Das Sakramentar aus Tyniec: Eine Prachthandschrift des 11. Jahrhunderts und die Beziehungen zwischen Köln und Polen in der Zeit Kasimirs des Erneuerers [1 ed.] 9783412502799, 9783412511821


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German Pages [457] Year 2018

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Das Sakramentar aus Tyniec: Eine Prachthandschrift des 11. Jahrhunderts und die Beziehungen zwischen Köln und Polen in der Zeit Kasimirs des Erneuerers [1 ed.]
 9783412502799, 9783412511821

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Forschungen zu Kunst, Geschichte und Literatur des Mittelalters BAND 2

Herausgegeben von Klaus Gereon Beuckers, Andreas Bihrer und Timo Felber

Klaus Gereon Beuckers, Andreas Bihrer (Hg.) unter Mitarbeit von Ursula Prinz

Das Sakramentar aus Tyniec Eine Prachthandschrift des 11. Jahrhunderts und die Beziehungen zwischen Köln und Polen in der Zeit Kasimirs des Erneuerers

BÖHLAU VERLAG  WIEN KÖLN WEIMAR

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über  http://dnb.d-nb.de  abrufbar. 1. Auflage 2018 © 2018 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Sakramentar aus Tyniec, pag. 34 Korrektorat: Claudia Holtermann, Bonn Umschlaggestaltung: Guido Klütsch, Köln Satz und Layout: Punkt für Punkt . Mediendesign, Düsseldorf Reproduktionen: Pixelstorm, Wien

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage  |  www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-50279-9

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Grußwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Klaus Gereon Beuckers Das Kölner Sakramentar in Polen. Zur Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Ursula Prinz Das Sakramentar aus Tyniec. Eine Forschungschronologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Sławomir Szyller Das Sacramentarium Tinecense. Zur Geschichte und zu ausgewählten kodikologischen Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Paweł Figurski Political Liturgies, Cologne’s Manuscript Culture, and Historical Myths. The Provenance of the Sacramentary of Tyniec . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Harald Horst Das Sakramentar aus St. Vitus in Mönchengladbach (UB Freiburg, Hs. 360a). Die Parallelhandschrift des Tyniec-Sakramentars im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Beate Braun-Niehr Das Abdinghofer Evangeliar im Berliner Kupferstichkabinett. Beobachtungen und Fragen zu seiner Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Joshua O’Driscoll Pictorial Innovation in Ottonian Cologne. The Morgan Gospels (MS M.651) and the Moment of the Reiche Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Andreas Bihrer Die Beziehungen zwischen dem ostfränkisch-deutschen Reich und Polen im 11. Jahrhundert. Forschungsprobleme – Forschungsansätze – Forschungsfragen . . 163 Ludwig Steindorff Die Kiever Rus’ und das Reich im 10. und 11. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

Inhalt | 5

Ernst-Dieter Hehl Das Reich und seine Nachbarn im Osten von Otto III. bis Konrad II. Bistümer als Gestaltungs- und Verstetigungsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 Janina Lillge Alte und neue Verwandte? Funktionen der Verwandtschaft in der Historiographie der spätottonisch-salischen Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 Grzegorz Pac Richeza, Queen of Poland: Profiting from Ottonian Descent and Royal Status . . . 228 Eduard Mühle Kasimir I., Krakau und die Restauration piastischer Herrschaft in den 1040/50er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Christian Hillen Zwischen Köln und Krakau, Klosterreform und Erzbistum. Zur Politik Erzbischof Hermanns II. von Köln (amt. 1036–1056) . . . . . . . . . . . . 261 Rudolf Schieffer Die Kölner Klosterlandschaft des 11. Jahrhunderts und die kirchliche Entwicklung in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Roman Michałowski Aaron von Krakau und die Gründung der Abtei Tyniec . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Aneta Bukowska und Sebastian Ristow Piasten und Ottonen. Archäologische Forschungen zum Beginn des Hochmittelalters in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Aneta Bukowska Die Architektur des Wawels in Krakau unter Kasimir dem Erneuerer und ihre Beziehungen in das Rheinland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Teresa Rodzińska-Chorąży The Church of St. John the Baptist in Giecz as Evidence of the Relations of the Piast Court with the Rheinland in the 11th century . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Farbtafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376

6 | Inhalt

Vorwort

Kunstwerke sind ebenso wie Schriftzeugnisse Quellen historischer Zusammenhänge. Ihre Form, Herkunft und Entstehungszusammenhänge bilden wie ihre Nutzung und ihr weiterer Verbleib historische Kontexte ab. In diesem Bewusstsein stellt das um die Mitte des 11.  Jahrhunderts in Köln entstandene, heute in der Warschauer Nationalbibliothek (BOZ 8) verwahrte Sakramentar aus Tyniec ein besonders interessantes Objekt dar, da es zu einer Zeit entstand, als die Beziehungen zwischen Köln und Krakau in der Person von Kasimir dem Erneuerer und seiner Mutter Königin Richeza aus dem Geschlecht der rheinischen Pfalzgrafen sowie des ottonischen Kaiserhauses besonders eng waren. Die Beiträge dieses Bandes sind Vorträge, die auf der internationalen Tagung „Das Sakramentar aus Tyniec. Eine Prachthandschrift aus Köln und der polnische Neuanfang unter Kasimir dem Erneuerer“ vom 29. Juni bis 2. Juli 2017 an der Kieler Christian-­ Albrechts-Universität gehalten wurden. Die Tagung zielte auf eine interdisziplinäre ­Diskussion zwischen den verschiedenen historischen Wissenschaften der Geschichte, Kunstgeschichte und Mittelalterarchäologie und suchte den Brückenschlag zwischen der polnischen und der deutschen Forschung. Sie war eine wichtige Etappe im Kieler Forschungsprojekt zu der Kölner Buchmalerei des 10./11. Jahrhunderts, in dem die Handschriften in ihren historischen Kontext eingebettet werden und aus dem heraus bereits Bände zum Hitda-Codex (Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt, Hs. 1640; Darmstadt 2013), zum Gerresheimer Evangeliar (Pfarrkirche St. Margareta in Gerresheim; Köln 2016) und zum Evangeliar aus St. Maria ad Gradus (Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek Köln, Cod. 1001; Luzern 2018) erschienen sind; ein Band zum Lyskirchener Evangeliar (Pfarrkirche St. Georg in Köln) befindet sich in Vorbereitung. Wir danken allen, die uns tatkräftig bei der Tagung und bei dem hier vorliegenden Buch unterstützt haben. Dies gilt zuallererst den Autoren, die sich in großer Offenheit der Auseinandersetzung mit den von uns vorgeschlagenen Themen gestellt haben, in Kiel ausführlich diskutiert, ihre Beiträge innerhalb eines kurzen Zeitraums verschriftlicht und für die Publikation zur Verfügung gestellt haben, so dass wir den Tagungsband erneut binnen Jahresfrist nach dem Zusammentreffen vorlegen können. In den Dank eingeschlossen seien die Moderatoren der Tagung, die erheblich zum Gelingen beigetragen haben. Wir danken der Universität Kiel und hier sowohl dem Präsidium als auch dem Collegium Philosophicum sowie dem Historischen Seminar und dem Institut für Kunstgeschichte für die Finanzierung. Wir fühlen uns sehr geehrt, dass der Dekan der Philosophischen Fakultät, Herr Professor Dr. Michael Düring, nicht nur ein Grußwort zur Tagung

Vorwort | 7

sowohl in Polnisch als auch in Deutsch gesprochen, sondern dieses in gekürzter Form auch für den Tagungsband aufbereitet hat. Entscheidenden Anteil an der Vorbereitung und der Durchführung der Tagung sowie der Redaktion des Tagungsbandes hatte Ursula Prinz M.A., ohne deren Polnisch-Kenntnisse und deren fachliche Souveränität in Fragen der Kölner Buchmalerei dieses Projekt nicht möglich gewesen wäre. Ihr Beitrag auf der Tagung zur Ornamentik des Sakramentars aus Tyniec wird im Band durch eine Vorstellung des Forschungsstandes ersetzt, da sie gleichzeitig ein selbständiges Buch zur Rahmenornamentik der Kölner Buchmalerei veröffentlicht hat (Köln 2018), in dem das Sakramentar ausführlich behandelt wird. Wir danken der Warschauer Nationalbibliothek und dort vor allem Frau Bibliothekarin Anna Romaniuk, die uns die Handschrift in Warschau zur Einsicht vorgelegt und uns großzügig die Bildrechte für die Veröffentlichung überlassen hat. Auf der Kieler Tagung wurde sie durch Ewa Kobylińska vertreten, der wir für ihr Kommen herzlich verbunden sind. Wir danken dem Team des Kunsthistorischen Instituts um Sabine Lemke sowie ­Gabriele Langmaack vom Historischen Seminar für die tatkräftige Unterstützung bei der ­Tagung und im Hintergrund, Frau Paula König für die hilfreiche Mitarbeit in der Text­ redaktion, Frau Vivien Bienert M.A. für die hervorragende Bildredaktion sowie Frau Kirsti Doepner vom Böhlau-Verlag, die zur Tagung angereist ist und das gesamte Projekt im Verlag erneut zuverlässig und angenehm betreut hat. Kiel, im Frühjahr 2018 Klaus Gereon Beuckers und Andreas Bihrer

8 | Vorwort

Grußwort

Meine sehr geehrten Damen und Herren, als mein Kollege Klaus Gereon Beuckers mich vor einigen Monaten fragte, ob ich nicht ein Grußwort zur dem Sakramentar aus Tyniec gewidmeten Tagung sprechen könnte, habe ich nicht lange überlegt und sofort zugesagt. Und wie Sie jetzt lesen, wollte ich nicht nur ein Grußwort beisteuern, sondern hatte sogar versprochen, die Kolleginnen und ­Kollegen auch auf Polnisch zu begrüßen. Es war mir natürlich eine große Freude und Ehre, diese Tagung, deren Ertrag Sie nun in Ihren Händen halten, zu eröffnen. Und das schreibe ich nicht nur aus Höflichkeit, weil Dekane nun einmal häufig genug als Eröffnungsredner für Tagungen angefragt werden. Im Gegenteil, die Tagung war und der jetzt vorliegende Sammelband ist, auch wenn er auf den ersten (und vermutlich auch zweiten) Blick ein sehr spezifisches Thema behandelt, für mich auch inhaltlich von Interesse. Warum ist das so? Nun, als Verfasser dieses Grußwortes war ich seinerzeit nicht nur als Dekan anwesend, sondern auch als Slavist und Polonist – die die Tagung bestimmende Auseinandersetzung mit deutsch-polnischen kulturellen Beziehungen liegt mir allein deswegen sehr am Herzen. Darüber hinaus gibt es an der Philosophischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel einen Doppelabschluss-Masterstudiengang, der den Titel „Interkulturelle Studien: Polen und Deutsche in Europa“ trägt und die beiden Kulturräume Studierenden aus verschiedenen Perspek­ tiven näherbringt. Und so haben die Tagung und der jetzt vorliegende Sammelband ­exemplarisch gezeigt, wie weit wir in der gemeinsamen Historie zurückgehen können, nämlich fast ein Jahrtausend, um bereits intensive, enge politisch-kulturelle Verzahnungen zwischen dem polnisch- und deutschsprachigen Raum zu finden, deren Herrscher sich in Mitteleuropa und Ostmitteleuropa eben nicht immer nur kriegerisch begegneten. Es ist mir somit eine große Freude, wie seinerzeit in den Vorträgen nun auch in den vorliegenden Beiträgen viel Anregendes lesen und zugleich lernen zu können – etwa, dass es schon zu Zeiten Ottos III. (amt. 983–1002) eine ‚Ostpolitik‘ gab, dass die polnische Königin Richeza 1063 in ihrer Heimatstadt Köln beigesetzt wurde, dass auf vielerlei Ebenen im 11. Jahrhundert Bezüge zwischen Krakau und Köln existierten, dass ein Kölner Evangeliar bis nach New York gelangte oder dass das Sakramentar aus Tyniec ein Produkt der Kölner Buchmalerei ist. Ich könnte nun noch auf andere Beiträge des vorliegenden Sammelbandes eingehen, aber ich bin schließlich weder Historiker noch Kunsthistoriker und möchte mich nicht auf Glatteis begeben. Stattdessen erlaube ich mir noch einmal an das Erkenntnisinteresse der Tagung zu erinnern, so wie es im Flyer seinerzeit vermerkt war: „Die Tagung möchte das Sakramentar in seinem kunsthistorischen, liturgischen und historischen Zusammenhang

Grußwort | 9

vor dem Hintergrund der Reichspolitik und der Politik in Polen sowie der handelnden Perso­ nen in den Blick nehmen und somit einen umfassenden historischen Kontext neu erschließen“. Dass dieses Erkenntnisinteresse Früchte getragen hat, zeigen die anregenden Beiträge des Sammelbandes, die, und ich wiederhole mich hier gern, zugleich die engen polnisch-deutschen kulturellen Beziehungen im Zentrum Europas zeigen, die es in Zeiten wie diesen besonders intensiv zu pflegen gilt. Kiel, im Januar 2018 Prof. Dr. Michael Düring Dekan der Philosophischen Fakultät

Szanowni Państwo, kiedy przed kilkoma miesiącami mój kolega, Klaus Gereon Beuckers, zapytał mnie, czy mógłbym uroczyście otworzyć konferencję poświęconą Sakramentarzowi Tynieckiemu, nie zastanawiałem się długo i zgodziłem się natychmiast. Zgodziłem się jednak nie tylko wygłosić mowę inauguracyjną, ale wręcz obiecałem powitać kolegów i koleżanki również po polsku. Byłem bardzo zaszczycony, że mogłem otworzyć konferencję, której plon trzymają Państwo w ręku. I piszę to nie tylko z grzeczności, ponieważ w ostatnim czasie dziekani często proszeni są o otwieranie konferencji, a wręcz przeciwnie, muszę stwierdzić, że zarówno konferencja, jak i niniejszy tom pokonferencyjny – choć na pierwszy (a nawet i drugi) rzut oka mogłoby wydawać się, iż poświęcone są bardzo specyficznej tematyce – osobiście bardzo mnie zainteresowały. Dlaczego? Jako autor mowy inauguracyjnej byłem obecny na konferencji nie tylko jako dziekan, ale także jako slawista, a dokładniej polonista. Dlatego też badania nad polsko-niemiecką przestrzenią kulturową leżą mi szczególnie na sercu, również w związku z tym, iż na Wydziale Filozoficznym Uniwersytetu Christiana Albrechta w Kilonii od kilku lat działa międzynarodowy, dwudyplomowy kierunek studiów pod nazwą „Studia międzykulturowe: Polacy i Niemcy w Europie“. I właśnie konferencja i niniejsze dzieło zbiorowe są dowodem na to, że, przeglądając karty naszej wspólnej historii, możemy sięgać bardzo daleko wstecz (bo prawie o całe tysiąclecie), aby znaleźć ścisłe związki polityczno-kulturowe między polsko- i niemieckojęzycznymi obszarami, których władcy spotykali się w Europie Środkowej i Środkowo-Wschodniej nie tylko przy okazji wojen. Ucieszyłem się zatem niezmiernie, mogąc wyczytać i przy okazji nauczyć się wielu ciekawych rzeczy z tytułów referatów oraz napisanych na ich postawie artykułów do niniejszego tomu, jak na przykład tego, że polityka wschodnia istniała już za panowania Ot-

10 | Grußwort

tona III (983–1002), że królowa Polski Rycheza 1063 została pochowana w Kolonii – swoim mieście rodzinnym, że w XI wieku na wielu płaszczyznach istniały powiązania pomiędzy Krakowem a Kolonią, że Ewangeliarz Koloński dotarł aż do Nowego Jorku, że Sakramentarz Tyniecki jest produktem kolońskiego malarstwa książkowego. Mógłbym się jeszcze powoływać na kolejne artykuły, ale w końcu nie jestem ani historykiem, ani historykiem sztuki i nie chciałbym kroczyć po tak cienkim lodzie. W zamian za to pozwólcie mi Państwo jeszcze raz zwrócić uwagę na wartość poznawczą konferencji, jak to uczyniono w ulotce informacyjnej: „Celem konferencji jest spojrzenie na Sakramen­ tarz [Tyniecki] od strony zabytkowej, liturgicznej i historycznej na tle polityki niemieckiej i polskiej oraz działających osób i tym samym ukazanie nowego, rozległego kontekstu history­ cznego.“ Ciekawe artykuły składające się na niniejszy tom świadczą o sukcesie konferencji i – tutaj może znowu się powtórzę – wskazują na ścisłe polsko-niemieckie związki kulturowe w centrum Europy, które należy pielęgnować, szczególnie w dzisiejszych czasach. Kilonia, styczeń 2018 r. Prof. Dr. Michael Düring Dziekan Fakultetu Filozoficznego

Grußwort | 11

Klaus Gereon Beuckers

Das Kölner Sakramentar in Polen Zur Einleitung

Das Sakramentar aus Tyniec fällt aus der Gruppe der Prachthandschriften Kölner Produktion des 10. und 11. Jahrhunderts, die oft als ‚ottonische Kölner Malerschule‘ bezeichnet wird, heraus. Unter den neunzehn aus Kölner Skriptorien stammenden Codices ist für neun Werke eine Kölner Bestimmung gesichert oder sehr wahrscheinlich, mindestens drei Handschriften wie der Hitda-Codex aus Meschede (Hessische Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt, Hs. 1640), das Gerresheimer Evangeliar (Schatzkammer St. Margareta, Düsseldorf-Gerresheim) oder das Sakramentar aus der Abtei Mönchengladbach (Universitätsbibliothek Freiburg, Hs. 360a) stammen aus dem direkten Umfeld Kölns.1 Völlig ohne ältere Provenienz sind die Evangeliare in Gießen (Universitätsbibliothek, Hs. 660) und London (British Museum, Harley MS 2820) sowie die Nürnberger Einzel­ blätter (Germanisches Nationalmuseum, Kupferstichkabinett, Mn 394 u. 395), da sie über frühe Sammlungen bzw. den Kunsthandel an ihre heutigen Verwahrorte gekommen sind. Eine Kölner oder rheinische Herkunft ist dabei zumindest für die Londoner Handschrift höchst wahrscheinlich, die über die Düsseldorfer Sammlung von Kurfürst Johann Wilhelm (verst. 1716) nach England gelangte.2 Ähnliches gilt für das heute in Mailand aufbewahrte Evangeliar (Biblioteca Ambrosiana, C 53 sup.), dem im 14./15. Jahrhundert

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Zu den Provenienzen vgl. Peter Bloch / Hermann Schnitzler: Die ottonische Kölner Malerschule, 2 Bde., Düsseldorf 1967/70, Bd. 2, S. 27 f. – Die Herkunft des New Yorker Evangeliars (Pierpont Morgan Library New York, MS M. 651) aus St. Aposteln in Köln ist unsicher, eine Provenienz aus Köln aber wahrscheinlich; vgl. den Beitrag von Joshua O’Driscoll in diesem Band. – Das Berliner Evangeliar aus Kloster Abdinghof bei Paderborn (Staatliche Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz Kupferstichkabinett, Cod. 78 A 3) stammt wahrscheinlich ursprünglich aus St. Severin in Köln; vgl. den Beitrag von Beate Braun-Niehr in diesem Band.  – Zur Provenienz des Gundold-Evangeliars (Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Cod. bibl. qt. 2a/b) vgl. Klaus Gereon Beuckers: Das Gundold-Evangeliar in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. Bemerkungen zu einem Kölner Prachtcodex des 10./11. Jahrhunderts, in: Philologia sanat. Studien für Hans-Albrecht Koch zum 70. Geburtstag, hg. v. Gabriella Rovagnati und Peter Sprengel, Frankfurt am Main 2016, S. 41– 65. Vgl. http://www.bl.uk/manuscripts/FullDisplay.aspx?ref=Harley_MS_2820 (letzter Zugriff: 20.12.2017).

Das Kölner Sakramentar in Polen  |  13

das Fest der Kölner Jungfrauenheiligen nachgetragen wurde; die Handschrift befand sich damals also noch im Kölner Raum. Heraus fallen nur das Evangeliar aus St. Gérard de Brogne (Bibliothèque du Grand Séminaire Namur, M 43 [13]), das Evangeliar aus dem Bamberger Dom (Bamberg, Staatliche Bibliothek, Msc. Bibl. 94) sowie das Sakramentar aus der Abtei Tyniec bei Krakau (Biblioteka Narodowa Warschau, BOZ 8), für die Kölner Beziehungen nicht explizit belegt sind. Die Reformabtei Brogne bei Namur war allerdings seit dem 10. Jahrhundert mit der Kölner Pantaleonsabtei verbunden. Das Evangeliar könnte also als Geschenk zur ­Kirchenweihe oder anlässlich eines hochrangigen Besuchs im 11. Jahrhundert dorthin gelangt sein.3 Auch zum Bamberger Dom unterhielt Köln enge Beziehungen; Erzbischof Pilgrim (amt. 1021–1036), während dessen spätem Episkopat der Codex entstanden sein dürfte, war vor seiner Kölner Ernennung Bamberger Domprobst. Es ist gut denkbar, dass er seinem alten Wirkungsort ein Prachtexemplar der unter ihm neu belebten Kölner Handschriftenproduktion schenkte, vielleicht mit einer Bestimmung zur Memoria. Eine mögliche Gelegenheit dafür könnte der Bamberger Hoftag 1035 gewesen sein, wo Gunhild, die Tochter König Knuts des Großen, im Beisein Kaiser Konrads  II. mit Heinrich III. verlobt wurde.4 Pilgrim geleitete den Hof nach Nimwegen, wo Anfang Juni die länger vorbereitete Hochzeit feierlich stattfand, bevor Pilgrim Gunhild/Kunigunde wenige Tage später zur Königin krönte. Insgesamt wurden also alle überlieferten Kölner Prachthandschriften für eine Bestimmung in und um Köln hergestellt oder waren Kölner Geschenke. Das Sakramentar aus Tyniec scheint mit seiner fernen polnischen Provenienz hiervon abzuweichen. Die Forschung hat deshalb schon sehr früh nach Verbindungen zwischen Tyniec oder Krakau und Köln gesucht und diese nicht zuletzt in Königin Richeza gefunden,5 die als Tochter von Mathilde und Ezzo aus der Verbindung des ottonischen Kaiserhauses mit dem Geschlecht der bei Köln beheimateten rheinischen/lothringischen Pfalzgrafen

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Zur Abtei und ihrer Baugeschichte vgl. grundlegend Eugène del Marmol: L’abbaye de Brogne ou de Saint-Gérard, in: Annales de la Société Archéologique de Naumur 5 (1857), S. 225–286 u. 373–450 (SD 1858). – Dom G. François: Notice archéologique sur l’ancienne abbaye de Saint-Gérard, Maredsous 1955. – Jean-Pierre Devroey: Documents inédits de l’abbaye Saint-Pierre de Brogne au XIe siècle, in: Bulletin de la Commission royale d’Histoire 148 (1982), S. 205–227. Vgl. Hansmartin Schwarzmaier: Das Kind als Königin. Gunhild († 1038) am deutschen Hof, in: Von Speyer nach Rom. Wegstationen und Lebenspuren der Salier, Sigmaringen 1991 (ND 1992), S. 72–77. – Andreas Bihrer: Begegnungen zwischen dem ostfränkisch-deutschen Reich und England (850–1100). Kontakte, Konstellationen, Funktionalisierungen, Wirkungen (Mittelalter-Forschungen, Bd. 39), Stuttgart 2012, insb. S. 306–310 u. 324–329. – Die Bamberger Verlobung bezeugen die Hildesheimer Annalen, ed. v. Georg Waitz (MGH Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum seperatim editi, Bd. 8), Hannover 1878, S. 39. Zur Forschungschronologie vgl. den Beitrag von Ursula Prinz in diesem Band.

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stammte.6 Als älteste Tochter aus der bald nach 991 geschlossenen Ehe wurde Richeza bereits im Jahre 1000 bei dem Akt von Gnesen auf Vermittlung ihres Onkels, Kaiser Otto III., mit dem piastischen Thronfolger Mieszko II. verlobt. Pfingsten 1013 wurde die Ehe in Merseburg geschlossen. Die polnischen Wirren ab 1025 und der Tod Mieszkos 1034 ließen Richeza spätestens 1036 endgültig bis zu ihrem Tod 1063 ins Reich zurückkehren, wo sie sich seitdem unter anderem dem Ausbau des ezzonischen Familienklosters Brauweiler bei Köln widmete. In enger Übereinkunft handelte sie dabei mit ihrem Bruder Erzbischof Hermann II. von Köln (amt. 1036–1056).7 Richezas Sohn Kasimir (verst. 1058) hielt sich in der zweiten Hälfte der 1030er Jahre im Umkreis des kaiserlichen Hofes auf, bevor er wohl im Sommer 1041 mit Unterstützung aus dem Reich nach Polen zurückkehrte und von Krakau ausgehend die piastische Herrschaft wiederaufbaute, wofür er den Beinamen ‚der Erneuerer‘ erhielt.8 Kasimirs Sohn Bołeslaw II. (amt. 1058–1081) setzte dessen Werk fort. Mit ihnen ist auch die Gründung der Abtei Tyniec bei Krakau 6

Zu Richeza vgl. Marlene Nikolay-Panter: Königin Richeza (um 1000–1063?), in: Rheinische Lebensbilder 12 (1991), S. 25–46. – Klaus Gereon Beuckers: Die Ezzonen und ihre Stiftungen. Eine Untersuchung zur Stiftungstätigkeit im 11. Jahrhundert (Kunstgeschichte, Bd. 42), Münster 1993, S. 30–37 u. 69–86. – Richeza. Königin von Polen und Gönnerin der Abtei Brauweiler. Beziehungen zwischen Deutschen und Polen vor 1000 Jahren, Ausst. Kat. Verein für Geschichte und Heimatkunde Pulheim / Museum der Ersten Piasten an der Lednica, hg. v. Peter Schreiner (Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde, Sonderveröffentlichung Bd. 19), Pulheim 1998. – Art. Richeza, Königin von Polen († 1063), in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 21, Berlin 2003, S. 516 f. (Amalie Fössel). – Peter Schreiner: Richeza. Die polnische Königin aus dem Rheinland. Anfänge der Beziehungen zwischen Deutschen und Polen im 11. Jahrhundert (Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde, Sonderveröffentlichung Bd. 35), Pulheim 2012. – Vgl. auch den Beitrag von Grzegorz Pac in diesem Band. Zu Hermann II. vgl. Heribert Müller: Die Kölner Erzbischöfe von Bruno I. bis Hermann II. (953– 1056), in: Kaiserin Theophanu. Begegnung des Ostens und Westens um die Wende des ersten Jahrtausends. Gedenkschrift des Kölner Schnütgen-Museums zum 1000. Todestag der Kaiserin, hg. v. Anton von Euw und Peter Schreiner, 2 Bde., Köln 1991, Bd. 1, S. 15–32, hier S. 29–32. – Beuckers 1993 (wie Anm. 6), S. 27–30 u. 176–222. – Hellmuth Kluger: Propter Claritatem Generis. Geneaologisches zur Familie der Ezzonen, in: Köln. Stadt und Bistum in Kirche und Reich des Mittelalters. Festschrift für Odilo Engels zum 65. Geburtstag, hg. v. Hanna Vollrath und Stefan Weinfurter (Kölner Historische Abhandlungen, Bd. 39), Köln 1993, S. 223–258, insb. S. 250–257.  – Klaus Gereon Beuckers: Der salische Neubau von St. Maria im Kapitol. Zum Baukonzept in seinem historischen Kontext, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische Kirchen Köln 24 (2009), S. 49–70, insb. S. 56–66. – Klaus Gereon Beuckers: Die Stiftungen der Ezzonen. Manifestationen politischer und geistlicher Stellung unter den späten Ottonen und frühen Saliern in Lothringen, in: Verortete Herrschaft. Königspfalzen, Adelsburgen und Herrschaftsbildung in Niederlothringen während des frühen und hohen Mittelalters, hg. v. Jens Lieven, Bert Thissen und Ronald Wientjes (Schriften der Heresbach-Stiftung Kalkar, Bd. 16), Bielefeld 2014, S. 255–285, insb. S. 278–283 mit weiterer Lit. – Vgl. auch den Beitrag von Christian Hillen in diesem Band. Zu Kasimir vgl. den Beitrag von Eduard Mühle in diesem Band  

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eng verbunden, die spätestens Anfang der 1070er Jahre unter Bolesław erfolgt ist und wo sich das Sakramentar spätestens in der Frühen Neuzeit befunden hat.9 Der Herrschaftsausbau Kasimirs ging mit einem Ausbau des Krakauer Burgbergs, des Wawel, einher, auf dem nicht nur Pfalzgebäude, sondern auch die Kathedrale und weitere Kirchen Platz fanden. Die spätere Tradition schreibt die Aufwertung Krakaus einem Erzbischof Aaron zu, der nach Meinung einiger Forscher aus dem monastischen Umkreis von Köln oder Lüttich gekommen sein soll und auch für die Etablierung einer Mönchsgemeinschaft verantwortlich gemacht wird, die dann später Ausgangspunkt von Kloster Tyniec gewesen sei. Die Grundlagen für solche Konstruktionen sind aus den Quellen kaum zu belegen,10 jedoch zeigt die Kirchengruppe auf dem Wawel deutliche Bezüge zu Köln. So ist für die im zweiten Drittel des 11. Jahrhunderts errichtete Kirche östlich des Domes das Patrozinium des Kölner Heiligen Gereon belegt, das bereits im Spätmittelalter durch Maria von Ägypten verdrängt wurde. Möglicherweise lassen sich auch in der Architektur Bezüge zu Kölner Bauformen erkennen.11 Noch aussagekräftiger ist das Patrozinium des archäologisch in die erste Hälfte des 11. Jahrhunderts datierten, bereits im 16. Jahrhundert durch Räume des heutigen Schlosses überbauten Zentralbaus, das den Heiligen Felix und Adauctus zugeeignet war. Die Häupter der beiden römischen Heiligen waren 1024 durch Erzbischof Pilgrim aus Rom nach Köln überführt worden, und sie erfuhren dort in der Kirche des neu gegründeten Apostelstifts eine aufwendige Verehrung.12 Eine breitere Streuung hat ihre Verehrung trotz des Eintrags im Kalendar des Gregorianischen Sakramentars sonst nicht gefunden, bis 1361 Reliquien aus Eschau am Oberrhein, wo sie seit karolingischer Zeit verwahrt worden sein sollen, an den Wiener Stephansdom kamen. Die Wahl dieser beiden Patrozinien im 11. Jahrhundert kann sich somit nur auf Köln beziehen. Es wäre insgesamt also nicht abwegig, wenn in dieser Zeit auch ein Prachtsakramentar aus Köln nach Krakau gebracht worden wäre. Hier setzt der vorliegende Band an und stellt in einem ersten Schritt das Sakramentar selbst, seine Geschichte sowie Überlieferung und seinen kunsthistorischen Umkreis durch weitere Handschriften wie das Freiburger Sakramentar sowie das Berliner und das New Yorker Evangeliar vor, um dann die historischen Verbindungen zwischen Köln und Krakau zu behandeln. Dies wird zuerst auf der Grundlage allgemeiner personeller Beziehun 9 Zur Gründung von Tyniec und zur Herkunft des Sakramentars aus Tyniec vgl. die Beiträge von Roman Michałowski und Sławomir Szyller in diesem Band. 10 Vgl. dazu die Beiträge von Roman Michałowski und Rudolf Schieffer in diesem Band. 11 Vgl. zu beiden Bauten den Beitrag von Aneta Bukowska in diesem Band. 12 Vgl. Friedrich Wilhelm Oediger: Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter, Bd. 1: 313– 1099 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Bd. 21.1), Bonn 1954/61, S. 210, Nr. 709. – Gottfried Stracke: Köln: St. Aposteln (Stadtspuren – Denkmäler in Köln, Bd. 19), Köln 1992, insb. S. 128. – Hans-Joachim Kracht / Jakob Torsy: Reliquiarium Coloniense (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 34), Siegburg 2003, S. 251 f.

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gen und Strukturen mit Blick auch in die Kiever Rus’ getan, um dann die relevanten Personen selbst mit Richeza, Kasimir, Hermann sowie Aaron und die Überlieferung zu ihnen in den Blick zu nehmen. Abgerundet wird der Band durch Beiträge zur Archäologie, die die frühpiastischen Bauaktivitäten zusammenstellen und insbesondere anhand des Wawels, des Gründungsbaus von Tyniec und der Kirche von Giecz auch Fragen nach Beziehungen zu kölnisch-rheinischen Bauformen diskutieren. * Für eine Bewertung der engen Verbindungen von Köln und Krakau unter Richeza und Kasimir als Hintergrund für die Verbringung des Sakramentars nach Polen ist seine Datierung grundlegend. Nachdem die frühere Forschung sowohl auf polnischer als auch auf deutscher Seite – einschließlich Hermann Schnitzlers selbst13 – meist eine Datierung um 1060 vertreten hatte, setzten Bloch / Schnitzler die gesamte ‚Strenge Gruppe‘ spät in die 1070/80er Jahre, weil sie Vergleiche heranzogen, deren Entstehung sie nach dem Brand der Xantener Stiftskirche 1081 datierten.14 Bereits Ulrich Kuder hat 1989 in seiner damals nur in München und Stuttgart zugänglichen Habilitationsschrift diese Argumentation demontiert,15 da zum einen die Vergleiche aus dem Bereich der Skulptur wenig aussagekräftig sind und zum anderen die verglichene Wandmalerei mit dem Brand 1081 nicht datiert werden kann, da sie sich im Torhaus und nicht in der Kirche befand. Er vertrat aus stilistischen Gründen wieder eine Datierung um 1060. Dennoch prägte die Spätdatierung von Bloch / Schnitzler weiterhin die Diskussion, wobei sich niemand an eine erneute stilistische Einordnung wagte. Bloch / Schnitzler behandelten die ‚Strenge Gruppe‘ als weitgehend stilistisch einheitlich und betonten wie die gesamte Forschung vor allem die Zusammengehörigkeit der beiden Sakramentare in Freiburg und Warschau, die zudem mit ihren Herkunftsorten aus den Benediktinerabteien Mönchengladbach und Tyniec eine besondere Vergleichbarkeit zu signalisieren schienen. In ihrer Reihung der Handschriften der Gruppe setzten sie 13 So beispielsweise Ernst Friedrich Bange: Eine bayerische Malerschule des XI. und XII. Jahrhunderts, München 1923, S. 100 f. – Adolph Goldschmidt: Die deutsche Buchmalerei, Bd. 2: Die ottonische Buchmalerei, Florenz 1928, S. 21 f. – Paul Wescher: Beschreibendes Verzeichnis der Miniaturen, Handschriften und Einzelblätter des Kupferstichkabinetts der Staatlichen Museen Berlin, Leipzig 1931, S. 4. – Hermann Schnitzler: Hieronymus und Gregor in der ottonischen Kölner Buchmalerei, in: Kunstgeschichtliche Studien für Hans Kauffmann, hg. v. Wolfgang Braunfels, Berlin 1956, S. 11–18, hier S. 11. – Hermann Schnitzler: Zum Spätstil der ottonischen Kölner Malerei, in: Festschrift für Hans R. Hahnloser zum 60. Geburtstag 1959, hg. v. Ellen Judith Beer, Paul Hofer und Luc Majon, Basel 1961, S. 207–222. 14 Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 28–30. 15 Ulrich Kuder: Studien zur ottonischen Buchmalerei, hg. v. Klaus Gereon Beuckers (Kieler Kunsthistorische Schriften, N.F., Bd. 17), 2 Bde., Kiel 2018, Bd. 1, S. 243–250, in der maschinenschriftlichen Fassung von 1989 S. 343–355.

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überzeugend das Stuttgarter Evangeliar aus St. Gereon (Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Bibl. fol. 21) an den Anfang, das als Kopie des für die Kölner Buchmalerei wichtigen Manchester Evangeliars (John Rylands Library, Latin MS 98) eine Sonderstellung besitzt. Die Kerngruppe begannen sie mit den Nürnberger Einzelblättern, denen sie die beiden Sakramentare und dann die beiden Evangeliare in London und Berlin anschlossen, während sie das Lyskirchen-Evangeliar (Schatzkammer St.  Georg Köln) als Nachzügler abgrenzten. Die Argumentation dahinter scheint vor allem an den bildlichen Darstellungen orientiert gewesen zu sein,16 mit der zumindest das nachträglich illustrierte Lyskirchen-Evangeliar abzusetzen ist. Die offenkundige Nähe zwischen den Nürnberger Einzelblättern und dem Londoner Evangeliar spricht gegen die Vorziehung der Einzel­ blätter vor die Sakramentare, bei denen der Warschauer Codex stilistisch vor Freiburg anzusetzen ist, wie Bloch / Schnitzler richtig vermuteten. Löst man sich zunächst von der Fixierung allein auf die bildlichen Darstellungen und zieht stattdessen mit Ursula Prinz die Rahmenornamente heran, so fällt die Sonderstellung des Codex aus Tyniec besonders auf: „Die ornamentale Ausstattung des Sakramentars ist von entscheidender Bedeu­ tung für die folgenden Handschriften. An die Vielfalt des Rahmenfüllwerks [des Sakramentars aus Tyniec] reichen diese nicht mehr heran“, zudem sei das Formrepertoire bei ihnen reduziert.17 Das in Warschau erhaltene Sakramentar sei deshalb (nach dem Stuttgarter Evangeliar aus St. Gereon) an den Anfang der Gruppe zu stellen und habe offenbar als Vorlage für die folgenden Handschriften nicht mehr zur Verfügung gestanden. Auch in der Textgestalt unterscheiden sich die beiden prinzipiell ähnlichen Sakramentare im Detail so ­voneinander, dass eher von einer gemeinsamen Vorlage auszugehen ist, die für den jeweiligen Auftrag modifiziert wurde;18 jedenfalls lag Warschau bei der Abfassung von Freiburg offenbar nicht mehr vor. Der Befund der Rahmenornamentik lässt sich in der Oberflächenbehandlung der ­Gewänder bestätigen, die im Sakramentar aus Tyniec noch nicht die so hermetisch ausgebildeten hierarchisch gleichmäßigen Streifenbänder besitzen, wie sie beispielsweise den Kirchenvater Gregor in Freiburg (fol. 13v) oder die Evangelisten in Berlin, London und Nürnberg kennzeichnen. Vielmehr ist – aller Ornamentierung zum Trotz – hier noch eine stärkere Orientierung an Faltendifferenzierungen mit abweichenden Volumina zu erkennen. Besonders deutlich wird der Unterschied zwischen den beiden Darstellungen der Maiestas Domini im Sakramentar aus Tyniec (pag. 32) und im Evangeliar in Berlin 16 Für das Sakramentar aus Tyniec fomulierten Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 103: „Der Duktus der Zeichnungen weist den Kodex zwischen die Nürnberger Einzelblätter (XV) und das Sakramentar von Freiburg (XVII). Um 1070–1080.“ 17 Ursula Prinz: Die Ornamentik der ottonischen Kölner Buchmalerei. Studien zum Rahmenfüllwerk (Libelli Rhenani. Schriften der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek zur rheinischen Kirchen- und Landesgeschichte sowie zur Buch- und Bibliotheksgeschichte, Bd. 71), Köln 2018, S. 85. 18 Vgl. dazu den Beitrag von Harald Horst in diesem Band.

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(fol. 13v). Auch aus den figürlichen Darstellungen heraus muss deshalb das Sakramentar aus Tyniec an den Anfang der Kerngruppe gesetzt werden. Den datierenden Anhaltspunkt für die ‚Strenge Gruppe‘ liefert seit Bloch / Schnitzler das Stuttgarter Evangeliar aus St. Gereon: Dort sind auf fol. 2r/2v die Weihedaten für die Krypta und den Chor von St. Gereon in Köln in den Jahren 1067 und 1069 nachgetragen worden. Um wie viele Jahre vor 1067 der Codex entstanden ist, wird im ersten Band von Bloch / Schnitzler noch ganz offengelassen, im zweiten aber mit Verweis auf den Kruzifixus aus St. Georg im Schnütgen-Museum auf „nicht lange vor 1067“ eingeschränkt.19 Ein stilistischer Vergleich zwischen dem monumentalen Kruzifix-Torso und der Buchmalerei ist methodisch problematisch und auch unabhängig von den unterschiedlichen Gattungen in diesem Fall zu schwierig, um darauf eine jahrgenaue Datierung gründen zu können. Nicht umsonst bleibt der Verweis bei Bloch / Schnitzler so unscharf. Eine Datierung des Stuttgarter Evangeliars selbst kann also nur unabhängig von den späteren Einträgen erfolgen, da nicht klar ist, wie alt der Codex zum Zeitpunkt ihrer Niederschrift war. Stilistisch ist an einer relativen Chronologie vor den anderen Handschriften der ‚Strengen Gruppe‘ und nach der Entstehung der ‚Reichen Gruppe‘ nicht zu zweifeln; hier ist sich die Forschung auch einig. Die drei erhaltenen Handschriften der ‚Reichen Gruppe‘ aus Mariengraden in Köln (Diözesan- und Dombibliothek Köln, Cod. 1001a) sowie in New York und Bamberg gehören eng zusammen und werden durch den Einband des ­ältesten Codex dieser Gruppe, dem Evangeliar aus Mariengraden, dendrochronologisch auf nach 1033 datiert.20 Der linear-bahnige Stil der ‚Strengen Gruppe‘ kündigt sich dort bereits bei den Gewandzeichnungen der Evangelisten Matthäus und Markus in Köln (fol. 21v und 84v) sowie noch stärker bei Markus in New York (fol. 50v) an. Man sollte die beiden Gruppen zeitlich also nicht zu weit auseinanderziehen. Eine Entstehung der ‚Strengen Gruppe‘ in den 1040er bis 1060er Jahren, bald nach den in den 1030er Jahren entstandenen Codices der ‚Reichen Gruppe‘, ist vor diesem Hintergrund gut denkbar. Aus einem ganz anderen Blickwinkel hat Robert Suckale auf die späten Kölner Handschriften geblickt und sich mit dem Stil des Lyskirchen-Evangeliars aus St. Georg in Köln

19 Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 98 u. Bd. 2, S. 30. – Zum Kruzifixus vgl. zuletzt Anna Pawlik: Das Kruzifixus aus St. Georg. Ein Zeugnis aus der Frühzeit, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische Kirchen Köln 32 (2017), S. 32–39. 20 Die dendrochronologische Untersuchung der 1960er Jahre, auf die sich auch Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 75 bezogen haben, wurde 2017 wiederholt, diesmal für beide Einbanddecken. Sie ergab ein frühestes Fälldatum des Einbands für das Jahr 1033 (letzter gemessener Jahresring 1014). Vgl. Klaus Gereon Beuckers: Das Evangeliar aus St. Maria ad Gradus. Höhepunkt der salischen Buchmalerei aus Köln. Die Handschrift Cod. 1001a der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek Köln, Luzern 2018, S. 45 f.

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auseinandergesetzt.21 Anton von Euw hatte die mehrphasige Entstehungsgeschichte des Codex bereits 1993 differenziert, nach der die Evangelien von Matthäus und Markus einer ersten Phase entstammten, die durch eine jüngere Hand mit den Evangelien von Lukas und Johannes ergänzt wurde.22 Die unvollendete Handschrift ließ dabei Platz für den Titel- und Initialschmuck, der zusammen mit den auf nachträglich eingebundenen Doppelblättern eingefügten Kanontafeln, Initialzierseiten und der figürlichen Ausstattung nach Bloch / Schnitzler, von Euw und zuletzt auch Harald Wolter-von dem Knesebeck um 1100/20 ergänzt wurde. Offenkundig standen zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Textes keine angemessenen Buchmaler (mehr?) zur Verfügung und auch die dann tätigen Hände gehören weder stilistisch noch motivisch in den Kreis der Kölner Buchmaler des 10./11. Jahrhunderts, sondern sind italienisch beeinflusst. Die Handschrift gilt der Forschung übereinstimmend und mit guten Argumenten als Geschenk Erzbischof Annos II. (amt. 1056–1075) zur Weihe der Kirche des von ihm neu errichteten Kanonikerstifts St. Georg am 28. Oktober 1067. Anno schenkte damals noch ein zweites Evangeliar, das sich heute in Darmstadt befindet (Hessisches Landesmuseum, Inv. Nr. AE 681 mit Einband Inv. Nr. Kg 54:210) und um 1010/20 im bayerischen Kloster Seeon entstanden war.23 Beide erhielten einen analogen Einband.24 Robert Suckale hat die malerische Ausstattung des Lyskirchen-Evangeliars, die als jüngste Handschrift der gesamten Kölner Gruppe für die ältere ‚Strengen Gruppe‘ einen Terminus ante quem bildet, in den Kontext der verwandten italienischen Malerei gestellt. Aufgrund einer von ihm als vergleichbar eingeschätzten Weltgerichtsdarstellung, auf der Äbtissin Konstanze von S. Maria in Campo Marzio (amt. 1061–1071) als Stifterin abgebildet ist, hat er auch die Kölner 21 Robert Suckale: Die Weltgerichtstafel aus dem römischen Frauenkonvent S. Maria in Campo Marzio als programmatisches Bild der einsetzenden Gregorianischen Kirchenreform, in: Das mittelalterliche Bild als Zeitzeuge. Sechs Studien, Berlin 2002, S. 12–122.  – Zum Lyskirchen-Evangeliar vgl. Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 113–120 mit Taf. 463–498. – Anton von Euw: Die Handschriften und Einzelblätter des Schnütgen-Museums Köln. Bestandkatalog, Köln 1997, Kat. Nr. 2, S. 27–37.  – Zuletzt Harald Wolter-von dem Knesebeck: Das Kölner Evangeliar von St. Georg als liturgische Prachthandschrift, Gründungsurkunde und zeitgeschichtliches Dokument, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische Kirchen Köln 32 (2017), S. 40–56. – Demnächst Klaus Gereon Beuckers / Anna Pawlik (Hg.): Das Lyskirchener Evangeliar aus St. Georg in Köln. Eine Prachthandschrift zum Abschluss der Kölner Buchmalerei des 11. Jahrhundert (Forschungen zu Kunst, Geschichte und Literatur des Mittelalters, Bd. 5), Köln 2019. 22 Anton von Euw: Das Evangeliar von St. Maria Lyskirchen. Bestimmung und Gebrauch einer mittel­ alterlichen Handschrift, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 64 (1993), S. 15–36. 23 Vgl. Gold und Purpur. Der Bilderschmuck der früh- und hochmittelalterlichen Handschriften aus der Sammlung Hüpsch im Hessischen Landesmuseum Darmstadt, Ausst. Kat. Graphische Sammlung Hessisches Landesmuseum Darmstadt, bearb. v. Peter Märker, Heidelberg 2001, S. 39–47. 24 Vgl. zuletzt Susanne Wittekind: Neue Einbände für alte Handschriften, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 80 (2017), S. 176–200, insb. S. 188–193.

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­ alerei im Lyskirchen-Evangeliar mit der Schenkung des offenbar noch unvollendet vorM liegenden, älteren Evangeliars an St. Georg zur Weihe in Verbindung gebracht und die Malerei vor 1067 datiert. Dem hat sich Andrea Worm angeschlossen, während Harald Wolter-von dem Knesebeck einer solchen Frühdatierung der nachträglich hinzugefügten Malereien widersprochen hat.25 Wann auch immer die Malereien hinzugekommen sind, so zeugt auch die unter Erzbischof Anno in den 1060/70er Jahren entstandene ­Ausmalung von St. Gereon, für die ebenfalls stadtrömische Vorlagen ausschlaggebend gewesen sind, von einem ganz anderen Stil in dieser Zeit als ihn die ältere Kölner Malerei besitzt.26 Wenn man Suckale folgen möchte, dann bedeutet dies für die Datierungsdiskussion zur ‚Strengen Gruppe‘, dass die Malerei des Lyskirchen-Evangeliars bereits in die Mitte der 1060er Jahre datieren würde und in ihrer anderen stilistischen Orientierung die Kölner Buchmalerei der bisherigen Prägung abgelöst hätte. Dann müsste die ‚Strenge Gruppe‘ deutlich früher als bei Bloch / Schnitzler datieren und wohl eher in den 1040/50er Jahren entstanden sein. Selbst wenn man die Frühdatierung der Ausstattungsphase des Lyskirchen-Evangeliars mit dem Gros der Forschung weiterhin um 1100/20 ansetzen möchte, so zeugt die unter Erzbischof Anno unvollendet gebliebene Handschrift von dem offenkundigen Problem des Kirchenfürsten, in seiner Zeit für die prominente Verwendung an seiner Stiftung St. Georg eine angemessen ausgestattete Kölner Handschrift herstellen lassen zu können. Stattdessen musste er auf ein etwas älteres, auswärtiges Evangeliar und die unvollendet gebliebene Kölner Handschrift zurückgreifen. Hätte ihm ein leistungsfähiges Skriptorium, das Handschriften in der Art der ‚Strengen Gruppe‘ herstellen konnte, zur Verfügung gestanden, dann wäre dies nicht nötig gewesen. Dies spricht für eine bereits ausgelaufene Schreibschule, von der nur noch ein unvollendeter Codex greifbar war. Wenn dies stimmt, dann muss die ‚Strenge Gruppe‘ vor Annos Episkopat in die 1040/50er Jahre datieren. Genau dies vertrat aus paläographischer Sicht Hartmut Hoffmann, der 2012 ausgehend vom Lyskirchen-Evangeliar die Schriften der ‚Strengen Gruppe‘ untersuchte: „Unser Überblick zeigt, daß die sechs Codices der Strengen Gruppe (der Einfachheit halber rechne ich jetzt auch das Lyskirchen-Evangeliar dazu) wie in kunsthistorischer so in paläographischer Hinsicht zusammengehören. Der sanftrunde Stil der Hand E des Lyskirchen-Evangeliars ist in allen sechs Codices vertreten, so daß, wenn nicht geradezu Identität der Hände vorliegt, min­ destens ein Schulzusammenhang anzunehmen ist und alle sechs Bücher in den gleichen 25 Suckale 2002 (wie Anm. 21), S. 111–115. – Andrea Worm: Das Pariser Perikopenbuch, Bibliothèque nationale de France, Ms. lat. 17325 und die Anfänge der romanischen Buchmalerei an Rhein und Weser (Denkmäler deutscher Kunst), Berlin 2008, S. 211 f. – Wolter-von dem Knesebeck 2017 (wie Anm. 21), S. 44. 26 Hierzu hat Andrea Worm auf der Kieler Tagung einen überzeugenden Vortrag gehalten, der in Beu­ ckers / Pawlik 2019 (wie Anm. 21) abgedruckt werden wird.

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Zeitrahmen zu stellen sind.“ „Wir kommen somit aus mehreren Gründen zu dem Schluß, daß die Handschriften der ,Strengen Gruppe‘ ins zweite Viertel, allenfalls ins zweite Drittel des 11. Jahrhunderts datiert werden müssen, nicht erst ins letzte Drittel.“27 Eine solche Datierung der Handschriften setzt die gesamte Gruppe in die Regierungszeit von Erzbischof Hermann II. (amt. 1036–1056) – und damit in den Kontext der Aktivitäten von Kasimir (verst. 1058) in Polen. Da das Sakramentar aus Tyniec zudem an den Anfang der Gruppe zu setzen ist, rückt seine Entstehung nahe an die Aufbaujahre Kasimirs in Krakau und deren Bezugnahmen auf Köln in den 1040/50er Jahren. Hierfür gibt es noch weitere Anhaltspunkte: So ist das heute in Berlin verwahrte Evangeliar, das aus dem Paderborner Kloster Abdinghof stammt, aufgrund der Heraushebung im Capitulare als ursprünglich aus St. Severin in Köln stammend oder zumindest dafür hergestellt zu sehen.28 Die dort gewählte Formulierung „In natale sanctissimi Seuerini con­ fessoris Christi“ (fol. 263v) ist in dieser Kombination ungewöhnlich. So benennt die karolingische und bei Festtagen in dem Südstadtstift sicher verlesene Translatio Sancti Severini den Heiligen zwar als „beatissimi pontificis et Confessoris Christi, Severini“ sowie an anderer Stelle als „Severinum sanctissimum“,29 jedoch gibt es eine wörtliche Übereinstimmung allein zu der in einer Abschrift des 12. Jahrhunderts überlieferten Güterübertragung vom 8. Dezember 1046 (?) durch Erzbischof Hermann II. anlässlich der Chorweihe von St. Severin 1043: „monasterium sanctissimi confessoris Christi Seuerini“.30 Diese Urkunde dürfte als Archivware nach ihrer Ausstellung und feierlichen Verlesung keine allzu große Öffentlichkeit mehr gehabt haben. Die identische Formulierung könnte somit ein Hinweis auf die Entstehung des Evangeliars im Zuge des Chorbaus sein, wo das Evangeliar zu der urkundlich genannten, von Hermann gestifteten Chorausstattung gehört haben würde.31 27 Hartmut Hoffmann: Schreibschulen und Buchmalerei. Handschriften und Texte des 9.–11. Jahrhunderts (Monumenta Germaniae Historica. Schriften, Bd. 65), Hannover 2012, S. 189 u. 191. 28 Vgl. dazu den Beitrag von Beate Braun-Niehr in diesem Band. Dort auch zu dem Weg der Handschrift im 12. Jahrhundert nach Paderborn. 29 Vgl. Bernd Päffgen / Daniel Carlo Pangerl: Die Vita et Translatio Sancti Severini (BHL 7647/7648) in kommentierter Übersetzung, in: Der hl. Severin von Köln. Verehrung und Legende. Befunde und Forschungen zur Schreinsöffnung von 1999, hg. v. Joachim Oepen u. a. (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 40), Siegburg 2011, S. 543–581, hier c. 15 u. 17, S. 559 f. 30 Zit. n. Erich Wisplinghoff (Bearb.): Rheinisches Urkundenbuch. Ältere Urkunden bis 1100, Bd. 2: Elten – Köln, St. Ursula (Publikationen der Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde, Bd. 57), Düsseldorf 1994, Nr. 315. – Vgl. auch Oediger 1954/61 (wie Anm. 12), S. 232 u. 233 f., Nr. 801 u. Nr. 810. – Klaus Gereon Beuckers: Sakraltopographie um Grab und Schrein. Zum Ostabschluss der salischen Krypta von St. Severin in Köln, in: Kirchen und Klausur, Architektur und Liturgie. Festschrift für Clemens Kosch zum 65. Geburtstag, hg. v. Klaus Gereon Beuckers und Elizabeth den Hartog, Regensburg 2012, S. 31–51, hier S. 40 mit Anm. 18. 31 Das reich mit Eidnachträgen versehene, in Canterbury um 1000 entstandene Zeremonial-Evangeliar aus St. Severin, das über die Sammlung Arenberg in die Pierpont Morgan Library in New York (MS M.

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Jedenfalls passt eine solche Frühdatierung gut mit der paläographischen Einschätzung von Hoffmann zusammen. Wenn für das Berliner Evangeliar eine Datierung um 1043/46 vertreten wird, so muss das vorher entstandene Sakramentar aus Tyniec noch etwas früher datieren. Seine Entstehung rückt dann auffallend nah an die Rückkehr Kasimirs 1041 aus Köln nach Polen. Aber selbst wenn man eine so frühe Ansetzung in der ersten Hälfte der 1040er Jahre nicht mittragen möchte, so ist eine Entstehung der ‚Reichen Gruppe‘ in den 1040/50er Jahren  – und damit etwa gleichzeitig zu den in Echternach hergestellten Prachthandschriften des salischen Hofes  – mehr als wahrscheinlich. Kunsthistorisch spricht nichts gegen eine solche Ansetzung. * Im Sakramentar aus Tyniec finden sich weder im Kalendar noch an anderer Stelle Hinweise auf eine Bestimmung für Polen; die Texte einschließlich der Heiligenreihe im Messkanon (pag. 44/45), das Kalendar, die Heiligenfeste mit eigenem Formular und die bildliche Ausstattung folgen ganz den Gepflogenheiten des Herstellungsortes Köln und wurden nicht spezifisch auf einen konkreten Bestimmungsort oder Adressaten ausgerichtet. Am ehesten könnte die fehlende Heraushebung benediktinischer Heiliger und die Aufnahme von Votivmessen zur Einsetzung und zum Tod eines Bischofs („in ordinatione episcopi“ / „in natale epicopi“, pag. 445–449), die im Freiburger Sakramentar fehlen,32 für eine geplante Nutzung in einem Stift statt einem Kloster sprechen. Die fehlende Spezifik in der Anlage sagt insgesamt über die Bestimmung und über den späteren Besitzer nichts aus. Die in vielen Kölner Handschriften zu findenden Hervorhebungen des hl. Gereon beispielsweise auf pag. 39 könnten auch mit der Lokalisierung des Skriptoriums der Prachthandschriften zu tun haben, deren Sitz zwischen der Abtei St. Pantaleon und dem 869) gelangt ist, dürfte erst im frühen 12. Jahrhundert über den Kölner Erzbischof Friedrich I. an das Stift gekommen sein, der es vermutlich im Zuge der Hochzeit von Mathilde von England mit König Heinrich V. erhalten hat. Die Königin wurde durch Friedrich gekrönt, der 1109 St. Severin reich beschenkt hat. Vgl. http://corsair.themorgan.org/msdescr/BBM0869a.pdf (letzter Zugriff: 30.12.2017). Nach Ausweis des Anfang des 12.  Jahrhunderts eingetragenen Kanonisierungsdekrets Papst Gregors VII. für Heribert von Köln auf fol. 14r ist seine frühe Nutzung in Köln gesichert. Eine Schenkung durch Erzbischof Hermann II. 1043/46, wie sie noch Beuckers 1993 (wie Anm. 6), S. 187 f. vermutet hat, ist nicht zu belegen. – Zur Handschrift vgl. Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen, Ausst. Kat. Dom- und Diözesanmuseum Hildesheim und Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim, hg. v. Michael Brandt und Arne Eggebrecht, 2 Bde., Mainz 1993, Bd. 2, S. 226–229 (Ulrich Kuder). – Jane Rosenthal: The Peregrinations of a Thousand-Year-Old English Gospel Book (New York, Pierpont Morgan Library, Ms. M. 869), in: Between the Picture and the Word. Manuscript Studies from the Index of Christian Art, hg. v. Colum Hourihane (Index of Christian Art. Occasional papers, Bd. 8), Princeton 2005, S. 165–179. – Bihrer 2012 (wie Anm. 4), S. 277 f. 32 Vgl. dazu die tabellarische Zusammenstellung im Beitrag von Harald Horst in diesem Band. Zu den Beobachtungen vgl. auch den Beitrag von Pawel Figurski in diesem Band.

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Stift St. Gereon umstritten ist.33 Auf jeden Fall ist Gereon als Patron des nach dem Domstift wichtigsten Kanonikerstiftes Kölns und später nachgewiesener Stadtpatron kein Hinweis auf eine Provenienz oder Bestimmung der Handschrift. Dies dürfte auch für das Warschauer Sakramentar gelten, zumal der Text des Canon missae mit der Nennung von Gereon vollständig sowohl mit dem im heute in Freiburg aufbewahrten Kölner Sakramentar für St. Vitus in Mönchengladbach (fol. 16v) als auch dem heute in Paris befindlichen Sakramentar aus St. Gereon (Bibliothèque nationale, Ms. lat. 817, fol. 16v/17r) übereinstimmt.34 Marian Sokołowski hat 1896 auch die heilige Eugenia als typische Kölner Heilige gelesen, die auf pag. 45 die Reihe der Jungfrauenheiligen im Messkanon abschließt, was seitdem mehrfach wiederholt und teilweise als Argument für eine Bestimmung der Handschrift herangezogen wird.35 Das Messformular listet Märtyrer und zum Abschluss die Jungfrauen Felicitas, Perpetua, Agatha, Lucia, Agnes, Caecilia und Anastasia, denen hier (wie genauso in den beiden anderen Kölner Prachtsakramentaren in Paris und Freiburg, beide Male auf fol. 19r) Eugenia angeschlossen wird. Ein Grund dafür ist nicht klar zu benennen, da die römische, aus Alexandria stammende und zum festen ­Bestand des Vitaspatrum gehörende Heilige zwar in Italien und Byzanz eine gewisse Verehrung erfuhr – so findet sie sich im Kreis der Jungfrauen auf den im 6. Jahrhundert entstandenen Mosaiken in San Appolinare Nuovo in Ravenna sowie in der erzbischöfli-

33 Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1) gehen von einer Lokalisierung nach St. Pantaleon aus. – Für St. Gereon plädieren Jeremia Kraus: Worauf gründet unser Glaube? Jesus von Nazaret im Spiegel des Hitda-Evangeliars (Freiburger theologische Studien, Bd. 168), Freiburg 2005, S. 82, Ulrich Kuder: Der Hitda-Codex im Zusammenhang der Kölner Buchmalerei des 10. und 11. Jahrhunderts, in: Äbtissin Hitda und der Hitda-Codex. Forschungen zu einem Hauptwerk der ottonischen Kölner Buchmalerei, hg. v. Klaus Gereon Beuckers, Darmstadt 2013, S. 89–111, hier S. 93, und Hans-Walter Stork: Zur Paläographie des Gerresheimer Evangeliars, in: Das Gerresheimer Evangeliar. Eine spätottonische Prachthandschrift als Geschichtsquelle, hg. v. Klaus Gereon Beuckers und Beate Johlen-Budnik (Forschungen zu Kunst, Geschichte und Literatur des Mittelalters, Bd. 1), Köln/Weimar/Wien 2016, S. 103–118, hier S. 117 f. – Christoph Winterer: Das Evangeliar der Äbtissin Hitda. Eine ottonische Prachthandschrift aus Köln. Miniaturen, Bilder und Zierseiten aus der Handschrift 1640 der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, Darmstadt 2010, S. 15–18 liefert Argumente für St. Pantaleon. 34 Gereon erscheint im Sakramentar aus Tyniec im Kanongebet auf pag. 39, wo er der üblichen Reihung der Apostel und Heiligen, die mit Cosmas und Damian endet, vor dem „necnon et omnium sanctorum“ angeschlossen wird. Der Festtag von Cosman und Damian, der 27. September, ist in Köln der Weihetag des Kölner Domes, weshalb die beiden Heiligen in Köln unmittelbar mit dem Dom verbunden sind. Der Redaktor des Sakramentars ergänzt diese in Köln episkopale Konnotation durch die Hinzufügung von Gereon und manifestiert so das Selbstbewusstsein der städtischen Stifte. Im Pariser Sakramentar aus St. Gereon werden Gereon entsprechend weitere Kölner Heilige gelistet. 35 Marian Sokołowski: Rzeźba z kości słoniowej XI w. i najstarsze książki liturgiczne w Polsce, in: Sprawozdania Komisji Historii Sztuki Akademii Umiejętności 5 (1896), S. CX–CXII.

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chen Kapelle dort36 –, aber in Köln keine relevanten Spuren hinterlassen hat. Es ist in der ganzen Stadt mit einem vermutlich spätmittelalterlichen Nebenaltar in St. Cäcilien nur ein einziger ihr geweihter Altar bezeugt, wie Reliquien nur in einem ebenfalls spätmittelalterlichen Reliquienverzeichnis für St. Cäcilien sowie im Altarsepulkrum eines Nebenaltars der Pfarrkirche St. Johannes Baptist aus dem 13. Jahrhundert.37 Die Benennung einer Gefährtin der hl. Ursula von Köln mit dem Namen ist erst deutlich nach dem 11. Jahrhundert erfolgt und hat zudem keine Verbreitung gefunden.38 Ein Kölner Bezug der ­Heiligen hat somit nicht bestanden, vielmehr dürfte es sich für eine Übernahme aus der Vorlage des Textes handeln. Weder aus der Nennung von Gereon noch aus der von Eugenia ist deshalb ein Bestimmungsort für die Handschrift abzuleiten. Auch der Zeitpunkt der Ankunft des Sakramentars in Polen ist aus der Handschrift selbst nicht abzulesen, da ein Besitz für Tyniec erst neuzeitlich explizit nachgewiesen ist. Dies gilt allerdings für den überwiegenden Teil mittelalterlicher Prachthandschriften, in denen Hinweise auf einen frühen Nutzungsort in aller Regel rar sind. Wenn nicht dezidierte Dedikationsinschriften vorliegen, was relativ selten ist, so sind die Nutzungsorte meist nur durch Besitzeinträge oder Nachträge zu fassen, wobei vor allem die spätere Eintragung von ortspezifischen Heiligen beispielsweise in den Kalendaren oder dem Messkanon die üblichen Hinweise liefern. Genau dies ist jedoch bei dem Sakramentar aus Tyniec nicht der Fall, da die Kölner Handschrift mit ihrem auf farbig flächig ausgemalten Zierseiten geschriebenen Kalendar für solche Aktualisierungen schlechter geeignet war als einfacher verzierte Sakramentare. Hier konnten Aktualisierungen nur zulasten des Erscheinungsbildes erfolgen; dies ist denn auch an keiner einzigen Stelle der Handschrift geschehen. Rückschlüsse auf den Aufbewahrungsort des Sakramentars lassen sich aus dem 36 Vgl. zuletzt Jutta Dresken-Weiland: Die frühchristlichen Mosaiken von Ravenna. Bild und Bedeutung, Regensburg 2015, S. 201 f. u. 295. 37 Vgl. Hans-Joachim Kracht / Jakob Torsy: Reliquiarium Coloniense (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 34), Siegburg 2003, S. 242, Nr. 294. – Der Liber ordinarius von St. Cäcilien aus dem Jahre 1488 nennt anlässlich der Altarwaschungen an Gründonnerstag einen Altar „de sancte eugenie virginis (in armario)“, der auch um 1530 noch einmal erwähnt wird. Vgl. Tobias Kanngiesser: Haec sunt festa qua apud nos celebrantur. Der Liber Ordinarius von Sankt Cäcilien, Köln (1488) (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 44), Siegburg 2017, S. 104 f. u. 109. 38 Vgl. Art. Eugenia, Gefährtin der hl. Ursula, in: Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 6, Freiburg im Breisgau 1974, S. 179, mit Verweis auf eine Büste in Kloster Aldersbach bei Passau. – Weder die römische Heilige (25. Dezember) noch die Kölner Gefährtin (21. September) sind in den üblichen liturgischen Kölner Quellen zu finden. Vgl. beispielsweise Gottfried Amberg: Ceremoniale Coloniense. Die Feier des Gottesdienstes durch das Stiftskapitel an der hohen Domkirche zu Köln bis zum Ende der reichsstädtischen Zeit (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 17), Siegburg 1982, S. 48 u. 51. – Georg Zilliken: Der Kölner Festkalender. Seine Entwicklung und seine Verwendung zu Urkundendatierungen. Ein Beitrag zur Heortologie und Chronologie des Mittelalters, in: Bonner Jahrbücher 119 (1910), S. 13–157, hier S. 54 f. u. 124 f. listet Eugenia zum 16. März (wie in St. Cäcilien) und 23. Dezember.

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Codex selbst also nicht ziehen. Dies gilt auch für die nachweislich eingebrachten, bis heute paläographisch nicht näher datierten oder lokalisierten Textnachträge des 12. Jahrhunderts,39 wie auch für die frühen Neumen (die Jan Węcowski 1968 allerdings als Anfänge des benediktinischen Chorals in Polen eingeschätzt hat40). Sie sind unspezifisch und deshalb kaum zu lokalisieren. Einen lückenlosen Beweis für die bereits Mitte des 11. Jahrhunderts erfolgte Verbringung des Sakramentars nach Polen wird es also nicht geben können, wie ebenfalls kaum zu klären ist, ob die Handschrift ursprünglich für eine Nutzung in einer der Kirchen auf dem Wawel bestimmt war und erst nach der Einrichtung von Kloster Tyniec dorthin gelangt ist. Allerdings sind die Parallelen zwischen der Entstehung des Sakramentars aus Tyniec in Köln und dem politischen Wirken Kasimirs, das sich dezidiert Kölner Aspekte bediente, nicht nur zeitlich so eng, dass sie im historischen Feld der Beziehungen zwischen Köln und Polen um die Mitte des 11. Jahrhunderts Anlass für die Diskussion der Handschrift bieten können. Dies möchte der vorliegende Band leisten. Dieser historische Hintergrund kann den Umstand erklären, wie die Kölner Handschrift in den aus Kölner Sicht unwichtigen und entfernten Ort Tyniec gelangt ist, wo sie später ja unstrittig aufbewahrt wurde. Es wäre eine deutlich abwegigere Konstruktion, wenn man das Sakramentar später zufällig an diesen Ort gekommen sehen wollte, zumal für eine solche These ebenfalls explizite Nachweise fehlen. Bis zum Beweis des Gegenteils ist eine selbst erst Mitte des 17. Jahrhunderts schriftlich nachgewiesene Provenienz, die sich auf eine Eintragung stützt, nach der die Handschrift bereits früher zum Kloster gehört habe, was ein Eintrag vom Anfang des 19. Jahrhunderts bestätigt, ein substantieller Hinweis auch auf die mittelalterliche Verwahrung – zumal wenn es für die Verbringung des Codex dorthin unmittelbar nach der Entstehungszeit der Handschrift ein historisch plausibles Szenario gibt. Wenn das Sakramentar aus Tyniec bereits in den 1040/50er Jahren seinen Weg nach Krakau oder Tyniec gefunden hat, dann war es – wie alle anderen Kölner Prachthandschriften des 10./11. Jahrhunderts – für eine Nutzung im historischen Umfeld von Erzbischof und geistlichen Instituten Kölns bestimmt. Die heute in Warschau aufbewahrte liturgische Handschrift repräsentiert dann die Zeit und den Bezugskreis Kasimirs des Erneuerers bei seinem von Krakau ausgehenden Wiederaufbau der piastischen Herrschaft und die dauerhafte Stabilisierung des Christentums in Polen. Damit hat diese Handschrift neben ihrer kunsthistorischen auch eine exponierte historische Bedeutung. Dem möchte dieser Band gerecht werden. 39 Vgl. dazu die Beiträge von Sławomir Szyller und Paweł Figurski in diesem Band. – Der in dem offenbar für eine konkrete Weihehandlung eingetragenen Nachtrag explizit genannte Bischof Johannes (pag. 352) ist kaum zu identifizieren, zumal es sich auch um einen Weihbischof oder eine unkritische Übernahme aus der Vorlage gehandelt haben könnte. 40 Jan Węcowski: Początki choralu benedyktyńskiego w Polsce 968–1150, in: Musica Medii Aevi 2 (1968), S. 40–51, hier S. 45–51.

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Ursula Prinz

Das Sakramentar aus Tyniec Eine Forschungschronologie

Das Sakramentar aus Tyniec in der Warschauer Nationalbibliothek (BOZ 8) ist sowohl ein zentrales Werk der Kölner Buchmalerei des 11. Jahrhunderts als auch ein wichtiges Zeugnis polnischer Geschichte. Die Forschung hat die Datierung des Sakramentars eng mit der Gründung der Abtei Tyniec bei Krakau verbunden, auch wenn die Handschrift selbst keinen Datierungseintrag enthält. Zwei neuzeitliche Nachträge geben hingegen Auskunft über ihre Herkunft: Der ältere Vermerk von 1656 berichtet knapp von dem Einfall der Schweden in Polen und einem damit verbundenen Raub der Handschrift, die später in Krakau zurückgekauft werden konnte.1 Auf derselben Seite befindet sich ein von Stanisław Zamoyski unterzeichneter Nachtrag aus dem Jahr 1818 in polnischer Sprache: „Seit frühesten Zeiten befand sich dieses Messbuch in der Abtei Tyniec. Es ist ein Werk des 9. oder 10. Jahrhunderts, hat jedoch größere Ähnlichkeit mit der Schrift und dem Zeichenstil des 9. Jahrhunderts. In der Notwendigkeit einer Reparatur der Kirche wurde [die Handschrift] zum Verkauf geboten, ich gab für sie eintausend Złoty in Krakau im Jahre 1818. Ich lege sie in die Bibliothek der Ordination Zamoyski, in deren Sammlung sie wohl die älteste Antiquität ist.“ Vermutlich stammt auch die Paginierung der Seiten, die auf der Seite dieses Eintrages beginnt, von ihm. Der Deckbogen wurde mit dem Titel „Sacramentarium Tinecense“ und dem Zusatz „scriptum mox post annum 993. Mszał Tyniecki W. X.“ sowie der Signatur „Nr. 8“ beschriftet.2 Die folgende Forschungsübersicht stellt die Beiträge vor, durch die

1

2

Warschau, Biblioteka Narodowa, BOZ 8, pag. 1: „Anno Dni 1656. Die ii Augusti. Te Księge w klasz­ torze Tynieckim wyrabowano gdy Oboz Swędzi rozpruszyli Polakow tamzę pod Tym klasztorem y te xiażke odkupiono w Krakowie.“ („Dieses Buch wurde aus dem Tyniecer Kloster geraubt, als das schwedische Lager die Polen vor jenem Kloster zerschlug. Ferner wurde dieses Buch in Krakau zurückgekauft.“). Die Sammlung der Biblioteka Ordynacji Zamojskiej ist seit 1945 Depositum in der Warschauer Nationalbibliothek (gekennzeichnet durch die Signatur ‚BOZ‘). Vgl. Jerzy Kaliszuk / Sławomir Szyller (Red.): Inwentarz rękopisów do połowy XVI wieku w zbiorach Biblioteki Narodowej, Warschau 2012, S. 9. – Die neuzeitliche Datierung „scriptum mox post annum 993“ bezieht sich auf die Kanonisierung Ulrichs von Augsburg als Terminus post quem. Vgl. unten die Ausführungen zu Marian Sokołowski und Kunibert Mohlberg.

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das Sakramentar Eingang in die Forschung fand, sowie die Forschungsbeiträge, in denen die Handschrift diskutiert wurde.3

Frühe Forschung im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert Eine erste kunsthistorische Untersuchung erfuhr das Sakramentar durch Franciszek Maksymilian Sobieszczański.4 Er veröffentlichte im Jahr 1847 den ersten Band seiner „Historischen Mitteilungen über die bildenden Künste im alten Polen“, wo er in einem der Miniaturmalerei gewidmeten Kapitel das Sakramentar aus Tyniec, das er als Brevier bezeichnete, als älteste erhaltene Prachthandschrift Polens erwähnte und dessen Ausstattung vorstellte. Zum Kalendarium von pag. 7 bis 30 hob er neben der goldenen Schrift auf „kirschrotem“ Grund die Rahmenornamentik hervor, die er als Blattwerk „im griechischen Stile“ bestimmte. Etwas unbeholfen las Sobieszczański die Maiestas Domini auf pag. 32 als Evangelisten Lukas; die Illustration selbst bezeichnete er als dürftig, lobte jedoch die Gewanddrapierung, die er mit griechischen Werken in Verbindung brachte. Die Kreuzigungsdarstellung auf pag. 36 war für ihn deutlichster Hinweis auf die „Altertümlichkeit“ der Handschrift. Hier seien die Umrisse mit den überlangen Gliedmaßen noch unförmiger als auf pag. 32 gezeichnet. Das junge, bartlose Gesicht folge dem byzantinischen Stil. Der dargestellte Viernageltypus mit nebeneinandergestellten Füßen sei vornehmlich in der Miniaturmalerei bis zum 9. Jahrhundert vertreten und in den Evangelistaren des beginnenden 10. Jahrhunderts durch den Dreinagelkruzifixus mit übereinandergeschlagenen Füßen ersetzt worden. So schloss Sobieszczański, dass die Handschrift unter Bolesław dem Tapferen von den ersten Benediktinern aus dem Ausland nach Tyniec gebracht ­worden sein müsse. Es handele sich um ein griechisch beeinflusstes Werk, das im 8. oder beginnenden 9. Jahrhundert im Westen, vermutlich Frankreich, hergestellt worden sei, wovon auch die Verwendung der karolingischen Minuskel zeuge. Erst ein halbes Jahrhundert später beschäftigte sich ein weiterer Forschungsbeitrag mit dem Sakramentar und formulierte eine weitgehende Richtigstellung. Die fünfte Ausgabe der von der Akademia Umiejętności in Krakau herausgegebenen „Kommissionsberichte zur kunsthistorischen Forschung in Polen“ von 1896 enthielt eine Abhandlung des Kommissionsvorsitzenden Marian Sokołowski, in der dieser sich mit Elfenbeinschnitzereien des 9. Jahrhunderts und den ältesten liturgischen Büchern Polens befasste, einschließlich des 3 4

Weitere Literatur mit Einzelnennungen des Sakramentars sowie zum historischen Kontext der Abtei Tyniec im Beitrag von Paweł Figurski in diesem Band. Franciszek Maksymilian Sobieszczański: Wiadomości historyczne o sztukach pięknych w dawnej Polsce: zawierające opis dziejów i zabytków budownictwa, rzeźby, snycerstwa, malarstwa i rytownictwa, z krótką wzmianką o życiu i dziełach znakomitszych artystów krajowych, lub w Polsce zamieszkanych, Bd. 1, Warschau 1847, S. 266–269.

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Sakramentars aus Tyniec.5 Einleitend nahm Sokołowski direkten Bezug auf den Beitrag von Sobieszczański und bezeichnete die Ausführungen dort als in jeder Hinsicht ungenau. Er erkannte, dass der Ledereinband mit vergoldetem Wappen der Abtei Tyniec aus dem 17. Jahrhundert stammt. Zudem besprach er die Goldschrift sowie die mit prächtigen Rahmungen ausgestatteten Purpurseiten und Miniaturen, namentlich die jetzt richtig erkannte Maiestas Domini mit flankierenden Cherubim sowie den Evangelistensymbolen, die Vere-dignum-Seite mit der von einem Engel hochgehaltenen Zierinitiale, den Kruzifixus zu Beginn des Hochgebets und eine vierte Zierseite, die am Ende der Purpurblätter ganzseitig die Worte „VIII kl. Januarii Vigilia Natalis Domini“ füllen. Als eine Auffälligkeit benannte Sokołowski die charakteristische Ligatur, die sich, mittig von einem Kreuz durchdrungen, aus den Buchstaben U und D (für Vere dignum) zusammensetzt und die Präfationen zu allen Gebeten einleitet. Die Handschrift könne auf den ersten Blick im 10. Jahrhundert entstanden sein, bei näherer Betrachtung komme allerdings nur eine spätere Entstehungszeit in Frage, da im Kalendarium zum 4. Juli Bischof Ulrich von Augsburg eingetragen ist, der im Jahr 973 verstarb und 993 heiliggesprochen wurde, weshalb eine Datierung vor den ersten Jahren des 11. Jahrhunderts faktisch ausgeschlossen sei. Den Handschriftentypus identifizierte Sokołowski nach einer Differenzierung von Missale und Sakramentar trotz des Fehlens der Formel „Incipit liber sacramentorum“ als Sakramentar. Der Entstehungsort der Handschrift ließe sich durch die Heiligen im Kalendar genau bestimmen, da viele Heilige der Stadt und Diözese Köln genannt seien, wie etwa die hl. Eugenia, Mauritius und seine Begleiter, die Elftausend Jungfrauen oder die Kölner Thebäer („in Colonia Maurorum“) wie insbesondere Gereon, Viktor, Cassius und Florentius. Die Heiligen finden sich ebenfalls im Canon missae, so beispielsweise Gereon im Heiligengedächtnis oder Eugenia im Totengedächtnis. Mit Sokołowski kam der fortan vielfach insbesondere von polnischen Autoren abgeschriebene Irrtum einer näheren Kölner Verbindung der römischen Heiligen Eugenia in die Forschung. Die karolingische Minuskel sowie die Initialmajuskeln sah Sokołowski als im 10. und 11., zuweilen auch im 12. Jahrhundert charakteristisch für Köln und das Rheinland an. Die Ornamentik hinsichtlich Stil, Motiv und Charakter, die Art und Ausführung der Miniaturen sowie die Verwendung von Purpur würden auf ein Skriptorium der Wende vom 10. zum 11. Jahrhundert hinweisen, das nach den Forschungen von Wilhelm Vöge in enger Verbindung zu Köln stehe. Solch eine Beziehung sei besonders interessant, da der Tyniecer Abt Aaron aus der zur Kölner Erzdiözese gehörenden Gegend um Lüttich gestammt habe und im Jahr 1046 in Köln zum Krakauer Bischof geweiht worden sei. Durch Aaron oder einen der ersten Benediktiner habe der Codex seinen Weg nach Tyniec gefunden und repräsentiere die Einflüsse, die auf die Kultur Polens in den frühen Jahren ihrer Christianisierung 5

Marian Sokołowski: Rzeźba z kości słoniowej XI w. i najstarsze książki liturgiczne w Polsce, in: Sprawozdania Komisji Historii Sztuki Akademii Umiejętności 5 (1896), S. CX–CXII.

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eingewirkt hätten.6 Damit legte Sokołowski die wesentlichen Angelpunkte fest, welche die Forschung bis heute bestimmen. Seine erste deutschsprachige Erwähnung erfuhr das Sakramentar aus Tyniec im Jahr 1901 in der Dissertation von Georg Swarzenski zur Regensburger Buchmalerei.7 Dort zog Swarzenski den Kruzifixus in „ein[em] Sakramentar in der Bibliothek Zamoyski in Warschau“ als einen von mehreren Vergleichen für den bekleideten Kruzifixus im UtaCodex (München, BSB, Clm 13601, fol. 3v) heran, wobei er sich auf den Beitrag von Sokołowski berief. Der Beginn des Ersten Weltkrieges vereitelte die Fertigstellung einer von Władysław Podlacha geplanten mehrbändigen polnischen Kunstgeschichte, von der nur die ersten drei Hefte erschienen, in deren letztem auch das Sakramentar aus Tyniec erwähnt wird.8 Podlacha verwies in dem kurzen Abschnitt auf Sobieszczański und Sokołowski; die rheinische Entstehung der Handschrift sah er durch die Nennung der Kölner Heiligen belegt. Nach einer allgemeinen Beschreibung des Rahmendekors, der Zierinitialen und figürlichen Miniaturen zog Podlacha Parallelen zum Stil des karolingischen Codex Aureus von St. Emmeram (München, BSB, Clm 14000), die er nicht weiter vertiefte. Er erwog die Möglichkeit, dass sich rheinische Buchmaler in Tyniec niedergelassen hätten, und verwies beispielhaft für ein von ihnen in Polen geschaffenes Werk auf das Evangeliar Ms. 25 aus der Seminarbibliothek in Posen. Dieses verfüge über zwei mennigefarbene und blaue Zierinitialen mit goldener und silberner Einfassung sowie auf den Kehrseiten jener Blätter – möglicherweise nicht fertiggestellte – Federzeichnungen der Evangelisten Markus und Johannes. 1916 stellte der Benediktiner und Liturgiewissenschaftler Kunibert Mohlberg9 in der Morgenausgabe der Kölnischen Volkszeitung auf Initiative des Vorsitzenden des Denkmalrates der Rheinprovinz, Paul Clemen, das Sakramentar aus Tyniec als „Eine vergessene Kölner Prachthandschrift in Warschau“ vor.10 Nach der kurzen Erwähnung bei Swarzenski war dies der erste deutschsprachige Beitrag, der sich dem Sakramentar widmete. Zur Datierung der Handschrift stützte sich Mohlberg, wie bereits Sokołowski, auf den Kalen 6 Sokołowski 1896 (wie Anm. 5), S. CX–CXII.  7 Georg Swarzenski: Die Regensburger Buchmalerei des 10. und 11. Jahrhunderts. Studien zur Geschichte der deutschen Malerei des frühen Mittelalters (Denkmäler der süddeutschen Malerei des frühen Mittelalters, Bd. 1), Leipzig 1901, S. 93, Anm. 3.  8 Władysław Podlacha: Historia malarswta polskiego, Bd. 1: Od średniowiecza do wieku XVIII-go, Teil 1: Malarstwo średniowieczne, Lemberg 1914, S. 41–43. – Zu Podlacha und dem Vorhaben vgl. Mieczysław Zlat: Władysław Podlacha (1875–1951), in: Rocznik Historii Sztuki 37 (2012), S. 21– 37, insb. S. 24.  9 Vgl. Art. Mohlberg, Kunibert, in: Deutsche Biographie 17 (1994), S. 694 f. (Angelus A. Häussling); https://www.deutsche-biographie.de/sfz64178.html (letzter Zugriff: 31.12.2017). 10 Kunibert Mohlberg: Eine vergessene Kölner Prachthandschrift in Warschau, in: Kölnische Volkszeitung 713 (4. September 1916), S. 2.

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dereintrag zu Ulrich von Augsburg, dessen Feier von dem Kölner Erzbischof Hermann II. (amt. 1036–1056) in Köln eingeführt worden sei. Die Kölner Heiligen im Kalendarium und Messkanon würden die Herkunft der Handschrift belegen, die durch Abt Aaron nach Tyniec gekommen sein könne. Zur Ausstattung erwähnte er die Zierinitiale am Anfang der Präfation, die Maiestas Domini sowie den Kruzifixus „von einer ganz eigentümlichen Kraft des Ausdruckes“. Zur kunsthistorischen Einordnung blieb Mohlberg vage: „Wie mir der beste Kenner karolingischer Buchkunst, der meine Photographien sah, mitteilt, gehört die Handschrift zu einer Gruppe, die ziemlich groß und sehr interessant sein soll, und die mit einer anderen von Elfenbein Zusammenhänge aufweist.“ Auch Mohlberg erwähnte das Fehlen des traditionellen Sakramentartitels und ordnete die Handschrift der Gruppe der Gregorianischen Sakramentare zu. Mit direktem Bezug auf Mohlberg zählte der Kölner Bibliothekar Klemens Löffler im Jahr 1923 unter den Handschriften aus St. Gereon auch das Sakramentar auf: „Warschau, Familienbibliothek des Grafen Zamoyski (früher Abtei Tyniec bei Krakau): Sakramentar. 11. Jh.“11

Von Wilhelm Köhler bis Peter Bloch und Hermann Schnitzler Eine erste zusammenhängende Behandlung der Kölner Buchmalerei des 10. und 11. Jahrhunderts erfolgte 1922 in der Dissertation von Heinrich Ehl. Der Schüler von Paul Clemen unternahm eine erste Strukturierung der Handschriften und unterschied dabei fünf Gruppen: die Schulbegründung, den malerischen Hauptstil, den malerischen Mischstil, den dekorativen Stil und den frühromanischen Stil.12 Im Jahr 1925 erschien eine Rezension von Wilhelm Köhler, der Ehls Grundsatz einer „logischen Entwicklung“ in mittelalterlicher Kunst aufgrund des wissenschaftlich ungenauen Deutungsspielraumes ablehnte.13 Ferner kritisierte Köhler, dass Ehl in seiner Zusammenschau wesentliche Forschungsbeiträge und Handschriften selbst übersehen habe, so nannte und ergänzte er unter anderem „ein sehr wichtiges Kölner Sakramentar mit Initialseiten, Majestas- und Cru­ zifixusbildern, ein Mittelglied zwischen der [...] malerischen und der dekorativen Gruppe, in 11 Klemens Löffler: Kölnische Bibliotheksgeschichte im Umriß. Mit einer Nachweisung kölnischer Handschriften und einem Beitrag von Goswin Frenken über den Katalog der Dombibliothek von 833, Köln 1923, S. 75. – Zu St. Gereon vermerkte Löffler in einer knappen Anmerkung: „Über eine ­Bibliothek von St. Gereon liegen Nachrichten nicht vor. Das Inventar von 1370 [...] enthält nur liturgische und Prachtbücher.“ 12 Heinrich Ehl: Die ottonische Kölner Buchmalerei. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der frühmittelalterlichen Kunst in Westdeutschland (Forschungen zur Kunstgeschichte Westeuropas, Bd. 4), Bonn 1922. 13 Wilhelm Köhler: Rezension von Heinrich Ehl „Die ottonische Kölner Buchmalerei“, in: Repertorium für Kunstwissenschaft 46 (1925), S. 205–209, hier S. 205.

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der Warschauer Bibliothek“. Da Ehl zu weiten Teilen auf dem Material aufbaute, das Arthur Haseloff und Paul Clemen 1904 in Düsseldorf auf der Landesschau präsentiert hatten (und wo der Warschauer Codex nicht berücksichtigt worden war),14 betraf diese Kritik die gesamte Forschung zur Kölner Malerei bis zu diesem Zeitpunkt. 1961 nannte Hermann Schnitzler in seinem Beitrag zum Spätstil der ottonischen Kölner Malerei Köhler und Feliks Kopera als Initiatoren der Berücksichtigung des Sakramentars aus Tyniec in der Forschung zur Kölner Buchmalerei.15 Feliks Kopera war ein polnischer Kunsthistoriker und Direktor des Nationalmuseums in Krakau, der 1925 bis 1929 ein dreibändiges Werk zur Geschichte der Malerei in Polen veröffentlichte. Im ersten Band, welcher der mittelalterlichen Malerei gewidmet war, fand auch das Sakramentar aus Tyniec Erwähnung.16 In einer historischen Kontextualisierung beschrieb Kopera, wie Kasimir der Erneuerer gemeinsam mit Benediktinern der Kölner Erzdiözese und einer Handvoll Rittern aus Köln nach Polen gekommen sei, um seinen Sitz in Krakau einzunehmen und dort ein Erzbistum zu begründen. Mit der Geistlichkeit seien aus Köln auch mit Miniaturen geschmückte, liturgische Bücher nach Polen gelangt. Diese sollen zur Ausstattung Kasimirs und des ihn begleitenden Bischofs Aaron gehört haben und seien Geschenke von Kasmirs Mutter Königin Richeza und deren Bruder, dem Kölner Erz­ bischof Hermann II., gewesen. Die ursprüngliche Bibliothek des Klosters Tyniec habe ihre Fülle vor allem den Kölner Gaben dieser Zeit zu verdanken gehabt. Durch die Einfälle der Schweden sei der Bestand der Klosterbibliothek größtenteils zerstreut worden; erhalten geblieben sei das Sakramentar, das im 19.  Jahrhundert von der Ordynacja ­Zamoyska aufgekauft worden sei. Zum Inhalt der Handschrift bemerkte er, wie bereits Sokołowski und Mohlberg, dass der Kalender vornehmlich Kölner Heilige aufzählt, und hob die mit Silber beschriebenen und farbenprächtig eingerahmten Purpurseiten sowie die von gewundenem Flechtwerk gefüllten Zierinitialen hervor. Den Miniaturen widmete sich Kopera mit entsprechenden ikonographischen Beschreibungen, wobei er bei der Maiestas Domini den majestätischen Charakter der Cherubinen unterstrich und die Inschrift des hochgehaltenen Buches „Rex regnum et Dominus dominantium“ betonte. 14 Vgl. Paul Clemen: Verzeichnis der Bilderhandschriften und Zeichnungen, in: Kunsthistorische Ausstellung Düsseldorf 1904. Katalog, Düsseldorf 1904, S. 169–200. – Arthur Haseloff: Photographien rheinländischer Buchmalereien des IX. bis XIV. Jh., in: ebenda, S. 201–206. – Vgl. hierzu auch Klaus Gereon Beuckers: Geschichte, Forschungsstand und Forschungsproblematik des Gerresheimer Evangeliars, in: Das Gerresheimer Evangeliar. Eine spätottonische Prachthandschrift als Geschichtsquelle, hg. v. Klaus Gereon Beuckers und Beate Johlen-Budnik (Forschungen zu Kunst, Geschichte und Literatur des Mittelalters, Bd. 1), Köln 2016, S. 13–64, hier S. 17–21. 15 Herrmann Schnitzler: Zum Spätstil der ottonischen Kölner Malerei, in: Festschrift für Hans R. Hahnloser zum 60. Geburtstag 1959, hg. v. Ellen Judith Beer, Paul Hofer und Luc Mojon, Basel 1961, S. 207–222, hier S. 207. 16 Feliks Kopera: Dzieje malarstwa w Polsce, Bd. 1: Średniowieczne malarstwo w Polsce, Krakau 1925, S. 3–5.

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Das bartlose Gesicht des gekreuzigten Christus verglich er mit frühchristlicher Kunst, wobei das Antlitz jedoch weit entfernt von der Regelmäßigkeit klassischer Züge sei, nahezu „hässlich“. Die rechteckige Krone auf dem Haupt Christi sei dem Typus Mieszkos II. und weiterer Herrscher der ersten Jahrzehnte des 11. Jahrhunderts nachempfunden. Kopera hob die Lichtsetzung mit weißen Höhungen hervor, die den Formen vornehmlich im Faltenwurf Plastizität verleihe. Die Gesamtkomposition beschränke sich auf die notwendigsten Linien. Zu den vier Medaillons im Zierrahmen der Vere-dignum-Seite bemerkte Kopera, dass die Portraits auf Goldgrund wie Kopien frühchristlicher Mosaiken wirken würden. Abschließend datierte er das Sakramentar auf die ersten Jahrzehnte des 11. Jahrhunderts. Stil und Technik der Miniaturen seien der Malschule zuzuordnen, die sich im 10. und 11. Jahrhundert in Köln entwickelt habe. Die Inschrift auf dem aufgeschlagenen Buch der Maiestas Domini und die Verwendung der ‚Königsfarbe‘ Purpur würden darauf hindeuten, dass die Handschrift von den Benediktinern zum Verlesen der Messe für den Hof verwendet und diese dementsprechend für Kasimir den Erneuerer in Auftrag gegeben worden sei. Der deutsch-amerikanische Kunsthistoriker Hanns Swarzenski, Sohn von Georg Swarzenski, verfasste 1930 einen Beitrag zu deutschen Miniaturen des frühen Mittelalters in amerikanischem Besitz.17 Im Abschnitt zum Kölner Evangeliar der Pierpont Morgan Library (New York, Morgan Library, Ms. M. 651) beschrieb er dessen Farbcharakter mit den Hauptakkorden Braunrot, Olivgrün, Blauweiß und Grauviolett samt weißer Höhungen als typisch für die Gruppe der Kölner Handschriften, die sich zwischen „der malerisch-illusionistischen Art des Gereon-Sakramentars in Paris und der mehr dekorati­ ven, zur linearen Erstarrung neigenden Richtung des Abdinghofener und des Warschauer Kodex“ bewege. Im selben Jahr legte Albert Boeckler das seinerzeit für die Erforschung der frühmittelalterlichen Buchmalerei maßgebende Überblickswerk vor.18 Auf die Warschauer Handschrift wurde, mit Verweis auf die Untersuchungen von Kopera, kurz im Tafelverzeichnis verwiesen, wo eine Abbildung der Vere-dignum-Zierseite des Sakramentars aus Mönchengladbach in Freiburg (UB, Hs. 360a) enthalten und mit einer Datierung um 1060 bezeichnet war: „Im Rahmen Büsten, wie man sie in Köln und schon vorher in Trier öfter findet. Dieselbe Komposition in einer gleichzeitigen und zur gleichen Gruppe gehö­ rigen Hs. in der Bibliothek Zamoyski in Warschau.“ Im Jahr 1936 gaben die Warschauer Kunsthistoriker Michał Walicki und Juliusz Starzyński ein Überblickswerk zur Geschichte polnischer Kunst heraus und wandten sich in einem Kapitel zur romanischen Kunst unter den Piasten und Jagiellonen auch dem 17 Hanns Swarzenski: Die deutschen Miniaturen des frühen Mittelalters in amerikanischem Besitz, in: Zeitschrift für Bildende Kunst 63 (1930), S. 193–199, hier S. 195. 18 Albert Boeckler: Abendländische Miniaturen bis zum Ausgang der romanischen Zeit (Tabulae in usum scholarum, Bd. 10), Berlin 1930, S. 111.

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Sakramentar aus Tyniec zu.19 Sie datierten die Kölner Handschrift in die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts und hoben als besonderes Charakteristikum den geradlinigen Zeichenstil sowie die kontrastreiche Licht- und Schattenakzentuierung hervor. Zur Maiestas Domini sahen sie eine Unterordnung der Flächenhaftigkeit zugunsten der Bewegung, die sich durch eine dynamische Strichführung äußere. Die Vielschichtigkeit würde durch die Bewegung der Cherubimhände und das Ausgreifen ihrer Flügel über den Rahmen hinaus unterstrichen. In der kompositorischen Dynamik zeichne sich eine „kämpferische Stim­ mung“ ab, die das apostolische Wirken der Benediktiner aus Tyniec im Kampf gegen die alten Götter widerspiegele. Zwei Jahre später veröffentlichte die Kuratorin des Warschauer Kupferstichkabinetts Stanisława Sawicka das Handbuch „Grafika Polska“ zur Sammlung der Nationalbibliothek in Warschau, in der sie sich ausführlich illuminierten Handschriften widmete. 20 Nach einer allgemeinen Beschreibung zu Material, Einband, Schrift und Provenienz des Sakramentars aus Tyniec ging Sawicka detailliert Seite für Seite dem Inhalt nach. Die Ausstattung der ersten Blätter der Handschrift, mit Goldschrift auf Purpurgrund, sei ein Musterbeispiel für Codices Aurei. Zur Bestimmung der Malschule stützte sich Sawicka auf stilistische Besonderheiten, wobei sie besonders die steif drapierten, parallelisierten Gewandfalten mit kontrastreicher Schattierung und die charakteristische Farbzusammenstellung mit dominierenden Blautönen und weißen Akzenten hervorhob. Diese Merkmale würden die Zuordnung zur Kölner Schule bestätigen, die in der bisherigen Forschung vordergründig anhand der erwähnten Kölner Lokalheiligen im Kalendarium bestimmt worden sei. Als Vergleichswerke für das Tyniecer Sakramentar führt sie das Abdinghofer Evangeliar (Berlin, SMB KK, Cod. 78 A 3) und das Freiburger Sakramentar an. Gestützt auf Swarzenski und Boeckler datierte sie die Handschrift stilistisch um 1060. Franz Rademacher, der Direktor des Rheinischen Landesmuseums in Bonn, veröffentlichte 1941 einen Beitrag zum Werdener Bronzekruzifixus.21 Dieser sei „ein eindring­ liches Beispiel für die in der Plastik der spätottonischen Zeit einsetzende „Erstarrung“ des vor­ her mehr organisch bewegten Körpers“ und folglich „ein Werk des Übergangs zur romanischen Epoche“. Anhand von Vergleichsstücken versuchte Rademacher die Entstehungszeit und das ursprüngliche Aussehen der seiner Ansicht nach nicht original erhaltenen Arme zu rekonstruieren. Als unmittelbare stilistische Parallelen verwies er auf die Kruzifixe in den 19 Michał Walicki / Juliusz Starzyński: Dzieje sztuki polskiej, Warschau 1936, S. 23 f. 20 Stanisława Sawicka: Muzeum narodowe w Warszawie. Grafika polska. Przewodnik po wystawie retrospektywnej, Warschau 1938. – Hier in der französischen Ausgabe herangezogen: Stanisława Sawicka: Les principaux manuscrits à peintures de la Bibliothèque nationale de Varsovie, du Château royal et des bibliothèques des Zamoyskià Varsovie, du Séminaire de Plock et du chapitre de Gniezno, in: Bulletin de la Société Française de Reproductions de Manuscrits à Peintures 19 (1938), S. 196–205. 21 Franz Rademacher: Der Werdener Bronzekruzifixus, in: Zeitschrift des deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 8 (1941), S. 141–158.

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Kölner Sakramentaren in Freiburg und Warschau. Deren Stilstufe sei durch eine ausgesprochen zeichnerische Grundhaltung mit klar geordnetem Liniensystem gekennzeichnet, die einen Vergleich mit dreidimensionalen Werken nahelege. Die größte Übereinstimmung zeige sich in der Freiburger Handschrift, die sich durch überschlanke Proportionen und scharfe Linearität kennzeichne. Das Warschauer Sakramentar weise eine weichere Körperbildung und eine weniger ausgeprägte lineare Stilisierung auf. Rademacher, der auf Köhler, Boeckler, Kopera und (nachgetragen) Sawicka verwies, las die kastenförmige flache Kopfbedeckung als vereinfacht wiedergegebenen Kronreif, wie er beispielsweise auch bei dem Kruzifixus des Uta-Evangelistars (München, BSB, Clm 13601) zu finden sei. Die Verwandtschaft der Kruzifixe in den beiden Kölner Handschriften und dem Werdener Bronzekruzifixus berechtige zur Ergänzung der fehlenden Arme der Plastik nach dem Vorbild der Miniaturen. Gestützt auf stilistische Argumente ordnete Rademacher den Warschauer Codex zeitlich zwischen dem Evangeliar aus Gerresheim und dem Freiburger Sakramentar ein und untermauerte seine These durch den historischen Kontext. Nach Kalender, Schriftcharakter und Malerei handele es sich zweifellos um ein kölnisches Werk, das durch die Beziehungen von Kasimir dem Erneuerer, seiner Mutter Richeza, ihrem Bruder Erzbischof Hermann II. und dem von Kasimir zum Bischof von Krakau ernannten, durch Hermann in Köln geweihten Abt Aaron von Köln nach Polen gelangt sei: „Durch die Todesjahre 1056 für Erzbischof Hermann und 1058 für Kasimir (Ri­ cheza starb 1063) erhalten wir nun einen ziemlich sicheren terminus ante, der zu der Datie­ rung des stilistisch etwas späteren Freiburger Sakramentars um 1060 sehr gut paßte.“ Im Jahr 1951 erschien post mortem ein von Władysław Semkowicz verfasstes Lehrbuch zur lateinischen Paläographie.22 Vor wenigen Jahren in dritter Auflage erschienen, ist es in Polen noch heute ein Standardwerk für die historischen Hilfswissenschaften. In breit gefächerter Manier wird die Geschichte der lateinischen Schrift dargelegt, wobei das Schreibmaterial und -verfahren selbst, mittelalterliche Bibliotheken, die Entwicklung der Schrift sowie die Epigraphik ausführlich behandelt werden. Das Sakramentar aus Tyniec findet mehrmals Erwähnung, so beispielsweise stellvertretend für Purpurcodices. In einem Abschnitt zu den bedeutendsten rheinischen Malschulen nennt Semkowicz neben der Reichenau, Trier und Echternach auch Köln, verknüpft mit französischen Einflüssen, welche sich besonders im Warschauer Sakramentar widerspiegeln würden. Er brachte den 22 Semkowicz wirkte bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges als Professor für Geschichte an der Jagiellonen-Universität, im Zuge der ‚Sonderaktion Krakau‘ wurde er deportiert und nach seiner Rückkehr aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen am Institut für Deutsche Ostarbeit angestellt, wo er der nichtstaatlichen Abteilung im Archiv zugeteilt wurde. Hier inventarisierte und katalogisierte er die Handschriften der Jagiellonen-Bibliothek und des Czapski-Museums. Im Verborgenen schrieb er an der „Paleografia łacińska“, die ursprünglich als erster Band von dreien, jeweils einer historischen Hilfswissenschaft gewidmet, geplant war. Vgl. Bożena Wyrozumska: Posłowie (Vorwort), in: Paleografia Łacińska, hg. v. Władysław Semkowicz, Krakau 2011 (OA 1951), S. 539–541.

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Prachtcodex direkt mit Abt Aaron aus Brauweiler und der Neuchristianisierung Polens unter Kasimir dem Erneuerer und Bolesław dem Kühnen in Verbindung. Aaron sei als Missionar nach Polen gesendet worden, wo er sich mit den ihn begleitenden Benediktinermönchen in Tyniec bei Krakau niedergelassen habe.23 „Wie soll diese neue Missionarsar­ beit möglich gewesen sein ohne kirchliche, liturgische Bücher!“, proklamierte er und verwies auf das Sakramentar, das gemeinsam mit inzwischen verloren gegangenen Büchern aus jener Zeit stammen müsse. In einem Abschnitt zu Kalendarien nannte er die im Sakramentar aus Tyniec erwähnten Kölner Heiligen als Beispiel zur Provenienzermittlung.24 Die Verbindung zu Köln lasse sich aber noch deutlicher an den Miniaturen und Zierinitialen ablesen; beispielhaft wurden die Parallelen der Kreuzigungs- und der Vere-dig­ num-Zierseite zum Freiburger Sakramentar sowie der Initialornamentik zum Abdinghofer Evangeliar genannt. Wie für diese verwandten Codices solle die Datierung um 1060 auch für die Warschauer Handschrift gelten. Semkowicz schloss eine detaillierte Untersuchung der im Codex verwendeten Schrift an, die eine solche Datierung ebenfalls stütze. Mit der fortschreitenden Christianisierung sei die Zahl liturgischer Prachtbücher im „erneuerten“ Polen stetig gestiegen und es habe eine neue Ära in der Geschichte polnischer Handschriften begonnen, deren Anfang das in Köln entstandene Sakramentar markiere.25 Auf die nahe Verwandtschaft des Sakramentars aus Tyniec zu dem Freiburger Sakramentar und dem Abdinghofer Evangeliar verwies 1957 erneut Albert Boeckler in einem ausführlichen Katalogbeitrag zur Freiburger Handschrift.26 Diese sei Teil einer die Spätstufe der ottonischen Kölner Buchmalerei repräsentierenden Gruppe, zu der auch „ein jetzt verschollenes Sacramentar, das sich früher als Cim. 8 in der Bibliothek Zamoyski in Warschau befand, ein Evangeliar aus Abdinghof im Berliner Kupferstich-Kabinett, ein weite­ res im British Museum und zwei Blätter eines dritten im Germanischen Museum“ gehörten. Besonders nahe stünden sich innerhalb dieser Reihe das Freiburger Sakramentar und das Abdinghofer Evangeliar, die als „künstlerisch bedeutendste Leistung“ den Stil voll entfaltet hätten; die Warschauer Handschrift hingegen sei „sicher von einem anderen Maler und wohl etwas früher“. Ausgehend von Rademachers Besprechung der Kreuzigungsdarstellungen in den Kölner Handschriften und bei Bildwerken entfaltete sich hierzu eine breitere, wenig kontroverse Forschungsdiskussion. In einem Aufsatz zur Nachfolge des Gerokreuzes im Köl23 Semkowicz 2011 (wie Anm. 22), S. 150. 24 Bronisław Włodarski (Red.): Chronologia polska, Warschau 1957, S. 207–212 nennt unter den ältesten Kalendern Polens und weiteren mittelalterlichen Codices auch das Sakramentar aus Tyniec und gibt dabei einen Auszug der Kalenderseiten von pag. 7–30 ohne weitere Kommentartexte. 25 Semkowicz 2011 (wie Anm. 22), S. 279–281. 26 Albert Boeckler: Das spätottonische Sacramentar Ms. 360a der Freiburger Universitätsbibliothek, in: Kunstwerke aus dem Besitz der Albert-Ludwig-Universität Freiburg im Breisgau, hg. v. Albert-Ludwig-Universität Freiburg, Berlin 1957, S. 13–16.

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ner Dom zog Hanns-Ulrich Haedeke wieder die Miniaturen in Freiburg und Warschau heran.27 Sie würden in verstärktem Maße eine scharfe Geradlinigkeit sowie eine Straffung und Vertikalisierung der Haltung aufweisen. Als besondere Eigentümlichkeit nannte ­Haedeke die steile Haltung der Arme, die beim Gerokreuz durch die Last des hängenden Körpers bedingt sei, bei den Kruzifixminiaturen hingegen „ohne zwingende Notwendigkeit in übersteigerter Form“ erscheine. „Sie erstarrt, spiegelt nicht mehr das Geschehen, sondern ist überzeitlicher Bedeutungsträger. Sie ist nur noch Zeichen für Schmerz, Leid und Opfer Christi, nicht mehr naturalistische Wiedergabe einer Szene.“ In einem Aufsatz von Rudolf Wesenberg zum Kruzifixus aus Brempt wurden 1960 die Kruzifixe der Kölner Buchmalerei des linearen Stils erneut als stilistische Vergleichsstücke herangezogen.28 Als auffälligstes Merkmal beschrieb Wesenberg die Faltenparallelität an den Lendentüchern, die, nach unten hin leicht zulaufend, entfernt eine Körperlichkeit andeuten. In den Lendentuchfalten des Warschauer Sakramentars sah er eine Art Plissierung, die er mit dem Bronzekruzifixus aus Werden verglich. Dem Kruzifixtypus wies Wesenberg einen zeichnerischen Charakter in der Körpergliederung zu, mit einer tendenziell symmetrischen, klaren Gruppierung und beruhigten Umrissen. Auch die Dissertation des Kunsthistorikers Reiner Haussherr 1962 zur Ikonographie des Gerokreuzes verwies unter zahlreichen Kruzifixen der deutschen Schatzkunst des 10. und 11. Jahrhunderts auch auf die Darstellungen in den beiden Sakramentaren, die er als beinahe identisch beschrieb und um 1060 datierte.29 „Der malerisch bewegte Stil des ausgehenden zehnten Jahr­ hunderts ist von einem streng zeichnerisch-linearen Stil abgelöst worden. Der Kruzifixus er­ starrt zu einem graphischen Gebilde. Die Arme sind nach oben gestreckt, die Hände förmlich nach unten gebogen, obgleich die Kreuznägel mitten in den Handflächen sitzen.“ „In dem Warschauer Blatt trägt Christus einen Kronreif.“ Auf den Typus der Kölner Buchmalerei habe das Gerokreuz in Hinblick auf Ikonographie und Ausdrucksgehalt zweifellos eingewirkt, doch sei dieses keineswegs das alleinige Vorbild, was sich unter anderem an den stark abweichenden Unterkörpern zeige. Krystyna Muszyńska ordnete 1966 in einem Beitrag zu den mittelalterlichen Handschriften in der Warschauer Nationalbibliothek die vor dem Zweiten Weltkrieg etwa 360 erhaltenen Handschriften, darunter über 50 illuminierte, nach ihrer Herkunft, wobei der überwiegende Teil der Sammlung aus dem 15. Jahrhundert stamme. Der älteste Codex sei

27 Hanns-Ulrich Haedeke: Das Gerokreuz im Dom zu Köln und seine Nachfolge im XI. Jahrhundert, in: Kölner Domblatt. Jahrbuch des Kölner Dombau-Vereins 14/15 (1958), S. 42–60, hier insb. S. 51 f. 28 Vgl. Rudolf Wesenberg: Der Kruzifixus aus Brempt, in: Jahrbuch der Rheinischen Denkmalpflege 23 (1960), S. 23–42, insb. S. 38–40. 29 Reiner Haussherr: Der tote Christus am Kreuz. Zur Ikonographie des Gerokreuzes, masch. schr. Diss. Bonn 1963, S. 53.

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das Sakramentar aus Tyniec, ein Kölner Werk aus der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts, das sich bereits in jenem Jahrhundert in Polen befunden habe.30 1968 untersuchte Jan Węcowski das Sakramentar im Zuge seiner Erforschung der Anfänge des benediktinischen Chorals in Polen.31 Er gilt als Entdecker der ältesten erhaltenen Neumennotationen in Polen – im Sakramentar aus Tyniec. Für den Aufbau der Handschrift verwies er neben dem Kalendarium, dem Canon missae und den Messformularen zu Hochfesten sowie Gedenktagen vor allem auch auf die vorgehefteten Blätter, die drei weitere Messen beinhalten: Missa in ipso die Dedicatione Ecclesiae et per totum annum, Missa communis sowie Missa pro Rege et exercitu eius. Sie unterschieden sich durch ihre Einfachheit in Schrift und Fertigung und wären vermutlich nachträglich an den fertigen Codex geheftet worden. Die Auswahl der Formulare zur Kirchweihe, zur gemeinen Messe sowie der für den König und seine Truppen scheine nicht willkürlich, sondern zweckdienlich in einer Zeit der kirchlichen Neuorganisation in Polen nachgetragen worden zu sein. Auch die reiche malerische Ausstattung unterstreiche die Bedeutung der Handschrift in Zeiten der Christianisierung und wirke feierlich auf den Betrachter ein. Aufgrund zahlreicher Nachtragungen, Radierungen und Ergänzungen könne von einem beständigen Gebrauch des Sakramentars in der Abtei Tyniec wenigstens bis ins 13. Jahrhundert ausgegangen werden. Das Hauptinteresse Węcowskis galt jedoch den Neumen, die er bereits in ersten Untersuchungen 1962 entdeckt hatte. Notationen des cheironomischen Typus lassen sich im Exsultet sowie im Flectamus genua und Levate der Karfreitagsliturgie finden,32 wobei die Neumen im Osterlob gemeinsam mit dem Sakramentar entstanden seien, die Neumen der Karfreitagsfürbitten hingegen in ihrer Schrift Eigenschaften des 12. Jahrhunderts aufweisen würden, was von einem liturgisch-choralischen Wirken des Tyniecer Skriptoriums zeuge. Feine Variationen der Notationen für gleiche Textpassagen würden die musikalische Subtilität und das hohe Niveau des Choralgesangs dokumentieren. Nach Węcowski habe sich der benediktinische Choral von Tyniec aus nach ganz Polen verbreitet und dabei nicht nur Einfluss auf die Klöster des eigenen Ordens genommen. 30 Vgl. Krystyna Muszyńska: Rękopisy średniowieczne w zbiorach Biblioteki Narodowej, in: Biuletyn Informacyjny Biblioteki Narodowej 2 (27) (1966), S. 5 f. – Im ein Jahr später erschienenen Inventarband Barbara Kocówna / Krystyna Muszynska: Inwentarz Rękopisow Biblioteki Ordynacji Zamojskiej, Warschau 1967, S. 1, Nr. 8 ist das „sacramentarium / Sakramentarz Tyniecki“ mit folgenden Angaben aufgeführt: Latein, 11. Jahrhundert, Pergament, 28 x 22 cm, 235 Blatt, 470 S., illuminiert. 31 Jan Węcowski: Początki choralu benedyktyńskiego w Polsce 968–1150, in: Musica Medii Aevi 2 (1968), S. 40–51, hier S. 45–51. – Weitere musikwissenschaftliche Beobachtungen bei Hieronym Feicht: Muzyka liturgiczna w polskim średniowieczu, in: Musica Medii Aevi 1 (1965), S. 9–52, insb. S. 12. 32 Die eingesetzten Neumen waren im Exsultet: punctum, virga, virga episematica, virga prepunctae, pes, clivis und climacus; im Flectamus genua und Levate: punctum rectum, punktum cursivum, virga, virga episametica, pes, clivis, climacus und porrectus. Vgl. Węcowski 1968 (wie Anm. 31), S. 49 f.

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Einen grundlegenden Einschnitt in die Forschung zur Kölner Buchmalerei bildet das 1967 (Katalog und Tafeln) und 1970 (Textband) erschienene Werk von Peter Bloch und Hermann Schnitzler.33 Der ottonischen Kölner Schule wurden zwanzig Handschriften zugeordnet und in Anlehnung an Arthur Haseloff in vier Hauptgruppen kategorisiert: die ‚Malerische Gruppe‘, die ‚Malerische Sondergruppe‘, die ‚Reiche Gruppe‘ und die ‚Strenge Gruppe‘ (ergänzt um einen Nachzügler).34 Zu der letzten, spätottonischen Phase gehöre auch das „Sakramentar aus der Benediktinerabtei Tyniez bei Krakau“. Seinen Inhalt geben Bloch / Schnitzler einleitend als „Sakramentar, enthaltend das Kalendarium auf 24 Purpurseiten, den Canon Missae auf 16 Purpurseiten mit der zugehörigen Präfation, die Meßgebete zum Proprium de tempore et de sanctis, Commune Sanctorum, Totenmessen, Votiv­ messen sowie Orationen“ wieder. Es werden alle Miniatur- und Zierseiten beschrieben und im Tafelteil großformatig abgebildet. Die Zusammensetzung einiger Seiten sei verunklärt, da es an verschiedenen Stellen Kontinuitätslücken gebe. Zur Kodikologie erwähnten Bloch / Schnitzler, die die Handschrift aus politischen Gründen selbst nicht einsehen konnten und stattdessen den damals noch wenig mit Buchmalerei vertrauten Anton von Euw nach Warschau schickten, das vorgeheftete Doppelblatt aus Papier und die vermutlich aus dem 19. Jahrhundert stammende Seitenzählung, eine nachkorrigierte Textstelle auf pag. 140, herausgeschnittene und wieder eingeklebte Seiten auf pag. 51 und 52 sowie Zierinitialen auf pag. 273 und 364, die einfacher gestaltet seien und von anderer Hand stammen müssten. Im beschreibenden Teil werden für die 235 Pergamentblätter Maße von 28,5 x 22,4 cm angegeben, die einspaltig und 18-zeilig in karolingischer Minuskel 33 Peter Bloch / Hermann Schnitzler: Die Ottonische Kölner Malerschule, 2 Bde., Düsseldorf 1967/70, zum Sakramentar aus Tyniec insb. Bd. 1, S. 100–103 mit Taf. 373–390. 34 ‚Malerische Gruppe‘: Everger-Lektionar (Köln, Dombibliothek, Cod. 143), Kölner Evangeliar aus St. Gereon (Köln, Historisches Archiv, Best. 7010 Nr. 312), Evangeliar (Mailand, Biblioteca Ambrosiana, C 53 sup.), Sakramentar aus St. Gereon in Köln (Paris, Bibliothèque nationale, Lat. 817), Hitda-Codex (Evangeliar) (Darmstadt, Hessische Landes- und Hochschulbibliothek, Hs. 1640), Evangeliar (Gießen, Universitätsbibliothek, Hs. 660). – ‚Malerische Sondergruppe‘: Evangeliar aus der Abtei Saint-Gérard de Brogne (Namur, Bibliothèque du Grand Séminaire, M 43 [13]), GundoldEvangeliar (Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. bibl. qt. 2a/b), Gerresheimer Evangeliar (Gerresheim, Schatzkammer St. Margareta). – ‚Reiche Gruppe‘: Evangeliar aus St. Maria ad Gradus in Köln (Köln, Dombibliothek, Cod. 1001a), Evangeliar (New York, Morgan Library & Museum, MS M. 651), Bamberger Evangeliar (Bamberg, Staatliche Bibliothek, Msc. Bibl. 94), Evangelistar aus dem Kölner Dom (Köln, Dombibliothek, Cod. 144; in Bd. 2 ausgeschieden). – ‚Strenge Gruppe‘: Stuttgarter Evangeliar aus St. Gereon in Köln (Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Bibl. fol. 21), Einzelblätter aus einem Evangeliar (Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Kupferstichkabinett, Mn 394 u. 395), Sakramentar aus Tyniec bei Krakau (Warschau, Biblioteka Narodowa, BOZ 8), Sakramentar aus Mönchengladbach (Freiburg, Universitätsbibliothek, Hs. 360a), Evangeliar (London, British Library, Harley MS 2820), Evangeliar aus der Abtei Abdinghofen in Paderborn (Berlin, Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett, Cod. 78 A 3); ‚Nachzügler‘: Lyskirchen-Evangeliar aus St. Georg in Köln (Köln Schatzkammer St. Georg).

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beschrieben seien. Der Buchdeckel aus Holz mit Kalbslederüberzug trage das Wappen der Benediktinerabtei Tyniec und stamme aus der Zeit des Eintrags von 1656 auf pag. 1. In Bezug auf die Rahmenornamentik unternahmen Bloch / Schnitzler eine erstmalige Kategorisierung und unterschieden dabei sechs Typen des Blattfüllwerks: (a) Palmetten in Alternation mit einem Füllblatt, (b) mittlere Palmetten mit seitlichen lanzettförmigen Blättern, (c) nach innen gerichtete, von Halbblättern flankierte Palmetten in Alternation mit Spitzblättern, (d) mittlere Palmetten mit seitlich zugeneigten Halbblättern, (e) alternierende Halbblätter und (f ) Palmetten mit herzförmigen Umrandungen.35 Zur Geschichte des Sakramentars vermuten sie (mit Verweis auf eine Mitteilung des polnischen Kunsthistorikers Zygmunt Świechowski), dass die ersten Benediktiner durch Kasimir I. nach Polen gekommen seien und die Gründung der Abtei Tyniec Kasimir oder seinem Sohn Bolesław zugeschrieben werden dürfe. Es sei nicht auszuschließen, dass sich eine erste benediktinische Gründung auf dem Krakauer Wawel befunden habe und diese in den 1070er Jahren dann nach Tyniec übergesiedelt sei. Die Kontakte zwischen Köln und Krakau unter Kasimir könnten das Vorhandensein einer Kölner Handschrift in Polen erklären. Chronologisch setzten Bloch / Schnitzler das Sakramentar aus Tyniec aufgrund des Charakters seiner Linienführung nach den Nürnberger Einzelblättern (Germanisches Nationalmuseum, Kupferstichkabinett, Mn 394 u. 395), die sie an den Anfang der ‚Strengen Gruppe‘ stellten und um 1070 datierten, sowie vor der Freiburger Handschrift an und vermuteten eine Entstehungszeit um 1070/80. Als Begründung für diesen späten Zeitansatz, der sich gegenüber der bisherigen Forschung und auch von Hermann Schnitzlers noch 1961 vertretenen Datierung um 1060 deutlich absetzte, verwiesen sie auf stilistische Ähnlichkeiten mit Reliefs in Xanten und an St. Mauritz in Münster sowie vor allem mit einem im Zweiten Weltkrieg zerstörten Wandgemälde in der Dionysiuskapelle der Torhalle des Xantener Domes, für das sie eine Entstehung nach dem Xantener Dombrand 1081 vermuteten.36 Die Spätdatierung wurde von einem großen Teil der Forschung unkritisch übernommen. Maria Pietrusińska fasste 1971 in einem Katalogbeitrag zur Abtei Tyniec knapp den bisherigen Forschungsstand auch zum Sakramentar zusammen und stellte heraus, dass sich die Datierungsansätze vor Bloch / Schnitzler überwiegend auf die Zeit um 1060

35 Zu den insgesamt dreizehn Ornamentformen im Sakramentar aus Tyniec vgl. Ursula Prinz: Die Ornamentik der ottonischen Kölner Buchmalerei. Studien zum Rahmenfüllwerk (Libelli Rhenani. Schriften der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek zur rheinischen Kirchen- und Landesgeschichte sowie zur Buch- und Bibliotheksgeschichte, Bd. 71), Köln 2018. 36 Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 33), Bd. 2, S. 30.

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konzentrierten. Als Kompromiss zwischen der älteren Forschung und Bloch / Schnitzler setzte sie die Entstehung des Codex zwischen 1060 und 1070 an.37

Forschung des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts Eine erste wirksame Rezeption von Bloch / Schnitzler und ihrer Spätdatierung in Polen stellt der Band des Kunsthistorikers Piotr Skubiszewski 1973 zur karolingischen und vorromanischen Kunst als erster Teil einer Reihe zur europäischen Malerei des Mittelalters dar.38 In der gesamten ottonischen Malerei seien die Kölner Miniaturen besonders hervorzuheben, da sie sich als einzige konsequent durch ihre malerische Qualität ausgezeichnet hätten. Hierbei erwähnte er kurz das Warschauer Sakramentar und nannte dafür die Datierung von Bloch / Schnitzler um 1070/80. Eine knappe Beschreibung der malerischen Ausstattung schloss er mit der These, dass die Sakramentare der Kölner Malschule in der letzten Periode eher sparsam mit Verzierungen ausgestattet seien. Das Kölner Museum Schnütgen widmete 1975 eine Ausstellung dem Übergang der Kölner Kunst im dritten Viertel des 11. Jahrhunderts zur Romanik und stellte dabei den Kruzifixus aus St. Georg und dessen Auftraggeber Erzbischof Anno II. (amt. 1056–1075) in den Mittelpunkt.39 Zur stilistischen Erschließung der Kölner Kunst zwischen der spätottonischen und romanischen Epoche sollten neben den ausgestellten monumentalen Holzkruzifixen und den mit Walrossschnitzereien belegten Tragaltären auch die Miniaturen der Kölner Handschriftengruppe beitragen. Als Anliegen formulierte Museumsdirektor Anton Legner darzustellen, dass „die Kölner Kunst im dritten Jahrhundertviertel nicht allein als Derivat des Ottonischen zu betrachten ist“. Joachim M. Plotzek verfasste für den Ausstellungskatalog einen Beitrag zur Kölner Handschriftengruppe und postulierte in Anlehnung an die Datierungen von Bloch / Schnitzler die Entstehung der ‚Strengen Gruppe‘ zeitlich unter Erzbischof Anno.40 Das von Bloch / Schnitzler für die gesamte Kölner Buchmalerei zum Ausgangspunkt erklärte Manchester Evangeliar (John Rylands Library, Latin MS 98) sei mehr als ein halbes Jahrhundert nach seiner Entstehung erneut als Vorbild herangezogen worden, allerdings habe sich dieses Mal der Erneuerungsgedanke der Zeit in einem Stilwandel gezeigt. Die Kleinteiligkeit subtiler Formabstufungen 37 Maria Pietrusińska: Sztuka polska przedromańska i romańska do schyłku XIII wieku. Katalog i biografia zabytków, Warschau 1971, S. 772 f., insb. S. 773. 38 Piotr Skubiszewski: Malarstwo europejskie w średniowieczu, Bd. 1: Malarstwo karolińskie i przedromańskie, Warschau 1973, S. 197 f. 39 Monumenta Annonis. Köln und Siegburg. Welt und Kunst im hohen Mittelalter. Ausst. Kat. Schnütgen-Museum Köln, hg. v. Anton Legner, Köln 1975. 40 Joachim M. Plotzek: Die Kölner Handschriftengruppe, in: Kat. Köln 1975 (wie Anm. 39), S. 152– 162.

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sei durch einen übersichtlicheren Aufbau zugunsten der Symmetrie vereinfacht worden. Das Sakramentar aus Tyniec übernehme die Komposition des um 1000 datierten Stuttgarter Evangeliars aus St. Gereon (Stuttgart, WLB, Cod. bibl. fol. 21), das in einem kopistischen Verhältnis zum Manchester Evangeliar stehe: „So enthält die Majestas Domini des Warschauer Sakramentars im Faltenreichtum des Gewandes, dem Übereinanderliegen seiner Bahnen, in dem als Rudiment die karolingische Quelle überliefernden Faltenstrudel und in den abgerundeten Wulstfalten durchaus Elemente, welche die Figur zu einer dynamischen Ein­ heit fügen und die Malerei gleich in die Nachfolge des Evangeliars von St. Gereon setzen.“ Die übereinandergelagerten Ebenen von Mandorla, Evangelistensymbolen und Cherubinen nannte Plotzek einen „ottonischen Schichtenraum“, der das Tyniecer Sakramentar als Vorgänger des Abdinghofer Evangeliars herausstelle, welches aus Motiven und Formen zusammengesetzt erscheine. Die Kruzifixdarstellungen der Sakramentare in Warschau und Freiburg würden unter Weglassung alles Menschlichen die Endphase der ottonischen Kölner Buchmalerei charakterisieren: „Wie schwebend hängt der Korpus am Goldkreuz vor Pur­ purgrund, das zugleich Initiale zum Kanontext ist, und verliert in der Feingliedrigkeit der Arme und der lichten Farbigkeit seine ganze irdische Schwere.“ Der polnische Kunsthistoriker und Denkmalpfleger Zygmunt Świechowski, der schon Bloch / Schnitzler beraten hatte, gilt als Nestor der Forschung zur romanischen Baukunst in Polen.41 Als schriftliche Fassung eines Vortrags zur Ausstellung des Schnütgen-Museums legte er 1975 einen Beitrag zu der Stammmutter der Piasten, Königin ­Richeza von Polen, und den Beziehungen polnischer Kunst zu Köln im 11. Jahrhundert vor, in dem er neben architektonischen Zeugnissen unter anderem auch den Sakramentar aus der Abtei Tyniec behandelte.42 Die Entstehungszeit der Handschrift, die er als „eines der besterhaltenen und edelsten Werke der Kölner Malerschule des 11. Jahrhunderts“ bezeichnete, sah er in Korrektur zu Bloch / Schnitzler vor dem Jahr 1071. Er betonte das besondere Forschungsinteresse an der figürlichen Komposition der Kreuzigung bei Rademacher und Haussherr. Mit den mit Silber und Gold beschriebenen Purpurseiten gehöre das Sakramentar der Gruppe der Codices Purpurei an, die häufig Stiftungen regierender 41 Für seine kunsthistorische Forschung zur piastischen Dynastie wurde Świechowski 2012 mit dem Ehrenpreis „Nagroda Lednickiego Orła Piastowskiego“ des Muzeum Pierwszych Piastów na Lednicy ausgezeichnet. Vgl. http://www.lednicamuzeum.pl/strona,nagroda.html (letzter Zugriff: 31.10.2017). – Zygmunt Świechowski: Architektura Romańska w Polsce, Warschau 2000, S. 267 stellt die widersprüchliche Forschungsdiskussion zur Gründungszeit der Abtei Tyniec zusammen, die entweder mit Kasimir dem Erneuerer oder Bolesław dem Kühnen in Verbindung gebracht wurde. Auf „gegenwärtig verschollene“ Quellen gestützt, datiert er die Stiftung auf 1044 unter Kasimir dem Erneuerer und der Mitwirkung des Erzbischofs und ersten Abtes Aaron von Krakau. 42 Zygmunt Świechowski: Königin Richeza von Polen und die Beziehungen polnischer Kunst zu Köln im 11. Jahrhundert, in: Kölner Domblatt. Jahrbuch des Zentral-Dombau-Vereins 40 (1975), S. 27– 48.

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Fürsten waren. Es sei deshalb nicht unberechtigt, Richeza als Stifterin der Handschrift in Betracht zu ziehen, wodurch die Entstehungszeit in den letzten Lebensjahren der 1063 verstorbenen Königin anzunehmen sei. Zudem verwies er auf Grabfunde in Tyniec, einen Reisekelch und eine Patene, die mit Richeza in Verbindung stehen könnten. Eine Zusammenstellung und Einordnung der Stiftungstätigkeit der Familie der Ezzonen, zu der Königin Richeza gehörte, legte 1993 die Dissertation von Klaus Gereon Beuckers vor. Er wies die These von Świechowski zurück: „Ausgeschlossen werden können die auf Richeza zurückgeführten Stiftungen des Sakramentars und die Grabfunde eines goldenen Reisekelches und einer Patene in Tyniec“,43 da die polnische Stiftungstätigkeit Richezas mit ihrer Rückkehr ins Reich 1036 geendet habe. Vielmehr kämen für die Stiftungen in Tyniec die nachfolgenden Generationen in Frage, mit Kasimir als Gründer der Abtei und dessen Söhnen als möglichen Stiftern der Prachthandschrift an Tyniec.44 Krystyna Muszyńska verfasste wie bereits 1966 auch im Jahr 1988 einen Beitrag für den Informationsbericht der Warschauer Nationalbibliothek, in dem sie eigens den Einband des Tyniecer Sakramentars untersuchte.45 Die Handschrift selbst sei einer der kostbarsten Schätze der Nationalbibliothek, da sie aus der Zeit der ersten Piasten stamme, einer Epoche, die wenig materielle Spuren hinterlassen habe. Mit regem Forschungsinteresse hätten sich Kunsthistoriker, Liturgiker und Musikologen mit dem Inhalt auseinandergesetzt, wenig Aufmerksamkeit aber dem unscheinbaren Einband gewidmet, der aus einer deutlich jüngeren Zeit stamme. Auf dunklem, unebenem Leder zeichne sich der Abdruck einer einst vergoldeten, ovalen Plakette ab, die kaum mehr erkennbar sei. Seine Rekonstruktion sei durch den Einband eines Kopialbuchs aus dem Jahr 1634,46 das die 43 Klaus Gereon Beuckers: Die Ezzonen und ihre Stiftungen. Eine Untersuchung zur Stiftungstätigkeit im 11. Jahrhundert (Kunstgeschichte, Bd. 42), Münster 1993, hier S. 69, Anm. 539. 44 Vgl. dazu auch Hedwig Röckelein: Heiraten – ein Instrument hochmittelalterlicher Politik, in: Der Hoftag in Quedlinburg 973. Von den historischen Wurzeln zum Neuen Europa, hg. v. Andreas Ranft, Berlin 2006, S. 99–135, hier S. 121, die Richeza als Beispiel für den Kulturtransfer infolge interethnischer Vermählungen anführte. Die Nachkommen der Ezzonin haben die Missionierung in Polen mithilfe von Benediktinern aus dem Rheinland gefördert. Röckelein vermerkte die Möglichkeit eines persönlichen Legats Richezas an Aaron und schrieb zu dem ersten Tyniecer Abt mit Verweis auf Świechowski und Beuckers: „Er ließ aus Köln Reliquien des hl. Gereon und liturgische Bücher nach Krakau bringen. Dem Kloster Tyniec schenkte er ein Sakramentar (‚Sacramentarium Tinecense‘), das zu den herausragendsten Werken der Kölner Skriptorien des 11. Jahrhunderts zählt.“ 45 Krystyna Muszyńska: Oprawa Sakramentarza Tynieckiego, in: Biuletyn Informacyjny Biblioteki Narodowej 3/4 (1988), S. 28–30. 46 Unter dem Titel „Rescriptorum, bullarum, privilegiorum, litterarum generalium et specialium super bona, haeredes, donationes, exeptiones, immunitates, confraternitates tam generalis monasterii Tynecensis quam particularium conventuum ab illo dependentium [...] a. Domini 1634“ befindet sich der erste Teil in der Nationalbibliothek Warschau (akc. 9822) und der zweite Teil in der Ossolinski-Nationalbibliothek Breslau (BO 2160/II). Vgl. Klementyna Żurowska (Red.): Tyniec. Sztuka i kultura benedyktynów od

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Privilegien des Klosters Tyniec enthalte, möglich. Bei der Prägung handele es sich um das Superexlibris der Abtei, das mit Motiven des schwedischen Wappens der Wasa gerahmt werde und aus den Jahren 1635 bis 1644 stamme, als Karl Ferdinand Wasa, der Sohn des Königs Sigismund III., Kommendatarabt in Tyniec gewesen sei. Da die Handschrift im Eintrag vom 11. August 1656 Raub und Wiederkauf des Sakramentars erwähne, dürfte der Codex ursprünglich einen Prachteinband besessen haben, der bei der Plünderung im Dreißigjährigen Krieg entwendet und nach dem Rückkauf durch den heutigen Einband ersetzt worden sei. Der Prägestempel von Karl Ferdinand Wasa habe sich offenbar noch in der Abtei befunden, obwohl er zu jener Zeit kein Abt mehr war, und sei zur Kennzeichnung des Ledereinbandes als Tyniecer Besitz genutzt worden. Die Konsequenz aus der Spätdatierung von Bloch / Schnitzler für die Verbindung des Sakramentars aus Tyniec zu dem 1058 verstorbenen Kasimir dem Erneuerer, zog 1988 der polnische Mediävist Aleksander Gieysztor.47 Er datierte das Sakramentar um 1070 und damit auf die Zeit Bolesławs II., dem er auch die Gründung der Abtei Tyniec zuschrieb. Das Sakramentar, das er als „partiellen Codex Aureus“ bezeichnete, führte er als Teil einer Handschriftengruppe aus dem 11. und beginnenden 12. Jahrhundert an, die Wahrzeichen des Königtums in Polen seien. Im Jahr 1989 reichte Ulrich Kuder in München seine Habilitationsschrift zur ottonischen Buchmalerei ein, die allerdings erst 2018 publiziert und der breiteren Forschung zugänglich gemacht wurde. Ausführlich widerlegte Kuder die Argumentation Bloch / Schnitzlers für ihre Spätdatierung der ‚Strengen Gruppe‘ über den Bezug zum Brand des Xantener Domes aufgrund fehlender Belege sowohl für die Wandmalerei als auch die dort herangezogenen Skulpturen.48 Das Sakramentar aus Tyniec datierte er stilistisch um 1060 und schloss sich damit der älteren Forschung an. In Zusammenarbeit des Königsschlosses auf dem Wawel, des Kunsthistorischen Instituts der Jagiellonen-Universität in Krakau und der Benediktinerabtei Tyniec wurde im Jahr 1994 eine Ausstellung zur Kunst und Kultur der Benediktiner in Tyniec vom 9. bis zum 18. Jahrhundert organisiert. Zu den Exponaten gehörte auch das Sakramentar aus der Warschauer Nationalbibliothek, dem der Ausstellungskatalog sechs Farbabbildungen und einen Beitrag der Mediävistin Grażyna Klimecka widmete.49 In einer Übersicht wurwieku XI do XVII. Katalog wystawy w Zamku Królewskim na Wawelu, październik–grudzien 1994, Krakau 1994, S. 30 f. 47 Aleksander Gieysztor: Symboles de la royauté en Pologne: Un groupe de manuscrits du XIe et du début du XIIe siècles, in: Comptes rendus des séances de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres 134 (1990), S. 128–137. 48 Ulrich Kuder: Studien zur ottonischen Buchmalerei, hg. v. Klaus Gereon Beuckers (Kieler Kunsthistorische Schriften, N.F. Bd. 17), 2 Bde., Kiel 2018, S. 243 u. 259. 49 Grażyna Klimecka: Sakramentarz tyniecki, in: Tyniec. Sztuka i kultura benedyktynów od wieku XI do XVII, Ausst. Kat. Zamek Królewski na Wawelu, Instytut Historii Sztuki Uniwersytetu Jagiellońskiego,

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den die technischen Daten aufgelistet, gefolgt von einer Inhaltsangabe und kurzen Beschreibungen der Zierseiten sowie einer Vorstellung der Provenienz des Sakramentars und seinem Verbleib während des Zweiten Weltkrieges in der Stiftskirche in Lowitsch.50 Klimecka skizzierte den bisherigen Forschungsverlauf seit Sobieszczański, der die Handschrift publik gemacht hatte, über Sokołowski, der sie der Kölner Malerschule zugeordnet und mit Kasimir dem Erneuerer in Verbindung brachte, bis zu Bloch / Schnitzler, die eine Datierung um 1070/80 vertraten und Pietrusińska, die diese auf 1060/70 korrigiert hatte. 1995 verfasste Klimecka einen Beitrag zu den illuminierten Handschriften aus Tyniec sowie zur benediktinischen Schreibkultur des 14. und 15. Jahrhunderts.51 Einleitend hob sie das Sakramentar hervor, obwohl dieses zwar nicht in der polnischen Abtei entstanden war, dort allerdings von den Benediktinern um Eintragungen mit musikalischen Vermerken ergänzt worden sei. Im selben Jahr erschien ein den Benediktinern aus Tyniec im Mittelalter gewidmeter Band, in dem sich Klimecka wiederum den Handschriften und Inkunabeln aus Tyniec, die sich in der Sammlung der Warschauer Nationalbibliothek befinden, zuwandte. Sie betonte das besondere Forschungsinteresse, das den Miniaturen, vor allem dem Kruzifixus, galt und die Bedeutung des Kalendariums für die Herkunftsbestimmung der Handschrift. Eine weitgehende Analyse des Textinhalts stehe allerdings noch aus.52 Seit den 1980er Jahren widmete sich der Brauweiler Heimatforscher Peter Schreiner Forschungen zur Abtei Brauweiler sowie den deutsch-polnischen Beziehungen um das Jahr 1000, wofür er in Polen mit dem Verdienstorden und in Deutschland mit dem Verdienstkreuz ausgezeichnet wurde. Als Herausgeber der „Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde“ machte er die Zeitschrift zu einem Organ der Diskussion insbesondere Benedyktyńskie Opactwo ŚŚ. Apostołów Piotra i Pawła w Tyńcu, hg. v. Klementyna Żurowska, Krakau 1994, S. 32–34, Abb. II–VII. – Klimecka verwendete nicht die in den Ecken notierte Paginierung wie die bisherige Forschung, sondern eine Foliierung und zählte mit dem Titelblatt des 19. Jahrhunderts beginnend die Recto- und Versoseiten; die Maiestas-Domini-Zierseite von pag. 32 war somit auf fol. 17v. 50 Die Rettung des Sakramentars und weiterer Handschriften schildert Stanisław Lorentz: W Muzeum i gdzie indziej, in: Walka o dobra kultury, Bd. 1, Warschau 1970, S. 99 f. Weitere Erwähnung fand die Evakuierungsaktion bei Barbara Smoleńska / Krystyna Muszyńska: Biblioteka Narodowa. Katalog Rękopisów. Seria III. Zbiory Ordynacji Zamojskiej, Bd. 2, Warschau 1991, S. 23. 51 Grażyna Klimecka: Tynieckie rękopisy iluminowane w zbiorach Biblioteki Narodowej przykładem benedyktyńskiej kultury piśmienniczej w XIV XV w., in: Klasztor w kulturze kulturze średniowiecznej Polski. Materiały z ogólnopolskiej konferencji naukowej zorganizowanej w Dąbrowie Niemodlińskiej w dniach 4–6 XI 1993 przez Instytut Historii WSP w Opolu i Instytut Historyczny Uniwersytetu Wrocławskiego, hg. v. Anna Pobóg-Lenartowicz und Marek Derwich, Oppeln 1995, S. 289–296. 52 Grażyna Klimecka: Rękopisy i inkunabuły tynieckie w zbiorach Biblioteki Narodowej w Warszawie, in: Benedyktyni tynieccy w średniowieczu. Materiały z sesji naukowej. Wawel – Tyniec, 13–15 października 1994, hg. v. Klementyna Żurowska, Krakau 1995, S. 262–264.

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um Königin Richeza und ihr Umfeld. Hier erwähnte der Benediktiner Zygmunt Galoch aus Tyniec das Sakramentar in einem Beitrag zu den Anfängen der Abtei und den Einflüssen aus Köln, die sich in einem Kalendar zeigen würden, das sich „im 11. Jahrhundert im Besitz der Krakauer Kathedrale befand und aus dem Richezas Tochter Gertrud ihren Kalender abschrieb“.53 Er bezog sich dabei auf das Sakramentar aus Tyniec und den Gertruden-­ Psalter.54 Schreiner selbst bezeichnete 1995 das Sakramentar als aus dem Kölner Stift St. Gereon stammend und nach Tyniec gelangend und schloss sich Świechowskis Datierung um 1071 an.55 Im Jahr 1998 widmete er einen Sonderband der „Pulheimer Beiträge“ Richeza, in dem er die Gründung der Abtei Tyniec zur Stützung des Krakauer Bischofs und Kasimirs bei der Erneuerung Polens verstand.56 Kunstwerke wie das Sakramentar seien Zeugnisse des Einflusses aus dem Rheinland, wobei bei einem Purpurcodex nur regierende Fürsten als Stifter in Frage kommen würden, weshalb Richeza eine mögliche Auftraggeberin sei. In den Jahren 1993 bis 1998 wurden einige Handschriften der Warschauer Nationalbibliothek konserviert, technisch untersucht und restauriert – darunter auch das Sakramentar aus Tyniec. Die Ergebnisse fassten Władysław Sobucki, Danuta Jarmińska und Donata Rams mit tabellarischen Vergleichen der technischen Daten sowie mikroskopischen Detailaufnahmen in einem Aufsatz zusammen.57 Die Schäden der Warschauer Handschrift seien eine Ablösung der Tinte vom Pergament, einer Art Kraterbildung sowie Verfärbungen durch chemische Reaktionen der Silbertinte und den mit Auripigment versetzten Farben gewesen. Im Zuge der Konservierungs- und Restaurierungsarbeiten wurde 53 Zygmunt Galoch: Königin Richeza und die Anfänge der Benediktiner in Tyniec/Polen, in: Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde 11 (1987), S. 117–127, hier S. 124. 54 Der (Egbert-)Psalter wurde auf der Reichenau für Erzbischof Egbert von Trier (amt. 977–993) geschrieben. Im Besitz der Richeza-Tochter Gertrud wurde er um einen Kalender, zahlreiche Miniaturen und Gebete ergänzt. Das Kalendar entstand vermutlich 1072/77 im Exil Gertruds und ihres Ehemannes Izjazlaw in Krakau, 1084/87 trug Gertrud möglicherweise eigenhändig Gebete nach. Vgl. Brygida Kürbis: Die Epistula Mathildis Suevae an Miesko II. in neuer Sicht. Ein Forschungsbericht, in: Frühmittelalterliche Studien. Jahrbuch des Instituts für Frühmittelalterforschung der Universität Münster 23 (1989), S. 318–343. – Beuckers 1993 (wie Anm. 45), S. 228. – Zum Psalter vgl. grundlegend Heinrich Volbert Sauerland / Arthur Haseloff: Der Psalter Erzbischof Egberts von Trier. Codex Gertrudianus in Cividale, 2 Bde., Trier 1901. 55 Peter Schreiner: Königin Richeza, Polen und das Rheinland. Historische Beziehungen zwischen Deutschen und Polen im 11. Jahrhundert, in: Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde 19 (1995), S. 8–64, hier S. 41. 56 Richeza. Königin von Polen und Gönnerin der Abtei Brauweiler. Beziehungen zwischen Deutschen und Polen vor 1000 Jahren, Ausst. Kat. Verein für Geschichte und Heimatkunde Pulheim und Museum der Ersten Piasten an der Lednica, hg. v. Peter Schreiner (Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde, 19. Sonderveröffentlichung), Pulheim 1998, S. 35. 57 Władysław Subucki / Danuta Jarmińska / Donata Rams: Rękopisemne Skarby Biblioteki Narodowej – Badania Technologiczne, in: Ochrona Zabytków 51/2 (201) (1998), S. 133–146.

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die Tinte mit ihrem Untergrund verbunden und der Einband des Sakramentars, unter Verwendung der Originalsubstanz, gänzlich erneuert.58 Im hinteren Einbandspiegel der Handschrift wurden die Maßnahmen mit dem Vermerk „Konserwacja ZKZB BN – 1993“ dokumentiert.

Jüngste Forschungsbeiträge des 21. Jahrhunderts Um die Jahrtausendwende wurde in einem nationenübergreifenden Projekt in Budapest, Krakau, Berlin, Mannheim, Prag und Bratislava die Ausstellung „Europas Mitte um 1000“ gezeigt. Als Teil des Kapitels zur Christianisierung in Polen umfasst der Katalog auch das Sakramentar aus Tyniec, welches in Mannheim präsentiert wurde. In dem kurzen Katalogeintrag wird auf Walicki und Pietrusińska verwiesen und dementsprechend eine Entstehungszeit um 1060 bis 1070 vertreten.59 Als mögliches Skriptorium wird St. Gereon in Köln genannt und der Weg der Handschrift, die zur Erstausstattung der Abtei Tyniec gehören solle, nach Polen zum „Ende der Regierungszeit Kasimirs des Erneuerers oder Bolesławs II.“ vermutet. Der stellvertretende Leiter der Warschauer Handschriftenabteilung, Sławomir Szyller, legte 2012 zusammen mit dem Historiker Jerzy Kaliszuk einen Inventarband der Handschriftensammlung der Nationalbibliothek vor, in dem zum Sakramentar aus Tyniec stichpunktartig technische Daten und Informationen zur Ausstattung aufgelistet wurden – mit einer Datierung um 1072/75.60 Als Provenienzen wurden „Erzbistum Köln, Benedikti­ nerkloster Tyniec, Karol Ferdinand Waza, Stanisław Zamoyski, Biblioteka Ordynacji Zamo­ jskiej“ und die früheren Signaturen „CXI. No 6273“ und „BN BOZ akc. 7“ angegeben. Im selben Jahr veröffentlichte die Warschauer Kunsthistorikerin Maria Poprzęczka einen großformatigen, reich bebilderten Band „55 Schätze Polens“. In einer Vorbemerkung definierte sie den Begriff Schatz weniger als materielles Gut, sondern als Objekt des Gedächtnisses. Im Kapitel zu Nationalheiligtümern widmete sie dem Sakramentar aus Tyniec eine Doppelseite mit großformatigen Farbaufnahmen der Vere-dignum-Zierinitiale und des Kruzifixes.61 Als seine Entstehungszeit gab sie um 1060 und als Entstehungsort, ohne weitere Begründung, das Skriptorium von St. Pantaleon in Köln an. In einer Rezension 58 Vgl. Zakład Konserwacji Zbiorów Bibliotecznych: Sakramentarz Tyniecki  – Zabytek Liturgiczny (12. April 2013), in: Dobre zachowanie. Blog Konserwatorski Biblioteki Narodowej, http://dobrezachowanie.bn.org.pl/?p=439 (letzter Zugriff: 31.10.2017). 59 Europas Mitte um 1000, Ausst. Kat. Reiss-Engelhorn-Museum Mannheim u. a., 3 Bde., hg. v. Alfried Wieczorek und Hans-Martin Hinz (Europaratsausstellung, Bd. 27), Stuttgart 2000, Katalog, S. 411, Kat. Nr. 19.02.01 (Jerzy Strzelczyk). 60 Kaliszuk / Szyller 2012 (wie Anm. 2), S. 31. 61 Maria Poprzęczka: 55 skarbów Polski, Warschau 2012, S. 12 f.

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von Magdalena Grabowska für das Kulturmagazin des Adam-Mickiewicz-Institutes wurde die außergewöhnliche Zusammenstellung Poprzęczkas hervorgehoben, die neben einer vertrauten Auswahl „auch weniger bekannte Stücke“ wie das Sakramentar aus Tyniec in den Fokus rücke.62 Von großer Bedeutung für die Einordnung der ‚Strengen Gruppe‘ war die paläographische Untersuchung der ottonischen und frühsalischen Handschriften durch Hartmut Hoffmann, der zu den profiliertesten deutschen Paläographen zählt.63 Er identifizierte den „sanft-runde[n]“ Stil der Schrift im Sakramentar aus Tyniec mit einer Hand des Lyskirchen-Evangeliars und setzte für die Handschriftengruppe eine Datierung „ins zweite Viertel, allenfalls ins zweite Drittel des 11. Jahrhunderts“ an.64 Damit wurde der bisher fast ausschließlich kunsthistorisch eingeschätzten Datierung eine Argumentation auf anderer methodischer Grundlage entgegengesetzt, die den Datierungsansatz der älteren Forschung ‚um 1060‘ stützte oder sogar noch etwas nach vorne korrigierte. 2013 widmete sich der Warschauer Historiker Roman Michałowski den monarchischen Stiftungen und der politischen Kultur im piastischen Polen, wobei er sich dabei ausführlich der Abtei Tyniec zuwandte.65 Das Sakramentar erwähnte er als einen der Gegenstände im Besitz der Abtei, „die das Produkt einer im 11. Jahrhundert im Rheinland wirkenden Werkstatt und eines dortigen Skriptoriums waren“, namentlich „einen Krumm­ stab“ und „ein liturgisches Buch“. Den Gründungszeitpunkt der Abtei verstand Michałowski mit der Ankunft des ersten Konventes in Tyniec nach 1071, als Bolesław der Kühne in den Jahren 1076 bis 1079 König von Polen war. Es sei aufgrund der kurzen Zeitspanne durchaus möglich, dass der Akt der Klostergründung (und eine Ausstattung mit Schenkungen) im Zuge der Krönungsfeierlichkeiten stattgefunden habe, die Stiftung vielleicht sogar erst aus den Krönungsplänen heraus entstanden sein könne. Die repräsentative Gestalt des Sakramentars von Tyniec im Kontext herrscherlicher Repräsentation hob 2014 auch der Latinist und Historiker Gereon Becht-Jördens hervor.66 Er führte die Handschrift exemplarisch für die Buchkunst zum Zweck der Herr62 Magdalena Grabowska: Maria Poprzęczka, „55 skarbów Polski“ (19.05.2012), in: Culture.de Instytut Adama Mickiewicza, http://culture.pl/pl/dzielo/maria-poprzecka-55-skarbow-polski (letzter Zugriff: 31.12.2017). 63 Hartmut Hoffmann: Schreibschulen und Buchmalerei. Handschriften und Texte des 9.–11. Jahrhunderts (Monumenta Germaniae Historica. Schriften, Bd. 65), Hannover 2012, S. 184–192, zum Sakramentar aus Tyniec S. 189. 64 Hoffmann 2012 (wie Anm. 66), S. 191. 65 Roman Michałowski: Princeps fundator. Monarchische Stiftungen und politische Kultur im piastischen Polen (10.–13. Jahrhundert), in: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen, hg. v. Eduard Mühle (Stiftungsgeschichten, Bd. 9), Berlin 2013, S. 37–108, zur Stiftung des Klosters Tyniec S. 70–86, folgendes Zitat S. 83. 66 Gereon Becht-Jördens: Schrift im Mittelalter. Zeichen des Heils, in: Erscheinungsformen und Handhabungen Heiliger Schriften, hg. v. Joachim Friedrich Quack und Daniela Christina Luft

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schaftsrepräsentation an. Die Prachtausstattung betone zum einen die Würde des Heiligen und garantiere zum anderen das Heilsversprechen des Stifters aufgrund ihrer Nähe zur Purpururkunde als prunkvollster Form des Herrscherdokuments. Die Anfangsbuchstaben der ersten Worte der Präfation V und D hätten sich zu einem Zeichen von eigener Heilsbedeutung entwickelt. Als ganzseitige Zierinitiale des Vere dignums, im Tyniecer Sakramentar mit Ast- und Blattwerk gefüllt, stehe das Präfationszeichen für den Baum des ­Lebens und Weinstock. Die Verselbstständigung des V sei durch seine Doppelbedeutung als Siegeszeichen (victoria) bedingt und kennzeichne das Opfer Christi am Kreuz als Sieg über den Tod. 2016/17 fand in der Abtei Tyniec eine Ausstellung zu Benediktinern während der Christianisierung Polens unter dem Titel „Mit Kreuz, Pflug und Feder“ statt. Im Ausstellungskatalog verfassten Marta Graczyńska und Monika Kamińska einen Beitrag zum Sakramentar aus Tyniec, das als Modell ausgestellt war.67 Die Autorinnen stellten die Forschungsdiskussion um eine mögliche Zuschreibung an Aaron, Richeza, Kasimir oder Bolesław II. vor, setzten die Datierung salomonisch auf die große Zeitspanne um 1060 bis 1080 an und erweiterten den Entstehungsort von Köln unbestimmt auf das Erzbistum Köln. Aufgrund des Texttypus als Gregoriana Mixta vermuteten sie, dass der Kanon ursprünglich von zwei Miniaturen eingeleitet worden sei, von denen sich die einleitende Darstellung Papst Gregors nicht erhalten habe. Zu dem ursprünglichen Einband habe möglicherweise eine mittlerweile verschwundene Elfenbeinplakette gehört, die in der Abtei Tyniec gefunden worden und in die 1050/60er Jahre zu datieren sei. Die kunsthistorische Einordnung folgt Bloch / Schnitzlers Zuordnung zur ‚Strengen Gruppe‘ mit einer besonderen Nähe zu dem Sakramentar in Freiburg und dem Evangeliar aus Abdinghof. Das Sakramentar aus Tyniec wurde als königliche Handschrift bezeichnet, die neben ihrer liturgischen Funktion zum Ausdruck herrschaftlichen Ansehens gedient habe. Seit 2010 widmet sich der Kunsthistoriker Klaus Gereon Beuckers einer Revision der Kölner Buchmalerei des 10. und 11. Jahrhunderts. 2013 erschien ein Tagungsband zum Hitda-Codex aus der ‚Malerischen Gruppe‘, 2016 ein Tagungsband zum Gerresheimer Evangeliar sowie ein für die Gruppenbildung der Kölner Buchmalerei wichtiger Beitrag zum Gundold-Evangeliar – beide aus der ‚Malerischen Sondergruppe‘ –, bevor 2018 eine Monographie zum Evangeliar aus St. Maria ad Gradus aus der ‚Reichen Gruppe‘ vorgelegt wurde.68 Das für die Datierung der ‚Strengen Gruppe‘ wichtige Lyskirchen-Evangeliar (Materiale Textkulturen, Bd. 5), Berlin 2014, S. 245–310, zum Sakramentar aus Tyniec S. 268, 279 u. 283. 67 Marta Graczyńska / Monika Kamińska: Sakramentarz Tyniecki (makieta), in: Krzyżem, pługiem i piórem. Benedyktyni w chrystianizacji Polski, Ausst. Kat. Opactwo Benedyktynów w Tyńcu, hg. v. Michał Tomasz Gronowski, Krakau 2016, S. 47–50. 68 Äbtissin Hitda und der Hitda-Codex. Forschungen zu einem Hauptwerk der ottonischen Kölner Buchmalerei, hg. v. Klaus Gereon Beuckers, Darmstadt 2013. – Beuckers / Johlen-Budnik 2016

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wird Gegenstand eines 2019 erscheinenden Aufsatzbandes. Ziel ist es, die kunsthistorischen und historischen Diskussionen anhand einzelner Handschriften der jeweiligen Gruppen zusammenzutragen und argumentativ zueinander in Beziehung zu setzen. Der hier vorliegende Band zu dem Warschauer Codex aus der ‚Strengen Gruppe‘ rückt das Sakramentar aus Tyniec erstmals monographisch in den Fokus der Betrachtung und bezieht dabei interdisziplinäre Beiträge sowohl aus der polnischen als auch der deutschen Forschungstradition ein. Insgesamt hat das Sakramentar aus Tyniec nur in wenigen Beiträgen eine intensive Analyse erfahren. Wie bei vielen anderen früh- und hochmittelalterlichen Handschriften wurde es ab Mitte des 19. Jahrhunderts beachtet und im frühen 20. Jahrhundert kunsthistorisch kontextuiert. Die erste Inventarisierung seines Inhalts und seines bildlichen Schmucks erfolgte 1967/70 durch Bloch / Schnitzler, deren von der älteren Forschung abgesetzte Spätdatierung seitdem meist unkritisch rezipiert wurde. Die wenigen weitergehenden Untersuchungen, die fast durchgängig Zweifel an der Spätdatierung anmeldeten, fanden in dem Gros der Erwähnungen bisher kaum Niederschlag. Dabei wurde mit den Untersuchungen von Kuder und Hoffmann die Spätdatierung von Bloch / Schnitzler ausgehebelt und der Weg für eine neue Bewertung des Codex frei. Von Anfang an wurde das Sakramentar immer als Zeugnis der polnischen Geschichte des 11. Jahrhunderts gelesen und mehr oder weniger eng mit den verschiedenen Protagonisten sowie den Orten Krakau und Tyniec verbunden. Als eine der ältesten in Polen erhaltenen mittelalterlichen Handschriften mit polnischer Provenienz besitzt es eine nationale Relevanz. Dies hat zur Erforschung der Handschrift nur teilweise beigetragen, wobei die Untersuchungen zum Einband und damit der Provenienzgeschichte insbesondere durch Muszyńska eine erhebliche Erweiterung der Kenntnisse bedeuten. Bis heute liegt keine systematische Untersuchung zum textlichen Inhalt der Handschrift vor und auch eine detaillierte Kontextuierung in die salische Buchmalerei sowohl der Kölner Gruppe als auch darüber hinaus bleibt auf aktuellem Forschungsstand Desiderat.

(wie Anm. 16).  – Klaus Gereon Beuckers: Das Gundold-Evangeliar in der Württembergischen Landes­bibliothek Stuttgart. Bemerkungen zu einem Kölner Prachtcodex des 10./11. Jahrhunderts, in: Philologia sanat. Studien für Hans-Albrecht Koch zum 70. Geburtstag, hg. v. Gabriella Rovagnati und Peter Sprengel, Frankfurt am Main 2016, S. 41–65. – Klaus Gereon Beuckers: Das Evangeliar aus St. Maria ad Gradus. Höhepunkt der salischen Buchmalerei aus Köln. Die Handschrift Cod. 1001a der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek Köln, Luzern 2018.

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Sławomir Szyller

Das Sacramentarium Tinecense Zur Geschichte und zu ausgewählten kodikologischen Fragen

Die Entstehung des Sakramentars aus Tyniec in der Warschauer Nationalbibliothek (BOZ 8) wird traditionell mit der Ansiedlung der Benediktiner in Tyniec bzw. mit den Anfängen ihrer Tätigkeit an diesem Ort in Verbindung gebracht. Aufgrund des Mangels an eindeutigen Quellen zur Ansiedlung der Benediktiner und der dortigen Gründung einer Abtei haben zahlreiche Historiker seit dem 19. Jahrhundert unterschiedliche Thesen zur Gründungsgeschichte des Klosters formuliert. Dabei gibt es zwei Hauptansätze, die vor allem von Gerard Labuda und Roman Michałowski vertreten werden: Nach Labuda sei die Abtei 1044 von Kasimir I. Karl (genannt ‚der Erneuerer‘, polnisch Kazimierz I. Odnowiciel) (1016–1058), der die Benediktiner aus Lüttich herbeigeholt habe, gegründet worden.1 Erster Abt soll Aaron (verst. 1059) gewesen sein, der aus Kloster Brauweiler bei Köln gekommen sein und seit 1046 als Bischof (Erzbischof ) von Krakau gewirkt haben soll. Sein Nachfolger sei Anchoras gewesen (verst. um 1075). Nach Roman Michałowski2 findet die Tradition, die Bischof Aaron das Tyniecer Abbatiat zuschreibt, keine Bestätigung in den Quellen.3 Die Stiftung von Tyniec sei während der Herrschaft von Kasimirs Sohn Bolesław II. (genannt ‚der Großzügige‘, auch ‚der Kühne‘, polnisch Bolesław II. Szczodry; um 1042 – um 1081) erfolgt, also zwischen 1076 und 1079. Möglicherweise seien die Mönche schon einige Jahre früher nach Tyniec gekommen (kurz nach 1071), wobei Anchoras der erste Tyniecer Abt gewesen sein soll. Vielleicht sei dies sogar schon zu Lebzeiten von Kasimir geschehen. Durch das Fehlen einer ausreichenden materiellen Grundlage habe sich das Kloster jedoch nicht entwickelt. Marek Derwich, der gegenwärtig wichtigste Forscher zum Mönchtum in Polen, nimmt eine Mittelstellung 1

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Gerard Labuda: Szkice historyczne XI wieku. Początki klasztoru benedyktynów w Tyńcu, in: Studia Źródłoznawcze 35 (1994), S. 23–64. – Gerard Labuda: Kto i kiedy ufundował klasztor w Tyńcu?, in: Benedyktyni tynieccy w średniowieczu. Materiały z sesji naukowej, Wawel – Tyniec 13–15 października 1994, hg. v. Klementyna Żurowska, Krakau 1995, S. 23–39. Roman Michałowski: Princeps fundator. Studium z dziejów kultury politycznej w Polsce X–XIII wieku, Warschau 1993, S. 89–97. Vgl. Aleksander Gieysztor: O kilku biskupach polskich XI wieku, in: Europa-SłowiańszczyznaPolska. Studia ku uczczeniu profesora Kazimierza Tymienieckiego (Prace Wydziału Filozoficzno-Historycznego UAM. Historia, Bd. 36), Posen 1970, S. 311–326, insb. S. 313–315.

Das Sacramentarium Tinecense | 51

ein und meint, dass ein Teil der von Kasimir im Jahr 1044 herbeigeholten Benediktiner beim Sitz der polnischen Herrscher – also am Wawelhügel in Krakau – geblieben sei, während sich die übrigen Mönche auf der anderen Seite der Weichsel in Tyniec niedergelassen haben sollen.4 Bolesław habe dann für eine Ausstattung und die damit verbundene Entfaltung des Klosters durch Stiftungen gesorgt. Die archäologischen Forschungen, die seit den 1940er Jahren in der Abtei von Tyniec durchgeführt wurden, haben keine eindeutigen Ergebnisse für die Datierung der Gründung erbracht.5 Klementyna Żurowska, die sich mit der romanischen Basilika bereits seit den 1960er Jahren befasst, hatte zunächst den Bau in das letzte Viertel des 11. Jahrhunderts datiert,6 neigte aber später dazu, ihn um die Wende der 1060/70er Jahre in die Regierungszeit von Anchoras zu datieren.7 Nach Zygmunt Świechowski wurde die Kirche in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts gegründet,8 nach Emil Zaitz während der Regierungszeit von Kazimir dem Erneuerer,9 nach Rafał Quirini-Popławski dagegen erst um 1090/1100 erbaut.10  4 Marek Derwich: Rola Tyńca w rozwoju monastycyzmu benedyktyńskiego w Polsce, in: Żurowska 1995 (wie Anm. 1), S. 99–120, insb. S. 104. – Marek Derwich: Benedyktyński klasztor św. Krzyża na Łysej Górze w średniowieczu, Warschau 1992, S. 143. – Marek Derwich: Monastycyzm benedyktyński w średniowiecznej Europie i Polsce. Wybrane problemy (Acta Universitatis Wratislaviensis. Historia, Bd. 135), Breslau 1998, S. 66 u. 181 f. – Vgl. auch Marian Kanior: Początki Tyńca, in: Fontes Archaeologici Posnanienses 49 (2013), S. 27–38, insb. S. 30.  5 Vgl. Marta Graczyńska / Monika Kamińska: Architektura monastyczna w Polsce do końca XI wieku. Nowe spojrzenie, in: Średniowieczna architektura sakralna w Polsce w świetle najnowszych badań. Materiały z sesji naukowej zorganizowanej przez Muzeum Początków Państwa Polskiego w Gnieźnie, 13–15 listopada 2013 roku, hg. v. Tomasz Janiak und Dariusz Stryniak, Gnesen 2014, S. 47–66, insb. S.  53 f. – Monika Kamińska: Aktualny stan badań i nowe koncepcje interpretacyjne romańskiego Tyńca, in: Kraków romański. Materiały sesji naukowej odbytej 13 kwietnia 2013 roku, hg. v. Marta Bochenek, Krakau 2014, S. 137–168.  6 Klementyna Żurowska: Romański kościół opactwa benedyktynów w Tyńcu, in: Folia Historiae Artium 6/7 (1971), S. 49–120, insb. S. 73–77.  7 Klementyna Żurowska: Romański kościół i klasztor benedyktynów w Tyńcu na tle architektury piastowskiej XI wieku, in: Żurowska 1995 (wie Anm. 1), S. 185–197, insb. S. 190.  – Klementyna Żurowska: Kraków, Tyniec i benedyktyni, in: Artifex doctus. Studia ofiarowane profesorowi Jerzemu Gadomskiemu w siedemdziesiątą rocznicę urodzin, hg. v. Wojciech Bałus, Wojciech Walanus und Marek Walczak, Krakau 2007, S. 227–233, insb. S. 233.  8 Zygmunt Świechowski: Katalog architektury romańskiej w Polsce, Warschau 2009, S. 585.  9 Emil Zaitz: Badania archeologiczne w opactwie OO. Benedyktynów w Tyńcu, in: Osadnictwo i architektura ziem polskich w dobie Zjazdu Gnieźnieńskiego, hg. v. Andrzej Buko und Zygmunt Świe­ chowski, Warschau 2000, S. 305–330, insb. S. 328. 10 Rafał Quirini-Popławski: Parę uwag o adriatycko-węgierskiej genezje stylu kapiteli z klasztoru Benedyktynów w Tyńcu, in: Multa et Varia. Studi offerti a Maria Marcella Ferraccioli e Gianfranco Giraudo, Bd. 2, hg. v. Fiorina Cret Ciure, Viviana Nosilia und Adriano Pavan, Mailand 2012, S. 459. – Gracyńska / Kamińska 2014 (wie Anm. 5), S. 142.

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Zur Geschichte des Sakramentars aus Tyniec Während sich die meisten Forscher des Sakramentars aus Tyniec über seine Herstellung in Köln einig sind, weichen die Datierungen voneinander ab. Die frühen Autoren haben das Manuskript auf das 8./9.  Jahrhundert datiert, wie beispielsweise Franciszek Sobieszczański11 oder der Besitzer des Manuskripts am Anfang des 19. Jahrhunderts, Graf Stanisław Zamoyski, der auf pag. 1 vermerkt hat, es sei ein Werk des 9. oder 10. Jahrhunderts. Andere versuchten, die Entstehung der Handschrift auf den Anfang des 11. Jahrhunderts,12 auf die 1040er Jahre13 oder auf die Mitte des 11. Jahrhunderts anzusetzen.14 Die ersten eingehenden Untersuchungen der Ornamentik des Sakramentars wurden in den 1930er Jahren von Stanisława Sawicka durchgeführt,15 die das Manuskript mit anderen ähnlich verzierten Codices verglich. Sie ordnete das Manuskript in die Gruppe der sogenannten Palastschule ein, in der zwei weitere Handschriften nicht nur aus derselben Werkstatt, sondern sogar von derselben Hand stammen würden: das Evangeliar aus Kloster Abdinghof in Paderborn, heute in Berlin aufbewahrt,16 sowie das Sakramentar aus Mönchengladbach, heute in Freiburg.17 Auf der Grundlage der Forschungen von Georg Swarzenski18 und Albert Boeckler19 sowie beider Datierung der Freiburger Handschrift um 106020 setzte 11 Franciszek Maksymilian Sobieszczański: Wiadomości historyczne o sztukach pięknych w dawnej Polsce, zawierające opis dziejów i zabytków budownictwa, rzeźby, snycerstwa, malarstwa i rytownictwa, z krótką wzmianką o życiu i dziełach znakomitszych artystów krajowych, lub w Polsce zamieszkałych, Bd. 2, Warschau 1847, S. 269. – Zur Forschungsgeschichte vgl. auch den Beitrag von Ursula Prinz in diesem Band. 12 Vgl. Feliks Kopera: Dzieje malarstwa w Polsce, Bd. 1: Średniowieczne malarstwo w Polsce, Krakau 1925, S. 5. 13 Vgl. Józef Wacław Boguniowski: Rozwój historyczny ksiąg liturgii rzymskiej do Soboru Trydenckiego i ich recepcja w Polsce, Krakau 2001, S. 82. 14 Gerard Labuda: Mieszko II król Polski (1025–1034). Czasy przełomu w dziejach państwa polskiego (PAU. Rozprawy Wydziału Historyczno-Filozoficznego, Bd. 73), Krakau 1992, S. 143. 15 Stanisława Sawicka: Les principaux manuscrits à peintures de la Bibliothèque Nationale de Varsovie, du Château-royal et des bibliothèques: des Zamoyski à Varsovie, du Séminaire de Płock et du Chapitre de Gniezno, in: Bulletin de la Société Française de reproductions de manuscrits à peintures 19 (1938), S. 196–205. 16 Berlin, Staatliche Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz – Kupferstichkabinett, 78 A 3. 17 Freiburg im Breisgau, Universitätsbibliothek, Hs. 360a. 18 Georg Swarzenski: Denkmäler der süddeutschen Malerei des frühen Mittelalters, Teil 1: Die Regensburger Buchmalerei des X. und XI. Jahrhunderts. Studien zur Geschichte der deutschen Malerei des frühen Mittelalters, Leipzig 1901, S. 119. 19 Albert Boeckler: Abendländische Miniaturen bis zum Ausgang der romanischen Zeit (Tabulae in usum scholarum, Bd. 10), Berlin/Leipzig 1930, S. 111. 20 Sawicka 1938 (wie Anm. 15), S. 204: „Tous les deux établissent la date du manuscrit de Fribourg aux environs de 1060.“

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Sawicka das Sakramentar aus Tyniec ebenfalls um 1060 an. Dies blieb für mindestens vierzig Jahre der Stand der Diskussion, manche Forscher halten diese Datierung bis heute für richtig.21 Andere Autoren weiten den Zeitraum auf um 1060/7022 oder sogar zwischen 1060 und 1080 aus.23 Einen wichtigen Fortschritt zur Erforschung des Sakramentars bildete die Untersuchung von Peter Bloch und Hermann Schnitzler 1967/70,24 die neben einer detaillierten Analyse der Ornamentik eine genauere Datierung vorschlugen. Sie ordneten das Sa­ kramentar aus Tyniec in die sogenannte Strenge Gruppe, die aus sechs Manuskripten besteht,25 ein, wo es chronologisch die dritte Position einnimmt – zwischen zwei Blättern eines Evangeliars in Nürnberg und dem Sakramentar aus dem Kloster St. Vitus in Mönchengladbach. Die gesamte Gruppe sahen Bloch / Schnitzler als zwischen 1070 und 1080 entstanden an. Dies ist in der Forschung nicht unwidersprochen geblieben. Manche Autoren folgen weiterhin Sawicka und datieren die Entstehungszeit des Sakramentars mit verschiedenen Argumenten um 1060,26 Hartmut Hoffmann setzt die Gruppe aus paläographischen Gründen sogar noch früher an.27 21 Vgl. Sztuka sakralna w Polsce. Malarstwo, hg. v. Tadeusz Dobrzeniecki, Janina Ruszczycówna und Zofia Niesiołowska-Rothertowa, Warschau 1958, S. 335. – Reiner Haussherr: Der tote Christus am Kreuz. Zur Ikonographie des Gerokreuzes, masch. schr. Diss. Bonn 1963, S. 53. – Hieronim Feicht: Muzyka liturgiczna w polskim średniowieczu, in: Musica Medii Aevi 1 (1965), S. 9–52, insb. S. 11. – Zofia Rozanow: Średniowieczna ikonografia muzyczna, in: Musica Medii Aevi 2 (1968), S. 93–114, insb. S. 101. – Cezary Krzysztof Święcki: Kultura piśmienna w Polsce średniowiecznej X–XII wiek, Warschau 2010, S. 66. 22 Vgl. Maria Pietrusińska: Katalog i bibliografia zabytków, in: Dzieje sztuki polskiej, Bd. 1, Teil 2: Sztuka polska przedromańska i romańska do schyłku XIII wieku, hg. v. Michał Walicki u. a., Warschau 1971, S. 773. 23 Vgl. Krzyżem, pługiem i piórem. Benedyktyni w chrystianizacji Polski. Ausst. Kat. Opactwo Benedyktynów w Tyńcu, Krakau 2016, S. 47; http://kultura.benedyktyni.com/wp-content/uploads/ 2016/07/katalog_wystawa_wersja_www.pdf (letzter Zugriff: 30.11.2017). – Sakramentarze. Przewodnik po rękopisach, hg. v. Andrzej Suski, Thorn 2015, S. 960–963. 24 Peter Bloch / Hermann Schnitzler: Die Ottonische Kölner Malerschule, 2 Bde., Düsseldorf 1967/70. 25 Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 24), Bd. 1, S. 94–110: Evangeliar aus St. Gereon in Köln, ihrer Datierung nach 1050/67 (Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. bibl. fol. 21); zwei Einzelblätter aus einem Evangeliar, um 1070 (Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Kupferstichkabinett Mn. 394, 395); Sakramentar aus der Benediktinerabtei Tyniec, um 1070–1080 (Warschau, Biblioteka Narodowa, BOZ 8); Sakramentar aus St. Vitus in Mönchengladbach, um 1070/80 (Freiburg im Breisgau, Universitätsbibliothek, Hs. 360a); Evangeliar aus Köln, um 1070/80 (London, British Library, Harley MS 2820); Evangeliar aus der Abtei Abdinghof zu Paderborn, um 1080 (Berlin, Staatliche Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz – Kupferstichkabinett, 78 A 3). 26 Vgl. Ulrich Kuder: Der Hitda-Codex im Zusammenhang der Kölner Buchmalerei des 10. und 11. Jahrhunderts, in: Äbtissin Hitda und der Hitda-Codex. Forschungen zu einem Hauptwerk der ottonischen Kölner Buchmalerei, hg. v. Klaus Gereon Beuckers, Darmstadt 2013, S. 89–112, insb. S. 111. 27 Vgl. Hartmut Hoffmann: Schreibschulen und Buchmalerei. Handschriften und Texte des 9.–11. Jahrhunderts (Schriften der Monumenta Germaniae Historica, Bd. 65), Hannover 2012, S. 189–191.

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Manche Autoren haben die Frage nach der Entstehung des Sakramentars aus Tyniec mit der Frage nach seinem Stifter verbunden. So haben einige Anhänger der Datierung zwischen 1040 und 1060 Königin Richeza (verst. 1063), die Mutter von Kasimir dem Erneuerer, für die Stifterin gehalten, welche die letzten Jahre ihres Lebens im Kloster Brauweiler bei Köln verbrachte.28 Selbst wenn die Benediktiner lange vor der Stiftung von Bolesław in Tyniec erschienen sein sollten, so ist zweifelhaft, ob Richeza dem Kloster, das nicht einmal imstande war, eine kleine steinerne Kirche zu bauen (diese stammt erst aus dem letzten Viertel des 11. Jahrhunderts), dem Kloster einen so wertvollen Codex gestiftet haben soll. Erst recht gibt es keine Hinweise darauf, dass Richezas Bruder, Erzbischof Hermann II. von Köln (amt. 1036–1056), der Stifter des Sakramentars an die Abtei gewesen sein soll.29 Nach Zofia Rozanow soll der um 1060 angefertigte Codex ursprünglich auf dem Wawel aufbewahrt worden und erst um 1075, nach Ansiedlung der Benediktiner in Tyniec, dorthin gelangt sein.30 Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass das Sakramentar durch Bolesław II. Szczodry nach Tyniec kam.31 Das Sakramentar wurde wahrscheinlich während der Konsekration der Kirche in Tyniec genutzt. Da der Codex kein geeignetes Messformular enthielt, wurde, bevor die Kirche geweiht wurde, am Anfang der Handschrift eine aus vier Blättern bestehende Lage mit den Formularen für drei Messen, nämlich die Missa in ipso die dedicationis ecclesiae, die Missa communis und die Missa pro rege et exercitu eius hinzugefügt. Das erste Mess­ formular enthält nur vier Gebete: Ad missam, Super oblata, Praefatio und Ad completa.32 Bemerkenswert ist das Messformular für die Königsmesse, da seit dem Verzicht von König Mieszko II. im Jahr 1032 auf die Krone die Herrscher Polens über vierzig Jahre lang auf einen königlichen Titel verzichteten. 1076 führte Bołeslaw II. den Titel kurzzeitig wieder, bevor er nach der Hinrichtung des Krakauer Bischofs Stanisław von Szczepanów 1079 ins Exil fliehen musste. Bis zum Ende des 13. Jahrhunderts führte kein polnischer Herrscher mehr den Königstitel. Es könnte daher angenommen werden, dass dieser Nachtrag des Sakramentars während der Herrschaft von König Bołeslaw II. hinzugefügt wurde, also spätestens 1079. Da der Bau der Klosterkirche um 1075 begonnen wurde, kann sie 1079 28 Vgl. Labuda 1992 (wie Anm. 14), S. 143. – Zygmunt Świechowski: Königin Richeza von Polen und die Beziehungen polnischer Kunst zu Köln im 11. Jahrhundert, in: Kölner Domblatt. Jahrbuch des Zentral-Dombau-Vereins 40 (1975), S. 27–48. – Klaus Gereon Beuckers: Die Ezzonen und ihre Stiftungen. Eine Untersuchung zur Stiftungstätigkeit im 11.  Jahrhundert (Kunstgeschichte, Bd. 42), Münster 1993, S. 30–37 u. 69–86. 29 Vgl. Labuda 1992 (wie Anm. 14), S. 143. 30 Rozanow 1968 (wie Anm. 21), S. 102. 31 Vgl. Michałowski 1993 (wie Anm. 7), S. 96. 32 Das Sacramentarium Gregorianum nach dem Aachener Urexemplar, hg. v. Hans Lietzmann (Liturgiegeschichtliche Quellen, Bd. 3), Münster 1921, Nr. 197, S. 108 f. – Jean Deshusses: Le sacramentaire Grégorien. Ses principales formes d’après les plus anciens manuscrits (Spicilegium Friburgense, Bd. 16), 3 Bde., Freiburg im Üechtland 1992, Bd. 1, Nr. 197, S. 304 f.

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noch nicht fertiggestellt gewesen sein. Ihre Weihe muss viel später erfolgt sein. Daher scheint es, dass die Ergänzung des Sakramentars in den 1080er oder sogar 1090er Jahren erfolgte, als die Basilika zur Weihe bereit war. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass in den liturgischen Büchern dieser Zeit kein besonderes Messformular für die Herrscher, die keine Könige oder Kaiser waren, vorgesehen war. In den früheren Büchern, wie beispielsweise dem Messbuch aus Bobbio, gab es eine Messe Pro principe.33 Später aber musste verpflichtend das Formular der Messe Pro rege oder Pro rege et exercitu eius verwendet werden, selbst wenn der Herrscher ein Prinz war. Neben dem Kanon der Messe auf den Seiten pag. 33 bis 47 verfügt das Sakramentar aus Tyniec über eine Abschrift des Kanons auf den Seiten pag. 351 bis 358 und 469. Anhand der Schrift datiert dieser Nachtrag etwa aus der Mitte des 12. Jahrhunderts. Diese Seiten befanden sich ursprünglich am Ende des Codex, die vier letzten Lagen (die heute pag. 301 bis 358 umfassen) wurden aber bei der Neubindung 1634 irrtümlich in die Mitte des Codex eingebunden. Der Kanon ist nicht vollständig. Es fehlen die letzten beiden Seiten, weil das letzte Blatt der Lage verloren gegangen ist und nur das Ende des Kanons erhalten blieb, welches am Anfang der folgenden Lage platziert wurde (pag. 469). Beim Vergleich des Textes mit dem am Anfang des Sakramentars platzierten Kanon können einige Unterschiede festgestellt werden. Der erste ist, dass es im zweiten Kanon im Communicantes (pag. 353–354) keine Erinnerung an St. Gereon und im Gebet Nobis quoque (p. 358) keine an St. Eugenia gibt. Darüber hinaus fehlt dort die Passage „necnon et illorum martirum, quorum hodie per uniuersum mundum inconspectu glorię tuę cęlebratur triumphus“, platziert am Ende vom Communicantes, was darauf hinweist, dass der Kanon von einem gelasianischen Sakramentar abgeschrieben wurde.34 Der bedeutendste Unterschied im zweiten Kanon ist aber im Anfangsgebet die Namensnennung eines Bischofs Johannes: „una cum famulo tuo papa nostro ill., et antistite nostro johanne“ (pag. 352). Dies belegt, dass der Kanon für eine konkrete Feier einge­ tragen wurde, er vielleicht nur zur einmaligen Verwendung gedacht war. Im 12. Jahrhundert gab es in Polen nur einen Bischof mit diesem Namen: Johannes (Jan) II. Gryfita, genannt auch Janik, Bischof von Breslau in den Jahren 1146 bis 1149, dann Erzbischof von Gnesen bis nach 1167. Unter ihm muss dieser Kanon in das Sakramentar eingetragen worden sein. In Breslau fand am 22. Juni 1149 die Weihe der Klosterkirche St. Maria und

33 Vgl. The Bobbio Mass-Book (M.S. Paris Lat. 13246), bearb. v. Elias Avery Lowe (Henry Bradshaw Society, Bd. 58), London 1920, S. 151 f. 34 Vgl. Boguniowski 2001 (wie Anm. 13), S. 81. – Patrologiae cursus completus. Series Latina, hg. v. Jean-Paul Migne, Bd. 89, Paris 1850, col. 562 D. – Vgl. Martin Gerbert: Monumenta veteris liturgiae Alemannicae. Pars I, Typis San-Blasianis 1777, S. 499 und Sacramentarium Fuldense saeculi X, hg. v. Gregor Richter und Albert Schönfelder (Quellen und Abhandlungen zur Geschichte der Abtei und der Diözese Fulda, Bd. 9), Fulda 1912, S. 2.

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St. Vincent statt,35 die um 1122/26 durch Piotr Włostowic (verst. 1153), dem schlesischen ­Magnaten und Pfalzgrafen von Bolesław Krzywousty (verst. 1138),36 auf der Insel Ołbin (deutsch Elbing) gegründet worden war. Es ist nicht sicher, woher die Mönche kamen, vielleicht teilweise auch aus Tyniec.37 Obwohl die Abtei in Ołbin formal nicht von Tyniec abhängig war, bemühten sich die Tyniecer Mönche, sie unter ihren Einfluss zu bringen. Daher kam möglicherweise die Idee, dem neuen Kloster ein liturgisches Buch zur Weihe zur Verfügung zu stellen oder zu schenken, das dann hierbei eingesetzt wurde. Der Kanon wurde in der Version vorgelesen, die damals am Ende des Codex stand, ebenso wie die anderen Gebete vom Anfang des Buches. Knapp fünfzig Jahre später, 1193, wurden die Benediktiner aus Ołbin entfernt: offiziell aufgrund unzureichender religiöser Disziplin, in Wirklichkeit infolge ihrer politischen Parteinahme in einem Streit, der für sie verloren ging. An ihre Stelle traten Prämonstratenser aus dem Kloster St. Wawrzyniec (Laurentius) in Kościelna Wieś in der Nähe von Kalisz. Die Benediktiner wurden an ihre Stelle im Kloster St. Wawrzyniec eingesetzt, wo im Laufe der Zeit eine von Tyniec abhängige Propstei entstand.38 Vielleicht kehrte damals, Ende des 12. Jahrhunderts, das Sakramentar nach Tyniec zurück. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass es länger in Kościelna Wieś blieb und erst in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts oder sogar zu Beginn des 14. Jahrhunderts nach Tyniec kam. Denn in der Mitte des 13. Jahrhunderts wurde das Kloster in Tyniec während des Angriffs von Tataren (1241 und 1259/60) zweimal niedergebrannt. Es wurde auch 1306 während des Konflikts zwischen Bischof Jan Muskata (verst. 1320) und Fürst Władysław I. Ellenlang (polnisch Łokietek) (verst. 1333) zerstört. Da das Sakramentar diese stürmischen Zeiten überstanden hat, kann davon ausgegangen werden, dass es damals an einem anderen Ort verwahrt wurde, eben in der Propstei in Kościelna Wieś. 1627 leitete als dritter Kommendatarabt in Folge Henryk Firlej aus Dąbrowica (verst. 1635), Sekretär von König Zygmunt III. Waza, seit 1631 Bischof von Przemyśl, die Abtei

35 Vgl. Paweł Sczaniecki: Sacramentum dedicationis. Obrzęd poświęcenia kościoła i jego znaczenie w dziedzinie religijnej, obyczajowej i kulturalnej na podstawie źródeł polskich z XII wieku, in: Studia kościelnohistoryczne, Bd. 3 (TN KUL. Rozprawy Wydziału Teologiczno-Kanonicznego, Bd. 47), Lublin 1979, S. 122. – Vgl. Zofia Kozłowska-Budkowa: Repertorium polskich dokumentów doby piastowskiej, Heft 1: Do końca wieku 12, Krakau 1937, Nr. 49. 36 Vgl. Adam Żurek: Dawny zespół klasztorny Benedyktynów, następnie Norbertanów pw. św. Wincentego na Ołbinie, od 1529 r. nie istnieje, in: Atlas architektury Wrocławia, Bd. 1: Budowle sakralne, świeckie budowle publiczne, hg. v. Jan Harasimowicz, Breslau 1997, S. 7. 37 Vgl. Derwich 1995 (wie Anm. 4), S. 109. 38 Vgl. Derwich 1995 (wie Anm. 4), S. 110 f. – Derwich 1992 (wie Anm. 4), S. 194. – Gerard Kucharski: Od premonstratensów do benedyktynów. Klasztor św. Wawrzyńca w Kościelnej Wsi pod Kaliszem do połowy XIII w., in: Nasza Przeszłość 93 (2000), S. 341–362, insb. S. 351–354.

Das Sacramentarium Tinecense | 57

in Tyniec.39 Die Kommendataräbte, die von den weltlichen Behörden ernannt wurden, sind in den Tyniecer Jahrbüchern meistens weniger positiv beschrieben: Für sie sei diese Funktion ein weiteres Benefizium, eine Einkommensquelle, und sie hätten sich weder um das innere Leben des Klosters noch um seine materielle Entwicklung gekümmert.40 Eine Ausnahme bildete Henryk Firlej, der sich nicht nur um das Kloster und die Kirche sorgte, indem er selbst für die Kosten ihrer Reparaturen und Ausgestaltung aufkam, sondern sich auch um die Bibliothek bemühte, für die er neue Einbände in Auftrag gab. Es ist nicht bekannt, wie viele Bücher damals neu gebunden wurden. Heute sind nur noch einige Inkunabeln mit seinem Superexlibris erhalten geblieben41 sowie zwei Manuskripte: Das eine ist eine Kopie von Privilegien, angefertigt 1634 auf Anordnung von Firlej: „Rescriptorum, bullarum, privilegiorum [...] monasterii Tynecensis [...] pars I“,42 und das andere ist das Sakramentar aus Tyniec.43 Da auf allen neuen Einbänden der Drucke neben einem Superexlibris, das im Folgenden näher beschrieben wird, auch die Jahreszahl 1634 angebracht wurde, dürfte auch das Sakramentar in diesem Jahr oder spätestens im folgenden gebunden worden sein.44 Daher ist die häufig vertretene Datierung des heutigen Einbands in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts – nach dem Diebstahl des ursprünglichen, prachtvollen Einbandes durch die Schweden – abzulehnen.45 Zweimal im 17. Jahrhundert führte Schweden einen Krieg mit Polen: zum ersten Mal in den Jahren 1626 bis 1629, zum zweiten Mal in den Jahren 1655 bis 1660, also während des Zweiten Nordischen Krieges, als die schwedische Armee ein beträchtliches Gebiet Polens bis nach Krakau besetzte. Nach der Eroberung von Kleinpolen und der Kapitulation der Kronarmee überfiel die schwedische Armee Tyniec, raubte die Abtei aus und setzte sie in Brand. Das, was mit dem Sakramentar aus Tyniec geschah, wurde von einem unbekannten Mönch, wahrscheinlich einem Bibliothekar, auf der ersten Seite des Sakra39 Vgl. Jan Kwolek: Firlej Henryk z Dąbrowicy, in: Polski słownik biograficzny, Bd. 6, Krakau 1948, S. 478. 40 Vgl. Paweł Sczaniecki: Tysiąc lat jak dzień wczorajszy... Opowiadanie o dziejach Tyńca, in: Znak 28 (1976), Nr. 3 (261), S. 325–354, insb. S. 341. 41 Vgl. Katalog inkunabułów Biblioteki Wyższego Seminarium Duchownego w Tarnowie, hg. v. Jolanta M. Marszalska, Tarnau 1997. 42 Warschau, Biblioteka Narodowa, ms. 12560 III (olim BN akc. 9822, Lemberg, Biblioteka Baworowskich, 590). Pars II – Breslau, Biblioteka Ossolineum, ms. 2160/II. 43 Vgl. Krystyna Muszyńska: Oprawa „Sakramentarza tynieckiego“, in: Biuletyn Informacyjny Biblioteki Narodowej 106–108, Nr. 3/4 (1988) (106–108), S. 28–30. 44 Vgl. Grażyna Klimecka: Rękopisy i inkunabuły tynieckie w zbiorach Biblioteki Narodowej w Warszawie, in: Żurowska 1995 (wie Anm. 1), S. 261–283, insb. S. 276. 45 Vgl. Klimecka 1995 (wie Anm. 44), S. 30. – Wacław Schenk: Źródła do badań dziejów liturgii rzymskiej w Polsce, in: Pastori et magistro. Praca zbiorowa wydana dla uczczenia jubileuszu 50-lecia kapłaństwa Jego Ekselencji księdza biskupa doktora Piotra Kałwy profesora i wielkiego kanclerza KUL, hg. v. Andrzej Krupa, Lublin 1966, S. 123–133, insb. S. 125.

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mentars beschrieben: „Anno D[omi]ni 1656. Die 11 Augusti. Dieses Buch wurde aus dem Tyniecer Kloster geraubt, als die Schweden die Polen an diesem Kloster geschlagen haben, und [dann] wurde dieses Buch in Krakau zurückgekauft.“46 Nach der Rückkehr des Sakramentars wurde es in die Klosterbibliothek zurückgebracht, denn in den erhaltenen Verzeichnissen der Schatzkammer, die sowohl vor der Invasion der Schweden im Jahr 1636 als auch danach in den Jahren 1661, 1674, 1689 und 1691 aufgestellt wurden, fehlt das Sakramentar, obwohl liturgische Bücher fast immer aufgelistet sind – sowohl die mit prachtvollen Einbänden als auch die gewöhnlichen, gedruckten Bücher vom Ende des 16. bis Mitte des 17. Jahrhunderts.47 Vielleicht befand sich das Sakramentar vor seiner Neubindung unter Firley 1634 in der Schatzkammer der Kirche, als es noch über einen reich verzierten Einband verfügte. Da das Buch aber bei der Liturgie überflüssig war, wurde es nach dem Verlust des Einbandes in die Bibliothekssammlung übertragen. Obwohl der älteste Katalog der Abteibibliothek in Tyniec aus dem Jahr 1597 stammt,48 umfasst er nur Drucke. Zwei weitere aus den Jahren 1782 und 1789, die in der Literatur bekannt sind, blieben wahrscheinlich nicht erhalten.49 Das Sakramentar aus Tyniec war bis Anfang des 19. Jahrhunderts in den Sammlungen der Abteibibliothek aufbewahrt, bis die Mönche in ihrer schwierigen finanziellen Lage wertvolle Gegenstände verkauften. Um 1815 wurden zumindest einige Handschriften von Graf Stanisław Kostka Zamoyski (1775–1856), einem politischen und wirtschaftlichen Aktivisten und Eigentümer einer Bibliothek (Biblioteka Ordynacji Zamojskiej), gekauft. Für ihn wurde im Jahre 1815 ein Katalog von gedruckten, zum Verkauf bestimmten Büchern und Manuskripten aus der Tyniecer Sammlung erstellt,50 aus dem Zamoyski Manuskripte, Inkunabeln und Drucke für seine Bibliothek auswählte.51 Das Sakramentar aus Tyniec hatte Zamoyski aber schon im Jahre 1814 gekauft, wie sein Eintrag auf der ersten Seite des Codex belegt: „Schon seit den frühesten Zeiten befand sich dieses Messbuch in der Tyniecer Abtei. Das ist ein Werk des 9. oder 10. Jahrhunderts, aber mit Schrift und Zeich­ 46 „Anno D[omi]ni 1656. Die 11 Augusti. Tę Księgę w klasztorze Tynieckim wyrabowano gdy Oboz Swędzi rozpruszyli Polakow tamże pod Tym klasztorem, y tę xiażke odkupiono w Krakowie.“ (Warschau, Biblioteka Narodowa, BOZ 8, p. 1). 47 Vgl. Inwentarz skarbca kościelnego klasztoru w Tyńcu, Warschau, Biblioteka Narodowa, ms. 6617 III, Bl. 35v–36r, 66r u. 70r. 48 Compendiosa descriptio Librorum tam reverendi domini Nicolai a Mielec, abbatis Tinecensis ad bibliothecam communem monasterii die 20 septembris a. 1597 deportatorum, quam aliorum suo ordine antiquius ibibdem existentium etc., Krakau, Biblioteka Jagiellońska, ms. 6208/III. – Vgl. Jolanta M. Marszalska: Biblioteka opactwa benedyktynów w świetle jej inwentarzy, in: Roczniki Biblioteczne 41 (1997), H. 1/2, S. 29–42, insb. S. 29–32. 49 Vgl. Marszalska 1997 (wie Anm. 48), S. 40. 50 Katalog Xiąg znaydujących się w klasztorze Opactwa tynieckiego, przekopiowany w r. 1815, Warschau, Biblioteka Narodowa, ms. BOZ 2044. 51 Vgl. Klimecka 1995 (wie Anm. 44), S. 277.

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nung ähnelt es eher dem 9. Jahrhundert. Wegen der notwendigen Kirchenreparaturen wurde es zum Verkauf angeboten. Ich habe für das Buch 1814 in Krakau tausend Zloty gegeben. Jetzt reiche ich es in die Bibliothek des Majorats Zamoyski ein, wahrscheinlich als jeweils das älteste Denkmal dieser Sammlung. Warszawa, den 24. Februar 1818. Stanisław Major Zamojski.“52 In der Bibliothek bekam das Manuskript die Inventarnummer C.XI No 6273 (erst später die Signatur Cim. 8, heute BOZ 8) und zog als älteste Handschrift dieser Bibliothek zahlreiche Leser und Forscher an. Im September 1939 wurde der Warschauer Palast unter dem Blechdach (polnisch Pałac pod Blachą), in dem sich die Bibliothek von Zamoyski befand, im Zuge des Zweiten Weltkrieges stark beschädigt und ein Teil der Sammlung verbrannte. Das Sakramentar aus Tyniec blieb aber unversehrt. Zwei Monate später, am 21. November, wurde es auf Befehl der deutschen Besatzung zusammen mit anderen wertvollen Gegenständen der Bibliothek nach Berlin gebracht, von wo aus die Truhe mit Zimelien 1941 nach Warschau zurückkehrte. Der Kodex wurde dann durch den Warschauer Aufstand im August und September 1941 bedroht, aber trotz des Gebäudebrandes und der Zerstörung von 120.000 Büchern sowie vielen Manuskripten gelang es wieder, das Sakramentar zu retten. Nach dem Zusammenbruch des Aufstandes wurde ein Teil der verbliebenen Sammlungen nach Görbitsch bei Frankfurt an der Oder befördert.53 Das Sakramentar aus Tyniec wurde heimlich nach Łowicz, etwa 80 Kilometer westlich von Warschau, transportiert und dort im Keller unter dem Grabgewölbe von Primas Jan Lipski versteckt.54 Im Februar 1945, aus dem Versteck herausgenommen, kehrte es für eine kurze Zeit in die Bibliothek Zamoyski zurück, bevor der Besitzer der Bibliothek und letzte Major Jan Tomasz Zamoyski (1912– 2002) angesichts der Überführung aller größeren Landgüter, Paläste und Bibliotheken durch die kommunistischen Behörden in Staatseigentum 1946 die Bibliotheksbestände in die Obhut der Warschauer Nationalbibliothek als ewiges Depositum übergab. Auf diese Weise kam auch das Sakramentar aus Tyniec in die Nationalbibliothek und wird dort unter seiner alten Signatur BOZ 8 aufbewahrt. 52 „Już od najdawniejszych czasów ten mszał znajdował się w opactwie tynieckim. Jest to dzieło wieku IX lub X, lecz bardziej jest podobny z pisma i rysunków do wieku IX. W potrzebie reparacji kościoła wystawiony on został na sprzedaż, dałem za niego tysiąc złotych w Krakowie, w roku 1814. Składam go teraz do Biblioteki Ordynacji Zamojskiego, którego zbioru będzie może najstarożytniejszym zabytkiem. Warszawa, dnia 24 lutego 1818 roku. Stanisław Ordynat Zamojski.“ (Warschau, Biblioteka Narodowa, BOZ 8, p. 1). 53 Vgl. Marian Łodyński: Pruszkowska akcja zabezpieczania warszawskich zbiorów bibliotecznych (1944–1945). Wspomnienia uczestnika akcji, in: Walka o dobra kultury. Warszawa 1939–1945, hg. v. Stanisław Lorentz, Warschau 1970, Bd. 2, S. 266–282, insb. S. 275 f. – Biblioteka Narodowa. Katalog rękopisów. Seria 3. Zbiory Biblioteki Ordynacji Zamojskiej, hg. v. Barbara Smoleńska und Krystyna Muszyńska, Warschau 1991, Bd. 2, S. 23. 54 Stanisław Lorentz: W Muzeum i gdzie indziej, in: Lorentz 1970 (wie Anm. 53), S. 13–109, insb. S. 100.

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Ende des 20. Jahrhunderts war der Kodex in einem sehr schlechten Zustand: Der Einband war beschädigt, es gab keine Verschlüsse, aber gerissene Bünde, einige Blätter waren geknickt und die Tinte bröckelte fast im gesamten Manuskript vom Untergrund ab. Durch einen Zuschuss des Ausschusses für wissenschaftliche Forschungen wurde im Jahr 1993 eine umfassende Konservierung des Manuskripts durchgeführt. Bei dieser Gelegenheit wurden auch zahlreiche Untersuchungen durchgeführt. Nach einer Zerlegung der gesamten Handschrift wurde zunächst die Tinte gegen weiteres Abbröckeln abgesichert und die Blätter von den Resten der Tinte, die sich bereits vom Untergrund gelöst hatte, gereinigt. Darüber hinaus wurden die Blätter ausgerichtet, die Lagen neu geheftet und alles unter möglichst umfassender Nutzung originaler Substanz neu eingebunden. Eine umfassende konservatorische Dokumentation wird im Institut für Konservierung von Bibliothekssammlungen der Nationalbibliothek aufbewahrt, Kurzfassungen und Beschreibungen hat Maria Woźniak, die Leiterin des Konservatorenteams, veröffentlicht.55 Hauptziel bei den Konservierungsarbeiten war es, das Objekt gegen weitere Zerstörung zu schützen und unnötige Eingriffe zu vermeiden. Deshalb wurde die ursprüngliche Reihenfolge der Lagen nicht wiederhergestellt – obwohl dies diskutiert wurde –, sondern die im 17. Jahrhundert veränderte Reihenfolge der Lagen erhalten.

Zur Kodikologie Das Manuskript enthält 235 Pergamentblätter mit einer Größe von 28,1 x 22,2 cm, gebildet aus 33 Lagen sowie zwei Papierblättern. Die Abmessungen des Einbandes betragen 29,8 x 22,7 x 8,5 cm. Ursprünglich bestand das Sakramentar aus Tyniec aus 31 Lagen: – Die ersten vier, nach der heutigen Nummerierung der Lagen die Nummern 2 bis 5 (pag. 7–52), hatten je sechs Blätter. Drei von ihnen sind regelmäßige Ternionen und eine Lage besteht aus einem Bifolium, dem zwei weitere Bifolia nebeneinander hinzugefügt worden sind (Lage Nr. 3, pag. 19–30). – Die übrigen Lagen sind in der Regel reguläre Quaternionen, mit Ausnahme der Lagen 11 und 12 (pag. 133–156), 23 (pag. 317–328), die je sechs Blätter hatten, und der Lage 26 (pag. 359–372), die von Anfang an sieben Blätter zählte. Bei dieser letzten Lage wurde ein Blatt vor dem letzten Blatt der Lage hinzugefügt. Der Grund dafür war der Irrtum des Kopisten, der wahrscheinlich nach einer Pause bei der Abschrift des Textes ein Blatt aus dem Musterkodex übersprungen hatte, sodass das bei der Abschrift ausgelassene Blatt angefügt werden musste. 55 Maria Woźniak: Konserwacja Sakramentarza tynieckiego, in: Żurowska 1995 (wie Anm. 1), S. 301– 312. – Maria Woźniak: Sakramentarz tyniecki, in: Biuletyn Konserwatorów Dzieł Sztuki 6 (1995), Nr. 1 (20), S. 1–8. – Maria Woźniak: Konserwacja skarbów, in: Notes konserwatorski 1: Ratowanie i ochrona zbiorów (1998), S. 88–100.

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Das Ganze stellte sich wie folgt dar (Nummern der Lagen nach heutiger Reihenfolge): 2–5 (3+3) – pag. 7–52 6–10 (4+4) – pag. 53–132 11–12 (3+3) – pag. 133–156 13–21 (4+4) – pag. 157–300 26 (3+4) – pag. 359–372 27–32 (4+4) – pag. 373–468 22 (4+4) – pag. 301–316 23 (3+3) – pag. 317–328 24–25 (4+4) – pag. 329–358 Bei der Neubindung kam es zu einer Veränderung des Aufbaus: Am Anfang des Manuskripts wurde nämlich ein Binion hinzugefügt, also eine aus vier Blättern bestehende Lage (heute Lage Nr. 1). Auf diesen Blättern wurden die Messformulare, unter anderem für die Kirchweihe, niedergeschrieben. Auf den unbeschriebenen Blättern der letzten Lage des Codex (damals die Lage mit der heutigen Nummer 25, bestehend aus pag. 345–358) wurde um 1149 der zweite Kanon der heiligen Messe eingetragen. Da es an Platz für den gesamten Text mangelte, wurde eine weitere Lage in Form von einem Bifolium hinzugefügt – heute Lage Nr. 33 (pag. 469–470, B. IV). Bei der Neubindung des Codex in Tyniec um 1634 wurden irrtümlicherweise die letzten vier Lagen (außer des erwähnten Bifoliums am Ende der Handschrift) – jetzt pag. 301 bis 358 – in die Mitte des Manuskripts verlegt, nach Lage 21. Es ist nicht bekannt, wann zwei Seiten des Manuskripts verloren gegangen sind. In der Lage Nr. 4 wurde das zweite Blatt herausgeschnitten (herausgerissen) (nach pag. 32). Dieses Blatt lag zwischen dem Blatt mit einer ganzseitigen Miniatur der Maiestas Domini und dem Messkanon. Es ist nicht auszuschließen, dass auf diesem Blatt eine Miniatur Papst Gregors des Großen dargestellt war, mit der viele reich verzierte Sakramentare beginnen. Es fehlt auch das letzte Blatt in der heutigen Lage Nr. 25 (damals am Ende der Handschrift), das den letzten Teil des zweiten Kanons umfasste. Bei der Neubindung 1634 wurde auch die Nähmethode der Lagen geändert. Der Manuskriptblock wurde jetzt mit Leinenfäden geheftet, auf vier Bünden aus doppelten Schnüren (anstelle von fünf Bünden). Aus diesem Grund wurden neue Einschnitte am Rücken der Lagen, an anderen Stellen als zuvor, notwendig. Die Reihenfolge der Lagen wurde damals verwechselt und das erste Blatt der ersten Lage sowie das letzte Blatt der letzten Lage wurden als Vorsatzblätter an die neuen Deckel geklebt. Im 19.  Jahrhundert wurden bereits in der Bibliothek von Major Zamoyski zwei ­Papierblätter der ersten Lage hinzugefügt, indem sie zwischen das erste Blatt dieser Lage, die zu diesem Zeitpunkt bereits die Rolle des Vorsatzes einnahm, und das zweite Blatt der Lage, also vor der ersten Seite, eingeklebt wurden.

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Der heutige Einband wurde um 1634 gefertigt und besteht aus mit dunkelbraunem (heute geschwärztem) Rindsleder, auf dem ein Superexlibris der Tyniecer Abtei aus der Regierungszeit von Henryk Firlej geprägt wurde, überzogenen Buchenbrettern. Das Superexlibris des Sakramentars ist aufgrund von Abnutzung kaum sichtbar, besser ist dieses auf der erwähnten Kopie und auch auf den Einbänden der Inkunabeln erhalten. Innerhalb des ovalen Rahmens sind an den Seiten St. Peter und St. Paul, die Schutzheiligen der Abtei, und im Hintergrund zwischen ihnen die Tyniecer Kirche nach dem Umbau in den Jahren 1618/22 zu sehen. Über der Kirche steigt die Gottesmutter mit dem Kind empor. Unter ihr ist das Klosterwappen von Tyniec dargestellt, das aus den Attributen der Klosterpatrone, nämlich den zwei gekreuzten Schlüsseln Petri und dem Schwert Pauli, besteht. Im Rahmen sind an den Seiten der hl. Benedikt und Bischof Aaron dargestellt, unter ihnen zwei Wappen: Lewar, Wappen der Familie Firlej, und drei Kronen, Wappen des Bischofs.56 Zwischen den Wappen befindet sich die Aufschrift „Divi tutel / lares regy /  Coenoby Tynecensis“. Wir wissen nicht, wie der ursprüngliche Einband ausgesehen hat. Es kann aber vermutet werden, dass er aus dicken Eichenbrettern mit Rücken, die nicht mit Leder, sondern mit einem Stoffstreifen überzogen waren, bestand. Für eine solche Lösung spricht, dass die Lagen am Anfang und Ende des Codex später angeheftet wurden, was bei einem vollen Überzug mit Leder sehr schwierig gewesen wäre. Einbände solcher Art sind bis heute erhalten, wie beispielsweise beim Evangeliar von Anastasia aus der Mitte des 12. Jahrhunderts in der Warschauer Nationalbibliothek.57 Normalerweise verfügten die Sakramentare, besonders in einer so luxuriösen Fassung wie dem Sakramentar aus Tyniec, über prachtvolle Einbände. In diesem Fall wurde dieser spätestens im 17. Jahrhundert entfernt, aber es ist nicht auszuschließen, dass ein Element des Einbandes erhalten blieb: Es handelt sich um eine Elfenbeintafel, die 1896 zuerst Władysław Łuszczkiewicz dem Einband eines nicht erhaltenen Evangeliars aus Tyniec zugeordnet hat (Abb. 1).58 Elfenbeintafeln, die eine Kreuzigung darstellen, fanden häufiger Verwendung bei Evangeliaren.59 Nach der Auflösung des Klosters 1817 gelang die Tafel in die Hände des örtlichen Kirchendieners, der das Elfenbein seinem Sohn übergab. Nach einigen Jahrzehnten wurde es von Ambroży Grabowski (1782–1868), einem Historiker und Sammler, gekauft und später von seinem Enkel, Eugeniusz Grabowski, an den bekannten französischen Sammler Martin Le Roy weiterverkauft. Dies geschah wahrscheinlich einige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg, denn 56 Vgl. Piotr Dymmel: Herby kapituł w „Klejnotach“ Jana Długosza, in: Polska heraldyka kościelna. Stan i perspektywy badań, hg. v. Krzysztof Skupieński und Anzelm Weiss, Warschau 2004. 57 Warschau, Biblioteka Narodowa, ms. 3307 II. 58 Władysław Łuszczkiewicz: Okładka ewangeliarza z opactwa benedyktynów w Tyńcu pod Krakowem, in: Sprawozdania Komisji Historii Sztuki 5 (1896), S. CXVII–CXVIII. 59 Vgl. Marian Sokołowski: Rzeźba z kości słoniowej XI wieku i najstarsze książki liturgiczne w Polsce, in: Sprawozdania Komisji Historii Sztuki 5 (1896), S. CIV–CXII, insb. S. CV u. CVIII.

Das Sacramentarium Tinecense | 63

Abb. 1: Elfenbein aus Tyniec, ehem. Sammlung Le Roy, Verbleib unbekannt.

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die Tafel fehlt im Katalog der Sammlung von 1906.60 Es ist leider nicht bekannt, was mit ihr geschah: Sie sollte zum Musée du Louvre gelangen, aber dort wurde sie – bis jetzt – noch nicht gefunden. Vielleicht gelangte sie in die Sammlungen des Schwiegersohns von Martin Le Roy, Marqueta de Vasselot, und von dort aus zu einem anderen Sammler. Die Tafel mit den Maßen 14,3 x 11,6 x 0,6 cm stellt Christus am Kreuz dar, unter dem eine Schlange zu sehen ist. In den oberen Ecken sind die Personifikationen von Sonne und Mond, unter dem Kreuz Longinus und Stephaton sowie seitlich die Gottesmutter und Johannes Evangelista dargestellt. Darunter befinden sich die Personifikationen von Oceanos und Terra. Łuszczkiewicz datierte die Entstehung des Elfenbeins in das 12. Jahrhundert, Adolph Goldschmidt auf das Ende des 9. Jahrhunderts,61 Marian Morelowski dagegen vermutete eine Entstehung in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts in Metzer Werkstätten.62

60 Vgl. Raymond Koechlin: Catalogue raisonné de la collection Martin Le Roy, Heft 2: Ivoires et sculptures, Paris 1906. 61 Adolph Goldschmidt: Elfenbeinskulpturen aus der Zeit der karolingischen und sächsischen Kaiser 8.–11. Jahrhundert (Die Denkmäler der deutschen Kunst), Bd. 1, Berlin 1914, S. 54, Nr. 100, Taf. XLVII. 62 Marian Morelowski: Najstarsza płaskorzeźba Polski piastowskiej na tle stosunków z Zachodem w XI w., in: Sprawozdania Wrocławskiego Towarzystwa Naukowego, Serie A, 3 (1948), S. 234–241, insb. S. 237.

Das Sacramentarium Tinecense | 65

Paweł Figurski

Political Liturgies, Cologne’s Manuscript Culture, and Historical Myths The Provenance of the Sacramentary of Tyniec

„If a very ancient manuscript is preserved in a centre that is still more ancient, one is entitled to believe, in absence of proof to the contrary, that it originated in that centre.“1 Thus decreed the „pope“ of manuscript studies, Elias Avery Lowe. However, this dictum has only been partially adhered to in the scholarship on the Sacramentary of Tyniec (BOZ 8). Today, no one claims that the book originated in the Polish monastery of Tyniec – in this respect Lowe’s rule has been followed. Nevertheless, it is still opinio communis that soon after its production in Cologne, the manuscript was moved to the newly-established monastery in Tyniec, an eleventh-century ducal/royal foundation, thus giving rise to the manuscript’s traditional name – the Sacramentary of Tyniec. It is generally believed that the Sacramentary was used in the Tyniec monastery in the eleventh and twelfth centuries, and that it remained there throughout the Middle Ages.2 However, as I will show, this history is deeply problematic. 1

2

The research was funded by the National Science Centre, Poland as part of grant No. 2015/17/B/ HS3/00502. The initial results were presented at the Kiel conference; I am very grateful to its organizers, Prof. Klaus Gereon Beuckers and Prof. Andreas Bihrer. I am also indebted to those scholars who have commented on the issues raised in this essay both at the conference as well as afterward. I would particularly like to thank Prof. Roman Michałowski, Prof. Ernst-Dieter Hehl, Prof. Henry Parkes, Prof. Krzysztof Skwierczyński, Prof. Andrew Irving, Prof. Marcin Pauk, Dr Franz Neiske and Dr Harald Horst for sharing their suggestions with me. I would like to express special thanks to Sławomir Szyller, who not only provided me with his text, but also with his time in order to discuss our different approaches, and with his meticulous bibliography on the Sacramentary of Tyniec. I am also very grateful to Anna Siebach-Larsen for proofreading this essay. – Codices Latini Antiquiores: A Paleographical Guide to Latin Manuscripts prior to the Ninth Century, ed. Elias Avery Lowe, vol. 6, Oxford 1953, p. XIV. This position is held by Franciszek Maksymilian Sobieszczański: Wiadomości historyczne o sztukach pięknych w dawnej Polsce: zawierające opis dziejów i zabytków budownictwa, rzeźby, snycerstwa, malarstwa i rytownictwa, z krótką wzmianką o życiu i dziełach znakomitszych artystów krajowych, lub w Polsce zamieszkałych, 2 vols., Warsaw 1847/49, vol. 1, p. 269 (even that it was brought by Bolesław the Brave, d. 1025). – Marian Sokołowski: Rzeźba z kości słoniowej XI w. i najstarsze książki liturgiczne w Polsce, in: Sprawozdania Komisji Historii Sztuki Akademii Umiejętności 5 (1896), p. 24. – Władysław Podlacha: Historia malarstwa polskiego, vol. 1: Od średniowiecza do wieku XVIII-go, part 1: Malarstwo średniowieczne, Lviv 1914, pp. 42 f. – Feliks Kopera: Dzieje malarstwa w Polsce,

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vol. 1: Średniowieczne malarstwo w Polsce, Cracow 1925 (OA 1918), p. 4. – Pierre David: Les bénédictins et l’ordre de Cluny dans la Pologne médiévale (Publications du Centre franco-polonais de recherches historiques de Cracovie, vol. 1.1), Paris 1939, pp. 22 f. and 27. – Władysław Semkowicz: Paleografia Łacińska, Cracow 2002 (OA 1951), pp. 150 f. and 279. – Wacław Schenk: Źródła do badań dziejów liturgii rzymskiej w Polsce. in: Pastori et magistro. Praca zbiorowa wydana dla uczczenia jubileuszu 50-lecia kapłaństwa Jego Ekscelencji Księdza Biskupa Doktora Piotra Kałwy Profesora i Wielkiego Kanclerza KUL, ed. Andrzej Ludwik Krupa (Towarzystwo Naukowe Katolickiego Uniwersytetu Lubelskiego. Źródła i monografie, vol. 81), Lublin 1966, pp. 123–133, here p. 125. – Zofia Rozanow: Średniowieczna ikonografia muzyczna, in: Musica Medii Aevi 2 (1968), pp. 93–114, here pp. 101 f. – Jan Węcowski: Początki chorału benedyktyńskiego w Polsce (968–1150), in: Musica Medii Aevi 2 (1968), pp. 40–51, here pp. 46 f. – Peter Bloch / Hermann Schnitzler: Die Ottonische Kölner Malerschule, 2 vols., Düsseldorf 1967/70, vol. 1, p. 102. – Maria Pietrusińska: Katalog i bibliografia zabytków, in: Dzieje sztuki polskiej, vol. 1.2: Sztuka polska przedromańska i romańska do schyłku XIII wieku, ed. Aleksander Gieysztor et al., Warsaw 1971, p. 773 (though only hinting). – Michał Walicki: Wyposażenie artystyczne dworu i kościoła, in: Dzieje sztuki polskiej, vol. 1.1: Sztuka polska przedromańska i romańska do schyłku XIII wieku, ed. Aleksander Gieysztor et al., Warsaw 1971, pp. 254 f. – Joachim M. Plotzek: Die Kölner Handschriftengruppe, in: Monumenta Annonis. Köln und Siegburg. Weltbild und Kunst im hohen Mittelalter, Ex. Cat. Schnütgen-Museum Cologne, ed. Anton Legner, Cologne 1975, p. 162. – Zygmunt Świechowski: Königin Richeza von Polen und die Beziehungen polnischer Kunst zu Köln im 11. Jahrhundert, in: Kölner Domblatt. Jahrbuch des Zentral-Dombau-Vereins 40 (1975), pp. 27–48, here p. 45.  – Edward Potkowski: Książka rękopiśmienna w kulturze Polski średniowiecznej, Warsaw 1984, p. 28. – Gerard Labuda: Studia nad początkami państwa polskiego, vol. 2 (Uniwersytet im. Adama Mickiewicza. Seria Historia, vol. 140), Poznań 1988, pp. 368 f. – Aleksander Giyesztor: Symboles de la royauté en Pologne: un groupe de manuscrits du XIe et du début du XIIe siècles, in: Comptes-rendus des séances de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres 134 (1990), pp. 128–137, here pp. 132 f. – Roman Michałowski: Princeps fundator. Studium z dziejów kultury politycznej w Polsce X–XIII wieku, Warsaw 1993, p. 102. – Gerard Labuda: Szkice historyczne XI wieku. Początki klasztoru benedyktynów w Tyńcu, in: Studia Źródłoznawcze. Commentationes 35 (1994), pp. 23–64, here p. 63. – Grażyna Klimecka: Sakramentarz tyniecki, in: Tyniec. Sztuka i kultura benedyktynów od wieku XI do XVIII. Ex. Cat. Zamek Królewski na Wawelu, Instytut Historii Sztuki Uniwersytetu Jagiellońskiego, Benedyktyńskie Opactwo ŚŚ. Apostołów Piotra i Pawła w Tyńcu, ed. Klementyna Żurowska, Cracow 1994, pp. 32–34, here p. 32. – Grażyna Klimecka: Rękopisy i inkunabuły tynieckie w zbiorach Biblioteki Narodowej w Warszawie, in: Benedyktyni tynieccy w średniowieczu. Materiały z sesji naukowej, Wawel, ed. Klementyna Żurowska, Cracow 1995, pp. 262–264. – Gerard Labuda: Kto i kiedy ufundował klasztor w Tyńcu? in: Żurowska 1995 (as above), pp. 25 f. – Maria Woźniak: Konserwacja Sakramentarza tynieckiego, in: Żurowska 1995 (as above), pp. 301 f. – Elżbieta Dąbrowska: Średniowieczny ceremoniał pogrzebowy wyższego duchowieństwa polskiego. Studium archeologiczno-historyczne, in: Studia Źródłoznawcze. Commentationes 36 (1997), pp. 9–29, here p. 10 (even though she noticed that there is no ordo pro abbate defuncto). – Nad złoto droższe. Skarby Biblioteki Narodowej, ed. Halina Tchórzewska-Kabata, Warsaw 2000, p. 35. – Wojciech Bałus: Malarstwo sakralne, Wrocław 2001, p. 10. – Józef Wacław Boguniowski: Rozwój historyczny ksiąg liturgii rzymskiej do Soboru Trydenckiego i ich recepcja w Polsce, Cracow 2001, p. 82. – Modlitwy księżnej Gertrudy z Psałterza Egberta z Kalendarzem, ed. Małgorzata H. Malewicz and Brygida Kürbis (Monumenta Sacra Polonorum, vol. 2), Cracow 2002, pp. 30 and 66. – Aleksander Gieysztor: Rękopisy – insygnia monarchii polskiej w XI wieku, in: Codex Aureus Gnesnensis. Facsimile ex archetypo qui in Bibliotheca Cathedrali Gnesnensi

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My goal is to hew strictly to Lowe’s edict, and thus to present ample proof that contrary to accepted opinion, the Sacramentary was not produced for any emperor, king, queen, or duke, and that there are no firm grounds to believe that it was written for or used in any Polish ecclesiastical institution in the eleventh or twelfth centuries. In order to prove these theses, I will first briefly present the current basis for the opinio communis that there is a link between the Sacramentary and a monastery in Tyniec. Second, through a comparison of Sacramentary of Tyniec with other Ottonian and early Salian manuscripts I will demonstrate the improbability of any connection between the Sacramentary and a royal or ducal figure. Finally, I will propose a different type of milieu within which the manuscript might have been produced and where it may have been used.

Historical myth and the identification of the Sacramentary of Tyniec The current opinio communis linking the sacramentary with eleventh- and twelfth-century Tyniec is based purely on reconstructions of the historical context.3 The object itself, especially its liturgical text, has been far less studied in comparison to hypothetical connections among various figures from Cracow, Tyniec and the Reich. This frail and unsubstantiated narrative, rather than the Sacramentary itself, has propelled scholars to link the book with Tyniec. The manuscript itself enables us to trace its history to Tyniec, but no earlier than the seventeenth century. It has been proved that in 1814 the monastery sold the book to Count Stanisław Zamoyski, whose collection was later incorporated into the National Library in Warsaw, where the Sacramentary is preserved today.4 The Sacramentary can also be located in Tyniec in the seventeenth century, as it was rebound during that time in

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in libro inventario nro Ms 1a signatus asservatur, ed. Eugeniusz Piliszek, Warsaw 2004 (OA 1986), p. 8. – Jerzy Kaliszuk: Sakramentarz tyniecki, in: Kraków w chrześcijańskiej Europie X–XIII w., Ex. Cat. Muzeum Historyczne Miasta Krakowa, ed. Elżbieta Firlet and Zuzanna Miśtal, Cracow 2006, pp. 376–378.  – Paweł Sczaniecki: Tyniec, Cracow 2008 (OA 1980), p. 95.  – Gerard Labuda: Mieszko II. Król Polski (1025–1034), Poznań 2008 (OA 1992), p. 115. – Leszek Wetesko: Historyczne konteksty monarszych fundacji artystycznych w Wielkopolsce do początku XIII wieku (Wielkopolska. Historia, Społeczeństwo. Kultura, vol. 29), Poznań 2009, pp. 187–190. – Grzegorz Pac: Kobiety w dynastii Piastów. Rola społeczna piastowskich żon i córek do połowy XII wieku. Studium porównawcze, Toruń 2013, pp. 291 f.  – Marta Graczyńska / Monika Kamińska: Sakramentarz Tyniecki, in: Krzyżem, pługiem i piórem. Benedyktyni w chrystianizacji Polski. Ex. Cat. Opactwo Benedyktynów w Tyńcu, ed. Michał Tomasz Gronowski, Cracow 2016, pp. 47 and 49. For more details see the article of Ursula Prinz in this volume. An inscription by Stanisław Zamoyski, who purchased the book, is still preserved in the manuscript (p. 1). – On the history of BOZ 8 from 1800s onwards see the article of Stanisław Szyller in this volume.

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a manner characteristic for other books from Tyniec.5 There is also a short text datable to the early modern period on the first folio suggesting that the sacramentary was in Tyniec. According to the inscription, the book was stolen by Swedes in 1656 and re-purchased in Cracow. This inscription and the binding are the only two strong pieces of evidences embedded in the sacramentary that link the book with early modern Tyniec.6 Scholars took this seventeenth-century attribution as if no proof to the contrary existed, and proposed a scenario for how the book found its way to Polish monastery. As the sacramentary is a high-quality eleventh-century manuscript,7 they assumed that it must

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See Krystyna Muszyńska: Oprawa Sakramentarza tynieckiego, in: Biuletyn Informacyjny Biblioteki Narodowej 3/4 (1988), pp. 28–30. – Klimecka 1995 (as note 2), pp. 275 f. There were two totally unsuccessful attempts to prove that BOZ 8 was in Tyniec earlier and that it influenced other sources produced in Poland: Sczaniecki 2008 (as note 2), p. 96, a popular book, without footnotes, misleadingly claimed that BOZ 8 and the eleventh-century Cracow Pontifical stand in accord with one other. Nevertheless, Zdzisław Obertyński: The Cracow Pontifical. Cracow, Jagiellonian Library, Ms. 2057/Pontificale Cracoviense saeculi XI (Henry Bradshaw Society, vol. 100), Manchester 1977, who strove to find any similarities between the Cracow Pontifical and other liturgical manuscripts does not even quote BOZ 8. A similarly misleading observation comes from Rozanov 1968 (as note 2), p. 101, who stated that the Maiestas Domini miniature from BOZ 8, p. 32 was a model for the late fourteenth-/early fifteenth-century miniature preserved in the Gradual from Tyniec (Warsaw, National Library, Ms. 12722 V, p. 348). However, these two miniatures do not share any evident similarities. Moreover, they differ significantly in iconography and style. It is true that the depiction from the Gradual has archaic features (see Władysław Podlacha: Miniatury tynieckich ksiąg liturgicznych w Bibliotece Uniwersyteckiej we Lwowie, in: Księga pamiątkowa ku czci Bolesława Orzechowicza, ed. Lwowskie Towarszystwo Naukowe, 2 vols., Lviv 1916, vol. 1, p. 205), but the link between the two has not been not proven. For the argument against a connection between these two images, see Barbara Miodońska: Kodeksy iluminowane benedyktynów tynieckich. Wieki XIV–XV (uwagi historyka sztuki), in: Żurowska 1995 (as note 2), p. 247, note 11. Both miniatures have been digitized: https://polona.pl/item/sacramentarium-tinecense,NjgyNTc2OA/37/#item (BOZ 8) and https://polona.pl/item/graduale-de-tempore-et-de-sanctis,MjA3NTg3NDk/349/#item (Ms. 12722 V) (letzter Zugriff: 30.11.2017). Some scholars have increased BOZ 8’s value by calling it codex purpureus or codex aureus, whereas only the calendar-martyrology and the preface with the Roman Canon of the Mass are written on purple parchment with silver and gold letters. See Świechowski 1975 (as note 2), p. 45. – Peter Schreiner: Königin Richeza, Polen und das Rheinland. Historische Beziehungen zwischen Deutschen und Polen im 11. Jahrhundert (Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde, 14. Sonderveröffentlichung), Pulheim 1996, p. 38. – Gieysztor 2004 (as note 2), p. 8. – This assessment is striking because Stanisława Sawicka: Les principaux manuscrits à peintures de la Bibliothèque Nationale de Varsovie, du Château-royal et des bibliothèques: des Zamoyski à Varsovie, du Séminaire de Plock et du Chapitre de Gniezno, in: Bulletin de la Société Française de reproductions de manuscrits à peintures 19 (1938), pp. 196–205, here p. 201, enumerates precisely which part of the manuscript is ornamented like codices aurei.

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have been donated to a Polish institution by a potent figure, like a ruler.8 According to scholars, this donation must have happened in the eleventh century, as that is when the monastery was established. Queen of Poland Richeza9 and her son, Duke Casimir,10 or Aaron, Bishop of Cracow,11 have been offered as the most probable intermediaries between the Polish institutions and Cologne, where the manuscript was produced. Alternatively, those who believe that it was Bolesław the Generous who founded the Tyniec monastery have linked the transfer of the book to Poland and its usage there with the ideology of Bolesław.12 Nevertheless, these propositions are based on extremely hypothetical links between various figures and divergent institutions – links that are undermined by contemporary scholarship.13 Moreover, these hypotheses do not examine the liturgy of the Sacramentary, which – as will be shown – does not include many prayers of political character. This lack of political liturgy diminishes the possibility that the book was commissioned by a ruler for an institution that s/he established. Another hypothesis for the origins of the Sacramentary posits that it may have been commissioned for someone other than a Polish noble or ecclesiastical leader, and that it was transported to Tyniec in the latter part of the eleventh century. Aleksander Gieysztor argues that the sacramentary was brought to Poland with the first monks of Tyniec who themselves came from the reformed Siegburg monastery near Cologne. When archbishop of Cologne, Anno, reformed Siegburg according to the Cluniac ideal encountered in Fruttu 8 See Rozanow 1968 (as note 2), pp. 101 f. – Walicki 1971 (as note 2), pp. 254 f. – Brygida Kürbis: Polskie laudes regiae w Kronice Anonima Galla, in: Cultus et cognitio: studia z dziejów średniowiecznej kultury, ed. Stefan K. Kuczyński et al., Warsaw 1976, pp. 299–311, here pp. 299 f. – Schreiner 1996 (as note 7), p. 38. – Bałus 2001 (as note 2), p. 10. – Wetesko 2009 (as note 2), p. 189.  9 See Świechowski 1975 (as note 2), p. 45.  – Bloch / Schnitzler 1967/70 (as note 2), vol. 1, p. 102. – Węcowski (as note 2), pp. 46 f. – Schreiner 1996 (as note 7), p. 38. – Malewicz / Kürbis 2002 (as note 2), pp. 30 and 66. – Labuda 1988 (as note 2), p. 368, note 1. – Labuda 1995 (as note 2), pp.  25 f. – Labuda 2008 (as note 2), p. 115 (here also together with Hermann, archbishop of Cologne). – For the argument against this connection, see Klaus Gereon Beuckers: Die Ezzonen und ihre Stiftungen. Eine Untersuchung zur Stiftungstätigkeit im 11.  Jahrhundert (Kunstgeschichte, Bd. 42), Münster 1993, p. 69, note 539, and p. 86. 10 See Labuda 1994 (as note 2), p. 63. – Kopera 1925 (as note 2), p. 5. – Węcowski 1968 (as note 2), pp.  46 f. 11 See Sokołowski 1896 (as note 2), p. 24. – David 1939 (as note 2), pp. 22 f. and 27. – Semkowicz 2002 (as note 2), pp. 150 f. and 279. – Schenk 1966 (as note 2), p. 125. – Boguniowski 2001 (as note 2), p. 82. – Malewicz / Kürbis 2002 (as note 2), pp. 30 and 66. 12 See Gieysztor 1990 (as note 2), p. 133. – Michałowski 1993 (as note 2), p. 102. – Tchórzewska-Kabata 2000 (as note 2), p. 35. – Gieysztor 2004 (as note 2), p. 8. – Kaliszuk 2006 (as note 2), p. 378 (he believes that BOZ 8 was written ca. 1072–1075). – Wetesko 2009 (as note 2), pp. 187– 190 (BOZ 8 as the gift of Bolesław the Generous, although Wetesko claims that Tyniec was founded by Casimir the Restorer, see p. 189, note 781). – Graczyńska / Kamińska 2016 (as note 2), p. 49. 13 See the articles of Roman Michałowski and Grzegorz Pac in this volume.

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aria, he dismissed the Benedictine monks from Siegburg, but did this honorifice. According to Gieysztor, this means that Anno allowed the dismissed monks to take their liturgical objects with them – presumably including the Sacramentary of Tyniec. These monks returned to Trier, and were thence called to the newly-established monastery in Poland. In short, according to this argument, the Sacramentary was first used in Siegburg, and only later was it transported to the royal abbey of Tyniec.14 Although this hypothesis is more convincing than the first and cannot be totally dismissed, it still overlooks the Sacramentary itself. Its liturgy diminishes the possibility that it was produced for a Benedictine monastery – whether Siegburg or Tyniec – and there is no clear evidence in the Sacramentary itself that it was used in any Polish ecclesiastical institution during the eleventh and twelfth centuries. The object itself seems to refute our hypothetical reconstructions of history.

Arguments to the contrary The main evidence for the exclusion of the usage of the Sacramentary in Tyniec in the late eleventh and twelfth centuries is the presence of a proper name in one of the Sacramentary’s most significant prayers. In the opening part of the Roman Canon of the Mass (a second one), added later to the manuscript (c. late eleventh – c. late twelfth century), there is an invocation of Bishop John (pag. 352). This prayer – the Te igitur at the opening of the Roman Canon of the Mass – was used at each Mass within the Latin Christianity.15 Without the Roman Canon, which also contained the Institution Narrative („qui pridie quam pateretur [...] hoc est enim corpus meum“), it was impossible to celebrate the Eucharist, the key Christian ritual. In the eleventh century, the Roman Canon was celebrated almost daily in many cathedrals, monasteries, parish churches, and wherever else Mass was celebrated. This prayer was highly venerated, and called oratio periculosa because the celebrant might have been severely punished if he pronounced the words of the prayer incorrectly.16 The Te igitur-section, where we find the name of bishop John, was the opening part of the Roman Canon, and significant for the understanding of the concept of hierarchy. In the eleventh century, this section enumerates the ecclesiastical leaders of the Church, a pope, a local bishop, sometimes also a ruler. Thus, the Te igitur was an effective tool to spread ideas about theological-po14 See Gieysztor 1970 (as note 2), pp. 318–320. 15 Barring Spain where different texts of the Mozarabic liturgy were used. 16 See Paenitentiale Cummeani 11.29, in: The Irish Penitentials (Scriptores latini Hiberniae, vol. 5), ed. Ludwig Bieler, Dublin 1963, p. 132: „Si titubaverit sacerdos super oratione dominica quae dicitur pericu­ losa, si una vice L plagis emundatur, si secunda C, si tertia superponat.“ – On this text see Raymund Kottje: Das älteste Zeugnis für das Paenitentiale Cummeani, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 61 (2005), pp. 585–590.

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litical hierarchy to the clergy that celebrated the Mass. This prayer was definitively far more significant than a simple intercession for the Church leaders.17 The presence of bishop John’s name in this section is quite striking, for usually scribes simply used simple abbreviations, such as N for nomine or ill. for illo. This is the case with the name of the pope, who is invoked on page 352 with a simple ill. The celebrant usually inserted the proper names during the liturgy from memory, but sacramentaries customarily contain anonymous abbreviations. This was due to the fact that a liturgical book was produced to serve for a longer period than the tenure of one pope, bishop, or ruler. However, in the Sacramentary of Tyniec, the scribe of the second Roman Canon decided to include the proper name of a bishop – a sign of special remembrance. Elsewhere I have written extensively about the meaning of such inclusion of a proper name in other solemn prayers.18 Here I would like only to conclude that the inclusion of Johanne in the main text, contrary to the typical patterns and practical goals of liturgical books, reveals a strong episcopal identity of the Sacramentary of Tyniec. Therefore, it seems that at the time of inserting the name, the Sacramentary was used in a place tightly connected with a certain bishop John. Identification of this place is arduous (if not impossible); at the time when the second Roman Canon might have been written and added to the Sacramentary of Tyniec, there were many bishops named John in places such as Mecklenburg, Speyer, Osnabrück, Prag, Breslau, Évreux, Uppsala, Olmütz, Salisbury, Valence, Chichester, Norwich, Rochester, Trogir, and presumably elsewhere. What is important though, is that in the Cracow ­diocese, to which the Tyniec monastery belonged, there was no bishop by the name of Johanne during the late eleventh and twelfth centuries. The first Bishop John of Cracow appears no earlier than the end of the thirteenth century.19 Therefore, it is dubious that the manuscript was used in Tyniec at that time. Unfortunately, there are too many possi17 See Johannes Pinsk: Una cum famulo papa nostro Pio, in: Liturgisches Leben 6 (1939), pp. 1–4. – Leo Eizenhöfer: Te igitur und Communicantes im römischen Messkanon, in: Sacris Erudiri Jaarboek voor Godsdienstwetenschappen 8 (1956), pp. 14–75, here pp. 43–59. – Theodor Maas-Ewerd: Fürbitten im Eucharistischen Hochgebet? Fürbitten als Abschlüsse des Wortgottesdienstes und Fürbitte im Hochgebet – Eine Doppelung?, in: Heiliger Dienst 26 (1972), pp. 67–77. – Enrico Mazza: The Eucharistic Prayers of the Roman Rite, trans. Matthew O’Connell, Collegeville 2004 (OA 1984), pp. 59–64. 18 Paweł Figurski: The Exultet of Bolesław II of Mazovia and the Sacralisation of Political Power in the High Middle Ages, in: Premodern Rulership and Contemporary Political Power. The King’s Body Never Dies, ed. K. Mroziewicz and A. Sroczyński, Amsterdam 2017, pp. 73–110, here pp.  100 f. – See Gerard Burian Ladner: The Portraits of Emperors in Southern Italian Exultet Rolls and the Liturgical Commemoration of the Emperor, in: Speculum 17 (1942), pp. 181–200, here p. 192. 19 See Jacek Maciejewski: Episkopat polski doby dzielnicowej 1180–1320, Cracow 2003, pp. 230– 236. – Katalog biskupów krakowskich, ed. Zofia Kozłowska-Budkowa (Monumenta Poloniae Historica. Series Nova, vol. 5), Warsaw 1978, pp. 218 f. – Katalogi biskupów krakowskich, ed. Józef Szymański (Monumenta Poloniae Historica. Series Nova, vol. 10.2), Warsaw 1974, pp. 24–33.

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ble dioceses where the second Roman Canon preserved in the Sacramentary could have been written, and currently I see no convincing arguments that would enable us to identify the place more precisely. In any event, it is worth considering the presence of the second Roman Canon of the Mass in the Sacramentary of Tyniec itself, because it may be evidence that the book changed its place of usage. This situation is not exceptional: a second Roman Canon was also included in several other medieval manuscripts. All these cases are high-quality sacramentaries in which the first Roman Canon was written in a very luxurious fashion, on purple parchment with golden ink.20 Therefore, it seems to me that providing a second Roman Canon in these books could have had a practical goal, and was meant to preserve the ornamented text that was used during each Eucharist and was thus prone to destruction. However, I can also imagine another goal for the addition. The second Roman Canon in the manuscript is more standardized than the first, which apart from few untypical wordings of the prayer, includes Saint Eugenia in the Nobis quoque as well as the Cologne saint Gereon in the Communicantes. Neither saint appears in the second Canon.21 Therefore, it seems that when the manuscript changed locations, the later scribes added the second Canon in order to preserve the first one, and to have a standardized text adjusted to their local context. Therefore, they inscribed a bishop John, and left out the Cologne saint Gereon, as well as dropped Eugenia from the Nobis quoque. The practical goal of the composition of the second Canon in the Sacramentary of Tyniec also confirms its original place in the manuscript. Currently the second Canon is embedded around the middle of the manuscript, but the current order of quires is a mistake effected during the seventeenth-century rebinding. The second Roman Canon was originally at the end of the manuscript, probably one the final quires.22 This addition to the manuscript might have been connected with a new place, to which the manuscript was transported. It seems then that the second Roman Canon could have been written in any place during the twelfth century where a bishop named John was leading the local Church, but it seems less probable that it happened in Poland. That none of the Polish ecclesiastical centers is a likely place of usage or production can be deduced from the lack of any features that might link the book with Poland. In the calendar-martyrology at the beginning of the manuscript, as well as in the sanctorale (mass formularies for saints feasts), and in the few additions made to the codex, there is no single element that could suggest any Polish link. 20 These are: BnF, Lat. 9436, fol. 16r–17v (an ornamented Canon) and fol. 123v–125r (an undecorated one); BnF, Lat. 12051, fol. 3r–4v (a Canon added much later to the manuscript, undecorated), fol. 8v– 12r (an ornamented Canon), fol. 74v–77v (an undecorated one, combined with an ordination rite). 21 See BOZ 8, pp. 39 and 45, versus pp. 353 f. and 358. 22 See the article of Sławomir Szyller in this volume.

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The most telling lack is the absence of Saint Adalbert, the patron of the Polish province. Adalbert’s cult was known in Cologne around the time of the Sacramentary of Tyniec’s production. Thanks to Pádraig Ó Riain’s reconstruction, we know that Saint Adalbert was included in the martyrology that was used in the monastery of Saint Pantaleon before 1050.23 This Cologne monastery was linked with both the cathedral as well as the chapter of Saint Gereon – all three possible locations for the production of the Sacramentary.24 Why then would scribes who were au fait with Adalbert’s cult not include the patron of Poland in a book prepared for his province? The lack of Saint Adalbert’s commemoration is significant because his cult was alive in Poland when the book was being produced, as is demonstrated by the eleventh-century dedications of the Gniezno cathedral in Greater Poland, one of them finely described by an anonymous chronicler.25 Moreover, the calendar added to the Egbert Psalter, which was owned by Princess Gertrude, daughter of the Polish king Mieszko II (d. 1034), contained many local feasts, including 23 Pádraig Ó Riain: A Martyrology of Four Cities: Metz, Cologne, Dublin, Lund (Henry Bradshaw Society, vol. 118), London 2009, pp. 9 and 79. – See also Pádraig Ó Riain: Das Martyrologium der Kölner Klöster Groß St. Martin und St. Pantaleon und St. Symphorian in Metz aus dem frühen 11. Jahrhundert. Textzeugen aus Irland und Dänemark, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 47 (2005), pp. 196–207. 24 These three places were suggested in regard to somewhat earlier manuscripts from the Cologne school. See Klaus Gereon Beuckers / Christoph Winterer, Einleitung, in: Äbtissin Hitda und der HitdaCodex (Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, Hs. 1640). Forschungen zu einem Hauptwerk der ottonischen Kölner Buchmalerei, ed. Klaus Gereon Beuckers, Darmstadt 2013, pp. 25–27. – Hans-Walter Stork: Zur Paläographie des Gerresheimer Evangeliars, in: Das Gerresheimer Evangeliar: eine spätottonische Prachthandschrift als Geschichtsquelle, ed. Klaus Gereon Beuckers and Beate Johlen-Budnik (Forschungen zu Kunst, Geschichte und Literatur des Mittelalters, vol. 1), Cologne 2016, pp. 103–118, here pp. 117 f. – More about the link of Saint Pantaleon with Saint Gereon see Johannes Christian Nattermann: Die Goldenen Heiligen. Geschichte des Stiftes St. Gereon zu Köln (Veröffentlichungen des Kölnischen Geschichtsvereins, vol. 22), Cologne 1960, p. 54. – On the link of Saint Pantaleon with the cathedral entourage in the Ottonian/early Salian period see Hans-Joachim Kracht: Geschichte der Benediktinerabtei St. Pantaleon in Köln 965–1250 (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, vol. 11), Siegburg 1975, pp. 103–112. – Henry Mayr-Harting: Church and Cosmos in Early Ottonian Germany, Oxford 2007, pp. 49–51. 25 Galli Anonymi Cronica et gesta ducum sive principum Polonorum, ed. Karol Maleczyński (Monumenta Poloniae Historica. Series Nova, vol. 2), Cracow 1952, lib. II, cap. 6, p. 73. – About the cult of Saint Adalbert around that time see Gerard Labuda: Święty Wojciech. Biskup-męczennik, Patron Polski, Czech i Węgier (Monografie Fundacji na Rzecz Nauki Polskiej. Seria Humanistyczna), Wrocław 2004 (OA 2000), p. 272. – Józef Dobosz: Monarchia i możni wobec Kościoła w Polsce do początku XIII wieku, Poznań 2002, pp. 123 and 220. – Marta Młynarska-Kaletynowa: Z dziejów kultu św. Wojciecha w Polsce na przełomie XI/XII i w XII wieku, in: Człowiek, sacrum, środowisko. Miejsce kultur we wczesnym średniowieczu, ed. Sławomir Moździoch (Spotkania Bytomskie, vol. 4), Wrocław 2000, pp. 137–154, here pp. 138 f. – Maria Starnawska: Świętych życie po życiu. Relikwie w kulturze religijnej na ziemiach polskich w średniowieczu, Warsaw 2008, pp. 186–189, 546, 566 f. and passim.

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a space left for the insertion of Saint Adalbert.26 Therefore, it seems dubious that the book was produced for a Polish ecclesiastical institution if it does not contain the commemoration of Saint Adalbert, whose cult was known in Cologne and practiced with fervor in Poland. It also seems doubtful that the book was used in Poland at a later date; at the peak of Saint Adalbert’s cult (in the late eleventh and twelfth centuries),27 when other additions were made to the Sacramentary (including the second Roman Canon, other minor texts placed within the orationes sollemnes of the Great Friday, neumes), and at least one new quire with votive masses added to the codex (the current first quire), no one inserted a commemoration for Saint Adalbert. However, around the time of these additions, annals recorded the finding of the head of Saint Adalbert in Gniezno in the year 1127.28 Furthermore, the monumental bronze doors in Gniezno were produced in the second half of the twelfth century.29 But it is not only the lack of Saint Adalbert’s cult in the Sacramentary that puts into doubt the possibility of the book’s use in Poland before 1200. There is virtually nothing in the manuscript that would suggest its usage in Poland, contrary to other manuscripts from that period. In many of extant eleventh-twelfth century liturgical codices preserved in Poland, local features indicating the usage of these books in the Piast realm are evi-

26 These feasts include: a feast of Saint Wenceslaus on the date of the dedication of the Cracow cathedral; Five Brothers; a place left for the ornamented name of Saint Adalbert. See Malewicz / Kürbis 2002 (as note 2), pp. 103, 110 and 113. – What is striking though, is that the calendars from the Codex Gertrudianus and BOZ 8 differ significantly, as was noticed by the editors. See Malewicz / Kürbis 2002 (as note 2), p. 31. This discrepancy is another argument against the early presence of BOZ 8 in Poland, as one could easily imagine mutual exchanges of commemorations between the manuscripts. 27 See Labuda 2000 (as note 25), pp. 274–282 – Młynarska-Kaletynowa 2000 (as note 25), pp. 138– 141. – Dobosz 2002 (as note 25), pp. 220–222. – Starnawska 2008 (as note 25), pp. 186–189, 546, 566 f. and passim. 28 In Bohemia: Canonici wissegradensis continuatio Cosmae, ed. Rudolf Köpke (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores, vol. 9), Hannover 1851, p. 133: „Anno dominicae incarnationis 1127. 7. Kalend. Martii, caput sancti Adalberti martyris et pontificis in civitate Gnezden repertum est.“ There is also another edition of this text that was unavailable for me: Kosmova Letopisu ceského pokracowatelé, ed. Josef Emler (Fontes Rerum Bohemicarum, vol. 2/1), Prague 1874, Kanonik wyszehradzki, p. 205. For the literature dealing with this event, see Starnawska 2008 (as note 25), pp. 186–189. Inuentio capitis sancti Adalberti in Rocznik Małopolski, ed. Adam Bielowski (Monumenta Poloniae Historica, vol. 3), Lviv 1878, pp. 152 f. – Rocznik Traski, ed. Adam Bielowski (Monumenta Poloniae Historica, vol. 2), Lviv 1872, p. 832 and others. This event was repeated later in Polish medieval ­historiography. 29 On the Gniezno doors, see Krzysztof Skwierczyński: Książę czy arcybiskup fundatorem Drzwi Gnieźnieńskich? Próba nowej interpretacji pewnego motywu ikonograficznego, in: Granica wschodnia cywilizacji zachodniej w średniowieczu, ed. Zbigniew Dalewski, Warsaw 2014, pp. 279–296.

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dent.30 These local features are also present in the Sacramentary of Tyniec, which includes commemorations of newly created saints – but not Polish ones. In the calendar-martyrology (pag. 19) there is a remembrance of Saint Ulrich (d. 973), whose cult was introduced to Cologne by archbishop Hermann (d. 1056) and more universally in the Reich around the time of the Sacramentary’s production.31 However, no Polish feature is distinguishable either in the calendar-martyrology, or in the sanctorale section. In sum, there is absolutely nothing in the Sacramentary of Tyniec linking it with Poland, and those who claim that it was used in the Polish province lack evidence to support 30 These are: (1) Ewangelistarz Płocki, second half of the twelfth century, Płock, Archiwum Diecezjalne w Płocku, Ms. 45 (olim: Syg. 1; MDPŁ MS 140; Bibl. Sem. Płock. Sygn. 2), fol. 54r; A critical edition: Ewangelistarz Płocki z XII wieku. Krytyczne wydanie tekstu łacińskiego z kodeksu „Perykopy Ewangeliczne“ Archiwum Diecezji Płockiej, ed. Leszek Misiarczyk and Bazyli Degórski, Warsaw 2016, p. 303 (Sanctorum Adalberti et Georgii Martyrum). (2) Biblia Płocka, first half of the twelfth century, Płock, Muzeum Diecezjalne w Płocku, Ms. 2, fol. 239v. Edition of the Polish additions (miracles that happened in Płock in 1148): Zofia Kozłowska-Budkowa: Płockie zapiski o cudach z r. 1148, in: Kwartalnik Historyczny 44 (1930), pp. 341–348, here p. 342. – Daniel Brzeziński / Bartosz Leszkiewicz: Zapiski liturgiczne w kodeksie Biblii Płockiej z XII wieku. Studium źródłoznawcze i edycja tekstu, Płock 2005, pp. 35–37. On this issue see Krzysztof Skwierczyński: The beginnings of the cult of the Blessed Virgin Mary in Poland in the light of the Plock accounts of miracles from 1148 in: Studi medievali Ser. 3 53 (2012), pp. 117–162. (3) Late twelfth-early thirteenth Płock Pontifical in which there is an oath of the elect-bishop to the archbishop of Gniezno in the main text, with an insertion of the name of the local church: Płock Pontifical, Płock, Library of the Diocesan Library, Ms. 29, fol. 3v: „Ego N. sancte illi ęcclesie [...] promitto deo et sanctę romane ęcclesie et domino papę et spacialiter sancte gneznensi ecclesie et beato petro et sancto adalberto et tibi domino archiepiscopo meo et successoribus tuis ueram obedienciam et fidelem subiectionem“; fol. 48r: „Ad titulum sancte plocensis ecclesie“; Edition: Antoni Podleś: Pontyfikał Płocki z XII wieku [Bayerische Staatsbibliothek München Clm 28938; Biblioteka Seminarium Duchownego Płock Mspł. 29]. Studium Liturgiczno-źródłoznawcze. Edycja Tekstu, Płock 1986, p. 49 (fol. 3v); p. 88 (fol. 48r). (4) Much latter additions inserted into Codex Aureus Gneznensis, second half of the eleventh century, Gniezno, Biblioteka Kapitulna, Ms. 1a, fol. 1r (in festo Sancti Adalberti); fol. 22r (in translatione Sancti Adalberti). Contra the argument that the book was produced for a Polish ruler see Marzena Matla: Czy Bolesław Śmiały uświetnił swoją koronację fundacją złotego kodeksu? in: Gnieźnieńskie koronacje królewskie i ich środkowoeuropejskie konteksty, ed. Józef Dobosz, Marzena Matla and Leszek Wetesko (Colloquia Mediaevalia Gnesnensia, vol. 2), Gniezno 2011, pp. 115–142. However, she did not contradict that the book was already in Poland in the ­eleventh century. – On the later liturgical manuscripts and the cult of Saint Adalbert, see Helmut Jan Sobeczko: Kult świętego Wojciecha w świetle ksiąg liturgicznych, in: Kanonizacja św. Wojciecha i ­dziedzictwo jego kultu, ed. Jerzy Strzelczyk, Czesław Pest and Wojciech Polak, Lublin 2001, pp. 67–83. 31 See Friedrich Wilhelm Oediger: Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter, vol. 1: 313– 1099 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, vol. 21), Bonn 1961, no. 775, p. 227. – Brunwilarensis monasterii fundatorum actus, ed. Georg Waitz (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores, vol. 14), Hannover 1883, cap. 20, p. 136. – Capitula ex concilio Triburiensi, ed. Ludwig Weiland (Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones, vol. 1), Hannover 1893, no. 751, cap. 3, p. 89.

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their claims. The lack of any Polish features, foremost Saint Adalbert, diminishes the possibility that the book was produced for and used in any Polish ecclesiastical center. That the sacramentary was not in Tyniec when the second Roman Canon was added to the manuscript can be deduced from the insertion of the proper name of one bishop John. However, these are not the only arguments against the traditional association of the Sacramentary with Tyniec, and its attribution as a ducal or royal gift to a newly established monastery.

The Sacramentary of Tyniec and its missing political liturgy The sacramentary in question is a product of the culture that Henry Mayr-Harting labelled as „the age of liturgy“.32 Christian worship in this period was so predominant that Ernst Kantorowicz claimed that the key theories of politics were shaped by liturgical celebrations and theology; thus, he called the Ottonian and early Salian political culture „a liturgical kingship“.33 The idea of a king as the main liturgist in his realm is demonstrated, among others, by the Liber officiorum that Mathilda, the princess of Suabia, sent circa 1026 to the newly anointed Polish monarch, Mieszko II. By sending a liturgical treatise to the ruler, the princess acknowledged that it was the Polish king rather than an archbishop or any other cleric who was responsible for upholding worship to the proper standards.34 In short, common liturgy shaped common identity. This was true in regard to political identity, as was known by Carolingian rulers who accordingly developed a system of political liturgy and organized their empire into monastic factories of prayer for the king and the stability of volatile regions.35 Ottonians and Salians were eager heirs of this 32 Henry Mayr-Harting: Ottonian Book Illumination, 2 vols., London 1991, vol. 1, p. 64. 33 Ernst H. Kantorowicz: King’s Two Bodies. A Study in Medieval Political Theology, Princeton 1997 (OA 1957), pp. 78 and 93. 34 Codex Mathildis, Sankt Gallen?, ca. 1026, Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek, Ms. C91, fol. 2v. – An edition of the full text: Kodeks Matyldy: księga obrzędów z kartami dedykacyjnymi, ed. Brygida Kürbis et al. (Monumenta Sacra Polonorum, vol. 1), Cracow 2000, pp. 139 f. – See Michałowski 1993 (as note 2), pp. 57 f. – Andrzej Pleszczyński: Niemcy wobec pierwszej monarchii piastowskiej (963–1034). Narodziny stereotypu. Postrzeganie i cywilizacyjna klasyfikacja władców Polski i ich kraju, Lublin 2008, p. 271. 35 For an overview of the literature on Carolingian political liturgy see Figurski 2017 (as note 18), p. 92, note 49. – Renie S. Choy: Intercessory prayer and the monastic ideal in the time of the Carolingian reforms (Oxford theology and religion monographs), Oxford 2016, pp. 131–160. – Philippe Depreux: La prière pour les rois et le status regni dans le sacramentaire de Prague et l’attention portée par Charlemagne au salut de la communauté politique, in: The Prague Sacramentary. Culture, religion, and politics in late eighth-century Bavaria, ed. Maximilian Diesenberger, Rob Meens and Els Rose (Cultural encounters in late antiquity and the middle ages, vol. 21), Turnhout 2016, p. 181–202.

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Carolingian political liturgy. For example, according to Wolfgang Eric Wagner, many of the fraternal bonds (fraternitas) between Ottonian/Salian monarchs and the monasteries served to recall the political domination of the physically absent monarchs in disputed or neuralgic territories.36 In sum, if Ottonian/Salian political culture was an age of liturgy, it was definitively and explicitly an age of political liturgy.37 There are many examples of prayers with political significance embedded in the liturgical books of that period. Many of them were connected with the royal court. Here, I would like to compare the Sacramentary of Tyniec with one manuscript that was indisputably linked with a king, if not ordered at royal behest, and, most importantly, belongs to the same genre of liturgical books. This is the so-called Sacramentary of Henry II, preserved in the Bayerische Staatsbibliothek (hereafter referred to as Clm 4456).38 Clm 4456 is a large manuscript: 300 mm tall and 240 mm wide, similar in size to the Sacramentary, which is slightly smaller: 285 mm tall and 225 wide. Both books are remarkably ornamented. In the case of Clm 4456, there are numerous gold leaf initials, five full-page miniatures, fine border decoration of the calendar, and highly ornamented text for the incipit of the sacramentary, the preface, and few parts of the Roman Canon of the Mass. While the Sacramentary has fewer gold initials and miniatures, its calendar, preface, and Roman Canon of the Mass are written with gold and silver ink on purple parchment. Despite these similarities in appearance and quality, the two manuscripts differ significantly in their liturgical content, particularly in regard to political liturgy. 36 Wolfgang E. Wagner: Die liturgische Gegenwart des abwesenden Königs: Gebetsverbrüderung und Herrscherbild im frühen Mittelalter (Brill’s series on the early Middle Ages, vol. 19), Leiden 2010, pp. 301–309. 37 For a bibliography on Ottonian political liturgy see Paweł Figurski: Modlitwy za króla w kanonie rzymskim Mszy. Studium z dziejów teologii politycznej wczesnego średniowiecza w łacińskim chrześcijaństwie, Warsaw 2016, pp. 276–317. 38 See Karl Halm / Georg von Laubmann / Wilhelm Meyer: Catalogus codicum latinorum Bibliothecae Regiae Monacensis, vol. 1: Codices num. 2501–5250 compl. Monachii 1894, p. 198. – Hartmut Hoffmann: Buchkunst und Königtum im ottonischen und frühsalischen Reich (Monumenta Germaniae Historica. Schriften, vol. 30), 2 vols., Stuttgart 1986, vol. 1, pp. 278 f. and 293 f. – Elisabeth Klemm: Die ottonischen und frühromanischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek (Katalog der illuminierten Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek in München, vol. 2), Wiesbaden 2004, pp. 30–34.  – Brigitte Gullath: Kodikologie und Geschichte des Sakramentars Heinrichs II., in: Das Sakramentar Heinrichs II. Handschrift Clm 4456 der Bayerischen Staatsbibliothek München, vol. 2: Kommentarband, ed. Rolf Griebel, Munich 2010, pp. 9–27, here p. 16. – Pracht auf Pergament. Schätze der Buchmalerei von 780 bis 1180, Ex. Cat. Bayerische Staatsbibliothek and Kunsthalle Munich, ed. Claudia Fabian and Christiane Lange (Ausstellungskataloge. Bayerische Staatsbibliothek, vol. 86), Munich 2012, p. 188 (Karl-Georg Pfändtner). – Paweł Figurski: Das sakramentale Herrscherbild in der politischen Kultur des Frühmittelalters, in: Frühmittelalterliche Studien. Jahrbuch des Instituts für Frühmittelalterforschung der Universität Münster 50 (2016), pp. 129–162, here pp. 136 f.

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As already noted, both codices belong to the same liturgical genre: the sacramentary. Moreover, both books belong to the same type of Gregorian-mixed sacramentaries.39 However, Clm 4456 preserves many more formularies than the Sacramentary, particularly in the temporale section. Clm 4456 also contains more votive masses, which themselves include more needs of the community (missa cotidiana pro rege, fol. 327v, missa pro peste animalium, fol. 334r, missa pro defuncto nuper baptizato, fol. 357r). Although both manuscripts belong to the same liturgical genre of the sacramentary, the selection of the texts differs significantly. This discrepancy will become more apparent if we analyze the political liturgy of the two codices. The first substantial difference is the miniatures of the ruler on the first folia of Clm 4456. On folio 11r and 11v there are two images of Henry II that establish a close connection of support and patronage between Henry  II and religious institutions.40 The codex was produced in Saint Emmeram monastery between 1002 and 1014, perhaps as an expression of support on the part of the Bavarian monastery for Henry II. Alternatively, Henry II could have ordered the manuscript himself from the Saint Emmeram scriptorium, then, presumably around 1012, given it to his beloved, newly established bishopric in Bamberg.41 In any event, the iconography of Henry II supports the link between Clm 4456 and the royal court in a way that is not found in the Sacramentary. The lack of the illumination of a ruler in the Sacramentary alone would be a very poor argument against its link with the royal/ducal court. However, the Sacramentary lacks 39 See Klaus Gamber: Codices liturgici latini antiquiores (Spicilegium Friburgense. Subsidia, vol. 1), 3 vols., Freiburg 1968/88, vol. 3, pp. 101–112. – Cyrille Vogel et al.: Medieval Liturgy. An Introduction to the Sources (National Association of Pastoral Musicians Studies in Church Music and Liturgy), Washington 1986, pp. 102–105. – Eric Palazzo: Les sacramentaires de Fulda: étude sur l’iconographie et la liturgie à l’époque ottonienne, Paris 1990, pp. 117–139. – The Sacramentary of Echternach (Paris, Bibliothèque nationale, MS. lat. 9433), ed. Yitzhak Hen (Henry Bradshaw Society, vol. 110), London 1997, pp. 40–42. – Christoph Winterer: Das Fuldaer Sakramentar in Göttingen. Benediktinische Oberservanz und römische Liturgie (Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte, vol. 70), Petersberg 2009, pp. 286–297. 40 See Figurski 2016 (as note 37), pp. 136–150 with more literature. 41 The script of the manuscript is characteristic for the Regensburg scriptorium; see Hoffmann 1986 (as note 38) pp. 278 f. and 293 f. – Brigitte Gullath: Kodikologie und Geschichte des Sakramentars Heinrichs II., in: Griebel 2010 (as note 38), pp. 9–27, here p. 16. – Recently this attribution was put into doubt by Pfändtner 2012 (as note 38), p. 188, who claims that the book was produced in Lothringen or Bamberg because of the style of the ivory cover added to the manuscript. Nevertheless, this is not a convincing argument, as the ivory cover itself might have been produced elsewhere, and then added to the original binding. – On Clm 4456 as a gift for Bamberg, see Halm / Laubmann / Meyer 1894 (as note 38), p. 198. – Klemm 2004 (as note 38), pp. 30–34. – Bernhard Schemmel: Bücherschätze Heinrichs II. für Bamberg, in: 1000 Jahre Bistum Bamberg 1007–2007. Unterm Sternenmantel, Ex. Cat. Diözesanmuseum Bamberg, ed. Luitgar Göller, Petersberg 2007, pp. 57–77, here pp.  61 f.

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many more elements of political liturgy. In Clm 4456, there are three different sets of votive masses for king: missa pro rege (fol. 327r/v), missa cotidiana pro rege (fol. 327v–328v), and missa tempore sinodi pro rege (fol. 328v–329r). Moreover, there is missa communis (fol. 305v–307v) referring to the political realm, and other masses that do not pray directly for a king or kingdom, but that do refer to a political context – these are the three missae in tempore belli (fol. 329r–330v) and missa pro pace (fol. 331r/v). In sum, there are eight votive masses with political implications. In contrast, the Sacramentary in its original form contains only one missa pro rege (pag. 315–316), two missae pro pace (pag. 314– 315 and 456–457), and two missae pro populo christiano (pag. 457–458, p. 465–466). If the Sacramentary were a manuscript connected with the royal court, or ordered at royal behest, one would expect more votive masses for rulers. These sets of masses are present in other sacramentaries aside from Clm 4456 – even those that were not produced for court liturgies.42 This lack of political liturgy in the Sacramentary was rectified in the late eleventh/early twelfth century, when two votive masses – missa pro rege et exercitu eius, and missa communis  – were written on a separate quire, and added to the codex (current pag. 1–6). However, even this addition did not complete the standard set of votive masses for rulers. There are other arguments for the deficient political liturgy in the Sacramentary of Tyniec. Particularly revealing is the issue of adjustment of the ruler’s title when the prayers themselves invoke political issues in Clm 4456. Throughout the latter, the ruler is always named a king (rex) in the singular, although in many contemporary sacramentaries, prayers were formulated in the plural. This adjustment of the title is most telling in the orationes sollemnes for Good Friday (fol. 121v), because the prayers included in the liturgi42 These being: (1) Sacramentary of Warmund, ca. 1000, Ivrea, Biblioteca Capitolare, Ms. LXXXVI, fol. 160v–162v (missa pro regibus, missa cotidiana pro rege, missa in tempore sinodi pro rege dicenda). For the character of this manuscript see Figurski 2016 (as note 37), pp. 150–157. For the feeble link of Warmund with the Ottonian court see Pierre Alain Mariaux: Warmond d’Ivrée et ses images. Politique et création iconographique autour de l’an mil (Europäische Hochschulschriften 28, Kunstgeschichte, vol. 388), Bern 2002, p. 52. (2) Pontifical-Sacramentary of Wolfgang, Verona, Biblioteca Capitolare, Ms. LXXXVII fol. 276r–278v (missa pro regibus, missa cotidiana pro rege, missa in tempore sinodi pro rege); Edition: Das Sakramentar-Pontifikale des Bischofs Wolfgang von Regensburg (Verona, Bibl. Cap., Cod. LXXXVII), ed. Klaus Gamber and Sieghild Rehle (Textus patristici et liturgici, vol. 15), Regensburg 1985, pp. 340–342. – See also Figurski 2016 (as note 37), pp. 276–282. (3) Sacramentary of Bernward of Hildesheim, Hildesheim, Dom-Museum, Ms. 19, fol. 213v–215r (missa pro rege et plebe tempore conuentus, missa pro rege et omni populo christiano), fol. 226v–227r (missa pro rege). See Paweł Figurski: Duchowość eucharystyczna Bernwarda z Hildesheim. O obrazowości kultury ottońskiej, in: Kwartalnik Historyczny 119 (2012), pp. 425–465, here pp. 457 f. (4) Sacramentary of Sigebert of Minden, Berlin, Staatsbibliothek, Ms. Theol. Lat. Fol. 2, fol. 277r–280v (missa pro rege uel imperatore), (missa pro imperatore coniuge et prole eius populoque sibi subiecto, item unde supra). See Figurski 2016 (as note 37), pp. 263–274.

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cal tradition and in most of the sacramentaries provide a prayer for the emperor, not for a king.43 This is true even for sacramentaries produced outside of the Roman Empire, and makes the formulation of Clm 4456 even more striking. This adjustment of the title in Clm 4456 is additional evidence, alongside the miniature and the high number of votive masses, for a developed political liturgy embedded in the manuscript. In contrast, the Sacramentary includes titles for a range of political leaders in the above-mentioned formularies, with prayers for the emperor, a generic king, and generic princes. This is also another argument against the close link of the Sacramentary with any particular royal court. Rather, it is more likely that the Sacramentary’s scribes copied various titles as they found them in their model, but they put no effort into contextualizing the book for a specific political milieu. There is another very significant difference in the political liturgy of the Sacramentary and Clm 4456. Clm 4456 includes the title of the king (et rege nostro) in the opening section of the Roman Canon of the Mass (fol. 16v), the Te igitur section. As noted above, this part of the Roman Canon was reserved for the ecclesiastical hierarchy, and the insertion of a king conveyed a specific political theology in which a king was a member of the highest ecclesiastical hierarchy, equal to the pope, and a local bishop. The earliest extant example of such an addition to the Te igitur is dated to the reign of Charles the Bald, who perceived himself as the supreme leader of the Church, even above Pope Hadrian. Therefore, this royal liturgical innovation was not universally accepted. One of the reasons for the dissemination of the new liturgical prayer was the support for the sacralization of royal power, mostly in monasteries such as Corvey. Another place that accepted the prayer was the monastery at Saint Emmeram, the production site of Clm 4456. In contrast, the Ottonian/Salian episcopacy, including Warmund of Ivrea, Bernward of Hildesheim, and Sigebert of Minden, rejected the prayer, although, as I argue elsewhere, they were familiar with it. This episcopal resistance, alongside the conservative tendency of liturgy to oppose change and additions, could explain the slow spread of the Te igitur prayer. This ambiva-

43 These being: BAV, Barb. Lat. 564, fol. 61r. – BAV, Barb. Lat. 699, fol. 103r. – BAV, Ott. Lat. 313, fol. 41v. – BAV, Ott. Lat. 576, fol. 164v. – BAV, Pal. Lat. 495, fol. 43v. – BAV, Vat. Lat. 6082, 116r. – BnF, Lat. 821, fol. 39r. These examples can be easily multiplied. However, there are a few exceptions, as in Clm 4456: BnF, Lat. 9436, fol. 44r. See Hans Hirsch: Der mittelalterliche Kaisergedanke in den liturgischen Gebeten, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 44 (1930), pp. 1–20, here pp. 2–5. – Gerd Tellenbach: Römischer und christlicher Reichsgedanke in der Liturgie des frühen Mittelalters (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse, vol. 1), Heidelberg 1934, pp. 26–29. – Ladner 1942 (as note 18), pp. 182, 190 f., 195 and 200. – Ildar H. Garipzanov: The Symbolic Language of Authority in the Carolingian World (c. 751–877) (Brill’s series on the early Middle Ages, vol. 16), Leiden 2008, pp. 65–68.

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lent approach of the Ottonian/Salian Church toward the et rege nostro in the Roman Canon of the Mass sheds new light on Sacramentary of Tyniec.44 In Cologne, the presence of this liturgical innovation seems to be similarly divided as in the Empire: the archbishops of Cologne tended to reject the tradition in their liturgy, whereas other centers accepted it. One place where the prayer was received very early on was Saint Gereon. By the second half of the tenth century, the et rege nostro was added in Cologne to Palatinus 1815, a manuscript produced in the ninth century and used in Reichenau.45 The same hand that added the et rege nostro on folio 16r also inscribed an addition to the Libera nos, on folio 20r: „necnon et sancto gereone martyre tuo cum sociis suis et omnibus sanctis“, a line that would only occur in a place intensely connected with the cult of Saint Gereon, most likely Cologne. The addition of the et rege nostro must have occurred after 936: Palatinus 1815 was still in Reichenau c. 936, when Henry I’s death was inscribed in the local necrology by the same hand that added other names found only in the Lake Constance area.46 In turn, the date ante quem of the addition can be established 44 See Figurski 2016 (as note 37), pp. 191–221 and 230–317; English translation pp. 409–415. 45 Sacramentary, 850–875, Reichenau or Sankt Gallen, Vienna, Österreichische Nationalbibliothek, Codex Vindobonensis Palatinus 1815. See Bernhard Bischoff: Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen) (Veröffentlichungen der Kommission für die Herausgabe der mittelalterlichen Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz), 4 vols., Wiesbaden 1998/2017, vol. 3, p. 490. – Bernhard Bischoff: Mittelalterliche Studien. Ausgewählte Aufsätze zur Schriftkunde und Literaturgeschichte, 3 vols., Stuttgart 1966/81, vol. 3, pp. 93 f. – Gamber 1968 (as note 39), vol. 1, p. 345 f. – Hermann J. Hermann: Die illuminierten Handschriften und Inkunabeln der Nationalbibliothek in Wien, vol. 1: Die frühmittelalterlichen Handschriften des Abendlandes (Beschreibendes Verzeichnis der illuminierten Handschriften in Österreich, vol. 8), Leipzig 1923, p. 111. – Eva Irblich: Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek als Quellen der alemannischen Kulturgeschichte des Früh- und Hochmittelalters, in: Montfort. Vierteljahresschrift für Geschichte und Gegenwart Vorarlbergs 29.4 (1977), pp. 215–223, here pp. 218–220. – Wissenschaft im Mittelalter, Ex. Cat. Österreichische Nationalbibliothek Vienna, ed. Otto Mazal, Eva Irblich and István Németh (Biblos-Schriften, vol. 83), Vienna 1980, pp.  157 f. – Michael Lapidge: A Tenth-Century Metrical Calendar from Ramsey, in: Revue Bénédictine 94 (1984), pp. 326–369, here p. 338. – Anton von Euw, Die St. Galler Buchkunst vom 8. bis zum Ende des 11. Jahrhunderts (Monasterium Sancti Galli, vol. 3), 2 vols., St. Gallen 2008, pp. 83 f. 46 The same scribe who wrote a commemoration for king Henry inscribed one for presbyter Biricho (Palatinus 1815, fol. 9r). For occurrences of this name, see Das Verbrüderungsbuch der Abtei Reichenau (Einleitung, Register, Faksimile), ed. Johanna Autenrieth, Dieter Geuenich and Karl Schmid (Monumenta Germaniae Historica. Libri memoriales et Necrologia. Nova Series, vol. 1), Hannover 1979, p. 1 (D3). – Libri Confraternitatum Sancti Galli, Augiensis, Fabariensis, ed. Paul Piper (Monumenta Germaniae Historica. Necrologia Germaniae, vol. 5), Berlin 1884, p. 44. – On the link between necrologies from Reichenau and Sankt Gallen see Holger Schmenk: Die frühmittelalterlichen Gedenkbücher des Bodenseeraums, Marburg 2003, pp. 30–35. – Gesine Jordan: Nichts als Nahrung und Kleidung: Laien und Kleriker als Wohngäste bei den Mönchen von St. Gallen und Redon (8. und 9. Jahrhundert) (Europa im Mittelalter, vol. 9), Berlin 2007, pp. 62 f. – The commemoration for a

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on paleographic grounds as the year 1000. Thus, in Cologne, there was awareness of the tradition of the et rege nostro by the middle of the tenth century or in its second half, and it was practiced later as well. In a late tenth-century sacramentary produced in Cologne and used in Saint Gereon (Paris, BnF, Latin 817, fol. 16r),47 the et rege nostro is included in the main text rather than as a later addition. Additionally, a twelfth-century missale plenarium (Paris, BnF, Latin 12055, fol. 170r), associated with Saint Gereon,48 preserves this prayer. In contrast, it seems that the archbishops of Cologne rejected the et rege nostro in the late tenth-century sacramentary that was used at some point in their cathedral liturgy.49 This discrepancy in Cologne is very characteristic of the Ottonian/Salian Church, and thus illuminating for our analysis of Sacramentary of Tyniec. presbyter Biricho could also be noted in monasteries connected with Reichenau or Sankt Gallen like Bobbio, Disentis, Schienen, Kempten, Rheinau, Murbach and Pfäfers (see Schmenk 2003 [as note 46], pp. 30 and 84), but the name Biricho is not found in necrologies other than Reichanu and Sankt Gallen, which were edited in MGH. On this issue, see also Joachim Wollasch: Zu den Anfängen liturgischen Gedenkens an Personen und Personengruppen in den Bodenseeklöstern, in: Wege zur Erforschung der Erinnerungskultur. Ausgewählte Aufsätze, ed. Mechthild Sandmann (Societas et fraternitas. Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinertums, vol. 47), Münster 2011, pp. 226–248. 47 See Victor Leroquais: Les sacramentaires et les missels manuscrits des bibliothèques publiques de France, 3 vols., Paris 1924, vol. 1, p. 97. – François Avril / Claudia Rabel: Manuscrits enluminés d’origine germanique, vol. 1: Xe–XIVe siècle, Paris 1995, pp. 71–74. – Mayr-Harting 1991 (as note 32), vol. 1, p. 210, vol. 2, pp. 99 f. – The Leofric Missal, ed. Nicholas Orchard (Henry Bradshaw Society, vols. 113/114), 2 vols., Woodbridge 2002, p. 168 (although dating it to the early eleventh century). – Palazzo 1990 (as note 39), p. 56, note 89. – Christoph Winterer: Das Evangeliar der Äbtissin Hitda. Eine ottonische Prachthandschrift aus Köln. Miniaturen, Bilder und Zierseiten aus der Handschrift 1640 der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, Darmstadt 2010, pp. 24 f. – Joshua O’Driscoll: Anmerkungen zum Verhältnis von Bild und Titulus im Sakramentar aus Sankt Gereon und im Hitda-Codex, in: Beuckers 2013 (as note 24), pp. 113–128. 48 See Sigrid Krämer: Bibliothecae codicum medii aevi. Datenbank mittelalterlicher Bibliotheken und ihrer Handschriften in Deutschland und anderen Ländern Europas, Augsburg 2009/15: http://webserver.erwin-rauner.de/biblcod/bc01_ort_details.php?ortnr=11410&ortsname=K%D6LN&biblnr=20 (20/10/2017). – Avril / Rabel 1995 (as note 47), p. 120, where reconstructed text: „Iste liber pertinet ad altarem sancti Dionysi in ecclesia Sancti Gereonis colonensis.“ – On this manuscript and its Cologne provenance see also Leroquais 1924 (as note 47), pp. 215 f. – Marie-Noël Colette: La table du graduel palimpseste de Turin (Xe s.). De l’organisation des messes du commun dans les liturgies latines, in: Revue Mabillon. Revue internationale d’histoire et de littératures religieuses 71 (1999), pp. 37–66, here pp. 48 and 53. 49 Cologne, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek, Ms. 88, fol. 26v. See Ornamenta Ecclesiae. Kunst und Künstler der Romanik in Köln, Ex. Cat. Schnütgen-Museum Cologne, ed. Anton Legner, 3 vols., Cologne 1985, vol. 1, pp. 437–442 (Anton von Euw). – Raymund Kottje: Schreibstätten und Bibliotheken in Köln Ende des 10. Jahrhunderts, in: Kaiserin Theophanu. Begegnung des Ostens und Westens um die Wende des ersten Jahrtausends. Gedenkschrift des Kölner Schnütgen-Museums zum 1000. Todesjahr der Kaiserin, ed. Anton von Euw and Peter Schreiner, 2 vols., Cologne 1991,

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The Sacramentary does not include the et rege nostro prayer in the opening sections of the Roman Canons of the Mass (on pag. 37 and 352); therefore, it seems dubious that the book was produced for the royal entourage, and even less likely that it was created at royal behest. The Cologne scribes – especially those writing sacramentaries connected with the Saint Gereon chapter – were au fait with this type of political liturgy. Thus, the Sacramentary of Tyniec shares its character with the liturgical books belonging to the milieu of the Cologne archbishop.

The double character of the Sacramentary of Tyniec As noted above, the set of votive masses in the Sacramentary is very selective, which might suggest a milieu for the production of the codex. In this context, the number of votive masses for the celebrant is worth considering: there are four in the Sacramentary (pag. 449–456), which is more than needed for this type of mass.50 This proliferation of the votive masses for the celebrant is also found in the Sacramentary of Bishop Sigebert of Minden, which includes ten such votive masses, and reveals strong episcopal character.51 Furthermore, a few votive masses stand out among those of the Sacramentary, namely the missa in ordinatione episcopi (pag. 445–446) and the missa in natale episcopi (pag. 447– vol. 1, p. 155. – Handschriftenzcensus Rheinland. Erfassung mittelalterlicher Handschriften im rheinischen Landesteil von Nordrhein-Westfalen mit einem Inventar, 3 vols., ed. Günter von Gattermann (Schriften der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf, vol. 18), Wiesbaden 1993, vol. 1, pp. 624 f. – Glaube und Wissen im Mittelalter. Die Kölner Dombibliothek, Ex. Cat. Erzbischöfliches Diözesanmuseum Cologne, ed. Joachim M. Plotzek and Ulrike Surmann, Munich 1998, pp. 394 f. (Andreas Odenthal, Ulrike Surmann). – Diane Warne Anderson: The Medieval Manuscripts of the Cologne Cathedral Library, vol. 1: Ms. 1–100, Collegeville 1997, no MS. 88 available online http:// www.ceec.uni-koeln.de. – Andreas Odenthal: Die Messe Gregors des Großen? Überlegungen zu den Auswirkungen der bonifatianisch-karolingischen Liturgiereform auf den Meßordo anhand des Fuldaer Sacramentars Codex 88 der Kölner Dombibliothek, in: Mittelalterliche Handschriften der Kölner Dombibliothek. Erstes Symposion der Diözesan- und Dombibliothek Köln zu den Dom-Manuskripten, ed. Heinz Finger (Libelli Rhenani. Schriften der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek zur rheinischen Kirchen- und Landesgeschichte sowie zur Buch- und Bibliotheksgeschichte, vol. 12), Cologne 2005, pp. 67–107, here pp. 69–71. 50 In the critical edition of the Gregorian Sacramentary there are only two formularies provided: Le sacramentaire grégorien: ses principales formes d‘après les plus anciens manuscrits, vol. 1: Le sacramentaire, le supplement d’Aniane, ed. Jean Deshusses (Spicilegium Friburgense, vol. 16), Fribourg 1979, pp. 428–431. 51 Sacramentary of Sigebert of Minden, Sankt Gallen?, ca. 1024–1036, Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Ms. Theol. Lat. Fol. 2, fol. 266r–273r. See Joanne M. Pierce: Sacerdotal Spirituality at Mass Text and Study of the Prayerbook of Siegebert of Minden (1022–1036), Ann Arbor 1988, pp. 53–65. – Figurski 2016 (as note 37), p. 271–273.

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449). These masses were not requisite in a book that was not connected to episcopal power. On the other hand, the Sacramentary does not include any of the votive masses usually found in the sacramentaries produced for monastic usage, like the missa pro abbate vel congregatione or the missa pro concordia fratrum,52 and those votive masses that are included in the Sacramentary do not reveal any monastic features. Therefore, the selection of votive masses suggests that the Sacramentary was produced for an episcopal/secular clergy milieu, rather than a monastic one, and as noted earlier, definitively not for any liturgy with royal or ducal connotations. The choice of the saints in the calendar-martyrology and formularies in the sanctorale also support the argument for an origin connected to the episcopacy/secular clergy. The Sacramentary was not a book that might have been used throughout the entire liturgical year. Therefore, the selection of saints, as with the votive masses, is telling. The commemoration of saints is very limited, and often does not match the calendar-martyrology entries.53 The important monastic feasts (both in the calendar-martyrology and the sanctorale) are missing, including Saint Scholastica or Saint Walburga; similarly, it lacks a mass formulary for the feast of Saint Benedict on March 21.54 This manuscript seems to be created only for special occasions in an episcopal/secular clergy milieu, not a monastic one. The rather solemn character of the Sacramentary of Tyniec can be easily reconciled with the fact that this is a high-quality manuscript. Its luxurious qualities, as mentioned above, have led many scholars to call it a codex aureus or codex purpureus, though it is neither. Subsequently, some scholars have argued that it must have been a royal/ducal gift. Nevertheless, if one analyzes other manuscripts with intermittent golden or silver text produced during the same time as the Sacramentary, it appears that not all such books 52 A few examples of the monastic sacramentaries: (1) BAV, Vat. Lat. 3548, fol. 143v–144r (missa pro abbate et congregatione); this manuscript was produced in Fulda: see Winterer 2009 (as note 39), p. 212. (2) BnF, Lat. 9436, fol. 142r–143v (many missae pro abbate et congregatione), a missal from Saint Denis: see Leroquais 1924 (as note 47), vol. 1, pp. 142–144. – The sacramentary of Ratoldus, Paris, Bibliothèque nationale de France, lat. 12052, ed. Nicholas Orchard (Henry Bradshaw Society, vol. 116), Woodbridge 2005, p. XXXI. (3) BAV, Vat. lat. 6082, fol. 271v–272v (missa pro congregati­ one); 279r/v (missa pro congregatione), 313v (missa pro congregatione). There is clear evidence of the monastic character of Vat. lat. 6082 on fol. 122v (Exultet), and fol. 146r (Te igitur) where there are invocations of an abbot in a place reserved usually for a bishop. (4) BnF, Lat. 821, fol. 118r/v (missa pro abbate uel congregatione). Regarding the monastic features of this book see Leroquais 1924 (as note 47), vol. 1, p. 158. 53 The following saints included in the calendar-martyrology did not receive their own formularies: ­Benedicti abbatis (21.3.).  – Ambrosii episcopi (5.4,).  – Athanasii episcopi (2.5.).  – Barnabę apostoli (11.6.). – Pantaleonis martyris (28.7.). – XI milia uirginum (21.10.). – Eulalię urginis (10.12.). 54 I am very grateful Dr Franz Neiske for this insight. On this topic see Jean Deshusses / Jacques Hourlier: Saint Benoît dans les livres liturgiques, in: Studia monastica. Abadía de Montserrat 21 (1979), pp. 143–204, here pp. 166 f.

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were necessarily connected with royal/ducal power.55 Moreover, it is fairly typical to ornament the section of the Eucharistic text during which the bread and wine become the Body and Blood of Christ.56 Furthermore, the sacramentary from the abbey of Gladbach, which belongs to the same Cologne school as the Sacramentary of Tyniec and shares similar style, ornamentation, and illuminations, has not been understood as a royal gift or linked closely with any ruler.57 It was not only rulers who commissioned de luxe manuscripts in the Ottonian/Salian period. Archbishops also ordered luxurious books, as did Egbert, the archbishop of Trier, who founded one of the most marvelous liturgical books at his times. A similar approach could have been adopted by bishops from Cologne, as in the case of the Sacramentary of Tyniec. Although the proposition of the Cologne archbishop as the commissioner of the Sacramentary seems to be the most plausible explanation, there is substantial liturgical evidence that the book was not used in his cathedral, but elsewhere. The calendar-martyrology of the Sacramentary and the calendar in a sacramentary used by the Cologne archbishops in their cathedral (Ms 88, noted above), are substantially different. Ms 88 includes a feast of „dedicatio ecclesiae sancti petri in colonia“ (fol. 7r). This is missing in the Sacramentary. Only forty-six feasts are repeated with the same phrasing in both calendars; thirty-six are 55 These are: (1) Cologne, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek, Ms. 88, fol. 25v–26r (some sections of the Roman Canon). See note 61. (2) Vatican, Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. lat. 3806, fol. 12r–13v (some sections of the Roman Canon). See Hoffmann 1986 (as note 38), vol. 1, pp. 299 f. – Karl Josef Benz: Regensburger liturgische Handschriften aus der Zeit des hl. Wolfgang, in: Liturgie zur Zeit des Hl. Wolfgang, ed. Stephan Acht (Kataloge und Schriften. Bischöfliches Zentralarchiv und Bischöfliche Zentralbibliothek Regensburg, vol. 10), Munich 1994, pp. 23–34, here pp. 28 f. – Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806. Von Otto dem Grossen bis zum Ausgang des Mittelalters, Ex. Cat. Kulturhistorisches Museum Magdeburg, ed. Matthias Puhle and Claus-Peter Hasse, 2 vols., Dresden 2006, vol. 1, p. 63–65 (Irmgard Siede). – Pierrre Salmon: Les manuscrits liturgiques latins de la Bibliothèque Vaticane, vol. 2: Sacramentaires, épistoliers, évangéliaires, graduels, missels (Studi e testi. Biblioteca Apostoica Vaticana, vol. 253), Vatican City 1969, p. 27. (3) Munich, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 10077, fol. 12v–13v (a purple parchment in some sections of the Roman Canon). See Hoffmann 1986 (as note 38), vol. 1, p. 129. – Palazzo 1990 (as note 39), pp. 195–199. – Winterer 2009 (as note 39), 134–147. – Hartmut Hoffmann: Schreibschulen und Buchmalerei. Handschriften und Texte des 9.–11. Jahrhunderts (Monumenta Germaniae Historica. Schriften, vol. 65), Hannover 2012, pp. 15 f. – Cat. Munich 2012 (as note 38), pp.  98 f. (Béatrice Hernad). – Compare also other Fulda manuscripts and their fabulous ornamentation as analyzed by Winterer 2009 (as note 39), passim. 56 Peter Bloch: Das Hornbacher Sakramentar und seine Stellung innerhalb der frühen Reichenauer Buchmalerei (Basler Studien zur Kunstgeschichte, vol. 15), Basel 1956, p. 14. 57 Sacramentary, Cologne, Freiburg i. Br., Universitätsbibliothek, Hs. 360a, fol. 1r–20v (ornamentation very similar as in BOZ 8). See Winfried Hagenmaier, Die lateinischen mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau (ab Hs. 231) (Kataloge der Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau, vol. 1.3), Wiesbaden 1980, pp. 94–96. – Bloch / Schnitzler 1967 (as note 2), pp. 103–105 and the article of Harald Horst in this volume.

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phrased in similar fashion, but the two calendars differ in over 100 cases. This large discrepancy is not the only argument against the usage of the Sacramentary in the cathedral of Cologne. The emphasis in the Sacramentary was placed on the veneration of Saint Gereon. He is named specifically in the Communicantes of the first Roman Canon (p. 39), which is a sign of the very special reverence accorded to the saint. Typically, an institution or place’s patron saint was the one invoked in the Communicantes of the Roman Canon. The link with Saint Gereon is further confirmed in one of the Sacramentary’s votive masses. In the missa pro familiaribus, the collecta runs as follows (p. 464): „Familiam huius sacri coenobii quesumus domine intercedente beato gereone martyre tuo perpetuo guberna moderamine ut assit nobis et insecuritate cautela et inter aspera fortitudo.“ The Sacramentary also includes a formulary for the feast of Saint Gereon and his companions (p. 266–268). This formulary shows far greater signs of use than the surrounding pages: the ink is fading, and the pages preserve clear signs of destruction even after meticulous restoration in the 1990s.58 Finally, all instances of the name of Gereon were included by the original scribes, rather than added at a later date, and exhibit no signs of erasure. Thus, it seems that the Sacramentary, from its inception, was meant to serve in a place tightly connected with Saint Gereon; moreover, it served there for a substantial period, as the possessors of the book were extensively using the votive mass for Saint Gereon and did not erase his name in other occurrences (such as the missa pro familiaribus, first Roman Canon), where Saint Gereon would not have been mentioned if he had not been a patron of the place. Because of this I think that the original place for usage of the Sacramentary was Saint Gereon in Cologne.59 How then to solve this puzzle of double attribution of the Sacramentary of Tyniec to both the archbishop and to the Saint Gereon chapter?

58 On the restoration of the manuscript see Woźniak 1995 (as note 2), pp. 301–312. 59 We have no evidence of the popularity of the cult of Saint Eugenia in medieval Poland, whereas there is a handful of manuscripts with the Passio of Saint Eugenia produced in the Reich throughout the early and high Middle Ages. See E. Gordon Whatley: Textual Hybrids in the Transmission of the Passio S. Eugeniae (BHL 2666, 2667), in: Hagiographica: Rivista di Agiografica e Biografia della Società Internazionale per lo Studio del Medio Evo Latino 18 (2011), pp. 31–66, especially 57. – Clare Pilsworth: Miracles, Missionaries and Manuscripts in Eighth-Century Southern Germany, in: Studies in Church History 41 (2005), pp. 67–76. – James E. Cross: Passio S. Eugeniae et Comitum and the Old English Martyrology, in: Notes and Queries 29/5 (1982), pp. 392–397. – This is also an argument against linking BOZ 8 with the church of Saint Gereon on the Wawel hill in Cracow, about which we do not know anything certain. See Jerzy Wyrozumski: Święty Gereon i próba zaszczepienia jego kultu w Polsce, in: Studia Waweliana 4 (1995), pp. 5–12, here p. 11. – Such a link between BOZ 8 and the Polish Saint Gereon church has already been suggested: Labuda 1988 (as note 2), p. 369. About a link between BOZ 8 and Saint Gereon in Cologne already David 1939 (as note 2), p. 22.

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I propose that the Sacramentary was commissioned by the archbishop, and was donated by him to the chapter of Saint Gereon. This codex, if produced around 1070, could be part of Anno’s broader efforts to renovate the Saint Gereon chapter: he also restored the church, elevating a new choir and undertaking other renovations.60 This new liturgical space would be the site for the usage of the Sacramentary: both the building and the manuscript were gifts from the archbishop to the canons.61 However, there are also arguments for the manuscript’s earlier dating, in which case the Sacramentary may have been connected with Anno’s predecessors.62 In any event, the codex would not be an unconditional gift to the Saint Gereon chapter: it might have been used by a Cologne archbishop upon his visits to the canons. Examples of similar sacramentary use include the ninth-century MS Latin 12051, which Nicolas Orchard has argued was used by Bishop Odo of Beauvais when he visited the monastery of Corbie.63 Alternatively, the Sacramentary could have been an episcopal gift that would motivate the canons to commemorate the archbi­ shop-donor. In this way, the book might also have functioned as a tool to influence the liturgical practices of the canons of Saint Gereon, and to bring them in line with episcopal liturgy.

Conclusion This overview of the political liturgy of the Sacramentary of Tyniec questions the argument that it was produced at the behest of a German or Polish ruler. It does not include a significant number of votive masses of a political character (and contained even fewer when it was first produced). It does not include prayers for rulers in the Canons of the Mass, and it lacks any adjustment of royal titles, specific commemorations attributing the book to any single king or duke, or images of rulers. Its luxurious nature is not an adequate argument for a royal or ducal origin; similar codices were produced for Ottonian/ 60 Ute Verstegen: Ausgrabungen und Bauforschungen in St. Gereon zu Köln, vol. 1: Text (Kölner Forschungen, 9.1), Mainz 2006, pp. 307–317. 61 Notae Gereonis, in: Supplementa tomorum I–XII, pars I, ed. Georg Waitz (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores [in Folio], vol. 13), Hannover 1881, pp. 723. In this source a majority of the saints, whom Archbishop Anno dedicated various altars in Saint Gereon chapter, match the saints included in BOZ 8 (either in the calendar-martyrology or in the sanctorale). On Notae Gereonis see Nattermann 1960 (as note 24), p. 57. – Ute Verstegen: De sepulchro super altare exaltans. Mittelalterliche Reliquiensuche nach schriftlichen und archäologischen Quellen, in: Märtyrergrab, Kirchenraum, Gottesdienst. Interdisziplinäre Studien zu St. Gereon in Köln, ed. Andreas Odenthal and Albert Gerhards (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, vol. 35) Siegburg 2005, pp. 87–124, here pp. 88 f. 62 See Hoffmann 2012 (as note 55), pp. 189–192 and the introduction of Klaus Gereon Beuckers in this volume. 63 Orchard 2002 (as note 47), vol. 1, pp. 25 f. – Orchard 2005 (as note 52), p. XLIV.

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early Salian archbishops. It is precisely an episcopal milieu that is suggested by the Sacramentary’s liturgical content. Nevertheless, the insertion of Saint Gereon’s name in the first Canon and in the missa pro familiaribus, as well as extensive physical wear on the pages containing the mass in honor of Saint Gereon, suggest a strong link with a place that would venerate Saint Gereon. Due to the fact that the manuscript does not exhibit distinguishable Polish features, but does contain clear links to Cologne, the most likely location for its use is the Saint Gereon church in Cologne. If this is the case, the book would have been connected with both the archbishops of Cologne and the Saint Gereon canons. One possible explanation for the Sacramentary’s double character is that it was an episcopal gift to the church of Saint Gereon in Cologne, where it was preserved and used in the eleventh century. However, one can imagine another, less probable scenario. One could believe that a book prepared for somebody else (such as the archbishop of Cologne) somehow made its way into someone else’s hands – somebody connected with the Piast court, who then transported the Sacramentary to Tyniec during the eleventh century, which it left in the twelfth century, to return to the monastery at some later date.64 My findings on the Sacramentary call this assessment into serious doubt. Obviously, one cannot exclude such a hypothetical scenario from the full range of possibilities, but I believe that there is virtually nothing in the book that could support such a far-fetched reconstruction of its history. There is no evidence in the Sacramentary that would enable us to link it with any Polish ecclesiastical institution; therefore, such a hypothetical scenario cannot be deduced from the manuscript itself, but is based on frail reconstructions of historical context – reconstructions that themselves are put into question by recent scholarship. In any event, at some point during the late eleventh- or twelfth-century, the Sacramentary must have left the chapter of Saint Gereon and the archdiocese of Cologne, as there was no bishop named John in the area at that time. At some point, the manuscript was transported to Tyniec, but there is no physical or contextual evidence that suggests that this happened before 1200, as there was no bishop named John in the Cracow diocese at that time either. There are many other possibilities for the Sacramentary’s destination: numerous bishops came from the chapterhouse of Saint Gereon, and it enjoyed contacts with places across the Empire – many of which contained dioceses led by bishops named John during the late eleventh- and twelfth-centuries.65 However, none of these places seem to be within Poland. How, then, can we reconstruct the Sacramentary’s journey to Poland? 64 See the article by Sławomir Szyller in this volume. 65 See Paul Heusgen: Das älteste Memorienbuch des Kölner Gereonstiftes, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 13 (1931), pp. 1–28, here p. 6: O. Hermannus Trajectensis episcopus; O. Ravengerus patriarcha, p. 11: O. Hugo noster frater praepositus archiepiscopus 1137 sepultus in Melphis civitate apulie. – In general the network of Saint Gereon, as present in these necrologies, is very impressive. – See also Nattermann 1960 (as note 24), pp. 50–53, 92, 104 f. and 112 f. – Maurice

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I do not dare to answer this question yet: I do not want to replace one historical myth with another. One possibility that it traveled to Tyniec during the late, rather than the high, Middle Ages, as there are no extant written sources from Tyniec from before the thirteenth century. It would be striking if the Sacramentary were the only manuscript to endure the first two centuries of the monastery’s existence – particularly given its tumultuous history during the thirteenth century.66 A critical edition of the Sacramentary of Tyniec may uncover more convincing connections between the eleventh-century Saint Gereon chapterhouse, a twelfth-century diocese led by a bishop named John, and the late medieval/early modern monastery at Tyniec. At this point, however, the Sacramentary’s puzzling itinerary remains a mystery. Just as we do not know each stop along the journey of the other Cologne school manuscripts, such as the sacramentary of Saint Gereon (Paris, BnF, Latin 817) before it reached Paris,67 or the sacramentary of Gladbach, currently preserved in Freiburg (UB, Hs. 360a),68 so we do not have to know each stop along the Sacramentary’s journey to Tyniec. However, there is ample evidence for us to question the current opinio communis on the Sacramentary’s origins and history.

Coens: Un martyrologe de Saint-Géréon de Cologne, in: Analecta Bollandiana. Revue critique d’hagiographie 79 (1961), pp. 65–91. 66 On the destructions of Tyniec see: Andrzej Koterwa: Działalność dyplomatyczna skryptorium klasztornego w Tyńcu. Ze studiów nad dokumentem średniowiecznym w Polsce, in: Acta Universitatis Wratislaviensis 683. Historia 42 (1984), pp. 101–154, here p. 108. – Sczaniecki 2008 (as note 2), p. 66. – Regarding the Tyniec sources see Tomasz Gronowski: Zwyczajny klasztor, zwyczajni mnisi. Wspólnota tyniecka w średniowieczu, Cracow 2007, pp. 35–37. – Codex diplomaticus monasterii Tynecensis, ed. Wojciech Kętrzyński and Stanisław Smolka, Lviv 1875, pp. 4–7. – Stanisław Krzyżanowski: Katalog Archiwum Aktów Dawnych Miasta Krakowa, vol. 1.: Dyplomy pergaminowe, Cracow 1907, no. 1, p. 1. 67 See Avril / Rabel 1995 (as note 47), p. 73. – O’Driscoll (as note 47), p. 114: „bleibt ihr [BnF, Lat. 817] spätmittelalterlisches Schicksal unklar“. 68 See Winfried Hagenmaier: Johann Leonhard Hug (1765–1846) als Handschriftensammler. Die von ihm erworbenen und der Universitätsbibliothek Freiburg i. Br. vermachten Handschriften im Spiegel seiner Forschungs- und Interessengebiete, in: Kirche am Oberrhein. Beiträge zur Geschichte der Bistümer Konstanz und Freiburg. Festschrift für Wolfgang Müller, ed. Remigius Bäumer (Freiburger Diözesan-Archiv 100, vol. 32), Freiburg im Breisgau 1980, pp. 487–500, here pp. 489 f.

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Harald Horst

Das Sakramentar aus St. Vitus in Mönchengladbach (UB Freiburg, Hs. 360a) Die Parallelhandschrift des Tyniec-Sakramentars im Vergleich

Unter den zwanzig Handschriften, die Peter Bloch und Hermann Schnitzler der ottonischen Kölner Malerschule zuschrieben, finden sich lediglich drei Sakramentare: Eines aus dem Kölner Stift St. Gereon, das die beiden Kunsthistoriker der früh tätigen ‚Malerischen Gruppe‘ zurechneten (heute Paris, BnF, lat. 817),1 sowie zwei, die sie um 1070 bis 1080 datierten und somit zur ‚Strengen Gruppe‘ zählten – das Sakramentar aus Tyniec (Warschau, BN, BOZ 8) und jenes aus der Benediktinerabtei St. Vitus in Gladbach (Freiburg, UB, Hs. 360a).2 Die enge künstlerische Verwandtschaft der beiden späteren Handschriften ist auf den ersten Blick erkennbar. Auch inhaltlich scheinen sie sich stark zu ­ähneln. Im folgenden Beitrag wird das Sakramentar aus Gladbach beschrieben; dabei werden sowohl die Ähnlichkeiten als auch die Unterschiede zum „Sacramentarium Tinecense“ in den Blick genommen. Am Ende steht die Frage, inwieweit man die beiden Codices tatsächlich als Schwesterhandschriften bezeichnen kann.

Die Abtei St. Vitus zu Gladbach Die Benediktinerabtei St. Vitus zu Gladbach wurde 974 durch den Kölner Erzbischof Gero gegründet.3 Auf dem die Stadt überragenden Hügel befand sich eine gegen 836 von einem nicht näher bekannten Balderich erbaute Kirche, die mit Reliquien der Heiligen 1 2

3

Vgl. Peter Bloch / Hermann Schnitzler: Die ottonische Kölner Malerschule, 2 Bde., Düsseldorf 1967/70, Bd. 1, S. 37–44. Vgl. Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 100–103 bzw. 103–105. – Als Name für das Kloster ist Gladebach bzw. Monasterium Gladebacense überliefert, während die dazugehörige Marktsiedlung Monich Gladebach seit 1888 München Gladbach genannt wurde. Mönchengladbach, der heutige Name der Stadt, wurde 1960 offiziell festgelegt. Vgl. Hans Bange / Wolfgang Löhr: Gladbach, in: Die Benediktinerklöster in Nordrhein-Westfalen, bearb v. Rhaban Haacke (Germania Benedictina, Bd. 8), St. Ottilien 1980, S. 323–351, hier S. 323. – Vgl. außerdem https://www.moenchengladbach.de/de/ leben-in-mg/stadtgeschichte/erste-anfaenge/, Abschnitte „Entwicklung zu modernen Städten (1815– 1933)“ und „Wiederaufbau und Gebietsreform“ (letzter Zugriff: 08.01.2018). Im vorliegenden Beitrag wird dementsprechend der Name Gladbach gebraucht, sofern nur vom Kloster gesprochen wird. Zum Folgenden vgl. Bange / Löhr 1980 (wie Anm. 2), S. 323–329.

Das Sakramentar aus St. Vitus in Mönchengladbach  |  91

Vitus, Cornelius, Cyprianus, Chrysanthus und Barbara ausgestattet war.4 Diese Kirche war 954 beim Einfall der Ungarn verwüstet worden; die Reliquien konnten aber, wie die Gründungslegende berichtet, zuvor in einem ausgehöhlten Stein versteckt werden, wo sie von Gero zwanzig Jahre später aufgefunden und als Bestätigung des Himmels für eine Klostergründung an diesem Ort gesehen wurden. Die ersten Mönche gehörten der lothringischen Reform von Gorze an; der erste Abt Sandrad stammte aus dem Trierer Kloster St. Maximin, lebte später in St. Pantaleon in Köln und versuchte sich an einer Reform der Abtei St. Gallen, bevor er für vier Jahre die Abtei Gladbach leitete.5 Die Beziehungen nach Köln waren auch in der Folgezeit eng: Die Äbte Folbert (amt. 1001–1021) und Heinrich (amt. nach 1024–1066) waren zeitweise in Personalunion zugleich Äbte von St. Pantaleon.6 Nimmt man eine geringfügig frühere Datierung des Gladbacher Sakramentars an als Bloch / Schnitzler – und es wird sich zeigen, dass es dafür gute Gründe gibt –, ist also ohne Weiteres ein Bezug zum mutmaßlichen Sitz der Kölner Buchmaler gegeben.7

Die Geschichte des Sakramentars zwischen Gladbach und Freiburg Es ist allerdings nicht ersichtlich, ob das Sakramentar eigens für die Vitus-Abtei hergestellt wurde.8 Indes steht eine Verortung in kölnischem Umfeld außer Frage: Das an den Anfang der Handschrift platzierte Kalendarium enthält die stadtkölnischen Heiligen Pantaleon 4

5

6 7

8

Die gegen Ende des 11. Jahrhunderts verfasste Gründungslegende „Sermo in inventione reliquiarum sanctorum Viti, Cornelii, Cypriani et aliorum in Gladebach“ nennt zwar die hl. Barbara, möglicherweise geht dies jedoch auf eine Fehllesung der Reliquienbeschriftung zurück, da Chrysanthus und Daria sonst immer als Doppelpatrozinium (z. B. in Münstereifel) auftreten. Vgl. Bange / Löhr 1980 (wie Anm. 2), S. 324 u. 326. – Edition der Gründungslegende: Die Gründungsgeschichte der Abtei St. Vitus zu Mönchengladbach, hg. v. Manfred Petry (Beiträge zur Geschichte von Abtei und Stadt Mönchengladbach, Bd. 5), Mönchengladbach 1974, S. 50–72; parallele deutsche Übersetzung S. 51–73. Sandrad musste wohl aus politischen Gründen 978 Gladbach verlassen, lebte zunächst in Weißenburg (Elsass) als Mönch, später als Abt, und konnte 984 nach Gladbach zurückkehren. Sein Grab fand er 985/86 in der dortigen Abteikirche. Vgl. Bange / Löhr 1980 (wie Anm. 2), S. 328 f. Vgl. Bange / Löhr 1980 (wie Anm. 2), S. 330 f. u. 346. – Folbert leitete ab 1003 zusätzlich auch die von Erzbischof Heribert gegründete Abtei Deutz. Zum vermuteten Sitz der ottonischen Kölner Malerschule in St. Pantaleon vgl. Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 28 f. – In jüngerer Zeit wurden allerdings Argumente für St. Gereon als Ort dieser Schule zusammengetragen. Vgl. Ulrich Kuder: Der Hitda-Codex im Zusammenhang der Kölner Buchmalerei, in: Äbtissin Hitda und der Hitda-Codex (Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, Hs. 1640). Forschungen zu einem Hauptwerk der ottonischen Kölner Buchmalerei, hg. v. Klaus Gereon Beuckers, Darmstadt 2013, S. 89–111, hier S. 93 mit Anm. 17–21. Vgl. hierzu auch Der Bücherbesitz des Klosters St. Vitus in Gladbach. Von der Gründung bis zur Auflösung des Klosters (974–1802), Bd. 1,1: Die Handschriften von St. Vitus. Textband, bearb. v. Christine Winkelmann-Giesen, Köln 1998, S. 58.

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(28. Juli), Gereon (10. Oktober), die 360 maurischen Märtyrer (15. Oktober), die 11.000 Jungfrauen (21. Oktober), Severin (23. Oktober) und Kunibert (12. November). Zudem sind sowohl Kunibert als auch Gereon und Gefährten mit eigenen Messformularen vertreten (fol. 134r und 128r–129r), und Gereon wird auch im ersten Heiligengedächtnis des Messkanons (Communicantes) eigens genannt (fol. 16v). Die Gladbacher Lokalheiligen im Kalendar der Handschrift bieten dagegen keine Hilfe bei der näheren Bestimmung: Vitus (15. Juni), Cornelius und Cyprianus (14. September) sowie Barbara (4. Dezember) wurden überall gefeiert; Chrysanthus (25. Oktober) wird darin gar nicht erwähnt.9 Insgesamt sind die Abweichungen zu den Kölner Kalendarien des 11. Jahrhunderts jedoch nicht unerheblich; das Kalendar bedürfte folglich einer eingehenderen Untersuchung, wollte man es genauer zuordnen.10 Noch größer sind die Unterschiede des Gladbacher Kalendars zu jenem des Tinecense, welches sich explizit auf das Martyrologium des Beda Venerabilis (pag. 7) beruft: Die Abweichungen zwischen beiden Kalendarien betreffen fast ein Drittel der Einträge, nämlich 116 von 365 Tagen. Für zwei ähnlich angelegte Handschriften aus dem gleichen Skriptorium kann dies nur bedeuten, dass sie von Anfang an für den Einsatz an unterschiedlichen Orten konzipiert waren. Von der Anlage des Gladbacher Sakramentars her lässt sich zwar nicht mit Gewissheit sagen, dass es von vornherein für die Vitus-Abtei bestimmt war; in ihrem Besitz war es jedoch spätestens im 12. Jahrhundert. Zu dieser Zeit – also in der Amtszeit von Abt Adalbero (um 1100) – hatte sich die Abtei der Siegburger Reform angeschlossen und erlebte „die glanzvollste Epoche ihrer Geschichte“,11 erkennbar auch am Aufbau einer bedeutenden Bibliothek samt eigenem Skriptorium. Im Sakramentar findet sich denn auch auf fol. 68v ein umfangreicher Nachtrag von Gladbacher Hand12 aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Die drei Messgebete Collecta, Secreta und Postcommunio (Tagesgebet, Gebet  9 Im Sanktorale finden sich mit eigenen Formularen lediglich die gesamtkirchlich gefeierten Vitus (fol. 93r) sowie Cornelius und Cyprianus (fol. 120r). 10 Eine Synopse der drei Sakramentarkalendarien bieten Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 121–127. – Vergleiche mit den Kölner Festkalendern ermöglichen Hermann Grotefend: Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit, Bd. 2,1, Hannover 1892 (ND Aalen 1970), S. 82–86 sowie Georg Zilliken: Der Kölner Festkalender. Seine Entwicklung und seine Verwendung zu Urkundendatierungen. Ein Beitrag zur Heortologie und Chronologie des Mittelalters, in: Bonner Jahrbücher 119 (1910), S. 36–127. 11 Haacke 1980 (wie Anm. 2), S. 333. – Erzbischof Anno II. von Köln (amt. 1056–1075) hatte 1070 die neo-cluniazensische Reform von Fruttuaria in Siegburg eingeführt und ließ von dort aus die Klöster der lothringischen Reform in seinem Sprengel erneuern. Vgl. Haacke 1980 (wie Anm. 2), S. 331 f. – Zur Siegburger Reform vgl. Josef Semmler: Die Klosterreform von Siegburg. Ihre Ausbreitung und ihr Reformprogramm im 11. und 12. Jahrhundert (Rheinisches Archiv, Bd. 53), Bonn 1959. 12 So nach Winkelmann-Giesen 1998 (wie Anm. 8), S. 52 f., die als Vergleich die „sehr ähnlich(e)“ Handschrift M 563 der Pierpont Morgan Library angibt. Die Beschreibung bei Winkelmann-Giesen 1998 (wie Anm. 8), S. 133–137, datiert diese Handschrift auf 1140–1155.

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über die Opfergaben, Schlussgebet) bilden dort das liturgische Formular für die Feier In inventione reliquiarum sanctorum Viti, Cornelii et aliorum, also für den Tag der Reliquienauffindung und damit das Gründungsereignis der Abtei am 12. Juli des Jahres 974.13 Spätere Nachrichten über die Handschrift fehlen dann wieder; sie findet sich in keinem der bekannten Gladbacher Bücherverzeichnisse. 1794 wurden die Zimelien des Klosters vor den französischen Revolutionstruppen in Sicherheit gebracht; in den Schilderungen dieses Ereignisses wird das wertvolle Sakramentar nicht genannt. 1801 bezeugt ein Inventar des Commissaire spécial Johann Bernhard von Schönebeck den Transport von 752 Bänden in die geplante Zentralschulbibliothek von Köln,14 führt das Sakramentar jedoch nicht auf. Somit scheint es schon lange vor diesen Ereignissen nicht mehr in Gladbacher Besitz gewesen zu sein. Zu einem folglich unbekannten Zeitpunkt erwarb der Freiburger Bibelwissenschaftler, Philologe und Orientalist Johann Leonhard Hug (1765–1846) die Handschrift.15 Seine umfangreiche Privatsammlung von Handschriften, Drucken und antiken Münzen vermachte er testamentarisch der Universität Freiburg, in deren Bibliothek sich das Sakramentar mit der Signatur Hs. 360a noch heute befindet.16 Von Hug stammen wohl auch die zahlreichen Bleistifteinträge an den Rändern, in denen die einzelnen Abschnitte des Sakramentars mit Typen wie dem Gregorianum oder dem Gelasianum verglichen werden: Auf der Grundlage von liturgischen Textausgaben des 18. Jahrhunderts17 werden Fehlen oder Vorhandensein der jeweiligen Texte festgehalten. Um das Forschungsinteresse des Freiburger Universalgelehrten nachvollziehen und 13 Nach der ältesten Gründungsgeschichte des Klosters ereignete sich der Fund einer für die Klostergründung geeigneten Stelle „circa nonas Iulii“ (7. Juli) des Jahres 974, die Reliquien wurden jedoch erst nach dreitägigem Fasten und einem Traum entdeckt. Vgl. Ernst Brasse: Geschichte der Stadt und Abtei Gladbach, Bd. 1, Mönchengladbach 1914, S. 64 f. – Petry 1974 (wie Anm. 4), S. 18. 14 Vgl. Haacke 1980 (wie Anm. 2), S. 340–342. 15 Zu Johann Leonhard Hug vgl. Angela Karasch: Verborgene Pracht. Illuminierte Handschriften in Freiburger Sammlungen, in: Verborgene Pracht. Mittelalterliche Buchkunst aus acht Jahrhunderten in Freiburger Sammlungen, Ausst. Kat. Universitätsbibliothek Freiburg, Lindenberg 2002, S. 9–33, hier S. 18–20. 16 Ausführliche Beschreibungen der Handschrift nach den Richtlinien der Deutschen Forschungsgemeinschaft und darüber hinaus bieten Die lateinischen mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau (ab Hs. 231), bearb. v. Winfried Hagenmaier (Kataloge der Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau, Bd. 1,3), Wiesbaden 1980, S. 94–96, sowie Winkelmann-Giesen 1998 (wie Anm. 8), S. 52–61, Nr. 15. Ein Digitalisat der vollständigen Handschrift findet sich unter http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/hs360a bzw. urn:nbn:de:bsz:25-digilib-116600 (letzter Zugriff: 08.01.2018). 17 Winkelmann-Giesen 1998 (wie Anm. 8), S. 52 nennt Lodovico Antonio Muratori: Liturgia romana vetus tria sacramentaria complectens, Leonianum scilicet, Gelasianum, et antiquum Gregorianum. Denique accedunt missale Gothicum, missale Francorum, duo Gallicana, et duo omnium vetustissimi Romanae Ecclesiae rituales libri, 2 Bde., Venedig 1748; sowie Martin Gerbert: Monumenta veteris liturgiae Alemannicae, 2 Bde., St. Blasien 1777–1779.

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das Sakramentar in die Überlieferungsgeschichte einordnen zu können, sei hier ein kurzer Überblick über die relevanten Sakramentartypen gegeben.

Sakramentartypen In einer Liturgie, die verschiedene Dienste wie Lektor, Diakon und Zelebrant voraussetzt, ist ein Sakramentar das ‚Rollenbuch‘ für den Vorsteher der Eucharistiefeier, sei er Papst, Bischof oder einfacher Priester. Es enthält die von ihm zu sprechenden Gebete und muss ergänzt werden durch Textbücher wie Lektionar und Evangeliar, durch Gesangbücher wie das Graduale sowie durch Zeremonienbücher wie die Ordines.18 Die in einem Sakramentar gesammelten Gebetstexte umfassen das Hochgebet, also die Präfation bis zum Sanctus und den Canon missae bis zum Paternoster, sowie die Formulare für die unterschiedlichen Wochen- und Feiertage mit jeweils drei Orationen (Collecta, Super oblata / Secreta, Postcommunio / Ad complendum) und gegebenenfalls einer beson­ deren Präfation.19 Sie sind in der Regel nach dem liturgischen Kalender geordnet und enthalten ein Kalendar zur besseren Orientierung. Die erhaltenen frühen Handschriften lassen erkennen, dass die Liturgie stets „an das örtliche kirchliche Umfeld und die Ge­ brauchsbedingungen angepaßt“20 wurde, denn in den ersten christlichen Jahrhunderten war sie geprägt durch eine Vielfalt der Riten und Sprachen.21 So hatten auch die großen Kirchen Roms, die Titelkirchen, ihre je eigenen Formulare. Als Zeichen der Einheit feierte der Papst als Bischof von Rom jedoch an jedem Festtag in einer anderen Kirche einen sogenannten Stationsgottesdienst (statio).22 Die hierfür verfassten Ordines der päpstlichen Liturgie geben also pontifikale Feiern wieder und können nicht als die römische Liturgie schlechthin betrachtet werden – insbesondere, weil sie nicht jeden Tag des liturgischen Jahres umfassen. 18 Zum Folgenden vgl. Art. Sakramentar, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 8, 3. Aufl. Freiburg im Breisgau 1999, Sp. 1455–1459 (Martin Klöckener). – Eine historische wie theologische Aspekte berücksichtigende Einführung in die Entwicklung der römisch-fränkischen Messliturgie und der dafür benötigten Texte bietet der Abschnitt „Die römische Messe“ in Hans Bernhard Meyer: Eucharistie. Geschichte, Theologie und Pastoral (Handbuch der Liturgiewissenschaft, Bd. 4), Regensburg 1989, S. 163–392, hier S. 163–208. 19 Vgl. Felix Heinzer: Klosterreform und mittelalterliche Buchkultur im deutschen Südwesten (Mittellateinische Studien und Texte, Bd. 39), Leiden 2008, S. 36 mit Anm. 11 f. 20 Art. Sakramentar, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 7, München 1995, Sp. 1273–1275, hier 1273 (Martin Klöckener). 21 Vgl. Klaus Gamber: Codices liturgici latini antiquiores, 2. ed. aucta (Spicilegii Friburgensis Subsidia, Bd. 1), Freiburg (Schweiz) 1968, Bd. 1, S. 97 und passim. 22 Vgl. Gamber 1968 (wie Anm. 21), Bd. 1, S. 101. – Art. Stationsgottesdienst, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 8, München 1997, Sp. 67 (Rupert Berger).

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Vollständige und verbindliche Sakramentare, die liturgische Formulare für das gesamte Kirchenjahr enthalten, sind erst aus dem 8. Jahrhundert erhalten. Um ihre Authentizität zu unterstreichen, wurden die verschiedenen Sammlungen – historisch nicht unbedingt korrekt – bestimmten Päpsten zugeschrieben. Ein verbreiteter Typus soll auf Papst Gelasius I. (amt. 492–496) zurückgehen und heißt entsprechend Sacramentarium Gelasia­ num.23 Das älteste davon, das Gelasianum vetus, ist in lediglich einem einzigen Textzeugen aus der Zeit um 750 erhalten (Vatikan, BAV, Reg. lat. 316 und Paris, BnF, lat. 7193, fol. 41–56).24 Es ist bereits aufgeteilt in die Zeit im Jahreskreis (Temporale), die Heiligenfeste (Sanktorale) sowie das Hochgebet (Präfation und Canon missae) und enthält Orationen für verschiedene Gelegenheiten sowie Votivmessen. Spätere Gelasiana – die sogenannten fränkischen oder Junggelasiana – stehen im Zusammenhang mit „der von Pippin dem Jüngeren initiierten, liturgische Einheit anstrebenden karolingischen Liturgiereform“.25 Die Reformen Pippins des Jüngeren (amt. 751–768) dienten wohl in erster Linie der Stabilisierung seiner von den Merowingern übernommenen Königsmacht und der Anbindung an das Papsttum, das diesen dynastischen Wechsel legitimiert hatte. Mit der verpflichtenden Einführung des gelasianischen Sakramentars im Jahr 754 wurde der zuvor übliche gallikanische Ritus abgeschafft, der sich seit dem 5. Jahrhundert in Gallien sowie Teilen Spaniens und Norditaliens ausgebildet hatte.26 Die größte Bedeutung für die abendländische Liturgiegeschichte erlangte indes ein Sakramentar, dessen Redaktion Papst Gregor I. (amt. 590–604) zugeschrieben wird. In seiner Urform ist das Sacramentarium Gregorianum zwar nicht erhalten, doch steht fest, dass es sich dabei nur um ein Rollenbuch für die päpstliche Stationsliturgie gehandelt haben kann.27 Auf Bitten Karls des Großen (amt. 768–814) schickte Papst Hadrian I. (amt. 772–795) vermutlich zu Beginn des Jahres 786 ein Exemplar eines römischen Gre­ 23 Zum Folgenden vgl. Gamber 1968 (wie Anm. 21), Bd. 1, S. 299–303.  – Klöckener 1999 (wie Anm. 18), Sp. 1457. 24 Druck: Liber sacramentorum Romanae aeclesiae ordinis anni circuli (Cod. Vat. Reg. lat. 316 / Paris Bibl. Nat. 7193, 41/56) (Sacramentarium Gelasianum), hg. v. Leo Cunibert Mohlberg (Rerum Ecclesiasticarum Documenta. Series Maior: Fontes, Bd. 4), Rom 1964. 25 Klöckener 1999 (wie Anm. 18), Sp. 1457. – Gamber 1968 (wie Anm. 21), Bd. 1, S. 299–311 ordnet dem Gelasianum vetus noch einige erhaltene Fragmente zu; die Junggelasiana nennt er abweichend Gelasiana mixta. Vgl. Gamber 1968 (wie Anm. 21), Bd. 1, S. 368–407. 26 Vgl. Gamber 1968 (wie Anm. 21), Bd. 1, S. 153–156 u. 192. – Druck: Missale Gallicanum vetus (Cod. Vat. Palat. lat. 493), hg. v. Leo Cunibert Mohlberg (Rerum Ecclesiasticarum Documenta. Series Maior: Fontes, Bd. 3), Rom 1958. – Der gallikanische Ritus zeichnete sich durch einen reich ausgestalteten Wortgottesdienst mit zahlreichen Gesängen und drei Lesungen aus; außerdem stand der Opfergang am Beginn der liturgischen Feier und war festlich ausgeprägt. 27 Vgl. Sakramentartypen. Versuch einer Gruppierung der Handschriften und Fragmente bis zur Jahrtausendwende, hg. v. Klaus Gamber (Texte und Arbeiten. Abt. 1, Bd. 49/50), Beuron 1958, S. 79–85. – Klöckener 1999 (wie Anm. 18), Sp. 1457.

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gorianum an den fränkischen Königshof: Es sollte als ‚Urexemplar‘ einer als authentisch empfundenen römischen Liturgie für die Reform und Vereinheitlichung der Liturgie im Karolingerreich dienen.28 Das deutlichste Merkmal des Gregorianum-Hadrianum ist die Position des Hochgebets, das sich nun am Beginn des Sakramentars befindet. Neu waren auch Formulare für den Samstag vor Palmsonntag und die Donnerstage in der Fastenzeit.29 Allerdings hatte es zwei entscheidende Mängel: Zum einen repräsentierte es „einen überholten liturgischen Stand, nämlich den der Zeit kurz nach 735“, und zum anderen handelte es sich um „ein typisches Pontifikal-Sakramentar, wie es der Papst für die von ihm in den römischen Stationskirchen präsidierten Festgottesdienste benötigte“.30 Es fehlten also die Sonntagsmessen, viele Heiligen- und Votivmessen sowie Formulare für Weihen, Segnungen und die Tauffeier. Am fränkischen Hof wurde diesem Mangel durch einen Anhang abgeholfen, dessen Formulierung Benedikt von Aniane (verst. 821), dem Reformabt von Inden (Kornelimünster), zugeschrieben wird.31 War dieses ergänzte Gregorianum-Hadrianum für längere Zeit „im Frankenreich der geläufigste Sakramentar-Typ“,32 so kam es doch seit der Mitte des 9. Jahrhunderts in unterschiedlichem Maße zu Vermischungen gregorianischer und gelasianischer Textelemente. Die folglich Gregoriana mixta genannten Sakramentare sind derart individuell gestaltet, dass sie sich keinen bestimmten Überlieferungssträngen zuordnen lassen; lediglich in Fulda hat sich – vielleicht unter dem Einfluss von Rabanus Maurus (verst. 856) – eine weitgehend einheitliche Tradition gebildet.33 Die späten Sakramentare des 10. und 11. Jahrhunderts dagegen lassen sich kaum mit einem eindeutigen Begriff umschreiben und gelten als gregorianische Mischtypen.

Vergleich der Texte in den Sakramentaren aus Tyniec und Gladbach Die beiden Sakramentare aus Tyniec und aus Gladbach gehören ebenfalls den Gregoriana mixta an. In beiden findet sich ein Grundbestand gregorianischer Formulare, die durch 28 Heinzer 2008 (wie Anm. 19), S. 33 f. weist darauf hin, dass ein Sakramentar nur einen Teil der Eucharistiefeier repräsentiert, nämlich die Gebetstexte. Nicht weniger bedeutsam für eine „‚Romanisie­ rung‘ der liturgischen Praxis im Frankenreich“ seien Bücher für die liturgischen Lesungen und musikalische Gebräuche (z. B. den gregorianischen Choral) gewesen (Zitat S. 32). 29 Vgl. Gamber 1958 (wie Anm. 27), S. 136. – Gamber 1968 (wie Anm. 21), Bd. 1, S. 337. 30 Heinzer 2008, S. 37. 31 Vgl. Klöckener 1999 (wie Anm. 18), Sp. 1458. – Die frühere Annahme, dass Karls führender Theologe Alkuin diesen Anhang formuliert habe, gilt seit den Forschungen von Jean Deshusses: Le Supplément au Sacramentaire Grégorien, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 9 (1965), S. 48–71 als widerlegt. 32 Klöckener 1999 (wie Anm. 18), Sp. 1458. – Zum Folgenden vgl. Klöckener 1999 (wie Anm. 18). 33 Vgl. Gamber 1968 (wie Anm. 21), Bd. 1, S. 408 f. u. 422–428.

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Heiligen- und Votivmessen aus gelasianischer Tradition ergänzt wurden.34 Dabei fällt auf, dass das Tinecense in den Überschriften noch die Angaben für die Orte der Stationsgottesdienste aus dem Gregorianum übernommen hat, so etwa „In die natalis Domini statio ad S. Petrum“ (pag. 57), „In septuagesima statio ad S. Laurentium“ (pag. 84), „In quadragesima ad S. Iohannem“ (pag. 90) usw. Auch die Kalendertage der Heiligenfeste sind in der Regel jeweils angegeben – beide Angaben fehlen hingegen im Gladbacher Sakramentar. In Letzterem ist dafür das Exsultet, das Lob der Osterkerze, durchgehend neumiert und bietet den vollständigen Text (fol. 63ar–65v), während es in der Parallelhandschrift nur teilweise mit Neumen versehen wurde und an vielen Stellen korrigiert ist, um schließlich mitten in der Präfation abzubrechen (pag. 139–140). Ein Vergleich der Formulare für Herren- und Heiligenfeste (Proprium de tempore et de sanctis, vermischt) in den beiden Handschriften lässt sie im Wesentlichen identisch erscheinen, doch finden sich alleine im Gladbacher Sakramentar die Feste „de inventione S. Stephanis“ (sic! fol. 104r/v; 3. August), S. Helena (fol. 112r/v; 18. August) und S. Symphorianus (fol. 114r/v; 22. August). An das Commune sanctorum schließen sich die Formulare für die Sonn- und Werktage im Jahreskreis an (Proprium de tempore), also derjenige Teil des Gregorianum, der für den Gebrauch in der fränkischen Kirche ergänzt werden musste (fol. 147r–169r). Auf das Temporale folgen Orationes matutinales, Exorcismus salis usw. (fol. 169r–179r) sowie Votivmessen (fol. 179r–201v), die von einem nur wenig späteren Nachtrag abgeschlossen werden (fol. 210v: Joh 11,21–27). Im Tinecense sorgt in diesen Abschnitten eine Fehlbindung für Verwirrung: Das Com­ mune sanctorum wird im Formular für mehrere Bekenner („[in die natali] plurimorum confessorum“, pag. 300 unten) für 58 Seiten unterbrochen, bis es auf pag. 359 regulär fortgeführt wird. Der scheinbare Einschub enthält jedoch lediglich Votivmessen (pag. 301–320) und einen umfangreichen Ordo defunctorum (pag. 320–351). Diese Texte stehen im Gladbacher Sakramentar am Ende der Handschrift, und dahin – also hinter pag. 468 – gehörten sie eigentlich auch im Tinecense. Insbesondere in diesem letzten Teil unterscheiden sich die beiden Sakramentare deutlich, wie die tabellarische Auswertung ihrer Formulare erkennen lässt (s. Anhang). Von den knapp sechzig Formularen sind demnach etliche Texte identisch, doch gibt es immer wieder Unterschiede in der Reihenfolge, und in beiden Handschriften finden sich jeweils proprietäre Texte. Auch das Umgekehrte kommt vor: Das Gladbacher Formular „pro an­ tistite nostro“ (fol. 193r) findet sich mit identischen Gebetstexten im Tinecense, ist dort allerdings „pro episcopo“ (pag. 462–463) überschrieben. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass das Gladbacher Sakramentar für einen klösterlichen Empfänger bestimmt war, während die Parallelhandschrift einem Bistum oder Bischof zukommen sollte – das würde 34 Der Bestand im Sanktorale entspricht im Wesentlichen den bei Pierre Jounel: Le sanctoral romain du 8e au 12e siècles, in: La Maison-Dieu 52 (1957), S. 59–88, hier S. 77–79 aufgeführten Festen.

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auch die unterschiedliche Auswahl der Formulare und Heiligenfeste erklären. Freilich lässt sich nicht erkennen, ob die Schreiber dabei unterschiedlichen Vorlagen gefolgt sind oder ob sie lediglich aus einer bzw. mehreren Vorlagen sehr stark ausgewählt haben.35

Paläographische Einordnung Die Handschriften der ‚Strengen Gruppe‘ der Kölner ottonischen Buchmalerei sind von Hartmut Hoffmann paläographisch analysiert worden.36 Er rückt die gesamte Gruppe näher an den für Köln typischen Vertikalstil vom Beginn des 11. Jahrhunderts heran und plädiert für eine Datierung „ins zweite Viertel, allenfalls ins zweite Drittel des 11. Jahrhun­ derts“.37 Die Grundlage seiner Argumentation bildet das Evangeliar aus St. Maria Lyskirchen. Von Bloch / Schnitzler noch als „Nachzügler“ bezeichnet und mit einer Datierung „um 1100–1120“ als „später Reflex der ottonischen Schule“ angesehen, scheint diese Handschrift jedoch bereits vor 1067 fertiggestellt worden zu sein.38 Auch Hoffmann argumentiert in diese Richtung, wenn er meint, dass die fünf Haupthände des Lyskirchen-Evangeliars in ihrer spätkarolingischen Minuskel den Kölner Vertikalstil aufnehmen und abwandeln: „Die feste, gerade Ausrichtung ist geblieben, die Vertikaltendenz jedoch ­gemildert, die Formen (vor allem das g) sind sanfter und rundlicher geworden.“39 Die beste Schrift des Evangeliars, Hand E, sei in allen Handschriften der ‚Strengen Gruppe‘ vertre35 Es ist nicht ersichtlich, ob das erste Sakramentar der Kölner Buchmaler, jenes aus St. Gereon – heute Paris, Bibliothèque nationale de France, lat. 817; vgl. http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b9066592s. r=lat%20817?rk=42918;4 (letzter Zugriff: 08.01.2018) –, als Vorlage gedient hat. Es bietet wie das Tinecense die Angabe der stationes der Papstmessen aus dem gregorianischen Urbestand sowie einen Ordo in agenda mortuorum. Beides fehlt im Gladbacher Sakramentar, doch stimmen die Votivmessen darin bis auf drei Ausnahmen mit der Pariser Handschrift überein, während das Tinecense hier eine stärkere Selektion betreibt. 36 Vgl. Hartmut Hoffmann: Schreibschulen und Buchmalerei. Handschriften und Texte des 9.–11. Jahrhunderts (Monumenta Germaniae Historica. Schriften, Bd. 65), Hannover 2012, hier S. 184–192. 37 Hoffmann 2012 (wie Anm. 36), S. 191. 38 Evangeliar aus Köln, St. Maria Lyskirchen, o. Sign., derzeit als Dauerleihgabe in der Pfarrei St. Georg; vgl. Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 113–120, Zitate S. 120. – Anton von Euw: Das Evangeliar von St. Maria Lyskirchen. Bestimmung und Gebrauch einer mittelalterlichen Handschrift, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 64 (1993), S. 15–36 nimmt an, dass dieses Evangeliar „eine Stiftung Erzbischof Annos II. für die Weihe von St. Georg im Jahr 1067 war, zu jener Zeit allerdings noch unvollendet gewesen“ (S. 17) und erst „um 1100–1120“ bebildert worden sei (S. 18).  – Robert Suckale: Das mittelalterliche Bild als Zeitzeuge. Sechs Studien, Berlin 2002, S. 111–115 plädiert dagegen für eine einheitliche Entstehung in den späten 1060er Jahren und begründet die Stildifferenzen mit einem durch Anno verursachten Traditionsbruch in der Malerwerkstatt von St. Pantaleon. 39 Hoffmann 2012 (wie Anm. 36), S. 187.

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ten; die Haupthand im Sakramentar aus Gladbach und in dem aus Tyniec sei mit ihr sogar identisch oder ihr zumindest äußerst ähnlich.40 Ein Vergleich von Hoffmanns Abbildung der Hand E (dort Abb. 81) mit den online verfügbaren Digitalisaten des Gladbacher Sakramentars lässt diesen Befund ohne Weiteres nachvollziehen. Das Sakramentar ist im Wesentlichen von einer Hand geschrieben, die der Lyskirchener Hand E tatsächlich sehr ähnelt (Abb. 2). Insbesondere zeigen sich durchgehend ihre Hauptmerkmale: „das achtförmige g [...], das aus zwei übereinandergesetzten Kreisen besteht“, und das q, dessen Unterlänge „in einen sanften, kurzen Bogen nach links ausläuft.“ 41 Beide Merkmale zeigen sich auch im Tinecense, doch wirkt die Schrift dort wesentlich breiter und feierlicher als im Gladbacher Sakramentar. Weil es somit archa­ ischer erscheint und die Hände zwar sehr ähnlich, aber nicht identisch sind, dürfte das Sakramentar aus Tyniec vor jenem aus Gladbach angefertigt worden sein.42 Im Gladbacher Sakramentar finden sich zwei auffällige Nachträge: Der eine wurde bereits erwähnt, er bringt auf fol. 68v das Formular für den Festtag der Reliquienauffindung der Gladbacher Klosterpatrone und stammt eindeutig von einer Hand des Gladbacher Skriptoriums aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts.43 Der zweite Nachtrag ist eine Perikope aus dem Johannes-Evangelium (Joh 11,21–27) am Ende der Handschrift (fol. 210v). Nach Hoffmann stammt sie „von einer eleganten Hand, die vom Stil der ,Strengen Gruppe‘ völlig verschieden ist: schwungvoll, leicht nach rechts geneigt, mit etwas schärferem Duktus“.44 Diese finde sich auch in Cod. 47 der Kölner Dombibliothek und sei in das zweite Viertel des 11. Jahrhunderts zu datieren. Das würde bedeuten, dass das Gladbacher Evangeliar vor diesem Nachtrag, also einige Zeit vor 1050, geschrieben worden sein müsste. Hoffmanns knappe Darstellung ist an dieser Stelle zwar undeutlich und bedürfte einer erneuten, ausgiebigen paläographischen Betrachtung, bietet jedoch auch in dieser Fassung plausible Argumente für eine Frühdatierung. Gemäß dem paläographischen Befund müssen somit die beiden Sakramentare wesentlich früher entstanden sein, als dies Bloch / Schnitzler vermuteten. Für den Gladbacher Codex ist eine Entstehung vor 1050 anzunehmen.

40 Vgl. Hoffmann 2012 (wie Anm. 36), S. 188 f. 41 Hoffmann 2012 (wie Anm. 36), S. 187. 42 Allerdings gibt es auch innerhalb dessen, was Hoffmann die „Lyskirchener Hand E“ nennt, beträchtliche Schwankungen. So variiert etwa die Laufweite der Schrift mit der Zeilenzahl: In den Passagen mit 26 Zeilen (z. B. fol. 116r–117r) wirkt sie weitaus schmaler und steiler als in jenen mit 24 Zeilen (z. B. fol. 156r). Dort kommt sie der Haupthand im Tinecense durchaus nahe. 43 Vgl. oben bei Anm. 12. 44 Hoffmann 2012 (wie Anm. 36), S. 191. Zum Folgenden vgl. Hoffmann 2012 (wie Anm. 36), S. 188–191.

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Abb. 2: Sakramentar aus Mönchengladbach. Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau, Hs. 360a, fol. 103v: Schriftseite mit Formularen für verschiedene Heiligenfeste.

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Malerische Ausstattung In den Sakramentaren des gregorianischen Typs befindet sich der wichtigste Teil der Messe, das Hochgebet mit Präfation und Canon missae, gleich am Anfang der Texte. Daher finden sich auch im Gladbacher Sakramentar alle Zierseiten am Beginn der Handschrift. Ganze 44 künstlerisch gestaltete Seiten in nahezu ununterbrochener Reihenfolge sind hier eingefügt, alle mit Rahmen in gleicher Größe und – ausgenommen das Gregorbild auf fol. 13v – gleichem Aufbau: Auf eine orangefarbene und eine goldene Leiste folgt ein Streifen mit Blattornament in verschiedenen Farben, während eine weitere Leiste den Purpurgrund umfasst, auf dem Gold- und Silberschrift oder Deckfarbenmalerei appliziert wurden. „Von den vier Ecken der äußeren Goldleiste ausgehend, entwickeln sich als Eckzier langstielige Pfeilblätter in Gold, die nach außen über den Rahmen hinausreichen“;45 vier Rahmen sind zusätzlich an den Seiten mit goldenen Palmettenranken besetzt. Das eröffnende Kalendar umfasst 24 Seiten (fol. 1r–12v). Es folgt eine Schriftzierseite (fol. 13r), deren beide Verse – es handelt sich um leoninische Hexameter – den Titulus zu einer Maiestas-Domini-Darstellung bilden (Abb. 3). In zwei frühen Evangeliaren der Kölner Malerschule, dem Mailänder und dem Stuttgarter Evangeliar,46 wird das Gedicht durch weitere fünf Verse fortgesetzt, im Stuttgarter Gundold-Evangeliar folgt auf den ­Titulus auch tatsächlich eine Maiestas-Darstellung. So liegt die Annahme nahe, dass in der Gladbacher Handschrift auf einer Seite gegenüber oder im Anschluss an den Titulus ebenfalls eine Maiestas vorhanden oder zumindest vorgesehen war; allerdings bietet der Aufbau der entsprechenden Lage keinen Beweis dafür. Stattdessen folgt auf der Verso-Seite des Blattes ein Autorenbild mit der Darstellung des hl. Papstes Gregor I., dem ja traditionell die Redaktion dieses Sakramentartyps zu­ geschrieben wird (Abb. 4). Der Kirchenvater sitzt hier „auf [einem] gepolsterten Thron dem Betrachter frontal zugewandt“;47 er wird gerahmt von einer Ädikula mit zwei Säulen, von deren Dachgesims ein zweigeteilter, an den Säulen zurückgebundener Vorhang he­ rabhängt. Die Taube auf der Schulter spielt auf eine Szene aus der Vita des Heiligen an, nach der ihn der Heilige Geist in Gestalt einer Taube bei der Abfassung seiner Schriften 45 Winkelmann-Giesen 1998 (wie Anm. 8), S. 53, hier auch eine ausführliche Beschreibung der Rahmen und ihrer Muster. – Vgl. auch Ursula Prinz: Die Ornamentik der ottonischen Kölner Buchmalerei. Studien zum Rahmenfüllwerk (Libelli Rhenani. Schriften der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek zur rheinischen Kirchen- und Landesgeschichte sowie zur Buch- und Bibliotheksgeschichte, Bd. 71), Köln 2018, insb. S. 85–87. 46 Mailand, Bibl. Ambrosiana, C 53 sup., fol. 2r, vgl. Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 31–37. – Stuttgart, WLB, Cod. bibl. qt. 2, fol. 9v, vgl. Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 62–64. – Zur Problematik der (fehlenden) Maiestas-Darstellung vgl. Winkelmann-Giesen 1998 (wie Anm. 8), S. 54. 47 Winkelmann-Giesen 1998 (wie Anm. 8), S. 55; dort auch eine detaillierte Bildbeschreibung.

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Abb. 3: Sakramentar aus Mönchengladbach. Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau, Hs. 360a, fol. 13r: Zierseite mit Titulus.

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Abb. 4: Sakramentar aus Mönchengladbach. Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau, Hs. 360a, fol. 13v: Papst Gregor der Große.

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inspiriert haben soll.48 Gregor ist hier im Prozess des Schreibens dargestellt: In seiner rechten Hand hält er eine Feder, während die linke, ein Messer haltend, an einem halb aufgeschlagenen Buch auf dem Pult an seiner Seite ruht. Der Papst ist gewandet in eine Kasel mit braunen und weißen Streifen, unter der eine Dalmatik und als Untergewand eine Albe zum Vorschein kommen. Der gleiche Bildtypus ist in zwei weiteren Werken der ‚Strengen Gruppe‘ aufgenommen worden, nämlich in dem Evangeliar aus Abdinghof – heute im Kupferstichkabinett zu Berlin – und dem Londoner Harley-Codex 2820. Mit den fast identischen Stilmitteln wird dort allerdings der hl. Hieronymus dargestellt. Gleich sind insbesondere die thronende Haltung, die umgebende Ädikula und die Gewandung, während der Bibelübersetzer die Hände zum Gebet ausgebreitet hat und von der über ihm schwebenden Hand Gottes gesegnet wird. Dass diese beiden Hieronymus-Darstellungen offenbar recht gedankenlos vom Gladbacher Gregorbild kopiert worden sind, lässt sich an einem Bildfehler in der Gewandung erkennen: Zwar haben die Hieronymus-Maler zu Recht das päpstliche Pallium weggelassen, doch trägt Hieronymus auf beiden Bildern unter der Kasel die Dalmatik – was ihm als einfachem Priester jedoch gar nicht zustand.49 Auf das Autorenbildnis Gregors folgen im Gladbacher Sakramentar Zierseiten mit dem Eröffnungsdialog der Präfation sowie die Präfation selbst (fol. 14r–15r). Der Beginn der Präfation, das Vere dignum, ist hervorgehoben durch die Initiale V: Gestaltet als goldene Spaltleisteninitiale, deren Binnenfeld reich mit goldenem Rankenwerk gefüllt ist, wird sie von einem Engel getragen, der auf dem mit vier Portraitmedaillons versehenen Rahmen kniet (Abb. 5). Der ungewöhnlichen Darstellung liegt offenbar ein theologischer Gedanke zugrunde, nämlich die Bitte des Hochgebets, dass die Opfergaben – hier re­ präsentiert durch das V – durch die Hand des Engels Gottes auf den himmlischen Altar gebracht werden mögen.50 Die Zierinitiale würde dann die Darstellung der präfigurierenden Opfer von Abel, Abraham oder Melchisedech ersetzen, die an dieser Stelle häufig in Sakramentaren zu finden sind. Die Präfation wird durch ein dreimaliges Sanctus abgeschlossen; der Canon missae setzt mit den Worten Te igitur auf fol. 15v ein (Abb. 6). Der Buchstabe T ist hier als Kreuz mit Christusdarstellung gestaltet, während die Worte des Gebetes in silberner Schrift den umgebenden Purpurgrund auffüllen. Die Balken des silbern gehaltenen Kreuzes gehen an beiden Seiten bis an den äußersten orangefarbenen Rand des Rahmens, während sie unten 48 Die Szene ist aus der Darstellung des Trierer Gregormeisters bestens bekannt (Einzelblatt in Trier, Stadtbibl., 171/1626). – Zur Legende vgl. Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 148. 49 Vgl. auch Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 147 u. 152. 50 Fol. 18v: „Supplices te rogamus omnipotens deus: Iube haec perferri per manus sancti Angeli tui in sublime altare tuum, in conspectum divinae maiestatis tuae, ut [...] omni benedictione caelesti et gratia repleamur.“ Vgl. hierzu Jürgen Gutbrod: Die Initiale in Handschriften des achten bis dreizehnten Jahrhunderts, Stuttgart 1965, S. 151.

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Abb. 5: Sakramentar aus Mönchengladbach. Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau, Hs. 360a, fol. 14v: Zierseite Vere dignum am Beginn der Präfation.

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Abb. 6: Sakramentar aus Mönchengladbach. Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau, Hs. 360a, fol. 15v: Beginn des Canon missae mit Kreuzigungsdarstellung.

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durch ein Suppedaneum und oben durch die Inschrifttafel begrenzt werden. Der tote Christus steht nahezu aufrecht vor dem vertikalen Balken, während die schräg nach oben weisenden, überlängten Arme und die abknickenden Hände den Eindruck des Hängens hervorrufen sollen.51 Das nach rechts geneigte Haupt mit den geschlossenen Augen ist von einem großen silbernen Nimbus umgeben, der zusätzlich von einem goldenen Kreuz durchschnitten wird. Nimbus und Kreuzesbalken sind fast vollständig von einer rot-weißen Perlenreihe umgrenzt – Bloch / Schnitzler sehen in ihr wie auch in dem unperspektivisch gezeichneten Kreuz den Anklang an ein verlorenes karolingisches Vorbild, während sie die perspektivischen Elemente Tafel und Suppedaneum als „ursprüngliche Kölner Gewohnheiten“52 betrachten. Bemerkenswert bleibt der zwar blasse und entkräftete, doch würdevoll aufrecht stehende Gekreuzigte, dessen leicht violett getöntes Inkarnat zusammen mit dem silbernen Kreuz einen starken Kontrast zum Purpur des Hintergrunds bildet. Während die ältere Malerei und Plastik Christus stets majestätisch am Kreuz über den Tod triumphierend und daher mit offenen Augen darstellte, handelt es sich bei dem Gladbacher Kanonbild um eine frühe Darstellung des toten Christus. Als Vorbild für diesen Typus drängt sich das vor der ersten Jahrtausendwende entstandene Gerokreuz im Kölner Dom auf.53 Diese Darstellung folgt der sakramententheologischen Auffassung, dass in der Messe das Kreuzesopfer Christi vergegenwärtigt wird, das Heil also durch seinen Tod bewirkt worden sei. Im Gladbacher Sakramentar könnte die dennoch auch herrscherliche Darstellung des Gekreuzigten freilich noch als Reflex auf die älteren, den triumphierenden Aspekt hervorhebenden Vorbilder zu werten sein.54 Im Anschluss an diese Zierseite wird der Canon missae auf weiteren neun mit Silbertinte beschriebenen Purpurseiten fortgeführt (fol. 16r–20r); es folgen drei Seiten nur mit Rahmen und Purpurgrund (fol. 20v–21v) sowie eine Leerseite (fol. 22r), die zugleich den Beginn einer neuen Lage markiert. Die nächste, wieder gerahmte Seite (fol. 22v) bringt die in Gold- und Silbertinte geschriebene Rubrik zum Vorabend des Weihnachtsfestes und damit zum Beginn des Proprium de tempore.55 Die letzte Zierseite der Handschrift (fol. 23r) wird fast vollständig von der Initiale D eingenommen, die am rechten Rand gar ihren Rahmen sprengt (Abb. 7). Die Spaltleisteninitiale mit goldenen Randleisten und silbernem Zwischenraum wird von goldenen Flechtbandornamenten und zwei goldenen 51 Vgl. hier und zum Folgenden Gutbrod 1965 (wie Anm. 50), S. 57 f. 52 Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 121. 53 Vgl. Reiner Hausherr: Der tote Christus am Kreuz. Zur Ikonographie des Gerokreuzes, masch. schr. Diss. Bonn 1963, S. 50–58, bes. S. 53. 54 Vgl. Gutbrod 1965 (wie Anm. 50), S. 58. 55 Der Titulus nennt als Datum: „VIIII kalendas Ianuarii“; das Sakramentar beginnt also liturgisch korrekt mit der Messe am Vorabend des Weihnachtsfestes. Es folgen die Formulare für die drei Weihnachtsmessen „In natali domini in nocte“, „Ad sanctam Anastasiam mane prima“ sowie „In die natalis domini“ (fol. 23v–26v).

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Abb. 7: Sakramentar aus Mönchengladbach. Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau, Hs. 360a, fol. 23r: Zierinitiale DS zum Beginn der Weihnachtsvigil.

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Schnallen zusammengehalten. Den Binnenraum füllen ebenfalls goldene Flechtbänder, in die – erst auf den zweiten Blick wahrnehmbar – ein silbernes S mit Kompendienstrich verschlungen ist. Die beiden Buchstaben werden somit als Kürzung für das nomen sacrum d(eu)s erkennbar, das den Anfang des Tagesgebets für die Weihnachtsvigil darstellt. Die Deckfarbenausstattung im Gladbacher Sakramentar hat sich damit erschöpft. Während im Tinecense an den hohen Festtagen noch etliche weitere, wenn auch kleinere Zier­ initialen mit Blattranken folgen, finden sich in der Parallelhandschrift fortan lediglich goldbelegte Ziermajuskeln, die selten mehr als eineinhalb Zeilen Höhe einnehmen und in die Versalienspalte ausgerückt sind. Nur an ganz hohen Festen wie Ostern (fol. 69r) oder Pfingsten (fol. 87r) wird die Ziermajuskel derart vergrößert, dass sie in den Schriftraum übergreift.

Fazit Trotz aller Gemeinsamkeiten der Sakramentare aus Tyniec und aus Gladbach handelt es sich nicht um zwei identische Handschriften. Wie bei allen Gregoriana mixta ähnelt sich ihr inhaltlicher Aufbau. Die Auswahl der Votivmessen sowie der Heiligenfeste in Kalendar und Proprium sanctorum weist jedoch erhebliche Unterschiede auf, sodass unterschiedliche Vorlagen oder aber unterschiedliche Bestimmungsorte anzunehmen sind. Gleiches gilt in Bezug auf die malerische Ausstattung: Das Fehlen einer Gregor-Darstellung in dem einen, der Ma­ iestas Domini in dem anderen Sakramentar sind nur die augenscheinlichsten Hinweise darauf, dass die Handschriften zwar in der gleichen Schule entstanden sind, aber einem abweichenden Entwurf folgen. Möglicherweise waren nicht nur unterschiedliche Schreiber, sondern auch unterschiedliche Buchmaler an der Ausstattung der beiden Sakramentare beteiligt. Bloch / Schnitzler vertraten noch die These, „dass die Handschriften in Warschau und Freiburg nach Anordnung und Gestalt ihrer Schmuckteile auf ein gemeinsames Vorbild zurückgehen. [...] Es wäre in diesem Falle neben dem Evangeliar in Manchester auch ein Sak­ ramentar des Gregormeisters vorauszusetzen, dem die Handschriften in Warschau und Frei­ burg mit ähnlich begrenztem Spielraum folgen wie etwa die Evangeliare in London und Ber­ lin.“56 Allerdings gibt es keinerlei Hinweise auf ein solches – verschollenes – Vorbild; vielmehr werden an vielen Stellen ältere, karolingische Muster oder gar Echternacher Buchmalerei aufgegriffen. Außerdem verweisen Bloch / Schnitzler durch ihren ständigen Rekurs auf den Trierer Gregormeister die Kreativität der Kölner Schule ins Epigonenhafte. Die formalen wie stilistischen Unterschiede und Brüche innerhalb ihrer Werke beweisen jedoch, dass die Schule nicht sklavisch an ihre Vorlagen gebunden war, sondern es immer wieder verstand, aus fremden Vorbildern und eigenem Formengut künstlerisch großartige Schöpfungen hervorzubringen, zu denen auch das Sakramentar aus Gladbach gehört. 56 Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 65.

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Tabelle: Textvergleich Sakr. Gladbach

fol. 1r–12v 13r 13v 14r 14v–15r 15v–20r 20v–21v 22r 22v–141v

25r

UB Freiburg, Hs. 360a

Kalendar Titulus Bild S. Gregor Akklamation Vere dignum Canon/Te igitur Zierseiten ohne Text leer Temporale/Sanktorale gemischt, Beginn mit Weihnachtsvigil. Besonderheiten: In die natalis dni

63ar – 65v

Exsultet durchgehend neumiert, vollständig

104r–v 112r–v 114r–v 116v

De inventione S. Stephanis (!) S. Elenae S. Symphoriani fehlt Decollatio S. Iohannis

128r–129r 134r 141v–147r

Ss. mart. Gereonis ... S. Kuniberti Conf. Commune sanctorum

147r–169r 169r–176v

Temporale (fränk. Nachtrag) Orationes matutinales, vespertinae usw. Exorcismus salis usw. Votivmessen (vollständige Auflistung): missa de sancta trinitate

176v–179r 179r–210v 179r

Sakr. Tyniec

BN Warschau, BOZ 8

pag. 1–6

missa in dedicatione eccl., missa communis, missa pro rege Kalendar (Martirologium Bedae) leer Bild Maiestas Akklamation Vere dignum Canon/Te igitur leer

7–30 31 32 33 34 f. 36–47 48–49 50–293

Temporale/Sanktorale gemischt, Beginn mit Weihnachtsvigil. Besonderheiten: 57 In die natalis dni statio ad S. Petrum (usw.) 132–137 in den großen Fürbitten jeweils „flectamus genua“ nachgetragen 139–140 Exsultet mit zahlreichen Korrekturen und Nachträgen, bricht ab in der Präfation fehlt fehlt fehlt 195 die dom. vacat 241 Passio S. Augustini epi. (falsche Rubrik, Text identisch mit Gladb.) 266–267 S. Gereonis ... 279 S. Cuniberti 293–300 und Commune sanctorum 359–364 (unterbrochen wegen Fehlbindung) 364–409 Temporale (fränk. Nachtrag) 410–425 Orationes matutinales, vespertinae usw. 426–430 Exorcismus salis usw. 431–468 und Votivmessen (vollständige 301–351 Auflistung): 431 missa de sancta trinitate

Das Sakramentar aus St. Vitus in Mönchengladbach  |  111

Sakr. Gladbach 180r 180v 181r 181v 182r 183r 183v 184r 185v 186r

186v 188r 189r 190r 190v 191r 191v 192v 193r

UB Freiburg, Hs. 360a

Sakr. Tyniec

BN Warschau, BOZ 8

pro peccatis ad postulandam angelorum suffragia ad postulandam gratiam spiritus sancti de sapientia de caritate sanctae crucis sanctae mariae in honore cuiuslibet martyris missa sanctorum item alia

432 433 435

pro peccatis ad postulandam angelorum suffragia ad postulandam gratiam spiritus sancti de sapientia de caritate sanctae crucis sanctae mariae de martiribus missa sanctorum missa sanctorum in ordinatione episcopi in natali episcopi missa propria sacerdotis missa specialis sacerdotis missa propria sacerdotis

missa propria sacerdotis missa specialis sacerdotis missa propria sacerdotis (falsche Rubrik: de tribulatione) pro pace pro populo christiano pro amico fideli pro amico vivente missa quod absit mortalitas hominum pro antistite nostro

435 437 438 439 440 443 444 445 447 449 452 454 456 457/458 458 460 461 462/463 464 465

193v 194r 194v 195r 195v 196v 196r 197r 198r

pro amico in tribulatione posito pro amicis viventibus pro salute vivorum pro familiaribus de tribulatione de tribulatione de tribulatione pro inimicis

112 | Harald Horst

466

pro pace pro populo christiano pro amico fideli pro amico vivente (falsche Rubrik: missa propria sacerdotis) missa quod absit mortalitas hominum pro episcopo (Text aber identisch mit Gladb.!) pro familiaribus pro populo christiano (ohne Rubrik und Initialen, sonst identisch mit p. 457/458)

pro amicis

Sakr. Gladbach 198v 199r

UB Freiburg, Hs. 360a

Sakr. Tyniec

BN Warschau, BOZ 8

pro infirmis item pro infirmis

467–468 301

pro infirmis + Rubrik alia missa (alia missa pro infirmis, Rubrik auf p. 468) pro tempatione carnali alia missa (2x) ad pluviam postulandum ad poscendum serenitatem

199v 200r 200v/201r 201v

ad pluviam postulandam ad poscendum serenitatem pro rege pro iter agentibus

202v

missa vivorum et mortuorum

203r

in die depositionis defuncti

204v 205r 206r 206v 207r 207v 208v 208v 209r

in anniversario pro defuncto episcopo + 2x alia item alia missa missa unius sacerdotis item alia missa sacerdotis missa unius laici item alia missa pro defuncta femina item alia missa

302 303, 304 305 307 308 310 310 311 313 314 315 316 318 320 336 338 340 341 342 343 344 345 346

209v

missa plurimorum defunctorum

347 348–351 351–358

210v

Nachtrag: Io 11,21–27

469

211r–v

leer, vertikal zerschnitten

470

pro iter agentibus de tribulatione pro amico in tribulatione posito pro inimicis pro pace pro rege pro salute vivorum et mortuorum item alia missa ordo in agenda mortuorum missa in die depositionis defuncti 3a, 7a, 30a m. in anniversario die pro defuncto episcopo pro defuncto sacerdote pro defuncto sacerdote pro defuncto pro defuncto pro defuncta femina item alia missa (anderes Formular als in Gladb.) pro fratribus pro defunctis Nachtrag: Präfation und Canon missae (bricht ab) Nachträge: Federproben, Orationen leer

Das Sakramentar aus St. Vitus in Mönchengladbach  |  113

Beate Braun-Niehr

Das Abdinghofer Evangeliar im Berliner Kupferstichkabinett Beobachtungen und Fragen zu seiner Geschichte

Als gern gesehener Gast auf Paderborner Ausstellungen der letzten Jahre scheint das ­Abdinghofer Evangeliar des Berliner Kupferstichkabinetts 78 A 3 örtliches Wunschdenken beflügelt zu haben.1 Spekulationen, die Handschrift könne, statt in einem Kölner Skriptorium, in der westfälischen Bischofsstadt entstanden sein,2 entbehren jedoch jeg­ licher Grundlage. Dem Buchblock mit einer zwölfseitigen Folge der Kanontafeln, den vier Evangelien und dem Capitulare evangeliorum ist ein Bifolium vorgebunden, auf dessen innerer Doppelseite – singulär für die erhaltenen Kölner Evangelienbücher – eine Darstellung der Aussendung der Apostel den Band eröffnet (fol. 1v–2r, Abb. 8 und 9).3 1

2

3

Berlin, Staatliche Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz – Kupferstichkabinett, 78 A 3 (alte Signatur: Hs. 147). – Vgl. Paul Wescher: Beschreibendes Verzeichnis der Miniaturen, Handschriften und Einzelblätter des Kupferstichkabinetts der Staatlichen Museen Berlin, Leipzig 1931, S. 4–7. – Peter Bloch / Hermann Schnitzler: Die ottonische Kölner Malerschule, Bd. 1, Katalog u. Tafeln, Düsseldorf 1967, S. 110–113, Nr. XIX (mit der älteren Lit.), Taf. 436–461, 503, Bd. 2 Textband, Düsseldorf 1970, passim. – Canossa 1077. Erschütterung der Welt. Geschichte, Kunst und Kultur am Aufgang der Romanik, Ausst. Kat. Erzbischöfliches Diözesanmuseum Paderborn u. a., hg. v. Christoph Stiegemann und Matthias Wemhoff, München 2006, Bd. 2, Kat. Nr. 487 (Elisabeth Klemm). – 1000 Jahre Abdinghof. Gebaut, geschrieben, gemalt, Ausstellung in der Kaiserpfalz 2016, siehe den Museumsblog: Eintrag vom 3. Juli 2016 (Katja Burgemeister) mit Foto vom Vorderdeckel des Einbandes: https://www.kaiserpfalz-paderborn.de/blog/hereinspaziert-die-exponate-kommen (letzter Zugriff: 23.10.2017) sowie den Begleitband zur Ausstellung (wie Anm. 2). Vgl. 1000 Jahre Abdinghof. Von der Benediktinerabtei zur evangelischen Kirche Paderborns, hg. v. Martin Kroker, Roland Linde und Andreas Neuwöhner (Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte, Bd. 83), Paderborn 2016, S. 32 f., Bildunterschrift zur Doppelseite mit der Aussendung der Apostel: „Die Handschrift mit ihren Miniaturen auf einzeln eingefügten Blättern [sic!] ist möglicherweise auch in Paderborn angefertigt worden.“ Vgl. Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 110; Bd. 2, S. 124. – Bruno Reudenbach: Der Codex als Verkörperung Christi. Mediengeschichtliche, theologische und ikonographische Aspekte einer Leitidee früher Evangelienbücher, in: Erscheinungsformen und Handhabungen Heiliger Schriften, hg. v. Joachim Friedrich Quack und Daniela Christina Luft (Materiale Textkulturen. Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 933, Bd. 5), Berlin 2014, S. 229–244, hier S. 235 f. mit Abb. 1. – Jeffrey F. Hamburger: Script as image (Corpus of Illuminated Manuscripts, Bd. 21), Paris 2014, S. 49 u. 52.

114 | Beate Braun-Niehr

Das monumental wirkende Bild Christi mit der im aufgeschlagenen Codex präsentierten Verheißung: „ego sv[m] hostiv[m] [...]“ (Joh 10,9) wird so gleichsam zum Eingangstor, dem das Wort des Heilands im Medaillon der Initialzierseite zum Johannes-Evangelium „ego svm lvx mv[ndi]“ (Joh 8,12) antwortet (fol. 207r, Abb. 10). Offen bleibt vorerst, ob der Missionsbefehl nach Mk 16,15, den der Herr den zwölf Jüngern auf einer übergroßen, herabhängenden Rolle entgegenhält, mit einer konkreten historischen Situation zu verbinden ist, einen Auftraggeberwunsch voraussetzte oder als Aufforderung an den ursprünglichen Empfänger formuliert war. Greift man Elisabeth Klemms Überlegungen zu einem leistungsfähigen Kölner Skriptorium auf, das in den 1070er Jahren auch für auswärtige Besteller gearbeitet haben soll,4 könnte man – ausgehend von der im Akzessionsjournal des Kupferstichkabinetts bezeugten Provenienz der Berliner Handschrift aus dem Paderborner Abdinghof-Kloster5 – in der 1078 erfolgten Schlussweihe des dritten Gottes­ hauses der von Bischof Meinwerk gegründeten Benediktinerabtei (Kirchenbau C) einen Anlass zur Herstellung des Evangeliars sehen.6 Wer sich mit einer solchen Vermutung zufriedengeben und voreilig eine Koinzidenz mit der von Bloch / Schnitzler vorgeschlagenen Datierung des Codex „um 1080“ als dem letzten Vertreter der sogenannten ,Strengen Gruppe‘ ableiten wollte,7 würde ignorieren, dass einerseits bereits die ältere Forschung eine Entstehung „um 1060“ für möglich gehalten hat,8 andererseits die Diskussion um die 4 5

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Kat. Paderborn 2006 (wie Anm. 1), S. 397 zu Kat. Nr. 488 (Elisabeth Klemm). – Zum Export Kölner Handschriften des 11. Jahrhunderts schon Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 28. Vgl. Berlin, Staatliche Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz – Kupferstichkabinett, Akzessionsjournal, zum 15. März 1841 (Inv. Nr. 1841-114): „Ursprünglich aus dem Kloster Abdinghof“. Ein Vorbesitzer/Verkäufer wird nicht genannt. – Dr. Michael Roth ermöglichte freundlicherweise die Einsicht in das Akzessionsjournal. Zu Kloster- und Baugeschichte vgl. Klemens Honselmann / Martin Sagebiel: Paderborn – Benediktiner, gen. Abdinghofkloster, in: Westfälisches Klosterbuch. Lexikon der vor 1815 errichteten Stifte und Klöster von ihrer Gründung bis zur Aufhebung, hg. v. Karl Hengst (Veröffentlichungen der historischen Kommission für Westfalen. Quellen und Forschungen zur Kirchengeschichte und Religionsgeschichte, Bd. 44.2), Teil 2, Münster 1994, S. 205–215. – Clemens Kosch: Paderborns mittelalterliche Kirchen. Architektur und Liturgie um 1300, Regensburg 2006, S. 28–37. – Sven Spiong: Die frühen Bauphasen der Abdinghofkirche im archäologischen Befund, in: Kat. Paderborn 2016 (wie Anm. 2), S. 134–149. Da der Stadtbrand von 1058, anders als im Dom-Pfalzbereich, keine Spuren im Grabungsbefund der Abdinghofkirche hinterlassen hat, hält es Spiong (S. 147) für „eher unwahrschein­ lich“, dass dieses Ereignis, wie von der älteren Literatur angenommen, die Aufgabe des 1031 geweihten Kirchenbaus (B) ausgelöst haben könnte. Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 113; Bd. 2, S. 30. Vgl. Ernst F. Bange: Das Abdinghofener Evangeliar im Kupferstichkabinett, in: Berliner Museen. Berichte aus den Preußischen Kunstsammlungen. Monatlich erscheinendes Beiblatt zum Jahrbuch der Preußischen Kunstsammlungen 42 (1920/21), S. 96–101, hier S. 100. – Adolph Goldschmidt: Die deutsche Buchmalerei, Bd. 2: Die ottonische Buchmalerei, Florenz 1928, S. 21 u. 75 zu Taf. 95 u. 96a.

Das Abdinghofer Evangeliar im Berliner Kupferstichkabinett  |  115

Abb. 8, 9: Abdinghofer Evangeliar. Staatliche Museen zu Berlin / Preußischer Kulturbesitz – ­ 116 | Beate Braun-Niehr

Kupferstichkabinett, 78 A 3, fol. 1v/2r: Aussendung der Apostel. Das Abdinghofer Evangeliar im Berliner Kupferstichkabinett  |  117

Abb. 10: Abdinghofer Evangeliar. Staatliche Museen zu Berlin / Preußischer Kulturbesitz – ­Kupferstichkabinett, 78 A 3, fol. 207r: Initialzierseite zum Johannes-Evangelium.

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Chronologie der gesamten ottonischen Kölner Malerschule in den vergangenen Jahren in Fluss gekommen ist.9 Es soll darum geprüft werden, ob eine äußere und innere Merkmale gleichermaßen einbeziehende Untersuchung der Handschrift neue Aufschlüsse hinsichtlich ihrer Geschichte zu Tage fördern kann.

I. Die Herkunft des Codex 78 A 3 aus Kloster Abdinghof findet ihre Begründung in einer wohl bald nach ihrer Ausstellung am 14. Juni 1270 auf der ersten leeren Seite eingetragenen Urkunde (fol. 1r, Abb. 11). Da in dem Dokument Abt Hermann I. von Abdinghof (amt. 1268–1273) als Adressat genannt wird, hatte man mit Recht geschlossen, dass sich der Band spätestens seit diesem Zeitpunkt im Kloster befunden haben müsse.10 Doch interessierte sich bisher niemand für den Inhalt des hier abschriftlich gesicherten Diploms, sodass seine Bedeutung für die Mönche der den Aposteln Petrus und Paulus geweihten Abtei unerkannt blieb. Es handelt sich um die von Abt Yvo I. (amt. 1257–1275) und dem Konvent von Cluny ausgestellte Urkunde, in der die zwischen Abdinghof und dem burgundischen Kloster vereinbarte Gebetsverbrüderung in allen Einzelheiten geregelt ­wurde.11 Dabei hält die Narratio nicht nur fest, dass Abt Hermann „de longinquo persona­ liter“ nach Cluny gekommen sei, um sein Anliegen vorzubringen, sondern es wird auch  9 Vgl. Klaus Gereon Beuckers: Geschichte, Forschungsstand und Forschungsproblematik des ­Gerresheimer Evangeliars, in: Das Gerresheimer Evangeliar. Eine spätottonische Prachthandschrift als ­Geschichtsquelle, hg. v. Klaus Gereon Beuckers und Beate Johlen-Budnik (Forschungen zu Kunst, Geschichte und Literatur des Mittelalters, Bd. 1), Köln 2016, S. 13–64, hier S. 54 f., Anm. 152. 10 Vgl. Bange 1920/21 (wie Anm. 8), S. 97 ungenau „eine Urkunde (mit Reliquienverzeichnis) des westfä­ lischen Klosters Abdinghofen“. – Heinrich Ehl: Die ottonische Kölner Buchmalerei. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der frühmittelalterlichen Kunst in Westdeutschland (Forschungen zur Kunstgeschichte Westeuropas, Bd. 4), Bonn 1922, S. 203 unkorrekt „ein Eintrag des Abtes Hermann“. – ­Wescher 1931 (wie Anm. 1), S. 5; das Ausstellungsdatum muss richtig lauten: „anno dni MoCCoLXX scriptum XVIII kl. Julii“. – Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 112 f.; Bd. 2, S. 28. 11 Vgl. Westfälisches Urkundenbuch, Bd. 4: Die Urkunden des Bisthums Paderborn vom J. 1201–1300, bearb. v. Roger Wilmans und Heinrich Finke, Münster 1877–1894, S. 593 f., Nr. 1214. – Auf der nächsten freien Seite des Evangeliars (fol. 2v) wurde von einer Hand des 14. Jahrhunderts eine Urkunde von Papst Innozenz IV. eingetragen, die dieser am 14. Mai 1245 in Lyon ausgestellt hatte und von der man in Abdinghof über Cluny Kenntnis erhalten haben könnte. Vgl. nach einer Ausfertigung für das Michaeliskloster in Lüneburg Brigide Schwarz: Regesten der in Niedersachsen und Bremen überlieferten Papsturkunden 1198–1503 (Quellen und Untersuchungen zur Geschichte Niedersachsens im Mittelalter, Bd. 15), Hannover 1993, S. 73, Nr. 296 (= Potthast: Regesta, Nr. 11663 „In generali summi“). Die Abschrift stimmt – einschließlich der Schlussnotiz: „Dominus cluniacensis a ­domino papa hoc privilegium optinuit“ – weitgehend mit dem angeführten Druck überein.

Das Abdinghofer Evangeliar im Berliner Kupferstichkabinett  |  119

die – auf die Vita Meinwerci zurückgehende – Paderborner Tradition referiert, wonach bei der Gründung des Abdinghof-Klosters „monachi Cluniacenses“ eingesetzt wurden.12 Mit dem Eintrag der Urkunde in den Evangeliencodex, der nach Ausweis von Korrekturen und Lektionszeichen bis ins 16. Jahrhundert während der Messe in Verwendung war, wurde also – dem Memoria-Gedanken folgend – beständig an die Verbindung zu Cluny erinnert.13 Der Vergleich mit dem bis heute im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen in Münster verwahrten Original zeigt, dass der Text bis auf winzige Versehen korrekt abgeschrieben wurde.14 Merkwürdigerweise spielte diese Urkunde aus Cluny keine Rolle, als sich Abt Meinwerk Kaup im Jahr 1742 an das Kloster Souvigny wandte, um Reliquien der cluniazensischen Heiligen Maiolus und Odilo zu erhalten.15 Übersehen wurde von der bisherigen Forschung, dass sich das in Köln entstandene Evangeliar 78 A 3 bereits deutlich früher als am Ende des 13. Jahrhunderts im Kloster Abdinghof befunden haben muss. Das auf einem leeren Blatt nach dem Schluss des Lukas-Evangeliums niedergeschriebene, ausführliche Verzeichnis der „in scrinio novo sancti Petri“ enthaltenen Reliquien (fol. 204r/v, Abb. 12 und 13) lässt sich nämlich eindeutig mit dem Heiltumsschatz der Abtei verbinden. Die Charakteristika der späten karolingischen Minuskel mit ‚e‘ caudata, rundem neben geradem ‚d‘ und ‚i‘-Strichen bei Doppel-‚i‘ sprechen für eine Datierung des Nachtrags in das 4. Viertel des 12. Jahrhunderts bzw. um die Wende zum 13. Jahrhundert. Auffällige Formen einiger Großbuchstaben kommen

12 Vgl. Franz Neiske: Abdinghof und Cluny. Neue Quellen zu einem alten Thema, in: Westfälische Zeitschrift 141 (1991), S. 263–305, hier S. 263 mit Anm. 2 u. S. 278. – Manfred Balzer: Die Gründung des Klosters Abdinghof in Paderborn nach den Schriftquellen, in: Kat. Paderborn 2016 (wie Anm. 2), S. 51–71, bes. S. 57 erwägt vorsichtig, „dass Bischof Meinwerk nicht nur Kenntnis von dem berühmten burgundischen Kloster hatte, sondern auch Kontakte nach dort – in welcher Form auch immer – bei der Gründung seines Klosters nutzte“. 13 Mit Berücksichtigung cluniazensischer Memorialüberlieferung Franz Neiske: Die Ordnung der Memoria. Formen necrologischer Tradition im mittelalterlichen Klosterverband, in: Institution und Charisma. Festschrift für Gert Melville zum 65. Geburtstag, hg. v. Franz J. Felten, Annette Kehnel und Stefan Weinfurter, Köln 2009, S. 127–138. – Franz Neiske: Ecclesia Cluniacensis – Ecclesia Christiana. Auswirkungen einer monastischen Reformbewegung auf Kirche und Gesellschaft des Mittelalters, in: Die Orden im Wandel Europas. Historische Episoden und ihre globalen Folgen, hg. v. Petrus Bsteh, Brigitte Proksch und Cosmas Hoffmann, Wien 2013, S. 15–45, bes. S. 27–29. 14 Edition und Faksimile der im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, Münster, Kl. Abdinghof Nr. 64, erhaltenen Originalurkunde online einsehbar unter Cartae cluniacenses electronicae Nr. 5192: https://www.uni-muenster.de/Fruehmittelalter/Projekte/Cluny/CCE/Abdinghof.php# (letzter Zugriff: 30.11.2017); siehe dort auch die von Abt Yvo I. über den Abschluss der Gebetsver­ brüderung ausgestellte Urkunde vom 16. Juni 1270 (Westfälisches Urkundenbuch 4 [wie Anm. 11], Nr. 1215) sowie die Edition der aus Abdinghof nach Cluny gesandten Bestätigungsurkunde . 15 Vgl. Neiske 1991 (wie Anm. 12), S. 278 f.

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Abb. 11: Abdinghofer Evangeliar. Staatliche Museen zu Berlin / Preußischer Kulturbesitz – ­Kupferstichkabinett, 78 A 3, fol. 1r: Abschrift der Verbrüderungsurkunde zwischen Cluny und dem Abdinghof-Kloster (bald nach 1270).

Das Abdinghofer Evangeliar im Berliner Kupferstichkabinett  |  121

Abb. 12: Abdinghofer Evangeliar. Staatliche Museen zu Berlin / Preußischer Kulturbesitz – ­Kupferstichkabinett, 78 A 3, fol. 204r: Reliquienverzeichnis (4. Viertel 12. Jh.).

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Abb. 13: Abdinghofer Evangeliar. Staatliche Museen zu Berlin / Preußischer Kulturbesitz – ­Kupferstichkabinett, 78 A 3, fol. 204v: Reliquienverzeichnis (4. Viertel 12. Jh.).

Das Abdinghofer Evangeliar im Berliner Kupferstichkabinett  |  123

schon in einem Kalenderfragment des 12. Jahrhunderts aus Abdinghof vor.16 Während mit der Nennung des unter den heiligen Bischöfen und Bekennern gelisteten „Heriberti Colonie archiepiscopi“ (fol. 204v, Zeile 13 v.u.) kein absolut sicherer Terminus post quem für das Reliquienverzeichnis gewonnen ist,17 liefert der Eintrag „s. Heinrici imperatoris“ (fol. 204v, Zeile 11 v.u.) einen verlässlichen Anhaltspunkt, da er die 1146 erfolgte Kanonisierung Heinrichs II. voraussetzt. Ihm fühlte man sich im Kloster verbunden, war doch am 2. Januar 1023 in Anwesenheit des Kaisers, nach Einsturz der Chorgewölbe wohl des Westchors des unter Meinwerk errichteten Neubaus, die Ostkrypta der Klosterkirche mit dem Stephanusaltar geweiht worden. Überreste „de sanguine et de capite“ des Protomärtyrers werden – analog zur Abfolge der Heiligenstände in der Allerheiligenlitanei – unmittelbar nach den Apostelreliquien aufgeführt (fol. 204r, Zeile 10/9 v.u.).18 Ein „dens s. Felicis martyris“ und Partikel „de corpore eius“ (fol. 204r, Zeile 2 v.u.) sind mit den in der Weihenachricht von 1031 erwähnten Reliquien des Felix von Aquileia zu verbinden, die zunächst – so die Hypothese von Clemens Kosch – in einer Confessio-Nische der westlichen Querwand der Ostkrypta verwahrt worden sein könnten.19 Neben Landolinus, Modoaldus und Auctor, auf die noch einzugehen ist, lassen mehrere regional bedeutsame Heilige das weite geistliche Beziehungsnetz des Abdinghof-Klosters sichtbar werden: unter anderem Liborius für Paderborn, Meinolfus für Böddeken, Liutger für Werden, Crispin und Crispinian für Osnabrück, Pusinna für Herford,20 Liuttrudis für 16 ,A‘ ohne Querstrich, ,E‘ mit kleinem Köpfchen wie bei ,e‘, ,G‘ zusammengesetzt aus ,C‘ und umgedrehtem ,c‘, ,V‘ mit unter die Linie gezogener rechter Haste, Punkt über dem ,Y‘. Vgl. Elmar Hochholzer: Zu einem Kalender aus dem Paderborner Kloster Abdinghof (12. Jahrhundert), in: Westfälische Zeitschrift 156 (2006), S. 151–164 mit Abb. 1 f. 17 Zwar wurden die Gebeine Heriberts erst 1147 feierlich erhoben, doch hat man schon 1065 anlässlich der Weihe von St. Maria im Kapitol Reliquien des Heiligen in den nördlichen Kryptenaltar gelegt. Vgl. Hans-Joachim Kracht / Jakob Torsy: Reliquiarum Coloniense (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 34), Siegburg 2003, S. 281 f. mit Anm. 7. 18 Zum Stephanusaltar gehörte ursprünglich auch ein von Bischof Meinwerk gestifteter, silberner Kelch. Vgl. Manfred Balzer: Schriftzeugnisse über die Ausstattung von Kirchen des Bistums Paderborn im 11. und frühen 12. Jahrhundert, in: Schatzkunst am Aufgang der Romanik. Der Paderborner DomTragaltar und sein Umkreis, hg. v. Christoph Stiegemann und Hiltrud Westermann-Angerhausen, München 2006, S. 41–64, hier S. 51. 19 Kosch 2006 (wie Anm. 6), S. 32. – Vgl. Balzer 2006 (wie Anm. 18), S. 56 und Balzer 2016 (wie Anm. 12), S. 59, jeweils mit Hinweis auf den berühmten Tragaltar aus Kloster Abdinghof, auf dessen einer Schmalseite das Martyrium des hl. Felix dargestellt ist. Vgl. Kat. Paderborn 2006 (wie Anm. 1), Kat. Nr. 508 (Michael Peter). 20 Vgl. Hedwig Röckelein: Reliquientranslationen nach Sachsen im 9. Jahrhundert. Über Kommunikation, Mobilität und Öffentlichkeit im Frühmittelalter (Beihefte der Francia, Bd. 48), Stuttgart 2002, S. 61–66 u. 190–214. – Katrinette Bodarwé: Pusinna. Ein Spiegel jungfräulichen Lebens, in: Heiliges Westfalen. Heilige, Reliquien, Wallfahrt und Wunder im Mittelalter, hg. v. Gabriela Signori (Religion in der Geschichte. Kirche, Kultur und Gesellschaft, Bd. 11), Bielefeld 2003, S. 32–44.

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Corvey,21 die Cantiani, Godehard und Epiphanius für Hildesheim, die Erzbischöfe Rimbert, Ansgar und Willehad für Bremen,22 die beiden Ewalde und weitere Kölner Heilige für die Domstadt am Rhein. Eine eigene Gruppe bilden die Reliquien der Trierer Heiligen Maximin („de stola ac de pallio eius“), Auctor und Modoaldus (fol. 204v, Zeile 14/15/17 v.o.), deren Übertragung unter Abt Thietmar II. (amt. 1080/81– vor 1115/22) von Helmarshausen nach Abdinghof vollzogen worden war.23 Seine Urkunde, welche diese Schenkung an Abt Gumbert (amt. 1093–1114) und den Paderborner Konvent dokumentiert, wurde in einem gleichfalls aus Abdinghof überlieferten Evangeliar, heute in Kassel, zeitnah im 12. Jahrhundert abgeschrieben.24 In dieselbe Handschrift fand auch eine Weihenotiz zum Jahr 1112 mit dem Reliquienverzeichnis „in altari s. Mariae sub turri“ (also im Westchor der Klosterkirche) Eingang, wo wiederum Modoaldus- und Auctor-Reliquien aufgeführt sind.25 Eventuell noch bestehende Zweifel hinsichtlich der Verortung des neuen Petrus-Schreins mag die Gegenüberstellung mit dem ebenfalls in die Kasseler Handschrift eingetragenen Reliquienverzeichnis der „capella s. Jacobi“ ausräumen: Hier folgen zum einen die Namen Crispin und Crispinian sowie Marcus und Marcellianus unmittelbar aufeinander, die im Berliner Evangeliar nur durch drei andere Namen voneinander getrennt werden (fol. 204v, Zeile 7/8 v.o.).26 In beiden Quellen bemerkenswert ist zudem der hl. Landolinus (von Cambrai bzw. Crespin), dessen Reliquien angeblich zusammen mit jenen des hl. Liborius nach Westfalen übertragen wurden. Neben der Gottesmutter war Landolinus Patron des zu Beginn des 12. Jahrhunderts gegründeten, nur wenige Jahre existierenden Klosters Boke (Ortsteil von Delbrück). Bei dessen Verlegung nach Flechtdorf in Nordhessen soll der aus Kloster Abdinghof kommende Gründungs-

21 Vgl. Röckelein 2002 (wie Anm. 20), S. 214–224. – Hochholzer 2006 (wie Anm. 16), S. 155 u. 161 (zum 22. September). 22 Vgl. Balzer 2006 (wie Anm. 18), S. 53/56 mit Abb. 3 zu den um 1120 durch den damaligen Leiter der Bremer Domschule Vizelin nach Abdinghof geschenkten Reliquien. 23 Zu den Amtsdaten Thietmars II. vgl. Klaus Nass: Der Auctorkult in Braunschweig und seine Vorläufer im früheren Mittelalter, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 62 (1990), S. 153– 207, bes. S. 161 mit Anm. 38, S. 161 f. u. 164 f. zur Transferierung der Auctor-Reliquien nach Helmarshausen (1105); S. 162 f. zum Erwerb der Modoaldus-Reliquien durch das Diemelkloster (1107). 24 Kassel, UB, 2o Ms. theol. 60, fol. 80r: Konrad Wiedemann (Bearb.): Manuscripta theologica. Die Handschriften in Folio (Die Handschriften der Gesamthochschul-Bibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel, Bd. 1,1), Wiesbaden 1994, S. 85–88, hier S. 87. Nach Balzer 2006 (wie Anm. 18), S. 56 wird die Schenkung „zwischen Mai 1107 und dem Tod Gum­ berts 1114 zu datieren“ sein. Die Handschrift ist online zugänglich: http://orka.bibliothek.uni-kassel. de/viewer/image/1333025557412/1/ (letzter Zugriff: 30.11.2017). 25 Kassel, UB, 2o Ms. theol. 60, fol. 53r: Wiedemann 1994 (wie Anm. 24), S. 87. 26 Kassel, UB, 2o Ms. theol. 60, fol. 80r (im Anschluss an die Thietmar-Urkunde, jedoch von anderer Hand).

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konvent die Reliquien des Heiligen bis auf einen in Boke zurückgelassenen Arm mitgenommen haben.27 Der mehrfach zum Vergleich herangezogene Kasseler Codex ist ein in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts im Umkreis von Corvey entstandenes Evangelienbuch, dem man das Fragment eines etwas jüngeren Evangelistars angefügt hat. Der kostbare Einband des 15. Jahrhunderts umschließt in der Mitte des Vorderdeckels ein byzantinisches Elfenbein aus dem 10. Jahrhundert.28 Ins Abdinghof-Kloster dürfte die Handschrift bereits unter Bischof Meinwerk von Paderborn (amt. 1009–1036) gekommen sein, worauf ein „zeitgenössischer Eintrag“ mit dem Schatzverzeichnis aus seiner Amtszeit hindeutet.29 Eine Notiz auf dem Verso des alten Spiegel- oder Vorsatzblatts verrät, dass das Evangeliar bereits 1773 durch Rudolf Erich Raspe in die Bibliothek der hessischen Landgrafen gelangte, in deren Diensten er damals als Kustos der Antiquitäten im „Kunsthaus“ stand.30 Direkt neben dem Provenienzvermerk ist ein großes ,B‘ zu entdecken, dessen Bedeutung sich erschließt, wenn man das Berliner Evangeliar aufschlägt. An identischer Stelle, am oberen Rand des Spiegelblattes, steht dort ein großes ,A‘, so dass es sich bei diesen wahrscheinlich im frühen 16. Jahrhundert eingetragenen Buchstaben um Abdinghofer Sakristei- oder Schatz-Signaturen handeln dürfte.31 Die bisher untersuchten Spuren zur Geschichte des Evangeliars 78 A 3 erlauben Rückschlüsse auf seine Provenienz nur bei genauer Lektüre oder durch sorgsame Analyse. Nicht mehr auf den ersten Blick zu erkennen ist auch der einstmals offensichtliche Hinweis auf den Vorbesitzer. Denn der Name Abdinghof, der früher in vergoldeter Kapitalis auf dem mit Rollen- und Einzelstempeln verzierten, braunen Einbandleder des Hinterdeckels prangte, wurde ganz bewusst getilgt (Abb. 14). Durch die charakteristische Rolle mit den 27 Vgl. Klemens Honselmann: Reliquientranslationen nach Sachsen, in: Das erste Jahrtausend. Kultur und Kunst im werdenden Abendland an Rhein und Ruhr, Textband 1, hg. v. Victor H. Elbern, Düsseldorf 1962, S. 159–193, hier S. 163 u. 180–183. – Aloys Schwersmann: Flechtdorf, in: Die benediktinischen Mönchs- und Nonnenklöster in Hessen, bearb. v. Friedhelm Jürgensmeier und Franziskus Büll (Germania Benedictina, Bd. 7), St. Ottilien 2004, S. 189–207. 28 Kassel, UB, 2o Ms. theol. 60: Wiedemann 1994 (wie Anm. 24).  – Rudolf Alexander Schütte /  Konrad Wiedemann (Bearb.): Einbandkunst vom Frühmittelalter bis zum Jugendstil. Aus den Bibliotheken in Kassel und Arolsen (Schriften der Universitätsbibliothek Kassel, Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel, Bd. 5), Kassel 2002, S. 21, Nr. 5. 29 Kassel, UB, Ms. 2o Ms. theol. 60, fol. 1v. – Vgl. Mittelalterliche Schatzverzeichnisse, 1. Teil: Von der Zeit Karls des Großen bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, bearb. v. Bernhard Bischoff (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München, Bd. 4), München 1967, S. 69 f., Nr. 62a (Zitat S. 69). – Vgl. auch Balzer 2006 (wie Anm. 18), S. 50–53. 30 Kassel, UB, Ms. 2o Ms. theol. 60, fol. *1v. – Vgl. Andrea Linnebach: Das Museum der Aufklärung und sein Publikum. Kunsthaus und Museum Fridericianum in Kassel im Kontext des historischen Besucherbuches (1769–1796) (Kasseler Beiträge zur Geschichte und Landeskunde, Bd. 3), Kassel 2014, S. 26 f. 31 Zu prüfen wäre, ob weitere aus Abdinghof überlieferte liturgische Bücher analoge Signaturen aufweisen.

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Abb. 14: Abdinghofer Evangeliar. Staatliche Museen zu Berlin / Preußischer Kulturbesitz – ­Kupferstichkabinett, 78 A 3: Einband des Hinterdeckels aus der Werkstatt des Paderborner Buchbinders Matthias Dorbecker.

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Abb. 15: Einband des Buchbinders Matthias Dorbecker, Paderborn 1612. Erzbischöfliche Akademische Bibliothek Paderborn, I 365.

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Tugenden Fides, Spes, Pacientia und Iustitia kann die Arbeit dem Paderborner Buch­ binder Matthias Dorbecker zugeschrieben werden. Seine Werkstatt muss nach datierten Einbänden zu urteilen „zumindest in der Zeit von 1591 bis 1613 in Betrieb“ gewesen sein (Abb. 15).32 Möglicherweise hat der bibliophile Abt Jodocus Rose (amt. 1582–1598) die Einbandreparatur veranlasst. Während dessen Abbatiat war der dem Vorderdeckel ­auf­geprägte Besitzvermerk üblich.33 Da Dorbecker beim Evangeliar des Kupferstichkabinetts von diesem Usus abweichend den Klosternamen auf den Hinterdeckel gesetzt hat, wird – so darf man schließen – der vordere, wahrscheinlich künstlerisch gestaltete Einbanddeckel zum Zeitpunkt der buchbinderischen Maßnahme noch intakt gewesen sein. Heute überrascht der Codex mit einer aufwendigen Goldschmiedearbeit des 19. Jahrhunderts über dem wohl originalen Holzbrett des Vorderdeckels.34 Dessen etwa 9 mm dicke Kanten schützt ein umlaufendes, für die sieben Bünde am Rücken ausgeschnittenes Beschlagblech mit einer geprägten vegetabilen Ranke, die stilistisch von den übrigen streng geometrischen Zierstreifen abweicht, mithin vielleicht auf einen älteren Zustand verweist. Es drängt sich also die Frage auf, ob sich der bisher unbekannte Goldschmied, der den jetzigen Einbandschmuck geschaffen hat, eventuell an Überresten und Nagelspuren orientieren konnte, die vom ursprünglichen – mutmaßlich während oder bald nach der Säkularisierung 1803 beraubten – Vorderdeckelbeschlag noch zu sehen waren. Die von einem steinbesetzten Rahmen umzogene Platte, um deren Zentrum mit einem dem Maler „OBrien“ zugeschriebenen Christus-Salvator-Medaillon sich „vier kleine Engel mit Banderolen als Repräsentanten der Evangelisten“ anordnen, wurde in ihrer heutigen Form bereits von der Inventarnotiz für den Codex im Akzessionsjournal des Kupferstich­ kabinetts dokumentiert, wenn auch fälschlich ins 15. Jahrhundert datiert.35 Deshalb führt die von Bloch / Schnitzler formulierte Annahme, die „vorzügliche Goldschmiedearbeit“ sei „wohl nach der Erwerbung des Codex 1841 in Berlin“ entstanden, in die Irre. Zu erwägen ist vielmehr eine Entstehung des Prachteinbands im Rheinland der späten 1830er Jahre, da Franz Obrien im ersten Halbjahr 1834 noch als Schüler der Königlichen

32 Hermann-Josef Schmalor: Die Abdinghofer Bibliothek unter Abt Leonhard Ruben und das Paderborner Buchgewerbe um 1600, in: Westfälische Zeitschrift 129 (1979), S. 193–245, hier S. 227 f., Zitat S. 228. – Vgl. auch Matthias Hartig u. a.: Die Inkunabeln in der Erzbischöflichen Akademischen Bibliothek Paderborn, Wiesbaden 1993, S. 44 f.; S. 323, Nr. 617 zur Inkunabel I 365. 33 Vgl. Schmalor 1979 (wie Anm. 32), S. 198, 217 u. 227. – Unter Roses Nachfolger, Abt Leonhard Ruben (amt. 1598–1609), fehlt die Besitzangabe auf dem vorderen Buchdeckel (S. 217). 34 Vgl. Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 110 (hier auch die beiden im Folgenden angeführten Zitate) mit Taf. 503. – Sehr herzlich möchte ich der Restauratorin Hanka Gerhold, Dr. Frauke Steenbock, Lothar Lambacher und Dr. Dorothee Kemper dafür danken, dass sie mit mir Probleme bei der Beurteilung des Einbandes erörtert haben. 35 Vgl. Anm. 5.

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Kunstaka­demie in Düsseldorf bezeugt ist.36 Durchaus zutreffend haben Bloch / Schnitzler jedoch für den „kreuzförmige[n] Aufbau“ auf das „Vorbild des Trierer Buchdeckels des Rogerus von Helmarshausen“ hingewiesen.37 Mit aller Vorsicht sei darum vermutet, dass das Abdinghofer Evangeliar ehemals einen dem Roger-Einband vergleichbaren Schmuck getragen haben könnte, was wegen der Beziehung zwischen Paderborn und dem Diemel-Kloster nicht völlig ausgeschlossen erscheint. Hypothese müssen auch Überlegungen zum Weg der Evangelienhandschrift von Köln nach Paderborn bleiben: Bekanntlich legten 1107 Abt Thietmar II. von Helmarshausen und seine beiden Begleiter mit den Trierer Modoaldus-Reliquien im Kölner Kloster St. Pantaleon Station ein, wo „man sich schon vier Tage zuvor mit feierlichen Gebeten auf den ‚adventus sanctorum‘ eingestimmt“ hatte.38 Sollte das Evangeliar, das damals – wie noch zu zeigen sein wird – Eigentum einer Kölner Kirche gewesen sein dürfte, als Gastgeschenk in den Besitz der Helmarshausener Mönche gelangt sein, könnte der Codex bereits am übernächsten Etappenziel des Translationszuges in Paderborn während der von Abt Gumbert geleiteten Feierlichkeiten an das Kloster Abdinghof übergeben worden sein. Denkbar wäre auch, dass Thietmar II. das Evangeliar seinem Mitbruder aus Corveyer Zeiten erst anlässlich der oben erwähnten Übertragung von Trierer Reliquien schenkte. Im Schatzverzeichnis aus Abt Gumberts Amtszeit würde sich der Codex dann hinter einem der drei Evangeliare oder der vier Plenare verbergen, wenn hier der Ausdruck plenaria für Evangelienbücher mit kostbaren Einbänden verwendet wurde.39

II. Waren bisher für die Zuordnung der Handschrift 78 A 3 des Kupferstichkabinetts zur ottonischen Kölner Malerschule stilistische und ikonographische Aspekte ausschlaggebend, so hat zuletzt Hartmut Hoffmann durch seine Beobachtungen zur Kölner Schrift36 Vgl. Atanazy [Athanasius] Raczyński: Geschichte der neueren deutschen Kunst, Bd. 1: Düsseldorf und das Rheinland, Berlin 1836, S. 116 (im Fach Bildnis). 37 Zum Trierer Buchdeckel vgl. Franz Ronig: Der Prachteinband eines Helmarshausener Evangeliars im Trierer Domschatz, in: Stiegemann / Westermann-Angerhausen 2006 (wie Anm. 18), S. 123–133. 38 Eckhard Freise: Roger von Helmarshausen in seiner monastischen Umwelt, in: Frühmittelalterliche Studien 15 (1981), S. 180–293, hier S. 272. 39 Kassel, UB, Ms. 2o Ms. theol. 60, fol. 2r. Vgl. Bischoff 1967 (wie Anm. 29), S. 71 f., Nr. 63. – Balzer 2006 (wie Anm. 18), S. 51 f. – Zur Mehrdeutigkeit des Begriffs Plenar vgl. Beate Braun-Niehr: Das Buch im Schatz. Im Dienst von Liturgie, Heiligenverehrung und Memoria, in: ... das Heilige sichtbar machen, Domschätze in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, hg. v. Ulrike Wendland (Veröffentlichungen des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt. Arbeitsberichte, Bd. 9), Regensburg 2010, S. 121–136, hier S. 127 f. mit Anm. 27 zu kostbar gebundenen Hildesheimer Evangeliaren.

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entwicklung für die am Codex beteiligten Schreiberhände Werkstattzusammenhänge mit den übrigen Manuskripten der ‚Strengen Gruppe‘ aufgezeigt, die er „ins zweite Viertel, allenfalls ins zweite Drittel des 11. Jahrhunderts“ setzt.40 Es fällt auf, dass die Haupthand A mit weiteren Schreibern zusammengearbeitet hat, denen im Markus-Evangelium etwas mehr als die erste Lage (Hand C), im Lukas-Evangelium die ersten drei Lagen (Hand E) und die sechs Lagen des Johannes-Evangeliums (Hand F) anvertraut wurden. Hand H war schließlich für die beiden Lagen des Capitulare evangeliorum verantwortlich.41 Die Haupthand hat außerdem auf dem Verso der Initialzierseiten die ersten Sätze des zweiten bis vierten Evangeliums geschrieben, während die übrigen Kräfte ihre Anteile mit einer neuen Lage beginnen.42 Man wird also von einem größeren Skriptorium auszugehen haben, in dem die Koordination der Herstellungsschritte einem verantwortlichen Leiter oblag. Trotz des in den Miniaturen deutlich werdenden Anspruchs kam beim Berliner Codex auch Kalbspergament geringerer Qualität zum Einsatz.43 Dafür finden sich ebenso Parallelen in anderen Werkstätten der Zeit wie für Unregelmäßigkeiten in der Lagenstruktur. Abweichungen von der ‚Normallage‘ aus vier Bifolien bzw. aus drei Doppelblättern plus zwei Einzelblättern begegnen typischerweise bei den Kanontafeln und den Bild- und

40 Hartmut Hoffmann: Schreibschulen und Buchmalerei. Handschriften und Texte des 9.–11. Jahrhunderts (Monumenta Germaniae Historica, Schriften, Bd. 65), Hannover 2012, S. 184–192, bes. S. 191 (Zitat), S. 188 f. speziell zu Berlin, 78 A 3 u. London, Harley MS 2820 mit Abb. 82–85. Den Schreiberhänden B, D und G weist Hoffmann nur wenige Zeilen oder Seiten zu. 41 Dass die Schreiber nicht nur an Buchstabenvarianten zu unterscheiden sind, sondern auch charakteristische Besonderheiten hinsichtlich des Layouts pflegten, sollte bei künftigen Untersuchungen berücksichtigt werden. Vielleicht lassen sich damit Aufschlüsse zum Nebeneinander älterer und jüngerer Kräfte in der Werkstatt gewinnen. 42 Da das Vorwort des Lukas-Evangeliums (Lk 1,1–4) im Anschluss an das „Quoniam quidem“ der Zierseite nicht ausgereicht hätte, um den Schriftspiegel zu füllen, wurde der Text so verteilt, dass jede zweite Zeile frei bleibt (fol. 131v). Analog gelöst ist dies in den Evangeliaren Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. bibl. fol. 21, fol. 102v (Bloch / Schnitzler 1967/70 [wie Anm. 1], Bd. 1, S. 94–99, Nr. XIV) bzw. London, British Library, Harley MS 2820, fol. 121v (Bloch / Schnitzler 1967/70 [wie Anm. 1], S. 106–110, Nr. XVIII); in diesen beiden Handschriften beginnt Vers 5 „Fuit in diebus [...]“ mit einer großen Initiale (fol. 103r bzw. 122r). Online zugänglich: http://digital. wlb-stuttgart.de/purl/bsz366773275 (für Stuttgart) (letzter Zugriff: 30.11.2017) sowie http://www. bl.uk/manuscripts/FullDisplay.aspx?ref=Harley_MS_2820 (für London) (letzter Zugriff: 30.11.2017). 43 Häufiger hat man Tierhäute von nicht ausreichender Größe verwendet, sodass die daraus zugeschnittenen Blätter an den unteren Kanten zu klein sind. Auf fol. 265v blieben neben einem Loch am unteren Rand sogar Tierhaare stehen. Vgl. Frank M. Bischoff: Pergamentdicke und Lagenordnung. Beobachtungen zur Herstellungstechnik Helmarshausener Evangeliare des 11. und 12. Jahrhunderts, in: Pergament. Geschichte, Struktur, Restaurierung, Herstellung, hg. v. Peter Rück (Historische Hilfswissenschaften, Bd. 2), Sigmaringen 1991, S. 97–144, bes. S. 132 f.

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Zierseiten-Sequenzen, deren auf die Anzahl der Miniaturen abgestimmte Hefte aus Bifolien und Einzelblättern eigens in den Lagenverbund inseriert wurden.44 Fragt man nach dem Verhältnis, in dem das Berliner Evangeliar und seine Schwesterhandschrift, Harley MS 2820 der British Library, zueinander stehen, helfen die Tituliverse zu den einzelnen Evangelistenbildern nicht weiter. Mit Peter Christian Jacobsen ist nämlich davon auszugehen, dass „die Redaktoren der Handschriften III, X und XVIII/XIX jeweils unabhängig voneinander dieselbe Textvorlage benutzten“.45 So dürfte das Versehen des Berliner Codex „simnis/nista“ im Titulus zum Johannes-Evangelium (fol. 205v) ein Abschreibfehler sein. Das Londoner Evangeliar hat die korrekte Form „simnista“ (fol. 190v). Wie die Entwicklung zu denken ist, lassen die aus dem Vergleich der Evangelistendarstellungen der ‚Strengen Gruppe‘ gewonnenen Beobachtungen von Bloch / Schnitzler erkennen. Während sich der Stuttgarter Cod. bibl. fol. 21 noch relativ eng an das zu postulierende Vorbild des Gregormeisters anlehnt,46 führen die graduellen Veränderungen zahlreicher Details in den Miniaturen von London und Berlin zu „einer zunehmenden

44 Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), S. 110, unterscheiden echte Quaternionen und zusammengesetzte Lagen zu acht Blättern nicht. Folglich ist die Lagenformel zu korrigieren: I2 + III8 + II12 + III18 + 2 IV34 + (II+4)42 + (III+2)50 + 2 IV66 + (III+2)74 + (V+1)85 + (I+1)88 + 2 (III+2)104 + 3 IV128 + (I+1)131 + 4 IV163 + 3 (III+2)187 + 2 IV203 + (I+2)207 + 3 IV231 + (III+2)239 + IV247 + III253 + 2 IV269. – Vgl. Frank M. Bischoff: Systematische Lagenbrüche. Kodikologische Untersuchungen zur Herstellung und zum Aufbau mittelalterlicher Evangeliare, in: Rationalisierung der Buchherstellung im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, hg. v. Peter Rück und Martin Boghardt (Elementa diplomatica, Bd. 2), Marburg 1994, S. 83–110, bes. S. 86–92 u. S. 100, Nr. 8 (= Berlin, Kupferstichkabinett, 78 A 3). 45 Peter Christian Jacobsen: Lateinische Dichtung in Köln im 10. und 11. Jahrhundert, in: Kaiserin Theophanu. Begegnung des Ostens und Westens um die Wende des ersten Jahrtausends. Gedenkschrift des Kölner Schnütgen-Museums zum 1000. Todesjahr der Kaiserin, hg. v. Anton von Euw und Peter Schreiner, 2 Bde., Köln 1991, Bd. 1, S. 173–189, hier S. 179 (Nr. XIX – Berlin – irrtümlich dem Schnütgen-Museum zugewiesen und zu spät datiert), S. 182 (Zitat), Edition: S. 187–189 (Nr. 13, 16, 19 u. 22). – Vgl. aber Zimelien. Abendländische Handschriften des Mittelalters aus den Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Berlin. Ausst. Kat. Staatliche Museen Berlin-Dahlem, Wiesbaden 1975, Kat. Nr. 38 (Hanns Swarzenski). Er ging davon aus, die Verse würden wie die bildliche Ausstattung des Berliner Codex „genau kopiert in einem zeitgenössischen Kölner Evangeliar (London, Harley 2820) wiederkehren“. – Für die Reihenfolge Berlin – London plädiert, gestützt auf Swarzenski, auch Ulrich Kuder: Der Hitda-Codex im Zusammenhang der Kölner Buchmalerei des 10. und 11. Jahrhunderts, in: Äbtissin Hitda und der Hitda-Codex (Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, Hs. 1640). Forschungen zu einem Hauptwerk der ottonischen Kölner Buchmalerei, hg. v. Klaus Gereon Beuckers, Darmstadt 2013, S. 89–111, hier S. 109–111. – Klemm 2006 (wie Anm. 1) hat sich vorsichtiger „für parallele Anfertigung“ ausgesprochen. 46 Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. bibl. fol. 21.  – Vgl. Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 125 f. – Peter Burkhart: Die vorromanischen Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart (Katalog der illuminierten Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Bd. 1), Wiesbaden 2016, S. 69–72, Nr. 48.

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Verflächigung und Vereinheitlichung“.47 Dass das Abdinghofer Evangeliar den Endpunkt markiert, bestätigt – an Bloch / Schnitzler anknüpfend – der Blick auf das Buch des Matthäus (fol. 16r, Abb. 16). Hier werden „die beiden Seiten mit ihren beschatteten Hälften [...] gegeneinander abgesetzt“. Allein die Volute an der oberen rechten Blattecke verrät, dass der Ursprung für dieses Attribut beim Johannes des Wiener Krönungsevangeliars zu suchen ist, der mit der Linken die eingerollten Enden eines Rotulus umfasst. Im Stuttgarter Evangeliar scheint die Vorstellung von einer Buchrolle in der Hand des Matthäus zumindest rudimentär bewahrt, während der Londoner Matthäus ein querformatiges Blatt mit umgeschlagener Kante und angesetzten Ziervoluten hält. Zum aufgeschlagenen Codex des Berliner Evangelisten war es dann nur noch ein kleiner Schritt.48 Angesichts der großen Nähe der beiden Evangeliare in London und Berlin verwundert, dass das Capitulare evangeliorum im Harley MS 2820 zweispaltig (fol. 237r–248r), im Evangeliar 78 A 3 dagegen in Langzeilen geschrieben wurde (fol. 254r–269v).49 Bezüglich der Heiligenfeste stimmen die Perikopenverzeichnisse weitgehend überein; die in den Kalendarien der drei Sakramentare der ottonischen Kölner Malerschule übliche Schreibung „Apollonaris“ (22. Juli) begegnet sowohl in London (fol. 242v, 2. Spalte) wie in Berlin (fol. 261r).50 Mauritius, Remigius und Gereon, von deren „Hervorhebung“ im Londoner Manuskript Bloch / Schnitzler irrtümlich ausgehen (fol. 244r),51 sind mit denselben Perikopen auch im Berliner Codex aufgeführt (fol. 263r). Nur im Evangeliar 78 A 3 hat man mit Severin (fol. 263v, Abb. 17) und Kunibert (fol. 264r) zwei deutlich signifi­kantere Feste berücksichtigt (23. Oktober bzw. 12. November).52 Dabei wird der heilige Severin in ganz besonderer Weise ausgezeichnet: Sein Name erhält das Epitheton „sanctissimi“, das 47 Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 139–141, dieses und das folgende Zitat S. 140. 48 Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 2, Abb. 497 (Wien, Kunsthistorisches Museum, Weltliche Schatzkammer, Inv.-Nr. XIII 18, fol. 178v), 499 (Stuttgart [wie Anm. 42], fol. 19r), 548 (London [wie Anm. 42], fol. 14r) u. 552 (Berlin, 78 A 3, fol. 16r). 49 Vgl. Theodor Klauser: Das römische Capitulare evangeliorum, Bd. 1 Typen, 2. Aufl. Münster 1972, S. XXXIX, Nr. 23 (Berlin), S. LI, Nr. 169 (London) ohne nähere Analyse erwähnt. 50 Vgl. in den Kalenderübersichten Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 124. – Die Schreibung „Apollonaris“ ist schon in den frühen Capitulare-Typen Π, ∑ und ∆ belegt. Vgl. Klauser 1972 (wie Anm. 49), S. 1, 94 u. 132. 51 Bloch / Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 110. 52 Bange 1920/21 (wie Anm. 8), S. 97 folgend hatte Wescher 1931 (wie Anm. 1), S. 5 für Codex 78 A 3 lediglich „die Kölner Heiligen Gereon, Bartholomäus, Cosmas und Damian“ angeführt. Für die drei Letztgenannten ist dies wenig aussagekräftig, weil sie zum Grundbestand der Capitularien gehören. Dagegen hatte Ehl 1922 (wie Anm. 10), S. 203 außer Mauritius, Remigius und Gereon auch Severin benannt, was aber in Vergessenheit geriet. – Zur Bedeutung von Severin und Kunibert für die Kölner Sakraltopographie vgl. Bernd Päffgen: Der hl. Severin im Spiegel der frühen historischen Überlieferung, in: Der hl. Severin von Köln. Verehrung und Legende. Befunde und Forschungen zur Schreinsöffnung von 1999, hg. v. Joachim Oepen u. a. (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 40), Siegburg 2011, S. 441–534, hier S. 484 f. u. 508 f.

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Abb. 16: Abdinghofer Evangeliar. Staatliche Museen zu Berlin / Preußischer Kulturbesitz – Kupferstichkabinett, 78 A 3, fol. 16r: Evangelist Matthäus.

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Abb. 17: Abdinghofer Evangeliar. Staatliche Museen zu Berlin / Preußischer Kulturbesitz – ­Kupferstichkabinett, 78 A 3, fol. 263v: Capitulare evangeliorum, Heiligenfeste vom 14. Oktober bis 1. November.

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ein weiteres Mal beim Fest Mariae Geburt Verwendung findet.53 Außerdem erscheint für den Bischof der späten Römerzeit ein in Perikopenlisten unüblicher Zusatz: „confessoris Christi“, den auch die Kölner Sakramentar-Kalendarien nicht kennen, obwohl das Fest eingetragen ist. Als Parallele ist die Güterumschreibung Erzbischof Gunthars (853, bestätigt 866) anzuführen, in der besagter Zusatz wiederum für den Patron des Stifts St. Severin gebraucht wird.54 Ebenso nennt Erzbischof Wichfried (amt. 924–953) seinen Amtsvorgänger „sanctus Christi confessor“, als er 948 ihm zu Ehren ein „oratorium“ (Chorneubau) an der Severinskirche weihte.55 Auch in der jährlich beim Stundengebet am Festtag des verehrten Bischofs verlesenen „Vita et Translatio Sancti Severini“ (entstanden um 900) wird der Terminus verwendet.56 Der anonyme, wohl aus dem Stiftsklerus stammende Autor, der mit Elativen – darunter „sanctissimus“ und „beatissimus“ – für Severin verschwenderisch umging, hat zunächst dem hl. Martin von Tours und dann dem Kölner Bischofsheiligen selbst den Ehrentitel „confessor Christi“ zugedacht.57 Da nun in der Berliner Handschrift die rot notierten Festtitel des Capitulare evangeliorum offensichtlich in fortlaufendem Wechsel mit den Angaben zum Perikopenumfang niedergeschrieben wurden,58 muss man die Rubrik „In natale sanctissimi Seuerini confessoris Christi“ als bewusst gewählte Formulierung ansehen. Deshalb kann die Übereinstimmung mit der Benennung des Stifts als „monasterium sanctissimi confessoris Christi Seuerini“ in der Urkunde Erzbischof Hermanns II. (amt. 1036–1056), die er zur Weihe des Chorneubaus an der dortigen Stiftskirche ausgestellt hat (1043/46), nicht zufällig sein.59 53 „In nativitate sanctissimae Mariae virginis“ (fol. 262v). 54 MGH DD Lo II Nr. 25: „[...], monasterium sancti Severini Christi confessoris, [...].“ – Vgl. Ingrid ­Bodsch: Kölner Kirchenpatrone und Heilige bis zur Jahrtausendwende, in: von Euw / Schreiner 1991 (wie Anm. 45), Bd. 1, S. 111–123, hier S. 112. 55 Vgl. Friedrich Wilhelm Oediger: Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter, Bd. 1: 313– 1099 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Bd. 21.1), Bonn 1954/61 (ND Düsseldorf 1978), Nr. 338. – Vgl. auch Bernd Päffgen: Grab und Schrein des hl. Severin in ihrem architektonischen Kontext vom 5. bis 13. Jahrhundert, in: Oepen u. a. 2011 (wie Anm. 52), S. 373–439, bes. S. 420–427. 56 Vgl. Päffgen 2011 (wie Anm. 52), S. 489–498 sowie Bernd Päffgen / Daniel Carlo Pangerl: Die Vita et Translatio Sancti Severini (BHL 7647/7648) in kommentierter Übersetzung, in: Oepen u. a. 2011 (wie Anm. 52), S. 543–581. 57 Päffgen / Pangerl 2011 (wie Anm. 56), S. 556 (Kap. 7), 558 (Kap. 12), 559 (Kap. 15) sowie 559 (Kap. 14): „gloriosissimi sui [id est: Christi] Confessoris Severini“. – Die „Vita“ geht von einem LehrerSchüler-Verhältnis zwischen Martin und Severin aus. Vgl. Päffgen 2011 (wie Anm. 52), S. 451 u. 464. 58 Vielfach sind Zeilenwechsel, mehrmals sogar von einer auf die nächste Seite, beim Eintrag der Rubriken zu beobachten. 59 Vgl. Oediger 1954/61 (wie Anm. 55), Nr. 801/810. – Vgl. dazu Klaus Gereon Beuckers: Die Ezzonen und ihre Stiftungen. Eine Untersuchung zur Stiftungstätigkeit im 11. Jahrhundert (Kunstgeschichte, Bd. 42), Münster 1993, S. 177–180.  – Klaus Gereon Beuckers: Der Chor des Bonner

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Folglich dürfte der Berliner Codex 78 A 3 ursprünglich für den gottesdienstlichen Gebrauch in der Severinskirche bestimmt gewesen sein. Dass er zudem bald nach Inbesitznahme des neuen Sanktuariums durch die Stiftsherren – wahrscheinlich in deren Auftrag  – geschaffen wurde, legt die großzügige, in der Weiheurkunde dokumentierte Schenkung Hermanns II. nahe. Sie sollte „zum Nutzen der Pröpste“ und „zur Verbesserung des Lebensunterhaltes und besonders der Kleidung“ des Konvents beitragen und dürfte, wie das im Kontext von Kirchweihen üblich war, auch die nötigen Mittel für einen angemessenen Ornat an liturgischem Gerät und den für Messe und Stundengebet nötigen Büchern bereitgestellt haben.60 Eine Datierung des Abdinghofer Evangeliars in die zweite Hälfte der 1040er Jahre lässt sich nicht nur problemlos mit dem von Hoffmann vertretenen zeitlichen Ansatz aus paläographischer Sicht vereinbaren. Darüber hinaus eröffnet eine Verortung der Handschrift im Kontext der Errichtung des salischen Langchores an St. Severin, der als einer der ersten dieses Bautyps gilt,61 neue Dimensionen zu ihrem Verständnis. Ihre Entstehung fällt damit in die Zeit, als bald nach der Synode von Sutri (Dezember 1046) der abgesetzte Papst Gregor VI. zusammen mit dem Mönch Hildebrand in Köln weilte und wenig später unter dem Reformpapst Leo IX. (amt. 1049–1054) die Erneuerung kanonikalen Lebens intensiviert wurde, wobei im Mittelpunkt dieser Reformbemühungen immer wieder der Rückbezug auf das Ideal der Urkirche stand.62 Hatte Klaus Gereon Beuckers für das „inhaltliche Konzept“ der salischen Langchöre der 1040/50er Jahre mit guten Gründen auf die damaligen Bestrebungen zur Neuordnung der vita communis stiftischer Gemeinschaften verwiesen und ihre architektonischen Formen „als Indiz für eine Kanonikerreform unter Erzbischof Hermann II. von Köln“ gewerMünsters und die salischen Langchöre des 11. Jahrhunderts. Zur Entstehung einer architektonischen Sonderform im Umkreis der Kanonikerreform, in: Märtyrergrab. Kirchenraum. Gottesdienst II. Interdisziplinäre Studien zum Bonner Cassiusstift, hg. v. Andreas Odenthal und Albert Gerhards (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 36), Siegburg 2008, S. 33–81, hier S. 59–64.  – Klaus Gereon Beuckers: Sakraltopographie um Grab und Schrein. Zum Ostabschluss der salischen Krypta von St. Severin in Köln, in: Kirche und Kloster, Architektur und Liturgie im Mittelalter. Festschrift für Clemens Kosch zum 65. Geburtstag, hg. v. Klaus Gereon Beuckers und Elizabeth den Hartog, Regensburg 2012, S. 31–51, hier S. 40 mit Anm. 18. 60 Hier soll der Hinweis auf die Ausstattungsstiftungen der Ezzonen genügen. Vgl. Beuckers 1993 (wie Anm. 59), S. 252–269 u. passim. 61 Vgl. Beuckers 2008 (wie Anm. 59), S. 49. 62 Vgl. Heinz Wolter: Die Synoden im Reichsgebiet und in Reichsitalien von 916 bis 1056 (Konziliengeschichte, Reihe A), Paderborn 1988, S. 379–394. – Johannes Laudage: Priesterbild und Reformpapsttum im 11. Jahrhundert (Archiv für Kulturgeschichte, Beihefte, Bd. 22), Köln 1984, S. 151– 168. – Vgl. auch Johannes Laudage: Norm und Geschichte. Mittelalterliche Kanoniker und ihre Lebensregeln, in: Frömmigkeitsformen in Mittelalter und Renaissance, hg. v. Johannes Laudage (Studia humaniora. Düsseldorfer Studien zu Mittelalter und Renaissance, Bd. 37), Düsseldorf 2004, S. 48–95, bes. S. 65–71.

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tet,63 so kann – in dieser hier lediglich angedeuteten historischen Situation – das dem Abdinghofer Evangeliar vorangesetzte Bifolium mit den beiden goldgrundigen Miniaturen Christi und der sich ihm zuwendenden zwölfköpfigen Gruppe seiner Jünger geradezu als programmatisch angesehen werden (Abb. 8 und 9). Dargestellt ist nicht der in den Evangelien vor der Himmelfahrt geschilderte Auftrag Jesu an die elf Jünger zu Mission und Taufe, für den es eine eigene ikonographische Tradition gibt.64 Vielmehr steht Christus hier überzeitlich als der Herr seiner ecclesia vor der urkirchlichen Apostelgruppe, deren Protagonisten Petrus und Paulus an ihren Kopftypen zu erkennen sind. Wurde der Codex zum Vortrag des Evangeliums bei der Messe in St. Severin benutzt, so durften die Kanoniker die dem geöffneten Codex und der Rolle eingeschriebenen Botschaften Jesu auch auf ihre Kommunität beziehen: Ihnen galt die Zusage Christi nach Joh 10,9: „Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden und er wird Weide finden.“ Und an sie, die zur vita communis in der Nachfolge der Apostel an einer Stifts- und zugleich Pfarrkirche aufgerufen waren,65 wendete sich der Herr mit seinem „Ite In Orbem Vniversvm Predi­ cate Evvangelivm Mev[m] Omni Creaturae“.66 Hält man die oben formulierte Hypothese zur Transferierung des Berliner Evangeliars 78 A 3 von Köln ins Paderborner Abdinghofkloster im Jahr 1107 für tragfähig, bleibt die Frage, warum man sich in St. Severin dazu bereitgefunden hat, der Helmarshausener Delegation, die mit den Modoaldus-Reliquien in Köln Station machte, den anspruchsvoll ausgestatteten Codex als Gastgeschenk zu überlassen.67 Ein Grund dafür könnte die Absicht gewesen sein, dem Trierer Heiligen eine Gabe zuzueignen, die an den damals hochgeschätzten, in einem kostbaren Schrein verehrten Bischofheiligen Severin erinnerte.68 Nicht zu entscheiden ist beim jetzigen Kenntnisstand, ob man sich auch deshalb von der 63 Beuckers 2008 (wie Anm. 59), S. 73–81, Zitat S. 80.  – Auch Beuckers 1993 (wie Anm. 59), S. 240–244. 64 Mt 28,16–20, Mk 16,15–18. – Vgl. Art. Apostel, in: Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 1, Freiburg im Breisgau 1968, Sp. 150–173, hier Sp. 168 (Josef Myslivec). 65 Vgl. Wilhelm Schmidt-Bleibtreu: Das Stift St. Severin in Köln (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 16), Siegburg 1982, S. 61–66. – Lucie Hagendorf-Nussbaum: Die mittelalterlichen Kölner Pfarrkirchen von den Anfängen bis zur Gegenwart. Geschichte – Architektur – Ausstattung, Bd. 2 (Colonia Romanica, Bd. 29), Köln 2014, S. 201–214. 66 „Ite in orbem universum“ ist eine schon in den Schriften des Ambrosius von Mailand und des Augustinus belegte Variante von Mk 16,15. 67 Der „Translatio s. Modoaldi“ (MGH SS, Bd. 12, S. 306) war für den Aufenthalt in Köln nur das Kloster des hl. Pantaleon einer Erwähnung wert. Die mögliche Beteiligung anderer kirchlicher Institutionen der Stadt bleibt ebenso im Dunkeln wie der weitere Weg (über Deutz?) nach Soest. 68 Vgl. Klaus Gereon Beuckers: Der Essener Marsusschrein. Untersuchungen zu einem verlorenen Hauptwerk der ottonischen Goldschmiedekunst (Quellen und Studien. Veröffentlichungen des Instituts für kirchengeschichtliche Forschung des Bistums Essen, Bd. 12), Münster 2006, S. 84–91. – Beuckers 2008 (wie Anm. 59), S. 61–63. – Päffgen 2011 (wie Anm. 55), S. 427 f.

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Handschrift trennte, weil man bereits im Besitz des sogenannten Arenberg-Evangeliars war, eines um 1000 in Canterbury entstandenen Codex mit kolorierten Federzeichnungen, und daher über mindestens gleichwertigen Ersatz verfügte.69 In St. Severin hat der Band wegen der ab dem späten 13. bis ins 17. Jahrhundert eingetragenen Eidesformeln der Stiftsdignitäre als Schwurevangeliar gedient. Ob die Handschrift bereits im 11.70 oder doch erst im frühen 12. Jahrhundert71 auf den Kontinent kam, ist nicht belegt. Eine Schenkung des Codex durch Erzbischof Hermann II. an das Stift72 erscheint – da der Berliner Codex 78 A 3 als das für den Gebrauch im neuen Chor der Severinskirche bestimmte Evangelienbuch identifiziert ist – wenig plausibel. Zu überprüfen bleiben außerdem Überlegungen, das Arenberg-Evangeliar sei zunächst im Deutzer Kloster verwahrt worden.73 Denn dass die angeblich von einem Papst Gregor ausgestellte Bulle über die Kanonisation des hl. Heribert nur in Deutz interessiert habe, folglich allein dort auf einer ursprünglich leeren Seite der angelsächsischen Handschrift (fol. 14r) nachgetragen sein könne,74 wird man angesichts der schon bald nach seinem Tod einsetzenden Verehrung nicht als Argument gelten lassen. Auch ist die von Heribert Müller vorgeschlagene ­Datierung des Nachtrags in die Mitte des 12. Jahrhunderts nach neuen Untersuchungen zu revidieren;75 denn der von ihm als paläographisch nahe verwandt angesehene Codex 69 New York, Pierpont Morgan Library, MS M. 869. – Vgl. Vor dem Jahr 1000. Abendländische Buchkunst zur Zeit der Kaiserin Theophanu. Ausst. Kat. Schnütgen-Museum, hg. v. Anton von Euw, Köln 1991, Kat. Nr. 45 (Anton von Euw). – Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen. Ausst. Kat. Dom- und Diözesanmuseum Hildesheim, hg. v. Michael Brandt und Arne Eggebrecht, Mainz 1993, Bd. 2, Kat. Nr. IV-57 (Ulrich Kuder).  – Jane Rosenthal: The Peregrinations of a Thousand-Year-Old English Gospel Book (New York, Pierpont Morgan Library, Ms. M. 869), in: Between the Picture and the Word. Manuscript Studies from the Index of Christian Art, hg. v. Colum Hourihane (Index of Christian Art. Occasional papers, Bd. 8), Princeton, N.J. 2005, S. 165–179. – Abbildungen des Buchschmucks der Handschrift und ältere „curatorial description“ online zugänglich: http://www.themorgan.org/manuscript/159161 (letzter Zugriff: 30.11.2017). 70 Vgl. Rosenthal 2005 (wie Anm. 69), S. 166–168. 71 Zu denken wäre an die Eheverhandlungen zwischen König Heinrich V. und dem englischen Hof in den Jahren 1108/09 und die Verlobung Heinrichs mit Mathilde in Utrecht zu Ostern 1110. Das in der „curatorial description“, S. 6, genannte Datum der Krönung der Braut durch Erzbischof Friedrich I. von Köln ist zu korrigieren. Das Ereignis fand am 25. Juli 1110 in Mainz statt. – Vgl. Claudia Zey: Mathilde von England, in: Die Kaiserinnen des Mittelalters, hg. v. Amalie Fößel, Regensburg 2011, S. 161–180, hier S. 162–164. 72 Dies vermutete vorsichtig Beuckers 1993 (wie Anm. 59), S. 187 f.  – Ich danke Klaus Gereon ­Beuckers sehr herzlich für den intensiven Austausch über die Fragen, die sich aus der hier vorgeschlagenen Bestimmung des Codex 78 A 3 für St. Severin ergeben, und für seine Anregungen. 73 Vgl. Heribert Müller: Zur Kanonisationsbulle für Erzbischof Heribert von Köln, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 40 (1976), S. 46–71, und ihm folgend: Rosenthal 2005 (wie Anm. 69), S. 168 f. 74 So Müller 1976 (wie Anm. 73), S. 52. – Rosenthal 2005 (wie Anm. 69), Abb. 243. 75 Vgl. Müller 1976 (wie Anm. 73), S. 54–57 u. 61. – Für eine deutlich frühere Datierung sprechen unter anderem die auffälligen ‚st‘- und ‚ct‘-Ligaturen.

Das Abdinghofer Evangeliar im Berliner Kupferstichkabinett  |  139

mit den „Gesammelten Werken“ des Lantbert von Deutz wird nun im Kernbestand noch in die Lebenszeit des Autors (verst. 1069) gesetzt.76 Damit ist der mögliche Zeitpunkt, zu dem die vermeintliche Papsturkunde Eingang in das Arenberg-Evangeliar gefunden hat, wieder offen. Zudem muss die Frage nach ihrer historischen Kontextualisierung neu gestellt werden. Wenn also künftig nach Antworten gesucht wird, sollte nicht aus dem Blick geraten, dass man im Severinsstift sehr wohl ein Interesse an Person und Wirken des hl. Heribert voraussetzen kann, mithin ein Umweg der angelsächsischen Evangelienhandschrift über Deutz nicht zwingend ist. Vor allem darf an das von Lantbert geschilderte Wunder anlässlich einer von Erzbischof Heribert (amt. 999–1021) geleiteten Bittprozession um Regen erinnert werden. Auf dem Weg, der von St. Severin nach St. Pantaleon führte, soll eine weiße Taube dort dreimal um das Haupt des künftigen Heiligen geflogen sein, wo einst der hl. Severin seine Vision der Aufnahme des hl. Martin von Tours in den Himmel erlebt hatte.77 Außerdem wurde – wie Lantbert, gestützt auf ihm vorliegende Quellen, berichtet – unter Erzbischof Pilgrim (amt. 1021–1036) zur Abwendung einer Dürreperiode der Leib des hl. Severin nach Deutz gebracht und „super sepultum Heriber­ tum“ aufgestellt.78 Folglich können die im 12. Jahrhundert auf einer weiteren freien Seite des Arenberg-Evangeliars eingetragenen Perikopen von Epistel und Evangelium der Messe an den Rogationstagen (fol. 167v) durchaus auf eine Verwendung dieser Handschrift im Severinsstift hinweisen.79

76 London, BL, Add. MS 26788. Vgl. Lantbert von Deutz, Vita Heriberti. Miracula Heriberti. Gedichte. Liturgische Texte, hg. v. Bernhard Vogel (MGH SS rer. Germ., Bd. 73), Hannover 2001, S. 40–47. – Die Abb. von zwei Seiten der Handschrift bei Heribert Müller: Die Vita sancti Heriberti des Lantbert von Lüttich, in: von Euw / Schreiner 1991 (wie Anm. 45), Bd. 1, S. 47–58, hier Abb. 3–4. 77 Vgl. Vita s. Heriberti, Lectio VIII. – Vogel 2001 (wie Anm. 76), S. 165 f. 78 Vgl. Miracula s. Heriberti, cap. 18. – Vogel 2001 (wie Anm. 76), S. 240 f. 79 Vgl. Rosenthal 2005 (wie Anm. 69), S. 169 mit Abb. 244.

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Joshua O’Driscoll

Pictorial Innovation in Ottonian Cologne The Morgan Gospels (MS M.651) and the Moment of the Reiche Gruppe

The Tyniec Sacramentary at the National Library in Warsaw and the gospel book at the Morgan Library in New York share the dubious distinction of being the only two Cologne manuscripts not personally examined by Peter Bloch or Hermann Schnitzler in preparation for their monumental reference work on book painting in Ottonian Cologne.1 Despite the disadvantage of working exclusively from the notes and photographs of other people, Bloch and Schnitzler were able to draw surprisingly perceptive conclusions about the codicology and illumination of the two manuscripts, which in turn allowed them to situate the objects reasonably well within their particular conception of the ­Cologne school. With few exceptions, however, subsequent art-historical studies of the period have marginalized, if not completely overlooked, both manuscripts. The overwhelming emphasis of recent scholarship on manuscripts from the earliest of Cologne’s three phases of Ottonian illumination, the so-called Malerische Gruppe (painterly group), is no doubt a primary reason for this oversight.2 Yet even within their respective stylistic groups – that is, the Reiche Gruppe (rich group) for the New York Gospels and the Strenge Gruppe (severe group) for the Warsaw Sacramentary – scholars have traditionally assigned the two manuscripts subordinate roles. Perhaps it is not without significance that both have closely-related sister manuscripts that have remained in Germany, and thus are more

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See Peter Bloch / Hermann Schnitzler: Die ottonische Kölner Malerschule, 2 vols., Düsseldorf 1967/70, vol. 1, p. 8. – For the Tyniec Sacramentary (Warsaw, Biblioteka Narodowa, BOZ 8), see vol. 1, pp. 100–103; for the Morgan Gospels (New York, Morgan Library & Museum, MS M.651) vol. 1, pp. 75–80. – Heinrich Ehl: Die ottonische Kölner Buchmalerei. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der frühmittelalterlichen Kunst in Westdeutschland (Forschungen zur Kunstgeschichte Westeuropas, Bd. 4), Bonn 1922, pp. 166–170. – Meta Harrsen: Central European Manuscripts in the Pierpont Morgan Library, New York 1958, no. 8, pp. 15 f. See, for example, Christoph Winterer: Das Evangeliar der Äbtissin Hitda. Eine ottonische Prachthandschrift aus Köln, Darmstadt 2010. – Klaus Gereon Beuckers (Hg.): Äbtissin Hitda und der Hitda-Codex (Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, Hs. 1640). Forschungen zu einem Hauptwerk der ottonischen Kölner Buchmalerei, Darmstadt 2013. — Joshua O’Driscoll: Image and Inscription in the Painterly Manuscripts from Ottonian Cologne, Diss. Harvard University, Cambridge Mass. 2015.

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accessible to specialists working on the material.3 As the present volume reconsiders the Tyniec Sacramentary and its broader historical context, it provides a welcome occasion to reassess the Morgan gospel book and its role in the Reiche Gruppe. After a brief consideration of the manuscript’s provenance and its late-medieval treasure binding, this essay will examine aspects of the manuscript’s production and codicology, as well as the salient visual qualities of its miniatures, in order to demonstrate how the Morgan gospel book bears witness to an important moment of artistic exchange and innovation in Cologne. Moreover, the unique circumstances of the manuscript’s production add an important dimension to our otherwise limited knowledge of workshop practice in the period.

The Provenance of the Morgan Gospels Like so many of the Cologne-School manuscripts, the provenance of the Morgan Gospels remains largely unstudied.4 Although Bloch / Schnitzler mention a connection with the collegiate church of the Holy Apostles in Cologne, the basis for their assertion is entirely circumstantial.5 The manuscript itself offers no direct indications of ownership. Moreover, it first enters the historical record only in 1826 when the famous English bibliophile Sir Thomas Phillips purchased it from the dealers Payne & Foss, who at that time were the most prominent figures in the London book trade.6 As a self-described ‚vellomaniac‘, Phillips spent the majority of his life amassing a staggering collection of over 40,000 medieval manuscripts, of which the Cologne gospel book was merely MS 3007. Toward the end of his life, 3

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For the St. Vitus Sacramentary (Freiburg, Universitätsbibliothek, Hs. 360a), see Bloch / Schnitzler 1967/70 (as note 1), pp. 103–105; for the Maria ad Gradus Gospels (Cologne, Erzbischöfliche Diö­ zesanbibliothek, Cod. 1001a), vol. 1, pp. 69–75.  – Klaus Gereon Beuckers: Das Evangeliar aus St. Maria ad Gradus. Höhepunkt der salischen Buchmalerei aus Köln. Die Handschrift Cod. 1001a der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek Köln, Luzern 2018. See Bloch / Schnitzler 1967/70 (as note 1), vol. 2, pp. 27 f. – An important exception can be found in a number of essays in Das Gerresheimer Evangeliar. Eine spätottonische Prachthandschrift als Geschichtsquelle, ed. Klaus Gereon Beuckers and Beate Johlen-Budnik (Forschungen zu Kunst, Geschichte und Literatur des Mittelalters, vol. 1), Cologne 2016. – See also Klaus Gereon Beuckers: Das Gundold-Evangeliar in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. Bemerkungen zu einem Kölner Prachtcodex des 10./11. Jahrhunderts, in: Philologia sanat. Studien für Hans-Albrecht Koch zum 70. Geburtstag, ed. Gabriella Rovagnati and Peter Sprengel, Frankfurt am Main 2016, pp. 41–65. For the medieval library of the Church of the Holy Apostles in Cologne, see Annerose Berners: St. Aposteln in Köln. Untersuchungen zur Geschichte eines mittelalterlichen Kollegiatsstifts bis ins 15. Jahrhundert, Diss. Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn 2004, pp. 22–58. Unfortunately, no record for the sale has come to light, which suggests that it was a private affair. Given the deluxe nature of the manuscript as well as Phillips’s reputation as a voracious collector, Payne & Foss may have offered him the gospel book directly before including it in one of their public sales.

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any time not spent buying books was spent worrying about what to do with them after his death. Yet, despite his best efforts, Phillips died without finding a permanent home for his manuscripts, thus he left the burden of his enormous library to his heirs, in particular his grandson, Thomas FitzRoy Fenwick, who wasted no time selling off the collection. At first, Fenwick sold large blocks of manuscripts to national institutions in Berlin, Utrecht, Brussels and Paris. In each case, however, Fenwick tried his best to withhold the most valuable illuminated manuscripts in order to sell them individually at a much higher price. Many curators and collectors tried and failed to secure these treasures. However, one in particular proved to be an exceptionally successful negotiator. Whether due to her legendary charm or sharp eye for good deals, Belle Da Costa Greene – Pierpont Morgan’s first librarian – managed to secure a number of important acquisitions from the Phillips collection, including most famously the thirteenth-century Crusader Bible (M. 638), which she purchased in 1916. When Greene made her final visit to Fenwick in 1920, two of the most important ­illuminated manuscripts remaining in the Phillips library were an early tenth-century Dioscurides and the eleventh-century Cologne Gospels. The pairing of the two manuscripts is not without significance. The celebrated Byzantine herbal was Phillips’s most expensive single purchase, which provides some indication of how highly valued the ­Cologne manuscript was at the time.7 After a tense and well-documented negotiation between Fenwick and Greene, the terms of the sale were agreed upon and the two manuscripts were sent to New York.8 The gospel book came to the Morgan Library along with a handwritten description by Fenwick, which provides the only piece of evidence for the manuscript’s history prior to its arrival in London. According to Fenwick, „the volume is said to have been taken by the French from the Church of the Apostles at Cologne and was ac­ quired by Sir Thomas Phillips in 1826“.9 However, Fenwick’s account of the provenance disagrees with information provided by Sir Thomas Phillips himself in the autograph copy of his personal catalogue of manuscripts, preserved today in the collection of the Grolier Club in New York.10 In the margins next to the printed entry on the gospel book, Phillips added a handwritten note stating that the manuscript is from the cathedral library in ­Cologne.11 Apart from this note, however, there is no evidence to support such an associ 7 See Alan Noel Latimer Munby: The Formation of the Phillips Library from 1841 to 1872 (Phillips Studies, vol. 4), Cambridge 1956, p. 80. – The Byzantine herbal is now Morgan Library, MS M.652.  8 See Alan Noel Latimer Munby: The Dispersal of the Phillips Library (Phillips Studies, vol. 5), Cambridge 1960, pp. 68–71.  9 The note is preserved in the manuscript’s object file at the Pierpont Morgan Library. 10 For an overview of extant catalogues of the Phillips collection and their annotations, see Alan Noel Latimer Munby: The Catalogues of Manuscripts & Printed Books of Sir Thomas Phillips. Their Composition and Distribution (Phillips Studies, vol. 1), Cambridge 1951, pp. 22–34. The Grolier copy is described there as no. 22. 11 The note reads „ex bibl. Cathedrali de Cologne“ (p. 34).

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ation.12 ­Although no firm conclusions can be drawn at this point, it remains likely that further archival research will shed more light on the manuscript’s provenance, perhaps even making it possible to determine its location in the later Middle Ages, when it received its sumptuous silver-gilt binding.

The Treasure Binding For bibliophiles like Thomas Phillipps or Belle Greene, the binding of the Cologne gospel book was likely the predominant source of interest in the manuscript. At first glance, it certainly makes a strong impression (Abb. 18).13 Along with its silver-gilt revetment, the binding features in its center a deeply carved ivory plaque of the Crucifixion, surrounded by four bloodstones set in a cross-like pattern. Portrait busts of the evangelists, in walrus tusk, occupy the four corners, and a round crystal, centered at the bottom, covers a devotional image of Christ with the Crown of Thorns. Closer inspection, however, reveals how crudely the various pieces were assembled. In his important catalog of early bindings at the Morgan Library, Paul Needham observed that, in its current state, the Cologne cover reflects at least four distinct phases of work, spanning several centuries.14 As a whole, the most significant intervention took place in the late fourteenth century when the revetment was added and the manuscript was resewn on five bands, as opposed to its original three. At the same time, the manuscript’s spine was rounded, its edges were gilt, and a large gold initial was added to the opening lines of Matthew’s Gospel.15 Needham distinguished two levels of quality in the metalwork, which he attributed to separate campaigns. Quite reasonably, he suggested that the finer pieces, which comprise the six small panels around the border as well as the settings for the bloodstones, were taken and refashioned from a different object – perhaps

12 The manuscript does not appear in the early histories of the cathedral library. See Josephus Hartzheim: Catalogus historicus criticus codicum manuscriptorum bibliothecae ecclesiae metropolitanae coloniensis, Cologne 1752. – Phillip Jaffé / Wilhelm Wattenbach: Ecclesiae metropolitanae coloniensis codices manuscripti, Berlin 1874. 13 For descriptions of the binding and its ivories, see Paul Needham: Twelve Centuries of Bookbindings, 400–1600, New York 1979, no. 12, pp. 46–48. – Adolph Goldschmidt: Die Elfenbeinskulpturen aus der romanischen Zeit, XI.–XIII. Jahrhundert (Denkmäler der deutschen Kunst), Berlin 1923/26, vol. 3, no. 41, p. 17, and vol. 4, no. 21, p. 13. – Because of its eclectic nature, the binding was not included in Frauke Steenbock: Der kirchliche Prachteinband im frühen Mittelalter, von den Anfängen bis zum Beginn der Gotik, Berlin 1965. 14 Needham 1979 (as note 13), p. 46. 15 Apart from this added initial and a few other textual corrections, there are no significant signs of use in the manuscript.

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Abb. 18: Gospel book. Morgan Library & Museum New York, MS M.651: front cover (11th–15th c.).

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a smaller binding.16 It remains unclear whether the ivories – by far the oldest elements of the assemblage – were added at this stage or whether they were preserved as remnants of the manuscript’s previous binding. Despite its eclectic nature, the cover compares well with the descriptions of ten such treasure bindings recorded in the inventory of St. Gereon in Cologne, which dates to 1370.17 One entry in particular provides a close parallel to the Morgan Gospels without, however, constituting an exact match. The inventory describes a book called a „concor­ dance of the gospels“, which has on its front cover an ivory plaque in which Christ is on the cross standing above a large dragon, with Maria and John below him, and the sun and the moon above. In the four corners there are ivory plaques of the evangelists and there are sheets of tooled gilt silver.18 While the binding’s overall aesthetic may indeed accurately reflect contemporary practices in Cologne, the rough and crude handling of the individual pieces suggests the involvement of inexperienced craftsmen, thus it is likely not the product of a well-established workshop.

The Morgan Gospels and the Reiche Gruppe Unlike its binding, the manuscript’s illumination is of the highest quality and clearly relates to other examples of the so-called Reiche Gruppe, one of the three main phases of Ottonian illumination in Cologne.19 Without specifically labeling or dating the three groups, Arthur Haseloff was among the first to describe their salient characteristics.20 More importantly, he attempted to attribute their disparate styles to shifting patterns of 16 Needham 1979 (as note 13), p. 48. 17 See Peter Joerres: Das Urkundenbuch des Stiftes St. Gereon zu Köln, Bonn 1893, no. 450, pp. 445– 454. 18 Joerres 1893 (as note 17), no. 106, p. 453, „alium intitulatum concordantiam evangeliorum habentem in prima parte tabulam eburneam in qua Christus stans in cruce supra draconem magnum habens sub se Mariam et Iohannem et supra se solem et lunam et in 4 angulis in tabulis eburneis 4 evangelistas et lami­ nam argenteam deauratam vermiculatam [...]“. 19 The Reiche Gruppe consists of three extant manuscripts: the Maria ad Gradus Gospels (as note 3); the Morgan Gospels (as note 1); and the Bamberg Gospels (Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. Bibl. 94). A fourth manuscript, formerly in Strasbourg, perished in 1870 (Strasbourg, Bibliothèque municipale, MS C II 22); this manuscript was copied in the Lyskirchen Gospels (the treasury of St. Georg in ­Cologne). Recently, the existence of a fifth gospel book has been posited, see Hartmut Hoffmann: Schreibschulen und Buchmalerei. Handschriften und Texte des 9.–11. Jahrhunderts (Monumenta Germaniae Historica, Schriften, Bd. 65), Hannover 2012, p. 186. 20 Arthur Haseloff: Peintures, Miniatures et Vitraux: I. Dans les Pays du Nord, in: Histoire de l’art ­depuis les Premiers Temps Chrétiens jusqu’à nos Jours, vol. 1: De Débuts de l’Art Chrétien à la Fin de la Période Romane, ed. André Michel, Paris 1905, part 2, pp. 711–755, esp. p. 730.

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influence. Thus, for Haseloff, the first phase (now the Malerische Gruppe) is characterized by a spirit of archaism resulting from a dependence on Carolingian or Byzantine sources. The second phase (now the Reiche Gruppe), represents a sudden and conspicuous engagement with contemporary developments in painting from leading centers such as Trier or Echternach; whereas the third phase (now the Strenge Gruppe) marks a decline, based in large part on the facile and derivative emulation of a particular model (the Manchester Gospels).21 With considerable modifications, Bloch / Schnitzler essentially adopted Haseloff ’s conception of the Cologne School. Quite problematically, however, they attempted to impose a strict chronological progression on the groups, as if each Cologne manuscript was produced in sequence, one after the other. On the basis of general stylistic comparisons, they set an arbitrary distance between a given manuscript and its predecessor, often with scant justification. Surprisingly, their model makes no allowance for concurrent or overlapping production, which is much more likely to reflect historical circumstances – especially now that scholars increasingly agree on the presence of at least two workshops proficient in manuscript painting in Cologne.22 Such methodological problems notwithstanding, it is undeniable that the manuscripts of the Reiche Gruppe differ considerably from other Cologne manuscripts, not just in terms of their style or technique, but also in fundamental ways such as the design of the canon tables and the presence of evangelist symbols, which are entirely absent in the other groups. Like Haseloff, scholars have understood these differences to be clear signs of a break from local tradition, brought on by the introduction of new artistic impulses. However, rather than emphasizing the stylistic impact of the Gregory Master in Trier, as Haseloff did, scholars such as Carl Nordenfalk or Bloch and Schnitzler, have suggested Reichenau as the immediate source for the sudden change in direction.23 Specifically, they pointed to the Hillinus Codex, a gospel book dedicated to Cologne Cathedral by a canon of the same name. As one of its inscriptions states, Hillinus commissioned Burchard (Purchardus) and his brother Conrad (Chuonradus) to create the book, presumably following a local tradition of luxury commissions for the cathedral by previous patrons such as archbishops Gero

21 For the Manchester Gospels (Manchester, John Rylands Library, Latin MS 98), see Bloch / Schnitz­ ler 1967/70 (as note 1), pp. 15–21. 22 Carl Nordenfalk: Review of Bloch / Schnitzler 1967/70 (as note 1), in: Kunstchronik 24 (1971), pp. 292–309, esp. p. 303. – Klaus Gereon Beuckers: Das Gerresheimer Evangeliar. Geschichte, Stand und Perspektiven der Forschung, in: Beuckers / Johlen-Budnik 2016 (as note 4), pp. 13–64, esp. p. 54. 23 Carl Nordenfalk: Early Medieval Painting. From the Fourth to the Eleventh Century, New York 1954, p. 209. – Bloch / Schnitzler 1967/70 (as note 1), vol. 2, p. 23. – See also Stephan Beissel: Das Evangelienbuch des Erzbischöflichen Priesterseminars zu Köln, in: Zeitschrift für christliche Kunst 11 (1898), pp. 1–18.

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and Everger.24 Remarkably, the same inscription suggests that Hillinus brought the fraternal craftsmen to Cologne from afar specifically for this task. Moreover, scholars have been able to identify Burchard as a monk from Reichenau, therefore likely the illuminator, while his brother Conrad, the scribe, was a monk trained at Seeon. In very concrete terms, then, the Hillinus Codex embodies a specific moment of new artistic developments being made available to Cologne illuminators. As such, the manuscript is fundamentally important for understanding the innovations of the Reiche Gruppe. Yet within this fascinating context of traveling artists and mixing styles, the Morgan Gospels has assumed a subordinate role to the closely-related, but much more elaborate Maria ad Gradus Gospels in Cologne. With thirty-two fully-illuminated pages, including miniatures of the Majestas Domini, Jerome, and a full set of elaborate tituli for the evangelist portraits, it is hardly surprising that the manuscript has received more attention from scholars – simply put, there is much more to talk about. Moreover, a dendrochronological examination of the wooden boards from its original binding resulted in a probable terminus post quem of 1033 for the manuscript, which makes it the only independently datable work of the Reiche Gruppe.25 While these observations may justify making the Maria ad Gradus Gospels the starting point for any discussion of the Reiche Gruppe, they do very little to clarify its relationship to its sister manuscript in New York. Bloch /  Schnitz­ler simply assume that the Maria ad Gradus Gospels is the older of the two manu­scripts, but they offer little evidence in support of their claim.26 It is certainly worth taking a closer look at the differences between the two manuscripts, but first it will be helpful to examine the codicology of the Morgan Gospels to see what it reveals about the scope and nature of its illumination. In comparison with the Maria ad Gradus Gospels, the Morgan manuscript has a rather modest amount of illumination. In fact, it has only the essentials (canon tables, evangelist portraits, and the corresponding initial pages). The manuscript thus lacks the extra illu­ mination that one would expect with a luxury gospel book from Cologne: a Maiestas 24 For the Hillinus Codex (Cologne, Erzbischöfliche Diözesanbibliothek, Cod. 12), see Peter Bloch: Die beiden Reichenauer Evangeliare im Kölner Domschatz, in: Kölner Domblatt. Jahrbuch des ZentralDombau-Vereins 16/17 (1959), pp. 9–40, esp. pp. 27–33. – Glaube und Wissen im Mittelalter. Die Kölner Dombibliothek, Ex. Cat. Erzbischöfliches Diözesanmuseum Cologne, ed. Joachim Plotzek et al., Cologne 1998, no. 76, pp. 349–356 (Ulrike Surmann). – Anton von Euw: Der Hillinus-Codex der Kölner Dombibliothek und die Reichenauer Buchkunst, in: Mittelalterliche Handschriften der Kölner Dombibliothek, Zweites Symposium (Libelli Rhenani, vol. 24), ed. Heinz Finger, Cologne 2008, pp. 251–300. – Harald Horst: Illuminierte Kölner Handschriften und ihre Verbindung nach Trier, in: Libri Pretiosi. Mitteilungen der Bibliophilen Gesellschaft Trier 15 (2012), pp. 65–77, esp. pp. 72 f. 25 See Bloch / Schnitzler 1967/70 (as note 1), p. 75: „um 1030“.  – Beuckers 2018 (as note 3), pp.  45 f. „ab 1033“ after a new dendrochronological report. 26 For a typical example of their argumentation, see Bloch / Schnitzler 1967/70 (as note 1), vol. 2, p. 132, „Gemäß dem Stil ist das Evangeliar aus dem Priesterseminar an den Beginn zu setzen“.

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Domini, a Jerome portrait, a Crucifixion, and any tituli or inscriptions. Although a number of Cologne manuscripts have lost illuminated pages over the centuries, there is no evidence to suggest this is the case with the Morgan Gospels.27 If there were once miniatures of the Maiestas Domini and Jerome, for example, one would expect to find them near the canon tables, which occupy the first gathering of the manuscript. That gathering is in fact missing its first leaf, but there are no signs of an offset from a missing miniature, and there is no room for a Jerome portrait. In other gospel books from the Reiche Gruppe, however, these miniatures consistently occupy the same gathering. Such observations could be made regarding the lack of tituli as well. Each of the evangelist portraits in the Morgan Gospels occupies the verso of a single bifolium, with the initial page on the facing recto. Because the other sides of the bifolia are blank, there is no logical place for missing tituli or incipit pages. There is, in fact, no compelling reason to believe the manuscript is missing any significant portion of its illumination. The codicology of the evangelist portraits does, however, provide important information about the circumstances of the manuscript’s production. Quite unusually, the evangelist portraits and initial pages were placed well before the gospel prologues and chapter listings (with the exception of Matthew, which lacks both texts). As a result of this highly curious placement, the first words of Mark, Luke, and John are separated from the continuation of the gospel text by as many as six pages.28 Looking at the structure of gatherings, it is clear that the manuscript’s designer had no other choice. The text of the prologue and chapter listings were consistently written on the same gathering as the gospel text itself, without any space left for intervening miniatures. Therefore, the original plan for the gospel text did not include any illuminated pages. Indeed, a major change in plan must have occurred after the completion of the gospel text because the small ink initials that originally began the gospel verses throughout the manuscript were erased and subsequently replaced with upgraded letter forms in gold. In many cases the erasures are still easily visible; there are even a few examples where the scribe seems to have forgotten his task, leaving the original ink initials untouched.29 The codicology of the manuscript makes it certain that the illuminated pages were created independently from the text block. In fact, it seems likely that the miniatures were painted without any particular codex in mind, and only later – whether to preserve them, or make use of them as a gift – incorporated into a modestly written text block, which required significant improvements to match the sumptuously illuminated leaves. It is worth considering the various scenarios that could lead to such an arrangement. Perhaps 27 For a different opinion, see Tilmann Buddensieg: Review of Harrsen 1958 (as note 1), in: Kunstchronik 9 (1958), pp. 237–244, esp. p. 240. 28 For example, Luke’s initial page is fol. 79r, but the gospel text itself begins only at fol. 82v. 29 Fol. 167r, for example, preserves the original appearance of the initials.

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a talented painter was asked to create a basic set of miniatures by a patron who had no immediate need for them; or perhaps they enjoyed an independent existence in the workshop serving as models before being bound to a particular codex. Whatever the case, the modest scope of the manuscript’s decorative program cannot be used as an argument against the importance of its painting. These miniatures must have been exceptionally valued to justify the immense effort expended to make the book fit the illumination.

The Canon Tables Because the Morgan illuminations were conceived independently from any particular codex, it seems reasonable to assume that they were highly valued as examples of painting in their own right. Taking this perspective, the miniatures will be reconsidered here with an eye to their innovative qualities. Looking at the canon tables, for instance, it is clear that they are not just sumptuously decorated but also rigorously designed.30 The framing of the pages, in particular, received careful attention from the illuminator. Each of the twelve tables is enclosed by an elegant double frame, which consists of an outer purple band and a slender inner band of silver (Abb. 19). In several cases, the outer purple band features gold or silver patterns that are characteristic of the ornament found in Reichenau miniatures. Importantly, this double frame fully encloses the composition. In fact, the illuminator carefully cropped any elements that border the frame such as columns, capitals, bases or arches, so that none overlaps with the silver. Only the pediments were allowed to extend beyond the frame. The resulting tension between the carefully cropped architectural elements and the conspicuous overlap of the pediment creates a particularly strong and effective composition. The canon tables of the Maria ad Gradus Gospels, in contrast, take a much less rigorous approach to framing (Abb. 20).31 Instead of the sumptuous bands of purple, gold and silver, the frame consists entirely of bands of paint modeled to give a structural effect. No attempt has been made to crop any of the architectural elements, and in some cases the columns are even set apart from the frame, resulting in noticeable areas of blank space. In contrast to those in the Morgan Gospels, the canon tables in the Maria ad Gradus manuscript give the impression of being a rather traditional set of Cologne designs simply set against a painted frame. 30 For the canon tables of the Morgan Gospels, see Bloch / Schnitzler 1967/70 (as note 1), vol. 2, p. 41. – See also Klaus Gereon Beuckers: Die Kanontafeln des Evangeliars aus St. Maria ad Gradus (Diözesanbibliothek Köln Hs. 1001a) und der Sondertypus der Kölner Kanontafeln des 10. und 11. Jahrhunderts, in: Mittelalterliche Handschriften der Kölner Dombibliothek, Siebtes Symposium, ed. Harald Horst (Libelli Rhenani. Schriften der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek, vol. 70), Cologne 2018. 31 Bloch / Schnitzler 1967/70 (as note 1), vol. 2, p. 40. — Horst 2012 (as note 24), p. 71.

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Abb. 19: Gospel book. Morgan Library & Museum New York, MS M.651, fol. 6r: canon table.

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Abb. 20: Maria ad Gradus Gospels. Erzbischöfliche Diözesanbibliothek Cologne, Cod. 1001a, fol. 7r: canon table.

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Another conspicuous feature of the Morgan canon tables is the treatment of the middle column. In every instance where there is an odd number of columns, the middle one was fashioned entirely in gold, which was then further decorated with a highly unusual technique of applying gold patterns on gold ground. Although difficult to observe in photographs, this technique also occurs in a few of the evangelist portraits such as Matthew (fol. 8v), where it is used to add stars, plants, and atmospheric effects to the background. Although the same technique can be found in some of the evangelist portraits from the Maria ad Gradus Gospels, it is used sparingly, and to a much lesser extent.32 In three of the golden middle columns in the Morgan Gospels, the illuminator has replaced the capitals with nude atlas figures, who seemingly support the entire arcade on their shoulders. 33 No such prominence was given to the middle columns of the Maria ad Gradus canon ­tables – whether in terms of the gold, or the presence of figural capitals. Generally speaking, the ornament of the Maria ad Gradus canon tables displays much less variety and inventiveness than those of the Morgan Gospels. Significantly, the closest parallel for its remarkable treatment of the middle column can be found in the Hillinus Codex, where the illuminator, Burchard, has likewise fashioned each one entirely out of gold, and emphasized several of the capitals with Janus-like depictions of human heads.34 A final feature worth mentioning about the Morgan canon tables is the preponderance of architectural motifs. Eight of the tables feature minuscule depictions of architecture flanking the pediment, which range from isolated towers and wall-like structures to more fully developed portrayals of buildings. This is, in fact, a remarkable feature for Cologne canon tables, which (with the exception of those of the Giessen Gospels) consistently avoid any of the decorative motifs that one would expect to find in canon tables from Trier, Reichenau, or Echternach manuscripts. The Maria ad Gradus canon tables, for example, feature no such motifs, and instead consistently employ vegetal ornament surrounding the pediment. Although there is no direct parallel for this remarkable aspect of the Morgan canon tables in those of the Hillinus Codex, it is nevertheless likely that the inspiration for this innovation came from the deluxe manuscripts of Trier or Reichenau. For example, the canon tables of the Ste. Chapelle Gospels, a major work of the Gregory Master in Trier, feature to varying degrees all the motifs described thus far: the golden middle column, the use of figural capitals, and pairs of decorative motifs flanking each of 32 See, for example, the miniature of John in the Maria ad Gradus Gospels (fol. 177v), where the gold ground has been decorated with numerous gold stars. 33 The full significance of these figural capitals cannot be discussed here. See von Euw 2008 (as note 24), pp.  267 f.  – Hiltrud Westermann-Angerhausen: Blattmasken, Maskenkapitelle, Säulenhäupter. ­Variationen über ein vorgegebenes Thema, in: Boreas. Münstersche Beiträge zur Archäologie 6 (1983), p. 202–211. 34 The relevant examples from the canon tables of the Hillinus Codex are: fols. 10v, 11r, 14r, 14v, 15r and 15v.

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the main arches.35 When considered in such a context, the canon tables of the Morgan Gospels make quite a strong impression. They are richly decorated and rigorously ­designed; but more importantly, they engage with contemporary artistic developments in innovative and experimental ways.

The Initial Pages A similar pattern of relationships holds true for the initial pages of the Morgan Gospels, which can be understood as creative responses to the corresponding pages from the Hillinus Codex.36 With the initial page to Matthew’s Gospel, for instance, the Morgan painter has developed his own version of the curved Reichenau L-form represented in the Hillinus Codex (Abb. 21 and 22). In comparison to that page, the Morgan painter has drawn the base of his letter down into the corners of the composition, anchoring it into the frame by interweaving the interlace terminals with the border. The two delicate and mo­ dest flowers emerging from either side of the base of the Hillinus L have been transformed into large and ostentatious blooms in the Morgan page – their symmetrical arrangement is mirrored by the pair of dog heads emerging from the interlace terminal at the top of the composition. The Maria ad Gradus page, in contrast, shows very little engagement with Reichenau forms – apart from perhaps the characteristic leaf ornament tucked into the four corners of the frame (Abb. 23).37 Here, the L is not curved but rather forms a right angle, which is traditional for Cologne. No attempt has been made to anchor the letter into the elaborate frame. A comparison of the initial pages for Mark’s Gospel confirms that the Morgan painter was particularly fascinated by the Reichenau tradition of anchoring letter forms into the borders.38 In this case, the exclusive focus on the letter I in the Hillinus Codex has been tempered by the inclusion of an N-form in the Morgan page.

35 For the closely related cycles of canon tables in the Ste. Chapelle Gospels (Paris, Bibliothèque nationale de France, Lat. 8851) and the Gospels of Otto III (Munich, Bayerische Staatsbibliothek, CLM 4453), see Florentine Mütherich: Das Evangeliar Ottos III., Frankfurt am Main 1978, pp. 67–71. 36 For a general discussion of the initial pages of the Morgan Gospels and the Maria ad Gradus Gospels, see Bloch / Schnitzler 1967/70 (as note 1), vol. 2, pp. 48, 51, 53 and 56. 37 This leaf ornament is characteristic of all three Reiche Gruppe manuscripts, see Bloch / Schnitzler 1967/70 (as note 1), vol. 2, p. 48. 38 The initial pages for Mark in the Morgan Gospels (fol. 51r) and the Hillinus Codex (fol. 74r) can be consulted in the digitized versions of the manuscripts available online at the websites of the Morgan Library and the Erzbischöfliche Diözesanbibliothek, respectively. — For the Reichenau tradition of anchoring letter forms into the frame, see Thomas Labusiak: Die Ruodprechtgruppe der ottonischen Reichenauer Buchmalerei. Bildquellen – Ornamentik – stilgeschichtliche Voraussetzungen (Denkmäler deutscher Kunst), Berlin 2009, pp. 306–309.

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Abb. 21: Gospel book. Morgan Library & Museum New York, MS M.651, fol. 9r: Matthew initial page.

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Abb. 22: Hillinus Codex. Erzbischöfliche Diözesanbibliothek Cologne, Cod. 12, fol. 23r: Matthew initial page.

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Abb. 23: Maria ad Gradus Gospels. Erzbischöfliche Diözesanbibliothek Cologne, Cod. 1001a, fol. 23v: Matthew initial page.

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Nonetheless, the Morgan painter lent prominence to the central axis of the composition by including a pair of feet resting at the base of the inner frame, matched by a pair of ­animal heads at the top, which are depicted cleverly biting at the frame. As in the Hillinus Codex, the use of color for the interstitial spaces in the Morgan page has been restricted to the central axis. In contrast, the illuminator of the Maria ad Gradus page (fol. 85v) placed less emphasis on anchoring the initial into the frame, and seems to have been more interested in emphasizing the lush vegetal forms growing out of the letters. Overall, the initial pages of the Morgan Gospels respond creatively to the examples of Reichenau painting found in the Hillinus Codex. By focusing on a few particular points of interest, the painter of the Morgan Gospels was able to push these forms in new directions, resulting in compositions that are at once highly symmetrical, but also remarkably dynamic.

The Evangelist Portraits Prefacing their discussion of the evangelist portraits in the Reiche Gruppe, Bloch / Schnitzler perceptively noted that, however many common features the three manuscripts may share, their individual styles nevertheless differ remarkably.39 In fact, they vary to such an extent that it is often difficult to establish meaningful relationships across the group, much less a convincing chronological sequence for the manuscripts. This is particularly the case for the Bamberg Gospels, which stands apart from the other two closely related manuscripts in ways that cannot be elaborated here. Regarding the Morgan Gospels, a few general observations can be made about the evangelist portraits as a set. Most importantly, the illuminator placed great emphasis on experimenting with various architectural settings for his figures – so much so that no two are exactly alike.40 Matthew’s setting resembles a canon table with its prominent pediment, flanked by architectural motifs, and resting on two marble columns. The portrait of Mark, in turn, shows the most innovative and impressive treatment of architecture (Abb. 24). Anton von Euw has with good reason related its setting to an exceptionally realistic depiction of Cologne Cathedral in the dedication miniature of the Hillinus Codex (fol. 16v).41 Regardless of how accurately the Morgan miniature reflects the physical appearance of contemporaneous architecture, it is certainly a masterful evocation of space. In effect, the illuminator has createda seamless transition from an exterior depiction of a building – with a convincing roof and towers – to an interior space enclosing the evangelist, in which an elaborate cornice rests on two 39 Bloch / Schnitzler 1967/70 (as note 1), vol. 2, p. 132, „So sehr der Stil einerseits die drei Evangeliare der Gruppe voneinander trennt, so vielfältig sind die Bande, die sie andererseits miteinander verknüpfen“. 40 Bloch / Schnitzler 1967/70 (as note 1), p. 135. 41 von Euw 2008 (as note 24), p. 272.

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Abb. 24: Gospel book. Morgan Library & Museum New York, MS M.651, fol. 50v: evangelist portrait, Mark.

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interior columns. The setting of Luke’s portrait, in contrast, is entirely an interior space composed of a large cornice resting on two marble columns. The presence of a curtain hanging behind the evangelist emphasizes the sanctity and interiority of the setting. Finally, the miniature of John stands apart from the other three evangelists in its treatment of the architecture. With this miniature, the illuminator presents the viewer with a frontal depiction of a pediment that rests on the frame of a portal, while two exterior depictions of the same building extend outward, rather unconvincingly. In all four portraits, the evangelist symbols offer the writers a scroll from above, as they emerge from a plausible space in the painted architecture – usually a portal or a window. The seamless integration of figure, symbol, and setting underscores yet again the illuminator’s keen eye for matters of architecture and pictorial space. A comparison of the diverse treatment of the settings in the Morgan portraits with those of the Maria ad Gradus Gospels allows an important distinction to emerge. The Maria ad Gradus illuminator clearly had a preferred method for depicting architecture, evident in the way he repeats a basic formula throughout his portraits.42 Essentially, his settings consist of a pediment resting on a portal, with a tower on one side and an exterior view of the building extending outward on the other. Only with the portrait of John does the illuminator modify his approach by adding more symmetry to the composition. At first glance, these portraits may appear only vaguely related to the Morgan miniatures, but in fact the two sets share a near one-to-one correspondence in terms of the figural poses and the relationships between the evangelists and their symbols. Take, for example, the Morgan portrait of Mark and the Maria ad Gradus portrait of Matthew (Abb. 25).43 Despite significant differences in the settings, the two paintings are clearly variations on the same theme. Rather than insisting on the direct dependence of one miniature on the other, however, it seems more reasonable to assume that the two illuminators were working from a shared basic composition. That being said, the differences between the two sets of portraits can be explained, for the most part, by the Morgan illuminator’s clear and rigorous engagement with new styles of painting developed outside of Cologne. Beyond their architectural settings, his portraits make more effective use of the gold backgrounds, famously introduced by Reichenau illuminators. In contrast, the use of such backgrounds is highly restricted in the Maria ad Gradus miniatures. Moreover, the Morgan illuminator’s figures possess a monumentality that also resonates with developments in Reichenau painting, most notably in the near-contemporary Pericopes of Henry II, for example.44 It is all the more unfortunate, then, that the Hillinus Codex has lost all but one of its portraits. Even still, a comparison 42 See fols. 21v, 84v, 122r and 177v. 43 The other pairings are: the Morgan Luke portrait with the Maria ad Gradus Mark; the Morgan Matthew portrait with the Maria ad Gradus Luke (flipped); and the portraits of John from both gospel books. 44 For an overview of the evangelist portraits in Reichenau manuscripts, including the Pericopes of Henry II (Munich, Bayerische Staatsbibliothek, CLM 4452), see Mütherich 1978 (as note 35), pp. 88 f.

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Abb. 25: Maria ad Gradus Gospels. Erzbischöfliche Diözesanbibliothek Cologne, Cod. 1001a, fol. 21v: evangelist portrait, Matthew.

between the two manuscripts is instructive. While the overall treatments of space and proportion are clearly related, the figural style is completely different, which suggests that the Morgan painter was not simply copying the work of his talented colleague from Reichenau. Instead, his efforts can be better understood as an attempt to synthesize elements

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from new styles of painting – both from Reichenau and from the work of the Gregory Master in Trier – with local traditions of painting in Cologne.

Conclusion For well over a century, scholars have observed that the manuscripts of the Reiche Gruppe represent a remarkable and seemingly short-lived moment of stylistic innovation in the history of book painting in Ottonian Cologne. Best characterized as a turn toward contemporary developments in important centers such as Trier and Reichenau, this moment is in many ways embodied, and perhaps even instigated, by the Hillinus Codex, a luxury gospel book produced in Cologne by foreign craftsmen. Reading between the lines of its unusually lengthy dedication, it seems reasonable to assume that Hillinus commissioned his codex in an unsuccessful effort toward securing the episcopal throne.45 If so, the manuscript could be dated to just before 1021, when Pilgrim became the archbishop of ­Cologne after serving as the provost of Bamberg Cathedral. There is simply not enough information to determine the exact sequence of how and when the manuscripts of the Reiche Gruppe followed, but clearly they belong to the same moment. Nonetheless, if one of the defining characteristics of the Reiche Gruppe is its engagement with new styles of painting, then surely the Morgan Gospels deserves greater recognition for the primary role it plays in this narrative. Moreover, the unusual circumstances of its production provide important evidence for the relative independence of book painting at the time. Such a rare insight into workshop practices has potential implications for how the decorative programs of other deluxe manuscripts are understood. Indeed, as was the case with the Morgan Gospels, entire programs of illumination could be painted quite separately from their intended text block. Conversely, entire texts could be copied out as a matter of routine, without a clear sense of any eventual illumination. If anything, this observation provides an important caution for the use of paleographic criteria in dating or localizing manuscript illumination in this period. While we may never know the reasons that led to the painting of the Morgan miniatures or their integration into such a seemingly mismatched codex, we can at least acknowledge their innovative and creative ­approach to style that is the result of an illuminator who spent a significant amount of time looking at, thinking about, and responding to works of art around him. 45 This remarkable text (fols. 3r–3v), which goes well beyond a normal dedication, deserves proper study in its own right. For a German translation, see Exh. Cat. Cologne 1998 (as note 20), p. 352. – Particularly suggestive is the following line, where Hillinus refers to his ability to offer greater things to St. Peter: „Confiteor me ad maiora offerenda minus idoneum, te sanctitas tua ad haec parva suscipienda suadeat sufficientem, ut me clavibus linguae tuae clementer solutum, nequaquam stringat poena culparum.“

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Andreas Bihrer

Die Beziehungen zwischen dem ostfränkisch-deutschen Reich und Polen im 11. Jahrhundert Forschungsprobleme – Forschungsansätze – Forschungsfragen

Auch wenn der vorliegende Sammelband in erster Linie Kasimir dem Erneuerer (1016– 1058) gilt, der von seinem Kölner Exil aus startend – und mit dem Sakramentar von Tyniec in der Tasche? – seine Herrschaftsansprüche in Polen letztlich erfolgreich geltend machen konnte, so sollte nicht vergessen werden, dass sein Schicksal als Exilant im Europa der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts kein singuläres war. So wurden zum Beispiel die beiden Söhne des englischen Königs Edmund Ironside im Jahr 1016 in die Verbannung geschickt, als Knut der Große sich letztlich erfolgreich anschickte, die Insel zu erobern.1 Als Kleinkinder, wohl noch als Säuglinge, kamen Edmund und Edward zunächst in Skandinavien bei König Olaf von Schweden unter. In den 1020er Jahren, als Knut seinen Einfluss auch in Nordeuropa zu erweitern suchte, mussten sie jedoch weiter nach Osten an den Hof Jaroslaws I. ziehen: König Olafs Schwester war mit dem Großfürsten von Novgorod und Kiew verheiratet, sodass sich das Ziel aus diesem Grund für die beiden englischen Königssöhne anbot. Am Hof Jaroslaws I. blieben die Brüder für einige Jahre, und Edward erhielt dort Agatha, die Tochter des Großfürsten und Ingegerds von Schweden, zur Frau.2 Aber schon die Zeitgenossen bezeichneten Agatha fälschlicherweise als eine Verwandte Kaiser Heinrichs III. und stellten damit eine Verbindung zum ostfränkisch-deutschen Reich her. Wann und wo einer der beiden Brüder, Edmund, starb, lässt sich nicht mehr mit Sicherheit rekonstruieren, von Edward ist jedoch bekannt, dass er 1

2

Die Lebenswege Edwards the Exile und seines Bruders Edmund wurden bislang noch kaum erforscht; die bisherigen Darstellungen wie beispielsweise die in Teilen sehr spekulative populärwissenschaftliche Veröffentlichung Gabriel Ronay: The Lost King of England. The East European Adventures of Edward the Exile, Woodbridge 1989, lassen viele Fragen offen. – Zuverlässiger, aber mit einem Fokus auf Edwards Sohn Edgar ist Nicholas Hooper: Edgar the Ætheling. Anglo-Saxon Prince, Rebel and Crusader, in: Anglo-Saxon England 14 (1985), S. 197–214. – Die oftmals verstreut publizierten Belege zum Schicksal Edwards the Exile sind zusammengestellt bei Andreas Bihrer: Begegnungen zwischen dem ostfränkisch-deutschen Reich und England (850–1100). Kontakte – Konstellationen – Funktionalisierungen – Wirkungen (Mittelalter-Forschungen, Bd. 39), Ostfildern 2012, S. 310–312. Hierauf basieren auch die folgenden Ausführungen. Zum Heiratsnetzwerk Jaroslaws I. des Weisen vgl. den Aufsatz von Ludwig Steindorff in diesem Band.

Die Beziehungen zwischen dem ostfränkisch-deutschen Reich und Polen im 11. Jahrhundert  |  163

wohl 1046 König Andreas nach Ungarn folgte – auch diese nächste Etappe der Verbannung ergab sich nicht aus einem Zufall, sondern war ebenfalls das Resultat persönlicher Beziehungen, denn Andreas hatte sich für einige Zeit genauso am Hof Jaroslaws I. im Exil aufgehalten. Erst nach über vierzig Jahren in der Verbannung in Skandinavien und in Osteuropa zog Edward, der bezeichnenderweise den Beinamen ‚the Exile‘ erhielt, wieder zurück nach England, um seinen Herrschaftsanspruch durchzusetzen, war doch zu dieser Zeit ab­ sehbar, dass König Edward der Bekenner kinderlos sterben würde und kein näherer Verwandter als Edward the Exile mehr am Leben war. Doch kaum hatte Edward im Sommer 1057 den Ärmelkanal überquert, schon wurde er ermordet – noch bevor er überhaupt London hatte erreichen können und unter bis heute ungeklärten Umständen. Seine Frau Agatha flüchtete mit ihren Kindern weiter nach Norden und fand schließlich in Schottland Aufnahme. Während ihre Tochter Margareta den schottischen König Malcolm III. heiratete und nach ihrem Tod als Heilige breite Verehrung fand, wurde Agathas und ­Edwards Sohn Edgar im Gefolge der normannischen Eroberung Englands zum Spielball unterschiedlicher Interessen. Edgars Lebensstationen waren nicht weniger spektakulär als die seines Vaters, denn bis zu seinem Tod mit über 75 Jahren lernte er beinahe die gesamte mittelalterliche Welt zwischen Schottland, Sizilien, Konstantinopel und dem Heiligen Land kennen.3 Zunächst mögen die Unterschiede zwischen dem Schicksal Kasimirs und Edwards auffallen, so war Kasimir im Westen Europas im Exil, um dann nach Osten zu ziehen, wohingegen Edward von Osten nach Westen zog. Auch musste Kasimir nur wenige Jahre in der Verbannung ausharren, Edward jedoch – von wenigen Monaten abgesehen – sein gesamtes Leben im Exil verbringen und mehrfach die Verbannungsorte wechseln. Zudem wurde der englische Thronanwärter im Exil verheiratet, während Kasimir im Zuge der Wiedergewinnung seiner Herrschaft mehrere Heiratsverbindungen für seine Familienmitglieder zu den Höfen des Großfürsten von Kiew und des ungarischen Königs stiftete, ohne dass allerdings direkte Kontakte zu Edward bekannt sind, der sich ja etwa zeitgleich an diesen Höfen aufgehalten hatte. Und Kasimir war schließlich – im Gegensatz zu Edward – äußerst erfolgreich bei der Wiedergewinnung der Herrschaft für seine Dynastie. Doch ebenso wichtig sind die Gemeinsamkeiten, die unterstreichen, dass Kasimirs Lebensweg im europäischen Kontext seiner Zeit keine Ausnahme darstellte: So sollten Konflikte häufig durch das Instrument der Exilierung zumindest abkühlen, aber die Verbannten betrieben von ihrem Exilort aus vielfach ihre Rückkehr und konnten sich dabei auf ein europaweites Netz an einerseits Verwandtschaftsbeziehungen und andererseits 3

Viele Stationen der Biographie Edgars sind erst in der – in modernen Kategorien gesprochen – romanhaften Überlieferung des 12. Jahrhunderts belegt; eine kritische Neubewertung der Forschung, wie von Hooper 1985 (wie Anm. 1) angestoßen, ist dringend notwendig.

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Höfen stützen: Das Beispiel Edwards zeigte ja ganz eindrücklich, wie die Reihe der Verbannungsorte entweder von verwandtschaftlichen oder von an den Höfen neu geknüpften Verbindungen bestimmt wurde. Eine Rückkehr aus dem Exil musste gut vorbereitet sein und bedurfte zum einen der Unterstützung der Herrscher am Ort der Verbannung und zum anderen der Akzeptanz von den Großen im eigenen Reich, ansonsten wartete auf den Rückkehrer nur der Tod. Aber abgesehen von diesen strukturellen Gemeinsamkeiten gab es noch einige spezifische Übereinstimmungen, welche die beiden Fälle verbinden und welche für die Fragestellungen des Sammelbandes von besonderer Bedeutung sind. Hierzu ist jedoch zunächst ein genauerer Blick auf die Ereignisse notwendig, die zur kurzen Rückkehr Edwards führten: Anfang der 1050er Jahre betrieben einflussreiche Kräfte in England, die man allerdings nicht genauer fassen kann, seine Rückholung. Im Jahr 1054 wurde deswegen mit Bischof Ealdred von Worcester der erfahrenste Gesandte der Insel auf den Kontinent geschickt – und zwar nach Köln!4 Der Unterhändler wurde in der Stadt – wie die zeitgenössischen Chroniken berichten – mit großen Ehren von Heinrich III. empfangen und blieb dort fast ein Jahr; in Köln sorgten Erzbischof Hermann II. (amt. 1036–1056) und der Kaiser für Ealdreds Wohl.5 Vom Kaiser, aber vielleicht besonders vom Erzbischof erhoffte sich der englische Gesandte Unterstützung bei dem Plan, Edward the Exile vom ungarischen Königshof in die Heimat zurückzuholen. Und Hermann II. war wohl auch der richtige Ansprechpartner, denn neben seiner einflussreichen Stellung im Reich besaß er erstklassige Verbindungen insbesondere in den Osten Europas, die in den Jahren und Jahrzehnten zuvor seine Schwester Richeza und sein Bruder Herzog Otto von Schwaben sowie seine beiden Neffen Herzog Konrad von Kärnten und Herzog Konrad von Bayern aufgebaut hatten. Und die Engländer konnten sich auf den Kölner Erzbischof verlassen, denn schon kurze Zeit später machte sich Edward auf den Weg in Richtung England. Köln  – die Stadt der Exilanten, zumal dort auch der exilierte Bischof Rudolf von­ Schleswig 1047 begraben wurde?6 Köln – der Ort hochrangiger Besucher, das Zentrum der e­ uropäischen Politik, an welchem maßgebliche Entscheidungen gefällt wurden, wer in

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Zur Gesandtschaftsreise Bischof Ealdreds nach Köln vgl. mit Nachweisen der Quellen und der Forschungsliteratur Bihrer 2012 (wie Anm. 1), S. 246–251. Vgl. The Anglo-Saxon Chronicle. A Collaborative Edition, Bd. 5: MS C, hg. v. Katherine O’Brien O’Keefe, Cambridge 2001, S. 115, bzw. The Anglo-Saxon Chronicle. A Collaborative Edition, Bd. 6: MS D, hg. v. G. P. Cubbin, Cambridge 1996, S. 74. Zum 1047 in Köln gestorbenen und in St. Kunibert begrabenen Bischof Rudolf von Schleswig vgl. Art. Rudolf (Rodulf, Rodolf, Ruodolf ), Bischof von Schleswig, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 22 (2005), S. 187 f. (Herbert Zielinski). – Regina Scherping: Bischof Rudolf von Schleswig († 1047). Über sein Leben und seine Bestattung, in: Beiträge zur Schleswiger Stadtgeschichte 49 (2004), S. 27– 37, insbes. S.  29 f.

Die Beziehungen zwischen dem ostfränkisch-deutschen Reich und Polen im 11. Jahrhundert  |  165

Europa herrschte? Erzbischof Hermann II. – die zentrale Figur im Geflecht der euro­ päischen ­Dynastien? Erzbischof Hermann II. – die Spinne im Netz? Jedoch noch mehr: Bischof Ealdred war nicht nur nach Köln gekommen, um die Rückführung Edwards zu organisieren, sondern möglicherweise auch, um in Köln – so der Bericht einer gleichwohl erst um 1150 entstandenen Chronik – vieles über kirchliche Regeln und Gewohnheiten zu erfahren, die er später als Erzbischof von York in englischen Kirchen eingeführt habe.7 Zwar konnte sich die Forschung bislang nicht einigen, ob diese Schilderung glaubwürdig ist, und falls doch, welche Texte und Handschriften der Bischof auf die Insel gebracht hatte, zumindest zeigt die Notiz aber, dass für die Zeitgenossen das Bild von Köln als Ursprungsort von weit ausstrahlenden Regeln und Gewohnheiten, die auch in anderen Teilen Europas Anwendung fanden, plausibel war. Doch noch mehr an Gemeinsamkeiten mit dem Thema des Sammelbandes sind zu nennen: In der kurz nach 1100 entstandenen Vita Wulfstani berichtet William von Malmesbury von der längeren Odyssee zweier Handschriften, die ihren Ausgang im Kloster Peterborough in England genommen hätten, wohin die beiden Codices dann einige Jahrzehnte später wieder zurückgekehrt seien.8 Eine Station dieser Reise sei auch Köln gewesen, denn König Knut der Große habe die beiden Handschriften dorthin als Geschenk, wohl an den Erzbischof, geschickt – oder sogar die beiden Codices persönlich vorbeigebracht, als er am Grab Erzbischof Heriberts gebetet hatte. In Köln habe man jedoch im Lauf der Jahre vergessen, woher die beiden Handschriften gekommen seien – und diese wurden nun 1054 ausgerechnet dem englischen Bischof Ealdred bei seinem Besuch als Gesandter in Köln zum Geschenk gemacht. Und der Bericht macht sogar nähere Angaben zu den beiden Codices, diese seien nämlich ein Psalter und ein mit Goldbuchstaben geschmücktes Sakramentar gewesen. Dieses Sakramentar war zwar nicht in Köln entstanden, es war kein Produkt einer ‚Kölner Malschule‘, aber man scheint eine Handschrift solchen Inhalts in Köln in der Mitte des 11. Jahrhunderts für ein würdiges und taugliches Geschenk erachtet zu haben, welches man gerne in andere Regionen Europas weitergab, nach England – und nach Polen.9 7

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Vgl. Chronica Pontificum Ecclesiae Eboracensis, in: The Historians of the Church of York and its Archbishops, hg. v. James Raine, Bd. 2 (Rolls Series. Rerum Britannicarum medii aevi scriptores, Bd. 71.2), London 1886, S. 312–445, hier S. 345. Vgl. William of Malmesbury: Saints’ Lives. Lives of SS. Wulfstan, Dunstan, Patrick, Benignus and Indract, hg. und übers. von Michael Winterbottom und R. M. Thomson (Oxford medieval texts), Oxford 2002, S. 1–155, hier S. 16 u. 41; vgl. hierzu Bihrer 2012 (so Anm. 1), S. 278–280. Zahlreiche Beispiele für Handschriftenwanderungen zwischen dem ostfränkisch-deutschen Reich und Polen könnten neben dem Sakramentar von Tyniec angeführt werden, so beispielsweise die lange Reise des Codex Egberti / Codex Gertrudianus. Vgl. Christian Lübke: Zwischen Krakau und Rom. Die Kiever Fürsten Izjazlav und Jaropolk in Mitteldeutschland, in: Italien, Mitteldeutschland, Polen. Geschichte und Kultur im europäischen Kontext vom 10. bis zum 18. Jahrhundert, hg. v. Wolfgang Huschner, Enno Bünz und Christian Lübke (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde, Bd. 42), Leipzig 2013, S. 121–136, hier S. 134–136, sowie den Beitrag von Ludwig Steindorff in diesem Band. – Für

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War Köln also ein wichtiges Zentrum im frühmittelalterlichen Europa, an welchem die Bahnen der europäischen Politik, die Wege von Exilanten und die Routen von Handschriften zusammenliefen? Ist Köln ein Schlüssel für das Verständnis der europäischen Beziehungen im 11. Jahrhundert?

Polen im 11. Jahrhundert: Fragen und Perspektiven der Forschung Im Zentrum des bisherigen Interesses bei der Erforschung der Geschichte von Polen und seinen Nachbarn im frühen Mittelalter standen zum einen die frühen Ansätze der Christianisierung im 10. Jahrhundert und zum anderen die Herrschaft Bolesław Chrobrys, wobei um das Jahr 2000 aufgrund des 1000-Jahr-Jubiläums insbesondere der Akt von Gnesen große Beachtung fand.10 Die nachfolgenden Jahrzehnte der polnischen Geschichte standen demgegenüber deutlich im Schatten,11 was auch in der Quellenlage begründet liegt: Für die polnische Geschichte in den Jahren nach 1034, so Christian Lübke, „liegen so wenige Nachrichten vor, daß sie für eine zuverlässige Darstellung der Ereignisse nicht ausrei­ chen. Dennoch wurden vielfältige und kontroverse Thesen entworfen, die von der völligen Auflösung des Staates über den Verlust lediglich der Einheit bis zum Aufbau einer quasirepub­ likanischen Ordnung nach dem Vorbild der fürstenlosen Lutizen reichen“.12 Eduard Mühle Beispiele für Handschriftenexporte insbesondere aus dem ostfränkisch-deutschen Reich, Frankreich und Italien im 11. Jahrhundert nach Gnesen und Krakau vgl. Europas Mitte um 1000. Beiträge zur Geschichte, Kunst und Archäologie. Ausst. Kat. Reiss-Engelhorn-Museum Mannheim, 3 Bde., hg. v. Alfried Wieczorek und Hans-Martin Hinz, Darmstadt 2000, Bd. 3: Katalogband, S. 415–418 u. 521–525. 10 Der bisherige Fokus der Forschung auf der polnischen Geschichte des 10. und beginnenden 11. Jahrhunderts wird klar ersichtlich aus Eduard Mühle: Polen im Mittelalter. Ein Verzeichnis der seit 1990 auf Deutsch, Englisch und Französisch publizierten Arbeiten der polnischen Mediävistik (Quaestiones medii aevi novae collectio, Bd. 1), Krakau 2014. – Zum Akt von Gnesen vgl. auch Polen und Deutschland vor 1000 Jahren. Die Berliner Tagung über den „Akt von Gnesen“, hg. v. Michael Borgolte (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 5), Berlin 2002. 11 Vgl. hierzu die immer noch treffende Einschätzung von Jerzy Strzelczyk: Der Volksaufstand der Polen, in: Zeitschrift für Archäologie 18 (1984), S. 129–140, hier S. 129: Insgesamt sei die Zeit zwischen 1020 und 1040 „besonders schwach erforscht worden“. 12 Christian Lübke: Frühzeit und Mittelalter (bis 1569), in: Eine kleine Geschichte Polens, hg. v. Rudolf Jaworski, Christian Lübke und Michael G. Müller (Edition Suhrkamp, Bd. 2179), Frankfurt am Main 2000, S. 13–141, hier S. 59. – Nach Strzelczyk 1984 (wie Anm. 11), S. 129 u. 133–136, hat die bisherige Forschung vier Theorien erarbeitet, mit welchen die Ursache für den Aufstand erklärt wird: So seien der Anlass ein politischer Machtkampf, soziale Konflikte, eine antichristliche Reaktion oder eine Intervention von außen gewesen. Eduard Mühle: Die Piasten. Polen im Mittelalter (Beck’sche Reihe, Bd. 2709), München 2011, S. 30 f., deutet den Konflikt als soziale und kirchlich-religiöse Unruhen sowie als einen elitären Widerstand gegen den Missionseifer der Piasten und gegen die von der herrschenden Dynastie geforderten hohen finanziellen Abgaben.

Die Beziehungen zwischen dem ostfränkisch-deutschen Reich und Polen im 11. Jahrhundert  |  167

hat von einem „schwer entwirrbaren Ursachenknäuel“13 für die Krise ab den 1030er Jahren gesprochen und nochmals nachdrücklich darauf hingewiesen, dass selbst darüber Unklarheit in der Forschung besteht, wann der Aufruhr gegen die Piasten begonnen habe: 1034, 1036/37, 1038 oder 1040?14 Die bisherigen Deutungen und Bewertungen des herrschaftlichen Handelns Kasimirs des Erneuerers basieren also auf einer in mehrfacher Hinsicht unsicheren Rekonstruktion von Ereignissen und Biographien, jedoch vermag vielleicht eine gesicherte Datierung des Sakramentars von Tyniec, aber auch weiterer Handschriften und Kunstgegenstände mehr Licht in das Dunkel zu bringen. Andere zentrale Zeugnisse wurden und werden ebenfalls immer wieder unter die Lupe genommen, wenn zum Beispiel diskutiert wird, inwieweit die Urkunde gefälscht ist, in welcher für das Jahr 1028 ein Aaron als Mönch von Brauweiler genannt wird,15 welche Nachrichten zum älteren Bestand der Annalen des Krakauer Domkapitels gehören und aus welchen Quellen diese übernommen wurden16 oder welche Schilderungen in den Chroniken des Gallus Anonymus oder des Vinzenz Kadłubek als glaubwürdig zu erachten sind17 – ganz zu schweigen von den Datierungen und Deutungen archäologischer Befunde, so bei der Frage, ob mit den 1032/33 gefällten Hölzern in Breslau ein christlicher Sakralbau, ein heidnischer Tempel oder ein profanes Bauwerk errichtet wurde.18 13 Mühle 2011 (wie Anm. 12), S. 30. 14 Vgl. Mühle 2011 (wie Anm. 12), S. 30. – Eine Chronologie der Ereignisse im Polen der 1030/40er Jahre bei Tadeusz Manteuffel: The Formation of the Polish State. The Period of Ducal Rule, 963– 1194, Detroit 1982, S. 85–90. – Strzelczyk 1984 (wie Anm. 11), S. 130–132. – Lübke 2000 (wie Anm. 12), S. 58–61. – Mühle 2011 (wie Anm. 12), S. 29–34. 15 Vgl. Art. Aaron, Bischof von Krakau (1046–59), in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1, Stuttgart 1999, Sp. 6 f. (Aleksander Gieysztor), hier Sp. 6. 16 Umfassend zu Problemen und Möglichkeiten der Rekonstruktion der frühen Nachrichten der ‚Annales capituli Cracoviensis‘ sowie zur Forschungsdiskussion jetzt Marzena Matla-Kozłowska: Kirchliche Außenkontakte und die Anfänge des historischen Schrifttums, in: Fernhändler, Dynasten, Kleriker. Die piastische Herrschaft in kontinentalen Beziehungsgeflechten vom 10. bis zum frühen 13. Jahrhundert, hg. v. Dariusz Adamczyk und Norbert Kersken (Quellen und Studien. Deutsches Historisches Institut Warschau, Bd. 30), Wiesbaden 2015, S. 217–240, hier S. 223–231. – Neben vielen anderen Thesen wurde in der Forschung auch die Vermutung geäußert, die Nachrichten in den Krakauer Annalen seien aus Köln entweder durch Richeza um 1013 oder durch Aaron um 1044 nach Krakau gekommen. Diese Hypothesen gelten jedoch heute als wenig plausibel. Vgl. Matla-Kozłowska 2015 (wie Anm. 16), S. 223 f. u. 232. 17 Vgl. hierzu den Überblick über die erst im Hoch- und Spätmittelalter verfassten historiographischen Quellen zur polnischen Geschichte der 1030er und 1040er Jahre bei Strzelczyk 1984 (wie Anm. 11), S. 129. 18 Nach Mühle 2011 (wie Anm. 12), S. 31, wurde in Breslau ein Tempel mit 1032/33 gefällten Hölzern errichtet; Eduard Mühle: Breslau. Geschichte einer europäischen Metropole, Köln 2015, S. 20, spricht dieses Gebäude im nordwestlichen Teil der Breslauer Burg als „paganen Kultbau“ an. Ebenso

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Wie verschiebt sich das Bild von den Ereignissen in Polen im ersten Viertel des 11. Jahrhunderts, wenn sich der Konsens über eine Datierung, die Einschätzung über die Glaubwürdigkeit einer Nachricht oder die Deutung eines kunsthistorischen oder archäologischen Befundes ändert? Ist eine Rekonstruktion von Ereignissen, Lebensläufen, Motivationen oder Folgen überhaupt möglich, oder fasst man in den Quellen nur eine spätere Erinnerung, eine spätere argumentative Nutzung oder eine spätere Instrumentalisierung? Insbesondere über die Biographie Aarons von Krakau und über das Gründungsdatum des Klosters Tyniec muss die bisherige Forschungsdiskussion weitergeführt werden: Wurde das Kloster bereits von Kasimir dem Erneuerer gegründet, wofür sich immer wieder Gerard Labuda stark gemacht hatte, oder ist erst Bolesław II. der Kühne als dessen Fundator anzusprechen, wie zuletzt eindrücklich von Roman Michałowski argumentiert wurde?19 Stanisław Rosik / Przemysław Urbańczyk: The Kingdom of Poland, with an Appendix on Polabia and Pomerania between Paganism and Christianity, in: Christianization and the Rise of Christian Monarchy. Scandinavia, Central Europe and Rus’ c. 900–1200, hg. v. Nora Berend, Cambridge 2007, S. 263–318, hier S. 278, mit weiterführenden Hinweisen. – Zur Problematik der Deutung von religiösen Gebäuden, Praktiken und Objekten durch die Archäologie und andere Disziplinen vgl. Sebastian Brather: Archäologie der westlichen Slawen. Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaft im früh- und hochmittelalterlichen Ostmitteleuropa (Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 30), Berlin 2001, S. 318–354. Zu fragen ist allerdings nicht nur, welche Befunde als christlich und welche als heidnisch zu interpretieren sind, sondern auch danach, ob für die erste Hälfte des 11. Jahrhunderts Konzepte wie Christentum und Heidentum klar zu trennen sind, ja von den Zeitgenossen überhaupt als Alternativen wahrgenommen wurden. 19 Die Forschungsdiskussion um die Gründung des Klosters Tyniec kann hier nicht in allen Details nachvollzogen werden, hingewiesen sei lediglich auf Gerard Labuda: Szkice historyczne XI wieku. Początki klasztoru benedyktynów w Tyńcu, in: Studia Zródloznawcze 35 (1994), S. 23–64, insbes. die Zusammenfassung S. 60–63, der nach seiner Sichtung der älteren Forschung ebenso wie der urkundlichen und chronikalischen Überlieferung sowie der baugeschichtlichen Informationen an der These der Gründung des Klosters im Jahr 1044 durch Kasimir und der Einsetzung von Mönch Aaron aus Brauweiler als ersten Abt festhält. Die These der frühen Gründung von Kloster Tyniec vertreten in der jüngeren Forschung beispielweise auch Marek Derwich: Die polnischen Benediktiner im mittelalterlichen Europa: Kontakte zu Abteien im Reich, in: Die Abtei Sankt Gallen und Polen. Materialien des Internationalen Symposiums vom 19. November 1999, hg. v. Werner Vogler und Jerzy Wyrozumski (Internationales Kulturzentrum Krakau, Reihe: Wissenschaft, Bd. 10), Krakau 2001, S. 27–52, hier S. 33 u. 45 f. – Rosik / Urbańczyk 2007 (wie Anm. 18), S. 28. – Jerzy Kłoczowski: Klöster und Orden im mittelalterlichen Polen (Klio in Polen, Bd. 15), Osnabrück 2013, S. 51–56, sowie in der deutschen Forschung zum Beispiel: Richeza. Königin von Polen und Gönnerin der Abtei Brauweiler. Beziehungen zwischen Deutschen und Polen vor 1000 Jahren, hg. v. Peter Schreiner (Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde, Sonderveröffentlichungen, Bd. 19), Pulheim 1998, S. 35. – Hedwig Röckelein: Heiraten. Ein Instrument hochmittelalterlicher Politik, in: Der Hoftag in Quedlinburg 973. Von den historischen Wurzeln zum Neuen Europa, hg. v. Andreas Ranft, Berlin 2006, S. 99–135, hier S. 120, die beide überdies den entscheidenden Einfluss Richezas auf Kasimirs Gründung hervorheben. – Roman Michałowski: Princeps fundator. Monarchische Stiftungen und politische Kultur im piastischen Polen (10.–13. Jahrhundert), in: Monarchische und adlige Sakralstiftungen

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Forschungsansätze zu Außenbeziehungen im Mittelalter Über die Rekonstruktion von Ereignissen und Biographien hinaus ist es notwendig, das Handeln Kasimirs, die Gründung des Klosters Tyniec und die Beziehungen nach Köln im größeren Rahmen der herrschaftlichen und kirchlichen Verhältnisse in Europa zu betrachten. Solche Außenbeziehungen wurden im letzten Jahrzehnt mit neuen Fragestellungen, Perspektiven und Methoden untersucht, in welchen vor allem traditionelle Vorstellungen von ,Nation‘, ,Staat‘ und ,Außenpolitik‘ für das Frühmittelalter problematisiert wurden. Viele der älteren Studien sowie besonders der Überblickswerke und Synthesen wandten methodische Zugänge wie die klassische Komparatistik, die beschreibende Beziehungsgeschichte, die Diplomatiegeschichte oder die Geschichte der mittelalterlichen Außenpolitik an und deuteten Außenbeziehungen als Politik von Herrschern, deren ,Erfolge‘ und die dahinterstehenden ,Strategien‘ und ,Konzeptionen‘ daran gemessen wurden, ob sie die Bedeutung von ,Nationen‘ oder ,Staaten‘ vergrößert hätten.20 Dies zeigte sich zum Beispiel besonders eindrücklich an einem 1994 von Franz Staab herausgegebenen Tagungsband zu den „Auslandsbeziehungen unter den salischen Kaisern“, in welchem Egon Boshof in seinem Beitrag „Das Salierreich und der europäische Osten“ moderne staatsrechtliche und politikwissenschaftliche Begriffe und Konzepte wie „ostmitteleuropäische Staaten“, „Konsoli­ dierung von Staaten“, „deutsche Grenzen“, Polen als „Machtfaktor“, „Konrads II. Ostpolitik“, „außenpolitisches Kalkül“, „piastische Expansionspolitik“ oder „Präventivschlag“ benutzte.21 Doch gerade zum einen die ab den 1990er Jahren blühende nationes-Forschung, welche Anregungen der Ethnogenese-Forschung aufgenommen hatte, und zum anderen eine nach 1989 wieder auflebende Europageschichtsschreibung führten dazu, Außenbeziehungen im Mittelalter weiterhin als Politik zwischen ,Nationen‘ und ,Staaten‘ zu begreifen, im mittelalterlichen Polen, hg. v. Eduard Mühle (Stiftungsgeschichten, Bd. 9), Berlin 2012, S. 37– 108, hier S. 82 f., plädiert für die Annahme einer längeren Gründungsphase des Klosters in den 1070er Jahren; erst Bolesław II. der Kühne sei als der eigentliche Klostergründer anzusprechen. Er folgt hier älteren Positionen der Forschung, die entweder Bolesław II. als alleinigen Fundator angesehen hatten oder von einem zweistufigen Prozess ausgegangen waren. Vgl. die Forschungsübersicht bei Michałowski 2012 (wie Anm. 19), S. 70–86 sowie zuletzt Krzysztof Skwierczyński: Intellektuelle Kontakte Polens mit dem Ausland, in: Adamczyk / Kersken 2015 (wie Anm. 16), S. 263–279, hier S. 277. – Vgl. auch den Beitrag von Roman Michałowski in diesem Band. 20 Zu diesen Methoden vgl. Bihrer 2012 (wie Anm. 1), S. 26–30. 21 Die Zitate nach Egon Boshof: Das Salierreich und der europäische Osten, in: Auslandsbeziehungen unter den salischen Kaisern. Geistige Auseinandersetzung und Politik. Referate und Aussprachen der Arbeitstagung vom 22.–24. November 1990 in Speyer, hg. v. Franz Staab (Veröffentlichungen der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in Speyer, Bd. 86), Speyer 1994, S. 167– 192, hier S. 170 f. Der Tagungsband ist eine wichtige Ergänzung zu Die Salier und das Reich, hg. v. Stefan Weinfurter, 3 Bde., Stuttgart 1992, worin die Außenbeziehungen der Salier nicht eigens thematisiert sind.

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was Beiträge insbesondere im 2000 erschienenen Ausstellungskatalog „Europas Mitte um 1000“ oder zu anderen Großausstellungen demonstrieren, in denen frühmittelalterliche Außenbeziehungen zwar nun in einem europäischem Kontext, aber dennoch vor allem ,national‘ und ,bilateral‘ und damit in Bezug auf homogene und abgeschlossene Entitäten behandelt wurden: Formulierungen zum Beispiel in den Beiträgen von Jerzy Strzelczyk wie „Die außenpolitischen Beziehungen der ersten Piasten“, „der erste polnische Staat“, entstanden mit Hilfe von „Deutschland“, „polnisch-deutsche Kriege“, „deutsch-russischer An­ griff“, „Staatsgrenze“ oder „Heinrich III. unterstützte nun Kazimierz, der mit deutschen und russischen Hilfstruppen in Polen einzog“, belegen dies.22 Ergiebiger für die hier verfolgten Fragestellungen ist hingegen ein aktueller Sammelband einer 2012 am Deutschen Historischen Institut Warschau veranstalteten Konferenz, der 2015 unter dem Titel „Fernhändler, Dynasten, Kleriker. Die piastische Herrschaft in kontinentalen Beziehungsgeflechten vom 10. bis zum frühen 13. Jahrhundert“ von Dariusz Adamczyk und Norbert Kersken publiziert wurde.23 Der Tagungsband steht in der Tradition der personengeschichtlichen Forschung und der Untersuchung von personalen Netzwerken in der Vormoderne; in ihm wurden – dem Dreiklang des Obertitels entsprechend – Studien zu wirtschaftlichen, politischen und kirchlich-geistigen Eliten und deren Netzwerken veröffentlicht mit einem Fokus auf „Händler- und Silbernetzwerke“, „politische Eheanbahnungen“ und „klerikale Netzwerke“.24 Die Publikation regt an, diese Themen ebenso für den engeren Zeitraum des zweiten Viertels des 11. Jahrhunderts zu untersuchen, zugleich aber auch die drei zentralen Thesen des Sammelbands kritisch zu hinterfragen: Diente erstens in Hinblick auf die wirtschaftlichen Beziehungen „Metallgeld als zen­ trales Machtinstrument“?25 Geschah zweitens ein „Aufbau stabiler persönlicher Netzwerke über Heiratsbeziehungen“,26 oder waren diese lediglich potentielle Verbindungslinien? ­Hatten Verheiratungen außerhalb des eigenen Machtbereichs im Frühmittelalter nicht vielmehr die Funktion, königlichen Rang gegenüber den Großen im eigenen Reich zu 22 Die Zitate nach Jerzy Strzelczyk: Polen im 10. Jahrhundert, in: Kat. Mannheim 2000 (wie Anm. 9), Bd. 1, S. 446–457, hier S. 450, und Jerzy Strzelczyk: Die außenpolitischen Beziehungen der ersten Piasten, in: Kat. Mannheim 2000 (wie Anm. 9), Bd. 1, S. 536–539, hier S. 534 u. 536–539. Zu diesem Vokabular der Neuzeitforschung vgl. auch Christian Lübke: Das Reich von Kiev als Faktor der Beziehungen zwischen Deutschland und Polen (10.–11. Jahrhundert), in: Mittelalter – eines oder viele? = Średniowiecze – jedno czy wiele? Erstes deutsch-polnisches Mediävistentreffen, Wrocław, 3–5 VI 2005, hg. v. Sławomir Moździoch, Wojciech Mrozowicz und Stanisław Rosik (Colloquia, Bd. 7), Breslau 2010, S. 127–139, hier S. 128 u. 139. 23 Vgl. Adamczyk / Kersken 2015 (wie Anm. 16). 24 Die Zitate nach Dariusz Adamczyk / Norbert Kersken: Fernhändler, Dynasten, Kleriker – Ökonomische, politische und geistige Netzwerke des piastischen Polen – Einleitung, in: Adamczyk / Kersken 2015 (wie Anm. 16), S. 7–13, hier S. 12. 25 Adamczyk / Kersken 2015 (wie Anm. 16), S. 12. 26 Adamczyk / Kersken 2015 (wie Anm. 16), S. 11.

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demonstrieren und Prinzessinnen dem eigenen Heiratsmarkt zu entziehen, um Ansprüche anderer auf die Königsherrschaft abzuwehren? Und hatte drittens, so die Herausgeber des Sammelbands, die Annahme des Christentums tatsächlich einen „zentralen Unifizierungs­ prozess“ in Europa zum Ergebnis, worauf die „Einführung kirchlicher Strukturen, die überall gleich waren“, folgte?27 Um zu einem besseren Verständnis zum Beispiel für Form und Intensität der Kontakte, die Phasen der Beziehungen, das Verhältnis und die Konstellation zwischen den Austauschpartnern, den Gebrauch der Kontakte und die produktive Aneignung der Transfergüter sowie die Wirkungen der Außenbeziehungen im frühmittelalterlichen Europa zu kommen, ist es jedoch hilfreich, die aktuellen methodischen Zugänge in Hinblick auf drei Wirkungsebenen zu unterscheiden, die als regna, regiones und christianitas bezeichnet werden sollen.28 (1) regna: Auf der Ebene der regna sind Anregungen fruchtbar zu machen, die auf der ‚neueren Politik- und Verfassungsgeschichte‘ basieren und die Gerd Althoff für das Frühmittelalter in seiner Formulierung „Königsherrschaft ohne Staat“29 treffend auf den Punkt gebracht hat.30 Auch bei der Beschäftigung mit den Außenbeziehungen der regna dieser Epoche ist es lohnend, nach der Rolle von Beziehungslinien und nach den Gruppenbindungen zwischen ‚Verwandten, Freunden und Getreuen‘ zu fragen sowie Themen wie Konfliktführung und -beilegung, Spielregeln und Rituale oder Geschenk- und ­Gabentausch zu erforschen. In Hinblick auf die Akteure stehen dann Herrscherbegegnungen, Gesandtschaften und das Handeln nichtköniglicher Herrschaftsträger im Mittelpunkt, bei den Bindungsformen kommen Geschenken, Verbrüderungen und Heiraten eine hervorgehobene Stellung zu, in Bezug auf die Auswirkungen auf die regna sind das Handeln von Königinnen, die gegenseitige politische und militärische Hilfe sowie die Übernahme von Herrschaftstechniken und Repräsentationsformen zu untersuchen, ­außerdem die gegenseitige Wahrnehmung und die Formen der argumentativen Nutzung von Außenbeziehungen zu analysieren. Aus dieser Perspektive wäre für das Fallbeispiel Kasimirs – Eduard Mühle folgend – zu problematisieren, ob die Ereignisse der 1030er Jahre in Polen tatsächlich als völliger Zusammenbruch staatlicher und kirchlicher Strukturen zu werten sind, wie vielfach in der Forschung angenommen wurde, wogegen beispielweise spricht, dass die Herrschaft der Piasten schnell, ohne große Widerstände und relativ problemlos wieder resti­

27 Adamczyk / Kersken 2015 (wie Anm. 16), S. 13. 28 Zu diesem Konzept vgl. Bihrer 2012 (wie Anm. 1), S. 38–48. 29 Vgl. den Untertitel von Gerd Althoff: Die Ottonen. Königsherrschaft ohne Staat (KohlhammerUrban-Taschenbücher, Bd. 473), 3. Aufl. Stuttgart 2013. 30 Zur Kategorie regna vgl. Bihrer 2012 (wie Anm. 1), S. 227–230.

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tuiert werden konnte.31 Lohnend ist es, neben der Analyse der sozialen Beziehungen und der Gruppenkonfigurationen, auch die Schilderungen in den Quellen danach zu befragen, was die Ursachen einer solchen Krisenwahrnehmung waren, welche Gattungskonzepte eine derartige Schilderung verlangten und welchen argumentativen Nutzen sich Verfasser versprachen, die Situation in übertriebener Form als völlige Katastrophe darzustellen. (2) regiones: Auch an dem hier analysierten Fallbeispiel lässt sich zeigen, dass eine Beschränkung allein auf die regna wie das ostfränkisch-deutsche Reich, Polen, Böhmen oder Ungarn nicht genügt, um die Ereignisse der 1030er und 1040er Jahre verstehen zu können. Erkenntnisfördernd ist vielmehr eine Fokussierung auf Kontakträume und auf die Akteure, die in diesen Räumen wirkten, ja durch die Situationen der Begegnungen, durch Kontakte und Transfers sowie durch die gegenseitige Wahrnehmung und die spätere Erinnerung diese regiones überhaupt erst erschufen.32 Anregungen für diese Sichtweise kommen erstens von der seit dem spatial turn intensivierten Erforschung von Räumen und Grenzen, zweitens von der ‚Transnationalen Geschichte‘ mit ihrem Blick auf nichtstaatliche Akteure und von der Migrationsforschung mit ihrem Fokus auf die Gestaltungskraft von Migranten sowie drittens von Angeboten der Akkulturationsforschung und der Kulturtransferforschung sowie deren Weiterentwicklungen wie dem interkulturellen Transfer, der Hybriditätstheorie oder der Verflechtungsgeschichte.33 Nun stehen mobile Akteure wie Händler, Pilger, Exilanten, Ehefrauen, Arbeitsmigranten, Gelehrte, Äbte und Mönche, Bischöfe und Säkularkleriker oder Landbesitzer sowie deren Mobilität, das Entstehen von Reisewegen und Begegnungsräumen sowie die Semantik personaler Beziehungen im Zentrum des Forschungsinteresses. Für die Beziehungen zwischen Polen und dem ostfränkisch-deutschen Reich im 11. Jahrhundert sollte der Blick insbesondere auf die nichtköniglichen Akteure fallen, auf Erzbischöfe wie Hermann II., Bischöfe und Äbte wie Aaron oder weltliche Große, sowohl als Akteure mit eigenständigen Interessen als auch als erste Adressaten kaiserlicher, königlicher oder herzoglicher Selbstdarstellung bei der Inszenierung von Außenbeziehungen. 31 Vgl. Mühle 2011 (wie Anm. 12), S. 32, unter der Kapitelüberschrift „Krise und Wiederherstellung“ mit folgendem Fazit: Die Ereignisse der 1030er Jahren hätten „eher zu einer Stärkung als zu einer Schwächung der piastischen Herrschaft“ beigetragen. – Die Ereignisse der 1030er Jahre in Polen wurden von der Forschung nur selten mit neutralen Termini wie Wandel, Veränderung oder Transformation beschrieben, sondern meist als Aufstand, Aufruhr, Krise, Chaos oder Zusammenbruch. Vgl. als ein Beispiel die Kapitelüberschrift in Manfred Alexander: Kleine Geschichte Polens, Stuttgart 2008, S. 30: „Jahre des Niedergangs und die Krise des Piastenstaates“. – Eine umfassende Übersicht über die von Kontinuität und bis zum völligem Niedergang reichenden Wertungen der älteren Forschung bietet Strzelczyk 1984 (wie Anm. 11), insbes. S. 132. 32 Zur Kategorie regiones vgl. Bihrer 2012 (wie Anm. 1), S. 49–52. 33 Zu diesen Methoden vgl. Bihrer 2012 (wie Anm. 1), S. 30–38.

Die Beziehungen zwischen dem ostfränkisch-deutschen Reich und Polen im 11. Jahrhundert  |  173

Besonders interessant ist die wissenschaftliche Beschäftigung – außer mit den schon ­länger im Fokus der Forschung stehenden Herrscherinnen wie Richeza34 – mit jugendlichen ­Akteuren aus den europäischen Herrscherhäusern wie Edward the Exile, dessen Sohn Edgar oder Kasimir: Inwieweit waren sie Spielbälle der Interessen der Großen oder anderer Herrscher, und inwieweit konnten sie sich eigenständige Handlungsoptionen erarbeiten? Hier sind vor allem die Impulse der polnischen Forschung aufzunehmen, die mit dem Wissen um die spätere ‚polnische Adelsrepublik‘ schon für das Frühmittelalter ein besonderes Augenmerk auf die Adeligen und Großen gelegt hat, so zum Beispiel auf den allerdings nur spät belegten regionalen Potentaten Miecław, der möglicherweise in den 1040er Jahren in Masowien eine eigene Herrschaft etabliert hatte.35 Dass sich Kasimir so schnell hatte durchsetzen können, mag – ähnlich wie bei dem allerdings gescheiterten Edward the Exile  – wohl auch damit zusammenhängen, dass bestimmte Gruppen in Polen die Piasten zurückholen wollten, die Initiative und entscheidende Unterstützung sind also nicht nur im Westen und nicht nur beim Kaiser zu suchen. Die Erforschung von regiones macht zudem sensibel für Grenzräume, und hier sei lediglich nochmals in Erinnerung gerufen, dass das ostfränkisch-deutsche Reich und Polen im 11. Jahrhundert ja keine direkten Nachbarn waren, sondern sich zwischen diesen beiden regna die Herrschaftsräume anderer Akteure befanden.36 Schließlich sei noch auf die ‚Grenzgänger‘ eingegangen: War Aaron, wie jüngst formuliert wurde, der „wichtigste Mitarbeiter des Herzogs bei der Erneuerung der polnischen Kirche“,37 der (wie der Komponist und Abt von Groß St. Martin, Aaron Scotus) aus Irland oder Schottland stammte, später in das Kloster in Brauweiler oder in einen Kölner Konvent eingetreten war, schließlich 1044 Abt von Tyniec und – vom Kölner Erzbischof geweiht und möglicherweise in Personalunion mit seinem Abbatiat  – 1046 Bischof von Krakau wurde?38 Oder war Aaron  – wie zuletzt Roman Michałowski herausstellte – nur ein Bischof von Krakau, dessen Lebenslauf erst in der Tradition des 13. Jahrhunderts das Amt eines Abtes, die Kölner Bischofsweihe und 34 Vgl. unter anderem die Dokumentation einer Ausstellung in Schreiner (wie Anm. 19) und die Übersicht bei Röckelein 2006 (wie Anm. 19), S. 120–122. In beiden Publikationen wird Richeza als ­bedeutende Vermittlung Kölner Einflusses auf vielen Gebieten von Kunst und Religion verstanden. 35 Vgl. hierzu Strzelczyk 1984 (wie Anm. 11), S. 133–136. 36 Vgl. Christian Lübke: Zwischen Polen und dem Reich: Elbslawen und Gentilreligion, in: Borgolte 2002 (wie Anm. 10), S. 91–110, hier S. 91 f. 37 Kłoczowski 2013 (wie Anm. 19), S. 52. 38 Die These der Identität Bischofs Aarons von Krakau mit dem Mönch von Brauweiler und dem späteren Abt von Tyniec gleichen Namens verteidigen Gerard Labuda: Aron (Aaron), Bischof von Krakau, http://www.uni-leipzig.de/gwzo/wissensdatenbank/artikel.php?ArtikelID=181.0000, Universität Leipzig (verfasst 1995) (letzter Zugriff: 01.11.2017). – Derwich 2001 (wie Anm. 19), S. 33 u. 45 f. – Kłoczowski 2013 (wie Anm. 19), S. 52. – Röckelein 2006 (wie Anm. 19), S. 120. – Dariusz Andrzej Sikorski: Die Rolle der Geistlichen ausländischer Herkunft in der polnischen Kirche des 10.–12. Jahrhunderts, in: Adamczyk / Kersken 2015 (wie Anm. 16), S. 241–262, hier S. 257.

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die cluniazensischen Verbindungen hinzugedichtet wurden, um ein besonders schillerndes und ehrenvolles Bild seiner Person zu zeichnen?39 (3) christianitas: Die Kirchengeschichte, die Kultur- und Wissensgeschichte, aber ebenso die mediävistische Europa- und Globalgeschichte haben immer wieder darauf hingewiesen, dass auch im Frühmittelalter fraglos eine größere Vorstellungswelt existierte, welche die regiones und die regna überwölbte, nämlich die christianitas.40 Das aktuell neu erwachte Interesse an der Geschichte von Religion, das sich in zahlreichen Großforschungsprojekten manifestiert, erinnert ebenfalls an diese Ebene, wobei in den Forschungsergebnissen stets auf die Heterogenität religiöser Vorstellungen und Ausdrucksformen hingewiesen wird. Selbst bei den Akteuren auf der Ebene der regna muss man sich immer wieder vor Augen führen, dass bei der Etablierung und Gestaltung von Außenkontakten im Gegensatz zur Neuzeit vielleicht sogar auch bei dieser Gruppe religiöse Anliegen im Zentrum standen, nennen doch die Quellen als Motivationen für die Aufnahme von Beziehungen beispielsweise den Erwerb von Reliquien, den Austausch religiöser Artefakte und Texte sowie die Sicherung der gegenseitigen Memoria durch Geschenke und Verbrüderungen. Mit der Perspektive auf die christianitas kommen Objekte und Konzepte wie Bildungsaustausch, Wissenstransfer und monastische Reformen in den Blick und die damit verbundenen Wissenstexte und Regeln, aber auch die Liturgie, Seelsorge, Heiligenverehrung oder die religiöse Kunst. Zu untersuchen ist weiterhin, wie die christianitas in historischen, geographischen und ethnographischen Konstruktionen immer wieder neu umrissen und ausdifferenziert wurde. Für das in diesem Sammelband verfolgte Thema sind in Bezug auf diese Wirkung­s­ ebene die Analyse der Christianisierung Polens im Frühmittelalter41 sowie insbesondere die in der ersten Hälfte des 11.  Jahrhunderts nachweisbaren Transfers an kirchlichen

39 Die Ansicht, dass erst in spätmittelalterlichen Quellen Bischof Aaron von Krakau das Abbatiat von Tyniec zugeschrieben wurde, vertreten Gieysztor 1999 (wie Anm. 15), Sp. 6. – Art. Tyniec, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 8, Stuttgart 1999, Sp. 1130 f., hier Sp. 1131 (Jerzy Strzelczyk). – Michałowski 2012 (wie Anm. 19), S. 82 . 40 Zur Kategorie christianitas vgl. Bihrer 2012 (wie Anm. 1), S. 387–390. 41 Zur Christianisierung Polens im 10. Jahrhundert vgl. Jerzy Strzelczyk: Probleme der Christianisierung in Polen, in: Rom und Byzanz im Norden. Mission und Glaubenswechsel im Ostseeraum während des 8.–14. Jahrhunderts. Internationale Fachkonferenz der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Verbindung mit der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz, Kiel, 18.–25. September 1994, hg. v. Michael Müller-Wille (Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz. Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse, Jg. 1997, Nr. 3), Bd. 2, Stuttgart 1998, S. 191–214. – Rosik / Urbanczyk 2007 (wie Anm. 18). – Roman Michałowski: Christianisation of the Piast monarchy in the 10th and 11th Centuries, in: Acta Poloniae Historica 101 (2010), S. 5–35.

Die Beziehungen zwischen dem ostfränkisch-deutschen Reich und Polen im 11. Jahrhundert  |  175

Reformideen in Mitteleuropa zentral.42 Hierbei fällt der Blick auf die Klosterverbände um Cluny und Fleury, auf die monastischen Gemeinschaften in Lothringen sowie besonders auf die Konvente in und um Köln, aber vielleicht auch auf England und Irland. In das Sichtfeld kommen zudem Transferobjekte wie Patrozinien,43 Texte und Gegenstände, mit welchen diese Vorstellungen transportiert wurden, so in dem Sakramentar, das Knut der Große nach Köln geschenkt hatte und das dann wieder zurück nach England gekommen war – oder in dem Sakramentar von Tyniec.

42 Zu den Beziehungen Polens zu seinen Nachbarn auf kirchlicher Ebene vgl. The Neighbours of Poland in the 10th Century, hg. v. Przemysław Urbańczyk, Breslau 2000. – Jerzy Strzelczyk: Gnesen – Magdeburg – Bamberg – Rom. Frühe Kirchenbeziehungen zwischen Polen, dem mitteldeutschen Raum und Italien, in: Huschner / Bünz / Lübke 2013 (wie Anm. 9), S. 99–120, insbes. S. 99–101. – Zur Rezeption der Gregorianischen Reform in Polen vgl. Krzysztof Skwierczńyski: Recepcja idei gregoriańskich w Polsce do początku XIII wieku, Breslau 2005. – Zu den Beziehungen zwischen Klöstern in Polen und im ostfränkisch-deutschen Reich vgl. Derwich 2001 (wie Anm. 19). – Kłoczowski 2013 (wie Anm. 19). 43 Viele der Patrozinien sind oftmals spät belegt, so werden beispielsweise die Krakauer Patrozinien St. Gereon sowie Felix und Adauctus erst im 15. Jahrhundert bei Jan Długosz (1415–1480) erwähnt und müssen nicht zwangsläufig bereits zur Bauzeit bestanden haben.

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Ludwig Steindorff

Die Kiever Rus’ und das Reich im 10. und 11. Jahrhundert

Begonnen sei mit einem Zitat aus dem Werk des dalmatinischen Chronisten Thomas ­archidiaconus von Split aus der Mitte des 13. Jahrhunderts. Rückblickend auf das 7. Jahrhundert, auf die Zeit der Reduzierung der romanischen Welt an der Adriaostküste auf die Küstenstädte, auf die slavischen Ethnogenesen und frühen Reichsbildungen im Hinterland, schreibt er über das Verhältnis zwischen den Bürgern von Split und den Slaven: „Nachdem zwischen ihnen Frieden geschlossen war, begannen die Spliter, mit den Slaven ab und zu Kontakt zu pflegen, Handelsgeschäfte auszuüben, Ehen zu schließen und sie friedfertig und vertrauensvoll ihnen gegenüber zu stimmen.“1 Unabhängig von der Konstruiertheit der Geschichte aus imaginierender Rückschau heraus enthält die Aussage doch zugleich eine noch heute gültige Grunderfahrung zur Begegnung von verfeindeten oder sich noch gar nicht kennenden Gruppen: Die friedliche Kommunikation beginnt mit dem Handel; die höchste und nicht immer erreichte Stufe der Kommunikation sind Eheschließungen über die alten Abgrenzungen hinweg. Diese Grunderfahrung betrifft auch das Thema meines Beitrags und das Konzept des ganzen hier vorliegenden Tagungsbandes. Doch während sich das Zitat auf den Mikrokosmos einer Stadt und ihres näheren Umlandes bezieht, ist der Band großräumiger Kommunikation gewidmet. Wir sind fasziniert davon, wie einerseits große Teile der Bevölkerung in jener Zeit des Hochmittelalters nach allem uns vorliegenden Wissen mit einem sehr kleinräumigen Horizont lebten, andererseits fehlt es nicht an Zeugnissen über große Entfernungen, die von Personen und Sachen bewältigt wurden. Und wir mögen uns fragen, mit welchen Mnemotechniken die notwendigen Kenntnisse über Orte und Personen in einer Welt minimaler Schriftlichkeit und fast ohne Landkarten gesichert waren. Verdichtungen von geographischem Wissen wie bei Adam von Bremen und Helmold von Bosau oder auch in der Weltbeschreibung am Anfang der altrussischen Nestorchronik vom Anfang des 11. Jahrhunderts sind kein Ausdruck allgemeinen Kenntnisstandes, vielmehr die Ausnahme mit Bezug auf einen engen Rezipientenkreis. Vorweg werde ich knapp vorstellen, was mit Kiever Rus’ im Titel gemeint ist, und dann auf einzelne Momente der Begegnung eingehen. Mein Gegenstand ist dabei nicht 1

Thomae archidiaconi Historia Salonitanorum atque Spalatinorum pontificium, hg. v. Olga Perić und Mirjana Matijević Sokol, Split 2003, S. 46, c. X,5.

Die Kiever Rus’ und das Reich im 10. und 11. Jahrhundert  |  177

die Ebene der Kommunikation durch Handel, sondern vielmehr der Elitenkontakt, vor allem durch Heirat. Im Laufe des 7. Jahrhunderts waren weite Gebiete des östlichen Europa slavisiert worden, im Nordwesten bis an den Fluss Schwentine östlich von Kiel. Der Befund an sich ist unstrittig, auch wenn über den Ablauf letztlich nur Mutmaßungen möglich sind: War die Slavisierung die Folge großer Wanderungsbewegungen? Oder erfolgte sie in stärkerem Maße über den Wechsel der Sprachpraxis in Verbindung mit einem Identitätswandel? Im Raum der späteren Rus’2 entstanden damals wie überall in den slavisch gewordenen Regionen relativ kleinräumige Stammesherrschaften. Ihr Gebiet wurde seit dem 9. Jahrhundert von den Normannen entdeckt und nach den Worten der altrussischen Nestorchronik als „Weg von Warägern zu den Griechen“,3 als Weg von der Ostsee in Richtung Schwarzes Meer, erschlossen. Erste Anfänge der Nutzung dieses Weges sind schon erkennbar in einer Nachricht in den Annales Bertiniani unter dem Jahr 839: An den Hof Ludwigs des Frommen in Ingelheim seien zusammen mit einer byzantinischen Gesandtschaft Männer der Rhos gekommen. Wie sie berichteten, könnten sie nicht auf demselben Weg zu ihrem König, dem Chagan, zurückkehren, da die Route, wie Erfahrungen auf der Hinreise gezeigt hätten, zu gefährlich sei. Ludwig argwöhnte jedoch, es handele sich um Spione der Suenonen.4 Dabei erfahren wir nicht, ob er sie schließlich doch durch sein Reich nach Norden reisen ließ. Wichtig für uns ist der Umstand, dass hier zwei Reisemöglichkeiten von Skandinavien in den Süden erkennbar werden: über das Gebiet der Karolingerherrschaft oder über die Flusswege viel weiter östlich. Die Normannen, auch Waräger genannt, errichteten Burgplätze entlang ihrer Route und dehnten von hier aus ihre Tributherrschaft über die slavischen Stämme aus. Schon im frühen 10. Jahrhundert konnte sich der Clan der Rjurikiden als Dynastie durchsetzen. Die Angehörigen der Dynastie führen in der Nestorchronik den Titel eines knjaz‘. Es ist aus der historischen Tradition der frühneuzeitlichen deutschen Quellen erwachsen, den Titel regelmäßig mit ‚Fürst‘ wiederzugeben. Doch bezogen zumindest auf die Stellung der 2

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Dies ist der aus den altrussischen Quellen entlehnte Terminus als Bezeichnung für das Ethnos wie auch das Reich. Ausgehend von der Klassifizierung durch die Slavistik spricht man heute auch gern vom Raum der Ostslaven: in der Terminologie der Gegenwart ungefähr Westrusslands, Weißrusslands und der Ukraine. Povest’ vremennych let, hg. v. Dmitrij Sergeevič Lichačev, Moskau 1950, S. 11. – Deutsche Übersetzung: Die altrussische Nestorchronik Povest’ vremennych let, hg. v. Reinhold Trautmann (Slavischbaltische Quellen und Forschungen, Bd. 6), Leipzig 1931, S. 3. – Verwiesen sei auch auf die Übersetzung von Ludolf Müller: Die Nestorchronik. Die altrussische Chronik, zugeschrieben dem Mönch des Kiever Höhlenklosters Nestor (Handbuch zur Nestorchronik, Bd. 4), München 1982. Annales Bertiniani/Annales de Saint-Bertin, ed. v. Félix Grat u. a. (Société de l’Histoire de France, Bd. 95), Paris 1964, S. 30 f.

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engsten Familienangehörigen könnte man auch von ‚König‘ reden, zumal bei Erwähnungen der Rus’ in den westlichen mittelalterlichen Quellen als Pendant zu knjaz‘ häufig auch rex erscheint. Ein zentrales Element der Ethnogenese der Rus’ bestand in der sprachlichen Slavisierung der Warägerschicht. Der Gruppen-, Volks- und Landesname Rus’ ist mit Sicherheit nicht slavischen Ursprunges. Am geläufigsten ist eine Ableitung von finnisch *ruotsi, seinerseits ein Lehnwort aus dem Skandinavischen und mit dem deutschen Wort ‚Ruderer‘ in Verbindung zu bringen. Gottfried Schramm hat die nichtslavische Herkunft des Namens akzeptiert, allerdings darauf gedrängt, auf Erklärungsversuche zu verzichten, da sie stets hypothetisch blieben.5 Als Zentrum der Rus’ entwickelte sich die Stadt Kiev am Dnepr, hier war der vornehmste Fürstensitz. Wer diesen innehatte, beanspruchte den Titel eines velikij knjaz‘, eines ‚Großfürsten‘.6 Worauf beruht unser Wissen über dieses Reich? Neben archäologischen Funden können wir auf Schriftquellen aus verschiedenen Welten zurückgreifen, zum einen auf die disparaten Zeugnisse der lateinischen Texttradition7 und auf die ebenso verstreuten griechischen und arabischen Quellen, zum anderen auf das geschlossene Bild der Annalistik des Kiever Reiches, verfasst auf Altrussisch in kyrillischer Schrift.8 Die Informationen aus den Schriftquellen der verschiedenen Bereiche ergänzen sich fallweise unmittelbar. Generell ist eine gewisse Skepsis gegenüber Nachrichten aus erst jüngerer Überlieferung angebracht. Im Rahmen dieses Beitrages gilt es, die Erzählung zu meinem Thema auf wesentliche Linien zu reduzieren. Dabei gilt es zu akzeptieren, dass wegen der Widersprüchlichkeit und Lückenhaftigkeit der Quellen in vielen Detailfragen keine Chance besteht, je zu defi-

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Vgl. Gottfried Schramm: Altrußlands Anfang. Historische Schlüsse aus Namen, Wörtern und Texten zum 9. und 10. Jahrhundert (Rombach Wissenschaften. Historiae, Bd. 12), Freiburg im Breisgau 2002, S. 111. Zur Ausbildung der Fürstenherrschaft vgl. Petr Sergeevič Stefanovich: The Political Organization of Rus’ in the 10th Century, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 64 (2016), S. 529–544. Systematisch gesammelt und auf Russisch übersetzt bei Aleksandr Vasil’evič Nazarenko: Nemeckie latinojazyčnye istočniki IX–XI vekov, Moskau 1993. – Aleksandr Vasil’evič Nazarenko: Zapadno­ evropejskie istočniki (Drevnjaja Rus’ v svete zarubežnych istočnikov, Bd. 4), Moskau 2010. Für das Thema dieses Beitrags fast ausschließlich von Relevanz ist die ‚Nestorchronik‘, überliefert als bis 1116 reichende Grundlage mehrerer jüngerer Redaktionen: Povest’ vremennych let (wie Anm. 3). – Es ist zwar im Deutschen üblich, von der altrussischen Chronistik zu sprechen, doch es handelt sich, von der Einführungserzählung der Nestorchronik abgesehen, um Annalistik, beginnend mit dem Jahr 852, 6360 nach der byzantinischen Ära.

Die Kiever Rus’ und das Reich im 10. und 11. Jahrhundert  |  179

nitiven Klärungen zu gelangen. Dies ist in aller Deutlichkeit ablesbar an den neuen minutiösen Forschungen des Moskauer Mediävisten Aleksandr Nazarenko.9 * Der erste uns bekannte Kontakt zwischen den Herrschern der Kiever Rus’ und des Reiches fällt in die Zeit der ottonischen Politik mit dem Ziel, die Westslaven in Abhängigkeit zu bringen und zu christianisieren. Die Großfürstin Ol’ga, Witwe des Rjurikiden Igor’ und Regentin für ihren Sohn Svjatoslav seit 945, war schon 955 oder 957 nach byzantinischem Ritus getauft worden, und Kaiserin Helena hatte die Patenschaft über sie übernommen. Aber anscheinend hatte sich Byzanz geweigert, den Aufbau einer Kirchenhie­ rarchie im Kiever Reich zu unterstützen. Es ergab sich – bei umgekehrter Richtung – dieselbe Konstellation wie im Falle der Wendung von Fürst Rostislav von Mähren an Kaiser Michael III. von Konstantinopel mit der Bitte um ‚Bischof und Lehrer‘ im Jahr 861.10 War doch Mähren schon seit dem Anfang des 9. Jahrhunderts von Salzburg aus nach westlichem Ritus christianisiert worden, doch ohne eigenes Bistum geblieben. Und nun versuchte Rostislav, dies mit Hilfe von Byzanz zu erreichen. Damals entsandte Michael III. Konstantin und Method, die mit ihrem Wirken in Mähren zugleich den Grundstein für die slavische Schriftlichkeit legten. Die Erzählung über die Kontakte zwischen der Kiever Rus’ und dem Ottonenreich setzt mit einer Nachricht in der Fortsetzung des Regino von Prüm durch Adalbert unter dem Jahr 959 von Westen aus ein: „Legati reginae Helenae“, Gesandte der Königin Helena, also der Großfürstin Ol’ga, hätten sich an Otto den Großen mit der Bitte um einen ­Bischof gewandt. Nach längeren Verzögerungen wurde schließlich 961 der Trierer Mönch Adalbert zum Bischof geweiht und machte sich auf den Weg, doch kehrte er erfolglos und enttäuscht zurück.11 Nur über die altrussische Nestorchronik können wir den Grund für das Scheitern des Auftrages erschließen: Ol’ga hatte 962 die Herrschaft an ihren Sohn Svjatoslav abgegeben, und dieser hatte seiner Mutter gegenüber ausdrücklich die A ­ nnahme  9 Aleksandr Vasil’evič Nazarenko: Drevnjaja Rus’ na meždunarodnych putjach. Meždisciplinarnye očerki kul’turnych, torgovych, političeskich svjazej IX–XII vekov (Studia historica), Moskau 2001, relevant für alle hier behandelten Einzelaspekte, vielfach eben keine eindeutigen Lösungen anbietend. 10 Žitije Konstantina filosofa, in: Konstantin i Metodije Solunjani. Izvori, hg. v. Franc Grivec – France Tomšić (Radovi Staroslavenskog instituta, Bd. 4), Zagreb 1960, S. 95–166, hier S. 129. – Deutsche Übersetzung bei Joseph Bujnoch: Zwischen Rom und Byzanz (Slavische Geschichtsschreiber, Bd. 1), S. 54–106, hier S. 93. – Zum Kontext vgl. beispielsweise Franc Grivec: Konstantin und Method. Lehrer der Slaven. Wiesbaden 1960. – Art. Konstantin und Method. in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, 1991, Sp. 1382–1385 (Christian Hannick). – Maddalena Betti: The Making of Christian Moravia (858–882), Leiden 2014. 11 Adalberts Fortsetzung der Chronik Reginos, in: Quellen zur Geschichte der sächsischen Kaiserzeit, bearb. v. Albert Bauer und Reinhold Rau (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, Bd. 8), Darmstadt 1971, S. 214–216.

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des Christentums verweigert.12 Dementsprechend wies er offensichtlich auch Adalbert ab. Dieser konnte allerdings seine Karriere fortsetzen. 968 wurde ihm das neugegründete Erzbistum Magdeburg anvertraut.13 Es ist nicht davon auszugehen, dass Gesandte der Rus’ am Quedlinburger Hoftag Ostern 973 teilgenommen haben. Mitaufgezählt sind sie nur in einer relativ jungen Überlieferung, bei Lampert von Hersfeld,14 offensichtlich mit dem Ziel, das Ereignis durch eine möglichst lange Reihung von Gesandten noch weiter aufzuwerten,15 und in falschem Analogieschluss zum Aufenthalt des Kiever Fürsten Izjaslav zu Lamperts eigener Zeit in Mainz 1075. Die Umstände der Annahme des Christentums durch Svjatoslavs Sohn, Vladimir den Heiligen, im Jahr 988 sind hier nur knapp zu skizzieren:16 Gegen militärische Hilfe in einem innerbyzantinischen Konflikt erhielt Vladimir die Zusage, die Kaiserschwester Anna zur Ehefrau zu erhalten. Vladimir war dafür seinerseits bereit, die Taufe zu empfangen – eine ähnliche Konstellation wie im Falle Polens, als die Taufe von Fürst Mieszko 966 mit der Heirat der schon christlichen böhmischen Prinzessin Dobrava verbunden war, oder später im Jahr 1386, als der Eheschließung der Königin Hedwig in Polen mit Fürst Jagiełło von Litauen dessen Taufe nach römischem Ritus vorausging. Die Nestorchronik stellt im Übrigen vorab die Taufe auch als Wahl zwischen Kirchen oder gar Religionen dar: Unter dem Jahr 986 erzählt sie, wie neben muslimischen Wolgabulgaren, jüdischen Chazaren und einem griechischen Philosophen deutsche, von Rom entsandte Missionare zu Vladimir kamen und jede Gesandtschaft für ihren Glauben warb. Im Folgejahr schickte Vladimir seinerseits Gesandte zu den Wolgabulgaren, zu den Deutschen und nach Konstantinopel, damit diese den jeweiligen Glauben in Augenschein nahmen.17 Die Erzählung dürfte in dieser Form kaum historisch sein, aber wir sehen in ihr 12 Povest’ vremennych let (wie Anm. 3), S. 46. – Die altrussische Nestorchronik (wie Anm. 3), S. 43. 13 Ausführlicher bei Ludwig Steindorff: Das Kiever Reich in Europa um das Jahr 1000, in: Der Hoftag in Quedlinburg 973. Von den historischen Wurzeln zum Neuen Europa, hg. v. Andreas Ranft, Berlin 2006, S. 73–83, hier S. 77 f. 14 Lamperti monachi Hersfeldendis opera. Annales, hg. v. Oskar Holger-Eggers (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores, rerum Germanicarum in usum scholarum, Bd. 38), Hannover 1894 (ND München 2015), S. 42. 15 Vgl. János Gyula: Der Hoftag in Quedlinburg, in: Ranft 2006 (wie Anm. 13), S. 19–27, hier S. 22 verwirft dezidiert nur die Präsenz von Gesandten der Rus’, obwohl – von Dänen, Polen und Böhmen abgesehen – die Präsenz aller anderen Gesandten auch in Frage gestellt werden kann; vgl. RI II,2 n. 605e/f, in: Regesta Imperii Online, http://www.regesta-imperii.de/id/0973-03-23_1_0_2_2_0_101_605_f (letzter Zugriff: 10.12.2017). 16 Zu den vergleichenden Aspekten vgl. Ludwig Steindorff: Die Christianisierung des östlichen ­Europa. Ein Schritt zur Integration, in: Geschichte und Geschichtsvermittlung. Festschrift für Karl Heinrich Pohl, hg. v. Olaf Hartung und Katja Köhr, Bielefeld 2008, S. 27–40. 17 Povest’ vremennych let (wie Anm 3), S. 59–75. – Die altrussische Nestorchronik, S. 58–77.

Die Kiever Rus’ und das Reich im 10. und 11. Jahrhundert  |  181

ein Indiz für das Bewusstsein des Chronisten um das Nebeneinander östlicher und westlicher Kirchentradition wie auch um lange gewachsene Verbindungen ins Reich. Über die Zeit der Christianisierung Polens, Ungarns und der Rus’ bis zum Ende des 10. Jahrhunderts hinaus blieb im Norden Mitteleuropas eine nichtchristianisierte Lücke: die ostseeslavischen Gebiete zwischen Schwentine und Oder und der Raum der baltischen Völker. Aber es bestand nun eine territorial miteinander verbundene Kette christlicher Reiche vom Rhein bis an den Dnepr, und dementsprechend verbesserten sich die Möglichkeiten für Kontakte zwischen dem Reich und der Rus’. Wie in allen anderen Christianisierungsabläufen begünstigte die Herrschertaufe friedliche Beziehungen und eine Intensivierung des Handels, sie erleichterte Bündnisbeziehungen und ermöglichte Patenschaften und Heiratsverbindungen als die höchste Stufe der gegenseitigen Anerkennung, wie im Eingangszitat aus der Chronik des Thomas archidiaconus von Split angesprochen. Auch nach Vladimirs Taufe nach östlichem Ritus begegnen wir Geistlichen aus dem Westen in dessen Umfeld. Der Missionsbischof Brun von Querfurt kam 1108 nach Kiev und wirkte mit Vladimirs Zustimmung weiter östlich bei den Pečenegen.18 Der laut Thiet­mar von Merseburg aus dem Hassegau stammende Bischof Reinbern von Kolberg begleitete 1013 die Tochter von Bolesław I. dem Tapferen als ihr geistlicher Betreuer nach Kiev, als diese Vladimirs Sohn Svjatopolk heiraten sollte. Allerdings geriet er bald in Haft und verstarb darin. Vladimir hatte ihn verdächtigt, an einer Verschwörung von Svjatopolk gegen seinen Vater beteiligt zu sein.19 * Für die folgenden Jahrzehnte fiel Großfürst Jaroslav dem Weisen, der aus den Machtkämpfen nach Tod von Vladimirs des Heiligen 1015 schließlich als Sieger hervorgegangen war, eine Schlüsselrolle zu. In seiner Zeit begann dann auch eine intensivere Christianisierung, im Jahr 1037 wurde der Grundstein zur Sophienkathedrale in Kiev gelegt. Es entstanden erste Eigenklöster als Grablegen und Orte der Memoria. Parallel dazu begann

18 Vgl. Vita quinque fratrum eremitarum (seu) vita uel passio benedicti et Iohannis sociorumque suorum auctore Brunone Querfurtensi. Epistola Brunonis ad Henricum regem, hg. v. Jadwiga Karwasińska (Monumenta Poloniae Historica. Series Nova, Bd. 4.3), Warschau 1973, S. 97–100.  – Deutsche Übersetzung z. B. Die Orthodoxe Kirche in Rußland. Dokumente ihrer Geschichte (860–1980), hg. v. Peter Hauptmann und Gerd Stricker, Göttingen 1988, S. 73–77. 19 Thietmar von Merseburg: Chronik, hg. v. Werner Trillmich (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, Bd. 9), Darmstadt 1957, S. 434 (VII, 27). – In der Nestorchronik findet sich dafür keine Bestätigung, doch ist die Nachricht durchaus glaubwürdig. Vgl. Nazarenko 2001 (wie Anm. 9), S. 452.

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noch zu Jaroslavs Lebzeiten der Aufstieg des Kiever Höhlenklosters aus primär asketischem Impuls erst einzelner Anachoreten und dann einer wachsenden Brüderschaft.20 Jaroslav knüpfte Heiratsverbindungen in verschiedenste Richtungen: ins Reich, nach Norwegen, Byzanz, Ungarn und Frankreich.21 Seine nach 1012 geborene Halbschwester Marija Dobronega22 erhielt um 1040 König Kasimir von Polen, den Sohn von Mieszko II. und Richeza, zum Mann. Jaroslavs Sohn Izjaslav, geboren 1025, heiratete um 1043 Gertrude, Kasimirs Schwester (Abb. 26). Jaroslav hatte schon 1018 im Bündnis mit Heinrich II. gegen Bolesław I. den Tapferen gestanden, später war er mit Konrad II. gegen Mieszko II. verbündet gewesen. Der Umstand, dass Herzog Kasimir der Erneuerer gleichzeitig Rückhalt bei Jaroslav dem Weisen und bei Konrad II., bei den benachbarten Herrschern im Osten und im Westen Polens, gefunden hatte, ermöglichte ihm dann ab 1042 den Wiederaufbau seiner durch den Aufstand von 1038 erschütterten Macht.23 Izjaslav, aus dessen Ehe mit Gertrude der Sohn Jaropolk hervorging, war ab 1044 Fürst von Turov, einer Stadt nordwestlich von Kiev, heute in Weißrussland. Nach dem Tod seines Vaters Jaroslav nahm Izjaslav 1056 den Fürstensitz in Kiev ein. Doch die Versuche von Jaroslav dem Weisen, seine Nachfolge stabil zu regeln und Konflikte um die seinen Söhnen zugewiesenen Fürstentümer auszuschließen, erwiesen sich als erfolglos. Izjaslav floh erstmals 1068 vor seinen Brüdern nach Polen zu Bolesław II. dem Kühnen, dem Neffen seiner Frau. Mit dessen Hilfe konnte er im nächsten Jahr nach Kiev zurückkehren. Die zweite Flucht 1073 führte Izjaslav, seine Frau Gertrude und den gemeinsamen Sohn Jaropolk wieder nach Polen und dann weiter ins Reich. Sie lebten im Exil bei Markgraf Dedi aus dem Hause der Wettiner. Die Stieftochter von Dedi Kunigunde wurde sogar mit Jaropolk verheiratet – nach den Worten von Christian Raffensperger

20 Vgl. Gerhard Podskalsky: Christentum und theologische Literatur in der Kiever Rus’ (988–1237), München 1982, S. 50–56 mit Erfassung der älteren Literatur. 21 Vgl. Hedwig Röckelein: Heiraten – ein Instrument hochmittelalterlicher Politik, in: Ranft 2006 (wie Anm. 13), S. 99–135, hier S. 107–110 mit Stammbaum auf S. 105. – Verwiesen sei auch auf die Standardwerke von Nicolas Pierre Serge de Baumgarten: Généalogies et mariages occidentaux des Rurikides Russes du Xe au XIIIe siècle (Orientala christiana, Bd. 9.1), Rom 1927. – Julius Forssmann: Die Beziehungen altrussischer Fürstengeschlechter zu Westeuropa. Ein Beitrag zur Geschichte Ostund Nordeuropas im Mittelalter, Bern 1970. 22 Gemeinsamer Vater war Vladimir der Heilige. Jaroslavs Mutter Rogneda war um 1000 verstorben. Die Mutter von Marija Dobronega ist unbekannt. 23 Vgl. Christian Lübke: Zwischen Krakau und Rom. Die Kiever Fürsten Izjaslav und Jaropolk in Mitteldeutschland, in: Italien – Mitteldeutschland – Polen. Geschichte und Kultur im europäischen Kontext vom 10. bis zum 18. Jahrhundert, hg. v. Wolfgang Huschner u. a. (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde, Bd. 42), Leipzig 2013, S. 121–136, hier S. 124.

Die Kiever Rus’ und das Reich im 10. und 11. Jahrhundert  |  183

Abb. 26: Geneaologisches Schema.

eine „speculation“:24 Ehen mit Fürsten im Exil konnten sinnvoll sein in der Erwartung, dass diese doch die Gelegenheit zur Rückkehr erhielten und man dann von der Eheverbindung politisch profitieren würde. Im Januar 1075 wandte sich Izjaslav, begleitet von Markgraf Dedi, in Mainz an König Heinrich mit der Bitte um Hilfe. Dieser sagte seine Unterstützung zu. Als Vermittler entsandte Dompropst Burchard von Trier, dessen Halbschwester Oda von Stade mit Svjato­ slav verheiratet war – aber zugleich waren die Grafen von Stade Rivalen der Wettiner! Burchard kehrte mit großen Geschenken Svjatoslavs zur Besänftigung des Königs zurück,

24 Christian Raffensperger: Reimagining Europe. Kievan Rus’ in the Medieval World (Harvard Histo­ rical Studies, Bd. 177), Cambridge, MA 2012, S. 83.

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und Heinrich wäre, wie Lampert von Hersfeld feststellt, auch gar nicht zur Hilfe fähig gewesen.25 Wahrscheinlich schon unter dem Eindruck der Auswahl des Vermittlers setzte Izjaslav nicht mehr auf Heinrich, vielmehr hoffte er auf Rückhalt bei Papst Gregor  VII. und sandte seinen Sohn Jaroslav dorthin – zugleich ein schönes Indiz für die noch relativ unbefangene Kommunikation über die Kirchengrenzen hinweg.26 Der Brief des Papstes an Izjaslav und Gertrude vom 17. April 1075 ist erhalten: Jaropolk habe gewünscht, sein Reich und die Königsherrschaft als Geschenk des Papstes zu empfangen, und dieser habe ihm diese seitens des hl. Petrus übergeben.27 Der Brief ist in die Reihe der Zeugnisse von Gregors offensiver Politik gegenüber den jungen Reichen im östlichen und nördlichen Europa einzuordnen: Ebenso am 17. April 1075 gingen Briefe an Géza  I. von Ungarn, Vratislav von Böhmen, „maioribus atque ­minoribus“ von Böhmen,28 an Bolesław II. von Polen und Sven Estridsen von Dänemark. Im selben Jahr vergab Gregor VII. die Königskrone an den kroatischen Herrscher Zvonimir, der seinerseits den Papst als seinen Lehnsherrn anerkannte.29 Wahrscheinlich gerade in diesem Jahr nahm Gregor  VII. Verbindungen zu Fürst Michael von Zeta auf und sprach ihn 1078 als rex an.30 Tatsächlich gelang es Izjaslav im Juli 1077 mit Hilfe von Bolesław dem Kühnen, wieder in Kiev einzuziehen. Doch schon im nächsten Jahr erlitt er in einer Schlacht gegen seine Neffen eine Niederlage und fand selbst den Tod. Bestattet wurde er in der Kiever Sophienkathedrale. Die Nachfolgefrage wurde nicht im Sinne des Briefes von Gregor VII. nach dem Grundsatz der Primogenitur gelöst, vielmehr folgte man den Gewohnheiten

25 Lamperti monachi Hersfeldendis opera (wie Anm. 14), S. 202 u. 225 f. – Die Gesandtschaft ist auch in der Nestorchronik unter dem Jahr 6583 (1075) erwähnt: Povest’ vremennych let (wie Anm. 3), S. 131. – Die altrussische Nestorchronik (wie Anm. 3), S. 143. 26 Es gilt, mit Axel Bayer: Spaltung der Christenheit. Das sogenannte Morgenländische Schisma von 1054 (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte, Heft 53), Köln 2002, passim, die Wirkung des gegenseitigen Banns 1054 nicht zu verabsolutieren. 27 Das Register Gregors VII., hg. v. Erich Caspar (Monumenta Germaniae Historica. Epistulae selectae, Bd. 2), Berlin 1920 (ND Berlin 1955), Teil I, S. 236–237 (II, 74): „[...] regnum illud dono sancti Petri per manus nostras vellet optinere, [...] et regni vestri gubernacula sibi ex parte sancti Petri tradidimus.“ – Eine deutsche Übersetzung bei Hauptmann / Stricker 1988 (wie Anm. 18), S. 106 f. 28 Das Register Gregors VII. (wie Anm. 27), S. 232 (II, 72). 29 Zum Zusammenhang vgl. Lübke 2013 (wie Anm. 23), S. 130. Er nennt in Anlehnung an die ältere Forschung 1076 als Jahr der Krönung von Zvonimir. 30 Zeta ungefähr auf dem Territorium des heutigen Montenegro.  – Das Register Gregors  VII. (wie Anm. 27), S. 365 (V, 12). Hieraus wird auf die frühere Übersendung einer Krone geschlossen.

Die Kiever Rus’ und das Reich im 10. und 11. Jahrhundert  |  185

des Seniorates.31 Izjaslavs Bruder Vsevolod übernahm die Nachfolge in Kiev, Jaropolk, der Sohn von Izjaslav, erhielt das weniger wertvolle Fürstentum Vladimir Volynsk.32 1085 unternahm Jaropolk den vergeblichen Versuch, Vsevolod zu stürzen, er musste nach Polen fliehen, während seine Mutter Gertrude, mit zweitem Namen Olisava,33 und seine Frau Kunigunde, mit zweitem Namen Irina, von Vsevolod gefangen gehalten wurden. Nach Aussöhnung mit seinem Bruder konnte er nach Vladimir Volynsk zurückkehren. Doch fiel er 28. November 1086 einem Mordanschlag zum Opfer. Begraben wurde er in der von ihm gestifteten Petruskirche innerhalb des Kiever Demetrius-Klosters.34 Während seine Frau Kunigunde-Irina ins Reich zurückkehrte, blieb seine Mutter in Kiev und starb dort 1108.35 Mit der Erzählung über die Ehe von Izjaslav und Gertrude ist auch die Erzählung einer Buchwanderung verbunden, der des Egbert-Psalters, auch als Gertrud-Codex bekannt.36 Der Psalter wurde wahrscheinlich auf der Reichenau für Erzbischof Egbert von Trier bald nach 977 angefertigt und gelangte nach dessen Tod 993 in die Hände von Pfalzgraf Ezzo. Gesichert ist als nächste Station erst, dass er schließlich Gertrude gehörte. Wie zumeist angenommen wird, vermachte Ezzo den Psalter 1025 als Mitgift an seine Tochter Richeza anlässlich von deren Hochzeit mit Mieszko II. von Polen. Richeza ihrerseits gab den Psalter an Gertrude, als diese um 1043 Frau von Izjaslav wurde. Gertrude führte dann den Psalter stets mit sich, auch während der Jahre des Exils im Reich.37 Man findet in der Forschung auch die Ansicht, Gertrude habe den Psalter erst 1075 in Mainz von Heinrich IV. als Geschenk erhalten,38 doch bleibt dann die Frage offen, wie der 31 Vgl. Lübke 2013 (wie Anm. 23), S. 134. 32 Vgl. Povest’ vremennych let (wie Anm. 3) S. 135. – Die altrussische Nestorchronik (wie Anm. 3), S. 148. 33 In der Forschung wird die Identität von Gertrude und Olisava als die Frau von Izjaslav in der Regel akzeptiert, die Annahme eines neuen, auf die orthodoxe Tradition verweisenden Namens bei der Eheschließung nach orthodoxem Ritus war nicht ungewöhnlich. Vgl. Grzegorz Pac: Kobiety w dynastii Piastów. Rola społeczna piastowskich żon i córek do połowy XII wieku – studium porównawcze (Monografie Fundacji na Rzecz Nauki Polskiej), Thorn 2013, S. 525. – Nazarenko 2001 (wie Anm. 9), S. 566–570 bestreitet die Identität. Ihm zufolge starb Gertrude um 1086 in der Haft bei Vsevolod; die 1108 verstorbene Olisava war demnach eine weitere Frau von Izjaslav. 34 Alles nach Povest’ vremennych let (wie Anm. 3), S. 135–136, S. 186 unter den jeweiligen Jahren. 35 Vgl. Röckelein 2012 (wie Anm. 21), S. 104. – Povest’ vremennych let (wie Anm. 3), S. 187. 36 Vgl. Heinrich Volbert Sauerland / Arthur Haseloff: Der Psalter Erzbischof Egberts von Trier Codex Gertrudianus, in Cividale, Trier 1901; Psalterium Egberti. Facsimile del ms. CXXXVI del Museo Archeologico Nazionale di Cividale del Friuli, hg. v. Claudio Barberi, Trient 2003. 37 Ohne jeden Vorbehalt so bei Lübke 2013 (wie Anm. 23), S. 134; klar auch für diesen Weg Pac 2013 (wie Anm. 33), S. 298. 38 So Frank Kämpfer: Das russische Herrscherbild. Von den Anfängen bis zu Peter dem Großen. Studien zur Entwicklung politischer Ikonographie im byzantinischen Kulturkreis (Beiträge zur Kunst des christlichen Ostens, Bd. 8), Recklinghausen 1978, S. 121 in Anlehnung an Valentin Janin. – Ähnlich

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Psalter von Trier oder Köln aus an den König gelangte. Und gerade wegen der erwähnten Behandlung, die Izjaslav und Gertrude seitens des Königs 1075 erfuhren, ist kaum ein Motiv für die Überreichung eines solchen Geschenkes gegeben. In den Psalter ist ein Pergamentheft eingenäht. Es enthält neben einigen Miniaturen mit knappen Beischriften in kyrillischer oder griechischer Schrift umfangreiche von Gertrude verfasste Gebete in lateinischer Sprache, von besonderer Bedeutung sind hier die Bitten für ihren Sohn Jaropolk.39 Das Schreiben der Gebete in lateinischer Sprache zeugt von Freiraum zum Handeln im Rahmen der eigenen religiösen Sozialisation auch während der Lebensjahre in der Rus’. Über die Gebete blieb Gertrude mit der Welt ihrer Herkunft verbunden; das in dem Heft niedergeschriebene Nizänische Glaubensbekenntnis enthält das für Dogma und Liturgie der Westkirche charakteristische „Filioque“.40 Gertrude gab 1103 den Psalter ihrer Enkeltochter Zbyslava, als diese König Bolesław III. Schiefmund von Polen heiratete. Über Zbyslavas Stieftochter Gertrude gelangte der Psalter ins Kloster Zwiefalten und nach deren Tod an den ungarischen Hof. Schließlich stiftete ihn die heilige Elisabeth von Ungarn an den Dom von Cividale. * Einen Moment dynastischer Beziehungen zwischen der Rus’ und dem Reich im 11. Jahrhundert sollten wir noch erwähnen. Um 1083/86 wurde Evpraksija, Tochter von Großfürst Vsevolod und Nichte von Izjaslav, mit Graf Heinrich von Stade verheiratet, sozusagen als Gegengewicht zur Ehe ihres Vetters Jaropolk mit Kunigunde aus dem Hause der Wettiner. Noch ganz jung 1087 verwitwet, wurde sie 1088 mit Kaiser Heinrich IV. verlobt. Bei der Heirat 1089 mit dem damals 39 Jahre alten Heinrich nahm sie den Namen Adelheid an. Neutral formulierend, können wir von einer sehr unglücklichen Ehe sprechen. Im Jahr 1093 floh Evpraksija-Adelheid aus faktischer Haft zur Markgräfin Mathilde. Ihre Aussagen auf den Synoden in Konstanz 1094 und in Piacenza 1095 gegen Heinrich Jean-Claude Schmitt: Circulation et appropriation des images entre Orient et Occident. Réflexions sur le psautier de Cividale (Museo archeologico nazionale, ms. CXXXVI), in: Cristianità d’Occidente e cristianità d’Oriente (secoli VI–XI) (Settimane di studio della Fondazione Centro italiano di studi sull’alto medioveo, Bd. 51), 2 Bde., Spoleto 2004, Bd. 2, S. 1283–1318, hier S. 1295 ohne Beleg, daneben ist auch die traditionelle These von der Mitgift für Richeza und dann Gertrude genannt. 39 In den Gebeten sieht man geradezu die Lebensstationen von Gertrude und datiert sie auf die 1070/80er Jahre. Vgl. Lübke 2013 (wie Anm. 23), S. 134. – Neuerdings hat Sandor Sili kodikologische Argumente dafür angeführt, dass die Gebete erst sukzessive nach 1084 entstanden seien. Vgl. Šandor Sili: Kodeks Gertrudy. Č. I. Novoe pročtenie ikonografičeskoj programmy, in: Drevnjaja Rus’. Voprosy medievistiki 3 (57) (2014), S. 90–105. – Šandor Sili: Kodeks Gertrudy Č. II. Utočnenie datirovki, in: Drevnjaja Rus’. Voprosy medievistiki 4 (58) (2014), S. 64–74. 40 Manuscriptum Gertrudae filiae Mesconis II, hg. v. Valerian Meysztowich, in: Antemurale 2 (1955), S. 103–157, hier S. 137 (F. 13 v.).

Die Kiever Rus’ und das Reich im 10. und 11. Jahrhundert  |  187

brachten diesen erneut in Bann.41 Um 1097/99 begab sich Evpraksija nach Ungarn und kehrte 1099 nach Kiev zurück, wo sie laut Nachricht in der Nestorchronik 1106 in einem Kloster zur Nonne geschoren wurde und, 1109 dort verstorben, ihr Grab im Höhlenkloster erhielt.42 Wir können an dieser Stelle eine Reihe von Gemeinsamkeiten der Rus’, der skandinavischen Reiche, Polens und Ungarns konstatieren. Sie alle wurden – im europäischen Rahmen relativ spät – um die Jahrtausendwende christianisiert. Die religiöse Integration der Reiche im Inneren erfolgte überall über den Aufbau einer Hierarchie und über die Entfaltung einer Klosterlandschaft. Patenschaften und Heirat dienten der Integration in die „Familie der Könige“.43 Die späte Christianisierung konnte auch als besondere Gnade erscheinen; der fehlende Anteil am Erbe des Frühchristentums wurde kompensiert über den Aufbau eigener Heiligenkulte. Es bleibt als Besonderheit der Kiever Rus’ ihre geographisch periphere Lage im europäischen Geschehen bei gleichzeitiger Anbindung an die Welt der Steppe. Unabhängig von den frühen Spuren einer Missionskonkurrenz von Ost und West um die Rus’ empfing sie ihre Taufe, wie geographisch naheliegend, von Osten aus. So wurde die Rus’ im Netzwerk der Beziehungen zwischen dem Reich selbst und den jungen Reichsbildungen im Norden und Osten zum einzigen orthodoxen Partner. Es gab in der Rus’ zwar Vorbehalte der Geistlichkeit gegen Ehen mit Lateinern,44 und es mag dies auch ein Grund sein, warum die im Kiever Höhlenkloster entstandene Nestorchronik insgesamt doch wenig über Kontakte in die Welt der lateinischen Kirche spricht. Aber letztlich war die unterschiedliche kirchliche Tradition kein Hinderungsgrund für Kontakte bis hin zur Eheschließung, viel wichtiger war die gegenseitige Anerkennung des sozialen Status.

41 Zur Fragwürdigkeit der meist sehr negativen Zeichnung von Evpraksija-Adelheid in der deutschen Historiographie vgl. Hartmut Rüss: Eupraxia – Adelheid. Eine biographische Annäherung, in: Jahr­ bücher für Geschichte Osteuropas 54 (2006), S. 481–518. – Christian Raffensperger: Agent of change. Evpraksia Vsevolodovna between Emperor and Papacy, in: Portraits of Medieval Eastern Europe 900–1400, hg. v. Donald Ostrowski und Christian Raffensperger, London 2017, S. 178–184. 42 Povest’ vremennych let (wie Anm. 3), S. 186 u. 187. – Die altrussische Nestorchronik (wie Anm. 3), S. 190 u. 192. 43 Ob dieses von Franz Dölger beschriebene Konzept in Byzanz wirklich konsequent ausgearbeitet war, wird inzwischen in Frage gestellt. Vgl. Günter Prinzing: Byzanz, Altrussland und die sogenannte „Familie der Könige“, in: Religionsgeschichtliche Studien zum östlichen Europa. Festschrift für Ludwig Steindorff zum 65. Geburtstag, hg. v. Martina Thomsen (Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa, Bd. 85), Stuttgart 2017, S. 43–56. – Doch die Bildlichkeit ist für das Verhältnis zwischen den europäischen Dynastien letztlich bis ins 19. Jahrhundert so treffend, dass man sie weiterhin verwenden sollte. 44 Raffensperger 2012 (wie Anm. 24), S. 82.

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Wie sich am deutlichsten am Lebensweg von Gertrude, der Tochter von Mieszko II. mit Richeza und Frau von Izjaslav, hat zeigen lassen, wirkten die Beziehungen der Kiever Rus’ zum Reich im 10. und 11. Jahrhundert vor allem als Faktor in den Beziehungen Polens zum Reich einerseits und zur Rus’ andererseits. Zum Abschluss sei mein Thema der Beziehungen zwischen der Rus’ und dem Reich im Hochmittelalter in einen größeren chronologischen Rahmen gestellt: Es bildet nicht nur den vielfach gewürdigten Anfang der Geschichte deutsch-russischer Beziehungen,45 sondern wir können darin genauso den Anfang der Geschichte der deutsch-ukrainischen wie auch deutsch-weißrussischen Beziehungen sehen.46 Denn der Raum der Rus’ erfuhr seit dem 13. Jahrhundert eine Zweiteilung. Die Fürstentümer im Norden, seit dem Mongolensturm 1237/40 unter Tributherrschaft der Tataren, gelangten schließlich alle in den Herrschaftsverband des Moskauer Reiches, in dessen Tradition das Russländische Reich von vor 1914 und letztlich auch die Sowjetunion und das gegenwärtige Russland stehen. Der Südwesten hingegen gelangte in den Herrschaftsraum von Polen und Litauen und wurde seit dem 14. Jahrhundert in vielem vom strukturellem Angleichungsprozess in Ostmitteleuropa erfasst, lebte von der Erfahrung orthodoxer Vorprägung in einem nach Westen orientierten Reich. Dieser Umstand wurde schließlich zu einem der objektiven und subjektiven Faktoren, auf denen die moderne ukrainische und später auch die weißrussische Nationsbildung aufbauten.

45 Vgl. Manfred Hellmann: Deutsche und Russen in der Epoche des Kiewer Reiches und der Teil­ fürstentümer, in: Tausend Jahre Nachbarschaft. Rußland und die Deutschen, hg. v. Manfred Hellmann, München 1988, S. 13–23. – Christian Lübke: Der Blick nach Osten: Frühe Kontakte und Strategien zwischen Rhein und Dnjepr, in: Russen und Deutsche. 1000 Jahre Kunst, Geschichte und Kultur. Essays, hg. v. Alexander Lewykin und Matthias Wemhoff, Petersberg 2012, S. 38–42. 46 Diese Sichtweise ist viel seltener, wir finden sie bei Dmytro Ivanovič Dorošenko: Die Ukraine und Deutschland. Neun Jahrhunderte deutsch-ukrainischer Beziehungen, Leipzig 1941 (ND München 1994), hier: Kapitel I. Die ältesten Nachrichten deutscher Chroniken über die Kiewer Rusj-Ukraine, S. 1–7. Der Text ist fachlich durchaus angemessen, kurios und anachronistisch ist nur die Formulierung S. 6, dank der Ehe von Evpraksija mit Heinrich IV. sei „eine Ukrainerin auf den deutschen Kaiser­ thron“ gekommen.

Die Kiever Rus’ und das Reich im 10. und 11. Jahrhundert  |  189

Ernst-Dieter Hehl

Das Reich und seine Nachbarn im Osten von Otto III. bis Konrad II. Bistümer als Gestaltungs- und Verstetigungsfaktoren

Otto III., Heinrich II. und Konrad II., die drei Herrscher, deren Regierungszeiten im Mittelpunkt des folgenden Beitrags stehen, haben gut vierzig Jahre die Geschicke des deutschen Reiches bestimmt. Otto III. wurde 994 mündig und begann nun im eigenen Namen zu regieren. Nach seinem frühen und kinderlosen Tod erlangte 1002 der aus ottonischer Seitenlinie stammende Bayernherzog Heinrich die Königsherrschaft und -würde. Als mit ihm 1024 erneut ein kinderloser Herrscher starb, ging das Königtum mit Konrad II. an die Salier über und wechselte so von den Sachsen zu den Franken.1 Ihm folgte 1039 mit Heinrich III. der eigene Sohn, den Konrad bereits 1028 zum König hatte erheben und krönen lassen. Brachte jeder Wechsel im Königtum ohnehin einen Wandel der adligen Konstellationen und Beraterkreise, die den Herrscher umgaben, so haben sich diese Diskontinuitäten durch die familiäre oder stammesmäßige Diskontinuität nochmals verstärkt. Wechselhaftigkeit und Umschwünge prägten auch die Beziehungen der drei genannten Herrscher zu den Nachbarn im Osten des Reiches.2 Einem weitgehenden Friedenszustand während der selbstständigen Regierung Ottos III. folgte unter Heinrich II. eine Art Dauerkonflikt mit Polen. Unter Konrad II. traten Spannungen mit Ungarn hinzu, unter 1

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Die Faktengeschichte und Quellenlage ist aus Sicht des Reiches durch die Bände der „Regesta Imperii“ (www.regesta-imperii.de) erschlossen. – Als neuere Darstellung vgl. Christian Lübke: Das östliche ­Europa (Die Deutschen und das europäische Mittelalter), München 2004, S. 195–255.  – Jerzy Strzelczyk: Bohemia and Poland: two Examples of Successful Western Slavonic State-formation, in: The New Cambridge Medieval History, Bd. III, c. 900 – c. 1024, hg. v. Timothy Reuter, Cambridge 1999, S. 514–535. – Thomas Wünsch: Deutsche und Slawen im Mittelalter. Beziehungen zu Tschechen, Polen, Südslawen und Russen, München 2008, S. 38–41 u. 47–51. Die ‚deutsch-polnischen‘ und ‚deutsch-böhmischen‘ Beziehungen dokumentiert Christian Lübke (Bearb.): Regesten zur Geschichte der Slaven an Elbe und Oder (vom Jahr 900 an) (Europastudien der Hochschulen und des Landes Hessen, Reihe 1. Gießener Abhandlungen zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des europäischen Ostens, Bde. 131, 133, 134, 152 u. 157), 5 Bde., Berlin 1984–1988. – Die Verbindungen des Papsttums zur böhmischen und polnischen Kirche verzeichnen Waldemar ­Könighaus (Bearb.): Regesta Pontificum Romanorum. Bohemia-Moravia Pontificia, Göttingen 2011. – Waldemar Könighaus (Bearb.): Regesta Pontificum Romanorum. Polonia Pontificia, Göttingen 2014.

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Heinrich III. waren schwere Konflikte mit Ungarn dann an der Tagesordnung.3 In Polen und Ungarn herrschte jedoch Kontinuität der politischen Führung. Stephan der Heilige von Ungarn regierte bis 1038, Bolesław Chrobry von Polen starb 1025 und hatte damit seinen notorischen Gegner Heinrich II. ein Jahr überlebt. Beide hatten zu Otto III. in guten Beziehungen gestanden, beide hatten sich mindestens einmal auf einen Herrscherwechsel bei ihrem westlichen Nachbarn einstellen müssen. Die politische Situation in Böhmen,4 das uns als weiterer östlicher Nachbar des Reiches oder als Teil desselben ­beschäftigen wird, ist durch innere Spannungen gekennzeichnet und vervollständigt ein Gesamttableau, welches sich durch große Volatilität auszeichnet. Noch weitgehend von personalen Beziehungen bestimmt, sind die verstetigenden Elemente politischer Ordnung und die nachbarschaftlichen Zuordnungen in einem hohen Maße an Zufälligkeiten gebunden, in erster Linie an die Spanne der Lebenszeit, die den Beteiligten beschieden war, oder an den Umstand, ob überhaupt die biologische Möglichkeit einer Sohnesfolge in der Herrschaft gegeben war. Das Thema ‚Das Reich und seine Nachbarn‘ schließt jedenfalls das Problem von Verstetigung ein. Von den in dem Titel des Beitrags genannten Personen konnte diese nur eingeschränkt ausgehen. Und generell sind die ottonischen und frühsalischen Herrscher nicht die alleinigen Träger von Außenbeziehungen. Ein Element der Verstetigung und Dauer war die kirchliche Organisation. Einmal errichtet, war sie unabhängig von biologischen Zufälligkeiten und Gegebenheiten, die das politische Leben bestimmen konnten. Kirchliche Einrichtungen boten deshalb beständige Bezugspunkte für kulturelle Austauschbeziehungen (in der Kunst etwa durch Ex- und Import liturgischer Handschriften) sowie Anknüpfungspunkte für die Herausbildung politischer und persönlicher Beziehungen, mit der für diese eigentümlichen Wechselhaftig-

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Grundlegend Gábor Varga: Ungarn und das Reich vom 10. bis zum 13. Jahrhundert. Das Herrscherhaus der Árpáden zwischen Anlehnung und Emanzipation (Studia Hungarica, Bd. 49), München 2003; zu den durch die innerungarischen Streitigkeiten um die Thronfolge ausgelösten bzw. verschärften Konflikte dort S. 100–127. Vargas Arbeit ist von grundsätzlicher Bedeutung. Er betont, dass staatsrechtliche Begriffe wie ‚Abhängigkeit/Unabhängigkeit‘ oder gar ‚Souveränität‘ den mittelalterlichen Gegebenheiten nicht gerecht werden, die Forschung aber nicht völlig auf sie verzichten kann (vgl. die Zusammenfassung S. 297–302). Er spricht von einer „kaiserlichen Ansehensmacht“, die er als „in staatsrechtlichen Kategorien schwer faßbare Leitungskompetenz“ versteht, zu der „die heilsgeschichtliche Verantwortung des Kaisers für die Glaubensverbreitung“ gehöre (S. 299). Zu den Gesichtspunkten kaiserliche Oberherrschaft, Tributpflicht und Lehnsabhängigkeit vgl. Wilhelm Wegener: Böhmen/Mähren und das Reich im Hochmittelalter. Untersuchungen zur staatsrechtlichen Stellung Böhmens und Mährens im Deutschen Reich des Mittelalters 919–1253 (Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart, Bd. 5), Köln 1959, bes. S. 33–39 u. 55–68, zum Bistum Prag S. 203–211. – Differenzierend Hartmut Hoffmann: Böhmen und das Deutsche Reich im hohen Mittelalter, in: Jahrbuch für Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 18 (1969), S. 1–62, hier S. 20– 25, 29–33 u. (zur kirchlichen Organisation) 52–55.

Das Reich und seine Nachbarn im Osten von Otto III. bis Konrad II.  |  191

keit. Auf die Verschränkungen von politischer und kirchlicher Entwicklung ist deshalb besonders einzugehen. Die Beziehungen des ostfränkisch-deutschen Reiches zu seinen östlichen Nachbarn erhielten unter den Ottonen einen kirchlich gesicherten Ausgangspunkt. 967/68 trat das Erzbistum Magdeburg mit seiner Kirchenprovinz ins Leben. Nach mehr als zwölf Jahren hatte Otto der Große, seit 962 Kaiser, sein Gelübde nach dem Sieg über die Ungarn auf dem Lechfeld einlösen können. Gesichert war die Existenz der neuen Kirchenprovinz auch durch das Palliumsprivileg, das Papst Johannes XIII. Adalbert, dem ersten Magdeburger Erzbischof, erteilte.5 Denn zur Auflösung eines Erzbistums ist es im hohen Mittelalter offenbar niemals gekommen. Für das weiter südlich gelegene Böhmen etablierte sich eine auf Dauer angelegte Bistumsordnung erst 975/76, als Erzbischof Willigis von Mainz in Straßburg für Prag und für Mähren einen Bischof weihte.6 Beide Bistümer wurden als Suffragane der Mainzer Kirchenprovinz zugeordnet. Dass Böhmen vor allem von dem Salzburger Suffragan­bistum Regensburg aus missioniert worden war, blieb unberücksichtigt. Bischof Michael von ­Regensburg hatte bis zu seinem Tod 972 eine Bistumsgründung in seinem, dem Regensburger Missionsbezirk verhindert. Die Rebellion des Bayernherzogs Heinrich des Zänkers gegen Otto II. dürfte mit dazu beigetragen haben, dass der böhmische Raum kirchenorganisatorisch von Bayern abgetrennt wurde. Die Zuordnung zu Mainz entschädigte zudem dessen Erzbischof, der 967/68 die Bistümer Havelberg und Brandenburg an die neue Magdeburger Kirchenprovinz hatte abtreten müssen.7 Dass Thietmar, der erste ­Prager Bischof, zuvor Mönch in Corvey gewesen war, verstärkte den ottonischen und Mainzer Einfluss auf Böhmen zulasten der traditionellen Beziehungen zu Regensburg und 5

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Zur Gründung zusammenfassend Dietrich Claude: Geschichte des Erzbistums Magdeburg bis in das 12. Jahrhundert, Bd. 1: Die Geschichte der Erzbischöfe bis auf Ruotger (1124) (Mitteldeutsche Forschungen, Bd. 67.1), Köln 1972, S. 63–113. Er betont dabei einen Gegensatz zwischen den Konzeptionen von Otto dem Großen und Papst Johannes XIII. Dazu korrigierend Ernst-Dieter Hehl: Kaisertum, Rom und Papstbezug im Zeitalter Ottos  I., in: Ottonische Neuanfänge. Symposion zur Ausstellung ‚Otto der Große, Magdeburg und Europa‘, hg. v. Bernd Schneidmüller und Stefan Weinfurter, Mainz 2001, S. 213–235, hier S. 229–234 (S. 230 f. zu den Behauptungen Magdeburgs, Posen gehöre zu seiner Kirchenprovinz). Vgl. Peter Hilsch: Der Bischof von Prag und das Reich in sächsischer Zeit, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 28 (1972), S. 1–41. – Egon Boshof: Mainz, Böhmen und das Reich im Früh- und Hochmittelalter, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 50 (1998), S. 11–40, dort vor allem S. 14–17 zu den Beziehungen zwischen Regensburg und Böhmen, S. 20–25 zur Gründung des Bistums Prag. Vgl. Helmut Beumann: Entschädigungen von Halberstadt und Mainz bei der Gründung des Erz­ bistums Magdeburg, in: Ex ipsis rerum documentis. Beiträge zur Mediävistik. Festschrift für Harald Zimmermann zum 65. Geburtstag, hg. v. Klaus Herbers, Hans Henning Kortüm und Carlo Servatius, Sigmaringen 1991, S. 383–398, hier S. 390 f. u. 397 f.

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Bayern. Wie ungewöhnlich die Zuordnung Böhmens zu Mainz war, lässt sich daran erkennen, dass es keine direkte Verbindung zwischen der Mainzer Kirchenprovinz und Böhmen gab. Denn das in seinem Bestand unverändert gebliebene Bistum Regensburg erstreckte sich längs des Bayerischen Waldes nach Norden. Die Bistümer von Würzburg und Zeitz und damit die Kirchenprovinzen von Mainz und Magdeburg waren hier seine westlichen und nördlichen Nachbarn, im Osten das Bistum Prag.8 Die Auflösung des Bistums Merseburg im Jahre 981 zeigt, dass die kirchliche Ordnung im Osten des Reiches noch nicht endgültig, sondern revidierbar war.9 Der Slawenaufstand von 983 zerschlug die kirchlichen Strukturen im Nordosten bis in das 12. Jahrhundert. Bei den folgenden Feldzügen gegen die im Heidentum verbliebenen Aufständischen wirkten das Reich und die christlichen Herrschaftsträger der Böhmen und vor allem der Polen immer wieder, wenn auch ohne bleibenden Erfolg, zusammen. Der polnische Herzog Mieszko  I. (amt. ca. 969–992) war eine zuverlässige Stütze, während der böhmische Raum durch die erbitterten Auseinandersetzungen zwischen Slavnikiden und Premysliden erschüttert wurde. Mit einem kirchenorganisatorischen Plan hat Otto III. schon bald nach Beginn seiner selbstständigen Herrschaft in den innerböhmischen Konflikt einzugreifen versucht. In einer Urkunde vom 6. Dezember 995 erweiterte er das Gebiet des Meißener Bistums.10 Teile Nordböhmens, dem Lauf der Elbe folgend, sowie die Gebiete westlich der Oderquelle bis zur Mulde sollten Meißen als Zehntgebiet zugewiesen werden, ausdrücklich wird betont, die Grenzen des Meißener Bistums würden „mit unserer königlichen Gewalt nach Sitte der alten Kaiser und Könige“ festgelegt. Verwirklicht wurden die Bestimmungen der Urkunde niemals, die Urkunde gilt als „unvollzogene Kanzleiausfertigung“.11 Die Zielsetzung der Urkunde ist umstritten. Ihrer Erstellung vorausgegangen war ein Zug Ottos III. nach Mecklenburg, an dem sich sowohl ein Sohn des böhmischen Herzogs  8 Vgl. die Karten der Bistümer Prag und Regensburg (jeweils um 1500) in: Die Bistümer des Heiligen Römischen Reiches von ihren Anfängen bis zur Säkularisation. Ein historisches Lexikon, hg. v. Erwin Gatz, Freiburg im Breisgau 2003, S. 916 u. 918.  9 Vgl. Ernst-Dieter Hehl: Merseburg – eine Bistumsgründung unter Vorbehalt. Gelübde, Kirchenrecht und politischer Spielraum im 10. Jahrhundert, in: Frühmittelalterliche Studien 31 (1997), S. 96–119. 10 Die Urkunden Otto des III. (Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, MGH Diplomata, Bd. 2,2), Hannover 1893, hier DO III. Nr. 186. – Lübke 1984/88 (wie Anm. 2), Bd. 3, S. 141–144, Nr. 309. – Vgl. Jürgen Petersohn: König Otto III. und die Slawen an Ostsee, Oder und Elbe um das Jahr 995. Mecklenburgzug – Slavnikidenmassaker – Meißenprivileg, in: Frühmittelalterliche Studien 37 (2003), S. 99–139. 11 Theo Kölzer / Thomas Ludwig: Das Diplom Ottos III. für Meißen, in: Europas Mitte um 1000. Beiträge zur Geschichte, Kunst und Archäologie, Ausst. Kat. Reiss-Engelhorn-Museum Mannheim, hg. v. Alfried Wieczorek und Hans-Martin Hinz, 3 Bde., Stuttgart 2000, hier Bd. 2, S. 764–766, Zitat S. 766. – Petersohn 2003 (wie Anm. 10), S. 114–135 baut seine Interpretation auf diesem Befund auf.

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Boleslav II. wie auch ein Bruder Bischof Adalberts von Prag aus dem rivalisierenden Haus der Slavnikiden beteiligt hatten; der bayerische Herzog Heinrich der Zänker hatte teilnehmen wollen, war aber kurz davor gestorben. Der polnische Herzog Bolesław I. (Chrobry) leistete wie so oft Hilfe. Alle ‚Interessenten‘ an dem deutsch-böhmisch-polnischen Grenzraum wirkten zusammen. Boleslav von Böhmen benutzte jedoch die Gelegenheit, die in Böhmen verbliebenen Slavnikiden zu töten. Jürgen Petersohn hat in der Urkunde deshalb einen Plan zur Errichtung einer geistlichen Schutzzone für die Slavnikiden gesehen, Johannes Fried hingegen deren Schwächung – auch weil ein Teil des Bistums Prag an Meißen und damit an die Kirchenprovinz Magdeburg übergehen sollte.12 Sowohl Bischof Eiko von Meißen wie der dortige Markgraf Ekkehard dürften nichts gegen eine Ausdehnung ihres Einflussraumes gehabt haben; die Kirchenprovinz Erzbischof Giselhers von Magdeburg wäre zulasten der seines Mainzer Amtsbruders Willigis vergrößert worden. So sieht Petersohn in Willigis die Hauptperson, an der das Projekt gescheitert ist, denn dessen Zustimmung zur Verminderung seiner Kirchenprovinz war unumgänglich – und wurde offenbar nicht gegeben.13 Indirekt geht er hierbei von einem ersten und frühen Konflikt zwischen dem jungen König und dem seit 975 amtierenden Mainzer Erzbischof aus. Urkunden vom Dezember 995 und Januar 996 sprechen dagegen. Das Meißenprivileg nennt Frankfurt als Ausstellungsort. Drei Tage später schenkte hier Otto III. „auf Grund der Intervention von Willigis, des zu ehrenden Erzbischofs des Mainzer Stuhls – ob interven­ tum Willigisi honorandi Moguntine sedis archiepiscopi“ dem Kloster Bleidenstadt im Rheingau einige Güter. Am 21. Januar 996 beurkundete er eine Schenkung für das Stift St. Stephan, das Willigis in Mainz gegründet hatte, „ermahnt durch den Dienst unseres ­getreuen Willigis, des Erzbischofs der Mainzer Kirche – fidelis nostri Uuilligisi Mogontiensis aecclesiae archiepiscopi servitio commoniti“.14 Vier Monate später jedoch waren Meinungsverschiedenheiten und Misshelligkeiten zwischen Otto III. und Willigis unübersehbar. Sie betrafen die Zukunft Adalberts. Denn ebenso erforderlich zur Verwirklichung des Meißenprivilegs war die Zustimmung Bischof Adalberts von Prag, der einen Teil seiner Diözese hätte abtreten müssen. Doch Adalbert hatte 994/95 sein Bistum zum zweiten Mal verlassen und lebte als Mönch im römischen Bonifacio-ed-Alessio-Kloster auf dem Aventin. Eine Entscheidung konnte deshalb erst im Umfeld der Kaiserkrönung Ottos III. am 21. Mai 996 erfolgen. Willigis 12 Petersohn 2003 (wie Anm. 10), S. 128 f. – Anders Johannes Fried: Otto III. und Boleslaw Chrobry. Das Widmungsbild des Aachener Evangeliars, der „Akt von Gnesen“ und das frühe polnische und ungarische Königtum. Eine Bildanalyse und ihre historischen Folgen, 2. Aufl. Stuttgart 2001 (OA 1989) (dort S. 157–180 als ‚Nachtrag‘ Stellungnahme zur Kritik an der Erstauflage), S. 16. 13 Vgl. Petersohn 2003 (wie Anm. 10), S. 132 f. – Zur kirchenrechtlichen Notwendigkeit der Zustimmung von Willigis siehe das Folgende bei Anm. 18. 14 DD O III. (wie Anm. 10), Nr. 188 u. 189.

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hat den künftigen Kaiser nach Rom begleitet und dann auf die Rückkehr Adalberts nach Prag gedrungen, während Otto III. und Papst Gregor V. mit dessen Verbleib in Rom einverstanden waren.15 Willigis hat sich durchgesetzt, doch ließ man Adalbert als Ausweg, auf Mission zu gehen, falls eine Rückkehr nach Prag nicht möglich sein sollte. Im April 997 fand Adalbert dann bei den Prußen den Märtyrertod, der polnische Herzog Bolesław Chrobry hatte seine Missionsreise gefördert. Spätestens die Meinungsverschiedenheiten von 996 über die Zukunft Adalberts dürften für die Pläne zu einer Veränderung der Grenzen zwischen den Bistümern Meißen und Prag das Ende bedeutet haben. Ein Versuch Boleslavs II. von Böhmen, noch 996 seinen Bruder Christian, der als Mönch in Regensburg lebte, zum neuen Prager Bischof zu erheben, scheiterte. Während seiner Bischofsweihe in Mainz soll Christian vom Schlag getroffen worden sein, erzählt Cosmas von Prag.16 Vermutlich kaschierte das den Widerstand von Willigis gegen diese Erhebung, vielleicht auch den Ottos III. Erst im Sommer 998 weihte Willigis in Mainz mit dem Corveyer Mönch Thieddag einen neuen Bischof für Prag. Wann und wie dieser mit dem Bistum investiert wurde, ist unbekannt.17 An dem Privileg Ottos III. für Meißen lässt sich erkennen, wie kompliziert es sein konnte, politische Absichten mit kirchenrechtlichen Grundsätzen und den divergierenden Interessen der Beteiligten auf einen Nenner zu bringen. Konsens der Betroffenen war eine kirchenrechtlich begründete Notwendigkeit und ließ sich nicht durch herrscherliche Anordnung, in der Begrifflichkeit der Urkunde für Meißen durch „regalis potestas“, ersetzen.18 Erkennbar ist darüber hinaus, dass sich die böhmischen, polnischen und die Belange des Reiches in vielfacher Weise überschnitten und in ihrer Überschneidung auch wahrgenommen wurden. Das ermöglichte neue Zuordnungen, sofern sie unter dem Vorbehalt des politischen und kirchenrechtlichen Konsenses standen. Zu beachten ist hierbei, dass es an der Wende des ersten Jahrtausends häufig erst die zweite oder dritte Generation war, die sich mit der kirchlichen Neustrukturierung im Osten des Reiches auseinanderzusetzen hatte. Begonnen hatte diese mit der Gründung des Erzbistums Magdeburg und seiner Kirchenprovinz. Giselher war der zweite Erzbischof von Magdeburg überhaupt, Adalbert

15 Vgl. Die Konzilien Deutschlands und Reichsitalien 916–1002, hg. v. Ernst-Dieter Hehl (MGH Concilia, Bd. 6), Hannover 1987/2007, S. 527–533 (Nr. 54: Rom 996), zu den kirchenrechtlichen Argumenten für die Position des Willigis vgl. S. 530 f. mit Anm. 13, 15 u. 18. 16 Die Chronik der Böhmen des Cosmas von Prag, hg. v. Bertold Bretholz (MGH SS rer. Germ. N.S., Bd. 2), Berlin 1923, I, 30, S. 55. 17 Vgl. Hilsch 1972 (wie Anm. 6), S. 29–31. 18 Vgl. grundsätzlich Ernst-Dieter Hehl: Der widerspenstige Bischof. Bischöfliche Zustimmung und bischöflicher Protest in der ottonischen Reichskirche, in: Herrschaftsrepräsentation im ottonischen Sachsen, hg. v. Gerd Althoff und Ernst Schubert (Vorträge und Forschungen, Bd. 46), Sigmaringen 1998, S. 295–344.

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der zweite Bischof im Bistum Prag, das unter dem immer noch amtierenden Willigis von Mainz gegründet worden war. Otto III. war der Enkel Ottos des Großen. Mit der Errichtung von Metropolitansitzen für Polen und Ungarn im Jahr 1000 und 1001 wurde politisch und kirchlich ein neues Stadium erreicht. Für Ungarn sind die Ereignisse nur ungefähr zu erkennen.19 Für Polen wurden sie in der Gnesenfahrt Ottos III. gleichsam inszeniert und sind trotzdem (oder auch deshalb) in der Forschung besonders umstritten. Das liegt nicht zuletzt daran, dass fast unmittelbar danach eine mehr als ein Jahrzehnt andauernde Phase des Konflikts zwischen dem Reich, das seit Ottos III. frühem Tod 1002 unter der Herrschaft Heinrichs II. stand, und Polen unter Bolesław Chrobry einsetzte. Otto III. war als Pilger zu dem Märtyrer Adalbert in Gnesen eingetroffen; Bolesław hatte den Leichnam Adalberts bei den Prußen ausgelöst und dort beisetzen lassen. Den Kaiser hatte er zwar im Grenzraum beider Reiche ehrenvoll empfangen, doch in Gnesen trat Otto als Pilger auf. In Ottos Begleitung befand sich Gaudentius, ein Halbbruder Adalberts, der in einem römischen Placitum Ottos III. vom 2. Dezember 999 als „Gaudentius archiepiscopus sancti Adelberti martyris“ unterschrieb.20 Einige Kardinäle und ein päpstlicher Oblationar gehörten ebenfalls zu Ottos Gefolge. Alles deutet auf bevorstehende kirchliche Maßnahmen hin, in denen der hl. Adalbert eine wichtige Rolle spielen sollte. Vorbereitet worden war das alles in Rom, wie die römische Nennung des Gaudentius beweist, die Bischofsweihe hatte Gaudentius offenbar von Papst Gregor V. erhalten. Der Papst war bei der Gründung eines Erzbistums nicht zu übergehen, denn ihm oblag durch die Übersendung des Palliums generell die Legitimierung eines Erzbischofs.21 Die aktuelle Forschungsdiskussion kreist vor allem um die Frage, ob Bolesław Chrobry während des Gnesenaufenthaltes Ottos zum König gekrönt wurde oder ob das überhaupt geplant war, welche Folgen das für die ‚Unabhängigkeit‘ Polens hatte und aus welchen 19 Vgl. Varga 2003 (wie Anm. 3), dort S. 78 das zusammenfassende Urteil: „In beiden Fällen wurde eine allein dem apostolischen Stuhl unterstellte Kirchenorganisation ohne jegliche Abhängigkeit von der Reichs­ kirche errichtet“. 20 DD O III. (wie Anm. 10), Nr. 339, S. 769, Z. 30. – I Placiti del „Regnum Italiae“, hg. v. Cesare Manaresi (Fonti per la storia d’Italia 96), Rom 1957/58, Bd. 2, S. 437–441, Nr. 254, hier S. 441, Z. 27 f. – Vgl. Roman Michałowski: The Gniezno Summit. The Religious Premises of the Founding of the Archbishopric of Gniezno (East Central and Eastern Europe in the Middle Ages 450–1450, Bd. 38), Amsterdam 2016 (zuerst polnisch: Breslau 2005), S. 89 f., dort zeitgleiche Belege für die Nennung des Namens eines Bischofs zusammen mit dem des Bistumspatrons, um den Bischof zu identifizieren. Das Nichtnennen eines Bischofssitzes für Gaudentius beweist deshalb nicht, dass der Ort des geplanten Erzbistums noch nicht feststand, wie es Fried 1989 (wie Anm. 12) = 2001, S. 89– 106 u. 123 f. annimmt. Zu den religiösen Implikationen vgl. Michałowski 2016 (wie oben), S. 182– 187. 21 Vgl. Rudolf Schieffer: Papsttum und Bistumsgründung im Frankenreich, in: Studia in honorem eminentissimi cardinalis Alphonsi M. Stickler, hg. v. Rosalio José Card. Castillo Lara (Studia et textus historiae iuris canonici, Bd. 7), Rom 1992, S. 517–528.

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Gründen es dann unterblieb.22 Die Krönung hätte als geistliche Handlung Erzbischof Gaudentius übernehmen müssen. Wichtiger erscheint, dass in Gnesen ein Erzbistum mit der zugehörigen Kirchenprovinz errichtet und dem bereits vom Papst geweihten Gaudentius anvertraut wurde. Den Protest des Bischofs Unger von Posen gegen diese Maßnahme überging man, indem man das Bistum Posen noch nicht in die neue Kirchenprovinz integrierte und es dort eine Exklave bildete. Thietmar von Merseburg hat aufgrund der fehlenden Zustimmung Ungers Zweifel an der Legitimität des neuen Erzbistums geäußert.23 Das spiegelt eine Magdeburger Sicht der Dinge, gemäß der Posen zur eigenen Kirchenprovinz gehörte, die durch die Neugründung in Gnesen beeinträchtigt wurde. Thietmar nennt auch die Suffragane des neuen Erzbistums: Kolberg, Krakau und Breslau; Posen ist wie gesagt ausgenommen. Kirchlich strukturiert und stabilisiert wird dadurch der Herrschaftsbereich Bolesław Chrobrys – einschließlich des Raumes um Krakau, den er erst kürzlich dem böhmischen Herzog abgerungen hatte. Mit den drei genannten Suffraganbistümern ist die neue Kirchenprovinz eigenständig und handlungs­ fähig. Denn sie verfügte über die vorgeschriebene Zahl von Bischöfen, um nach dem Tod des Gaudentius einen neuen Erzbischof weihen zu können, und war nicht auf Amtshilfe von außerhalb, etwa durch einen Bischof aus der benachbarten Magdeburger Kirchenprovinz, angewiesen.24 Im weltlich-politischen Bereich war Bolesław Chrobry die Bezugsperson, unabhängig davon, ob er die Königswürde besaß oder nicht. Organisatorisch, und zwar kirchlich und politisch, hatte sich Polen mit Zustimmung Ottos III. vom benachbarten Reich ‚emanzipiert‘.

22 Die jüngere Diskussion ausgelöst hat Fried 1989 (wie Anm. 12) = 2001, S. 72–132. – Vgl. auch den Sammelband Polen und Deutschland vor 1000 Jahren. Die Berliner Tagung über den „Akt von Gnesen“, hg. v. Michael Borgolte (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 5), Berlin 2002. – Als ausführliche Analyse (auch der Forschungsmeinungen) vgl. jetzt Michałowski 2016 (wie Anm. 20), bes. S. 74–222. Im Mittelpunkt des Buchs steht die Gründung des Erzbistums, sein Ziel sind „attempts to unterstand better the ideological and religious determi­ nants of the founding of the Polish church province“ (S. 81). – Die wichtigsten Quellen zu Gnesen sind abgedruckt in MGH Concilia 6 (wie Anm. 15), S. 585–592. – Vgl. auch Lübke 1984/88 (wie Anm. 2), Bd. 3, S. 172–179, Nr. 333–339. 23 Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg und ihre Korveier Überarbeitung, hg. v. Robert Holtzmann (MGH SS rer. Germ. N.S., Bd. 9), Berlin 1935, IV, 45, S. 184, Z. 4–7: „Nec mora, fecit ibi archiepiscopatum, ut spero legitime, sine consensu tamen prefati presulis [= Bischof Unger von Posen], cuius diocesi omnis haec regio subiecta est.“ – Zum Protest Ungers vgl. Hehl 1998 (wie Anm. 18), S.  314 f. – Michałowski 2016 (wie Anm. 20), S. 91 mit Anm. 54. 24 Vgl. Horst Fuhrmann: Die Synoden von Ingelheim, in: Ingelheim am Rhein. Forschungen und Studien zur Geschichte Ingelheims, hg. v. Johanne Autenrieth, Stuttgart 1964, S. 147–173, hier S. 163 (mit Bezug auf die Errichtung von drei Suffraganbistümern für das bis dahin suffraganlose Erzbistum Hamburg auf der Ingelheimer Synode von 948).

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Vielleicht gingen die Planungen noch weiter: Nach den Hildesheimer Annalen hätte das Erzbistum in Prag entstehen sollen, und diese Annalen nennen auch Boleslav (Boliz­ lavo), den „dux Boemorum“, als Bittsteller für diese Regelung und damit deren Nutznießer.25 Die Handschrift stammt aus dem zweiten Viertel bzw. Drittel des 11. Jahrhunderts. Ihr Schreiber könnte die Bolesław geheißenen Herzöge von Polen und Böhmen miteinander verwechselt haben, zumal die Böhmen 1039 den Leichnam des Adalbert aus Gnesen nach Prag gebracht hatten.26 Aber die Annalen geben auch an, damals seien auf einer nur bei ihnen erwähnten Synode sieben Bistümer eingerichtet (disponere) worden. Außer Prag als „principalis urbs Sclavorum“ fällt kein Name. Doch lässt sich die Siebenzahl mit den damaligen Bistümern auffüllen: Gnesen, Posen, Kolberg, Krakau, Breslau, Prag und damals mit diesem vereinigt als siebtes ein Bistum Mähren. Die slawischen Gebiete bilden in dieser Hildesheimer Sicht eine zumindest kirchliche Einheit. Wie sich eine solche hätte verwirklichen lassen, ist schwer zu sagen. Eine Voraussetzung dafür wäre gewesen, dass der Mainzer Erzbischof der Herauslösung Prags und Mährens aus seiner Kirchenprovinz zugestimmt hätte. Dass die Rechte eines Bischofs nicht gegen dessen Willen geschmälert wurden, darauf hat man in Hildesheim während des damaligen Streits mit den Mainzer Erzbischöfen um die Bistumszugehörigkeit von Gandersheim peinlich genau geachtet.27 Sieben Bistümer auf slawischem Gebiet in einer einzigen Kirchenprovinz, das könnte deshalb die Spur einer nicht verwirklichten Planung sein. Aber vielleicht lässt sich die Zahl Sieben ganz banal erklären: In der Vorlage war von vier Bistümern die Rede, ihre Zahl als römische Ziffer durch vier senkrechte Striche (IIII) wiedergegeben – etwas unsauber geschrieben oder allzu schnell gelesen, kann das zu der ebenfalls aus vier Strichen bestehenden römischen Ziffer Sieben (VII) führen. Für Ungarn sind kirchliche und politische Einheit etwa gleichzeitig verfestigt worden. Hier entstanden mit Gran/Esztergom ein erzbischöflicher Sitz und eine Kirchenprovinz, Stephan der Heilige erhielt Königskrone und Königsweihe. Thietmar von Merseburg schildert beides in einem einzigen Satz.28 Der Zusammenhang zwischen der Errichtung 25 Annales Hildesheimenses ad annum 1000, hg. v. Georg Waitz (MGH SS rer. Germ., Bd. 8), Hannover 1878, S. 27 f. 26 Dass Prag ursprünglich als Sitz des Erzbischofs geplant war, vermutet Fried 1989 (wie Anm.12) = 2001, S. 92–98 u. 122–124 und Nachtrag S. 172 f. – Von einer Verwechselung geht aus: Knut Görich: Ein Erzbistum in Prag oder in Gnesen?, in: Zeitschrift für Ostforschung 40 (1991), S. 10–27; dazu die Replik von Johannes Fried: Gnesen – Aachen – Rom. Otto III. und der Kult des hl. Adalbert. Beobachtungen zum älteren Adalbertsleben, in: Borgolte 2002 (wie Anm. 22), S. 235–279, hier S. 273–279: „Exkurs: Die Älteren Hildesheimer Annalen und die Gründung des Erzbistums Gnesen“. Frieds These lehnt ebenfalls ab Michałowski 2016 (wie Anm. 20), S. 87–92. 27 Zur Siebenzahl der Bistümer vgl. auch Görich 1991 (wie Anm. 26), S. 25 f. – Zum Hildesheimer Interesse an Bischofsfragen Hehl 1998 (wie Anm. 18), S. 316–329. 28 Thietmar von Merseburg: Chronicon (wie Anm. 23), IV, 59, S. 198, Z. 18–21: „Inperatoris autem predicti [= Otto III.] gratia et hortatu gener Heinrici, ducis Bawariorum, Waic in regno suimet episcopales

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einer Kirchenprovinz und der Herausbildung einer Königsherrschaft ist in Ungarn offensichtlich. Der Papst war nicht zu übergehen, hätte er doch dem neuen Erzbischof das Pallium übersenden müssen; Gregor VII. und die spätere ungarische Überlieferung haben dem Papsttum auch entscheidenden Anteil an der Erhebung Stephans zum König zugewiesen.29 Otto III. war ebenso involviert. Auf einem Ravennater Zusammentreffen mit Papst Silvester II. im April 1001 wird ein „Anastasius abbas monasterii sancte Marie Sclava­ nensis provincie“ genannt, der mit dem ersten Erzbischof von Gran zu identifizieren ist.30 Geistlich fühlte sich der neue Erzbischof Regensburg und Bayern verbunden. Arnold von St. Emmeram hat ihm später persönlich seine Schrift über den Heiligen des Klosters vorgelegt und für ihn auch liturgische Gesänge auf Emmeram verfasst, die Anastasius an dessen Festtag vortragen ließ.31 Liturgisch grundierte Nachbarschaftsbeziehungen sind hier greifbar. In Ravenna zugegen war 1001 auch der päpstliche Oblationar Robert, der Otto III. auf seiner Gnesenfahrt begleitet hatte. Die Errichtung der neuen Kirchenprovinzen bei den östlichen Nachbarn in Ungarn und Polen mit Beteiligung und Zustimmung Ottos III. sowie die damit aus der Perspektive des Reiches verbundene Verselbstständigung dieser Räume schufen gleichsam automatisch eine Veränderung der Nachbarschaftsbeziehungen. Sucht man nach geistlichen Beratern des Kaisers für seine Politik, fallen die Erzbischöfe von Magdeburg und Mainz aus. Unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Gnesen verstärkte Otto seine Bemühungen, Giselher zum Verlassen Magdeburgs zu bringen, allenfalls die Rückkehr in sein 981 aufgegebenes und nun wiederherzustellendes Bistum Merseburg wäre diesem noch möglich gewesen. Gleichzeitig stellte sich der Kaiser in dem Streit zwischen Willigis von Mainz und Bernward von Hildesheim um die Bistumszugehörigkeit des mit den Ottonen eng cathedras faciens, coronam et benediccionem accepit.“ – Zur Problematik vgl. Varga 2003 (wie Anm. 3), S. 69–81, bes. S. 75 zur Übersetzung von accipere. 29 Vgl. Varga 2003 (wie Anm. 3), S. 72 f. u. 136–141. – Vgl. auch Egon Boshof: Das Reich und Ungarn in der Zeit der Salier, in: Ostbairische Grenzmarken. Passauer Jahrbuch für Geschichte, Kunst und Volkskunde 28 (1986), S. 178–194, hier S. 187. – In weiter Perspektive: Rudolf Schieffer: Papsttum und neue Königreiche im 11./12. Jahrhundert, in: Päpstliche Herrschaft im Mittelalter. Funktionsweisen – Strategien – Darstellungsformen, hg. v. Stefan Weinfurter (Mittelalter-Forschungen, Bd. 38), Ostfildern 2012, S. 69–80, hier S. 75 f. 30 Manaresi 1957/58 (wie Anm. 20), S. 464–469, Nr. 263, hier S. 466, Z. 5 f. – Zur Person vgl. Varga 2003 (wie Anm. 3), S. 87, Anm. 113. 31 So der Bericht Arnolds von St. Emmeram, De sancto Emmeramo, hg. v. Georg Waitz (MGH Scriptores, Bd. 4), Hannover 1841, S. 543–574, hier S. 547, Z. 47–52: „Apud quem [= Anastasius] sex ebdo­ madas manens, memoriae sanctissimi patroni [= Emmeram] antiphonas aliquantas cum responsoriis com­ posui, non tam fretus ingenio, quam dedito laudibus martiris animo. Has prefatus episcopus monachos et clericos suos fecit discere, et in ecclesia die ipsius natali publice celebrare; secundum quod scriptum est: ‚Rece­ dant vetera de ore vestro‘ [1. Sam 2,3], deponens veterem illius cantum, quem nostri potius cantant ex an­ tiquitatis usu quam ullo auctoritatis ausu.“ – Vgl. Varga 2003 (wie Anm. 3), S. 86.

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verbundenen Damenstiftes Gandersheim immer deutlicher auf die Seite des Hildesheimers. Jüngere Bischöfe, wie Erzbischof Heribert von Köln (amt. 999–1021), davor Kanzler Ottos, vielleicht auch Bernward (amt. 993–1022), von den älteren Notker von Lüttich (amt. 972–1008), könnten zu Ottos Ratgebern gezählt haben. Nach Ottos III. frühem Tod im Januar 1002 gehörten Heribert und Notker zu den offenen Gegnern der Thronfolge des Bayernherzogs Heinrich, auch Bernward stand dem kritisch gegenüber. Zum König aufgestiegen, ließ Heinrich II. vor allem den Kölner sein Verhalten büßen. Die von Otto III. eingeschlagene Politik in der Magdeburger und Gandersheimer Frage setzte er aber fort  – rabiat gegen Giselher, möglichst schonend gegenüber Willigis, der ihn in Mainz zum König gekrönt hatte.32 In den organisatorischen Fragen im Osten hat die Forschung lange Zeit Heinrich II. einen völligen Bruch mit der Politik seines Vorgängers zugeschrieben.33 Seine langwierigen Kämpfe mit Bolesław Chrobry schienen das zu belegen. Mit allen Kräften habe sich Heinrich gegen eine Selbstständigkeit Polens gewehrt, erst recht gegen einen polnischen Anspruch auf die Königswürde. Seine Haltung gegenüber der Kirchenprovinz Gnesen fand weniger Beachtung. Einen ersten Schlüssel, das nationalgeschichtlich geprägte Bild der älteren Forschung zu relativieren, bietet das spannungsfreie Verhältnis des neuen Königs zu Ungarn. Dass sich hier die Ausbildung von eigener Kirchenprovinz und Königsherrschaft miteinander verknüpft hatten, war kein Anlass von Konflikten, in denen Heinrich eine Art Oberherrschaft hätte behaupten wollen. Als Erklärung dafür reicht nicht aus, dass Heinrichs Schwester Gisela mit dem zum König aufgestiegenen Stephan verheiratet war.34 Man wird vielmehr grundsätzlich festhalten müssen: Die neue Kirchenprovinz und das neue Königreich östlich seines früheren Herzogtums Bayern störten Heinrich nicht. Im Prinzip gilt das auch für die Kirchenprovinz Gnesen. Heinrich tat wenig oder nichts zur Unterstützung Magdeburger Ansprüche speziell auf Posen als Suffraganbistum, wodurch sich überdies auch die Legitimität der Gnesener Kirchenprovinz hätte erschüttern lassen, hatte doch Bischof Unger von Posen der Schmälerung des eigenen Bistums nicht zugestimmt. Die Konflikte mit Bolesław Chrobry, so lassen sich die Ergebnisse der 32 Vgl. Hehl 1998 (wie Anm. 18), S. 329–334; zur Wiederherstellung Merseburgs 1004, S. 334–341 (Entscheidung im Gandersheimer Streit zwischen Willigis und Bischof Bernward von Hildesheim zugunsten Bernwards 1006/07). 33 Grundsätzlich zu damit verbundenen Forschungsfragen der Sammelband: Otto III. – Heinrich II. Eine Wende?, hg. v. Bernd Schneidmüller und Stefan Weinfurter (Mittelalter-Forschungen, Bd. 1), Stuttgart 1997 (ND 2000). Vgl. dort bes. Bernd Schneidmüller, Otto III. – Heinrich II. Wende der Königsherrschaft oder Wende der Mediaevistik?, S. 9–46, zur Politik gegenüber Polen S. 36–40; im gleichen Band auch der grundlegende Aufsatz von Knut Görich, dazu unten bei Anm. 35. 34 Zu Gisela vgl. Winfried Glocker: Die Verwandten der Ottonen und ihre Bedeutung in der Politik. Studien zur Familienpolitik und zur Genealogie des sächsischen Kaiserhauses (Dissertationen zur mittelalterlichen Geschichte, Bd. 5), Köln 1989, S. 217–219.

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grundlegenden Forschungen von Knut Görich zusammenfassen, erwuchsen vielmehr aus dem gegenseitigen Gefühl, der eigene honor werde nicht gebührend anerkannt.35 ­Ältere bayerisch-böhmische und sächsisch-polnische Adelsverbindungen wirken in ihm koalitionsbildend weiter. Wenn Erzbischof Tagino von Magdeburg in ihm als Vermittler eingesetzt wurde, so war das auch deshalb möglich, weil der aus Bayern stammende ­Erzbischof und Vertraute Heinrichs nicht der genuine Träger von Magdeburger Ansprüchen im Herrschaftsraum Bolesławs war, von denen der aus dem Magdeburger Domkapitel hervorgegangene Thietmar von Merseburg träumte, und nicht in die sächsisch-polnischen Konstellationen eingebunden war.36 Wenn man moderne Kategorien anwendet, bezogen sich die Konflikte auf Räume, in denen Bolesław aufgrund von Beziehungen zu sächsischen Großen Ansprüche zu haben glaubte, ohne die Königsherrschaft Heinrichs hier in Frage zu stellen; diese Räume sind von polnischen Kernlanden zu trennen, auf die Heinrich seinerseits keine Ansprüche erhob. Gnesen wäre den Letzteren zuzurechnen. Wie Heinrich II. das Reich und seine Kirche im Verhältnis zu den östlichen Nachbarn positionierte, lässt sich an der Weihe des Bamberger Domes 1012 erkennen.37 Sie fand am Geburtstag des Kaisers, am 6. Mai, statt. Mehr als vierzig Bischöfe waren erschienen, unter ihnen mit Ausnahme des Hamburgers alle Erzbischöfe des Reiches. Sie übernahmen zusammen mit dem Ortsbischof die Weihe der wichtigsten Altäre. Zugegen war auch der Patriarch von Aquileia, aber auch Ascherius/Anastasius als „Ungarorum archiepiscopus“, der bereits 1007 an der Frankfurter Synode zur Gründung des Bistums teilgenommen hatte.38 Ascherius/Anastasius weihte den Altar vor der Krypta, bei dem Heinrich nach seinem Tod beigesetzt werden sollte. Die freundschaftlichen Beziehungen des Herrschers zu Ungarn, wo Ascherius als erster Erzbischof überhaupt amtierte, spiegeln sich in dieser Weihehandlung. Erzbischof Hartwig von Salzburg übernahm die Weihe eines Altars, bei dem die bayerischen Bezüge ins Auge fallen. Denn in ihm waren Reliquien des hl. Rupert 35 Knut Görich: Eine Wende im Osten: Heinrich II. und Boleslaw Chrobry, in: Schneidmüller / Weinfurter 1997 (wie Anm. 33), S. 95–167 (zur älteren Sicht dort S. 95 f.). – Vgl. auch Stefan Weinfurter: Heinrich II. (1002–1024). Herrscher am Ende der Zeiten, Regensburg 1999, S. 206–220. 36 Zu Tagino vgl. grundlegend Claude 1972 (wie Anm. 5), S. 214–271, bes. S. 248–258 u. 277 sowie 287–292 zu Taginos Nachfolgern Waltard (1012) und Gero (1012–1023). – Vgl. auch Görich 1997 (wie Anm. 35), S. 124, 128 u. 132; S. 142 spricht er von der „auffallend vermittelnde[n] Position der Erzbischöfe Tagino, Waltard und Gero“. 37 Vgl. Karl Josef Benz: Untersuchungen zur politischen Bedeutung der Kirchweihe unter Teilnahme der deutschen Herrscher im hohen Mittelalter. Ein Beitrag zum Studium des Verhältnisses zwischen weltlicher Macht und kirchlicher Wirklichkeit unter Otto III. und Heinrich II. (Regensburger Historische Forschungen, Bd. 4), Kallmünz 1975, S. 122–144. 38 Zu 1007 vgl. Die Urkunden Heinrichs II. und Arduins (Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser. MGH Diplomata, Bd. 3), Hannover 1900/03, hier DD H. II. Nr. 143, S. 172, Z. 1; zu 1012 vgl. Dedicatio ecclesiae s. Petri Babenbergenis, hg. v. Philipp Jaffé (MGH Scriptores, Bd. 17), Hannover 1861, S. 635–636, hier S. 636, Z. 19.

Das Reich und seine Nachbarn im Osten von Otto III. bis Konrad II.  |  201

von Salzburg und der Regensburger Heiligen Emmeram und Erhard geborgen, aber auch Reliquien Bischof Ulrichs von Augsburg, des hl. Wenzel sowie – in der aktuellen Situation geradezu demonstrativ – des hl. Adalbert. Adalberts gedachte man als eines Märtyrers, dessen Bischofssitz das böhmische und von der bayerischen Kirche missionierte Prag gewesen war.39 Die Verehrung des Märtyrers sollte keine alleinige Angelegenheit Gnesens und der polnischen Kirchen- und Reichsbildung sein. Die für den Südosten des Reiches und seine Nachbargebiete zuständigen Erzbischöfe von Salzburg, Aquileia und Ungarn wirken an der auf Heinrichs Person bezogenen Bamberger Domweihe mit – natürlich auf Einladung des Herrschers. Diese Hervorhebung Adalberts als Prager Heiligen mag damit zusammenhängen, dass Bolesław Chrobry 1003 in den Streit der drei Söhne Herzog Boleslavs II. von Böhmen auf Seiten Boleslavs III. eingegriffen und seinen sich als Tyrannen aufführenden Schützling schließlich gestürzt hatte. Eine Aufforderung Heinrichs, das besetzte Böhmen „de sua gra­ cia“ entgegenzunehmen und ihm „fideliter“ zu dienen,40 hatte Bolesław Chrobry zurückgewiesen. Bereits ein Jahr später konnte Heinrich einen Bruder Boleslavs III. als böhmischen Herzog etablieren. Der böhmische Boleslav selbst hatte nämlich 999 seine Brüder und seine Stiefmutter vertrieben, die in Regensburg am herzoglichen Hof Heinrichs Aufnahme gefunden hatten. Hier wird eine Konstellation sichtbar, die sich am Ausgang des 10. und beginnenden 11. Jahrhunderts häufig wiederholte: der innerfamiliäre Streit um die Nachfolge. Die Unterlegenen suchten Zuflucht bei einem benachbarten Großen oder Herrscher, der damit vor der Entscheidung stand, ob er auch Unterstützung gewähren, letztlich kriegerisch intervenieren sollte. In raumübergreifender Weise zeigte sich das in den letzten Ereignissen der Regierung Bolesław Chrobrys und unter seinem Sohn. Bolesław hatte sich nach Heinrichs II. Tod zum polnischen König krönen lassen. Im Reich sah man darin eine Missachtung der Rechte Konrads II., der dort die Nachfolge angetreten hatte.41 Bolesław starb am 17. Juni 1025, sein Sohn Mieszko II. folgte ihm in der Königsherrschaft über Polen. Als Ehemann von Richeza, der Enkelin Ottos II. und Tochter des lothringischen Pfalzgrafen Ezzo,42 hätte man unter ihm mit einem friedlichen Verhältnis zum Reich rechnen können, zumal 39 Vgl. Ernst-Dieter Hehl: Die heiligen Mauritius, Laurentius, Ulrich und Veit, in: Kat. Mannheim 2000 (wie Anm. 11), Bd. 2, S. 895–898, hier S. 897. 40 Thietmar von Merseburg: Chronicon (wie Anm. 23), V, 31, S. 253 u. 255 (die Passage ist nur in der sogenannten Korveier Überarbeitung enthalten). 41 Wipo: Gesta Chuonradi II. imperatoris, in: Die Werke Wipos, hg. v. Harry Bresslau (MGH SS rer. Germ., Bd. 61), Hannover 1915, S. 1–62, hier S. 31 f., c. 9: „[...] Bolizlaus Sclavigena, dux Bolanorum, insignia regalia et regium nomen in iniuriam regis Chuonradi sibi aptavit, cuius temeritatem cito mors exinanivit.“ 42 Glocker 1989 (wie Anm. 34), S. 215–217 u. 317, Nr. 12.

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diese Ehe im Umfeld der Gnesenfahrt Ottos III. abgesprochen und 1013 bei einem Zwischenfrieden seines Vaters mit Heinrich II. geschlossen worden war. Es kam anders. 1028 überfiel Mieszko ostsächsische Gebiete, und offenbar war die Gefahr so groß, dass Konrad das Bistum Zeitz mit Billigung und Mitwirkung von Papst Johannes XIX. nach Naumburg verlegte. Er baute damit der Gefahr vor, dass ein durch Plünderungen völlig verarmtes Bistum aus kirchenrechtlichen Gründen aufgegeben werden musste.43 Erst 1031 kam es nach erfolgreichen Gegenschlägen Konrads zum Friedensschluss. Doch nun erschien der Großfürst Jaroslaw von Kiew auf dem Plan. Bolesław Chrobry hatte 1019 eine Nachfolgekrise in der Kiewer Rus ausgenutzt und zugunsten seines Schwiegersohns Swjatopolk I. ohne bleibenden Erfolg gegen Jaroslaw zu den Waffen gegriffen. Die Verhältnisse drehten sich gleichsam um. Denn Mieszkos Bruder Bezprym, der älteste und bei der Nachfolge im Königtum übergangene Sohn Bolesławs, befand sich 1031 in Begleitung Jaroslaws und konnte für einige Zeit die Herrschaft in Polen übernehmen. Auf seine Königswürde verzichtete er, um Konrads Anerkennung zu gewinnen. Mieszko folgte seinem Beispiel, als er etwa ein Jahr vor seinem Tod (1034) die Herrschaft zurückgewinnen konnte. Richeza, Mieszkos Witwe, musste Polen verlassen und kehrte in ihre rheinische Heimat zurück, ihr Sohn Kasimir I. folgte ihr 1037. Eine heidnische Reaktion in Polen war mit diesen Ereignissen verknüpft, die Bischofssitze wurden davon in Mitleidenschaft gezogen. In Gnesen hat vermutlich kein Erzbischof mehr residiert.44 Der böhmische Herzog Bretislav nutzte die Schwäche Polens. 1039 überfiel er Gnesen, raubte den Leichnam Adalberts und ließ ihn nach Prag überführen. Cosmas von Prag er­ öhmen zählt das als anrührende Geschichte.45 Denn der einst von den gleichsam gottlosen B aus seinem Bistum vertriebene Märtyrer brachte an seinem Gnesener Grab die Böhmen zu einer Selbstverpflichtung auf eine christlich angemessene Lebensweise. Seine Vertreibung wurde so rückgängig gemacht, Adalbert heimgeholt. Aber nicht allein der Gründungshei43 Vgl. J. F. Böhmer: Regesta Imperii. III. Salisches Haus 1024–1125. Fünfte Abteilung: Papstregesten 1024–1058, 1. Lieferung 1024–1056, bearb. v. Karl Augustin Frech, Köln 2006, Nr. 108. – Zur Verlegung des Bistums vgl. Heinz Wiessner (Bearb.): Das Bistum Naumburg, Bd. 1,1: Die Diözese (Germania Sacra. N.F., Bd. 35.1), Berlin 1997, S. 123–128. – Zur Verarmung als Grund für die Auflösung eines Bistums vgl. Hehl 1997 (wie Anm. 9), S. 102–108 sowie Hehl 1998 (wie Anm. 18), S. 301– 308. 44 Vgl. Lübke 2004 (wie Anm. 1), S. 226–232. – Zur Situation in den Bistümern nach dem Tod Mieszkos II., der paganen Reaktion und dem böhmischen Einfall vgl. die knappen Bemerkungen von Könighaus 2014 (wie Anm. 2), S. 44 (Gnesen), 67 (Posen), 83 (Krakau) u. 105 (Breslau). Unter Kasimir I. erfolgte die Wiederherstellung. 45 Zu den Vorgängen von 1039 vgl. insgesamt Cosmas von Prag: Chronica Boemorum (wie Anm. 16), II, 2–7, S. 82–93. Damit beginnt Cosmas seine Erzählung von den Taten des Böhmenherzogs Breti­ slav I. (1034–1055). – Vgl. Lübke 1984/88 (wie Anm. 2), 4, S. 193–195, Nr. 638. – Böhmer / Frech 2006 (wie Anm. 43), Nr. 215–217 u. 219 f. – Könighaus 2011 (wie Anm. 2), S. 77 f., Nr. *16–18. – Könighaus 2014 (wie Anm. 2), S. 18–20, Nr. *13–20.

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lige des Erzbistums Gnesen wurde nach Prag überführt, auch den Gründungserzbischof Gaudentius nahmen die Böhmen mit. Gnesen sollte seiner religiösen Legitimation beraubt werden. Vielleicht sollte auch seine Stellung als Metropole an Prag übergehen, denn Bischof Severus von Prag soll damals Papst Benedikt IX. vergeblich um das Pallium gebeten haben.46 Wenn man so will, einte Adalbert weiterhin die böhmisch-polnischen Räume, aber es war eine Einheit in Konkurrenz und Rivalität. Dass sich in Böhmen kein eigenständiges kirchliches Zentrum ausgebildet hatte, dürfte diese Konkurrenz beflügelt haben. Gleichzeitig führte das zu einer kontinuierlichen Zugehörigkeit zum Reich: Böhmen wurde nicht zu dessen östlichem Nachbarn, sondern zu einem Glied des Reiches, dessen zentrales Bistum Prag 1344 unter Karl IV. zum Erzbistum wurde. Wie sich lokale Konflikte zu Auseinandersetzungen zwischen bisher befreundeten Herrschern aufschaukeln konnten, lässt sich an dem unter Heinrich II. ungetrübten Verhältnis zu Stephan von Ungarn zeigen. Nach Heinrichs II. Tod im Jahre 1024 kam es 1030 unter Konrad II. – vermutlich von Bayern angezettelt – zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Ein Jahr später konnte Konrads II. Sohn, der spätere Heinrich III., diese beilegen. Als amtierender Herzog von Bayern war Heinrich unmittelbar betroffen, der Freisinger Bischof Eilbert hatte ihm zum Friedensschluss geraten.47 Verfolgt man die Entwicklung weiter, erkennt man, dass auch in Ungarn die Kirchenprovinz trotz aller personenbezogener Zufälligkeiten und politischer Wechselfälle den Raum stabilisierte, ähnlich wie das für das polnische Gnesen der Fall war. Unter völlig anderen Bedingungen und mit anderen Folgen übernahm in Böhmen das Bistum Prag diese stabilisierende Rolle. Die politischen Einheiten Polen, Ungarn und Böhmen waren jeweils einer einzigen kirchlichen Metropole zugeordnet. Bei Streitigkeiten um die Herrschaftsnachfolge ging es deshalb immer um das Ganze. Eine Teilung war schwer möglich. Sie hätte das Problem nur vorübergehend lösen können. Denn derjenige, dem die Herrschaft über die Metropole zugefallen wäre, hätte eine höhere Stellung eingenommen als sein Rivale. Weil es um das Ganze ging, waren die Streitenden häufig auf Hilfe von außen angewiesen. Vor allem der deutsche König und Kaiser kam als Helfer in Frage und konnte seinerseits die Situation zur Wahrnehmung eigener Interessen nutzen. Aber auch hierbei reagierte er häufig auf die wechselhaften Konstellationen von Konflikt und Bündnis in und zwischen Polen, Böhmen und Ungarn.48 Die von Konrad II. seit 1032/33 in böhmi46 Die Palliumsbitte ist nur bei dem Annalista Saxo ad a. 1042 überliefert: Die Reichschronik des Annalista Saxo, hg. v. Klaus Nass (MGH Scriptores, Bd. 27), Hannover 2006, S. 385. – Regesten: Böhmer / Frech 2006 (wie Anm. 43), Nr. 218. – Könighaus 2011 (wie Anm. 2), S. 78, Nr. *19. – Zu den wiederholten Plänen, Prag zu einem Erzbistum zu erheben, vgl. Boshof 1998 (wie Anm. 6), S. 27–29 u. 39. 47 Vgl. Varga 2003 (wie Anm. 3), S. 94–98. – Zu Eilberts Beziehungen nach Ungarn vgl. Varga 2003 (wie Anm. 3), S. 87. 48 Vgl. Boshof 1986 (wie Anm. 29), S. 180–183 zur Situation 1039–1044: Einfall Bretislavs von Böhmen in Polen 1139 (Gnesen); erfolgloser Feldzug Heinrichs III. nach Böhmen, das von König Peter Orseolo

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schen und polnischen Nachfolgekrisen ‚vermittelten‘ Lösungen und Herrschaftsteilungen mit gleichzeitig betonter Bindung an das Reich erlangten keine Dauer. In Böhmen setzte sich 1035 Bretislav gegen seinen Onkel Jaromir als alleiniger Herzog durch. In Polen konnte Mieszko II. noch einmal für kurze Zeit vor seinem Tod (1040) die Alleinherrschaft erringen.49 Danach begann mit der Vertreibung seiner Witwe Richeza und dann seines Sohnes Kasimir eine Zeit innerer Wirren, die mit der Rückkehr Kasimirs als ‚Erneuerer‘ und der erneuten Etablierung einer (nun herzoglichen) Alleinherrschaft endete. Kirchlich dürften die Bistümer Krakau und Gnesen dabei einen wichtigen Bezugspunkt der Erneuerung und Herrschaftslegitimation gebildet haben. Dass die Erzbistümer Gnesen und Gran sowie das Bistum Prag an das Papsttum und die römische Kirche gebunden waren, bedeutete gleichzeitig ein Hindernis für eine entscheidende und auf Dauer angelegte Einflussnahme des byzantinischen Kaisers oder der kirchlich dem Patriarchat von Konstantinopel zugeordneten Herrscher über die Kiewer Rus. Aber auch diese ‚religiöse‘ und kirchenorganisatorische Grenze blieb durchlässig, denn projektierte und vollzogene Eheverbindungen überschritten sie.50 Persönliche Bindungen und Stiftungen an eine geistliche Einrichtung, an eine Bischofskirche oder an ein Kloster, entfalteten in diesem System eine langanhaltende Wirkung und vermochten auch weit entfernte Räume kulturell miteinander zu verbinden. Liturgische Geräte und Handschriften lassen sich, sofern ausreichende Quellen zur Verfügung stehen, in derartige Prozesse einordnen. Ob sie aber eigens dafür geschaffen und überbracht wurden und somit politischen Absichten dienen konnten und sollten, muss jedoch im Einzelnen ermittelt werden.

von Ungarn unterstützt wird; Sturz Peters und dessen Flucht in das Reich; 1041 Anwesenheit Peters auf dem Hoftag von Regensburg, auf dem sich Bretislav Heinrich unterwirft; 1042 Ausbleiben einer Einigung zwischen Aba (Samuel) von Ungarn (dem Nachfolger des gestürzten Peter) und Heinrich; Feldzug Heinrichs – unterstützt von Peter – nach Ungarn; 1044 Niederlage Abas gegen Heinrich bei Memfö; Hinrichtung Abas; Restitution König Peters. – Vgl. ausführlich Varga 2003 (wie Anm. 3), S. 100–110. 49 Vgl. Franz-Reiner Erkens: Konrad  II. Herrschaft und Reich des ersten Salierkaisers, Regensburg 1998, S. 150–157. – Herwig Wolfram: Konrad II. 990–1039. Kaiser dreier Reiche, München 2000, S. 231–245. – Lübke 1984/88 (wie Anm. 2), 4, S. 164–167, Nr. 609 f. (Hoftag in Merseburg 1033, Alleinherrschaft Mieszkos II.) u. 172–174, Nr. 616 u. 619 (1034 Aufteilung Böhmens unter den Brüdern Udalrich und Jaromir, Alleinherrschaft Bretislavs). 50 Bolesław Chrobry hatte eine Tochter mit dem Kiewer Großfürsten Swjatopolk I. verheiratet und intervenierte 1018 zugunsten seines Schwiegersohns gegen dessen (Halb-)Bruder Jaroslaw; siehe oben bei Anm. 44. König Stephan von Ungarn hatte den Thronfolger Emmerich (verst. 1031) mit einer Tochter des byzantinischen Kaisers Romanos III. verheiratet; König Andreas hatte eine Tochter des Kiewer Großfürsten Jaroslaw geheiratet, der ihn bei der Eroberung des Königreichs gegen Peter Orseolo unterstützte. Vgl. Boshof 1986 (wie Anm. 29), S. 179. – Varga 2003 (wie Anm. 3), S. 96 u. 115.

Das Reich und seine Nachbarn im Osten von Otto III. bis Konrad II.  |  205

Janina Lillge

Alte und neue Verwandte? Funktionen der Verwandtschaft in der Historiographie der spätottonisch-salischen Zeit

Die Untersuchung der Auswirkungen von Gruppenbindungen, die heute in Mitteleuropa im privaten Bereich angesiedelt werden, auf politische Ereignisse, Prozesse und Strukturen hat eine lange wissenschaftliche Tradition. Verwandte und Verwandtschaft spielten und spielen sowohl in Quellen als auch in der Forschung zur mittelalterlichen Geschichte eine wichtige Rolle. Einerseits nutzten mittelalterliche Autoren Details zur Verwandtschaft von Personen als Hinweise zur bloßen Einordnung von Zugehörigkeit, andererseits leitet die mediävistische Geschichtswissenschaft aus wenigen Worten oder Sätzen zu dieser Thematik Kausalitäten und Motivationen der beteiligten Personen ab.1 Inwieweit entsprechen solche Zusammenhänge den Vorstellungen des 11. Jahrhunderts?2 Es ist zu prüfen, ob die Quellenautoren Zusammenhänge andeuten oder explizit nennen: Geben sie also Gründe oder Anlässe für Eheschließungen an? Waren neben der erhofften Nachkommenschaft politische, militärische und wirtschaftliche Folgen einkalkuliert oder gar beabsichtigt? Werfen diese primären Folgen in der Historiographie auch ein Schlaglicht auf sekundär folgende Auswirkungen auf dieselben? Vielleicht beeinflussen sie Liturgie und Kunst? Im Folgenden sollen ‚alte Verwandte‘ eines mittelalterlichen Menschen terminologisch für die Gesamtheit der verwandtschaftlichen Bindungen stehen, die vor der Eheschließung bestanden. Mit der Vereinbarung und Schließung einer Ehe gewann der Mensch ‚neue‘ Verwandte hinzu. Für Kinder einer solchen Ehe wurden die jeweiligen ‚neuen‘ Verwandten der Eltern zu ‚alten‘ Verwandten. Dieser Gegensatz ist nicht den Quellen entnommen, sondern beruht auf der in die Kritik geratenen, scharfen Trennung zwischen Bluts- und Heiratsverwandtschaft in der Forschung.3 Die Funktionen von Verwandten im 1 2

3

Vgl. Gerd Althoff: Verwandte, Freunde und Getreue. Zum politischen Stellenwert der Gruppenbildung im frühen Mittelalter, Darmstadt 1990, S. 1. Vgl. Karl Ubl: Zur Einführung: Verwandtschaft als Ressource sozialer Integration im frühen Mittelalter, in: Verwandtschaft, Name und soziale Ordnung (300–1000), hg. v. Steffen Patzold und Karl Ubl (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 90), Berlin 2012, S. 1–27, hier S. 1. Zum vorstellungsgeschichtlichen Ansatz vgl. Hans-Werner Goetz: Vorstellungsgeschichte. Gesammelte Schriften zu Wahrnehmungen, Deutungen und Vorstellungen im Mittelalter, hg. v. Anna Aurast u. a., Bochum 2007.

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Sinne von Aufgaben- oder Bedeutungszuschreibungen sollen anhand historiographischer Quellen der spätottonisch-salischen Zeit untersucht werden. Ein Auswahlkriterium ist, dass der Abfassungszeitraum die Lebenszeit Königin Richezas von Polen aus der Familie der Ezzonen berührt, um Rückschlüsse von allgemeinen, zeitspezifischen Vorstellungen der Autoren auf den Kontext ihrer Ehe zu ermöglichen. Ziel ist die Erschließung der ­politischen und sozialen Auswirkung dieser Verbindung neuer mit alten Verwandten aus Sicht der Autoren.

Forschungsüberblick Ein früher Forschungsgegenstand war die (Re-)Konstruktion von Dynastien: Er brachte wichtige Hilfsmittel der Genealogie hervor.4 Bei diesen und anderen Veröffentlichungen des 19. und 20. Jahrhunderts spielten Familie und Verwandte nicht im kulturwissenschaftlichen Sinne eine Rolle, sondern das Forschungsinteresse galt vielmehr rechts-, politik- und verfassungsgeschichtlichen Fragestellungen von Erbe und Herrschaft.5 Für die frühmittelalterliche Geschichte war überwiegend der Adel auch aufgrund der besseren Quellenlage Gegenstand der Untersuchungen. Einflussreich waren die Studien Karl Schmids: Aus Memorialquellen leitete Schmid ein horizontales Verständnis der frühmittelalterlichen Verwandtschaft in Form weiter und fluktuierender Sippenverbände ab.6 ­ Dagegen erkannte er im Hochmittelalter eine wachsende Tendenz zu einem Geschlechterbewusstsein hin, das sich an eigenen Orten und Einrichtungen wie Burgen und Eigenklöstern orientiert habe. Für diese Form des patrilinearen – des auf den Mannesstamm 4

5 6

Beispielsweise die von Wilhelm Karl von Isenburg begründeten Stammtafeln zur Geschichte der europäischen Staaten, die aufgrund der nicht immer nachvollziehbaren Quellen umstritten sind. Jüngster Band: Frank Baron Freytag von Loringhoven (Bearb.): Zwischen Maas und Rhein 2, hg. v. Detlev Schwennicke (Europäische Stammtafeln. N.F.: Stammtafeln zur Geschichte der europäischen Staaten, Bd. 26), Frankfurt am Main 2009. Vgl. Gerhard Lubich: Verwandtsein. Lesarten einer politisch-sozialen Beziehung im Frühmittelalter (6.–11. Jahrhundert) (Europäische Geschichtsdarstellungen, Bd. 16), Köln 2008, S. 235. – Hans-Werner Goetz: Verwandtschaft im früheren Mittelalter I. Terminologie und Funktionen, in: Verwandtschaft, Freundschaft, Bruderschaft. Soziale Lebens- und Kommunikationsformen im Mittelalter, hg. v. Gerhard Krieger, Berlin 2009, S. 15–36, hier S. 34. Zu Schwerpunkten der deutschen Forschung vgl. Ubl 2012 (wie Anm. 2), S. 2–10. Vgl. Karl Schmid: Zur Problematik von Familie, Sippe und Geschlecht, Haus und Dynastie beim mittelalterlichen Adel. Vorfragen zum Thema „Adel und Herrschaft im Mittelalter“, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 105, N.F. 66 (1957), S. 1–62. – Karl Schmid: Gebetsgedenken und adliges Selbstverständnis im Mittelalter. Ausgewählte Beiträge. Festgabe zu seinem 60. Geburtstag, Sigmaringen 1983. – Karl Schmid: Geblüt, Herrschaft, Geschlechterbewusstsein. Grundfragen zum Verständnis des Adels im Mittelalter, aus dem Nachlass hg. v. Dieter Mertens und Thomas Zotz (Vorträge und Forschungen, Bd. 44), Sigmaringen 1998.

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konzentrierten – Selbstverständnisses untersuchte er historiographische und vermutete Eigen-Quellen. Der Annales-Historiker Georges Duby nahm Schmids Beobachtungen und diejenigen anderer Tellenbach-Schüler auf und wendete sie auf seine Fragestellung nach der Feudalisierung Westfrankens an. Er datierte die Umwälzung um 1000.7 Die an unterschiedlichen Quellengattungen und anhand verschiedener Forschungsinteressen gemachten Beobachtungen wurden als ‚Schmid-Duby-These‘ zusammengefasst.8 Dieser These von einem Wandel von einer kognatischen Sippe hin zu einer agnatischen Dynastie im Hoch- und Spätmittelalter ist inzwischen widersprochen worden: Constance Brittain Bouchard fand in Franken zwischen dem 8. und 12. Jahrhundert keinen klaren Wendepunkt.9 Régine Le Jan wies dort außerdem patrilineare Tendenzen bereits im 9. und 10.  Jahrhundert nach.10 Für das Spätmittelalter stellte Karl-Heinz Spiess statt einer ­Betonung der patrilinearen Abstammungsverwandten eher nahezu gleichberechtigt auftretende Heiratsverwandte fest.11 Eine Verbindung der Befunde in einer Dualität von ­agnatisch-patrilinearen Repräsentationsformen und einem terminologisch ausgeprägt kognatischen Beziehungssystem schlug Joseph Morsel vor.12 Impulse für diese Ergebnisse gaben seit den 1970er Jahren zunächst in Frankreich anthropologische Forschungsan­ sätze.13 Trotz der Ablehnung durch die Geschichtswissenschaft bewirkten die Thesen des Sozialanthropologen Jack Goody zu den Ursachen der spezifisch europäischen Heirats-

 7 Vgl. Georges Duby: Une enquête à poursuivre: La noblesse dans la France médiévale, in: Revue historique 226 (1961), S. 1–22. – Georges Duby: Lignage, noblesse et chivalerie au XIIe siècle dans la région mâconnaise, in: Annales 27 (1972), S. 803–824. – Georges Duby: The Chivalrous Society, London 1977.  8 Vgl. Michael Mitterauer: Mittelalter, in: Geschichte der Familie, hg. v. Andreas Gestrich, Jens-Uwe Krause und Michael Mitterauer (Europäische Kulturgeschichte, Bd. 1), Stuttgart 2003, S. 162.  – Bernhard Jussen: Verwandtschaftliche Ordnungen, in: Enzyklopädie des Mittelalters, hg. v. Gert Melville und Martial Staub, Darmstadt 2013, Bd. 2, S. 168. 9 Vgl. Constance Brittain Bouchard: „Those of My Blood“. Constructing Noble Families in Medieval Francia (The Middle Ages Series), Philadelphia 2001, S. VIII. 10 Vgl. Régine Le Jan: Famille et pouvoir dans le monde franc (VIIe–Xe siècle). Essai d’anthropologie sociale (Histoire ancienne et médiévale, Bd. 33), Paris 1995, S. 430 f. 11 Vgl. Karl-Heinz Spiess: Familie und Verwandtschaft im deutschen Hochadel des Spätmittelalters. 13.–16. Jahrhundert (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beihefte 111), Stuttgart 1993, S. 539. 12 Vgl. Joseph Morsel: Geschlecht und Repräsentation. Beobachtungen zur Verwandtschaftskonstruktion im fränkischen Adel des späten Mittelalters, in: Die Repräsentation der Gruppen. Texte – Bilder – Objekte, hg. v. Otto Gerhard Oexle und Andrea von Hülsen-Esch (Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Geschichte, Bd. 141), Göttingen 1998, S. 315. 13 Vgl. Anita Guerreau-Jalabert / Régine Le Jan / Joseph Morsel: De l’histoire de la famille à l’anthropologie de la parenté, in: Les tendances actuelles de l’histoire du Moyen Âge en France et en Allemagne, hg. v. Jean Claude Schmitt und Otto Gerhard Oexle, Paris 2002, S. 433.

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muster eine rege Diskussion in der französischen und angelsächsischen Forschung.14 Gleichzeitig existiert ein weites Forschungsfeld zu Haushaltsfamilien, die auch andere Zeiten, Regionen und Bevölkerungsgruppen berücksichtigen sowie besitzgeschichtliche Regionalstudien.15 Insgesamt lassen sich neben den prosopographisch und genealogisch orientierten Studien Schwerpunkte bezüglich von Familienstrukturen und Familienbewusstsein feststellen, deren Forschungsdiskurs zumeist das Verhältnis von Groß- und Kernfamilie sowie Abstammungs- und Heiratsverwandten fokussiert.16 Der Konstruktionscharakter von Familie und Verwandtschaft ist inzwischen anerkannt.17 Diskutiert wird noch, wie sich diese Konstruktion(en) auswirkte(n), das Verhältnis von Verwandten und Familie sowie die Frage nach einem Bedeutungsverlust gegenüber anderen Gesellschaftsformen.18 Vor allem Bernhard Jussen gehört zu den Vertretern der These, nach der sowohl in geistlichen Gemeinschaften, Gilden und Zünften als auch in der Grundherrschaft und im Lehnswesen Aufgaben und Leistungen der Familie und Verwandtschaft übernommen und delegiert worden seien.19 14 Vgl. Jack Goody: The Development of Family and Marriage in Europe (Past and present publications), Cambridge 1983. – Bernhard Jussen: Perspektiven der Verwandtschaftsforschung fünfundzwanzig Jahre nach Jack Goodys „Entwicklung von Ehe und Familie in Europa“, in: Die Familie in der Gesellschaft des Mittelalters, hg. v. Karl-Heinz Spieß (Vorträge und Forschungen, Bd. 71), Ostfildern 2009, S. 275–324. 15 Vgl. am Beispiel norditalienischer Städte des Spätmittelalters David Herlihy / Christiane KlapischZuber: Les Toscans et leurs familles. Une étude de Catasto florentin de 1427 (Publication du Centre de Recherches Historiques de l’École des Hautes Études en Sciences Sociales), Paris 1978. – Rückblickend Edward A. Wrigley: Small-scale but not parochial: the work of the Cambridge Group for the History of Population and Social Structure, in: Family and Community History 1 (1998), S. 27– 36. – Zu den Aktivitäten seitdem vgl. The Cambridge Group for the History of Population and Social Structure, http://www.campop.geog.cam.ac.uk/ (letzter Zugriff: 01.11.2017). – Vgl. zudem Thomas Kohl: Lokale Gesellschaften. Formen der Gemeinschaft in Bayern vom 8. bis zum 10. Jahrhundert (Mittelalter-Forschungen, Bd. 29), Ostfildern 2010. 16 Vgl. Goetz 2009 (wie Anm. 4), S. 16 f. 17 Vgl. Morsel 1998 (wie Anm. 13), S. 311–317. – Bouchard 2001 (wie Anm. 10), S. 2. – Art. Verwandtschaft, in: Lexikon des Mittelalters 8, München 1997, Sp. 1597 (Bernhard Jussen). – Goetz 2009 (wie Anm. 4), S. 18. 18 Vgl. Hans-Werner Goetz: Verwandtschaft im früheren Mittelalter (II) zwischen Zusammenhalt und Spannungen, in: Nomen et Fraternitas. Festschrift für Dieter Geuenich zum 65. Geburtstag, hg. v. Uwe Ludwig und Thomas Schilp (Ergänzungsbände zum Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Bd. 62), Berlin 2008, S. 547–573, hier S. 567. – Kingship in Europe. Approaches to LongTerm Development (1300–1900), hg. v. David W. Sabean, Simon Teuscher und Jon Mathieu, New York 2007. – Jussen 2009 (wie Anm. 15), S. 319. – Hans-Werner Goetz: „Verwandtschaft“ um 1000: ein solidarisches Netzwerk?, in: Verwandtschaft, Name und soziale Ordnung (300–1000), hg. v. Steffen Patzold und Karl Ubl (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 90), Berlin 2012, S. 303–314, hier S. 300. 19 Vgl. Jussen 2009 (wie Anm. 15), S. 319.

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Die mittelalterlichen Verwandtschaftsstrukturen sind also einerseits komplex,20 andererseits zeigen mittelalterliche Autoren weder begrifflich noch in der sozialen Interaktion klare Unterscheidungen zwischen Blutsverwandten der väterlichen oder mütterlichen Linie und Heiratsverwandten.21 Das ist der erste Hinweis dafür, dass die neuen Verwandten in ihrer Bedeutung nicht hinter den alten Verwandten zurückstanden. Verwandte erscheinen in der Historiographie regelmäßig, meist auch in einer konkreten Beziehung eines Verwandten zu einem anderen. Das Abstraktum ‚Verwandtschaft‘ tritt deutlich seltener auf.22 Gerhard Lubich betrachtete den Begriff als moderne Konzeption, die die Begrifflichkeit mit nicht zutreffenden Bedeutungen auflade, und forderte daher eine „Geschichte des Verwandtseins“.23 Bei den untersuchten Stellen handelt es sich meistens um Verwandte und nicht um Verwandtschaft, sodass die Vermeidung der Verwendung des Abstraktums Verwandtschaft an den Stellen, an denen sie nicht genannt wird, ausreichend ist.24

Die Funktionen von Verwandten Anhand unterschiedlicher Quellengattungen hat die Forschung wesentliche Aufgaben von Verwandten herausgearbeitet: Sie erbten und vererbten sowohl Eigentum als auch Rechte oder Anspruch auf dieselben und förderten einander. Im Konfliktfall waren Verwandte die ersten Ansprechpartner für Beistand und Unterstützung. Sie kontrollierten nach innen eine Gemeinschaft, die allerdings kaum präzise zu definieren ist, und nach außen waren sie zur Rache verpflichtet.25 Diese Funktionen sollen in Quellen untersucht werden, die in den sächsischen Raum einzuordnen sind: Thietmar von Merseburg lässt den Rezipienten in seiner Bistumschronik (abgefasst 1012–1018) an seinen weitreichenden Verwandtschaftsbeziehungen teilhaben. Der Merseburger Bischof war ein Kenner auch der angrenzenden Regionen, und seine Schriften gehören zu den am häufigsten genutzten Quellen 20 Vgl. Anita Guerreau-Jalabert: Observations sur la logique sociale des conflits dans la parenté au Moyen Âge, in: La parenté déchirée: les luttes intrafamiliales au Moyen Âge (Histoire de la famille. La parenté au Moyen Âge, Bd. 10), hg. v. Martin Aurrell, Turnhout 2010, S. 413–429, hier S. 416 f. u. 419. 21 Vgl. Anita Guerreau-Jalabert: Sur les structures dans l’Europe médiévale, in: Annales 36 (1981), S. 1028–1049. – Anita Guerreau-Jalabert: La désignation des relations et des groupes de parenté en latin médiéval, in: Archivum latinitatis medii aevi 46–47 (1986/87), S. 65–108. – Spiess 1993 (wie Anm. 12). – Goetz 2009 (wie Anm. 4), S. 21. 22 Vgl. Lubich 2008 (wie Anm. 4). – Goetz 2009 (wie Anm. 4), S. 20. 23 Vgl. Lubich 2008 (wie Anm. 4), S. 235. 24 Eine Positionierung zu dieser These erfordert eine Quellenbasis, die über das Untersuchungsziel hinausginge, und muss an anderer Stelle erfolgen. 25 Vgl. Althoff 1990 (wie Anm. 1), S. 77–84. – Goetz 2009 (wie Anm. 4), S. 34.

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für diesen Zeitraum.26 Die Quedlinburger Annalen sind eine andere herausragende Quelle für diese Zeit. Sie wurden bis mindestens 1025 geschrieben, wobei unterschiedliche ­Abfassungszeiten – möglicherweise nicht durch Autoren, sondern durch Autorinnen – zu erkennen sind.27 Um Kontinuität zu ermöglichen, werden auch Wipos „Taten Kaiser ­Konrads“, Adams von Bremen „Bischofsgeschichte der Hamburger Kirche“, die Chronik Hermanns von Reichenau, Lamperts „Annalen“ und Brunos „Buch vom Sachsenkrieg“ hinzugezogen.28 Bis auf den letztgenannten haben die Autoren keinen sachsenzentrierten Blick, sodass ein vielfältigeres Bild denkbar ist. Im Gegensatz zur älteren Forschung werden Verwandte daher nicht als historiographische Diskursivierungen eines natürlich-biologischen Konzepts aufgefasst,29 das rechtliche und politikgeschichtliche Determinationen bedingte und in der Forschung zu Deutungen von Kausalzusammenhängen führte, die in den Quellen jedoch selten explizit benannt wurden. Es geht nicht um eine Rekonstruktion von Handlungsmotiven und Verwandtschaft, sondern um die vorstellungsgeschichtliche Untersuchung von Verwandtschaft. Dabei gilt es den Konstruktionscharakter sowohl der Quellen als auch der Verwandtschaft zu berücksichtigen: Wann und in welchem Kontext werden Verwandte erwähnt? Stellen die Autoren und Autorinnen implizite oder explizite Kausalzusammenhänge zwischen politischem Agieren, zu dem auch Eheschließungen zählten, und Verwandten her? Schließlich ist im Vergleich der Werke zu prüfen, ob ein zu verallgemeinernder Einsatz von Verwandten in der Historiographie festzustellen ist oder (ausgewählte) Verwandte in den Dienst der jeweiligen Werkskonzeption gestellt werden konnten. 26 Vgl. Steffen Patzold: Nachtrag, in: Thietmar von Merseburg: Chronik, neu übertragen u. erläutert v. Werner Trillmich, Nachtrag von Steffen Patzold (Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe, Bd. 9), 9. Aufl. Darmstadt 2011, S. XXXII. 27 Vgl. zu den Abfassungsphasen und Autorschaft: Die Annales Quedlinburgenses (MGH SS rer. Germ., Bd. 72), hg. v. Martina Giese, Hannover 2004, S. 47–57 u. 60–63. – Käthe Sonnleitner: Die Annalistik der Ottonenzeit als Quelle für die Frauengeschichte, in: Darstellungen. Schriftenreihe des Instituts für Geschichte Graz 2 (1988), S. 233–249. 28 Wipo: Gesta Chuonradi imperatoris, in: Wipo: Opera (MGH SS. rer. germ., Bd. 61), hg. v. Harry Bresslau, Hannover 1915, S. 3–62. – Adam von Bremen: Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum (MGH SS rer. germ., 2), hg. v. Bernhard Schmeidler, Hannover 1917. – Hermann von Reichenau: Chronicon de sex aetatibus mundi, in: Annales et chronica aevi Salici, hg. v. Georg Heinrich Pertz (MGH SS, Bd. 5), Hannover 1844, S. 67–133.  – Lampert: Annales (MGH SS rer. germ., Bd. 38), hg. v. Oswald Holder-Egger, Hannover 1894. – Brunos Buch vom Sachsenkrieg (MGH Dt. MA., Bd. 2), hg. v. Hans-Eberhard Lohmann, Leipzig 1937. 29 Vgl. Bernhard Jussen: Künstliche und natürliche Verwandtschaft? Biologismen in den kulturwissenschaftlichen Konzepten von Verwandtschaft, in: Das Individuum und die Seinen. Individualität in der okzidentalen und in der russischen Kultur in Mittelalter und früher Neuzeit, hg. v. Yuri L. Bessmertny und Otto Gerhard Oexle (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 163), Göttingen 2001, S. 39–58.

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Erbe und Erbschaft Verwandtschaft ermöglichte die Anwartschaft auf Nachfolge im Amt: Thietmars Cousine Mathilde lebte im Kloster Gernrode, dem die gemeinsame Tante Hathui vorstand. Diese hatte gehofft, dass die Nichte ihr im Amte folgen würde.30 Eine äquivalente Vorstellung schildern die Quedlinburger Annalen in Bezug auf die Wahl der Mathilde, Tochter Ottos I., zur Äbtissin von Quedlinburg: Ihre Herkunft und Anlagen zeichneten sie besonders für die zugedachte Aufgabe aus, die ihr durch Erbschaft in einmütiger Wahl nach Beratung des Kaisers im Alter von elf Jahren übertragen wurde.31 Die hier zu erkennende Bedeutung des Erbrechts neben den Idoneitätsprinzip ist in den Quedlinburger Annalen besonders auffällig.32 Diese Passage bildet den Auftakt zu einer ausführlichen Würdigung des Lebens der Mathilde in dem Eintrag zu ihrem Todesjahr 999, in dem die Erbfolgen erläutert werden. Nach dem Recht der Verwandtschaft folgte sie im Erbe ihrer Großmutter Mathilde.33 Zu ihrer Nachfolgerin bestimmten die Stiftsdamen mit den Bischöfen Arnulf (von Halberstadt) und Bernward (von Hildesheim) sowie dem Herzog Bernhard (I. von Sachsen) ihre Brudertochter Adelheid, die sie adoptiert und geliebt hatte.34 Der um seine Tante trauernde Kaiser Otto III. stimmte der Wahl seiner Schwester zu.35 Thietmar stellte den Vorgang anders, aber auch als familiär geprägte Angelegenheit dar: Die Einsetzung Adelheids war ein Wunsch ihrer gleichnamigen Großmut-

30 Thietmar von Merseburg: Chronik VII, 3 (4) (MGH SS rer. germ., N.S. Bd. 9), hg. v. Robert Holtz­ mann, Berlin 1935, S. 400: „Eodem die neptis mea Mahtildis, quae in Geronis saltu cum domna Hathui abbatissa iure consanguinitatis diu nutriebatur, animam exhalavit.“ Sie war die Tochter Hildegards, einer Halbschwester von Thietmars Mutter, und Herzog Bernhards von Sachsen. Vgl. Chronik VII, 3 (4) (wie oben), S. 401 sowie die Stammtafel der Grafen von Stade in: Trillmich 2011 (wie Anm. 26), S. XIV. 31 Annales Quedlinburgenses (wie Anm. 28), a. 999, S. 500: „Undecimo ortus sui anno metropolitae sibi haeriditariae [...] imperatorum tamen consulto patrum nec non communi electione, anstititum benedec­ tione perpetua regendo praeficitur.“ 32 Giese 2004 (wie Anm. 28), S. 90 f. 33 Annales Quedlinburgenses (wie Anm. 28), a. 999, S. 504: „Postquam haereditati aviae suae Mechtildis iure propinquitatis successit.“ 34 Annales Quedlinburgenses (wie Anm. 28), a. 999, S. 505: „His tandem flebiliter peractis praefatae sanc­ timoniales foeminae cum episcopis, quos divina clementia illius exequiis improvisos adesse disposuerat, Ar­ nulfo et Bernwardo, nec non duce Bernhardo convenientes fratruelem ipsius dominae Mechtildis, Adelhei­ dam, quam sibi adoptaverat, quam unice dilexerat, quam pro filia delicate nutrierat [...].“ 35 Annales Quedlinburgenses (wie Anm. 28), a. 999, S. 506: „Resump/tis ergo demum post tantam pertur­ bationem animi viribus imperator praefatus pro obsequiis venerandae suae amitae exhibitis et grates pro electione sororis sanctae congregationi remandat innumeras eamque honori et oneri matris spiritualis non, ut potuit, imperando, sed, ut pium decuit, postulando succedere deliberavit.“

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ter und Kaiserin, dem Otto III. entsprach.36 Außerdem berichtete Thietmar bezüglich ottonischer Erbangelegenheiten, dass der sterbende Otto II. ein Viertel seines Geldes seiner geliebten Schwester Mathilde, der Äbtissin von Quedlinburg, vermacht hatte.37 Die Bedeutung der Verwandten für die ottonische Herrschaft wurde schon früh von der Geschichtswissenschaft erkannt, jedoch auch in Frage gestellt.38 Der Befund überrascht also nicht. Es ist aber bemerkenswert, dass jeweils konkrete Beziehungen einzelner Personen für die Schilderungen verwendet werden. Weder Thietmars Chronik noch die Annalen postulieren Verwandtschaft an sich als Motivation für beschriebene Vorgänge, auch wenn die Annalen das Gesetz der Verwandtschaft anführen.39 Der Glanz der ottonischen Stifterfamilie strahlte auf das Stift aus und wurde deshalb bewusst eingesetzt. Dies galt es zu bewahren angesichts des Verlustes der direkten Königsnähe durch die regionalen Schwerpunktverschiebungen der Wahl Heinrichs II.40 Doch auch Personen, die nicht durch Geburt eine verwandtschaftliche Beziehung hatten, konnten in die Memoria und geistliche Ämternachfolge miteinbezogen werden. Die Quedlinburger Annalen verzeichnen einen solchen Fall für das Kloster Gernrode des Markgrafen Gero. Dieser hatte für seine und seines Sohnes Memoria seine geistlich lebende Schwiegertochter, die oben bereits genannte Hathui, dem Kloster vorangestellt.41 Also 36 Thietmar von Merseburg (wie Anm. 31), IV, 43, S. 180: „Hoc funere inperatrix Ethelheidis mater eius­ dem supra modum turbata ad imperatorem nuntium misit, qui et obitum eius huic innotesceret et equivo­ cam suam sororem eius huic succedere postularet. Cesar piis assensum prebens desideriis, amitae suimet necem deflet et abbaciam dilectae suimet germanae per Becelinum portitorem virga a longe commisit aurea et, ut ab episcopo benediceretur Arnulf, precepit.“ 37 Thietmar von Merseburg (wie Anm. 31), III, 25 (14), S. 128: „graviter infirmatus [Otto II.], ut extrema persensit adesse, omnem suimet pecuniam partes divisit in quatuor, unam aecclesiis, II pauperibus, III dilectae suimet sorori Mathildae, quae abbaciam in Quidilingeburg devota Christo famula obtinuit, quartam suis tristibus donavit ministris ac militibus.“ – Zu der Geldstiftung und ihrer Bestimmung für die Gründung eines Klosters vgl. zuletzt Klaus Gereon Beuckers: Ob monimentum unici et dilecti germani fratris sui. Zur Memorialstiftung für Kaiser Otto  II. auf dem Quedlinburger Münzenberg, in: Vom Leben in ­Kloster und Stift. Wissenschaftliche Tagung zur Bauforschung im mitteldeutschen Raum vom 7. bis 9. April 2016 im Kloster Huysburg, hg. v. Elisabeth Rüber-Schütte (Veröffentlichungen des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Arbeitsheft 13), Halle 2017, S. 261–274. 38 Vgl. Winfrid Glocker: Die Verwandten der Ottonen und ihre Bedeutung in der Politik. Studien zur Familienpolitik und Genealogie des sächsischen Kaiserhauses (Dissertationen zur mittelalterlichen Geschichte, Bd. 5), Köln 1989. 39 Hier liegt eine Beschreibung eines Zusammenhangs in der Eigenwahrnehmung des Stifts vor und kein Appell an eine ethische Norm, wie Lubich 2008 (wie Anm. 4), S. 118 f. für politische Kontexte konstatiert. 40 Vgl. Giese 2004 (wie Anm. 28), S. 97–99. 41 Annales Quedlinburgenses (wie Anm. 28), a. 1014, S. 543 f.: „Gheronis quondam marchionis monaste­ rium [...], quod ob monumentum suae animae suique filii construxerat ac nurum suam, Hatuwigam vide­ licet, religiose conversantem congregationi sanctimonialium praeposuit.“

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konnte eine neue Verwandte ebenso eingebunden werden. In diesem Fall wurden Verwandtenaufgaben mit einer anderen Institution verbunden, die die gleiche Aufgabe übernehmen konnte. Es ist keine Schwächung der Verwandtschaft gegenüber der Kloster­ gemeinschaft zu erkennen.42 Vielmehr werden beide verbunden. Dieses Prinzip gilt nicht nur für geistliche Institutionen, sondern auch für den Übergang des Königtums: Bei den Ottonen scheint die Nachfolge wegen der generationellen Abfolge eine eindeutige Angelegenheit gewesen zu sein. Aufgrund des väterlichen Erbrechts erwählt, folgte Otto I. seinem Vater Heinrich.43 Beim Tode Ottos II., der ein Kind als Erben hinterließ, gab auch Heinrich der Zänker, der Vetter des Verstorbenen, vor, aufgrund des Rechts der Verwandtschaft die Angelegenheiten des jungen Otto III. schützen zu wollen, bevor er versuchte, die Herrschaft an sich zu bringen.44 Die Darstellung der Quedlinburger Annalen verkürzte diese Ereignisse stark. Diese Passage weist rückschauendes Vokabular und Bewertungen auf, die auf eine spätere Abfassung nach der Wahl Heinrichs II. im Jahr 1002 hindeuten, wobei der überwiegende Teil Vorlagen entnommen

42 Vgl. Jussen 2009 (wie Anm. 15), S. 319. 43 Annales Quedlinburgenses (wie Anm. 28), a. 936, S. 459: „Heinricus rex obiit VI. Non. Iulii, cuius fi­ lius Otto pacificus, Saxoniae decus, iure haereditario paternis eligitur succedere regnis.“ Thankmars Konspiration wird in a. 937, S. 461 erwähnt, allerdings ohne ihn als Bruder zu kennzeichnen; Heinrich wird im Folgenden (a. 938/39, S. 462 f.) als Bruder Königs Ottos benannt, ohne Hinweise auf Anlässe oder Ursachen zu geben, die mit der sogenannten Hausordnung zu begründen wären. Vgl. die Zusammenfassung der Ereignisse und Forschungsdiskussion bei Wolfgang Giese: Heinrich I. Begründer der ottonischen Herrschaft (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), Darmstadt 2008, S. 126– 133. 44 Annales Quedlinburgenses (wie Anm. 28), a. 984, S. 470 f.: „Filiolus imperatoris, tertius videlicet Otto, per unctionem Iohannis Ravennatis archiepiscopi Aquisgrani in die natali domini unctus est in regem. Sed postea comperta morte imperatoris Heinricus quondam dux de exilio regressus cum sibi faventibus Agrippi­ nam civitatem intravit, simulans se primo ob ius propinquitatis partibus regis infantis fidelissime patrocina­ turum regem tenuit, dein accrescentis avaritiae stimulis agitatus, quorundam etiam persuasione male illec­ tus regnum tyrannice invasit atque in id elationis usque prorupit, ut et rex dici et in regem benedici appeteret.“ Einen Überblick bietet Gerd Althoff: Die Auseinandersetzung um die Nachfolge, in: Hagen Keller / Gerd Althoff: Die Zeit der späten Karolinger und Ottonen. Krisen und Konsolidierungen 888–1024 (Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 3), 10. Aufl. Stuttgart 2008, S. 273–279. – Zur Regentschaft des Zänkers vgl. Thilo Offergeld: Reges pueri. Das Königtum Minderjähriger im frühen Mittelalter (MGH Schriften, Bd. 50), Hannover 2001, S. 658–689. – FranzReiner Erkens: ... more Grecorum conregnantem instituere vultis? Zur Legitimation der Regentschaft Heinrichs des Zänkers im Thronstreit von 984, in: Frühmittelalterliche Studien 27 (1993), S. 273– 289. – Theo Kölzer: Das Königtum Minderjähriger im fränkisch-deutschen Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 251 (1990), S. 291–323, hier S. 312. – Johannes Laudage: Das Problem der Vormundschaft über Otto III., in: Kaiserin Theophanu: Begegnung des Ostens und Westens um die Wende des ersten Jahrtausends. Gedenkschrift des Kölner Schnütgen-Museums zum 1000. Todesjahr der Kaiserin, hg. v. Anton von Euw und Peter Schreiner, 2 Bde., Köln 1991, Bd. 2, S. 261–275.

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wurde.45 Hier ist die zunächst ablehnende Haltung gegenüber Heinrich zu erkennen, weil das Stift seine ursprüngliche Bedeutung verlor.46 Die weltliche Herrschaftsnachfolge war also in den untersuchten Quellenbeispielen konfliktträchtiger als die Nachfolge in geistlichen Institutionen. Dafür stehen beispielsweise die Konflikte zwischen Otto I. und seinem Bruder Heinrich und seinem Sohn Liudolf.47 Onkel, Söhne und Brüder konnten die ärgsten Feinde sein.48 Das galt nicht nur für die Ottonen. Wipo war der Ansicht, dass Verwandte naturgemäß gemeinsam handeln sollten, um die Herrschaftsoptionen zu erhalten, und er legte Konrad dem Älteren – dem späteren König – eine entsprechende Rede an seinen Vetter Konrad in den Mund.49 Bestand ein solches Einvernehmen eine Zeit lang nicht, wurde es doch wieder angestrebt: Laut der Quedlinburger Annalen wurde diese auch zwischen Heinrich dem Zänker und den kaiserlichen Frauen, nämlich Großmutter, Mutter und Tante Ottos III., durch Unterwerfung wiederhergestellt. Das forderte das Recht der Verwandtschaft.50 Hier wurde kein Unterschied zwischen vermeintlich neuen und alten Verwandten gemacht, da alle 45 Vgl. Giese 2004 (wie Anm. 28), S. 47. 46 Vgl. die Ausführungen oben. 47 Zum Ablauf der Ereignisse vgl. Althoff 2008 (wie Anm. 45), S. 161–166 u. 193–200. – Adelheid Krah: Der aufständische Königssohn. Ein Beispiel aus der Ottonenzeit, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 114 (2006), S. 48–64. – Zur Darstellung in der zeitgenössischen Historiographie vgl. Käthe Sonnleitner: Der Konflikt zwischen Otto I. und seinem Sohn ­Liudolf als Problem der zeitgenössischen Geschichtsschreibung, in: Festschrift Gerhard Pferschy zum 70. Geburtstag, hg. v. Gernot Peter Obersteiner und Peter Wiesflecker (Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark, Bd. 42), Graz 2000, S. 615–625. – Johannes Laudage: Hausrecht und Thronfolge. Überlegungen zur Königserhebung Ottos des Großen und zu den Aufständen Thankmars, Heinrichs und Liudolfs, in: Historisches Jahrbuch 112 (1992), S. 23–71. 48 Vgl. Guerreau-Jalabert 2010 (wie Anm. 21), S. 424–427. 49 Wipo c. 2 (wie Anm. 29), S. 17 f.: „[...] Vota, studia, consensus Francorum, Liutharingorum, Saxonum, Noricorum, Alamannorum quam optimam voluntatem habebant, ad nos onferebant, tamqua ad unius stir­ pis propaginem, veluti ad unam domum, sicut indissolubilem familiaritatem. Quos ex tam multis causis connexos dissolvi posse inimicitiis nemo suspicabitur. Concordare decet, quotquot natura ligavit, Quae sibi cognatam iungit amicitiam. [...] Praeterea, si regum cognati propter reges honorantur, cumque omnes erga nos tales esse velint, quales invicem con sentanea mente fuerimus et eo modo provectus alterius ex altero pen­ deat: qui feliciores nobis esse poterunt, si alter regnabit, alter regnanti publicam rem per bene volentiam suam quasi solus praestabit? [...] Quod ne fiat ex mea parte, omnium cognatorum meorum dilectissime, quid de te sentiam, dicere volo. Si animum populi cognovero te velle, te desiderare in dominum et regem, nullo pravo ingenio hanc benevolentiam a te revocabo, quin potius te eligam tanto avidius caeteris, quanto me sperabo tibi gratiorem illis. Si autem Deus ad me respexerit, debitam vicem mihi a te rependi non dubito.“ 50 Annales Quedlinburgenses (wie Anm. 28), a. 985, S. 475: „At dominae quarum, ut diximus, cura re­ gnum regisque regebatur infantia, tanti viri summissa deditione admodum gratulabundae – quia piorum moris est, non solum mala pro bonis non reddere, sed etiam pro malis bona rependere – digno eum honore susceptum, gratia fideli donatum, ductoria itidem dignitate sublimatum, deinde non tantum inter amicos, sed etiam inter amicissimos, uti ius propinquitatis exigebat, debito dilectionis venerantur affectu.“

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über das Kind in Beziehung gesetzt werden. Die geblütsrechtliche Verantwortung Heinrichs wurde negativ bewertet, weil er die Königswürde selbst anstrebte.51 Die Frage nach den Zielen des königlichen Onkels können nach den Quellen nicht eindeutig beantwortet werden, weil die Darstellungen nach den Intentionen der jeweiligen Quelle unterschiedlich ausfallen.52 Der Konflikt zwischen den verschiedenen Linien der Nachkommen Heinrichs I., den mehrere Quellenautoren postulieren,53 wurde in den Annalen nicht thematisiert. Es wurden andere Schwerpunkte gelegt. Einerseits schrieben sie nicht nur den ottonischen Töchtern, sondern auch den angeheirateten Frauen herrschaftliche Fähigkeiten zu,54 anderseits wurde die verwandtschaftliche Verpflichtung des Miteinanders betont. Selbst bei generationeller Abfolge waren Herrscherwechsel also nicht immer konfliktfrei. Wenn es keinen Sohn gab, konnten Wahl- oder Erbrecht für die Nachfolge genutzt werden.55 In Anwendung des Letzteren ging die Herrschaft auf weitere Kreise der Verwandtschaft über.56 Laut den Annalen kam Heinrich von Bayern beim Tode Ottos III. als königlichem Vetter die höchste Stellung zu und die Kaisertöchter Sophia und Adelheid freuten sich mit ihm, da sie dies nicht mit dem Bruder konnten.57 Der freudige Empfang erschien geradezu als verwandtschaftliche Verpflichtung.58 Beim Herrschaftsübergang zu Konrad musste aufgrund der ferneren Verwandtschaft eine andere Formulierung gewählt werden: Über den königlichen Stamm war eine Beziehung herzustellen,59 da Konrad ein 51 Vgl. Anm. 45, dort vor allem Offergeld 2001 (wie Anm. 45), S. 667 u. 676. 52 Vgl. Offergeld 2001 (wie Anm. 45), S. 669 f. 53 Vgl. Giese 2008 (wie Anm. 44), S. 131–133. – Aus der Perspektiven der bayerischen Liudolfinger vgl. Stefan Weinfurter: Heinrich II. (1102–1024). Herrscher am Ende der Zeiten, Regensburg 1999, S. 14–21. 54 Vgl. Giese 2008 (wie Anm. 44), S. 92. 55 Zur Diskussion des Verhältnisses zwischen Wahl- und Erbrecht vgl. Steffen Patzold: Königserhebungen zwischen Erbrecht und Wahlrecht? Thronfolge und Rechtsmentalität um das Jahr 1000, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 58 (2002), S. 467–501. – Vgl. außerdem Die mittelalterliche Thronfolge im europäischen Vergleich, hg. v. Matthias Becher (Vorträge und Forschungen, Bd. 84), Ostfildern 2017. 56 Le Jan 1995 (wie Anm. 11), S. 168–175 unterscheidet drei Kreise: Eltern, Kinder und Geschwister stellen den ersten Kreis dar; Blutsverwandte zweiten Grades wie Onkel, Tanten und Schwiegerverwandte gehören dem zweiten Kreis an; Cousinen und Cousins bilden mit nicht näher bezeichneten Verwandten die Peripherie. 57 Annales Quedlinburgenses (wie Anm. 28), a. 1002, S. 516 u. 518 f.: „Quo comperto Heinricus dux, ad quem summa imperii pertinebat [...] nepos ragalis [...]. Dominae quoque imperiales filiae, Sophia et Adel­ heida, honorifici tanti nominis novitatem expientes quanta potuerunt caritate occurrerunt. Congaudent regi nepote, quia non licuit fratri.“ 58 Annales Quedlinburgenses (wie Anm. 28), a. 1024, S. 577: „Ubi imperiales filiae ac sorores, Sophia videli­ cet et Adelheida, laetae occurrunt laetioresque, uti ius consanguineum exegerat, ambos suscipiunt [Konrad II.]“. 59 Annales Quedlinburgenses (wie Anm. 27), a. 1024, S. 576: „Facto autem in brevi totius senatus conventu Conradus, inclyta regum prosapia ortus, in regnum eligitur.“

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Urenkel Liutgards, der Tochter Ottos I., war. Die Betonung des Gewichts der geblütsrechtlichen Wahl hat also in den Quedlinburger Annalen eine Kronzeugin. Thietmar von Merseburg hält das Volk für glücklich, dass aus einer begabten Anzahl von Söhnen einen Nachfolger wählen konnte.60 Auch unterhalb der Königsebene vermitteln historiographische Quellen eher den Eindruck, dass Nachfolgeschaften trotz oder wegen Verwandten problematisch waren: Thietmar erbte selbst von seiner Mutter deren Hälfte des Klosters Walbeck und erhielt von seinen Brüdern die Hälfte des dazugehörigen Grundbesitzes. Die Brüder unterstützten ihn aber in den Verhandlungen mit dem Onkel, dem ein weiterer Teil gehörte, nicht angemessen, sodass er auf dessen finanzielle Forderungen zur Übernahme des Amtes eingehen musste.61 Hier zeigt sich, dass die allgemeine Verpflichtung zu Beistand und Schutz kein Gesetz war, auf das sich Verwandte verlassen konnten. Verwandte oder die Autoren appellierten daran.62

Beistand, Unterstützung und Rache Die Erwartungen an Verwandte im Konfliktfall erfüllten sich also nicht immer, wobei nicht alle Verwandtschaftsbeziehungen einzeln aufgezählt wurden, sondern häufig eine Bezugsperson – etwa der König – fokussiert wurde.63 Dafür bietet die ottonisch-salische Zeit einige bekannte Beispiele: Der Schwiegersohn König Ottos I., Herzog Konrad, beteiligte sich am Aufstand seines Schwagers Liudolf. Thietmar waren die Geschehnisse aber nicht mehr in allen Details vertraut, da er vom Schwager Hugo (Gemahl von Ottos Schwester Gerberga) sprach.64 Adelbero, ein Bruder Königin Kunigundes, war nach den Quedlinburger Annalen König Heinrich II., also seinem Schwager, wobei nur die Verbindung zur Königin explizit genannt wurde, feindlich gesonnen und eignete sich das Erzbistum Trier widerrechtlich an.65 Thietmar berichtete darüber, dass dieser Adalbero, ein Bruder der Königin, aus Furcht vor dem König zum Erzbischof von Trier gewählt worden war. Eingedenk der problematischen Einsetzung von Adalberos Bruder Dietrich, also 60 Thietmar von Merseburg (wie Anm. 31), I, 19, S. 24: „Indoles autem relictae posteritatis tristia princi­ pum corda laetificat, et certos voluntariae electionis hos fecit. Ve populis, quibus regnandi spes in subsecutura dominorum sobole non relinquitur, et inter se facta dissensione et longa contentione, aliquod consilium vel solamen cito non providetur!“ 61 Thietmar von Merseburg (wie Anm. 31), VI, 44, S. 328. 62 Vgl. Lubich 2008 (wie Anm. 4), S. 126. 63 Vgl. Goetz 2008 (wie Anm. 18), S. 563. – Goetz 2012 (wie Anm. 19), S. 297. 64 Thietmar von Merseburg (wie Anm. 31), II, 6–10, S. 44–50; vgl. dazu Althoff 2008 (wie Anm. 45). 65 Annales Quedlinburgenses (wie Anm. 28), a. 1008, S. 526: „Eodem anno Atalpero clericus, reginae fra­ ter, regi adversarius, abominationes multas concitavit, contra omne ius et fas Treverim cum suis sibi manci­ pavit sicque discessit.“

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eines anderen Schwagers, entschied sich Heinrich II., den nachdrücklichen Bitten seiner geliebten Ehefrau nicht nachzugeben, und er setzte einen anderen Kandidaten ein. Das verursachte Aufruhr und eine kriegerische Auseinandersetzung, wobei Kunigunde wohl nicht zur generatio gezählt wurde, da sie im Gegensatz zu ihren Brüdern nicht mehr erwähnt wurde.66 Die Darstellung der Quedlinburger Annalen verkürzte wieder gattungsgemäß. Thietmar beschrieb ausführlicher die Vorgänge, wobei der Einsatz der Schwester für den Bruder über die Handlung des Ehemannes gegenüber der Ehefrau ausgedrückt wurde. Beide Berichte waren zeitgenössisch.67 Unabhängig vom tatsächlichen Ablauf der Ereignisse wird deutlich, dass neue Verwandte sich gegeneinander wenden konnten oder die Wähler eines Erzbischofs Verwandte des Königs bewusst berücksichtigten. Der ­Bischof Thietmar präferierte eine kanonische Wahl durch Heinrich, der sich gegen die Wünsche der Ehefrau wendete, die den Bruder unterstützte. Ansonsten plädiert auch Thietmar für die Unterstützung der Verwandtschaft, so lange diese nicht mit anderen Ordnungsvorstellungen kollidierte. Das zeigt er in der Beschreibung der Beziehung König Heinrichs II. zur Schwester seiner Frau: Heinrich sorgte für eine Einigung zwischen den aufrührerischen Friesen und Liudgard, einer Schwester der Königin,68 wobei das königliche und verwandtschaftliche Handeln zusammenfielen. Also konnten sich auch Heiratsverwandte beistehen oder erhebliche Schwierigkeiten bereiten, wenn sie eine erbetene Unterstützung, die keine rechtlich einklagbare Angelegenheit oder nur pauschal in Quellen definiert war, nicht erhielten.69 Könige waren nicht gefeit vor solchen Problemen: König Konrads II. streitbare Onkel mütterlicherseits befanden sich ständig im Konflikt mit Königen und Herzögen und gaben laut Wipo auch bei Konrad kaum Ruhe.70 Heinrich IV. wurde auf dem Weg nach Canossa von seinem Onkel mütterlicherseits trotz des Banns aufgenommen. Seine Schwiegermutter jedoch ließ sich nicht durch die Gesetze der Verwandtschaft erweichen und genehmigte erst nach Gebietsübertragungen Heinrichs Durchzug.71

66 Thietmar von Merseburg (wie Anm. 31), VI, 35, S. 316 u. 318; VI, 67, S. 356; VII, 9, S. 408. 67 Thietmar schrieb von 1012 bis 1018, die Annalen dürften zeitnah zu dem Jahr abgefasst worden sein. Vgl. Giese 2004 (wie Anm. 28), S. 49. 68 Thietmar von Merseburg (wie Anm. 31), VI, 19 (14), S. 296: „Fresones rex navali exerci[tu a]diens, ab ceptis contumacibus desistere et magnum Li[udgardae], sororis regine, zelum placare coegit.“ 69 Lubich 2008 (wie Anm. 21), S. 82 f. – Goetz 2012 (wie Anm. 19), S. 297. – Althoff 1990 (wie Anm. 1), S. 3. 70 Wipo c. 2 (wie Anm. 29), S. 15 f.: „Quae Adelheida soror erat comitum Gerhardi et Adalberti, qui semper cum regibus et ducibus confligentes ad extremum causae propinqui sui Chuonradi regis vix acquiescebant.“ Der Satz ab „propinqui“ ist Sueton nachempfunden. Vgl. dazu Bresslau (wie Anm. 29) Anm. 1, S. 16. 71 Lampert (wie Anm. 29), a. 1077, S. 285 f.: „[...] illi nec iure propinquitatis nec tantae calamitatis mise­ ratione quicquam moverentur.“

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Andererseits hatte Heinrich durch die Heirat seiner Schwester (Judith) mit Salomo von Ungarn einen Verbündeten gewonnen, dem er selbst nicht beistand.72 Aber auch erfolgter Beistand konnte Gewissenskonflikte auslösen: Thietmar verschaffte seiner Schwägerin ein prominentes Grab, wofür Propst Willigis von Walbeck umgebettet werden musste.73 Herzog Jaromir von Böhmen wurde von seinem Bruder und Vasallen Ulrich zur Flucht getrieben. Den Zufluchtsort bei Bolesław Chrobry, dem polnischen Herrscher, erklärte Thietmar unter anderem mit der Verwandtschaft der beiden.74 Diese Verwandtschaft bestand aber auch zu Ulrich. Jaromir und Ulrich waren Vettern Bolesławs. Laut Thietmar begründete Bolesław den Versuch, mit Ulrich einen Frieden zu schließen und gegen König Heinrich II. gemeinsam vorzugehen, mit dem Argument ihrer Verwandtschaft.75 Die Berücksichtigung der Verwandtenbeziehungen von Vasallen war kein Phänomen, das auf die östlichen Interessenssphären des Reiches begrenzt war. Im Kontext der Klärung der Machtverhältnisse nach dem Tode Ottos II. verweigerte Heinrich der Zänker dem Pfalzgrafen Dietrich und dessen Bruder Siegbert eine Begnadigung.76 Infolgedessen versuchten Dietrich und Siegbert, die Unterstützer Heinrichs unter ihren Verwandten von dieser Unterstützung abzubringen. Inwieweit diese Verwandten dann zur Rachegemeinschaft gehörten, die den Eid auf den jungen Otto nicht brechen wollten, lässt sich nicht erschließen.77 Viele Beispiele solcher Art sind in historiographischen Quellen zu Hein72 Lampert (wie Anm. 29), a. 1063, S. 87; a. 1076, S. 251. 73 Thietmar von Merseburg (wie Anm. 31), VI 45, S. 330: „Non ullum consanguinitatis linea mihi con­ iunctum accuso, sed bona pro malis omnibus his exflagito. Mortua uxore fratris mei, rogatus sum ab eo, ut sepulturam ei preparare voluissem optatam. Sed cum scirem Willigisum venerabilem ibi esse tumulatum, primo rennui ac postremo rectum et pudorem voluntati eiusdem supposui miserque aggressus sum, quod utinam non fecissem; et, quod gentibus nefas videbatur, christianus ego in deiectione sepulcri et ossium con­ fratris mei operabar. Et calicem argenteum, quem ibi inveniebam, pauperibus ad dividendum reservari precipiebam; quem postea nullatenus comperiebam. Agnovi post in infirmitate sequenti, quia in Deum nimis peccavi.“ 74 Thietmar von Merseburg VI 71 (wie Anm. 31), S. 360: „Iarmirus quoque dux adfuit, quem frater sui­ met Othelricus et satelles tocius debiti inmemor in sacro sabbato dominicae resurreccionis proximae a regno Boemiorum expulit et Bolizlavum, quem etsi amicum sibi consanguinitate, tamen pro hoste hactenus habuit in persecutione, fuga petere coegit.“ 75 Thietmar von Merseburg (wie Anm. 31), VII 10 (7), S. 408/410: „Prefatus dux mille artium sciencia plenus filium suimet Miseconem ad Othelricum Boemiorum provisorem misit, ut memores mutua consan­ guinitatis se invicem pacificarent et cunctis hostibus suis et maxime cesari pariter resisterent.“ 76 Thietmar von Merseburg (wie Anm. 31), IV, 1, S. 132: „Dispositis autem, prout sibi placuit, cunctis dux ad Corbeiam cum eis venit ibique Thiedricum et Sicconem comites ac confratres nudis pedibus veniam po­ stulantes degnitatur suscipere. Quod hii egre ferentes abierunt, cognatos suimet et amicos a ducis ministerio toto mentis nisu amovere studentes.“ Vgl. Gerd Althoff: Otto III. (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), Darmstadt 1996, S. 42 f. 77 Thietmar von Merseburg (wie Anm. 31), IV, 2, S. 132.

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rich IV. zu finden. So musste, laut Bruno, Heinrich IV. den Verlust von Verbündeten und die Rache von Verwandten fürchten, wenn er seine belagerte Besatzung der Burg Lüneburg nicht gegen Magnus von Sachsen tauschte.78 Beistand jedweder Art war selbstverständlich, scheiterte jedoch aufgrund konkurrierender Verpflichtungen, deren Fokussierung und Bewertung vom Standpunkt des Autors abhängen. Grundsätzlich bewerten die Autoren explizit feindliches Verhalten unter Verwandten jedoch negativ.79

Ehe und Eheschließung Ehe und Eheschließung standen bereits unter sehr unterschiedlichen Aspekten im Fokus der geschichtswissenschaftlichen Forschung.80 Erwähnt werden sie auch in der Historiographie. Weniger mitteilsam sind die Quellen aber in Bezug auf die Hintergründe, Motivationen und Absichten von Eheschließungen: So ehelichte Heinrich von Sachsen – der spätere König von Ostfranken – laut Thietmar aufgrund ihrer Schönheit und ihres Erbes die verwitwete Gräfin Hatheburg.81 Die gleichen Gründe ließen ihn um Mathilde werben.82 Thietmar erwähnte als Merkmal für Edith, die erste Frau Ottos I. und Tochter König Edwards von Wessex, ihre Gottesfurcht; die Eheschließung fand noch zu Lebzeiten

78 Brunos Buch vom Sachsenkrieg (wie Anm. 29), 21, S. 26 f.: „Tot autem fidelissimos suos, inter quos etiam erant, qui nobiles cognatos habebant et fortes, si perire dimitteret, nullum ultra fidele sibi inveniret et tutum tempus ab eorum propinquis nullum haberet.“ Magnus’ Onkel belagerte die königliche Besatzung und versuchte so, seinem Neffen die Freilassung zu ermöglichen. Vgl. Lutz Fenske: Adelsopposition und kirchliche Reformbewegung im östlichen Sachsen. Entstehung des sächsischen Widerstandes gegen das salische Königtum während des Investiturstreits (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 47), Göttingen 1977. – Monika Suchan: Königsherrschaft im Streit. Konfliktaustragung in der Regierungszeit Heinrichs IV. zwischen Gewalt, Gespräch und Schriftlichkeit, Stuttgart 1997. 79 Vgl. Goetz 2012 (wie Anm. 19), S. 297. 80 Zu den Ehetypen vgl. Andrea Esmyol: Geliebte oder Ehefrau? Konkubinen im frühen Mittelalter (Archiv für Kulturgeschichte Beihefte, Bd. 52), Köln 2002. – Vgl. auch Rüdiger Schnell: Sexualität und Emotionalität in der vormodernen Ehe, Köln 2002. – Karl Ubl: Inzestverbot und Gesetzgebung. Die Konstruktion eines Verbrechens (300–1000) (Millenium-Studien, Bd. 20), Berlin 2007. – Zur Liturgie vgl. David L. D’Avray: Medieval marriage: Symbolism and Society, Oxford 2005. 81 Thietmar von Merseburg (wie Anm. 31), I, 5, S. 8: „Ob huius pulchitudinem et hereditatis divitiarum­ que [...].“ 82 Thietmar von Merseburg (wie Anm. 31), I, 9, S. 14: „[...] ob pulchritudinem et rem cuisdam virginis [...]. per affines legatosque suos filiam Theodrici et Reinildae, ex Vidicinni regis tribu exortam, interpellat, ut sibi voluisset satisfacere.“

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Heinrichs I. statt.83 Schönheit war ein übliches Attribut für Bräute, so auch für Ida, die Tochter Hermanns von Schwaben, mit der Otto I. seinen Sohn Liudolf verheiratete. Außerdem verlieh er dann dem Sohn das Herzogtum des Schwiegervaters.84 Thietmar berichtete von beiden Ereignissen direkt auf Ottos Beschluss hin, sein Amt mit dem Sohne auf Wahl der Großen hin zu teilen und ihn zum Nachfolger zu bestimmen.85 Schönheit und Anstand Adelheids86 veranlassten Otto, um sie zu werben. Er gewann durch Geschenke ihre Zuneigung und Zustimmung zur Hochzeit sowie die Stadt Pavia.87 Die Quedlinburger Annalen betonen zudem die hohe Abkunft Adelheids und ergänzten, dass sie von ihrem ersten Gatten Lothar Langobardien geerbt habe.88 Die Eheschließung des Sohnes der beiden, Otto, mit einer byzantinischen Prinzessin sollte die Anerkennung des Westkaisertums und die Beilegung der Konflikte in Süditalien erreichen.89 Doch Thietmar erwähnte nur des Kaisers Wunsch nach einer Ehefrau vom byzantinischen Kaiser, ohne Gründe dafür anzugeben. Nach Verhandlungen und gewalttätigen Übergriffen schickte Kaiser Johannes Tzimiskes zwar nicht die gewünschte Prinzessin, aber seine Nichte, und bat um Freundschaft.90 Die Eheschließung von Richezas Eltern Mathilde und Ezzo beschrieb Thietmar als nicht ebenbürtig, wobei Mathilde sich selbst vermählt habe. Die Gründe werden nicht genannt, doch Mathildes Bruder Otto III. ertrug diese Eheschließung und beschenkte die Schwester reich, um den hohen Rang der Vorfahren zu

83 Thietmar von Merseburg (wie Anm. 31), II, 1, S. 38: „Confortatus in Deo tunc et in regno sceptrifer­ orum maximus Otto coniugem suam Editham, Ethmundi regis Anglorum filiam, bene timoratam, quam patre suo adhuc vivente duxerat, consecrari precepit.“ Auch hier zeigt Thietmar, dass in spätottonischfrühsalischer Zeit die Erinnerung an frühottonische Personen nicht mehr umfassend war. Er machte Edgiths Bruder zu ihrem Vater. Zum (Nicht-)Wissen über die Eheschließung vgl. Andreas Bihrer: Begegnungen zwischen dem ostfränkischen-deutschen Reich und England (850–1100). Kontakte – Konstellationen – Funktionalisierungen – Wirkungen (Mittelalter-Forschungen, Bd. 39), Ostfildern 2012, S. 296–306. 84 Thietmar von Merseburg (wie Anm. 31), II, 4, S. 42: „Desponsavit etiam illi Idam, Hirimanni ducis filiam, pulchritudinem et sexum omni probitate vincentem. Quam cum sibi pater vinculo maritali coniun­ geret, modicum post intervallum soceri ducatum et hereditatem defuncti sibi dedit.“ 85 Thietmar von Merseburg (wie Anm. 31), II, 4, S. 42. 86 Vgl. eine Gesamtbewertung Adelheids bei Stefan Weinfurter: Kaiserin Adelheid und das ottonische Kaisertum, in: Frühmittelalterliche Studien 33 (1999) S. 1–19. 87 Thietmar von Merseburg (wie Anm. 31), II, 5, S. 42 u. 44. 88 Annales Quedlinburgenses (wie Anm. 28), a. 956, S. 465 f.: „Ibique ipse rex invictissimus Otto Adelhei­ dam reginam vultu decoram, consilio providam et universa morum honestate valde praeclaram et regali avorum atavorumque prosapia ortam, coniuge illustrissimo, Lothario scilicet rege, iam tunc viduatam connubiali sibi vinculo sociandam adquisivit, cuius etiam consilio regnum Longobardiae, quod illi haeredi­ tario iure cesserat, cum Beringero tyranno ditioni suae subiugatur.“ 89 Althoff 2008 (wie Anm. 45), S. 277. 90 Thietmar von Merseburg (wie Anm. 31), II, 15, S. 54 u. 56.

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erhalten.91 Die Eheschließung Konrads II. mit Gisela thematisiert Wipo in seinen auf Konrad fokussierten Gesta nicht eigens, aber er widmete der Königin ein Kapitel, das ihre Schönheit, Abkunft und ihre charakterlichen Vorzüge preist.92 Zur Eheschließung Heinrichs  III. mit Gunhild lieferten die Historiographien kaum ausformulierte Gründe: Adams von Bremen chronologische Einordnungen sind zwar nicht zutreffend, er schilderte jedoch eine politische Abmachung.93 Wipo ließ Heinrich Gunhild zur Königin weihen und heiraten, wobei beide über die Väter und deren Ämter eingeordnet wurden.94 Ähnlich ging Hermann von Reichenau vor, der aber das königliche Beilager in den Fokus rückte.95 Auch Heinrichs zweite Gattin Agnes ordnete er über den Vater ein und berichtete über ihre Salbung und das Beilager sowie die Vertreibung der Spielleute vom Fest.96 Keine zusätzlichen Informationen bot Lampert von Hersfeld, der allerdings von einem ausgeschlagenen Eheangebot russischer Gesandter berichtete.97 Die Eheschließung Heinrichs IV. mit Bertha setzte Lampert von Hersfeld zwar in einen zeitlichen Zusammenhang mit einer schweren Erkrankung Heinrichs, formulierte aber keine explizite Kausalität. Er nannte nur den Vater der Braut.98 Die Eheschließung von Richeza mit Mieszko II. hat in keiner der zitierten Quellen Erwähnung gefunden. Nicht einmal Thietmar berichtete – trotz seines Interesses an Bo91 Thietmar von Merseburg (wie Anm. 31), IV, 60, S. 200: „Cesaris eiusdem soror Mahtild nomine Heri­ manni comitis palatini filio Ezoni nupsit. Et hoc multis displicuit. Sed quia id non valuit emendare legali­ ter, sustulit hoc unicus frater illius pacienter, dans ei quam plurima, ne vilesceret innata sibi a parentibus summis gloria.“ 92 Wipo (wie Anm. 29), c. 4, S. 24–26. 93 Adam von Bremen (wie Anm. 29), II, 56/65, S. 116 f./125: „Cum rege Danorum vel Anglorum medi­ ante archiepiscopo fecit pacem. Cuius etiam filiam imperator filio suo deposcens uxorem, dedit [ei] Sliaswig [civitatem] cum marcha, quae trans Egdoram est, in fedus amicitiae; et ex eo tempore fuit regum Daniae./ Tempore illo Conradus imperator filiam Chnud regis Heinrico filio accepit in matrimonium. Cum quibus statim regio fastu Italiam ingressus est ad faciendam regno iusticiam, comitem habens itineris Chnud regem, potentia trium regnorum barbaris gentibus valde terribilem.“ – Kaiserkrönung, Verlobung und Hochzeit bei Regesta Imperii Online, RI III,1 Nr. 73c, 225c u. 238c, http://www.regesta-imperii.de/id/102703-26_1_0_3_1_0_150_73c bzw. 225c bzw. 238c (letzter Zugriff: 03.11.2017). Dazu auch Bihrer 2012 (wie Anm. 82), S. 306–310. 94 Wipo (wie Anm. 29), c. 35, S. 54: „Heinricus rex filius imperatoris Chnutonis regis Anglorum filiam nomine Chunelindem pro regina consecratam regalibus nuptiis in coniugium duxit.“ 95 Hermann (wie Anm. 29), a. 1036, S. 122: „Heinricus rex, filius imperatoris, Chunihildem, Cnutonis Danorum et Anglorum regis filiam, regalibus sibi apud Noviomagum nuptiis copulavit uxorem.“ 96 Hermann (wie Anm. 29), a. 1043, S. 124: „Exin Agnetem, Willehelmi Pictaviensis filiam, sponsam suam accipiens, et Mogontiaci reginam ungui faciens, regales apud Ingelenheim nuptias celebravit, et in vano hystrionum favore nihili pendendo, utile cunctis exemplum, vacuos eos et moerentes dimittendo, proposuit.“ 97 Lampert (wie Anm. 29), a. 1043, S. 58. 98 Lampert (wie Anm. 29), a. 1066, S. 103 f.: „Nec multo post nuptias in Triburia regio apparatu celebravit in coniunctione Berhtae reginae, filiae Ottonis marchionis Italorum.“

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lesław und Mieszko – darüber, was möglicherweise mit seiner parteiischen Sichtweise auf die Ezzonen zusammenhängen könnte. Er wertete anders als die Fundatio monasterii Brunwilarensis, die im Hauskloster der Ezzonen später entstand und einigen Einfluss auf die Deutung der Geschichtswissenschaft ausgeübt hat.99 Die Gründe und Motivationen für die genannten Eheschließungen sind aus der Historiographie nur wenig detailliert herauszuarbeiten. Für Heinrich I., Otto I. und Liudolfs Eheschließungen – die in der Abfassungszeit schon lange zurücklagen – führt Thietmar Schönheit als ein Merkmal der Bräute an. Erbe oder Erbschaften verlieren von den Ottonen zu den Saliern entweder an Bedeutung oder spielten bei den salischen Ehen keine explizite Rolle mehr. Die väterliche Abkunft dagegen ist den Autoren immer wichtig, wobei sie implizit der Ebenbürtigkeit oder Angemessenheit der Ehepartner Ausdruck verleihen. Ehepolitik wird dabei nicht so explizit thematisiert wie die Geschichtswissenschaft es vermuten lässt,100 politische Verhandlungen werden nur gelegentlich erwähnt und dabei nicht direkt mit der Eheschließung oder Anbahnung kontextualisiert. Bihrer betont anhand von Beispielen der Verheiratung von angelsächsischen Prinzessinnen auf dem Festland die Notwendigkeit der Einzelfallüberprüfung der Auswirkungen von Eheschließungen, weil es Beispiele für geringe Auswirkungen und schnelles Vergessen in der Historiographie gebe.101 Unterschiede bestehen in der Wahrnehmung der Autoren von den aktiv handelnden Personen. Treten die Frauen – abgesehen von Richezas Mutter Mathilde – eher passiv in die Ehe ein, konnten Königssöhne als aktive Personen bei der Eheschließung beschrieben werden. Als Könige konnten sie – wie die jeweils zweiten Eheschließungen Otto  I. und Heinrich  III. zeigen  – selbst agieren. Erörterungen zur Ehepolitik waren kein zentrales Thema der Historiographie der spätottonisch-salischen Zeit und behandelten unabhängig von der Nähe des Autors zu den Ereignissen ähnliche Aspekte.

99 Vgl. Ursula Lewald: Die Ezzonen. Das Schicksal eines rheinischen Fürstengeschlechts, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 43 (1979), S. 120–168. – Herbert Ludat: An Elbe und Oder um das Jahr 1000. Skizzen zur Politik des Ottonenreiches und der slavischen Mächte in Mitteleuropa, Köln 1971. – Weinfurter 1999 (wie Anm. 54), S. 198. – Zu den Ezzonen vgl. zuletzt Klaus Gereon Beuckers: Die Stiftungen der Ezzonen. Manifestationen politischer und geistlicher Stellung unter den späten Ottonen und frühen Saliern in Lothringen, in: Verortete Herrschaft. Königspfalzen, Adelsburgen und Herrschaftsbildung in Niederlothringen während des frühen und hohen Mittelalters, hg. v. Jens Lieven, Bert Thissen und Ronald Wientjes (Schriften der Heresbach-Stiftung Kalkar, Bd. 16), Bielefeld 2014, S. 255–288. 100 Vgl. beispielsweise Daniela Müller-Wiegand: Vermitteln – Beraten – Erinnern. Funktionen und Aufgabenfelder von Frauen in der ottonischen Herrscherfamilie (919–1024), Kassel 2005, S. 44–104. 101 Vgl. Bihrer 2012 (wie Anm. 82), S. 295.

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Politische, soziale und kulturelle Aufgaben und Funktionen der Ehefrauen Aufgaben und Funktionen von Ehefrauen sind für den Untersuchungszeitraum vor allem am Beispiel der Königinnen und anderer adliger Frauen gut erforscht, wobei sich die Informationslage je nach Königin und Quellengattung erheblich unterscheiden können.102 Die Geburt von Kindern war eine zentrale Aufgabe: Mathilde half Heinrich I. in religiösen sowie weltlichen Angelegenheiten und brachte drei Söhne zur Welt.103 Edith hinterließ nach Thietmar nur einen einzigen Sohn, die Quedlinburger Annalen nennen auch die Tochter.104 Königin Gunhild ließ nur eine Tochter zurück.105 Für Thietmar bedeuteten Kinder (Söhne) eine stabile Nachfolge und sicheren Erhalt der Freiheit, weil kein Fremder zum Herrscher gewählt werden musste.106 Außerdem waren die Königinnen für die Memoria zuständig, die sie mit Stiftungen und Schenkungen forcierten, sie missionierten oder wirkten besänftigend auf ihre Männer ein.107 Aufgrund des göttlichen Erbarmens und der Fürbitten seiner ersten Frau Edith überstand Otto  I. alle Schändlichkeiten seiner frühen Regierungszeit.108 Seine zweite ­Gattin Adelheid wachte ihr Leben lang über die Befreiung seiner Seele.109 Die fromme Kunigunde, die sich auch als Stifterin verdient machte, bereitete – so berichtet Thietmar – 102 Vgl. Amalie Fössel: Die Königin im mittelalterlichen Reich. Herrschaftsausübung, Herrschaftsrechte, Handlungsspielräume (Mittelalter-Forschungen, Bd. 4), Darmstadt 2000, S. 12. – Queens and Queenship in Medieval Europe. Proceedings of a Conference held at King’s College London April 1995, hg. v. Anne J. Duggan, Woolbridge 1997. – Müller-Wiegand 2005 (wie Anm. 101). – Mächtige Frauen? Königinnen und Fürstinnen im europäischen Mittelalter (11.–14. Jahrhundert), hg. v. Claudia Zey (Vorträge und Forschungen, Bd. 81), Ostfildern 2015. 103 Thietmar von Merseburg (wie Anm. 31), I, 9 (6), S. 14: „Et quia flexibilis est mulieris animus, et quia sciebat eum in cunctis eligantem, consensit coniunctaque ei tam in divinis quam in humanis profuit. Que tres filios congruo pariens in tempore, Ottonem, Heinricum et Brunonem, prospere educavit doloremque partus tantae stirpis dulcedine superavit.“ 104 Thietmar von Merseburg (wie Anm. 31), II, 3, S. 46: „Fuit haec cum viro suo X et VIIII annos, ordina­ tionis suaeque obiit XI anno, VII. Kal. Febr., unicum relinquens filium nomine Liudulfum, cunctis viribus fulgentem.“; Annales Quedlinburgenses (wie Anm. 28), a. 946, S. 463: „Edith regina, contectalis magni Ottonis regis, amarum mortis poculum degustavit relictis post se duobus liberis Ludolfo et Lutgarde.“ 105 Wipo (wie Anm. 29), c. 37, S. 57. 106 Thietmar von Merseburg (wie Anm. 31), I, 19, S. 24 u. 26: „Si in consanguinitatis linea aliquis tali offitio dignus non inveniatur, saltem in alia bene morigeratus, omni odio procul remoto assumatur; qui maxima perdicio est alienigenos regnare: hinc depressio et libertatis vemit magna periclitatio.“ 107 Thietmar von Merseburg (wie Anm. 31), IV, 57 (36), S. 196; IV, 55, S. 194; IV, 58 (37), S. 198. 108 Thietmar von Merseburg (wie Anm. 31), II, 3, S. 40: „Quaecumque ei publice vel occulte provenere nocentia, divinae miserationis gratia ac intercessione suimet sanctissimae contectalis Aedithae assidua secu­ rus evasit.“ 109 Thietmar von Merseburg (wie Anm. 31), II, 44, S. 93: „Quantum vero pro liberatione animae senioris suimet Aethelheidis inperatrix invigilaverit usque in finem, dictis non valet conprehendi nec factis.“

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mehrfach die Landesverteidigung vor.110 Grundsätzlich waren die Königinnen als Intervenientinnen und Beraterinnen am politischen Alltag beteiligt.111 Die über die Ehefrauen oder Töchter gewonnenen Schwäger, Schwiegersöhne und Schwiegerväter lieferten im Idealfall politische und militärische Unterstützung, wobei kaum zu klären ist, ob diese Einträchtigkeit Ursache oder Folge einer Eheschließung war.112 Über (kirchen-)politische und militärische Unterstützung oder das Erlangen von Ämtern hinaus sind die Quellen mit Informationen, die Rückschlüsse auf Transferleistungen durch Eheschließungen oder Auswirkungen der Zusammenarbeit von Schwiegerverwandten in kultureller Hinsicht bieten, nicht sehr freigebig: Die Quedlinburger Annalen und Thietmar in Abhängigkeit von dieser Passage berichten über Johannes Philagathos im Gefolge der Kaiserin Theophanu. Er war Erzbischof von Piacenza, als Brautwerber für Otto III. in Byzanz gewesen und schließlich zum Gegenpapst gewählt worden.113 Diese Karriere wurde durch die Kaiserin Theophanu ermöglicht und in Sachsen negativ bewertet. Vor allem den unterstellten Missbrauch der Jugend König Ottos III. betonten die Quedlinburger Annalen. Dagegen beanstandet Adam von Bremen einen Import der Königin Gunhild nicht: Sie brachte aus Dänemark einen Geistlichen namens Thietmar mit. Ihrer Fürsprache verdankte dieser das Bistum Hildesheim.114 Und auch eine Tochter Bolesław Chrobrys wurde von Wladimir von Kiev einem seiner Söhne zur Frau gegeben. Laut Thietmar sandten die Polen – worunter sicher auch Bolesław selbst zu verstehen ist – einen Bischof: Reinbern von Kolberg.115 Vor allem dessen Missionstätigkeit stellte Thietmar in den Mittelpunkt. 110 Thietmar von Merseburg (wie Anm. 31), VI, 81, S. 370: „Omnes nos conprovinciales iuxta Mildam sedere et ad adventum regis haec omnia providere ab ea iussi sumu[s].“; VII, 29 (21), S. 434: „Interim inperatrix in nostris commorata provinciis defensionem patriae cum nostris principibus meditatur.“; VII, 54, S. 466: „Regina autem a Froncanavordi a cesare discedens, cum ad locum, qui Capungun dicitur, ve­ niret, infirmatur et ibi tunc Deo promisit, se ad laudem eius unum facturam monasterium.“ 111 Vgl. Anm. 89. 112 Vgl. Lubich 2008 (wie Anm. 21), S. 82 f. 113 Annales Quedlinburgenses (wie Anm. 28), a. 997, S. 496 f.  – Thietmar von Merseburg (wie Anm. 29), IV, 30, S. 167: „Crescencius autem Rome absente papa predicto, qui post benedictionem Gre­ gorius vocabatur, Iohannem Calabritanum, Theophanu imperatricis dilectum comitem et tunc Placenti­ num antistitem, substituit et sibi imperium tali presumpcione usurpavit, inmemor iuramenti et magne pietatis ab Ottone augusto sibi illate.“ 114 Adam von Bremen (wie Anm. 29), II, 79, S. 136: „Iste Thiadmarus a Dania oriendus cum regina ­Gunhild advenit, cuius patrocinio ille meruit Hildinensem episcopatum.“  – Vgl. Bihrer 2012 (wie Anm. 82), S. 307–309. 115 Thietmar von Merseburg (wie Anm. 31), VII, 72 (52), S. 486: „Hic tres habens filios [Wladimir von Kiev] uni eorum Bolizlavi ducis nostrique persecutoris filiam in matrimonium duxit, cum qua missus est a Polenis Reinbernus presul Salsae Cholbergiensis.“ – Die altrussische Nestorchronik 1012–1013, in Übersetzung hg. v. Reinhold Trautmann, Leipzig 1931, S. 93 berichtet weder von der Eheschließung noch über ihre Gründe, da nur die Datierung angegeben wird. Ich danke Ludwig Steindorff für den Hinweis.

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Geistliche Würdenträger im Gefolge von Ehefrauen scheinen am ehesten das Interesse der Autoren zu wecken. Der Bezug auf die eigene Region oder Herrschaft steht dabei im Fokus. Das könnte eine Erklärung dafür sein, dass die Eheschließung Richezas keinen Widerhall fand. Das Beispiel des Johannes Philagathos zeigt, dass negativ beurteilte Personen ein kritisches Licht auf die Königin, die aus der Ferne kam, werfen konnten.

Fazit Verwandte wurden zur Einordnung von Personenkonstellationen eingesetzt. Als einer der wichtigsten Aspekte wurden dabei Erbe oder Erbschaft in spätottonischen und salierzeitlichen Quellen wegen herrschaftlicher Bezüge häufig thematisiert. Verwandte konnten Ansprüche geltend machen. Sofern das Verwandtschaftsverhältnis definierbar war, wurde bevorzugt das konkrete Verhältnis benannt. Die Autoren greifen meist nur eine Konstellation heraus, die sie fokussieren. Der Bruder der Königin war zwar der Schwager des Königs, musste aber nicht zwangsläufig so benannt werden. Thietmar und Wipo betonten gleichermaßen die Wichtigkeit der Eintracht zwischen Verwandten, um die Herrschaftsoptionen unter den Verwandten zu erhalten und nicht an andere Verwandtengruppen oder Völker zu verlieren. Auch die Quedlinburger Annalen markierten Eintracht und Verzeihung unter den Verwandten als wichtigen Aspekt. Thietmars Informationen verdanken wir Selbstaussagen zu eigenen Verwandten, die den geschilderten Außenwahrnehmungen von verwandten Adligen gleichen. Erst in einem Vergleich mit früheren ottonischen Quellen ließe sich erschließen, ob die Motivationen für die frühen Eheschließungen einen Vorstellungswandel anzeigen oder allein auf den Abstand zum Berichtszeitraum zurückzuführen sind. Die Quedlinburger Annalen zeigten Hinweise auf das Selbstverständnis des Stifts als Gründung der Ottonen und betonten genealogische Abfolge und Nachfolge. Beim Aspekt des Beistands bzw. des Konflikts zwischen Verwandten waren keine Unterschiede zwischen alten und neuen Verwandten erkennbar. Einerseits waren Söhne und Brüder quantitativ vielleicht konfliktgefährdeter in Bezug auf Erbe und Herrschaft.116 Andererseits konnten Schwiegersöhne und -väter ausgewählt werden, wobei im Hinblick auf eine vorhandene, aber selten explizit genannte Ehepolitik genauer zu prüfen ist, wer in welcher Funktion (als Vater oder König) wählte. Die Eheschließungen wurden in der Historiographie zwar häufig erwähnt, allerdings kaum explizit im Zusammenhang mit einer von der Geschichtswissenschaft gern vermuteten Heirats- oder Bündnispolitik. Diese wie auch Verwandte sollten nicht als „Passepartout für jene Fragen“117 genutzt werden, die sich nicht eindeutig in Kausalzusammenhänge einordnen lassen. Historiographi116 Vgl. Goetz 2012 (wie Anm. 19), S. 300. 117 Ubl 2012 (wie Anm. 2), S. 19.

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sche Quellen allein liefern zu wenige Informationen dazu. Über Beistandswünsche und den Aspekt der Mission hinaus lassen sich kaum Auswirkungen von Eheverbindungen in zeitnahen Quellen erschließen. Entweder mussten Kausalzusammenhänge nicht expliziert werden oder implizite Andeutungen wurden von den Autoren bewusst eingesetzt, um Ursachen oder Motivationen anzudeuten, die nicht bekannt waren. Dies muss jedoch in einem größeren Kontext über den funktionalen Einsatz von Verwandten in historiographischen Quellen überprüft werden. Das spricht nicht gegen eine hohe Bedeutung der Verwandten im Früh- und Hochmittelalter. Vielmehr konnten die Quellenautoren, die kaum zwischen alten und neuen Verwandten unterschieden, Verwandte auf diese Weise flexibel in ihre Vorstellungswelt und ihr Werk integrieren.118 Dies kann somit als Indiz für die hohe Bedeutung von Verwandten gesehen werden.

118 Vgl. Lubich 2008 (wie Anm. 4), S. 237. – Goetz 2012 (wie Anm. 19), S. 300.

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Richeza, Queen of Poland: Profiting from Ottonian Descent and Royal Status Richeza, queen of Poland and imperial granddaughter, still remains not fully discovered not only by German, but even more surprisingly, Polish medievalists, although her life and activity is an interesting topic in itself.1 Its presence in a volume on the Tyniec Sacramentary is obvious for those, who are familiar with the history of the codex’s research. She has often been shown as the one, who brought the Sacramentary to Cracow, which has been related with its attribution to Cologne and dating for 1050s or 1060s.2 Not only was her brother, Hermann II (1036–1056), the archbishop of Cologne at that time, but also the queen herself resided nearby, in her family goods, as a mighty dowager.

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The research for this chapter was funded by the National Science Centre, Poland as part of a post-doctoral internship, decision No. DEC-2012/04/S/HS3/00220. – There are only a few monographs and articles with Richeza as their main topic (not all of them are, however, fully academic in character): Stanislaus von Halko: Richeza. Königin von Polen, Gemahlin Mieczyslaws II., Fribourg 1914. – Zygmunt Świechowski: Königin Richeza von Polen und die Beziehungen polnischer Kunst zu Köln im 11. Jahrhundert, in: Kölner Domblatt. Jahrbuch des Zentral-Dombau-Vereins 40 (1975), pp. 27– 48. – Marlene Nikolay-Panter: Königin Richeza (um 1000–1063), in: Rheinische Lebensbilder, vol. 12, Cologne 1991, pp. 25–46. – Königin Richeza, Polen und das Rheinland. Historische Beziehungen zwischen Deutschen und Polen im 11. Jahrhundert/Królowa Rycheza, Polska i Nadrenia. Stosunki między Polakami a Niemcami w XI wieku, ed. Peter Schreiner (Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde. Sonderveröffentlichung 14; Biblioteka Studiów Lednickich. Seria Popularno-Naukowa, vol. 1), Pulheim 1996. – Richeza. Königin von Polen und Gönnerin der Abtei Brauweiler. Beziehungen zwischen Deutschen und Polen vor 1000 Jahren, ed. Peter Schreiner (Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde. Sonderveröffentlichung 19), Pulheim 1998.  – Małgorzata Delimata: Ucieczka z Polski i niemieckie losy królowej Rychezy (po 1031–1063), in: Docendo discimus. Studia historyczne ofiarowane profesorowi Zbigniewowi Wielgoszowi w siedemdziesiątą rocznicę urodzin, ed. Krzysztof Kaczmarek and Jarosław Nikodem, Poznań 2000, pp. 77–97. – Małgorzata Delimata: Królowa Rycheza w opinii kronikarzy i w polskiej historiografii, in: Nihil superfluum esse. Prace z dziejów średniowiecza ofiarowane Profesor Jadwidze Krzyżaniakowej, ed. Jerzy Strzelczyk and Józef Dobosz, Poznań 2000, pp. 123–128. See for example Świechowski 1975 (as note 1)¸ pp. 44 f. – Brygida Kürbis: Gertruda – historia jej życia, in: Modlitwy księżnej Gertrudy z Psałterza Egberta w Cividale, Cracow 1998, pp. 20 f. – Gerard Labuda: Mieszko II król Polski (1025–1034). Czasy przełomu w dziejach państwa polskiego, 2nd ed. Poznań 2008, p. 115.

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However, there is a discussion between specialists on whether the codex should actually be dated so early and not rather later, to 1070s or 1080s (like older research suggests), that is during the episcopacy of one of Hermann’s successors. In case of the later dating Richeza, who died in 1063, could not be connected with the codex in any sense. But even if the Sacramentary was produced during her life, Richeza was not very likely to be the one who gave it to the Tyniec Abbey. We not only have no evidence of her contacts with Poland during the last thirty years of her life, but also we are not even sure, if Tyniec Abbey was already established before her death as well as if the codex really reached there in eleventh century.3 However, it is hard to talk about the relation between Cologne and Poland without mentioning queen Richeza, just as it is hard to discuss art production in Rhineland in eleventh century without mentioning the family she came from, the Ezzonids.4 Richeza was a daughter of count palatine Ezzo and Matilda, daughter of Otto II and Theophanu.5 It was no coincidence that Matilda’s two sisters, as many girls in the Ottonian house,6 were 3 4

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See the article of Roman Michałowski and Paweł Figurski in this volume. See esp. Klaus Gereon Beuckers: Die Ezzonen und ihre Stiftungen. Eine Untersuchung zur Stiftungstätigkeit im 11. Jahrhundert (Kunstgeschichte, vol. 42), Münster 1993. – Klaus Gereon Beuckers: Die Stiftungen der Ezzonen. Manifestationen politischer und geistlicher Stellung unter den späten Ottonen und frühen Saliern in Lothringen, in: Verortete Herrschaft. Königspfalzen, Adelsburgen und Herrschaftsbildung in Niederlothringen während des frühen und hohen Mittelalters, ed. Jens Lieven, Bert Thissen and Ronald Wientjes (Schriften der Heresbach-Stiftung Kalkar, vol. 16), Bielefeld 2014, pp. 255–288. On the Ezzonids family see Ruth Gerstner: Die Geschichte der lothringischen und rheinischen Pfalzgrafschaft von ihren Anfängen bis zur Ausbildung des Kurterritoriums Pfalz (Rheinisches Archiv, Veröffentlichungen des Instituts für Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande an der Universität Bonn, vol. 40), Bonn 1941, pp. 14–44. – Emil Kimpen: Ezzonen und Hezeliniden in der rheinischen Pfalzgrafschaft, in: Mitteilungen des Österreichischen Instituts für Geschichtsforschung. Ergänzungsband 12 (1933), pp. 1–91. – Emil Kimpen: Die ezzonische Verwandtschaft der rheinischen Pfalzgrafen, in: Coburg mitten im Reich. Festgabe zum 900. Gedenkjahr der ersten Erwähnung der Ur-Coburg und ihres Umlandes, ed. Friedrich Schilling, Kallmünz 1956, vol. 1, pp. 184–216. – Franz Steinbach: Die Ezzonen. Ein Versuch territorialpolitischen Zusammenschlusses der fränkischen Rheinlande, in: Collectanea Franz Steinbach. Aufsätze und Abhandlungen zur Verfassungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, geschichtlichen Landeskunde und Kulturraumforschung, ed. Franz Petri and Georg Droege (Veröffentlichungen des Instituts für Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande an der Universität Bonn), Bonn 1967 (first published in 1964), pp. 64–81. – Ursula Lewald: Die Ezzonen. Das Schicksal eines rheinischen Fürstengeschlechtes, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 43 (1979), pp. 120–168. – Beuckers 1993 (as note 4). – Helmuth Kluger: Propter claritatem generis. Genealogisches zur Familie der Ezzonen, in: Köln: Stadt und Bistum in Kirche und Reich des Mittelalters. Festschrift für Odilo Engels zum 65. Geburtstag, ed. Hanna Vollrath and Stefan Weinfurter (Kölner historische Abhandlungen, vol. 39), Cologne 1993, pp. 223–258. – Beuckers 2014 (as note 4), pp. 255–288. See Patrick Corbet: Les saints Ottoniens. Sainteté dynastique, sainteté royale et sainteté féminine autour de l’an Mil (Beihefte der Francia, vol. 15), Sigmaringen 1986, esp. pp. 242–255.

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designated to take a veil, while her own marriage with a noble was, as noted by Thietmar of Merseburg, disapproved of by many.7 The Ottonians knew very well that such a marriage with an imperial daughter could strengthen their potential sons-in-law too much; the nuptial with the Celestial King was certainly safer and more prestigious. Undoubtedly also the Ezzonids understood how big a chance they received, bringing an imperial daughter into the family, and knew how to take symbolic advantage of that. As noted by Gerd Althoff: „Man muß nur die Namen nennen, um zu verdeutlichen, welche Konsequenz diese vorteilhafte Heirat hatte: Liudolf, Otto und Hermann hießen die Söhne, Richeza, Adelheid, Theophanu, Heilwich, Mathilde, Ida, Sophia die Töchter. Mit Ausnahme von Hermann, des dritten Sohnes, und Richeza, der wahrscheinlich ältesten Tochter [...] wurde nur Namengut der liudolfingisch-ottonischen Königsfamilie verwandt. Die Namengebung des Paares Ezzo-Mathilde schreit also geradezu die Tatsache des königlichen Geblüts ihrer Kinder heraus.“8 Richeza was probably the only daughter who got married, while her six sisters became nuns or canonesses, in accordance with Ottonian custom. Althoff ’s explanation of that fact seems convincing: taking a veil, they could not be used by their father to create political alliances through marriages. It was therefore probably not him, but rather his lord, emperor Henry II, who forced them to join the convent, as the spreading of Ottonian blood among nobility was certainly against his interest. Henry also had enough reasons to fight down the position of Ezzo, his political enemy during the first years of his reign.9 The possibility to use one of Ezzo’s daughters, Richeza, as a political tool, opened for king Henry after his reconciliation with Ezzo in 1011.10 From the beginning of his reign, Henry was involved in a long-term war against the ruler of Poland, Bolesław Chrobry. When in 1013 they made peace, it was sealed by the marriage between Bolesław’s son,  7 Thietmari Merseburgensis episcopi Chronicon, ed. Robert Holtzmann (Monumenta Germaniae Historica, SS rer. Germ. N.S., vol. 9), Berlin 1935, bk. IV, ch. 60, pp. 200 f.: „Et hoc multis displicuit.“ – For the circumstances of the marriage as well as possible political basis of its critique see Beuckers 2014 (as note 4), pp. 258–265.  8 Gerd Althoff: Namengebung und adliges Selbstverständnis, in: Nomen et gens. Zur historischen Aussagekraft frühmittelalterlicher Personennamen, ed. Dieter Geuenich, Wolfgang Haubrichs and Jörg Jarnut (Ergänzungsbände zum Reallexikon der germanischen Altertumskunde, vol. 16), Berlin 1997, pp. 127–139, esp. p. 133.  9 See Althoff 1997 (as note 8), pp. 134 f. – About the quarrel between Ezzo and Henry see Lewald 1979 (as note 5), pp. 128–132. – Michał Tomaszek: Klasztor i jego dobroczyńcy. Średniowieczna narracja o opactwie Brauweiler i rodzie królowej Rychezy, Kraków 2007, pp. 147–160. – Klaus Gereon Beuckers: Heinrich II. und Köln. Die Gründung von Kloster Deutz im (kunst)historischen Kontext, in: Herrschaftslandschaft im Umbruch. 1000 Jahre Merseburger Dom, ed. Andreas Ranft and Wolfgang Schenkluhn (more romano. Schriften des Europäischen Romanik Zentrums, vol. 6), Regensburg 2017, pp. 79–112, esp. 79–85. 10 See Lewald 1979 (as note 5), pp. 131 f.

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Mieszko, and Richeza.11 It seems that a strong political need was the only reason for Henry II to let one of Ezzo’s daughters, ipso facto a descendent of the Ottonians, get married. But the marriage also had a huge symbolic potential for the Piasts. It was probably no accident that Thietmar of Merseburg, who openly hated Bolesław Chrobry, made no mention of this union, so improper from his point of view. The first thing to do for the Piasts, to make use of such a prestigious marriage, was to mark the imperial origin of the couple’s children in given names, as the Ezzonids did. In the case of the son, his name was Casimir, but, as so-called Gallus Anonymous, writing in early twelfth century, informs that his second name was Charles (to be more precise, the author claims that both names are equivalents),12 completely exceptional in the Piast dynasty. Its ideological meaning is quite easy to explain: it was given to stress the imperial origin of the boy, whose grandmother was from the Ottonian family, which, as it was believed, in a way inherited the blood of the Carolingians.13 Casimir-Charles’ sister also received an unusual name, that is Gertrude. It was, of course, linked by scholars with St. Gertrude and her monastery in Nivelles, where Richeza’s sister Adelheid was the abbess14 as the successor of great royal and imperial abbesses, including Adelheid’s grandmother and a lay-abbess of Nivelles, empress Theophanu.15 It should, however, be noted that not only the Ezzonids themselves were very much involved in the devotion to the saint, but also what probably attracted both – the Ezzonids and the Piasts to St. Gertrude (and thus: the name) was her connotation with the Carolingians, as she was herself a member of the Pippinids, their ancestors, 11 See Kazimierz Jasiński: Rodowód pierwszych Piastów (Poznańskie Towarzystwo Przyjaciół Nauk. Wznowienia, vol. 19), Poznań 2004, pp. 114 f. – Althoff 1997 (as note 8), p. 134. 12 Galli Anonymi Cronicae et Gesta ducum sive principum Polonorum, ed. Karol Maleczyński (Monumenta Poloniae Historica. Series Nova, vol. 2), Cracow 1952, bk. I, ch. 17, p. 40: „Mescho [...], qui iam vivente patre sororem [sic!] tertii Ottonis impertoris uxorem acceperat, de qua Kazimirum, id est Karolum, restauratorum Polonie, procrearet.“ 13 See Stanisław Kętrzyński: O imionach piastowskich do końca XI wieku, in: Życie i Myśl 5/6 (1951), pp. 724–727. – Herbert Ludat: Piasten und Ottonen, in: L’Europe aux IXe–XIe siècles. Aux origines des états nationaux. Actes du Colloque internationale tenu à Varsovie et Poznan du 7 au 13 septembre 1965, ed. Tadeusz Manteuffel and Aleksander Gieysztor, Warsaw 1968, pp. 351–359. – Jacek Hertel: Imiennictwo dynastii piastowskiej we wcześniejszym średniowieczu (Roczniki Towarzystwa Naukowego w Toruniu, vol. 79.2), Warsaw 1980, p. 122. – Jasiński 2004 (as note 11), pp. 129 f. – Gertrud Thoma: Namensänderungen in Herrscherfamilien des mittelalterlichen Europa (Münchener historische Studien. Abteilung Mittelalterliche Geschichte, vol. 3), Kallmünz 1985, pp. 144–146. – See also Andrzej Pleszczyński: Niemcy wobec pierwszej monarchii piastowskiej (963–1034). Narodziny stereotypu. Postrzeganie i cywilizacyjna klasyfikacja władców Polski i ich kraju, Lublin 2008, pp. 311. 14 See Kętrzyński 1951 (as note 13), pp. 733 f. – Hertel 1980 (as note 13), pp. 142 f. – Jasiński 2004 (as note 11), pp. 144 f. 15 See Jean-Joseph Hoebanx: L’Abbaye de Nivelles des Orgines au XIVe siècle (Académie royale de Belgique. Classe des Lettres et des Sciences Morales et Politiques, vol. 46.4), Brussels 1952, pp. 109–111.

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who also founded Nivelles Abbey. It is worth adding that it was at the turn of and during the first half of eleventh century, when St. Gertrude’s Carolingian connections were especially stressed in a new-written hagiography of the saint, so that – as noted by Klaus Gereon Beuckers – „Gertrude wurde als eine kaiserliche Heilige betrachtet“;16 the cult of the saint is also to be found on Henry II’s and Henry III’s courts.17 Obviously therefore, leaving the Empire, Richeza had to be conscious of that and did not coincidentally decide to give her daughter the name. As in the case of Casimir-Charles, the given name was the easiest way to stress that her children have imperial blood and that they somehow participated in the glory of her maternal ancestors.18 But names were not the only way for both the Piasts and the Ezzonids to emphasize their imperial connotations, as St. Gertrude was not the only saint revered by the latter. In fact, their favorite patron was St. Nicholas of Myra,19 a saint extremely popular in medieval Europe, but not before the translation of his body to Bari in 1087. Karl Meisen, who studied his cult also in the period before the translation, when it was rather weak and rare, had no doubts that its breakthrough moment in the Empire was the marriage of Otto II and Theophanu, who brought the cult from Byzantium.20 As Klaus Gereon Beuckers noted, the saint himself can simply be seen as a Familienheiliger of the Ottonians, while up till the first quarter of eleventh century a direct connection of the cult of St. Nicholas with the imperial house can be noted.21 After the death of Otto III, the cult of St. Nicholas was supported by those who were related with the Ottonians, that is by Ezzo and Matilda and their descendants. For the Ezzonids it was one more way to stress their prestigious bond with the former imperial house. In fact, until the end of the 1060s, the cult was still present in the Empire mostly in places somehow related with the Ottonians or the Ezzonids.22 Meanwhile, however, before the saint began to be popular in the West, the cult seems to have also appeared in Poland. As noted by Roman Michałowski, in a few (about five to seven) royal or ducal centres of the Piast country, St. Nicholas churches can be identi16 Beuckers 1993 (as note 4), p. 273, see p. 142. – On the increasing role of St. Gertrude’s belonging to the Peppinids in her hagiography see also Ian Wood: Genealogy Defined by Women: the Case of the Pippinids, in: Gender in the Early Medieval World: East and West, 300–900, ed. Leslie Brubaker and Julia M. H. Smith, Cambridge 2004, pp. 234–256, esp. pp. 241 f. 17 See Beuckers 1993 (as note 4), pp. 273 f. 18 See Kętrzyński 1951 (as note 13), p. 733. 19 See Beuckers 1993 (as note 4), esp. pp. 269–272. 20 Karl Meisen: Nikolauskult und Nikolausbrauch im Abendlande. Eine kulturgeographisch-volkskundliche Untersuchung (Forschungen zur Volkskunde, vol. 9.12), Düsseldorf 1931, pp. 80 f. 21 Beuckers 1993 (as note 4), esp. pp. 270 f. 22 See Beuckers 1993 (as note 4), esp. pp. 270–272. – See also Grzegorz Pac: Kobiety w dynastii Piastów. Rola społeczna piastowskich żon i córek do połowy XII wieku – studium porównawcze (Monografie Fundacji na Rzecz Nauki Polskiej), Toruń 2013, pp. 220–227.

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fied quite early: in the eleventh or early twelfth centuries.23 As usual in the history of Poland of this period, we are dealing with a complicated issue due to the lack of sources. In all the cases of St. Nicholas’s churches from that period we have information in written sources or from archaeological research which testifies to the early existence of the churches, but in each case the patronage is known from a much later period, which does not add much strength to my point. However, even if in some of the cases mentioned by Michałowski and in my own research it is conceivable that the name of St. Nicholas was adopted later for older churches, there is no reason to assume that in the case of his patronage a phenomenon of a mass changing of patron saint had taken place. We have further evidence of the early cult of St. Nicholas in Poland. In the Calendar in the Psalter of Egbert,24 which seems to be a copy of the oldest calendar of the Cracow cathedral, made in 1060s or 1070s,25 the greatest feasts are written in gold letters.26 Surprisingly, two important saints are missing – an empty space is left on the day of St. Mark and on the day of St. Adalbert.27 Those absences are puzzling: as three other evangelists as well as other, less important Polish saints, the so-called five hermit-brothers, were mentioned in the calendar (the former noted obviously in gold). At the same time, we know that St. Adalbert was already venerated in Cracow then, as testified by his presence in the litany of saints in the Cracow Pontifical from the second half of eleventh century.28 He is there just next to St. Venceslaus, the patron saint of the Cracow cathedral, whose feast was 23 See Roman Michałowski: Kościół św. Mikołaja we wczesnopiastowskich ośrodkach rezydencjonalnych, in: Społeczeństwo polski średniowiecznej, ed. Stefan K. Kuczyński, Warsaw 1994, vol. 6, pp. 63–74. – Pac 2013 (as note 22), pp. 202–220. – Artur Różański: Jednoprzestrzenne kościoły romańskie z terenu Wielkopolski, Poznań 2010, pp. 69–106 with response in Pac 2013 (as note 22), esp. pp. 210 f. 24 See Kalendarium cum notis commemorationorum, in: Modlitwy księżnej Gertrudy z Psałterza Egberta z Kalendarzem, ed. Małgorzata M. Malewicz and Brygida Kürbis (Monumenta Sacra Polonorum, vol. 2), Cracow 2002, pp. 97–115. 25 See Brygida Kürbis: Kalendarz i noty komemoracyjne, in: Malewicz / Kürbis 2002 (as note 24), pp. 18–33. – Note that the dating and the place of origin of the calendar’s core is a matter of dispute. However, for reasons not to be discussed here, the proposition to relate it with Cracow and date to 1060s or 1070s is not only commonly accepted by Polish scholars, but also the most convincing. 26 See Kürbis 2002 (as note 25), p. 18. 27 Annales Cracovienses priores cum kalendario, ed. Zofia Kozłowska-Budkowa (Monumenta Poloniae Historica. Series Nova, vol. 5), Warsaw 1978, pp. XXIV f. 28 Pontyfikał krakowski z XI wieku / Pontificale cracoviense saeculi XI (Biblioteka Jagiellońska Cod. MS 2057), ed. Zdzisław Obertyński (Materiały Źródłowe do dziejów Kościoła w Polsce, vol. 5), Lublin 1977, p. 43. – It seems that the pontifical was connected with Cracow from the very beginning, see Zbigniew Dalewski: Vicat Princeps in Eternum. Sacrality of Ducal Power in Poland in the Earlier Middle Ages, in: Monotheistic Kingship. The Medieval Variants, ed. Aziz Al-Azmeh and János M. Bak (CEU Medievalia, vol. 7. Pasts Incorporated: CEU Studies in the Humanities, vol. 3), Budapest 2004, p. 222, where further reading.

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of course, as one of the greatest, written in gold letters in the calendar in the Psalter of Egbert. Considering that one must agree with Zofia Kozłowska-Budkowa, who assumed that it is unlikely that St. Adalbert and evangelist St. Mark were omitted on purpose in the calendar, so the empty places on days of their commemorations were left to be written in gold letters too. The third empty space is to be found on December 6, that is, on the day of the feast of St. Nicholas. By the same token, this saint’s name was to be written in gold letters.29 This would indicate that St. Nicholas, in the second half of the eleventh century, was venerated in Cracow, an important centre of Piast power, and that his feast received the highest possible rank. As I showed elsewhere, Richeza’s daughter, Gertrude, was also an active propagator of the cult of St. Nicholas in Rus’. Although the saint was already popular there, it might be proved that Gertrude’s foundation of the monastery of St. Nicholas in Kiev can be related rather with her personal piety than a religious tradition of her husband’s kin.30 To sum up: it seems that the cult of St. Nicholas, thanks to Richeza, received a certain popularity on the Piast court before it started to be popular in the West. As for the Ezzonids, for the Polish ducal family it may have been another way to point out their relation with the ­Ottonians, mediated by Richeza. The queen’s role seems to be crucial in the Piast ideology. It is very telling that socalled Gallus Anonymous, writing about Richeza a century after her marriage, didn’t even mention her name, but called her, in the context of her son Casimir, „mater imperialis“.31 It seems that her consanguinity with the Ottonians was her main feature for the dynastic tradition. In fact, reading Gallus Anonymous’ Gesta one can get the impression, that as for Mieszko their marriage was his greatest achievement. Richeza herself left Poland in the mid-1030s, during the collapse of the country. It is, however, not really clear, whether she came back to her native Empire after her husband’s death or maybe, as Fundatio monasterii brunwilarensis (a Klostergeschichte of the Ezzonids’ Hauskloster, Abbey of St. Nicholas and Medardus in Brauweiler near Cologne) tells us, after the dissolution of her marriage.32 In any case, she spent about thirty years of her 29 See Kozłowska-Budkowa 1978 (as note 27), pp. XXIV f. – To be precise: the space on December 6 is not empty, but the octave of St. Andrew is noted there by mistake. The note is repeated correctly on the very next day, December 7. 30 See Grzegorz Pac: Communities of Devotion across the Boundaries. Women and Religious Bonds on the Baltic Rim and in Central Europe, Eleventh-Twelfth Centuries, in: Imagined Communities on the Baltic Rim, from the Eleventh to Fifteenth Centuries, ed. Wojtek Jezierski and Lars Hermanson (Crossing Boundaries. Turku Medieval and Early Modern Studies, vol. 4), Amsterdam 2016, pp. 138– 140. 31 Galli Anonymi Cronicae (as note 12), bk. I, ch. 18, p. 41. 32 Brunwilarensis monasterii fundatorum actus, ed. G. Weitz (Monumenta Germaniae Historica, SS, vol. 14), Hannover 1883, ch. 24, p. 137.

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widowhood in her family goods, partly in Rhineland, partly in Thuringen.33 Just as her imperial origin was used by the Piasts, probably not without her active cooperation, it was also an important tool in the hands of the mighty dowager and from a certain point the last descendent of the formerly powerful family of the Ezzonids.34 In fact, her siblings also strongly stressed their Ottonian identity. Her brother, Otto, is called on his epitaph in Brauweiler „a flower of great Ottonian kings“;35 and, while here both his parents, Ezzo and Matilda, are mentioned, this is not always the case. For instance, Otto’s and Richeza’s brother, archbishop Hermann of Cologne, giving a piece of land, probably inherited from his father,36 to one of the city’s chapters, St. Severin, called himself „a son of the late lady Matilda, a daughter of emperor Otto II“37 without even mentioning Ezzo. An even more evident example is the inscription on the grave of Hermann’s sister, Theophanu, abbess of a formerly great Ottonian abbey, Essen, which describes her exactly in the same words, that is without mentioning Ezzo, but just as a daughter of Matilda, daughter of Otto II.38 All this can in my opinion be seen as a sign of the strong Ottonian identity of Richeza’s siblings. Richeza, seeking ways to express her Liudolfing origin, chose a different method, namely: a pious donation. Among other notes recording donations for the St. Peter and Alexander Chapter in Aschaffenburg, written in the Gospel Book from the library of the chapter, there is one of „a noble matron called Richeza“. The chapter, which was, as we read in the note, originally founded by her parentes, in return promised to commemorate her equally to those parentes.39 Although the identity of the woman was a matter of dispute, she was definitively identified by Eduard Hlawitschka as the Polish queen. The historian 33 See note 1. 34 See note 5. 35 Brunwilarensis monasterii fundatorum actus (as note 32), ch. 27, p. 139: „Heu! ruit Ottonum flos regum magnificorum,/Imperiale quibus cessit in orbe decus./Flos hic eorundem tulit Otto nomine nomen,/ Cui Mathilt mater, cui fuit Ezo pater.“ 36 See Jonathan Rotondo-McCord: The allod in the medieval Rhineland, Diss. Yale University 1991 (manuscript), pp. 119 f. 37 Rheinisches Urkundenbuch. Ältere Urkunden bis 1100, vol. 2: Elten – Köln, ed. Erich Wisplinghoff (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, vol. 57.2), Düsseldorf 1994, no. 315, p. 333: „Ego Herimannus secundi Ottonis imperatori, filię scilicet dominę Mathildae beatae memo­ riae filius.“ 38 See Walther Zimmermann: Das Grab der Äbtissin Theophanu von Essen, in: Bonner Jahrbücher 152 (1952), pp.  226 f.: „III. no(nas). mart(ii). obiit. Theophanu./abba(tissa). filia. Mahthildis. filie. Ottonis. s(e)c(un)di. imperator(is).“ – Beuckers 1993 (as note 4), p. 38. – Thorsten Fremer: Äbtissin Theophanu und das Stift Essen. Gedächtnis und Individualität in ottonisch-salischer Zeit, Bottrop/Essen 2002, pp. 91 f. 39 Urkundenbuch des Stifts St. Peter und Alexander zu Aschaffenburg, vol. 1: 861–1325, ed. Matthias Thiel (Veröffentlichungen des Geschichts- und Kunstvereins Aschaffenburg, vol. 26), Aschaffenburg 1986, no. 18, pp. 83 f.: „[...] nobilis matrona nomine Richiza hunc locum, quem eius parentes coenobita

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pointed out that in this case parentes does not mean ‚parents‘, but rather, as often in medieval documents, relatives or kinsmen. Those parentes, who founded the chapter, were Otto II’s half-brother Liudolf, his wife Ida and their children, duke of Bavaria and Swabia Otto and the abbess of Essen, Matilda.40 Richeza therefore, in a way, not only used the opportunity to stress her Liudolfing connections, but also to present herself as someone who takes care of a place important to the former royal king as one of its last descendent. In fact, it seems that it did not really matter that the founders of the Aschaffenburg chapter were from a different line of the Liudolfings. Richeza resumed a role played by her grandfather, Otto II, who definitely saw the foundation as his family affair: we have nine of his charters (excluding total forgeries), recording his pious donations and grants for St. Peter and Alexander.41 It is not clear, why in the document for Aschaffenburg Richeza is called just „a noble matron“ instead of „a queen“, as she is usually named in other charters, notes in necrologies or Fundatio monasterii brunwilarensis. Undoubtedly Richeza was anointed and crowned along with her husband, but using the title by a queen-widow in the Empire might not have been so obvious. In fact, Mieszko’s coronation was controversial, some German authors considered it to be an usurpation and certainly not recognized by the imperial court.42 Those controversies seem to be recorded by Fundatio monasterii brun­ wilarensis, where we read that it was Richeza herself who brought emperor Conrad her husband’s and her own crowns; the ruler accepted the gift, but in reward allowed the Polish queen to use her title for life,43 as if she needed a special permission to call herself „regina“. But the ambiguous attitude of the imperial court toward Richeza’s title might be the reason, why in documents issued by herself or by religious institutions she is called simply „queen“ or „queen of Poland“, while in a Henry III falsified document (based, however, on two genuine royal charters) she is mentioned as „Richeza, formerly Polish queen“

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religione primum extulerunt, bene operando ditavit. [...] cum eius parentibus debita persolvatur oratio, partier fiat illius commemoratio.“ Eduard Hlawitschka: Königin Richeza von Polen – Enkelin Herzog Konrads von Schwaben, nicht Kaiser Ottos II.?, in: Institutionen, Kultur und Gesellschaft im Mittelalter. Festschrift für Josef Fleckenstein zu seinem 65. Geburtstag, ed. Lutz Fenske, Werner Rösener and Thomas Zotz, Sigmaringen 1984, pp. 221–244. For further reading see also Pac 2013 (as note 22), pp. 400 f., note 330 and Beuckers 2014 (as note 5), p. 265. See Urkundenbuch des Stifts St. Peter und Alexander (as note 39), no. 3–13, pp. 9–57. See Pleszczyński 2008 (as note 13), pp. 283–287. – Przemysław Wiszewski: Domus Bolezlai. W poszukiwaniu tradycji dynastycznej Piastów (do około 1138 roku) (Złota Seria Uniwerytetu Wrocławskiego, vol. 1), Wrocław 2008, p. 502. See Brunwilarensis monasterii fundatorum actus (as note 32), cap. 24, p. 137. – See also Gerard Labuda: Uwiezienie polskich insygniów koronacyjnych do Niemiec, in: Kultura średniowieczna i staropolska. Studia ofiarowane Aleksandrowi Gieysztorowi w pięćdziesięciolecie pracy naukowej, ed. Danuta Gawinowa, Warsaw 1991, pp. 217–229.

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(„domna Richeza Polonie quondam regina“).44 Considering all this, we might suppose that Richeza’s use of her queen title could be something more than just a routine, but rather a conscious decision and a right she had to defend. The title was undoubtedly important and rare, as it made Richeza’s position among German aristocracy truly exceptional. It seems that she was conscious of that, which may be illustrated by the fact that she probably used her own seal.45 Not only does the seal’s legend, Richeza regina, stress her position, but so does the fact of sealing documents itself, quite unusual – as we will see – for a lay woman in the Empire of that time. The question again is very complicated from the point of view of source credibility. It is so, because neither of the two seals that survived, nor the charters they accompany, are authentic.46 There are, however, several reasons to believe that the monks of Brauweiler, who made the forged seal, used an authentic one as a model.47 While one of the sealed documents is a late, thirteen century forgery, the content of the other, dated as 1054, is believed to be credible, while the charter itself was called by the last publisher, Erich Wisplinghoff, „Kopie“ or „Abschrift“ (depending on

44 See Rheinisches Urkundenbuch. Ältere Urkunden bis 1100, vol. 1: Aachen  – Deutz, ed. Erich Wisplinghoff (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, vol. 57.1), Bonn 1974, no. 90a, p. 114. – On the document, apart from the editor’s note in the indicated edition see: Heinrici III. diplomata, ed. Harry Bresslau and Paul Kehr (Monumenta Germaniae Historica. Diplomata regnum et imperatorum Germaniae, vol. 5), Berlin 1931, pp. 362–365. – Erich Wisplinghoff: Die Urkundenfälschungen aus dem Benediktinerkloster Brauweiler bei Köln, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 31/32 (1957), pp. 32–73, esp. p. 57. – Rotondo-McCord 1991 (as note 36), pp. 101–117. 45 The two sealed documents are preserved in Duisburg, in Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland as RW 1023, Urk. Nr. 5 (7.09.1051) and Brauweiler, Urk. Nr. 3 (7.09.1054). 46 See Otto Oppermann: Die älteren Urkunden des Klosters Brauweiler. Ein Beitrag zur Geschichte des mittelalterlichen Grundbesitzes an der Mosel und am Niederrhein, in: Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst 22 (1903), pp. 197–203. – Otto Oppermann: Rheinische Urkundenstudien, vol. 1: Die kölnisch-niederrheinischen Urkunden (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, vol. 39.1), Bonn 1922, pp. 171 f. and 181–184. – Wisplinghoff 1957 (as note 44), esp. pp. 37–39 and 42–44 as well as his comments in documents’ edition in: Wisplinghoff 1974 (as note 44), vol. 1, no. 94, p. 133 and no. 95, p. 135. – Joachim Dahlhaus: Volumen literis privilegiorum atque reddituum nostri monasterii descriptum. Zur Geschichte des Archivs der Abtei Brauweiler, in: Vollrath / Weinfurter 1993 (as note 5), pp. 187–222, esp. p. 204, no. 4 and p. 206, no. 12. – Andrea Stieldorf: Rheinische Frauensiegel. Zur rechtlichen und sozialen Stellung weltlicher Frauen im 13. und 14. Jahrhundert (Rheinisches Archiv, vol. 142), Cologne 1999, pp. 72 f. – Grzegorz Pac: Horror dyplomatyczny. Problem autentyczności i datacji grupy dyplomów brauweilerskich, w tym rzekomego dokumentu Rychezy z datą 1954 r., in: Studia Źródłoznawcze 52 (2014), pp. 91–101. 47 Here only a brief presentation of my arguments, for the full version see: Grzegorz Pac: Czy królowa Rycheza używała pieczęci?, in: Kwartalnik Historyczny 122 (2015), no. 1, pp. 5–38.

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publication),48 which has been generally accepted by scholars.49 If he is right, the sentence in the charter, speaking of its sealing,50 is also authentic, even if the present seal itself is a forgery. That would proof that Richeza really did use a seal, whose original unfortunately does not exist anymore. The question of dating and authenticity of a corpus of charters related with (and mostly produced as forgeries in) Brauweiler Abbey was a matter of controversy between scholars.51 Nevertheless they agree, for reasons not to be discussed here, that the abovementioned one, issued in the name of Richeza and dated as 1054, could not have been produced later than the third decade of twelfth century, whether or not the document itself is a copy or simply a forgery.52 In the second case, one should ask the question of the probability and need of adding a seal to a forgery, if it were not patterned on some original. It should be stressed that we know only one example of a female seal from Rhineland until the end of eleventh century and just three more until the end of the next century.53 In fact, even in France or England, where female seals appeared much earlier than in the Empire, in the case of aristocratic women they only started to be popular in mid-twelfth century.54 We can also certify only three seals of Roman empresses until this time, that is the seals of Theophanu, Agnes of Poitou and Matilda, while wives of Conrad II, Henry IV, Lothar III or Conrad III seem to never have had their own seals.55 Briefly: at the end of eleventh or in early twelfth century in Rhineland there was certainly no need to forge a seal of an aristocratic or even royal woman, as it made the forgery seem rather unusual. It is also worth pointing out that from a stylistic point of view, the seal of Richeza differs from ones used by lay women or royal consorts in twelfth century, using instead 48 See Wisplinghoff 1957 (as note 44), esp. pp. 37–39. – Wisplinghoff 1974 (as note 44), vol. 1, no. 95, s. 135. – See also Pac 2014 (as note 46), p. 92. 49 See Dahlhaus 1993 (as note 46), p. 188. 50 Wisplinghoff 1974 (as note 44), vol. 1, no. 95, p. 137: „Quae ne posteros lateant, hanc cartulam sigillo nostro insignitam fieri iussi.“ 51 See note 46. 52 See Oppermann 1922 (as note 46), p. 184.  – Wisplinghoff 1957 (as note 44), p. 38.  – Erich Wisplinghoff: Untersuchungen zur Wirtschafts- und Besitzgeschichte der Benediktinerabtei Brauweiler bei Köln, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 43 (1971), pp. 131–191, esp. p. 133. – Pac 2014 (as note 46), p. 92. 53 See Stieldorf 1999 (as note 46), pp. 76–80. 54 See Brigitte Bedos-Rezak: Women, Seals, and Power in Medieval France, 1150–1350, in: Women and Power in the Middle Ages, ed. Mary Carpenter Erler and Maryanne Kowaleski, Athens 1988, pp.  64 f. – Andrea Stieldorf: Adelige Frauen und Bürgerinnen im Siegelbild, in: Das Siegel. Gebrauch und Bedeutung, ed. Gabriela Signori, Darmstadt 2007, pp. 149–160, esp. p. 150. – Stieldorf 1999 (as note 46), pp. 56 f. 55 See Andrea Stieldorf: Die Siegel der Herrscherinnen. Siegelführung und Siegelbild der ‚deutschen‘ Kaiserinnen und Königinnen, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 64 (2000), pp. 1–44, esp. pp. 2–6, 15–17 and 21. – Stieldorf 1999 (as note 46), pp. 31–39.

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typical tenth or eleventh century bust portrait form.56 In fact, the Brauweiler forger of Richeza’s alleged seal is quite likely, considering formal similarities, to be the same, who produced the alleged seals of eleventh century bishops.57 In the latter case, whenever he had an authentic pattern, he simply copied it, using an image style contemporary to his own times only in the case of a lack of such a model.58 We can suppose, that the reason Richeza is presented in such an old fashioned way, which differs her seal from contemporary female seals, is that in Brauweiler there was an authentic, eleventh century seal of the queen to be copied. If I am right that Richeza sealed her charters, it would be a sign of her incredibly high self-esteem, as she would be the first German aristocratic woman to do so. But we can guess that, for her, real points of reference were in this case rather imperial consorts, who sealed their charters, that is her grandmother Theophanu and contemporary empress Agnes. There might be also another signal that she considered herself to be a part of royal rather than simply aristocratic spheres. To show that, Richeza used, as in the case of Liudolfing connections, a pious donation. She was therefore a benefactor of the ecclesiastical institution that was the symbolic heart of German royalty, that is the Aachen chapter, where her name with a royal title and information about given lands were also noted in the local ­necrology.59 This is certainly not a family issue, as no other member of the Ezzonids is mentioned there; the necrology seems also not to record Liudolfings in particular.60 But making a donation for the Aachen chapter Richeza did exactly what German rulers contemporary to her did, as all of them: Otto III, Henry II, Conrad II, Henry III and Henry IV are noted in the necrology, usually with information about their donations for the chapter.61 56 See Stieldorf 1999 (as note 46), p. 74 with note 11. 57 See Stieldorf 1999 (as note 46), pp. 72 f. On this group of seals’ forgeries see below, next note. 58 See Wilhelm Ewald: Die Siegel des Erzbischofs Anno II. von Köln, in: Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst 24 (1905), pp. 19–34, esp. p. 28. – Wilhelm Ewald: Siegelmissbrauch und Siegelfälschung im Mittelalter, untersucht an den Urkunden der Erzbischöfe von Trier bis zum Jahre 1212, in: Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst 30 (1911), pp. 1–100, esp. pp. 68–70. – The alleged seal of archbishop Pilgrim is the only forged seal made in the contemporary, twelfth century type presenting an enthroned bishop, see also Rainer Kahsnitz: Imagines et signa. Romanische Siegel aus Köln, in: Ornamenta Ecclesiae. Kunst und Künstler der Romanik in Köln, Exh.-Cat. Schnütgen-Museum Cologne, ed. Anton Legner, 3 vol., Cologne 1985, vol. 2, D 5, p. 27. 59 Eduard Teichmann: Das älteste Aachener Totenbuch, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 38 (1916), pp. 1–213, esp. p. 69, no. 80 (22.03): „Obiit Ricza regina, que contulit bona in Clotene.“ 60 It seems that in the necrology there are no members of the Liudolfings except two rulers, Otto I and Otto III, see: below, next note. 61 Of tenth and eleventh century German rulers, the following are present in the necrology: Otto I (Teichmann 1916 [as note 59], p. 84, no. 126 [7.5.]), Otto III (p. 53, no. 23 [23.1.]), Henry II (p. 103, no. 193 [13.7.]), Conrad II (p. 93, no. 154 [4.6.]), Henry III (p. 125, no. 277 [5.10.]), and Henry IV (p. 109, no. 218 [7.8.]).

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The final mark of Richeza’s own royal self-esteem is her burial place. Although initially she planned Brauweiler Abbey for the place of her last repose,62 it seems that at the end of her life she lost interest in the Ezzonids’ Hauskloster and changed her mind, to finally be buried in the chapter of the Virgin Mary ad gradus in Cologne. According to the monks of Brauweiler, as recorded in Fundatio monasteri Brunvilarensis, it was archbishop Anno who decided about the queen’s burial place against her will, and also appropriated the profitable vineyard Klotten, given before to the Hauskloster by the queen, to donate it to the chapter of the Virgin Mary.63 However, according to the (partly interpolated) ­charter of Anno from 1075,64 it was intended by Richeza for the institution, which was to take care of her body and commemoration, that is – in the archbishop’s version – the chapter.65 Additionally, a document of the bishop of Würzburg from 1058, much more reliable than the mostly forged Brauweiler charters, shows clearly that five years before her death Richeza, although not yet sure, where she would find her eternal resting place, tended rather to choose Cologne than the Ezzonids’ Hauskloster.66 In the charter, we read that the bishop of Würzburg, a diocese of which Richeza was a benefactor and in which she spent her last years, was obligated to „honorably convey her to a place of burial, [either] in Cologne or in whatever place she might request before her death“; also her movables were intended to

62 See Jonathan Rotondo-McCord: Locum sepulturae meae ... elegi. Property, Graves, and Sacral Power in Eleventh-Century Germany, in: Viator 26 (1995), pp. 77–106, esp. pp. 97–100. – Klaus Gereon Beuckers: Bemerkungen zu den ezzonisch-annonischen Bestattungen in Brauweiler und St. Maria ad Gradus in Köln, in: Jahrbuch des kölnischen Geschichtsvereins 69 (1998), pp. 31–50, esp. pp. 35–43. – The question for which members of the Ezzonids the new church of Brauweiler monastery was planned as a place of repose is a matter of controversy, but there is no question about that Richeza was included in this group, which might be proved not only by Fundatio monasterii brunwilarensis, but also by her own charter from 1054, where she writes: „locum sepulturae meę iuxta matrem meam elegi“, see: Wisplinghoff 1974 (as note 44), vol. 1, no. 95, p. 136. 63 Brunwilarensis monasterii fundatorum actus (as note 32), cap. 34, pp. 140 f. –Wisplinghoff 1974 (as note 44), vol. 1, no. 98 f., p. 144–147. 64 Wisplinghoff 1994 (as note 37), vol. 2, no. 276, pp. 255–260. 65 See esp. Toni Diederich: Anno, Brauweiler und „Clotteno“. Ein kleines ABC unglücklicher Irritationen im 11. Jahrhundert, in: Corona amicorum. Alois Thomas zur Vollendung des 90. Lebensjahres, Trier 1986, pp. 78–91. –Tomaszek 2007 (as in note 9), pp. 54–58. – Several dozen years later, the Brauweiler community managed to win this long-term argument with the Cologne archbishopric and obtain Klotten. 66 See Walter Bader: Die Benediktinerabtei Brauweiler bei Köln. Untersuchungen zu ihrer Baugeschichte (Denkmäler deutscher Kunst), Berlin 1937, pp. 67 f. – Rotondo-McCord 1995 (as note 62), pp. 100–102.

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be given to „the bishop or any other person“.67 All this suggests that she no longer had Brauweiler in mind.68 Instead, her actual burial place was, as mentioned, the chapter of the Virgin Mary ad gradus, a church destroyed in nineteenth century, much more prestigious than the in fact rather local and not very successful Hauskloster of the Ezzonids. Located on the bank of the Rhine, it was intended for ceremonial receptions of dignitaries, especially rulers, arriving by boat. It was modelled on the Roman Santa Maria in turri, near Old St. Peter, which played exactly the same role during imperial coronations; as the Roman original, also its Cologne imitation had therefore a strongly royal character.69 The foundation of such a reception church, initiated by Richeza’s brother, archbishop Hermann and continued by his successor Anno,70 was related with the archbishops of Cologne’s claim to the exclusive right to crown German rulers.71 The royal character of the new foundation might explain why not only archbishop Hermann, but also his family members, remembering their own royal origin, supported the new chapter.72 We know of a donation by his nephew Cuno, 67 Franz J. Bendel: Die Schenkungen der Königin Richeza von Polen an das Bistum Würzburg (1057 März 3 und 1058 Januar 29), in: Historisches Jahrbuch 34 (1913), pp. 65–70, esp. p. 69: „[...] ut Wirzeburgensis episcopus Coloniam vel in quemcunque locum ante obitum ipsa rogaret, eam honorifice deportando sepulture traderet [...] Definitum est quoque in eadem condicione, ut de cetersi bonis auro vide­ licet, argento, palliis, cortinis, dorsalibus, thapedibus, vestimentis lineis vel laneis omnique domestica supel­ lectile, quidquid in episcopi vel alterius cuiuslibet persone manu faciendum pro anima sua decreverit.“ 68 The explanation proposed by Wisplinghoff 1957 (as note 44) and followed by Lewald 1979 (as note 5) that Brauweiler was unknown in Würzburg, so it was substituted in the charter by Cologne as the nearest known place, is rather unconvincing. – See also Rotondo-McCord 1995 (as note 62), p. 102. 69 See Gerhard Streich: Burg und Kirche während des deutschen Mittelalters. Untersuchungen zur Sakraltopographie von Pfalzen, Burgen und Herrensitzen (Vorträge und Forschungen, Sonderband 29.1), Sigmaringen 1984, vol. 1, pp. 61–63 and 257–272. – Kluger 1993 (as note 5), pp. 255 f. – Klaus Gereon Beuckers: Die päpstliche Privilegienbestätigung von 1052 und die Stiftungstätigkeit Erzbischof Hermanns II. im Kölner Dombereich, in: Für irdischen Ruhm und himmlischen Lohn. Stifter und Auftraggeber in der mittelalterlichen Kunst [Festschrift für Beat Brenk], ed. Hans-Rudolf Meier, Carola Jäggi and Philippe Büttner, Berlin 1995, pp. 91–107, esp. pp. 95–98. – Jonathan Rotondo-McCord: Body snatching and Episcopal power: Archbishop Anno II of Cologne (1056–75), burials in St. Mary’s ad gradus, and the minority of King Henry IV, in: Journal of Medieval History 22 (1996), pp. 297–312. – Beuckers 1998 (as note 62), pp. 44 f. with note 49. – Richard Hardegen: Das Kanonikerstift Maria ad Gradus zu Köln (1056–1802). Eine kirchenrechtsgeschichtliche Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung seiner inneren Struktur (Berichte aus der Rechtswissenschaft), Aachen 2008, pp. 37–39. – Note however that combination of reception and burial functions of the Cologne church is rather unusual, see Beuckers 1998 (as note 62), pp. 44 f. 70 See Kluger 1993 (as note 5), pp. 253–257. – Beuckers 1998 (as note 62), pp. 43 f. – Hardegen (as note 69), pp. 12–55. 71 See Streich 1984 (as note 69), pp. 61–63 and 257–272. – Kluger 1993 (as note 5), pp. 255–258. – Rotondo-McCord 1996 (as note 69), pp. 303 f. – Hardegen (as note 69), pp. 32–39. 72 See Kluger 1993 (as note 4), pp. 257 f. – Beuckers 1998 (as note 62), p. 47.

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who also rested here.73 Richeza may have also given a few other lands, apart from Klotten, which are mentioned in the chapter’s necrology from the first quarter of fourteenth century as the material basis of her commemoration;74 in another necrology from c. 1370, where her commemoration is present under March 21st, a later hand added her name also a day before, with an extraordinary epithet: „benefactrix maxima“.75 Finally, her grave, as pointed out by Klaus Gereon Beuckers, was situated in the middle of the church, slightly to the West from the crossing of the nave and transept, clearly testifying that she was considered a founder of the Virgin Mary ad gradus,76 which might be seen as one more way of stressing her royal status by the former Polish queen. As I have tried to show, Richeza can be seen as deeply aware of her own symbolic status based on her Ottonian descent and queenship. Although we can suppose that in Poland, as wife of Mieszko, she may have been the one who understood best the importance of this origin and may have herself encouraged the symbolic use of it by the Piasts, we cannot really be sure to what extent she was an active player here and to what, just an instrument. We do not have these doubts in the case of her widowhood, during which, as from a certain moment on, the last descendent of the Ezzonids, she acted independently to stress her Liudolfing connections and royal status. As the last heir of the family fortune she certainly had the means to do so, that is an economic position extraordinary even for many powerful dowagers. However, the way she managed to profit from the symbolic power connected with her origin and status suggests also – if I can allow myself such a subjective observation at the very end – personal talent and highly developed political skill.

73 Theodor Joseph Lacomblet: Auszug aus dem Memorienbuche des Mariengradenstifts, aus der 2. Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts, in: Archiv für die Geschichte des Niederrheins 2 (1854), pp. 49– 56, here p. 53 (3.11.): „O. Cuno dux Bauwarorum de Norenberch qui dedit unicuique fratrum .V. dena­ rios et .XXX. denarios ad propinationem cum candela ad sepulchrum eius et missales denarios. in Hocken­ bure.“ – See Brunwilarensis monasterii fundatorum actus (as note 32), cap. 9, p. 130. 74 Lacomblet 1857 (as note 73), p. 50 (21.3.): „O. Ricza regina Polanorum soror Hermanni secundi archi­ episcopi Colon .X. solidos presentibus cum candelis et missis. de officio in Luppe. Item .XXX. denarios ad propinationem. Item .IIII. solidos presentibus de Merheim. Item ama vini presentibus.“ – Dating of necrologies from St. Mary ad gradus see: Anna-Dorothee von den Brincken: Die Totenbücher der stadtkölnischen Stifte, Klöster und Pfarreien, in: Jahrbuch des kölnischen Geschichtsvereins 42 (1968), pp. 137–175, here pp. 167 f. – Das Stift St. Mariengraden zu Köln (Urkunden und Akten 1059– 1817), ed. Anna-Dorothee von den Brincken (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln, vol. 57), Cologne 1969, vol. 1, pp. X–XII. 75 von den Brincken 1969 (as note 74), vol. 2, p. 457 (20.–21.3.). 76 Beuckers 1998 (as note 62), p. 45, note 53.

242 | Grzegorz Pac

Eduard Mühle

Kasimir I., Krakau und die Restauration piastischer Herrschaft in den 1040/50er Jahren „Aber von Mieszko wollen wir schweigen und wollen zu Kasimir, dem Erneuerer Polens, ­übergehen“ – heißt es in der ältesten, von einem anonymen romanischen Geistlichen verfassten polnischen Chronik.1 Auch der nachfolgende Beitrag will sich nicht mit Mieszko II., dem Scheitern seiner Politik und den unmittelbaren Konsequenzen aufhalten, die dieses ­Scheitern für seinen am 26. Juli 1016 geborenen einzigen Sohn2 und Nachfolger hatte. Wann und unter welchen Umständen Kasimir I. ins Exil gezwungen wurde, wo und wie er dieses Exil erlebte und wann genau er nach Polen zurückkehrte, wird in der Forschung kontrovers diskutiert3 – und in diesem Band bereits an anderer Stelle ange­ 1

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Galli Anonymi Cronicae et gesta ducum sive principum Polonorum, hg. v. Karol Maleczyński (Monumenta Poloniae Historica. Series Nova, Bd. 2), Krakau 1952, S. 40: „Sed de Meschone sileamus et ad Kazi­ mirum restauratorem Poloniae descendamus.“ – Zur neueren Forschung über Autor und Werk vgl. Eduard Mühle: Cronicae et gesta ducum sive principium Polonorum. Neue Forschungen zum sogenannten Gallus Anonymus, in: Deutsches Archiv zur Erforschung des Mittelalters 65 (2009), S. 459–496. – Eduard Mühle: Neue Vorschläge zur Herkunft des Gallus Anonymus und zur Deutung seiner Chronik, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 60 (2011), S. 267–285. – Tomasz Jasiński: Gall Anonim – poeta i mistrz prozy. Studia nad rytmiką prozy o poezji w okresie antycznym i średniowiecznym, Krakau 2016. Vgl. Annales Cracovienses priores cum kalendario, hg. v. Zofia Kozłowska-Budkowa (Monumenta Poloniae Historica. Series Nova, Bd. 5), Warschau 1978, S. 45: „MXVI Kazimurus dux natus est VIII kalendas Augusti luna XVI.“ – Die These, dass Kasimir einen älteren, angeblich 1014 geborenen Bruder namens Bolesław gehabt habe, wurde allein aus der nicht haltbaren Vermutung abgeleitet, Kasimir sei von seinen Eltern für eine geistliche Laufbahn bestimmt gewesen und zu diesem Zweck als Knabe einem Kloster übergeben worden, was vorausgesetzt habe, dass ein älterer Bruder als Thronfolger zur Verfügung gestanden habe. – Gerard Labuda: Mieszko II król Polski (1025–1034). Czasy przełomu w dziejach państwa polskiego, 2. Aufl. Posen 2008, S. 119–140. – Zur Mönchsthese vgl. unten Anm. 27. Vgl. die biographischen Studien von Stanisław Kętrzyński: Kazimierz Odnowiciel (1034–1058), in: Rozprawy Akademii Umiejętności. Wydział Historyczno-Filozoficzny 38 (1899), S. 295–373 (Separatdruck Krakau 2010). – Pierre David: Casmir le Moine et Boleslas le Pénitent, Paris 1932.– Karol Maleczyński: Kazimierz Odnowiciel, in: Polski Słownik Biograficzny, Bd. 12, hg. v. Bogusław Leśnodorski, Breslau 1966/67, S. 261–262.  – Kazimierz Karol Odnowiciel, in: Rodowód pierwszych ­Piastów, hg. v. Kazimierz Jasiński, Warschau 1984, S. 128–143. – Benedykt Zientara: Kazimierz I Odnowiciel, in: Poczet królów i książąt polskich, hg. v. Andrzej Garlicki, Warschau 1984, S. 43–51. – Stanisław Rosik: Kazimierz Odnowiciel i jego czasy, in: Poczet polskich królów i książąt. Od Henryka Brodatego do Kazimierza Jagiellończyka, hg. v. Stanisław Rosik und Przemysław Wiszewski, Breslau 2006. – Klaudia Dróżdż: Kazimierz Odnowiciel. Polska w okresie upadku i odbudowy, Loslau 2009.

Kasimir I., Krakau und die Restauration piastischer Herrschaft in den 1040/50er Jahren  |  243

sprochen.4 Das gilt auch für die schwere Strukturkrise, die die piastische Monarchie in den 1030er Jahren fast in den Untergang geführt hätte. Sie war im Grunde schon von Bolesław I., Kasimirs 1025 gestorbenem Großvater, durch eine extensive, auf Kriegs- und Beutezüge und rigorose Abgabeneintreibung beruhende Politik heraufbeschworen worden. Der Beinahe-Zusammenbruch der 1030er Jahre war die Folge einer wirtschaftlichen, sozialen und mentalen Überforderung der eigenen Bevölkerung und zugleich von krie­ gerischen Gegenreaktionen der Nachbarn. Äußerte sich Erstere in einer Mischung aus paganer Reaktion gegen das noch ungefestigte Christentum, sozialem Protest gegen allzu drückende Abgaben und politischem Widerstand der weltlichen Elite gegen eine allzu zentralisierende Politik der Monarchen,5 so kulminierten Letztere 1038/39 in einem verheerenden Überfall des böhmischen Herzogs Břetislav.6 Zu diesem Zeitpunkt hielt sich Kasimir sicher im Reich auf. Dort hatte seine Mutter Richeza, die Tochter des lothringischen Pfalzgrafen Ezzo und Enkelin Kaiser Ottos II., aus eher privaten Gründen bereits vor (so die in ihrem Hauskloster Brauweiler überlieferte Tradition7) oder nach dem Tod ihres polnischen Gatten (so die polnische Tradition8) auf den Hausgütern ihrer Familie 4 5

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Vgl. hierzu den Beitrag von Grzegorz Pac in diesem Band. Vgl. Tadeusz Grudziński: Uwagi o genezie rewolucji w Polsce za Kazimierza Odnowiciela, in: Zapiski Towarzystwa Naukowego w Toruniu 18 (1952), 1, S. 7–104. – Zygmunt Wojciechowski: Studia Historyczne, Warschau 1955, S. 141–155. – Janusz Bieniak: Państwo Miecława. Studium analityczne, Warschau 1963 (ND 2010). – Danuta Borawska: Kryzys monarchii wczesnopiastowskiej w latach trzydziestych XI. wieku, Warschau 1964 (ND 2013). – Jerzy Strzelczyk: Der Volksaufstand der Polen in den 30er Jahren des 11. Jahrhunderts und seine Rolle während der Krise des frühpiastischen Staates, in: Zeitschrift für Archäologie 18.1 (1984), S. 129–140. – Zbyszko Górczak: Bunt Bezpryma jako początek tzw. reakcji pogańskiej w Polsce. Na marginesie koncepcji Gerarda Labudy, in: Nihil superfluum esse. Prace z dziejów średniowiecza ofiarowane Profesor Jadwidze Krzyżaniakowej, hg. v. Jerzy Strzelczyk und Józef Dobosz, Posen 2000, S. 111–121. – Labuda 2008 (wie Anm. 2), S. 75–95. Vgl. Barbara Krzemińska: W sprawie chronologii wyprawy Brzetysława I. na Polskę, in: Zeszyty ­Naukowe Uniwersytetu Łodzkiego. Seria I: Nauki Humanistyczno społeczne 12 (1959), S. 23–37. – Roman Heck: O właściwą interpretację najazdu Brzetyzława I na Polskę, in: Śląski Kwartalnik Historyczny Sobótka 21 (1966), S. 245–268.  – Labuda 2008 (wie Anm. 2), S. 147–153.  – Krzysztof Polek: Kraków i Małopolska w czasie najazdu Brzetysława I na Polskę, in: Studia Historyczne 29 (1986), S. 495–508. Vgl. Brunwilarensis monasterii fundatio, hg. v. Rudolf Köpke (MGH SS Bd. 11), Hannover 1854, S. 394–408, hier S. 403: „Eodem tempore [1031] Richeza regina, facto inter se et regem coniugem suum divortio [...] venit ad imperatorem Conradum in Saxoniam.“ Vgl. Galli anonymi cronicae (wie Anm. 1), S. 41: „Mortuo igitur Meschone [...] traditores eam [Richezam] de regno propter invidiam eiecerunt.“ – Der älteste polnische Chronist, der Krakauer Magister Vincentius, hat diesen Hinweis gegen Ende des 12. Jahrhunderts dahingehend weiter ausgestaltet, dass Richeza ins Exil gezwungen worden sei, „weil sie als allzu gewaltsam angesehen wurde, ja begann, den Eingeborenen des Vaterlandes, so vornehm sie auch waren, irgendwelche Einwanderer und Aufwärter ihrer Teutonen vorzuziehen“ („Que quia equo uiolentior ets uisa, immo quia patrie indigetibus quantumlibet primis quoslibet inquilinos et suorum lixas Teutarum preponerer cepit, [...] in exlio consenuit“). – Magistri

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Zuflucht gefunden.9 Ob ihr Sohn unterdessen tatsächlich eine Zeitlang unfreiwillig in Ungarn festgehalten wurde, wie Gallus Anonymus erzählt,10 bleibt unklar. Spätestens im Reich dürften Kasimir die sich in Polen zuspitzenden Entwicklungen, vor allem der böhmische Überfall, zum Handeln bewegt haben. Als legitimer Erbe des piastischen Thrones konnte er, zumal er sich in der Zwischenzeit „bei den Deutschen [...] einen großen Namen seines Kriegsruhmes erworben hatte“, der Auflösung seiner patria11 nicht weiter ­tatenlos zusehen. Auch wenn ihn seine Mutter eindringlich gewarnt haben soll, „nicht zu Vincentii dicti Kadłubek Chronica Polonorum, hg. v. Marian Plezia (Monumenta Poloniae Historica. Series Nova, Bd. 11), Krakau 1994, S. 45. – Einen Überblick zur neuesten Vincentius-Forschung bietet Eduard Mühle: Einleitung, in: Die Chronik der Polen des Magisters Vincentius/Magistri Vincentii Chronica Polonorum, hg. v. Eduard Mühle (Ausgewählte Quellen zur Geschichte des Mittelalters, Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe, Bd. 48), Darmstadt 2014, S. 13–86.  9 Zu Richeza und Polen vgl. Stanislaw von Halko: Richeza. Königin von Polen, Gemahlin Mieczyslaws  II., Freiburg im Üechtland 1914.  – Zygmunt Świechowski: Richeza von Polen und die ­Beziehungen polnischer Kunst zu Köln im 11. Jahrhundert, in: Kölner Domblatt. Jahrbuch des Zentral-Dombau-Vereins 40 (1975), S. 27–48. – Eduard Hlawitschka: Königin Richeza von Polen – Enkelin Herzog Konrads von Schwaben, nicht Kaiser Ottos II.?, in: Institutionen, Kultur und Gesellschaft im Mittelalter, Festschrift für Josef Fleckenstein zu seinem 65. Geburtstag, hg. v. Lutz Fenske u. a., Sigmaringen 1984, S. 221–244. – Zygmunt Galoch: Königin Rycheza und die Anfänge der Benediktiner in Tyniec/Polen, in: Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde 11 (1987), S. 117–127. – Klaus Gereon Beuckers: Die Ezzonen und ihre Stiftungen. Eine Untersuchung zur Stiftungstätigkeit im 11. Jahrhundert (Kunstgeschichte, Bd. 42), Münster 1993, S. 30–37 u. 69–86. – Peter Schreiner: Królowa Rycheza, Polska i Nadrenia. Stosunki między Polakami a Niemcami w XI wieku / Königin Richeza, Polen und das Rheinland. Historische Beziehungen zwischen Deutschen und Polen im 11. Jahrhundert, Posen/Pulheim 1996. – Richeza. Königin von Polen und Gönnerin der Abtei Brauweiler. Beziehungen zwischen Deutschen und Polen vor 1000 Jahren, hg. v. Peter Schreiner (Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde, Sonderveröffentlichungen, Bd. 19), Pulheim 1998. – Małgorzata Delimata: Ucieczka z Polski i niemieckie losy królowej Rychezy (po 1031–1063), in: Docendo Discimus. Studia historyczne ofiarowane Profesorowi Zbigniewowi Wielgoszowi w siedemdziesiątą rocznicę urodzin, hg. v. Krzysztof Kaczmarek und Jarosław Nikodem, Posen 2000, S. 77–97.  – Michał Tomaszek: Klasztor i jego dobroczyńcy. Średniowieczna narracja o opactwie Brauweiler i rodzie królowej Rychezy, Krakau 2007. – Klaus Gereon Beuckers: Die Stiftungen der Ezzonen. Manifestationen politischer und geistlicher Stellung unter den späten Ottonen und frühen Saliern in Lothringen, in: Verortete Herrschaft. Königspfalzen, Adelsburgen und Herrschaftsbildung in Niederlothringen während des frühen und hohen Mittelalters, hg. v. Jens Lieven, Bert Thissen und Ronald Wientjes (Schriften der Heresbach-Stiftung Kalkar, Bd. 16), Bielefeld 2014, S. 255–288. 10 Galli anonymi cronicae (wie Anm. 1), S. 41: „maliciosi [...] in eum [Kazimirum] insurrexerunt, eumque in Vngariam secedere coeguerunt“, wo ihn König Stephan „cum Bohemicis, Polonorum infestissimis inimicis, pacem et amicitiam retinebat, nec eum [Kazimirum] liberum, quoadusque [Stephanus] vixit [...] dimittebat“. 11 Zur Verwendung und Bedeutung des Begriffs patria bei Gallus Anonymus vgl. Eduard Mühle: Władza i przestrzeń w Polsce wczesnopiastowskiej. O przestrzennym konstruowaniu władzy u Galla Anonima, in: Narodziny Rzeczpospolitej. Studia z dziejów średniowiecza i czasów wczesnonowożytnych, hg. v. Waldemar Bukowski und Tomasz Jurek, Krakau 2012, S. 831–847.

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dem treulosen und noch nicht gut christlichen Volk [der Polen] zurückzukehren“, ja selbst der Kaiser ihn mit „einem recht ansehnlichen Herzogtum“ zum Bleiben zu bewegen versucht haben soll, entschied sich der 22/23-jährige dominus naturalis zur Heimkehr, zur Rückeroberung seiner hereditas paterna und Wiederherstellung seines regnum.12

I. Die Aufgabe war nicht trivial. Benachbarte Herrscher hatten Städte und Burgen erobert und „im Siegen dem Erdboden gleichgemacht“, „Unfreie hatten sich gegen die Großen zu Her­ ren befreit und in die Herrschergewalt erhoben“,13 Bischöfe, Priester und Große waren im Aufruhr erschlagen, kirchliche Strukturen abgeschüttelt und Kirchenbauten zerstört worden,14 das ganze Vaterland war verwüstet, in Zersplitterung auseinandergefallen und der Plünderung ausgesetzt, ja in einzelnen Landesteilen wie in Masowien hatten „verfehlte Fürsten“ („principes abortivi“) die Herrschaft an sich gerissen.15 Angesichts dieser Lage sah sich der mit einem Gefolge von 500 Kriegern, die ihm vielleicht (zum Teil?) der König mit auf den Weg gegeben hatte,16 heimkehrende Herzog vor gewaltige Herausforderungen 12 Galli anonymi cronicae (wie Anm. 1), S. 44: „Kazimirus igitur apud Theutonicos [...] magnam [...] famam ibi militaris glorie consecutus, Poloniam se redire disposuit. [...] Quem cum mater dehortaretur, ne ad gentem perfidam et nondum bene christianam rediret, et cum etiam imperator eum remanere secum ro­ garet, eique ducatum satis magnificum dare vellet.“ 13 Galli anonymi cronicae (wie Anm. 1), S. 42: „[...] civitates quisque castellaque [...] vincendo terre coe­ quabat. [...] nam in dominos servi, contra nobiles liberati se ipsos in dominuum extulerunt, aliis in servicio versa vice detentis.“ 14 Vgl. Povest’ vremennych let. Čast’ pervaja: Tekst i perevod, hg. v. Dmitrij S. Šachmatov, Moskau 1950, S. 101. – Byst’ mjatež’ v zemli Ljad’skě: vstavše ljud’e izbiša episkopy, i popy, i bojary svoja, i byst’ v nich’ mjatež. – Cosmae Pragenesis Chronica Boemorum, hg. v. Bertold Bretholz (MGH SS rer. Germ. N.S., Bd. 2), Berlin 1923, S. 75: „In Polonia facta est persecutio christianorum.“ 15 Magistri Vincentii Chronica (wie Anm. 8), S. 46: „patria desolatur, crassantur hostes; urbes, municipia domesticis exuta presidiis ab extraneis occupantur. Dissipatione dissipatur terra, direptione predatur.“ 16 Galli anonymi cronicae (wie Anm. 1), S. 44 berichtet lediglich, dass Kasimir 500 Krieger mit sich genommen habe („assumptis secum militibus quingentis Polonie fines introivit“); auch die zwei/drei Jahrzehnte nach Gallus kompilierte Chronik des Annalista Saxo – Die Reichschronik des Annalista Saxo, hg. v. Klaus Nass (MGH SS, Bd. 37), Hannover 2006, S. 379: „Kazimer filius Miseconis ducis Pola­ norum reversus in patriam“ – spricht nicht explizit von einer königlichen Unterstützung, sodass nicht ausgeschlossen werden kann, dass es sich wenigstens zum Teil auch um die eigene Gefolgschaft (drużyna) des Piasten bzw. eine Unterstützung aus der eigenen mütterlichen Familie gehandelt haben könnte. Vgl. Dróżdż 2009 (wie Anm. 3), S. 84 f. – Kętrzyński 1899 (wie Anm. 3), S. 59. – Rosik 2008 (wie Anm. 3), S. 14. – Edward Rymar: Prawnopolityczny stosunek Kazimierza Odnowiciela do Niemiec oraz termin odzyskania przez niego Śląska (1041 r.), in: Śląski Kwartalnik Historyczny Sobótka 42 (1987), S. 137–170, hier S. 145 f. – Zientara 1984 (wie Anm. 3), S. 47 gehen davon aus,

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gestellt: Er musste erstens die territoriale Integrität des Landes wiederherstellen und nach außen hin absichern; zweitens die innerpolnische Konkurrenz der Piastendynastie beseitigen; drittens die weltlich-administrativen Grundlagen des regnum restaurieren und viertens die Kirchenorganisation erneuern und die Bevölkerung wieder an das Christentum binden. All das gelang nicht auf einen Schlag, erforderte vielmehr Zeit und füllte tatsächlich die gesamte Kasimir bis zu seinem Tod im Jahr 1058 verbleibende Herrschaftszeit aus. Folgen wir dem Bericht des Gallus Anonymus, so brachte Kasimir, nachdem er die Grenzen zu seiner patria überschritten hatte, „im weiteren Vorrücken“ zunächst eine Burg in seinen Besitz, die „seine Leute“ bis dahin gehalten hatten und ihm nun zurückgaben. Von diesem Stützpunkt aus soll er „nach und nach mit überlegener Tapferkeit“ ganz Polen befreit und seiner Herrschaftsmacht unterstellt haben.17 Eingedenk der Reiseroute, die den Rückkehrer aus dem Rheinland am wahrscheinlichsten über Magdeburg, die Mark Lausitz und die mittlere Oder zunächst nach Großpolen geführt haben dürfte, ist zumeist angenommen worden, dass es sich bei der fraglichen Burg um einen großpolnischen Burgort gehandelt hat.18 Doch war gerade diese Region kurz zuvor durch den Feldzug Břetislavs I. am stärksten verwüstet und von der heidnischen Reaktion am intensivsten in Mitleidenschaft gezogen worden. Dass hier Amtsträger oder Anhänger der Piasten in einem wichtigen Burgort die Stellung gehalten haben, ist nicht auszuschließen, weckt aber doch gewisse Zweifel. Der summarische Bericht des Gallus über die von Kasimir in Gang gesetzte restauratio kann zudem nicht als eine chronologisch geordnete Ereignisschilderung angesehen werden, die in logischer Folge mit der Einnahme einer konkreten Grenzburg oder grenznahen großpolnischen Burgstadt anhebt. Die Burg-Einnahme dürfte in der Narratio des Chronisten vielmehr eine metaphorische Funktion besessen haben, also eher eine erzählerische Chiffre für den Auftakt des Kasimir’schen Restaurationswerkes dargestellt haben.19 Dieses Restaurationswerk führte zweifellos in einem ersten Schritt, wohl schon in den Jahren 1039/41, zur vollständigen Wiederherstellung der piastischen Autorität und Herrschaft über die Regionen Großpolen, Kujawien und Kleinpolen. Darüber, wie dies im Einzelnen geschah, wissen wir freilich nichts. Die Bevölkerung scheint sich der Rückkehr des rechtmäßigen Herrschers nicht widersetzt zu haben, ja man darf vermuten, dass das vorangegangene Chaos nicht wenige Land- und Burgstadtbewohner, Krieger und Große dazu veranlasst haben wird, ihre Hoffnungen erneut auf einen starken autodass der König (wobei es sich je nach Datierung der Rückkehr entweder noch um Konrad II. oder bereits um Heinrich III. handelte) Kasimir mit den 500 Rittern ausgestattet habe. 17 Galli anonymi cronicae (wie Anm. 1), S. 44: „[...] ulterisque progrediens, castrum quoddam a suis sibi redditum acquisivit, de quo paulatim virtute cum ingenio totam Poloniam [...] liberavit, eamque suo domi­ nio mancipavit.“ 18 Vgl. Gerard Labuda: Jak i kiedy Kraków został stolicą Polski piastowskiej, in: Rocznik Krakowski 52 (1986), S. 5–18, hier S. 10 vermutet, dass es sich um Lebus gehandelt habe. 19 Vgl. Rosik 2008 (wie Anm. 3), S. 13.

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kratischen Monarchen zu setzen.20 Unterdessen blieben Schlesien einstweilen von den Böhmen besetzt und Masowien der usurpierten Herrschaft des einstigen piastischen Amtsträgers Masław (Meczzlaus) unterworfen. Da die großpolnischen sedes regni principa­ les, Posen und Gnesen, von den Böhmen weitgehend zerstört worden waren und noch längere Zeit „verödet blieben“ („in solitudine permanserunt“),21 Breslau in den Händen der Böhmen war, dürfte Kasimir ungeachtet eines selbstverständlich fortbestehenden Reise-­ Herrschertums22 seine primäre Herrscherresidenz in Krakau aufgeschlagen haben.23 Dafür spricht nicht nur der Umstand, dass der böhmische Überfall Kleinpolen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht berührt hatte, Krakau mithin unzerstört geblieben sein dürfte24 und auch die Anarchie des paganen Aufruhrs hier weniger gewütet zu haben scheint,25 sondern auch die Tatsache, dass die von Kasimir unmittelbar nach seiner Rückkehr mit der Rus’ und Ungarn geschlossenen politischen Bündnisse in Krakau einen strategisch weitaus günstigeren Stützpunkt fanden als in einem großpolnischen oder kujawischen Burgsitz.26 20 Vgl. Eduard Mühle: Die Piasten. Polen im Mittelalter (Beck’sche Reihe, Bd. 2709), München 2011, S. 32. 21 Galli anonymi cronicae (wie Anm. 1), S. 43. 22 Für die frühe Piastenzeit vgl. hierzu Mühle 2012 (wie Anm. 11) und allgemein Antoni Gąsiorowski: Rex ambulans, in: Quaestiones Medii Aevi 1 (1977), S. 139–162. 23 Als anachronistisch muss die von der älteren Forschung vertretene Vorstellung angesehen werden, dass Krakau damit bereits zur unumstrittenen, dauerhaften „Hauptstadt des polnischen Reiches“ erhoben worden sei; so Oswald Balzer: Stolice Polski 963–1138, Lemberg 1916, bes. S. 35–38 u. 65–67. – Franciszek Bujak: Studja geograficzno-historyczne, Warschau 1925, S. 253. – Józef Garbacik: Przeniesienie stolicy Polski do Krakowa w XI w., in: Kraków i Małopolska przez dzieje. Studia i szkice profesorów Uniwersytetu Jagiellońskiego, hg. v. Celina Bobińska, Krakau 1970, S. 127–141. – Labuda 1986 (wie Anm. 18), S. 17 f. – Zygmunt Wojciechowski: Gniezno – Poznań – Kraków na tle kształtowania się państwa Piastów, in: Wojciechowski 1955 (wie Anm. 5), S. 171–193, bes. S. 192. 24 Krzemińska 1959 (wie Anm. 6) hat überzeugend dargelegt, dass der böhmische Herzog (wohl im Frühsommer 1039) von Prag aus mit einem allein aus Tschechen rekrutierten Heer aufgebrochen und über Breslau bzw. Schlesien nach Gnesen und von dort auf dem gleichen Weg zurückgezogen ist. Die von Cosmas von Prag erzählte, von keiner anderen Quelle bestätigte und auch nicht durch archäologische Funde und Befunde gestützte Geschichte von einer Zerstörung auch Krakaus hingegen ist erkennbar ex post, also im Wissen der zu Beginn des 12. Jahrhunderts bereits evidenten ‚Hauptstadtfunktion‘ Krakaus, aber ohne reale Grundlage. Vgl. Cosmae chronica (wie Anm. 14), S. 83: „Krakov [Bracislaus ...] ingressus a culmine subvertit et spolia eius obtinuit.“ – Für zutreffend hält diese Nachricht Labuda 1986 (wie Anm. 18), S. 14; die Argumente dagegen auch zusammengestellt bei Krzysztof Polek: Kraków i Małopolska w czasie najazdu Brzetysława I na Polskę, in: Studia Historyczne 29 (1986), S. 495–508. 25 Vgl. Jerzy Wyrozumski: Dzieje Krakowa, Bd. 1: Kraków od schyłku wieków średnich, Krakau 1992, S. 92. 26 Vgl. Wyrozumski 1992 (wie Anm. 25), S. 93. – Jerzy Wyrozumski: Kraków jako sedes regni principales, in: Sedes regni principales. Materiały z konferencji. Sandomierz 20–21 października 1997 r., hg. v. Barbara Trelińska, Sandomir 1999, S. 19–25, hier S. 23 möchte daher in dem bei Gallus genannten castrum quoddam auch Krakau sehen.

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Wenn überdies zutrifft, dass Kasimir in Krakau aufgewachsen ist und an der dortigen Kathedralschule seine Ausbildung erhalten hat,27 läge auch ein nachvollziehbares psychologisches Motiv dafür vor, dass er gerade hier seinen Hauptsitz wählte.

II. Krakau war ein alter Siedlungspunkt, der bereits im 9. Jahrhundert den Mittelpunkt des kleinregionalen Herrschaftsverbandes der Wislanen gebildet hat.28 Sein Kern war der sich 25 Meter über das Weichseltal erhebende Wawel-Fels, bei dem sich wichtige überregionale Verkehrswege kreuzten und eine Furt seit Langem einen leichten Flussübergang ermöglichte. Die vorteilhaften naturräumlichen Gegebenheiten haben dem Ort von Anfang 27 So Labuda 1986 (wie Anm. 18), S. 17. – Wo Kasimir seine schulische Ausbildung erhielt, ist letztlich unbekannt. Da sie aber in den Krakauer Domkapitel-Annalen zum Jahr 1026 vermerkt wird – Annales Cracovienses priores (wie Anm. 2), S. 45: MXXVI „Kazimirus traditur ad discendum“ – erscheint die Krakauer Domschule naheliegend; Gallus Anonymus und Magister Vincentius verweisen später auf ein unbekanntes Kloster als Schulstätte: Galli anonymi cronicae (wie Anm. 1), S. 41: „[...] libere filium educaret“ und S. 47: „[...] quoniam monasterio parvulus a parentibus est oblatus, ibique sacris litte­ ris liberaliter eruditus“; Magistri Vincentii Chronica (wie Anm. 8), S. 46: „Quem [Kazimirum...] cui­ dam cenobio committit alendum.“ – Aus diesen unspezifizierten Hinweisen auf eine klösterliche Ausbildung hat bereits die mittelalterliche Historiographie die Legende entwickelt, dass Kasimir vorübergehend Mönch gewesen sei; dem ist die ältere Forschung teilweise (mit verschiedenen Thesen darüber, welchem Kloster er angehört haben könnte) gefolgt, so Jacques Malinowski: Casimir Ier. Roi de Pologne, Moine de Cluny au XIe siècle, o.O. o.J. – Maleczyński 1966/67 (wie Anm. 3), S. 261. – Stanisław Smolka: Tradycja o Kazimierzu Mnichu (przyczynek do historiografii polskiej XIII w.), in: Rozprawy i sprawozdania z posiedzeń wydziału historyczno-filozoficznego Akademii Umiejętności 6 (1877), S. 323–353. – Tadeusz Wojciechowski: O Kaźmierzu Mnichu, in: Rozprawy Akademii Umiejętności w Krakowie. Wydziały: Filologiczny i historyczno-filozoficzny 5 (1885), S. 1–29; die These eingehend entkräftet von Klaudia Dróżdż: O wykształceniu i rzekomym mnichostwie Kazimierza Odnowiciela, in: Średniowiecze polskie i powszechne, hg. v. Idzi Panić, Kattowitz 1999, Bd. 1, S. 64–74. – Dróżdż 1966/67 (wie Anm. 3), S. 42 f. 28 Vgl. Magnae Moraviae Fontes Historice II, hg. v. Dagmar Bartoňková u. a., Brünn 1967, S. 134–163, hier S. 156: „Pogan’sk- knjaz’, siln’n- vel’mi, sědja v- Vislě, [...]“ – Descriptio civitatum et regionum ad septentrionalem plagam Danubii sive Geographus Bavarus, in: Nemeckie latinojazyčnye istočniki IX– XI vekov. Teksty, perevod, kommentarij, hg. v. Aleksandr V. Nazarenko, Moskau 1993, S. 13 f.: „Vuis­ lane“. – Vgl. auch Kazimierz Radwański: Kraków głównym ośrodkiem organizacji protopaństwowej Wiślan, in: Archeologia w teorii i praktyce, hg. v. Andrzej Buko und Przemysław Urbańczyk, Warschau 2000, S. 535–557. – Kazimierz Radwański: Kraków przedchrześcijański, in: Kraków. Nowe studia nad rozwojem miast, hg. v. Jerzy Wyrozumski, Krakau 2007, S. 89–120, bes. S. 99 f. – Emil Zaitz: Osadnictwo wczesnośredniowieczne na terenie Krakowa / Settlement Colonization on the Area of Krakow in the Early Middle Ages, in: Kraków w chrześcijańskiej Europie X–XIII wieku / Krakow in the 10th–13th Century Christian Europe, Ausst. Kat. Muzeum Historyczne Miasta Krakowa, hg. v. Michał Niezabitowski u. a., Krakau 2006, S. 220–272, bes. S. 226–238.

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an eine herausgehobene Position verliehen. Mitte der 960er Jahre nahm ihn der jüdische Reisende Ibrahim ibn Jakub allerdings noch als ein přemyslidisches Zentrum wahr, das er als den nach Prag bedeutendsten Handelsplatz des böhmischen Herzogtums bezeich­ nete.29 Auch das sogenannte Dagome iudex Regest, der aus dem 11./12. Jahrhundert stammende Zeuge jenes merkwürdigen Schenkungsaktes, mit dem Mieszko I. sein regnum gegen Ende seines Lebens symbolisch dem Papst übertrug, führt Krakau noch als an oder gar jenseits der Grenze der civitas Schinesghe, der Gnesener Herrschaftsbildung Mieszkos, liegend an.30 Wann Krakau in das piastische regnum eingegliedert wurde, ob noch von Mieszko I. in den späten 980er Jahren oder erst gegen Ende des 10. Jahrhunderts, wie Cosmas von Prag erzählt,31 ist letztlich nicht eindeutig zu klären. Im Frühjahr des Jahres 1000 jedenfalls wurde der Weichsel-Vorort zu einem Suffraganbistum der neu errichteten polnischen Kirchenprovinz erhoben.32 Aus dem beginnenden 11. Jahrhundert stammen 29 Vgl. Dmitrij Mishin: Ibrahim ibn-Ya’qub at-Turtushi’s Account of the Slavs from the Middle of the Tenth Century, in: Annual of Medieval Studies at the CEU 1994/1995 (1996), S. 184–199, hier S.  185 f.: „As for the country of Buyaslaw, its extension from F.raghah to Karakwa equals to three weeks of travel [...]. The city of F.raghah is built of stones and limestone. It is the richest place in goods. Russians and Slavs come there from Karakwa with goods.“ 30 Kodeks dyplomatyczny Wielkopolski, Bd. 1: zawiera dokumenty numera 1–616 lata 984–1287, hg. v. Ignacy Zakrzewski, Posen 1877, Nr. 2: „[...] Schinesghe, cum omnibus suis pertinentiis infra hos affines: sicuti incipit a primo latere longum mare fine Pruzze usque in locum qui dicitur Russe, et fine Russe exten­ dente usque in Craccoa, et ab ipsa Craccoa usque ad flumen Oddere.“– Zum jüngsten Forschungsstand vgl. Gerard Labuda: Stan dyskusji nad dokumentem „Dagome iudex“ i państwem „Schinesghe“, in: Civitas Schinesghe cum pertinentiis, hg. v. Wojciech Chudziak, Thorn 2003, S. 9–17. – Adam Łukaszewicz: O „Dagome iudex“ czyli papirus a sprawa polska, in: Przegląd Historyczny 103 (2012), S. 365–380. – Przemysław Nowak: Regest dokumentu Dagome iudex w świetle najnowszych badań interdyscyplinarnych, in: Spór o początki państwa polskiego. Historiografia, tradycja, mit, propaganda, hg. v. Wojciech Drelicharz u. a., Krakau 2016, S. 179–198. – Joachim Stephan: Warum werden im „Dagome iudex“ Oda als „senatrix“ und Mieszko als „iudex“ bezeichnet?, in: Slavia Antiqua 51 (2010), S. 127–132. – Przemysław Wiszewski: Dagome iudex – Mieszko I wobec Rzeszy, in: Świat średniowiecza. Studia ofiarowane Profesorowi Henrykowi Samsonowiczowi, hg. v. Agnieszka Bartosiewicz u. a., Warschau 2010, S. 441–453. 31 Cosmae Chronica (wie Anm. 14), S. 60: „[...] anno dominice incarnationis DCCCCLXXXXVIIII [...] dux Poloniensis Mesco [...] urbem Kracov abstulit dolo.“ – Wie viele andere Datierungen des Cosmas erweist sich auch diese, wie der falsche Bezug auf den schon 992 verstorbenen Mieszko zeigt, als wenig zuverlässig. – Vgl. Gerard Labuda: Studia nad początkami państwa polskiego, Bd. 2, Poznań 1988, S. 264–293. – Henryk Łowmiański: Bolesław Chrobry w Krakowie w końcu X wieku, in: Małopolskie Studia Historyczne 4 (1961), S. 3–12, hier S. 3 f. 32 Vgl. Gerard Labuda: Die Gründung der Metropolitanorganisation der polnischen Kirche auf der Synode in Gnesen am 9. und 10. März 1000, in: Acta Poloniae Historica 84 (2001), S. 5–30. – Christian Lübke: Kaiser Otto III. und die Gründung der polnischen Kirche im Jahr 1000, in: Salsa Cholbergiensis. Kołobrzeg w średniowieczu, hg. v. Lech Leciejewicz und Marian Rębkowski, Kolberg 2000, S. 67–72. – Roman Michałowski: The Gniezno Summit. The Religious Premises of the Founding of the Archbishopric of Gniezno (East Central and Eastern Europe in the Middle Ages 450–1450,

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auch die ältesten dendrochronologisch datierten Fragmente einer Befestigungsanlage, mit der spätestens Bolesław I. den Herrschersitz auf dem Wawel, dessen natürlichen Schutzlage ergänzend, befestigt hat.33 Erst seit dem frühen bis mittleren 11. Jahrhundert wird auch die Innenbebauung des – in späteren Jahrhunderten stark überbauten und daher wenig günstige Bedingungen für archäologische Untersuchungen bietenden – knapp fünf Hektar großen Wawel-Geländes klarer erkennbar. Die Archäologen und Bauforscher haben hier etwa ein Dutzend steinerne vorromanische und romanische Gebäude oder Gebäudereste ermittelt, deren Interpretation zwar im Einzelnen umstritten ist, die als Gesamtphänomen aber keine Zweifel daran lassen, dass der Krakauer Wawel bereits im 11. Jahrhundert das bedeutendste Architekturensemble des piastischen Polen beherbergte.34 Welche der Gebäude bereits zur Zeit Bolesławs I. entstanden, welche von Mieszko II. in Auftrag gegeben wurden (der seit seiner Eheschließung mit Richeza im Jahr 1013 wahrscheinlich in Krakau lebte und von dort aus bis 1025 eine eigene Teilherrschaft ausübte),35 welche zwischen 1040 und 1058 von Kasimir initiiert36 und welche erst seine

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Bd. 38), Leiden 2016, bes. S. 81–94. – Jerzy Wyrozumski: Der Akt von Gnesen und seine Bedeutung für die polnische Geschichte, in: Polen und Deutschland vor 1000 Jahren. Die Berliner Tagung über den „Akt von Gnesen“, hg. v. Michael Borgolte (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 5), Berlin 2002, S. 281–291. Vgl. Andrzej Kukliński: Pierwsze odkrycie wału wczesnopiastowskiego (?) na Wawelu datowanego dendrochronologicznie, in: Sprawozdania Archeologiczne 47 (1995), S. 237–254.  – Andrzej Kukliński: Wczesnośredniowieczne warstwy osadnicze Krakowa-Wawelu (odkryte w wykopie 1 c, rejon IX) a relikty jego wału obronnego datowanego dendrochronologicznie na okres po 1016 roku, in: Sprawozdania Archeologiczne 50 (1998), S. 271–292. – Andrzej Kukliński: Wczesnośredniowieczne obwałowania Wawelu w Krakowie, in: Sprawozdania Archeologiczne 55 (2003), S. 33–81. – Marek Krąpiec: Dendrochronologiczne datowanie węgli drzewnych z wczesnośredniowiecznego wału na Wawelu, in: Sprawozdania Archeologiczne 50 (1998), S. 293–298. Vgl. Monika Bober: Architektura Przedromańska i Romańska w Krakowie. Badania i interpretacje, Rzeszów 2008. – Janusz Firlet / Zbigniew Pianowski: Uwagi o topografii wczesnośredniowiecznego Wawelu, in: Acta Archaeologica Waweliana 3 (2006), S. 43–59. – Janusz Firlet / Zbigniew Pianowski: Nowe odkrycia i interpretacje architektury przedromańskiej i romańskiej na Wawelu, in: Architektura romańska w Polsce, hg. v. Tomasz Janiak, Gnesen 2009, S. 251–278. – Zbigniew Pianowski: Die älteste Monumentalarchitektur Kleinpolens, in: Quaestiones Medii Aevi Novae 5 (2000), S. 209– 254. – Zbigniew Pianowski: Architektura monumentalna wczesośredniowiecznego Krakowa / Monumental Architecture of Early Medieval Krakow, in: Kat. Krakau 2006 (wie Anm. 28), S. 162–219. Vgl. Labuda 2008 (wie Anm. 2), S. 35–49. Von den elf bei Zygmunt Świechowski: Katalog architektury romańskiej w Polsce, Warschau 2009, S. 209–228 katalogisierten Gebäude(fragmente)n des Wawels werden nur zwei in die Zeit Kasimirs datiert: die St. Gereonskirche (S. 219) und der sogenannte 24-Säulen-Saal (S. 223). Die ältere Forschung, wie beispielsweise Balzer 1916 (wie Anm. 23), S. 36–37 oder Tadeusz Wojciechowski: Kościół katedralny w Krakowie, Krakau 1900, S. 181, hat mitunter auch die Errichtung der Leonardskrypta unter dem ältesten romanischen Kathedralbau, der nach heutigem Stand zusammen mit der Krypta in der Zeit von ca. 1090 bis 1142 errichtet wurde, der Initiative Kasimirs zugeschrieben.

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Söhne und Nachfolger Bolesław II. und Władysław Herman errichten oder fertigstellen ließen, wird in der Forschung nach wie vor kontrovers diskutiert und muss, da in diesem Band an anderer Stelle behandelt, hier nicht im Detail erörtert werden.37 Nördlich an den Wawel-Komplex schloss sich auf einem überschwemmungsfreien, kegelförmigen Gelände eine Vorburgsiedlung an, die den bezeichnenden Namen Okół (Umkreis) trug. Dieses etwa zehn Hektar große Suburbium wurde zu Beginn des 11. Jahrhunderts mit einem Wall befestigt, dem rund 450 Meter nördlich des Wawels, da wo eine natürliche Begrenzung des sandigen Geländes fehlte, zusätzlich ein Graben vorgelagert wurde.38 Die Vorburgsiedlung beherbergte offenbar früh eine bedeutende Gemeinschaft von (Fern-)Händlern und Gewerbetreibenden, die im 11. Jahrhundert eine dynamische Entwicklung erlebte. Davon zeugt zum einen ihre Ausdehnung über die Okół-Grenzen hinaus auf jenes Gelände, auf dem sich zunächst ein Gräberfeld ausdehnte, später dann die Lokationsstadt entstand39 und bereits im frühen 11. Jahrhundert eine – zunächst hölzerne – Adalberts-Kirche errichtet wurde.40 Zum anderen manifestierte sich das Potenzial des Okółs in der Stiftung neuer Kirchen (St. Ägidius, St. Maria-Magdalena, St. Martin, St. Andreas, St. Peter), deren steinerne Ausführung freilich in keinem Fall in die Zeit vor 1080 datiert, also nicht mit dem Wirken Kasimirs in Verbindung gebracht werden kann.41 37 Vgl. die Beiträge von Aneta Bukowska und Sebastian Ristow in diesem Band. Auch der Frage, ob die im 11.  Jahrhundert zu beobachtende kirchentopographische Gestalt Krakaus, wie Roman Michałowski meint, als eine bewusste Nachbildung der Sakraltopographie des ottonischen Aachen interpretiert werden kann, soll hier nicht weiter nachgegangen werden. Vgl. Roman Michałowski: Aix-la-Chapelle et Cracovie au XIe siècle, in: Bullettino dell’Istituto storico italiano per il medio evo 95 (1989), S. 45–69. – Roman Michałowski: Princeps fundator. Studium z dziejów kultury politycznej w Polsce X–XIII wieku, Warschau 1993, S. 71–88. – Roman Michałowski: Princeps fundator. Monarchische Stiftungen und politische Kultur im piastischen Polen (10.–13. Jahrhundert), in: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen, hg. v. Eduard Mühle (Stiftungsgeschichten, Bd. 9), Berlin 2013, S. 37–108, hier S. 43–70. 38 Vgl. Teresa Radwańska: Umocnienia Okołu w Krakowie, in: Materiały Archeologiczne 12 (1971), S. 15–40. – Kazimierz Radwański: Kraków przedlokacyjny. Rozwój przestrzenny, Krakau 1975, bes. S. 110–128. 39 Vgl. Jerzy Wyrozumski: Lokacja 1257 roku na tle rozwoju krakowskiego zespołu osadniczego, in: Kraków: europejskie miasto prawa magdeburskiego 1257–1791, Ausst. Kat. Muzeum Historyczne Miasta Krakowa, hg. v. Grażyna Lichończak-Nurek u. a., Krakau 2007, S. 34–48. – Jerzy Wyrozumski: Eine Lokation oder mehrere Lokationen Krakaus nach deutschem Recht, in: Rechtsstadtgründungen im mittelalterlichen Polen, hg. v. Eduard Mühle (Städteforschung. Reihe A: Darstellungen, Bd. 81), Köln u. a. 2011, S. 245–274. 40 Vgl. Kazimierz Radwański: Budowle drewniane odkryte pod poziomami romańskimi kościoła św. Wojciecha w Krakowie, in: Materiały Archeologiczne 11 (1970), S. 7–24. 41 Vgl. Aleksander Grygorowicz: Kościół św. Andrzeja w Krakowie we wczesnym średniowieczu, in: Rocznik Krakowski 39 (1968), S. 5–37. – Pianowski 2006 (wie Anm. 34), S. 186–190. – Świechowski 2009 (wie Anm. 36), S. 241–249.

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Mit den Kirchen und Wohnbezirken, den Markteinrichtungen und Werkstätten seines Suburbiums, mit dem Pfalz- und Kathedralkomplex auf dem Wawel sowie mit ersten, auch an seiner Peripherie entstandenen Kirchen und Gehöften war Krakau aber auch schon um 1040 eine der größten und bedeutendsten piastischen Siedlungsagglomera­ tionen.42 Als solche musste die Burgstadt dem heimkehrenden Herzog als ein besonders geeigneter Stützpunkt für sein Erneuerungswerk erscheinen.

III. Seine Anstrengungen um die Rückeroberung Schlesiens und Masowiens stützte Kasimir nicht allein auf deutsche Hilfe. Fast umgehend nach seiner Rückkehr schloss er ein Bündnis mit dem Kiever Großfürsten Jaroslav I. Vladimirovič, das durch zwei Eheverbindungen bekräftigt wurde. Wann genau zwischen 1039 und 1043 Kasimir die Kiever Fürstentochter Dobronega zur Frau nahm, ist dabei ebenso unsicher wie die Frage, ob es sich um eine Schwester oder Tochter Jaroslavs gehandelt hat.43 Ein Sohn des Kiever Großfürsten, Izjaslav, heiratete im Gegenzug (wohl 1043) eine Schwester Kasimirs, Gertruda.44 Der neue 42 Jerzy Piekalski: Praga, Wrocław i Kraków. Przestrzeń publiczna i prywatna w czasach średniowiecznego przełomu, Breslau 2014, S. 54–59. – Wyrozumski 1992 (wie Anm. 25), S. 88–92. – Zaitz 2006 (wie Anm. 28), S. 244–257. 43 Galli anonymi cronicae (wie Anm. 1), S. 44 erwähnt lediglich die Eheschließung („de Rusia nobilem cum magnis divitiis uxorem accepit“), während die rus’ische Nestorchronik zum Jahr 1043 berichtet, dass Jaroslav seine Schwester Kasimir zur Frau gab – Šachmatov 1950 (wie Anm. 14), S. 104: „vdast’ Jaroslav’ sestru svoju za Kazimira“. Diese Nachricht hat die ältere Forschung (Aleksander Brückner, Stanisław Kętrzyński) angesichts des zu hohen Altersunterschiedes der Ehepartner in Zweifel gezogen; den Namen der Ehefrau nennen erstmals die Annales Cracovienses priores (wie Anm. 2), S. 53: MLXXXVII „Dobronega uxor Kazimiri obiit“. – Vgl. Oswald Balzer: Genealogia Piastów, 2. Aufl. Krakau 2005, S. 160–165. – Dróżdż 2009 (wie Anm. 3), S. 88–95. – Manfred Hellmann: Die Heiratspolitik Jaroslavs des Weisen, in: Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 8 (1962), S. 7–25, bes. S. 17–19. – Jasiński 1984 (wie Anm. 3), S. 134–139. 44 Die in der Povest’ nicht enthaltene Nachricht findet sich in jüngeren rus’ischen Chroniken zum Jahr 1043: Kazimir‘ dast‘ sestru svoju za Izjaslava, syna Jaroslavlja – Polnoe sobranie russkich letopisej, Bd. 5 (Sofijskaja letopis‘), S. 138; Bd. 7 (Letopis‘ po voskresenskomu spisku), S. 331; Bd. 9 (Patriaršaja ili Nikonovskaja letopis‘), S. 83. – Vgl. Balzer 2005 (wie Anm. 43), S. 169. – Jasiński 1984 (wie Anm. 3), S. 144–147. – Erst spät hat die Forschung die in den zeitgenössischen Quellen nicht mit Namen genannte polnische Ehefrau Izjaslavs mit der Autorin der im Psalterium Egberti überlieferten Gebete in Verbindung gebracht, die sich selbst als ego Gertruda benannt hat. Vgl. Brygida Kürbis: Gertrudianische Gebete im Psalterium Egberti. Ein Beitrag zur Geschichte der Frömmigkeit im 11. Jahrhundert, in: Europa Slavica – Europa Orientalis. Festschrift für Herbert Ludat zum 70. Geburtstag, hg. v. Klaus-Detlev Grothusen und Klaus Zernack (Osteuropastudien der Hochschulen des Landes Hessen. Reihe 1: Gießener Abhandlungen zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des europäischen Ostens, Bd. 100), Gießen 1980, S. 249–261. – Teresa

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Verwandte kam vor allem im Kampf gegen den masowischen Usurpator Masław zur Hilfe, dessen Expansion in westrus’ische Gebiete Jaroslav offenbar fürchtete – weshalb seine Hilfe für Kasimir keineswegs uneigennützig war. Ein erster Feldzug bereits im Jahr 1041, bei dem der Kiever Großfürst „in Booten gegen die Masowier“ zog, scheint zunächst wenig erfolgreich gewesen zu sein.45 Erst 1047, als Jaroslav nach Auskunft der Sofijskaja letopis’ ein drittes Mal gegen die Masowier zog und ihren Fürsten Masław (Moislav) tötete,46 gelang der rus’isch-piastischen Koalition der entscheidende Schlag, sodass Masowien wieder vollständig in das piastische regnum integriert werden konnte. Das Verdienst dafür hat Gallus Anonymus selbstverständlich Kasimir allein zugeschrieben: „Kasimir, empört darüber, dass ein Knecht seines Vaters und auch sein eigener Knecht Masowien gewalttätig behaupte, und in der Meinung, dass ihm schwerer Schaden und Gefahr drohe, wenn er sich nicht räche, sammelte eine zahlenmäßig zwar kleine, aber kampferfahrene Schar von Kriegern, stieß bewaffnet mit ihnen zusammen, tötete Masław und errang Sieg und Frieden und das ganze Vaterland im Triumph.“47 In ähnlich triumphaler Weise besiegte Kasimir laut Gallus auch die Pomoranen, die die polnischen Unruhen der 1030er Jahre genutzt hatten, um sich dem piastischen Zugriff zu entziehen, und offenbar immer wieder auch dem masowischen Usurpator zu Hilfe gekommen waren.48 Allerdings dürften sich Kasimirs Erfolge hier ­darauf beschränkt haben, ein pomoranisches Übergreifen auf großpolnisch-kujawisch-masowisches Gebiet abzuwehren bzw. zurückzudrängen und kaum die Wiederherstellung einer piastischen Oberherrschaft über die Pomoranen impliziert haben. Im Juni 1046 traten Kasimir und der Pomoranen-Fürst Zemuzil anlässlich eines Hoftages in Merseburg jedenfalls ranggleich vor König Heinrich III., der wenige Tage später bei einer weiteren Zusammenkunft in Meißen Frieden zwischen ihnen und dem Böhmenherzog Břetislav stiftete.49

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Michałowska: Ego Gertruda. Studium historycznoliterackie, Warschau 2001. Die Gebete neuerdings ediert in Liber precum Gertrudae ducissae e Psalterio Egberti cum Kalendario, hg. v. Małgorzata H. Malewicz u. Brygida Kürbis (Monumenta Sacra Polonorum, Bd. 2), Krakau 2002. Šachmatov 1950 (wie Anm. 14), S. 103: „V lěto 6549 [=1041]. Ide Jaroslav‘ na mazov’šany, v‘ lod’jach‘.“ Sofijskaja letopis‘ (wie Anm. 44), S. 138: „Ide Jaroslav’ tretie na Mazavšany, i pobědi ja, i knjazja ichubi Moislava, i pokori zemlju tu Kazimiru.“ Galli anonymi cronicae (wie Anm. 1), S. 45 f.: „Kazimirus indignans servum patris ac suum Mazouiam violenter obtinere, sibique grave dampnum existimans et periculum, ni se vindicet, imminere, collecta pauca quidem numero manu bellatorum sed assueta bellis, armis congressus, Meczzlauo perempto, victoriam et pacem totamque patriam triumphaliter est adeptus.“ Vgl. Galli anonymi cronicae (wie Anm. 1), S. 46 f.: „Pomoranorum exercitui [...] Kazimirus cum paucis indubitanter obviam properavit. [...] prelium introivit, magnamque victoriam acquisivit.“ Vgl. Annales Altahenses maiores, hg. v. Edmund Oefele (MGH SS in us. Schol. 4), Hannover 1891, S. 41: „Bratizlao dux Boemorum, Kazmir Bolaniorum, Zemuzil Bomeraniorum advenerit atque regem donis decentibus honoraverunt. [...] Mihsina [...], ubi etiam conventionem secundo habens duces praefatos inter se pacificavit.“

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Mit Letzterem hatte sich Kasimir zu diesem Zeitpunkt bereits einige Jahre lang um Schlesien gestritten. Dessen Rückeroberung für das piastische regnum erwies sich als deutlich schwieriger als der Kampf um Masowien.50 Anders als an der nordöstlichen Peripherie waren Erfolg und Misserfolg im südwestlichen Grenzbereich in weit stärkerem Maße dem komplexen Beziehungsgeflecht unterworfen, das zwischen dem Reich, Böhmen, Ungarn und Polen bestand und dessen Konstellationen mitunter abrupten Wandlungen unterworfen waren. Zugute kam Kasimir in diesem Zusammenhang, dass er mit der Familie seiner Mutter im Reich über einen enormen Rückhalt und erhebliches symbolisches ­Kapital verfügte; seine Onkel bekleideten herausgehobene Positionen – Hermann II. war seit 1036 Erzbischof von Köln, Otto seit 1035 Pfalzgraf von Lothringen (und später, 1045 bis 1047, Herzog von Schwaben); sein Vetter Konrad wurde 1049 als Herzog von Bayern eingesetzt und seine fünf Tanten, die Schwestern seiner Mutter, standen als Äbtissinnen wohlhabenden und einflussreichen Frauenklöstern vor.51 So konnte und wollte der König den piastischen Thronerben nicht ignorieren. Im Gegenteil, Kasimir unter die Arme zu greifen, musste ihm im eigenen Interesse ratsam erscheinen – und sei es nur zu dem Zweck, ihn als Gegengewicht zum Böhmenherzog Břetislav aufzubauen, den Heinrich nicht zu stark werden lassen wollte. Die königliche Unterstützung wiederum verpflichtete Kasimir seinerseits gegenüber dem Reich,52 sodass angenommen werden darf, dass er dem König im Sommer 1040 und Sommer 1041 bei dessen Feldzügen gegen Břetislav zur Seite gestanden haben wird.53 Schließlich wurden diese auch als Vergeltungszüge für Břetislavs Verwüstungen in Polen ausgegeben.54 Der Ertrag, den sich der Piastenherzog von seiner Unterstützung Heinrichs in Hinblick auf Schlesien erhofft haben dürfte, blieb zunächst aber begrenzt. Zwar versprach der im September 1041 geschlagene Břetislav, alle in Polen gemachten Gefangenen freizulassen und auch alle Eroberungen zurückzugeben. Doch als er sich dann einen Monat später Heinrich III. auf einem Hoftag in Regensburg unterwarf, schien der König entschieden zu haben, dass Schle50 Vgl. Rymar 1987 (wie Anm. 16), S. 142, 152, 159 vertritt dagegen die nicht überzeugende Ansicht, dass Kasimir Schlesien vor Masowien zurückerobert und bereits seit 1041 wieder ganz in das polnische regnum integriert habe. 51 Zur Familie vgl. Ursula Lewald: Die Ezzonen. Das Schicksal eines rheinischen Fürstengeschlechts, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 43 (1979), S. 120–168. – Beuckers 1993 (wie Anm. 9) und Beuckers 2014 (wie Anm. 9). 52 Die Frage, ob Kasimirs Verpflichtung hier die Form eines Lehns- oder eines Tributärverhältnisses angenommen hat, wird in der Forschung unterschiedlich gesehen. Vgl. Rymar 1987 (wie Anm. 16), S. 137–142. 53 Vgl. Max Perlbach: Die Kriege Heinrichs III. gegen Böhmen 1039–1041, in: Forschungen zur Deutschen Geschichte 10 (1870), S. 427–465. 54 Die Reichschronik (wie Anm. 16), S. 382: „Rex [...] expeditionem suam in regionem Boemiae pro vasta­ tione Polonie destinavit.“ Dass Kosmas die königliche Motivation auf schnöde Geldgier reduziert, überrascht nicht. – Cosmae Pragenesis Chronica (wie Anm. 14), S. 93: „Et mandans [Heinricus...], ut ar­ gentum, quod in Polonia [Boemi] rapuerunt, [...] usque ad unum obolum, sibi mittant.“

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sien besser weiterhin bei Böhmen verbleibe.55 Dem König war offensichtlich nicht daran gelegen, aus der Unterwerfung des böhmischen Herzogs sogleich eine Stärkung des polnischen Herzogs werden zu lassen. Dass dieser darüber wenig erfreut war, brachte er noch über ein Jahr später deutlich zum Ausdruck, als er sich weigerte, auf dem weihnachtlichen Hoftag in Goslar zu erscheinen. Der König reagierte seinerseits mit der Abweisung der piastischen Gesandten, die erst im Februar 1043 bei einem zweiten Besuch gebührend empfangen wurden, während Kasimir dem Hof weiterhin fernblieb.56 Auch mit seinen Bemühungen um eine eigenständige Politik gegenüber Ungarn dürfte Kasimir den Unmut des Königs erregt haben; statt Heinrichs Favoriten Peter Orseolo zu unterstützen, hielt er es mit den an seinen Hof geflüchteten Gegenkandidaten Béla und Andreas. Diese durch die Ehe einer weiteren Schwester Kasimirs mit Béla gestützte Bündnispolitik ging längerfristig insofern auf,57 als Andreas 1046 den ungarischen Königsthron bestieg. Doch half dies Kasimir in Schlesien nicht wirklich weiter, denn zur gleichen Zeit scheint der König auf den Hoftagen zu Merseburg und Meißen, zu denen der Piastenherzog nun auch persönlich erschien, den Beschluss vom Herbst 1041 noch einmal bestätigt und mit dem zwischen Kasimir und Břetislav vollzogenen Friedensschluss Schlesien weiterhin den Böhmen zugesprochen zu haben.58 Da auch weitere diplomatische Bemühungen um dessen Rückgabe erfolglos blieben, griff Kasimir schließlich zum Mittel der Gewalt. Er nutzte die außen- und innenpolitischen Bedrängnisse des Königs, um sich 1050 handstreichartig in den Besitz der ihm vorenthaltenen Provinz zu bringen. Der umgehend vorbereiteten Gegenreaktion des Königs kam er geschickt – und sicher mit Unterstützung seiner deutschen Familie – zuvor, indem er Heinrich in Goslar aufsuchte, sich vor ihm erfolgreich rechtfertigte und so tatsächlich in Gnade nach Hause entlassen wurde.59 Es darf vermutet werden, dass diese Rehabilitierung das Versprechen Ka55 Vgl. Annales Altahenses maiores (wie Anm. 49), S. 27 f.: „Promisit [...] omnes captivos de Bolonia red­ diturum et quicquid caesari vel cuiquam purpuratorum vi vel fraude subtraxisset, totum in integrum resti­ tuturum. [...] et nihil plus Boloniae vel ullius regalis provinciae sibimet submittere, nisi duas regiones, quas ibi meruit suscipere.“ Zwar ist nicht gänzlich klar, welche Regionen sich hinter den duas regiones verbergen, doch nimmt die Forschung mehrheitlich an, dass es sich um (das Breslauer und Oppelner) Schlesien oder um Schlesien und Mähren gehandelt hat; vgl. Dróżdż 2009 (wie Anm. 3), S. 107 f.  – Kętrzyński 1899 (wie Anm. 3), S. 68 f. 56 Vgl. Annales Altahenses maiores (wie Anm. 49), S. 32: „Bulanici ducis nuncii cum muneribis suis reiecti nec praesentiam caesaris aut affatum meruerunt, quia ipse, iuxta quod iussus erat, noluerat venire. Missa tamen denuo legatione se excusat et, quia venire non potuerit, iusiurandum promittendo confirmavit, sicque gratiam recipere regis meruit.“ 57 Vgl. Rodowód 1984 (wie Anm. 3), S. 147–151. 58 Vgl. Annales Altahenses maiores (wie Anm. 49), S. 41. 59 Vgl. Annales Altahenses maiores (wie Anm. 49), S. 46 f.: „Tum accusatur Kazemer dux Bolaniorum, quod vi sibi usurparit provinciam datam ab imperatore Boiemorum duci. In villa regia Goslarae ad impe­ ratorem venit et obiectum iureiurando excusavit; in quibus culpabilis fuit, hoc iuxta placitum imperatoris correxit, accepta gratia domum rediit.“

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simirs vorausgesetzt hatte, die eroberten schlesischen Gebiete an Břetislav zurückzugeben. Doch es darf ebenso vermutet werden, dass sich Kasimir an dieses Versprechen nicht gehalten hatte, konnte er doch darauf setzen, dass der König angesichts seiner eigenen Probleme die Einhaltung des Versprechens kaum gewaltsam einfordern würde; zu sehr war er auf den Beistand des Piasten im Konflikt mit Ungarn sowie dessen Neutralität in seiner Auseinandersetzung mit Konrad von Bayern angewiesen. Am Ende hat der König den Konflikt im Mai 1054 auf einem Hoftag in Quedlinburg dann auch mit Hilfe eines friedlichen Kompromisses beigelegt, der zwar beide Kontrahenten nicht wirklich zufriedengestellt haben dürfte, aber den Streit der­gestalt schlichtete, dass Kasimir Schlesien endgültig und offiziell seinem regnum eingliedern konnte, Břetislav dafür aber einen jährlichen Tribut in Höhe von 500 Mark Silber und 30 Mark Gold erhielt.60 Vier Jahre vor seinem Tod hatte der restaurator damit das regnum Poloniae territorial weitgehend wiederhergestellt.

IV. Auch der mühsame innere Wiederaufbau der herzoglichen Verwaltung und der Kirchenorganisation erfolgte allem Anschein nach vor allem von Krakau aus. Über die Reorganisation der weltlichen Verwaltung wissen wir so gut wie nichts. Vermutet werden darf, dass Kasimir die extrem kostspielige direkte herzogliche Unterhaltung einer Gefolgschaft (drużyna), die nicht zuletzt zu den Problemen der 1030er Jahre beigetragen hatte, zugunsten eines modifizierten Systems der Kriegeraufbietung aufgegeben haben wird. Anscheinend begann er, seinen Kriegern Land auszugeben, dessen Besitz zur Grundlage ihrer Unterhaltung wurde und für das sie im Gegenzug ihre Kriegsdienste leisteten.61 Sollte dem tatsächlich so gewesen sein, könnten mit der restauratio Kasimirs auch die Anfänge des polnischen Adels im Sinne einer besonderen ritterlichen Gesellschaftsschicht verbunden werden.62 Die Wiederherstellung einer funktionierenden Kirchenorganisation war erheblich durch den Umstand erschwert, dass die Kathedralen der ältesten und wichtigsten Kir60 Vgl. Cosmae Pragenesis Chronica (wie Anm. 14), S. 101: MLIIII „Urbs Wratizlau et alie civitates a duce Bracizlao reddite sunt Poloniis ea conditione, ut quam sibi tam suis successoribus quingentas marcas argenti et XXX auri annuatim solverent.“ – Annales Altahenses maiores (wie Anm. 49), S. 50: „[...] im­ perator [...] ad se ducum Boiemicum ac Bolanicum evocat eosque post longissimam disceptationem inter se pacatos domum remittit.“ 61 Vgl. Galli anonymi cronicae (wie Anm. 1), S. 46: „[...] quidam non de nobilium genere, sed de gregariis militibus nobiliter opem tulit morituro, quod bene Kazimirus sibi restituit in futuro; nam et civitatem ei contulit et eum dignitate inter nobiliores extulit.“ 62 Vgl. Tomasz Jurek: Die Entstehung des polnischen Adels, in: Studien zum Adel im mittelalterlichen Polen, hg. v. Eduard Mühle (Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien, Bd. 25), Wiesbaden 2012, S. 13–117, bes. S. 23–26.

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chenzentren – Posen und Gnesen – in Trümmern lagen63 und zugleich ihrer politisch so wirkmächtigen heiligen Symbole, der Reliquien des Heiligen Adalbert, der seines Bruders Gaudentius, des ersten Gnesener Erzbischofs, sowie der Gebeine der Fünf Märtyrerbrüder, beraubt waren. Ohne deren Rückführung schien eine Restauration der Gnesener Metropolie schwer vorstellbar. Kasimir hat denn auch sogleich nach seiner Rückkehr bei König und Papst interveniert und beide gebeten, den Böhmenherzog zur Herausgabe der geraubten Kirchenschätze zu veranlassen. Cosmas von Prag, dem wir eine parteiische Schilderung dieser piastischen Vorstöße verdanken, hat ziemlich unverblümt beschrieben, wie der Böhmenherzog die Kurie bestechen ließ, um das fast schon zu seinen Ungunsten gefällte päpstliche Urteil abzuwenden.64 Tatsächlich begnügte sich Benedikt IX. am Ende mit einer Rüge, dass Břestislav die Reliquien ohne vorherige päpstliche Zustimmung aus Gnesen nach Prag habe überführen lassen, wofür er zur Buße in Böhmen ein neues Kloster errichten sollte.65 Die Reliquien aber blieben in Prag und alle weiteren Bemühungen Kasimirs, den Böhmenherzog doch noch zu ihrer Herausgabe zu bewegen, erfolglos. Ihre triumphale Rückführung nach Gnesen hätte, so darf vermutet werden, zweifellos sogleich die Wiedererrichtung der Gnesener Metropolie zur Folge gehabt. Doch da dieses entscheidende symbolische Kapital verloren blieb, blieben auch die Kathedrale einstweilen wüst und die großpolnische Kirche vernachlässigt. Stattdessen konzentrierte sich Kasimir auch in kirchlicher Hinsicht zunächst auf Krakau und bemühte sich, vor allem von dort aus die Wiederbelebung des polnischen Kirchenlebens zu befördern. Gallus Anonymus hebt am Ende seiner Ausführungen zu Kasimir nur sehr pauschal hervor, „dass er die heilige Kirche mit innigem Gefühl der Frömmigkeit geehrt, vornehmlich aber Mönche und die Gemeinschaf­ ten der ehrwürdigen Nonnen gefördert habe“,66 ohne hierzu nähere Details zu bieten. Andere, auswärtige und jüngere Quellen bieten wiederum nur vereinzelte Details, die viel Raum für kontroverse Deutungen lassen. So bleibt umstritten, ob Kasimir bereits 1044 das Kloster Tyniec gestiftet und mit Mönchen aus dem Rheinland (unter anderem aus dem mütterlichen Familienkloster Brauweiler) besetzt hat,67 ob er, nachdem er (oder der 63 Vgl. die Nachricht des Annalista Saxo (Die Reichschronik [wie Anm. 16], S. 385), der zufolge der Mainzer Erzbischof Bardo 1042 den Prager Bischof Severus vor sein Gericht ziehen wollte, „quod de­ structor esset ecclesiarum Polonie“. 64 Cosmae Pragenesis Chronica (wie Anm. 14), S. 92: „[...] ducis missi et episcopi circuentes corruperunt pecunia cardinalium astuciam, auro subplantant iusticiam, mercantur precio clementiam, muneribus leni­ unt iudicialem sententiam.“ 65 Vgl. Cosmae Pragenesis Chronica (wie Anm. 14), S. 93. 66 Galli anonymi cronicae (wie Anm. 1), S. 47: „[...] sanctamecclesiam affectu magno pietatis honorasse, sed precipue monachos sanctarumque monialium congregaciones augmentasse [...].“ 67 Vgl. Marek Derwich: Rola Tyńca w rozwoju monastycyzmu benedyktyńskiego w Polsce, in: Benedyktyni tynieccy w średniowieczu. Materiały z sesji naukowej Wawel–Tyniec, 13–15 października 1994, hg. v. Klementyna Żurowska, Krakau 1995, S. 99–120, bes. S. 102 f. – Dróżdż 2009 (wie Anm. 3), S. 129–134. – Marian Kanior: Początki Tyńca, in: Fontes Archaeologici Posnanienses 49 (2013),

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Kölner Erzbischof ) 1046 den Benediktinermönch (schottischer Abstammung und Abt von Tyniec?) Aaron zum Bischof von Krakau erhoben hatte, diesen anschließend (1048/49?) auch zum Erzbischof weihen ließ,68 ob tatsächlich schon 1046 mit Hieronymus auch für Breslau ein neuer Bischof investiert wurde69 und ob von einem (von Aaron vielleicht nur ad personam verwalteten) Krakauer Erzbistum aus auch bereits – und dies gegen die offenbaren Widerstände des Magdeburger Erzbischofs, der die Situation zu nutzen versuchte, um seine eigenen Ansprüche auf Posen zu erneuern – die Wiederbelebung der übrigen Bistümer sowie der Wiederaufbau der Gnesener und Posener Kathedralen begonnen wurde.70 Da diese und weitere Fragen, darunter auch die Frage nach der Rolle, die die Kölner Kirche bei der Wiederherstellung der polnischen Kirchenorganisation spielte,71 in diesem Band an anderer Stelle ausführlicher erörtert werden,72 muss ihnen hier nicht weiter nachgegangen werden.

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S. 27–38. – Gerard Labuda: Szkice historyczne XI wieku. Początki klasztoru benedyktynów w Tyńcu, in: Studia Źródłoznawcze 35 (1994), S. 23–64. – Gerard Labuda: Kto i kiedy ufundował klasztor w Tyńcu?, in: Żurowska 1995 (wie Anm. 67), S. 23–39. – Gerard Labuda: Z dyskusji nad początkami klasztoru benedyktyńskiego w Tyńcu. Fundatorzy i pierwsi opaci, in: Symbolae historiae artium. Studia z historii sztuki Lechowi Kalinowskiemu dedykowane, hg. v. Jerzy Gadomski u. a., Warschau 1986, S. 93–110. – Michałowski 1989 (wie Anm. 37), S. 70–86. Vgl. Katalogi biskupów krakowskich, hg. v. Wojciech Kętrzyński (MPH, Bd. 3), Lemberg 1878, S. 313–376, hier S. 328: „Richelinus 1032 ordinatur et 13 annos vixit. Aaron 1046 ordinatur archiepis­ copus; 12 annos vixit.“ – Vita S. Stanislai cracoviensis episcopi (Vita Maior), hg. v. Wojciech Kętrzyński (MPH, Bd. 4), Lemberg 1884, S. 319–438, hier S. 383: „[...] anno MXLVI Aaron monachus Tinciensis in episcopum Cracoviensem postulatur. Assumptus autem ad peticionem regis Kazimiri, per eundem papam Benedictum Colonie conceratur et privilegio archiepiscopatus insignitur.“ – Vgl. Władysław Abraham: ­Początek biskupstwa i kapituły katedralnej w Krakowie, in: Rocznik Krakowski 4 (1900), S. 177–200, bes. S. 187–190 u. 197 f. – Dróżdź 2009 (wie Anm. 3), S. 119–124. – Stanisław Kętrzyński: Czy Aaron był arcybiskupem krakowskim?, in: Przewodnik Naukowy i Literacki 5 (1877), S. 282–288. – Wacław Korta: Czy Kraków był metropolią w połowie XI wieku?, in: Ars historica. Prace z dziejów powszechnych i Polski, hg. v. Marian Biskup, Posen 1976, S. 321–340. – Feliks Pohorecki: Kilka słów o Aaronie, pierszwym opacie tynieckim, in: Kwartalnik Historyczny 36 (1922), S. 1–10. So die älteste Redaktion des Breslauer Bischofskatalogs: Katalogi biskupów wrocławskich, hg. v. Wojciech Kętrzyński (MPH, Bd. 6), Krakau 1893, S. 534–584, hier S. 558: „[...] primus episcopus Ieronimus [...] ordinatus est anno Domini MXLVI“; sowie Dróżdż 2009 (wie Anm. 3), S. 125 f. – Tomasz Jurek: Zu den Anfängen des Bistums Breslau, in: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 36/37 (1995/96), S. 7–24, bes. S. 16 f. u. 21 nimmt an, dass das Breslauer Bistum erst 1051, und zwar zunächst mit Sitz in Ritschen und als Suffragan von Magdeburg, wiedererrichtet worden ist. Vgl. Dróżdż 2009 (wie Anm. 3), S. 126–129. – Kętrzyński 1899 (wie Anm. 3), S. 97–99. – Gerard Labuda: Pierwsze wieki monarchii piastowskiej, Posen 2012, S. 263. Vgl. Herbert Ludat: An Elbe und Oder. Skizzen zur Politik des Ottonenreiches und der slavischen Mächte in Mitteleuropa, Köln 1971, S. 90, der „die mühsame Wiederherstellung der polnischen Kirchen­ organisation“ als „vornehmlich das Werk der Kölner Kirche“ bezeichnet. Vgl. die Beiträge von Rudolf Schieffer und Roman Michałowski in diesem Band.

Kasimir I., Krakau und die Restauration piastischer Herrschaft in den 1040/50er Jahren  |  259

V. Als Kasimir 1058 mit 42 Jahren starb,73 war das regnum Poloniae im Großen und Ganzen wiederhergestellt. Die restauratio war am Ende gleichwohl nicht vollständig gelungen. In territorialer Hinsicht blieb sie auf Groß- und Kleinpolen, Kujawien, Masowien und Schlesien beschränkt. Dabei war die Souveränität im Fall Schlesiens insofern eingeschränkt, als die Piasten für dieses Gebiet einen jährlichen Tribut an die Böhmen zu entrichten hatten, dessen Zahlung erst von Kasimirs Nachfolgern eingestellt werden konnte. Das Gebiet um Przemyśl, die červenischen Burgen, die Lausitz und das Milzener Land blieben hingegen verloren und auch die Pomoranen konnten der piastischen Oberherrschaft, wenn überhaupt, allenfalls zu einem kleinen Teil erneut unterworfen werden.74 Schließlich blieb es Kasimir versagt, die Wiederherstellung des territorialen Rahmens seiner Herrschaft mit der Rückerlangung der Königskrone zu krönen; diese blieb seit Mieszkos II. Tod für das regnum verloren, konnte von Kasimirs Sohn Bolesław II. lediglich kurzfristig für drei Jahre (1076–1079) und dauerhaft erst im 14. Jahrhundert wieder erworben werden. Auch die Erneuerung der Kirchenorganisation war bis 1058 nicht vollständig abgeschlossen. Die Gnesener Kathedralkirche wurde einer jüngeren annalistischen Notiz zufolge erst 1064 wieder geweiht,75 womit offenbar nur ein erster Schritt hin zu einer dauerhaften Erneuerung der Erzdiözese vollzogen war. Noch 1075 beklagte Papst Gregor VII. in einer an Herzog Bolesław II. adressierten Bulle, dass die polnische Kirchenprovinz noch immer keinen festen Metropolitansitz habe.76 Dennoch war es Kasimir alles in allem gelungen, die Folgen der schweren Strukturkrise der 1030er Jahre binnen weniger Jahre erfolgreich zu überwinden. Damit hat er die piastische Monarchie nicht nur erneuert, sondern zukunftsfest gemacht – wofür ihm schon Gallus Anonymus ein gutes halbes Jahrhundert posthum den Beinamen ,der Erneuerer‘ (restaurator) verlieh.77 73 Annales Cracovienses priores (wie Anm. 2), S. 48: MLVIII „Kazimir dux obiit.“ – Das Necrologium monasterii S. Emmerami Ratisbonensis, hg. v. Franz Ludwig Baumann (MGH Necrologia, Bd. 3), Berlin 1935, S. 301–334, hier S. 309 notiert den Tod von Gazmer dux zum 19. März. 74 Dass ein Teil Pommerns (der östliche) bereits von Kasimir den Piasten wieder unterworfen worden sei, folgert die polnische Forschung lediglich aus dem vagen Hinweis bei Galli anonymi cronicae (wie Anm. 1), S. 48: „Bolezauus [...] in principio sui regiminis et Polonis et Pomoranis imperaret.“ – Vgl. Błażej Śliwiński: Pomorze w polityce i strukturze państwa wczesnopiastowskiego (X–XII w.), in: Kwartalnik Historyczny 107.2 (2000), S. 3–40, hier S. 20. 75 Vgl. Rocznik Traski, hg. v. August Bielowski (MPH, Bd. 2), Lemberg 1872, S. 826–861, hier S. 831: „1064. Gneznensis ecclesia consecratur.“ 76 Vgl. Kodeks dyplomatyczny wielkopolski (wie Anm. 30), Nr. 4: „[...] episcopi terre vestre, non habentes certum metropolitane sedis locum nec sub aliquo positi magisterio [...].“ – Vgl. auch bereits Paul Kehr: Das Erzbistum Magdeburg und die erste Organisation der christlichen Kirche in Polen (Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Jg. 1920. Philosophisch-Historische Klasse, Nr. 1), Berlin 1920, bes. S. 64. 77 Galli anonymi cronicae (wie Anm. 1), S. 40.

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Christian Hillen

Zwischen Köln und Krakau, Klosterreform und Erzbistum Zur Politik Erzbischof Hermanns II. von Köln (amt. 1036–1056)

Nur wenig mehr als eintausend Jahre liegt die Geburt Hermanns, die man üblicherweise auf spätestens um 1010 datiert, nun zurück.1 Er war der Spross einer der politisch bedeutendsten Familien des Reiches und machte daher schon in jungen Jahren rasch Karriere auf der kirchlichen Laufbahn: Bereits 1033 wurde er als Erzdiakon der Kölner Kirche erwähnt2 und für den Zeitraum von 1034 bis 1036, also mit etwa Mitte bis Ende zwanzig, ist er als Kanzler für italienische Angelegenheiten bezeugt.3 Nach dem Tod seines Amtsvorgängers Pilgrim im August 1036 folgte er ihm sowohl im Amt des Erzbischofs von Köln als auch im Erzkanzellariat für Italien nach und zwar „cum inenarrabili gaudio pi­ orum omnium“, wie die Hildesheimer Annalen berichten.4 Über seine Schwester Richeza gab es Verbindungen nach Polen. Diese genauer in den Blick zu nehmen und in einen größeren Kontext zu stellen, ist das Unterfangen dieses Beitrags. Normalerweise werden, wenn es um die biographische Betrachtung historischer Persönlichkeiten, namentlich von Erzbischöfen, geht, an dieser Stelle gewissermaßen schematisch die Themen Reichsdienst, Erzbistum und Familie abgehandelt, oft sogar in dieser Reihenfolge. Auch dieser Beitrag wird sich zu diesen Feldern von Hermanns Wirken äußern, möchte jedoch einmal aus einem etwas anderen Blickwinkel auf den Kölner Hermann schauen und quer zu diesen Kategorien die Politikfelder untersuchen, in denen er tätig war. Das führt möglicherweise zu einer Neugewichtung seines Wirkens und viel-

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Vgl. Klaus Gereon Beuckers: Die Ezzonen und ihre Stiftungen. Eine Untersuchung zur Stiftungstätigkeit im 11. Jahrhundert (Kunstgeschichte, Bd. 42), Münster 1993, S. 27. Vgl. Beuckers 1993 (wie Anm. 1), S. 27. Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter, Bd. 1: 313–1099, bearb. v. Friedrich Wilhelm Oediger (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Bd. 21), Bonn 1954/61 (ND Düsseldorf 1978), Nr. 773. Annales Hildesheimenses, hg. v. Georg Waitz (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum, Bd. 8), Hannover 1878, S. 41. – Vgl. Oediger 1954/61 (wie Anm. 3), Nr. 774. – Josef Fleckenstein: Die Hofkapelle der deutschen Könige, 2. Teil: Die Hofkapelle im Rahmen der ottonisch-salischen Reichskirche (Schriften der Monumenta Germaniae Historica, Bd. 16), Stuttgart 1966, S. 173.

Zwischen Köln und Krakau, Klosterreform und Erzbistum  |  261

leicht auch zu einer Neubewertung seiner Person oder ihrer Bedeutung, in jedem Fall aber zu einer etwas anderen Perspektive. Zu den Politikfeldern zähle ich Hermanns Politik in Bezug auf die Kloster- und Kirchenreform, seine Polenpolitik, seine Vormachtpolitik in Bezug auf die übrigen deutschen Metropoliten, also namentlich die Auseinandersetzungen um das Krönungsprivileg für den Erzstuhl, seine dynastische Politik und die Frage, ob er die Ezzonen in eine Position bringen wollte, in der sie für eine Nachfolge im Königtum in Frage gekommen wären, und schließlich seine Westpolitik und seine Bedeutung für die Integration des westlichen Randes, also Lothringens, in das Reich. Bei diesem umfangreichen Programm können manche Politikfelder nur an der Oberfläche gestreift werden. Als ein weiteres Politikfeld soll die stadtkölnische Politik, in der Hermann als Erzbischof von Köln sehr aktiv war und zu der man entsprechend viel sagen könnte, an dieser Stelle nicht erörtert werden, da dies zu tief in die lokalhistorischen ­Details führen würde. Hermann war ein Vertreter des Geschlechts der Ezzonen, die vermutlich als Nachfolger der Konradiner die lothringische Pfalzgrafenwürde innehatten, mit der Aachener Pfalz als Mittelpunkt. Sie waren außerdem mit einer Reihe von Grafschaftsrechten ausgestattet, so im Bonn-, Ruhr- und Keldagau oder im Zülpichgau bezeugt. Mit dem Pfalzgrafenamt waren die Oberaufsicht über die königlichen Fiskalgüter und die Aufsicht über die Verkehrswege verbunden, wozu die Besitzungen in Brauweiler und die Befestigungen auf dem Siegeberg (Siegburg) sowie die Tomburg bei Bonn nützlich waren. Außerdem übten die Ezzonen die Obervogteien über die Klöster Essen, Villich, Kornelimünster und Maastricht aus. Insgesamt war ihre Machtstellung entlang des Rheins so stark, dass selbst die Herzöge von Lothringen im ezzonischen Machtbereich keine Herrschaftsrechte auszuüben vermochten.5 Aus dem Dunkel der quellenarmen Zeit des 10. Jahrhunderts zu einer solchen Machtposition aufgestiegen – Lewald nennt es einen „kometenartig rasche[n] Auf­ stieg“6 –, gelangte die Familie in unmittelbare Nähe des Königtums, als Ezzo Mathilde, die Schwester des späteren Kaisers Otto III., heiratete. Wichtiger als die Mitgift Mathildes, nämlich Güter in Coburg, Salz und Orlamünde, war die Verwandtschaft zum Könighaus. Bereits zuvor hatte Ezzo zum „engeren Kreis der Berater Theophanus in der Zeit der Regent­

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Vgl. Ursula Lewald: Die Ezzonen. Das Schicksal eines rheinischen Fürstengeschlechts, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 43 (1979), S. 120–168, hier S. 122. – Helmuth Kluger: Popter Claritatem Generis. Genealogisches zur Familie der Ezzonen, in: Köln – Stadt und Bistum in Kirchen und Reich des Mittelalters. Festschrift für Odilo Engels zum 65. Geburtstag, hg. v. Hanna Vollrath u. Stefan Weinfurter (Kölner historische Abhandlungen, Bd. 39), Köln 1993, S. 223–258, hier S. 230. Lewald 1979 (wie Anm. 5), S. 120.

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schaft“ für den noch minderjährigen Otto III. gehört,7 ein Engagement, das sich nun auszahlte – oder zumindest hoffte er nun, dass es sich auszahlen würde. Hermann war der dritte Sohn von Ezzo und Mathilde und über seine Mutter ein Enkel Kaiser Ottos II.8 Als dritter Sohn war er wahrscheinlich von Anfang an für die geistliche Laufbahn vorgesehen und konnte mit der Erzbischofswürde von Köln nun eine der Bedeutung seines Geschlechts angemessene Stellung bekleiden. „Hermanns Erhebung auf den Kölner Erzstuhl trug dem Herrschaftsanspruch seines königlichen Geblüts Rechnung und weckte wie von selbst die Erwartung, daß er in der Reichspolitik ein gewichtiges Wort mit­ sprechen und seinen Einfluß auch der Kirche zugute kommen lassen würde, der er vorstand“,9 wie es Rudolf Schieffer formuliert hat. Hermanns ersten Auftritt im Reichsdienst belegt eine Urkunde Konrads  II. vom 31. März 1037, die ihn als Erzkanzler von Italien anführt.10 Das verwundert kaum, da er schon seit 1034 als Kanzler für italienische Angelegenheiten fungierte. Schon damals hatte er eng mit seinem Vorgänger im Amt des Erzbischofs zusammengearbeitet und bei zahlreichen Gelegenheiten zusammen mit ihm beim Kaiser interveniert, sodass der Übergang nicht nur im Erzbistum, sondern auch in der Reichskanzlei für den Kaiser ohne spürbare Reibungsverluste vonstattenging.11 Indem Heinrich dieses Arrangement – nämlich den Kölner Metropoliten zum italienischen Erzkanzler zu machen – ohne Weiteres übernahm, begründete er eine Tradition und sorgte so für die dauerhafte Verbindung dieser beiden Ämter.12 Denn am 4. Juni 1039 war Konrad II. in Utrecht gestorben und auf dem Weg zu seiner Begräbnisstätte in Speyer wurde der einbalsamierte Leichnam, der per Schiff auf 7

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Lewald 1979 (wie Anm. 5), S. 126 f. – Vgl. auch ähnlich Heribert Müller: Die Kölner Erzbischöfe von Bruno I. bis Hermann II. (953–1056), in: Kaiserin Theophanu. Begegnung des Ostens und Westens um die Wende des ersten Jahrtausends. Gedenkschrift des Kölner Schnütgen-Museums zum 1000. Todesjahr der Kaiserin, 2 Bde., hg. v. Anton von Euw und Peter Schreiner, Köln 1991, Bd. 1, S. 15–32, hier S. 27. – Klaus Gereon Beuckers: Die Stiftungen der Ezzonen. Manifestationen politischer und geistlicher Stellung unter den späten Ottonen und frühen Saliern in Lothringen, in: Verortete Herrschaft. Königspfalzen, Adelsburgen und Herrschaftsbildung in Niederlothringen während des frühen und hohen Mittelalters, hg. v. Jens Lieven, Bert Thissen und Roland Wientjes (Schriften der Heresbach-Stiftung Kalkar, Bd. 16), Bielefeld 2014, S. 255–285, hier S. 264 spricht von einer „relevante[n] Rolle Ezzos am Hof Theophanus“. Dort S. 258–265 auch zu den politischen Hintergründen der Wahl Ezzos als Ehegatten für Mathilde. Vgl. Beuckers 1993 (wie Anm. 1), S. 27. – Wilhelm Pelster: Stand und Herkunft der Bischöfe der Kölner Kirchenprovinz im Mittelalter, Weimar 1909, S. 7. Rudolf Schieffer: Erzbischöfe und Bischofskirche von Köln, in: Die Salier und das Reich, Bd. 2: Die Reichskirche in der Salierzeit, hg. v. Stefan Weinfurter, Sigmaringen 1991, S. 1–29, hier S. 5. Vgl. Oediger 1954/61 (wie Anm. 3), Nr. 776.  – Conradi  II. Diplomata, hg. v. Harry Bresslau (Monu­menta Germaniae Historiae. Diplomata regum et imperatorum Germaniae, Bd. 4), Hannover 1909, S. 1–417, Nr. 235, S. 322. Vgl. Fleckenstein 1966 (wie Anm. 4), S. 173. Vgl. Fleckenstein 1966 (wie Anm. 4), S. 243.

Zwischen Köln und Krakau, Klosterreform und Erzbistum  |  263

dem Rhein transportiert wurde, in Köln und danach auch in Mainz und Worms angelandet und in einer Prozession durch alle Kirchen getragen.13 Schon zwischen Hermann und Konrad hatte nicht zuletzt aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses eine enge Beziehung bestanden. So hatte Hermann den Kaiser auf dessen zweitem Italienzug 1037/38 begleitet.14 Dass auch Hermann und Heinrich III. ein besonderes Verhältnis verband und es sich bei Hermanns Einsatz für Kaiser und Reich nicht einfach nur um ‚normalen‘ Reichsdienst handelte, drückte sich unter anderem darin aus, dass Heinrich den Erzbischof in seinen Urkunden gerne als „consanguineus“ und „dulcissimus consorbrinus“ ansprach.15 1042 nahm Hermann an dem wenig erfolgreichen Zug gegen die Ungarn teil, und im Westen des Reiches beteiligte er sich an den Auseinandersetzungen, die Heinrich III. mit Gottfried dem Bärtigen, dem Herzog von Oberlothringen, hatte.16 Gottfried rebellierte nach dem Tod seines Vaters nämlich gegen die Aufteilung des Herzogtums Lothringen, die Heinrich vorgenommen hatte, um die Macht der Herzogsfamilie zu begrenzen. Gottfried jedoch beanspruchte ganz Lothringen.17 Eine Reihe von liturgischen Handlungen, die Hermann entweder auf Anweisung des Kaisers oder in dessen Anwesenheit durchführte, zeugen ebenso von seiner engen Verbindung zur Reichsspitze. So weihte er in Heinrichs Gegenwart zusammen mit den Bischöfen Nithard von Lüttich und Hermann von Münster am 5. Juni 1040 die Abteikirche von Stablo18 und ein halbes Jahr später, am 29. Dezember 1040, die Überwasserkirche zu Münster. Auch dabei war der Kaiser anwesend.19 Vom 15. Februar bis zum 11. März 1043 geleitete Hermann zusammen mit dem Erzbischof von Magdeburg und einigen Bischöfen den 13 Vgl. Franz-Reiner Erkens: Konrad II. (um 990–1039). Herrschaft und Reich des ersten Salierkaisers, Darmstadt 1998, S. 215, vermutet zu Recht, dass der Kölner Prozessionsweg von 1039 so ähnlich ­gewesen sein dürfte wie der Erzbischof Annos 1075, sodass der Dom, Groß St. Martin, Maria im ­Kapitol, St. Cäcilien, St. Severin, St. Pantaleon, St. Gereon, St. Andreas, St. Ursula, St. Kunibert und vielleicht auch St. Aposteln zu den Stationen gezählt haben dürften. 14 Vgl. Schieffer 1991 (wie Anm. 9), S. 5. 15 Vgl. Fleckenstein 1966 (wie Anm. 4), S. 192 mit Bezug auf Heinrici III. Diplomata, hg. v. Harry Bresslau u. Paul Kehr (Monumenta Germaniae Historica. Diplomata regum et imperatorum Germaniae, Bd. 5), Berlin 1931, S. 1–267, Nr. 26, S. 34 u. Nr. 29, S. 38. 16 Zum Ungarnzug vgl. Ernst Steindorff: Jahrbücher des Deutschen Reichs unter Heinrich III., Bd. 1 (Jahrbücher der deutschen Geschichte, Bd. 13), Leipzig 1874, S. 159–161. 17 Vgl. Oediger 1954/61 (wie Anm. 3), Nr. 802. – Egon Boshof: Frankreich und das Reich in der Regierungszeit Heinrichs III., in: Rheinische Vierteljahrsblätter 42 (1978), S. 63–127 u. passim. 18 Vgl. Oediger 1954/61 (wie Anm. 3), Nr. 789. – Zu den verschiedenen Kirchenweihen und dem dort erschließbaren personalen Netzwerken Hermanns im Umkreis der Kirchenreform am Königshof vgl. Klaus Gereon Beuckers: Der salische Neubau von St. Maria im Kapitol. Zum Baukonzept in seinem historischen Kontext, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische Kirchen Köln 24 (2009), S. 49–70, hier S. 56 f. 19 Vgl. Oediger 1954/61 (wie Anm. 3), Nr. 791.

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Leichnam der verstorbenen Kaiserin-Mutter Gisela von Goslar nach Speyer, wo sie beigesetzt wurde.20 Am 8. September 1047 predigte er in Xanten dem Hof um Heinrich III., als er erfuhr, dass sein Bruder Otto tags zuvor gestorben war. Heinrich hielt Hermanns Gegenwart jedoch für so wichtig, dass er ihn eindringlich bat, den Hof nicht zu verlassen. Die Beerdigung Ottos musste daher Bischof Otto von Toul an Hermanns statt in Brauweiler durchführen.21 Weitere Hinweise auf ein ausgesprochen enges Verhältnis zwischen Erzbischof und Heinrich III. oder der kaiserlichen Familie sind die Taufe Heinrichs IV. 1051 in Köln,22 die Weihe der Stiftskirche St. Simon und Juda in Goslar im gleichen Jahr23 sowie schließlich die Krönung des jungen Heinrich im Jahre 1054 in Aachen.24 Bei solcher Königsnähe Hermanns und seiner Sippe kann es nicht verwundern, dass eines ihrer Mitglieder, namentlich Pfalzgraf Heinrich, als Nachfolger Heinrichs III. gehandelt wurde, als dieser 1045 so schwer erkrankt war, dass man sein Ableben befürchten musste.25 Zu diesem Zeitpunkt waren die Ezzonen gleichsam nur einen Herzschlag ­entfernt von der Macht. Nicht umsonst galt Hermann als „vornehmster aller deutschen Bischöfe“ seiner Zeit.26 Diese Beziehung zwischen Heinrich III. und Hermann II. war aber nun beileibe keine Einbahnstraße, bei der Hermann treu und aufopferungsvoll Kaiser und Reich diente. Im Gegenteil: Er wusste durchaus die Lage zu seinen Gunsten auszunutzen und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen gelang es ihm, sich bei Hofe für die Belange seiner Familie einzusetzen.27 Zum anderen zog er auch für den Kölner Erzstuhl Vorteile aus der Situation. So intervenierte er am 13. Juni 1041 zugunsten der Essener Äbtissin Theophanu, seiner Schwester, die dadurch nun einen sechstägigen Jahrmarkt abhalten durfte.28 Ob er 1046 auf Bitten sei20 21 22 23 24 25

Vgl. Oediger 1954 (wie Anm. 3), Nr. 800a. Vgl. Oediger 1954 (wie Anm. 3), Nr. 813. Vgl. Oediger 1954 (wie Anm. 3), Nr. 820. Vgl. Oediger 1954 (wie Anm. 3), Nr. 821. Vgl. Oediger 1954 (wie Anm. 3), Nr. 832. Vgl. Annales Altahenses Maiores, hg. v. Wilhelm Giesbrecht und Edmund L. B. von Oefele (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum, Bd. 4), Hannover 1891, S. 1–86, cap. 1045, S. 40 f. – Boshof 1978 (wie Anm. 17), S. 78. – Bereits bei der Nachfolge Ottos III. waren die Ezzonen nach allem, was wir erkennen können, im Kreis derjenigen Familien, deren männliche Mitglieder für eine Nachfolge zumindest in Frage kamen. Vgl. Beuckers 1993 (wie Anm. 1), S. 19. 26 Schieffer 1991 (wie Anm. 9), S. 5. – Ähnlich Müller 1991 (wie Anm. 7), S. 29, der Hermann für eine der einflussreichsten Persönlichkeiten des Reiches hält. „Sein Pontifikat bedeutet Höhe- und End­ punkt des Kölner Frühmittelalters zugleich.“ 27 Beuckers 1993 (wie Anm. 1), S. 176 formuliert dies unter dem Aspekt der ezzonischen Stiftungen so: „Auch seine Stiftungstätigkeit enthält mehrere Hinweise auf sein Familienbewußtsein, wie verschiedene Stiftungen zusammen mit seinen Schwestern ihn deutlich in den ezzonischen Zusammenhang stellen.“ 28 Vgl. Oediger 1954/61 (wie Anm. 3), Nr. 793. – Beuckers 1993 (wie Anm. 1), S. 114.

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nes Neffen Kasimir, Herzog von Polen, den Sohn seiner Schwester Richeza, den Mönch Aaron von Tyniec in Köln zum Bischof von Krakau weihte, ist jedoch überaus fraglich.29 Besonders intensiv nutzten er und seine Schwester Richeza den unmittelbaren Zugang zum Königshof für das Familienkloster Brauweiler. Die etwa zehn Kilometer nordwestlich von Köln gelegene Benediktinerabtei war von Hermanns und Richezas Eltern 1024 gegründet worden.30 1051 erbaten Hermann und Richeza gleich drei Privilegien von Heinrich III. oder vollzogen Handlungen zugunsten Brauweilers in Gegenwart des Kaisers.31 Auch anderen ezzonischen Familienmitgliedern kam das enge Verhältnis zu Heinrich III. zugute. Hermanns Bruder Otto wurde 1045 zum Herzog von Schwaben ernannt und in das Amt des Pfalzgrafen rückte Hermanns Vetter Heinrich aus dem hezelinidischen Zweig der Familie nach. Zwar mussten die Ezzonen im Gegenzug für diesen Aufstieg Kaiserswerth und Duisburg, das ihnen Heinrich II. 1016 geschenkt hatte, wieder an das Reich zurückgeben, doch durch die Machtstellung, die die ezzonische Familie nun innerhalb des Reiches erlangt hatte, wird sie diesen ‚Verlust‘ mehr als ausgeglichen haben.32 Umso weniger verwundert es, dass die Ezzonen als potentielle Königsfamilie gehandelt wurden. Otto starb zwar bereits 1047, doch der Kaiser erhob bereits 1049 dessen und somit auch Hermanns Neffen Konrad zum Herzog von Bayern.33 Heribert Müller interpretiert diese Beförderungen Ottos und Konrads als „weglo­ ben“,34 also in dem Sinne, dass dem Kaiser daran gelegen gewesen sei, die Ambitionen der Familie vor allem im Westen des Reiches nicht zu stark werden zu lassen. Genauso gut könnte man darin aber auch das Gegenteil sehen, nämlich die Stärkung einer mit dem Königshaus eng verbundenen Familie, deren Unterstützung Heinrich III. bei der Integration des westlichen Teils seines Reiches gerade zu dieser Zeit gut gebrauchen konnte. In der Forschung sind die Kölner Erzbischöfe als Teil einer „Konzeption der königlichen Perso­ nalpolitik“ gesehen worden, mit deren Hilfe „stufenweise über den Erzstuhl die Integration Lothringens in das Reich angebahnt“ worden sei.35 Wie viel Konzeption und Planung man 29 Vgl. Oediger 1954/61 (wie Anm. 3), Nr. 810b. 30 Zur Frühgeschichte Brauweilers vgl. Erich Wisplinghoff: Das Erzbistum Köln, Bd. 5: Die Benediktinerabtei Brauweiler (Germania Sacra N.F., Bd. 29), Berlin 1992, S. 37–41. – Peter Schreiner: Die Geschichte der Abtei Brauweiler bei Köln 1024–1802 (Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde, 21. Sonderveröffentlichung), Pulheim 2001, S. 11–22. 31 Vgl. Oediger 1954/61 (wie Anm. 3), Nr. 822–824. 32 Vgl. Boshof 1978 (wie Anm. 17), S. 78. – Lewald 1979 (wie Anm. 5), S. 131 u. 142. – Michael Buhlmann: Duisburg, Kaiserswerth und die ezzonischen Pfalzgrafen (in der 1. Hälfte des 11. Jahrhunderts) (Beiträge zur Geschichte Kaiserswerths, Heft 5), Düsseldorf 2008, S. 3. 33 Vgl. Schieffer 1991 (wie Anm. 9), S. 7. – Zu den Verwandtschaftsverhältnissen Lewald 1979 (wie Anm. 5), S. 121. 34 Müller 1991 (wie Anm. 7), S. 31. 35 Albrecht Graf Finck von Finckenstein: Bischof und Reich. Untersuchungen zum Integrationsprozeß des ottonisch-frühsalischen Reiches (919–1056) (Studien zur Mediävistik, Bd. 1), Sigmaringen 1989, S. 43.

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dahinter erkennen zu können glaubt, sei an dieser Stelle nicht diskutiert. Richtig ist aber in jedem Fall, dass Hermann II. de facto zu dieser Integration beigetragen und Heinrich ihn dazu sicher bewusst eingesetzt hat.36 Gottfried der Bärtige wollte sich nach dem Tod seines Vaters 1044 nicht nur mit dem Herzogtum Oberlothringen zufriedengeben, sondern auch den niederlothringischen Teil, den Heinrich III. seinem Bruder Gozelo II. zugesprochen hatte, als sein Erbe einforderte.37 Der Kaiser hatte sich dabei die Gelegenheit des Todes Gozelos I. zunutze gemacht, der das Herzogtum Lothringen noch als Ganzes innegehabt hatte, um die Machtstellung seiner Familie, der Wigeriche, zu zerschlagen. Er hielt die Situation nach der Niederlage des Grafen Odo von der Champagne wohl für so stabil, dass er der Ansicht gewesen zu sein scheint, er benötige die Machtkonzentration eines einzigen lothringischen Herzogtums nicht mehr, um die nach wie vor nicht ganz stabile Einbindung des westlichen Randes des Reiches in selbiges zu gewährleisten.38 Doch damit war die „lothringische Frage“39 keineswegs gelöst, wie der Aufstand Gottfrieds gegen die Teilung deutlich macht. In der 1045 folgenden Auseinandersetzung, die auch militärisch ausgetragen wurde, erwies sich Hermann in seiner Funktion als Kölner Erzbischof „als eine verlässliche Stütze des Königs“.40 Zunächst verdunkelte sich jedoch die Lage für Heinrich III., dessen Feldzug gegen den nun ebenfalls angreifenden Dietrich von Holland in einem Debakel endete.41 Auch mit der Einsetzung Adalberts von Longwy aus dem Hause Châtenois zum Herzog von Oberlothringen im Jahre 1047 machte er dem Aufstand Gottfrieds kein Ende.42 Die „schwerste Gefährdung seiner [also Heinrichs III.] Herrschaft“43 war erst überstanden, als Gottfried sich 1049 endgültig unterwarf. Aber auch danach blieb die Lage unruhig. Das bedeutete, dass der Kaiser verlässliche Partner brauchte. Und was war da nach Lage der Dinge besser als die eigene Verwandtschaft? Die musste jedoch auch angemessen belohnt werden. In

36 Beuckers 1993 (wie Anm. 1), S. 28: „Seine politische Bedeutung dürfte nicht zuletzt in der zentralen Rolle des Kölner Erzbischofs bei der Festigung der Bindung Lothringens an das Reich gelegen haben.“ – Vgl. auch Beuckers 2014 (wie Anm. 7), S. 279. 37 Vgl. Carlrichard Brühl: Deutschland – Frankreich. Die Geburt zweier Völker, 2. Aufl. Köln 1995 (OA 1990), S. 696. 38 Vgl. Boshof 1978 (wie Anm. 17), S. 66. 39 Brühl 1995 (wie Anm. 37), S. 696. 40 Boshof 1978 (wie Anm. 17), S. 77. – Die Brunwilarensis Monasterii Fundatorum Actus, hg. v. Georg Waitz (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores in Folio, Bd. 14), Hannover 1883, S. 121–146, hier S. 137 berichten schon zu 1044, dass Hermann und sein Bruder Pfalzgraf Otto an dem Kampf gegen Gottfried beteiligt gewesen seien. 41 Vgl. Boshof 1978 (wie Anm. 17), S. 93 f. 42 Vgl. Boshof 1978 (wie Anm. 17), S. 96. 43 Boshof 1978 (wie Anm. 17), S. 100.

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diesem Zusammenhang sind die Promotionen daher durchaus als Belohnung zu verstehen: nicht ‚wegloben‘ war das Ziel, sondern ganz im Gegenteil, fester an sich zu binden.44 Erzbischof Hermann spielte zwar insofern eine zentrale Rolle, als er den Kontakt zum Königshof hatte und nutzte, sich aber auch für Heinrich unentbehrlich machte. Auf der anderen Seite profitierte er nicht direkt davon, sondern eher seine Familie, deren Machtstellung sich mit den Herzogserhebungen auf dem Höhepunkt befand.45 Man kann hier sehr schön sehen, wie die Politikfelder Familie, Westpolitik und Reichspolitik untereinander verbunden und interdependent sind. Und zwar so sehr, dass es fast unmöglich ist, eine klare Trennung der Motivlagen zu ermitteln. Hermanns Rolle in der Familie war zu diesem Zeitpunkt eher die eines Transmissionsriemens zwischen Hof und anderen Familienmitgliedern, die von seinem Engagement in familienpolitischer Hinsicht mehr profitierten als er selbst. Das änderte sich, als die Familienzweige, von denen Nachkommen und damit eine Fortführung der Familie zu erwarten war, genau diese Hoffnung nicht erfüllten. Denn beide herzoglichen Verwandten starben früh und hinterließen keine männlichen Nachkommen. Von Otto von Schwabens Tod 1047 war schon die Rede. Konrad, Herzog von Bayern, wurde 1053 abgesetzt und starb 1055 als Verschwörer gegen den Kaiser.46 Die Pfalzgrafschaft war in den Händen der Nebenlinie der Hezeliniden.47 Was tat Hermann, der nun unbestritten die stabilste Position hatte, um den Familienbesitz zusammenzuhalten?48 Zum Erhalt der Familie konnte er als Erzbischof nicht beitra44 Die These von Franz Steinbach: Geschichtliche Räume und Raumbeziehungen der deutschen Niederund Mittelrheinlande im Mittelalter, in: Collectanea Franz Steinbach. Aufsätze und Abhandlungen zur Verfassungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, geschichtlichen Landeskunde und Kulturraumforschung, hg. v. Franz Petri und Georg Droege, Bonn 1967, S. 36–55, hier S. 44 f., Heinrich III. habe planmäßig die Macht der Ezzonen am Rhein zerstört, indem er Hermann II. zum Erzbischof, der sein Amt und den erzbischöflichen Besitz nicht vererben konnte, erhob, ist schon aus anderen Gründen abwegig, denn Heinrich konnte bei der Erhebung Hermanns 1036 noch gar nicht wissen, dass das Geschlecht in so kurzer Zeit aussterben würde. – Daniel Ziemann: Heinrich III. – Krise oder Höhepunkt des salischen Königtums?, in: Die Salier, das Reich und der Niederrhein, hg. v. Tilman Struve, Köln 2008, S. 13–46, hier S. 30 f. sieht nicht zu Unrecht in dem Schritt, Konrad 1049 zum bayerischen Herzog zu machen, sogar die erste Stufe eines Plans, ihn gezielt zu Heinrichs III. Nachfolger aufzubauen. – Kluger 1993 (wie Anm. 5), S. 248 hält sogar den Plan einer Verheiratung Konrads mit einer der Töchter Heinrichs III. für möglich. 45 Lewald 1979 (wie Anm. 5), S. 134. – Äußerlich betrachtet handelte es sich sicher um den Höhepunkt der ezzonischen Machtstellung. Bei genauerem Hinsehen stellt sich die Frage, ob es nicht mehr der End- als der Höhepunkt war, denn bereits zweimal waren sie an der Hürde zum Königtum und damit einem weiteren Aufstieg gescheitert. Eine dritte Chance muss man wohl als ausgesprochen unwahrscheinlich bezeichnen. 46 Vgl. Kluger 1993 (wie Anm. 5), S. 249. – Art. Konrad (Kuno) I. Herzog von Bayern 1049–1053, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5 (1991), Sp. 1342 (Alois Schmid). – Schieffer 1991 (wie Anm. 9), S. 6. 47 So sieht es Lewald 1979 (wie Anm. 5), S. 153. 48 Vgl. Beuckers 1993 (wie Anm. 1), S. 33.

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gen, aber er konnte dafür sorgen, dass der Familienbesitz nun ihm oder vielmehr dem Erzbistum Köln zu Nutzen kam.49 Eine Stärkung der hezelinidischen Linie, der er den Besitz auch hätte übertragen können, fand auf diese Weise nicht statt.50 So erhielt er nach dem Tod seines Neffen Konrad, Herzog von Bayern, die Vogtei über Brauweiler.51 Zusammen mit seinen Schwestern Richeza und Theophanu, der Äbtissin von Essen, hatte er bereits 1051 die Abtei Brauweiler der Kölner Kirche übertragen.52 Mit Otto und Konrad und schließlich mit Hermanns Tod fand die eigentliche ezzonische Familie in männlicher Linie ihr Ende. Hermanns Schwester Richeza hatte jedoch einen Sohn, Kasimir, Herzog von Polen, der für die frühe polnische Geschichte von nicht zu unterschätzender Bedeutung war. Der Beitrag Hermanns zur Entwicklung in Polen ist das, was uns an dieser Stelle interessiert. Doch wie kam es überhaupt dazu, dass eine Familie aus dem tiefen Westen auf den polnischen Thron gelangte? Polen eröffnete seit dem 10. Jahrhundert ein neues Betätigungsfeld nicht nur für die direkt angrenzenden Herrschaften im Osten des Reiches, sondern auch für das Königtum. Jedenfalls traten die polnischen Verhältnisse erstmals mit der Taufe Mieszkos im Jahr 966 „aus dem Nebel der Sagen“ in das Blickfeld der christlichen oder – wenn man so will – westlichen Geschichtsschreibung.53 Polenpolitik war also noch keine hundert Jahre alt und für die deutschen Herrscher ein ganz modernes Politikfeld, das noch viele Gestaltungsmöglichkeiten bot, vor allem, da die Christianisierung des Landes noch in ihren Anfängen steckte. Kłoczowski spricht von der „Parallelität von Reichs­ bildungs- und Christianisierungsprozessen“.54

49 Nach Beuckers 1993 (wie Anm. 1), S. 34 war es „Ziel der Besitzübertragung an die Kölner Kirche [...] gewesen, den Besitz in der Hand eines Familienmitglieds – Hermanns – zu behalten, zumal es zu erwarten gewesen war, daß Hermann als wohl jüngster der drei maßgeblich beteiligten Ezzonen seine Geschwister überlebt hätte“. 50 Vor dem Hintergrund dieses Gedankens müsste die These von Beuckers 1993 (wie Anm. 1), S. 34, Hermanns Nachfolger Anno II. habe die ezzonische Position um Köln herum zerschlagen wollen, noch einmal überprüft werden. Klar ist, dass Anno Interesse daran hatte, die Position des Pfalzgrafen zu schwächen und die des Kölner Erzbischofs zu stärken. Ob es dazu einer Schwächung der Ezzonen, die im engeren Sinne bis auf die weiblichen Mitglieder, die entweder die geistliche Laufbahn genommen hatten oder nicht mehr im heirats-/gebärfähigen Alter waren, bedurfte, scheint fraglich. Die Ezzonen waren mit dem Tod Hermanns eigentlich schon aus dem Machtgefüge des Westens verschwunden. Im Grunde musste nur noch die Nebenlinie beseitigt werden. 51 Vgl. Lewald 1979 (wie Anm. 5), S. 138. 52 Vgl. Oediger 1954/61 (wie Anm. 3), Nr. 822. 53 Manfred Alexander: Kleine Geschichte Polens, Stuttgart 2003, S. 16. – Widukind von Corvey erwähnte die Taufe Mieszkos. Der Name Polen erscheint erstmals 1015 in den Hildesheimer Annalen. 54 Jerzy Kłoczowski: Klöster und Orden im mittelalterlichen Polen (Klio in Polen, Bd. 15), Osnabrück 2013 (polnische OA Lublin 2010), S. 22.

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Aktive Polenpolitik des Reiches setzt im Grunde mit Otto III. und der Einrichtung des Erzbistums Gnesen im Jahre 1000 ein. Auch Verbindungen der Piasten, des späteren polnischen Königshauses, mit dem sächsischen Hochadel beginnen in dieser Zeit und nehmen zu.55 Dabei ist nicht davon auszugehen, dass Otto Herzog Bolesław bei ihrer Zusammenkunft gekrönt hat. Vielmehr scheint es sich um die zeremonielle Besiegelung eines Freundschaftspaktes gehandelt zu haben: „Das Aufsetzen der Krone erfolgte also im Rahmen eines Freundschaftsvertrages, war ein symbolischer Akt in diesem Kontext.“ Damit unterschied sich die Stellung Bolesławs freilich de facto nicht grundsätzlich von der eines Königs.56 Bei diesem Treffen wurde zudem – sicher zur weiteren Festigung der Beziehung – ein eheliches Bündnis mit der ottonischen Königsfamilie und einem Sohn Bolesławs verabredet.57 Dieser Plan eines Heiratsbündnisses wurde 1013 mit der Hochzeit zwischen dem polnischen Herzogssohn Mieszko II. und Hermanns Schwester Richeza in die Tat umgesetzt.58 Ohne auf weitere Details der kaiserlichen Polenpolitik einzugehen, kann man durchaus sagen, dass Polen um diese Zeit ein neues und gleichzeitig sehr wichtiges Politikfeld war. Die Ezzonen waren durch Richeza gleichsam mittendrin und durch die Krönung Bolesławs zum König von Polen am 25. Dezember 1024 nun auch noch mit einem weiteren königlichen Geschlecht verwandt. Ihm folgte nach seinem raschen Tod im Juni 1025 Mieszko II. nach, der sich ebenfalls zum König krönen ließ und damit Richeza zur regierenden Königin machte.59 An einem Beitrag Erzbischof Hermanns zur politischen und religiösen Erschließung Polens, nämlich der Weihe des Mönchs Aaron zum Bischof von Krakau, sind jedoch schwerwiegende Zweifel angebracht. Zum einen ist Aarons Identität nicht gesichert. Vielleicht handelt es sich bei diesem Aaron um den gleichnamigen Mönch, der sich zuvor in Brauweiler nachweisen lässt. Ein Beweis für diese Vermutung lässt sich jedoch leider nicht führen.60 Zum anderen ist eine zeitliche Einordnung in die Regierungszeit Hermanns 55 Vgl. Alexander 2003 (wie Anm. 53), S. 23 f. 56 Gerd Althoff: Otto III. (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), Darmstadt 1996, S. 144 f. u. 146: „Das foedus amicitiae, das Boleslaw tatsächlich vom tributarius zum dominus machte, dürfte also den Kern der politischen Vorgänge in Gnesen markieren.“ 57 Vgl. Althoff 1996 (wie Anm. 56), S. 145. – Lewald 1979 (wie Anm. 5), S. 128. – Alexander 2003 (wie Anm. 53), S. 28 f. – Peter Schreiner: Königin Richeza, Polen und das Rheinland. Historische Beziehungen zwischen Deutschen und Polen im 11. Jahrhundert (Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde, Sonderveröffentlichung 14; Biblioteka Studiów Lednickich. Seria Popularno-Naukowa, Bd. 1), Pulheim 1996, S. 57. 58 Vgl. Zygmunt Galoch: Königin Richeza und die Anfänge der Benediktiner in Tyniec/Polen, in: Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde 11 (1987), S. 117–127, hier S. 118. 59 Vgl. Alexander 2003 (wie Anm. 53), S. 30. 60 Vgl. Oediger 1954/61 (wie Anm. 3), Nr. 810b.  – Schreiner 1996 (wie Anm. 57), S. 87.  – Kłoczowski 2010 (wie Anm. 54), S. 52. – Anders Galoch 1987 (wie Anm. 58), S. 123. Für ihn ist die Identität der beiden Aarons klar und seine Weihe eine bewusste Hilfeleistung Hermanns.

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äußerst unsicher. Immerhin kann man einen Krakauer Bischof namens Aaron im 11. Jahrhundert nachweisen.61 Belegt ist jedoch die Einführung des Gereon- und des Ursula-Kultes in Krakau, Heilige, die in Köln alles andere als unbekannt waren.62 Überhaupt scheint das Rheinland gerade bei den Kulturbeziehungen besonders hervorzutreten.63 Architektonische Anleihen polnischer bei rheinischen Kirchen lassen sich feststellen.64 Diese lassen sich ebenso wie zwei Kelche zwar mit den Ezzonen in Verbindung bringen,65 eine direkte Beteiligung Hermanns, etwa als Auftraggeber, ist jedoch weder zu erkennen noch zu belegen. Weder die Frühgeschichte des Benediktinerklosters Tyniec noch die des aus ihm stammenden Kölner Sakramentars sind abschließend geklärt,66 können also in diesem Zusammenhang nicht zur Argumentation herangezogen werden. Nach aktuellem Forschungsstand dürfte die Klostergründung in die Zeit nach Hermann datieren.67 Die Frage ist daher, inwieweit Hermann auf diesen langwierigen und diffusen Prozess des Kulturaustausches während seines Pontifikats Einfluss hatte und nahm. Denn obwohl in der Forschung immer wieder behauptet wird, Hermann habe geholfen, die Kirchenorganisation zu erneuern und die Klöster wieder aufzubauen,68 sind keine konkreten Maßnahmen in diese Richtung zu beobachten. Kłoczowski spricht deswegen auch nur vage davon, dass 61 Vgl. den Beitrag von Roman Michałowski in diesem Band. 62 Vgl. Thomas Wünsch: Kulturbeziehungen zwischen dem Reich und Polen im Mittelalter, in: Das Reich und Polen. Parallelen, Interaktionen und Formen der Akkulturation im hohen und späten Mittelalter, hg. v. Thomas Wünsch (Vorträge und Forschungen, Bd. 59), Ostfildern 2003, S. 357–400, hier S. 365 f. 63 Vgl. Wünsch 2003 (wie Anm. 62), S. 366. 64 Vgl. Schreiner 1996 (wie Anm. 57), S. 91. 65 Vgl. Schreiner 1996 (wie Anm. 57), S. 97–99. 66 Vgl. dazu die Beiträge in diesem Band. – Zur Zuordnung des Sakramentars zur Kölner Buchmalerei vgl. Klaus Gereon Beuckers: Geschichte, Forschungsstand und Forschungsproblematik des Gerresheimer Evangeliars, in: Das Gerresheimer Evangeliar. Eine spätottonische Prachthandschrift als Geschichtsquelle, hg. v. Klaus Gereon Beuckers und Beate Johlen-Budnik (Forschungen zu Kunst, Geschichte und Literatur des Mittelalters, Bd. 1), Köln/Weimar/Wien 2016, S. 13–64, hier S. 21, Anm. 31. – Aus den Ausführungen von Robert E. Alvis: White Eagle, Black Madonna. One Thousand Years of the Polish Catholic Tradition, New York 2016, S. 13 geht nicht klar hervor, ob er 1044 tatsächlich für das Gründungsjahr hält. Aus seiner Formulierung zu schließen, scheint er eher 1124 anzunehmen. Gleichzeitig behauptet er aber, das Sakramentar sei mit den ersten Mönchen nach Tyniec gekommen. 67 Auch die Versuche aus archäologischer Sicht, den Gründungszeitpunkt der Abtei näher zu bestimmen, sind bisher immer fehlgeschlagen. Vgl. Andrzej Buko: The Archaeology of Early Medieval Poland. Discoveries – Hypotheses – Interpretations (East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450, Bd. 1), Leiden 2008, S. 355. – Darius von Güttner-Sporzyński: Poland, Holy War, and the Piast Monarchy 1100–1230 (Europa Sacra, Bd. 14), Turnhout 2014, S. 45. 68 Vgl. Alexander 2003 (wie Anm. 53), S. 32.

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„die junge Gemeinschaft [der Abtei Tyniec] mit Sicherheit auf die konkrete Unterstützung von Seiten des Kölner Erzbistums und des dortigen dichten Klosternetzes zählen“ konnte.69 Auch die Herkunft der Mönche in Mogilno vermutet er in der Erzdiözese Köln, „womög­ lich [aus] Lüttich“.70 Die Orientierung der Architektur Mogilnos an rhein-maasländischen Vorbildern mag gegeben sein,71 ist aber auch recht unspezifisch. Hermann spielte dabei keine Rolle, jedenfalls keine, die sich stichhaltig nachweisen ließe. Erwiesen ist jedoch, dass er Richeza und ihren Sohn Kasimir aufnahm, nachdem Mieszko 1031 seinem Bruder Bezprym die Macht hatte überlassen müssen und 1034 schließlich gestorben war.72 Zusammen mit Richeza fand Hermann sich sogar zu einer Neuordnung des Familienbesitzes bereit, da man nicht mehr mit ihrer Rückkehr nach Polen rechnen konnte und daher für ihren Unterhalt Sorge getragen werden musste.73 Damit wurde Hermann aber nicht zu einer gestaltenden Kraft in der Polenpolitik. Seine Motive für den Rückhalt, den er seiner Schwester und seinem Neffen gewährte, dürften eher im Bereich des Familiären und der Familienpolitik zu suchen sein. Unter Familienpolitik dürften auch die Botendienste ­Hermanns fallen, die dieser 1025 übernommen haben soll, um seiner Schwester und seinem Schwager einen wertvollen Codex von Herzogin Mathilde, der Tochter Herzog Hermanns II. von Schwaben, zu überbringen. Weder Codex noch Begleitbrief sollen Polen je erreicht haben, ebenso wie die Botentätigkeit Hermanns sonst ohne Beleg bleibt.74 Hermann war in diesem Prozess des Kulturtransfers natürlich nicht der einzige Spieler, sofern er überhaupt daran beteiligt war, denn zweifellos übte eine Bewegung, die ihren Ursprung nur zufällig im lothringischen Reichsteil hatte, eine große Anziehungskraft auch 69 Kłoczowski 2010 (wie Anm. 54), S. 54. – Genauso vage Schreiner 1996 (wie Anm. 57), S. 99: „Kasimir und seinen Nachfolgern sind für den Wiederaufbau von Staat und Kirche in Polen in erster Linie also Kräfte aus dem Land an Rhein und Maas zugewachsen.“ 70 Kłoczowski 2010 (wie Anm. 54), S. 57. In Anm. 10 gibt er zu, dass es nur eine Vermutung ist, die er analog zu der Vermutung gebildet hat, dass die Mönche aus Tyniec aus Köln stammten. 71 Vgl. Beuckers 1993 (wie Anm. 1), S. 225. 72 Vgl. Alexander 2003 (wie Anm. 53), S. 30. – Möglicherweise war Richeza bereits 1034 geflohen und Kasimir folgte ihr erst 1037. Vgl. Schreiner 1996 (wie Anm. 57), S. 81. 73 Vgl. Beuckers 1993 (wie Anm. 1), S. 32. 74 Vgl. Max Perlbach: Zur Geschichte einer verlorenen Handschrift. Der Brief der schwäbischen Herzogstochter Mathilde an König Miesko  II. von Polen, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 32.3 (1915), S. 69–85, hier S. 78. Er musste noch davon ausgehen, dass der Codex verschollen sei. Die Handschrift wurde jedoch in der Düsseldorfer Universitätsbibliothek Anfang der 1980er Jahre wiederentdeckt (MS-C-91 – Liber de divinis officiis, vgl. urn:nbn:de:hbz:061:1-508367), wenngleich das illuminierte Blatt 3 nach wie vor verloren ist. Vgl. Brygida Kürbis: Die Epistola Mathildis Suevae an Mieszko II. in neuer Sicht. Ein Forschungsbericht, in: Frühmittelalterliche Studien. Jahrbuch des Instituts für Frühmittelalterforschung der Universität Münster 23 (1989), S. 318–343, hier S. 319. Dass Hermann als Bote Brief und Handschrift übergeben habe, hält sie für möglich, aber nicht wahrscheinlich (S. 336 f.).

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auf das erst im Entstehen begriffene polnische Christentum aus. Gemeint ist die kirchliche Reformbewegung. Ihren Ursprung und Kern hatte die Reformbewegung im lothringisch-burgundischen Raum und zwar in den Klöstern Cluny und Gorze.75 Die Reform zog bald und rasch weitere Kreise im christlichen Europa.76 Da die Reform nicht nur die Klöster selbst betraf, sondern auch Ortsbischof und Adel, war sie populär und breitete sich rasch aus.77 Sie war gewissermaßen der moderne Trend, der sich durch fast das ganze 10. und 11. Jahrhundert zog. Ziel war es, die Klöster von Adelsherrschaft und bischöflicher Aufsicht zu eximieren und gleichzeitig das religiöse Leben wieder zu seinen Ursprüngen zurückzuführen.78 Bereits vor Richeza hatte Polen ersten, wenn auch zaghaften, Kontakt mit den Reformbestrebungen. Der in Gnesen bestattete Adalbert von Prag hatte Kontakte zu Reformkreisen, ebenso wie der in Polen 1006 und 1008 missionierende Brun von Querfurt.79 Gute Verbindungen in die Reformkreisen besaß auch Hermann II., der sogar wichtige Beiträge zur Durchsetzung eines Reformpapsttums leistete.80 Seine Kontakte zu klöster­ lichen Reformkreisen lassen sich vor allem an seiner Beziehung zu Poppo von Stablo festmachen, dessen Klosterkirche er 1040 weihte. Poppo, der nicht nur die Doppelabtei ­Stablo-Malmedy, sondern auch St. Maximin bei Tier im gorzischen Sinne reformiert hatte,81 vermittelte 1024 zudem möglicherweise die ersten Mönche an die Abtei Brauweiler,82 was wiederum die Vermutung zulässt, dass es sich um eine reformerisch gesinnte erste Klostermannschaft gehandelt haben könnte. Unter Heinrich II. und Konrad II. erfuhr nicht nur die Klosterreform, sondern namentlich Poppo von Stablo intensive Unterstützung.83 Von daher verwundert Hermanns Bereitschaft dazu, dies ebenfalls zu tun, nicht. Auch mit Heinrich III. teilte er die grundsätzliche Überzeugung, die Kirche müsse refor75 Vgl. Gerd Tellenbach: Libertas. Kirche und Weltordnung im Zeitalter des Investiturstreits (Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte, Bd. 7), Stuttgart 1936 (ND 1996), S. 93. 76 Vgl. Karl Suso Frank: Geschichte des christlichen Mönchtums (Grundzüge, Bd. 25; Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Bd. 4), 4. Aufl. Darmstadt 1988 (OA 1975), S. 60. 77 Vgl. Frank 1988 (wie Anm. 76), S. 60 f. 78 Vgl. Frank 1988 (wie Anm. 76), S. 61. 79 Vgl. Kłoczowski 2010 (wie Anm. 54), S. 42 u. 44. 80 Vgl. Müller 1991 (wie Anm. 7), S. 31. – Zu seiner Einbindung in reformorientierte Netzwerke vgl. Beuckers 2009 (wie Anm. 18), S. 56 f. – Klaus Gereon Beuckers: Der Chor des Bonner Münsters und die salischen Langchöre des 11. Jahrhunderts. Zur Entstehung einer architektonischen Sonderform im Umkreis der Kanonikerreform, in: Märtyrergrab, Kirchenraum, Gottesdienst II: Interdisziplinäre Studien zum Bonner Cassiusstift, hg. v. Andreas Odenthal und Albert Gerhards (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 36), Siegburg 2008, S. 33–81, hier S. 74–79. 81 Vgl. Art. Poppo, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 20 (2001), S. 632 f. (Herbert Zielinski). 82 Vgl. Beuckers 1993 (wie Anm. 1), S. 29. 83 Vgl. Werner Goez: Kirchenreform und Investiturstreit 910–1122 (Kohlhammer-Urban-Taschenbücher, Bd. 462), Stuttgart 2000, S. 32 f.

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miert werden.84 Es zeigen sich aber im Detail und wohl von den Personen abhängig durchaus Unterschiede, denn mit Wazo von Lüttich war Heinrich nicht einverstanden. Wazo, Kaplan Konrads II. und späterer Bischof von Lüttich,85 ist zwar mit Poppo von Stablo in Zusammenhang zu bringen, er trat aber in Reformkreisen vor allem durch seine Ablehnung der kaiserlichen Einflussnahme auf die Papstwahl in Erscheinung.86 Für seine Einsetzung zum Bischof von Lüttich setzte sich Hermann gegen den Widerstand des Kaisers ein.87 Die Frage einer von Köln und namentlich von Hermann II. angeregten Kanonikerreform ist in der Forschung kontrovers diskutiert worden. Hierzu sind wohl noch weitere Forschungen nötig. Immerhin gibt es Indizien, die auf ein solches Reformvorhaben hinweisen könnten.88 Sehr viel deutlicher als auf allen anderen Feldern der Reformbewegung ist Hermanns Engagement in der Frage des Reformpapsttums zu erkennen. Die Klosterreform bereitete der allgemeinen Kirchenreform, die seit Leo IX. (amt. 1049–1054) vom Papsttum angeführt wurde, den Weg.89 Die Befreiung des Papsttums aus den Händen der stadtrömischen Querelen wiederum hat die westliche Kirche dem Einschreiten Heinrichs III. 1046 in den Synoden in Sutri und Rom zu verdanken.90 Zu den Reformzielen gehörte die Einführung des Zölibats für Kleriker aller Weihegrade und Mönche sowie die Abschaffung der Simonie, also des Ämterkaufs. Ebenso sollte das Verfahren der Bischofsein­ setzung geregelt und deren Investitur durch Laien verboten werden.91 Kurz zusammenge84 Vgl. Fleckenstein 1966 (wie Anm. 4), S. 244. 85 Vgl. Art. Wazo, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 41 (1896), S. 277–279 (P. L. Müller); https://www.deutsche-biographie.de/gnd11588713X.html#adbcontent (letzter Zugriff: 01.11.2017). – Fleckenstein 1966 (wie Anm. 4), S. 193. 86 Vgl. Thomas Zotz: Der Zustand der westlichen Kirche zu Beginn des Pontifikats Papst Leos IX. (um 1048/49), in: Léon IX. et son temps. Actes du colloque international organisé par l’Institut d’Histoire Médiévale de l’Université Marc-Bloch, Strasbourg-Eguisheim, hg. v. Georges Bischoff und Benoît-Michel Tock (Atelier de Recherche sur les Textes Médiévaux, Bd. 8), Turnhout 2006, S. 19–31, hier S. 29. – Inwieweit die Schrift De ordinando pontifice, die zu diesem Thema ganz ähnlich argumentiert, mit Wazo in Zusammenhang zu bringen ist, bleibt nach wie vor heftig umstritten. Vgl. Erwin Frauenknecht: Der Traktat „De ordinando pontifice“ (Monumenta Germaniae Historica. Studien und Texte, Bd. 5), Hannover 1992, S. 68 f. plädierte zuletzt für eine Zuordnung des Verfassers zum burgundischen und nicht zum Lütticher Raum. Dem schließt sich Zotz 2006 (wie oben) an. – Vgl. auch William Charles Ziezulewicz: Les déplacemant du pape Léon IX, in: Bischoff / Tock 2006 (wie oben), S. 457–469, hier S. 460 f. 87 Vgl. Oediger 1954/61 (wie Anm. 3), Nr. 798 u. 799. – Beuckers 1993 (wie Anm. 1), S. 29. – Fleckenstein 1966 (wie Anm. 4), S. 244. 88 Vgl. Beuckers 2008 (wie Anm. 80), S. 73–81. – Beuckers 2014 (wie Anm. 7), S. 279 f. 89 Vgl. Uta-Renate Blumenthal: Der Investiturstreit, Stuttgart 1982, S. 74. – Vgl. auch die Einleitung bei The Papal Reform of the Eleventh Century. Lives of Pope Leo IX and Pope Gregory VII, hg. v. Ian Stuart Robinson (Manchester medieval sources series), Manchester 2004, S. 1–95. 90 Vgl. Blumenthal 1982 (wie Anm. 89), S. 74. – Bernhard Schimmelpfennig: Das Papsttum. Von der Antike bis zur Renaissance, 3. Aufl. Darmstadt 1988, S. 147. 91 Vgl. Schimmelpfennig 1988 (wie Anm. 90), S. 148–151.

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fasst war auch hier, wie bei der Klosterreform, das oberste Ziel „die Loslösung des Papsttums aus der Bevormundung von Herrschern“.92 Die Synoden von 1046 hatten nun genau dieses Ziel, indem sie unter Heinrichs Aufsicht gleich über drei Päpste, Gregor VI., Silvester III. und Benedikt IX., befanden.93 Hermann II. war möglicherweise an der Vorbereitung der Synode beteiligt, wenngleich seine Anwesenheit dort nicht bezeugt ist,94 und hatte wohl auch die Idee, Gregor VI. nach Köln zu verbannen oder – andersherum gewendet –, ­diesen in Köln aufzunehmen, wo der abgesetzte Papst 1047 starb.95 Im Gefolge Gregors befand sich außerdem ein gewisser Hildebrandt, der später Papst Gregor VII. werden sollte.96 Kontakte zwischen Hermann und Hildebrandt lassen sich jedoch, wenn überhaupt, nur indirekt nachweisen. In jedem Fall zeigt es Hermanns Bereitschaft an der Reform der Kirche, nicht nur an ihren Gliedern, sondern auch am Kopf mitzuwirken. Er tat dies wohl nicht allein für Gotteslohn. Hermann sollte auch seinen Vorteil daraus ziehen, denn der aus den Wirren 1046/47 im Jahre 1049 hervorgegangene neue Papst Leo IX. zeigte sich erkenntlich. Die beiden trafen sich im Juni 1049 in Köln, wo sie zusammen mit Heinrich III. an Peter und Paul (29. Juni) das Patronatsfest der Kölner Kirche feierten. Bei dieser Gelegenheit verlieh Leo IX. Hermann das Amt des Erzkanzlers der römischen Kirche, das Recht, die Synoden in seinem Sprengel zu leiten, ebenso das Recht auf Weihe und Krönung des deutschen 92 Schimmelpfennig 1988 (wie Anm. 90), S. 147. 93 Vgl. Uta-Renate Blumenthal: Gregor VII. Papst zwischen Canossa und Kirchenreform (Gestalten des Mittelalter und der Renaissance), Darmstadt 2001, S. 60. – Zu den Vorgängen und Hintergründen im Einzelnen vgl. Pius Engelbert: Heinrich III. und die Synode von Sutri und Rom im Dezember 1046, in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 94 (1999), S. 228–266. 94 Vgl. Schieffer 1991 (wie Anm. 9), S. 7. – Germania Pontificia sive Repertorium Privilegiorum et Litterarum a Romanis Pontificibus ante Annum MCLXXXXVIII Germaniae Ecclesiis Monasteriis Civitatibus Singulisque Personis Concessorum, Bd. 7: Provincia Coloniensis, Teil 1: Archidioecesis Coloniensis, hg. v. Theodor Schieffer (Regesta Pontificum Romanorum), Göttingen 1986, Nr. 138, S. 55. – Engelbert 1999 (wie Anm. 93), S. 243 geht zu Recht davon aus, dass in Sutri auch ein Großteil der kurz zuvor am 25. Oktober 1046 in Pavia versammelten Bischöfe anwesend war. Er zählt zu diesen aber unter Verweis auf Martin Boye: Die Synoden Deutschlands und Reichsitaliens von 922–1059. Eine kirchengeschichtliche Untersuchung, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 49. Kanonistische Abteilung 18 (1929), S. 131–284, hier S. 158 f., auch Hermann II. und gibt als Quelle Monumenta Germaniae Historica, Const. I, S. 94 f. an. Dort wird der Kölner Erzbischof aber eben gerade nicht genannt, sodass es keinen Nachweis für dessen Anwesenheit in Sutri gibt. Auch Heinrichs Urkunden wurden auf diesem Italienzug nicht von Hermann, sondern vom Kanzler Heinrich rekognosziert; vgl. MGH DD H III (wie Anm. 15), Nr. 176–204, S. 219–267. Die Erwähnung als Intervenient in Nr. 193, S. 244 ist wahrscheinlich aus dem Formular der Vorurkunde übernommen. Vgl. Oediger 1954/61 (wie Anm. 3), Nr. 811. 95 Vgl. Beuckers 1993 (wie Anm. 1), S. 28. 96 Vgl. Blumenthal 2001 (wie Anm. 93), S. 30 f.

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Königs innerhalb der Grenzen seiner Diözese sowie den Besitz der Kirche S. Giovanni a Porta Latina. Die Kölner Kirche erhielt außerdem das Privileg, am Petersaltar täglich die Messe durch sieben Kardinalpresbyter feiern lassen zu dürfen.97 Schriftlich festgelegt wurden die Rechte allerdings erst drei Jahre später.98 Titel und Privileg galten auch für Hermanns Nachfolger,99 was der Kölner Kirche einen nicht unerheblichen Prestigegewinn in der Auseinandersetzung mit den Mainzer Erzbischöfen um die Bedeutung ihrer Kirche innerhalb des Reiches verschaffte. Diese Rivalität gab es schon seit einiger Zeit und viele Jahre lang hatte Mainz die Nase vorn gehabt. Gestützt auf die Bonifatius-Tradition, den legendären ersten Mainzer Erz­ bischof und Heiligen, erhoben die Mainzer Erzbischöfe einen Führungsanspruch innerhalb der Kirche des Reiches. Außerdem reklamierten sie das Recht der Königsweihe für ihre Kirche.100 Doch bereits im ausgehenden 10. Jahrhundert und dann verstärkt etwa seit den 1020er Jahren begann der Mainzer Stern zu sinken, der Kölner erlebte dafür bereits seit einiger Zeit einen Aufstieg. Zwar war Aribo von Mainz noch 1024 von Konrad II., dem er zum Königtum verholfen hatte, zum Erzkanzler von Italien erhoben worden, ­sodass nun beide Abteilungen der Kanzlei dem Mainzer Erzbischof unterstanden, aber sein Krönungsrecht war nicht mehr unumstritten. Den Anlass, es Aribo dauerhaft zu entwinden,  97 Regesta Imperii III. Salisches Haus 1024–1125, Abt. 5: Papstregesten 1024–1058, 2. Lieferung: 1046–1058, hg. v. J. F. Böhmer, bearb. v. Karl Augustin Frech, Wien 2011, Nr. 573. – Oediger 1954/61 (wie Anm. 3), Nr. 818. – Beuckers 1993 (wie Anm. 1), S. 29. – Vgl. auch J. H. Hennes: Hermann II., Erzbischof von Köln, Mainz 1851, S. 39. – Zum Inhalt des Privilegs vgl. Heinz Wolter: Das Privileg Leos IX. für die Kölner Kirche vom 7. Mai 1052 (JL. 4271), in: Rechtsgeschichtlich-diplomatische Studien zu frühmittelalterlichen Papsturkunden, hg. v. Egon Boshof und Heinz Wolter (Studien und Vorarbeiten zur Germania Pontificia, Bd. 6), Köln 1976, S. 101–157, hier S. 132–144 und Klaus Gereon Beuckers: Die päpstliche Privilegienbestätigung von 1052 und die Stiftungstätigkeit Erzbischofs Hermann II. im Kölner Dombereich, in: Für irdischen Ruhm und himmlischen Lohn. Stifter und Auftraggeber in der mittelalterlichen Kunst, hg. v. Hans-Rudolf Meier, Carola Jäggi und Philippe Büttner, Berlin 1995, S. 91–107, hier S. 91–95. – Die Verleihung der Rechte 1049 wird in der Vita Leonis geschildert. Vgl. La Vie Du Pape León IX (Brunon, évêque de Toul), hg. v. Michel Parisse (Les Classiques de l’Histoire de France au Moyen Âge, Bd. 38), Paris 1997, S. 88–90.  98 Vgl. Oediger 1954/61 (wie Anm. 3), Nr. 827. – Schieffer 1991 (wie Anm. 9), S. 7. – Zur Echtheit der Privilegienbestätigung von 1052 vgl. Wolter (wie Anm. 96), S. 144, zur mündlichen Verabredung 1049 S. 118.  99 Vgl. Anton Joseph Binterim: Die Bulle Leos IX. für den Erzbischof Hermann II. und die kölnische Kirche gegen die neuesten Angriffe verteidigt nebst einem Rückblick auf Hermanns Vorgänger, Erzbischof Piligrin als Bibliothekar des apostolischen Stuhls, und auf die kölnische Kirchengeschichte des elften Jahrhunderts und einer Nachschrift als Antwort auf die eben erschienene Broschüre: „die geborenen Kardinäle der kölnischen und trier’schen Kirche von J. W. J. Braun“, Köln 1851, S. 16. 100 Vgl. Franz Staab: Die Mainzer Kirche. Konzeption und Verwirklichung in der Bonifatius- und Theonesttradition, in: Weinfurter 1991 (wie Anm. 9), S. 31–77, hier S. 40.

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bot dessen Weigerung, Konrads Frau, Gisela, wegen zu naher Verwandtschaft der beiden zur Kaiserin zu krönen. Da der Kölner Erzbischof Pilgrim diesbezüglich weniger Skrupel hatte, konnte er Gisela am 21. September 1024 in Köln krönen und begründete damit das Kölner Krönungsvorrecht.101 1037 machte Hermann II. dem Mainzer Metropoliten das Amt und den Titel des Erzkanzlers für Italien streitig. Taufe und Krönung Heinrichs IV. 1051 und 1054 untermauerten den Kölner Anspruch auf die Ehre der ­Königskrönung. In die Reihe dieser Ereignisse, die die Bedeutung des Kölner Erzbischofs steigerten und schließlich den Mainzer überholen ließen, ist auch die eben erwähnte ­Erhebung zum Erzkanzler der römischen Kirche zu stellen, was zeigt, wie Hermann es verstand, aus seinem Engagement für die Reform der Kirche Vorteile für seine eigene Erzdiözese zu ziehen. Eigentlich kann man an allen hier behandelten Politikfeldern sehen, wie interdependent Hermanns Agieren war. Kern seines politischen Handelns bildete jedoch die Familie, die sich in Hermanns Fall durch die Verwandtschaft mit dem Königshaus bis in das hi­ nein erstreckt, was wir gewohnt sind, als Reichspolitik zu bezeichnen. Aber sowohl das kaiserliche als auch das Handeln Hermanns lassen erkennen, dass vieles auch oder sogar allein aufgrund eines verwandtschaftlichen Verhältnisses zu einem oder mehreren der anderen Akteure geschah. Hermann und Heinrich arbeiteten eng – man ist fast geneigt zu sagen ‚familiär‘ – zusammen. Dabei nutzte Hermann nicht nur die Ressourcen der Familie, wie zum Beispiel in der Auseinandersetzung mit Gottfried dem Bärtigen, sondern auch die seines Amtes als Erzbischof von Köln. Dass Hermann sich für die Kirchenreform einsetzte, erscheint dann nicht mehr ungewöhnlich, wenn man sich vor Augen führt, dass es sich um den großen Trend der Zeit handelte. In der Tat ist es so, dass mit Hermann nicht nur der „Höhe- und Endpunkt des Kölner Früh­ mittelalters“ erreicht ist, sondern auch die Familie der Ezzonen mit Hermann und seinen Geschwistern ihren machtpolitischen Höhepunkt überschritten hatte.102 Hermann versuchte zu regeln und zu retten, was zu retten war, aber gegen das Aussterben der Linie, also letztlich den genealogischen Zufall, hatte er kein Gegenmittel zur Hand. Sein Nachfolger Anno II. machte dann den letzten Resten der ezzonischen Macht im Rheinland den Garaus. Da ruhte Hermann, der am 11. Februar 1056 gestorben war, schon seit einigen Jahren im Dom zu Köln.103

101 Vgl. Egon Boshof: Die Salier (Kohlhammer-Urban-Taschenbücher, Bd. 387), Berlin 1987, S. 38 f. – Ob dies „zum viel größeren Schaden für den deutschen König“ geschah  – wie Staab 1991 (wie Anm. 100), S. 49 meint – sei dahingestellt. 102 Vgl. Müller 1991 (wie Anm. 7), S. 29. 103 Vgl. Oediger 1954/61 (wie Anm. 3), Nr. 837. – Zum Ablauf einer erzbischöflichen Bestattung vgl. Heinz Finger: Zu Inthronisation und Begräbnis der Bischöfe, insbesondere der Kölner Erzbischöfe, im Mittelalter  – Ritual und „Inszenierung“ am Anfang und Ende bischöflicher Amtszeiten, in: Analecta Coloniensia. Jahrbuch der Diözesan- und Dombibliothek Köln 5 (2005), S. 125–146, hier S. 137–142.

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Rudolf Schieffer

Die Kölner Klosterlandschaft des 11. Jahrhunderts und die kirchliche Entwicklung in Polen Wie, wann und durch wen das heute in Warschau aufbewahrte Sakramentar von seinem Entstehungsort Köln an seinen Gebrauchsort Tyniec bei Krakau gelangt ist, wird nirgends überliefert und kann daher nur hypothetisch ergründet werden. Da Tyniec eine Benediktinerabtei war, richtet sich dabei das Augenmerk zumal auf die Kölner Klöster, die im 11. Jahrhundert allesamt noch relativ jung und eng untereinander verbunden waren, was die Bezeichnung als ‚Klosterlandschaft‘ durchaus rechtfertigt.1 Anders als im westlich benachbarten Bistum Lüttich, das schon seit den Merowingern und Karolingern mehr als ein Dutzend Klöster aufwies,2 dominierten auf Kölner Seite seit jeher sowohl in der Stadt als auch in Bonn oder Xanten die großen Stiftskirchen, die seit 816 einer von der Benediktregel unterschiedenen kanonikalen Lebensordnung unterworfen waren.3 Frühe Mönchsklöster, die sämtlich ohne Zutun der Bischöfe entstanden waren, finden sich im Kölner Sprengel nur an der Peripherie. Dazu gehören Malmedy, das seit seinen Anfängen im 7. Jahrhundert mit der unweit auf Lütticher Gebiet gelegenen Abtei Stablo verbunden war,4 ferner die aus der Friesen- und Sachsenmission erwachsenen Klöster auf der Rheininsel Kaiserswerth (im 11. Jahrhundert ein Kollegiatstift)5 und in

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Zum Begriff Klosterlandschaft vgl. Franz J. Felten: Klosterlandschaften, in: Landschaft(en). Begriffe – Formen – Implikationen, hg. v. Franz J. Felten, Harald Müller und Heidrun Ochs (Geschichtliche Landeskunde, Bd. 68), Stuttgart 2012, S. 157–191. – Gert Melville: „Klosterlandschaft“. Kritische Bemerkungen zum wissenschaftlichen Wert einer Wortschöpfung, in: ebenda, S. 195–222. Vgl. Alain Dierkens: Abbayes et Chapitres entre Sambre et Meuse (VIIe–XIe siècles) (Beihefte der Francia, Bd. 14), Sigmaringen 1985. Vgl. Josef Semmler: Die Kanoniker und ihre Regel im 9. Jahrhundert, in: Studien zum weltlichen Kollegiatstift in Deutschland, hg. v. Irene Crusius (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 114; Studien zur Germania Sacra, Bd. 18), Göttingen 1995, S. 62–109 (S. 82 f. auch zur Rezeption in Köln). Vgl. Matthias Werner: Der Lütticher Raum in frühkarolingischer Zeit. Untersuchungen zur Geschichte einer karolingischen Stammlandschaft (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 62), Göttingen 1980, S. 359–368. Vgl. Sönke Lorenz: Kaiserswerth im Mittelalter. Genese, Struktur und Organisation königlicher Herrschaft am Niederrhein (Studia humaniora, Bd. 23), Düsseldorf 1993, S. 17–21.

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Werden an der Ruhr6 sowie die beiden der karolingischen Eifelabtei Prüm unterstellten Konvente in Kesseling südlich der Ahr (bald wieder verschwunden)7 und in Münstereifel (seit dem 12. Jahrhundert ebenfalls Kollegiatstift),8 schließlich das von Kaiser Ludwig dem Frommen 815 für Abt Benedikt von Aniane ins Leben gerufene Musterkloster Inden (später Kornelimünster) bei Aachen.9 Es bedeutete somit einen markanten Wendepunkt in der Kölner Kirchengeschichte, als Erzbischof Brun, der Bruder Ottos des Großen, bald nach 955 die Initiative zu einem Mönchskloster nach der Benediktregel bei der schon länger bestehenden Kirche St. Pantaleon im südwestlichen Vorfeld der Kölner Römermauer ergriff, wozu er den ersten Abt Christian und wohl auch weitere Mönche aus dem damals führenden Reformkloster St. Maximin vor Trier herbeiholte.10 Das Kloster und seine erst 980 endgültig neu geweihte Kirche waren von vornherein als Stätte der Memoria des erzbischöflichen Gründers gedacht, der 965 abweichend von der inzwischen üblich gewordenen Bestattung im Dom hier seine Ruhestätte fand und schon nach wenigen Jahren von Ruotger, offenbar einem Mitglied des Konvents, durch die Vita Brunonis gewürdigt wurde. 991 empfing die Abtei gesteigerten Glanz durch die Überführung und Beisetzung der in Nimwegen verstorbenen Kaiserin Theophanu, der Witwe Ottos II. Nicht zuletzt deshalb nahm St. Pantaleon als ältestes Kloster der Stadt dauerhaft einen besonderen Rang ein und entsandte schon in den ersten Jahrzehnten Gründungsäbte nach St. Michael in Lüneburg sowie nach St. Michael in Hildesheim.11 Die Quellenlage erlaubt eine lückenlose Rekonstruktion der Abtsliste von St. Pantaleon, gibt aber in zwei Totenbüchern des 13. Jahrhunderts nur sporadischen Einblick in die frühe Zusammensetzung des Konvents insgesamt.12  6 Vgl. Wilhelm Stüwer: Die Reichsabtei Werden an der Ruhr (Germania Sacra N.F., Bd. 12), Berlin 1980.  7 Vgl. Bernd Isphording: Prüm. Studien zur Geschichte der Abtei von ihrer Gründung bis zum Tod Kaiser Lothars I. (721–855) (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte, Bd. 116), Mainz 2005, S. 91–93 u. passim.  8 Vgl. Isphording 2005 (wie Anm. 7), S. 307–330.  9 Vgl. Norbert Kühn: Die Reichsabtei Kornelimünster im Mittelalter. Geschichtliche Entwicklung, Verfassung, Konvent, Besitz (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Aachen, Bd. 3), Aachen 1982. – Um 1000 kam unweit davon als Gründung Kaiser Ottos III. noch Kloster Burtscheid hinzu. Vgl. Thomas Wurzel: Die Reichsabtei Burtscheid von der Gründung bis zur frühen Neuzeit. Geschichte, Verfassung, Konvent, Besitz (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Aachen, Bd. 4), Aachen 1984. 10 Vgl. Hans Joachim Kracht: Geschichte der Benediktinerabtei St. Pantaleon in Köln 965–1250 (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 11), Siegburg 1975. – Rudolf Schieffer: Erzbischof Brun, Kaiserin Theophanu und die Kirche des hl. Pantaleon in Köln, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische Kirchen Köln 21 (2006), S. 25–32. 11 Vgl. Kracht 1975 (wie Anm. 10), S. 69 f. 12 Vgl. Memorienkalender A und B. Vgl. Benno Hilliger: Die Urbare von S. Pantaleon in Köln (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Bd. 20.1), Bonn 1902, S. 1–85.

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Bei St. Pantaleon allein blieb es nicht lange. Erzbischof Gero begründete 974 auf zunächst noch Lütticher Bistumsgebiet wiederum bei einer schon älteren Kirche das Vituskloster auf dem Abteiberg in Gladbach (heute Mönchengladbach) und gewann kaum zufällig den ersten Abt Sandrad ebenfalls aus St. Maximin.13 Die Bindung an die Kölner Kirche wurde exklusiv durch einen um 987 von Erzbischof Everger ausgehandelten Gebietstausch, der Gladbach in den Kölner Sprengel einbezog, nachdem es unter Evergers Vorgänger Warin zu Zerwürfnissen mit Lüttich gekommen und Abt Sandrad samt seinem Konvent zeitweilig sogar aus Gladbach fortgezogen war.14 Von einer bald nach der Rückkehr erreichten Blüte der Abtei zeugt es, dass etwa 1006 zwölf Mönche zur Gründung des Klosters Hohorst (bei Amersfoort) ausgesandt wurden, das später als Paulusabtei in die Bischofsstadt Utrecht verlegt worden ist. Die Abfolge der Gladbacher Äbte wie auch eine große Zahl von Namen ihrer Mitbrüder sind durch ein Nekrolog aus dem mittleren 13. Jahrhundert gesichert.15 Ein drittes erzbischöfliches Kloster binnen kurzer Zeit entstand dadurch, dass der genannte Erzbischof Everger die Martinskirche in der Kölner Rheinvorstadt (heute Groß St.  Martin), wo sein Vorgänger Brun ein Stift errichtet und später der Gladbacher Mönchskonvent zeitweilig Unterkunft gefunden hatte, um die Jahreswende 988/89 an fremde Mönche aus Irland übergab, die von den Zeitgenossen als Schotten bezeichnet wurden und bis tief ins 11. Jahrhundert dort den Ton angaben.16 Auf einen Abt mit dem bezeichnenden Namen Kilian, der 1003 gestorben war, folgte bis 1042 Elias, der 1021 auch zum Abt von St. Pantaleon bestellt wurde, nachdem dort zuvor ein anderer Kilian und nach diesem Abt Folpert von Gladbach die Leitung innegehabt hatten.17 Die personelle Verflechtung unter den Kölner Klöstern lässt die lenkende Hand der Erzbischöfe 13 Vgl. Wilhelm Classen: Das Erzbistum Köln. Archidiakonat von Xanten (Germania Sacra, Bd. 3.1), Berlin 1938, S. 397–444. – Hans Bange / Wolfgang Löhr: Gladbach, in: Die Benediktinerklöster in Nordrhein-Westfalen, bearb. v. Rhaban Haacke (Germania Benedictina, Bd. 8), St. Ottilien 1980, S. 323–351. 14 Vgl. Friedrich Wilhelm Oediger (Bearb.): Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter, Bd. 1: 313–1099 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Bd. 21.1), Bonn 1954/61, S. 166 f., Nr. 546. 15 Vgl. Natascha Alexandra Holtschoppen: St. Vitus zu Gladbach. Prosopographische Erschließung und Edition des Necrologs der ehemaligen Benediktinerabtei St. Vitus zu (Mönchen-)Gladbach (Beiträge zur Geschichte der Stadt Mönchengladbach, Bd. 48.2), Mönchengladbach 2008. 16 Vgl. Peter Opladen: Groß St. Martin. Geschichte einer stadtkölnischen Abtei (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 2), Düsseldorf 1954. – Josef Semmler: Iren in der lothringischen Klosterreform, in: Die Iren und Europa im früheren Mittelalter, hg. v. Heinz Löwe, Stuttgart 1982, S. 941– 957, hier S. 952 f. 17 Vgl. Kracht 1975 (wie Anm. 10), S. 56. – Art. Elias, Abt von Groß St. Martin und St. Pantaleon zu Köln, in: Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 20, Nordhausen 2002, Sp. 457 (Ekkart Sauser).

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erkennen, die alle wesentlichen Personalentscheidungen getroffen haben dürften und offensichtlichen Wert auf eine einheitliche Ausrichtung des monastischen Lebens legten. Da kein mittelalterliches Nekrolog aus Groß St. Martin erhalten ist, wissen wir so gut wie nichts über die einfachen Mitglieder des Konvents. In Sichtweite von Groß St. Martin errichtete Erzbischof Heribert bald nach 1002 auf dem rechten Rheinufer in Deutz das nächste Kloster. Es wurde für eine Gemeinschaft von vierzig Mönchen ausgestattet und sollte von vornherein dem frommen Gedenken an den jüngst verstorbenen – Heribert eng verbundenen – Kaiser Otto III., später auch als Grabstätte des Erzbischofs selber dienen, der hier sogar zum Patron der 1020 geweihten, viel bewunderten Klosterkirche avancierte.18 Das Bestreben nach weiterer Verfestigung der Kölner Klosterlandschaft als Gründungsgedanke wird vor allem darin fassbar, dass Abt Folpert, der erst 1001 die Leitung von Gladbach übernommen hatte, gleich auch an die Spitze des neuen Konvents von Deutz trat, bevor er, wie erwähnt, zwei Jahre vor seinem Tod obendrein mit St. Pantaleon betraut wurde. In ihm, dem in der jüngeren Vita Heriberti auch persönliche Vertrautheit mit dem Erzbischof nachgerühmt wird,19 haben wir zwei Jahrzehnte lang die zentrale Persönlichkeit des Kölner Klosterwesens zu erblicken. Eine ähnliche Schlüsselfunktion übernahm nach 1021 unter Erzbischof Pilgrim wiederum für 21 Jahre der schon genannte Elias als Doppelabt von Groß St.  Martin und St. Pantaleon, bevor nach 1042 die Klöster wieder mehr ihre eigenen Wege gingen. Über den frühen Deutzer Konvent ist namentlich nichts bekannt. Nicht als erzbischöfliche Stiftung, sondern auf Betreiben des lothringischen Pfalzgrafen Erenfrid/Ezzo und seiner Gattin Mathilde, der Tochter Kaiser Ottos II., kam seit 1024 die Abtei Brauweiler westlich von Köln hinzu.20 Die Gründerfamilie hatte im ausgehenden 10. Jahrhundert rapide an Macht und Ansehen gewonnen und war der Kölner Kirche bereits unter Erzbischof Heribert eng verbunden, der ihr höchstwahrscheinlich die Vogtei seiner Klostergründung Deutz übertragen hatte.21 Die Abtei auf eigenem Grund und Boden in Brauweiler sollte die hervorragende Stellung der Ezzonen weithin sichtbar machen und zugleich deren Seelenheil fördern. Das neue Kloster nahm Erzbischof Pilgrim 18 Vgl. Joseph Milz: Studien zur mittelalterlichen Wirtschafts- und Verfassungsgeschichte der Abtei Deutz (Veröffentlichungen des Kölnischen Geschichtsvereins, Bd. 30), Köln 1970. – Heribert Müller: Heribert, Kanzler Ottos III. und Erzbischof von Köln (Veröffentlichungen des Kölnischen Geschichtsvereins, Bd. 33), Köln 1977. – Klaus Gereon Beuckers: Heinrich II. und Köln. Die Gründung von Kloster Deutz im (kunst)historischen Kontext, in: Herrschaftslandschaft im Umbruch. 1000 Jahre Merseburger Dom, hg. v. Andreas Ranft und Wolfgang Schenkluhn (More Romano. Schriften des Europäischen Romanik Zentrums, Bd. 6), Regensburg 2017, S. 79–112. 19 Rupert von Deutz, Vita sancti Heriberti, c. 18. Vgl. Peter Dinter: Rupert von Deutz, Vita Heriberti. Kritische Edition mit Kommentar und Untersuchungen (Veröffentlichungen des Historischen Vereins für den Niederrhein, Bd. 13), Bonn 1976, S. 61. 20 Vgl. Erich Wisplinghoff: Die Benediktinerabtei Brauweiler (Germania Sacra N.F., Bd. 29), Berlin 1992. 21 Vgl. Milz 1970 (wie Anm. 18), S. 193.

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wohl anlässlich der Kirchweihe 1028 in seinen Schutz, während sich der Pfalzgraf die Vogtei vorbehielt.22 Um die ersten sieben Mönche bat man den unter Konrad II. hochangesehenen Abt Poppo von Stablo, der auch den ersten Leiter namens Ello aus St. Maximin vor Trier vermittelt haben wird. Die beständige Weiterentwicklung zu einem dynastischen Hauskloster verhinderte der frühe Tod der männlichen Erben des Stifterpaars, von denen allein Hermann übrigblieb, der seit 1036 Erzbischof in Köln war.23 Zusammen mit seinen Schwestern, der verwitweten Königin Richeza von Polen und der Äbtissin Theophanu von Essen, übertrug er vor 1052 Brauweiler seinem Erzstift.24 Außer der Abtsliste ist über die personelle Zusammensetzung des Konvents im ersten Jahrhundert der Brauweiler Klostergeschichte so gut wie nichts bekannt. Sofern auch noch die folgenden Jahrzehnte in Betracht zu ziehen sind, in denen das Sakramentar bereits vorhanden, aber womöglich noch nicht nach Polen verbracht war, ist als weiteres kölnisches Kloster Siegburg hervorzuheben, wo Erzbischof Anno II. um 1064 auf einem vormals pfalzgräflichen Burgberg die Michaelsabtei begründete.25 Das geschah zunächst in ganz herkömmlicher Weise durch Berufung des ersten Konvents aus St. Maximin vor Trier, doch nach einem Besuch im cluniazensisch geprägten Reformkloster Fruttuaria in Oberitalien entschloss sich Anno 1070, dortige Mönche nach Siegburg zu holen und dem klösterlichen Leben eine neue Richtung zu geben. Sie wurde bald auch von St. Pantaleon in Köln und später von Brauweiler, Gladbach, Groß St. Martin und Deutz übernommen, veränderte also tiefgreifend die gesamte Kölner Klosterlandschaft und wurde noch weit darüber hinaus als vorbildlich wahrgenommen.26 Dank nekrologi22 Erich Wisplinghoff (Bearb.): Rheinisches Urkundenbuch. Ältere Urkunden bis 1100. Erste Lieferung: Aachen – Deutz (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Bd. 57.1), Bonn 1972, S. 102–110, Nr. 88. 23 Vgl. Ursula Lewald: Die Ezzonen. Das Schicksal eines rheinischen Fürstengeschlechtes, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 43 (1979), S. 120–168, hier S. 141–147. – Klaus Gereon Beuckers: Die Ezzonen und ihre Stiftungen. Eine Untersuchung zur Stiftungstätigkeit im 11. Jahrhundert (Kunstgeschichte, Bd. 42), Münster 1993. – Hellmuth Kluger: Propter Claritatem Generis. Geneaologisches zur Familie der Ezzonen, in: Köln. Stadt und Bistum in Kirche und Reich des Mittelalters. Festschrift für Odilo Engels zum 65. Geburtstag (Kölner Historische Abhandlungen, Bd. 39), hg. v. Hanna Vollrath und Stefan Weinfurter, Köln 1993, S. 223–258. – Klaus Gereon Beuckers: Die Stiftungen der Ezzonen. Manifestationen politischer und geistlicher Stellung unter den späten Ottonen und frühen Saliern in Lothringen, in: Verortete Herrschaft. Königspfalzen, Adelsburgen und Herrschaftsbildung in Niederlothringen während des frühen und hohen Mittelalters, hg. v. Jens Lieven, Bert Thissen und Ronald Wientjes (Schriften der Heresbach-Stiftung Kalkar, Bd. 16), Bielefeld 2014, S. 255–288. 24 Vgl. Wisplinghoff 1972 (wie Anm. 22), S.112–120, Nr. 90. 25 Vgl. Erich Wisplinghoff: Die Benediktinerabtei Siegburg (Germania Sacra N.F., Bd. 9), Berlin 1975. 26 Vgl. Josef Semmler: Die Klosterreform von Siegburg. Ihre Ausbreitung und ihr Reformprogramm im 11. und 12. Jahrhundert (Rheinisches Archiv, Bd. 53), Bonn 1959. – Manfred Groten: Reformbewegungen und Reformgesinnung im Erzbistum Köln, in: Reformidee und Reformpolitik im spätsalisch-

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schen Quellen aus der Frühzeit sind relativ viele Siegburger Konventualen mit Namen überliefert.27 * Soweit in großen Zügen zu den Kölner Klöstern, wie sie sich seit der Mitte des 10. Jahrhunderts entwickelt haben. Ihre kennzeichnenden Merkmale sind die Ausrichtung nach der lothringischen Reform, die in mehrfachen Impulsen aus St. Maximin vor Trier vermittelt wurde,28 daneben nicht leicht zu konkretisierende irische Einflüsse,29 vor allem aber die beherrschende Stellung der Erzbischöfe,30 die übrigens verhindert hat, dass in Köln oder näherer Umgebung jemals eine Reichsabtei entstand. Zweifellos hätten diese Kölner Klöster das personelle und materielle Potential gehabt, um unter der Ägide der Erzbischöfe aktiv an der Christianisierung und am kirchlichen Aufbau in Polen mitzuwirken. Allerdings fällt es schwer, dafür in den rheinischen oder polnischen Quellen ausdrückliche Belege zu finden. Ohnehin nicht in Betracht kommt die Frühphase des polnischen Christentums, die 966 mit der Taufe des Piasten-Fürsten Mieszko I. begann, anfangs von böhmisch-tschechischen, später auch von ostsächsischen Kräften dominiert war und das zeitige Bestreben erkennen lässt, in unmittelbare Beziehung zum Papst in Rom zu treten.31 Eine nähere Verbindung zum Westen des Ottonenreiches ergab sich erst infolge der Reise, die Kaiser Otto III. im März des Jahres 1000 an das Grab des hl. Adalbert in Gnesen führte, wo er mit Mieszkos Sohn, dem Fürsten Bolesław dem Tapferen (Chrobry), zusammentraf und die Grundlagen der polnischen Bistumsorganisation gelegt wurden.32 Bolesław begleitete den Kaiser anschließend über Magdeburg nach Aachen, wo Otto bereits 997 ein Kanoni-

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frühstaufischen Reich, hg. v. Stefan Weinfurter und Hubertus Seibert (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte, Bd. 68), Mainz 1992, S. 97–118. Vgl. die Personallisten bei Wisplinghoff 1975 (wie Anm. 25), S. 206–209. Vgl. im Überblick Erich Wisplinghoff: Lothringische und Clunyazensische Reform im Rheinland, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 56 (1992), S. 59–78. Der gebürtige Ire Marianus Scottus, der sich allerdings erst seit 1056 in Köln aufhielt, berichtet anekdotenhaft von einem Zerwürfnis der irischen Mönche in Köln mit Erzbischof Pilgrim kurz vor dessen Tod (1036). Vgl. Chronica zu 1058/1036, hg. v. Georg Waitz, in: MGH Scriptores, Bd. 5, Hannover 1844, S. 556 f. Zum Rechtsstatus der Libertas Coloniensis vgl. Semmler 1959 (wie Anm. 26), S. 198–213. Vgl. Roman Michałowski: Christianisation of the Piast Monarchy in the 10th and 11th Centuries, in: Acta Poloniae Historica 101 (2010), S. 5–35. – Stanisław Rosik: Die Anfänge des Christentums in Polen, in: Credo. Christianisierung Europas im Mittelalter, Ausst. Kat. Diözesanmuseum Paderborn u. a., hg. v. Christoph Stiegemann, Martin Kroker und Wolfgang Walter, 2 Bde., Petersberg 2013, Bd. 1, S. 380–388. Vgl. Polen und Deutschland vor 1000 Jahren. Die Berliner Tagung über den „Akt von Gnesen“, hg. v. Michael Borgolte (Europa im Mittelalter, Bd. 5), Berlin 2002.

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kerstift zu Ehren des kurz zuvor bei den Prußen erschlagenen Märtyrers Adalbert eingerichtet hatte.33 Der polnische Herrscher kam bei dieser Gelegenheit auch nach Köln34 und konnte wahrscheinlich die Aussicht mit nach Hause nehmen, dank der Verabredung einer künftigen Ehe seines Sohnes Mieszko II. mit einer der noch ganz kleinen Töchter von Ottos Schwester, der Pfalzgräfin Mathilde, demnächst mit dem Kaiserhaus verschwägert zu sein.35 Als diese Hochzeit nach schweren kriegerischen Verwicklungen zwischen dem Ottonen- und dem Piastenreich unter Ottos Nachfolger Heinrich II. 1013 in Merseburg zustande kam, sollte sie einen bilateralen Friedensschluss besiegeln, der indes nicht lange Bestand hatte.36 Die Braut hieß Richeza, war inzwischen etwa fünfzehn Jahre alt und im Raum Köln/Brauweiler beheimatet. Sie dürfte bis dahin ebenso wie ihre Schwestern eine ihrer hochadligen Abkunft gemäße geistliche Bildung erfahren haben. Ganz gewiss wird man sie nicht allein in das ferne und fremde Polen entlassen, sondern ihr ein angemessenes Gefolge beigegeben haben. Dazu zählte auch mindestens ein Kleriker als ihr Berater und Betreuer, über dessen Identität wir leider nichts wissen. Es muss daher offenbleiben, ob er einem der Kölner Klöster entnommen wurde oder doch eher ein Stiftskanoniker war, wie lange er in Polen verblieb und ob er im dort beginnenden kirchlichen Leben eine nennenswerte Rolle gespielt hat. Wenn wir pauschalen Lobsprüchen trauen dürfen, die Richezas Gatten Mieszko, der 1025 dem Vater im polnischen Königtum nachfolgte, höchsten Eifer bei der Ausbreitung des christlichen Glaubens und der Errichtung von Kirchen im Lande nachrühmen,37 müsste er ganz viele geistliche Aufbauhelfer von auswärts benötigt haben, nicht allein aus der engeren Heimat seiner Frau. Andererseits gibt es deutliche Hinweise darauf, dass Richezas Leben in Polen durchaus nicht in ruhigen Bahnen verlief. Wiederholte Konflikte mit dem Reich Heinrichs II. und Konrads II. wie auch mit Böhmen, nach Bolesławs Tod ein zäher Thronstreit zwischen ihrem Gatten und 33 Vgl. Gerd Althoff: Otto III. (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), Darmstadt 1996, S. 147–152. 34 Vgl. Mathilde Uhlirz: Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Otto II. und Otto III. (Jahrbücher der deutschen Geschichte, Bd. 10.2), Bd. 2: Otto III., Berlin 1954, S. 330. 35 Quelle sind die (späten) Miracula s. Adalberti c. 9, ed. v. Georg Heinrich Pertz, in: MGH Scriptores, Bd. 4, Hannover 1841, S. 616. – Vgl. Marlene Nikolay-Panter: Königin Richeza (um 1000–1063), in: Rheinische Lebensbilder, Bd. 12, hg. v. Franz-Josef Heyen, Köln 1991, S. 25–46, hier S. 28. 36 Bezeugt durch die Fundatio monasterii Brunwilarensis c. 13. Vgl. Hermann Pabst: Die Brauweiler Geschichtsquellen, in: Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 12 (1872), S. 147– 193, hier S. 168. – Vgl. Christian Lübke: Regesten zur Geschichte der Slaven an Elbe und Oder (vom Jahr 900 an), Teil 3: Regesten 983–1013 (Gießener Abhandlungen zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des europäischen Ostens, Bd. 134), Berlin 1986, S. 315–317, Nr. 464 f. 37 So vor allem der Brief der Herzogin Mathilde von Oberlothringen an Mieszko II. von 1026/27. Vgl. Brygida Kürbis: Die Epistola Mathildis Suevae an Mieszko II. in neuer Sicht. Ein Forschungsbericht, in: Frühmittelalterliche Studien 23 (1989), S. 318–343 (mit Transkription S. 337 f.).

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seinem Stiefbruder, auch Ehekrisen und schließlich eine militante Opposition gegen die forcierte Christianisierung machten ihr immer wieder zu schaffen.38 Als nach Mieszkos Tod (1034) sehr bald ihr Versuch scheiterte, für den Sohn Kasimir die Regentschaft zu führen,39 räumte Richeza endgültig das Feld und setzte ihr Witwenleben bis zum Tod (1063) auf den ererbten Besitzungen im Rheinland und in Thüringen fort. Kasimir, der gleichfalls hatte weichen müssen, ging seit 1039 daran, aus dem deutschen Exil heraus die christliche Piastenherrschaft in Polen zu erneuern, wovon ihm die Mutter abgeraten haben soll.40 Doch der Sohn verstand es, einen akuten Konflikt König Heinrichs III. mit dem nach Polen eingedrungenen Herzog Břetislaw von Böhmen zu nutzen, um sich den Rückhalt des Saliers zu verschaffen, und wusste sich gleichzeitig nach Osten durch ein Bündnis mit dem Großfürsten Jaroslaw von Kiew abzusichern, dessen (Halb-) Schwester oder Tochter er heiratete.41 Die 500 Ritter, die er gemäß der Chronik des Gallus Anonymus spätestens 1041 in den bald schon gewonnenen Kampf um Polen führte, scheint er aus Deutschland mitgebracht zu haben, ohne dass wir Näheres über ihre Herkunft erführen.42 Hinzuzudenken hat man sich auch Feldgeistliche, denn Kasimirs Vorstoß zielte auf die Wiederherstellung nicht nur der politischen, sondern auch der kirchlichen Ordnung im Lande ab. Dabei konzentrierte er sich nach der Zerstörung und Ausplünderung von Gnesen durch die Böhmen vornehmlich auf Krakau, das zum neuen Zentrum wurde.43 Nicht nur der bereits zum Jahre 1000 bezeugte dortige Bischofssitz, dessen erster Inhaber Poppo vermutlich aus Deutschland gekommen war,44 wurde wiederbesetzt, sondern auch unweit der Stadt zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt ein Benediktinerkloster in Tyniec an der Weichsel begründet.45 Wiederum wird man dazu ausländische Hilfe benötigt haben. 38 Vgl. zusammenfassend Nikolay-Panter 1991 (wie Anm. 35), S. 34 f. 39 Vgl. Christian Lübke: Regesten zur Geschichte der Slaven an Elbe und Oder (vom Jahr 900 an), Teil 4: Regesten 1013–1057 (Gießener Abhandlungen zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des europäischen Ostens, Bd. 152), Berlin 1987, S. 173 f., Nr. 617. 40 Vgl. Galli Anonymi Cronicae et gesta ducum sive principum Polonorum 1,19, hg. v. Carolus Maleczyński (Monumenta Poloniae historica. Series nova, Bd. 2), Krakau 1952, S. 44. 41 Vgl. Lübke 1987 (wie Anm. 39), S. 195 f., Nr. 638a. 42 Vgl. Galli Anonymi Cronicae 1,19 (wie Anm. 40). 43 Vgl. Zofia Kurnatowska: Herrschaftszentren und Herrschaftsorganisation, in: Europas Mitte um 1000, Ausst. Kat. Reiss-Engelhorn-Museum Mannheim u. a., hg. v. Alfried Wieczorek und HansMartin Hinz, 3 Bde., Stuttgart 2000, Bd. 1, S. 458–463. 44 Vgl. Jerzy Strzelczyk: Polen, Tschechen und Deutsche in ihren Wechselwirkungen um das Jahr 1000, in: Borgolte 2002 (wie Anm. 32), S. 43–59, hier S. 53. 45 Die Gründung von Tyniec entweder unter Kasimir I. oder unter Bolesław II. wird in der polnischen Fachwelt kontrovers dargestellt. Vgl. reiche Literaturhinweise bei Waldemar Könighaus (Bearb.): Regesta Pontificum Romanorum. Polonia Pontificia, Göttingen 2014, S. 94–99. – Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Anfertigung des aus Köln stammenden Sakramentars und der Erstausstattung des Klosters muss nicht vorausgesetzt werden.

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Die polnische Quellenüberlieferung, die zum großen Teil aus Krakau selber stammt, aber nicht vor dem 13. Jahrhundert fassbar wird und überwiegend erst Vorstellungen des Spätmittelalters wiedergibt, räumt der Klostergründung den zeitlichen Vorrang vor der Erneuerung des Bistums ein und weiß von einem Mönch (oder gar Abt) namens Aaron aus Tyniec, der 1046 (abweichend auch 1043 oder 1047) zum Bischof oder gleich zum Erzbischof von Krakau geweiht worden und am 9. Oktober 1059 verstorben sei. Als Ort der Weihe wird zumeist Köln angegeben, in zwei Fällen auch Rom (was sich dann mit den stark divergierenden Jahresangaben 1059 oder 1070 verbindet).46 Soweit der Konsekrator bezeichnet wird, handelt es sich stets um Papst Benedikt IX. (verst. 1055/56), von dem feststeht, dass er am 1. Mai 1045 in Rom förmlich auf sein Amt verzichtete, aber 1047/48 und nochmals 1054 vergeblich versuchte, auf den Stuhl Petri zurückzukehren. 47 Ihm wurde seit dem 13. Jahrhundert in historiographischer, nicht in archivalischer Überlieferung auch noch ein offensichtlich gefälschtes Palliumsprivileg für Aaron zugeschrieben.48 Warum dessen Weihe ausgerechnet in Köln stattgefunden haben soll, ist eine Frage, auf die erst der Geschichtsschreiber Jan Długosz (1415–1480) die Antwort gegeben hat, Aaron sei von (dem vermeintlichen König) Kasimir nach Rom geschickt worden, habe den Papst dort aber nicht vorgefunden, sondern erst in Köln angetroffen.49 Diese Kon­ struktion soll wohl die beiden Versionen von der Weihe in Rom und von der Weihe in Köln irgendwie in Einklang bringen, ist aber ganz von der Hand zu weisen, denn der ­gescheiterte Benedikt  IX. aus dem römischen Adelsgeschlecht der Tusculaner ist mit ­Sicherheit nie in Deutschland gewesen. Sein Name dürfte nur deshalb in die Berichte über Bischof Aaron von Krakau eingeflochten worden sein, weil man dessen Weihe zugleich als Erhebung zum Erzbischof auffassen wollte und im 12. Jahrhundert tatsächlich drei Krakauer Bischöfe in Rom und Verona ihre Weihe vom Papst persönlich empfangen haben.50 Also wünschte man sich auch schon für Aaron einen Konsekrator höchsten ­Ranges und meinte den vorliegenden Papstkatalogen entnehmen zu können, Benedikt IX. sei es gewesen, der 1046 den Stuhl Petri innegehabt habe. 46 Vgl. Karl Augustin Frech (Bearb.): Papstregesten 1024–1058, 1. Lieferung: 1024–1046 (Regesta Imperii, Bd. 3/5.1), Köln 2006, S. 228 f., Nr. † 306, mit umfassender Quellenübersicht. 47 Vgl. Frech 2006 (wie Anm. 46), S. 199–206, Nr. 271–273. – Karl Augustin Frech (Bearb.): Papstregesten 1024–1058, 2. Lieferung: 1046–1058 (Regesta Imperii, Bd. 3/5.2), Köln 2011, S. 57 f., Nr. 385 f. u. S. 630, Nr. 1161. 48 Vgl. Harald Zimmermann (Bearb.): Papsturkunden 896–1046, Bd. 2: 996–1046 (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, Denkschriften, Bd. 177), 2. Aufl. Wien 1989, S. 1169–1171, Nr. † 623. – Vgl. Könighaus 2014 (wie Anm. 45), S. 87 f., Nr. † 9. 49 Vgl. Johannes Długosz, Catalogus, c. 6. Vgl. Josephus Szymański (Hg.): Catalogi episcoporum Cracoviensium (Monumenta Poloniae historica. Series nova, Bd. 10.2), Warschau 1974, S. 142. 50 Vgl. Könighaus 2014 (wie Anm. 45), S. 90 f., Nr. *20 u. *21 u. S. 91, Nr. *24, zu einer weiteren Fiktion des Jan Długosz S. 88, Nr. *13.

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Sehr fraglich erscheint mir, dass es in Polen eine Verwechslung mit Benedikts Nach­ folger Gregor VI. gegeben haben könnte, der nach seinem von Heinrich III. in Sutri ­veranlassten Rücktritt wegen Simonievorwürfen Ende 1046 in die Verbannung nach Deutschland geschickt wurde und Ende 1047 in Köln verstarb.51 Dass man diesem kompromittierten (wenn auch von der Reformpartei als integer geschätzten) Ex-Papst die ­fällige Bischofsweihe angetragen hätte, ist ohnehin schwer denkbar, denn das hätte die Legitimität des Krakauer Bischofs gegenüber den römischen Päpsten der Reformära schwer beeinträchtigt. Köln als Weiheort (anstelle von Krakau) ist dagegen unverdächtig und mag sich einfach daraus ergeben haben, dass es nach dem heidnischen Aufbegehren der 1030er Jahre in Polen zunächst gar nicht die drei kanonisch vorgeschriebenen Bischöfe im Lande gab, die dort die Handlung hätten vollziehen können.52 In Köln bot sich als Konsekrator Erzbischof Hermann II. an, der Bruder Richezas und Onkel Kasimirs, dessen Name aber eben in der polnischen Überlieferung vollkommen ausgeblendet ist.53 Genauso wenig verlautet dort über die Herkunft des geweihten Aaron, der weder einen deutschen noch einen polnischen, sondern einen biblischen Namen trug; insbesondere wird nirgends ein Zusammenhang zwischen Aarons Heimat und dem Weiheort Köln hergestellt. Dass man ihm liturgische Bücher auf die Heimreise mitgab, liegt nahe. Blicken wir auf die rheinische Überlieferung und zumal die Quellen aus dem ezzonischen Hauskloster Brauweiler, die dem 11. Jahrhundert entstammen und damit älter sind als alle polnischen Zeugnisse, so wissen sie durchaus von Königin Richeza zu berichten und erwähnen auch ihren Sohn Kasimir,54 aber die Kölner Bischofsweihe von anscheinend 1046, ein Krakauer Bischof namens Aaron sowie dessen Kloster Tyniec finden dort keine Beachtung. Zwar taucht ein Mönch mit Namen Aaron samt einem Mitbruder Becelin als Zeuge in einer Urkunde des Pfalzgrafen Erenfrid/Ezzo für Kloster Brauweiler von 1028 auf, doch liegt das Stück nur als Pseudo-Original mit paläographischen Merkmalen der Zeit um 1150 und einem gefälschten Siegel vor. Es handelt sich nicht um ein bloß formales Spurium, da auch der Rechtsinhalt, ein Streit um Pfarr- und Zehntrechte, ein-

51 Über Gregors rheinisches Exil vgl. Frech 2011 (wie Anm. 47), S. 58 f., Nr. 387. 52 Noch 1075 sprach Papst Gregor VII. davon, dass polnische Bischofskandidaten für ihre Weihe auf Wanderschaft gingen: „episcopi terrę vestrę non habentes certum metropolitanę sedis locum nec sub aliquo positi magisterio huc et illuc pro sua quisque ordinatione vagantes ultra regulas et decreta sanctorum patrum liberi sunt et absoluti“, in: Das Register Gregors VII., hg. v. Erich Caspar (MGH Epistolae selectae, Bd. 2), Berlin 1920/23, S. 234, Nr. II,73. 53 Vgl. Oediger 1954/61 (wie Anm. 14), S. 234, Nr. 810b. – Peter Schreiner: Die Geschichte der Abtei Brauweiler bei Köln 1024–1802 (Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde, 21. Sonderveröffentlichung), Pulheim 2001, S. 24. 54 Fundatio c. 25. Vgl. Pabst 1872 (wie Anm. 36), S. 177.

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deutig erst auf die Entstehungszeit zur Mitte des 12. Jahrhunderts verweist.55 Woher der Fälscher den Zeugennamen Aaron nahm und ob in den Anfangsjahren von Brauweiler einer der dortigen Mönche tatsächlich so geheißen hat, ist völlig ungewiss. Als Fundament für weiterreichende Hypothesen, zumal die verbreitete Identifizierung mit dem gleichnamigen Krakauer Bischof,56 taugt die Urkunde nicht. Sicher eine historische Persönlichkeit ist dagegen Aaron, der sechste Abt von St. Pantaleon in Köln, der nach dem Zeugnis der dortigen Annalen 1042 das Amt übernahm und nach seinem Tod am 18. November 1052 in der Klosterkirche bestattet wurde.57 Er unterzeichnete 1043 eine als echt zu betrachtende Urkunde Erzbischof Hermanns II. für St. Severin in Köln,58 brachte zwischen 1049 und 1052 aus Italien ein von Papst Leo IX. komponiertes liturgisches Offizium Gregors des Großen mit59 und hat nach der späten Mitteilung des Johannes Trithemius sogar selbst zwei oder drei (nicht überlieferte) musiktheoretische Schriften hinterlassen.60 Da dieser Abt Aaron aus dem Konvent von Groß St. Martin hervorgegangen und nach Meinung der Musikwissenschaft überhaupt ein Ire gewesen sein soll,61 kann er jedenfalls nicht mit dem angeblichen Mönch Aaron aus der gefälschten Urkunde von 1028 für St. Pantaleon identisch sein, aber ebenso wenig mit dem in Köln geweihten Bischof Aaron von Krakau, der das Rheinland alsbald verlassen haben wird und erst 1059, also sieben Jahre nach dem Kölner Abt Aaron, gestorben ist. Daraus ergibt sich, dass wir über Herkunft und Werdegang des Krakauer Bischofs keinerlei gesicherte Kenntnis haben und seine Weihe in Köln überhaupt das einzige ausdrückliche schriftliche Indiz für Kontakte zwischen Krakau und Köln aus der Zeit von Richezas Sohn Kasimir ist. Selbstverständlich könnte Bischof Aaron aus einem der Kölner Klöster hervorgegangen sein, deren Konvente in den uns vorliegenden Quellen des 55 Vgl. Wisplinghoff 1972 (wie Anm. 22), S. 101 f., Nr. †87. – Zur Echtheitskritik vgl. bereits Otto Oppermann: Rheinische Urkundenstudien, Bd. 1 (Bijdragen van het Instituut voor Middeleeuwsche Geschiedenis der Rijks-Universiteit Utrecht, Bd. 7), Utrecht 1922, S. 187. 56 So unter anderem Art. Aaron, Bf. v. Krakau, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1, München, Zürich 1980, Sp. 6 (Aleksander Gieysztor). – Schreiner 2001 (wie Anm. 53), S. 24. 57 Chronica regia Coloniensis (in diesem Teil aus St. Pantaleon) zu 1042 u. 1052, hg. v. Georg Waitz (MGH Scriptores rerum Germanicarum, Bd. 18), Hannover 1880, S. 36 f. – Vgl. Kracht 1975 (wie Anm. 10), S. 202 f. 58 Erich Wisplinghoff (Bearb.): Rheinisches Urkundenbuch. Ältere Urkunden bis 1100, Bd. 2: Elten – Köln, S. Ursula (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Bd. 57.2), Düsseldorf 1994, S. 330–335, Nr. 315, hier S. 335, Z. 194. 59 Vgl. Frech 2011 (wie Anm. 47), S. 120 f., Nr. 493. 60 Vgl. Opladen 1954 (wie Anm. 16), S. 177. – Kracht 1975 (wie Anm. 10), S. 75 f. – Art. Aaron Scottus, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Personenteil, Bd. 1, Kassel 1999, Sp. 3 (Michel Huglo). 61 So Opladen 1954 (wie Anm. 16), S. 22. – Huglo 1999 (wie Anm. 60), Sp. 3. – Der Taufname Aaron ist jedenfalls kein hinreichender Beweis für irische Herkunft.

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11./12. Jahrhunderts nur ganz lückenhaft in Erscheinung treten.62 Er kann aber auch ­anderwärts aus Deutschland gekommen sein oder, was nicht unterschätzt werden sollte, zu den Klerikern gehört haben, den einheimischen wie den fremden, die sich schon länger in Polen befanden, zumal auch sein Name eben keinen Aufschluss über seine Heimat bietet. Solange über ihn so viel Unklarheit herrscht, muss offenbleiben, ob Bischof Aaron von Krakau mit dem Weg des Sakramentars von Köln nach Tyniec in Verbindung zu ­bringen ist. * Der Horizont hellt sich nicht entscheidend auf, wenn wir abschließend die Zeit in den Blick fassen, zu der Erzbischof Hermann II. (verst. 1056), Königin Richeza (verst. 1063) und ihr Sohn Kasimir (verst. 1058) keinen Einfluss mehr auf die Beziehungen zwischen Köln und Krakau nehmen konnten, aber nach Meinung eines Großteils der polnischen Forschung das Kloster Tyniec erst unter Fürst Bolesław II., also in den 1060/70er Jahren – und damit eine ganze Weile nach der Wiederbesetzung des Krakauer Bischofsstuhls – begründet wurde.63 Auf der Suche nach konkreten Veranlassungen für eine relativ späte Lieferung des in Köln geschaffenen Sakramentars nach Polen, näherhin nach Krakau und Tyniec, ist auf eine Begegnung König Heinrichs IV. mit Fürst Bolesław II. im September 1071 in Meißen hinzuweisen, bei der wahrscheinlich auch der Kölner Erzbischof Anno zugegen war.64 Zum Zeremoniell dürfte gehört haben, kostbare Geschenke auszutauschen. Sodann verdient Beachtung, dass im Memorialbuch der 1070 begründeten Abtei Lubin (im Bistum Posen) zum 3. Februar das Gedenken „Reverendi patris Anchorae abbatis Tinecensis“ vermerkt ist.65 Dazu gibt es eine Entsprechung im Nekrolog von St. Michael in Lüneburg, das bis 1943 in einer Fassung aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts erhalten war und zum 1. Februar einen verstorbenen „Anchoro abbas“ verzeichnete.66 Dem62 Semmler 1959 (wie Anm. 26), S. 227 f., Anm. 136, erwägt, Aaron für einen Kanoniker von St. Gereon in Köln zu halten, der das Gereonspatrozinium an eine Kirche auf dem Krakauer Wawel vermittelt habe. 63 Vgl. Anm. 45. 64 Vgl. Tilman Struve (Bearb.): Die Regesten des Kaiserreiches unter Heinrich IV., 2. Lieferung: 1065– 1075 (Regesta Imperii 3/3.2), Köln 2010, S. 108, Nr. 585 (nach Lampert von Hersfeld). – Annos Anwesenheit ergibt sich aus der Zeugenliste einer gefälschten Urkunde Bischof Bennos von Meißen aus denselben Tagen. Vgl. Oediger 1954/61 (wie Anm. 14), S. 292, Nr. 999. 65 Liber fraternitatis et Liber mortuorum abbatiae sanctae Mariae Lubinensis, hg. v. Sbigneus Perzanowski (Monumenta Poloniae historica. Series nova, Bd. 9.2), Warschau 1976, S. 27. 66 Die Totenbücher von Merseburg, Magdeburg und Lüneburg, hg. v. Gerd Althoff und Joachim Wollasch (MGH Libri memoriales et Necrologia Nova Series, Bd. 2), Hannover 1983, S. 8 a 64 (zu Anachoreta), S. 35. – Vgl. Gerd Althoff: Adels- und Königsfamilien im Spiegel ihrer Memorialüberlieferung. Studien zum Totengedenken der Billunger und Ottonen (Münstersche Mittelalter-Schriften, Bd. 47), München 1984, S. 343 A 7.

Die Kölner Klosterlandschaft des 11. Jahrhunderts und die kirchliche Entwicklung in Polen  |  289

nach scheint es einen Abt von Tyniec gegeben zu haben, der seines ausgefallenen Namens wegen ziemlich sicher identisch ist mit dem, für den man fast am selben Tage im Lüneburger Michaelskloster betete. Und diese sächsische Abtei hatte immerhin bald nach 973 ihren ersten Vorsteher aus St. Pantaleon in Köln bezogen,67 kann also gut auch in späterer Zeit engere Beziehungen zum rheinischen Mönchtum unterhalten haben. Allerdings taucht Anchoras in Kölner Memorialquellen nicht auf und wird von polnischen Forschern eher für einen Iren gehalten, der vermutlich von Köln, Trier oder Brauweiler über Lüneburg nach Tyniec gelangt war.68 An der Weichsel könnte er nach dieser Vorstellung die Leitung des Klosters übernommen haben, nachdem der genannte Aaron Bischof in Krakau geworden war.69 Eine andere nekrologische Spur resultiert aus einer Totenliste des Klosters Siegburg, die spätestens 1125 nach Canterbury übermittelt wurde und zum 8. Juli einen „Heinricus sacerdos et monachus eiusdem loci et episcopus Poloniensis“ aufweist,70 doch ist nicht zu erkennen, welchen Bischofsstuhl dieser Siegburger Mönch zu welcher Zeit in Polen eingenommen haben soll. Generell ist gewiss zu vermuten, dass es im damaligen polnischen Episkopat auch Geistliche deutscher Herkunft gab. So soll Aarons Nachfolger als Bischof von Krakau nach polnischer Überlieferung Lambert (mit dem slawischen Zweitnamen Zula) geheißen und von 1059 bis 1071 amtiert haben.71 Sein Name spricht eindeutiger als bei Aaron für eine Heimat im Salierreich, doch ist es bislang nicht gelungen, im Bereich der Kölner und zumal der Lütticher Kirche jemanden ausfindig zu machen, der mit diesem Krakauer Bischof identifiziert werden könnte. Ihm folgte nach dem gewaltsam zu Tode gebrachten hl. Stanislaus ab etwa 1082 ein zweiter Krakauer Bischof namens Lambert, von dem sogar ein Brief überliefert ist, worin er König Wratislaw von Böhmen um sicheres Geleit bat für Boten des Erzbischofs von Köln, die im Zuge eines vorangegangenen Gesandtenaustauschs nach Krakau gekom-

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Vgl. Anm. 11. So Art. Tyniec, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 8, München 1997, Sp. 1130 f. (Jerzy Strzelczyk). Vgl. Semmler 1959 (wie Anm. 26), S. 227 f., Anm. 136. Wilhelm Wilbrand: Unbekannte Urkunden zur Geschichte der Abtei Siegburg, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 137 (1940), S. 73–97, hier S. 84. – Vgl. Semmler 1959 (wie Anm. 26), S. 228 f., der auf einen weiteren Beleg im Nekrolog von Kloster Echternach, hg. v. Ernst Sackur: Handschriftliches aus Frankreich, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 15 (1890), S. 103–139, hier S. 134 zum 8. Juli hinweist: „Heinricus episcopus et mo­ nachus sancti Michahelis“ (irrig bezogen auf einen der Bischöfe von Verdun). – Wisplinghoff 1975 (wie Anm. 25), S. 208. 71 So einhellig die ältesten Bischofskataloge, vgl. Szymański 1974 (wie Anm. 49), S. 24, 31, 44, 55 u. 85, stets ohne Bezeichnung der Herkunft und mit dem Vorwurf, das (angebliche) Pallium Aarons nicht erneuert zu haben.

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men waren und sich nun auf den Heimweg begeben wollten.72 Dieses Zeugnis, in Regensburg überliefert, gehört in die Zeit zwischen Wratislaws Königserhebung 1085 und seinem Tod 1092 und belegt einen wechselseitigen Kontakt zwischen Köln und Krakau, wie wir ihn in den Quellen der Jahrhundertmitte vergeblich suchen. Insgesamt liegt es durchaus nahe, dass die Kölner Kirche und besonders ihre Klöster im 11. Jahrhundert aktiven Anteil am kirchlichen Aufbau in Polen gehabt haben und dass in diesen Rahmen auch die Überlassung des nach Tyniec gelangten Sakramentars gehört, auch wenn es die Schriftquellen nicht erlauben, eine bestimmte Situation auszumachen, in der das geschehen sein mag.

72 Briefe an Wratislaw II. Nr. 7, in: Briefsammlungen der Zeit Heinrichs IV., bearb. v. Carl Erdmann und Norbert Fickermann (MGH Briefe der deutschen Kaiserzeit, Bd. 5), Weimar 1950, S. 396 f. – Vgl. Oediger 1954/61 (wie Anm. 14), S. 362, Nr. 1208.

Die Kölner Klosterlandschaft des 11. Jahrhunderts und die kirchliche Entwicklung in Polen  |  291

Roman Michałowski

Aaron von Krakau und die Gründung der Abtei Tyniec

Das Benediktinerkloster Tyniec entstand im 11. Jahrhundert am Hochufer der Weichsel, etwa zehn Kilometer flussaufwärts von der Krakauer Burg entfernt.1 Im Jahre 1816 von den Österreichern aufgelöst, wurde es 1939 neu gegründet, und so besteht es bis heute. Gegenwärtig gehört es zum Stadtgebiet von Krakau. Die polnische Geschichtsschreibung ist sich nicht einig darüber, wer das Kloster ­gegründet hat.2 Die einen Forscher sprechen sich für Herzog Kasimir den Erneuerer (amt. 1034–1058),3 die anderen für Boleslaus den Großzügigen (den Kühnen) (amt. 1058– 1079)4 aus. Als die kritische Geschichtsschreibung in Polen noch in den Anfängen lag, also im 18. und 19. Jahrhundert, plädierte so mancher für Boleslaus den Tapferen (amt. 992–1025),5 inzwischen beharrt aber niemand mehr auf dieser Ansicht. Der Name von 1 2

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Zur Geschichte des Klosters Tyniec vgl. Paweł Sczaniecki: Tyniec, Krakau 2008. Eine Forschungsübersicht zu dieser Frage bei Gerard Labuda: Szkice historyczne XI wieku. Początki klasztoru benedyktynów w Tyńcu, in: Studia Źródłoznawcze 35 (1994), S. 23–63, insb. S. 23–26. Es ist die wichtigste Arbeit zu den Anfängen von Kloster Tyniec. Vgl. Labuda 1994 (wie Anm. 2). Hier handelt es sich um die wichtigste von mehreren Arbeiten, in denen er Stellung zu der uns interessierenden Frage bezogen hat. – Paweł Sczaniecki: Odgadywanie początków, in: Benedyktyni tynieccy w średniowieczu. Materiały z sesji naukowej, Wawel – Tyniec 13–15 października 1994, hg. v. Klementyna Żurowska, Krakau 1995, S. 41–45. – Emil Zaitz: Badania archeologiczne w opactwie OO. w Tyńcu, in: Osadnictwo i architektura ziem polskich w dobie Zjazdu Gnieźnieńskiego, hg. v. Andrzej Buko, Warschau 2000, S. 305–330, insb. S. 328. – Józef Dobosz: Monarchia i możni wobec Kościoła w Polsce do początku XIII wieku, Posen 2002, S. 112 f. – Norbert Delestowicz: Bolesław II Szczodry. Tragiczne losy wielkiego wojownika 1040/1042 – 2/3 IV 1081 albo 1082, Krakau 2016, S. 303. Vgl. Tadeusz Wojciechowski: Szkice historyczne jedenastego wieku, hg. v. Aleksander Gieysztor, 3. Aufl. Warschau 1950 (OA 1904), S. 140–144. – Pierre David: Les bénédictins de l’Ordre de Cluny en Pologne médiévale (Publications du Centre Franco-Polonais de Recherches Historiques de Cracovie, Bd.1.1), Paris 1939, S. 30 f. – Aleksander Gieysztor: O kilku biskupach polskich XI wieku, in: Europa-Słowiańszczyzna-Polska. Studia ku uczczeniu Profesora Kazimierza Tymienieckiego (Prace Wydziału Filozoficzno-Historycznego UAM. Historia, Bd. 36), Posen 1970, S. 311–326, insb. S. 312–321. – Aleksander Gieysztor: Początki Tyńca, in: Znak 28 (1976), S. 315–324. – Henryk Łowmiański: Początki Polski. Z dziejów Słowian w I tysiącleciu n.e., Bd. 6, Teil 1, Warschau 1985, S. 293–306. Vgl. Adam Naruszewicz: Historya narodu polskiego od początku chrześcijaństwa, Bd. 2: Panowanie Piastów, Warschau 1780, S. 136 f. u. 168 Anm. k. – Franciszek Piekosiński: Jeszcze słowo o dokumencie legata Idziego dla Tyńca, in: Kwartalnik Historyczny 3 (1889), S. 49–74, hier S. 58.

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Herzog Ladislaus Herman (amt. 1079–1102) fiel ebenfalls in diesem Zusammenhang, der Autor gab diese Hypothese aber selbst wieder auf.6 Bestehen bleibt das Dilemma, ob die Gründung Kasimir dem Erneuerer oder Boleslaus dem Großzügigen zu verdanken ist. Vor dreißig Jahren habe ich mich mit dieser Problematik befasst.7 Damals verteidigte ich die These, Boleslaus der Großzügige sei der Gründer des Klosters Tyniec. Von den Konferenzveranstaltern dazu ermuntert, fasste ich den Beschluss, mir noch einmal die Quellengrundlage anzuschauen und zwangsläufig auch die einschlägige Literatur hinzuzuziehen, die in den vergangenen dreißig Jahren angewachsen ist. Ziel kann es nicht sein, hier eine eindeutige Lösung des Problems zu bieten, sondern eher eine Erklärung für diese hartnäckige Kontroverse in der Forschung zu liefern.

I. Ihre Ursache liegt vor allem darin, dass die Quellen zu dieser Frage relativ jung sind und im Widerspruch zueinander stehen. Eine Stiftungsurkunde für Tyniec existiert ebenso wenig wie irgendein anderes für dieses Kloster im 11. Jahrhundert ausgefertigtes Diplom, und es hat ganz sicher nie etwas von dieser Art gegeben. In Polen stellte man damals für polnische Nutznießer keine Dokumente aus, weil diese keine solchen brauchten.8 Nach polnischem Recht galten nämlich keine Urkunden-, sondern nur Zeugenbeweise. Die erste Tyniecer Urkunde, von der wir wissen, war das Diplom des päpstlichen Legaten Ägidius für die Abtei. Ägidius hielt sich in den Jahren 1123 bis 1125 in Polen auf. Das Dokument ist allerdings nicht im Original erhalten geblieben. Das, worüber wir verfügen, ist ein auf seiner Grundlage verfasstes Falsifikat, das den Legaten Ägidius als den Aussteller angibt. Überliefert worden ist es in zwei Fassungen, die sich nur wenig voneinander unterscheiden: als Transsumpt im authentischen Dokument von Herzog Boleslaus dem Schamhaften aus dem Jahre 12759 und als ein vermeintliches Original vom Anfang des 14. Jahrhunderts.10  6 Vgl. Tadeusz Wojciechowski: O rocznikach polskich X–XV wieku, in: Pamiętnik Akademii Umiejętności 4 (1880), S. 144–233, hier S. 225 f., Anm. 3.  7 Roman Michałowski: Princeps fundator. Studium z dziejów kultury politycznej w Polsce X–XIII wieku, 2. Aufl. Warschau 1993 (OA 1989), S. 89–97. Das Buch ist zum Teil ins Deutsche übersetzt: Roman Michałowski: Princeps fundator. Monarchische Stiftungen und politische Kultur im piastischen Polen (10.–13. Jahrhundert), in: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen, hg. v. Eduard Mühle (Stiftungsgeschichten, Bd. 9), Berlin 2013, S. 37–108, der Abschnitt zu Tyniec S. 70–86.  8 Vgl. Tomasz Jurek: Początki dokumentu polskiego, in: Dyplomatyka staropolska, hg. v. Tomasz Jurek (Nauki Pomocnicze Historii. Seria nowa), Warschau 2015, S. 64–87, hier S. 66–71.  9 Album palaeographicum. Tabularum I–XXXI textus, hg. v. Władysław Semkowicz und Zofia Budkowa, Krakau 1935, Nr. 19, S. 36–40. 10 Album palaeographicum (wie Anm. 9), Nr. 18, S. 33–36.

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Das Falsifikat enthält eine Beschreibung der Klosterausstattung. In zwei Fällen von zusammenhängenden Landgütern nennt der Fälscher den Namen des Schenkers: König Boleslaus und Königin Judith. Die Letztgenannte wird von zeitgenössischen Historikern einhellig mit der Gemahlin des Herzogs Ladislaus Herman identifiziert.11 Sie war Tochter Kaiser Heinrichs III. und in erster Ehe mit König Salomon von Ungarn verheiratet. In der Urkunde findet sich eine in unserem Zusammenhang überaus wichtige Feststellung: Es wird nämlich gesagt, dass das gesamte Vermögen der Abtei aus der Schenkung von König Boleslaus und Königin Judith stamme.12 Daraus folgt, dass die Tyniecer Mönche Boleslaus, möglicherweise auch Judith, keineswegs aber Kasimir für den Gründer ihres Klosters hielten. Wenn alles, was sie besaßen, von der Schenkung der beiden herrührte, würde das bedeuten, dass Kasimir ihnen nichts gegeben hatte, er also auch kein Stifter gewesen sein konnte. Im Jahre 1229 erließ Papst Gregor IX. eine Schutzbulle für das Kloster Tyniec.13 Sie hat sich nicht im Original, sondern nur in interpolierter Form erhalten. Man geht davon aus, dass die uns bekannte Fassung der Bulle kurz vor dem Jahr 1327 entstand.14 Die Interpolation beinhaltet die Feststellung, dass König Boleslaus und Königin Judith die Stifter des Klosters waren.15 Die Tyniecer Mönche haben offenbar zu irgendeinem Zeitpunkt aus dem Stifterpaar ein Ehepaar gemacht. Selbstverständlich muss das lateinische Wort funda­ tor – und eben dieses Wort kommt dort vor – nicht zwingend ‚Stifter‘ bedeuten, damit kann auch ein ‚Wohltäter‘ gemeint sein, der den Fonds einer kirchlichen Einrichtung großzügig aufgestockt hat. Anhand dieses Fragments kann man also nicht behaupten, dass die Mönche aus dem Kloster an der Weichsel in Boleslaus und Judith ihre Stifter im striktesten Sinne sahen. Es ist aber schon bemerkenswert, dass Kasimir der Erneuerer auch in diesem Dokument nicht als Gründer, ja nicht einmal als Wohltäter von Tyniec erwähnt wird. Eine erhalten gebliebene mittelalterliche Quelle gibt die Ansichten der Tyniecer Mönche über die Anfänge ihres Klosters etwas umfassender wieder. Gemeint ist eine Notiz, die der Kluniazenser Jean de Montenoyson, Professor der Pariser Universität, auf Anweisung des Abtes Robert von Cluny verfasst hat. Sie trägt die Datierung: 16. Februar 1418, während des Konzils von Kostanz. Es handelt sich dabei um den Bericht eines Gesprächs mit dem Tyniecer Mönch Mikołaj Nosek. Der Ordensbruder ließ seinen französischen Mitbrüdern verschiedene Informationen über sein Kloster und auch über andere Benediktinerklöster in Polen zukommen.16 11 Vgl. Grzegorz Pac: Kobiety w dynastii Piastów. Rola społeczna piastowskich żon i córek do połowy XII wieku – studium porównawcze (Monografie Fundacji na Rzecz Nauki Polskiej), Thorn 2013, S. 236 f. 12 Vgl. Album palaeographicum (wie Anm. 9), S. 34 u. 38. 13 Vgl. Kodeks dyplomatyczny klasztoru tynieckiego, Bd. 1: Obejmująca rzeczy od roku 1105 do roku 1399, hg. v. Wojciech Kętrzyński, Lemberg 1875, Nr. 11b, S. 21–33. 14 Vgl. Labuda 1994 (wie Anm. 2), S. 38. 15 Vgl. Kodeks dyplomatyczny (wie Anm. 13), S. 24. 16 Vgl. Visitatio in Almania de tempore Roberti abbatis, hg. v. Wojciech Kętrzyński, in: Monumenta Poloniae Historica, Bd. 5, Lemberg 1888, S. 913–916. – Bessere Ausgabe: Cluniac Foundations in Poland,

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Vor allem beschrieb er die Entstehungsgeschichte der Abtei Tyniec. Nosek zufolge wurde sie von Herzog Boleslaus gegründet. Als Jüngling wurde Boleslaus zu biblischen Studien nach Paris geschickt. Nachdem sich seine geistige Gesinnung vertieft hatte, trat er dem Kloster Cluny bei und wurde dort zum Diakon geweiht. Als der Vater von Boleslaus starb, kamen seine Landsleute aus dem Königreich dorthin, um Boleslaus die Herrschaft anzutragen. Der Abt erklärte aber, nur der Papst könne Boleslaus von seinem Gelübde entbinden. Der Papst war einverstanden, allerdings unter einer Bedingung: Die Ritter und Diener des Herrschers sollten eine Tonsur nach dem Vorbild der Kluniazenser und eine Diakonstola tragen. Diese Bedingung, da sie sehr streng und schwer zu erfüllen war, wurde durch eine andere ersetzt: Der Herzog, inzwischen König geworden, wurde verpflichtet, ein Kloster zu gründen, was er auch tat, indem er zwölf Mönche aus Cluny kommen und mit der Zustimmung des Heiligen Stuhls einen Abt wählen ließ. Fürs Erste sei bemerkt, dass die Nachricht von der Herkunft des Tyniecer Konvents aus Cluny falsch ist. Hier haben wir es mit dem ersten Hinweis dafür zu tun, dass das Kloster an diese hochgelobte monastische Strömung anknüpfen wollte. In der Neuzeit nahmen die Tyniecer formale Bemühungen um die Aufnahme ihrer Abtei in die Kongregation von Cluny auf. Im 18. Jahrhundert wäre es fast dazu gekommen, nur am kategorischen Verbot des apostolischen Nuntius in Polen ist das Vorhaben gescheitert. Am wichtigsten ist aber für uns etwas anderes, nämlich die Tatsache, dass die Ordensbrüder aus Tyniec Anfang des 15.  Jahrhunderts Boleslaus den Großzügigen für ihren Gründer hielten. Nun kommen gewisse Zweifel auf. Denn die Legende von der Profess eines polnischen Herrschers in Cluny entstand früher, erstmals belegt ist sie für die Mitte des 13. Jahrhunderts und bezog sich nicht auf Boleslaus den Großzügigen, sondern auf Kasimir den Erneuerer.17 Darauf komme ich gleich zurück. Jetzt stellt sich zunächst folgende Frage: War es nicht vielleicht so, dass Mikołaj Nosek von Kasimir sprach, Jean de Montenoyson aber irrtümlicherweise Boleslaus schrieb? Diese Zweifel gehen zu weit. Der französische Mönch gibt den Namen von Boleslaus’ Vater korrekt an: Kasimir. Hätte in: Visitations and Chapters-General, of the Order of Cluni, in Respect of Alsace, Lorraine, Transjurane Burgundy (Switzerland), and other Parts of the Province of Germany, from 1269–1529; with Notice of Early Cluniac Foundations in Poland and England; Extracts from the Original Records in the National Library of France, the Palais Bourbon, and the Bibliothèque de l’Arsenal, hg. v. George Floyd Duckett, London 1893, S. 187–191.  – Über Jean de Montenoyson schreibt Thomas Sullivan: Benedictine Monks at the University of Paris. A.D. 1229–1500. A Biographical Register (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance, Bd. 4), Leiden 1995, S. 241 f. – Zum Bericht von Mikołaj Nosek in Zusammenhang mit den damaligen Konflikten im Tyniecer Konvent vgl. Michał Gronowski: Zwyczajny klasztor, zwyczajni mnisi. Wspólnota tyniecka w średniowieczu, Krakau 2007, S. 154–157. 17 Vgl. Vita s. Stanislai episcopi Cracoviensis (Vita minor), hg. v. Wojciech Kętrzyński, in: Monumenta Poloniae Historica, Bd. 4, Lemberg 1884, cap. 22–24, S. 270–272. – Vita sancti Stanislai episcopi Cracoviensis (Vita maior), hg. v. Wojciech Kętrzyński, in: Monumenta Poloniae Historica, Bd. 4, Lemberg 1884, cap. 10–12, S. 380–382.

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­ ikołaj Nosek also Kasimir den Erneuerer für den Stifter des Klosters gehalten, müsste M der Vater des Stifters ‚Mieszko‘ heißen. Dieser Name taucht im Bericht des Kluniazensers jedoch nicht auf. Sollten wir von einem Irrtum ausgehen, müsste es gleich ein doppelter Irrtum sein: Jean de Montenoyson hätte Boleslaus statt Kasimir und Kasimir statt ­Mieszko geschrieben. Das ist aber wenig wahrscheinlich. Es gibt da noch etwas anderes: Die von dem Franzosen angeführten Informationen über die polnischen Benediktinerklöster sind ausgesprochen präzise, was bei den Angaben zu ihrer geographischen Lage besonders auffällt. Bemerkenswert ist auch die Genauigkeit, mit der die Titel von Boleslaus in dem Bericht angegeben sind. Zuerst wird er Herzog genannt, wenn aber von der Tyniecer Stiftung die Rede ist, merkt der Autor an, der Herzog sei zu der Zeit bereits König gewesen. Der Pole kannte sich anscheinend gut in der polnischen Geschichte aus und wusste, dass sich Boleslaus der Großzügige erst zu einem späteren Zeitpunkt krönen ließ. Gleichzeitig fällt auch die Präzision auf, mit der Jean de Montenoyson dem Gedankengang des Mitbruders aus Tyniec folgte. Man muss auch daran denken, dass er den Bericht des Polen im Rahmen einer formalen Visitation von Cluny-Klöstern aufzeichnete, die die Kluniazenser damals durchführten. Unter diesen Umständen ist es kaum anzunehmen, dass er sich im Namen des Haupthelden der Erzählung geirrt hätte. Die Sache stellte sich gewiss anders dar: Mikołaj Nosek war überzeugt, dass sein Kloster von Boleslaus dem Großzügigen gegründet wurde. Und er übertrug auf ihn die Legende, die ursprünglich Kasimir dem Erneuerer galt. Das Ziel dieses Vorgehens liegt klar auf der Hand: Es ging darum, Tyniec in der Geschichte Polens eine wichtige Rolle zuzuschreiben und ihm mehr Glanz zu verleihen. Selbstverständlich muss man damit rechnen, dass die Idee dazu weniger von Mikołaj Nosek selbst als von den dortigen Konventskreisen stammte. Dieser Teil des Beitrags sei mit folgender Schlussfolgerung abgeschlossen: Im Mittelalter, zumindest ab dem 13. Jahrhundert, hielten die Tyniecer Mönche König Boleslaus für ihren Gründer. Mikołaj Nosek sprach sicherlich von Boleslaus dem Großzügigen, unklar ist dagegen, ob die Personen, die die behandelten Dokumente diktierten, mit diesem Namen Boleslaus den Tapferen oder den Großzügigen meinten.

II. Kasimir der Erneuerer als Stifter des Klosters erscheint in Texten, die außerhalb Tyniecs entstanden sind, zuerst in der Chronica Polonorum (Polnische Chronik), manchmal auch Chronicon Polono-Silesiacum (Polnisch-Schlesische Chronik) genannt.18 Das Werk stammt aus den 1280er Jahren. Neuerdings geht man davon aus, dass es von einem Zisterzienser18 Kronika polska, hg. v. Ludwik Ćwikliński, in: Monumenta Poloniae Historica, Bd. 3, Lemberg 1878, S. 604–656. Zur Chronik vgl. zuletzt Wojciech Drelicharz: Idea zjednoczenia królestwa w średnio-

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mönch – vielleicht Engelbert – aus dem schlesischen Leubus (Lubiąż) verfasst wurde. In der ‚Fassung A‘ stellt es einen systematischen Vortrag zur Geschichte Polens seit den frühesten Zeiten dar. Bei der Beschreibung der Herrschaftszeit Kasimirs des Erneuerers wiederholt der Chronist die Legende über ein in Cluny abgelegtes Ordensgelübde des Herrschers, die er von Krakauer Quellen aus der Mitte des 13. Jahrhunderts übernahm,19 und fügt von sich hinzu, der Monarch habe nach seiner Rückkehr und dem Antritt der Herrschaft das Kloster in Tyniec gestiftet und Mönche aus Lüttich kommen lassen.20 Anders als im Bericht von Mikołaj Nosek wird hier nicht behauptet, die Tyniecer Stiftung sei eine Gegenleistung für die Entbindung von dem Ordensgelübde gewesen. Es stellt sich die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Information zur Person des Stifters. Wer sich eine Meinung darüber zu bilden versucht, der sollte beachten, dass die in dieser Chronik dargelegte Geschichte Polens mit seltsamen Angaben durchsetzt ist, die im objektiven Sinne falsch sind und manchmal im Widerspruch zu den Quellen stehen, die damals zugänglich waren und die der Geschichtsschreiber in der Tat sogar selbst benutzte. So erfährt der überraschte Leser, dass Kaiser Otto III. von Mieszko I. empfangen wurde und diesen mit seinem Diadem krönte.21 Die beiden damals existierenden ‚Lehrbücher‘ für die Geschichte Polens, also die Chronik des Gallus Anonymus und die Chronik von Wincenty Kadłubek (Magister Vincentius), ließen aber wissen, dass es Boleslaus der Tapfere war, dem der besagte Kaiser einen Besuch abstattete und dem er sein Diadem aufsetzte. Sie gaben auch an, der Kaiser sei als Pilger zum Grab des hl. Adalberts nach Polen gekommen, was die Chronica Polonorum mit keinem Wort erwähnt. Allen Überlieferungen zum Trotz verbindet die Chronica Polonorum diesen Heiligen mit Mieszko II.22 Weiter behauptet der Chronist, dass Boleslaus der Tapfere die Krone von Heinrich II. erhalten habe23 – was ganz offensichtlich falsch ist – und dass Kasimir der Erneuerer von Kaiser Heinrich III. gekrönt worden sei,24 wo wir doch wissen, dass er sich nie krönen ließ. Weitere Beispiele, die keineswegs das Material ausschöpfen, werden im Folgenden noch genannt. Was waren die Gründe für diese ungewöhnliche Anhäufung falscher Informationen? Der Verfasser der Chronica Polonorum hat sich ein zusammenhängendes und originelles Konzept der Geschichte Polens erdacht und dabei die Fakten zurechtgebogen oder schlicht

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wiecznym dziejopisarstwie polskim (Monografie Towarzystwa Naukowego Societas Vistulana, Bd. 1), Krakau 2012, S. 199–240. Zu dieser Legende vgl. Inga Stembrowicz: Podanie o Kazimierzu Mnichu w polskim dziejopisarstwie do końca XIV wieku, in: Symboliczne i realne podstawy tożsamości społecznej w średniowieczu, hg. v. Sławomir Gawlas und Paweł Żmudzki, Warschau 2017, S. 222–282. Kronika polska (wie Anm. 18), S. 620 f. Kronika polska (wie Anm. 18), S. 616 f. Kronika polska (wie Anm. 18), S. 619. Kronika polska (wie Anm. 18), S. 618. Kronika polska (wie Anm. 18), S. 620.

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und einfach erfunden.25 Eine ausführliche Darstellung dieses Konzepts würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Es sei also nur auf einen Aspekt hingewiesen: Der Autor war überzeugt, dass einer großen Herrschaft eine große kirchliche Stiftung entsprach. Für die größten polnischen Herrscher hielt er Mieszko I., Boleslaus den Tapferen und Kasimir den Erneuerer. So schrieb er jedem von ihnen eine Stiftung zu: Mieszko I. habe in Polen Bistümer gegründet,26 Boleslaus der Tapfere habe eine Kirche in Prag gestiftet,27 und Kasimir der Erneuerer das Kloster in Tyniec ins Leben gerufen. Es ist ein Leichtes nachzuweisen, dass die ersten zwei Fakten offenkundig falsch sind. Daraus ergibt sich folgender Schluss: Der Information der Chronica Polonorum über die Klostergründung in Tyniec durch Kasimir kann man nicht vertrauen, und zwar aus zweierlei Gründen: Erstens strotzen ihre Blätter nur so von falschen Angaben, und zweitens brauchte der Verfasser eine Stiftung, die er dem besagten Herrscher zuschreiben konnte. Der Verdacht liegt nahe, dass er eben zu diesem Zweck Tyniec mit Kasimir in Zusammenhang brachte. Jenem Herzog wies auch manch spätmittelalterlicher Chronist die Tyniecer Stiftung zu, so der Autor der Chronica principum Poloniae (Chronik der Fürsten Polens), die in den Jahren 1382 bis 1386 in Schlesien geschrieben wurde,28 der Autor der Chronica Poloniae maioris (Großpolnische Chronik)29 und schließlich Jan Długosz (Johannes Longinus, Ioannes Dlugossius). Der Verfasser der Chronica principum Poloniae – höchstwahrscheinlich Piotr z Byczyny (Peter von Pitschen) – ließ sich von der Chronica Polonorum inspirieren, sein Zeugnis hat also in dieser Hinsicht keinen selbstständigen Quellenwert. Komplizierter stellt sich die Situation im Falle der Chronica Poloniae maioris dar. Ihr hypothetischer Verfasser Janko z Czarnkowa (Janko von Czarnikau) kam des Öfteren mit dem Abt von Tyniec in Berührung,30 zugleich liefert der Text Beweise dafür, dass der Chronist die Tyniecer Überlieferungen kannte,31 was allein schon darauf hinweisen kann, dass er in Kontakt mit diesem Kloster stand. 25 Vgl. hierzu Michałowski 1993 (wie Anm. 7), S. 115–127. Meine Interpretation stieß in der einschlägigen Literatur sowohl auf Polemik – Gerard Labuda: Nowe spojrzenie na śląską „Kronikę polską“, in: Ojczyzna bliższa i dalsza. Studia historyczne ofiarowane Feliksowi Kirykowi w sześćdziesiątą rocznicę urodzin, hg. v. Jacek Chrobaczyński u. a., Krakau 1993, S. 25–40  – als auch auf Zustimmung: Drelicharz 2012 (wie Anm. 18), S. 224 u. 231. 26 Kronika polska (wie Anm. 18), S. 617. 27 Kronika polska (wie Anm. 18), S. 618. 28 Kronika książąt polskich, hg. v. Zygmunt Węclewski, in: Monumenta Poloniae Historica, Bd. 3 (wie Anm. 18), cap. 11, S. 446 f. 29 Chronica Poloniae Maioris, hg. v. Brygida Kürbis (Monumenta Poloniae Historica. Series nova, Bd. 8), Warschau 1970, cap. 29, S. 41. 30 Vgl. Marek Derwich: Janko z Czarnkowa a Kronika wielkopolska, in: Acta Universitatis Wratislaviensis, Nr. 800; Historia, Bd. 50, Warschau 1985, S. 127–162, hier S. 156 f. 31 Chronica Poloniae Maioris (wie Anm. 29), cap. 29, S. 41–45.

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Jan Długosz brachte in seinem monumentalen Werk Annales seu cronicae incliti Regni Poloniae (Annalen oder Chroniken des berühmten Königreiches von Polen) die Tyniecer Stiftung mit dem Gelübde in Verbindung, das Kasimir vor dem siegreichen Krieg gegen Miecław (Meczzlaus, Meslaus) abgelegt hatte.32 Im Herzen eines zeitgenössischen Historikers regt sich nun Unsicherheit: War es nicht vielleicht so, dass der Chronist Kasimir dem Erneuerer die Gründung von Tyniec zuschrieb, weil es dies brauchte, um die Geschicke des Krieges zu erklären, der für seinen Helden so wichtig war? Er nennt aber auch ein interessantes Detail: Die Klostergründung soll nämlich 1044 erfolgt sein. Sollte das zutreffen, wäre das Problem gelöst: Der Stifter des behandelten Klosters muss Kasimir gewesen sein, denn das waren die Jahre seiner Herrschaft. Das Datum kommt bei Długosz noch einmal vor, und zwar in seinen Ergänzungen zu einem der kleinpolnischen Jahrbücher, dem sogenannten Rocznik Traski (Jahrbuch von Traska), wo er unter dem Jahr 1044 neben anderen Einträgen Folgendes hinzufügte: „Fundatur Thinciense monasterium.“ Diesem Datum kann man jedoch nicht trauen. Zwei von den übrigen Einträgen lassen aufmerken. Unter dem Jahr 1041 steht: „Kazimirus coronatur in Polonie regem“ und unter dem Jahr 1077: „Petrus triennio mortuus a beato Stanislao suscitatus ducitur in testem.“33 In Wirklichkeit aber hat sich Kasimir nie zum König krönen lassen, und bei dem zweiten Eintrag geht es um das in der polnischen Hagiographie berühmte Wunder der Wiedererweckung eines Toten durch den hl. Stanislaus. Die Daten sind ohne Zweifel falsch. Sie wurden von Długosz selbst oder von einem seiner Informanten erfunden. Man darf nicht vergessen, dass Długosz Historiker war, der alles wissen musste. Wusste er etwas nicht, dann stellte er anhand von bekannten Quellen Spekulationen an oder fabulierte.34 Daraus ergibt sich folgender Schluss: Der Auskunft von Długosz in der uns interessierenden Angelegenheit ist nicht zu trauen. Zwar nennt auch der Verfasser von Spominki trzemeszeńskie (Tremessener Erinnerungen) das Jahr 1044 als das Datum der Tyniecer Klostergründung, doch kann er diese Information eben von Długosz übernommen haben.35 In der besagten Quelle heißt es ebenfalls, Tyniec sei von „Casimirus monachus“ gestiftet worden. 32 Ioannis Dlugosii Annales seu cronicae incliti Regni Poloniae. Liber Tertius. Liber Quartus, Warschau 1970, lib. III, S. 49 f. 33 Excerpta Ioannis Dlugossi e fontibus incertis, hg. v. Wojciech Kętrzyński, in: Monumenta Poloniae Historica, Bd. 4 (wie Anm. 17), S. 10. 34 Vgl. Edward Potkowski: Fiktive Biographien in den Katalogen polnischer Bischöfe des Jan Długosz, in: Fälschungen im Mittelalter (Monumenta Germaniae Historica. Schriften, Bd. 33), Hannover 1988, Bd. 1, S. 395–416. 35 Spominki trzemeszeńskie, hg. v. August Bielowski, in: Monumenta Poloniae Historica, Bd. 3 (wie Anm. 18), S. 134. – Vgl. allerdings Jerzy Wyrozumski: Dzieje Krakowa, Bd. 1: Kraków do schyłku wieków średnich, Krakau 1992, S. 100 f. – Diese Quelle entstand vor 1479. Vgl. Piotr Węcowski: Początki Polski w pamięci historycznej późnego średniowiecza (Monografie Towarzystwa Naukowego Societas Vistulana, Bd. 2), Krakau 2014, S. 105.

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III. Für Kasimir den Erneuerer als den Stifter von Tyniec spricht noch ein weiteres Argument. Es geht dabei um den Krakauer Bischof Aaron. In manchen Quellen tritt er als Mönch oder Abt von Tyniec auf. Da er 1059 starb, muss das uns interessierende Kloster schon zur Herrschaftszeit Kasimirs existiert haben. Bevor wir uns diese Quellen näher anschauen, versuchen wir festzustellen, was wir über Aaron überhaupt wissen. Gerard Labuda rekonstruierte dessen Biographie folgendermaßen:36 Aaron sei Mönch in einem Kloster im Rheinland gewesen und fast sicher mit einem 1028 erwähnten Mönch Aaron aus dem Kloster Brauweiler identisch. Da diese Abtei eine Stiftung des lothringischen Pfalzgrafen Ehrenfried Ezzo, Vater von Richeza, der Mutter Kasimirs, war, stellte Labuda die These auf, Aaron sei durch die Vermittlung der Letztgenannten nach Polen gekommen. Im Jahre 1044 sei er Abt des neugegründeten Benediktinerklosters Tyniec geworden, im Jahre 1046 habe er die Investitur für das Bistum Krakau erhalten, 1048 sei er in Rom von Papst Benedikt IX. geweiht worden. Um 1050 habe er das Pallium bekommen, das ihn zur Weihe von Bischöfen ermächtigte. Die spätere polnische Tradition setzte dies mit seiner Erhebung zur erzbischöflichen Würde gleich, was jedoch nicht der Wahrheit entspricht, weil sein Nachfolger Lambert II. Suła nur Bischof, nicht aber der Erzbischof von Krakau war. In einem späteren Werk äußerte Labuda die Ansicht, Aaron habe den erzbischöflichen Titel erhalten, aber nur als eine Würde ad personam.37 Diese Biographie aus der Feder des Posener Mediävisten ist mit Vorsicht zu lesen. Wir müssen uns vor Augen halten, dass fast alle Quellen zum Krakauer Bischof Aaron aus dem 13. Jahrhundert oder aus späteren Jahrhunderten stammen. Dass ihm das Pallium verliehen wurde, können wir lediglich aus den – wohlgemerkt späten – Texten schließen, in denen er mit dem erzbischöflichen Titel erwähnt wird, sowie aus der Bulle von Papst Benedikt IX., die allerdings ein Falsifikat ist.38 Die Bulle (oder eher der Kommentar dazu) informiert uns darüber, dass Aaron von dem besagten Papst die Bischofsweihe empfangen hat, jedoch nicht in Rom, wie Labuda postulierte, sondern in Köln. Nur der gleichlautende Name des Aaron aus dem Brauweiler Falsifikat, das auf das Jahr 1028 datiert wird,39 36 Gerard Labuda: Aron, in: Lexicon antiquitatum Slavicarum, Bd. 7, Teil 2, Warschau 1986, S. 379. 37 Labuda 1994 (wie Anm. 2), S. 52. 38 Beide Fassungen der Bulle publiziert nebeneinander Wacław Korta: Czy Kraków był metropolią kościelną w połowie XI wieku?, in: Ars historica. Prace z dziejów powszechnych i Polski (Uniwersytet im. Adama Mickiewicza w Poznaniu. Historia, Bd. 71), Posen 1976, S. 321–340, hier S. 323. Er plädierte für die Authentizität der Bulle, steht damit aber allein da. Vgl. Bullarium Poloniae, Bd. 1, hg. v. Irena Sułkowska-Kuraś und Stanisław Kuraś, Rom 1982, Nr. 5, S. 4. – Labuda 1994 (wie Anm. 2), S. 52 f. 39 Vgl. Rheinisches Urkundenbuch, Bd. 1: Ältere Urkunden bis 1100 (Publikation der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Bd. LVII), hg. v. Erich Wisplinghoff, Bonn 1972, Nr. 87, S. 101 f. – Zu den Brauweiler Falsifikaten vgl. zuletzt Grzegorz Pac: Problem autentyczności i datacji grupy

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und des polnischen Aaron sowie die Beziehungen zwischen Kasimir und der Familie Ezzos lassen den Krakauer Aaron mit dem rheinischen Klosterwesen in Verbindung bringen. Dies ist jedoch eine ausgesprochen schwach fundierte Hypothese, denn dem Falsifikat lag kein authentisches Dokument zugrunde. Wir wissen also nicht, wo der Falsifikator den Namen jenes Aarons hernahm. Vielleicht trug diesen Namen jemand, der nicht in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts lebte. Was soll man aber von den Verbindungen des Krakauer Aarons zu Tyniec halten? Einige späte polnische Annalen und die Vita maior s. Stanislai nennen ihn Mönch oder Abt von Tyniec.40 Diese Information taucht immer zusammen mit der Nachricht von der Übernahme des Bistums Krakau durch Aaron und dem Jahresdatum dieses Ereignisses auf. Es stellt sich die Frage nach dem Quellenwert dieser Texte, von denen die allerfrühesten Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden sind. Alle polnischen Annalen entstammen direkt oder indirekt dem verschollenen (sogenannten alten) Jahrbuch des Krakauer Domkapitels Annales regni Polonorum deperditi.41 Den umfangreichsten Auszug aus diesem Werk liefert das erhalten gebliebene Jahrbuch des Krakauer Domkapitels Annales capituli Cracoviensis. Wir erfahren daraus, dass Erzbischof Aaron im Jahre 1059 starb.42 Es fehlt dagegen jede Notiz über die Übernahme des Bischofsamtes durch Aaron und damit auch über dessen Verbindung zu Tyniec. Es entstehen also Zweifel, ob es im ‚alten‘ Jahrbuch des Krakauer Domkapitels eine solche Aufzeichnung überhaupt gab. Zwar schrieb der Autor des ‚neuen‘ Jahrbuchs des Krakauer Domkapitels nicht alles ab, was sich in seiner Vorlage befand, dennoch kann man kaum annehmen, dass er ausgerechnet eine Notiz über Aaron weggelassen hätte. Auf das Krakauer Milieu übte diese Persönlichkeit eine Faszination aus, was mit den lebhaften Metropolitanansprüchen der damaligen Krakauer Kirche zusammenhing.43 Sollte es aber eine solche Notiz nicht gegeben haben, wären das Datum der Ordination Aarons zum Bischof von Krakau und zugleich seine Verbindungen zu Tyniec eine Erfindung des 13. Jahrhunderts. Mit dieser Möglichkeit muss man jedenfalls rechnen. Wir haben ja Belege dafür, dass die Verfasser der Kataloge der Krakauer Bischöfe und die kleinpolnischen Annalisten die Daten von Bischofsweihen erdachten, wenn sie sie nicht in den Quellen belegt fanden. Es stellt sich aber die Frage, wozu sie

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­ yplomów brauweilerskich, w tym rzekomego dokumentu Rychezy z datą 1054 r., in: Studia Źród dłoznawcze 52 (2014), S. 91–101. Eine Zusammenstellung dieser Annalen bei Korta 1976 (wie Anm. 38), S. 324. – Vita sancti Stanislai episcopi Cracoviensis (Vita maior) (wie Anm. 17), cap. 14, S. 383. Eine Übersicht über die Entwicklung der mittelalterlichen polnischen Annalistik bei Wojciech Drelicharz: Mittelalterliche Krakauer Annalistik, in: Quaestiones Medii Aevi Novae 8 (2003), S. 231–288. Rocznik kapituły krakowskiej, in: Najdawniejsze roczniki krakowskie i kalendarz, hg. v. Zofia Kozłowska-Budkowa (Monumenta Poloniae Historica. Series nova, Bd. 5), Warschau 1978, S. 48. Vgl. Labuda 1994 (wie Anm. 2), S. 52 f.

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dann Tyniec brauchten. Vielleicht ist die Figur Aaron – eine Persönlichkeit von derart großer Bedeutung für Krakau – einfach zusehends zur Legende geworden.44 Eine aus dem 11. Jahrhundert stammende Quelle zu Aaron ist jedoch erhalten geblieben. Um dieses Zeugnis herum ist eine Diskussion entbrannt, die sich in hohem Maße auf die für uns fundamentale Frage bezieht: War Aaron Abt von Tyniec? Es handelt sich bei dieser Quelle um einen Eintrag in einem Codex, der sich unter der Signatur Ms 140(43) im Besitz der Bibliothek des Krakauer Domkapitels befindet.45 Die Handschrift enthält hauptsächlich Predigttexte. Der Eintrag, von dem hier die Rede ist, wurde nach paläographischen Kriterien ins 11. Jahrhundert datiert, das Manuskript selbst, das in vorkarolingischer Schrift geschrieben ist, stammt aus dem 8. Jahrhundert. Es entstand im iroschottischen Mönchsmilieu irgendwo im Süden des deutschen Sprachgebiets, wofür die Schriftart und der Stil der Miniaturen sprechen. Wann der Codex nach Krakau ­gelangt ist, wissen wir nicht. Vielleicht geschah das im Zuge der ersten Evangelisierungsmission. Im unteren Teil von fol. 3r steht in Capitalis rustica geschrieben „Aaron episcopus“, darauf folgt ein unleserlicher Text. Wir wissen nicht, ob dies darauf zurückzuführen ist, dass man ihn im Mittelalter aus irgendwelchen Gründen verwischte oder in der Neuzeit irgendein Reagens benutzte, um die bereits undeutlich gewordene Schrift lesen zu können. In den 1990er Jahren wurde diese Seite mittels Infrarot- und Ultraviolettstrahlung fotografiert. Auf den Fotografien sind die Buchstaben zwar wieder sichtbar geworden, der Text lässt sich aber immer noch nur mit größter Mühe lesen. Der Ansicht von Brygida Kürbis nach folgen unmittelbar auf „Aaron episcopus“ (Aron Eps) die Wörter abbas t[...].46 Sollte diese Lesart zutreffen, wäre das Problem, mit dem wir uns hier befassen, gelöst, denn das würde bedeuten, dass das Kloster Tyniec zur Herrschaftszeit von Kasimir dem Erneuerer existierte und Aaron an der Spitze des Konvents stand. Einen Versuch, den gesamten Text zu rekonstruieren, hat Aleksander Gieysztor in einer der letzten Arbeiten vor seinem Tod unternommen.47 Den ganzen Text konnte er zwar nicht entziffern, bemühte sich aber, den allgemeinen Sinn zu erfassen. Seiner Ansicht nach würde es sich dabei um die Disziplin in der Woche vor Aschermittwoch handeln. Von unserem Standpunkt aus ist aber etwas anderes relevant: Gieysztor lehnte die Lesart abbas t ab. Stattdessen schlug er die Lesart KRaC, also Cracoviensis, vor.48 Brygida Kürbis ließ in einer posthum erschienenen Arbeit 44 Vgl. Gieysztor 1076 (wie Anm. 4), S. 316 f. – Labuda 1994 (wie Anm. 2), S. 54. 45 Praedicationes per diversa ieiunia et varia e codice Cracoviensi 140 (43), hg. Brygida Kürbis u. a. (Monumenta sacra Polonorum, Bd. 4), Krakau 2010. 46 Brygida Kürbis: Aron Episcopus w rękopisie z VIII wieku, in: Benedyktyni tynieccy (wie Anm. 3), S. 47–58, vor allem S. 57. 47 Aleksander Gieysztor: List Aarona biskupa krakowskiego: następna próba odgadnięcia tekstu, in: Benedyktyńska praca. Studia ofiarowane o. Pawłowi Sczanieckiemu w 80-rocznicę urodzin, hg. v. Jan Andrzej Spież und Zbigniew Wielgosz, Krakau 1997, S. 45–48. 48 Gieysztor 1997 (wie Anm. 47), S. 46.

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die von Gieysztor vorgeschlagene Rekonstruktion des gesamten Textes nicht gelten, versuchte aber auch nicht, die Lesart abbas Tincniensis zu verteidigen.49 So stehen wir am selben Punkt wie vorher. Der einzige – oder vielleicht sogar ein großer – Nutzen dieser Quelle für die uns interessierende Problematik besteht darin, dass wir über ein Zeugnis aus dem 11. Jahrhundert verfügen, das bestätigt, dass es in jenem Jahrhundert einen Krakauer Bischof Aaron gab: Eine im 13. Jahrhundert erfundene Figur war er nicht. Man kommt nicht umhin, auch auf neuzeitliche Quellen einen Blick zu werfen. Ein Benediktinermönch aus dem 17. Jahrhundert, Stanisław Szczygielski, stellte in seinem Tyniec gewidmeten Werk eine Liste der Tyniecer Äbte zusammen, die von Aaron angeführt wird.50 Man kann aber nicht sicher sein, ob Szczygielski diese Liste nicht einer mittelalterlichen Vorlage entnommen hat oder ob sie das Ergebnis einer von ihm selbst vorgenommenen Kompilation ist. Ein mittelalterliches Nekrologium von Tyniec blieb jedenfalls nicht erhalten. Stattdessen verfügen wir über einen Eintrag, den die Tyniecer im 17. Jahrhundert in das Nekrologium des Benediktinerklosters Lüben (Lubin) unter dem 9. Oktober eintragen ließen: „Reverendi domini Aaron abbatis Tinecensis primi et archiepis­ copi Cracoviensis, obiit 1059.“51 Wir haben also eine Bestätigung, dass Aaron ein Tyniecer Abt war. Sofort aber steigen Zweifel auf, ob dieser ganze Eintrag nicht etwa im 17. Jahrhundert konzipiert wurde. Szczygielski gibt nämlich als Todestag von Aaron den 15. Mai an.52 Das zeugt davon, dass die Mönche in jenem Jahrhundert nicht wussten, an welchem Tag Aaron gestorben war. Sie bemühten sich erst, das zu ermitteln. Man muss also davon ausgehen, dass der Eintrag im Lübener Nekrologium an keinen mittelalterlichen Text angelehnt, sondern zur Gänze im 17. Jahrhundert formuliert war. Für die Diskussion, die wir führen, hat er keine Bedeutung, wie die Liste Szczygielskis übrigens auch nicht. Die Befürworter der These von Kasimir als Stifter von Tyniec berufen sich gern auf Gallus Anonymus, der behauptete, dieser Herrscher habe zahlreiche Männer- und Frauenklöster gestiftet, genau genommen aber vergrößert („augmentasse“).53 Er müsste also Tyniec gegründet haben, denn von allen Klöstern, die hier in Frage kämen, ließe sich nur für diesen Konvent eine Quellengrundlage finden. Ich bin mir aber nicht sicher, ob dieser allgemeinen Formulierung eine Bedeutung beizumessen ist. Denn Männerklöster, 49 Brygida Kürbis: Zapiska Arona, in: Praedicationes (wie Anm. 45), S. 132–138. 50 Stanisław Szczygielski: Opaci tynieccy, hg. v. Wojciech Kętrzyński, Monumenta Poloniae Historica, Bd. 5 (wie Anmn. 16), S. 603. 51 Nekrolog opactwa Panny Marii w Lubiniu, in: Księga bracka i nekrolog opactwa Panny Marii w Lubiniu, hg. v. Zbigniew Perzanowski (Monumenta Poloniae Historica. Series nova, Bd. 9.2), Warschau 1976, S. 10. 52 Opaci tynieccy (wie Anm. 50), S. 603. 53 Galli Anonymi Chronicae et Gesta ducum sive principum Polonorum, hg. v. Karol Maleczyński (Monumenta Poloniae Historica. Nova series, Bd. 2), Krakau 1952, lib. I, cap. 21, S. 47. – Vgl. Labuda 1994 (wie Anm. 2), S. 61 f.

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die nach der Wiedergeburt der Piastenmonarchie entstanden waren, sind bekannt, von Frauen­klöstern weiß man dagegen nichts. Man soll also die Formulierung des Gallus nicht wörtlich nehmen. Der Chronist war wohl überzeugt, dass Kasimir als ein großer Herrscher54 – und für den hielt er ihn ganz gewiss – Männer- und Frauenklöster gestiftet haben müsse. Es gibt aber noch etwas anderes zu bedenken: Gallus schrieb nicht über Gründungen, sondern über Vergrößerungen von Klöstern. Vielleicht ging es dabei um reiche Schenkungen für Ordenshäuser im Ausland.55 Seit vielen Jahrzehnten werden in Tyniec archäologische und architektonische Untersuchungen durchgeführt. Sie brachten zahlreiche interessante Resultate,56 lieferten aber keine Anhaltspunkte, welche die Lösung unseres Dilemmas ermöglichen würden. Ihr wichtigster Ertrag ist von unserem Blickpunkt aus die Entdeckung der ältesten Abteikirche. Es war eine steinerne, dreischiffige Basilika ohne Transept und mit drei Apsiden im Osten. Die Meinungen über ihre Entstehungszeit gehen auseinander: Mitte des 11. Jahrhunderts,57 Ende der 1060er/Anfang der 1070er Jahre,58 letztes Viertel des 11. Jahrhunderts,59 1090er Jahre.60 Ein Historiker kann zu dieser Kontroverse nur schwer Stellung beziehen. Er kann lediglich feststellen, dass der aktuelle Diskussionsstand weder die ­Hypothese von Kasimir noch die von Boleslaus dem Tapferen als Stifter ausschließt. Erwähnt sei auch die Meinung, nach der sich unter der Basilika eine Vorgängerkirche befunden habe, die vielleicht ein Holzbau auf einem Steinsockel war, und dass in ihrem Bereich die Grabstätte eines kirchlichen Würdenträgers, höchstwahrscheinlich eines Abtes, lag. Diese These, die für Kasimir sprechen würde,61 wird allerdings in Frage gestellt.62 Ein Historiker, der sich eine Meinung über die Anfänge von Tyniec bilden will, hat keinen leichten Stand. Die Aussage der Quellen ist widersprüchlich, dabei handelt es sich um 54 Er nannte ihn „restaurator Polonie“ (lib. I, cap. 17, S. 40). 55 Vgl. Gieysztor 1976 (wie Anm. 4), S. 316. 56 Vgl. Monika Kamińska: Aktualny stan badań i nowe koncepcje interpretacyjne romańskiego Tyńca, in: Kraków romański, hg. v. Marta Bochenek (Kraków w Dziejach Narodu, Bd. 33), Krakau 2014, S. 137–168. – Lech Kalinowski: Przedmioty liturgiczne znalezione w grobach pierwszych opatów tynieckich, in: Folia Historiae Artium 6/7 (1971), S. 175–207. 57 Vgl. Zygmunt Świechowski: Uwagi na temat architektury benedyktynów w Polsce XI w., in: Materiały sprawozdawcze z badań zespołu pobenedyktyńskiego w Mogilnie, Heft 2 (Biblioteka Muzealnictwa i Ochrony Zabytków, Serie B, Bd. 60), Warschau 1980, S. 5–13, hier S. 7. 58 Vgl. Klementyna Żurowska: Kraków, Tyniec i benedyktyni, in: Artifex doctus. Studia ofiarowane profesorowi Jerzemu Gadomskiemu w siedemdziesiątą rocznicę urodzin, hg. v. Wojciech Bałus u. a., Bd. 1, Krakau 2007, S. 227–233, hier S. 233. 59 Vgl. Klementyna Żurowska: Romański kościół opactwa benedyktynów w Tyńcu, Folia Historiae ­Artium 6/7 (1971), S. 49–119, hier S. 113. 60 Vgl. Kamińska 2014 (wie Anm. 56), S. 142 (sie zitiert die Meinung von Rafał Quirini-Popławski). 61 Vgl. Zaitz 2000 (wie Anm. 3), S. 338. 62 Vgl. Kamińska 2014 (wie Anm. 56), S. 160–162.

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Texte, die allesamt spät entstanden sind: 200, 400 oder sogar 600 Jahre nach der S­ tiftung. Die Quellen, die für Kasimir den Erneuerer sprechen, sind wenig zuverlässig; denjenigen, die auf Boleslaus den Großzügigen hinweisen, kann man mehr vertrauen, und zwar aus dem einfachen Grund, weil die Erinnerung an den Stifter am längsten in der kirchlichen Institution währt, die er ins Leben gerufen hat. Allerdings hat das nicht zu bedeuten, dass sie unser uneingeschränktes Vertrauen verdient. Es kam nämlich vor, dass ein Konvent seine Meinung über die Person des Gründers änderte. So ist es beispielsweise in Tyniec geschehen, wo man sich im 17. Jahrhundert für Kasimir den Erneuerer aussprach.63

IV. Zur Lösung unseres Problems möchte ich zwei Vorschläge machen. Beginnen wir mit der Beschreibung der Klosterausstattung im Tyniecer Falsifikat: „Thinciensem uillam cum transitu nauali et una thaberna, secundam ultra fluuium, cum uoto ducis duodecim marca­ rum argenti et tribus poledris singulis annis et omnibus ministris curie regis competentibus [...] muniuit; [...] que uille ab omni sunt pensione ducis inmunes.“64 Aus dieser Beschreibung geht hervor, dass das Kloster das Gut Tyniec samt der zum königlichen Hof gehörenden dienstbaren Bevölkerung erhielt. Wir müssen uns vor Augen halten, dass es in Polen bis Ende des 13. Jahrhunderts nur selten Könige gab und dass der letzte darunter Boleslaus der Großzügige war, der sich 1076 krönen ließ und 1079 wieder die Macht verlor. Zu der Zeit, in der der Fälscher tätig war, hatte die Erwähnung des Königshofes einen bereits anachronistischen Charakter, und Eingang ins Dokument fand sie wohl dadurch, dass sie aus irgendeinem liber traditionum kopiert wurde, in dem sie zum Zeitpunkt der Schenkung vermerkt worden war. Das Gut Tyniec war nicht irgendein Bestandteil der Ausstattung der Abtei, sondern der Ort, an dem sie sich befand. Das heißt, dass die Schenkung dieses Gutes der formale Stiftungsakt war. Folglich muss festgestellt werden, dass es Boleslaus der Großzügige war, der die Stiftung tätigte. Es regen sich allerdings gewisse Zweifel. Der Fälscher war überzeugt, dass alle Güter vom König und von der Königin geschenkt wurden, vielleicht verwendete er also ganz bewusst die Archaisierung, indem er das „curiam ducis“ in seiner Vorlage in „curiam regis“ änderte? Das ist kaum wahrscheinlich. In anderen Fragmenten, wo er die Ausstattung beschreibt, spricht er doch von einem Herzog. Was soll man aber mit den Erwähnungen anfangen, die direkt oder indirekt auf Kasimir den Erneuerer als Stifter hinweisen? Man kann den Standpunkt einnehmen, dass sie 63 Siehe zum Beispiel den Brief von dem Prior und den Mönchen von Tyniec an den Abt von Cluny vom 2. April 1693: Cluniac Foundations 1893 (wie Anm. 16), S. 191–193. 64 Album palaeographicum (wie Anm. 9), Nr. 18, S. 34 f.

Aaron von Krakau und die Gründung der Abtei Tyniec  |  305

alle das Ergebnis einer spätmittelalterlichen Konstruktion seien, die aus verschiedenen Tendenzen resultierte: aus der Entwicklung der Kasimir-Legende, aus der Entwicklung der Aaron-Legende und schließlich aus dem wachsenden Interesse an der Geschichte im Polen des Spätmittelalters.65 Die intellektuellen Eliten wollten mehr über die Vergangenheit wissen als zuvor, und wenn die Quellen nicht ausreichten, ersetzte man Unwissen durch Vermutung. Die Quellen vermittelten das Entstehungsdatum des Tyniecer Klosters nicht, also musste man es sich ausdenken, so wie dies auch mit den Weihedaten der frühen Krakauer Bischöfe zu geschehen hatte. Man kann sich aber auch auf den Standpunkt stellen, dass in diesen Erwähnungen ein Körnchen Wahrheit steckt. Seit vielen Jahrzehnten wird in der Geschichtsschreibung die Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass es in Krakau – auf dem Wawel oder andernorts – ein Benediktinerkloster gab. Die These ist wahrscheinlich, auch wenn sich dafür kein schlagendes Argument anführen lässt. Sollte es aber tatsächlich so gewesen sein, dann kann Aaron an der Spitze dieses Konvents – von Kasimir dem Erneuerer gegründet – gestanden haben. Zu einem späteren Zeitpunkt, zur Zeit Boleslaus des Großzügigen, wurden die Mönche nach Tyniec verlegt, wo die Stiftung eines neuen Klosters erfolgte.66 Gleichzeitig wurde der Konvent um eine Gruppe von Mönchen ergänzt, die aus Deutschland kam und an deren Spitze Anchoras, der erste Tyniecer Abt, stand, der im Lüneburger Nekrologium unter dem 1.  Februar und im Lübiner Nekrolog unter dem 3.  Februar genannt wird.67 Bei dieser Rekonstruktion der Geschehnisse wird verständlich, dass man Kasimir und Aaron mit den Anfängen des Klosters in Verbindung brachte, obwohl der eigentliche Stifter Boleslaus war. Der Meinung mancher Forscher nach hat diese äußerst hypothetische Lösung auch den Vorteil, dass sie folgende Tatsache zu klären erlaubt: Im Mittelalter, nachweislich ab dem 13. Jahrhundert, war der Abt von Tyniec von Amts wegen Mitglied des Krakauer Domkapitels. Das könnte die Spur von Verbindungen sein, die zwischen den Tyniecer Mönchen und diesem Dom bestanden haben und in die Zeit zurückreichten, als diese noch in Krakau angesiedelt waren. Wenn man die Sache aber bis zum Ende denkt, kommen jedoch Zweifel. Die vorgeschlagene Interpretation hat nur dann Sinn, wenn man davon ausgeht, dass die Mönche zu Zeiten Aarons den Krakauer Domklerus bildeten. Bedenkt man die Beziehungen, die in der deutschen Kirche herrschten – und von dort kamen die Vorbilder nach Polen –, wäre dies jedoch ein Anachronismus.68

65 Vgl. Jacek Wiesiołowski: Kolekcje historyczne w Polsce średniowiecznej XIV–XV wieku, Breslau 1967. 66 Vgl. Wyrozumski 1992 (wie Anm. 35), S. 101 f. 67 Vgl. Die Totenbücher von Magdeburg, Merseburg und Lüneburg, hg. v. Gerd Althoff und Joachim Wollasch (MGH Libri memoriales et necrologi. Nova series, Bd. 2), Hannover 1993, S. 8. – Nekrolog 1976 (wie Anm. 51), S. 27. – Zu Anchoras und dem Konvent, der unter seiner Leitung aus Deutschland nach Tyniec kam, vgl. Gieysztor 1970 (wie Anm. 4), S. 315–321. 68 Vgl. Gieysztor 1976 (wie Anm. 4), S. 317.

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Aneta Bukowska und Sebastian Ristow

Piasten und Ottonen Archäologische Forschungen zum Beginn des Hochmittelalters in Polen

Wie stellt sich die Institutionalisierung von Herrschaft und Religion in den archäologischen Quellen des 10./11. Jahrhunderts in Polen dar? Hier bedarf es aus Sicht des Archäologen, der sich als Historiker versteht, welcher zusätzlich mit Sachquellen umgeht, zunächst der Klärung verschiedener Grundfragen: Was wissen wir über Polen in dieser Zeit, wer herrscht und monumentalisiert somit seine Ansprüche, und was sind und wie äußern sich die religiösen Vorstellungen? Das eine geht dabei mit dem anderen einher. Die Christianisierung ist – nicht nur im Polen dieser Zeit – häufig ein Mittel, um Herrschaft zu konsolidieren oder zu begründen, so wie es 200 Jahre zuvor Karl der Große in Sachsen durchgesetzt hatte. Karl war dabei von einem – in einem lang andauernden und nicht stringent verlaufenden Prozess – ‚altchristianisierten‘ Gebiet ausgegangen, in dem er mit dem neuen Zentrum Aachen seine Herrschaft geordnet, militärisch gefestigt und um das Jahr 800 auch eindrucksvoll monumentalisiert hatte. Die Christianisierung der Sachsen erfolgte dabei in einem Zug und wurde mit dem Fortschreiten der militärischen Dominanz ganzheitlich und auf einen Schlag durchgeführt. Erkennbar wird sie nicht primär an einem Wechsel der Grabsitten oder in archäologisch messbarem Maßstab an veränderten Grabinventaren, etwa solchen mit christlichen Bildern, Zeichen oder Inschriften, sondern im Bereich der archäologischen Befunde. Bilder, Symbole und vor allem aber Architektur zählen zu den häufigsten und am leichtesten differenzierbaren Äußerungen von Herrschaft und Religion, die archäologisch erfasst werden können. Die Archäologie bleibt dabei, in Abgrenzung zur Kunstgeschichte, in der Regel bei den Bodenfunden oder widmet ihnen zumindest das Gros der Aufmerksamkeit. Die Aussagekraft von Kleinfunden ist meist nur sehr relativ, da diese bewegt werden können und nicht immer – so sie beispielsweise aus dem komplett erhaltenen Fundkomplex eines Grabes stammen – mit über die Einzelbeschreibung hinausgehenden Theorien über ihre Bedeutung für den ehemaligen Besitzer versehen werden können. Aufgrund solcher Funde ist es schwer, beispielsweise etwas über die ‚Christianisierung‘ von Regionen auszusagen. Hier sind gegenüber den archäologischen Quellen die schriftlichen meist weitaus ergiebiger. Um jedoch deren Aussagen zu prüfen und anhand der archäologischen Quellen zu verifizieren, bedarf es einer methodisch sauberen Interpretation der Baubefunde. Diese ortsfesten Denkmäler können anhand ihrer Verbreitung und jeweili-

Piasten und Ottonen  |  307

gen Wirkung, etwa hinsichtlich zu analysierender Zentralität, wohl das mit sicherste Bild einer Region und ihrer herrschaftlichen oder glaubensmäßigen Erschließung begründen helfen. Zum einen ist es dabei von Bedeutung, die absolute Chronologie festzulegen, zum anderen aber die Funktionserklärung von Architektur zu liefern. Beide Punkte stehen in Abhängigkeit zueinander. So kann eine Architektur ihre Funktion schon von einer Bauphase zur nächsten ganz grundsätzlich neu erhalten, die weltliche und religiöse Bestimmung können wechseln, aber auch innerhalb dieser Bereiche können verschiedene Nutzungsprofile an der Architektur festgemacht werden.

Herrschaft und Architektur Auf die Karolingerzeit folgte im östlichen Reich der Franken mit dem Gebiet der Sachsen um die Mitte des 10. Jahrhunderts der Dynastiewechsel zu den Ottonen und damit einhergehend auch eine noch stärkere Fokussierung auf den Ostteil des Herrschaftsgebiets, augenfällig abzulesen am Ausbau des neuen Zentrums Magdeburg. Die Ottonenherrscher begriffen Architektur schnell als Darstellungsmittel und ließen an den alten und neuen Herrschaftsorten eigene Bauprojekte durchführen. Dieses Repertoire dürfte auch den Architekten und Herrschern der frühen Piastendynastie im entstehenden Polen derselben Zeit bekannt gewesen sein. Der eigenen Ausprägung der sich dort ausbildenden Architektur spricht die polnische Forschung der letzten Jahre folgerichtig das Prädikat der frühen Piasten-Architektur zu. In den Termini der vor- und frühgeschichtlichen Archäologie würde es sich also um frühpiastenzeitliche Bauten handeln.1 Die Piasten hatten sich in der westlichen Mitte des heutigen Polens parallel zur Epoche der Karolinger durch Konzentrationen verschiedener Regionalherrschaften eine materielle und militärische Machtbasis bei den seit der Zeit um 1000 als Polanen überlieferten Bewohnern geschaffen.2 Möglicherweise das erste architektonisch ausgestattete Zentrum sollte ab den 960er Jahren in der durch einen älteren Wall vom Ende des 9. Jahrhunderts 1

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Vgl. Lech Kalinowski: Sztuka przedromańska i romańska w Polsce a dziedzictwo karolińskie i ottońskie, in: Folia Historiae Artium 16 (1980), S. 5–20. – Klementyna Żurowska: Sakralarchitektur in Polen, in: Europas Mitte um 1000. Beiträge zur Geschichte, Kunst und Archäologie, Ausst. Kat. ­Reiss-Engelhorn-Museum Mannheim, 3 Bde., hg. v. Alfried Wieczorek und Hans-Martin Hinz, Stutt­ gart 2000, Bd. 1, S. 502–506. – Teresa Rodzińska-Chorąży: Zespoły rezydencjonalne i kościoły ­centralne na ziemiach polskich do połowy XIII wieku, Krakau 2009. Vgl. Zofia Kurnatowska: Die Burgen und die Ausbildung der Stammesaristokratie bei den urpolnischen Slawen, in: Kat. Mannheim 2000 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 257–263. – Zofia Kurnatowska: Herrschaftszentren und Herrschaftsorganisation, in: Kat. Mannheim 2000 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 458–463. – Jerzy Strzelczyk: Polen im 10. Jahrhundert, in: Kat. Mannheim 2000 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 446–457. – Michał Kara: Najstarsze państwo Piastów. Rezultat przełomu czy kontynuacji? Studium archeologiczne, Posen 2009, S. 272–274.

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umgebenen Befestigung von Giecz angelegt werden und ist heute durch eine Ausgrabungsstätte mit Freilichtmuseum erschlossen.3 Der andere Palast der jungen Dynastie entstand ab 963, so der Terminus post quem der Hölzer einer Brückenkonstruktion auf der Insel von Ostrów Lednicki im Lednica-See, also der Lettstätter Insel im gleichnamigen See.4 Am Ort wurde auch gleich eine Kirche errichtet, die nach 966, der programma­ tischen Taufe des polnischen Herrschers Mieszko I., genau wie bei den benachbarten Sachsenkaisern ab dieser Zeit zunehmend selbstverständlich zu den Siedlungsbildern des beginnenden Hochmittelalters gehörte. Schließlich entstand ab den 940/50er Jahren ein weiteres, neues Herrschaftszentrum in Gnesen (Gniezno),5 von dem aber nur wenige Reste überliefert sind. Zum einen zeugen davon einige wenige ältere Mauern im Bereich der heutigen Georgskirche, nördlich der Kathedrale, zum anderen ältere Baubefunde unter der Kathedrale. Umfassendere Rekonstruktionen der Grundrisse oder Bauten sind für die frühe Zeit der 960er Jahre bis etwa zur Jahrtausendwende jedoch derzeit nicht möglich. Im gleichen Zeitraum wurde der Piastenherrscher Mieszko I. 966 von einem unbekannten Kleriker – sicherlich eines höheren Ranges – getauft. Dies lässt ab dieser Zeit in den Zentren und somit auch in Posen die bischöfliche und herrscherliche Macht monumentalisierende, steinerne Baubefunde erwarten (Abb. 27). Das Zentrum Posens wird seit der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts durch mehrere Wallanlagen eingenommen, vielleicht um 940/50 errichtet. Im östlichen Abschnitt etablierte sich später die Kathedrale und im westlichen die Marienkirche, wohl am Platz des Palastes. Unter der späteren ­Marienkirche, rund hundert Meter westlich der späteren Kathedrale, fanden sich Reste von Holzarchitektur, wohl Häuser, deren älteste dendrochronologische Daten aus dem ersten Drittel des 10. Jahrhunderts stammen. Die ältesten Bauspuren des Palastes in der westlichen Wallanlage sind frühestens  – nach dendrochronologischen Daten einer Schwelle – ab 941 möglich und dürften, wie an den anderen Orten auch, nach der historischen Wahrscheinlichkeit eher aus den 960er Jahren stammen. Nach dendrochronologischen Daten wurden zwischen 960 und 965 die beiden Wallanlagen erneuert sowie in den 3

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5

Vgl. Teresa Krysztofiak: Giecz, in: Kat. Mannheim 2000 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 464–466. – Teresa Krysztofiak: Rozwój wczesnośredniowiecznego ośrodka grodowego w Gieczu w świetle źródeł archeologicznych, in: Architektoniczno-przestrzenne i przyrodnicze podstawy rekonstrukcji wczesnośredniowiecznych założeń obronnych Giecza, hg. v. Aleksander Grygorowicz, Krystyna Milecka und Kazimierz Tobolski, Posen 2007, S. 15–39. – Kara 2009 (wie Anm. 2), S. 241 u. 255. Vgl. Janusz Górecki: Die Burg in Ostrów Lednicki – ein frühstaatliches Zentrum der Piastendynastie, in: Kat. Mannheim 2000 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 467–470. – Kara 2009 (wie Anm. 2), S. 290, 303 u. 353. – Ostrów Lednicki. Rezydencjonalno-stołeczny ośrodek pierwszych Piastów, hg. v. Zofia Kurnatowska und Andrzej Marek Wyrwa (Origines Polonorum, Bd. 9), Warschau 2016. Vgl. Tomasz Sawicki: Gnesen (Gniezno), in: Kat. Mannheim 2000 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 471– 474. – Kara 2009 (wie Anm. 2), S. 230, bes. Abb. 73, S. 241.

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Abb. 27: Karte Polens mit den Orten mit bedeutender Architektur im letzten Drittel des 10. Jahrhunderts.

970er und 980er Jahren um einen gewaltigen nördlichen Wall erweitert. Spätestens in den 980er Jahren ist in der östlichen Wallanlage die Basilika/Kathedrale im Bau.6 6

Vgl. Michał Kara: Posen (Poznań), in: Kat. Mannheim 2000 (wie Anm. 1), S. 475–478. – Hanna Kóčka-Krenz / Michał Kara / Daniel Makowiecki: The Beginnings, Development and the Character of the Early Piast Stronghold in Poznań, in: Polish Lands at the Turn of the First and the Second Millennia, hg. v. Przemysław Urbańczyk, Warschau 2004, S. 125–166, bes. S. 145–161. – Kara 2009 (wie Anm. 2), S. 290. – Vgl. Hanna Kóčka-Krenz: Pre-Romanesque Palatial Chapel in Poznań, in: Reading, Writing and Communicating, hg. v. Wojciech Fałkowski (Quaestiones Medii Aevi Novae, Bd. 15), Warschau 2010, S. 221–240. – Hanna Kóčka-Krenz: On Ostrów Island, Nearby Which Today’s Poznań is Located ..., Posen 2012.

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Das spätere Zentrum Krakau (Kraków) mit seinen Bauten auf dem Wawel, dem Königshügel, könnte in Teilen auch bereits im 10. Jahrhundert mit steinerner Architektur überzogen worden sein. Der Wawel in Krakau ist ein hoch auf einem Kalkfelsen errichteter Hügel, der im Frühmittelalter von einer mächtigen Burg umgeben war. Diese Burg wird frühestens in das 8./9. Jahrhundert eingeordnet und wurde mehrmals befestigt sowie repariert.7 Die Forschungen wurden sukzessiv seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts im Rahmen von Restaurierungsarbeiten am königlichen Schloss und der Domkurie durchgeführt. Dabei gelang es, ältere Beobachtungen zu verifizieren und neue Elemente zu entdecken.8 Sowohl in dem Teil, der den Dom und die Kurie umfasste, als auch innerhalb des königlichen Schlosses wurden mehrere Bauwerke entdeckt, die während des 10. Jahrhunderts oder an dessen Ende sowie im 11. Jahrhundert entstanden. Angesichts der Tatsache, dass der Wawel nicht nur das Zentrum weltlicher Gewalt, sondern ab dem Jahr 1000 auch das Bistum beherbergte, ist die funktionale Zuweisung der Bauten kein einfaches Vorhaben. Es liegen keine archäologischen Hinweise und keine schriftlichen Quellen vor, wie die bischöfliche Institution gegenüber der herzoglichen und später königlichen Kurie organisiert war.9 Allein die Lage des Domes und des mittelalterlichen und späteren Renaissanceschlosses legen es nahe, dass sich der Komplex bischöflicher Gebäude, die um den Dom angeordnet waren, entlang der äußeren Nordseite befand und die königliche Kurie auf dem höchsten Punkt des felsigen Hügels im Westteil. Im Nordteil wurden unter dem Dom Mauerreste entdeckt, die sich zwar nicht eindeutig als die Reste einer Basilika interpretieren lassen, aber vermutlich zum ersten Dom gehörten. Am besten ist eine Rotunde mit Apsis nördlich des Domes erfasst, die im Inneren eine reguläre Vertiefung aus Sandsteinblöcken und Gips enthält. Unter dem Schlosshof aus der Zeit der Renaissance wurde ein teilweise in den Felsen eingetieftes, kleines, viereckiges Bauwerk in der Form einer Kammer mit einem langen, schmalen Korridor auf der 7

8 9

Vgl. Zbigniew Pianowski: Krakau (Kraków), in: Kat. Mannheim 2000 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 479– 482. – Jerzy Wyrozumski: Krakow in the 10th–13th century Christian Europe, in: Kraków w chrześcijańskiej Europie X–XIII w. / Krakow in Christian Europe, 10th–13th century, Ausst. Kat. Muzeum Historyczne Miasta Krakowa, hg. v. Elżbieta Maria Firlet, Krakau 2006, S. 36–77.  – Zbigniew Pianowski: Wawel Hill as a Place of Power in the Early Middle Ages, in: Places of Power – Orte der Herrschaft – Lieux du Pouvoir, in: Deutsche Königspfalzen. Beiträge zu ihrer historischen und archäologischen Erforschung, Bd. 8, hg. v. Caspar Ehlers, Göttingen 2007, S. 289–312.  – Andrzej Kukliński: Murowana brama na Wawelu – fakt czy hipoteza? (przyczynek do zagadnienia przestrzeni sakralnej), in: Architektura sakralna w początkach państwa polskiego (X–XIII wiek), hg. v. Tomasz Janiak und Dariusz Stryniak, Gnesen 2016, S. 35–66. Vgl. Zbigniew Pianowski: Monumental Architecture of Early Medieval Kraków, in: Kat. Krakau 2006 (wie Anm. 7), S. 162–219. – Pianowski 2007 (wie Anm. 7), S. 289–312. Lech Kalinowski: Czego nie wiemy o wczesnośredniowiecznym Wawelu, in: Sprawozdania z Posiedzeń Komisji Naukowych Oddziału Polskiej Akademii Nauk w Krakowie, styczeń-grudzień 1991, 35/1–2 (1993), S. 133–135.

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Südseite entdeckt. Er wurde als Teil einer größeren, mit dem Schloss verbundenen Architektur angesehen. Bereits im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts wurden in den Räumen ehemaliger königlicher Küchen aus dem 16. Jahrhundert die ältesten Befunde entdeckt. Es handelte sich um eine fast bis zum Gewölbe erhaltene Rotunde mit vier kreuzförmig angeordneten Apsiden, die der Gottesmutter sowie Felix und Adauctus geweiht war. Südlich dieser Rotunde wurden bescheidene Reste einer zweiten Rotunde entdeckt (‚Kirche B‘), die möglicherweise zwei Apsiden besaß.10 Die ältesten Bauten zeichnen sich durch die besondere Bruchsteinmauertechnik mit länglichen Platten aus. Hier ist zum einen zu konstatieren, dass die frühesten Baubefunde stark durch die Bauten aus der Zeit Kasimirs des Erneuerers und aus dem späteren 11. und 12.  Jahrhundert überprägt sind und dass – wie auch an den meisten anderen aufgeführten Orten und Baubefunden – die ­archäologischen Angaben zur absoluten Chronologie aufgrund der Altgrabungen zwischen 1910 und 2010 nicht präzise oder verlässlich genug sind.11 Betrachtet man die genannten Befunde in der Übersicht, zeichnet sich ein massiver Bauboom mit weltlichen und kirchlichen Steingebäuden für die Zeit Mieszkos I. ab.12 Hier wird der Machtanspruch des Herrschers und der neuen Religion mit architektonischen Mitteln deutlich gemacht.13 Die repräsentativen Architekturkomplexe entstanden – wie in Giecz (Abb. 28) oder Ostrów Lednicki (Abb. 29) – innerhalb mächtiger ovaler, mit wuchtigen Wällen in Holz-Erde-Bauweise und mit innerer Holzbebauung errichteter Burgen. Sie wiesen vollkommen neue Formen auf und waren mit einer bisher in den jeweiligen Regionen unbekannten Mauertechnik gebaut. In den slawischen Gebieten gab es zuvor ausschließlich Holz-Erde-Konstruktionen, die gelegentlich mit Steinen aufgefüllt waren.14 10 Vgl. Żurowska 2000 (wie Anm. 1), S. 505. – Pianowski 2000 (wie Anm. 7), S.  481 f. – Pianowski 2006 (wie Anm. 8), S. 167–169. – Pianowski 2007 (wie Anm. 7), S. 289–312. 11 Vgl. Pianowski 2000 (wie Anm. 7), S. 482. – Pianowski 2006 (wie Anm. 8), S. 169–173. – Pianowski 2007 (wie Anm. 7), S. 289–312. 12 Vgl. Teresa Rodzińska-Chorąży: Co mówi nam architektura murowana?, in: Ziemie polskie w X wieku i ich znaczenie w kształtowaniu się nowej mapy Europy, hg. v. Henryk Samsonowicz, Krakau 2000, S. 361–383. – Aneta Bukowska: Some Questions Surrounding Monumental Architecture of the Early Medieval Poland Around the Year 1000, in: Situne Dei. Årsskrift för Sigtunaforskning, utgiven av Sigtuna Museum/Situne Dei. Annual of Sigtuna Research (2009), S. 21–33. – Teresa Rodzińska-Chorąży: Sakralarchitektur in Polen bis zum Ende des 12. Jahrhunderts, in: Credo. Christianisierung Europas im Mittelalter, Ausst. Kat. Diözesanmuseum Paderborn u. a., hg. v. Christoph Stiegemann, Martin Kroker und Wolfgang Walter, 3 Bde., Petersberg 2013, Bd. 1, S. 389–394. – Aneta Bukowska: The Origins of Christianity in Poland. Actual Research on the Church Archaeology, in: Christianisierung Europas. Entstehung, Entwicklung und Konsolidierung im archäologischen Befund. Internationale Tagung im Dezember 2010 in Bergisch-Gladbach, hg. v. Orsolya HeinrichTamáska, Niklot Krohn und Sebastian Ristow, Regensburg 2011, S. 449–468. 13 Vgl. Rodzińska-Chorąży 2000 (wie Anm. 12), S. 361–383.  – Bukowska 2011 (wie Anm. 12), S. 449–468. – Rodzińska-Chorąży 2013 (wie Anm. 12), S. 389–394. 14 Vgl. Kara 2009 (wie Anm. 2), S. 272–274.

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Abb. 28: Übersicht der Lage des Architekturkomplexes von Giecz.

In Polen setzten sie neue architektonische Ideen um, die vielleicht Anleihen aus den uns weitgehend unbekannten Holz-Erde-Bauten der Region aufnahmen. Die Verwendung von bearbeitetem Stein und Mörtel war eine fundamental neu angewandte Technik. Die Aufbereitung der älteren Grabungen und neue Forschungen an den Kristallisationspunkten der Herrschaft Mieszkos zeigen, dass diese Bauwerke innerhalb von zwei Generationen zwischen den 960er Jahren bis zum Beginn des 11. Jahrhunderts entstanden. Die Herkunft der Architekten und Bauleute, die in den Burgen für die ersten Piasten tätig waren, ist unbekannt. Nicht auszuschließen ist, dass sie aus Sachsen oder aus Bayern, mit dem von Prag administrierten Bischofssitz Regensburg, aus Schwaben, mit den Zentren Konstanz und Chur, oder aus Kärnten oder dem Friaul kamen.15 Vor der Einzelbetrachtung der Bauwerke seien noch einige generelle Bemerkungen zur Christianisierung vorausgeschickt.16 15 Vgl. Aneta Bukowska: 10th Century and circa 1000 in Poland. Traditions of the Research and the Starting Point for Polonia, in: Hortus Artium Medievalium [im Druck]. 16 Vgl. Jerzy Strzelczyk: Probleme der Christianisierung in Polen, in: Rom und Byzanz im Norden. Mission und Glaubenswechsel im Ostseeraum während des 8.–14. Jahrhunderts, hg. v. Michael MüllerWille (Akademie der Wissenschaften und Literatur Mainz. Abhandlungen Geistes- und Sozialwissenschaftlicher Klasse, Jg. 1997, Bd. 3), 2 Bde., Stuttgart 1998, Bd. 2, S. 191–214. – Jerzy Strzelczyk:

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Abb. 29: Grabungsplan der Gebäude auf der Insel Ostrów Lednicki.

Mieszko, Bolesław und die Ottonen Im Jahre 963 unterlag Mieszko dem Markgrafen Gero militärisch, der eine tributpflichtige Herrschaft über die slawischen Stämme östlich der mittleren Elbe und Saale ein­gerichtet hatte. Infolgedessen gelobte Mieszko Kaiser Otto die Treue.17 Er wird beim ­sächsischen Die Christianisierung Polens im Lichte der schriftlichen Quellen, in: Kat. Mannheim 2000 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 487–489. – Zofia Kurnatowska: Die Christianisierung Polens im Lichte der archäologischen Quellen, in: Kat. Mannheim 2000 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 490–493. – Bukowska 2011 (wie Anm. 12), S. 449–468. 17 Vgl. Strzelczyk 2000 (wie Anm. 16), S. 487–489. – Jerzy Strzelczyk: Die außenpolitischen Beziehungen der ersten Piasten, in: Kat. Mannheim 2000 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 536–538. – Matthias Hardt / Christian Lübke: Slavische Länder und Fürsten. Das östliche Europa zur Zeit Bischof Meinwerks, in: Für Königtum und Himmelreich. 1000 Jahre Bischof Meinwerk von Paderborn. Ausst. Kat. Museum in der Kaiserpfalz und Erzbischöfliches Diözesanmuseum Paderborn, hg. v. Christoph Stiegemann und Martin Kroker, Regensburg 2009, S. 122–137.

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Geschichtsschreiber Widukind von Corvey sogar als „amicus imperatoris“ be­zeichnet.18 Trotz folgender Interessenskollisionen mit dem Magdeburger Bischofssitz konnte Mieszko seine Herrschaft institutionalisieren. Der militärisch und geopolitisch nicht unbedeutende heidnische Staat von Mieszko I. im Flussgebiet der Warthe wird dementsprechend im arabischen Reisebericht von Ibrāhīm ibn Ya’qūb, Gesandter des K ­ alifen von Córdoba, der wohl 965 am Kaiserhof in Magdeburg weilte, als „Land des Mescheqqo“ erwähnt.19 Die dynastischen Interessen der Piasten-Familie, die über das Gebiet in Polen um Posen und Gnesen herrschte, führten 966 zur Taufe des Familienoberhaupts Mieszko I. nach seiner Vermählung mit der böhmischen Prinzessin Dubrawka oder Dubrouka. Die ältesten in den Annalen bewahrten Berichte scheinen sehr knapp zu sein. In den Aufzeichnungen, die den Beginn der historischen Berichterstattung darstellen, steht: „DCCCCLXV [965] Dubrouka ad Meskonem venit, DCCCCLXVI [966] Mesco dux Poloniae baptizatur.“20 Durch diesen politisch motivierten Schritt begann die Christianisierung und damit auch die Staatswerdung von Polen. Mieszko folgte mit seiner Entscheidung für die Taufe im Jahr 966 großen und erfolgreichen Vorbildern aus der Antike und dem Frühmittelalter. Wie schon vor ihm bei anderen Herrschern, vor allem beim römischen Kaiser Konstantin des Großen zu Anfang des 4. Jahrhunderts und genauso dem Frankenkönig Chlodwig zu Beginn des 6. Jahrhunderts, war es ein gut überlegter Schritt. Sicher war dies in allen ­Fällen weniger eine Entscheidung aufgrund persönlicher religiöser Überzeugung, sondern vielmehr ein aus politischem Kalkül hervorgegangener Akt. Konstantin und Chlodwig wollten die integrative Kraft der christlichen Religion gegenüber den unterschiedlichen Ethnien und Religionen in ihren Herrschaftsbereichen nutzen. Der Piastenherrscher Mieszko musste sich gegen die mächtigen christlichen Nachbarn und besonders auch gegenüber den Ottonen im Westen absichern. Auffällig an den genannten historischen Taufvorgängen ist jeweils, dass christliche Frauen eine Rolle spielten: Konstantins Mutter Helena, Chlodwigs Frau Basina und Miesz­kos Frau Dubrouka, die aus dem christlichen Böhmen stammte,21 scheinen jeweils Einfluss auf die Entscheidung der Herrscher gehabt zu haben. 18 Widukind von Corvey: Res gestae Saxonicae. Die Sachsengeschichte des Widukind von Korvei, in: Quellen zur Geschichte der sächsischen Kaiserzeit, hg. v. Albert Bauer und Rau Reinhold (Ausgewählte Schriften zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe, Bd. 8), Darmstadt 2002, S. 69, c. 3. – Vgl. Strzelczyk 2000 (wie Anm. 2), S. 448. – Jerzy Strzelczyk: Piasten und Polen, in: Kat. Mannheim 2000 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 531–535, insb. S. 532. 19 Arabische Berichte von Gesandten an germanische Fürstenhöfe aus dem 9. und 10. Jahrhundert, hg. v. Georg Jacob (Quellen zur deutschen Volkskunde, Bd. 1), Berlin 1927, S. 11–14. 20 Annales Cracovienses priores cum kalendario, bearb. v. Zofia Kozłowska-Budkowa (Monumenta Poloniae Historica. Series nova, Bd. 5), Warschau 1978, Nr. 20.  – Vgl. dazu Strzelczyk 1998 (wie Anm. 16), S. 198 f. 21 Vgl. Joanna Sobiesiak: Mulier suadens und andere Damen. Dynastische Heiraten in der Geschichte der polnisch-böhmischen Beziehungen des 10.–12. Jahrhunderts, in: Fernhändler, Dynasten, Kleriker.

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Bemerkenswert dünn ist, angesichts der jeweils hohen politischen und religionsgeschichtlichen Bedeutung, die Überlieferungslage zu den historischen Taufakten selbst. Während man bei Konstantin nicht einmal sicher sagen kann, ob er vielleicht erst auf dem Sterbebett getauft wurde, berichtet Bischof Gregor von Tours über Chlodwigs Taufe aus der Rückschau vom Ende des 6. Jahrhunderts.22 Mieszkos Taufe wird bei Thietmar von Merseburg (4,55–56) lediglich kurz beschrieben und der Initiative seiner Frau zugeschrieben.23 Nur in einem Satz ist die Rede von der Taufe „Mesco dux Poloniae baptisatur“24 in den bekannten, erhaltenen Kopien der verschwundenen sogenannten Annalen der Königin Richeza. Alle übrigen Annalenkopien, die an anderen Orten hergestellt wurden, stammen aus noch späterer Zeit.25 Der Taufentscheidung vorausgegangen waren offenbar umfangreiche Planungen zur Sicherung und Repräsentation von Mieszkos Herrschaft, so legt es das Bauprogramm im Zentrum der von ihm regierten Region nahe. 968 kam der Missionsbischof Jordanus, der die erste christliche Mission anführte („DCCCCLXVIII Jordanus primus episcopus in Polonia ordinatus est“26). Es folgte die Organisation erster Kirchenstrukturen: Möglicherweise entstand das Bistum Posen bereits um das Jahr 968, nach den Dokumenten des Magdeburger Erzbischofs Tagino, oder um 1000 während des Aktes von Gnesen. Seit 984 oder 991 war auf dem neu christianisierten Gebiet der Piasten Bischof Unger tätig. Er war gleichzeitig bis 992 Abt des Benediktiner­ klosters Memleben, das von Otto II. und Theophanu gegründet worden war.27 Unger, der Bischof der Posener Diözese, wurde 1004 wohl auf Betreiben des Magdeburger Erz­

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Die piastische Herrschaft in kontinentalen Beziehungsgeflechten vom 10. bis zum frühen 13. Jahrhundert, hg. v. Dariusz Adamczyk und Norbert Kersken (Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien, Bd. 30), Wiesbaden 2015, S. 107–124. Gregorii Episcopi Turonensis Libri Historiarum X, bearb. v. Bruno Kursch und Wilhelm Levison. Hist. II,31 (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores Rerum Merovingicarum, Nova Series, Bd. 1.1), Hannover 1951, Lib. II,31, S. 77–79. Thietmari Merseburgensis Episcopi Chronicon, bearb. v. Robert Holtzmann (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum. Nova Series, Bd. 9), Berlin 1935, lib. IV, cap. 55 f.: „Enimvero Christo fidelis dum coniugem suum vario gentilitatis errore implicitum esse perspiceret, sedula revolvit anguste mentis deliberacione, qualiter hunc in fide sibi consociaret.“ Vgl. Anm. 20. Vgl. Gerard Labuda: Jeden czy dwa roczniki niemieckie u podstaw polskiego rocznikarstwa?, in: Studia Źródłoznawcze 39 (2001), S. 7–27. – Andrzej Pleszczyński: Die Taufe Polens – das Jahr 966, in: Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa. Konstitution und Konkurrenz im nationen- und epochenübergreifenden Zugriff, hg. v. Joachim Bahlcke und Thomas Wünsch, Berlin 2013, S. 795–803, hier S. 795. Annales Poloniae Maioris, bearb. v. Brygida Kürbis (Monumenta Poloniae Historica. Series Nova, Bd. 6), Warschau 1962, Nr. 23. – Vgl. dazu Strzelczyk 1998 (wie Anm. 16), S. 198 f. Vgl. Johannes Fried: Das Missionskloster Memleben, in Kat. Mannheim 2000 (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 761–763, insb. S. 762 f.

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bischofs entführt und interniert, was die Bedeutung anzeigt, die man dem neu christianisierten Gebiet beimaß. Unger verstarb erst zehn Jahre später, fern seines Bistums.28 Nach dem 991 ausgestellten Dokument, das als „Dagome iudex“ bekannt ist, übergab der Herrscher seinen Staat, der „unam civitatem in integro que vocatur Schignesne“29 genannt wird, in die direkte Obhut des Papstes in Rom und erreichte dadurch eine umfassendere, von Magdeburg relativ unabhängige Berechtigung zu Aktivitäten im Bereich kirchlicher Organisation.30 990 oder 992 vergrößerte Mieszko I. sein Gebiet um Kleinpolen mit Krakau und um Schlesien mit Breslau. Vorher wurden diese Gebiete durch das böhmische Reich der Přemysliden kontrolliert.31 Der Herzog verstarb im Jahre 992. Sein Nachfolger Bolesław I. Chrobry kooperierte mit dem Prager Bischof Wojciech, dem hl. Adalbert, dem ersten, aus Böhmen stammenden Slawenmissionar. Es gab Kontakte mit dem Mönchtum in Italien und auf dem Aventin in Rom. Von Bedeutung ist Wojciechs Missionsarbeit in Preußen und schließlich sein Martyrium an der Ostsee im Jahre 997. Der Herrscher des jungen christlichen Staates, Bolesław Chrobry, löste den Leichnam von den nichtchristlichen Preußen aus und führte die sterblichen Überreste des ersten slawischen Martyrers nach Gnesen über. Noch vor dem Akt von Gnesen im Jahr 1000 wurde die Funktion des Erzbischofs dem Bruder des Martyrers, Gaudentius, übergeben, der in dem Dokument von Otto III. aus Farfa als „archiepiscopus sancti Adalberti“ beschrieben wurde.32 Damit besaß Gnesen eine geistliche Vormachtstellung, die folgerichtig durch die Bevorzugung des neuen Erzbistums vor allen benachbarten Diözesen – bei fehlender Zustimmung aus Posen – im Akt von Gnesen unter Leitung von Otto III. institutionalisiert 28 Thietmari Merseburgensis Episcopi Chronicon, bearb. v. Robert Holtzmann (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum. Nova Series, Bd. 9), Berlin 1935, lib. VI, cap. 65. – Zu Unger vgl. zusammenfassend Art. Unger, Bischof von Posen (1000–1012), in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 8, München 1997, Sp. 1234–1235 (Jerzy Strzelczyk). – Jerzy Strzelczyk: Das Treffen in Gnesen und die Gründung des Erzbistum Gnesen, in: Kat. Mannheim 2000 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 494–497, insb. S. 497. – Dariusz Andrzej Sikorski: Die Rolle der Geistlichen ausländischer Herkunft in der polnischen Kirche des 10.–12.  Jahrhunderts, in: Adamczyk / Kersken 2015 (wie Anm. 21), S. 241–262. 29 Brygida Kürbis: Dagome iudex – studium krytyczne, in: Na progach historii. II O świadectwach do dziejów kultury średniowiecznej, Posen 2001, S. 9–88 (OA 1962), insb. S. 47–49 mit verschiedenen Versionen der Quelle. 30 Vgl. Charlotte Warnke: Ursachen und Voraussetzungen zur Schenkung Polens an den Heiligen Petrus, in: Europa slavica – Europa orientalis. Festschrift für Herbert Laudat zum 70. Geburtstag (Osteuropastudien der Hochschulen des Landes Hessen, Reihe 1. Gießener Abhandlungen zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des europäischen Ostens, Bd. 100), Berlin 1980, S. 127–177. – Strzelczyk 2000 (wie Anm. 2), S. 448 f. u. bes. S. 451. – Marzena Matla: Kirchliche Außenkontakte und die Anfänge des historischen Schrifttums in Polen, in: Adamczyk / Kersken 2015 (wie Anm. 21), S. 217–240. 31 Vgl. Strzelczyk 2000 (wie Anm. 18), S. 532. – Wyrozumski 2006 (wie Anm. 7), S. 36–77, bes. S.  42 f. 32 Johann Friedrich Böhmer: Regesta Imperii II. Sächsisches Haus: 919–1024, Abt. 3: Die Regesten des Kaiserreiches unter Otto III., bearb. v. Mathilde Uhlirz, Wien 1957, S. 736 f., Nr. 1336.

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wurde. Im Jahr 1000 wurden während des Besuchs des Kaisers Otto III. im Piasten-Staat und der Pilgerfahrt zu den Reliquien des Martyrers Adalbert das Erzbistum Gnesen mit den Reliquien des hl. Adalberts und die untergeordneten Bistümer in Krakau, Breslau, Kolberg (Kołobrzeg) sowie das autonome Bistum Posen festgeschrieben, das von Bischof Unger geführt wurde.33 Neben diesen komplexen Kirchenstrukturen ist am Hof der Piasten die Tätigkeit des Intellektuellen und Missionars Brun von Querfurt überliefert. Für den Kaiserhof, der seit 1002 mit dem Piasten-Staat verfeindet war und unter Heinrich II. auch Krieg führte, war dieser Geistliche der Verteidiger der christlichen Herrschaft von Bolesław Chrobry.34 Dieser hatte die auf Betreiben Ottos III. nach Polen gereisten italienischen Mönche um den hl. Romuald prunkvoll empfangen, den Ottonen sozusagen das Heft aus der Hand genommen, und in Meserici – einem nicht identifizierten Ort, vielleicht Międzyrzecze – ein erstes Kloster eingerichtet.35 Nach der Legende erlitten fünf Mönche dort am 12. November 1003 das Martyrium und wurden 1004 heiliggesprochen.36 Während der diplomatischen Reise von Bischof Unger nach Rom im Zusammenhang mit dieser Heiligsprechung kam es zu dessen Entführung im Auftrag des Magdeburger Erzbischofs.37 33 Vgl. Johannes Fried: Theophanu und die Slaven. Bemerkungen zur Ostpolitik der Kaiserin, in: Kaiserin Theophanu. Begegnung des Ostens und Westens um die Wende des ersten Jahrtausends. Gedenkschrift des Kölner Schnütgen-Museums zum 1000. Todesjahr der Kaiserin, hg. v. Anton von Euw und Peter Schreiner, 2 Bde., Köln 1991, Bd. 2, S. 363–366. – Strzelczyk 2000 (wie Anm. 28), S. 494–497. – Ernst-Dieter Hehl: Die Gründung des Erzbistum Gnesen unter kirchenrechtlichen Apekten, in: Kat. Mannheim 2000 (wie Anm. 1), S. 498–501. – Slawomir Gawlas: Der hl. Adalbert als Landespatron und die frühe Nationenbildung bei den Polen, in: Polen und Deutschland vor 1000 Jahren. Die Berliner Tagung über den „Akt von Gnesen“, hg. v. Michael Borgolte (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 5), Berlin 2002, S. 193–233, hier S. 205 f. – Roman Michałowski: The Gniezno Summit. The Religious Premises of the Founding of the Archbishopric of Gniezno (East Central and Eastern Europe in the Middle Ages 450–1450, Bd. 5), Leiden 2016, S. 74–222, bes. S. 182–222. 34 Vgl. Bruno von Querfurt: Epistola Brunonis ad Henricem regem, bearb. v. Hedvigis Karwasińska (Monumenta Poloniae Historica. Series nova, Bd. 3), Warschau 1973, S. 98 f. – Zur Person vgl. Miłosz Sosnowski: Kilka uwag o chronologii życia i twórczości Brunona z Kwerfurtu, in: Roczniki Historyczne 82 (2016), S. 63–78. 35 Vgl. Marek Derwich: Die ersten Klöster auf dem polnischen Gebiet, in: Kat. Mannheim 2000 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 515–518. – Gawlas 2002 (wie Anm. 33), S. 193–233, hier S. 205 f. 36 Vita Quinque Fratrum Eremitarum [seu] vita vel Passio Benedicti et Johannis ac Sociorumque suorum auctore Brunone Querfurtensi, bearb. v. Hedvigis Karwasińska (Monumenta Poloniae Historica. Series nova, Bd. 4), Warschau 1973, cap. 31: In der Lebensgeschichte der Fünf Brüder notierte Brun: „passi sunt duo cum tribus et tres non sine duobus.“ – Brygida Kürbis: Purpureae passionis aureus finis. Brun von Querfurt und die Fünf Märtyrerbrüder, in: Kat. Mannheim 2000 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 519–526. 37 Vgl. Anm. 32. – Zu der in der Kathedrale von Gnesen ergrabenen Steinplatte, die das sogenannte Grab von drei der fünf Märtyrerbrüdern abdeckt vgl. Derwich 2000 (wie Anm. 35), S. 525 f.

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Sowohl Bolesław Chrobry (gekrönt 1025) als auch sein Sohn Mieszko II. beförderten die Christianisierung in ihren Herrschaftsgebieten. 1013 fanden die Vermählung des jungen Mieszko II. mit Richeza, Tochter der Mathilde von Lothringen, Schwester Ottos III. und Gattin des lothringischen Pfalzgrafen Ehrenfried/Ezzo, und die Ankunft von Richeza im Herrschaftsgebiet der Piasten statt.38 Eine bedeutende Quelle ist der Widmungsbrief mit den Gaben an Mieszko II. von Mathilde von Lothringen kurz nach seiner Thronbesteigung im Jahre 1025.39 Mathilde lobt die neuen Kirchenstiftungen, die kraft des apostolischen Glaubens entstanden seien, und die großen Werke des Vorgängers Bolesław Chrobry. Zu diesem Zeitpunkt ist also die Ausstattung des vor Kurzem christianisierten Landes mit kirchlicher, wohl auch mit klösterlicher Architektur, mit Bischöfen und Heiligen bereits in hohem Maß durchgeführt. Eine Art ‚christliche Landeserschließung‘ hatte also stattgefunden. Dennoch gab es nun Widerstand gegen die neue Religion und 1031 verließ Mieszko II. sein Reich. Kurze Zeit später zog auch Königin Richeza in ihre Heimat, das Rheinland, zurück und nahm die Herrschaftsinsignien und ihren minderjährigen Sohn Kasimir I. mit sich. In den Jahrbüchern von Hildesheim heißt es: „Mieszko, der König von Polen, starb vorzeitig, und der christliche Glaube, der dort von seinen Vorgängern begonnen und von ihm verfestigt wurde, ist leider kläglich versunken.“40 Diese Situation nutzte der böhmische Herzog Břetislav I. aus, der 1038 die Städte der Piasten bewaffnet überfiel, sie vollständig niederbrannte und reiche Beute machte. Davon erzählen die böhmischen Chroniken.41 Der Chronist Gallus Anonymus schrieb: „[...] und die erwähnten Städte gerieten so lange in Vergessenheit, dass in der Kirche des Heiligen Marty­ rers Adalberts [die Kathedrale in Gnesen] und des Heiligen Apostel Petrus [die Kathedrale in Posen] wilde Tiere sich eingenistet haben.“42 Seit den 1040er Jahren und spätestens 1050 erfolgte der Wiederaufbau der Staats- und Kirchenstrukturen durch ­Kasimir I. mit der Unterstützung des Kölner Erzbistums. Da der Wawel in Krakau nicht von den Zerstörungen betroffen war, verlegte Kasimir das Herrschaftszentrum dorthin. Vielleicht war das neue Zentrum auch von der vorangegangenen Krise des Christentums nicht oder nicht so stark betroffen.43 38 Vgl. Strzelczyk 2000 (wie Anm. 18), S. 533. – Strzelczyk 2000 (wie Anm. 17), S. 539. 39 Codex Mathildis: liber officiorum cum foliis dedicationis, bearb. v. Brygida Kürbis (Monumenta Sacra Polonorum, Bd. 1), Krakau 2000. 40 Annales Hildesheimenses, bearb. v. Georgius Waitz (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi, Bd. 8), Hannover 1878, S. 38. 41 Die Chronik der Böhmen des Cosmas von Prag / Cosmae Pragensis Chronica Boemorum, bearb. v. Berthold Bretholtz und Wilhelm Weinberger (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi, Bd. 2), Berlin 1923, lib. II, cap. 2–5, S. 83–91. 42 Galli Anonymi Cronicae et gesta ducum sive principum Poloniae, bearb. v. Karol Maleczyński (Monumenta Poloniae Historica. Series nova, Bd. 2), Krakau 1952, lib. I, cap. 19, S. 43. 43 Vgl. der Beitrag von Aneta Bukowska in diesem Band.

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Giecz und Ostrów Lednicki Der erste Ort, der für die Piasten in den 960er Jahren mit einer exzeptionellen Steinarchitektur ausgestattet werden sollte, ist Giecz. In der südlich von Posen gelegenen, seit den 940er Jahren burgartig befestigten Siedlung auf einer Halbinsel in einem See ist nur der Fundamentbereich eines wohl als Residenz zu deutenden Gebäudes ohne Reste von aufgehendem Mauerwerk ausgegraben worden.44 Es fanden sich keine Spuren der Benutzung des Bauwerks.45 Möglicherweise ist das Bauvorhaben aufgegeben worden, noch bevor es zur Errichtung des Aufgehenden kam. Die Grundrisskonzeption ist gut erkennbar mit der des Palastes auf der Insel Ostrów Lednicki identisch. Der Grundriss zeigt die Verbindung von Zentral- und Längsbau auf derselben Achse, wie es in der antiken und spätantiken Architektur durchaus vorkommen kann, beispielsweise bei der Grabeskirche in Jerusalem oder bei den Praetoria der Römerzeit.46 Für die Architektur des 9./10. Jahrhunderts ist es ein ungewöhnliches Konzept, sieht man von der Pfalz Werla in Niedersachsen ab. Ein direktes Vorbild für die Bauwerke auf der Insel Ostrów Lednicki und in Giecz kann nicht angeführt werden. Am ehesten wird man an Paläste im byzantinischen Bereich denken müssen, aber auch an Bauten, wie an den Trikonchos aus dem 9. Jahrhundert in Bratislava-Devín in der Slowakei.47 Hier ist ebenfalls eine zentrale Bauform mit einem langgestreckten Rechteckbau kombiniert, der wiederum durch Quermauern geteilt ist. Ob es sich hier um durch Schranken geteilte Raumkompartimente, abgeschlossene Räume oder Unterbauten für ein durch Treppenanlagen erreichbares Emporengeschoss handelt, ist nicht klar.

44 Vgl. Anm. 6. 45 Vgl. Bohdan Kostrzewski: Z najdawniejszych dziejów Giecza (Popularnonaukowa biblioteka archeologiczna, Bd. 9), Breslau 1962. – Krysztofiak 2000 (wie Anm. 3), S. 466. – Teresa Krysztofiak: Palatium w Gieczu – archeologiczne podstawy datowania reliktów, in: Lapides viventes. Zaginiony Kraków wieków średnich. Księga dedykowana Profesor Klementynie Żurowskiej, hg. v. Jerzy Gadomski, Krakau 2005, S. 293–309. 46 Vgl. Klementyna Żurowska: Studia nad architekturą wczesnopiastowską (Universitas Iagellonica, Acta Scientiarum Litterarumque, Bd. 642. Schedae ad artis historiam pertinentes, Heft 17), Warschau 1983, S. 116–119 u. 129–156.  – Klementyna Żurowska: Réflexions sur l’origine des groupes ­épiscopaux à ordonnance axiale à l’époque paléochrétienne, in: Folia Historiae Artium 4 (1998), S. 173–177. – Żurowska 2000 (wie Anm. 1), S.  503 f. – Rodzińska-Chorąży 2009 (wie Anm. 1), S. 141–160. 47 Vgl. Teresa Rodzińska-Chorąży: Vel’komoravská trikoncha na Devíne: medzi antikou a stredovekem, in: Pocta Václavovi Menclovi. Zbornik štúdií k otázkam interpretácie stredoeurópskeho umenia, hg. v. Dana Bořutová und Štefan Oriško, Bratislava 2000, S. 33–58, bes. S. 50–52. – Żurowska 2000 (wie Anm. 1), S.  503 f.  – Rodzińska-Chorąży 2009 (wie Anm. 1), S. 141–146.  – Martin Illáš: Predrománsky kostol na Devíne, in: Historický zborník 21 (2011), S. 19–39.

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Posen, Kathedrale In Posen sind in einer archäologischen Zone unter der Kathedrale die Befunde des dreischiffigen basilikalen Kirchenbaus vom Ende des 10. Jahrhunderts zu sehen, wohl aus der Zeit zwischen 980 und 1000 (Abb. 30).48 Im Zentrum des Mittelschiffs befindet sich eine aufwändige Grabanlage, vielleicht von einem in der Kirche sichtbaren Monument für Mieszko I., der 992 nach späterer, aber noch mittelalterlicher Überlieferung hier bestattet wurde. Auch andere Piastenherrscher sollen in der Kirche bestattet worden sein.49 Etwas weiter östlich wurden die Reste eines Mörtelmischplatzes gefunden, darunter­ liegende Holzbefunde datieren zwischen 880 und 980. Runde Überreste solcher Mörtel­ aufbereitungsplätze sind aus anderen Grabungen frühmittelalterlicher Baustellen gut ­bekannt, wie beispielsweise aus Zürich und Basel in der Schweiz oder Bendern im Fürstentum Liechtenstein.50 In der Mitte sind in Posen Spuren des Drehlagers für den ­Mischer gut zu erkennen, die Mischfläche ist durch eine dicke Packung Kalkmörtel definiert. 51 Vor Ort wurde dieser Befund von der lokalen Forschung allerdings als Taufbecken von

48 Vgl. Krystyna Józefowiczówna: Recherches sur l’architecture de la cathédrale de Poznań d’aprés les récentes fouilles, in: Cahiers de Civilisation Médiévale 4 (1961), S. 323–342. – Krystyna Józefowiczówna: Z badań nad architekturą przedromańską i romańską w Poznaniu (Polskie badania archeologiczne, Bd. 9), Breslau 1963. – Überarbeitung bei Aneta Bukowska: Najstarsza katedra w Poznaniu. Problem formy i jej genezy w kontekście architektury około roku 1000 (Studia z historii sztuki średniowiecznej Instytutu Historii Sztuki Uniwersytetu Jagiellońskiego, Bd. 3), Krakau 2013. 49 Vgl. Józefowiczówna 1961 (wie Anm. 43), S.  328 f.  – Józefowiczówna 1963 (wie Anm. 43), S. 51–62. – Michał Kara / Zofia Kurnatowska: Christliche Bestattungen, in: Kat. Mannheim 2000 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 527–530, insb. S. 529. – Kara 2000 (wie Anm. 6), S. 478. – Hanna KóčkaKrenz: Königsgräber im Dom zu Posen, in: Das frühmittelalterliche Königtum. Ideen und religiöse Grundlagen, hg. v. Franz-Reiner Erkens (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 49), Berlin 2005, S. 359–375. 50 Zur Problematik der Mörtelmischer vgl. Daniel B. Gutscher: Mechanische Mörtelmischer. Ein Beitrag zur karolingischen und ottonischen Bautechnologie, in: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 38 (1981), S. 178–188. 51 Zur Interpretation von Befunden als Mörtelmischer vgl. Andrzej Tomaszewski: Misy, ale czy chrzcielne?, in: I Międzynarodowy Kongres Archeologii Słowiańskiej, hg. v. Witold Hensel, Breslau 1970, Bd. 5, S. 345–347. – Teresa Rodzińska-Chorąży: Tak zwane misy chrzcielne w Poznaniu i Wiślicy. Fakty, hipotezy, intepretacje, in: Sprawozdania z Posiedzeń Komisji Naukowych pan. Oddział Kraków 39 (1995), S. 10–14. – Przemysław Urbańczyk: Czy istnieją archeologiczne ślady masowych chrztów ludności wczesnopolskiej?, in: Kwartalnik Historyczny 102 (1995), S. 3–18. – Teresa Rodzińska-Chorąży: Koliste struktury w Poznaniu i Wiślicy – misy chrzcielne czy urządzenia do mieszania zaprawy?, in: Wiślica. Nowe badania i interpretacje, hg. v. Andrzej Grzybowski (Biblioteka Muzealnictwa i Ochrony Zabytków. Serie B, Bd. 86/98), Warschau 1997, S. 61–81. – Bukowska 2013 (wie Anm. 48), S. 135–137 u. 160 f.

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Abb. 30: Posen, Plan der Kathedrale.

966 interpretiert.52 Eine solche Deutung kommt aufgrund der eindeutigen Befundcharakteristik und der zahlreichen bekannten Vergleichsobjekte nicht in Frage. Wenn es in Posen ein Baptisterium des 10. Jahrhunderts gegeben haben sollte, dann ist es – genau wie in Gnesen – bisher noch unentdeckt geblieben.53 Es stellt sich auch die Frage, ob ein selbstständiges Baptisterium in dieser Zeit überhaupt noch existiert haben könnte, insofern die Vorbilder im Westen für selbstständige Taufkirchen schon in der Zeit Karls des Großen und seiner Taufreformen enden, nach denen es nur noch die Kindertaufe gab.

Ostrów Lednicki Anders als in Posen und Gnesen ist die Befundlage auf der Insel von Ostrów Lednicki, rund 40 Kilometer ostnordöstlich von Posen. Hier existieren neben Siedlungsspuren und

52 Vgl. Józefowiczówna 1961 (wie Anm. 43), S. 330. – Józefowiczówna 1963 (wie Anm. 43), S. 38– 45. – Krystyna Józefowiczówna: Uwagi o spornej kwestii baptysteriów w Polsce X i XI wieku, in: Slavia Antiqua 14 (1967), S. 31–129. – Zofia Kurnatowska: Poznańskie baptysterium, in: Slavia Antiqiua 39 (1998), S. 51–69. – Kara 2000 (wie Anm. 6), S. 478. 53 Vgl. Aneta Bukowska: Architektura najstarszego kościoła katedralnego w Poznaniu, in: Archeologiczne tajemnice palatium i katedry poznańskiego Ostrowa, Ausst. Kat. Archäologisches Musem Posen, hg. v. Maciej Przybył, Posen 2016, S. 60.

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Resten eines slawischen Burgwalls aus dem 10. Jahrhundert54 vor allem die Befunde von zwei in Richtung Gnesen 170 Meter und Richtung Posen 400 Meter langen monumentalen Holzbrücken. Sie besaßen bis zu fast 7 Meter tiefe Pfahlgründungen, die nach den dendrochronologischen Daten um 963/64 – also unmittelbar vor der Taufe – den Weg zur Insel auf repräsentative Art und Weise erschlossen.55 Nahe des Südufers sind 1987 bis 1990 umfangreiche Reste eines Palastes des 10. Jahrhunderts – eines der ältesten Stein­ gebäude Polens – aufgedeckt worden,56 daneben auch Wohnhäuser und eine kleine Kirche mit Gräbern dieser Zeit. Bemerkenswert sind die Mauern und Befunde eines kurz nach 963 angelegten Architekturensembles, das als Palast gedeutet werden kann. Zumindest legen die Datierungen der Brückenhölzer eine solche zeitliche Präzisierung des Entstehungszeitpunktes nahe. Der Bau der Brücke war für den Transport von Baumaterialien und Bauleuten zur Insel sicher eine Vorbedingung. Demnach dürfte die ganze Anlage, die den Platz eines schon vorhandenen Ringwalls monumentalisiert aufwertete, Mieszko I. als Bauherr zugeschrieben werden.57 Neben einem repräsentativen Saal weist der Bau an der Ostseite einen achtseitigen Zentralbau mit alternierenden rechteckigen und gerundeten Nischen in Verbindung mit Umgang und Apsis auf (Abb. 31–34). Der Zentralbau wurde als die Verbindung eines gleichschenkligen Kreuzes und eines Kreises mit vier im Grundriss quadratischen Pfeilern konzipiert. In seinem Inneren befinden sich auf der Nord- und Südseite je rund 4,6 Meter lange und an der breitesten Stelle 1,8  Meter messende sehr flache (10–15 und 25– 30 Zentimeter hohe) Becken. Sie sind mit stark kalkhaltigem, weißem Gipsmörtel ausgekleidet,58 der – kommt er mit Wasser in Berührung – sehr glatt werden kann. Ein direkter 54 Vgl. auch Anm. 4. 55 Vgl. Andrzej Kola / Krzysztof Radka / Gerard Wilke: Mosty traktu „poznańskiego“ i „gnieźnieńskiego“ w świetle badań podwodnych (1982–2015), in: Kurnatowska / Wyrwa 2016 (wie Anm. 4), S. 107–130. – Gerard Wilke: Brücken und Brückenbau im östlichen Mittelauropa um 1000, in: Kat. Mannheim 2000 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 142–147, insb. S. 144. 56 Vgl. Ostrów Lednicki. U progu chrześcijaństwa w Polsce, hg. v. Klementyna Żurowska (Biblioteka Muzealnictwa i Ochrony Zabytków, Serie C. Studia i materiały, Bd. 8), 2 Bde., Krakau 1993. – Klementyna Żurowska / Teresa Rodzińska-Chorąży: Au seuil de l’architecture chrétienne en Pologne. Ostrów Lednicki, in: Cahiers de Civilisation Médiévale 41 (1998), S. 35–54. 57 Vgl. Mateusz Łastowiecki: Oznaczenia i metoda przeprowadzonych badań oraz stratygrafia w rejonie budowli, in: Żurowska 1993 (wie Anm. 56), Bd. 1, S. 41–64. – Jacek Wrzesiński / Michał Kara: Stratygrafia, chronologia oraz wybrane zagadnienia socjotopografii najstarszego grodu na Ostrowie Lednickim, in: Kurnatowska / Wyrwa 2016 (wie Anm. 4), S. 73–106. – Adam Biedroń: Datowanie i okoliczności fundacji, in: Żurowska 1993 (wie Anm. 56), S. 227–231. – Zygmunt Kalinowski: Baseny chrzcielne z Ostrowa Lednickiego (Biblioteka Studiów Lednickich, Bd. XXXIV, Serie C, Bd. 5), Lednica 2015. – Zofia Kurnatowska: Herrschaftszentren. Die Anfänge der Residenzenbildung, in: Handbuch zur Geschichte der Kunst in Ostmitteleuropa, Bd. 1: 400–1000. Vom spätantiken Erbe zu den Anfängen der Romanik, hg. v. Christian Lübke und Matthias Hardt, Berlin 2017, S. 214–221. – Vgl. auch Anm. 50. 58 Vgl. Teresa Rodzińska-Chorąży: Budowla centralna, in: Żurowska 1993 (wie Anm. 56), S. 75–77.

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Abb. 31: Ostrów Lednicki: Phasen I und II.

Zu- oder Abfluss ist nicht gefunden worden. Einerseits entspricht die Architekturform einigen bekannten Baptisterien ab der Zeit des 5./6.  Jahrhunderts, die aber, wie das jüngste Beispiel im norditalienischen Lomello, auch noch der Langobarden- oder Karo­ lingerzeit angehören können,59 andererseits fügt sich die Gestaltung der Becken in kein bekanntes Muster frühchristlicher Taufinstallationen ein,60 sie erscheinen vielmehr als zu 59 Zum Zentralbau und zu der Hypothese einer Funktion als Baptisterium vgl. Teresa Rodzińska-Chorąży: Baptysterium, in: Żurowska 1993 (wie Anm. 56), S. 103–167. – Żurowska 2000 (wie Anm. 1), S. 504.  – Teresa Rodzińska-Chorąży: Stan badań nad budowlami Ostrowa Lednickiego (1993– 2015), in: Kurnatowska / Wyrwa 2016 (wie Anm. 4), S. 143–172. – Vgl. auch Sebastian Ristow: Frühchristliche Baptisterien (Jahrbuch für Antike und Christentum, Bd. 27), Münster 1998, S. 216. 60 Zur Interpretation der Becken als Taufpiscinen vgl. Rodzińska-Chorąży 1993 (wie Anm. 58), S.  85 f. – Rodzińska-Chorąży 1993 (wie Anm. 59), S. 103–167. – Anders: Zygmunt Świechowski: Rezension zu Żurowska 1993 (wie Anm. 56), in: Biuletyn Historii Sztuki 56 (1994), S. 403–409. – Przemysław Urbańczyk: Ostrów Lednicki – rozwiązanie zagadki?, in: Kwartalnik Historyczny 102

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Abb. 32: Ostrów Lednicki: Palast von Westen.

unpraktisch und sogar aufgrund der glatten Oberfläche der Beckenauskleidung eher zu gefährlich, um in ihnen zu taufen. Das wohl nicht fertiggestellte Oktogon mit alternierenden Nischen westlich von St. Pantaleon in Köln gehört in das späte 9. oder frühe 10. Jahrhundert.61 Seine Funktion ist unbekannt, dürfte aber eher im memorialen Bereich zu­ (1995), S. 97–108. – Przemysław Urbańczyk: Czyj jest Ostrów Lednicki?, in: Kwartalnik Historyczny 104 (1997), S. 103–107. – Polemische Antworten hierzu: Klementyna Żurowska / Teresa RodzińskaChorąży: Odpowiedź na recenzję Zygmunta Świechowskiego, in: Folia Historiae Artium. Seria Nova 2/3 (1996/1997), S. 141–149. – Klementyna Żurowska / Teresa Rodzińska-Chorąży: Ostrów Lednicki – czyli dla kogo zagadka?, in: Kwartalnik Historyczny 104 (1997), S. 89–101. – Skeptisch: Jean-­ Pierre Caillet: Architecture et décor monumental, in: L’Europe de l’an mil, hg. v. Jean-Pierre Caillet, Danielle Gaborit-Chopin und Éric Palazzo (Les grandes saisons de l’art chrétien, Bd. 3), Saint-Léger-­ Vauban 2001, S. 208 f. – Jana Mařiková-Kubková: Le problème des „baptistères“ haut-médiévaux en Europe Centrale. Les exemples de Grande-Moravie et des Royaumes Tchèque et Polonais, in: Hortus Artium Medievalium. Journal of the International Research Center for Late Antiquity and Middle Ages 9 (2003), S. 439–443. – Zu Nebenpiscinen vgl. Klementyna Żurowska: Dwa szkice o architekturze Ostrowa Lednickiego, in: Modus. Prace z historii sztuki 14 (2014), S. 23–37. 61 Vgl. Warren Sanderson: The Sources and Significance of the Ottonian Church of Saint Pantaleon at Cologne, in: Journal of the Society of Art 29 (1970), S. 83–96.

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Abb. 33: Ostrów Lednicki: Zentralbau von Westen.

Abb. 34: Ostrów Lednicki: Zentralbau von Osten.

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suchen sein. In Ostrów Lednicki liegt also ein repräsentativer Raum des Palastkomplexes vor, an dessen Seiten eine Installation mit Wasser – vielleicht von oben her aus einem in der Südwestecke des Zentralbaus ergrabenen Brunnen oder einer Wasserführung versorgt – einen ungewöhnlichen Ort schuf. Ob man sich vielleicht in der Mitte des Gebäudes, wo die Befunde nicht interpretierbar dokumentiert worden sind, vor diesem Hintergrund das Großereignis der Taufe Miesz­kos I. von 966 vorzustellen hat, kann mit archäologischen Mitteln derzeit nicht belegt, aber auch nicht ausgeschlossen werden. Wenn es sich um eine singuläre Nutzung, nur für diese Taufe und im Nachgang als ‚Palastkapelle‘ ohne Tauffunktion gehandelt haben sollte, wäre auch die singuläre Ausgestaltung der Architektur in diesem Zusammenhang kein Problem.62 Archäologische Befunde, die ohne Vergleich stehen und keine eindeutigen Spuren der Nutzung überliefern, bleiben jedoch nicht vorbehaltlos interpretierbar. Eine Revision der Grabungsbefunde und vor allem ihrer Deutung ist in Ostrów Lednicki gerade im Gang und könnte noch neue Erkenntnisse erbringen. Ganz in der Nähe des repräsentativen Gebäudes befindet sich eine kleine, einschiffige Kirche mit in Stein ausgebauten Gräbern und späteren Anräumen, in denen fortgesetzt bestattet wurde. Hochwertiges Grabinventar zeichnet diesen Fundplatz als besonders aus.63 Nach den Funden zu urteilen, gehört die Kirche bereits zur Phase I des als Palast gedeuteten Gebäudekomplexes mit dem Rechtecksaal und dem Zentralbau.64 Ob hier einfach eine kleine Gemeindekirche für die Bewohner der Burg-Siedlung vorliegt, in der 62 Zur Funktion als Palastkapelle mit sekundärer Nutzung als Baptisterium vgl. Górecki 2000 (wie Anm. 4), S. 469. – Teresa Rodzińska-Chorąży: Chrzest w Nanterre czyli awantura o tron Mero­ wingów. Głos w dyskusji na temat funkcji budowli centralnej na Ostrowie Lednickim, in: Folia Historiae Artium. Seria Nova 2/3 (1996/1997), S. 151–156.  – Kurnatowska 2000 (wie Anm. 16), S. 491. – Żurowska 2014 (wie Anm. 60), S. 26–29. – Sebastian Ristow: Fenster Europa: Polen. Archäologie am Jahrestag einer Herrschertaufe, in: Archäologie in Deutschland 4 (2016), S. 56 f. 63 Vgl. Adam Biedroń: Kościół jednonawowy, in: Żurowska 1993 (wie Anm. 56), S. 91–102. – Jacek Wrzesiński / Michał Kara: Chronologia i fazy użytkowania tzw. II kościoła na Ostrowie Lednickim, in: Kurnatowska / Wyrwa 2016 (wie Anm. 4), S. 173–193. – Jacek Wrzesiński / Anna Wrzesińska: Pochówki w rejonie tzw. II kościoła (z badań w latach 1961–1980 i 2000), in: Kurnatowska / Wyrwa 2016 (wie Anm. 4), S. 203–238. – Zu einzelnen Funden wie der Staurothek vgl. Ewa Soroka: Nieznany relikwiarz z Ostrowa Lednickiego, in: Studia Lednickie 3 (1994), S. 127–150. – Górecki 2000 (wie Anm. 4), S. 467–470. – Janusz Górecki / Andrzej M. Wyrwa: The staurotheke from Ostrów Lednicki, in: Rome, Constantinople and Newly-Converted Europe. Archaeological and Historical Evidence, hg. v. Maciej Salamon u. a. (Frühzeit Ostmitteleuropas, Bd. 1.1–2), 2 Bde., Krakau 2012, Bd. 2, S. 173–191. – Janusz Górecki: Ze studiów nad zagadnieniem napływu przedmiotów proweniencji bizantyńskiej na ziemie Polski na przykładzie Ostrowa Lednickiego, in: Archeologia Polski 58 (2013), S. 89–114. 64 Vgl. Biedroń 1993 (wie Anm. 57), S. 227–231. – Adam Biedroń: Kościół, in: Żurowska 1993 (wie Anm. 56), S. 193–197.  – Adam Biedroń: Lednicki zespół biskupi, in: Żurowska 1993 (wie Anm. 56), S. 198–203, bes. S. 199.

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auch Gräber hochrangiger Persönlichkeiten ihren Platz fanden, oder die Kirche als die des Herrscher- oder Bischofspalastes – der in dem großen Bau auf der Insel gesehen werden kann – angesprochen werden muss, ist nicht zu entscheiden.65 In der zweiten Bauphase des größeren Gebäudekomplexes, die nach unsicheren Indizien um oder nach 1000 anzusetzen ist, wurde der Raum des Zentralbaus vergrößert, um das zweite Geschoss und unter Austausch der im Grundriss quadratischen Pfeiler des Umgangs durch Viertelrundpfeiler. Die Vertiefungen in den Seiten wurden nun zugeschüttet und stattdessen wurde unter Anhebung des Fußbodenniveaus um 25 bis 30 Zentimeter ein rechteckiges Becken im Südflügel angelegt. Im größten Saal des Rechteckbaus wurde ein massives Pfeilerpaar eingefügt. Daraus lässt sich die Existenz eines zweiten Geschosses ableiten.66 Wie das neue, repräsentativ große Becken von 2,7 Meter westöstlicher und 1,8 Meter nordsüdlicher Ausdehnung mit einer Tiefe von 0,4 Meter befüllt und entsorgt wurde, ist unbekannt. Da im Westen der Rest einer Wasserleitung erhalten ist, wäre es vorstellbar, hier eine Art Brunneninstallation zu postulieren. Dies würde eher darauf hindeuten, dass es sich nicht um einen Taufort, zumindest nicht um einen länger genutzten, handelte. Damit käme die baptisteriale Deutung für Phase II sicher nicht mehr in Frage und gleichzeitig ist die Deutung als Palast für das gesamte Gebäudeensemble durchaus die wahrscheinlichere. Der Zusammenhang zwischen Wasserleitung und Becken ist jedoch reine Hypothese und kann am erhaltenen Befund auch künftig nicht mehr bewiesen oder ausgeschlossen werden.67 Als beste Architekturparallele lässt sich die ebenfalls als palastartiger Raum mit Zen­ tralbau, der sogenannte Bau G 3 nach Blaich (Palas I nach Seebach), anzusehende Architektur im Süden innerhalb der ottonenzeitlichen Pfalz Werla in Niedersachsen anführen. Auch hier ist das Motiv der Viertelrundpfeiler zu finden.68 Hypothetisch könnte man 65 Vgl. Klementyna Żurowska: Dom biskupi, in: Żurowska 1993 (wie Anm. 56), S. 169–192, bes. S. 192. – Biedroń 1993 (wie Anm. 57), S. 227–231. 66 Vgl. Klementyna Żurowska: Budowla podłużna, in: Żurowska 1993 (wie Anm. 56), S. 90. – Rodzińska-Chorąży 1993 (wie Anm. 58), S. 81–86. 67 Vgl. Rodzińska-Chorąży 1993 (wie Anm. 53), Bd. 2, S. 83. Foto 43 u. Taf. 23–25, bes. Abb. 30/80 auf Taf. 25. 68 Vgl. Klementyna Żurowska: Zespół pałacowy w Werli. Ze studiów nad wczesnośredniowieczną architekturą pałacową, in: Magistro et Amico Amici Discipulique. Lechowi Kalinowskiemu w osiemdziesięciolecie urodzin, hg. v. Jerzy Gadomski u. a., Krakau 2002, S. 235–244. – Verschiedene chronologische und formale Beziehungen zwischen den Zentralbauten von Ostrów Lednicki und dem ottonenzeitlichen Bau auf der Pfalz Werla sind Schlüsselobjekte der archäologisch-kunsthistorischen Untersuchung. Vgl. Peter Grimm: Rezension zu: Carl-Heinrich Seebach: Die Königspfalz Werla, in: Zeitschrift für Archäologie 3 (1969), S. 151–154. – Günther Binding: Deutsche Königspfalzen. Von Karl dem Großen bis Friedrich II. (765–1240), Darmstadt 1996, S. 174 u. 177. – Gerhard Streich: Burg und Kirche während des deutschen Mittelalters. Untersuchungen zur Sakraltopographie von Pfalzen, Burgen und Herrensitzen (Vorträge und Forschungen, Sonderband 29), 2 Bde., Sigmaringen

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Abb. 35: Rekonstruktion des Zentralbaus der Pfalz Werla.

den nur schlecht dokumentierten Befund hier als Innenausbau beispielsweise einer ­Memoria deuten (Abb. 35). Ein Becken oder wasserbauliche Installationen gibt es nicht. 1984, S. 385 f. u. 388.  – Rodzińska-Chorąży 2009 (wie Anm. 1), S. 110–112.  – Zygmunt Świechowski: L’architecture preromane et romane en Pologne après les explorations archéologiques recentes, in: Artibus et Historiae 37 (19) (1998), S. 177–199.

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Aus historischen Erwägungen ist der Bau nach 926 oder 936 zu datieren. Eine genauere Einordnung ist nicht möglich. Eine zweite Bauphase lässt sich nicht anhand der Funde datieren. Spätestens im 13. Jahrhundert ist der Bau abgebrochen worden.69 Mit Pfeilern geteilte Großräume finden sich seit der Antike, aber auch in den Pfalzen der Karolinger, wie in Paderborn oder Frankfurt.70 Dass von Ostrów Lednicki wohl auch Einflüsse ausstrahlten, zeigt das Beispiel der repräsentativen, vermutlich als Palast mit Rundkirche zu deutenden Anlage, die bei Ausgrabungen auf der Burg von Przemyśl ­(Peremissel) gefunden wurde.71 Die erste Bauphase kann aus historischen Erwägungen wahrscheinlich nach 1018 angesetzt werden. Sie gehört also in die Zeit, als Bolesław Chrobry die Burgen in den östlichen Grenzgebieten und Kiew im Jahre 1018 eroberte.72 Die architektonische Konzeption lehnt sich deutlich an die auf der Insel Ostrów Lednicki an, wo auf der Achse dem länglichen Bauglied ein Zentralbau auf der Ostseite beigefügt wurde. Die Aula e­ nthält, wie in Phase 2 von Ostrów Lednicki, eine Pfeilerreihe und die zweigeschossige Ausführung der Rotunde mit Emporen, die auf vier Säulen gestützt sind.73

Posen, Palast mit Kapelle unter der Marienkirche (Bauphase I, 960er Jahre) Ausgrabungen haben die Reste eines längsrechteckigen Bauwerkes in nordsüdlicher Ausrichtung, mit inneren symmetrischen Teilungen sowie in der südöstlichen Ecke einem angehängten, kleinen, längsrechteckigen Apsidenbau zu Tage gefördert (Abb. 36). Möglicherweise kann hier eine zweigeschossige Kapelle rekonstruiert werden. In ihrem Inneren befindet sich ein gut erhaltenes Altarfundament und an der Palastmauer gibt es Reste von Stufen.74 69 Für zahlreiche Informationen danken wir Markus Blaich, dessen Publikation der Befunde der Werla in Vorbereitung ist. 70 Vgl. Żurowska 1983 (wie Anm. 46), S. 109–128 u. 157–164. – Żurowska 1993 (wie Anm. 65), S. 168–172. – Rodzińska-Chorąży 2009 (wie Anm. 1), S. 51 u. 160 f. 71 Vgl. Zbigniew Pianowski: Przedromański zespół sakralno-pałacowy na grodzie przemyskim w świetle badań 2000–2006, in: Architektura romańska w Polsce. Nowe odkrycia i interpretacje. Materiały z sesji naukowej w Muzeum Początków Państwa Polskiego, Gniezno, 9–11 kwietnia 2008 roku, hg. v. Tomasz Janiak, Gnesen 2009, S. 419–431. 72 Vgl. Pianowski 2009 (wie Anm. 71), S. 426 f. 73 Vgl. Żurowska 1983 (wie Anm. 46), S. 109–113 u. 157–164. – Żurowska 1993 (wie Anm. 65), S. 168–172. – Rodzińska-Chorąży 2009 (wie Anm. 1), S. 44 f. u. 55 f. 74 Vgl. Kóčka-Krenz 2010 (wie Anm. 6), S. 221–239. – Kóčka-Krenz 2012 (wie Anm. 6), S. 36. – Hanna Kóčka-Krenz: Palatium poznańskie na tle wczesnośredniowiecznych zespołów rezydencjonalnych, in: Archeologiczne tajemnice palatium i katedry poznańskiego Ostrowa, Ausst. Kat. Archäologisches Musem Posen, hg. v. Maciej Przybył, Posen 2016, S. 21–46, bes. S. 30–36.

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Abb. 36: Posen, Befunde unter der Marienkirche.

Von der Ausstattung sind Wandmalereifragmente gefunden. Zahlreiche Glastessellae, teils mit Mörtelanhaftungen, aus der Kapelle und verschiedenen anderen Orten des Palastes,75 zeigen, dass hier nicht Tessellae zu Verarbeitungszwecken gesammelt worden sind, etwa zur Färbung von Fensterglas, sondern, dass vermutlich eine Mosaikdekoration vorhanden war. Einzelfunde solcher Tessellae in der Kathedrale und im als Palast gedeuteten Archi75 Vgl. Hanna Kóčka-Krenz: Kostki mozaikowe z Ostrowa Tumskiego w Poznaniu, in: Archaeologia Historica Polona 15 (2005), S. 187–200. – Kóčka-Krenz 2012 (wie Anm. 6), S. 33–36. – Hanna Kóčka-Krenz: Kostki mozaikowe in: Kat. Posen 2016 (wie Anm. 74), S. 94, 96 u. 98.

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tekturensemble müssen noch analysiert werden. Mit einer solchen Dekoration ist der Bau ganz sicher weithin von allen anderen abgehoben gewesen. Die Untersuchungen von Hanna Kóčka-Krenz und die noch nicht publizierten Analysen der Tessellae lassen künftig noch interessante Ergebnisse für die Vergleiche mit anderen karolingerzeitlichen und aus dem frühen Hochmittelalter stammenden Fundkomplexen erwarten, wie etwa den bekannten Tessellae aus Aachen, Germigny-des-Près, Stavelot und Maastricht, aber auch aus Cividale, Mailand, Ravenna und Rom.76 Vor allem die Bezüge nach Osten könnten aber auch für Posen maßgeblich sein. In Hinsicht auf Bodenmosaike mit Steintessellae, von denen es in Posen ebenfalls Funde gibt, ist neben anderen Beispielen auf die Funde aus St. Pantaleon in Köln zu verweisen, eine in mancher Hinsicht möglicherweise vor­ bildhafte ottonenzeitliche Architektur für die frühpiastenzeitlichen Bauten. Nach den späteren schriftlichen Quellen vom Ende des 13. Jahrhunderts wird die Kapelle auch mit einer Stiftung der böhmischen Prinzessin Dubrawka, der ersten christlichen Ehefrau von Mieszko I. (verst. 977), zusammengebracht, was aber reine Spekulation ist.

Posen, Kathedrale (Bauphase I, nach 984) Der mit rechteckigen und quadratischen Komponenten entwickelte Grundriss einer ­Basilika mit vorgeschobenen, flankierenden Armen in der Art von Querhäusern und im Westteil wohl einer Art Turmwestbau ist ähnlich aus der spätkarolinger und ­otto­nen­zeitlichen Architektur bekannt. Vergleichbares findet sich in der von Otto II. und Theophanu gegründeten Basilika des Benediktinerklosters in der ottonischen Kaiserpfalz von Memleben und in den Bauten von Magdeburg selbst.77 Die ältere Forschung betonte die italienisch-alpenländische Herkunft der Basilika und postulierte ihre Datierung in die 960er Jahre und somit in die Zeit des ersten Missionsbischofs Jordanus.78 Nach dendrochronologischen und archäologischen Daten muss der Bau jedoch in den 980er Jahren begonnen worden sein.79 Demnach dürfte er am wahrscheinlichsten in die Zeit des Missi76 Vgl. Sebastian Ristow: Glasmosaikquader (Tessellae) aus der Marienkirche Karls des Großen in Aachen, in: Wunder Roms im Blick des Nordens von der Antike bis zur Gegenwart, Ausst. Kat. Erzbischöfliches Diözesanmuseum Paderborn, hg. v. Christoph Stiegemann, Petersberg 2017, S. 330 f. (mit Lit.). 77 Vgl. Bukowska 2013 (wie Anm. 48), S. 145–254, bes. S. 165–185 u. 239–245. – Zu Memleben vgl. Mat­ thias Untermann: Memleben und Köln, in: Form und Stil. Festschrift für Günther Binding zum 65. Geburtstag, hg. v. Stefanie Lieb, Darmstadt 2001, S. 45–55. – Werner Jacobsen: Ottonische Großbauten zwischen Tradition und Neuerung. Überlegungen zum Kirchenbau des 10.  Jahrhunderts im Reichsgebiet (919–1024), in: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 58 (2004), S. 9–41, insb. S. 12–18. 78 Vgl. Józefowiczówna 1961 (wie Anm. 43), S. 323, 327, 334 u. 338–341. – Józefowiczówna 1963 (wie Anm. 43), S. 11–13, 66–77 u. 97 f. 79 Vgl. Zofia Kurnatowska / Michał Kara: Początki architektury sakralnej na grodzie poznańskim w świetle nowych ustaleń archeologicznych, in: Początki architektury monumentalnej w Polsce. Materiały

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onsbischofs Unger fallen, also nach 984. Unger war gleichzeitig Abt in Memleben, dessen Grundriss der Klosterkirche Ähnlichkeiten mit dem in Posen zeigt. So scheinen die Architekturzusammenhänge eher nach Sachsen als nach Italien zu weisen.80 Diese Grabanlage und andere architektonische Strukturen im Zentrum des Mittelschiffs der Kathedrale sowie beispielsweise Reste aufwändiger Inkrustationen aus schlesischem Gabbro werfen Fragen über die Gestaltung und Raumordnung der Innenräume auf. Letztlich ist die Frage der Funktionsbereiche hier wenigstens hypothetisch erst noch zu klären. Man kann sich aber eine Kirche mit über dem Boden sichtbarer Herrschergrablege in unmittelbarer Nähe zum Altar vorstellen.81 Seit der Entwicklung der Heiligengräber, wie bei der hl. Gertrud von Nivelles und vielleicht auch prominenter Laien, wie bei Grab B1135 unter dem Kölner Dom, der karolingerzeitlichen bischöflichen Altargräber wie des hl. Willibrord in Echternach und möglicherweise auch der ursprünglichen Anlage der Kaisergräber von Karl dem Großen und Otto III. in Aachen sowie Otto I. in Magdeburg, ist gerade bei den Herrschergrablegen im Kirchenraum kaum etwas nicht denkbar.82

Gnesen, Kathedrale (nach 1000?) In Gnesen (Gniezno) sind einige wenige ältere Mauern im Bereich der heutigen Georgskirche, nördlich der Kathedrale und ältere Baubefunde unter dieser vorhanden (Abb. 37). Umfassendere Rekonstruktionen der Grundrisse oder Bauten sind für die frühe Zeit der 960er Jahre bis zur Jahrtausendwende jedoch derzeit nicht möglich.83 Es kann nicht

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z sesji naukowej Gniezno, 20–21 listopada 2003 roku, hg. v. Tomasz Janiak und Dariusz Stryniak, Gniezno 2004, S. 47–70, insb. S. 57–59. – Bukowska 2013 (wie Anm. 48), S. 160–164 u. 254 f. Vgl. Bukowska 2013 (wie Anm. 48), S. 247–254. Vgl. Anm. 44. – Zur Funktion vgl. Janiak Tomasz: Z badań nad przestrzenią liturgiczną romańskiej katedry w Gnieźnie, in: Architektura romańska w Polsce. Nowe odkrycia i interpretacje. Materiały z sesji naukowej w Muzeum Początków Państwa Polskiego, Gniezno, 9–11 kwietnia 2008 roku, hg. v. Tomasz Janiak, Gnesen 2009, S. 129–174, insb. S. 135 u. 143–148. – Bukowska 2013 (wie Anm. 48), S. 75–79. Vgl. Werner Jacobsen: Altarraum und Heiligengrab als liturgisches Konzept in der Auseinandersetzung des Nordens mit Rom, in: Kunst und Liturgie im Mittelalter. Akten des internationalen Kongresses der Bibliotheca Hertziana und des Nederlands Instituut te Rome, hg. v. Nicolas Bock (Römisches Jahrbuch der Bibliotheca Hertziana, Beiheft Bd. 33, 1999/2000), München 2000, S. 65–74, bes. S. 72. – Sebastian Ristow: Grab und Memoria im 8.–10. Jahrhundert nördlich der Alpen, in: Dome – Gräber – Grabungen. Winchester und Magdeburg. Zwei Kulturlandschaften des 10. Jahrhunderts im Vergleich, hg. v. Stephan Freund und Gabriele Köster (Schriftenreihe des Zentrums für Mittelalterausstellungen Magdeburg, Bd. 2), Regensburg 2016, S. 139–153. Vgl. Tomasz Sawicki: Zagadnienie pozostałości architektury przedromańskiej w północnej części Góry Lecha (gród książęcy) w Gnieźnie, in: Janiak / Stryniak 2004 (wie Anm. 79), S. 143–155.

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Abb. 37: Gnesen, Befunde unter der Kathedrale.

entschieden werden, ob die erste Basilika, insgesamt die Bauphase II, mit den Anfängen des Christentums und somit mit Bischof Jordanus oder erst mit der Zeit nach 997, als Bolesław Chrobry den Leichnam des Martyrers Wojciech/Adalbert aus Preußen überführt hatte, in Verbindung gebracht werden kann. Vielleicht ist der Bau auch erst nach der Gründung des Bistums im Jahre 1000 begonnen worden.84 Zwischen 997 und 1000 hatte man zur geistlichen Betreuung der Reliquien Gaudentius, den späteren ersten Erzbischof von Gnesen, aus Italien eingeladen. Vielleicht brachte dieser Architekturvorbilder mit, wie die Proportionen des Baukörpers und die Form eines ausgesonderten Chors mit drei Apsiden.85 Otto III. stiftete die goldene Abdeckung in der confessio des hl. Adalbert, die später durch die Böhmen entfernt wurde.86 84 Vgl. Tomasz Janiak: Problematyka wczesnych faz kościoła katedralnego w Gnieźnie in: Janiak / Stryniak 2004 (wie Anm. 79), S. 85–130. – Janiak 2009 (wie Anm. 81), S. 129–174, bes. S. 137–150. 85 Vgl. Bukowska 2013 (wie Anm. 48), S.  244 f. – Bukowska [im Druck] (wie Anm. 15). 86 Die Chronik der Böhmen des Cosmas von Prag / Cosmae Pragensis Chronica Boemorum, bearb. v. Berthold Bretholtz und Wilhelm Weinberger (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi, Bd. 2), Berolini 1923, lib. II, cap. 3–5. – Vgl. dazu Marian Sokołowski: Ołtarz główny katedry gnieźnieńskiej, Folia Historiae Artium 1 (1964),

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Abb. 38: Krakau, Wawel, Frühmittelalterliche Zentralbauten.

Krakau-Wawel, Vierkonchenrotunde (um 1000 oder früher?) Ein Rundbau mit Apsis, nördlich der Kathedrale, könnte noch aus dem 10. Jahrhundert stammen (Abb. 38). Rotunden mit einer Apsis und bis zu vier Apsiden kommen in Spätantike, Früh- und beginnendem Hochmittelalter überall im Mittelmeerraum vor. Bauten dieses Grundrisses finden sich auch in der Architektur des 9. bis 11. Jahrhunderts S. 5–16.  – Zu unsicher zu interpretierenden Baubefunden vgl. Tomasz Janiak: Uwagi na temat ottońskiej konfesji świętego Wojciecha w katedrze gnieźnieńskiej w świetle źródeł historycznych i archeologicznych (tzw. konfesja II), in: „Trakt cesarski“. Iława-Gniezno-Magdeburg, hg. v. Wojciech Dzieduszycki und Maciej Przybył (Bibliotheca Fontes Archaeologici Posnanensis, Bd. 11), Posen 2002, S. 349–381.

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in Ostmitteleuropa, wie in Mikulčice in der Slowakei. Engere Ableitungen zur Herkunft, Chronologie der Bauform oder zur Funktion lassen sich nicht formulieren.87 Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts wurden teils gut erhaltene Befunde eines Zen­ tralbaus in den Renaissancekellern der Küchenräume des Königsschlosses auf dem Wawel entdeckt. Charakteristisch sind die runde Form mit vier ringsum angeordneten Apsiden und die runde Struktur mit Treppenhaus im Südteil (Abb. 39). Der Innenraum besaß zwei Geschosse und ist jetzt als eingeschossiger Bau rekonstruiert. Reste gerade verlaufender Mauern an der Westseite des Baus könnten die Hypothese über einen Turmbau oder den Palast an dieser Stelle stützen. Verschiedene doppelgeschossige Zentralbaukapellen dieser Art sind Maria geweiht.88

Giecz, Kirche St. Johannes der Täufer (Bauphase I, nach 1000, Patrozinium ab dem 13. Jahrhundert genannt) Das bedeutendste archäologisch erfasste Charakteristikum der frühpiastenzeitlichen Saalkirche von Giecz ist die Kammerkrypta, die über rechtwinklig abgewinkelte, vom Schiff ­führende Treppengänge erreicht werden konnte, also dem Konzept einer Winkelgangkrypta entspricht.89 Hier ist ein verehrtes Grab oder eine Reliquie im Hintergrund zu sehen. Als Stifter der Kirche kommen Bolesław Chrobry oder eine seiner Ehefrauen sowie Mieszko II. und Königin Richeza in Frage. Weitere Steingebäude deuten auf die Existenz einer Stiftsanlage hin. Unter Kasimir I. wurde die Kirche wohl nach einer Zerstörung erneuert und mit großem Westbau sowie zwei Türmen zu Seiten eines wuchtigen Mittelbaus ausgestattet. Vergleiche zum Baukonzept dieser Kirche und Krypta in Giecz lassen sich im Rheinland finden, so beispielsweise bei St. Pantaleon in Köln.90

87 Vgl. Anežka Merhautová-Livorová: Einfache mitteleuropäische Rundkirchen. Ihr Ursprung, Zweck und ihre Bedeutung (Rozpravy Československé Akademie Věd. Řada společenských věd, Bd. 80.7), Prag 1970. – Rodzińska-Chorąży 2009 (wie Anm. 1), S. 67 f. u. 169–199. 88 Vgl. Klementyna Żurowska: L’origine du vocable de Notre-Dame dans les chapelles palatines de premiers Piast en Pologne, in: Mélanges offerts à René Crozet, hg. v. Pierre Gallais und Yves-François Rioux, Poitiers 1966, Bd. 1, S. 159–167. – Klementyna Żurowska: Rotunda wawelska. Studium nad centralną architekturą epoki wczesnopiastowskiej, in: Studia do Dziejów Wawelu 3 (1968), S. 1–121. – Żurowska 1983 (wie Anm. 46), S. 9–53. 89 Vgl. dazu der Beitrag von Teresa Rodzińska-Chorąży in diesem Band. 90 Vgl. Sebastian Ristow: Ausgrabungen von St. Pantaleon in Köln. Archäologie und Geschichte von römischer bis in karolingisch-ottonische Zeit (Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters, Beiheft 21), Bonn 2009.

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Abb. 39: Krakau, Wawel, Rotunde mit vier Apsiden.

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Fazit Bei den Überlegungen über die frühe Architektur der östlichen Grenzgebiete Europas am Ende des 10. Jahrhunderts muss man nach Kriterien suchen, die Europa im 10. Jahrhundert und um das Jahr 1000 charakterisiert haben. Wie sehen also die richtigen Forschungskriterien für die Architektur im Piasten-Staat bis zum Anfang des 11. Jahrhunderts aus? Anstelle fester Begriffe aus dem terminologischen Kanon ‚karolingisch-ottonisch‘ könnten in diesem Zusammenhang die Unterscheidungen zwischen geschichtlich-poli­ tischer und kirchenhistorischer Geografie sowie den künstlerischen und liturgischen Traditionen im 10. Jahrhundert hilfreich sein. Es handelt sich somit um eine Frage nach den Beziehungen zwischen dynamischen, fruchtbaren, großen kirchlichen Zentren und ebenso fruchtbaren alternativen Zentren, die in den europäischen Grenzgebieten ihre Wirkung entfalteten. Die ersten Bauwerke in den neu christianisierten Gebieten sind ein Beispiel für die Übertragung fertiger Vorbilder, die auf der Basis diplomatischer Beziehungen der Herrscherfamilie ausgewählt wurden. Die Herrscher der jungen polnischen, böhmischen und ungarischen Staaten und ihrer Umgebung übernahmen damals aktuelle Lösungen, die die neue künstlerische Qualität der Ottonenzeit repräsentierten. Aufgrund der Ambitionen dieser Herrscher und der innovativen Kraft der damaligen Kirche hat sich dieses Phänomen auch in den Grenzgebieten des Christentums offenbart. Das Wissen über die Architektur des 10. Jahrhunderts, vor allem über die Architektur, die fern von den mit dem karolingischen und ottonischen Herrschaftsbereich verbundenen kirchlichen Zentren lag, ist derzeit aber noch ungenügend. Die Unterschiedlichkeit der Konzeptionen und eine Erneuerung verschiedener antiker und vor allem karolingerzeitlicher Kunsttraditionen unter beispielsweise byzantinischen und regionalen Einflüssen charakterisieren die Architektur der Ottonenzeit in Europa. Die hier vorgestellten früh­ piastenzeitlichen Bauten sind in einem Randgebiet der Verbreitung dieser Architektur ­eigenständig entwickelte Neuschöpfungen.

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Aneta Bukowska

Die Architektur des Wawels in Krakau unter Kasimir dem Erneuerer und ihre Beziehungen in das Rheinland Der Wawel in Krakau ist ein hoch auf einem Kalkfelsen errichteter Hügel, der im Frühmittelalter von einer mächtigen Burg umgeben war. Diese Burg wurde im 9. Jahrhundert gegründet und seither mehrmals befestigt und repariert. Sowohl in dem Teil, der den Dom und die Kurie umfasste, als auch innerhalb des königlichen Schlosses wurden mehrere Bauwerke entdeckt, die im Laufe oder zum Ende des 10. Jahrhunderts sowie vor der Krise des ersten Piastenstaates in den 1030er Jahren errichtet wurden. Die ältesten Bauten, wie auch viele andere Relikte, die sich im Wawel-Bereich befinden, werden im Allgemeinen in das 10. Jahrhundert, in die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts oder in die Zeit um das Jahr 1000 datiert (Abb. 40).1 Im 10. Jahrhundert unterstanden der Wawel und die gesamte Region den in Prag residierenden böhmischen Přemysliden. Mieszko hat Krakau um 990 übernommen und seinem ältesten Sohn Bolesław Chrobry, dem späteren König, zur Verwaltung übergeben. Bisher kann auf dem Wawel angesichts der sehr fragmentarischen Befundlage kein Bau mit den Přemysliden oder der Piasten-Familie vor dem Jahr 1000 verbunden werden. Die Mauern dieser ersten Bebauungsphase sind aus sorgsam verlegten, sehr dünnen, länglichen Platten gefügt. Im Jahr 1000 wurde in oder neben der Burg auf dem Wawel das dem Erzbistum Gnesen unterstellte Bistum Krakau gegründet. Krakau war im ersten Drittel des 11. Jahrhunderts ein weitgehend autonomes Zentrum christlicher Gemeinschaften. Bereits in den Jahren 1913 bis 1920 wurden unter dem Westflügel des Königsschlosses auf dem Wawel, der aus gotischer Zeit stammt und in der Renaissance umstrukturiert wurde, verschiedene archäologische Entdeckungen gemacht.2 Der Ostchor einer Basilika mit Querschiff und Krypta wurde noch vor dem Krieg entdeckt, während bescheidenere Reste des Langhauses und unklare Überreste des Westbaus in den 1970/80er Jahren ergraben werden konnten.3 Die kleine Basilika mit Querschiff und Krypta ist ein Bauwerk der 1 2 3

Vgl. dazu den Beitrag von Aneta Bukowska und Sebastan Ristow in diesem Band. Vgl. Adolf Szyszko-Bohusz: Z historii romańskiego Wawelu. Pierwsza katedra krakowska, in: Rocznik Krakowski 19 (1923), S. 1–29. Janusz Firlet / Zbigniew Pianowski: Badania ratownicze na dziedzińcu Batorego na Wawelu w r. 1983. Problem zachodniej części bazyliki tzw. św. Gereona, in: Sprawozdania Archeologiczne 39 (1987), S. 243–249. – Janusz Firlet / Zbigniew Pianowski: Wyniki badań archeologicznych w rejonie katedry i pałacu królewskiego na Wawelu (1981–1994), in: Acta Archaeologica Waweliana 2 (1998), S. 110–115.

Die Architektur des Wawels in Krakau unter Kasimir dem Erneuerer und ihre Beziehungen in das Rheinland  |  339

Abb. 40: Krakau-Wawel, frühmittelalterliche Bauten um die Mitte des 11. Jahrhunderts mit der Basilika unter dem Westflügel des Renaissance-Königsschlosses (St. Gereon) und dem rechteckigen Bau.

nächsten ‚Generation‘ der Wawel-Bauten, die zweifelsohne im 11. Jahrhundert entstanden sind. Die erhaltenen Reste liegen auf älteren Bauwerken aus der Zeit um das Jahr 1000 und zeichnen sich durch eine völlig andere Mauertechnik aus sorgsam bearbeiteten Quadersteinen aus, die zur Wandverkleidung und zur Eckaussteifung verwendet wurden. Der Bau, der vor allem in seinen Ostteilen gut erhalten ist, wurde als die schriftlich bezeugte Kirche St. Gereon identifiziert (siehe unten). Die Baubefunde sind stark durch die späteren Bauten aus dem 13. bis 16. Jahrhundert überprägt. Die Basilika hebt sich in ihrer Bauweise und Steinbearbeitung eindeutig von den ältesten Mauern aus der Zeit um das Jahr 1000 und jüngeren Konstruktionen vom Ende des 11. oder 12. Jahrhunderts ab.

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In direkter Nähe, östlich der Gereonskirche, befand sich noch ein weiteres Bauwerk, das in das 11. Jahrhundert datiert wird. Seine rechteckige Form und die einzelnen Reste der Stützen haben dazu geführt, dass der Bau als ein Palast oder ein Palastsaal (‚Saal auf 24 Stützen‘) interpretiert wird.4 Dieser Bau (untersucht in den 1980er Jahren) wurde mit Kasimir dem Erneuerer in Verbindung gebracht.5 Jedoch müssen auf dem heutigen Forschungsstand die Rekonstruktionen des Bauwerks mit einem regulären System von 24 Pfeilern sowie die Vorschläge, die sich auf seine Funktionen beziehen, als Spekulationen gelten. Die Befunde und ihre Datierung bedürfen einer erneuten Überprüfung. Angesichts der Tatsache, dass der Wawel nicht nur das Zentrum weltlicher Herrschaft, sondern ab dem Jahr 1000 auch das Bistum beherbergte, ist die Identifizierung dieser Bauwerke kein einfaches Vorhaben. Es liegen keine archäologischen Hinweise und keine schriftlichen Quellen darüber vor, wie die bischöfliche Institution gegenüber der herzog­ lichen und später königlichen Kurie organisiert war. Allein die Lage des Domes und des mittelalterlichen und später Renaissanceschlosses legen nahe, dass der Komplex bischöf­ licher Gebäude, die um den Dom angeordnet waren, entlang der äußeren Nordseite lag und die königliche Kurie sich auf dem Höhepunkt des felsigen Hügels im Westteil befand.6 Gesichert sind das Patrozinium und die Lage des Domes St. Wenzeslaus (Wenzeslaus war ein böhmischer Herrscher aus der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts). Mit der Bischofskurie werden die Kirchen St. Michael und St. Georg in Verbindung gebracht.7 Hinzu 4 5

6

7

Szyszko-Bohusz 1923 (wie Anm. 2), S. 6–8. Vgl. Janusz Firlet / Zbigniew Pianowski: Badania weryfikacyjne przed północną elewacją Pałacu ­Królewskiego na Wawelu w 1985 r. Problem wczesnośredniowiecznej rezydencji książęcej, in: Sprawozdania Archeologiczne 39 (1987), S. 251–259, bes. S. 253 f.  – Firlet / Pianowski 1998 (wie Anm. 3), S. 115. – Janusz Firlet / Zbigniew Pianowski: Przemiany architektury rezydencji monarszej oraz katedry na Wawelu w świetle nowych badań, in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 44 (2000), S. 213. – Zbigniew Pianowski: Monumental architecture of early medieval Kraków, in: Kraków w chrześcijańskiej Europie X–XIII w. / Kraków in Christian Europe, 10th–13th century, Ausst. Kat. Historisches Museum Krakau, hg. v. Elżbieta Firlet und Emil Zeitz, Krakau 2006, S. 162–219, bes. S. 169– 173. – Zbigniew Pianowski: Wawel Hill as a Place of Power in the Early Middle Ages, in: Places of Power/Orte der Herrschaft/Lieux du Pouvoir, hg. v. Caspar Ehlers (Deutsche Königspfalzen. Beiträge zur ihrer historischen und archäologischen Erforschung, Bd. 8), Göttingen 2007, S. 289–312. Vgl. Lech Kalinowski: Czego nie wiemy o wczesnośredniowiecznym Wawelu, in: Sprawozdania z Posiedzeń Komisji Naukowych Oddziału Polskiej Akademii Nauk w Krakowie, styczeń-grudzień 1991, 35 (1993), S. 133–135. Vgl. Zofia Kozłowska-Budkowa: Który Bolesław? in: Prace z dziejów Polski feudalnej ofiarowane Romanowi Grodeckiemu w 70 rocznicę urodzin, red. Zofia Budkowa und Jan Dąbrowski, Warschau 1960, S. 81–89. – Gerard Labuda: Studia nad początkami państwa polskiego (Seria historia, Bd. 140), Posen 1988, Bd. 2, S. 322–377. – Jerzy Rajman: Feasts, Relics and Patronages in the Problematics of the Veneration of Saints in Krakow from the End of the 10th century to mid 13th c., in: Kat. Krakau 2006 (wie Anm. 5), S. 120–161.

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kommt eine Rotunde unter dem Patrozinium der Gottesmutter sowie von Felix und Adauctus, die um das Jahr 1000 datiert wird. Sie wurde bereits im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts in ehemals königlichen Küchenräumen aus dem 16. Jahrhundert entdeckt.8 Es handelte sich um eine fast vollständig erhaltene Rotunde mit vier kreuzförmig angeordneten Apsiden. Der untere Teil war eine Krypta, die im Vergleich zum Nutzungsniveau im Außenbereich etwas tiefer lag. Im Westen schlossen sich an das Bauwerk entweder ein Turmbau oder Palastbauten an.9 Die Rotunde wurde im 14. Jahrhundert von König Kasimir dem Großen erneuert und als St. Felix und Adauctus-Kapelle zur Nutzung übergeben.10 Ob der Bau von Anfang an dieses Patrozinium aufwies, ist nicht überliefert, jedoch wurde das Fest der beiden Heiligen im 11. Jahrhundert in Krakau begangen.11 In der polnischen Forschung wurde diskutiert, ob die Reliquien von Felix und Adauctus über Königin Richeza mit Köln in Verbindung gebracht werden können. Gerard Labuda nahm an, dass die Rotunde einen Teil der Reliquien und ihr Patrozinium entweder in den 1020/30er Jahren, als Mieszko II. und Richeza geherrscht haben, oder nach der Rückkehr von Kasimir dem Erneuerer in den 1040er Jahren erhielt.12 Die Reliquien von St. Felix und Adauctus wurden 1023 durch den Kölner Erzbischof Pilgrim aus Rom in die Kölner Kirche St. Aposteln gebracht. Wann die Reliquien oder zumindest eine Verehrung der beiden sonst nicht sehr geläufigen Heiligen nach Krakau kamen, ist nicht bezeugt.13 Das Marienpatrozinium der Rotunde wird jedenfalls nur durch die späteren, mittelalterlichen

 8 Vgl. Adolf Szyszko-Bohusz: Rotunda Świętych Feliksa i Adaukta (Najśw. Panny Maryi) na Wawelu, in: Rocznik Krakowski 18 (1918), S. 53–80.  9 Vgl. Klementyna Żurowska: Rotunda wawelska. Studium nad centralną architekturą epoki wczesnopiastowskiej, in: Studia do Dziejów Wawelu 3 (1968), S. 1–121. – Klementyna Żurowska: Studia nad architekturą wczesnopiastowską (Universitas Iagellonica, Acta Scientiarum Litterarumque, Bd. 642; Schedae ad artis historiam pertinentes, Heft 17), Warschau 1983. 10 Vgl. Joannis Dlugosz Senioris Canonici Cracoviensis Liber beneficiorum dioecesis Cracoviensis, in: Joannis Dlugosz Senioris Canonici Cracoviensis Opera Omnia, hg. v. Aleksander Przeździecki, Bd. 7, S. 203: „praebenda haec Sanctorum Felicis et Adaucti in area Cracoviensi sita est, habens ecclesiam spe­ cialem rotundam et altam, prisco et veteri more ex lapide fabricatam, idolis quondam, priusquam Poloni ad christianitatis iura conversi forent, dicatam. Cuius memoriam et fabricam Casimirus Secundus Poloniae rex, castrum Cracoviense a fundamentis initians, posteris reservare voluit et in qua praefatam praebendam fundavit...“ – Marek Walczak: Dlaczego król Kazimierz Wielki zachował od zniszczenia wawelską rotundę Najświętszej Marii Panny?, in: Lapides viventes. Zaginiony Kraków wieków średnich. Księga dedykowana Profesor Klementynie Żurowskiej, hg. v. Jerzy Gadomski, Krakau 2005, S. 93–114. 11 Vgl. Rajman 2006 (wie Anm. 7), S. 133 f. 12 Vgl. Labuda 1988 (wie Anm. 7), S. 363–370, bes. S. 366–369. 13 Vgl. Ursula Lewald: Die Ezzonen. Das Schicksal eines rheinischen Fürstengeschlechts, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 43 (1979), S. 120–168, hier S. 136.  – Labuda 1988 (wie Anm. 7), S. 364, Anm. 93.

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Quellen belegt,14 allerdings ist ein kombiniertes Patrozinium dieser Art auch sonst häufiger zu finden. Möglicherweise erhielt eine der Gottesmutter geweihte Rotunde mit neuen Reliquien auch das Patrozinium der beiden römisch-kölnischen Heiligen.15 Die Funktion der Kirche als Palastkapelle ist denkbar,16 worauf die Lage dieses Bauwerks, seine besonderen Formen und die Renovierung durch König Kasimir den Großen im 14. Jahrhundert hinweisen könnten.17 Sowohl die rotunda Beatae Mariae als auch die ecclesia Sancti Gereonis werden im Bericht des Chronisten Jan Długosz aus dem dritten Viertel des 15. Jahrhunderts erwähnt.18 Seine Ausführungen über die Wehrmauer, die im 13. Jahrhundert zwischen der Rotunde und der Gereonskirche errichtet wurde, ist aufschlussreich, da eine solche Wehrmauer aus dem 13. Jahrhundert, die die Burg von der Westseite umgab, archäologisch aufgedeckt wurde. Sie umfasst sowohl die Rotunde als auch die erwähnte Kirche von Norden. Auf diese Weise ist die Identifizierung der beiden Bauten mit den bei Długosz genannten Bauwerken mittelbar gesichert.19 Ein Teil der älteren Forschung hat hingegen die Gereonskirche als ersten Dom angesehen und dementsprechend in die 1020er Jahre datiert.20 Sie verweist auf Bischof Aaron (amt. 1046–1059), dessen Wirken im „Katalog Krakauer Bischöfe“ aus dem 13. Jahrhundert beschrieben ist, und identifiziert ihn mit einem Aaron, der 1028 in einem Dokument für die Benediktinerabtei Brauweiler bei Köln genannt wird. Aaron soll eine Mönchsgemeinschaft aufgebaut und Presbyter für den Domklerus bestimmt haben. Auf dieser Grundlage entwickelte sich auch die These, nach der auf dem Wawel eine Gruppe Kölner Mönche tätig gewesen sei, die vielleicht später die Anfänge der Benediktinerabtei in 14 Vgl. Ioannis Dlugossii: Annales seu Cronicae Incliti Regni Poloniae, hg. v. Jan Dąbrowski (Monumenta Historica Poloniae, Bd. 3), Warschau 1974, cap. 7–8, S. 37: „usque ad ecclesiam Beate Marie rotundam.“ – Zofia Kozłowska-Budkowa: W sprawie wezwania rotundy NP Marii, in: Studia do Dziejów Wawelu 3 (1968), S. 122–126, hier S. 123 f. – Żurowska 1983 (wie Anm. 9), S. 19–23, S. 48 f., bes. S. 49. 15 Vgl. dazu der Beitrag von Aneta Bukowska und Sebastian Ristow in diesem Band. 16 Vgl. Żurowska 1968 (wie Anm. 9), S. 6. – Żurowska 1983 (wie Anm. 9), S. 19–23 u. 47–49. 17 Vgl. Walczak 2005 (wie Anm. 10), S. 93–114. 18 Vgl. Annales seu Cronicae Incliti Regni Poloniae (wie Anm, 14), cap. 7–8, S. 37: „castrum in Cracovia aedificata, incipiens ab ecclesia beati Wenceslai, a sanctuario altaris beati Thome, tendens ad ecclesiam sancti Gereonis et inde usque ad ecclesiam Beate Marie rotundam.“ 19 Vgl. Szyszko-Bohusz 1918 (wie Anm. 8), S. 59. – Adolf Szyszko-Bohusz: Wawel średniowieczny, in: Rocznik Krakowski 23 (1932), S. 24–26. 20 Vgl. Szyszko-Bohusz 1923 (wie Anm. 2), S. 8–24. – Louis Grodecki: Au seuil de l’art roman. L’architecture ottonienne (Collection Henri Focillon, Bd. 4), Paris 1958, S. 96. – Adam Bochnak: Najstarsze budowle wawelskie, in: Budkowa / Dąbrowski 1960 (wie Anm. 7), S. 94–98. – Klementyna Żurowska: Zagadnienie transeptu pierwszej katedry wawelskiej, in: Zeszyty Naukowe Uniwersytetu Jagiellońskiego 86, Prace z historii sztuki, Heft 2 (1965), S. 19–23 u. 69–72.

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Tyniec übernommen haben soll.21 Mit der Identifizierung der Gereonskirche wurde die Basilika, deren Patrozinium untrennbar mit Köln verbunden ist, mit dem Benediktiner-Milieu unter Kasimir dem Erneuerer und Bischof Aaron22 oder früher unter Mieszko II. und Richeza in Verbindung gebracht.23 Inzwischen ist die Interpretation der Basilika als erstem Dom überholt. Vielmehr stellt sich die Frage nach ihrer Nutzung. War sie der Sitz eines Benediktinerkonvents? Diese Frage muss nach dem heutigen Forschungsstand unbeantwortet bleiben. Ein Teil der Forschung nimmt an, dass das Gereonspatrozinium sekundär und damit unwesentlich sei.24 Allerdings hat Zofia Kozłowska-Budkowa auf der Grundlage einer Analyse der um 1100 entstandenen Litanei im Krakauer Pontifikale, des Kalenders aus dem Egbert-Psalter und eines im 13. Jahrhundert im Wawel-Schloss verwendeten Lektionars eindeutig nachgewiesen, dass die Verehrung von Gereon auf dem Wawel sehr früh lebendig war. Sie konnte zeigen, dass die besondere Prominenz der Feier im 13. Jahrhundert bereits vergessen war und nicht mehr herausragend begangen wurde, da sie durch andere Kulte verdrängt worden war. Als Beleg hierfür verweist sie auf den Domkalender 21 Vgl. Tadeusz Wojciechowski: O rocznikach polskich X–XV wieku (Pamiętnik Akademii Umiejętności, Bd. 4), Krakau 1880, S. 225 f. – Tadeusz Wojciechowski: Kościół katedralny w Krakowie, Krakau 1900, S. 186. – Władysław Abraham: Rezension zu: Tadeusz Wojciechowski: Szkice historyczne jedynastego wieku, Krakau 1904, in: Kwartalnik Historyczny 18 (1904), S. 570. – Ferdynand Pohorecki: Kilka słow o Aaronie, pierwszym opacie tynieckim, Kwartalnik Historyczny 36 (1922), S. 1–10. – Pierre David: Les bénédictins et l’ordre de Cluny dans la Pologne médiévale (Publications du Centre franco-polonais de recherches historiques de Cracovie, Bd. 1.1), Paris 1939, S. 21–46. – Labuda 1988 (wie Anm. 7), S. 350–363 u. 370–377. – Władysław Abraham: Organizacja Kościoła w Polsce do połowy wieku XII, Posen 1962, S. 194 f. – Gerard Labuda: Szkice historyczne XI wieku. Początki klasztoru benedyktynów w Tyńcu, in: Studia Źródłoznawcze 35 (1994), S. 23–63, hier S. 23–26, 45–55 u. 59–63, bes. S. 47–52. – Vgl. dazu auch den Beitrag von Roman Michałowski in diesem Band. 22 Vgl. Szyszko-Bohusz 1923 (wie Anm. 2), S. 11 f. – Jerzy Hawrot: Wawel wczesnośredniowieczny (problemy pierwotnej zabudowy), in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 4/1–2 (1959), S. 152. – Bochnak 1960 (wie Anm. 20), S. 98 f. u. 101 f. – Aleksander Gieysztor: O kilku biskupach polskich XI wieku, in: Europa-Słowiańszczyzna-Polska. Studia ku uczczeniu profesora Kazimierza Tymienieckiego, hg. v. Juliusz Bardach (Prace Wydiału Filozoficzno-Historycznego, Seria historica, Bd. 36), Posen 1970, S. 317–321. – Aleksander Gieysztor: Pierwsi benedyktyni w Polsce piastowskiej, in: Benedyktyni tynieccy w średniowieczu. Materiały z sesji naukowej, Wawel–Tyniec, 13–15 października 1994, hg. v. Klementyna Żurowska, Krakau 1995, S. 17 f. – Jerzy Wyrozumski: Dzieje Krakowa, Bd. 1: Kraków do schyłku wieków średnich, Krakau 1998, S. 82–86. – Vgl. die Spekulationen um die Piasten-Schlosskapelle: Feliks Kopera: O kościołach na Wawelu, in: Rocznik Krakowski 8 (1906), S. 59 u. 64 f.  – Firlet / Pianowski 1998 (wie Anm. 3), S. 115.  – Firlet / Pianowski 2000 (wie Anm. 4), S. 213. – Pianowski 2007 (wie Anm. 4), S. 296. 23 Vgl. Żurowska 1965 (wie Anm. 20), S. 70–72. – Labuda 1988 (wie Anm. 7), S. 350–363 u. 370–377. 24 Vgl. Jerzy Wyrozumski: Święty Gereon i próba przeszczepienia jego kultu w Polsce, in: Studia Waweliana 4 (1995), S. 5–11. – Firlet / Pianowski 2000 (wie Anm. 4), S. 213. – Pianowski 2006 (wie Anm. 5), S. 179.

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aus dem 13. Jahrhundert, wo der Jahrestag als normaler Tag ohne Auszeichnung (also in schwarzer Schrift) angegeben ist (10.  Oktober „Gereonis sociorumque eius“), also im 13. Jahrhundert am Tag des hl. Gereon keine besondere liturgische Feier stattfand. Im 13. Jahrhundert wurde allerdings der Feiertag der hl. Maria von Ägypten feierlich begangen (1. April, im Domkalender rot markiert). Eine Kapelle dieses Patroziniums wird in diesem topographischen Bereich des Schlosses 1325 und 1377 erwähnt.25 Archäologisch nachgewiesen ist der Ersatz des Chorbaus der Gereonsbasilika durch eine gotische Kapelle, die Maria von Ägypten geweiht war. Insgesamt spricht vieles für einen frühen Gereonskult auf dem Wawel wie für die Identifikation der ergrabenen Basilika mit der schriftlich bezeugten Gereonskirche. Dies ist weitgehender Konsens der jüngeren Forschung, wenn es auch einzelne Gegenstimmen gibt.26 Ein wichtiges Argument für das Patrozinium des Kölner Heiligen sind die Bauformen, nach denen die Kirche mit Köln und dem Rheinland in Verbindung zu bringen ist. Am besten sind die Reste der Ostkrypta mit einem Säulenpaar (Abb. 41) sowie das Querschiff mit halbkreisförmigen Seitenapsiden und Resten einer Empore an der Stirnwand des Nordquerarmes erhalten. In den Seitenschiffen weisen bescheidene Spuren der aus Halbsäulen gebildeten Wandvorlagen auf eine Seitenschiffwölbung mit länglichen, auf Gurten gewölbten Jochen hin. Der Westteil war dreiteilig (Abb. 42). Archäologisch und stilistisch kann der Ostbau in die 1040/50er Jahre datiert werden.27 Schiff und Westbau mögen später, vielleicht in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, entstanden sein.28 Die architektonischen Formen vor allem der Krypta sind sehr eindrucksvoll. Bereits Klementyna Żurowska hat sich ihrer Einordnung gewidmet, was hier durch einige Anmerkungen ergänzt werden soll. Den alten Rekonstruktionen nach besaß die Krypta vier Säulenpaare und quadratische Joche. Auf diese Weise wurde sie vor dem Zweiten Weltkrieg hergerichtet und so präsentiert sie sich bis zum heutigen Tag. Nach der erneuten Prüfung der Befunde war die Krypta ursprünglich jedoch nur mit zwei Säulenpaaren ­unterteilt. Daraus resultiert eine Rekonstruktion einer apsidial geschlossenen quadratischen, dreischiffigen Halle auf vier Freistützen, die ein Gewölbe mit rechteckigen Jochen 25 Kozłowska-Budkowa 1968 (wie Anm. 14), S. 123 f. – Labuda 1988 (wie Anm. 7), S. 322–377. – Rajman 2006 (wie Anm. 7), S. 131–133. 26 Vgl. Anm. 21–24. 27 Vgl. Firlet / Pianowski 1998 (wie Anm. 3), S. 115.  – Firlet / Pianowski 2000 (wie Anm. 5), S. 213. – Pianowski 2007 (wie Anm. 5), S.  295 f. – Klementyna Żurowska: Kto budował kryptę pod prezbiterium bazyliki Św. Gereona (Św. Marii Egipcjanki) na Wawelu?, in: Folia Historiae Artium 11 (2007), S. 25. 28 Vgl. Firlet / Pianowski 1987 (wie Anm. 3), S. 243–249. – Firlet / Pianowski 1998 (wie Anm. 3), S.  110 f. – Klementyna Żurowska: Kraków, Tyniec i benedyktyni, in: Artifex doctus. Studia ofiarowane profesorowi Jerzemu Gadomskiemu w siedemdziesiątą rocznicę urodzin, hg. v. Wojciech Bałus u. a., Krakau 2007, Bd. 1, S. 227–233, hier S. 232 f.

Die Architektur des Wawels in Krakau unter Kasimir dem Erneuerer und ihre Beziehungen in das Rheinland  |  345

Abb. 41: Krakau-Wawel, St. Gereon, Reste der Krypta. – Säule mit Flechtbandornament.

Abb. 42: Krakau-Wawel, St. Gereon.

trugen.29 Die Wandvorlagen der Seitenwände waren als Halbsäulen vor rechteckigen Wandvorlagen ausgebildet (Abb. 43). Befunde zeigen sich vor allem an der Nordwand der Krypta und in der nordwestlichen Ecke. Die glatten Säulenschäfte haben sich in den unteren Bereichen erhalten und stehen vor den kastenartigen Wandvorlagen, die unten mit einem den gesamten Raum umlaufenden Sockel verbunden sind. An der südlichen Mauer 29 Vgl. Firlet / Pianowski 1998 (wie Anm. 3), S. 111–113.

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Abb. 43: Krakau-Wawel, St. Gereon, Innen­ gliederung der Wände durch Rechteckvorlagen mit Halbsäulen.

hat sich eine Halbsäule mit einem Würfelkapitell erhalten. Die Wand war zwischen den Vorlagen halbkreisförmig ausgenischt. Vierstützenräume sind für Krypten sowohl in Deutschland als auch in Italien breit bezeugt (Abb. 44). Die Ausbildung rechteckiger Joche findet sich seltener, aber beispielsweise in der Krypta der Klosterkirche St. Hadelin in Celles-les-Dinant (1036).30 Ähnliche Formen finden sich in der Stiftskirche von Ciney (11. Jahrhundert), in St. Adela in Orple-Grand (11. Jahrhundert) oder Thynes (1069).31 Grundrissform und Typus der Krypta auf dem Wawel mit einem quadratischen Grundriss, vier Stützen und rechteckigen Jochen sind in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts weit verbreitet. Längsrechteckige Joche finden sich insbesondere in der Diözese Lüttich und bei kleineren Bauten. Die späteren, großen Krypten rheinischer Kirchen wurden auf der Grundlage dieses Schemas konstruiert, wie beispielsweise die Benediktinerinnenkirche St. Maria im Kapitol unter Äbtissin Ida (1049 geweiht), die Klosterkirche in Brauweiler (1048 begonnen) und die Westkrypta in der Kathedrale von Trier (1211 geweiht).32 Eine maßgebliche Rolle für die Ausprägung 30 Vgl. Hans Erich Kubach / Albert Verbeek: Romanische Baukunst an Rhein und Maas. Katalog der vorromanischen und romanischen Denkmäler, 4 Bde., Berlin 1976/89, Bd. 1, S. 172–174. – LouisFrançois Genicot: Les églises mosanes du XIe siècle, Bd. 1: Architecture et société/Recueil de travaux d’histoire et de philologie, Bd. 4.48), Löwen 1972, S. 5–15. – Ulrich Rosner: Die ottonische Krypta (40. Veröffentlichung der Abteilung Architekturgeschichte des Kunsthistorischen Instituts der Universität zu Köln), Köln 1991, S. 100–105. 31 Vgl. Genicot 1972 (wie Anm. 30), S. 76 f., 83, 91–94, 118, 123 f. u. 319. – Kubach / Verbeek 1976/89 (wie Anm. 30), Bd. 1, S. 175 f.; Bd. 2, S. 912–914 u. 1072. 32 Kubach / Verbeek 1976/89 (wie Anm. 30), Bd. 1, S. 141 f. u. 557–568, bes. S. 564, Bd. 2, S. 1085– 1110, bes. S. 1095–1097.

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Abb. 44: Zusammenstellung verschiedener Krypten des 10./11. Jahrhunderts.

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und Monumentalisierung spielten dabei die Hallenkrypten auf vier Stützen beispielsweise der Klosterkirche Limburg auf der Haardt (ab 1028), von St.  Aposteln in Köln (um 1025/30) sowie die vom Vierstützenraum ausgehend entwickelte Krypta des Speyerer Domes (ab 1028).33 Für die Suche nach den Vorbildern der Architektur der Krypta auf dem Wawel nimmt die Wandgliederung durch Halbsäulen vor Wandvorlagen mit dazwischenliegenden Nischen eine Schlüsselrolle ein. Die einzigen bekannten Beispiele solcher Vorlagen im Reich und im Rheinland sind nach Speyer die massiven, rechteckigen Wandpfeiler mit Halb­ säulen an den Wänden von St. Maria in Kapitol in Köln (1049 geweiht) und in der Westkrypta der Kathedrale in Trier (Anfang des 12.  Jahrhunderts),34 allerdings ohne Aus­ nischungen. In den Einzelformen sind Nischenbildungen der Außenwände an etlichen rheinischen Beispielen zu finden. Sie gelten als Charakteristikum der Essen-Werdener-Gruppe in der Mitte des 11. Jahrhunderts, finden sich beispielsweise aber auch in der Krypta von St. Quirin in Neuss (um 1050).35 Auf dem Gebiet des Bistums Lüttich finden sich Ausnischungen beispielsweise in der Krypta der Liebfrauenkirche in Huy (1060/66, auch ohne Wandgliederung) oder in der Krypta der Kölner Georgskirche (1059/67)36 sowie später im gesamten Reichsgebiet (Paderborn, Würzburg). In Italien kommt die ­Nischenbildung mit der Wandgliederung jedoch viel öfter vor. Klementyna Żurowska hat auf die Verbreitung dieses Motivs im 11. Jahrhundert in Norditalien hingewiesen. In der Krypta auf dem Wawel werden die Halbsäulen von Wandvorlagen hinterfangen, die auf einer steinernen Bank aufsetzen. Solche Formen waren nur im Norditalien verbreitet.37 Sie finden sich beispielsweise in der teilweise zerstörten Krypta von Santa Eufemia auf der

33 Vgl. Werner Jacobsen: Entwicklungslinien des Kirchenbaus im 11. Jahrhundert im Reich und in Italien, in: Canossa 1077. Erschütterung der Welt. Geschichte, Kunst und Kultur am Aufgang der Romanik, Ausst. Kat. Museum in der Kaiserpfalz und Diözesanmuseum Paderborn, hg. v. Christoph Stiegemann und Matthias Wemhoff, 2 Bde., München 2006, Bd. 1, S. 284 f. – Zu St. Aposteln vgl. Kubach / Verbeek 1976/89 (wie Anm. 30), Bd. 1, S. 557–568 u. Bd. 2, S. 1097 f. 34 Vgl. Kubach / Verbeek 1976/89 (wie Anm. 30), Bd. 1, S. 513–522.  – Żurowska 2007 (wie Anm. 27), S. 21. 35 Vgl. zuletzt Cornelius Hopp: Die sogenannte Essen-Werdener-Gruppe. Forschungsstand und Forschungsfragen, in: Aus der Nähe betrachtet. Regionale Vernetzungen des Essener Frauenstifts in Mittelalter und früher Neuzeit, hg. v. Jens Lieven und Birgitta Falk (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 13), Essen 2017, S. 123–150, bes. S. 136–139 u. 149 f. 36 Vgl. Kubach / Verbeek 1976/89 (wie Anm. 30), Bd. 1, S. 415–418 u. 529 f.  – Genicot (wie Anm. 30), S. 103 u. 163. 37 Vgl. Almuth Klein: Funktion und Nutzung der Krypta im Mittelalter. Heiligsprechung und Heiligenverehrung am Beispiel Italien (Spätantike – Frühes Christentum – Byzanz, Reihe B: Studien und Perspektiven, Bd. 31, Wiesbaden 2011, S. 85–230.

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Insel Isola Comacina (Como bei Mailand) (nach 1031, um 1050) (Abb. 45)38 wie ebenso in der Krypta von San Michele in Oleggio (Ligurien, um 1030)39 und in der Krypta von San Paragorio in Noli (Ligurien, nach 1010–1020).40 Insbesondere Santa Eufemia zeigt eine große Nähe zur Gereonskrypta auf dem Wawel, da hier halbkreisförmige und rechteckige Nischen zwischen den Wandvorlagen abwechseln. Solche ausdifferenzierten Wandsysteme sind in Italien verbreitet. Bauten mit schlanken Halbsäulenvorlagen ohne Wandvorlagen finden sich beispielsweise in der Kathedrale von Chieri (1020/30), der Klosterkirche in Cavour (1037) oder in den lombardischen Kirchen von San Pietro in Agliate (um 1050) und San Vincenzo in Prato in Mailand (zweites Viertel des 11. Jahrhunderts).41 Eine vergleichbare Wandgliederung ist mit rechteckigen Nischen beispielsweise schon in der Krypta von Saint-Martin in Aime-la-Plagne (um 1010) ausgebildet.42 Die entwickelteren Wandsysteme der italienischen Bauten fußen auf der Speyerer Entwicklung.43 Das System ergibt sich aus der Krypta des Speyerer Domes, wo zum ersten Mal die Halbsäulen mit einer Rechteckvorlage hinterfangen wurden, aus der sich die Schildbögen entwickeln und so ein Wandfeld umrahmen, das wie eine Rechtecknische wirkt. In den Seitenschiffen des Speyerer Domes (vor 1039) wurde dieses Motiv zum Wandsystem aufgewertet und wirkte von hier aus auf Bauten wie beispielsweise St. Maria im Kapitol, wo es im Langhaus auftritt, während in der Krypta als Reduktionsform nur Halbsäulen an den Wänden die Gurte tragen (vor 1049). Hiervon sind Bauten wie St. Georg in Köln abhängig. Die Krypta von St. Gereon auf dem Wawel verbindet Formen insbesondere der Kölner Kirchenprovinz mit der aus Norditalien stammenden plastischen Innengliederung der Wände durch Halbsäulen auf Wandpfeilern mit dazwischenliegenden Nischen. Vermutlich waren für die Konzeption auf dem Wawel Baumeister aus Köln oder dem Rheinland verantwortlich. Auf die Plastizität in der Wandgliederung, die Proportionen und die Stein­arbeiten wirkten offensichtlich italienische Beispiele ein.44 Der Chor von St. Gereon mit Emporen und Kapellen in den Querschiffarmen weist ebenfalls auf eine Verbindung zur Architektur im Reich hin. 38 Vgl. Maria Clotilde Magni: Architettura romanica comasca, Mailand 1960, S. 43–47. – Żurowska 2007 (wie Anm. 27), S. 22–24. 39 Vgl. Margaret Sorensen Burke: Hall Crypts of First Romanesque, masch. schr. Diss. University of California, Berkeley 1976, S. 116–123. – S. Chierici: San Michele a Oleggio, in: Piémont-Ligurie roman, Mailand 1979, S. 195–202. – Żurowska 2007 (wie Anm. 27), S. 22. 40 Vgl. Burke 1976 (wie Anm. 39), S. 153–163. – D. Citi: San Paragorio de Noli, in: Piémont-Ligurie roman, Mailand 1979, S. 315–324. – Żurowska 2007 (wie Anm. 27), S. 22. 41 Vgl. Burke 1976 (wie Anm. 39), S. 74–82, 103–115 u. 124–140. 42 Vgl. Burke 1976 (wie Anm. 39), S. 228–241. 43 Vgl. Kubach / Verbeek 1976/89 (wie Anm. 30), Bd. 4, S. 59–69 u. 180–195. – Żurowska 2007 (wie Anm. 27), S. 21. 44 Żurowska 2007 (wie Anm. 27), S. 25. – Klein 2011 (wie Anm. 37), S. 85–230.

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Abb. 45: Santa Eufemia auf der Isola Comacina (Como bei Mailand), Krypta (nach 1031).

Als Detailformen weist St. Gereon auf dem Wawel dekorierte Kapitelle und Säulenschäfte auf. Das Kapitell mit Flechtbandornament des nördlichen Querarms besitzt eine Würfelform, die oben konvex ist und sich sanft nach unten verjüngt, sowie einen Abakus in der Bekrönung (Abb. 46). Die spätottonischen Kerbschnittformen stehen Kapitellen mit stark byzantinisierenden Formen nahe, die mit dem ottonischen Würfelkapitell verbunden werden.45 Jedes Feld hat das gleiche Flechtbandornament, welches aus einem dreiteiligen Band, das eine geschlossene Figur mit vier Schleifen bildet, besteht. Die Schleifen sind symmetrisch in den Feldecken angeordnet und diagonal sowie oben und unten horizontal miteinander verbunden. Die Komposition wird von mittigen Rosetten ergänzt, von denen eine in der Form eines Kreuzes auftritt. Diese Motive sind südlicher Herkunft und kommen so weder im Rheinland noch in anderen Reichsgebieten vor, wo glatte Würfelkapitelle vorherrschen. Das Motiv des Kreuzes und der Rosetten innerhalb eines Flechtbandornaments kann als Bezug zur Kreuzigung mit der Begleitung von Sol und Luna gesehen werden.46 Dieses Motiv war in den Steindekorationen der Kirchen in Italien, Dalmatien, aber auch Burgund und Ligurien äußerst populär. Das zweite Kapitell, das sekundär unter der Treppe der gotischen St. Maria von Ägypten-Kapelle entdeckt wurde, die an der Stelle der Gereonsbasilika errichtet wurde, hat antikisierende Formen, die sich auf den ionischen Kanon beziehen (Abb. 46). Die Form 45 Vgl. Ewa Nogieć-Czepielowa: Pozostałości dekoracji rzeźbiarskiej I katedry wawelskiej, in: Folia His­ toriae Artium 10 (1974), S. 5–36. – Rafał Quirini-Popławski: Rzeźba przedromańska i romańska w Polsce wobec sztuki włoskiej, Krakau 2006, S. 73–90. 46 Vgl. Nogieć-Czepielowa 1974 (wie Anm. 46), S. 14–20.

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Abb. 46: Krakau-Wawel, St. Gereon, Kapitelle des 11. Jahrhunderts.

aus dem 11. Jahrhundert mit einer umgekehrten Pyramide weist eine Flechtschnur mit Pseudo-Voluten auf, die in der Mitte einen konvexen Knauf beherbergen und mit einer Reihe elliptischer, horizontal angeordneter, konvexer Medaillons besetzt sind, wie sie beispielsweise bei Kapitellen der Frauenstiftskirchen Essen und Quedlinburg zu finden sind.47 Ein gesondertes Problem der Einordnung sind die Säulenschäfte mit Flechtbandornament (Abb. 41). Der Schaft der südlichen Säule ist mit einem dreiteiligen, flachgeschnitzten Flechtband in einer netzwerkartigen Komposition geschmückt. Die Ornamentierung halbrunder Flächen ist in Europa recht selten,48 allerdings weisen beispielsweise die Säulenschäfte der Krypta von St. Gereon in Köln, St. Peter zu Utrecht oder Deventer kannelierte, spiralige oder zickzackförmige Kerbschnittformen auf.49 In den Jahren 1961 bis 1965 wurde der Gründungsbau der Benediktinerabtei Tyniec mit einer Reihe gestalteter Kapitelle freigelegt (Abb. 47).50 Klementyna Żurowska datierte die Basilika in das letzte Viertel des 11. Jahrhunderts.51 Den Baubeginn bestimmte 47 Vgl. Teresa Rodzińska-Chorąży: Kapitel z krypty bazyliki pod zachodnim skrzydłem Zamku Królewskiego na Wawelu, in: Bałus 2007 (wie Anm. 28), S. 235–242. 48 Vgl. Nogieć-Czepielowa 1974 (wie Anm. 45), S. 14–26. – Barbara Malik: Relikty przedromańskiej dekoracji plecionkowej na Wawelu, in: Studia Waweliana 9/10 (2000/01), S. 195–204. 49 Vgl. Kubach / Verbeek 1976/89 (wie Anm. 30), Bd. 4, S. 119. 50 Vgl. Klementyna Żurowska: Romański kościół opactwa benedyktynów w Tyńcu, in: Folia Historiae Artium 6/7 (1971), S. 49–119. – Zenon Woźniak / Helena Zoll-Adamikowa: Uwagi o topografii i stratygrafii wzgórza klasztornego w Tyńcu, in: Folia Historiae Artium 6/7 (1971), S. 15–48. 51 Vgl. Żurowska 1971 (wie Anm. 50), S. 113.

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Abb. 47: Tyniec, Benediktinerabteikirche.

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sie in den 1070er Jahren, während der Regierungszeit von König Bolesław II., und begründete dies mit der Form dieser Basilika ohne Querschiff und Krypta, dem Dreiapsidenchor und der Konstruktion der Seitenschiffgewölbe. Die Kirche zeige einen starken Einfluss der Architektur von Cluny und weise Beziehungen zu Klosterkirchen in Böhmen und Ungarn auf.52 Vor allem die Seitenschiffwölbung spreche gegen eine Datierung näher an der Mitte des 11. Jahrhunderts. Die Wölbung von Seitenschiffen ist seit dem Anfang des 11. Jahrhunderts in der Lombardei und in Burgund zu finden, bevor sie in der zweiten Jahrhunderthälfte bereits überall in Frankreich gängig wird. Im Reich wurden Seitenschiffe seit dem Dombau von Speyer (1028 begonnen) gewölbt, was bereits früh in Köln (St. Maria im Kapitol, vor 1049) rezipiert wurde. Die Datierung des Gründungsbaus von Tyniec an das Ende des 11. Jahrhunderts entsprach einer in den 1960er Jahren verbreiteten historischen Interpretation der Stiftung der Abtei, die mit Bolesław II. und Abt Anchoras in Verbindung gebracht wurde.53 Bei den Untersuchungen wurde im Nordschiff der Abteikirche ein Sarkophag (Grab 15) freigelegt, der mit einem kirchlichen Würdenträger im Rang eines Abts belegt war, worauf sein Krummstab hinweist, dessen Dekoration zweifelsohne von Kölner Prägung ist.54 Stilistisch wird der Krummstab in die erste Hälfte des 11. Jahrhunderts datiert. Die Ausgräber vermuteten, dass die in den Gräbern gefundenen Gegenstände zusammen mit den Mönchen im dritten Viertel des 11. Jahrhunderts nach Tyniec gekommen seien.55 Den archäologischen Befunden nach sind der Bau der Grabanlage und die Bestattung zu Beginn der Errichtung der Abteikirche, als der Grundriss bereits festgelegt war, erfolgt. Vermutlich war es das Grab des ersten Abtes des neu gegründeten Klosters, der für die Ausführung der Stiftung verantwortlich war und in der ersten Projektphase starb.56 Die Grabanlage wird in den Zeitraum ab den 1040er bis in die 1090er Jahre datiert. Unklar ist die Identifizierung des Abtes, für den einerseits der unsicher bezeugte Abt Aaron (verst. 1059) oder Abt Anchoras (verst. 1070 oder zwischen 1075 und 1080) in Frage kommen. Sie ist abhängig von der Einschätzung, ob Aaron der Gründungsabt von Tyniec war. In der Nähe von Grab 15 befand sich ein zweites, nicht viel jüngeres Grab (8), das die sterblichen Überreste eines weiteren Abtes enthielt. Hierin fanden sich ein Krummstab aus Elfenbein sowie ein goldener Kelch mit zugehöriger Patene, die ebenfalls als kölnisch gelten.57 52 Vgl. Żurowska 1971 (wie Anm. 50), S. 89–101 u. 104–113. 53 Vgl. Wojciechowski 1880 (wie Anm. 21), S. 145 f.  – Wojciechowski 1900 (wie Anm. 21), S.  184 f. – Gieysztor 1970 (wie Anm. 22), S. 317–321. 54 Vgl. Lech Kalinowski: Przedmioty liturgiczne znalezione w grobach pierwszych opatów tynieckich, in: Folia Historiae Artium 6/7 (1971), S. 175–186. – Klementyna Żurowska: Dwa zagadkowe groby romańskie w Tyńcu, in: Z Otchłani Wieków 40 (1974), S. 157–160. 55 Vgl. Kalinowski 1971 (wie Anm. 54), S. 183 u. 205. 56 Vgl. Woźniak / Zoll-Adamikowa 1971 (wie Anm. 50), S. 32–36.  – Kalinowski 1971 (wie Anm. 54), S. 175–186. – Żurowska 1974 (wie Anm. 54), S. 157–160. 57 Vgl. Kalinowski 1971 (wie Anm. 54), S. 186–205. – Żurowska 1974 (wie Anm. 54), S. 157–160.

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In diesem Zusammenhang haben die Historiker erneut auf die Rolle des Krakauer Bischofs Aaron, der in den 1040/50er Jahren ein Mönch oder sogar der Abt der Abtei in Tyniec gewesen sein soll, sowie auf seine Verbindungen zu Köln hingewiesen. Gerard ­Labuda argumentierte, dass die Idee und der Beginn der Stiftung der Benediktinerabtei in Tyniec auf Kasimir den Erneuerer und den mit ihm zusammenwirkenden Bischof (und Abt) Aaron zurückzuführen seien. Die finanziellen Mittel und die materielle Ausstattung der Abtei hätten jedoch erst Kasimirs Sohn, König Bolesław II., und sein Nachfolger Władysław I. Herman mit seiner Ehefrau Judith von Böhmen gesichert.58 Die archäologischen Befunde der Gräber mit dem aus dem Rheinland importierten Krummstab haben damit erneut die Frage nach den rheinischen, aus der Unterstützung Kasimirs des Erneuerers resultierenden Anfängen der ersten Benediktiner in Tyniec aufgeworfen (unabhängig von der etwas jüngeren Basilika in Tyniec). Im Hintergrund stehen dabei die oben besprochenen Spuren des Benediktinermilieus auf dem Wawel, die auf die Regierungszeit von Kasimir dem Erneuerer (oder sogar von Königin Richeza) zurückzuführen sind und mit der Person des Bischofs Aaron in Verbindung gebracht werden können. Eine wichtige Rolle spielt in einer solchen Argumentation auch das Patrozinium von St. Gereon und die unzweifelhaft rheinische Herkunft einiger Architekturelemente, vor allem der Krypta. Auf eine mögliche Nutzung dieser Kirche im Kontext des Klostermilieus könnten die Emporen in den Querarmen hinweisen.59 Zudem verbinden die Basilika in Tyniec Formen mit der Kirche auf dem Wawel. So weisen die Säulen der Krypta auf dem Wawel das sehr seltene Motiv eines doppelten Kordelbandes im konkaven Bereich der toskanischen Säulenbasen auf (Abb. 41). Auch die Halbsäulen im südlichen Seitenschiff von Tyniec haben analoge Basen mit dem Doppelschnurmotiv (Abb. 48). Somit sind Bezüge zwischen beiden Bauten zu vermuten,60 zumal das Motiv der Doppelschnur auf der Säulenbasis eine höchst individuelle und seltene Form ist.61 Neben dieser Einzelform besitzen beide Bauten Halbsäulen in den Seitenschiffen, die auf eine Wölbung hinweisen. Das Langhaus von St. Gereon ist vermutlich jünger 58 Vgl. Gerard Labuda: Z dyskusji nad początkami klasztoru benedyktyńskiego w Tyńcu. Fundatorzy i pierwsi opaci, in: Symbolae Historiae Artium. Studia z historii sztuki Lechowi Kalinowskiemu dedykowane, hg. v. Jerzy Gadomski und Lech Kalinowski, Warschau 1986, S. 93–104. – Labuda 1994 (wie Anm. 21), S. 23–63. – Gerard Labuda: Kto i kiedy ufundował klasztor w Tyńcu?, in: Żurowska 1995 (wie Anm. 22), S. 23–39. – Vgl. auch Anm. 24–26. 59 Vgl. Klementyna Żurowska, Romańska architektura Opactwa Benedyktynów w Tyńcu, in: Tyniec. Sztuka i kultura benedyktynów od wieku XI do XVIII. Kat. Ausst. Königsschloss Wawel, bearb. v. Klementyna Żurowska, Krakau 1994, S. XVII–XX. – Klementyna Żurowska: Romański kościół i klasztor benedyktynów w Tyńcu na tle architektury piastowskiej w XI wieku, in: Żurowska 1995 (wie Anm. 22), S. 185–197. 60 Vgl. Żurowska 1971 (wie Anm. 50), S. 102–104.  – Żurowska 1995 (wie Anm. 59), S. 195.  – Żurowska 2007 (wie Anm. 27), S. 25. – Żurowska 2007 (wie Anm. 28), S. 227. 61 Ein Beitrag zu diesem Thema ist in Vorbereitung.

Die Architektur des Wawels in Krakau unter Kasimir dem Erneuerer und ihre Beziehungen in das Rheinland  |  355

als die Krypta und könnte sogar erst aus dem letzten Drittel des 11. Jahrhunderts stammen, als man in Tyniec nach den Stiftungen von Bolesław II. baute. Möglicherweise griffen diese in Polen sehr frühen Seitenschiffwölbungen im letzten Drittel des 11. Jahrhunderts Ideen eines früheren Entwurfs auf, der aus der Mitte des Jahrhunderts stammte. Daraus lassen sich Schlussfolgerung zu personellen und historischen Bezügen zwischen den Stiftungen auf dem Wawel und in Tyniec ableiten. Dabei bleibt die Frage nach der Funktion der Basilika auf dem Wawel weiterhin offen. Abb. 48: Tyniec, Benediktiner­ Es könnte ebenso wie eine Kloster- auch eine Stiftskirche, abteikirche, toskanische Säulenbasis mit Doppelschnurmotiv. die mit dem Palast der Piasten verbunden war, gewesen sein. Der gegenwärtige Stand der Forschung erfordert eine Eingrenzung des Zeitraums zwischen den 1040er und den 1070er Jahren sowie die Klärung einer weiterhin nicht eindeutig auszuschließenden Gründung während der Anwesenheit von Königin Richeza in Krakau. Die Datierung der Abteikirche in Tyniec in die 1070er Jahre (kunsthistorische Einordnung) oder sogar in die 1050/60er Jahre (archäologische Funde) hängt mit der Bestattung des ersten Abtes zusammen – egal ob man ihn mit Aaron oder Anchoras identifiziert. Aussagekräftig sind die architektonischen Elemente mit Beziehungen sowohl nach Köln und ins Rheinland als auch nach Ligurien und Norditalien. Erzbischof Hermann II. von Köln war der jüngere Bruder von Königin Richeza und Erzkanzler des Reiches für Italien. In der besagten Zeit bestand zwischen dem Rheinland und Italien ein reger Austausch künstlerischer Erfahrungen, der bisher kaum erforscht ist. Offensichtlich zeigte St. Gereon auf dem Wawel kölnisch-rheinischen Einfluss, aber die Wandgliederung und Dekoration zeigen Kenntnis italienischer Vorlagen. Da sich Kasimir der Erneuerer von 1036 bis 1038 in Italien bei seinem Onkel Hermann oder in Ungarn aufhielt, ist eine solche Wirkung auf Polen nicht verwunderlich.62 Darüber hinaus waren die Mönchsgemeinschaften im Europa des 11. Jahrhunderts überregional verknüpft. Mit der Hochzeit von Kasimirs Schwester schlossen die Piasten ein politisches Bündnis mit der Árpáden-Dynastie im Königreich Ungarn. Dadurch wurden auch die Beziehungen nach Süden intensiviert. Dieses Bündnis wurde von Bolesław II., dem Sohn Kasimirs, im Rahmen der Erneuerung der königlichen Krone bestätigt. Für ein Fortdauern der Beziehungen nach Italien sprechen die Doppelkapitelle aus Tyniec mit ihren flachgeschnitzten Feldern mit Pflanzen-, Tier- und geometrischer Ornamentik (Abb. 49), die in die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts, jedoch spätestens um das Jahr 1100 datiert werden. Möglicherweise 62 Vgl. Klaus Gereon Beuckers: Die Ezzonen und ihre Stiftungen. Eine Untersuchung zur Stiftungstätigkeit im 11. Jahrhundert (Kunstgeschichte, Bd. 42), Münster 1993, S. 35 f., Anm. 295.

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Abb. 49: Tyniec, Doppelkapitelle der Benediktinerabteikirche.

waren sie für den Kreuzgang des Klosters bestimmt. Sie sind Beispiele für die stempelähnlichen Kapitelle (alla stampella) aus Italien und Ligurien (Kloster San Tomasso in Genua).63 63 Vgl. Lech Kalinowski: Zabytki rzeźby romańskiej w opactwie tynieckim, in: Folia Historiae Artium 6/7 (1971), S. 168.  – Klementyna Żurowska: Kapitele krużganka, in: Kat. Krakau 1994 (wie Anm. 59), S. 3–11. – Quirini-Popławski 2006 (wie Anm. 45), S. 85–90. – Aneta Bukowska: Detale architektoniczne z opactwa OO. Benedyktynów w Tyńcu, in: Kat. Krakau 1994 (wie Anm. 59), S. 362–368.

Die Architektur des Wawels in Krakau unter Kasimir dem Erneuerer und ihre Beziehungen in das Rheinland  |  357

Die offensichtlich direktesten Einflüsse kamen jedoch aus Köln und seinem Umfeld: Von dort stammen nicht nur die sonst eher ungewöhnlichen Patrozinien Gereon sowie Felix und Adauctus, sondern es leiten sich auch die Formen zumindest von St. Gereon auf dem Wawel ab. Zusammen mit den Kölner Formen verpflichteten oder sogar aus Köln importierten Grabbeigaben in Tyniec zeigt sich so für das zweite Drittel des 11. Jahrhunderts ein sehr enger Kontakt zwischen Krakau und Köln, der kaum zufällig sein kann.

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Teresa Rodzińska-Chorąży

The Church of St. John the Baptist in Giecz as Evidence of the Relations of the Piast Court with the Rheinland in the 11th century Giecz is an unusual stronghold known from chronicles as an important centre of Piasts’ authority,1 which for a few decades has been a subject of archaeological research.2 As a result thereof, a residential complex and a 16-meter-long wall were uncovered in the 1950s and 1960s.3 They are situated a bit to the north of the still standing, wooden church from the eigthteenth century. Between 1997 and 2004, excavations in this area revealed the remains of a church with a crypt.4 In 2016, research works were resumed and will be ­continued until 2019. The remains of the church may, with a fair degree of likelihood, be 1 2 3

4

See Gallus Anonymus: Kronika Polska, ed. Marian Plezia (Biblioteka Narodowa, Series I, vol. 59), 4th ed. Wrocław 1975, p. 27. See Bogdan Kostrzewski: Gród piastowski w Gieczu (Biblioteka Popularnonaukowa Muzeum Archeo­logicznego w Poznaniu, vol. 9), Poznań 1978. See Bogdan Kostrzewski: Wyniki badań archeologicznych w Gieczu w latach 1960 i 1961, in: Sprawozdania Archeologiczne 16 (1964), pp. 170–176.  – On the older research in Giecz see Maria ­Pietrusińska: Katalog i bibliografia zabytków, in: Dzieje sztuki polskiej, vol. 1, pt. 2: Sztuka polska przedromańska i romańska do schyłku XIII wiekug, Warsaw 1971, pp. 686 f. and 813 f. – Teresa Krysztofiak: Giecz, in: Europas Mitte um 1000. Beiträge zur Geschichte, Kunst und Archäologie, Exh. Cat. Reiss-­ Engelhorn-Museum Mannheim, ed. Alfried Wieczorek and Hans-Martin Hinz, 3 vol., Stuttgart 2000, vol. 1, pp. 464–466. See Teresa Krysztofiak: Z badań nad chronologią umocnień obronnych grodu gieckiego, in: Kraje słowiańskie w wiekach średnich. Profanum i sacrum, ed. Hanna Kočka-Krenz, Poznań 1998, pp. 150– 157. – Teresa Krysztofiak: Nowoodkryte relikty architektury romańskiej w Gieczu, in: Osadnictwo i architektura ziem polskich w dobie zjazdu gnieźnieńskiego, ed. Andrzej Buko and Zygmunt Świechowski, Warsaw 2000, pp. 75–84. – Teresa Krysztofiak: Wczesnopiastowski kościół p.w. św. Jana na grodzie w Gieczu w świetle najnowszych odkryć, in: Początki architektury monumentalnej w Polsce. Materiały z sesji naukowej Gniezno, 20–21 listopada 2003 roku, ed. Tomasz Janiak and Da­ riusz Stryniak, Gniezno 2004, pp. 181–198. – Teresa Krysztofiak: Wczesnopiastowskie założenia architektoniczne na grodzie w Gieczu – palatium i kościół p.w. św. Jana Chrzciciela, in: Čechy jsou plné kostelů. Kniha k poctě Anežky Merhautové / Bohemia plena est ecclesiis, ed. Milada Studnicková, Prague 2010, pp. 130–151. – Teresa Rodzińska-Chorąży: Co nam mówi architektura murowana?, in: Ziemie polskie w X wieku i ich znaczenie w kształtowaniu się nowej mapy Europy, ed. Henryk Samsonowicz, Cracow 2000, pp. 377 f. – Teresa Rodzińska-Chorąży: Krypta kościoła grodowego pod wezwaniem św. Jana Chrzciciela w Gieczu – analiza formy i funkcji, in: Magistro et Amico Amici Discipulique. Lechowi Kalinowskiemu w osiemdziesięciolecie urdozin, ed. Jerzy Gadomski, Cracow 2002, pp. 165–186. – Teresa Rodzińska-Chorąży: Wątki kamienne w architekturze w Polsce do

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Abb. 50: The Giecz stronghold. The defending walls and remains of the palatium (in the south) and the remains of St. John the Baptist Church (in the north). schyłku XII wieku, in: III Forum Architecturae Poloniae Medievalis, ed. Klaudia Stala (Politechnika Krakowska im. Tadeusza Kościuszki. Monografia, vol. 425), Cracow 2013, pp. 295–318.

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Abb. 51: St. John the Baptist Church, the remains of the eastern part.

linked with the dedication to St. John the Baptist, as attested in the written sources from 1240 and 1298.5 Apart from a few short mentions, from which we learn that the church then existed, there are no other documents concerning the building itself and its liturgical function. The church was located in the northern part of the stronghold, in the vicinity of the rampart (Abb. 50). It was a single-nave, oriented construction. Its external dimensions are 19 x 11 m. In the eastern part of the church there was a choir terminated with an apse (5 m in diameter) with a crypt beneath (Abb. 51). The western part consisted of a square located along the axis, flanked by two circular towers, the external diameter of which was 6.2 m. To the north, a narrow, oblong annex with an external width of 2.5 m adjoined the nave of the church (Abb. 52). The uncovered walls are primarily foundations and fragmentarily preserved lower parts of the construction, which in some places reach the height of about 1.5 m. The foundations are from 1.5 to 1.9 m wide and some parts go down to the depth of about 1.6 m. They were made of boulders. The aboveground section of the walls (1 m in width) was in its eastern part built of oblong, stone slabs, whereas in the nave and the western part of large, granite blocks, whose surface is similar in shape to ashlars. 5

See Kodeks Dyplomatyczny Wielkopolski / Codex Diplomaticus Majoris Poloniae, 2 vol., ed. Ignacy Zakrzewski, Poznań 1877/78 (reprint 1987), vol. 1, no. 224; vol. 2, no. 770.

The Church of St. John the Baptist in Giecz as Evidence of the Relations of the Piast Court with the Rheinland  |  361

Abb. 52: St. John the Baptist Church, a plan of the remains.

The Church of St. John the Baptist in Giecz was built in a few stages, which define the two main phases of functioning. In Phase 1, it was an aisleless church with an apse and a crypt. The main part of the crypt is a quadrangle, to which two symmetrical corridors run along the circuit walls (Abb. 53). The corridors turn at a right angle and accommodate staircases. In the relatively well preserved southern corridor (1 m in width) there are seven flat stairs (ca. 0.1 m in height) covered with a coat of limestone (Abb. 54), while in the northern part a fragment of the arch once crowning the entrance was found. During the excavations, a remaining trace of an altar (1.2 x 0.85 m) was discovered in the corner of the southern corridor (Abb. 55). In the center of the crypt a well-preserved gypsum floor has a circular imprint with the diameter of 0.5 m, which can be interpreted as a trace of the pillar supporting the altar, but, interestingly, the imprint is not situated on the axis of the crypt. In the eastern wall of the crypt there are traces of three small recesses, whereas the largest one (2.1 m long) with a sill is located on the opposite side. It is covered with an arch embedded at the height of 1.5 m. The main chamber of the crypt had a barrel vault. Some fragments of the base of the vault and of the plaster covering the surface were revealed

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Abb. 53: Remains of the crypt in the eastern part of the church.

in the northern wall. A wide staircase situated on the axis of the church led from the nave to the choir above the crypt. The level of the pavement in the nave was ca. 1.2 m higher than in the crypt. To the west, the church was terminated with a straight wall. It is impossible to unequivocally determine whether the entrance was situated on the axis from the west, or in the southern elevation. There are also no clues as to the reconstruction of the shape and the placement of windows, although it cannot be ruled out that there were small windows in the crypt. It is supposed that, aside from the vault in the crypt and its corridors, the church was covered with a flat roof or even with an open roof truss, probably with the exception of the vaulted conch of the apse. The only preserved element of the articulation of the front elevation is a clearly outlined base of the lower part of the northern wall. It measures 0.1 m in width, and its height varies from 0.5 to 0.9 m above the level of the foundations. In this phase, the already mentioned oblong northern annex was planned, but probably never completed. The intention to add an oblong, narrow room to the northern elevation poses a question about the purpose of this project. It should be borne in mind that this annex was to be built in a narrow space between the circuit wall and the rampart

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Abb. 54: The remains of the southern corridor with the steps.

surrounding the stronghold. The uncovered fragments of the foundations suggest that its length was to be equal to the length of the nave. The form of its eastern end still remains unclear. Was it to serve as a chapel or as a burial annex? Or was it, in some way, associated, for example, with a monastic character of the building? The original construction was characterized by the contrasting juxtaposition of a simple design of a towerless western elevation and a more complicated two-level layout of the eastern part. But it was only visible inside the building, since the choir seems not to have been separated in the body of the church. However, its most unusual part was the crypt. Although, in 2002, we did not know many elements of its interior such as the base of the vault, the recess in the western wall, the levels of the floor coating with the circular ­imprint of the altar (?) or the details concerning the rebuilding of the northern corridor, I made then the following remark: „In the earlier dated crypts (Disentis, Säckingen, Volturno, Pavia or Zürich) chambers do not have internal pillars and it is this group that the crypt in Giecz should be related to, for in the remaining ones there is a more and more clearly visible division into naves, starting with single columns in Sestino or Capua, and next four in St. Gallen, up to twelve in Unterregenbach. The early examples from Switzerland and Bavaria-Württemberg and in Italy dominate among the above-mentioned crypts, whereas the ,Swiss-Württemberg

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Abb. 55: The stone altar in the angle of the southern corridor.

group‘ is slightly more numerous than the ,Italian one‘. Therefore, it can be concluded that, with much caution, the subalpine region of the dioceses of Konstanz, Zürich and Chur and the areas of the Upper Rhine and Danube should be taken into consideration. Equally interesting are the examples from Italy. They are not so numerous, but they have crypts with a transverse western corridor. It seems that their spatial composition and proportions are closest to the crypt in Giecz. Although none of the listed monuments can properly be considered a direct model for Giecz, it is important that the form of the crypt from Greater Poland is probably the furthest northeastern example of the influence of the Carolingian crypts on the architecture of Central Europe. The above overview indicates that the crypts of similar characteristic were erected still in the 10th and at the turn of that century in western and southern Europe. However, with an increasing number of hall crypts, their form, particularly of those from the 11th century, can be regarded as archaizing. [...] What function did the crypt serve? Taking into consideration that there are no traces of burials and the above discussed composition, it was most likely erected either to entomb a martyr, a saint or to place a precious reliquary.“6

6

See Rodzińska-Chorąży 2002 (as note 4), pp. 184 f.

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The system of connecting the crypt with the nave by means of two staircases situated in the corridors with side altars facilitated communication between the level of the crypt and of the nave and was certainly adapted to the needs of liturgy. The general theses presented in the cited article are still valid, especially those concerning the reliquary function and the analogies to the constructions originating from the Carolingian hall crypts. Some indication that points to the circle of the subalpine architecture and to the so-called crypts with a western corridor, as distinguished by Mariaclotilde Magni,7 also seems to be today an important area, from which the form of the crypt in Giecz could be modelled on. Another problem which requires a separate analysis is the integration of the form of the single-nave church with the eastern choir, beneath which the crypt was located, ­because such a composition does not occur frequently among the studied sacral buildings of the early Middle Ages. As examples one can mention here the following churches: St. Lucius in Chur8 and St. Martin in Disentis from the first half of the eigth century,9 the so-called church with a crypt in the complex of St. Vincent of Volturno from the ninth century,10 St. Dionysius in Esslingen,11 which is probably dated to the beginning of the tenth century, St. Pantaleon in Cologne from the third quarter of the tenth century,12 St. Mary the Virgin in Ripa near Trier13 and St. Michael in Rohr14 from the end of the tenth century or two churches in Worms  – one of St.  Amandus15 and the other of St. Peter16 both from the beginning of the eleventh century. From the above juxtaposition one can conclude that special attention should be paid to the region of the present-day Rhineland, where such combinations of the integral parts are more frequently encountered than anywhere else, especially at the turn of tenth century. Moreover, the vast majority  7 See Mariaclotilde Magni: Cryptes du haut Moyen Âge en Italie: problèmes de typologie du IXe jusqu’au début du XIe siècle, in: Cahier Archéologiques. Fin de l’antiquité et Moyen Âge 28 (1979), pp. 41–85.  8 See Hans Rudolf Sennhauser: Frühchristliche und frühmittelalterliche kirchliche Bauten in der Diözese Chur und in den nördlich und südlich angrenzenden Landschaften, in: Frühe Kirchen im östlichen Alpengebiet.Von der Spätantike bis in ottonische Zeit, 2 vols., ed. Hans Rudolf Sennhauser (Bayerische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse. Abhandlungen, vol. 123), Munich 2003, vol. 1, pp. 9–221, esp. pp. 9–43 and 72 f.  9 Vgl. Sennhauser 2003 (as note 8), pp. 38 f. and 81–85. 10 See Richard Hodges: Light in the Dark Ages. The Rise and Fall of San Vincenzo al Volturno, London 1997, pp. 118–143. 11 Vorromanische Kirchenbauten. Katalog der Denkmäler bis zum Ausgang der Ottonen, 2 vols., ed. Friedrich Oswald et al. (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte, vol. 3), Munich 1966/91, vol. 2, p. 119. 12 See Oswald 1966/91 (as note 11), vol. 2, pp. 225 f. 13 See Oswald 1966/91 (as note 11), vol. 2, p. 422. 14 See Oswald 1966/91 (as note 11), vol. 1, p. 285; vol. 2, p. 349. 15 See Oswald 1966/91 (as note 11), vol. 1, p. 379. 16 See Oswald 1966/91 (as note 11), vol. 1, p. 381; vol. 2, p. 464.

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are Benedictine churches, either within monastic complexes or belonging to the Benedictines. Perhaps the relationship between this type of the churches and the monastic congregation is an issue worth further studies devoted to determining the original function of the Church of St. John the Baptist in Giecz. In Phase 2 of its functioning, the church was rebuilt both in the eastern part and to the west. The changes in the eastern choir included reinforcing the foundations with a stone band along the eastern walls, the corners of the building and the apse. Besides, before the ,band‘ was embedded, an additional entrance from outside was added. It had a semi-circular arch (Abb. 56). Within the crypt itself, the connection of the northern corridor to the main chamber was walled up. In this way, the area to the north-east of the church was directly connected to the nave of the building, skirting around the crypt. This new passageway had a vault, which is confirmed by its remains found in situ as well as collapsed fragments. A three-element tower massif with a central part on a square plan (ca. 5 x 5m) was added to the west wall of the church. The ground floor of this structure was connected to the nave by means of a narrow passage laid on the axis of the church. The square part was flanked by two circular towers, of which the remnants of the foundations of the northern tower were much better preserved, because a fragment of the circuit wall, a lower part of the circular pillar supporting the staircase and the lowest stair thereof were revealed (Abb. 57). During the excavations, no traces of an entrance in the western massif were discovered, which may testify that the original entrance located on the axis from the west and once used as a connection between the church and the stronghold ceased to exist. It may be assumed that in Phase 2 the entrance to the church was situated in the southern elevation. At present, there is no clear reconstruction of the body of the church in Phase 2. Undoubtedly, the crypt, which at that time occupied only the middle and southern parts, still served its liturgical functions, since some traces of a few coats of the flooring testify to its long operation and repairs. Transformations carried out in the crypt elude any considerations concerning its origin or typology. The preserved remnants attest to a utilitarian character of the introduced changes. From the aesthetic perspective, they disrupted the symmetry of the crypt and eliminated ,circular traffic‘, which meant entering the crypt through one door and leaving it through the other. After the rebuilding, the spatially limited crypt was connected with the nave of the church only with the southern corridor. There is no doubt that it was a significant change, which also concerned the celebration of liturgy. Does it mean that any relics were never deposited in it, or that the deposited relics disappeared, and as a result, the crypt itself no longer played such a significant role in providing contact for the faithful and the pilgrims with them? We also do not know whether the space from which the additional entrance was constructed in the eastern wall was confined (forming a part of the annex), or open. It is difficult to say what the purpose of this additional entrance in the eastern wall was and why it connected the outer

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Abb. 56: Phase 2. The secondary entrance to the crypt from the north-east area outside the church.

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Abb. 57: Remains of the stone pillar in the centre of the circular northern tower.

space with the nave. Therefore, the key problem is to determine the character of this space and its relation to the church. What was so important on the north-eastern side of the church that it was worthwhile to undertake such an extensive rebuilding and to reduce the functioning of the crypt? The research which is currently underway aims, among others, to find answers to these questions. We can, in fact, reconstruct the building process, but we cannot define its causes. Another uncertainty is the form of the western massif. The conducted archaeological soundings make it possible at present to give a clear answer to the question whether the dominant element in it was the square part on the axis, or the two circular towers situated on the sides, but the existence of the staircase in the northern tower confirms the presence of at least two storeys in the middle section. It is difficult to speculate over the detailed forms and proportions due to the lack of sufficient architectural and archaeological data. The church in Giecz was equipped with the element distinctly accentuating the end of the building, being, to some degree, a compositional counterbalance to the two-level choir with the crypt. It is worth emphasizing again that the lack of the door in the western wall of the massif eliminates the function of the square part of the ground floor as an ante-­ chamber enclosing the main portal. The ground floor of the central part of the massif was

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a confined space, separated from the nave with the solid wall of the old façade, with a narrow passage linking both interiors. Therefore, one cannot rule out the possibility that above the ground floor there was a liturgical western choir, which was open to the nave, making the church a bi-polar structure. The most characteristic element of the massif of the Church of St. John the Baptist is a juxtaposition of the square central part and the two circular towers flanking it from the north and the south. This form is not exceptional. It refers to the Carolingian and Ottonian churches whose design of the western massifs can be derived from the Benedictine abbey church of St. Riquier (Centula), or the chapel of the residence of Charlemagne in Aachen.17 In these buildings the central tower had a rectangular or square projection, and square, octagonal or cylindrical side towers had different height in relation to the central part.18 In the known examples from the tenth and eleventh centuries their diameter was clearly smaller than the one of the central tower, their height was frequently bigger. Taking into considerations only the massifs with side towers on a circular plan (with two or one) one can mention the most important constructions from the Rhineland and the valley of the Meuse (St. Gudula in Brussels, St. Hadelin in Celles-sur-Lesse,19 St. Gangulfin Florennes,20 St. Feuillen in Fosse-la-Ville,21 St. Guibert in Gambloux,22 St. Peter in Hastiere,23 St. Aposteln in Cologne, St. John in Liège, Church of the Blessed Virgin Mary in Maas17 See Aneta Bukowska: Masyw zachodni w architekturze wczesnopiastowskiej, in: Janiak / Stryniak 2004 (as note 4), pp. 349–361. 18 It is impossible in this short article to discuss the complicated issues of the form of the three-tower Carolingian and Ottonian western massifs. Aneta Bukowska: Najstarsza katedra w Poznaniu. Problem formy i jej genezy w kontekście architektury około roku 1000 (Studia z historii sztuki średnowiecznej Instytutu Historii Sztuki Uniwersytetu Jagiellońskiego, vol. 3), Cracow 2013, pp. 165–221, has recently dealt with them. Their layout varied in terms of projection, form and function. It is worth emphasizing here that between towers with staircases there were not only multi-layered structures housing, for example, a crypt, a western choir and a gallery. One type is characterized by the forms, in which on the lower level there was an antechamber preceding the entrance to the nave. It seems, however, that for now this variant of reconstruction of the church in Giecz can be ruled out. 19 See Hans Erich Kubach / Albert Verbeek: Romanische Baukunst an Rhein und Maas, 4 vols., Berlin 1976/89, vol. 4, pp. 143–147. 20 See Kubach / Verbeek 1976/89 (as note 19), vol. 4, pp. 143–147. – Oswald 1966/91 (as note 11), vol. 2, pp. 121 f. 21 See Jean Mertens / Suzanne Clerx: Fosse. Recherches archéologiques dans la collégiale Saint-Feuillen, in: Bulletin de la Commission Royal des Monuments et des Sites 4 (1953), pp. 133–184. – Alain Dierkens: Fosses-la-Ville. L’ancienne collegiale Saint-Feuillen, in: Le Patrimoine medieval de Wallonie, ed. Julien Maquet, Namur 2005, pp. 33 f. 22 See Kubach / Verbeek 1976/89 (as note 19), vol. 4, pp. 143–147. – Oswald 1966/91 (as note 11), vol. 2, p. 136. 23 See Alain Dierkens: Abbayes et Chapitres entre Sambre et Meuse (VIIe–XIe siècles). Contribution à l’his­ toire religieuse des campagnes du Haut Moyen Âge (Beihefte der Francia, vol. 14), Sigmaringen 1985.

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tricht, St. Martin and St. Severus in Münstermaifeld,24 St. Chrysanthus in Münstereifel,25 Church of the Holy Cross in Oberkaufungen,26 St. Michael in Thorn,27 Worms Cathedral dedicated to St. Peter (where two circular towers flanked the western apse),28 in Bavaria (St. Gallus in Brenz,29 the rotunda beneath the cathedral in Eichstätt30), and also a few in Westphalia and Saxony (St. Peter in Möllenbeck,31 Paderborn Cathedral dedicated to Saint Mary, Saint Kilian and Saint Liborius,32 St. Boniface in Freckenhorst,33 St. Cyriakus in Gernrode,34 St. Servatius in Quedlinburg35). One of the striking features of the church in Giecz is the proportion of the elements of the massif recognizable in the horizontal projection. The diameter of the side towers was 1.2 m longer than the side of the square part and only their circular form at the base itself can be reconstructed with certainty. Among the abovementioned examples, only in the case of the massif of St. John in Liège the proportions of the towers are closer to the dimensions of the church in Giecz. Due to the lack of the data any reconstruction of this part of the building must be alternative. In both possible variants with the central part higher or lower than the cylindrical towers, the size of the latter is surprising and St. John distinguishes itself among other buildings. In addition, it should be noted that the above mentioned massifs are associated with basilicas and not with aisleless churches. Thus, after the rebuilding, the Church of St. John the Baptist in Giecz presents an unusual combi­ nation of a single-nave building with a western three-tower massif, in which a specific horizontal projection with exceptional proportions of the towers was applied. The above examples are mainly monastic churches. Again, the clues point to the Benedictine churches in the Rhineland. The up-to-date research makes it possible to distinguish two main phases in which the Church of St. John the Baptist in Giecz functioned. Perhaps, each of them consisted of successive building stages. They are recognizable both in the archaeological layers outside 24 See Kubach / Verbeek 1976/89 (as note 19), vol. 4, pp. 143–147. 25 See Kubach / Verbeek 1976/89 (as note 19), pp. 132–137. – Oswald 1966/91 (as note 11), vol. 2, pp.  294 f. 26 See Oswald 1966/91 (as note 11), p. 314. 27 See Kubach / Verbeek 1976/89 (as note 19), vol. 4, pp. 143–147. 28 See Oswald 1966/91 (as note 14), vol. 1, pp. 378 f. 29 See Oswald 1966/91 (as note 14), vol. 1, p. 44; vol. 2, pp. 68 f. – In 895, a charter granted to the Benedictine monastery of Sankt Gallen is confirmed. The dedication to St. Gallus comes from the same year. 30 See Oswald 1966/91 (as note 11), vol. 2, pp. 107–110. 31 See Oswald 1966/91 (as note 11), vol. 2, p. 286. 32 See Oswald 1966/91 (as note 11), vol. 2, pp. 323 f. 33 See Oswald 1966/91 (as note 11), vol. 2, pp. 126–128. 34 See Oswald 1966/91 (as note 11), vol. 2, pp. 143 f. 35 See Oswald 1966/91 (as note 11), vol. 2, pp. 332 f.

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the church and in the successive levels of its functioning inside the building as well as in the various building materials used in the construction process and in its architectural transformations. Another problem is the chronology of these transformations. The dating based on archaeological methods proposed by Teresa Krysztofiak indicates that the church was erected in the first decades of the eleventh century,36 whereas its rebuilding took place in the middle of that century. In the course of the current research we intend to carry out radiocarbon dating analyses of the mortar and the bone material obtained in the excavations as well as other necessary physico-chemical and paleobotanical studies, which in all likelihood will bring additional data. At the present stage of research, any comparative material concerning the form of the church in Giecz in Phase 2 of its functioning must be restricted to general features, which do, however, point to the widely understood Rhineland areas as the place of its origin. Since no fully reliable reconstruction of the tower massif and the north-eastern part can be presented, one should, for the time being, refrain from drawing any far-reaching conclusions. But there is no doubt that the church was unique and exceptional against the background of the known stone architecture in the Piasts’ state. Both its individual parts and the entire structure create a fully coherent whole. In the Piasts’ lands, we will find neither similarly constructed crypts,37 nor a western massif with such a layout, nor another church with such a rich spatial composition. All this is indicative not only of a high status of the founder, but also testifies to his or her intention of building a unique church. Besides St. Gereon on the Wawel Hill, it is one of the most mysterious churches, whose history and function are not easy to reconstruct. The above analysis of the forms makes it possible to ask many questions, which may be answered after completing the excavations in situ and doing more theoretical research, but in some cases we can already draw a few conclusions: 1. The Church of St. John the Baptist was erected as a single-nave building with a crypt. This layout is relatively rare in the architecture from the eighth century to the ninth century and it is primarily associated with the black monks. Can the church in Giecz also be associated with the Benedictines? 2. The original form of the crypt points to its function as a place for housing a reliquary. Was the Church of St. John the Baptist therefore erected to worship the relic of a saint? Was this saint a Benedictine monk? Was the church intended to enshrine the relics of St. Bruno of Querfurt or the Five Holy Martyrs of Miedzyrzecz? 3. Why either in the relevant sources or in the liturgical tradition of Giecz are there no traces of this cult? 36 See Krysztofiak 2010 (as note 4), p. 142. 37 See Marta Graczyńska: Krypta w dobie pierwszych Piastów – typologia i geneza formalno-stylowa, in: Janiak / Stryniak 2004 (as note 4), pp. 363–372.

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4. If the building, in some way, was associated with the Benedictines, why then was the church dedicated to St. John the Baptist and not to a saint bound to this order? Is it because the earlier church under the same patronage and whose enshrined relics might confirm it was later taken over by the Benedictines? 5. What other buildings were situated in its direct vicinity? Archaeological soundings and observations of the terrain point to the built-up area to the south-east of the church, not to mention the building whose solid corner and the wall are located 2m to the west of the tower massif. Were they monastic buildings or were they associated with the seat of the castellan? Or both? 6. The form of the reliquary crypt points to a distant Carolingian origin and perhaps it can be related to the reception and transformations of corridor crypts, which took place in the tenth and eleventh centuries. It is possible that its layout was influenced by the so-called crypts with a western corridor, which were still present in the architecture of northern Italy in the first half of the eleventh century. But the aisleless churches with crypts beneath the eastern choir from the turn of the tenth century were being erected in another part of the Ottonian Empire: in the Rhineland (Cologne, Trier, Worms), in Thuringia (Rohr) or Baden-Württemberg (Esslingen). Western massifs with circular towers equipped with staircases also originated from the Rhineland and it is there, where one can encounter most of these examples. 7. The dating by archeological context as well as the analysis of the form of the Church of St. John the Baptist indicate that its founder was likely to be Bolesław I the Brave or his son Mieszko II Lambert. Political ties of the former with the Rheinland were extensive and eventually they were sealed with the marriage of the heir to the throne and Richeza of Lotharingia, who was a niece of the Emperor and a daughter of the Ezzo, also called Ehrenfried, Count Palatine of Lotharingia. In 1025, Richeza was crowned Queen of Poland and as a result, she became the strongest link between the Piast court and Cologne. The relations between Bolesław I the Brave and the Ezzonen dynasty resulted in the establishment of artistic contacts, also in the field of architecture. The foundation of the Church of St. John the Baptist in Giecz might be related to the deposition in the crypt of the relics of the monks from the hermitage in Mestris, who were brought in to Poland by Bolesław or of Saint Bruno of Querfurt, who was to follow in the steps of Saint Adalbert of Prague. 8. At the present stage of research it can also be assumed that it was Casimir I the Restorer, grandson of Bolesław I the Brave and son of Mieszko II Lambert and Richeza who initiated the rebuilding of the church. After the collapse of the first monarchy and his escape to Hungary, Casimir and his mother Richeza came to the Rheinland, from where, with the Emperor’s military and financial support, he returned to Poland. Casimir I the Restorer went down in history as the ruler who overcame the political and military crisis of the young state. He also restored the functioning of the impoverished

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bishoprics and supported religious foundations, as evidenced by the establishment of the abbey in Tyniec in 1044. One can suppose that the addition of the tower massif to the body of the Church of St. John the Baptist was a continuation of the foundation activities in Giecz started by his grandfather or father. The Rheinland features of the massif can probably be viewed as the result of Casimir’s personal experience or the use of the models he knew thanks to his mother, Queen Richeza. 9. The Church of St. John the Baptist in Giecz is – next to St. Gereon’s cult on the Wawel Hill, the Codex Egberti and the Tyniec Sacramentarium or the remnants of the abbot’s crozier from a grave in Tyniec – the most spectacular confirmation of the poli­ tical and artistic contacts of the Piast court with the Rheinland milieu in the eleventh century. The uniqueness of this building as well as the scale of the changes introduced over time in its structure and composition, testify not only to the importance and the extension of this investment, but also to the major role of Giecz in the Piasts’ state, which did not end with the invasion of Břetislav I, Duke of Bohemia. The stone remains carry a message that is still elusive and not fully understood, because the answers to the basic questions concerning the function of the church are shrouded in mystery.

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Abbildungsnachweis

Abb. 1: Aus: Adolph Goldschmidt: Elfenbeinskulpturen aus der Zeit der karolingischen und sächsischen Kaiser 8.–11. Jahrhundert (Die Denkmäler der deutschen Kunst), Bd. 1, Berlin 1914, Tafel XLVII. Abb. 2–7: Foto: Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau. Abb. 8–14, 16, 17: Staatliche Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz – Kupferstichkabinett (Jörg P. Anders, Volker-H. Schneider, Hanka Gerhold). Abb. 15: Erzbischöfliche Akademische Bibliothek Paderborn (Hans-Walter Stork). Abb. 18, 19, 21, 24: Morgan Library & Museum New York (Graham Haber). Abb. 20, 22, 23, 25: Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek Köln. Abb. 27, 30, 32, 33, 39, 43: Aneta Bukowska. Abb. 28: W. Stępień. Abb. 29: Mateusz Łastowiecki, Klementyna Żurowska. Abb. 31: Klementyna Żurowska, Teresa Rodzińska-Chorąży, T. Węcławowicz. Abb. 34: M. Jóźwikowska. Abb. 35: Sebastian Ristow unter Verwendung der Befundaufnahme von Markus Blaich. Grafik: architectura virtualis 2017. Abb. 36: Hanna Kóčka-Krenz. Abb. 37: K. Żurowski. Grafik: Aneta Bukowska. Abb. 38: Archäologische Station auf dem Wawel / Klementyna Żurowska. Grafik: Aneta Bukowska. Abb. 40, 42: Grafik: Aneta Bukowska auf der Grundlage von Janusz Firlet und Zbigniew Pianowski. Abb. 41a, 46: Königsschloss Wawel. Abb. 41b, 45, 48, 49: Institut für Kunstgeschichte, Jagiellonen-Universität Krakau. Abb. 47: Klementyna Żurowska. Abb. 50, 52, 55–57: Teresa Krysztofiak. Abb. 51, 54: Tomasz Siuda. Abb. 53: Foto: Tomasz Siuda. Grafik: Teresa Krysztofiak. Für die Einwerbung der Bildrechte zeichnen die Autoren der jeweiligen Beiträge verantwortlich. Sollten bestehende Rechte irrtümlich nicht angemessen berücksichtigt worden sein, so bitten wir um freundlichen Hinweis.

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Farbtafeln

Die folgenden Farbtafeln 1–80 zeigen alle Seiten des Sakramentars aus Tyniec, die Bilder, Zierinitialen und Zierschriften enthalten. Um einen angemessenen Eindruck der Handschrift zu vermitteln, wurden immer die jeweiligen Doppelseiten abgebildet. Die Größe der Seiten ist im Druck gegenüber dem Original etwas verkleinert. Der Buchblock des Sakramentars aus Tyniec misst etwa 28,5 x 22,4 cm. Das Sakramentar aus Tyniec liegt heute als Depositum der Biblioteka Ordynacji Zamoys­kich in der Polnischen Nationalbibliothek Warschau / Biblioteka Naradowa Warszawa unter der Signatur BOZ 8.

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