Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung: Zugleich ein Beitrag zur Rechtsvergleichung zwischen deutschem und koreanischem Verwaltungsprozeßrecht [1 ed.] 9783428474295, 9783428074297


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Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung: Zugleich ein Beitrag zur Rechtsvergleichung zwischen deutschem und koreanischem Verwaltungsprozeßrecht [1 ed.]
 9783428474295, 9783428074297

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Schriften zum Prozessrecht Band 108

Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung Zugleich ein Beitrag zur Rechtsvergleichung zwischen deutschem und koreanischem Verwaltungsprozeßrecht

Von Joon-Hyung Hong

Duncker & Humblot · Berlin

JOON-HYUNG HONG

Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

Schriften zum Prozessrecht Band 108

Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung Zugleich ein Beitrag zur Rechtsvergleichung zwischen deutschem und koreanischem Verwaltungsprozeßrecht

Von Prof. Dr. iur. Joon-Hyung Hong Juristische Fakultät der Universität Ajou Suwon (Republik Korea)

Duncker & Humblot * Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Hong, Joon-Hyung: Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung : zugleich ein Beitrag zur Rechtsvergleichung zwischen deutschem und koreanischem Verwaltungsprozessrecht / von Joon-Hyung Hong. - Berlin : Duncker und Humblot, 1992 (Schriften zum Prozessrecht ; Bd. 108) Zugl.: Göttingen, Univ., Diss., 1991 ISBN 3-428-07429-7 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0582-0219 ISBN 3-428-07429-7

Vorwort Die vorliegende Arbeit lag der Juristischen Fakultät Georg-AugustaUniversität Göttingen im Wintersemester 1991 als Dissertation vor. Die Arbeit wurde im Juli 1991 abgeschlossen und berücksichtigt Gesetzgebung, Literatur und Rechtsprechung bis zum Juli 1991, z.T. auch später. Zu danken habe ich an erster Stelle meinem verehrten Lehrer Professor Dr. Volkmar Götz, Göttingen, der die Entwicklung meiner Untersuchung mit so großem Interesse verfolgt und mit helfendem Rat gefördert hat. Dank schulde ich auch Herrn Professor Dr. Andreas Sattler, Göttingen, der als Zweitgutachter im Promotionsverfahren meine Arbeit sorgfaltig durchgelesen und mit großem Entgegenkommen angenommen hat. Mein besonderer Dank gilt auch Herrn Benno Erhard, Bad Schwalbach für seine wohlwollende Hilfe und der Gesellschaft "Internationale Studentenfreunde" e.V. Göttingen, die mein Studium in Deutschland mit einem Stipendium unterstützt hat. Mit Liebe und Freude ist das vorliegende Buch meiner Frau Jee-Young und meiner Kindern Seok-Ha und Se-Young gewidmet.

Göttingen, im November 1991

Joon-Hyung Hong

Inhaltsverzeichnis Α. Einleitung

17

I. Allgemeines

17

II. Gegenstand und Methode der Untersuchung

22

1. Themeneingrenzung

ν

a) Verwaltungsklage als förmlicher Rechtsbehelf b) Die Verwaltungsklage als Mittel zur gerichtlichen Durchsetzung der Vornahmepflichten der Verwaltung

2. Methodologische Betrachtung a) Methode der Rechtsvergleichung b) Kriterien des Vergleichs

III. Vorgehen B. Verfassungsrechtliche Grundlage und Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit I. Verfassungsrechtliche Grundlage 1. Rechtsstaat und Verwaltungsgerichtsbarkeit

22 23 24

26 26 30

31 33 33 33

2. Die Gewaltenteilung und die Stellung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der rechtsstaatlichen Gewaltenteüung II. Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit im gewaltenteilenden Rechtsstaat

41 47

1. Struktur und Organisation der Verwaltungsgerichtsbarkeit 2. Aufgabe der Verwaltungsgerichtsbarkeit und gerichtliche Durchsetzung der Voroahmepflichten der Verwaltung

49

3. Klagen zur Durchsetzung der Vornahmepflichten in Verwaltungsrechtsschutzsystem

51

a) System der Klagearten

47

51

aa) Klagearten nach VwGO

52

bb) Klagearten nach VwPG

54

b) Klagen zur Durchsetzung der Vornahmepflichten der Verwaltung

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung I. Überblick

57

60 60

II. Klagen zur Durchsetzung von Vornahmepflichten in ihrer prozessualen Systematik

62

1. Abgrenzung der Klagearten

64

a) Problematik

64

b) Verpflichtungsklage und Anfechtungsklage c) Veipflichtungsklage und allgemeine Leistungsklage d) Allgemeine Leistungsklage, Anfechtungsklage und sonstige Klagearten

65 71 74

nsverzeichnis

8

2. Systematik der prozessualen Ausgestaltung

76

a) Streitgegenstand

78

b) Sachurteilsvoraussetzung und Begründetheit

81

c) Wirkung und Vollstreckung des Urteils

82

d) Vorläufiger Rechtsschutz

86

3. Prozessualer Aufbau einzelner Klagen

89

a) Verpflichtungsklage

89

aa) Rechtscharakter

89

bb) Prozessuale Ausgestaltung (1) Streitgegenstand (2) Sachurteilsvoraussetzungen und Begründetheit (a) Sachurteilsvoraussetzungen α) Klagebegehren ß) Klagebefugnis Γ) Votverfahren und Klagefrist (b) Begründetheit

92 92 92 92 93 97 107 111

α) Rechtswidrigkeit-Rechtsverletzung

112

ß) Sachlegitimation

114

Γ) Spruchreife und Entscheidungsbefugnis des Gerichts (3) Urteilswirkung und Vollstreckung

114 117

(a) Urteilswirkung

118

(b) Vollstreckung

118

(4) Vorläufiger Rechtsschutz (a) Allgemeines (b) Einstweilige Ordnung b) Allgemeine Leistungsklage

119 119 121 123

aa) Rechtscharakter

123

bb) Prozessuale Ausgestaltung

125

(1) Streitgegenstand (2) Sachurteilsvoraussetzungen und Begründetheit (a) Sachurteilsvoraussetzungen

125 126 126

a) Klagebegehren

126

ß) Klagebefugnis

130

Γ) Vorverfahren und Klagefrist (b) Begründetheit

132 132

(3) Wirkung und Vollstreckung des Urteils

133

(4) Vorläufiger Rechtsschutz

133

c) Andere Klagemöglichkeiten aa) Isolierte Anfechtungsklage (1) Begriff

134 135 136

(2) Zulässigkeit

136

(3) Konkrete Anwendung

139

nsverzeichnis bb) Klagen zur Durchsetzung des Folgenbeseitigungsanspruchs

9 139

(1) Folgenbeseitigungsanspruch

139

(2) Gerichtliche Durchsetzung

142

cc) Feststellungsklage

148

(1) Feststellungsklage im allgemeinen

148

(2) Fortsetzungsfeststellungsklage

154

III. Klagen zur Durchsetzung von Vornahmepflkhten in materiell-rechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts

158

1. Verwaltungsprozeßrecht und materielles Verwaltungsrecht

158

a) Zur Problematik

158

b) Das subjektive öffentliche Recht

161

aa) Ausgangspunkt

161

bb) Subjektives öffentliches Recht als materieller Anspruch auf positive Leistung der Venvaltungs

162

cc) Schutznormtheorie im Wandel

163

dd) Zunahme subjektiver öffentlicher Rechte

165

c) Ermessen und Ermessenskontrolle

166

aa) Ermessen und unbestimmte Rechtsbegriffe

166

bb) Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung und "Ermessensschnimpfung auf Null"

172

2. Materiellrechtliche Ansprüche auf Vornahme einer Verwaltungshandlung.... 175 a) Anspruch auf Fürsorgeleistung

175

b) Anspruch auf polizeiliches Einschreiten

178

aa) Allgemeines

178

bb) Bandsäge-Urteil des BVerwG 179 cc) Voraussetzung und Anwendungsbereich des Anspruchs auf polizeiliches Einschreiten 185 c) Rechtsanspruch auf Baugenehmigung und baurechtlicher Nachbarschutz

190

aa) Ausgangspunkt: Das Baurechtliche Dreiecksverhältnis

190

bb) Rechtsanspruch auf Baugenehmigung

191

cc) Baurechtlicher Nachbarschutz d) Rechtsansprüche Dritter im Umweltschutz

197 202

aa) Problemstellung

202

bb) Grundrechtliche Schutzansprüche

205

cc) Anspruch auf Einschreiten gegen Immissionen

209

e) Anspruch auf begünstigende Verwaltungshandlungen und Konkurrentenschutz im Wirtschaftsverwaltungsrecht

211

aa) Zur Problematik

211

bb) Anspruch auf begünstigende Verwaltungshandlung

213

cc) Konkurrentenschutzes im Wirtschaftsverwaltungsrecht f) Der Anspruch auf Zugang zum öffentlichen Dienst

219 225

aa) Zur Problematik

225

bb) Der Anspruch auf Zugang zum öffentlichen Dienst

228

cc) Gerichtliche Durchsetzung - Konkurrentenklage

234

nsverzeichnis

10

g) Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Auskunftsanspruch im Datenschutzrecht aa) Informationelle Selbstbestimmung in der modernen Informationsgesellschaft

238 238

bb) Informationelles Selbstbestimmungsrecht und Anspruch auf Auskunft.... 240

D. Rechts vergleichende Gesamtwürdigung I. Überblick

247 247

II. Aspekte der gerichtlichen Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung - Eine rechtsvergleichende Bilanz 247 1. Gerichtliche Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung als prozessuale Problematik 247 a) Ausgangspunkt: Rechtsschutzformen gegen Ablehnung und Untätigkeit

249

b) Feststellungsklage auf Rechtswidrigkeit der Unterlassung und Untätigkeitsklage

250

c) Anfechtungsklage gegen einen ablehnenden Bescheid und Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage

258

d) Bescheidungsklage und Bescheidungsurteil

260

2. Gerichtliche Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung in Wechselwirkung mit materiellem Verwaltungsrecht

262

a) Subjektivierung des Bürger-Staats-Verhältnisses

263

b) Die Rolle der Prozeßrechts in der Ausdehnung der Subjektstellung des Einzelnen

265

c) Die Subjektstellung des Einzelnen in der koreanischen Rechtslage im Vergleich

267

3. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung als Problem des Rechtsschutzes im gewaltenteilenden Rechtsstaat

271

a) Gewaltenteilung und Verwaltungsleistungsklage b) Die Entscheidungsbefugnis des Gerichts im Lichte der Gewaltenteilung

III. Ergebnis

271 274

277

1. Rechtsvergleichende Schlußfolgerungen

277

2. Zur Ermöglichung einer Verwaltungsleistungsklage - RechtspolitLsche Perspektiven

279

E. Abschließende Betrachtung

284

I. Zusammenfassung

284

II. Epilog Literatur

284 286

Abkürzungsverzeichnis

a.Α.

anderer Ansicht (Meinung)

aaO

am angebenen Ort

Abs.

Absatz

AcP

Archiv für die civilistische Praxis

a.F.

alte Fassung

Anm.

Anmerkung

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

Art.

Artikel

Aufl.

Auflage

Az

Aktenzeichen

BayVBl.

Bayerische Verwaltungsblätter

BayVGH

Bayerische Verwaltungsgerichtshof

BB

Der Betriebsberater

BBauBl.

Bundesbaublatt

BBauG

Bundesbaugesetz

BBG

Bundesbeamtengesetz

Bd.

Band

Begr.

Begründung

Beil.

Beilage

Beschl.

Beschluß

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

BImSchG

Bundesimmisssionsschutzgesetz

BMJ

Bundesminister fur Justiz

BReg.

Bundesregierung

BRRG

Beamtenrechtsrahmengesetz

12

Abkürzungsverzeichnis

BSG

Bundessozialgericht

BSHG

Bundessozialhilfegesetz

BT-Drucks.

Bundestagsdrucksache

BVerflG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidngssammlung des Bundesverfassungsgerichts

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Entscheidungssammlung des Bundesverwaltungsgerichts

bzw.

beziehungsweise

CR

Computer und Recht

d.

der/die/das/den/dem/des

ders.

derselbe

d.h.

das heißt

Diss.

Dissertation

DJT

Deutscher Juristentag

DÖD

Der Öffentliche Dienst

DÖV

Die Öffentliche Verwaltung

DRiz.

Deutsche Richterzeitung

DV

Deutsche Verwaltung

DVB1

Deutsches Verwaltungsblatt

EF

Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung

Entw.

Entwurf

EuGRZ

Europäische Grundrechte Zeitschrift

e.V.

eingetragener Verein

f.

folgende/für

F.

Fassung

ff.

folgende

FGO

Finanzgerichtsordnung

Fn

Fußnote(n)

FRU

Feststellungsklage auf Rechtswidrigkeit der Unterlassung

FS

Festschrift (Festgabe)

FStrG

Bundesfernstraßengesetz

Geb.

Geburtstag

GewArch.

Gewerbearchiv

GewO

Gewerbeordnung

Abkürzungsverzeichnis GG

Grundgesetz

ggf·

gegebenenfalls

GS

Gedächtnisschrift

GSK

"Go-Shi-Kye" (Welt des Staatsexamen)

GSYG

"Go-Shi-Yeon-Gu" (Studium fur das Staatsexamen)

gem

gemäß

grds.

grundsätzlich

GVG

Gerichtsverfassungsgesetz

Hdb

Handbuch

Hess.

Hessen/Hessisches

h.M.

herrschende Meinung

Hrsg. (hrsg.)

herausgegeben/Herausgeber

id F

in der Fassung

i.e.S.

im engeren Sinne

i.V.m.

in Verbindung mit

insb.

insbesondere

i.S.v.

im Sinne von

i.w.S.

im weiteren Sinne

JA

Juristische Arbeitsblätter

jähr.

jährig(e)

JöR

Jahrbuch des öffentlichen Rechts

Jur.(jur)

Juristisch(e)

Jura

Juristische Ausbildung

JuS

Juristische Schulung

JZ

Juristische Zeitung

KDC

Kim, Doh-Chang, Allgemeine Verwaltungsrechtslehre

Kopp

Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung

korGöR

koreanische Gesellschaft tur öffentliches Recht

korGVG

koreanische Gerichtsverfassungsgesetz

korZPO

koreanische Zivilprozeßordnung

KV

koreanische Verfassung

LG

Landgericht

OLG

Oberlandesgericht

Ls.

Leitsatz

13

Abkürzungsverzeichnis

14 m.

mit

m.a.W.

mit anderen Worten

MDR

Monatszeitschrift für Deutsches Recht

m.N.

mit Nachweisen

M R V O Nr. 165

Militarregierungs-Verordnung Nr. 165 fur die britische Zone

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

Nds., nds.

Niedersachsen, niedersächsisch

n.F.

neue Fassung

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

Nr.

Nummer

NuR

Natur und Recht

NVwZ

Neue Zeitschrift fur das Verwaltungsrecht

OG

Obergericht

OGH

Der Oberste Gerichtshof

ÖrF

Öffentlich-rechtliche Forschung

OVG

Oberverwaltungsgericht

OVGE

Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Münster und Lüneburg

PolizeiR

Polizeirecht

PR

Pietzner/Ronellenfitsch

PrOVG

Preußisches Oberverwaltungsgericht

PrOVGE

Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts

PW

"Pan-Le-Weol-Bo" (Monatlicher Rechtsprechungsbericht)

RegE

Regierungsentwurf

Rh.-Pf.

Rheinland-Pfalz

RiA

Recht im Amt

Rn

Randnummer



Redeker/v.Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung

RoSchwab

Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht

Rspr.

Rechtsprechung

s.

siehe

S

Satz (in Verbindung mit einer Rechtsvorschrift)

S.

Seite (in Verbindung mit einer Fundstelle)

SG

Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht

Abkürzungsverzeichnis s.o.

siehe oben

sog.

sogenannte

st.

ständige

Stern

Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme in der öffentlichrechtlichen Arbeit

StVj

Steuerliche Vielrteljahresschrift

ThP

Thomas/Putzo, ZPO

TSG

Tschira/Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht (7.Aufl.)

u.a.

und andere, unter anderem

Ule

Ule, Verwaltungsprozeßrecht

UPR

Umwelt- und Planungsrecht

Urt.

Urteil

u.U.

unter Umständen

v.

vom

VA

Verwaltungsakt

VB1BW

Baden-Württ. Verwaltungsblatt

VerfGG

koreanisches Verfassungsgerichtsgesetz

VGG

Verwaltungsgericht

VGH

Verwaltungsgerichtshof

vgl.

vergleiche

VerwArch.

Verwaltungsarchiv

VerwR

Verwaltungsrecht

Vorb.

Vorbemerkung

W

Verwaltungsverfugung

WDStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

VwGO

Verwaltungsgerichtsordnung

VwPG

Verwaltungsprozeßgesetz

VwVfG

Verwaltungsverfahrensgesetz

WG

"Weol-Gan-Go-Shi" (Monatliche Zeitschrift fur das

WiVerw.

Wirtschaft und Verwaltung

WVfG

Widerspruchsverfahrensgesetz

z.

zu/zum/zur

Staatsexamen)

15

16 z.B.

Abkürzungsverzeichnis zum Beispiel

ZBR

Zeitschrift für Beamtenrecht

ZfBr

Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht

Ziff.

Ziffer

zit.

zitiert

ZPO

Zivilprozeßordnung

ZVglRWiss

Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft

izp

Zeitschrift für Zivilprozeß

Α. Einleitung Ι . Allgemeines Das alte englische Sprichwort, "Remedies precede rights" (Der Rechtsschutz geht dem Recht vor) gilt nicht nur für die Entstehungsgeschichte, sondern auch fur die heutige Fragestellung des Verwaltungsrechts. Was erneut im Wandel des Verwaltungsrechts unserer Tage in Erscheinung tritt, ist aber zugleich eine verstärkte Herausforderung, die Rechtsstellung des Bürgers gegenüber dem Staat eher aktiv zu gestalten und sich mit dem herkömmlichen Paradigma des Abwehrrechts gegen staatliche Eingriffe nicht zufriedenzugeben 1. Die Problematik ist zwar nicht neu, aber kennzeichnet wohl die Entwicklungstendenz des Verwaltungsrechts der Gegenwart: Wo sich Verwaltungsbehörde und Bürger als grundsätzlich gleichgestellte Verfahrensbeteiligte vor den Schranken des Gerichts gegenüberstehen und ihre Rechtsauffassung vertreten müssen2, kommt die heutige Lage des Verwaltungsrechts deutlich zum Ausdruck, in der die Erfolgsschance der öffentlichen Verwaltung immer mehr von der Akzeptanz, Mitwirkung und Initiative des Bürgers abhängt. In der Bundesrepublik Deutschland hat sich diese Herausforderung seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes vor allem auf dem Gebiet der Grundrechtsdogmatik um das Teilhaberecht3 an der staatlichen Leistung4 oder um die 1 Vgl. Mosler, H., Das Heidelberger Kolloquium über Gerichtsschutz gegen die Exekutive - Gegenstand und Methode, in: Gerichtsscnutz gegen die Exekutive (nachfolgend Gerichtsschutz) 1969, Bd.l, S.XVIII. Hier ist aber die Rede weitgehend von der Tatsache, daß das herkömmliche Instrumentarium des Rechtsschutzes vom Eineriffsmodell nicht mehr ausreicht, eine Tatsache, die nicht nur für die entwickelten Industriegesellschaften von Bedeutung sei, sondern auch für diejenigen Länder, die erst auf dem Wege zu einer modernen Organisation begriffen sind. 2

Maurer, H., Allgemeines Verwaltungsrecht, 7.Aufl., 1990, § 8 Rn 5, S.126.

3 Mit dem Teilhaberecht ist vor allem das Recht auf positive Handlung des Staates (Leistungsrecht i.w.S. von Alexy) gemeint. Die sog. sozialen Grundrechte wie die Rechte auf Fürsorge, Arbeit, Wohnung und Bildung können einen wichtigen Ausschnitt bilden, den Bereich der Leistungsrechte aber nicht erschöpfen, Alexy, Theorie der Grundrechte, S.395-402. Alexy teilt die Leistungsrechte i.w.S. in drei Gruppen ein: (1) Rechte auf Schutz, (2) Rechte auf Organisation und Verfahren und (3) Rechte auf Leistungen i.e.S.; Vgl. auch E.Klein, Grundrechtliche Schutzpflichten des Staates, NJW 1989, S.1639. * Es ist aber bisher sehr umstritten gewesen, ob und inwieweit das Leistungsrecht i.w.S. als dem Abwehrrecht gegenüberstehendes Grundrecht anzuerkennen ist. Vgl. dazu unter den zahlreichen Schrifttumsäußerungen insbes. Stern, K., Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd.III/I, § 67 I 1; Berichte von Martens, W. und Häberle, P. auf der Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 1971, in: VVDStRL 30 (1972); Badura, P., Der Staat 19 (1975), 17ff.; Böckenförde, E.W., NJW 1974, S.1529ff.[1534ff.]; Breuer, R., Grundrechte als Anspruchsnormen, in: FS 25 Jahre BVenvG, 1978, S.89; Klein, H.H., Die Grundrechte im demokratischen Staat, 1974, paasim; a.A. Hesse, K., Rn 289; zur 2 Hong

18

Α. Einleitung

Schutzpflicht des Staates5 durchgesetzt, wie es das BVerfG in dem Numerusclausus-Urteil vom 18.Juli 1972 deutlich zum Ausdruck gebracht hat: Je stärker der moderne Staat sich der sozialen Sicherung und kulturellen Förderung der Bürger zuwendet, desto mehr tritt im Verhältnis zwischen Bürger und Staat neben das ursprüngliche Postulat grundrechtlicher Freiheitssicherung vor dem Staat die komplementäre Forderung nach grundrechtlicher Verbürgung der Teilhabe an staatlichen Leistungen Demgegenüber zielt die freie Wahl der Ausbildungsstätte ihrer Natur nach auf freien Zugang zu Einrichtungen; das Freiheitsrecht wäre ohne die tatsächliche Voraussetzung, es in Anspruch nehmen zu können, wertlos.

Dadurch wird der grundrechtliche status positivus des Bürgers zum zentralen Thema der neueren Grundrechtsdogmatik. Über allem steht dabei die Frage, ob der Bürger unmittelbare grundrechtliche Ansprüche darauf hat, daß er nach dem sozialstaatlichen Gebot des "Suum cuique tribuere" behandelt wird 7 . Ebenso eine wesentliche Rolle übernimmt aber, wie es eben das BVerfG ausführt 8, nach wie vor der verwaltungsrechtliche Rechtsschutz, bei dem es sich letztenendes um die effektive gerichtliche Durchsetzung der Ansprüche auf das Verwaltungshandeln9 handelt, ohne den fast alle Bemühungen um die Bekräftigung der Rechtsstellung der Bürger leerlaufen würde. Diese Problematik tritt in erster Linie wohl im Bereich der Leistungsverwaltung ganz in den Vordergrund, soweit die Vorenthaltung einer staatlichen Leistung den Bürger nicht weniger gravierend als ein Eingriff in Freiheit und Eigentum

Zurückhaltung des Grundgesetzes in der Formulierung von Leistungsrechten, Alexy, S. 396.. Zu begrifflichen Fragen, "Oft wird der Begriff der Teilhabe(ansprüche) nicht scharf von den Leistungsrechten im allgemeinen getrennt,...", Stern, aaO, S.700 Fn 32; Alexy, S.402ff. 5 Währenddessen ist der Gedanke der staatlichen Pflicht zum Schutze vor Gefährdungen auf der Ebene der Grundrechtsdogmatik zum Durchbruch gelangt. Götz, V., Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 9.Aufl. (nachfolgend Götz, Polizeirecht), S.136 mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung des BVerfG. 6 BVerfGE 33,303 finanzierung.

[330f.]. Vgl. auch BVerwGE 27,360; 52,344 zur Privatschul-

η

Breuer, Grundrechte als Anspruchsnorm, in: Verwaltungsrecht zwischen Freiheit, Teilhabe und Bindung, Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverwaltungsgerichts, 1978, S.89ff.[91] m.w.N. 8 Vgl. auch BVerfGE 33,303 [344]. Vgl. im übrigen (aber nur stellvertretend) Theuersbacher, P., Probleme der gerichtlichen Kontrolldichte im Kapazitätsrecht, N V w Z 1986, S.978ff., S.982 mit dort in Fn 50 angeführten Nachweisen. 9 Selbstverständlich läßt sich damit die Problematik nicht erschöpfen, sondern stellt sich die Frage auch mit Berücksichtigung anderer institutioneller Möglichkeiten wie Ombudsmann, Verwaltungsbeauftragter (vor allem im Bereich des technischen Rechts), selbständige Verwaltungsausschüsse und andere informelle Rechtsschutzinstitutionen. Diese Problemkreise überschreiten aber den Umfang dieser Untersuchung, die nur den unter der rechtsstaatlichen Rechtsordnung im Mittelpunkt stehenden gerichtlichen Rechtsschutz betrifft.

I. Allgemeines

19

treffen kann 10 . Die Rechtsschutzgarantie in der Leistungsverwaltung des modernen sozialen Rechtsstaates setzt unerläßlich die Durchsetzbarkeit deren Leistungspflichten voraus. Es darf jedoch nicht verkannt werden, daß diese Problematik wegen der zunehmenden Abhängigkeit des Einzelnen vom Staat in den modernen Lebensverhältnissen auch noch auf dem Gebiet der Eingriffsverwaltung eine kaum zu unterschätzende Rolle spielt. Als ein anschauliches Beispiel dafür bietet der in der Bundesrepublik Deutschland verfassungsrechtlich durchdrungene Wandel in der Interpretation der polizeilich-ordnungsrechtlichen Generalermächtigung an, die heute als verwaltungsrechtlicher Sitz der Schutzansprüche zu begreifen ist 1 1 . "Für das Polizei- und Ordnungsrecht entspricht die Anerkennung individueller Schutzansprüche dringender und sozialstaatlicher Notwendigkeit. Der einzelne ist in unendlich vieler Belangen auf die Tätigkeit der Gefahrenabwehrbehörden existentiell angewiesen. ... Der Schutz ... durch das Polizei- und Ordnungsrecht wird immer wichtiger, und in der Betrachtung des Polizei- und Ordnungsrechtes drängt dieser Aspekt den klassischrechtsstaatlichen Aspekt unseres Rechtsgebietes, nämlich den Freiheitswahrung, bereits in den Hintergrund." 12

Die traditionelle Aufgabe der Gefahrenabwehr bekommt demnach eine neue Dimension, indem sie sich in gewissen Bereichen zu einer Leistungspflicht verdichtet 13: Betrachtet man den Schutz vor Gefahren als Staatsaufgabe im Interesse der Allgemeinheit und des Einzelnen, dann drängt sich die Problematik Schutzpflicht-Schutzanspruch auf 14 . Das Untätigwerden der Eingriffsverwaltung in diesem Zusammenhang kann sich unter Umständen sowohl der Allgemeinheit wie einzelnen Bürgern gegenüber kaum weniger als Beeinträchtigung des Rechts darstellen als die Unterlassung oder Verweigerung der Leistung, wie es bei dem Verwaltungsakt mit Doppelwirkung oder der Verpflichtung der Verwaltung zu regulativen Maßnahmen der Fall ist. So bestimmt sich hier auch der Standort unseres

1 U So u.a. das Leitentscheidung des BVerwG (Urteil v.24.Juni 1954: BVerwGE 1,159). Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn 14, S.91; C.H.Ule, Verwaltungsprozeßrecht 8.Aufl., 1983 (nachfolgend Ule), S.19; BVerfGE 40,237 [249]. 11 Etwa wie es im Kohlen- und Fuhrgeschäft-Fall (BVerwGE 11, 95 [I960]) als leading case fur das Institut des Rechtsanspruches auf polizei- und ordnungsbehördliches Einschreiten zum Ausdruck gekommen ist. Vgl. auch BVerwGE 25, 243 und Götz, aaO, S.49. 1 2

11

AaO, S.136f.

Hänni, P., Die Klage auf Vornahme einer Verwaltungshandlung (Rechtsvergleichende Untersuchung zur Stellung der Judikative und zu ihren Einwirkungsmöglichkeiten auf das Verwaltungshandeln. Dargestellt am Beispiel Frankreichs, Großbritannien, der Vereinigten Staaten von Amerika, der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz), 1988 Universitätsverlag Freiburg Schweiz, S.2; Götz, Polizeirecht, § 5 Rn 72ff., m.w.N. 1 4 Knemaver, F.-L., Der Schutz der Allgemeinheit und der individuellen Rechte durch die polizei- und ordnungsrechtlichen Handlungsvollmachten der Exekutive, in: W D S t R L 35 (1977) S.221f. [223-224].

2'

Α. Einleitung

20

Themas: "Die Klage Verwaltung" 15 .

zur

Durchsetzung

von

Vornahmepflichten

der

Was oben im allgemeinen gesagt wurde, gilt ebenfalls für die Rechtslage Koreas. Seit den Anfängen der Verwaltungsgerichtsbarkeit 16 stellt dieses Thema eine der umstrittensten, jedoch immer noch ungelösten Streitfragen dar, deren Bewältigung trotz der vielfältigen Bestrebungen in der neueren Gesetzesreform nicht in Erfüllung gegangen ist. Eine Klage auf Verurteilung der Verwaltung zu Vornahme einer Verwaltungshandlung, deren Zulässigkeit

Dieses Thema wurde schon Anfang fünfziger Jahre vor Zustandekommen der deutschen Verwaltungsgerichtsordnung von Otto Bachof ausfuhrlich behandelt. Vgl. Bachof, Die verwaltungseerichtliche Klage auf Vornahme einer Amtshandlung, 1951. Tübingen. Eine rechtsvergleichende Untersuchung zur Klage auf Vornahme einer Verwaltungshandlung ist neuerdings von Hänni, P. als Habilitationsschrift erschienen, wobei das Thema anhand der Rechtsvergleichung zwischen Frankreich, Großbritannien, USA, Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz behandelt wird. Hänni, aaO. 1 6 Der Begriff "Verwaltungsgerichtsbarkeit" bedarf vorab einer Erklärung, um mögliche Verwirrung zu vermeiden; seine Anwendung auf die koreanische Rechtslage kann u.U. den falschen Eindruck erwecken, als bestünden in Korea von den ordentlichen Gerichten getrennt eingerichtete Verwaltungsgerichte, weil nach deutschem Sprachgebrauch darunter eine organisatorisch durch besondere, gegenüber den ordentlichen Gerichten verselbständigte Verwaltungsgerichte ausgeübte Gerichtsbarkeit zu verstehen ist. In einem materiellen Sinne bezeichnet sie, nach dem Staatslexikon, Bd.5, 7.Aufl. S.744 (von Dieter Lorenz geschrieben), die Tätigkeit staatlicher Rechtssprechungsorgane zur Gewährung von Rechtsschutz gegenüber öffentlich-rechtlicher Verwaltungstätigkeit, während die Erfüllung der Rechtsschutzaufgabe zentral der Verwaltungsgerichtsbarkeit im organisatorischen Sinne, d.h. der Gesamtheit der (allgemeinen und besonderen) Verwaltungsgerichte obliegt. Unter Verwaltungsgerichtsbarkeit versteht man hier dem ersteren nach im materiellen Sinne eine Einrichtung, durch die dem einzelnen Rechtsschutz gegen Maßnahmen der Verwaltung gewährt wird. Ule, S.l-2. Obwohl sie im deutschen Recht wie bei Wolff, H.-J. und Menger, C.-F. als ein kompetenzieller Begriff angesehen wird, der an den Gegenstand der Wahrnehmungszuständigkeit der Gerichte anknüpft (Wolff, Verwaltungsrecht I, 1974, 9.Aufl., § 19 V c, Menger, System der verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes. 1954, S.51), erscheint der Gebrauch des Begriffs in dem Sinne des Verwaltungsrechtsschutzes (wie Ule, aaO; Wolff, Verwaltungsrecht III, 2.Aufl. 1967, S.358ff.) oder der Gerichtsbarkeit über die Verwaltung (wie Fleiner, Fritz, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 1928, S.28), genauer der gerichtlichen Überprüfung des Verwaltungshandelns bzw. -Unterlassens (Hänni, aaO, S.151), insbesondere fur den Zweck der Rechtsvergleichung. daher durchaus berechtigt und zweckmäßig: "Die zum Verwaltungsrechtsschutz berufenen Gerichte brauchen jedoch nicht besondere, für diesen Zweck eingerichtete und von den sog. ordentlichen Gerichten getrennte Verwaltungsgerichte zu sein.", Ule, aaO, S.2. Hingegen führt Menger, aaO, ausdrücklich aus: "Innerhalb der allgemeinen Gerichtsbarkeit ist Verwaltunesgerichtsbarkeit also die Bezeichnung für die Kompetenz der Verwaltungsgerichte". Immerhin ist unter Verwaltungsgerichtsbarkeit wohl im Sinne der deutschen VwGO, wie sich aus dem Zusammenhang mit den folgenden Vorschriften, trotz der allgemeinen Formulierung in § 1 VwGO nur die Rechtsprechung im Verwaltungsrechtsweg gem § 40 zu verstehen. Kopp, Ferdinand O., Verwaltungsgerichtsordnung, 8.Aufl.,1989 (nachfolgend Kopp), § 1 Rn 2 S.5, Eyermann, E./Fröhler, L., Verwaltungsgerichtsordnung, 9.Aufl., 1988 (nachfolgend EF) § 1 Rn 1, Redeker, K./v.Oertzen. H.-J., Verwaltungsgerichtsordnung 6. Aufl., 1985 (nachfolgend RO), § 1. Vgl. aber Klinger, H., Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 1960, Otto Schwarz & Co, Göttingen (nachfolgend Klinger), S.66, der sie im funktionellen Sinne als die Ausübung der rechtsprechenden Gewalt auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts aufgreift. Dessen ungeachtet soll sie aber in der vorliegenden Untersuchung unabhängig davon weiterhin im weiteren materiellen Sinne erfaßt werden, abgesehen von den Fällen, sie »im engeren Sinne« bezeichnen zu müssen. (Der Begriff beschränkt sich heute aber jedenfalls auf die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit im Gegensatz zur Gerichtsbarkeit in besonderen Zweigen der öffentlichen Verwaltung, also zur besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dazu vgl. Creifelds, Rechtswörterbuch, 7.Aufl., 1983, S.1236).

I. Allgemeines

21

heute noch strittig ist, konnte dabei nicht angenommen werden, da eine derartige Klage wesensnotwendig die Gewaltenteilung zwischen Verwaltung und Justiz oder die sogenannte Entscheidungsprärogative der Verwaltung verletzen würde. Auf der wissenschaftlichen Ebene ist hingegen ihre Wünschbarkeit de lege ferenda fast unbestritten, und verwaltungsgerichtliche Klagen wie Verpflichtungsklage oder allgemeine Leistungsklage nach deutschem Recht gelten durchaus als ein einflußreiches Vorbild. Es bleibt allerdings der Großteil dieser Problematik, mit der sich Otto Bachof vor 40 Jahren auseinandergesetzt hat 1 7 , anders als in Deutschland, noch weitgehend ungelöst. Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Untersuchung beruht auf der gerade skizzierten Problemstellung. Infolgedessen sind folgende zwei Forschungsziele vorgegeben. Es soll zunächst in rechtsvergleichender Hinsicht untersucht werden, mit welchen Möglichkeiten und Modalitäten der Bürger in beiden Rechtssystemen gegebenenfalls als ein aktiver Rechtsakteur Vornahmepflichten der Verwaltung gerichtlich durchsetzen kann. Um diese rechtsvergleichende Untersuchung ergiebig zu machen, soll aber daraufhin noch ein unentbehrliches Erkenntnisziel verfolgt werden: Dieses Ziel ließe sich aber nur dadurch erreichen, nämlich in concreto grundlegende Bedingungen zu erforschen, welche in den jeweiligen nationalen Lösungen effektiven Rechtsschutz ermöglicht haben oder ermöglichen, und daraus sinvoll Bilanz zur Weiterentwicklung zu ziehen. Die Vergleichbarkeit der Problematik besteht vor allem darin: Als Grundlage der Vergleichung ist eine gewisse Gemeinsamkeit der Ausgangslage in beiden Rechten als gegeben anzusehen, soweit es sich um die gerichtliche Durchsetzung der Vornahmepflichten der Verwaltung (oder Durchsetzung der Ansprüche auf Vornahme einer Verwaltungshandlung) im Rahmen des öffentlichen Rechts handelt, das sich nach der kontinentalen Tradition systematisch vom Privatrecht unterscheidet18. Die praktische Relevanz der Untersuchung steht hinsichtlich der weitgehenden Einflußnahme des deutschen Verwaltungsrechts auf das koreanische Verwaltungsrecht außer Frage. Eine systematische rechtsvergleichende Untersuchung würde zuletzt dazu dienen, die Effektivität und Wirklichkeit des sozialen Rechtsstaates auf dem Gebiet des individuellen 1 ' Bachof, aaO, Vorwort VIII: "Die Untersuchung dieser Fragen schien mir um so notwendiger sein, als Klagen auf Vornahme einer Amtshandlung in der verwaltungsgerichtlichen Praxis bereits eine erhebliche Rolle spielen, andererseits aber gerade die Neuartigkeit dieser Klageform und die Zurückhaltung des Gesetzgebers bei ihrer positivrechtlichen Ausgestaltung zu zahlreichen Zweifelsfragen Anlaß geben und sowohl den Parteien wie den Gerichten erhebliche Schwierigkeiten bereiten, die dem Verfasser aus seiner Tätigkeit als Verwaltungsrichter besonders vertraut sind." 1X Trotz des sogenannten "einheitlichen Zuständigkeitsprinzips im Verwaltungsprozeß", nach dem ordentliche Gerichte auch für Verwaltungssachen zuständig sind, ist schlechthin im koreanischen Rechtssystem die Unterscheidung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht allgemein durchgesetzt. Denn die Verwaltungsklage unterliegt den Sonderregelungen nach dem Verwaltungsprozeßgesetz (nachfolgend: VwPG) einerseits, und es besteht ein eigenständiges System des öffentlichen Rechts andererseits. Vgl. eingehend Hong, Joon-Hyung, Verwaltungsrechtsschutz in der Republik Korea, 1990, CarlHeymanns Verlag, Studien zum Ausländischen Öffentlichen Recht (Institut für Völkerrecht der Universtität Göttingen).

22

Α. Einleitung

Rechtsschutzes vergleichend sichtbar zu machen und darauffolgend einen richtigen Weg zur Rechtsreform zu weisen, was auch ein praktisches Ziel des "vergleichenden öffentlichen Rechts" darstellt 19.

I L Gegenstand und Methode der Untersuchung 1. Themeneingrenzung Die Frage, ob und wie der Bürger gegenüber der Verwaltung den Anspruch auf Vornahme einer Verwaltungshandlung gerichtlich durchsetzen kann, bezieht sich zwar als ein Sachproblem auf verschiedene, sowohl rechtliche als auch außerrechtliche Ebenen2". Sie stellt sich aber in der vorliegenden Arbeit auf rechtliche Aspekte beschränkt, so daß es sich hier lediglich um gerichtliche Durchsetzung der Vornahmepflichten der Verwaltung als Rechtsfrage handelt. Sie setzt eine typische Ausgangslage voraus, welche sich durch die folgenden Kriterien konstruieren läßt. Erstens, es muß ein öffentlich-rechtliches Verhältnis 21 vorliegen, indem ein Bürger mit dem Antrag auf eine Verwaltungshandlung einer von Rechts wegen dazu verpflichteten Verwaltungsbehörde gegenübersteht. Zweitens, es liegt keine pflichtgemäße Vornahme der beantragten Handlung vor, was entweder durch Ob es zu den Aufgaben der Rechtsvergleichung gezählt werden darf, auf Wege zur Rechtsreform oder Verbesserung des Rechts hinzuweisen, bleibt zwischen,Rechtsvergleichern umstritten. Vgl. Rheinstein, Max, Einführung in die Rechtsvergleichung (Hrsg. v. Reimer von Borries & Hans-Eckert Niehthammer), 198/ München S.26ff.: "Aufgabe der vergleichenden Rechtswissenschaft ist es, welche Konsequenzen die Beibehaltung, Änderung, oder Abschaffung bestimmter Normen haben. Was darüber hinaus geht, ist Rechtspolitik. " Fraglich ist aber, ob sich das Erkenntnisinteresse der Rechtsvergleichung bloß mit derartigen Aufgaben der sozusagen rein zweckfreien Feststellungen erschöpft. Durch die funktionelle Rechtsvergleichung kann praktisch ein rechtspolitisches Erkenntnisinteresse mit verfolgt werden, und jeder brauchbare Rechtsvergleichung erfordert vielmehr rechtspolitische Überlegungen auch in sich. Die rechtsvergleichende Forschung kann, wie Zweigert, K. und Kötz, H. zu Recht feststellen, unterschiedliche Erkenntnisziçle verfolgen und darauf vielfach darauf abzielen, Richtschnur und Beihilfe für rechtspolitische Überlegungen zu bereiten. Zweigert, K./Kötz, H., Einfuhrung in die Rechtsvergleichung, 1984 Bd.I, S. 13-14. Vgl. auch Bernhardt, R., Eigenheiten und Ziele der Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht, ZaöRV Bd.24(1964), S.434. Die Tatsache, daß die seit der französischen Revolution beschlossenen und verbreiteten, demokratischen Verfassungen in die außereuropäischen Staaten gerade Zeugnisse verfassungsrechtlicher Vergleichung sind, belegt wenn auch mittelbar die Praxisbezojgenheit der Rechtsvergleichung doch sehr. Vgl. Kaiser, J.-H., Einleitung (zur Vergleichung im öffentlichen Recht), ZaöRV Bd.24(1964) S. 400f. "20

Verwaltungstätigkeit ist, wie Hänni richtig betont, nicht allein durch Gesichtspunkte determiniert, die üblicherweise dem «Verwaltungsrecht» zuzuordnen sind. Näheres dazu vgl. unten B . l . insbesondere Fn 33. 21 Wann ein öffentlich-rechtliches Verhältnis vorliegt, was ist überhaupt öffentliches Recht im Unterschied zu privatem Recht, - eines der strittigsten und noch immer unbewältigten Probleme der Rechtsdogmatik unseres Jahrhunderts (Achterberg, § 1 Rn 13, Wolfif/Bachof, 9. Aufl., § 22 Π) - darf allerdings dahingestellt bleiben, denn, was das Thema der vorliegenden Arbeit anbelangt, es ist hier nicht von großem Interesse. Dazu im allgemeinen Maurer, § § 1 2 27. Vgl. auch Gern, Α., Neuansatz der Unterscheidung des öffentlichen Rechts vom Privatrecht, ZRP 1985, Heft 2, S.56ff., der einen neuen Losungsansatz in der Verpflichtung des Gesetzgebers zu dessen Abgrenzung und durch Einsatz der sog. Kompetenztheorie zu Finden versucht.

. Gegenstand und Methode der Untersuchung

23

reine Untätigkeit oder deren Verweigerung geschieht und insofern Rechtskontrolle a posteriori trifft 22 . Hierbei sind zumindest die folgenden Begriffsmerkmale zu berücksichtigen: In erster Linie handelt es sich dabei um die Verwaltungsklage als förmlichen Rechtsbehelf. Es geht sodann um die Venvaltungsklage als Mittel zur Durchsetzung der Vornahmepflichten der Verwaltung, wobei es auf verschiedene Rechtsschutzformen in der Gestalt von Verwaltungsklagen und damit zu verfolgende Zwecke ankommt. Zugleich sind einige zur Themenabgrenzung als terminus technicus zu dienende Begriffe umzuschreiben, um unnötigen Verwirrungen wegen der Relativität juristischer Begriffe 23 vorzubeugen und ferner die Tragweite der Untersuchung deutlich zu machen. a) Verwaltungsklage

als förmlicher

Rechtsbehelf

Die Verwaltungsklage stellt sich zunächst als ein förmlicher Rechtsbehelf dar, welcher sich vom formlosen Rechtsbehelf dadurch unterscheidet, daß er in der Regel befristet ist, mittelbar oder unmittelbar zu unabhängigen Gerichten fährt und eine Entscheidung in der Sache bringen soll 24 . Unter einem Rechtsbehelf im weitesten Sinne des Wortes versteht man jedes prozessuale Mittel zur Verwirklichung eines Rechts25, unter dem die ordentlichen Rechtsbehelfe, die außerordentlichen Rechtsbehelfe und die Rechtsmittel fallen 26 . Der Begriff des förmlichen Rechtsbehelfs in diesem Sinne ist auch fur das koreanische Recht maßgeblich27. Dadurch scheiden alle 7.1

A posteriori ist eine Verwaltungskontrolle (Verwaltungsgerichtsbarkeit) zwar dann, wenn der Bürger das Gericht erst anrufen kann, nachdem eine Verwaltungsbehörde in der Sache entschieden hat. Einer Sachentscheidung ist allerdings in dem oben gestellten Verhältnis nicht nur die Ablehnung, sondern auch das reine Untätigbleiben gleichzusetzen. Nach Ule sei es fur den Begriff der Verpflichtungsklage unwesentlich, ob die Verwaltungsbehörde den vom Kläger beantragten V A ausdrücklich abgelehnt oder die Vornahme lediglich unterlassen hat (Ule, § 32,2, S.148). Soweit eine pflichtgemäße Handlung nicht ergangen ist, sei es in der Gestalt von Versagung oder von reiner Untätigkeit, ist eine Sachentscheidungsbefugnis als schon wenn auch negativ getroffen anzusehen, denn es geht dabei nicht um die Untätigkeit einer Behörde schlechthin, sondern konkret um die Unterlassung der Vornahme einer begehrten Verwaltungshandlung. Kaiser, J.-H., aaO, S.396. In der rechtsvergleichenden Arbeit des öffentlichen Rechts ist diese Begriffsrejativität eher eine Binsenweisheit. Um nur ein typisches Beispiel zu nennen, würde wörtliche Ubersetzung von 'subjektiven öffentlichen Rechten' als "public rights" im Common-Law Kontext eine geradezu verkehrte Sinndeutung vermitteln. Michael S.Greve, The Non-Reformation of Administrative Law: Standing to Sue and Public Intereset Litigation in West German Environmental Law, Cornell International Law Journal, 1989, S.200 Fn 13. 2 4 Schmitt-Glaeser, Walter, Verwaltungsprozeßrecht, lO.Aufl., 1990 (nachfolgend SG) Rn 25, S.10 m.w.N. 2 5 2 6

RÖ § 124, 1, EF § 58 Rn 3, SG, aaO.

Pietzner, R./Ronellenfitsch, M . , Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, Widerspruchsverfahren und Verwaltungsprozeß, 6.Aufl., 1987 (nachfolgend PR) S.20. η ^ Im Sprachgebrauch wird in Korea gerne der Begriff des Verwaltungsstreitverfahren ("Häng-Djong-Djäng-Song") im weiteren Sinne angewendet, unter dem im konkreten Verwaltungswege und Widerspruchsverfahren fallen. Andere dazu gehörende Verfahrensarten wie Rechtsmittel oder Antrag auf mündliche Verhandlung werden aber im Gegensatz zum deutschen Recht nicht näher aufgezählt. Dazu vgl. Kim, Doh-Chang, allgemeine

24

Α. Einleitung

anderen nichtprozessualen Mittel zur Durchsetzung der Vornahmepflichten der Verwaltung aus der Betrachtung aus. Alle sogenannten formlosen Rechtsbehelfe wie Petition, Gegenvorstellung, Aufsichtsbeschwerde, Dienstaufsichtsbeschwerde 28 oder anderweitige Rechtsschutzmittel wie Ombudsmann kommen demnach nicht in Betracht. Es handelt sich vor allem um den ordentlichen Rechtsbehelf im allgemeinen Sinne 29 , während außerordentliche Rechtsbehelfe hingegen nur insofern einbezogen werden sollen, als sie mit der Verwaltungsklage zur Durchsetzung der Vornahmepflicht einer Verwaltungshandlung zusammenhängen. Gleiches gilt für das Widerspruchsverfahren, das zwar einen ordentlichen Rechtsbehelf, aber keine Klage darstellt 30. b) Die Verwaltungsklage als Mittel zur gerichtlichen Durchsetzung der Vornahmepflichten der Verwaltung Unser Augenmerk wird nun auf das zweite Merkmal zu richten sein: nämlich die Verwaltungsklagen, die zur Durchsetzung der Vornahmepflicht der Verwaltung eingesetzt werden können. Dies läßt sich folgendermaßen auf den Begriff bringen: In Betracht kommen erstens nur diejenigen Klagen, mit denen der Bürger Ansprüche auf Vornahme einer Verwaltungshandlung gerichtlich durchsetzen kann. Es handelt sich hierbei grundsätzlich um die Verwaltungsklage als subjektiven Rechtsschutz. Anderweitige gerichtliche Durchsetzungsmöglichkeiten der Vornahmepflichten der Verwaltung, etwa zum gleichen Zweck einsetzbare Prozeßmöglichkeit im Rahmen der sog. objektiven Rechtskontrolle, kommen insofern nicht in Frage, als sie nicht unmittelbar auf den Rechtsschutz ausgerichtet sind. Als zweiter Maßstab zur Themeneingrenzung zu berücksichtigen ist dann die Vornahmepflicht der Verwaltung, die gerichtlich durchgesetzt wird. Dabei geht es maßgeblich um die Pflicht zur Vornahme einer Verwaltungshandlung, d.h. positives Tun, nicht aber Unterlassen einer Verwaltungshandlung. Demnach scheidet Verwaltungsrechtslehre, Bd.I, 3.völlig neubearbeitete Aufl., 1990 (nachfolgend KDC), S.61 Iff. m.w.N. 2 8

Dazu vgl. SG, Rn 9-24, S.4-10.

2 9

Es handelt sich also nicht nur um denjenigen Rechtsbehelf i.S. des § 58 Abs.l VwGO, der auf eine materielle oder formelle Nachprüfung eines Verwaltungsakts (nachfolgend V A ) oder einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gerichtet ist. Kopp, § 58, 4), sondern alle verwaltungsgerichtlichen Klagen. Der koreanische Begriff des Verwaltungsstreitverfahren stimmt zwar mit dem des ordentlichen Rechtsbehelfs grundsatzlich überein. Das ist aber nicht von praktischer Bedeutung, soweit die Unterscheidung zwischen ordentlichen und außerordentlichen Rechtsbehelfen in Korea nicht bekannt ist. Im übrigen zu beachten ist aber die Besonderheit, daß die aufgrund des Art. 107 Abs.2 Koreanische Verfassung (nachfolgend KV) zulässige Normenkontrolle untergesetzlicher Vorschriften im Gegensatz zum Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO nicht als ein verwaltungsrechtlicher Rechtsbehelf angesehen wird, weil sie nicht nur im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeit sondern allgemein für alle untergesetzlichen Vorschriften gilt. Daß es sowohl als Vorfahren zur Verwaltungsklage wie auch als eigenständige Rechtsschutzinstanz eine keinesfalls zu unterschätzende Rolle spielt, ist aber vorweg zu berücksichtigen.

. Gegenstand und Methode der Untersuchung

25

zunächst die Frage nach der Unterlassungsklage quasi als eine negative Gestaltung der Vornahmeklage großenteils aus, solange dadurch schlichtes Unterlassen begehrt wird. Zum anderen soll den (vorbeugenden) Unterlassungs-31 und Feststellungsklagen als Mittel zum vorbeugenden Rechtsschutz ebenso keine besondere Beachtung gewidmet werden, es sei denn, daß dadurch die Thematik der vorzunehmenden Untersuchung tangiert wird, was unten am betreffenden Ort gezeigt werden soll 32 : Diese, neuerdings in der Bundesrepublik Deutschland nicht zuletzt auf dem Gebiet des Wirtschaftsverwaltungsrechts vieldiskutierte Problematik des vorbeugenden Rechtsschutzes berührt die Frage nach der Klage zur Durchsetzung der Vornahmepflicht großenteils nicht, da es dabei durchweg lediglich um den 'Schutz vor drohender Verwaltungshandlung', sei es durch Verurteilung zu deren Unterlassung, oder durch Feststellung des Nichtbestehens einer Eingriffsbefugnis der Behörde oder ggf. einer Handlungspflicht des Bürgers, g e h t 3 3 . Es bleibt dann ein sehr schmaler Raum übrig, in dem allenfalls die Vornahme einer Verwaltungshandlung in der Hauptsache mit einbezogen werden kann. Die ganze Problematik an sich, auf deren Behandlung in der vorzunehmenden Untersuchung verzichtet wird, verdient zudem eher eine selbständige eingehende Untersuchung .

Besonders zu bemerken ist schließlich die begriffliche Reichweite der Verwaltungshandlung, um deren Unterlassung sowie Ablehnung gerichtlich bestritten wird, oder deren Vornahme als Pflicht der Verwaltung erstrebt wird. Dabei handelt es sich nicht nur um die in den jeweiligen Rechtssystemen maßgeblichen Handlungsformen wie Verwaltungsakt (VA) oder Verwaltungsverffigung (VV), sondern auch jegliche anderweitige Verwaltungshandlungen, deren Vornahme vom Rechts wegen zur Pflicht der Verwaltung werden kann. Freilich darf die Vorrangstellung der auf beide Handlungsformen gerichteten Klagen insofern nicht verkannt werden, als sie Die vorbeugende Unterlassungsklage, die nach dem deutschen Recht durchaus fur zulässig gehalten wird, ist ihrer Natur nach eine Verwaltungsklage a priori und bezieht sich nicht auf eine Vornahme im Sinne von positiver Handlung. Dazu vgl. Hans-Werner Laubinger, Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch (Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Verwaltungsrecht), VerwArch. Bd.80, 1989, S.261ff., mit den dort zitierten Literaturnachweisen. 3 2

S. unten §§ 24,26,27.

So gliedert etwa Laubinger die Unterlassungsansprüche zusammen mit Beseitigungsansprüchen in die Abwehranspriiche ein, welche fur die vorliegende Untersuchung nient von Interesse sind. Laubinger, Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch (Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Verwaltungsrecht), VerwArch Bd.80, 1989, S.299 mit dem Schaubild. 3 4 Die Liste der Veröffentlichungen dazu ist mittlerweile fast unübersehbar geworden. Zu registrieren sind hier nur: Naumann, Vom vorbeugenden Rechtsschutz im Verwaltungsprozeß, in: GS W.Jellinek, 1955, S.39Iff.; Haug, Die neuere .Entwicklung der vorbeugenden Unterlassungs- und der allgemeinen Beseitigungsklage, DÖV 1967, S.86ff.; Bettermann, Vorbeugender Rechtsschutz in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Zehn Jahre Verwaltungsgerichtsbarkeit, Bewährung und Reform, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd.45, 1970, S.185ff.; Schenke, Vorbeugende Unterlassungs- und Feststellungsklage im Verwaltungsprozeß, AöR 95 (1970), S.223ff.; Maetzel, Bemerkungen zum vorbeugenden Rechtsschutz gegen künftige Verwaltungsakte, DVB1 1974, S.335fT; Peine, Vorbeugender Rechtsschutz im Verwaltungsprozeß, Jura 1983, S.28ff.; Dreier, Horst, Vorbeugender Verwaltungsrechtsschutz, JA 1987, S.415ff.; ders., Präventive Klagen gegen hoheitliches Handeln im Gewerberecht, N V w Z 1988, S.1073ff.

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Α. Einleitung

für die Entscheidung der richtigen Klageformen eine bestimmende Rolle spielen. In beiden Ländern läßt sich insgesamt feststellen, daß die Erscheinungsformen der zur Durchsetzung der Vornahmepflichten einsetzbaren Klagen je nach der Handlungsform als dadurch zu verfolgendem Ziel einerseits und je nach der Modalität des Nichterfüllens der Vornahmepflicht 35 andererseits variieren, während konkrete Ausgestaltungen der statthaften Klagearten von der unterschiedlichen Konstruktion beider Elemente abhängen·^, was zugleich den Gegenstand der Rechtsvergleichung ausmacht. Diese Unterschiedlichkeit der Konstruktion wird weiterhin als Vorgabe zum Thema der vorliegenden Arbeit im Auge zu behalten sein.

2. Methodologische Betrachtung a) Methode der Rechtsvergleichung Eindeutig ist ebenso bei dieser Untersuchung, wie uns die Erfahrungen des letzten Jahrhunderts es lehren, die Nützlichkeit der Rechtsvergleichung37. Solange sich diese Untersuchung aber auf die rechtliche Seite des Problems beschränkt 38, mögen auf den ersten Blick weitere vertiefte methodologische Überlegungen überflüssig erscheinen. Der methodologischen Fragestellung kann sie jedoch auch dabei nicht entbehren. Es empfiehlt sich vielmehr auf einige Methodenfragen grundsätzlicher Natur 39 einzugehen, um die Grundlage der Untersuchungsmethoden ans Licht zu bringen, und zwar in folgender Hinsicht.

Im Hinblick auf die Modalität des Nichterfüllen der Vornahmepflicht sind zu unterscheiden zwischen reiner Untätigkeit und (ausdrücklicher) Ablehnung, die im beiden Ländern, wie nachher gezeigt wird, jeweils unterschiedliche Regelungen nach sich ziehen. J Um nur ein Beispiel dafür zu nennen: Während im deutschen Recht die Verpflichtungsklage, soweit es um den Erlaß eines V A geht, in der Gestalt der Klage entweder auf Verurteilung zum Erlaß eines unterlassenen oder eines abgelehnten Verwaltuneakts zur Anwendung kommt, wird im koreanischen Recht ein völlig anderer Weg eingeschlagen: die Anfechtungsklage gegen die Ablehnungsverfügung und die Feststellungsklage auf Rechtswidrigkeit der Unterlassung gegen die reine Untätigkeit (FRU). 3 7 Anläßlich der Tagung für Rechtsvergleichung in Wien am 20.9.1963 stellt Joseph H. Kaiser mit Recht fest (Kaiser, aaO, S.404):

... Eine Zeit, die in vielem improvisiert und darum eher die im raschen Wechsel der Umstände anpassungsfähige, lockere Textur eines Normengeflechts erträgt als aus nationalen Traditionen gewebte schwere Gewandung, ist auch fur fremde bewährte Muster besonders aufgeschlossen und bereit, unvoreingenommen zu vergleichen und es mit der sich sachlich am meisten empfehlenden Lösung zu finden. 3 8 Trotz der Eigenheit des öffentlichen Rechts, daß seine weiten Bereiche weniger von einer immanenten Sachgesetzlichkeit als von dem politischen Gestaltungswillen determiniert werden, bestehen aber auch im öffentlichen Recht - insbesondere im Verwaltungsrecht politisch indifferente Regeln, wodurch sich sowohl die Möglichkeit als auch die Fruchtbarkeit der Rechtsvergleichung erleichtert werden. Daher hält man die Rechtsvergleichung fur weite Teile des Venvaltungs-rechts für sehr wünschenswert (R.Bernhardt, aaO, S.434-440). Was Rengeling mit Bernhardt zu Recht feststellt ("Je »technischer« das Rechtsgebiet ist, um so

II. Gegenstand und Methode der Untersuchung

27

Es ist im Rahmen des vergleichenden öffentlichen Rechts darüber nachzuforschen, wie die in Frage stehenden rechtlichen Regelungen miteinander verglichen werden sollen. Hierbei zu erörtern ist vor allem die Erfordernis, die Tatsachenaspekte der rechtlichen Regelung zur Betrachtung heranzuziehen. Es handelt sich um die schicksalhafte Angewiesenheit der Rechtsvergleichung auf die Hilfe der Rechtstatsachenforschung oder Rechtssoziologie im weiteren Sinne, deren Erforderlichkeit auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts in besonders hohem Maße festzustellen ist 4 0 . Ein Stück der Rechtssoziologie i.w.S. ist die Rechtsvergleichung allerdings nicht, obgleich zwischen beiden Disziplinen vielfaltige überschneidende Aspekte oder Berührungspunkte (Drobnig) zu beobachten wären 41 . Rechtsvergleichung bedarf zwar insofern unabweislich der Unterstützung der rechtssoziologischen Methoden, als die erstere nicht bloß Gesetzesparagraphen oder Entscheidungsleitsätze, sondern das sozusagen lebendige Recht zum Gegenstand hat, wie es sich aus dem Zusammenwirken von Gesetz, Rechtsprechung und Wissenschaft ergibt 42 . Es wäre aber verwirrend, aufgrund solcher methodischen Angewiesenheit die Rechtsvergleichung schlechthin als ein Stück Rechtssoziologie zu betrachten43, solange das leichter ist der Vergleich"), gilt gebührendermaßen auch fur unser verwaltungsprozeßrechtliches Thema. Vgl. Hans-Werner Rengeling, Rechtsgrundsätze beim Verwaltungsvollzug des Europäischen Gemeinschaftsrechts (1977, Kölner Schriften zum Europarecht Bd.27), S.71-72. Vgl. auch im allgemeinen (hinsichtlich des Vergleichs zwischen Rechtsordnungen von wirtschaftlich hochentwickelten und Entwicklungsländern) Zweigert, K., Die kritische Wertung in der Rechtsvergleichung, in: Law and International Trade (Festschrift fur C . M . Schmitthoff zum 70.Geburtstag, 1973), S.418,420. Hervorzuheben ist aber zugleich in diesem Zusammenhang, daß es bei der rechtsvergleichenden Untersuchung daran liegt, wie technisch oder politisch die in Frage stehende Rechtsinstitutionen in ihrem konkreten Charakter gestaltet sind. Die methodologische Besinnung auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts scheint allerdings noch unzureichend zu bleiben, wenn auch nicht fast ganz zu fehlen, wie Rudolf Bernhardt vor einem Vierteljahrhundert beobachtet hat (Bernhardt, R., aaO, S.431). 4 0

Kaiser, aaO, S.401ff.

4 1

Drobnig, Ulrich, Rechtsverjleichung und Rechtssoziologie, in: Rechtssoziologie und Rechtsvergleichung (Hrsg. von U. Drobnig und Manfred Rehbinder, 1977), S.26ff., geht mit Sarfatti und Arminjon/Nolde/Wolff von dem juristisch-normativen Charakter der Rechtsvergleichung aus, wobei er die Rechtsvergleichung (S.27), rechtsvergleichende Wertung (28f.) und landesrechtliche Abweichungen (29) als Gegenstände der Rechtssoziologie einerseits, soziologische Kategorien als Basis rechtsvergleichender Begriffsbildung andererseits, behandelt. Ein aufgrund einer Rechtsvergleichung zu fällendes Werturteil könne schließlich, so nach der Auffassung von Drobnig, die Rechtsvergleichung, nicht aber die Rechtssoziologie abgeben: Die Rechtsvergleichung überschreite den empirischen Bereich der Rechtssoziologie (S.34). Da die beiden Disziplinen jedoch in rechtspolitische Erwägungen und Implikationen einmünden können, ist seinem letzten Punkt nicht zuzustimmen. Zur Kritik an seiner Ansicht, die rechtstatsächlichen Kategorien der Soziologie gäben der Rechtsvergleichung erst das fur alle Vergleichung erforderlichen tertium comparationis, vgl. L.-J. Constantinesco, Traité de Droit Comparé, tome Π, La Methode Comparative, S.37-38. 4 2 4 3

Rheinstein, aaO, S. 12.

AaO, S.28-29. Ungeachtet der didaktischen Effizienz derartiger Beschreibung. Als allgemein anerkannt angesehen wird aber bei Zweigert und Kötz, nur, daß ihre Methoden ein Stuck weit dieselben sind. Zweigert und Kötz, § 1 Ul, S.12. Rechtsvergleichung als Soziologie des Rechts in diesem Sinne sollte wohl heutzutage noch am Beginn stehende 'vergleichende (empirische) Rechtssoziologie', aber nicht gerade Rechtsvergleichung heißen. Vgl. auch U.Drobnig und M.Rehbinder (Hrsg), Rechtssoziologie und Rechtsvergleichung, S. 56ff. und von Keebet Benda-Beckmann, Einige Bemerkungen über die Beziehungen zwischen Rechtssoziologie und Rechtsvergleichung, ZfVR 1979, Bd.78, S.51ff. Bemerkenswert erscheint

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Α. Einleitung

Erkenntnisinteresse beider Disziplinen voneinander strikt zu unterscheiden ist 4 4 . Rechtssoziologische Forschungsmethoden sind fur die Rechtsvergleichung zwar notwendig, um Ursachen der Unterschiede oder Ähnlichkeiten verschiedener Rechtsinstitute empirisch durch Erforschung der sozialen Bedingungen zu klären, unter denen die Normen entstanden sind, auf deren Hintergrund sie wirksam werden und von denen sie beeinflußt werden 45 . Die Rechtsvergleichung kann aber unterschiedliche Erkenntnisziele verfolgen 46 und dementsprechend unterschiedliche Methoden zur Anwendung heranziehen. Handelt es sich nicht um die Untersuchung der Kausalität der unterschiedlichen Rechtsphänomene auf ihre nachweisbaren Regelmäßigkeiten hin, kann sich die rechtsvergleichende Forschung etwa mit einer Interpretation der Tatsachenaspekte einer Rechtsnorm begnügen. Gleichwohl braucht sie eine rechtssoziologische Betrachtungsweise oder mit anderen Worten rechtssoziologische Kontrolle, um das "law in action " (aber nicht "law in the book"* 1) analysieren zu können.

allerdings die vom letzteren bezüglich dieser Frage getroffene Feststellung, daß die Frage nach der Beziehung zwischen beiden Disziplinen hauptsächlich ein deflatorisches Problem darstelle, wobei es von der Definition der Rechtsvergleichung abhängt, ob die Rechtssoziologie nur in Einzelfallen herangezogen wird, um soziale Hintergründe zu verdeutlichen, oder ob Rechtssoziologie und Rechtsvergleichung sich mit weitgehend gleichen sozialen Phänomenen befassen. So könnte es auch fur ihn im Grunde unwichtig sein, ob die rechtssoziologische Forschung ein Teil der Rechtsvergleichung oder nur ein Hilfsmittel ist, ist es doch eindeutig, daß man die beiden Disziplinen kategorisch unterschiedlich auffassen soll. 4 4 Das Erkenntnisinteresse der Rechtssoziologie besteht, wie Rheinstein zu Recht daigelegt hat, in der Forschung nach Gesetzlichkeiten der Rechtsphänomene, also, abgesehen von der sich in den siebzigen Janren aufdrängenden Welle von kritischer soziologischer Rechtsforschung (dazu vgl. u.a. Fitzpatrik, P./Hunt, A. (Hrsg), Critical Legal Studies, Oxford: Basil Blackwell, 1987 und aie in Standford Law Review 36, 1984 veröffentlichten Aufsätze), überwiegend in der Klärung der sozialen Funktion des Rechts. Vgl. auch Rheinstein, aaO. 4 5 Rheinstein, aaO. Hänni widmet beispielsweise den ersten Teil seiner Habilitationsschrift der Erläuterung der Bestimmungsfaktoren des Verwaltungshandelns, welche in der Schweiz das Handeln der Verwaltung determinieren. Angeführt werden dabei als wesentliche: 1.Steuerung der Verwaltungstätigkeit durch Rechtsetzungsverfahren; 2.Steuerung der Verwaltungstätigkeit durch politische Verantwortlichkeit; 3.Die Rolle der Medien und der öffentlichen Meinung; 4.Steurung der Verwaltungstätigkeit durch rechtliche Verantwortlichkeit; 5.'Verwaltungshandeln und Verwaltungsverfahren. Derartige Betrachtungsweise ist wohl besonders für die Methode der Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht von wesentlicher Bedeutung. Diese Faktoren, die teils rechtlicher (1,4,5) teils aber auch außerrechtlicher (2,3) Natur sind und das soziale Milieu der in Frage stehenden Klage auf Vornahme einer Verwaltungshandlung umschreiben, müßten m.E. noch näher durch methodengerechte, sozialwissenschaftliche Erklärung in funktionalen Zusammenhang eingebettet werden, um seiner Erkenntnis gerecht zu werden. Davon weißt man allerdings zur Zeit einfach zuwenig. 4 6 Vgl. K.von Benda-Beckmann, aaO: "Man ist sich darüber klar, daß ein Vergleich auf der rein dogmatisch-juristischen Ebene ohne die Hilfe der Rechtssoziologie gemacht werden kann. Ebenso bestreitet niemand, daß dort, wo die sogenannte Rechtswirklichkeit zum Vergleich herangezogen werden soll, die Mitarbeit der Rechtssoziologie unerläßlich ist." Vgl. aber in anderem Sinne, Zweigert und Kötz, aaO, S.13. In ihrer theoretisch-deskriptiven Ausrichtung geht es ihr in erster Linie um die Darstellung und Erklärung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede mehrerer Rechtsordnungen, während sie als angewandte Rechtsvergleichung darauf abzielen kann, Anweisungen für rechtspolitisches Handeln zu geben. 4 7

Zu der Terminologie vgl. U.Drobnig und M.Rehbinder, aaO, S. 57-58.

II. Gegenstand und Methode der Untersuchung

29

Methode und Reichweite der rechtsvergleichenden Forschung variieren einerseits je nach dem Zweck, Gebiet und der auf einer bestimmten methodologischen Orientiertheit beruhenden Fragestellung. Hierbei handelt es sich um die Relativität der Rechtsvergleichung in materieller, praktischer und methodologischer Hinsicht. Wenn z.B. schwerpunktmäßig von den Rechtstatsachenaspekte eines Rechtsinstituts als Gegenstand der Rechtsvergleichung die Rede ist, müssen ihr bestimmte Erkenntnisse einer Rechtstatsachenforschung über das Rechtsinstitut zugrundeliegen48, während ebenfalls berechtigter Raum für eine auf rechtsdogmatische Aspekte konzentrierte Rechtsvergleichung bestehen kann 49 5 0 . Andererseits steht die Angewiesenheit der Rechtsvergleichung auf richtiges Verständnis des Auslandsrechts außer Frage. Auslandsrechtskunde51 (droit étranger) stellt also die unentbehrliche Grundlage der Rechtsvergleichung dar, wäre aber (insbesondere auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts) fast unmöglich oder sinnlos, ohne darauf zugrundeliegende Rechtswirklichkeiten und geschichtlichen Zusammenhänge mit einzubeziehen. Was das Thema der vorliegenden Untersuchung anbelangt, ist es allenfalls wichtig, den Vergleichsgegenstand nicht isoliert in seinem Normengefuge, sondern in der Komplexität und Gesamtheit aller relevanten Rechtsquellen mit ihren entwicklungsgeschichtlichen Hintergründen zu untersuchen52. Dementsprechend sind die dafür einschlägigen RechtsDrobnig, aaO, S.30ff. mit Beispielen. 4 9

Die rechtsvergleichende Forschung kann sich also je nach ihrem Erkenntnisziel/Gegenstand des Vergleichs oder ihrem Schwerpunkt der Untersuchung in ihrer Ausrichtung auf unterschiedlichen Gebieten der Rechtswissenschaft wie vergleichende Rechtsdogmatik, vergleichende Rechtssoziologie oder Rechtspolitik ansiedeln, wobei es auf ihre Fragestellung una Forschungsmethode ankommt. Wenn es sich aber auch bei der vergleichenden Rechtsdogmatik gerade um die Normativität des Rechts als Erkenntnisziel handelt, kommt sie immerhin ohne angemessene Berücksichtigung der Tatsachenaspekte des betreffenden Rechts nicht aus. In einer Auseinandersetzung mit Christoph Sening's Kritik gegen die rechtsvergleichende Habilitationsschrift von W. Skouris vernachlässigt Ule diesen Funkt mit seiner Darlegung, die Frage nach dem normativen Sinngehalt von Rechtsvorschriften sei in der Regel ohne Rückgriff auf die Realität dieser Vorschriften zu beantworten, jedoch insofern zu Unrecht, als die Rechtsvergleichung die Einbeziehung der Tatsachenaspekte erfordert, um das lebendige Recht erforschen zu können (Ule, C.H., Uber das Verhältnis von Rechtsdogmatik, Rechtssoziologie und Rechtspolitik im Verwaltungsprozeßrecht, BayVBl.1981, Heft 6, S.174). Es empfiehlt sich vielmehr, wie heutzutage immer stärker befürwortet, sie auch unter dem interdisziplinären Blickwinkel auszurichten. Die Frage ist nur, inwieweit die Tatsachenaspekte bei einer bestimmten dogmatischen Ausrichtung der Rechtsvergleichung mit zu berücksichtigen sind. Dazu vgl. beispielsweise Ule's Stellungnahme zur Rechtsvergleichung in seiner Kritik an C.Sening, aaO, S.172ff. 5 1

ο

Dazu im allgemeinen vgl. Rheinstein, S.22ff.

In diesem Zusammenhang scheint der Vorschlag Constantinescos zur allgemeine Methodenlehre für Rechtsvergleichung an sich durchaus nützlich und annehmbar, in dem für die Erkenntnis der zu vergleichenden Elemente zunächst folgende fünf Regeln gegeben werden: 1. Das zu vergleichende Element ist zu untersuchen, wie es ist; es ist mit Hilfe der Methode zu interpretieren, die die Juristen des betreffenden Landes anwenden. 2. Das zu vergleichende Element ist anhand der Originalrechtsquellen zu prüfen. 3. Das zu vergleichende Element ist in der Komplexität und Gesamtheit der jeweiligen Rechtsquellen zu untersuchen. Die praktische Anwendung sei auch zu berücksichtigen. 4. Die Hierarchie der Rechtsquellen der betreffenden Rechtsordnungen muß beachtet werden. 5. Die Interpretation habe nach der Methode der jeweiligen Rechtsordnung zu erfolgen, L.-J.Constantinesco, Rechtsvergleichung Bd.2, S.137ff. Bei der als die dritte Phase bezeichneten »Rechtsvergleichung« sollen vor allem drei Ziele erreicht werden: 1. die Bestimmung und Klarstellung aller Beziehungen zwischen den zu vergleichenden Elementen, d.h. aller Unterschiede und Ähnlichkeiten; 2. die Auswertung der

30

Α. Einleitung

tatsachenaspekte in Rücksicht auf die bisher durchaus fehlende deutschsprachige Darstellung der koreanischen Verwaltungsgerichtsbarkeit 53 zum einen und auf die Methodenrelativität der Rechtsvergleichung zum anderen insofern zu berücksichtigen, als es fur das richtige Verständnis des Sinngehalts der in Betracht zu ziehenden Rechtsnorm notwendig ist. Dabei wird ohnehin die Gesamtheit der einschlägigen Rechtsvorschriften, Rechtsprechung und Lehrmeinungen unter dem oben erörterten Gesichtspunkt der Rechtsvergleichung als Vergleichsgegenstand betrachtet werden. b) Kriterien

des Vergleichs

Es stellt sich nun schließlich die entscheidende Frage nach den Kriterien der Vergleichung, eine Frage, die seit der These von Gustav Radbruch 54 auf der Suche nach dem sog. tertium comparationis noch nicht zur Ruhe gekommen ist. Hinsichtlich der eingangs eingegrenzten Themen soll diese Frage vor allem auf brauchbare Kriterien zur Vergleichung deijenigen Klagen hin untersucht werden, die in beiden Staaten zur Durchsetzung der Vornahmepflicht der Verwaltung eingesetzt werden können. Als Ausgangspunkt hervorzuheben ist zunächst der Aspekt, daß Rechtsvergleichung erst dann sinvoll ist, wenn der Gegenstand des Vergleichs im zugrundeliegenden Milieu der jeweiligen Rechtsordnung aufgegriffen wird. Für das vorliegende Thema ist somit der Rückgriff auf die verfassungsrechtliche Grundlage bzw. der Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit von unentbehrlicher Bedeutung. Im Mittelpunkt steht unter anderem das Verständnis der Stellung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der gewaltenteilenden Rechtsordnung, wobei die unterschiedliche Ausgestaltung der Klagesysteme in ihrem konkreten Sozialkontext als je eigenständige Nationallösung angesehen werden kann. Um dieses Erkenntnisziel zu erreichen, sollen

gefundenen Beziehungen; 3. Zusammenhänge der gefundenen Beziehungen aufdecken. Constantinesco, aaO, S.277ff. Vgl. ebenfalls Kodiere, René, Introduction au Droit Comparé (1979, Précis Dalloz), S. 137-141, der drei methodische Regeln fur Rechtsvergleichung ableitet: 1. Vergleichbarkeit des Rechtssystems zu beachten; 2. Geschichtliche und lailturelle Kontexte des zu vergleichenden Rechts einzubeziehen; 3. Alle einschlägigen Rechtsquellen, nicht lediglich geschriebene Rechtssätze, in Betracht zu ziehen. Übrigens zur Kritik an der »Wertneutralität« der Betrachtungsweise Constantinescos, insbesondere hinsichtlich der Rechtsvergleichung im Rahmen des Europäischen Gemeinschaftsrechts, siehe Rengeling, S.75ff. 53

J J

Hong, Joon-Hyung, Verwaltungsrechtsschutz in der Republik Korea, Studien zum ausländischen öffentlichen Recht (1990, Carl-Heymanns Verlag), S.llff. 5 4 Seine These, welcher der auch in der Rechtsvergleichung ein geläufiger Begriff von "tertium comparationis" zugrundeliegt, lautet: " Von mehr als zwei Begriffen läßt sich nun jeder zu jedem anderen nicht unmittelbar m Beziehung setzen, sondern nur mittelbar, indem ieder auf einen und denselben dritten Begriff bezogen wird." Gustav Radbruch, Über die Methode der Rechtsvergleichung, MKSR 2, 1905/06, S.422-425, in: Rechtsvergleichung (Hrsg. von K.Zweigert und Hans-Jürgen Puttfarken, 1978), S.52f. Zur Kritik an seiner These insbesondere in Bezug zu Begriffen wie Rechtstypus und Rechtsideal, vgl. L.-J.Constantinesco, Traité de Droit Comparé, Bd.2, S.34ff.

III. Vorgehen

31

im folgenden anhand einer Art vergleichender Beschreibung55 die jeweiligen Rechtssysteme umrissen werden, und zwar unter Heranziehung der maßgeblichen Rechtskategorien als tertium comparationis, die allerdings im Verlauf des Vergleichs noch zu erschließen und verdeutlichen sind. Dabei sind zumindest zwei konkurrierenden Seiten der Thematik Rechnung zu tragen, welche jeweils über bestimmte Rechtsschutzformen wechselseitig aufeinander einwirken: In erster Linie stellt sich die Frage nach dem prozeßrechtlichen Aspekt, wobei verschiedene prozeßtechnische Rechtskategorien wie Klagebegehren, Streitgegenstand, Sachurteilsvoraussetzung, Begründetheit, Urteilswirkung und Vollstreckung usw. zur Geltung kommen. Derartige prozeßrechtliche Topoi machen aber gerade das Verwaltungsprozeßrecht aus, das zuletzt dem Schutz des materiellen Rechts dient: Das Prozeßrecht ist ebensowenig ohne Einfluß auf die materielle Rechtslage, wie das materielle Recht ohne Einwirkung auf das Prozeß sein kann. Gilt diese Annahme, kommt dann ein nächstes methodologisches Gebot, das darin besteht, den konkreten Anwendungs-zusammenhang der jeweils in Frage kommenden Klagesysteme anhand der relevanten Rechtsprechung mit zu berücksichtigen; damit können die Konkretisierungsaspekte der verwaltungsprozessualen Dogmatik durch die gerichtlich praktizierte Wirklichkeitsdimension auf den Begriff gebracht werden, was in der vorliegenden rechtsvergleichenden Studie keineswegs entbehrlich ist. Dabei soll allerdings, wie am betreffenden Ort noch zu zeigen sein soll, einschlägige Rechtsprechung, je nach der Klagearten vom typisierend, in Betracht gezogen werden.

I I I . Vorgehen Um den in Frage gestellten Themen nachzugehen, werden die folgende Schritte eingeschlagen: Zuerst sind die verfassungsrechtliche Grundlage und der Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Rahmen der vorbereitenden Betrachtung zu thematisieren, wodurch sowohl das rechtliche Milieu als auch der Standort der Frage veranschaulicht werden können. Dabei soll die Verwaltungsgerichtsbarkeit allgemein in ihrem Verhältnis zum Rechtsstaatsprinzip, Gewaltenteilungsprinzip, in ihrer Aufgabe und Funktion erörtert und dann die Struktur, Zuständigkeitsregelung und konkrete Gestaltung verschiedener Klagearten in Erwägung gezogen werden. Auf dieser Basis wird das Hauptthema die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung zu betrachten sein, indem der Problematik im Hinblick auf ihre prozeßrechtlichen bzw. materiellrechtlichen Aspekte nachgegangen wird. In der vorliegenden Arbeit soll auf die eingehende Darstellung des koreanischen Verwaltungsprozeßrechts allerdings weitgehend verzichtet werden, was aber mit dem Verweis auf meine soeben veröffentlichte Arbeit "VerwaltungsMincke, W . , Eine vergleichende Rechtswissenschaft, ZVglRWiss 83 (1984), S.322ff. Seine Erläuterung ist insoweit sehr aufschlußreich, als dadurch die Bedeutung der vergleichenden Beschreibung von Rechtsinstituten nicht nur fur die Rechtsvergleichung selbst, sondern auch für die allgemeine Rechtswissenschaft erschlossen werden kann.

32

Α. Einleitung

rechtsschutz in der Republik Korea" 56 wohl ausgeglichen werden könnte, während die Aufmerksamkeit vornehmlich dem deutschen Recht gewidmet werden soll. Besondere Beachtung finden soll dabei vor allem die Rechtsentwicklung auf dem Gebiet des materiellen Verwaltungsrechts und ihre Einwirkung auf Verwaltungsprozeßrecht, damit die eigentümliche Ausprägung des deutschen Prozeßrechtssystems in der eingangs gestellten Frage in rechtsvergleichender Hinsicht beleuchtet werden kann. Rechtsvergleichende Folgerungen werden dann aufgrund der bisherigen Erläuterung zum Thema in zweierlei Hinsicht, und zwar in bezug auf die Wechselwirkung mit dem materiellen Verwaltungsrecht einerseits und auf ihre prozessualen Aspekte hin gezogen werden, wobei schließlich zur Problematik im Lichte des Gewaltenteilungsprinzips Stellung genommen wird.

Hong, Joon-Hyung, aaO.

Β. Verfassungsrechtliche Grundlage und Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit I. Verfassungsrechtliche Grundlage 1. Rechtsstaat und Verwaltungsgerichtsbarkeit i. Als eine Frucht des Kampfes der demokratischen Bewegung gegen die Selbstherrlichkeit der Verwaltung1 setzt die Verwaltungsgerichtsbarkeit in ihrer heutigen Gestalt zwei zueinander gegenüberstehende, aber zugleich miteinander zusammenwirkende Ziel Vorstellungen durch: den Rechtsschutz des Bürgers einerseits und die Rechtskontrolle der Verwaltung andererseits2· Besteht das Wesen des Rechtsstaates in der Herrschaft des Rechts auch über den Staat, in der Rechtmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, so bedarf die Einhaltung dieser Ordnung der Überwachung durch unabhängige Gerichte 3, und diese gehört im Sinne von Rechtskontrolle der Verwaltung zur notwendigen Voraussetzung des Rechtsstaats, während ihre Daseinsberechtigung abermals letztlich im Rechtsschutz der Bürger besteht. Die sinnvolle Entfaltung der Verwaltungsgerichtsbarkeit wäre daher nur auf der rechtsstaatlichen Grundlage denkbar, wenn auch, wie in der Volksrepublik China oder einst in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, jene Verwaltungsgerichtsbarkeit ohne rechtsstaatliche Garantie besteht oder bestand. Rechtskontrolle als Mittel zum Rechtsstaat und Rechtsschutz als Zweck des Rechtsstaats sind in diesem Zusammenhang voneinander untrennbare Zielrichtungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit: Die Forderung nach einer Verwaltungsgerichtsbarkeit ohne das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der

Ress, G., Die Entscheidungsbefugnis in der Verwaltungsgerichtsbarkeit - eine rechtsvergleichende Studie zum österreichischen und deutschen Recht, 1968, Springer-Verlag, 1 Zu der umstrittenen Frage, ob die Verwaltungsgerichtsbarkeit dem Individualrechtsschutz zu dienen bestimmt sei oder ob sie eine Kontrolle des objektiv rechtmäßigen Verwaltungshandelns (Verwaltungskontrolle) sei, vgl. aaO, S.4-5,19-20 und Schäfer, H., Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Staatsbürger und Staatsgewalt, Bd.I, 1963, S.163. Maunz-Dürig, GG, Ait.19 Abs.4, Rn 7 m.w.N., aber auch Ule, aaO, § 1 III, S.4-6, § 2 Π 16-17, der hingegen daran festhält, daß die moderne Verwaltungs-gerichtsbarkeit ausschließlich dazu da sei, Rechtsschutz zu gewähren, Rechtsstreit-igkeiten zu entschieden, aber zugleich in § 3 I, S.20 feststellt, Rechtskontrolle der Verwaltung durch unabhängige Gerichte zum Wesen des Rechtsstaats gehöre.

Ule, S.20. Vgl. auch Martens, (nachfolgend Martens, J., Praxis), S. 1 ff., Rechtsstaatsprinzips die Notwendigkeit der funktionalen Verständnisses des Rechts herleitet. 3 Hong

J., Die Praxis des Verwaltungsprozesses, 1975 der unmittelbar aus dem Verrechtlichungsgebot des Verwaltungsgerichtsbarkeit, allerdings aufgrund des Luhmans (Legitimation durch Verfahren, 1969),

34

Β. Verfassungsrechtliche Grundlage und Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit

Verwaltung muß sinnlos erscheinen, die Forderung nach Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ohne Verwaltungsgerichtsbarkeit unrealistisch4. "Das System des deutschen Verwaltungsrechts vom liberalen bürgerlichen Rechtsstaat ... gezeugt und auch heute noch dadurch geprägt. Zu nennen sind hier insbesondere der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, ... , und der gerichtliche Rechtsschutz gegen Verwaltungsakte.

Abgesehen davon, daß der Ausdruck Rechtsstaat eine spezifisch deutsche Wortprägung ist 6 , bleibt allerdings der Charakter des Rechtsstaatsprinzips in seinem ideengeschichtlichen Aspekt umstritten. Es fragt sich vor allem, ob das Rechtsstaatsprinzip als eine allgemeine Kategorie für die rechtsvergleichende Erkenntnis geeignet ist. Aus der neueren Diskussion über den Rechtsstaatsgedanken und die dem entsprechende Vorstellung des "rule of law" ergibt sich allerdings insgesamt, daß der Begriff mindestens mit drei unterschiedlichen Entwicklungsebenen zusammenhängt, wobei es sich letztendlich um Maß und Grad der Abstraktion und Distanz zur Wirklichkeit bei der Erkenntnis des Begriffs handelt. Der Begriff bringt erstens die eigentümlich in der deutschen Rechtsumwelt entwickelte Auffassung des "Rechtsstaates" zum Ausdruck, von dem unmittelbar die historisch-konkrete, institutionelle Entfaltung des deutschen Rechtsstaats herzuleiten ist 7 ; zweitens stellt er "das rechtsstaatliche Ideengut im gemeineuropäischen Rechtskreis" (Stern) dar, wobei das deutsche Rechtsstaatsprinzip als "essentially contested 4 5

Ress, G., aaO, S.41.

Erichsen, H.U./Martens, W. (Hrsg), Allgemeines Verwaltungsrecht 7.Aufl. (nachfolgend Erichsen/Martens), S.46.

1986

6 So Stern, aaO, S.764; Michaelis, K., Die Deutschen und ihr Rechtsstaat, 1980, S.5. Zum sprachlichen Unterschied und dessen Hintererund vgl. G.Dietze, Rechtsstaat und Staatsrecht, in: Festschrift für G.Leibholz zum 65.Geburtstag, 1966, S.17f. und MacCormick, D.Neil, Der Rechtsstaat und die rule of law, in: JZ 1984, S.65ff. 7 So Hesse, K., Der Rechtsstaat im Verfassungssystem des Grundgesetz, in: Festgabe für Rudolf Smend, Tübingen 1962, S.71, der den Rechtsstaat als eine der "Eigentümlichkeiten deutscher Rechts- und Verfassungsentwicklung" ansieht. Der Rechtsstaatsgedanke sei, von der Entstehungs- und Entwicklungseeschichte her gesehen, aber wohl nicht nur in dessen Ausdruck, sondern auch in seiner eigentlichen Begriffsbildung als staatsrechtliche Problematik als eine spezifisch deutsche Prägung anzusehen. Scheuner, U., Die neuere Entwicklung des Rechtsstaats in Deutschland, in: Hundert Jahre Deutsches Rechtsleben, Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des deutschen Juristentages (1860-1960), 1960, S.229, ders, Begriff und Entwicklung des Rechtsstaats, in: Macht und Recht (Hrsg. von Dombois,H./Wilkens,E.), 1956, S.82fr, Böckenforde, E.-W., Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, in: Festschrift für A.Arndt zum 65.Geburtstag, 1969, S.53-55, Bettermann, K.A., Der totale Rechtsstaat, S.3 und Stern, ebenda, mit zahlreichen Nachweisen. Zu grundlegenden Unterschieden zwischen dem Rechtsstaat und der dem entsprechenden Vorstellung des "rule of law", siehe Kriele, M . , Einführung in die Staatslehre, 5.Aufl., 1980, § 27, Scheuner, ebenda. Vgl. auch Baratta, Α., Liber amicorum B.C.H. Aubin, 1979, S.5ff., der Ursprung und Charakter des Begriffs Rechtsstaat rein deutsch bezeichnet und aufgrund seiner Unterscheidung zwischen inneren und externen Geschichte die weiterverbreitete Identifizierung des liberalen europäischen und nordamerikanischen Denkens mit dem Etikett Rechtsstaat zu modifizieren versucht. Zwischen dem grundgesetzlichen Rechtsstaat und der Rechtsstaatsgeschichte hingegen, so führt SchmidtAßmann, E. mit Recht aus, existiere kein dogmatischer Ableitungszusammenhang, aber bestehe ein Traditionszusammenhang, der darauf verweist, daß Rechtsstaatlichkeit jenseits aller Dogmatik Erfahrung, Bewußtsein und Leben heißt. Handbuch des Staatsrechts Bd.I, S.992.

I. Verfassungsrechtliche Grundlage

35

concepts" (Gallies)8 mit der "rule of law* anglo-amerikanischer Prägung eine europäische Familienähnlichkeit in ihrem Wesenskern als Rechtsideal (D.Neil MacCormick) 9 aufweist 10; schließlich handelt es sich um das nach dem 2. Weltkrieg über den europäischen Raum hinaus als Strukturprinzip des demokratischen Verfassungsstaates verbreitete Rechtsstaatsprinzip, besser das Prinzip der Herrschaft des Rechts, wovon als Diffusion oder "Verallgemeinerung des Rechtsstaatsprinzips" (Bin Takada) 11 die Rede ist. Der Rechtsvergleichung als sog. tertium comparationis dienen kann am besten der zweite, während der erste aber parallel mit der nrule of law" in seiner Einflußnahme auf außereuropäische Staaten (in der dritte Phase) hervortritt 12. Betrachtet man nun zu Recht mit Gebhard Müller einen Staat als Rechtsstaat, in dem wenigstens grundsätzlich die Staatsordnung als Rechtsordnung aufgefaßt ist1·*, als deren gemeinsame Bestandteile vor allem die Bindung der Staatsgewalt an das Gesetz und Recht, die Gewaltenteilung und die Achtung vor den allgemeinen Grundrechten garantiert sind 14 , ist der ° Gallies, W.B., Essentially Contested Concepts, 56 Proceedings of the Aristotelian Society (1955-6), S.169 wie im MacCormicks Aufsatz zitiert wird, aaO. 9 MacCormick, S.67ff., der außer dem aus unterschiedlicher Verfassungsentwicklung zu erklärenden sprachlichen, keinen wesentlichen Unterschied zwischen beiden bestehen sieht.

"Auch wenn man die unterschiedlichen historischen Traditionen und die verschiedenartigen aktuellen politischen Probleme in Deutschland und Großbritannien in Betracht zieht, dürfte hinter den beiden Begriffen das gleiche Ideal stecken. ... Natürlich liefern dieselben Prinzipien nicht dieselben Resultate, wenn sie sich auf unterschiedliche Verfassungswirklichkeiten beziehen. ... Aber daraus folgt keineswegs, daß der Rechtsstaat und die rule of law konträre Grundprinzipien enthalten." (aaO, S.67) Diese Ansicht ist m.E. unter dem Blickwinkel der unterschiedlichen Abstraktionsebenen zu verstehen. So könnte man von einem gemeinsamen Ideal beider Begriffe oder von der Identität ihres Ideenkerns im abstrakten Sinne sprechen, wenn sie losgelöst von ihrer geschichtlich bedingten Wirklichkeit auf minimalen Begriffsinhalt reduziert werden. Dabei darf die Tatsache aber auch nicht übersehen werden, daß zwischen dem deutschen Rechtsstaatsgedanken entsprechenden (oder verwandten) Vorstellungen immerhin indessen als Ergebnis der nach dem 2. Weltkrieg fortgeschrittenen Annäherungsprozesse gemeinsame Sinngehalte in dem Sinne erkennbar sind, so wie Müller ausgeführt. Müller, Gebhard, Rechtsschutz im demokratischen Rechtsstaat, in: Gejichtsschutz gegen die Exekutive, Bd.3, 1971, Max-Planck-Institut für Ausländisches und Öffentliches Recht und Völkerrecht, S.2. Dazu ebenso vgl. Stern, aaO, S.765. 1 0 Kimminich, O., Die Verknüpfung der Rechtsstaatsidee mit den anderen Leitprinzipien des GG, DÓV 1979, Heft 21, S.766, stellt in diesem Sinne das Bekenntnis zur Herrschaft des Rechts als eine gemeinsamer Wesenskern heraus. 11 Bin Takada, Rechtsstaatsgedanke und Verwaltungsverfahren, in: Festschrift für C.H.Ule, S.418f., ders., Die Auseinandersetzung um "Rechtsstaats und rule of law" in Japan nach dem zweiten Weltkrieg, in: ÖZföRVR 36, 9-32 (1985). 1 2 Selbstverständlich läßt sich hierbei die Bedingtheit des Begriffs durch die deutsche (in der ersten Ebene) oder gemeineuropäische (in der zweiten Ebene) Verfassungs- oder Rechtsentwicklung weniger durchdringen, als dessen Distanz oder Diskrepanz zum rechtstraditionellen Boden und zur Rechtswirklichkeit vergrößern, es sei denn, daß der Wurzel oder Rezeptionsquelle des Begriffs einer bestimmten rechtsstaatlichen Variante in ideengeschichtlicher Hinsicht nachgegangen wird. 1 3 1 4

So auch BVerwGE 1,159 [161].

Müller, aaO. Oder mit Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd.I, S.765, der auf solche übereinstimmende Vorstellung wie Absage an absolute Macht und Hinwendungen zur Herrschaft des Rechts sowie Gewähr und Schutz persönlicher und politischer

3*

36

Β. Verfassungsrechtliche Grundlage und Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit

Rechtsstaat in dem Sinne in keiner Weise an den liberalen Rechtsstaat des 19. Jahrhunderts gebunden15 und über seine Herkunft als gemeineuropäisches Ideengut16 hinaus ubiquitär in den zu den westlichen Rechtskreisen angehörenden Ländern international ausgebreitet17. Die Rechtsstaatsidee hat eigentlich, wohl nicht als konkrete Institution, sondern als Strukturprinzip des heutigen demokratischen Verfassungsstaats, keinen notwendigen logischen Nexus mit Erscheinungsformen der Verwaltungsgerichtsbarkeit: Beispielsweise ist in den "Common-Law" Staaten von vornherein, beherrscht vom Prinzip der "rule of /ανν"18, keine eigenständige ' Verwaltungs-Gerichtsbarkeit ' entstanden, stattderen Aufgabe des Rechtsschutzes hauptsächlich immer noch durch die allgemeinen Gerichte wahrgenommen wird. Es besteht dennoch ein historisches, praktisches Junktim dazwischen. Die Stellung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in den rechtsstaatlichen Institutionen variiert je nach der Vorstellung vom Rechtsstaat und seiner Entfaltung, wie im folgenden für die Gestaltung der koreanischen Verwaltungsgerichtsbarkeit gezeigt wird. ii. Der oben dargestellte Rechtsstaatsgedanke, dessen weltweite Diffusion auf der verwaltungsrechtlichen Ebene am deutlichsten in Ausbau des Verwaltungsrechtsschutzes zu beobachten ist 1 9 , hat auch in Korea nach dem 2. Weltkrieg im Wiederaufbau des Staates als Strukturprinzip des modernen Verfassungsstaats Geltung erlangt und damit im nachfolgenden Verfassungsgebungsprozeß Niederschlag gefunden 20,21 . Das Prinzip des Freiheit durch Mäßigung, Gliederung und Begrenzung und richterliche Kontrolle der Staatsgewalt hinweist, welche in der gemeinsamen Tradition vorhanden sind. Zur Definition in diesem Sinne, aaO, S.781. 1 5 Vgl. Ule, C.H., Die Bedeutung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Demokratie: in Zehn Jahre Verwaltungsgerichtsordnung - Bewährung und Reform (Schriftenreihe der Hochschule Speyer Bd.45), 1970, S.24 mit dem Zitat von Fritz Werners Worten "Der Rechtsstaat ist mehr als nur ein Unterfall der Verfassungsentwicklung des 19.Jahrhunderts" (Werner, F., D V 1949, S.28). Die Verknüpfung von Recht, Gesetz und Parlament ist überdies weder logisch noch historisch zwingend. "Rechtsstaatliche Prinzipien und Institutionen herrschen in allen Staaten mit einer freiheitlichen Verfassung", Bettermann, aaO, S.9. 1 6 Stern, aaO, insbesondere Fn 5,6. Zur gemeinsamen Wurzeln des Rechtsstaats in England und Deutschland vgl. auch Dietze, G., Staatsrecht und Rechtsstaat, Festschrift G.Leibholz, Bd.n, 1966, S.22ff. 1 7

1X

Ebenda, Fn 7.

Die früher in Korea wie in Japan gängige Ansicht, die Dicey'sche Auffassung von "rule of law" in England noch heute stellvertretend nir den anglo-amerikanischen Gedanken von "rule of law" gelte, sei an dieser Stelle zu bestreiten, solange seine Auffassung nur den durch die englische Rechtsgeschichte und -zustand seiner Zeit bedingten Geltungsbereich besaß. Rule of Law, die vielmehr in den USA durch die zunächst von der prozessualen Gerechtigkeit geleitete und dann auf deren materielle Anreicherung hin entwickelte Rechtsprechung des Supreme Courts ihren Höhepunkt erreicht hat, ist als ein mit dem materiellen Rechtsstaatsprinzip vergleichbares Rechtsprinzip verallgemeinert worden. Dazu vgl. Bin Takada, aaO. 1Q Die Wandlung des modernen Staates vom liberalen Rechtsstaat des 19. Jahrhunderts zum Wohlfahrts- und Leistungsstaat unserer Tage hat den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz nicht etwa überflüssig, sondern nur noch notwendiger gemacht. Ule, ebenda. 10 Deutsches Recht und Rechtswissenschaft wurden in Korea zwar schon gegen Ende des

I. Verfassungsrechtliche Grundlage

37

Rechtsstaates, das, in seinem Wesensgehalt als Herrschaft des Rechts (nicht des Menschen) verstanden, aus dem Schutz der Menschenrechte und Mäßigung der Staatsgewalt durch Gewaltenteilung besteht, ist allerdings ohne eigenen rechtstraditionellen Mutterkuchen durch "Kreuzung des kontinentalen und des anglo-amerikanischen Rechts" (Kim, Hyo-Jeon) importiert und angesiedelt worden. Dieser Charakter als "importiertes Ideengut" hängt nun im wesentlichen mit der nachfolgenden Gestaltung des koreanischen Verwaltungsrechts und der Institutionalisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit eng zusammen: 1. Bei der Gestaltung, Auslegung und Anwendung des Verwaltungsrechts geht man zunächst einmal nach der kontinentaleuropäischen Gedankentradition von einer grundsätzlichen Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Recht aus 22 . 2. Verwaltungsgerichtsbarkeit wird als institutionelle Gewährleistung der Rechtmäßigkeit der Verwaltung aufgefaßt, welche eine unentbehrliche Konstante des Rechtsstaatsprinzips darstellt, wobei letzteres als materieller Rechtsstaatsbegriff dem anglo-amerikanischen Prinzip von "rule of law" fast undifferenziert gleichgesetzt wird 2 3 . 3. Der Verwaltungsrechtsschutz ist 19.Jahrhunderts also in der Zeit der Toröffnung bekanntgemacht, wodurch ebenso Verfassungstheorien wie Gewaltenteilung, Rechtsstaatsprinzip in die Gedankenwelt derzeitigen Gelehrten eingeführt wurden, der richtige Auftritt der rechtsstaatlichen Prinzipien und Institutionen ist aber erst nach dem 2.Weltkrieg zur Zeit der Staatswiederaufbau (Gründung der demokratischen Verfassungsstaats) geschehen. Dazu ausfuhrlich vgl. Kim, Hyo-Jeon, Hundert Jahre Verfassungsrecht in Korea und Deutschland (Ein Beitrag zur Rezeptionsgeschichte deutschen Rechts in Korea), in: JöR 1986, S.575-604. § 42 Rn 21 m.w.N.). Diese wohl damit zusammenhängende Frage bezieht sich zugleich auf die Beurteilung des Klageantrages nach § 88 VwGO und ist aber zufolge des dementsprechenden Aufklärungs- sowie Auslegungsspielraums beim Klageantrag von relativ geringer Bedeutung.

5 Hong

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

3.

Kann mit der Anfechtungsklage die gesonderte Aufhebung eines Ablehnungsbescheids begehrt werden ? (isolierte Anfechtungsklage).

Die Beantwortung der letzten Frage ist nicht unbedingt als Korollarium mit den Ergebnissen der ersten beiden Fragen verbunden, weshalb sie eher gesondert als eine andere Klagemöglichkeit zu erörtern sein wird (unten § 25): Die Zulässigkeit der sog. isolierten Anfechtungsklage hängt nach der Gesamtschau des Meinungsstands nicht vom Verständnis der Rechtsnatur der Verpflichtungsklage ab 2 6 . Die ersten beiden Fragen brauchen ebenfalls nicht unbedingt miteinander zu verbinden sein 27 , abgesehen vom Standpunkt Czermaks, der aufgrund der Ausschließlichkeit beider Klagearten auf die Unzulässigkeit der Aufhebung (des ablehnenden VA) innerhalb der Verpflichtungsklage schließt28. Ohne diese mit dem Klagegegenstand sowie der Urteilswirkung zusammenhängenden Fragen ausfuhrlich zu vertiefen, empfiehlt es sich, die Problematik tunlichst zusammenfassend zu besprechen: Fragen wir nunmehr, zu welcher Gruppe von Klagen die Verpflichtungsklage gehört, stellt sich unbestritten heraus, daß sie eine Unterart der Leistungsklage ist 2 9 und sich dadurch von der Anfechtungsklage als Gestaltungsklage abhebt. Das ist auf den ersten Blick sowohl bei der Untätigkeitsklage als auch bei der Weigerungsgegenklage unproblematisch. Bei näherer Betrachtung erscheint das Gesamtbild aber nicht so lupenrein, wenn man sich besonders vor Augen fuhrt, daß hier manchmal vom Doppelcharakter der Verpflichtungsklage in Form der Weigerungsgegenklage die Rede ist, seil., sie sei insoweit zugleich Gestaltungsklage, als sie den Laubinger (ders., aaO, S.449f., Fn 19) teilt die Meinung zur Zulässigkeit der isolierten Anfechtungsklage in drei Gruppen ein: bejahende, verneinende und vermittelnde. Damit läßt sich feststellen, daß ein etwaiges Verständnis der Verpflichtungsklage nicht notwendig zu Bejahung oder Verneinung der isolierten Anfechtungsklage fuhrt: es genügt beispielhaft zu nennen, Ule, S.148; Stern, S.57; Klinger, S.139-140, 137, die zwar der Rechtsnatur nach von der Trennung der Veipflichtungsklage als Leistungsklage von der Gestaltungsklage ausgehen (unzutreffend aber Ress, aaO, S.141 Fn 193, der zu Unrecht Klinger die gegenteilige Ansicht zuschreibt, obwohl dieser vielmehr von klarer Trennung beider Klagearten nach ihrer Rechtsnatur ausgeht. Dazu vgl. Klinger, S. 135,137,152), die isolierte Anfechtungsklage jedoch unter bestimmten Voraussetzungen (Rechtsschutzbedürfnis: Ule, Stern) fur zulässig oder generell, sogar fur ratsam (Klinger) halten, während Menger, DVB1 1962, S.875, an seiner früheren Ansicht festhaltend (System, S. 194-195), die Doppelnatur annimmt, zugleich die Zulässigkeit der isolierten Anfechtungsklage verneint. 27 So wird die zweite Frage uneinstimmig ohne besondere Bezugnahme auf Rechtscharakter der Verpflichtungsklage entgegnet, also nicht zufolge dessen, wie die erste zu beantworten ist. Zur zweiten Frage: BVerwGE 1,291; RO 19; Bettermann, NJW 1960, S.651 (jedoch nur fur den Bescheidungsfall); SG Rn 415, S.165, die gesonderte Aufhebung nicht fur notwendig halten; EF § 113 Rn 65; Stern 4 IV 1 und 18 Π 1; Menger, VerwArch 1963, S.202 (höchstrichterlich Rspr); Richter, DVB1 1960, S.885; Haueisen, NJW 1960, S.316, die hingegen die Aufhebung für notwendig halten; Ule, S.148, der lediglich die Verwaltungsbehörde fur verpflichtet hält, die entgegenstehende VAe aufzuheben. 28 Czermak, F., Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach der Verwaltungsgerichtsordnung, NJW 1962, S.776, 777; so auch Pfeiffer, H., Streitgegenstand bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, DVB1 1963, S.653, 656. 2 9 Ganz herrschende Meinung: Kopp § 42 Rn 4, Stern 4 ID, EF § 42 Rn 13 m.w.N. auch zur abweichenden Auffassung.

II. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

7

ablehnenden Verwaltungsakt angreift 30, wohingegen bei der Untätigkeitsklage von vornherein kein solcher Ablehnungsakt fur eine Aufhebung in Frage kommt. Diese schon vor dem Inkrafttreten der VwGO von Bachof vertretene und bis heute von einigen Autoren angenommene Sichtweise31 ist jedoch noch aufklärungsbedürftig. So führte Bachof folgendes aus: Anfechtungsklage und Verpflichtungsklage sind, ..., eng verwandte Erscheinungen. Darüber darf die formal unterschiedliche Ausgestaltung als Gestaltungsklage einerseits, als eine besondere Art von Leistungsklage andererseits ... nicht tauschen. Auch die Verpflichtungsklage richtet sich - jedenfalls wenn es sich nicht um eine Untätigkeitsklage handelt - gegen einen VA; denn die Ablehnung des beantragten V A ist selbst V A . Wenngleich der ablehnende V A im Verpflichtungsurteil nicht ausdrücklich aufgehoben wird, so liegt in der Verpflichtung zum Erlaß des beantragten V A oder zur (erneuten) Bescheidung doch der Sache nach auch die Aufhebung des ablehnenden VA; insofern ist auch das Verpflichtungsurteil zugleich ein Gestaltungsurteil. Die Verpflichtungsklage unterscheidet sich nur dadurch von der Anfechtungsklage, daß der Kläger bei der letzteren "das Ziel seiner Klage ... bereits durch das ... aufhebende Urteil e r r e i c h t " 3 2 , 3 3

Angesichts der Rechtsnatur der Verpflichtungsklage erweist sich aber zunächst die Trennung der beiden Klagearten grundsätzlich als berechtigt 34. Es fragt sich aber ebenso, ob die "enge Verwandtschaft" beider Klagearten notwendig zur Annahme des sog. Doppelcharakters der Verpflichtungsklage fuhrt, wie umgekehrt die "übergangslose Trennung" (Czermak) 35 auf jeden Fall als unberechtigte Abstrahierung abzulehnen ist: Daß der Gesetzgeber der VwGO zwar von der begrifflichen Unterscheidung ausgehend, zugleich die beiden Klagen gemeinsam geregelt wissen wollte, soweit grundsätzliche Unterschiede beider Klagearten dies nicht ausschließen, läßt sich schon der amtlichen Begründung zum Regierungsentwurf der V w G O 3 6 einerseits und der durch die VwGO getroffenen, weitgehend übereinstimmenden

30

Schon Bachof, aaO, S.57ff.; eine ähnliche Darstellung findet man auch bei Menger, System, S.194. Zur heutigen Meinung statt vieler EF § 42 Rn 15 S.210f.; SG, S.165. 3 1 Ebenda; ders., Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, Bd. I (1966), S.54f., Bd.U (1967), S.230-231; EF ebenda, § 121 Rn 10c ("Soweit die Verpflichtungsklage, weil ein ablehnender Verwaltungsakt vorausging, auch Anfechtungscharakter hat": Hervorhebung Verfasser); SG S.l65ff.; PR S.387fT, die die Verpflichtungsklage fur eine gesetzliche Kombination von Anfechtungs- und Leistungsklage (Anfechtungscharakter der Verpflichtungsklage) halten und ihr insofern aufschiebende Wirkung anerkennen.; G.Scholz, Die Kontrolle des Verwaltungshandelns, 2.Aufl., S.79. 3 2

BVerwGE 16,224 [226]; dazu Menger, VerwArch Bd.55, S.284f.

3 3

Bachof, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Bd.II, Nr.230 S.217ff. ders., JZ 1962, S.666. 3 4

K.Stern, S.57; BVerwGE 25, 357 [358].

3 5

Czermak, aaO, S.777.

3 6

Die amtliche Begründung, S.32.

Gleichlautend

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

Formulierung beider Klagearten (§ 42 Abs.2, § 113 Abs.1,4) 37 andererseits entnehmen38. Wenig einleuchtend erscheint demgegenüber die Argumentation Bachofs: "Daß die Anfechtungsklage als kassatorische Gestaltungsklage gestaltet ist, ist im wesentlichen prozeßökonomischen Überlegungen zu verdanken. An ihrem Streitgegenstand würde sich nichts ändern, wenn das Urteil nicht auf Aufhebung, sondern auf Verpflichtung zur Aufhebung lauten würde. " 3 9 Es würde jedoch damit die Besonderheit der Anfechtungsklage aus den Augen verloren, die nach heutigem Verständnis hingegen darin besteht, daß sie ohne weiteres, also ohne Erfüllen seitens Beklagten, den angefochtenen VA aufhebt (kassiert), was auch er seinerseits annimmt40. Ihm nachfolgend vertrat aber nun Weckerle zu Unrecht die Ansicht, die Ansprüche auf Aufhebung von Verwaltungsakten seien genausowenig Gestaltungsansprüche, wie die Ansprüche auf Vornahme eines rechtsgestaltenden Verwaltungsaktes, obwohl auch dort die vom Beklagten erstrebte Leistung in einer Rechtsgestaltung liege 41 . Solche Ansprüche erschienen im ersten Augenblick, so fuhrt er aus, als Ansprüche auf Rechtsgestaltung durch das Gericht, bei näherem Zusehen erwiesen sich jedoch als Ansprüche auf eine Leistung des Beklagten, wobei die erstrebte Leistung, das sei die Aufhebung des VA, eben den Charakter einer Rechtsgestaltung habe 42 . Einer solchen Auffassung ist aber eine unzulässige Verwechselung des prozessualen Anspruchs mit dem materiellrechtlichen Anspruch entgegenzuhalten. Der prozessuale Anspruch auf Aufhebung eines VA setzt nicht unbedingt das Vorliegen eines materiellrechtlichen (konkreten) Aufhebungsanspmchs voraus. Geltend gemacht wird zwar ein Anspruch auf Aufhebung eines rechtswidrigen VA, welcher sich aus dem allgemeinen, durch das Verfassungsrecht i.V.m. VwGO verankerten Abwehranspruch gegen rechtswidrige Rechtsverletzung ergibt. Damit ist aber noch nicht gesagt, ob bei dessen prozessualer Durchsetzung die Aufhebung des VA durch das Gericht oder Verurteilung der Beklagten zur Aufhebung erfolgen soll. Was allerdings dem Anfechtungskläger verwaltungsprozeßrechtlich zur Verfugung gestellt ist, ist gerade die Aufhebung des rechtswidrigen VA durch das Gericht, nicht aber Verurteilung zu dessen Aufhebung durch die Beklagte: Beispielsweise wird mit einer Feststellungsklage nicht die Verurteilung der Beklagten zur vom Kläger 0

'

So Bachof, JZ 1962, S.666 (Nr.70-71).

3 8

Czermak weist dagegen als gesonderte Regelung fur die Verpflichtungsklage auf § § 5 2 Ziff.2,3 (jeweils letzter Satz); 68 Abs.2, 74 Abs.2 hin. Ders., aaO, S.777: Dies wäre unverständlich, wenn in jeder Verpflichtungsklage zugleich auch nur als ein unausgesprochenes Minus eine Anfechtungsklage "steckte". iq Bachof, aaO= ders., Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht Verfahrensrecht, Bd.I (1966), S.201,203 (Nr.Β 68-71) 4 0

Bachof, aaO.

4 1

Weckerle, Vorbeugender Rechtsschutz im Verwaltungsprozeß, Diss.München, 1967,

S.53. 4 2

Weckerle, aaO, S.53, aber auch S.54.

II. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

begehrten Feststellung von Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses43, sondern die Feststellung durch das Feststellungsurteil verfolgt. Rechtsdogmatisch kommt es immer noch darauf an, welche Bedeutung dieser prozeßrechtlichen Differenzierung zwischen Anfechtungsklage einerseits und Verpflichtungsklage als Leistungsklage andererseits zukommt, gleichgültig, ob sie womöglich letztlich nur aus prozeßökonomischen Gründen zustandegekommen sei. Es liegt somit nahe, regelmäßig vom durch die Klage zu erstrebenden Endziel (aber nicht Zwischenziel 'Aufhebung des versagenden V A ' 4 4 ) auszugehen, da gerade und nur dies die statthafte Klageart bestimmt. Hat das Gericht der Verpflichtungsklage stattgegeben und demzufolge ein Verpflichtungsurteil (oder sog. Bescheidungsurteil) erlassen, ist das Klageziel schon damit für erreicht anzusehen45, während sich an ihrem Rechtscharakter nichts ändert, wenn es dabei auch (aber zusätzlich) von anderem Gesichtspunkt etwa vom besonderen Rechtsschutzinteresse46 oder zur Rechtsklarheit oder -Sicherheit47 auf die ausdrückliche oder stillschweigende Aufhebung des einem positiven VA im Wege stehenden Ablehnungsakts ankommt. Die Aussage vom Doppelcharakter scheint nicht nur rein didaktischen Zwecken zu dienen, sondern mit dem dogmatischen Belang zusammenzuhängen, die Rechtswirkung des vorangegangenen Ablehnungsakts durch die Verpflichtungsklage ohne zusätzliche Aufhebung beseitigt sehen zu wollen 48 . Hauptsache ist aber allein, die rechtskräftige Verurteilung zur Vornahme zu erzielen, es sei denn, daß ausnahmsweise die besondere Erforderlichkeit der ausdrücklichen Aufhebung des Ablehnungsakts vorliege. Ferner ist es für den Klagecharakter der Weigerungsgegenklage unerheblich, ob die Ablehnung des beantragten VA selbst VA ist: denn es handelt sich Also etwa Verurteilung zur behördlichen Feststellung oder zum Erlaß eines feststellenden V A . 4 4

SG, Rn 415, S.165.

4 5

Daß bei § 113 Abs.5 VwGO nicht gerade von Aufhebung des ablehnenden V A die Rede ist, kann also dahin verstanden werden. Vgl. insbesondere die neueste Rechtsprechung des BVerwG, Urt.v. 19.5.1987 (NVwZ 1987, S.893f.): "Dem mit einem Verpflichtungsbegehren verbundenen Antrag auf Aufhebung eines Ablehnungsbescheids kommt in der Regel keine selbständige Bedeutung zu: dies gilt jedenfalls dann, wenn die Aufhebung nur dazu dient, die der Verpflichtung formell entgegenstehenden Verwaltungsakte (ex nunc) zu beseitigen." 4 6 Vgl. soeben zit. BVerwG, Urt.v.19.5.1987 (NVwZ 1987, S.894): "Anders verhält es sich aber, wenn der Kläger ein besonderes Rechtsschutzinteresse an der Aufhebung (ex tune) des ablehnenden Bescheids hat." So auch BVerwGE 39,304 [309]. Im übrigen kommt dem bei Verpflichtungsklage üblichen - unselbständigen - Aufhebungsbegehren keine eigene prozessuale Bedeutung neben dem Verpflichtungsbegehren zu (BVerwGE 1, 291 [297]; 51,15 [23]; 25,357), wenn das Leistungsbegehren voraussetzungsgemäß die Anfechtung des leistungsversagenden V A einschließt. Dazu vgl. BVerwGE 41,178 [182]; BVerwG Urt.v.2f.5.1976 (DVB1 1976, S.776f.) m.w.N. 4 7 4 8

Statt vieler SG aaO.

Dagegen kann aber folgendes gesagt werden: Mit dem stattgebenden Urteil werden die nicht rechtsbeständig gewordenen Ablehnungsbescheide des Beklagten gegenstandlos und unverbindlich. Eine etwa ausgesprochene Aufhebung hat lediglich deklaratorische Bedeutung. Keinesfalls liegt in ihr ein Aufhebungsurteil im Sinne einer Anrechtungsklage. (Vgl. R.Metzner, Der ablehnende Bescheid im Gestattungsrecht (Erwiderung auf König), BayVBl. 1977, S.13)

0

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

hauptsächlich um die Verurteilung zur Vornahme des beantragten VA, nicht aber um die Aufhebung des Ablehnungsakts. Wenngleich das Endziel "Verpflichtung" die Aufhebung des ablehnenden VA als Zwischenziel voraussetzt, ändert sich daran nichts. Es kann dabei durchaus dahingestellt bleiben, ob die Ablehnung, wenn sie einmal ergangen ist, ein VA sein soll 49 . Des weiteren liegt es auf der Hand, daß der Aufhebungsausspruch neben dem Verpflichtungsausspruch, also der Sache nach ein Gestaltungsurteil, weder den Rechtscharakter der Klage noch die dafür anzuwendenden prozessualen Regelungen (z.B., Streitgegenstand) ändert, wie es bereits Menger deutlich zum Ausdruck gebracht hat: Der Rückschluß vom Inhalt des Urteils auf den Rechtscharakter der Klage ist überhaupt ein logischer Fehlschluß; so enden z.B. alle abgewiesenen Leistungs- und Gestaltungsklagen mit einem (negativen) Feststellungsurteil.

Eine nächste, ebenso umstrittene Frage ist, ob ein stattgebendes Urteil der Weigerungsgegenklage die Aufhebung des ablehnenden VA entweder stillschweigend mit umfaßt oder ausdrücklich aussprechen muß 51 . Ohne sich damit näher zu befassen, läßt sich die Gesamtschau des Meinungsstandes wie folgt zusammenfassen: 1. Ein zusätzlicher ausdrücklicher Ausspruch im Urteil über die Aufhebung eines vorangegangenen ablehnenden Bescheids oder Widerspruchsbescheids ist nach überwiegender Meinung zwar nicht erforderlich 52, dient jedoch der Rechtsklarheit und damit der Rechtssicherheit 53; 2. Auch wenn das Gericht die Aufhebung nicht ausdrücklich Dies beiaht ohnehin die nahezu einhellige Meinung von Judikatur und Literatur. Ausfuhrlich H.-W.Laubinger, FS Menger, S.450 mit dort zitierten Nachweisen (Fn 21). Vgl. insbesondere BVerwGE 69,374fff, [377]; auch Stelkens/Bonk/Leonhardt, VwVfG Kommentar, 3.Aufl.(1983), § 35, Rn 80; EF § 42 Rn 16, S.211, § 113 Rn 32, S.724; Bettermann, NJW 1960, S.650; So auch historisch der Wille des Gesetzgebers der VwGO, BTDrucks. ΙΠ/55, S.31f. Einen Schritt weiter geht König, Der ablehnende Bescheid im Gestattungsrecht, BayVBl. 1976, S.577ff., der die Doppelnatur des Versagungsakts als Ablehnung der beantragten Gestattung und als (aber vollziehbare) Untersagung (Verbot) begründet wissen will. Es ist gerade dieser Ansatz, aus dem sich der Streitpunkt der Debatte zwischen König und Metzner zum ablehnenden Bescheid im Gestattungsrecht ergibt. Dazu BayVBl. 1976, S.577ff.; 1977, S.llff., 139ff. Wedel, aaO, S.98f., folgert demgegenüber die Ausschließlichkeit beider Klagearten aus dem heute wenig überzeugenden Argument, ein bloß ablehnender Bescheid sei kein V A , weil er an der Rechtslage nichts ändere, wohingegen die Ablehnung einer Maßnahme nach vorherrschender Auffassungiedenfalls dann ein V A ist, wenn die erstrebte Maßnahme selbst VA wäre (sog. Kehrseiten-Theorie). Aber zu weit gehend, Meyer/Borgs, VwVfG Kommentar, 2.Aufl. (1982), § 35, Rn 38, daß jede Ablehnung einer beantragten Amtshandlung V A sei. 5 0

klage.

Menger, System S.164. Hier aber bezüglich des Streitgegenstandes der Anfechtungs-

5 1 Dazu vgl. Bettermann, NJW 1960, S.649ff., 651, und H.v.Wedel, Zum Verhältnis von Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, MDR 1975, S.96, SG S.165, insbesondere Kopp § 113 Rn 73 m.w.N. ο SG aaO; Kopp, aaO; Ebenda angeführte Nachweise. Zu anderer Ansicht vgl. aber EF Rn 15 S.210f.; Stern 4 IV 1 und 18 II 1; Menger VerwArch. 1963, S .202; Richter DVB1 1960, S.885; Haueisen NJW 1960,316. 5 3 SG aaO; Kopp, aaO; RÖ 19; PR S. 143 (§ 13 II 6); weitergehend E.Schnuck/H.De Clerck, Verwaltungsgerichtsordnung, 3. Aufl., 1977 (SDC), § 113, 3b gg. Vgl. aber Czermak NJW 1962, 776, der hingegen die Aufhebung fur unzulässig hält, weil sich beide gegenseitig ausschließen; auch H.Pfeiffer, DVB1 1963, S.653, 656.

. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

7

ausspricht, ist das Urteil dem Klageantrag entsprechend immer dahin zu verstehen, daß das Gericht damit konkludent auch die entgegenstehenden Bescheide mitaufhebt 54; 3. Das soeben Gesagte entspricht der üblichen Praxis, in der bei der Verpflichtungsklage in der Regel neben dem Verpflichtungsantrag gem. § 113 Abs.5 S.l auch der Antrag auf Aufhebung der ablehnenden Entscheidung gestellt55 und das stattgebende Urteil dementsprechend tenoriert wird 5 ". c) Verpflichtungsklage

und allgemeine Leistungsklage

Der Maßstab fur die Abgrenzung zwischen Verpflichtungsklage und allgemeiner Leistungsklage57 wird heute nach überwiegender Auffassung durch den Begriff des Verwaltungsakts58 und vor allem dessen Anwendung

Kopp, aaO; Vgl. auch BVerwGE 39,138: "... In einem solchen Fall ist auch dann, wenn ein ausdrücklicher Aufhebungsantrag fehlt, das Klagebegehren gem. § 88 VwGO dahin auszulegen, daß der Ablehnungsbescheid aufgehoben werden soll." Dabei zu beachten ist aber mit der oben genannten Rechtsprechung des BVerwG, daß der Aufhebung keine eigene prozessuale Bedeutung zukommt. 5 5

So BVerwGE 51,23; N V w Z 1987, S.893; München BayVBl.1985, S.371.

5 6

Kopp, aaO; PR S.86 Fn 22, Vgl. auch in Kopp aaO, und PR S. 151 angeführte Entscheidungsformel (z.B."Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom ... verpflichtet, Bescheid zu erteilen"). 5 7 Zuweilen auch "unmittelbare", "schlichte", "einfache", "andere" oder "reine" Leistungsklage genannt, vgl. SG Rn 529, S.207; Götz, Allgemeines Verwaltungsrecht 3.Aufl., S.103ff Sie wird "allgemeine" Leistungsklage bezeichnet, weil auch die auf Vornahme einer V A gerichtete Verpflichtungsklage eine (besondere) Leistungsklage ist (Wolff/Bachof, Bd.I, 9.Aufl. S.335). Sofern sich die beiden Klagearten ausschließen, darf die erstere immerhin nicht mit der "Leistungsklage im allgemeinen Sinne" oder "verwaltungsgerichtliche Leistungsklage im weiteren Sinne" (SG Rn 530, S.208) als Oberbegriff der beiden verwechselt werden. Vgl. Holland, Die Leistungsklage im Verwaltungsprozeß, Diss.Göttingen, 1964, S.6ff., 35, der offenbar mit der "allgemeinen Leistungsklage" Leistungsklage im allgemeinen Sinne meint und die hier in Frage stehende allgemeine Leistungsklage als "unmittelbare" Leistungsklage bezeichnet; Achterberg, Die Klagebefugnis - eine entbehrliche Sachurteilsvoraussetzung, DVB1 1981, S.278 (hinsichtlich des EVwPO vom BMJ und BMA). Siehe auch oben § 9. Nicht zutreffend ist ebenso die Ansicht von Rautenberg, J./Voigt, H., Probleme der sog. allgemeinen Leistungsklage, DÖV 1964, S.259, die daraufhinweisen, daß die Bezeichnung nicht ganz präzis sei, weil darunter auch Unterlassungsklagen zu erfassen seien. Es ist aber weder empfehlenswert noch richtig, statt deren von einer allgemeinen verwaltungsgerichtlichen Klage zu sprechen, wie sie es wollen, sofern einmal dadurch das Wesensmerkmal der "Leistungsklage" verschwimmen kann. Ist Leistungsklage nach zivilprozeßrechtlicher Definition eine Klage, mit der die Verurteilung der Beklagten zu einer Leistung, d.h. zu einem Tun, Unterlassen oder Dulden erstrebt wird (Creifelds, S.694), ist es zum anderen nicht einzusehen, warum die Unterlassungsklage unter der (allgemeinen) Leistungsklage nicht erfaßt werden sollte. Die Bezeichnung "allgemeine Leistungsklage" scheint demgegenüber sich schon lange durchgesetzt zu haben. Vgl. Steiner, Die allgemeine Leistungsklage im Verwaltungsprozeß, JuS 1984, S.853 Fn 3. 5 8 Rupp, H.H., Zur neuen Verwaltungsgerichtsordnung, AöR Bd.85 (I960), S.302, würdigte, daß die Definition der Klage auf Vornahme eines Verwaltungsakts als Verpflichtungsklage in § 42 Abs.l VwGO dem früheren Vorschlag Bachofs gefolgt ist. Der Begriff der Verpflichtungsklage ist, worauf W.Schäffer, aaO, schon hingewiesen hat, zwar erstmals von Bachof gebracht worden, aber als Bezeichnung einer Klage, die auf eine Verpflichtung nicht nur zum Erlaß eines Verwaltungsakts, sondern auch zur Vornahme einer anderen Amtshandlung gerichtet sein konnte. Das ist zunächst hinsichtlich dessen nicht unverständlich, daß seine Definition die Terminologie des VGG ("Amtshandlung") einerseits und der M R V O

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

im Einzelfall gegeben59. Die Problematik an sich war von Anfang an mit konzeptionellen Unstimmigkeiten belastet60. Die Gegenposition wurde bekanntermaßen von Eyermann/Fröhler und Bettermann vertreten, welche sich einerseits auf die Zuordnung der Verpflichtungsklage zu allen öffentlichrechtlichen Streitigkeiten im Subordinationsverhältnissen und andererseits auf die Gleichsetzung des in § 113 Abs.5 VwGO verwendeten Begriffs der "Amtshandlung" und des von ihnen weit aufgefaßten Verwaltungsaktsbegriffs stützten6^. Hintergrund dieser Differenzen bildet vor allem die vor dem Inkrafttreten der VwGO praktizierte Unterscheidung zwischen Anfechtungssachen (Uber- und Unterordnungsverhältnis) und Parteistreitigkeiten (Gleichordnungsverhältnis), von der sowohl die Regelungen nach § 24 M R V O 165 als auch § 35 VGG offenbar ausgingen 02 . Diese Konzeption hat sich aber weder in der VwGO (§ 40) noch in der Rechtsprechung des BVerwG durchsetzen können 6 3 , und der Streit, der eine zeitlang weiter lebte, scheint heute vor allem durch die Meinungsänderung von Eyermann/Fröhler fast zur Ruhe gekommen zu sein 6 4 .

Der Begriff des VA als verbindliche Entscheidung im Einzelfalle hat sich nun im § 35 S.l V w V f G 6 5 Niederschlag gefunden, deren Begriffsbestimmung der bislang schon in der Rechtswissenschaft anerkannten entspricht 66. Dadurch läßt sich zwar für den Anwendungsbereich beider Klagearten die Grenzlinie ziehen und deren Verhältnis umschreiben, indem die Vorschriften über die Verpflichtungsklage als lex specialis hervortreten, - Subsidiarität der

("Verwaltungsakt") andererseits mit berücksichtigen mußte. Klar ist allerdings, daß er die Verpflichtungsklage jedenfalls als eine Klage auf Vornahme einer "Amtshandlung" definierte, deren Begriff weiter als der heutige Begriff des VA reicht. Bachof, aaO, S.9. Der Begriff des V A nach der Legaldefinition des § 25 Abs.l MRVO 165 (gleichlautend wie Art.I Abs. 1 a der M R V O ) sei ja auch (hinsichtlich der für die Entstehungsgeschichte der Verpflichtungsklage relevanten Regelung der M R V O 165 offenbar beachtenswert) insofern weiter als der tur das VGG entwickelte, als das obrigkeitliche Moment, die Verbindlichkeit des Anspruches oder seiner Ablehnung, fehle, und der Begriff beispielsweise auch Willensäußerungen nichtobrigkeitlicher Natur, insbesondere auf dem Gebiet der schlichten Hoheitsverwaltung umfasse (S.35). Dieser ursprünglich weiter gefaßte Begriff hat dem nachfolgenden Streit um die Abgrenzung der Verpflichtungsklage von anderen Klagearten nach VwGO Anlaß gegeben. 5 9

Steiner, S.857, m.w.N.

6 0

Vgl. Steiner, aaO.

6 1

EF 8.Aufl.(1980), § 42 Rn 4a(S.229),14(S.238),15; Bettermann, NJW 1960, S.650; Lerche, Staatsbürger und Staatsgewalt Bd.II S.21; Thomas, NJW 1968, S.438. 6 2

Vgl. Bachof, aaO, S.38-39, 49, 57-59.

6 3

Steiner, aaO; BVenvGE 31,301 (Grundsatzurteil vom BVerwG); 36,198 m.w.N.

6 4

EF 9.Aufl.(1988), § 42 Rn 5(S.207f.), 9(S.208). Dazu vgl. auch W.Vehse, aaO, S. 17ff., der ausfuhrlich zum derzeit durch die Mindermeinung von Eyermann/Fröhler weiterlebenden Streit um den Begriff des V A , insbesondere zur Unterscheidung zwischen dem materiellrechtlichen und prozessualen Verwaltungsaktsbegriff Stellung nimmt. 6 5 Diese Abkürzung bezieht sich dabei auf das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes wie auch auf diejenigen Gesetze der Länder, soweit nichts besonderes gesagt wird. Dazu vgl. Götz, Allgemeines Verwaltungsrecht, S.97.

Götz, S.99. Sie wurde auch in §§ 118 AO 1977, 31 SGB - V w V f übernommen.

II. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

7

allgemeinen Leistungsklage im Verhältnis zur Verpflichtungsklage 67. Es ist aber nicht diese in der Bezogenheit auf den Verwaltungsaktsbegriff in Erscheinung tretende Grundsatzfrage, sondern eher jene praxisorientierte bzw. entwicklungsoffene Problematik der Klagegegenstände, in Bezug auf die der ganze Abgrenzungsstreit stattfindet. Dabei läßt sich zunächst in der Rechtsprechung des BVerwG eine wesentliche Erweiterung des Einsatzbereichs der Verpflichtungsklage durch extensive Anwendung des Verwaltungsaktsbegriffs zu Lasten der allgemeinen Leistungsklage deutlich erkennen 68. Die Verschiebung des Schwerpunkts wird zum anderen ebenso dort auffällig erkennbar, wo die positive Bestimmung des Klagegegenstandes mit Hilfe der Handlungsformen öffentlich-rechtlicher Verwaltung als aktuelle Aufgabe auftaucht 69 , worauf aber am betreffenden Ort (unten § 24) zurückzukommen sein wird. Im übrigen sind bei der Verhältnisbestimmung zur Verpflichtungsklage zumindest folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen: Erstens, der Schluß von der negativen Grenzziehung (Substraktionsmethode70) auf eine positive Umgrenzung des Klagegegenstandes darf freilich nicht zur Annahme verleiten, daß die allgemeine Leistungsklage sich nur auf Verwaltungs-Realakte beziehe, da die Leistung nicht nur Tun, sondern auch Unterlassen sein kann 71 . Hierbei kommt die Unterlassungsklage auch im Rahmen der allgemeinen Leistungsklage regelmäßig dann in Betracht, wenn Nichtvornahme einer Verwaltungshandlung begehrt wird. Die sogenannte vorbeugende Unterlassungsklage72, die zwar nach h.M. und Judikatur ebenso zur allgemeinen Leistungsklage gerechnet wird 7 3 , .. Vgl. dagegen die Ansicht von Holland, Die Leistungsklage im Verwaltungsprozeß, DÖV 1965, S.41 Off., die allgemeine Leistungsklage gelte nicht subsidiär, sondern stehe alternativ neben der Veipflichtungsklage. Dazu aber Vehse, aaO, S.137 Fn 462. 6 8

Steiner, aaO, S.857.

6 9

Zur Schwierigkeit der positiven Umgrenzung ihres Klagegegenstandes, statt vieler vgl. SG Rn 533ff., S.208ff.; Vehse, aaO, der diese von der h.M. angenommene negative Grenzziehung kritisiert und nach der Bestandsaufnahme der Rechtsprechung mit den aus Art. 19 Abs.4 GG i.V.m. §§ 40ff. VwGO zu entwickelnden Merkmalen versucht, positiv den Klagegegenstand der allgemeinen Leistungsklage zu bestimmen. Vgl. insbesondere S.137ff., 204f.; Steiner, aaO. Siehe unten § 24. 7 0

SG aaO.

7 1

PR § 7 III 2 Rn 19, S.72; SG 208f.

7 2

Die sog. vorbeugende Unterlassungsklage kann sich freilich auf Nichtvornahme entweder eines drohenden V A oder schlichten Hoheitsakts richten, während die auf Unterlassen eines vorangegangenen V A gerichtete (normale) Unterlassungsklage jedenfalls nicht in Frage kommt. Dazu vgl. Steiner, aaO, S.854f. 7 3 Kritisch aber Kopp § 42 Rn 9, 29, der vorher diese in der Literatur und Judikatur vorherrsche Auffassung insoweit für systemwidrig hielt, als derselbe Zweck durch entsprechende Zusagen oder Feststellungen durch VA erreicht werden könnte, aber nun seine Meinung dahin geändert hat, daß die Zulässigkeit solcher Klagen heute wohl als gewohnheitsrechtlich begründet angesehen werden müsse (Jedenfalls sei die Verpflichtungsklage auf Erlaß entsprechender VAe als zulässig anzusehen).

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

soll aber in der vorliegenden Arbeit schon aus den besagten Gründen und wegen ihres vorbeugenden Charakters nicht besonders behandelt werden 74 , während die übrigen Unterlassungsklagen auch in Betracht kommen, weil das begehrte Unterlassen insofern auch als einem Tun mit entsprechendem Inhalt gleichzusetzen ist, als etwa bei der nach der Auffassung des BVerwG nicht als VA zu qualifizierenden Umsetzung eines Beamten75 ihre Rückgängigmachung oder die Beseitigung ihrer Folge 76 selbst ein durch die allgemeine Leistungsklage zu verfolgendes, positives Tun darstellen kann. Dabei handelt es sich um die prozessuale Geltendmachung deren Vornahme, durch die aber praktisch Abwehr gegen einen schlichten Hoheitsakt durch eine BeseitigungsLeistung verfolgt wird. Zweitens, die Subsidiarität der allgemeinen Leistungsklage bedeutet nicht bloß die Vorrangstellung der Verpflichtungsklage im Vornahmefall, sondern hebt vielmehr ihre Funktion als sog. Auffangklage hervor, und zwar, daß sie auch solche Rechtsschutzbegehren prozessual auffangt, die nicht unmittelbar auf einen VA in einer § 42 Abs.l VwGO entsprechenden Weise gerichtet sind. Sie kommt zum Tragen, wenn die Verpflichtungsklage als spezielle Leistungsklage tatbestandlich (§ 42 Abs.l VwGO) nicht greift 77 , und auf diese Weise verwirklicht sie das grundgesetzliche Gebot des umfassenden (möglichst lückenlosen) Rechtsschutzes zugleich (Art. 19 Abs.4 GG i.V.m. § 40 VwGO) 7 8 . Schließlich zu beachten ist der Aspekt, daß die allgemeine Leistungsklage in Wahrheit kein "Zaubermittel11 ist, mit dem Rechtsschutz immer geht 79 : Vielmehr sind weitere Prozeßvoraussetzungen - Bedingungen der Zulässigkeit der Klage, zwar Rechtsschutzbedürfhis und die Klagebefugnis usw. - noch zu herauszustellen, welche allerdings durch die VwGO so gut wie nicht konturiert sind 80 . d) Allgemeine Leistungsklage, Anfechtungsklage

und sonstige Klagearten

Im Vergleich zur Verpflichtungsklage und allgemeinen Leistungsklage kommt die Anfechtungsklage, wie oben erwähnt, als zur Durchsetzung der Siehe oben § 2. 7 5

BVerwGE 60, 144=DVB1 1980, S.882=NJW 1981, S.67. Dazu ausfuhrlich vgl. H.U.Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I 2.Aufl., S.35f (Fall 2). 7 6

Erichsen, aaO.

7 7

Steiner, aaO, S.853.

7 8

707 ' klage). 8 0

Statt vieler, Frotscher, DÖV 1971, S.259ff. Götz, Allgemeines Verwaltungsrecht, S.l 14 (hier aber hinsichtlich der AnfechtungsSG Rn 530, S.208.

. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

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Vornahme einer Verwaltungshandlung einsetzbare Rechtsschutzform nur in Betracht in der Gestalt der isolierten Anfechtungsklage oder der mit der Verpflichtungsklage verkoppelten Aufhebung des ablehnenden Bescheides. Relativ wenig Schwierigkeiten wirft demgegenüber das Verhältnis von Anfechtungsklage und allgemeiner Leistungsklage auf, da dafür einschlägige Abgrenzungskriterien durch den Begriff des VA einerseits und die kategorische Unterscheidung zwischen Gestaltungsklage und Leistungsklage gegeben werden. Es ist indessen bestätigt, daß die allgemeine Leistungsklage auch mit der Anfechtungsklage vergleichbare Rechtsschutzfunktion erfüllen kann: Sie ermöglicht eine gerichtliche Kontrolle belastender Maßnahmen ohne Verwaltungsakt-Charakter 811. Diese Abwehrfunktion, die dem Anschein nach für unser Thema nicht besonders von Belang zu sein erscheint, ist jedoch mit einem anderen Aspekt abzugleichen: Wird etwa Aufhebung des FlugunfallUntersuchungsberichts im Wege der allgemeinen Leistungsklage begehrt 82, erfüllt die allgemeine Leistungsklage in diesem Fall maßgeblich als Klage auf Widerruf einer tatsächlichen Verwaltungsäußerung in der Tat eine Abwehrfunktion, die ansonsten durch die Anfechtungsklage zu erfüllen wäre, wenn der Bericht als Klagegegenstand u.U. als VA zu qualifizieren sein sollte. Der Widerruf oder die Aufhebung des Berichts, wie immer es bezeichnen zu sein mag, ist nichts anderes als eine korrigierte Berichterstattung, die durch die Klage begehrt wird. Für den Widerruf dieses wohl als schlicht-hoheitliche Handlung zu qualifizierenden Berichts 83, kommt die sog. "QuasiAnfechtungsklage " 8 4 daher nach fast einhelliger Meinung in Übereinstimmung mit BVerwGE 14, 327 8 5 a limine nicht in Frage 86 . Damit läßt sich die Verfestigung der Auffangfunktion der allgemeinen Leistungsklage feststellen, indem sie auch die Rolle der allgemeinen 0 1

Steiner, aaO.

8 2

BVerwGE 14, 327. Zur Erläuterung dieses Falles Verwaltungsrecht, S.113fif. (Fall 50). Vgl. auch BVenvGE 60,144. 8 3

Götz, aaO.

8 4

OVG Lüneburg v.25.1.61, OVGE 16,442ff.

vgl.

Götz,

Allgemeines

8 5 Dieses Urteil des BVerwG seht im wesentlichen aber davon aus, daß nur VAe, ebenso wie Bettermann, NJW 1960, S.650; Wedel, aaO, S.98, von seiner rechtlichen verbindlichen Wirkung wegen anfechtungsfahig sind (bezüglich des Zieles der Anfechtungsklage), und eine derartige Kla^e wegen des Fehlens solcher verbindlichen Wirkung des Berichts nicht zulässig sei. Das gleiche Ergebnis hätte m.E. eher aus der Sonderstellung der Gestaltungsklage als Gegenstück zum Gestaltungsrecht im materiellen Recht folgen sollen (Hierzu SG S.206, Fn 5, unter Hinweis auf P.Schlosser, aaO); prozessuale Gestaltung kommt wegen ihrer unmittelbaren Entfaltung der Wirkung ebenso wie im Bereich der Gleichoranung nur ausnahmsweise aufgrund einer besonderen Regelung in Betracht. 8 6 H . M . SG S.207. Völlig unbestritten ist dies freilich nicht. Etwa SG S.206 unter Hinweis auf Schlosser, Gestaltungsklagen und Gestaltungsurteil 1966; EF § 42 Rn 2. Dagegen wandte sich neuerdings Strahl" G., Die allgemeine Gestaltungsklage als Klageart im Verwaltungsprozeß, Bonner Dissertation 198/, der die Zulässigkeit der allgemeinen Gestaltungsklage und die Notwendigkeit ihrer (ausdrücklichen) Aufnahme in die neue Verwaltungsprozeßordnung insgesamt aufgrund der offenen Klagesystems des § 40 i.V.m. § 43 Abs.2 VwGO einerseits und anhand deijenigen verschiedenen Fallkonstellationen andererseits folgert, in denen Beeinträchtigungen durch ein 'außenwirksames aliud' der allgemeinen Gestaltungsklage unterwerfen sollten.

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

Gestaltungsklage87 auf sich nimmt, es sei denn, daß diese aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Zulassung zum Zuge käme. Im übrigen kommt die Feststellungsklage auch insofern in Betracht, als die Fortsetzungsfeststellungsklage gem. § 113 Abs.l S 4 VwGO fur die Verpflichtungsklage analog anwendbar ist 8 8 . Die sog. vorbeugende Feststellungsklage kann ebenso als Rechtsschutz gegen drohendes (pflichtwidriges) Unterlassen einer Verwaltungshandlung oder gegen deren zu erwartende Ablehnung in Betracht kommen, etwa in der Gestalt von der Feststellungsklage nach § 43 VwGO mit dem Ziel, die Verpflichtung des Beklagten zu einer Gestattung unter bestimmten Voraussetzungen feststellen zu lassen89.

2. Sytematik der prozessualen Ausgestaltung Die prozessuale Ausgestaltung der ebenerwähnten Klagearten, die zwar jeweils als von der VwGO vorprogrammierte Rechtsschutzformeiv unterschiedliche Charakteristika aufweisen, beruht aber im wesentlichen auf einem gemeinsamen Arrangement der Prozeßvorgänge, welches sich in sachlogischer Hinsicht folgendermaßen umreißen läßt: Vorausgesetzt, daß der zuvor bei der zuständigen Behörde ordnungsgemäß gestellte Antrag auf Vornahme einer Verwaltungshandlung unbeschieden gelassen oder abgelehnt worden ist, (gegebenenfalls bei der Verpflichtungsklage in der Gestalt der Weigerungsgegenklage das Widerspruchsverfahren erfolglos durchgeführt worden ist), läßt sich der Gang des Prozesses in erster Instanz allgemein durch das folgende Ordnungsschema nachvollziehen: -

Klageerhebung Zulässigkeitsprüfung Sachverhaltsermittlung bzw. mündliche Verhandlung Begründetheitsprüfung Gerichtliche Entscheidung

Diesen, lediglich nach ihrem sachlogischen Gewicht vereinfachten Verfahrensabschnitten 90 entsprechen je verschiedene Prozeßrechtskategorien,

oo

Zum Begriff der "allgemeinen Gestaltungsklage" vgl. Strahl, aaO, S.86ff.

Für die allgemeine Leistungsklage ist es hingegen umstritten. Verneinend OVG Münster (Entscheidung v.13.1.1976, RiA 1976, S.137); a.A. BayVGH v.16.7.1980, BayVBl.1980, S.656f. 8 9 Diese erfolgt zwar a priori, aber zielt auf Feststellung einer Vornahmepflicht ab. Dazu vgl. J.Martens, Die Praxis des Verwaltungsprozesses, 1975, S.91ff. 9 0 Dies ist freilich nur ein minimal-systematisches Aufbauschema zur Erleichterung der Analyse des gemeinsamen Grundrisses einzelner Klagen, das jedoch in Wirklichkeit vielfachen Abweichungen unterworfen ist, zumal die einzelnen Elemente ineinander greifen. So kann sich etwa ein analytisches Modell auch mit einem bestimmten praktischen Ziel, wie das

II. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

7

die insgesamt aber eine topologische Einheit zur Erzeugung der gerichtlichen Verurteilung zur Vornahme einer Verwaltungshandlung bilden, in welcher verschiedene Aspekte der durch einzelne Rechtsschutzform zur Entscheidung gestellten Streitigkeit rechtlich verarbeitet werden können. Von denen kommen hier allerdings nur die folgenden wichtigen Anknüpfungspunkte besonders in Betracht, die nach relativer Priorität in funktionaler Hinsicht gesondert darzulegen sind. Nämlich: -

Streitgegenstand Sachurteilsvoraussetzungen und Begründetheit Wirkung und Vollstreckung des Urteils Vorläufiger Rechtsschutz

Um diese Problemkomplexe zu erläutern, ist davon auszugehen, daß das Gericht nur aufgrund eines Rechtsschutzgesuchs eine Entscheidung erlassen darf. Das gerichtliche Verfahren zur Erzeugung der verbindlichen Streitentscheidung beginnt also erst dann, wenn eine Klage ordnungsgemäß erhoben ist, die sich auf ein bestimmtes Klagebegehren richtet. Dies bezeichnet das klägerische Ziel und begrenzt damit das Streitprogramm 91. Dem Gericht, das zwar an das Klagebegehren gebunden ist (§ 88 VwGO), obliegt es aber nun, dieses in die vom Prozeßrecht vorgesehene Rechtsschutzform zu bringen, und zugleich den Rechtsstreit durch die Bestimmung des Streitgegenstandes rechtlich zu identifizieren. Der Streitgegenstand spielt von dort an als Drehpunkt der ganzen Klagestruktur eine Schlüsselrolle, dessen abschließende Bestimmung das notwendige Entscheidungsprogramm festlegt, damit unter jedem einschlägigen rechtlichen Gesichtspunkt über die Klage, soweit ihre Zulässigkeit feststeht, entschieden wird 9 2 . Wird durch die Prüfung der Sachurteilsvoraussetzungen entschieden, ob eine Entscheidung zur Sache überhaupt ergehen darf, stellt die Begründetheitsprüfung die materielle Entscheidung der Streitsache dar 93 . Als Ergebnis des ganzen Verfahrens ergeht dann die gerichtliche Entscheidung, wobei vor allem die Wirkung und die Vollstreckung des (stattgebenden) Urteils in Betracht kommen. Vorläufiger Rechtsschutz bedarf währenddessen wegen seiner eigenständigen Bedeutung als Instrument alsbaldiger Aufbauschema zum Aktenvortrag bei der mündlichen Verhandlung (PR S. 16 Schaubild 2), formulieren lassen. Zum Sytematikversuch zur Prozeßführunc im Verwaltungsprozesses vgl. etwa H.Fliegauf, Prozeßführung im Verwaltungsstreit, 1987, S.37, der »Stationen« des Prozesses in die drei verschiedenen Phasen eingliedert, und zwar in Vorbereitung der mündlichen Verhandlung, mündliche Verhandlung sowie Entscheidung und ihre Bekanntgabe. 9 1

Q9 A

S.186.

G.Lüke, Streitgegenstand im Verwaltungsprozeß, JuS 1967, S.3. G.Barbey, Bemerkungen zum Streitgegenstand im Verwaltungsprozeß, in: FS Menger,

9 3 Die herkömmliche Unterscheidung zwischen 'Zulässigkeit' und 'Begründetheit' der Klage bleibt zwar nicht unumstritten, soll hier aber zugrundeliegen, da sie jedenfalls zum Ausfindigmachen der Problemkreise von heuristischem Wert ist. Für die Beibehaltung dieser Trennung z.B. Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S.137; Barine, aöR 76 (1950/51). Vgl. aber Skouris, S.155; Berger, Grundfragen umweltrechtlicher Nacnbarklagen, 1982 Kölner Diss., S.209f; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S.271.

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

Rechtsschutzgewährung94 besonderer Betrachtung. Im folgenden sollen diese einzelnen Elemente näher auf den Begriff zu bringen sein. a) Streitgegenstand Unter Streitgegenstand im Verwaltungsprozeß 95 versteht man entsprechend der auch im Zivilprozeßrecht herrschenden Auffassung 96 den prozessualen Anspruch, d.h. das vom Kläger auf Grund eines bestimmten Sachverhalts an das Gericht gerichtete Begehren um Rechtsschutz durch Erlaß eines Urteils mit einem bestimmten Inhalt 97 . Der Begriff ist allerdings mit dem Finkelnburg/Jank, § 1 Rn 5, S.3. 9 5

Es wird meist vertreten, obgleich in der Lehre vom Streitgegenstand vieles ebenso streitig wie im Zivilprozeßrecht sei, bedürfe es fur den Verwaltungsprozeß keiner Erörterung der Streitfragen und der einzelnen Theorien, da sie kaum Probleme in der Praxis entfalteten. So Stern, aaO, S.120; Vgl. auch RÖ § 121 Rn 7; Ule, § 35, S.205f. (unter Hinweis auf die bemerkenswert geringe Zahl einschlägiger Entscheidungen). Nach der Würdigung Ules habe der Streitgegenstand im Verwaltungsprozeß bisher nur bei der Rechtskraft eine Rolle gespielt und auch dort nur in den Wirkungen auf einen späteren Zivil(Amtshaftungs)prozeß. Die unterschiedlichen Auffassungen wirken sich praktisch nur auf die Anfechtungsklage aus. Ule, aaO; ihm nachfolgend EF § 121 Rn 10a; Creifelds S.1060. Demgegenüber weist RO 9.Aufl., § 121 Rn 7 darauf hin, daß in der Dogmatik über die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage Unklarheiten bestünden, während für die einfache (hier allgemeine) Leistungsklage und die Feststellungsklage die Bestimmung des Streitgegenstandes keine Schwierigkeiten mache. In der Tat ist die Lehre von Streitgegenstand und Rechtskraft des Verwaltungsprozesses in den letzten zwei Jahrzehnten merkwürdig vernachlässigt worden. Ebenda. Damit darf.m.E., wie Martens, J., Streitgegenstand und Urteilsgegenstand der Anfechtungsklage, DÖV 1964, S.365ff. zutreffend hervorhob, trotzdem nicht geleugnet werden, daß der Streitgegenstand fur den Verwaltungsprozeß gemeinhin zentrale Bedeutung sowie Funktionen innehat, worauf nicht minder als im Zivilprozeß vor allem unter dem rechtsvergleichenden Gesichtspunkt Rücksicht zu nehmen ist: Es handelt sich dabei darum, was mit der in Frage stehenden Rechtsschutzform verfolgt wird bzw. werden kann, wovon die Beantwortung verschiedener wesentlicher Fragen (wie gerade nachfolgend gezeigt wird) abhängt. Vgl. auch Barbey, aaO, S.179, wobei von der unverminderten Aktualität der Feststellung Mengers die Rede ist, daß Fragen des Streitgegenstandes zu den schwierigsten und deshalb auch umstrittensten Fragen des Prozeßrechts gehören (Menger, System S.158). 9 6 Vgl. H.Thomas/H.Putzo, Zivilprozeßordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz, 16.Aufl. 1990 (nachfolgend ThP) Einleitung Π Rn 7, S.7ff.; Die Bestimmung und Abgrenzung des Streitgegenstandes anhand abstrakter Kriterien stelle auch im Zivilprozeßrecht trotz zahlreicher Untersuchungen der Wissenschaft nach wie vor ein ungelöstes Problem dar. Bei allen einzelnen Verschiedenheiten lassen sich im wesentlichen die folgenden Hauptmeinungen unterscheiden: Der Streitgegenstand wird bestimmt; 1. nach dem "eingliedrigen Streitgegenstandsbegriff durch das im Klageantrag bezeichnete Begehren (Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 14.Aufl. 1986, § 96 ΠΙ 3, IV); 2. nach dem "zweigliedrigen Begriff durch den Klageantrag und den dem Antrag zugrundeliegenden Lebensvorgang (Jauernig, Zivilprozeßrecht, 22.Aufl.,1988, § 37 Π); 3. nach dem "materiellrechtlichen Begriff durch die materiellrechtliche Anspruchsgrundlage (Nikisch, AcP 154,282f.). Von denen ist die zweite Auffassung heute wohl als herrschende Meinung anzusehen (ThP Einl II 7; D.Knöringer, Die Assessorklausur im Zivilprozeß 1987 S.108 m.w.N fur die Rechtsprechung des BGH). Im übrigen sprechen sich Baumgärtel, Grunsky, Henckel, Rimmelspacher immer wieder mehr fur einen materiellrechtlich angenäherten Streitgegenstandsbegriff aus. Näheres dazu vgl. ThP Einl Π. Zum allgemeinen Streitgegenstandsbegriff vgl. F.-J. Stein, JA 1982, S.43; 9 7 Kopp § 90 Rn 7, S.1089; so auch Stern, aaO; VG München Urteil v.5.12.1966 Nr.3168/66

II. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

7

"Klagegegenstand" d.h. "Objekt des prozessualen Anspruchs" 98, nicht zu verwechseln. Zwar kann dieser etwa bei Anfechtungsklage hinsichtlich seiner Rolle als Angriffsziel oder als Anfechtungsgegenstand gem. § 79 V w G O 9 9 für jenen von entscheidender Bedeutung sein. Der Streitgegenstand ist vor allem in seinen prozessualen Funktionen aber mit dem Klagegegenstand nicht identisch 100 1 0 1 : Im Veiwaltungsprozeß spielt der Streitgegenstand außerdem in verschiedener Hinsicht eine Rolle: Die Klage muß den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen, um die Festlegung des Streitgegenstandes durch das Gericht zu ermöglichen, damit der anhängige konkrete Rechtsstreit rechtlich identifizierbar wird (§§ 82 Abs.l S 1,88 VwGO); er bestimmt den Umfang der Rechtsanhängigkeit ( § 9 0 VwGO) und ist maßgeblich fur die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs (§ 40 VwGO); an ihn knüpfen die sachliche und örtliche Zuständigkeit an (§§ 45ff.); von ihm hängen die Passivlegitimation (§ 78 VwGO) und die Notwendigkeit der Beiladung eines Dritten (§ 65 Abs.2 VwGO) ab; nach ihm bemißt sich, ob bei Änderung des Klageantrags oder Veränderung des Klagegrundes die Regeln über die Klageänderung eingreifen (§§ 91,142 VwGO); er ist bedeutsam für Art und Maß des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80,123 VwGO); schließlich und vor allem ist der Streitgegenstand Basis fur die Reichweite der materiellen Rechtskraft (§ 121 V w G O ) 1 0 2 .

V ö Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 8.Aufl. 1960, § 88 I 1 c, S.415416.: Das bedeute den mit der Klage in Anspruch genommenen Gegenstand, wie § 23, den "geforderten Gegenstand", wie § 268 Ziff.3 ZPO sagt." 9 9 Den Ausdruck dieser Vorschrift bezeichnet Kopp als "unpräzis". Der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebliche Zeitpunkt bei verwaltungsgerichtlichen Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen, in: FS Menger, S.TOO.

100 EF § 79 Rn 1; SG Rn 203, S.83; RÖ § 79 Rn 1; Lüke, aaO, S.3; zur Verwendung des Begriffs in diesem Sinne vgl. auch Vehse, aaO.

101 Früher mußte die Klage gem § 82 Abs.l S 1 VwGO a.F. (y. 21.1.1960, zuletzt geändert durch Artikel 7 § 23 des Gesetzes v.12.12.1990 (BGB1.I S.20Ò2)) den Streitgegenstand bezeichen (Hervorhebung: Verfasser). Der Streitgegenstand in dem Sinne war deshalb nicht im juristischtechnischen Sinne zu verstehen und mit dem des § 121 VwGO (Streitgegenstand im eigentlichen Sinne) nicht identisch, der letztendlich vom Gericht festzulegen ist. So liege nach Ansicht Lükes, aaO, S.3 der Schluß angesichts des so sehr umstrittenen Begriffs nahe, daß der Gesetzgeber in dieser Vorschrift (die § 253 Abs.2 Nr.2 ZPO entspricht) Streitgegenstand und Klagegegenstand verwechselt habe. Gleichwohl sei dort Streiteegenstand, so weist er daraufhin, nicht als Klagegeeenstand aufzufassen. Der "Klagegegenstand", der lieber bezüglich des Klagebegehrens im Rahmen der Sachurteilsvoraussetzung unten in § 20 der vorliegenden Arbeit zu erörtern sein sollte, wurde jedoch ab und zu mal mit dem Streitgegenstand verwechselt, oder in dem gleichen Sinne verwendet, wie an dem ebeneenannten Urteil (BVerwGE 52, 247 [249]) offenbar abzulesen ist: so heißt es dort, "Der Klagegegenstand wird durch den Klageantrag bestimmt und regelmäßig, wie sich aus § 82, § 86 Abs.3,4, § 88 VwGO ergibt, durch die Klagebegründung präzisiert (Urteil vom 19 Dezember 1963 - BVerwG V I C 167.62)." Es ist daher recht begrüßenswert, daß § 82 Abs.l S.l VwGO n.F. (BGB1.2809 v.17.12.1990) diese begriffliche Unklarheit behob, indem er den Ausdruck "Streitgegenstand" durch "Gegenstand des Klagebegehrens" ersetzte. 1 0 2

G.Barbey, aaO, S.177.

0

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

Bisher waren im Verwaltungsprozeßrecht, was die Anfechtungsklage anbelangt, aber unter beschränktem Einfluß der im Zivilprozeßrecht vertretenen Streitgegenstandslehren im wesentlichen drei Theorien vertreten, die jeweils auf die Rechtmäßigkeit des angefochtenen VA* , den Anspruch auf Aufhebung des VA* und auf die Rechtsbehauptung (Rechtsbegehren) des Klägers*^" abstellten* . Vermißt man bei den erstgenannten zwei Auffassungen die Aspekte der Rechtsverletzung und Rechtswidrigkeit, liegt es demgegenüber fur die letzte daran, eine abstrakt-einheitliche Formulierung nach der Streitgegenstandslehre zivilprozeßrechtlicher Herkunft mit den von der VwGO voiprogrammierten Rechtsschutzformen in Einklang zu bringen. Hier ließe sich Anlaß zur Annahme erkennen, daß die Angabe des konkreten Klageziels und des Klagegrundes untrennbar zusammengehören , deren prozessuale Zusammenhänge aber bei Identifizierung des Streitgegenstandes durch das 1 Gericht, etwa parallel zur Kritik am Einheitsbegriff im Zivilprozeßrecht , schweipunktmäßig divergierend beurteilt werden k ö n n e n * .

Nach der Rechtsprechung des BVerwG, der Streitgegenstand werde durch Klageanspruch und Klagegrund konkretisiert***, ist der Streitgegenstand je nach dem geltend gemachten Klageanspruch unterschiedlich**^aufzufassen. Dabei spielt die Rechtsschutzform für den Begriff und die Abgrenzung des Streitgegenstandes eine wesentliche Rolle** 3 , obgleich dagegen die Ansicht Es waren nach Ansicht Rupps vor allem die strukturellen Unterschiede zum Zivilprozeß, die eine Übernahme der im Zivilprozeß entwickelten Begriffe und Deutungen auf den verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsprozeß erschwerten. Er wies etwa auf das in der Verwaltungsprozeß rechtslehre schon längst vollzogene "Abgehen vom Klageantrag" hin, auf das die Zivilprozeßrechtslehre bei der Bestimmung des Streitgegenstandes in erster Linie ihr Augenmerk gerichtet habe. Vgl. Rupp, Zur neuen Verwaltungsgerichtsordnung, AöR Bd.85, I960, S.310ff.,313. Zum Strkukturvergleich zwischen Zivil- und Verwaltungsprozeß, vgl. Mühl, Zur Struktur des Verfassungs- und Verwaltungsprozeß im Verhältnis zum Zivilprozeß, in GS fur R.Bruns, 1980. S.145ff., 162. 1 0 4

Vgl. Niese, JZ 1952, S.353ff.

1 0 5

Vgl. Bettermann, DVB1 1953, S.163ff. und 202ff.; kritisch (aus prozeßökonomischen Gründen) dagegen etwa EF § 121 Rn 10b; so ähnlich wie Bettermann auch Wey reuther, Die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts und die »dadurch« bewirkte Verletzung »in ... Rechten« (§ 113 Abs.l S 1 und Abs.4 S 1 VwGO), in: FS Menger, S.681fT.[686] (nachfolgend Die Rechtsverletzung); ders., Gutachten Β ζ. 47.DJT, S.46f.,66f., und 90 m.w.N., der Streitgegenstand der Anfechtungsklage als "Beseitigungsanspruch" betrachtet. Wohl inzwischen herrschende Meinung. Vgl.Menger, System, S.158; Bachof u.a. JZ 1953, S.411; Naumann, DVB1 1954, S.333f.; Ule, § 35 II 3; Lüke, aaO, S.lf.; Kopp, Der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebliche Zeitounkt bei verwaltungsgerichtlichen Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen, in: FS Menger, S.699ff.; BVerwGE 29,211; 39,249. 1 0 7

So vgl. EF § 121 Rn 10a.

108

Lüke, aaO; Barbey, aaO, S.184, der die sog. Lehre vom eingliedrigen Streitgegenstandsbegriff ablehnt. Insbesondere Baumgärtel, G., Zur Lehre vom Streitgegenstand, JuS 1974, S.69ff., der den einheitlichen Streitgegenstandsbegriff kritisiert und danach den Streitgegenstand je nach den prozessualen Bezugspunkten relativiert, wobei der Sachverhalt einheitlich zwar nur fur den Eingang (Rechtshängigkeit) und Ausgang (Rechtskraft) des Prozesses maßgebend ist, aber fur die Prozeßökonomie wie bei Klagenhäufung und -änderung keine Rolle spielt. 1 1 0

Barbey, aaO, S.186.

* * * BVerwGE 52, 247 [249]; Urteil vom 25.3.1982 - 2 C 30.79 und vom 15.3.1984 BVerwG 2 C 30.79. * * 2 BVerwGE 72, S . l l l [112]: Keine Identität zwischen einer Feststellung, Berufssoldat gewesen zu sein und einem Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens.

. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

1

vertreten wird, dessen Bestimmung durch das Gericht müsse von den fur die Festlegung des Entscheidungsprogramms belanglosen Unterschieden der einzelnen Klagearten abstrahieren 114. Der Kläger hat den Rechtsstreit gem § 82 Abs.l S.l VwGO durch Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens zu individualisieren, das Gericht muß ihn durch Bestimmung des Streitgegenstandes rechtlich identifizieren, nämlich ohne irgendeine Veränderung seiner Individualität in all diesen Zusammenhängen rechtlich qualifizieren 115 , wobei der Streitgegenstand nicht stets mit derselben Intensität bestimmt zu werden braucht, sondern es von der jeweiligen Fragestellung abhängt, welche Elemente demgegenüber vernachlässigt werden können 116 . Es besteht also Arbeitsteilung zwischen Kläger und Gericht: Wenn der Kläger den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen muß, so folgt daraus die in § 86 Abs. 3 noch besonders angesprochene Verpflichtung des Gerichts, den in einem gewissen Umfang vom Kläger vorzuprogrammierenden Streitstoff in die Rechtsschutzform zu bringen, die die VwGO vorschreibt 117. b) Sachurteilsvoraussetzung

und Begründetheit

i. Um den Rechtsstreit zu entscheiden, müssen zuvor die vom Prozeßrecht zur Gewährung rechtsstaatlichen Rechtsschutzes aufgestellten Bedingungen erfüllt sein. Diese Bedingungen werden meist als Sachurteilsvoraussetzungen118 bezeichnet. Zu unterscheiden ist zwischen Sachurteilsvoraussetzungen, die für jede Sachentscheidung, unabhängig von der Rechtsschutzform, erfüllt sein müssen (allgemeine Sachurteilsvoraussetzungen), und solchen, die von bestimmten Klagearten abhängen (besondere Sachurteilsvoraussetzungen)119. Für das Thema der vorliegenden Arbeit soll die

1 1 3 Kopp § 90 Rn 3, S.1089; Lüke, aaO, der hervorhebt, die Besonderheiten des Verwaltungsprozesses forderten, die wichtigsten Klagearten im einzelnen zu betrachten. 1 1 4

Barbey, aaO, S. 184.

1 1 5

Ule, S.205; Barbey, aaO, S.186.

1 1 6

Ebenda. Vgl. auch die damit übereinstimmende Auffassung von J.Martens, aaO, S.365, der von der Unterscheidung ausgeht, daß der "Streitgegenstand" wesentlich durch den Kläger, der für die Rechtskraft allein maßgebliche Urteilsgegenstand dagegen durch die Entscheidung des Gerichts bestimmt wird. Vgl. aber dagegen Mühl, aaO, S.163. 1 1 7

J.Martens, aaO; ders., Praxis, S.65-66.

1 1 8

Darunter sind diejenigen Voraussetzungen zu verstehen, die vorliegen müssen, damit eine Sachentscheidung ergehen kann (Zulässigkeitsanforderungen). Stern, S.5. Neben dieser eingebürgerten Bezeichnung wird der Terminus "Sachentscheidungsvoraussetzung" vorgeschlafen und verwendet, die in der Tat treffender ist, etwa weil außer dem Urteil auch andere gerichtliche Entscheidungen wie Beschluß ergehen können. Renck, BayVBl.1973, S.448; Erichsen, S.15; PR S.29; SG Rn 32, S.16. Der Terminus "Prozeßvoraussetzungen" ist dementgegen irreführend und zu vermeiden, weil er nämlich Voraussetzungen eines Prozeßrechtsverhältnisses bezeichnet, das bereits mit der Erhebung der Klage begründet wird. 1 1 9 So heißt die Überschrift zum 8.Abschnitt der VwGO: "Besondere Vorschriften für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen", worauf die besonderen Sachurteilsvoraussetzungen freilich nicht beschränkt sind.

6 Hong

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

Aufmerksamkeit lediglich auf diejenigen Anknüpfungspunkte der besonderen Sachurteilsvoraussetzungen gelenkt werden 120 , die fur die Betrachtung der in Frage stehenden Klagearten besonders von Bedeutung sind, nämlich: - Klagebegehren - Klagebefugnis " (gegebenenfalls) Vorverfahren - Klagefrist ii. Im Vergleich zu Sachurteilsvoraussetzungen bietet die Frage nach der Begründetheit wenig Schwierigkeiten, da die Begründetheit der Klage der Sache nach materiellrechtlich zu beurteilen ist. Sie soll daher nur dann in Betracht gezogen werden, wenn sie im Zusammenhang der hier zu behandelnden Klagen besonderer Erläuterung bedarf. In den Rahmen der Begründetheitsprüfung gehören also etwa die Frage nach der Sachlegitimation (Sachbefugnis)' 21, oder die hauptsächlich für die Verpflichtungsklage bedeutsame Frage, ob Spruchreife vorliegt oder nicht, auf welche aber am jeweils betreffenden Ort einzugehen ist. c) Wirkung

und Vollstreckung

des Urteils

i. Das Gericht wird mit dem Ziel angerufen, eine richterliche Entscheidung über den Rechtsstreit zu erlassen 122. Diese Entscheidung als Ergebnis des Rechtsschutzverfahrens hat nur insoweit Bedeutung, als sie auf die Herbeiführung einer bestimmten Rechtsfolge gerichtet ist. Die Rechtsfolge, die entweder in der Feststellung einer konkreten Rechtslage und/oder der Anordnung

1 2 0 Die allgemeinen Sachurteilsvoraussetzungen, die in bestimmter Reihenfolge zu prüfen sind (aber nicht unbestritten), können nach SG Rn 35, S. 18 folgendermaßen aufgezählt werden:

1 .Bestehen der deutschen Gerichtsbarkeit (§§18,19 GVG) 2.Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges (§§ 40f.) 3.Sachliche Zuständigkeit des Gerichts (§§ 45ff.) 4.Örtliche Zuständigkeit des Gerichts (§ 52) 5. Besteiligtenfahigkeit (§ 61) 6. Prozeß fahigkeit (§ 62) 7.Legitimation des gesetzlichen Vertreters (§ 62 Abs.2) 8.Ordnungsmäßigkeit der Klageerhebung (des Antrags) (§§ 81 f.) 9.Fehlen einer rechtskräftigen Entscheidung in der gleichen Sache(§§ § 705 ZPO) I O.Fehlen einer anderweitigen Rechtshängigkeit^ 90 Abs.2) I I .Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis

121,

173

i.V.m.

121 Sie umfaßt die subjektive Seite des streitigen Rechtsverhältnisses und ist vor allem von der Zulässigkeitsvoraussetzung der Klagebefugnis zu unterscheiden. Zutreffend kennzeichnet BVerwGE 3,212 die Frage nach der Sachlegitimation als eine solche des materiellen Rechts. So die h.M.: vgl. u.a. Bachof, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht, Bd.I, B.61 (S.61); SG Rn 323, S.129; EF § 42 Rn 132, § 62 Rn 14, § 78 Rn 7; Kopp, Vorb § 40 Rn 28 m.w.N. Dabei geht es um den richtigen Kläger (Aktivlegitimation) und den richtigen Beklagten (Passivlegitimation). 1 2 2 J.Martens, Praxis, S.158.

II. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

zu einem Tun oder Unterlassen bestehen kann, läßt sich gerade von der Rechtswirkung der Entscheidung ableiten. Die VwGO kennt verschiedene Formen gerichtlicher Entscheidung (Urteile, Beschlüsse, Vorbescheide, Anordnungen und Verfugungen). Von denen ist hier lediglich die Entscheidungsform Urteil von Interesse, das in der Regel die Endentscheidung darstellt, die das Verfahren zur Entscheidung über das dem Gericht in Form der Klage oder eines sonstigen Antrags unterbreitete Rechtsschutzgesuchs in der betreffenden Instanz endgültig abschließt. Was nun die Wirkung des Urteils anbelangt, stellt die Erläuterung hier maßgeblich auf das stattgebende Endurteil ab, und auf anderweitige Varianten des Urteils 1 2 3 soll insofern kein besonderes Augenmerk gerichtet werden. Wie im Zivilprozeß werden Urteile auch im Verwaltungsprozeß nach dem Gegenstand des Rechtsschutzbegehrens und entsprechend den in §§ 42,43 VwGO vorgesehenen Klagearten in drei Grundtypen eingeteilt: Das Gestaltungsurteil ist dadurch gekennzeichnet, daß es unmittelbar und mit absoluter Wirkung gegenüber jedermann ein Rechtsverhältnis begründet, ändert oder aufhebt, während das Feststellungsurteil ein bestimmtes Rechtsverhältnis feststellt, also weder rechtsändernde (konstitutive) Wirkung wie ein Gestaltungsurteil noch Vollstreckbarkeit wie ein Leistungsurteil 124 besitzt, sondern lediglich deklaratorischer Natur ist. So beschränkt sich das Feststellungsurteil auf die Rechtskraft, während sich das Leistungsurteil, auf das es für das Thema der vorliegenden Arbeit ankommt, dadurch charakterisieren läßt, daß es den Beklagten verpflichtet, eine bestimmte, geschuldete Leistung, also ein Tun, Dulden oder Unterlassen an den Kläger zu erbringen 125 . Der Leistungsbefehl, der aufgrund der Anpruchsfeststellung im Leistungsurteil ergeht1®*, löst das Problem der Erfüllung und gegebenenfalls der Vollstreckung aus, ein Merkmal, das das Leistungsurteil von den anderen Urteilsarten abhebt. Eine Gemeinsamkeit all dieser Urteilsarten liegt allerdings darin, daß sie immerhin in Rechtskraft erwachsen 127.

ι y\

Die Zwischenurteile über die Zulässigkeit der Klage (§ 109) und über den Grund des Anspruchs (§ 111), die ebenso der formellen Rechtskraft fähig sind, werden besonders behandelt werden. Dazu statt vieler vgl. SG S.267ff. 1 2 4 Da es jedoch auch Urteile gibt, aus denen eine Zwangsvollstreckung von vornherein nicht stattfindet (§§ 888 Abs.2, 888 a ZPO), ohne daß sie aufhören, Leistungsurteile zu sein, so kann darin allein ihr Wesen nicht liegen. RoSchwab, § 93 S.542. Hinzu kommt, daß die Vollstreckungsfrage im Verwaltungsprozeß im Vergleich zum Zivilprozeß Besonderheiten aufweist, was aber an dieser Stelle nur registriert werden kann. 1 2 5

Statt vieler RoSchwab, §§ 92-95 (S.540-563); SG Rn 696, S.268f.

1 2 6

Da der Leistunesbefehl notwendig die (rechtskraftfähige) Feststellung voraussetzt, daß der betreffende Anspruch dem Kläger zusteht, kann man von zwei Komponenten des Leistungsurteils (Anspruchsfeststellung und Leistungsbefehl) sprechen, wie SG Rn 696, S.268 unter Hinweis auf Lauterbach/Baumbach, Anm. 2 A, Grundz. vor § 253 hervorhebt. Vgl. auch RoSchwab, § 93 S.542. 1 2 7 Im Zivilprozeßrecht wird die materielle Rechtskraft des Gestaltungsurteils nach fast einhelliger Meinung bejaht. Während die materielle Rechtskraft eines die Gestaltungsklage

6*

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

Als Urteilswirkung kommt daher in erster Linie die Wirkung der materiellen Rechtskraft gem § 121 VwGO in Betracht. Sonstige Urteilswirkungen 128 können demgegenüber nur in bezug auf die entsprechenden Klagearten in Erwägung gezogen werden, von denen die mit der Klage verfolgten Urteilsarten abhängig sind. Wesen und Bedeutung der materiellen Rechtskraft sind Gegenstand eingehender Untersuchungen der Zivilprozeßwissenschaft geworden. Dabei stehen sich die sachlichrechtliche und die prozeßrechtliche Theorie gegenüber. Nach ersterer gestaltet das Urteil die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien auch materiell-rechtlich, nach letzterer hat die materielle Rechtskraft nur zur Folge, daß der Richter an die Entscheidung gebunden ist, deshalb in Zukunft zwischen diesen Beteiligten über den Streitgegenstand nicht mehr anders entschieden werden kann (Baumbach-Lauterbach, Anm.2 Einf. zu § 322 mit zahlreichen Belegen; Thomas-Putzo, Anm.3 zu § 322). Die gleiche Fragestellung gilt auch fur den Verwaltungsprozeß. Die Fassung des § 121 VwGO besagt zu ihrer Entscheidung wenig. Immerhin dürfte die Betonung der Bindungswirkung im Gegensatz zu § 322 ZPO mehr fur die prozeßrechtliche Theorie sprechen. Sie wird auch dem Verwaltungsrecht, das starker als das Zivilrecht von einem Wechsel der tatsächlichen und rechtlichen Umstände beherrscht ist, besser gerecht. 1 2

Diese Rechtskraftwirkung, die ihre verfassungsrechtliche Verankerung im Rechtsstaatsprinzip findet™, bedeutet, daß künftighin ohne Rücksicht auf die Frage, ob das Gericht "richtig" entschieden hat, für die Beteiligten und die öffentliche Gewalt allein das maßgeblich ist, was das Gericht entschieden hat: also Maßgeblichkeit des Inhalts des Urteils 131 , die nach § 121 VwGO als Bindungswirkung bezeichnet werden kann. Für den sachlichen Umfang der Bindungswirkung ist regelmäßig von der Urteilsformel auszugehen, obwohl die Entscheidungsgründe zur Bestimmung der Rechtskraftwirkung heranzuziehen sind1-*2. Diese Heranziehung der Entscheidungsgründe ist nach abweisenden Urteils unbestritten ist, wird zwar eine Auffassung vertreten, die die materielle Rechtskraft eines Gestaltungsurteils zum Teil mit der Behauptung verneint, daß sich irgendwelche Rechtskraftwirkungen neben der Gestaltungswirkung nicht nachweisen ließen und das lediglich der Rechtskraft fähige, materielle Recht auf Gestaltung mit der vollzogenen Gestaltung erlösche (Vgl. dazu Lenz, ΖΖΡ 1961, S.302ff.). Heute setzt sich aber dagegen mehr und mehr die Überzeugung durch, daß auch Gestaltungsurteile materiell rechtskräftig werden. Vgl. statt vieler RoSchwab, § 95, S.563. 1 2 8 So etwa zu nennen sind Gestaltungswirkung als typische Folge einer erfolgreichen Anfechtungsklage, Tatbestandswirkung des Gestaltungsurteils, Feststellungswirkung, die bestimmten Urteilen aufgrund gesetzlicher Regelung zukommt, und die Bindungswirkung nach § 183 VwGO i.V.m. § 318 ZPO. Dazu vgl. Ule, § 60 S.303f.; Stern, S.122f. 12 ^ RÖ 9.Aufl., § 121 Rn 4. Freilich setzt die Auffassung die Unterscheidung zwischen der Gestaltungswirkung als typische Folge einer erfolgreichen Anfechtungsklage und der Rechtskraftwirkung voraus. 1 3 0 BVerfG 60,269; BVenvG 47,165; NJW 1982, S.2426; Schwab-Gottwald, Verfassung und Zivilprozeß, 1984, S.28f. 1 3 1 "Maßgeblichkeit und Rechtsbeständigkeit des Inhalt des Urteils", vgl. BVerfG 47,161 = N J W 1978, S.1151; BGHZ 34,379; BAG Betr.1981, 283; Kopp, § 121 Rn 2, S.1457. Vgl. auch RoSchwab, § 150 Π, S.964. 1 3 2 RÖ 9.Aufl., § 121 Rn 8: "Wenn auch die Entscheidu teilnehmen, so werden sie deshalb doch von der Rechtskraft e

nicht an der Rechtskraft

II. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

Redeker/Oertzen im Verwaltungsprozeß noch häufiger als im Zivilprozeß notwendig, weil vielfach das Gericht nicht die gesamten komplexen Voraussetzungen eines angefochtenen oder beantragten VA prüft, sondern lediglich die gegenwärtigen, möglicherweise nur formellen Streitpunkte 133. Näheres über die Rechtskraftwirkung soll aber im Zusammenhang der betreffenden Klagearten vor allem im Hinblick auf das Leistungsurteil zu erörtern sein. ii. Vollstreckung: Die VwGO enthält in den §§ 167 bis 172 nur wenige besondere Regelungen für die Vollstreckung von Urteilen und anderen vollstreckbaren Titeln 1 3 4 , während § 167 Abs.l VwGO im übrigen auf das 8. Buch der ZPO verweist, das für entsprechend anwendbar erklärt w i r d 1 3 5 . Der Gesetzgeber hat erkannt, daß eine wirkungsvolle Vollstreckung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen zwingende Voraussetzung fur einen konsequenten Rechtsschutz ist. Bei der entsprechenden Anwendung der Vorschriften der ZPO ist zu beachten, daß es der Forderung des Art. 19 Abs.4 GG nach umfassendem Rechtsschutz widersprechen würde, wenn ein verwaltungsgerichtliches Urteil, sei es wegen passiven Verhaltens der Behörde oder wegen einer an sich lückenhaften Ausgestaltung der Vollstreckung, nicht vollzogen würde. 1 " 3 6

Wie im Zivilprozeß kommt Vollstreckung des Urteils im Verwaltungsprozeß in der Regel nur beim Leistungsurteil in Frage 1 3 7 , und zwar wenn es Vollstreckungstitel 138 ist. § 168 Abs.l VwGO zählt die Vollstreckungstitel abschließend auf 1 3 9 . Vollstreckungsfähig sind allerdings in erster Linie Titel, die auf eine Leistung gerichtet sind 1 4 0 . Abgesehen von Kostenentscheidungen, sind diese zunächst solche rechtskräftige Urteile, die der Verpflichtungsklage oder der allgemeinen Leistungsklage stattgeben141. 1 3 3

RÖ Ebenda.

1 3 4

OVG Münster v.20.3.1985, NJW 1987, S.396. Dieser 17. Abschnitt der VwGO bezieht sich aber nicht auf die Vollstreckung unanfechtbar gewordener V A . OVG Koblenz v. 17.11.1981 NJW 1982, S.2276; EF § 167 Rn 1. 1 3 5 Da die § § 8 0 und 123 VwGO insoweit als abschließende Regelung angesehen werden, ist die entsprechende Anwendung der §§ 916 bis 945 ZPO (5.Abschnitt: Arrest und einstweilige Verfugung) jedoch ausgeschlossen. Vgl. Kopp § 167 Rn 1; EF § 167 Rn 8 m.w.N. Anwendbar ist aber auch § 717 Abs.2 S 1 ZPO (Schadenersatz beim Wegfall der vorläufigen Vollstreckbarkeit: BVerwGE 60, 334; NJW 1960, S.1875). Vgl. Kopp aaO. 1 3 6

EF § 167 Rn 8.

1 3 7

Vgl. statt vieler RoSchwab, § 93 1.1, S.542.

1 3 8 Vollstreckungstitel ist eine öffentliche Urkunde, die die Vollstreckbarkeit des zu erzwingenden Anspruchs bekundet. EF § 168 Rn 1. 1 3 9

Kopp § 168 Rn 2 m.w.N.

1 4 0

EF § 167 Rn 2.

1 4 1

Kassatorische Urteile, Urteile über Feststellungsklagen oder abweisende Urteile sind einer Vollstreckung, abgesehen vom Kostenpunkt, weder fähig noch bedürftig. Vgl. dazu EF § 167 Rn 2-7. Bei dem gem § 113 Abs.5 S 2 VwGO stattgebenden Urteil der (offenbar) sog. Bescheidungsklage schreiben Eyermann/Fröhler, § 167 Rn 4, S.931f. allerdings zu Unrecht die

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

Vollstreckbar sind gem § 113 Abs.2 Urteile über mit der Anfechtungsklage verbundene Leistungsklagen142, gegebenenfalls aber auch Urteile, die gern § 113 Abs.l S 2,3 VwGO Rückgängigmachung der schon ergangenen Vollziehung des VA (Folgenbeseitigungsanspruch) anordnen 143 , während die vorläufige Vollstreckbarkeit zum anderen gem § 167 Abs.2 VwGO bei Urteilen auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen nur hinsichtlich der Kosten zulässig ist 1 4 4 . d) Vorläufiger

Rechtsschutz

Die Garantie des Rechtsschutzes würde dann leerlaufen, wenn die gerichtliche Entscheidung der ihr zugedachten Rechtsschutzfunktion deswegen beraubt würde, weil sie durch Schaffung vollendeter Tatsachen oder wegen des für die Durchführung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens benötigten Zeitaufwands nicht mehr rechtzeitig ergehen bzw. vollstreckbar werden kann 1 4 5 : Die Effektivität des Rechtsschutzes ist also auch vom Zeitfaktor abhängig 146 . Um den Eintritt von solchen irreparablen oder Betroffenen unzumutbaren Ergebnissen zu verhindern, kennen alle Prozeßordnungen Institute des vorläufigen Rechtsschutzes147, und diesem Gesichtspunkt trägt ebenso die VwGO Rechnung, aber besonders deshalb, weil die vollziehende Gewalt kraft ihrer Hoheitsfunktion dem Bürger gegenüber ohnehin in einer Position der Überlegenheit im Verwaltungsrechtsverhältnis ist 1 4 8 . Der vorläufige verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz ist daher als Instrument alsbaldiger Rechtsschutzgewährung unmittelbarer Ausfluß des verfassungsVollstreckung mit dem Zwangsgeld nach § 172 VwGO der Anfechtungsklage zu. Aus dem Wortlaut des § 113 Abs.5 S 2 VwGO ergibt sich aber schon, daß dabei von dem Bescheidungsurteil als einer Variante des Urteils der Verpflichtungsklage, aber nicht der Anfechtungsklage die Rede ist. 1 4 2 § 113 Abs.3 zieht die Folgerung aus der schon nach § 44 VwGO zulässigen Verbindung der Anfechtungs- und Veipflichtungsklage. 1 4 3 Der Folgenbeseitigungsanspruch, der wohl dem materiellen Verwaltungsrecht angehört (RÖ § 113 Rn 6), kann im Rahmen der Anfechtungsklage vom Kläger geltend gemacht werden. Die Folgenbeseitigung, die vom Gericht direkt ausgesprochen werden kann, stellt zwar selbstverständlich keine Vollstreckung des Aufhebungsurteils dar, das eigentlich der Vollstreckung weder fähig noch bedürftig ist. Der gerichtliche Ausspruch der Folgenbeseitigung an sich ist aber allenfalls vollstreckbar, weshalb diese auch bei der Erläuterung der Vollstreckung des Urteils mit berücksichtigt werden könnte. 1 4 4 Diese Vorschrift ist sowohl auf Urteile auf Unterlassung eines V A (Münster DÖV 1971, S.353) als auch auf Urteile entsprechend anwendbar, die auf eine Leistungsklage hin ergehen, die mit einer Anfechtungsklage verbunden ist, sofern der Kläger durch eine Vollstreckbarkeitserklärung bezüglich des Leistungsausspruches so gestellt würde, als wenn auch das Urteil über das Aufhebungsbegehren fur vorläufig vollstreckbar erklärt wäre (Kassel N V w Z 1987, S.517). Vgl. Kopp, aaO. 1 4 5

B.Benda, Die einstweilige Anordnung (§ 123 VwGO), in: FS Menger, S.657.

1 4 6

Stern, S.85; PR § 44 Rn 1; Finkelnburg/Jank, § 1 Rn Iff.; BVerfGE 51,268 [279ff| = NJW 1980, S.35 m.w.N. 1 4 7

Stern, aaO, m.w.N.

1 4 8

Ebenda.

. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

7

rechtlichen Gebots effektiver Rechtsschutzgewährung gem Art. 19 Abs.4 GG149. Der Begriff "vorläufiger Rechtsschutz", der fur die Verfahren nach §§ 80, 123 allgemein üblich ist, bringt das verfassungsrechtlich Bedeutsame dieses Rechtsschutzes allerdings nicht hinreichend zum Ausdruck. Nicht daß er vorläufig, sondern daß er alsbald und effektiv gewährt wird, ist das verfassungsrechtlich Wesentliche des "vorläufigen" verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes. Dagegen erfaßt die ebenfalls gebräuchliche Bezeichnung "Eilverfahren" zutreffend die verfassungsrechtliche Funktion der §§ 80, 123.

Die VwGO kennt zwei Arten des vorläufigen Rechtsschutzes, welche sich je nach den Klagearten des Hauptverfahrens unterscheiden: das Aussetzungsverfahren (aufschiebende Wirkung gern § 80 VwGO) und das Anordnungsverfahren (einstweilige Anordnung gern § 123 VwGO). Diese Arten des vorläufigen Rechtsschutzes, welche zwar in ihrer Vorläufigkeit gemeinsam151 und insbesondere unter dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt des Effektivitätsgebots gem Art. 19 Abs.4 GG gleichwertig sind 1 * 2 , weisen zunächst erhebliche prozessuale Unterschiede auf, auf deren Erläuterung in der vorliegenden Arbeit allerdings verzichtet werden sollte 153 . Hierbei von Interesse ist indes die wesentliche Unterscheidung beider Rechtsschutzformen 154 vor allem in bezug auf die daraus folgenden Anwendungsbereiche, da eine allgemeine Kennzeichnung der Besonderheiten beider Verfahrensarten schwierig ist 1 5 5 : Im Falle des Aussetzungsverfahrens gem § 80 ist eine materiellrechtliche Hoheitsentscheidung in Gestalt eines VA der nachgeschalteten Aussetzung vorausgegangen, während eine solche Entscheidung

1 4 9 Finkelnburg/Jank, § 1 Rn 5, S.3; BVerfGE 35,382. Die (heute besonders) zunehmende Bedeutung des vorläufigen Rechtsschutzes ist mittlerweile von zahlreichen Publikationen und der Rechtsprechung bestätigt worden. Um nur ein Beispiel dafür zu nennen, fuhrt Finkelnburg, N V w Z 1982, S.414, folgende Gründe an: Die überlange Dauer der Verwaltungsstreitverfahren, das Fehlenjeder Vollstreckungsmöglichkeit vor rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens (§ 167 Abs.2 VwGO) und das verfassungsrechtliche Gebot gem § 19 Abs.4 GG effektiver, also auch alsbaldiger Rechtsschutzgewährung. 1 5 0 Finkelnburg/Jank, aaO. Der Begriff ist indes von dem des vorbeugenden Rechtsschutz einerseits und von dem der vorläufigen Vollstreckbarkeit gem § 167 VwGO als eine Form sekundären vorläufigen Rechtsschutzes (aaO, § 3, S.7) andererseits zu unterscheiden. Der vorbeugende Rechtsschutz wie vorbeugende Unterlassungsklage oder Feststellungsklage ist vorverlagerter Rechtsschutz vor drohenden V A , Planungsmaßnahmen oder sonstigen behördlichen Maßnahmen, während die vorläufige Vollstreckbarkeit nur im beschränkten Umfang gem § 167 VwGO zur Sicherung des noch nient rechtskräftig gewordenen Urteils gewährt wird. 1 5 1

Stern, aaO, S.86.

1 5 2

Vgl. dazu BVerfGE 51,268 [285ff.] m.w.N.; a.A. insb. Bickel, DÖV 1982, S.50, der die Gleichwertigkeit des inhaltlichen Prüfungsmaßstabs in Frage stellt. Vgl. auch Finkelnburg/Jank, Rn § 4 1.3, S . l l . 1 5 3

Ich verweise nur auf PR § 44 U, S.381f.

1 5 4

PR § 44 Π, S.381; Finkelnburg/Jank, Rn § 4 1.3, S.10 m.w.N. Die Unterscheidung beider Verfahren ist nach Pietzner/Ronellenfitsch weitgehend historisch, also durch die besatzungsrechtlichen Regelungen bedingt. Näheres dazu vgl. PR § 44 II, S.381. Zum vorläufigen Rechtsschutz seit 1945 vgl. Finkelnburg/Jank, Rn 8-10. 1 5 5

PR aaO.

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

im Falle des Anordnungsverfahren gern § 123 in der Regel noch aussteht, so daß das Anordnungsverfahren vorgeschaltet ist 1 5 6 . § 80 VwGO dient dementsprechend dem vorläufigen Rechtsschutz des Bürgers im Falle der Anfechtungsklage, wo es darauf ankommt, zu verhindern, daß der belastende VA vollzogen wird oder vollzogen bleibt (Vollzugshemmung157). In allen übrigen Fällen, insbesondere bei Verpflichtungsklagen, allgemeinen Leistungs-, Unterlassungs- und Feststellungsklagen ist der vorläufige Rechtsschutz gem § 123 zu gewähren 158 . Insofern bestimmt die Art der in der Hauptsache in Betracht kommenden Klage auch die Art des vorläufigen Rechtsschutzes159. Demgegenüber hat diese - im Ergebnis zu einer "Auffangfunktion" des § 123 VwGO führende - Regelung zur Folge, worauf B. Benda zu Recht hinweist, daß auch § 123 mit den zahlreichen Streitfragen befrachtet i s t 1 6 0 .

15 ^ Benda, aaO In Übereinstimmung mit dem Ansatz von Kuhnt, Energiewirtschaftliche Tagesfragen-Rechtszeitschrift fur Elektrizitäts- und Gasversorgung (ZfElG), 1982, S.495, nach dem es bei § 123 VwGO um eine vorgelagerte Rechtsschutzgewährung gehe, während es sich bei § 80 VwGO um eine nachgelagerte Rechtsschutzgewährung handle. Abgesehen vom Anordnungsverfahren nach § 47 Abs77 VwGO, das eigentlich ein Sonderverfahren darstellt, bringt dieser Gesichtspunkt m.E. die unterschiedlichen Ausgangspositionen beider Verfahrensarten zutreffend zum Ausdruck. Dazu vgl. auch PR aaO. Im Gesamtzusammenhang des vorläufigen Rechtsschutzes stellt sich das Aussetzungsverfahren immerhin als selbständiges Zwischenverfahren mit einer speziellen Zielsetzung sowie mit einem festen Entscheidungsrahmen dar, während das Anordnungsverfahren demgegenüber eine breitere Zielsetzung und einen weiteren Entscheidungsrahmen als das Aussetzungsverfahren hat. Näheres dazu vgl. Finkelnburg/Jank, § 4 Rn 1-2. 1 5 7 Es besteht zwar nach wie vor Uneinigkeit darüber, was durch Widerspruch und Anfechtungsklage aufgeschoben wird: Die Rechtswirkung des V A (Wirksamkeitstheorie) oder nur sein Vollzug (Vollziehbarkeitstheorie). Die Vollziehbarkeitstheorie wird aber wohl überwiegend und vor allem vom BVerwG vertreten. Dazu statt vieler vgl. BVerwGE 13,1 [7ff.] = NJW 1962, S.602; SG S.138ff.; Finkelnburg/Jank, aaO, § 44 Rn 486f., S.180f.; Weides, P., Verwaltungsverfahren und Widerspruchsverfahren, 1977, S.148ff. 1 5 8 BVerfGE 51,279; Finkelnburg/Jank, § 4 Rn 24, § 45 Rn 510. S.192: Keine aufschiebende Wirkung besitzen so Verpflichtungs-, Leistungs-, Unterlassungs- und Feststellungsklage, auch wenn diese auf Feststellung der Nichtigkeit eines V A gerichtet ist. Lediglich bei der auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichteten Verpflichtungsklage wird wegen § 21 Abs.3 AuslG vorläufiger Rechtsschutz über § 80 Ab.5 durch Anordnung der aufschiebenden Wirkung gewährt. Vgl. auch aaO, § 65 Rn 866. 1 5 9

Kopp § 80 Rn 2.

160 Ders., aaO. Vor allem geht es dabei um die vieldiskutierten Fragen nach der hermeneutisehen Bestimmung des Anwendungsbereichs der Vorschrift des § oO VwGO im Hinblick auf V A mit Doppel- bzw. Mehrfachwirkung und nach ihrer Anwendbarkeit auf einen konkreten Hoheitsakt (Problem seiner Qualifikation als VA). Näheres dazu siehe nachfolgend n.3.b)-aa).

. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

3. Prozessualer Aufbau einzelner Klagen a) Verpflichtungsklage aa) Rechtscharakter i. Die Verpflichtungsklage ist eine (in der VwGO einer besonderen Regelung unterworfene) Unterart der Leistungsklage. Sie ist dadurch gekennzeichnet, daß mit ihr die Verurteilung des Gegners zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen VA erstrebt wird (§ 42 Abs.l V w G O ) 1 6 1 . Die Verpflichtungsklage wird je nach dem vorangegangenen Verhalten der Verwaltung in die Versagungsgeeenklage (oder Weigerungsgegenklage) und Untätigkeitsklage162 1 6 3 unterteilt? 64. Diese Unterscheidung, die sich aus dem 1 6 1

OVG Münster, M D R 61,538.

1 6 2

Als Untätigkeitsklage wird herkömmlicherweise nur die Klage auf Bescheidung eines Antrags bezeichnet. EF § 75 Rn 1, S.545. Bei Verwendung des Terminus "Untätigkeitsklage" ist allerdings zu beachten, daß diese von dem als 'Sammelbegriff fur Sonderformen der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zur Bezeichnung der Anwendungsfälle des § 75 VwGO verwendeten Begriff (sog. "Untätigkeitsklage im weiteren Sinne") eindeutig auseinanderzuhalten ist. § 75 VwGO an sich schafft also keine eigenständige Klageart (PR S.74 Rn 23; P.Weides und Bertrams, R., Die nachträgliche Verwaltungsentscheidung im Verfahren der Untätigkeitsklage, N V w Z 1988, S.673ff., m.w.N), da die Klagen auch bei solchen Fällen jedenfalls ihren ursprünglichen Charakter behalten und nicht zu Untätigkeitsklagen werden, wie es Bettermann, NJW 1960, S.1088, richtig hervorhebt. Vgl. auch RÖ S.372. Eine Gegenmeinung vertritt offensichtlich nur Klinger S.303, 140, der die Untätigkeitsklage nach § 75 als eine Unterart der Verpflichtungsklage betrachtet. Vgl. auch EF ebendort, die Untätigkeitsklage (so im weiteren Sinne, wie sie C.H.Ule, § 37 III S.213 bezeichnet) müsse sich auf einen Gegenstand beziehen, der von Anfechtungs- und Verpflichtungsklage i.S. des § 42 Abs.l erfaßt werden kann. Zum Gebrauch des Begriffs im weiteren Sinne siehe statt vieler Weides, P./Bertrams, R., aaO, die sich jedenfalls auf die Untätigkeitsklage i.w.S. abstellen. 1 6 3 Eine ganz andere Frage ist die logisch-terminologische Subjektivität juristischer Begriffe, welche bezeichnenderweise deren Nationalgebundenheit zu zeigen vermag. Eine Bezeichnung "Unterlassungsklage", die nach SG Rn 431, S.171f. zwar deswegen für möglich gehalten wird, weil es nicht um die Untätigkeit einer Behörde schlechthin geht, sondern konkret um die Unterlassung der Vornahme eines begehrten V A , aber aus sprachgebräuchlichen Gründen ausschließlich fur die sog. Unterlassungsklage als negative Leistungsklage reserviert werden solle, betrifft per definition ebenfalls die Versagungsklage, weshalb der gesetzliche Ausdruck "unterlassenen" (§ 42 Abs.l) weniger rechtslogisch als sprachgebräuchlich auszulegen sein soll. Dazu vgl. Bettermann, NJW 1960, S.656, der auf § 75 Abs.3 M R V O 165 ("Ablehnung oder sonstige(!) Unterlassung einer Amtshandlung") hinweist. Ein anderes Beispiel dafür zeigt die Verwendung der nicht ganz streng logisch durchdachten, schon bereits eingebürgerten und daher beibehaltenen Wortbildung Untatigkeitsklage, wie es schon Bachof, aaO, S.9 zur Kenntnis genommen hat und weshalb Bettermann, NJW 1960, S.657, die Wiederbelebung der Begriffe Untätigkeitsklage und Weigerungsklage (oder Ablehnungsklage) nicht für empfehlenswert hielt, da es unzweckmäßig sei, nach dem Tatbestand statt nach der Rechtsfolge, nach dem Klagegrund statt nach dem Klageziel zu terminieren. In dieser rechtsvergleichenden Arbeit ist es trotzdem empfehlenswert, an dieser weitgehend geläufigen Unterscheidung der Begriffe festzuhalten, die veranschaulicht, daß die beiden Unterarten der Verpflichtungsklage insoweit unterschiedlich erfaßt und geregelt werden. 1 6 4 Je nach dem verfolgten Klageziel zu unterscheiden sind die auf Erlaß des bestimmten V A gerichtete Verpflichtungsklage i.e.S. (Vornahmeklage) und die sog. Bescheidungsklage. Strittig ist allerdings, ob die Bescheidungsklage als eigene Klageart neben der Verpilichtungsklage i.e.S. anzusehen ist. Dazu vgl. Kopp § 42 Rn 5 S.246f., mit dort angegebenen Literaturhinweisen: Es sei nur eine terminologische Frage, ob man sie als eigene Klageart oder als Unterart der Verpflichtungsklage ansehen will. Entscheidend sei, daß jedenfalls auch schon der Klageantrag auf Verbescheidung gerichtet sein könne und nicht ohne

0

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

Wortlaut des § 42 Abs.l ergibt, kann zugleich als eine von der VwGO getroffene Kompromißregelung angesehen werden, durch die der Wille des Gesetzgebers zum Abkehr von der früheren, auf dem Dualismus von Anfechtungssache und Parteistreitigkeit eingestellten Konzeption 165 einerseits und zur Rücksichtnahme auf die prozessualen Unterschiede zwischen beiden Varianten der Verpflichtungsklage andererseits zum Ausdruck gekommen ist. Zwar ist es wohl für den Begriff der Verpflichtungsklage an sich unwesentlich, ob die Verwaltungsbehörde den vom Kläger beantragten VA ausdrücklich abgelehnt oder die Vornahme lediglich unterlassen h a t 1 6 6 . Begrifflich ging man allerdings von der Unterscheidung beider Unterfälle der Verpflichtungsklage hinsichtlich der Ausgangslage des Klägers bzw. des Verhaltens der angegangenen Behörde aus, was etwa bei Bachof deutlich zum Ausdruck gekommen w a r 1 6 7 : Wirklich untätig bleibt die Behörde nur, wenn sie einen Antrag überhaupt nicht bescheidet. Lehnt sie ihn ab, so übt sie zwar nicht die beantragte Tätigkeit aus, bleibt aber doch auch nicht schlechthin untätig 1 6 8 .

Diese begriffliche Unterscheidung führte dann zur prozessualen Differenzierung beider Unterarten der Verpflichtungsklage, wie etwa in den unterschiedlichen Regelungen im Hinblick auf das Vorverfahren (§ 68 Abs.2) und die Klagefrist (§§ 74 Abs.2, 75), während heute von der früheren, aber derzeit berechtigten Bezeichnung "ins Positive gewendete Anfechtungsklage" oder "Anfechtungsklage i.w.S." 1 6 9 nicht mehr Rede ist. Das ausschlaggebende Charakteristikum der Klagestruktur bei der Weigerungsgegenklage liegt in erster Linie in der Existenz des ablehnenden Bescheids: Hier hat die Behörde schon dezidiert negativ zu dem Antrag des Klägers Stellung bezogen, so daß das Gericht bei Fehlerhaftigkeit der Begründung die Behörde zum Erlaß des beantragten VA selbst verurteilen

Rücksicht auf die Erfolgsaussichten in jedem Fall auf Verpflichtung zum Erlaß eines V A mit konkret-bestimmten Inhalt gerichtet werden müsse. Vgl. aber Gegenmeinung statt vieler, Czermak, Gibt es eine verwaltungsgerichtliche Bescheidungsklage ?, BayVBl. 1981 S.427ff. 1 6 5

Siehe oben Fn 157.

1 6 6

Ule, S.148.

1 6 7

W.Jellinek war auch von der Unterscheidung zwischen Untätigkeit und ausdrücklicher Weigerung ausgegangen: Gegen die letztere als "ein der Anfechtung im Verwaltungsstreitverfahren unterliegender Verwaltungsakt" komme regelmäßig die Anfechtungsklage in Betracht, aber mit der Folge, daß das die Versagung aufhebende Urteil nicht etwa an deren Stelle den beantragten V A setze, sondern nur den Rechtszustand vor der Versagung wiederherstelle, also die Behörde zur nochmaligen Prüfung des Anrags verpflichte. Gegen Untätigkeit bestünde jedoch nach dem derzeitigen Stande der Verwaltungsgerichtsbarkeit in aen meisten Ländern außer Anrufung der vorgesetzten Behörde u.a. kein gerichtlicher Rechtsbehelf, etwa wie das französische Gesetz (v. 17.7.1900) ein viermonatiges Schweigen einem ablehnenden Verwaltungsakt gleichsetzt. Ders., Verwaltungsrecht, 3.Aufl. 1948 (unveränderter Neudruck), S.254f. 1 6 8

Bachof, aaO, S.8.

1 6 9

Menger, System, S.97,137,205; Klinger S.140 m.w.N.

II. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

1

kann 1 7 0 . Der vorangegangene Ablehnungsbescheid spielt daher als Anknüpfungspunkt des Verfahrens eine besondere prozessuale Rolle, indem er als verbindliche Regelung, sofern er nach herrschender Auffassung als VA angesehen w i r d 1 7 1 , die Erfordernis des Vorverfahrens in Form des Widerspruchsverfahrens (§ 68 Abs.2) und Beschränkung der Klagefrist (§§ 74 Abs.2) untermauert. Diese besondere Ausgangslage der Weigerungsgegenklage, in der nicht bloß erfolglos vorausgegangenes Antragsverfahren, sondern auch das Widerspruchsverfahren gegen den Ablehnungsbescheid (Verpflichtungswiderspruch) vorausgesetzt wird, wirkt sich des weiteren auf den Klagegegenstand und die Urteilswirkung als differenzierender Faktor aus. ii. Unterscheidet sich der Vornahmefall aber nun vom Abwehrfall als Grundsituation der verwaltungsgerichtlichen Klage im Verhältnis BürgerStaat 172 , fallen die beiden Varianten der Verpflichtungsklage undifferenziert darunter. Bei der Weigerungsgegenklage bleibt der Charakter des Vornahmefalles auch erhalten, wenn der Ablehnungsbescheid (oder ein ihn bestätigender Widerspruchsbescheid) im Falle der Stattgabe der Klage, wie schon dargelegt, zum Wegfall kommt 1 7 3 . Den Rechtscharakter der Verpflichtungsklage als Unterart der Leistungsklage174 kennzeichnet vor allem anderen deutlich, daß sie den erstrebten Erfolg nicht ipso iure wie Anfechtungsklage herbeifuhrt, sondern lediglich die Verpflichtung kondemnatorisch ausgesprochen wird, wie sich die angegangene Behörde zu verhalten hat 1 7 5 : Die Leistung, zu der das Gericht die beklagte

1 7 0

Rupp, H.H., AÖR Bei.85 1960, S.304.

1 7 1

Nach Menger, aaO, S.195 sei, entgegen Hufnagels Ansicht, zwischen ausdrücklicher Ablehnung eines bestimmten Verwaltungsaktes und Ablehnung des Tätigwerdens als solcher zu unterscheiden, wobei nur die Klage gegen die letztere Ablehnung als Weigerungsgegenklage bezeichnet wird. Seine Auseinandersetzung mit Hufnagel ist jedoch schon deshalb als überholt anzusehen, weil der Ablehnungsbescheid, sei es Ablehnung eines bestimmten V A , sei es Ablehnung des Tätigkeit überhaupt, immerhin einen V A und den Gegenstand der Weigerungsgegenklage gem. § 42 Abs.l darstellt. 1 7 2 Diese eigentlich als Hilfsmittel zur Qualifizierung der öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten bèi Unklarheit der anwendbaren Vorschriften verwendete Fallkategorien (Schmalz, D., Allgemeines Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtsschutz, 1985, Rn 48) sind rein formaltechnischer Natur und m.E. eher allgemein verwendbar, da sie umgekehrt zur Erklärung der Klagestruktur tauglich erscheinen, un Vornahmefall verlangt der Bürger vom Staat eine Handlung, durch die seine Vermögens- und Rechtssphäre erweitert wird, während er sich im Abwehrfall gegen eine ihm vom Staat auferlegte Belastung wehrt. Dabei ist es aber gleichgültig, ob etwa ein Abwehrrecht oder Leistunggrecht in materiell-rechtlicher Hinsicht als Grundlage des Klagebegehrens geltend gemacht wird. Entscheidend ist nur, daß eine positive Handlung des Staates im Wege der Klage begehrt wird, wie sich die Fallkonstellation von SchutzprlichtSchutzrecht zeigt. Zur ähnlichen, aber zur Einteilung der Anwendungsfalle der allgemeinen Leistungsklage verwendeten Kategorien von Abwehr- und Leistungsfälle vgl. auch Stern, S.72; SG 212ff.; Zysk, aaO, S.40f. 1 7 3

Siehe oben § 14.

1 7 4

Wie schon dargelegt im Sinne der Verurteilungsklage, s. oben § 13.

17 ^ In diesem Sinne betrachtet Bettermann die Verpflichtungsklage als eine Unterart der sog. Verurteilungsklage (aber nicht Leistungsklage). Siehe oben § 9. Das urteilsmäßige Verhalten ist gegebenenfalls im Vollstreckungswege nach § 172 VwGO zu erzwingen (EF § 42 Rn 13).

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

Verwaltungsbehörde verurteilt hat, soll von dieser erbracht werden; also wird noch die Frage der Erfüllung bzw. Vollstreckung ausgelöst. Der Aufgabenbereich der Verpflichtungsklage liegt entsprechend ihrer Rechtsnatur als (auf Erlaß eines VA gerichtete) Leistungsklage vornehmlich dort, wo der einzelne entweder zur Aufnahme einer bestimmten Tätigkeit einer Genehmigung, Zulassung oder Erlaubnis bedarf, etwa im Bau- und Gewerberecht, oder zur Durchsetzung der Vornahmepflicht auf dem Gebiet der eigentlichen Leistungsverwaltung den Erlaß eines begünstigenden VA in Anspruch nimmt, etwa im Bereich der Sozialhilfe, der Sozialversicherung oder im Lastenausgleich176. bb) Prozessuale Ausgestaltung (1) Streitgegenstand Was oben im allgemein gesagt wurde, ist ebenso fur den Streitgegenstand wie fur die von der VwGO vorprogrammierte Rechtsschutzform der Verpflichtungsklage anzuwenden. Der Streitgegenstand ist danach die Behauptung oder das Begehren des Klägers, er werde durch die rechtswidrige Ablehnung oder Unterlassung des beantragten VA in seinen Rechten verletze 177 , und zwar der Anspruch des Klägers auf Verpflichtung der Behörde zur Vornahme des begehrten VA (§ 113 Abs.5 S 1), bzw. zur Vornahme eines VA nach pflichtgemäßem Ermessen usw unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs.5 S 2 ) 1 7 8 , bzw. auf Feststellung durch das Gericht, daß die Nichtvornahme rechtswidrig w a r 1 7 9 . (2) Sachurteilsvoraussetzungen und Begründetheit (a) Sachurteilsvoraussetzungen Als Sachurteilsvoraussetzung der Verpflichtungsklage kommen im wesentlichen die folgenden Prozeßrechtskategorien in Betracht, die sowohl in rechtsvergleichender wie auch in rechtsdogmatischer Hinsicht von relativer Priorität sind. Auszugehen ist vom Klagebegehren, also vom klägerischen Ziel. Es handelt sich in erster Linie um diejenigen Voraussetzungen, die sich 1 7 6

Ule, § 32 U, 2, S.148.

1 7 7

Wolff, Verwaltungsrecht ΠΙ, 2.Aufl., S.413; Ule, S.207; Stern, S.121; Kopp, Der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebliche Zeitpunkt bei verwaltungsgerichtlichen Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen, in: FS Menger, 704rf. m.w.N. 1 7 8

Kopp, § 9 0 Rn 9 S.1091.

1 7 9

BVerwGE 29,2. Vgl. Obermayer, S.220.

. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

auf den Verwaltungsakt als Gegenstand der Klage beziehen: So muß der begehrte Akt objektiv ein VA sein, bei der zustandigen Behörde beantragt worden sein (Rechtsschutzbedürfhis). Demgegenüber kommt die Klagebefugnis auf der subjektiven Seite der Klage in Frage: Der Kläger muß plausibel behaupten, durch die Ablehnung oder Unterlassung des VA in eigenen Rechten verletzt zu sein. Hinzu kommen dann die Voraussetzungen im Hinblick auf das Vorverfahren und die Klagefrist: Nämlich muß das Vorverfahren in Form des Widerspruchs gegen den Ablehnungsbescheid gem § 68 VwGO bei der Ablehnung der Vornahme eines beantragten VA erfolglos geblieben sein und die Klage muß innerhalb der Klagefrist gem § 68 Abs.2 i.V.m. § 75 VwGO erhoben werden. Auf diese Elemente wird im folgenden einzugehen sein. a) Klagebegehren i. Das Klagebegehren, das als klägerisches Ziel das Streitprogramm begrenzt 180 , bindet das Gericht nach § 88 V w G O 1 8 1 . Das Klagebegehren ist in einer bestimmten Rechtsschutzform zu konkretisieren, was im Zweifelsfall dem Gericht durch die Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 3 VwGO obliegt. Diese gesetzliche Regelung läßt erkennen, daß Streitgegenstand, Klageart und Klageantrag in enger Beziehung zueinander stehen, da sie alle demselben Ziel, der Bestimmung des Klagebegehrens, dienen 182 . Wie die Anfechtungsklage ist auch die Verpflichtungsklage auf einen VA bezogen: Der begehrte Akt muß nach einhelliger Auffassung objektiv ein VA sein 1 8 3 . Das Begehren eines VA ist aber nicht nur eine Sachurteilsvoraussetzung, sondern bildet auch den zur Entscheidung vorgebrachten Gegenstand der Klage. Erweist sich der begehrte Akt objektiv als VA, wird er zugleich auch Klagegegenstand, d.h. Objekt des über die Verpflichtungsklage geltend gemachten prozessualen Anspruchs. Dies ist bei der Untätigkeitsklage unproblematisch. Unsicherheit bereitet jedoch die Versagungseegenklage hinsichtlich ihres Klagegegenstandes. Nach überwiegender Ansicht18"* findet § 79 VwGO auf die Verpflichtungsklage entsprechende Anwendung, der unmittelbar Klagegegenstand (Angriffsziel) der Anfechtungsklage regelt 185 .

1 8 0

G.Lüke, aaO, S.3.

1 8 1

Zur Abgrenzung des Klagebegehrens verlangt § 82 Abs.l S 1 VwGO vom Kläger, daß er den Streitgegenstand durch den Klageantrag bezeichnet, an dessen Fassung das Gericht jedoch gem. § 88 VwGO nicht gebunden ist. 1 8 2

J.Martens, Praxis, S.65.

1 8 3

BVerwGE 31,301, 302-305.

1 8 4

SG S.165; EF § 79 Rn 9; Kopp, § 79 Rn 3; .

1 8 5

Unbestritten. Kopp § 79 Rn 3; RÖ § 79 Rn 1 m.w.N.

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung So fuhrt Schmitt Glaeser mit dem Hinweis auf Eyermann/Fröhler bzw. Kopp aus, Klagegegenstand sei der versagende Bescheid in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat, und das Begehren des Klägers auf Erlaß eines bestimmten oder (bei mangelnder Spruchreife) eines sachlichen Bescheids 186 : Die Bedeutung des versagenden Bescheids besteht dabei nur darin, einen beantragten V A abgelehnt zu haben. Unerheblich ist demgegenüber, wie Redeker/von Oertzen zu Recht hervorheben 1 , ob die Verwaltung den Antrag ein- oder mehrmals ganz oder teilweise abgelehnt hat. Soweit die Versagungsgegenklage ebenso wie die Untätigkeitsklage auf die Verpflichtung der Behörde zum Erlaß des beantragten V A oder zur Bescheidung gerichtet ist, wäre es m.E. zunächst genau, in einer entsprechenden Anwendung des § 79 Abs.l Nr.l dahin auszugehen, Gegenstand der Klage sei der Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat, wie es Eyermann/Fröhler tun. Das ist geradezu der Gegenstand des Klagebegehrens im Sinne des § 82 Abs.2 S.l, den der Kläger bei Klageerhebung bezeichnen muß. Nach der Auffassung von Redeker/v.Oertzen 1 brauchte eine entsprechende Regelung fur die Vornahmeklage nicht getroffen zu werden, da sie auf die Verpflichtung der Beklagten zur Bescheidung oder zum Erlaß des beantragten V A gerichtet ist.

Gleichgültig ist demgegenüber, ob der ablehnende Akt im Falle der Versagungsgegenklage ebenso als VA zu qualifizieren ist 1 8 9 . Das Klagebegehren der Verpflichtungsklage muß daher nur einheitlich als auf Verurteilung zum Erlaß eines VA gerichtet werden, was einen grundlegenden Unterschied zur allgemeinen Leistungsklage bildet 190 . Trotzdem bestehen nach Schmitt Glaeser keine Bedenken, wenn im Einzelfall einmal offengelassen wird, ob die begehrte Maßnahme ein VA ist oder nicht und ob demnach eine Verpflichtungsklage oder eine allgemeine Leistungsklage vorliegt 191 . Die Frage nach Rechtsschutzformen ist praktisch zwar nur von durchaus sekundärer Bedeutung, soweit das Vorliegen einer öffentlichrechtlichen Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art zu bejahen i s t 1 9 2 . Es ist gegebenenfalls Aufgabe des Gerichts im Rahmen seiner Aufklärungspflicht, auf eine Änderung falsch formulierter Klageanträge hinzuwirken 193 . Unbeachtlich ist es aber freilich nicht: Im Gegensatz zur

1 8 6 SG aaO: Im Gegensatz zur Anfechtungsklage fehle zwar eine ausdrückliche Vorschrift über den Klagegegenstand, aber einer analogen Anwendung des § 79 VwGO stehe nichts entgegen. 1 8 7

RÖ § 79 Rn 1.

1 8 8

Ebenda.

1 8 9

Er ist, wie schon gesehen, nach der sog. Kehrseiten-Theorie auch als V A anzusehen. Dazu oben § 13, Fn 200. Vgl. auch SG Rn 412, S.164. 1 9 0 BVerwGE 14, 336; 31,303; 36,198; a.A. Bettermann NJW 1960,649 und DVB1 1969, 705, im Ergebnis auch EF § 42 Rn 13, 15; Menger VerwA 61,318. 1 9 1

SG S.164, insbesondere dort in Fn 2 angeführten Nachweise.

1 9 2

Ebenda; Bachof, JZ 1962, S.668 Nr.82 m.w.N.

1 9 3

Bachof, aaO. In diesem Zusammenhang hervorzuheben ist die durch das 4. VwGOÄnderungsgesetz vom 17.12.1990 in den §§ 87 b, 128 a VwGO n.F. getroffene Regelung, nach der der Kläger unter Fristsetzung in die Pflicht genommen werden kann, die Tatsachen auzugeben, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung er sich beschwert fühlt. Dies sichert die neue Fassung anders als alte Fassung mit der Konsequenz der Klageabweisung wegen Fristversäumung ab (insoweit seien damit nach der Rechtsprechung des BVerwG die

. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

allgemeinen Leistungsklage verlangt die Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage regelmäßig die Durchführung des Vorverfahrens und ist fristgebunden 194, mit der Folge, daß die Klageart letztlich nur fur den Fall offenbleiben kann, in dem das eventuell erforderliche Vorverfahren bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung stattgefunden hat und die Frist eingehalten ist 1 9 5 . Wichtig ist aber vielmehr die prozeßrechtliche Rolle des materiellrechtlichen Begriffs VA, durch dessen extensive Anwendung das BVerwG in einer Reihe von Fällen eine wesentliche Erweiterung des Einsatzbereichs der Verpflichtungsklage zu Lasten der allgemeinen Leistungsklage bewirkt hat, was aber schon in der vorangegangenen Erläuterung zur Abgrenzungsproblematik gezeigt wurde 1 9 6 . So hat das BVerwG beispielhaft angesichts des VA-Charakter des Fürsorgebescheids folgendermaßen ausgesprochen: "Es handelt sich um eine Klage auf Vornahme eines beantragten V A . Zwar ist behauptet worden, daß Klagen auf Zahlung von Fürsorgeunterstützung nicht unter diese Vorschrift fielen, weil die Fürsorgeunterstützung nicht rechtsnotwendig durch einen V A erbracht zu werden brauchte, und daß demzufolge auch eine Entscheidung, durch die ein Antrag auf Fürsorgeunterstützung abgelehnt werde, keine Ablehnung eines beantragten Verwaltungsaktes, sondern die Ablehnung gegenständlicher Leistungen darstelle. Das BVerwG ist dieser Auffassung jedoch schon in BVerwGE 3,212 entgegengetreten. Der Fürsorgebescheid ist eine zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts getroffene Maßnahme und damit ein V A ... Denn die Tätigkeit der Verwaltungsbehörde erschöpft sich hierbei nicht in der Zahlung des Geldbetrages. Sie enthält vielmehr zugleich eine Entscheidung über das Vorliegen und den Umfang der Hilfsbedürftigkeit, welche die Voraussetzung fur die Anordnung der Unterstützungszahlung bildet."™ 7

Auf kommentarmäßige, ausfuhrliche Erläuterung darüber, welche Verwaltungshandlungen in konkreten Fällen als VA zu qualifizieren sind oder von der Judikatur qualifiziert wird, soll hier aber verzichtet werden 198 .

Grenzen der gerichtlichen Aufklärungspflichten erreicht). Dazu vgl..Stelkens, Das Gesetz zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (4.VwGO AndG) - das Ende einer Reform?, N V w Z 1991, S.209ff,[213f.]). 1 9 4

Ebenda.

1 9 5

BVerwGE 26,169 [170].

1 9 6

Oben § 1 5 .

1 9 7

BVerwGE 15,309.

1 9 8

Ich verweise auf die Kommentare zur VwGO, die eine ausfuhrliche Liste der Anwendungsfalle erörtern. Zu nennen sind etwa Kommentare von Eyermann/Fröhler, Redeker/von Oertzen und Kopp.

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

ii. Besondere Betrachtung verdienen im Rahmen des Klagebegehrens die Fragen nach der sog. Bescheidungsklage, dem Rechtsschutzbedürfhis hinsichtlich des vorangegangenen erfolglosen Antrags bei der zustandigen Behörde und nach der sog. Drittklage. Solange bei der letzteren ein VA gegenüber einem Dritten begehrt wird, stellt die Sachurteilsvoraussetzung im Hinblick auf das Klagebegehren kein Problem vor, sollte insofern eher im Rahmen der Klagebefugnis behandelt werden. Zur zweiten Frage ist zu bemerken, daß das Klagebegehren der Verpflichtungsklage, wie es sich eindeutig aus § 68 Abs.2 VwGO ergibt, selbstverständlich voraussetzt, daß der zuvor bei der zuständigen Behörde ordnungsgemäß gestellte Antrag auf Vornahme des in Frage stehenden VA unbeschieden oder abgelehnt worden i s t 1 9 9 . Ist der Kläger diesem Antragserfordernis nicht nachgekommen, muß ihm grundsätzlich das Rechtsschutzbedürfhis abgesprochen werden 200 . Die Zulässigkeit der Bescheidungsklage, abgesehen von der unbestrittenen Möglichkeit des Bescheidungsurteils gem. § 113 Abs.5 i.V.m § 114 VwGO beim Fehlen der Spruchreife, wirft die in prozeßrechtlicher Hinsicht umstrittene Problematik auf, ob eine von vornherein nur auf Verbescheidung gerichtete Klage statthaft ist. Dies wird nach überwiegender Meinung bejaht. Die Gegenmeinung, die derartige Klagen für unzulässig hält, sei es mangels gesetzlicher Grundlage oder weil die Frage, ob der in Frage stehenden V A im Ermessen der Behörde steht oder nicht, eine Frage der Begründetheit i s t 2 0 1 , kann mit der Gegenkritik von Pietzner/Ronellenfitsch bzw. Kopp entkräftet werden, daß bei der Bescheidungsklage keine Gesichtspunkte der Begründetheit in die Zulässigkeitsprüfung verlagert werden. Vielmehr gebe sich der Kläger mit einem Weniger an Rechtsschutz zufrieden. Das hierfür erforderliche Rechtsschutzbedürfnis sei i.d.R. gegeben 2 0 2 .

Ob der Erlaß eines VA im Ermessen oder Beurteilungsspielraum der Verwaltung steht oder nicht, stellt jedoch eine materiellrechtliche Frage dar, die gewiß im Hinblick auf die Rechtskontrolle des Verwaltungsermessens zu beurteilen ist. Dadurch verdichtet sich die Verpflichtungsklage von einer 1 9 9 EF § 42 Rn 133 (S.276f.); SG S.166. Bei antragsbedürftigen VAen ist fur die Zulässigkeit der Verpflichtungsklage erforderlich, daß der Antrag im Verfahren vor der Ausgangsbehörde ordnungsgemäß gestellt worden war (DVB1 1981, S.190; 1983, S.845). Hatte der Kläger vor Klageerhebung überfiaupt noch keinen Antrag an die Behörde gestellt, von der er einen V A begehrt, so ist die Klage schon aus diesem Grund unzulässig. BverwGE 57,210 = DVB1 1981, S. 191 ; 1983, S.845; Bettermann DVB1 1969, S.703; Kopp Vorb § 40 Rn 17, §§ 68 Rn 7, 75 Rn 7 m.w.N. 2 0 0

Ebenda.

2 0 1

Wie etwa SG Rn 428, S.170f.; Stern, S.163; Czermak, Gibt es eine verwaltungsgerichtliche Bescheidungsklage ?, BayVBl. 1981, S.427fif., Vgl. auch PR S.74 Fn 84. 202 p R s.74f.; Kopp, § 42 Rn 5. Näher dazu ausführlich M.Schröder, Bescheidungsantrag und Bescheidungsurteil, in FS Menger, S.487ff. Streitig ist aber die Zulässigkeit einer inhaltsunbestimmten Bescheidungsklage, mit der begehrt wird, daß die Behörde überhaupt tätig wird. Dazu vgl. die in PR S.74 Fn 84 angegebenen Nachweise.

II. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

7

prozeßrechtlichen Frage in die Problematik des materiellen Verwaltungsrechts, und zwar in folgender Hinsicht: Die Bescheidungsklage als Prozeßinstrumentarium zur Ermessenskontrolle spiegelt deutlich deren nachkriegszeitliche Weiterentwicklung im deutschen öffentlichen Recht wieder. Was diese Entwicklung ermöglicht hat, ist aber die weitreichende Erweiterung der Subjektstellung des Bürgers gegenüber der Verwaltung, welche in der grundgesetzlichen Rechtsschutzgarantie sowohl ihre grundlegende Stütze als auch institutionelle Durchsetzung gefunden hat. Die Bescheidungsklage bildet somit ein bedeutsames Spannungsfeld zwischen Verwaltungprärogative und Rechtskontrolle des Ermessens, eine konkretisierte Gewaltenteilungsproblematik, worauf bei Erläuterung des materiellrechtlichen Kontexts der Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten noch zurückzukommen sein wird. ß) Klagebefugnis i. Problematik im allgemeinen § 42 Abs.2 VwGO verlangt vom Kläger ebenso für die Verpflichtungsklage wie für die Anfechtungsklage 203 die Geltendmachung einer Verletzung eigener Rechte, ein Rechtsinstitut, mit dem die sog. Popularklage ausgeschlossen werden soll 2 0 4 . Dieses Erfordernis, wenn es auch terminologischen Abweichungen unterworfen ist, wird überwiegend durch den Terminus "Klagebefugnis" bezeichnet205: Es besteht ebensoviel terminologische Divergenz, wie die von ihr aufgeworfenen Streitfragen noch nicht abschließend geklärt sind. Man spricht von Klagerecht, Klagebefugnis, Klageberechtigung, Anfechtungsbefugnis, Prozeßfuhrungsbefugnis, Rechtsschutzbehauptung und von Aktivlegitimation sogar. Immerhin überwiegt jetzt nach Gierth die Auffassung, die verwaltungsprozessuale Klagebefugnis (ebenso wie die Beschwerdeberechtigung des § 20 Abs.2 FGO) auf eine Linie mit dem zivilprozessualen Zulässigkeitserfordernis der Prozeßfuhrungsbefugnis zu stellen: Unter Verwendung der Formel von Leo Rosenberg "Wer behauptet, daß ihm ein Recht zustehe, ist auch zur Prozeßfuhrung über dieses Recht befugt" 2 0 7 sei der Inhalt der Prozeßfuhrungsbefugnis mit ΙΟ'λ

Einschließlich der Fortsetzungsfeststellungsklage BayVBl. 1982, S.472. 2 0 4 Statt vieler, EF § 42 Rn 121 ; BVerwGE 19,269.

gem.

§ 113

Abs.l

S 4.

Vgl.

205 Ygj Erichsen, H.-U., Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S.26 Fn 91 mit dort angeführten Nachweisen; E.Schwerdtner, Die Klagebefugnis - eine zu enge Sachurteilsvoraussetzung?, N V w Z 1990, S.631; D.Neumaver, Die Klagebefugnis im Verwaltungsprozeß, 1979 (Diss. Münster 1975), S.16. Vgl. auch Skouris, aaO, S.153, der der Bezeichnung des § 42 Abs.2 VwGO als «Regelung der Klagebefugnis» dahin vorwirft, die Wissenschan auf Irrwege gebracht zu haben. Im folgenden soll aber nach überwiegendem Sprachgebrauch der Begriff Klagebefugnis beibehalten werden. 2 0 6 Hoffmann, Die Rechtsschutzbehauptung im Verwaltungsprozeß, VerwArch. Bd.53 (1962), S.297 [302ff.]. 2 0 7

7 Hong

RoSchwab § 4 6 13, S.251.

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung dem der Klagebefugnis weitgehend deckungsgleich 208 . Die Klagebefugnis ist jedoch von der Prozeßführungsbefugnis begrifflich zu unterscheiden, wie es K o p p 2 0 * zu Recht hervorhebt: Mit der Prozeßführungsbefugnis besteht zwar insofern ein Zusammenhang, als dieses Institut ebenso wie S 42 Abs.2 VwGO Klagen unbeteiligter Dritter und damit Popularklagen ausschließt 210 . Die Prozeßfuhrungsbefugnis bezeichnet aber bloß die rein prozessuale Berechtigung, im eigenen Namen, also nicht als Vertreter eines anderen den von ihm prozessualen Anspruch geltend zu machen (Prozeßstandschaft) 211. Zu Recht bringt Skouris diesen Punkt deutlich zum Ausdruck: "Was aber § 42 Abs.2 nicht regelt, ist die Prozeßführungsbefugnis. Ob der in seinen Rechten beeinträchtigte Gewaltunterworfene stets selbst klagen muß oder ob und wann er Dritte mit der Prozeßführung beauftragen kann: Darauf erteilt § 42 Abs.2 gerade keine A n t w o r t . " 2 1 2 » 2 1 3

Sie bestimmt, wer darauf Anspruch hat, daß eine von ihm erhobene Klage auf ihre Stichhaltigkeit überprüft wird 2 1 4 . So ist eine Klagebefugnis gem § 42 Abs.2 VwGO erforderlich, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Demnach kann durch spezialgesetzliche Vorschrift bestimmt werden, daß eine Verpflichtungsklage unabhängig von der Geltendmachung einer Rechtsverletzung zulässig ist, wozu es aber nur wenig Anwendungsfalle gibt 2 1 5 . Die Problematik der Klagebefugnis stellt von Anfang an eine der am heftigsten debattierten, dennoch noch nicht bewältigten Streitfragen des deutschen Verwaltungs(prozeß)rechts dar, deren Aktualität sich seit den letzten Jahrzehnten zuvörderst auf dem Gebiet des Bau- und Umweltschutzrechts, aber eher überhaupt in fast allen Bereichen des Verwaltungsrechts immer wieder vergegenwärtigt. Sie entzündet sich im wesentlichen auf zwei, aber nicht ohne weiteres zu trennenden Diskursebenen: Es handelt sich zunächst um die dogmatische Konstruktion 2 0 8 Gierth, Klagebefugnis und Popularklage, Verwaltungsprozessuale Probleme, S.124 m.w.N. 2 0 9

Kopp, § 42 Rn 37.

2 1 0

Gierth, aaO; Kopp, aaO.

DÖV

1980,

S.894;

Stern,

2 1 1

So Kopp § 40 Vorb Rn 23; EF § 42 Rn 131; Achterberg, DVB1 1981, S.280; Grunsky, aaO, S.223,225, 236f. jeweils m.w.N. 2 1 2

in

Skouris, aaO, S.81.

Vgl. dementgegen Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S.132ff., der vorschlägt, den Begriff Klagebefugnis fallenzulassen und wie im Zivilprozeßrecht von der Prozeßführungsbefugnis zu sprechen (S. 135); Neumayer, S.20, 111, der die Grundsätze für die zivilprozessualen Anforderungen an die Prozeßfuhrungsbefugnis auf die Klagebefugnis übertragen will. Kritisch dazu PR § 9 Π S.92 Fn 35. 2 1 4 Schwerdtner, ebenda. Vgl. aber Skouris, aaO, S.77ff., der aufgrund der Entstehungsgeschichte § 42 Abs.2 VwGO die gängige Uberzeugung den grundlegenden Irrtümern der Verwaltungsprozeßlehre zurechnet, daß diese Vorschrift allein oder primär die Klagebefugnis, das Prozeßführungsrecht und das Anfechtungsrecht des Gewaltunterworfenen regelt. Darin stecke also mehr und anderes als gemeinhin angenommen wird, nämlich Beschränkung der Klagegründe auf Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns (gegen Ermessenskontrolle) und die Entscheidung für die Verletztenklage unter Gesetzesvorbehalt. ΛIC Vgl. Kopp, § 42 Rn 104. Sie sind im wesentlichen auf Klagemöglichkeiten von Behörden beschränkt, beispielsweise nach §§ 30 Abs.l, 35 Abs.2 WehrpflichtG. Einen grundsätzlich möglichen Ausnahmefall bildet im übrigen die Verbandsklage.

. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

der Klagebefungnis im Hinblick auf die Auslegung des § 42 Abs.2 VwGO. Dabei sind vor allem solche immer noch umstrittene Fragen zu bewältigen, wie die systematische Einordnung der Klagebefugnis, die an sie zu stellenden Anforderungen bzw. ihre Handhabung und die Ermittlung der Kriterien, welche zur Auslegung der "Rechtsverletzung" nach § 42 Abs.2 heranzuziehen ist. All diese Fragen sollen de lege lata zu beantworten sein, bieten aber zugleich die Arena an, wo die ganze Reformproblematik zur Debatte steht. Auf dieser also rechtspolitischen Ebene tritt etwa die Frage der sog. Verbandsklage auf, um deren willen vielfältige Reformversuche 2^6 insbesondere auf dem Gebiet des Umweltschutzrechts vorgeschlagen, aber nur bruchstückhaft 217 durchgesetzt worden sind. Darauf beziehen sich zwar die rechtspolitischen Überlegungen zur grundsätzlichen Ablehnung der Klagebefugnis 218 oder zur Kritik der Schutznormtheorie 219, die sich aber als allgemeine Reformproblematik verselbständigen220. Dieser, mittlerweile in ihrer Fülle der Literatur fast unübersehbar gewordenen Problematik in aller Breite nachzugehen, würde allerdings den Umfang der vorliegenden Arbeit überschreiten. Hier soll daher nur auf diejenigen Streitpunkte einzugehen sein, die zur Erläuterung der Klagebefugnis bei der Verpflichtungsklage unentbehrlich erscheinen, dies aber in möglichst konzentrierter Form. Es dürfte genügen, die rechtspolitischen Aspekte nur in ihren Richtlinien zu registrieren, da die Aktualität der Frage insofern als überholt anzusehen sei, als die

2 1 6 Zur ganzen Problematik vgl. statt vieler M.Wolff, Die Klagebefugnis der Verbände, Ausnahme oder allg. Prinzip?, Tübingen 1971; S.Rehbinder/Burgbacher/Knieper, Bürgerklage im Umweltrecht; Faber, Die Verbandsklage im Verwaltungsprozeß, 1972; Skouris, Verletztenund Interessenklage im Verwaltungsprozeß, Hamburger Habilitationsschrift 1979; Embacher, Die Verbandsklage im Verwaltungsprozeß, Diss. 19/9; Ule/Laubinger, Empfehlen sich unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung notwendigen Umweltschutzes ergänzende Regelungen im Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozeßrecht?, Gutachten Β fur den 52. DJT, 1978; Breuer, Wirksamer Umweltschutz durch Reform des Verwaltungsverfahrensund Verwaltungsprozeß rechts?, NJW, 1978, S.1558ff.; Vgl. auch sehr informative Berichterstattung aus der Sicht des Common-Law-Juristen von Michael S.Greve, The Non-Reformation of Administrative Law: Standing to Sue and Public Intereset Litigation in West German Environmental Law, Cornell International Law Journal, 1989, S.197ff.

λι

η

So ist die (altruistische) Verbandsklage teilweise in den Bundesländern Berlin, Bremen, Hamburg und Hessen auf dem Gebiet des Naturschutzrechts aber mit unterschiedlicher Ausgestaltung eingeführt worden (vgl. § 44 bremNatSchG; § 39 a berlNatSchG; § 41 hamNatSchG; § 36 hessNatSchG; dazu BVerwG NVwZ 1988, S.364; NuR 1985, S,154; Rehbinder, N V w Z 1982, S.666f.; Skouris, N V w Z 1982, S.233). Nach der Bestandsaufnahme von Neumayer habe sie jedoch lediglich in Bremen, und nur mit Einschränkungen ihre Bewährungsprobe bestanden. Näheres dazu vgl. Neumayer, Erfahrungen mit der Verbandsklage aus der Sicht der Verwaltungsgerichte, UPR, 1987, S.327ff., 330; Vgl. auch Greve, aaO, IV (S.213ff.) 2 1 8

21Q

Statt vieler, Gierth, aaO.

Statt vieler, vgl. H.Bauer, Schutznormtheorie im Wandel, Gegenwartsfragen des öffentlichen Rechts, 1988, S.116 Fn 15 und dort angegebenen Nachweise. Die Liste der Kritiker sei - was von den Vertretern der herrschenden Meinung gelegentlich übersehen werde - lang. lw e t w a Kritik v o n Achterberg bei dem mißlungenen Versuch zur Vereinheitlichung der Verwaltungsprozeß rechts.

7*

100

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

Reformversuche wie etwa zur Einfuhrung oder Ermöglichung der Verbandsklage de lege ferenda zur Zeit nicht auf der Tagesordnung stehen 221 . ii. Dogmatische Konstruktion der Klagebefugnis Im folgenden zu erläutern sind aber nur schlagwortartig die systematische Einordnung der Klagebefugnis, prozessuale Anforderungen an die Klagebefugnis und schließlich das zur Auslegung der geltend gemachten Rechtsverletzung heranzuziehende Kriterium (Schutznormtheorie): Erstens, das Wesen der Klagebefugnis ist, wie es die eben gezeigte terminologische Divergenz andeutet, in ihrer systematischen Einordnung oder dogmatischen Bedeutung umstritten 222. Es hat sich aber bisher durchsetzen können, sie immerhin zu einer Sachurteilsvoraussetzung zu zählen. Zweitens, es fragt sich nun, welche Anforderungen an die Klagebefugms zu stellen sind, mit anderen Worten, "wie" die eigene Rechtsverletzung vom Kläger vorgetragen worden sein soll, um die Klagebefugnis bejaht zu bekommen (Darlegungslast) 223. Über kaum eine andere Frage ist so viel gedacht worden, wie darüber, welche Hilfsüberlegungen das Gericht anzustellen habe, um mit dem Problem des § 42 Abs.2 VwGO fertig zu werden, bzw. welche Darlegungslast den Kläger trifft 2 2 4 . So sehr weitgehend Einigkeit darüber besteht, daß mit der Klagebefugnis nach § 42 Π VwGO die Popularklage ausgeschlossen, also dem "quivis ex populo" die Klagemöglichkeit vorenthalten werden soll, so streitig ist jedoch die Auslegung des § 42 Π VwGO im Hinblick auf die an die Klagebefugnis zu stellenden Anforderungen und damit bezüglich ihrer Handhabung^ * . Das Spektrum der Anforderungen, die an die Intensität der Um das Thema sei es in letzter Zeit nach Kloepfer, Rechtsschutz im Umweltschutz, VerwArch Bd.76 (1985), S.371, [386] recht still geworden, auch wenn die Forderung gelegentlich wiederbelebt wird (z.B., Langer, Der Mensch im Umweltrecht. Plädoyer fur ein kollektives Umweltrecht, NuR 1986, S.2/0ff.; Gassner, Treuhandklage zugunstern von Natur und Landschaft, 1984). Vgl. auch G.Frank, Vom Umweltschutz zum Mitweltrecht - Schritte zur Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen im geltenden Recht, DVB1 1989, S.693ff. Mit dem Hinweis darauf berichtet Greve (S.221): "In Short, environmental law, and only environmental law, offered an opportunity for a reformation of German administrative law. That opportunity has passed." 2 2 2 Abgesehen von der früheren Auffassung, die sie zur Sach(Aktiv)legitimation (Frage der Begründetheit !) zählt und sich damit nicht mehr mit der allgemeinen Prozeßrechtslehre vereinbart, wird noch der Ort der Unterbringung in den Sachurteilsvoraussetzungen uneinheitlich beurteilt. Näheres dazu Neumayer, S.17f., 22ff.; Gierth, aaO, S.893f. 2 2 3

SG S.85f.

2 2 4

Ebenda, S.894.

ΛΛ C 22

Bis hier direkt zitiert von Neumayer, aaO, S.25; Schwerdtner, S.631.

^ Diese Annahme, daß dieses Ziel des Ausschlusses des "quivis ex populo" mit Hilfe der Klagebefugnis erreicht werden kann, werde jedoch nach Schwerdtner (S.o32) zunehmend in Zweifel gezogen. Hierzu engagiert Gierth, aaO, S.894f.

. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

10

Geltendmachung der Verletzung eigener Rechte gestellt werden, reicht von der Schlüssigk e i t 2 2 7 über die Möglichkeit 2 2 8 , Substantiiertheit 229 und Plausibilität 230 bis zur bloßen Behauptung 2 3 1 , wobei sich die "Möglichkeitstheorie" wohl durchgesetzt hat, die grundsätzlich die substantiierte Behauptung der eigenen Rechtsverletzung genügen läßt 2 . Die Frage an sich mag zwar wohlgemerkt mit Pietzner/Ronellenfitsch eher Gegenstand eines akademischen Meinungsstreits sein. Wichtiger ist fur unsere Betrachtung aber die über den ganzen Streit hindurch augenfällig erkennbare Tendenz des deutschen Verwaltungsrechts eine Richtung, die offenbar einem Grundgedanken zugrundeliegt, daß die Schwelle der Zulässigkeit grundsätzlich nicht höher angesetzt werden dürfe, als es notwendig sei, um quivis ex PQßulo zu verhindern 2 . Die inzwischen vertretenen, verechiedenen Theorien oder Lösungen 2 3 * zu dieser Frage machen so eine Zielrichtung deutlich 2 ·". Ebenfalls belegt die vom BVerwG praktizierte negatorische Formel ihrerseits einen solchen Denkansatz2 .

Sieht man darin offenkundig die prozessuale Funktion der Klagebefugnis, welche als negatorischer Ausschaltmechanismus zur Aufrechterhaltung des individuellen Rechtsschutzsystems fungiert, so ist zwar auch nicht unverständlich, aus der Sicht der Verfechter der Verbandsklage oder Rechtsvergleicher 237 zu bezweifeln, ob nicht das Institut der Klagebefugnis nicht bloß den Modernitätsrückstand der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit 2 2 7 Etwa Engelhardt, JZ 1961, 588; Ule, Verwaltungsgerichtsbarkeit, 2.Aufl., 1962, § 42 Erl.ΙΠ 1 a.; BVerwGE 10,122 [123].

228

EF § 42 Rn 121; SG S.86f.; BVerwGE 3,237; 39,345; vgl. auch Stern, S.125 m.w.N.

2 2 9

Bachof, Verfassungsrecht, Venvaltungsrecht, Verfahrensrecht, Bd.I, 2 Β 69.

2 3 0

SG S.84ff.

2 3 1

Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrecht, 2.Aufl., 1974, S.273.

2 3 2

fünf

2 3 3

So etwa SG S.86; Martens, J., Die Praxis, S.54.; Kopp, Entwicklungstendenzen,

So schließt Neumayer (S.25ff.) nach der ausfuhrlichen Erläuterung der Auffassungen, die sich durch Rechtsprechung und Rechtslehre herauskritallisiert haben. S.519.

23 ^ Z.B. die allein auf die Willensrichtung des Klägers abstellende, voluntative Theorie von Neumayer ( S . l l l f f . , 137f. passim.), sog. Behauptungstheorien (Henke, JZ 1972, S.625; Laubinger, Der Verwaltungsakt mit Doppelwirkung, 1967, S.115ff.), Adressatentheorie oder auf Verpflichtungsklage angewandte Antragstheorie von Achterberg, aaO, S.278 mit in Fn 2 angeführten Nachweisen für ihre Vertreter, und schließlich die neuerdings von Schwerdtner, aaO, S.632ff. vertretenen, am Nachteilsbegriff des § 47 Abs.2 VwGO orientierten, neuen Lösungsansätze.

So entspricht das einer universalen Tendenz, die in vielen Industrieländern unter sowohl "Common-Law als "civil law" Tradition durch die Milderung der "Standing to sue" oder Erweiterung der Klagebefugnis zum Ausdruck kommt, wozu das deutsche Recht zwar keine Ausnahme bildet. Das deutsche Venvaltungsrecht verhalte sich aber zumindest hinsichtlich der Populär- oder Verbandsklage im Vergleich zum "American administrative law" wesentlich diskret und argwöhnisch. So schreibt solche Abweichung zwischen beiden Ländern etwa Greve, aaO, S. 199ff.-244 passim, solchen Faktoren zu wie die unterschiedlichen Rechtstraditionen und darauf beruhenden Lehrmeinungen bzw. ideologischen Konzeptionen über die parlamentarisch fundierte Gewaltenteilung, das Verhältnis des öffentlichen Rechts zur Politik (Unabhängigkeit des Gerichts), Zweck des Rechtsschutzsystems u.a. 2 3 6 BVerwG v.30.10.1963, Buchholz 310 § 42 Nr.l 1 : Mangels Klagebefugnis ist die Klage nur dann unzulässig, "wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die vom Kläger behaupteten Rechte bestehen oder ihm zustehen können". 2 3 7 Etwa wie Skouris, Verletztenklage und Interessenklage im Verwaltungsprozeß; Bleckmann, Die Klagebefugnis der Verbände im Anfechtungsprozeß - Ein Ausblick auf das französiche Recht, VenvArch. Bd.63 (1972), S.182 [185ff.]; auch Greve, aaO.

10

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

zeigt, sondern auch eher ideologische Verriegelung gegen kollektive Interessen besorgt 238 , indem etwa die höchstrichterliche Rechtsprechung geschlossene Frontstellung gegen die Verbandsklage aufbaut und darauf beharrt, sie pauschal als Popularklage zu denunzieren 239, ohne die breite Zwischenzone vielfältiger Fallkonstellation zwischen Popularklage und Beeinträchtigung subjektiver Rechte zu berücksichtigen 240. Wichtiger ist jedoch die in ihrer negatorischen Formel zu erblickende Einsicht, daß jedenfalls der Schwerpunkt der rechtlichen Prüfimg immer stärker auf die Begründetheit zurückverlagert werden soll 2 4 1 : Plausibel erscheinen indessen Argumente, eine unnötigen Aufblähung der Zulässigkeitsprüfung und damit eine "Kopflastigkeit" deseesamten Gerichtsverfahrens 242 zu vermeiden. Nicht nur aus prozeßökonomischen Gründen 2 4 3 , sondern auch mit Bezugnahme des verfassungsrechtlichen Rechts auf effektiven, tatsächlich wirksamen Rechtsschutz24^ erweist es sich als unangebracht, im Rahmen der Klagebefugnis höchst komplizierte und seitenlange Ausführungen über den drittschützenden Charakter einer Norm anzustellen, anstatt den Schutzzweck einer Norm im Rahmen der Begründetheit zu prüfen, wo dies abgesehen von den eindeutigen und offensichtlichen Fällen - auch der richtige Platz ist . Neben dieser Obergrenze ist nun hingegen eine Untergrenze zu ziehen, nämlich die bei der Überprüfung der Klagebefugnis nicht unterschritten werden sollte: Die Frage nach der tatsächlichen (rechtswidrigen) Rechtsverletzung darf zwar nicht schon bei der Sachurteilsvoraussetzung vorweggenommen werden. Sollte die Schwelle der Klagebefugnis etwa bei der Drittklage zu niedrig angesetzt werden, so besteht diesmal die Gefahr, eine sinnwidrige Entleerung des § 42 Abs.2 zuzulassen. Eine Klage ist etwa schon deshalb

2 3 8 Z.B. Faber, Die Verbandsklage im Verwaltungsprozeß, 1972, S.7-8, 21f. (Im Grunde ist damit das Problem der Verbandsklage vor Beginn des Subsumtionsakts ideologisch vorentschieden), 33,40 (ideologischer Hintergrund des "Popularklage-Argüment" ist die S.21 kritisierte Dichotomie individuelle/öffentliche Interessen),45f.bzw. 88f.(gegen die Luhmanns These); vgl. auch Greve, aaO, S.231ff. 2 3 9

Faber, aaO, S.39-40.

2 4 0

Bettermann, Klagebefugnis und Aktivlegitimation im Anfechtungsprozeß, Staatsbürger und Staatsgewalt, S.456f.; Neumayer, aaO, S.l 13; Faber, ebenda m.w.N. 2 4 1

J.Martens, Die Praxis, S.54.

2 4 2

Schwerdtfeger, S.62; J.Martens, aaO; BVerwGE 28,131 =JuS 1968, S.243 Nr.9.

2 4 3

Bachof I, Teil 1, B61.

2 4 4

Schwerdtner, S.632.

2 4 5 Ebenda. In diesem Zusammenhang kritisiert allerdings Martens, J., aaO, S.54 ff. die Adressatentheorie mit einem Beispiel, indem der Adressat eines ablehnenden Bescheids aber keine eigene Rechtsverletzung geltend macht. Solange die Adressatentheorie auch im Adressatenfall zumindest die Möglichkeit der Verletzung des Art.2 Abs.l GG voraussetzt und die Anwendung der Möglichkeitstheorie auf den Fau einräumt (Achterberg, DVB1 1982, S.278f.), in dem ein Dritter der Kläger ist, kann sie wohl als eine modifizierte Möglichkeitstheorie angesehen werden (oder anders ausgedrückt, fallen bei der Adressatentheorie Schlüssigkeits- und Behauptunçstheorie zusammen. Pietzner/Ronellenfitsch, § 9 Π 1, S.92). Seine Kritik überzeugt insofern nicht. Für das Beispiel, das J.Martens anfuhrt, trifft m.E. auch nach der Adressatentheorie eher die oben genannte Formel des BVerwG v.30.10.1963 zu, weil es sich je nach dem konkreten Sachverhalt unterschiedlich beurteilt, ob entweder von vornherein eindeutig ist, daß in dem Fall keine Möglichkeit der eigenen Rechtsverletzung besteht, oder dies erst nach einer weiteren Sachverhaltsermittlung zu klären ist. Im übrigen vgl. auch das Beispiel von Neumayer, S.l 13f.

. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

10

abzuweisen, weil die Unbegründetheit von vornherein außer Zweifel steht 24 **. In einem solchen Fall wird kein gekünstelter Doppelanlauf 2 *' in Gang gesetzt, was auch aus prozeßökonomischen Gründen wünschenswert ist.

Schließlich kommt aber nunmehr dem Begriff des Rechts im Sinne des § 42 Abs.2 VwGO hierbei entscheidende Bedeutung zu - ein Kardinalproblem, das die Lehre des subjektiven öffentlichen Rechts 248 als gesamte Grundlage des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes249 berührt. Die Rechtsprechung hat dazu unter weitgehender Billigung durch die Rechtslehre eine umfassende und zum Teil aber auch verwirrende Kasuistik entwickelt 250 , um ein der Erweiterung des Rechtsschutzumfangs dienendes mitunter als »Schutznormtheorie« 251 bezeichnetes - extensives Kriterium zur Interpretation des § 42 Abs.2 V w G O 2 5 2 bereitzustellen, und dadurch im Ergebnis eine Ausdehnung des Begriffs »Rechte« auf »rechtlich geschützte Interessen« erreicht* 53 . Die Vorschrift des § 42 Abs.2 korrespondiert mit der des § 113 Abs.5 (Abs.l S.l fur die Anfechtungsklage) VwGO, soweit diese für die Begründetheit die Rechtsverletzung voraussetzt. Das subjektive Recht als Angelpunkt des Rechtsschutzgarantie nach Art. 19 Abs.4 GG steuert somit über die Klagebefugnis die Zulässigkeit des Rechtsmittels und bestimmt im Begriff der Rechtsverletzung den Umfang der gerichtlichen Kontrolle 254 . Die 2 4 6

BVerwG Urteil v.30.10.1963, DVB1 1964, S.191.

2 4 7

Rupp, DVB1 1982, S.l45f.

2 4 8 Die Bandbreite der Lieratur zu diesem Thema ist entsprechend seiner Bedeutung für die ganze Dogmatik des öffentlichen Rechts schon fast unübersehbar geworden. Außer den epochemachenden, grundlegenden Untersuchungen von O.Bühler (Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914; Altes und Neues über Begriff und Bedeutung der subjektiven öffentlichen Rechte, in: GS für Walter Jellinek) sowie von W.Henke (Das subjektive öffentliche Recht, 19$8; Das subjektive Recht im System des öffentlichen Rechts - Ergänzungen und Korrekturen, DOV 1980, S.62Iff.) verweise ich hier nur auf die eingehenden Arbeiten von H.Bauer mit dort befindlichen Nachweise: Ders., Geschichtliche Grundlagen der Lehre von subjektiven öffentlichen Recht, 1986, Augusburger Diss.; s. auch dens., Schurznormtheorie im Wandel, S.l 13 Fn 2. 2 4 9 Schmidt-Aßmann bezeichnet das Gesetz und das subjektive Recht als zwei Grundelemente des Verwaltungsrechts. Dieses bringe das Personale und individuelle in die Institutionen des Verwaltungsrechts, während jenes als Medium der Steuerung, Entlastung und Kontrolle die Besis des Verwaltungsrechts gewesen ist. Ders., Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee und System, 1982, S.14, 18. 2 5 0

Maurer, § 8 Rn 9, S. 128.

251

Zum Sprachgebrauch s. H.Bauer, Schutznormtheorie im Wandel, Gegenwartsfragen des M Öffentlichen Rechts, 1988, S.l 13 Fn 1. 2 5 2 Diese wurde insbesondere für die Anfechtungsklage eines Drittbetroffenen gegen einen begünstigenden V A entwickelt, gilt aber ganz allgemein. Dazu PR § 9 Π 2, S.93. 2 5 3 2 5 4

Achterberg, DVB1 1981, S.279.

Schmidt-Aßmann, Funktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S.109: Die objektive Rechtswidrigkeit einer staatlichen Maßnahme sei fur den von Art. 19 Abs.4 GG gebotenen Rechtsschutz nicht in ganzer Breite, sondern eben nur in jenem Maße interessant, als der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt wird.

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C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

Schutznormtheorie ist dabei für die Begründung subjektiver öffentlicher Rechte der Bürger von ausschlaggebender Bedeutung, nach der die Gewährung solcher Rechte von dem Vorliegen eines Rechtssatzes abhängt, der "nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern - zumindest auch - dem Interesse einzelner Bürger zu dienen bestimmt ist 2 5 5 . Die rechtsdogmatische Zuordnung der Frage nach der Schutznorm ist zwar nicht unumstritten 256. Auszugehen ist jedoch im Grunde genommen davon, daß die Problematik eher materiellrechtlicher Natur i s t 2 5 7 , also letztendlich in die Begründetheitsprüfung gehört, zudem bei der Zulässigkeitsprüfung lediglich von einer möglichen, nicht aber wirklichen Rechtsverletzung die Rede ist. So erscheint es durchaus berechtigt, die Schlüsselrolle, die bei der Bestimmung der Klagebefugnis die Schutznormtheorie spielt, der nur unzureichenden Unterscheidung zwischen materiellem und formellem Recht im Verwaltungsrecht zuzuschreiben 258. Eine nähere Betrachtung der Schutznormtheorie soll daher hier ausbleiben, worauf zwar bei der Erläuterung der Begründetheit zurückzukommen ist, aber vielmehr besser im Zusammenhang mit den materiellrechtlichen Aspekten des Themas einzugdien sein wird: Es handelt sich, wie es schon Henke hervorgehoben hat, um eine der Abgrenzungsfragen, die theoretisch nicht ein für allemal beantwortet werden können, weil sie in Lebensverhältnissen entstehen, die in steter Bewegung und Veränderung sind 2 5 9 . Dabei bedarf die Theorie einer Korrektur unter dem Gesichtspunkt der Einzelfallgerechtigkeit 260, was aber eher kasuistische Lösungen ebenso für die Rechtswissenschaft wie für die Rechtsprechung unabdingbar macht. Aufmerksamkeit ist also nur darauf zu lenken, daß die Klagebefugnis nämlich die formelle Befugnis enthält, ein vorausgesetztes subjektives Recht im Prozeß geltend zu machen, wie Baumann zu Recht ausfuhrt: Das prozeßrechtliche Problem der Klagebefugnis in dem Sinne spielt aber in der Praxis kaum mehr eine Rolle 2 6 1 . Nicht sie ist die Substanz der Rechtsposition des Klägers, sondern der von ihm geltend 2 5 5

Maurer, § 8 Rn 8, S.127; BVerwGE 3,362.

So etwa bei Stüer, Das Eigentum als subjektiv-öffentliches Recht und als abwägungserheblichen Belang in der Planfeststellung, NuR 1981, S.149ff.[150] oder bei Hufen, Heilung und Unbeachtlichkeit grundrechtsrelevanter Verfahrensfehler?, NJW 1982, S.2160ff.[2161] ist von der zu § 42 Abs.2 VwGO entwickelten oder prozessualen Schutznorm(zweck)theorie die Rede, während sie bei Breuer, Ausbau des Individualschutzes gegen Umweltbelastungen als Aufgabe des öffentlichen Rechts, DVB1 1986, S.849ff.[854] dem materiellen Recht zugeordnet wird. 2 5 7 So etwa Kopp, Entwicklungstendenzen, S.519. Vgl. auch BVerwG v.31.10.1990, N V w Z 1991, S.162ff., [163], wonach die Beurteilung der Klagebefugnis weitgehend von Erwägung zum materiellen Recht bestimmt werde (mit dem Hinweis auf Pietzner, VerwArch 77 (1986), 299 [315ff.]). 2 5 8 So Baumann, Betroffensein durch Großvorhaben, BayVBl.1982, S.265; Schon Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S.136. 2 5 9

Henke, DÖV 1980, S.621f.

2 6 0

Ebenda.

2 6 1

So etwa Ladeur, Die Schutznormtheorie - Hindernis auf dem Weg zu einer modernen Dogmatik der planerischen Abwägung ?, UPR 1984, S.lff., [2].

. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

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gemachte auf einfachem Gesetz oder Grundrechten beruhende materielle Anspruch 262 , was besonders fur die Verpflichtungsklage der Fall ist. iii. Klagebefugnis bei der Verpflichtungsklage Bei der Verpflichtungsklage spielt die Klagebefugnis praktisch nicht so eine große Rolle wie bei der Anfechtungsklage 2®3, weil normalerweise durch den vorangegangenen Antrag des Klägers auf Erlaß eines VA bereits eine gewisse Beziehung zwischen ihm und dem Vorgang hergestellt worden ist, an welche bei der Prüfung der Klagebefugnis angeknüpft werden kann 2 6 4 . Die Möglichkeit einer Rechtsbeeinträchtigung läßt sich daher verhältnismäßig leicht annehmen, da im Regelfall der Kläger selbst Adressat des begehrten VA i s t 2 6 5 , indem die sog. Adressatentheorie 266 vorzugsweise zur Geltung gelangt 267 . Die Bestimmung der Klagebefugnis bereitet insofern kaum Schwierigkeiten. Dabei ist aber dem Umstand Rechnung zu tragen, daß die Ablehnung oder Unterlassung eines VA ein Recht grundsätzlich nur dann verletzen kann, wenn das Recht auf Erlaß des VA gerichtet ist. Es muß sich deshalb zumindest um einen Leistungsanspruch oder ein sonstiges Vornahmerecht handeln. Wirkt sich demgegenüber die Nichterteilung eines VA als Eingriff im Sinne einer Schmälerung einer bestehenden Rechtsposition aus, kann sich der Kläger auch bei der Verpflichtungsklage auf ein Abwehrrecht berufen 268 . Das ist der Fall, wenn eine Erlaubnis versagt wird, die zur Ausübung einer durch ein Grundrecht geschützten Freiheit erforderlich ist. Soweit ein Leistungs-(Vornahme-)Anspruch in Betracht kommt, entfallt also die Prüfung, ob dem Kläger tatsächlich ein solcher Anspruch zusteht. Die Frage 2 6 2

Ebenda, S.265-266.

2 6 3

Aber mit Ausnahme der Frage zur Verbandsklage.

2 6 4

Ule, § 33 IV (S. 197); D.Schmalz, Rn 1144.

26 S

EF § 42 Rn 149: Die Rechtsbeeinträchtigung sei hier gleichzusetzen mit Beschwer im Sinne des Rechtsmittelrechts. 2 6 6 Achterbere, DVB1 1981, S.278f.; PR § 9 Π 1, S.92. Als Korrelat der Adressatentheorie verwendet Achteroerg dazu den Terminus Antragstheorie, wonach sich die Berechtigung allerdings daraus ergebe, daß die in der Ablehnung des Antrags liegende Möglichkeit der Anspruchsvereitelung den Kläger in seiner freien Entfaltung des Persönlichkeit beeinträchtige, ohne Art.2 Abs.l GG von einem Abwehr- zu einem Leistungsrecht umzufunktionieren. Im Ergebnis ändert sich zwar daran nichts, daß hierbei das Erfordernis weiterer substantiierter Behauptungen entfallt. Bedenklich erscheint jedoch, ob dabei der Rückgriff auf die Beeinträchtigung in der freien Entfaltung der Persönlichkeit erforderlich ist. Es genügt m.E., daß die Möglichkeit eines dem Antrag zugrundeliegenden Rechts besteht. 267 vgl. aber SG Rn 419, S.167f., der hingegen nur Erleichterung der Feststellung der Klagebefugnis durch das Antragserfordernis annimmt; Schmalz, Rn 1147: Eine verkürzte Begründung sei aber in den Fällen möglich, in denen ein Antrag auf Erlaß eines begünstigenden V A abgelehnt wurde und sich aus einer Rechtsvorschrift ergibt, daß der Kläger zur Antragstellung im Sinne des § 22,2 Nr 2 VwVfG befugt war. 2 6 8

Schmalz, Rn 1146.

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C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

danach ist, wie gesehen, nur dort zu beantworten, wo sie hingehört, nämlich in die Begründetheitsprüfung. Es genügt demgegenüber, daß der Kläger das Bestehen eines solchen Anspruchs behauptet, was grundsätzlich bereits daraus folgt, daß er den VA beantragt hat und diesen Antrag im Wege der Klage weiter verfolgt. Hervorzuheben ist allerdings, daß ein solches Ergebnis dann nicht aufrechtzuerhalten ist, wenn der Antragsteller nicht einmal antragsbefugt war und somit nicht in den Kreis der möglicherweise Beschwerten zu rechnen i s t 2 6 9 . Denn andernfalls würde der Weg zur quivis ex populo eröffnet. Ein Ausschluß liegt demnach vor, mit der Folge, daß die Klagebefugnis zu verneinen ist:

- wenn es einen derartigen Anspruch eindeutig nicht geben kann. - wenn die für den VA in Betracht kommende Rechtsgrundlage ausschließlich im Interesse der Allgemeinheit oder Dritter besteht. Bei der Versagungsgegenklage wie Anfechtungsklage bereitet der VA mit Drittwirkung besondere Probleme: Für die Versagungsgegenklage ist typisch, daß der Dritte von der Behörde das Einschreiten gegen einen anderen, also dessen Belastung anstrebt 270. Zweifelhaft sei diesbezüglich nach Eyermann/Fröhler, ob subjektive Rechte auf behördliches Einschreiten gegen aufgetretene Mißstände anzuerkennen sind 2 7 1 . Die Frage ist insbesondere erörtert werden im Zusammenhang mit (sicherheits-)polizeilichen Einschreiten 272, heute aber auch besonders aktuell im gewerblichen Bereich 273 . Es ist die Frage, ob etwa Nachbarn und andere Betroffene einen Anspruch auf Erzwingung der Einhaltung der baurechtlichen Vorschrift auf Schließung eines störenden Betriebes, auf die Erteilung nachträglicher im VA vorbehaltener oder im Gesetz vorgesehener Auflagen usw. haben. Ein solcher Rechtsanspruch wurde früher nahezu einhellig verneint mit der Begründung, daß diese Rechte den Behörden nur im allgemeinen - abstrakten - öffentlichen Interesse, nicht aber im Interesse bestimmter einzelner eingeräumt seien; letzteren kämen solche Maßnahmen daher nur reflexweise zugute. Seit dem bekannten Urteil des BVerwG vom 1 8 . 8 . I 9 6 0 2 7 4 ist 2 6 9

Achterberg, S.279.

2 7 0

SG Rn 420, S.168.

2 7 1

EF § 42 Rn 173, S.301.

2 7 2

Götz, Polizeirecht, § 272ff.; König, Rechtsansprüche auf Einschreiten der Behörde, BayVBl.1969, S.45ff.; R.Maunz, Rechtsansprüche aes Verletzten auf Einschreiten der Ordnungsbehörde gegen den Störer, BayVBl.1977, S.135ff; Wilke, Der Anspruch auf behördliches Einschreiten im Polizei-, Ordnungs- und Baurecht, FS Scupin, 1983, S.83lff. 2 7 3 Für viele vgl. Heinrich, Der Rechtsschutz Dritter in der Rechtsprechung zum Gewerberecht, WuV, 1985, S.lff. 2 7 4

BVerwGE 11,95.

II. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

107

das subjektive öffentliche Recht des einzelnen gegenüber der Gefahrenabwehrbehörde gaψ. überwiegend anerkannt und weiterhin auf andere verschiedene Rechtsbereiche erstreckt . Der Auffassung vom modernen Rechts- und Sozialstaat entspricht es, daß der Gesetzgeber verpflichtet ist, für die essentiellen Interessen des einzelnen Vorsorge zu treffen und dies nicht nur in der Weise, daß die Behörden objektiv verpflichtet werden, diese ihnen eingeräumten Befugnisse wahrzunehmen, sondern dergestalt, daß der einzelne auch die Rechtsmacht erhält, gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen in Wahrnehmung seiner Interessen zu erzwingen. Wo also essentielle Interessen einzelner, insbesondere Leben, Gesundheit aber auch Eigentum unmittelbar tangiert werden, sind Vorschriften, die die Behörden zum Einschreiten gegen solche Gefahrdungen ermächtigen, im Zweife] dahin zu interpretieren, daß den Betroffenen ein Rechtsanspruch auf Einschreiten zusteht 2 '®.

Dieser durch das Verfassungsrecht bedingte Wandel in der Interpretation der Schutznorm setzt sich, unterstützt von der inzwischen zum Durchbruch gelangten Grundrechtsdogmatik zur staatlichen Schutzpflichten 277 weiterhin durch und zeigt nun seinerseits die entwicklungsoffene Dynamik der Schutznormlehre deutlich - eine Fähigkeit, sich den sich ständig ändernden gesellschaftlichen Bedingungen anzupassen. Diese Entwicklungslogik und ganze Problematik überhaupt können aber wie gesagt weniger im Rahmen der Klagebefugnis als im materiellrechtlichen Zusammenhang mit einzelnen Rechtsbereichen vollständig analysiert werden, worauf im nächsten Kapitel zurückzukommen sein wird. Γ) Vorverfahren und Klagefrist i. Vorverfahren Das Vorverfahren kommt auch bei der Verpflichtungsklage als Sachurteilsvoraussetzung in Betracht, soweit die Versagungsgegenklage ein Vorverfahren in Form des Widerspruchsverfahrens verlangt. Dies ergibt sich aus § 68 Abs.2 VwGO, wonach fur die Verpflichtungsklage § 68 Abs.l entsprechende Anwendung findet, wenn der Antrag auf Vornahme des VA abgelehnt worden ist. Bei der Untätigkeitsklage hingegen entfallt das Vorverfahren, was sich aus § 68 Abs.2 ergibt, der § 68 Abs.2 nur für die Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage, nicht aber fur die Untätigkeitsklage als entsprechend anwendbar erklärt. Das Widerspruchsverfahren sowohl als Verwaltungsverfahren wie als Vorverfahren zum Verwaltungsprozeß 278 erfüllt im allgemeinen drei verschiedene 2 7 5

Götz, aaO.

2 7 6

EFaaO.

2 7 7

Götz, aaO.

770

Der rechtliche Charakter des Widerspruchsverfahrens ist vor allem im Hinblick auf die e rundgesetzliche Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen dem Bund und den Landern umstritten, was hier allerdings beiseite gelassen werden soll, da es unbestritten als eine Sachurteilsvoraussetzung fur die Versagungsgegenklage anzusehen ist. Dazu verweise ich auf

10

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

Funktionen, nämlich Selbstkontrolle der Verwaltung, Entlastung des Gerichts und Rechtsschutz279. Die Regelung begegnet, weil sie dem Rechtsschutz dient, auch im Hinblick auf Art. 19 Abs.4 GG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken 280 , was auch fur den Fall der Versagungsgegenklage gelten soll. So erfordert das Rechtsstaatsprinzip und das grundgesetzliche Gebot des effektiven Rechtsschutzes, daß das Widerspruchsverfahren jedenfalls zügig durchgeführt wird und der Bürger bei unangemessenen Verzögerung oder sonstigen Hindernissen auch unmittelbar die Gerichte anrufen kann 2 8 1 . Zu erwägen ist dies m.E. besonders dann, wenn die behördliche Ablehnung schon nach jeder Betrachtungsweise zweifelsohne eine endgültige Absage bedeutet und deshalb durch Durchführung des Widerspruchsverfahrens in einem solchen Falle sinnlose und unnötige Verzögerung des Rechtsschutzes herbeigeführt würde, wofür der Lösungsansatz dem Grundgedanken der Entscheidung BVerfGE 40, 256 zu entnehmen ist. Fragt es sich nun ferner de lege ferenda y ob diese unterschiedliche Regelung zwischen Versagungs- und Untätigkeitsklage erforderlich gewesen wäre, so vertreten Pietzner/Ronellenfitsch 282 die Ansicht, rechtspolitisch sinnvoll sei die Ausnahme vom Vorverfahren nicht, da der eben genannte Sinn und Zweck auch hier die Durchführung eines Vorverfahrens fordere 2 8 3 . Es ist indessen nicht am Platz, auf die grundsätzliche Frage einzugehen, ob es sich empfiehlt, die Durchführung des Widerspruchsverfahrens als Vorschaltverfahren auch für die Verpflichtungsklage zu fordern: Diese Frage wäre nicht nur rechtsdogmatisch, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtstatsachenforschung zu beantworten. Es genügt, auf die Kehrseite der Frage aufmerksam zu machen: Auf den ersten Blick erscheint es zwar, im Untätigkeitsfall sei der Stand des Antragstellers hinsichtlich des Vorverfahrens sowie der Klagefrist günstiger als im Ablehnungsfall, und die Behörde habe ihrerseits Anlaß, auf den gestellten Antrag jedenfalls zu reagieren (abzulehnen). Bei näherer Betrachtung könnte es jedoch sachgerechter erscheinen, vielmehr im Ablehnungsfall die Klageerhebung ohne Vorverfahren zuzulassen, soweit die behördliche Entscheidung zur Sache schon durch die Ablehnung deutlich zum Ausdruck gekommen ist.

Die Besonderheit des Widerspruchsverfahrens als Vorverfahren zur Versagungsgegenklage besteht darin, daß es keine aufschiebende Wirkung hat. Dies ergibt sich positivrechtlich aus § 80 Abs.l VwGO, der nur die

die Auseinandersetzung in H.Hoffmann, Das Widerspruchsverfahren als Sachentscheidungsvoraussetzung und als Verwaltungsverfahren, in: FS Menger, S.605ff.; Weides, aaO, S. 137fr.; Maurer, § § 10 Rn 28, S.216; vgl. aber BVerwGE 15,306 [310] m.w.N. (st.Rechtsprechung des BVerwG), die aus prozeßökonomischen Gründen den Verzicht des Widerspruchsverfahrens ausnahmsweise dann für zulässig hält, wenn sich die beklagte Behörde trotz des Fehlens des Widerspuchsverfahrens auf die Klage rügelos einläßt. Kritisch dagegen u.a. Weides, aaO, 135ff. 2 7 9 Dies ist ebenso umstritten wie seine Rechsnatur, worauf in der vorliegenden Arbeit allerdings nicht einzugehen sein wird. Vgl. nur SG S.103; PR § 17 I, S.175f.; Hoffmann, aaO, S.605; Weides, aaO m.w.N. 2 8 0 2 8 1

282

BVerfGE 40,256. Ebenda. pR § 24 V S.223.

2 8 3 Zustimmend Kopp, DVB1 1982, S.617; Schenke, DÖV 1982, S.716. § 71 Abs.2 Nr.2 EVwPO wollte deshalb den UntätigKeitswiderspruch generell einführen, was aber vom 54.DJT abgelehnt wurde. Vgl. Laubinger, DÖV 1982, S.897.

II. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

10

Anfechtungsklage nennt 284 und wird dadurch gerechtfertigt, daß mit der Klage nicht die Abwehr eines Nachteils, sondern die Gewährung eines Vorteils begehrt w i r d 2 8 5 . Insoweit ist die aufschiebende Wirkung ausgeschlossen286, worauf allerdings im Hinblick auf den vorläufigen Rechtsschutz einzugehen sein wird. ii. Klagefrist Die fur die Anfechtungsklage geltende Klagefristregelung von einem Monat nach Zustellung des Widerspruchsbescheids (§ 74 Abs. 1 VwGO) kommt auch bei der Versagungsgegenklage zur entsprechenden Anwendung (§ 74 Abs.2 VwGO). Für die Untätigkeitsklage gilt aber die Sonderregelung des § 75, welche aber die Untätigkeitsklage im weiteren Sinne umfaßt und damit auch für die Versagungsgegenklage beim unterbliebenen Widerspruchsbescheid zur Anwendung kommt. Die Verwaltung ist grundsätzlich verpflichtet, über Anträge und Rechtsbehelfe in allen Fällen so rasch zu entscheiden, wie es ihr ohne Nachteil für die gebotene Gründlichkeit möglich ist 2 8 7 . Dies präzisiert die Regelung des § 75 V w G O 2 8 8 . Zweck dieser Regelung ist also die Beschleunigung des Verwaltungsrechtsschutzes. Sie ist insofern als Ausfluß der Garantie des Art. 19 Abs.4 GG anzusehen289. Die Beschleunigung zugunsten des effektiven Rechtsschutzes geschieht in zweierlei Hinsicht: durch Verzicht auf das Vorverfahren sowie mit der Sonderregelung für die Klagefrist. Zwar bestätigt § 75 bloß für die Untätigkeitsklage die Konsequenz der bereits im § 68 Abs.2 getroffenen Regelung 290 , regelt aber zugleich die Klagefrist. Das Vorverfahren ist zunächst dann entbehrlich, wenn "über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Zeit sachlich nicht entschieden worden ist" (§ 75 S 1 2. Alt.): Fraglich ist allerdings, welche Folgen ein trotzdem eingelegter Widerspruch hat, auf den ein Widerspruchsbescheid ergeht. Hierzu wird zu Recht die Ansicht vertreten, daß sich die Frist fur die Klageerhebung nach §§ 74,58 und nicht nach § 75 bemißt 2 . Der Widerspruch ist 2 8 4

SGS. 169 m.w.N.

2 8 5

Ebenda.

2 8 6

BVenvGE 34,325 [327f.J.

2 8 7

Nachweise bei Kopp § 75 Rn 8 a.

2 8 8

Kopp, ebenda.

2 8 9

So EF § 75 Rn 1 mit dem Hinweis auf die Begr. zu § 76 RegEntw.; Weides/Bertrams, Die nachträgliche Verwaltungsentscheidung im Verfahren der Untätigkeitsklage, N V w Z 1988, S.673. 2 9 0 Der Hinweis "abweichend von § 68" wird so verstanden, daß er nur den Fall des unterbliebenen Vornahmeantrags trifft (Bettermann, NJW 1960, S.1082; EF § 75 Rn 1). 2 9 1

EF § 68 Rn 18 (S.530); ihnen folgend SG S.173.

10

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

zwar eigentlich weder erforderlich noch statthaft, weil er gegenstandslos ist, also keine Ablehnung wie bei der Versagungsgegenklage zum Gegenstand hat. Die Einlegung des Widerspruchs allein ändert insofern daran nichts, daß die Klageerhebung nach § 75 in diesem Fall der richtige Weg ist. Der rechtliche Wert des Widerspruchs als Vorverfahren in dem Fall ist dabei gleich Null, es sei denn, daß er gegebenenfalls in eine Aufsichtsbeschwerde umgedeutet und als solche beschieden werden kann . Der Erlaß eines (negativen) Widerspruchsbescheids ist aber jedenfalls eine behördliche Reaktion, die die Anwendung des § 75 ausschließt. Wird dagegen ein Widerspruchsbescheid nicht erteilt, so bleibt es bei der Regelung des §

Die Klage kann zum anderen nicht vor Ablauf von drei Monaten seit Einlegung des Antrags auf Erlaß eines VA erhoben werden; es sei denn, wegen besonderer Umstände des Falles ist eine kürzere Frist geboten. So gilt nun eine Drei-Monats-Sperrfrist, die aber nur die Bedeutung hat, daß das Gericht eine nach Ablauf von 3 Monaten erhobene Klage jedenfalls nicht als unzulässig, weil verfrüht, abweisen kann 2 9 4 . Schwierig zu beantworten ist allerdings die Frage, ob eine nach Ablauf dieser Sperrfrist erhobene Klage in jedem Fall zulässig ist, sofern bloß die anderen, hierfür einschlägigen Zulässigkeitsvoraussetzungen gegeben sind, oder aber ob es neben dem Ablauf der Sperrfrist außerdem erforderlich ist, daß fur die bisherige Untätigkeit der Behörde kein zureichender Grund i.S.v. § 75 S 1 VwGO vorliegt. Die Frage ist neuerdings im Hinblick auf die Übertragung der in der Regelung fur die Untätigkeitsklage i.w.S. nach VwGO gewonnenen Erkenntnisse auf die FGO (§46 FGO) sowie im Hinblick auf BVerwGE 42, 108 insbesondere zwischen Weides/Bertrams 2 ^ und Arndt/Schaefer 2 umstritten. Ohne auf finanzgerichtliche Besonderheiten einzugehen 2 "', welche Arndt/Schaefer besonders betonen, sollte hier dazu kurz Stellung genommen werden. Ist die Untätigkeitsklage zulässigerweise nach Ablauf der Sperrfrist erhoben und wird nunmehr der Vornahmeantrag von der Behörde abgelehnt, so ist zu differenzieren: die Durchführung des Widerspruchsverfahrens soll nach BVerwG v . 2 3 . 3 . 1 9 7 3 2 9 8 jedenfalls dann erforderlich sein, wenn die Behörde aus einem zureichenden Grund untätig geblieben ist und den Antrag innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist beschieden h a t 2 " 9 : In diesem Fall ist zwar das Verfahren auszusetzen (Satz berührt aber das Ergehen der Ablehnung die Zulässigkeit der Klage nach § 75 nicht mehr* . Das Fehlen eines zureichenden Grundes für eine Verzögerung des Verfahrens ist also kein zusätzliches

292

Weites, Verwaltungsverfahren und Widerspruchsverfahren, 1977, § 16, S.l60.

2 9 3

SG Rn 438, S.173.

2 9 4

BVerwGE 42,112; NVwZ 1987, S.970; EF § 75 Rn 8; Kopp § 75 Rn 9.

2 9 5

Weides/Bertrams, N V w Z 1988, S.673ff.; dies., Die verwaltungsgerichtliche finanzgerichtliche Untätigkeitsklage, StVj 1990, S.80ff.

und

2 9 6 Arndt/Schaefer, Die Untätigkeitsklage im finanzgerichtlichen Verfahren, StVj 1989, S. 151 ff.; dies., Erwiderung: Zur verwaltungsgerichtlichen Untätigkeitsklage, StVj 1990, S.93ff.

297 Hinsichtlich der finanzgerichtlichen Untätigkeitsklage herrscht weitgehende Ubereinstimmung zwischen beiden Seiten, wie Arndt/Schaefer zugeben. Dies., StVj 1990, S.93. 2 9 8 BVerwGE 42, 108ff. Zu dieser Entscheidung vgl. zustimmend Kopp § 75 Rn 22; Weides/Bertrams, StVj 1990, S.82; a.A. RO § 75 Rn 10. 2 9 9

Vgl. PR § 2 4 R n 2 8 , S.223.

3 0 0

Kopp § 75, Rn 6.

. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

1

Zulässigkeitserfordernis fur eine Untätigkeitsklage 3 ^. Dies ergibt sich schon unmittelbar aus § 75 Sätze 2,3. Handelt es sich des weiteren um die Kostentragungspflicht, liegt es nahe, daß der Kläger, der in diesem Fall nur durch die Untätigkeit der Behörde zur Klage veranlaßt wird, keine kostenmäßigen Nachteile erleiden soll. Ist durch das Gericht von der Möglichkeit des § 75 Satz 3 Gebrauch gemacht worden und lehnt die Behörde nunmehr den Antrag auf Erlaß eines V A ab, wird die Klage fortgeführt, ohne die Durchführung des Vorverfahrens nachholen zu müssen. BVerwG, Urt.v.22.5.1987 bringt diese allgemeine Auffassung zum Ausdruck, daß die Zulässigkeit einer solchen, nach Ablauf der Sperrfrist erhobenen Klage durch die nachträgliche, ohne Aussetzung nach § 75 S 3 VwGO ergangene Behördenentscheidung nicht mehr berührt werden kaiur .

Damit ist eine Grundlinie fur die Klagefrist der Untätigkeitsklage gezogen. Angesichts dieser Regelung der VwGO fur die Verpflichtungsklage in der Form der Untätigkeitsklage ist kürzlich Hänni aufgrund einer rechtsvergleichenden Studie indessen zu dem folgenden Ergebnis gelangt: So fuhrt er aus: "In der Bundesrepublik müsste nach Ablauf einer unverhältnismässig langen Frist, die von Fall zu Fall verschieden zu bemessen ist, eine Verpflichtungsklage in der Form der Untätigkeitsklage angehoben werden, ... . Abgesehen von der Klagefrist fur die Versagungsgegenklage, ist seiner Aussage aber nach dem oben gewonnenen Befund zu widersprechen: Es fehlt offenbar an einer Begründung dafür, wie bereits Kopp in einer Rezension festgestellt hat 3 , daß die Klage erst "nach Ablauf einer unverhältnismäßig langen Frist", nicht aber schon nach Ablauf der Drei-Monats-Sperrfrist gem § 75 S 1 VwGO erhoben werden könne - eine Fehleinschätzung nicht zuletzt im Vergleich zum französischen Recht, das die Verpflichtungsklage überhaupt nicht kennt, wohl aber die Anfechtungsklage (recours pour excès de pouvoir) gegen Ablehnungsakt oder gegen Schweigen der Verwaltung, das nach Ablauf von 4 Monats-Frist automatisch als Ablehnungsakt fingiert w i r d 3 0 5 .

(b) Begründetheit Die Verpflichtungsklage ist dann begründet, wenn die behauptete Rechtsbeeinträchtigung vorliegt und - wie sich aus § 113 Abs.5 S 1 und § 114 VwGO ergibt - wenn die Ablehnung oder die Unterlassung eines VA rechtswidrig ist. Es handelt sich nun um die Erfolgsvoraussetzung der Klage: Rechtswidrigkeit und Rechtsverletzung, Sachlegitimation und schließlich Spruchreife.

3 0 1

Weides/Bertrams, N V w Z 1988, S.674.

3 0 2

N V w Z 1987, S.969f. Vgl. auch BVerwGE 66,342; EF § 75 Rn 10; RÖ § 75 Rn 7; Kopp, § 75 Rn 21; Arndt/Schaefer, StVj 1990, S.94 m.w.N. 3 0 3

Hänni, aaO, S.249f.

3 0 4

Kopp, DVB1 1989, S.839.

3 0 5 So auch Hänni, aaO; J.Rivero, S.215 mit dem Hinweis auf "la loi du 17 juillet 1900" zur "silence de l'administration"; Woehrling, Die französische Verwaltungsgerichtsbarkeit im Vergleich mit der deutschen, N V w Z 1985, S.25; Tomuschat, Gerichtlicher Rechtsschutz des Einzelnen gegen die Untätigkeit der vollziehenden Gewalt, in: Gerichtsschutz Bd.3, S.83; Juri na, Die Verfahrensarten: Das Klage- und Urteilssystem, in: Gerichtsschutz Bd.3, S. 119f.

1

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

α) Rechtswidrigkeit - Rechtsverletzung Die Unterlassung eines VA ist rechtswidrig, wenn die Behörde einer Verpflichtung zum Erlaß eines VA nicht nachkommt. Die Verpflichtung kann in einer Spezialnorm begründet sein, sie kann sich aber auch aus allgemeinen Normen, z.B. aus Verfassungsnormen, insbesondere dem Grundsatz der Gleichbehandlung ergeben 306 : So kann die Rechtswidrigkeit bestehen in einem Verstoß gegen diejenigen Rechtsnormen, die Voraussetzungen für das Tätigwerden der Behörde regeln (Zurechnungsnormen sowie Verfahrensnormen), die Form des VA zum Gegenstand haben (Formvorschriften) und schließlich den Inhalt des VA bestimmen (materielle Normen) 3 0 7 . Für den Erfolg der Verpflichtungsklage reicht dies aber noch nicht: Der Wortlaut des § 113 Abs.5 S 1 VwGO bindet die Verpflichtungsklage an das Vorhandensein eines subjektiven Rechts: Rechtens obsiegen kann mit ihr nur, wer aufgrund eines »aus dem materiellen Recht erwachsenen Leistungsanspruchs« klagt 3 0 8 . Darüber besteht kein Streit. Angesichts dessen weist Weyreuther 309 im Grunde zutreffend darauf hin, daß der Wortlaut keine Aussage über den Gegenstand des Prozesses vermittelt, sondern vielmehr darauf abhebt, was zur Klage veranlaßt hat, sozusagen auf die (Verletzungs-) »Vorgeschichte« des Prozesses. Die Verpflichtungsklage stehe demnach nur zur Verfolgung eines - mit der verletzenden Leistungsverweigerung unerfüllt gebliebenen - Anspruchs zur Verfugung. Darin steckt, so fuhrt er fort, ein weiterer wichtiger Aufschluß über das Wesen der Verpflichtungsklage: "Für den Fall subjektivrechtlicher Ausgestaltung gehört es zu ihrer - sie von der Anfechtungsklage unterscheidenden - Eigenart, daß im Verhältnis zwischen der (Verletzungs-) »Vorgeschichte« und dem Prozeßgegenstand Anspruchsidentität besteht. Der geltend gemachte Anspruch ist genau der, der mit der (Erfüllungs-)- »Ablehnung oder Unterlassung« (§ 42 Abs.2 VwGO) verletzt wurde. Das wird durch die den Kontakt zur Anfechtungsklage suchende und darin noch ganz im Banne der historischen Entwicklung stehende (»vorgeschichtliche«) Fassung des § 113 Abs.4 S 1 V w G O 3 * 0 eher verdeckt als offengelegt. Auf die (Verletzungs-) »Vorgeschichte« kommt es bei der Verpflichtungsklage (zentral)

3 0 6

Vgl. etwa BVerwGE 8, 4/10.

3 0 7

EF 9.Aufl., § 113 Rn 32f.

3 0 8

Menger, System, S.l 19.

3 0 9

Weyreuther, Die Rechtsverletzung, S.684f.

3 1 0

Jetzt Abs.5 VwGO n.F.

II. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

1

gerade nicht an. ... ausschlaggebend vielmehr ist, daß ein entsprechender Anspruch besteht/ (Zitat E n d e ) 3 1 1

Seine Schlußfolgerung, die vor allem auf seiner These der Übereinstimmung zwischen objektiver und subjektiver Rechtswidrigkeit 312 in der Rechtsverletzung im Sinne von § 113 Abs.l S 1 bzw. Abs.5 S 1 beruht, ist zwar rechtstheoretisch zutreffend, soll hier aber nicht weiter verfolgt werden, da es im Ergebnis nicht von großem Belang ist. Zu bedenken ist indessen nur die Bedeutung des § 113 Abs.5 S 1 fur die Begründetheit der Verpflichtungsklage: der Begriff der Rechtsverletzung im Sinne der §§ 42 Abs.2, 113 Abs.5 S 1 setzt sich aus zwei Bestandteilen zusammen, nämlich aus Beeinträchtigung der Rechtsposition und rechtswidriger Ablehnung oder Unterlassung, wie es Eyermann/Fröhler 313 hervorheben. Wichtig ist hier nur, daß das Verhalten der Behörde nicht nur objektiv rechtswidrig ist, sondern durch die Ablehnung oder Unterlassung des vom Kläger beantragten VA subjektive Rechte des Klägers verletzt, d.h. gegen eine Rechtsnorm verstößt, die zumindest auch dem Schutz des Klägers zu dienen bestimmt ist. Nicht zu verkennen ist dabei, daß das Bestehen eines Rechtsanspruchs auf Erlaß des VA allein nicht ausreicht, um den Erfolg der Klage herbeizufuhren: So liegt z.B. keine Rechtswidrigkeit vor, wenn der Kläger sich mit seinem Antrag an eine unzuständige Behörde gewandt hatte und diese den Antrag aus diesem Grund abgewiesen h a t t e 3 1 4 . Wichtiger ist aber vielmehr, daß der (vorprozessual) bei der zuständigen Behörde vergebens begehrte oder deswegen prozessual geltend gemachte Anspruch auf Erlaß eines V A und die ihm zugrundeliegende (materiellrechtlichen) Anspruchsgrundlage auseinanderzuhalten sind. Das dürfte es aber nicht, zumindest nicht unmittelbar, sein, worauf es für Weyreuther bei der Verpflichtungsklage ankommt"*1 ^. Der prozessual geltend gemachte Anspruch auf Erlaß eines V A , von dessen Bestehen der Erfolg der Verpflichtungsklage abhängt, ist nur mit Rückgriff auf dessen materiellrechtliche Anspruchsgrundlage zu begründen oder abzuleiten, wie es schon die Aussage der Schutznormtheorie für die subjektive Rechte andeutet. Zum Beispiel: Ohne Rückgriff auf einschlägige Normen, die etwa zur Begründung des Abwehranspruchs eines mit dem Störer (Betreiber der Feueralarmsirene) im unmittelbaren Nachbarschaftsverhältnis befindlichen Gestörten (die Grundrechte auf Gesundheit sowie Eigentum oder die einfachgesetzliche Vorschrift: Überschreiten eines zumutbaren Lärmwerts: Verstoß gegen § 3 Abs.l BImSchG) herangezogen werden können, kann aber kaum festgestellt werden^ , ob überhaupt ein Anspruch auf Einschreiten gegen den Störer besteht oder nicht, so mit einem belastenden V A , der etwa ihren Betrieb auf die Tageszeit beschränken soll. Die Rechtsverletzung setzt dann einen Verstoß gegen solche Normen

J 1 1

Weyreuther, ebenda mit den dort angeführten Nachweisen.

3 1 2

Ebenda, insb. S.685, 687f., 691: das Tatbestandmerkmal »dadurch« sei sowohl in § 113 Abs.l S 1 als auch in § 113 Abs.4 S 1 VwGO a.F. ohne einen eigenständigen Regelunssgehalt und daher - strenggenommen - überflüssig, und dies gelte für die Verpflichtungsklage uneingeschränkt. 3 1 3

EF § 42 Rn 148.

3 1 4

Kopp § 113 Rn 79.

3 1 5

So aaO, S.681f.

3 1 6

So etwa BVerwG, Urt v.29.4.1988 - 7 C 33.87, JZ 1989, S.237ff. mit der Anmerkung von Murswiek. 8 Hong

1

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung voraus, kann aber nicht von sich aus die Rechtswidrigkeit begründen. Hervorzuheben ist daher die Vorgabe der § 113 Abs.5 S 1: die Klage ist nur dann begründet, wenn die durch § 113 Abs.5 S 1 VwGO verlangte Vorgeschichte (Begründetheitsvoraussetzung) erfüllt ist, also wenn die Unterlassung oder Ablehnung rechtswidrig ist und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist.

ß) Sachlegitimation Die Sachlegitimation gehört wie gesagt ausschließlich zur Begründetheit, umfaßt nämlich die Aktivlegitimation (richtiger Kläger) und richtiger Beklagter (Passivlegitimation). Für die Verpflichtungsklage bedeutet die Aktivlegitimation, daß der Kläger (vorbehaltlich der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen) kraft materiellen Rechts die geltend gemachte Leistung mit Wirkung gegenüber dem Beklagten verlangen kann, während die Passivlegitimation betrifft, wer der richtige Beklagte ist, d.h., daß er nach materiellem Recht zu der vom Kläger begehrten Leistung verpflichtet ist 3 1 7 . Schwierigkeiten bietet nach dem vorangegangenen Befund allein die Passivlegitimation, weil § 78 Abs.l Nr. 1,2 VwGO ausdrücklich nur auf die Verpflichtungsklage in Form der Untätigkeitsklage Bezug nimmt. Trotzdem bestehen keine Bedenken, diese Regelungen zur Festlegung der Passivlegitimation auch auf die Weigerungsgegenklage anzuwenden318. Γ) Spruchreife und Entscheidungsbefugnis des Gerichts Spruchreife bedeutet, daß die in die Kompetenz des Gerichts fallenden Feststellungen und Überlegungen eine abschließende Entscheidung über das Klagebegehren, d.h. über den Streitgegenstand, ermöglichen 319. Wenn eine Verpflichtungsklage begründet ist, spricht das Gericht nach § 113 Abs.5 S 1 bei Spruchreife die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen. Bei fehlender Spruchreife ergeht eine Bescheidungsurteil (Bescheidungsverpflichtung), nämlich den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheider?20. Der Grund für diese Regelung ist bekanntlich nicht etwa darin zu sehen, daß der Prozeß noch nicht entscheidungsreif i.S.der §§ 300 ZPO, 110 wäre, sondern liegt in der beschränkten richterlichen Kompetenz, über den Vornahmeantrag 3 1 7

Für viele nur Kopp § 40 Vorb Rn 28.

3 1 8

H . M . SG Rn 424, S.169 m.w.N.

3 1 9

Kopp, § 113 Rn 84, S. 1358.

3 2 0 Dazu im allgemeinen vgl. Schröder, Bescheidungsantrag und Bescheidungsurteil, in: FS Menger, S.487ff.; Stüer, Zurückverweisung und Bescheidungsverpflichtung im Verwaltungsprozeß, in: FS Menger, S.779ff. Zur Zulässigkeit der Bescheidungsklage s. oben § 21 (1) aa). Vgl. auch BVenvG, Urt.v.7.10.1988 - 7C 65.87 (i.b.a. die Konkurrentenklage in Form der Bescheidungsklage) mit Anmerkung von Kalz, DVB1 1989, S.557ff. [5611 = DÖV 1989, S.270f.

II. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

115

abschließend zu befinden 321 . Dadurch wird die Reichweite der gerichtlichen Kontrolle und der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis an der Grenze der aktiven Verwaltung in gewaltenteilender Hinsicht thematisiert 322, und dies aber durch die Bescheidungsverpflichtung des Gerichts, die anders als bei der Zurückverweisung innerhalb der Gerichtsbarkeit die Grenze zwischen Gerichtsbarkeit und Verwaltung überschreitet 323. Spruchreife herbeizufuhren ist das Gericht gern §§ 86 Abs.l, 113 Abs.5 S 1 VwGO grundsätzlich verpflichtet 324. Diese Verpflichtung des Gerichts zur Herstellung der Spruchreife findet aber ihre Grenzen, wenn hierdurch in unangemessener Weise in die Kompetenz der Verwaltung eingegriffen und der eigenverantwortliche Entscheidungsund Gestaltungsspielraum der Verwaltung unzulässig beschnitten wird 3 2 5 : Es bedarf daher jeweils einer Abwägung zwischen divergierenden Belangen, nämlich dem Interesse an einer abschließenden Gerichtsentscheidung einerseits und den oft gegenläufigen Belangen der Aufgabe des Gerichts zur Kontroll- und Streitentscheidung sowie der Wahrnehmung der Verwaltungsautonomie. Schwierig ist aber nicht selten, über die Spruchreife die Reichweite der Entscheidungsbefugnis des Gerichts abzugrenzen. Es handelt sich zunächst um den Anwendungsbereich dieser Vorschrift: Bettermann geht davon aus, daß die Bescheidungsurteil wegen fehlender Spruchreife nur bei Ermessens- oder Beurteilungsspielräumen der Verwaltung in Betracht kommt . Vorherrschend setzt sich allerdings die gegenteilige Auffassung durch 3 2 , der zuzustimmen ist. Das Bescheiduqgsurteil setzt die Erfüllung der Begründetheitsvoraussetzungen gem § 113 Abs.5 S 1 voraus"^ , wie es sich schon aus dieser Vorschrift ergibt: Daher fehlt die Spruchreife und kann in der Regel vom Gericht auch nicht weiter hergestellt werden, wenn die Entscheidung von weiteren Fragen abhängt, bezüglich deren der Verwaltung ein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum zusteht ( h . M . ) 3 2 . Bei einer Ermessensentscheidung darf ein Bescheidungsurteil nur dann ergehen, wenn die zuständige Verwaltungsbehörde eine fehlerfreie Ermessensentscheidung nachholen muß und deshalb die Sache nicht spruchreif i s t 3 . Das Bescheidungsurteil kann indessen auch in anderen Fällen ergehen: so fehlt die Spruchreife in aller Regel, wie es Stüer mit dem Beispiel "Spezialisierte Fachbehörde" gezeigt

3 2 1

Vgl. Stüer, aaO, S.779; Schröder, aaO, S.488f.

3 2 2

SG S. 170; auch Stüer, aaO, S .795.

3 2 3

Stüer, aaO, S.786.

3 2 4

EF § 113 Rn 62; vgl. dazu BVerwG v.12.6.1958; BVerwGE 7,100/106; BVerwG v.14.5.1982, DVB1 1983, S.J3; auch Nachweise bei Stüer, S.786 Fn 16; Vgl. auch Redeker, DVB1 1982, S.810.

8*

3 2 5

Nachweise bei Stüer, S.789 Fn 21.

3 2 6

Bettermann, NJW 1960, S.649ff.,654.

3 2 7

SGS.170.

3 2 8

Schon Bettermann, S.653; Stüer, S.787.

3 2 9

Ebenda.

3 3 0

So EF § 113 Rn 62; BVerwG v.l.10.1986, BayVBl.1987, S.219.

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

1

h a t " ! wenn z.B. die Beteiligten über die Anspruchsvoraussetzungen einer Renten-, Sozialhilfe- oder Wohngeldgewährung streiten und das Gericht den Anspruch als begründet befindet. Dabei handelt es sich weniger um den Ermessens- oder Beurteilungsspielraum als um die der Verwaltung nach materiellem Recht trotz rechtswidriger Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts noch verbleibende, vom Gericht zu respektierende Enscheidungskompetenz33 , die seinerseits aber in vollem Umfang, nicht aber über § 114 VwGO gerichtlicher Überprüfung unterworfen ist.

Die Berechnung der Höhe des Wohngeldes ist zwar keine Frage des Ermessens- oder Beurteilungsspielraums, wird aber durch Bescheidungsurteil in die Hände der Verwaltung (Kompetenz !) gelegt werden können: In einem Urteil in einem Rechtsstreit um Wohngeldanspruch (Bescheidungsklage) hatte das BVerwG jedoch abweichend von seiner früheren Rechtsprechung die gerichtliche Verpflichtung zur Herbeiführung der Spruchreife wesentlich verstärkt: "Grundsätzlich ist das Gericht nach § 86 Abs.l VwGO gehalten, im Rahmen des Klagebegehrens alle fur die Entscheidung maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs in eigener Verantwortung festzustellen und die Streitsache i.S.des § 113 IV 1 VwGO in vollem Umfang spruchreif zu machen (vgl. schon u.a. BVerwGE 10,202 [204]). Deshalb ist es grundsätzlich nicht zulässig, eine an zwingendes Recht gebundene Verwaltungsentscheidung allein deshalb, weil die herangezogenen Gründe als rechtlich nicht haltbar erkannt sind, mit gewissermaßen an die Behörde zurückweisender Wirkung aufzuheben und der Behörde die Prüfung ... zu überlassen Die Annahme, die Prüfung eines von möglicherweise wesentlich anderen Daten abhängigen Wohngeldanspruchs sei im gerichtlichen Verfahren nicht praktikabel und angesichts dessen dem Gericht nicht zumutbar, führt ebenso wie in anderen Rechtsgebieten - nur auf ein Scheinargument. Die an einem Verwaltungsstreitverfahren bet. Behörden sind förderungs- und mitwirkungspflichtig. Das Gericht kann seiner Pflicht, die Streitsache in vollem Umfang spruchreif zu machen, dadurch genügen, daß es der streitbeteiligten Behörde aufeibt, erforderliche Berechnungen vorzunehmen und in das Streitverfahren einzubringen." (Hervorhebung Verfasser). Die Regelungen nach §§ 86 Abs.l, 113 Abs.5 S 1 VwGO bleiben indes durch die in der 4. VwGO-Novelle getroffenen Regelungen zur Erweiterung der Befugnisse des vorbereitenden Richters (§§ 87, 87a VwGO n.F., BGBl. 2812) sowie zur Verfahrensstraffung durch Fristbestimmung und Präklusionsbestimmungen (§ 82 Abs.2 bzw. §§ 87b, 128a VwGO n.F., BGB1.2811,2812,2814) im Grunde unberührt 3 3 5 .

Die Frage der Spruchreife der Sache stellt sich zwar bei der Anfechtungsklage in der Regel nicht 3 3 6 . Begehrt der Kläger nun die Änderung eines VA, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht nach § 113 Abs.2 VwGO n.F. den Betrag in anderer Höhe 3 3 1

Stüer, S.793.

3 3 2

Vgl. aber J.Martens, Praxis, S.83f.; auch Schröder, S.489, 491.

3 3 3

BVerwGE 44,278 [283].

3 3 4

BVerwG v.2.5.1984 - 8 C 94/82, N V w Z 1985, S.35f. (Abweichung von BVerwGE 44,278 [283]; V G H Mannheim v.20.5.1985 5 S 700/84, NVwZ 1987, S.66f.(Fortfühning von BVerwG, N V w Z 1985, S.35). 3 3 5

Stelkens, aaO, S.213ff., Pagenkopf, aaO, 288ff.

3 3 6

Kopp § 113 Rn 19.

II. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

17

festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Im obigen Falle ging es zwar um die Bescheidungsklage(antrag), kam aber die Regelung nach § 113 Abs.2,3 VwGO n.F. insofern auch in Betracht, als bei der Bescheidungsklage dem Antrag auf Aufhebung des VA stattgegeben w i r d 3 3 7 : Die neuen Fassungen der Abs.2 und 3 des § 113 VwGO beziehen sich freilich auf den Inhalt von Entscheidungen über die Anfechtungsklage 338 : Erstens, § 113 Abs.2 S 1 läßt wie früher im Rahmen des Klagebegehrens anstelle einer Kassation die Festsetzung eines Geldbetrages oder eine entsprechende Feststellung durch das Gericht zu; Satz 2 entlastet das Gericht von mit erheblichen Aufwand verbundenen Berechnungen, welche die Behörde vorzunehmen und den V A mit dem geänderten Inhalt neu bekannt zu geben hat. Zweitens, nach Abs.3 wird dem Gericht die Möglichkeit eingeräumt, nur den angegriffenen V A aufzuheben und weitere Ermittlungen der Behörde zu überlassen, wenn in erheblichem Umfang weitere Sachaufklärung geboten ist. Entsprechendes Vorgehen sei zwar, so bestätigt Kopp, schon nach in der Rechtsprechung und dem Schrifttum überwiegender Auffassung möglich gewesen 3 3 9 . Dadurch ist aber aus der angeblich "auf Scheinargument führenden Annahme" (des OVG Münster) die gesetzliche Regelung geworden, und die Entscheidungsbefugnis ist jetzt flexibel ausgestattet: Damit stellt der Prozeßgesetzgeber klar, daß die umfangreichen Sachermittlungen in erster Linie in das Verwaltungsverfahren und ggf. in das Widerspruchsverfahren gehören 3 .

(3) Urteilswirkung und Vollstreckung Die Trichotomie der Urteilsarten bedeutet, worauf Bettermann mit Recht hinweist, keine sich ausschließende Gegensätze341. Auch das Leistungsurteil (Verurteilung) ist zugleich Feststellungsurteil, sofern es in materielle Rechtskraft erwächst, also Feststellungswirkung entfaltet. Im Gegensatz zum (reinen) Feststellungsurteil, dessen prozessuale Wirkungen sich in der materiellen Rechtskraft erschöpfen, enthält regelmäßig das Leistungsurteil einen Leistungsbefehl an den Beklagten, welcher aufgrund einer Anspruchsfeststellung ergeht: Bei Nichtbefolgung wirkt sich das Leistungsurteil daher als Vollstreckungstitel aus 3 4 2 .

3 3 7 Vgl. Kopp, § 113 Rn 19, wonach die Regelung des § 113 Abs.4 a.F. über die Spruchreife für nicht spruchreife Klagen nach Abs.2 VwGO a.F. auf ein für den Kläger günstigere Festsetzung usw. gelte. 3 3 8 Die Neuregelung geht im wesentlichen auf § 124 Π und III VwPO-E 1974, Art.3 § 4 EntlastG und § 100 Π und I I I FGO zurück. Dazu Stelkens, aaO, S.216; Pagenkopf, aaO, S.290. 3 3 9 Kopp, NJW 1991, S.525 m.w.N.. Vgl. aber seine Auffassung dazu: "Die Neuregelung ist aber insofern zu begrüßen, als die Befugnis der Gerichte zu Entscheidung bisher aufgrund verschiedenen Entscheidungen des BVerwG zur Verpflichtung der Gerichte zur Spruchreifmachung der Streitsachen und zum Verbot einer "Zurückverweisung" der Sache in die Verwaltungsinstanz - um eine solche handle es sich, streng genommen, auch nach der bisherigen Praxis nicht, und auch die Neufassung des § 113 VwGO ermächtigt nicht dazu - zweifelhaft sein konnte und auch in der Vergangenheit verschiedentlich in Zweifel gezogen worden war. " 3 4 0

Pagenkopf, S.290.

3 4 1

Bettermann, Über Klage- und Urteilsarten, in: Staatsrecht-Verfahrensrecht, S.468.

3 4 2

RoSchwab, S.542.

1

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

(a) Urteilswirkung Als Urteilswirkung der Verpflichtungsklage kommt also in erster Linie die Rechtskraftwirkung in Betracht. Das Wesen der materiellen Rechtskraft liegt nach § 121 VwGO n.F. in der Bindung der Beteiligten und ihrer Nachfolger sowie im Falle des § 65 Abs. 3 VwGO der Personen, die im Massenverfahren einen Antrag auf Beiladung nicht oder nicht fristgemäß gestellt haben 343 . Die Rechtskraft bindet, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Hier sind zwei Fälle zu unterscheiden: einmal die Verpflichtung, lediglich einen Bescheid auf einen gestellten Antrag zu erteilen, gleichgültig, ob der Antrag abgelehnt oder ob ihm stattgegeben wird, und die Verpflichtung, einen Antrag auf Erlaß eines VA stattzugeben. So steht im letzteren Fall auf Grund der materiellen Rechtskraft bindend fest, daß ein Rechtsanspruch auf Erlaß dieses VA besteht, während sich die Bindung im ersteren Fall in erster Linie aus der in den Entscheidungsgründen niedergelegten Rechtsauffassung des Gerichts ergibt, welche die Behörde nach § 113 Abs.4 S 2 VwGO a.F. zu beachten hat 3 4 4 . Die Behörde kann nur dann erneut den VA ablehnen, ohne daß die materielle Rechtskraft entgegenstünde, wenn andere vom Gericht nicht geprüfte oder neu eingetretene Umstände die Ablehnung rechtfertigen 3'*5. Die Entscheidungsgründe nehmen, so beschreibt man es gewöhnlich, an der Rechtskraftwirkung nicht teil. Tatbestand und Gründe sind lediglich heranzuziehen, um den Gegenstand und den Umfang der Rechtskraftwirkung zu ermitteln 346 . Hierfür kommt es wesentlich auf den Sachverhalt an, der dem Klagebegehren zugrunde lag und über den das Gericht zu entscheiden hatte 347 . Eine scheinbare Ausnahme von dem Grundsatz, daß die Entscheidungsgründe an der Rechtskraft nicht teilnehmen, stellt demgegenüber die sog. "erweiterte Rechtskraftwirkung" des Bescheidungsurteils gem § 113 Abs. 5 S 2 VwGO dar, die nur zugunsten des Bürgers, nicht auch der Verwaltung wirkt. (b) Vollstreckung Da die Verpflichtungsklage eine besondere Form der Leistungsklage darstellt, ist das stattgebende Urteil der Verpflichtungsklage vollstreckungsfähig 3 4 8 . Das urteilsgemäße Verhalten der beklagten Behörde ist allerdings 3 4 3

Dazu vgl. Stelkens, aaO, S.523f.; Pagenkopf, aaO, S.289f.

3 4 4

BVerwGE 29,1; NJW 1983, S.407.

3 4 5

RÖ § 121 Rn 12.

3 4 6

Vgl. RoSchwab, § 154 III, S.979.

3 4 7

BVerwG, DVB1 1963, S.64.

348 EF § 167 Rn 3. Das bis zum Inkrafltreten der VwGO geltende Verfahrensrecht aber keine Möglichkeit gekannt habe, die Zwangsvollstreckung durchzufuhren. Es sei nur die

II. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

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gegebenenfalls im Vollstreckungswege nach § 172 VwGO zu erzwingen 349 . Eine meritorische Rechtsfolge nach entsprechender Anwendung oder Analogie des § 894 ZPO (Fiktion der Abgabe einer Willenserklärung) 350 über § 173 VwGO kommt - wie schon H.Kellner angedeutet hat 3 5 1 - wegen der Regelung in §§ 167, 172 VwGO jedenfalls nicht in Frage 352 . Als eine Sonderregelung fur die Verpflichtungsklage gem § 113 Abs.5 und einstweilige Anordnung gem § 123 kommt daher nur § 172 VwGO zur Anwendung: Kommt die Behörde in den Fällen des § 113 Abs.5 und des § 123 der ihr im Urteil oder in der einstweiligen Anordnung auferlegten Verpflichtung nicht nach, so kann das Gericht des ersten Rechtszugs nach § 172 VwGO auf Antrag unter Fristsetzung gegen sie ein Zwangsgeld androhen, das wiederholt angedroht, festgesetzt und vollstreckt werden kann. (4) Vorläufiger Rechtsschutz (a) Allgemeines Für den vorläufigen Rechtsschutz im Rahmen der Verpflichtungsklage gilt nichts anderes, als was zuvor allgemein im Hinblick auf seinen Sinn und Zweck gesagt wurde (oben § 19). Ebenso richtig ist, daß die Effektivität des Rechtsschutzes auf keinen Fall durch Verzögerung von Verfahrens wegen ins Leere gehen darf. Der einstweilige Rechtsschutz hat sich, nicht zuletzt bedingt durch die lange Verfahrensdauer in der Hauptsache zu einem Kernstück des Verwaltungsprozesses entwickelt3 . Die Zweiteilung der Eilverfahren nach §§ 80,123 jeweils für die Anfechtungsklage ujid Verpflichtungsklage ist durch die 4. VwGO-Novelle, obwohl auch dies gefordert w u r d e 3 5 4 , im Grundsatz nicht angetastet w o r d e n 3 5 5 . Eine bemerkenswerte Änderung liegt allerdings in der Regelung für den einstweiligen Rechtsschutz beim V A mit Doppelwirkung bekanntermaßen die unendliche Geschichte des Verwaltungsprozeßrechts . Die Novelle Dienstaufsichtsbehörde, gegebenenfalls durch eine Verfassungsbeschwerde unterstützt, denkbar gewesen. 3 4 9

Statt vieler EF § 42 Rn 13.

3 5 0

Vgl. dazu statt vieler ThP, § 894.

3 5 1

Besinnung auf die Anfechtungsklage, M D R 1968, S .965.

3 5 2

H . M . ; So auch EF § 167 Rn 4, S.932.

3 5 3

Pagenkopf, Die VwGO-Novelle - Augenmaß und Schlichtheit, DVB1 1991, S.291.

3 5 4

Die Zusammenfuhrung der Eilverfahren nach §§ 80,123 VwGO in eine einheitliche Regelung hatte der 54. Juristentag angemahnt. Vgl. Kopp, Gutachten Β zum 54.DJT, 1982, Β 110. Zu Unterschieden und Abgrenzung beider Rechtsschutzarten vgl. Finkelnburg/Jank, § 4 Rn 21ff. 3 5 5 Dazu Stelkens, N V w Z 1991, S.209ff.[218]; Pagenkopf, Die VwGO-Novelle Augenmaß und Schlichtheit, DVB1 1991, S.285ff.[291]; Kopp, Änderungen der Verwaltungsgerichtsordnung zum 1.1.1991., NJW 1991, S.52Iff. [526]. 3 5 6

Pagenkopf, S.291.

10

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

steht im Einklang mit der ganz überwiegenden Auffassung 357 , daß von der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs eines Dritten gegen den einen anderen begünstigenden V A auszugehen ist (§ 80a VwGO n.F.), wobei die einstweilige Anordnung durch § 123 Abs.5 ausgeschlossen ist 3 .

Bei der Verpflichtungsklage erfolgt der vorläufige Rechtsschutz nach einhelliger Auffassung grundsätzlich im Wege der einstweiligen Anordnung gem. § 123 VwGO. Die aufschiebende Wirkung gem. § 80 Abs.l VwGO kommt dagegen im Rahmen der Verpflichtungsklage gem § 80 Abs. 1 nicht in Frage. Die aufschiebende Wirkung tritt auch bei der gegen einen Ablehnungsbescheid gerichteten Verpflichtungsklage (Weigerungsgegenklage) oder durch den Verpflichtungswiderspruch nicht ein: Sie besitzen keine aufschiebende Wirkung 3 5 9 . Schmitt Glaeser geht grundsätzlich davon aus, daß bei der Versagungsgegenklage ein derartiger vorläufiger Rechtsschutz nicht notwendig sei 3 . Zwar räumt er ein, daß die Versagung als solche eine Belastung enthält, die ggf. auch der Aufhebung bedarf. Diese Aufhebung geschehe aber nicht selbständig, sondern lediglich im Rahmen^der Verpflichtungsklage als deren notwendige Voraussetzung3 . Dieser Begründung ist, vom Ergebnis einmal abgesehen, aber m.E. zumindest nicht in ihrer Allgemeinheit zu folgen. Es ist zwar eine allgemein verbreitete Argumentation, daß die Grundstruktur des einstweiligen Rechtsschutzes verschieden ausfallen müsse, je nachdem, ob sich der Betreffende gegen eine belastende Maßnahme wehrt oder vom Staat eine Begünstigung erstrebt 3 0 2 . Geht es aber um einen Ablehnungsbescheid im Gestattungsrecht3 , etwa um eine Versagung einer Erlaubnis im Falle des sog. präventiven Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt (Kontrollerlaubnis: z.B. Baugenehmigung, Gaststättenerlaubnis, Einzelhandelserlaubnis) 364, so stellt die Versagung nach heute allgemeiner Auffassung 365 trotz der gesetzlichen Ausgestaltung als Verweigerung einer Begünstigung ihrerseits einen Eingriff in das Grundrecht des Art.2 Abs.l GG oder in ein spezielles Grundrecht d a r 3 6 6 . Außerdem sei darauf eingewiesen, daß Sinn und Zweck des 3 5 7

Vgl. nur Kopp, § 80 Rn 22 m.w.N.

35

^ Dazu Pagenkopf, aaO; Stelkens, S.218. Durch diese Neufassung sollen einige wichtige Streitfragen gesetzgeberische Lösung finden, nämlich die bei den jahrelangen Beratungen des VwPO-Entwurfs kontrovers diskutierte Frage, ob dem Rechtsbehelf bei V A mit Doppelwirkung aufschiebende Wirkung beizumessen ist, und die weitere, zwischen Oberverwaltungscerichten uneinheitlich beurteilte Streitfrage, ob der vorläufige Rechtsschutz dabei über § 80 oder § 123 VwGO abgewickelt werden kann. Dazu vgl. Stelkens, aaO; skeptisch Kopp, NJW 1991, S.526. 3 5 9

Finkelnburg/Jank, Rn 502, S.190; SG S.168f.

3 6 0

SG Rn 423, S.169; h.M. Vgl. auch Finkelnburg/Jank, Rn 502, S.190. Oder derartige Wirkung sei ohne rechtliche Bedeutung (Kopp § 80 Rn 21, S.935), es sei denn, daß mit der Ablehnung eine belastende Kostenentscheidung bzw. Gebührenfestsetzung verbunden ist (OVG Münster, DÖV 1976, S.737). SG, aaO: Die Versagungsgegenklage sei also nicht zugleich als "Anfechtungsklage" i.S.v. § 80 Abs.l, sondern einheitlich als Veipflichtungsklage zu qualifizieren. 3 6 2

So etwa Pagenkopf, S .291.

3 6 3

König, Der ablehnende Bescheid im Gestattungsrecht, BayVBl.1976, S,577.

3 6 4

Zum Begriff vgl. statt vieler Maurer, § 9 Rn 51, S.180.

3 6 5

Ossenbühl, DÖV 1968, S.618 [624]; Erichsen, DVB1 1967, S.269 [270,275]; Hoppe, DVB1 1969, S.340 [346]; König, aaO, S.578; Maurer, § 9 Rn 52, S.181. 3 6 6

König, aaO; Maurer, § 9 Rn 48, S.179.

II. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

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vorläufigen Rechtsschutzes leerlaufen würden, wenn etwa dem Begehren des Anfechtungswiderspruchs gegen den Ablehnungsbescheid (solange er fur zulässig gehalten wird) erst bei der Verpflichtungsklage entsprochen werden kann: Um die eigentlich nicht verbotene Handlung vorzunehmen (z.B. zu bauen), müßte die jeweils einschlägige Erlaubnis vorläufig als erteilt angesehen werden. Entscheidend ist dabei nur, und dies nimmt SG auch an, die gesetzgeberische Entscheidung, die im § 80 Abs.l VwGO den vorläufigen Rechtsschutz im Rahmen der Verpflichtungsklage der einstweiligen Anordnung zuweist.

Wird der Ablehnungsbescheid dementgegen aber mit der isolierten Anfechtungsklage angegriffen, kommt zwar die aufschiebende Wirkung angesichts des angefochtenen Ablehnungsbescheids zur Anwendung. Dies bewegt sich aber nicht im Rahmen der Verpflichtungsklage, sondern der Anfechtungsklage. Da sich die aufschiebende Wirkung ihrem Wesen nach auf die Hemmung des Vollzuges beschränkt, kann sie bei Anfechtung des Ablehnungsbescheids jedenfalls keine solche Folge haben, daß der abgelehnte VA als vorläufig erteilt gilt: Eine Erweiterung der Rechtsstellung des Betroffenen findet durch die aufschiebende Wirkung nicht statt 367 . Eine Ausnahme bildet dagegen die auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichteten Verpflichtungsklage, bei der wegen des § 21 Abs. 3 AuslG vorläufiger Rechtsschutz über § 80 Abs.4 durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gewährt wird 3 6 8 . (b) Einstweilige Anordnung Dieses Rechtsinstitut gewinnt zunehmend praktische Bedeutung vor allem dort, wo die übermäßig lange Dauer der verwaltungsgerichtlichen Verfahren als besonders mißlich empfunden wird, wie etwa auf den Gebieten der Hochschulzulassung, des Schul- und Prüfungsrechts oder des Ausländer- und Beamtenrechts 369. Vorläufiger Rechtsschutz ist bei einem entsprechenden Bedürfnis nach vorsorglicher Rechtsgewährung und Rechtsbewährung immer dann in der Rechtsform der einstweiligen Anordnung zu gewähren, wenn die hauptsächlich auf die Anfechtungsklage bezogene, aufschiebende Wirkung gem § 80 VwGO keine Anwendung findet (Auffangfunktion), mit der Folge, daß dieses Rechtsinstitut immer mit zahlreichen Streitfragen befrachtet ist. Dabei geht es vor allem um die vieldiskutierten Fragen nach der hermeneutischen Bestimmung des Anwendungsbereichs der Vorschrift des § 80 VwGO im Hinblick auf den V A mit Doppelwirkung (welche aber nun durch die in § 80a VwGO n.F. getroffene gesetzliche Klarstellung eine gesetzgeberische Lösung gefunden hat) und nach jhrer Anwendbarkeit auf einen konkreten Hoheitsakt (Problem seiner Qualifikation als V A ) 3 7 0 . Was die einstweilige Anordnung anbelangt, hat die Neufassung der VwGO v. 17.12.1990, von der Übernahme der

3 6 7

Finkelnburg/Jank, Rn 502, S.190.

3 6 8

Finkelnburg/Jank, Rn 866ff., S.337ff.

3 6 9

SG Rn 448, S. 177; Finkelnburg/Jank, aaO.

3 7 0

So Bender, S.657.

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

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Sonderregelung des § 3 Abs.l EntlastG als Dauerrecht in die V w G O 3 7 1 mit Streichung des Abs.4 VwGO abgesehen , keine weiteren Neuerungen mit sich gebracht. Angesichts des § 80 a VwGO n.F., der wie gesehen für den V A mit Doppelwirkung die Anwendung der einstweiligen Anordnung ausschließt, aber noch seine Bewährungsprobe erfahren müßte, wird § 123 dennoch fur den Fall seine Stellung behalten, daß der Streit nicht um die Ausnutzung einer drittschützenden Genehmigung geht, sondern - z.B. im Baunachbarschaftsverhältnis um das Verlangen an die Bauaufsichtsbehörde, ein nichtgenehmigtes oder in Abweichung von einer Genehmigung geplantes Bauvorhaben zu unterbinden 373 .

Das Anordnungsverfahren nach § 123 Abs.l ist darauf gerichtet, die Sicherung eines Individualanspruchs (Sicherungsanordnung) oder die vorläufige Regelung zur Wahrung des Rechtsfriedens (Regelungsanordnung) in bezug auf Rechtspositionen zu treffen, die erst in einem Hauptsacheverfahren durchgesetzt werden sollen 374 . Zweck der einstweiligen Anordnung sei, durch Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes eine situationsangemessene richterliche Ordnung des Geschehensablaufs bis zur künftigen rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache dann zu ermöglichen, wenn es gilt, der Gefahr einer dem Rechtsschutzsuchenden nicht zumutbaren, von der öffentlichen Gewalt bewirkten oder zugelassenen Entwertung einer Rechtsposition oder eines rechtlich geschützten Interesses vorzubeugen 375. Das Verfahren greift einem späteren Verwaltungshandeln vor und ist nicht davon abhängig, daß bereits das Hauptsacheverfahren eingeleitet worden ist. Die Darlegungslast liegt beim Antragsteller, während das Gericht dabei einen weiten Gestaltungsspielraum hat, den es im Rahmen des Sicherungs- oder Regelungszwecks nach seinem Ermessen ausfüllen kann 3 7 6 . Bei der Auslegung und Anwendung des § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung sind die Gerichte gehalten, der besonderen Bedeutung der jeweils betroffenen Grundrechte und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs.4 GG) Rechnung zu tragen 377 . Dieser interim-Rechtsschutz hat zudem im verwaltungsrechtlichen Alltag wegen der langen Verfahrensdauer praktisch In Abweichung von dem Institut der einstweiligen Verfügung in der ZPO ist danach im Interesse der Straffung und Beschleunigung des Verfahrens über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung stets durch Beschluß zu entscheiden. Pagenkopf, S .292. 3 7 2

Dazu vgl. Kopp, NJW 1991, s.526.

3 7 3

Stelkens, S.218.

3 7 4 Für viele Finkelnburg/Jank, Rn 22, S.10, Rn 213, S.75f.;m.w.N.; Bender, FS Menger, S.658ff.; Kopp § 123 Rn 6 : In der Praxis werde diese Unterscheidung vielfach nicht klar vorgenommen, weshalb etwa Bender die Zusammenfügung beider Varianten in einer Generalklausel vorschlägt (S.658). 3 7 5 Bender, aaO, mit dem Hinweis auf Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, 1971. fi Vgl. aber Bender, S.664f., der die Rechtsnatur der einstweiligen Anordnung als judikative Rechtsentscheidung bestimment und demnach sich gegen die Annahme durch vielfach vertretener Auffassung wendet, dem Richter sei ein »Ob«-Ermessen eingeräumt. 3 7 7 BVerfGE 79,69=NJW 1989, S.827.

. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

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nicht weniger Bedeutung als das Hauptsacheverfahren, so daß er auch insofern eine eigene Rechtsschutzfunktion erfüllt. Rechtlich endet diese unerwartete Hilfestellung aber dort, wo das nach Rechtsprechung und Lehrmeinung einmütig anerkannte, grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache zur Geltung gelangt 3 ' 8 . Die Sicherungsanordnung nach § 123 Abs.l S 1 dient der präventiven Sicherung einer sonst gefährdeten Rechtsverwirklichung, welche häufig durch ein (funktionell der aufschiebende Wirkung des Widerspruchs oder der Anfechtungsklage gleichendes) Verbot der Veränderung eines bestehenden Zustands erreicht werden kann. Der Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 S 2, die im Wege vorläufiger Regelung eines Interessenwiderstreits dem präventiven Schutz insbesondere vor dem Eintritt eines wesentlichen, drohenden Nachteils dient, kommt demgegenüber größere praktische Bedeutung z u 3 7 9 . Das gilt besonders fur die Verpflichtungsklage, weil damit der Erlaß eines VA, eine behördliche Bescheidung bzw. Neubescheidung oder Geldleistung 380 begehrt wird, wobei es im Regelfall um eine vorläufige Regelung, nicht aber um eine Vereitelung oder Erschwerung der Rechtsverwirklichung geht. b) Allgemeine Leistungsklage aa) Rechtscharakter Die allgemeine Leistungsklage, die zwar im ersten Nachkriegsjahrzehnt als ein »unerbetener Gast« galt 3 8 1 , gehört vom Inkrafttreten der VwGO an zu den fest etablierten Klageformen im Verwaltungsprozeß. Sie zählt zusammen mit der Verpflichtungsklage zur Leistungsklage im allgemeinen Sinne (Verurteilungsklage) und weist insoweit die gleiche Klagestruktur wie Verpflichtungsklage auf, als sie auf Verurteilung zu einem bestimmten Tun gerichtet w i r d 3 8 2 . Sie steht als Klageform zur Verfugung, wenn der Kläger mit ihr die gerichtliche Verurteilung des Beklagten zu einem bestimmten Tun, Dulden oder Unterlassen anstrebt, dessen rechtliche Natur öffentlichrechtlich ist, ohne die besonderen Merkmale des VA i.S. des § 35 S 1 VwVfG 3 7 8

Dazu ausführlich Finkelnburg/Jank, § 22 Rn 23Iff.; Vgl. auch Pagenkopf, S.291.

3 7 9

Bender, S.662; Finkelnburg/Jank, Rn 213, S.75.

3 8 0

Zur Verpflichtungsklage auf Geldleistung vgl. etwa Jakobs, N V w Z 1984, S.28f.

3 8 1

Zschacke, NJW 1956, S.729.

382 vgl. aber Rupp, Grundfragen der heutigen Venvaltungsrechtslehre, 1965, S. 171 ff.,249ff.,262ff.; ders., DVB1 1982, S.147., der doit vor allem die unterschiedliche Anspruchsstruktur von Verpflichtungsklage und allgemeiner Leistungsklage hervorhebt.

1

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

aufzuweisen 383. Die allgemeine Leistungsklage wird durch ihre Subsidiarität im Verhältnis zur Verpflichtungsklage 384 gekennzeichnet, spielt aber angesichts ihrer Funktion als "Auffangsklage" eine kaum zu unterschätzende Rolle: Im Hinblick auf diese Auffangfunktion gilt eine aus den materiell-rechtlichen Entwicklungstendenzen hinausgewachsene Formel, "je mannigfaltiger die Handlungsformen des Verwaltungsrechts werden, desto größer wird das Gewicht der allgemeinen Leistungsklage"3 . Mittlerweile hat das BVerwG allerdings nach Steiner in einer Reihe von Fällen durch eine extensive Anwendung des Verwaltungsaktsbegriffs eine wesentliche Erweiterung des Einsatzbereichs der Verpflichtungsklage zu Lasten der allgemeinen Leistungsklage bewirkt 3 . Mit dieser Problematik ist daher noch im konkreten Zusammenhang mit den verschiedenen Fallkonstellationen eine Auseinanderzusetzung notwendig.

Die prozessuale Ersetzbarkeit der allgemeinen Leistungsklage hat einmal nach U.Steiner, aus den zwischenzeitlichen Leistungen der Verwaltungsrechtsdogmatik wichtige Impulse erfahren, so die beispielsweise aus der Fortentwicklung des Folgenbeseitigungsanspruchs, des öffentlichen Subventionsrechts und des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs; die verwaltungsprozeßrechtliche Allgemeinerkenntnis, daß die Gewährung von Rechtsschutz gegenüber öffentlichrechtlichen Handeln mit Rücksicht auf Art. 19 Abs.4 GG und § 40 I VwGO nicht an das Vorliegen der Voraussetzungen der Anfechtungs- und

« ι Steiner, aaO, S.853. Im Uber- und Unterordnungsverhältnis kommt sie daher nur dann in Betracht, wenn die begehrte Verwaltungsmaßnahme weder VA ist, noch rechtlich-logisch einen V A voraussetzt Kopp § 42 Rn 11. 3 8 4

ooc

Siehe oben § 14.

Dieser Bedeutungszuwachs ist vor allem, wie U.Steiner aaO, S.854 zutreffend hingewiesen hat, auf die heute als Gemeinplatz geltende Allgemeinerkenntnis zurückzufuhren, daß der Verwaltungsrechtsschutz mit Rücksicht auf Art. 19 IV und § 40 VwGO nicht an das Vorliegen der Voraussetzung der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gebunden ist. Dahinter steckt aber auch die Tendenz der gegenwärtigen Verwaltung, una zwar die Schwerpunktverlagerung der Verwaltungstätigkeit von der Eingriffs- auf die Planungs-, Leistungs- und Förderungsverwaltung, die ihrerseits, ungeachtet noch wohl anzuerkennender zentraler Bedeutung des V A , entsprechende Veränderungen der Handlungsformen und infolgedessen einen Gewichtzuwachs der nicht verwaltungsakt-bezogenen Klageformen nach sich gezogen hat, wobei der von der Verwaltungsrechtsdogmatik geleistete Beitrag nicht zu verkennen ist. Zum Wandel der verwaltungsrechtlichen Handlungsformen siehe Hill, H., Das hoheitliche Moment im Verwaltungsrecht der Gegenwart, DVB1 1989, S.32Iff.; Schmidt-Aßmann, Die Lehre von den Rechtsformen des Verwaltungshandelns, DVB1 1989, S.533ff. Die Zurückdrängung der allgemeinen Leistungsklage sei, was als eine hochinteressante Tendenz der Problematik anzusehenist, dadurch erfolgt, daß die Rechtsprechung die Entscheidung der Behörde über die Vornahme bzw. Nichtvornahme begünstigender schlichter Verwaltungshandlungen gegenüber der Vornahme bzw. Nichtvornahme begünstigender schlichter Verwaltungshanalungen selbst rechtlich verselbständigt und die Entscheidung über die Vornahme, zumindest aber die Entscheidung über die Nichtvornahme der begehrten Verwaltungshandlung als V A qualifiziert hat. Ders., aaO, S.856Î. Ein Beispiel dafür ist die Qualifikation der ablehnenden Entscheidung als Verwaltungsakt (Aber entgegen der überwiegenden Meinung, siehe § 14). Vgl. BVerwGE 16,89 [94]; 36,192 [198] unter Verweis auf BVerwGE 28,191 [192f.] = JuS 1968, S.436, Nr.6; Meyer/Borgs, VwVfG Kommentor, 2.Aufl. (1982), § 3 5 , Rn 38

II. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

Verpflichtungsklage (§ 42 VwGO) gebunden ist, hat der allgemeinen Leistungsklage bedeutsame Anwendungsfelder zugeführt 387 . bb) Prozessuale Ausgestaltung Die allgemeine Leistungsklage wird in der VwGO erwähnt, aber gesetzlich so gut wie nicht konturiert geregelt 388 . Auf die allgemeine Leistungsklage kommen daher in erster Linie die Vorschriften der VwGO zur Anwendung, die nicht auf spezielle Klagearten, wie vor allem die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (8.Abschnitt der VwGO), zugeschnitten sind. Verwirklicht die allgemeine Leistungsklage eine verfassungsrechtlich (Art. 19 IV GG) und einfachgesetzlich ( § 4 0 VwGO) gebotene Komplementarfunktion zur Verpflichtungsklage, so liegt es indessen nahe, wie es Steiner hervorhebt, die fur diese Klagearten vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten auch bei der allgemeinen Leistungsklage zur Geltung zu bringen, sofern die Unterschiede nicht aus der Strukturverschiedenheit der jeweiligen Klagetypen heraus vorgegeben sind 3 8 9 . In dem Maße, wie jene prozessualen Regelungen auch auf diese Klageart entsprechende Anwendung finden, wird allerdings wiederum in Frage gestellt, ob der Abgrenzungsschlüssel des VA unter dieser prozessual immer weiter verschwimmenden Grenzlinie beider Klagearten noch aufrechtzuerhalten ist 3 9 0 . (1) Streitgegenstand Heißt Streitgegenstand, wie oben dargelegt (vgl. § 17), der prozessualen Anspruch, d.h. das vom Kläger auf Grund eines bestimmten Sachverhalts an das Gericht gerichtete Begehren um Rechtsschutz durch Erlaß eines Urteils mit einem bestimmten Inhalt, so ist er bei der allgemeinen Leistungsklage als Anspruch des Klägers auf Verpflichtung der Beklagten zur Vornahme der begehrten Leistung bzw. Unterlassung des näher bezeichneten Tuns 3 9 1 zu definieren, welche aber keine VA-Qualität aufweist.

3 8 7

Steiner, aaO, S.854.

388 T S G (7 # Aufl.) S.206, SG Rn 533f., S.209f. Die Existenz spezieller, nur fur die allgemeine Leistungsklage geltender Vorschriften wie z.B. der Bestimmung des § 111 VwGO ist nicht unbestritten. Dazu vgl. Kopp § 111 Rn 3; Steiner, aaO, S.855. 3 8 9 Steiner, aaO, S.856; Rauterberg-Voigt, aaO. In der Tat sind das Rechtsschutzbedürfnis und die Klagebefugnis gemäß § 42 Abs.2 VwGO nach h.M. auf die allgemeine Leistungsklage entsprechend anzuwenden Götz, Allgemeines Verwaltungsrecht, S.l 14; Vgl. BVerwGE 36,192

3 9 0 Zu diesem kritischen Gesichtspunkt engagiert Martens, J„ aaO; Schweickhardt, R., Der Verwaltungsakt als Anknüpfungspunkt im Verwaltungsprozeß, DOV 1965, S.795ff. 3 9 1

Kopp § 90 Rn 10; Stern, S.121.

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

(2) Sachurteilsvoraussetzungen und Begründetheit (a) Sachurteilsvoraussetzungen a) Klagebegehren i. Die allgemeine Leistungsklage kann auf die Vornahme eines schlichthoheitlichen Verwaltungshandelns392 (die allgemeine Leistungs-VornahmeKlage) oder auf dessen Unterlassung (die allgemeine Leistungs-UnterlassungsKlage) gerichtet werden 393 . Bei der Leistungs-Vornahme-Klage ist das Begehren des Klägers im Normalfall auf Vornahme eines begünstigenden Verwaltungshandelns gerichtet, während dazu noch die Fälle gerechnet werden, in denen der Kläger einen Veiwaltungs-Realakt ausschließlich zur Beseitigung eines angeblich rechtswidrigen Zustands, etwa zur Durchsetzung des Folgenbeseitigungsanspruchs verlangt. Auch diese Art der LeistungsVornahme-Klage ist nach Schmitt Glaeser eine echte Leistungsklage, wenn sie auch tatsächlich als Ersatz für eine Gestaltungsklage fungiert^ 4 . Bei der Leistungs-Unterlassungs-Klage395 sind demgegenüber die angesichts der zeitlichen Dimension des Gegendstandes der Unterlassungsansprüche getroffenen Differenzierungen allgemein anerkannt, nämlich in die Unterlassungsklage gegen einen bereits eingetretenen Eingriff einerseits und die Unterlassungsklage gegen einen erstmals drohenden, (angeblich) rechtswidrigen Eingriff (sog vorbeugende Unterlassungsklage). Freilich beziehen sich diese beiden Unterarten gemeinsam auf die Zukunft, da mit der ersteren ebenso das Unterlassen eines Eingriffs in der Zukunft mit verlangt w i r d 3 9 6 : zu unterscheiden sind sie nur dadurch, ob ein Eingriff bereits vorliegt oder für die Zukunft nur indiziert, also in Aussicht gestellt ist. ii. Der Anwendungsbereich der allgemeinen Leistungsklage läßt sich nun durch eine negative Abgrenzung besonders zur Verpflichtungsklage konkretisieren. In Betracht kommen in erster Linie folgende Fallkonstellationen:

A Daneben werden auch die Begriffe wie "schlichte Amtshandlung", "schlichter Hoheitsakt", "Verwaltungs-Realakt" verwendet. 393 Die sog. Bürgerverurteilungsklage als eine Erscheinungsform der allgemeinen Leistungsklage (Holland, DÖV 1965, S.411 bzw. seine Diss., S.43ff.) bleibt hier außer acht. 3 9 4 SG S.212. Für solche Klagemöglichkeit bedarf es aber mit Rücksicht auf die Besonderheit dessen gerichtlichen Durchsetzung eher einer eigenständigen Erleuchtemng (unten

§26).

39 ^ Zum Begriff vgl. nur Laubinger, aaO, S.268ff.; Köckerbauer/Büllesbach, öffentlichrechtliche Unterlassungsanspruch, JuS 1991, S.373ff.,[379].

Der

39 ^ Deshalb stellt die Bezeichnung "vorbeugende" Unterlassungsklage für Naumann, aaO, S.404 eine "Tautologie" dar.

. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

127

- Geldzahlungen auf Grundlage hoheitlicher oder versvaltungsvertraglicher Bewilligungen (Ansprüche auf Geldleistungen, etwa Gehalt, Subventionen usw.) 3 9 '; - öffentlich-rechtliche Willens- und Wissenserklärungen (Abgabe einer Annahmeerklärung beim Abschluß eiens öffentlich-rechtlichen Subventionsvertrags 398 , Auskunftserteilung 399) - Widernif ehr- oder berufskränkender Erklärungen sowie amtlicher gutachtlicher Äußerungen 400 usw. - Folgenbeseitigung401 - sonstiges faktisches Verwaltungshandeln (z.B. Beseitigung der durch Realakten geschaffenen Fakten) In zahlreichen Fällen, wo die Abwehr rechtsbeeinträchtigender schlichthoheitlicher Verwaltungshandlungen und drohender VA verfolgt werden soll, kommt dann die Unterlassungsklage zur Anwendung: -Klage auf Unterlassung öffentlich-rechtlich zu bewertender Immissionnen (Emissionen)402 -Klage gegen belastende öffentlich-rechtliche Maßnahmen ohne VA-Charakter, wie etwa beamtenrechtlicher Umsetzungen403. 3 7 Auch Klagen, die scheinbar auf eine Leistung tatsächlicher Art (Zahlung einer Geldsumme, Erteilung einer Auskunft, Eintragung in die Handwerksrolle, das Wasserbuch usw.) gerichtet sind, sind allerdings, wenn diese Leistung im Uberund Unterordnungsverhältnis zu erbringen ist und gedanklich eine entsprechende Anordnung (VA) der Behörde voraussetzt, als Klage auf Verpflichtung der Behörde zu der entsprechenden Anordnung, deren Vollzug dann die Leistung darstellt, zu behandeln BVerwGE 15, 309; 28,358; 31,301; 37,103, 37,112; 44,235; BayVGH, BavVBl.72,364. So Jakobs, N V w Z 1984, S.28f.: Bei einem auf Geldleistung gerichteten Klagebegehren komme die allgemeine Leistungsklage als statthafte Klageart dann in Betracht, wenn ein entsprechender Bewilligungsbescheid ergangen ist. Ansonsten ist das Klagebegehren regelmäßig mit der Verpflichtungsklage zu verfolgen, selbst dann, wenn keine gesetzliche Vorschrift ausdrücklich den Erlaß eines Bewilligungsbescheides als Voraussetzung erfordere. Etwas anderes gelte aber bei Geldzahlungen, die der Existenzsicherung zu dienen bestimmt sind. 3 9 8

Nachweise bei Steiner, aaO, S.854 Fn 21.

399

BVerwGE 31,301 (Anspruch auf Erteilung der Auskunft über Informationsquellen (Namen eines Informanten) uno Information); Vehse, aaO, S.86ff.; Vgl. im allgemeinen Knemayer, Datenerhebung und Datenverarbeitung im Polizeirecht, N V w Z 1988, S.196; H.Bäumler, Der Auskunftsanspruch des Bürgers gegenüber den Nachrichtendiensten, N V w Z 1988, S.199ff. jeweils m.w.N. 400 ßVerwGE 14,323 (Klage gegen den gutachtlichen Untersuchungsbericht des Luftfahrtbundesamtes); 32,21 (Klage gegen die gutachtliche Untersuchung eines Seeunfalles mit einer Schuldfeststellung) jeweils mit der Erläuterung von Vehse, aaO, S .56; Götz, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 113F. Diese sog. Widerrufsklagen können je nach dem Blickwinkel als Unterlassungsklage eingeordnet werden. Vgl. etwa Steiner, aaO, S.854. 4 0 1

S. unten § 26.

4 0 2

Hierzu vgl. nur BVerwG, v.29.4.1988 - 7C 33.87 (VGH München) mit Anm.v. Murswiek, JZ 1989, S.237ff.; BVerwGE 68,62 = JZ 1984, S.228; Sachs, Unterlassungsansprüche gegen hoheitliche Immissionen aus § 22 BImSchG, N V w Z 1988, S.127ff. 4 0 3

Siehe unten d).

128

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

-Klage auf Nichterlaß eines drohenden VA oder auf Nichtvornahme eines drohenden Realakte 404 iii. Wie bei der Verpflichtungsklage gilt hier auch nach überwiegender Auffassung das Antragserfordernis hinsichtlich des Rechtsschutzbedürfhisses. So fehlt dem Kläger in der Regel das Rechtsschutzbedürfhis, hat er vor Erhebung der Klage überhaupt keinen Antrag auf Vornahme der begehrten Leistung (Unterlassung) bei der zuständigen Behörde gestellt; Er hätte den einfacheren und billigeren Weg einschlagen sollen 405 . Die Frage, ob das Antragserfordernis auch für die allgemeine Leistungsklage gelten soll, kann aber anders als bei der Verpflichtungsklage je nach der Sachlage unterschiedlich beantwortet werden: Wenn etwa der Anspruch auf eine Geldleistung aufgrund des vorausgegangenden Bewilligungsbescheids entstanden ist, und er nun richtigerweise mit der allgemeinen Leistungsklage geltepd gemacht wird, so würde ein dieser Klage vorausgehender Antrag nicht erforderlich sein.

iv. So ist das mit der allgemeinen Leistungsklage geltend zu machende Klagebegehren angesichts ihres Anwendungsbereichs von entscheidender Bedeutung. Die negative Grenzziehung in der Verhältnisbestimmung zur Verpflichtungsklage bildet aber einen notwendigen Ansatz für den Versuch einer positiven Umgrenzung des Klagegegenstandes. Ein solches Unternehmen sieht sich allerdings vor erheblichen Schwierigkeiten, wie es Schmitt Glaeser hervorhebt 407. Einen bemerkenswerten Versuch hat vor allem Vehse unternommen. Die herrschende Auffassung, die allgemeine Leistungklage sei eine reine Auffangsklage, fordere nach ihm trotz ihrer prozeßökonomischen Vorteile eine starre Schematisierung und Einengung der Klagearten des Verwaltungsprozesses, was aber dem Willen des Gesetzgebers widerspreche, einen abschließenden Katalog der Klagearten zu vermeiden, um das Klageartensystem der VwGO entwicklungsoffen zu halten: Den Erwartungen des Gesetzgebers werde aber nur dann entsprochen, wenn man den Anwendungsbereich der anderen Leistungsklage durch einen positiv umschriebenen Klagegenstand sinnvoll begrenze: Damit verliere die andere Leistungsklage auch ihren Charakter als Auffangklage. So schließt er: "Gegenstand der anderen (allgemeinen: Verfasser) Leistungsklage ist nur die öffentlich-rechtliche, auf den Einzelfall bezogene Verwaltungsrechtshandlung, die nicht auf eine unmittelbar rechtserhebliche Wirkung gerichtet, aber dennoch ihrem Wesen nach geeignet ist, jemanden in eigenen Rechten zu verletzen. ... der 'schlichte Hoheitsakt' ist als Klagegegenstand der 4 0 4 Realakt sei jenes Handeln, das im Gegensatz zur Willenserklärung unmittelbar nicht auf einen rechtlichen, sondern auf einen tatsächlichen Erfolg gerichtet ist. Vgl. hierzu für viele nur Wolff/Bachof, Bd.I, § 45 Π a, S.364ff.; Weckerle, aaO. S.u.§ 27. 4 0 5 Vgl. etwa BVerwG, Buchholz 237.0 § 29 LBG BW Nr.l,S.2; Frank/Langrehr, S.l 10; Steiner, aaO, S.855; SG S.216. 4 0 6 Vgl. PR S. 124 Fn 17 (im Unterschiede zur Verpflichtungsklage sei es nicht erforderlich, daß das begehrte Verwaltungshandeln bei der zuständigen Behörde beantragt wurde); Bettermann, DVB1 1969, S.703. Vgl. aber auch SG Rn 551 (S.216) i.V.m. Rn 4 1 7 f , der Ausnahme des Antragserfordernisses fur möglich hält. 4 0 7

SG Rn 533, S.209.

II. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

129

anderen Leistungsklage eigenständig und gleichberechtigt neben den Verwaltungsakt, den Klagegegenstand der Klagen nach § 42 VwGO getreten. . Dieser durchaus für vertretbar angenommene 409 Versuch leidet aber von vornherein an einem Mangel der unrichtigen, ausbleibenden Prämisse, durch das Begriffsmerkmal "schlichte Verwaltungsrechthandlung" könne rechtsdogmatisch die gesamte Rechtsschutznachfrage nach der allgemeinen Leistungsklage erfaßt werden. Die Dogmatik des schlichten Verwaltungshandelns bleibt immer noch in einem unvollständigen Entwicklungsstand, wie es neuerdings Robbers deutlich zu erkennen gegeben hat . Ein auffälliges Beispiel zeigt sich vor allem dort, wo die herkömmlich zu den schlichten Verwaltungshandeln gezählten Emissionen der öffentlichen Hand mit der allgemeinen Leistungsklage bewältigt werden müssen, während sie in Wahrheit keine Realakte, überhaupt kein Verwaltungshandeln, sondern bloße Folgen davon s i n d 4 1 1 . Nicht nur wünschenswert, sondern vielmehr unerläßlich weist sich ihre Auffangfunktion nicht zuletzt dort auf, wo sie sich gegenüber den zur Wahrnehmung der mannigfaltigen Verwaltungsaufgaben eingesetzten, atypischen, informalen Handlungsformen als tauglicher Rechtsschutzmechanismus erweisen kann, soweit die Klageart sui generis praktisch nur verringerte Bedeutung hat. Höchst problematisch erscheint schließlich die Voraussetzung "Geeignet-Sein, jemanden in eigenen Rechten zu verletzen", die er direkt aus Art. 19 Abs.4 GG zur Beschränkung des Klagegenstandes der allgemeinen Leistungsklage herleitet 4 1 2 . Der Wortlaut des Art. 19 Abs.4 GG dürfe nach ihm nicht dahin mißverstanden werden, jemand müsse durch die öffentliche Gewalt tatsächlich in seinen Rechten verletzt worden sein . Die tatsächliche Rechtsverletzung sei, so fügt er hinzu, eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit einer Klage. Den Rechtsweg eröffnet, wie er mit Nachdruck hervorhebt, gerade der Art. 19 Abs.4 GG, nicht aber § 40 VwGO. Die Rechtswegeröffnung mit dem Gebot umfassenden, effektiven Rechtsschutzes spricht aber keineswegs, zumindest unmittelbar, eine derartige prozeßrechtliche Regelung der Zulässigkeit einzelnen Klagen aus: Ebensowenig enthält Art. 19 Abs.4 GG konkret eine Aussage über die Zulässigkeit oder Statthaftigkeit einzelner Klagearten, wie das Fehlen einer Zulässigkeitsvoraussetzung einer einzelnen Klage, wie etwa das NichtVorliegen eines V A bei der Anfechtungsklage Zulässigkeit des Rechtsweges schlechthin ausschließt 414 . Es ist bloß irrig anzunehmen, § 42 Abs.2 VwGO sei nur als eine bereits auf die Rechtswegeröffnung bezogene, den Inhalt des Art. 19 Abs.4 GG insoweit deklaratorisch wiederholende Vorschrift mit dem GG vereinbar. Es würde dann das nachfolgend zu erläuternde Problem der Klagebefugnis für die allgemeine Leistungsklage von vornherein überflüssig. Die grundrechtliche Konzeption des subjektiven Rechtsschutzes greift ebenso in der allgemeinen Leistungsklage durch: Die sich daraus ergebende Bestimmung des Klagegenstandes ist aber nicht nur überflüssig, sondern erweckt auch den falschen Eindruck, als sei die Anwendung des § 42 Abs.2 VwGO auf die allgemeine Leistungsklage schon auf der verfassungsrechtlichen Ebene gelöst.

4 0 8

Vehse, aaO, S.205f.

4 0 9

Etwa bei SG S.209f.; Frank/Langrehr, aaO, S. 107.

4 1 0

Robbers, Sçhlichtes Verwaltungshandeln - Ansätze zu einer dogmatischen Strukturierung - , DÖV 1987, S.272: Solange die Verwaltungsrechtsdogmatik an abstrakten Rechtskategorien wie dem Verwaltunesakt orientiert ist und solange Versuche sich nicht durchsetzen, Verwaltungsrechtsdogmatik nach Verwaltungsmaterien, -aufgaben und -zwecken auszurichten, ist die Bestimmung schlichten Verwaltungshandelns nach Verwaltungsaufgaben systeminadäquat. Schlichtes Verwaltungshandeln ist Handlungstyp, nicht Aufgabentypus des Verwaltungsrechts. Vgl. in diesem Punkt Vehse, aaO, S.164. Robbers, aaO, S.273 m.w.N.: Als solche seien sie nicht Teil einer Handluneslehre des Verwaltungsrechts, ebensowenig wie die durch den Schuß des Polizisten verursachte Wunde usw. 4 1 2

Vehse, aaO, S.l81 ff.

4 1 3

Vehse, aaO.

4 1 4

Götz, Allgemeines Verwaltungsrecht, S.l 14.

9 Hong

130

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

In einer anderen Richtung hat Steiner aufgrund eingehender Analyse der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine auffallige Tendenz sichtbar gemacht und daraus einen brauchbaren Maßstab herausgestellt, der mit dem Schlagwort vom "sog. Verwaltungsakt-Vorbehalt" zusammengefaßt werden könnte: Die Zurückdrängung der allgemeinen Leistungsklage erfolgte dadurch, daß die Rechtsprechung die Entscheidung der Behörde über die Vornahme bzw. Nichtvornahme begünstigender schlichter Verwaltungshandlungen gegenüber deren Vornahme bzw. Nichtvornahme selbst rechtlich verselbständigt und die Entscheidung über die Vornahme, zumindest aber die Entscheidung über Nichtvornahme der begehrten Verwaltungshandlung als Verwaltungsakt qualifiziert habe . Nach seiner Kritik an der Rechtsprechung des BVerwG sei es schwer einzusehen, daß beispielsweise die auf einen Akteneinsichtsantrag hin ergehende Mitteilung über die Gewährung von Akteneinsicht unter Angabe der Modalitäten eine andere Rechtsnatur haben soll als die Mitteilung, die das Einsichtsbegehren a b l e h n t 4 . Ist die Entscheidung über die Vornahme einer begünstigenden schlichten Verwaltungshandlung im Einzelfall kein V A , so sollte auch die ablehnende Entscheidung nicht als V A qualifiziert werden. So folgert er: Die Erhebung einer Verpflichtungsklage sei nur in den Fällen veranlaßt, in denen das geltende Recht oder gleichgestellte Vorschriften die Vorschaltung eines V A als Rechtsgrund und Rechtmäßigkeitsvoraussetzung fur die sich anschließende schlichte Verwaltungshandlung anordnen (sog .Verwaltungsakt-Vorbehalt) 41 . Dem ist zuzustimmen.

ß) Klagebefugnis Die Meinungen zum Erfordernis der Klagebefugnis bei der allgemeinen Leistungsklage reichen von der Ansicht, sie ergebe sich unmittelbar aus § 42 Abs.2 VwGO, über die These, sie folge aus analoger Anwendung dieser Bestimmung 418 , bis zu der Auffassung, diese Klageart setze überhaupt keine Klagebefugnis voraus 419 . Die überwiegende Meinung der Literatur und ein Teil der Judikatur befürworten eine - sei es direkte, sei es analoge Anwendung des § 42 Abs.2 VwGO auf die allgemeinen verwaltungsgerichtlichen Leistungsklagen420. Danach muß aufgrund des Vortrages des Klägers die Möglichkeit gegeben sein, daß dieser durch die Ablehnung (Unterlassung) oder die Vornahme eines schlicht-hoheitlichen 4 1 5

Steiner, aaO mit dort angeführter Rechtsprechung.

4 1 6

Steiner, aaO, S.859; Vgl. auch BFH, v.25.7.1978, DVB1 1979, S.560ff. m.Anm. v.

Lässig. 4 1 7

Steiner, aaO, S.859.

4 1 8

Maurer, § 8 Rn 5, S. 126.

4 1 9 Insbesondere Rupp, DVB1 1982, S.146f.; Holland, Die Leistungsklage im Verwaltungsprozeß, S.50; Achterberg, DVB1 1981, S.279 mit in Fn 10 angegebenen Nachweisen. 4 2 0 Zum Streitstand vgl. etwa die Nachweise bei Achterberg, Die Klagebefugnis - eine entbehrliche Sachurteilsvoraussetzung ?, DVB1 1981, S.279; Neumayer, Die Klagebefugnis im Verwaltungsprozeß, 1979, S.122ff.; H.-U.Erichsen, Juristischen Studienkurs: Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, 1984, S.47, 176.

Π. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

131

Verwaltungshandelns in seinen eigenen Rechten verletzt ist 4 2 1 . Diese Ansicht ist jedoch auf scharfe Kritik gestoßen, vor allem von Rupp. Dadurch werde, so kritisiert er, das Problem der besonderen Klagebefugnis im Verwaltungsprozeß zusätzlich erschwert. Von dem hier eingenommenen Standpunkt aus sei nach ihm eine solche Ausweitung der besonderen Klagebefugnis rundweg abzulehnen: Wenn diese schon bei Anfechtungsklagen nach dem bisher Gesagten ein unnütz gewordener alter Zopf sei, bestehe nicht die geringste Veranlassung, entgegen dem klaren Gesetzeswortlaut des § 42 Abs.2 VwGO diesen Zopf zur allgemeinen Regel zu machen. Im übrigen bestehe - worauf auch Skouris im Zusammenhang mit der Verbandsklage erneut hingewiesen hat 2 2 - zwischen § 42 Abs.2 VwGO und § 113 Abs.l S 1 VwGO ja ein enger systematischer Zusammenhang insofern, als die Klagebefugnis des § 42 Abs.2 VwGO mit dem materiellrechtlichen Anspruchsgrund des § 113 Abs.l S 1 VwGO korrespondiere und gewisse abgeschwächten Anforderungen unterworfene Elemente des Klagegrundes enthalte. Man müßte daher auf diesen Anspruchsgrund § 113 Abs.l S 1 VwGO ebenfalls analog anwenden und anwenden können, damit überhaupt die ganze Argumentation einen Sinn habe. Indessen entspreche diese Anspruchsstruktur keineswegs allen verwaltungsgerichtlichen Leistungsklagen; sie entspreche nicht einmal voll den verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsklagen, bei denen ja über einen positiven Anspruch auf Erlaß eines Verwaltungsakts und nicht nur über die Rechtmäßigkeit dessen negativer Ablehnung oder Unterlassung zu entscheiden sei und deshalb die defensorische und auf »Rechtsbeeinträchtigung« hinzielende Klagebefugnis dem mit der Klage verfolgten wirklichen Anspruchsgrund nicht gerecht werde. Ähnliches gelte fur all diejenigen Leistungsklagen, die einen Anspruch beispielsweise auf Aushändigung eines Diploms, auf Geldzahlung oder Vornahme bestimmter Realhandlungen geltend machen. Man müßte also immer zunächst den wirklichen Anspruchsgrund des materiellen Anspruchs untersuchen, um dann zurückzuschließen, ob und welche prozessuale Klagebefugnis sinnvoll ist und der materiellrechtlichen Anspruchsstruktur entspricht. Vor solchen Unternehmungen könne nur gewarnt werden: Ihr Nutzeffekt sei nicht nur gleich Null, sondern theoretisch und praktisch ausgesprochen negativ. 4 2 3

Ohne Eingehen auf diese schwierige Problematik kann folgendes gesagt werden: Es kommt m.E. nicht allein darauf an, ob § 42 Abs.2 VwGO auf die allgemeine Leistungsklage analog anwendbar ist oder nicht, sondern darauf, wie und mit welchen inhaltlichen Anforderungen überhaupt dies in Frage kommt. Wendet man darauf wie oben erwähnt eine milderte Formel an, so bereitet die Feststellung der Klagebefugnis, soweit ersichtlich, keine besonderen Schwierigkeiten, weil der Kläger in der Regel Adressat des geltend gemachten Anspruchs ist. Somit kann ebenso der durch § 42 Abs.2

4 2 1 G.Frank/H.-W.Langrehr, Verwaltungsprozeßrecht, 1987,S.110. Vgl. auch BVerwG, NJW 1977, S.l 18f. 4 2 2 4 2 3

Skouris, aaO, S. 154.

Rupp, Kritische Bemerkungen zur Klagebefugnis im Verwaltungsprozeß, DVB1 1982, S.146f. So begrüßte er, daß der »Entwurf einer Verwaltungsprozeßordnung« in seiner Begründune zumindest bei den »anderen Leistungsklagen« eine besondere Klagebefugnis fur »entbehrlich« hält und deshalb § 40 Abs.2 FGO insoweit aufgehoben sehen will. 9*

132

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

VwGO konkretisierten, grundgesetzlichen Rechtsschutz Rechnung getragen werden 424 .

Konzeption

fur

subjekitven

Γ) Vorverfahren und Klagefrist Die allgemeine Leistungsklage ist ohne Durchführung eines Vorverfahrens und ohne Einhaltung einer Klagefrist zulässig. Eine Ausnahme gilt fur Klagen in Beamtenrechtsverhältnissen gem § 126 Abs.3 Ziff.l BRRG, wonach das Vorverfahren auch fur allgemeine Leistungsklage und Feststellungsklage erforderlich ist, jedoch nur als solches und ohne Anwendbarkeit der §§ 68 VwGO425. Die allgemeine Leistungsklage ist unbefristet. Die Regelung über die Klagefrist fur die Verpflichtungsklage kommt daher von vornherein nicht in Frage, obwohl hier die äußerste Grenze durch das Institut der prozessualen Verwirkung denkbarerweise zu ziehen ist. (b) Begründetheit Soweit für die Begründetheit der allgemeinen Leistungsklage in der VwGO ausdrückliche Regelungen fehlen, kommen gem § 173 VwGO die Vorschriften und allgemeinen Grundsätzen der ZPO über den möglichen Inhalt gerichtlicher Entscheidungen zur Anwendung 426 . Es steht dabei aber nichts entgegen, etwa § 113 Abs.S S 2 ebenso analog auf allgemeine Leistungsklagen anzuwenden, wenn diesen sachlichrechtlich ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung über die Gewährung der begehrten Leistung zugrundeliegt 427. Das Gericht ist hier gehalten, im Falle fehlender Spruchreife die Behörde zu einer erneuten Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verurteilen. Im übrigen ergeben sich keine besondere Probleme: Aktivlegitimiert ist als Kläger, wem der Leistungsanspruch auf Tun oder Unterlassen zusteht; richtiger Beklagter ist grundsätzlich der Bund, das Land oder die Körperschaft, gegen deren Behörde der Leistungsanspruch gerichtet ist 4 2 8 . Soweit diese Legitimationen gegeben sind, ist die Klage begründet, wenn der Leistungsanspruch besteht 4 2 4

Vgl. P R § 9 R n l , S . 8 7 .

4 2 5

Die Reichweite der Regelungen der VwGO in einem solchen Fall ist umstritten. Näheres dazu Kopp Vorb § 68 Rn 2. 4 2 6

Kopp § 113 Rn 2; schon Holland, Leistungsklage, S.63.

4 2 7

V G H Mannheim, BaWüVPr 1977, S.155 [156J; Kopp § 113 Rn 2; SG S.216; Steiner, aaO, S.856; Ehlers, VerwArch. 1983, S. 121. Als illustratives Beispiel für eine begründete allgemeine Leistungsklage etwa OVG Lüneburg v.24.11.1970, DVB1 1971, S.516ff. 4 2 8

SG Rn 555, S.217f.

. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

133

und fällig i s t 4 2 9 , also wenn die vom Kläger geltend gemachte Rechtsverletzung tatsächlich vorliegt, das Tun oder Unterlassen also rechtswidrig ist. (3) Wirkung und Vollstreckung des Urteils i. Für die Urteilswirkung der allgemeinen Leistungsklage gilt insoweit das gleiche wie bei der Verpflichtungsklage, als hier auch das aus der Anspruchsfeststellung und dem Leistungsbefehl bestehende Leistungsurteil ergeht. Ein Unterschied ergibt sich nur aus dem Inhalt des damit festgestellten Anspruchs, nämlich auf Tun oder Unterlassen einer Handlung, die nicht als VA zu qualifizieren ist. Im übrigen kann hier auf die Darlegungen zur Verpflichtungsklage verwiesen werden. ii. Urteile auf eine allgemeine Leistungsklage hin werden unterschiedlich vollstreckt, je nachdem, ob wegen Geldforderungen, wegen der Herausgabe von Sachen oder der Erwirkung oder Unterlassung anderer Handlungen vollstreckt werden soll. Die Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen richtet sich nach § 170 VwGO, während die Zwangsvollstreckung aus verwaltungsgerichtlichen Urteilen zur Erwirkung einer Duldung oder Unterlassung in der VwGO nicht ausdrücklich geregelt ist, und demnach gem § 167 Abs.l S 1 VwGO nach § 890 ZPO erfolgt 430 . Bei der Klage auf öffentlichrechtliche Willenserklärungen kann die entsprechende Erklärung mit Rechtskraft des stattgebenden Urteils nach § 167 Abs.l S 1 VwGO in Verbindung mit § 894 ZPO als abgegeben gelten 431 . Im übrigen können die Urteile auch vor Eintritt der Rechtskraft vollstreckt werden (§ 167 Abs.2) 4 3 2 (4) Vorläufiger Rechtsschutz Vorläufiger Rechtsschutz bei allgemeinen Leistungsklage kommt nur in Form einer einstweiligen Anordnung gem § 123 VwGO in Betracht, unabhängig davon, ob im Hauptsacheverfahren eine Leistungs-Vornahme oder Leistungs-Unterlassung verfolgt wird. Dies gilt auch für die in den beamtenrechtlichen Streitigkeiten erhobene allgemeine Leistungsklage: Zwar muß in solchen Fällen gem § 126 Abs. 3 BRRG ein Widerspuchsverfahren stattfinden. Da § 80 Abs.l VwGO aufschiebende Wirkung aber nur an den einer Anfechtungsklage vorausgehenden Widerspruch oder an die Anfechtungsklage knüpft, scheidet der Suspensiveffekt des Widerspuchs sowie der allgemeinen

4 2 9

Holland, aaO, S.63.

4 3 0

Holland, aaO, S.66.

4 3 1

Steiner, aaO, S.854 Fn 21.

4 3 2

Näher dazu vgl. Holland, aaO, S.66ff.

134

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

Leistungsklage von vorherein aus: So kann ein Beamter die Umsetzung 433 oder die Änderung des Aufgabenbereichs 434 nicht durch Widerspruch und Erhebung der allgemeinen Leistungsklage stoppen. Der konkret mögliche Inhalt der einstweiligen Anordnung ist aber nun zu differenzieren je nachdem, ob das Klageziel durch die Verurteilung der Behörde entweder zu einem (positiven) Tun oder zu einem (negativen) Unterlassen erreicht werden kann: Geht es um die Beseitigung eines bereits eingetretenen rechtswidrigen Zustande, etwa die unbegründete Beibehaltung einer Straßenbaustelle mit Absperrungen vor einem Geschäftshaus, so bedarf es einer positiven Anordnung, die zumindest teilweise und/oder vorübergehende Beseitigung der Baustelle gebietet; handelt es sich dagegen um erst bevorstehende Beeinträchtigungen - sei es die Wiederholung früherer Beeinträchtigungen oder ihre erstmalige Vornahme -, so ist ein entsprechendes Verbot erforderlich, das der Verwaltungsbehörde die Vornahme jener Hoheitsakte untersagt . Ein derartiger vorbeugender Eingriff in die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde kommt allerdings nach Schmitt Glaeser nur dort in Frage, wo dies im Hinblick auf Art. 19 Abs.4 GG zum Schutz eines "hochwertigen" Rechtsgut unbedingt notwendig s e i 4 3 0 . Überdies gilt hier ebenso das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache wie bei der Verpflichtungsklage.

c) Andere Klagemöglichkeiten Neben den verwaltungsgerichtlichen Leistungsklagen, mit denen wir uns bisher befaßt haben, kommen anderweitige Klagearten in Betracht, die zwar mittelbar dem Zweck der Durchsetzung der Vornahmepflicht der Verwaltung dienen, aber in ihrer prozessualen Ausgestaltung von jenen unterschiedene Wesensmerkmale aufweisen: Es sind einmal die isolierte Anfechtungsklage, die zu diesem Zweck als eine verkürzte Rechtsschutzform dienen kann 4 3 7 , und zum anderen die Feststellungsklagen, die unter Umständen ebenso als Ersatz- oder Ergänzungsform der gerichtlichen Durchsetzung der Vornahmepflicht fungieren können.

4 3 3 „ Das heißt die Zuweisung eines anderen Dienstpostens innerhalb derselben Behörde ohne Änderung des statusrechtlichen Amtes. Nach gefestigter Rechtsprechung des BVerG stellt sie keinen V A , sondern schlichtes Verwaltunçshandeln dar, weil sie als eine im Ermessen des Dienstherrn stehende innerbehördliche Organisationsmaßnahme die individuelle Rechtsstellung des Beamten nicht berührt (BVerwGE 60,147). Hierzu BVerwGE 69,307; 65,273 sowie Nachweise bei Finkelnburg/Jank, S.363. 4 3 4 Für die Änderung des Aufgabenbereichs, der nicht mit der Zuweisung eines neuen Dienstpostens verbunden ist, gelten die gleichen Grundsätze wie für die Umsetzung. Vgl. Nachweise bei Finkelnburg/Jank, S.365. 4 3 5

Beispiele von SG S.219.

4 3 6

SG S.219.

437 vgl. Menger, Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Verwaltungsrecht, VerwArch.54 (1963), S.198ff., 202: diese Klage trage gegenüber der Verpflichtungsklage stets »gewissermaßen subsidiären Charakter«.

. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

135

Die sog. Klageart sui generis^ kann obendrein als denkbare Klagemöglichkeit zur Durchsetzung der Vornahmepflicht der Verwaltung auch in Betracht kommen. Ist es erwiesenermaßen der Wille des historischen Gesetzgebers, daß das Klagesystem der VwGO keinen numerus clausus der Klagearten enthalten soll, so findet die Klageart sui generis ihre verfassungsrechtliche Abstûtzung in Art. 19 Abs.4 GG in Verbindung mit § 40 VwGO. So sind zwar Klagearten sui generis etwa im Hinblick auf verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten (z.B. sog. Kommunalverfasungsstreitigkeiten 439) oder auf gerichtliche Durchsetzung des Normerlasses trotz des sehr kontroversen Meinungsstandes durchaus denkbar und zum Teil durch die Rechtsprechung440 praktiziert. Die überwiegende Meinung leistet aber den Ansätzen Vorschub, die klassischen Klaeearten auszuschöpfen, bevor auf solche atypische Klagetypen zurückzugreifen 441. Die übergreifende verfassungsrechtliche Vorgabe des umfassenden, lückenlosen Rechtsschutzes wirkt sich andererseits auf das Klageartensystem der VwGO dahin aus, daß das Gericht womöglich immer auf die klassischen Klageformen zuungunsten eines solchen entwicklungsoffenen Klagtvos eigener Art auch dann zurückgreift, wenn jene sich sehr wohl als ausbaufähig erweisen 4 4 2 . Sieht es nach Schmitt Glaeser so aus, als ließen sich andere Klageformen mit einem wirklich anderen Klageziel i.S. eines "aluid" gegenüber Gestaltung, Leistung oder Feststellung nicht f i n d e n 4 4 3 , so erscheint es nicht sinnvoll, diese Frage in der vorliegenden Arbeit weiter zu vertiefen.

aa) Isolierte Anfechtungsklage Die Anfechtungsklage in der Gestalt der sog. isolierten Anfechtungsklage 4 4 4 kommt, wie schon erwähnt, für die gerichtliche Durchsetzung der Vornahme einer Verwaltungshandlung insofern in Betracht, als im Rahmen der Rechtmäßigkeitsprüfung des angefochtenen (ablehnenden) VA mittelbar nachgeprüft wird, ob der von der Verwaltung verneinte Anspruch besteht. Von dieser Frage hängt gerade die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides ab, so daß im Ergebnis im Wege der Aufhebung eines anspruchversagenden VA dem versagten Anspruch ein mittelbarer 4 3 8

Dazu im allemeinen vgl. nur SG S.220f.

43 ο

Dazu statt vieler vgl. Ehlers, Die Klagearten und besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen im Kommunalverfassungsstreitverfahren, N V w Z 1990, S.l05ff. 4 4 0 Vgl. V G H München, BayVBl.1976, S.753 (754 - "kassatorische" Leistungsklage); 1980, S.729; OVG Münster, DVB1 1978, S.150. 4 4 1

Vgl. Steiner, aaO, S.855.

4 4 2

SG S.220. m.w.N.

4 4 3

SGaaO, S.221.

4 4 4

Der Terminus "isolierte Anfechtungsklage" ist eine Schöpfung von Literatur und Judikatur, der nach Laubinger erstmals vor 30 Jahren in etwas abgewandelter Form "isolierte Aufhebungsklage* in einer Anmerkung Sievekings zu dem Urteil des Hamburgischen OVG (MDR 1954, S.567f.) auftauchte. H.-W.Laubinger, Die isolierte Anfechtungsklage, in: FS fur Menger, S.444. So auch Maetzel, Die verwaltungsgerichtliche Anfechtung von Ablehnungsbescheiden, DÖV 1955, S.397ff., 397 Fn 8.

136

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

Schutz zuteil w i r d 4 4 5 . Ein ähnliches Ergebnis kann freilich schon durch den mit einem Verpflichtungsbegehren verbundenen Antrag auf Aufhebung eines Ablehnungsbescheids erreicht werden 446 .Bei der isolierten Anfechtungsklage wird die Losung im Rahmen einer eigenständigen Klageart gesucht. Begriff, Abgrenzung von verwandten Erscheinungen und Statthaftigkeit der isolierten Anfechtungsklage sind aber nach wie vor umstritten 447 . Dem wird nachfolgend in Kürze nachgegangen. (1) Begriff In Übereinstimmung mit dem vorherrschenden Sprachgebrauch handelt es sich um eine Klage, mit der die Aufhebung eines Ablehnungsbescheides begehrt wird, nämlich eines Bescheides, der die Bewilligung einer von Kläger beantragten Leistung verweigert hat. Nur eine solche Klage kommt hier in Betracht, während der Ausdruck (das Prädikat "isoliert") gelegentlich auch für andere Konstellationen, etwa für die gesonderte Anfechtung des Widerspruchsbescheids oder einer Nebenbestimmung verwendet w i r d 4 4 8 . Im folgenden soll aber in Übereinstimmung mit dem üblichen Sprachgebrauch und mit Rücksicht auf ihren funktionellen Zusammenhang mit dem Vornahmefall von der typischen Fallkonstellation ausgegangen werden, daß nämlich ein Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis abgelehnt und gegen den Ablehnungsbescheid nur die Anfechtungsklage erhoben wurde 4 4 9 . (2) Zulässigkeit Die grundsätzliche Zulässigkeit der "isolierten Anfechtungsklage" ergibt sich aus der Gesamtschau des Meinungsstands450, ohne dafür allzu umfangreiche Untersuchungen vorzunehmen: 4 4 5

Vgl. Weckerle, aaO, S.55.

4 4 6

Dem Aufhebungsantrag kommt zwar in der Regel keine selbständige Bedeutung zu, es verhält sich aber anders, wenn der Kläger ein besonderes Rechtsschutzinteresse an der Aufhebung (ex tune) des ablehnenden Bescheids hat. BVerwG v.19.5.1987 - I C 13/84 (OVG Münster) im Anschluß an BVerwGE 29, 304ff.,[309]. Denkbar wäre daneben auch die Anfechtungsklage auf Abänderung eines V A gem § 113 Abs.2 VwGO, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft. 447

vgl. im allgemeinen Laubinger, FS Menger, S.443ff.

4 4 8

Außerdem werden von Laubinger als von ihrem eigentlichen Begriff abzugrenzende Fallgruppe (jeweils isolierte) Anfechtung von einer von mehreren in einem V A zusammengefaßten Belastungen, Verfahrenshandlungen, der Planfeststellungsbeschluß an Stelle einer Klage auf Anordnung von Schutzmaßnahmen und die Verbotsverfügung an Stelle einer Klage auf Einräumung einer Vergünstigung angefühlt. Im Hinblick auf den Streit um die Definition des Begriffs zwischen Laubinger und Pietzner/Ronellenfitsch, aaO, S.69-70 mit Fn 60, kommt es nur darauf an, ob eine wissenschaftliche Begriffsbestimmung zur Erfassung und Erklärung des Sinnzusammenhangs eindeutig und tauglich ist, wobei gemeinhin mit Rücksicht auf unser Thema von der Begriffsbestimmung Laubingers ausgegangen wird. Vgl. auch Martens, J., aaO, S.950. 4 4 9

OVG Hamburg, M D R 1954, S.568.

II. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

137

Gegen die Zulässigkeit der isolierten Anfechtungsklage wird geltend gemacht, sie sei mit dem Klagesystem der VwGO nicht vereinbar 4 , oder ihr fehle das Rechtsschutzbedürfnis 4 . In einer eingehenden Auseinandersetzung mit solchen Einwänden folgert Laubinger hingegen folgendes: 1. Der Ablehnungsbescheid sei seinerseits ein (belastender) V A ; 2. Anfechtungsund Verpflichtungsklage stünden zueinander nicht im Verhältnis der Subsidiarität, sondern der Alternativität. Eine isolierte Anfechtungsklage sei nicht deshalb unstatthaft, weil der Kläger die Verpflichtungsklage erheben könnte; 3. Die isolierte Anfechtungsklage scheitere auch nicht am Mangel des Rechtsschutzbedürfnisses. Dem ist wohl in folgender Hinsicht zuzustimmen: Soweit die isolierte Anfechtungsklage ebenso auf Aufhebung eines V A gerichtet ist, setzt sie begriffsnotwendig voraus, daß der Ablehnungsakt V A ist. Es kann zwar dahingestellt bleiben, ob er ein V A vor allem im Gestattungsrecht oder allgemein belastender Natur (Eingriffsakt) ist, was einst zwischen König und Metzner umstritten war . Der Ablehnungsakt ist aber immerhin, wie erwähnt, nach der Kehrseitentheorie als ein V A zu qualifizieren. Der zweite Punkt trifft auch zu, wenn man sich, wie oben dargelegt (§ 13), von der Trennung beider Klagearten ausgehend vor Augen fuhrt, daß die isolierte Anfechtungsklage durch die Verpflichtungsklage keineswegs »generell« verdrängt w i r d 4 5 4 .

Es kommt nun auf den Hauptangriffspunkt gegen die Zulässigkeit der isolierten Anfechtungsklage an, nämlich das Fehlen des Rechtsschutzbedürfhisses. Die Unstimmigkeit der höchstricherlichen Rechtsprechung zu dieser Frage rührt vor allem von der unterschiedlichen Handhabung des Rechtsschutzinteresses her. Das BVerwG hat zunächst die auf Aufhebung von Bescheiden über die Festsetzung des Besoldungsdienstalters beschränkte Klage für zulässig erachtet, weil man von öffentlich-rechtlichen Körperschaften "angesichts ihrer verfassungsmäßig verankerten festen Bindung an Recht und Gesetz die Respektierung von Gerichtsurteilen auch ohne dahinterstehenden Vollstreckungsdruck erwarten darf H 4 5 5 . Grundsätzlich von der Unzulässigkeit der isolierten Anfechtungsklage ausgehend, kritisiert Schmitt Glaeser zutreffend diese schon sachgesetzlich zweifelhafte Annahme, mit der das

4 3 U Kopp § 42 Rn 22; Ule, S.148; Stern, S.57; Klinger, S. 139-140, 137, die die isolierte Anfechtungsklage unter bestimmten Voraussetzungen (Rechtsschutzbedürfnis: Ule, Stern) für zulässig oder generell, sogar fur ratsam (Klinger) halten, A.A. Bettermann, DVB1 1962, S.875; Menger, DVB1 1962, S.875, der an seiner früheren Ansicht festhaltend (System, S. 194-195) die Zulässigkeit der isolierten Anfechtungsklage verneint. Näher zum Meinungsstand vgl. Laubinger, FS Menger, S.449 Fn 19. 4 5 1

So insbesondere Bettermann, DVB1 1973, S.376f. (Anm.z.BVerwGE 38,99).

Insbesondere BVerwGE 78,93 (Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses fur eine Klage, die auf die Aufhebung des den Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer nur aus formellen Gründen ablehnenden Bescheides beschränkt erhoben worden ist ; 69,92. Mit Recht dazu kritisch Martens, J., Effektiver Rechtsschutz durch isolierte Anfechtung, DOV 1988, S.949ff. m.w.N. 4 5 3 König, BayVBl. 1976, S.577ff.; ders., BayVBl.1977, S.139ff.; Metzner, BayVBl.1977, S.l Iff. Siehe auch oben § 13. 4 5 4

PR § 7 I I 3 Rn 14, S.70.

4 5 5

BVerwGE 38,99 [102].

138

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

BVerwG auch die Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der allgemeinen Leistungsklage relativiert 456 : Damit wäre die Ausnahme zur Regel geworden, weil sich isolierte Anfechtungsklagen durchweg gegen den Bund, die Länder oder andere öffentlich-rechtliche Körperschaften richten und daher praktisch immer erwartet werden kann, daß Gerichtsurteile respektiert werden* .

Ohne diese Begründung zu problematisieren 458, ist indessen nichts dagegen einzuwenden, daß das Rechtsschutzbedürfhis der isolierten Anfechtungsklage allenfalls im Ergebnis nicht in Abrede gestellt wird, es sei denn, daß das Rechtsschutzbedürfhis der isolierten Anfechtungsklage dann fehlt, wenn zu besorgen ist, daß mit der Sachentscheidung neue Streitpunkte auf dem Wege zu dem vom Kläger letztlich erstrebten Ziel heraufbeschworen werden und daß sich deshalb eine neuerliche Inanspruchnahme des Gerichts abzeichnet 459 . Worauf es aber ankommt, ist die Frage, ob ihr die Zulässigkeit wegen des fehlenden Rechtsschutzbedürfhisses allein, also pauschal abgesprochen werden kann. Enscheidend ist nur, daß die isolierte Anfechtung als solche gegenüber der rechtsschutzintensiveren Verpflichtungsklage angesichts des effektiven Rechtsschutzes nicht unbedingt nachsteht4®". Die isolierte Anfechtungsklage stellt in solchen Fällen keineswegs ein "Weniger" dar, das sich als ein "Zuviel" im Sinne einer übermäßigen Inanspruchnahme der staatlichen Rechtsschutzeinrichtungen entpuppt46*. Im Hinblick auf das Rechtsschutzbedürfhis reicht es aus, im allgemeinen hervorzuheben, daß bei der isolierten Anfechtungsklage das Rechtsschutzbedürfhis im Unterschied zur normalen Anfechtungsklage ausdrücklich nachgewiesen werden muß, weil hier der Kläger seinem Ziel mit der Verpflichtungsklage näher käme 4 6 2 .

4 5 6 Das BVerwG stellt in Bezug auf das Rechtsschutzbedürfnis der isolierten Anfechtungsklage auf die im Zivilprozeß für das Verhältnis von Feststellungsklagen zu den rechtsschutzintensiveren Leistungsklaeen entwickelten Grundsätze (Grunsky,§ 39,IV 1, S.398 f. m.w.N.) ab (BVerwGE 38,99) und überträgt diese auf das Verhältnis von Gestaltungsklage und Leistungsklagen (36,179 [181 f.]; 40,323 [327 f.].). Dazu zustimmend PR § 11 II 1, S.I23 Rn 4. 4 5 7

SGRn 169ff.,S.68ff.

4 5 8

Vgl. Laubinger, aaO, S.457 m.w.N.

4 5 9

BVerwGE 38,99ff., [103].

4 6 0

Das ist etwa der dem Plädoyer von Kellner, Laubinger, und von J.Martens für die isolierte Anfechtungsklage zugrundeliegende Ansatzpunkt. Kellner, Besinnung auf die Anfechtungsklage, M D R 1968, S.965ff., [970]; J.Martens, DÖV 1988, S.949ff.; Laubinger, aaO, S.457f. 4 6 1

Vgl. SG Rn 169, S.69.

4 6 2

PR § 11 U, S.123 Rn 4; SG S.68f.; Kopp § 42 Rn 22.

Π. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

139

(3) Konkrete Anwendung Ist die Zulässigkeit der isolierten Anfechtungsklage grundsätzlich zu bejahen, kommt sie nun als eine mittelbare Rechtsschutzmöglichkeit gegen Verweigerung der Verwaltung in Betracht. Die Entscheidung über die isolierte Anfechtungsklage verhindert aber in erster Linie, daß der Anlehnungsbescheid in Bestandskraft erwächst und diese dem Kläger entgegengehalten werden kann, wenn er später seinen Antrag erneuert. Das Argument des OVG Hamburg, durch die bloße Aufhebung des ablehnenden Bescheids komme der Kläger seinem eigentlichen Ziel "um keinen Schritt näher" und deshalb fehle seinem Antrag das rechtliche Interesse 463, trifft in einem solchen Fall nicht zu, wie uns Laubinger klarmacht 464 . Andererseits kann unter Umständen nur die isolierte Anfechtungsklage als einzige Klagemöglichkeit in Betracht kommen, beispielsweise dort, wo es bei einem Ablehnungsbescheid einer Universität aufgrund eines Auswahlgesprächs angesichts der derzeitigen Regelung der Zulassung zu einem Fachstudium nur sinnvoll wäre, die isolierte Anfechtungsklage zu erheben, weil eine Verpflichtungsklage auf nochmalige Zulassung zum Auswahlgespräch auf Verpflichtung nicht der Universität, sondern der ZVS zu richten i s t 4 6 5 . Hier zeigt sich deutlich, daß es allenfalls auf den konkreten Sachzusammenhang ankommt, dem sich die verwaltungsgerichtlichen Klagen unter Berücksichtigung des durch Art. 19 Abs.4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutzes anpassen müssen. bb) Klagen zur Durchsetzung des Folgenbeseitigungsanspruchs (1) Folgenbeseitigungsanspruch Der Folgenbeseitigungsanspruch466, der nach einhelliger Auffassung als ein materiell-rechtlicher Anspruch 467 angesehen wird, richtet sich zwar seinem 4 6 3

M D R 1954, S.567.

4 6 4

Laubinger, aaO, S.456.

4 6 5

Rottmann/Breinersdorfer, N V w Z 1988, S.885 m.w.N. insb. zur Rechtsprechung; Kopp § 42 Rn 22, S.259. 4 6 6 Die Bezeichnung "Folgen"-beseitigungsanspruch ist nach Schullan, Zur Reform der Staatshaftung, BayVBl. 1990, S.360ff.,[365] insoweit irreführend, als sie zu der unzutreffenden Annahme verleite, der Anspruch beinhalte auch die Pflicht, durch hoheitliches Fehlverhalten verursachte Schadensfolgen zu "beseitigen". Zur Literatur über den Folgenbeseitigungsanspruch vgl. Bettermann, DOV 1955, S.528; Rupp, H . H . , Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965,S. 174 ff.; Rösslein, Der Folgenbeseitigungsanspruch, Tübinger Diss. 1968; Weyreuther, Empfiehlt sich, die Folgen rechtswidrigen hoheiüichen Verwaltungshandelns gesetzlich zu regeln (Folgenbeseitigung, Folgenentschädigung:)?, Gutachten für den 47.DJT, 1968; v.Mangoldt, DVB1 1974, S.825; Bender, VBIBW 1985, S.201; Fiedler, N V w Z 1986, S.969; Maaß, BayVBl.1987, S.520; Redeker, DOV 1987, S.194; Wallerath, DOV 1987, S.505; Köckerbauer, JuS 1988, S.782; Schoch, VenvArch BdJ9 (1988), S . l . Zum Folgebeseitigungsanspruch bei V A mit Drittwirkung vgl. Th.Horn, DÖV 1989, S.976;. Schenke, DVB1 1990, S.328ff. Zur Rechtsprechung vgl. BVerwGE 28,155(164f.>; BVerwG, DOV 1971, S.857; Erichsen, VerwArch Bd.63 (1972), S.217; BVerwGE 69,366ff.;

140

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

Inhalt nach grundsätzlich auf die Wiederherstellung des Zustandes, der im Zeitpunkt des rechtswidrigen Eingriffs bestand 468 . Der Folgenbeseitigungsanspruch (nachfolgend FBA) knüpft nicht an die Rechtswidrigkeit des Eingriffsaktes, sondern an die Rechtswidrigkeit des dadurch geschaffenen Zustands an. Ihm liegt die sowohl grundrechtlich als auch rechtsstaatlich motivierte Forderung 4®9 zugrunde, diesen Zustand mit der rechtsnormativen Lage zur Deckung zu bringen 470 . Der Folgenbeseitigungsanspruch wurde Anfang der 50er Jahre von der Verwaltungsrechtsdogmatik, insbesondere in der grundlegenden Untersuchung von B a c h o F 7 1 entwickelt und später dann auch von der Rechtsprechung übernommen. Ursprünglich war er auch nach der Auffassung des B V e r w G 4 7 2 eng mit der Anfechtungsklage verbunden und galt seit dem Jahre 1960 als in § 113 Abs.l Satz 1 und 2 VwGO geregelt 4 7 3 . Bachof greift als positivrechtliche Grundlage für die Ableitung eines Beseitigungsanspruchs auf das in Art.20 Abs.3 GG verankerte Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung 4 7 4 und den durch die im Zivilprozeßrecht herrschenden ähnlichen Gedankengänge zum Ausdruck gelangten, allgemeinen Rechtsgedanken 475 zurück. So schließe die vorläufige Vollziehbarkeit stillschweigend die Verpflichtung zur Beseitigung der Folgen im Falle der späteren Aufhebung ein, sie wäre sonst mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung unvereinbar . Ebenso fühlte das BVerwG aus: "In den vor 1960 geltenden Vorschriften über das verwaltungsgerichtliche Verfahren fehlte eine ausdrückliche Bestimmung über die Beseitigung der Folgen eines aufgehobenen rechtswidrigen Verwaltungsakts. Da der Verwaltungsrechtsschutz ohne einen solchen Folgenbeseitigungsanspruch seine Wirkung nur unvollkommen entfaltete, entwickelten die Rechtslehre und ihr folgend die Rechtsprechung diesen - sachlich eng begrenzten - "Folgenbeseitigungsanspruch" aus verschiedenen

Broß, VenvArch Bd.76 (1985), S.217; V G H Mannheim VB1BW 1987, S.423f. m. Anm. von Götz; Knemeyer, JuS 1988, S.696f (zu demselben Beschluß v.20.1.1987 von V G H Mannheim); BVerwG, DÖV 1989, S.774. 4 6 7

Maurer, § 29 2, S.603 m.w.N.

4 6 8

BVerwG, Urteil v.6.9.1988 - 4 C 26.88. DVB1 1989, S.44f.

4 6 9

BVerwGE 69,366.

4 7 0

BVerwG v.23.5.1989 - 7C 2.87 (OVG Münster), DVB1 1989, S.997ff., [1002] mit dem Hinweis auf Schoch, VenvArch.79 [1988], S.l,43; BVenvGE 69,366 = NJW 1985, S.817f. = BayVBl.1985, S.54f.; So auch Götz, VB1BW 1987, S.424. 4 7 1

Bachof, Klage auf Vornahme, zweiter Teil, S.98ff.

4 7 2

BVerwGE 28,155ff.,[165].

4 7 3

Das ist der Doemengeschichte nach der Regelfall. § 113 Abs.l S.2 ist zwar als eine Vorschrift anzusehen, cße aus der von Bachof weitgehend durchgesetzten Formulierung bzw. Anerkennung prozessuale Konsequenzen zog. Diese Vorschrift begründet jedoch den Folgenbeseitigungsanspruch nicht, worauf Maurer richtig hinweist, sondern setzt ihn voraus und ermöglicht eine prozessual vereinfachte Geltendmachung des Vollzugs-Folgenbeseitieungsançpruchs. Ders., aaO; zur lediglich prozessualen Bedçutung dieser Bestimmung vgl. BVerwG, DÖV 1971, S.857, 858 entgegen mißverständlicher Äußerung in BVerwGE 28,135,164; vgl. auch W.Rüfner, Öffentlich-rechtliche Schadenersatz- una Entschädigungsleistungen, in: Erichsen-Martens, § 53 V , S.541 m. Fn 35. 4 7 4

Bachof, Klage auf Vornahme, S. 126ff.

4 7 5

Bachof, Klage auf Vornahme, S.128. Vgl. aber Köckeihauer, JuS 1988, S.782 Fn 14, der mit Recht die dort vorgestellte Rechtsanalogie zu §§ 717 Abs.2, 945 ZPO kritisiert. 4 7 6

Bachof, ebenda.

II. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

141

bestehenden Rechtsvorschriften und -grundsätzen . . . 4 7 7 , im wesentlichen mit dem Ergebnis, das jetzt gesetzlich in § 113 Abs.l Satz 1 uns 2 VwGO niedergelegt i s t " . 4 7 8

Rechtsgrundlage und Umfang dieses Anspruchs bilden indessen wegen der fehlenden gesetzlichen Konkretisierung 479 andauernd ein heißes Eisen des Verwaltungsrechts sowie Staatshaftungsrechts. Dieser Fragenkomplex hat neuerdings durch die höchstrichterliche Rechtsprechung seine Aktualität wieder gefunden 480 , woauf hier aber nur zusammenfassend eingegangen werden soll 4 8 1 . In seinem als Grundsatzentscheidung konzipierten 482 Urteil vom 1 9 . 7 . 1 9 8 4 4 8 3 hat das BVerwG sowohl zur Rechtsgrundlage als auch zu Inhalt und Umfang des Anspruchs Stellung genommen: Durch die Entscheidung über den im Wege eines FBA geltend gemachten Zahlungsanspruch folgert das BVerwG die rechtliche Grundlage des FBA in Fortsetzung von seiner bisherigen Rechtsprechungslinie ° aus der Bindung der vollziehenden Gewalt an Gesetz und Recht gem Art.20 Abs.3 GG. Aus dieser Norm wird die Verpflichtung der vollziehenden Gewalt abgeleitet, die rechtswidrigen Folgen wieder zu beseitigen . Inhaltlich ziele der Anspruch allein auf Beseitigung der rechtswidrigen Folgen eines Tuns oder Unterlassens der vollziehenden Gewalt ab und gewähre nur einen Ausgleich in natura. Der Grundsatz der Naturalherstellung (§ 249 S.l BGB) verpflichtet die vollziehende Gewalt, so fuhrt das BVerwG aus, "zur Herstellung des Zustandes, der bestünde, wenn sie die rechtswidrigen Folgen nicht herbeigeführt hätte." 4 ® 0 Diese Grundsatzentscheidung gab zwar in vieler Hinsicht Anlaß zu heftigen Auseinandersetzungen im Schrifttum. Dadurch läßt sich jedoch insgesamt erkennen: Ungeachtet der Meinungsverschiedenheiten ist man sich ohnehin darüber einig, daß die Folgenbeseitigung als Grundsatz und Anspruch auf das Bundesverfassungsrecht zurückgeht 4 8 7 . Es kommt nun fur die Rechtfertigung des FBA abweichend von der Auffassung Bachofs nicht mehr auf die vorläufige Vollziehbarkeit des 4 7 7 Hier mit dem Hinweis auf Bachof, Die verwaltungsgerichtliche Klage auf Vornahme einer Amtshandlung, 1951, S.98ff.; Bettermann, Zur Lehre vom Folgenbeseitigungsanspruch, DOV 1955,528ff. 4 7 8

BVerwGE 28,155, [165].

4 7 9

Der Versuch des Gesetzgebers, den FBA bundeseinheitlich in einem StHG zu normieren, scheiterte bekanntermaßen an der Unvereinbarkeit dieses Gesetzes mit Art.70 GG. BVerfGE 61,149 = NJW 1983, S.25 = JuS 1983, S.141 Nr.3. Zur heutigen Fragestellung in der Reform des Staathaftungsrechts vgl. Schullan, aaO. 4 8 0 Zur Rechtsprechungsübersicht vgl. Broß, Zum Anwendungsbereich des Anspruchs auf Folgenbeseitigung, VerwArch. Bd.76 (1985), S.217ff. 4 8 1 Stattdessen verweise ich auf Köckerbauer, JuS 1988, S.782ff.; Maaß, BayVBl.1987, S.520ff.; Wallerath, DÖV 1987, S.505ff.; Redeker, DÖV 1987, S.194ff.; Fiedler, N V w Z 1986, S.969ff.; Bender, VBIBW 1985, S.202ff. 4 8 2

Vgl. Bender, Zum Recht der Folgenbeseitigung, VBIBW 1985, S.201ff.,[201].

BVerwGE 66,366ff. Zu diesem häufig besprochenen Urteil vgl. Nachweise bei Knemeyer, JuS 1988, S.697 Fn 6. 4 8 4 BVerwGE 28,155ff.,[165]. Vgl. aber BVerwG, DVB1 1971, S.858; Bender, VBIBW 1985, S.202. 48 ^ Zu verschiedenen Versuche zur Ableitung der Rechtsgrundlage des FBA vgl. nur Köckerbauer, aaO, S.782f. 4 8 6

BVerwGE 66,366 [371].

4 8 7

Köckerbauer, aaO, S.784.

142

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

V A oder Verbundenheit mit der Anfechtungsklage an. Schließlich ist der Umfang des Anspruchs dahin erweitert, daß er nicht nur bei vollzogenen V A , sondern bei allen Amtshandlungen bestehe, die rechtswidrige Folgen nach sich gezogen h a b e n 4 8 8 , und erstreckt sich sogar, wenn auch umstritten, auf die Beseitigung rechtswidriger Folgen des Unterlassens (nachfolgend erläutert).

(2) Gerichtliche Durchsetzung i. Der Folgenbeseitigungsanspruch wirft in bezug auf seine gerichtliche Durchsetzung besondere Fragen auf, welche deshalb hier besonders behandelt werden sollen. Ein typischer Fall aus der Nachkriegzeit, von dem die Entwicklung des FBA ausgegangen ist, läßt sich wie folgt skizzieren: Obdachlose wurden rechtswidrig in eine Wohnung eingewiesen. Die Beschlagnahme der Wohnung war für sofort vollziehbar erklärt, später aber auf eine Klage hin wieder aufgehoben worden 489 . Die Eingewiesenen befanden sich trotzdem weiter in der Wohnung. Der Eigentümer wollte nun die Räumung der Wohnung. Die herkömmlichen Entschädigungsansprüche liefern indessen keine befriedigende Lösung in diesem Fall, weil sie als Rechtsfolge nur Kompensation (Geldersatz), aber nicht Restitution vorsehen. Um dem Zweck des rechtsschutzsuchenden Eigentümers gerecht zu werden, sollte die Behörde verpflichtet sein, die fortdauernde Beeinträchtigung aus dem Vollzug des rechtswidrigen VA zu beseitigen490. Aus diesem VollzugsFolgenbeseitigungsanspruch, der bereits vom PrOVG postuliert wurde und seinen prozessualen Niederschlag in § 113 Abs.l S 2 VwGO gefunden hat, ging der FBA in seiner heutigen Form hervor 491 . ii. Der FBA bezieht sich einmal insofern auf den Vornahmefall, als die Folgenbeseitigung als Vornahme einer Verwaltungshandlung g i l t 4 9 2 . Zum anderen findet der Vornahmefall in dem Sinne ebenso wichtige Anwendung in deijenigen Fallkonstellation, wo die Verwaltung zu Unrecht eine Verfügung abgelehnt, verzögert oder einen begünstigenden VA nicht erlassen hat, währenddessen sich dem Erlaß des begehrten Akts nachträglich 493 durch eine 4 8 8 BVerwG, DVB1 1971, S.858 = DÖV 1971, S.857 m.Anm.Bachof, S.859ff.; vgl. auch BVerwGE 38,336; 59,319. 4 8 9

Vgl. Rüfner, in Erichsen/Martens, § 53 IV; OVG Münster, DVB1 1954, S.781 m.w.N.

4 9 0

Rüfner, aaO, § 53 V.

491 vgl. Köckerbauer, Rechtsgrundlagen und Haftungsumfang des Folgenbeseitigungsanspruchs, JuS 1988, S.782. 492 Eine typische Fallkonstellation, die erstmals in der Nachkriegszeit von Bachof, Vornahmeklage, S.98ff., erläutert und als Ausgangspunkt der nachträglichen Diskussionen der Problematik fungiert wurde: "Eine Wohnung wurde beschlagnahmt, die Beschlagnahme für sofort vollziehbar erklärt, später auf Klage wieder aufgehoben. Die Zwangsmieter saßen aber in der Wohnung." Hier tangiert gerade die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde zur Beseitigung der fortdauernden Beeinträchtigung als Ergebnis des Vollzugs des rechtswidrigen V A den obengenannten Vornahmefall. Vgl. auch Köckerbauer/Büllesbach, aaO, JuS 1991, S.379. 4 9 3 Insbesondere während des Rechtsmittelverfahrens (Rüfner) oder zwischen Ablehnung und verwaltungsgerichtlicher Entscheidung (Rösslein).

. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

143

Änderung der Sach- oder Gesetzeslage Hindernisse in den Weg gestellt haben. Ein Beispiel zum Berufszulassungsrecht: Ein Bewerber wurde zu Unrecht nicht zugelassen, anschließend wurden die Zulassungsvoraussetzungen verschärft, so daß er nach neuem Recht nicht mehr zugelassen werden dürfte, aber den erstrebten Beruf ausüben könnte, wenn er rechtzeitig zugelassen worden wäre. Ist die Frage danach nun bejaht, ob die Behörde nun verpflichtet ist, den Bewerber so zu stellen, wie er bei richtiger Behandlung seines Antrags stehen würde, also wie wenn er rechtzeitig zugelassen worden wäre 4 9 4 , kann dadurch sein Anspruch auf Zulassung jedenfalls genauso durchgesetzt werden, wie bei einem rechtzeitigen Erfolg der Verpflichtungsklage gleichen Zwecks 495 . Das BVerwG hat in der eben genannten Entscheidung (BVerwGE 66,366) ausgeführt, daß der Folgenbeseitigungsanspruch nicht alle rechtswidrigen Folgen erfcße, die durch ein Tun oder ein Unterlassen der vollziehenden Gewalt eingetreten sind . Die Tragweite dieser Entscheidung ist indessen angesichts der Verwendung des Begriffs "Unterlassen" umstritten, nämlich ob damit gemeint war, der FBA könne auch durch ein administratives schlichtes Unterlassen, also z.B. durch Ablehnung eines Antrags auf Erlaß eines begünstigenden V A begründet werden 4 . Nach der zutreffenden Meinung von Schoch ist aber zu differenzieren, je nachdem, ob die Behörde nach vorangegangen! aktivem Tun pflichtwidrig unterläßt, die Beeinträchtigung zu beseitigen, nachdem die Eingriffsvoraussetzungen entfallen sind, oder ohne vorangegangene behördliche Einwirkung - ein Leistungsbegehren des Bürgers seitens der Verwaltung zu Unrecht nicht erfüllt wird. In der ersten Fallkonstellation, etwa in der die Behörde eine sichergestellte Sache nach Aufhebung der entsprechenden Abordnung, nach Wegfall der sofortigen Vollziehbarkeit usw. nicht herausgibt , steht die Untätigkeit der Verwaltung bei gegebener Rechtspflicht zum Handeln dem positiven Tun g l e i c h 4 9 9 . In der 4 9 4

Anstelle vieler BVerwGE 1,291,295f.

4 9 5

Schoch, Folgenbeseitigung und Wiedergutmachung im Öffentlichen Recht, VerwArch. Bd.79 (1988), S.lff.,[S.41] räumt unter dem Vorbehalt vorsichtig differenzierenden Vorgehens ein, hier könne sich die Frage des FBA stellen. Vgl. aber Rösslein, aaO, S.86f., der darin keine Anwendung des Folgenbeseitigungsanspruchs sehen will, weil das Entfallen des Anspruchs wegen Änderung der Rechtslage keine Folge der Ablehnung sei, auf deren Beseitigung ein FBA gehen könne, und weil durch die Erstreckung des FBA auf solche Fälle das Institut jede feste Kontur verlorengehen müsse. Vgl. auch Rüfner, aaO. 4 9 6 Der Entscheidung lag der folgende Sachverhalt zugrunde, der eigentlich mit den Folgen eines Unterlassens nichts zu tun hatte: Dem erkennenden 3. Senat lag eine Verwaltungsstreitsache zum Außenwirtschaftsgesetz vor. Die Klägerin wurde zu einem Bardepot in Höhe von rund 20 M i o . D M herangezogen. Aufgrund der rechtskräftigen Feststellung des BVerwG der teilweisen Rechtswidrigkeit der Bardepotbescheide forderte die Klägerin insoweit die Erstattung ihrer Aufwendungen an Zinsen, die ihr durch eine als Folge der rechtswidrigen Vollziehung der Bardepotbescheide notwendig gewesenen Kreditaufnahme entstanden seien. Die Klage blieb in allen Rechtszügen ohne Erfolg. 4 9 7 Dem BVerwG zustimmend Maaß, BayVBl.1987, S.520ff.,[525]: Das BVerwG habe der Auffassung, der FBA gelange im Unterlassensfall schon prinzipiell nicht zur Anwendung, "nynmehr den Boden entzogen"; ders., Verwaltungsrundschau, 1985, S.71ff.,[73]; Wallerath, DOV 1987, S.505ff.,[5131. Ablehnend Bender, VB1BW, 1985, S.202, der darauf aufmerksam macht, daß in solchen Fällen u.U. eine mit dem FBA nicht zu verwechselnde, ermessensbindende Folgenbeseitigungslast des Hoheitsträgers bestehen kann (S.202 Fn 8). Zu eingehender Erläuterung dazu Schoch, aaO, 39ff. 4 9 8 Dies wird unter dem Stichwort der "nachträglichen Rechtswidrigkeit" eines V A diskutiert. Vgl. Weyreuther, Gutachten B Z.47.DJT, S.69fT; Rösslein, aaO, S.84. 4 9 9 Die Bestandskraft des V A kann der Folgenbeseitigung entgegenstehen. Vgl. Schoch, aaO, S.40, S.52 mit Fn 319.

144

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

zweiten Fallkonstellation geht er demgegenüber von der dogmatischen Verankerung des Anspruchs im status negativus aus, die voraussetzungsgemäß die Reichweite des Beseitigungsanspruchs begrenzt. Der Heranziehung des ungeschriebenen Anspruchs bedürfe es im übrigen nicht einmal ("er wäre ja durch leges speciales ausgeschlossen") , da der primäre Erfullungsanspruch unverändert fortbestehe und mit einer Leistungsklage gerichtlich durchgesetzt werden könne, es sei denn, daß in wenigen Ausnahmefällen aufgrund einer dem Anspruchsinhaber ungünstigen Änderung der Sach- und/oder Rechtslage - das ist der Fall bei dem ebengenannten Fall des Berufszulassungsrechts - jene Lösung ausscheidet . Im übrigen zeige die von Weyreuther entwickelte Folgenbeseitigungslast502 den Lösungsweg. Es bleibt aber immerhin zu beantworten, bis zu welchem Grad im Falle der Verzögerung der Erfüllung einer Vornahmepflicht und unter welchen Voraussetzungen die G e d u l d 5 0 3 noch zumutbar ist, und wann sie nicht mehr zumutbar zu sein beginnt.

iii. Kommen wir nun zur Frage nach den Rechtsschutzformen, so steht in erster Linie die Anfechtungsklage gegen den belastenden Verwaltungsakt mit dem Antrag auf die Folgenbeseitigung nach § 113 Abs.l S 2 als einfachster Weg zur Verfügung, wenn es um die Beseitigung eines angefochtenen Verwaltungsakts geht. Wird dagegen der Folgenbeseitigungsanspruch selbständig und nicht als Annex einer Anfechtungsklage geltend gemacht, sind hauptsächlich je nach dem begehrten Anspruchsziel folgende Klagen als richtige Klagearten denkbar: Die allgemeine Leistungsklage dient einmal der Durchsetzung von Folgenbeseitigungsansprüchen, die nicht unbedingt den Erlaß eines rechtswidrigen, vorzeitig vollzogenen VA voraussetzen, sondern ebenso entstehen können, wenn der Rechtseingriff, der zu einem über den Eingriff hinausgehenden rechtswidrigen Zustand führt, durch einen Verwaltungs-Realakt herbeigeführt wird 5 0 4 . Die Leistungs-Vornahme-Klage fungiert etwa in den Fällen der sog. Widerrufsklagen gegen ehrkränkende oder berufsschädigende amtliche Äußerungen50^ materiell auch als "Beseitigungs-" oder "Abwehr-Klage". Zum anderen kann mit der LeistungsUnterlassungs-Klage die Beseitigung der Folgen rechtswidrigen Verwaltungshandelns auf der Grundlage des Folgenbeseitigungsanspruchs begehrt werden, wenn zur Folgenbeseitigung der Erlaß eines VA nicht erforderlich ist 5 0 6 . Demgegenüber kommt auch die Verpflichtungsklage dann

500

Zum in Rechtsprechung und Schrifttum unternommenen Versuch, diesen Konstellationen z.T. mit Hilfe des FBA beizukommen, vgl. Nachweise bei Schoch, aaO, S.41 Fn 236. 5 0 1

Schoch, aaO, S.41.

5 0 2

Weyreuther, Gutachten, S.B 106ff.

5 0 3 Schoch, aaO, S.42 mit dem Hinweis auf Luhmann, Öffentlich-rechtliche Entschädigung rechtspolitisch betrachtet, 1965, S.l09. 5 0 4

SG S.212.

5 0 5

BVerwG, DÖV 1970, S.642 [643]; Nachweise zum Meinunesstand bei Weyreuther, Gutachten Z.47.DJT, 1968, Bd.I, S.B.73; Vehse, aaO, S.109ff.; SG S.212. 5 0 6 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 3.Aufl.(1983), S.208; Weyreuther, aaO, S.BlOlf. mit umfangreichen Nachweisen zum Meinungsstand.

II. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

145

in Betracht, wenn die Beseitigungshandlung einen VA darstellt, also durch die Klage auf Erlaß eines VA zur Folgenbeseitigung begehrt w i r d 5 0 7 . Die Abgrenzung zwischen Folgenbeseitigungsansprüchen und Unterlassungsansprüchen bereitet zwar oft erhebliche Schwierigkeiten. Manche Gerichte versuchen aber nach Ansicht von Köckerbauer/Büllesbach dieser Problematik zu entgehen, indem sie nur allgemein von dem "öffentlichrechtlichen Abwehranspruch" sprechen. Während für die Differenzierung überwiegend das jeweilige Begehren des Klägers als maßgeblich angesehen wird, angesichts dessen die dogmatische Herleitung des FBA als Hilfsmaßstab den Vorzug verdient, hält die herrschende Meinung allerdings den Unterlassungsanspruch ebenso gegen die Fortsetzung früherer, also bereits vorhandener, Beeinträchtigung für gegeben 5 0 8 . Daher ist die gedanklich so einleuchtende Abgrenzung zwischen der Unterbindung künftiger Störungen (Unterlassungsanspruch) und Beseitigung bereits eingetretener Störungen (FBA) gerade bei Beeinträchtigungen durch Immissionen oder Lärmbelästigung praktisch kaum durchfuhrbar 50 ", wie es Köckerbauer/Büllesbach zu Recht hervorheben 510 . Dabei muß m.E. in erster Linie darauf Rücksicht genommen werden, daß die Begriffe wie Unterlassen, Tun oder Beseitigen je nach dem für Subsumtion maßgeblichen Tatbestandsmerkmal, auf das man abstellt, relativer Natur sind. Im Rahmen der Frage nach den Rechtsschutzformen ist eine all zu spitzfindige Abgrenzung jedenfalls belanglos, so wie es die Judikatur mit der undifferenzierten Sichtweise tut.

iv. Die Beseitigung der von einem rechtswidrigen VA herbeigeführten Folgen wirft manchmal im Hinblick auf die Handhabung der dazu heranzuziehenden Anspruchsgrundlage subtile Fragen auf, wofür der Beschluß v.20.1.1987 VGH Mannheim 511 ein bemerkenswertes Beispiel gibt: Nach der Kündigung des Mietverhältnisses sollte aufgrund rechtskräftiger Räumungsurteile des Amtsgerichts die Räumung durch den Gerichtsvollzieher durchgeführt werden. Da der Beigeladene obdachlos zu werden drohte, wies ihn der Bürgermeister der Antragsgegnerin durch Verfügung in die bisherige Wohnung - auf drei Monate befristet - ein und ordnete zugleich die sofortige Vollziehung an. Über den Widerspruch der Antragstellerin hiergegen war noch nicht entschieden worden. Nach Ablauf der Frist beantragte sie beim V G den Erlaß einer einstweiligen Anordnung des Inhalts, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Wohnung zu räumen. Das VG lehnte den Antrag ab; die dagegen eingelegte Beschwerde hatte Erfolg. Der V G H Mannheim beschloß, daß der Anspruch des Wohnungsinhabers auf Räumung nach Aufhebung der Beschlagnahmeverfugung oder Fortfall der Rechtswirkungen " zwar nicht

5 0 7

Stern, S.74; SG 213f.; HessVGH v.18.12.68.

5 0 8

Näher dazu Köckerbauer/Büllesbach, JuS, S.379 und Fn 139 m.w.N.

5 0 9

Unproblematisch ist demgegenüber die Abgrenzung zwischen Unterlassungs- und Widerrufsansprüchen: Etwa für einen Anspruch auf Widerruf oder Berichtigung eines geschäftsschädigenden Unfallberichts ist der Beseitigungsanspruch maßgeblich, während bei einem Verlangen, in Zukunft bestimmte Äußerungen zu unterlassen, der Unterlassungsanspruch in Betracht kommt. 5 1 0

Ebenda.

5 1 1

VBIBW 1987, S.423f. (m.Anm. von Götz) = N V w Z 1987, S.1101; Vgl. Knemeyer, JuS 1988, S.696ff. 5 1 2 Dieser Anspruch wird überwiegend auch vom FBA erfaßt. Weyreuther, Gutachten, S.B 51; Götz, aaO, S.425 sowie Nachweise bei derselben Entscheidung, VBIBW 1987, S.424.

10 Hong

146

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

als Folgenbeseitigungsanspruch, wohl aber als Anspruch auf Einschreiten durch die Polizei aufgrund der Generalklausel gegeben sein" könne.

Der VGH Mannheim ging in diesem Fall davon aus, der Anspruch auf Entfernung des Eingewiesenen könne auf die Generalklausel (§ 1 Abs.l, § 3 PolG) gestützt werden, nicht aber auf den Folgenbeseitigungsanspruch, da die Räumungsanordnung als Eingriffsmaßnahme einer gesetzlichen Grundlage bedürfe. Die Ansicht des VGH Mannheim ist aber auf die grundlegende Kritik von Götz und Knemeyer gestoßen: Beide machen zutreffend auf die dem V G H Mannheim unterlaufene, unrichtige Auswechselung des Folgenbeseitigungsanspruchs gegen den Anspruch auf polizeiliches Einschreiten 5 * 3 aufmerksam. Der Anspruch auf polizeiliches Einschreiten ist ein Problem der Untätigkeit der Behörde und zielt auf behördliches Tätigwerden 5 1 4 , während der Folgenbeseitigungsanspruch auf Beseitigung der rechtswidrigen Folgen einer Amtshandlung gerichtet ist. Der Rechtsanspruch auf Zurückgabe der Wohnung in geräumtem Zustand ist, wie es Götz klarstellt, nicht nur ein vom Anspruch auf polizeiliches Einschreiten gegen Dritte verschiedener, sondern auch ein stärkerer Anspruch. Er gehe von vornherein auf die Herstellung eines bestimmten Ergebnisses, und es sei die Polizeibehörde, die für diese Ergebnis einzustehen hat. Hinter dem strikten Rechtsanspruch auf Erhalt des Besitzes der (geräumten) Wohnung trete ein Recht auf Einschreiten gegen den Dritten z u r ü c k 5 1 5 . Diese Einsicht ist m.E. wohl zur Beurteilung der Rechtsstellung des Eigentümers nach Ablauf der Einweisungsfrist bei Notstandsinanspruchnahme freien Wohnraumes zur Unterbringung Obdachloser verallgemeinerungsfahig und angesichts der neulich zum Erstaunen wiederbelebten Aktualität dieser klassischen polizeirechtliche M a ß n a h m e 5 1 0 besonders bedeutsam.

Hier zeigt sich auch deutlich, daß die materiellrechtliche Formulierung der Anspruchsgrundlage nicht unerhebliche Konsequenzen fur ihre gerichtliche Durchsetzung hat, was aber vom VGH Mannheim verkannt wurde: er hätte zuvörderst überprüfen müssen, ob die Antragstellerin womöglich auf die zivilrechtliche Räumungsklage verwiesen werden sollte, wenn er ohne Bezugnahme der Ursachenseite (behördliche Verursachung rechtswidrigen Folgen) - das ist aber hier offenbar nicht der F a l l 5 1 7 - der Linie der früheren Rechtsprechung des OVG Münster 518 und einem Teil des Schrifttums 519 folgend die Folgenbeseitigungslast der Behörde abgelehnt hätte. Ansonsten müßte er aus der Folgenbeseitigungspflicht der Behörde einen Anspruch auf polizeiliches Einschreiten plausibel folgern können, der allerdings von 5 1 3

Knemeyer, JuS 1988, S.698f.; Götz, VB1BW 1987, S.425.

5 1 4

Knemeyer, aaO, S.698.

5 1 5

Götz, ebenda.

5 1 6

Götz, N V w Z 1990, S.732 mit dem Hinweis auf FAZ v.3.3.1990 (Hamburg).

5 1 7

Vgl. Götz, VB1BW 1987, S.425.

5 1 8

Vom 14.9.1956, M D R 1957, S.188 = Z M R 1956, S.426 = JZ 1957, S.34.

5 1 9

Nachweise bei Hegel, Die Unterbringung Obdachloser in privaten Räumen, 1963, S.139 Fn 3.

II. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

147

vornherein nicht darauf zugeschnitten ist, rechtswidrige Folgen des Verwaltungshandelns zu beseitigen520. Im Hinblick auf den gegen die Polizeibehörde bestehenden Anspruch auf Zurückgabe der geräumten Wohnung 521 besteht aber kein Bedürfnis auf polizeilichen Schutz gegen eine Beeinträchtigung des Eigentums durch den ehemaligen Mieter 5 2 2 . Die damit gewonnene Erkenntnis blieb indessen eventuell nicht ohne Konsequenz, als sich der V G H Mannheim wieder einmal mit der Problematik im Hinblick auf das Verhältnis zwischen den Eingewiesenen und der Behörde zu befaßen h a t t e 5 2 3 , indem er nun unter Heranziehung des von Weyreuther formulierten Begriffs * Folgenbeseitigungslast* ausdrücklich zur Kenntnis nahm, daß die Herausgabepflicht als Folgenbeseitigungslast aus der Pflicht der angegriffenen Behörde folge, den mit Außerkrafttreten der Beschlagnahmeverfügung entstandenen rechtswidrigen Zustand zu beseitigen und den rechtmäßigen Zustand wiederherzustellen: " . . . Den rechtswidrigen Zustand hat die Agg. durch ihre Verfugung verursacht; ... Als Verursacherin dieser Vollzugsfolge hat die Agg. im Wege der Folgenbeseitigung den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn sie die Einweisungs- und Beschlagnahmeverfugung nicht erlassen hätte, also die Wohnung der Beigei. zu räumen. Diese Rechtslage entspricht seit langem gesicherter Erkenntnis 5 2 4 ". Hier handelt es sich diesmal anders als beim letztgenannten Fall um die von den Eingewiesenen erhobene Klage, welche, um mjt Weyreuther zu reden, an dem Verhältnis des Folgenbeseitigungsaropruc/tf beteiligt sind . Der erste Senat konzentriert sich von daher der Problemstellung von Weyreuther 5 2 6 nachfolgend nunmehr auf die Frage nach der Rechtsgrundlage für den Eingriff gegen den Eingewiesenen, wobei diesmal zumindest wörtlich nicht mehr vom Anspruch auf polizeiliches Einschreiten gesprochen wird. Es wird dem Dreiecksverhältnis zwischen dem Eigentümer, der Behörde und den Eingewiesenen um die Folgenbeseitigung - der Besonderheiten des FBA - gerecht, daß die Behörde zur Erfüllung ihrer Folgenbeseitigungslast eine Rechtsgrundlage benötigt, soweit die Räumungsanordnung eine Eingriffsmaßnahme gegen die Eingewiesenen darstellt . Die Voraussetzungen erfolgreicher Folgenbeseitigune hängen davon ab, ob der Folgenbeseitigungspflicht rechtliche Hindernisse entgegenstehen52 . Zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes wird die Behörde also nach der Ansicht des V G H Mannheim durch die polizeiliche Generalklausel ermächtigt. Das rechtslose Verweilen in der Wohnung störe die öffentliche Sicherheit, denn es widerspreche der öffentlichrechtlichen Folgenbeseitigungspflicht der Behörde, weshalb polizeiliche Maßnahmen im öffentlichen Interesse geboten sind. Anhaltspunkt dieses Versuchs, zwischen der Folgenbeseitigungslast der Behörde einerseits und der Folgenbeseitigung zugunsten des als Nicht-Störer Betroffenen andererseits eine Brücke zu bauen, geht wiederum auf Weyreuther zurück: "Einen rechtswidrigen Zustand sollte die Behörde zwar schaffen, den rechtmäßigen Zustand aber 5 2 0

Knemayer, aaO, S.699. Vgl. auch BVerwGE 11,95.

5 2 1

Im Anschluß an Bettermann, MDR 1957, S.130, 133.

5 2 2

Götz, aaO, S.425. Näher zu unterschiedlichen Folgen beider Lösungen vgl. Götz, ebenda; Knemayer, aaO, S.698f. m.w.N. 5 2 3

S.2770ff.

V G H Mannheim, Beschl.v.22.2.1990 - 1 S 151/90, DÖV 1990, S.573f. = NJW 1990,

5 2 4 Ebenda, S.573 unter Hinweis auf PrOVG, v.9.11.1933 und 15.2.1934, PrOVGE 92,108 und 113; insbesondere VGH Mannheim, Beschl.v.20.1.1987, VBIBW 1987, S.423 m.Anm. Götz. 5 2 5

Weyreuther, Gutachten, S. B-106f.

5 2 6

Weyreuther, Gutachten, S. B-108ff.

5 2 7

Weyreuther, Gutachten, S. B- 108, 111; Knemayer, JuS 1988, S.698.

5 2 8

So Knemayer, JuS 1988, S.698.

10»

148

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

nicht wieder herstellen dürfen? Das ware fürwahr ein absurdes Ergebnis! Die Pflicht zur Folgenbeseitigung muß deshalb "folgerichtigerweise auch die Berechtigung" enthalten, "die erforderliche Maßnahmen gegen einen durch den Verwaltungsakt zu Unrecht begünstigten Dritten zu treffen." 5 2 Es darf aber dabei nicht außer Acht bleiben, daß das Unterbleiben der Folgenbeseitigungsmaßnahme einen Eingriffsakt gegen den Nicht-Störer-Betroffenen darstellt, zu dem die Behörde keine Ermächtigung hat. Bei der Pflicht zur Beseitigung der durch eine rechtswidrige Maßnahme verursachten, seinerseits auch rechtswidrigen Folgen bleibt andererseits noch zu fragen, ob das Ergebnis nicht je nach der rechtlichen Qualität der vorangegangenen Verwaltungsmaßnahme zu differenzieren ist.

cc) Feststellungsklage (1) Feststellungsklage im allgemeinen i. Die Feststellungsklage nach § 43 Abs.2 VwGO kommt für die Durchsetzung der Ansprüche auf Vornahme der Verwaltungshandlung in der Regel nicht in Betracht, soweit sie ihrer Rechtsnatur nach nicht auf Verurteilung zu einem bestimmten Tun, Dulden oder Unterlassen gerichtet ist 5 3 0 . Wegen des fehlenden Rechtsschutzinteresses ist daher eine Klage auf Feststellung des Bestehens etwa eines Beamtenverhältnisses unzulässig, wenn der Kläger durch einen VA aus dem Beamtenverhältnis entlassen worden ist, gegen den er hätte die Anfechtungsklage erheben können 531 (§ 43 Abs.2 S 1: Subsidiarität der Feststellungsklage5 •*2). Diese Subsidiaritätsklausel soll vor allem verhindern, daß die für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen geltenden Sonderregeln, wie Vorverfahren und vor allem Fristenbindung, unterlaufen w e r d e n 5 3 3 : Der Gesetzgeber wollte dadurch auch verhindern, daß die allgemeine Feststellungsklage als "Auffangklage" und Ersatz für versäumte andere Klagemöglichkeiten mißbraucht werden kann5*3 .

ii. Die Subsidiarität der Feststellungsklage setzt naturgemäß das Fehlen einer zumindest gleichwertigen Klagealternative voraus, also daß der Rechtsschutz durch Gestaltungs- oder Leistungsklage wenigstens in gleichem 5 2 9

Weyreuther, Gutachten, S. B-107.

ΜΛ

Vgl. dazu im allgemeinen die eingehende, sehr durchdachte Studie von Trzaskalik, Die Rechtsschutzzone der Feststellungsklage im Zivi- und Verwaltungsprozeß, 1978, Würzburger Habilitation (1977). 5 3 1

Ule, Verwaltungsprozeßrecht, § 34 II, S.201.

^ Zur mißverständlichen Bezeichnung "Subsidiarität" vgl. Menger, System, S.238f., der darauf hinweist, daß im Verhältnis zu den nachträglichen Verwaltungsstreitsachen von Subsidiarität der Feststellungsklage schon deshalb nicht gesprochen werden könne, weil diese Rechtsschutzformen mangels Gleichartigkeit theoretisch nicht in Konkurrenz treten könnten. Weitere Nachweise vgl. von Mutius, Zur »Subsidiarität« der Feststellungsklage, VerwArch. Bd.63 (1972) F6, S.226. Der Ausdruck ist allerdings seit langem eingebürgert. 5 3 3

BVerwGE 36,179; SG Rn 483, S.190 m.w.N.

5 3 4

SGaaO.

II. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

149

Umfang und mit derselben Effektivität gewährleistet ist 5 3 5 . Was dabei aber zum Tragen kommt, ist vielmehr der vom BVerwG seit jeher praktizierte Gesichtspunkt einer Zweckrationalität 536: So sei es Sinn und Zweck des § 43 Abs.2 VwGO nach Ansicht des BVerwG, unnötige Feststellungsklagen zu vermeiden, wenn fur die Rechtsverfolgung eine andere sachnähere und wirksamere - etwa weil vollstreckbare - Klageart zur Verfugung stehe 537 . Wenn dies aber nicht der Fall ist, greift die Subsidiaritätsklausel nicht durch, und es steht die Feststellungsklage als eigenständige Rechtsschutzform zur Verfugung. Dabei läßt sich also deutlich erkennen, daß eine durch das Gewaltenteilungsprinzip gebrochene Zweckrationalitäts-Denkweise im Spiel ist: Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerwG verhindert die Subsidiaritätsklausel die anstelle der Leistungsklage erhobene Feststellungsklage gegen öffentlich-rechtliche Körperschaften nicht, weil man - ebenso wie bei der isolierten Anfechtungsklage - von diesen angesichts ihrer verfassungsmäßig verankerten festen Bindung an Gesetz und Recht (Art.20 Abs.3 GG) die Respektierung von Gerichtsurteilen auch ohne dahinstehenden Vollstreckungsdruck erwarten d ü r f e 5 3 8 . Diese einschränkende Anwendung des § 43 ^bs.2 S 1 VwGO hat indessen etwa hinsichtlich des methodischen Ansatzes (Analogiefrage) 5 , der dogmatischen Begründung sowie des Ergebnisses erhebliche Kritik hervorgerufen. Ebensowenig zu teilen ist vor allem die Annahme, dem Staat oder anderen Träger öffentlicher Gewalt generell den Willen zur Befolgung von Gerichtsurteilen zu unterstellen 540 , so daß bei derartigen Beklagten in der Regel ein Feststellungsurteil g e n ü g e 5 , wie sie rechtsdogmatisch nicht zuletzt in Anbetracht des sehr eindeutigen Wortlauts des § 43 Abs.2 S 1 VwGO akzeptabel ist 5 . Die Judikatur begegnet außerdem im Hinblick auf die durch die Regelung des § 172 VwGO getroffene Vorkehrung gegen Nichtbefolgung des verwaltungsgerichtlichen Urteils ernsthaften Bedenken: die VwGO teilt offensichtlich den vor allem in der zivilprozessualen Rechtsprechung und Literatur vertretenen Optimismus nicht, wie es v.Mutius zu Recht hervorhebt 5 4 3 . Das BVerwG hat schlechthin seine bisherige Rechtsprechung neuerdings ebenso in dem Urteil zum Anspruch auf Normergänzung 544 wie im vorhin 5 3 5

BVerwGE 32,335; SGRn 480, S.l89.

5 3 6

Oder teleologische Reduktion wie es Schenke nennt. Vgl.Schenke, aaO, S.255.

5 3 7 BVerwG, DVB1 1990, S.155ff., Urt.v.7.9.1989 - 7C 4.89 mit dem Hinweis auf weitere Urteile. Vgl. auch Robbers, Anspruch auf Normergänzung, JuS 1990, S.980. 5 3 8 BVerwGE 36,179 [181] (in Anlehnung an die zivilprozeßrechtliche h.M. zur Zulässigkeit entsprechender Klage gem § 256 ZPO). Dieser Denkansatz kommt schon bei Naumann, GS W.Jellinek, S.395, 396, insb. 402f. mehrfach zum Ausdruck, wobei es selbstverständlich darum ging, sich der zurückhaltenden Judikatur zu dieser Klage vor allem im Hinblick auf das Rechtsschutzbedürfnis entgegenzustellen. Vgl. auch 40,323 [327 f.]. Zur kritischen Besprechung dieser Frage insbesondere v.Mutius, VerwArch. Bd.63, S.226ff.; auch SG S.l89f. jeweils m.w.N. 5 3 9

Vgl. v.Mutius, aaO, S.230f.

5 4 0

SGaaO.

5 4 1

V.Mutius, aaO;SG S.190.

5 4 2 Dazu vgl. v.Mutius, aaO, S.230ff.; Schenke, AöR 95, S.254ff.,[255] (der wendet sich gegen derzeitige, wohl gleichlautende h.M.).

543 vgl. auch die amtliche Begründung des RegEntw einer VwGO (BT-Drucks., ΙΠ. Wahlp. Nr.55, S.49). 5 4 4

BVerwG, DVB1 1990, S.155ff.

150

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

ergangenen Urteil zum Anspruch einer Tarifsvertragspartei auf Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines Tarifvertrags 545 durchgesetzt. Nun darf allerdings die Frage nach dem Anspruch auf Normerlaß überhaupt oder Normergänzung (Erlaß untergesetzlicher Normen) dahingestellt bleiben, dessen Anerkennung sich inzwischen nach Rechtsprechung und Literatur immer stärker hat durchsetzen k ö n n e n 5 4 6 . Augenmerk ist hierbei nur darauf zu richten, daß im ersteren Fall das BVerwG die Feststellungsklage als richtige Klageart zur Durchsetzung des Anspruchs auf Normergänzung zugelassen h a t 5 4 , indem es noch auf einen zentralen Gesichtspunkt hinweist, daß die Form des Feststellungsbegehrens eher dem im Gewaltenteilungsgrundsatz begründeten Gedanken entspreche: Auf die Entscheidungsfreiheit der rechtsetzenden Organe solle gerichtlich nur in dem für den Rechtsschutz des Bürgers unumgänglichen Umfang eingewirkt w e r d e n 5 4 8 , während das Leistungsurteil demgegenüber einen stärkeren Eingriff in die Sphäre der normsetzenden Verwaltung enthält, weil es unmittelbar zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen verpflichtet 549 .

iii. Die Feststellungsklage kommt insofern auch als Rechtsschutzform zur Durchsetzung der Normergänzungspflicht der Verwaltung in Betracht, und dies ist besonders dann von Relevanz, wenn man die Austauschbarkeit zwischen Handlungsformen wie VA und untergesetzlichen Normen, wie es das BVerwG t u t 5 5 0 , unterstellt. Andererseits kann auch die vorbeugende Feststellungsklage in gewissem Umfang als Ersatz- oder Ergänzungsform der gerichtlichen Durchsetzung der Vornahme der Venvaltungshandlung fungieren: Diesem Klagetyp hat das BVerwG bekanntermaßen durch die eben erwähnte Relativierung der Subsidiaritätsklausel breiten Raum erschlossen, und die vorbeugende Feststellungsklage wird heute wohl als Hauptrechtsmittel zum vorbeugenden Rechtsschutz angesehen 5 . Diese Rechtsentwicklung, die vor allem auf das bahnbrechende Plädoyer Naumanns für die 5 4 5

BVerwGE 80,355ff. = DÖV 1989, S.449ff.

5 4 6

Dazu insbesondere vgl. Robbers, Anspruch auf Normerlaß, NJW 1988, S.1684, JuS 1988, S.949f.; dens., JuS 1990, S.978ff.; Hartmann, Zum Anspruch auf Erlaß untergesetzlicher Normen im öffentlichen Recht, DÖV 1991, S.62ff.; Renck, Die Normerlaßklage, JuS 1982, S.338ff. jeweils m.w.N. Vgl. auch Ausführungen des BVerwG im Urteil v.3.11.1988, DÖV 1989, S.449f. sowie Urteil v.7.9.1989, DVB1 1990, S.156. 5 4 7 Vgl. BVerwG, DVB1 1990, S.156. Es ging um die von einer Kreisrätin erhobene Klage auf Erlaß einer dem Art. 14a II Nr.l BayLKO entsprechenden Norm sowie auf Zahlung der danach festgelegten Enschädigung. Bei gleichheitswidric fehlender Entschädigungsregeluns in einer Satzung kann, so führt das BVerwG aus, um Rechtsschutz durch eine Feststellungsldage und eine auf Zahlung gerichtete, unbezifferte Leistungsklage nachgesucht werden. Dazu vgl. Anm. von Robbers, JuS, 1990, S.978ff. Vgl. aber dagegen Hartmann, aaO, S.66f., die entgegen der Ansicht des BVerwG sowie von Robbers versucht, zur Durchsetzung des Anspruchs auf Normergänzung § 47 VwGO über Analogie heranzuziehen. 5 4 8

BVerwG, DVB1 1990, S.156.

5 4 9

Robbers, JuS 1990, S.980. Andere Rechtsfragen dürfen hier wiederum beiseite gelassen werden, wie etwa die Frage danach, ob zwischen Beteiligten ein feststellungsfahiges Rechtsverhältnis i.S.des § 43 Abs.l VwGO besteht, wie es das BVerwG angenommen hat, oder die Frage nach der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes hinsichtlich der Verdienstausfallentschädigung usw. 5 5 0 BVerwG, DÖV 1989, S.449: "..., weil die Handlungsform des Verwaltungsakts innerhalb gewisser Grenzen - gegen diejenige der Rechtsnorm austauschbar ist, also Einzelfallregelungen im Gewand von Rechtsnormen ergehen können (vgl. Bay V G H , BayVBl. 1980, 209 [211] mit Anm.Würtenberger, BayVBl.1980, 682)." 5 5 1

Dreier, JA 1987, S.424.

151

II. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

(vorbeugende) Feststellungsklage als reguläres Instnimentarium zum vorbeugenden Rechtss c h u t z 5 5 2 zurückgeht, wird in zahlreichen Arbeiten nunmehr u.a. von Dickersbach unter Bezugnahme auf das Lebensmittelrecht engagiertermaßen fortgeführt 553 . Eine eingehende Erläuterung zu dem ganzen Fragenkomplex ist allerdings hier weder erforderlich noch angebracht, zumal sie eigentlich mit der Problematik der gerichtlichen Durchsetzung der Vornahmepflichten bloß schmale und verschwimmende Berührungsdimensionen teilt. Die vorbeugende Feststellungsklage tangiert nämlich diese Problematik nur dort, wo etwa über das Vorliegen oder NichtVorliegen eines Rechtsstatus gestritten wird, welches eine ganze Reihe von Duldungs-, Leistungs- oder Unterlassungsansprüchen bündelt und in andere Bereiche ausstrahlt 554 . Feststellung der Wahlberechtigung eines Bürgers z.B. verpflichtet die Verwaltung dazu, ihn in die Wählerverzeichnis aufzunehmen, und ggf. Briefwahlunterlagen an ihn auszugeben. Dem Kläger werde somit, im Unterschied zu anderen noch häufiger vorkommenden Fallkonstellationen oder zur Unterlassungskjage, durch die Feststellung eines umfassenden Rechtsstatus "mittelbarer Rechtsschutz 5 5 fur eine Reihe künftiger Rechtsbeziehungen zwischen ihm und der Verwaltung gewährt 5 5 6 . Vorbeugung durch diese »Klagestellung im Vorwege« (Naumann) erfolgt zwar gegen drohenden Rechtsnachteil, aber in der positiven Form - ein besonderer Aspekt der vorbeugenden Feststellungsklage, der manchmal bloß übersehen w i r d 5 .

Anhand der Auffassung von Dickersbach, welche weitgehend in Anlehnung an die Rechtsprechung des BVerwG 5 5 8 den Befund von Naumann und zugleich mindestens teilweise das Ergebnis der einleuchtenden Untersuchung von Trzaskalik 559 übernimmt, läßt sich die Problematik in folgenden typisierenden Anhaltspunkten konturieren: 1. Der vorbeugende Charakter dieser Klage ändert nichts an ihrer Rechtsnatur als normaler Feststellungsklage im Sinne des § 43 V w G O 5 6 0 . Die JSSI JlL So im Sinne des in den Prozeßgesetzen ausdrücklich vorgesehenen prozeßrechtlichen Instituts. Naumann, aaO, S.395, 405, der offenbar die vorbeugende Feststellungsklage für eine normale Feststellungsklage hält. CO Dickersbach, Die verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage im Lebensmittelrecht, GewArch. 1989, S.41. Weitere Nachweise s. oben I.A.l.b (§ 2), Fn 33. 5 5 4 Dreier, JA 1987, S.425. "Basisrechtsverhältnis" spricht.

Vgl.

auch Trzaskalik,

aaO, S.86

Fn 42,

der von

5 5 5 Weckerle, Vorbeugender Rechtsschutz im Verwaltungsprozeß, Diss.München 1967, S.85f.: Die gerichtliche Feststellung eines solchen Rechtsverhältnisses zeitige eine Rechtsschutzwincung, wie sie auf dem normalen Klageweg nicht zu erreichen sei. Denn die Feststellung hat zur Folge, daß der Feststellungsadressat die Erfüllung aller Ansprüche, die auf diesem Rechtsverhältnis gegenwärtig oder künftig basieren, nicht mit der Begründung verweigern wird, eben diese Anspruchsgrundlage bestehe nicht. Vgl. aucfo Naumann, aaO, S.394f.; Ruckdächsel, Vorbeugender Rechtsschutz im Verwaltungsprozeß, DOV 1961, S.680f. 5 5 6

Dreier, aaO, S.425.

5 5 7

Wie etwa bei Naumann, aaO, S.394f.

5 5 8

Vgl. Dickersbach, aaO, insbesondere S.51.

5 5 9

Trzaskalik, aaO.

5 6 0

Vgl. demgegenüber nur Dreier, JA 1987, S.419f.; dens., N V w Z 1988, S.1074: "Expressis verbis kennt die VwGO vorbeugende Klagen nicht". Die grundsätzlichen Bedenken gegen vorbeugenden Rechtsschutz, daß dessen (uneingeschränkte) Zulassung angesichts der repressiven oder (restituierenden: Naumann) Natur des Verwaltungsrechtsschutzes die Machtverschiebung zwischen Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit herbeiführen würde, welche angeblich einen Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzips darstelle, bleiben heute

152

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

vorbeugende Feststellungsklage sei nicht so zu verstehen, so fuhrt Naumann aus, als erstrebe sie die Feststellung eines zukünftigen Rechtsverhältnisses. Sie stelle vielmehr die reguläre Klage auf Feststellung gegenwärtiger Rechtsverhältnisse aus Anlaß drohender Verwaltungsmaßnahmen dar 5 6 1 . Die gelegentlich auftauchende Unterscheidung zwischen vorbeugender und normaler Feststellungsklage erweckt den falschen Eindruck, als habe die vorbeugende Feststellungsklage nur als geduldete Ausnahmeerscheinung ihre Rechtsgrundlage in § 43 VwGO. 2. Es kommt dabei weniger auf das Vorliegen eines feststellungsfahigen Rechtsverhältnisses als auf das Rechtsschutzbedürfhis an, das aber entgegen der gängigen Vorstellung gegenüber der normalen Feststellungsklage keine gesteigerte oder qualifizierte 5®2 Anforderungen an das Feststellungsinteresse stellt. Das maßgebliche Kriterium ist die Zumutbarkeit, der sich sinngemäßer Ausdruck dadurch verleihen läßt: Unter Berücksichtigung des Anspruchs auf lückenlosen und effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs.4 GG ist ein Warten unzumutbar, wenn nicht behebbare Nachteile drohen 563 . 3. Schließlich ist zu bemerken, daß es eine Reihe von Rechtsbereichen gibt, wo die Subsidiaritätsproblematik nicht zuletzt wegen des je nach der Sachlage besonders gestalteten Rechtsschutzbedarfs einfach nicht durchgreifen kann, was typischerweise etwa im Lebensmittelrecht, im Gewerberecht 564 oder im Baurecht 565 der Fall ist. In solchen Bereichen ist es häufig der Fall, daß effektiver Rechtsschutz unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Interessen und unzumutbarer Risiken nur zu dem frühen Zeitpunkt möglich ist 5 6 6 . So fuhrt Dickersbach bezüglich des Verhältnisses zwischen der (effektiveren) vorbeugenden Unterlassungsklage und der vorbeugenden Feststellungsklage aus: Es erscheint verfehlt, dem Klagensystem den Zwang für den Kläger zu entnehmen, bei Anrufung des Gerichts grundsätzlich den von der Prozeßordnung angebotenen weitestgehenden Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen und die einen Vollstreckungstitel liefernde Klage auch dann zu erheben, wenn die richterliche Feststellung der Rechtslage zur Bereinigung der Meinungs-

wenn auch abgeschwächt, so doch hörbar. So etwa Schenke, Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit - Gedanken zu einem der Grundthemen des Wirtschaftsverwaltungsrechts, wiVerw 1988, S.l45ff.; SG S.l75ff. Ohnehin hat die Kontroverse angesichts der gefestigten Judikatur und herrschenden Meinung nur geringe praktische Bedeutung, weshalb auf eine nähere Erläuterung der Problematik hier verzichtet werden sollte. Dazu vgl. Dreier, aaO, S.419f. 5 6 1

Naumann, S.395.

5 6 2

Wie etwa Schmidt-Aßmann, Maunz-Dürig, GG-Kommentar (1985) Rn 279. Dazu vgl. Dreier, N V w Z 1988, S.1075f. 5 6 3

BVerwGE 23,26 [24f.]; weitere Nachweise bei Schmidt-Aßmann, aaO, Fn 163.

5 6 4

Dreier, N V w Z 1988, S.1073ff.

5 6 5

Dazu vgl. Duken, Feststellungsklage nach § 43 VwGO im Baurecht, N V w Z 1990,

S.443f. 5 6 6

Dickersbach, aaO, S.46.

II. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

153

Verschiedenheiten zwischen den Beteiligten ausreichend erscheint 5 6 7 . Dadurch findet die ergebnisorientierte Zweckrationalitäts-Denkweise des BVerwG wiederum praktische Bekräftigung.

Es kommt so ersichtlich wiederum der oben erwähnte ergebnisorientierte Zweckrationalitäts-Gedanke des BVerwG, aber nicht unbedingt abhängig von der Annahme, von der öffentlichen Hand sei Befolgung von Gerichtsurteilen zu erwarten, zum Tragen, mit der Folge, daß diese Klageart die Ersatz- oder ggf. Ergänzungsfunktion der Leistungsklagen erfüllen soll. Eine Verpflichtungsklage auf Erlaß eines feststellenden VA scheidet nach der Rechtsprechung des BVerwG sowie überwiegender Meinung 568 aus, soweit fur diesen eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung fehlt 5 6 9 , was eine Aufwertung des vorbeugenden Rechtsschutzes mit der Feststellungsklage bewirkt 5 7 0 . In besonders zu typisierenden Fallkonstellationen nimmt Schenke auch die Notwendigkeit des vorbeugenden Rechtsschutzes aufgrund deren Sachdringlichkeit ohne Einschrängkung an 5 , indem er demzufolge eine vorbeugende Unterlassungsklage beispielsweise in der Gestalt der beamtenrechtlichen Konkurrentenklage als zulässig ansieht. Solche Fälle seien des weiteren nach ihm die Klage auf Unterlassung eines rechtswidrigen mit Strafe oder Geldbuße bewehrten V A oder die Klage zur Unterlassung eines schon angekündigten, aber über längeren Zeitraum hinaus verzögerten VA. Eine daneben erwägbare vorbeugende Feststellungsklage gem § 43 VwGO sei im Hinblick auf die Subsidiarität der Feststellungsklage ausgeschlossen. Diese unterschiedlichen Konsequenzen beruhen nun, soweit ersichtlich, auf der Subsidiarität der allgemeinen Feststellungsklage (nicht aber der vorbeugenden Feststellungsklage), wie es sich dogmatisch gerade aus § 43 Abs.2 S 2 VwGO ergibt. Wenn sich seiner Ansicht nach die Notwendigkeit des vorbeugenden Rechtsschutzes, sei es durch vorbeugende Feststellungsklage oder Unterlassun^pklage, angesichts der 'grundsätzlich repressiven Gestaltung des Rechtsschutzes gegen V A ^ durch Rückgriff auf das in Art. 19 Abs.4 verankerte Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes ergibt, ist es aber m.E. nicht ersichtlich, warum dasselbe Verfassungsprinzip nicht für den Sachverhalt greift, in dem die Verweisung lediglich auf die spätere Möglichkeit eines repressiven Rechtsschutzes ebenfalls eine ausreichende Wirksamkeit des Rechtsschutzes nicht zu gewährleisten vermag. Es darf keinesfalls aus dem Auge verloren werden, daß der einfachgesetzlichen Subsidiaritätsklausel gegenüber der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie kein Geltungsvorrang eingeräumt werden kann. Zutreffend klingt zwar sein Vorwurf gegen die teleologische Reduktion in der Rechtsprechung des BVerwG, reicht aber über eine Kritik an deren Argumentationsdefizit nicht hinaus. Wenn auch die 'vermutete Gutwilligkeit der öffentlichen Hand' 5 '"* allein schon mit dem Sinn und Zweck des § 43 Abs.2 S 1 VwGO nicht 5 6 7

Dickersbach, aaO, S.51.

CiL Ο

Vgl. Dickersbach, aaO, S.51 Fn 71. Engagiertester Verfechter des feststellenden V A ist bekanntermaßen Kopp. Ders., Feststellende Verwaltungsakte und Vollziehungsverfugungen im Gewerberecht, GewArch. 1986, S.41 ff. 5 6 9 In Verschärfung seiner bisherigen, nicht immer konsistenten Judikatur, nun eindeutig BVerwGE 72,265 = NJW 1986, S.1120=DVB1 1986, S.560. 5 7 0

Dreier, JA 1987, S.428.

5 7 1

Schenke, WiVerw 1988, S.145ff., [159].

5 7 2

Schenke, aaO, S. 158.

5 7 3

Schenke, aaO, S.161.

154

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

in Einklang s t e h t 5 7 4 , bleibt es aber unbeschadet deren mangelnden Überzeugungskraft noch zu klären, ob nicht die vorbeugende Feststellungsklage jedenfalls einen von Art. 19 Abs.4 GG gebo^?n, als vorbeugende Unterlassungsklage angemesseneren Rechtsschutz ermöglichen

(2) Fortsetzungsfeststellungsklage i. Hat sich nach der Erhebung, aber noch vor der Entscheidung einer Anfechtungsklage der damit angegriffene VA erledigt, kann der Kläger entweder die Hauptsache fur erledigt erklären und die Kostenentscheidung nach § 161 Abs.2 VwGO bewirken 5 * oder unter den Voraussetzungen gem § 113 Abs.l S 4 VwGO die Feststellung der Rechtswidrigkeit des VA beantragen. Der auf diese Feststellung zielende Antrag wird mit der sog. Fortsetzungsfeststellungsklage geltend gemacht und setzt das Vorliegen eines »berechtigten Interesses«577 voraus, dessen Begriff sich im Grunde mit dem bei der allgemeinen Feststellungsklage deckt 578 . Für die Schutzwürdigkeit des Interesses an einer Feststellung gem § 113 Abs.l S 4 sei nach der Auffassung des BVerwG gemäß Sinn und Zweck, daß "eine Partei nicht ohne Not um die Früchte des bisherigen Prozesses gebracht werden darf, insbesondere dann nicht, wenn das Verfahren unter entsprechendem Aufwand einen bestimmten Stand erreicht hat und sich mit der Erledigung des ursprünglichen Antrags die Frage stellt, ob dieser Aufwand nutzlos gewesen sein soll und der Kläger der (häufig nicht auf sein Verhalten zurückgehenden) Erledigung wegen in diesem Verfahren leer ausgehen muß." 5 7 9 Der von der höchstrichterlichen Recht5 7 4 Vgl. nur Schenke, AöR 95 (1970), S.255: " ...da bei der verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage in aller Regel ein Hoheitsträger Beklagter ist." 5 7 5

Vgl. Naumann, aaO, S.405.

5 7 6

Zur Erledigungsproblematik (vor allem die prozessuale Einordnung und Behandlung der vom Kläger erklärten Erledigung) ausfuhrlich vgl. insbesondere Burgi, Die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache als Problem der verwaltungsprozessualen Dogmatik, DVB1 1991, S.194ff.; Vgl. aber BVerwG v.31.10.1990 -4C 7/88 (Mannheim), N V w Z 1991, S.162ff. 5 7 7 Vgl. auch SG S.198, 191, 202, nach denen bei der Prüfung eines berechtigten Interesses zwar dem Grundsatz nach die gleichen Kriterien wie bei der allgemeinen Feststellungsklage heranzuziehen seien, aber ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hier allerdings im Unterschied zu dieser vom Gesetz nicht vorausgesetzt werde, während für die erweiterte nachträgliche Feststellungsklage aber angesichts der unterschiedlichen Situationstvpik noch zu differenzieren sei: nämlich etwa prozeßökonomische Gründe, die bei der (normalen) Fortsetzungsfeststellungsklage gem § 113 Abs.l S 4 durchaus das berechtigte Interesse begründen können, greifen bei den über Analogie des § 113 Abs.l S 4 zulässigen, erweiteren Feststellungsklagen also im Falle der Erledigung vor Klageerhebung nicht durch. BayVGH v.25.3.1983, BayVBl.1983, S.473. Vgl. auch BVerwGE v.20.1.1989=DVB1 -1989, S.8/5f., wonach die Absicht, eine Amtshaftungsklage zu erheben, kein schutzwürdiges Interesse an einer Feststellung der Rechtswidrigkeit eines vor Klageerhebung erledigten V A begründe; Vgl. aber Lewer, D.A., Das Merkmal des berechtigten Interesses bei der Fortsetzungsfeststellungsklage, Diss.Marburg, 1985, S.92ff., S.97f., der entgegen der h.M. das berechtigte Interesse für die Fortsetzungsfeststellungsklage in bezug auf die Regelung des § 67 VwPO (BT Drucks. 9/1851) bloß als Erscheinungsform der Mißbrauchsklausel oder überflüssige Benennung des allgemeinen Rechtsschutzbedurfnisse verstanden wissen will. 5 7 8 5 7 9

Frank/Langrehr, S.102.

BVerwG v. 20.1.1989 - 8C 30.87, DVB1 1989, S.873f.[874] unter Hinweis auf BVerwG v.18.4.1986 - 8C 84.84 m.w.N.

II. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

155

sprechung entwickelte Topoikatalog zur Ermittlung des Feststellungsinteresses umfaßt zumindest folgende Fallgruppen 580: -

wenn die begründete Befürchtung der Wiederholung besteht(Wiederholungsgefahr) 581 : wenn der Rechtsstreit zwar in der Hauptsache erledigt ist, der VA bzw. die Tatsache, daß der VA erlassen worden war, sich aber fur den Kläger auch noch in der Gegenwart diskriminierend auswirkt (Rehabilitation)582»583'584

So wird dieses mittlerweile im System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes fest etablierte Institut wenn auch uneinheitlich als Ausfluß des Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs.4 GG verstanden 585. Über den Begriff der Erledigung, welcher fur die sinnvolle Abgrenzung der Rechtsschutzzone5der Ausgangsklage und Fortsetzungsfeststellungsklage von entscheidender Bedeutung i s t 5 8 7 , besteht zwar Unklarheit. Man könnte aber darunter im wesentlichen eine Situation verstehen, die eine Entscheidung über den Klageanspruch erübrigt und ausschließt 588 . Das ist also regelmäßig der Fall, in dem durch ein Ereignis dem Rechtsstreit in der Hauptsache die Grundlage entzogen worden ist und fortan nur noch

5 8 0

Dazu ausfuhrlich Schnellenbach, aaO, S.142ff.

5 8 1

BVerwGE 42,320.

5 8 2

BVerwGE 26,168.

583 vgl. diesbezüglich Kritik und aufschlußreiche Schlußfolgerung von Trzaskalik, aaO, S.202.: Neben dem Interesse in den Formen, daß das Urteil über die zur Entscheidnung gestellte Rechtsfrage für eine mögliche Anspruchslase zwischen den Parteien erheblich ist oder den Parteien Richtschnur für ihr zukünftiges Verhalten sein kann und soll, ist noch das Feststellunçsinteresse in der Ausprägung anzuerkennen, daß der Beklagte einseitig Rechtsmacht gegen ihn ausgeübt und dadurch in seine Rechtssphäre eingegriffen habe. 5 8 4 Die Absicht, eine Amtshaftungsklaee zu erheben, begründet nach der neuen Rechtsprechung des BVerwG kein schützwürdiges Interesse an einer verwaltungsgerichtlichen Klage mit dem Ziel, die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts festzustellen, wenij sich der Verwaltungsakt bereits vor Klageerhebung erledigt hat (BVerwGE 81,226 = DÒV 1989, S.641f.). Früher hat das BVerwG doch ein berechtigtes Interesse für den Fall, daß die Entscheidung das Zivilgericht in einem nachfolgenden Prozeß binden würde (BVerwGE 9, 196) oder doch für das Zivilurteil "nicht unerheblich wäre (BVerwGE 4, 177f.), angenommen. Dazu vgl. SG S.199, Rn 506.

eoe

J O

Schenke, Die Fortsetzungsfeststellungsklage, in: FS Menger, S.474 m.w.N. Vgl. aber einschränkend Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, 1973, S.272f., insb. Fn 15. 5 8 6

Vgl. den Titel von Trzaskalik, aaO.

5 8 7

Schenke, FS Menger, S.462.

5 8 8

B u m , aaO, S.194; Vgl. auch Schenke, aaO, der unter funktionellen Gesichtspunkten den in § 113 Abs.l S 4 VwGO verwendeten Begriff der sonstigen Erledigung nur so bestimmt, daß darunter jene Fälle zu subsumieren sind, bei denen eine Aufhebung des V A sinnlos geworden ist.

156

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

entweder darüber, über die Kosten (§ 161 Abs.2 VwGO) oder über einen Antrag auf Feststellung der Erfolgsaussichten des ursprünglichen Begehrens gestritten wird 5 .

ii. Die Regelung des § 113 Abs.l S 4 ist auf die Verpflichtungsklage 590 (einschließlich der Bescheidungsklage591) oder auf Erledigungen vor Rechtshängigkeit 592 , nicht aber in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gem §§ 80 Abs.5, 123 V w G O 5 9 3 analog anzuwenden, während ihre Übertragbarkeit auf die allgemeine Leistungsklage umstritten ist 5 9 4 . So ist etwa nach BVerwGE 61,128 [134f.] ein Feststellungsantrag analog § 113 Abs.l S 4 auch hilfsweise neben einer Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Baugenehmigung zulässig, wenn sich während der Anhängigkeit der Verpflichtungsklage die Rechtslage zum Nachteil des Klägers ändert, während die Erstreckung dessen analoger Anwendung auf die allgemeine Leistungsklage unter eher negativen Vorzeichen der Oberverwaltungsgerichte 595 in BVerwGE 52,313 [316] offen bleibt 596 . Indem sich Befürworter 5 9 7 und G e g n e r 5 9 8 im Schrifttum die Waage halten, erscheint der Lösungsvorschlag von Burgi aufschlußreich, nach dem die Feststellung von Zulässigkeit und Begründetheit der Ausgangsklage sich zwar verfahrenmäßig nach § 43 VwGO richtet, das Feststellungsinteresse jedoch auch hier dem § 113 Abs.l S 4 zu entnehmen s e i 5 9 9 . Soweit die cog

Burgi, aaO, S.194: Durch derartige Definition sei die häufig anzutreffende Differenzierung nach Anfechtungsklagen und Leistungsklagen müßig (Fn 7 m.w.N.). 5 9 0 Vgl. auch BVerwGE 28,233; 51,264 [265]; 52,313 [316]. Weitere Nachweise bei Schnellenbach, Das Feststellungsinteresse bei der Fortsetzungsfeststellungsklage eines Beamten, DVB1 1990, S.140; Schenke, aaO; Kopp § 113 Rn 107. 5 9 1 Vgl. BVerwG, N V w Z 1987, S.229 und BayVBl.1986, S.313 [314]; Ist der Behörde eine Ermessens- oder Beurteilungsermächtigung eingeräumt, so kann im Rahmen der Fortsetzungsfeststellungsklage idR nicht die gerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden, daß die Ablehnung oder Unterlassung des begehrten V A rechtswidrig war oder daß die Behörde zur begehrten Amtshandlung verpflichtet gewesen wäre; vgl. zugleich Kopp, § 113 Rn 107, S.1375, wonach das Gericht, soweit die Sache nicht spruchreif ist, analog Abs.l S 4 nur feststellen könne, daß die Behörde zur Bescheidung verpflichtet gewesen wäre (BVerwGE 77,38 = NJW 1986, S.796 = DVB1 1986, S.55; a.A. Obermayer, S.206). 5 9 2 Vgl. insbesondere Renck, Verwaltungsakt und Feststellungsklage, JuS 1970, S.113ff., der sich engagiert gegen BVerwGE 26,161 (sog. Schwabinger Krawalle-Fall) wendet. Vgl. BVerwGE 12,87 [90]; 26,161; 56,24. Für die analoge Erweiterung des § 113 Abs.l S 4 VwGO ist die Bezeichnung " Fortsetzungsfeststellungsklage" eigentlich unzutreffend, da kein "Fortsetzen" vorliegt. Vgl. Burgi, S.194, 196.

593 vgl. Finkelnburg/Jank, Rechtsprechung.

Rn

319,

773

mit

umfangreichen

Nachweisen

zur

5 9 4 Bejahend RÖ § 113 Rn 18; EF § 113 Rn 51a; Steiner, aaO, S.856; Verneinend Kopp § 113 Rn 48; Schenke, aaO, S.474, die dafür grundsätzlich die Feststellungsklage gem § 43 VwGO für zulässig halten; Offen gelassen in BVerwGE 52,313 [316], 5 9 5

Nachweise bei SG Rn 511, S.201 ; bei Schnellenbach, aaO, S. 140 Fn 5.

5 9 6

Ablehnend aber BVerwGE 31,301.

5 9 7

RÖ § 113 Rn 18; EF § 113 Rn 51a.

5 9 8

Schenke, FS Menger, S.474; Kopp § 113 Rn 48. Beide befürworten grds. die allgemeine Feststellungsklage gem § 43 VwGÒ. 5 9 9

Burgi, aaO, S.196.

II. Klagen in ihrer prozessualen Systematik

157

Analogie fur die Verpflichtungsklage fur möglich zu halten ist, besteht m.E. kein Anlaß, wenn auch bei der allgemeinen Leistungsklage keine dem § 113 Abs.l S 4 zugrundeliegende Unterklageart besteht^ , die verfassungskonforme Berücksichtigung des klägerischen Interesses an einer inhaltlichen Entscheidung zu verwehren, die sich durch die Privilegierung 60 1 der Umstellung der Klage, sprich durch die Freistellung der für die Klageänderung geltenden Einschränkungen gem §§ 91, 142 VwGO und Befreiung von der Rücknahme der Klage verbundenen Kostenlast verwirklichen l ä ß t 6 0 . Das Ergebnis entspricht fernerhin unserem bisherigen Befund über die allgemeine Leistungsklage, fur die Verpflichtungsklage vorgesehene Rechtsschutzmöglichkeiten auch bei der allgemeinen Leistungsklage zur Geltung zu bringen, sofern die Unterschiede nicht aus der Strukturverschiedenheit der jeweiligen Klagetypen heraus vorgegeben s i n d 6 0 3 .

iii. Die Rechtsnatur der Fortsetzungsfeststellungsklage wird unterschiedlich beurteilt, mit der Folge, daß Kontroversen bezüglich der Zulässigkeitsvoraussetzungen insbesondere des Antragserfordernisses, Vorverfahrens sowie Rechtsschutzbedûrfhisses andauern 604. Im Ergebnis kann aber wohl gesagt werden, daß diese Klageart zwar nur materiell d.h. im Urteilsausspruch und in den Wirkungen, nicht aber prozessual hinsichtlich der besonderen Sachurteilsvoraussetzungen eine Feststellungsklage ist 6 0 5 . Die Frage, ob sie im Kern eine Feststellungsklage oder je nach der Ausgangsklage eine Gestaltungs- oder ggf. Leistungsklage sei, ist zwar nicht unumstritten 606 . Die Fragestellung an sich erscheint aber zumindest in dieser allgemeinen Fassung unergiebig, da sie sowohl Merkmale einer allgemeinen Feststellungsklage als auch solche der Ausgangsklage aufweist, soweit die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines V A oder einer Unterlassung oder Ablehnung eines beantragten V A auch in der Ausgangsklage steckt . Heuristischen Wert hat diese Fragestellung dennoch nicht zuletzt im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Ausgangsklage und ihrer Fortsetzung durch Feststellung, ganz abgesehen von der bislang viel diskutierten Frage, ob ein "berechtigtes Interesse" des Klägers an der Fortsetzungsfeststellungsklage anzuerkennen ist, wenn die begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit des V A als Grundlage für die Haftbarmachung der ihn erlassenen Behörde dienen soll (sog. vorbereitende Fortsetzungsfeststellungsklage) 6 . Gilt die Fortsetzungsfeststellungsklage etwa als "amputierte" (Geiger) oder "kupierte" (Pietzner) Verpflichtungsklage 6 , so weist sie insofern ebenso funktionelle Relevanz als eine Fortsetzung der Klage zur Durchsetzung der 6 0 0

Burgi, ebenda.

6 0

* Kopp spricht bei § 161 Rn 20 S.1728 von einer privilegierten Klageänderung, aber widersprüchlich bei § 113 Rn 56 von "keiner Klageänderung . 6 0 2

So BVerwG v.31.10.1990, NVwZ S. 163.

6 0 3

Steiner, aaO, S.856; Rauterberg-Voigt, aaO.

6 0 4

Schenke, FS Menger, S.461.

6 0 5

Frank/Langrehr, S.101; SG S.201 m.w.N.

6 0 6

Nachweise bei Lewer, aaO, S.91 Fn 1; Schenke, Klage gegen erledigten Verwaltungsakt ohne Widerspruchsverfahren, BayVBl. 1969, S.304f.; ders., Rechtsschutz gegen erledigtes Verwaltungshandeln, Jura 1980, S.133ff. jeweils m.w.N. 6 0 7

So Lewer, aaO, S.91 f.

608 vgl. Lewer, aaO, S.lOlf.; Bock, Das Rechtsschutzbedürfnis im Verwaltungsprozeß, Diss.Göttingen, 1971, S.205. Zu den Ausdrücken vgl. Nachweise bei Burgi, aaO, S.195.

158

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

Vornahmepflicht der Verwaltung auf, welche in engem Zusammenhang mit den anderen Klagearten steht.

Bei der Verpflichtungsklage kann ein Feststellungsantrag gestellt werden, wenn sich die Klage auf Erteilung eines VA vor Abschluß des Verfahrens etwa durch die Erteilung des VA erledigt hat. Mit seinem Antrag kann der Kläger nur Erfolg haben, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat, daß die Behörde verpflichtet gewesen wäre, den beantragten VA zu erlassen 610. Entsprechendes gilt auch fur die allgemeine Leistungsklage, wenn die Fortsetzungsfeststellung für möglich gehalten wird. Hat sich der ablehnende Bescheid vor Klageerhebung erledigt, so entfällt das Vorverfahren ebenso wie bei der Anfechtungsklage 611.

I I I . Klagen zur Durchsetzung von Vornahmepflichten in materiell-rechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts 1. Verwaltungsprozeßrecht und materielles Verwaltungrecht a) Zur Problematik Wurde bislang die Aufmerksamkeit vornehmlich auf die prozeßrechtliche Seite der Problematik gelenkt, so rückt nun die Fragestellung in ihr materiellrechtliches Bezugsfeld, wo das Verwaltungsprozeßrecht ständig in verschiedenen Tätigkeitsbereichen der Verwaltung materiellrechtliche Rechtsschutzaufgaben wahrzunehmen hat. Das Verwaltungsprozeßrecht nimmt dort nicht bloß formal Rechtsschutzfunktionen auf sich, sondern erfüllt auch materiellrechtliche Ausfullungs- und Konkretisierungsfunktion, um sich den Erfordernissen einer sich wandelnder Gesellschaft anzupassen. Die materiellrechtliche Bezogenheit des Veiwaltungsprozesses ist eine Selbstverständlichkeit: Ohne materiellrechtliche Substanz ist der Prozeß nicht denkbar 612 . Die materiellrechtliche Bezogenheit des Verwaltungsprozesses zeigt sich zunächst bei der Verpflichtungsklage darin, daß der Erfolg der Klage davon abhängt, ob gem § 113 Abs.5 VwGO durch die Unterlassung oder Ablehnung eines beantragten VA Rechte des Klägers verletzt werden, und zwar, ob der vom Kläger geltend gemachte Anspruch besteht. Nichts 6 1 0 Zur analog Anwendungen auf die Bescheidungsklage vgl. Schnellenbach, aaO, S.142; BVerwG, BayVB1.1982,662. 6 1 1 BVerwGE 26,161 begründet es damit, daß das Vorverfahren seine Aufgaben Erledigung nicht mehr erfüllen könne. Vgl. SG Rn 513, S.201: das werde zwar aus Rechtsnatur der nachträglichen Feststellungsklage sowie aus Zweck und Bedeutung Vorverfahrens geschlossen, auf ein Vorverfahren kann nur verzichtet werden, wenn sich der schon vor der Widerspruchsfrist erledigt hat. Kritisch aber Schenke, FS Menger, S.467. 61 "2 Trzaskalik, aaO, S.15 (aber in Bezug auf die Feststellungsklage).

nach der des VA

. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts

159

anderes gilt fur die allgemeine Leistungsklage insofern, als hierfür ebenso das Bestehen des geltend gemachten Anspruchs von ausschlaggebender Bedeutung ist. Die Frage nach der Anspruchsgrundlage in den verwaltungsgerichtlichen Leistungsklagen ist also die Frage eines materiellrechtlichen Anspruchs als subjektives öffentliches Recht, dessen Schutz jene Klagen zu dienen bestimmt sind. Der materiellrechtliche Aspekt spielt sonach bei der Verpflichtungsklage in doppelter Hinsicht eine wichtige Rolle: Erstens, das Über- und Unterordnungsverhältnis 613, in dem Kläger und Beklagter außerprozessual zueinander stehen, bildet den Hintergrund des Vornahmefalles, der der Verpflichtungsklage zugrunde liegt. Zweitens, angesichts des vom Kläger erstrebten Zieles hat die Frage nach der Rechtsnatur der begehrten VA ebenso eine besondere Bedeutung dafür, ob dessen Erlaß im Ermessen oder Beurteilungsspielraum der Verwaltung steht oder nicht. Demnach wird entschieden, ob die Sache spruchreif ist 6 1 4 , was wiederum gem. § 113 Abs.5 i.V.m § 114 VwGO für den Inhalt des stattgebenden Urteils der Verpflichtungsklage von entscheidender Bedeutung ist. Diese sog. Bescheidungsklage vermittelt augenfällig die materiellrechtlichen Bezugspunkte, unter denen sich die Ermessensfrage in die konkretisierte Gewaltenteilungsproblematik verdichtet. Somit kommt das oben Gesagte fernerhin bei der Nachprüfung des Ermessens gem § 114 VwGO besonders deutlich zur Geltung: Diese Vorschrift begründet nicht das exekutive Ermessen, sondern setzt die Ermessenseinräumung im jeweiligen materiellen Recht voraus 615 . Die Frage der exekutivischen Beurteilungsermächtigung richtet sich nicht nach dem Prozeßrecht, sondern nach dem jeweiligen materiellen Recht 616 . Im übrigen bezieht sich materielles Recht nun, sei es durch Unterscheidung des öffentlichen Rechts vom privaten, sei es bei der Feststellung der Klagebefugnis oder Sachlegitimation617, auf verschiedene prozeßrechtliche

6 1 3 Die allgemeine Leistungsklage im Über- und Unterordnungsverhältnis wird allerdings fur zulässig gehalten. 6 1 4 Spruchreife fehlt und kann in der Regel vom Gericht auch nicht weiter hergestellt werden, wenn die Entscheidung von weiteren Fragen abhängt, bezüglich derer der Verwaltung ein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum zusteht (h.M.). Ausnahme dafür ist jedoch die sog. Ermessensreduktion auf Null. Dazu statt vieler, Kopp, § 113 Rn 84, S.1358 mit den dort angeführten zahlreichen Literaturhinweisen. 6 1 5

Papier, Zur verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte, DÖV 1986, S.625.

6 1 6

BVerwGE 59,213 [215f.].

6 1 7 Dazu vgl. etwa Bachof, Verfassungsrecht, Venvaltungsrecht, Verfahrensrecht Bd.I, Β 62 (S.63) in bezug auf die Frage nach dem Schutzzweck der Norm und nach den darauf beruhenden "Rechten", welche an sich ins materielle Recht gehöre, aber wegen ihres engen Zusammenhanges mit dem Verfahrensrecht auf der prozeßrechtlichen Ebene zu behandeln sei.

160

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

Ebenen, wie prozeßrechtliche Begriffe umgekehrt etwa bei der Klagebefugnis an sich als Arena der materiellrechtlichen Auseinandersetzung um das subjektive Recht bedeutsame materiellrechtliche Konsequenz herbeifuhren können. Hinzu kommt schließlich die Abhängigkeit der prozessualen Begriffe vom materiellen Recht: nur damit sind jene überhaupt rechtlich zu identifizieren oder qualifizieren. In dieser Hinsicht wäre es daher bei der rechtsvergleichenden Arbeit nicht nur ratsam, sondern auch unentbehrlich, den Untersuchungsgegenstand als solchen in diesem Zusammenhang aufzugreifen und auch in seiner materiellrechtlichen Bezogenheit in konkreten Anwendungsbereichen zu beleuchten. Gerade dies läßt die ansehnliche Darstellung von Hänni 6 1 8 vermissen. Was sich aber nun markant abzeichnet, diachronisch gesehen, ist die Wechselwirkung zwischen materiellrechtlichem Verrechtlichungsprozeß und dem Ausbau des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, wobei über allem die Lehre subjektiver öffentlicher Rechte und die Ermessenslehre eine hervorragende Rolle spielen. Ohne materiellrechtliche Fundierung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes wäre eine so intensive und umfassende Entfaltung der verwaltungsprozeßrechtlichen Instrumentarien in der Nachkriegszeit kaum denkbar gewesen: Den Meilenstein in dieser Entwicklung legte das BVerwG schon vor Inkrafttreten der VwGO mit seiner grundlegenden Entscheidung, in der der Anspruch auf Fürsorgeleistung aus den Grundgesetz hergeleitet wurde. Der Siegeszug der Verwirklichung der Grundrechte setzte sich weiterhin durch, indem sie über die Rechtsfigur des subjektiven öffentlichen Rechts weitreichende Bereiche des Verwaltungsrechts durchdrangen 619, sei es durch die sog. Durchgriffslehre, also die Auffassung, eine subjektive Rechtsmacht müsse überall dort bejaht werden, wo durch eine hoheitliche Maßnahme der Grundrechtsbereich einzelner tangiert w i r d 6 2 0 , sei es über die verfassungskonforme Auslegung betreffender einfacher Gesetze als Schutznorm: Das Spektrum der dadurch etablierten Leistungsansprüche reicht, um nur wichtige zu nennen, von dem Rechtsanspruch auf Baugenehmigung über den Anspruch auf behördliches Einschreiten, den umweltrechtlichen Schutzanspruch, den Anspruch auf Zugang zum öffentlichen Dienst bis zum Auskunftsanspruch im Datenschutzrecht. In dieser ganzen Entwicklung sind zugleich Ermessensspielräume der Verwaltung oder besser administrative Handlungsspielräume stark zurück-

6 1 8

Hänni, aaO. Vgl. dazu die Buchbesprechung von Kopp, DVB1 1989, S.839.

6 1 9

Vgl. Ramsauer, Die Rolle der Grundrechte im System der subjektiven öffentlichen Rechte, AöR B d . l l l (1986), S.501ff. 6 2 0 Dazu vgl. EF § 42, Rn 168ff.,174, insb. Rn 169 (S.299): Mit einem derartigen Rückoder Durchgriff werde verhindert, daß der einfache Gesetzgeber die grundgesetzlich geschützte Sphäre auszuhöhlen vermag, indem er Betroffenen im einfachen Gesetz keine durchsetzbaren (Abwehr-)Rechte verleiht.

III. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts

161

gedrängt worden, nicht zuletzt durch das Verständnis unbestimmter Gesetzesbegriffe als Rechtsbegriffe, die kein Ermessen einschließen. All dies macht die Einwirkung des materiellen Verwaltungsrechts auf die verwaltungsgerichtlichen Leistungsklagen aus. Im folgenden soll solchen materiellrechtlichen Faktoren nachzugehen sein, die die Entwicklung des heutigen deutschen Verwaltungsprozeßrechts ermöglicht haben, wozu aus räumlichen Gründen allerdings nur eine straffe Bestandsaufnahme unternommen werden kann. Zuvor soll auf zwei Faktoren von subjektiven öffentlichen Rechten sowie Ermessen und Ermessenskontrolle einzugehen sein, da diese bei der ganzen Problematik der Leistungsansprüche eine besondere Rolle spielen. b) Das subjektive öffentliche

Recht

aa) Ausgangspunkt Das subjektive öffentliche Recht als "Eckstein im Bau der rechtsstaatlichen Grundbegriffe und des Rechtssystems " 6 2 1 hat durch die Rechtsprechung und grundsätzliche Billigung der Rechtslehre die Grundlage des Staats-BürgerVerhältnisses im Verwaltungsrecht bestimmend aufgebaut. Nachkriegszeitliche Entwicklungstendenzen des subjektiven öffentlichen Rechts, unter denen sich die Anwendung des Begriffs bzw. die Weiterfuhrung der wissenschaftlichen Diskussion um seinen Inhalt und seine Bedeutung vollziehen, hat Bühler bereits in der im Jahre 1955 erschienenen Gedächtnisschrift für W.Jellinek vorgezeichnet, indem er seinerzeit grundsätzliche Änderungen gegenüber der Zeit vor 40 Jahren umriß: Seine Bestandsaufnahme läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: 1. Die Hemmungen, die im monarchischen Obrigkeitsstaat die Rechtslehre dem Begriff gegenüber hatte, sind heute nicht mehr da. Schon von den Grundrechten der Weimarer Verfassung wurde grundsätzlich nicht bezweifelt, daß sie echte subjektive Rechte seien. Von den Grundrechten des Bonner Grundgesetz gilt das erst recht; sie sind ja bestimmungsgemäß unter der Wirksamkeit der neuen Generalklauseln alsbald ein Hauptfundament der Verwaltungsklagen auf den verschiedenen Gebieten geworden: 2. Die Tendenz, Rechte zu gewähren, ist seit Aufrichtung des demokratischen Staats 1919 ständig im Fortschreiten gewesen. Dieselbe Tendenz führt dazu, beim Vorliegen unbestimmter Begriffe und in der Frage der Ermessenskontrolle die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte noch positiver anzusehen als dies früher der Fall war: 3. Das Anwendungsgebiet der Figur des subjektiven öffentlichen Rechts hat sich unendlich vergrößert. Die Ausdehnung der Staatstätigkeit fuhrt zu immer neuen rechtlichen Festsetzungen, neue rechtliche Festsetzungen fuhren immer wieder zur Entstehung jener festen Positionen, die wir Rechte nennen. So hat sich der Aktionsbereich dieses Begriffs in

0 2 1 Bühler, Altes und Neues über Begriff und Bedeutung des subjektiven öffentlichen Rechts, in: GS W.Jellinek, S.269ff.[286].

11 Hong

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

162

den letzten Jahrzehnten vervielfacht und mit einiger Übertreibung könnte man vielleicht sogar sagen, daß die Ära der subjektiven öffentlichen Rechte erst jetzt begonnen hat. 2 2

Was schon dieser Diagnose Bühlers zu entnehmen sind, ließe sich für unsere Betrachtung in wichtigen Anhaltspunkten nun stichwortartig herauskristallisieren: verfassungsunmittelbare Einwirkung der Grundrechte auf Subjektstellung der Einzelnen, Zurückdrängung des Ermessens durch Auslegung des "zwingenden Rechtssatzes", und schließlich die Ausdehnung des Anwendungsgebiets der Figur des subjektiven öffentlichen Rechts. All diese Faktoren haben sich in der nachfolgenden Entwicklung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes verwirklicht: Die stetige "Zunahme" 623 oder "Expansion" 624 subjektiver öffentlicher Rechte kennzeichnet sonach die Entwicklungstendenzen, die die Lehre des subjektiven öffentlichen Rechts in ihrem heutigen Wandel zeigen, wenn auch diese heute eine äußerst kritische Herausforderung erfährt. bb) Subjektives öffentliches Recht als materieller Anspruch auf positive Leistung der Verwaltung Das subjektive öffentliche Recht ist nun als materieller Anspruch auf positive Leistung der Verwaltung zu begreifen, bei dessen Begründung die Schutznormtheorie ebenso eine entscheidende Rolle spielt: Das subjektive öffentliche Recht des Bürgers gegenüber der Verwaltung ist sonach ein materieller Leistungsanspruch, den ein Gesetz, das das Handeln der Verwaltung regelt, dem Bürger gewährt 625 . Verwaltungsgerichtliche Leistungsklagen dienen buchstäblich der Durchsetzung dieses materiellen Anspruchs. Dieser heute nicht mehr in Zweifel gezogenen Erkenntnis standen früher allerdings nach Henke das prozeßrechtliche Denken im öffentlichen Recht und die Abhängigkeit des subjektiven öffentlichen Rechts vom Verwaltungsprozeßrecht im Wege. Die Notwendigkeit, das subjektive öffentliche Recht als materiellen Anspruch zu begreifen, mußte sich besonders bei der derzeit neuen Vornahmeklage der Verwaltungsgerichtsgesetze (VGGe) zeigen. Hätten die VGGe es bei der Beseitigung der Ablehnung des beantragten V A als Ziel der Klage belassen, so wäre mit Henke zu Recht die Klage wirklich reine Anfechtungsklage geblieben, und das Schema der Auslösung einer internen Verwaltungskontrolle hätte genügen können. Im Gegensatz zu den Gesetzen, die in den Bestimmungen über den Inhalt des Urteils neben der Aufhebung des ablehnenden V A auch den Ausspruch der Verpflichtung der Verwaltungsbehörde vorsahen (z.B. § 79 VGG), zog die Lehre aber diese Konsequenz zunächst nicht. Man scheute sich, so führt er fort, in dem Verpflichtungsurteil eine Verurteilung der Behörde

6 2 2

S.22.

Bühler, GS W.Jellinek, S.274f. passim. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee und System,

6 2 4

Isensee, Zugang zum öffentlichen Dienst, FS für BVerwG, 1978, S.337.

6 2 5

Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S.l 12.

ΙΠ. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts

163

zu einer Leistung zu sehen, weil sie dem traditionellen Verhältnis von Verwaltung und Verwaltungsgericht widersprochen hätte. Unverständlich war es daher auch nicht, daß etwa Huber das Urteil mit Verpflichtungsausspruch als Feststellungsurteil ansah. Es ist unter anderen Bachof zu verdanken, daß sich die Überzeugung durchsetzen konnte, die Vornahmeklage sei eine Leistungsklage ja ebenfalls im Sinne der zivilprozeßrechtlichen Systematik, wenn auch er allerdings eine an der Anfechtungsklage orientierten Denkweise wie schon erwähnt nicht vollständig entbehrlich machen konnte. Einen paradigmatischen Wendepunkt von solchen Tendenzen brachte auch das BVerwGE 1,159 in seinem epochemachenden Urteil zum Anspruch auf Fürsorgeleistung hervor, worauf aber gleich zurückzukommen sein soll.

cc) Schutznormtheorie im Wandel Die Schutznormtheorie, deren dogmatische Funktion im Verwaltungsprozeß vor allem darin besteht, zunächst das materielle subjektiv-öffentliche Recht maßgebend zu konstruieren und dadurch in einem zweiten Schritt über §§42 Abs.2 und 113 Abs.2,4 entscheidenden Ansatzpunkt fur die Beurteilung der Zulässigkeit und Begründetheit der verwaltungsgerichtlichen Klage darzubieten6^6, stößt allerdings nach wie vor auf grundsätzliche Bedenken 627 . So erlebte die Schutznormtheorie nach der eingehenden Analyse Bauers vor allem in den sechziger und siebziger Jahren äußert kritische Phasen. Es verwundere nicht, daß diese im öffentlichen Recht der konstitutionellen Monarchie wurzelnde herrschende Meinung nicht unwidersprochen geblieben i s t 6 2 8 . Gegenstand der Kritik waren u.a., die zu geringe Berücksichtigung des (gewandelten) Verfassungsrechts, die Ausblendung der tatsächlichen Wirkungen der jeweiligen konkreten Normen (bzw. Normanwendung) und die Unvorhersehbarkeit sowie die Widersprüchlichkeit der unter Heranziehung der Schutznormtheorie gewonnenen Ergebnisse6 . Die tendenzielle Strömung einer Abkehr sei aber neuerdings auf die Gegenposition von einer gewissen 'Renaissance des Schutznormdenkens' gestoßen, die ihren Höhepunkt auf dem 56.Juristentag erreichte. Dies mag, worauf Hänni hinweist, weniger auf ihre Überzeugungskraft als vielmehr auf das Fehlen allgemein akzeptierbarer Alternativen zurückzuführen s e i n 6 3 0 , während sich die Vertreter der herrschenden Lehre selbst auch nicht bloß mit einer solchen realistischen Bilanz begnügen: Indessen setzt sich die unter diesen erkennbar verbreitete Übung durch, im gedanklichen Ansatz zwar prinzipiell an der Schutznormtheorie insbesondere in ihrer heutigen Lesart festzuhalten, gleichzeitig aber für eine Ergänzung oder Modifikation einzutreten 63 .

626

So etwa Ladeur, Die Schutznormtheorie - Hindernis auf dem Weg zu einer modernen Dogmatik der planerischen Abwägung ?, UPR 1984, S.lff., [3]. 6 2 7

Maurer, § 8 Rn 9, S.128. Dazu näheres s. S.l 16ff.

62

^ Bauer, aaO, S.l 15f. Fn 14 mit dem Hinweis auf seine Dissertation; vgl. auch Ladeur, aaO, S.3f. 6 2 9

Ebenda.

6 3 0

Hänni, aaO, s.206.

6 3 1 Bauer, Nachweisen.

11»

Schutznormtheorie

im Wandel,

S.l 18 mit dort

in Fn 25

angeführten

164

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

Man unterscheidet indessen zwischen älteren und neueren Fassungen der Schutznormtheorie 632, indem man sich dadurch die Bilanz der bisherigen Entwicklung vor Augen fuhrt: Die beiden Konzeptionen stimmen zwar in wichtigen Punkten überein, aber weichen in durchaus zentralen Fragen voneinander ab: Gemeinsam ist zunächst, daß sie zur Begründung subjektiver Rechte von dem jeweils einschlägigen (zwingenden) Rechtssatz verlangen, daß er nicht nur alj&emeinen, sondern zumindest auch "Individualinteressen zu dienen bestimmt sein" m u ß 6 · " . Abweichungen bestehen aber einmal darin, daß die Bedeutung der Grundrechte im Gefüge der subjektiven öffentlichen Rechte unterschiedlich beurteilt wird. Während die ältere Fassung davon ausgeht, daß die Grundrechte "unzweifelhaft zum Schutz von Individualinteressen geschaffen" 6"*^ und dementsprechend subjektive öffentliche Rechte sind, weist die neuere Fassung den Grundrechten zuvörderst die Funktion zu, "den Bestand subjektiver Rechte des einfachen Rechts" zu ergänzen und verdeutlichen 6"*5 ("Vorrang des einfachen Rechts"). Die zweite wesentliche Abweichung ergibt sich aus dem in Zweifelsfallen zur Ermittlung subjektiver öffentlicher Rechte heranzuziehenden "Kanon von Methoden und Regeln": So wird in der heutigen Lesart der Schutznormtheorie "nicht ausschließlich und nicht einmal vorrangig" 6 3 6 nach dem historischen Willen des Normgebers g e f r a g t 6 , für die Ermittlung des Schuzzwecks eines Rechtssatzes kommt es nicht auf die subjektiven Vorstellungen des Normgebers an, "sondern auf eine objektive Bewertung der Interessen; und zwar auf eine gegenwärtige Interessenwertung, nicht auf diejenige zur Zeit des Erlasses des Rechtssatzes" 638 . Dadurch kommt die Einsicht zum Ausdruck, daß Bestehen oder Nichtbestehen eines subjektiven öffentlichen Rechts, wie es unter anderen Bachof 0 ,

Ό Δ Schon bei Winter, Bevölkerungsrisiko und subjektives öffentliches Recht im Atomrecht, NJW 1979, S.393ff.[397]; Ladeur, aaO, S.4 (ursprüngliche Form der Schutznormtheorie und deren heutige Lesart); Bauer, Schutznormtheorie im Wandel, S.l 18 Fn 26. 6 3 3 Die Ermittlung subjektiver öffentlicher Rechte wird vor allem beim Fehlen einer eindeutigen Aussage eines Rechtssatzes zu einem Problem der Gesetzesinterpretation. Bauer, aaO, S.123. 6 3 4 So etwa Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S.44f. c So Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Lieferune: 1985, Rn 121 zu Art. 19 Abs.4 GG; vgl. auch Rn 123. Dabei wird freilich nicht in Abrede gestellt, daß subjektive Rechte auch aus den Grundrechtsverbürgungen folgen. SchmidtAßmann, aaO; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 9.Aufl., § 43 I b 2, S.323; SG Rn 217, S.88 (Subjektive Rechte par excellence sind die Grundrechte). 6 3 6 Schmidt-Aßmann, aaO, Rn 128, 138. Hinsichtlich der Einschränkung "nicht ausschließlich" vgl. auch SG S.93f., der Bachofs These "Vermutung für eine rechtliche Beeinträchtigung bei tatsächlicher Begünstigung durch einen Rechtssatz" (Bachof, aaO, S.30Iff.) in Zweifel zieht und insofern die Anwendung vom (objektivierten) Gesetzeswillen beibehalten will.

637 vgl. auch Ladeur, aaO, S.4 (Es wird nicht nach dem Willen des Normgebers gefragt: Hervorhebung Verfasser). 6 3 8 Wolff/Bachof, S.322: Der Inhalt eines Rechtssatzes könne sich deshalb unter dem Einfluß sich wandelnder Wertvorstellungen wie insbes. unter der Einwirkung höherrangiger Rechtssätze der Verfassung ändern (Mit dem Hinweis auf BVerwGE 1,159: Wandel der die Fürsorge schützenden Verpflichtungsnormen zu Berechtigungsnormen im Interesse des Bedürfligen). JC'IQ Bachof, Reflexwirkungen und subjektive Rechte im öffentlichen Recht, in: Gedächtnisschrift für W.Jellinek, 1955, S.287Ä

III. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts

165

H e n k e 6 4 0 und Bartlsperger 641 deutlich gemacht h a b e n 6 4 2 , nicht in das Belieben des Gesetzgebers gestellt werden k a n n 6 4 3 .

Obwohl die herrschende Meinung einerseits die Schutznormtheorie fortfuhren will, gibt es andererseits nach Bauer doch auch unübersehbare Anzeichen für einen Wandel der damit verbundenen inhaltlichen Vorstellungen, wofür den augenfälligen Beleg die in vielen Regelungsbereichen zu konstatierende Expansion oder Zunahme subjektiver öffentlicher Rechte liefert 644 . Ob die Theorie weiterhin sog. Daseinsberechtigung bewahren kann - eine paradigmatische Frage, die nur in Zusammenhang mit konkreten Anwendungsbereichen zu beantworten ist, bedarf in der vorliegenden Arbeit allerdings keinerlei weiterer Vertiefung. Wichtig ist nur, wie mit deren Hilfe maßgeblich subjektive öffentliche Rechte in einzelnen Anwendungsbereichen hergeleitet werden. Was diese Frage anbelangt, kommt nun im folgenden die hervorstechende Tendenz der Zunahme subjektiver öffentlicher Rechte in Betracht. dd) Zunahme subjektiver öffentlicher Rechte Wie bereits von Bühler beobachtet wurde, tritt die "Zunahme subjektiver öffentlicher Rechte" 645 weiterhin als eine augenfällige Entwicklungstendenz des deutschen Verwaltunesrechts auf. Durch diese "Expansion des subjektiven öffentlichen Rechts"64® versuchte das Verwaltungsrecht, mit der "stürmischen" Entwicklung des Verfassungsrechts Schritt zu halten. Wegweisende Bedeutung kam dabei nicht selten verfassungsrechtlichen "Richtlinien und Impulsen" für die Anwendung und Auslegung des einfachen Rechts" z u 6 4 7 . Dies belegen vor allem die Ausbildung ständig neuer "Grundrechtsverhältnisse" 64® und die verstärkte Zulassung von sog. "grundrechtsunmittelbaren Drittklagen" 649 , obwohl die umstrittene Frage, ob 6 4 0

Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S.33ff., 40ff., 75f.

6 4

Bartlsperger, Das Dilemma des baulichen Nachbarrechts, VerwArch 60 (1969), S.47ff.

*

6 4 2

Vgl. auch Rupp, DVB1 1982, S.147f.

6 4 3

So auch SG, aaO

6 4 4

Bauer, Schutznormtheorie im Wandel, S. 118.

6 4 5

Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Venvaltungsrecht als Ordnungsidee und System, 1982, S.22. 6 4 6

Isensee, Zugang zum öffentlichen Dienst, in: FG BVerwG, S.337ff.[337].

6 4 7

Bauer, Geschichtliche Grundlage der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, S.12f.

6 4 8

Siehe nur Hesse, K., HdbVR, 1983, S.79ff.

6 4 9 So etwa die von Bauer, aaO, S.13 (Fn 17) angeführten Entscheidungen des BVerwG: BVerwGE 30,191 (auf Art.2 Abs.l GG gestützte Konkurrentenklage im Subventionrecht); 32,173 (auf Art.14 GG gestützte baurechtliche Nachbarklage); 42,141 (auf Art.6 Abs.l GG gestützte Ehegattenklage im Ausländerrecht); 54,211 (prinzipielle Anerkennung der Möglichkeit, eine Drittklage im Umweltrecht auf Art.2 Abs.2 GG zu stützen); 66,307 (zur im

166

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

und inwieweit sich aus den Grundrechten auch Leistungsansprüche ergeben, überwiegend verneint w i r d 6 5 0 . Auf der verwaltungsrechtlichen Ebene hat diese Entwicklung durch die Anerkennung neuer (einfacher) subjektiver Rechte stattgefunden, von denen das Recht auf Fürsorge (BVerwGE 1,159) und das Recht auf polizei- und ordnungsbehördliches Einschreiten (BVerwGE 11,95) besonders herausragen, sowie die Hervorbringung neuer Rechtsfiguren wie beispielsweise des "Gebot der Rücksichtnahme" (BVerwGE 52,122 = DÖV 1977, S.752) 6 5 1 , mit denen früher herrschende Positionen relativiert und "aufgeweicht" werden 652 . So zieht daraus Bauer zutreffende Bilanz: "Am vorläufigen Endpunkt der Entwicklung stehen eine Fülle von subjektive Rechten, deren Anerkennung für die Väter der "klassischen" Lehre kaum vorstellbar gewesen sein dürfte. Musterbeispiele hierfür finden sich namentlich im Bereich der sog. Drittrechte, die heute u.a. im Baurecht, im Subventionsrecht, im Umweltrecht, im Gewerberecht, im Ausländerrecht, im Berufzulassungsrecht, im Kartellrecht, im Abfallbeseitigungsrecht, im Recht der Wirtschaftaufsicht, im Steuerrecht, im Poljbzpirecht und im Beamtenrecht bejaht werden oder zumindest diskussionsfähig geworden s i n d " 6 5 3 . Als neuere Entwicklung ist der Anspruch auf Auskunft im Datenschutz- sowie Informationsrecht zu registrieren.

c) Ermessen und Ermessenskontrolle aa) Ermessen und unbestimmte Rechtsbegriffe i. Die Erweiterung des Katalogs subjektiver öffentlicher Rechte ist nunmehr mit der Problematik von Ermessen und Ermessenskontrolle eng in einem wechselseitigen Kausalnexus verbunden, indem jene Entwicklung einerseits, wie schon bemerkt, eine starke Zurückdrängung des Verwaltungsermessens herbeigeführt hat, die Erweiterung subjektiver öffentlicher Rechte andererseits aber durch diese Ermessensproblematik, auch durch das Verständnis unbestimmter Gesetzesbegriffe als Rechtsbegriffe vorangetrieben wurde. Die frühere Auffassung, nach der Ermessen und subjektives öffentliches Recht als Gegensätze angesehen wurden, ist zwar schon im älteren Schrifttum angegriffen 654 und nach 1949 dann schrittweise aufgegeben wesentlichen aus Art. 14 GG hergleitete Klagebefugnis eines Genehmigungserteilung zur Dünnsäureverklappung in der Nordsee). 6 5 0

Fischers

gegen

die

So Maurer, § 8 Rn 14, S.132f.; vgl. auch BVerwGE 52,339; 67,163,169.

6 5 1

Zu dessen Vorzeichen vgl. Weyreuther, Das bebauunesrechtliche Gebot der Rücksichtnahme und seine Bedeutung für den Nachbarschutz, BauR 1975, S.l ff. Zur Rechtsprechungsübersicht vgl. auch W.Gehrmann, Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Rücksichtnahmegebot in den Jahren 1985 bis 1987, UTR, S. 161 ff. Dazu im allgemeinen, insbesondere Dürr, Das Gebot der Rücksichtnahme - eine Generalklausel des Nachbarschutzes, N V w Z 1985, S.719ff.; vgl. auch Geist-Schell, Verfahrensfehler und Schutznormtheorie, 1988, S.35ff., der die Anerkennung eines nachbarschützenden Rücksichtnahmegebot als "Durchbrechung der Schutznormtheorie" ansieht. 6 5 2

Bauer, Geschichtliche Gmndlage, S.13f.

6 5 3

Bauer, aaO mit doit angeführten einzelnen Nachweisen.

6 5 4

Vgl. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S.36f., 162 m.N. der Rechtsprechung

. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts

167

worden 655 . Besondere Hervorhebung verdient aber die Tatsache, daß immerhin der "Schutzschild der Verwaltung" 656 , ungeachtet der dogmatischen Haltbarkeit der These vom "zwingenden Rechtssatz", ausmanövriert werden mußte, um ein neues subjektives öffentliches Recht erschließen zu können. Es ist gerade diese Schnittfläche zwischen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht und der Ermessenslehre, an der die dogmatische Figur des Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Entscheidung entstanden i s t 6 5 7 . Ermessen und unbestimmte Rechtsbegriffe (genauer Gesetzesbegriffe) sind seit Anfangen der Verwaltungsgerichtsbarkeit nach wie vor ein umstrittenes Dauerstreitthema 6 . Dies läßt sich vor allem durch den Umstand nachvollziehen, daß bekanntlich der Begriff des Ermessens vor rund 100 Jahren in der Diskussion um die Einfuhrung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit als Schutzschild der Verwaltung bei der Verteidigung eines von gerichtlicher Kontrolle freien Entscheidungsbereichs fungierte 6 5 9 . In Beziehung auf die Auffassung von Gesetzesbestimmungen mit unbestimmten Begriffen in der Theorie sowohl als in der Praxis war aber, um mit Bühler zu reden, eine Wandlung nicht zu verkennen, die mit der ganzen Entwicklung und Befestigung der Idee der Verwaltungsgerichtsbarkeit zusammenhing. So fuhrt er aus: "Im Verlauf der neueren Kontroverse über das freie Ermessen in Justiz und Verwaltung hat man aber doch so ziemlich auf allen Seiten als wesentlichen Unterschied zwischen der Freiheit des Richters, der es innerhalb der Rechtsanwendung mit dehnbaren Begriffen zu tun hat, und dem wirklichen freien Ermessen der Verwaltung erkannt, dass im letzteren Fall die Entscheidung nach der individuellen Meinung des Beamten zu erfolgen hat, der unbestimmte Begriff bei der Rechtsanwendung dagegen nach dem Sinn, den ihm die Allgemeinheit beimisst und den zu erforschen Pflicht des anwendenden Beamten ist, auszulegen ist. So muss schließlich von dieser Seite her die Meinung eine wesentliche Verstärkung erhalten, welche auch Bestimmungen mit unbestimmten Begriffen in Verwaltungsgesetzen um deswillen allein noch nicht zum Gebiet des freien Ermessens rechnet, sondern annimmt, dass sie trotzdem der für den Verwaltungsrichter überprüfbaren gesetzlichen Gebundenheit zugehören. Diese Auffassung ist. Wie schon gesagt, auch bei den Verwaltungsgerichten unverkennbar im Vordringen. 1 , 6 6 0 Diese Erkenntnis lebt durch die langwierige Fluktuierung und Auseinandersetzung6 ^ um den Standort des Ermessens hindurch heute noch weiter, und (z.B.PrOVG 2,390). Deutlich auch bei W.Jellinek, aaO, S.211, der daraufhinwies, daß freies Ermessen nicht in jeder Beziehung die Verneinung eines subjektiven Rechts bedeute: Die früher entwickelte Lehre von den Ermessensfehlern habe ihre Bedeutung gerade auch für den Anwendungsbereich des subjektiven öffentlichen Rechts des einzelnen. Auch ein Akt des freien Ermessens, der sich an sich înneihalb der dem Ermessen gesetzten objektiven Grenzen hält, also so, wie er erlassen wurde, auch erlassen werden durfte, könne den einzelnen in seinen Rechten verletzen, wenn fur seinen Erlaß Erwägungen mitspielten, die das Gesetz verbietet. 6 5 5

Pietzcker, Der Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, JuS 1982, S.106.

6 5 6

Koch, Unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessensermächtigungen im Verwaltungsrecht, Habilitation Frankfurt, 1979, S . U . 6 5 7

Pietzcket, aaO.

6 5 8

Bachof, JZ 1955, S.97; Maurer, § 7 Rn 24.

6 5 9

So stellte dies Bühler fest: Als in den siebziger Jahren die Verwaltungsgerichte in Deutschland eingeführt wurden, war es eine gewisse Sorge, dass sie über die nach der älteren deutschen Auffassung ihnen allein zukommende Aufgabe der Rechtskontrolle hinausgehen und die Verwaltung aucn in der Sphäre ihres freien Ermessens in schädlicher Weise hemmen könnten, vgl. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S.37. 6 6 0 66

Bühler, aaO, S.36ff.

1 Zum Wandel der verwaltungsgerichtlichen Vorstellungen vom Ermessen, insbesondere zu dessen Einengung nach 1945, vgl. Bullinger, Landesbericht BRD in der Tagung für Rechtsvergleichung 1985 in Göttingen, in: Verwaltungsermessen im modernen Staat (Hrsg.ν. Bullinger), 1986, S.131ff.[136f.].

168

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

zwar in der immer noch überwiegend vertretenen Auffassung, die sich auf Unterscheidung des unbestimmten Rechtsbegriffs vom Ermessensbegriff einmal und auf grundsätzlich uneingeschränkte Nachprüfbarkeit jener Rechtsbegriffe zum anderen stützt 0 0 2 .

ii. In den Nachkriegsjahren wurde indessen mit verschiedenen, aber sachlich sich weitgehend deckenden Theorien eine nur beschränkte gerichtliche Überprüfung der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe vertreten. Diese Auffassungen 663, die sich wohl unter der gängigen Benennung "Lehre des Beurteilungsspielraums" bündeln lassen 664 , räumen gemeinsam einen Beurteilungsspielraum in dem Sinne ein, es bestehe ein Bereich eigener, gerichtlich nicht weiter überprüfbarer Wertung und Entscheidung, innerhalb dessen das Verwaltungsgericht die Entscheidungen der Verwaltung hinzunehmen habe. Das Gericht könne nur prüfen, ob die Grenzen dieses Bereichs beachtet sind 6 6 5 . Den Grundstein zu dieser Richtung legten bekanntlich Bachof und Ule. Beide schlossen sich zwar im Grunde der Verbannung des Ermessens auf die Rechtsfolgenseite nach h.L. an, suchten aber einen Teil des Freiraums zu retten, der sich für die Verwaltung aus den Ermessensbegriffen ergeben hatte6 . Ule verlangte für die (rechtmäßige) Subsumtion eines Sachverhaltes unter einen durch einen unbestimmten Rechtsbegriff geprägten Tatbestand die "Vertretbarkeit" 6 . Bachof wies mit seiner Lehre vom Beurteilungsspielraum prinzipiell in die gleiche Richtung 66 ®. Die überwiegende Literatur, die sich dieser Richtung im nachhinein

6 6 2

Statt vieler vgl. nur Starck, Diskussionsbeitrag, in: Götz/Klein/Starck, S.189f.

6 6 3

Die Flut einschlägiger Äußerungen in Schrifttum und Rechtsprechung der fünfziger Jähre ist unübersehbar. Götz, Eröffnungsrede der Diskussion über das zweite Thema des Göttinger Symposions, in: Götz/Klein/Starck, 1985, S.178. 6 6 4 So faßt Maurer (aaO, § 7 Rn 20, S.l 10) vereinfachend die von den gleichen Überlegungen ausgehenden Auffassungen von Bachof (Beurteilusspielraum), Ule (Vertretbarkeit) und Wolff (Einschätzungsprärogative) unter der gängigen Bezeichnung "Beurteilungsspielraum" zusammen. Vgl. auch Badura, Gestaltungsfreiheit und Beurteilungsspielraum der Verwaltung, bestehend aufgrund und nach Maßgaben des Gesetzes, in: FS Bachof, 1984, S.169ff.[184j. Zum Terminus vgl. Götz, Allgemeines Verwaltungsrecht, S.91f. Vgl. aber Obermayer, Verwaltungsrecht im Wandel, NJW 1987, S.2642ff.[2644], der nach dem früheren Verständnis vom Ermessen den Ule'sehen Begriff als "Tatbestandsermessen" bezeichnet. Zum früheren Ermessensstreit vgl. Jellinek, W l t , Verwaltungsrecht, 1948, 3. unveränderte Aufl., Offenburg, S.35ff. Die Flut einschlägiger Äußerungen in Schrifttum und Rechtsprechung der fünfziger Jahre ist unübersehbar. 6 6 5 Bachof, JZ 1955, S.97ff. (vgl. auch seine Vorbemerkung zu diesem Aufsatz in: Wege zum Rechtsstaat, 1979, S.154); JZ 1972, S.208ff. Vgl. dazu Maurer, aaO. Umfassende Darstellung bei Scholz und Schmidt-Aßmann, VVDStRL 34 (1976), 145ff., 221ff.; s. auch Nierhaus, DVB1 1977,19 zu "Prognosenentscheidungen". 6 6 6 Bullinger, aaO, S.138. Vgl. aber Badura, aaO, S.178, der annimmt, Bachof habe bahnbrechend die nicht voll überprüfbare, weil nicht vollständig determinierte Rechtsfrage in bestimmten Fällen der unbestimmten Rechtsbegriffe entdeckt. "Dem so gefundenen und gerechtfertigten "Beurteilungsspielraum" der Verwaltung als einem Sonderfall der Rechtsanwendung gesellte sich später die Auffassung vom Planungsermessen oder der planerischen Gestaltungsfreiheit der Verwaltung als stark subtilisierte Lehre über einen Sonderfall des Ermessens hinzu". Hierzu vgl. aber Bachof, Wege zum Rechtsstaat, 1979, S.154. 6 6 7

Ule, GS W.Jellinek, S.326; ders., Verwaltungsprozeßrecht, § 2 I 3, S.lOff.

6 6 8

Bachof, JZ 1955, S.97ff.

III. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts

169

angeschlossen h a t 6 6 9 , beachte aber nicht immer hinreichend, daß sich der Beurteilungsspielraum nach der ursprünglichen Konzeption auf konkrete Ausnahmefälle beschränken s o l l t e 6 7 0 , und wolle z.T. dementgegen den Beurteilungsspielraum auf die (abstrakte) Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe erstreckt sehen6 . Solcher Ausdehnung ist mit Papier zu Recht entgegenzuhalten, daß die Interpretation der generell-abstrakten Rechtsnorm und damit auch der in ihnen enthaltenen unbestimmten (Gesetzes)Begriffe eine originäre Funktion der rechtsprechenden Gewalt i s t 6 ' 2 : Der Exekutive hier einen "gerichtsfreien" Beurteilungsspielraum einzuräumen, bedeutete einen eindeutigen Verstoß gegen die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 IV G G 6 . So einen ungewollten Beitrag haben die an prozeßrechtlicher Lösung orientierten (etwa § 114a VwGO) verschiedenen Reformvorschläge 674 zur Klärung des Wesens der Problematik unbestimmter Rechtsbegriffe geleistet, indem sie scharfe, aber auch aufschlußreiche Kritik auslösten: Kein Zweifel darüber sollte nach Auffassung von Götz aufkommen können, daß eine Generalklausel, die die volle richterliche Entscheidungskompetenz über die zutreffende Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe in Frage stellen würde, mit Art. 19 IV GG unvereinbar wäre. Die Bedenklichkeit und Verfassungswidrigkeit einer solchen Regelung ergebe sich nicht nur daraus, daß es unmöglich wäre, "unbestimmte" und "bestimmte" Gesetzesbegriffe eindeutig voneinander abzugrenzen . Sie ergebe sich im letzten Grund daraus, daß subjektive Rechte, in welche die Verwaltung nach Maßgabe unbestimmter Rechtsbegriffe eingreifen kann, nur dann wirklichen Rechtsschutz erhalten, wenn über die Voraussetzungen des Eingriffs eine richterliche Entscheidung erfolgt 6 7 6 .

Bei der Anwendung unbestimmter Gesetzesbegriffe und ihrer rechtlichen Kontrolle sind - was eigentlich Bachof schon 1955 klar herausgearbeitet hatte 6 7 7 - im Grunde drei Stufen zu unterscheiden: Es geht um Auslegung des betreffenden Gesetzesbegriffs, Sachverhaltsermittlung und schließlich um die Subsumtion, d.h. Sachverhaltsbeurteilung. Exekutivische Beurteilungsspielräume sind bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe in der 6 6 9

Maurer, aaO, § 7 Rn 20, S.21.

6 7 0

Maurer, ebenda.

671 (\T)

Maurer, ebenda.

Papier, aaO, S.624; So auch Maurer, aaO, § 7 Rn 34: Auf jeden Fall sei aber eine Ausdehnung des Beurteilungsspielraums auf die abstrakte Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe abzulehnen, da sie zur Rechtszersplitterung und Rechtsunsicherheit führen würde, die zu überwinden bzw. zu verhindern gerade eine grundlegende Aufgabe des Gerichts sei. 6 7 3 Vgl. Papier, aaO, S.624. 6 7 4 Näher dazu Vgl. Papier, aaO, S.624. S. auch H.Heimlich, Diskussionsbeitrag, in: Götz/Klein/Starck, S.227. Von den verschiedenen Reformvorschlägen vgl. etwa von SchmidtEichstaedt wendet (Bundesgesetze und Gemeinden, 1981, S.l72 [196]). 6 7 5 So auch Papier, Götz/Klein/Starck, S.228.

aaO,

S.625.

Vgl.

auch

Bachof,

Diskussionsbeitrag,

in:

6 7 6 Götz, aaO, S.255, wonach ein solcher Gesetzesvorschlag aus der 2.Wahlperiode des BT in den Diskussionsbeiträgen durchweg mit Bedenken versehen worden sei. So auch Papier, aaO, S.623f. der sich gegen die Reformvorschläge wendet, die ausdrücklich die Reduktion der gerichtlichen Kontrollkompetenzen auf die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe beziehen und insoweit eine bloße Vertretbarkeitstheorie postulieren (etwa von Schmidt-Eichstaedt, aaO): Die Kontrolldichte bei unbestimmten Rechtsbegriffen könne durch eine prozeßrechtliche Generalklausel nicht allgemein auf eine bloße "Vertretbarkeitstheorie" reduziert werden". Zur ganzen Problematik vgl. nur Götz/Klein/Starck, aaO, S. 13Iff. 6 7 7

Bachof, JZ 1955, S.98ff.

170

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

rechtswissenschaftlichen Literatur allerdings nur auf der dritten Stufe, also im Hinblick auf die Subsumtion, diskutiert und von der Judikatur partiell durchgesetzt worden 678 . Die Auffassung, die unbestimmten Rechtsbegriffe seien als Rechtsbegùffe gerichtlich voll überprüfbar, war nicht nur die Gegenmeinung der Literatur, sondern auch, von anfänglichen Abweichungen abgesehen, die ständige Rechtsprechung des BVerwG 6 ^. Deren eine Änderung durch das Urteil des 1.Senats v. 16.12.1971 (sog. GjSEntscheidungr , die seinerzeit in der Literatur bereits als "Tendenzwechsel" begrüßt worden war 6 ® , hat so allerdings weitere Felder nicht erschließen können, wie man mit Aufmerksamkeit erwartete 6 8 2 . Ein Beurteilungsspielraum besteht nach der Rechtsprechung nur in folgenden F ä l l e n 6 8 3 : Prüfungsentscheidungen, Prüfungsähnliche Entscheidungen, insbesondere im Schulbereich, Beamtenrechtliche Beurteilungen, Entscheidungen wertender Art durch weisungsfreie, sachverständig zusammengesetzte Ausschüsse, Entscheidungen bezüglich einzelner, für den unbestimmten Rechtsbegriff relevanter Faktoren insbesondere verwaltungspolitischer Art, und schließlich die Prognosenentscheidungen bzw. Risikobewertungen vor allem im Bereich des Umwelt- und Wirtschaftsrechts 685 .

Besonders problematisch wie auch umstritten verbleiben andererseits die Fragen nach dem Verhältnis von Ermessen und unbestimmten Rechtsbegriffen 686 , nicht zuletzt die Frage der Kontrolldichte bei unbestimmten Rechtsbegriffen im Bereiche des Kommunal- und Planungsrechts: Entgegen BVerwGE 45,309 (sog. Floatglas-Entscheidung) vertritt etwa W.Schmidt die Auffassung, die politischen Entscheidungen über den Inhalt der in Planungsermächtigungsnormen zum Ausdruck gebrachten, konkurrierenden Interessen ließen sich eher als Ausübung eines einheitlichen "Ermessens" auch auf der Tatbestandsseite verstehen. "Würde man mit der immer noch überwiegend vertretenen uneingeschränkten Nachprüfbarkeit unbestimmter Rechtsbegriffe ernst machen, so hieße das, maßgebliche Teile 6 7 8

So Papier, aaO, S.624; Maurer, § 7 Rn 20 (S.l 11), 22ff.

6 7 9

So z.B. BVerwGE 23,65 [74]. 6R0 OOKj B v e r w G E 39,197; zur neueren Entwicklung dieser Rechtsprechung vgl. Lutz, Änderung der Rechtsprechung zum Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften, NJW 1988, S.3194ff. 6 8 * Vgl. auch BVerwGE 55,250 (sog. Voerde-Urteil), das dies nochmals ausdrücklich bestätigt hat. 6 8 2

/OCOO οJ

Götz, aaO, S.178. Anstelle vieler Maurer, § 7 Rn 23 mit Nachweisen der Rechtsprechung.

6 8 4

Dazu vgl. Breuer, Legislative und administrative Prognosenentscheidungen, Der Staat, Bd. 16 (1977), S.21ff.; Tettinger, Überlegungen zu einem administrativen »Prognosespielraum«, DVB1 1982, S.42Iff. 6 8 5 Vgl. insbesondere neuere Entscheidungen des BVerwG: BVerwGE 72,300 (WhylUrteil); 81,185 [190ff|. (Vorsorge nach dem Stand der Wissenschaft und Technik bew. Schutz gegen Störungen gem § 7 AtomG); 64,238 [242]; 79,208 [213]; 72,38 [54] (Krankenhausbedarfsplan); vgl. jedoch anders wiederum BVerwGE 81,12 [17] (kein Beurteilungsspielraum bei der Entscheidung über die wissenschaftliche Unvertretbarkeit der sonstigen Auswirkungen gem § 15 I Pflanzenschutzgesetz). 6 8 6

Dazu vgl. nur Koch, aaO, S.172ff.; Starck, aaO.

. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts

171

der politischen Planung auf die Verwaltungsgerichte verlagern. Das tut niemand und das will niemand." Nach Auffassung von Maurer verliere die Unterscheidung zwischen unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessensermächtiguns wegen der Eigenart der Planungsnormen als Finalprogramm ihren eigentlichen Sinne6® . In einer anderen Richtung wendet sich Papier allerdings gegen die Annahme, die Verwaltungsgerichtsbarkeit könne gewissermaßen "aus eigener Kraft" Ansätze zur Restriktion der Kontrolldichte mit einiger Breitenwirkung entwickeln 6 ® 9 : Ohne eine Veränderung der materiellrechtlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes seien auf der Grundlage des geltenden Verwaltungsprozeßrechts der richterliche Kontrollrahmen und die Kontrollintensität der Verwaltungsrechtsprechung nicht variabel und nicht "manipulierbar" 6 .

iii. Aus den oben skizzierten Rechtsentwicklungen, auf die allerdings nicht weiter eingegangen werden kann, ließen sich folgende, was die Zurückdrängung des Verwaltungsermessens angeht, wichtige Faktoren erkennen: Erstens, das Verständnis unbestimmter Gesetzesbegriffe als Rechtsbegriffe führte folgerichtig zur starken Einschränkung administrativer Handlungsspielräume: was man etwa nach früherer Vorstellung als sog. Tatbestandsermessen hätte erfassen können, stellt nunmehr, so war es auch bereits bei Bühler wie bei einigen Verwaltungsgerichten 691, grundsätzlich keinen Ermessenspielraum dar, oder jedenfalls nicht generell. Das gesetzlich eingeräumte Ermessen findet sich nach h.M. nur auf der "Rechtsfolgenseite", während die tatbestandlichen Voraussetzungen vom Gesetz zwingend festgelegt sind 6 9 2 . Des weiteren wird der Beurteilungsspielraum ohnehin nicht allein aus dem "Wesen" der betreffenden unbestimmten Rechtsbegriffe, sondern unter Heranziehung der spezifischen Regelungen des jeweiligen betreffenden Fachgesetzes hergeleitet 693, und die Erweiterung seiner Anwendungsfelder ist auch deshalb unterblieben 694. Zweitens, hat die Anerkennung des Anspruchs auf fehlerfreie Ermessensausübung mit seiner 6 8 7 Schmidt, NJW 1978, S.l773. Zur planerischen Gestaltungsfreiheit vgl. Nachweise bei Maurer, § 7 6 Rn 35 Anm.(S.121f.). 6 8 8

Maurer, aaO, § 7 R n 3 5 .

6 8 9

Papier, aaO, S.627. Sein Hauptanliegen dort ist namentlich, sich gegen die Reformvorschläge von Schmidt-Eichstaedt zu wenden, die ausdrücklich die Reduktion der gerichtlichen Kontrollkompetenzen auf die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe beziehen und insoweit eine bloße Vertretbarkeitstheorie postulieren (dies., aaO). Zur ganzen Problematik vgl. nur Götz/Klein/Starck, aaO, S. 131 ff. 6 9 0 Papier kritisiert in diesem Sinne die Wyhl-Entscheidung des 7.Senats des BVerwG v. 19.12.1985 (BVerwGE 72,300) als unbefriedigend. Vgl. aber BVerfGE 78,214 (Anmerkung dazu Osterloh, Typisierende Verwaltungsvorschriften im Steurrecht, JuS 1990, S.lOOff.); Zum Wyhl-Urteil vgl. u.a. Erbguth, Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften, DVB1 1989, S.473ff.; Hill, Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften, N V w Z 1989, S.401ff.; Breuer, Gerichtliche Kontrolle der Technik, N V w Z 1988, S.104ff.; Ladeur, Zum planerischen Charakter der technischen Normen im Umweltrecht, UPR 1987, S.253ff.; Kunert, Normkonkretisierung im Umweltrecht, NVwZ 1989, S.1018ff. jeweils m.w.N. 6 9 1

Vgl. Bühler, Die subjektive öffentliche Rechte, S.39f.

6 9 2

Pietzcker, aaO, S. 106 mit dem Hinweis auf Nachweise bei Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, § 31 Ua. Zur Gegenmeinungen vgl. Nachweise bei Erichsen/Martens, § 12 I I lb m.Fn 30 und Koch, aaO, S.104ff.,126ff., 173. 6 9 3

So Papier, aaO., S.626; BVerwGE 59,213; 62,330.

6 9 4

Götz, Diskussionsbeitrag, S. 178.

172

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

prozeßrechtlichen Unterstützung (§§ 114, 113 Abs.5 VwGO) die Rechtskontrolle administrativer Handlungsspielräume zur Geltung gebracht, indem er eventuell im Falle der 'Ermessensschrumpfung auf N u l l ' 6 9 5 einen Anspruch auf polizeiliches Einschreiten begründet. Damit ist festzustellen, daß die grundsätzliche Verteilung von Letztentscheidungskompetenzen zwischen Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichten wiederum zugunsten des Bürgers reorientiert worden ist. bb) Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung und "Ermessensschrumpfung auf Null" i. Die Anerkennung des Anspruchs überbrückte wie schon erwähnt den subjektiven öffentlichen Rechts auch im wie dies die nachfolgend zu erläuternde polizeiliches Einschreiten zeigt.

auf fehlerfreie Ermessensausübung Weg nach der Erweiterung des Bereich des Verwaltungsermessens, Rechtsprechung zum Anspruch auf

Der Anspruch auf fehlerfreie (richtige} Ermessensausübung als subjektives öffentliches Recht fand schon bei Bühler Anerkennung" 96 . Das Verbot der Willkür, die Pflicht zur sorgfältigen Prüfung, das Verbot, sich nicht durch rechtsirrige Erwägungen beeinflussen zu lassen, stehe nach W.Jellinek über jedem Akt des freien Ermessens 69 ': Soweit die Überprüfung derartiger Ermessensfehler reicht, reicht auch das subjektive Recht des Einzelnen. Die Polizei könne die ihr zustehende Freiheit auch durch gleichmäßige Handhabung ihres Ermessens einengen, weil unsachliches Abweichen von den eigenen Grundsätzen im Einzelfalle Willkür sein würde . So hat man dabei von dem Grundgedanken leiten lassen, Ermessensfreiheit stelle keine Willkür dar, erlaube also keine Ermessensfehler. Was aber die nachkriegszeitliche Rechtsentwicklung in diesem Bereich auszeichnet, ist die durch die Verkoppelung dieses Anspruch mit der Annahme von "Ermessensschrumpfung" durchgesetzte, eher starke Einengung des Ermessens, wie es Bachof deutlich zum Ausdruck gebracht hat: Auch in dem Umfange, in dem eine Ermessensfreiheit der Behörde grundsätzlich anzuerkennen ist, hat der Träger des Interesses wenigstens ein formelles subjektives Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Das in einer bestimmten Norm eingeräumten Ermessen werde außerdem durch zahlreiche andere Normen wieder eingeengt, und auch sei es möglich, daß durch Zusammentreffen verschiedener Umstände die Ablehnung eines Antrags begriffsnotwendig einen Ermessensfehler darstellen würde, so daß im Ergebnis auch hier eventuell ein materielles subjektives Recht entstehe 9 .

§ 114 VwGO regelt allgemeinem Verständnis nach die Nachprüfung von Ermessensentscheidungen im Hinblick auf den Vornahmefall dahin, daß das 6 9 5

Statt vieler vgl. Gern, Die Ermessensreduzierung auf Null, DVB1 1987, S.l 194ff.

6 9 6

Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 162.

6 9 7

W.Jellinek, aaO, S.211; ders., AöR Bd.32, S.580ff.[593f.].

6 9 8

W.Jellinek, aaO, S.446 mit dem Hinweis auf PrOVG, v.9.12.1920 (PrOVGE 76,426)

m.w.N.

6 9 9 Dazu Bachof, Klage auf Vornahme, S.92ff.[93]. Vgl. auch Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, § 31 Π e 2.

III. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts

173

Gericht bei Ermessensfragen, also bei der im Ermessen der Behörde stehenden Ablehnung oder Unterlassung die Prüfung außer auf Rechtsverletzungen wegen dort erwähnter Überschreitung der gesetzlichen Grenzen auch die Frage zu prüfen hat, ob das Ermessen dabei mißbräuchlich gehandhabt wurde 7 0 0 . Wann eine Entscheidung im einzelnen im Sinne von § 114 VwGO fehlerhaft ist, sagt die Vorschrift zwar nicht: Der richterlichen Beurteilung ist damit nach Meinung von Kopp ein weiteres Feld eröffnet, das sich sowohl fur eine dichtere als auch eine weniger dichte gerichtliche Kontrolle anbietet. In der Praxis hat diese Vorschrift jedoch eine nicht unerhebliche Funktion vermittelt, indem sich dort vor allem allgemeine Rechtsgrundsätze wie das Willkürverbot, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, des Vertrauensschutzes, der Selbstbindung der Verwaltung durch Verwaltungsvorschriften und durch eine ständige Rechtsprechung, und schließlich der sog. Ermessensreduktion auf "Null" als "Vehikel" für erne dichtere Kontrolle des Verwaltungshandelns durch die Gerichte erwiesen h a b e n 7 . Für unser Thema von besonderer Bedeutung ist unter anderen, daß die letztgenannte These dem Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung eine neue Dimension nach weiterer Erschließung subjektiver öffentlicher Rechte eröffnet h a t 7 0 2 .

ii. Es besteht allerdings weder ein allgemeiner Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung noch eine schematische " Ermessensschrumpfung auf N u l l " 7 0 3 . Der Annahme der Ermessensschrumpfung liegt nach Auffassung von Götz der Gedanke zugrunde, daß die für ein Eingreifen sprechenden Interessen im Einzelfall so schwer wiegen können, daß ihre Zurücksetzung gegenüber anderen Interessen auf einer offenkundigen und damit vom pflichtmäßigen Ermessen nicht mehr gedeckten Verkennung ihres Gewichts beruht 704 . Dabei kommt es aber immer darauf an, welche Interessen jeweils gegenüberstehen. Der Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung als subjektives öffentliches Recht setzt andererseits eine Rechtsnorm voraus, die zumindest auch dem Interesse des betroffenen Bürgers zu dienen bestimmt ist: Die Frage nach der Interessenrichtung der in Betracht kommenden, d.h., ermessenseinräumenden Norm also auch bei der Geltendmachung dieses Anspruchs ist ebenso zu beantworten, wie es für das subjektive öffentliche Recht dargestellt worden ist 7 0 5 . Der Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung wird wie gesehen nicht selten als "formeller Anspruch" in dem Sinne bezeichnet, daß der Anspruch nicht gerade auf eine günstige Verwaltungsentscheidung, sondern nur auf eine 7 0 0 Nachweise bei Kopp, Handlungsspielräume der Verwaltung und Kontrolldichte gerichtlichen Rechtsschutzes, in: Götz/Klein/Starck, S. 146ff.[150], Fn 24. 7 0 1

Vgl. Kopp, aaO, S. 151.

7 0 2

So BVerwGE 11,95.

7 0 3

Maurer, aaO, § 8 Rn 15, S.133.

7 0 4

Götz, Polizeirecht, Rn 270.

7 0 5

Erichsen/Martens, § 10 Π 5, S. 152; Pietzcker, aaO, S.109, der auch zeigt, wie subtil der Schutzzweck der Ermessensnorm zu untersuchen ist.

174

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

"ermessensfehlerfreie" Entscheidung ziele. Dieser Anspruch ist aber nicht "formell" im Sinne von "verfahrensrechtlich"; er betrifft nicht das Verfahren, sondern den Inhalt der Entscheidung706. Ein Beispiel genügt, um seinen formellen Charakter zu verdeutlichen: Wird er im Hinblick auf die Leistung wie die Erteilung einer straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis - geltend gemacht, so hat er ein doppeltes Ziel, nämlich, daß die Verwaltung überhaupt über den Antrag entscheiden muß (Bescheidungsanspruch) einerseits und bei dieser Entscheidung andererseits Ermessensfehler vermeiden muß. In einer Parallele zum Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung ist nach Pietzcker ebenso ein Anspruch auf fehlerfreien Gebrauch des Beurteilungsspielraums anzuerkennen 707. In Anbetracht des Planungsermessens gilt auch eine ähnliche Überlegung: Im Gegensatz zu den Entscheidungen nach den herkömmlichen, in Tatbestand und Rechtsfolgeanordnung gegliederten Normen ("wenn-dann"-Schema, sog. Konditionalprogramme) beruhen die planerischen Entscheidungen überwiegend auf final programmierten Plangesetzen mit Zielvorgaben und Abwägungsgrundsätzen708. Wenngleich die planerische Gestaltungsfreiheit sehr groß ist und der Verwaltung mehr Spielraum als die gewöhnliche Ermessensvorschrift gibt, hat der Betroffene ohnehin einen Anspruch auf Beachtung seiner Belange oder Rechte, soweit es auch dort um die Einhaltung rechtlicher Grenzen von Verwaltungsspielräume geht 7 0 9 . iii. Aus den bisherigen Darlegungen folgen die Besonderheiten des Anspruchs hinsichtlich seiner Rechtsschutzformen: Je nachdem, welches Endziel durch die ermessensfehlerfreie Entscheidung erreicht werden soll, variieren geeignete Klageformen: Im Ermessen stehende belastende Verwaltungsakte werden mit der Anfechtungsklage, Eingriffe durch schlichtes Verwaltungshandeln mit der allgemeine Leistungsklage in Form der Unterlassungsklage abgewehrt. Ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Antrag auf begünstigende Verwaltungsakte ist mit der Verpflichtungsklage zu erstreiten. Da aber nicht der begünstigende V A selbst, sondern lediglich dessen fehlerfreie Entscheidung begehrt wird, kommt die Verpflichtungsklage grundsatzlich nur in der Form der Bescheidungsklage in Betracht 7 1 0 . Die Verpflichtungsklage im engeren Sinne steht nach einhelliger Auffassung nur dann zur Verfügung, wenn die Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen ist ^ ^, welche

7 0 6

Pietzcker, aaO, S.108.

7 0 7

Pietzcker, aaO, S.107.

7 0 8

Maurer, § 7 Rn 35.

7 0 9

Pietzcker, aaO, S.108; Maurer, aaO.

710 vgl. BVerwGE 10,302: Auch bei Ermessensakten sei eine Verpflichtungsklage zulässig, und sie könne, wenn auch in der Regel mangels des Rechtsanspruchs auf ein bestimmtes behördliches Handeln nicht zu einem Vornahmeurteil, so doch weçen des Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Verwaltungsentscheidung zu einem Bescheidungsurteil führen. Dazu Pietzcker, aaO, S.l 10. Ist unsicher, ob eine solche Reduzierung eingetreten ist, sind selbstverständlich beide Klagen im Verhältnis von Haupt- und Hilfsantrag zu erheben.

III. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts

175

aber nicht schematisch anzuerkennen i s t ™ . Wird eine schlicht-hoheitliche Verwaltungshandlung, etwa eine Umsetzung, angestrebt, kommt Feststellungsklage, u.U. auch allgemeine Leistungsklage in Betracht' 1 3 .

Dabei steht aber die Leistungs-Bescheidungsklage als Rechtsschutzform fur den Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung ganz im Vordergrund. Ist die Klage begründet, d.h. wenn der Antrag des Klägers auf Erlaß eines VA ermessensfehlerhaft (rechtswidrig) unbeschieden oder abgelehnt und dadurch er in seinen Rechten verletzt worden ist, so ergeht im Regelfall ein Bescheidungsurteil gem § 113 Abs.5 S 2 7 1 4 . Soweit sich die Ermessensreduktion auf Null lediglich auf das Entschließungsermessen, also nur auf "Ob" bezieht, was aber wohl normalerweise der Fall ist, liegt es noch bei der Behörde, welche Maßnahme sie ergreifen will. In solchem Fall kommt immerhin die Bescheidungsklage, ungeachtet der "Ob"-Verpflichtung zum Einschreiten, gegebenenfalls zusammen mit der Verpflichtungsklage im engeren Sinne zur Anwendung. Damit wird die Bescheidungsklage zur Hauptrechtsschutzform gegen administrative Handlungsspielräume im Vornahmefall. Es ist eine beachtenswerte Entwicklung des deutschen Verwaltungs(prozeß)rechts, daß die Bescheidungsklage als konkrete Rechtsschutzform zu dem Zweck bereitgestellt worden ist, womit zugleich die prozeßrechtliche Konsequenz aus der obenerwähnten NachkriegsRechtsentwicklung im Bereich der Ermessenslehre einerseits und der Lehre subjektiver öffentlicher Rechte andererseits gezogen wurde.

2. Materiellrechtliche Ansprüche auf Vornahme einer Verwaltungshandlung a) Anspruch auf Fürsorgeleistung In seinem Grundsatzurteil vom 24.Juni 1954 7 1 5 hat das BVerwG unter Hinweis auf die rechtsstaatlichen, sozialstaatlichen und demokratischen Grundsätze des GG die Subjektstellung des einzelnen als "Leitidee" des GG bezeichnet. In jener Entscheidung ging es um eine Klage auf Vornahme gem § 24 MRVO 165, mit der die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde zur Billigung einer höheren Leistung als Anspruch auf Fürsorge geltend gemacht wurde. Die damalige h.L., daß die einschlägigen Fürsorgeregelungen nur die Verwaltung zur Leistung verpflichteten, lehnte das BVerwG ab und erkannte unter Bezugnahme auf das GG den derzeit fast einmütig verneinten Anspruch des Hilfsbedürftigen auf Fürsorgeleistung an: 7 1 2

Götz, Polizeirecht, § 14 Rn 270, S.135.

7 1 3

Pietzcker, aaO.

7 1 4

BVerwGE 11,95 [99] = DVB1 1961, S.125 m.Anm.v. Bachof; a.A Fritz Czermak, Gibt es eine verwaltungsgerichtliche Bescheidungsklage ?, BayVBl. 1981, S. 7 1 5

BVerwGE 1,159; bestätigt in BVerwGE 5,27 [31].

176

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

Jegliche Ausübung grundrechtlicher Freiheit setzt voraus, daß die physischen und materiellen Voraussetzungen einer menschenwürdigen Existenz gewährleistet sind716. Ob dementsprechend ein Anspruch auf Hilfeleistung zur Sicherung des Existenzminimums aus den Grundrechten hergeleitet werden kann, hatte das BVerfG zu Anfang noch offen gelassen. Noch ganz dem liberalen Staats- und Grundrechtsverständnis verhaftet, hat es seinerzeit gemeint, weder Art.l Abs.l noch Art.2 Abs.2 S 1 GG räume ein Grundrecht auf angemessene Versorgung gegen den Staat ein. Das Gericht verwahrte sich zwar ausdrücklich gegen die Schlußfolgerung, daß der einzelne überhaupt kein verfassungsmäßiges Recht auf Fürsorge habe. Den Durchbruch zur Anerkennung eines grundrechtlichen Anspruchs auf Hilfeleistung zur Sicherung des Existenzminimums hat aber das BVerwG nun durch BVerwGE 1,159 vollzogen.

Durch dieses Urteil hat die von Bachof 718 festgestellte, aber heute zur Allgemeingültigkeit gelangte Erkenntnis, festen und deutlichen Niederschlag gefunden, daß unter der heutigen Verfassungsordnung alle objektivrechtlich gewollten Begünstigungen des Bürgers im Verhältnis zum Staat grundsätzlich und in der Regel keine bloßen Reflexe, sondern subjektive Rechte sind 7 1 9 . Angesichts deren grundlegenden Bedeutung für die ganze Problematik verdient diese Entscheidung nähere Erörterung. So führte das BVerwG aus: "... Es handelt sich also einerseits um eine Anfechtungs- und andererseits um eine Vornahmeklage. ... Eine Klage auf Vornahme eines beantragten Verwaltungsaktes kann nach § 24 dieser Verordnung (MRVO 165) nur darauf gestützt werden, daß der Kläger einen Rechtsanspruch auf die Vornahme habe (und daß die Verwaltungsbehörde den Antrag abgelehnt oder ohne zureichenden Grund innerhalb von zwei Monaten nicht beschieden habe) Das ... geltende Fürsorgerecht ... kennt Leistungen, zu denen der Träger der Fürsorge verpflichtet, und solche, deren Gewährung in sein Ermessen gestellt ist Die Vorschriften des Fürsorgerechts sprechen sich nicht ausdrücklich darüber aus, wem gegenüber diese Verpflichtung besteht, ob lediglich dem Staate oder auch dem Bedürftigen gegenüber, und ob dieser Pflicht ein Anspruch des Bedürftigen entspricht. Die Vorschriften bedürfen also insoweit einer Auslegung. Sie führte vor 1945 in Schrifttum und Rechtsprechung fast einmütig dazu, einen solchen Rechtsanspruch verneinen. Diese Ablehnung knüpfte nicht an eine ausdrückliche Bestimmung an, sondern beruhte auf hergebrachten sozialethischen Vorstellungen Das alte preußische Recht ... war nämlich stillschweigend von dem Grundsatz ausgegangen, daß die damals als Armenpflege bezeichnete Fürsorge dem Bedürftigen lediglich aus Gründen der öffentlichen Ordnung, nicht aber um seiner selbst willen zu gewähren sei ... und daß er daher nicht Subjekt der behördlichen Verpflichtung, sondern nur Objekt des behördlichen Handelns, Gegenstand der Pflicht sei, welche der Armenbehörde dem Staate gegenüber obliege. Dieser Grundsatz wurde später ohne Prüfung beibehalten, obwohl die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse und die sozialethischen Wertungen sich gewandelt hatten, obwohl die Rechtsprechung längst die Wohlfahrtspflege von der polizeilichen Aufgaben des Staates geschieden hatte, ... Spätestens

7 1 6

Dürig, in: Maunz/Dürig/Heraog/Scholz, GG, Art.l Rn 43,44, Art.3 Abs.l Rn 69ff.

7 1 7

BVerfGE 1,97 [104f.].

718 Vgl. Bachof, Reflexwirkungen und subjektive Rechte im öffenltichen Recht, GS W.Jellinek, S.287ff.[301]; ders., Klage auf Vornahme, S.78ff.; ders., DVB1 1961, S.130. 7 1 9

Bachof, GS W.Jellinek, S.301.

III. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts

177

seit dem Inkrafltreten des Grundgesetzes ist die frühere Auffassung nicht mehr haltbar. Die Leitgedanken des Grundgesetzes führen dazu, das Fürsorgerecht dahin auszulegen, daß die Rechtspflicht zur Fürsorge deren Träger gegenüber dem Bedürftigen obliegt und dieser entsprechenden Rechtsanspruch hat. ... Eine solche Leitidee ist die Auffassung über das Verhältnis des Menschen zum Staat: Der Einzelne ist zwar der öffentlichen Gewalt unterworfen, aber nicht Untertan, sondern Bürger. Darum darf er in der Regel nicht lediglich Gegenstand der staatlichen Handelns sein. Es wird vielmehr als selbständige sittlich verantwortliche Persönlichkeit und deshalb als Träger von Rechten und Pflichten anerkannt. Dies muß besonders dann gelten, wenn es um seine Daseinsmöglichkeit g e h t . " 7 2 0

Die Begründung des Urteils ist insoweit nicht gerade prägnant, als es ohne erkennbare Systematik die Grundrechte der Art.l, 2 ,3 und 19 Abs.4 GG sowie die rechts- und sozialstaatlichen Prinzipien der Art. 14 Abs.2, 20, 28 und 79 Abs. 3 GG bloß als jenen Grundsatz widerspigelnde Vorschriften anfuhrt 721 , um hieraus apodiktisch den verfassungsrechtlichen Anspruch auf die Fürsorgeleistung des damaligen Rechts abzuleiten 722 . Das Gericht hat aber die fortgeltende Fürsorgepflichtverordnung von 1924, die nach früherer Auffassung nur dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung diente, im Hinblick auf die Einwirkung der Verfassungsprinzipien und der Grundrechte dahin uminterpretiert, daß nunmehr dem Betroffenen ein Anspruch auf Fürsorgeleistung nach dieser Verordnung zustehe. Dadurch wurde frühzeitig 723 der Weg zu einer verfassungsrechtlichen Grundlegung bzw. Verstärkung der (aktiven) Subjektstellung des Einzelnen eröffnet - ein Grundstein fur die Weiterentwicklung des subjektiven öffentlichen Rechts zugunsten des Rechtsschutzes. Diese epochemachende Entscheidung sollte weiterhin paradigmatisch das Ende der überkommenen Auffassung vom subjektiven öffentlichen Recht für den Bereich der positiven Ansprüche gegen die Verwaltung bedeuten724: Das vom BVerwG gewonnene Ergebnis ist zu Recht allseits gebilligt worden 725 . Der Gesetzgeber hat bei der Ablösung des früheren Fürsorgerechts durch das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) v.30.6.1961 (BGBl I S.815) mit der ausdrücklichen Bestimmung, daß auf obligatorische Sozialhilfeleistungen ein Anspruch besteht (§ 4 Abs.l S 1 BSHG), die

7 2 0

BVerwGE 1,159 (Urt.v.24 Juni 1954 - BVerwG V C 78.54).

7 2 1

BVerwGE 1,159 [lólf.J.

7 2 2

Breuer, Grundrechte als Anspruchsnormen, S.96.

7 2 3

Der Bay V G H erkannte bereits 1949 im Gegensatz zur früheren Rechtsprechung ein Recht auf Fürsorgeleistungen an. VerwRspr.Bd.I S.351 = DV 1949, S.440 m.Anm.v. Naumann. Vgl. dazu Bachof, Klage auf Vornahme, S.90f.; Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S.118f. 7 2 4

72 S 1

Hong

Henke, aaO, S.l 19. Breuer, aaO, S.96 mit dort in Fn 40 angeführten Nachweisen.

178

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

gebotene Konsequenz gezogen, und auch das BVerfG 7 2 6 hat sich der Auffassung des BVerwG angeschlossen.727 b) Anspruch auf polizeiliches Einschreiten aa) Allgemeines Der Anspruch des Bürgers auf polizeiliches oder ordnungsbehördliches Einschreiten, welcher zu den meistdiskutierten Errungenschaften des neueren Polizei- und Ordnungsrechts gehört 728 , findet heute sowohl in der Rechtsprechung 729 als auch in der Literatur 3 0 allgemeine Anerkennung. Dieser Anspruch beruht nicht auf einer Entscheidung des Gesetzgebers, sondern auf einer richterlichen Konstruktion 731, mit der bisherige Rechtsentwicklungen aus der Lehre des subjektiven öffentlichen Rechts sowie der Ermessenslehre und aus dem Verständnis der polizeilichen Gene-alklausel in der Nachkriegszeit in eine der veränderten Rechtslage unter der Geltung des Grundgesetzes gerechte Verkoppelung gebracht werden konnten 732 . So fuhrt dies Götz folgendermaßen aus: Nach heute zur Geltung gelangter Auffassung hat derjenige, dessen Rechte, Rechtsgüter oder durch Normen des öffentlichen Rechtes geschützte Eigeninteressen konkret gefährdet oder gestört sind, gegenüber den zuständigen Polizei- und Ordnung-(Sicherheits-)Behörden ein subjektives öffentliches Recht auf fehlerfreie Ausübung des zum Zwecke der Gefahrenabwehr eingeräumten Ermessens. Ist nach der objektiven Rechtslage nur ein Einschreiten, nicht dagegen ein Absehen vom Einschreiten, als fehlerfreie Ermessensausübung denkbar, so 7 2 6

BVerfGE 40,121 [131].

7 2 7

Breuer, aaO, S.96.

7 2 8

Breuer, aaO, S.103f.

7 2 9

BVerwGE 11,95 [97]; 37,112 [113]; OVG Münster, OVGE 23,78; 24,72; OVG Lünerburg, DVB1 1967, S.779. 7 3 0 Wilke, Der Anspruch auf behördliches Einschreiten im Polizei-, Ordnungs- und Baurecht, in: FS Scupin 1983, S.831ff.; Götz, Polizeirecht, Rn 272ff., 269ff.; Drew/Wacke/Vogel, Gefahrenabwehr, Bd.I, 8.Aufl.1975, S.162ff., insb. S.169ff.; Friauf, Polizei- und Oranungsrecht, in: v.Münch(Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 7.Aufl. 1985, S.207ff.; Schneeberger, Ordnungsbehördliches Ermessen und Rechtsanspruch auf Eingriffe gegen Dritte, in: Wandlungen der rechtsstaatlichen Verwaltung (Schriftenreihe der Hochschule Speyer 13), 1962, S.77ff.; König, Rechtsanspruche auf Einschreiten der Behörde, BayVBl 1969, S.4Jff.; W.Martens, Zum Rechtsanspruch auf polizeiliches Handeln, JuS 1962, S.246ff.; ders., DÒV 1976, Schutz des einzelnen im Polizei- und Ordnungsrecht, S.457ff.; ders., Wandlungen im Recht der Gefahrenabwehr, DÖV 1982, S.89ff.; Ossenbühl, Polizeilicher Ermessens- und Beurteilungsspielraum, DOV 1976, S.463 [467ff.]; Frotscher, DVB1 1976, S.695 [703]; R.Maunz, Rechtsansprüche des Verletzten auf Einschreiten der Ordnungsbehörde gegen den Störer, BayVBl. 1977, S.135ff.; Schlink, Die polizeiliche Räumung besetzter Häuser, N V w Z 1982, S.529ff.; Ronellenfitsch, Der Anspruch auf polizeiliches Einschreiten bei Betriebsbesetzungen in der Druckindustrie, BB 1987, Beilage 6. 7 3 1

Wilke, aaO, S.831.

732 Ygj Franßen, Der Einfluß des Verfassungsrechts auf die Auslegung der polizei- und ordnungsrechtlichen Generalklausel, in: FS f.BVerwG, 1978, S.201ff.

ΙΠ. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts

179

erstarkt dieser Rechtsanspruch (quantitativ) zum Recht auf Einschreiten." Die Anerkennung eines derartigen subjektiven Rechts auf Einschreiten wird sonach mit Recht zu den bedeutsamen Fortsçhritten des rechtsstaatlichen Polizei- und Ordnungsrechtes in den letzten 30 Jahren g e z ä h l t 7 3 4 .

Darin liegt eine bemerkenswerte Abkehr von der früheren, klassischen polizeirechtlichen Doktrin, daß die Gefahrenabwehrermächtigungen nur dem öffentlichen Interesse dienen und dem in seinen Rechten und Interessen Gefährdeten die Anwendung dieser Ermächtigungen lediglich als vorteilhafter Rechtsreflex zugute komme. Dabei ist wiederum die nachkriegszeitliche Rechtsentwicklung nach Rechtsschutzerweiterung mit Nachdruck hervorzuheben: Dem Anspruch auf Einschreiten wurde der Boden bereitet durch die Einführung der versvaltungsgerichtlichen Generalklausel und die damit verbundene prozessuale Zulassung der verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsklage; darauf basierte wiederum die Herausbildung der Rechtsfigur des Rechtsanspruches auf fehlerfreien Ermessensgebrauch 735. bb) Bandsäge-Urteil des BVerwG i. Gilt die Frage heute als geklärt, ob dem Bürger das Recht zustehen kann, von Polizei- und Ordnungsbehörden ein Einschreiten gegen störende Dritte zu verlangen, so hat sich darum bahnbrechend das Bandsäge-Urteil des BVerwG verdient gemacht. In Anbetracht seiner grundsätzlichen und weittragenden Bedeutung und seiner von Bachof gerügten dogmatischen Schwäche in der juristischen Begründung des Anspruchs 736 zum anderen bedarf es hier besonderer Beleuchtung. Dem Urteil lag der folgende Sachverhalt zugrunde: Die Kläger beantragten wegen Belästigung durch Staub und Geräusch ein baupolizeiliches Verbot des in ihrer Nachbarschaft im Wohngebiet betriebenen Kohlen- und Fuhrgeschäfts der Beigeladenen. Die Behörden hielten den Betrieb nicht fur baurechtswidrig und lehnten das Einschreiten ab. Das OVG Berlin hat diese erstinstanzlich erfolgreiche Vornahmeklage mit der Begründung abgewiesen, es fehle für diese an einem Rechtsanspruch der Kläger auf ein bestimmtes Handeln der Behörde. Nach der Bauordnung sei die Baupolizei berechtigt, aber nicht verpflichtet, vorschriftenmäßige Zustände herstellen zu lassen; das Einschreiten stehe in ihrem Ermessen.

In diesem Fall stehen der Formulierung von Götz 7 3 7 zufolge im Grunde zwei Fragenkomplexe an: 1. Darf die Bauaufsichtsbehörde den Betrieb des 7 3 3

Götz, Polzeirecht, Rn 273f.

7 3 4

Götz, aaO, Rn 273f.; Vgl. auch Ronellenfitsch, BB 1987, S.5.

7 3 5

Götz, aaO, Rn 274; Bachof, Klage auf Vornahme, insb. S.92ff.; auch Ronellenfitsch,

S.5.

1

7 3 6

Bachof, Anmerkung zu diesem Urteil, DVB1 1961, S.128.

7 3 7

Götz, aaO, Rn 89.

180

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

Kohlen- und Fuhrgeschäftes untersagen ? Die Untersagung bedürfte als Verbots-Verfugung gesetzlicher Grundlage, die in erster Linie in den Landesbauordnungen und, bei Fehlen solcher Bestimmungen, in den polizeilichen Generalermächtigungen zu suchen ist. Nach allen hiernach in Betracht kommenden Bestimmungen kommt es darauf an, ob der Beigeladene die öffentliche Sicherheit dadurch verletzt, daß er sein Grundstück unter Verstoß gegen das geltende Bauplanungsrecht nutzt; 2. Erst wenn hiernach ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit festzustellen ist, stellt sich die weitere Frage, ob die Kläger gegenüber der Bauaufsichtsbehörde ein Recht daraufhat, daß diese gegen den Beigeladenen einschreitet 738. Nur weil sich das mit dem Fall befaßte OVG Berlin nicht an diese Reihenfolge der Fragestellung hielt, sondern - die Frage der Baurechtswidrigkeit offenlassend ein Recht der Kläger gegenüber der Bauaufsichtsbehörde auf Einschreiten gegen Beigeladenen verneinte, konnte dieser Fall nach Ansicht von Götz beim BVerwG zum leading case fur das Institut des Rechtsanspruchs auf polizei- und ordnungsbehördliches Einschreiten werden .

ii. Zur Erklärung der Problematik des Anspruchs auf Einschreiten ließen sich diesem Urteil immerhin manche bemerkenswerte Anhaltspunkte entnehmen. Das BVerwG ging in diesem Fall von der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers in dem Sinne aus, daß ein Gesetz einerseits den Inhalt des Eigentums durch nachbarschützende Bestimmungen des öffentlichen Baurechts materiell erweitert, andererseits aber zum Schutz der so begründeten Eigentumsrechte die Hilfe der Polizei nur nach Maßgabe des Opportunitätsgrundsatzes zur Verfugung stellt. Opportunitätsprinzip und Ermessensfreiheit selbst trügen aber, so fuhrt es fort, - und eben darum hätten sie Platz im Rechtsstaat - gewisse Schranken an sich. 7 4 0 "Sie geben keine Freiheit der Willkür, sondern decken nur das sogenannte pflichtgemäße Ermessen. Die Behörde muß sich von dem Sinn des Gesetzes leiten lassen, das ihr ein Ermessen einräumt. ... Das hier in Rede stehende polizeiliche Ermessen hat sich nach der leitenden Aufgabe der Polizei, der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, zu richten. Soweit die verletzten Vorschriften zugleich dem Nachbarschutz dienen, sind auch die Nachbarn zu berücksichtigen. Bei hoher Intensität der Störung oder Gefährdung kann eine Entschließung der Behörde zum Nichteinschreiten unter Umständen sogar als schlechthin ermessensfehlerhaft erscheinen. Praktisch kann deshalb die rechtlich gegebene Ermessensfreiheit derart zusammenschrumpfen, daß nur eine einzige ermessensfehlerfreie Entschließung, nämlich zum Einschreiten, denkbar ist und höchstens für das Wie des Einschreitens noch ein ausnutzbarer Ermessensspielraum der Behörde offenbleibt. Unter dieser besonderen Voraussetzung kann der an sich nur auf ermessensfehlerfreie Entschließung

7 3 8

Götz, aaO, Rn 89.

7 3 9

Götz, aaO, Rn 89, S.49. Im Verlauf des Verfahrens stellte sich heraus, daß der Betrieb des Kohlen- und Fuhrçeschâftes gar nicht baurechtswidrig war, so daß die Klage schon aus diesem Grunde abzuweisen war. 7 4 0

BVerwGE 11,95 [96f.].

III. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts

181

der Behörde gehende Rechtsanspruch im praktischen Ergebnis einem strikten Rechtsanspruch gleichkommen." (Hervorhebung: Verfasser)

iii. Es ist eine ausgemachte Sache, daß der Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung fur die Begründung des Anspruchs auf Einschreiten eine unentbehrliche Bedeutung hat. Der Ausgangspunkt zur Anerkennung des Anspruchs auf fehlerfreie Ermessensausübung ergibt sich zunächst daraus, daß die Ermessensfreiheit keineswegs eine Freiheit der Willkür bedeutet. So hat Bachof einmal den Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung im Abwehrfall, also im Hinblick auf das subjektive Recht als Voraussetzung der Anfechtungsklage beschrieben: "Hier liegt Ermessensmißbrauch vor. Jedes Verwaltungsgericht würde eine solche Entscheidung auf Klage des Nachbarn aufheben. Was bedeutet das aber anders, als daß dem von der Entscheidung betroffenen Nachbarn auch bei Fehlen eines auf ein bestimmtes Ergebnis der behördlichen Entscheidung abzielenden materiellen subjektiven Rechts doch wenigstens ein formelles subjektives Recht darauf zuerkannt wird, daß die Behörde ihre Entscheidung nicht unter Außerachtlassung der ihrem Ermessen gezogenen Grenzen trifft ? Zutreffend hat man datier ein (formelles) subjektives Recht auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens anerkannt."' 4 2 Hier ist allerdings von einem wichtigen Anknüpfungspunkt nicht die Rede: Das Vorliegen eines Ermessensfehlers führt nur zur (objektiven) Rechtswidrigkeit der Ermessensausübung, aber zumindest noch nicht zu einem Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung, soweit das Ermessen eine Frage der Kompetenz ist. Diese Erkenntnis fand aber einwandfrei in seiner eingehenden Anmerkung zum Bandsäge-Urteil Niederschlag, als er die angebliche Annahme des Berufungs- bzw. Revisionsgericht kritisierte, aus der Begrenzung des Ermessens auf eine "pflichtgemäße" Ermessensausübung ergebe sich ohne weiteres ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung für denjenigen, der durch fehlerhafte Ermessensbetätigung einen Nachteil erleide: "Erste Voraussetzung eines Anspruchs wie überhaupt jedes subjektiven Rechts ist, daß die Norm den Interessen des einen Anspruch Behauptenden nicht nur tatsächlich zugute kommt, sondern auch diese Interessen zu schützen bestimmt ist. Nur dann hat der Begünstigte ein "rechtlich geschütztes Interesse", und erst dann kann die weitere Frage gestellt werden, ob dies Interesse, durch die Einräumung der Willensmacht (oder "Rechtsmacht") zur Geltendmachung des Interesses, zum subjektiven Recht erstarkt i s t . " 7 4 3

Eine ermessensfehlerfreie Entscheidung kann nur deijenige beanspruchen, dessen Rechtssphäre betroffen ist, wie es bereits Bachof und nunmehr Pietzcker zu Recht betont 744 . Somit tritt ein wesentlicher Aspekt des Anspruchs als subjektives öffentliches Recht eindringlich hervor: Wiederum zu Hilfe gerufen wird daher die Schutznormtheorie. Für diesen Fall bedeutet sie, daß sich der Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung ohne derartiges subjektive Betroffensein aus einem ermessensfehlerhaften, deswegen rechtswidrigen Nicht-Einschreiten noch nicht ergeben kann. Daran ändert sich nichts, wenn auch einmal das der Behörde eingeräumte Ermessen auf Null geschrumpft ist: Ermessensschrumpfung auf Null besagt 7 4 1

BVerwGE 11,95 [97].

7 4 2

Bachof, Klage auf Vornahme, S.68f.

7 4 3

Bachof, DVB1 1961, S.130.

7 4 4

Pietzcker, aaO, S. 108.

182

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

begriffsgemäß nur das Bestehen einer Pflicht zum Einschreiten seitens Verwaltung, weil dieses als einzig denkbare fehlerfreie Ermessensausübung erscheint. Es ist darum nun zunächst zu prüfen, ob die ermessenseinräumende Norm, hier die polizeiliche Generalklausel auch dem Schutz des Interesses des Betroffenen zu dienen bestimmt ist, mit anderen Worten, die polizeiliche Generalklausel als Schutznorm einen Anspruch des Betroffenen begründen kann. Diese also letztendlich auf die Schutzrichtung und -umfang der polizeilicher Generalklausel gehende Frage ist im obigen Fall wohl zu bejahen. Denn der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfaßt seine herkömmlichen Verständnis nach neben dem Bestand des Staates und der Funktionsfähigkeit seiner Einrichtungen auch Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre und Vermögen des einzelnen 745 . iv. Bachof hat das Urteil indessen dahingehend gerügt, es leide in der Begründung an der dogmatischen Schwäche, daß es den Abwehranspruch gegen rechtswidriges Tun der Polizei nicht klar von dem Vornahmeanspruch auf Einschreiten gegen einen Störer unterscheide, und daß es von dem ersten Anspruch ohne weiteres auf den zweiten schließe 746 . Das Urteil lasse die Unterscheidung zwischen dem Abwehranspruch gegen rechtswidriges baupolizeiliches Tätigwerden einerseits und dem Leistungsanspruch auf (bau- oder allgemein-) polizeiliches Tätigwerden andererseits vermissen: Auch ergebe sich der zweite Anspruch keineswegs notwendig aus dem ersten . So fuhrt er fort: " . . . Nun betont das Urteil zwar mit Recht, die Polizei habe bei der Betätigung ihres Ermessens zum Einschreiten gegen baurechtswidrige Zustände die Nachbarn (nur) dann zu berücksichtigen, wenn "die verletzten Vorschriften zugleich dem Nachbarschutz dienen". Aber das Urteil läßt nicht ersehen, welche Vorschriften es dabei im Auge hat. Es kommt nach den obigen Darlegungen darauf an, ob diejenigen Normen, welche das Einschreiten der Polizei gegen polizeiwidrige Zustände oder gegen polizeiwidriges Verhalten regeln, den Individualinteressen des durch ein Einschreiten Begünstigten zu dienen bestimmt sind; dabei würde es genügen, wenn sie auch - neben dem Allgemeininteresse - jenen Individualinteressen dienen. Es kommt dagegen, um das nochmals deutlich hervorzuheben, nicht darauf an oder genügt jedenfalls nicht, daß irgendwelche materiellen Baurechtsnormen den Nachbarn des Störers zu schützen bestimmt sind. Daraus allein ließe sich zwar ein Unterlassungsanspruch gegen den Störer aber kein Anspruch auf Einschreiten der Polizei gegen den Störer herleiten. Diesen Unterschied hat das Urteil nicht herausgearbeitet. °

Gegen Bachofs Kritik wendet sich vor allem Wilke: Das Vorgehen des Gerichts, mittels einer Umdeutung der Eingriffsvorschriften des Polizei- und Baurechts, insbesondere der polizeilichen Generalklausel, Abhilfe zu schaffen, sei nicht zu beanstanden. Er räumt zwar ein, daß die bloße Charakterisierung baurechtlicher Vorschriften als nachbarschützender und 7 4 5 W.Martens, DÖV 1976, S.457ff.[458] mit dort in Fn 5 angeführten Nachweisen, insbesondere Begründung zu § 14 PrPVG; Götz, Polizeirecht, Rn 75ff. 7 4 6

Bachof, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht, D 7, S.283.

7 4 7

Bachof, DVB1 1962, S.129.

7 4 8

Bachof, aaO, S.130.

. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts

183

damit subjektiv-rechtlich geprägter Bestimmungen nur dazu führe, daß der berechtigte Nachbar von der Behörde ein baurechtgemäßes Verhalten fordern kann, z.B. die Verweigerung einer Baugenehmigung749. Wenn eine nachbarschützende Vorschrift vom Tatbestand einer Eingriffsnorm erfaßt werde - etwa weil sie das Merkmal der "öffentlichen Sicherheit" ausfallt -, teile sie der Eingriffsnorm ihren subjektiv-rechtlichen Gehalt mit und verändert dadurch deren Rechtscharakter. Diese Transformationswirkung bestehe im Gebot, die von der nachbarschützenden Vorschrift umhegten Rechtsgüter bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen: Das objektivrechtliche Opportunitätsprinzip werde dabei um einen subjektiv-rechtlichen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung angereichert 750. Das Argument, bereits die Kombination von nachbarschützender Vorschrift und Eingriffsnorm führe zu Bejahung eines Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, ist allerdings im Grunde genommen dogmatischem Bedenken ausgesetzt: Es ist zunächst fraglich, ob und gegebenenfalls inwieweit solche Kombination einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung immer begründen kann. Ferner, die obengenannte erste Frage im Fall des BandsägeUrteils bezieht sich zwar auf den Verstoß gegen (nachbarschützendes) Baurecht, stellt sich aber als Voraussetzung polizeilichen Eingreifens unter dem Gesichtspunkt des Opportunitätsprinzips. Tatbestandausfüllung in diesem Sinne allein verändere den Rechtscharakter der polizeilichen Generalklausel nicht, die eigentlich auch auf den Schutz privater Rechte abstellt. Der Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung kann sich aber ohne Heranziehung der nachbarschützenden Vorschriften etwa schon aus dem Betroffensein des Rechtsguts Gesundheit ergeben. Von daher ist es nicht unverständlich, daß die vom BVerwG über den nachbarschützenden Charakter der Baugebietsbestimmung entwickelte Konstruktion zur Folge hatte, daß eine Behörde einen Bürger auch dann ermessensfehlerfrei bescheiden muß, wenn es nicht um die Anwendung nachbarschützender Vorschriften geht, vielmehr die polizeiliche Eingriffsnorm allein maßgeblich ist. Dies nimmt auch Wilke bewußt in Rücksicht: "Denn es wäre nicht verständlich, warum dem durch eine spezielle Vorschrift des Baurechts begünstigten Nachbarn ein subjektives öffentliches Recht zustehen soll, während deijenige, dessen Rechtsgüter - wie Leben, Gesundheit und Eigentum - unmittelbar durch die polizeiliche Generalklausel geschützt werden, sich mit einer tatsächlichen und deshalb gerichtlich nicht durchsetzbaren Reflexwirkungen begnügen sollte." 7 5 1 Diese Erkenntnis hat das BVerwG in einer späteren Entscheidung vollzogen, als es die Generalklausel des § 14 PrPVG als "Rechtsgrundlage für das vom Kläger beantragte Einschreiten der Ordnungsbehörde" gegen die Zuführung^ von Gerüchen und Rauch in Betracht z o g 7 5 2 . Im Ergebnis ist jedoch Wilke beizupflichten, soweit er wohl zutreffend dazu hinzufügt, daß der Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung unmittelbar auf die Eingriffçnorm oder auf die mit einer Spezialvorschrift verknüpfte Eingriffsnorm gestützt werden k a n n 7 5 3 . Damit habe sich die Erkenntnis durch7 4 9

Wilke, aaO, S.836.

7 5 0

Wilke, aaO, S.836.

7 5 1

Wilke, aaO, S.836f.

7 5 2

BVerwG, DVB1 1969, S.586; Wilke, aaO, S.837.

7 5 3

So auch Steinberg, Grundfragen des öffentlichen Nachbarrechts, NJW 1984, S.457ff. [462]; Vgl. auch BVerwGE 37,112 [113ff.]

184

C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

gesetzt, daß die polizeiliche Generalklausel, insoweit sie sich (auch) dem Schutz individueller Rechtsgüter widmet, eine nachbar- oder drittschützende Norm ist .

Nicht zu leugnen ist andererseits vielmehr, daß darin im Gegensatz zum herkömmlichen Nachbarverhältnis ein neuer Aspekt der Problematik liegt, nämlich der Aspekt des Schutzanspruches. Daran ist eindringlich gelegen, als man von dort her die verfassungsrechtliche Fundierung des Anspruchs, sei es über Grundrechte als Anspruchsnormen 755 oder durch die Begründung der Schutzpflicht aus der Aufgabennorm (nicht aber aus der Ermächtigungsnorm wie § 14 PrPVG) 7 5 6 , unternommen hat. Dies geschah ohnehin durch das Bandsäge-Urteil auf der verwaltungsrechtlichen Ebene, und zwar unter Heranziehung und Wandel in der Interpretation der polizeilichen Generalermächtigung 757: Rechtsdogmatisch ist das Auseinanderfallen der (objektiven) kompetenzrechtlichen Dimension des Ermessens einerseits und der subjektiven Dimension des subjektiven öffentlichen Rechts andererseits wohl eine unabweisliche Konsequenz, erklärt aber zugleich, weshalb von diesem Anspruch auf Einschreiten üblicherweise wenn auch nicht immer im Polizei- und Ordnungsrecht die Rede ist. Daß der Ansatzpunkt zur Herleitung des Anspruchs nun nicht lediglich in den verletzten, nachbarschützenden Bestimmungen des Baurechts, sondern vielmehr in der polizeilichen Generalklausel zu suchen ist, macht aber vielmehr jenen paradigmatischen Wandel des Polizeirechtsverhältnisses sichtbar, wie ihn W.Martens zu Recht beobachtet hat' . Während das Polizeirechtsverhältnis im herkömmlichen Sinne bipolar begriffen, also zwischen Polizei und Störer oder auch Antragsteller begrenzt worden, geht es hier um die Problematik des Schutzanspruchs auf der verwaltungsrechtlichen Ebene, in der der beeinträchtigte Dritte nunmehr in das Rechtsverhältnis einbezogen worden ist und dadurch aus der Rolle eines bloßen Destinatärs obrigkeitlicher Interessenwahrnehmung in den Status eines anpruchsberechtigten Rechtssubjekts hineingewachsen ist. Diese Fallkonstellation hebt sich auch vom Abwehrfall dadurch ab, daß es an einer entsprechenden Generalnorm für ein Tätigwerden der Verwaltung fehlt, während sich der überkommene Abwehranspruch gegen rechtswidriges baupolizeiliches Handeln ohne Schwierigkeiten aus den Freiheitsrechten sowie aus dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ableiten läßt 7 . Der Anspruch auf Einschreiten bezieht sich auf das trigonale Rechtsverhältnis, wobei sich die Frage nach einer Rechtsgrundlage des Anspruchs nicht in der Feststellung des nachbarschützenden Charakters der verletzten Norm erschöpft, auf die sich geradezu die (angeblich rechtswidrige) Beeinträchtigung bezieht. Dadurch wird er in eine ganz besondere Dimension des positiven Vornahme-Anspruchs verlagert.

7 5 4

Wilke, aaO, S.836f. m.w.N. in Fn 41,42.

7 5 5

Breuer, Grundrechte als Anspruchsnormen, S.104f.

7 5 6

Knemeyer, VVDStRL 35 (1977), S.233ff.; ders., Funktionen der Aufgabenzuweisungsnormen, DÖV 1978, S . l l f . ; ders., Polizei- und OrdnungsR, § 13 ID); ders., Der Schutzanspruch im Baurecht, DVB1 1978, S.37ff. Zu diesem, vor allem angesichts der Unvereinbarkeit mit dem geltenden Recht mehrfach kritisierten Versuch von Knemeyer, s. auch Martens, W . , DÖV 1982, S.97; Schlink, aaO, S.532; Götz, Polizeirecht, Rn 266; Ronellenfitsch, aaO, S.5. 7 5 7

Götz, Polizeirecht, Rn 274.

7 5 8

Martens, W., Wandlungen im Recht der Gefahrenabwehr, DÖV 1982, S.89ff.[96].

7 5 9

Bachof, DVB1 1961, S.129.

185

III. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts

Die bahnbrechende Bedeutung des Bandsäge-Urteils vom BVerwG, dem im Ergebnis durchaus beizupflichten ist, liegt immerhin darin, daß ein Rechtsanspruch auf polizeiliches Einschreiten nicht an der Ermessensfreiheit der Polizei zu scheitern braucht; es kann sich dann ein Anspruch auf rechtsfehlerfreie Ermessensentschließung über das Einschreiten ergeben, wenn das Ermessen auf Null reduziert ist. An dieser Auffassung hielten sowohl das BVerwG selbst als auch Oberverwaltungsgerichte in der Folgezeit mit ganz überwiegender Billigung des Schrifttums fest 760 . Diese Bedeutung wird nicht dadurch geringer, daß bereits vor dem Bandsäge-Urteil Anstöße der Oberverwaltungsgerichte ergangen w a r e n 7 6 1 und der Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung schon lange als Bestandteil des allgemeinen Verwaltungsrechts gegolten hatte, wie Ronellenfitsch meint. Seine einschränkende, an sich wohl nicht fehlgeschlagene Würdigung, das Urteil verankerte das subjektive öffentliche Recht auf fehlerfreie Ermessensbetätigung auch im Recht der Gefahrenabwehr 6 2 (Hervorhebung Verfasser), ließe aber das wichtigere aus den Augen verlieren, daß die Anerkennung des Anspruchs auf Einschreiten erst über die verfassungsbedingt gewandelte Interpretation der Generalermächtigung im Polizei- und Ordnungsrecht vollzogen wurde. So hat Franßen dessen Anerkennung als "ein beredtes Beispiel dafür" bezeichnet, "welchen Einfluß verfassungsrechtliche "Fernwirkungen" auf die Auslegung des geltenden Polizei- und Ordnungsrechts zu entfalten vermögen" 7 6 4 .

cc) Voraussetzung und Anwendungsbereich des Anspruchs auf polizeiliches Einschreiten i. Trotz der bahnbrechenden Erkenntnis des BVerwG im Bandsäge-Urteil bestehe nach Ansicht von Wilke immer noch Unklarheit darüber, wann und unter welchen Voraussetzungen der Anspruch auf polizeiliches Einschreiten entsteht, also die Behörde auf Antrag des durch eine - spezielle oder generelle - Norm Begünstigten gegen Dritte vorgehen muß 7 6 5 : Die im Bandsäge-Urteil vom BVerwG benutzte Formel, etwa die Wendung "Vorliegen einer rechtlich gegebenen, aber praktisch durch die Lage des Einzelfalles ausgeschalteten Ermessensfreiheit " 7 6 6 zeigt zwar die zu verfolgende Richtung an, sei aber nicht präzis genug. Aus dem bisher gewonnenen Befund stellt sich heraus, daß der Anspruch zunächst an zwei Voraussetzungen geknüpft ist:

7 6 0 Ronellenfitsch, aaO, S.6; Wilke, aaO, S.834. Zur nachfolgenden Entwicklung der und Kritik an dieser Judikatur vgl. Ule, aaO, S.1077. 7 6 1 Wie etwa OVG Lüneburg, DVB1 1960, S.648f.; vgl. Verpflichtungsklage im Umweltschutzrecht, BB 1972, S.1076ff.[1077f.]. 7 6 2

Ronellenfitsch, aaO, S.5.

7 6 3

Götz, Polizeirecht, Rn 274.

7 6 4

Franßen, FS f. BVerwG, S.215f.

auch

Ule,

Zur

765 \ y i i k e > aaO, S.838, 831. Allzu unverständlich ist dies jedoch nicht, da der Anspruch eigentlich als ein Produkt richterrechtlicher Kasuistik entwickelt worden ist. So Ronellenfitsch, aaO, S.6; Wilke, aaO, S.831. 7 6 6

BVerwGE 11,98, 101.

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C. Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

Erstens müssen die Polizeibehörden zumindest auch dem einzelnen gegenüber materiell verpflichtet sein, ihr Entschließungsermessen zu betätigen. Zweitens muß der Ermessensspielraum so reduziert sein, daß als emzige fehlerfreie Ermessensentscheidung nur noch die zum Einschreiten in Betracht kommt.

Für eine rechtsfehlerfreie Ermessensausübung haben neben anderen Umstanden auch das Ausmaß oder die Schwere der Störung oder Gefährdung 768 , oder "besonders schwere Gefahrenfalle" 769 eine maßgebende Bedeutung. Neben diese Intensitäts-(oder Schwere-) Formel, also die Ermessensreduktion kraft Intensität tritt aber auch die "Ermessensreduktion kraft ungerechtfertigter Passivität"770, die bei jeder Art von SchutzgutGefährdung in Betracht kommen kann 7 7 1 . Die Verwaltungsgerichte, die über Klagen auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen baurechtswidriges Tun Dritter entscheiden müssen, verlangen zumeist nicht, worauf Wilke hinweist, daß hochwertige Rechtsgüter gefährdet oder sonstige schwere Gefahren vorhanden sein müssen, sondern begnügen sich mit der Prüfung, ob die Ermessensausübung korrekt w a r 7 7 2 . Dies stimmt mit der von maßgeblichen Autoren des Polizeirechts konstatierten Tendenz überein, auch bei Gefährdung weniger gewichtiger Rechtsgüter des einzelnen Ermessensschrumpfung in Erwägung zu ziehen und sie schon bei Gefahren "mittleren Gewichts" für möglich zu halten 773 . So läßt die Rechtsprechung z.T. jede Rechtsgutverletzung genügen, teilweise aber auch minderschwere Rechtsgutbeeinträchtigungen, wie Belästigungen durch Taubenhqitung , übermäßigen Verkehrslärm 7 7 5 oder unzumutbares Ausmaß des Glockengeläuts 776 , oder verkehrsrechtliche Behinderungen 777 . Ein anschauliches Beispiel dafür liefert der Garagenausfahrt-Fall des BVerwG: "Der Anlieger, der seine Garagenausfahrt nicht benutzen kann, wenn auf der gegenüberliegenden Seite der Straße Fahrzeuge parken, hat gegen die Straßenverkehrsbehörde einen (mit der Verpflichtungsklage zu verfolgenden) Anspruch auf

7 6 7

Ronellenfitsch, aaO, S.6.

7 6 8

BVerwGE 11,97.

7 6 9

DVB1 1969, S.586 = DÖV 1969, S.465.

7 7 0

Dazu vgl. Wilke, aaO, S.840ff.: In ihrer rechtlichen Konstruktion wichen sie nicht von einander ab. In beiden Varianten neigt sich bei der Ausübung des Ermessens die Waage zugunsten des Einschreiten. 7 7 1

Götz, Polizeirecht, Rn 269.

7 7 2

Wilke, aaO, S.841, mit Nachweisen in Fn 47 (S.838f.).

7 7 3

W.Martens, DÖV 1982, S.97; vgl. auch Wilke, aaO, S.841f. mit Nachweisen in Fn 59.

7 7 4

OVG Berlin, NJW 1983, S.777f.[7781.

7 7 5

OVG Münster, N V w Z 1983, S. 101 f. [ 102J.

7 7 6

VG Stade, N V w Z 1989, S.497ff.[499].

7 7 7 BVerwGE 37,112; OVG Lüneburg, NJW 1985, S.2966 (Anspmch auf Errichtung einer Ampelanlage).

. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts

187

ermessensfehlerfreie Entschließung darüber, ob und ggf. welche Maßnahmen (gem. § 4 Abs.l S.l StVO) zur Beseitigung dieser Behinderung zu treffen sind."

ii. Es ist aber andererseits zu berücksichtigen, daß der Umfang des Schutzanspruchs strikt dem Umfang des Ermessensspielraums der Behörde korrespondiert 779 . Das betrifft die Generalermächtigung der Polizei, bedeutet nun: Verlangt werden kann nur, was sie tun darf oder soll, und wenn sie es tun darf. Dies stellt die Frage nach dem Subsidiaritätsprinzip als Grenze polizeilichen Einschreiten, das sich auf die Aufgabenstellung der Polizei durch Generalklausel bezieht 780 . Es ist einerseits zu fragen, ob die Polizeiund Ordnungsbehörde je nach der Fallkonstellation gegen den Störer einschreiten darf. Denn sie darf zum Schutz privater Rechte nur subsidiär, d.h. nur unter den Voraussetzungen tätig werden, daß der Berechtigte ausreichenden gerichtlichen Schutz nicht rechtzeitig erlangen kann und daß die Verwirklichung seines Rechts ohne die polizeiliche Hilfe vereitelt oder wesentlich erschwert w i r d 7 8 1 . Diese Frage ist neuerdings im Hinblick auf die polizeiliche Räumung besetzter Häuser mit bedrückender Aktualität diskutiert w o r d e n 7 8 2 . Die umstrittene Frage, ob die Voraussetzungen polizeilichen Tätigwerdens erst dann erfüllt sind, wenn das zugleich mit dem Privatrecht verletzte oder gefährdete Strafrecht originäre öffentliche Rechtsgüter schützt , oder schon dann, wenn überhaupt ein Zugleich von Privat- und Strafrechtswidrigkeit v o r l i e g t 7 8 4 , müsse nach Auffassung von Schlink danach beantwortet werden, was der Sinn des Subsidiaritätsprinzip i s t 7 8 5 . Der Sinn könne nicht sein, die Polizei zu entlasten: Wenn die Polizei unter der Geltung des Subsidiaritätsprinzip nicht tätig werden dürfe, dann deswegen, weil das Prinzip, was allerdings im polizeirechtlichen Schrifttum nicht immer deutlich gemerkt wird' , den Gewaltenteilungsgrundsatz aktualisiere. Das Subsidiaritätsprinzip gilt nach der zutreffenden Auffassung von G ö t z 7 8 7 bei der Abwehr von Gefahren für private 7 7 8

BVerwGE 37,112.

7 7 9

Götz, Polizeirecht, Rn 273.

780

War die Polizei im eigentlichen "materiellen" Sinne in der Epoche des konstitutionellen Staates mit der Funktion der öffentlichen Verwaltung, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren und bereits eingetretene Störungen zu beseitigen, identisch, so liegt heute der Begriff der Polizei auf einer aneren Ebene als solcher überkommene materielle Polizeibeçriff. Denn die Trennung von Polizei und Ordnungsverwaltung hat sich durch den Entpolizeilichungsprozeß durchgesetzt, wenn auch der Gesetzgeber mehrerer Länder jedenfalls der Polizei wie der Ordnungsverwaltung die traditonelle Gefahrenabwehr-Generalklausel zur Verfügung stellt. Dazu vgl. Götz, aaO, Rn 14ff., 24. 7 8 1

Götz, aaO, Rn 77 mit den Nachweisen vieler Polizeigesetze.

7 8 2

Vgl. W.Martens, DÖV 1982, S.97, der solche Fälle zu einer Krisenerscheinung des Anspruchs auf polizeiliche Einschreiten rechnet. 7 8 3

Etwa/wie Ule/Rasch, Allg.Polizei- und OrdnungsR, 1965, S.47; F.Baur, JZ 1962, 76f.

7 8 4

Besonders deutlich bei Götz, Polizeirecht, Rn 77, S.41. Dies sei in großem Umfang der

Fall. 7 8 5

Schlink, Die polizeiliche Räumung besetzter Häuser, N V w Z 1982, S.529ff.[532].

7 8 6

Vgl. immerhin Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 8.Aufl. (1975/1977), Bd.2, S.Ì22. 7 8 7

Götz, aaO, Rn 77.

188

.

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Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

Rechte und Rechtsgüter nur dann, wenn die Gefahr ausschließlich privatrechtswidrig ist und daher mit den Mitteln des privatrechtlichen Anspruches und seiner prozessualen Durchsetzung bewältigt werden könnte. Ist sonach der polizeiliche Schutz individueller Rechte schon beim konkurrierenden öffentlichen oder strafrechtlichen Schutz nicht mehr subsidiär, scheitert die polizeiliche Räumung nur dann am Subsidiaritätsprinzip, wenn der Berechtigte sich auf der Ebene des Privatrechts einläßt. In den vom Mietrechtsverbesserungsgesetz und den Zweckentfremdungsverordnungen erfaßten Städten kommt daneben das Zweckentfremdungsverbot als zweite Grenze polizeilichen Einschreitens auch in Betracht. In einer solchen Fallkonstellation ist nach Auffassung von Schlink von einem 'Grundsatz1 auszugehen: keine Beseitigung einer Störung, wenn daraus wieder die Verursachung einer Störung resultieren w ü r d e ' 8 8 . Dieser Grundsatz komme sowohl als eine absolute wie als eine relative Grenze polizeilichen Tätigwerdens in Betracht. Bei einer relativen Grenze wäre, so führt er aus, die Beurteilung des Gewichts der zu beseitigenden und der daraus resultierenden Störung Gegenstand des polizeilichen Ermessens und müßte die Störungsbeseitigung wegen der Störungsverursachung nur dann unterbleiben, wenn das polizeiliche Ermessen entsprechend schrumpft. Bei einer absoluten Grenze wäre der Polizei demgegenüber die Beseitigung einer Störung, wenn daraus wieder die Verursachung einer Störung resultiert, schlechthin v e r w e h r t 7 8 9 . Das dort auftretende Dilemma, daß die Störungsbeseitigung zugleich eine Störungsverursachung darstellt, könne und müsse daher dadurch vermieden werden, daß das Haus nur dann geräumt wird, wenn nach der Räumung die zweckentsprechende Verwendung oder die genehmigte Zweckentfremdung gewährleistet ist' .

Es ist andererseits zu bemerken: Eine schematische "Ermessensschrumpfung auf Null" besteht nicht, worauf Götz zutreffend hinweist 791 . So ist es auch nicht zu beanstanden, daß das VG Berlin keine absolute Pflicht der Polizei zum sofortigen oder jederzeitigen Eingreifen gegen eine Hausbesetzung angenommen hat 7 9 2 . iii. Seitdem der Anspruch auf polizeiliches Einschreiten durch das Bandsäge-Urteil des BVerwG im typischen Rechtsbereich des Polizei- und Ordnungsrechts oder Baurechts zum Durchbruch gelangte, wird das subjektive öffentliche Recht heute teilweise auf andere Rechtsgebiete erstreckt, oder seine Übertragung auf verschiedene Rechtsbereiche diskutiert sowie befürwortet. Davon ist die Rede besonders aktuell im Umweltschutzrecht 793 wie im Immissionsschutzrecht oder Atomrecht, oder im Gewerberecht wie im Gaststättenrecht794. Ansatzpunkte dafür sind neben der polizeilichen Generalermächtigung des allgemeinen Rechts der Gefahrenabwehr spezialgesetzliche Eingriffsermächtigungen wie § 17 Abs.l 7 8 8

Schlink, aaO, S.532.

7 8 9

Schlinkt, ebenda.

7 9 0

Schlink, aaO, S.531,532 (Fn 24) m.w.N.

7 9 1

Götz, N V w Z 1984, S.211 [216].

7 9 2

VG Berlin, NJW 1981, S.l748 = DVB1 1981, S.785. Vgl. aber Martens, W . , DÖV 1982, S.97. 7 9 3 Ule, Zur Verpflichtungsklage im Umweltschutzrecht, BB 1972, S.1076ff.; Martens, W., Immissionsschutzrecht und Polizeirecht, DVB1 1981, S.597ff.[607]. 7 9 4 Für viele vgl. Heinrich, Der Rechtsschutz Dritter in der Rechtsprechung zum Gewerberecht, WuV, 1985, S.l ff.

III. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts

189

AtomG, §§ 17 und 24f. BImSchG und § 5 GastG, die jeweils als Grundlage fur den Anspruch auf polizeiliches Einschreiten in Betracht kommen 795 . Daß man demgegenüber Zurückhaltung der Rechtsprechung bei der Anerkennung einer Pflicht zu polizeilichem Einschreiten feststellt 796, bringt aber m.E. eher die heikle Lage der Problematik zum Ausdruck, in der das subjektive öffentliche Recht dem Verwaltungsermessen in der rechtsstaatlichen Gewaltenteilung gegenübersteht. Die Anerkennung eines derartigen Anspruchs als solche zeigt schon die veränderte Grundauffassung vom Verhältnis zwischen Bürger und Staat 797 . So führen Eyermann/Fröhler aus: "Der Auffassung vom modernen Rechts- und Sozialstaat entspricht es, daß der Gesetzgeber verpflichtet ist, für die essentiellen Interessen des einzelnen Vorsorge zu treffen und dies nicht nur in der Weise, daß die Behörden objektiv verpflichtet werden, diese ihnen eingeräumten Befugnisse wahrzunehmen, sondern dergestalt, daß der einzelne auch die Rechtsmacht erhält, gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen in Wahrnehmung seiner Interessen zu erzwingen. Wo also essentielle Interessen einzelner, insbesondere Leben, Gesundheit aber auch Eigentum unmittelbar tangiert werden, sind Vorschriften, die die Behörden zum Einschreiten gegen solche Gefahrdungen ermächtigen, im Zweifel dahin zu interpretieren, daß den Betroffenen ein Rechtsanspruch auf Einschreiten zusteht. Bejaht werden muß dies insbesondere in all den Fällen, in denen eine Verletzung konkreter materiell-rechtlicher drittschützender Normen in Betracht kommt oder in denen einem bestimmten Personenkreis etwa in einem Genehmigungsverfahren Beteiligtenstellung im Sinne des § 13 VwVfG eingeräumt ist, um einem Antrag entgegenstehende Interessen zum Tragen bringen zu können, wie dies im gewerberechtlichen Verfahren häufig der Fall ist."

Im Gaststättenrecht stellt sich die Frage etwa danach, ob Nachbarn und andere Betroffene eineri Anspruch auf Erzwingung der Einhaltung der immissionsschutzrechtlichen Vorschrift, auf Schließung eines störenden Betriebes, auf die Erteilung nachträglicher im VA vorbehaltener oder im Gesetz vorgesehener Auflagen usw. haben: 799

Seit dem Urteil des BVerwG zum Drittschutz gegen eine abweichende Sperrzeitregelung steht nach Ansicht von Heinrich außer Frage, daß Nachbarn einer Gaststätte nach § 5 Abs.l Nr.3 GastG ein Anspruch auf Einschreiten der Verwaltung zustehen kann . Obwohl es in dem Rechtsstreit vor dem BVerwG nicht um die Erteilung einer Auflage ging und das Urteil zu der hierfür maßgebenden Vorschrift nur knapp bemerkt, sie diene unmittelbar dem Schutz der Nachbarn, hat sich nach Heinrich die Auffassung durchgesetzt, daß nach § 11 Abs.l GastG 1930 und § 5 Abs.l Nr.3 GastG 1970 ein der Verpflichtung der Behörde zum

Dies entspricht im großen und ganzen der Trennung von Polizei und Ordnungsverwaltung durch Entpolizeilichung, die vor allem durch entsprechende Spezialgesetzgebungen vollzogen ist. Dazu vgl. Götz, Polizeirecht, Rn 20ff. 7 9 6

Ronellenfitsch, BB 1987, S.6; Wilke, aaO, S.831. Z.B.

7 9 7

So Bachof, DVB1 1961, S.130: "Menschenbild des Grundgesetzes".

7 9 8

EFaaO.

7 9 9

BVerwGE 11,331 = DVB1 1961, S.408f. m.Anm.v.Menger [410f.].

8 0 0 Heinrich, Der Rechtsschtz Dritter in der Rechtsprechung zum Gewerberecht, WiVerw 1985, S.lff.[21].

190

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Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

Einschreiten entsprechender Rechtsanspruch Dritter besteht 8 0 1 . Daneben in Betracht kommt ein Anspruch auf Einschreiten über die Betriebsstillegung nach § 15 Abs.2 GewO oder gegebenenfalls nach Maßgabe des § 25 Abs.2 BImSchG (gegen eine nicht genehmigte Gaststatte), über die Anordnung nach § 5 Abs.l Nr.3 GastG oder über die Rücknahme nach § 48 VwVfG im Anwendungsfalle des § 4 Abs.l Nr.3 GastG sowie über den Widerruf nach § 15 Abs.3 Nr.2 G a s t G 8 0 2 .

Das Richterrecht zum Anspruch auf polizeiliches Einschreiten ist einerseits auf weitere verschiedene Rechtsbereiche übertragbar 803, aber vor allem auf diejenigen Bereiche, die naturgemäß von ordnungsrechtlichen Spezialgesetzgebungen erfaßt sind. Andererseits ist es äußerst selten, daß die Frage ausschließlich auf einen bestimmten Sachbereich beschränkt zu behandeln ist. Geht es dabei, auch selbstverständlich, um schutzwürdige Rechtsgüter, die sich sowohl aus verschiedenen Sachgesetzen als auch verfassungsunmittelbar ergeben können, so stellt sich meistens die Frage im komplexen Kontext von einschlägigen spezifischen Gesetzen. Dies zeigt schon die bisherigen Darstellungen zum Baurecht und Gaststättenrecht. c) Rechtsanspruch auf Baugenehmigung und baurechtlicher Nachbarschutz aa) Ausgangspunkt: Das baurechtliche Dreiecksverhältnis Zum Inhalt des von Art. 14 Abs.l S 1 GG als Rechtsinstitut und als Individualrecht gewährleisteten Eigentums gehört herkömmlich die Baufreiheit genannte Befugnis des Grundeigentümers, sein Grundstück im Rahmen der Gesetze baulich zu nutzen 804 . Das Baugeschehen findet allerdings nicht isoliert von der Umwelt statt, sondern ist eingebunden in die nähere oder weitere Umgebung des Baugrundstücks805: d.h. N Situationsgebundenheit des Grundstücks "(Weyreuther). Eine Baugenehmigung schafft in dieser Situationsgebundenheit ein Dreieck zwischen Bauherrn, Baubehörde und Nachbarn oder Drittbetroffenen, zwischen denen Konflikte wegen der unterschiedlichen Interessenlagen und damit verbundenen verschiedener Gewichtung der jeweils maßgeblichen Belange unvermeidlich sind. Der Rechtsanspruch auf Baugenehmigung bildet aus diesem baurechtlichen Dreieck einen elementaren Ausschnitt. Die Ö U 1 Näher begründet werde diese Rechtsauffassung wohl deswegen nicht mehr, weil kurz vor diesem Urteil das Bandsage-Urteil ergangen war, das „seinerseits allgemeine Zustimmung gefunden hat. Heinrich aaO, S.22. Vgl. allgemein dens., Öffentlich-rechtlicher Nachbarschutz im Gaststättenrecht, DOV 1991, S.354ff.[360ff.]. 8 0 2

Dazu Steinberg, DÖV 1991, S.360ff.

8 0 3

Auch im außerpolizeirechtlichen Venvaltungsrecht denkbar. Vgl. Wilke, aaO, S.831 Fn 5; Breuer, Grundrechte als Anspruchnormen, S.l05. 8 0 4 BVerfG 35,263 [27$] = NJW 1973, S.1491; BGHZ 60, S.112 [115] = NJW 1973, S.616. Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht, Bd.I, 2.Aufl., 1990, S.13. 8 0 5

Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht, Bd.n, S.164.

III. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts

191

Baufreiheit ist jedoch im Interesse der Nachbarn und der Allgemeinheit vielseitigen Beschränkungen unterworfen, wobei das bipolare Verhältnis zwischen dem Bauherrn und der Behörde nun in ein trigonales Verhältnis mit den Nachbarn umschlagen kann 8 0 6 . Damit kommt neben dem Anspruch des Bauherrn auf Baugenehmigung der Problematik des Nachbarschutzes besondere Bedeutung zu. Ist somit auf das grundlegende Problemfeld baulichen Rechtsschutzes skizzenhaft hingewiesen worden, beschränkt sich die Fragestellung nun unter dem Blickwinkel der vorliegenden Arbeit auf folgende Aspekte: Soweit es sich um die materiellrechtliche Anspruchsgrundlage der Klage auf Vornahme einer Verwaltungshandlung handelt, soll das Augenmerk zielbewußt auf die positive Seite der Problematik gerichtet werden. Da allerdings der Drittanfechtungsfall den typischen Anwendungsfall fur den baulichen Nachbarschutz ausmacht, soll ferner der wesentliche Teil der Problematik des Nachbarschutzes ausgeklammert bleiben. Es handelt sich zunächst um den Anspruch auf Baugenehmigung seitens des Bauherrn und zum anderen um positive Ansprüche der von ihr betroffenen Nachbarn. bb) Rechtsanspruch auf Baugenehmigung i. Ausgangspunkt in diesem baurechtlichen Dreiecksverhältnis bietet in erster Linie die Baufreiheit des Bauherrn, die ihre Rechtsgrundlage nicht nur im geltenden Baurecht, sondern auch in der dahinter stehenden Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs.l und Art.2 Abs.l GG hat 8 0 7 . Ist nach den Bauordnungen die Baugenehmigung zu erteilen, wenn das Bauvorhaben den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht, so ist damit lediglich die verfahrensrechtliche Verpflichtung der Genehmigungsbehörde normiert, die der Ausübung des Rechts zu bauen entgegenstehende Sperre aufzuheben 808. Der scheinbar dieser Verpflichtung korrespondierende Anspruch auf Baugenehmigung könnte aber nur formale Bedeutung haben, soweit die Genehmigung materiell nur die allgemeine Baufreiheit wiederherstellt (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, Kontrollerlaubnis) 809. Der materiellrechtliche Anspruch des Bauherrn auf Verwirklichung seines Vorhabens und auf Erteilung der hierfür erforderlichen Baugenehmigung ergibt sich aber nun gerade aus Art. 14 Abs.l und Art.2 Abs.l GG in Verbindung mit solchen einschlägigen einfachgesetzlichen Vorschriften. So wäre eine Gesetzgebung verfassungswidrig, die die prinzipielle Bebaubarkeit von Grund und Boden 8 0 6

Vgl. auch Steinberg, NJW 1984, S.458 m.w.N.

8 0 7

Das Baurecht steht seit Erlaß des § 65 I 8 prALR unter dem Prinzip der materiellen Baufreiheit. Friauf, aaO, S.502. 8 0 8 Vgl. Finkelnburg/Ortloff, Verwaltungsrecht, S.483, 475ff.

Bd.II, S.88; Friauf, Baurecht, in: v.Münch, Besonderes

809 vgl. Maurer, aaO, § 9 Rn 52; Breuer, Grundrechte als Anspruchsnormen, S.105f.; Finkelnburg/Ortloff, aaO, S.13 m.w.N.

192

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Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

beseitigen und die Erteilung von Baugenehmigungen in das Ermessen der Behörde stellen würde. Von dieser Überlegung hat sich das BVerwG 8 1 0 in seiner Grundsatzentscheidung vom 29. April 1964 leiten lassen. Es ging dabei um den Antrag der Klägerin auf die Genehmigung fur die Bebauung eines Grundstücks mit Wochenendhäusern, das im Außenbereich gem § 35 BBauG liegt. Diese Bestimmung unterscheidet zwei Gruppen von Bauvorhaben im Außenbereich: in Absatz 1 die sog. privilegierten Bauvorhaben, welche regelmäßig zulässig sind, in Abs.2 die sonstigen Bauvorhaben, welche regelmäßig unzulässig sind und nur ausnahmsweise "im Einzelfall zugelassen werden können". Die von der Klägerin geplanten Wochenendhäuser gehören, so das B V e r w G 8 1 1 , nicht zu den privilegierten (bevorrechtigten) Vorhaben des § 35 Abs.l Nr.4 BBauG idF v.23.Juni I 9 6 0 8 1 2 , die wegen ihrer besonderen Anforderungen an die Umgebung oder wegen ihrer besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden sollen. Nach der Vorschrift der BauNVO idF v.26.Juni 1 9 6 2 8 1 3 , die diese Rechtsauffassung bestätigt, ist die Bebauung eines Grundstücks mit einem Wochenendhaus eine besondere Nutzungsart der für die Bebauung vorgesehenen F l ä c h e n 8 1 4 und deshalb in solchen Sonderbauflächen zulässig. Die geplanten Wochenendhäuser seien demnach sonstige Vorhaben im Sinne des § 35 Abs.2 BBauG, die nach dieser Vorschrift (ausnahmsweise) im Einzelfall zugelassen werden können, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt.

Was zu den öffentlichen Belangen rechnet und wann eine Beeinträchtigung vorliegt, ist aber keine Ermessensfrage, sondern wird durch Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffes "Beeinträchtigung öffentlicher Belange" bestimmt 815 : "Gegen diesen wenig präzisen unbestimmten Gesetzesbegriff", so das BVerwG, bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, soweit er durch seine Erläuterung in § 35 Abs.3 und die Zielsetzung des BBauG, die insbesondere in den Vorschriften über die Bauleitplanung zum Ausdruck kommt, genügend bestimmbar und justitiabel sei; unter ihn fielen alle für das Bauen im Außenbereich irgendwie rechtserhebliche Gesichtspunkte; das Gesetz lasse indes auf die Frage darüber jeweils nur eine richtige Antwort z u 8 1 6 . Beeinträchtigt das Vorhaben keine öffentlichen Belange, so wäre es mit dem verfassungsmäßig gewährleisteten Eigentum unvereinbar, wenn das Vorhaben dennoch nicht zugelassen würde 8 1 7 : Das Berufungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, das Vorhaben der Klägerin habe nach dem Ermessen der beteiligten Behörden abgelehnt werden dürfen ohne Rücksicht darauf, ob seine Ausführung oder 8 1 0

BVerwGE 18,247 = DVB1 1964,S.527.

8 1 1

BVerwG Beschl.v.12.2.1962, BVerwG I Β 25.62, BBauBl.1962, S.635.

8 1 2

BGB1.I S.341. Diese Vorschrift ist jetzt Nr.5 des § 35 Abs.l, BauG (geändert durch BBauG idF v.8.Dez.l986: BGB1.I S.2253; Sartorius 300). 8 1 3

BGB1.I S.429.

8 1 4

BVerwGE 18,247,[248].

8 1 5

Götz, Allgemeines Verwaltungsrecht, S.80.

8 1 6

BVerwGE 18,247,[248].

8 1 7

BVerwGE 18,251.

III. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts

193

Benutzung öffentliche Belange beeinträchtigt oder nicht 8 1 8 . Dieser Rechtsspruch bringt auf den ersten Blick keine besondere Erkenntnis mit sich: Zu erinnern ist nur an die ständige Rechtsprechung des BVerfG zum präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt: der Bürger, dessen Grundrechte durch einen Genehmigungsvorbehalt berührt würde, müsse einen Rechtsanspruch auf Genehmiguneserteilung haben, wenn ein gesetzlicher Versagungsgrund nicht vorliege 819 . Bei näherer Hinsicht liegt die Bedeutung dieses Urteils aber vor allem darin, daraus und nicht zuletzt durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 35 Abs.2 BBauG trotz des Wortlauts "Können" die Konsequenz gezogen zu haben, daß bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines sonstigen Bauvorhabens im Außenbereich keine Ermessensentscheidung stattfinde, und demzufolge darin, daß der Weg zur Anerkennung des Rechtsanspruchs auf Baugenehmigung auch in dem Falle des § 35 Abs.2 BauGB eröffnet wurde 8 2 0 . Unter Berücksichtigung des Art. 14 Abs.l GG bedeuten sonach die Worte "können ... zugelassen werden" das gleiche, wie wenn es hieße "dürfen ... nur zugelassen werden" im Sinne von "sind ... zuzulassen"821. Diese Auslegung wurde im Jahre 1966 bestätigt und seither kaum mehr in Frage gestellt 822 . Der Wortlaut könnte auch als eine Koppelungsvorschrift ^ dahingehend gedeutet werden, daß ein Ermessensspielraum der Behörde auf der Rechtsfolgenseite auch dann gegeben ist, wenn feststeht, daß dem Vorhaben keine öffentlichen Belange entgegenstehen (So der Tatbestand). So hält Maurer diese Vorschrift fur eine Koppelungsvorschrift und fuhrt diesen Fall (BVerwGE 18,247) verwirrenderweise als ein Beispiel des Ermessensschwunds an: So seien Auswirkungen von einer Seite auf die andere Seite (der Koppelungsvorschrift) möglich . Trifft die eben genannte Auslegung des BVerwG zu, so besteht kein Raum für Ermessen und per definition keine Koppelungsvorschrift . Zwar kann die "KannVorschrift" prima facie als Ermessensermächtigung zu verstehen s e i n 8 2 6 und wird in dem Urteil auch von "einer fehlerfreien Ermessensbetätigung" gesprochen 827 . Daran ändert es 8 1 8

BVerwGE 18,251.

8 1 9

BVerfGE 8,71 [761; 20,150 [158]; 34,165 [200]; 41,378 [399]; 46,120 [157]; 49,89

[145].

8 2 0 So Götz, 5.Aufl., S.83.

Allgemeines Verwaltungsrecht,

S.80; G.Scholz, Öffentliches

Baurecht,

8 2 1 BVerwGE 18,250 (unter Hinweis auf BVerfGE 13,318 [325]: Jeder Richter habe bei Auslesung und Anwendung einfachen Rechts den Einfluß der Grundrechte auf alle Bereiche des einfachen Rechts zu beachten). 8 2 2 Im Jahre 1981 ist auch der BGH der Rechtsprechung des BVerwG - ohne weitere Begründung gefolgt. Vgl. BGH, NJW 1981, S.982 (Ls) = ZfBR 1981, S.200; bestätigt durch BGH, NJW 1985, S.3071 [3072]. 8 2 3

Dazu vgl. Maurer, § 7 Rn 25, S.l 15.

8 2 4

Maurer, § 7 Rn 26, S.l 16.

8 2 5

Ebenso verfehlt Gern, DVB1 1987, S.l 196, der ausführt, im Bauplanungsrecht habe das BVerwG die gesetzlich vorgesehene Ermessensentscheidung auf Zulassung von Außenbereichsvorhaben nach § 35 Abs.2 BauGB zugunsten eines Anspruchs auf Zulassung bei Nichtentgegenstehen öffentlicher Belange reduziert. 8 2 6

So Maurer, § 7 Rn 7, S.101.

8 2 7

BVerwGE 18,251.

13 Hong

194

.

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Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

aber nichts, daß die Kann-Vorschrift des § 35 Abs.2 BBauG keine Ermessensermächtigung darstellt, worin gerade das Heizstück des Urteils liegt. Dieses Ergebnis ist selbstverständlich nur solange haltbar, als die Begründung des BVerwG überzeugt. Angesichts des unverändert gebliebenen Passus des S 35 Abs.2 des am 1 .Juli 1987 inkraftgetretenen BauGB wurde die Frage erneut diskutiert® 28 . Die Kritik an der Rechtsprechung des BVerwG stützt sich überwiegend, um nur die wichtigsten Punkte zu nennen, auf den unverändert gebliebenen (eindeutigen) Gesetzeswortlaut, das systematische Verständnis des § 35 Abs.2 als gesetzliche Inhaltsbestimmung des Eigentums (etwa unter Heranziehung des Naßauskiesungs-Beschlusses des B V e r f G 8 2 9 ) und schließlich die planerische Bedeutung des § 35 Abs.2 B a u G B 8 3 0 . Wenn es auch freilich fehl am Platz wäre, sich mit dieser Streitfrage ausfuhrlich auseinanderzusetzen, wäre aber jedenfalls auf den Kernpunkt des Streits hinzuweisen, daß die Frage nur unter dem Blickwinkel des gegensätzlichen Interesses von Bauplanung und Eigentumsgarantie richtig gesehen werden kann, aber nicht von einer reinen Gesetzeslogik her.

Der tiefere Sinn dieser Entscheidung erschöpft sich aber nicht bloß in einer Feststellung, daß das Bauvorhaben in dem Falle, soweit es keine öffentliche Belange beeinträchtigt, zulässig sei. Das BVerwG geht noch einen Schritt weiter mit der folgenden Aussage: "Art. 14 Abs.l S 2 GG überläßt die Bestimmung des Inhalts des Eigentums und seiner Schranken den Gesetzen. Welche Einzelbefugnisse und -pflichten den Inbegriff des Eigentums ausmachen, ergeben somit nur die - verfassungsrechtlich einwandfreien - Gesetze. Art. 14 Abs.l S 2 GG will damit zugleich verhindern, daß der Gesetzgeber sich der ihm obliegenden Regelung enthält und statt dessen die Bestimmung des Eigentumsinhalts dem Ermessen der Verwaltung anheimgibt." 8 3 1

Damit erlegte das BVerwG eindringlich der den Inhalt des Eigentums konkretisierenden Gesetzgebung eine Schranke auf: Aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Baufreiheit ergibt sich folglich, daß die Genehmigungspflicht, d.h. das Verbot des Bauens ohne Genehmigung, nur im Interesse der Überprüfung von Bauvorhaben aufgestellt wird und über den Charakter eines sog. präventiven Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt nicht hinausgehen darf. Dabei unterliegt der Gesetzgeber den

ΟΛΟ

Ein ausdrücklicher Hinweis darauf findet sich zwar in den Materialien nicht. Aufgrund der Rechtsauffassung der zuständigen Ministerialbeamten, daß genehmigt werden "muß" (Bielenberg/Krautzberger/Söfker, BauGB, 1987, Rn 198) lasse sich aber der Wille "des" Gesetzgebers unterstellen. Dazu vgl. Ortloff, Ermessen in § 35 Π BauGB - Hat das Gesetz doch recht?, N V w Z 1988, S.320ff. [320]. 8 2 9

BVerfGE 58,300 = NJW 1982, S.745 = NVwZ 1982, S.242 Ls.

8 3 0

Vgl. Fislake, Das Ermessen in § 35 Abs.2 BauGB, ZfBR 1988, S.166, 167f., der die Rechtsprechung des BVerwG (insbesondere die Zuordnung aller rechtlich relevanten Gesichtspunkte zu dem Tatbestandsmerkmal "Beeinträchtigung öffentlicher Belange") nicht fur überzeugend hält; so auch Ortloff, N V w Z 1988, S.321: "vermeintliche verfassungskonforme Auslegung". 8 3 1

BVerwGE 18,247,[250].

III. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts

verfassungsrechtlichen sind 8 3 2 .

Grenzen,

die seiner Regelungsbefugnis

195

gezogen

ii. Das Recht zum Bauen als Ausfluß oder Inhalt des durch die einfachen Gesetze konkretisierten Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG wird weder erst durch die Baugenehmigung gewährt noch lediglich als widerrufliche Befugnis vom Staat bzw. von der Gemeinde im Wege von planerischen Ausweisungen verliehen 833 . Aus diesem verfassungsrechtlichen Aiisatz folgen nun noch einige wichtige Konsequenzen: Erstens, die Unterscheidung zwischen materieller und formeller Illegalität ist im Bereich des öffentlichen Baurechts üblich und notwendig 834 . Wird etwa eine genehmigungsbedürfige Bauanlage ohne/vor Baugenehmigung gebaut oder abweichend von der Baugenehmigung errichtet, ist diese Anlage zwar formell illegal, aber allein deshalb noch nicht materiell illegal. In einem solchen Falle kommt dennoch dem Baulustigen, soweit sein Vorhaben mit dem geltenden materiellen Recht übereinstimmt, ein Anspruch auf (nachträgliche) Baugenehmigung. Ein mit Genehmigung errichtetes, aber gegen materielles Recht verstoßendes Bauwerk (Schwarzbau) ist jedenfalls solange formell legal, wie die Genehmigung als zwar rechtswidriger, aber nicht nichtiger VA besteht (§ 43 Abs.2,3 VwVfG). Dieses Ergebnis ist für die Eingriffsbefugnisse gegen rechtswidrige Bauanlage von Bedeutung: Die nur formelle oder die nur materielle Illegalität reicht für eine Abrißverfügung oder eine Abbruchanordnung nicht aus 8 3 5 . Zweitens, neben den nachträglichen Anspruch auf Baugenehmigung bei nur formeller Illegalität tritt nun noch eine unter dem Gesichtspunkt der vorliegenden Arbeit bedeutsame Rechtsposition des Bauherrn hinzu, die Art. 14 Abs.l S 1 GG unter dem Gesichtspunkt des Bestandsschutzes wahrt: So gehen das 8 3 2

Friauf, aaO, S.503.

833

Friauf, aaO, S.503. A.A. namentlich Breuer, Die Bodennutzung im Konflikt zwischen Städtebau und Eigentumsgarantie, 1976, S.162ff.; ders., Grundrechte als Anspruchsnormen, S.106: Die "Baufreiheit" könne nicht mehr vorstaatlich-privatrechtlich verstanden werden, sondern sei öffentlich-rechtlich konstituiert; Vgl. auch Pietzcker, "Grundrechtsbetroffenheit" in der verwaltungsrechtlichen Dogmatik, in: FS fur Otto Bachof zum 70.Geburtstag, 1984, S. 13Iff., S. 141-142, wonach Art. 14 Abs.l GG nicht von der Auslegung einfachgesetzlicher Normen des Baurechts auf ihren Schutzzweck oder auf ihren Charakter als inhalts- und schrankenbestimmende Vorschriften entbinde. Daß der Gebietscharakter oder Art und Maß der baulichen Nutzung im Bebauungsplanbereich oder in der näheren oder weiteren Umgebung eingehalten wird, sei nicht a priori ein Bestandteil des Grundeigentums, sondern habe mehr mit der wechselseitigen Verflochtenheit, dem Austauschverhältnis der " Abwägungsgemeinschaft" zu tun. Deshalb müsse auf die Norm des Gesetzes oder Bebauungsplanes, nicht pauschal auf das Grundrecht abgestellt werden; Schulte, DVB1 1978, S.356ff. [358-360]. Zum Streitstand s. Battis, DOV 1978, S.113ff. [118ff.]. Eine solche Trennung ist aber im Wasserrecht nicht möglich, weil ein dem Recht zum Bauen vergleichbares Recht auf Gewässernutznung nicht besteht (vgl. NaßauskiesungsBeschluß: "kein Recht, im Rahmen der Grundstücknutzung auf das Grundwasser einzuwirken", BVerfGE 58,300 [337,332]) und somit jede nicht gestattete Einwirkung auf das Gewässer rechtswidrig ist. Vgl. Finkelnburg/Ortloff, Bd.II, S.129. Im Gegensatz zur Baugenehmigungspflicht ist der Vorbehalt einer Erlaubnis oder Bewilligung für die Gewässernutzung (§§ 2ff. WHG) von vornherein ein Instrument der öffentlichen Bewirtschaftung. Dazu Breuer, Grundrechte als Anspruchsnormen, S.107 m.w.N. 8 3 5 Finkelnburg/Ortloff, Bd.II, S.129; Friauf, aaO, S.505; Götz, aaO, S.79. Diese Bestandskraft steht einem Beseitigungsverlangen entgegen.

1

196

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Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

BVerwG 8 3 6 und die Instanzgerichte 837 zu Recht davon aus, daß ein Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung aus Gründen des Bestandsschutzes durch Art. 14 Abs. 1 GG geboten sein kann, wenn ein bauliches Vorhaben zwar den planersetzenden Rechtsnormen der §§ 34, 35 BBauG widerspricht, jedoch der Erhaltung eines rechtmäßig geschaffenen Gebäudes oder Gewerbebetriebs dient. Darunter fallt in erster Linie die sog. "eigentumskräftig verfestigte Anspruchsposition", bei der es um den Anspruch auf Zulassung einer bestimmten Bebauung auf einem unbebauten Grundstück geht: "Soweit Grundstücke bei Inkrafltreten des Bundesbaugesetzes in einer Weise bebaubar waren, die nach § 35 Abs.2 BBauG nicht mehr zulässig ist, besteht die Bebaubarkeit trotz § 35 Abs.2 BBauG dann fort, wenn sie den Schutz des Art. 14 Abs.l GG genoß und deshalb nicht ohne Zubilligung eine Entschädigung entzogen werden konnte." 8 3 8

Im Vergleich dazu kommt der Bestandsschutz zum anderen als Schutz vor Eingriffen in den Bestand des bebauten Grundstücks zum Tragen, womit auch im Wege einer verfassungskonformen Gesetzesauslegung der unabdingbare Minimalstandard der "Baufreiheit" für den Fall einer ins Werk gesetzten Nutzung gewahrt wird 8 3 9 . Bestandsschutz zeichnet sich zwar in erster Linie durch den Abwehrcharakter aus, nämlich als Schutz gegen behördliches Beseitigungsverlangen. Der Bestandsschutz erschöpft sich aber nicht in einem bloßen Abwehrrecht, sondern läßt im Interesse einer funktionsgerechten Bestandsnutzung auch Reparaturen zu, und daher liegt es nun nahe, auch gewisse bauliche Veränderungen durch Einbauten und Umbauten, ja sogar durch Anbauten noch als vom Bestandsschutz gedeckt anzusehen. Kann u.U. das Vorhandene in seiner Funktion nur dann bestimmungsgemäß genutzt werden, wenn ein zusätzliches Gebäude errichtet wird, so erstreckt sich der Bestandsschutz auch auf das neue Gebäude und fuhrt zu dessen Legalität unter dem Gesichtspunkt des "überwirkenden Bestandsschutzes"840. Es ist indessen angesichts der Wirkung des Bestandsschutzes nicht zuletzt umstritten, ob er über die Sicherung gegen Beseitigungsanordnungen hinaus zu einem Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung des vorhandenen Bestandes fuhrt. Zuzugeben ist wohl, daß die Frage in den meisten Fällen nicht von praktischer Bedeutung sein kann, in denen der Betroffene in der Regel mit einer Duldung zufrieden ist und einen Genehmigungsantrag nicht stellt. 8 3 6 BVerwGE 25,161 [162f.]; 27,341 [343f.] und zahlreiche Nachweise bei Breuer, Grundrechte als Anspruchsnormen, S.106 Fn 91. 8 3 7

QOQ

Nachweise bei Breuer, aaO, Fn 92.

BVerwGE 26,111. Ob es diese Anspruchsposition nach dem Naßauskiesungs-Beschluß des BVerfG (BVerfGE 58,300) noch gibt, kann hier offenbleiben. 8 3 9 8 4 0

Breuer, aaO, S.107.

BVerwGE 50,49 [55ff.] = BRS 29 Nr. 135 m.Anm.v. Kutscheidt, DÖV 1976, S.663; Zu den Grenzen einer Nutzungsänderung BVerwG, BRS 32 Nr. 140. Vgl. auch Finkelnburg/Ortloff, Bd.II, S.132f.; Broß, Ausgewählte Probleme des Baurechts, VerwArch 81 (1990), S.283ff.[297]; Hüttenbrink, DVB1 1990, S.129ff. [134].

III. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts

197

Entgegen einer verbreiteten Meinung 841 ist aber von der aufgrund des Bestandsschutzes fortbestehenden, materiellen Legalitat des " Schwarzbaus " auszugehen842, mit der Folge, daß diese zu dessen Genehmigungsfahigkeit fuhrt, wie es nun das BVerwG wiederum bestätigt: "Art. 14 Abs.l S 1 GG sichert unter dem Gesichtspunkt des Bestandsschutzes dem Eigentümer das durch Eigentumsausübung Geschaffene und verleiht einem rechtmäßig begründeten Bestand und seiner Nutzung Schutz. ... Ist deshalb zur - erneuten - Ausübung einer Nutzung, die materiell Bestandsschutz genießt, eine Genehmigung erforderlich, so ergibt sich aus Art. 14 Abs.l S 1 GG auch der Anspruch auf deren Erteilung, sofem dem Vorhaben bauordnungsrechtliche Hindernisse nicht entgegenstehen."

Schließlich ist hinzuweisen auf den Anspruch des Bauherrn auf fehlerfreie Ermessensentscheidung bei Erteilung von bauordnungs- sowie bauplanungsrechtlichen Ausnahmen und Befreiungen, wofür aber auf die vorigen Erläuterungen (oben § 30) verwiesen werden soll 8 4 4 . cc) Baurechtlicher Nachbarschutz i. Die Epoche des öffentlichen Nachbarrechts wurde mit der Anerkennung des Anspruchs auf baupolizeiliches Einschreiten durch das vorhin erwähnte Bandsäge-Urteil 845 eingeleitet und danach mit der Bejahung der öffentlichrechtlichen Nachbarklage 846 gesichert 847. Seitdem gehört der Nachbarschutz im Baurecht zu den Rechtsgebieten, die in den letzten Jahren eine stürmische Entwicklung durchlaufen haben 848 . In diesem Problembereich kam der paradigmatische Wandel des Verständnisses über subjektive öffentliche Rechte deutlich zum Vorschein: Seit der Entscheidung vom 13.Juni 1969 im Baurecht ging das BVerwG davon aus, daß ein Schutz des Nachbarn gegen Baugenehmigungen dann unmittelbar aus Art. 14 Abs.l S.l GG herzuleiten sei, wenn die Baugenehmigung die Grundstückssituation nachhaltig veränderte und den Nachbarn dadurch 8 4 1

Vgl. Weyreuther, Bauen im Außenbereich, 1979, S.104f.

8 4 2

Vgl. Finkelnburg/Ortloff, Bd.II, S.135ff.

8 4 3

BVerwG, N V w Z 1989, S.668 re.Sp.

8 4 4

Dazu vgl. nur Finkelnburg/Ortloff, Bd.I, S.238ff., Bd.II, S.6.

8 4 5

BVerwGE 11,95.

8 4 6

BVerwGE 22,129.

8 4 7 Steinberg, aaO, S.457f. Zur Entwicklung der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage ausführlich Berger, Grundfragen umweltrechtlicher Nachbarklagen, 1982, Diss.Göttingen, S.29ff., 32. 8 4 8 Wahl stellte im Jahre 1984 apodiktisch fest, die Nachbarklage im Baurecht gehöre heute zum Alltag der Verwaltungsgerichte (Der Nachbarschutz im Baurecht, JuS 1984, S.577). Insgesamt betrachtet war das Baurecht eigentlich vor Erlaß des BBauG weniger nachbarfreundlich (Mühl, Das Gebot der Rücksichtnahme im Baurecht und die Verbindungslinien zum privaten Nachbarschutzrecht, in: FS für Baur, 1981, S.82).

198

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Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

in seinem Eigentum schwer und unerträglich traf««. Damit entschied sich das BVerwG nach Ansicht von Ramsauer partiell fur ein Nebeneinander von subjektiven öffentlichen Rechten im Sinne der klassischen Lehre einerseits und den Grundrechten andererseits 8 . Die Grundrechte sollten - gleichsam als Lückenbüßer - als subjektive öffentliche Rechte immer dann herangezogen werden, wenn sich aus dem einfachen Gesetzesrecht solche Rechte nicht ergäben, obwohl dies zur Gewährleistung eines effektiven Grundrechtsschutzes geboten erscheine® 51 .

Baurechtlicher Nachbarschutz, in dem sich wiederum die wachsende Subjektivierung des Bürger-Staats-Verhältnisses unwiderlegbar manifestiert, hebt sich nun vom privaten Nachbarrecht dadurch ab, daß es im Grunde keine unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen dem Nachbarn und dem Bauherrn gibt 8 5 2 , sondern die Baugenehmigungsbehörde dazwischengeschaltet ist: Sowohl der Anspruch eines Nachbarn auf Abwehr gegen eine rechtswidrige Baugenehmigung als auch der Anspruch auf baupolizeiliches Einschreiten richten sich jeweils an die Baubehörde, die ihrerseits in öffentlich-rechtlichen Beziehungen zum Bauherrn steht. Damit sind zwei Hauptpfeiler der Dogmatik des öffentlichen Nachbarrechts zu markieren, nämlich der Genehmigungsabwehranspruch 853 gegenüber baurechtlichen Genehmigungsbescheiden und der Anspruch eines Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten 854. ii. Der erstgenannte Genehmigungsabwehranspruch stellt sich zunächst als die andere, nachbarrechtliche Dimension des Genehmigungsanspruchs des Bauherrn dar und ist insoweit für die Thematik der vorliegenden Arbeit nicht ohne Relevanz. Da zum anderen der gegen die Verwaltung gerichtete Genehmigungsabwehranspruch aber ausschließlich negatorisch i s t 8 5 5 , hat es dabei sein Bewenden: Zutreffende Klageart für die Nachbarklage ist in der Regel die Anfechtungsklage im Sinne von § 42 Abs.l, 1.Alternative V w G O 8 5 6 . Der Anspruch auf bauaufsichtsbehördliches Einschreiten kommt demgegenüber als positive Dimension des Nachbarschutzes im öffentlichen Baurecht in Betracht, wobei allerdings auf die vorangegangene Erörterung 8 4 9

Seit BVerwGE 32,173 ständige Rechtsprechung.

8 5 0

Ramsauer, Die Rolle der Grundrechte im System der subjektiven öffentlichen Rechte, AöR 111 (1986), S.50Iff. [507]. OC 1

Vgl. dazu Ramsauer, aaO mit dort in Fn 27 angegebenen Nachweisen; Maurer, aaO, § 8 Rn 1 If., S.131. 8 5 2 Schwarzer, Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht, UPR 1989, S.201ff. [202]. A.A. etwa Dürr, aaO, S.722f.; J.Martens, NJW 1985, S.2307. oo So Breuer, Grundrechte als Anspruchsnormen, S.108. 8 5 4 Der Nachbar hat außerdem Anspruch auf Beachtung der nachbarschützenden Normen durch die Behörde bei der Entscheidung im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens wie auch Anspruch auf Ausgleich in Geld (BVerwGE 79,254 = NJW 1988, S.2396. Der letztgenannte Anspruch kommt aufgrund eines allgemeinen Rechtssatzes dann in Betracht, wenn die anderen Ansprüche nicht greifen. Dazu vgl. Finkelnburg/Ortloff, Bd.II, S.169f. 8 5 5 8 5 6

Steinberg, aaO, S.462.

H.Geiger, Gebot der Rücksichtnahme für den Nachbarschutz, JA 1986, S.76ff. [77]; BVerwGE 22,129 [132].

. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts

199

verwiesen werden kann, wenn auch im folgenden einige Besonderheiten jedenfalls nicht außer acht bleiben sollen. Das der Behörde eingeräumte Ermessen zum Einschreiten kann in den Fällen beschränkt sein, in denen geschützte Nachbarinteressen in die Ermessenserwägungen einzustellen sind. Eine solche Einschränkung der Ermessensfreiheit ist immer dann gegeben, wenn die bauliche Anlage oder deren Nutzung Normen des materiellen Rechts verletzt, die entweder zugleich generell nachbarschützende Wirkung haben 857 oder aber im Falle partiell nachbarschützenden Charakters 858 gegenüber einem besonders betroffenen Nachbarn "rücksichtslos" angewendet werden 859 . Das damit begründete subjektive öffentliche Recht kann u.U. auch zu einem Anspruch des Nachbarn gegen die Bauaufsichtsbehörde auf fehlerfreie Ausübung ihres Ermessens führen. Dabei spielt dann das vom BVerwG wie auch von zahlreichen Instanzengerichten für baurechtlichen Nachbarschutz praktizierte Gebot der Rücksichtnahme eine entscheidende Rolle: Das Gebot der Rücksichtnahme wird trotz verbreiteter Skepsis und Kritik in den vergangenen J a h r e n 8 6 0 als eine praktikable sowie unverzichtbare Rechtsfigur richterlicher Schöpfung angesehen: es wird als Generalklausel des Nachbarschutzes im öffentlichen Baurecht oder sogar als allgemeines Rechtsprinzip 861 bezeichnet. Als objektiv-rechtliches Prinzip ist das Gebot der Rücksichtnahme seit jeher Bestandteil der planungsrechtlichen Rechtsprechung des B V e r w G 8 6 2 . Als - potentiell - nachbarschützend tritt es erstmals mit der sog. Schweinemäster-Entscheidung des BVerwG v . 2 5 . 2 . 1 9 7 7 8 6 3 auf: Es hat das Gebot der Rücksichtnahme in dieser Entscheidung, in der es um die Klage des Eigentümers eines im Außenbereich (§ 19 Abs.l Nr.3 BBauG) gelegenen Wohnhauses gegen eine in unmittelbarer Nachbarschaft errichtete Schweinemastanstalt ging, als öffentliche Belange i.S. des § 35 Abs.3 BBauG angesehen. Seit dieser Entscheidung und dem Beschluß v . 3 1 . 1 0 . 1 9 7 7 8 6 4 ist sein Anwendungsbereich weiterhin auf Geltungsbereiche des Bebauungsplans nach §§ 30ff.

8 5 7

146.

Vgl. etwa Bay V G H , BRS 40 Nr.237; Vgl. auch Finkelnburg/Ortloff, Bd.D, S.199f. Fn

8 5 8

Vgl. V G H Bad-Würt., VB1BW 1986, S.23; OVG Lünerburg, UPR 1988, S.73.

8 5 9

Finkelnburg/Ortloff, Bd.n, S.198.

RfiO

Namentlich Breuer, Das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme - ein Irrgarten des Richterrechts, D V g l 1982, S.1065ff.; Peine, Das Gebot der Rücksichtnahme im baurechtlichen Nachbarschutz, DOV 1984, S.963ff.; Redeker, Das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme, DVB1 1984, S.870ff.; Schenke, Baurechtliche Nachbarschutz, NuR 1983, S.81ff.; Schröder, Naht das Ende des Gebots der Rücksichtnahme im Baurecht, BauR 1985, S.406ff.; J.Martens, NJW Der verwaltungsrechtliche Nachbarschutz - eine unendliche Geschichte ?, 1985, S.2303ff. 8 6 1 Dürr, Das Gebot der Rücksichtnahme - eine Generalklausel des Nachbarschutzes im öffentlichen Baurecht, N V w Z 1985, S.719,722. 8 6 2 Nachweise bei Jade, Planungsgebot - Abwagungsgebot - Rücksichtnahmegebot Zur Einheit des Bauplanungsrechts, BayVBl 1985, S.577fT [578] Fn 31. Vgl. auch Stühler, Gebot der Rücksichtnahme im privaten und öffentlichen Nachbarrecht, VB1BW 1987, S.126. 8 6 3

BVerwGE 52,122.

8 6 4

BVerwG, Buchholz BVerwG 406.19, Nachbarschutz Nr.33.

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Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

BBauG sowie des § 15 Abs.l BauNVO erstreckt w o r d e n 8 6 5 , indem es als ausnahmsweise drittschützend, d.h. dem Nachbarn im Baugenehmigungsstreit eine subjektive Rechtsposition gewährend, angesehen wird. Ohne auf die inzwischen fast unübersehbar gewordene Literatur und Judikatur zu diesem Thema einzugehen, ist das Gebot der Rücksichtnahme wie folgt zu skizzieren: Anlaß fur die "Entdeckung" des Rücksichtnahmegebots war das Bedürfnis, den Nachbarschutz auszuweiten; Inhaltlich bedeutet es, daß der Bauherr bei der Entscheidung, ob und in welcher Weise er sein Grundstück baulich oder gewerblich nutzen will, auf die Belange der Umgebung Rücksicht nehmen und daher eine Beeinträchtigung höherrangiger Interessen der Nachbarschaft unterlassen muß; das Gebot der Rücksichtnahme läuft damit im Kern auf eine Abwägung der Interessen des Bauherrn mit denen der Nachbarschaft h i n a u s 8 0 6 . Dieser richterrechtliche Topos wird weiterhin durch die Rechtsprechung bestätigt, aber etwas anders akzentuiert und modifiziert, so im Hinblick auf den Kreis der Berechtigten 80 ', das Gewicht der Beeinträchtigung des Nachbarn 8 6 8 . Eine eingehende Darlegung der Gesamtproblematik muß hier freilich unterbleiben. Besonders bemerkenswert erscheint aber, daß das BVerwG immer mehr das Erfordernis der einfachgesetzlichen Begründung des Rücksichtnahmegebots betont: So stellt Ramsauer fest, damit habe die praktische Bedeutung der Herleitung subjektiver öffentlicher Rechte aus den Grundrechten unmittelbar seit der "Erfindung" des sog. Rücksichtnahmegebots erheblich nachgelassen . So läßt sich zusammenfassend mit Schlichter schlußfolgern, daß dieses Gebot "zu einer Harmonisierung der Beurteilung der Zulässigkeit von Vorhaben im Planbereich, unverplantem Innenbereich und Außenbereich bei gleichzeitiger Harmonisierung des Bauplanungs- und des Bundesimmissionsschutzgesetzes fuhrt - eine Aufgabe, die der Gesetzgeber mit dem Baugesetz hätte bewältigen s o l l e n 8 7 1 .

Das Gebot der Rücksichtnahme war eigentlich als ein Versuch, das geltende (Bau-)Recht im Interesse des Nachbarschutzes unter systematischen Gesichtspunkten auszulegen, zustande gekommen und hauptsachlich fur die negatorische Nachbarklage in Form der Anfechtungsklage von praktischer Bedeutung. Im Zusammenhang mit der Schutznormtheorie stellt sich jedoch diese, nun als allgemeiner Rechtsgrundsatz gehobene872 Rechtsfigur immerhin als eine Fortführung und z.T. Erweiterung des Anspruchs auf bauaufsichtsbehördliches Einschreiten dar. Rechtsdogmatisch wichtiger ist indes m.E. die z.T. durch die Kontroversen um das Rücksichtnahmegebot ausgelöste, paradigmatische Auseinandersetzung um das subjektive öffentliche Recht. Es geht also um die exemplarisch im materiellen öffentlichen 8 6 5 Dazu vgl. nur G.Scholz, aaO, S.88ff. Zur Rechtsprechung vgl. auch Gehrmann, Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Rücksichtnahmegebot in den Jahren 1985 bis 1987, UTR 1988, S.lólff. 8 6 6

Dürr, aaO, S.719f.

8 6 7

Bislang: hinreichend abgrenzbar, nun: von der Allgemeinheit unterscheidbar. Dazu vgl. Maurer, § 8 Rn 9 Anm. 8 6 8 Etwa BVerwG, Beschluß v. 20.9.1984 (NVwZ 1985, S.35); BVerwGE 78,40 (Anfechtungsklage gegen ermessensfehlerhafte wasserrechtliche Erlaubnis wegen Verletzung des Rücksichtnahmegebots); BVerwG, N V w Z 1987, S.409 = JZ 1988, S.404 m.Anm.v. Goerlich. QfCQ O O y Ramsauer, Die Rolle der Grundrechte im System der subjektiven öffentlichen Rechte, AöR Bd.I 11 (1986), S.508. 8 7 0

Schlichter, Baurechtliches Gebot der Rücksichtnahme, DVB1 1984, S.875ff. [877].

8 7 1

G.Scholz, aaO, S.95.

8 7 2

Dürr, aaO, S.722f; So auch Maurer, § 8 Rn 9, S.129.

III. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts

201

Baunachbarrecht zu verdeutlichenden, gegensätzlichen Betrachtungsweisen: nämlich herkömmlicher und rechtsverhältnisdogmatischer Betrachtungsweise 8 7 3 . Grund fur diesen neuen Denkansatz liegt etwa in der Erkenntnis: Wo beim Bauherrn grundrechtliche und grundrechtlich fundierte Ansprüche einer rechtlich geordneten "Baufreiheit" anerkannt sind, die im praktischen Ergebnis das gesamte einschlägige (einfache) Baurecht im wesentlichen "subjektivieren", klaffe beim Nachbareigentümer ein "verfassungsrechtliches Loch" 8 7 4 . Solche dogmatische Ungleichbehandlung lasse sich vermeiden, wenn man bei der Ermittlung der Rechtspositionen der Beteiligten an dem drei- und mehrseitigen Verwaltungsrechtsverhältnis ansetze 875 , dessen Betonung nach Wahl in seiner Tiefenwirkung in jüngerer Zeit noch nicht hinreichend verarbeitet ist 8 7 6 . Auf diese mittlerweile zu einem unentwirrbaren gordischen Knoten verflochtene Problematik soll hier vor allem aus Raumgründen nicht näher eingegangen werden 877 . Hervorzuheben ist allerdings eine interessante Konsequenz der von J.Martens in der gleichen Richtung vertretenen rechtsverhältnisdogmatischen Sichtweise: So weist auch J.Martens 8 7 8 darauf hin, die Unstimmigkeiten über die Grundfragen des öffentlichen Nachbarrechts seien auf eine prinzipiell falsche Fragestellung, nämlich auf die Orientierung des Verwaltungsrechts am Verwaltungshandeln und nicht an den - für Bürger und Verwaltung in gleicher Weise maßgebenden - Verhaltensnormen zurückzuführen. Voraussetzung fur die Neuorientierung des Nachbarschutzes im öffentlichen Recht sei freilich, daß man die Beziehung zwischen dem Bauherr und dem Nachbarn als eine durch öffentlichrechtlich normierte Verhaltenpflichten zu charakterisierende Beziehung anerkenne, während das zwischen der Behörde und dem Nachbarn bestehende Verwaltungsrechtsverhältnis mit dem durch den Bauanspruch des Bauherrn zwischen ihm und der Behörde existierenden Verhältnis nicht identisch sei. Inhalt des Verwaltungsrechtsverhältnisses zwischen dem Nachbarn und der Behörde sei deren Verpflichtung, den Nachbarn gegen solche Beeinträchtigungen seines Grundstückseigentums zu schützen, die sich als Verletzung von öffentlichrechtlichen Verhaltensnormen darstellen. Hätte etwa der Bauherr nun gar keine Baugenehmigung eingeholt oder baut trotz Aufhebung derselben weiter, so müsse die Behörde alles tun, was zur Unterbindung des (rechtswidrigen) Verhaltens des Bauherrn sowie zur Beseitigung des dadurch eingetretenen Zustands erforderlich sei. Der Anspruch des Nachbarn richte sich dann, so J.Martens, also auf behördliches Einschreiten (Kursiv

So nach Bauer, Schutznormtheorie im Wandel, S.148ff. 8 7 4

Bauer, aaO, S.150. Im übrigen wird der "immer mehr auf die Problematik der sog. Drittrechte verengten Schutznormdoktrin" dogmatische Fragwürdigkeit vorgeworfen, als er anhand der Drittklage des Altenwerder Fischers (BVerwG, DÖV 1983, S.342f.) auf verschiedenartige Unsicherheiten im praktischen Umgang mit dem subjektiven öffentlichen Recht hinweist. Näheres dazu Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, S.135ff, insb. S.148ff. 07c Bauer, Schutznormtheorie im Wandel, S.150; ders., Geschichtliche Grundlagen, S.lólff. m.w.N. Insbesondere zur Konsequenz der These Bauers "konkreter, Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht integrierender Ermittlung subjektiver öffentlicher Rechte im öffentlichen Baunachbarrecht" vgl. S . l i l f f . 8 7 6

877

Wahl, aaO, S.577f.

Verwiesen werden darf auf die umfangreichen Nachweise bei Bauer, Geschichtliche Grundlage, S.154ff. Fn 139ff. 8 7 8 Martens, J., Der verfassungsrechtliche Nachbarschutz - eine unendliche Geschichte?, NJW 1985, S.2302ff. [2302,2307f.].

202

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Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

Original), wobei der Behörde - entgegen der herrschenden Meinung - kein Ermessensspielraum verbleibe. Dies begründet er nun damit, die Exekutive habe kein Wahlrecht, ob sie in bestimmten Fällen dem Nachbarn den sonst nicht zu realisierenden Rechtsschutzes verweigern will. Und dies deshalb, weil es mit Rücksicht auf die staatliche Verpflichtung zur Gewährung umfassenden Rechtsschutzes dem Gesetzgeber nicht freistehe, "das repressive Einschreiten der Verwaltung grundsätzlich in ihr Ermessen zu stellen . Somit vergegenwärtigt sich die Gefahr der Rechtsschutzhypertrophie deutlich, was er zwar nicht einfach übersieht: Es werde allerdings nötig sein, das derzeit vielfach zu registrierende Gefalle zwischen dem (großen) Prozeßrisiko des Bauherrn und dem erheblichen kleineren des Nachbarn zu beseitigen, was aber Aufgabe des Verfahrensrechts sei 8 . Diese Auffassung ist nicht zu teilen, vor allem soweit eine solche allgemeine Verpflichtung der Verwaltung zum Einschreiten sowie zu einem bestimmten Einschreiten gegen jede Verletzung einschlägiger öffentlichrechtlicher Verhaltensnormen nicht besteht. Aus dem rechtsstaatlichen Postulat, daß das repressive Einschreiten nicht in das Ermessen der Verwaltung gestellt werden dürfe, läßt sich deren (gebotene) Verpflichtung nicht folgern: Denn es handelt sich hier um die vom Bauherrn rechtswidrig ausgelöste Beeinträchtigung des Nachbarinteresses. Das Ermessen kann für das repressive Einschreiten gegen rechtswidrige Handlungen oder Zustände nicht von vornherein verneint werden. Im übrigen ist eher zu bezweifeln, ob und ggf. wie im Hinblick auf das Prozeßrisiko das materiellrechtliche Problem des Anspruchs auf Einschreiten verfahrensrechtlich sachgerecht geregelt werden kann, wie J.Martens meint.

iii. Schließlich ist auf folgende prozessualen Aspekte kurz hinzuweisen: Wenn es etwa um Einschreiten gegen einen öffentlichen Bauherrn geht, bleibt dem betroffenen Nachbarn mangels einer Kompetenz der Bauaufsichtsbehörde zum Eingriff gegen Hoheitsträger nur die Durchsetzung seines öffentlichrechtlichen Abswehranspruchs mit der Unterlassungsklage bzw. der allgemeinen Leistungsklage, während im Regelfall die Bescheidungsklage wie auch die Verpflichtungsklage im engeren Sinne als richtige Klagearten fur die Durchsetzung des Anspruchs auf bauaufsichtsbehördliches Einschreiten in Betracht kommen. Demgegenüber kann der Nachbar nicht mit der Anfechtungsklage, sondern mit der auf Rücknahme der Baugenehmigung gerichteten Verpflichtungsklage vorgehen, wenn die Baugenehmigungsbehörde unter Verletzung einer nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen rechtsverbindlichen Zusage eine Baugenehmigung erteilt 8 8 1 . d) Rechtsansprüche Dritter im Umweltschutz aa) Problemstellung Umweltschutz beschreibt man gern, aber wohl zutreffend, als Schicksalsaufgabe des modernen Staates"882. Dies verwundert nicht, da die

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8 7 9

Passus bei Steinberg, NJW 1984, S.462.

8 8 0

J.Martens, aaO, S.2308.

8 8 1

BVerwGE 49,244.

8 8 2

Breuer, Der Staat (1976), S.393; ders., Umweltschutzrecht, in: v.Münch (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht, S.542; Benda, UPR 1982, S.24; Marburger, Gutachten C

. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts

203

Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen ein elementares Interesse der Allgemeinheit darstellt, was niemand bestreitet: Belastungen und Verbrauch der natürlichen Existenzbedingungen sind so zu einem Grundproblem der ökologischen und gesellschaftlichen Ziel Vorstellungen geworden, daß fur breite Teile der Bevölkerung die fortschreitende Zurückdrängung der natürlichen Umwelt täglich spürbare Wirklichkeit ist 8 8 3 . In diesem Hintergrund bildet verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz den spannungsreichen, zentralen Ausschnitt aus dem Umweltrechtsschutz 884, dessen Gewicht sich nicht zuletzt wegen der mit der technologischen Entwicklung verbundenen Besorgnisse und Ängste eher noch verstärkt 885 . Im Umweltrechtsschutz ist die Problematik des Drittschutzes beherrschend. Hier tritt ebenso ein Dreiecksverhältnis zwischen Genehmigungsbehörde, Anlagenbetreiber (Umweltbelaster) und Drittem (Belastetem) als maßgebliche Konstellation des Nachbarverhältnisses auf wie im Baurecht. Auf die umweltbelastende Anlagengenehmigung bezogen ist der durch diese oder den Betrieb der Anlage Betroffene gerade "Dritter" 886 . Dies täuscht über die wirkliche, der Fragestellung zugrundeliegende Lage: Ein Großteil der Kläger im Umweltrecht sind nicht Adressaten eines VA, sondern Drittbetroffene einer Anlagengenehmigung, die ein anderer begehrt. So ist für die immissionsschutzrechtliche wie kernenergierechtliche Anlagengenehmigung ganz überwiegend die Prozeßkonstellation der Drittklage kennzeichnend887. In konkreten Fallkonstellationen der Drittklage sind verschiedene Rechtsaspekte parallel oder zusammen verbunden, wie es in einer "Unternehmergenehmigung mit planungsrechtlichem Einschlag" (Badura) 8 8 8 häufig der Fall ist. Die Erkenntnisse der baurechtlichen Diskussion sind ohne weiteres auf das gleichfalls Bodennutzungskonflikte regelnde Immissionsschutzrecht 889 oder insofern analog auf gleichartig gelagerte Fallkonstellationen des umweltschutzrechtlichen Drittschutzes übertragbar, als die Fallstruktur in den beiden

fur 56.DJT, 1986, S.C 9; Seewald, Baurecht und Immissionsschutz, in: GS f.W.Martens, S.461; Horn, Übersicht der Rechtsprechung zum Immissionsschutz des Bundesimmissionsschutzgesetzes, UPR 1983, S.215fif. 8 8 3

Sening, BayVBl 1981, S.175f.

8 8 4

Kloepfer, Rechtsschutz im Umweltschutz, VerwArch 76 (1985), S.371ff. [381].

8 8 5

Beckmann, Der notwendige Schutz des Umweltrechts durch die Verwaltungsgerichte, UPR 1987, S.321. 8 8 6 Vgl. Kunig, "Dritte" und Nachbarn im Immissionsschutzrecht, GS f.W.Martens, S.599., wonach "Dritter" deijenige ist, dem Nachteile aus der Art und Weise entstehen, in der Zweierbeziehung zwischen der Verwaltung und ihrem Adressaten begründet, ausgestaltet und abgewickelt wird. 8 8 7

ooo

Berger, aaO, S. 131. Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: v.Münch, S.302: Die Unternehmereenehmi-

die rechtstechnisch aus einer Genehmigung, mehreren Genehmigungen oder einer f ung, lanfeststellung, auch aus einer Kombination dieser Gestattungsakte, sowie aus vorbereitenden landesplanerischen oder fachplanerischen Entscheidungen besteht, betrifft regelmäßig eine oft sehr große Zahl von Dritten in ihren rechtlich geschützten Interessen. Vgl. auch dens., Schutz Dritter durch Nebenbestimmungen einer Planreststellung oder Genehmigung, in: FS f.Lükes z.65.Geb. (Hrsg. v. Lessmann), 1989, S.3f. 8 8 9

Kunig, aaO, S.600.

204

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Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

Rechtsgebieten grundsätzliche Gemeinsamkeiten aufweist 89 ®. Im übrigen ist zu beobachten, daß die Ausgestaltung der umweltrechtlichen wie auch baurechtlichen Nachbarklagen größtenteils im Zusammenhang miteinander sowie mit anderen Bereichen des besonderen Verwaltungsrechts 1, insbesondere des Gewerberechts, des Wasserrechts, des gesamten Planungsrechts und des Polizeirechts steht 89 ^. Daher gilt das oben hinsichtlich des baurechtlichen Nachbarschutzes Gesagte im wesentlichen auch für die umweltrechtliche Problematik: Um unnötige Überschneidungen zu vermeiden, wird im folgenden auf die vorangegangenen Erläuterungen verwiesen.

Der Dritte kann in diesem umweltrechtlichen Dreiecksverhältnis Objekt oder Subjekt sein, indem er als Objekt seine Interessen vom Staat bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigen läßt 8 9 3 oder als Subjekt selbst seine Interessenverfolgung in die Hand zu nehmen vermag 894 . Von der Subjektsstellung des Dritten her betrachtet handelt es sich beim Drittschutz um die Abwehr gegen schädliche Umwelteingriffe, die sich etwa als öffentlichrechtliche Abwehransprüche 895 ausdrücken ließen. Für deren Durchsetzung kommt zwar par execellence die Drittanfechtungsklage in Betracht. Derartige negatorische Gestaltung der umweltrechtlichen Abwehransprüche ist jedoch für unsere Thematik nicht vom Interesse. Vielmehr handelt es sich hierbei um positive Ansprüche auf Schutz vor schädlichen Umwelteingriffen. Der Abwehranspruch Dritter in diesem Sinne schlägt in seiner Schutzrichtung in einen Schutzanspruch um und umfaßt sowohl verfassungsrechtliche als auch verwaltungsrechtliche Dimensionen, denen jeweils grundrechtlicher Schutzanspruch und Rechtsanspruch auf umweltschutzrechtliches Einschreiten korrespondieren.

89 ® Breuer, Ausbau des Individualschutzes gegen Umweltbelastungen als Aufgabe des öffentlichen Rechts, DVB1 1986, S.849ff.[853f.]. 8 9 1

Götz, Polizeirecht, Rn 72, S.38.

ΟΠΛ

Vgl. Seewald, Baurecht und Immissionsschutzrecht, GS Martens, W., S.461f., der Bedenken gegen Zersplitterung des Umweltrechts auf eine Vielzahl vòn Einzelgesetzen äußert, wodurch wesentliche Hauptziele des Umweltschutzes aus den Augen verloren werden. Am Rande ist noch der Ursprungszusammenhang des Umweltschutzrechts mit dem Polizei- und Ordnungsrecht wie auch mit dem Gewerberecht zu bemerken. Der polizeiliche Ursprung des Immissionsschutzes ist offenkundig. Vgl. etwa W.Martens, DVB1 1981, S.598 m.w.N. in Fn 1; vgl. auch Götz Frank, Vom Umweltschutz zum Mitweltrecht, DVB1 1989, S.693. Vgl. Ule, Zur Verpflichtungsklage im Umweltschutzrecht, BB 1972, S.1076ff. (also vor Zustandekommen des BImSchG). 8 9 3

Vgl. etwa Zielsetzung des BImSchG in § 1.

8 9 4

Kunig, aaO, S.600.

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Bei Badura, FS Lükes, S.8, ist von öffentlich-rechtlichem "Störungsabwehranspruch" die Rede, mit dem der Drittbetroffene Schutz für seine privaten Belante gegen das Vorhaben oder dessen Auswirkungen begehrt, weil sein Leben, seine Gesundheit, sein Eigentum oder sonstige rechtlich geschützte Interessen beeinträchtigt sind. Die Bedeutung und der Inhalt des Störungsabwehranspruchs sind aber m.E. auch auf den umweltrechtlichen Abwehranspruch übertragbar. Der auf Schutzvorkehrungen, auf Ausgleich der Beeinträchtigung oder auf sonst eine den Dritten schützende Gestaltung der Gestattung, insbes. auf die Beifügung von Nebenbestimmungen, gerichtete Genehmigungs- oder Planergänzungsanspruch sei nur eine Ausprägung des Störungsabwehranspruchs des Drittbetroffenen (BVerwGE 31,6/11).

III. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts

205

bb) Grundrechtliche Schutzansprüche i. Mit dem eben erwähnten umweltrechtlichen Dreiecksverhältnis eng verbunden ist das derzeit schwierigste Grundrechtsproblem im Bereich des Umweltschutzes, nämlich die Frage, ob es einen grundrechtlichen Anspruch gegen den Staat auf umweltschützendes staatliches Handeln gegenüber Dritten gibt 8 9 6 . Zur Beantwortung der ebengestellten Frage ist zunächst von der heute allgemein anerkannten These auszugehen, daß die Grundrechte nicht nur subjektive Abwehrrechte des einzelnen gegen die öffentliche Gewalt, sondern zugleich objektive verfassungsrechtliche Wertentscheidungen enthalten und Schutzpflichten begründen 897. Die Akzentuierung der staatlichen Schutzpflicht ist erstrangig - wie so manches in diesem Bereich - dem BVerfG zu danken. Deren Verankerung ist zwar schon in Art.l Abs.l GG erkennbar, der mit der Hervorhebung der Achtungs- und Schutzpflicht eine alte Traditionslinie in der Grundrechtsentwicklung aufgenommen hat. So wird etwa hervorgehoben, daß die staatliche Schutepflicht schon Gegenstand der klassischen Menschenrechtserklärung war (Isensee) 8 9 8 oder daß sie nicht etwa durch einen Bedeutungswandel der Grundrechte zu erklären, sondern "Ausfaltung ihres ursprünglichen Sinngehalts" ist (Robbers) 8 9 9 . Die Erkenntnis blieb aber längere Zeit wenig beachtet oder m.a.W. verschüttet9 . Erst seit Mitte der siebziger Jahre, also nachdem die Diskussion um ein Umweltgrundrecht schon den Höhepunkt überschritten hatte, rückte das BVerfG den Schutzpflichtgedanken wieder ins allgemeinen Bewußtsein .

Die staatliche Schutzpflicht beruht auf der Erkenntnis, daß grundrechtliche Schutzgüter nicht nur durch den Staat, sondern auch durch Dritte gefährdet werden können 902 : Die typische Abwehrfunktion der Grundrechte versagt hier 9 0 3 , weil das gefährdete Individuum durch ein Unterlassen gerade nichts gewinnen würde. Vielmehr kommt es ihm auf ein Tätigwerden der jeweils zuständigen Organe an, wobei je nach Sachlage der Gesetzgeber, die Exekutive oder die rechtsprechende Gewalt gefordert sein kann 9 0 4 . Dies gilt 8 9 6 Kloepfer, Umweltschutz und Verfassungsrecht - Zum Umweltschutz als Staatspflicht, DVB1 1988, S.305ff.[309]. Diese Frage bezeichnet Murswiek als die Kernfrage des Umweltverfassungsrechts. Ders., Zur Bedeutung der grundrechtlichen Schutzpflicht fur den Umweltschutz, WiVenv 1986, S.179. 8 9 7

BVerfGE 49,89 [141f.J; Breuer, Umweltschutzrecht, S.549.

8 9 8

Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, zu den Schutzpflichten des freiheitlichen Verfassungsstaates, 1983, insbes. S.12ff. 8 9 9

Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987, S.121.

9 0 0

Zu einer plausiblen Erklärung der Ursachen dafür vgl. E.Klein, aaO, S.1634; Soell, aaO, S.206. 9 0 1

Soell, aaO, S.206.

9 0 2

Soell, aaO, S.206.

9 0 3 Badura, Staatsrecht, 1986, S.79; E.Klein, Grundrechtliche Schutzpflicht des Staates, NJW 1989, S.1633. 9 0 4

E.Klein, aaO, S.1633.

206

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Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

ebenso aber auch primär für den Umweltschutz: So hat das BVerfG seine Rechtsprechung zu den grundrechtlichen Schutzpflichten vornehmlich anhand von umweltrelevanten Fällen entwickelt 905 : Die verfassungsrechtliche Garantenstellung des Staates zum Schutz der Grundrechte gelangte bekanntermaßen zum erstenmal im Urteil des BVerfG zur Fristenlösung aus dem Jahre 1975 zum Durchbruch . Das Grundrecht auf Leben, so führte das Gericht aus, verlange vom Staat, sich fördernd und schützend auch vor das werdende Leben zu stellen, um es vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren. Die Schutzverpflichtung des Staates müsse um so ernster genommen werden, je höher der Rang des gefährdeten Rechtsgutes sei. Diesen, in der Folgezeit im Urteil über den Antrag auf einstweilige Anordnung im Entführungsfall Schleyerund in der Entscheidung über das Kontaktsperregesetz verfestigten grundrechtsdogmatischen Ansatz hat das BVerfG seither 909 etwa in den Entscheidungen zum Atomgesetz , zum Fluglärmgesetz 910 , zum Waldsterben 911 und zum Verkehrslärm 1 2 mehrfach auf umweltrechtliche Fallkonstellationen bezogen und als umweltrelevante Rechtsfigur fruchtbar gemacht 9 1 3 . So hat der Schutzpflichtgedanke seinen wohl prägnantesten Niederschlag im Kalkar-Beschluß und Mühlheim-Kärlich-Beschluß mit aller Deutlichkeit gefunden: Aus Art.l Abs.l S 2 GG, wonach es Verpflichtung aller staatlichen Gewalt sei, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen, könnten sich verfassungsrechtliche Schutzpflichten ergeben, die es geböten, rechtliche Regelungen so auszugestalten, daß auch die Gefahr von Grundrechtsverletzungen eingedämmt bleibe. Angesichts der Art und Schwere möglicher Gefahren bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie müsse bereits eine entfernte Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts genügen, so hieß es, um die Schutzpflicht des Gesetzgebers konkret auszulösen 914 .

ii. Die grundrechtlichen Schutzpflichten im Umweltschutzbereich haben ihre Bedeutung vorzüglich als Pflichten zur grundrechtskonformen Gestaltung und Interpretation des Umweltrechts 915. Soweit sich der Gesetzgeber durch Ergreifen von schutzpflichtgemäßen Vorkehrungen entlastet, sei es, um eine grundlegende und wesentliche Entscheidung im Sinne des Vorbehalts des Gesetzes zu treffen, wie es in den eben genannten Entscheidungen des BVerfG der Fall w a r 9 1 6 , oder um die Regelungskompetenzen auf die Exekutive - wie im Umweltrecht sehr häufig - zu übertragen, verlagert sich 9 0 5 BVerfGE 49,89; 53,30; 56,54; BVerfG (Vorprüfungsausschuß), NJW 1983, S.2931. Vgl. Murswiek, aaO, S.180. 9 0 6

BVerfGE 39,lff.[42ff.].

9 0 7

BVerfGE 46,160 [164f.].

9 0 8

BVerfGE 49,24 [53].

9 0 9

BVerfGE 49,89 (Schneller Brüter Kalkar); 53,30 (Kernkraftwerk Mühlheim-Kärlich).

9 1 0

BVerfGE 56,54 (Düsseldorfer Flughafen).

9 1 1

BVerfG (Vorprüfungsausschuß), NJW 1983, S.2931.

9 1 2

BVerfG, Beschl.v.20.11.1988 - 1 BvR 1301/84, UPR 1989, S.133ff.[148].

9 1 3

Soell, Umweltschutz, ein Grundrecht ?, NuR 1985, S.205ff.[206f.].

9 1 4

BVerfGE 49,142. Bestätigt auch in Mühlheim-Kärlich-Beschluß (BVerfGE 53,57).

9 1 5

Murswiek, aaO, S.198.

9 1 6

Etwa BVerfGE 49,127f.

III. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Vealtungsrechts

207

auch die praktische Bedeutung der Schutzpflichten auf die Exekutive, auf die Ebenen der untergesetzlichen Rechtsetzung und der verfassungskonformen Rechtsanwendung917. Unter Bejahung der staatlichen Schutzpflicht kommt es aber im letzten Grunde zu der hier interessierenden Frage, ob und ggf. inwieweit der grundrechtlichen Schutzpflicht ein subjektiver Schutzanspruch korrespondiert. Da mit der Anerkennung der Schutzpflichten allerdings dazu noch nichts gesagt ist, ist dies besonders umstritten: Während die Rechtsprechung des BVerfG die Frage nach einem korresoondierenden Anspruch auf staatliche Umweltschutzmaßnahme nicht klar beantwortet 91 *', geht die Judikatur des BVerwG eindeutig davon aus, daß das Grundgesetz dem einzelnen keine unmittelbar einklagbaren Ansprüche auf bestimmte umweltschützende Maßnahmen g e w ä h r e 9 1 9 . Es gebe bundesverfassungsrechtlich kein "Umweltgrundrecht", das subjektivrechtlich einen weitergehenden Schutz verleihe, als es die Art.2ff. GG zugunsten bestimmter Schutzgüter t u n 9 2 0 . In der Literatur findet sich keine einheitliche Linie, auch wenn eine kategorische Ablehnung selten vertreten w i r d 9 2 1 . Die Frage fuhrt der Sache nach zu der grundlegenden Problematik der Grundrechte als Leistungsrechte, worauf hier freilich nicht im einzelnen eingegangen werden s o l l 9 2 2 . Immerhin ist es möglich und sachdienlich, aus dem ganzen Meinungsstand skizzenhaft Fazit zu ziehen: Insgesamt betrachtet, weist der Meinungsstand nicht klar in eine Richtung: Es wird einerseits von der Unterscheidung von Grundrechten und objektivrechtlichen aus der Grundrechtsordnung herzuleitenden Schutzpflichten ausgehend vertreten, daß es kein umfassendes "Umweltgrundrecht" oder "Grundrecht auf Umweltschutz" gibt. Andererseits wird dieser objektiven Tendenz entgegengesetzt, daß die Schutzpflicht, soweit sie im Interesse des Einzelnen besteht, bestmöglich nur durch die Anerkennung eines subjektiven Rechts auf Erfüllung der Schutzpflicht realisiert wird (Subjektivierungsthese)9 .

iii. Ungeachtet der Meinungsvielfalt zum Umweltgrundrecht ist davon auszugehen, daß aus der geltenden Verfassung wenn auch nur punktuell justitiable Schutzpflichten des Staates, etwa bei Gefahrdung des ökologischen Existenzminimums924, abgeleitet werden können 925 , während die Frage 9 1 7

Vgl. Murswiek, aaO, S. 198f.

9 1 8

Es bleibt bei der Ermittlung der Rechtsprechungslinie aus den oben erwähnten Entscheidungen des BVerfG zwar Raum für Auslegung. Berechtigt erscheint es aber, mit Klein, E., aaO, S.1636f. sowie Alexy, Theorie der Grundrechte, S.41 lf.,413 Fn 69 von "Unklarheit" zu reden. A.A. Murswiek, aaO, S.199, der in der Rechtsprechung des BVerfG eher die "implizite Bejahung" zu dieser Frage sehen will. Vgl. auch BVerfGE 77,170 [214] = NJW 1988, S.1651 (Verfassungsbeschwerde gegen die Lagerung von C-Waffen). 9 1 9 BVerwG, Beschl.v.25.6.1975, DÖV 1975, S.605; Urt.v.29.7.1977, DVB1 1977, S.897. Vgl. dazu Heigl, Fragen des Umweltschutzes in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsrechts, in: FS f.25 Jahre BVerwG, S. 26 Iff. [262]; H.J.Becker, Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Grundgesetz, AöR 1980, S.341. 9 2 0 BVerwG, Beschl.v.25.Juni 1975 - BVerwG V D Β 84.74 - (Buchholz 11 Art.l GG Nr.6 S.l f.); BVerwGE 54,211 [219]. 9 2 1

Dazu vgl. E.Klein, aaO, S.1637.

9 2 2

Dazu vgl. Nachweise oben in Einleitung, § 1 Fn 3-4.

9 2 3

Zum Meinungsstand vgl. Klein, E., aaO, S.1636f.

9 2 4

Scholz, JuS 1976, S.232ff.[234].

9 2 5 Kloepfer, DVB1 1988, S.311; Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, 1989, § 43 S.565f.

208

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Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

einmal dahinstehen mag, ob ein Grundrecht auf Umweltschutz aus dem Grundgesetz ableitbar ist. Dies spiegelt die folgende Zwischenbilanz wieder: Anzuerkennen ist in Anlehnung an das ökonomische Existenzminimum wenigstens der Anspruch auf ein ökologisches Existenzminimum, der jedoch mit einem allgemeinen, umfassenden Umweltgrundrecht nicht identisch ist, sondern lediglich eine Mindestgarantie sichern will und als umweltrechtliche Teilgewährleistung aus Art.l und 2.GG entnommen w i r d 9 2 6 . Einzelne potentiell schutzpflichtbegründende Grundrechte wie insbesondere Art.2 Abs.2, Art. 14 und Art.2 Abs.l GG enthalten zwar keine umweltspezifischen Verfassungsaussagen, wohl aber mittelbar umweltschützende Teilgewährleistungen. Im Vordergrund steht dabei wohl das durch Art.2 Abs.2 S 1 GG verbürgte Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit 927. Im Ergebnis wirken sich die grundrechtliche Schutzpflichten im Umweltschutzbereich mit ihren Teilgewähleistungen nicht nur bei Fehlen einschlägiger Schutznormen, sondern auch bei Auslegung des verwaltungsbehördlichen Ermessens als eine verfassungsrechtliche Schranke zugunsten der Umweltbetroffenen aus. Unmißverständlich hinzuweisen ist aber auf deren Reichweite, wie es Murswiek zutreffend hervorhebt 928: Was die Verwaltung zum Schutz der Umwelt und der grundrechtlichen Schutzgüter zu tun verpflichtet ist, muß in erster Linie dem einfachen Gesetz entnommen werden. Die grundrechtlichen Schutzpflichten wirken sich hier nur mittelbar aus, indem sie Kriterien für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes und vor allem für die Interpretation des Gesetzes abgeben. Wenn auch die Schutzpflichten gegenüber der vollziehenden Gewalt greifen, kommt dieser nach der Auffassung des BVerfG bei deren Erfüllung ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich zu, der auch Raum läßt, etwa konkurrierende öffentliche und private Interessen zu berücksichtigen 929. Das BVerfG könne eine Verletzung der Schutzpflicht nur feststellen, wenn die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen hat oder offensichtlich die getroffene Regelungen und Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das Schutzziel zu erreichen 930 . Diese führt zu dem Ergebnis, daß die Entscheidung, welche Maßnahmen geboten sind, nach der Rechtsprechung des BVerfG also nur begrenzt nachgeprüft werden kann. Besondere Beachtung verdienen schließlich die Auswirkungen der Schutzpflichten auf die Ermessensausübung der Verwaltung, wie sie etwa im Rahmen des § 17 BImSchG bei der Entscheidung über das Ob und Wie von nachträgliche Anordnungen von Bedeutung sein können, worauf aber nachfolgend zurückzukommen ist.

9 2 6

Vgl. Stober, Handbuch, S.566; Rauschning, W D S t R L 38 [1980], S.167,179.

9 2 7

Kloepfer, aaO, S.310.

9 2 8

Murswiek, aaO, S.l98ff.

9 2 9

BVerfGE 77,170 [214]; 77,381 [402f.].

9 3 0

BVerfG, UPR 1989, S.148; vgl. auch BVerfGE 56,54 [81] m.w.N.; 77,170 [215].

III. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts

209

cc) Anspruch auf Einschreiten gegen Immissionen i. Soweit der Immissionsschutz als zentraler Teilbereich des Umweltschutzes hervorragt 931 , soll hier vorzugsweise auf dieses Rechtsgebiet Bezug genommen werden. Häufig wird von den Behörden ein Einschreiten gegen Immissionen (Lärm, Gerüche) aus der Nachbarschaft begehrt. Ob die Behörde diesem Begehren nachkommen, also einschreiten will, steht in ihrem pflichtgemäßen Ermessen (Opportunitätsprinzip). Das Absehen vom Einschreiten, etwa durch Verweisung auf zivilrechtliche Geltendmachung des Störungsbeseitigungs- oder Unterlassungsanspruchs ist zulässig, sofern nicht wegen der Art und des Maßes der Beeinträchtigung ihr Ermessen eingeschränkt ist. Wenn die Anwendung öffentlich-rechtlichen Immissionsschutzrechts in Betracht kommt, kann dagegen das Absehen vom Einschreiten nicht auf das Subsidiaritätsprinzip gestützt werden 932 , und dann kommt der Anspruch auf Einschreiten zur Anwendung. Insofern weist die Problematik des Anspruchs auf Einschreiten gegen Immissionen im Vergleich zur allgemeinen polizeirechtlichen Fragestellung keine Besonderheiten auf, weshalb wesentlich auf das oben Ausgeführte verwiesen werden kann. Zu erinnern ist an dieser Stelle daran, daß es im berühmten Bandsäge-Urteil in der Tat um den Anspruch auf Eingreifen gegen von einem in einem Wohngebiet betriebenen Kohlen und Fuhrgeschäft ausgehende Belastungen der Nachbarschaft ging 9 3 3 . ii. Besonderheiten ergeben sich aber in erster Linie aus den immissionsschutzrechtlichen Regelungen wie § 5 Abs.l Nr.l, § 17 Abs.l S 2 und § 20, § 22 ff. BImSchG, welche gegenüber der polizeilichen Generalklausel Spezialregelungen darstellen und diese insoweit verdrängen 934. So korrespondiert mit der nachbarschützenden Charakter des Schutzgrundsatzes nach § 5 Abs.l Nr.l BImSchG 935 ggf. ein Rechtsanspruch des betroffenen Nachbarn auf Erlaß einer nachträglichen Anordnung nach § 17 Abs.l S 2 BImSchG. Das Gesetz bringt das schon durch die Formulierung als SollVorschrift zum Ausdruck, daß der daraus erwachsende Rechtsanspruch in der Regel nicht nur auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung, sondern auf den Erlaß konkreter zulässiger Anordnungen geht. Dabei ist die eigene nachbarschützende Wirkung der Vorschriften, aus denen sich die Eingriffsbefugnisse der Behörde ergeben, nicht erforderlich 936, und somit tritt 9 3 1

Horn, UPR 1983, S.215.

9 3 2

Götz, Polizeirecht, Rn 276.

9 3 3 Vel. auch BVerwG, Urt.v.13.1.1961 - VU C 219.59, DVB1 1961, S.408ff. m.Anm.v.Menger, insbes. S.411. (Obwohl es um eine Anfechtungsklage gegen die Nachtruhe störende geweiherechtliche Hinausschiebung der Sperrstunde ging). 9 3 4 H . M . Aber im Hinblick auf nicht genehmigungsbedürftigen Anlangen streitig. Vgl. dazu Götz, Polizeirecht, Rn 450, 262 m.w.N.; a.A. BVeiOE 55,118 [121ff.]. 9 3 5

Unbestritten.

9 3 6

So auch Kleinlein, Das System des Nachbarrechts, S.244; Jarass, BImSchG, § 6 Rn 27.

14 Hong

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Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

die Besonderheit der immissionsschutzrechtlichen Problematik im Vergleich zur allgemeinen polizeirechtlichen deutlich zutage: Bei dieser spielt, wie erwähnt, die Ableitung der nachbarschützenden Wirkung der polizeilichen Generalermächtigung die ausschlaggebende Rolle. Entsprechend der Ausbildung als Soll-Vorschrift ist das behördliche Eingreifen im Gegensatz zum allgemeinen Anwendungsfall die Regel 9 3 7 : Es ist also davon auszugehen, daß unter den Voraussetzungen des § 17 Abs.l S 2 BImSchG der Nachbar grundsätzlich, wenn keine Ausnahmesituation vorliegt, einen prozessual durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Erlaß der notwendigen nachträglichen Anordnung hat 9 3 8 . Folglich ist die Verweisung des Nachbarn auf den Zivilrechtsweg nach heute ganz herrschender Meinung im Bereich immissionsschutzrechtlicher Auseinandersetzungen nicht zulässig 939 . In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, daß sich der Anspruch Dritter auf nachträgliche Anordnung ggf. in einem Rechtsanspruch auf Widerruf gegen Entschädigung fortsetzen kann 9 4 0 . Zur gerichtlichen Durchsetzung kommt maßgeblich die Verpflichtungsklage als richtige Klage in Betracht. Das gleiche gilt im Grunde auch fur die Untersagung nichtgenehmigungsbedürftiger Anlagen nach § 25 Abs.2, der nicht die Beftignis der Immissionsschutzbehörde zum Einschreiten begrenzt, sondern das ihr sonst zustehende Ermessen in Richtung auf ein grundsätzliches Gebot zum Einschreiten reduziert 941 , während der nachbarschützende Charakter des § 22 Abs.l N r . l und 2 BImSchG streitig ist 9 4 2 . Nur hingewiesen werden soll hier im übrigen auf die nachbarschützenden Vorschriften wie § 20 Absätze 1,2 BImSchG, deren Anwendungsfolgen aber folgendermaßen zu differenzieren sind: Wird gegen eine nachbarschützende Auflage verstoßen oder eine vollziehbare nachträgliche Anordnung, auf deren 9 3 7

S.61f.

Seilner, aaO, S.272 Rn 465; R.Schmidt/H.Müller, Einführung in das Umweltrecht,

9 3 8 Breuer, Umweltschutzrecht, S.599; Sellner, aaO, S.272 Rn 467 m.in Fn 101 angegebenen Nachweisen. 9 3 9 Sellner, aaO, S.273 Rn 468 m.w.N. Ausgeschlossen war eine nachträgliche Anordnung zum einen, wenn sie nach dem Stand der Technik nicht erfüllbar ist (§ 17 Abs.2 S 1 Nr.2 BImSchG a.F.), und zum anderen, wenn sie für den Betreiber und für Anlagen der von ihm betriebenen Art wirtschaftlich nicht vertretbar ist (§ 17 Abs.2 § 1 N r . l BImSchG a.F.). Dazu vgl. Breuer, Umweltschutzrecht, S.599. Durch die 2. ÀndG.d. BImSchG v.4.10.1985 (BGBl.I.S. 1950) wurde die Eingriffsschwelle fur die nachträgliche Anordnung spürbar gesenkt, und die geltende Fassung des § 17 Abs.2 beschränkt sich nun darauf, allein den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Grenze für den Erlaß derartiger Anordnungen aufzustellen. Dazu vgl. Huber, P.M., Der Immissionsschutz im Brennpunkt modernen Verwaltungsrechts, AöR 114, S.252ff.[259J. Zum Bestandsschutz vgl. Schröder, Zur Gegenwartslage des Bestandsschutzes im Immissionsschutzrecht, UPR 1986, S.127ff. 9 4 0

Dazu vgl. Sellner, aaO, S.273 Rn 469.

9 4 1

BVerwG, Urt.v.19.1.1989 - 7C 77.87, DÖV 1989, S.675 (Abwehranspruch gegen von einem von der öffentlichen Hand betriebenen Sportplatz ausgehenden Lärm). 9 4 2

Dazu Breuer, Umweltschutzrecht, S.601.

III. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Verwaltungsrechts

211

Erlaß der Nachbar Anspruch hatte, nicht befolgt, kann ein Anspruch des Nachbarn gegen die Behörde auf Anordnung der Betriebsuntersagung nach § 20 Abs.l BImSchG bestehen. Da diese Vorschrift der Behörde einen Ermessensspielraum einräumt, kann nur im Einzelfall von einem Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung ausgegangen werden 943 . Demgegenüber ergibt sich schon aus der Soll-Vorschrift des § 20 Abs.2 S 1 BImSchG der Nachbaranspruch, der also nur in Ausnahmefällen atypischer Art zu verneinen i s t 9 4 4 , während die Verpflichtung zur Beseitigungsanordnung nach § 20 Abs.2 S.2 BImSchG nur gegeben wird, wenn gerade durch den Bestand der Anlage die Nachbarschaft nicht auf andere Weise ausreichend vor schädlichen Umwelteinwirkungen geschützt werden kann 9 4 5 . Zu beachten ist schließlich die Frage, ob bei der noch nicht unanfechtbaren Genehmigung auch eine Verpflichtungsklage des Inhalts zulässig ist, die Genehmigungsbehörde zu verpflichten, die Genehmigung um eine Nebenbestimmung zugunsten des Einwenders zu ergänzen. Während die Verpflichtungsklage das gegebene Mittel zur gerichtlichen Durchsetzung von Nachbaransprüchen auf nachträgliche Anordnungen nach § 17 Abs.l BImSchG oder auf Maßnahmen nach § 20 BImSchG ist, wird vor Unanfechtbarkeit der Genehmigung eine solche Verpflichtungsklage kaum in Betracht kommen. Denkbar erscheint sie allenfalls bei sog. "echten" Auflagen. Gerade bei Fehlen modifizierender Auflagen oder Bedingungen wird aber die Rechtsqualität des gesamten Bescheides erfaßt, bleibt also das richtige Mittel die Anfechtungsklage 946. e) Anspruch auf begünstigende Verwaltungshandlungen und Konkurrentenschutz im Wirtschaftsverwaltungsrecht aa) Zur Problematik Rechtsschutz im Wirtschaftsverwaltungsrecht ist eine rechtliche Instanz, in der der von verstärkten staatlichen Einwirkungen auf die Wirtschaft herrührende Machtzuwachs der Verwaltung auf der einen Seite und das diesem korrespondierende gesteigerte Schutzbedürfhis einzelner Wirtschaftsbürger gegenüber dem Staat auf der anderen Seite gegenübertreten. Hier begegnet man einer durch die nachkriegszeitliche Rechtsentwicklung vollzogenen Subjektivierung des Bürger-Staat-Verhältnisses 947 im sozialstaatlichen Umverteilungsprozeß 948.

9 4 3 Sellner, aaO, Rn 495; Schmidt/Müller, S.66; Vgl. aber Ule/Laubinger, BlmSchGKommentar, Rn C 41 ff. zu § 20. 9 4 4

Sellner, aaO.

9 4 5

Sellner, aaO.

9 4 6

Sellner, aaO, S.233 Rn 390.

9 4 7

Bachof, in: Staatsbürger und Staatsgewalt, Bd.II, S.l 1.

9 4 8

Zum Terminus vgl. Schenke, WiVerw 1988, S.145ff.,[148].

14*

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Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung

Rechtsschutz im Wirtschaftsverwaltungsrecht umfaßt äußerst umfangreiche Rechtsbereiche, die hier sicher nicht in Einzelheiten berücksichtigt werden können. Was das Thema der vorliegenden Arbeit anbelangt, sind zudem nur diejenigen Konstellationen von Interesse, in denen positive Leistungsansprüche oder subjektive öffentliche Rechte auf Vornahme einer Verwaltungshandlung geltend gemacht werden. Es sind freilich Leistungsansprüche aus den zur Wirtschafts-Leistungsverwaltung gehörenden Bereichen, auf deren Erörterung allerdings hier aus Raumgründen weitgehend verzichtet werden soll. In Betracht kommen hier stellvertretend nur Ansprüche auf begünstigende Verwaltungshandlungen, insbesondere der Anspruch auf Zulassung (Genehmigungen) wirtschaftlicher Tätigkeit 949 und der Anspruch auf eine Subvention als ein Unterfall des Anspruchs auf staatliche Förderung. Die Bezeichnung Zulassung dürfte mit Stoher als Oberbegriff zu verstehen sein, weil seit der Novellierung der Gewerbeordnung im Jahre 1984 Zulassung für Erlaubnis, Genehmigung, Konzession oder Bewilligung steht (§ 15 Abs.2 GewO). Jedenfalls macht die Vorschrift deutlich, daß die dort angeführten unterschiedlichen Begriffe im Rahmen der Genehmigungspflichtigkeit inhaltlich identisch benutzt werden sollen. Das dürfte auch für die dort nicht ausdrücklich genannten sonstigen Bezeichnungen, wie z.B. fur die Verleihung g e l t e n 9 5 0 . Da der Begriff der (Wirtschafts-)Subvention demgegenüber noch unklar ist, und eine einheitliche Begriffsbildung von vornherein sogar aufgegeben wird 5 1 , soll hier deshalb keine Begriffsbildung versucht werden, sondern nur der allgemeine Sprachgebrauch zugrundegelegt werden .

Die Zulassung in diesem Sinne spielt im Wirtschaftsverwaltungsrecht eine herausragende Rolle, weil der Gesetzgeber in zahlreichen Fällen die Aufnahme und Ausübung bestimmter wirtschaftsrelevanter Tätigkeiten von seiner Zulassung abhängig macht 953 , während der Anspruch auf

9 4 9 Die Zulassung oder Genehmigung wirtschaftlicher Tätigkeiten ist nur formal begünstigend und gehört sonach eher zur Eingriffsverwaltung. 9 5 0 Hierzu Stober, Handbuch, S.764; Jarass, GewArch 1980, S.177. Nachfolgender Erläuterung soll daher die Bezeichnung Zulassung zugrundegelegt werden. 9 5 1 Vgl. dazu Götz, Recht der Wirtschaftssubventionen, 1966, S.3ff., wonach die Einheitlichkeit der Begriffsbildung ein Ziel sei, das nicht um den Preis unjuristischer Verallgemeinerung erstrebt werden sollte. Er unterscheidet aber zu Recht den Begriff von der Begriffsbezeichnung und läßt es bei der gemeinverständlichen Firmierung der Subvention" bewenden. Zu erwägen war nach ihm, ob an deren Stelle die Beihilfe ("aides" nach gemeinschaftsrechtlichem Sprachgebrauch) gesetzt werden sollte. Vgl. auch Gündisch, N V w Z 1984, Die Entwicklung des Subventionsrechts 1980 bis 1983, S.489f., der zwar drei spezialgesetzliche Begriffsbestimmungen (§ 264 V I StGB, § 12 StabG, § 23 BHO) ausführt, aber mit Götz der Ansicht ist, bei dieser Vielfalt von Zwecken, Zielbereichen, Gewährungsarten und Handlungsformen lasse sich die Subvention kaum definieren, lediglich typologisch beschreiben. Vgl. Maurer, § 17 Rn Iff.; Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht und Wirtschaftsverfassungsrecht, 2.Aufl., 1984, § 14 Rn 3a, S.191. QC7 Dazu gehört etwa ein Begriffskern des Inhalts der Subvention, Subventionen seien finanzielle Begünstigungen Privater. Vgl. dazu Götz, Recht der Wirtschaftssubvention, S.3f. 9 5 3

Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, § 59 S.764.

III. Klagen in materiellrechtlicher Entfaltung des Vealtungsrechts

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Subventionierung angesichts seiner rechtlichen Grundlage 954 nach wie vor eine der umstrittensten Grundfragen darstellt. Hierbei handelt es sich um Rechtsschutz im bipoligen Rechtsverhältnis zwischen dem Bürger und der Verwaltung. Demgegenüber kommt zum anderen Konkurrentenschutz im Wirtschaftsverwaltungsrecht in drei- oder mehrpoligen Rechtsbeziehungen in Betracht. Dabei weist er zwar im Vergleich zum baurechtlichen oder umweltrechtlichen Dritt- bzw. Nachbarschutz, abgesehen von der unterschiedlichen Bestimmung des Nachbarn, Dritten oder Konkurrenten je nach den einschlägigen Vorschriften sowie abgesehen von dem unterschiedlich gestalteten, drittschützenden Charakter einzelner Rechtsvorschriften, als ein Unterfall des Drittschutzes 955 grundsätzlich keine Besonderheiten auf und daher kann weitgehend auf die vorangegangenen Erläuterungen zum Anspruch auf Einschreiten sowie zum baurechtlichen bzw. umweltrechtlichen Nachbarschutz verwiesen werden 956 . Besonderes Interesse ist aber dem Konkurrentenschutz zu widmen, zumal es hierbei im Grunde um unterschiedliche Interessenverflechtungen oder -kollisionen zwischen gegeneinander konkurrierenden Wettbewerbsbeteiligten geht 9 5 7 . bb) Anspruch auf begünstigende Verwaltungshandlung i. Als Anspruch auf eine begünstigende Verwaltungshandlung im Wirtschaftsverwaltungsrecht kommt in erster Linie der Anspruch auf Zulassung wirtschaftlicher Betätigung in Betracht, wenn die Genehmigungspflichtigkeit gesetzlich vorgeschrieben ist. Das Zulassungs- bzw. Genehmigungserfordernis besteht aus unterschiedlichen Gründen zur effektiven Aufgabenerfüllung im Bereich der Wirtschaftsverwaltung, -Sicherung, lenkung und -forderung 958 . Ansonsten gilt grundsätzlich die Gewerbe- bzw. Unternehmensfreiheit: Genehmigungspflichten sind Ausnahmen von der in § 1 GewO festgelegten Gewerbefreiheit, welche neben dieser gewerberechtlichen Vorschrift eine verfassungsrechtliche Absicherung in Art. 12 GG erfahren hat. Auch andere Grundrechte schützen die wirtschaftliche Tätigkeit: sie gestatten jedoch auch die Aufrichtung von Genehmigungspflichten (z.B. Art.2 GG). Aus dem Grundsatz der Gewerbefreiheit ergibt sich, daß die gewerberechtlichen Erlaubnisse (Zulassung) "gebundene" Erlaubnisse sind, d.h. daß die Behörde bei Q