Das Musterfeststellungsverfahren zur Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche [1 ed.] 9783737012072, 9783847112075


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German Pages [217] Year 2020

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Das Musterfeststellungsverfahren zur Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche [1 ed.]
 9783737012072, 9783847112075

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Schriften zum Verbraucherschutz- und Wettbewerbsrecht

Band 5

Herausgegeben von Professor Dr. Haimo Schack, Kiel, Ehemaliger Direktor des Instituts für Europäisches und Internationales Privat- und Verfahrensrecht

Johanna Schöning

Das Musterfeststellungsverfahren zur Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche

V&R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Studienstiftung ius vivum. © 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2198-5308 ISBN 978-3-7370-1207-2

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einführung . . . . . . . . . A. Problemdarstellung . . B. Forschungsstand . . . . C. Gang der Untersuchung

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1. Kapitel: Kollektiver Rechtsschutz und verbraucherorientiertes private enforcement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Grundlagen kollektiver Rechtsschutzmechanismen . . . . . . . . . . I. Begriffsbestimmung und Eingrenzung des Themas . . . . . . . II. Verfahrenszweck und -ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfahrenszweck und -ziele eines Zivilprozesses im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zweck und Ziele des kollektiven Rechtsschutzes . . . . . . III. Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abhängigkeit von der Art des Kollektivschadens . . . . . . a) Serien- oder echte Massenschäden . . . . . . . . . . . b) Bagatell- und Streuschäden . . . . . . . . . . . . . . . 2. Interessen des Klägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Interessen des Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Interessen der Prozessbevollmächtigten . . . . . . . . . . . 5. Überindividuelle Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Arten kollektiver Rechtsschutzinstrumente . . . . . . . . . . . 1. Verbandsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gruppen- und Sammelklage . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Musterprozess und -klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sonstige Bündelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Rechtsschutzinstrumente vor Einführung der Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

1. Bündelungsmöglichkeiten der ZPO . . . . . . . . . . . . . a) Streitgenossenschaft, §§ 59ff. ZPO . . . . . . . . . . . b) Nebenintervention, §§ 66ff. ZPO . . . . . . . . . . . . c) Streitverkündung, §§ 72ff. ZPO . . . . . . . . . . . . . d) Verfahrensverbindung, § 147 ZPO . . . . . . . . . . . e) Aussetzung des Verfahrens, § 148 ZPO . . . . . . . . . f) Ruhen des Verfahrens, § 251 ZPO . . . . . . . . . . . . 2. Musterprozessabrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Musterprozessabrede zwischen den Geschädigten . . . b) Musterprozessabrede zwischen Geschädigten und Schädiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Spezialgesetzliche Verbandsklagen . . . . . . . . . . . . . . a) Verbandsklagen nach UKlaG . . . . . . . . . . . . . . b) Verbandsunterlassungs- und Gewinnabschöpfungsklage nach GWB . . . . . . . . . c) Verbandsunterlassungs- und Gewinnabschöpfungsklage nach UWG . . . . . . . . . d) Verbandseinziehungsklage, § 8 Abs. 1 Nr. 4 RDG, § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gewillkürte Prozessstandschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Abtretungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) GbR als Interessengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . b) Abtretungsmodell bzw. Forderungskauf als Geschäftsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zulässigkeit nach dem RDG . . . . . . . . . . . . . . . aa) Inkasso- als Rechtsdienstleistungen, § 2 Abs. 2 S. 1 RDG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Keine fremde Forderung, § 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 RDG . . (2) Einziehung auf fremde Rechnung, § 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 RDG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Eigenständiges Geschäft, § 2 Abs. 2 S. 1 RDG . . . . . . bb) Ausnahme nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG? . . . . . . (1) BGH NJW 2020, 208 wenigermiete.de . . . . . . . . . . (2) Uneinigkeiten bei den Instanzgerichten . . . . . . . . . d) Sittenwidrigkeit der Abtretung . . . . . . . . . . . . . 6. Klägeranwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Musterverfahren nach dem KapMuG . . . . . . . . . . . . a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorlageverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Kapitel: Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht . . . . . . . . . . A. Die Musterfeststellungsklage als kollektives Rechtsschutzinstrument I. Einordnung der Musterfeststellungsklage in das System kollektiven Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ziele der Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . B. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeine Anwendbarkeit auf den Zivilprozess . . . . . . . . II. Verbraucheransprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausländische Verbraucheransprüche . . . . . . . . . . . . . . 1. Musterfeststellung von ausländischen Verbraucheransprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anmeldung ausländischer Verbraucher . . . . . . . . . . . 3. Erfordernis eines einheitlichen Anspruchsstatuts? . . . . . a) Anspruchsstatut der Musterfeststellungsziele und Musteransprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anspruchsstatut der übrigen angemeldeten Ansprüche 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bedeutung für kartellrechtliche Schadensersatzklagen . . . . .

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bb) Musterverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Abschluss der Individualverfahren – Wirkung des Musterentscheids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Bedürfnis von Verbrauchern nach kollektivem Rechtsschutz im Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schädigungspotential ausgewählter kartellrechtswidriger Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Horizontale Kernbeschränkungen . . . . . . . . . . . b) Vertikale Abreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung . . 2. Kollektiver Rechtsschutz neben kartellbehördlichen Feststellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bedürfnis neben § 33b GWB . . . . . . . . . . . . . . aa) Anwendungsbereich des § 33b S. 1 GWB . . . . . . . bb) Reichweite der Bindungswirkung . . . . . . . . . . . cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bedürfnis neben § 90 Abs. 2 und Abs. 5 S. 1 GWB . . 3. Bedürfnis neben individuellen follow-on-Klagen . . . . .

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Inhalt

V.

KMU als Anmelder einer Musterfeststellungsklage? . . . . . . 1. Prägende Stellung von KMU . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kartellrechtliche Privilegierung von KMU . . . . . . . . . . 3. Privilegierung von KMU in anderen Rechtsgebieten . . . . 4. Unvereinbarkeit mit der Musterfeststellungsklage . . . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeine sachliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . II. Allgemeine örtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zuständigkeit für kartellrechtliche Musterfeststellungsklagen . 1. Kollision zwischen §§ 119 Abs. 3 GVG, 32c ZPO und §§ 87ff. GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unterschiedliche erstinstanzliche Zuständigkeiten und Instanzenzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Spezialisierte Spruchkörper und Gerichte . . . . . . . . c) Auflösung der Kollision . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kein Vorrang durch Auslegung . . . . . . . . . . . . . bb) Kein Vorrang nach allgemeinen Kollisionsregeln . . . cc) Kompromisslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Oberlandesgericht als Eingangsinstanz . . . . . . . . . (2) Kartellsenat bzw. Kartell-Oberlandesgericht . . . . . . (a) Gründe für die funktionelle Zuständigkeit des Kartellsenates bzw. Kartell-Oberlandesgerichts . . . . (b) Auslegung von § 32c ZPO und Analogie zu §§ 91 S. 2, 95 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte keine Anmeldungsvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sachverhalte mit Auslandsbezug unter der Brüssel Ia-VO . a) Allgemeiner Gerichtsstand, Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gerichtsstand der Niederlassung, Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gerichtsstand des Erfüllungsortes, Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gerichtsstand der unerlaubten Handlung, Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Handlungsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erfolgsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Gerichtsstand der passiven Streitgenossenschaft, Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Verbrauchergerichtsstand, Art. 17ff. Brüssel Ia-VO . . g) Gerichtsstandsvereinbarung, Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Zwischenergebnis: Internationale Zuständigkeit für Musterfeststellungsklagen nach der Brüssel Ia-VO . . . 3. Sachverhalte mit Auslandsbezug außerhalb des Anwendungsbereichs der Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . 4. Internationale Zuständigkeit für die anschließenden Leistungsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Keine Klagebefugnis de lege ferenda für das Bundeskartellamt . . . E. Feststellungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsfragen als Feststellungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . III. Sachentscheidungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Feststellungsziele bei kartellrechtlichen Musterfeststellungsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Internationale Zuständigkeit für Individualklagen . . . . . 2. Kartellverstoß und dessen Reichweite . . . . . . . . . . . . a) Kartellrechtliche stand-alone-Musterfeststellungsklage b) Kartellrechtliche follow-on-Musterfeststellungsklage . 3. Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Individuelle Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Betroffenheit von Verbrauchern . . . . . . aa) Feststellungen in Bezug auf konkrete Erwerbskonditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Feststellungen im Hinblick auf Preisschirmeffektgeschädigte . . . . . . . . . . . . . . c) Mittelbare Feststellungen über die individuelle Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Haftungsbegründende Kausalität . . . . . . . . . . . . . . 5. Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Schadenseintritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine entgegenstehende Bindungswirkung nach § 33b GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kein Entgegenstehen der Schadensvermutung nach § 33a Abs. 2 S. 1 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Keine Feststellungen zum konkreten Schadenseintritt .

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10 d) Allgemeine Musterfeststellungen zum Schadenseintritt e) Feststellungen zur Schadensabwälzung . . . . . . . . . 7. Schadenshöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine entgegenstehenden Regelungen des GWB . . . . b) Kein Entgegenstehen von Stellungnahmen des Bundeskartellamtes nach § 90 GWB . . . . . . . . . . c) Keine Feststellungen zur konkreten Schadenhöhe . . . d) Allgemeine Feststellungen zur Schadenshöhe und zur Schadensberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Feststellungen zur Schadensschätzung nach § 287 ZPO 8. Haftungsausfüllende Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . 9. Rechtsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Feststellung über Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Mitverschulden des Verbrauchers . . . . . . . . . . . . . . 12. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Verwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Feststellung über das anwendbare Recht . . . . . . . . . . V. Unterteilung der Anmelder in »Unterklassen« . . . . . . . . . VI. Negative Feststellungsziele und Gegenanträge des Beklagten . 1. Hinwirken des Gerichts auf umfassende Klärung, § 610 Abs. 4 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kein Antragsrecht des Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . 3. Keine Musterfeststellungswiderklage des Beklagten . . . . a) Rechtshängigkeit der Hauptklage . . . . . . . . . . . . b) Eigener Streitgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Identität der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Konnexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Dieselbe Prozessart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Entgegenstehender Anspruch der Verbraucher auf rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Keine analoge Anwendung von § 15 KapMuG . . . . . . . a) Regelungslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Planwidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Keine vergleichbare Interessenlage . . . . . . . . . . . VII. Ergebnis zu den Feststellungszielen . . . . . . . . . . . . . . . F. Anmeldungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bekanntmachung der Musterfeststellungsklage, § 607 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anmeldung, § 608 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

1. Keine inhaltliche Prüfung vor Eintragung in das Klageregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wirkung der Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fehler bei der Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Quorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Dritte im Musterfeststellungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . I. Streitgenossenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Streitgenossenschaft auf Klägerseite . . . . . . . . . . . . . 2. Streitgenossenschaft auf Beklagtenseite . . . . . . . . . . . a) Anwendbarkeit der §§ 59ff. ZPO in einem Musterfeststellungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Voraussetzungen einer passiven Streitgenossenschaft im Musterfeststellungsverfahren . aa) Rechtsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Berechtigung bzw. Verpflichtung aus identischem oder gleichartigem Grund . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zulässigkeit der objektiven Klagehäufung analog § 260 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Dieselbe Prozessart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zuständigkeit des Prozessgerichts für sämtliche Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Relevanz der Feststellungsziele . . . . . . . . . . . . . ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Streitverkündung und Nebenintervention . . . . . . . . . . . . 1. Anhängiger eigenständiger Rechtsstreit . . . . . . . . . . . 2. Streitverkündung nicht von oder gegenüber Anmeldern . . 3. Streitverkündungs- bzw. Interventionsgrund . . . . . . . . a) Keine Beteiligung in Ausgangsverfahren vor der Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Interesse am Beitritt trotz fehlender Möglichkeit des Obsiegens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beteiligung des Bundeskartellamts an einem Musterfeststellungsverfahren gemäß § 90 GWB . . . . . . . . . H. Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens . . . . . . . . . . . . I. Vergleich, § 611 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vergleichsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Interessenlage bei Vergleichsverhandlungen . . . . . . aa) Klägerinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Beklagteninteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

II.

cc) Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Interessen der Anmelder . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gerichtliche Genehmigung, § 611 Abs. 3 ZPO . . . . . c) Zustellung, § 611 Abs. 4 S. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . d) Austritt, § 611 Abs. 4 S. 2 bis 4 ZPO . . . . . . . . . . . e) Wirksamkeit und Beschluss, § 611 Abs. 5 ZPO . . . . . 2. Wirkung des Vergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vollstreckung aus dem Vergleich . . . . . . . . . . . . . . a) Vollstreckung durch die Vergleichsparteien . . . . . . b) Vollstreckung durch die angemeldeten Verbraucher? . 4. Haftungserleichterung nach § 33f GWB, Art. 19 SE-RL . . a) Haftung des Vergleichsschließenden nach § 33f GWB . aa) Keine Haftung für den eigenen Anteil . . . . . . . . . . bb) Grundsätzlich keine Haftung für den Anteil der Mitschädiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Ausnahme der Ausfallhaftung . . . . . . . . . . . . b) Das Zusammenspiel von § 33f GWB und § 611 ZPO . aa) Keine direkte Anwendbarkeit auf den Musterfeststellungsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . bb) Analoge Anwendung von § 33f GWB auf den Musterfeststellungsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . c) § 33f GWB und ausgetretene Anmelder oder Nichtanmelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Musterfeststellungsurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bekanntmachungen des Musterfeststellungsurteils, § 612 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bindungswirkung, § 613 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beiderseitige Bindungswirkung bei Klageabweisung in der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG? . . . . . . . . . . . c) Faktische Bedeutung zugunsten von Nichtanmeldern . 3. Musterfeststellungen ergänzen kartellbehördlichen Feststellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsmittel, § 614 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Anerkennung der Bindungswirkung eines Musterfeststellungsurteils im Ausland . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz der Anerkennung innerhalb der EU . . . . b) Anerkennung trotz fehlender internationaler Zuständigkeit für die Folgeklage? . . . . . . . . . . . .

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13

Inhalt

aa) Kein Ordre public-Verstoß iSv Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das deutsche Recht entzieht nicht die Rechtskraft . . . cc) Keine Ausnahme vom Verbot der Nachprüfbarkeit des Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . J. Kosten und Haftungsrisiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Streitwertanpassung nach § 89a GWB in einem Musterfeststellungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Notwendigkeit des § 89a GWB bei einer Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Musterfeststellungsverfahren im Anwendungsbereich des § 89a GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geltendmachung kartellrechtlicher Ansprüche . . . . . 3. Kein entgegenstehender Wille des Gesetzgebers . . . . . . 4. Wirtschaftliche Lage der klagebefugten Einrichtung . . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Haftung des Musterfeststellungsklägers . . . . . . . . . . . . . K. Verhältnis der Musterfeststellungsklage zu anderen deutschen Kollektivverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verhältnis mehrerer Musterfeststellungsklagen zueinander . . II. Verhältnis zur Gewinnabschöpfungsklage nach § 34a GWB . . III. Verhältnis zu Verbandsklagen nach dem UWG und UKlaG . . IV. Verhältnis zum Verfahren nach dem KapMuG . . . . . . . . . 3. Kapitel: Die Musterfeststellungsklage und die Kronzeugenprivilegierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Auswirkung von Musterfeststellungsklagen auf die Kronzeugenprivilegierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Auswirkung der Kronzeugenprivilegierung auf die Effektivität von Musterfeststellungsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unmittelbare Abnehmer des Kronzeugen als Anmelder . . . II. Mittelbare Abnehmer des Kronzeugen als Anmelder . . . . . III. Unmittelbare und mittelbare Abnehmer als Anmelder einer gemeinsamen Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . IV. Abnehmer und Lieferanten der Mitkartellanten als Anmelder V. Preisschirmeffektgeschädigte als Anmelder . . . . . . . . . .

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Inhalt

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4. Kapitel: Internationaler Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Länderberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gruppenvergleich (WCAM) . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sammelklage und WAMCA für kollektive Schadensersatzklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verbandsmusterklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Richterrechtliche »Sammelklage« als objektive Klagehäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Entwicklungen auf europäischer Ebene: New Deal for Consumers I. Anwendungsbereich der Verbandsklage und Bedeutung für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche . . . . . . . . . . II. Klagebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Klageziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Grenzüberschreitende Verbandsklagen . . . . . . . . . . . . 5. Kapitel: Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Bewertende Zusammenfassung: Kartellrechtliche Musterfeststellungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bedürfnis neben § 33b GWB . . . . . . . . . . . . . II. Kartellrechtliche Musterfeststellungsziele . . . . . . III. Grenzüberschreitende Musterfeststellungsverfahren IV. Verstärkte Vergleichsanreize . . . . . . . . . . . . . V. Begrenzte Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Mehrpersonenkonstellationen . . . . . . . . . . . . VII. Beteiligung des Kartellamtes . . . . . . . . . . . . . VIII. Überwindung des rationalen Desinteresses . . . . . B. Verbesserungsvorschläge für kartellrechtliche Musterfeststellungsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Verbesserung sonstiger Rechtsschutzinstrumente für kartellrechtliche Schadensersatzklagen . . . . . . . . . . . I. Gewinnabschöpfungsklage . . . . . . . . . . . . . . II. Vermehrte und frühzeitige Einbeziehung des Bundeskartellamtes in Zivilprozesse . . . . . . . . .

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15

Inhalt

III.

Abtretungsmodell und Einziehungsklage – Kombination mit dem Musterfeststellungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . Ansprüche aus § 33 g GWB auch für Verbraucherverbände? . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

197 198 199

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

201

IV. V.

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2020 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universita¨ t zu Kiel als Dissertation angenommen. Sie entstand während meiner Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Herrn Prof. Dr. Joachim Jickeli. Ihm danke ich ganz besonderes für die hervorragende Betreuung meiner Arbeit. Die Zeit an seinem Lehrstuhl war sehr lehrreich und wertvoll. Herrn Prof. Dr. Haimo Schack, LL.M. (Berkeley) danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens sowie für die Seminare und Exkursionen, an denen ich während meines Studiums und meiner Promotionszeit teilnehmen durfte. Der Studienstiftung ius vivum danke ich für den großzügigen Druckkostenzuschuss. Bedanken möchte ich mich auch bei meiner langjährigen Kollegin am Lehrstuhl Frau Dr. Mareen Katt für ihr immer offenes Ohr für mich. Für die schöne Zeit und die Flexibilität danke ich meinen Kollegen aus der Kanzlei. Mein inniger Dank gilt Herrn Dr. Marius Tillwich, der mich bedingungslos unterstützt hat. Er hat mich immer ermutigt, meinen eigenen Weg zu gehen. Schließlich bedanke ich mich von Herzen bei meinen Eltern und Geschwistern für den Rückhalt und die Liebe, auf die ich immer habe zählen dürfen. Hamburg, im Juni 2020

Johanna Schöning

Einführung

Der Bundestag hat am 12. Juli 2018 das Gesetz zur Einführung einer Musterfeststellungsklage1 beschlossen, das seit dem 1. November 2018 in Kraft ist. Schnell folgten die ersten Klagen.2 Die Erwartung von 450 Musterfeststellungsklagen pro Jahr3 bestätigte sich im ersten Jahr jedoch nicht. Die Liste des Klageregisters über öffentlich bekannt gemachte Musterfeststellungsklagen zeigt 16 Monate nach Inkrafttreten nur acht Verfahren. Der Gesetzgeber führte mit der Musterfeststellungsklage ein neues allgemeines zivilprozessuales Instrument ein. Er geht davon aus, dass sich die Musterfeststellungsklage auch für Ansprüche aus Kartellrecht eignet, etwa um Bagatellund Streuschäden4 geltend zu machen. Musterfeststellungsklagen, die kartellrechtliche Schadensersatzansprüche zum Gegenstand haben, sind aus dem Klageregister bisher jedoch noch nicht ersichtlich. Bei den bisherigen Musterfeststellungsklagen geht es um Schadensbeträge von einer erheblichen wirtschaftlichen Größe.5 Ob sich die noch junge Musterfeststellungsklage für das private enforcement im Kartellrecht eignet, untersucht die vorliegende Arbeit.

1 Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage v. 12. 7. 2018, BGBl. 2018 I, S. 1151. 2 Am 1. 11. 2018 reichte der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) die erste Musterfeststellungsklage gegen die Volkswagen AG beim OLG Braunschweig ein. Den jeweiligen Verfahrensstand, Beschlüsse und weitere Informationen veröffentlicht das Bundesministerium für Justiz online; das Klageregister ist abrufbar unter: https://www.bundesjustizamt.de/DE/ Themen/Buergerdienste/Klageregister/Klagen. 3 BTDr. 19/2507, 3. 4 Zu den Begriffen s. unten S. 26f. 5 Zu dieser Einschätzung kommen auch Gängel NJ 2019, 378, 379 und Gansel VuR 2019, 1.

20

A.

Einführung

Problemdarstellung

Handeln Unternehmen kartellrechtswidrig, so werden meist die unmittelbaren Abnehmer betroffen und geschädigt. Aber auch die Verbraucher als Endabnehmer können unfreiwillige Vermögenseinbußen erleiden. Sie haben dann einen Ersatzanspruch gegen das handelnde Unternehmen, § 33a Abs. 1 GWB. Allerdings beträgt der Schaden des einzelnen Verbrauchers häufig nur wenige Euro. Ein Rechtsstreit ist aufwendig und teuer. Vernünftigerweise fragt sich ein Verbraucher, ob ein gerichtliches Verfahren überhaupt in einem angemessenen Verhältnis zu dem ihm entstandenen Schaden steht. Der Verbraucher reagiert meist mit rationalem Desinteresse, was verständlich und oft wirtschaftlich richtig ist. Für ein Unternehmen, das von einem Kartellverstoß profitiert, ist es von großem Vorteil, wenn die vielen geschädigten Verbraucher nicht klagen. Das gilt jedenfalls dann, wenn etwa ein zwischengeschalteter Händler aufgrund eines passing on an die Verbraucher keinen eigenen Schaden hat und daher selbst auch nicht klagen kann (§ 33c Abs. 1 S. 2 GWB). Bußgelder wegen Verstößen gegen das Kartellrecht kompensieren nicht die Schäden einzelner Endabnehmer. Selbst ein aufgedeckter Kartellverstoß zahlt sich also für Unternehmen insoweit aus, als es die Vorteile teilweise behält.6 Deshalb ist auch die Allgemeinheit daran interessiert, dass die Schäden gegen ein kartellierendes Unternehmen geltend gemacht werden und die rechtswidrig erlangten Gewinne nicht bei ihm bleiben. Dem einzelnen Verbraucher kann nicht zugemutet und aufgegeben werden, einen Bagatellschaden entgegen seinem rationalen Desinteresse durch eine Individualklage gegen das kartellrechtswidrig handelnde Unternehmen geltend zu machen, um so die Interessen der Allgemeinheit an einer effektiven Durchsetzung des Kartellrechts zu wahren. Vielmehr braucht es dafür effektive kollektive Rechtsschutzinstrumente. Der Gesetzgeber hat mit der Musterfeststellungsklage versucht, ein Kollektivverfahren zu schaffen, das diesen Rechtsschutz gewähren soll. Die vorliegende Untersuchung soll herausarbeiten, ob Verbraucher mittels Musterfeststellungsverfahren kartellrechtliche Schadensersatzansprüche gerichtlich effektiv geltend machen können. Dabei ist auf kartellrechtliche Besonderheiten einzugehen und zu prüfen, inwiefern sich diese in ein Musterfeststellungsverfahren integrieren lassen.

6 Helmdach Kronzeugeninformationen, S. 35.

Forschungsstand

B.

21

Forschungsstand

Die Literatur reagierte auf das Musterfeststellungsverfahren schnell mit den ersten Kommentaren. Weinland7 und Röthemeyer8 veröffentlichten noch im Jahr 2018 ihre jeweiligen Spezialkommentare zur Musterfeststellungsklage. Herausgeben von Nordholtz/Mekat9 folgte 2019 ein ausführlicher Kommentar. Die gängigen ZPO-Kommentierungen nehmen §§ 606–614 ZPO in ihre Neuauflagen auf. Zahlreiche Stellungnahmen und Aufsätze behandeln die Musterfeststellungsklage allgemein oder befassen sich mit Einzelfragen. Nur wenige Autoren fragen dagegen nach der Bedeutung der Musterfeststellungsklage für das Kartellrecht und besprechen kartellrechtliche Einzelfragen im Zusammenhang mit dem Musterfeststellungsverfahren. So beschäftigt sich Schäfers10 mit der sachlichen, örtlichen und funktionellen Zuständigkeit der Gerichte in kartellrechtlichen Musterfeststellungsverfahren. Die internationale Zuständigkeit bearbeitet er indes nicht, und viele Fragen zur Musterfeststellungsklage im Kartellrecht reißt er lediglich an, wie beispielsweise die Feststellungsziele und das Bedürfnis nach Musterfeststellungen neben der Bindungswirkung des § 33b GWB. Mallmann/Erne11 untersuchen, ob die Musterfeststellungsklage geeignet ist, Kartellschadensersatzansprüche effektiv durchzusetzen, und verneinen dies aufgrund der Musterfeststellung als Ergebnis eines Verfahrens. Mengden12 untersucht, ob eine follow-on-Musterfeststellungsklage13 bei Kartellschadensersatzansprüchen möglich ist. Er untersucht dabei insbesondere das Bedürfnis nach kollektiven Rechtsschutzinstrumenten neben der Bindungswirkung des § 33b GWB. Auch Hoffmann/Horn14 untersuchen, ob die Musterfeststellungsklage geeignet ist, Kartellschadensersatzansprüche effektiv durchzusetzen. Dabei gehen sie insbesondere auf die sachliche und funktionelle Zuständigkeit ein. Im Hinblick auf stand-alone-Musterfeststellungsklagen untersuchen sie mögliche Feststellungsziele zum Kartellverstoß und Ansprüche nach § 33g GWB sowie den Einfluss einer späteren, gegenläufigen kartellbehördlichen Entscheidung auf ein 7 8 9 10 11 12 13 14

Weinland Die neue Musterfeststellungsklage – Einführung, 2018. Röthemeyer Musterfeststellungsklage – Spezialkommentar zum 6. Buch ZPO, 2018. Nordholz/Mekat NomosPraxis Musterfeststellungsklage, 2019. Schäfers Zur Zuständigkeit der Gerichte in kartellrechtlichen Musterfeststellungsverfahren nach den §§ 606ff. ZPO, ZZP 132 (2019), 231–260. Mallmann/Erne Musterfeststellungsklage und Kartellschadensersatz, NZKart 2019, 77–83. Mengden David gegen Goliath im Kartellschadensersatzrecht – Lassen sich Musterfeststellungsklage bzw. EU-Verbandsklage als kollektive Folgeklage einsetzen?, NZKart 2018, 398– 405. Mengden NZKart 2018, 398, 402 verwendet den Begriff »follow-on-Musterklage«. Hoffmann/Horn Kartellzivilrechtliche Musterfeststellungsklagen, ZWeR 2019, 445–481.

22

Einführung

Musterfeststellungsurteil. Im Hinblick auf follow-on-Musterfeststellungsverfahren stellen sie die Reichweite einer kartellbehördlichen Entscheidung allgemein dar und untersuchen, welche Feststellungsziele im Hinblick auf das Verschulden, die Kartellbetroffenheit und den Schaden möglich sind. Eine umfassende Bearbeitung zur Eignung des Musterfeststellungsverfahrens für das private enforcement steht noch aus. Offen sind viele Einzelfragen, wie beispielsweise, ob die Bindungswirkung nach § 33b GWB konkreten Feststellungszielen entgegensteht, die Musterfeststellungsklage für Verbraucheransprüche nach ausländischem Recht eingesetzt werden kann, wie das Musterfeststellungsverfahren bei einer Beteiligung von KMU aussieht oder wie die Haftungserleichterung nach § 33f GWB und ein Musterfeststellungsvergleich zusammenwirken, ob kartellrechtstypische Mehrpersonenkonstellationen in einem Musterfeststellungsverfahrens berücksichtigt werden können, die Untersuchung der Rolle, die das Bundeskartellamt in einem Musterfeststellungsverfahren spielt, die Möglichkeit einer Streitwertanpassung nach § 89a GWB, das Verhältnis einer kartellrechtlichen Musterfeststellungsklage zu einem Gewinnabschöpfungsverfahren nach § 34a GWB und die Auswirkungen von der Kronzeugenprivilegierung auf das Musterfeststellungsverfahren. Auf diese Themen konzentriert sich die folgende Untersuchung.

C.

Gang der Untersuchung

Sie beleuchtet zunächst den kollektiven Rechtsschutz im Allgemeinen und das Bedürfnis nach einem verbraucherorientieren private enforcement im Kartellrecht (1. Kapitel). Dafür werden die Verfahrensziele und Funktionen sowie die Interessenlage der Prozessbeteiligten erörtert. Ein Augenmerk liegt dabei auf den tradierten kollektiven Rechtsschutzinstrumenten, die mit der Musterfeststellungsklage konkurrieren. Der Hauptteil der Arbeit behandelt die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht (2. Kapitel). Die Spezialfrage, wie sich Musterfeststellungsklagen zu Kronzeugenprivilegierungen verhalten, wird im dritten Kapitel untersucht. Der Rechtsvergleichung und der Rechtspolitik mit dem aus Brüssel zu erwartenden New Deal for Consumers ist ein eigenes Kapitel (4.) gewidmet. Die Zusammenfassung beantwortet die Frage, ob das Musterfeststellungsverfahren die Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche erleichtert, und macht Verbesserungsvorschläge (5. Kapitel).

1. Kapitel: Kollektiver Rechtsschutz und verbraucherorientiertes private enforcement

A.

Grundlagen kollektiver Rechtsschutzmechanismen

I.

Begriffsbestimmung und Eingrenzung des Themas

Kollektiver Rechtsschutz erfasst Fälle, in denen mehrere gleichartig Betroffene in einem Verfahren bei konzentrierter Zuständigkeit ihre jeweiligen Ansprüche »gebündelt« gegen einen oder mehrere Schuldner geltend machen.15 Prägend für kollektive Rechtsschutzinstrumente ist ein überindividuelles Interesse an der Rechtsdurchsetzung, das neben die Individualinteressen der einzelnen Geschädigten tritt.16 Auch die EU-Kommission geht von einem weiten Begriffsverständnis aus, wenn sie alle Verfahren als solche des kollektiven Rechtsschutzes einordnet, die »unerlaubte Geschäftspraktiken mit nachteiligen Folgen für eine Vielzahl von Klägern«17 unterbinden, verhüten oder bereits entstandene Schäden kompensieren sollen.18 Dieses weite Verständnis erfasst einerseits Verbandsunterlassungsklagen, deren Ziel es ist, rechtswidriges Verhalten zu verhindern, um kollektive öffentliche Interessen zu wahren – unabhängig von konkret betroffenen Einzelpersonen.19 Andererseits sind auch Schadensersatzklagen erfasst, mit denen Ansprüche konkreter Einzelpersonen gebündelt geltend gemacht werden.20 Es gibt kollektive Rechtsschutzmöglichkeiten, die nur außergerichtlich Rechte durchsetzen, solche, die nur der gerichtlichen oder prozessualen Bündelung dienen, und Rechtsschutzinstrumente, die beides kombinieren. Die Arbeit wird die prozessuale Bündelung von Schadensersatzansprüchen vertieft untersuchen. 15 Zöller/Althammer, vor § 50 ZPO Rn. 55. 16 Meller-Hannich/Höland DRiZ 2011, 164; Geiger Kollektiver Rechtsschutz, S. 18. 17 Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen – Öffentliche Konsultation – Kollektiver Rechtsschutz: Hin zu einem kohärenten europäischen Ansatz, SEK(2011) 173 endg., Rn. 7. 18 Geiger Kollektiver Rechtsschutz, S. 18. 19 Geiger Kollektiver Rechtsschutz, S. 18. 20 Arbeitsdokument (oben Fn. 17), Rn. 7.

24

Kollektiver Rechtsschutz und verbraucherorientiertes private enforcement

Unterlassungs-, Beseitigungs- und Gewinnabschöpfungsklagen sowie außergerichtliche Bündelungsmöglichkeiten werden nur ergänzend betrachtet.

II.

Verfahrenszweck und -ziele

1.

Verfahrenszweck und -ziele eines Zivilprozesses im Allgemeinen

Subjektive Rechte nutzen dem Inhaber erst, wenn er sie feststellen lassen und effektiv durchsetzen kann. Historisch betrachtet war Selbstjustiz das nächstliegende Rechtsschutzmittel. Heute stehen dem das Rechtsstaatsprinzip und das Gewaltmonopol des Staates entgegen. Der grundrechtlich verankerte Justizgewährungsanspruch trägt dem Staat die Aufgabe auf, den Bürgern durch seine Organe Rechtsschutz zu gewähren. Daraus ergibt sich, dass der Zivilprozess primär den Schutz und die Durchsetzung subjektiver Rechte bezweckt – sowohl für den Kläger als auch für den Beklagten.21 Auch die Allgemeinheit hat ein öffentliches Interesse daran, dass die Rechtsordnung durchgesetzt wird und sich bewährt; allerdings ist die Bewährung des objektiven Rechts kein eigenständiger Prozesszweck, sondern folgt notwendig aus dem Individualrechtsschutz.22 Mit einem rechtskräftigen Urteil stellt der Prozess den Rechtsfrieden wieder her.23 Rechtsfrieden herzustellen ist jedoch kein selbstständiger Prozesszweck.24 Vielmehr folgt die Wahrung des Rechtsfriedens aus der Feststellung des subjektiven Rechts.25 Teilweise wird vertreten, Zweck des Zivilprozesses sei darüber hinaus die »Befriedung« durch die Lösung privater Konflikte.26 Auch wenn der Prozess materiell einen Konflikt entschärfen kann und soll, handelt es sich doch auch hierbei nicht um einen eigenständigen Prozesszweck.27 Das zeigt sich daran, dass der Richter den Streit nur hoheitlich durch streitiges Urteil entscheidet, wenn sich die Parteien nicht einvernehmlich einigen. Andererseits hat die Allgemeinheit ein öffentliches Interesse daran, dass bestimmte Verfahren und Prozesse geführt werden. Der Zivilprozess kann für »überindividuelle Interessen« eingesetzt werden.28 Dies geschieht etwa zum 21 Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht, § 1 III Rn. 9ff. 22 Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht, § 1 III Rn. 16; Stein/Jonas/Brehm, vor § 1 Rn. 12. 23 Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht, § 1 III Rn. 17. 24 Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht, § 1 III Rn. 17. 25 Geiger Kollektiver Rechtschutz, S. 10. 26 Wolf ZZP 89 (1976), 260, 268. 27 Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht, § 1 III Rn. 18. 28 Thiere Überindividuelle Interessen, S. 4.

Grundlagen kollektiver Rechtsschutzmechanismen

25

Schutz des Wettbewerbs bei Gewinnabschöpfungsklagen oder bei Verbandsklagen nach dem UKlaG und UWG.29 Der Zivilprozess soll somit primär dem Einzelnen ermöglichen, private subjektive Rechte und Interessen gerichtlich geltend zu machen. 2.

Zweck und Ziele des kollektiven Rechtsschutzes

Der kollektive Rechtsschutz will asymmetrischen Prozesslagen begegnen.30 Ein effektives Rechtsschutzsystem soll zudem general- und spezialpräventiv rechtswidriges Verhalten verhüten.31 Kollektivverfahren erlauben die prozessuale Bündelung von Ansprüchen. Das beschleunigt insgesamt das Verfahren, senkt die Kostenrisiken und verbessert somit die individuellen Rechtsschutzmöglichkeiten der Betroffenen.32 Ziel des kollektiven Rechtsschutzes ist es zudem, die Justiz und Gerichte zu entlasten und die Rechtsprechung zu vereinheitlichen.33 Diesen Zielen muss ein kollektives Rechtsschutzinstrument angemessen Rechnung tragen und zudem die Interessen der Beteiligten ausgleichen. Verfahrenszweck bleibt dabei der Schutz subjektiver Rechte, sodass die allgemeinen Grundsätze und Verfahrenszwecke auch für kollektive Rechtsschutzverfahren gelten.34 Zudem will der kollektive Rechtsschutz einzelne Positionen durch Bündelung stärken, um etwa eine Gegenmacht aufzubauen und so die Verhandlungsposition der schwächeren Partei verbessern.35

III.

Interessenlage

Um zu untersuchen, ob ein Rechtschutzinstrument geeignet ist, Kollektivschadensereignisse angemessen zu bewältigen, müssen die prozessualen Interessen aller am Verfahren beteiligten Personen erfasst werden. Die folgende Interessenanalyse beleuchtet die Situation, in der die Geschädigten auf Kläger- und die rechtswidrig handelnden Unternehmen auf Beklagtenseite stehen.

29 30 31 32 33 34 35

Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht, § 1 III Rn. 15. Weimann Kollektiver Rechtsschutz, S. 78. Heese JZ 2019, 429, 431. Möschel/Bien/Hempel Kartellrechtsdurchsetzung, S. 71, 74. Heese JZ 2019, 429, 431. Schilken in: Symposium, S. 21. Möschel/Bien/Hempel Kartellrechtsdurchsetzung, S. 71, 74f.

26 1.

Kollektiver Rechtsschutz und verbraucherorientiertes private enforcement

Abhängigkeit von der Art des Kollektivschadens

Die Interessenlage und das Bedürfnis nach kollektivem Rechtsschutz hängen davon ab, um welche Art von Kollektivschäden es sich handelt. Gemeinsames Kriterium von Kollektivschäden ist, dass ein Schadensereignis viele Personen betrifft und zu zahlreichen Individualschäden führt, wobei sich die Tatsachenund Rechtsfragen weitestgehend entsprechen. Die Individualschäden indes können nach Höhe und Gewicht variieren. Die folgende Untersuchung schließt sich der gängigen Untergliederung in echte Massenschäden (auch Serienschäden) sowie Bagatell- und Streuschäden an.36 a) Serien- oder echte Massenschäden Bewirkt ein Ereignis Individualschäden von mittlerer bis großer Höhe bei vielen Betroffenen, werden diese Schäden als Serien- oder Massenschäden, teilweise auch als echte Massenschäden bezeichnet.37 Allerdings werden die Begriffe nicht immer gleich verstanden. Von Bar etwa legte seinem Gutachten zum 62. Deutschen Juristentag 1998 eine Definition zugrunde, die nicht auf die Schadenshöhe, sondern allein auf die Betroffenheit einer Vielzahl von Personen abstellt.38 Die vorliegende Arbeit folgt dem erstgenannten Definitionsansatz. Zentrales Abgrenzungskriterium zu Bagatell- und Streuschäden ist dabei, dass die Schadenshöhe jeweils so hoch ist, dass der Geschädigte bereit ist, individuell zu klagen.39 Dabei gibt es keine klare Schadensgrenze, ab der ein ausreichender Klageanreiz und somit ein echter Massenschaden besteht. Ein Orientierungswert liegt in Deutschland bei EUR 500 bis 1.000.40 In der EU werden Schadenssummen bis EUR 5.000 als geringfügige Forderungen bzw. Bagatellschäden eingeordnet, Art. 2 Abs. 1 S. 1 Bagatell-VO41. Wird etwa eine Vielzahl von Personen in Folge eines Verkehrsunfalls oder eines Flugzeugabsturzes verletzt, entstehen Massenschäden. Auch kartellrechtswidrig erhöhte Preise führen zu Massenschäden, wenn der Individualschaden eine entsprechende Höhe erreicht. Hier steht in der Regel keine »rationale Apathie« der 36 Etwa Domej ZZP 125 (2012), 421; Meller-Hannich DJT-Gutachten A, S. 24f.; Geiger Kollektiver Rechtsschutz, S. 19ff.; Stadler Bündelung von Interessen im Zivilprozess, S. 7. Buchner Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher, S. 33ff. definiert hingegen Streuschäden als Oberbegriff und unterscheidet je nach Schadenshöhe zwischen Bagatell-, Massen- und Gemeinschaftsgüterschäden. 37 Stadler Bündelung von Interessen im Zivilprozess, S. 7; Geiger Kollektiver Rechtsschutz, S. 20; Meller-Hannich DJT-Gutachten A, S. 26. 38 v. Bar DJT-Gutachten A, S. 9. 39 Buchner Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher, S. 36f. 40 Meller-Hannich Gutachten A, S. 24f. mwN. 41 Verordnung (EU) 2015/2421 v. 16. 12. 2015, ABl. L 341, 1. Diskutiert wurde sogar eine Grenze von EUR 20.000.

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Rechtsverfolgung entgegen. Vielmehr droht die Menge der Verfahren die Gerichte zu überfordern, sodass lange auf eine Entscheidung zu warten ist.42 Gleichwohl steigt die Wahrscheinlichkeit, dass höherwertige Ansprüche geltend gemacht werden, wenn dies im Kollektiv geschieht.43 b) Bagatell- und Streuschäden Bagatell- und Streuschäden zeichnen sich nicht durch eine bezifferbare Höhe des Schadens aus, entscheidendes Merkmal ist vielmehr ein fehlendes Interesse an der Rechtsverfolgung des Geschädigten.44 Die Schadenshöhe des Einzelnen ist so gering, dass der Rechtsverfolgungsaufwand außer Verhältnis zu ihr steht.45 Selbst bei einem Prozessgewinn wäre der Aufwand unverhältnismäßig hoch.46 Weil es sich vernünftigerweise nicht lohnt, den Schaden prozessual geltend zu machen, haben die Geschädigten ein »rationales Desinteresse« an einer klageweisen Geltendmachung.47 Beispielsweise führen Mogelpackungen, also geringfügig zu wenig gefüllte Produktpackungen, und kartellrechtswidrig geringfügig erhöhte Produktpreise zu Bagatellschäden der Abnehmer und aufgrund der massenhaften Fälle zu Streuschäden.48 Auch und insbesondere Verbraucher können durch kartellrechtswidriges Verhalten Schäden erleiden. So wirken sich kartellbedingte Preiserhöhungen regelmäßig über mehrere Abnehmerstufen bis zum Endabnehmer aus.49 Kartellstreuschäden werden neben dem bei Streuschäden generell hemmenden rationalen Desinteresse auch deshalb nur selten von den Geschädigten durchgesetzt, weil die konkrete Schadensberechnung typischerweise aufwendig und mit Unsicherheiten belastet ist.50

42 Buchner Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher, S. 37; Meller-Hannich BRJ 2017, 119, 121. 43 Das aktuelle Beispiel aus dem LKW-Kartell zeigt, dass auch bei hohen Individualschäden eine kollektive Rechtsdurchsetzung genutzt wird, vgl. Schiffer/Chmielewski »Überraschung im LKW-Kartell: Münchener Landgericht erklärt Abtretungsmodell à la financialright für unzulässig«, v. 7. 2. 2020, abrufbar unter: https://www.juve.de/nachrichten/verfahren/2020/02/ ueberraschung-im-lkw-kartell-muenchner-landgericht-erklaert-sammelklagen-a-la-finan cialright-fuer-unzulaessig. 44 Lange Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 15. 45 Bernhard Sammelklagen, S. 32f.; Stadler Bündelung von Interessen im Zivilprozess, S. 7f.; Meller-Hannich DJT-Gutachten A, S. 24. 46 Meller-Hannich DJT-Gutachten A, S. 24. 47 Stadler Bündelung von Interessen im Zivilprozess, S. 3; Meller-Hannich/Höland Evaluierung, S. 12; Meller-Hannich DAR 2017, 121. 48 Meller-Hannich DJT-Gutachten A, S. 25; dies. DAR 2017, 121; Thiery/Schlingmann DB 2018, 2550, 2551. 49 Bernhard Sammelklagen, S. 33. 50 Bernhard Sammelklagen, S. 33.

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Auch wenn die Literatur häufig die Begriffe Bagatell- und Streuschaden synonym verwendet, ist eine Trennung geboten. Streuschäden liegen vor, wenn zahlreiche Geschädigte jeweils Bagatellschäden erlitten haben.51 Die Unterscheidung zwischen Bagatell- und Streuschäden ist erforderlich, weil ihre Geltendmachung unterschiedliche Interessen berührt und Ziele verfolgt. Der Geltendmachung von Bagatellschäden steht allein die rationale Apathie entgegen, bei Streuschäden hingegen besteht ein Allgemeininteresse an deren Geltendmachung wegen des massenhaften Rechtsbruchs und des hohen Gesamtschadens. Bei der Geltendmachung von Bagatell- wie von Streuschäden wird das Interesse der individuell Geschädigten befriedigt, indem die Einzelschäden kompensiert werden. Doch wirkt es für potentielle Schädiger nur bei Streuschäden abschreckend, wenn sie gerichtlich geltend gemacht und kompensiert werden. Bei Streuschäden tritt folglich ein gewichtiges allgemeines Präventionsinteresse hinzu.52 Vereinzelte Individualprozesse wirken nicht abschreckend und halten effektiv niemanden davon ab, massenhaft das Recht zu brechen. Müssen Schädiger nicht damit rechnen, dass Geschädigte schnell, einfach und gemeinsam ihre Schäden geltend machen, sondern dürfen sie darauf vertrauen, dass die rationale Apathie eine Geltendmachung verhindert, dann lohnt sich der Rechtsbruch wirtschaftlich.53 Die Präventionswirkung kann also nur eintreten, wenn Streuschäden effektiv geltend gemacht werden können, was erst durch das Kollektiv sinnvoll möglich wird. In einem Rechtsstaat ist eine möglichst weitgehende Geltung der Gesetze wichtig für den Rechtsfrieden und das Vertrauen in den Staat. Dass der Einzelne von der Rechtsverfolgung absieht, ist nicht generell problematisch. Dass dies aber passiert, weil der Staat keinen sinnvollen Zugang zum Recht ermöglicht, darf nicht die Regel sein. Vertrauen in den Staat und eine Präventionswirkung gegenüber potentiellen Schädigern wird aber nur bewirkt, wenn Streuschäden kollektiv geltend gemacht werden können. Zu dieser Erkenntnis ist auch die Europäische Kommission in ihrem Weißbuch zu Schadensersatzklagen gelangt, wenn sie die Geltendmachung von Streuschäden als Ziel kollektiver Rechtsschutzmechanismen im Kartellrecht anführt.54 Ein kollektives Rechtsschutzinstrument muss nicht zwangsläufig auf eine Geldleistung an den Geschädigten gerichtet sein, wenn es dazu dient, Streuschäden geltend zu machen, bei denen der Geschädigte nicht an der Kompen51 Ausführlich Lange Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 20ff.; Meller-Hannich DJT-Gutachten A, S. 25. 52 Stadler FS Schilken, S. 481, 483; Meller-Hannich DJT-Gutachten A, S. 26; vgl. dies. BRJ 2017, 119, 120f. 53 Meller-Hannich DJT-Gutachten A, S. 26; Buchner Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher, S. 35. 54 White Paper on Damages Actions, Commission Staff Working Paper, SEC(2008) 404, Rn. 24.

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sation interessiert ist. An wen eine Leistung im Ergebnis ausgekehrt wird, entscheidet nicht darüber, ob ein kollektives Rechtsschutzinstrument erforderlich ist, sondern ist eine Frage der konkreten Ausgestaltung eines solchen Instruments. 2.

Interessen des Klägers

Seit jeher prägen US-amerikanische Verfahren die Diskussion um mögliche Klägerinteressen. Teilweise wird angeführt, Kläger eines Individualverfahrens könnten mit größerer Erfolgschance höhere Schadensersatzleistungen erwarten, als es Gruppenkläger könnten.55 Denn das individuelle Einzelschicksal veranlasse die Jury emotional dazu, höhere Schadensersatzsummen für gerecht zu befinden.56 Diese rechtssoziologische Besonderheit des US-amerikanischen Prozessrechts ist nicht auf den deutschen Prozess übertragbar.57 Ob eine Partei das Prozessergebnis akzeptiert, hängt maßgeblich davon ab, wie ernst sie sich im Verfahren genommen fühlte und in welchem Maß sie mitwirken konnte.58 Typischerweise können die individuellen Kläger in einem Einzelprozess sehr viel mehr mitwirken als in einem Kollektivverfahren. Je mehr Personen und Ansprüche Gegenstand eines Verfahrens sind, desto weniger steht der Einzelne im Mittelpunkt des Verfahrens. Massenverfahren müssen eine hohe Zahl von Ansprüchen und Schäden bewältigen. Ziel ist eine Lösung, die für das Kollektiv gerecht und angemessen ist. Die Einzelfallgerechtigkeit tritt zwangsläufig in den Hintergrund. Betrachtet man alleine die Legitimation des Prozessergebnisses und die höhere Einzelfallgerechtigkeit, so besteht ein höheres Interesse an Individualklagen.59 Jedoch bleibt der Umstand, dass bei Streu- und Bagatellschäden regelmäßig das rationale Desinteresse einem Individualprozess entgegensteht. So lautet die Alternative nicht Individualprozess oder Kollektivverfahren, sondern die Entscheidung fällt zwischen einem Gruppenverfahren mit nur eingeschränkter Mitwirkungsmöglichkeit und gar keinem Prozess. Stehen auf Klägerseite mehrere Geschädigte, wird die Gegenseite eher zu einem Vergleich bereit sein, weil damit mehrere Rechtsstreitigkeiten »in einem Abwasch« beigelegt würden. Nur wenn möglichst viele Anspruchsinhaber von einem Vergleich erfasst werden, verringert der Beklagte sein Risiko, in weiteren Prozessen wegen des Schadensereignisses in Anspruch genommen zu werden. Gleichermaßen könnte auch die Bereitschaft steigen, alternative Streitbeile55 56 57 58 59

Haß Gruppenklage, S. 24 mwN. Haß Gruppenklage, S. 24. Haß Gruppenklage, S. 24. Haß Gruppenklage, S. 26. Zum Ganzen Haß Gruppenklage, S. 26f.

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gungsmethoden anzustrengen. Die Chance, den Beklagten verhandlungs- und vergleichsbereit zu stimmen, steigert das Interesse der Kläger an einem Massenverfahren enorm.60 Auch das erhöhte mediale Aufsehen, das ein Massenverfahren gegenüber einem Individualprozess – insbesondere um Kleinstbeträge – hervorruft, spricht aus der Sicht des Klägers gegen einen Individualprozess. Ein weiterer Vorteil eines Massenverfahrens ist die gemeinsame Beweisaufnahme. Die Bündelung von Informationen erleichtert die Darlegungslast der gemeinsam klagenden Geschädigten. Erscheint es aufgrund der Beweislage aussichtslos, einen Anspruch in einem Individualprozess geltend zu machen, muss dies nicht zwangsläufig auch für denselben Anspruch in einem Kollektivverfahren gelten. Zum einen muss nicht jeder Anspruch im Einzelnen dargelegt und mit »eigenen« Beweisen belegt werden. Zum anderen besteht eine Indizwirkung, wenn eine auffällige Häufung von Parallelfällen vorgetragen wird.61 Individualkläger tragen höhere Prozesskosten als die Streitgenossen eines Massenverfahrens. Gemäß § 15 Abs. 2 RVG, §§ 31, 32 GKG verringern sich die individuellen Kosten pro Kopf, wenn mehrere Anspruchsinhaber ein Verfahren gemeinsam führen. Ein potentieller Kläger bezieht die Höhe der zu erwartenden Kosten maßgeblich in seine Entscheidung ein, einen Rechtsstreit zu führen. Gerade bei kleiner bis mittlerer Schadenshöhe sieht ein Anspruchsinhaber vernünftigerweise eher von einer Klage ab, denn das Kostenrisiko gerät rasch außer Verhältnis zur Schadenshöhe und kann den Streitwert um ein Vielfaches übersteigen. Kartellanwälte rechnen regelmäßig nicht nach RVG, sondern nach höheren vereinbarten Stundensätzen ab.62 Dadurch wird die Grenze dessen, was als verhältnismäßige Prozesskosten angesehen wird, noch schneller erreicht. Im Übrigen sind die die gesetzlichen Gebühren übersteigenden Anwaltskosten selbst bei Obsiegen nicht erstattungsfähig.63 Die deutsche wie die internationale Praxis hat gezeigt, dass nur solche Kläger Ansprüche auf kleine oder mittlere Geldbeträge gerichtlich verfolgen, die rechtsschutzversichert sind. Das zeigte sich unlängst bei den Individualverfahren wegen des Dieselskandals gegen die Volkwagen AG vor dem LG Braunschweig: Die Mehrzahl der Kläger ist rechtsschutzversichert.64

60 Zum Ganzen Haß Gruppenklage, S. 27ff.; Buchner Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher, S. 48. 61 Zum Ganzen Haß Gruppenklage, S. 31. 62 Stancke WuW 2018, 59, 64. 63 BeckOK-ZPO/Jaspersen, § 91 ZPO Rn. 166. 64 Rother Referat 72. DJT, K 23, K 25.

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Schließlich nimmt ein gemeinsames Verfahren nicht nur weniger Zeit in Anspruch als die Einzelprozesse in Summe,65 auch können Ansprüche konsistent befriedigt werden, wenn sie im Rahmen eines Kollektivprozesses verhandelt und beschieden werden.66 Wird in Einzelverfahren über zahlreiche Individualansprüche entschieden, kann sich zwischenzeitlich die finanzielle Situation des Anspruchsgegners bis hin zur Insolvenz verschlechtern. Wird jeder Anspruch isoliert betrachtet, kann es zu unbilligen Ergebnissen führen, wenn diejenigen Geschädigten, die früh geklagt haben, vollständig befriedigt werden, während spätere Kläger nur quotal befriedigt werden oder gar mangels Masse leer ausgehen.67 Auch in diesem Fall müssen die Anspruchsinhaber also zugunsten der Gläubigergemeinschaft ihre Individualinteressen zurückstellen.68 Sofern gewährleistet ist, dass die Kläger sich an dem Verfahren beteiligen können und so eine Grundlage für die spätere Akzeptanz des Ergebnisses geschaffen ist, ergibt sich bei Streuschäden ein überwiegendes Interesse der Kläger an einem kollektiven Verfahren. Kollektiver Rechtsschutz ist aus ihrer Sicht zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen besser geeignet als ein Individualverfahren, wenn es sich um Streuschäden handelt, die rationale Apathie die Geschädigten von einer Individualklage abhält und die tatsächlichen und rechtlichen Fragen für eine Vielzahl von Ansprüchen vergleichbar sind. Denn dann verspricht ein Kollektivverfahren, kostengünstiger, effektiver, schneller, mit weniger Aufwand und mit höheren Erfolgschancen zur Befriedigung zu führen als ein Individualprozess. 3.

Interessen des Beklagten

Je schwächer die prozessuale Situation des Klägers ist, desto eher obsiegt der Beklagte. In Einzelprozessen sind die Kläger typischerweise schwächer als die repeat players auf der Beklagtenseite. Ein Massenverfahren stärkt die Position der Kläger, indem es Ansprüche, Informationen, Beweise und Arbeitsschritte bündelt. Schutzwürdig sind aber nur solche Interessen, die im Einklang mit dem Prozessrecht stehen.69 Vor dem Hintergrund der prozessualen Waffengleichheit erscheint es fraglich, ob das Interesse des Beklagten, einem möglichst schwachen Kläger gegenüber zu stehen, den Schutz durch die Prozessordnung verdient. Ein Massenverfahren macht geringwertige Ansprüche teilweise überhaupt erst faktisch justiziabel. Einen Anspruch gerichtlich geltend zu machen, lohnt sich erst, wenn der Prozess gemeinsam mit anderen Geschädigten geführt werden 65 66 67 68 69

Haß Gruppenklage, S. 37f. Haß Gruppenklage, S. 53. Haß Gruppenklage, S. 53. Schlosser Zivilprozeßrecht II, Rn. 267. Vgl. Haß Gruppenklage, S. 44.

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kann. Das ist aus der Sicht des Anspruchsgegners ein Nachteil, wenn er vorher darauf vertrauen konnte, dass die Geschädigten keinen Ersatz verlangen. Dieses Interesse ist verständlich, aber prozessual nicht schutzwürdig. Die Prozesskosten verringern sich relativ auch zugunsten des Beklagten, wenn nur ein Gruppenverfahren geführt wird und nicht zahlreiche Individualverfahren.70 Denn in zahlreichen Parallelverfahren müssten die Einwendungen mehrfach vorgetragen, Schriftsätze erstellt und mündlich verhandelt werden. Jeder (wiederholte) Arbeitsschritt erhöht dabei die Kostenlast für alle Prozessbeteiligten. Folglich begründet die verringerte Kostenlast eines Kollektivverfahrens für Kläger und Beklagte gleichermaßen ein beträchtliches Interesse. Auch die aufs Ganze gesehen kürzere Prozessdauer eines Massenverfahrens gegenüber zahlreichen Individualverfahren ist geeignet, den Beklagten zu bestärken, sich auf ein Gruppenverfahren einzulassen.71 Schließlich hat der Beklagte ein Interesse an einem Gruppenverfahren, da er so mehrere Rechtsstreitigkeiten gemeinsam beilegen kann, statt zahlreiche Einzelverfahren zu führen. 4.

Interessen der Prozessbevollmächtigten

Die Anwälte der Kläger und des Beklagten könnten ein Interesse daran haben, mehrere Einzelprozesse statt eines gemeinsamen Verfahrens zu führen. Denn die weitestgehend gleichgelagerten Fälle ermöglichen es den Anwälten, Schriftsätze beinahe vollständig zu kopieren und nur Kleinigkeiten an den jeweiligen Fall anzupassen, aber dennoch mehrfach abzurechnen. Dieses Interesse ist allerdings nicht schutzwürdig.72 Dass die Prozessbevollmächtigten der Kläger die treibende Kraft eines kollektiven Rechtsschutzverfahrens werden, wie etwa in den class actions in den USA,73 ist in Deutschland nicht zu erwarten.74 In den USA motiviert regelmäßig die Hoffnung auf ein hohes Honorar die Anwälte zu einer class action.75 Das deutsche Kostenrecht verhindert eine derartige Motivation in Deutschland. 5.

Überindividuelle Interessen

Das Interesse, dem objektiven Recht weitestgehend Geltung zu verschaffen und präventiv massenhaften Rechtsbruch zu verhindern, ist überindividuell und spricht für ein Kollektivverfahren. 70 71 72 73 74 75

Haß Gruppenklage, S. 47; Bien NZKart 2013, 12, 13. Haß Gruppenklage, S. 48. Vgl. zum Ganzen Haß Gruppenklage, S. 40 und 46. Vgl. Schack US-Zivilprozessrecht, Rn. 21, 204. Vgl. Vogel Kollektiver Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 231. Schack US-Zivilprozessrecht, Rn. 204.

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Kollektivverfahren sind für die Gerichte mit weniger Aufwand zu bewältigen als hunderte von Individualverfahren. So werden die Kosten für das Justizsystem verringert und gesellschaftliche Ressourcen eingespart. Wichtiger noch: Kollektivverfahren verhindern, dass verschiedene Gerichte parallele Verfahren unterschiedlich beurteilen. Die Allgemeinheit vertraut auf eine einheitliche Rechtsprechung. Das dient der Rechtssicherheit und einer geordneten Rechtspflege.

IV.

Arten kollektiver Rechtsschutzinstrumente

1.

Verbandsklage

Verbandsklagen verleihen Verbänden eine eigenständige Klagebefugnis. Sie bilden das wichtigste Instrument des deutschen kollektiven Rechtsschutzsystems. Einige Spezialgesetze sehen mit teilweise unterschiedlichen Voraussetzungen bereichsspezifische Verbandsklagen vor. Ein typischer Anwendungsbereich ist etwa der Wettbewerb, den Verbände auf unlauteres Verhalten überwachen, indem sie gegen etwaige Rechtsverletzungen eigenständig vorgehen dürfen. Gemeinsam ist den deutschen Verbandsklagen, dass der Verband gesetzlich bestimmte Interessen wahrnimmt.76 Sie sind aber keine Popularklagen.77 Verbände können nach deutschem Verbandsklagerecht bisher nur Unterlassungs-, Beseitigungs- und Vorteils- oder Gewinnabschöpfungsansprüche, aber keine Schadensersatzansprüche geltend machen. 2.

Gruppen- und Sammelklage

In Gruppenklagen macht der Gruppenkläger stellvertretend Individualansprüche mehrerer Personen gerichtlich geltend.78 Im Gegensatz zur deutschen Verbandsklage können Gruppenklagen auch Leistungs- und insbesondere Zahlungsansprüche zum Gegenstand haben. Eine Gruppenklage erfolgt somit nicht im öffentlichen und überindividuellen Interesse. Sie dient nur dem Gruppeninteresse, also den aufsummierten individuellen Interessen der betroffenen Gruppenmitglieder.79

76 77 78 79

Stadler JZ 2009, 121, 126. Curdt Kollektiver Rechtsschutz unter dem Regime des KapMuG, S. 119. Geiger Kollektiver Rechtsschutz, S. 30. Thiere Überindividuelle Interessen, S. 70ff.; Haß Gruppenklage, S. 57; Koch ZZP 113 (2000), 413, 424.

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Die individuell Betroffenen müssen nicht selbst Prozesspartei sein. Eines der selbst betroffenen Gruppenmitglieder führt den Prozess und repräsentiert die Gruppe.80 Um dem grundrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör gerecht zu werden, variiert die Bindungswirkung eines Urteils verschiedener Gruppenklagen. Zentral ist zunächst, ob eine Klage als opt-in oder opt-out-Verfahren ausgestaltet ist. Ein opt-out-Verfahren erfasst alle Mitglieder einer Gruppe als potentielle Kläger, es sei denn, ein Gruppenmitglied tritt ausdrücklich aus dem Verfahren aus.81 Das Urteil einer opt-out-Klage bindet folglich alle Gruppenmitglieder, die nicht ausdrücklich ausgetreten sind.82 Um Gruppenmitglied eines opt-in-Verfahrens zu werden, muss ein Betroffener dagegen aktiv werden und ausdrücklich beitreten.83 Daher bindet ein Urteil nur diejenigen Personen, die aktiv dem Prozess beigetreten sind.84 In Deutschland gibt es bisher keine echte Gruppenklage in diesem Sinne. Die US-amerikanische class action wird gesondert behandelt.85 3.

Musterprozess und -klage

Ein Musterprozess soll ähnlich gelagerte Fälle anhand eines Modellfalls entscheiden.86 Sein Ausgang hat für Dritte und die Parteien also über den Ausgangsfall hinausgehende Bedeutung.87 Die Betroffenen müssen zunächst individuell klagen. Auf Antrag kann ein Musterkläger bestimmt werden, der sein Verfahren als Musterprozess führt. Bis die Musterentscheidung in diesem Verfahren rechtskräftig ist, werden die anderen individuellen Klagen ausgesetzt und erst anschließend aufbauend auf den Ergebnissen des Musterverfahrens weitergeführt. Das Verfahren nach dem KapMuG ist das erste und bisher einzige gesetzlich geregelte Musterverfahren in Deutschland.88 Der Name Musterfeststellungsklage lässt zwar vermuten, der Gesetzgeber habe nun ein vergleichbares, generell anwendbares Musterverfahren eingeführt. Allerdings ist der Name insoweit irre-

80 81 82 83 84 85

Stadler in: Symposium, S. 93, 112. Weimann Kollektiver Rechtsschutz, S. 29. Alexander WRP 2009, 683, 687; Lange Begrenztes Gruppenverfahren, S. 130. Weimann Kollektiver Rechtsschutz, S. 29. Geiger Kollektiver Rechtsschutz, S. 31 mwN. Siehe unten S. 185ff. Zu den Gruppenklagen anderer Länder auch Stadler GPR 2013, 281, 284; Tamm EuZW 2009, 439, 440. 86 Schilken in: Symposium, S. 21, 39. 87 Reuschle WM 2004, 966, 969; Geiger Kollektiver Rechtsschutz, S. 31, 32. 88 Wobei umstritten ist, ob es tatsächlich ein Musterverfahren ist, vgl. etwa Lange Begrenztes Gruppenverfahren, S. 85ff.

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führend, als kein »Vorreiterprozess«89 eines einzelnen Geschädigten geführt wird.90 4.

Sonstige Bündelung

Als sonstige Bündelungsmechanismen versteht diese Arbeit Möglichkeiten, Interessen und Ansprüche unabhängig von einer bestimmten Prozessart zusammenzufassen. Solche sonstigen Bündelungsmechanismen können in den allgemeinen Zivilprozess integriert sein, wie etwa die Streitverkündung und Nebenintervention, die Streitgenossenschaft, die gewillkürte Prozessstandschaft und die Verfahrensverbindung oder -aussetzung. Aber auch das Abtretungsmodell91 sowie die faktische Bündelung über die Person eines Prozessbevollmächtigten sind als sonstige Bündelungsmechanismen Gegenstand der vorliegenden Untersuchung.

V.

Rechtsschutzinstrumente vor Einführung der Musterfeststellungsklage

Das deutsche Prozessrecht baut auf einem Zweiparteiensystem auf, wonach grundsätzlich ein Kläger einem Beklagten gegenübersteht.92 Gleichwohl sehen die ZPO und verschiedene Spezialgesetze unterschiedliche Bündelungsmöglichkeiten vor, mit denen Ansprüche mehrerer Personen gemeinsam geltend gemacht werden können. Diese tradierten Bündelungsmöglichkeiten bewirken für manche Fallgestaltungen indes aus mehreren Gründen keinen effektiven Rechtsschutz.93 Für die Durchsetzung kartellbedingter Streu- und Massenschäden ist von besonderem Interesse, welche Möglichkeiten die Bündelungsinstrumente für große Betroffenengruppen von mindestens 50 Personen eröffnen.94 Daneben sind außergerichtliche Bündelungsmöglichkeiten denkbar. Wünschen oder benötigen die Betroffenen einen Dritten, der sie bei einer außergerichtlichen Geltendmachung ihrer Ansprüche unterstützt, gelten die Grenzen des 89 90 91 92 93

Tamm EuZW 2009, 439, 440. Siehe unten S. 63. Dazu unten S. 45ff. Koch KritV 1989, S. 323. Vgl. v. Bar DJT-Gutachten A, S. 81ff.; Meller-Hannich DJT-Gutachten A, S. 10ff.; MellerHannich/Höland Evaluierung, S. 141ff.; Haß Gruppenklage, S. 63ff.; Hess AG 2003, 113, 121ff.; Heitzig KapMuG zur Bewältigung von Massenverfahren, S. 185ff.; Lange Begrenztes Gruppenverfahren, S. 28–76, 95; Reuschle WM 2004, 966ff.; Wanner KapMuG als allgemeine Regelung, S. 33ff.; Geiger Kollektiver Rechtschutz im Zivilprozess, S. 32ff.; Curdt Kollektiver Rechtschutz unter dem Regime des KapMuG, S. 31ff. 94 Dazu unten S. 132.

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Prozessrechts nicht. So gründeten im Contergan-Fall betroffene Eltern einen privatrechtlichen Verein (Bundesverband der Eltern körpergeschädigter Kinder e.V. – Contergankinder-Hilfswerk), um Informationen und Beweismittel zu sammeln und ein gemeinsames Finanzierungsmodell aufzustellen.95 Die vorliegende Untersuchung fokussiert sich jedoch ausschließlich auf die gerichtliche Geltendmachung kartellrechtlicher Schäden, um den Bezug zur Musterfeststellungsklage zu wahren. Die außergerichtlichen Bündelungsmöglichkeiten werden daher hier nicht weiterverfolgt.

1.

Bündelungsmöglichkeiten der ZPO

a) Streitgenossenschaft, §§ 59ff. ZPO Gemäß §§ 59, 60 ZPO können gleichartige Ansprüche prozessual zusammengefasst und von Streitgenossen gemeinsam in den Prozess eingebracht werden. Streitgenossen können als Parteien des Rechtsstreits auf Beklagten- wie auf Klägerseite auftreten. Werden Prozesse miteinander verbunden, um sie zweckmäßiger führen zu können, so handelt es sich um eine einfache Streitgenossenschaft. Eine notwendige Streitgenossenschaft liegt vor, wenn das Rechtsverhältnis aus Rechtsgründen nur einheitlich gegenüber allen Streitgenossen festgestellt werden kann, § 62 Abs. 1 ZPO. Das wird bei Massenereignissen und Streuschäden selten der Fall sein, sodass in aller Regel nur eine einfache Streitgenossenschaft in Frage kommt. Daher sind im Folgenden die Vor- und Nachteile der einfachen Streitgenossenschaft zu untersuchen. Die Streitgenossenschaft fördert die Prozessökonomie, indem sie wiederholende Gerichtsprozesse mit gleichem Prozessstoff verhindert und die Parteien geringere Prozesskosten tragen müssen.96 Ressourcen von Gerichten und Anwälten werden gebündelt. Einfache Streitgenossen führen zwar ihre Prozesse gemeinsam, jedoch bleiben ihre Prozessrechtsverhältnisse rechtlich eigenständig (Trennungsprinzip).97 Das bedeutet, dass am Ende des Prozesses keine inhaltlich einheitliche Entscheidung erfolgen muss. Wegen des Trennungsprinzips können sich die Streitgenossen nur bedingt gegenseitig unterstützen: Fristen laufen separat, zugestellt wird an jeden Streitgenossen, individuelle Begleitschäden bleiben individuell98 und Prozesshandlungen muss jeder Streitgenosse vornehmen.99 95 96 97 98 99

Ausführlich Beyer Grenzen der Arzneimittelhaftung, S. 4ff.; Haß Gruppenklage, S. 28f. MüKo-ZPO/Schultes, § 59 ZPO Rn. 1; Stein/Jonas/Bork, § 61 ZPO Rn. 10. Zöller/Vollkommer, § 61 ZPO Rn. 8; Meller-Hannich Zivilprozessrecht, Rn. 110. Koch DZWiR 2016, 351, 353. Zöller/Vollkommer, § 61 ZPO Rn. 8; BeckOK-ZPO/Dressler, § 61 ZPO Rn. 2.

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Die streitgenössische Verfahrensverbindung entlastet die Justiz damit nur unwesentlich. Denn jeder Streitgenosse kann eigene Angriffs- und Verteidigungsmittel vorbringen und über alle Sach- und Rechtsfragen wird einheitlich verhandelt – auch wenn sie nicht alle Streitgenossen gleichermaßen betreffen.100 Weitere Einschränkungen könnten sich daraus ergeben, dass analog § 260 ZPO dasselbe Gericht für die Klagen zuständig sein muss, damit eine Streitgenossenschaft zulässig ist. Das ergibt sich aus dem zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff, wonach eine subjektive Klagehäufung wie die Streitgenossenschaft immer auch eine objektive Klagehäufung begründet.101 Klagen mehrere Geschädigte als Streitgenossen gegen einen Schädiger, ist regelmäßig der Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten gemäß § 13 ZPO und am Handlungsort gemäß § 32 ZPO eröffnet. Eine gemeinsame Klageerhebung durch Streitgenossen setzt voraus, dass sich die Personen bereits vor Klageerhebung miteinander abstimmen und eine gemeinsame Strategie verfolgen.102 Zwar lassen sich diese Nachteile überwinden, indem die Beteiligten sich zentral organisieren oder organisiert werden.103 Jedoch setzt das die Kenntnis der Betroffenen voneinander voraus. Geschädigte eines Massenschadensereignisses kennen sich untereinander aber regelmäßig nicht, sodass es vom Zufall abhängt, ob und welche Geschädigten sich zu Streitgenossen zusammenfinden.104 Das Gericht kann jederzeit und unanfechtbar die Streitgenossenschaft nach § 145 ZPO trennen. Das ist riskant für die Streitgenossen: Lassen sich Geschädigte von Streuschäden auf eine »gemeinsame« Klage ein, wären sie nach einer Prozesstrennung doch zur Individualklage gezwungen, ohne dass ihnen ein Rechtsmittel dagegen zustünde. Dabei ist die Prozesstrennung naheliegend: Gerade bei großen Betroffenengruppen erscheint zweifelhaft, ob eine Streitgenossenschaft zweckmäßig ist oder ob nicht die Prozessökonomie darunter leidet, wenn 50 oder mehr Streitgenossen an einem Verfahren als Parteien beteiligt sind.105 Den Beteiligten bliebe nur, sich gegenseitig zu unterstützen, ohne einen gemeinsamen Rechtsstreit zu führen.

100 101 102 103 104

Wanner KapMuG als allgemeine Regelung, S. 34. Musielak/Voit/Weth, § 60 ZPO Rn. 11. Vogel Kollektiver Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 164; Prütting ZIP 2020, 197, 199. Koch DZWIR 2016, 351, 353. Wanner KapMuG als allgemeine Regelung, S. 32; Stadler Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeßrecht, S. 5. 105 Vgl. Geiger Kollektiver Rechtsschutz, S. 37; Weber/van Boom VuR 2017, 290, 291; Gurkmann in: Gesetzesentwurf, S. 46, 64.

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Unabhängig von diesen rechtlichen Erwägungen dürfte eine Streitgenossenschaft bei kartellrechtlichen Streuschäden bereits am rationalen Desinteresse der Geschädigten scheitern.106 b) Nebenintervention, §§ 66ff. ZPO Die Nebenintervention ermöglicht es Dritten, sich unterstützend an einem fremden Prozess zu beteiligen, ohne jedoch Partei zu werden, § 66 Abs. 1 ZPO. Eine Nebenintervention ist nur möglich, wenn der Dritte ein eigenes und gegenwärtiges rechtliches Interesse am Ausgang des Rechtsstreits hat.107 Auch muss der Rechtsstreit bereits anhängig sein. Die Apathie hinsichtlich der Klageerhebung kann folglich nicht durch die Möglichkeit einer Nebenintervention überwunden werden, da die Anspruchsinhaber weiterhin einzeln klagen müssten. Das Urteil des Hauptprozesses entfaltet bei einem wirksamen Beitritt als Nebenintervenient Interventionswirkung gemäß § 68 ZPO. Diese Wirkung nimmt einer regressberechtigen Partei das Risiko eines Folgeprozesses insofern ab, als der Regressschuldner als Nebenintervenient die Feststellungen des Hauptprozesses gegen sich gelten lassen muss.108 Dafür erlaubt ihm die Nebenintervention im Hauptprozess, eigene Angriffs- und Verteidigungsmittel einzubringen und so den Prozessausgang zu beeinflussen. Bei Massen- und Streuschäden ist nur eine Anwendung der Nebenintervention denkbar: Ein Geschädigter klagt gegen das schädigende Unternehmen und andere Geschädigte treten dem Verfahren bei. Die Geschädigten eines Massenoder Streuschadens sind sich untereinander allerdings nicht zum Regress verpflichtet und ihre Rechtstellung hängt auch nicht von der anderer Geschädigter ab. Eine Nebenintervention scheidet deshalb aus. Sie ist nicht geeignet, Ansprüche zu bündeln.109 Bei kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen haben zwar die rechtsverletzenden Unternehmen regelmäßig Regressansprüche untereinander. Für die Frage, ob und wie Verbraucher ihre kartellrechtlichen Streuschäden durchsetzen können, ist das aber nicht von Interesse. c) Streitverkündung, §§ 72ff. ZPO Gemäß § 72 Abs. 1 ZPO kann eine Partei einem Dritten den Streit verkünden, wenn sie für den Fall eines ihr ungünstigen Prozessausgangs glaubt, einen Regressanspruch gegen den Dritten zu haben oder einem Anspruch des Dritten ausgesetzt zu sein. Dadurch kann eine Partei die Interventionswirkung des 106 Meller-Hannich DJT-Gutachten A, S. 57; Vogel Kollektiver Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 163. 107 Musielak/Voit/Weth, § 66 ZPO Rn. 5. 108 MüKo-ZPO/Schultes, § 66 ZPO Rn. 1. 109 Vgl. Lange Begrenztes Gruppenverfahren, S. 56.

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§ 68 ZPO erzwingen, ohne dass der Dritte aus eigenem Entschluss dem Rechtsstreit beitritt.110 Die Geschädigten sind sich untereinander nicht zum Regress verpflichtet und ihre Rechtstellung hängt auch nicht von der anderer Geschädigter ab. Mithin ist die Streitverkündung nicht geeignet, kartellrechtliche Schadenersatzansprüche zu bündeln. d) Verfahrensverbindung, § 147 ZPO Eine Verfahrensverbindung gemäß § 147 ZPO kommt in Betracht, wenn in Einzelprozessen über dieselben Tatsachen- und Rechtsfragen zu entscheiden ist. Das Gericht verbindet die Einzelverfahren zu einem Verfahren und es entsteht eine nachträgliche Streitgenossenschaft zwischen den vorherigen Einzelklägern. Eine Verfahrensverbindung ist aber nur möglich, wenn die Prozesse bei demselben Gericht anhängig sind. Daraus ergibt sich, dass eine Verfahrensverbindung nach § 147 ZPO bei größeren Geschädigtengruppen bereits aus organisatorischen und zuständigkeitsrechtlichen Gründen ungeeignet ist. Zusätzlich gelten auch hier die Nachteile der Streitgenossenschaft.111 Auch die Verfahrensverbindung ist damit als Bündelungsmechanismus für Massenverfahren ungeeignet.112 e) Aussetzung des Verfahrens, § 148 ZPO Das Gericht kann gemäß § 148 ZPO ein Verfahren aussetzen, wenn eine vorgreifliche Rechtsfrage Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits ist. Das soll widersprüchliche Entscheidungen verhindern und Prozesskosten sparen.113 Eine Rechtsfrage ist nur vorgreiflich, wenn über ein Rechtsverhältnis entschieden wird, dessen Bestehen für den auszusetzenden Prozess präjudizielle Bedeutung hat.114 Eine Abhängigkeit in diesem Sinne besteht bei Massen- und Streuschäden nicht; es geht zwar um gleiche oder ähnliche Rechts- und Tatsachenfragen, diese sind aber nicht vorgreiflich.115 Aus diesem Grund führt auch eine Verfahrensaussetzung nach § 148 ZPO zu keiner effektiven Bewältigung von Streu- und Massenschäden. An dieser Stelle ist der neu eingefügte § 148 Abs. 2 ZPO erwähnenswert. Danach kann ein Verfahren auf Antrag des Klägers ausgesetzt werden, wenn die Entscheidung von Feststellungen abhängt, die Gegenstand einer anhängigen Musterfeststellungsklage sind. Die Antragsbefugnis ist auf Unternehmer be110 BeckOK-ZPO/Dressler, § 72 ZPO Rn. 2. 111 Siehe oben S. 36f. 112 Vgl. Geiger Kollektiver Rechtsschutz, S. 34; Buchner Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher, S. 75f. 113 Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle-ZPO/Bünnigmann, § 148 ZPO Rn. 2. 114 OLG München MDR 1996, 197 Tz. 6f. 115 Schilken in: Symposium, S. 21, 41.

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schränkt. Ist an einem Verfahren ein Verbraucher beteiligt, der sich zu einer solchen Musterfeststellungsklage angemeldet hat, ist sein Individualverfahren gemäß § 613 Abs. 2 ZPO zwingend und von Amts wegen auszusetzen. f) Ruhen des Verfahrens, § 251 ZPO Gemäß § 251 ZPO kann das Gericht auf Antrag der Parteien das Ruhen des Verfahrens anordnen, wenn dies zweckmäßig ist.116 § 251 ZPO stellt einen besonderen Fall der Verfahrensaussetzung dar, sodass das Bedürfnis nach kollektivem Rechtsschutz ebenfalls nicht hinreichend befriedigt wird. 2.

Musterprozessabrede

Eine Musterprozessabrede ist ein schuldrechtlicher Vertrag, in dem Parteien vereinbaren, dass für ihr Rechtsverhältnis die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen eines Musterurteils gelten sollen.117 Sie bezweckt, Verfahren bei Massenschäden zu bündeln und führt so zu einer kollektiven Rechtsdurchsetzung im weiteren Sinn. a) Musterprozessabrede zwischen den Geschädigten Mehrere Geschädigte eines Ereignisses können vereinbaren, nur einzelne repräsentative Verfahren vorab durch Gerichte entscheiden zu lassen.118 Die übrigen Geschädigten müssen abwarten, bis die ausgewählten Verfahren entschieden werden. Sie dürfen ihre Ansprüche also nicht klageweise geltend machen und, wenn eine Klage bereits anhängig ist, diese nicht weiterverfolgen. Musterprozesse sind aufgrund ihrer Breitenwirkung für beide Seiten besonders wichtig, weshalb typischerweise der Instanzenzug durchlaufen wird. Entsprechend lange dauert das Verfahren. Die wartenden Geschädigten sind dabei dem Lauf der Verjährung ausgesetzt, da weder die Musterprozessabrede noch der Musterprozess die Verjährung ihrer Ansprüche hemmt. Dieses Risiko macht die Musterprozessabrede unattraktiv. Eine gesteigerte Prozessökonomie muss aus einem solchen Verfahren nicht folgen: Die Individualprozesse werden nur temporär verzögert; die Klagewelle erreicht die Justiz erst nach Abschluss des Musterprozesses.119 Anders ist das, wenn die Wartenden aufgrund des Musterprozesses eine gute Verhandlungsposition für einen außergerichtlichen Vergleich erlangt haben. Gleichwohl ent-

116 117 118 119

Zöller/Greger, § 251 ZPO Rn. 2 und 2a. MüKo-ZPO/Gottwald, § 325 ZPO Rn. 95. Heitzig KapMuG zur Bewältigung von Massenverfahren, S. 61. Heitzig KapMuG zur Bewältigung von Massenverfahren, S. 61.

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faltet die rechtskräftige Entscheidung des Musterprozesses keine rechtsverbindliche Wirkung für die Folgeprozesse. b) Musterprozessabrede zwischen Geschädigten und Schädiger Die Geschädigten können eine Musterprozessabrede aber auch mit dem Schädiger als Anspruchsgegner vereinbaren, um so die Feststellungen im Musterprozess vertraglich auf die Parallelfälle zu erstrecken.120 Die materielle Rechtskraft eines Urteils kann zwar nicht privatautonom auf andere Prozesse erstreckt werden.121 Gleichwohl können die Parteien einer Musterprozessabrede schuldrechtlich vereinbaren, dass die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen des Musterurteils gelten sollen, wenn in Parallelfällen Ansprüche später geltend gemacht werden.122 Um nicht in die Verjährungsfalle zu laufen, muss der Schädiger auf die Einrede der Verjährung verzichten (§ 202 Abs. 2 BGB) oder die Parteien müssen ein Stillhalteabkommen (pactum de non petendo) schließen.123 Letzteres hemmt analog § 205 BGB die Verjährung.124 Da die Bindungswirkung des Musterurteils privatautonom begründet wird, ist sie sehr umfassend möglich. Im Ergebnis kann eine einheitliche gerichtliche Beurteilung erzielt werden. Individuelle Umstände können aber nicht in dem Musterprozess entschieden werden und sind von der Musterprozessabrede nicht erfasst.125 Die Musterprozessabrede führt dazu, dass nicht alle Prozesse geführt werden müssen und entlastet damit zunächst die Gerichte. Diese können auf eine Musterprozessabrede hinwirken, da solche Abreden auch noch im laufenden Verfahren möglich sind. Prozessvermeidende Wirkung kann die Abrede aber nur entfalten, wenn später eine außergerichtliche Einigung gelingt.126 Die Vorteile von Musterprozessabreden zeigen sich vor allem, wenn möglichst viele Geschädigten einbezogen sind.127 Dies ist aber nur möglich, wenn das Vorgehen sorgfältig geplant und organisiert wird, was einen enormen Aufwand bedeutet. Insbesondere bei Streuschäden wird sich dieser Organisationsaufwand regelmäßig nicht lohnen.128 120 Zöller/Vollkommer, § 325 ZPO Rn. 43a; Vogel Kollektiver Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 151. 121 Musielak/Voit, § 325 ZPO Rn. 20; MüKo-ZPO/Gottwald, § 325 ZPO Rn. 92ff.; Saenger, § 325 ZPO Rn. 24; Koussoulis Beiträge zur modernen Rechtskraftlehre, S. 50ff.; Zöller/Vollkommer, § 325 Rn. 43a. A. A. Gerhard Wagner Prozeßverträge, S. 722ff. 122 Heitzig KapMuG zur Bewältigung von Massenverfahren, S. 62f.; Haß Gruppenklage, S. 88ff. 123 Bernhard Sammelklagen, S. 161. 124 MüKo-BGB/Grothe, § 205 ZPO Rn. 5; Palandt/Ellenberger, § 205 ZPO Rn. 2. 125 Heitzig KapMuG zur Bewältigung von Massenverfahren, S. 65. 126 Vgl. Bernhard Sammelklagen, S. 161f. 127 Heitzig KapMuG zur Bewältigung von Massenverfahren, S. 66. 128 Braun NJW 1998, 2318, 2323.

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Spezialgesetzliche Verbandsklagen

Das deutsche Recht sieht keine generelle Verbandsklagebefugnis vor. Vielmehr normieren unterschiedliche Spezialgesetze bereichsspezifische Verbandsklagen. a) Verbandsklagen nach UKlaG Das UKlaG enthält eine Verbandsunterlassungsklage zum Schutz vor unwirksamen AGB und anderen Verbraucherrechtsverstößen. Dabei bezweckt das UKlaG primär die objektive Rechtsdurchsetzung bzw. -einhaltung; das prozessökonomische Ziel der Anspruchsbündelung tritt dahinter zurück.129 § 1 UKlaG normiert einen Unterlassungs- bzw. Widerrufsanspruch für das Verwenden oder Empfehlen von AGB, die nach §§ 307–309 BGB unwirksam sind. § 2 UKlaG normiert einen Beseitigungsanspruch. Die Verbandsunterlassungsklage ist auf Beseitigung und Unterlassung gerichtet, nicht aber auf Schadensersatz. Da sich die Arbeit auf die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen konzentriert, ist die Verbandsunterlassungsklage nach dem UKlaG von vornherein kein geeignetes Rechtsschutzinstrument und wird hier nicht weiter erörtert. b) Verbandsunterlassungs- und Gewinnabschöpfungsklage nach GWB Das GWB enthält in § 33 einen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch und seit 2005 in § 34a GWB einen Gewinnabschöpfungsanspruch, den Verbände einklagen können. Vorliegend ist allein die auf die Durchsetzung des Gewinnabschöpfungsanspruchs gerichtete Verbandsklage von Interesse, da sich dieser Anspruch wirtschaftlich mit Schadensersatzansprüchen überlappen kann. § 34a Abs. 1 GWB normiert den kartellrechtlichen Gewinnabschöpfungsanspruch. Verstoßen Unternehmen vorsätzlich gegen eine Vorschrift des GWB, gegen Art. 101, 102 AEUV oder gegen eine kartellbehördliche Verfügung und erlangen sie dadurch zulasten einer Vielzahl von Abnehmern oder Anbietern einen wirtschaftlichen Vorteil, so können die klagebefugten Einrichtungen die Herausgabe des wirtschaftlichen Vorteils an den Bundeshaushalt verlangen. Aktivlegitimiert sind nach § 34a Abs. 1 die in § 33 Abs. 2 Nr. 1, 2 GWB genannten Wirtschafts- und Verbraucherverbände. Das sind Verbände zur Förderung gewerblicher oder selbstständiger beruflicher Interessen und qualifizierte Verbraucherverbände, wenn sie in die Liste nach § 4 UKlaG oder das Verzeichnis der Europäischen Kommission nach Art. 4 der UKlaRiLi eingetragen sind. Der Gewinnabschöpfungsanspruch ist gemäß § 34a Abs. 2 S. 1 und 2 GWB subsidiär. Leistungen iSv § 34a Abs. 1 S. 1 Nr. 1–4 GWB, die das Unternehmen auf 129 Koch JZ 2011, 438, 443.

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Grund des Verstoßes bereits tatsächlich an Dritte erbracht hat, sind auf den Gewinnabschöpfungsanspruch anzurechnen. Erbringt das Unternehmen solche Leistungen nach der Vorteilsabschöpfung, ist dem Unternehmen der abgeschöpfte Betrag in der Höhe der nachträglichen Leistung aus der Staatskasse zu erstatten. Ziel des § 34a GWB ist »die Abschöpfung von wirtschaftlichen Vorteilen bei Massen- und Streuschäden«, so die Gesetzesbegründung.130 Der Anspruch soll den Konflikt lösen, dass bei Streu- und Bagatellschäden das rationale Desinteresse dazu führt, dass die unrechtmäßigen Gewinne bei den Unternehmen verbleiben.131 Er ist insoweit das Pendant zur Musterfeststellungsklage. Allerdings bündelt der Gewinnabschöpfungsanspruch keine Individualansprüche und kompensiert auch keine erlittenen Schäden, sondern schöpft nur unrechtmäßig erlangte Vorteile ab.132 Er wirkt in erster Linie präventiv, indem er vorsätzlich kartellrechtswidriges Verhalten wirtschaftlich unattraktiv macht.133 § 34a GWB schützt folglich keine Individual-, sondern ausschließlich Allgemeininteressen. Für Massenschäden ist ein Gewinnabschöpfungsanspruch ungeeignet, denn der Geschädigte hat bei dieser Art des Schadens einen spürbaren Schaden erlitten, den er auch ersetzt haben will.134 Bei Streuschäden hingegen erleidet der Einzelne einen so marginalen Schaden, dass er sich regelmäßig nicht für eine Kompensation interessiert. Hier ist die Gewinnabschöpfung zumindest teilweise zur Abschöpfung von Gewinnen durch aufsummierte Streuschäden geeignet, sofern der Gewinnvorteil die Streuschäden überlappt.135 Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 34a GWB hat bisher kaum praktische Bedeutung erlangt.136 In der Theorie wirkt die Gewinnabschöpfungsklage zwar präventiv durch Abschreckung und scheint effektiven Rechtsschutz zu gewähren. Praktisch stehen dem jedoch folgende Umstände entgegen: Der Verband muss ein vorsätzliches Handeln des Beklagten nachweisen, was eine hohe Hürde darstellt.137 Zudem trägt der Verband das volle Prozess- und Vollstreckungsrisiko, ohne von einem Obsiegen finanziell zu profitieren.138 Ist die Gewinnabschöpfung erfolglos, trägt der Verband die vollen Kosten des Verfahrens. Gelingt es ihm, die Voraussetzungen der Gewinnabschöpfung nachzuweisen, ordnet das Gericht die Herausgabe der Gewinne an den Bundeshaushalt an. Zwar normiert 130 131 132 133 134 135 136

Begr. RegE, BTDr. 15/3640, 36. Geiger Kollektiver Rechtsschutz, S. 49. Meller-Hannich/Höland DRiZ 2011, 164, 165. Berg/Mäsch Kartellrecht, § 34a GWB Rn. 1; Meller-Hannich DJT-Gutachten A, S. 55. Geiger Kollektiver Rechtsschutz, S. 52. Geiger Kollektiver Rechtsschutz, S. 52. Dreher/Kulka Kartellrecht, Rn. 1821; Gsell/Rübbeck ZfPW 2018, 409, 413; Kling/Thomas Kartellrecht, § 23 Rn. 100. 137 Gsell/Rübbeck ZfPW 2018, 409, 413. 138 Immenga/Mestmäcker/Emmerich, Wettbewerbsrecht, § 34a GWB Rn. 29.

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§ 34a Abs. 4 S. 2 GWB einen Aufwendungsersatzanspruch des Verbandes gegen das Bundeskartellamt. Dieser hilft dem Verband aber regelmäßig nicht. Denn der Anspruch umfasst nur die erforderlichen Aufwendungen, soweit der Verband von dem beklagten Unternehmen nach §§ 91, 788 ZPO keinen Ausgleich zu erlangen vermag. Und er entfällt, wenn die Vorteilsabschöpfung erfolglos war oder der Bund den abgeschöpften Vorteil nach § 34 Abs. 2 GWB zurückzahlt.139 Zudem ist er auf die Höhe des abgeführten Vorteils beschränkt, damit der Bundeshaushalt nicht belastet wird.140 Obsiegt zwar der Verband im Gewinnabschöpfungsverfahren, bleibt aber eine Zwangsvollstreckung aus, dann entfällt auch der Aufwendungsersatzanspruch.141 c) Verbandsunterlassungs- und Gewinnabschöpfungsklage nach UWG § 8 Abs. 3 Nr. 2, 3 UWG enthält einen wortgleich formulierten Unterlassungsanspruch wie § 33 Abs. 2 GWB, der hier nicht von Interesse ist. 2004 wurde mit dem Gewinnherausgabeanspruch als Anspruch-sui-generis in § 10 UWG die erste Verbandsklage eingeführt, die auf Zahlung gerichtet ist. Da keine wesentlichen Unterschiede zu § 34a GWB bestehen, sind weitere Ausführungen an dieser Stelle entbehrlich. d) Verbandseinziehungsklage, § 8 Abs. 1 Nr. 4 RDG, § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 ZPO Mit der Einziehungsklage können Verbraucherzentralen und mit öffentlichen Mitteln geförderte Verbraucherverbände gleichgerichtete Geldforderungen von Verbrauchern bündeln und in einem Verfahren gerichtlich geltend machen. Gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 4 RDG dürfen Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände außergerichtliche oder gerichtliche Rechtsdienstleistungen erbringen. § 79 Abs. 1 S. 2 ZPO erlaubt diesen Einrichtungen im Wege der Inkassozession oder -ermächtigung (2. Alt.) oder der gewillkürten Prozessstandschaft (1. Alt.), Verbraucherforderungen gerichtlich geltend zu machen, und § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 ZPO verleiht ihnen eine eigenständige Vertretungsbefugnis. Das setzt voraus, dass es sich um eine Geldforderung handelt, der Anspruchsinhaber Verbraucher ist und die gerichtliche Geltendmachung von Forderungen in den Aufgabenbereich des Verbandes fällt.142 In der Praxis wird die Einziehungsklage nur selten genutzt – und wenn, dann bisher ausschließlich für höherwertige Ansprüche.143 Das liegt zunächst daran, dass der Verband die Ansprüche sammeln und jeden Einzelanspruch gerichtlich 139 140 141 142 143

Immenga/Mestmäcker/Emmerich, Wettbewerbsrecht, § 34a GWB Rn. 29. Immenga/Mestmäcker/Emmerich, Wettbewerbsrecht, § 34a GWB Rn. 28a. Immenga/Mestmäcker/Emmerich, Wettbewerbsrecht, § 34a GWB Rn. 28a. Zöller/Vollkommer, § 79 ZPO Rn. 8. Meller-Hannich DJT-Gutachten A, S. 58; Meller-Hannich/Höland Evaluierung, S. 31, 61, 66f., 71, 110, 137, 150; Geiger Kollektiver Rechtsschutz, S. 55.

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geltend machen muss. Dieser Aufwand ist bei kleinen Schäden zu groß, das rationale Desinteresse überwiegt. Hinzu kommen weitere Nachteile, die die Verbände von Einziehungsklagen abhalten: Das Gericht kann die Prozesse trennen, eine Einziehungsklage kann abstrakte Rechtsfragen, Tatbestandselemente, Vorfragen oder Tatsachenfeststellungen nicht zum Gegenstand haben, und insbesondere tragen die Verbände das volle Prozesskostenrisiko.144 4.

Gewillkürte Prozessstandschaft

Eine Prozessstandschaft ist die Geltendmachung fremder Ansprüche im eigenen Namen, wobei eine gewillkürte Prozessstandschaft auf dem Willen des Anspruchsinhabers und des Prozessstandschafters beruht. Sie ist zulässig, wenn der Rechtsinhaber den Prozessstandschafter analog § 185 BGB ermächtigt, der Prozessstandschafter ein eigenes, schutzwürdiges Interesse145 an der Geltendmachung hat, das betroffene Recht materiell-rechtlich übertragbar und die Prozessstandschaft nicht rechtsmissbräuchlich ist.146 Praktisch kommt bei kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen nur in Betracht, dass sich mehrere Geschädigte zusammentun und einer als Prozessstandschafter die Ansprüche der anderen mit geltend macht. So lässt sich verhindern, dass mehrere Parallelprozesse geführt werden müssen. Der ausgewählte Geschädigte müsste aber ein schutzwürdiges eigenes Interesse an der Geltendmachung der (anderen) Ansprüche haben. Ein solches liegt vor, wenn die Entscheidung seine Rechtsstellung beeinflusst.147 Obwohl die Rechtsprechung mittlerweile auch wirtschaftliche Interessen als schutzwürdig einordnet,148 reicht das Interesse, einen ähnlich Geschädigten zu unterstützen, nicht aus. Das Interesse an einem prozesswirtschaftlichen und möglichst leichten Verfahren, insbesondere um Kosten und Mühen zu sparen, ist nicht hinreichend schutzwürdig.149 5.

Abtretungsmodelle

Abtretungsmodelle sind danach zu unterscheiden, an wen die Ansprüche abgetreten werden: Einerseits kommt als Zessionar ein Geschädigter oder eine von den Geschädigten gehaltene Gesellschaft in Betracht, andererseits eine Zweck144 Meller-Hannich DJT-Gutachten A, S. 58; Gsell/Rübbeck ZfPW 2018, 409, 412. 145 So die h. M. siehe Musielak/Voit/Weth, § 51 ZPO Rn. 27; BeckOK-ZPO/Hübsch, § 51 ZPO Rn. 50 mwN. 146 Zum Ganzen Musielak/Voit/Weth, § 51 ZPO Rn. 26–30. 147 Musielak/Voit/Weth, § 51 ZPO Rn. 27. 148 BeckOK-ZPO/Hübsch, § 51 ZPO Rn. 50. 149 BGH NJW 2009, 1213, 1215; BGH NJW 2017, 487, 488.

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gesellschaft, deren Geschäftsmodell die Durchsetzung (treuhänderisch) abgetretener Forderungen ist. a) GbR als Interessengemeinschaft Ansprüche können vorprozessual gebündelt werden, indem eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegründet wird, die Ansprüche in diese eingebracht und von der Gesellschaft außergerichtlich oder gerichtlich geltend gemacht werden. Die Gesellschafter treten ihre Schadensersatzansprüche an die Gesellschaft ab, sodass die GbR diese als eigene Rechte geltend macht.150 Nach der Rechtsprechung des BGH zur Parteifähigkeit der GbR wird die Gesellschaft selbst Partei des Prozesses.151 Die Gesellschafter sind jedoch im Fall einer Niederlage gemäß § 735 BGB iVm § 128 HGB analog gegebenenfalls gesamtschuldnerisch nachschusspflichtig. Die Prozessführung wird effizienter, wenn Beweise, Informationen, Kenntnisse und auch finanzielle Mittel gebündelt eingesetzt werden können.152 Maßnahmen müssen nicht wiederholt vorgenommen werden, was Kosten- und Gebühren reduziert. Stehen auf Klägerseite mehrere Geschädigte zusammen, dann wird die Gegenseite eher zu einem Vergleich bereit sein, weil er gleich mehrere Rechtsstreitigkeiten beilegen würde.153 Gleichermaßen könnte auch die Bereitschaft steigen, alternative Streitbeilegungsmethoden zu suchen. Vor dem Hintergrund des rationalen Desinteresses ist jedoch der für dieses Modell erforderliche Aufwand relativ hoch und wird wohl nur bei höheren Schadenssummen in Betracht kommen. Die Geschädigten müssten sich zunächst zu einer GbR zusammenschließen. Die Organisation in einer GbR ist eher auf kleine Gruppen ausgelegt. Bei einer Vielzahl geschädigter Anspruchsinhaber stößt das Modell schnell an seine Grenzen und ist daher zur gemeinsamen Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nur eingeschränkt geeignet. b) Abtretungsmodell bzw. Forderungskauf als Geschäftsmodell Gesellschaften, die das Abtretungsmodell bzw. den Forderungskauf wirtschaftlich nutzen, haben folgende gemeinsame Geschäftsgrundlage: Die Anspruchsinhaber treten ihre Ansprüche gegen einen geringen Preis oder treuhänderisch ohne Gegenleistung, an eine Zweckgesellschaft ab. Die Geschädigten werden nicht Gesellschafter der Zweckgesellschaft. Diese kümmert sich um die außer-

150 151 152 153

Scholl Kollektiver Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 142f. Vgl. BGHZ 146, 341, 342. Curdt Kollektiver Rechtsschutz unter dem Regime des KapMuG, S. 39. Haß Gruppenklage, S. 27ff.

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gerichtliche und gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche auf ihre Kosten. Die Zweckgesellschaft erhält im Erfolgsfall eine Erfolgsprämie von 15–35 %.154 Ein derartiges Geschäftsmodell für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche verfolgt etwa die Cartel Damages Claims SA (CDC). Die belgische Kapitalgesellschaft CDC erwarb im Zementkartellfall155 etwaige Schadensersatzansprüche von 36 Geschädigten. Der Kaufpreis für die Schadensersatzansprüche setzte sich aus zwei Teilen zusammen. Als festen Kaufpreis erhielten die Zedenten jeweils EUR 100. Außerdem vereinbarten die Parteien einen variablen Kaufpreisanteil, der nur bei Obsiegen von CDC fällig wurde und 65–85 % der erstrittenen Schadenshöhe betrug. Die Mindestschadenssumme gab CDC mit EUR 131.751.027,46 an und stellte die genaue Schadenshöhe in das Ermessen des Gerichts nach § 287 ZPO. Auch im Fall des Zuckerkartells156 kaufte CDC Forderungen. Ähnliche Geschäftsmodelle verfolgen etwa die financialright GmbH (mit den Marken flightright und myRight) und die Tochtergesellschaften der Deutschen Bahn, die DB Barnsdale AG und die DB Competition Claims GmbH. Durch den Forderungskauf können Ansprüche gebündelt und gemeinsam geltend gemacht werden. Der Aufwand und die Rechtsdurchsetzungskosten sinken und die rationale Apathie des Einzelnen kann teilweise überwunden werden. Allerdings kommt das Abtretungsmodell schnell an seine technischorganisatorischen und finanziellen Grenzen.157 Denn bei echten Streuschäden führt die hohe Anzahl an Geschädigten zu schwierigen und aufwendigen Ermittlungen, um die Forderungsgläubiger ausfindig zu machen.158 Das Abtretungsmodell eignete sich daher in der Vergangenheit nur für Fälle, in denen der Kreis der Geschädigten überschaubar und die individuelle Schadenshöhe eher hoch ist.159 Für kleine Streuschäden verbesserte der Forderungskauf die klassische Durchsetzung nicht nennenswert.160 Kombiniert mit Legal-Tech kann der Aufwand aber so stark verringert werden, dass sich eine Klage auch bei Kleinstschäden lohnt.161 Zudem ist zu beobachten, dass die Zahl der gesam-

154 Stadler WuW 2018, 189. 155 OLG Düsseldorf NZKart 2015, 201ff. – Schadensersatz aus Zementkartell/CDC. 156 Z.B. LTO-Redaktion, Millionenforderungen gegen das Zuckerkartell – »Gott und die Welt prüfen inzwischen Klagen« v. 25. 8. 2015, abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/hintergru ende/h/zuckerkartell-schadensersatz-klagewelle/. 157 Scholl Kollektiver Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 141. 158 Scholl Kollektiver Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 141. 159 Hempel NJW 2015, 2077, 2079. 160 So auch Scholl Kollektiver Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 142; Hempel NJW 2015, 2077, 2079. 161 Die Klage der Lexfox GmbH als Betreiberin von wenigermiete.de betraf eine Mietrückzahlung i. H. v. EUR 23,49, BGH NJW 2020, 208ff. – wenigermiete.de; vgl. Stadler WuW 2018, 189.

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melten Ansprüche mit Legal-Tech erheblich steigt, sodass auch Gruppen von mehreren Tausend Personen handhabbar werden.162 c) Zulässigkeit nach dem RDG Vielfach diskutiert wird, ob die (treuhänderische) Abtretung von Ansprüchen an einen Dritten zum Zweck der Durchsetzung dieser Ansprüche nach § 134 BGB iVm § 3 RDG nichtig ist. § 3 RDG stellt Rechtsdienstleistungen unter ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Hat der Zessionar keine entsprechende Erlaubnis, so ist die Abtretung nichtig.163 Er könnte die Forderung nicht für den Zedenten geltend machen. Generell definiert § 2 Abs. 1 RDG eine Rechtsdienstleistung als »Tätigkeit in fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalles erfordert.« aa) Inkasso- als Rechtsdienstleistungen, § 2 Abs. 2 S. 1 RDG § 2 Abs. 2. S. 1 Alt. 1 RDG definiert die Einziehung fremder oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen als Rechtsdienstleistung, wenn die Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäft betrieben wird. (1) Keine fremde Forderung, § 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 RDG Treten die Geschädigten ihre Ansprüche an eine Gesellschaft ab, gleich ob an eine eigene GbR oder eine Zweckgesellschaft, macht die Gesellschaft eigene Forderungen geltend. § 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 RDG ist nicht erfüllt.164 (2) Einziehung auf fremde Rechnung, § 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 RDG Eine Abtretung zum Zwecke der Einziehung auf fremde Rechnung gemäß § 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 RDG liegt vor, wenn »das wirtschaftliche Ergebnis der Einziehung dem Abtretenden zukommen soll.«165 Das ist der Fall, wenn die Kaufpreiszahlung für die Forderung davon abhängig gemacht wird, dass die abgetretene Forderung realisiert werden kann.166 Bei einer treuhänderischen Abtretung trägt der Zedent das Bonitätsrisiko. Bei Abtretungsmodellen erfolgt die Einziehung regelmäßig auf fremde Rechnung iSv § 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 RDG. Entweder erfolgt die Abtretung treu162 Die Klage der financialright GmbH vor dem LG München I betrifft mehr als 3.000 Ansprüche (Az. 37 O 18934/17). 163 Vgl. BeckOK-RDG/Grundewald/Römermann § 3 Rn. 10. 164 Buchner Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher, S. 81. 165 BGH WM 2012, 2322. 166 BGH WM 2012, 2322, 2323f.; vgl. Römermann/Günther NJW 2019, 551, 552.

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händerisch oder der Kaufpreis ist (zumindest teilweise) erfolgsabhängig, sodass der Zedent das wirtschaftliche Ausfallrisiko trägt. Bei Abtretungen an eine GbR ist entscheidend, wie der Gesellschaftsvertrag ausgestaltet ist. Wenn die Einbringung der Forderungen unwiderruflich als Gesellschaftsbeitrag nach § 705 BGB gilt und das Bonitätsrisiko vollständig auf die GbR übergeht, handelt es sich bei der Geltendmachung der Ansprüche durch die GbR um eine Einziehung auf eigene Rechnung.167 Ansonsten ist auch die Geltendmachung durch eine GbR der Geschädigten gemäß § 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 RDG eine Inkassodienstleistung. (3) Eigenständiges Geschäft, § 2 Abs. 2 S. 1 RDG Ein eigenständiges Geschäft iSv § 2 Abs. 2 S. 1 RDG ist anzunehmen, wenn die Einziehung von Forderungen innerhalb einer haupt- oder nebenberuflichen Inkassotätigkeit oder außerhalb einer solchen Tätigkeit nicht nur als Nebenleistung zu einer anderen beruflichen Tätigkeit erfolgt.168 Für dieses Eigenständigkeitsmerkmal kommt es darauf an, welchen Anteil die Rechtsdienstleistung an der Gesamtdienstleistung ausmacht.169 Bei einer fortgesetzten Einziehung für unterschiedliche Geschädigte, wie sie bei Gesellschaften mit den dargestellten Geschäftsmodellen typisch ist, liegt die Eigenständigkeit vor. Denn die Forderungseinziehung macht regelmäßig einen wesentlichen Anteil an der Gesamtdienstleistung aus. Ob auch die Einziehung durch die Geschädigten-GbR als eigenständiges Geschäft erfolgt, hängt vom Einzelfall ab. Dies ist denkbar, wenn der Forderungsbestand nicht klar umrissen ist, die Forderungen aus mehr als einem Schadensereignis stammen, Beratungsbedarf besteht oder der Gesellschaftszweck nicht darauf beschränkt ist, nur diese Forderungen einzuziehen.170 bb) Ausnahme nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG? Die Einziehung von Schadensersatzforderungen durch Rechtsverfolgungsgesellschaften fällt unter den Erlaubnisvorbehalt des § 3 iVm § 2 Abs. 2 S. 1 bzw. § 2 Abs. 1 RDG. Eine Abtretung zum Zweck der Einziehung unter den obigen Voraussetzungen ist nichtig, wenn eine Erlaubnis fehlt.171 Als Erlaubnis kommt insbesondere die Registrierung nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG in Betracht, wonach natürliche und juristische Personen sowie Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit aufgrund besonderer Sachkunde Inkas167 168 169 170 171

Buchner Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher, S. 82. BGH WM 2012, 2322, 2324. BGH WM 2012, 2322, 2324. Buchner Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher, S. 84. Vgl. BeckOK-RDG/Grunewald/Römermann, § 3 Rn. 10.

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sodienstleistungen und damit Rechtsdienstleistungen erbringen dürfen, wenn sie bei der zuständigen Behörde registriert sind. Eine entsprechende Inkassoberechtigung besitzen Rechtsverfolgungsgesellschaften wie die financialright GmbH und die Lexfox GmbH. Sie bieten aber teilweise Leistungen an, die über die klassische Inkassotätigkeit hinausgehen könnten. Entscheidend kommt es also darauf an, wie weit die Inkassoberechtigung reicht. (1) BGH NJW 2020, 208 wenigermiete.de Der BGH hat die Abtretung von Ansprüchen aus Mietverhältnissen an das Legal Tech-Unternehmen Lexfox GmbH als Betreiberin von wenigermiete.de und deren anschließende Durchsetzung als von der Inkassoberechtigung umfasst angesehen.172 Die Klägerin stellte den Mietern unentgeltlich auf ihrer Internetseite einen Mietpreisrechner zur Verfügung, der die ortsübliche Vergleichsmiete ermittelt. Nach Berechnung bekam der Mieter die Möglichkeit, durch einfaches Anklicken eines Buttons den Kläger mit der Durchsetzung der Ansprüche zu beauftragen. Zu diesem Zweck trat der Mieter seine Forderung treuhänderisch ab unter der Vereinbarung, dass die Klägerin eine »Provision« in Form eines Anteils an der erreichten Mietrückzahlung erhält.173 Der BGH hielt in diesem Fall eine »eher großzügige Betrachtung« der Reichweite einer Inkassobefugnis für geboten.174 Er betont aber auch, dass die Entscheidung nicht ohne Weiteres auf andere Geschäftsmodelle übertragen werden kann.175 (2) Uneinigkeiten bei den Instanzgerichten Wahrscheinlich wird der BGH schon bald wieder die Möglichkeit haben, die Fragen für ähnliche Geschäftsmodelle zu entscheiden. Denn die instanzgerichtliche Rechtsprechung ist uneinheitlich: So hält das LG Braunschweig auch das Geschäftsmodell der financialright GmbH unter myright.de in einem Verfahren gegen die Volkswagen AG für zulässig.176 Eine andere Klage der financialright GmbH aus abgetretenem ausländischem Recht gegen die Volkswagen AG hielt eine andere Zivilkammer des LG Braunschweig jüngst für unzulässig.177 Auch das LG München I hat eine Klage der financialright GmbH abgewiesen, weil 172 173 174 175 176 177

BGH NJW 2020, 208 Tz. 97f. – wenigermiete.de. BGH NJW 2020, 208, 209 – wenigermiete.de. BGH NJW 2020, 208 Tz. 141 – wenigermiete.de. BGH NJW 2020, 208 Tz. 109f. – wenigermiete.de. LG Braunschweig Beschl. v. 23. 12. 2019, Az. 3 O 5657/18 – myright.de: VW-Käufer. LG Braunschweig Urt. v. 30. 4. 2020, Az. 11 O 3092/19 – myright.de: Ausländische VW-Käufer, Tz. 41ff.

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das Geschäftsmodell gegen das RDG verstoße, die Abtretungen unwirksam und das Unternehmen daher nicht aktivlegitimiert sei.178 Im Mai 2020 wird das LG München I über das Geschäftsmodell der Deutsche Bahn Competition Claims GmbH in einer Klage ebenfalls gegen das LKW-Kartell mündlich verhandeln.179 d) Sittenwidrigkeit der Abtretung Das OLG Düsseldorf hatte im Fall des Zementkartells ein Abtretungsmodell zu prüfen. Es nahm an, dass die Abtretung sittenwidrig sei, weil die Zessionarin, die belgische CDC SA, finanziell unzureichend ausgestattet sei.180 Der Sittenwidrigkeitsvorwurf fußt darauf, dass die haftungsbeschränkte Gesellschaft ein reines Klagevehikel ist. Die Abtretung erfolgte, um das Prozessrisiko auf den Beklagten zu verlagern. Denn die Kapitalaufbringung dieses Klagevehikels ist so gering, dass es die Prozesskosten der Gegenseite nicht erstatten könnte.181 Das nimmt dem Prozessgegner missbräuchlich und damit sittenwidrig von vornherein seinen prozessualen Kostenerstattungsanspruch aus § 91 ZPO.182 Daraus folgt aber im Umkehrschluss, dass die Abtretung nicht sittenwidrig ist, wenn sie nicht bezweckt, dem Gegner seinen Kostenerstattungsanspruch zu nehmen. Entscheidend sind mithin die finanziellen Verhältnisse des Zessionars. Daran kann das Geschäftsmodell angepasst werden: Ist der Zessionar – im Zeitpunkt der Abtretung, auf den das OLG Düsseldorf abstellt – in der Lage, die Prozesskosten zu tragen, so ist die Abtretung nicht sittenwidrig und die Forderung kann geltend gemacht werden.183 Die Solvenz kann entweder durch ausreichendes Eigenkapital, eine schuldrechtliche Vereinbarung über die Mithaftung der Zedenten oder schuldrechtliche Finanzierungszusagen und Bürgschaften Dritter sichergestellt werden.184

6.

Klägeranwälte

Ein anderes Modell, um Schadensersatzansprüche gebündelt gerichtlich geltend zu machen, sind die sogenannten Klägeranwälte. Anwälte suchen gezielt die Geschädigten eines bestimmten Ereignisses auf, um diese davon zu überzeugen, dass sie überhaupt einen Prozess führen sollten, und lassen sich dann als Pro178 LG München I Urt. v. 07. 02. 2020, Az. 37 O 18934/17 – myright.de: LKW-Kartell. 179 LG München I, anhängiges Verfahren, Az. 37 O 18602/17 – Deutsche Bahn Competition Claims GmbH: LKW-Kartell. 180 OLG Düsseldorf NZKart 2015, 201, 204 – CDC/Zementkartell. 181 Koch DZWiR 2016, 351, 358. 182 Vgl. BGH NJW 1980, 991 unter I. 4. 183 So auch Hempel NJW 2015, 2077, 2079; Koch DZWiR 2016, 351, 359. 184 Hempel NJW 2015, 2077, 2079; Koch DZWiR 2016, 351, 359; Stadler WuW 2018, 189, 193; Stancke WuW 2018, 59, 65.

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zessvertreter benennen. Typischerweise online wird über ein bestimmtes Ereignis informiert und dazu aufgerufen, sich bei der Kanzlei zu melden. Ein Anwalt vertritt dann hunderte Geschädigte eines Massenereignisses parallel in Individualprozessen. So kommt es über die Person des Prozessvertreters zu einer Bündelung von Beweismitteln und Informationen. Auch das Know-how kann wachsen, wenn ein Anwalt mehrere hundert Prozesse zu denselben Rechts- und Tatsachenfragen führt. Doch tragen die Geschädigten hier das unveränderte Prozesskostenrisiko. Für den einzelnen Kläger reduzieren sich die Kosten nicht. Die rationale Apathie bleibt bei Bagatell- und Streuschäden gleich. 7.

Musterverfahren nach dem KapMuG

2005 hat der Gesetzgeber mit dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG185) ein spezielles Musterverfahren zur Bewältigung von Massenschadensereignissen im Bereich des Kapitalmarktrechts eingeführt. Anlass war das »Mammutverfahren« mit ca. 17.000 klagenden Aktionären und ca. 9.000 Anwälten gegen die Deutsche Telekom AG beim Landgericht Frankfurt a.M. wegen Fehlern in Börsenprospekten.186 Später hat sich der Gesetzgeber in zahlreichen Einzelfragen für die Musterfeststellungsklage in §§ 606ff. ZPO am KapMuG orientiert. Das zeigen die Gesetzgebungsmaterialien und der teilweise wortgleiche Gesetzestext.187 a) Anwendungsbereich Das KapMuG ist – in seiner 2012 erweiterten Fassung188 – gemäß § 1 Abs. 1 anwendbar auf Schadensersatzansprüche wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen (Nr. 1), wegen Verwendung solcher Kapitalmarktinformationen bzw. Fehlens einer geboten Aufklärung über die Verwendung (Nr. 2) und auf Erfüllungsansprüche nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (Nr. 3).

185 Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten (KapitalanlegerMusterverfahrensgesetz) v. 19. 10. 2012, BGBl. I, S. 2182, zuletzt geändert durch Art. 8 Abs. 2 des Gesetzes v. 8. 7. 2019, BGBl. I, S. 1002. Das KapMuG von 2005 war ursprünglich auf fünf bzw. sieben Jahre befristet, dann wurde es 2012 vollständig revidiert und soll bis 1. 11. 2020 gelten, § 28 KapMuG. 186 Jahn ZIP 2008, 1314; Kowollik Europäische Kollektivklagen, S. 81. 187 Etwa BTDr. 19/2507, 15, 21. 188 Zu Einzelheiten der Erweiterung des Anwendungsbereichs: die Begründung des KapMuG 2012, BTDr. 17/8799, 16f.; Geiger Kollektiver Rechtsschutz, S. 59.

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b) Verfahren Das Kapitalanleger-Musterverfahren ist in erster Instanz dreigeteilt. aa) Vorlageverfahren Gemäß § 2 Abs. 1, 2 KapMuG können der Kläger oder der Beklagte eines Individualprozesses vor dem Prozessgericht einen Musterverfahrensantrag stellen. Dieser Antrag muss die Feststellungsziele, die betreffende Kapitalmarktinformation und die erforderlichen Tatsachen und Beweismittel benennen, sowie darlegen, dass dem Musterentscheid über den einzelnen Rechtsstreit hinaus für andere gleichgelagerte Rechtsstreitigkeiten Bedeutung zukommen kann, § 2 Abs. 2, 3 KapMuG. Befindet das Gericht den Musterverfahrensantrag für zulässig, macht es diesen durch unanfechtbaren Beschluss im Bundesanzeiger (»Klageregister nach dem KapMuG«189) öffentlich bekannt, § 3 Abs. 2 KapMuG. Jeder kann das Klageregister unentgeltlich einsehen, § 4 Abs. 3 KapMuG. Ist der Antrag bekannt gemacht, wird das Ausgangsverfahren unterbrochen, § 5 KapMuG. Das Prozessgericht legt die Sache dem Oberlandesgericht vor, wenn innerhalb von sechs Monaten nach der Bekanntmachung mindestens neun weitere gleichgerichtete Musterverfahrensanträge bekannt gemacht worden sind, § 6 KapMuG. Gemäß § 8 Abs. 1 KapMuG werden alle Rechtsstreitigkeiten in erster und zweiter Instanz, die vom Ergebnis des Musterverfahrens abhängen, von Amts wegen sobald und solange ausgesetzt, wie das Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht anhängig ist – unabhängig davon, ob ein Musterverfahrensantrag gestellt worden ist. Von dieser erzwungenen Teilnahme am Musterverfahren kann nur ausgenommen werden, wessen Verfahren bereits entscheidungsreif ist und wer den Aussetzungsbeschluss mit Erfolg im Wege der Beschwerde angegriffen oder rechtzeitig seine Klage zurückgenommen hat, § 8 Abs. 2 KapMuG. bb) Musterverfahren Das Oberlandesgericht wählt nach billigem Ermessen durch unanfechtbaren Beschluss aus den Klägern der ausgesetzten Verfahren einen Musterkläger, der das Verfahren führt, § 9 Abs. 2 KapMuG. Bei seiner Wahl muss das Gericht die Eignung des Klägers, die Anspruchshöhe und die Präferenz der Individualkläger berücksichtigen, § 9 Abs. 2 S. 1 KapMuG. Führt der Musterkläger das Verfahren nicht angemessen, so kann das Oberlandesgericht den Musterkläger auf Antrag austauschen, § 9 Abs. 4 KapMuG. An dem Musterverfahren beteiligt sind der Musterkläger und der Musterbeklagte, die Kläger und Beklagten der ausgesetzten Verfahren als Beigeladene und über eine schriftliche Anmeldung weitere (nichtklagende) Geschädigte, § 9 Abs. 1, 3, 5, § 10 Abs. 2 KapMuG. Die zuletzt 189 Das Klageregister ist abrufbar unter: www.bundesanzeiger.de/ebanzwww/wexsservlet.

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genannten Anmelder können sich nicht aktiv am Verfahren beteiligen und sind auch nicht von der Bindungswirkung des Musterbescheids erfasst. § 10 KapMuG iVm § 204 Abs. 1 Nr. 6a BGB unterbricht jedoch die Verjährung ihrer Ansprüche, ohne dass sie selbst klagen müssen. Musterkläger und -beklagter führen den Musterprozess als Zweiparteienprozess.190 Insbesondere wegen der zahlreichen Beigeladenen ist die Verfahrensleitung für das Oberlandesgericht herausfordernd.191 Das Oberlandesgericht beendet das Musterverfahren durch Musterentscheid oder gerichtlichen Gruppenvergleich, §§ 16, 17 KapMuG. Gemäß § 20 KapMuG, § 574 Abs. 1 ZPO können die Beteiligten den Musterentscheid mit einer Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof anfechten. cc) Abschluss der Individualverfahren – Wirkung des Musterentscheids Die Beteiligten können den rechtskräftig gewordenen Musterentscheid bei ihrem Prozessgericht einreichen, § 22 Abs. 4 KapMuG. Der zwingende Aussetzungsgrund entfällt, sodass das Prozessgericht den Ausgangsprozess fortführt.192 Dabei bindet der Musterentscheid das Prozessgericht hinsichtlich der Feststellungen, die das Oberlandesgericht getroffen hat, umfassend gemäß § 22 Abs. 1 KapMuG. Die Bindungswirkung kann nur unter den strengen Voraussetzungen des § 22 Abs. 3 KapMuG durchbrochen werden. Das Prozessgericht klärt die noch offenen Individualfragen und entscheidet den Ausgangsprozess durch Endurteil iSv § 300 ZPO. c) Kosten Die Kosten der Individualverfahren tragen die jeweiligen Parteien nach Maßgabe der §§ 91ff. ZPO.193 Für die Kosten des Musterprozesses ordnen § 24 Abs. 1, 2 KapMuG an, dass diese anteilig als Kosten der Individualverfahren zu behandeln sind. Typischerweise leistet der Prozessbevollmächtigte des Musterklägers einen erheblich größeren Aufwand als die Anwälte der Beigeladenen. Dem trägt § 41a Abs. 1 RVG mit einer gesonderten Gebühr für den Prozessbevollmächtigten des Musterklägers Rechnung. Der Gebührensatz von 0,3 wird in der Literatur kritisiert;194 doch ist zu beachten, dass als Wert die Summe der in sämtlichen ausgesetzten Verfahren geltend gemachten Ansprüche zugrunde zu legen ist. 190 KölnerKomm-KapMuG/Vollkommer, § 11 KapMuG Rn. 5. 191 KölnerKomm-KapMuG/Vollkommer, § 11 KapMuG Rn. 46 und 96f. 192 Haufe Streitgegenstand und Bindungswirkung des KapMuG, S. 53 und Fn. 55; Kowollik Europäische Kollektivklagen, S. 84. 193 Peter Zivilprozessuale Gruppenvergleichsverfahren, S. 116. 194 Fölsch NJW 2013, 507, 510; Wigand AG 2012, 845, 854; Rotter VuR 2011, 443, 449.

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d) Bewertung Zahlreiche Literaturstimmen begrüßen das KapMuG grundsätzlich.195 Curdt bezeichnet das es als »Schritt in die richtige Richtung«, weil es insbesondere das Verfahren erleichtere.196 Heitzig schlägt vor, den Anwendungsbereich auch auf andere Rechtsgebiete wie das Kartellrecht zu erweitern.197 Halfmeier/Rott/Feess sowie Wanner gehen sogar noch weiter, wenn sie empfehlen, die Regelungen des KapMuG in die ZPO zu übernehmen und damit das Kapitalanleger-Musterverfahren zu einem allgemeinen Musterverfahren auszubauen.198 Doch mehren sich auch kritische Stimmen – vor allem aus der gerichtlichen Praxis. Das KapMuG führe zu Großverfahren, die nicht mehr handhabbar seien. Das Verfahren sei so komplex ausgestaltet, dass sich die Verfahren unverhältnismäßig in die Länge ziehen.199 So geht das Telekom-Verfahren mittlerweile seit gut 14 Jahren die Instanzen rauf und runter. Die Justiz wurde durch das KapMuG nicht entlastet, eher steigt teilweise die Belastung, sodass das KapMuG eines seiner wesentlichen Ziele verfehlt hat.200 Das KapMuG empfiehlt sich damit nur eingeschränkt zur Bewältigung von Massenschadensereignissen. Insbesondere der Umstand, dass es bereits in seinem sehr engen Anwendungsbereich nicht sonderlich überzeugen kann, lässt zweifeln, dass es andere als Kapitalanlegerschadensfälle angemessen bewältigen könnte. 8.

Zwischenergebnis

Alle geschilderten Instrumente lassen sich nicht effektiv zur Durchsetzung von Streu- und Massenschäden nutzbar machen und bleiben hinter dem Bedürfnis nach kollektivem Rechtsschutz zurück. Der Gesetzgeber will dem nun mit dem Musterfeststellungsverfahren in §§ 606ff. ZPO Rechnung tragen.

195 Etwa Curdt Kollektiver Rechtsschutz unter dem Regime des KapMuG, S. 163f.; Geiger Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 66ff.; Heitzig KapMuG zur Bewältigung von Massenverfahren, S. 315; Wanner KapMuG als allgemeine Regelung, S. 189ff. 196 Curdt Kollektiver Rechtsschutz unter dem Regime des KapMuG, S. 163. 197 Heitzig KapMuG zur Bewältigung von Massenverfahren, S. 315. 198 Halfmeier/Rott/Feess Evaluation Kapitalmarktrecht, S. 102ff.; Wanner KapMuG als allgemeine Regelung, S. 189, 197. Ebenfalls dafür: Duve/Pfitzner BB 2005, 673, 678f. 199 Stackmann NJW 2010, 3185, 3186. 200 Stackmann NJW 2010, 3185, 3188.

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B.

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Bedürfnis von Verbrauchern nach kollektivem Rechtsschutz im Kartellrecht

Nach § 33b GWB binden kartellbehördliche Entscheidungen und daraufhin ergehende Gerichtsentscheidungen die Zivilgerichte, vor denen im Wege des follow-on Schadensersatz eingeklagt wird. Es fragt sich, ob damit vielleicht das Bedürfnis nach kollektivem Rechtsschutz ganz oder teilweise entfällt. Hierfür müssen die einzelnen Schadensarten und kartellrechtswidrigen Verhaltensweisen differenziert betrachtet werden.

1.

Schädigungspotential ausgewählter kartellrechtswidriger Handlungen

Um das Bedürfnis nach kollektivem Rechtsschutz im Kartellrecht bewerten zu können, muss zunächst untersucht werden, wie hoch das kollektive Schädigungspotential kartellrechtswidriger Verhaltensweisen ist. Dieses auf Verbraucher bezogene Schädigungspotential unterscheidet sich je nach Art der Wettbewerbsverletzung. a) Horizontale Kernbeschränkungen Horizontale Abreden sind wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen zwischen Unternehmen, die sich als Wettbewerber gegenüberstehen.201 Die Kartellrechtslehre unterscheidet Kernbeschränkungen, die direkt marktwirksame Unternehmensparameter betreffen, und weiche Beschränkungen. Typisch für erstere sind etwa Preisabsprachen, Aufteilung von Märkten und Produktions- oder Verkaufsquoten,202 für letzteres etwa Forschungs- und Entwicklungsabreden. Wenn entgegen der natürlichen Marktverhältnisse der Preis für Waren oder Dienstleistungen erhöht oder auf hohem Niveau gehalten wird, müssen die Abnehmer diesen künstlich zu hohen Preis bezahlen. Unabhängig vom typischerweise zusätzlich eintretenden Mengeneffekt, entsteht ein Schaden in Höhe der Differenz zwischen dem tatsächlich bezahlten und dem hypothetischen Marktpreis, der bezahlt werden müsste, hätte es keine kartellrechtswidrige (Preis-)Absprache gegeben.203 Die künstlich erhöhten Preise treffen und schädigen typischerweise nicht nur vereinzelte sondern eine große Zahl von Abnehmern, da die höheren Preise über die Wertschöpfungskette weitergegeben werden (passing on).204 Daraus ergibt sich ein hohes kollektives Schädigungs201 Kling/Thomas Kartellrecht, § 5 Rn. 50. 202 White Paper on Damages Actions, Commission Staff Working Paper, SEC(2008) 404, Rn. 208. 203 Stancke/Weidenbach/Lahme/von Hinten-Reed/Wandschneider Schadensersatzklagen, Rn. 1010. 204 Bulst NJW 2004, 2201, 2202.

Bedürfnis von Verbrauchern nach kollektivem Rechtsschutz im Kartellrecht

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potential horizontaler Kernbeschränkungen.205 Für weiche Beschränkungen gilt das nicht. Ob und in welchem Ausmaß ein Endverbraucher beispielsweise aus einer Forschungs- und Entwicklungsabrede auf einer vorgelagerten Wirtschaftsstufe geschädigt wird, ist unsicher. b) Vertikale Abreden Abreden zwischen Unternehmen, die auf nachgelagerten Wirtschaftsstufen und damit auf unterschiedlichen Märkten tätig sind, werden als vertikale Abreden bezeichnet.206 Zunächst können vertikale als preisbezogene Abreden vorkommen, beispielsweise in Form von Festpreisvereinbarungen oder der Festlegung von Mindest- oder Höchstpreisen.207 Solche vertikalen Abreden sind unmittelbar darauf gerichtet, den Preis zu beeinflussen, in der Regel zu erhöhen. Auch nichtpreisbezogene Abreden können sich im Einzelfall mittelbar auf den Preis auswirken. Wird etwa die Verkaufsfreiheit des Abnehmers beschränkt, indem das Verkaufsgebiet eingeschränkt oder für einzelne Gebiete der Export verboten wird, ist eine Marktabschottung die Folge.208 Diese führt zunächst zwar nur zu entgangenen Gewinnen des abgeschotteten Unternehmens; doch erhöht eine Abschottung mittelbar das Preisniveau zu Lasten der Verbraucher, indem das Angebot auf dem Markt verkleinert wird.209 Wenn eine nichtpreisbezogene Absprache auf der nachfolgenden Wirtschaftsstufe wie ein Preis-, Quoten- oder Gebietskartell wirkt, ähnelt sein Schädigungspotential dem einer horizontalen Kernbeschränkung. Exklusiv- und Selektivvertriebsvereinbarungen zwischen Herstellern und Händlern führen dazu, dass der Händler auf seiner Marktstufe weniger Konkurrenten hat. Die Tatsache, dass Selektivvertriebsvereinbarungen in der Rechtsprechung unter bestimmten Voraussetzungen gebilligt werden,210 zeigt allerdings, dass ihr Schädigungspotential gering ist, da der Verbraucher im Gegenzug eine bessere Beratung, ein besonderes Einkaufserlebnis oder einen erhöhten Geltungsnutzen erhält. Die bisherige Praxis kennt daher nur wenige Schadensersatzklagen wegen vertikaler Abreden.211 205 Siehe auch Vogel Kollektiver Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 19. 206 Kling/Thomas Kartellrecht, § 5 Rn. 50; Immenga/Mestmäcker/Emmerich, EU-Wettbewerbsrecht, Art. 101 AEUV Rn. 64 mwN. 207 Zu den Einzelheiten Immenga/Mestmäcker/Zimmer, EU-Wettbewerbsrecht, Art. 101 AEUV Rn. 237 mwN. Hoffmann NZKart 2018, 175ff. erörtert, welche Schäden ohne Preiserhöhung durch nicht preisbezogene Abreden entstehen können. 208 Vogel Kollektiver Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 23. 209 Vogel Kollektiver Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 23. 210 EUGH Urt. v. 6. 12. 2017, Rs. C-230/16, ECLI:EU:C:2017:941, Tz. 24ff. – Coty Germany. 211 Schweitzer NZKart 2014, 335, 336; Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 15. Beispiel EUGH Urt. v. 20. 9. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage.

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c) Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung Auch beim Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (Art. 102 AEUV) ist zu differenzieren. Ein Unternehmen missbraucht seine marktbeherrschende Stellung etwa, wenn es überhöhte Preise unmittelbar erzwingt. Alle Abnehmer und diejenigen, an die der überhöhte Preis weitergegeben wird, erleiden einen Schaden. Es liegt ein hohes Schädigungspotential vor. Ein Behinderungsmissbrauch, der darauf gerichtet ist, andere Wettbewerber aus dem Markt zu drängen, potentiellen Wettbewerbern den Zugang zum Markt zu versperren oder auf andere Weise die Marktbeherrschung abzusichern, richtet sich dagegen typischerweise gegen einzelne bestehende oder potentielle Wettbewerber und hat daher ein geringeres kollektives Schädigungspotential. Eine Massenwirkung tritt meist erst ein, wenn ein wettbewerbswidriges Verhalten mehrere (potentielle) Konkurrenten behindert.212 Selbst dann werden aber typischerweise nicht in erster Linie Verbraucher geschädigt. Ein Behinderungsmissbrauch kann sich (kurzfristig) für sie sogar positiv auswirken, etwa wenn ein Unternehmen Waren zu einem Verkaufspreis anbietet, der unterhalb der Herstellungskosten liegt, um so Wettbewerber zu unterbieten und aus dem Markt zu drängen (Kampfpreisunterbietung oder predatory pricing).213 2.

Kollektiver Rechtsschutz neben kartellbehördlichen Feststellungen

Das Kartellrecht kombiniert private und public enforcement, indem das kartellbehördliche Verfahren die Verjährung hemmt und bindend auch zugunsten der Geschädigten wirkt. Sie können eine follow-on-Klage erheben, also eine Individualklage, die an die behördliche Entscheidung anschließt und sich auf deren Bindungswirkung stützt.214 a) Bedürfnis neben § 33b GWB Zunächst könnte man einwenden, die kartellbehördliche215 Entscheidung und deren Bindungswirkung für follow-on-Klagen nach § 33b GWB stillten das Bedürfnis nach kollektivem Rechtsschutz im Kartellrecht.216 Das ist jedoch nur der Fall, wenn die kartellbehördliche Entscheidung bindend alles klärt, worüber in einem kollektiven Verfahren entschieden werden kann.217

212 213 214 215

Vogel Kollektiver Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 26f. Langen/Bunte/Bulst, Art. 102 AEUV Rn. 310. KölnerKomm-KartellR/Krohs, § 33 GWB Rn. 266. Das umfasst im Folgenden eine gerichtliche Entscheidung, wenn die behördliche Entscheidung angefochten wurde, § 33b S. 2 GWB. 216 Würtenberger/Freischem GRUR 2017, 1101, 1103. 217 Mengden NZKart 2018, 398, 401.

Bedürfnis von Verbrauchern nach kollektivem Rechtsschutz im Kartellrecht

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aa) Anwendungsbereich des § 33b S. 1 GWB Der Anwendungsbereich von § 33b S. 1 GWB umfasst bestandskräftige Entscheidungen der Europäischen Kommission, des deutschen Bundeskartellamtes und anderer mitgliedstaatlicher Kartellbehörden. Wurde die Entscheidung gerichtlich angefochten, dann entfaltet die entsprechende rechtskräftige Gerichtsentscheidung ebenfalls Bindungswirkung, § 33 S. 2 GWB. Die angestrebte Entscheidung im private enforcement muss auf Schadensersatz wegen eines Verstoßes gegen Art. 101, 102 AEUV oder den 1. Teil des GWB gerichtet sein (§ 33b S. 1 GWB).218 bb) Reichweite der Bindungswirkung Die Reichweite der Bindungswirkung entscheidet darüber, ob § 33b GWB ein kollektives Verfahren erübrigt. Sie ist im Sinne einer Feststellungswirkung219 und damit zwar weit zu verstehen. Die Bindungswirkung erfasst indes nur die Feststellung des »Ob« eines Kartellrechtsverstoßes.220 Nicht bindend wirken Feststellungen, die für den Kartellverstoß nicht konstitutiv sind und nur obiter getroffen worden sind.221 In der Praxis ermitteln die Kartellbehörden im Bußgeldverfahren die Details eines Verstoßes nicht umfassend.222 Es bleibt beispielsweise offen, wann genau eine kartellrechtswidrige Absprache begonnen hat, wenn sich die Kartellbehörde auf die Feststellung beschränkt, wann der Verstoß spätestens vorlag.223 Feststellungen zur Betroffenheit224, zur haftungsbegründenden225 und haftungsausfüllenden226 Kausalität, Schadenshöhe227, Schadensberechnung228 und zum Schadenseintritt229 enthält die kartellbehördliche Entscheidung meist nicht oder nur obiter.230 Einige Fragen, die für einen Geschädigten oder viele kollektiv Ge218 Dazu Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 33b GWB Rn. 12. 219 Inderst/Thomas Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 107ff.; Wiegandt Bindungswirkung, S. 197; Emmerich Kartellrecht, § 40 Rn. 23. Für eine Tatbestandswirkung vgl. BTDr. 18/10207, 56. Zum Streitstand ausführlich Wiegandt Bindungswirkung, S. 185ff. 220 KölnerKomm-KartellR/Krohs, § 33 GWB Rn. 267; Wiegandt Bindungswirkung, S. 198 mwN; Jansen Verhaltenssteuerung, S. 269. 221 Möschel/Bien/Grünberger Kartellrechtsdurchsetzung, S. 135, 179f.; Immenga/Mestmäcker/ Emmerich, Wettbewerbsrecht, § 33 GWB Rn. 96. 222 Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 80; Mengden NZKart 2018, 398, 401. 223 Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 80. 224 Zur Betroffenheit als Feststellungsziel s. unten S. 103ff. 225 Zur haftungsbegründenden Kausalität als Feststellungziel s. unten S. 106. 226 Zur haftungsausfüllenden Kausalität als Feststellungsziel s. unten S. 113f. 227 Zur Schadenshöhe als Feststellungsziel s. unten S. 110ff. 228 Zur Schadensberechnung als Feststellungsziel s. unten S. 111. 229 Zum Schadenseintritt als Feststellungsziel s. unten S. 107f. 230 KölnerKomm-KartellR/Krohs, § 33 GWB Rn. 267; Mengden NZKart 2018, 398, 401; Langen/ Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 33b GWB Rn. 13f.; Wiegandt Bindungswirkung, S. 203; Meessen Anspruch auf Schadensersatz, S. 133; Jansen Verhaltenssteuerung, S. 269.

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Kollektiver Rechtsschutz und verbraucherorientiertes private enforcement

schädigte zentral sind, entscheidet die Kartellbehörde zwar häufig, etwa welcher Haftungsgrund vorliegt und ob Verschulden gegeben ist. Ob diese Feststellungen von der Bindungswirkung umfasst sind, wird jedoch nicht einheitlich beantwortet.231 Schließlich sind die Feststellungen teilweise auslegungsbedürftig, was die an den Bußgeldbescheid anschließende private Rechtsdurchsetzung weiter erschwert.232 cc) Ergebnis Dass die kartellbehördlichen Feststellungen ausreichen, um ein zusätzliches Bedürfnis nach kollektivem Rechtsschutz zu verdrängen, ist daher nur in Ausnahmefällen denkbar. Die verwaltungsrechtlichen Entscheidungskriterien entsprechen nicht den Anforderungen an eine substantiierte privatrechtliche Klage.233 Zudem haben die Geschädigten keine Möglichkeit, den Inhalt und die Reichweite der kartellbehördlichen Entscheidung zu beeinflussen.234 b) Bedürfnis neben § 90 Abs. 2 und Abs. 5 S. 1 GWB Gemäß § 90 Abs. 2 GWB kann das Bundeskartellamt durch einen Vertreter aktiv an einem Kartellzivilverfahren zur Wahrung öffentlicher Interessen teilnehmen.235 Auf Antrag eines Gerichts, das über einen Schadensersatzanspruch nach § 33a Abs. 1 GWB entscheidet, kann das Bundeskartellamt zur Höhe des durch den Kartellrechtsverstoß entstandenen Schadens Stellung nehmen, § 90 Abs. 5 S. 1 GWB. Das ist einerseits wichtig, weil das Bundeskartellamt im bußgeldrechtlichen Verfahren nicht über die konkrete Schadenshöhe entscheidet, andererseits, weil nicht jeder Fall mit Kartellrechtsbezug zunächst beim Kartellamt liegt.236 Das Bundeskartellamt darf sogar auf Eigeninitiative zur Höhe des Schadens Stellung nehmen, § 90 Abs. 5 S. 2 GWB.237 Etwaige Ausführungen des Bundeskartellamtes binden das Gericht aber nicht.238

231 Dafür: Inderst/Thomas Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 111; Scheffler NZKart 2015, 223, 225; Fritzsche/Klöppner/Schmidt NZKart 2016, 412, 416; Möschel/Bien/Grünberger Kartellrechtsdurchsetzung, S. 135, 179f.; Nothdurft FS Tolksdorf, S. 533, 545f.; KölnerKomm-KartellR/Krohs, § 33 GWB Rn. 267; Wiegandt Bindungswirkung, S. 198ff. Dagegen: OLG Karlsruhe Urt. v. 31. 7. 2013, 6 U 51/12 (Kart), zitiert nach Juris, Tz. 46; Immenga/ Mestmäcker/Emmerich, Wettbewerbsrecht, § 33 GWB Rn. 96 nur für Bußgeldverhängung. 232 Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 80. 233 So auch Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 81; Mengden NZKart 2018, 398, 401. 234 Mengden NZKart 2018, 398, 401. 235 MüKo-Kart/Nothdurft, § 90 GWB Rn. 7. 236 FK-KartellR/Meyer-Lindemann, § 90 GWB Rn. 19. 237 Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 90 GWB Rn. 12. 238 Ausführlich Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 90 GWB Rn. 11.

Bedürfnis von Verbrauchern nach kollektivem Rechtsschutz im Kartellrecht

61

§ 90 Abs. 2 und Abs. 5 GWB verleihen dem Bundeskartellamt weitreichende Mitwirkungsbefugnisse. Ob sich das Bundeskartellamt an einem Kartellzivilverfahren beteiligt, hängt auch von seinen Ressourcen ab.239 Denn gemäß § 90 Abs. 5 S. 1 GWB entscheidet das Bundeskartellamt nach freiem Ermessen, ob es dem Antrag des Gerichts nachkommt.240 Auch die unaufgeforderte Mitwirkung steht im Ermessen der Behörde, § 90 Abs. 2 S. 1 GWB. Die Praxis zeigt, dass das Bundeskartellamt von diesen Beteiligungsmöglichkeiten in der ersten Instanz und auch im Berufungsverfahren nur sehr selten Gebrauch macht.241 In der Revision hingegen nimmt das Bundeskartellamt seine Mitwirkungsrechte regelmäßig wahr, jedoch nur selten schriftlich.242 Schließlich nimmt das Bundeskartellamt nach § 90 GWB erst in einem laufenden Schadensersatzprozess Stellung. Für die Beteiligten ist nicht vorhersehbar, ob sich das Bundeskartellamt überhaupt und ob es sich zur Schadenshöhe äußern wird. § 90 GWB löst damit bei weitem nicht alle Probleme der Kartellgeschädigten. Es verbleibt ein Bedürfnis nach kollektivem Rechtsschutz. 3.

Bedürfnis neben individuellen follow-on-Klagen

Das Restprozessrisiko und der auch bei einer follow-on-Klage notwendige Aufwand überwindet bei Streuschäden nicht das rationale Desinteresse.243 Allgemein nimmt die private Kartellrechtsdurchsetzung in Deutschland seit 2009 stetig zu.244 Das Bundeskartellamt gibt an, dass im Jahr 2015/2016 die follow-on-Klage von der Ausnahme zur Regel wurde.245 Allerdings ist die Hürde bei kleinen Schäden weiterhin hoch. Das Gegenstück zur follow-on-Klage ist die stand-alone-Klage als Initiativoder eigenständige Klage ohne vorherige Entscheidung einer Kartellbehörde. Hier ist die Hürde noch wesentlich höher; sie kommen in der Praxis deshalb nur sehr selten vor.246

239 Vgl. Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 90 GWB Rn. 12. 240 FK-KartellR/Meyer-Lindemann, § 90 GWB Rn. 19; Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 90 GWB Rn. 12. 241 Stancke/Weidenbach/Lahme Schadensersatzklagen, Rn. 289. 242 Ausführlich Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 90 GWB Rn. 10f.; MüKo-Kart/Nothdurft, § 90 GWB Rn. 7; Stancke/Weidenbach/Lahme Schadensersatzklagen, Rn. 289. 243 Meller-Hannich DJT-Gutachten A, S. 59. 244 Helmdach Kronzeugeninformationen, S. 38; Stammwitz Internationale Zuständigkeit, S. 64; Dreher/Kulka Kartellrecht, Rn. 1791. 245 BKartA, Tätigkeitsbericht 2015/2016, BTDr. 18/12760, 80. 246 Wiegandt Bindungswirkung, S. 55f.

2. Kapitel: Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

Die Arbeit geht der Frage nach, ob die Musterfeststellungsklage das private enforcement nach Kartellrechtsverstößen erleichtert. Im Folgenden ist mit kartellrechtlichen Musterfeststellungsklagen gemeint, dass die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse, um die es bei der Musterfeststellung geht, kartellrechtlicher Natur sind.

A.

Die Musterfeststellungsklage als kollektives Rechtsschutzinstrument

I.

Einordnung der Musterfeststellungsklage in das System kollektiven Rechtsschutzes

Die Musterfeststellungsklage lässt sich keinem der bisher existierenden Rechtsschutzinstrumente eindeutig zuordnen. Sie kombiniert bekannte Elemente zu einer neuen Verfahrensart. Ausdrücklich orientierte sich der Gesetzgeber bei der Musterfeststellungsklage an Regelungen des KapMuG und am Verbandsklagerecht.247 Die Verbraucher müssen sich zu einer Musterfeststellungsklage anmelden, sodass es sich um ein opt-in-Verfahren handelt. Zunächst ist die Musterfeststellungsklage eine Verbandsklage. Denn ein Verband repräsentiert die kollektiven Interessen der betroffenen Verbraucher, § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO iVm § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UKlaG. Die Musterfeststellungsklage erlaubt aber neben der klassischen Unterlassungsklage248 die Feststellung und geht insofern über das bestehende Verbandsklagerecht hinaus. Die Bezeichnung Musterfeststellungsklage erweckt den Anschein, es handele sich um eine Musterklage. Doch wird hier nicht eine Individualklage als Muster für andere Fälle geführt, wie etwa im Kapitalanleger-Musterverfahren. 247 BTDr. 19/2507, 15; Schneider BB 2018, 1986. 248 Siehe oben S. 33.

64

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

Die Musterfeststellungsklage unterscheidet sich auch von der Sammel- oder Gruppenklage: Der einzelne Betroffene nimmt bei einer Musterfeststellungsklage eine passive Rolle ein, weil er kaum Beteiligungsrechte hat.249 Echte Sammel- oder Gruppenklagen zeichnen sich hingegen dadurch aus, dass sie den Betroffenen weitreichende Beteiligungsrechte gewähren. Ein weiterer Unterschied zur echten Sammelklage findet sich beim Klagegegenstand: Während die Musterfeststellungsklage nur Feststellungen über Tatsachen oder Rechtsfragen betrifft, ist eine Sammelklage in der Regel nicht auf diese Rechtsfolge beschränkt und umfasst insbesondere auch Leistungsansprüche. Auch von der allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 ZPO unterscheidet sich die Musterfeststellungsklage: Während die Musterfeststellungsklage das Vorliegen oder Nichtvorliegen von tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen zum Gegenstand haben kann, kann Gegenstand der allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 ZPO nur das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses (oder die Echtheit oder Unechtheit einer Urkunde) sein. Insbesondere kann über § 256 ZPO nicht die Feststellung einzelner tatsächlicher oder rechtlicher Voraussetzungen oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses erreicht werden.250 Die Musterfeststellungsklage ist damit eine besondere Feststellungsklage, die durch einen Verband geführt wird und deren Entscheidung für eine Vielzahl von Verbrauchern bindend wirkt.

II.

Ziele der Musterfeststellungsklage

Die Musterfeststellungsklage will Geschädigten eine Möglichkeit bieten, Massenschadensereignisse gemeinsam prozessual zu verfolgen,251 und so bei Streuschäden das rationale Desinteresse überwinden und zur Rechtsdurchsetzung anreizen.252 Die Gerichte sollen entlastet und die Rechtsprechung vereinheitlicht werden, indem ein Oberlandesgericht im Musterfeststellungsverfahren verbindlich über wesentliche Rechts- und Tatsachenfragen entscheidet.253 Die Musterfeststellungsklage soll den Gerichtsstandort Deutschland für Kollektivklagen attraktiv machen.254 Die Musterfeststellungsklage will zudem die außer249 250 251 252 253 254

Röthemeyer Musterfeststellungsklage, Einl. Rn. 68. Zöller/Greger, § 256 ZPO Rn. 3. Witte/Wetzig WM 2019, 52. BTDr. 19/2507, 1. BTDr. 19/2507, 15, 21. BTDr. 19/2507, 15.

Anwendungsbereich

65

gerichtliche Streitbeilegung fördern.255 Denn die »Vorabentscheidung« wesentlicher Rechts- und Tatsachenfragen kann einer umfassenden außergerichtlichen Streitbeilegung zugrunde gelegt werden und Druck in diese Richtung ausüben.256 Schließlich soll die Klärung von Rechtsfragen in einem Musterfeststellungsverfahren auch der Fortentwicklung des Rechts dienen.257

B.

Anwendungsbereich

Der Anwendungsbereich des Musterfeststellungsverfahrens ist nicht auf bestimmte privatrechtliche Rechtgebiete begrenzt, sondern umfasst allgemein den Zivilprozess in Verbrauchersachen (I.). Im Folgenden wird untersucht, unter welchen Voraussetzungen ein Verbraucheranspruch iSv einer Musterfeststellungsklage vorliegt (II.), ausländische Verbraucheransprüche in einem Musterfeststellungsverfahren für das private enforcement relevant werden können (III.) und welche Bedeutung die Musterfeststellungsklage für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche hat (IV.). Anschließend wird de lege ferenda erörtert, ob der Gesetzgeber kleine und mittlere Unternehmen (KMU) als Anmelder in den persönlichen Anwendungsbereich der Musterfeststellungsklage aufnehmen sollte (V.).

I.

Allgemeine Anwendbarkeit auf den Zivilprozess

Anders als das Verfahren nach dem KapMuG258 ist der Anwendungsbereich der Musterfeststellungsklage nicht auf einen engen Spezialbereich begrenzt, sondern umfasst den gesamten Zivilprozess.259 § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO sieht vor, dass Musterfeststellungsanträge für alle Ansprüche von Verbrauchern gegen Unternehmer zulässig sind.

255 256 257 258 259

BTDr. 19/2507, 15. BTDr. 19/2507, 15; Jansen/Birtel FS Graf-Schlicker, S. 63, 71. BTDr. 19/2507, 21. Dazu ausführlich oben S. 52ff. § 46 Abs. 2 S. 2 ArbGG, § 173 S. 1 VwGO, § 155 S. 1 Hs. 2 FGO und § 202 S. 1 Hs. 2 SGG erklären jeweils die §§ 606–614 ZPO für nicht anwendbar.

66 II.

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

Verbraucheransprüche

Wer Verbraucher iSv §§ 606ff. ZPO ist, bestimmt hier nicht die Legaldefinition des § 13 BGB. Gemäß § 29c Abs. 2 ZPO ist Verbraucher eine natürliche Person, die beim Erwerb des Anspruchs oder bei der Begründung des Rechtsverhältnisses nicht überwiegend im Rahmen einer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit gehandelt hat. Der Gesetzgeber hat bewusst keinen Bezug zu Rechtsgeschäften aufgenommen.260 Dieser prozessuale Verbraucherbegriff gilt sowohl für vertragliche als auch für außervertragliche Rechtsverhältnisse, umfasst also insbesondere auch deliktische Ansprüche.261

III.

Ausländische Verbraucheransprüche

Fraglich ist, inwieweit ausländische Verbraucheransprüche in einem Musterfeststellungsverfahren berücksichtigt werden können. Dass ein Kartell grenzüberschreitend tätig wird und sich räumlich auf mehrere Staaten ausdehnt, ist keine Seltenheit.262 Diese Kartellrechtsverletzungen schädigen dann regelmäßig Dritte in verschiedenen Ländern.263 Kartellrechtliche Zivilverfahren weisen daher häufig grenzüberschreitende Bezüge auf.264 Zu prüfen ist, ob ausländische Ansprüche musterfeststellungsfähig sind (1.) und wirksam zu einer Musterfeststellungsklage angemeldet werden können (2.), oder ob ein einheitliches Anspruchsstatut erforderlich ist (3.). Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für ein Musterfeststellungsverfahren und die Frage, ob die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für den ausländischen Anspruch Voraussetzung einer Anmeldung ist265 und ob ein deutsches Musterfeststellungsurteil international anerkannt wird,266 werden gesondert erörtert. 1.

Musterfeststellung von ausländischen Verbraucheransprüchen

Feststellungsziele können Ansprüche betreffen, für die ausländisches Recht gilt. Die in der Klageschrift glaubhaft zu machenden Ansprüche können ebenfalls ausländischem Recht unterliegen. Der Gesetzestext schließt Verbraucher260 261 262 263 264 265 266

BTDr. 19/2507, 20. Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 29c ZPO Rn. 2. Mankowski Schadensersatzklagen, S. 1; Wiegandt Bindungswirkung, S. 56. Vgl. Mankowski Schadensersatzklagen, S. 1. Wiegandt Bindungswirkung, S. 56. Dazu s. unten S. 82ff. Zur Anerkennung eines Musterfeststellungsurteils s. unten S. 161ff.

Anwendungsbereich

67

ansprüche nach ausländischem Recht nicht aus.267 Auch sonst bestehen keine Zweifel, dass Ansprüche, die materiell-rechtlich nicht dem deutschen Recht unterliegen, Gegenstand einer Musterfeststellungsklage sein können.268 Die Ansprüche, die den Feststellungszielen zugrunde liegen und glaubhaft zu machen sind, werden im Folgenden auch Musteransprüche genannt. 2.

Anmeldung ausländischer Verbraucher

Ausländische Verbraucher können sich grundsätzlich269 zu einer Musterfeststellungsklage vor einem deutschen Oberlandesgericht anmelden.270 Dafür spricht auch, dass der Gesetzgeber die internationale Stärkung des deutschen Gerichtstandortes zum Ziel der Musterfeststellungsklage erklärt hat.271 3.

Erfordernis eines einheitlichen Anspruchsstatuts?

Im Zusammenhang mit ausländischen Verbraucheransprüchen in einem Musterfeststellungsverfahren ist fraglich, ob (a) die Feststellungsziele und die Musteransprüche und (b) auch alle angemeldeten Ansprüche einem einheitlichen Anspruchsstatut (derselben lex causae) unterfallen müssen. Wenn auf den Anspruch des ausländischen Verbrauchers ebenso wie auf die Musterfeststellungsziele und die Musteransprüche deutsches materielles Recht anzuwenden ist, stellt sich diese Frage nicht.272 a) Anspruchsstatut der Musterfeststellungsziele und Musteransprüche Dass die Ansprüche mehrerer Verbraucher, die als Musteransprüche Gegenstand einer kartellrechtlichen Musterfeststellungklage sind, demselben materillen Recht unterliegen, ist bei grenzüberschreitenden Sachverhalten keine Selbstverständlichkeit.273 Denn das anwendbare Recht richtet sich auch bei der Musterfeststellungsklage nach den Rom I- und II–VO.274 267 Schneider BB 2018, 1986, 1990; Nordholtz/Mekat/Rohls Musterfeststellungsklage, § 2 Rn. 23. 268 Prütting/Gehrlein/Halfmeier, vor §§ 606–614 Rn. 10; Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 27; Klicka/Leupold VbR 2018, 208, 212; Schneider BB 2018, 1986, 1989. Nordholtz/ Mekat/Rohls Musterfeststellungsklage, § 3 Rn. 62 hält es für denkbar, den Anwendungsbereich der Musterfeststellungsklage für »Auslandsrechtssachverhalte« zu verneinen. 269 Zu den Möglichkeiten des Klägers, die Feststellungsziele auf inländische Verbraucher zu begrenzen, s. unten S. 100. 270 Prütting/Gehrlein/Halfmeier, § 608 ZPO Rn. 6; Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 38; Prütting ZIP 2020, 197, 201. 271 BTDr. 19/2507, 15. 272 Vgl. Reiter/Methner/Schenkel DAR-Extra 2018, 733, 735. 273 Ausführlich zur Bestimmung des anwendbaren Rechts bei Kartellschadensersatzansprüchen: Stancke/Weidenbach/Dörfelt Schadensersatzklagen, Rn. 302ff.; Mankowski Schadensersatzklagen, S. 2ff.; Wiegandt Bindungswirkung, S. 64ff.

68

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

Das Gesetz fordert indes kein einheitliches Statut für die Feststellungsziele. Um jedoch komplexe Verfahren zu verhindern, kann die klagebefugte Einrichtung die Feststellungsziele so formulieren, dass nur einzelne Rechtsordnungen zu prüfen sind.275 Ebenfalls denkbar ist, dass die klagebefugte Einrichtung unterschiedliche Feststellungsziele speziell für das jeweils anwendbare Recht getrennt formuliert und sie kumuliert im Wege einer objektiven Klagehäufung geltend macht.276 Daher fragt sich, ob die Musteransprüche der zehn Verbraucher, die der Verband nach § 606 Abs. 3 Nr. 2 ZPO glaubhaft machen muss, einem einheitlichen Statut unterfallen müssen.277 Dagegen spricht, dass der Gesetzgeber in § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO tatsächliche von rechtlichen Voraussetzungen trennt.278 Denn tatsächliche Feststellungen sind grundsätzlich nicht von einem bestimmten anwendbaren materiellen Recht abhängig.279 Zwar ist es eine Frage des materiellen Rechts, ob eine tatsächliche Feststellung relevant ist. Rechtliche Voraussetzungen hingegen sind abhängig vom jeweils anwendbaren Recht. Daraus ergibt sich eine Trennung: Tatsächliche Voraussetzungen können unproblematisch für unterschiedliche Statuten festgestellt werden, sofern das materielle Recht die tatsächlichen Voraussetzungen für relevant erklärt. Die Feststellung rechtlicher Voraussetzungen kann hingegen zu Schwierigkeiten führen. Der Gesetzeswortlaut fordert für rechtliche Feststellungsziele kein einheitliches Anspruchsstatut. Dass eine rechtliche Voraussetzung für Ansprüche von mindestens zehn Verbrauchern, die unterschiedlichem Recht unterliegen, entscheidungserheblich ist, lässt sich nur mit großem Aufwand begründen und nachweisen.280 Denn es genügt nicht, dass die unterschiedlichen Rechtsordnungen dieselben Anspruchsvoraussetzungen aufstellen. Vielmehr müssen auch dieselben inhaltlichen Anforderungen für diese Voraussetzungen gelten.281 Denn andernfalls sind die Feststellungsziele nicht für alle statutenverschiedenen Musteransprüche entscheidungserheblich. Für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche ist das weniger problematisch: Auch wenn kartellrechtliche Schadensersatzansprüche unterschiedlichen Rechtsordnungen unterfallen, sind die Anspruchsvoraussetzungen innerhalb

274 BTDr. 19/2507, 17. 275 Musielak/Voit/Stadler, § 606 ZPO Rn. 14; Nordholtz/Mekat/Rohls Musterfeststellungsklage, § 3 Rn. 62. 276 Musielak/Voit/Stadler, § 606 ZPO Rn. 14. Zu Untergruppierungen in einem Musterfeststellungsverfahren s. unten S. 116–118. 277 Dafür: Musielak/Voit/Stadler, § 606 ZPO Rn. 14. 278 Horn ZVglRWiss 2019, 314, 324. 279 Horn ZVglRWiss 2019, 314, 324. 280 Horn ZVglRWiss 2019, 314, 324. 281 Horn ZVglRWiss 2019, 314, 324.

Anwendungsbereich

69

der EU doch materiell überwiegend durch die Kartellschadensersatzrichtlinie282 harmonisiert. Daher können tatsächliche und rechtliche Voraussetzungen eines Kartellschadensersatzanspruchs auch dann bindend festgestellt werden, wenn auf die Ansprüche unterschiedliche Rechtsordnungen anwendbar sind.283 Das muss der Musterfeststellungskläger jedoch glaubhaft machen, § 606 Abs. 3 Nr. 2 ZPO. b) Anspruchsstatut der übrigen angemeldeten Ansprüche Es ist keine Voraussetzung der Anmeldung von Ansprüchen zu einer Musterfeststellungsklage, dass die übrigen angemeldeten Ansprüche einem einheitlichen oder demselben Statut wie die Musteransprüche unterfallen.284 Allerdings wirkt es sich auf die Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils aus, wenn die angemeldeten Ansprüche einer anderen Rechtsordnung unterfallen als die Musterfeststellungsziele. Denn die Bindungswirkung reicht nur so weit, wie die Entscheidung des Gerichts die Feststellungsziele und den Lebenssachverhalt der Musterfeststellungsklage betrifft, § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO.285 Stellt sich in einem Folgeprozess heraus, dass auf den angemeldeten Anspruch ein anderes materielles Recht anzuwenden ist als auf die Musterfeststellungsziele, dann binden die tatsächlichen Musterfeststellungen das Prozessgericht, sofern das abweichende Statut die tatsächlichen Feststellungen voraussetzt.286 An die rechtlichen Musterfeststellungen ist das Prozessgericht nur ausnahmsweise gebunden, wenn die Rechtsordnungen denselben rechtlichen Maßstab stellen.287 Daraus ergeben sich Abgrenzungsfragen, denn das ausländische Gericht muss prüfen, ob die Musterfeststellungen nur tatsächliche sind oder das Musterfeststellungsgericht diese eventuell (auch) auf Aspekte des jeweiligen Statuts gestützt hat.288 Beenden die Parteien das Musterfeststellungsverfahren durch einen Vergleich,289 kann der Beklagte bewirken, dass der Vergleich nur Ansprüche erfasst, auf die dasselbe materielle Recht wie auf die Musteransprüche oder -ziele anzuwenden ist.290 282 Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26. 11. 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABl. 2014 L 349, 1. 283 Horn ZVglRWiss 2019, 314, 325. 284 Horn ZVglRWiss 2019, 314, 327. 285 Ausführlich dazu siehe unten S. 157ff. 286 Horn ZVglRWiss 2019, 314, 327; Stadler NJW 2020, 265, 268; vgl. Reiter/Methner/Schenkel DAR-Extra 2018, 733, 735. 287 Horn ZVglRWiss 2019, 314, 327. 288 Dazu ausführlich Horn ZVglRWiss 2019, 314, 327. 289 Dazu siehe unten S. 144ff. 290 Horn ZVglRWiss 2019, 314, 327.

70 4.

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

Ergebnis

Musterfeststellungsziele können ausländisches Recht betreffen und müssen sich nicht auf eine einzige Rechtsordnung beziehen. Die Musteransprüche können ausländischem Recht unterliegen. Für sie muss kein einheitliches Anspruchsstatut gelten. Tatsächliche Voraussetzungen sind unabhängig vom jeweils anwendbaren Recht, weshalb das Gericht diese auch für statutenverschiedene Ansprüche unproblematisch feststellen kann. Bei rechtlichen Voraussetzungen kommt es hingegen darauf an, ob sie in den jeweils anwendbaren Rechtsordnungen, wie im Wesentlichen im europäischen Kartellrecht, gleich sind. Ist dies nicht der Fall, sind die Feststellungsziele nicht für alle statutenverschiedenen Ansprüche erheblich iSv § 606 Abs. 3 Nr. 2 ZPO. Grundsätzlich können auch ausländische Verbraucher ihre Ansprüche zu einer Musterfeststellungsklage anmelden. Die Anmeldung setzt auch nicht voraus, dass sie demselben Statut wie die Musteransprüche unterfallen. Allerdings kann sich aus der konkreten Musterfeststellungsklage mittelbar ergeben, dass es im Einzelfall unzulässig ist, wenn Verbraucher ausländische Ansprüche zum Klageregister anmelden. Das OLG Braunschweig scheint bei der Musterfeststellungsklage gegen die Volkswagen AG davon auszugehen, dass eine Anmeldung ausländischer Ansprüche mit Feststellungsanträgen unvereinbar ist, wenn letztere (nur) auf deutsches Recht abzielen.291 Das erscheint überzeugend, weil solche Anmeldungen das Verfahren komplizieren, ohne für den Anmelder einen rechtlichen Vorteil bewirken zu können. In diesem Zusammenhang muss der interessierte ausländische Verbraucher beachten, dass die Bindungswirkung eines Musterfeststellungsurteils nur für solche Elemente greifen kann, die auch im ausländischen Recht relevant sind.292 Wichtig ist zudem, ob die Rechtskraftwirkung des Musterfeststellungsurteils in seinem Land anerkannt wird.293 Diese Aspekte muss auch der klagende Verband insofern bedenken, als er die Musterfeststellungsziele so formulieren kann, dass sie nur für deutsche Verbraucher relevant sind. Denn es kann wirtschaftlich wenig sinnvoll sein, dass ausländische Verbraucheransprüche in einer Musterfeststellungsklage (mit-) geprüft werden. Das gilt insbesondere, wenn das Gericht zu dem jeweils an291 Die Anmeldung ausländischer Verbraucheransprüche sei problematisch, weil die Feststellungsziele erkennbar so formuliert seien, dass deutsches Recht maßgeblich sein soll, Hinweisbeschluss v. 3. 7. 2019, Az. 4 MK 1/18, unter II, abrufbar unter: https://www.bundesjustiz amt.de/DE/Themen/Buergerdienste/Klageregister/Klagen/201802/Verfahren/Verfahrens stand.html;jsessionid=BFE0321AE8B665BA2524FF95B5AA4EC8.1_cid361?nn=11994364# doc11743832bodyText6. 292 Prütting/Gehrlein/Halfmeier, § 613 ZPO Rn. 13. 293 Schneider BB 2018, 1986, 1989; Nordholtz/Mekat/Heigl/Normann Musterfeststellungsklage, § 2 Rn. 27. Zur Anerkennung eines Musterfeststellungsurteils siehe unten S. 162ff.

Anwendungsbereich

71

wendbaren Recht kostspielige Sachverständigengutachten nach § 293 ZPO einholen müsste.294

IV.

Bedeutung für kartellrechtliche Schadensersatzklagen

Kartellrechtliche Ansprüche fallen in den Anwendungsbereich einer Musterfeststellungsklage, wenn die Anspruchsteller Verbraucher sind.295 Die Musterfeststellungsklage lässt sich für Massen- wie für Streuschäden durch Kartellverstöße einsetzen. Die wirtschaftlich bedeutenderen Schäden entstehen häufig den Unternehmen, weil sie größere Mengen der kartellbefangenen Waren abnehmen als Verbraucher. Unternehmer können sich jedoch nicht zur einer Musterfeststellungsklage anmelden, denn § 606 Abs. 1 ZPO nennt ausdrücklich nur Verbraucher iSd § 29c ZPO als mögliche Anmelder. Bei langen und verzweigten Lieferketten ist regelmäßig erst der Endabnehmer ein Verbraucher.

V.

KMU als Anmelder einer Musterfeststellungsklage?

De lege ferenda ist zu überlegen, ob der Gesetzgeber den persönlichen Anwendungsbereich des Musterfeststellungsverfahrens auf Abnehmer und Konkurrenten ausweiten sollte, wenn diese KMU sind. Kartellverstöße treffen nicht nur Verbraucher, sondern zuvorderst die Konkurrenten und Abnehmer der Kartellteilnehmer.296 Besonders stark können sich Kartellrechtsverstöße auf KMU als Abnehmer und Mitbewerber auswirken.297 Eine Analogie zu §§ 606ff. ZPO scheidet mangels Planwidrigkeit der Regelungslücke aus. Der Gesetzgeber hat sich bewusst dafür entschieden, nur Verbrauchern den Zugang zum Musterfeststellungsverfahren zu gewähren. Fraglich ist gleichwohl, ob KMU im Hinblick auf die gerichtliche Durchsetzung kartellrechtlicher Ansprüche in vergleichbarer Weise schutzbedürftig sind wie Verbraucher.

294 295 296 297

Schneider BB 2018, 1986, 1989. Vgl. Schneider BB 2018, 1986, 1989. Meller-Hannich DJT-Gutachten A, S. 33. Meller-Hannich DJT-Gutachten A, S. 35.

72 1.

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

Prägende Stellung von KMU

Die besondere Stellung, die KMU in der Volkswirtschaft in Deutschland und der EU zukommt, spricht zunächst dafür, dass KMU schutzbedürftig sind.298 KMU ermöglichen einen wirksamen Wettbewerb und halten ihn aufrecht.299 2.

Kartellrechtliche Privilegierung von KMU

Eine Einbeziehung von KMU in den persönlichen Anwendungsbereich der Musterfeststellungsklage und die damit einhergehende Privilegierung könnte zunächst im Einklang mit der besonderen Stellung stehen, die der Gesetzgeber KMU im Kartellrecht einräumt. Das Kartellrecht privilegiert KMU an verschiedenen Stellen, beispielsweise bei der gesamtschuldnerischen Haftung in § 33d Abs. 3–5 GWB, bei der Verjährung gemäß § 33h Abs. 8 GWB und bei Kooperationsmöglichkeiten laut dem Merkblatt des Bundeskartellamts über die Kooperationsmöglichkeiten von KMU. Jedoch stehen all diese Privilegierungen im unmittelbaren Zusammenhang damit, ob ein Kartellrechtsverstoß anzunehmen ist. Ob KMU darüber hinaus auch prozessual bessergestellt werden sollten, ist fraglich. Denn im Hinblick auf das Kartellzivilverfahren privilegiert das GWB KMU nicht unmittelbar. 3.

Privilegierung von KMU in anderen Rechtsgebieten

Die Musterfeststellungsklage ist keine spezielle Klageart für das Kartellrecht, sondern eine allgemeine zivilprozessuale Klage.300 Diese allgemeine Geltung der Musterfeststellungsklage könnte dagegen sprechen, dass sich auch KMU zur Musterfeststellungsklage anmelden dürfen. Der Gesetzgeber privilegiert KMU jedoch auch über das Kartellrecht hinaus. Er unterscheidet etwa in §§ 267, 267a HGB anhand der Unternehmensgröße und knüpft daran unterschiedliche Rechtsfolgen. Art. 501 CRR301 privilegiert Risikopositionen, reduziert damit das Eigenmittelerfordernis für KMU und enthält Sonderregelungen zur Kreditvergabe an KMU. Auch das Vergaberecht, das Beihilfenrecht – insbesondere Art. 17ff. VO (EU) 651/2014 – und das Steuerrecht privilegieren KMU in unterschiedlicher Weise. Auch wenn der Gesetzgeber an einigen Stellen KMU privilegiert, bleibt die Privilegierung eine Ausnahme. Das zeigen etwa die strengen Voraussetzungen 298 299 300 301

Vgl. Kowollik Europäische Kollektivklagen, S. 61. Lettl WuW 2015, 692, 701. Dazu siehe oben S. 65. Verordnung (EU) Nr. 575/2013 (des Europäischen Parlaments und des Rates) v. 26. 6. 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen, ABl. L 176, 1.

Anwendungsbereich

73

des § 33d Abs. 3 GWB, die Grenze der Privilegierung nach § 33d Abs. 4 GWB und die zusätzlichen Regelungen in § 33d Abs. 5 GWB, die normieren, wann eine Privilegierung ausgeschlossen ist.302 Die Privilegierung von KMU in dem Sinne, dass sie sich zu einer Musterfeststellungsklage anmelden können, ist kaum sinnvoll auf ein einzelnes Rechtsgebiet zu begrenzen, sondern müsste umfassend sein und widerspräche daher der bisherigen Gesetzeslage. 4.

Unvereinbarkeit mit der Musterfeststellungsklage

Mit dem System der Musterfeststellungsklage nicht vereinbar wäre eine Privilegierung, die nur für kartellrechtliche Musterfeststellungsklagen gilt.303 Denn der Gesetzgeber hat sich mit dem Musterfeststellungsverfahren gerade für ein allgemeines Rechtsschutzinstrument entschieden, das nicht auf bestimmte Anspruchsarten begrenzt ist. Eine Privilegierung von KMU im Rahmen des Musterfeststellungsverfahrens würde erhebliche Änderungen und Anpassungen der §§ 606ff. ZPO erfordern: Zunächst müsste die Klagebefugnis angepasst werden, weil § 606 Abs. 2 ZPO so formuliert ist, dass die Interessen von Verbrauchern vertreten sind. Könnten KMU ihre Ansprüche zur Musterfeststellungsklage anmelden, müssten auch Unternehmerverbände klagebefugt sein.304 Zudem fragt sich, ob eine Privilegierung auch auf die Passivseite auszuweiten wäre. Denn sonst könnte es zu Schieflagen kommen, wenn KMU sich zu einer Musterfeststellungsklage gegen ein anderes KMU anmelden und sich so das »Ungleichgewicht«, das die Musterfeststellungsklage ausgleichen soll, zulasten des Beklagten umkehrt. Schließlich wäre zu klären, ob sich Verbraucher und KMU zu einer gemeinsamen Musterfeststellungsklage anmelden können oder ob es Verbraucher-Musterfeststellungsklagen und KMU-Musterfeststellungsklagen geben solle. Denn bestimmte Fragen und Voraussetzungen können sich unterscheiden, je nachdem ob Anspruchsinhaber ein Unternehmer oder ein Verbraucher ist. Auch stehen einzelne Rechte oder Einreden nur Verbrauchern oder Unternehmern zu. Zwar mögen sich manche Feststellungsziele für KMU und Verbraucher überschneiden. Weil sich aber die Rechtsfragen und Voraussetzungen für beide Gruppen von Anspruchsberechtigten auch unterscheiden können und die Verbraucher-Musterfeststellungsklage eindeutig auf Verbraucher zugeschnitten ist, ist ihre Öffnung für KMU abzulehnen.

302 Die Voraussetzungen erläutert ausführlich Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 210ff. 303 A.A. Mengden NZKart 2018, 389, 403f. 304 Scholl ZfPW 2019, 317, 339.

74 5.

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

Ergebnis

Die Musterfeststellungsklage in ihrer derzeitigen Ausgestaltung eignet sich nicht für eine Ausdehnung auf KMU. Der Gesetzgeber sollte für Unternehmer jedoch die Möglichkeiten, kollektiv kartellrechtliche Schadensersatzansprüche geltend zu machen, verbessern und ein einheitliches Kollektivverfahren für Verbraucher und Unternehmer anstreben.305 Insbesondere Kleinst- und Kleinunternehmer sind vergleichbar schutzbedürftig wie natürliche Personen und Verbraucher.306 Etwa einem selbstständigen Handwerker ein kollektives Rechtsschutzinstrument zu verwehren, das Verbrauchern zusteht, ohne dass materiell-rechtlich oder wirtschaftlich eine Differenzierung geboten wäre, überzeugt nicht.307 Sofern der Gesetzgeber es für geboten erachtet, ein kollektives Rechtsschutzinstrument für Verbrauchern vergleichbar schutzwürdige Unternehmen einzuführen, eignet sich die kartellrechtliche Definition von KMU der Kommission308, die auch § 33d Abs. 3 S. 1 GWB zugrunde legt, nicht. Besser wäre, sich etwa an der Umsatzschwelle des § 19 UStG309 zu orientieren und den prozessualen Verbraucherbegriff um eine entsprechende Regelung zu erweitern. Neben einem neuen einheitlichen Kollektivverfahren kommt auch in Betracht, die bereits bestehenden Bündelungsmechanismen zu verbessern.310

C.

Zuständigkeit

Neben der sachlichen (I.), örtlichen (II.) und internationalen (IV.) Zuständigkeit ist für kartellrechtliche Musterfeststellungsklagen zu klären, wie sich §§ 119 GVG, 32c ZPO zu den Regelungen der §§ 87ff. GWB verhalten (III.).

305 Heese JZ 2019, 429, 435; Scholl ZfPW 2019, 317, 338f.; Meller-Hannich DJT-Gutachten A, S. 34f.; Halfmeier ZRP 2017, 201, 202; Merkt/Zimmermann VuR 2018, 363, 365; Gsell/MellerHannich/Stadler NJW-aktuell 5/2016, 14; Koch MDR 2018, 1409, 1415; Ring NJ 2018, 441, 446; Stadler ZHR 2019, 623, 633; dies. JZ 2018, 793, 799; Balke/Liebscher/Steinbrück ZIP 2018, 1321, 1327; vgl. Kowollik Europäische Kollektivklage, S. 154f. 306 Meller-Hannich DJT-Gutachten A, S. 34f.; Stadler ZHR 2019, 623, 633; Gsell/Meller-Hannich/ Stadler NJW-aktuell 5/2016, 14; vgl. Kowollik Europäische Kollektivklage, S. 154f. 307 Halfmeier ZRP 2017, 201, 202, der den »Wunsch des Justizministeriums« nach einer »Sonderbehandlung« für Verbraucher alleine nicht ausreichen lässt. 308 Empfehlung 2003/361/EG der Kommssion v. 6. 5. 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmer sowie kleiner und mittlerer Unternehmen, Abl. L 124, S. 36. 309 Umsatzsteuergesetz in der Fassung der Bekanntmachung v. 21. 2. 2005, BGBl. I, S. 386, zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes v. 21. 12. 2019, BGBl. I, S. 2886. 310 Siehe unten S. 196ff.

Zuständigkeit

I.

75

Allgemeine sachliche Zuständigkeit

Für Musterfeststellungsklagen sind in erster Instanz die Oberlandesgerichte zuständig – unabhängig von der Höhe des Streitwertes, § 119 Abs. 3 GVG. Die Eingangszuständigkeit des Oberlandesgerichts ermöglicht ein schnelleres rechtskräftiges Musterfeststellungsurteil, weil es nur eine Tatsacheninstanz gibt.311 Die Landesregierungen können durch Rechtsverordnung einem Oberlandesgericht oder Obersten Landesgericht die Zuständigkeit für Musterfeststellungsklagen für mehrere Oberlandesgerichtsbezirke zuweisen, § 119 Abs. 3 S. 2 GVG.

II.

Allgemeine örtliche Zuständigkeit

§ 32c ZPO normiert für Musterfeststellungsklagen einen ausschließlichen Gerichtsstand am Sitz des Beklagten, wenn sich dieser im Inland befindet.

III.

Zuständigkeit für kartellrechtliche Musterfeststellungsklagen

Das GWB regelt in §§ 87ff. Spezialzuständigkeiten für den Kartellzivilprozess. Das wirft für kartellrechtliche Musterfeststellungsklagen die Frage auf, wie sich §§ 119 GVG, 32c ZPO zu §§ 87ff. GWB verhalten.312 Das Gesetz regelt dieses Verhältnis nicht, auch die Gesetzesmaterialien geben insoweit keinen Aufschluss darüber.313 1.

Kollision zwischen §§ 119 Abs. 3 GVG, 32c ZPO und §§ 87ff. GWB

Die Regelungsinhalte und Ziele von §§ 119 Abs. 3 GVG, 32c ZPO weichen von denen der §§ 87ff. GWB ab und widersprechen ihnen teilweise.314 Die Kollision betrifft vornehmlich die erstinstanzliche Zuständigkeit, den Instanzenzug und die Spezialisierung von Gerichten und Spruchkörpern, also die funktionelle Zuständigkeit.315

311 Scholl ZfPW 2019, 317, 339; Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 242; Fölsch DAR-Extra 2018, 736. Kritisch zur erstinstanzlichen Zuständigkeit der Oberlandesgerichte Loyal ZIP 2019, 2049f. 312 Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 248ff. 313 Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 252f. 314 Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 248. 315 Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 251.

76

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

a) Unterschiedliche erstinstanzliche Zuständigkeiten und Instanzenzug Das GWB sieht folgenden Instanzenzug vor: Streitwertunabhängig sind gemäß § 87 GWB in erster Instanz die (Kartell-)Landgerichte zuständig. § 87 GWB erfasst seinem Wortlaut nach auch Musterfeststellungsklagen, da die Regelung nicht nach Klagearten unterscheidet. Dass nicht der Kartellschadensersatzanspruch als solcher Gegenstand eines Musterfeststellungsverfahrens ist, ändert daran nichts. Denn § 87 S. 2 GWB begründet die ausschließliche Zuständigkeit auch dann, wenn die Streitigkeit kartellrechtliche Vorfragen betrifft. Gemäß § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GVG sind die (Kartell-)Oberlandesgerichte für die Berufung zuständig; die Revision erfolgt zum Bundesgerichtshof, § 133 GVG. Durch die Eingangszuständigkeit bei den Landgerichten sollen die Oberlandesgerichte nicht mit schwierigen Tatsachenfeststellungen belastet werden.316 Die Zuständigkeiten, die der Gesetzgeber für ein Musterfeststellungsverfahren vorgesehen hat, widersprechen dem: Gemäß § 119 Abs. 3 Nr. 1 GVG sind streitwertunabhängig die (Musterfeststellungs-)Oberlandesgerichte sachlich in erster Instanz zuständig. § 119 Abs. 3 Nr. 1 GVG differenziert nicht nach Feststellungszielen oder Rechtsgebieten. Dieser verkürzte Instanzenzug soll ein effektives und schnelles Verfahren ermöglichen.317 Gegen das Musterfeststellungsurteil des Oberlandesgerichts eröffnet § 614 ZPO die Revision zum BGH.318 b) Spezialisierte Spruchkörper und Gerichte Gemäß den GWB-Regelungen entscheiden in Kartellsachen spezialisierte Gerichte und Spruchkörper: Die Landesregierungen können nach § 89 GWB durch Rechtsverordnungen Kartell-Landgerichte bestimmen. Die Berufung erfolgt in jedem Fall zu einem Kartellsenat der Oberlandesgerichte gemäß § 91 S. 2 GWB und nur dann zu einem Kartell-Oberlandesgericht und dem dortigen Kartellsenat, wenn die Landesregierung ein solches nach der Ermächtigung der §§ 92 Abs. 1, 93 GWB bestimmt hat. Die Oberlandesgerichte und der BGH müssen mindestens einen Kartellsenat einrichten, §§ 91, 94 GWB. Die Vorschriften gewährleisten eine qualitativ hochwertige Kartellrechtspflege, indem sichergestellt wird, dass spezialisierte Gerichte und Spruchkörper kartellrechtliche Zivilprozesse leiten und entscheiden.319 Legt man § 119 Abs. 3 GVG und § 32c ZPO zugrunde, ist nicht sichergestellt, dass kartellrechtliche Musterfeststellungsklagen von einem kartellrechtlich spezialisierten Gericht und Spruchkörper entschieden werden. Die örtliche Zuständigkeit nach § 32c ZPO würde darüber entscheiden, welches Oberlandes316 317 318 319

Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 250. Scholl ZfPW 2019, 317, 339; Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 242. Zu Rechtsmitteln siehe unten S. 161. Loewenheim/Meeßen/Riesenkampff/Dicks § 87 GWB Rn. 1.

Zuständigkeit

77

gericht zuständig ist, ohne dass kartellrechtliche Bezüge eine Rolle spielen. Gibt es in einem Bundesland mindestens ein Kartell-Oberlandesgericht, ist zu befürchten, dass für die kartellrechtliche Musterfeststellungsklage ein anderes Oberlandesgericht und nicht das spezialisierte Kartell-Oberlandesgericht zuständig ist. Problematisch ist auch der Fall, dass es in einem Bundesland weder ein Musterfeststellungs-Oberlandesgericht noch ein Kartell-Oberlandesgericht gibt: Dann ist nicht sicher, dass der Kartellsenat des Oberlandesgerichts, das dann zuständig ist, über eine kartellrechtliche Musterfeststellungsklage entscheidet. Ebenfalls nicht normiert ist der Fall, dass der Kartellsenat eines Musterfeststellungs-Oberlandesgerichts zuständig ist, wenn es kein Kartell-Oberlandesgericht gibt.320 Die nach §§ 87ff. GWB für Kartellsachen zuständigen Gerichte sind nicht auf Musterfeststellungsklagen spezialisiert, während zugleich den nach §§ 119 Abs. 3 GVG, 32c ZPO für Musterfeststellungsklagen zuständigen Gerichten eine Spezialisierung auf kartellrechtliche Verfahren fehlt, sofern MusterfeststellungsOberlandesgericht nicht (zufällig) auch Kartell-Oberlandesgericht ist.321 In NRW etwa hat die Landesregierung das OLG Hamm als landesweit zuständiges Musterfeststellungs-OLG bestimmt, während das OLG Düsseldorf das landesweit zuständige Kartell-Oberlandesgericht ist. c)

Auflösung der Kollision

aa) Kein Vorrang durch Auslegung Weder §§ 87ff. GWB noch §§ 119 Abs. 3 GVG, 32c ZPO ist im Wege der Auslegung ein genereller Vorrang zu gewähren.322 bb) Kein Vorrang nach allgemeinen Kollisionsregeln Auch die allgemeinen Kollisionsregeln verhelfen keiner der Normen zu einem generellen Vorrang.323 Der lex specialis-Grundsatz greift nicht, weil beide Normbereiche jeweils in einer Hinsicht spezieller und in anderer Hinsicht genereller sind: §§ 87ff. GWB erfassen nur kartellrechtliche Ansprüche und Rechtsverhältnisse, unterscheiden jedoch nicht hinsichtlich der Klageart, während §§ 119 Abs. 3 GVG, 32c ZPO nicht nach der Natur des Feststellungsziels unterscheiden, aber nur Musterfeststellungsklagen erfassen.324 320 321 322 323 324

Zum Ganzen ausführlich Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 249f. Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 249f. Ausführlich Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 252ff.; Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 456. Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 254. Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 254; Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 456.

78

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

Der lex superior-Grundsatz verfängt nicht, weil das GWB einerseits und das GVG und die ZPO andererseits als Bundesgesetze gleichen Rang haben. Schließlich vermag auch der lex posterior-Grundsatz keinen generellen Vorrang zu begründen: Als jüngeres Recht würden derzeit die §§ 119 Abs. 3 GVG, 32c ZPO den §§ 87ff. GWB vor gehen. Jedoch ist zweifelhaft, dass der Gesetzgeber mit §§ 119 Abs. 3 GVG, 32c ZPO die §§ 87ff. GWB für kartellrechtliche Musterfeststellungsklagen derogieren wollte, insbesondere weil das GWB und das GVG sowie die ZPO jeweils eigenen Zielen und einer eigenen Systematik folgen.325 cc) Kompromisslösung Die Normenkollision ist so aufzulösen, dass einerseits dem jeweiligen Anliegen, aus dem die Spezialzuständigkeiten geschaffen wurden, andererseits aber auch überwölbenden Interessen, wie der Rechtssicherheit für den Kläger, möglichst weitgehend Geltung verschafft wird. (1) Oberlandesgericht als Eingangsinstanz § 87 GWB ist teleologisch zu reduzieren, sodass in erster Instanz für kartellrechtliche Musterfeststellungsverfahren die Oberlandesgerichte sachlich zuständig sind.326 Gleichzeitig sind §§ 119 Abs. 3 GVG, 32c ZPO dahingehend auszulegen, dass sie die Oberlandesgerichte in erster Instanz für Musterfeststellungsklagen abschließend für sachlich zuständig erklären, auch dann, wenn es sich um eine kartellrechtliche Musterfeststellungsklage handelt.327 Gegen eine Eingangszuständigkeit des Oberlandesgerichts sprechen keine zwingenden kartellrechtlichen Gründe. Oberlandesgerichte führen Beweisaufnahmen mindestens so sorgfältig und effizient wie Landgerichte und beherrschen schwierige kartellrechtliche Tatsachenermittlungen.328 Die erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte hat sich auch im KapMuG-Verfahren bewährt.329 Eine erstinstanzliche Zuständigkeit der (Kartell-)Landgerichte für kartellrechtliche Musterfeststellungsklagen und der damit längere Instanzenzug widerspräche hingegen dem Ziel des Gesetzgebers, mit der Musterfeststellungsklage ein durch verkürzten Instanzenzug effektives und schnelles Rechtsschutzinstrument für Verbraucher zu schaffen.330 Das gilt umso mehr, als bei einer kartellrechtlichen follow-on-Musterfeststellungklage die Verfahrensdauer 325 326 327 328 329 330

Zum Ganzen ausführlich Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 254f. Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 256; Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 456. Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 256. Weinland Neue Musterfeststellungsklage, S. 62; Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 256. Halfmeier/Rott/Feess Evaluation Kapitalmarktrecht, S. 85. So Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 256.

Zuständigkeit

79

wegen des vorausgegangene kartellverwaltungsrechtlichen Verfahrens ohnehin schon verlängert ist. Gibt es in einem Bundesland ein Kartell-Oberlandesgericht, so ist dieses für kartellrechtliche Musterfeststellungsklagen ausschließlich zuständig; die Wertungen der §§ 87, 95 GWB sind heranzuziehen.331 (2) Kartellsenat bzw. Kartell-Oberlandesgericht Für kartellrechtliche Musterfeststellungsklagen sind ausschließlich die Kartellsenate der (Kartell-)Oberlandesgerichte funktionell zuständig.332 (a)

Gründe für die funktionelle Zuständigkeit des Kartellsenates bzw. Kartell-Oberlandesgerichts Zunächst sprechen keine zwingenden Gründe dafür, dass ein Musterfeststellungs-Oberlandesgericht über kartellrechtliche Musterfeststellungsklagen entscheiden müsste: Ein Kartell-Oberlandesgericht oder ein Kartellsenat eines Oberlandesgerichts ist gleichermaßen geeignet, über eine kartellrechtliche Musterfeststellungsklage zu entscheiden. Davon geht auch der Gesetzgeber aus, wenn er darauf verzichtet, anzuordnen, dass jedes Oberlandesgericht einen Musterfeststellungssenat errichten muss.333 Während jedes Oberlandesgericht und der BGH mindestens einen Kartellsenat errichten müssen, sieht das Gesetz keine speziellen Musterfeststellungssenate vor. Die Bestimmung eines Musterfeststellungs-Oberlandesgerichts stellt der Gesetzgeber den Landesregierungen anheim. Das Ergebnis ist auch sachgerecht, weil materiell-rechtlich unterschiedliche Themen Gegenstand eines Musterfeststellungsverfahrens sein können. Die Spezialisierung auf Musterfeststellungsverfahren erfolgt in prozessualer Hinsicht, während die kartellrechtliche Spezialisierung prozess- und materiellrechtlicher Art ist.334 Warum den Parteien und den Anmeldern eines kartellrechtlichen Musterfeststellungsverfahrens verwehrt werden sollte, dass spezialisierte Kartell-Spruchkörper über die streitigen, speziell kartellrechtlichen Fragen entscheiden, ist nicht ersichtlich.335 Entscheiden kartellrechtlich spezialisierte Gerichte und Spruchkörper über kartellrechtliche Musterfeststellungsklagen, so beschleunigt dies das Verfahren. Denn kartellrechtlich versierte Spruchkörper entscheiden regelmäßig schneller über kartellrechtliche Tatsachen- und Rechtsfragen, als solche Spruchkörper, die 331 332 333 334

Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 256. Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 257. A.A. Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 458. Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 257. Zum Ganzen Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 256f.; Pohlmann/Schäfers Handbuch Private Kartellrechtsdurchsetzung, § 12 Rn. 100h. 335 Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 256.

80

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

sich bisher außerhalb von Musterfeststellungsverfahren nur selten oder gar nicht mit kartellrechtlichen Fragestellungen befassen.336 Die Spezialisierung des Spruchkörpers kann das Vertrauen der Parteien in die Richtigkeit der Entscheidung stärken; das kann sich auch positiv auf die Verfahrensdauer auswirken, indem weniger Parteien kartellrechtlicher Musterfeststellungsverfahren den Instanzenzug ausschöpfen oder besser noch sich vergleichen.337 (b) Auslegung von § 32c ZPO und Analogie zu §§ 91 S. 2, 95 GWB Die funktionelle ausschließliche Zuständigkeit der (Kartell-)Oberlandesgerichte und der Kartellsenate wird durch analoge Anwendung von §§ 91 S. 2, 95 GWB und eine entsprechende Auslegung von § 32c ZPO erreicht.338 Die Voraussetzungen für eine Analogie liegen vor: §§ 91 S. 2, 95 GWB regeln die Zuständigkeit in Kartellsachen. Die Eingangszuständigkeit eines Oberlandesgerichts in einem kartellrechtlichen Musterfeststellungsverfahren ist nicht geregelt, sodass eine Regelungslücke vorliegt. Diese ist auch planwidrig. Dass der Gesetzgeber in Art. 10 des Gesetzes zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage redaktionelle Änderungen des GWB vorgenommen hat, spricht nicht gegen die Planwidrigkeit.339 Denn die redaktionellen Anpassungen sah schon der Diskussionsentwurf vor, der die Landgerichte in erster Instanz für zuständig erklärte. Der Diskussionsentwurf löste keine Kollision der Zuständigkeiten aus.340 Somit ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber nicht bedacht hat, wie sich seine nachträgliche Änderung der Zuständigkeit und des Instanzenzuges auf die kartellrechtlichen Zivilprozesse auswirkt.341 Die Interessenlage ist bei einer kartellrechtlichen Musterfeststellungsklage vergleichbar.342 Wenn kartellrechtlich spezialisierte Spruchkörper über kartellrechtliche Tatsachen- und Rechtsfragen entscheiden, dient das der Qualität der Kartellrechtspflege, unabhängig davon, ob es sich um die Berufung in einem Individualverfahren, ein Verbandsklageverfahren nach bisherigem Recht oder um die Eingangsinstanz eines kartellrechtlichen Musterfeststellungsverfahrens handelt.343

336 Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 257. 337 Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 257. 338 Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 257. A.A. Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 457f., die zwar das Ergebnis als vorzugswürdig einordnen, aber eine Entscheidung des Gesetzgebers für erforderlich halten. 339 Zum Ganzen Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 257. 340 Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 253. 341 Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 253. 342 Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 257. 343 Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 257.

Zuständigkeit

81

Ob bereits die analoge Anwendung der §§ 91 S. 2, 95 GWB ausreicht, hängt sodann davon ab, ob das Bundesland ein Musterfeststellungs-Oberlandesgericht, ein Kartell-Oberlandesgericht oder beides errichtet hat.344 2.

Ergebnis

Die Zuständigkeitsregelung ergibt sich damit im Einzelnen aus der Gerichtsorganisation in den Bundesländern. Hat ein Land ein Kartell-Oberlandesgericht errichtet, dann ist dieses in erster Instanz sachlich für kartellrechtliche Musterfeststellungsverfahren zuständig. Hat das Land Musterfeststellungsverfahren bei einem Oberlandesgericht konzentriert und kein Kartell-Oberlandesgericht eingerichtet, ist ersteres sachlich zuständig. Gibt es weder ein Kartell-Oberlandesgericht noch ein Musterfeststellungs-Oberlandesgericht, entscheidet sich die Zuständigkeit örtlich nach dem Sitz des Beklagten. In jedem Fall ist ein Kartellsenat funktionell zuständig.

IV.

Internationale Zuständigkeit

Bei grenzüberschreitenden Kartellrechtsverstößen fragt sich, welche Gerichte international zuständig sind, wenn Kartellgeschädigte Ansprüche gegen die Kartellanten gerichtlich im Wege einer Musterfeststellungsklage durchsetzen wollen. Klagt eine ausländische Einrichtung, ist dies keine Frage der internationalen Zuständigkeit, sondern eine der Klagebefugnis.345 Nach der lex fori kann eine Musterfeststellungsklage nur vor deutschen Gerichten erhoben werden.346 Ob Popular- oder Verbandsklagen möglich sind, bestimmt jede Prozessordnung selbst.347 Daher ist im Hinblick auf die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für eine Musterfeststellungsklage nur die Konstellation problematisch, dass ein ausländischer Unternehmer in einem Musterfeststellungsverfahren vor einem deutschen Gericht verklagt wird.348 Melden sich dagegen ausländische Verbraucher zu einer Musterfeststellungsklage gegen einen inländischen Unternehmer an, ist jedenfalls der allgemeine Gerichtsstand des Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO eröffnet. Die deutschen Gerichte sind dann für die angemeldeten ausländischen Ansprüche international

344 345 346 347 348

Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 257f. zu den einzelnen Fallgruppen. Zur Klagebefugnis siehe unten S. 96ff. So auch Horn ZVglRWiss 2019, 314, 316. Schack IZVR, Rn. 625. Horn ZVglRWiss 2019, 314, 316.

82

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

zuständig.349 Die Frage, ob die internationale Zuständigkeit für alle angemeldeten Ansprüche vorliegen muss, stellt sich an dieser Stelle somit nicht. Ein forum shopping350 ist bei Musterfeststellungsklagen nicht zu befürchten, da sie nur vor deutschen Gerichten möglich sind. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für ein Musterfeststellungsverfahren richtet sich nach der Brüssel Ia-VO351, sofern der Beklagte seinen Sitz innerhalb der EU hat.352 Wenn nicht, richtet sich die internationale Zuständigkeit nach völkerrechtlichen Vereinbarungen (insbesondere dem LugÜ 2007) oder dem autonomen deutschen Internationalen Zivilprozessrecht. Hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit sind die Sachverhalte folglich danach zu unterscheiden, ob diese in den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO fallen, oder nicht.

1.

Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte keine Anmeldungsvoraussetzung

Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für den Individualanspruch ist keine Anmeldungsvoraussetzung.353 Die Wirkung einer Anmeldung eines Verbrauchers zu einem Musterfeststellungsverfahren ist nicht vergleichbar mit einer Klageerhebung.354 Die Anmeldung zu einer Musterfeststellungsklage führt dazu, dass die Musterfeststellungen bindend für und gegen den Anmelder wirken.355 Das Verfahren ist nicht darauf gerichtet, den angemeldeten Verbrauchern einen Leistungstitel zu verschaffen. Vielmehr erhält der Verbraucher erst dann einen Leistungstitel, wenn er eine individuelle Leistungsklage auf der Grundlage des Musterfeststellungsverfahrens erhebt. Das ist anders als bei einer US-amerikanischen class action356 oder der französischen action de groupe357, bei denen bereits das Kollektivverfahren dazu führt, dass der einzelne Betroffene einen Leistungstitel erhält. 349 Horn ZVglRWiss 2019, 314, 326 mwN. 350 Zu forum shopping siehe Schack IZVR, Rn. 250ff. 351 Verordnung (EG) Nr. 1215/2015 v. 12. 12. 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. L 351, 1. In Dänemark gilt die Brüssel Ia-VO kraft des Abkommens zwischen Dänemark und der EU zur Erstreckung der Regelungen der Brüssel Ia-VO auf Dänemark, ABl. L 299, 61. 352 Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 606 ZPO Rn. 76 und § 32c ZPO Rn. 6; Nordholtz/ Mekat/Rohls Musterfeststellungsklage, § 3 Rn. 12ff.; Prütting/Gehrlein/Halfmeier, § 606 ZPO Rn. 22; Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 114ff. 353 Horn ZVglRWiss 2019, 314, 327; Stadler NJW 2020, 265, 267. 354 Horn ZVglRWiss 2019, 314, 326; Stadler NJW 2020, 265, 267. 355 Zur Bindungswirkung s. unten S. 157ff. 356 Dazu s. unten S. 185ff. 357 Dazu s. unten S. 179ff.

Zuständigkeit

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Die Wirkungen von Anmeldung und Klageerhebung sind auch nicht deshalb miteinander vergleichbar, weil die Parteien das Musterfeststellungsverfahren durch einen Vergleich beenden können. Der Vergleich wirkt zwar für und gegen den angemeldeten und nicht ausgetretenen Verbraucher, ist jedoch nur ein Titel für die klagende Einrichtung, nicht für den einzelnen Verbraucher.358 Der Beklagte kann in den Vergleichsverhandlungen nur versuchen zu erreichen, dass in den Vergleich iSv § 611 Abs. 2 Nr. 2 ZPO aufgenommen wird, dass die Verbraucher im Rahmen des Nachweises der Leistungsberechtigung die internationale Zuständigkeit glaubhaft machen müssen.359 Die Wirkung von einer Anmeldung ist auch nicht mit einer allgemeinen Feststellungsklage vergleichbar. Bei einer allgemeinen Feststellungsklage entscheidet das Gericht über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses. Bei einer Musterfeststellungsklage hingegen entscheidet das Gericht immer nur über Einzelfragen; der Anspruch als solcher kann gerade nicht Gegenstand des Verfahrens sein.360 Die Ansprüche der Anmelder werden durch die Anmeldung nicht rechtshängig.361 Vergleichbar ist die Wirkung einer Anmeldung hingegen mit der Interventionswirkung gegenüber einem Streitverkündeten. Denn auch in einem Musterfeststellungsverfahren werden Einzelfragen bzw. Teile der angemeldeten Ansprüche vorweg, d. h. vor dem Individualverfahren geklärt.362 Bei einer Streitverkündung wird im Ausgangsprozess auf die internationale Zuständigkeit verzichtet und erst im Regressprozess werden die Zuständigkeitsinteressen des Streitverkündeten gewahrt. Auch wenn das Prozessgericht für eine Klage gegen den Streitverkündeten international nicht zuständig gewesen wäre, tritt die Interventionswirkung ein.363 Mithin ist bei einem Musterfeststellungsverfahren auf die internationale Zuständigkeit gegenüber den Anmeldern zu verzichten. Der Beklagte ist hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit auch nicht schutzbedürftig: Erhebt der Verbraucher im Anschluss an das Musterfeststellungsverfahren vor einem deutschen Gericht eine individuelle Leistungsklage, ohne dass die deutschen Gerichte für diese Folgeklage international zuständig sind, dann weist sie das deutsche Gericht ab.364 Schließlich kann sich auch nach dem Musterfeststellungsurteil eine deutsche internationale Zuständigkeit eröffnen, etwa nach einem Wohnsitzwechsel. In-

358 359 360 361 362 363 364

Siehe unten S. 152f. Horn ZVglRWiss 2019, 314, 327. Siehe oben, S. 98. Horn ZVglRWiss 2019, 314, 328; Stadler NJW 2020, 265, 267. Vgl. Stadler NJW 2020, 265, 267. Schack IZVR, Rn. 419. Horn ZVglRWiss 2019, 314, 326.

84

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

sofern erscheint es zu früh, die internationale Zuständigkeit schon für die Anmeldung zu fordern. Wie damit umzugehen ist, wenn ein Verbraucher sich zur Musterfeststellungsklage angemeldet hat, obwohl die deutschen Gerichte nicht für seinen Anspruch international zuständig sind, und sich bei seiner Folgeklage vor einem ausländischen Gericht auf die Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils beruft, wird im Zusammenhang mit der Anerkennung eines Musterfeststellungsurteils behandelt.365 2.

Sachverhalte mit Auslandsbezug unter der Brüssel Ia-VO

Die Brüssel Ia-VO enthält keine besonderen Vorschriften für kollektive Rechtsschutzinstrumente, insbesondere keinen besonderen Gerichtsstand. Daraus schließen Teile der Literatur, dass der Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO für kollektive Rechtsschutzinstrumente nicht eröffnet sei.366 Dagegen spricht jedoch, dass die Brüssel Ia-VO grundsätzlich alle Verfahren in Zivil- und Handelssachen erfasst, Art. 1 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO.367 Das Musterfeststellungsverfahren ist auch kein sonstiges Verfahren iSv Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO. Nach gefestigter Rechtsprechung des EUGH erfasst Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO nur Verfahren, die auf einer Insolvenz (Zahlungseinstellung, Zahlungsunfähigkeit oder der Erschütterung des Kredits) beruhen und in eine zwangsweise kollektive Liquidation der Vermögenswerte münden.368 Dass eine Musterfeststellungsklage zur Insolvenz des Musterfeststellungsbeklagten führen kann, ist keine Besonderheit der Musterfeststellungsklage, sondern jedem Prozess immanent und kann daher die Voraussetzungen von Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO nicht erfüllen.369 Die Kommission selbst geht davon aus, dass die Brüssel Ia-VO auf kollektive Rechtschutzverfahren anwendbar ist. Das zeigt etwa der Erwägungsgrund 23 des Kommissionsentwurfs370 zur Brüssel Ia-VO. Auch in ihrem Vorschlag einer Verbandsklagerichtlinie371 geht die Kommission davon aus, dass die

365 366 367 368 369

Siehe unten S. 163ff. Woopen IWRZ 2018, 160, 163; Wernicke Referat 72. DJT, S. 37, 56f. Horn ZVglRWiss 2019, 314, 317. EUGH Urt. v. 22. 2. 1979, Rs. C-133/78, ECLI:EU:C:1979:49, Tz. 4 – Gourdain/Nadler. Horn ZVglRWiss 2019, 314, 318. A.A. Woopen IWRZ 2018, 160, 163 mit dem Hinweis, dass in den USA Sammelklagen häufig zur Insolvenz des Beklagten führten. 370 Vorschlag v. 14. 12. 2010 für eine Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung) KOM(2010) 748 endg. 371 Vorschlag v. 11. 4. 2018 für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG, COM(2018) 184 final.

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Brüssel Ia-VO auf die Verbandsklage als kollektives Rechtsschutzinstrument anwendbar sein soll.372 Musterfeststellungsverfahren fallen somit in den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO.373 a) Allgemeiner Gerichtsstand, Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO Der allgemeine Gerichtsstand natürlicher Personen besteht gemäß Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO an ihrem Wohnsitz in einem Mitgliedstaat. Bei Gesellschaften und juristischen Personen liegt der allgemeine Gerichtsstand am Ort ihres satzungsgemäßen Sitzes, des effektiven Hauptverwaltungssitzes oder der Hauptniederlassung (Art. 63, Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO), ggf. also in mehreren Mitgliedstaaten. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich daraus nur, wenn der Beklagte seinen Sitz in Deutschland hat. b) Gerichtsstand der Niederlassung, Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für eine kartellrechtliche Musterfeststellungsklage gegen einen Beklagten mit Sitz außerhalb Deutschlands, der eine inländische Niederlassung betreibt, könnte sich aus Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO ergeben. Dafür müsste es sich bei der Niederlassung nicht um die Hauptniederlassung, sondern um eine sonstige Niederlassung handeln. Denn die Hauptniederlassung begründet bereits gemäß Art. 63 Brüssel Ia-VO den allgemeinen Gerichtsstand.374 Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO setzt voraus, dass der Rechtsstreit »aus dem Betrieb der Niederlassung« folgt. Rechtsstreitigkeiten über Verbindlichkeiten, die die Niederlassung im Namen des Stammhauses abgeschlossen hat, fallen unter Nr. 5, auch wenn der Erfüllungsort nicht im Land der Niederlassung liegt.375. Der Gerichtsstand der Niederlassung ist auch für deliktische Ansprüche eröffnet, wenn sie im Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit der Niederlassung entstanden sind.376 Bei deliktischen Ansprüchen ist der Ort der Niederlassung häufig auch der Ort der deliktischen Handlung, sodass auch der Tatortge372 Horn ZVglRWiss 2019, 314, 318. 373 Horn ZVglRWiss 2019, 314, 318; Klicka/Leupold VbR 2018, 208, 209; im Ergebnis auch Prütting/Gehrlein/Halfmeier, vor § 606 ZPO Rn. 8; Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 114; Nordholtz/Mekat/Rohls Musterfeststellungsklage, § 3 Rn. 12ff.; Röthemeyer Musterfeststellungsklagen, § 32c ZPO Rn. 7; Musielak/Voit/Stadler, § 606 ZPO Rn. 13; Schneider BB 2018, 1986, 1990; Kowollik Europäische Kollektivklagen, S. 199. A.A. Woopen IWRZ 2018, 160, 163; Wernicke Referat 72. DJT, S. 37, 56f. 374 Schack IZVR, Rn. 361. 375 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 161; Stammwitz Internationale Zuständigkeit, S. 445. 376 EUGH Urt. v. 22. 11. 1978, Rs. 33/78, ECLI:EU:C:1978:2015, Tz. 13 – Somafer/Saar-Ferngas.

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richtsstand des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO am selben Ort eröffnet ist.377 Fand die kartellrechtliche Zuwiderhandlung in der Niederlassung des Unternehmens statt, ist bereits der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung eröffnet.378 Wenn die Kartellabsprache nicht am Ort der Niederlassung des Beklagten getroffen wurde, kann sich aus Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO eine andere internationale Zuständigkeit am Ort der Absprache ergeben. Beteiligt sich das Stammhaus an einer kartellrechtswidrigen Absprache, die eine Niederlassung dann in einem anderen Mitgliedstaat umsetzt, hat der Gerichtsstand der Niederlassung ebenfalls eigenständige Bedeutung.379 c) Gerichtsstand des Erfüllungsortes, Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO Der Gerichtstand des Erfüllungsortes nach Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO kommt für eine Musterfeststellungsklage in Betracht, wenn Streitgegenstand »ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag« ist. Dafür ist nicht nötig, dass die klagende Einrichtung selbst Vertragspartner des Beklagten ist.380 Fraglich ist, ob kartellrechtliche Schadensersatzansprüche vertragliche Ansprüche iSv Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO sind. Der EUGH qualifiziert Ansprüche dann als vertraglich, wenn die Verpflichtung »freiwillig eingegangen« worden ist.381 Kartellrechtliche Schadensersatzansprüche geht der Kartellant nicht freiwillig iSd EUGH-Rechtsprechung ein; sie folgen aus dem Gesetz.382 Damit der Kartellant aus kartelldeliktischem Schadensersatzanspruch haftet, müssen die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sein, unabhängig davon, ob eine vertragliche Beziehung zwischen Kartellrechtsverletzer und dem Geschädigten besteht.383 Kartellrechtliche Schadensersatzansprüche sind mithin grundsätzlich keine vertraglichen Ansprüche iSv Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO.384 Ausnahmsweise ist ein kartellrechtlicher Schadensersatzanspruch als vertraglich zu qualifizieren, wenn der Kartellbeteiligte eine sogenannte ComplianceKlausel mit dem Geschädigten vertraglich vereinbart hat.385 Derartige Klauseln dienen dazu, die Risiken zu verringern, die damit verbunden sind, wenn der 377 378 379 380 381 382 383 384 385

Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 161. Zu ihm siehe unten S. 87ff. Wäschle Schadensersatzklagen, S. 133; Stammwitz Internationale Zuständigkeit, S. 446. Nordholtz/Mekat/Rohls Musterfeststellungsklage, § 3 Rn. 18; MüKo-ZPO/Gottwald, Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 11. EUGH Urt. v. 17. 6. 1992, Rs. C-26/91, ECLI:EU:C:1992:268, Tz. 15 – Handte; EUGH Urt. v. 17. 9. 2002, Rs. C-334/00, ECLI:EU:C:2002:499, Tz. 23 – Tacconi. EUGH Urt. v. 17. 9. 2002, Rs. C-334/00, ECLI:EU:C:2002:499, Tz. 23 – Tacconi; Zimmer Auswirkungsprinzip, S. 277. Wäschle Schadensersatzklagen, S. 79. Immenga/Mestmäcker/Rehbinder, Wettbewerbsrecht, § 130 GWB Rn. 325 mwN; Mankowski Schadensersatzklagen, S. 79; Wäschle Schadensersatzklagen, S. 79; Stammwitz Internationale Zuständigkeit, S. 189. Wäschle Schadensersatzklagen, S. 78.

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Geschäftspartner gegen Compliance-Vorschriften verstößt und sich etwa an einer kartellrechtswidrigen Absprache beteiligt.386 Dann ist die Kartellbeteiligung bereits eine Vertragsverletzung und die Haftung folgt unmittelbar aus dem Vertrag.387 Mit Verbrauchern vereinbaren Unternehmen in aller Regel keine Compliance-Klausel, denn ihnen gegenüber besteht kein Bedürfnis, Risiken von Compliance-Verstößen zu verringern. Dass eine Musterfeststellungsklage Ansprüche betrifft, die darauf gestützt werden, dass der Kartellant gegen eine Compliance-Klausel verstoßen hat, ist folglich unwahrscheinlich. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für eine Musterfeststellungsklage gegen einen ausländischen Beklagten kann sich somit zwar grundsätzlich aus dem Gerichtsstand des Erfüllungsortes ergeben.388 Für Musterfeststellungsklagen, die kartellrechtliche Schadensersatzansprüche betreffen, ist der Gerichtsstand des Erfüllungsortes jedoch regelmäßig nicht eröffnet. Zielt die Musterfeststellungsklage darauf ab, die Nichtigkeit von Verträgen wegen Kartellrechtsverstößen festzustellen, ergibt sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte aus Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO, da die Streitigkeit als vertraglich einzuordnen wäre.389 d) Gerichtsstand der unerlaubten Handlung, Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO Der Deliktsgerichtsstand ist regelmäßig maßgeblich, wenn es in grenzüberschreitenden Sachverhalten um kartellrechtliche Schadensersatzansprüche geht.390 Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO begründet die Gerichtspflichtigkeit einer Person, die ihren Sitz oder Wohnsitz innerhalb der Union hat, in dem Mitgliedstaat, in dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Nach dem Ubiquitätsprinzip liegt der Ort des schädigenden Ereignisses sowohl am Handlungs- als auch am Erfolgsort.391 Der Kläger kann zwischen Handlungs- und Erfolgsort wählen.392 Das Ubiquitätsprinzip gilt auch für Kartelldelikte.393 Für ein kartellrechtliches Musterfeststellungsverfahren gegen einen ausländischen Beklagten mit Sitz in einem Mitgliedstaat ermöglicht Art. 7 Nr. 2 Brüs386 Allgemein zu Compliance-Klauseln siehe Teicke/Matthiesen BB 2013, 771ff.; Tabbert/Hanstein CCZ 2019, 242. 387 Wäschle Schadensersatzklagen, S. 78. 388 Schneider BB 2018, 1986, 1990; Prütting/Gehrlein/Halfmeier, vor §§ 606–614 ZPO Rn. 8; Nordholtz/Mekat/Rohls Musterfeststellungsklage, § 3 Rn. 18ff.; Horn ZVglRWiss 2019, 314, 321; Klicka/Leupold VbR 2018, 208, 209; Scholl ZfPW 2019, 317, 340. 389 Vgl. Becker/Kammin EuZW 2011, 503, 505 zur allgemeinen Qualifikation von Feststellungen als vertraglich bei der Feststellungsklage. 390 Wäschle Schadensersatzklagen, S. 80; Wiegandt Bindungswirkung, S. 58. 391 EUGH Urt. v. 30. 11. 1976, Rs. 21/76, ECLI:EU:C:1976:166, Tz. 25 – Bier; MüKo-ZPO/Gottwald, Art. 7 VO (EU) 1215/2012 Rn. 54 mwN. 392 Geimer IZPR, Rn. 1500. 393 EUGH Urt. v. 21. 5. 2015, Rs. C-354/13, ECLI:EU:C:2015:335, Tz. 38 – CDC; Stammwitz Internationale Zuständigkeit, S. 191f.; Wäschle Schadensersatzklagen, S. 82 mwN.

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sel Ia-VO die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Denn kartellrechtliche Schadensersatzansprüche sind grundsätzlich Ansprüche aus unerlaubter Handlung iSv Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO.394 Eine Ausnahme, die jedoch gegenüber Verbrauchern nicht relevant ist, sind Compliance-Klauseln.395 Dass die Ansprüche solche des Klägers sein müssen, verlangt Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO nicht.396 Daher ist es für die internationale Zuständigkeit nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO unerheblich, dass der klagende Verband selbst nicht Inhaber der kartellrechtlichen Schadensersatzansprüche ist.397 aa) Handlungsort Handlungsort ist der Ort, an dem der Beklagte unerlaubt gehandelt und das schädigende Ereignis verursacht hat.398 Nach der neueren EUGH-Rechtsprechung ist bei kartellrechtlichen Zuwiderhandlungen Handlungsort der Ort, an dem die Kartellabsprache erfolgt bzw. das Kartell gegründet worden ist.399 Dagegen spricht aber, dass es zur Aufsplitterung kommt, sobald die Kartellabsprache aus mehreren Einzelabreden besteht.400 Der Handlungsort ist vielmehr dort, wo der Kartellant die wettbewerbswidrige Praxis umgesetzt hat.401 Deutsche Gerichte sind danach international zuständig gemäß Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO, wenn die Kartellanten ihre Absprache in Deutschland umgesetzt, etwa die Preise in Deutschland erhöht haben. Folgte man hingegen der Ansicht des EUGH und stellt auf die Kartellabsprache ab, dann ergibt sich eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte aus Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO nur, wenn die Kartellanten ihr Kartell in Deutschland gegründet haben.

394 Stammwitz Internationale Zuständigkeit, S. 189; Immenga/Mestmäcker/Rehbinder, Wettbewerbsrecht, § 130 GWB Rn. 325 mwN. 395 Wäschle Schadensersatzklagen, S. 81; siehe zum Gerichtsstand des Erfüllungsorts oben S. 86f. 396 Horn ZVglRWiss 2019, 314, 321; vgl. Stammwitz Internationale Zuständigkeit, S. 193. 397 Horn ZVglRWiss 2019, 314, 321; vgl. Nordholtz/Mekat/Rohls Musterfeststellungsklage, § 3 Rn. 25. 398 EUGH Urt. v. 7. 3. 1995, Rs. C-68/93, ECLI:EU:C:1995:61, Tz. 24 – Shevill. 399 EUGH Urt. v. 21. 5. 2015, Rs. C-352/13, ECLI:EU:C:335, Tz. 44 – CDC; Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 232f.; Stadler JZ 2015, 1138, 1140; Stammwitz Internationale Zuständigkeit, S. 195. 400 Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 233; Wäschle Schadensersatzklagen, S. 84; Geimer IZPR, Rn. 1520. 401 Mankowski EWiR 2015, 687, 688; Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 233 mwN; ausführlich zur Befürwortung eines marktbezogenen Erfolgsortes Stammwitz Internationale Zuständigkeit, S. 226ff. und Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 232f.

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bb) Erfolgsort Erfolgsort ist der Ort, an dem das geschützte Rechtsgut verletzt wird.402 Geschütztes Rechtsgut eines kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie der Markt bzw. der freie Wettbewerb. Dann wäre der Erfolgsort der jeweilige Marktort.403 Anders entschied der EUGH in seiner CDC-Entscheidung: Der Erfolgsort bei einer follow-on-Klage sei an dem Ort zu lokalisieren, an dem der Geschädigte seinen Sitz hat.404 In seiner Entscheidung in Sachen Tibor Trans bestätigte der EUGH die Lokalisierung am Sitz des Geschädigten.405 Regelmäßig wird eine behördliche Entscheidung einer Musterfeststellungsklage vorausgehen.406 Der Erfolgsort der kartellrechtlichen Zuwiderhandlung wäre dann der Sitz der Geschädigten. Bei einer Musterfeststellungsklage fragt sich, auf welche Verbraucher abzustellen ist. Auf den Wohnsitz aller angemeldeten Verbraucher abzustellen, ist ausgeschlossen, nicht zuletzt wegen der Möglichkeit einer internationalen Musterfeststellungsklage. Die Zuständigkeit am Erfolgsort wäre dann auch im Kartellrecht nur selten eröffnet, denn sie würde schon durch einen ausländischen Verbraucher gesprengt werden. Denkbar ist eher, dass die Zuständigkeit schon durch einen Verbraucher eröffnet wird. Dann ergäbe sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte, sobald einer der geschädigten Verbraucher seinen Wohnsitz in Deutschland hat. Das ist aber auch nicht sinnvoll. Denn die angemeldeten Verbraucher sind an einem Musterfeststellungsverfahren nicht beteiligt. Sie sind auch nicht schutzwürdig in dem Sinne, dass sie etwa nur einen kurzen Anreiseweg haben sollten oder das Gericht an ihrem Wohnsitz den besten Zugang zu Beweismitteln hat. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Musterfeststellungsklage richtet sich daher nach den zehn Musteransprüchen, die glaubhaft zu machen sind.407 Das heißt, dass die Anspruchsinhaber der Musteransprüche ihren Wohnsitz in Deutschland haben müssen, damit sich aus Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte am Erfolgsort ergibt. Nur so kann der Verband rechtssicher steuern, dass er in Deutschland klagen kann. Auf den Wohnsitz der einzelnen angemeldeten Ver-

402 Mankowski Schadensersatzklagen, S. 60. 403 Wäschle Schadensersatzklagen, S. 105 mwN; Geimer IZPR, Rn. 1520. So auch EuGH Urt. v. 5. 7. 2018, C-27/17, ECLI:EU:C:2018:533, NZKart 2018, 357 – Lithuanian Airlines II. 404 EUGH Urt. v. 21. 5. 2015, Rs. C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335, Tz. 52 – CDC Hydrogen Peroxide; ausführlich dazu Stammwitz Internationale Zuständigkeit, S. 225ff. 405 EuGH Urt. v. 29. 7. 2019, C-451/18, ECLI:EU:C:2019:635, NZKart 2019, 483 – Tibor-Trans. 406 Vgl. Brömmelmeyer EU-Sammelklage, S. 57, 66; siehe unten S. 101. 407 Horn ZVglRWiss 2019, 314, 326f.

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braucher kommt es erst bei der Zuständigkeit für die jeweiligen Folgeprozesse an.408 Für die internationale Zuständigkeit ist ferner unerheblich, ob weitere Schäden auf anderen Märkten entstanden sind. Denn der EUGH hat in der CDCEntscheidung für das Kartellrecht vom sogenannten Mosaikprinzip Abstand genommen.409 Das Mosaikprinzip, das der EUGH im Fall Shevill entwickelt hatte, besagt, dass nur die Gerichte am allgemeinen Gerichtsstand und am Handlungsort über den gesamten Schaden entscheiden könnten; nur sie haben die umfassende Kognitionsbefugnis.410 Die Gerichte am Erfolgsort sollen hingegen nur für den Schaden zuständig sein, der im Forumstaat entstanden ist; für andere Schäden fehle den Gerichten am Erfolgsort die Kognitionsbefugnis.411 Von dieser Rechtsprechung ist der EUGH insbesondere im Kartellrecht immer weiter abgerückt.412 cc) Zwischenergebnis Die Zuständigkeit deutscher Gerichte für eine Musterfeststellungsklage gegen einen ausländischen Beklagten mit Sitz innerhalb der Europäischen Union ergibt sich aus Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO, wenn es um Ansprüche aus unerlaubter Handlung geht.413 Für grenzüberschreitende Musterfeststellungsklagen zur Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche wird der Deliktsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO eine besonders bedeutende Rolle einnehmen. International zuständig sind sowohl die Gerichte am Erfolgsort als auch die am Handlungsort. e) Gerichtsstand der passiven Streitgenossenschaft, Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO In der Praxis kartellrechtlicher Schadensersatzklagen ist der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft des Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO von großer Bedeutung.414 Nach Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO können mehrere Beklagte am allgemeinen Gerichtsstand eines von ihnen, dem sogenannten Ankerbeklagten, verklagt werden, sofern zwischen den Klagen Konnexität besteht. Für die Frage der internatio-

408 Siehe unten S. 96. 409 Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 235; Stadler JZ 2015, 1138, 1140; Wäschle Schadensersatzklagen, S. 127ff. 410 EUGH Urt. v. 7. 3. 1995, Rs. C-68/93, ECLI:EU:C:1995:61, Tz. 33 – Shevill. 411 EUGH Urt. v. 7. 3. 1995, Rs. C-68/93, ECLI:EU:C:1995:61, Tz. 33 – Shevill. 412 Vgl. Schack IZVR, Rn. 346. 413 Nordholtz/Mekat/Rohls Musterfeststellungsklage, § 3 Rn. 23ff.; Prütting/Gehrlein/Halfmeier, vor §§ 606–614 ZPO Rn. 8; Schneider BB 2018, 1986, 1990; Klicka/Leupold VbR 2018, 208, 209; Horn ZVglRWiss 2019, 314, 32; Scholl ZfPW 2019, 317, 340. 414 Danov Jurisdiction, S. 53; Coester-Waltjen FS Kropholler, S. 747, 748; Wäschle Schadensersatzklagen, S. 37 mwN; Mankowski WuW 2012, 947, 949; Schack IZVR, Rn. 410.

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nalen Zuständigkeit sei hier unterstellt, dass eine Musterfeststellungsklage gegen mehrere Unternehmer als Streitgenossen möglich ist.415 Der Wortlaut setzt zunächst voraus, dass alle Beklagten ihren Wohnsitz bzw. Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union haben.416 Warum jedoch ein Beklagter mit Sitz in einem Drittstaat gegenüber denjenigen Beklagten, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat haben, bessergestellt werden soll, leuchtet nicht ein.417 Der Kartellant ist auch nicht schutzwürdig ab dem Moment, in welchem er sich auf eine Zusammenarbeit mit den Kartellanten aus den Mitgliedstaaten einlässt. Der Kläger ist daran interessiert, auch den Kartellanten, der seinen Sitz in einem Drittstaat hat, gemeinsam mit den anderen Beklagten in einem Prozess zu verklagen. Daher ist es entweder in analoger Anwendung des Art. 8 Nr. 1 Brüssel IaVO oder de lege ferenda geboten, einen Streitgenossengerichtsstand auch gegenüber Beklagten mit Sitz in einem Drittstaat zu begründen.418 Wenn alle Beklagten ihren Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat haben, greift Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO nicht ein.419 Dann besteht nämlich kein Bedürfnis, die Gerichtspflichtigkeit in einem einheitlichen Mitgliedsstaat zu bündeln, da sich die internationale Zuständigkeit für jeden der Mitbeklagten jeweils aus Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO ergibt420 und im Übrigen für die örtliche Zuständigkeit § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO greift. Klagen sind konnex, wenn sie in einer so engen Beziehung zueinander stehen, dass es geboten erscheint, sie gemeinsam zu verhandeln und zu entscheiden, um der Gefahr zu begegnen, dass bei derselben Sach- und Rechtslage einander widersprechende Entscheidungen ergehen.421 Eine so enge Beziehung nimmt der EUGH bei kartellrechtlichen Sachverhalten an, wenn eine follow-on-Klage gegen solche Unternehmen erhoben wird, die an einem einheitlichen und fortgesetzten Verstoß gegen Art. 101 AEUV beteiligt waren.422 Für die anderen Beklagten, die sogenannten Annexbeklagten, muss zudem vorhersehbar sein, dass sie am Sitz eines Ankerbeklagten verklagt werden können.423 Bei einer follow-on-Klage hat bereits die Kartellbehörde die Beteili415 Hierzu siehe unten S. 134ff. 416 EUGH Urt. v. 11. 4. 2013, Rs. C-645/11, ECLI:EU:C:2013:228, Tz. 39 – Sapir; Rauscher/Leible EuZPR/EuIPR, Art. 8 Brüssel Ia-VO, Rn. 9; Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 236; Wäschle Schadensersatzklagen, S. 37; Stein/Jonas/Wagner, Art. 6 EuGVVO Rn. 21; Stadler JZ 2015, 1138, 1140; Stammwitz Internationale Zuständigkeit, S. 273, 274ff. 417 Schack IZVR, Rn. 411. 418 Schack IZVR, Rn. 411 mwN. 419 Kropholler/von Hein EuZPR, Art. 6 EuGVVO Rn. 2. 420 Rauscher/Leible EuZPR/EuIPR, Art. 8 Brüssel Ia-VO Rn. 4. 421 EUGH Urt. v. 13. 7. 2006, Rs. C-539/03, ECLI:EU:C:2006:478, Tz. 26 – Roche. 422 EUGH Urt. v. 21. 5. 2015, Rs. C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335, Tz. 21 – CDC Hydrogen Peroxide. 423 Vgl. EUGH Urt. v. 1. 12. 2011, Rs. C-145/10, ECLI:EU:C:2011:798, Tz. 81 – Painer.

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gung der Annexbeklagten festgestellt, weshalb diese mit einer Klage am Sitz des Ankerbeklagten rechnen müssen.424 Konnexität ist auch bei stand-alone-Klagen anzunehmen, sofern die Kartellmitglieder die Klage am Sitz des Streitgenossen vorhersehen können, weil sie alle unmittelbar am Kartell beteiligt waren und folglich Informationen über die anderen Kartellteilnehmer einholen konnten.425 Damit der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft zur internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte für die Musterfeststellungsklage führt, muss der allgemeine Gerichtsstand des Ankerbeklagten in Deutschland liegen. Welcher der Kartellanten seinen allgemeinen Gerichtsstand in Deutschland hat, ist unerheblich. Denn der Kläger kann frei wählen, welchen Kartellanten er als Ankerbeklagten verklagt.426 Die Musterfeststellungsklage ist typischerweise eine follow-on-Klage, sodass dieselbe Sach- und Rechtslage für die Frage der Konnexität anzunehmen ist und die Kartellmitglieder auch damit rechnen müssen, als Musterfeststellungsbeklagte in Deutschland verklagt zu werden. Zusammengefasst kann sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für Musterfeststellungsklagen gegen ausländische Beklagte am Gerichtsstand der passiven Streitgenossenschaft nach Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO ergeben, wenn der Ankerbeklagte seinen allgemeinen Gerichtsstand in Deutschland hat, die Klagen konnex sind und die Kartellanten die Klage am Sitz des Ankerbeklagten vorhersehen konnten.427 f) Verbrauchergerichtsstand, Art. 17ff. Brüssel Ia-VO Deutsche Gerichte können nicht nach Art. 17ff. Brüssel Ia-VO für eine Musterfeststellungsklage gegen einen ausländischen Beklagten zuständig sein.428 Da die betroffenen und angemeldeten Verbraucher nicht Partei des Musterfeststellungsverfahrens sind, ist eine Musterfeststellungsklage keine »Klage eines Verbrauchers« iSv Art. 18 Abs. 1 Brüssel Ia-VO. Eine solche liegt nur vor, wenn ein Verbraucher persönlich als Kläger oder Beklagter an dem Verfahren beteiligt 424 EUGH Urt. v. 21. 5. 2015, Rs. C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335, Tz. 24 – CDC Hydrogen Peroxide. 425 Wurmnest NZKart 2017, 2, 6; Mankowski EWiR 2015, 687, 688; ders. Schadensersatz, S. 73f.: Wiegandt EWS 2015, 157, 158f.; Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 237; siehe auch Stammwitz Internationale Zuständigkeit, S. 366f. 426 Mankowski WuW 2012, 947; Geimer/Schütze EuZVR, Art. 6 VO (EG) Nr. 44/2001 Rn. 31; Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 236. 427 Nordholtz/Mekat/Rohls Musterfeststellungsklage, § 3 Rn. 26. 428 Nordholtz/Mekat/Rohls Musterfeststellungsklage, § 3 Rn. 17; Schneider BB 2018, 1986, 1990f.; Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 114; Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 32c ZPO Rn. 7; im Ergebnis wohl auch Prütting/Gehrlein/Halfmeier, vor §§ 606–614 ZPO Rn. 8; Horn ZVglRWiss 2019, 314, 322f.; Klicka/Leupold VbR 2018, 208, 209; Scholl ZfPW 2019, 317, 340; im Ergebnis Kowollik Europäische Kollektivklagen, S. 202f.

Zuständigkeit

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ist.429 Das folgt aus dem Schutzzweck des Verbrauchergerichtsstands. Der EUGH hat wiederholt entschieden, dass der Schutzzweck des Art. 18 Brüssel Ia-VO der besonderen Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers als regelmäßig wirtschaftlich schwächerer und rechtlich weniger erfahrener Prozesspartei Rechnung tragen soll.430 Dies ist bei einer Musterfeststellungsklage nicht zu besorgen. g) Gerichtsstandsvereinbarung, Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO Gemäß Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO ist das prorogierte Gericht international zuständig, wenn die Parteien wirksam vereinbart haben, dass dieses Gericht über eine Streitigkeit entscheiden soll. Liefer- oder Kaufverträge zwischen dem kartellbeteiligten Lieferanten oder Verkäufer und dem Abnehmer, der durch den kartellbedingt erhöhten Preis einen Schaden erleidet, können Gerichtsstandsvereinbarungen enthalten. Ob eine Gerichtsstandsvereinbarung kartelldeliktische Streitigkeit erfasst, prüft der EUGH restriktiv.431 In einem Musterfeststellungsverfahren klagen nicht Verbraucher selbst, sondern ein Verband. Der Verband hat regelmäßig keine vertraglichen Beziehungen zu dem Beklagten. Etwaige Gerichtsstandsvereinbarungen, die der Beklagte mit den einzelnen Verbrauchern etwa in Liefer- oder Kaufverträgen vereinbart hat, sind für die Zuständigkeit der Musterfeststellungsklage unerheblich. Art. 25 Brüssel Ia-VO setzt voraus, dass die Parteien den Gerichtsstand vereinbaren. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt bei Gerichtsstandsvereinbarungen zwischen dem Beklagten und den einzelnen Verbrauchern. Eine mit den Verbrauchern getroffene Gerichtsstandsvereinbarung geht auch nicht gemäß § 401 BGB auf die klagebefugte Einrichtung über. Damit sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für ein Musterfeststellungsverfahren gegen einen ausländischen Beklagten aus einer Gerichtsstandsvereinbarung überhaupt ergeben kann, müsste die klagebefugte Einrichtung mit dem Beklagten ein Gericht prorogieren. Fraglich ist, ob die klagebefugte Einrichtung mit dem Beklagten einen Gerichtsstand vereinbaren kann im Hinblick auf die Ansprüche der Verbraucher, die nicht Vertragspartei sind. Der EUGH hat klargestellt, dass derjenige, der beabsichtigt, eine Gruppenklage zu erheben, mit dem Beklagten auch zugunsten der anderen Geschädigten einen Vertrag zugunsten Dritter abschließen und sich die Begünstigten auf

429 EUGH Urt. v. 25. 1. 2018, Rs. C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37, Tz. 44 – Schrems/Facebook Irland. 430 EUGH Urt. v. 19. 1. 1993, Rs. C-89/91, ECLI:EU:C:1993:15, Tz. 18f. – Shearson Lehmann Hutton/TVB; EUGH Urt. v. 1. 10. 2002 – Rs. C-167/00, ECLI:EU:C:2002:555, Tz. 32f. – Henkel; EUGH Urt. v. 25. 1. 2018, Rs. C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37, Tz. 44 – Schrems/Facebook Irland. 431 EUGH Urt. v. 21. 5. 2015, Rs. C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335, Tz. 70 – CDC Hydrogen Peroxide.

94

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

diesen Vertrag berufen können.432 Allerdings müssen die Geschädigten der Gerichtsstandsvereinbarung zustimmen.433 Da die Verbraucher entscheiden konnten, ob sie ihre Ansprüche zu einer Musterfeststellungsklage anmelden, bestehen hier keine Bedenken. Denn die Anmeldung enthält dann eine konkludente Zustimmung zu der Drittwirkung der Gerichtsstandsvereinbarung. h)

Zwischenergebnis: Internationale Zuständigkeit für Musterfeststellungsklagen nach der Brüssel Ia-VO Neben dem allgemeinen Gerichtsstand am Sitz des Beklagten nach Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO kann sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für ein Musterfeststellungsverfahren gegen einen ausländischen Unternehmer aus dem Deliktsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO, dem Vertragsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 1, dem Gerichtsstand der sonstigen Niederlassung des Art. 7 Nr. 5, dem Gerichtsstand der passiven Streitgenossenschaft des Art. 8 Nr. 1 oder ggf. aus einer Gerichtsstandsvereinbarung zwischen dem klagenden Verband und dem Beklagten nach Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO ergeben. Der Verbrauchergerichtsstand der Art. 17ff. Brüssel Ia-VO kann dagegen nicht dazu führen, dass die deutschen Gerichte für ein Musterfeststellungsverfahren gegen einen ausländischen Beklagten international zuständig sind.

3.

Sachverhalte mit Auslandsbezug außerhalb des Anwendungsbereichs der Brüssel Ia-VO

Ist die Brüssel Ia-VO nicht anwendbar, so bestimmt sich die internationale Zuständigkeit für ein Musterfeststellungsverfahren nach völkerrechtlichen Vereinbarungen oder dem autonomen deutschen Internationalen Zivilprozessrecht.434 Hat der Beklagte seinen Sitz in der Schweiz, Island oder Norwegen, ergibt sich die internationale Zuständigkeit aus dem LugÜ. Die ZPO regelt die internationale Zuständigkeit nur selten ausdrücklich. Die Vorschriften zur örtlichen Zuständigkeit sind doppelfunktional und indizieren, wann deutsche Gerichte international zuständig sind.435 Für ein Musterfeststellungsverfahren gegen einen ausländischen Beklagten im Zusammenhang mit kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen kommen insbesondere die be432 Der EUGH Urt. v. 14. 7. 1983, Rs. C-201/82, ECLI:EU:C:1983:217, Tz. 14ff. – Gerlingkonzern; dazu Kowollik Europäische Kollektivklage, S. 207. 433 EUGH Urt. v. 21. 5. 2015, Rs. C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335, Tz. 64 – CDC Hydrogen Peroxide; EUGH Urt. v. 7. 2. 2013, Rs. C-543/10, ECLI:EU:C:2013:62, Tz. 29 – Refcomp; Kowollik Europäische Kollektivklage, S. 207. 434 Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 116; Nordholtz/Mekat/Rohls Musterfeststellungsklage, § 3 Rn. 28. 435 Schack IZVR, Rn. 266.

Zuständigkeit

95

sonderen Gerichtsstände der Niederlassung (§ 21 ZPO) und des Vermögens (§ 23 ZPO) in Betracht. Befindet sich der Sitz des Beklagten in Deutschland, dann normiert § 32c ZPO einen ausschließlichen Gerichtsstand. Ob auch der Erfüllungsort (§ 29 ZPO) oder der Tatort einer unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO) die internationale Zuständigkeit für eine Musterfeststellungsklage begründen können, ist nicht abschließend geklärt.436 Denn die Anspruchsinhaber selbst sind nicht Partei des Musterfeststellungsverfahrens. Der Gesetzgeber wollte sich anscheinend im Gesetzgebungsverfahren nicht endgültig entscheiden, wenn er davon ausgeht, dass »§ 29 ZPO oder § 32 ZPO, bei Musterfeststellungsklagen nicht uneingeschränkt zur Anwendung kommen dürften«.437 Es besteht jedoch kein Anlass anzunehmen, dass §§ 29, 32 ZPO keine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für ein Musterfeststellungsverfahren begründen können. Der Gesetzeswortlaut enthält insoweit keine Einschränkungen.438 Insbesondere der Zweck des § 32 ZPO spricht für die Anwendbarkeit auch auf das Musterfeststellungsverfahren. § 32 ZPO will durch die Sachnähe des Gerichts am Begehungsort eine kostengünstige und leichtere Aufklärung ermöglichen.439 Auch wenn es bei einer Musterfeststellungsklage nicht um das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen insgesamt geht, sind einzelne Voraussetzungen von Ansprüchen streitgegenständlich, sodass auch hier die Sachnähe des Gerichts hilfreich sein kann. Dabei darf es nicht darauf ankommen, dass nicht der Geschädigte selbst, sondern eine klagebefugte Einrichtung klagt. Zudem begründet dieser Umstand keine Schutzbedürftigkeit des Kartellanten. Die Argumentation stützt auch die Annahme, dass § 29 ZPO grundsätzlich anwendbar ist. Denn Normzweck ist auch hier entweder die Sachnähe des Gerichts am Erfüllungsort440 oder die Herstellung einer Zuständigkeitsgleichheit, wenn die zuständigkeitsrechtliche Bevorzugung des Beklagten ausgeglichen werden soll und dem Kläger ein vorhersehbarer Gerichtsstand eröffnet wird.441 Dass die streitgegenständlichen Ansprüche bei einer kartellrechtlichen Musterfeststellungsklage als vertraglich zu qualifizieren sind und § 29 ZPO die internationale Zuständigkeit begründet, ist jedoch in der Praxis nicht zu erwarten.442

436 437 438 439 440 441

Vgl. BTDr. 19/2701, S. 2f., 8; Fölsch DAR-Extra 2018, 736f. BTDr. 19/2701, S. 8. BeckOK-ZPO/Toussaint, § 29 Rn. 22 und § 32 ZPO Rn. 6. MüKo-ZPO/Patzina, § 32 Rn. 1. MüKo-ZPO/Patzina, § 29 Rn. 1. Schack Erfüllungsort, Rn. 141, 152. Ausführlich zum Normzweck des § 29 ZPO siehe Schack Erfüllungsort, Rn. 141–153. 442 Zur Qualifizierung von Kartellansprüchen als vertraglich siehe oben S. 86f.

96 4.

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

Internationale Zuständigkeit für die anschließenden Leistungsklagen

Für die individuelle Leistungsklage, die sich an das Musterfeststellungsverfahren anschließt, kann sich zunächst eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte aus denselben Gerichtsständen ergeben, die nach der Brüssel Ia-VO für die Musterfeststellungsklage eröffnet sind.443 Für die individuelle Leistungsklage des Verbrauchers sind zudem der Verbrauchergerichtsstand nach Art. 17ff. Brüssel Ia-VO und der allgemeine Gerichtsstand am Sitz des Beklagten nach Art. 4 Abs. 1, 63 Brüssel Ia-VO eröffnet. Ob es für einen ausländischen Verbraucher sinnvoll ist, die individuelle Leistungsklage vor anderen als den deutschen Gerichten zu erheben – etwa an seinem Wohnsitz im Ausland – hängt davon ab, ob das Musterfeststellungsurteil dort anerkannt wird.444

D.

Keine Klagebefugnis de lege ferenda für das Bundeskartellamt

Gemäß § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO sind qualifizierte Verbände befugt, Musterfeststellungsklagen zu führen. Qualifizierte Verbände sind die in § 3 Abs. 1 S. 1 UKlaG bezeichneten Stellen, die sämtliche von § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO normierten Voraussetzungen erfüllen. Die Einrichtung muss mindestens 350 natürliche Personen oder zehn Verbände, die im gleichen Aufgabenbereich tätig sind, als Mitglieder haben (Nr. 1). Die Einrichtung muss seit mindestens vier Jahren in der Liste nach § 4 UKlaG oder dem Verzeichnis der Europäischen Kommission nach Art. 4 der UKlaRiLi eingetragen sein (Nr. 2). Zudem muss die Einrichtung in Erfüllung ihrer satzungsmäßigen Aufgaben Verbraucherinteressen weitgehend durch nicht gewerbsmäßige aufklärende oder beratende Tätigkeiten wahrnehmen (Nr. 3). Musterfeststellungsklagen dürfen nicht mit Gewinnerzielungsabsicht erhoben werden (Nr. 4) und die Einrichtung darf nicht mehr als 5 % ihrer finanziellen Mittel durch Zuwendungen von Unternehmen beziehen (Nr. 5). Auch ausländische Einrichtungen sind zur Musterfeststellungsklage befugt, wenn sie diese Voraussetzungen erfüllen.445 Die Literatur kritisiert die gesetzlich auf »superqualifizierte Einrichtungen« beschränkte Klagebefugnis vielfach und macht zahlreiche Veränderungsvor-

443 Vgl. Klicka/Leupold VbR 2018, 208, 214. 444 Zur Anerkennung eines Musterfeststellungsurteils unten S. 162ff. 445 Prütting/Gehrlein/Halfmeier, vor §§ 606–614 ZPO Rn. 8, § 606 ZPO Rn. 4; Nordholtz/Mekat/ Heigl/Normann Musterfeststellungsklage, § 2 Rn. 24; Horn ZVglRWiss 2019, 314, 319.

Keine Klagebefugnis de lege ferenda für das Bundeskartellamt

97

schläge.446 Die Arbeit verzichtet darauf, die Literaturstimmen umfassend darzustellen, da insofern keine kartellrechtlichen Besonderheiten ersichtlich sind. Kartellbehörden sind de lege lata nicht klagebefugt: Mangels Eintragung in den nach § 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ZPO maßgeblichen Listen erfüllen sie nicht die gesetzlichen Voraussetzungen. So stellt sich de lege ferenda die Frage, ob der Gesetzgeber für kartellrechtliche Musterfeststellungsverfahren die Kartellbehörden als klagebefugte Einrichtung aufnehmen sollte. Der Gesetzgeber der 9. GWB-Novelle hat die Verbraucherrechtskompetenzen des Bundeskartellamts punktuell erweitert, etwa in §§ 90 Abs. 6 und 33e GWB.447 Das Bundeskartellamt kann somit grundsätzlich Verbraucherschutz durchsetzen. Für eine Klagebefugnis des Bundeskartellamtes spräche zunächst die kartellrechtliche Expertise. Auch wären die weitreichenden Befugnisse des Bundeskartellamtes faktisch hilfreich. Es kann vielfältige Ermittlungen vornehmen, Sanktionen nach §§ 32ff. GWB und Bußgelder nach § 81 GWB erlassen sowie Öffentlichkeitsarbeit betreiben.448 Das Kartellamt könnte die ermittelten Informationen in einem Musterfeststellungsverfahren nutzen, sodass sich die Erfolgschancen zugunsten der Anmelder erhöhen würden. Allerdings sind Interessenkonflikte zu besorgen, wenn das Bundeskartellamt public und private enforcement gleichermaßen betreiben würde. Welche Ermittlungsbefugnisse das Bundeskartellamt in einem Musterfeststellungsverfahren nutzen dürfte, wäre insbesondere hinsichtlich der zivilprozessualen Waffengleichheit fraglich. Die aus den weitreichenden Ermittlungsbefugnissen resultierenden Informationen einem Musterfeststellungsverfahren »fernzuhalten«, indem der Informationsfluss innerhalb des Bundeskartellamtes verhindert wird, erscheint kaum praktikabel.449 Das Bundeskartellamt hat im Rahmen des Opportunitätsprinzips ein weites Aufgreifermessen.450 Das könnte gegen eine zivilrechtliche Klagebefugnis der Kartellbehörden sprechen. Zwar können andere Einrichtungen auch dann noch eine Musterfeststellungsklage erheben, wenn sich das Bundeskartellamt gegen eine Klage entschieden hat. Andere klagebefugte Einrichtungen könnten aber davon absehen, wenn das Bundeskartellamt mit seiner besonderen Expertise keine solche Klage verfolgt.

446 Felgentreu/Gängel VuR 2019, 323, 328ff.; Meller-Hannich DJT-Gutachten A, S. 49f.; Koch DZWiR 2016, 351, 356; Balke/Liebscher/Steinbrück ZIP 2018, 1321, 1327; Weinland Neue Musterfeststellungsklage, S. 115ff.; Woopen NJW 2018, 133, 135f.; Röthemeyer VuR 2020, 130, 135ff. Für einen Ombudsmann Wernicke BB 11/2017, Erste Seite; ders. DRiZ 2018, 93. Guggenberger/Guggenberger MMR 2019, 8, 13f. schlagen einen »Verbrauchergeneralanwalt« vor. 447 Künstner ZRP 2019, 98. 448 Bewertung des »Befugnisarsenal« Podszun/Busch/Henning-Bodewig Studie, S. 190f. 449 Vgl. Künstner ZRP 2019, 98, 100. 450 KölnerKomm-KartellR/Reher, vor § 81 GWB Rn. 150.

98

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

Auch de lege ferenda sollten die Kartellbehörden deshalb nicht zur Musterfeststellungsklage befugt sein.

E.

Feststellungsziele

Zentral für die Einsatzmöglichkeiten der Musterfeststellungsklage im Kartellrecht ist, welche Feststellungsziele im Hinblick auf kartellrechtliche Schadensersatzansprüche möglich sind. Zunächst wird der Begriff der Feststellungsziele erörtert (I.), ob auch Rechtsfragen das Feststellungsziel einer Musterfeststellungsklage sein können (II.) und ob es eines Sachentscheidungsinteresses bedarf (III.). Anschließend wird konkret für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche geprüft, welche Feststellungsziele in einem Musterfeststellungsverfahren behandelt werden können (IV.), ob Feststellungsziele für »Untergruppen« von Verbrauchern möglich sind (V.) und inwiefern für Verbraucher nachteilige Feststellungsziele musterfeststellungsfähig sind (VI.).

I.

Begriffsbestimmung

Gegenstand einer Musterfeststellungsklage kann nach § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO die »Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens von tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen (Feststellungsziele)« sein. Die Parteien und das Gericht sollen sich darauf konzentrieren, grundsätzliche und in einer Vielzahl von Fällen wiederkehrende Fragen tatsächlicher oder rechtlicher Art zu klären.451 Auf eine Leistung ist die Musterfeststellungsklage nicht gerichtet. Auch versteckte Leistungsansprüche in Form von Leistungsverpflichtungsfeststellungen sind ausgeschlossen.452 Die allgemeine Feststellungsklage hat nach § 256 Abs. 1 ZPO das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses zum Gegenstand. Die Musterfeststellungsklage indes hat weder ein Rechtsverhältnis noch einen Anspruch zum Gegenstand, sondern nur einzelne Tatbestandsvoraussetzungen oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses oder eines Anspruchs.453 Damit ähnelt die Musterfeststellungsklage einer Zwischenfeststellungsklage nach § 256 Abs. 2 ZPO.454 Die Be451 452 453 454

BTDr. 19/2507, 15. Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 606 ZPO Rn. 8. BTDr. 19/2507, 15. Würtenberger/Freischem GRUR 2017, 1101, 1102.

Feststellungsziele

99

schränkung des Streitgegenstands auf Feststellungsziele entspricht bewusst der Regelung des § 2 Abs. 1 KapMuG.455

II.

Rechtsfragen als Feststellungsziel

Nach § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO können die Feststellungsziele auch Rechtsfragen betreffen. An dieser Stelle kann auf die Erläuterungen der zu § 2 Abs. 1 S. 1 KapMuG ergangenen Rechtsprechung und Literatur zurückgegriffen werden.456 Zwar weicht § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO von § 2 Abs. 1 KapMuG insofern ab, als nur letzterer ausdrücklich die Klärung von Rechtsfragen als taugliches Feststellungsziel nennt. Der Wortlaut des § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO nennt jedoch »rechtliche Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen«. Das zeigt, dass Rechtsfragen Feststellungsziel sein können.457 Das entspricht dem klaren Willen des Gesetzgebers.458

III.

Sachentscheidungsinteresse

Nicht jedes Feststellungsziel wird von schützenswerten Interessen getragen. Fraglich ist, wie mit Anträgen umzugehen ist, die Feststellungsziele betreffen, die nicht entscheidungserheblich sind. § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO verlangt Konnexität, da »die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens von tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen« mit der Wendung »für das« mit dem »Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen« verknüpft wird. Jedes Feststellungsziel muss entscheidungserheblich sein, damit für dieses ein Sachentscheidungsinteresse angenommen werden kann. Das Sachentscheidungsinteresse muss während der gesamten Verfahrensdauer fortbestehen.459

455 BTDr. 19/2507, 15. 456 Waßmuth/Asmus ZIP 2018, 657, 658. 457 Waßmuth/Asmus ZIP 2018, 657, 658; Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 66; Berger ZZP (133) 2020, 3, 15. Im Ergebnis aber ohne nähere Begründung auch Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 606 ZPO Rn. 11 und Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 81. 458 BTDr. 19/2507, 15. 459 Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 68; bereits zum KapMuG BGH NJW 2017, 3777 Tz. 49; BGH NJW-RR 2018, 490 Tz. 60.

100 IV.

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

Feststellungsziele bei kartellrechtlichen Musterfeststellungsklagen

Als kartellrechtlicher Anspruch von Verbrauchern gegenüber Unternehmern kommt insbesondere der Schadensersatzanspruch nach § 33a GWB in Betracht. 1.

Internationale Zuständigkeit für Individualklagen

Kartellrechtliche Sachverhalte sind häufig international geprägt. Die internationale Zuständigkeit kann hier leicht in Streit geraten.460 Mit Musterfeststellungen zur Zuständigkeit nimmt man dem Verbraucher den Streit darüber ab, welches Gericht für Folgeverfahren international zuständig ist. Grundsätzlich ist die internationale Zuständigkeit eine Frage, die verallgemeinert und für eine Vielzahl von Ansprüchen im Rahmen einer Musterfeststellungsklage festgestellt werden kann. (Zwischen-)Feststellungen über die internationale Zuständigkeit sind schon nach § 280 ZPO und auch bei Verfahren nach dem KapMuG461 möglich. Bei einer Musterfeststellungsklage ergibt sich darüber hinaus die Schwierigkeit, dass die Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht einheitlich beantwortet werden kann. Denn diese kann sich bei den einzelnen angemeldeten Verbrauchern aus unterschiedlichen Rechtsquellen oder unterschiedlichen Gerichtsständen ergeben. Die klagebefugte Einrichtung kann und sollte die Feststellungsziele so formulieren, dass divergierende internationale Zuständigkeiten für Folgeverfahren begrenzt werden.462 Etwa kann das Feststellungsziel nur auf Verbraucher, die in Deutschland ihren Wohnsitz haben oder auf die Verbraucher Bezug nehmen, die in Deutschland ein bestimmtes Produkt gekauft haben. Denkbar ist auch eine Begrenzung des Feststellungsziels auf Produkte, die von einem Unternehmen mit einer Niederlassung in Deutschland bezogen wurden oder von Unternehmen, die ihre Produkte nach Deutschland verkaufen oder Dienstleistungen in Deutschland anbieten. Sinnvoll wäre, das Gericht einzelne Voraussetzungen für die internationale Zuständigkeit feststellen zu lassen, sodass der Verbraucher später nur noch das Vorliegen dieser Kriterien nachweisen muss.

460 Zur internationalen Zuständigkeit bei Musterfeststellungserfahren siehe oben S. 81ff. 461 Zur Gerichtszuständigkeit nach § 32b ZPO als Feststellungsziel nach dem KapMuG: OLG Stuttgart WM 2019, 1079. 462 Zu der Frage, ob ein einheitliches Anspruchsstatut nötig ist siehe oben S. 67ff.

Feststellungsziele

2.

101

Kartellverstoß und dessen Reichweite

Bei der Frage, ob Musterfeststellungen dazu beantragt werden können, dass ein Unternehmer gegen das Kartellrecht verstößt, ist zwischen kartellrechtlichen stand-alone- und follow-on-Musterfeststellungsklagen zu differenzieren. a) Kartellrechtliche stand-alone-Musterfeststellungsklage Hat das Bundeskartellamt (noch) nicht behördlich entschieden, ob ein Kartellverstoß vorliegt, kann diese Feststellung in einem Musterfeststellungsverfahren erfolgen.463 Denn dann gibt es noch keine Bindungswirkung gemäß § 33b GWB, die einem Musterfeststellungsverfahren entgegen stünde.464 Dass eine Musterfeststellungsklage an Stelle einer Ermittlung durch die Kartellbehörden bei einem Verstoß gegen das Kartellverbot des Art. 101 AEUV bzw. § 1 GWB erfolgt, welche alle Fragen in diesem Zusammenhang abschließend klärt, ist jedoch unwahrscheinlich. Denn insbesondere bleibt der Zugang zu Beweisen des Musterfeststellungsklägers hinter den Ermittlungsbefugnissen der Kartellbehörde zurück. Eine Musterfeststellungsklage zur Feststellung des Vorliegens eines Wettbewerbsverstoßes verfügt also nur über eine deutlich geringere Rechtsschutzintensität.465 Im Gegensatz dazu kommt eine stand-alone-Musterfeststellungsklage eher in Betracht, wenn es um einen Marktmissbrauch iSv Art. 102 AEUV, §§ 19, 20 GWB geht.466 Denn der Sachverhalt, aus dem sich der Kartellverstoß durch Marktmissbrauch ergibt, ist regelmäßig öffentlich bekannt und wird nicht bestritten.467 Dann kommen Feststellungen über den Marktmissbrauch in Betracht.468 Doch werden stand-alone-Musterfeststellungsklagen auch hier die Ausnahme bleiben. b) Kartellrechtliche follow-on-Musterfeststellungsklage Deutlich besser ließe sich die Musterfeststellungsklage als follow-on-Musterfeststellungsklage einsetzen. Das setzt voraus, dass ein Musterfeststellungsverfahren neben den kartellbehördlichen Feststellungen möglich und nötig ist. Zunächst könnte man annehmen, Musterfeststellungen über den Gegenstand und die Reichweite eines Kartellverstoßes seien ausgeschlossen oder nur stark eingeschränkt möglich, sobald die Kartellbehörde den Kartellverstoß festgestellt 463 Würtenberger/Freischem GRUR 2017, 1101, 1103; Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 29; Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 459f. 464 Vgl. Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 241. 465 Würtenberger/Freischem GRUR 2017, 1101, 1103; Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 241; Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 29; Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 459. 466 Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 241; Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 459. 467 Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 241. 468 Vgl. Pohlmann/Schäfers Handbuch Private Kartellrechtsdurchsetzung, § 12 Rn. 100a.

102

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

hat.469 Diese Feststellungen sind gemäß § 33b GWB bindend, sofern sie konstitutiv für den Verstoß sind.470 Die Praxis zeigt jedoch, dass sowohl das Bundeskartellamt als auch die Europäische Kommission den Kartellverstoß nicht vollständig und umfassend ermitteln, sondern es häufig dabei belassen, den Verstoß nur so weit wie nötig aufzuklären und dabei Einzelheiten offen zu lassen.471 Das liegt auch daran, dass die Behörden versuchen, Verfahren mit einem Settlement abzuschließen.472 Daher ist in vielen anschließenden Kartellschadensersatzverfahren die Reichweite des Verstoßes durchaus noch streitig.473 So lassen die Kartellbehörden offen, wann genau ein Kartellverstoß begonnen hat, wenn sie bei einem fortgesetzten Verstoß nur den Zeitraum feststellen, ab dem ein Kartellant jedenfalls kartellrechtswidrig gehandelt hat.474 Zudem sind die Feststellungen in einem kartellbehördlichen Bußgeldbescheid regelmäßig auslegungsbedürftig. Ob etwa eine bestimmte Ware oder Dienstleistung kartellbefangen war, lässt sich häufig nicht eindeutig den kartellbehördlichen Feststellungen entnehmen.475 Diese offenen Fragen hinsichtlich des Kartellverstoßes kann der Kläger als Feststellungsziel formulieren und zum Gegenstand eines Musterfeststellungsverfahrens machen.476 Dabei muss der Kläger darauf achten, ob die Feststellungsziele für das Bestehen oder Nichtbestehen des Anspruchs oder Rechtsverhältnisses relevant sind,477 und dass er das glaubhaft machen kann.478 Wie genau die Kartellbehörde den Kartellverstoß und dessen Reichweite bereits im Bußgeldverfahren festgestellt hat, entscheidet darüber, ob und inwieweit Feststellungsziele über den Kartellverstoß in einem Musterfeststellungsverfahren sinnvoll sind. Grundsätzlich sind aber Feststellungsziele über den Kartellverstoß und dessen Reichweite denkbar, die über die kartellbehördlichen Feststellungen hinausgehen, sodass § 33b GWB Musterfeststellungszielen zum Kartellverstoß grundsätzlich nicht entgegensteht.479 469 470 471 472 473 474 475 476 477 478 479

Würtenberger/Freischem GRUR 2017, 1101, 1103; Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 456. Dazu oben S. 59. Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 80. Zum Settlement und dessen Voraussetzungen Immenga/Mestmäcker/Dannecker/Biermann, Wettbewerbsrecht, § 81 GWB Rn. 543ff.; Dannecker/Müller Handbuch Wirtschaftsund Steuerstrafrecht, Kap. 19 Rn. 259ff. Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 80. Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 80. Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 80; vgl. Mengden NZKart 2018, 398, 401. Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 80; Mengden NZKart 2018, 398, 401; Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 241. A. A. Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 456, die Feststellungen betreffend den Kartellverstoß pauschal ablehnen. Zum Sachentscheidungsinteresse S. 99. Vgl. Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 80. Wie hier Mengden NZKart 2018, 398, 401f.; Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 240; im Grundsatz auch Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 80; a.A. Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 468.

Feststellungsziele

3.

103

Betroffenheit

Die Aktivlegitimation für einen Anspruch auf Schadensersatz setzt voraus, dass der Verbraucher durch den Kartellverstoß betroffen ist. So fragt sich, ob die Betroffenheit Gegenstand einer Musterfeststellungsklage sein kann. Dabei ist zwischen individueller Betroffenheit jedes einzelnen Anspruchstellers und der allgemeinen Betroffenheit von Verbrauchern zu differenzieren. Vorab ist festzustellen, dass beiden Arten der Betroffenheit die Bindungswirkung einer kartellbehördlichen Entscheidung nicht entgegensteht. Denn die Kartellbehörde stellt die Betroffenheit von Verbrauchern grundsätzlich nicht in einem Bußgeldbescheid bindend fest, insbesondere, wenn die Kartellbehörde einen Verstoß gegen das Kartellverbot feststellt.480 Von diesem Grundsatz gibt es eine Ausnahme: Wenn das Bundeskartellamt den sachlich und räumlich relevanten Markt abgrenzt und sich daraus zumindest mittelbar ergibt, dass bestimmte Personen vom Kartellverstoß betroffen sind, kann es die Betroffenheit bindend feststellen.481 So richtet sich der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung in der Form eines Behinderungsmissbrauchs gegen bestimmte andere Unternehmen; das Bundeskartellamt muss in diesem Fall die Betroffenen individualisieren, um den Sachverhalt zu ermitteln.482 Ausnahmsweise stellt die Kartellbehörde dann bindend fest, dass eine oder mehrere bestimmte Personen vom Behinderungsmissbrauch betroffen sind.483 Bei kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen, die mit Hilfe einer Musterfeststellungsklage geltend gemacht werden, hat diese Ausnahme indes keine Bedeutung für das Verfahren. Es ist ausgeschlossen, dass sich – und sei es auch nur mittelbar – aus der sachlichen oder räumlichen Marktabgrenzung ergibt, dass Verbraucher von dem Kartellverstoß betroffen sind. a) Individuelle Betroffenheit Ein Musterfeststellungsziel, das auf Feststellung der individuellen Betroffenheit einzelner Verbraucher gerichtet ist, ist unzulässig. Denn die Feststellung der individuellen Betroffenheit eines Verbrauchers ist nicht relevant für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen von mindestens zehn Verbrauchern, wie es § 606 Abs. 3 Nr. 2 ZPO verlangt. Ob ein Verbraucher

480 481 482 483

Wiegandt Bindungswirkung, S. 202f. mwN. Nothdurft FS Tolksdorf, S. 533, 543f.; Wiegandt Bindungswirkung, S. 203. Nothdurft FS Tolksdorf, S. 533, 543; Wiegandt Bindungswirkung, S. 202f. BGH NJW 2016, 3527 Tz. 47 – Lottoblock II; Wiegandt Bindungswirkung, S. 202; Nothdurft FS Tolksdorf, S. 533, 543f.; Stancke/Weidenbach/Lahme/Grafunder/Stancke Schadensersatzklagen, Rn. 568.

104

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

individuell betroffen ist, ist vielmehr eine Frage des Einzelfalles,484 etwa ob ein Verbraucher eine kartellbefangene Ware oder Dienstleistung bezogen hat.485 b) Allgemeine Betroffenheit von Verbrauchern Die Kartellbetroffenheit aller Verbraucher, die ein bestimmtes Produkt oder eine Dienstleistung erworben haben, lässt sich in einem Musterfeststellungsverfahren nicht feststellen.486 Überhöhte Preise werden nicht zwingend innerhalb verschiedener Lieferketten einheitlich weitergegeben.487 aa) Feststellungen in Bezug auf konkrete Erwerbskonditionen Möglich ist die Feststellung, dass bestimmte Verbrauchergruppen betroffen sind. In Betracht kommen Feststellungsziele, die an konkrete Erwerbskonditionen anknüpfen. Es würde dann festgestellt, dass diejenigen Verbraucher betroffen sind, die ein Kartellprodukt zu bestimmten Konditionen, etwa einem Preis, der über dem Wettbewerbspreis liegt, erworben haben. Der Verbraucher müsste dann im Folgeprozess nur nachweisen, dass er zu diesen Konditionen erworben hat.488 bb) Feststellungen im Hinblick auf Preisschirmeffektgeschädigte Geschäftspartnern von Kartellaußenseitern, d. h. Unternehmen, die nicht am Kartell beteiligt sind oder waren, können durch das kartellrechtswidrige Verhalten Schäden entstehen.489 Denn die kartellrechtswidrige Absprache kann sich auf den gesamten Markt auswirken, indem auch Kartellaußenseiter ihre Preise an das kartellbedingt erhöhte Markniveau anpassen – es kommt zu einem sogenannten Preisschirmeffekt (umbrella pricing).490 Folglich zahlen die Abnehmer und Lieferanten der Kartellaußenseiter einen mittelbar erhöhten Preis. Die Kartellaußenseiter verhalten sich wettbewerbskonform; sie haften ihren Abnehmern gegenüber nicht auf Ersatz dieser Preisschirmeffektschäden,491 die infolge der durch das Kartell verursachten erhöhten Preise entstanden sind.492

484 485 486 487 488 489 490

Vgl. Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 80; Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 468. Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 80. So auch Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 468. Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 81. Zum Ganzen Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 468. Stancke/Weidenbach/Lahme/von Hinten-Reed/Wandschneider Schadensersatzklagen, Rn. 1015. Berg/Mäsch Kartellrecht, § 33a GWB Rn. 15; Inderst/Thomas Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 305. 491 Logemann Schadensersatz, S. 237. 492 Inderst/Thomas Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 319; Logemann Schadensersatz, S. 237; Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 23.

Feststellungsziele

105

Preisschirmeffektgeschädigte haben einen Schadensersatzanspruch gegen die Kartellmitglieder.493 Haben Verbraucher von Kartellaußenseitern erworben, so sind Feststellungen im Hinblick auf die Voraussetzungen einer Haftung der Kartellanten für Preiseffektschäden möglich.494 c) Mittelbare Feststellungen über die individuelle Betroffenheit Das Gericht kann im Musterfeststellungsverfahren den Kartellverstoß dahingehend präzisieren, dass die Verbraucher ihre konkrete Betroffenheit und damit ihre Anspruchsberechtigung im Folgeprozess leichter nachweisen können.495 Damit würde zwar nicht festgestellt, dass ein individueller Verbraucher betroffen ist. Jedoch könnte die Musterfeststellungsklage der Erkenntnis mittelbar dienen, ob und welche Verbraucher individuell betroffen sind. Ob ein derartiges Feststellungsziel tauglich ist, um Gegenstand einer Musterfeststellungsklage zu sein, und ein entsprechendes Rechtschutzbedürfnis besteht, hängt vom Einzelfall ab. Etwa spielt es eine bedeutende Rolle, wie konkret und ausführlich das Bundeskartellamt oder die Kommission den Kartellverstoß und dessen Reichweite bereits im Bußgeldverfahren festgestellt hat.496 Hat das Bundeskartellamt oder die Kommission beispielsweise offengelassen, wann die Unternehmen mit einer oder mehreren fortgesetzten kartellrechtswidrigen Absprachen genau begonnen haben, so kann der Verbraucher aus der Bußgeldentscheidung selbst nicht herauslesen, ob er von den Kartellanten seinen Schaden überhaupt und in welchem Umfang ersetzt verlangen kann. Gleiches gilt für Feststellungen, welche Waren oder Dienstleistungen von einer Absprache betroffen sind.497 Diese Feststellungen betreffen mittelbar die Frage, ob eine bestimmte Person vom Kartellverstoß betroffen ist. Ob eine Musterfeststellungsklage sinnvoll und zulässig ist, kann nur beantwortet werden, wenn sorgfältig die Umstände des Einzelfalls und insbesondere die konkrete kartellbehördliche Entscheidung herangezogen werden.

493 Dies war lange umstritten und nicht höchstrichterlich entschieden. EUGH Urt. v. 5. 6. 2014, Rs. C-557/12, EU:C:2014:1317, Tz. 22 – Kone. Zu den Einzelheiten siehe Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 23f. 494 Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 477. 495 Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 80. 496 Zum Kartellverstoß und dessen Reichweite als Feststellungsziel siehe oben S. 101f. 497 Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 80; Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 468.

106 4.

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

Haftungsbegründende Kausalität

Weder stellt die kartellbehördliche Entscheidung die haftungsbegründende Kausalität bindend fest,498 noch hat diese über den Einzelfall hinaus Bedeutung für eine Vielzahl von Ansprüchen.499 Sie als Feststellungsziel zu beantragen ist deshalb nicht möglich. Denkbar wäre jedoch die Feststellung von Kriterien, wie der Individualkläger im Folgeverfahren die Kausalität nachweisen kann, welche Anforderungen also an den Nachweis zu stellen sind.500 5.

Verschulden

§ 33a Abs. 1 GWB setzt für einen Schadensersatzanspruch voraus, dass der Anspruchsgegner den Kartellverstoß vorsätzlich oder fahrlässig begangen hat. Die Frage des Verschuldens ist verallgemeinerungsfähig, soweit der Kläger nicht die Feststellung des Verschuldens gegenüber jedem einzelnen Verbraucher beantragt.501 Ob ein Kartellant vorsätzlich oder fahrlässig gegen das Kartellrecht verstößt, kann das Gericht entscheiden, ohne dabei konkret geschädigte Verbraucher zu berücksichtigen. Eine konkrete Schädigungsabsicht gegenüber einer individuellen Person setzt § 33a Abs. 1 GWB nicht voraus. Die Kartellbehörden entscheiden jedenfalls bei der Verhängung von Bußgeldern nach § 81 Abs. 1 GWB darüber, ob die Kartellanten vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt haben. Die behördliche Entscheidungspraxis zeigt, dass das Verschulden eines Rechtsverletzers verallgemeinerungsfähig ist. Die Entscheidungspraxis steht nicht entgegen, das Verschulden zum Feststellungsziel einer Musterfeststellungsklage zu machen, da die Feststellung der Kartellbehörde über ein Verschulden des Kartellrechtsverletzers nicht iSv § 33b S. 1 GWB bindend wirkt.502 Dass sich die Zivilgerichte regelmäßig gleichwohl daran orientieren,503 498 Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 33b GWB Rn. 14; Inderst/Thomas Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 120f.; Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 38; Möschel/Bien/ Gru¨nberger Kartellrechtsdurchsetzung, S. 135, 179f.; KölnerKomm-KartellR/Krohs, § 33 GWB Rn. 267; Kersting/Podszun 9. GWB-Novelle, Kap. 7 Rn. 71. 499 Musielak/Voit/Stadler, § 606 ZPO Rn. 12. 500 Nordholtz/Mekat/Heigl/Normann Musterfeststellungsklage, § 2 Rn. 46. Im Ergebnis eine bedingte Musterfeststellungsfähigkeit der haftungsbegründenden Kausalität annehmend: Mengden NZKart 2018, 398, 401 und Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 241. 501 Nordholtz/Mekat/Rohls Musterfeststellungsklage, § 3 Rn. 54; Lutz Stellungnahme, Wortprotokoll, S. 67, 75. 502 Wiegandt Bindungswirkung, S. 205; Inderst/Thomas Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 111; Thomas/Legner NZKart 2016, 155, 158; Weitbrecht NJW 2012, 881, 883; Bürger WuW 2011, 130, 138; Endter Schadensersatz nach Kartellverstoß, S. 163; Scheffler NZKart 2015, 223, 225; Dohrn Bindungswirkung, S. 185; Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 38; Berg/ Mäsch Kartellrecht, § 33b GWB Rn. 6; Immenga/Mestmäcker/Emmerich, Wettbewerbsrecht,

Feststellungsziele

107

steht dem Bedürfnis nach einer rechtlich bindenden Feststellung im Rahmen einer Musterfeststellungsklage nicht entgegen. Das Verschulden iSv § 33a Abs. 1 GWB ist damit ein taugliches Feststellungsziel einer kartellrechtlichen Musterfeststellungsklage.504

6.

Schadenseintritt

a) Keine entgegenstehende Bindungswirkung nach § 33b GWB Die Bindungswirkung einer kartellbehördlichen Entscheidung umfasst nicht etwaige Feststellungen der Kartellbehörden, dass ein Schaden eingetreten ist.505 § 33b GWB steht auf den Eintritt eines Schadens gerichteten Feststellungszielen nicht entgegen. b) Kein Entgegenstehen der Schadensvermutung nach § 33a Abs. 2 S. 1 GWB Gemäß § 33a Abs. 2 S. 1 GWB wird gesetzlich vermutet, dass ein Kartell einen Schaden verursacht. Diese gesetzliche Vermutung könnte Feststellungen über den Schaden in einem Musterfeststellungsverfahren das Rechtsschutzbedürfnis entziehen – ohne dass es darauf ankäme, ob der Eintritt eines Schadens allgemein festgestellt werden kann. Die gesetzliche Vermutung erfasst jedoch nur bestimmte Kartellabsprachen iSv § 33a Abs. 2 S. 2 GWB, wobei die Aufzählung solcher Absprachen in Satz 3 nicht abschließend ist. Außerdem kommen Ansprüche auf Schadensersatz nach § 33a Abs. 1 GWB in Betracht, für die die Vermutung nicht gilt, etwa wenn der Schaden aus vertikalen § 33 GWB Rn. 96; Emmerich Kartellrecht, § 40 Rn. 26; OLG München NZKart 2013, 162, 163 – Fernsehvermarktung; Kersting/Podszun 9. GWB-Novelle, Kap. 7 Rn. 71; Dreher/Kulka Kartellrecht, Rn. 1822; Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 467. A.A. Alexander Schadensersatz und Abschöpfung, S. 427; Mestmäcker/Schweitzer Europäisches Wettbewerbsrecht, § 23 Rn. 39; Mengden NZKart 2018, 398, 401. Möschel/Bien/Grünberger Kartellrechtsdurchsetzung, S. 135, 179f. nimmt nur für Bußgeldbescheide eine Bindungswirkung hinsichtlich des Verschuldens an. Offenlassend Stancke/Weidenbach/Lahme/Grafunder/Stancke Schadensersatzklagen, Rn. 567. 503 Vgl. Wiegandt Bindungswirkung, S. 205; Endter Schadensersatz nach Kartellverstoß, S. 162f.; Scheffler NZKart 2015, 223, 225. 504 So auch Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 465f. 505 Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 33b GWB Rn. 14; Immenga/Mestmäcker/Emmerich, Wettbewerbsrecht, § 33 GWB Rn. 96; KölnerKomm-KartellR/Krohs, § 33 GWB Rn. 267; Kersting/Podszun 9. GWB-Novelle, Kap. 7 Rn. 71; Jansen Verhaltenssteuerung, S. 269; Mestmäcker/Schweitzer Europäisches Wettbewerbsrecht, § 23 Rn. 39; Dreher/Kulka Kartellrecht, Rn. 1822; Möschel/Bien/Grünberger Kartellrechtsdurchsetzung, S. 135, 179f.; Stancke/Weidenbach/Lahme/Grafunder/Stancke Schadensersatzklagen, Rn. 568; Dannecker/Müller Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, Kap. 19 Rn. 335; Berg/Mäsch Kartellrecht, § 33b GWB Rn. 6.

108

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

Wettbewerbsbeschränkungen506 oder dem Missbrauch einer markbeherrschenden Stellung resultiert. Für diese Fälle muss der Anspruchsteller in jedem Fall nachweisen, dass ihm ein Schaden entstanden ist. Dann können Feststellungen über den Eintritt eines Schadens grundsätzlich auch Gegenstand einer Musterfeststellungsklage sein.507 Schließlich ist die Vermutung widerlegbar und kehrt nur die Beweislast um.508 Schon daraus ergibt sich ein Bedürfnis, Feststellungen über den Eintritt eines Schadens grundsätzlich zum Gegenstand einer Musterfeststellungsklage machen zu können. Der klagende Verbraucherverband kann im Musterfeststellungsverfahren Umstände vortragen, die den Schadenseintritt nachweisen oder zumindest dessen Widerlegung erschweren. Dass die Feststellung dann weiter gehen könnte als die gesetzliche Vermutung, ist vor dem Hintergrund des Telos des § 33a Abs. 2 S. 1 GWB unproblematisch: Die Norm möchte die Geltendmachung von Ansprüchen erleichtern und keine abschließende Regelung treffen. Der Beklagte wird spätestens im anschließenden Individualverfahren einwenden, dass die Schadensvermutung widerlegt sei.509 Dann ist die Schadensvermutung wieder Gegenstand jedes Einzelverfahrens, was die Verfahren für die Verbraucher aufwendiger macht. Somit sind die Verbraucher und der Verband mittelbar daran interessiert, eine etwaige Widerlegung der Vermutung bereits im Musterfeststellungsverfahren zu verhandeln.510 c) Keine Feststellungen zum konkreten Schadenseintritt Ob jedoch dem einzelnen Verbraucher ein Schaden entstanden ist, hängt ganz vom Einzelfall ab, davon geht auch der BGH aus.511 Es handelt sich daher um keine musterfeststellungsfähige Frage.512 d) Allgemeine Musterfeststellungen zum Schadenseintritt Allgemeine Feststellungen über den Eintritt eines Schadens sind möglich.513 Das Gericht kann etwa feststellen, unter welchen Voraussetzungen ein Schaden entsteht oder wie der angemeldete Verbraucher im Folgeprozess nachweisen kann,

506 507 508 509 510 511 512

Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 33a GWB Rn. 24. So auch Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 470. Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 33a GWB Rn. 24; Jansen Verhaltenssteuerung, S. 271. BeckOK-ZPO/Lutz, § 610 ZPO Rn. 19. A.A. Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 470. BGH NZG 2008, 592, 594 mwN. Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 80; Nordholtz/Mekat/Rohls Musterfeststellungsklage, § 3 Rn. 55; Würtenberger/Freischem GRUR 2017, 1101, 1101; Zöller/Vollkommer, § 606 ZPO Rn. 5; Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 469; Mengden NZKart 2018, 398, 401. 513 Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 80f.; Mengden NZKart 2018, 398, 402.

Feststellungsziele

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dass ein Schaden eingetreten ist, sofern die Schadensvermutung im konkreten Fall nicht ausreicht.514 e) Feststellungen zur Schadensabwälzung Gegenstand einer Musterfeststellungsklage könnte sein, ob der Schaden generell an Verbraucher »durchgereicht« worden ist, also ob der Schaden abgewälzt wurde.515 Dass der Schaden an die nächste Vertriebsstufe weitergegeben wurde, wird gemäß § 33c Abs. 2 GWB widerlegbar zugunsten der mittelbaren Abnehmer vermutet. Es gibt gleichwohl ein schutzwürdiges Interesse, das Abwälzen gerichtlich festzustellen, um einem potentiellen passing-on-Einwand516 des Beklagten im Folgeverfahren entgegenzuwirken. Dieses Feststellungsziel bietet sich an, wenn im konkreten Fall Zweifel am tatsächlichen passing-on bestehen. Dass der Schaden auf bestimmte Verbraucher abgewälzt wurde, ist eine Einzelfrage und nicht musterfeststellungsfähig. Die Feststellung, dass alle Mitglieder einer Lieferkette den Schaden an den nächsten Abnehmer und schließlich den Verbraucher weitergegeben haben, ist grundsätzlich nicht möglich.517 Denn erhöhte Preise werden in Lieferketten typischerweise unterschiedlich weitergegeben.518 Feststellen lässt sich aber, ob, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang519 der Schaden weitergegeben wurde. Zudem sind Feststellungen denkbar, die die Anforderungen an die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung des § 33c Abs. 2 GWB konkretisieren. Der Kläger kann die Feststellungsziele auch so formulieren, dass es nur darauf ankommt, ob ein bestimmter Unternehmer in der Lieferkette den erhöhten Preis weitergegeben hat. Allerdings muss der Kläger damit rechnen, dass der Beklagte sich intensiv gegen die Feststellung kartellbedingt erhöhter Preise und eines Abwälzens wehren wird.520 Denn ein entsprechendes Musterfeststellungsurteil hätte weitreichende Folgen für den Musterfeststellungsbeklagten.521 514 Zur Schadensvermutung nach § 33a Abs. 2 GWB siehe oben S. 107f. 515 Ausführlich zur Schadensabwälzung siehe Kersting/Podszun Die 9. GWB-Novelle, Kap. 7 Rn. 73ff.; Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 20ff.; Jansen Verhaltenssteuerung, S. 263ff.; Stancke/Weidenbach/Lahme/von Hinten-Reed/Wandschneider Schadensersatzklagen, Rn. 1024ff.; Dreher/Kulka Kartellrecht, Rn. 1814ff. 516 Zum Einwand des passing-on allgemein Meessen Anspruch auf Schadensersatz, S. 458ff.; Stancke/Weidenbach/Lahme/von Hinten-Reed/Wandschneider Schadensersatzklagen, Rn. 1026ff.; Möschel/Bien/Beschorner/Hüschelrath Kartellrechtsdurchsetzung, S. 9, 15ff. 517 Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 80. 518 Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 80. 519 Dazu ausführlich Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 476. 520 Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 81. 521 Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 81.

110 7.

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

Schadenshöhe

a) Keine entgegenstehenden Regelungen des GWB Das Bundeskartellamt entscheidet grundsätzlich nicht über die konkrete Schadenshöhe. Derartige Feststellungen wären ohnehin nicht von der Bindungswirkung des § 33b S. 1 GWB umfasst.522 Die Schadenshöhe ist auch weder von der Vermutung des § 33a Abs. 1 GWB523 noch der des § 33c Abs. 2 GWB umfasst.524 Normen des GWB stehen damit einem auf die Schadenshöhe zielenden Feststellungsinteresse nicht entgegen. b)

Kein Entgegenstehen von Stellungnahmen des Bundeskartellamtes nach § 90 GWB Jedoch kann das Bundeskartellamt auf Antrag eines Gerichts, das über einen Schadensersatzanspruch nach § 33a Abs. 1 GWB entscheidet, zur Höhe des durch den Kartellrechtsverstoß entstandenen Schadens Stellung nehmen, § 90 Abs. 5 GWB.525 Aspekte der Schadensabwälzung und Vorteilsausgleichung wirken sich unmittelbar auf die Schadenshöhe aus, weshalb das Bundeskartellamt sich auch zu diesen Aspekten äußern darf.526 Fraglich ist, ob daneben noch ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Musterfeststellung der Schadenshöhe ist. Allein die Möglichkeit des Amtes, Stellung zu nehmen, macht die Schadenshöhe jedenfalls noch nicht zu einem ungeeigneten Feststellungsziel. Die klagebefugte Einrichtung weiß, wenn sie die Klageziele formuliert und die Musterfeststellungsklage erhebt, nicht, ob das Bundeskartellamt zur Schadenshöhe Stellung nehmen wird. Denn das steht im freien Ermessen des Bundeskartellamts. Entscheidet es sich für eine Stellungnahme, erfolgt diese erst im laufenden Verfahren. Dieser Umstand bekommt besonderes Gewicht dadurch, dass das Bundeskartellamt regelmäßig erst in der Revision vor dem BGH die Beteiligungsmöglichkeit nutzt. Doch auch eine erfolgte Stellungnahme lässt das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen, da sie das Prozessgericht nicht bindet.527

522 Siehe oben Fn. 505. 523 Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 33a GWB Rn. 24; Kersting/Podszun 9. GWB-Novelle, Kap. 7 Rn. 59. 524 Berg/Mäsch Kartellrecht, § 33c GWB Rn. 9 mwN. 525 Zur Beteiligung des Bundeskartellamts in einem Musterfeststellungsverfahren S. 143. 526 Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 90 GWB Rn. 12; FK-KartellR/Meyer-Lindemann, § 90 GWB Rn. 19. 527 Dazu oben S. 60.

Feststellungsziele

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c) Keine Feststellungen zur konkreten Schadenhöhe Die konkrete Schadenshöhe hängt von Einzelfallumständen ab, wie etwa der bezogenen Menge einer kartellbefangenen Ware oder Dienstleistung. Sie ist damit eine individuelle Frage und kein taugliches Feststellungsziel einer Musterfeststellungsklage.528 Die Höhe eines Mindestschadens kann das Gericht ebenfalls nicht feststellen.529 d) Allgemeine Feststellungen zur Schadenshöhe und zur Schadensberechnung Das schließt aber nicht aus, dass das Gericht allgemeine Fragen über den Schaden, etwa über die Art und Weise der Schadensberechnung feststellen kann.530 Das Gericht kann Kriterien oder eine Formel feststellen, nach denen sich die Schadenshöhe bestimmt oder etwaige Vorteilsausgleichungen zu berechnen sind.531 Diese Feststellungen erleichtern es dem Geschädigten, im Individualprozess seinen individuellen Schaden zu beziffern.532 Insbesondere sind Feststellungziele zu Einzelheiten der ökonomischen Bestimmung der Kartellwirkung und der Berechnung des Preiseffekts denkbar. Ein Preisüberhöhungsschaden ergibt sich aus der Differenz zwischen dem Erwerbspreis und dem hypothetischen Wettbewerbspreis. Der Erwerbspreis ist individuell; der hypothetische Wettbewerbspreis ist indes unabhängig vom jeweiligen Anmelder und daher musterfeststellungsfähig.533 Die Ermittlung und der Nachweis eines hypothetischen Wettbewerbspreises lösen in der Praxis durch umfangreiche ökonomische Gutachten enorme Kosten aus. Ob der Kläger bereit und finanziell in der Lage ist, für derartige Gutachten in einem Musterfeststellungsverfahren aufzukommen, ist zweifelhaft.534 Sinnvoll wäre es jedoch, da ansonsten jeder Individualkläger die Kosten tragen müsste.535 Ein Gutachten kann aber auch für andere Verfahren verwendet werden, da gemäß § 411a ZPO die schriftliche Begutachtung durch die Verwertung eines gerichtlich oder staatsanwaltschaftlich eingeholten Sachverständigengutachtens aus einem anderen Verfahren ersetzt werden kann. 528 Musielak/Voit/Stadler, § 606 ZPO Rn. 12; Nordholtz/Mekat Musterfeststellungsklage, § 8 Rn. 34; Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 81; Thiede EuZW 2020, 279, 285. A.A. wohl Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 240. 529 Vgl. Geissler/Ströbel NJW 2019, 3414, 3416 aber zur Feststellung eines Mindestschadens im Zusammenhang mit datenschutzrechtlichen Schadensersatzansprüchen. 530 Nordholtz/Mekat/Heigl/Normann Musterfeststellungsklage, § 2 Rn. 46; zum KapMuG Vorwerk/Wolf/Vorwerk/Stender KapMuG, § 2 Rn. 11; Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 469f. 531 Vgl. Feststellungsziel Nr. 5 der Musterfeststellungsklage gegen die Volkswagen AG, Az. 4 MK 1/18. 532 Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 469f. 533 Mengden NZKart 2018, 398, 401f.; Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 470. 534 Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 81. 535 Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 471.

112

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

Die Feststellungen zum hypothetischen Wettbewerbspreis sind auch für die Berechnung von Preisschirmeffektschäden maßgeblich, wenn der hypothetische Wettbewerbspreis der Kartellaußenseiter dem der Kartellanten entspricht. Unterscheiden sich die Preise, dann muss der hypothetische Wettbewerbspreis für die Kartellaußenseiter gesondert festgestellt werden.536 Zudem kommen Feststellungen zum kartellbedingten Verletztergewinn in Betracht, damit dieser nach § 33a Abs. 2 S. 2 GWB für die Schadenshöhe herangezogen werden kann.537 Bei Massengeschäften, um die es bei einer Musterfeststellungsklage regelmäßig gehen wird, werden Preise nicht individuell ausgehandelt.538 Sind die Preise innerhalb einer Lieferkette nicht einheitlich, so kann der Kläger die Feststellungsziele darauf beschränken, dass der kartellbedingt überhöhte Preis eines speziellen Mitglieds innerhalb einer Lieferkette festgestellt wird.539

e) Feststellungen zur Schadensschätzung nach § 287 ZPO Bei kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen in Individualprozessen kann das Gericht den Schaden »unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung« schätzen und darf dabei an den Unrechtsgewinn anknüpfen, § 287 ZPO, § 33a Abs. 3 S. 2 GWB.540 Der Kläger muss dafür die Anknüpfungstatsachen vortragen und eine Schätzungsgrundlage darlegen,541 da er die Darlegungs- und Beweislast für die Schadenshöhe trägt.542 Die Möglichkeit, die Schadenshöhe nach § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO iVm § 33a Abs. 3 GWB zu schätzen, haben auch die Oberlandesgerichte in einem Musterfeststellungsverfahren.543 Die kartelltäterseitigen Anknüpfungstatsachen, die für die Schätzung der Schadenshöhe herangezogen werden, kann das Gericht in einem Musterfeststellungsverfahren feststellen.544 Denn diese sind für die Schätzung jedes individuellen Preiserhöhungsschadens bedeutsam und damit verallgemeinerungsfähig.545 536 537 538 539 540 541 542 543 544 545

Ausführlich Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 478. Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 470. Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 468. Vgl. Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 81. Röthemeyer VuR 2019, 87, 93; Helmdach Kronzeugeninformationen, S. 48; Alexander Schadensersatz und Abschöpfung, S. 395. Saenger, § 287 ZPO Rn. 14, 16; Musielak/Voit/Foerste, § 287 ZPO Rn. 7; Berg/Mäsch Kartellrecht, § 33a GWB Rn. 33; Helmdach Kronzeugeninformationen, S. 48; Jansen Verhaltenssteuerung, S. 271. FK-KartellR/Roth, § 33a GWB Rn. 111; Helmdach Kronzeugeninformationen, S. 48; Dreher/ Kulka Kartellrecht, Rn. 1807; vgl. Musielak/Voit/Foerste, § 287 ZPO Rn. 7; MüKo-Kart/ Lübbig, § 33 GWB Rn. 98; Berg/Mäsch Kartellrecht, § 33a GWB Rn. 33. Im Ergebnis auch Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 472. Mengden NZKart 2018, 398, 401. Mengden NZKart 2018, 398, 401f.

Feststellungsziele

8.

113

Haftungsausfüllende Kausalität

Grundsätzlich bedingen individuelle, nicht kollektivierbare Umstände des Einzelfalls, ob haftungsausfüllende Kausalität anzunehmen ist.546 Dann ist ihr Vorliegen nicht musterfeststellungsfähig.547 Das entspricht der ganz überwiegenden Meinung der Verfahrensfähigkeit von Feststellungen über die haftungsausfüllende Kausalität im Rahmen des KapMuG.548 Darüber hinaus und im Hinblick auf nicht individuelle Aspekte der haftungsausfüllenden Kausalität könnte eine Musterfeststellungsklage möglich sein. Für die Feststellung einer generell-abstrakten haftungsausfüllenden Kausalität ist erneut zunächst zu klären, ob dafür Raum ist. Zwar entscheiden Kartellbehörden nicht bindend über die haftungsausfüllende Kausalität.549 § 33a Abs. 2 S. 1 GWB normiert jedoch die gesetzliche Vermutung, dass ein Kartell einen Schaden kausal verursacht. Sie erfasst jedoch nur bestimmte Kartellabsprachen, die in § 33a Abs. 2 S. 2 GWB definiert und in Satz 3 nicht abschließend aufgezählt werden. Die Vermutung gilt nur für einzelne Kartelle und ist widerlegbar. Daraus ergibt sich ein Bedürfnis, Feststellungen über die haftungsausfüllende Kausalität grundsätzlich zum Gegenstand einer Musterfeststellungsklage machen zu können. Wenn die Vermutung widerlegt werden kann, kann der Verband Umstände vortragen, die die Widerlegung erschweren oder die Kausalität nachweisen.550 Weder die Bindungswirkung des § 33b S. 1 noch die Vermutung des § 33a Abs. 2 S. 1 GWB verhindern im Ergebnis, dass die haftungsausfüllende Kausalität Gegenstand einer Musterfeststellungsklage sein kann, das Gericht also klären soll, ob die Rechtsverletzung kausal für einen Schaden war. Für die Fälle, in denen § 33a GWB gilt, kommen Feststellungen darüber in Betracht, wie der Kartellant die Vermutung widerlegen kann. Das Gericht kann umgekehrt auch feststellen, unter welchen Voraussetzungen die Kausalität nachgewiesen ist und der Unternehmer die Vermutung nicht mehr widerlegen 546 Musielak/Voit/Stadler, § 606 ZPO Rn. 12; Nordholtz/Mekat/Heigl/Normann Musterfeststellungsklage, § 2 Rn. 45 und Nordholtz/Mekat Musterfeststellungsklage, § 8 Rn. 34. 547 Vgl. Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 241; vgl. Geissler/Ströbel NJW 2019, 3414, 3416, die die Musterfeststellungsfähigkeit der haftungsausfüllenden Kausalität im Zusammenhang mit datenschutzrechtlichen Ansprüchen untersuchen. 548 Etwa BGH NZG 2008, 593 Tz. 15; Vollkommer NJW 2007, 3094, 3096 mwN. 549 Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 33b GWB Rn. 14; Berg/Mäsch Kartellrecht, § 33b GWB Rn. 6; Immenga/Mestmäcker/Emmerich, Wettbewerbsrecht, § 33 GWB Rn. 96; Möschel/Bien/Grünberger Kartellrechtsdurchsetzung, S. 135, 179f.; KölnerKomm-KartellR/ Krohs, § 33 GWB Rn. 267; Kersting/Podszun 9. GWB-Novelle, Kap. 7 Rn. 71; Mestmäcker/ Schweitzer Europäisches Wettbewerbsrecht, § 23 Rn. 39; Jansen Verhaltenssteuerung, S. 269; Stancke/Weidenbach/Lahme/Grafunder/Stancke Schadensersatzklagen, Rn. 568; Dannecker/Müller Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, Kap. 19 Rn. 335. 550 Zur Schadensvermutung als Feststellungsziel S. 109.

114

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

kann. Das Gericht kann ferner feststellen, welche Anforderungen im Folgeprozess an den Nachweis der Kausalität zu stellen sind.551 Die genannten Feststellungen können beantragt werden, da sich diese Fragen bei allen Betroffenen gleichermaßen stellen.552 9.

Rechtsfragen

Auch Rechtsfragen können als Feststellungsziel formuliert werden und den Gegenstand einer Musterfeststellungsklage bilden.553 Für das Kartellrecht sind unterschiedliche Rechtsfragen denkbar. Nicht endgültig geklärt ist etwa, wie weit die gesetzliche Schadensvermutung des § 33a Abs. 2 S. 1 GWB subjektiv reicht.554 Um Rechtssicherheit zu schaffen, ist es daher sinnvoll, die subjektive Reichweite durch das Gericht in einem Musterfeststellungsverfahren feststellen zu lassen – am besten, dass die Schadensvermutung zugunsten von Verbrauchern als mittelbaren Abnehmern oder Preisschirmeffektgeschädigten gilt. Dabei ist Folgendes zu bedenken: Je eher sich eine Musterfeststellungsklage um eine abstrakte Rechtsfrage dreht, desto schwieriger erkennen die Verbraucher, dass das Verfahren für sie relevant sein könnte; sie melden sich dann möglicherweise nicht an.555 Die klagebefugten Einrichtungen sollten in solchen Fällen den Mehraufwand des einzelnen Verbrauchers minimieren, indem sie dem Verbraucher verständlich vermitteln, warum und für welche Sachverhalte die Rechtsfrage relevant ist.556 10.

Feststellung über Rechtsfolgen

Das Gericht kann in einem Musterfeststellungsverfahren wie auch sonst nicht die individuellen Rechtsfolgen eines Kartellverstoßes feststellen.557

551 552 553 554 555 556 557

Nordholtz/Mekat/Heigl/Normann Musterfeststellungsklage, § 2 Rn. 46. Vgl. Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 240, 241. Siehe oben S. 99. Zum Meinungsstand etwa Berg/Mäsch Kartellrecht, § 33a GWB Rn. 17. Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 81f. Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 82. Vgl. Nordholtz/Mekat/Heigl/Normann Musterfeststellungsklage, § 2 Rn. 47.

Feststellungsziele

11.

115

Mitverschulden des Verbrauchers

Ein Mitverschulden des Geschädigten, etwa in Form einer Schadensminderungsobliegenheit, ist auch bei einem kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch möglich und zu berücksichtigen.558 Der Mitverschuldensgrad und -anteil eines Verbrauchers an der Entstehung eines Schadens hängt jedoch von den konkreten Umständen ab und ist somit eine individuelle Frage, die nicht musterfeststellungsfähig ist.559 Im Übrigen ist es äußerst unwahrscheinlich, dass den Verbraucher – auf den es in einem Musterfeststellungsverfahren ankommt – ein Mitverschulden trifft, da zwischen ihm und dem Kartellanten ein strukturelles Ungleichgewicht besteht.560 12.

Verjährung

Wann ein Anspruch verjährt, hängt von subjektiven und objektiven Umständen ab. Liegen die Umstände in der Person des Anspruchsinhabers, dann sind sie individuell und können nicht auf eine Vielzahl von Ansprüchen verschiedener Anspruchsinhaber übertragen werden.561 So verhält es sich etwa bei der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis eines Anspruchs.562 Diese Umstände sind nicht musterfeststellungsfähig. Jedoch können allgemein bekannte Umstände für die Verjährung von Ansprüchen relevant sein und im Rahmen einer Musterfeststellungsklage kollektiv festgestellt werden.563 Beispielsweise können öffentliche Bekanntmachungen oder Pressemitteilungen für den Verjährungsbeginn relevant sein; darauf bezogene Feststellungsziele können formuliert werden, da sie nicht vom Einzelfall abhängen.564 Auch die abstrakte Rechtsfrage, wann die Verjährungsfrist zu laufen beginnt, zum Beispiel mit Abschluss des Vertrages oder erst mit Eintritt des konkreten Schadens, ist musterfeststellungsfähig.565

558 Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 33a GWB Rn. 23; KölnerKomm-KartellR/Krohs, § 33 GWB Rn. 252; Meessen Anspruch auf Schadensersatz, S. 522f. 559 Musielak/Voit/Stadler, § 606 ZPO Rn. 12; Nordholtz/Mekat/Rohls Musterfeststellungsklage, § 3 Rn. 57. 560 Berg/Mäsch Kartellrecht, § 33a GWB Rn. 22. 561 Nordholtz/Mekat Musterfeststellungsklage, § 8 Rn. 35; BGH NJW 2015, 236 Tz. 138 zum KapMuG. 562 Nordholtz/Mekat Musterfeststellungsklage, § 8 Rn. 35. 563 Nordholtz/Mekat Musterfeststellungsklage, § 8 Rn. 35. 564 Nordholtz/Mekat Musterfeststellungsklage, § 8 Rn. 35. 565 Lutz Stellungnahme, Wortprotokoll, S. 67, 75.

116 13.

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

Verwirkung

Die Verwirkung kann – wie die Verjährung – entweder an individuelle oder allgemeine Umstände anknüpfen.566 Hängt die Verwirkung von individuellen Faktoren ab, so ist eine kollektive Feststellung über eine Musterfeststellungsklage nicht möglich, bei allgemeinen Faktoren jedoch denkbar. 14.

Feststellung über das anwendbare Recht

Kartellrechtliche Musterfeststellungsklagen finden oft bei grenzüberschreitenden Kartelldelikten Anwendung.567 In derartigen Fallgestaltungen kann es ein Bedürfnis geben, in einem Musterfeststellungsverfahren festzustellen, welches Recht materiell anwendbar ist. Welchem Statut konkret die angemeldeten Ansprüche unterfallen, ist indes keine musterfeststellungsfähige Frage, weil sie keine Bedeutung über den Einzelfall hinaus hat. Zudem ergibt sich das anwendbare Recht immer erst aus der lex fori für den anschließenden Individualprozess. Allein denkbar sind etwa Feststellungen darüber, unter welchen Voraussetzungen ein bestimmtes materielles Recht auf die angemeldeten Ansprüche anwendbar ist.568 Derartige Feststellungen werden aber aufgrund des weitgehend vereinheitlichten Kartellrechts innerhalb der EU eine zu vernachlässigende Rolle spielen.

V.

Unterteilung der Anmelder in »Unterklassen«

Fraglich ist, ob im Rahmen einer Musterfeststellungklage »Unterklassen« gebildet werden können.569 Unterklassen (Untergruppierungen oder Untergruppen) in diesem Sinne meint, dass die Klageschrift Feststellungsziele nennt, die nur für jeweils einzelne Untergruppen der Anmelder relevant sind. In Betracht kommt etwa eine Differenzierung nach dem jeweils auf den geltend gemachten Anspruch anwendbaren materiellen Recht und davon abhängige unterschiedliche Feststellungsziele.570 Zu kartellrechtlichen Musterfeststellungsverfahren können sich grundsätzlich Verbraucher aus mehreren Ländern anmelden,571 und auch ausländische Ansprüche können Gegenstand eines Mus566 Nordholtz/Mekat Musterfeststellungsklage, § 8 Rn. 35. 567 Zu ausländischen Verbraucheransprüchen im Musterfeststellungsverfahren S. 66ff. 568 Zu den Besonderheiten des anwendbaren Rechts bei kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen: Stancke/Weidenbach/Dörfelt Schadensersatzklagen, Rn. 302ff. 569 Unterklassen (subclasses) sind etwa bei einer amerikanische class action möglich, siehe Peter Gruppenvergleichsverfahren, S. 36. 570 Musielak/Voit/Stadler, § 606 ZPO Rn. 14. 571 Zur Anmeldung von ausländischen Verbraucheransprüchen S. 67.

Feststellungsziele

117

terfeststellungsverfahrens sein.572 Weder die Musterfeststellungsfähigkeit ausländischer Ansprüche, noch die Anmeldung solcher Ansprüche setzt ein einheitliches Anspruchsstatut voraus.573 Aus den Rom I574- und Rom II–VO575 kann sich ergeben, dass für die angemeldeten Verbraucher unterschiedliche materielle Rechtsordnungen gelten.576 Ist das der Fall, ist es sinnvoll, verschiedene Feststellungsziele anhand des anwendbaren Rechts zu formulieren. Ein weiterer Anwendungsfall für die Bildung von Untergruppierungen ergibt sich aus dem Umstand, dass ein Kartell regelmäßig mehrere Waren, Produkte und Modelle umfasst und Preise über den Kartellzeitraum variieren können.577 Soll etwa der hypothetische Wettbewerbspreis ermittelt werden, kann es sinnvoll sein, nach Produkt oder Modell und dem Erwerbsjahr zu differenzieren.578 Die verschiedenen Feststellungsziele für die jeweilige Untergruppe können im Wege einer objektiven Klagehäufung nach § 260 ZPO geltend gemacht werden.579 Die Parteien sind identisch, dieselbe Prozessart ist statthaft und das Gericht ist für sämtliche Klagen zuständig, sodass die allgemeinen Voraussetzungen einer Klagehäufung erfüllt sind.580 § 606 Abs. 3 Nr. 2 ZPO steht einer Untergruppenbildung nicht entgegen. Es müssen nur die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von mindestens zehn Verbrauchern von den beantragten Feststellungszielen abhängen.581 Untergruppen in einem Musterfeststellungsverfahren sind also nur zulässig, wenn glaubhaft gemacht wird, dass die Feststellungsziele jeder Untergruppe jeweils für Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von mindestens zehn Verbrauchern relevant sind. Im Folgeprozess wirken für den Individualkläger dann nur die Musterfeststellungen zu seiner Untergruppe bindend.582 Denn die Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils geht nur so weit, wie der Folgeprozess die Feststel-

572 Zur Musterfeststellungsfähigkeit von ausländischen Verbraucheransprüchen S. 66f. 573 Dazu oben S. 67ff. 574 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17. 6. 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. L 177, 6 v. 4. 7. 2008, ber. ABl. L 309, 87 v. 24. 11. 2009. Die Rom I-VO gilt innerhalb der EU mit Ausnahme Dänemarks. 575 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11. 7. 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. L 199, 40, ber. ABl. L 310, 52. Die Rom II–VO gilt innerhalb der EU mit Ausnahme Dänemarks. 576 Musielak/Voit/Stadler, § 606 ZPO Rn. 14. 577 Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 474. 578 So Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 474. 579 Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 474; BeckOK-ZPO/Lutz, § 606 ZPO Rn. 21. 580 So Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 474, die diese allgemeinen Voraussetzungen ausreichen lassen. 581 Zum Sachentscheidungsinteresse als Voraussetzung für Feststellungsziele S. 99f. 582 So Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 474.

118

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

lungsziele und den Lebenssachverhalt der Musterfeststellungsklage betrifft, § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO.583 Zu beachten ist jedoch, dass das Prozessgericht gemäß § 145 Abs. 1 S. 1 ZPO die Untergruppen trennen und anordnen kann, dass die Feststellungen in getrennten Musterfeststellungsprozessen verhandelt werden, wenn dies sachlich gerechtfertigt ist.

VI.

Negative Feststellungsziele und Gegenanträge des Beklagten

»Negative« Feststellungsziele sind nach § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO zulässiger Gegenstand einer Musterfeststellungsklage, da das Vorliegen oder das Nichtvorliegen von Voraussetzungen für das Bestehen oder das Nichtbestehen eines Anspruchs oder Rechtsverhältnisses festgestellt werden kann. Ein negatives Feststellungsziel in diesem Sinne wäre im Zusammenhang mit kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen etwa die Feststellung, dass die gesetzliche Vermutung des § 33a Abs. 2 S. 1 GWB widerlegt ist, bzw. unter welchen Voraussetzungen der Beklagte die Vermutung im Einzelfall widerlegen kann.584 Wie solche negativen Feststellungsziele in ein Musterfeststellungsverfahren gelangen, wenn sie für den Verbraucher nachteilig sind, beantworten weder die §§ 606ff. ZPO noch die Gesetzesmaterialien. Der klagende Verbraucherverband könnte zunächst gehalten sein, regelmäßig keine für die Verbraucher und damit für den Erfolg der Musterfeststellungsklage aus seiner Sicht nachteiligen Feststellungsanträge zu stellen.585 Unabhängig davon kann und wird der Beklagte den Inhalt etwaiger »nachteiliger« Feststellungen in den anschließenden Individualverfahren einwenden.586 Somit sind die Verbraucher und der Verband mittelbar daran interessiert, anspruchsausschließende Merkmale zum Gegenstand einer Musterfeststellungsklage zu machen.587 1.

Hinwirken des Gerichts auf umfassende Klärung, § 610 Abs. 4 ZPO

Hält das Gericht bei der Klärung von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen die Berücksichtigung von Einwendungen für bedeutsam, kann und sollte es durch sachdienliche Hinweise gemäß § 610 Abs. 4 ZPO auf eine entsprechende An583 Zur Bindungswirkung S. 157ff. 584 Allgemein zu Widerlegung der Schadensvermutung Kersting/Podszun 9. GWB-Novelle, Kap. 7 Rn. 55ff. 585 Vgl. Waclawik NJW 2018, 2921, 2926; Berger ZZP 133 (2020), 3, 35. 586 BeckOK-ZPO/Lutz, § 610 ZPO Rn. 19. 587 BeckOK-ZPO/Lutz, § 610 ZPO Rn. 19.

Feststellungsziele

119

tragstellung durch den Kläger hinwirken.588 Der Kläger muss die Feststellungsziele daraufhin aber nicht erweitern.589 2.

Kein Antragsrecht des Beklagten

§§ 606–614 ZPO normieren kein Antragsrecht des Beklagten und enthalten insbesondere keine Regelung, die § 2 Abs. 1 S. 2 KapMuG entspricht. Dass § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO gleichwohl Voraussetzungen für das Nichtbestehen eines Anspruchs oder das Nichtvorliegen von Anspruchsvoraussetzungen für musterfeststellungsfähig hält, könnte für ein Antragsrecht des Beklagten sprechen.590 Jedoch können nur die in § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO genannten Einrichtungen eine Musterfeststellungsklage erheben und die Feststellungen begehren.591 Der Unternehmer soll nicht entscheiden können, gegen welche Einrichtung er den Musterfeststellungsprozess führt.592 Das spricht gegen eine Befugnis des Beklagten, ein Verfahren einzuleiten, und somit auch gegen eine Zulassung von Gegenanträgen des Beklagten.593 Die vermeintliche Andeutung in § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO ist nicht so zu verstehen, dass der Beklagte berechtigt sein soll, ein Verfahren einzuleiten oder die Feststellungsziele zu erweitern.594 3.

Keine Musterfeststellungswiderklage des Beklagten

Fraglich ist, ob der Beklagte im Laufe des Prozesses Feststellungsziele in das Verfahren einführen kann, indem er eine Widerklage erhebt. Der Wortlaut der §§ 606ff. ZPO schweigt dazu; eine mit § 2 Abs. 1 S. 2 KapMuG vergleichbare Regelung hat der Gesetzgeber nicht in die ZPO aufgenommen. Die Gesetzesmaterialien geben keinen Aufschluss. Dass gemäß § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO gleichwohl das Vorliegen von Voraussetzungen für das Bestehen oder das Nichtbestehen eines Anspruchs und das Nichtvorliegen von Voraussetzungen 588 589 590 591

Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle-ZPO/Schmidt, § 610 ZPO Rn. 9. Hettenbach WM 2019, 577, 579. Balke/Liebscher/Steinbrück ZIP 2018, 1321, 1328; Schmidt WM 2018, 1966, 1969. Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 60; Beck WPg 2019, 586, 592; Scholl ZfPW 2019, 317, 345. Zur Klagebefugnis ausführlich S. 96ff. 592 Waclawik NJW 2018, 2921, 2926. 593 Waclawik NJW 2018, 2921, 2926; Schmidt WM 2018, 1966, 1969. 594 Beck WPg 2019, 586, 592; Waclawik NJW 2018, 2921, 2926; Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle-ZPO/Schmidt, § 606 ZPO Rn. 17; Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 60; vgl. Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 610 ZPO Rn. 60. A.A. Waßmuth/Asmus ZIP 2018, 657, 663; Nordholtz/Mekat/Lind van Wijngarden Musterfeststellungsklage, § 6 Rn. 66 und § 8 Rn. 55ff.; Saenger/Rathmann, § 606 ZPO Rn. 11, die aus dem Wortlaut ein Antragsrecht des Beklagten ableiten; Schneider BB 2018, 1986, 1990 und Nordholtz/Mekat/de Lind van Wijngarden Musterfeststellungsklage, § 6 Rn. 67 sehen die prozessuale Waffengleichheit verletzt.

120

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

begehrt werden kann, reicht nicht aus, um eine ausdrückliche Widerklagebefugnis anzunehmen.595 Denn die Antragsmöglichkeit steht gemäß § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO nur dem Kläger zu.596 Da einige Stimmen in der Literatur597 annehmen, eine Widerklage sei grundsätzlich möglich, ist zu klären, ob die allgemeinen Regeln der ZPO dem Beklagten ermöglichen, Feststellungsziele in das Verfahren einzuführen.598 Einen Rückgriff auf die allgemeinen Regeln erlaubt § 610 Abs. 5 ZPO ausdrücklich. Die ZPO normiert die Widerklage nicht ausdrücklich, setzt sie aber voraus.599 Für eine Widerklage müssen zunächst die allgemeinen Sachurteilsvoraussetzungen gegeben sein, die für eine Klageerhebung gelten.600 Hinzu kommen weitere besondere Voraussetzungen für die Widerklage, die im Folgenden mit Blick auf ein Musterfeststellungsverfahren untersucht werden. a) Rechtshängigkeit der Hauptklage Eine Widerklage setzt eine schon und noch rechtshängige Hauptklage voraus.601 Die Musterfeststellungswiderklage würde diese Voraussetzungen also erfüllen, wenn der Beklagte sie erhebt, während die (Haupt-)Musterfeststellungsklage rechtshängig ist.602 Eine Musterfeststellungsklage wird gemäß §§ 261, 253 Abs. 1 ZPO mit Zustellung an den Beklagten rechtshängig.603 b) Eigener Streitgegenstand Die Widerklage muss zudem einen eigenen Streitgegenstand betreffen, der sich von der Klage unterscheidet.604 Da eine Musterfeststellungsklage nur einzelne Fragestellungen und Aspekte eines Anspruchs oder eines Rechtsverhältnisses 595 Waclawik NJW 2018, 2921, 2926; Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 60; Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 610 ZPO Rn. 60; Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle-ZPO/Schmidt, § 606 ZPO Rn. 17; ders. WM 2018, 1966, 1969; a.A. Salger jurisPRBKR 10/2018 Anm. 1, S. 6; Waßmuth/Asmus ZIP 2018, 657, 663; Saenger/Rathmann, § 606 ZPO Rn. 11; Nordholtz/Mekat Musterfeststellungsklage, § 8 Rn. 55ff.; Nordholtz/Mekat/ Lind van Wijngarden Musterfeststellungsklage, § 6 Rn. 66. 596 Siehe oben S. 96 und 119. 597 Etwa Salger jurisPR-BKR 10/2018 Anm. 1, S. 6; Waßmuth/Asmus ZIP 2018, 657, 663; Saenger/ Rathmann, § 606 ZPO Rn. 11; Nordholtz/Mekat Musterfeststellungsklage, § 8 Rn. 55ff.; Nordholtz/Mekat/Lind van Wijngarden Musterfeststellungsklage, § 6 Rn. 66. 598 Prütting/Gehrlein/Halfmeier, § 606 ZPO Rn. 20; vgl. Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 60; Balke/Liebscher/Steinbrück ZIP 2018, 1321, 1328; Hettenbach WM 2019, 577, 579; Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle-ZPO/Schmidt, § 606 ZPO Rn. 17. 599 Stein/Jonas/Roth, § 33 ZPO Rn. 1; vgl. §§ 33, 145 Abs. 2, 301 Abs. 1, 322 Abs. 1, 256 Abs. 2 und 506 Abs. 1 ZPO. 600 MüKo-ZPO/Patzina, § 33 ZPO Rn. 18. 601 Stein/Jonas/Roth, § 33 ZPO Rn. 16; Musielak/Voit/Heinrich, § 33 ZPO Rn. 6. 602 Hettenbach WM 2019, 577, 579. 603 Zöller/Vollkommer, § 610 ZPO Rn. 2. 604 Musielak/Voit/Heinrich, § 33 ZPO Rn. 9.

Feststellungsziele

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umfasst, ist es möglich, dass der Gegenstand der Musterfeststellungswiderklage von dem der Musterfeststellungsklage abweicht.605 Das kontradiktorische Gegenteil der Musterfeststellungsziele ist ohnehin von der Rechtskraft erfasst, weshalb der Beklagte es in einer Musterfeststellungswiderklage jedenfalls nicht feststellen lassen kann.606 c) Identität der Parteien Die Widerklage setzt grundsätzlich die Identität der Parteien voraus. Damit der Grundsatz der Parteiidentität gewahrt ist, müsste der Musterfeststellungsbeklagte Widerklage gegen den Musterfeststellungskläger erheben.607 Der Beklagte müsste folglich gegen den Verband Widerklage erheben, obwohl er gegen diesen keine Ansprüche hat.608 Ansprüche als solche sind jedoch nicht Gegenstand des Musterfeststellungsverfahrens. Der Beklagte müsste die Widerklage daher auf Feststellungen beschränken, die er gegen den Verband geltend machen kann.609 Da die Klagebefugnis für eine Musterfeststellungsklage besteht, ohne dass der Verband Inhaber der Ansprüche ist, auf die sich die Feststellungen beziehen, kommen für eine Widerklage ebenfalls nur Feststellungen in Betracht, die diese Ansprüche betreffen.610 Eine Widerklage in Form einer negativen Feststellungswiderklage gemäß § 256 Abs. 2 ZPO scheidet jedoch aus, da zwischen Kläger und Beklagtem kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis besteht.611 Von dem Grundsatz der Parteiidentität macht der BGH eine Ausnahme für den Fall einer Drittwiderklage gegen den Zedenten nach einer Zession.612 Fraglich ist, ob auch für eine Musterfeststellungswiderklage eine Ausnahme in Betracht kommt. Eine Ausnahme könnte zu einer Drittwiderklage gegen die Anspruchsinhaber führen. Eine Drittwiderklage kommt jedoch weder gegen zum Musterfeststellungsverfahren angemeldete Verbraucher, noch gegen nicht angemeldete Verbraucher in Betracht.613 Denn Verbraucher sollen nach dem Willen 605 606 607 608 609 610 611

612 613

Hettenbach WM 2019, 577, 579. Berger ZZP 133 (2020), 3, 34. Vgl. Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 60. Hettenbach WM 2019, 577, 579; Balke/Liebscher/Steinbrück ZIP 2018, 1321, 1328; Prütting/ Gehrlein/Halfmeier, § 606 ZPO Rn. 20; Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 60. Vgl. Hettenbach WM 2019, 577, 579; Prütting ZIP 2020, 197, 201. Hettenbach WM 2019, 577, 579. Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle-ZPO/Schmidt, § 606 ZPO Rn. 17; Schmidt WM 2018, 1966, 1969; Prütting/Gehrlein/Halfmeier, § 606 ZPO Rn. 20; BeckOK-ZPO/Lutz, § 610 ZPO Rn. 19 mwN; Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 60; Musielak/Voit/ Stadler, § 610 ZPO Rn. 8; Thomas/Putzo/Seiler, § 610 ZPO Rn. 2. BGH NJW 2008, 2852 Tz. 25f.; BGH NJW 2011, 460 Tz. 7. Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 61; Prütting/Gehrlein/Halfmeier, § 610 ZPO Rn. 21; Balke/Liebscher/Steinbrück ZIP 2018, 1321, 1328; BeckOK-ZPO/Lutz, § 610 ZPO Rn. 20; Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle-ZPO/Schmidt, § 606 ZPO Rn. 17; Nordholtz/Mekat Musterfeststellungsklage, § 8 Rn. 58.

122

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

des Gesetzgebers nicht aktiv in ein Musterfeststellungsverfahren einbezogen werden.614 Das ergibt sich bereits aus dem Zweck des § 610 Abs. 5 ZPO. Denkbar wäre somit allein eine Musterfeststellungswiderklage, die darauf gerichtet ist, das Vorliegen oder Nichtvorliegen von rechtlichen oder tatsächlichen Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen zwischen den Anmeldern und dem Musterfeststellungsbeklagten und -widerkläger festzustellen.615 d) Konnexität Zwischen der Klage und der Widerklage muss keine Konnexität im Sinne eines rechtlichen Zusammenhangs bestehen, bei dessen Beurteilung wirtschaftliche Zusammenhänge heranzuziehen sind.616 § 33 ZPO privilegiert konnexe Widerklagen zuständigkeitsrechtlich, führt jedoch nicht dazu, dass inkonnexe Widerklagen unzulässig wären.617 Dafür spricht schon, dass § 145 Abs. 2 ZPO die Prozesstrennung bei inkonnexen Widerklagen ermöglicht.618 Ob die (Musterfeststellungs-)Gegenanträge zu den Musterfeststellungsanträgen konnex sind, lässt sich nur anhand der konkreten Feststellungsanträge im Einzelfall prüfen. e) Dieselbe Prozessart Eine Widerklage ist nur zulässig, wenn dieselbe Prozessart zulässig ist und die Widerklage in dieser Prozessart erhoben wird.619 Mit dieser Voraussetzung soll sichergestellt werden, dass zwei Klagen nicht miteinander verbunden und folglich gemeinsam verhandelt werden, wenn sich die jeweiligen Verfahrensregeln wesentlich unterscheiden.620 Ein Musterfeststellungsverfahren eines Unternehmers gegen einen Verband sieht das Gesetz nicht vor.621 Nur die in § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO genannten Einrichtungen können eine Musterfeststellungsklage erheben.622 Daher müsste der 614 Prütting/Gehrlein/Halfmeier, § 610 ZPO Rn. 21; BeckOK-ZPO/Lutz, § 610 ZPO Rn. 20; Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle-ZPO/Schmidt, § 606 ZPO Rn. 17; ausführlich auch Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 61. 615 Hettenbach WM 2019, 577, 579; Nordholtz/Mekat/de Lind van Wijngaarden Musterfeststellungsklage, § 6 Rn. 66ff.; vgl. Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 610 ZPO Rn. 60. 616 Schack ZZP 129 (2016), 393, 410; BeckOK-ZPO/Toussaint, § 33 ZPO Rn. 12. Ob die Konnexität zwischen Klage und Widerklage eine Prozessvoraussetzung der Widerklage oder eine Anwendungsvoraussetzung des § 33 ZPO ist, ist umstritten, zum Streitstand siehe BeckOKZPO/Toussaint, § 33 ZPO Rn. 11.1ff. 617 Schack ZZP 129 (2016), 393, 410; BeckOK-ZPO/Toussaint, § 33 ZPO Rn. 11.2 mwN. 618 Schack ZZP 129 (2016), 393, 410; BeckOK-ZPO/Toussaint, § 33 ZPO Rn. 11.3. 619 MüKo-ZPO/Becker/Eberhard, § 260 ZPO Rn. 34. 620 BGH ZIP 2002, 870, 871. 621 Hettenbach WM 2019, 577, 580. 622 Dazu oben S. 96.

Feststellungsziele

123

beklagte Unternehmer eine allgemeine Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO gegen den Verband führen. Ein »herkömmliches« Zivilverfahren unterscheidet sich jedoch grundlegend von einem Musterfeststellungsverfahren. Die besonderen Verfahrensregeln der §§ 606ff. ZPO unterscheiden sich in wesentlichen Aspekten wie dem Instanzenzug, der grundsätzlichen Bedeutung nach § 614 S. 2 ZPO und dem Verfahrensablauf von einem allgemeinen Zivilverfahren.623 Die Streitgegenstände unterscheiden sich ebenfalls voneinander: Während die Musterfeststellungsklage auf die Feststellung einzelner Tatbestandsmerkmale oder Rechtsfragen gerichtet ist, kann im Rahmen von § 256 ZPO nur das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses festgestellt werden.624 Eine Musterfeststellungswiderklage scheidet damit aus. Das Gesetz sieht für Unternehmer keine vergleichbare Prozessart wie eine Musterfeststellungsklage vor und die Verfahrensvorschriften von Musterfeststellungsklage und Widerklage würden sich wesentlich unterscheiden.625 Dieses Ergebnis bestätigt die Begründung des Gesetzesentwurfs, dass das Musterfeststellungsverfahren eine eigenständige Prozessart ist.626 f) Entgegenstehender Anspruch der Verbraucher auf rechtliches Gehör Könnte der Beklagte im Wege einer Widerklage Feststellungsziele in die Musterfeststellungsklage einführen, stünde dem der Anspruch auf rechtliches Gehör der Verbraucher aus Art. 103 Abs. 1 GG entgegen.627 Die Verbraucher hätten ihre Ansprüche nicht zu den Feststellungszielen angemeldet, die der Beklagte später durch eine Widerklage in das Verfahren einführt.628 Wenn die Anmelder mit den Feststellungszielen der Widerklage nicht einverstanden wären, könnten sie ihre Anmeldung aber nicht mehr zurücknehmen und wären an Feststellungen gebunden, die für sie zuvor nicht ersichtlich waren.629 Zwar besteht bei jeder Klageerhebung das Risiko, dass der Beklagte eine Widerklage erhebt. Anders als bei einer Individualklageerhebung, kann sich der Verbraucher jedoch nicht aktiv an dem Verfahren beteiligen.

623 624 625 626 627 628 629

Hettenbach WM 2019, 577, 580. Zur Einordnung der Musterfeststellungsklage in das kollektive Rechtsschutzsystem S. 63f. Ebenso Hettenbach WM 2019, 577, 580; Balke/Liebscher/Steinbrück ZIP 2018, 1321, 1328. BTDr. 19/2507, 15. Windau jM 2019, 404, 409. Windau jM 2019, 404, 409. Windau jM 2019, 404, 409; vgl. Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle-ZPO/ Schmidt, § 610 ZPO Rn. 9; Merkt/Zimmermann VuR 2018, 363, 373. Dieses Spannungsverhältnis besteht zudem auch bei einer Klageänderung oder Klageerweiterung durch den Kläger.

124

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

g) Ergebnis Der Beklagte kann keine Feststellungsziele in das Musterfeststellungsverfahren einbringen und keine (Musterfeststellungs-)Widerklage erheben, da bereits die Voraussetzungen einer Widerklage nicht erfüllt sind.630 Die Argumente, die gegen ein Antragsrecht des Beklagten angeführt worden sind,631 sprechen gleichermaßen gegen eine Befugnis zur Widerklage. Zudem wäre es nicht mit der passiven Rolle vereinbar, die der Gesetzgeber dem Beklagten zugeteilt hat.632 Nimmt man hingegen mit der Gegenansicht633 an, eine Widerklage sei möglich, darf dies nur solange gelten, wie der Verbraucher seine Anmeldung noch zurücknehmen kann, also bis zum Ablauf des Tages, an dem die mündliche Verhandlung in der ersten Instanz begonnen hat.634 Oder die Anmeldung müsste bis zum Ablauf des Tages, an dem über die Widerklage mündlich verhandelt wird, möglich sein.635 Nur so ist dem rechtlichen Gehör der Anmelder hinreichend Rechnung getragen.636 Diesem Ziel dient auch § 610 Abs. 4 ZPO, wonach die Feststellungsanträge im ersten Termin der mündlichen Verhandlung feststehen sollen.

4.

Keine analoge Anwendung von § 15 KapMuG

Da der Gesetzgeber das Musterfeststellungsverfahren weitgehend an das Verfahren nach dem KapMuG angelehnt hat, könnte sich über eine Analogie zum KapMuG eine Möglichkeit für den Beklagten ergeben, Feststellungsziele in ein Musterfeststellungsverfahren einzubringen.637 Gemäß § 15 Abs. 1 S. 1 KapMuG kann das Oberlandesgericht den Vorlagebeschluss (der den Feststellungsanträgen einer Musterfeststellungsklage entspricht) erweitern, wenn ein Beteiligter dies beantragt und die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1–3 KapMuG vorliegen. Diesen Antrag können der Kläger, der Beklagte und die beigeladenen 630 Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 60; Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle-ZPO/Schmidt § 606 ZPO Rn. 17; Hettenbach WM 2019, 577, 579ff.; Waclawik NJW 2018, 2921, 2926; Beck WPg 2019, 586, 592; Prütting/Gehrlein/Halfmeier, § 606 ZPO Rn. 20; Waclawik NJW 2018, 2921, 2926; Balke/Liebscher/Steinbrück ZIP 2018, 1321, 1328; vgl. Schmidt WM 2018, 1966, 1969; Prütting ZIP 2020, 197, 201; Thomas/Putzo/Seiler, § 610 ZPO Rn. 2. 631 Siehe oben S. 119. 632 Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 610 ZPO Rn. 60; Scholl ZfPW 2019, 317, 345. 633 Etwa Waßmuth/Asmus ZIP 2018, 657, 663f.; Saenger/Rathmann, § 606 ZPO Rn. 11; Nordholtz/Mekat Musterfeststellungsklage, § 8 Rn. 55ff.; Nordholtz/Mekat/Lind van Wijngarden Musterfeststellungsklage, § 6 Rn. 66; Salger jurisPR-BKR 10/2018 Anm. 1, S. 6. 634 Das hält auch Hettenbach WM 2019, 577, 581 für sinnvoll. Merkt/Zimmermann VuR 2018, 363, 373; BeckOK-ZPO/Lutz, § 610 ZPO Rn. 19; a.A. Salger jurisPR-BKR 10/2018 Anm. 1, S. 6. 635 Berger ZZP 133 (2020), 3, 35. 636 Zum rechtlichen Gehör in einem Musterfeststellungsverfahren siehe zudem unten S. 157ff. 637 Hettenbach WM 2019, 577, 580.

Feststellungsziele

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Parteien der ausgesetzten Ausgangsprozesse stellen.638 § 15 Abs. 1 S. 1 KapMuG könnte analog für das Musterfeststellungsverfahren gelten und dem Beklagten ermöglichen, aus Verbrauchersicht nachteilige Feststellungsziele in das Verfahren einzuführen.639 Dafür müsste die fehlende Möglichkeit des Beklagten, Feststellungsziele einzubringen, eine planwidrige Regelungslücke darstellen. Außerdem müsste die Interessenlage bei einer Musterfeststellungsklage mit der eines KapitalanlegerMusterverfahrens vergleichbar sein. a) Regelungslücke Weder §§ 606–614 ZPO noch die übrigen anwendbaren Prozessvorschriften enthalten eine Regelung dazu, ob und wie der Beklagte Feststellungsziele in ein Musterfeststellungsverfahren einbringen kann. Somit weist die gesetzliche Regelung eine Lücke auf.640 b) Planwidrigkeit Fraglich ist, ob die Regelungslücke planwidrig ist. Dafür spricht zunächst, dass der Gesetzgeber für Verbraucher nachteilige Feststellungsziele in § 606 Abs. 1 ZPO ausdrücklich nennt, jedoch nicht regelt, wie diese in das Verfahren gelangen sollen.641 Im Gesetzgebungsverfahren thematisierten und forderten mehrere Stellungnahmen, dass für den Beklagten die Möglichkeit bestehen sollte, Feststellungsanträge in das Verfahren einzuführen, und schlugen entsprechende Regelungen vor.642 Der Gesetzgeber hat dies jedoch nicht zum Anlass genommen, eine entsprechende Regelung aufzunehmen. Das spricht gegen eine Planwidrigkeit. Hettenbach nimmt dennoch eine Planwidrigkeit an, weil in dem kurzen Gesetzgebungsverfahren keine Zeit geblieben sei, in der sich der Rechtsausschuss oder der Bundestag mit den Sachverständigenanhörungen hätte tatsächlich auseinandersetzen können.643 Dieses Argument vermag nicht zu überzeugen. Der Gesetzgeber hat zahlreiche Regelungen vom KapMuG übernommen. Wenn er in so einem wesentlichen Punkt abweicht, spricht das dafür, dass die Abweichung gewollt ist. Ob die Regelungslücke planwidrig ist, kann dahinstehen, wenn die Interessenlage nicht vergleichbar ist.

638 639 640 641 642

§ 9 Abs. 1 KapMuG zählt die Beteiligten auf. Dafür Hettenbach WM 2019, 577, 580. Hettenbach WM 2019, 577, 580. Hettenbach WM 2019, 577, 580. Lutz Stellungnahme, Wortprotokoll, S. 67, 69, 71, 75; Salger Stellungnahme, Wortprotokoll, S. 93, 101. 643 Hettenbach WM 2019, 577, 580f.

126

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

c) Keine vergleichbare Interessenlage Zunächst sprechen Gemeinsamkeiten des Musterfeststellungs- und des Kapitalanleger-Musterverfahrens dafür, dass die Interessenlage vergleichbar ist.644 Beide Verfahren dienen dazu, zahlreiche vergleichbare Fälle einheitlich zu lösen.645 Sie sind außerdem mehrstufig, erfordern also zusätzliche Individualverfahren der Betroffenen.646 Während die Individualverfahren einem Kapitalanleger-Musterverfahren vorausgehen, geht dem Musterfeststellungsverfahren keine individuelle Klage voraus, die Individualklage erfolgt erst im Anschluss an das Kollektivverfahren. Beide Verfahren führt ein Kläger gebündelt für eine Vielzahl von Personen. Bei der Musterfeststellungsklage klagt eine klagebefugte Einrichtung, bei dem Kapitalanleger-Musterverfahren ein ausgewählter, selbst betroffener Musterkläger.647 Die Unterschiede der Verfahren in zwei zentralen Aspekten führen allerdings dazu, dass sich auch die Interessenlagen erheblich voneinander unterscheiden: Erstens nimmt der Beklagte in einem Musterfeststellungsverfahren eine passive Rolle ein, die nicht mit der Rolle des Beklagten in einem Kapitalanleger-Musterverfahren vergleichbar ist. Denn nur die klagebefugte Einrichtung kann ein Musterfeststellungsverfahren einleiten und hat dieses maßgeblich in der Hand. Den Musterverfahrensantrag zu einem Kapitalanleger-Musterverfahren hingegen können Kläger und Beklagte gleichermaßen stellen, § 2 Abs. 1 S. 2 KapMuG. Zweitens können sich die Anmelder bei einer Musterfeststellungsklage der Bindungswirkung nach dem in § 608 Abs. 3 ZPO genannten Zeitpunkt nicht mehr entziehen, anders als bei einem Kapitalanleger-Musterverfahren.648 Ausschlaggebend ist die Rolle der Anmelder in den jeweiligen Verfahren und die damit verknüpfte Auswirkung auf ihr rechtliches Gehör: Bei einer Musterfeststellungklage haben die Anmelder eine passive Rolle und können nicht auf das Verfahren einwirken, während die Betroffenen eines Kapitalanleger-Musterverfahrens als Beigeladene aktiv am Verfahren mitwirken können. Deshalb würde eine Analogie zu § 15 Abs. 1 KapMuG den Anspruch auf rechtliches Gehör der Verbraucher aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzen. Wenn der Beklagte Feststellungsziele in das Musterfeststellungsverfahren einbringen könnte, zu denen sich die Verbraucher nicht angemeldet haben, können sie weder darauf einwirken noch sich durch Rücknahme der Anmeldung davon befreien.649 Die aktivere Rolle der Betroffenen in einem Kapitalanleger-Musterverfahren rechtfertigt hingegen die Vorschrift des § 15 Abs. 1 KapMuG. 644 645 646 647 648 649

Hettenbach WM 2019, 577, 581. Hettenbach WM 2019, 577, 581. Hettenbach WM 2019, 577, 581. Hettenbach WM 2019, 577, 581. Windau jM 2019, 404, 409. Windau jM 2019, 404, 409; siehe oben S. 123.

Anmeldungsphase

127

Mithin ist die Interessenlage nicht hinreichend vergleichbar. Eine analoge Anwendung des § 15 Abs. 1 KapMuG auf das Musterfeststellungsverfahren scheidet deshalb aus.650 Wenn man eine analoge Anwendung des § 15 Abs. 1 KapMuG annehmen wollte, muss der Zeitraum, bis zu dem der Beklagte Feststellungsziele in das Verfahren einführen kann, jedenfalls auf den Zeitraum beschränkt sein, in dem sich der Verbraucher anmelden bzw. die Anmeldung noch zurücknehmen kann.651

VII.

Ergebnis zu den Feststellungszielen

Bei kartellrechtlichen Musterfeststellungsklagen lassen sich unterschiedliche Feststellungsziele zu Anspruchsvoraussetzungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beantragen, soweit nicht die Bindungswirkung kartellverwaltungsrechtlicher Entscheidungen nach § 33b GWB entgegensteht. Die oben behandelten Anwendungsfälle652 erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Maßgeblich ist, ob für jedes Feststellungsziel ein Sachentscheidungsinteresse besteht. Dabei können die Feststellungsziele in Unterklassen eingeteilt werden. Der Beklagte kann keine Gegenanträge in das Verfahren einführen.

F.

Anmeldungsphase

In der Anmeldungsphase kommt dem Klageregister mit der Bekanntmachungsund der Anmeldefunktion eine Doppelfunktion zu.653

I.

Bekanntmachung der Musterfeststellungsklage, § 607 Abs. 2 ZPO

Innerhalb von zwei Wochen, nachdem die Musterfeststellungsklage erhoben worden ist, veranlasst das Gericht deren Bekanntmachung, § 607 Abs. 2 ZPO. Die Bekanntmachung erfolgt im Klageregister. Das Bundesamt für Justiz führt das Klageregister, § 609 Abs. 1 S. 2 ZPO, und zwar nach § 1 Abs. 2 S. 1 MFKRegV654 online, sodass jedermann die Informationen unentgeltlich einsehen kann. Da650 651 652 653 654

A.A. Hettenbach WM 2019, 577, 580f. Das hält auch Hettenbach WM 2019, 577, 581 für sinnvoll. Siehe oben S. 100ff. Sievers DAR-Extra 2018, 730, 731. Verordnung über das Register für Musterfeststellungsklagen (Musterfeststellungsklagenregister-Verordnung – MFKRegV) vom 24. 10. 2018, BGBl. I, S. 1804.

128

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

durch sollen die Verbraucher erfahren, dass eine Musterfeststellungklage rechtshängig ist und Betroffene sich anmelden können.655 Es wird vertreten, die Bekanntmachung entfalte aus Sicht der Unternehmen unter besonderen Umständen eine »Prangerwirkung«656 und belaste den Beklagten. Denn, dass möglichst viele Verbraucher von der Musterfeststellungsklage erfahren, wird insbesondere durch die Medienberichterstattung über die Bekanntmachung erreicht, die in dieser Form bei einem Individualverfahren selten ist und von der Rechtsordnung auch nicht angestrebt wird. Vor der Bekanntmachung gewährt das Gesetz dem Beklagten kein rechtliches Gehör; das soll das Verfahren beschleunigen.657 Zwar kann sich der Beklagte vor der Bekanntgabe anderweitig öffentlich äußern. Dann kann das Gericht die Äußerungen berücksichtigen, wenn es die Bekanntmachung (eingeschränkt) prüft. Das Gericht kann jedoch innerhalb von 14 Tagen nach Klageerhebung jederzeit die Bekanntmachung veranlassen.658 Das erschwert es für den Beklagten, sich rechtzeitig substantiiert zur Bekanntmachung zu äußern. Diese Probleme werden jedoch die Ausnahme bleiben, wenn sie überhaupt auftauchen. Die Verbände sind nicht daran interessiert, durch rechtsmissbräuchliches Verhalten ein bestimmtes Unternehmen zu schädigen. Zudem ist eine Klage in aller Regel noch nicht geeignet, die kritisierte »Prangerwirkung« zu erzeugen. Zwar mag im Einzelfall ein Rufschaden mit der Bekanntmachung einhergehen, dieser dürfte sich jedoch in den Grenzen halten, die es in einem Rechtsstaat auszuhalten gilt. Bei einer sittenwidrigen Klageerhebung kommt ein Schadensersatzanspruch des Beklagten aus § 826 BGB in Betracht.659 In Bezug auf Kartellverstöße ist zudem zu bedenken, dass eine »Prangerwirkung« regelmäßig schon durch die Bußgeldverfahren ausgelöst wird. Die Bekanntmachung im Klageregister ist daher auch bei kartellrechtlichen Ansprüchen hinnehmbar.660

655 BTDr. 19/2507, 25. 656 Z.B. Würtenberger/Freischem GRUR 2017, 1101, 1103. 657 Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 607 ZPO Rn. 8; Felgentreu/Gängel VuR 2019, 328, 330. 658 Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 607 ZPO Rn. 8. 659 MüKo-BGB/Wagner, § 826 Rn. 238, 239. 660 Vgl. allgemein zu einer Prangerwirkung durch die Bekanntmachung Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 607 ZPO Rn. 2ff.; Würtenberger/Freischem GRUR 2017, 1101, 1103; Felgentreu/Gängel VuR 2019, 328, 330; Schmidt-Kessel Stellungnahme, Wortprotokoll, S. 107, 111.

Anmeldungsphase

II.

129

Anmeldung, § 608 ZPO

Verbraucher können ihre Ansprüche oder Rechtsverhältnisse, die von den Feststellungszielen abhängen, bis zum Ablauf des Tages vor Beginn des ersten Termins zur Eintragung in das Klageregister anmelden, § 608 Abs. 1 ZPO. Welche Angaben die Anmeldung enthalten soll, bestimmt § 608 Abs. 2 S. 1, 2 ZPO. Der angemeldete Verbraucher kann bis zum Ablauf des Tages des Beginns der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz seine Anmeldung schriftlich zurücknehmen, § 608 Abs. 3, 4 ZPO. Der Verbraucher kann seine Ansprüche oder Rechtsverhältnisse selbst und ohne anwaltliche Vertretung zum Klageregister anmelden.661 Der angemeldete Verbraucher ist nicht Partei des Musterfeststellungsverfahrens, sodass auch § 78 ZPO keinen Anwaltszwang für die Anmeldung vorschreibt.662 1.

Keine inhaltliche Prüfung vor Eintragung in das Klageregister

Das Bundesamt für Justiz prüft die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben nicht inhaltlich, bevor es die Eintragung in das Klageregister vornimmt, § 608 Abs. 2 S. 3 ZPO. Es prüft lediglich, ob die formalen Anforderungen hinsichtlich Form, Frist und Vollständigkeit der Angaben eingehalten sind.663 Nur wenn eine Anmeldung offensichtlich formale Fehler hat, wird diese zurückgewiesen.664 Das Oberlandesgericht prüft im Rahmen der Zulässigkeit, ob sich 50 Anmelder wirksam innerhalb der Frist von zwei Monaten, beginnend mit der öffentlichen Bekanntgabe der Klage, angemeldet haben. Es legt dabei die Angaben der anmeldenden Verbraucher zugrunde, ohne jene inhaltlich zu überprüfen. Die Anmelder müssen nach § 608 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 ZPO versichern, dass die Angaben richtig und vollständig sind. Die Angaben gemäß § 608 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–5 ZPO sind im Rahmen der Zulässigkeit nicht zu prüfen. Das Oberlandesgericht kann und muss lediglich prüfen, ob die Ansprüche von 50 angemeldeten Verbrauchern von den Feststellungszielen abhängen.665 Dabei dienen jedoch die ungeprüften Angaben als einzige Erkenntnisquelle. Sobald 50 wirksame Anmeldungen vorliegen, endet die Prüfung des Oberlandesgerichts. Weitere Anmeldungen werden in keiner Hinsicht mehr geprüft.666 Dadurch können im Klageregister auch Personen stehen, deren angemeldete Ansprüche tatsächlich nicht bestehen. 661 662 663 664 665 666

BTDr. 19/2507, 1f., 16 und 24. Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 608 ZPO Rn. 11. Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle-ZPO/Schmidt, § 608 ZPO Rn. 6. Mekat/Nordholtz NJW 2019, 411, 413. Musielak/Voit/Stadler, § 608 ZPO Rn. 3, 4. Musielak/Voit/Stadler, § 608 ZPO Rn. 3.

130

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

Es ist möglich, dass sich Personen zum Klageregister anmelden, die keine Verbraucher sind iSv § 29c Abs. 2 ZPO. Denn es wird erst in einem etwaigen Folgeprozess inhaltlich geprüft, ob der Anmelder wirksam angemeldet war und der Musterfeststellungsentscheid für ihn bindend wirkt.667 Folglich sehen §§ 606– 614 ZPO keinen Rechtsbehelf gegen eine ungerechtfertigte Anmeldung zum Klageregister vor. 2.

Wirkung der Anmeldung

Die Anmeldung führt zu keiner direkten Beteiligung des Verbrauchers am Verfahren, weder als Partei noch als Beigeladener.668 Die Anmeldung zur Musterfeststellungsklage sperrt die Individualklagen im Hinblick auf denselben Streitgegenstand, also denselben Sachverhalt und dieselben Feststellungsziele, § 610 Abs. 2 ZPO. Klagt ein Verbraucher, betreffend den Streitgegenstand einer (späteren) Musterfeststellungsklage, gegen den (späteren) Musterfeststellungsbeklagten und meldet seine Ansprüche dann zum Klageregister an, dann setzt das Gericht den Individualprozess für die Dauer des Musterfeststellungsverfahrens oder bis zu einer wirksamen Rücknahme der Anmeldung aus, § 613 Abs. 2 ZPO.669 Meldet ein Verbraucher sich wirksam zum Klageregister an, hemmt dies zudem die Verjährung des Anspruchs, sofern der Verbraucher seine Anmeldung nicht zurücknimmt, § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB. Fraglich ist, ob für kartellrechtliche Schadensersatzklagen die Verjährungshemmung durch Erhebung einer Musterfeststellungsklage und die wirksame Anmeldung zu ihr nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB überhaupt eine Rolle spielt. Denn § 33h Abs. 6 Nr. 1 GWB hemmt die Verjährung von Ansprüchen aus §§ 33 Abs. 1 oder 33a Abs. 1 GWB, wenn eine Kartellbehörde Maßnahmen im Hinblick auf eine Untersuchung oder ein Verfahren trifft (Nr. 1), die Europäische Union oder ein Mitgliedstaat Maßnahmen im Hinblick auf eine Untersuchung oder ein Verfahren wegen eines Verstoßes gegen Art. 101 oder 102 AEUV trifft (Nr. 2) oder der Anspruchsberechtigte gegen den Rechtsverletzer auf Auskunft oder Beweismittelherausgabe aus § 33g GWB klagt (Nr. 3). Beendet die Kartellbehörde ihre Untersuchungen oder das Verfahren, so endet die Verjährungshemmung ein Jahr, nachdem die Entscheidung bestands- und rechtskräftig oder das Verfahren anderweitig erledigt worden ist, § 33h Abs. 6 S. 2 GWB. Die Voraussetzungen für eine Verjährungshemmung nach § 33h Abs. 6 Nr. 1 GWB sind aus Sicht des Verbrauchers strenger als die des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB. 667 Musielak/Voit/Stadler, § 608 ZPO Rn. 3. 668 Beckmann/Waßmuth WM 2019, 89, 93; Prütting/Gehrlein/Halfmeier, § 608 ZPO Rn. 4; ders. ZRP 2017, 201, 203; Röthemeyer MDR 2019, 6,7; Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 124; Berger ZZP 133 (2020), 3, 22; vgl. Thomas/Putzo/Seiler, § 608 ZPO Rn. 1. 669 Beck WPg 2019, 586, 589.

Anmeldungsphase

131

Zwar genügt jegliche Ermittlung oder Untersuchung der Kartellbehörden.670 Der Anspruchsinhaber selbst kann aber nur die Voraussetzung des § 33h Abs. 6 Nr. 3 GWB herbeiführen, indem er individuell gegen den Rechtsverletzter auf Auskunft und Herausgabe von Beweismitteln gemäß § 33g GWB klagt. Die Anmeldung zu einer Musterfeststellungsklage ist für den Verbraucher erheblich weniger aufwendig, als selbst zu klagen; daraus resultiert ein schutzwürdiges Interesse an der Möglichkeit der Verjährungshemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB neben § 33h GWB.

3.

Fehler bei der Anmeldung

Erhebliche Folgen kann es haben, wenn sich ein Verbraucher zu einer Musterfeststellungsklage anmeldet, obwohl sie für seinen Anspruch oder sein Rechtsverhältnis nicht relevant ist.671 Die Anmeldung ist in diesem Fall unwirksam, ebenso wenn sich sein Anspruch nicht gegen den Musterfeststellungsbeklagten richtet.672 In beiden Fällen wird weder die Verjährung seiner Ansprüche gehemmt, noch tritt die Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils oder eines Vergleichs zu seinen Gunsten ein.673 Der Verbraucher muss daher sorgfältig prüfen, ob sein Anspruch oder Rechtsverhältnis von der jeweiligen Musterfeststellungsklage abhängt; das kann bei komplexen Massenereignissen aufwendig und anspruchsvoll sein.674 Ein Verbraucher, der sich zu einer Musterfeststellungsklage angemeldet hat, wird regelmäßig darauf vertrauen, mit der Anmeldung fürs Erste alles Erforderliche getan zu haben. Das kann jedoch bei einer unwirksamen Anmeldung dazu führen, dass später, wenn die Unwirksamkeit festgestellt wird – nämlich nach Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens – der Anspruch verjährt ist.675 Im Kartellrecht stellt sich dieses Problem in besonderem Maße. Denn kartellrechtliche Sachverhalte können sehr komplex ausgestaltet sein, sodass dem Verbraucher bei der Anmeldung schnell Fehler unterlaufen können. So ist beispielsweise die Bewertung etwaiger Haftungsprivilegierungen des Beklagten676 hochgradig fehleranfällig. 670 Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 33h GWB Rn. 23. 671 Waßmuth/Asmus ZIP 2018, 657, 665; Mekat/Nordholtz NJW 2019, 411, 413. 672 Das ist ein höchstrelevantes Problem, so hielt etwa das OLG Braunschweig im Verfahren gegen die Mercedes Benz Bank AG nur ca. 140 der 600 Anmeldungen für wirksam, Gängel NJ 2019, 378, 379; auch im VW-Verfahren sind zahlreiche Anmeldungen unwirksam, Prütting ZIP 2020, 197, 200. 673 Mekat/Nordholtz NJW 2019, 411, 413. 674 Beck Strukturwandel, S. 401, 412. 675 Mekat/Nordholtz NJW 2019, 411, 413; Augenhofer VuR 2019, 83, 85. 676 Dazu unten S. 154ff. und S. 173ff.

132 III.

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

Quorum

Gemäß § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO ist eine Musterfeststellungsklage nur zulässig, wenn mindestens 50 Verbraucher ihre Ansprüche oder Rechtsverhältnisse innerhalb von zwei Monaten nach der Bekanntmachung677 wirksam zum Klageregister angemeldet haben. Zu den erforderlichen 50 Anmeldungen nach Nr. 3 können auch diejenigen Verbraucher zählen, auf die sich die Glaubhaftmachung nach § 606 Abs. 3 Nr. 2 ZPO bezieht.678 Das Quorum soll sicherstellen, dass eine Musterfeststellungsklage nur geführt wird, wenn eine gewisse Anzahl von Verbrauchern daran interessiert ist und sich tatsächlich zum Klageregister anmeldet.679 Dass 50 betroffene Verbraucher existieren, wird bei kartellbedingten Schäden regelmäßig kein Problem sein. Das Beispiel einer kartellrechtswidrigen Preiserhöhung zeigt dies. Sie lohnt sich erst, wenn eine Vielzahl von Verbrauchern den Kartellpreis bezahlt. Problematischer dürfte allerdings sein, dass genügend Betroffene rechtzeitig von der Musterfeststellungsklage erfahren und sich anmelden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass wohl nur wenige Verbraucher die Bekanntmachungen im Klageregister oder die Veröffentlichungen auf der Internetseite des Bundesamtes für Justiz verfolgen. Ob die Betroffenen von einer Bekanntmachung (rechtzeitig) erfahren, hängt von ihrem subjektiven Interesse ab. Es ist höher, wenn der Betroffene bereits von seiner Betroffenheit weiß. Das öffentliche Interesse an der Ahndung von Kartellrechtsverstößen und die Berichterstattung darüber nehmen stetig zu. Die Medienberichterstattung über Kartellverstöße trägt dazu bei, dass die Betroffenen sich über eine Musterfeststellungsklage informieren und das Quorum schneller erreicht wird. Ob sich Verbraucher zu einer Musterfeststellungsklage anmelden, hängt nicht zuletzt davon ab, ob Rechtsanwälte über kollektive Rechtsschutzinstrumente informieren und ihren Mandanten dazu raten.680

677 Zum Unterschied von Fristen und Stichtagen und der Berechnung siehe Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 606 ZPO Rn. 73. 678 Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 606 ZPO Rn. 71. 679 Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 606 ZPO Rn. 70; Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 88. 680 Heese JZ 2019, 429, 437.

Dritte im Musterfeststellungsverfahren

G.

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Dritte im Musterfeststellungsverfahren

Ob und in welcher Form sich Dritte an einem Musterfeststellungsverfahren beteiligen können, ist für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche besonders relevant. Einerseits sind an einem Kartell mehrere Unternehmen beteiligt. Andererseits sind regelmäßig zahlreiche Personen als Hersteller, Lieferanten und Abnehmer, Händler und Zwischenhändler involviert, bis eine kartellbefangene Ware bei einem Verbraucher ankommt. Das Zusammenwirken der Unternehmen und die teilweise langen und verzweigten Lieferanten- und Abnehmerketten führen dazu, dass viele Personen potentielle Anspruchsgegner für den Verbraucher sein können. Hinzu kommt, dass regelmäßig Regressansprüche zwischen ihnen bestehen. Soll die Musterfeststellungsklage zur Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche effektiv beitragen, muss das Verfahren das kartellrechtswidrige Zusammenwirken unterschiedlicher Unternehmen und Lieferantenund Abnehmerketten berücksichtigen.

I.

Streitgenossenschaft

1.

Streitgenossenschaft auf Klägerseite

§ 610 Abs. 2 ZPO sieht eine aktive Streitgenossenschaft durch Verbindung mehrerer Musterfeststellungsklagen nach § 147 ZPO vor, wenn mehrere klagebefugte Einrichtungen am selben Tag jeweils Musterfeststellungsklagen erheben, die auf demselben Lebenssachverhalt basieren und dieselben Feststellungsziele verfolgen. Ob mehrere klagebefugte Einrichtungen eine gemeinsame Musterfeststellungsklage erheben können, bestimmt das Gesetz hingegen nicht ausdrücklich. Die Literatur positioniert sich hierzu nicht einheitlich. Teilweise wird argumentiert, dass über den gesetzlich geregelten Fall hinaus keine Streitgenossenschaft auf Klägerseite möglich sei.681 Denn »der Wunsch […], eine Klage gemeinsam zu führen«, könne anders erreicht werden, etwa indem die klagewilligen Verbände in einem materiell-rechtlichen Vertrag die wechselseitige Kostenbeteiligung und eine gemeinsame Strategie vereinbaren.682 Schmidt-Kessel forderte bereits bei seiner Anhörung im Rechtsausschuss, dass eine aktive Streitgenossenschaft unabhängig vom Zeitpunkt der Klageerhebung möglich sein solle. Wenn mehrere klagebefugte Einrichtungen als Streitgenossen ge681 Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 606 ZPO Rn. 47. 682 Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 606 ZPO Rn. 48.

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Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

meinsam auftreten könnten, würden mehr Verbraucher repräsentiert werden als bei nur einer klagenden Einrichtung.683 Für die Möglichkeit einer gemeinsamen Klageerhebung spricht, dass es »reine Förmelei«684 wäre, wenn eine zeitgleiche Klageeinreichung zur Streitgenossenschaft führe, eine von Anfang an gemeinsame Klage aber nicht möglich sei.685 Dass der Gesetzgeber die nachträgliche Streitgenossenschaft durch Prozessverbindung nach § 147 ZPO als Sonderfall normiert, zeigt jedoch, dass der Gesetzgeber es für möglich hält, dass mehrere Verbände auf Klägerseite stehen.686 Mithin muss eine Streitgenossenschaft auf Klägerseite iSv §§ 59f. ZPO in einem Musterfeststellungsverfahren grundsätzlich von Anfang an durch gemeinsame Klageerhebung möglich sein.687 Dass mehrere klagebefugte Einrichtungen mit einer gemeinsamen Klage jeweils eigene und unterschiedliche Feststellungsziele verfolgen können, ist hingegen abzulehnen.688 Die Voraussetzungen einer Streitgenossenschaft, namentlich das Erfordernis gleicher Feststellungsziele und Lebenssachverhalte, sind in diesem Fall nicht erfüllt.

2.

Streitgenossenschaft auf Beklagtenseite

Ob eine passive Streitgenossenschaft in einem Musterfeststellungsverfahren möglich ist, ist für das Kartellrecht besonders relevant. Die bei einer kartellrechtlichen Absprache zusammenwirkenden Unternehmen haften gemäß § 33d GWB als Gesamtschuldner. Dann ist der Kläger regelmäßig daran interessiert, gegen mehrere Kartellmitglieder als Streitgenossen in einer gemeinsamen Klage vorzugehen, um so die Rechtsdurchsetzung zu erleichtern und die Kosten möglichst gering zu halten.689 Das Interesse verstärkt sich, wenn die Streitgenossenschaft dazu führt, dass sich Geschädigte aus den Lieferanten- und Ab683 Schmidt-Kessel Stellungnahme, Wortprotokoll, S. 107, 117. 684 Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 147. 685 Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 147; Scholl ZfPW 2019, 317, 345f.; Baumbach/ Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle-ZPO/Schmidt, § 606 ZPO Rn. 9; Nordholtz/Mekat/de Lind van Wijngaarden Musterfeststellungsklage, § 6 Rn. 41. 686 Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 147; Scholl ZfPW 2019, 317, 345f.; Baumbach/ Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle-ZPO/Schmidt, § 606 ZPO Rn. 9; Nordholtz/Mekat/de Lind van Wijngaarden Musterfeststellungsklage, § 6 Rn. 41. 687 Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 147; Scholl ZfPW 2019, 317, 345f.; Baumbach/ Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle-ZPO/Schmidt, § 606 ZPO Rn. 9; Nordholtz/Mekat/de Lind van Wijngaarden Musterfeststellungsklage, § 6 Rn. 41; Zöller/Vollkommer, § 606 ZPO Rn. 16. 688 So auch Nordholtz/Mekat/de Lind van Wijngaarden Musterfeststellungsklage, § 6 Rn. 42. 689 Wäschle Schadensersatzklagen, S. 38; Mankowski WuW 2012, 947, 949; Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 235; vgl. Endter Schadensersatz nach Kartellverstoß, S. 225.

Dritte im Musterfeststellungsverfahren

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nehmerketten mehrerer Kartellmitglieder und damit mehr Verbraucher zur Musterfeststellungsklage anmelden können. a) Anwendbarkeit der §§ 59ff. ZPO in einem Musterfeststellungsverfahren §§ 606ff. ZPO und auch die Gesetzesbegründung schweigen dazu, ob eine passive Streitgenossenschaft bei einer Musterfeststellungsklage möglich ist. Die Bündelung von Musterfeststellungsklagen gegen mehrere Beklagte – das Spiegelbild der Regelung des § 610 Abs. 2 ZPO – hat der Gesetzgeber nicht normiert, aber auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen. § 610 Abs. 6 ZPO regelt lediglich, unter welchen Voraussetzungen §§ 66ff. ZPO, die Regelungen über die Nebenintervention und die Streitverkündung,690 nicht anwendbar sind. Der Wortlaut von § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO könnte einer Streitgenossenschaft auf Beklagtenseite entgegenstehen. Der Gesetzgeber verwendet für die Klägerseite und die Anmelder jeweils den Plural, während er die Beklagtenseite im Singular formuliert. Die ZPO nennt die Prozessparteien grundsätzlich im Singular, sodass dies in § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO keine Besonderheit ist.691 Dass der Gesetzgeber für die Klägerseite den Plural verwendet, soll verdeutlichen, dass § 606 Abs. 1 ZPO den Kreis der potentiellen Klägereinrichtungen insgesamt erfasst und der einzelne Verbraucher für die Musterfeststellungsklage keine entscheidende Rolle innehat, sondern immer nur die Betroffenheit von mehreren Verbrauchern relevant ist.692 Der Wortlaut steht einer passiven Streitgenossenschaft somit nicht entgegen.693 Der Zweck der Musterfeststellungsklage spricht für die Möglichkeit einer Streitgenossenschaft auf Beklagtenseite. Insbesondere gilt das für kartellrechtliche Schadensersatzklagen. Denn es würde einer effektiven Rechtsverfolgung entgegenstehen, wenn der Verband gegen mehrere Gesamtschuldner jeweils getrennte Musterfeststellungsverfahren mit denselben Feststellungszielen führen müsste, zumal dann widersprüchliche Entscheidungen drohen.694 Eine passive Streitgenossenschaft ist daher nach den allgemeinen Voraussetzungen zulässig.695

690 691 692 693

Zu Nebenintervention und Streitverkündung im Musterfeststellungsverfahren S. 138ff. Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 606 ZPO Rn. 51. Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 606 ZPO Rn. 51. Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 606 ZPO Rn. 51; Schmidt WM 2018, 1966, 1968; Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle-ZPO/ders., § 606 ZPO Rn. 12; Beckmann/ Waßmuth WM 2019, 45, 48. 694 Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 148. 695 Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 606 ZPO Rn. 46, 51; Nordholtz/Mekat/de Lind van Wijngaarden Musterfeststellungsklage, § 6 Rn. 40, 43. Im Ergebnis auch: BeckOK-ZPO/Lutz, § 610 ZPO Rn. 22; Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle-ZPO/Schmidt, § 606 ZPO Rn. 12; Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 148; Nordholtz/Mekat/Heigl/

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Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

b)

Allgemeine Voraussetzungen einer passiven Streitgenossenschaft im Musterfeststellungsverfahren Fraglich ist, ob die allgemeinen Voraussetzungen einer Streitgenossenschaft gemäß §§ 59f. ZPO vorliegen können, wenn eine klagebefugte Einrichtung ein Musterfeststellungsverfahren gegen gesamtschuldnerisch haftende Kartellmitglieder führen möchte. aa) Rechtsgemeinschaft Gesamtschuldner sind eine klassische Rechtsgemeinschaft iSv §§ 59, 60 ZPO.696 bb) Berechtigung bzw. Verpflichtung aus identischem oder gleichartigem Grund § 59 Alt. 2 ZPO ermöglicht eine Streitgenossenschaft, wenn die Streitgenossen aus demselben rechtlichen oder tatsächlichen Grund verpflichtet sind. Das ist der Fall, wenn mehrere Schädiger aus einer unerlaubten Handlung als Streitgenossen verklagt werden.697 Die Ansprüche oder Verpflichtungen können auch dann gleichartig sein, wenn sie im Wesentlichen auf einem gleichartigen rechtlichen und tatsächlichen Grund beruhen, § 60 ZPO. In einem Musterfeststellungsverfahren stellt das Gericht aber nicht fest, dass konkrete Verpflichtungen oder Ansprüche bestehen; es geht somit nicht um Ansprüche oder Verpflichtungen als solche. Daher erfordert die Streitgenossenschaft in einem Musterfeststellungsverfahren konkret Identität bzw. Gleichartigkeit dreier Elemente: Für alle Musterfeststellungsbeklagten müssen die gleichen Feststellungsziele, der gleiche Lebenssachverhalt und das gleiche Prüfungsprogramm gelten.698 Bei gesamtschuldnerisch haftenden Kartellteilnehmern ist es denkbar, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind. cc) Zulässigkeit der objektiven Klagehäufung analog § 260 ZPO Da eine Streitgenossenschaft immer auch eine objektive Klagehäufung ist, müsste eine solche zulässig sein. Analog § 260 ZPO müsste dieselbe Prozessart zulässig und das Prozessgericht für sämtliche Klagen zuständig sein.699

696 697 698 699

Nordmann Musterfeststellungsklage, § 2 Rn. 29; Scholl ZfPW 2019, 317, 345; Beckmann/ Waßmuth WM 2019, 45, 48; Schmidt WM 2018, 1966, 1968; Scholl ZfPW 2019, 317, 346. BeckOK-ZPO/Dressler, § 59 ZPO Rn. 12 mwN. BeckOK-ZPO/Dressler, § 59 ZPO Rn. 13. Nordholtz/Mekat/Heigl/Nordmann Musterfeststellungsklage, § 2 Rn. 31. MüKo-ZPO/Schultes, § 59 ZPO Rn. 10.

Dritte im Musterfeststellungsverfahren

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(1) Dieselbe Prozessart Kartellverstöße iSv § 1 GWB und Art. 101 Abs. 1 AEUV können nur durch Unternehmer begangen werden. Deshalb sind Beklagte in den hier besprochenen Fällen zwingend Unternehmer iSv § 606 Abs. 1 ZPO, sodass gegen sie jeweils eine Musterfeststellungsklage statthaft ist. (2) Zuständigkeit des Prozessgerichts für sämtliche Klagen Als weitere Voraussetzungen der Streitgenossenschaft muss das Prozessgericht grundsätzlich für sämtliche Klagen international und örtlich zuständig sein.700 Diese Voraussetzung scheint auf den ersten Blick für Musterfeststellungsklagen gegen Kartellmitglieder als Streitgenossen problematisch zu sein.701 § 32c ZPO normiert den ausschließlichen Gerichtsstand für ein Musterfeststellungsverfahren am Sitz des Beklagten. Dass Unternehmen kartellrechtswidrig zusammenwirken, ihren Sitz aber nicht in demselben Oberlandesgerichtsbezirk haben, wird regelmäßig vorkommen. Dieses Problem löst § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO für die örtliche Zuständigkeit. Die nächsthöhere Instanz bestimmt, welches Gericht für die Klage zuständig ist, wenn die Streitgenossen keinen gemeinsamen Gerichtstand haben. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO gilt auch für ausschließliche Gerichtsstände702 und somit auch für § 32c ZPO. Die Gerichtsstandsbestimmung kann vor oder nach der Klageerhebung erfolgen.703 Bei (kartellrechtlichen) Musterfeststellungsverfahren bestimmt im Ergebnis auf Antrag der BGH, welches Oberlandesgericht örtlich zuständig ist, wenn mehrere Unternehmer, die als Streitgenossen verklagt werden sollen, ihren Sitz in Deutschland aber in unterschiedlichen Oberlandesgerichtsbezirken haben.704 Das gilt für die örtliche Zuständigkeit auch dann, wenn einer der Streitgenossen seinen Sitz im EU-Ausland oder einem Drittstaat hat und sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte aus Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO ergibt.705 § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO verschiebt nur die örtliche Zuständigkeit, erweitert aber nicht die internationale Zuständigkeit.706

700 701 702 703 704

Musielak/Voit/Weth, § 60 ZPO Rn. 11; MüKo-ZPO/Schultes, § 59 ZPO Rn. 10. Vgl. Nordholtz/Mekat/de Lind van Wijngaarden Musterfeststellungsklage, § 6 Rn. 43. MüKo-ZPO/Patzina, § 36 ZPO Rn. 26 mwN. BeckOK-ZPO/Toussain, § 36 ZPO Rn. 18ff. Scholl ZfPW 2019, 317, 345f.; BeckOK-ZPO/Lutz, § 606 ZPO Rn. 41.4; Zöller/Vollkommer, § 606 ZPO Rn. 17. 705 Zur internationalen Streitgenossenzuständigkeit siehe oben S. 90ff. 706 Schack IZVR Rn. 408.

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Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

dd) Relevanz der Feststellungsziele Als weitere Voraussetzung muss der Verband glaubhaft machen, dass die Ansprüche von mindestens zehn Verbrauchern gegen jeden Beklagten von den Feststellungszielen abhängen, denn die Voraussetzungen müssen für jeden Beklagten jeweils vollständig vorliegen.707 ee) Ergebnis Die Voraussetzungen der Streitgenossenschaft können in einem Musterfeststellungsverfahren erfüllt sein. Eine klagebefugte Einrichtung kann grundsätzlich eine gemeinsame Musterfeststellungsklage gegen mehrere Kartellteilnehmer führen. Gleichwohl kann das Oberlandesgericht die Prozesse gemäß § 145 Abs. 1 iVm § 610 Abs. 5 S. 1 ZPO trennen, sofern sachliche Gründe dies rechtfertigen.708

II.

Streitverkündung und Nebenintervention

Eine Streitverkündung ist insbesondere dann sinnvoll, wenn der Musterfeststellungsbeklagte Regressansprüche gegenüber Dritten hat.709 Er kann so die Verjährung von Regressansprüchen hemmen, um seine Ansprüche zu sichern.710 Für kartellrechtliche Musterfeststellungsklagen ist die Möglichkeit der Streitverkündung besonders relevant. Schadensersatzansprüchen aus dem Kartellverbot liegt das wettbewerbswidrige Handeln mehrerer Unternehmen zugrunde. Sie haften gemäß § 33d Abs. 1 GWB gesamtschuldnerisch. Die Schuldnermehrheit führt dann zu Regressansprüchen zwischen den Rechtsverletzern,711 die jeweils als Streitverkündete oder Nebenintervenienten in Betracht kommen. Hersteller, Lieferanten und Abnehmer des Musterfeststellungsbeklagten sind ebenfalls potentielle Nebenintervenienten oder Streitverkündete; diese können sich dann als Beteiligte inhaltlich am Verfahren beteiligen, etwa wenn ein behaupteter Fehler in ihrem Verantwortungsbereich liegt.712 Die Möglichkeit einer Streitverkündung oder Nebenintervention in einem Musterfeststellungsverfahren regelt § 610 Abs. 6 ZPO. Verbrauchern gegenüber kann der Streit nicht verkündet werden und sie können sich auch nicht durch 707 Nordholtz/Mekat/Heigl/Normann Musterfeststellungsklage, § 2 Rn. 31. 708 Beckmann/Waßmuth WM 2019, 45, 48. 709 Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle-ZPO/Schmidt, § 610 ZPO Rn. 12; Schweiger/Meißner CB 2018, 240, 246; Nordholtz/Mekat/de Lind van Wijngaarden Musterfeststellungsklage, § 6 Rn. 44; BeckOK-ZPO/Lutz, § 610 ZPO Rn. 21; Saenger/Rathmann, § 610 ZPO Rn. 4. Im Ergebnis auch Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 610 ZPO Rn. 59. 710 Waßmuth/Asmus ZIP 2018, 657, 663. 711 KölnerKomm-KartellR/Krohs, § 33 GWB Rn. 292. 712 Waßmuth/Asmus ZIP 2018, 657, 663.

Dritte im Musterfeststellungsverfahren

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eine Nebenintervention am Musterfeststellungsverfahren beteiligen – unabhängig davon, ob sie zum Musterfeststellungsverfahren angemeldet sind, § 610 Abs. 6 Nr. 1 und 2 ZPO.713 Dagegen ist im Gesetzgebungsverfahren gefordert worden, die Nebenintervention für Verbraucher zu ermöglichen, um die Akzeptanz der Entscheidung durch aktive Beteiligungsmöglichkeiten zu erhöhen.714 Dem ist der Gesetzgeber ersichtlich nicht gefolgt, um die Effektivität des Verfahrens zu sichern.715 Denn eine Vielzahl von Anspruchsinhabern als Verfahrensbeteiligte würde das Verfahren verzögen und komplexer machen. Zudem sollen die Verbraucher davor geschützt werden, dass sie infolge einer Streitverkündung aktiv am Musterfeststellungsverfahren teilnehmen müssen.716 Aus einem Musterfeststellungsverfahren sollen keine nachteiligen Wirkungen für den Verbraucher entstehen.717 Im Umkehrschluss aus § 610 Abs. 6 ZPO ergibt sich, dass Unternehmer als Nebenintervenienten einem Musterfeststellungsverfahren beitreten können; ihnen gegenüber kann der Streit verkündet werden.718 § 610 Abs. 6 verweist auf §§ 66–74 ZPO, sodass die allgemeinen Voraussetzungen der Streitverkündung und Nebenintervention erfüllt sein müssen.719 Hier ist auf die bestehenden Unterschiede zum Kapitalanleger-Musterverfahren einzugehen, das der BGH nicht für interventionsfähig hält.720 1.

Anhängiger eigenständiger Rechtsstreit

Anhängig ist eine Musterfeststellungsklage ab dem Moment, in dem sie bei Gericht eingereicht worden ist. Das Musterfeststellungsverfahren ist ein eigenständiger Rechtsstreit iSv § 66 bzw. § 72 ZPO. Demgegenüber lehnt der BGH die Eigenständigkeit eines Kapitalanleger-Musterverfahrens ab, weil dieses nur ein zeitlich begrenzter Verfahrensabschnitt sei, die Streitverkündung hingegen für einen Rechtsstreit als 713 Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 610 ZPO Rn. 58. A.A. Schneider BB 2018, 1986, 1993, der eine Streitverkündung gegenüber nichtangemeldeten Verbrauchern für möglich hält. 714 Schmidt-Kessel Stellungnahme, Wortprotokoll, S. 107, 117. 715 BTDr. 19/2507, 26. 716 Thomas/Putzo/Seiler, § 610 ZPO Rn. 6; Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 150. 717 BTDr. 19/2507, 26; krit. Musielak/Voit/Stadler, § 610 ZPO Rn. 9. 718 So auch Nordholtz/Mekat/de Lind van Wijngaarden Musterfeststellungsklage, § 6 Rn. 44; Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle-ZPO/Schmidt, § 610 ZPO Rn. 12; Saenger/ Rathmann, § 610 ZPO Rn. 4; Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 151; Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 610 ZPO Rn. 59; Prütting/Gehrlein/Halfmeier, § 610 ZPO Rn. 19; Schweiger/Meißner CB 2018, 240, 246; Waßmuth/Asmus ZIP 2018, 657, 663. Nur für die Streitverkündung: BeckOK-ZPO/Lutz, § 610 ZPO Rn. 21. 719 Schweiger/Meißner CB 2018, 240, 246. 720 BGH NJW 2017, 3718, Tz. 15ff.; zustimmend Zoller BB 2017, 2707; Prütting EWiR 2017, 713f.; Roth JZ 2018, 151, 152f.; a.A. Giesen NJW 2017, 3691ff.

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Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

solchen und nicht nur für einzelne Verfahrensabschnitte gelte.721 Dieses Argument lässt sich nicht auf das Musterfeststellungsverfahren übertragen, da ihm keine Ausgangsverfahren vorausgehen und die Folgeprozesse nicht zwingend sind. 2.

Streitverkündung nicht von oder gegenüber Anmeldern

Nur die Prozessparteien des Musterfeststellungsverfahrens können einem Dritten den Streit verkünden. Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 72 Abs. 1 ZPO. Die (angemeldeten) Verbraucher können mithin Dritten nicht den Streit erklären. Weiter können nur am Verfahren nicht beteiligte Dritte Streitverkündete oder Nebenintervenienten sein,722 mit Ausnahme der Verbraucher.723 3.

Streitverkündungs- bzw. Interventionsgrund

Eine Streitverkündung setzt weiter voraus, dass die streitverkündende Partei glaubt, einen Anspruch auf Gewährleistung oder Schadloshaltung gegen einen Dritten erheben zu können oder einen solchen Anspruch des Dritten besorgt für den Fall, dass der Rechtsstreit nicht zu ihren Gunsten ausgeht, § 72 Abs. 1 ZPO. Spiegelbildlich erfordert eine Nebenintervention ein eigenes rechtliches Interesse daran, dass in einem zwischen anderen Personen anhängigen Rechtsstreit die eine Partei obsiegt, § 66 Abs. 1 ZPO. Ein solches Interesse ist anzunehmen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits unmittelbar oder mittelbar auf die privat- oder öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisse des Dritten einwirken kann.724 Insbesondere bei Regressansprüchen, akzessorischen Haftungsverhältnissen und Gesamtschuldnern besteht regelmäßig ein rechtliches Interesse iSv § 66 Abs. 1 ZPO.725 a) Keine Beteiligung in Ausgangsverfahren vor der Musterfeststellungsklage Der BGH hält eine Streitverkündung in einem Kapitalanleger-Musterverfahren nicht für nötig, da die Parteien in ihren Ausgangsprozessen Dritten den Streit verkünden können.726 Dieses Argument greift in einem Musterfeststellungsverfahren nicht, denn dieses setzt gerade keine Individualverfahren der Verbraucher 721 BGH NJW 2017, 3718, Tz. 16. 722 Für die Streitverkündung BeckOK-ZPO/Dressler, § 72 ZPO Rn. 5; für die Nebenintervention ders. § 66 ZPO Rn. 5. 723 Siehe oben S. 138f. 724 MüKo-ZPO/Schultes, § 66 ZPO Rn. 7 mwN. 725 Saenger/Bendtsen, § 66 ZPO Rn. 9; MüKo-ZPO/Schultes, § 66 ZPO Rn. 16, 17 mwN. 726 BGH NJW 2017, 3718, Tz. 17.

Dritte im Musterfeststellungsverfahren

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gegen den späteren Musterfeststellungsbeklagten als »Ausgangsverfahren«727 voraus.728 In einem Kapitalanleger-Musterverfahren sind die Streithelfer der Ausgangsprozesse als Beigeladene beteiligt.729 Gleichwohl kann es passieren, dass ein Betroffener schon individuell geklagt hat, bevor das Musterfeststellungsverfahren begonnen hat, und er dort Dritten den Streit verkündet hat oder ein Nebenintervenient beigetreten ist. Doch können diese Dritten auf das Musterfeststellungsverfahren keinen inhaltlichen Einfluss nehmen.730 b) Interesse am Beitritt trotz fehlender Möglichkeit des Obsiegens Nach dem BGH kann, ein Interventionsgrund bei einem Kapitalanleger-Musterverfahren nicht bestehen, weil in ihm kein Obsiegen möglich sei.731 Das Prozessgericht stelle einzelne Voraussetzungen oder Rechtsfragen fest, woraus sich lediglich ein tatsächliches oder wirtschaftliches, nicht aber ein rechtliches Interesse ergeben könne.732 Der Interventionsgrund könne sich nur aus dem Ausgangsprozess, nicht aber aus den Vorlagefragen ergeben.733 Erst wenn der Ausgangsprozess für eine Partei ungünstig ausgeht, könne der Streitverkündende einen Anspruch eines Dritten besorgen oder glauben, einen Anspruch gegen eine Dritten zu haben.734 Auch dieses Argument ist auf ein Musterfeststellungsverfahren nicht übertragbar.735 Zwar stellt ein Musterfeststellungsurteil nie die Leistungsverpflichtung des Beklagten fest. Stellt das Gericht das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen in einem Musterfeststellungsurteil bindend fest, stärkt dies jedoch die eine oder andere Rechtsposition in einem etwaigen Folgeprozess.736 Je konkreter und ausführlicher die Feststellungen in dem Musterfeststellungsurteil sind, desto stärker wirken sie sich auf den Ausgang des Folgeprozesses aus. Diese mittelbaren Auswirkungen der Musterfeststellungen begründen das rechtliche Interesse an einem Beitritt.

727 Waßmuth/Asmus ZIP 2018, 657, 663. 728 Nordholtz/Mekat/de Lind van Wijngaarden, Musterfeststellungsklage, § 6 Rn. 45; Waßmuth/ Asmus ZIP 2018, 657, 663. 729 Vorwerk/Wolf/Lange, KapMuG, § 9 Rn. 40. 730 Waßmuth/Asmus ZIP 2018, 657, 663. 731 BGH NJW 2017, 3718, Tz. 19. 732 BGH NJW 2017, 3718, Tz. 19. 733 BGH NJW 2017, 3718, Tz. 18. 734 BGH NJW 2017, 3718, Tz. 20. 735 So Nordholtz/Mekat/de Lind van Wijngaarden Musterfeststellungsklage, § 6 Rn. 45; Waßmuth/Asmus ZIP 2018, 657, 663. Im Ergebnis auch Musielak/Voit/Stadler, § 610 ZPO Rn. 9. 736 Vgl. zum KapMuG Giesen NJW 2017, 3691, 3692.

142

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

Ebenfalls dafür spricht, dass der BGH für selbstständige Beweisverfahren iSv § 485 ZPO die Möglichkeit eines Obsiegens annimmt.737 Dort kann das Obsiegen nur auf der Klärung von Tatsachen beruhen.738 Dann muss erst recht ein Obsiegen bei der Feststellung von Tatsachen und Rechtsfragen in einem Musterfeststellungsverfahren anzunehmen sein.739 In einem Folgeprozess könnte der Musterfeststellungsbeklagte einem Dritten, zu dem er in einem haftungsrechtlichen Rechtsverhältnis steht, zweifelsohne den Streit verkünden und der Dritte hätte die Möglichkeit einer Nebenintervention.740 Regressansprüche kann der Musterfeststellungsbeklagte dann aber regelmäßig nicht mehr sichern: Im Zeitpunkt der Folgeprozesse sind die Regressansprüche typischerweise bereits verjährt – die Verjährungshemmung käme zu spät.741 Dieses Ergebnis entspricht dem Zweck des Musterfeststellungsverfahrens und dem Willen des Gesetzgebers. Er wollte mit dem Musterfeststellungsverfahren ein Verfahren schaffen, dem eine große Breitenwirkung zukommt.742 Weitreichend können die Musterfeststellungen nur wirken, wenn mithaftende Gesamtschuldner, Regressschuldner oder Regressgläubiger in das Musterfeststellungsverfahren einbezogen werden können. Denn ansonsten müssten in jedem Folgeverfahren wieder Fragen, die bereits Gegenstand des Musterfeststellungsverfahrens waren, im Verhältnis zu dem Dritten erneut ausführlich geprüft werden. Dass ein Dritter solche Themen wieder aufrollt, würde § 68 ZPO dann nicht verhindern. Der Dritte kann nämlich mangels Interventionswirkung im Folgeprozess den Einwand vorbringen, dass die Musterfeststellungen relativ zu ihm falsch seien. Damit bliebe zwar die Bindungswirkung gegenüber dem Musterfeststellungsbeklagten erhalten, aber das Gericht müsste sich gleichwohl mit den Fragen erneut beschäftigen. Daher ist es insbesondere im Kartellrecht prozessökonomisch, wenn bereits im Musterfeststellungsverfahren eine Streitverkündung und Nebenintervention möglich sind.743 Denn die Fragen, die sich im Verhältnis zu Mitkartellanten und Lieferanten stellen, sind mit denen des Musterfeststellungsverfahrens weitgehend identisch.

737 738 739 740 741 742 743

BGH NJW 2016, 1020, Tz. 10ff. Giesen NJW 2017, 3691, 3692. Zum KapMuG Giesen NJW 2017, 3691, 3692. Vgl. Waßmuth/Asmus ZIP 2018, 657, 663. Waßmuth/Asmus ZIP 2018, 657, 663. BTDr. 19/2507, 15. Vgl. Nordholtz/Mekat/de Lind van Wijngaarden Musterfeststellungsklage, § 6 Rn. 46.

Dritte im Musterfeststellungsverfahren

4.

143

Ergebnis

Gegenüber Verbrauchern sind die Streitverkündung und die Nebenintervention in einem Musterfeststellungsverfahren ausgeschlossen, § 610 Abs. 6 Nr. 1, Nr. 2 ZPO. Gegenüber Unternehmern sind Streitverkündung und Nebenintervention möglich, wenn die allgemeinen Voraussetzungen erfüllt sind. Insbesondere kann bei einem Musterfeststellungsverfahren ein Streitverkündungsbzw. Interventionsgrund im Hinblick auf Regressansprüche vorliegen. Über die Nebenintervention wird jedoch nicht der Anwendungsbereich der Musterfeststellungsklage auf Unternehmer ausgeweitet.744 Bei kartellrechtlichen Sachverhalten entstehen keine unerwünschten Kostenfolgen, da § 89a GWB für Musterfeststellungsverfahren gilt und gemäß Abs. 3 ausdrücklich die Kosten einer Streitverkündung oder Nebenintervention erfasst.745

III.

Beteiligung des Bundeskartellamts an einem Musterfeststellungsverfahren gemäß § 90 GWB

Fraglich ist, ob sich das Bundeskartellamt gemäß § 90 Abs. 2 GWB aus eigener Initiative an einem Musterfeststellungsverfahren beteiligen und ob das entscheidende Gericht dies nach § 90 Abs. 5 GWB beantragen kann. Die Stellungnahmerechte der Kartellbehörden bestehen unabhängig von der Verfahrensart, der Instanz und dem zuständigen Gericht.746 Somit ist § 90 GWB auch auf das Musterfeststellungsverfahren anwendbar. § 90 Abs. 2 GWB setzt voraus, dass der Präsident des Bundeskartellamts es zur Wahrung öffentlicher Interessen für angemessen erachtet, einen Vertreter an einem Kartellzivilverfahren zu beteiligen. Das ist bei einem Musterfeststellungsverfahren, das das Kartellrecht betrifft, denkbar. Nach § 90 Abs. 5 GWB kann ein Gericht, das über einen Schadensersatzanspruch nach § 33a Abs. 1 S. 1 GWB entscheidet, eine Stellungnahme des Bundeskartellamts anfordern. Das ist in einem Musterfeststellungsverfahren möglich, wenn die Feststellungsziele den Schaden betreffen. Das folgt bereits aus dem Wortlaut des § 90 Abs. 5 GWB, der eine Stellungnahme des Bundeskartellamts zur Schadenshöhe erlaubt. Sofern etwa Feststellungen zur Schadenshöhe, zur Schadensabwälzung oder zur Vorteilsausgleichung beantragt sind, kann auch ein mit einer Musterfeststellungsklage befasstes Gericht diesen Antrag stellen. 744 Beckmann/Waßmuth WM 2019, 45, 51. 745 Zur Anwendbarkeit der Streitwertanpassung nach § 89a GWB in einem Musterfeststellungsverfahren ausführlich unten S. 166ff. 746 Berg/Mäsch/Seitz Kartellrecht, § 90 GWB Rn. 2.

144

H.

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens

Das Musterfeststellungsverfahren kann durch Vergleich oder Musterfeststellungsurteil beendet werden.

I.

Vergleich, § 611 ZPO

Es ist rechtspolitisch erwünscht, dass die Parteien ein Musterfeststellungsverfahren durch Vergleich beenden; das wurde im Gesetzgebungsverfahren immer wieder betont.747 § 611 ZPO regelt ausdrücklich den gerichtlichen Vergleich. Die Parteien können sich in einem Musterfeststellungsverfahren nicht vor dem ersten Termin vergleichen, § 611 Abs. 6 ZPO. So soll sichergestellt werden, dass der Vergleich möglichst weitreichend befriedend wirkt, indem ein Vergleich erst möglich ist, wenn die Anmeldefrist abgelaufen ist und die Betroffenen sich zur Musterfeststellungsklage anmelden konnten.748 Zu diesem Zeitpunkt ist den Parteien bekannt, welche Ansprüche angemeldet sind.749 1.

Vergleichsverfahren

a) Interessenlage bei Vergleichsverhandlungen Die Vergleichsverhandlungen in einem Musterfeststellungsverfahren unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt von denen in einem Individualrechtsstreit: Während bei ihm Kläger und Beklagter verhandeln und selbst vom Vergleich betroffen sind, ist der Kläger eines Musterfeststellungsverfahrens selbst nicht Anspruchsinhaber.750 Ein Vergleich ermöglicht grundsätzlich für die Kläger- und die Beklagtenseite sowie die Anmelder eine zufriedenstellende Lösung, auch bei komplexen Sachverhalten.751 Die Bereitschaft der Parteien zu Vergleichsverhandlungen und deren Intensität hängen jedoch vom Einzelfall ab. Wie die Parteien ihre beiderseitigen Risiken und Erfolgswahrscheinlichkeiten einschätzen, beeinflusst die Bereitschaft der Parteien, über einen Vergleich zu verhandeln, in hohem Maß.

747 Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 611 ZPO Rn. 2; Magnus NJW 2019, 3177; Baumbach/ Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle-ZPO/Schmidt, § 611 ZPO Rn. 1; Stadler VuR 2018, 83, 86; Zöller/Vollkommer, § 611 ZPO Rn. 1; Prütting ZIP 2020, 197, 200. 748 BTDr. 19/2507, 27. 749 Beckmann/Waßmuth WM 2019, 89, 92. 750 Beck Strukturwandel, S. 401, 417. 751 Bernhard Sammelklagen, S. 308f.

Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens

145

Dennoch können grundlegende Interessen ausgemacht werden, welche die Parteien in ihren Vergleichsverhandlungen leiten. Die Parteien und Betroffenen eines Musterfeststellungsverfahrens berücksichtigen allgemein die Kosten des Verfahrens, die Dauer des Verfahrens sowie die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten, die ein Vergleich bietet, wenn sie sich für oder gegen einen Vergleich entscheiden. Zudem beeinflussen die Besonderheiten des Musterfeststellungsverfahrens die Interessenlage der Parteien und Betroffenen. aa) Klägerinteressen Der Kläger im Musterfeststellungsverfahren ist selbst nicht Anspruchsinhaber, führt also die Vergleichsverhandlungen nicht im eigenen, sondern im Interesse der betroffenen und angemeldeten Verbraucher.752 Der klagebefugte Verband kann im Gegensatz zu den einzelnen Verbrauchern ein Gegengewicht zum Beklagten bilden und die Verhandlungsposition der Geschädigten stärken, indem er die Interessen vieler Personen bündelt.753 Der Vergleich sollte eine möglichst hohe Breitenwirkung haben, indem beispielsweise auch nicht angemeldete Verbraucher vom Vergleich profitieren. Das Ergebnis sollte für die Betroffenen gut ausfallen und ihnen auch gut »verkauft« werden, damit möglichst viele Anmelder von einem Ausstritt absehen. Denn wenn mehr als 30 % der Anmelder austreten, wird der Vergleich nicht wirksam.754 Der Kläger ist an einer schnellen und kostengünstigen Erledigung des Rechtsstreits interessiert.755 Denn er muss das eigene Kostenrisiko bedenken. bb) Beklagteninteressen Im Unterschied zu einem »normalen« Prozessvergleich ermöglicht der Musterfeststellungsvergleich keine diskrete Erledigung: Der Musterfeststellungsvergleich wird allgemein zugänglich im Klageregister veröffentlicht, § 611 Abs. 5 S. 3 ZPO. Das könnte aus Sicht des Beklagten gegen einen Vergleich sprechen. Er kann die Veröffentlichung aber auch zu seinen Gunsten nutzen, wenn er öffentlichkeitswirksam einlenken möchte, um seine Reputation zu verbessern.756 Eine ernsthafte Vergleichsbereitschaft vermittelt, dass der Unternehmer bemüht ist, Wettbewerbsverstöße abzustellen und hinter sich zu lassen.757 Das Verfahren wird schneller beendet, die Presse hört wieder auf, über den Verstoß zu berichten, 752 Beck Strukturwandel, S. 401, 417. 753 Bien NZKart 2013, 12, 13f. mwN; Beck Strukturwandel, S. 401, 417; Möschel/Bien/Hempel Kartellrechtsdurchsetzung, S. 71, 74f. 754 Dazu unten S. 150. 755 Bernhard Sammelklagen, S. 308. 756 Dazu Makatsch CCZ 2015, 127, 129; Stadler VuR 2018, 83, 87. 757 Makatsch CCZ 2015, 127, 130.

146

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

und es drohen weniger Folgeprozesse.758 Der Beklagte kann Rückstellungen auflösen und »die Bücher bereinigen«.759 Es kann zudem weniger aufwendig sein, eine einzige Vergleichsverhandlung zu führen, als sich mit jedem einzelnen Geschädigten über etwaige Ansprüche auseinanderzusetzen.760 Allerdings muss sich der Beklagte bewusst sein, dass diese Argumente nur gelten, wenn der Vergleich so attraktiv ist, dass er möglichst viele Verbraucher erfasst und wirksam wird.761 Der Vergleich löst grundsätzlich keine Vergleichsgebühr aus, sofern keine Leistungsregelungen enthalten sind.762 An den geringeren Kosten eines Vergleichs ist auch der Beklagte regelmäßig interessiert. Ob das auch für kartellrechtliche Streitigkeiten gilt, kann angesichts der Beträge, um die es meist geht, bezweifelt werden.763 Vergleicht sich der Beklagte nicht, dann »droht« ihm lediglich ein Feststellungsurteil. Das spricht aus Beklagtensicht gegen einen Vergleich. Da erst auf der zweiten Stufe individuelle Leistungsklagen erfolgen – wobei offen ist, ob die Verbraucher die zweite Stufe überhaupt beschreiten werden764 – ist die Musterfeststellungsklage kein starkes Druckmittel, um einen Schädiger zu einem Vergleich zu veranlassen. Sich erst auf der zweiten Stufe mit denjenigen Verbrauchern zu vergleichen, die auf Leistung klagen, kann wirtschaftlich für den Beklagten günstiger sein als ein Musterfeststellungsvergleich zugunsten einer Vielzahl von Verbrauchern.765 Gegen einen Vergleichsschluss spricht zudem, dass der Beklagte das Prozessrisiko aus mehreren Gründen kaum verlässlich einschätzen kann: Er kann wirtschaftliche Erwägungen in seine Vergleichsüberlegungen nur einbeziehen, wenn er die Kausalität und den entstandenen Schaden berücksichtigt.766 Dazu kann der Kläger aber gerade nicht in der Musterfeststellungsklage abschließend vortragen, da sich diese Aspekte nicht verallgemeinern lassen. Dem Beklagten fehlen wichtige Informationen. Für einen Beklagten ist maßgeblich, ob und in welcher Höhe den angemeldeten Personen Schadensersatzansprüche zustehen. Diese Frage klärt das Gericht aber nicht im Musterfeststellungsverfahren. Der Musterfeststellungsbe758 759 760 761 762 763 764

Vgl. Stancke/Weidenbach/Lahme/Hainz Schadensersatzklagen, Rn. 1417. Stadler WuW 2018, 189, 190. Beck Strukturwandel, S. 401, 4187; Halfmeier ZRP 2017, 201, 203. Vgl. Meller-Hannich, DJT-Gutachten A, S. 54; Stadler VuR 2018, 83, 87. Zöller/Vollkommer, § 611 ZPO Rn. 12. Beck Strukturwandel, S. 401, 418. Dass Unternehmen nach einer Grundsatzentscheidung abwarten, bis der Einzelne seinen Anspruch geltend macht zeigte sich etwa im Zusammenhang mit Rückforderung von Bearbeitungsgebühren im Anschluss an BGH NJW 2014, 2420 und NJW 2014, 3713. 765 Meller-Hannich, DJT-Gutachten A, S. 55; Kranz NZG 2017, 1099, 1101; Heese JZ 2019, 429, 436. 766 Balke/Liebscher/Steinbrück ZIP 2018, 1321, 1325.

Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens

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klagte weiß im Einzelfall nicht, ob die individuellen Ansprüche der Anmelder bestehen. Er kann somit nicht absehen, ob sich nur solche Verbraucher angemeldet haben, die überhaupt Ansprüche haben und deren Ansprüche oder Rechtsverhältnisse auch tatsächlich von der Entscheidung über die Feststellungsziele abhängen.767 Fraglich ist jedoch, wie stark in einem kollektiven Rechtsschutzverfahren die Prozessrisiken die Vergleichsbereitschaft des Beklagten beeinflussen. Ein Vergleich beendet das Verfahren schnell, effektiv und kostengünstig; er zeichnet sich typischerweise dadurch aus, dass die materiell-rechtliche Lage nur als Anhaltspunkt dient. Naturgemäß und von § 779 BGB vorausgesetzt muss ein Vergleich ein Kompromiss sein, der die Details außen vor lässt.768 So kann es passieren, dass ein Schädiger in einem Vergleich in Kauf nimmt, Leistungen zu versprechen, zu denen er materiell-rechtlich nicht verpflichtet war. Ob sie auch in einem Urteil zugesprochen worden wären, tritt dabei in den Hintergrund. Für kartellrechtliche Musterfeststellungsklagen kommen zwei Besonderheiten hinzu: Einerseits kann sich der Kartellant im Musterfeststellungsverfahren vergleichen wollen, um sich gemäß § 33f GWB von der gesamtschuldnerischen Haftung zu befreien.769 Das stärkt das Interesse eines gesamtschuldnerisch haftenden Musterfeststellungsbeklagten, sich zu vergleichen. Vergleicht sich ein Musterfeststellungsbeklagter, dann entfällt die Interventionswirkung gegenüber dem Streitverkündeten.770 Das wiederum schwächt das Interesse des Beklagten an einem Vergleich. Hat der Musterfeststellungsbeklagte Regressansprüche gegen Unternehmer innerhalb einer Lieferkette, ist es für ihn kaum sinnvoll, sich bilateral zu vergleichen, da die Gefahr der doppelten Inanspruchnahme zu groß würde.771 Dann kann es nämlich passieren, dass der Musterfeststellungsbeklagte aufgrund des Vergleichs an die Verbraucher leistet und in einem späteren Prozess gegenüber Unternehmern der Lieferkette ein passing-on abgelehnt und der Kartellant zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet wird.772 Es ist zu erwarten, dass Streitverkündung und Nebenintervention bei kartellrechtlichen Sachverhalten regelmäßig genutzt werden.773

767 Balke/Liebscher/Steinbrück ZIP 2018, 1321, 1325; vgl. Thiery/Schlingmann DB 2018, 2550, 2553; Prütting ZIP 2020, 197, 200f. Zu fehlerhaften Anmeldungen siehe S. 131. 768 Jauernig/Stadler, § 779 BGB Rn. 8; BeckOK-BGB/Fischer, § 779 BGB Rn. 16; MüKo-BGB/ Habersack, § 779 BGB Rn. 26. 769 Vgl. Stancke/Weidenbach/Lahme/Hainz Schadensersatzklagen, Rn. 1412. Zur Anwendbarkeit von § 33f GWB auf den Musterfeststellungsvergleich S. 155f. 770 Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 80. 771 Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 81. 772 Mallmann/Erne NZKart 2019, 77, 81. 773 Siehe oben S. 138.

148

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

Dass über kartellrechtliche Schadensersatzansprüche generell keine Vergleiche geschlossen werden, bestätigt die Praxis jedoch nicht.774 Dabei fällt auf, dass sich Kartellanten über Kartellschadensersatzansprüche bisher nur außergerichtlich vergleichen.775 Ein Prozessvergleich zwischen einem Kartellanten und einem Geschädigten über einen Kartellschadensersatzanspruch ist nicht bekannt.776 Daher bleibt abzuwarten, ob musterfeststellungsbeklagte Kartellrechtsverletzer zu einem Vergleich bereit sind oder ob die Gefahr, die Interventionswirkung der Streitgenossenschaft zu verlieren und somit von Unternehmen ebenfalls und damit doppelt für einen Schaden in Anspruch genommen zu werden, den Musterfeststellungsbeklagten von einem Vergleich abhält. Dass die Anreize, sich zu vergleichen, nicht ausreichen, erhärten zwei Beobachtungen. Erstens haben Unternehmen in der Vergangenheit nach einer Entscheidung über den Kartellverstoß häufig zunächst abgewartet, wer tatsächlich auf »zweiter Stufe« klagt und haben keine Vergleiche mit den Geschädigten verhandelt.777 Zweitens stimmt die Vergleichspraxis bei KapMuG-Verfahren wenig hoffnungsvoll.778 Vergleichsverhandlungen in KapMuG-Verfahren führen regelmäßig nicht zu einem Vergleichsschluss.779 cc) Gericht Ein Musterfeststellungsvergleich ist für das Gericht zunächst gleichermaßen vorteilhaft wie ein Prozessvergleich nach § 278 ZPO allgemein.780 Ein Vergleich über kartellrechtliche Ansprüche erhöht die Prozesswirtschaftlichkeit, indem aufwendige Prüfungen der Wettbewerbsbeschränkungen und Schadensermittlungen entfallen. Gegen einen Vergleich in einem Musterfeststellungsverfahren spricht jedoch, dass die Rechtsfortbildung ausbleibt. dd) Interessen der Anmelder Das Gesetz räumt den Anmeldern keine Möglichkeit ein, die Vergleichsverhandlungen und deren Ergebnis zu beeinflussen. Das könnte zunächst aus deren Sicht gegen einen Vergleich sprechen. Jedoch fehlen den Anmeldern im Musterfeststellungsverfahren ohnehin die Einflussmöglichkeiten. Möchte sich ein Verbraucher aktiv um die Rechtsverfolgung kümmern und sich im Verfahren beteiligen, wird die Anmeldung zu einem Musterfeststellungsverfahren nicht der 774 Inderst/Thomas Schadensersatz, S. 411; vgl. Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 189 mwN. 775 Stancke/Weidenbach/Lahme/Hainz Schadensersatzklagen, Rn. 1407. 776 Stancke/Weidenbach/Lahme/Hainz Schadensersatzklagen, Rn. 1407. 777 Z.B. nach Grundsatzentscheidung des BGH NJW 2014, 2420 und NJW 2014, 3713. 778 Halfmeier ZRP 2017, 201, 203f.; Kranz NZG 2017, 1099, 1101. 779 Halfmeier ZRP 2017, 201, 203f. 780 Vgl. allgemein zu Vorteilen eines Prozessvergleichs etwa Huber JuS 2017, 1058, 1060.

Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens

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richtige Weg für ihn sein. Zudem fragt der klagende Verband im Idealfall die Vorstellungen der angemeldeten Verbraucher ab, um einen sinnvollen Vergleich auszuhandeln.781 Gegen einen Vergleich mag sprechen, dass er in aller Regel ein Kompromiss ist und nicht alle entstandenen Schäden in voller Höhe kompensiert. Die Rechtspraxis zeigt allerdings, dass das Interesse an vollständiger Kompensation häufig hinter dem Interesse an der Streiterledigung zurücksteht. Das gilt umso mehr, je geringer die Höhe des Anspruchs ist, und damit insbesondere bei Streuschäden aus Kartellverstößen. Es ist zu erwarten, dass sich viele Anmelder bei einem Musterfeststellungsverfahren mit niedrigeren Zahlungen zufrieden geben werden.782 Kommt es zu einem Vergleich und der Anmelder tritt aus diesem aus, weil er mit der Leistung nicht zufrieden ist, wäre er wieder auf sich alleine gestellt und müsste individuell klagen, ohne dabei auf Musterfeststellungen zurückgreifen zu können.783 Die Anmelder interessieren sich regelmäßig für einen Vergleich, weil sie den Rechtsstreit geklärt wissen wollen. Dieses Interesse wird aber abgeschwächt durch den Umstand, dass die Verbraucher selbst nicht das Musterfeststellungsverfahren führen müssen. Ein Vergleich lässt im Idealfall für die meisten Anmelder die Notwendigkeit einer Individualklage als zweite Stufe der Rechtsdurchsetzung entfallen. Aus dem Vergleich zu klagen, wenn der Musterfeststellungsbeklagte nicht freiwillig leistet, ist für den Geschädigten weniger aufwendig als nach einem Musterfeststellungsurteil.784 Aus Sicht der Verbraucher spricht für den Vergleich in einem Musterfeststellungsverfahren insbesondere, dass ihre Verhandlungsposition deutlich besser ist als in einem Individualverfahren. Denn das Gegengewicht des Verbandes ist größer als die Verhandlungsposition jedes einzelnen Verbrauchers. Das erhöht die Chance einer Einigung und schließlich eines zufriedenstellenden Ergebnisses.785

b) Gerichtliche Genehmigung, § 611 Abs. 3 ZPO Wenn das Gericht den Vergleich gemäß § 611 Abs. 3 S. 1 ZPO durch unanfechtbaren Beschluss genehmigt, prüft es, ob der Vergleich den Streit oder die Ungewissheit über die angemeldeten Ansprüche oder Rechtsverhältnisse angemessen gütlich beilegt, § 611 Abs. 3 S. 2, 3 ZPO. Dieser Angemessenheitsprüfung 781 782 783 784

Beck Strukturwandel, S. 401, 418. Beck Strukturwandel, S. 401, 419. Beck Strukturwandel, S. 401, 419. Zur Vollstreckung aus dem Vergleich durch die angemeldeten Verbraucher siehe unten S. 152ff. 785 Vgl. Beck Strukturwandel, S. 401, 417.

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Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

legt das Gericht den bisherigen Sach- und Streitstand zugrunde.786 Besonderheiten für das Kartellrecht ergeben sich nicht. c) Zustellung, § 611 Abs. 4 S. 1 ZPO Das Gericht stellt den genehmigten Vergleich und eine Belehrung über die Wirkung des Vergleichs, das Recht zum Austritt und die Form- und Fristerfordernisse des Austritts den Verbrauchern zu, die im Zeitpunkt der Genehmigung angemeldet sind, § 611 Abs. 4 S. 1 ZPO. Die Zustellung erfolgt nach §§ 166ff. ZPO.787 Dass praktische Probleme bei der Zustellung auftreten, ist umso wahrscheinlicher, je mehr Verbraucher angemeldet sind.788 Haben sich ausländische Verbraucher angemeldet, so bedarf es teilweise aufwendiger und problemanfälliger internationaler Zustellungen.789 Wann der Vergleich den Anmeldern zugestellt worden ist, entscheidet darüber, wie lange die Anmelder austreten können und wann der Vergleich wirksam wird.790 Verzögerte Zustellungen haben also weitreichende Auswirkungen für alle Verfahrensbeteiligten. d) Austritt, § 611 Abs. 4 S. 2 bis 4 ZPO Innerhalb eines Monats nach Zustellung kann jeder angemeldete Verbraucher seinen Austritt aus dem Vergleich schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erklären, § 611 Abs. 4 S. 2 und 3 ZPO.791 Für jeden Verbraucher beginnt die Austrittsfrist individuell – je nach Zeitpunkt der individuellen Zustellung.792 Besonderheiten für das Kartellrecht sind nicht ersichtlich. e) Wirksamkeit und Beschluss, § 611 Abs. 5 ZPO Der Vergleich wird nur wirksam, wenn innerhalb der Austrittsfrist weniger als 30 % der angemeldeten Verbraucher erklären, aus dem Vergleich auszutreten, § 611 Abs. 5 S. 1 ZPO. Der Gesetzgeber sieht die befriedende Funktion eines Vergleichs nur dann als erfüllt an, wenn der Großteil (mindestens 70 %) den Vergleich annimmt.793 Durch unanfechtbaren Beschluss stellt das Gericht den Inhalt und die Wirksamkeit des Vergleichs fest, § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO. Das Gericht gibt den Vergleich 786 Magnus NJW 2019, 3177, 3179; ausführlich zur Angemessenheitsprüfung Kähler ZIP 2020, 293, 296ff.; Berger ZZP 133 (2020), 3, 37. 787 Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 611 ZPO Rn. 42. 788 Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 611 ZPO Rn. 42. 789 Zur internationalen Zustellung siehe Schack IZVR, Rn. 655–696. 790 Zum Austritt und der Wirksamkeit des Vergleichs sogleich. 791 Die Austrittsfrist bestimmt sich nach den allgemeinen Regelungen der §§ 186ff. BGB, Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 611 ZPO Rn. 47. 792 Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle-ZPO/Schmidt, § 611 ZPO Rn. 9. 793 BTDr. 19/2507, 27.

Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens

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wörtlich im Beschluss wieder. Sollte der Schutz personenbezogener Daten der wörtlichen Wiedergabe entgegenstehen, können diese Daten pseudonymisiert, geschwärzt oder in Anlagen ausgegliedert werden.794 Kartellrechtliche Besonderheiten ergeben sich hinsichtlich der Wirksamkeit des Vergleichs und des Beschlusses nicht. 2.

Wirkung des Vergleichs

Die Wirkung des Vergleichs in einem Musterfeststellungsverfahren regelt § 611 Abs. 5 ZPO. Der klagende Verband ist Partei des Verfahrens und als Versprechensempfänger auch des Vergleichs. Der Vergleich wirkt für und gegen die angemeldeten Verbraucher, sofern diese nicht rechtzeitig ihren Austritt erklären, § 611 Abs. 5 S. 4, Abs. 1 ZPO. Gleichwohl werden sie nicht Vertragspartei. Werden Leistungen an den Verbraucher versprochen, ist der Vergleich ein Vertrag zugunsten Dritter iSv § 328 BGB.795 Kommt es während des Verfahrens zu einer Rechtsnachfolge, beeinflusst das nach den allgemeinen Grundsätzen nicht die Wirkung des Vergleichs.796 Nichtangemeldete Verbraucher profitieren nicht unmittelbar von einem Vergleich; er wirkt nicht für und gegen sie, sondern nach § 611 Abs. 1 ZPO nur für die Anmelder. Verbraucher und Unternehmer können aber mittelbar vom Vergleich profitieren, indem sie den gerichtlich genehmigten Musterfeststellungsvergleich als Grundlage für ihre Verhandlungen mit dem Beklagten nehmen.797 Denn der Inhalt des Vergleichs ist im Klageregister einsehbar. Ob sich die Gerichte in unabhängigen Einzelleistungsprozessen an einem Musterfeststellungsvergleich orientieren, bleibt abzuwarten.798 Für Vergleiche in Individualprozessen dürfte der Vergleich allerdings zumindest einen Ankereffekt haben. 3.

Vollstreckung aus dem Vergleich

Erfüllt der Beklagte und Vergleichsschuldner nicht freiwillig die Leistung, die er im Vergleich verspricht, so muss aus dem Vergleich vollstreckt werden. Der Vollstreckungstitel lautet nur auf den Musterfeststellungskläger, der somit alleiniger Titelgläubiger ist und eine vollstreckbare Ausfertigung des Vergleichs 794 Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 611 ZPO Rn. 57. 795 Zöller/Vollkommer, § 611 ZPO Rn. 3; Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/GehleZPO/Schmidt, vor § 606 ZPO Rn. 7. 796 Prütting/Gehrlein/Halfmeier, § 611 ZPO Rn. 18. Zu Einzelheiten siehe Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 611 ZPO Rn. 9ff. 797 Hartmann VersR 2019, 528, 529 leitet aus dem Vergleichsabschluss sogar einen »gewissen Anscheinsbeweis« zugunsten von »Mitinteressierten« ab. 798 Dafür Hartmann VersR 2019, 528, 530.

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Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

beantragen kann.799 Der Vergleich soll hingegen materiell-rechtlich in aller Regel die angemeldeten Verbraucher begünstigen und nicht die klagende Einrichtung. Diese Divergenz zwischen Begünstigtem und Versprechensempfänger ist relevant dafür, wer aus dem Vergleich gegen den Beklagten vollstrecken kann. a) Vollstreckung durch die Vergleichsparteien Unabhängig von den Kosten800 kann der Musterfeststellungskläger als Versprechensempfänger aus dem Vergleich gegen den Beklagten vollstrecken mit dem Ziel der Leistung an die durch den Vergleich Begünstigten.801 Das ist bereits nach den allgemeinen Regeln möglich.802 b) Vollstreckung durch die angemeldeten Verbraucher? Ob auch die betroffenen Verbraucher aus dem Vergleich vollstrecken können, hat der Gesetzgeber nicht normiert. Die angemeldeten und nicht ausgetretenen Verbraucher sind nicht Partei oder sonstige Verfahrensbeteiligte des Musterfeststellungsverfahrens.803 Damit der begünstigte Verbraucher selbst aus dem Mustervergleich gegen den Beklagten vollstrecken kann, muss der Vergleich diesen Verbraucher namentlich nennen (§ 750 Abs. 1 S. 1 ZPO) und einen auf ihn bezogenen vollstreckbaren Inhalt haben.804 Fraglich ist, ob der Musterfeststellungsvergleich diese Voraussetzungen erfüllen kann. Gemäß § 611 Abs. 2 Nr. 1 ZPO soll der Vergleich Regelungen enthalten über die Leistungen, die auf die angemeldeten Verbraucher entfallen. Bei kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen wird die in einem Vergleich versprochene Leistung regelmäßig eine Geldzahlung sein. Die Parteien können den Betrag, der an die jeweiligen Verbraucher zu leisten ist, theoretisch als vollstreckbaren Inhalt im Vergleich angeben. Allerdings hängen die Leistungspflichten vom Bestehen der angemeldeten Ansprüche ab, sodass es tatsächlich kaum möglich ist, die Leistung in der Weise zu konkretisieren, dass sie vollstreckbar sind.805 Dass die Anmelder aufgrund ihrer individuellen Ansprüche unterschiedlich zu be799 Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 611 ZPO Rn. 61; Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 188; Scholl ZfPW 2019, 317, 351; Beckmann/Waßmuth WM 2019, 89, 92; BeckOK-ZPO/Lutz, § 611 ZPO Rn. 15; Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/GehleZPO/Schmidt, vor § 606 ZPO Rn. 7 und § 611 ZPO Rn. 3; Fölsch DRiZ 2018, 214, 217. 800 Dazu Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 187. 801 Prütting/Gehrlein/Halfmeier, § 611 ZPO Rn. 21; Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 188; Fölsch DRiZ 2018, 214, 217. 802 MüKo-ZPO/Wolfsteiner, § 794 ZPO Rn. 106. 803 Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 187. 804 Prütting/Gehrlein/Halfmeier, § 611 ZPO Rn. 22; Geissler SchiedsVZ 2018, 344, 345; Musielak/ Voit/Stadler, § 611 ZPO Rn. 8. Im Ergebnis wohl auch Hartmann VersR 2019, 528, 529. Nach a.A. ist eine Vollstreckung nur durch den Kläger möglich, Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 188; Nordholtz/Mekat Musterfeststellungsklage, § 7 Rn. 87. 805 Nordholtz/Mekat Musterfeststellungsklage, § 7 Rn. 16.

Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens

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rücksichtigen wären, erschwert dies zusätzlich, das würde selbst eine Liste der nichtausgetretenen Anmelder nicht ändern.806 Gemäß § 611 Abs. 2 Nr. 2 ZPO sollen die Parteien in dem Vergleich regeln, wie der angemeldete Verbraucher nachweisen kann, dass er zur Leistung berechtigt ist. Das ist lediglich eine Soll-Vorschrift, sodass es auf den Einzelfall ankommt, ob die Parteien Entsprechendes regeln. Der Nachweis einer wirksamen Anmeldung, ohne aus dem Vergleich ausgetreten zu sein, und die Angaben im Klageregister werden in aller Regel nicht ausreichen, um das Bestehen der angemeldeten Forderung nachzuweisen.807 Dass der Vergleich einzelne Leistungen bestimmten Verbrauchern zuweist, erscheint nicht praktikabel für ein kollektives Vergleichsverfahren. Denn der Vergleich wird in einem Zeitpunkt formuliert, zu dem noch nicht feststeht, welche Verbraucher ihren Austritt erklären. Die nicht ausgetretenen Verbraucher müssten im Rubrum oder in einer Anlage des Vergleichs stehen.808 Der Umstand, dass die Angaben und Ansprüche bei der Anmeldung nicht inhaltlich geprüft werden, wirkt sich auch an dieser Stelle aus: Nennt der Vergleich alle angemeldeten Verbraucher namentlich, wurde doch nicht geprüft, ob dem konkreten Verbraucher tatsächlich eine Leistung zusteht oder ob die Anmelder überhaupt Verbraucher sind. Die Betroffenheit wird im Musterfeststellungserfahren nicht geprüft. Dadurch würde der sich vergleichende Kartellbeteiligte das Risiko eingehen, Leistungen solchen Personen zu versprechen, die unwirksam zum Klageregister angemeldet sind.809 Dass der Vergleich für die angemeldeten Verbraucher ein Vollstreckungstitel iSv § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bildet, ist daher zwar möglich, wird aber regelmäßig nicht der Fall sein.810 Erfüllt der Beklagte die Leistung aus dem Vergleich nicht, dann muss der Verbraucher also auf Leistung aus dem Vergleich klagen.811 Die Bindungswir-

806 807 808 809

Waßmuth/Asmus ZIP 2018, 657, 665; Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 189. Nordholtz/Mekat Musterfeststellungsklage, § 7 Rn. 19. Waßmuth/Asmus ZIP 2018, 657, 665. Vgl. Prütting ZIP 2020, 197, 201; Merkt/Zimmermann VuR 2018, 363, 370 machen konkrete Formulierungsvorschläge für Vergleichsvereinbarungen. 810 Beckmann/Waßmuth WM 2019, 89, 92; Waßmuth/Asmus ZIP 2018, 657, 665; Schmidt WM 2018, 1966, 1972; Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle-ZPO/Schmidt, vor § 606 ZPO Rn. 7 und § 611 ZPO Rn. 3; Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 188; Nordholtz/Mekat Musterfeststellungsklage, § 7 Rn. 87; Zöller/Vollkommer, § 611 ZPO Rn. 9; Heese JZ 2019, 429, 436. A.A. aber jeweils ohne Begründung Thomas/Putzo/Seiler, § 611 ZPO Rn. 5; Fölsch DRiZ 2018, 214, 217; Musielak/Voit/Stadler, § 611 ZPO Rn. 8. 811 Beckmann/Waßmuth WM 2019, 89, 92; Waßmuth/Asmus ZIP 2018, 657, 665; Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 189; Nordholtz/Mekat Musterfeststellungsklage, § 7 Rn. 90; Scholl ZfPW 2019, 317, 351.

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Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

kung des Vergleichs ist sodann als materiell-rechtlicher Vertrag zugunsten Dritter im Rahmen der Leistungsklage zu berücksichtigen.812 4.

Haftungserleichterung nach § 33f GWB, Art. 19 SE-RL

Kartellteilnehmer schließen mit Geschädigten häufig einen Vergleich, um Streitigkeiten über kartellrechtliche Schadensersatzansprüche beizulegen.813 Geschieht das in einem Musterfeststellungsverfahren, wirft das die Frage auf, wie sich die Haftungserleichterung in § 33f GWB auf den Vergleichsschluss nach § 611 ZPO auswirkt. a) Haftung des Vergleichsschließenden nach § 33f GWB § 33f GWB unterscheidet zwischen der Haftung des Vergleichsschließenden für seinen eigenen Schadensanteil und für die Anteile der anderen Kartellteilnehmer.814 aa) Keine Haftung für den eigenen Anteil Der sich vergleichende Kartellteilnehmer ist gegenüber dem Geschädigten von seinem Anteil am Gesamtschaden befreit, sofern die Parteien nichts anderes vereinbaren, § 33f Abs. 1 S. 1 GWB. Ist die Vergleichssumme niedriger als der Anteil des Kartellmitglieds am Gesamtschaden, dann wirkt der Vergleich in Höhe der Vergleichssumme als Erfüllung und in Höhe der Differenz zwischen Vergleichssumme und Anteil am Gesamtschaden als Erlass.815 bb) Grundsätzlich keine Haftung für den Anteil der Mitschädiger Für die Anteile der Mitschädiger haftet der sich vergleichende Kartellteilnehmer nur, wenn die Voraussetzungen für eine Ausfallhaftung vorliegen, § 33f Abs. 1 S. 1, S. 3 GWB.816

812 Beckmann/Waßmuth WM 2019, 89, 92; Prütting/Gehrlein/Halfmeier, § 611 ZPO Rn. 23; Schmidt WM 2018, 1966, 1972. 813 Stancke/Weidenbach/Lahme/Bloch Schadensersatzklagen, Rn. 1407; Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S.189 mwN. 814 Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 192. 815 Kersting/Preuß Kartellschadensersatzrichtlinie, Kap. C Rn. 145; Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 192. 816 Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 193; Kersting/Podszun/Mackenrodt 9. GWB-Novelle, Kap. 9 Rn. 59.

Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens

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cc) Die Ausnahme der Ausfallhaftung § 33f Abs. 1 S. 3 GWB normiert eine Ausfallhaftung des sich vergleichenden Kartellmitglieds für den Fall, dass der Geschädigte den Restschaden nicht von den übrigen Kartellmitgliedern erlangen kann. Auch wenn die Voraussetzungen einer Ausfallhaftung recht hoch sind, kann bereits die Möglichkeit einer weiteren Haftung den Kartellanten davon abhalten, sich zu vergleichen.817 Der Kartellant ist daher regelmäßig daran interessiert, gemäß § 33f Abs. 1 S. 4 GWB die Ausfallhaftung auszuschließen, wenn er sich mit Geschädigten vergleicht.818 Einen derartigen Ausschluss können die Parteien auch dann vereinbaren, wenn sie sich in einem Musterfeststellungsverfahren vergleichen. b) Das Zusammenspiel von § 33f GWB und § 611 ZPO Schließen das Kartellmitglied und der klagende Verband in einem Musterfeststellungsverfahren einen Vergleich, geht es darum, ob die Befreiungswirkung des § 33f GWB eintritt, ob dies einen Anreiz für den Unternehmer setzt, einen Vergleich in einem Musterfeststellungsverfahren zu schließen, und ob die Haftungsbefreiung dann auch gegenüber nicht angemeldeten oder ausgetretenen Verbrauchern gilt. aa) Keine direkte Anwendbarkeit auf den Musterfeststellungsvergleich Zunächst setzt § 33f Abs. 1 S. 1 GWB voraus, dass ein Kartellbeteiligter mit einem Geschädigten über einen Schadensersatzanspruch nach § 33a Abs. 1 GWB einen Vergleich schließt. Die Parteien eines Musterfeststellungsverfahrens können sich über solche Schadensersatzansprüche vergleichen. In der Situation des § 611 ZPO schließt der Kartellbeteiligte als Musterfeststellungsbeklagter den Vergleich aber nicht mit den geschädigten Verbrauchern, sondern mit der Einrichtung, die das Musterfeststellungsverfahren führt.819 Der Wortlaut des § 33f GWB erfasst den Vergleichsschluss in einem Musterfeststellungsverfahren mithin nicht. bb) Analoge Anwendung von § 33f GWB auf den Musterfeststellungsvergleich In Betracht kommt eine analoge Anwendung des § 33f GWB für den Fall, dass sich ein Kartellteilnehmer und die klagebefugte Einrichtung in einem Musterfeststellungsverfahren über kartellrechtliche Schadensersatzansprüche vergleichen. Dafür müssen die Voraussetzungen einer Analogie vorliegen. Da Musterfeststellungsziele zu kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen möglich sind, können die Parteien nach dem Willen des Gesetzgebers einen Vergleich über solche Ansprüche in einem Musterfeststellungverfahren schlie817 Zu den einzelnen Voraussetzungen siehe Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 194f. 818 Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 195f. 819 Dazu oben S. 144.

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Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

ßen. Der Gesetzgeber hat aber weder in § 611 ZPO noch in § 33f GWB gesagt, wie die beiden Regelungen zueinander stehen sollen. Mithin liegt eine Regelungslücke vor. Fraglich ist, ob die Regelungslücke planwidrig ist. Dagegen spricht zunächst, dass der Gesetzgeber das GWB anlässlich der Einführung der Musterfeststellungsklage angepasst hat.820 Doch hat sich der Gesetzgeber auf redaktionelle Anpassungen beschränkt, es wurde lediglich der Wortlaut der Verweisung auf die Verjährungsregelung des § 204 Abs. 2 BGB in § 33h GWB von »Satz 2 und 3« zu »Satz 3 und 4« des BGB geändert. Gleichwohl fällt das Kartellrecht in den Anwendungsbereich der Musterfeststellungsklage. Das lässt den Schluss zu, dass der Gesetzgeber sich inhaltlich nicht mit den Zusammenhängen von § 611 ZPO und § 33f GWB befasst hat. Daher ist davon auszugehen, dass die Regelungslücke planwidrig ist. Eine vergleichbare Interessenlage könnte sich daraus ergeben, dass der Musterfeststellungsvergleich zugunsten der Verbraucher, also der Anspruchsinhaber, wirken soll, § 611 Abs. 1 ZPO. § 33f GWB setzt Art. 18 und 19 SE-RL um, die Vergleiche über Schadensersatzansprüche für Kartellanten attraktiv machen wollen, um so die einvernehmliche Streitbeilegung zu fördern.821 Der Richtliniengeber betont in Erwägungsgrund 49, dass die einvernehmliche Streitbeilegung so viele Geschädigte und Rechtsverletzer wie rechtlich möglich umfassen sollte. Es kommt für § 33f GWB nicht darauf an, unter welchen Umständen der Kartellant mit den Geschädigten einen Vergleich schließt. Gerichtliche und außergerichtliche Vergleiche privilegiert der Gesetzgeber gleichermaßen.822 Es kann daher keinen Unterschied machen, wenn der Vergleich im Rahmen eines Musterfeststellungsverfahrens geschlossen wird. Die einvernehmliche Streitbeilegung wird gleichermaßen gefördert. Die Interessenlage ist vergleichbar. Analog § 33f GWB wird der vergleichsschließende Kartellteilnehmer in der Höhe der versprochenen Leistungen von seiner Haftung befreit, wenn er sich in einem Musterfeststellungsverfahren über kartellrechtliche Ansprüche vergleicht. Das sollte der Gesetzgeber klarstellen.

820 Art. 10 des Gesetzes zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage. 821 Erw.Gr. 48–52 SE-RL. 822 Begr. RegE, BTDr. 18/1027, 61.

Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens

157

c) § 33f GWB und ausgetretene Anmelder oder Nichtanmelder Die Haftung des Musterfeststellungsbeklagten gegenüber Verbrauchern, die der Vergleich nicht erfasst und begünstigt, wird durch den Vergleich nicht privilegiert. Denn der Vergleich und § 33f GWB berühren nicht die Haftung gegenüber Geschädigten, die nicht am Vergleich beteiligt sind.823

II.

Musterfeststellungsurteil

1.

Bekanntmachungen des Musterfeststellungsurteils, § 612 ZPO

Gemäß § 612 Abs. 1 ZPO wird das Musterfeststellungsurteil nach der Verkündung im Klageregister öffentlich bekannt gegeben. Die Einlegung eines Rechtsmittels824 gegen das Musterfeststellungsurteil ebenso wie der Eintritt der Rechtskraft werden ebenfalls im Klageregister bekannt gemacht, § 612 Abs. 2 S. 1 und 2 ZPO. 2.

Bindungswirkung, § 613 ZPO

Das Musterfeststellungsurteil wirkt inter partes.825 Ein rechtskräftiges Musterfeststellungsurteil bindet gleichwohl das für den Folgeprozess zwischen einem angemeldeten Verbraucher und dem Beklagten berufene Gericht, soweit die Entscheidung die Feststellungsziele und den Lebenssachverhalt der Musterfeststellungsklage »betrifft«, § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Reichweite der Bindungswirkung umfasst nur die Beantwortung der Feststellungsziele im Tenor.826 Die tragenden tatsächlichen und rechtlichen Begründungselemente sind nicht von der Bindungswirkung umfasst.827 Hat der angemeldete Verbraucher seine Anmeldung wirksam zurückgenommen oder sich fehlerhaft828 angemeldet, wirkt das Musterfeststellungsurteil nicht zu seinen Gunsten bindend, § 613 Abs. 1 S. 2 ZPO.

823 824 825 826 827 828

Kersting/Podszun/Mackenrodt 9. GWB-Novelle, Kap. 9 Rn. 97. Dazu unten S. 161. Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 195. Berger ZZP 133 (2020), 3, 42. Berger ZZP 133 (2020), 3, 42. A.A. Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 196 mwN. Zu den Folgen eine fehlerhaften Anmeldung siehe oben S. 131.

158

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

a) Beiderseitige Bindungswirkung bei Klageabweisung in der Sache Weist das Prozessgericht die Musterfeststellungsklage in einem Prozessurteil ab, entsteht keine Bindungswirkung.829 Ein abweisendes Sachurteil wirkt hingegen bindend.830 Im Gesetzgebungsverfahren wurde diskutiert, ob nur eine einseitige Bindungswirkung zugunsten der Verbraucher eintreten soll, der Gesetzgeber lehnte das aber letztendlich ab.831 b) Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG? Vielfach diskutiert wird, ob es gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstößt, wenn das Musterfeststellungsurteil Bindungswirkung für und gegen die Anmelder entfaltet, obgleich sie im Musterfeststellungsverfahren keine Beteiligungsrechte haben.832 Da insoweit keine kartellrechtlichen Besonderheiten gelten, werden die Argumente nur im Rahmen eines Exkurses vorgestellt.833 Bereits während des Gesetzgebungsverfahrens haben Stimmen der Literatur darauf hingewiesen, dass das Recht auf rechtliches Gehör der Anmelder verletzt sei.834 Ob die Anforderungen des Art. 103 Abs. 1 GG erfüllt sind, wird auch heute noch vielfach bezweifelt.835 Das rechtliche Gehör enthält drei Rechtspositionen: Erstens das Recht, sich im Verfahren zu äußern (Recht zur Stellungnahme), zweitens das Recht, vom Gericht über die Sach- und Rechtslage informiert zu werden (Informationsrecht), und drittens das Recht, dass das Gericht die Stel829 Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle-ZPO/Schmidt, § 613 ZPO Rn. 4; vgl. Saenger/Rathmann, § 613 ZPO Rn. 1. 830 Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle-ZPO/Schmidt, § 613 ZPO Rn. 4; Thomas/ Putzo/Seiler, § 613 ZPO Rn. 1; Nordholtz/Mekat Musterfeststellungsklage, § 8 Rn. 51; Musielak/Voit/Stadler, § 613 ZPO Rn. 1; Saenger/Rathmann, § 613 ZPO Rn. 1. 831 Musielak/Voit/Stadler, § 613 ZPO Rn. 1; Meller-Hannich DJT-Gutachten A, S. 47f. 832 Siehe u. a.: Meller-Hannich Stellungnahme, Wortprotokoll, S. 80, 87f.; dies Stellungnahme v. 4. 3. 2015, S. 5; dies. DJT-Gutachten A, S. 51f.; Fölsch DRiZ 2018, 214, 216f.; Baumbach/ Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle-ZPO/Schmidt, § 613 ZPO Rn. 4; Prütting/Gehrlein/ Halfmeier, § 613 ZPO Rn. 2ff.; Musielak/Voit/Stadler, § 613 ZPO Rn. 3ff.; Stadler JZ 2018, 793, 798; BeckOK-ZPO/Augenhofer, § 613 ZPO Rn. 8 und 4; Röthemeyer MDR 2019, 6ff.; Zöller/ Vollkommer, § 613 ZPO Rn. 2; Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 198; Guggenberger/Guggenberger MMR 2019, 8, 11f.; Jansen/Birtel FS Graf-Schlicker, S. 63, 71; Salger jurisPR-BKR 10/2018 Anm. 1, S. 7; Krausbeck DAR 2017, 567, 570; Nordholtz/Mekat Musterfeststellungsklage, § 8 Rn. 50; Berger ZZP 133 (2020), 3, 41f. 833 Hinsichtlich der Einzelheiten sei auf die Literatur verwiesen, siehe insb. Fn. 832. 834 Meller-Hannich DJT-Gutachten A, S. 51ff.; Fölsch DRiZ 2018, 214, 216; Habbe/Gieseler BB 2017, 2188, 2190f.; Augenhofer Stellungnahme, Wortprotokoll, S. 44, 49; vgl. Schultes FS Schilken, 469. 835 So auch Meller-Hannich Stellungnahme, Wortprotokoll, S. 80, 87; dies Stellungnahme v. 4. 3. 2015, S. 5; dies. DJT-Gutachten A, S. 51; Fölsch DRiZ 2018, 214, 216–217; Stadler JZ 2018, 793, 798; Musielak/Voit/Stadler, § 613 ZPO Rn. 3; Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/ Gehle-ZPO/Schmidt, § 613 ZPO Rn. 4; Röthemeyer MDR 2019, 5. 7f.; Prütting/Gehrlein/ Halfmeier, § 613 ZPO Rn. 4; BeckOK-ZPO/Augenhofer, § 613 ZPO Rn. 8 und 4; Scholl ZfPW 2019, 317, 346f.

Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens

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lungnahme bei der Urteilsfindung berücksichtigt (Recht auf Berücksichtigung).836 Der Anmelder hat in einem Musterfeststellungsverfahren kein eigenständiges Recht auf Auskunft oder Akteneinsicht.837 Jedoch kann der Anmelder, wie jeder Interessierte, die vom Gericht veranlassten öffentlichen Bekanntmachungen im Klageregister einsehen. Ein Recht zum Vortrag oder zur Stellungnahme hat der Anmelder in einem Musterfeststellungsverfahren aber nicht, sodass das Gericht auch keine Stellungnahme berücksichtigen kann.838 Anders ist das etwa im KapMuG-Verfahren, bei dem die Betroffenen als einfache Nebenintervenienten Beteiligungsrechte haben.839 Die Gesetzesbegründung geht davon aus, dass das rechtliche Gehör der Verbraucher ausreichend gewährt wird, indem diese sich freiwillig anmelden können und ihre Anmeldung wieder zurücknehmen können.840 Denn das Musterfeststellungsverfahren sei nur eine zusätzliche Rechtsschutzmöglichkeit für Verbraucher.841 Dagegen wird eigewendet, dass jede Klageerhebung freiwillig erfolge, das Gericht dem Kläger im Verfahren dennoch rechtliches Gehör gewähren müsse.842 Der (potentielle) Anmelder einer Musterfeststellungsklage könne alternativ einen Individualprozess führen, während der allgemeine Individualkläger auf Rechtsschutz verzichtet, wenn er nicht klagt.843 Es komme somit nicht auf die Freiwilligkeit an, entscheidend sei die Wahlmöglichkeit.844 Bei Streuschäden besteht aufgrund des rationalen Desinteresses gegenüber einer Individualklage zumindest faktisch keine Wahlmöglichkeit im Sinne einer bloß zusätzlichen Rechtsschutzmöglichkeit. Das Argument, Art. 103 Abs. 1 GG gelte direkt nicht für die Anmelder eines Musterfeststellungsverfahrens, weil diese nicht Partei des Musterfeststellungsverfahrens sind,845 vermöge nicht zu überzeugen.846 Das rechtliche Gehör sei unabhängig von der formellen Parteistellung und umfasse solche Personen, die 836 BVerfG NJW 2003, 1924, 1926; BeckOK-GG/Radtke/Hagemeier, Art. 103 GG Rn. 7; Röthemeyer MDR 2019, 6, 7. 837 Röthemeyer MDR 2019, 6, 7; Meller-Hannich DJT-Gutachten A, S. 52. 838 Röthemeyer MDR 2019, 6, 7. 839 Meller-Hannich DJT-Gutachten A, S. 51. 840 BTDr. 19/2507, 16 und 27. Dieser Argumentation schließen sich an: Jansen/Birtel FS GrafSchlicker, S. 63, 71; Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 198; Salger jurisPR-BKR 10/2018 Anm. 1, S. 7; Nordholtz/Mekat Musterfeststellungsklage, § 8 Rn. 50; Zöller/Vollkommer, § 613 ZPO Rn. 2. 841 BTDr. 19/2507, 16 und 27; Jansen/Birtel FS Graf-Schlicker, S. 63, 71; a.A. Röthemeyer MDR 2019, 6, 8. 842 Meller-Hannich DJT-Gutachten A, S. 51; dies. NJW-Beilage 2018, 29, 31. Musielak/Voit/ Stadler, § 613 ZPO Rn. 4. 843 Röthemeyer MDR 2019, 6, 8. 844 Röthemeyer MDR 2019, 6, 8. 845 Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 198. 846 Vgl. Meller-Hannich DJT-Gutachten A, S. 84; im Ergebnis auch Röthemeyer MDR 2019, 6, 7.

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Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

in ihren materiellen Rechten beeinträchtigt werden können.847 Ein Musterfeststellungsurteil und dessen Bindungswirkung greife in materiell-rechtliche Positionen des Anmelders ein, weil der Geschädigte im anschließenden Individualverfahren insoweit nicht mehr gehört wird.848 Schließlich führe die Tatsache, dass dem Musterfeststellungskläger rechtliches Gehör gewährt wird, nicht dazu, dass das rechtliche Gehör der Anmelder gewahrt wäre.849 Denn die Anmelder mandatieren den Kläger nicht als ihren Repräsentanten.850 Röthemeyer hält ein »gehörsfreundliches richterliches Prozessmanagement« für notwendig und möglich.851 Heese nimmt einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör an, akzeptiert diesen aber im Interesse der angestrebten »prozessökonomischen Bewältigung von Streu- und Massenschäden«.852 c) Faktische Bedeutung zugunsten von Nichtanmeldern Das Musterfeststellungsurteil wirkt nicht bindend zugunsten von nichtangemeldeten Verbrauchern. Jedoch kann ein Musterfeststellungsurteil die Gerichte in Folgeprozessen faktisch als informelles Leitbild mit Orientierungsfunktion853 beeinflussen, auch wenn die Geschädigten ihre Ansprüche nicht zur Musterfeststellungsklage angemeldet haben.854 3.

Musterfeststellungen ergänzen kartellbehördlichen Feststellungen

Für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche tritt das Musterfeststellungsurteil neben die Feststellungen der Kartellbehörde. In einem Folgeprozess muss das Gericht wegen § 33b GWB die Feststellungen der Kartellbehörden und gemäß § 613 ZPO die Musterfeststellungen beachten. Die bindenden kartellbehördlichen Feststellungen sind dabei vorrangig, was jedoch nur zum Tragen kommt, wenn die behördliche Entscheidung dem Musterfeststellungsurteil zeitlich nachfolgt. Andernfalls muss schon das Musterfeststellungsgericht die Bindungswirkung des § 33b GWB beachten.

847 BVerfGE 60, 7, 12; 65, 227, 233; 75, 201, 215; 89, 381, 390; 101, 397, 404. 848 Röthemeyer MDR 2019, 6, 7; vgl. Berger ZZP 133 (2020), 3, 31. 849 Musielak/Voit/Stadler, § 613 ZPO Rn. 4; dies. ZHR 2018, 623, 634; vgl. Meller-Hannich DJTGutachten A, S. 84; vgl. Vogel Kollektiver Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 178; a.A. Berger ZZP 133 (2020), 3, 32. 850 Musielak/Voit/Stadler, § 613 ZPO Rn. 4. 851 Röthemeyer MDR 2019, 6, 10f. 852 Heese JZ 2019, 429, 436. 853 Gansel/Gängel Erste Hilfe, S. 33; im Ergebnis wohl auch Ring NJ 2018, S. 441, 446. 854 Nordholtz/Mekat Musterfeststellungsklage, § 8 Rn. 85; vgl. Hartmann VersR 2019, 528, 530.

Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens

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§ 33b GWB dient der Umsetzung von Art. 9 SE-RL, sodass eine richtlinienkonforme Auslegung erforderlich ist und § 613 ZPO nicht die Bindungswirkung kartellbehördlicher Entscheidungen einschränken kann.855 Der Vorrang der kartellbehördlichen Entscheidung vor dem Musterfeststellungsurteil ergibt sich auch aus dem Zweck des § 33b GWB. Der Gesetzgeber will follow-on-Klagen erleichtern, indem er anordnet, dass die kartellverwaltungsrechtliche Entscheidung auch im Zivilprozess zu beachten ist.856 Das Musterfeststellungsverfahren ist die erste Stufe eines zweistufigen zivilprozessualen follow-on-Verfahrens, bestehend aus Musterfeststellungsklage und Individualklage. Dem Zweck des § 33b GWB wird insbesondere dadurch Rechnung getragen, dass die kartellbehördliche Expertise auch auf der zweiten Stufe in das Verfahren einfließt. Schließlich stellt der Vorrang auch einen Gleichlauf der Entscheidungen der Staatsgewalten sicher und verhindert einander widersprechende Entscheidungen. Die Feststellungen nach § 33b GWB und § 613 ZPO können so einen Großteil der relevanten Fragen abdecken. Der Prüfungsumfang des Gerichts der Individualklage wird entsprechend verkleinert. Dadurch sinken die Kosten, der Aufwand und die Unsicherheit des Geschädigten darüber, wie sein Individualprozess ausgehen wird. 4.

Rechtsmittel, § 614 ZPO

Gemäß § 614 S. 1 ZPO findet gegen Musterfeststellungsurteile die Revision zum BGH statt. Gemäß § 614 S. 2 ZPO muss das Oberlandesgericht die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung iSv § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO stets zulassen. Für die Revision gegen kartellrechtliche Musterfeststellungsurteile ist funktionell der Kartellsenat des BGH analog § 94 Abs. 1 Nr. 3a GWB zuständig.857 5.

Anerkennung der Bindungswirkung eines Musterfeststellungsurteils im Ausland

Falls sich ausländische Verbraucher zu einer Musterfeststellungklage angemeldet haben,858 den Folgeprozess aber nicht vor deutschen Gerichten führen, wird relevant, ob und wie weit das deutsche Musterfeststellungsurteil das ausländische Prozessgericht bindet. 855 So auch Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 464f., die dazu raten, ein Musterfeststellungsverfahren zu führen, gerichtet auf die Feststellung eines Kartellverstoßes, wenn eine spätere gerichtliche Aufhebung der kartellbehördlichen Entscheidung zu befürchten ist. 856 Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 33b GWB Rn. 2. 857 Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 258; zum Verhältnis von GWB, GVG und ZPO siehe oben S. 75ff. 858 Dies kann mit einiger Wahrscheinlichkeit passieren, dazu oben S. 66ff.

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Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

Die Anerkennung außerhalb der EU erfolgt nach völkerrechtlichen Verträgen oder dem dort geltenden Verfahrensrecht.859 Innerhalb der EU richtet sich die Anerkennung eines Musterfeststellungsurteils nach Art. 36ff. Brüssel Ia-VO. Die Arbeit beschränkt sich darauf, die Anerkennung innerhalb der EU darzustellen. a) Grundsatz der Anerkennung innerhalb der EU Grundsätzlich wird ein Musterfeststellungsurteil als Entscheidung860 iSv Art. 2 lit. a innerhalb der EU gemäß Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO anerkannt. Dass es nur das Bestehen oder Nichtbestehen einzelner rechtlicher oder tatsächlicher Voraussetzungen oder einzelner Anspruchselemente feststellt, steht dem nicht entgegen.861 Denn ein Musterfeststellungsurteil ist keine Zwischenentscheidung, sondern für seinen Regelungsgegenstand ein Endurteil iSv § 300 ZPO. Anders als der Musterentscheid nach § 16 KapMuG eines Kapitalanleger-Musterverfahrens ist das Musterfeststellungsurteil kein verfahrensinterner Beschluss in einem Individualverfahren.862 Denn ein Musterfeststellungsverfahren setzt weder eine vorausgegangene noch zwingend eine anschließende Individualklage voraus und ist mithin losgelöst von einer individuellen Leistungsklage. Zwar ist grundsätzlich vorgesehen, dass der Verbraucher auf einer zweiten Stufe individuell klagt. Doch kann der Verbraucher von einer Individualklage auch absehen, wenn er den Klageaufwand etwa trotz des Musterfeststellungsurteils als zu groß empfindet oder wenn ein Vergleich abgeschlossen wurde. Bei einem Kapitalanleger-Musterverfahren hingegen werden die ausgesetzten Individualverfahren nach der Musterentscheidung wieder aufgenommen, § 22 Abs. 4 KapMuG. Wird das Musterverfahren durch Vergleich beendet und tritt der Ausgangskläger nicht aus dem Vergleich aus, beendet das Prozessgericht das Ausgangsverfahren durch Beschluss und entscheidet über die Kosten, § 23 Abs. 3 S. 1 KapMuG. Eine Regelung entsprechend § 325a ZPO iVm § 22 Abs. 2 KapMuG ist nicht erforderlich, um das Musterfeststellungsurteil als Entscheidung iSv Art. 2 lit. a Brüssel Ia-VO einzuordnen.863 Denn eine Entscheidung in diesem Sinne muss zwar rechtskraftfähig, nicht aber formell oder materiell rechtkräftig sein. Nach dem Prinzip der Wirkungserstreckung wäre der Gegenstand einer Anerkennung die prozessrechtliche Wirkung des Urteils, die das Recht des Urteilsstaates bestimmt.864 Der Entscheidung müsste danach im Anerkennungs859 Prütting/Gehrlein/Halfmeier, § 613 ZPO Rn. 14. 860 Prütting/Gehrlein/Halfmeier, § 613 ZPO Rn. 11; Horn ZVglRWiss 2019, 314, 333; Nordholtz/ Mekat Musterfeststellungsklage, § 8 Rn. 87; Klicka/Leupold VbR 2018, 208, 214f. mwN. 861 Klicka/Leupold VbR 2018, 208, 214f. mwN. 862 Horn ZVglRWiss 2019, 314, 332; Prütting/Gehrlein/Halfmeier, § 613 ZPO Rn. 11. 863 Horn ZVglRWiss 2019, 314, 332. 864 Geimer IZPR, Rn. 2776.

Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens

163

staat dieselbe rechtliche Wirkung zukommen wie im Urteilsstaat.865 Nach der Kumulationstheorie hingegen kann das nur so weit gelten, wie ein entsprechendes inländisches Urteil wirkt.866 Nach § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO bindet ein Musterfeststellungsurteil das zur Entscheidung berufene Gericht in einem Rechtsstreit zwischen einem angemeldeten Verbraucher und dem Musterfeststellungsbeklagten, soweit die Entscheidung die Feststellungsziele und den Lebenssachverhalt der Musterfeststellungsklage betrifft. Diese Bindung muss das ausländische Prozessgericht nach dem Prinzip der Wirkungserstreckung anerkennen.867 Nach der Kumulationstheorie erfolgt eine Anerkennung nur, sofern die Art der Wirkung dem Recht des Anerkennungsstaates bekannt ist.868 b) Anerkennung trotz fehlender internationaler Zuständigkeit für die Folgeklage? Fraglich ist, ob ein Musterfeststellungsurteil anzuerkennen ist, wenn sich ein Verbraucher zu einer Musterfeststellungsklage angemeldet hat und seine Folgeklage unter Berufung auf die Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils vor einem ausländischen Gericht erhebt, obwohl die deutschen Gerichte nicht für ein individuelles Verfahren über den Anspruch international zuständig wären.869 Die (vermeintliche) Bindung des Musterfeststellungsurteils wirkt sich insbesondere bei tatsächlichen Voraussetzungen aus, da diese nicht vom jeweiligen Anspruchsstatut abhängen. Eine Bindungswirkung bei rechtlichen Musterfeststellungen trotz fehlender internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichte kann hingegen praktisch nur relevant werden, wenn das Gericht die Bindungswirkung materiell-rechtlich versteht und auf den Anspruch deutsches Recht anwendet870 oder für die Anspruchsvoraussetzungen dieselben rechtlichen Maßstäbe gelten. Denn nur dann können die zum deutschen Recht ergangenen Musterfeststellungen im Folgeverfahren bindend wirken. In beiden Fällen scheint auf den ersten Blick der Beklagte die Bindungswirkung schutzlos hinnehmen zu müssen. Denn er kann mangels eines Rechtsbehelfs nicht dagegen vorgehen, dass ein Verbraucher Ansprüche zum Klageregister anmeldet, obwohl für sie die deutsche internationale Zuständigkeit nicht gegeben ist. Es fragt sich, wie damit umzugehen ist, wenn ein Musterfeststellungsurteil anerkannt wird, wenn sich ein Verbraucher zu einer Musterfeststellungsklage angemeldet hat, obwohl für seine Ansprüche keine internationale Zuständigkeit 865 866 867 868 869

Geimer IZPR, Rn. 2777. Ausführlich und zum Meinungsstreit Schack IZVR, Rn. 882ff., 886. Horn ZVglRWiss 2019, 314, 333. Vgl. Saenger/Dörner, Art. 36 EuGVVO Rn. 2. Die internationale Zuständigkeit ist keine Voraussetzung für eine Anmeldung, siehe oben S. 82ff. 870 Horn ZVglRWiss 2019, 314, 334.

164

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

der deutschen Gerichte bestand. Die Brüssel Ia-VO regelt nicht, unter welchen Voraussetzungen ein Musterfeststellungsurteil nicht anerkannt werden muss, wenn die (hypothetische) internationale Zuständigkeit für den angemeldeten Anspruch fehlt. Horn stuft eine Anmeldung bei fehlender internationaler Zuständigkeit als »rechtmissbräuchliche Erschleichung der internationalen Zuständigkeit« ein und untersucht drei Wege, um die Anerkennung zu versagen.871 Da jedoch die internationale Zuständigkeit keine Voraussetzung für eine Anmeldung ist,872 erscheint es bereits fraglich, ob überhaupt die Gefahr eines Rechtsmissbrauchs besteht. Denn eine vergleichbare Situation kann auch bei der Streitverkündung eintreten. Die Interventionswirkung tritt unabhängig davon ein, ob das Prozessgericht für eine Klage gegen den Streitverkündeten international zuständig gewesen wäre.873 Die Wirkung der Streitverkündung wird dann gemäß Art. 65 Abs. 2 S. 2 Brüssel Ia-VO in allen Mitgliedstaaten anerkannt. Dasselbe kann und muss für Musterfeststellungsurteile gelten. aa) Kein Ordre public-Verstoß iSv Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO Gemäß Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO ist eine Entscheidung auf Antrag nicht anzuerkennen, wenn die Anerkennung dem Ordre public des ersuchten Mitgliedstaates offensichtlich widersprechen würde. Der Ordre public-Vorbehalt verbietet nur ein Ergebnis, das mit wesentlichen Grundsätzen des Anerkennungsstaates nicht vereinbar ist.874 Gemäß Art. 45 Abs. 3 S. 2 Brüssel Ia-VO gehört die internationale Zuständigkeit jedoch nicht zum Ordre public des Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO. Die Anerkennung kann somit nicht deshalb gemäß Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO versagt werden, weil die deutschen Gerichte nicht für die Durchsetzung des angemeldeten Anspruchs im Rahmen des Musterfeststellungsverfahrens international zuständig waren.875 bb) Das deutsche Recht entzieht nicht die Rechtskraft Die ausländischen Prozessgerichte müssten die Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils nicht gemäß Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO anerkennen, wenn das deutsche Recht die Bindungswirkung für den Fall entziehen würde, dass für den angemeldeten Anspruch die internationale Zuständigkeit fehlte.876 Der Wortlaut des § 613 ZPO regelt nicht ausdrücklich, dass das Musterfeststellungsurteil nur dann bindend wirkt, wenn die deutschen Gerichte auch später für den angemeldeten Anspruch international zuständig wären. Die Gesetzes871 872 873 874 875 876

Horn ZVglRWiss 2019, 314, 333f., und 340. Siehe oben, S. 82ff. Schack IZVR, Rn. 419. BTDr. 10/504, 42f.; Tillwich Kartellverbot bei Mediation, S. 84. So auch Horn ZVglRWiss 2019, 314, 334. Horn ZVglRWiss 2019, 314, 335.

Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens

165

materialien behandeln diese Konstellation nicht. In Betracht kommt eine teleologische Reduktion von § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO dahingehend, dass eine Bindungswirkung nur eintritt, wenn die deutschen Gerichte für die spätere Geltendmachung des angemeldeten Anspruchs international zuständig sind.877 Das löst das Problem aber nicht nachhaltig und nur für die deutsche Musterfeststellungsklage.878 Die Anerkennung von Kollektiventscheidungen läge in der Hand der Mitgliedstaaten und dem Umstand, ob diese eine nationale Regelung treffen. So müssten deutsche Gerichte weiterhin ausländische Entscheidungen anerkennen, die einem Musterfeststellungsurteil vergleichbar sind,879 auch wenn die Gerichte des Urteilsstaates nicht international für die Ansprüche zuständig waren.880 Das ist nicht sachgerecht und widerspricht einer vereinheitlichten wechselseitigen Anerkennung von Entscheidungen im Binnenmarkt. cc)

Keine Ausnahme vom Verbot der Nachprüfbarkeit des Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO Der Anerkennungsstaat darf gemäß Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO grundsätzlich nicht prüfen, ob der Urteilsstaat international zuständig war.881 Nur ausnahmsweise darf und muss der Anerkennungsstaat gemäß Art. 45 Abs. 1 lit. e Brüssel Ia-VO die ausschließlichen Zuständigkeiten nach Art. 10–24 und Art. 72 Brüssel Ia-VO nachprüfen. Das Verbot der Nachprüfbarkeit beruht auf dem gegenseitigen Vertrauen in die Rechtspflege der Mitgliedstaaten.882 Dieses Vertrauen ist möglich, weil die Gerichte der Mitgliedstaaten nach Art. 28 Abs. 1 Brüssel Ia-VO verpflichtet sind, sich für unzuständig zu erklären, wenn die internationale Zuständigkeit nicht eröffnet ist.883 Das Vertrauen in die Rechtspflege richtet sich konkret darauf, dass die Mitgliedstaaten einen Rechtsstreit nicht entscheiden, ohne vorher die eigene internationale Zuständigkeit zu prüfen.884 Das Oberlandesgericht prüft in einem Musterfeststellungsverfahren seine internationale Zuständigkeit zwar bezüglich der Musteransprüche, nicht jedoch hinsichtlich jedes einzelnen angemeldeten Anspruchs. Daher können die Mitgliedstaaten nicht darauf vertrauen, dass die internationale Zuständigkeit im Hinblick auf die jeweiligen Ansprüche geprüft wurde. Horn schlägt daher vor, 877 878 879 880 881 882

Horn ZVglRWiss 2019, 314, 335. Horn ZVglRWiss 2019, 314, 335. Vgl. Schack IZVR, Rn. 882ff. Horn ZVglRWiss 2019, 314, 335. Schack IZVR, Rn. 930 mwN. Erw.Gr. 16 Brüssel Ia-VO; Rauscher/Leible EuZPR/EuIPR, Art. 45 Rn. 79; Schack IZVR, Rn. 929. 883 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, Art. 45 Rn. 70. 884 Horn ZVglRWiss 2019, 314, 336.

166

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass das Prozessgericht die (hypothetische) internationale Zuständigkeit des Urteilsstaates für die Durchsetzung des angemeldeten Anspruchs zwischen Verbraucher und Beklagtem nachprüfen dürfe.885 Gegen die teleologische Reduktion spricht jedoch, dass eine vergleichbare Situation auch bei der Streitverkündung möglich ist.886 Zudem kann sich auch nach dem Musterfeststellungsurteil eine deutsche internationale Zuständigkeit eröffnen, etwa nach einem Wohnsitzwechsel. Auch in dieser Situation die Anerkennung zu versagen, wäre unbillig. Es besteht daher kein Bedürfnis, die Anerkennung zu versagen.

J.

Kosten und Haftungsrisiken

I.

Streitwertanpassung nach § 89a GWB in einem Musterfeststellungsverfahren

§ 89a GWB erlaubt den Parteien eines Rechtstreits, der Ansprüche aus §§ 33, 33a Abs. 1 oder 34 GWB betrifft, eine Streitwertbegünstigung zu beantragen. Dafür muss eine Partei glaubhaft machen, dass die Prozesskosten nach dem vollen Streitwert ihre wirtschaftliche Lage erheblich gefährden würden. Dann kann das Gericht anordnen, dass sich die Gerichtskosten für diese Partei nach einem ihrer wirtschaftlichen Lage angepassten Teil des Streitwertes bemisst (Teilstreitwert), § 89a Abs. 1 S. 1 GWB. Indem der Gesetzgeber so die finanziellen Risiken einer Klage verringert, will er die private Durchsetzung des Kartellrechts fördern.887 Fraglich ist, ob die Norm auch in einem kartellrechtlichen Musterfeststellungsverfahren Anwendung finden kann. 1.

Notwendigkeit des § 89a GWB bei einer Musterfeststellungsklage

Zunächst fragt sich, ob eine Streitwertanpassung in einem Musterfeststellungsverfahren notwendig ist. Fälle, in denen das Prozessgericht eine Streitwertanpassung gemäß § 89a GWB in Betracht gezogen hat, betrafen regelmäßig Streitwerte im zweistelligen Millionenbereich.888 Einen derartigen Streitwert kann ein Musterfeststellungsverfahren ohnehin nicht erreichen. Denn § 48 Abs. 1 885 886 887 888

Horn ZVglRWiss 2019, 314, 336. Siehe oben S. 164 und S. 82ff. Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 89a GWB Rn. 2. Streitwert von EUR 30 Mio. etwa bei LG Stuttgart NZKart 2019, 290.

Kosten und Haftungsrisiken

167

S. 2 GKG begrenzt den Streitwert eines Musterfeststellungsverfahrens auf maximal EUR 250.000. So entfallen auf den ersten Blick einige der von § 89a GWB geregelten Situationen. Doch ist zu bedenken, dass trotz der Streitwertbegrenzung die Prozesskosten zu einer enormen Kostenbelastung führen können, insbesondere in Anbetracht der typischen begrenzten Finanzausstattung eines klagenden Verbands.889 Mithin ist in einem Musterfeststellungsverfahren denkbar, dass die Prozesskosten die wirtschaftliche Lage einer Partei erheblich gefährden. Der Zweck des § 89a GWB könnte auch bei Musterfeststellungsklagen eingreifen. Das gilt umso mehr, als die Norm (»kann«) dem Gericht ein Ermessen einräumt. 2.

Musterfeststellungsverfahren im Anwendungsbereich des § 89a GWB

§ 89a GWB setzt voraus, dass ein kartellrechtlicher Anspruch in einem Rechtstreit geltend gemacht wird.890 a) Rechtsstreit Unter den Begriff des (bürgerlichen)891 Rechtsstreits iSv § 89a GWB fällt neben der klassischen Leistungsklage auch die allgemeine Feststellungsklage iSv § 256 ZPO.892 Die Musterfeststellungsklage ist ebenfalls ein Rechtsstreit iSv § 89a GWB. b) Geltendmachung kartellrechtlicher Ansprüche In dem Musterfeststellungsverfahren müsste ein Anspruch nach §§ 33a, 33 oder 34 GWB »geltend gemacht« werden. Dafür muss der Rechtsstreit grundsätzlich unmittelbar auf die Durchsetzung kartellrechtlicher Ansprüche gerichtet sein.893 Betrifft er bloß kartellrechtliche Vorfragen, wird das grundsätzlich als nicht ausreichend angesehen.894 Bei der Musterfeststellungsklage stellt das Prozessgericht gerade nicht fest, dass ein bestimmter kartellrechtlicher Anspruch im Ganzen besteht. Es werden nur einzelne Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfragen zu kartellrechtlichen Ansprüchen – letztlich Vorfragen – entschieden.895 889 Die finanzielle Ausstattung kritisieren etwa Balke/Liebscher/Steinbrück ZIP 2018, 1321, 1327; Kilian ZRP 2018, 72, 73; Guggenberger/Guggenberger MMR 2019, 8, 11. 890 Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 89a GWB Rn. 5. 891 Immenga/Mestmäcker/Schmidt, Wettbewerbsrecht, § 89a GWB Rn. 4. 892 Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 89a GWB Rn. 5; Immenga/Mestmäcker/Schmidt, Wettbewerbsrecht, § 89a GWB Rn. 6. 893 Immenga/Mestmäcker/Schmidt, Wettbewerbsrecht, § 89a GWB Rn. 5. 894 Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 89a GWB Rn. 4; Immenga/Mestmäcker/Schmidt, Wettbewerbsrecht, § 89a GWB Rn. 5. 895 Zu kartellrechtlichen Feststellungszielen im Musterfeststellungsverfahren siehe oben S. 100ff.

168

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

Die erste Stufe ist aber doch darauf gerichtet, die Rechtsdurchsetzung mittelbar zu erleichtern.896 Da die zweite Stufe in Form der Leistung aus einem Vergleich oder der Individualklagen Teil des Systems der Musterfeststellungsklage ist, ist sie darauf gerichtet, Ansprüche »geltend zu machen«. 3.

Kein entgegenstehender Wille des Gesetzgebers

Der Diskussionsentwurf enthielt in § 615 ZPO-E eine mit § 89a GWB wortgleiche897 Streitwertherabsetzung, die der Gesetzgeber aber nicht übernommen hat. Daher fragt sich, ob der Wille des Gesetzgebers unterlaufen würde, wenn § 89a GWB auf das Musterfeststellungsverfahren angewendet und der Streitwert »durch die Hintertür des Kartellrechts« begünstigt würde. § 615 ZPO-E wäre für alle Musterfeststellungsklagen anwendbar gewesen. Dass der Gesetzgeber eine allgemeine Streitwertbegünstigung für die Musterfeststellungsklage mit ihrem weiten Anwendungsbereich neben § 48 Abs. 1 S. 2 GKG abgelehnt hat, spricht indes nicht dagegen, § 89a GWB für kartellrechtliche Musterfeststellungsklagen im Speziellen heranzuziehen.898 Insbesondere das Kartellrecht kennt »David-Goliath-Situationen«899, die einer effektiven Durchsetzung privater Ansprüche entgegenstehen. Diese Situation wird nicht dadurch entschärft, dass ein Verband klagt. Die Musterfeststellungsklage hat das Potenzial, die private Kartellrechtsdurchsetzung zu stärken und so dem Zweck des § 89a GWB zu dienen. 4.

Wirtschaftliche Lage der klagebefugten Einrichtung

Beantragt der Musterfeststellungskläger eine Streitwertanpassung nach § 89a GWB, muss das Gericht auf die wirtschaftliche Lage des Antragstellers,900 mithin der klagenden Einrichtung und nicht der Anmelder, abstellen. Die wirtschaftliche Lage eines Verbandes ist insbesondere dann erheblich gefährdet, wenn das Risiko besteht, dass er seine Aufgaben nicht mehr erfüllen kann.901 Verbände müssen eine gewisse finanzielle Mindestausstattung aufweisen, damit sie überhaupt 896 BTDr. 19/2507, 15. 897 Wortgleich sind auch § 23b UWG a.F. und § 105 EnWG. Parallelbestimmungen (ohne S. 2, der die Verbandsklagebefugnis betrifft) finden sich in § 144 PatG, § 142 MarkenG, § 26 GebrMG, § 54 GeschmMG und § 247 AktG. 898 Waßmuth/Asmus ZIP 2018, 657, 667 und Merkt/Zimmermann VuR 2018, 363, 369 lehnen ausdrücklich nur eine allgemeine Regelung in der ZPO für alle Musterfeststellungsverfahren ab. 899 Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 89a GWB Rn. 6. 900 Immenga/Mestmäcker/Schmidt, Wettbewerbsrecht, § 89a GWB Rn. 9. 901 Immenga/Mestmäcker/Schmidt, Wettbewerbsrecht, § 89a GWB Rn. 9.

Kosten und Haftungsrisiken

169

klagebefugt sind.902 Diese Mindestausstattung ist anzunehmen, wenn der Verband Prozesse mit einem Streitwert von EUR 30.000–50.000 bis zur Revision finanzieren kann.903 Diese geforderte Mindestausstattung folgt aus der Rechtsprechung des BGH zum UWG. Der Betrag ergab sich daraus, dass der Zugang zur Revision nur für Streitwerte über DM 60.000 möglich war.904 Dass ein Verband »unterkapitalisiert und ungeeignet zur Führung des Verfahrens«905 sei, wenn die Prozesskosten bei einem Streitwert von EUR 250.000 seine wirtschaftliche Lage gefährden können, überzeugt im Hinblick auf die für andere Verbandsklagen geforderte Mindestausstattung der Verbände nicht. 5.

Ergebnis

In einem Musterfeststellungsverfahren kann eine Partei gemäß § 89a GWB eine Streitwertanpassung beantragen. Als Härtefallregelung wird das aber eine seltene Ausnahme bleiben.906 Sie kommt wegen der Streitwertdeckelung für Musterfeststellungsklagen ohnehin nur für Streitwerte zwischen EUR 50.000 und EUR 250.000 in Betracht.

II.

Haftung des Musterfeststellungsklägers

Welche Rechtsfolgen sich ergeben, wenn der Kläger das Musterfeststellungsverfahren fehlerhaft oder unzureichend führt, ist nicht geregelt. Dies war schon für das Kapitalanleger-Musterverfahren umstritten, wobei die Diskussion dort durch die umfassenden Mitwirkungsrechte der beigeladenen Individualkläger weitgehend entschärft ist.907 Bei der Musterfeststellungsklage haben die betroffenen Verbraucher hingegen keine Mitwirkungsrechte, weshalb die Diskussion hier wieder auflebt.908

902 Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 89a GWB Rn. 9; Immenga/Mestmäcker/Schmidt, Wettbewerbsrecht, § 89a GWB Rn. 10; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Dicks, § 89a GWB Rn. 6. 903 Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 89a GWB Rn. 9. 904 Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 89a GWB Rn. 9. 905 Waßmuth/Asmus ZIP 2018, 657, 667, die die Sinnhaftigkeit des Musterfeststellungsverfahrens anzweifeln, wenn die Prozesskosten trotz des beschränkten Streitwerts die wirtschaftliche Lage des Klägers gefährden können. 906 Vor dem Musterfeststellungsverfahren wurde die Streitwertreduzierung zugunsten eines klagenden Verbandes praktisch nicht genutzt, Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 89a GWB Rn. 6; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Dicks, § 89a GWB Rn. 2. 907 Halfmeier ZRP 2017, 201, 204. 908 Halfmeier ZRP 2017, 201, 204.

170

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

Ein abweisendes und damit für die Anmelder nachteiliges Musterfeststellungsurteil wirkt gleichermaßen bindend wie ein stattgebendes.909 Der Gesetzgeber hat die Haftung des Klägers und seines Prozessbevollmächtigten nicht geregelt, sodass die allgemeinen Regeln gelten.910 Bei einer unsachgerechten Prozessführung können die Verbraucher den Musterfeststellungskläger bzw. dessen Prozessbevollmächtigten in Regress nehmen. Im Hinblick auf kartellrechtliche Schadensersatzansprüche als Gegenstand der Musterfeststellungsklage ergeben sich keine Besonderheiten, sodass an dieser Stelle auf eine vertiefte Erörterung verzichtet wird.911

K.

Verhältnis der Musterfeststellungsklage zu anderen deutschen Kollektivverfahren

Denkbar ist, dass (unterschiedliche) Kläger mehrere Kollektivverfahren gleichzeitig führen, um kartellrechtliche Schadensersatzansprüche durchzusetzen. Deshalb ist fraglich, wie sich mehrere Musterfeststellungsklagen zueinander und Musterfeststellungsklagen zu anderen Kollektivklagen verhalten.

I.

Verhältnis mehrerer Musterfeststellungsklagen zueinander

Gemäß § 610 Abs. 1 ZPO sind mehrere Musterfeststellungsklagen gegen einen Beklagten nicht möglich, wenn die Streitgegenstände denselben Lebenssachverhalt und dieselben Feststellungsziele betreffen.912 Kartellrechtliche Besonderheiten ergeben sich an dieser Stelle nicht.

909 BTDr. 19/2507, 27. 910 Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 608 ZPO Rn. 26. 911 Ausführlich zur Haftung des Musterklägers Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 223f.; Meller-Hannich Stellungnahme, S. 5; Schmidt-Kessel Stellungnahme, Wortprotokoll, S. 107, 122; Koch MDR 2018, 1409, 1415 Witte/Wetzig WM 2019, 52, 53; Halfmeier ZRP 2017, 201, 204; Guggenberger/Guggenberger MMR 2019, 8, 11; Merkt/Zimmermann VuR 2018, 363, 372; Prütting ZIP 2020, 197, 202; Berger ZZP 133 (2020), 3, 34f. Zu etwaigen Ansprüchen des Anmelders gegen den Kläger und/oder dessen Prozessbevollmächtigten siehe Röthemeyer Musterfeststellungsklage, § 608 ZPO Rn. 25–38. 912 Aus der allgemeinen Literatur: Beckmann/Waßmuth WM 2019, 89, 95; Scholl ZfPW 2019, 317, 343f.; Schmidt-Kessel Stellungnahme, Wortprotokoll, S. 107, 115f.

Verhältnis der Musterfeststellungsklage zu anderen deutschen Kollektivverfahren

II.

171

Verhältnis zur Gewinnabschöpfungsklage nach § 34a GWB

Der Gewinnabschöpfungsanspruch aus § 34a GWB ist nicht musterfeststellungsfähig, denn § 34a GWB gewährt den Geschädigten keinen Individualanspruch.913 Dennoch bleibt die Frage, wie sich eine Gewinnabschöpfungsklage zu einem Musterfeststellungsvergleich oder einem Musterfeststellungsurteil und zu den späteren Individualklagen der Geschädigten auf Schadensersatz verhält. Zunächst schützt § 34a Abs. 2 GWB den Kartellrechtsverletzer davor, doppelt in Anspruch genommen zu werden. Die Gewinnabschöpfung ist subsidiär gegenüber Leistungen, die der Schuldner aufgrund eines Musterfeststellungsvergleichs oder Individualverfahrens nach einem vorangegangenen Musterfeststellungsverfahren leistet. Eine Musterfeststellungsklage ist demnach vor, nach oder während einer Gewinnabschöpfungsklage möglich. Ging der Gewinnabschöpfungsklage ein Musterfeststellungsverfahren voraus und wurde es durch einen Vergleich beendet, aufgrund dessen der Schädiger an die Anmelder geleistet hat, oder wurden die angemeldeten Verbraucher in dem Musterfeststellungsurteil folgenden Individualprozessen entschädigt, so kann der Schädiger die Einrede der Leistung an Dritte gemäß § 34a Abs. 2 S. 1 GWB erheben. Wurden die Gewinne bereits abgeschöpft, bevor eine klagebefugte Einrichtung eine Musterfeststellungsklage erhebt, und kommt es im Rahmen eines Vergleichs oder der anschließenden Individualverfahren zu Zahlungen an die angemeldeten Verbraucher, greift § 34a Abs. 2 S. 2 iVm § 34 Abs. 2 S. 2 GWB. Die zuständige Stelle erstattet dem Kartellrechtsverletzer den abgeführten Gewinn in Höhe der nachgewiesenen Zahlungen zurück. Leistet der Schädiger aufgrund eines Musterfeststellungsvergleichs oder nach individuellen Folgeverfahren an die Anmelder, nachdem eine Gewinnabschöpfungsklage gegen ihn erhoben wurde und vor deren Abschluss, so ist die Klage nachträglich in Höhe dieser Leistungen unbegründet.914 Im Ergebnis ist es somit unerheblich, ob zuerst die Musterfeststellungsklage und eine Leistung an die Anmelder erfolgt und dann eine Gewinnabschöpfungsklage erhoben wird oder ob die Gewinnabschöpfungsklage zeitlich dem Musterfeststellungsverfahren vorangeht. In jedem Fall ist die Gewinnabschöpfung gemäß § 34a GWB subsidiär.

913 Vgl. zu § 10 UWG Würtenberger/Freischem GRUR 2017, 1101, 1103. 914 Vgl. Immenga/Mestmäcker/Emmerich, Wettbewerbsrecht, § 34a GWB Rn. 24.

172 III.

Die Musterfeststellungsklage im Kartellrecht

Verhältnis zu Verbandsklagen nach dem UWG und UKlaG

Die Gewinnabschöpfung nach § 10 UWG ist subsidiär gegenüber Leistungen, die der Schuldner aufgrund eines Musterfeststellungsvergleichs oder aufgrund individueller Folgeverfahren vornimmt. Das gilt unabhängig davon, ob das Musterfeststellungsverfahren zeitlich vor oder nach der Gewinnerschöpfung erfolgt, § 10 Abs. 2 S. 1, 2 UWG.915 Verbandsunterlassungs- und -beseitigungsklagen nach dem UWG und UKlaG sind ergänzend oder alternativ zu einem Musterfeststellungsverfahren möglich.916

IV.

Verhältnis zum Verfahren nach dem KapMuG

Der enge Anwendungsbereich des KapMuG in § 1 erfassen in aller Regel keine kartellrechtlichen Schadensersatzansprüche, sodass das Verhältnis zwischen Kapitalanleger-Musterverfahren und Musterfeststellungsverfahren für diese Untersuchung nicht relevant ist.917

915 Vgl. MüKo-UWG/Micklitz, § 10 UWG Rn. 161. Zu den Einzelheiten vgl. die Ausführungen zur Gewinnabschöpfung nach § 34a GWB, siehe oben S. 42f. 916 Prütting/Gehrlein/Halfmeier, vor §§ 606–614 ZPO Rn. 5; Schneider BB 2018, 1986, 1996. 917 Das Verhältnis beleuchten u. a.: Beckmann/Waßmuth WM 2019, 89, 95f.; Prütting/Gehrlein/ Halfmeier, vor §§ 606–614 ZPO Rn. 6, 7; Schneider BB 2018, 1986, 1996; Weinland Neue Musterfeststellungsklage, Rn. 32ff.; Merkt/Zimmermann VuR 2018, 363, 372f.

3. Kapitel: Die Musterfeststellungsklage und die Kronzeugenprivilegierungen

Die kartellrechtliche Kronzeugenprivilegierung umfasst im Ausgangspunkt die öffentlich-rechtliche Bonusregelung918 und die zivilrechtliche Haftungsprivilegierung des § 33e GWB. Erstere erlaubt es den Kartellbehörden, einem Kronzeugen die Geldbuße vollständig oder teilweise zu erlassen. § 33e GWB normiert eine Haftungsprivilegierung eines solchen Kronzeugen gegenüber bestimmten Geschädigten.919 Kronzeugenprogramme stehen einer effektiven privaten Rechtsdurchsetzung auf den ersten Blick entgegen, ermöglichen sie aber häufig auch erst; deshalb müssen die Interessen angemessen ausbalanciert werden.920 Die Musterfeststellungsklage als Instrument privater Rechtsdurchsetzung muss sich in dieses Gleichgewicht einfügen. Die Kronzeugenprivilegierung darf einerseits nicht leerlaufen,921 andererseits die Geschädigten nicht übermäßig bei ihrer Rechtsdurchsetzung beeinträchtigen.

918 Bekanntmachungen des Bundeskartellamts Nr. 9/2006 über den Erlass und die Reduktion von Geldbußen in Kartellsachen – Bonusregelung – v. 7. 3. 2006. Zu beachten ist, dass die Richtlinie (EU) 2019/1 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11. 12. 2018 zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine wirksamere Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften und zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts, ABl. 2019L 11, 3 die Kronzeugenprogramme europaweit vereinheitlichen wird. Im Zuge der Umsetzung wird die Bekanntmachung des Bundeskartellamtes überarbeitet werden müssen. 919 Zum Verhältnis von Musterfeststellungsvergleich und Haftungserleichterung nach § 33f GWB siehe oben S. 166ff. 920 ErwgGr. 6 SE-RL. 921 Bernhard Sammelklagen, S. 202ff.

174

A.

Die Musterfeststellungsklage und die Kronzeugenprivilegierungen

Auswirkung von Musterfeststellungsklagen auf die Kronzeugenprivilegierung

Fraglich ist, ob das Bundeskartellamt einem Kronzeugen die Geldbuße erlassen kann, nachdem er bereits auf Musterfeststellung verklagt worden ist. Rn. 3 Nr. 1 der Bonusregelung setzt für den Erlass der Geldbuße voraus, dass sich der Kartellbeteiligte als erster an das Bundeskartellamt gewendet hat. Sie verlangt nicht und ist nicht ergänzend dahingehend auszulegen, dass der Kronzeugenantrag »aus eigenem Antrieb« gestellt worden ist. Denn die Bonusregelung fragt zu keinem Zeitpunkt, wie das kooperationswillige Unternehmen vom Kartellvorwurf oder der Möglichkeit, einen Kronzeugenantrag zu stellen, erfahren hat oder mit welcher Motivation ein Kronzeugenantrag gestellt wird. Der Musterfeststellungskläger wendet sich nicht an das Bundeskartellamt, indem er eine Musterfeststellungsklage erhebt. Der Zweck der Bonusregelung fordert kein anderes Ergebnis. Rn. 1 der Bonusregelung bestimmt deren Ziel: Unternehmen sollen durch ihre Kooperation dazu beitragen, ein Kartell aufzudecken. Der Anreiz, trotz des Kartellverstoßes kein Bußgeld auferlegt zu bekommen, soll zu einem Wettlauf der Kartellanten führen. Diesem Zweck widerspricht es nicht, wenn sich ein Kronzeuge meldet, nachdem eine Musterfeststellungsklage erhoben worden ist. Der Wettlauf der Kartellanten wird sogar verstärkt. Allerdings verlangen Rn. 1 S. 1, Rn. 3 Nr. 2, Rn. 4 Nr. 2 und Rn. 5 S. 2 der Bonusregelung, dass die Hinweise des Kartellanten noch dazu beitragen, dass ein Kartell aufgedeckt wird. Das wird umso schwieriger, je mehr Informationen bereits durch die erhobene Musterfeststellungsklage verfügbar sind. Dass eine klagebefugte Einrichtung eine Musterfeststellungsklage gegen einen (vermeintlichen) Kartellbeteiligten erhebt, bevor die Kartellbehörden einen (vermuteten) Kartellverstoß hinreichend ermittelt haben, ist gleichwohl sehr unwahrscheinlich.922 Stand-alone-Verfahren führten Geschädigte bereits in der Vergangenheit nur selten.923 Dass die Musterfeststellungsklage daran etwas ändert, ist nicht zu erwarten.

922 Vgl. Brömmelmeyer EU-Sammelklage, S. 57, 66; Würtenberger/Freischem GRUR 2017, 1101, 1103. Siehe auch oben S. 101. 923 Mallmann/Erne NZKart, 2019, 77, 80; Stancke/Weidenbach/Lahme/Grafunder/Stancke Schadensersatzklagen, Rn. 571; Jansen Verhaltenssteuerung, S. 259 mwN und S. 273.

Auswirkung der Kronzeugenprivilegierung

B.

175

Auswirkung der Kronzeugenprivilegierung auf die Effektivität von Musterfeststellungsklagen

Deutlich relevanter ist, ob Kronzeugen Beklagte einer Musterfeststellungsklage sein können oder ob ihre Privilegierung dem entgegensteht. Dies wäre anzunehmen, wenn der Kronzeuge nicht gegenüber den betroffenen Verbrauchern haften würde, die sich zu einer Musterfeststellungsklage anmelden. Ob der Beklagte Geschädigten nicht zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist, obwohl die Voraussetzungen des § 33a Abs. 1 GWB vorliegen, entscheidet die Reichweite der Haftungsprivilegierung von Kronzeugen im Außenverhältnis. Gemäß § 33e Abs. 1 S. 1 GWB haftet ein Kronzeuge gegenüber seinen eigenen Abnehmern und Lieferanten unbeschränkt. Umgekehrt haftet der Kronzeuge grundsätzlich nicht gegenüber Geschädigten, die nicht zu seiner Lieferantenund Abnehmerkette gehören.924 § 33e Abs. 1 S. 2 GWB sieht eine Ausnahme vor: Erlangen die Geschädigten von den Mitkartellanten keinen vollständigen Ersatz, dann haftet ihnen gegenüber der Kronzeuge für den Ausfall. Entscheidend dafür, ob ein Kronzeuge Beklagter einer Musterfeststellungsklage sein kann, ist also, wer »Lieferant« oder »Abnehmer« des Kronzeugen ist. Differenziert wird zwischen unmittelbaren und mittelbaren Abnehmern oder Lieferanten des Kronzeugen (I.–III.), Geschädigten, die zur Abnehmer- oder Lieferkette der anderen Rechtsverletzer gehören (IV.), und Preisschirmeffektgeschädigten (V.).

I.

Unmittelbare Abnehmer des Kronzeugen als Anmelder

Unmittelbare Abnehmer des Kronzeugen sind die Vertragspartner des Kronzeugen. Dabei reicht für die Schutzbedürftigkeit des Abnehmers schon eine vertragliche Beziehung über eine kartellbefangene Ware oder Dienstleistung.925 Weder kann dem Abnehmer zu seinem Nachteil vorgehalten werden, Waren von mehreren Vertragspartnern zu beziehen, noch ist dieses Ergebnis teleologisch zu reduzieren, wenn der Abnehmer nur eine Ware oder Dienstleistung vom Kronzeugen bezogen hat.926 Hat der Verbraucher die Waren oder Dienstleistungen direkt vom Kronzeugen bezogen, dann haftet der Kronzeuge uneingeschränkt und muss sich im Rahmen einer Musterfeststellungsklage verantworten. Zu beachten ist jedoch, dass die

924 Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 146. 925 Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 133. 926 Ausführlich dazu Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 133f.

176

Die Musterfeststellungsklage und die Kronzeugenprivilegierungen

Verbraucher am Ende häufig langer Lieferketten stehen und damit nur selten unmittelbare Vertragspartner eines Kronzeugen sind.

II.

Mittelbare Abnehmer des Kronzeugen als Anmelder

Praktisch relevanter ist, ob die Privilegierung einer Musterfeststellungsklage entgegensteht, wenn der Verbraucher nicht direkt mit dem Kronzeugen kontrahiert, sondern die Waren oder Dienstleistungen von einem Zwischenhändler bezogen hat. Dann ist der Verbraucher mittelbarer Abnehmer, den § 33e Abs. 1 S. 1 GWB ebenfalls ausdrücklich erfasst. Dabei ist unerheblich, wie viele Zwischenhändler zwischen dem Verbraucher und dem Kronzeugen stehen.927

III.

Unmittelbare und mittelbare Abnehmer als Anmelder einer gemeinsamen Musterfeststellungsklage

Unmittelbare und mittelbare Abnehmer und Lieferanten des Kronzeugen können sich gleichermaßen zu einer Musterfeststellungsklage gegen den Kronzeugen anmelden. Die Kronzeugenprivilegierung führt hier zu keinen Unterschieden. Ob jedoch die Feststellungsziele für mittelbare und unmittelbare Abnehmer gleichermaßen relevant sind, muss einzelfallbezogen geprüft werden. Gleichwohl ist zu erwarten, dass der überwiegende Teil der Voraussetzungen etwa eines Kartellverstoßes identisch sein werden.

IV.

Abnehmer und Lieferanten der Mitkartellanten als Anmelder

Fraglich ist, ob sich Abnehmer und Lieferanten der anderen Mitkartellanten zur Musterfeststellungsklage gegen den Kronzeugen anmelden können. Diesen Abnehmern und Lieferanten gegenüber haftet der Kronzeuge nur subsidiär auf Schadensersatz, also nur, wenn sie von sämtlichen übrigen Mitkartellanten keinen Ersatz erlangen konnten, § 33e Abs. 1 S. 2 GWB. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die zivilrechtliche Haftung des Kronzeugen gegenüber den Abnehmern und Lieferanten der Mitkartellanten zunächst vollständig ausgeschlossen ist.928 Ob sie sich trotzdem zu einer Musterfeststellungsklage gegen den Kronzeugen wirksam anmelden können, hängt davon ab, ob dadurch die Haftungsprivilegierung unterlaufen würde. 927 Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 135f. 928 Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 146.

Auswirkung der Kronzeugenprivilegierung

177

Aus einem Musterfeststellungsverfahren folgt unmittelbar keine Haftung des Beklagten etwa auf Schadensersatz. Denn die Musterfeststellungsklage führt zu keinem Leistungstitel. Die konkrete Formulierung der Feststellungsziele entscheidet darüber, welche Abnehmer betroffen sind. Je nachdem, wie die Feststellungsziele formuliert sind, können sie Abnehmer und Lieferanten der anderen (nicht beklagten) Mitkartellanten betreffen. Diese haben also möglicherweise ein Interesse daran, an einer Klage gegen Kronzeugen teilzunehmen. Ob der Beklagte gegenüber den Anmeldern in seiner Haftung privilegiert ist, prüft das Bundesamt für Justiz nicht bei der Anmeldung, sondern es trägt die Angaben ohne inhaltliche Prüfung in das Klageregister ein.929 Das mit der Klage befasste Oberlandesgericht prüft nicht im Rahmen der Zulässigkeit, ob der Beklagte gegenüber jedem einzelnen Anmelder uneingeschränkt haften würde. Eine derart weitgehende und aufwendige Einzelfallprüfung widerspräche der vom Gesetzgeber vorgesehenen eingeschränkten Überprüfung durch das Oberlandesgericht. Zudem reichen dessen Ressourcen dafür nicht aus. Überdies hängt die Begründetheit des Musterfeststellungsantrags nicht davon ab, ob der angemeldete Verbraucher seinen Schaden vom Musterfeststellungsbeklagten ersetzt verlangen kann. Erst im Folgeprozess muss das Gericht prüfen, ob die Musterfeststellungsentscheidung für den Individualkläger bindend wirkt. Abgesehen von der für die Bindungswirkung zwingend notwendigen wirksamen Anmeldung, muss das Gericht prüfen, ob die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs erfüllt sind. Hierzu gehören etwaige Haftungsprivilegierungen, genauer: deren Nichtvorliegen. Auch wenn der Beklagte grundsätzlich in seiner Haftung privilegiert sein sollte, ist das Musterfeststellungsurteil dennoch relevant für die Lieferanten und Abnehmer der Mitkartellanten. Kommt es später zur Ausfallhaftung nach § 33e Abs. 1 S. 2 GWB, so kann sich der Abnehmer eines (nicht musterfeststellungbeklagten) Mitkartellanten gegenüber dem Musterfeststellungsbeklagten auf die Musterfeststellung berufen. Eine Anmeldung durch Abnehmer eines (nicht musterfeststellungsbeklagten) Mitkartellanten zur Musterfeststellungsklage gegen den privilegierten Kronzeugen birgt aber auch Risiken. Wartet der Verbraucher den Musterfeststellungsprozess ab, ohne seinen Anspruch gegen seinen Vertragspartner geltend zu machen, droht der Anspruch zu verjähren.930 Denn die Verjährung des Anspruchs gegen den nicht beklagten Mitkartellanten wird durch eine Musterfeststellungsklage gegen den Kronzeugen nicht gehemmt. Die Verjährung versperrt dann die Möglichkeit, sich subsidiär an den Kronzeugen zu wenden. Ist der 929 Siehe oben S. 129. 930 Dazu oben S. 131.

178

Die Musterfeststellungsklage und die Kronzeugenprivilegierungen

Anspruch gegen den Vertragspartner verjährt, dann haftet auch der Kronzeuge nicht mehr. Die Verjährung des Anspruchs gegen den Vertragspartner ist kein Ausfall und begründet damit keine Ausfallhaftung iSv § 33e Abs. 1 S. 2 GWB.931 Gleichwohl ist es ratsam, sich zur Musterfeststellungsklage gegenüber dem Kronzeugen anzumelden, auch wenn der Verbraucher nicht vertraglich mit dem Beklagten verbunden ist. Denn das Risiko eines drohenden Ausfalls der Haftung steht in keinem Verhältnis zum geringen Aufwand einer Anmeldung. Das befreit den Anspruchsinhaber aber nicht davon, sorgfältig zu prüfen, ob, wann und wie er den Anspruch gegen den Vertragspartner oder andere Kartellanten geltend machen muss. Dabei ist zu berücksichtigen, ob eine Musterfeststellungsklage gegen mehrere Kartellanten gerichtet ist oder den Mitkartellanten der Streit verkündet wurde. Dieser Umstand zeigt, dass eine anwaltliche Beratung bei der Anmeldung durchaus sinnvoll sein kann. Zu überblicken, wessen Haftung wem gegenüber privilegiert ist, kann von einem Verbraucher nicht erwartet werden.

V.

Preisschirmeffektgeschädigte als Anmelder

Preisschirmeffektgeschädigte haben zwar grundsätzlich einen Schadensersatzanspruch gegen die Kartellmitglieder. Der privilegierte Kronzeuge haftet aber für Preisschirmeffektschäden nur eingeschränkt.932 Denn die Preisschirmeffektgeschädigten sind zwangsläufig keine Vertragspartner des Kronzeugen iSv § 33e Abs. 1 S. 1 GWB. Doch auch den Preisschirmeffektgeschädigten haftet der Kronzeuge im Rahmen der Ausfallhaftung des § 33e Abs. 1 S. 2 GWB.933 Somit gilt für die Anmeldung von Preisschirmeffektgeschädigten zu einer Musterfeststellungsklage gegen den Kronzeugen das für die Vertragspartner der Mitkartellanten Gesagte.934

931 932 933 934

Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 152ff. Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 163. Katt Gesamtschuldnerische Haftung, S. 163; Lettl WM 2016, 1961, 1965. Siehe oben S. 176ff.

4. Kapitel: Internationaler Vergleich

Zunächst erfolgt ein kurzer Überblick über kollektive Rechtsschutzmöglichkeiten in anderen Ländern (A.). Danach geht der Blick nach Brüssel auf den Entwurf eines New Deal for Consumers (B.).

A.

Länderberichte

Die folgenden Ausführungen sollen aufzeigen, wie stark die kollektiven Rechtsschutzinstrumente international divergieren. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf Gemeinsamkeiten und Unterschieden zur deutschen Musterfeststellungsklage und der Bedeutung für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche.

I.

Frankreich

2014 hat der französische Gesetzgeber eine Gruppenklage (l’action de groupe) in das französische Verbrauchergesetzbuch (Code de la consommation935, im Folgenden: C. consom.) eingefügt. Sie ist grundsätzlich auch für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche anwendbar,936 allerdings nur als follow-on-Klage, da Art. L. 623–24 al. 1 C. consom. eine rechtskräftige Behörden- oder Gerichtsentscheidung voraussetzt.937 Darin unterscheidet sich die französische Gruppenklage von der deutschen Musterfeststellungsklage: Auch wenn diese praktisch

935 Ordonnance n°2016–301 du 14 mars 2016; zuletzt geändert durch Ordonnance n° 2017–303 du 9 mars 2017 – art. 9. 936 Hoffmann/Horn WuW 2018, 562; Keßler ZRP 2016, 2, 4; Kowollik Europäische Kollektivklagen, S. 94; Meller-Hannich/Krausbeck DAR-Extra 2018, 725, 726; Buchner Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher, S. 120. 937 Bien NZKart 2014, 507, 509.

180

Internationaler Vergleich

ebenfalls nur als follow-on-Klage relevant werden wird,938 ist dies keine gesetzliche Voraussetzung. Nur repräsentative und auf nationaler Ebene anerkannte Verbraucherschutzverbände sind zur Gruppenklage befugt, Art. L. 623-1 C. consom. Damit Verbraucher ihre Ansprüche mittels der Gruppenklage geltend machen können, müssen sie sich in einer »identischen oder ähnlichen Situation« befinden und Ersatz von dem- oder denselben Beklagten verlangen.939 Das französische Gruppenverfahren erfolgt grundsätzlich in zwei Phasen. Das Haftungsbegründungsverfahren ( jugement sur la responsabilité) bildet die erste Phase, in der das Gericht die Anspruchsvoraussetzungen anhand ausgewählter Einzelfälle klärt und mit einem Haftungsurteil beendet.940 Ist das Haftungsurteil rechtskräftig, beginnt die zweite Phase, die Beitritts- und Entschädigungsphase. Sie ermöglicht ein opt-in derjenigen Verbraucher, die die Kriterien des Haftungsurteils erfüllen.941 Damit unterscheidet sich der Zeitpunkt, zu dem sich die Verbraucher für das Gruppenverfahren entscheiden müssen, grundlegend vom deutschen Musterfeststellungsverfahren. Bei der französischen Gruppenklage kennen die Verbraucher das Haftungsurteil, wenn sie sich für ein opt-in entscheiden. Zu einer deutschen Musterfeststellungsklage muss sich der Verbraucher hingegen spätestens einen Tag vor dem ersten Termin der mündlichen Verhandlung anmelden, mithin ohne den Prozessausgang zu kennen oder verlässlich einschätzen zu können. Die Anmeldung kann auch nur bis zum Schluss des Tages, an dem die mündliche Verhandlung begonnen hat, zurückgenommen werden, also ebenfalls weit bevor ein Ergebnis abschätzbar ist. In der zweiten Phase der französischen Gruppenklage leistet der Schädiger die Entschädigungssumme an die klagebefugte Einrichtung, die diese an die Gruppenmitglieder auskehrt, sofern wegen Umsetzungsschwierigkeiten nicht an das Gericht verwiesen werden muss.942 Bei Bedarf kann das Gericht in einer dritten Phase, der audience de cloˆ ture, u¨ ber einzelne Schadenersatzforderungen entscheiden, Art. L. 423-12 Abs. 2 C. consom.943 Diese Entscheidung ist ein Vollstreckungstitel für die klagebefugte Einrichtung.944 Sie macht die Ansprüche aller sich beteiligenden Verbraucher geltend und vollstreckt diese anschließend.945 Der betroffene Verbraucher muss

938 939 940 941 942 943 944 945

Siehe oben S. 101f. Hoffmann/Horn WuW 2018, 562. Tilp/Schiefer NZV 2017, 14, 17; Keßler ZRP 2016, 2, 4; Hoffmann/Horn WuW 2018, 562. Hoffmann/Horn WuW 2018, 562f. Bien NZKart 2014, 507, 508. Kowollik Europäische Kollektivklagen, S. 96. Bien NZKart 2014, 507, 508. Hoffmann/Horn WuW 2018, 562f.

Länderberichte

181

somit keine individuelle Leistungsklage mehr erheben, wie er das im Anschluss an eine deutsche Musterfeststellungsklage tun muss.946 Die Parteien können die französische Gruppenklage wie eine Musterfeststellungsklage mit einem Vergleich beenden, den das Gericht genehmigen muss.947 Gemäß Art. L. 423–10 Abs. 1 C. consom. kann das Gericht in einem vereinfachten Verfahren (procédure d’action de groupe simplifiée) direkt in der ersten Phase über die Haftung entscheiden und das Unternehmen zur direkten Leistung an die Verbraucher verurteilen, wenn alle Gruppenmitglieder bekannt und alle Schäden identisch sind.948 Der Schädiger zahlt direkt an die Geschädigten. Die Verteilung in der zweiten Phase und die dritte Phase entfallen. Ein vergleichbares Instrument kennt das deutsche Musterfeststellungsverfahren nicht. Bis 2018 wurden in Frankreich 12 Gruppenklagen erhoben.949

II.

Niederlande

In den Niederlanden gibt es die Möglichkeit, einen gerichtlich genehmigten Gruppenvergleich zu schließen (1.). Darüber hinaus ist zum 1. Januar 2020 die überarbeitete kollektive Sammelklage in Kraft getreten, die nun auch auf Schadensersatz gerichtet sein kann (2.). 1.

Gruppenvergleich (WCAM)

Nach dem Gesetz über kollektive Vergleiche bei Massenschäden (Wet Collectieve Afwikkeling Massaschade950, kurz WCAM), können ein Verein oder eine Stiftung mit einem Schädiger einen außergerichtlichen Vergleich schließen, auf den sich die geschädigten Verbraucher berufen können.951 Der Anwendungsbereich des WCAM-Verfahrens umfasst alle Bereiche des Zivilrechts.952 Der Verein oder die Stiftung und der Schädiger vergleichen sich zwar außergerichtlich. Damit der Vergleich aber sämtliche Gruppenmitglieder bindet, muss der Gerechtshof Amsterdam (Amsterdamer Berufungsgericht) prüfen, ob der Vergleich angemessen ist und insbesondere die Interessen der Verbraucher 946 947 948 949 950

Hoffmann/Horn WuW 2018, 562, 563. Nur zur französischen Gruppenklage Keßler ZRP 2016, 2, 4; Bien NZKart 2014, 507, 508f. Kowollik Europäische Kollektivklagen, S. 96; Bien NZKart 2014, 507, 508. Scholl ZfPW 2019, 317, 325. Das WCAM hat 2005 die Art. 7:907–910 in das niederländische Zivilgesetzbuch (Burgerlijk Wetboek, kurz BW) eingefügt. 951 Zum niederländischen Gruppenvergleich siehe u. a. Witte/Wetzig WM 2019, 52, 56; Keßler ZRP 2016, 2, 4; Weber/van Boom VuR 2017, 290, 293; Tilp/Schiefer NZV 2017, 14, 17; Peter Gruppenvergleichsverfahren, S. 64–110. 952 Peter Gruppenvergleichsverfahren, S. 67.

182

Internationaler Vergleich

hinreichend berücksichtigt werden; er hört die Parteien an und stellt sicher, dass alle Geschädigten informiert worden sind.953 Wenn der Vergleich angemessen ist, erklärt ihn das Gericht durch Urteil für alle Beteiligten für verbindlich, Art. 1013 BW. Die Geschädigten können innerhalb von drei Monaten den Vergleich ablehnen (opt-out), Art. 7:908 Abs. 2 BW. Unter den nicht ausgetretenen Verbrauchern verteilt die Stiftung oder der Verein unter Aufsicht eines Notars den Vergleichsbetrag. Während des WCAM-Verfahrens sind die Betroffenen weder Partei im formellen Sinne, noch können sie beantragen, dass das Gericht den Vergleich für verbindlich erklärt.954 Das entspricht der Stellung der angemeldeten Verbraucher einer deutschen Musterfeststellungsklage. Wenn das Gericht den Vergleich für verbindlich erklärt, gelten die nicht ausgetretenen Geschädigten als Partei (Art. 7:908 Abs. 1 BW), sodass sie aus dem Vergleich vollstrecken können.955 Darin unterscheidet sich der niederländische Gruppenvergleich deutlich von dem eines deutschen Musterfeststellungsverfahrens, der eine derartige Fiktion nicht kennt.956 Da es sich um ein freiwilliges Vergleichsverfahren handelt, hängt der Erfolg davon ab, ob der Schädiger bereit ist zu verhandeln und einen Vergleich zu schließen.957 Schädiger lassen sich immer wieder – bislang acht Mal – auf ein WCAM-Verfahren und einen außergerichtlichen Vergleich ein.958 Gegenüber dem Musterfeststellungsverfahren sind die niederländischen Anforderungen an die Vertreterorganisation gering. Sie kann auch ad hoc, also unmittelbar für die Vergleichsverhandlungen, gegründet werden.959 2.

Sammelklage und WAMCA für kollektive Schadensersatzklage

Daneben sieht Art. 3:305a BWeine Sammelklage vor, mit der ein Verein oder eine Stiftung im Interesse Dritter klagen kann. Bis 2020 war diese Sammelklage nur darauf gerichtet, das Bestehen eines Haftungsgrundes festzustellen. Wie bei der Musterfeststellungsklage musste der Geschädigte anschließend seinen Anspruch in einer Individualklage geltend machen.960 953 954 955 956 957 958

Keßler ZRP 2016, 2, 4. Peter Gruppenvergleichsverfahren, S. 68. Scholl ZfPW 2019, 317, 326. Vgl. Scholl ZfPW 2019, 317, 351. Weber/van Boom VuR 2017, 290, 293. Weber/van Boom VuR 2017, 290, 293 mwN; Peter Gruppenvergleichsverfahren, S. 67, 222; Meller-Hannich/Krausbeck DAR-Extra 2018, 725, 729. 959 Weber/van Boom VuR 2017, 290, 293. Ad hoc Stiftungen konnten gemäß Art. 3:305a a.F. BW klagen. Tilp/Schiefer NZV 2017, 14, 17 weisen darauf hin, dass Klägerkanzleien hinter den Stiftungen stehen können. 960 Witte/Wetzig WM 2019, 52, 56.

Länderberichte

183

Am 1. Januar 2020 ist das Wet Afwikkeling Massaschade in Collectieve Actie (WAMCA) in Kraft getreten. Es sieht vor, dass der Verein oder die Stiftung direkt Schadensersatz für Betroffene geltend machen kann.961 Die opt-out-Lösung bleibt bestehen, sodass die Verbraucher die Stiftung oder den Verein nicht vorab zur Klage ermächtigen müssen.962 Damit unterscheidet sich die niederländische Lösung grundlegend von der opt-in-Lösung des Musterfeststellungsverfahrens durch vorherige Anmeldung. Das WAMCA verschärft die bisherigen Anforderungen an die Klagebefugnis. Eine klagende Einrichtung muss ihre Repräsentativität für die Geschädigtengruppe nachweisen, ein Aufsichtsorgan haben und bestimmte Transparenzund Internetpräsenzerfordernisse erfüllen.963 Außerdem müssen sie gemäß Art. 3:305a Abs. 2 lit. e BW n.F. eine gewisse Prozesserfahrung haben.964 Ad hoc gegründete Einrichtungen, die nur nach ihrer Satzung die Geschädigtengruppe repräsentieren, sind nun nicht mehr klagebefugt. Das WAMCA verringert die internationale Bedeutung der niederländischen Sammelklage wesentlich.965 Während beim WCAM auch nichtniederländische Verbraucher ohne weiteres zur Geschädigtengruppe zählen können, beschränkt das WAMCA den Anwendungsbereich der Sammelklage auf Ansprüche, die eine hinreichend enge Beziehung zur niederländischen Rechtssphäre aufweisen.966 Ob diese Beschränkung mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV vereinbar ist, bleibt abzuwarten.

III.

Österreich

Das österreichische Recht kennt drei Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes: Die Verbandsklage, die nur auf Unterlassung gerichtet ist und im Folgenden nicht dargestellt wird, die Verbandsmusterklage und die richterrechtliche Sammelklage. Seit 2007 liegt ein Entwurf des Bundesjustizministeriums für eine Zivilverfahrensnovelle vor, die den kollektiven Rechtsschutz um ein Gruppen- und Musterverfahren ergänzen soll. Aufgrund der langen Zeit, die seit dem Entwurf erfolglos verstrichen ist, wird hier auf eine Darstellung des Entwurfs verzichtet.967

961 962 963 964 965 966 967

Meller-Hannich/Krausbeck DAR-Extra 2018, 725, 729; Witte/Wetzig WM 2019, 52, 56. Witte/Wetzig WM 2019, 52, 56. Weber/van Boom VuR 2017, 290, 294. Weber/van Boom VuR 2017, 290, 294; Scholl ZfPW 2019, 317, 326. Witte/Wetzig WM 2019, 52, 56. Witte/Wetzig WM 2019, 52, 56. Zu ihm Witte/Wetzig WM 2019, 52, 57f.

184 1.

Internationaler Vergleich

Verbandsmusterklage

Bei der Verbandsmusterklage tritt ein einzelner Verbraucher seinen Anspruch an einen Verbraucherverband ab, der dann den Anspruch einklagt.968 Die Entscheidung hat keine weitreichende Bindungswirkung für gleichgelagerte Fälle. Alle anderen Geschädigten müssen – ähnlich wie bei der Musterfeststellungsklage – ein individuelles Verfahren führen, um ihre Ansprüche durchzusetzen.969 Die Verbandsmusterklage ermöglicht dennoch eine Grundsatzentscheidung in der Revisionsinstanz auch bei geringen Schäden.970 Denn die Revision ist gemäß § 505 Abs. 5 Nr. 3 öZPO streitwertunabhängig zuzulassen. Die Entscheidungen des OHG haben eine faktische Präjudizwirkung, woraus sich eine umfassende Wirkung faktisch ergibt.971 Entscheidet ein Prozessgericht identische oder vergleichbare Fragen, orientiert es sich dabei an der Entscheidung des OHG. 2.

Richterrechtliche »Sammelklage« als objektive Klagehäufung

Gesetzlich ist die »Sammelklage nach österreichischem Recht«972 nicht geregelt, aber höchstrichterlich anerkannt, sofern die Ansprüche auf einem im Wesentlichen gleichen Anspruchsgrund beruhen und gleiche rechtliche oder tatsächliche Fragen betreffen.973 Ein Verbraucherverband führt eine Sammelklage mit dem Ziel individuellen Schadensersatzes für die Geschädigten. Die Verbraucher müssen ihre Ansprüche an den Verband vor Klageerhebung abtreten.974 Während bei der Verbandsmusterklage der Verband nur den Anspruch eines einzigen Verbrauchers geltend macht und die Verbraucher anschließend selbst individuell klagen müssen, macht bei der Sammelklage der Verband die »gesammelten« Ansprüche im Wege objektiver Klagehäufung gemäß § 227 öZPO geltend.975 Diese Klage ähnelt daher eher der Einziehungsklage oder dem Abtretungsmodell als der Musterfeststellungsklage.

968 969 970 971 972 973 974 975

Buchner Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher, S. 111; Witte/Wetzig WM 2019, 52, 57. Witte/Wetzig WM 2019, 52, 57. Witte/Wetzig WM 2019, 52, 57. Buchner Kollektiver Rechttschutz für Verbraucher, S. 111f. Witte/Wetzig WM 2019, 52, 57. OGH Urt. v. 31. 3. 2005, Az. Ob 275/04v, ECLI:AT:OGH0002:2005:RS0119940, RdW 2005, 429. Witte/Wetzig WM 2019, 52, 57. Buchner Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher, S. 112; Witte/Wetzig WM 2019, 52, 57.

Länderberichte

IV.

185

Griechenland

Griechenland hat mit dem »Testfallverfahren« ein kollektives Rechtsschutzinstrument eingeführt, dessen Verfahrensablauf an die deutsche Musterfeststellungsklage erinnert: Auf einer ersten Stufe stellt das Gericht nur den Schadensgrund fest. Auf der zweiten Stufe können die Geschädigten in einem Urkundenprozess einen Titel erwirken. Dafür müssen sie den Schaden beziffern und nachweisen. Als Beweis reicht dann etwa eine Quittung oder ein schriftlicher Vertrag.976 Im Unterschied zum Musterfeststellungsverfahren wirkt das griechische Feststellungsurteil der ersten Stufe für alle Verbraucher, ohne dass diese sich anmelden müssen. Seit der Einführung 2007 hat noch kein Verband das Instrument genutzt und eine solche Feststellungsklage eingereicht.977

V.

USA

Bei einer US-amerikanischen class action klagt ein lead oder representative plaintiff im eigenen Namen und als Repräsentant einer Klasse von Gläubigern.978 Das ist ein wesentlicher Unterschied zur deutschen Musterfeststellungsklage, die als Verbandsklage ausgestaltet ist. Klassenmitglieder können Personen sein, die gleichartige Rechte aus einem gleichartigen Sachverhalt haben oder gegen die solche gleichartigen Rechte bestehen.979 Die Klassenmitglieder müssen bei einer class action nicht namentlich bekannt sein.980 Die Klassenmitglieder werden – wie die Anmelder einer Musterfeststellungsklage981 – nicht Prozesspartei und können sich am Verfahren nicht aktiv beteiligen.982 Die class action muss von einem Richter ausdrücklich zugelassen werden (certification).983 Dabei prüft das Gericht insbesondere, ob die Klasse so groß ist, dass eine subjektive Klagehäufung nicht mehr möglich ist.984 Zudem muss sich die class action auf gemeinsame Rechts- und Tatsachenfragen beziehen.985 In der

976 Noch zum Gesetzesentwurf Michailidou Prozessuale Fragen, S. 80f.; Beuchler Verbandsklagerecht, S. 169, 222. 977 Klamaris Wortbeitrag, Verhandlungen des 72. DJT, S. 128, 130. 978 Witte/Wetzig WM 2019, 52, 55. 979 Hay US-Amerikanisches Recht, Rn. 179. 980 Witte/Wetzig WM 2019, 52, 55. 981 Dazu oben S. 130. 982 Kowollik Europäische Kollektivklagen, S. 103. 983 Schack US-Zivilprozessrecht, Rn. 205. 984 Schack US-Zivilprozessrecht, Rn. 205; ausführlich Peter Gruppenvergleichsverfahren, S. 36f. 985 Stadler EU-Sammelklage, S. 91, 93.

186

Internationaler Vergleich

certification definiert das Gericht die Klasse, damit jederzeit festgestellt werden kann, wer zur Klasse gehört.986 Wird die class action durch Urteil beendet, bindet dieses grundsätzlich alle Klassenmitglieder.987 Die Klassenmitglieder einer class action können ihren Austritt erklären, damit sie nicht an die Entscheidung gebunden sind.988 Dafür setzt FRCP 23 (c) (2) voraus, dass der Kläger jedes identifizierbare Klassenmitglied benachrichtigt.989 Damit ist die class action ein opt-out-Verfahren. Die Musterfeststellungsklage hingegen ist ein opt-in-Verfahren.990 Eine class action kann unmittelbar auf Leistung gerichtet sein,991 etwa auf Zahlung von Schadensersatz oder auf die Anordnung einer strafbewehrten Handlung oder Unterlassung.992 Die weiten Anwendungsmöglichkeiten sind ein wesentlicher Unterschied zur deutschen Musterfeststellungklage.993 Im Anschluss an die class action muss der einzelne Betroffene nachweisen, dass er zu der Klasse gehörte.994 Dafür wird er informiert, kann seinen Individualschaden anmelden und einen Antrag auf Auszahlung stellen.995 Nach dessen Prüfung erfolgt die endgültige Auszahlung der im Verfahren zugesprochenen Summe an die Betroffenen.996 Die Prüfung und Auszahlung erfolgt durch den Beklagten, einen court fund oder eine eigenständige Organisation (claim facilities).997 Das Gericht beaufsichtigt die Auszahlungsphase.998 Eine individuelle Klage muss der Geschädigte hingegen nicht erheben – anders bei der deutschen Musterfeststellungsklage. Die Parteien einer class action können sich vergleichen (settlement).999 Wie der Vergleich in einem Musterfeststellungsverfahren muss ein class action settlement gesondert durch das Gericht genehmigt werden.1000 Class actions weisen eine sehr hohe Vergleichsquote auf.1001 986 987 988 989 990 991 992 993 994 995 996 997 998 999 1000 1001

Witte/Wetzig WM 2019, 52, 54. Kowollik Europäische Kollektivklagen, S. 106. Kowollik Europäische Kollektivklagen, S. 105. Zu den Schwierigkeiten siehe Schack US-Zivilprozessrecht, Rn. 207ff.; Scholl Kollektiver Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 88f.; Fiedler Class Actions, S. 65f.; Michailidou Prozessuale Fragen, S. 77f. Siehe oben S. 63. Schack US-Zivilprozessrecht, Rn. 209. Witte/Wetzig WM 2019, 52, 54. Witte/Wetzig WM 2019, 52, 55. Witte/Wetzig WM 2019, 52, 54. Kowollik Europäische Kollektivklagen, S. 106. Kowollik Europäische Kollektivklagen, S. 106. Kowollik Europäische Kollektivklagen, S. 106. KölnerKomm-KapMuG/Hess, Einl. Rn. 38. Schack US-Zivilprozessrecht, Rn. 205. Vgl. Schack US-Zivilprozessrecht, Rn. 205; Peter Gruppenvergleichsverfahren, S. 28. Kowollik Europäische Kollektivklagen, S. 151; Scholl Kollektiver Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 90.

Länderberichte

187

Wie die deutsche Musterfeststellungsklage erlaubt die class action, Streu- und Bagatellschäden geltend zu machen.1002 Die »amerikanischen Verhältnisse«1003, vor denen die deutsche Literatur vielfach im Zusammenhang mit der Musterfeststellungsklage warnte, folgen nicht allein aus der class action.1004 Vielmehr kommen vier wesentliche Aspekte als »toxic cocktail in den USA«1005 dazu, die dem deutschen Recht fremd sind: Zunächst stellt das US-amerikanische Recht geringere Anforderungen an die Substantiierung eines Klageanspruchs.1006 Nach der American rule trägt jede Prozesspartei die eigenen Kosten, und der Kläger kann mit seinem Anwalt ein Erfolgshonorar vereinbaren.1007 Pretrial discovery-Verfahren können langwierig und teuer sein.1008 Schließlich gehen die punitive damages und im Kartellrecht treble damages im US-amerikanischem Recht weit über die Schadenskompensation des deutschen Rechts hinaus.1009

VI.

Zwischenergebnis

International divergieren die kollektiven Rechtsschutzmöglichkeiten ganz erheblich. Dadurch entsteht ein Wettbewerb der Prozessordnungen. Dies zeigt sich etwa an den zahlreichen Klagen gegen VW im Zusammenhang mit dem DieselAbgasskandal in den USA und an der Vergleichspraxis in den Niederlanden.1010 Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist, dass auch innerhalb der EU Einzelpersonen als Kläger kollektiver Rechtsschutzverfahren auftreten können, etwa in Spanien, Portugal, Schweden, Dänemark und Polen.1011 1002 Witte/Wetzig WM 2019, 52, 55. 1003 Etwa Keßler ZRP 2016, 2; Geissler GWR 2018, 189; ders. SchiedsVZ 2018, 344, 347; Gurkmann/Wernicke DRiZ 2018, 92. 1004 Witte/Wetzig WM 2019, 52, 55; Heese JZ 2019, 429, 432; Stadler ZHR 2018, 623, 635; vgl. Weimann Kollektiver Rechtsschutz, S. 81; Fiedler Class Actions, S. 68. 1005 Stadler EU-Sammelklage, S. 91, 101. 1006 Koch WuW 2013, 1059, 1063; Heese JZ 2019, 429, 432; Schack US-Zivilprozessrecht, Rn. 99. 1007 Koch WuW 2013, 1059, 1062; Hirte in: Gesetzesentwurf, S. 124f.; Gurkmann in: Gesetzesentwurf, S. 46, 51; Buchner Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher, S. 53f.; Kutschaty/ Freudenberg/Gerhardt ZRP 2017, 27, 28. Ausführlich zur Bedeutung von Erfolgshonoraren bei einer Sammelklage Hirte in: Gesetzesentwurf, S. 133ff.; Buchner Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher, S. 54f.; Fiedler Class Actions, S. 68f. 1008 Schack US-Zivilprozessrecht, Rn. 113; Prütting ZIP 2020, 197, 199. 1009 Gurkmann in: Gesetzesentwurf, S. 46, 52f.; Koch WuW 2013, 1059, 1063f.; Buchner Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher, S. 56f.; Kutschaty/Freudenberg/Gerhardt ZRP 2017, 27, 28; Prütting ZIP 2020, 197, 199; vgl. Heese JZ 2019, 429, 432; Bruns NJW 2018, 2753, 2754. 1010 Zur Class Action gegen VW in den USA Christl NJ 2017, 309, 310. Zu VW-Verfahren in den Niederlanden Hakenberg/Kowollik EWS 2019, 61, 64. 1011 Dazu ausführlich Meller-Hannich GPR 2014, 92, 93f.

188

B.

Internationaler Vergleich

Entwicklungen auf europäischer Ebene: New Deal for Consumers

Auf EU-Ebene lohnt sich ein Blick auf den New Deal for Consumers. Er umfasst im Wesentlichen zwei Richtlinienvorschläge und Mitteilungen der Europäischen Kommission im April 2018 zur Änderung der verbraucherrechtlichen Rahmenbedingungen. Als erstes ist der Vorschlag für eine Richtlinie zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der EU-Verbraucherschutzvorschriften zu nennen.1012 Zweitens schlägt die Kommission eine Richtlinie über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher1013 vor (im Folgenden: Richtlinienvorschlag). Drittens macht die Kommission Mitteilungen zur Neugestaltung der Rahmenbedingungen für Verbraucher.1014 Der zweite Richtlinienvorschlag ist vor dem Hintergrund des Musterfeststellungsverfahrens besonders interessant. Im Folgenden wird kurz der wesentliche Inhalt des Richtlinienvorschlags im Hinblick auf die Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche vorgestellt.

1012 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und Rates zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993, der Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der EU-Verbraucherschutzvorschriften, COM 2018/0090 (COD), 185 final, v. 11. 4. 2018. 1013 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und Rates über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG, COM 2018/0089 (COD) 184 final, v. 11. 4. 2018. Mit dem Richtlinienentwurf allgemein beschäftigen sich insbesondere Schweiger/Meißner CB 2018, 277ff.; Witte/Wetzig WM 2019, 52, 55; Halfmeier/Rott VuR 2018, 243ff.; Scholl ZfPW 2019, 317, 355ff.; Basedow EuZW 2018, 609, 611ff.; Krausbeck VuR 2018, 287, 291ff.; Leupold VuR 2018, 201ff.; Geissler GWR 2018, 189, 190; ders. SchiedsVZ 2018, 344, 345f.; Augenhofer EuZW 2019, 5, 9ff.; Föhlisch CR 2018, 583ff.; Meller-Hannich/Krausbeck DAR-Extra 2018, 721ff.; Hakenberg/ Kowollik EWS 2019, 61ff.; Stadler ZHR 2018, 623, 627ff.; Wernicke Referat 72. DJT, S. K 37, K 55ff.; Lühmann NJW 2019, 570ff.; Nordholtz/Mekat Musterfeststellungsklage, § 1 Rn. 37ff.; Heese JZ 2019, 429, 438f.; Prütting ZIP 2020, 197, 202f.; Axtmann/Staudigel ZRP 2020, 80ff. Das Verhältnis zur deutschen Musterfeststellungsklage untersuchen u. a. Merkt/ Zimmermann VuR 2018, 363, 372. 1014 Mitteilungen der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss – Neugestaltung der Rahmenbedingungen für die Verbraucher, COM, 2018/183 final.

Entwicklungen auf europäischer Ebene: New Deal for Consumers

I.

189

Anwendungsbereich der Verbandsklage und Bedeutung für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche

Der Richtlinienvorschlag regelt den Anwendungsbereich der Verbandsklage in Art. 2 Abs. 1 und verweist auf die im Anhang I genannten Vorschriften des Unionsrechts. Der Anhang I umfasst derzeit 59 EU-Rechtsakte, wobei Wettbewerbsverstöße nicht genannt sind. Verstöße gegen Art. 101 und 102 AEUV oder die Kartellschadensersatzrichtlinie würden derzeit nicht in den sachlichen Anwendungsbereich des Richtlinienvorschlags fallen.1015 Er will nur ein Mindestmaß an kollektivem Rechtsschutz vorsehen, die Mitgliedstaaten könnten die Verbandsklage in ihr bestehendes System integrieren. Insofern ist denkbar, dass Mitgliedstaaten über den Anwendungsbereich im Anhang I hinausgehen und kartellrechtliche Schadensersatzansprüche in ihre nationalen Umsetzungsgesetze aufnehmen.1016 Die Kommission sieht vor, den Anwendungsbereich zu erweitern, indem bei zukünftigen Rechtsakten geprüft werden soll, ob diese in den Anhang I aufgenommen werden sollen. Zudem will die Kommission dem Anwendungsbereich »besondere Aufmerksamkeit widmen«, wenn sie die Richtlinie turnusmäßig bewertet.1017 Es ist also denkbar, dass die Kommission Kartellrechtsverstöße noch in den Anhang I aufnimmt.

II.

Klagebefugnis

Wie bei der deutschen Musterfeststellungsklage sind »qualifizierte Einrichtungen« zur Verbandsklage befugt, Art. 4 Abs. 1 Richtlinienvorschlag.1018 Voraussetzung ist ein berechtigtes Interesse und das Fehlen eines Erwerbszwecks. Wie bei der deutschen Musterfeststellungsklage nehmen die Verbraucher nicht als Partei am Verfahren teil, Art. 3 Nr. 4 Richtlinienvorschlag.

III.

Klageziele

Die Klageziele des Richtlinienvorschlags gehen über diejenigen der deutschen Musterfeststellungsklage hinaus. Zunächst können die klagebefugten Einrichtungen Unterlassungs- bzw. Verbotsverfügungen gegen Unternehmer erwirken, Art. 5 Abs. 2 Richtlinienvorschlag. Die klagebefugten Einrichtungen können 1015 Basedow EuZW 2018, 609, 612; Krausbeck VuR 2018, 287, 292; Mengden NZKart 2018, 398, 399. 1016 Basedow EuZW 2018, 609, 612. 1017 Vorschlag der Kommission v. 11. 4. 2018, COM(2018) 184 final, S. 16. 1018 Geissler GWR 2018, 189, 190.

190

Internationaler Vergleich

zudem und primär konkrete Maßnahmen zur Folgenbeseitigung klageweise geltend machen. Dazu gehören insbesondere Gewährleistungs-, Schadensersatzund Bereicherungsansprüche, Art. 5 Abs. 3, Art. 6 Abs. 1 Richtlinienvorschlag.1019 Diese Abhilfemaßnahmen kommen grundsätzlich den geschädigten Verbrauchern zugute.1020 Wäre es mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden, die Entschädigung an die Verbraucher auszukehren, weil diese nur einen geringfügigen Schaden erlitten haben, kann die klagebefugte Einrichtung auf Entschädigung klagen, wenn diese einem öffentlichen Interesse zugute kommt, das den Kollektivinteressen der Verbrauer dient, Art. 6 Abs. 3 lit. b Richtlinienvorschlag. Ein Mandat der einzelnen betroffenen Verbraucher verlangt Art. 6 Abs. 3 lit. b Richtlinienvorschlag dafür nicht. Das ist letztlich eine Gewinnabschöpfungsklage. Nur subsidiär kann die klagebefugte Einrichtung auf Feststellung einer Haftung des Unternehmers gegenüber den Verbrauchern klagen, Art. 6 Abs. 2 Richtlinienvorschlag. Lassen sich die individuellen Ansprüche aufgrund der Natur des individuellen Schadens nur schwer bestimmen, kann das Gericht oder die Behörde ausnahmsweise Feststellungen nur über den Haftungsgrund treffen. Eine derartige Feststellung ähnelt der Musterfeststellung.1021 Die Subsidiarität der europäischen Feststellungsklage unterscheidet sie aber deutlich von der Musterfeststellungsklage.

IV.

Grenzüberschreitende Verbandsklagen

Gemäß Art. 16 Abs. 2 des Vorschlags können bei grenzüberschreitenden Verstößen Einrichtungen aus verschiedenen Mitgliedstaaten gemeinsam klagen.1022 Der Richtlinienvorschlag ändert nach Art. 2 Abs. 3 weder die Brüssel Ia-VO noch die Rom I-VO oder die Rom II-VO. Daraus ergeben sich Fragen des internationalen Privat- und Prozessrechts, etwa zur internationalen Zuständigkeit.1023

1019 1020 1021 1022 1023

Leupold VuR 2018, 201, 202. Halfmeier/Rott VuR 2018, 243, 245. Krausbeck VuR 2018, 287, 292. Siehe Augenhofer EuZW 2019, 5, 11. Zu den Einzelheiten Halfmeier/Rott VuR 2018, 243, 250f.; Leupold VuR 2018, 201f.

5. Kapitel: Schlussbetrachtung

A.

Bewertende Zusammenfassung: Kartellrechtliche Musterfeststellungsverfahren

Die meisten Stimmen in der Literatur erwarten, dass sich durch die Musterfeststellungsklage keine »durchgreifenden Auswirkungen« für Kartellschadensersatzansprüche ergeben.1024 Dieser Einschätzung ist zu widersprechen. Das Musterfeststellungsverfahren als follow-on-Musterfeststellungsklage ist, wie die Untersuchung gezeigt hat, im Grundsatz geeignet und attraktiv, um es den einzelnen Verbrauchern zu erleichtern, kartellrechtliche Schadensersatzansprüche gerichtlich durchzusetzen.1025

I.

Bedürfnis neben § 33b GWB

Neben der Bindungswirkung kartellbehördlicher Feststellungen nach § 33b GWB besteht ein zusätzliches Bedürfnis nach kollektivem Rechtsschutz. Regelmäßig werden verallgemeinerungsfähige Fragen nicht bzw. nicht bindend im Kartellverwaltungsverfahren entschieden.1026

II.

Kartellrechtliche Musterfeststellungsziele

Folgende kartellrechtliche Musterfeststellungen sind möglich: Internationale Zuständigkeit, Reichweite eines Kartellverstoßes, insbesondere in follow-onMusterfeststellungklagen, allgemeine und mittelbare Betroffenheit von Ver1024 Meixner WM 2019, 1665, 1667; Im Ergebnis auch Seeliger/Klauß DB 2018, Beilage 04, 39, 41; Mallmann/Erne NZKart 2019, 77; Klumpe NZKart 2019, 405. 1025 So auch Hoffmann/Horn ZWeR 2019, S. 454, 478f.; Mengden NZKart 2018, 398, 405. 1026 Dazu oben S. 59f.

192

Schlussbetrachtung

brauchern, Anforderungen an den Nachweis der haftungsbegründenden und -ausfüllenden Kausalität, Verschulden der Kartellteilnehmer, allgemeine Feststellungen über den Schadenseintritt und Feststellung von kartellbedingt überhöhten Preisen, allgemeine Feststellungen über den Schaden und die Art und Weise der Schadensberechnung, über Kriterien, wonach sich die Schadenshöhe bestimmt, Einzelheiten der ökonomischen Bestimmung der Kartellwirkung und der Berechnung des Preiseffekts, Kriterien einer Schadensschätzung nach § 287 ZPO und § 33a Abs. 3 S. 2 GWB, kartellrechtliche Rechtsfragen, allgemeingültige Verjährungs- und Verwirkungsfragen sowie über das anwendbare Recht. Wenn die Musterfeststellungsziele sorgfältig formuliert werden, vereinfacht das den Betroffenen die Rechtsdurchsetzung in den Folgeprozessen erheblich.

III.

Grenzüberschreitende Musterfeststellungsverfahren

Musterfeststellungsverfahren haben den weiten internationalen Anwendungsbereich, der im Kartellrecht notwendig ist. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Musterfeststellungsklagen gegen ausländische Beklagte kann sich aus Art. 7 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 5, Art. 8 Nr. 1 oder aus Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO ergeben. Für die anschließenden individuellen Leistungsklagen können neben den deutschen unter Umständen auch ausländische Gerichte nach Art. 4 Abs. 1 oder Art. 17 Brüssel Ia-VO zuständig sein. Auch ausländische Verbraucher können ihre Ansprüche grundsätzlich zu einer Musterfeststellungsklage anmelden. Die Anmeldung solcher Ansprüche setzt nicht voraus, dass die Ansprüche demselben Statut wie die Musterfeststellungsziele unterfallen. Grundsätzlich wird die Bindungswirkung eines Musterfeststellungsurteils innerhalb der EU gemäß Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO anerkannt. Die Feststellungsziele können sich auf ausländische Verbraucheransprüche beziehen. Auch die glaubhaft zu machenden Musteransprüche können ausländischem Recht unterliegen. Grundsätzlich muss für sie kein einheitliches Anspruchsstatut gelten. Bei statutenverschiedenen Ansprüchen ist zu beachten, dass das Gericht unproblematisch tatsächliche Voraussetzungen feststellen kann, die unabhängig vom jeweils anwendbaren Recht sind. Bei rechtlichen Voraussetzungen kommt es hingegen darauf an, ob die Voraussetzung und deren rechtlicher Maßstab nach den jeweils anwendbaren Rechtsordnungen gleich ist.

Bewertende Zusammenfassung: Kartellrechtliche Musterfeststellungsverfahren

IV.

193

Verstärkte Vergleichsanreize

Analog § 33f Abs. 1 S. 1 GWB wird der Kartellteilnehmer von seiner Haftung gegenüber den angemeldeten und nicht ausgetretenen Verbrauchern bezüglich der Ansprüche befreit, über die er sich in einem Musterfeststellungsverfahren über kartellrechtliche Ansprüche vergleicht. Für die Anteile der Mitschädiger haftet er dann nur noch im Rahmen der Ausfallhaftung, § 33f Abs. 1 S. 1 und 3 GWB. Die Haftungsprivilegierung macht den Musterfeststellungsvergleich für Kartellteilnehmer attraktiv, wenn der Vergleich den Kartellanten gegenüber möglichst vielen Geschädigten von der Haftung befreit.

V.

Begrenzte Kosten

In kartellrechtlichen Musterfeststellungsverfahren mit einem Streitwert zwischen EUR 50.000 und EUR 250.000 kommt in Ausnahmefällen eine Streitwertanpassung nach § 89a GWB in Betracht. Dass dies möglich ist und im Gegensatz zu Individualklagen eine große Zahl von Betroffenen erfasst, fördert das private enforcement weiter, indem es die abschreckende Wirkung hoher Streitwerte abschwächt.

VI.

Mehrpersonenkonstellationen

Das Musterfeststellungsverfahren kann auch Mehrpersonenkonstellationen angemessen lösen. So ist die Streitgenossenschaft auf Kläger- und auf Beklagtenseite möglich, wenn die Voraussetzungen der §§ 59f. ZPO vorliegen. Das setzt für die passive Streitgenossenschaft insbesondere voraus, dass für alle Musterfeststellungsbeklagten die gleichen Feststellungsziele und der gleiche Lebenssachverhalt relevant sind. Unternehmern kann der Streit verkündet werden und sie können als Nebenintervenienten dem Musterfeststellungsverfahren beitreten, wenn die allgemeinen Voraussetzungen erfüllt sind.

VII.

Beteiligung des Kartellamtes

Das Bundeskartellamt kann sich gemäß § 90 Abs. 2 GWB aus eigener Initiative an einem Musterfeststellungsverfahren beteiligen. Sind Feststellungen über den Schadenseintritt oder die Berechnung der Schadenshöhe streitgegenständlich,

194

Schlussbetrachtung

kann das Musterfeststellungsgericht nach § 90 Abs. 5 GWB beantragen, dass sich das Bundeskartellamt zu diesen Fragen äußert. Das bringt ein hohes Maß an kartellrechtlicher Expertise in das Musterfeststellungsverfahren. Das Bundeskartellamt sollte seine Beteiligungsrechte nutzen; sie sind in kartellrechtlichen Musterfeststellungsverfahren effizient einsetzbar.

VIII.

Überwindung des rationalen Desinteresses

Die generellen Vor- und Nachteile des Musterfeststellungsverfahrens bestehen auch für kartellrechtliche Musterfeststellungsklagen. Das Musterfeststellungsverfahren verleiht den geschädigten Verbrauchern eine »Gegenmacht«, indem es ihre Position als Kollektiv gegenüber Unternehmern stärkt, auch durch möglicherweise stärkere mediale Aufmerksamkeit. Alternative Streitbeilegung wird gefördert, indem ein Musterfeststellungsurteil als Grundlage für Einigungsversuche dienen kann.1027 Das Zusammenwirken vieler Betroffener mindert das rationale Desinteresse, da ein gemeinsames Vorgehen den Betroffenen das Gefühl vermittelt, nicht auf sich alleine gestellt zu sein. Die angemeldeten Verbraucher tragen kein Prozesskostenrisiko, da sie nicht Partei sind. Das ist aus Sicht der Verbraucher ein erheblicher Vorteil der Musterfeststellungsklage.1028 Die Anmeldung ist für den Verbraucher kostenlos. Er kann sich anmelden und zunächst das Ergebnis des Musterfeststellungsverfahrens abwarten und erst dann entscheiden, ob er den zweiten Schritt gehen und individuell klagen möchte. Ob der verkürzte Instanzenzug die Verfahrensdauer wie erhofft1029 verkürzt, bleibt abzuwarten. Gegen alle bisherigen Musterfeststellungsurteile wurde Revision eingelegt. Die Verfahren sind zudem teilweise sehr komplex, wie etwa die Musterfeststellungsklage gegen die Bisnode Deutschland GmbH mit 189 Feststellungszielen.1030

1027 1028 1029 1030

Jansen/Birtel FS Graf-Schlicker, S. 63, 71. Beck Strukturwandel, S. 401, 418. Beck Strukturwandel, S. 401, 420. OLG Frankfurt a.M., Az. 24 MK 1/18, die Feststellungsziele sind abrufbar unter: https:// www.bundesjustizamt.de/DE/Themen/Buergerdienste/Klageregister/Klagen/201901/Klag RE_1_2019_node.html#doc12200680bodyText4.

Verbesserungsvorschläge für kartellrechtliche Musterfeststellungsklagen

B.

195

Verbesserungsvorschläge für kartellrechtliche Musterfeststellungsklagen

Das Musterfeststellungsverfahren ist ein Anfang, um kollektiven Rechtsschutz im Kartellrecht in Deutschland zu etablieren. Der Gesetzgeber sollte im Hinblick auf die Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche die Musterfeststellungsklage in einigen Punkten überarbeiten. Er sollte klarstellen, dass die Haftungsprivilegierung des § 33f GWB auf einen Musterfeststellungsvergleich anwendbar ist. Ebenfalls sollte eindeutig bestimmt werden, dass die Beteiligungsmöglichkeiten des Bundeskartellamtes nach § 90 GWB auch für Musterfeststellungsverfahren gelten. Dazu sollte der Gesetzgeber einen § 90 Abs. 5 S. 3 GWB einfügen: »Satz 1 gilt auch für das Gericht, das in einem Musterfeststellungsverfahren über das Bestehen oder Nichtbestehen von Voraussetzungen von Ansprüchen nach § 33a Abs. 1 S. 1 entscheidet.« Der Gesetzgeber sollte ausdrücklich in das Gesetz aufnehmen, dass Mitkartellanten der Streit verkündet werden kann und diese auch die Möglichkeit einer Nebenintervention haben. Dazu bietet sich eine Ergänzung von § 610 Abs. 6 ZPO um einen S. 2 an: »Im Verhältnis zwischen den Parteien der Musterfeststellungsklage und Unternehmern finden die §§ 66 bis 74 Anwendung.« Klarstellen sollte der Gesetzgeber weiter, welche Regelungen die funktionelle Zuständigkeit für kartellrechtliche Musterfeststellungsklagen bestimmen. Vorzugswürdig ist eine Aufnahme der Musterfeststellungsklage in die §§ 91 bis 95 GWB.1031 Schließlich sollte der Gesetzgeber die Begrenzung auf Verbraucher überdenken und erwägen, für Unternehmer die Möglichkeiten, kollektiv kartellrechtliche Schadensersatzansprüche geltend zu machen, zu verbessern und ein einheitliches Kollektivverfahren für Verbraucher und Unternehmer anzustreben.

1031 So auch Schäfers ZZP 132 (2019), 231, 260; Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 458.

196

C.

Schlussbetrachtung

Verbesserung sonstiger Rechtsschutzinstrumente für kartellrechtliche Schadensersatzklagen

Abgesehen von der Musterfeststellungsklage sollte der Gesetzgeber die bestehenden kollektiven Rechtsschutzinstrumente in Einzelheiten verbessern.

I.

Gewinnabschöpfungsklage

Der Gesetzgeber sollte die kartellrechtliche Abschöpfungsklage verbessern und sie zu einem effektiven Mittel machen, um diejenigen Streuschäden abzuschöpfen, bei denen das rationale Desinteresse die Geschädigten trotz der Musterfeststellungsklage von einer Rechtsverfolgung abhält. Nur so lässt sich die präventive Wirkung des private enforcement umfassend fruchtbar machen. Dafür muss der Gesetzgeber den Anreiz für Verbände verstärken, eine Gewinnabschöpfungsklage zu führen.1032 Insbesondere dürfen die Kosten eines Abschöpfungsverfahrens nicht an den Verbänden hängen bleiben. Die abgeschöpfte Summe zur freien Verfügung dem Klägerverband zu überlassen, setzte zwar starke Anreize, womöglich aber falsche. Die abgeschöpften Gewinne könnten aber dafür verwendet werden, andere Kollektivverfahren zu finanzieren. Anbieten würde sich etwa ein Fond, der die Gelder zur Prozessfinanzierung verwaltet.1033 Hier ist eine umsichtige Rechtsetzung mit einer sorgfältigen Prüfung geboten, um keine »Klageindustrie« aufkommen zu lassen. Eine zweckgebundene Herausgabe der Gewinne an den Verband oder an den Bundeshaushalt kommt ebenfalls in Betracht. Als Zweckbindung bietet sich die Prozessfinanzierung in anderen Fällen oder der Verbraucherschutz an. Auch könnte in die Entscheidung, welche Prozesse mit den abgeschöpften Summen (teilweise) finanziert werden, das Bundeskartellamt einbezogen werden. Denkbar ist zudem, den Aufwendungsersatzanspruch des Verbandes gegen das Bundeskartellamt aus § 34a Abs. 4 S. 2–4 GWB zu erweitern.

1032 Verbesserungsvorschläge machen etwa Geiger Kollektiver Rechtsschutz, S. 53; Micklitz/ Stadler Verbandsklagerecht, S. 32 und 1272ff.; Gärtner GRUR Int. 2008, 817, 819; Zimmer/ Höft ZGR 2009, 662, 705f.; Gsell/Meller-Hannich/Stadler NJW-aktuell 5/2016, 14, 15; Meller-Hannich NJW-Beil. 2018, 29, 30. 1033 Micklitz/Stadler Verbandsklagerecht, S. 1272ff.; Gsell/Meller-Hannich/Stadler NJW-aktuell 5/2016, 14, 15.

Verbesserung sonstiger Rechtsschutzinstrumente

II.

197

Vermehrte und frühzeitige Einbeziehung des Bundeskartellamtes in Zivilprozesse

Das Bundeskartellamt sollte verstärkt in kartellrechtliche Zivilprozesse einbezogen werden. Dazu muss das Kartellamt von seinen Beteiligungsrechten nach § 90 Abs. 1 GWB möglichst früh Gebrauch machen. Die Gerichte sollten ebenfalls ihr Antragsrecht nach § 90 Abs. 5 GWB nutzen. Zudem sollte der Gesetzgeber erwägen, die Beteiligungsrechte der Kartellbehörden dahingehend auszuweiten, dass sie sich neben der Schadenshöhe auch zu weiteren Fragestellungen äußern können, um so die kartellrechtliche Expertise im Zivilverfahren zu erhöhen und die Praxis im private und public enforcement zu vereinheitlichen.

III.

Abtretungsmodell und Einziehungsklage – Kombination mit dem Musterfeststellungsverfahren

Das Abtretungsmodell1034 lässt sich als Alternative oder als Ergänzung auf zweiter Stufe eines Musterfeststellungsverfahrens einsetzen. Das gilt umso mehr vor dem Hintergrund der jüngsten BGH-Rechtsprechung1035 sowie der Verfahren vor dem LG Braunschweig1036 und dem LG München I1037 zur Ausnahme des RDG für Inkassodienste durch Legal Tech-Unternehmen. Die BGH-Entscheidung wenigermiete.de betrifft eine Rückzahlungsforderung in Höhe von EUR 23,49. Das zeigt, dass der Einsatz von Legal-Tech das Abtretungsmodell für Streuschäden nutzbar macht, weil der Aufwand des Anspruchsinhabers minimiert wird und dies unmittelbar dem rationalen Desinteresse entgegenwirkt. Im Hinblick auf kartellrechtliche Musterfeststellungsverfahren ergeben sich daraus zwei mögliche Vorgehensweisen. Entweder treten Verbraucher ihre Ansprüche an einen Dritten ab, der anstelle eines Musterfeststellungsverfahrens die abgetretenen Forderungen als Inkassodienstleistung geltend macht, oder die Abtretung und Durchsetzung der Ansprüche erfolgt im Anschluss an ein Musterfeststellungsverfahren. Die erste Vorgehensweise ist eine Alternative zur Musterfeststellungsklage, da eine solche nicht durchgeführt würde. Bei der zweiten Vorgehensweise fügt 1034 Dazu ausführlich oben S. 45ff. 1035 BGH NJW 2020, 208ff. – wenigermiete.de. 1036 LG Braunschweig Beschl. v. 23. 12. 2019, Az. 3 O 5657/18 – myright.de: VW-Käufer; LG Braunschweig Urt. v. 30. 4. 2020, Az. 11 O 3092/19 – myright.de: Ausländische VW-Käufer. 1037 LG München I Urt. v. 07. 02. 2020, Az. 37 O 18934/17 – myright.de: LKW-Kartell, EuZW 2020, 279ff. mit Anm. Thiede; LG München I, anhängiges Verfahren, Az. 37 O 18602/17 – Deutsche Bahn Competition Claims GmbH: LKW-Kartell.

198

Schlussbetrachtung

sich das Abtretungsmodell bzw. die Einziehungsklage in das zweistufige Musterfeststellungsverfahren ein. Auf der ersten Stufe erfolgt eine Musterfeststellungsklage; auf der zweiten Stufe klagen die Anmelder nicht einzeln auf Leistung, sondern ein Dritter aus abgetretenem Recht. Einerseits ermöglicht § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 ZPO, dass Verbraucherzentralen und mit öffentlichen Mitteln geförderte Verbraucherverbände die Verbraucher auf der zweiten Stufe gerichtlich vertreten. Andererseits kann der Dritte die Forderungen einziehen und gerichtlich geltend machen, ohne dass der Verbraucher selbst klagen muss. Dafür könnte sich zunächst anbieten, dass Zessionar der Verband ist, der bereits das Musterfeststellungsverfahren geführt hat; es könnte allerdings auch ein anderer mit öffentlichen Mitteln geförderter Verbraucherverband, eine Verbraucherzentrale oder eine private Rechtsverfolgungsgesellschaft sein. Gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 4 RDG dürfen Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände Rechtsdienstleistungen außergerichtlich oder gerichtlich erbringen, sodass keine zusätzliche Inkassoberechtigung nötig ist. Wenn auf der zweiten Stufe der Verband tätig wird, der bereits die Musterfeststellungsklage geführt hat, erleichtert das die Vorbereitungen. Denn der Kläger hat gemäß § 609 Abs. 6 ZPO Zugriff auf die Daten der Anmelder – ihre Zustimmung vorausgesetzt – und kann dem Klageregister den Anspruchsgegenstand, -grund und regelmäßig die erwartete Anspruchshöhe entnehmen.1038 Tritt der Verbraucher seinen Anspruch hingegen an eine Rechtsverfolgungsgesellschaft (treuhänderisch) ab, kann diese wohl die »eingesammelten« Forderungen aufgrund der Inkassozession im Rahmen einer Inkassoberechtigung nach § 10 RDG geltend machen.1039 So wird der Aufwand für den Verbraucher minimiert und Streuschäden können effektiv durchgesetzt werden.

IV.

Ansprüche aus § 33 g GWB auch für Verbraucherverbände?

Schließlich könnte der Gesetzgeber erwägen, die Auskunfts- und Beweisherausgabeansprüche des § 33g GWB zu erweitern und Verbänden insoweit eine eigenständige Klagebefugnis einzuräumen.1040

1038 Röthemeyer VuR 2019, 87, 89. 1039 Nach der Rspr. des BGH scheint dies möglich, dazu oben S. 50. 1040 Hoffmann/Horn ZWeR 2019, 454, 460ff.

Verbesserung sonstiger Rechtsschutzinstrumente

V.

199

Ausblick

Der Gesetzgeber will mit dem Musterfeststellungsverfahren das rationale Desinteresse überwinden. Dieses Ziel erreicht er für Schadensersatzansprüche nur eingeschränkt, und zwar abhängig von der individuellen Schadenshöhe. Liegt die individuelle Schadenshöhe im mittleren oder hohen Bereich, so vermag die Musterfeststellungsklage das rationale Desinteresse zu überwinden und eine Möglichkeit für Geschädigte schaffen, die ansonsten ihr Recht nicht verfolgen würden. Bei einer geschätzten Schadenshöhe ab ca. EUR 300 senkt die Musterfeststellungsklage den Aufwand für die Rechtsverfolgung so weit ab, dass es möglich erscheint, dass Geschädigte ihre rationale Apathie ablegen. Das Musterfeststellungsverfahren ist jedoch komplex und aufwendig und erfordert grundsätzlich eine anschließende Individualklage. Daher ist die Musterfeststellungsklage (alleine) nicht geeignet, geringe Streuschäden durchzusetzen und überwindet nicht endgültig das rationale Desinteresse der Verbraucher. Doch ist bei Streuschäden in Höhe von Centbeträgen oder wenigen Euro die individuelle Kompensation ohnehin zu vernachlässigen und nicht um jeden Preis schutzwürdig. Die Rechtsordnung strebt bei so geringen Schadenssummen nicht an, das rationale Desinteresse zu überwinden und sollte dies auch nicht. Für diese Schäden ist ein Abschöpfungsverfahren deutlich besser geeignet – sofern der Gesetzgeber es effektiv ausgestaltet.1041 Für Streuschäden, die eine geschätzte individuelle Schadenshöhe von etwa mindestens EUR 50 erreichen, könnte eine Kombination von Musterfeststellungsverfahren auf erster Stufe und das Abtretungsmodell im Zusammenspiel mit Legal-Tech-Unternehmen auf zweiter Stufe das rationale Desinteresse der Geschädigten überwinden, sodass die Ansprüche effektiv geltend gemacht werden können. Die angegebenen Schadenshöhen bilden Orientierungswerte. Es empfiehlt sich nicht, bestimmte Schadenshöhen vom Anwendungsbereich der Musterfeststellungs- oder Gewinnabschöpfungsklage auszuschließen. Einerseits würde dies zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen. Andererseits soll der Geschädigte selbst entscheiden können, ob und wann der Schaden für ihn ein Bagatellschaden ist, den er nicht (selbst) durchsetzen möchte.1042

1041 Diese Wertung trifft auch der EU-Gesetzgeber in Art. 6 Abs. 3 lit. b Richtlinienvorschlag. 1042 Siehe auch Meller-Hannich DJT-Gutachten A, S. 58.

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»Schriften zum Verbraucherschutz- und Wettbewerbsrecht« Zahlreiche Initiativen des europäischen Gesetzgebers haben die Bedeutung des Verbraucherschutz- und des Wettbewerbsrechts in den letzten Jahren stark wachsen lassen. Zugleich vergrößert der europäische Rechtsrahmen die Schnittmenge zwischen diesen beiden Regelungsbereichen. Die Reihe untersucht die Auswirkungen dieser folgenreichen Entwicklungen auf das nationale Recht und berücksichtigt dabei sowohl ökonomische als auch internationale Aspekte.

Weitere Bände dieser Reihe: Band 4: Marie Sophie Arendt

Das Recht der Gleichnamigen

Branchengleiche gleichnamige Unternehmen in Deutschland und Europa unter besonderer Beachtung wettbewerbsrechtlicher Faktoren 2019. 213 Seiten, gebunden € 40,00 D ISBN 978-3-8471-0910-5

Band 3: Jenny Buchner

Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher in Europa

Die grenzüberschreitende Durchsetzung des europäischen Verbraucherrechts bei Bagatellschäden 2015. 264 Seiten, gebunden € 45,00 D ISBN 978-3-8471-0434-6

Band 2: Jana Schlagelambers

Die Verwendung unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen als unlautere Geschäftspraktik im europäischen und deutschen Recht 2011. 182 Seiten, gebunden € 45,00 D ISBN 978-3-89971-894-2