Deutschland abgeschlossenen DBA nicht mit einer generellen Aufgabe des Welteinkommensprinzips vergleichbar. Vielmehr handelt es sich nur um eine Technik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung.298 Der grundsätzliche Anspruch auf eine Erfassung der weltweiten Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen 295 Vgl. 1. Teil C. I. 1. b). 296 Vgl. Prokisch in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 249. 297 Vgl. Schaumburg in: Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion (1995), S. 149. 298 Vgl. Prokisch in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 237.
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wird dadurch nicht relativiert. Dies zeigt sich zum einen daran, dass Deutschland in seinen DBA sog. Rückfallklauseln vereinbart, nach denen die Freistellung im Ansässigkeitsstaat nicht eintritt, wenn der Quellenstaat von seinem Besteuerungsrecht keinen Gebrauch macht.299 Vor allem aber werden ausländische Einkünfte trotz Freistellung bei der Besteuerung in Deutschland über den Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG berücksichtigt.300 Dies bedeutet, dass für die Ermittlung des Steuersatzes auf das Welteinkommensprinzip zurückgegriffen wird. Beispiel: Steuerpflichtiger A ist in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig. Er erzielt in Staat B positive Einkünfte i.H.v. 250.000 € und in Staat C i.H.v. 6.000 €. Mit Staat B besteht ein DBA mit Freistellungsmethode. Mit Staat C hat Deutschland kein DBA abgeschlossen. Würde die Einkommensteuer nach dem Territorialitätsprinzip erhoben, müsste A in Deutschland mangels inländischer Einkünfte keine Steuern zahlen. Nach dem Welteinkommensprinzip muss er grundsätzlich seine gesamten weltweit erzielten Einkünfte i.H.v. 256.000 € in Deutschland versteuern. Aufgrund des DBA sind seine Einkünfte aus Staat B jedoch steuerfrei. Steuerpflichtig ist er nur mit seinen Einkünften aus Staat C i.H.v. 6.000 €. Bei schlichter Anwendung des Einkommensteuertarifs, § 32a EStG, ergäbe sich eine Steuerlast von Null, da das steuerpflichtige Einkommen des A den Grundfreibetrag nicht übersteigt. Wegen des Progressionsvorbehalts nach § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG unterliegen die Einkünfte des A aus Staat C jedoch einer hohen progressiven Steuerbelastung.
Das Beispiel zeigt, dass die Vereinbarung der Freistellungsmethode in einem DBA nicht mit einer Besteuerung nach dem Territorialitätsprinzip vergleichbar ist. Da somit die Freistellungsmethode an der grundsätzlichen Anknüpfung an den Leistungsfähigkeitsindikator „Welteinkommen“ nichts ändert, setzt eine leistungsfähigkeitsgerechte Besteuerung voraus, dass ausländische Verluste bei der Besteuerung in Deutschland berücksichtigt werden.301 Im Ausgangspunkt ist es daher verfassungsrechtlich geboten, Auslandsverluste von Steuerinländern trotz Einschlägigkeit eines DBA mit Freistellungsmethode in Deutschland in die allgemeine intraperiodische Verlustverrechnung
299 Vgl. Frotscher, Internationales Steuerrecht (2009), S. 112. Ein Beispiel für eine Rückfallklausel findet sich in Art. 12 Abs. 1 DBA Südafrika. 300 Zu den Voraussetzungen und Beschränkungen des negativen Progessionsvorbehalts vgl. überblicksartig 1. Teil C. I. 1. b) sowie eingehend Wied in: Blümich, EStG, § 32b Rn. 47 ff. 301 Vgl. Tiedtke/Mohr, DStZ 2008, S. 434.
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einzubeziehen.302 Allein durch die Berücksichtigung der Verluste im Rahmen des negativen Progressionsvorbehalts nach § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG wird dem Leistungsfähigkeitsprinzip nicht entsprochen.303 Im Körperschaftsteuerrecht findet der negative Progressionsvorbehalt schon keine Anwendung.304 Und auch bei natürlichen Personen verhindert der negative Progressionsvorbehalt nicht eine Besteuerung rein fiktiver Einkünfte.305 Eine leistungsfähigkeitsgerechte Besteuerung – konkret eine Steuerfestsetzung auf Null Euro – bewirkt der negative Progressionsvorbehalt nur dann, wenn die Auslandsverluste die inländischen positiven Einkünfte übersteigen. Beispiel: Steuerpflichtiger A ist in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig. Er erleidet in Staat B, mit dem ein DBA mit Freistellungsmethode besteht, einen Verlust i.H.v. 1.000.000 €. In Deutschland erzielt A positive Einkünfte i.H.v. a) 900.000 € / b) 1.100.000 €. Ohne negativen Progressionsvorbehalt müsste A die inländischen Einkünfte voll versteuern. In Alternative a) führt der negative Progressionsvorbehalt zu einer Steuerfestsetzung auf Null. In Alternative b) mindert sich die Steuerlast des A jedoch lediglich. Da für die Ermittlung des auf das inländische Einkommen von 1.100.000 € anzuwendenden Steuersatzes ein Einkommen von 100.000 € zugrunde zu legen ist, ergibt sich ungeachtet des negativen Progressionsvorbehalts ein hoher progressiver Tarif. Die Steuerbelastung beträgt mehrere hunderttausend Euro.
Dies verdeutlicht, dass die Wirkungen des negativen Progressionsvorbehalts zufällig und willkürlich sind. Eine leistungsfähigkeitsgerechte Besteuerung ist so nicht zu erreichen.306 Insbesondere eine Besteuerung des Existenzminimums lässt sich mit Hilfe des negativen Progressionsvorbehalts nicht ausschließen.307 Die verfassungsrechtlich gebotene intraperiodische Berücksichtigung der Auslandsverluste im Inland muss jedoch gegebenenfalls interperiodisch korrigiert werden. Denn sofern der Steuerpflichtige in einem späteren Veranlagungszeitraum in dem betreffenden Staat positive Einkünfte erzielt, kann er 302 So auch Tiedtke/Mohr, DStZ 2008, S. 434. Gleichsinnig auch Kessler/Schmitt/Janson, IStR 2001, S. 733; Kessler in: Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht (2004), S. 109 f.; Beck, IStR 2007, S. 57. 303 A.A.: FG Baden-Württemberg v. 30.06.2004 - 1 K 312/03, EFG 2004, S. 1695. 304 Vgl. 1. Teil C. I. 1. b). 305 Vgl. Vogel in: Wendt/Höfling/Karpen/Oldiges (Hrsg.), Staat, Wirtschaft, Steuern (1996), S. 830; Vogel, IStR 2002, S. 92. 306 So auch Tiedtke/Mohr, DStZ 2008, S. 434. 307 Vgl. Vogel in: Vogel/Wassermeyer (Hrsg.), Freistellung im internationalen Steuerrecht (1996), S. 5 f.
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diese regelmäßig nach dessen Steuerrecht mit den zuvor erzielten Verlusten interperiodisch verrechnen. Der Steuerpflichtige könnte den Verlust doppelt nutzen und so gegenüber einem reinen Inlandssachverhalt einen Steuervorteil erlangen. Da die Freistellungsmethode lediglich eine Doppelbesteuerung verhindern soll, ist dieses Ergebnis offenkundig systemwidrig. Eine sachgerechte Lösung dieses Problems bestünde darin, die zunächst im Rahmen der intraperiodischen Verlustverrechnung berücksichtigten Verluste der einkommen- oder körperschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage hinzuzurechnen, sobald eine Verlustverrechnung im Quellenstaat erfolgt.308 Eine derartige Nachversteuerungsregel war in § 2a Abs. 3 EStG a.F. für gewerbliche Betriebsstättenverluste enthalten.309 Die Vorschrift wurde durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 ersatzlos gestrichen. Zur Begründung verwies der Gesetzgeber darauf, dass die Vorschrift systemwidrig sei und zudem den Finanzämtern erhebliche Schwierigkeiten bereitet hat.310 Wie gerade gezeigt wurde, war § 2a Abs. 3 EStG a.F. jedoch keineswegs systemwidrig, sondern vielmehr Ausdruck einer gleichmäßigen Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Die sofortige Berücksichtigung freigestellter Verluste im Rahmen der intraperiodischen Verlustverrechnung verbunden mit einer späteren Nachversteuerung würde eine verfassungskonforme und sachgerechte Regelung der grenzüberschreitenden Verlustverrechnung darstellen. Das bedeutet jedoch nicht, dass zur Herstellung einer verfassungskonformen Rechtslage de lege ferenda eine solche Lösung zwingend erforderlich ist. 308 Vgl. Prokisch in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 239. 309 § 2a Abs. 3 EStG a.F.: „1Sind nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei einem unbeschränkt Steuerpflichtigen aus einer in einem ausländischen Staat belegenen Betriebsstätte stammende Einkünfte aus gewerblicher Tätigkeit von der Einkommensteuer zu befreien, so ist auf Antrag des Steuerpflichtigen ein Verlust, der sich nach den Vorschriften des inländischen Steuerrechts bei diesen Einkünften ergibt, bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte abzuziehen, soweit er vom Steuerpflichtigen ausgeglichen oder abgezogen werden könnte, wenn die Einkünfte nicht von der Einkommensteuer zu befreien wären, und soweit er nach diesem Abkommen zu befreiende positive Einkünfte aus gewerblicher Tätigkeit aus anderen in diesem ausländischen Staat belegenen Betriebsstätten übersteigt. 2Soweit der Verlust dabei nicht ausgeglichen wird, ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 10d der Verlustabzug zulässig. 3Der nach den Sätzen 1 und 2 abgezogene Betrag ist, soweit sich in einem der folgenden Veranlagungszeiträume bei den nach diesem Abkommen zu befreienden Einkünften aus gewerblicher Tätigkeit aus in diesem ausländischen Staat belegenen Betriebsstätten insgesamt ein positiver Betrag ergibt, in dem betreffenden Veranlagungszeitraum bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte wieder hinzuzurechnen. […].“ 310 BT-Drs. 14/23, S. 167.
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Auch in dieser Konstellation kann die Verlustverrechnung eingeschränkt werden, wenn hierfür ein besonderer sachlicher Grund besteht und die Verlustverrechnungsbeschränkung sich als verhältnismäßig erweist. Als ein solcher Grund kommt in Betracht, dass eine Nachversteuerungsregelung missbrauchsanfällig ist, da es für die deutschen Finanzämter nur schwer nachprüfbar ist, ob es im Ausland zu einer Verlustverrechnung gekommen ist oder nicht.311 Es besteht daher die reale Gefahr, dass dieser Umstand von den Steuerpflichtigen verschwiegen wird und es somit doch zu einer doppelten Verlustnutzung kommt.312 Gleichheitsrechtlich könnte der Ausschluss von abkommensrechtlich freigestellten Auslandsverlusten von der Verlustverrechnung somit mit der Zwecksetzung der Missbrauchsvermeidung gerechtfertigt werden. Im Hinblick auf den Eingriff in Art. 14 GG ist ein Komplettausschluss entsprechender Verluste von der Verlustverrechnung zur Zweckerreichung jedoch nicht erforderlich und somit unverhältnismäßig. Ein milderes, aber gleich effektives Mittel wäre es, die Auslandsverluste zunächst von der intra- und interperiodischen Verlustverrechnung auszuschließen und eine Verlustnutzung im Inland nur dann zuzulassen, wenn der Steuerpflichtige den Nachweis erbringt, dass eine Nutzung der Verluste im Ausland nicht (mehr) möglich ist.313 Somit steht die geltende Rechtslage, nach der Auslandsverluste von Steuerinländern sich bei der Besteuerung in Deutschland nur über den negativen Progressionsvorbehalt auswirken, nicht mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Verlustverrechnung im Einklang. De lege ferenda muss entweder eine Nachversteuerungsregelung eingeführt werden oder aber zumindest eine Berücksichtigung der Verluste für den Fall ermöglicht werden, dass ihre Geltendmachung im Quellenstaat nicht (mehr) in Betracht kommt.314
311 BT-Drs. 14/23, S. 167. 312 Vgl. Tiedtke/Mohr, DStZ 2008, S. 434. 313 So im Ergebnis auch Tiedtke/Mohr, DStZ 2008, S. 436, die diesen Aspekt jedoch im Rahmen der Angemessenheit diskutieren. Eine sofortige intraperiodische Verlustverrechnung müsste nur dann gestattet werden, wenn dies zur Wahrung der Steuerfreiheit des Existenzminimums erforderlich ist. Aber auch insofern könnte die Beweislast zulasten des Steuerpflichtigen umgekehrt werden. Und eine Hinzurechnung könnte – unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige im Ausland positive Einkünfte erzielt – bereits dann erfolgen, wenn ihm dadurch nicht die für ein menschenwürdiges Dasein unverzichtbaren Mittel entzogen werden. 314 So auch Lehner in: Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.), Körperschaftsteuer Internationales Steuerrecht Doppelbesteuerung (2005), S. 260; Tiedtke/Mohr, DStZ 2008, S. 436.
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b) Gewerbesteuer Die Gewerbesteuer ist am Territorialitätsprinzip ausgerichtet. Die Steuerbarkeit ist auf die inländische objektive Ertragskraft der Gewerbebetriebe beschränkt.315 Ausländische positive und negative Einkünfte sind von vornherein kein Bestandteil des Leistungsfähigkeitsindikators. Daher ist es verfassungsrechtlich auch nicht geboten, ausländische Verluste bei der Ermittlung der inländischen Leistungsfähigkeit eines Gewerbebetriebs zu berücksichtigen. Im Gegenteil würde dadurch der Grundsatz der Belastungsgleichheit durchbrochen, da dann Auslandsgewinne einseitig unberücksichtigt blieben. Die Nichtberücksichtigung von Auslandsverlusten im Rahmen der Gewerbesteuer ist somit verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. 2. Inlandsverluste von Steuerausländern Beschränkt Steuerpflichtige werden in Deutschland nach dem Territorialitätsprinzip besteuert. Leistungsfähigkeitsindikator ist nur ihr im Inland erzieltes Einkommen. Daraus folgt einerseits, dass Auslandsverluste von Steuerausländern in Deutschland nicht berücksichtigt werden müssen.316 Andererseits gilt auch für Steuerausländer – zumindest sofern es sich um natürliche Personen handelt – hinsichtlich ihres in Deutschland erzielten Einkommens das Gebot steuerlicher Gleichbelastung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.317 Eine Besonderheit besteht jedoch darin, dass im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht nur die objektive Leistungsfähigkeit der beschränkt steuerpflichtigen natürlichen Personen erfasst wird. Die Wahrung der Steuerfreiheit des Existenzminimums kann nur im Ansässigkeitsstaat des Steuerpflichtigen erfolgen.318 Abgesehen davon ist jedoch bei beschränkter Steuerpflicht hinsichtlich der inländischen Einkünfte eine Verlustverrechnung im gleichen Umfang geboten wie bei einem Inlandssachverhalt. Zunächst muss grundsätzlich ein intraperiodischer Verlustausgleich zwischen positiven und negativen Einkunftsquellenergebnissen eines beschränkt Steuerpflichtigen stattfinden. Denn obwohl im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht nur die objektive Leistungsfähigkeit erfasst wird, ändert dies nichts am Charakter der Ein-
315 Vgl. 1. Teil C. I. 316 Vgl. Lehner in: Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.), Körperschaftsteuer Internationales Steuerrecht Doppelbesteuerung (2005), S. 260; Prokisch in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 249. 317 Vgl. Schaumburg in: Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion (1995), S. 134; Frotscher, Internationales Steuerrecht (2009), S. 65. 318 Vgl. Frotscher, Internationales Steuerrecht (2009), S. 65.
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kommensteuer als Personensteuer.319 Sofern danach ein nicht ausgeglichener Verlust verbleibt, ist er im Wege der interperiodischen Verlustverrechnung zu berücksichtigen. Einschränkungen der Verlustverrechnung sind im gleichen Umfang zulässig wie bei einem reinen Inlandsfall. Nach der Streichung von § 52 Abs. 2 EStG a.F. kennt das deutsche Steuerrecht keine spezifische Beschränkung der Verlustverrechnung bei beschränkter Steuerpflicht mehr320 und steht insofern mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben in Einklang. 3. Zusammenfassung: Notwendige Anpassung der grenzüberschreitenden Verlustverrechnung an die verfassungsrechtlichen Vorgaben Da unbeschränkt Steuerpflichtige im Rahmen der Einkommen- und Körperschaftsteuer nach dem Welteinkommensprinzip besteuert werden, ist die intra- und interperiodische Berücksichtigung ihrer Auslandsverluste grundsätzlich im gleichen Umfang geboten wie im Fall von inländischen Verlusten. Dies gilt auch dann, wenn die positiven Einkünfte durch ein DBA von der Besteuerung im Inland freigestellt sind. Demgegenüber folgt die Gewerbesteuer dem Territorialitätsprinzip. Eine Berücksichtigung von Auslandsverlusten bei der Ermittlung der gewerbesteuerlichen Bemessungsgrundlage ist daher verfassungsrechtlich nicht geboten. De lege lata ist die Behandlung einkommen- und körperschaftsteuerlicher Auslandsverluste von Steuerinländern sowohl bei Geltung der Anrechnungsmethode als auch der Freistellungsmethode verfassungswidrig. In beiden Fällen muss eine Verrechnung mit inländischen Verlusten zumindest für den Fall ermöglicht werden, dass eine Verlustberücksichtigung im Ausland nicht oder nicht mehr möglich ist. Bei Steuerausländern ist eine uneingeschränkte Verrechnung ihrer Inlandsverluste mit inländischen positiven Einkünften verfassungsrechtlich geboten. Auslandsverluste von Steuerausländern müssen im Inland hingegen nicht berücksichtigt werden. Nach der Streichung von § 52 Abs. 2 EStG a.F. steht das deutsche Steuerrecht mit diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben in Einklang.
319 Frotscher, Internationales Steuerrecht (2009), S. 65. 320 Eine faktische Beschränkung der Verlustverrechnung wird sich auch de lege ferenda aus der abgeltenden Wirkung des Steuerabzugs nach § 50 Abs. 5 S. 1 EStG ergeben. Dabei handelt es sich jedoch um eine der Verlustverrechnung vorgelagerte Problematik, da schon die Entstehung von Verlusten verhindert wird. Dieser Problemkreis ist nicht Teil der Untersuchung.
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B. Vorgaben für ein ökonomisch rationales Verlustverrechnungssystem Die bisherige Untersuchung hat ergeben, dass die existierenden Regelungen zur Verlustverrechnung in vielen Punkten nicht mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben in Einklang stehen. Es ist zu hoffen, dass das BVerfG dem Gesetzgeber diesen Umstand ins Bewusstsein ruft, indem es besonders problematische Verlustverrechnungsbeschränkungen wie die Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG und § 8c KStG für verfassungswidrig erklärt.321 Dann stünde der Gesetzgeber vor der Notwendigkeit einer weitreichenden Umgestaltung des Verlustverrechnungssystems. Hierbei sollten nicht nur verfassungsrechtliche Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Angesichts des ökonomischen Regelungsgegenstands des Steuerrechts ist es vielmehr ein Gebot der Vernunft, bei der gesetzlichen Ausgestaltung der Verlustverrechnung neben juristischen auch wirtschaftswissenschaftliche Aspekte zu berücksichtigen.322 Der Gesetzgeber verfügt auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben über einen beachtlichen Spielraum für eine ökonomisch rationale Ausgestaltung der Verlustverrechnung. Zwar konnte gezeigt werden, dass dem verfassungsrechtlichen Gebot einer gleichmäßigen Belastung der Steuerpflichtigen am besten durch eine möglichst unbeschränkte intra- und interperiodische Verlustverrechnung entsprochen wird. Einschränkungen der Verlustverrechnung sind jedoch unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Umgekehrt besteht die Möglichkeit, eine Verlustverrechnung über das verfassungsrechtlich gebotene Maß hinaus zuzulassen. Gegenwärtig folgt die Steuerpolitik dem Leitbild einer Senkung der nominalen Steuersätze bei gleichzeitiger Verbreiterung der Bemessungsgrundlage.323 Solange sich die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage auf die Abschaffung von Steuervergünstigungen beschränkt, ist diese Politik im Hinblick auf den internationalen Steuerwettbewerb sicherlich sinnvoll. Wenn die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage jedoch um den Preis einer Verletzung des objektiven Nettoprinzips erreicht wird, ist dies nicht nur verfassungsrechtlich bedenklich,324 sondern auch aus wirtschaftswissenschaftlicher
321 Vgl. zur Verfassungswidrigkeit von § 10d Abs. 2 EStG 3. Teil A. I. 2. a) bb) (1) und von § 8c KStG 3. Teil A. I. 2. b) aa). 322 Vgl. Fischer, Zur Systematik der Verrechnung inländischer Verluste im deutschen Steuerrecht (2004), S. 654; Müller-Franken, StuW 2004, S. 110 in Fn. 15. 323 Vgl. Hey, BB 2007, S. 1303; Schön, DStR (Beihefter zu Heft 17) 2008, S. 13; Englisch, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 92. 324 Vgl. 2. Teil A. I. 1. b) bb) (1).
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Sicht problematisch.325 Dies gilt in besonderem Maße für Beschränkungen der Verlustverrechnung. Die Ausgestaltung der Verlustverrechnung hat direkte Auswirkungen auf ökonomische Entscheidungen von Unternehmen.326 Wie nachfolgend gezeigt werden soll, kann eine restriktive Handhabung der Verlustverrechnung die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung negativ beeinflussen. Dieser Umstand dürfte beim Gesetzgeber auf mehr Beachtung stoßen als rein verfassungsrechtliche Gerechtigkeitspostulate.327 Denn eine ökonomisch schädliche Steuerpolitik beeinträchtigt auf Dauer auch das Steueraufkommen. Wenn es gelänge, den Gesetzgeber mittels ökonomischer Argumente davon zu überzeugen, dass Eingriffe in die Verlustverrechnung kein akzeptables Mittel zur Steigerung des Steueraufkommens sind, würde zugleich der zukünftigen Einführung verfassungsrechtlich problematischer Verlustverrechnungsbeschränkungen vorgebeugt.
I. Das Kriterium der Entscheidungsneutralität Aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive wird als zentrales Kriterium für ein ökonomisch rationales Steuersystem überwiegend die Entscheidungsneutralität der Besteuerung angesehen.328 Dem Konzept der Entschei325 Vgl. beispielsweise Homburg, Allgemeine Steuerlehre (2007), S. 166 f. Für Homburg hat das Nettoprinzip aus ökonomischer Sicht einen überragenden Stellenwert, da ohne das Nettoprinzip die hochgradige Arbeitsteilung entwickelter Volkswirtschaften gar nicht möglich wäre. 326 Vgl. Fischer, Zur Systematik der Verrechnung inländischer Verluste im deutschen Steuerrecht (2004), S. 660; Wittkowski, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung in Deutschland und Europa (2008), S. 5. 327 Dass insofern Skepsis angebracht ist, illustriert beispielhaft der Beitrag des Staatssekretärs im Bundesministerium der Finanzen Dr. Axel Nawrath in DStR 2009, S. 2 ff., der im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben die Weite des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums betont und u.a. die Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG verteidigt. 328 Vgl. beispielsweise Sigloch, StuW 1990, S. 229; Wagner, StuW 1992, S. 6; Herzig/Watrin, StuW 2000, S. 379; Müller, Verwirklichung von Gerechtigkeit und Entscheidungsneutralität in den Einkommen- und Körperschaftsteuersystemen der EUMitgliedstaaten (2001), S. 9 ff.; Kellersmann/Treisch, Europäische Unternehmensbesteuerung (2002), S. 71; Sieker in: Seeger (Hrsg.), Perspektiven der Unternehmensbesteuerung (2002), S. 151; Schön, StuW 2004, S. 64; Heinrich in: von Groll (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2005), S. 145; Wagner, StuW 2006, S. 101 ff.; Jachmann, DStR (Beihefter zu Heft 34) 2009, S. 131. Scheer und Treisch zählen das Kriterium der Entscheidungsneutralität zu den „steuerpolitischen Idealen der Gegenwart“, vgl. Scheer in: Krause-Junk (Hrsg.), Steuersysteme der Zukunft (1998), S. 177; Treisch, Europataugliche Ausgestaltung der Unternehmensbesteuerung (2004), S. 43. Für Wittkowski ist Entscheidungsneutralität seit längerem die prägende theoretische Zielvorstellung des nationalen Steuerrechts und die Grundlage der betriebswirtschaftli-
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dungsneutralität liegt die Prämisse zugrunde, dass Marktprozesse zu einer optimalen Ressourcenallokation führen und dass jede Verhaltensbeeinflussung durch Besteuerung diesen Prozess stört.329 Das Besteuerungsideal der Entscheidungsneutralität basiert somit auf der Überzeugung von der Effizienz der marktwirtschaftlichen Ordnung.330 In einem vollkommen entscheidungsneutralen Steuersystem geht von der Besteuerung keinerlei Einfluss auf das Verhalten rational handelnder Steuerpflichtiger aus.331 Dies hat zunächst aus einzelwirtschaftlicher Sicht den Vorteil, dass steuerliche Planungsaktivitäten überflüssig werden.332 Die Steuerpflichtigen werden von den damit verbundenen Kosten entlastet. Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive dient Entscheidungsneutralität der Allokationseffizienz, also dem optimalen Einsatz knapper Ressourcen.333 Auf diese Weise kann eine über die eigentliche Zahllast der Steuer hinausgehende Wohlfahrtseinbuße infolge von Verhaltensänderungen der Steuerpflichtigen vermieden werden.334 Ein anschauliches historisches Beispiel für eine Steuer, die eine solche zusätzliche Belastung der Steuerpflichtigen ausgelöst hat, ist die Fenstersteuer, die im 17. und 18. Jahrhundert vor allem in Großbritannien und Frankreich erhoben wurde.335 Folge dieser Steuer war, dass neu gebaute Häuser mit möglichst wenigen Fenstern ausgestattet wurden.336 Als Ergebnis dieser steuerinduzierten „Verdunklung“ kann man eine Einbuße an gesamtwirtschaftlicher Wohlfahrt infolge eines höheren Verbrauchs an Leuchtmitteln
329 330 331 332 333 334 335 336
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chen Steuerrechtskritik, vgl. Wittkowski, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung in Deutschland und Europa (2008), S. 13. Teilweise wird das Kriterium der Entscheidungsneutralität unter Verweis auf die dem Konzept zugrunde liegenden unrealistischen Modellannahmen abgelehnt, vgl. dazu Elschen, StuW 1991, S. 108 sowie Treisch, Europataugliche Ausgestaltung der Unternehmensbesteuerung (2004), S. 47 m.w.N. Homburg lehnt die Forderung nach Entscheidungsneutralität zwar ab, weil er sie im Konsumbereich für falsch hält. Im Produktionsbereich seien die Prämissen des Konzepts jedoch richtig. Insofern spricht Homburg von Produktionseffizienz, vgl. Homburg, Allgemeine Steuerlehre (2007), S. 240. Im Rahmen dieser Untersuchung kann dies dahingestellt bleiben, da die Konsumbesteuerung nicht betrachtet wird. Vgl. Elschen, StuW 1991, S. 108; Löhr, StuW 2000, S. 34; Schreiber, Besteuerung der Unternehmen (2005), S. 512. Vgl. Wagner, StuW 1992, S. 6. Vgl. Sigloch, StuW 1990, S. 229. Vgl. Wagner, StuW 1992, S. 4; Wagner, StuW 2006, S. 102; Bambynek, WiSt 2007, S. 430. Vgl. Sigloch, StuW 1990, S. 229; Bambynek, WiSt 2007, S. 430. Vgl. Schreiber, Besteuerung der Unternehmen (2005), S. 512. Vgl. Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem (2005), S. 26. Vgl. Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem (2005), S. 27.
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sowie eventuell häufigerer Brände und einer Verschlechterung des Gesundheitszustands der Bevölkerung vermuten. Derartige über die eigentliche Zahllast der Steuer hinausgehende Wohlfahrtseinbußen infolge der Besteuerung werden auch als „excess burden“ bezeichnet.337 Eine Steuer ist dann entscheidungsneutral, wenn sie die Rangfolge mehrerer Handlungsalternativen nicht verändert.338 Unterstellt man, dass rational handelnde Steuerpflichtige nach einem möglichst hohen Zahlungsüberschuss nach Steuern streben,339 so ist dies gewährleistet, wenn die Rangfolge mehrerer Handlungsalternativen hinsichtlich der zu erzielenden Zahlungsüberschüsse vor und nach Steuern identisch ist. Beispiel: Der Steuerpflichtige A hat die Wahl zwischen zwei Investitionsalternativen. Investitionsvorhaben 1 verspricht einen Zahlungsüberschuss von 300.000 €. Investitionsvorhaben 2 lässt lediglich einen Zahlungsüberschuss von 200.000 € erwarten. Ausgangsfall (Der Steuersatz beträgt einheitlich 25 %): Vor Steuern ist Investitionsvorhaben 1 eindeutig vorteilhafter als Investitionsvorhaben 2. Auch nach Steuern ändert sich nichts an dieser Reihenfolge. Der Nettozahlungsüberschuss von Investitionsvorhaben 1 (225.000 €) ist größer als derjenige von Investitionsvorhaben 2 (150.000 €). Abwandlung (Investitionsvorhaben 1 wird mit einem Steuersatz von 50 % belastet, Investitionsvorhaben 2 hingegen lediglich mit 10 %): Nach Besteuerung kehrt sich die Rangfolge der Investitionsvorhaben hinsichtlich ihrer Vorteilhaftigkeit um. Der Nettozahlungsüberschuss vor Investitionsvorhaben 2 (180.000 €) ist nun größer als derjenige von Investitionsvorhaben 1 (150.000 €). Ein rational handelnder Steuerpflichtiger wird daher Investitionsvorhaben 2 verwirklichen.
Dem Kriterium der Entscheidungsneutralität wird daher am vollständigsten durch Steuern entsprochen, bei denen alle Handlungsalternativen dieselbe absolute Steuerbelastung auslösen. Denn dann ist die Steuerbelastung völlig unabhängig davon, was der Steuerpflichtige tut. Ausweichhandlungen sind unmöglich. Das klassische Beispiel für eine derartige entscheidungsfixe Steuer ist die Kopfsteuer,340 die jedoch aus verfassungsrechtlichen Gründen 337 Vgl. Wagner, StuW 1992, S. 4; Wagner, StuW 2006, S. 102; Bambynek, WiSt 2007, S. 430. 338 Vgl. Löhr, StuW 2000, S. 34; Wagner, StuW 2001, S. 355; Schneider, Steuerlast und Steuerwirkung (2002), S. 97; Musil/Leibohm, FR 2008, S. 807; Wittkowski, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung in Deutschland und Europa (2008), S. 14. 339 Vgl. Schreiber, Besteuerung der Unternehmen (2005), S. 493. 340 Vgl. Elschen, StuW 1991, S. 104; Müller, Verwirklichung von Gerechtigkeit und Entscheidungsneutralität in den Einkommen- und Körperschaftsteuersystemen der EUMitgliedstaaten (2001), S. 12; Löhr, StuW 2000, S. 34; Wagner, StuW 2005, S. 97.
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nicht in Betracht kommt.341 Alternativ lässt sich Entscheidungsneutralität erreichen, indem die Besteuerung exakt an den ökonomischen Zielgrößen der Steuerpflichtigen ausgerichtet wird. Ausgehend von der Prämisse, dass die Steuerpflichtigen eine Maximierung ihres Ergebnisses nach Steuern anstreben, stellen Steuern negative Zielgrößen dar.342 Weichen die steuerliche Bemessungsgrundlage und die ökonomische Zielgröße voneinander ab, so löst dies Steuervermeidungsaktivitäten aus.343 Rational handelnde Steuerpflichtige sind dann bestrebt, die ökonomische Zielerreichung so zu steuern, dass sie nicht bzw. in möglichst geringem Umfang von der steuerlichen Bemessungsgrundlage erfasst wird.344 Decken sich steuerliche Bemessungsgrundlage und ökonomische Zielgröße jedoch exakt, so wäre eine Steuervermeidung nur um den Preis der Selbstschädigung – nämlich durch Verzicht auf die Zielverwirklichung – möglich und auch die Rangfolge von Handlungsalternativen würde nicht verzerrt.345 Eine entscheidungsneutrale Ausgestaltung der Ist-Ertragsbesteuerung ist somit nur über eine möglichst genaue Orientierung an den ökonomischen Zielgrößen der Steuerpflichtigen möglich. Unterstellt man, dass die Steuerpflichtigen nach einem möglichst hohen (Zahlungs-)Überschuss der Erwerbseinnahmen über die Erwerbsausgaben streben,346 so müsste die ertragsteuerliche Bemessungsgrundlage so ausgestaltet sein, dass sie diese Zielgröße exakt widerspiegelt.347 Innerhalb der steuerwissenschaftlichen Einzeldisziplinen besteht jedoch weitgehende Einigkeit darüber, dass eine absolute Neutralität der Besteuerung nicht realisierbar ist. Entscheidungsneutralität kann daher 341 342 343 344
Vgl. 2. Teil A. I. 1. a) aa). Vgl. auch Löhr, StuW 2000, S. 34. Vgl. Wagner, StuW 1992, S. 3. Vgl. Wagner, StuW 1992, S. 8. Ein Beispiel für das Auseinanderfallen von einkommensteuerlicher Bemessungsgrundlage und ökonomischer Zielgröße ist die Nichtsteuerbarkeit von Wertveränderungen am Vermögensstamm im Rahmen der Überschusseinkünfte. Für die Steuerpflichtigen ist nur die Tatsache der Wertsteigerung oder des Wertverlustes von Interesse. Das Steuerrecht reagiert hierauf jedoch unterschiedlich, je nachdem, welcher Einkunftsart der Vermögensgegenstand zuzuordnen ist. Davon geht ein Anreiz für die Steuerpflichtigen aus, die Zuordnung so zu manipulieren, dass sich eine möglichst geringe Steuerbelastung und somit ein möglichst hohes Nachsteuerergebnis ergibt. Für Kapitaleinkünfte wurde dieser Zustand durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 beendet, vgl. 1. Teil B. 1. a) bb) (3) und cc). 345 Vgl. Elschen, StuW 1991, S. 105; Müller, Verwirklichung von Gerechtigkeit und Entscheidungsneutralität in den Einkommen- und Körperschaftsteuersystemen der EUMitgliedstaaten (2001), S. 12; Wagner, StuW 2005, S. 98. 346 Vgl. Wagner, StuW 1992, S. 8. 347 Zusätzlich ist erforderlich, dass die Tariffunktion linear oder monoton steigend ist und der Grenzsteuersatz weniger als 100 % beträgt, vgl. Elschen, StuW 1991, S. 105.
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stets nur annäherungsweise verwirklicht werden.348 Allerdings ist das geltende Recht auch von einer nur annäherungsweisen Verwirklichung von Entscheidungsneutralität noch weit entfernt. Es ist daher nicht auszuschließen, dass eine Maßnahme, die isoliert betrachtet nicht entscheidungsneutral wirkt, im Zusammenspiel mit anderen Neutralitätsverstößen tatsächlich zu einer Verbesserung der Neutralitätseigenschaften der Besteuerung führt.349 Daraus folgt jedoch nicht, dass das Konzept der Entscheidungsneutralität für die Beurteilung konkreter Teilaspekte der Besteuerung wie etwa der Ausgestaltung der Verlustverrechnung wertlos wäre. Denn abgesehen von solchen meist zufälligen Wechselwirkungen ist jedenfalls für den Regelfall davon auszugehen, dass die Beseitigung einzelner nachgewiesener Neutralitätsverstöße zu einer Verbesserung der Neutralitätseigenschaften der Ertragsbesteuerung führt.350
II. Entscheidungsneutrale Ausgestaltung der Verlustverrechnung Nachfolgend soll untersucht werden, wie innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens das System der Verlustverrechnung möglichst entscheidungsneutral ausgestaltet werden kann. Denn selbstverständlich steht das ökonomische Effizienzkriterium der Entscheidungsneutralität unter dem Primat des Verfassungsrechts.351 Das Steuerrecht kann nur insoweit entscheidungsneutral umgestaltet werden, wie das Verfassungsrecht dies zulässt. Die Gewerbesteuer wird dabei ausgeklammert. Dieser Steuer ist konzeptionell eine Verletzung des Neutralitätsgebots inhärent, da sie gewerbliche Einkünfte einer Sonderbelastung unterwirft. Es wäre daher wenig fruchtbar, sich mit der Verbesserung ihrer Neutralitätseigenschaften zu befassen. Das Kriterium der Entscheidungsneutralität lässt sich in eine Vielzahl von Teilaspekten untergliedern.352 Die Ausgestaltung der Verlustverrechnung hat 348 Vgl. Löhr, StuW 2000, S. 34; Schneider, Steuerlast und Steuerwirkung (2002), S. 98 f.; Sieker in: Seeger (Hrsg.), Perspektiven der Unternehmensbesteuerung (2002), S. 149 f.; Wittkowski, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung in Deutschland und Europa (2008), S. 15; Hey in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, Einf. KSt Rn. 37. 349 Vgl. Hackmann, StuW 2006, S. 128. 350 Vgl. Schneider, DB 1999, S. 110; Schneider, Steuerlast und Steuerwirkung (2002), S. 103; Hackmann, StuW 2006, S. 128. 351 Vgl. Schön in: Kirchhof/Graf Lambsdorff/Pinkwart (Hrsg.), Perspektiven eines modernen Steuerrechts (2005), S. 269. 352 Aus ökonomischer Perspektive stehen insbesondere die Investitions- und Finanzierungsneutralität im Mittelpunkt. Im rechtswissenschaftlichen Diskurs dominiert hingegen der Aspekt der Rechtsformneutralität. Vgl. zu den einzelnen Teilaspekten der
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insbesondere Auswirkungen auf die Investitionsneutralität des Steuerrechts.353 Investitionsneutralität ist gegeben, wenn Investitionen nach Steuern im gleichen Umfang wie in einer Welt ohne Steuern vorgenommen werden.354 Bei Investitionen mit Verlustphase kann die Ausgestaltung der Verlustverrechnung beeinflussen, ob ein bestimmtes Investitionsvorhaben durchgeführt wird oder nicht. Die nachfolgenden Ausführungen werden sich daher überwiegend auf die Investitionsneutralität beziehen. Im Unternehmenssteuerrecht ist die Verlustverrechnung darüber hinaus für die steuerliche Nichtverzerrung von Organisations- und Strukturentscheidungen von zentraler Bedeutung.355 1. Anforderungen an eine entscheidungsneutrale Verlustbehandlung Investitionsentscheidungen werden auf der Grundlage von Prognosen über die wirtschaftliche Entwicklung des Investitionsvorhabens getroffen. Abgesehen von einer Anlage in risikolose Staatsanleihen ist diese Prognose notwendigerweise mit einer gewissen – je nach der Art des Investitionsvorhabens unterschiedlich stark ausgeprägten – Unsicherheit verbunden. Unter diesen Bedingungen erfordert eine entscheidungsneutrale Ausgestaltung der einkommensteuerlichen Verlustbehandlung eine sofortige Steuererstattung in Höhe des Produkts von Grenzsteuersatz und Besteuerungsperiode.356 Anders ausgedrückt, müsste eine negative Steuer auf Verluste eingeführt werden.357 Nur so wird eine vollkommene Gleichbehandlung von Gewinnen und Verlusten erreicht. Die Gewinne aus einer Investition werden durch die Steuer gekürzt, die Verluste im Gegenzug durch die Steuererstattung gemindert. Werden die Verluste jedoch nicht berücksichtigt, so mindert dies einseitig die Attraktivität der risikobehafteten Investition, da die sichere Finanzanlage hiervon nicht betroffen ist: 358
353 354 355 356
357 358
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Entscheidungsneutralität Treisch, Europataugliche Ausgestaltung der Unternehmensbesteuerung (2004), S. 48 ff.; Wittkowski, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung in Deutschland und Europa (2008), S. 15 ff. Vgl. Schreiber, Besteuerung der Unternehmen (2005), S. 557. Vgl. Schreiber, Besteuerung der Unternehmen (2005), S. 493. Vgl. Schön, ZHR 2007, S. 415. Vgl. Schneider, BB 1986, S. 1224; Schneider, Investition, Finanzierung und Besteuerung (1992), S. 213; Schneider, DB 1999, S. 106; Schneider, Steuerlast und Steuerwirkung (2002), S. 153; Schreiber, Besteuerung der Unternehmen (2005), S. 557; Marx, FR 2005, S. 620; Maiterth, DStR 2006, S. 917 in Fn. 22; Maiterth/Müller, DStR 2006, S. 1866. Vgl. Schneider, BB 1986, S. 1226. Vgl. Schreiber, Besteuerung der Unternehmen (2005), S. 562.
Vorgaben für ein ökonomisch rationales Verlustverrechnungssystem Beispiel: Ein risikoneutraler Steuerpflichtiger steht vor der Wahl, 1.000 € als risikobehaftete Sachinvestition oder als sichere Finanzanlage anzulegen. Die Sachinvestition lässt mit einer Wahrscheinlichkeit von je 50 % einen Gewinn i.H.v. 300 € bzw. einen Verlust i.H.v. 100 € erwarten. Die Verzinsung der sicheren Finanzanlage beträgt 6 %. Der Steuersatz beträgt 50 %. Ausgangsfall (Verluste werden durch Steuergutschrift in Höhe des Steuersatzes abgegolten): Die zu erwartende Endauszahlung bei Verwirklichung der Sachinvestition beträgt in einer Welt ohne Steuern 1.100 € (50 % x [1.000 € + 300 €] + 50 % x [1.000 € - 100 €]) und liegt somit über der Endauszahlung der Finanzanlage von 1.060 € (1.000 € + 60 €). Durch die Besteuerung werden die Gewinne beider Anlagealternativen gekürzt. Werden die Verluste durch eine Steuergutschrift abgegolten, ändert sich dadurch jedoch nichts an der Vorteilhaftigkeit der Sachinvestition. Ihr zu erwartender Endwert von 1.050 € (50% x [1.000 € + 300 € - 150 €] + 50% x [1.000 € - 100 € + 50 €]) ist nach wie vor höher als derjenige der Finanzanlage von 1.030 € (1.000 € + 60 € - 30 €). Abwandlung (Verluste werden nicht durch Steuergutschrift in Höhe des Steuersatzes abgegolten): Werden Verluste nicht durch eine Steuergutschrift abgegolten, so schmälert dies einseitig die Attraktivität der risikobehafteten Sachinvestition, während die sichere Finanzanlage hiervon nicht berührt ist. Infolgedessen kehrt sich die Reihenfolge der Vorteilhaftigkeit um. Der Erwartungswert der Finanzanlage von 1030 € ist nun höher als der der Sachinvestition von 1.025 € (50% x [1.000 € + 300 € - 150 €] + 50% x [1.000 € - 100 €]).
Wie das Beispiel verdeutlicht, kann es ohne eine sofortige Abgeltung der Verluste durch eine Auszahlung in Höhe des Produkts von Grenzsteuersatz und Verlust zu einer Verzerrung der Rangfolge mehrerer Anlagealternativen kommen. Verfassungsrechtlich ist eine sofortige Abgeltung von Verlusten durch eine Negativsteuer jedoch nicht geboten.359 Dies zeigt zugleich, dass sich die Postulate der gleichmäßigen Belastung nach der Leistungsfähigkeit und der Entscheidungsneutralität zwar teilweise überschneiden, aber nicht völlig deckungsgleich sind.360 Umgekehrt stünden der Einführung einer Negativsteuer aber auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegen. Ein solcher Schritt ließe sich problemlos als Maßnahme zur Wirtschaftsförderung begründen. Mit der Empfehlung zur Einführung einer Negativsteuer auf Verluste könnte die Darstellung an dieser Stelle abgebrochen werden. Eine Verlustverrechnung wäre dann überflüssig. Jedoch ist allein aufgrund der Finanzlage der öffentlichen Haushalte auf absehbare Zeit nicht mit der Umsetzung einer derartigen Negativsteuer zu rechnen. Daher soll nachfolgend 359 Vgl. 2. Teil B. I. 1. a) ee). 360 So auch Schneider, DB 1999, S. 106; Sieker in: Seeger (Hrsg.), Perspektiven der Unternehmensbesteuerung (2002), S. 151. Vgl. zum Verhältnis von gleichmäßiger Belastung nach der Leistungsfähigkeit und Entscheidungsneutralität auch Lang in: Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (2001), S. 101.
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dargelegt werden, wie die Verlustverrechnung dem Ideal der Entscheidungsneutralität zumindest angenähert werden könnte. 2. Schlussfolgerungen für die Ausgestaltung der Verlustverrechnung Da eine entscheidungsneutrale Verlustbehandlung eine Negativsteuer auf Verluste voraussetzt, kann jede Form der Verlustverrechnung nur eine Annäherung an das Ziel der Entscheidungsneutralität darstellen. Um dies zu gewährleisten, muss die Verlustverrechnung so ausgestaltet werden, dass sie in ihrer Wirkung einer Negativsteuer in Gestalt einer Steuererstattung auf Verluste möglichst nahe kommt. a) Intraperiodische Verlustverrechnung Verfassungsrechtlich ist sowohl im Rahmen der Einkommen- als auch der Körperschaftsteuer eine vollständige intraperiodische Verlustverrechnung geboten. Zulässig sind nur spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen. Dies ist die verbindliche Ausgangslage, die auch bei einer entscheidungsneutralen Ausgestaltung der Verlustverrechnung zu beachten ist. Insofern besteht zwischen den verfassungsrechtlichen Vorgaben und dem ökonomischen Kriterium Entscheidungsneutralität keinerlei Konfliktpotential. Denn ein intraperiodischer Verlustausgleich wirkt – wenn die Verluste vollständig verrechnet werden können – exakt wie eine Negativsteuer auf Verluste in Höhe des Grenzsteuersatzes, indem er zu einer entsprechenden Minderung der Steuerbelastung auf die positiven Einkünfte führt.361 Beispiel: Steuerpflichtiger A verfügt über zwei Gewerbebetriebe. Mit Betrieb 1 erzielt er im Veranlagungszeitraum 01 einen Gewinn von 200.000 €, mit Betrieb 2 einen Verlust von 100.000 €. Der Steuersatz beträgt 40 %. Ohne Verlustberücksichtigung würde A mit dem Gewinn aus Betrieb 1 zur Einkommensteuer herangezogen. Seine Steuerlast würde 80.000 € betragen (200.000 € x 40 %). Bei Existenz einer Negativsteuer auf Verluste erhielte A für den Verlust aus Betrieb 2 eine Auszahlung i.H.v. 40.000 € (100.000 € x 40 %), so dass seine Steuerbelastung effektiv nur noch 40.000 € betragen würde. Das gleiche Ergebnis ergibt sich, wenn sich die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage aufgrund eines intraperiodischen Verlustausgleichs auf 100.000 € reduziert ([200.000 € - 100.000 €] x 40 %).
Ein gleichwertiger Ersatz für eine sofortige Steuererstattung ist eine uneingeschränkte intraperiodische Verlustverrechnung jedoch nicht. Denn sie führt immer dann zu einer höheren Steuerbelastung als eine Negativsteuer auf 361 Vgl. Schneider, Investition, Finanzierung und Besteuerung (1992), S. 213.
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Verluste, wenn keine oder keine ausreichenden positiven Einkünfte für eine vollständige Verlustverrechnung vorhanden sind.362 Zumindest aber stellt eine uneingeschränkte intraperiodische Verlustverrechnung eine größtmögliche Annäherung an eine entscheidungsneutrale Verlustbehandlung dar. Daraus ergibt sich, dass allgemeine Beschränkungen der intraperiodischen Verlustverrechnung die Neutralitätseigenschaften der Einkommen- und Körperschaftsteuer verschlechtern und daher aus ökonomischer Sicht als schädlich angesehen werden müssen. Ein anschauliches Beispiel für die verzerrende Wirkung, die von allgemeinen intraperiodischen Verlustverrechnungsbeschränkungen ausgehen kann, liefert § 2 Abs. 3 S. 2-8 EStG a.F. Da nach dieser Vorschrift ein unbeschränkter Verlustausgleich nur noch innerhalb einer Einkunftsart möglich war, wurde ein starker Anreiz gesetzt, durch steuerplanerische Aktivitäten positive und negative Einkünfte möglichst innerhalb einer Einkunftsart anfallen zu lassen.363 Weniger eindeutig fällt die Beurteilung spezieller Verlustverrechnungsbeschränkungen im Hinblick auf das Kriterium der Entscheidungsneutralität aus. Spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen sind belastende Lenkungsnormen.364 Es ist offensichtlich, dass Lenkungsnormen grundsätzlich nicht entscheidungsneutral wirken, da sie gerade dazu bestimmt sind, das Verhalten der Steuerpflichtigen zu beeinflussen.365 Allerdings bedeutet Entscheidungsneutralität nicht, dass der Staat auf die Lenkungsfunktion von Steuern verzichten muss.366 Durch eine entscheidungsneutrale Ausgestaltung der Besteuerung sollen in erster Linie die vom Gesetzgeber nicht intendierten verzerrenden Effekte auf das Verhalten der Steuerpflichtigen eliminiert werden. Ein in diesem Sinne entscheidungsneutral ausgestaltetes Steuersystem ermöglicht erst einen zielgerichteten Einsatz von Lenkungssteuern, indem es den zur Messung von Steuerwirkungen erforderlichen „Eichstrich“ bereitstellt.367
362 Vgl. Schneider, BB 1986, S. 1226. 363 Vgl. dazu auch Fischer, Zur Systematik der Verrechnung inländischer Verluste im deutschen Steuerrecht (2004), S. 660. 364 Vgl. 2. Teil A. I 1. b) aa) (2) und B. I. 1. b) aa). 365 Vgl. Wagner, StuW 1992, S. 8; Schneider, Steuerlast und Steuerwirkung (2002), S. 101. 366 Vgl. Schneider, BB 1986, S. 1228; Schneider, Steuerlast und Steuerwirkung (2002), S. 101; Treisch, Europataugliche Ausgestaltung der Unternehmensbesteuerung (2004), S. 47; Hey in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, Einf. KSt Rn. 37. 367 Vgl. Schneider, Steuerlast und Steuerwirkung (2002), S. 98 ff.; Reil, Leistungs- und Verlustfähigkeit (2003), S. 125; Treisch, Europataugliche Ausgestaltung der Unternehmensbesteuerung (2004), S. 47.
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b) Interperiodische Verlustverrechnung Als Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass verfassungsrechtlich eine zeitlich und betragsmäßig unbeschränkte interperiodische Verlustverrechnung geboten ist.368 Einschränkungen sind nur hinsichtlich des Verlustrücktrags zulässig.369 aa) Verlustrücktrag Im Hinblick auf die Neutralitätseigenschaften des Einkommen- und Körperschaftsteuerrechts ist gerade der Verlustrücktrag von herausragender Bedeutung. Denn er kann die gleiche Wirkung entfalten wie eine sofortige Abgeltung eines Verlusts durch eine Steuergutschrift in Höhe des Produkts von Verlust und Grenzsteuersatz:370 Beispiel: Steuerpflichtiger A verfügt über einen Gewerbebetrieb, mit dem er im Veranlagungszeitraum 01 einen Gewinn von 200.000 € erzielt. Im Veranlagungszeitraum 02 ist das Ergebnis ausgeglichen. In 03 erwirtschaftet A einen Verlust von 100.000 €. Daraufhin stellt A den Gewerbebetrieb ein und erzielt auch keine sonstigen Einkünfte mehr. Der Steuersatz beträgt 40 %. Ohne Verlustberücksichtigung würde A mit dem Gewinn aus Veranlagungszeitraum 01 i.H.v. 200.000 € zur Einkommensteuer herangezogen, obwohl er in der Totalperiode tatsächlich nur 100.000 € verdient hat. Seine Steuerlast würde 80.000 € betragen (200.000 € x 40 %). Bei Existenz einer Negativsteuer auf Verluste erhielte A für den Verlust im Veranlagungszeitraum 03 eine Auszahlung i.H.v. 40.000 € (100.000 € x 40 %), so dass seine Steuerbelastung effektiv nur noch 40.000 € betragen würde. Zu dem gleichen Ergebnis führt ein zweijähriger Verlustrücktrag, der es A erlaubt, den Verlust aus 03 mit dem Gewinn aus 01 zu verrechnen. A würde eine Steuererstattung für die in 01 im Ergebnis zu viel gezahlten Steuern i.H.v. 40.000 € erhalten.
Der Verlustrücktrag ist zur Verringerung der Diskriminierung risikobehafteter Investitionen insbesondere deshalb gut geeignet, weil er sich auf eine bekannte Größe – nämlich bereits erzielte und versteuerte Gewinne – bezieht.371 Demgegenüber setzt ein Verlustvortrag voraus, dass in der Zukunft Gewinne anfallen, was in der Regel mit Unsicherheit behaftet ist.
368 Vgl. 2 Teil B. II. 1. a) bb). 369 Vgl. 2 Teil B. II. 1. b) und 2. a) bb). 370 Vgl. Schneider, DB 1999, S. 107 f.; Wittkowski, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung in Deutschland und Europa (2008), S. 22. 371 Vgl. Fischer, Zur Systematik der Verrechnung inländischer Verluste im deutschen Steuerrecht (2004), S. 655.
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Selbst ein zeitlich und betragsmäßig völlig unbeschränkter Verlustrücktrag ist jedoch kein gleichwertiger Ersatz für eine Negativsteuer, da er nicht greift, wenn in der Vergangenheit keine ausreichenden positiven Einkünfte erzielt wurden. Allerdings ist es zur Verbesserung der Neutralitätseigenschaften der Einkommen- und Körperschaftsteuer empfehlenswert, den allgemeinen Verlustrücktrag zeitlich und betragsmäßig so weit auszudehnen, wie dies im Hinblick auf Rechtssicherheit, Verwaltungsaufwand und die Belange der Haushaltsplanung vertretbar erscheint. bb) Verlustvortrag Anders als ein Verlustrücktrag stellt ein Verlustvortrag selbst dann, wenn die Verlustverrechnung vollständig gelingt, keinen vollwertigen Ersatz für eine sofortige Abgeltung von Verlusten durch eine Steuergutschrift dar. Denn auch in diesem Fall würden dem Steuerpflichtigen Zins- und Liquiditätsnachteile entstehen. Beispiel: Steuerpflichtiger A gründet ein Unternehmen. Im ersten Jahr erleidet er einen Anlaufverlust i.H.v. 100.000 €. Im zweiten Jahr ist das Ergebnis ausgeglichen. Im dritten Jahr erreicht A die Gewinnzone und erzielt einen Gewinn i.H.v. 125.000 €. Der Steuersatz beträgt 40 %. Bei Existenz einer Negativsteuer auf Verluste würde A für den Anlaufverlust im ersten Jahr eine Auszahlung i.H.v. 40.000 € (100.000 € x 40 %) erhalten. In 03 müsste er hingegen Einkommensteuer i.H.v. 50.000 € zahlen (125.000 € x 40 %). Könnte A den Anlaufverlust im Wege des Verlustvortrags gelten machen, so würde sich die Steuerlast in 03 zwar nur auf 10.000 € belaufen (25.000 € x 40 %). Gegenüber einer Negativsteuer würde dies für A aber sowohl einen Zins- als auch einen Liquiditätsnachteil bedeuten.
Die Zinsnachteile könnten zwar durch eine Verzinsung des Verlustvortrags kompensiert werden,372 die Liquiditätsnachteile hingegen nicht.373 Wenn schon ein vollständig unbeschränkter Verlustvortrag nicht vollkommen entscheidungsneutral ist, so führt offensichtlich jede Form der zeitlichen oder betragsmäßigen Beschränkung des Verlustvortrags zu einer weiteren Verschlechterung der Neutralitätseigenschaften der Besteuerung. Denn durch Beschränkungen des Verlustvortrags würden einseitig Investitionsvorhaben belastet, die notwendig mit Verlustphasen verbunden sind bzw. das Risiko von Verlustphasen in sich tragen. Sichere Anlagen, die keine Verlustphasen 372 Vgl. Sigloch, StuW 1990, S. 238; Schreiber, Besteuerung der Unternehmen (2005), S. 557. 373 Vgl. Schneider, DB 1999, S. 108.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege ferenda
aufweisen, wären hingegen nicht betroffen. Durch die damit verbundene Diskriminierung der Übernahme unternehmerischer Risiken374 würden Investitionsentscheidungen zugunsten sicherer Anlagealternativen verzerrt. Das ist aus volkswirtschaftlicher Sicht problematisch. Denn die wirtschaftliche Entwicklung wird nicht dadurch voran gebracht, dass das vorhandene Kapital beispielsweise in Bundeswertpapiere investiert wird. Entscheidend ist vielmehr die Bereitschaft zum unternehmerischen Engagement, die immer auch mit einem gewissen Risiko verbunden ist.375 Insbesondere die Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG376 sowie die Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 8c KStG erweisen sich in dieser Hinsicht als verfehlt und müssen – unabhängig von ihrer Verfassungswidrigkeit – allein deshalb schnellstmöglich abgeschafft werden, weil sie der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland auf Dauer schweren Schaden zufügen können. Zur Verbesserung der Risikobereitschaft für Investition und Innovation sollte – entgegen dem steuerpolitischen Trend zu einer immer stärkeren Einschränkung der Verlustverrechnung – ein Ausbau der Verlustverrechnungsmöglichkeiten erfolgen.377 Durch die Mindestbesteuerung werden insbesondere Sachinvestitionen erschwert, da diese – anders als Finanzinvestitionen – in der Regel mit Anlaufverlusten verbunden sind.378 Durch die zeitliche Streckung der Verlustverrechnung fallen Steuerzahlungen zeitlich früher an, als dies ohne Mindestbesteuerung der Fall wäre.379 Die Folge ist, dass der Barwert einer Investition sinkt.380 Dadurch kann sich die Rangfolge von Investitionsvorhaben nach Steuern gegenüber der Vorsteuersituation ändern. Die Mindestbesteuerung kann sogar dazu führen, dass der bei unbeschränktem Verlustvortrag positive Barwert eines Investitionsvorhabens negativ wird und die Investition infolgedessen ganz unterbleibt.381 Ein besonderes Hemmnis stellt die Mindestbesteuerung regelmäßig für mit Anlaufverlusten verbundene Unter-
374 Vgl. Herzig/Wagner, DStR 2003, S. 233. 375 Vgl. zur wachstumspolitischen Bedeutung der Verlustverrechnung auch Fischer, Zur Systematik der Verrechnung inländischer Verluste im deutschen Steuerrecht (2004), S. 654. 376 Vgl. Fischer, FR 2007, S. 282. 377 So schon Schneider, StuW 1989, S. 355. 378 Vgl. Fischer, Zur Systematik der Verrechnung inländischer Verluste im deutschen Steuerrecht (2004), S. 670; Lang/Englisch, StuW 2005, S. 21. 379 Vgl. dazu das Beispiel im 1. Teil unter B. II. 1. b). 380 Vgl. Herzig/Wagner, DStR 2003, S. 226. 381 Vgl. Herzig/Wagner, DStR 2003, S. 226.
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Vorgaben für ein ökonomisch rationales Verlustverrechnungssystem
nehmensneugründungen dar.382 Denn anders als etablierte Unternehmen können neu gegründete Unternehmen die Anlaufverluste eines Investitionsvorhabens nicht intraperiodisch im Wege des Verlustausgleichs mit positiven Einkünften aus anderen Einkunftsquellen bzw. interperiodisch im Wege des Verlustrücktrags geltend machen und sind daher auf den Verlustvortrag angewiesen.383 Zu einer massiven Benachteiligung führt die Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG zudem für Unternehmen mit brachenbedingt zyklischen Ergebnisverläufen.384 Hier ist die Wahrscheinlichkeit besonders hoch, dass die Mindestbesteuerung nicht nur zu einer Streckung, sondern zu einer definitiven Mehrbelastung führt.385 Lässt man den Sockelbetrag von einer Million Euro außer Betracht, so bedeutet die gegenwärtige Mindestbesteuerungsquote von 40 %, dass die kumulierten Gewinne in der konjunkturellen Hochphase ca. 167 % der kumulierten Verluste der vorherigen konjunkturellen Schwächephase betragen müssen, um eine vollständige Verlustnutzung zu gewährleisten.386 Bei einer Mindestbesteuerungsquote von 50 % – wie sie ursprünglich geplant war387 – müssten die kumulierten Gewinne sogar das Doppelte der kumulierten Verluste betragen. Durch eine Mindestbesteuerung im Rahmen des Verlustvortrags wird somit die Entscheidungsneutralität massiv zu Lasten von Investitionen in zyklischen Branchen verzerrt: Beispiel: Die A-AG ist in einer Branche mit stark zyklischem Konjunkturverlauf tätig. Eine interperiodische Verlustverrechnung im Wege des Verlustvortrags ist in jedem Veranlagungszeitraum nur maximal bis zu 50 % der jeweiligen positiven Bemessungsgrundlage möglich. Ausgangsfall: Entsprechend der Branchenkonjunktur folgen bei der A-AG auf fünf Verlustjahre mit einem Verlust von je 2.000.000 € (kumuliert 10.000.000 €) fünf Gewinnjahre mit einem Gewinn von je 4.000.000 € (kumuliert 20.000.000 €). 382 Vgl. Herzig/Wagner, DStR 2003, S. 226; Schmehl, Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen mit Mindestbesteuerungseffekt – ein tragfähiges Konzept für das Einkommensteuerrecht? (2004), S. 20. 383 Vgl. Fischer, Zur Systematik der Verrechnung inländischer Verluste im deutschen Steuerrecht (2004), S. 668; Lang/Englisch, StuW 2005, S. 23. 384 Vgl. Schmehl, Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen mit Mindestbesteuerungseffekt – ein tragfähiges Konzept für das Einkommensteuerrecht? (2004), S. 20. 385 Vgl. Herzig/Wagner, DStR 2003, S. 226 f.; Lang/Englisch, StuW 2005, S. 21. 386 Da der Steuerpflichtige Verluste nur in Höhe von 60 % der positiven Einkünfte verrechnen kann, setzt eine vollständige Verlustverrechnung voraus, dass Gewinne und Verluste im Verhältnis 100/60 stehen, was 167 % entspricht. Vgl. auch Hahne, FR 2008, S. 904 in Fn. 46. 387 Vgl. 1. Teil B. II. 1. b).
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege ferenda Aufgrund der Mindestbesteuerung kann die A-AG von dem Verlustvortrag i.H.v. 10.000.000 € in jedem Gewinnjahr lediglich 2.000.000 € im Wege des Verlustvortrags geltend machen. Die Gewinnphase reicht daher gerade so aus, um den Verlustvortrag aufzubrauchen, bevor die nächste Verlustphase beginnt. Abwandlung: Entsprechend der Branchenkonjunktur folgen bei der A-AG auf fünf Verlustjahre mit einem Verlust von je 2.000.000 € (kumuliert 10.000.000 €) fünf Gewinnjahre mit einem Gewinn von je 3.000.000 € (kumuliert 15.000.000 €). Nunmehr kann die A-AG jährlich nur 1.500.000 € im Wege des Verlustvortrags geltend machen. Zu Beginn der neuen Verlustphase ist deshalb noch ein Verlustvortrag von 2.500.000 € vorhanden. Wenn es der A-AG nicht gelingt, in der Gewinnphase wie im Ausgangsfall Überschüsse i.H.v. 200 % der kumulierten Verluste der Verlustphase (also 20.000.000 €) zu erwirtschaften, wird sich der Verlustvortrag mit jedem vollendeten Konjunkturzyklus weiter erhöhen.
Im Hinblick auf die Investitionsneutralität als mindestens ebenso problematisch wie § 10d EStG erweist sich § 8c KStG. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist zwar enger, dafür tritt ihre Rechtsfolge völlig willkürlich ein.388 Bei der Planung einer langfristigen Investition ist es in der Regel nicht möglich sicher vorherzusagen, ob es während der Laufzeit zu einer qualifizierten Anteilsübertragung i.S.v. § 8c Abs. 1 KStG kommen wird oder nicht. Die Folge ist eine Verzerrung der Investitionsneutralität zu Lasten der risikobehafteten Sachinvestition bzw. zu Gunsten der risikolosen Finanzinvestition. Da die Gefahr eines Verlustuntergangs steigt, je länger Verluste vorgetragen werden, setzt § 8c KStG zudem einen Anreiz, mittels gezielter Gestaltungen eine zeitnahe Verlustverrechnung zu erreichen. Auch insofern entfaltet § 8c KStG eine verzerrende Wirkung.389 § 8c KStG sollte daher nicht nur aus verfassungsrechtlichen, sondern auch aus wirtschaftspolitischen Gründen so schnell wie möglich wieder abgeschafft werden. 3. Intersubjektive Verlustverrechnung Eine intersubjektive Verlustverrechnung ist verfassungsrechtlich nicht nur nicht geboten, sondern durchbricht sogar die steuerliche Belastungsgleichheit.390 Bei Vorliegen eines besonderen sachlichen Grundes ist sie jedoch unproblematisch zulässig. Als besonderer sachlicher Grund kommt auch die Verwirklichung von Entscheidungsneutralität in Betracht, da so die wirtschaftspolitischen Zielsetzungen der Vermeidung von Steuerplanungsaktivitäten und der Verbesserung der Allokationseffizienz gefördert werden. 388 Vgl. 3. Teil A. I. 2. b) aa). 389 Vgl. Wittkowski, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung in Deutschland und Europa (2008), S. 63. 390 Vgl. 2. Teil B. III.
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Vorgaben für ein ökonomisch rationales Verlustverrechnungssystem
Zur Wahrung der Entscheidungsneutralität im Hinblick auf die Organisationsentscheidung ist eine intersubjektive Verlustverrechnung insbesondere im Konzernsteuerrecht geboten. Der Konzernsachverhalt weist die Besonderheit auf, dass die Zielgröße der Anteilseigner der Konzernmutter das Konzernergebnis ist. Wie sich das Ergebnis auf die einzelnen Konzerngesellschaften verteilt, ist aufgrund der wirtschaftlichen Einheit des Konzerns zweitrangig. Dagegen knüpft das Steuerrecht entsprechend der rechtlichen Vielheit des Konzerns an die Ergebnisse der einzelnen Konzerngesellschaften an. Dieses Auseinanderfallen von wirtschaftlicher und steuerrechtlicher Perspektive ist vor allem dann problematisch, wenn einzelne Konzerngesellschaften Verluste ausweisen. Ohne intersubjektive Verlustverrechnung zwischen den Konzerngesellschaften würde es bezogen auf das Konzernergebnis zu einer überhöhten Besteuerung kommen. Da das Konzernergebnis die maßgebliche Zielgröße ist, bestünde ein starker Anreiz zur Konzentration, das heißt zur Bündelung wirtschaftlicher Aktivitäten in einer Kapitalgesellschaft, um eine Verlustverrechnung zu ermöglichen.391 Dadurch würde die freie Entscheidung der Steuerpflichtigen für eine optimale Konzernstruktur durch steuerliche Aspekte verzerrt. Beispiel: Die M-AG ist zu 100 % an der T-GmbH beteiligt. Beide Gesellschaften sind in verschiedenen Branchen tätig. Die M-AG erzielt einen Gewinn i.H.v. 1.000.000 €. Die T-GmbH erleidet einen Verlust in gleicher Höhe. Der Körperschaftsteuersatz beträgt 15 %. Das Konzernergebnis ist ausgeglichen. Ohne intersubjektive Verlustverrechnung würde dennoch eine Steuerbelastung i.H.v. 150.000 € entstehen. Würde hingegen beispielsweise die T-GmbH auf die M-AG verschmolzen, so würde die Steuerlast auf Null sinken. Auch wenn dies aufgrund des unterschiedlichen Geschäftsgegenstandes organisatorisch wahrscheinlich nicht sinnvoll ist, geht vom Fehlen einer intersubjektiven Verlustverrechnung im Konzern ein Anreiz zu einer entsprechenden Umstrukturierung aus.
Zur Wahrung der Entscheidungsneutralität in Bezug auf Organisationsentscheidungen ist daher eine konzerninterne intersubjektive Verlustverrechnung zwingend erforderlich. Dem trägt das deutsche Steuerrecht grundsätzlich durch das Institut der Organschaft Rechnung.392 Zudem ist zur Verbesserung der Neutralitätseigenschaften des Körperschaftsteuerrechts eine intersubjektive Verlustverrechnung im Falle von Verschmelzung und Spaltung zuzulassen. Nach der gegenwärtigen, durch das 391 Vgl. Wittkowski, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung in Deutschland und Europa (2008), S. 5. 392 Vgl. 1 Teil B. III. 1. b).
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege ferenda
SEStEG geschaffenen Rechtslage, gehen im Falle der Verschmelzung noch nicht genutzte Verluste der übertragenden Gesellschaft nicht auf die übernehmende Gesellschaft über.393 Dies zwingt zu steuerplanerischen Aktivitäten, um eine Verlustnutzung noch bei der übertragenden Gesellschaft zu ermöglichen. Ein möglicher Weg ist die Aufdeckung stiller Reserven, was bei der übernehmenden Gesellschaft zu einer Erhöhung des Abschreibungsvolumens führt. Dies ist jedoch dann kein Ausweg, wenn die stillen Reserven der übertragenden Gesellschaft nicht ausreichen, um die vorhandenen Verluste vollständig zu verrechnen. Eine Verlustnutzung im Wege eines step-up wird zudem gegenwärtig durch die Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG erschwert. Verfügt etwa die übertragende Gesellschaft über einen Verlustvortrag in Höhe von 5 Millionen Euro und in gleicher Höhe über stille Reserven, so ermöglicht selbst eine komplette Aufdeckung der stillen Reserven keine vollständige Nutzung des Verlustvortrags. Unterstellt man zur Vereinfachung, dass keine sonstigen positiven Einkünfte vorhanden sind, so wäre eine Verlustverrechnung wegen der Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG vielmehr nur in Höhe von 3,4 Millionen Euro394 möglich. Eine vollständige Nutzung des Verlustvortrags würde voraussetzen, dass stille Reserven in Höhe von 7,7 Millionen Euro395 aufgedeckt werden könnten. Hinzu kommt, dass unter Umständen erst die zeitliche Streckung der Verlustverrechnung durch die Mindestbesteuerung dazu geführt hat, dass zum Verschmelzungszeitpunkt noch ungenutzte Verlustvorträge vorhanden waren. Bei Verschmelzungen besteht eine weitere Möglichkeit zur Vermeidung eines Verlustuntergangs in einer Umkehr der Verschmelzungsrichtung. Anstatt eine Verlustgesellschaft auf eine Gewinngesellschaft zu verschmelzen, wird umgekehrt die Gewinngesellschaft auf die Verlustgesellschaft verschmolzen. Allerdings scheitert eine solche Gestaltung de lege lata häufig daran, dass im Vorfeld der Verschmelzung oder durch die Verschmelzung selbst die Rechtsfolgen des § 8c KStG ausgelöst werden.396 Nur wenn sich durch die Verschmelzung die Anteilseignerstruktur der Verlustgesellschaft weder unmittelbar noch mittelbar zu mehr als 25 % ändert, bleiben die Verluste der übernehmenden Gesellschaft in voller Höhe erhalten. Dies ist beispielsweise bei der Verschmelzung einer Gewinngesellschaft auf eine Verlust393 Vgl. 1 Teil B. III. 2. bb) (2). 394 1 Million Euro Sockelbetrag und 60 % von 4 Millionen Euro. 395 Dann ergäbe sich trotz § 10d Abs. 2 EStG ein Verlustverrechnungspotential von etwas über 5 Millionen Euro (1 Million Euro Sockelbetrag zuzüglich 60 % von 6,7 Millionen). 396 Vgl. van Lishaut, FR 2008, S. 793; Sistermann/Brinkmann, DStR 2008, S. 899 f.
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Vorgaben für ein ökonomisch rationales Verlustverrechnungssystem
Schwestergesellschaft der Fall, wenn die Mutter an beiden Gesellschaften zu 100 % beteiligt ist. Selbst wenn in diesem Fall eine Verlustnutzung im Ergebnis möglich ist, führt das Fehlen einer intersubjektiven Verlustverrechnung doch zumindest zu einer Determinierung der Verschmelzungsrichtung. Dadurch werden Anreize für suboptimale Umstrukturierungen gesetzt, was nicht mit einer entscheidungsneutralen Besteuerung in Einklang steht.397 Die M-AG ist je zu 100 % an der T1-GmbH und der T2-GmbH beteiligt. Die T1-GmbH, die über Verlustvorträge verfügt, wird auf die T2-GmbH verschmolzen. M-AG 100 %
T1-GmbH
Verlustvortrag
100 %
Verschmelzung der T1-GmbH auf die T2-GmbH
T2-GmbH
Untergang der Verlustvorträge der T1-GmbH, §§ 12 Abs. 3 i.V.m. 4 Abs. 2 S. 2 UmwStG
Abwandlung:. Die T2-GmbH wird auf die T1-GmbH verschmolzen. M-AG 100 %
T1-GmbH
Verlustvortrag
100 %
Verschmelzung der T2-GmbH auf die T1-GmbH
T2-GmbH
Infolge der Umkehrung der Verschmelzungsrichtung können die Verluste der T1-GmbH weiter genutzt werden
Abbildung 28 Determinierung der Verlustübergang
Verschmelzungsrichtung
bei
fehlendem
Bei Spaltungen ist eine vergleichbare Strategie naturgemäß nicht möglich. Aufgrund des Verlustuntergangs nach §§ 15 Abs. 1, 12 Abs. 3 UmwStG unterbleiben Spaltungen daher unter Umständen ganz. Zumindest aber geht von der geltenden Rechtslage ein Anreiz aus, statt einer Aufspaltung eine Abspaltung vorzunehmen, da dann wenigstens ein Teil der vorhandenen Verluste bei der übertragenden Gesellschaft weiter genutzt werden kann.398 397 So auch Wittkowski, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung in Deutschland und Europa (2008), S. 63. 398 Vgl. 1. Teil B. III. 2. a) bb) (2).
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege ferenda
Im Ergebnis führt das Fehlen einer intersubjektiven Verlustverrechnungsmöglichkeit bei Strukturmaßnahmen somit dazu, dass sinnvolle Umstrukturierungen erschwert werden oder ganz unterbleiben. Die darin liegende Begünstigung der Konservierung nicht optimaler Strukturen wird durch die Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG und § 8c KStG verstärkt. Zur Verbesserung der Neutralitätseigenschaften der Besteuerung ist es de lege ferenda erforderlich, eine intersubjektive Verlustverrechnung bei Umstrukturierungen zuzulassen. 4. Grenzüberschreitende Verlustverrechnung Im Mittelpunkt der Diskussion um eine entscheidungsneutrale Ausgestaltung des internationalen Steuerrechts stehen zwei Teilaspekte der Investitionsneutralität, nämlich die Kapitalexportneutralität und die Kapitalimportneutralität.399 Kapitalexportneutralität ist gegeben, wenn es für einen inländischen Investor unter steuerlichen Gesichtspunkten gleichgültig ist, ob er eine Investition im Inland oder im Ausland tätigt.400 Demgegenüber erfordert Kapitalimportneutralität eine gleiche steuerliche Belastung in- und ausländischer Investoren im Quellenstaat. Dann spielt es steuerlich keine Rolle, wo der Investor seinen Sitz hat.401 Beiden Neutralitätskonzepten lässt sich jeweils eine Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zuordnen. Mittels des Anrechnungsverfahrens kann – zumindest wenn das Besteuerungsniveau im Ausland niedriger ist – Kapitalexportneutralität verwirklicht werden.402 Das Steuerniveau im Ausland wird, egal wie niedrig es ist, über das Welteinkommensprinzip in Verbindung mit der Anrechnung im Ausland gezahlter Steuern auf das inländische Steuerniveau gebracht, weshalb die Besteuerung die Standortwahl nicht beeinflusst. Demgegenüber führt die Freistellungsmethode zu Kapitalimportneutralität. Infolge der Freistellung ausländischer Einkünfte im Ansässigkeitsstaat des Investors erfolgt die Besteuerung ausschließlich zu den Bedingungen im Zielland der Investition. Die Ansässigkeit der Kapitalgeber spielt keine Rolle.403 Aus den Postulaten der Kapitalexport- bzw. Kapitalimportneutralität ergeben sich jeweils unterschiedliche Anforderungen an die Ausgestaltung der grenzüberschreitenden Verlustverrechnung. Im Rahmen einer kapitalexport399 Vgl. Kellersmann/Treisch, Europäische Unternehmensbesteuerung (2002), S. 74. 400 Vgl. Kellersmann/Treisch, Europäische Unternehmensbesteuerung (2002), S. 74; Schreiber, Besteuerung der Unternehmen (2005), S. 537. 401 Vgl. Kellersmann/Treisch, Europäische Unternehmensbesteuerung (2002), S. 75; Schreiber, Besteuerung der Unternehmen (2005), S. 536. 402 Vgl. Schreiber, Besteuerung der Unternehmen (2005), S. 536. 403 Vgl. Schreiber, Besteuerung der Unternehmen (2005), S. 537.
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Vorgaben für ein ökonomisch rationales Verlustverrechnungssystem
neutralen Besteuerung müssen Verluste aus ausländischen und inländischen Quellen gleich behandelt werden. Durch besondere Verlustverrechnungsrestriktionen für ausländische Verluste würde die Entscheidungsneutralität zugunsten von Investitionen im Inland verzerrt.404 Soll dagegen Kapitalimportneutralität gewährleistet werden, dürfen Verluste aus ausländischen Quellen überhaupt nicht im Inland berücksichtigt werden.405 Denn nur so ist gewährleistet, dass die effektive Steuerbelastung einer Investition ausschließlich durch die Besteuerung im Quellenstaat bestimmt wird. Von einem grenzüberschreitenden Verlustausgleich würde hingegen nur ein ausländischer Investor profitieren.406 Kapitalexportneutralität und Kapitalimportneutralität lassen sich grundsätzlich nicht gleichzeitig verwirklichen.407 Darüber, welchem der beiden Konzepte der Vorzug gebührt, konnte im wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum bislang keine Einigkeit hergestellt werden.408 Folglich können aus dem Konzept der Entscheidungsneutralität keine klaren Vorgaben für die Ausgestaltung der grenzüberschreitenden Verlustverrechnung abgeleitet werden.
III.
Zusammenfassung
Eine ökonomisch rationale Ausgestaltung der Verlustverrechnung sollte sich am Kriterium der Entscheidungsneutralität orientieren. Auch wenn vollständige Entscheidungsneutralität nicht zu erreichen ist, kann über eine möglichst entscheidungsneutrale Ausgestaltung der Verlustverrechnung ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Neutralitätseigenschaften der Ertragsbesteuerung insbesondere im Hinblick auf die Investitionsneutralität geleistet werden. Hierzu sollte auf Beschränkungen der intraperiodischen Verlustverrechnung möglichst ganz verzichtet werden. Interperiodisch sollte der Verlustrücktrag zeitlich und betragsmäßig so weit wie möglich freigegeben und der Verlustvortrag verzinst werden. Innerhalb eines Konzerns ist eine intersubjektive Verlustverrechnung zu ermöglichen, um eine steuerliche Verzerrung der Organisationsentscheidung zu verhindern.
404 405 406 407
Vgl. Bambynek, WiSt 2007, S. 431. Vgl. Maiterth, DStR 2006, S. 917. Vgl. Kahle, IStR 2007, S. 758. Vgl. Vogt, Neutralität und Leistungsfähigkeit (2003), S. 130 m.w.N.; Treisch, Europataugliche Ausgestaltung der Unternehmensbesteuerung (2004), S. 61; Homburg, Allgemeine Steuerlehre (2007), S. 304 ff. 408 Vgl. Vogt, Neutralität und Leistungsfähigkeit (2003), S. 130 m.w.N.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege ferenda
C. Vorschlag für die Ausgestaltung der Verlustverrechnung Zum Abschluss der Untersuchung sollen die verfassungsrechtlichen und ökonomischen Vorgaben für die Verlustverrechnung in einem Vorschlag für eine Neugestaltung des Systems der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht gebündelt werden. Um den Rahmen der Untersuchung nicht zu sprengen, werden nur die Leitlinien eines gegebenenfalls de lege ferenda zu verwirklichenden Reformkonzepts skizziert. Auf steuertechnische Details der Umsetzung wird nicht eingegangen.
I. Intraperiodische Verlustverrechnung Sowohl dem verfassungsrechtlichen Gebot einer gleichmäßigen Belastung aller Steuerpflichtigen nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit als auch dem ökonomischen Postulat einer möglichst entscheidungsneutralen Besteuerung wird am besten durch eine unbeschränkte intraperiodische Verlustverrechnung entsprochen. Handlungsbedarf besteht insofern vor allem im Bereich der Einkommensteuer, wo der Grundsatz des unbeschränkten horizontalen und vertikalen Verlustausgleichs durch eine Vielzahl spezieller Verlustverrechnungsbeschränkungen ausgehöhlt wird. De lege ferenda sollten spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen – auch soweit sie verfassungsrechtlich zulässig wären – ganz abgeschafft werden. Sofern man die Verfolgung von Lenkungszielen über das Steuerrecht überhaupt für sinnvoll erachtet, stehen hierfür jedenfalls effizientere Instrumente als spezielle Beschränkungen der Verlustverrechnung zur Verfügung. Dies bestätigt auch die historische Erfahrung. Spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen wurden nie gestaltend zur Verfolgung originärer Lenkungszwecke eingesetzt, sondern stets reaktiv, um wirklichen oder vermeintlichen Missbräuchen entgegenzuwirken. Wie nachfolgend gezeigt werden soll, sind spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen auch in dieser Funktion entbehrlich. Durch § 15 Abs. 4 S. 1-2 EStG will der Gesetzgeber Vollerwerbslandwirte vor unliebsamer Konkurrenz schützen.409 Faktisch bestand diese Konkurrenz überwiegend aus Verlustzuweisungsgesellschaften, die mittlerweile von § 15b EStG erfasst werden. Der eigenständige Anwendungsbereich von § 15 Abs. 4 S. 1-2 EStG ist marginal.410 Da die Vorschrift mit der Einführung von § 15b EStG praktisch überflüssig geworden ist, sollte sie ersatzlos gestrichen werden. Die Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 15 Abs. 4 S. 3-5 409 Vgl. 1. Teil B. I. 1. a) bb) (1) (b). 410 Vgl. 3. Teil A. I. 1. a) aa) (4).
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Vorschlag für die Ausgestaltung der Verlustverrechnung
EStG erfasst einen speziellen Missbrauchssachverhalt, der kaum von größerer praktischer Relevanz sein dürfte.411 Bereits der Kreis der Steuerpflichtigen, die private Termingeschäfte tätigen und damit nennenswerte Verluste erzielen, ist höchstwahrscheinlich überschaubar. Noch überschaubarer dürfte der Anteil der Steuerpflichtigen sein, die über ein gewerbliches Unternehmen verfügen und tatsächlich in missbräuchlicher Absicht ihre privaten Termingeschäfte in den betrieblichen Bereich verlagern. Seit der Einführung der Abgeltungsteuer ist der Anreiz für eine derartige Maßnahme zudem stark gesunken. Selbst wenn man die nach den Ergebnissen dieser Untersuchung verfassungswidrige Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 20 Abs. 6 EStG412 berücksichtigt, steht mit den positiven Einkünften aus Kapitalvermögen auch bei Termingeschäften im Privatvermögen nunmehr ein beachtliches Verlustverrechnungspotential zur Verfügung. Allein die Belastungsdifferenz zwischen den Einkünften aus Gewerbebetrieb und aus Kapitalvermögen dürfte kaum Steuerpflichtige in nennenswerter Zahl zu einer missbräuchlichen Gestaltung verleiten. Denn letztlich will ein Steuerpflichtiger mit dem Termingeschäft einen Gewinn erzielen. In diesem Fall wäre die Abgeltungsteuer für ihn günstiger. § 15 Abs. 4 S. 3-5 EStG kann daher wegen mangelnder praktischer Relevanz ersatzlos gestrichen werden. Die Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 15 Abs. 4 S. 6-8 EStG erfasst mit der Umgehung der Mehrmütterorganschaft einen extrem speziellen Missbrauchsfall,413 der sicherlich auch ohne einen speziellen Tatbestand über § 42 AO in den Griff zu bekommen wäre. Selbst wenn Innengesellschaften für den Transfer von Verlusten von einer Kapitalgesellschaft zu einer anderen genutzt würden, läge darin weder steuer- noch wirtschaftspolitisch eine Katastrophe. Vielmehr zeigen die sich stetig weiter aufstauenden körperschaftsteuerlichen Verlustvorträge,414 dass die Verlustverrechnung bei Kapitalgesellschaften nur eingeschränkt funktioniert.415 Statt einem Festhalten an § 15 Abs. 4 S. 68 EStG sollte daher eine Wiedereinführung der Mehrmütterorganschaft erwogen werden. § 15a EStG führt zwar im Grundtatbestand bei einem Kommanditisten mit negativem Kapitalkonto zu einer leistungsfähigkeitsgerechten Erfolgsperiodisierung.416 Doch der Preis hierfür ist unter pragmatischen Gesichtspunkten 411 412 413 414
Vgl. 1. Teil B. I. 1. a) bb) (2) (b). Vgl. 3. Teil A. I. 1. a) dd) (6). Vgl. 1. Teil B. I. 1. a) aa) (1) (b). Zum 31.12.2001 belief sich der verbleibende körperschaftsteuerliche Verlustvortrag auf über 380 Milliarden Euro, vgl. Körperschaftsteuerstatistik 2001 (1. Teil, Fn. 185), S. 41 und 49. 415 Vgl. Grotherr, BB 1998, S. 2340; Maiterth/Müller, DStR 2006, S. 1866. 416 Vgl. 3. Teil A. I. 1. a) dd) (1).
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eindeutig zu hoch. § 15a EStG zählt zu den kompliziertesten und streitanfälligsten Vorschriften des EStG. Seit seiner Einführung im Jahr 1980 hat sich der BFH schon mehr als 160 Mal mit der Vorschrift befassen müssen.417 Es ist unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten durchaus akzeptabel, Verluste auch dann intraperiodisch zu verrechnen, wenn sie zu einem negativen Kapitalkonto führen, so lange spätere Gewinne voll besteuert werden und im Fall des endgültigen Wegfalls des negativen Kapitalkontos ein Aufgabegewinn in gleicher Höhe angesetzt wird. Der Steuerpflichtige würde gegenüber der jetzigen Rechtslage lediglich einen Zinsvorteil erlangen. Dies ist auch im Hinblick auf die Problematik der sog. Verlustzuweisungsmodelle hinnehmbar. Wie gezeigt wurde, war § 15a EStG maßgeblich von der Zielsetzung motiviert, die Attraktivität von Verlustzuweisungsgesellschaften einzuschränken. Insofern war die Vorschrift aber wenig effektiv, da sie nur bestimmte Rechtsformen erfasste und somit leicht umgangen werden konnte.418 Zudem existiert mit § 15b EStG mittlerweile ein Tatbestand, der speziell Verlustzuweisungsgesellschaften erfasst und mit einer strengeren Rechtsfolge belegt als § 15a EStG. Seither trifft die Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 15a EStG nur noch Steuerpflichtige mit sog. „echten“ Verlusten, was aus wirtschaftspolitischer Sicht nicht unbedingt opportun erscheint, da so die Risikobereitschaft von Investoren geschwächt wird. Daher spricht aus pragmatischen Gründen alles für eine ersatzlose Streichung des § 15a EStG. § 17 Abs. 2 S. 6 EStG könnte leicht überflüssig gemacht werden, indem Veräußerungsgewinne auch bei einer Beteiligung von mehr als 1 % in den Geltungsbereich der Abgeltungsteuer einbezogen würden. Selbst wenn dies nicht geschieht, erscheint die Regelung entbehrlich. Denn de lege lata lassen sich mittels einer Steuergestaltung nicht mehr – wie vor Inkrafttreten des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 – nicht steuerbare Verluste in den steuerbaren Bereich verlagern, sondern allenfalls Belastungsdifferenzen zwischen dem Teileinkünfteverfahren und der Abgeltungsteuer ausnutzen.419 Ungeachtet der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift rechtfertigt diese Gestaltungsgefahr aus pragmatischen Gründen keine derart komplizierte Vorschrift. Auch die Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 22 Nr. 3 S. 3-4 EStG scheint nicht zwingend erforderlich zu sein. Selbst wenn die Einkünfte aus gelegentlicher Leistung möglicherweise besonders prädestiniert für Abgrenzungsschwierigkeiten zur Liebhaberei sind,420 käme es auf den Versuch an, ob die Finanzverwaltung dieses Problem nicht nach den allgemeinen 417 418 419 420
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Ergebnis einer Recherche in juris v. 09.04.2008. Vgl. 1. Teil A. I. 1. a) aa) (2) (b). Vgl. 1. Teil B. I. 1. a) bb) (3). Vgl. 1. Teil B. I. 1. a) bb) (4).
Vorschlag für die Ausgestaltung der Verlustverrechnung
Grundsätzen in den Griff bekommt. § 23 Abs. 3 S. 7-8 EStG könnte abgeschafft werden, wenn die Ursache der Gestaltungsmöglichkeit beseitigt würde, der die Vorschrift entgegenwirken soll.421 Nachdem der Gesetzgeber mit der Abgeltungsteuer den Dualismus der Einkunftsarten faktisch aufgehoben hat,422 wäre es nur noch ein kleiner Schritt, auch Wertveränderungen bei Immobilien und sonstigen Mobilien generell für steuerbar zu erklären. Dann wäre § 23 Abs. 3 S. 7-8 EStG überflüssig. § 15b EStG ist besonders unter Neutralitätsgesichtspunkten problematisch, da die Norm faktisch eine „Gegenlenkung“ bezweckt.423 Mit § 15b EStG reagierte der Gesetzgeber auf bereits bestehende Neutralitätsverletzungen mit einer weiteren Abweichung von der Entscheidungsneutralität. Die originären Durchbrechungen der Entscheidungsneutralität bestehen in den Steuersubventionen oder Systembrüchen, die die Geschäftsgrundlage der „Verlustzuweisungsindustrie“ bilden.424 Würde der Gesetzgeber darauf verzichten, Subventionen über den Umweg von meist wenig zielgenauen Manipulationen der Bemessungsgrundlage – wie beispielsweise Sonderabschreibungen – zu verteilen und zudem einige systematische Verwerfungen im Rahmen der Einkünfteermittlungsvorschriften glätten, dann wäre § 15b EStG entbehrlich. Zugleich würde so eine deutliche Verbesserung der Neutralitätseigenschaften des Einkommensteuerrechts insgesamt erreicht.425 Subventionen könnten stattdessen direkt an die zu begünstigenden Steuerpflichtigen ausgezahlt bzw. von der Steuerlast abgezogen werden. De lege ferenda sollten somit die §§ 15 Abs. 4, 15a, 17 Abs. 2 S. 6, 22 Nr. 3 S. 3-4 EStG ersatzlos gestrichen werden. Die Abschaffung der Verlustverrechnungsbeschränkungen nach § 15b EStG und § 23 Abs. 3 S. 7-8 EStG sollte mit einer Bereinigung der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage verknüpft werden. Dann wäre im Rahmen der Ertragsbesteuerung eine unbeschränkte intraperiodische Verlustverrechnung verwirklicht. Dadurch würden die Neutralitätseigenschaften der Einkommensteuer stark verbessert und zugleich ein substantieller Beitrag zur Rechtsvereinfachung geleistet.
II. Interperiodische Verlustverrechnung Auch bezüglich der interperiodischen Verlustverrechnung sind die verfassungsrechtlichen und ökonomischen Vorgaben deckungsgleich. Sowohl aus verfassungsrechtlicher als auch aus ökonomischer Perspektive ist im Aus421 422 423 424 425
Vgl. 1. Teil B. I. 1. a) bb) (5). Vgl. 1. Teil B. I. 1. Vgl. 1. Teil B. I. 1. a) aa) (3). Vgl. Sigloch, StuW 1990, S. 239. Vgl. Schneider, DB 1999, S. 110.
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege ferenda
gangspunkt eine zeitlich und betragsmäßig unbeschränkte interperiodische Verlustverrechnung geboten. 1. Verlustvortrag Der Verlustvortrag ist zumindest in zeitlicher Hinsicht bereits de lege lata nicht beschränkt. Daran ist auch in Zukunft festzuhalten. Darüber hinaus sollte die Beschränkung des Verlustvortrags durch die Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG beseitigt werden. Um den Verlustvortrag in seiner Wirkung an eine aus ökonomischer Perspektive als optimal angesehene Negativsteuer auf Verluste anzunähern, müssten die vorgetragenen Verluste zudem verzinst werden.426 Das bedeutet konkret, dass ein festgestellter Verlust jedes Jahr um einen kalkulatorischen Zins zu erhöhen wäre. Allerdings ist dies sicherlich nicht prioritär. Bevor an eine Verzinsung des Verlustvertrags gedacht werden kann, muss zunächst ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass zeitliche oder betragsmäßige Beschränkungen des Verlustvortrags kein legitimes Instrument zur Erhöhung der Steuereinnahmen darstellen. Speziell im Bereich der körperschaftsteuerlichen Verlustverrechnung besteht dringender Handlungsbedarf im Hinblick auf § 8c KStG. Allein aus wirtschaftspolitischer Vernunft sollte der Gesetzgeber die Vorschrift unverzüglich aufheben. Soll auch de lege ferenda an einer gesetzlichen Regelung der Mantelkaufproblematik festgehalten werden, so müsste eine entsprechende Vorschrift sehr zielgenau ausgestaltet sein und dürfte nur Fälle erfassen, die eindeutig als ein reines „Handeltreiben mit Verlusten“ zu qualifizieren sind.427 In diesem Zusammenhang sollte auch erwogen werden, den Mantelkauf de lege ferenda völlig freizugeben. Dies wird im wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum teilweise gefordert, um die Wettbewerbsverzerrung zu Lasten risikobehafteter Investitionen durch das Fehlen einer Negativsteuer auf Verluste428 zu mildern.429 Zudem würde durch einen Verzicht auf eine Mantelkaufregelung ein substantieller Beitrag zur Rechtsvereinfachung geleistet. Allerdings müssten zuvor die fiskalischen Auswirkungen genau geprüft werden. Angesichts eines Volumens an körperschaftsteuerlichen Ver-
426 Vgl. Sigloch, StuW 1990, S. 238; Schreiber, Besteuerung der Unternehmen (2005), S. 557. 427 Vgl. dazu 3. Teil A. I. 2. b) bb) (2). 428 Vgl. 3. Teil B. II. 1. 429 Vgl. Schneider, DB 1986, S. 1228; Maiterth/Müller, StuB 2003, S. 261; Maiterth, DStR 2006, S. 917.
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Vorschlag für die Ausgestaltung der Verlustverrechnung
lustvorträgen von mehreren hundert Milliarden Euro430 liegt die Befürchtung hoher Steuerausfälle nahe. Andererseits zeigt gerade der Umstand, dass sich in der Vergangenheit körperschaftsteuerliche Verlustvorträge in solchen Größenordnungen aufstauen konnten, dass es Körperschaftsteuersubjekten derzeit nur beschränkt gelingt, Verluste zu verrechnen. Dies spricht wiederum aus wirtschaftspolitischen Gründen dafür, den Mantelkauf zukünftig als ein zusätzliches Instrument zur Nutzung körperschaftsteuerlicher Verluste zuzulassen, um so die Risikobereitschaft für Investition und Innovation zu stärken.431 Ein Kompromiss könnte darin bestehen, bei einer Freigabe des Mantelkaufs die Berücksichtigung von Altverlusten für eine Übergangszeit zu beschränken. 2. Verlustrücktrag Der Verlustrücktrag ist für die gleichmäßige Belastung des Totaleinkommens von zentraler Bedeutung und kommt zudem in seiner Wirkung einer aus ökonomischer Perspektive als optimal erachteten Negativsteuer auf Verluste nahe. Dies spricht dafür, die Verlustrücktragsmöglichkeiten de lege ferenda massiv auszubauen. Allerdings steht vor allem die Notwenigkeit, die Funktionsfähigkeit der Finanz- und Haushaltsplanung zu sichern, auch zukünftig einem Verzicht auf zeitliche und betragsmäßige Beschränkungen des Verlustrücktrags entgegen. Das bedeutet jedoch nicht, dass insofern an der geltenden Beschränkung des Verlustrücktrags auf ein Jahr und 511.500 € festgehalten werden muss. Dies lehrt bereits die historische Erfahrung. Von 1983 bis 1998 sah das deutsche Steuerrecht einen zweijährigen Verlustrücktrag in Höhe von maximal 10 Millionen DM vor. Da diese Regelung für insgesamt 16 Veranlagungszeiträume Anwendung fand, war sie offensichtlich praktikabel. Eine Rückkehr zu dieser Rechtslage kann daher als Mindestanforderung für eine Reform der interperiodischen Verlustverrechnung betrachtet werden. Berücksichtigt man die seit Anfang der achtziger Jahre eingetretene Geldentwertung, können die historischen Beträge zudem erheblich aufgestockt werden. Wie der Blick über die Grenzen lehrt, ist auch in zeitlicher Hinsicht eine weitergehende Ausdehnung des Verlustrücktrags problemlos möglich. So lassen etwa die Niederlande, Frankreich und Kanada einen dreijährigen Verlustrücktrag zu.432 Im Hinblick auf die historische Ausgestaltung des Ver430 Zum 31.12.2001 belief sich der verbleibende körperschaftsteuerliche Verlustvortrag auf über 380 Milliarden Euro, vgl. Körperschaftsteuerstatistik 2001 (1. Teil, Fn. 185), S. 41 und 49. 431 Vgl. Schneider, StuW 1989, S. 355. 432 Vgl. Endres, Verlustberücksichtigung über Grenzen hinweg (2006), S. 15
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege ferenda
lustrücktrags in Deutschland und auf internationale Vorbilder wird daher vorgeschlagen, de lege ferenda einen Verlustrücktrag für drei Jahre in Höhe von maximal 10 Millionen Euro zuzulassen. Diese Verlustrücktragsmöglichkeit sollte gleichermaßen für einkommen-, körperschaft- und gewerbesteuerliche Verluste bestehen.433 Zusätzlich ist ein außerordentlicher Verlustrücktrag für den Fall vorzusehen, dass am Ende der Totalperiode noch nicht genutzte Verluste vorhanden sind. Zwar ist davon auszugehen, dass bei einer Umgestaltung der intraperiodischen und interperiodischen Verlustverrechnung im hier skizzierten Sinne eine Verlustverrechnung im Regelfall schon während der Totalperiode erfolgt. Dennoch sind Fälle denkbar, in denen nur ein erweiterter Verlustrücktrag eine gleichmäßige Belastung des Totaleinkommens sicherstellen kann. Um dies so häufig wie möglich zu gewährleisten, sollte der außerordentliche Verlustrücktrag zehn Veranlagungszeiträume umfassen und betragsmäßig nicht beschränkt sein.
III.
Intersubjektive Verlustverrechnung
Verfassungsrechtlich ist eine intersubjektive Verlustverrechnung grundsätzlich nicht erforderlich. Eine Ausnahme bildet – neben der Zusammenveranlagung von Ehegatten – der gewerbesteuerliche Verlustvortrag. Insofern muss de lege ferenda die Konsequenz aus dem Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer gezogen werden. Konkret ist bei einem Wechsel des Unternehmensträgers eine Fortführung des Verlustvortrags zuzulassen, solange die Unternehmensidentität bestehen bleibt. Hierzu sollte in § 10a GewStG ausdrücklich klargestellt werden, dass es auf das Kriterium der Unternehmeridentität für den Verlustvortrag nicht ankommt. Um zu verhindern, dass das Steuerrecht Organisations- und Strukturentscheidungen verzerrt, sollte zudem im Körperschaftsteuerrecht über das Rechtsinstitut der Organschaft hinaus de lege ferenda eine intersubjektive Verlustverrechnung bei der Verschmelzung und Spaltung von Kapitalgesellschaften zugelassen werden.
IV.
Grenzüberschreitende Verlustverrechnung
Bezüglich der Ausgestaltung der grenzüberschreitenden Verlustverrechnung muss zwischen der Berücksichtigung von Inlandsverlusten von Steuerausländern und Auslandsverlusten von Steuerinländern unterschieden werden. Änderungsbedarf besteht insofern nur hinsichtlich der Berücksichtigung von Auslandsverlusten von Steuerinländern. Im Geltungsbereich der Anrech433 Bei zusammen veranlagten Ehegatten ist steuersystematisch korrekt ein Verlustrücktrag von 20 Millionen Euro zu gewähren. Verlustrückträge in solchen Größenordnungen sind im Rahmen der Einkommensteuer jedoch ohnehin nur in seltenen Ausnahmefällen zu erwarten.
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Vorschlag für die Ausgestaltung der Verlustverrechnung
nungsmethode434 sollte § 2a EStG ersatzlos gestrichen werden. Denn durch die Diskriminierung ausländischer Verluste werden Investitionsentscheidungen verzerrt. Durch die Aufhebung der komplizierten Regelung würde zudem ein Beitrag zur Rechtsvereinfachung geleistet. Praktisch wesentlich bedeutsamer als die grenzüberschreitende Verlustverrechnung im Geltungsbereich der Anrechnungsmethode ist die Frage, wie ausländische Verluste im Inland berücksichtigt werden sollten, wenn korrespondierende Gewinne in einem DBA von der Besteuerung freigestellt sind. Verfassungsrechtlich ist auch in dieser besonderen Konstellation eine Berücksichtigung entsprechender Verluste im Inland verbunden mit einer Nachversteuerung im Fall späterer Gewinne geboten. Aber auch aus wirtschaftspolitischer Perspektive ist eine derartige Regelung sinnvoll. Die deutsche Wirtschaft kann nur dann in der sich zunehmend globalisierenden Weltwirtschaft bestehen, wenn sie an diesem Prozess aktiv teilnimmt. Deutschland ist auf die weltweiten Aktivitäten seiner Unternehmen angewiesen.435 Eine Behinderung der grenzüberschreitenden Verlustverrechnung wirkt sich daher kontraproduktiv aus. Daher sollte de lege ferenda die vom BFH entwickelte Symmetriethese überwunden und eine Berücksichtigung ausländischer Verluste im Inland auch dann vorgesehen werden, wenn korrespondierende Gewinne in Deutschland von der Besteuerung freigestellt sind. Sobald der Steuerpflichtige die Verluste im Ausland mit positiven Einkünften verrechnen kann, müsste eine Nachversteuerung im Inland erfolgen. Als Vorbild für eine entsprechende Regelung kann § 2a Abs. 3 EStG a.F. dienen.436 Reformbedarf besteht im deutschen Steuerrecht schließlich insofern, als ausländische Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen nicht in eine ertragsteuerliche Organschaft einbezogen werden können. Um zu verhindern, dass Organisationsentscheidungen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten verzerrt werden, sollte de lege ferenda auch für Konzerne mit ausländischen Tochtergesellschaften eine Möglichkeit zur intersubjektiven Verlustverrechnung geschaffen werden.437 Hierdurch könnte zugleich europarechtlichen Bedenken gegen die geltende Rechtslage begegnet werden.438 434 Also im Nicht-DBA-Fall bzw. bei Vorliegen eines DBA, in dem die Anrechnungsmethode vereinbart wurde. 435 Vgl. Loritz, Einkommensteuerrecht (1988), S. 237. 436 Allerdings dürfte der Anwendungsbereich – anders als bei § 2a Abs. 3 EStG a.F. – nicht auf Verluste aus gewerblicher Tätigkeit beschränkt sein. 437 Hierfür stehen mehrere steuertechnische Umsetzungsmöglichkeiten zur Verfügung. Eine Untersuchung und Bewertung der einzelnen Verfahren würde den Rahmen der Untersuchung sprengen. Insofern wird auf die ausführlichen Darstellungen von
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Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege ferenda
Vorschlag für die Ausgestaltung des Systems der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege ferenda
Intraperiodische Verlustverrechnung
Interperiodische Verlustverrechnung
- Keine Beschränkung
- Verlustvortrag: zeitlich und betragsmäßig unbeschränkt - Verlustrücktrag: 3 Jahre/10 Millionen Euro - außerordentlicher Verlustrücktrag am Ende der Totalperiode: 10 Jahre/ betragsmäßig unbeschränkt
Intersubjektive Verlustverrechnung
Grenzüberschr. Verlustverrechnung
- Einkommensteuer: - Auslandsverluste von bei ZusammenveranlaSteuerinländern: gung von Ehegatten phasengleiche Berück- Körperschaftsteuer: im sichtigung; bei FreistelRahmen der Organlung korrespondierenschaft und bei Umder Gewinne ggf. Nachstrukturierungen versteuerung - Gewerbesteuer: - Inlandsverluste von bei Übertragung eines Steuerausländern: Gewerbebetriebs unter keine Diskriminierung Wahrung der Unterggü. Steuerinländern nehmensidentität
Abbildung 29 Vorschlag für die Ausgestaltung der Verlustverrechnung de lege ferenda
Treisch, Europataugliche Ausgestaltung der Unternehmensbesteuerung (2004), S. 230 ff., Wittkowski, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung in Deutschland und Europa (2008), S. 215 ff. und Esser, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung im Konzern (2008) verwiesen. 438 Vgl. Pache/Englert, IStR 2007, S. 49; Kußmaul/Niehren, IStR 2008, S. 86
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Zusammenfassung der Ergebnisse Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wurden Perspektiven für ein verfassungskonformes und ökonomisch rationaleres System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht aufgezeigt. Im ersten Teil erfolgte eine Bestandsaufnahme und Systematisierung der bestehenden Regelungen zur Verlustverrechnung. Im zweiten Teil wurden die verfassungsrechtlichen Vorgaben dargestellt, die bei der Ausgestaltung der Verlustverrechnung zu beachten sind. Darauf aufbauend wurde im dritten Teil aufgezeigt, welche Anpassungen notwendig sind, damit das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht de lege ferenda mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben in Einklang steht. Darüber hinaus wurde dargelegt, wie der Gesetzgeber seinen verfassungsrechtlichen Spielraum zur Gestaltung eines aus ökonomischer Perspektive möglichst rationalen Verlustverrechnungssystems nutzen könnte. Die Ergebnisse der Untersuchung lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: 1. Verlustverrechnung de lege lata Die Verlustverrechnung vollzieht sich im deutschen Steuerrecht in drei Dimensionen: intraperiodisch, interperiodisch und intersubjektiv. Die Verlustverrechnung ist bei allen drei Ertragsteuerarten in vielerlei Hinsicht beschränkt. Die entsprechenden Regelungen lassen sich danach systematisieren, ob sie die Verlustverrechnung allgemein oder speziell einschränken. 2. Allgemeiner verfassungsrechtlicher Rahmen für das Steuerrecht Aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt im Steuerrecht das Gebot steuerlicher Gleichbelastung. Maßstab für die Gleichbelastung ist die Leistungsfähigkeit. Der Leistungsfähigkeitsindikator Einkommen ergibt sich nach dem objektiven Nettoprinzip als Saldo der Erwerbseinnahmen und Erwerbsausgaben. Durchbrechungen des objektiven Nettoprinzips sind gleichheitsrechtlich rechtfertigungsbedürftig. Die Ertragsbesteuerung stellt eine Inhalts- und Schrankenbestimmung i.S.v. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG dar. Soweit die Steuerbelastung die Belastungsgrundentscheidung nicht übersteigt, ist der Eingriff in Art. 14 GG durch den Fiskalzweck legitimiert. Steuerverschärfende Abweichungen von der Belastungsgrundentscheidung können hingegen nur durch einen über den Fiskalzweck hinausgehenden legitimen Zweck gerechtfertigt werden. Im Bereich der Einkommensteuer ist zudem das Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums zu beachten. 429
Zusammenfassung der Ergebnisse
3. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die intraperiodische Verlustverrechnung Verfassungsrechtlich ist bei allen drei Ertragsteuerarten eine umfassende intraperiodische Verlustverrechnung geboten. Im Rahmen der Einkommen- und Körperschaftsteuer bezieht sich dieses Gebot auf die Gesamteinkünfte eines Steuersubjekts innerhalb der Besteuerungsperiode, im Rahmen der Gewerbesteuer auf den Ertrag eines Gewerbebetriebs. Spezielle Beschränkungen der intraperiodischen Verlustverrechnung sind verfassungsrechtlich zulässig, wenn sie einem besonderen sachlichen Grund dienen und einer Verhältnismäßigkeitskontrolle standhalten. Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen sind demgegenüber wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich generell unzulässig. Im Rahmen der Einkommensteuer folgt aus dem Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums zudem, dass intraperiodische Verlustverrechnungsbeschränkungen nicht dazu führen dürfen, dass dem Steuerpflichtigen nach Saldierung aller positiven und negativen Einkunftsquellenergebnisse und dem Abzug der Steuerlast weniger als das Existenzminimum verbleibt. 4. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die interperiodische Verlustverrechnung Sowohl im Rahmen der Einkommen- und Körperschaftsteuer als auch im Rahmen der Gewerbesteuer ist verfassungsrechtlich eine umfassende interperiodische Verlustverrechnung im Wege des Verlustvortrags und des Verlustrücktrags geboten. Allgemeine Beschränkungen der interperiodischen Verlustverrechnung sind nur im Falle des Verlustrücktrags, nicht jedoch im Falle des Verlustvortrags verfassungsrechtlich zulässig. Spezielle Beschränkungen der interperiodischen Verlustverrechnung sind unter den gleichen Bedingungen zulässig wie im Rahmen der intraperiodischen Verlustverrechnung. 5. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die intersubjektive Verlustverrechnung Eine intersubjektive Verlustverrechnung ist im Bereich der Einkommensteuer nur zwischen Ehegatten verfassungsrechtlich geboten. Bezüglich der Körperschaftsteuer lässt sich verfassungsrechtlich keine Notwendigkeit für eine intersubjektive Verlustverrechnung herleiten. Der Gesetzgeber muss zwar dem Umstand, dass ein Konzern bei wirtschaftlicher Betrachtung eine Einheit bildet, steuerrechtlich Rechnung tragen. Eine intersubjektive Verlustverrechnung ist hierfür jedoch verfassungsrechtlich nicht zwingend erforderlich. Im Gewerbesteuerrecht ist eine intersubjek430
Zusammenfassung der Ergebnisse
tive Verlustverrechnung aufgrund des Objektsteuercharakters der Gewerbesteuer verfassungsrechtlich dann geboten, wenn lediglich der Unternehmensträger wechselt, die Unternehmensidentität jedoch gewahrt bleibt. 6. Vereinbarkeit der bestehenden Vorschriften zur intraperiodischen Verlustverrechnung mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben Die derzeit existierenden intraperiodischen Verlustverrechnungsbeschränkungen im EStG lassen sich in drei Gruppen einteilen. Einige Vorschriften sind de lege lata verfassungskonform, andere hingegen bereits konzeptionell verfassungswidrig. Die größte Gruppe bilden Vorschriften, die zwar de lege lata verfassungswidrig sind, jedoch vom Gesetzgeber de lege ferenda verfassungskonform ausgestaltet werden könnten. Die existierenden gewerbesteuerlichen und körperschaftsteuerlichen Regelungen zur intraperiodischen Verlustverrechnung sind verfassungskonform. 7. Vereinbarkeit der bestehenden Vorschriften zur interperiodischen Verlustverrechnung mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben Für die interperiodische Verlustverrechnung gilt für alle drei Ertragsteuerarten, dass die betragsmäßige Beschränkung des Verlustvortrags nach § 10d Abs. 2 EStG (i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG) bzw. § 10a S. 1-2 GewStG verfassungswidrig ist und de lege ferenda beseitigt werden muss. Im Bereich der Körperschaftsteuer ist zudem § 8c KStG als eindeutig verfassungswidrig zu qualifizieren. Die zeitliche und betragsmäßige Beschränkung des Verlustrücktrags nach § 10d Abs. 1 EStG (i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG) bzw. der gewerbesteuerliche Ausschluss des Verlustrücktrags sind hingegen grundsätzlich verfassungskonform. Lediglich dann, wenn eine anderweitige Verlustberücksichtigung nicht möglich ist, muss über die geltende Rechtslage hinaus ein außerordentlicher Verlustrücktrag ermöglicht werden. 8. Vereinbarkeit der bestehenden Vorschriften zur intersubjektiven Verlustverrechnung mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben Der weitgehende Ausschluss einer intersubjektiven Verlustverrechnung im geltenden Ertragsteuerrecht ist im Grundsatz verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Lediglich im Gewerbesteuerrecht muss de lege ferenda eine intersubjektive Fortführung des Verlustvortrags ermöglicht werden, wenn im Falle eines Wechsels des Unternehmensträgers die Unternehmensidentität gewahrt bleibt.
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Zusammenfassung der Ergebnisse
9. Vereinbarkeit der bestehenden Vorschriften zur grenzüberschreitenden Verlustverrechnung mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben Die Berücksichtigung der Auslandsverluste von Steuerinländern ist im Rahmen der Einkommen- und Körperschaftsteuer aufgrund des Welteinkommensprinzips verfassungsrechtlich im gleichen Umfang geboten wie bei einem reinen Inlandssachverhalt. Dies gilt auch dann, wenn die positiven Einkünfte durch ein Doppelbesteuerungsabkommen von der Besteuerung im Inland freigestellt sind. Demgegenüber ist bei der Gewerbesteuer aufgrund des Territorialitätsprinzips eine Berücksichtigung von Auslandsverlusten bei der Ermittlung der gewerbesteuerlichen Bemessungsgrundlage verfassungsrechtlich nicht geboten. De lege lata ist die Behandlung einkommen- und körperschaftsteuerlicher Auslandsverluste von Steuerinländern sowohl bei Geltung der Anrechnungsmethode als auch der Freistellungsmethode verfassungswidrig. In beiden Fällen muss eine Verrechnung mit inländischen Gewinnen zumindest für den Fall ermöglicht werden, dass eine Verlustberücksichtigung im Ausland nicht oder nicht mehr möglich ist. 10. Vorgaben für ein ökonomisch rationales Verlustverrechnungssystem Eine ökonomisch rationale Ausgestaltung der Verlustverrechnung sollte sich am Kriterium der Entscheidungsneutralität orientieren. Zur Verbesserung der Neutralitätseigenschaften der Ertragsbesteuerung sollte auf Beschränkungen der intraperiodischen Verlustverrechnung möglichst ganz verzichtet werden. Interperiodisch sollte der Verlustrücktrag zeitlich und betragsmäßig so weit wie möglich freigegeben werden. Innerhalb eines Konzerns und bei Umstrukturierungen ist eine intersubjektive Verlustverrechnung zu ermöglichen, um eine steuerliche Verzerrung von Organisations- und Strukturentscheidungen zu verhindern. Als abschließendes Fazit bleibt festzuhalten, dass die Ausgestaltung der Verlustverrechnung für eine leistungsfähigkeitsgerechte und ökonomisch rationale Besteuerung von entscheidender Bedeutung ist. Es ist zu hoffen, dass auch der Gesetzgeber dies erkennt und in Zukunft berücksichtigt.
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457
Stichwortverzeichnis Abgeltungssteuer 18, 40, 44 f., 188, 190, 194, 211, 339, 342, 421 f., 435, 439, 456 Abschnittsprinzip 231 ff., 235 f., 239 ff., 246, 258, 265, 369 Aktivitätsklausel (§ 2a EStG) 96 Anrechnungsmethode 94, 98, 103, 389, 399, 427, 432 Anteilsübertragung ̶ mittelbar 64 f. Äquivalenzprinzip 112 ff., 175, 243 Aufgabegewinn 325, 422 Beherrschungsvertrag 303 Belastungen ̶ außergewöhnliche 133 Belastungsgrundentscheidung 113, 117, 119, 123, 126 f. 136, 138, 152 ff., 169, 191, 194, 214, 216 f., 277, 280, 332, 346, 356, 377, 379, 385, 388, 390, 429 Bemessungsgrundlage 5 f., 10, 18, 24, 58, 99 f, 113 ff., 131 f., 138, 152, 158, 161, 166, 169, 174, 177, 185, 192, 197 ff., 207 ff., 218 ff., 232, 237, 244, 248 ff., 274, 276, 284, 288, 292, 294, 296, 306, 312, 340, 349 f., 364, 385, 388, 396, 399, 400, 404, 408, 413, 423, 432 ̶ Verbreiterung 116, 139, 400 Bestimmtheitsgrundsatz 109, 318 Beteiligungserwerb ̶ schädlicher 52, 61, 63 ff., 107 Betriebsstätte 54, 79, 83, 86, 93, 96, 100 ff., 107 f., 388, 396, 438 Betriebsstättenfiktion 86
BilMog 11, 308 Buchwertverknüpfung 292, 294, 359, 365 Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung 72 Doppelbesteuerung 94, 98, 100 f., 389, 393, 396 ff., 418 Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) 95, 98, 99 f., 103, 389, 393 ff., 399, 427, 455 Ehe und Familie (Art. 6 GG) 171, 306, 311 Ehegattensplitting 103, 311 Eigentumsgarantie 147 ff., 155, 159, 168, 212, 214, 277, 279, 307, 309, 318, 334, 340, 348, 375 Eingliederung ̶ finanzielle 21, 84 f. Einkunftsquelle 14, 20, 23, 28 ff., 50, 58 f., 82, 88, 92, 170, 178, 180 ff., 188, 196, 221 ff., 262 f., 295, 319, 333 f., 361, 366, 382, 392 Einlage ̶ nachträglich 24, 26, 28, 326 ff. ̶ zeitkongruent 26, 327 Einzelrechtsnachfolge 87, 92, 285, 295 Entscheidungsneutralität 3, 401 ff., 413 ff., 419, 423, 432 f. Erbfall und Verlustverrechnung 63, 87 f., 117, 285 f. 288, 290 f., 293, 295, 307, 309, 367, 380 Erbschaft- und Schenkungsteuer 117 f., 291 f. 459
Stichwortverzeichnis
Erfolgsperiodisierung 1, 325, 364, 421 Existenzminimum ̶ Steuerfreiheit 129 ff., 136, 147, 154, 165 f., 169, 171, 176 f., 183, 197, 198 f., 212, 220 ff., 224 ff., 248 ff,, 253, 277, 281, 314, 326, 348 ff., 389, 397 f., 429 f. Finanzplanung 264, 269 ff., 276, 278, 280, 282, 314, 337 f., 358 ff., 386, 411, 425 Fiskalpolitik 273, 276 Fiskalzweck 137 ff., 152 f., 156 f., 162, 165, 169, 206 f., 209, 214, 217, 274 f., 277, 322, 332, 337, 339, 346, 356, 372, 375, 384, 429 FMStFG 72 Folgerichtigkeitsgebot 37, 116 ff., 126, 135, 161, 169, 181, 189, 191, 239, 249, 390 Fördergebietsgesetz 10 Freistellungsmethode 94, 98, 100, 102, 389, 393 ff., 399, 418, 432 Gesamtrechtsnachfolge 15, 87, 89, 92, 285 f., 295, 306, 363 Gewerbebetrieb 34, 38, 40, 46, 48 ff., 51, 53 f., 79, 84, 88, 158, 164, 173, 182, 184 f., 188, 191, 193, 211, 232, 240, 254 ff., 261 f., 292, 305, 348, 368, 385, 387, 410, 421 Gewerbeertrag 6, 53 f., 93, 174, 182 Gewerbekapitalsteuer 53 Gewinnabführungsvertrag 84 f. 108, 303, 438 460
Grenzsteuersatz 101, 200, 286, 328, 404, 406 f., 410 Grundfreibetrag 131 f., 167, 394, Günstigerprüfung 45, 339 Haftungserweiterung 25 f., 326 Halbteilungsgrundsatz 149, 154 f., 168, 214 Handel mit Verlusten 75 f., 380, 382 f., 387, 424 Handlungsfreiheit ̶ allgemeine 147, 149, 167 f. Haushaltskonsolidierung 125, 205 ff., 209, 337, 356 Haushaltsplanung 264, 269 ff., 276, 278, 280, 282, 314, 337 f., 358 ff., 386, 411, 425 Identität ̶ rechtliche 75 f., 370, 376, 378 ̶ wirtschaftliche 75 ff., 369 f., 374, 376, 378 f. Individualbesteuerung ̶ Grundsatz der 14, 284, 288 f., 291, 293, 296 f., 302 ff., 376 Inlandsbezug ̶ doppelter 83 Investitionsneutralität 406, 414, 418 f. Kapitalexportneutralität 418 f. Kapitalimportneutralität 418 Kapitalkonto ̶ negatives 22 ff., 26 f., 50, 320, 323, 325 ff., 363 f., 421 Konzern 69, 83, 85, 107, 296, 302 ff., 373, 415, 428, 430 ̶ faktischer 302 ̶ Vertragskonzern 108, 302 ff., 313 Konzernklausel 69 ff., 371, 382
Stichwortverzeichnis
Kopfsteuer 112, 113, 403 Kopfsteuerprinzip 112, 114 Leistungsfähigkeit 9, 37, 112 ff., 121 f., 124, 131 ff., 137, 139, 142, 160, 169, 171 ff., 180 ff., 192 ff., 207 f., 225 f., 234, 236, 238, 241, 244 f., 248, 251 ff., 257 f., 260, 275, 285, 289 ff., 295 f., 298, 300 f., 303, 313, 324, 326, 352, 363, 365 f., 375, 377, 384, 388 ff., 393, 396, 398, 407, 419, 420, 429 Leistungsfähigkeitsindikator 117, 125, 135, 180, 182, 189, 191, 236, 240 f., 247, 249, 253, 255, 260 ff., 285, 288, 298, 388, 393 f., 398, 429 Leistungsfähigkeitsprinzip 113 ff., 120 ff., 131, 135, 137, 141 f., 147, 153, 169, 171 f., 179, 181, 195, 197, 200, 211, 231, 233, 235, 237, 243 f., 246, 254 f., 285, 288, , 290, 298, 319, 389, 395 Lenkungszweck 11, 125, 139 f., 203, 217, 282, 332, 334, 342 Liebhaberei 7, 12, 197, 344, 422 Liquiditätsnachteil 209, 216, 257, 411 Mantelkauf 74 ff., 373, 376, 379 ff., 383, 424 Mehrmütterorganschaft 21 f., 84, 205, 319 ff., 421 Mindestbesteuerung 3, 9, 13, 48 f., 56, 58 ff., 82, 92, 103, 179, 188, 190, 234, 236, 261, 271, 273 ff., 332, 346 ff., 355 ff., 361, 368, 375, 384, 400 f., 412, 414, 416, 418, 424
Mindestbesteuerungseffekt 16 f., 124, 128, 163 f., 181, 192 f., 207, 226, 413 Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten 66, 76, 141, 383 Missbrauchsvermeidung 28, 73, 141, 263, 373, 397 Negativsteuer auf Verluste 407 f., 410 f., 424 f. Nettoprinzip ̶ objektives 116, 119 ff., 132, 136 f,, 143, 161 ff., 169, 171 f., 177 ff., 188, 190, 192, 198 ff., 210 f., 214, 220 f., 225, 227, 230, 234 f., 238 f., 244, 253 ff., 258 f., 262, 320, 325, 329, 336, 339, 342 ff., 355, 369, 371, 379, 384, 389 f., 400, 429 ̶ subjektives 122, 132, 152, 163, 198 f., 221 Nichtaufgriffsgrenze 28 ff. Non-Affektationsprinzip 153 Objektsteuer 53 f., 79 f., 173, 182, 346, 377, 379, 385, 426 Organgesellschaft 21, 51, 67, 83 ff., 104, 108, 321 Organkreis 83, 85 ff., 104 ̶ überlappender 85 Organschaft 15, 22, 80, 83 ff., 104, 108, 320, 387, 415, 426, 427 ̶ gewerbesteuerliche 86 ̶ körperschaftsteuerliche 83 ff. Organschaftskette 85 Organsträger 21, 67, 83 ff., 104 f., 108, 320
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Stichwortverzeichnis
Periodeneinkommen 233, 236, 239 f., 244 f., 247, 253 f., 257, 260 Periodizitiät ̶ Grundsatz der 269 Personenidentität ̶ Grundsatz der 74 f. Personensteuer 170, 179, 377, 379 f., 382, 399 Progressionsvorbehalt ̶ negativer 97, 100 f., 395 Rechtsformneutralität 297 ff., 306, 310 f., 405 Rechtssicherheit 29, 246 f., 264 ff., 276, 278 f., 282, 314, 356, 358 ff., 386, 411 Rechtsstaatsprinzip 246 Rückfallklausel 394 Sanierungsklausel 71 ff., 77, 382 Schedulenbesteuerung 46, 177, 186 ff., 210 f., 218 f., 313, 340 f., 341, 351 SEStEG 89 ff., 370, 416 Sitzverlegung 382 Sonderabschreibung 11, 145, 196, 225 f. Sonderausgaben 55, 133 Sozialstaatsprinzip 220, 250 Spaltung 89 f., 297, 304, 387, 415, 417, 426 Spekulation 336, 342, 344 Spekulationsfrist 38, 345 Spekulationsverluste 336 Spreizung der Steuersätze 45, 339, 341 Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 2, 31, 33, 38, 42 f., 48, 57, 343 f., 396
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Steuererstattung 1, 177, 199 f., 252, 257, 286 f., 290, 341, 406, 408, 410 Steueridentifikationsnummer 360 Steuerpflicht ̶ beschränkte 93 ̶ fiktive unbeschränkte 108 ̶ unbeschränkte 84, 103 Steuerreformgesetz 1990 57, 76, 266, 355 Steuersenkungsgesetz 2000 38 Steuerstundung 11 ff., 145, 196, 262, 330, 333, 366, 392 Stille Reserven 7, 73 f., 91, 205, 291 ff., 361, 365, 383, 416 StVergAbG 77 f., 443 Symmetriethese 99 f., 389, 393, 427 Synthetische Besteuerung 18, 185 ff., 211, 339, 341 Teileinkünfteverfahren 35, 37, 40 f., 335, 422 Teilhabersteuer 171 f., 300 f. Territorialitätsprinzip 93, 98, 105, 388, 393 f., 398 f. Thesaurierungsbegünstigung 20, 46 f., 56 Totaleinkommen 12, 14 f., 230, 232 ff., 264, 275 f., 288 f., 294, 355, 359 Totalitätsprinzip 233 ff., 239, 242, 244, 246, 289 Transparenzprinzip 371 Trennungsprinzip 6, 297, 299, 304, 369 ff., 381 f. Typisierung 140 ff., 157, 166, 201, 203 ff., 212, 264, 268 f., 278 f., 314, 319 f., 322 f., 331 f., 336, 343 f., 347, 358, 373 f., 380, 383, 391 f.
Stichwortverzeichnis
Unternehmensidentität 79, 240, 305 f., 313 f., 376, 378, 385, 387, 426, 431 Unternehmensteuerreform 2008 33 f., 38 f., 41, 43, 45 f., 66, 78, 91, 344, 375 Unternehmensteuerreformgesetz 2008 2, 18, 341, 404 Unternehmeridentität 79, 370, 387, 426 Verhältnismäßigkeitsprüfgung 143, 146, 155 ff., 161, 164 f., 168 f., 202, 214, 277, 374, 392, 430 Verlustausgleich 15, 18 f.., 23, 28, 30, 32 ff., 41, 43 f., 46 ff., 54 f., 81 f., 85, 87, 103, 106, 179 ff., 185 ff., 195, 210, 216, 218 ff., 229, 255, 262, 312 f., 321, 327, 332, 339 ff,, 343, 346, 398, 408 f., 419 ̶ horizontaler 19 f., 23, 32, 34, 41, 44, 47, 51, 58, 81, 114 f., 131, 186, 420 ̶ vertikaler 19 f., 38, 41, 44 f., 46 f., 49, 51, 58, 81, 114, 179, 185 ff., 420 Verluste ̶ aus gelegentlicher Leistung 42 f., 58, 343, 368, 422 ̶ aus gewerblicher Tierzucht und Tierhaltung 11, 32, 50, 143, 334, 350, 366 ̶ aus Kapitalvermögen 19, 38, 44 f., 336, 339, 368 ̶ aus privaten Veräußerungsgeschäften 43, 344, 367 ̶ aus stillen Gesellschaften, Unterbeteiligungen oder
sonstigen Innengesellschaften an Kapitalgesellschaften 20, 319, 362 ̶ aus Termingeschäften im Betriebsvermögen 33, 341, 343, 368 ̶ bei beschränkter Haftung 22, 323, 324, 363 ̶ im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen 28, 32, 49 f., 55, 89, 92, 186, 196, 205, 262, 329 ff., 364 ff., 390 f. ̶ unechte 13, 177, 195 Verlustrücktrag 6, 16, 47, 50, 56, 59 f., 68, 79, 82, 103, 231 ff., 243, 245, 257 ff., 288 ff., 314, 337, 354, 358 ff., 365 ff., 386 f., 410 f., 419, 425 f., 432 ̶ außerordentlicher 269, 281, 286 f., 358 ff., 368, 386, 426, 431 Verlustverrechnung ̶ grenzüberschreitende 94, 97, 389, 427 ̶ interperiodische 18, 60, 78, 106, 177, 229 ff., 244, 254 f., 258 ff., 271, 276 ff., 305, 335, 354 f., 359 f., 363, 384 f., 387, 389, 400, 410, 413, 424, 430 f. ̶ intersubjektive 80 ff., 87, 91 f., 103, 176, 256, 269, 283 ff., 296 ff., 310, 313 f., 365, 387, 414 f., 418 f., 426, 430, 432 ̶ intraperiodische 18 f., 44, 51 f. 54, 176 f., 181, 187, 196, 198 f., 207 f., 210 ff., 225, 228 f., 233, 254 ff., 262 f., 276, 314, 318, 333 ff., 339, 344, 349, 351 ff., 394, 397, 408, 420, 423, 430 Verlustverrechnungsbeschränkung
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Stichwortverzeichnis
̶ allgemeine 16, 48, 124, 128, 163 f., 181, 192 f., 205 ff., 210, 212, 217, 226, 229, 314, 345, 413, 430 ̶ auf eine Einkunftsquelle 20, 177 f., 180 ̶ auf eine Einkunftsunterart 32, 38, 184 f., 361 ̶ betraglich 259 ff., 266, 268, 276, 278, 280, 282, 314, 355, 357, 384 ff., 424, 425, 431 ̶ Konkurrenzen 50 ̶ spezielle 16, 20, 181, 201, 212, 215, 229, 314, 318, 348, 352, 356, 368, 390, 408, 409, 420 ̶ zeitlich 57, 72, 258 f., 265 ff., 276, 278 ff., 356, 358 Verlustvortrag 43, 47, 56 ff., 67, 75, 78, 82, 90, 103, 208, 252, 255, 259 f., 264 f., 269 ff., 276, 279, 281, 289, 293 f., 306 ff., 314, 337, 354 ff., 370, 375, 379, 384, 387, 410 ff., 419, 421, 424 ff. ̶ Aktivierung des Steuerminderungspotentials 11, 307 ff. Verlustzuweisungsgesellschaft 13, 27, 31 f., 49, 143, 195 f., 323, 330 ff., 347, 348, 391, 420, 422
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Verschmelzung 64, 74, 89 ff., 297, 304, 370, 387, 415 f,, 426 Verschmelzungsrichtung ̶ Determinierung 91, 417 Verstetigung des Steueraufkommens 59, 264, 273 ff., 337, 356, 384 Vertragskonzern 108, 302 ff., 313 Verwaltungsvereinfachung 68, 140, 157, 264, 268 ff., 276, 278, 280, 282, 314, 336, 358 ff., 374, 386 Wachstumsbeschleunigungsgesetz 70, 72 f., 440 Welteinkommen 388, 394 Welteinkommensprinzip 93 f., 98, 103, 389, 393 f, 399, 418, Werkstorprinzip 125 f., 454 Willkürverbot 118, 134 ff., 161 f., 189, 201, 238, 247, 264, 390 Zielgrößenbesteuerung 404 Zinsnachteil 12, 209, 216, 256, 257, 411 Zusammenveranlagung 15, 56, 80 ff., 103, 108, 314, 357 f., 387, 426 Zweck-Mittel-Relation 144, 152